LSHTM »IS. • Digitizec Iby the Internet Archi in 2015 https://archive.org/details/b21353207_0001_0 Gesammelte Werke von Robert Koch Unter Mitwirkung von Prof. Dr. G. GAFFKY und Prof. Dr. E. PFUHL Geh. Ober-Med.-Rat in Berlin General-Ober-Arzt a. D. in Berlin herausgegeben von Prof. Dr. J. SCHWALBE Geh. San.-Rat in Berlin ERSTER BAND Mit 9 Textabbildungen, 29 teils farbigen Tafeln und dem Porträt Robert Kochs LEIPZIG 1912 VERLAG VON GEORG THIEME 11235 Copyright by Georg Thieme 1912 Vorwort. Die Herausgabe der Werke Robert Kochs erfüllt eine Ehrenpflicht der me- dizinischen Wissenschaft, insbesondere der deutschen; sie bedeutet die Einlösung einer pietätvollen Dankesschuld. Die Ergebnisse der Studien, durch welche Koch die gegenwärtige Lehre von der Ätiologie der Infektionskrankheiten gebildet und in denen er die Methoden zur Be- kämpfung der verheerenden Seuchen gewiesen hat, dringen mit tiefen Wurzeln in den Geist jedes berufstüchtigen Arztes und bestimmen wesentliche Grundlinien seines Wissens und Könnens. Die Erfolge von Kochs bahnbrechendem Schaffen gewinnen im öffent- lichen Gesundheitswesen der Völker wie im privaten Leben der Individuen segensreiche Geltung. Und so mußte es als eine zwingende Aufgabe erscheinen, seine an zahlreichen, zum Teil schwer zugänglichen Stellen veröffentlichten Aufsätze für die Nachwelt zu- sammenzufassen und ihm durch die Vereinigung der Arbeiten, in denen er seine un- sterblichen Entdeckungen bekanntgegeben hat, das eindruckvoUste und lebenswahrste Denkmal seiner gigantischen Größe zu errichten. Auf diesen Blättern entrollt sich zugleich mit der Entwicklung seines Lebenswerkes die Geschichte der Geburt und des Wachstums der modernen Bakteriologie. Von dem Aufsatz des WoUsteiner Kreisphysikus über die Ätiologie der Milzbrandkrankheit bis zu den Mitteilungen über die Erreger der Schlafkrankheit verfolgen wir Schritt für Schritt den Weg, den die Erforschung der Infektionsursachen aus dem Dunkel theoretischer Spekulationen empor zu dem strahlenden Licht der exakten Naturwissenschaft genommen hat. Auf dem Fundament der Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten erhebt sich Quader an Quader, fügt sich Stein an Stein, steht der hochragende Bau als eine bewundernswerte Schöpfung genia- ler Kraft. Die Bedeutung der Schriften Robert Kochs geht über den Nutzen ab- geschlossener historischer Annalen hinaus: sie bilden trotz der rasch vorwärtsschreiten- den Wissenschaft noch für lange Zeit ein lebendiges Quellengebiet , aus dem jeder Mediziner fruchtbare Anregung und Förderung zu schöpfen vermag. Seine Arbeits- methoden im allgemeinen, mit ihrer Feinheit und Schärfe, ihrer überzeugenden Folgerichtigkeit, ihrer peinlichen Gewissenhaftigkeit, müssen auf jeden Jünger der Wissenschaft vorbildlich und erziehlich einwirken. Zahlreiche seiner Ansichten und tatsächlichen Feststellungen sind auch ferner geeignet, erkenntnissuchenden Forschern als Wegweiser und Berater zu dienen. Erleichtert wird das Studium der Arbeiten durch die Form der Darstellung; auch in dieser Beziehung tragen sie den Stempel der Klassizität. Schlicht, durchsichtig und lichtvoll sind die Gedanken und ihr Ausdruck. Simplex veri sigillum: ein Kenn- zeichen auch für Kochs Vorträge und Aufsätze. Der gesamte Umfang seiner Publikationen ist, namentlich in unserer schreib- seligen Zeit, als gering zu bezeichnen. Er hat zur Feder meist nur gegriffen, wenn er der Welt neue Beobachtungen, mitteilenswerte Tatsachen zu übergeben hatte — aus- nahmsweise dann, wenn er sich einer äußeren Anregung nicht entziehen konnte. Seine in 34 Jahren unter seinem Namen allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern herausgegebenen Aufsätze erreichen die Zahl 100 nicht. Er hat nur wenige Mono- graphien, kein Lehrbuch verfaßt. Über das Tuberkulin — dessen Entdeckung eine — IV — wissenschaftliche Leistung allerersten Ranges bedeutet — hat er im ganzen sechs Auf- sätze geschrieben. Selten hat er sich an Debatten beteiligt, und zwar nur dort, wo die Verhandlung von vornherein den Charakter einer wechselseitigen Aussprache tragen sollte. Fast nie hat er sich zur Polemik herbeigelassen. Als sein aufsehenerregender Vortrag über die verhältnismäßig geringe Gefährlichkeit der Rindertuberkulose (1901) Gegenstand heftiger Angriffe wurde, lehnte er meine Aufforderung, zu den Gegenschriften Stellung zu nehmen, mit den Worten ab: ,,Ich habe meine Untersuchungsresultate mitgeteilt, nun sollen sie von anderen erst sorgfältig nachgeprüft werden. In etwa zwei Jahren werden wir uns wieder über diese Frage unterhalten." Viele seiner Reden und Schriftstücke sind nicht gedruckt worden. Von zwei Vor- trägen, die er über die Vorbereitungen und die Ergebnisse der Schlaf krankheitsexpedition vor unserem Kaiser gehalten hat, existiert kaum eine Aufzeichnung. Seine Mitteilungen in der Berliner ,, Hygienischen Vereinigung" sollten über die Wände des Sitzungssaales nicht hinausdringen. Die ungemein zahlreichen Gutachten und Berichte, die er im Laufe von drei Jahrzehnten für Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden erstattet hat, sind größtenteils in den Akten verborgen geblieben. Diese Schätze nach Möglichkeit zu heben, um sie weiten Kreisen zugänglich zu machen, habe ich mich nach besten Kräften bemüht. Lückenlos sie aus dem Dunkel der Archive hervorzuholen, erwies sich leider als unausführbar, da zu diesem Zweck noch viel mehr Aktenbündel unserer Ministerial- und anderer behördlicher Registraturen hätten durchsucht werden müssen. Manche der aufgefundenen Schriftstücke konnten auch aus dienstlichen oder anderen Gründen in diese Werke nicht aufgenommen werden. Selbst das so eingeengte Material wird unzweifelhaft lebhaftes Interesse erwecken und die Anziehungskraft der ,, Gesammelten Werke" erhöhen. In diesen Schriftstücken finden wir eine überraschende Fülle lehrreicher Vorar- beiten und Ergänzungen seiner Publikationen, sie vervollständigen die Einsicht in seinen Arbeitskreis und zeigen mehr noch als die bisher bekannten Abhandlungen auch dem Fernerstehenden, daß seine Studien sich nicht auf die Bakteriologie und die Seuchen- lehre beschränkt haben, sondern daß er wichtige Probleme der gesamten Hygiene mit voUer Schärfe erfaßte und beleuchtete. Allen denjenigen Behörden, die mit weitem Entgegenkommen die Erlaubnis zur Durchsicht der Akten und zur Publikation der Materialien erteilt haben, statten wir auch an dieser Stelle unseren wärmsten Dank ab, namenthch dem Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes Herrn Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Dr. B u m m und dem Direktor im Ministerium des Innern Herrn Wirkl. Geh. Obermedizinalrat Prof. Dr. Kirchner. Dank gebührt den Erben Kochs, Frau Wirkl. Geh. Rat Koch und Frau Prof. Pfuhl, geb. Koch, für die Veranstaltung der Ausgabe der ,, Werke". Anerkennung verdient auch der Verleger Herr Georg Thieme, der mit großen Opfern die ,, Werke" in würdigster Weise ausgestattet hat. So übergeben wir die gesammelten Abhandlungen des großen Meisters der Öffent- lichkeit und mehren die medizinische Weltliteratur um ein Kleinod von unvergäng- lichem Werte. ,,Die Hand erstirbt, doch der Sinn lebt fort und weht unendlich durch die Zeit hinaus in das Ewige." (I. Kant.) Berlin, im Februar 1912. J. Schwalbe. Inhaltsverzeichnis. I. Veröffentlichte Aufsätze, Vorträge usw. Seite Gedächtnisrede auf Robert Koch. Gehalten am 11. Üezemljer 1910 in der neuen Aula der Universität. Von Geh. Obermedizinalrat Prof. Dr. Gaffky, Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin IX Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften am 1. Juli 1909. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1909, Nr. 29.) 1 Die Ätiologie der Milzbrandkrankheit, begründet auf die Entwicklungsgeschichte des Bacillus Anthracis. (Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. II, 1876.) Hierzu Tafel I 5 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren und Photographieren der Bakterien. (Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. II, 1877.) Hierzu Tafel II u. III 27 Referat. C. v. Naegeli, Die^ niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrank- heiten \ind der Gesundheitspflege. München 1877; vi. Dr. Hans Buchner, Die Naegelische Theorie der Infektionskrankheiten in ihren Beziehungen zur medizinischen Erfahrung. Leipzig 1877. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1878, Nr. 1 u. 2 ) . . 51 Neue Untersuchungen über die Mikroorganismen bei infektiösen Wundkrankheiten. Nach seinen Mitteilungen in der Sektion für pathologische Anatomie und für innere jMedizin der 51. deutschen Naturforscherversanunlung in Kassel. (Deutsche Medizinische Wochen- schrift 1878, Nr. 43.) 57 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. (Leipzig 1878.) Hierzu Tafel IV u. V 61 Zur weiteren Kenntnis der Febr. recurrens und der Spirochaeten. (Aus einem Briefe des Herrn Prof. F e r d. Cohn in Breslau an den Herausgeber der Deutschen Medizinischen Wochenschrift.) (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1879, Nr. 16) 109 Die Übertragung der Rekurrens-Spirochaeten auf Affen. (Deutsche Medizinische Wochen- schrift 1879, Nr. 25) III Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. (Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheits- amte, Bd. I. Berlin 1881.) Hierzu Tafel VI— XIX 112 Entgegnung auf den von Dr. Grawitz in der Berliner Medizinischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag über die Anpassungstheorie der Schimmelpilze. ( Berliner Klinische Wochen- schrift 1881, Nr. 52) 164 Zur Ätiologie des Milzbrandes. (Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I. Berlin 1881) 174 Über die Milzbrandimpfung. Eine Entgegnung auf den von Pasteur in Genf gehaltenen Vortrag. (Leipzig 1882.) 207 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen und Milz- brandinfektion durch Fütterung. ( Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. II. Berlin 1884) 232 Über die Pasteurschen Milzbrandimpfungen. (Deutsche Mcdizinische'Wochenschrift 1887, Nr. 32) 271 Über die neuen Untersuehungsmethoden zum Nachweis der ^likroorganismen in Boden, Luft und Wasser. Vortrag auf dem XI. Deutschen Ärztetag in Berlin am 23. .Tuni 1883. (Ärztliches Vereinsblatt für Deutschland 1883, Nr. 137 ) 274 Demonstration von Diapositiven, die auf photographischem Wege von bakteriologischen Präpa- rat^en hergestellt waren. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1887, Nr. 18) 285 Über Desinfektion. (Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I. Berlin 1881) . 287 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. (Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesund- heitsamte, Bd. I. Berlin 1881) 339 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. (Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I. Berlin 1881) 360 — VI — Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraumes von Schiffen. (Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I. Berlin 1886) 380 Bericht des Kaiserlichen Gesundheitsamtes über den Einfluß der Spüljauche von Berliner Rieselgütern auf deren Abwässer und auf die die letzteren aufnehmende Spree. (Ver- handlungen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin, 1883, Heft 1) 403 Bericht über die im hygienischen Laboratorium der Universität Berlin ausgeführten Unter- suchungen des Berliner Leitungswassers in der Zeit vom 1. Juni 1885 bis 1. April 1886. Mit 2 Textabbildungen. (Berlin 1887) 410 Diskussionsbemerkung zum Vortrag von A. Frank „Über Desinfektion überschwemmter Räume und Brunnen". (Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheits- pflege zu Berlin, 1888) 424 Diskussionsbemerkung zum Vortrag von C. Fraenkel „Grundwasser imd Bakterien". (Ver- handlungen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin, 1888 ) 425 Diskussionsbemerkung zum Vortrag von Nocht „Untersuchungen über verschiedene zu Unter- kleidern verwendete Stoffe". (Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin, 1888 ) 427 Die Ätiologie der Tuberkulose. Nach einem in der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 24. März 1882 gehaltenen Vortrage. ( Berliner Klinische Wochenschrift 1882 ) .... 428 Über die Ätiologie der Tuberkulose. (Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin. Erster Kongress, Wieshadeyi 1882) 446 Kritische Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1883) 454 Die Ätiologie der Tuberkulose. ( Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. II. Berlin 1884.) Hierzu Tafel XX— XXIX 467 Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen, welche bei der erfolgreichen Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten gemacht sind. Vortrag, ge- halten auf dem Britischen Tuberkulosekongreß. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1901, Nr. 33) 566 Übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. Vortrag, gehalten auf der Inter- nationalen Tuberkulosekonferenz zu Berlin gelegentlich der Diskussion über das oben- genannte Thema. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1902, Nr. 48) 578 Über die Immunisierung von Rindern gegen Tuberkulose. (Zeitschrift für Hygiene und In- fektionskrankheiten, 1905 ) 591 Über den derzeitigen Stand der Tuberkulosebekämpfung. Nobel- Vorlesung, gehalten in Stock- holm am 12. XII. 1905. (Deutsche Medizinische Wochenschriff 1906, Nr. 3) .... 612 Schutzmaßregeln gegen Infektion mit Tuberkulose. (Verhandlungen der VII. Internationalen Tuberkulosenkonferenz. Berlin 1909 ) 620 Das Verhältnis zwischen Menschen- und Rindertuberkulose. ( Berliner Klinische Wochenschrift 1908, Nr. 44) 624 Epidemiologie der Tuberkulose. Vortrag, gehalten in der Sitzung der Akademie der Wissen- schaften zu Berlin am 7. IV. 1910. (Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1910.) Mit 7 Textabbildungen 636 Über bakteriologische Forschung. (Verhandlungen des X. Internationalen Medizinischen Kon- gresses. Berlin 1890)] 650 Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. (Deutsche Medizinische Wochen- schrift 1890, Nr. 46 a) 661 Fortsetzung der Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1891, Nr. 3) 669 Weitere Mitteilungen über das Tuberkulin. ( Deutsche M edizinische Wochenschrift 1891, Nr. 43 ) . 673 Über neue TuVjerkulinpräparate. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1897, Nr. 14) . . . 683 Über die Behandlung der Lungentuberkulose mit Tuberkulin. (Deutsche Medizinische Wochen- schrift 1901, Nr. 25) 693 Über die Agglutination der Tuberkelbazillen und über die Verwertung dieser Agglutination. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1901, Nr. 48) 694 Gedächtnisrede auf Robert Koch. Gehalten am 11. Dezember 1910 in der neuen Aula der Universität von G. Gaffky.') Hochansehnliche Versammlung! Noch stehen wir unter dem Eindrucke der er- hebenden Feier, die am Schlüsse ihres ersten 8äkulum die Friedrich-Wilhelms-Univer- sität in dieser ihrer herrlichen neuen Aula begangen hat. Noch hallt in uns wieder die von ihrem Allerhöchsten Protektor, Seiner Majestät dem Kaiser und Könige, an dieser Stätte verkündete verheißungsvolle Botschaft, daß der wissenschaftlichen Forschung neue, ihr ganz ausschließlich gewidmete Heimstätten geschaffen werden sollen. Durch die Weihe und Freude aber jener unvergeßlichen Tage klang uns, die wir heute hier ver- sammelt sind, ein ernster Ton der Trauer und der Wehmut. R o b e r t K o c h , dessen Name auch in die Annalen der Alma Mater Friederica Guilelma eingeschrieben ist mit unvergänglichen Zügen, hatte, als die Jubiläumstage herannahten, die Augen für immer geschlossen. Im Frühjahr noch stand er unter uns in voller Schaffenskraft und Schaffens- freudigkeit. Wohl mahnten schon länger bestehende Unregelmäßigkeiten der Herz- tätigkeit, in letzter Zeit auch leichte Atembeschwerden und vorübergehende Schmerzen in der Herzgegend zur Vorsicht. Aber der Sechsundsechzigjährige achtete ihrer wenig und gönnte sich weder Ruhe noch Schonung; Tag für Tag war er seit vielen Monaten bemüht, zum Kampfe gegen die Tuberkulose die alten Waffen zu schärfen und neue zu schmieden. Das Ziel, auch diesen Feind des Menschengeschlechtes endgültig zu besiegen, stand ihm unablässig vor Augen, mochte er in der Stille des Laboratoriums oder am Krankenbette um die Vervollkommnung der spezifischen Behandlung bemüht sein oder weitausschauende Pläne zum Schutzeder Gesundengegen die Infektion im Geiste erwägen. Nur zu bald sollte sich zeigen, daß jenen vorübergehenden Beschwerden bereits tiefgreifende Organveränderungen zugrunde lagen. In der Nacht vom !l. zum 10. April erkrankte Koch, nachdem er sich tags zuvor völlig wohl gefühlt hatt e, unter Erschei- nungen, die seine Gattin und den schnell herbeigeholten Arzt das Schlimmste befürchten ließen. In den nächsten Tagen durften wir wieder Mut schöpfen. Am 22. April konnte der Kranlie bereits zeitweise das Bett verlassen und der Hoffnung sich hingeben, daß er die auch während der Kranl%;heit seinen Geist ständig beschäftigenden Arbeiten in absehbarer Zeit werde wieder aufnehmen können. Aber die Genesung machte keine rechten Fortschritte. Zuversichtliche Stimmung wechselte mit Todesahnungen. Un- geachtet der sorgsamsten Pflege wollten die Kräfte nicht wiederkehren, und selbst leichte körperliche Bewegung rief Atembeschwerden hervor. Immerhin konnten gegen Mitte Mai die ersten Ausfahrten unternonnnen werden, und so glaubten die Arzte, Kochs dringendem Wunsche nach stillerem Aufenthalt, Waldesgrün und reiner Jvuft nach- geben zu «dürfen. Am 20. Mai trat er mit seiner Gattin die Reise nach Baden-Baden an. Die Fahrt wurde gut überstanden, und der Kranl^e fühlte sich in der neuen Um- gebung offenbar wohler. Da kam am 27. Mai abends der Welt die Kunde, daß R o b e r t K o c h gestorben sei. Sanft und ohne Todeskampf war er entschlafen, an einem herrlichen Abend bei weit geöffneter Balkontür in seinem Sessel sitzend. Länder und Erdteile waren erfüllt von Klage und Trauer über den Verlust des Mannes, der allen ein Helfer und Wohltäter gewesen war; der die Menschen gelehrt ') Aus Deutsche jMedizinische Wochenschrift 1910, Xr. 50. — vm — hatte, den Kampf mit den gefährlichsten Feinden von Gesundheit und Leben sieg- reich zu bestehen. Wir aber, die wir dem Dahingeschiedenen nahe gestanden, die wir durch seinen Tod am meisten verloren hatten, wir wußten, daß das Geschick ihm gnädig gewesen war. Zu schwer waren lebenswichtige Organe seines Körpers bereits verändert, als daß ärztlichem Wissen die Wiederherstellung zur Arbeitsfähigkeit noch möglich erschienen wäre. Ein Leben ohne Arbeit aber wäre ihm, dessen Wahlspruch war: ,,]SIun- quam otiosus", kein Leben mehr gewesen. Am 30. Mai sind, seinem Wunsche und Willen gemäß, die sterblichen Überreste Robert Kochs in aller Stille der läuternden Flamme übergeben worden. In dem Hause seines Wirkens und Schaffens, über dem sein Geist walten möge alle Zeit, hat seine Asche ihre Ruhestätte gefunden, haben Dankbarkeit und Verehrung dem Unsterblichen das erste Denlimal errichten dürfen. Heute, an dem Tage, an dem Robert Koch sein 67. Lebensjahr vollendet haben würde, wollen wir seiner in ernster Trauer gedenken, zugleich aber uns erheben und aufrichten an seinem Bilde und seinen Werken. Robert Koch entstammte einer angesehenen Bergbeamtenfamilie des han- noverschen Oberharzes. Sein Vater, der 1877 als Geheimer Bergrat zu Klaustal gestor- ben ist, wird als ein lebhafter, tätiger und geistvoller Mann von seltener Begabung ge- schildert, der weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus geschätzt war und um das Berg- und Hüttenwesen große Verdienste sich erworben hat. Ihm stand in der Gattin eine edle und hochgebildete Frau zur Seite, die ganz in der Sorge für ihre Kinder und für das Hauswesen aufging. Der glücklichen Ehe sind nicht weniger als elf Söhne, von denen freihch zwei früh starben, und zwei Töchter entsprossen. In der fröhlichen Schar, die in ungebundener Freiheit aufwuchs, war Robert das dritte Kind. Da der Vater durch seine Berufsgeschäfte voll in Anspruch genommen, sein Einkommen gering und Vermögen nicht vorhanden war, so gab es für die Mutter keine Ruhe, und es bedurfte der unvergleichlichen Pflichttreue dieser bewunderungs- würdigen Frau, die große Familie durch Not und Sorge glücklich hindurchzuführen. Daß unter solchen Verhältnissen der Erziehung der neun wilden Knaben nicht viel Zeit gewidmet werden konnte, ist begreiflich. Sie mußten sich untereinander abschleifen. Treu hielten sie zusammen. Jeder konnte sich nach seiner Eigenart entwickeln. Bei Robert traten schon früh Neigungen und Eigenschaften hervor, die auf den künftigen Naturforscher hindeuten. Zwar nahm auch er teil an den Spielen, Körper- übungen und Kämpfen der Brüder, aber seine größte Freude war doch, in den herrlichen, seine Vaterstadt umgebenden Bergen und Tälern alle seine Aufmerksamkeit fesselnden Pflanzen, Käfer, Raupen, Schmetterlinge und Mineralien zu sammeln, sie zu zergliedern und ihren Bau und ihre Zusammensetzung zu ergründen. Dabei war er ein stets fleißiger, lernbegieriger und für jede Anregung empfänglicher Schüler. Bemerkenswert ist auch seine Freude am Schachspiel, in dem er schon als Gym- nasiast den künftigen Meister ahnen ließ. Der Vater hatte in Hinsicht auf die Knappheit der verfügbaren Mittel Robert für den Kaufmannsstand bestimmt, konnte ihm aber dank der Verbesserung seines Einkommens später die Wahl des Berufes freistellen. Robert entschied sich für das Studium der Medizin, in der Hoffnung, so am ehesten seinen naturwissenschaftlichen Neigungen leben zu können und — vielleicht als Schiffsarzt — seinen sehnlichen Wunsch erfüllt zu sehen, überseeische Länder kennen zu lernen. Im April 1862 bezog der 18jäh- rige die Universität Göttingen, hier zunächst durch mathematische, physikalische und botanische Studien ganz in Anspruch genommen, mit gutem Humor darüber sich hinweg- setzend, daß er in seiner Lebenshaltung die äußerste Beschränkung sich auferlegen mußte. — IX — Von seinen akademischen Lehrern haben der Physiologe M e i s s n e r sowie der Anatom und Pathologe H e n 1 e am nachhaltigsten auf den jungen Studenten gewirkt. Wie eifrig und erfolgreich er in Göttingen seinen Studien obgelegen hat, erhellt daraus, daß ihm bereits in seinem siebenten Semester die Stelle eines Assistenten am Patholo- gischen Museum übertragen, und kurz darauf ein akademischer Preis zuerkannt wurde. Im Januar 1866 bestand Koch zu Göttingen das Doktorexamen und nach kurzen Nachstudien in Berlin im März desselben Jahres zu Hannover mit größter Auszeichnung das ärztliche Staatsexamen. Nachdem er einige Monate als Assistent am Allgemeinen Kranlienhause in Ham- burg fungiert hatte, bekleidete er vom Oktober 1866 bis Juli 1868 die mit bescheidener Landpraxis verbundene Stelle eines Arztes an der Idiotenanstalt zu Langenhagen bei Hannover und war dann als praktischer Arzt zuerst in dem brandenburgischen Städt- chen Niemegk und von 1869 an in Rakwitz in der Provinz Posen tätig. Von Rakwitz aus nahm er an dem Kriege gegen Franl^reich freiwillig als Arzt teil. Heimgekehrt unter- zog er sich, einer Anregung des Landrats Freiherrn von LTnruhe-Bomst folgend, der Physikatsprüfung und erhielt bereits 1872 die Stelle des Kreisphysikus in dem nahe bei Rakwitz gelegenen Wollstein. Trotz aller Mühen und Plagen des vielbeschäftigten Arztes hatte Koch in diesen Jahren stets noch Zeit zu mikroskopischen Studien gefunden. Aber erst in Wollstein war es ihm dank den besseren Einnahmen möglich, kostspieligere Apparate und In- strumente zu beschaffen und etwas freier wenigstens über die Einteilung seiner Zeit zu verfügen. Ein neues Mikroskop und Mikrotom wurden erworben. Von dem geräumigen ärztlichen Sprech- und Arbeitszimmer wurde die eine Hälfte durch einen Vorhang als Laboratorium abgegrenzt, in dem auch die zur Mikrophotographie erforderlichen Appa- rate und eine kleine Dunlielkammer ihren Platz fanden. Das war der Raum, in dem der jugendliche Kreisphysikus und vielbeschäftigte praktische Arzt Entdeckungen gemacht hat, die ihn alsbald den Meistern der Wissenschaft zugesellten. Das Ziel und die Auf- gabe seines Lebens standen von nun an unverrückbar ihm vor Augen. Es galt, Licht hineinzutragen in das Dunl-cel der Infektionskrankheiten, die alte, vielumstrittene Lehre vom Contagium animatum auf sicheren Boden zu stellen und die Wege zu weisen zur Verhütung und Bekämpfung der Seuchen. Es bot sich Koch damals Gelegenheit, LTntersuchiuagen über den Milzbrand an- zustellen. Schon seit dem Jahre 1849 war bekannt, daß im Blute milzbrandkranker Tiere fremdartige, stäbchenförmige Gebilde sich finden; die Bedeutung dieser Stäbchen aber war trotz aller Forschungen noch so weit ungeklärt geblieben, daß die Auffassung ver- treten werden konnte, es handle sich nicht um kleinste Lebewesen, sondern um kristal- linische Gebilde. Mit scharfem Blick erkannte Koch, wie allein die Frage zu lösen sei. Waren die Stäbchen nicht Erzeugnisse, sondern vielmehr die Erreger der Krank- heit, so mußte es gelingen, ihr Wachstum und ihre Entwicklung zu verfolgen. Durch Verimpfung stäbchenhaltigen Blutes konnte Koch eine tödlich verlaufende Milzbrand- kranl<:heit bei Mäusen erzeugen, diese Krankheit durch Fortimpfung von Maus zu Maus beliebig lange erhalten und stets in der ]\Iilz der verendeten Mäuse die Stäbchen in größter Zahl nachweisen. Als er dann eine geringe Menge bazillenhaltiger Milzsubstanz in einen Tropfen Rinderblutserum oder Humor aqueus von Rindsaugen übertrug und diesen Tropfen auf dem heizbaren Übjekttisch mikroskopisch beobachtete, da sah er, daß die Stäbchen nach einigen Stunden sich zu verlängern begannen und allmählich den Tropfen in Gestalt eines aus zierlichen Bündeln zusammengesetzten Flechtwerkes erfüllten. Dann nahmen die Fäden ein körniges Aussehen an, es bildeten sich in regelmäßigen Ab- ständen in ihnen stark lichtbrechende Körperchen, die nach Zerfall der Fäden frei mirden. — X — übertrug er diese Körperchen, deren Natur als Dauerformen, als Sporen der Milzbrand- stäbchen ihm alsbald klar war, in frischen Humor aqueus, so quollen sie auf, und es wuchsen aus ihnen Fäden hervor, die wieder denselben Entwicklungsgang durchmachten. Verimpfte er eine Spur der sporenhaltigen Flüssigkeit auf eine Maus, so erlag sie sicher dem typischen Milzbrande. Mit bewunderungswürdigem Scharfblick hat Koch gleich auch die aus diesen grundlegenden, jeden Zweifel ausschließenden Untersuchungen für die Verbreitungs- weise der Krankheit sich ergebenden Folgerungen erkannt. Die widerstandsfähigen Dauerformen sind es, welche in Milzbrandgegenden den Krankheitskeim erhalten. Sie bilden sich bei Luftzutritt und Wärme in den blutigen Abgängen der kranken und ge- fallenen Tiere und werden später auf der Weide von empfänglichen Tieren wieder auf- genommen. Daß mit dieser Erkenntnis auch der erfolgreichen Bekämpfung der Krank- heit die Wege gewiesen waren, liegt auf der Hand. Neben seinen Untersuchungen über die Milzbrandätiologie beschäftigte sich Koch in seiner Wollsteiner Zeit vor allem mit der Aufgabe, die damals noch offene Frage zur Entscheidung zu bringen, ob die sogenannten Wundinfektionskranltheiten parasitären Ursprungs seien oder nicht. Beim Mangel geeigneter Krankheitsfälle sah er sich lediglich auf das Tierexperiment angewiesen. Im Laufe seiner Studien über die Wirkung putrider Stoffe gelang es ihm indessen, bei Mäusen und Kaninchen die wichtig- sten Wundinfektionskrankheiten — Septikämie, Pyämie, progressive Eiterung, Gan- grän und Erysipelas — künstlich zu erzeugen und dann von einem Tier auf das andere in einer Weise zu übertragen, die jede Verwechslung mit reiner Giftwirkung ausgeschlos- sen erscheinen ließ. Dabei entsprach einer bestimmten Krankheit stets auch eine be- stimmte, wohl erkennbare Form von Bakterien, und diese Bakterien wurden in den Tieren in solcher Menge und Verteilung gefunden, daß die Krankheitssymptome und der Tod ausreichend erklärt waren. Den Gang, das Ergebnis und die Tragweite dieser Untersuchungen hat Koch mit unvergleichlicher Klarheit in einer 1878 erschienenen, durch vortreffliche Abbil- dungen erläuterten Druckschrift niedergelegt, die stets den genialsten Werken experi- menteller Forschung zugerechnet werden wird. Um ihre Bedeutung richtig zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß in jener Zeit die Botaniker mit wenigen Ausnahmen von einer Trennung der Bakterien in wohlcharakterisierte Arten überhaupt nichts wissen wollten. Hatte doch z. B. N ä g e 1 i noch 1877 geschrieben, dem nüchternen physiologischen Bewußtsein komme die Theorie der spezifischen Krankheitspilze nahezu phantastisch naiv vor; sie erinnere an die Personifütationen, mit denen ursprüngliche Völlier große Erscheinungen in der Natur und im Völkerleben sich zum Bewußtsein ge- bracht hätten. Fast allein war esFerdinandCohnin Breslau, der unter den Bo- tanikern damals auf Grund eigener Untersuchungen für die Berechtigung und Notwen- digkeit eintrat, wie die höheren Pflanzen so auch die Bakterien in Arten zu trennen und sie systematisch zu ordnen. Zu ihm begab sich im Sommer 1878 der junge Kreis- physikus, um die reife Frucht seiner Studien ihm vorzulegen. Der tiefe Eindruck, den Kochs Demonstrationen hinterließen, führte dazu, daß man ihn — zunächst als StadtphysUius — für Breslau zu gewinnen suchte, und so siedelte er im Sommer 1879 dorthin über. Da er sich aber in seinen Erwartungen getäuscht sah, kehrte er bald in das ihm offen gehaltene Physikat nach Wollstein zurück, begrüßt von dem Jubel der Bevölke- rung, die den allzeit bereiten, Trost und Hilfe bringenden Arzt schmerzlich vermißt hatte. Aber sein wissenschaftlicher Ruf war doch schon zu sicher begründet, als daß seines Bleibens in Wollstein noch lange gewesen wäre. Am 28. Juni 1880 erfolgte seine Bestallung als Mitglied des damals in seiner ersten Entwicklung stehenden Kaiser- — XI — liehen Gesundheitsamtes, und nun endhch konnte Koch frei und ausschheßhch seinen großen Zielen sich widmen. Früh hatte Koch erkannt, daß vor allem der Mangel leistungsfähiger Methoden es gewesen war, der dem Fortschritt der Bakteriologie im Wege gestanden hatte. Daß es ihm gelungen ist, hier Abhilfe zu schaffen, hat er selbst unter seinen Verdiensten wohl als das bedeutungsvollste geschätzt. In seiner in der Akademie der Wissenschaften gehaltenen Antrittsrede sagte er rückblickend ein Jahr vor seinem Tode: ..Diese neuen Älethoden haben sich so hilfreich und nützlich für eine große Anzalü von Aufgaben erwiesen, daß man sie geradezu als den Schlüssel für die weitere Erforschung der Mikroorganismen, wenigstens soweit medizinische Fragen in Betracht kommen, bezeichnen kann." Schon in Wollstein war es K ochs wunderbarem Scharfsinn und Geschick ge- glückt, die mikroskopische Untersuchung der Bakterien zu einem hohen Grade der Voll- kommenheit auszugestalten. Mit neuen Verfahren der Präparation, der Färbung und der Belichtung hatte er es erreicht, in Gewebsschnitten Bakterien als solche dem Auge noch erkennbar zu machen, die wegen ihrer überaus geringen Dimensionen bis dahin durch die Strukturelemente des Gewebes verdeckt geblieben waren oder doch von fein- sten Gewebsbestandteilen sich nicht mit Sicherheit hatten unterscheiden lassen. Auch in der Mikrophotographie, die ihm unanfechtbare Beweisstücke für seine Befunde lie- ferte, war er bereit« Meister geworden. In Berlin schuf er nun seine ebenso einfachen wie genialen Methoden der Züchtung von Bakterien, die Methoden der Reinliultur mittels fester und erstarrungsfähiger Nährböden. Jetzt erst war es möglich, aus Bakterien- gemengen heraus die einzelnen Arten mit Sicherheit zu isolieren, sie beliebig lange in Reinlvultur zu erhalten und mit ihnen exakte Versuche anzustellen. Gewissermaßen wie reife Früchte fielen, um mit Kochs eigenen Worten zu sprechen, nachdem die richtigen Methoden gefunden waren, ihm und seinen Mitarbeitern die Entdeckungen in den Schoß. Bezeichnend für seinen praktischen Sinn ist, wie Koch alsbald nach seinem Eintritt in das Gesundheitsamt die Ergebnisse seiner Forschungen unmittelbar der Bekämpfung der Seuchen dienstbar gemacht hat. Ich meine seine grundlegenden und schöpferischen Arbeiten über Desinfektion, die in kurzer Zeit zum Gemeingut aller Nationen geworden sind. Der Herbst des Jahres 1881 war über diesen Arbeiten herangekommen, als Koch sich entschloß, die Erforschung der verheerendsten aller Kranlvheitcn. der Tuberkulose, in Angriff zu nehmen. Daß dieser vielgestaltigen Krankheit ein spezifischer und ein- heitlicher Infektionsstoff zugrunde liegen müsse, stand für ihn seit den Untersuchungen von C o.h n h e i m und S a 1 o m o n s e n über die experimentelle Iristuberkulose des Kaninchens unerschütterlich fest. Welcher Art aber der Infektionsstoff sei, das war damals auch ihm noch eine völlig offene Frage. Diesen Stand der Dinge muß sich ins Gedächtnis zurückrufen, wer die Großtat Robert Kochs, die Entdeckung des Tuberkelbazillus und die Klarlegung der Tuberkuloseätiologie, zu würdigen unternimmt Ein halbes Jahr nur war verstrichen vom Beginn der Arbeit bis zu jenem denkwür- digen 24. März, an dem der Meister sein in allen Teilen fertiges, unverglcichliclies Werk enthüllte, freilich ein halbes Jahr angestrengtester Forschung. Mit der Entdeckung des Tuberkelbazillus war der Weltruf Robert Kochs begründet; und als er von seiner im folgenden Jahre im Auftrage der Reichsverwaltung angetretenen Expedition nach Ägypten und Indien heimkehrte, nunmehr auch Herr über die Geheimnisse der f'holeraätiologie, da ehrten ihn Kaiser und Reich: und die Ärzteschaft, aus deren Reihen er hervorgegangen war, zollte ihm jubelnd und begeistert ihre Anerkennung. Das Jalu- 1885 stellte Koch vor völlig neue Aufgaben. Er wurde, nachdem er — XII — einen Ruf nach Leipzig abgelehnt hatte, zum ordentlichen Professor der Hygiene in der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin und zum Direktor des neu begründeten Hygienischen Instituts ernannt. Eine vielseitige Tätigkeit begann. Den akademischen Vorlesungen wurde die größte Sorgfalt gewidmet; in den Laboratorien des Instituts fanden sich aus aller Welt Ärzte ein, die in das neue Gebiet der Bakteriologie eingeführt und mit den neuen For- schungsmethoden vertraut gemacht sein wollten; und dabei waren mit dem Meister zahlreiche Gehilfen eifrig und erfolgreich bemüht, wichtige Fragen auf den verschie- densten Gebieten der Hygiene ihrer Lösung zuzuführen. Die damals aus dem Institut hervorgegangenen Arbeiten über den Gehalt des Wassers und des gewachsenen Bodens an entwicklungsfähigen Bakterien und über den Einfluß der natürlichen und künst- lichen Filtration auf den Keimgehalt des Wassers sind von unberechenbarem Nutzen für die Versorgung der Bevölkerung mit einwandfreiem, gegen Infektion geschütztem Wasser gewesen. Schon bald nach der Entdeckung des Tuberkelbazillus hatte Koch in umfang- reichen, aber stets erfolglosen Versuchen sich bemüht, durch entwicklungshemmende Chemikalien die Vermehrung des Bazillus im infizierten Körper zum Stillstand zu brin- gen und so die Heilung herbeizuführen. Jetzt nahm er diese Aufgabe, von deren Lösung er sich auch für die Verhütung weiterer Infektionen den größten Erfolg versprach, wieder auf, und bald erschloß sich seinem Forschergeiste ein Weg, der ihn und seine Mitarbeiter zu ganz neuen Entdeckungen führen sollte. Die grundlegende Beobachtung Kochs war, daß tuberkulöse Meerschweinchen auf eine Einimpfung von Tuberkelbazillen, lebenden sowohl wie abgetöteten, in einer Weise reagieren, die von dem Verhalten ebenso behandelter gesunder Meerschweinchen völlig abweicht. Koch erkannte sofort die Tragweite dieser Tatsache und gelangte bei ihrer wei- teren Verfolgung zu der Überzeugung, daß in den Tuberkelbazillen eine lösliche Sub- stanz vorhanden sein müsse, in der nicht nur ein ausgezeichnetes diagnostisches Hilfs- mittel, sondern auch ein Spezifikum zur Heilung der Tuberkulose gegeben sei. Als er dann sein Tuberkulin — ein Glyzerinextrakt aus Reinkulturen der Tuber- kelbazillen — den Ärzten zur Prüfung übergab, und dessen wunderbare spezifische Wir- kung auf tuberkulös verändertes Gewebe vor aller Augen lag, da kannte der Enthu- siasmus keine Grenzen; Ärzte und Kranke aus aller Welt strömten nach Berlin, und Robert Koch wurde gepriesen als der größte Wohltäter der Menschheit. Wir wissen, daß dem Sturm der Begeisterung bald ein jäher Rückschlag folgte; wir wissen heute aber auch, daß Koch in allen wesentlichen Punkten recht behalten hat. Langsam, aber stetig hat nicht nur die spezifische Diagnostik, sondern auch die spezifische Therapie der Tuberkulose ihr Terrain sich erobert. Auch in einer anderen wichtigen Tuberkulosefrage ist K o c h über die Gegner Sieger geblieben. Denn kaum kann heute noch seine Lehre ernstlich bestritten werden, daß den sog. Perlsuchtbazillen für die tuberkulöse Infektion des Menschen nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt, und daß im besonderen für die Entstehung der Schwindsucht, dieser verbreitetsten und verheerendsten Form der Tuberkulose, nicht der Genuß von Milch perlsüchtiger Kühe, sondern die von dem tuberkulösen Menschen ausgeschiedenen Tuberkelbazillen verantwortlich zu machen sind. Im Jahre 1891 hatte Koch, um sich wieder ganz seinen Forschungen widmen zu können, seine akademische Tätigkeit aufgegeben und die Leitung des für ihn neu- geschaffenen, mit einer eigenen Krankenabteilung verbundenen Instituts für Infektions- kranliheiten übernommen. Ein Stab von begeisterten Mitarbeitern umgab ihn auch hier, unter ihnen Männer, die als bahnbrechende Forscher der Wissenschaft neue Ge- — XIII — biete erschlossen und den Ruhm der Koch sehen »Schule in aller Welt verbreitet haben. Koch aber war die Seele des Ganzen und wußte sie alle seinen Zielen dienstbar zu machen, auch in Zeiten, in denen große Aufgaben der Seuchenbekämpfung zu lösen waren. Dann war er der frohgemute, siegesgewisse Feldherr, ein Organisator ohnegleichen. Als 1892 die Cholera verheerend in Hamburg einbrach und jahrelang Deutsch- land bedrohte, da erwies sich so recht, was K och. gestützt auf die Ergebnisse seiner Forschungen, dem Vaterlande zu leisten vermochte. Und wenn heute die Bevöll<;erung einer Einschleppung des Cholerakeimes mit Ruhe entgegensieht, in der sicheren Über- zeugung, daß die Medizinalverwaltung der Gefahr schnell Herr wird, so danl^en wir das allein Robert Koch. Nicht minder großzügig und erfolgreich hat er noch im letzten Jahrzehnt seines Lebens die Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches organisiert. Stets war er in der Seuchenbekämpfung, in der Seuchengesetzgebung, bei kommissarischen Bera- tungen und internationalen Konferenzen des Reiches und Preußens zuverlässiger Be rater. Auch der Heeressanitätsverwaltung hat er wertvolle Dienste geleistet; er war Generalarzt ä la suite des Sanitätskorps, ordentlicher Professor und Mitglied des Wissen- schaftlichen Senats bei der Kaiser- Wilhelms- Akademie. Wie mit Sehergabe ausgerüstet, hat Koch die Bedeutung vorgeahnt, welche auch niedersten tierischen Organismen, den Protozoen, als Erregern von Infektions- kranliheiten zukommt. In seiner berühmten, 1881 erschienenen Arbeit .,Zur Unter- suchung von pathogenen Organismen" schrieb er, der Begründer der Bakteriologie: „Es ist gewiß eine einseitige, wenn auch augenblicklich allgemein adoptierte Meinung, daß alle noch unbekannten Infektionsstoffe Bakterien sein müssen. Warum sollen nicht el>ensogut auch andere Mikroorganismen ein parasitisches Leben im tiei'ischen Körper zu führen imstande sein ?" Schon im folgenden Jahre fand La v er an im Blute von Malariakraiüien jene eigentümlichen Protozoen, die Malariaparasiten, und 1883 — gelegentlich der Cholera- expedition — entdeckte Koch selbst in Amöben die Erreger der tropischen Ruhr. In rascher Folge wurden dann von verschiedenen Forschern noch bei einer Anzahl von Infektionskrankheiten eigenartige Protozoen — Ti^panosomen, Piroplasmen und an- dere — gefunden und in mühevollen Untersuchungen als die Erreger erkannt. Dabei stellte sich heraus, daß ebenso wie bei der Malaria, so auch bei diesen überwiegend tro- pischen Krankheiten die Übertragung nicht unmittelbar vom Kranl^en auf den Gesun- den stattfindet, sondern durch Vermittlung von Zwischen wirten, vor allem blutsaugenden Insekten. Der Mitarbeit an diesen schwierigen und verwickelten Problemen und an der Erforschung tropischer Tierkrankheiten, deren Erreger auch heute noch unbekannt sind, hat Koch neben seinen Tuberkulosestudien in den letzten drei Lustren seines Lebens fast ausschließlich sich gewidmet. Sie hat ihn in einem Alter, in dem der Mensch sonst nach Ruhe zu verlangen pflegt, in wiederholten, mit Gefahren und Strapazen aller Art verbundenen Expeditionen nach Italien. Britisch- und HoUändisch-Indien, nach Neu-Guinea und den verschiedensten Teilen Afrikas geführt. Seine letzte große Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit ist noch in Ihrer aller Erinnerung. Ich muß es mir versagen, auf seine vielfach auch hier grundlegenden Arbeiten — über Malaria und Schwarzwassei'fieber. über die Tryi^anosomen- und Piroplasmen- kranliheiten, die Lepra, das afrikanische Rückfallfieber, die Rinderpest, das afrikanische Küstenfieber der Rinder und die afrikanische Pferdesterbe — im einzelnen einzugehen. Wo immer er seine Kraft eingesetzt hat. da hat er seinem wissenschaftlichen Ruhmes- kranze neue, unverwelkliche Blätter eingefügt und oft der Verhütung und Bekämpfung auch jener Infektionskrankheiten neue, ihrer Eigenart entsprechende Wege erschlossen. Daß er dabei sein Leben aufs Spiel setzte, daß er an seiner Gesundheit Schaden nahm, hat ihn nie gekümmert. — XIV — Wer möchte sich vermessen, die Werke dieses Mannes, ihre Bedeutung für die Volkswohlfahrt und für die verschiedensten mit ihr in Beziehung stehenden Gebiete des Lebens heute schon in ihrem vollen Umfange zu würdigen ! Erst spätere Geschlechter werden dazu imstande sein. In dieser seinem Gedächtnis geweihten Stunde aber wollen wir auch den Menschen Robert Koch noch einmal uns vergegenwärtigen : Ausgestattet mit klarem Verstände und kritischem Sinn besaß Koch eine wun- derbare Beobachtungs- und Auffassungsgabe, die ihn stets den Kern der Dinge schnell erfassen und nichts übersehen ließ, was seinen Zielen zu dienen vermochte. Sein Ge- dächtnis war bis zuletzt ausgezeichnet; nur für Gesichter ließ es ihn, wie man das bei Myopischen nicht selten findet, gelegentlich im Stich. Zu seinen Hauptcharakterzügen gehörte fester, stetiger Wille und zähe Ausdauer. ,,Ich lasse nicht locker" war, wenn alle Mühe vergeblich aufgewandt schien, sein Lieb- lingswort. Von einer Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit ohnegleichen, auch körper- lich jeder Anstrengung gewachsen, stellte er an andere hohe Anforderungen, die höchsten stets an sich selbst. Die beste Erholung von anstrengender Arbeit fand er in der Be- schäftigung mit anderen Wissensgebieten, und so war er zu Hause in Botanik und Zoo- logie, Physik und Mathematik, Chemie und Mineralogie, in Geologie und in Astronomie. Urgeschichtliche, anthropologische und ethnologische Studien gehörten zu seiner Lieb- lingsbeschäftigung. Reiche Sammlungen zeugten von seinen vielseitigen Interessen. Ein großer Naturforscher, hatte er auch Sinn für philosophische Probleme. Schran- kenlosen Spekulationen und jeder Art von Mystik aber war er abhold. Hypothesen waren ihm nach dem Goetheschen Worte nur Gerüste, die er abtrug, wenn das Gebäude fertig war. So ist ihm denn das Glück zuteil geworden, das Goethe als das höchste des den- kenden Menschen preist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren. Aber der große Forscher hatte im Grunde doch immer das Anwenden und das Tun vor Augen. Sein praktischer Sinn und sein technisches Geschick ließen ihn dabei nie im Stich. Stets wußte er, wo der Hebel anzusetzen und wie mit einfachen Mitteln das Höchste zu leisten war. Furcht hat Robert Koch nie gekannt. Unbedingte Wahrhaftigkeit war ihm eigen. Von Haus aus mäßig und bescheiden, einfach und anspruchslos, blieb er so un- geachtet all der Ehrungen, die Könige und Fürsten, wissenschaftliche Körperschaften und seine Mitbürger auf ihn gehäuft haben. Schroff und unnahbar stolz aber konnte er sein, wenn jemand seine Wege zu sperren drohte oder die Neugier an ihn sich heran- drängte. Nie war er kleinlich, immer sachlich. Seine umfassenden Kenntnisse, seine unerschütterliche Ruhe, Geistesgegenwart und Schlagfertigkeit ließen ihn jede Dis- kussion beherrschen. Klar und durchsichtig wie Kristall war seine Rede. Griff er zur Feder, so schrieb er knapp und leicht verständlich. Nachträgliche Änderungen nahm er an seinen Manuskripten kaum vor; sie bedurften ihrer nicht. Als Lehrer war er groß durch sein Beispiel und seine Anregungen. In Freundeskreisen konnte er harmlos fröhlich sein; er war dann ein unübertrefflicher Erzähler und wurde nicht müde, aus seinen reichen Erlebnissen und Erfahrungen mitzuteilen. Robert Koch gehörte und diente der Welt, aber wie von Geburt, so war er nach Wesen und Sinnesart ein Deutscher. Nun ist auch er dem Allbezwinger erlegen. Wir stehen in Trauer um ihn, der unser Stolz, der uns Führer und Helfer war. Aber die Klage um Robert Koch vergeht vor der Größe seiner unsterblichen Werke. 4 I. Veröffentlichte Aufsätze, Vorträge usw. 7 Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften am 1. Juli 1909. ) Um dem beständigen Anwachsen der Wissenschaften Rechnung zu tragen, hat sich die Akademie veranlaßt gesehen, sich immer neue Wissenszweige anzughedern. So ver- trete auch ich ein Fach, welches zum ersten Male im Bestände der Akademie erscheint. Es ist die Bakteriologie. Da nun über das. was man unter Bakteriologie zu verstehen hat, noch vielfach unrichtige Vorstellungen bestehen, so möchte ich mir zunächst erlauben, Ihnen meine Stellung zu dieser Frage darzulegen. Ursiirünglich, d. h. vor etwa dreißig Jahren, bildete die Bakteriologie einen win- zigen Abschnitt der Botanik, der kaum ein Dutzend Arten von pflanzlichen Mikro- organismen umfaßte. Fast der einzige Botaniker, welcher sich ernstlich damit beschäf- tigte und die Bakterien systematisch zu oidnen versuchte, war F e r d i n a n d C o h n, währeird andere Botaniker von einer Trennung der Bakterien in wohlcharakterisierte Arten überhaupt nichts wissen wollten. Dann kam aber ein fast plötzlicher Umschwung. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß zu den Bakterien die Erreger einiger der be- kanntesten und gefährlichsten Seuchen der Menschen und Tiere gehören. Von diesem Zeitpunkte ab wandte sich das Interesse vieler Forscher den Bakterien zu, und es häufte sich in kurzer Zeit ein die Bakterien betreffendes Tatsachenmaterial von solchem Umfange an, daß die Bakteriologie in Anl)etracht ihrer theoretischen sowohl als praktischen Be- deutung als eine besondere Disziplin abgegrenzt werden mußte. Diese Entwicklung der Bakteriologie war aber eine diu'chaus einseitige; das Studium der Bakterien beschränkte sich fast ausschließlich auf diejenigen Arten, welche als Krankheitserreger ein Interesse beanspruchten. Um andere Bakterien, obwohl ihre Artenzahl eine sehr beträchtliche ist, kümmerte man sich fast gar nicht. Nun kam aber noch weiter hinzu, daß bei der fortgesetzten Erforschung der Krankheitserreger auch solche zum Vorschein kamen, welche gar nicht zu den Bakterien, sondern zu den Protozoen, also nicht mein- zu den pflanzlichen, sondern zu den tierischen Mikroorganismen gehören. Sie wurden trotzdem von der Bakteriologie in Anspruch genommen. Man sieht also, daß die Bezeichnruig Bakteriologie, welche anfangs zwar dem Namen inhaltlich entsprach, jetzt nicht mehi' paßt, teils weil sie nicht alles, was zu den Bakterien gehört, umfafit, teils weil sie ganz fremde Elemente aufgenommen hat. Der Name müßte eigentlich geändert werden; aber der jetzt übliche hat sich so fest eingebürgert, daß er wohl bestehen bleiben wii-d. Nur muß man sicli beim Gebrauch desselben immer dessen bewußt sein, daß er seiner ursprünglichen Bedeutung nicht mehr entspricht und daß verschiedene Wissensgelnete darunter zusammengefaßt werden, weil sie die gleichen oder doch sehr ähnliche For- schungsmethoden benutzen und ein geineinsames Ziel, nämlich die Eiforscliung und Bekämpfung der Infektionskranklieiten, verfolgen. M Aus Deutsche ^lediziiiisehe Wueheii'^r-hiift. lilOil. Xi-. Ii!). \'eila:j,- von (Jeurg Thieme. Leipzig. Koch, Gesaniiiiclto Werke. , 1 2 Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften usw. Den andern Wissenschaften gegenüber nimmt die Bakteriologie eine ähnliche Stellung ein wie die Hygiene, der sie auch sonst am nächsten steht. Auch die Hygiene ist keine scharf abgegrenzte Wissenschaft; sie setzt sich aus sehr heterogenen Teilen zu- sammen, so daß man sie deswegen gar nicht einmal als selbständige Wissenschaft hat gelten lassen wollen. Dasselbe könnte man auch in bezug auf die Bakteriologie behaupten. Dieselbe gehört, soweit sie es mit der Ätiologie der Infektionskrankheiten und mit den durch die Mikroorganismen im Körper gesetzten Veränderungen zu tun hat, der Patho- logie und pathologischen Anatomie an. Die spezifische Diagnose und Prophylaxe der Infektionskrankheiten sowie das Gebiet der Desinfektion bearbeitet sie gemeinsam mit der Hygiene. Durch die Beschäftigung mit den pflanzlichen und tierischen Mikroorganis- men ist sie mit Botanik und Zoologie in Verbindung getreten. Zur Chemie haben sich mehrfach Beziehungen ergeben, z. B. durch die Erforschung der Immunitäts Vorgänge, welche sich mehr und mehr als chemische Prozesse oder doch mit solchen in unmittelbarer Verbindung stehend herausstellen. Hierzu möchte ich noch bemerken, daß die Immu- nitätsforschung jetzt schon einen gewaltigen Umfang angenommen hat und fast zu einer eigenen Spezialität geworden ist. Auch für die Biologie bietet die Bakteriologie manche interessante Probleme, von denen ich nur diese erwähnen will. Die uns bekannten Lebe- wesen gehen bei einer Temperatur von 50" in verhältnismäßig kurzer Zeit zugrunde. Unter den Bakterien gibt es aber einige Arten, welche nicht unter 50" gedeihen; sie brauchen zum Wachstum und zur Vermehrung andauernd eine Temperatur von 50" bis 60" und darüber. Woher stammen diese Mikroorganismen ? Da auf der Erde unter natürlichen Verhältnissen die Bedingungen, unter welchen diese Bakterien leben, nur künstlich geschafft werden können, so hat man schon allen Ernstes daran gedacht, daß sie überhaupt nicht einen terrestrischen Ursprung haben, sondern mit dem Meteorstaub auf die Erde gelangen. Eine andere Gruppe von Bakterien hat die seltsame Eigenschaft, daß sie nur bei Abschluß von Sauerstoff zu wachsen vermögen; wieder andere produ- zieren Dauerformen von ganz außerordentlicher Widerstandsfähigkeit gegen Chemikalien und gegen hohe und niedrige Temperaturen. Sehr merkwürdig ist auch das Vorkommen von ganz außerordentlich kleinen pathogenen Mikroorganismen. Bekanntlich gehen die tierischen und pflanzlichen Zellen nicht unter eine bestimmte Größe, welche etwa der- jenigen eines Lymphozyten entspricht. Nur die Bakterien sind durchweg kleiner; aber auch die kleinsten, z. B. die Influenzabakterien, haben noch einen Durchmesser von einem Fünftel Mikromillimeter, so daß sie mit den stärksten Vergrößerungen unserer Mikroskope noch recht deutlich zu erkennen sind. Nun gibt es aber noch Mikroorganismen, welche ganz bedeutend kleiner sind als diese kleinsten Bakterien. Sie gehen durch engporige Tonfilter, welche alle Bakterien zurückhalten, leicht hindurch, und man hat sie mit den besten Mikroskopen, auch mit dem Ultramikroskop, noch nicht sichtbar machen können. Wir müssen auf ihre Existenz schließen, weil sie verschiedene mensch- liche, tierische und auch pflanzliche Krankheiten verursachen. Es ist eine ganz eigen- tümliche Tatsache, daß wir mit diesen für uns gänzlich unsichtbaren Mikroorganismen genau ebenso operieren können wie . mit Reinkulturen von Bakterien. Sie lassen sich z. B. bei der Rinderpest dvirch Verimpf ung von kleinsten Mengen des Blutes in beliebig vielen Generationen von einem Tier auf das andere übertragen. Es findet also eine un- geheure Vermehrung statt, und es muß sich zweifellos dabei um selbständige Organismen handeln. Aber welcher Art dieselben sein mögen, darüber fehlt noch jeder Anhalt. Sind es tierische oder pflanzliche Organismen ? Wie ist ihr Bau ? Wie findet ihre Vermehrung statt ? Wie verhält sich ihr Stoffwechsel ? Vorläufig können wir uns keine rechte Vor- stellung davon machen, ob diese Organismen sich analog den uns bekannten Zellen verhalten oder ob bei ihnen ganz andere Verhältnisse obwalten. Antrittsrede in dei' Akademie der Wissenscliafteii usw. 3 Wir sehen also, daß die Bakteriologie sich in der Tat gegen die erwähnten Wissen- schaften, mit denen sie in engen Beziehungen steht, nicht immer scharf abgrenzen läßt, und die einzelnen Teile der Bakteriologie würden wohl bei den betreffenden Wissenschaften geblieben sein, wenn nicht von vornherein die Bakteriologie auf ganz bestimmte spezi- fische Forschungsmethoden angewiesen gewesen wäre, die sich nur in besonders einge- richteten Laboratorien und Instituten ausführen lassen. Und das ist wohl der eigentliche Grund dafür gewesen, daß die Bakteriologie eine selbständige Disziplin geworden ist und vorläufig auch wohl bleiben wird. Wenn ich nunmehr dazu übergehe, dem akademischen Brauche entsprechend, von meiner wissenschaftlichen Laufbahn und insbesondere von naeinen Beziehungen zur Bakteriologie zu berichten, so möchte ich zunächst erwähnen, daß ich auf der Uni- versität keine unmittelbare Anregung für meine spätere wissenschaftliche Richtung empfangen habe, einfach aus dem (h unde, weil es damals noch keine Bakteriologie gab. Dennoch möchte ich einiger meiner damaligen Lehrer in Dankbarkeit gedenken, nämlich des Anatomen H e n 1 e, des Klinikers Hasse und besonders des Physiologen M e i ß- n e r, welche den Sinn für wissenschaftliche Forschung in mir geweckt haben. Nach Beendigung des Studiums in die ärztliche Praxis übergegangen, habe ich jede Gelegenheit zu wissenschaftlichen Arbeiten wahrgenommen. Eine der ersten Auf- gaben, welche sich mir bot, war das Vorkommen eigentümlicher stäbchenartiger Gebilde im Blute von milzbrandkranken Tieren. Ich brachte diese Stäbchen, welche wir jetzt als Milzbrandbazillen kennen, außerhalb des tierischen Körpers unter möglichst natür- liche Bedingungen und konnte dann bei fortgesetzter Beobachtung unter dem Mikrcjskop konstatieren, daß die Stäbchen vor meinen Augen zu langen Fäden auswuchsen, Sporen bildeten und einen zwar einfachen, aber vollständig geschlossenen Entwicklungskreis- lauf durchmachten, welcher sich in Ubereinstimmung mit dem ätiologischen Verhalten der Milzbrandkrankheit bringen ließ. Ich würde diese Studien für mich noch weiter fortgesetzt haben; aber da gerade zu jener Zeit ein namhafter Botaniker die Milzbrand- stäbchen für kristalloide Gebilde erklärte, so schien es mir doch geboten, meine Beobach- tungen zu veröffentlichen. Ich hatte aber bei diesen Arbeiten erfahren, wie schwierig es war, meine Bazillenkulturen vor Verunreinigungen dinch andere Bakterien zu be- wahren und den dadurch bedingten Fehlerquellen aus dem Wege zu gehen. Dffenbar waren die damaligen primitiven ITntersuchungsmethoden ganz ungenügend, um tiefer in das Dunkel, welches die pathogenen Mikroorganismen verhüllte, einzudringen. Hatte doch N a e g e 1 i, einer der bedeutendsten damaligen Botaniker, erklärt, daß er Tausende von Formen der Spaltpilze (so nannte man damals die Bakterien) untersucht habe, ohne einen Grund zur Trennung in spezifische Formen gefunden zu haben. Er unterschied zwar zwischen Fäulnispilzen und Kontagienpilzen. nahm aber an. daß dieselben in kurzer Frist wechselseitig ineinander übergehen könnten. Sein Schüler B u c h n e r. später einer unserer tüchtigsten Forscher, liehauptete, die Milzbrandbazillen in Heubazillen und umgekehrt umgezüchtet zu haben. Um derartigen Behauptungen, welche meinen Beobachtungen an den Milzbrandl)azillen direkt widersprachen, entgegentreten zu können, mußten also leistungsfähigere Methoden gefunden werden. Dieser Aufgabe habe ich mich dann längere Zeit ausschließlich gewidmet, und es gelang mir, die mikroskopische Untersuchung der Bakterien durch Änderungen in der Präparation. Färbung und Be- leuchtung der gefärbten Bakterien wesentlich zu verbessern. Ferner wurde es durch Verwendung fester Nährböden an Stelle der bis dahin ausschließlich benutzten flüssigen ermöglicht, die einzelnen Keime getrennt zur Entwicklung zu bringen, und auf diese Weise einwandfreie Reinkulturen der Mikroorganismen zu erzielen. Mit Hilfe des festen Nährbodens ließ sich auch das Vorkommen der Mikroorganismen in der Luft, im Boden 1* 4 Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften usw. und im Wasser, und zwar nicht nur in bezug auf die verschiedenen Arten, sondern selbst nach der Anzahl der Individuen feststellen und auf diese Weise eine sichere Beurteilung des Vorkommens von Krankheitserregern in diesen Medien gewinnen. Diese neuen Methoden haben sich so hilfreich und nützlich für eine große Anzahl von Aufgaben er- wiesen, daß man sie geradezu als den Schlüssel für die weitere Erforschung der Mikro- organismen, wenigstens soweit medizinische Fragen in Betracht kommen, bezeichnen kann. Nachdem ich dieselben möglichst weit entwickelt und mich damit eingeübt hatte, ging ich an ihre Verwendimg zum Studium der pathogenen Mikroorganismen, und es gelang dann mir und meinen Mitarbeitern in rascher Folge die Erreger und damit die Ätiologie einer Anzahl von Infektionskrankheiten zu entdecken, von denen ich nur die Wundinfektionskrankheiten, Tuberkulose, Cholera, Typhus, Diphtheritis, nennen will. Diese Entdeckungen, welche, nachdem die richtigen Methoden gefunden waren, uns gewisser- maßen wie reife Früchte in den Schoß fielen, wurden dann auch für praktische Zwecke mög- lichst ausgenutzt ; so für die Seuchenbekämpfung, wie sie in bezug auf Cholera, Typhus, Ma- laria mit Erfolg ausgeübt wird; ferner für die spezifische Prophylaxis und Behandlung der Infektionskrankheiten, teils direkt mit Präparaten, welche aus den Bakterienkulturen gewonnen werden, teils indirekt durch Vermittlung von Tieren, welche, nachdem sie mit Hilfe der Bakterienkulturen immunisiert sind, den Heilstoff in ihrem Blutserum enthalten. Solange es sich bei diesen Forschungen um einheimische Krankheiten handelte, konnten die betreffenden Untersuchungen im Inlande ausgeführt werden. Als sich dann aber die Notwendigkeit ergab, avich exotische Seuchen, wie Cholera und Pest, in den Bereich der Untersuchungen zu ziehen, da blieb nichts anderes übrig, als die Arbeitsstätte in die Heimat dieser Seuchen zu verlegen. Die hierdurch veranlaßten Expeditionen haben mich eine Reihe von Jahren hindurch in tropische Länder geführt. Bei dieser Gelegenheit lernte ich aber auch eine Anzahl von Protozoen als Krankheitserreger kennen. Diese Mikroorganismen haben das Gemeinsame, daß sie nicht direkt vom Kranken auf den Gesunden, sondern nur durch Vermittlung von Zwischenwirten, als welche in der Regel blutsaugende Insekten funktionieren, übertragen werden. Die ätiologischen Ver- hältnisse gestalten sich infolgedessen viel komplizierter als bei den bakteriellen Krank- heiten, aber auch weit interessanter. Zu den hierher gehörigen, von mir untersuchten Kranliheiten gehören die Malaria, einige durch Trypanosomen bedingte Krankheiten, darunter die Schlafkrankheit, und einige Piroplasmosen. In der Rinderpest und in der Horse-Sickness hatte ich dann ferner solche Seuchen zu untersuchen, deren Erreger bisher noch nicht sichtbar gemacht werden konnten. Seitdem diese Expeditionen einen Abschluß gefunden haben, habe ich mich einem Arbeitsgebiet wieder zugewandt, das mich früher lange Zeit fast ausschließlich beschäftigt hat und das ich wegen der Auslandsreisen in Stich lassen mußte, nämlich der Tuberkulose. Diese Krankheit enthält noch so viele Probleme und ist zugleich von so eminenter prak- tischer Bedeutung, daß es sich wohl verlohnt, sich intensiv mit ihr zu beschäftigen. Für mich besteht aber noch eine besondere Veranlassung hierzu, nämlich die Begründung einer meinen Namen tragenden Stiftung, welche dazu bestimmt ist, die für Tuberkulose- forschung erforderlichen Mittel zu gewähren, und zwar unter vorzugsweiser Berücksich- tigung der von mir und meinen Mitarbeitern unternommenen Untersuchungen. Zum Schluß möchte ich mir erlauben, den Herren Mitgliedern der Akademie meinen ganz ergebenen Dank dafür auszusprechen, daß sie mir die hohe Ehre erwiesen haben, mich in ihren Kreis aufzunehmen, und daran die Bitte um Entschuldigung zu knüpfen, daß ich wegen der in den letzten Jahren unternommenen wissenschaftlichen Expeditionen erst jetzt dazu gekommen bin, die übliche Antrittsrede zu halten. Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit, begründet auf die Entwicklungsgeschichte des Bacillus Anthracis. ') Von Dr. R. Koch, Kreisphysikus in Wöllstein. Hierzu Tafel I. I. Einleitung. Seit dem Auffinden der stäbchenförmigen Körper im Blute der an Milzbrand gestorbenen Tiere hat man sich vielfach Mühe gegeben, dieselben als die Ur- sache für die direkte Ubertragbarkeit dieser Krankheit ebenso wie für das sporadische Auftreten derselben, also als das eigentliche Kontagium des Milzbrands nachzuweisen. In neuerer Zeit hatte sich hauptsächlich D a v a i n e mit dieser Aufgabe beschäftigt und, gestützt auf zahlreiche Impfversuche mit frischem oder getrocknetem stäbchen- haltigen Blute, mit aller Entschiedenheit dahin ausgesprochen, daß die Stäbchen Bakterien seien und nur beim Vorhandensein dieser Bakterien das Milzbrandblut die Krankheit von neuem zu erzeugen vermöge. Die ohne nachweisbare direkte Übertragung entstande- nen Milzbranderkrankungen bei Menschen und Tieren führte er auf die Verschleppung der, wie er entdeckt hatte, im getrockneten Zustande lange Zeit lebensfähig bleibenden Bakterien durch Luftströmungen. Insekten und dergleichen zurück. Die ^'erbreitungs- weise des Milzbrandes schien hiermit vollständig klar gelegt zu sein. Dennoch fanden diese von D a v a i n e aufgestellten Sätze von verschiedenen Seiten Widerspruch. Einige Forscher wollten nach Impfung mit bakterienhaltigem Blute tödlichen Milzbrand erzielt haben, ohne daß sich nachher Bakterien im Blute fanden, luid umgekehrt ließ sich wieder durch Impfung mit diesem bakterienfreien Blute Milz- brand hervorrufen, bei welchem Bakterien im Blute vorhanden waren. Andere machten darauf aufmerksam, daß der Milzbrand nicht allein von einem Kontagium abhänge, welches oberhalb der Erde verbreitet werde, sondern daß diese Krankheit in einem imzweifelhaften Zusammenhange mit Bodenverhältnissen stehe, ^^^ie würde sonst zu erklären sein, daß das endemische Wjrkommen des Milzbrandes an feuchten Boden, also namentlich aii Flußtäler, Sumpfdistrikte, Umgebungen von Seen gebunden ist; daß ferner die Zahl der Milzbrandfälle in nassen Jahren bedeutender ist und sich hauptsäch- lich auf die Monate August und September, in welchen die Kurve der Bodenwärme ihren Gipfelpunkt erreicht, zusammendrängt, da (3 in den Milzbranddistrikten, sobald die Herden an bestimmte Weiden und Tränken geführt werden, jedesmal eine gic'ißere Anzahl von Erkrankungen unter den Tieren eintritt. M Cohns l^eiträ^P 7a\v Hidhiiiie der Pflanzen. Pxi. II. Hell 2. p. 277. Hieslau 1S7(), .f. 1'. Keims ^'erlat^. 6 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. Diese Verhältnisse sind allerdings durch die Annahme D a v a i n e s nicht zu erklären und das Ungenügende derselben hat zur Folge gehabt, daß von vielen die Be- deutung der Bakterien für den Milzbrand ganz geleugnet ist. Da ich einige Male Gelegenheit hatte, Tiere, welche an Milzbrand gefallen waren, zu untersuchen, so benutzte ich diese zu einer Reihe von Versuchen, welche zur Auf- klärung der eben angedeuteten dunklen Punkte in der Milzbrandätiologie beitragen sollten. Hierbei kam ich sehr bald zu der Uberzeugung, daß die D a v a i n e sehe Theorie über die Verbreitungsweise des Milzbrandes nur zum Teil richtig ist. Es zeigte sich nämlich, daß die Stäbchen des Milzbrandblutes bei weitem nicht so resistent sind, als D a v a i n e seinen Versuchen entnehmen zu müssen glaubte. Wie ich später nachweisen werde, bewahrt das Blut, welches nur Stäbchen enthält, seine Impffähigkeit im getrockneten Zustande nur wenige Wochen und im feuchten nur einige Tage. Wie sollten also so leichtvergängliche Organismen das oft während des ganzen Winters und im feuchten Boden vielleicht jahrelang schlummernde Kontagium des Milzbrandes bilden ? Hier blieb, wenn die Bakterien wirklich die Ursache des Milzbrandes abgeben, nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß sie durch einen Generationswechsel in einen anderen, gegen abwechselndes Eintrocknen und Anfeuchten unempfindlichen Zustand übergehen können oder, was weit mehr Wahrscheinlichkeit hat und was von Prof. Cohn schon im zweiten Hefte, Band I dieser Beiträge p. 145, angedeutet wurde, daß die Bakterien Sporen bilden, welche die Fähigkeit besitzen, nach längerem oder kürzerem Ruhezustande von neuem zu Bakterien auszuwachsen. Alle meine weiteren Versuche gingen nun dahin, diesen vermuteten Entwicklungs- zustand der Milzbrandbakterien aufzufinden. Nach manchen vergeblichen Bemühungen gelang es denn auch schließlich, dieses Ziel zu erreichen und damit die wahre Milzbrand- ätiologie in ihren Grundzügen festzustellen. Da die Entwicklungsgeschichte der Milzbrandbakterien nicht nur botanisches Interesse bietet, sondern auch manches Licht auf die bis jetzt so dunkle Ätiologie der vom Boden abhängigen Infektionskrankheiten zu werfen imstande ist, so habe ich es jetzt schon, obwohl meine Versuche noch nicht abgeschlossen sind, unternommen, die wich- tigsten Resultate derselben zu veröffentlichen. II. Entwicklungsgeschichte des Bacillus Anthracis. Die Milzbrandbakterien ge- hören nach Prof. F. Cohns System der Schizophyten^) zur Gattung Bacillus und sind mit dem speziellen Namen Bacillus Anthracis belegt, dessen ich mich im folgenden statt des viel umfassenden Ausdrucks Bakterien bedienen werde. 1. Im Blute und in den Gewebssäften des lebenden Tieres vermehren sich die Bazillen außerordentlich schnell in derselben Weise, wie es bei verschiedenen anderen Arten Bakterien beobachtet ist, nämlich durch Verlängerung und fortwährende Querteilung. Es ist mir allerdings nicht gelungen, diesen Vorgang direkt zu sehen; derselbe läßt sich aber aus den schon häufig vorgenommenen und von mir in folgender Weise wieder- holten Impfversuchen schließen. Als sehr bequemes und leicht zu habendes Impfobjekt benutzte ich meistens Mäuse. Anfangs impfte ich dieselben an den Ohren oder in der Mitte des Schwanzes, fand aber diese Methode unsicher, da die Tiere durch Reiben und Lecken das Impfmaterial entfernen können ; später wählte ich als Impfstelle den Rücken der Schwanzwurzel, wo die Haut schon verschiebbar und mit langen Haaren bedeckt ist. Die in einem verdeckten großen Glase sitzende Maus wird zu diesem Zwecke mit ') Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. I, Heft 3, p. 202. Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. 7 einer langen Pinzette am Schwänze gefaßt und letzterer aus einer schmalen »Spalte zwischen Deckel und Glasrand so weit hervorgezogen, daß bequem ein flacher quer verlauf ender Einschnitt in die Haut des Schwanzwurzelrückens gemacht und ein möglichst kleines Tröpfchen der bazillenhaltigen Flüssigkeit in die kleine Wunde gebracht werden kann, in dieser Weise ausgeführte Impfungen, welche ich in großer Zahl gemacht habe, hatten ausnahmslos ein positives Resultat, sobald ganz frische Milzbrand - Substanzen angewandt wurden ; und ich glaube deswegen eine derartige Impfung, je nach ihrem Erfolg, als ein sicheres Reagens auf das Leben oder Abgestorbensein der Bazillen ansehen zu können : eine Ansicht, welche durch andere, später zu erwähnende Versuche als richtig erwiesen wird. Teils nun, um immer mit frischem Material versehen zu sein, teils aber auch um zu prüfen, ob nicht nach einer bestimmten Zahl von Generationen die Bazillen in eine andere Form übergehen, wurden mehrere Male Mäuse in aufeinanderfolgender Reihe geimpft, so daß ohne Unterbrechung die folgende Maus immer mit der Milzsubstanz der kurz vorher an Milzbrand gestorbenen infiziert wurde. Die längste dieser Reihen betrug zwanzig Mäuse, so daß also ebensoviele Bazillengenerationen vorlagen; aber bei sämt- lichen Tieren ergab sich derselbe Befund; immer war die Milz erheblich geschwollen und mit zahllosen Mengen von glashellen Stäbchen gefüllt, welche geringe Größendiffe- renzen hatten, unbeweglich waren und keine Sporenbildung oder dergleichen zeigten. Dieselben Bazillen fanden sich auch, aber bei weitem nicht so zahlreich als in der Milz, im Blute. Bei diesem Versuche hatten sich also durch viele Generationen aus wenigen Bazillen immer wieder bedeutende Massen ebenso gestalteter Individuen derselben Art entwickelt, und da man unter diesen neu entstandenen Bazillen viele mit einer be- ginnenden Querteilung in ihrer Mitte, manche an dieser Stelle geknickte und noch andere unter einem Winkel lose zusammenhängende erblickt, so läßt sich wohl eine andere Weise ihrer Vermehrung als durch Verlängerung und Querteilung, nachdem sie ungefähr die doppelte Länge erreicht haben, kaum annehmen. Es dürfte aber auch nach diesem Re- sultat schwerlich zu erwarten sein, daß durch noch längere Reihen von Impfungen eine Formveränderung der Bazillen erreicht werden, oder daß man schließlich auf einen Generationswechsel derselben treffen könnte. Auch in dem der Impfstelle benachbarten serös infiltrierten Unterhautzellgewebe und in den nächsten Lymphdrüsen fand ich bei Kaninchen und Meerschweinchen nur kurze und in der Teilung begriffene Stäbchen. Die Verteilung der Bazillen im Körper der geimpften Tiere ist nicht immer gleich- mäßig. Bei Meerschweinchen enthielt das Blut außerordentlich viele Bazillen, so daß ihre Zahl oft derjenigen der roten Blutkörper gleichkam oder sie selbst übertraf; im Blute der Kaninchen sind sie erheblich weniger zahlreich, oft so selten, daß man mehrere Ge- sichtsfelder durchmustern muß, ehe man einige findet; bei Mäusen enthält das Blut stets eine so geringe Zahl Bazillen, daß sie manchmal zu fehlen scheinen^)- Dafür findet man bei Kaninchen die Bazillen um so reichlicher und sicherer in den Lymphdrüsen luid in der Milz, und bei Mäusen in erstaunlicher Menge in der Milz. Einige Male habe ich die Mark- substanz der Tibia von Mäusen untersucht, aber nur vereinzelte Bazillen darin gefunrlen. Auf weitere hierhergehörige Details über die Lagerung der Bazillen im Gewebe der Milz, in den Blutgefäßen, über ihre Anhäuf ungen in den Kapillaren und kleinen Venen und die dadurch bedingten lokalen Ödeme, Gefäßzerreißungen und Blutaustritte vermag ich wegen des rein pathologischen Interesses dieser Verhältnisse hier nicht weiter einzugehen. ') Derartige Fälle haben wahrscheinlich, wenn nur das Blut der mit .Milzliraud geimpften Tiere untersucht wurde, zur früher erwähnten Ansicht geführt, ilaß .Milzbrand, ohne daß Bazillen im Blute sich finden, vorkonune und daß man diuch Impfung mit liazillenfreiem Bhite wieder .Milz- l)rand erzeugen könne. 8 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. Ebenso würde es zu weit führen, die Frage nach der eigenthchen Todesursache der an Milzbrand sterbenden Tiere zu erörtern, ob dieselben durch die bei dem intensiven Wachstum der Bazillen im Blute entwickelte Kohlensäure oder, was wohl wahrschein- licher ist, durch giftig wirkende Spaltprodukte der von den Parasiten zu ihrer Ernährung verbrauchten Eiweißkörper getötet werden. 2. Im Blute des toten Tieres oder in geeigneten anderen Nährflüssigkeiten wachsen die Bazillen innerhalb ge- wisser Temperatur grenzen und bei Luftzutritt zu außer- ordentlich langen, un verzweigten Leptothrix - ähnlichen Fäden aus, unter Bildung zahlreicher Sporen. Am einfachsten überzeugt man sich von der Richtigkeit dieses Satzes durch fol- gendes Experiment: Auf den Objektträger wird ein Tropfen von möglichst frischem Rinderblutserum oder Humor aqueus von Rinderaugen gebracht, in diesen ein kleines Stückchen frische bazillenhaltige Milzsubstanz eingetragen und das Deckgläschen so darauf gelegt, daß die Bazillenmasse ungefähr in die Mitte des Präparates zu liegen kommt. Hierauf wird der Objektträger, um die Verdunstung der Flüssigkeit zu verhüten, sofort in einen feuchten Raum gebracht und mit diesem in den Brütkasten gestellt'). Der Wassergehalt der Luft in dem feuchten Raum muß so reguliert werden, daß die Flüssigkeit nicht unter dem Deckglase hervordringt und daß das Serum am Rande des Deckglases nicht eintrocknet. Im ersteren Falle werden die Bazillen unter dem Deckgläschen weggeschwemmt und entgehen der Beobachtung, im letzteren wird durch die trockne Randschicht des Serums die Luft von den Bazillen abgesperrt und jede weitere Entwicklung derselben damit verhindert. Die so zubereiteten Präparate bleiben 15 — 20 Stunden im Brütapparat bei einer Temperatur von SS" — 37". Bei einer alsdann vorgenommenen Untersuchung finden sich in der Mitte des Präparats (Taf. I, Fig. 1) zwischen den noch gut erhaltenen Zellen der Milzpulpa und den Blutkörperchen (a, b) noch viele imveränderte Bazillen, jedoch in geringerer Zahl als im frischen Präparate. Sobald man aber die Mitte des Präparates verläßt, trifft man auf Bazillen, welche um das 3 — 8 fache verlängert sind und dabei einige leichte Knickungen und Krümmungen zeigen (Fig. 2). Je näher man nun dem Rande des Deckglases kommt, um so längere Fäden findet man, welche vielfach gewunden sind und schließlich die hundert- und mehrfache Länge der ursprünglichen Bazillen er- reichen (Fig. 3). Viele dieser langen Fäden haben ihre gleichmäßige Struktur und ihr glashelles Aussehen verloren, ihr Inhalt ist fein granuliert vnid stellenweis treten in dem- selben kleine, stärker lichtbrechende Körnchen in regelmäßigen Abständen auf (Fig. 3a). In den dicht am Rande befindlichen Fäden, welche also in bezug auf den Gasaustausch in der Nährflüssigkeit am günstigsten liegen, ist die Entwicklung am weitesten vor- ') Als feuchten Eaum benutzte ich flache mit nassem Sand gefüllte Teller; auf dem Sand lag eine Schicht Filtrierpapier und auf diesem die Präparate. Der Teller wurde mit einer Glasplatte bedeckt. Wenn die Sandschicht so hoch ist, daß der Abstand zwischen der Oberfläche der Präparate und der unteren Seite der Glasplatte bis 1 cm beträgt, dann bleiben die Präparate genügend feucht. Der von mir angewandte Brütapparat, welcher 6 aufeinandergestellte Teller mit Präparaten aufnehmen konnte, wurde in Ermangelung von Gas durch eine mit Zylinder versehene Petroleumlampe erwärmt. Allen, welche ohne Gas oder ohne Regulator derartige Versuche mit dem Brütapparat unternehmen wollen, kann ich diese Methode der Heizung nicht genug empfehlen. Da man mit einer kleinen Flamme einen großen Apparat genügend erwärmen kann, so ist bei einem einigermaßen großen Petroleum- reservoir der Lampe nur nötig, dieselbe ungefähr täglich einmal zu füllen und die Höhe der Flamme für die gewünschte Temperatur richtig auszuprobieren, um ohne besondere Mühe oder Aufsicht fort- während eine kaum um 1" bis 2" schwankende Temperatur zu haben. Die Ätiologie der MiizlnaiKl-Kraiiklicit. 9 geschritten; sie enthalten vollständig ausgebildete Sporen, welehe in der Gestalt von etwas länglich rvuiden, stark lichtbrechenden Körpern in ganz regelmäßigen kurzen Abständen der Substanz der Fäden eingelagert sind (Fig. 4a). In dieser Form gewähren die Fäden, namentlich wenn sie in vielfach verschlungenen und umeinander gewundenen Linien gruppiert sind, einen überraschenden Anblick, der sich am besten mit demjenigen höchst zierlicher, künstlich angeordneter Perlschnüre vergleichen läßt. Manche Fäden sind auch schon in der Auflösung begriffen und ihre frühere Gestalt nur noch durch die reihenförmige Lagerung der von einer schleimigen Bindesubstanz zusammengehaltenen Sporen angedeutet. Dazwischen liegen dann bisweilen einzelne freie und kleine Häufchen zusammengeballter Sporen (Fig. 4b). In einem einzigen solchen gut gelungenen Präparate sind also alle Übergänge von dem kurzen Bazillusstäbchen bis zu langen sporenhaltigen Fäden und freien Sporen vertreten und es könnte damit schon der Beweis dafür gebracht sein, daß letztere aus ersteren hervorgegangen sind. Trotzdem ich anfangs diesen Versuch mehrfach wiederholte und immer wieder zu dem- selben Resultate kam, stiegen mir doch verschiedene Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Annahme auf. Wie kamen die Bazillen, an denen ich bis dahin keine selbständige Bewegung wahrgenommen hatte, an den Rand des Präparates, während die Blutkörper- chen in der Mitte liegen blieben Konnten die langen sporenhaltigen Fäden nicht möglicher- weise am Rande der Flüssigkeit durch aus der Luft dahin gelangte Keime entstanden sein ? Denn gegen eine derartige Verunreinigung aus der Luft waren die Präparate nicht geschützt und in der Tat wucherten neben den Fäden auf diesem Wege oft die schönsten Kolonien von Micrococcus und ßacteriuni in das Präparat hinein ; einige Älale erschien auch eine der unsrigen ähnliche Bazillusart. Hier kam also alles darauf an. vollständige Sicherheit zu erlangen imd nicht in einen Fehler zu verfallen, welcher leidei' schon so oft bei Kulturversuchen mit den niedersten Organismen von erfahrenen Forschei'ii begangen ist und durch welchen die Untersuchungen auf diesem Gebiete in neuerer Zeit etwas in Mißkredit gekommen sind. Ich meine den Fehler, ähnliche Formen, welche in derselben Nährflüssigkeit zu gleicher Zeit oder kurz nacheinander entstanden und zugleich mit scheinbaren Übergangsformen vermischt sind, ohne weiteres als verschiedene Entwicklungsstadien desselben Organismus zu erklären. Da mir die Bedingungen für die Entwicklung des BaciUns Antliracis bekannt waren, nämlich die Nährflüssigkeit, die Temperatin-, bei welcher er wächst, und die Not- wendigkeit der Luftzufuhr, so versuchte ich auf dem Mikroskoptiseh diese Erfordernisse herzustellen, um so direkt die Veränderung der Bazillen beobachten zu können. So schwierig ich mir anfangs die Ausfühnnig dieses Versuches vorgestellt hatte, so einfach gestaltete er sich in der Wirklichkeit. Nach manchem miL^glückten Experiment fand ich folgende Methode als die zweckmäßigste: Als Wärmecpielle diente ein M. Schulz e scher heizbarer Objekttisch, welchen ich, ebenso wie frühei- vom Brütapparat angegeben ist. mit einer Petroleumlampe ei'wärmte. Das Mikroskop muß allerdings auf einen Untersatz gestellt werden, um die Lampe, welche mit einem flachen, aus Blech gearbeiteten i'etroleumreservoir versehen ist. mit ihrem Zylinder unter den Arm des heizbaren Objekttisches zu bringen. Eine einzige kleine Flamme, ungefähr unter der Mitte des einen Arms stehend, genügte bei meinem Apparat, um tagelang den Objekttisch auf der erforderlichen Temperatur zu erhalten. Der feuchte, lufthaltige Raum wurde von einem durch das Deckglas geschlossenen hohlgeschliffenen Objektträger ersetzt (Fig. 6). Das den Bazillen hierdurch für ihre Entwicklung gewährte Luftquantum ist sehi' gering, aber wie die Erfahrung lehrt, genügt es zum Gelingen des ^'ersuches. Um nun die richtige Temperatur für die von mir angewandte Sorte von hohlgeschliffenen Objektträgern zu finden, benutzte ich den Schmelzpunkt von Rinder- 10 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. talg, welcher im Wasser bade auf ziemlich genau 40" bestimmt war. Von diesem vorher geprüften Rindertalg wurde ein Tröpfchen auf ein Deckglas gebracht und dieses durch eine rings um die Höhlung des Objektträgers gepinselte Schicht Provenzeröl luftdicht, und zwar mit dem Talgtröpfchen nach unten gerichtet, auf den Hohlraum des Objekt- trägers aufgesetzt. Es ergab sich dabei, daß der Objekttisch auf 45" erwärmt werden mußte, um den Tropfen unter dem Deckglase eben zum Schmelzen zu bringen. Für die zu meinen Versuchen erforderliche Temperatur genügte es also, den Objekttisch so zu heizen, daß sein Thermometer dauernd auf 40° zeigte. Zu gleicher Zeit mußte es auffallen, daß eine Annäherung des Tubus, wie sie zur Einstellung eines Objektes für Hartnack Obj. 7 Okul. 3, welche ich bei diesen Untersuchungen benutzte, erforderlich ist, jedesmal stark abkühlend wirkte und die Temperatur in dem Tropfen um 5" bis 8° herabsetzte. Nach diesen Ermittelungen brachte ich auf die untere Seite des Deckglases einen Tropfen frisches Rinderblutserum oder, was sich für diesen Versuch noch viel besser bewährte, einen Tropfen ganz frischen und möglichst reinen Humor aqueus von Rinderaugen. Der Tropfen darf natürlich nur so dick sein, daß man noch alle seine Schichten mit dem Mikroskop durchmustern kann^). Hierauf wurde in den Rand des Tropfens eine möglichst geringe Menge ganz frischer bazillenhaltiger Milzsubstanz eingetragen und das Deck- gläschen sofort auf den mit Öl bestrichenen Objektträger gelegt. Der kleine Hohlraum füllt sich schnell mit Wasserdampf und die anfängliche Verdunstung des Tropfens ist so gering, daß nur am äußersten Rand einige Bazillen vertrocknen ; später behält der Tropfen tagelang unverändert seine Gestalt. Das so hergerichtete Präparat wurde nun auf den geheizten Objekttisch gebracht, und nachdem die Strömungen in der sich erwär- menden Flüssigkeit sich gelegt hatten, einige mehr nach dem Innern des Tropfens zu ge- legene Bazillen fixiert, rasch noch ihre Form und Lage gezeichnet und dann der Tubus hinaufgeschroben, um eine ungleichmäßige und zu lange Abkühlung des Präparates zu vermeiden. Bei der nun folgenden, alle 10 bis 20 Minuten vorgenommenen Untersuchung wurde wahrgenommen, daß die Bazillen anfangs etwas dicker werden und anscheinend aufquellen, sich aber in den ersten beiden Stunden kaum merklich ändern. Dann aber beginnt ihr Wachstum. Schon nach 3 bis 4 Stunden haben sie die 10- bis 20 fache Länge erreicht, sie fangen sich an zu krümmen, gegenseitig zu verdrängen oder geflechtartig durcheinander zu schieben. Nach einigen weiteren Stunden sind die einzelnen Fäden schon so lang, daß sie durch mehrere Gesichtsfelder reichen; sie gleichen einem Haufen Glasfäden, welche nach Art von Schlingpflanzen sich in der verschiedensten Weise bald zu langen parallelen Zügen oder zu äußerst zierlichen spiralförmig gedrehten Bündeln vereinigen, bald aber in den unregelmäßigsten Figuren zu einem unentwirrbaren Knäuel verschlingen, so daß es ganz unmöglich wird, den einzelnen Faden in seiner ganzen Länge weiter zu verfolgen. Betrachtet man das freie Ende eines Fadens andauernd durch längere Zeit, etwa 15 bis 20 Minuten, dann vermag man leicht die fortwährende Verlängerung desselben 1) Unter verschiedenen Arten hohlgeschliffener Objektträger fand ich am bequemsten einen von 3 mm Dicke, welcher, beiläufig bemerkt, 60 mm lang und 20 mm breit ist. Seine obere Fläche ist matt geschliffen ; der Hohlraum hat die Form eines Kugelabschnittes, einen Durchmesser von 14 mm und eine Tiefe von 1,5 mm. Hartnacksche Deckgläschen von 18 mm Quadrat und 0,15 mm Dicke lassen sich auf solchen Objektträgern sehr gut dvirch Öl luftdicht befestigen. Dem Tropfen auf der unteren Seite des Deckglases gab ich einen Durchmesser von ungefähr 5 bis 7 mm, so daß er vom Öl ringsum ungefähr noch 3 bis 5 mm entfernt bleibt und dieses ihn, selbst wenn es unter dem Deckglas etwas nach innen fließt, nicht leicht erreichen kann. Zu Kulturversuchen im Brütapparat habe ich Objektträger mit einem darauf befestigten Paraffinring sehr praktisch gefunden, man kann sich dieselben in jeder beliebigen Größe und Form leicht selbst anfertigen und ganz in derselben Weise wie hohlgeschliffene Objektträger benützen. Die Ätiologie der Milzbi and-Krankheit. 11 direkt wahrzuneliiiien und kann sich so das merkwürdige Schauspiel von dem sichtbaren Wachsen der Bazillen verschaffen und die unmittelbare Überzeugung von ihrer Weiter- entwicklung gewinnen. Schon nach 10 bis 15 Stunden erscheint der Inhalt der kräftigsten und am üppigsten gewachsenen Fäden fein granuliert und bald scheiden sich in regel- mäßigen Abständen sehr kleine mattglänzende Körnchen ab, welche sich nach einigen weitei'en Stunden zu den stark lichtbrechenden eirunden Sporen vergrößern. Allmählich zerfallen dann die Fäden, zerbröckeln an ihren Enden, die Sporen werden frei, sinken, dem Gesetze der Schwere folgend, in die unteren Schichten des Trojifens und sammeln sich hier in dichten Haufen an. In diesem Zustande bleibt dann das Präparat wochen- lang unverändert. Die auf der Tafel I befindlichen Abbildungen geben ein möglichst getreues Bild (Fig. 1 — 4) von den eben geschilderten verschiedenen Entwicklungsstufen des Bacillus Anthracis. Auch in den Präparaten, welche nach dieser Methode angefertigt und behandelt wurden, traten bisweilen verschiedenartige Bakterien in großen Schwärmen und ruhenden Kolonien als ungebetene Gäste auf und störten die Beobachtung der späteren Entwick- lungsstadien des Bacillus Anthracis. Sobald man aber eine größere Anzahl von Präparaten mit einiger Sorgfalt unter Anwendung von möglichst frischem, reinem Humor aqueus oder Blutserum und unmittelbar dem toten Tierkörper entnommener Milzsubstanz anfertigt und in den Brütapparat bringt, wird man mindestens in der Hälfte, öfter in allen, bei wiederholter Untersuchung eine vollkommene reine Kultur von Milzbrandbazillen finden. Bleibt unter den im Vorhergehenden angegebenen Bedingungen die Entwicklung der Bazillen ganz aus, oder wachsen letztere nur kümmerlich und kommen nicht zur Sporen- bildung, dann liegt irgendein Fehler in der Anordnung des Experimentes vor. Auf welche Kleinigkeiten es hierbei unter Umständen ankommt, mag man daraus ersehen, daß mir anfangs manche Kulturen mißglückten, weil ich alle Deckgläschen nach dem Gebrauch in eine Karbolsäurelösung legte und trotz sorgfältiger Reinigung durch den Geruch erkennbare Spuren von Karbolsäure bisweilen an den Gläschen haften blieben. Erst nachdem ich mich durch Kontrollversuche davon überzeugt hatte, daß schon so äußerst geringe Mengen der Karbolsäure genügten, um die Kultur der Bazillen zu stören und demgemäß die Gläsclien inuner durch mehrfaches Abspülen von der Karbolsäure vollständig gereinigt hatte, blieb ich von diesen Mißerfolgen verschont. Später wollte es mir einmal durchaus nicht mehr gelingen, die Fäden zur Sporenbildung zu bringen; sie wuchsen in eigentümlichen gekräuselten, ziemlich langen Formen, verkümmerten aber schließlich, nachdem sie nur vereinzelte oder gar keine Sporen angesetzt hatten. Ich suchte vergeblich den Grund in fehlerhafter Beschaffenheit des Wärmeapparates, der Nährflüssigkeit und dgl. Endlich fiel es mir auf, daß das zum Schließen des Präpa- rates benutzte Öl nach flüchtigen Fettsäuren roch, und als ich nun zu gleicher Zeit mehrere Präparate genau in gleicher Weise anfertigte, aber für einige lanziges ()1, für andere tadelloses Provenzeröl zum Befestigen des Deckglases gebrauchte, kamen die Bazillen in letzteren zur vollkommensten Sporenbildung, in ersteren zeigten sich nur spärliche Sporen. Da mir diese Wirkung der flüchtigen Fettsäuren, oder vielleicht nur einer be- stimmten Säure, welche nicht einmal direkt mit dem die Bazillen enthaltenden Tropfen in Berührung kamen, sondern nur durch ein sehr geringes Quantum ilirer Dämpfe darauf einwirken konnten, sehr merkwürdig erschien, so wiederholte ich diesen Versucli zu ver- schiedenen Zeiten und erhielt immer dasselbe Resultat. 3. D i e Sporen des Bacillus Anthracis entwickeln sich u n t e r gewissen Bedingungen (b e s t i m m t e T e m p e r a t u r , N ä h r f 1 ü s - s i g k e i t und Luftzutritt) \\ - i e d e r u n m i t t e 1 h a r z u d e n u r - s p r ü n g 1 i c h im Blute vorkommenden B a z i 1 1 e n. Daß die in den 12 Die Ätiologie der Milzbiand-Krankheit. langen Fäden gebildeten glänzenden Körperchen in der Tat Sporen sind und nicht etwa zufällige Zersetzungsprodukte oder Rückstände der absterbenden ausgewachsenen Bazillen, ließ sich wohl schon von vornherein nach Analogie der Entwicklungsgeschichten anderer Organismen aus der Reihe der Pilze und Algen mit Bestimmtheit annehmen. Später zu erwähnende Impf versuche mit Flüssigkeiten, welche nur Sporen von Bacillus Anthracis und keine Spur von Bazillen oder Fäden mehr enthielten und doch imstande waren, mit derselben Sicherheit wie mit frischen Bazillen Milzbrand zu erzeugen, bestä- tigen diese Vermutung. Um aber einen vollständigen Einblick in den Lebenslauf des Bacillus Anthracis zu gewinnen und namentlich zu erfahren, ob die Sporen durch eine Zwischenform, etwa eine im Wasser lebende Schwärmspore, oder direkt und in welcher Art und Weise wieder in die Bazillen übergehen, war es das Geratenste, den einmal betretenen Weg weiter zu verfolgen. Womöglich mußte erreicht werden, die Keimung der Sporen künstlich unter Verhältnissen vor sich gehen zu lassen, welche eine direkte mikroskopische Beobachtung gestatten. Alle Bemühungen, die Sporen in destilliertem Wasser und Brunnenwasser zur Fortentwicklung bei gewöhnlicher Temperatur oder bei 35" zu bringen, schlugen fehl. In Blutserum oder Humor aqueus nach der früher beschriebenen Methode in geschlossenen Zellen und im Brütapparat versuchte Kulturen führten nur zu unvollkommenen Resul- taten; es entwickelten sich unzweifelhafte Bazillen, welche zu langen Fäden auswuchsen und Sporen ansetzten; aber ihre Zahl war gering und der Übergang einzelner Sporen in die Bazillen ließ sich in dem Sporenhaufen nicht mit genügender Sicherheit verfolgen. Schließlich schlug ich folgendes Verfahren ein, welches zum Ziele führte. Es wurden aus Präparaten, welche nach mikroskopischer Prüfung eine ganz reine Kultur von Bacillus Anthracis enthielten und nachdem die langen Fäden ganz oder größtenteils zerfallen waren, Tröpfchen mit Sporenmassen entnommen, auf ein Deckglas gebracht und teil- weise dicht jieben dem Rande desselben, teilweise mehr nach der Mitte zu schnell ein- getrocknet. Dieses Eintrocknen hat den Zweck, daß die Sporenhäufchen zusammen- gehalten und nicht von der Nährflüssigkeit auseinandergeschwemmt und zu sehr zerstreut werden. Die Sporenmassen blieben einige Stunden oder selbst Tage trocken; alsdann wurde auf einen gewöhnlichen (nicht hohl geschliffenen) Objektträger ein der Größe des Deckglases entsprechender Tropfen Humor aqueus gebracht und das Deckglas so auf gelegt, daß die Sporenmassen von der Flüssigkeit benetzt wurden. Das Präparat, welches also nicht mit Öl abgeschlossen wird, kam in den früher beschriebenen feuchten Raum und mit diesem in den Brütapparat, welcher eine Wärme von 35° hatte. Nach einer halben Stunde fingen die hier und da noch zwischen den Sporen liegenden Reste der ausgewachsenen Fäden an vollständig zu zerfallen und nach ungefähr 1 ^ bis 2 Stunden waren sie verschwunden. Schon nach 3 bis 4 Stunden war eine Entwicklung der Sporen zu bemerken. In den Sporenhäufchen am Rande des Deckglases war sie am weitesten fortgeschrit- ten ; denn sie hatten sich schon fast ganz in Fäden verwandelt ; während nach der Mitte des Präparates zu alle Übergänge von diesen Fäden bis zu den einfachen Sporen sich fanden. Nach Beobachtungen an zahlreichen derartigen Präparaten gestaltet sich der Vorgang bei der Sporenentwicklung folgendermaßen: Bei genauer Untersuchung mit stärkeren Vergrößerungen (z. B. Hartnack Immers. 9) erscheint jede Spore von eiförmiger Gestalt und in eine kuglige glashelle Masse eingebettet, welche wie ein heller schmaler, die Sporen umgebender Ring aussieht, deren kuglige Form aber beim Rollen der Sporen nach verschiedenen Richtungen leicht zu erkennen ist. Diese Masse verliert zuerst ihre Kugelgestalt, sie verlängert sich in der Richtung der Längsachse der Sporen nach der einen Seite hin und wird langgezogen Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. 13 eiförmig. Die Spore bleibt dabei in dem einen Pol des kleinen walzenförmigen Körpers liegen. Sehr bald wird die glashelle Hülle länger und fadenförmig, und zu gleicher Zeit fängt die Spore an, ihren starken Glanz zu verlieren, sie wird schnell blaß und kleiner, zerfällt wohl auch in mehrere Partien, bis sie schließlich ganz verschwunden ist. In Fig. 5 ist ein solcher Sporenhaufen mit den Übergängen zu Fäden nach einem solchen Präparate wiedergegeben. Später ist es mir auch oft gelungen, in demselben Präparat und in demselben Tropfen Humor aqueus aus den Bazillen die Sporen und sofort aus diesen wieder eine zweite Gene- ration von sporenhaltigen Fäden zu erziehen. Wenn nämlich nur wenige Bazillen in den Tropfen gelangten, hatte sich, wie auch sonst, ungefähr nach 20 bis 24 Stunden die Sporenbildung vollzogen ; das Nährmaterial war aber noch nicht verbraucht inid einige Stunden später wuchsen die Sporen schon wieder zu Bazillen und diese zu Fäden aus. Namentlich in derartigen Präparaten konnte der Übergang der Sjooren zu den Bazillen mit Sicherheit beobachtet werden; die Fig. 5b ist einem solchen Präparat entnommen, und Herr Prof. F. C o h n hatte die Güte, diese Zeichnung unter Anwendmig einer Ver- größerung mit Seibert Immers. VIII selbst anzufertigen. Aus diesen höchst einfachen Form Veränderungen der Spore bei ihrer Keimung geht also hervor, daß sie aus einem stark lichtbrechenden Tröpfchen, vielleicht einem Öl, besteht, welches von einer dünnen Proto- plasmaschicht eingehüllt ist. Letztere ist die eigentliche entwicklungsfähige Zellsubstanz, während ersteres vielleicht einen bei der Keimung zu verbrauchenden Reservestoff bildet. Mit dieser letzten Reihe von Untersuchungen ist der Kreis, welcher von den Form- veränderungen des Bacillus Anthracis gebildet wird, geschlossen und damit die vollstän- dige Entwicklungsgeschichte desselben gegeben. Da in den letzten Jahren oft die wunderbarsten Beobachtungen und die wider- sprechendsten Ansichten über krankheitserregende Schizophyten veröffentlicht sind und deswegen, wie ich schon früher andeutete, Arbeiten dieser Art sowohl von Botanikern als Ärzten mit einem wohl berechtigten Mißtrauen aufgenommen werden, so mache ich nochmals besonders darauf aufmerksam, daß es sich bei meinen Untersuchungen nicht um eine zufällige, vereinzelte Beobachtung, sondern um möglichst oft wiederholte, mit vollständig sicherem Erfolg zu jeder Zeit anzustellende Experimente handelt. Um jeden, der ein Interesse für die Sache hat, in den Stand zu setzen, ohne Schwierig- keit sich selbst durch den Augenschein von der Richtigkeit des Resultates meiner Unter- suchungen zu überzeugen, habe ich die oft durch mühevolle und zeitraubende Versuche gewonnenen Methoden, nach denen ich gearbeitet habe, möglichst genau beschrieben. Ganz besonderes Gewicht lege ich übrigens noch darauf, daß Herr Prof. F. C o h n sich auf meine Bitte der mich zu besonderem Danke verpflichtenden Mühe unterzog, meine Angaben über die Entwicklungsgeschichte des Bacillus Anthracis eingehend an einer Reihe von Präparaten und von mir im pflanzenphysiologischen Institut zu Breslau angestellten Experimenten zu prüfen und in allen Punkten zu bestätigen. Die auf die AnthraxbaziUen bezügliche Literatur ist mir nur teilweise zugänglich gewesen und ich muß daher auf eine vollständige Angabe derselben verzichten. Nur einige Arbeiten, welche nur erst nach Auffindung der Entwicklungsgeschichte des Bacillus Anthracis zur Kenntnis kamen, möchte ich mit einigen Worten berühren. B o 1 1 i n g e r meint, daß die Bazillen aus Reihen von Kugelbakterien zusammengesetzt sind, in Avelche sie gelegentlich zerfallen, und daß diese Kugelbakterien allein im Blute vorkommen, sich durch Teilung vermehren und zu Reihen vereinigt wieder Stäbchen bilden können. Fast könnte es hiernach scheinen, als ob B o 1 1 i n g e r auch die Sporenbildung gesehen hätte. M Ziemssens Handbuch der speziellen Pathologie und Theraijie. Bd. III. j) 4(U. 14 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. Doch ist dies nicht der Fall, denn er gibt an, nur einmal Bazillen von 0,05 mm Länge gesehen zu haben, eine Größe, bei welcher die Bazillen noch nicht zur Sporenbildung kommen. Auch die 1. c. p. 465 gegebene Abbildung enthält nur abgestorbene Bazillen, auf deren Form ich später zurückkomme. Im dritten Heft des ersten Bandes dieser Beiträge p. 200 äußert F. Cohn bei der Besprechung der eben angeführten Angaben B o 1 1 i n g e r s, daß er die Milzbrand- stäbchen dennoch für Bazillen halte und daß man nach Analogie anderer Bazillen eine Fortpflanzung derselben durch kugelige Dauersporen erwarten müsse; eine Vermutung, welche sich sehr bald verwirklicht hat. Die neueste Veröffentlichung über Milzbrand- bakterien, welche von C. 0. Harz herrührt, enthält nach dem mir vorliegenden Referat (Allgem. med. Centraizeitung 1876, Nr. 33) nur negative Resultate, welche den von mir erhaltenen positiven gegenüber ihre Bedeutung verlieren müssen. III. Biologie des Bacillus Anthracis. Die Möglichkeit, den Bacillus Anthracis unter künstlichen Verhältnissen zu sporenhaltigen Fäden und seine Sporen wieder zu Bazillen zu entwickeln, beweist natürlich noch nicht, daß das Vorkommen des Milzbrandes unter allen Umständen auf die verschiedenen Entwicklungsformen dieser Bakterienart zurückgeführt werden müsse. Da er im lebenden Organismus, wie früher gezeigt wurde (allerdings vorläufig nur für die Tierspezies, mit welcher experimentiert wurde, beweisend), sich nicht weiter entwickelt, so kann nur durch Versuche über das Verhalten des Bacillus Anthracis unter Bedingungen, welchen er auf seinem mutmaßlichen Wege nach dem Absterben des von ihm bewohnten Tieres unterworfen ist, eine Aufklärung hierüber gesucht werden. Um nicht zu ausführlich zu werden, muß ich die sehr umfangreichen, in dieser Richtung angestellten Versuchsreihen kurz zusammenfassen. Substanzen, welche Milzbrandbazillen enthalten, können in trockenem Zustande oder in Flüssigkeiten suspendiert verbreitet werden. Daß sie eingetrocknet lange Zeit wirksam sein können, war schon bekannt ; doch schwanken die Angaben über die Dauer dieser Wirk- samkeit. Um diese letzteren genauer zu bestimmen, wurden folgende Versuche gemacht : Milz, Lymphdrüsen, Blut von Mäusen, Kaninchen und Meerschweinchen wurden sofort, nachdem sie dem Tierkörper entnommen waren, an einem schattigen luftigen Ort getrocknet, und zwar in größeren Stücken, in kleineren, ungefähr erbsen- bis liirse- korngroßen Massen und in am Deckglase eingetrockneten dünnen Schichten. Mit diesem Material wurde anfangs täglich, später von zwei zu zwei Tagen zu gleicher Zeit, nachdem eine entsprechende Menge in Humor aqueus aufgeweicht war, eine oder mehrere Mäuse geimpft und ein Kulturversuch in einer Paraffinzelle gemacht. Die in sehr dünnen Lagen eingetrockneten Bazillenmassen verloren, je nach ihrer Dicke, nach 12 bis 30 Stunden ihre Impffähigkeit und ebenso auch die Möglichkeit, im Brütapparat zu langen Fäden heranzuwachsen. L^nmittelbar nach dem Anfeuchten hatten die Bazillen dasselbe Aus- sehen wie im frischen Zustande; aber sie zerfielen sehr bald unter später genauer zu be- schreibenden Veränderungen, sie waren also, nachdem sie einen gewissen Teil ihrer Feuch- tigkeit verloren hatten, abgestorben. Dickere getrocknete Stücke hielten sich 2 bis 3 Wochen impf- und entwicklungsfähig. Noch größere behielten ihre Wirksamkeit, offenbar, weil sie langsamer vollkommener lufttrocken werden, gegen 4 bis 5 Wochen. Aber längere Zeit hindurch frisch getrocknete bazillenhaltige Massen impffähig zu er- halten, ist mir nie gelungen, obwohl ich diese Versuche in der verschiedensten Weise modifiziert und wiederholt habe, weil ich, auf D a v a i n e s Angaben mich verlassend, anfangs bestimmt glaubte, mir auf diese Weise frisch erhaltene Milzbrandsubstanzen für spätere Versuche sichern zu können; doch wurde ich stets auf das empfindlichste getäuscht und mußte meine Arbeiten deswegen mehrfach unterbrechen, bis es mir später Die Ätiologie dei' Milzbrand-Kraiiklieit. 15 gelang, in anderer Weise einen stets wirksamen Imjjfstoff zu gewinnen und mich da- durch vom Zufall unabhängig zu machen. Auf eine Erscheinung, welche bei dieser Versuchsreihe recht auffallend hervortrat, muß ich noch besonders aufmerksam machen, daß nämlich nur solche e e - trocknete Substanzen Milzbrand h e r v o r r i e f e n . aus w e 1 c h e n bei den gleichzeitig angestellten K u 1 t u r v e r s u c h e n sich s p o r e n h a 1 1 i g e Fäden entwickelten und umgekehrt. Es würde diese Beobachtung allein schon genügen, um die direkte Übertragbarkeit des Milzbrandes als von dem Vorhandensein lebensfähiger Bazillen abhängig zu beweisen. Ehe ich zu den Versuchen über Milzbrandflüssigkeiten übergehe, muß ich eine Reihe von Kulturversuchen bei verschiedenen Temperaturen erwähnen. Es war nur hauptsächlich darum zu tun, die unterste Temperaturgrenze zu finden, bei welcher der Bacillus Anthracis noch keimfähige Sporen zu entwickeln vermag. Es wurden also eine Anzahl Paraffinzellen in der früher beschriebenen Weise mit Nährflüssigkeit und frischen lebenskräftigen Bazillen beschickt und bei verschiedenen Temperaturen aufbewahrt. Da dieses Experiment während des Winters angestellt wurde, so war es mir leicht, einzelne Präparate in einem bis auf 5" abgekühlten Raum zu halten. Die höheren Temperaturen (über 40°) wurden vermittels des heizbaren Objekttisches erhalten. Hierbei stellte sich heraus, daß die Fäden am schnellsten bei 35" wachsen; schon nach 20 Stunden können sie bei dieser Temperatur mit den schönsten Sporen versehen sein. Bei 30" zeigen sich die Sporen etwas später, nämlich nach ungefähr 30 Stunden. Bei noch niedrigerer Tem- peratur wird auch die Entwicklung der Bazillen entsprechend langsamer. Bei 18" bis 20"(Cels.), also gewöhnlicher Zimmertemperatur, brauchen sie ungefähr zwei und einen halben bis drei Tage zur Sporenentwicklung. Unter 18" kommt es nur noch ausnahms- weise zur Sporenbildung und unter 12" habe ich überhaupt kein W^xchstum der Fäden mehr beobachtet. Über 40" wird die Entwicklung der Bazillen kümmerlich und schien mir bei 45" aufzuhören; doch habe ich die Versuche über die oberen Temperaturgrenzen für das Wachstum der Bazillen nicht oft genug wiederholt (da der heizbare Objekttisch immer nur die Beobachtung eines einzelnen Präparates zuläßt), um dieselbe ganz genau angeben zu können. Ich komme nun auf das für die Ätiologie des Milzbrandes so äußerst wichtige Ver- halten der Bazillen in verschiedenen Flüssigkeiten und unter möglichst natürlichen Bedin- gungen. Da von dem mir zu Gebote stehenden Versuchstier, der Maus, nur ein sehr geringes Quantum Blut zu erhalten war und dieses Blut außerdem noch sehr wenige Bazillen ent- hält, so nahm ich frisches Rinderblut oder den von mir mit Vorliebe gebrauchten Humor aqueus, einige Male auch Glaskörper von Rinderaugen und zerrieb in diesen Flüssigkeiten frische bazillenhaltige Mäusemilz, so daß das Gemenge in der Zusammensetzung ungefähr dem Blute, serösen und schleimigen Flüssigkeiten von an Milzbrand gefallenen Tieren glich. Derartige Flüssigkeiten, in ein gut verkorktes Glas gefüllt, nehmen im Brütapparat sehr schnell einen höchst penetranten Fäulnisgeruch an. Die Bazillen sind schon nach 24 Stunden verschwunden, ohne daß sie zu Fäden ausgewachsen wären, und es gelingt dann nicht mehr, damit Milzbrand zu erzeugen. Davon, daß das Absterben der Bazillen in diesem Falle weniger von dem Einfluß der sich entwickelnden Fäulnisgase, welche nicht entweichen können, sondern von dem Mangel an Sauerstoff abhängt, kann man sich leicht durch folgendes Experiment überzeugen. Ein zwischen einem gewöhnlichen r)bjektträger und Deckglas ohne Luftblasen befindlicher bazillenhaltiger Blutstropfen wird durch eine auf den Rand gepinselte Ölschicht luftdicht eingeschlossen und auf dem heizbaren Objekttisch erwärmt. Das Blut zeigt mit dem Mikrospektroskop untersucht anfangs die beiden Streifen des Oxyhämoglobin ; dabei fangen die Bazillen ganz wie in 16 Die Ätiologie der Milzbrand-Kranklieit. den Zellenpräparaten an sich zu verlängern und erreichen nach ungefähr 3 Stunden die 4- bis 5 fache Länge. Dann ist der Sauerstoff verbraucht, es verschwinden die beiden Streifen und es erscheint dafür der zwischen beiden liegende Streifen des reduzierten Hämoglobin. Von diesem Zeitpunkte an hört auch das weitere Wachstum der Bazillen vollständig auf, obwohl noch keine Fäulnisbakterien bemerkt werden und die eigentliche Fäulnis noch nicht eingetreten ist^). An einem solchen Präparate kann man, wenn es bei niedriger Temperatur gehalten wird, in vorzüglicher Weise die Veränderungen der Bazillen beim Absterben studieren. Dieser Vorgang gestaltet sich folgendermaßen. Während frische Bazillen und im kräftigen Wachstum befindliche (mit Ausnahme des Zeitpunktes dicht vor der Sporenbildung) immer einen homogenen glashellen Inhalt haben und nur ganz vereinzelt eine sonst nur durch winklige Knickungen angedeutete Gliederung zeigen, erkennt man in den absterbenden Bazillen als erstes Symptom eine Trübung des Inhalts und eine Sonderung desselben in kürzere Abteilungen. Die Bazillen erscheinen dann mehr oder weniger deuthch gegliedert, namentlich solange noch die äußerst feine Zellenmembran diese Teile scheidenartig umhüllt und zusammenhält. Aber sehr bald verlieren die Bazillen ihre scharfen Konturen, sie scheinen aus kurzen, rundlichen, lose zusammenhängenden Stückchen zu bestehen und zerfallen schließlich vollständig. Die mir vorliegende Abbildung B o 1 1 i n g e r s (1. c. p. 465) ist eine ziemlich getreue Darstellung solcher abgestorbener Bazillen. Ich habe einzelne in dieser Weise zerfal- lende Bazillen in den verschiedensten Präparaten oft tagelang von Zeit zu Zeit beobachtet, habe aber niemals einen Übergang derselben in Mikrokokken oder dergleichen gesehen. Ganz andere Bilder gewähren dagegen bei öfters wiederholter Untersuchung die genannten bazillenhaltigen Flüssigkeiten, wenn der Zutritt von Sauerstoff, und sei es auch nur in sehr geringer Menge, gestattet wird und ihre Temperatur nicht dauernd unter 18" herabsinkt. Sehr gut lassen sich die hierbei eintretenden Veränderungen ver- folgen, wenn ungefähr 10 bis 20 g der Flüssigkeit in einem Uhrglase, auf welches eine nicht festschließende Glasplatte aufgelegt wird, mehrere Tage bei Zimmertemperatur bleiben. Die Flüssigkeit nimmt schon nach 24 Stunden Fäulnisgeruch an, der nach weiteren 24 Stunden gewöhnlich sehr penetrant ist. Dementsprechend finden sich auch sehr bald Mikrokokken und Bakterien in großer Menge. Daneben aber gedeiht der Bacillus Anthracis so gut, als ob er der alleinige Bewohner der Nährflüssigkeit wäre. Seine Fäden erreichen schon nach 24 Stunden eine beträchtliche Länge und haben öfters schon nach 48 Stunden und selbst noch zeitiger Sporen in großer Menge angesetzt'^). Nach der Sporen- entwicklung zerfallen die Fäden und die Sporen sinken zu Boden. Die Vegetation der übrigen Schizophyten, welche zufällig in die Flüssigkeit eindrangen und sich darin ver- mehrten, geht noch tagelang in üppigster Weise weiter. Allmählich aber verschwinden auch diese, der charakteristische Fäulnisgeruch nimmt ab, schließlich bildet sich ein schlammiger Bodensatz und die darüber stehende Flüssigkeit wird arm an geformten Bestandteilen und fast klar. Sie hat zuletzt einen schwachen Geruch nach Leim oder Käse, verändert sich, wenn sie bisweilen durch den Zusatz von destilliertem Wasser vor dem Austrocknen geschützt wird, nicht mehr und ist vollständig ausgefault. Wurden bazillenh altige Substanzen mit destilliertem oder Brunnenwasser mäßig verdünnt, dann verhindert das die Sporenbildung nicht; aber bei stärkerer Verdünnung ^) Im nicht geöffneten Körper eines an Milzbrand gestorbenen Tieres verlängern sich die Bazillen, auch wenn der Kadaver längere Zeit bei einer Temperatur von 18° bis 20" gelassen wird, mir sehr wenig oder gar nicht; offenbar weil der Sauerstoff des Blutes nach dem Tode schnell durch Oxydationsprozesse verbraucht und nicht wieder ersetzt wird. ^) In Paraffinzellen zu gleicher Zeit tind unter denselben Verhältnissen gezüchtete Bazillen wuchsen langsamer und kümmerlicher. Vielleicht wegen des erheblich geringeren Sauerstoffvorrats. Die Ätiologie der INIilzbrand- Krankheit. 17 entwickeln sich die Bazillen nicht mehi-i), sie sterben bald ab und erzeugen ungefähr nach 30 Stunden eingeimpft keinen Milzbrand mehr. Die Nährflüssigkeit muß also eine gewisse, noch näher zu bestimmende Menge an Salzen und Eiweiß enthalten, damit die Bazillen bis zur Sporenbildung kommen können. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die meisten Kadaver der an Milzbrand gefallenen Tiere, welche im Sommer mäßig tief eingescharrt werden oder längere Zeit auf dem Felde, im Stalle, in Abdeckereien liegen, ebenso die blut- und bazillenhaltigen Abgänge der kranken Tiere im feuchten Boden oder im Stalldünger mindestens ebenso günstige Bedingungen für die Sporenbildung des Bacillus Anthracis bieten, als es in den vorher geschilderten Versuchsreihen der Fall ist. Durch diese Experimente würde also der Beweis geliefert sein, daß nicht bloß durch künstliche Züchtung im Ausnahmefalle die Sporen des Bacillus Anthracis entstehen, sondern daß dieser Parasit in jedem Sommer im Boden, dessen Feuchtigkeit das Austrocknen der den Höhlungen des noch lebenden oder schon abgestorbenen milzbrandigen Tieres entströmenden Nährflüssigkeit ver- hindert, seine Keime in unzählbarer Menge ablagert. Daß sich diese Keime im Wasser nicht verändern, aber in Humor aqueus luid Blut- serum wieder zu Bazillen heranwachsen, haben wir früher gesehen. Da ließe sich wohl schon von vornherein annehmen, daß, wenn von diesen Sporen auf irgendeinem Wege eine oder auch mehrere in den Blutstrom eines für Milzbrand empfänglichen Tieres gelangt, hier eine neue Generation von Bazillen erzeugt wird. Um diese Annahme auch experimentell zu prüfen, wurden noch folgende Versuche angestellt. Von zwei mit bazillenhaltigem Blutserum gefüllten, verdeckten Uhrgläsern blieb das eine im Zimmer, das andere wurde in einem kalten Räume (8") aufbewahrt und von beiden täglich 2 Tiere geimpft. Im Blutserum, welches kalt stand, fingen die Bazillen am dritten Tage an körnig und gegliedert zu werden, bis dahin war es wirksam; die später damit geimpften Tiere blieben gesund. Die Impfungen mit dem warmstehenden Blut- serum waren vor und nach der Sporenbildung in den Fäden des Bacillus Anthracis wirk- sam; selbst nach 14 Tagen ließ sich mit solchem gefaulten Blute, welches Bazillensporen enthält, noch mit derselben Sicherheit Milzbrand erzeugen, wie mit frischer stäbchen- haltiger Milz. Die Sporen scheinen sich sehr lange Zeit in faulenden Flüssigkeiten ebenso- gut wie in nicht faulenden keimfähig zu erhalten. Denn mit Glaskörper von Rinder- augen, in welchem ich bei ungefähr 20" Bazillen aus einer Mausemilz zur Sporenbildung kommen ließ und welcher nach 3 Wochen vollständig ausgefault war, konnte noch nach 11 Wochen mit absoluter Sicherheit durch Impfung Milzbrand hervorgerufen werden. Der Bodensatz dieser ausgefaulten Flüssigkeit enthielt sehr viele von kleinen Schleim- flocken zusammengehaltene Bazillensporen, während man in der fast klaren Flüssigkeit bei mikroskopischer Untersuchung oft mehrere Gesichtsfelder durchsuchen mußte, ehe man einige vereinzelte Sporen fand. Von Fäden war natürlich nicht das geringste mehr vorhanden. Bei den Impfungen mit dem sporenreichen Bodensatz und mit der sporen- armen Flüssigkeit stellte sich die interessante Tatsache heraus, daß mit e r s t e r e m , also mit vielen Sporen geimpfte Mäuse nach 24 Stunden, mit letzterer, also mit weniger Sporen geimpfte Mäuse nach 3 bis 4 Tagen an Milzbrand starben. Ich bemerke noch besonders, daß ich diesen Versuch mehrere Male und immer mit demselben Erfolg wiederholt habe. Sporenhaltige Flocken derselben Flüssigkeit wurden 3 Wochen in einem mit Brunnen- wasser gefüllten offenen Reagenzglase aufbewahrt; trotzdem blieben dieselben wirksam bei der damit vorgenommenen Impfung. 1) Z. B. Bazillen in Mauseniilz mit dem zwanzigfachen Quantum destillierten Wassers ver- dünnt, wuchsen nicht. Koch, Gesammelte Werke. 2 18 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. Ebensolche sporenhaltige Substanzen wurden getrocknet, nach einiger Zeit mit Wasser wieder aufgeweicht und dieser Prozedur wiederholt unterworfen; aber sie ver- loren ihre Fähigkeit, Milzbrand zu erzeugen, dadurch nicht. Hiernach wird es nun auch leicht erklärlich, warum die Meinungen der Experimen- tatoren über die Wirksamkeit des getrockneten Milzbrandblutes so weit auseinander- gehen; da der eine frisches, schnell getrocknetes Blut benutzte, welches keine Sporen enthielt und, wie ich früher gezeigt habe, sich höchstens 5 Wochen wirksam erhält; von anderen dagegen wurde mit Blut geimpft, das langsam bei Zimmer- oder Sommertempe- ratur eingetrocknet war und in welchem sich Sporen gebildet hatten. Ich besitze eine kleine Sammlung von Milzbrandsubstanzen, welche unter den verschiedensten Umständen und zu verschiedenen Zeiten getrocknet und in un verstöpselten, enghalsigen Gläsern aufbewahrt sind. Als ich auf die Bedeutung der Sporen in getrockneten Milzbrandmassen aufmerksam wurde, untersuchte ich diese getrockneten Blut-, Milz- und Drüsenstückchen nochmals genau auf ihre Fähigkeit, mit Humor aqueus aufgeweicht in Glaszellen die charakteristischen sporenhaltigen Fäden des Bacillus Anthracis und bei der Impfung Milzbrand entstehen zu lassen. Hierbei stellte sich heraus, daß die in kleinen Stücken schnell getrockneten Teile keine Sporen enthielten und weder Fäden noch Milzbrand hervorzubringen vermochten. Schafmilz dagegen, welche in größeren Stücken im Zimmer langsam getrocknet war, und einige Blutproben, welche in größeren Quantitäten auf- gestellt gewesen waren und mehrere Tage zum vollständigen Eintrocknen gebraucht hatten, enthielten zahlreiche mehr oder weniger freie Sporen und Bruchstücke von sporen- haltigen Fäden. Alle diese sporenhaltigen Substanzen riefen nach der Einimpfung Milz- brand hervor und entwickelten in Nährflüssigkeiten oft die schönsten sporenhaltigen Fäden von Bacillus Anthracis. Wie lange sich die getrockneten Sporen keimfähig halten, läßt sich zurzeit nicht mit Bestimmtheit angeben; wahrscheinlich wird dieser Zeitraum eine längere Reihe von Jahren umfassen; wenigstens habe ich mit Schaf blut, welches vor fast 4 Jahren getrocknet ist, noch in letzter Zeit vielfach Impfungen ausgeführt, welche ausnahmslos tödlichen Milzbrand bewirkten^). Mehrfach ist die Identität der durch Impfungen mit Milzbrandblut hervorgerufenen Krankheit mit Septicämie und ebenso das umgekehrte Verhältnis behauptet worden. Um diesen Einwand, der möglicherweise auch meinen mit faulenden Milzbrandsubstanzen angestellten Impfversuchen gemacht werden könnte, zu begegnen, habe ich mit faulendem Blute von gesunden Tieren, mit bazillenfreiem faulenden Humor aqueus und Glaskörper Mäuse mehrfach geimpft. Dieselben blieben fast immer gesund, nur 2 Mäuse starben von 12 geimpften, und zwar einige Tage nach der Impfung; sie hatten vergrößerte Milz, aber diese sowohl wie das Blut waren vollständig frei von Bazillen. Ferner wurden Tiere mit faulendem Glaskörper geimpft, in welchem sich eine dem Bacillus Anthracis sehr ähnliche Bazillusart spontan entwickelt hatte. Die Sporen der beiden Bazillusarten waren weder in Größe noch sonstigem Aussehen voneinander zu unterscheiden; nur die Fäden des Glaskörper-BaziUus waren kürzer und deutlich gegliedert. Alle Impfungen mit diesen mehrmals von mir auf Glaskörper gefundenen Bazillen und mit ihren Sporen vermochten keinen Milzbrand zu erzeugen. Auch solche Tiere, welche mit Sporen der im Heu-Infus von Prof. F. Cohn gezüchteten Bazillen geimpft wurden, blieben gesund. Dagegen habe ich mehrfach mit Sporenmassen, welche in Glaszellen gezüchtet waren und, wie ich mich vorher durch mikroskopische Untersuchungen versicherte, aus ganz reinen Kulturen von Bacillus Anthracis stammten, geimpft und jedesmal starben die geimpften Tiere an Milz- ''-) Die beim Bearbeiten von Häuten, Haaren und dgl. entstandenen Milzbranderkrankungen bei Menschen können, wenn diese Gegenstände schon vor Jahren getrocknet sind, nur durch sporen- haltige Staubteile veranlaßt sein. Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. 19 brancl. Es folgt hieraus, daß nur eine Bazillusart imstande ist, diesen spezifischen Krank- heitsprozeß zu veranlassen, während andere Schizophyten durch Impfung gar nicht oder in anderer Weise krankheitserregend wirken. Es könnte auffallend erscheinen, daß von meinen mit faulendem Blute geimpften Versuchstieren nur ausnahmsweise eins an Septicämie zugrunde ging; demgegenüber bemerke ich, daß ich nicht, wie es gewöhnlich üblich ist, das faulende Blut nach Kubikzentimetern einspritzte, sondern nur eine verschwindend kleine Menge desselben dem Körper des Tieres einimpfte und damit natürlich die Wahrscheinlichkeit, die im Blute vielleicht sparsam vorhandenen septisch wirkenden Formelemente in den Blutstrom zu bringen, sehr verringert wird. Daß die Sporen des Bacillus Antliracis Milzbrand hervorrufen, wenn sie direkt in den Säftestrom des Tierkörpers gebracht werden, ist durch die zuletzt besprochenen Versuche wohl hinreichend bewiesen. Die Sporen müssen also wirksam werden, sobald sie in getrocknetem Zustande als Staubpartikelchen oder in Flüssigkeiten suspendiert auf Wunden, wenn diese auch noch so klein sind, gelangen. Man dürfte wohl kaum eines unserer Haustiere finden, dessen Haut nicht mit einigen Kratzwunden oder kleinen, durch Scheuern, Reiben und dgl. entstandenen Hautabschürfungen versehen ist und damit dem gefährlichen Schmarotzer einen bequemen Eingang darbietet. Trotzdem ist damit noch nicht gesagt, daß die Milzbrandsporen nur auf diesem Wege einzuwandern vermögen. Es müssen, um die Milzbrandätiologie vollständig zu haben, auch die Ver- dauungswege und die Respirationsorgane auf ihre Resorptionsfälligkeit für Milzbrand- liazillen und deren Sporen untersucht werden. Um zu sehen, ob das Milzbrandkontagium vom Verdauungskanal aus in den Körper eindringen kann, habe ich zuerst Mäuse mehrere Tage lang mit frischer Milz von Ka- ninchen und vom Schaf, welche an Milzbrand gestorben waren, gefüttert. Mäuse sind außerordentlich gefräßig und nehmen in kurzer Zeit mehr als ihr Körpergewicht beträgt an milzbrandigen Massen auf, so daß also ganz erhebliche Mengen von Bazillen den Magen und Darm der Versuchstiere passierten. Aber es gelang mir nicht, dieselben auf cliese Weise zu infizieren. Dann mengte ich den Tieren sporenhaltige Flüssigkeit unter das Futter; auch das fraßen sie ohne jeden Nachteil; auch durch Fütterinig größerer Mengen von sporenhaltigem, kurz vorher oder schon vor Jahren getrocknetem Blute konnte kein Milzbrand bei ihnen erzeugt werden. Kaninchen, welche zu verschiedenen Zeiten mit sporenhaltigen Massen gefüttert wurden, blieben ebenfalls gesund. Für diese beiden Tierspezies scheint demnach eine Infektion vom Darmkanal aus nicht möglich zu sein. Über das Verhalten der mit Staub in die Atmungsorgane gelangten Sporen vermag ich bis jetzt nichts anzugeben, da es mir noch nicht möglich war, darauf bezügliche Ver- suche anzustellen. Ich schließe hier noch einige Versuchsreihen und Beobachtungen an, welche nicht direkt mit der Ätiologie des Milzbrandes in Verbindung stehen, aber doch Interesse genug bieten, um mitgeteilt zu werden. Den schon von B r a u e 1 1 gemachten Versuch, sowohl mit dem bazillenhaltigen Blute trächtiger Tiere, als mit dem bazillenfreien Blute des Fötus derselben zu impfen, habe ich mit einem trächtigen Meerschweinchen und 2 trächtigen Mäusen wiederholt. Das Resultat war das nämliche wie bei dem Experiment von B r a u e 1 1 ; die mit dem mütterlichen Blute geimpften Tiere starben an Milzbrand, die mit dem fötalen Blute geimpften blieben gesund. Um zu sehen, wie bald nach der Impfung die ersten Bazillen im Blute oder in der Milz der geimpften Tiere sich einfinden, wurden 9 Mäuse zu gleicher Zeit geimpft. Nach 2, 4, 6. 8, 10, 12, 14 und 16 Stunden wurde jedesmal eine dieser Mäuse durch Chloroform getötet und Blut sowohl als Milz sofort untersucht. In den 6 ersten Tieren wurden kerne Bazillen gefunden. Erst in der Milz der 14 Stunden nach der Impfung 20 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. getöteten Maus zeigten sich vereinzelte Bazillen. Bei der Maus, welche 16 Stunden ge- lebt hatte, fanden sich schon mehr Bazillen und die Milz war vergrößert. Die letzte starb nach 17 Stunden unter den gewöhnlichen charakteristischen Symptomen; ihre Milz war erheblich vergrößert und vollgestopft mit dichten Bazillenmassen. Das Eindringen der Bazillen in den Blutstrom scheint also langsam vor sich zu gehen, aber wenn sie erst einmal hineingelangt sind und hier in ilirer eigentlichen Heimat festen Fuß gefaßt haben, vermehren sie sich in der üppigsten Weise. Außer an Mäusen, Kaninchen und Meerschweinchen habe ich Impfversuche an zwei Hunden, einem Rebhuhn und einem Sperling gemacht. Obwohl ich diese Tiere wieder- holt mit ganz frischem Material impfte, so ist es mir doch nicht gelungen, sie mit Milz- brand zu infizieren. Auch Frösche sind ganz unempfänglich für Impfungen mit Bacillus Anthracis oder dessen Sporen. Als ich einigen Fröschen größere Stücke Milz von an Milzbrand gestorbenen Mäusen unter die Rückenhaut brachte, die Tiere nach 48 Stunden tötete und untersuchte, stellte sich folgender bemerkenswerte Befund heraus. Das Blut der Frösche war vollkommen frei von Bazillen. Die Mausemilz war mit ihrer Umgebung leicht verklebt und hatte statt ihrer dunkelbraunroten Farbe eine mehr hellgraurote angenom- men. Bei der mikroskopischen Untersuchung derselben finden sich in der Mitte noch unveränderte Bazillen in großer Menge, aber in den äußeren Schichten trifft man auf viele Bazillen, welche dicker geworden sind und sich verlängert haben, und zwischen diesen sieht man eigentümliche Gebilde in großer Zahl ; nämlich mehr oder weniger regel- mäßig spiralförmig gewundene Bazillen, welche teils frei sind, teils aber auch von einer sehr dünnwandigen Kapsel eingeschlossen werden. Die Erklärung für diese ungewöhn- liche Gestaltung der Bazillen ist leicht zu finden, wenn man die fast gallertartige, an- scheinend von der Froschhaut ausgeschiedene äußerste Umhüllungsschicht der Milz untersucht (Fig. 7). Diese Schicht besteht aus großen, in eine strukturlose zähflüssige Grundsubstanz eingebetteten Zellen, welche fast die Größe der Froschblutkörperchen erreichen (Fig. 7a). Dieselben sind trotz ihrer Größe sehr blaß und zart, haben einen sehr deutlichen Kern mit Kernkörperchen und enthalten viele sehr kleine, in lebhaftester Molekularbewegung befindliche Körnchen. In den meisten von diesen Zellen nun befinden sich einzelne oder mehrere kurze gerade Bazillen, in anderen etwas gekrümmte, geknickte, zu Haufen und Bündeln vereinigte und vorzugsweise spiralförmig gedrehte Bazillen (Fig. 7b). Sobald die Zellen mehrere Bazillen beherbergen, erscheinen die Molekular- körnchen in ihnen vergrößert, nimmt aber die Bazillenwucherung in ihnen überhand, dann verschwinden diese Körnchen und zuletzt auch der noch am längsten zu erkennende Kern. Daß die als kurze Stäbchen von den Zellen aufgenommenen Bazillen in diesen wachsen und, nachdem sie das Innere derselben unter Bildung von verschiedenen Knickun- gen und Krümmungen ausgefüllt haben, schließKch sprengen, geht daraus hervor, daß man neben den freigewordenen Bazillen- Spiralen (Fig. 7g) und -Bündeln zusammen- gefallene und leere Zellmembranen als letzten Rest der zerstörten Zellen findet (Fig.7c)^). Ganz besonders schön sind diese bazillenhaltigen Zellen zu sehen, wenn dem Prä- parat etwas destilhertes Wasser zugesetzt wird. Die Zellen quellen dadurch etwas auf, ihr Inhalt wird deutlicher, und wenn sie durch die Flüssigkeitsströmungen fortgerissen in eine roUende Bewegung versetzt werden, kann man sich leicht die Uberzeugung ver- schaffen, daß auch einzelne Bazillen wirklich im Innern der ^) Zu mehr als mittlerer Länge wachsen die Fäden unter der Froschhaut nicht aus, ich habe auch niemals Sporenentwicklung in denselben gesehen. Nach mehreren Tagen wird ihre Zahl ge- ringer, sie scheinen allmählich zu zerfallen, doch habe ich bei einem Frosche 10 Tage nach Trans- plantation der Mausemilz noch lange Fäden und bazillenhaltige ZeUen gefunden. Die Ätiologie der Milzbiand-Kranklieit. 21 Zelle, und zwar gewöhnlich dicht neben dem Kern liegen und nicht etwa nur in die weiche Zellen-Oberfläche eingedrückt sind. Man hat schon vielfach die Vermutung ausgesprochen, daß die amöboiden Zellen des Tierkörpers, also vor allem die weißen Blutkörperchen, in derselben Weise, wie sie den leicht nachweisbaren künstlich ins Blut eingeführten Farbekörnchen den Eingang in ihr Protoplasma gestatten, so auch die in die Blutbahn eingedrungenen Mikrokokken aufzunehmen vermögen. Soviel ich weiß, ist es jedoch bis jetzt nicht gelungen, die weder durch ihre Form noch durch ihre Reaktionen von den Molekularkörnchen dieser Zellen scharf unterschiedenen Mikro- kokken als solche mit Bestimmtheit nachzuweisen. Auch scheint bis jetzt überhaupt kein vollkommen sicheres Beispiel für das Vorkommen von schizophytenhaltigen lebenden tierischen Zellen bekannt zu sein, und ich habe deswegen von den vorhin beschriebenen Zellen in Fig. 7 eine Abbildung gegeben. Diese Beobachtung steht insofern nicht ver- einzelt, als ich bei anderen Fröschen, nachdem faules getrocknetes Blut unter die Rücken- haut gebracht war, dieselben Zellen gefunden habe; aber in diesem Falle enthielten sie ganz andere kurzgliederige Bazillen, welche meistens mit einer Dauerspore versehen waren (Billroths Helobakterien). Auch in der frisch untersuchten Milz eines an Milzbrand gefallenen Pferdes (die einzige, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte) waren neben sehr zahlreichen freien Stäbchen große blasse Zellen, meistens mit mehreren Kernen vorhanden, von denen viele eine '), bis zehn und mehr Bazillen enthielten. IV. Ätiologie des Milzhrmides. Werfen wir nun einen Blick zurück auf die bis jetzt gewonnenen Tatsachen und versuchen wir mit ihrer Hilfe die Ätiologie des Milzbrandes festzustellen, so dürfen wir uns nicht verhehlen, daß zur Konstruktion einer lückenlosen Ätiologie noch manches fehlt. Vor allem ist nicht zu vergessen, daß sämtliche Tier- experimente an kleinen Nagetieren angestellt sind. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß die Wiederkäuer, die eigentlichen Wohntiere des uns beschäftigenden Parasiten, sich diesem gegenüber sehr verschieden von Nagetieren verhalten sollten. Aber schon bei den Impf versuchen besteht insofern ein Unterschied, daß kleine Tiere nach 24 bis 30 Stunden, große erst nach mehreren Tagen sterben. Könnten nicht vielleicht während dieser längeren Zeit die Bazillen an irgendeiner Stelle des tierischen Körpers zur Sporen- bildung kommen ? Oder gelangen sie überhaupt niemals im lebenden Körper zur An- setzung von Sporen ? Ferner sind die Fütterungsversuche mit Bazillen und Sporen bei Nagetieren mit ihrem negativen Resultat durchaus nicht maßgebend für Wiederkäuer, deren ganzer Verdauungsprozeß doch wesentlich anders ist. Einatmungsverguche mit sporenhaltigen Massen fehlen noch ganz. Auch sind Versuche über das Verhalten größerer Milzbrandkadaver bei verschiedenen Temperaturen, in verschiedenen Bodentiefen und Bodenarten (Ton-, Kalk-, Sandboden, trockener Boden, feuchter Boden, Einfluß des Grundwassers) in bezug auf die Sporenbildung der Bazillen noch nicht gemacht und es würde doch von höchstem praktischen Wert sein, gerade hierüber sichere Kenntnis zu erlangen. Noch eine Menge Einzelheiten über das Verhalten der Bazillen und ihrer Sporen gegen zerstörende oder ihre Entwicklung hindernde Stoffe, über den Vorgang ihrer Einwanderung in die Blut- und Lymphgefäße müßten erforscht werden. Wenn aber auch noch manche Frage über diesen bisher so rätselhaften Parasiten zu lösen ist, so liegt sein Lebensweg jetzt doch soweit vor uns offen, daß wir die Ätiologie der von ihm ver- anlaßten Krankheit wenigstens in den Grundzügen mit voller Sicherheit feststellen können. Vor der Tatsache, daß Milzbrandsubstanzen, gleichviel ob sie verhältnismäßig frisch oder ausgefault oder getrocknet und Jahre alt sind, nur dann Milzbrand zu erzeugen vermögen, wenn sie entwicklungsfähige Bazillen oder Sporen des Bacillus Anthracis ') ]\Iuß wohl ,, einen" heißen. D. Herausgeber. 22 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. enthalten, vor dieser Tatsache müssen alle Zweifel, ob der Bacillus Anthracis wirklich die eigentliche Ursache und das Kontagium des Milzbrandes bildet, verstummen. Die Über- tragung der Krankheit durch feuchte Bazillen im ganz frischen Blut kommt in der Natur wohl nur selten vor, am leichtesten noch bei Menschen, denen beim Schlachten, Zerlegen, Abhäuten von milzbrandigen Tieren Blut oder Gewebssaft in Wunden gelangt. Häufiger wird wahrscheinhch die Krankheit durch getrocknete Bazillen veranlaßt, welche, wie nachgewiesen wurde, ihre Wirksamkeit einige Tage, im günstigsten Falle gegen 5 Wochen erhalten können. Diirch Insekten, an Wolle und dergleichen haftend, namentlich mit dem Staub, können sie auf Wunden gelangen und dann die Krankheit hervorrufen. Bazillenhaltige Massen, welche in Wasser gelangen und dort stark verdünnt werden, verlieren sehr bald ihre Wirksamkeit und tragen zur Verbreitung des Milzbrandes wahr- scheinhch nur ausnahmsweise bei. Die eigenthche Masse der Erkrankungen aber, welche fast immer unter solchen Verhältnissen eintritt, daß die eben genannten Übertragungsweisen ausgeschlossen werden müssen, kann nur durch die Einwanderung von Sporen des Bacillus Anthracis in den Tierkörper verursacht werden. Denn die Bazillen selbst können sich in dauernd trockenem Zustande nur kurze Zeit lebensfähig erhalten und vermögen deswegen sich weder im feuchten Boden zu halten, noch den wechselnden Witterungsverhältnissen (Niederschlägen, Tau) Widerstand zu leisten, während die Sporen dagegen in kaum glaublicher Art und Weise ausdauern. Weder jahrelange Trockenheit, noch monatelanger Aufenthalt in faulender Flüssigkeit, noch wiederholtes Eintrocknen und Anfeuchten vermag ihre Keimfähigkeit zu stören. Wenn sich diese Sporen erst einmal gebildet haben, dann ist hinreichend dafür gesorgt, daß der Milzbrand auf lange Zeit in einer Gegend nicht erlischt. Daß aber die Möghchkeit zu ihrem Entstehen oft genug gegeben ist, wurde früher schon hervor- gehoben. Ein einziger Kadaver, welcher unzweckmäßig behandelt wird, kann fast un- zähUge Sporen hefern, und wenn auch Millionen von diesen Sporen schließlich zugrunde gehen, ohne zur Keimung im Blute eines Tieres zu gelangen, so ist bei ihrer großen Zahl doch die Wahrscheinlichkeit nicht gering, daß einige vielleicht nach langer Lagerung im Boden oder im Grundwasser, oder an Haaren, Hörnern, Lumpen und dergleichen angetrocknet als Staub, oder auch mit Wasser auf die Haut der Tiere gelangen und hier direkt durch eine Wunde in die Blutbahn eintreten, oder auch später durch Reiben, Scheuern und Kratzen des Tieres in kleine Hautabschilf erungen eingerieben werden. MöghcherVeise dringen sie auch von den Luftwegen oder vom Verdauungskanal aus in die Blut- oder Lymphgefäße ein. Wenn es nun gelungen ist, die Art und Weise der Verbreitung des Milzbrandes und die Bedingungen aufzufinden, unter denen das Kontagium sich immer wieder von neuem erzeugt, sollte es da nicht möglich sein, unter Berücksichtigung jener Bedingungen das Kontagium, also den Bacillus Anthracis, in seiner Entwicklung zu hindern und so die Krankheit auf ein möglichst geringes Maß zu reduzieren, vielleicht sogar gänzlich auszurotten ? Daß diese Frage ein nicht geringes Interesse beansprucht, mag daraus hervorgehen, daß nach S p i n o 1 a ^) ein einziger preußischer Kreis (Mansfelder See- kreis) jährlich für 180 000 Mk. Schafe durch Milzbrand verliert, daß allein im Gouverne- ment Nowgorod in den Jahren 1867 bis 1870 über 56 000 Pferde, Kühe und Schafe und außerdem 528 Menschen an Milzbrand zugrunde gingen^). Die jetzt bestehenden Maßregeln gegen den Milzbrand beschränken sich auf Anzeige - pfhcht, Vergraben der Kadaver in mäßig tiefen Gruben, Desinfektion und Absperrung des von der Seuche befallenen Ortes. Ganz abgesehen davon, daß erfahrungsgemäß 1) Pappenheim, Sanitätspolizei, Bd. II, p. 276. ^) Grimm (Virchows Archiv, Bd. 54, p. 262) zitiert nach B o 1 1 i n g e r, 1. c. p. 469. Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. 23 wegen der höchst lästigen Sperrmaßregeln die wenigsten Milzbrandfälle angezeigt werden und daß der gerade unter den Schafen am meisten verbreitete Milzbrand fast ganz un- beachtet bleibt und vernachlässigt wird, so muß offenbar das Eingraben der Kadaver in den feuchten Erdboden die Bildung von Sporen und damit die Fortpflanzung des K o n t a g i u m s eher fördern als dieselbe verhindern. Bis jetzt ist es anscheinend auch noch nirgends wo gelungen, auf diese Weise den Milzbrand dauernd zu beseitigen. Im Gegenteil hat 0 e m 1 e r ') seinen Schaf Verlust an Milzbrand von 21% pro anno auf 2% herabgebracht, nachdem er das Verscharren aller Kadaver ohne Ausnahme auf Feldern und Weiden auf das strengste untersagt hatte. Wir müssen uns also nach anderen Mitteln umsehen, um die Herden von diesem Würgeengel zu befreien und Tausende von Menschen vor einem qualvollen Tode zu schützen. Das sicherste Mittel wäre, alle Substanzen, welche Bacillus Anthracis enthalten, zu vernichten. Da es aber nicht ausführbar ist, diese Menge von Kadavern, wie sie der Milzbrand liefert, durch Chemikalien oder Siedehitze unschädlich zu machen oder gar durch Verbrennen aus dem Wege zu schaffen, so müssen wir auf dieses Radikalmittel verzichten. Wenn es aber auch nur gelänge, die Entwicklung der Bazillen zu Sporen zu verhindern oder wenigstens auf ein Minimum zu reduzieren, dann müßten schon die Milzbranderkrankungen immer mehr und mehr abnehmen und schließlich verschwinden. Da die Bazillen, wie wir gesehen haben, zur Sporenbildung Luftzufuhr, Feuchtig- keit und eine höhere Temperatur als ungefähr 15'^ nötig haben, so muß es genügen, ihnen eine dieser Bedingungen zu nehmen, um sie an der Weiterentwicklung zu hindern. Die schnelle Austrocknung großer Kadaver würde besondere Apparate erfordern und selbst größere Schwierigkeiten machen als das Verbrennen. Dagegen könnte man ohne er- hebliche Mühe und Kosten die Milzbrandkadaver längere Zeit, auch selbst im Sommer, unter 15^ abkühlen, ihnen gleichzeitig den Sauerstoffzutritt beschränken und auf diese Weise die Bazillen zum Absterben bringen. Wenn man nämlich bedenkt, daß im mitt- leren Europa, also namentlich in Deutschland, in einer Bodentiefe von 8 bis 10 Metern eine fast konstante Temperatur herrscht, welche dem Jahresmittel sehr nahekommt, also auf jeden Fall unter 15*^ C bleibt, so brauchte man nur geräumige Brunnen oder Gruben von dieser Tiefe anzulegen und die Milzbrandkadaver darin zu versenken, um die Bazillen zu vernichten und die Kadaver dadurch unschädlich zu machen. Je nach der Durchschnittszahl der Milzbrandfälle müßten derartige Gruben in geringer oder großer Zahl für bestimmte Bezirke gemacht werden. Dieselben würden sich in mäßiger Entfer- nung von den Wirtschaftsgebäuden befinden und natürlich mit einem sicheren Verschluß zu versehen sein. Man würde dadurch zugleich den nicht zu unterschätzenden Vorteil erlangen, daß nicht, wie es jetzt gewöhnlich geschieht und wie ich aus eigener Erfahrung weiß, die vorschriftsmäßig oder auch vorschriftswidrig vergrabenen Milzbrandkadaver regelmäßig von Dieben (oft genug von denselben Leuten, welche sie am Tage eingescharrt haben) des Nachts wieder herausgeholt, zerteilt und überallhin verschleppt werden. Vielleicht verhindert auch der Einfluß gewisser Bodenarten oder ein gewisser Feuchtigkeitsmangel und tiefer Grundwasserstand die Sporenentwicklung, worauf das an bestimmte Gegenden gebundene Vorkommen des Milzbrandes und die Abnahme desselben nach ausgedehnten Meliorationen und Entwässerimgen hindeutet. Der von Buhl berichtete Fall'-), daß Milzbrand unter Pferden auf dem Gestüte Neuhof bei Donauwörth vollkommen aufhörte, als man auf den Rat v. P e 1 1 e n k o f e r s 1) B o 1 1 i n g e r, 1. c. \>. 4.j3. -) B o 1 1 i n g e r, 1. c. p. 45.5. 24 Die Ätiologie der Milzbrand-Krankheit. den Stand des Grundwassers durch Drainage herabgesetzt hatte, würde gleichfalls hierher gehören. Auf jeden Fall ist die Möglichkeit, die Entwicklung der Milzbrandsporen zu ver- hüten, gegeben, und das große Interesse, welches diese Angelegenheit beansprucht, müßte zu weiteren Versuchen in der angegebenen Richtung auf geeigneten Versuchsstationen dringend auffordern. Eine Wahrnehmung, welche ich in hiesiger Gegend über das Vorkommen des Milz- brandes gemacht habe, schließe ich hier noch an, weil dieselbe für die Milzbrandprophy- laxis wohl zu berücksichtigen ist. Es ist nämlich auffallend, daß der Milzbrand das ganze Jahr hindurch fast ohne Unterbrechung unter den Schafen herrscht. In den größeren Herden fallen fast niemals viele Schafe auf einmal, sondern gewöhnlich einzelne oder wenige in Zwischenräumen von einigen Tagen oder Wochen. Rinder werden weit seltener und nur in großen Pausen befallen, so daß öfters mehrere Monate, ein halbes Jahr und noch längere Zeit zwischen den einzelnen Fällen liegen. Bei Pferden tritt Milzbrand hier nur ganz ausnahmsweise auf. Es scheint demnach, daß das Schaf das eigentliche Wohn- tier des Bacillus Anthracis ist und daß er nur unter besonderen Verhältnissen gelegentlich Exkursionen auf andere Tierarten macht. Für diese Ansicht spricht auch die Beobachtung von Leonhardt 1), daß in Bönstadt, welches sehr viel durch Milzbrand litt, derselbe unter den Rindern fast vollkommen erlosch, nachdem man die Schafe abgeschafft hatte, welche im Sommer massenhaft an Milzbrand fielen. Es- folgt aber daraus, daß bei allen Maßregeln gegen die Seuche der Milzbrand unter den Schafherden die meiste Beachtung verdient. V. Vergleich des Milzbrandes mit anderen Infektions- Krankheiten. Damit, daß der Milzbrand auf seine eigentlichen Ursachen zurückgeführt wurde, ist es gleichzeitig zum ersten Male gelungen, Licht über die Ätiologie einer jener merkwürdigen Krankheiten zu verbreiten, deren Abhängigkeit von Bodenverhältnissen genügend aufzuklären weder den Anstrengungen der Forschung, noch den kühnsten und verwickeltsten Hypothesen bislang möglich gewesen ist. Es liegt deswegen sehr nahe, einen Vergleich zwischen Milz- brand und den durch ihre Verbreitungsweise ihm nahestehenden Krankheiten, vor allem mit Typhus und Cholera anzustellen. Mit Typhus hat der Milzbrand Ähnlichkeit durch die Abhängigkeit vom Grund- wasser, durch die Vorliebe für Niederungen, durch das über das ganze Jahr verteilte sporadische Auftreten und das daneben eintretende Anschwellen der Erkrankungsfälle zur Epidemie im Spätsommer. Die ersten der obengenannten Punkte treffen auch für die Cholera zu ; in einer Hinsicht aber stimmt das Kontagium der Cholera mit dem des Milzbrandes in so eigentümlicher Weise zusammen, daß wohl die Annahme eines reinen Zufalls ausgeschlossen werden muß. v. Pettenkofer hat darauf hingewiesen, daß das Cholera-Kontagium auf Schiffen, wenn diese kein Land berühren, meist in 3 bis 4 Wochen abstirbt, nur wenn dasselbe vor dieser Zeit wieder in geeigneten Boden gelangt, vermag sich die Krankheit weiter zu verbreiten. Nehmen wir nun einmal an, daß der Milzbrand eine Krankheit wäre, welche in Indien heimisch ist, und daß von dieser Krank- heit befallene Tiere nur nach vier- bis fünfwöchenthcher Seefahrt zu uns gelangen könnten, dann würde geradeso wie bei der Cholera eine Verschleppung auf dem Seewege nicht möglich sein, da sich aus Mangel an feuchtem Boden keine Sporen bilden könnten und die etwa an Gegenständen eingetrockneten Bazillen schon vor Beendigung der Fahrt abgestorben wären. Würden wir noch ferner annehmen, daß der Milzbrand eine Krank- heit sei, die nicht durch große Bazillen, sondern durch andere außerordentlich kleine, M B oll Inger, 1. c. p. 453. Die Ätiologie der Älilzljiand-Krankheit. 25 an der Grenze des Sichtbaren stehende Schizophyten erzeugt werde, welche nicht frei im Bhite, sondern (wie die Bazillen in der Pferdemilz) in den weißen Blutkörperchen, in den Zellen der Lymphdrüsen und der Milz versteckt, ihre cleletäre Wirkung ausübten, dann müßte man diesen Schizophyten eine noch viel nähere Verwandtschaft mit dem Kontagium der Cholera und des Typhus zugestehen. Keine Substanz könnte in der Tat eine größere Ähnlichkeit mit dem Kontagium dieser Krankheit besitzen, als ein der- artiges Milzbrandkontagium. Bei solchen Betrachtungen regt sich unwillkürlich die Hoffnung, daß auch das Typhus- und Cholera-Kontagium in Form von Kugelbakterien oder ähnlichen Schizo- phyten aufzufinden sein müsse. Dem stehen jedoch die erheblichsten Bedenken entgegen. Vorausgesetzt nämlich, daß diese Krankheiten von einem belebten Kontagium abhängen, so muß angenommen werden, daß dasselbe unsern optischen Hilfsmitteln schwer oder gar nicht zugänglich ist, da viele der geübtesten Mikroskopiker es bis jetzt vergeblich ge- sucht haben. Sollte ein derartiges Kontagium noch gefunden werden, dann würde uns außerdem, da Typhus und Cholera nicht auf Tiere zu übertragen ist, das einzige Mittel fehlen, um uns stets von der Identität der möglicherweise in ihrer äußeren Gestalt wenig charakteristischen Schizophyten zu überzeugen. Also gerade das, was die Untersuchungen über das Milzbrand-Kontagium so einfach und so sicher macht, nämlich die unverkennbare Form der Bazillen und die durch Impfung fortwährend über sie ausgeübte Kontrolle, würden für Typhus und Cholera fehlen. Trotzdem dürfen wir uns durch die für manche Krankheiten vorläufig noch unüberwindlich erscheinenden Hindernisse nicht abschrecken lassen, dem Ziele, so weit als unsere jetzigen Hilfsmittel es zulassen, nachzustreben. Nur darf man nicht, wie bisher, mit dem Schwierigsten beginnen. Erst muß das Nahe- liegende erforscht werden, was von unseren Hilfsmitteln noch erreicht werden kann. Durch die hierbei gewonnenen Restiltate und Untersuchungsmethoden müssen wir uns dann den Weg zum Ferneren und Unzugänglicheren zeigen lassen. Das vor- läufig Erreichbare auf diesem Gebiete ist die Ätiologie der infektiösen Tierkrankheiten und derjenigen menschlichen Krankheiten, welche, wie Diphtheritis, auf Tiere übertragen werden können. Diese Krankheiten gestatten uns, die für diese Untersuchungen aUein nicht mehr ausreichende Kraft des Mikroskops durch das Tierexperiment zu ergänzen. Nur mit Zuhilfenahme einer so gewonnenen vergleichenden Ätiologie der Infektions- krankheiten wird es möglich sein, das Wesen der Seuchen, welche das menschliche Ge- schlecht so oft und so schwer heimsuchen, zu ergründen und sichere Mittel zu finden, um sie fernhalten zu können. Wo 11 st ein, Großherzogtum Posen, 27. Mai 1876. Figuren-Erklärung. Tafel I. Fig. 1 — 7 Milzbrandbazillen {Bacillus Anthracis). Fig. .1. Milzbrand&agiZ/en vom Blut eines Meerschweinchens; die Bazillen als glashelle Stäbchen, zum Teil niit beginnender Querteilung oder geknickt, a weiße, b rote BlutköriDerchen (p. 8). Fig. 2. MilzbrandbastZZen aus der Milz einer Maus, nach dreistündiger Kultur in einem Tropfen Humor aqueus, in Fäden auswachsend; um das 3 — 8 fache verlängert, zum Teil geknickt und gekrümmt (p. 8). Fig. 3. Gesichtsfeld aus dem nämlichen Präparat nach zehnstündiger Kultur; die Bazillen in lange Fäden ausgewachsen, die oft zu Bündeln umeinander geschlungen sind : a in einzelnen Fäden erscheinen stärker lichtbrechende Körnchen in regelmäßigen Abständen (p. 8). Fig. 4. Gesichtsfeld aus dem nämlichen Präparat nach 24 stündiger Kultur; a in den Fäden haben sich länglich runde Sporen perlschnurartig in regelmäßigen Abständen entwickelt ; b manche Fäden sind in Auflösung begriffen, die Sporen frei, einzeln oder in Häufchen zusammen- geballt (p. 9). Fig. 5. Keimung der Sporen: a mit Hartnack 9 Imm. von Koch, b mit S e i b e r t 8 Imm. von Cohn gezeichnet (vgl. p. 13). Die Spore verlängert sich in ein walzenförmiges Körper chen, die stark lichtbrechende Masse bleibt an einem Pole liegen, wird kleiner, zerfällt in 2 oder mehr Partien und ist schließlich ganz verschwunden. Fig. 6. Darstellung der Kultur der MilzbrandöasiZZen in einem hohlgeschliffenen, mit einem Deck- glas bedeckten, vermittels Olivenöl ringsum luftdicht abgeschlossenen und durch einen heizbaren M. S c h u 1 z e sehen Objekttisch auf Blutwärme erhitzten Objektträger; natürl. Größe. Die Bazillen befinden sich in einem Tropfen von frischem Humor aqueus ; schon mit bloßen Augen erkennt man die von der Stelle der Aussaat in den Tropfen hineingewucherten, leicht flottierenden, äußerst feinen Fadenmassen (p. 9). Fig. 7. Gesichtsfeld aus der Unihüllvingsschicht eines unter die Rückenhaut eines Frosches ge- brachten Stückchens von der Milz einer milzbrandigen Maus; die Schicht besteht aus großen, kernhaltigen Zellen a; in einzelnen Zellen sind mehrere kiurze, etwas geknickte oder gekrümmte, zu Haufen vereinigte oder spiralig gedrehte Bazillen (b) aufgenommen, welche in den Zellen weiterwachsen und diese zuletzt sprengen; c zusammengefallene Zellmembranen, g freigewordene Bazillenspiralen; e Blutkörperchen des Frosches; auch vmveränderte Bazillen sind sichtbar (p. 20). Die Figuren 1 — 7 sind mit Vergrößerung = 650 (gezeichnet mit Hartnack Immers. 9), 5b = Ver- größerung 1650 (gezeichnet mit Seibert Immers. 8). Koch, Gesammelte Werke Tafel 1 o o o o o o Oo c6 o o Fif).. Fig.fi. Fig. 7. O " O Q 13» co> o o O O CD 6^ 99 0 o«, 0 0 0 o 0 0 "c 0 0 0 "0 0 0 0 C I) 0 fig.H. ""^ \ Fig.S. 0^0 0 öi°gS.^ "000 Oooo Fiff.fO. Aetiologic der Milzbrnndkrankhcit. Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren und Photographieren der Bakterien. ) " Voll Dr. R. Koch, Kieisphysikus in Wollstein. Hierzu Lichtdruektafel II und III. 1. Die letzten Jahre haben erhebliche Verbesserungen in den Methoden zur Unter- suchung der Bakterien gebracht. So hat namentlich die durch Dr. Weigert-) ver- vollkommnete Hämatoxylinfärbung wesentlich zur Kenntnis der Bakterienverbreitung in tierischen Geweben beigetragen. Von Dr. S a 1 o m o n s e n ^) ist eine eigentümliche Art von Kultur der Bakterien in langen Glaskapillaren angegeben, vermittels deren es gelingt, die verschiedenen Formen der Bakterien im faulenden Blute mehr oder weniger zu iso- lieren. Durch verbesserte und vielfach modifizierte Impfmethoden, besonders durch die Benutzung der Kornea als Impfstelle*) ist vuisere Kenntnis über das Wachstum der Bakte- rien im tierischen Körper und die vorzugsweise bei septischen Prozessen auftretenden Bakterien gefördert. Indessen bleiben noch manche Hindernisse, welche sich der genauen Erforschung der Bakterien entgegenstellen, zu überwinden. Die erheblichsten Schwierigkeiten veriu'sachen die geringe Größe, die Beweglichkeit, die einfache Form der Bakterien und ihr Mangel an Färbung oder stärkerem Licht- brechungsvermögen . Wenn die Bakterien auch noch kleiner wären, als man sie bis jetzt gefunden hat, so würde zwar dieser Umstand allein noch nicht das Erkennen derselben vermittels der stärksten Immersionssysteme verhindern; denn manche noch recht scharf zu unter- scheidende Liniensysteme auf Diatomazeenschalen sind bei weitem feiner als die durch eine Gruppe der kleinsten Bakterien bedingte Zeichnung. Erst dadurch, daß diese kleinen, nicht mit scharfen Umrissen versehenen Körper sich in der lebhaftesten, selbständigen Bewegung oder in unaufhörlicher zitternder Molekularbewegung befinden, werden sie ein so schwieriges Untersuchungsobjekt. ') Cohn.s Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. II, Heft 3. p. 399. Breslau 1877, .1. U. Kerns Verlag. -) Beschrieben in B i 1 1 r o t h und E h r 1 i c h, Untersurhungen über Coccohacfcria scptica. Langenbecks Archiv für Chirurgie, Bd. XX, p. 403. In neuester Zeit hat Dr. W e i g e r t die Anilin- färbung zum Nachweis von Bakterien in tierischen Geweben angewandt und ausgezeichnete Erfolge ilaniit erzielt. ^) C. J. S a 1 <> in o n s e n: Studier orcr blodcts iorraudnelse. Kopenhagen 1877. ') Frisch: Experimentelle Studien über die Verbreitung der Fäulnisorganismen in den Geweben und die durch Impfung der Kornea mit pilzhaltigen Flüssigkeiten hervorgerufenen Ent- zündungserscheinvmgen. Erlangen 1874. 28 Vei-fahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. Es ist geradezu ein Ding der Unmöglichkeit, in einem Schwärm von Bakterien ein Exemplar so zu fixieren, daß man eine genaue Messung desselben vornehmen oder eine genügende Zeichnung davon entwerfen könnte. Bald tanzt das winzige Stäbchen oder Kügelchen zur Seite und verschwindet in dem dichten Haufen der übrigen Bakterien; bald erhebt es sich über die Einstellungsebene oder taucht unter dieselbe hinab. Aber auch wenn sich die Bakterien zu ruhenden Zoogloeamassen vereinigt finden, erscheinen sie nicht wie ein Haufen von deutlich abgegrenzten Körpern, sondern vermöge ihres geringen Lichtbrechungsvermögens machen sie vielmehr den Eindruck eines wolkenähnlichen Gebildes, dessen Zusammensetzung aus einzelnen Kügelchen oder Stäbchen fast nicht mehr zu erkennen ist. Fast ebenso hemmend wie diese in den Bakterien selbst liegenden Hindernisse scheint mir auf die Bakterienforschung der Umstand gewirkt zu haben, daß es bis jetzt an einem Verfahren gefehlt hat, die Bakterien in ihrer natürlichen Gestalt und Lagerung, außer wenn sie tierischen Geweben eingebettet sind, zu konservieren und Abbildungen derselben herzustellen, welche von jeder willkürlichen oder unwillkürlichen Entstelhuig frei sind. Ich brauche wohl nicht den Nutzen auseinanderzusetzen, welchen Sammlungen mikroskopischer Präparate für das Studium haben, und wie die Mitteilung wichtiger Befunde durch Einsendung konservierter Präparate an andere Mikroskopiker zur Be- richtigung eines falschen Urteils, zum schnelleren Bekanntwerden einer Entdeckung dienen. Wie manche unvollkommene Beobachtung und wie manche falsche Behauptung über das, was die Bakterien getan oder nicht getan haben sollen, wäre nicht in die Öffent- lichkeit gelangt und hätte die Bakterienliteratur zu einem trüben Strom anschwellen lassen, wenn ein jeder das, was er gesehen hat, in beweisenden Präparaten andern For- schern vorgelegt hätte. Wenn man die Spirochaete fMcatilis und die Spirochaete des Zahnschleims in Samm- lungen mikroskopischer Präparate finden und sich leicht von ihrer eigentümlichen Form überzeugen könnte, wie wäre es dann wohl möglich, daß selbst in neuester Zeit noch die Existenz der ersteren bezweifelt und die letztere mit der Spirochaete des Rückfalltyphus verwechselt wurde^) ? Bei anderen Naturgegenständen, welche sich nicht konservieren lassen, vermag man sich wenigstens durch bildliche Darstellung zu helfen, aber auf die Bakterien läßt sich dieser Ausweg leider nur sehr unvollkommen anwenden. Es scheint zwar von vorn- herein unglaublich, daß so einfach gestaltete Körper nicht leicht zu zeichnen seien, und doch ist es so. Es kommt hier oft selbst bei den größten Bakterien auf äußerst geringe Größenunterschiede an, und die Zeichnung erfordert so zarte und weiche Linien, daß die naturgetreue Wiedergabe der Bakterien schon eine außergewöhnliche Sorgfalt be- ansprucht. Und dennoch bleibt es fraglich, ob auch die kleinsten Formen so gezeichnet werden können, daß die Abbildung genau dem Original entspricht und nicht zu Verwechs- lungen mit ähnlichen Formen führt. Die meisten Abbildungen sind rein schematisch gehalten und vernachlässigen die Größenverhältnisse so sehr, daß es unmöglich ist, die- selben zum Vergleich mit der Wirklichkeit zu benutzen. Manche sind so nachlässig an- gefertigt, daß überhaupt nicht mehr zu erkennen ist, ob der Autor auch wirkliche Bak- terien gesehen hat. Wie wenig derartige Abbildungen zum Beweis einer möglicherweise ganz richtigen Beobachtung dienen können und daß sie niemals zur Verständigung über Streitpunkte führen werden, muß einleuchten. ^) Heyden reich: Über den Parasiten des Rückfalltyphus, p. 40 u. 44. Verfahreil zur UntersiK-huiif^, zviiu Konseivieien usw. der Bakterien. 29 Um die hier angedeuteten Hindernisse zu überwinden, habe ich ein Verfahren an- gewandt, welches kurz zusammengefaßt darin besteht, daß die b a k t e r i e n h a 1 - t i g e Flüssigkeit in sehr dünner Schicht auf dem Deckglas eingetrocknet wird, um die Bakterien in einer Ebene zu fixieren, daß diese Schicht mit Farbstoffen behandelt und wieder aufgeweicht wird, um die Bakterien in i Ii r e na t ii r - liehe Form zu r ü c k z u f ü h r e n und deutlicher sichtbar zu machen, daß das so gewonnene Präparat in konservierende Flüssigkeiten eingeschlossen und s c h 1 i e 13 1 i c h zur Herstel- lung von naturgetreuen Abbildungen p h o t o g r a p h i e r t wird. Die einzelnen Teile dieses Verfahrens werde ich nun eingehender beschreiben : 2. Eintrocknen. Die Herstellung einer dünnen Trockenschicht ist sehr einfach. Nachdem man sich vorher durch Untersuchung einer Flüssigkeit über ihren Gehalt an Bakterien, über die Form der letzteren und ihre Bewegungen in gewöhnlicher Weise orientiert hat, nimmt man mit der Spitze eines Skalpells ein Tröpfchen der Flüssigkeit, z. B. faulendes Blut, Zahnschleim, die oberste Schicht von faulenden Infusionen unddgl., und breitet dasselbe durch einige kreisförmige Bewegungen zu einer runden, etwa einen halben Zentimeter breiten, möglichst dünnen Schicht aus. Man legt das Deckgläschen hierauf zweckmäßigerweise auf einen hohlen Objektträger und untersucht das Tröpfchen nochmals, ob es auch die früher beobachteten Formen in größerer Zahl enthält. Je kon- sistenter die Flüssigkeit ist, um so kleiner muß das Tröpfchen genommen werden und es ist dann vorteilhaft, die Masse strichförmig auf das Deckglas zu bringen. Die Substanz ist stets in einer so dünnen Schicht auszubi'eiten, daß die Bakterien, Blutkörperchen usw. sich nicht decken, sondern voneinander durch kleinere oder größere Zwischenräume getrennt liegen. Je dünner die Schicht geworden ist, um so schneller trocknet sie natürlich ein. Gewöhnlich ist das Präparat schon nach wenigen Minuten zur weiteren Bearbeitung fertig. Eiweißhaltige Flüssigkeiten, namentlich Blut, läßt man etwas länger, womöglich einige Stunden trocknen. So zubereitete Deckgläschen kann man indessen auch wochen- und selbst monatelang, nur vor Staub geschützt, auf- bewahren, ohne daß sich die angetrockneten Bakterien verändern. Es ist dies insofern sehr vorteilhaft, als, sobald die Umstände die sofortige weitere Untersuchung nicht zu- lassen, man die Präparate nur soweit herstellt und später weiter bearbeitet. Ich habe mir ein Kästchen für 20 Deckgläschen machen lassen, welches ebenso eingerichtet ist wie die zur Aufbewahrung der mikroskopischen Präparate gebrauchten Kasten ; dasselbe führe ich stets bei mir und bin dadurch leicht in den Stand gesetzt, bei Sektionen, am Krankenbette oder bei anderen Gelegenheiten Proben von Flüssigkeiten, welche ich auf Bakterien untersuchen will, jederzeit zu sammeln. Deckgläschen mit angetrockneten Bakterien lassen sich auch gut versenden. So habe ich beispielsweise durch Vermittlung von Prof. F. C o h n Deckgläschen mit angetrocknetem Rüekfalltyphuslilut von Dr. Al- b r e c h t in Petersburg erhalten, welches sich ganz ebenso wie andere Blutproben prä- parieren und zum Photographieren der darin enthaltenen Spirochaeten benutzen liel.5 (cf. Taf. III, Fig. 23 u. 24)i). Einen weiteren Vorteil gewährt das schnelle Eintrocknen dadurch, daß in der Zeit von der Entnahme der Flüssigkeit bis zu der Untersuchung derselben ein Entwickeln oder Eindringen fremder Bakterienarten, wie es bei anderen Untersuchungsverfahren gewiß schon vorgekommen ist, hier unmöglich ist. M Schon E h r e n b e r g eiii[)fiehlt rasches Eintrocknen als Aufliewahrungsmittel iiükni- skopischer Organismen in Saniniluiigen: Infusionstierchen. 183S. ]>. 17. 30 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. Gegen dieses Trocknen der Bakterien muß natürlich der Einwand erhoben werden, daß, wie die Erfahrung an anderen mikroskopischen Gegenständen lehrt, dadurch die Gestalt der Bakterien in erheblichster Weise verändert werden muß. Auch ich war anfangs davon überzeugt und hoffte erst durch das Aufweichen die ursprüngliche Torrn wieder zu erhalten. Aber schon bei den ersten in dieser Richtung angestellten Versuchen sah ich zu meinem Erstaunen, daß die Bakterien nicht, wie die meisten Infusorien, Monaden, mikroskopischen Pflanzen, zerfließen oder zu unförmlichen Massen zusammenschrumpfen, sondern wie ganz starre, von einer Schleimhülle umgebene Körper vermittels dieser Schleimhülle am Glase ankleben und, ohne ihre Gestalt namentlich in Länge und Breite merklich zu ändern, eintrocknen. Daß es sich in der Tat so verhält und daß jede Bakterie eine schleimige, für gewöhnlich unsichtbare Hülle besitzt, läßt sich aus anderen Ver- hältnissen (Zoogloeabildung) schließen^), ist aber auch nach dem Eintrocknen sofort daran zu erkennen, daß der Bakterienkörper von einem, je nach der Beschaffenheit der zugleich mit eintrocknenden Flüssigkeit mehr oder weniger deutüch zu erkennenden, scharf begrenzten glashellen Saum umgeben ist. Meistens werden zwar beim Eintrocknen der Flüssigkeit, in welcher Bakterien sich befinden, letztere von einer Decke kolloider oder kristallinischer Masse so überzogen, daß sie nur undeutlich zu erkennen sind. Aber am Rande des eingetrockneten Tropfens findet man sehr oft einzelne isolierte Exemplare, welche sich vortreffhch dazu eignen, um sich von der Beständigkeit der Gestalt beim Eintrocknen des Bakterienkörpers zu überzeugen. Die einzigen auffallenden Veränderun- gen, welche vorkommen, bestehen in der Abplattung der kugligen, gelappten oder ver- zweigten Zoogloeamassen und in der Verwandlung schraubenförmiger Körper in eine Wellenhnie. Dieser Übelstand läßt sich indessen dadurch leicht vermeiden, daß man so- fort, nachdem die letzte Spur von sichtbarer Feuchtigkeit vom Deckglas verschwunden ist, das Präparat in der später anzugebenden Weise wieder aufweicht. Die Schleimhülle der Bakterien quillt dann vollständig wieder auf und gestattet dem Zoogloeahaufen oder der Spirale ihre natürliche Gestalt wieder einzunehmen. Zum Beweise des Gesagten verweise ich auf die Photogramme der Zoogloea ramigera, Taf. II, Fig. 1 u. 2, und des Spirülum undula, Taf. II, Fig. 3, deren zugehörige Präparate in dieser Weise behandelt wurden. Feine Spiralen mit schmalen Windungen verlieren so wenig durch das Eintrock- nen an ihrem natürhchen Aussehen, daß man sie in getrocknetem Zustande konservieren und photographieren kann. Beispiele hierfür sind die Photogramme der Spirochaete des Zahnschleims Taf. II, Fig. 8, und der Geißelfäden der Bazillen, Taf. II, Fig. 5 u. 6, welche nach trocknen Präparaten angefertigt sind. Sie mögen zugleich als Beweis dafür dienen, daß das Eintrocknen allein eine wesentliche Hilfe beim Untersuchen der Bakterien leisten kann, indem es die Zahnspirochaeten, welche im Speichel wegen des geringen Brechungsunterschiedes sehr blaß erscheinen, nach dem Verdunsten der Flüssigkeit außerordentlich deutlich werden, und die in Flüssigkeiten ohne Färbung ungemein schwer sichtbaren Geißelfäden sofort zum Vorschein kommen läßt. Auf eine eigentümliche Veränderung, welche die Milzbrandbazillen beim Eintrocknen erleiden, komme ich später bei der Beschreibung der Photogramme zurück. 3. Aufweichen und Färben. Der zweite Abschnitt des Verfahrens besteht in dem Aufweichen und Färben der getrockneten Bakterienschicht. Bringt man ein mit getrockneter Bakterienschicht versehenes Deckglas in destil- liertes Wasser oder Glyzerin, dann löst sich die Schicht schnell auf und wird vom Glase fortgeschwemmt. Für sich allein genommen sind daher diese Flüssigkeiten zur weiteren Präparation der Bakterienschicht nicht zu gebrauchen. 2) Vgl. F. Cohn, Beiträge zur Biologie, Bd. I, Heft 2, p. 138. Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. 31 Durch Einlegen des Gläschens in absoluten Alkohol, nocli besser in eine Lösung von Chromsäure (0,5%), läßt sich die Schicht unlöslich in Wasser und Glyzerin machen, aber eine unerwünschte Nebenwirkung dieser erhärtenden Flüssigkeiten besteht darin, daß die Schleimhülle der Bakterien nicht mehr aufquillt und deswegen die Bakterien fest am Glase angepreßt oder in die koagulierte Grundsubstanz eingebettet, ihre natür- liche Gestalt nicht M'ieder annehmen können. Als ein Mitte], um die Schicht wieder aufzuquellen, ohne daß sie sich vom Glase ablöst, hat sich mir eine Lösung von essig- saurem Kali (1 Teil auf 2 Teile dest. Wassers) erwiesen. Die Bakterien nehmen in der- selben vollliommen ihre ursprüngliche Form wieder an. werden aber blasser und durch- sichtiger, als sie waren. Für größere Formen ist dies kein Nachteil, ebenso auch nicht für sporenhaltige Bakterien, da bei diesen die Sporen stark glänzend bleiben, also auch deutlich zu sehen sind. Eine weitere vortreffliche Eigenschaft der Lösung von essig- saurem Kali ist die, daß, nachdem die Bakterien aufgequollen sind, sie sich in derselben nicht weiter verändern. Man kann daher diese Flüssigkeit zum Konservieren des Prä- parates verwenden und letzteres sofort verkitten. Präparate, welche ich vor 16 Monaten in dieser Weise angefertigt habe, sind bis jetzt noch ganz unverändert und werden sich vermutlich auch noch lange Zeit halten. In den meisten Fällen, namentlich wenn es sich um die kleinsten Formen handelt, werden indessen die Bakterien zur genaueren Untersuchung und zum Photographieren zu blaß xmd es ist dann notwendig, sie durch Farbstoffe deutlicher zu machen. Die verschiedensten Farbstoffe, welche in der Mikroskopie und in der Färberei benutzt werden, habe ich versucht, aber von allen eignen sich die Anilinfarbstoffe am meisten zur Färbung der Bakterien. Letztere nehmen die Anilinfarben mit einer solchen Sicherheit, so schnell und so reichlich auf. daß man diese Farben als Reagens zur Unterschei- dung der Bakterien von kristallinischen und a m o r p h e n Niederschlägen, auch von feinsten F e t t r ö p f c h e n und an- deren kleinsten Körpern benutze n k a n n. Außerdem wirken die Anilinfarben in ihren wässrigen Lösungen ganz ähnlich wie das essigsaure Kali, indem sie die Schicht aufweichen, aber nicht vom Glase ablösen. Unter den Anilinfarben habe ich anfangs nur die in Wasser löslichen benutzt, und zwar vorzugsweise Methylviolett und Fuchsin. Die übrigen, namentlich Safranin, Gelb, Eosin, Orange, Metliylgrün. Jod- grün, Blau färben nicht so kräftig und sind auch nicht beständig. Für einzelne Objekte eignet sich Fuchsin besser, da es nicht so intensiv färbt wie Methylviolett. Gewöhnlich jedoch gibt das letztere die besten Resiütate. Von den verschiedenen Farbenabstufungen des Methylviolett habe ich die blauen (in den Preislisten über Anilinfarben mit Methyl- violett BBBBB bezeichnet) mit Vorliebe angewandt. Später, als es mir nicht allein darauf ankam, die Bakterien für das Auge, sondern auch für die photographische Platte bemerklicher zu machen, wandte ich meine Auf- merksamkeit auch den A n i 1 i n f a i' b e n zu . w eiche die che m i s c h wirksamen Lichtstrahlen, also den blauen Teil des Spek- trums, nicht durchlasse n. Die besten Resultate habe ich in dieser Be- ziehung mit einem A n i 1 i n b r a u n , sog. Neubraun, erzielt. Die Anwendung der Anilinfarben ist ebenso einfach als das übrige liisher beschriebene Verfahren. Von einer konzentrierten spirituösen Lösung des Methyh iolett oder Fuchsin setze ich einige Tropfen zu 15 bis 30 g destillierten Wassers, so daß sich letzteres intensiv färbt : hiervon bringe ich mit einer kleinen Pipette einige Tropfen auf die zu färbende Bakterien- schicht vuid halte die Flüssigkeit auf dem Deckglase durch Drehen desselben in bestän- 32 Verfahren zur Untersuchung, zvun Konservieren usw. der Bakterien. diger Bewegung. Nach einigen Sekunden wird das Deckglas so schräg gehalten, daß die Anilinlösung an den Rand fließt und die Bakterienschicht frei wird. An der mehr oder weniger blauen Farbe der letzteren erkennt man dann leicht, ob sie schon genügend gefärbt ist oder nicht; im letzteren Falle läßt man die Farbe von neuem darüber hin- fheßen, bis die gewünschte Färbung erreicht ist. Nach einiger Übung wird man bald die Konzentration der Anilinlösung und die Dauer der Färbung für die verschiedenen Objekte richtig beurteilen lernen. Wenn die Anilinlösung zu schwach ist, löst sich die Bakterienschicht vom Glase ab; ist sie zu stark, dann färbt sich die Grundsubstanz, welche die Bakterien umgibt, zu stark, und letztere heben sich zu wenig von ihrer Umgebung ab. In einem gelungenen Präparate muß nach der Färbung die Grundsubstanz (d. h. der Rückstand der verdunsteten Flüssigkeit) kaum zu bemerken, die Bakterien da- gegen müssen kräftig gefärbt sein. Die größeren Formen färbt man weniger stark, so daß Sporenbildung, Gliederung, körnige Beschaffenheit des Inhaltes noch gut zu erkennen ist. Sobald der richtige Grad von Färbung erreicht ist, wischt man die Anilinlösung vom Rande des Deckglases oder saugt sie mit Fließpapier möglichst vollständig weg, oder man spült sie mit destilliertem Wasser oder einer verdünnten Lösung von essig- saurem Kali (1 : 10) fort. Auch hierin verhalten sich die einzelnen Präparate verschieden; manche vertragen das Abspülen mit destilliertem Wasser, andere wieder nicht. Die Färbung mit Anilinbraun ist von der eben beschriebenen mit Methylviolett und Fuchsin etwas verschieden. Da die mit Braun gefärbten Präparate in der Lösung von essigsaurem Kali die Farbe verlieren, dagegen die Aufbewahrung in Glyzerin vertragen, so habe ich sie gleich von vornherein mit einem Tropfen einer konzentrierten Lösung von Anilinbraun in gleichen Teilen von Glyzerin und Wasser, welche von Zeit zu Zeit filtriert werden muß, bedeckt und einige Minuten stehen lassen. Alsdann haben die Bakterien sich genügend gefärbt und es kann die Farbstofflösung mit reinem Glyzerin abgespült werden. Eiweißhaltige Substanzen, wie Blut, Eiter und dgl., welche sich mit den wässrigen Lösungen des Methylviolett und Fuchsin nur schlecht färben lassen, geben mit in Glyzerin gelöstem Braun ganz vorzügliche Präparate, welche sich auch besonders gut zum Photo- graphieren eignen. 4. Konservieren. Zum Konservieren der so gefärbten Präparate kann man Kanada- balsam, konzentrierte Lösung von essigsaurem Kali oder Glyzerin verwenden. Zum Einlegen in Kanadabalsam eignen sich nur die mit Methylviolett und Fuchsin gefärbten Präparate. Man läßt sie nach der Entfernung der Färbeflüssigkeit eine viertel bis eine halbe Stunde liegen, so daß sie wieder vollkommen trocken geworden sind, und kann sie dann in gewöhnlicher Weise in Kanadabalsam einlegen. In einem derartigen Präparat gewähren die gefärbten Bakterien, namentlich Schwärme von Vibrionen, Bazillen, Mikrokokkenketten, einen außerordentlich schönen und zierlichen Anblick. Leider erscheinen Zoogloeahaufen und größere Spirillen plattgedrückt. Auch ist es mir bis jetzt nicht gelungen, von Kanadabalsampräparaten gute Photographien zu erhalten. Andererseits aber halte ich sie für ebenso dauer- haft wie andere in Kanadabalsam eingelegte mikroskopische Objekte, und aus diesem Grunde würden sie besonders für Sammlungen von Bakterienpräparaten zu empfehlen sein. Mit Methyl violett und Fuchsin gefärbte Präparate müssen, wenn sie zum Photo- graphieren benutzt werden sollen und wenn man die Bakterien in möglichst natürlicher Form erhalten will, in eine Lösung von essigsaurem Kali (1 : 2), und zwar unmittelbar Verfahren ziii' Untersuchung, zum Ki)nservieren us\\". der Bakterien. 33 nach Entfernung der Farbstofflösung noch fcuclit eingelegt unfl init einem der gewöhnlich gebrauchten Kitte verschlossen werden. Glyzerin kann man zum Einlegen dieser Präparate nicht gebrauchen, da es die Farbe auszieht. Für die mit Anilinbraun gefär!)ten Präparate ist dagegen Glyzerin die beste Flüssigkeit zum Konservieren. 5. Pliotographierev . Das Photographieren der Bakterien unterscheidet sich von detiijenigen anderer mikroskopischer Gegenstände nicht wesentlich. Die Bakterien sind allerdings als sehr kleine, blasse Körper nicht ganz leicht zu photographieren. Doch ge- statten die nach dem beschriebenen Verfahren angefertigten Präparate, weil die zu photographierende Schicht sich unmittelbar unter dem Deckglase befindet, die Anwen- dung der stärksten lmmersionss3'steme. Auch das geringe Lichtbrechungsvermögen läßt sich, wie schon früher angedeutet wurde, durch die Färbung der Bakterien mit brau- nen; Anilin, welches die chemisch wirksamen Strahlen zurückhält, für den photogra- phischen Prozeß ersetzen. Unter günstigen Verhältnissen lassen sich indessen auch lebende Bakterien, sofern sie niu" unbeweglich sind, photographieren, wie aus den Photogrammen der Milzbrand- bazillen Taf . III, Fig. 17 u. 18 zu ersehen ist; selbstverständlich müßte immer einem der- artigen Photogramm, auch wenn es noch so blaß ausfällt, der Vorzug vor demjenigen gegeben werden, welches die präparierten und gefärbten Bakterien darstellt. Ich z^^'eifle nicht, daß alle ruhenden Bakterien, namentlich die Mikrokokken, nach dem Leben ])hotographiert werden kfinnen, und werde später darauf bezügliche Versuche anstellen. Sporenhaltige Bazillen uncl Fäden lassen sich wegen des starken Lichtbrechungs- vermögens der meisten Sporen am besten ungefärbt photograjjhieren. Hervorheben muß ich, daß mir niemals gelungen ist, absolut scharfe L'mrisse der Bak - terien zu erhalten. Durch den Anblick der Diatomazeen-Photographien und der üblichen mit scharfen Linien versehenen Abbildungen von Bakterien verwöhnt, hielt ich dies anfangs für die Folge eines fehlerhaften Verfahrens. Doch habe ich mich später davon überzeugt, daß in Wirklichkeit auch die stärksten mir zu Gebote stehenden Linsensysteme (Sei- berts ImmersionssA'steme findlichkeit höchstens für schwache Vergrößerungen. Was die Wald der Mikroskop-Objektive betrifft, so gebrauchte ich zuerst Hart- nacksche Objektive (No. 7 und 9 Immers.), war aber von den damit angefertigten Bildern wenig befriedigt. Dann schaffte ich mir die Selber t und K r a f f t sehen photogra- M 1. c. ~) B e n e k e: Die Photographie als Hilfsmittel mikroskopischer Forschung. Braunschweig 1868. Ger lach: Die Photographie als Hilfsmittel mikroskopischer Forschung. Leipzig 1863. ') II. Vogel: Lehrbuch der Photographie. Berlin 1874. 3* 36 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. phisclien Objektive 1 Zoll, Zoll, ^/g Zoll und dessen Immersionssysteme 7, 8 und 9 an und erreichte damit so gute Resultate, daß ich nur noch mit diesen Objektiven ge- arbeitet habe. Die photographischen Objektive und das Immersionssystem 7 sind vollkommen frei von Fokusdifferenzen und geben sehr feine, scharfe Bilder. Für die Untersuchung der Bakterien schien mir vorläufig eine 500 — 700 fache Vergrößerung ausreichend zu sein, und da ich diese mit dem Immersionssystem 7 bequem erreiche, so habe ich dieses System fast ausschließlich angewandt. Die Bestimmung dieser Vergrößerung läßt sich mit größter Sicherheit vornehmen; sie geschah in der Weise, daß das Bild eines Objektivmikrometers auf der matten Scheibe entworfen, mit dem Zirkel genau gemessen und die Kamera so weit ausgezogen wurde, bis die Vergrößerung genau 500 respektive 700 betrug. Die hierdurch gefundene Ent- fernung der Visierscheibe vom Objektivsystem wurde dann bei der Aufnahme der Bilder eingehalten. Bislang habe ich nur in gerader Richtung einfallendes Licht zum Photographieren benutzt. Doch möchte ich es für notwendig halten, daß in Zukunft versucht wird, die Bakterien mit den stärksten Objektiven und unter Anwendung von mehr oder weniger schräg einfallendem Lichte zu photographieren. Vielleicht würde man damit noch weitere Aufschlüsse über den feineren Bau der Bakterien und, wie die Beobachtung von D a 1 - 1 i n g e r und D r y s d a 1 e ^) vermuten läßt, über das Vorkommen von Geißelfäden bei den kleinsten beweglichen Bakterienformen erhalten. Monochromatisches blaues Licht, welches sich beim Photographieren der Diato- mazeen so nützlich erwiesen hat, gewährte mir nur für braun gefärbte Präparate Vorteil, dagegen für ungefärbte und für mit Methylviolett gefärbte Präparate schien es mir eher nachteilig zu wirken. Da die Bakterien nur kleine Körper sind und gewöhnlich zahlreiche Individuen derselben Form dicht nebeneinander liegen, so genügt gewöhnlich die Aufnahme eines kleinen Bildes. Übrigens vermochte ich mit meinem Objektivsystem, wegen starker Krümmung der Bildfläche, bei 500 f acher Vergrößerung nur ein scharf eingestelltes Bild von bis 4 cm Durchmesser und bei 700 facher Vergrößerung von 4 bis 5 cm Durch- messer zu erhalten. Durch Anwendung von Blenden im Objektivsystem würde sich das Bild mehr ebnen lassen, dadurch aber auch an Lichtstärke einbüßen. Aus diesem Grunde und weil die Herstellung eines größeren Gesichtsfeldes durch den Gegenstand nicht ge- boten war, habe ich keine Blenden angewandt und es bei den kleinen Bildern gelassen. Denjenigen, welcher die Mikrophotographie ausüben und sich das lästige und langweilige Anfertigen der Kopien nach seinen Negativen vereinfachen will, mache ich hier noch darauf aufmerksam, daß in neuerer Zeit haltbares lichtempfindliches Papier im Handel zu haben ist. Ich habe mich immer des sogenannten Lichtpauspapiers (mit Glanz) von R. T a 1 b o t -) zu meiner größten Zufriedenheit bedient. Durch Papier- positive wird man indessen niemals alle Feinheiten des Negativs wiedergeben können, und wenn es sich um eine ganz genaue Reproduktion des Negativs handelt, wird man seine Zuflucht zum Kohledruck nehmen müssen. Nachdem ich das von mir befolgte Verfahren, die Bakterien zu präparieren und zu photographieren, geschildert habe, möchte ich noch ausdrücklich bemerken, daß ich dasselbe noch vieler Abänderung und Verbesserung fähig halte. Vielleicht gibt es noch andere Farben und bessere Konservierungsflüssigkeiten, als die von mir benutzten. Die photographische Technik, welche ich mir nur durch Studium der früher genannten Lehr- ') On the existence of flagella in Bacterhmi fernio. Monthly 3Iicroscopical JokdiuL Sept. 1875. 2) BerUn N, Auguststraße Nr. 68. \'eifahien zur UntersiRliuiig, zuni Konseivieien usw. der Bakterien. 37 bücher aneignen konnte, wird in geübterer Hand besseres leisten, als ich es vernioclite. Namentlich würden sich unzweifelhaft durch richtige Auswahl der Belichtungszeit und der Verstärkungsniethoden noch kräftigere Bilder erzielen lassen, ^^ielleicht könnte man auch ein besonderes, für die im Bakterien-Präparat befindliche Anilinfarbe wenig em- pfindliches Kollodium (gefärbtes Bromkollodium) anwenden, um noch stärkere Bilder zu erhalten. 6. Besdireihung der PJiotogmmme . Aus einer größeren »Sammlung von Bakterien- Präparaten und darnach hergestellten Negativen habe ich einige Beispiele zur Veranschau- lichung des Gesagten ausgewählt. Viele sehr interessante Objekte mußte icli zurück- lassen, zu deren Mitteilung ich vielleicht später Gelegenheit finde. Selbstverständlich ist durchaus keine Retouche an den Negativ})latten oder an den Kopien vorgenommen. Letztere wurden nach den Original-Negativen durch die jjichtdruck-Anstalt der Herren R ö m m 1er und Jonas in Dresden angefertigt. Wenn in der folgenden Beschreibung über Färbung des Präparates und Objektiv- system, n)it welchem jjhotographiert wurde, nichts bemerkt ist, dann ist das Präparat mit Methylviolett gefärbt und init 8 e i b e r t s Objektivsystem 7 photographiert worden. Tafel II. Fig. 1. Vergr. 200. Mit photographischem Objektiv '/^ Zoll und Fig. 1. Vergr. 500 mit tSeiberts Immersionsobjektiv No. 7 photographiert. Zoogloea ramigera Itzigsolm. Beim ersten Anblick der Fig. 1 wird man unter dem baumförmigen Gebilde alles andere eher vermuten, als eine Bakterienkolonie, eine Zoo- gloea. Bei genauerer Betrachtung ei'kennt man jedoch bald, daß Stamm und Zweige der beiden Bäumchen, von denen das größere seinen Anheftungspunkt unten, das kleinere dagegen links oben hat, ganz gleichmäßig aus kleinen Körnchen zusammengesetzt sind. Und bei stärkerer, öOOfacher Vergrößerung eines kleinen Stammes (Fig. 2) sieht man, daß derselbe aus ovalen, vielfach in Teilung, also in raschem Wachstum begriffenen Bakterien besteht. Zuerst wurde diese eigentümliche Zoogloea von Dr. I t z i g s o Ii n in sich zersetzenden Algenkulturen gefunden und der Gesellschaft der naturforschenden Freunde zu Berlin schriftliche Mitteihmg darüber gemacht Nach I t z i g s o Ii n soll sie sich durch dendritische Verzweigung des ursprünglich mehr oder weniger kugligen Gallertkörpers bilden und die zu Spirillen gewordenen ovalen Körperchen ausschwärmen lassen. Ich habe die Zoogloea ramigera nur einige Male vom Juni bis August 1876 eben- falls auf faulender Algenflüssigkeit, und zwar einmal in ungeheurer Menge gefunden. Sie war untermengt mit anderen wolkenähnlich geliildeten Zoogloeamassen, deren Bak- terien indessen größer waren als diejenigen der Zoogloea ravt igera, einen Übergang zwischen beiden oder ein Auswachsen der kugligen Zoogloea in baumförmig gestaltete habe icli niclit auffinden können. Im Gegenteil sieht man schon bei den kleinsten Kolonien, welche aus wenigen Individuen bestehen, daß die Bakterien sich dicht aneinanderschließen und zu langgestreckten Stämmchen entwickeln. I^ei einer Länge, welche ungefähr der in Fig. 2 entspricht, schwillt das obere Ende an und teilt sich schließlicli in zwei oder meh- rere Äste. Ebensowenig kann ich die von I t z i g s o h n behauptete \'er Wandlung der eiförmigen Bakterien in Spirillen bestätigen. Ich lial^e trotz sorgfältiger Beobachtung nichts derartiges gesehen. An die Schilderung der Zoogloea ramigera anknüpfend, will ich über die Zoogloeen- bildungen im allgemeinen bemei'ken, daß dieselben in sehr verschiedenen, aber wohl charak- terisierten Formen vorkommen. Eine der merkwürdigsten inid auffallendsten ist jedenfalls ') Sitziing-sbericht der Geseltschaft naiiirfi ii'srlicndor Freunde zu Berlin. 19. Xovemlier 1867. Dr. Eidam. Mykologie 1872, ii. 101. 38 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. die Zoogloea ramigera. Andere Zoogloeen haben gelappte Gestalt, noch andere sind knollen- förmig, einige haben reine Kugelgestalt und sind entweder gleichmäßig mit Bakterien gefüllt oder sie lassen in der Mitte einen Hohlraum. Auch Präparate mit ringförmigen besitze ich. Die meisten werden von kugligen, ovalen oder langovalen Bakterien gebildet, doch gibt es auch solche, die aus kurzen Stäbchen und aus kleinen Spirillen zusammen- gesetzt sind. Die Zoogloeen enthalten immer unbewegliche und in schneller Vermehrung begriffene Bakterien, sie bilden also Ruhezustände, wie sie im Formenkreis der niedrigsten Organismen fast niemals fehlen. Die Zoogloeaform allein kann indessen zur Charakteristik einer bestimmten Bakterienart nicht genügen. Andererseits ist es aber auch sehr un- wahrscheinhch, daß eine Bakterienart bald in dieser, bald in jener Gruppierung ihren Ruhezustand einnehmen wird, namentlich da, wie ich einzelnen Beobachtungen ent- nehme, die Entwicklung der Bakterien zur Zoogloea, gerade so wie die Bildung von Häut- chen (Taf. II, Fig. 10) oder bei manchen Bazillen das Auswachsen zu langen Glieder- fäden (Taf. III, Fig. 18 u. 19) der Entwicklung von Sporen vorhergeht. Es ist daher ge- boten, in Zukunft den Zoogloeen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und womöglich festzustellen, ob ihrem Zustandekommen ein Schwärmzustand der betreffenden Bakterien vorhergeht und wie die Sporenbildung sich in ihnen gestaltet. An einer in Regenwasser entstandenen kugligen, aus ovalen Bakterien bestehenden Zoogloea konnte ich im Laufe von mehreren Wochen folgenden Vorgang bemerken. Nachdem die Zoogloea eine gewisse Größe erreicht hatte, bildeten sich in ihr Gruppen von 10 bis 12 Bakterien, welche bis dahin ganz gleichmäßig im Zoogloeaschleim verteilt gewesen waren; sie rückten immer näher zusammen und erschienen schheßlich wie zusammengeballt; dann bildete sich in einigen Bakterien je ein glänzendes Körnchen, welches ganz das Aussehen von Sporen hatte. Das Häufchen schrumpfte immer mehr zusammen und wurde blaß. Zuletzt bestand die Zoogloea aus Gruppen jener glänzenden Körnchen und einzelnen Resten von Bakterien. In diesem Zustande senkte sich die kleine Flocke auf den Boden des Gefäßes, während an der Oberfläche immer neue Zoogloeen entstanden. Fig. 3. Vergr. 500. Spirillum Undula. Sehr schwach mit Methylviolett gefärbt und nach ganz kurzem Eintrocknen mit essigsaurer Kalilösung aufgeweicht. Jeder, der dieses sehr häufig in allen möglichen faulenden Flüssigkeiten vorkom- mende Spirillum genau beobachtet hat, wird finden, daß von der feinkörnigen Beschaffen- heit und der eigentümlichen Gestalt der einem kleinen deutschen gleichenden Spirale desselben durch die Präparation nichts verloren gegangen ist. Fig. 4. Vergr. 500. Nach einem trocknen ungefärbten Präparat photographiert. Sjnrillum Undula mit Geißeln. Die Figuren 3 und 4 mögen zur Bestätigung dessen dienen, was bei Schilderung des Präparationsverfahrens über Eintrocknen der Bakterien und Sichtbarmachen der Geißeln gesagt wurde. Das in Fig. 3 als wirkhche Spirale erscheinende Spirillum ist, wie Fig. 4 zeigt, nach dem Eintrocknen S-förmig geworden, und während bei dem in Flüssigkeit befindlichen Spirillum die Geißeln wegen ihres geringen Licht- brechungsvermögens nicht sichtbar sind, fallen sie nach Entfernung der Flüssigkeit, also nach dem Trocknen, sofort in die Augen. Die Gestalt dieser Geißeln ist die eines langen, leicht bogenförmig geschwungenen, kräftigen, aber nach dem Ende zu sich ver- jüngenden Fadens. Das Spirillum Undula trägt an jedem Ende eine derartige Geißel. Ähnhche, aber etwas schwächere und kürzere Geißeln habe ich bei Vibrio Rugula gesehen. Fig. 5. Vergr. 500. Nach einem trocknen ungefärbten Präparate photographiert. Mehrere Bazillen mit Geißeln. In der Mitte befinden sich 3 Exemplare und nach dem Rande zu 2 ebensolche, welche ein wenig unterhalb der Einstellungsebene hegen, da sie hell mit dunklen Rändern erscheinen. Diese Bazillen haben eine schwer- Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. 39 fällige wackelnde Bewegung, sind dicker, in manchen Exemplaren auch länger als die Bazillen der Fig. 6 (beim Vergleich ist zu beachten, daß Fig. 5 500 mal und Fig. 6 700 mal vergrößert ist). Sporenbildung habe ich bei diesen Bazillen nicht gesehen; vermutUch bilden sie lange Fäden und entwickeln dann erst Sporen. Wegen der Größe, der eigen- tümlichen Bewegung luid des Fehlens der Sporen in den beweglichen, noch kurzen Stäb- chen, halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß diese Bazillen dem eigentlichen Bacillus subtilis angehören, der sich im Heu-Infus entwickelt. Ich habe sie an der Oberfläche von faulenden Pflanzenaufgüssen oft gefunden. Die Form der Geißel ist ebenso wie die Bewegung von derjenigen des folgenden Bazillus verschieden. Er trägt an jedem Ende eine starke, mit ein bis zwei großen Krümmungen versehene oder aufgerollte Geißel. Fig. 6. Vergr. 700. Nach einem trocknen ungefärbten Präparat pliotographiert. Dieser Bazillus findet sich oft an der Oberfläche von faulenden Pflanzenaufgüssen, und zwar in solcher Menge, daß er eine ziemlich dicke schleimige Haut auf denselben bildet. Er hat eine eigentümliche zitternd rotierende Bewegung, durch welche er leicht von anderen Bazillen, namentlich vom vorhergehenden, zu unterscheiden ist. Beide Enden des Bazillus tragen eine Geißel, welche eine feine, regelmäßig gestaltete Wellen- linie bildet. Auf seine eigentümliche Sporenbildung, welche die Fig. 11, Taf. II zeigt, komme ich bei Besprechung dieser Figur zurück. Da dieser Bazillus vom Bacillus subtilis sich durch die abweichende Sporenbildung und von dem von T r e c u 1 und v a n T i e g- h e m 1) beschriebenen Bacillus amylobacfer sich dadurch vniterscheidet, daß er nicht im Pf lanzenge webe, sondern an der Oberfläche von Aufgüssen sich findet und die beim Bacillus amylohacter gefundene Jodreaktion nicht gibt, so halte ich ihn für eine besondere Art und schlage den Namen Bacilhts f.retmdus für ihn vor. Zu den drei vorhergehenden Photogrammen, welche geißeltragende Bakterien ent- halten, habe ich hier noch folgende Bemerkungen einzuschalten. E h r e n b e r g hat zuerst an einem, von ihm als Bacterimn triloculare bezeichneten Bazillus eine fadenartige wirbelnde Geißel (Rüssel) an einem Ende des Stäbchens gesehen und abgebildet-). Sodann hat F. Cohn ^) Geißelfäden an S inrilhmi voluians gehmden imd in diesen Beiträgen be- schrieben. Später haben Daliinger und D r y s d a 1 e (1. c), wie aus der Figur und dem benutzten Objektiv (Powell and Lealand ^s") entnehmen ist, bei ungefähr 1500 facher Vergrößerung und mit einer besonderen Vorrichtung für sehr schiefe Be- leuchtung {with the supplementär y stage for very oblique illumination) Geißeln an Bacterium termo gesehen. Mit welchen Schwierigkeiten dies indessen verknüpft war, mag man daraus abnehmen, daß der eine der beiden Forscher erst nach langem Suchen {after nearly five hours of incessant endeavour a flagelluni uias distinctly seen at öne end of two termo which ivere uioving sloivly across the f ield) eine Geißel erblickte und dann erst nach weiterer mehrstündiger Arbeit beide ein Bacterium termo mit einer Geißel an jedem Ende sahen. Es dürfte wohl niu^ wenigen Mikroskopikern vergönnt sein, diese Beobachtung, deren Richtigkeit ich durchaus nicht bezweifle, nach derselben Untersuchungsmethode zu bestätigen; es gehören schon ganz besonders glücklich konstruierte Augen dazu, nachdem man 5 Stunden lang Bacterium termo beobachtet hat. dann noch ein so ungemein zartes und blasses Gebilde, wie eine Geißel, zu erkennen. Mir wenigstens würde das unmöglich sein. Eine dritte Angabe über Geißelfäden der Bakterien ist von Dr. W a r - m i n g ^) gemacht. Er fand sie bei rötlichen Vil)rionen und Spirillen, welche an der ^) AJ. P Ii. van Tiegliem: Sur le bacilhi.'^ ami/lohacter et so)i roh' daiis la putrefaction des ti.vsus vcgetaux. Bull, de la Soc. hotanique de France. XXIV. 1877. 2) Infusionstierchen, 1838, p. 76. Tab. V, Fig. 1 u. 2. 3) Cohn: Beiträge, Bd. I. Heft 2, p. 183. ^) Dr. E u g. W a r m i n g:0)n nagle ved Danmarks Ky^ter levcndc Bakterier. Kjöbenlia ven 1876. 40 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. dänischen Küste vorkommen. Diese Schriften von War m i n g und von Daliinger mid Drysdale habe ich indessen erst kennen gelernt, nachdem ich die Geißelfäden schon bei mehreren Bakterien gesehen hatte. Meine Aufmerksamkeit wurde dadurch auf die Geißelfäden gelenkt, daß ich bei Exemplaren von SpiriUum Undula, welche am Rande eines Tropfens lagen und in der flachen Flüssigkeitsschicht sich nicht fortbewegen konnten, eine wirbelnde Bewegung der Flüssigkeit an den Enden wahrnehmen konnte. Aber trotz aller Anstrengung gelang es mir nicht, die als Ursache dieses Wirbels vermutete Geißel zu erkennen. Sobald indessen die Flüssigkeit verdunstete und das SpiriUum ein- trocknete, waren mit einem Male die Geißeln sehr deutlich zu sehen. Durch diese Be- obachtung geleitet, gelang es mir dann noch weiter, an Vibrio Rugula, wie schon früher erwähnt wurde, und an Bazillen Geißelfäden aufzufinden. Diese eben genannten, sowie eine Art sehr kleiner Spirillen, besitzen an jedem Ende eine Geißel. Dagegen fand ich bei einer kleinen, sehr wenig gekrümmten Bakterie von kurzer gedrungener Gestalt nur eine Geißel, welche sehr fein ist und einem langgestreckten S gleicht. Mit äußerst zarten Geißeln, welche erst durch die später zu erwähnende Behandlung mit Extr. campechian. zum Vorschein kamen und photographiert werden konnten, war eine Bakterie versehen, welche ihrer Größe und Bewegung nach für Bacter. lineola gehalten werden muß. Merk- würdigerweise trägt diese Art die beiden Geißeln an dem einen Ende dicht nebeneinander- stehend. Bei diesen Untersuchungen war es jedoch sehr störend, daß die Geißeln nur an solchen Bakterien sichtbar wurden, welche dicht am Rande des Tropfens oder noch besser außer- halb desselben eingetrocknet waren. Nach dem Innern des Tropfens zu waren sie durch die miteintrocknenden, gelösten Bestandteile der Flüssigkeit zu stark verdeckt. Um dem abzuhelfen und zugleich den Beweis zu führen, daß die Geißelfäden an den eingetrockneten Bakterien nicht etwa ein zufälliges, seltenes Vorkommen oder gar ein Kunstprodukt seien, habe ich versucht, dieselben mit Farbstoffen zu imprägnieren und dadurch leichter wahrnehmbar zu machen. Daß für diesen Zweck mit Anilinfarben nichts zu erreichen war, konnte ich schon daraus abnehmen, daß ich in keinem der vielen mit Anilin ge- färbten Bakterienpräparate bis dahin Geißeln gefunden hatte. Indessen versuchte ich nochmals alle mir zugänglichen Anilinfarben und überzeugte mich von der eigentümlichen Tatsache, daß, so schnell und so reichlich der Körper der Bakterien die verschiedensten Anilinfarben aufnimmt, doch die Geißeln von keiner einzigen derselben auch nur im ge- ringsten gefärbt werden. Dann wandte ich Karmin, Hämatoxylin-Alaunlösung, Tannin und noch verschiedene andere Farbstoffe an, mit demselben negativen Erfolg. Nur mit Pikrinsäure gelang es, die Geißeln etwas deutlicher zu machen. Zuletzt versuchte ich verschiedene Pflanzenextrakte und fand, daß sich das Extractum campech. i n einer konzentrierten wässrigen Lösung, der, um Schimmelbildung zu verhüten, ein wenig Kampher zugesetzt war, ganz vortrefflich zur Fär- bung der Geißeln eignet. Durch vorsichtigen Zusatz dieser Lösung zu bazillen- und spirillenhaltiger Flüssigkeit gelingt es sehr leicht, die Geißeln sichtbar zu machen. Noch deutlicher und schöner sind sie zu sehen, wenn man die Lösung einige Zeit auf die am Deckglas eingetrocknete Bakterienschicht wirken läßt, entfernt und das Präparat wieder trocknet. Ich habe auf diese Art Präparate erhalten, in denen unter Schwärmen von Bazillen fast jeder einzelne Bazillus sehr schöne, braun gefärbte Geißelfäden erkennen läßt. Derartige Präparate lassen sich in den gewöhnlichen Einschlußflüssigkeiten, nament- lich Glyzerin, nicht auf die Dauer bewahren, da der Farbstoff sehr bald ausgezogen wird. Doch kann man sich dadurch helfen, daß man das Deckglas nach der Behandlung mit Extr. campech. in eine schwache Chromsäurelösung oder in die Müller sehe Flüssigkeit bringt, es bildet sich dann eine braunschwarz gefärbte unlösliche Verbindung des Extr. Verfahren zur UntersTicluuig, zum Konservieren usw. der Bakteiien. 41 cmnpech. mit Chrom (bekanntlich werden viele Sorten 8chreibtinte vermittels Blau- holzabkochungen und Chromsalzen hergestellt). Hierauf kann man das Präparat in Gly- zerin oder nach nochmaligem Eintrocknen in Kanadabalsam legen. Ein solches Kanada- balsam-Präparat besitze ich von BaciUn.^ tremulus, in dem an vielen Exemplaren zugleich Sporen und Geißeln zu sehen sind. Da nun schon bei einer nicht geringen Anzahl von Bakterien Geißelfäden als Be- wegungsorgane aufgefunden sind, so ist die Annahme wohl gerechtfertigt, daß alle mit selbständiger Bewegung versehenen Bakterien Geißelfäden besitzen. Mir erscheint es auch durchaus nicht zweifelhaft, daß mit Hilfe von starken Objektiven, schräger Be- leuchtung und Färbung mit Extr. canipech. oder anderen, vielleicht noch wirksameren Farbstoffen die Geißeln bei den kleinsten Bakterien nachzuweisen und zu photogra- phieren sind. F. Cohn sprach sich schon früher^) über die Verwandtsohaftsbeziehungen der Bakterien dahin aus, daß die Kugel- und Stäbchenbakterien leicht mit kugligen oder elliptischen Monaden zu verwechseln seien und daß, wenn die von ihm bei Spirilluni volutans entdeckten Geißeln auch bei den eigentlichen Bakterien gefunden würden, wie E h r e n b e r g vermutet habe, dann die mundlosen Arten der bisherigen Gattung Monas unmittelbar mit den geißelführenden Bakterien vereinigt werden müßten. Dieser Fall ist jetzt eingetreten und es würde also notwendig sein, die Gattung Monas zu trennen und teilweise den Infusorien, also dem Tierreiche, teilweise den Bakterien, also dem ] Pflanzenreiche, zuzuteilen. Die Grenze zwischen Tier- und Pflanzenreich, welche in ihren untersten Regionen undeutlich und verwischt erscheint, würde sich dadurch weit schärfer ziehen lassen. Fig. 7. Vergr. 50(1. Spirochaete plicatilis. Häufig in Rinnsteinen, im Stadtgraben von Wollstein, im Schlamm am Rande des Wollsteiner Sees, während des ganzen Sommers gefunden. Die eigentümlichen, außerordentlich schnellen Bewegungen und die zwei- fache Wellenlinie, welche sie bildet, unterscheiden diese Spirochaete sehr leicht von anderen. Die primären Windungen sind bei allen Exemplaren gleich groß, die sekundären dagegen sind oft, namentlich bei längeren Individuen, von ungleicher Größe. Außer der Spirochaete plicatilis enthält dieses Photogramm noch mehrere Exemplare von Vibrio JRvgula, welche in ziemlich regelmäßigen Abständen mit dunklen Körnchen versehen sind, ferner nocli eine andere kurze dicke Spirochaete (oberhalb und links von der Spiroch. plicat.), welche in der ersten Hälfte des Sommers häufig im Schlamme des Wollsteiner Sees vorkommt; die Bewegungen dieser letzteren Spirochaete sind langsam. Fig. 8. Vergr. 500. Spirochaete d e s Z a h n s c h 1 e i m s - ). In trocknem, ungefärbtem Zustande photographiert. Mit essigsaurem Kali eingelegte Präparate wurden ebenfalls photographiert; sie fallen blasser aus, Avährend die Länge und Dicke der Spirochaeten dieselbe wie in Fig. S ist. Diese Spirochaete scheint mir ein ebenso regelmäßiger Bewohner der menschlichen Mundhöhle zu sein, wie Le jilothrix; ich habe vielfach den Inhalt von kariösen Zähnen und den Sehleim, welcher sich an der Basis der Backzähne um\ zwischen denselben findet, untersucht und diese Spirochaeten ohne Aus- nahme in großen IMengen gefunden. Sie hat große Ähnlichkeit mit der Spirochaete des Rückfalltyphus, ist jedoch kürzer und etwas dünner; einige Exemplare erreiclien wohl die Dicke, aber nie die Länge der Typhus-Spirochaeten. Von M a n a s s e i n ^) wurden in dem Inhalte einer nach der j\lundhöhle zu offnen Balggeschwulst mehrere Monate lang Spirochaeten gefunden, für identisch mit den 1) Cohn: Beiträge, Bd. ]. Heft 2, ]>. IS.l. ■-) Colin: Beiträge, Bd. 1, Heft .2, p. 18U. ^) Hcydenreieh: Über den Parasiten des Kuckialllypluis, p. 40. 42 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. Rekurrensspirochaeten erklärt und aus dieser Beobachtung irrige Rückschlüsse über die Bedeutung der Spirochaeten für den Rekurrenstyphus gemacht. Daß es sich in diesem Falle Jedoch nicht um Rekurrensspirochaeten, sondern höchstwahrscheinlich um Zahn- schleimspirochaeten handelte, bedarf wohl mit Rücksicht auf den Fundort der Spirochae- ten keiner weiteren Begründung. (Bei der Vergleichung der Figuren 7 und 8 auf Tafel II mit 23 und 24 auf Tafel III, welche die Typhusspirochaeten enthalten, ist zu berücksich- tigen, daß letztere 700 fach und die Spirochaeten der Tafel II nur 500 fach vergrößert sind.) Die Spirochaete des Zahnschleims würde sich, da sie jederzeit und sehr leicht zu beobachten ist, vielleicht dazu eignen, die Entwicklungsgeschichte dieser eigentümlichen Gebilde zu studieren, was für die Ätiologie des Rückfalltyphus vom größten Wert sein könnte. Auffallend ist es, daß die Zahnschleimspirochaeten nicht bloß eine sehr verschie- dene Länge, sondern auch verschiedene Dicke besitzen, manche sind ungemein dünn und klein. Vielleicht sind dies verschiedene Entwicklungsstadien. Fig. 9. Vergr. 500. Sehr wenig mit Metliylviolett gefärbt, um die Sporenbildung nicht zu verdecken. Kurze keulenförmige Bazillen ohneBeweguiig. Gefunden im Jahre 1877 im Safte einer faulen Zwiebel, welche in einem Sumpf gelegen hatte. Die keulenförmige Gestalt ist durch Bildung einer Spore am einen Ende des Bazillus bedingt. Einige Bazillen sind noch vollkommen zylindrisch, in anderen zeigen sich die ersten Andevitungen der Spore, welche immer größer und dunkler wird. Schließlich wird der Bazillenfaden blaß, schwindet fast ganz und bildet nur ein Anhängsel der Spore. In der Gruppe befindet sich noch ein kleiner zylindrischer Bazillus mit vier Sporen in gleichen Abständen. Einem bedeutend größeren, aber durch Sporenbildung ebenfalls keulenförmig gestalteten Bazillus begegnen wir in Fig. 10. Außerdem besitze ich noch Präparate mit ähnlichen keulenförmigen Bazillen, welche sich durch die Dicke oder Länge des Bazillenfadens sowie die Größe der Spore von diesen beiden hier mitgeteilten Formen wesentlich unterscheiden. Mehrere derselben zeichnen sich dadurch aus, daß sie 2 — 6 glied- rige Ketten bilden, in denen die Sporen oder die sterilen Enden zweier benachbarter Glieder zusammenstoßen, also in dieser Weise : — . . . . . sehr häufig sieht man diese Form: . ., welche auch in Fig. 10 auftritt. AUe diese Bazillenformen scheinen keine selbständige Bewegung zu besitzen ; Geißelfäden habe ich an ihnen nicht wahrgenommen. Vorzugsweise finden sie sich in Früchten, Wurzeln, im saftigen Stengel von Wasserpflanzen, welche im Wasser faulen. Unzweifelhaft gehört die von van T i e g h e m Bacillus amylohacter genannte Art ^) in diese Gruppe von Bazillen. Ob dieselbe aber mit der hier abgebildeten identisch ist, vermag ich nicht zu sagen, davanTieghem die Größenverhältnisse seines Bacillus nicht angegeben hat und ich noch nicht Gelegenheit hatte, die Einwirkung, welche Jod auf dieselben hat, zu prüfen. Nach vanTieghem sollen diese Bazillusarten nur ZeUulosefäulnis veranlassen; ich habe sie mehrfach im Körper toter Wasserinsekten, denselben ganz ausfüllend, einigemale auch im faulenden Blute^) gefunden, was wohl darauf schließen läßt, daß sie sich unter Umständen auch an der Zersetzung eiweißhaltiger Substanzen beteiligen. Erwähnen wiU ich noch, daß ich neben den keulenförmigen Bazillen auch eine andere, wie mir scheint, hierher gehörige Form gefunden habe, deren Individuen etwas kürzer als diejenigen der Fig. 12, lanzett- förmig gestaltet und mit einer dem einen Ende näher gelegenen Spore versehen sind, welche indessen oval geformt ist und den BaziUenkörper nicht keulenförmig oder' bauchig auftreibt. 1) 1. c. ^) Vgl. auch die Abbildungen in der Schrift von Salomonsen, I.e. Taf. III, Fig. 1, 3, 4, 7 usw. Verfahren zur T'ntersucliung, zum Konservieren usw. der Bakterien. 43 Fig. 10. Vergr. 500. Ungefärbt. Lange keulenförmige Bazillen mit Sporen. An der Oberfläche von Kartoffeln, welche in Wasser aus dem Wollsteiner Stadtgraben faulten, gefunden. Fig. 11. Vergr. 500. Der schon bei Taf. II, Fig. 6 erwähnte Bacillus Iremulus mit Sporen. Dieser Bazillus gehört, was die Sporenbildung betrifft, einer anderen Gruppe als die vorhin erwähnten keulenförmigen, mit endständigen Sporen versehenen Bazillen an. Die hier photographierten Exemplare haben allerdings sämtlich nur eine Spore zur Ent- wicklung gebracht, doch ist das nicht die Regel. Bei üppigem Wachstum sieht man (jft ganz ähnlich, wie bei Fig. 12, den Bacillus treviulns mit 2 auch .3 vollständig entwickelten und einigen verkümmerten Sporen. Die ausgebildeten Sporen liegen dann bald mehr dem Ende, bald mehr der Mitte zu, sind also durchaus nicht regelmäßig endständig. Das eigentümliche bei der Sporenbildung der Bazillengruppe, welcher der Bacillus tre- mulus angehört, ist indessen, daß die Spore dicker wird als der Bazillenkörper; dabei aber letzteren nicht keulen- oder spindelförmig auftreibt, sondern blasenartig aus dem Bazillus hervorquillt. Deswegen erscheint die ausgewachsene Spore gewöhnhch seiten- ständig. Auch diese Gruppe umfaßt außer diesen und der folgenden noch andere Formen. Eigentümlich ist es, daß manche, so auch die in Fig. 12 gegebenen Bazillen, nur zur Sporen- bildung kommen, nachdem sie Häutchen an der Oberfläche von destilliertem oder Regen- wasser, überhaupt von Flüssigkeiten, welche keinem eigentlichen Fäulnisprozeß unter- worfen sind, gebildet haben. Ob diesem Ruhezustande ein bewegter vorhergeht, habe ich bis jetzt nicht feststellen können. Der Bacillus trem.ulus dagegen findet sich nur in faulenden Flüssigkeiten und bis jetzt habe ich ihn niemals in einem Ruhezustande ge- sehen. Daß er mit Geißelfäden versehen ist, wurde schon früher besprochen. Fig. 12. Vergr. 500. Bazillen mit mehreren seitlichen Spore n. Diese Art fand sich an der Oberfläche von Regenwasser nach mehrtägigem Stehen zu- gleich mit weit ausgedehnten Häutchen, die von einer dem Bact. tenno ähnlichen und ebenfalls sporenhaltigen Bakterie gebildet waren. Die Sporen dieser letzteren Art sind auch dicker als der Bakterienkörper und treten kugelartig aus diesem hervor; doch habe ich noch eine andere kleinere Form von Bact. tenno öfter gesehen, welche sich lebhaft bewegte und mit Sporen versehen war, die den Durchmesser des Bakterienkörpers nicht überschritten; ich möchte daher annehmen, daß das, was bis jetzt gewöhnlich unter dem Namen Bact. tenno begriffen wird, mehrere durch Sporenbildung mid Größe ver- schiedene Arten umfaßt, welche gelegentlich unterschieden werden müssen. Tafel III. Fig. 13. Vergr. 700. Mit Anilinbraun gefärbt, in Glyzerin eingelegt. S c h a f b 1 u t. welches 4 Tage lang bei einer Temperatur von 8" bis 10" 0 i n einem o f f e n e n G e f ä ß gestanden hatte. Links oben liefindet sich eme Gruppe mittelgroßer Mikrokokken, nach unten von diesen eine etwas kleinere Form und an der rechten Seite der großen Gruppe eine dmikel gefärbte kleinste Form, an welche sich noch weiter nach rechts wieder eine Gruppe der kleineren Form anschließt. In dem- selben Präparat war eine noch größere Mikrokokkenform vertreten, die größte, welche ich bis jetzt überhaupt gefunden habe; sie bildete ebenfalls Gruppen und die einzelnen Individuen derselben, welche fast den dritten Teil vom Durchmesser eines Blutkörperchens erreichten, befanden sich meistens in der Teilung, also in lebhaftem Wachstum. Leider ist das Negativ, welches eine Gruppe dieser größten Mikrokokken neben anderen kleineren Formen enthielt und ebenfalls veröffentlicht werden sollte, beim Kopieren für den Licht- druck zerbrochen. Wir hal)en also in demselben faulenden Blut größte, mittelgroße. 44 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. kleinere und kleinste Mikrokokken zu unterscheiden, und zwar bildet jede Form für sich eine ziemlich genau begrenzte Gruppe, an deren Rand, wie es bei dem Präparations- verfahren nicht anders möglich ist, sich einzelne oder mehrere Mikrokokken einer anderen Form anlegen ; doch sind auch in diesem Falle die nicht zur Gruppe gehörigen Mikrokokken leicht zu erkennen. Unzweifelhafte Ubergangsformen zwischen diesen verschiedenen Gruppen sind nicht vorhanden. Fig. 14. Vergr. 700. Mit Anilinbraun gefärbt, in Glyzerin eingelegt. Dasselbe Blut, welches das Präparat zu Fig. 13 geliefert hatte, enthielt nach vierwöchent- 1 i c h e m Stehen bei derselben Temperatur die in Fig. 14 wiedergegebenen Formen von Bakterien. Die Blutkörperchen, welche in Fig. 13 noch gut erhalten scheinen, sind in Fig. 14 verschwunden, und statt der in Gruppen gelagerten Mikrokokken erscheinen hier reihenförmig angeordnete, daneben einzelne sehr kleine Mikrokokken und längliche zu Bact. termo gehörige Formen, die auch schon in Fig. 13 zu bemerken sind. Fig. 15. Vergr. 700. Mit Anilinbraun gefärbt, in Glyzerin eingelegt. Kettenförmig angeordnete Mikrokokken, welche sich konstant und oft in großer Menge im Zungenbelag finden. Zwischen je 2 oder 4 Mikrokokken ist immer ein deutlicher Zwischenraum. Die beiden großen ovalen Körper sind Kerne vom Plattenepithel der Mund- höhle. An dem einen Ende der Kette befindet sich ein Haufen kleinster Mikrokokken, welche in dichten Zoogloeamassen den eigentlichen Zahnschleim bilden. Gewöhnlich umschließen diese letzteren, wie es auch hier der Fall ist, kleine Gruppen von einem etwas größeren Mikrokokkus, der sich durch eine nie fehlende, jedesmal ein bis vier Individuen umschHeßende breite glasartige Schleimhülle auszeichnet (in B i 1 1 r o t h s Werk über Goccobacteria septica auf Taf. III, Fig. 22 abgebildet). Fig. 16. Vergr. 500. Reihenförmig geordnete Mikrokokken, eine feine Haut auf Wasser bildend, welches in Schleim eingebettete Gomphonemaarten enthielt und mehrere Tage der Fäulnis überlassen blieb. Nur im Früh- jahr 1877 einigemale gefunden. In der Flüssigkeit selbst fanden sich lange Ketten desselben Blikrokokkus, aber keine Zoogloeabildung. In den Figuren 13 bis 16 sind nur einige Mikrokokkenfornien wiedergegeben ; ihre Zahl ist damit noch nicht erschöpft, und ich hätte, wenn es der Raum gestattete, wohl dreimal so viel Photogramme von verschiedenen Mikrokokkenformen veröffentlichen können. Bei der Auswahl, welche ich hier getroffen habe, kam es mir nur darauf an, zu zeigen, daß auch die Kugelbakterien sich recht gut in Formen trennen lassen, welche allerdings vorläufig nur durch die Größe und charakteristische Gruppierung (auch die Zoogloea ramiger a muß hierher gerechnet werden) unterschieden werden müssen — sowie daß, sobald diese Gruppen nicht gestört und, wie es gewöhnlich bei der Untersuchung von Bakterienflüssigkeiten geschieht, nicht alles durcheinandergerührt wird, auch keine Übergangsformen zwischen den verschiedenen Mikrokokken vorkommen. In betreff des letzten Punktes, welcher noch so vielfach Widerspruch findet, will ich noch anführen, daß man sich von der Richtigkeit desselben am leichtesten durch Kulturen in kleinen Glas- zellen überzeugen kann. In einem eingeschlossenen Tropfen fäulnisfähiger Flüssigkeit, z. B. Blut, Fleischwasser, entwickeln sich gewöhnlich nur eine oder wenige Bakterien- formen, die immer kolonieweise jede für sich von einem Entwicklungszentrum aus wuchern, sich schheßlich berühren oder verdrängen, auch durcheinandermengen, wenn sie beweg- lich sind, aber niemals Übergangsformen bilden. Alle diese Vorgänge lassen sich in dem Tropfen, weil die Flüssigkeit fortwährend, ohne sie zu bewegen, beobachtet werden kann, bequem verfolgen. Bei einer sehr großen Reihe von in dieser Weise angestellten Unter- suchungen, ebenso auch in frei faulenden Flüssigkeiten, welche mit möglichster Vorsicht in sehr dünner Lage auf das Deckglas gebracht, und um die Bakterien in ihrer natür- Verfahren zur Untersuehung. zum Konservieren usw. der Bakterien. 45 liehen Anordnung zu lassen, eingetroeknet und dann erst weiter untersucht wurde, habe ich niemals Ubergangsformen finden können, welche zu der Vermutung geführt hätten, daß, wie man heutzutage noch vielfach annimmt, die Bakterien sämtlich in den Entwick- lungskreis einer oder weniger Formen gehören. Fig. 17. Vergr. 700. Bacillus Anihracis. Dieses Photogramm zeigt die M i 1 z - b r a n d b a z i 1 1 e n in ganz frischem lebenden Z u s t a n d e. Milz- substanz einer unmittelbar vorher an Impf-Milzbrand gestorbenen Maus wurde möglichst schnell unter einem Deckgläschen mit Ol in einem hohlen Objektti'äger eingeschlossen, um die Verdunstung zu verhüten, und sofort photographiert. Die Blutkörperchen erscheinen hier sehr dunkel, da sie als gell)rote Körper nur wenig chemisch wirksame Strahlen durchlassen, und weil die Platte, um die zarten Linien der Bazillen zu erhalten, nur möglichst kurze Zeit l)eliclitet werden konnte. Übrigens ist die homogene Beschaffenheit der Bazillen und die schwach angedeutete Teilung einzelner Fäden ganz naturgetreu wiedergegeben. Fig. 18. Vergr. 700. Dasselbe Präparat, welches die Fig. 17 zeigt, nach- dem e s 24 Stunden bei 18° bis 20*^ V gehalten war. Die Milzbrand- bazillen sind schon berleutend g(^ wachsen, haben die Blutkörperchen zurückgedrängt und bilden eine dichte verfilzte Masse. Auch diese Bazillen sind ohne jede Präparation nach dem Leben photographiert. Fig. 19 und 20. Vergr. 700. M i 1 z b r a n d b a z i 1 1 e n , welche in Hmiior aqueiis^ ) zu langen Fäden ausgewachsen sind u n d S p o r e n ge- bildet h a b e n. Vm die Fäden zum Photographieren in eine Fl)ene zu bringen, wurde die Flüssigkeit eingetrocknet, aber die getrocknete Substanz unmittelbar nachher wieder in Kali acet. aufgeweicht und , ohne gefärbt zu sein, photographiert. In Fig. 1 !) erschei- nen die Fäden noch deutlich : Fig. 20 zeigt ein weiteres Stadium, in dem die Fäden zerfallen und verschwinden, so daß die Sporen allein, aber noch in Reihen geordnet, zurückbleiben. Im Gegensatz zu den kolbenförmigen sporenlialtigen Bazillen luid zu den Bazillen mit l:)lasenartig hervortretenden Sj)oren. bilden der Bacillus A )ithracis, dev Bacillus subtilis und einige andere hierlier gehörige Formen eine dritte Bazillengruppe, welche zu mehr oder weniger langen Ketten oder Fäden auswachsen und dann erst in jedem Gliede eine die Dicke des Fadens nicht übertreffende Spore entwickeln. Die Präparate, nach denen die Photogramme der IMilzbrandbazillen angefertigt wurden, s t a m m e n v o n T i e r e n her, die mit m e h r als 5 J a h r e alte m . getrocknetem, Sporen enthalten d e m M i 1 z b r a n d b 1 u t erfolg- reich g e i m p f t s i n d. Ich erwälnie dies ausdrücklich, da es F e s e r -) bei Wiederholung meiner Versuche über Impfungen mit Sporen des Bacilhis Aiilliracis nicht gelungen ist, diese länger als einige Monate wirksam, also lebensfähig zu erhalten, und er daraus schließt, daß ..die Milzbrandsporen die von mir behauptete Le])enszähigkeit nicht besitzen". Aber ich habe nicht allein zu meinen früheren A'' ersuchen ineistens sjjoren- haltige Substanzen, welche schon Jahre alt waren, gebraucht, sondern noch in der aller- letzten Zeit vielfache Impfungen feinige noch voi' wenigen Wochen im pflanzcn]jhvsiolo- gischen Institut zu Breslau) mit sporcnhaltigem Milzbrandblut gemacht, welches voi' 1 oder 2 Jahren und selbst vor 5 Jahren getrocknet war und zum Zwecke der Impfung in destilliertem Wasser oder Glyzerin aufgeweicht wurde. Alle diese Impfvuigen sind ausnahmslos erfolgreich gcA^esen. Die j a h r e 1 a n g e Halt b a r k e i t d e i- M i I z b r a n d s p o r e n ist also eine g a n z f e s t s t eben d e 'Y a t s a c Ii e , welche dadurch, daß ein anderer 1) Vgl. Cohns Beiträge. Bd. II. ITeft 'l. p. 2S(i. ( I »iese Werke p. S. ]). Ilerausoeher.) -) Archi^- für •Wissenschaft lirlic uiKt praktische 'ri<'rliein<.nnde JS77. lieft .") u. Ii. 46 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. Beobachter ein negatives Resultat bei seinen Versuchen erhält, nicht umgestoßen werden kann. Für die Praxis würde es sehr wichtig sein, zu untersuchen, unter welchen Bedin- gungen die Milzbrandsporen so schnell unwirksam werden, wie bei den P e s e r sehen Versuchen der Pall war, es müßten sich daraus am einfachsten die Maßregeln ergeben, welche man zur Ausrottung des endemischen Milzbrandes, welcher nur durch die Bildung der lange haltbaren Milzbrandsporen bestehen kann, zu ergreifen hat. Vielleicht geben die P e s e r sehen Versuche hierfür einen Anhalt. Von diesen Versuchen müssen als nicht ganz zweifelsfrei diejenigen ausgeschlossen werden, bei denen direkt von den frischen Kadavern entnommene Gewebsteile zur Sporenbildung angesetzt wurden, ohne sie vor dem Eindringen anderer Bakterien zu schützen, da P e s e r selbst sagt (p. 394), daß die in diesen Substanzen später gefundenen Sporen möglicherweise von anderen ähnlichen in faulendem Blut und dergleichen vorkommenden Bazillen herrühren konnten. Es bleiben also nur die Versuche mit in geschlossenen Zellen gezüchteten reinen Milzbrand- sporen übrig. Wie nun aus den betreffenden Protokollen (p. 393 und 394) zu ersehen ist, hat F e s e r die sporenhaltige Flüssigkeit auf Schreibpapier eingetrocknet, und gerade hierin scheint mir der Grund für das Mißlingen der später mit diesem Material angestellten Impfversuche zu liegen, denn es ist bekannt, daß Schreibpapier meistens einen nicht unbedeutenden Gehalt an Blei, Kupfer oder Arsen hat, der aus den Farbstoffen der zur Fabrikation dienenden Lumpen stammt, oder auch, um dem Papier einen gewissen Farben- ton zu geben, absichtlich zugesetzt wird. Da es aber bis jetzt noch nicht erwiesen und auch ganz unwahrscheinlich ist, daß die Milzbrandsporen durch Salze der genannten Metalle nicht getötet werden, so ist die von F e s e r befolgte Methode durchaus nicht so fehlerfrei, wie er annimmt. Fig. 21. Vergr. 700. Von derselben Milzsubstanz, welche zur Her- stellung der vorhergehenden Photogramme gedient hatte, wurde eine dünne Schicht auf einem Deckgläschen eingetrocknet, mit Anilin- braun gefärbt und in Glyzerin eingelegt. Durch dieses Verfahren wurden die Blutkörperchen ihres Farbstoffes beraubt, dagegen die Bazillen sowie die Kerne der weißen Blutkörperchen braun gefärbt. Auf der Photographie erscheinen daher jetzt, im Gegensatz zur Photographie der frischen unpräparierten Milzsubstanz, die Blutkörperchen kaum angedeutet als blasse Kreise, die Kerne der weißen Blutkörperchen ziemlich dunkel und die Bazillen, weil sie am meisten braun gefärbt sind, ungemein kräftig und dunkel. Zugleich fällt aber auch auf, daß die Bazillen zwar nicht in Länge und Breite verändert sind, aber doch deutlich gegliedert und an dem Ende nicht abgerundet, sondern abgestutzt erscheinen. Außerdem ist die Gliederung insofern eigentümlich, daß die Glieder nicht durch eine einfache Querlinie geschieden sind, sondern daß die helle Trennungslinie in der Mitte eine kleine Anschwellung besitzt und daß die Verbindungs- stelle zwischen 2 Gliedern eine schwache knotenförmige Verdickung zeigt. Beim ersten Anblick macht deswegen der Bazillus den Eindruck, als ob er in regelmäßigen Abständen mit hellen Punkten besetzt wäre. Dieses außergewöhnliche Verhalten beim Eintrocknen findet sich bei keinem von allen anderen Bazillen, die ich bis jetzt untersucht habe, wieder. Höchstens wird die Gliederung durch das Trocknen und Färben der Bazillen und ihrer Ketten ein wenig prägnanter. Aber dieses abgestutzte und punktierte Aussehen, wie es der getrocknete und gefärbte Milzbrandbazillus annimmt, ist für diesen so charak- teristisch, daß man dasselbe zur Diagnose des Milzbrands mit vollkommener Sicherheit benutzen kann. Und in der Tat habe ich vor einigen Monaten bei einem Menschen, welcher 2 Tage vorher an Milzbrand in Form einer diffusen Anschwellung an der linken Halsseite erkrankt war, durch das Auffinden einiger Bazillen, welche dieses charak- teristische Kennzeichen hatten, die richtige Diagnose stellen können, welche letztere Verfahren zur Untersiichimg. zum Konservieren usw. der Bakterien. 47 durch erfolgreiche Überinipfung der Anthraxsiibstanz auf Tiere bestätigt wurde. Die getrockneten Milzbrandbazillen habe ich auch mit Blauholzextraktlösung gefärbt und genau untersucht, aber nicht die geringste Andeutung von Geißeln finden können. Ich erwähne das nur, weil damit auch ein morphologischer Unterschied zwischen dem Bacillus Anthracis und dem Bacillus suhtilis, welcher ersterem in Größe, Wachstum und Sporenbildung ungemein ähnlich ist, aber Geißeln besitzt, gegeben wird. Für die Milzbrandätiologie würde hierdurch der Einwand, welchen man so oft gemacht hat, daß unmöglich derselbe Organismus das einemal als Bacillus suhtilis Buttersäuregährung und das anderemal als Bacillus Avthracis tödliche Krankheit erzeugen könne, beseitigt werden; denn B. suhtilis u n d B. Anthracis sind nicht nur in ihrer phy- siologischen Wirkung, sondern auch in ihrer Gestalt und in ihren ganzen Lebensbedingungen vollkommen voneinander abweichende Organismen. Fig. 22. Vergr. 700. Mit Anilinbraun gfärbt. B 1 u t aus d e r Art. hasilaris eine r nach 2 Tagen (im Juni) sezierten E r s t i c k u n g s 1 e i c h e. Im Peri- kardialserum derselben Leiche fanden sich dieselben Bazillen, teilweise zu drei- bis viermal längeren Fäden ausgewachsen und mit Sporen versehen. Wahrscheinlich gehören diese Bazillen derselben Form an, welche B i 1 1 r o t h in seinem Werke über Coccohacteria septica auf Taf . IV, Fig. 34 abgebildet und Streptobacteria gigas genannt hat. Nach meiner Erfahrung sind dies gewöhnlich die ersten Bakterien, welche im Blute von Leichen auf- treten, daneben finden sich oft noch andere kleinere und dünnere Bazillenformen, von denen auch in Fig. 22 eine kleine Gruppe zu sehen ist. Erst später kommen im Leichen- blute Mikrokokken, Bacterium termo und ähnhche Arten zum Vorschein. Ob, wie von manchen angenommen wird, die Keime jener ersten Bazillen schon im lebenden Blute enthalten waren, aber erst im Leichenblute die Bedingungen für ihre Entwicklung finden, muß ich dahin gestellt sein lassen. Wahrscheinlicher ist es mir jedoch, daß sie erst nach dem Tode aus dem Verdauungskanal in das Perikardialserum und in das Blut einwandern, da man sie zuerst und in größter Zahl iunner in der Nähe der Verdauungsorgane findet. Im frischen Zustande sind sie nur etwas deutlicher gegliedert als die Milzbrandbazillen, sonst sind sie diesen in Länge und Breite so ähnlich, daß man sie nur bei sorgfältiger Untersuchung unterscheiden kann; und manche Behauptung über Blut, welches Milzbrand - bazillen enthielt und sich beim Imjjfen erfolglos erwies, und ähnliche Irrtümer sind zweifel- los durch Verwechslung des Bacillus Anthracis mit diesen Bazillen entstanden. Der Unterschied zwischen beiden tritt weit deutlicher durch Eintrocknen und Färben hervor, und um dies recht augenfällig zumachen, habe ich die beiden Photogramme nebeneinander- gestellt. Beide sind genau in derselben Weise präpariert und gefärbt ; aber sofort fallen bei den Milzbrandbazillen die eckigen, fest aneinandcrschließenden, an den Enden noch verdickten Glieder des Stäbchens auf. im Gegensatz zu den lose verbundenen abgerundeten Gliedern des Bazillus im faulenden Blute. Diese beiden letzten Photogramme veranlassen mich, nocli auf einen Punkt, welcher von N a e g e 1 i in seinem neuesten Werke ^) berührt wurde, einzugehen. N a e g e 1 i nimmt nämlich an, daß alle dickeren Stäbchen und Fäden (oft selbst die dünneren) bei Behandlung mit verschiedenen Reagentien (namentlich mit Jodtinktur, auch beim Aus- trocknen) bald torulos (wodurch die Gliederung nur angedeutet wird), bald deutlich kurzgliederig erscheinen, und er gibt in Fig. 2 (pag. 4) eine schematische Zeichnung, wie diese Gliederung an Bazillen und Spirillen beschaffen sei. Gerade auf diesen Umstand habe ich mein besonderes Augenmerk vom Anfang meiner Untersuchungen an gerichtet, M Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrankheiten und der Gesinidheits- pflege. ^tünchen 1877. 48 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. da schon früher von anderen Seiten über das Zerfalien von Bazillen in Mikrokokken und umgekehrt ül)er das Entstehen von Stäbehen aus Mikrokokken berichtet ist, und je nachdem diese Angaben sich bestätigten oder als Irrtümer herausstellten, unsere gesamten Anschauungen über die Bakterien sich grundverschieden gestalten müssen. Es ist also gewissermaßen eine Prinzipienfrage, deren Entscheidung man anstreben muß. wenn eine Verständigung unter den Bakterienforschern erreicht werden soll und zu deren Lösung ein jeder nach seinen Kräften beizutragen hat. Meine Erfahrung nun, welche sich auf Tausende von getrockneten Präparaten stützt, von denen viele mit Jodtinktur und auch mit anderen Reagentien behandelt wurden, widerspricht den JST a e g e 1 i sehen Beobach- tungen. Das habe ich auch gefunden, daß Gliederungen von Fäden durch Eintrocknen deutlicher werden, was ja namentlich aus den beiden letzten Photogrammen hervorgeht; ferner, daß Jodtinktur in manchen Bazillen, Spirillen und ~\^ibrionen den feinkörnigen Inhalt stärker hervortreten läßt. Aber so kurzgegliederte Bazillen und Spirillen, wie sie N a e g e 1 i abbildet, habe ich niemals, weder nach Eintrocknen noch nach Behandlung mit Jodtinktur gesehen. Die Figuren 4, 5, 6 und 8 der ersten Tafel') stellen sämtlich im getrockneten Zustande befindliche Bakterien dar, alle übrigen Bazillen (mit Ausnahme von Fig. 1 und 2) und Spirochaeten sind vor dem Färben getrocknet gewesen; aber an keinem dieser Bakterien wird man eine torulose oder kurzgliedrige Beschaffenheit er- kennen. Ein Irrtum meinerseits kann hier unmöghch vorliegen, denn es würde wenigstens an den eingetrockneten Bakterien, welche so stark vergrößert und so scharf eingestellt photographiert wurden, daß ihre Geißeln zum Vorschein kamen, eine etwa vorhandene Gliederung nicht verborgen geblieben sein. Den Einwand aber, den ich auch schon früher gehört habe, daß man nämlich nach Belieben eine Bakterie auf der Photographie gegliedert oder ungegliedert erscheinen lassen könne, kann nur derjenige im Ernste machen, der nicht die geringste Kenntnis von Mikrophotographie besitzt. Fig. 23 und 24. Vergr. 700. Mit Anilinbraun gefärbt, in Glyzerin eingelegt. Spiro- chaete Obermeieri. Vom Methylviolett werden die Rekurrensspirochaeten sehr intensiv gefärbt und eignen sich vorzüglich zum Einlegen in Kanadabalsam. Auch Anilinbraun nehmen sie gut an und geben damit gefärbt ziemlich kräftige Bilder. Wie schon früher angegeben wurde, verdanke ich das Material zu diesen Photogrammen Herrn Dr. A 1 - b r e c h t in Petersburg, welcher die Güte hatte, mir eine Anzahl Deckgläschen mit ein- getrocknetem Blut von Rekurrenskranken zu senden. Ich war dadurch in den Stand gesetzt, eine größere Anzahl von Photogrammen anzufertigen, von denen ich des knappen Raumes wegen nur diese beiden mitteilen konnte. Das dazu benutzte Präparat stammt von einem 22 jährigen Manne, 28 Stunden nach Beginn des zweiten Anfalles. Da die Spirochaeten nicht so regelmäßige Windungen, wie in den bekannten Abbildungen und in manchen Präparaten resp. Photogrammen noch stärkere Biegungen und Knickimgen wie in Fig. 23 zeigten, so vermutete ich, daß sie durch Eintrocknen so verändert würden. Diese Vermutung erwies sich indessen als unrichtig, da Dr. A 1 b r e c h t auf eine An- frage folgende Mitteilung machte: ,,Was die Form Verhältnisse der Spirochaete vor dem Eintrocknen anbelangt, so kamen Spirochaeten vor, welche in gradliniger Richtung regelmäßige Spiralen zeigten. Dieselben Spirochaeten nehmen oft bei gleichmäßig bleibenden Windungen eine schwach gebogene Richtung an. Bei weitem die Mehrzahl derselben zeigte jedoch schon Avährend des Lebens Formen, wie sie auf Ihren von Prof. Cohn mir zugeschickten Photogrammen sehr schön zu sehen sind, nur daß bei den schnellen Bewegungen ein beständiger Wechsel des Biegungswinkels statthatte. Dabei können die beiden Enden sich bis zur Berührung einander nähern, sogar übereinander herausgehen, um dann, zurückgehend, eine mehr gerade Richtung anzunehmen. Dabei ') Tafel II. Verfahren ziu? Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. 49 erscheinen die Windungen nie gleichmäßig geformt, viehnehr sind in der Gegend der Knickung immer eine oder mehrere Windungen größer und länger als die übrigen. Die schnellen Bewegungen und der beständige Wechsel der Formen lassen eine genaue Prüfung der Größe und Zahl der Windungen nicht zu." Es bestätigte sich also auch hier wieder, daß die Gestalt der Bakterien durch schnelles Eintrocknen mit wenigen Ausnahmen nicht verändert wird. Die Spirochaete der Fig. 24 zeichnet sich nicht allein durch ihre regelmäßige Gestalt, sondern noch durch eine kleine knotenförmige Verdickung in der Mitte aus (das Negativ zeigt dieselbe weit deuthcher als das Papierbild); ich habe diese Verdickungen, welche auch Heydenreich auf Taf. I, Fig. 27 seiner Schrift^) abgebildet hat, nicht oft gefunden und vermag über die Bedeutung derselben nichts anzugeben. Etwas, worauf meines Wissens noch nicht aufmerksam gemacht ist, tritt auf den Photographien sehr deutlich hervor, daß die Spirochaeten des Rekurrens ebenso wie die Z a Ii n s c Ii 1 e i m s p i r o c h a e t e n an beiden Enden zugespitzt sind, während die anderen Spirochaeten mehr oder weniger gestutzte Enden haben. Heydenreich läßt es unentschieden, ob die Spiroch. flicatilis, die Zahnschleimspirochaete und die Spü'OcJi. Obermeieri zu ein und derselben Art gehören oder nicht, und hält es für mögUch, daß die geringen Unterschiede in Gestalt und Größe dieser 3 Spirochaeten durch verschiedene Lebensbedingungen zustande kommen können. Demgegenüber nehme ich an, daß die 3 Spirochaeten arten streng vonemancler zu trennen sind. Die Spiroch. plicatilis unterscheidet sich von der Rekurrensspirochaete durch die doppelte Wellenlinie und die Zahnschleimspirochaete durch geringere Dimensionen von derselben. Aber auch abgesehen von diesen Formunterschieden spricht gegen die Identität der 3 Arten schon der Umstand, daß die Spirochaete plicatilis seit fast 2 Jahren von mir in Wollstein und Umgegend, wo bis jetzt noch niemals eine Rekurrens-Epidemie vorkam, häufig gefunden, und die Zahnschleimspirochaete wahrscheinlich ein harmloser Begleiter der meisten Menschen ist. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß die Rekurrens- spirochaete nicht möghcherweise auch andei'swo vorkommen könnte, als im menschlichen Blute: aber wo sie sich findet, da muß sie auch durch gelegentliches Eindringen in den menschlichen Blutstrom und dadurch bewirkte charakteristische Krankheitserscheinungen sich manifestieren. 7. Zum Schluß meiner Arbeit möchte ich noch einmal auf den Wert der Photo- graphie für die Bakterienforschung hinweisen. Jeder, der sich mit Bakterienunter- suchungen abgegeben hat, kennt die außerordentliche Mannigfaltigkeit in den Formen der Bakterien und die große Schwierigkeit, dieselben richtig auseinanderzuhalten und zu gruppieren. Viele Formen in diesem Chaos gewinnen jetzt schon an Konsistenz und müssen fixiert werden, so vor allen Dingen die mit Sporen versehenen Bakterien, dann die geißeltragenden Bakterien, ferner die Zoogloeabildungen und manche durch charakteri- stische Gestalt leicht erkennbare Formen. Es ist durchaus nicht nötig, daß sofort eine jede dieser Formen als besondere Art bezeichnet wird, obwohl man dies in betreff der sporenhaltigen Bakterien schon jetzt unbedenklich tun könnte. Es ist auch wahrschein- lich, daß bei weiterer Erforschung der Bakterien gewisse Formen dieser einzelnen durch Sporen, Geißeln usw. bezeichneten Reihen als zusammengehörig gefunden werden. Vorläufig müssen aber, wie schon gesagt, alle fixiert werden, um eine naturgemäße Klassifikation der Bakterien zu ermöglichen. Dazu eignet sich aber nichts mehr, als die Photographie. Es ist dringend zu wünschen, daß in Zukunft von allen bemerkens- werten Funden haltbare Präparate, welche sich pliotographieren lassen, oder womöglich gleich Photographien selbst angefertigt werden. Um so mehr ist es geboten, wenn es sich 1) 1. c. Koch, Gesammelte Werke. 4 50 Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren usw. der Bakterien. um seltene Gegenstände handelt, oder wenn die Verhältnisse sich so gestalten, daß das Untersuchungsobjekt nicht jedem zugänglich ist, z. B. das Vorkommen von Bakterien bei seltneren Krankheiten. So wäre beispielsweise sehr wichtig, wenn die in neuester Zeit von K 1 e b s ^) entdeckten Monas- und Navikula-artigen Organismen und die kleinen die Gestalt eines unregelmäßigen Tetraeders besitzenden Infusorien, denen er einen Ein- fluß auf die Kropfbildung zuschreiben zu müssen glaubt, sowie die von ihm durch frak- tionierte Kultur mit Tuberkelmassen erhaltenen impffähigen Körperchen^), wenn diese also photographiert und das naturgetreue Bild dieser Dinge zu aller Kenntnis gebracht würde. Dasselbe gilt von der Entdeckung des Prof. S e m m e r 3), welcher im Speichel und Blut wutkranker Hunde feinkörnigen Mikrokokkus und kleine Kettenformen, und bei 8 an Wut eingegangenen Rindern im Blute außer Kugel- und Stäbchenbakterien noch ,, geschwänzte, den Spermatozoen ähnliche Gebilde" fand. Sehr wichtig wäre es auch, daß die bei Diphtheritis und Septicämie gefundenen Bakterien, über deren Beschaffenheit die Angaben sehr widersprechend sind, photo- graphiert würden. Es ließen sich dann leichter Vergleiche dieser mit anderen Bakterien anstellen und man würde bestimmt das Richtige an diesen Angaben vom Irrtümlichen scheiden können. Um solche Vergleiche zu ermöglichen, müßten Sammlungen angelegt werden, welche alles bisher auf dem Gebiet der Bakterienkunde gewonnene Material umfaßten, und damit dieses Material durch naturgetreue Abbildungen jedem zugänglich gemacht würde, müßte ähnlich dem Schmidt sehen Atlas der Diatomazeenkunde ein photographisches Sammelwerk geschaffen werden. Unzweifelhaft würden solche Einrichtungen von größtem Nutzen sein, um die zahlreichen wilden Schößlinge, welche die Bakterienkunde getrieben hat und die ihrem Gedeihen außerordentlich hinderlich sind, zu beseitigen. ^) Klebs: Studien über Kretinismus. Prag 1877. ^) Klebs: Über Tuberkulose. (Nach einem Referat in der Allgem. med. Centrai-Zeitung 1877. Nr. 78—91.) ^) Prof. E. Semmer (Dorpat): Zur Genesis der septischen Blutzersetzungen. (Nach einem Referat in der Allgem. med. Centrai-Zeitung 1877. Nr. 56 u. 57.) W o 1 1 s t e i n , November 1877. Koch, Gesammelte Werke Tafel III Referat. ) Von Dr. R. Koch, Kreisphysikus in Wollstein. C. V. N a e g e 1 i , Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrankheiten und der Gesundheitspflege. München 1877 ; und Dr. Hans Buchner, Die Naegelische Theorie der I n f e k t i o n s k r a n k Ii e i t e n in ihren Beziehungen zur medi- zinischen Erfahrung, Leipzig 1871. In den letzten Jahren haben sich die Angaben über den Zusammenhang der Infektionskrankheiten mit kleinsten pflanzlichen Organismen so gemelu't, daß der Schwerpunkt der Untersuchungen über die Ätiologie dieser Krankheiten auf botanisches Gebiet verlegt ist. Um so mehr muß es daher die Aufmerksamkeit aller Arzte erregen, wenn ein Botaniker von Ruf, wie N a e g e 1 i , seine Erfahrungen und Ansichten über diese wichtige Angelegenheit veröffentlicht. Das hohe Interesse, welches dieser Gegen- stand verdient, rechtfertigt eine etwas eingehendere Besprechung dieses Buchs. Der Inhalt desselben ist kurz wiedergegeben folgender: N a e g e 1 i hält drei Gruppen der niederen Pilze streng auseinander: Die Schimmel- pilze, die Sprosspilze (Hefepilze) und die Spaltpilze (Bakterien). Nur die Spaltpilze können Ursache der Infektionskrankheiten sein und sie sind es auch nach N a e g e 1 i s Ansicht. Sie sind die kleinsten Organismen; manche Formen befinden sich an der Grenze der Sichtbarkeit und ihre Unterscheidung von körnigen Ausscheidungen organischer und un- organischer Substanzen ist oft unmöglich. Innerhalb der Gruppe der Spaltpilze kommen verschiedene Formen vor, welche sich indessen nicht zu eigentlichen beständigen Arten abgrenzen lassen, da sie sowohl in ihrer äußeren Gestalt als in ihren Fermentwirkungen nicht beständig sind, sondern durch Anpassung an veränderte Verhältnisse ineinander übergehen. Im allgemeinen lassen sich unter den Spaltpilzen nach ihren verschiedenen Funktionen wiederum Fäulnispilze, Miasmenpilze und Kontagienpilze unterscheiden. Die Fäulnispilze verursachen die septischen Krankheiten ; sie sind wenig energisch und es bedarf, um Erkrankung hervorzurufen, der Einverleibung einer größeren Menge derselben. Die Miasmenpilze veranlassen die miasmatischen Krankheiten. Auch von ihnen muß eine größere Anzahl (aber immerhin viel geringere als bei den Fäulnispilzen) in den Körper gelangen, um Ansteckung zu bewirken. Die größte Energie besitzen die Kontagienpilze, von denen wenige, vielleicht ein einziger zur Ansteckiing ausreicht. Bei den kontagiösen Krankheiten, welche von Bodenverhältnissen beeinflulk werden, muß, wie N a e g e 1 i annimmt, eine gleichzeitige Einwirkung von Miasmen- und Kontagienpilzen stattfinden. Die Spaltpilze bedürfen zum Leben einer gewissen Menge Wasser, welches außer mine- M Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1S78, Nr. 1 u. 2. 4* 52 Referat (über: v. Naegeli, Die Beziehungen der niederen Pilze usw., und raiischen Nährsalzen kohlen- und stickstoffhaltige Verbindungen enthält. Am günstigsten ist für ihr Wachstum eine neutrale, nicht zu konzentrierte Nährflüssigkeit. Ist die Flüssig- keit zu arm an Nährstoffen, dann gehen die Spaltpilze nach verhältnismäßig kurzer Zeit durch Erschöpfung zugrunde; ist sie zu konzentriert, dann hört ihr Wachstum auf, doch sterben sie in diesem Falle nicht ab, und selbst im vollständig ausgetrockneten Zustande bleiben die Spaltpilze unbestimmt lange Zeit, wohl Jahrhunderte hindurch, lebensfähig. Von der Oberfläche der trocknen Substanz lösen sich die Spaltpilze ab oder sie haften an dem Staub, in den die trockene Masse zerfällt, und werden durch Luftströmungen fort- geführt. Aus Flüssigkeiten gelangen sie nicht durch Verdunstung, sondern nur durch mechanische Aktion (Spritzen) in die Luft. LTm in dem menschlichen Körper in Wirksam- keit gelangen zu können, müssen sie von der Lunge oder von Wunden aus in die Blut- masse eindringen. Naegeli wendet nun diese Sätze auf die wichtigsten Fragen der Gesundheits- pflege an und kommt zu folgenden Resultaten: Selbst mit dem verdorbensten Trinkwasser werden nicht so viel Fäulnispilze oder Miasmenpilze genossen, wie zur septischen oder miasmatischen Infektion notwendig sind. Auch die Kontagienpilze, welche nur in geringer Menge ins Wasser gelangen und kaum einige Tage in demselben lebend bleiben, weil das Wasser die Nährsalze in zu großer Ver- dünnung enthält, können nur in den allerseltensten Fällen, wenn sie zufällig im Ver- dauungskanal eine kleine Verletzung treffen, ins Blut gelangen und gefährlich werden. Deswegen hat unreines Wasser für die Gesundheit keinen Nachteil und ein klares Trink- wasser ist nur aus ästhetischen Gründen zu empfehlen. Die Luft kann in den suspendierten staubförmigen Massen die verschiedenen mehr oder weniger gefährlichen Spaltpilzformen in unseren Körper hineinführen. Doch ist es unmöglich, die infizierte Luft unschädlich zu machen, da man sie nicht völlig staubfrei zu erhalten vermag. Höchstens kann sich der einzelne durch einen staubdichten Respirator vor den in der Atmosphäre schwebenden Infektionsstoffen schützen. Der feuchte Boden bildet die Brutstätte der die Infektionskrankheiten erzeugenden Spaltpilze. Je mehr indessen der Boden verunreinigt ist, um so mehr nehmen die Spalt- pilze den Charakter der weniger gefährhchen Fäulnispilze an. Da nur nach dem Austrocknen des Bodens, also nach dem Sinken des Grundwassers, die Spaltpilze sich ablösen und in die Luft gelangen können und weil mit der Zunahme organischer Substanzen im Boden die Adhäsion der Spaltpilze an die Bodenteilchen wächst, so werden sich in einem stark ver- unreinigten Boden mit unveränderlichem Feuchtigkeitsgehalt, also gleichbleibendem Grundwasserstand nicht nur am wenigsten Miasmen- und Kontagienpilze bilden, sondern auch am schwierigsten aus dem so beschaffenen Boden in die Luft und von da in den menschlichen Körper dringen. Der Untergrund der menschHchen Wohnungen kann des- wegen mit organischen, in Zersetzung begriffenen Substanzen verunreinigt sein, ohne daß hieraus allein eine Gefahr für die Bewohner entsteht; erst durch die Schwankungen des Grundwassers und vorübergehendes Austrocknen der spaltpilzführenden Schichten wird der verunreinigte Boden gefährlich. Dadurch, daß man solchen Boden beständig naß oder beständig trocken hält, vermag man ihn unschädlich zu machen. Die Annahme von diesem Verhalten des Bodens führt dann weiter zu dem Schluß, daß eine Abfuhr der Auswurfs- stoffe für einen stets gleichmäßig befeuchteten Boden unnötig ist, daß Versitzgruben nicht nur unschädlich, sondern unter Umständen, wenn sie nämlich zur beständigen Feucht- haltung des Bodens beitragen, zur Bodenverbesserung dienen können, daß Schwemm- kanäle hygienisch unschädlich sind, gleichviel, ob sie dicht oder undicht sind, ob sie Uber- fluß oder Mangel an Spülwasser haben, ob sie sich an Abtrittsgruben oder direkt an Ab- tritte anschließen, daß trockene Begräbnisplätze inmitten von Städten gefahrlos sind H. Buchner, Die Naegelische Theorie der Infektionskrankheiten usw.) 53 Aus denselben Gründen hält N a e g e 1 i auch die Desinfektion der frischen Exkremente sowie der Abtritte und Abtrittsgruben für überflüssig. Die Aufzählung der weiteren Konsequenzen, welche N a e g e 1 i aus seiner Theorie für die Desinfektion, Wundbehandlung und andere Verhältnisse zieht, würde zu weit führen. Zur Charakterisierung seiner Ansichten genügen die angeführten Sätze vollständig. Es bedarf wohl keines weiteren Hinweises darauf, daß diese Theorie, wenn sie sich als richtig erweist, von größter Wichtigkeit für die meisten schwebenden Fragen der Gesund- heitspflege sein muß. Namentlich würden die jetzt geltenden Anschauungen über Anlage von Trinkwasserleitungen, Kanalisation der Städte, Desinfektion und sonstige Maßregeln gegen Infektionskrankheiten eine vollständige Umwälzung erfahren. Ehe man jedoch einer Theorie Einfluss auf die Praxis zugestehen kann, muß man von ihr verlangen, daß ihr sichere Beweise zugrunde liegen und daß sie mit allen schon fest- stehenden Tatsachen in Einklang steht. Diese Bedingungen erfüllt nach des Referenten Meinung die N a e g e 1 i sehe Theorie nicht. Es kann indessen selbstverständlich hier keine ausführliche Widerlegung der N a e g e 1 i sehen Behauptungen gegeben werden und es muß genügen, einige der wichtigeren Punkte, welche sich dagegen geltend machen lassen, anzudeuten. Die eigentliche Grundlage der Theorie wird durch die Annahme von der Veränder- lichkeit und dem schnellen Anpassungsvermögen der Spaltpilze gebildet. N a e g e 1 i sagt selbst, daß er Tausende von verschiedenen Spalthefeformen untersucht habe (p. 20), ohne einen Grund zur Trennung in spezifische Formen gefunden zu haben. Ferner läßt er, wie früher angeführt wurde, Kontagienpilze nach kurzer Zeit in Fäulnispilze sich ver- wandeln. Es läge hier also ein Organismus vor, der in bezug auf seine Form luid Funktion so wandelbar ist. wie auch nicht im entferntesten irgendein anderes lebendes Wesen. Für die Annahme eines mit so wunderbaren Eigenschaften begabten Organismus muß eine um so genauere Beweisführung gefordert werden, weil die Untersuchmig dieses fraglichen Organismus sich an der Grenze des Leistungsvermögens unserer Mikroskope bewegt, also Irrtümer in der Beurteilung desselben leicht vorkommen können und schon oft genug vor- gekommen sind. Aber vergebhch suchen wir in dem N a e g e 1 i sehen VvVrke nach einer Begründung des wie ein Axiom hingestellten Satzes. Dieser Mangel einer Beweisführung fällt um so mehr ins Gewicht, als in neuerer Zeit durch verbesserte Untersuchungsmethoden bei den größeren stäbchenförmigen Spaltpilzen ganz charakteristische Unterschiede in betreff ihrer Form und ihres Entwicklungsganges gefunden sind. Man hat Bewegungs- organe (Geißeln) von verschiedener Gestalt, eine verschiedene Art von Gliederung und vor allen Dingen bei den verschiedenen Formen der stäbchenförmigen Spaltpilze (Bazillen) ganz verschiedene Fruchtbildungen (Sporen) nachgewiesen. Ferner hat sich herausgestellt, daß bei denjenigen Spaltpilzformen, deren Entwicklungsgeschichte bis jetzt verfolgt werden konnte, der Formenkreis ein ganz eng begrenzter ist, da aus einer Spore nur immer wieder ein Stäbchen entsteht vind letzteres entweder unter fortwährender Teilung oder nach dem Auswachsen zu langen Fäden wieder Sporen bildet. Niemals tritt in diesen engen Kreis eine andere Form hinein ; namentlich verwandeln sich die stäbchenförniigen Spalt- pilze nicht in kugelförmige und umgekehrt. Ebensowenig hat man bis jetzt Übergänge von spiralförmigen Spaltpilzen in andere Formen mit Sicherheit beobachtet. In mehreren Fällen, in denen solche Übergänge behauptet sind, haben sie sich geradezu als Irrtümer herausgestellt. Für die größeren, unseren optischen Instrumenten noch zugänglichen Spaltpilzformen ist also die NotAvendigkeit einer Trennung in spezifische beständige For- men schon nachgewiesen und die N a e g e 1 i sehe Annahme von der tausendfachen Wandelbarkeit ihrer Gestalt ausgeschlossen. Was aber für die größeren Spaltpilze gilt, ist auch für die kleineren kugelförmigen als wahrscheinlich anzusehen. Sobald aber nur die 54 Referat (über: v. Naegeli, Die Beziehungen der niederen Pilze usw., und Wahrscheinlichkeit existiert, daß es verschiedene Arten. von Spaltpilzen mit verschiede- nen Lebens- und Entwicklungsbedingungen gibt und damit die Möglichkeit gegeben ist, daß einzelne dieser Arten, vielleicht gerade die von Naegeli als Kontagienpilze be- zeichneten, sich doch noch anders verhalten, als die bis jetzt zu pilzphysiologischen Experi- menten ausschließlich benutzten Fäulnispilze, dann ist schon der Naegeli sehen Theorie ihre Hauptstütze entzogen. Ein weiterer Mangel der Theorie liegt darin, daß Naegeli sich hauptsächlich auf die Lebensbedingungen der Spaltpilze beruft und, wie er sich mit Vorliebe ausdrückt, ,, pilzphysiologische Gründe" als Beweismittel gebraucht, dabei aber den, man möchte t sagen wichtigsten Abschnitt im Leben der Spaltpilze, nämlich die Sporenbildung und das Verhalten der Sporen vollständig vernachlässigt. Es ist eine feststehende Tatsache, daß die Sporen in getrocknetem Zustande lange Zeit haltbar sind, während die zugehörigen Bazillen nach dem Trocknen bald zugrunde gehen (Naegeli gibt irrtümlicherweise an, daß die Spaltpilze selbst (p. 28) dem Austrocknen widerstehen). Ferner ist es erwiesen, daß die Sporen auch im Wasser nicht absterben, da sie sich im Ruhezustand befinden und also nicht, wie die Spaltpilze selbst (nach N a e g e 1 i s Annahme), aus Mangel an Nähr- salzen zugrunde gehen. Daraus folgt aber, daß, sobald außer den Infektionspilzen auch ihre Sporen in das Trinkwasser gelangen, dieses letztere so lange gefahrbringend ist, als die Sporen lebensfähig bleiben, also, wie nach einigen Erfahrungen zu schließen ist, wenigstens mehrere Monate lang. Mit dieser Annahme, die sich auf unzweifelhafte, an den Sporen der Milzbrandbazillen gewonnene Tatsachen stützt, ist die Naegeli sehe Behauptung von der Unschädlichkeit eines verunreinigten Trinkwassers widerlegt. Einen der schwierigsten Punkte bei der Erklärung der Infektionskrankheiten durch Einwirkung der Spaltpilze, nämlich die Erklärung der chronischen Infektionskrankheiten, z. B. der Syphilis, läßt Naegeli ganz unerörtert. Vorläufig fehlt es uns vollständig an Tatsachen, welche das Entstehen und den Verlauf der Syphilis in irgendeine Beziehung zu den Lebensbedingungen eines der bekannten oder wenigstens diesen ähnlich beschaffenen niedersten Organismus bringen könnten, und wir sind deswegen gezwungen, uns den An- steckungsstoff dieser Krankheit als einen unbelebten, entweder in Lösung befindlichen oder geformten fermentartigen Stoff zu denken. Sobald aber auch nur eine infektiöse Krankheit existiert, die zur Annahme eines nicht aus Spaltpilzen bestehenden Ansteck- ungsstoffes nötigt, dann steht offenbar nichts im Wege, auch für andere Infektionskrank- heiten, bei denen Spaltpilze bis jetzt noch nicht als regelmäßige Begleiter nachgewiesen sind, einen ähnlichen Ansteckungsstoff anzunehmen. Es ist in diesem Falle der Beweis N a e g e 1 i s, daß alle Infektionskrankheiten deswegen durch Spaltpilze veranlaßt sein müssen, weil der Ansteckungsstoff in kleinster Menge wirkt und ein organisierter Körper sei, diese Bedingungen aber nur durch Spaltpilze erfüllt würden, nicht zutreffend, da es denn doch noch andere Substanzen gibt, die ebenfalls in kleinster Menge Krankheit, z. B. Syphilis, hervorrufen können. Ein sehr wichtiger Teil der Naegeli sehen Theorie, daß nämlich ein verunreinig- ter Boden, sobald er immer gleichmäßigen Wasserstand hat, unschädlich ist, und die aus diesem Satze gezogenen Folgerungen für die Bedeutung der Senkgruben usw. ist an sich theoretisch gewiß unbestreitbar. Aber in der Weise, wie N a e g e 1 i es unternimmt, kann man diesen Satz nicht auf die Praxis anwenden. Die Theorie erfordert, weil die Spalt- pilze außerordenthch klein sind, einen Wasserstand mit noch geringeren Schwankungen, als die Dimensionen eines Spaltpilzes betragen, denn die Spaltpilze entwickeln sich mit Vorhebe in der Flüssigkeitsgrenze und würden, sobald sich diese auch nur um einen kleinen Bruchteil eines Millimeters zurückzieht, eintrocknen, sich ablösen und durch Strömungen der Grundluft fortgeführt werden. Der Untergrund der Wohnungen, Senk- H. Buchner, Die Naegelische Theorie der Infektionskrankheiten usw.) 55 gruben, Schwemmkanäle hat aber niemals eine so konstante Feuchtigkeitsgrenze, wie die Theorie verlangt und man würde auch bei der größten Sorgfalt keine solche herstellen können. Die N a e g e 1 i sehe Theorie kann deswegen nicht den Beweis liefern, daß ein verunreinigter Boden und insbesondere Senkgruben unter den angegebenen Verhältnissen ungefährlich sind. Da die sicherste Probe für die Richtigkeit einer Theorie durch ihre volle Überein- stimmung mit den schon feststehenden Tatsachen gewonnen wird, so möge diese noch angestellt werden. Unsere sicheren Kenntnisse über Spaltpilzkrankheiten beschränken sich zurzeit auf Rekurrens, Diphtheritis und Milzbrand, und auch von diesen drei Krank- heiten sind die Beziehungen des Spaltpilzes zu dem von ihm verursachten Leiden nur beim Milzbrand genauer erforscht. Bei einer Vergleichung der Ätiologie des Milzbrandes, wie sie ist, mit derjenigen, wie sie nach N a e g e 1 i s Theorie sein sollte, stellt sich nun ein erheblicher Unterschied heraus. Der Milzbrand ist eine unzweifelhaft miasmatisch-kontagiöse Krankheit, erfordert also nach N a e g e 1 i die Einwirkung zweier Funktionen verschiedener Spaltpilze, eines Miasmen- und eines Kontagiumpilzes. In Wirklichkeit aber kommt nur eine einzige Sj^alt- pilzform, der Bacillus Anthracis, dabei in Frage. Dieser Spaltpilz oder seine Sporen rufen eingeimpft die Krankheit zu jeder Jahreszeit imd an jedem Orte hervor, auch an solchen, die nicht im geringsten unter miasmatischen Einflüssen stehen. Das Gebunden- sein des endemischen Milzbrandes an sumpfige Gegenden hängt nicht von einem zweiten bis jetzt überhaupt noch in keiner Form nachgewiesenen Miasmen- Spaltpilz, sondern davon ab, daß die Entwicklung der ausdauernden Sporen des Bacillus Anthracis durch die Bodenfeuchtigkeit begünstigt wird. Daß die Spaltpilze des Milzbraiides das Aus- trocknen nur kurze Zeit überdauern und daß die Sporen im Wasser sich monatelang lebensfähig erhalten, beides Tatsachen, die mit der N a e g e 1 i sehen Theorie in Wider- spruch stehen oder von ihr nicht berücksichtigt werden, wurde schon früher erwähnt. N a e g e 1 i behauptet (p. 97 ), daß das Milzbrandblut seine ansteckenden Eigen- schaften durch Fäulnis verliere, weil eine Umwandlung der Kontagienpilze in Fäulnis- pilze stattfinde. Auch das ist unrichtig, da es nachgewiesen ist, daß in offenen Gefäßen faulendes Blut und Flüssigkeiten, welche zu gleicher Zeit die verschiedensten Fäulnis- Spaltpilze und Milzbrand-Spaltpilze enthielten, ebenso sicher durch Impfung Milzbrand erzeugen, wie das frische Milzbrandblut. Auch der Übergang der Milzbrand-Spaltpilze in andere und namentlich in Fäulnispilzformen hat sich als ein aus ungenauen Be- obachtungen hervorgegangener Irrtum herausgestellt. Die Milzbrand- Spaltpilze sind in neuester Zeit von verschiedenen Experimentatoren untersucht und alle bestätigen, daß diese Spaltpilze immer unbeweglich sind, unter gewissen Bedingungen Sporen entwickeln und aus diesen immer nur wieder die charakteristischen Stäbchen und Faden hervor- gehen, aber weder die Stäbchen noch Sporen sich jemals in kugelförmige oder in die ge- wöhnlichen beweglichen länglichen Fäidnis- Spaltpilze verwandeln. Diese Andeutungen mögen genügen, um das oben ausgesprochene Urteil zu be- gründen und um zu zeigen, das die N a e g e 1 i sehe Theorie eben nichts weiter als eine Theorie ist, aber als Norm für die praktische Gesundheitspflege, wie N a e g e 1 i es be- ansprucht, nicht dienen kann. Sie ist ein, was von N a e g e 1 i auch nicht 'anders zu erwarten war, geistreich durchgeführter Versuch, auf theoretischem Wege Licht in ein großes dunkles Gebiet zu tragen, in das bis jetzt nur vereinzelte kurze Pfade führen. Das ITnternehmen ist ver- früht, weil die zur Begründung einer sicheren Theorie zu Gebote stehenden Tatsachen noch zu vereinzelt sind. Das Mißglücken dieses Versuches, dem bekanntüch ähnliche (pro et contra Pilztheorie) ebenso erfolglose vorangegangen sind, ist aber eine neue 56 Referat (über: v. Naegeli, Die Beziehungen der niederen Pilze usw., und H. Buchner, Die Naegehsche Tlieorie der Infektionskrankheiten usw.) Mahnung, unermüdlich nach weiteren Tatsachen zu suchen, welche das Verhältnis der Spaltpilze zu den Infektionskrankheiten aufzuklären vermögen und die theoretische Lösung der Frage einer späteren Zeit zu überlassen, die über genügendes Material ver- fügen kann. In unmittelbarem Zusammenhang mit dem soeben besprochenen Naegeli- schen Werk über die niederen Pilze usw. steht die Schrift von Dr. HansBuchner: Die Naegeli sehe Theorie der Infektionskrankheiten in ihren Beziehungen zur medi- zinischen Erfahrung, Leipzig 1877. Wie schon der Titel besagt, hat B u c h n e r die Beziehungen der Naegeli sehen Theorie zur medizinischen Erfahrung, nämhch zur Pathologie und zur Epidemiologie aufgesucht. Da B u c h n e r sich vollständig auf den Standpunkt der Naegeli sehen Theorie stellt, so ist seine Schrift nur eine Ausdehnung der Naegeli sehen Sätze auf speziell medizinische Gegenstände. Er verteidigt mit vielem Geschick die Naegeli sehe Theorie und im allgemeinen die Annahme, daß niedere Organismen Krankheitserreger sind, gegen Einwände, welche von einer Seite gemacht werden können, die den Spaltpilzen überhaupt keinen Einfluß auf die Infektionskrank- heiten zugestehen wiU. Namentlich sind die Ausführungen über das Zustandekommen der Genesung bei Infektionskrankheiten sehr beachtenswert. Die gegen die Naegeli- sche Theorie vom Referenten gemachten Einwände finden indessen auch in der B u c h - n e r sehen Schrift keine Widerlegung. Neue Untersuchungen über die Mikroorganismen bei infektiösen Wundkrankheiten. ') Nach seinen Mitteilungen in der Sektion für pathologische Anatomie und für innere Medizin der 51. deutschen Naturforscherversammlung zu Kassel. Von Dr. R. Koch, Kreisphysikus in Wollstein. VieKach sind bei infektiösen Wundkrankheiten Mikroorganismen gefunden. Gleich- wohl berechtigen diese Befunde noch nicht zu der Annahme, daß die Wundinfektions- krankheiten lediglich durch das Eindringen der Mikroorganismen in den Körper und ihre Vermehrung in demselben bedingt werden, mit einem Worte also parasitäre Krankheiten sind. Denn es wird mit Recht gegen die Beweiskraft jener Befunde geltend gemacht, daß gar nicht selten in Fällen von imzweifelhaft infektiösen Wundkrankheiten die Mikro- organismen vermißt, in anderen ebensolchen Fällen in zu geringer Zahl gefunden werden, um die Krankheitssymptome oder den tödlichen Ausgang der Krankheit zu erklären. Auch erscheint es ganz rätselhaft, daß bei den verschiedensten Arten der Wundinfek- tionskrankheiten, z. B. Pyämie, Erysipel, Wianddiphtheritis, stets dieselben Mikroorganis- men, nämlich Mikrokokken, auftreten und, was die Sache noch komplizierter macht, daß bei puerperalen Erkrankungen, bei Pocken, bei Endokarditis, bei verschiedenen infektiösen Tierkranlcheiten dieselben ganz gleichgeformten Mikrokokken gefunden wurden. Um nun zu sehen, ob diese Einwände gegen die parasitäre Erklärung der Wund- infektionskrankheiten in der Tat berechtigt sind oder nicht, ob sie vielleicht den unvoll- kommenen Untersuchungsmethoden und daraus resultierenden mangelhaften Ergebnissen ihre Entstehung verdanken, wurden an Tieren Versuche angestellt, welche darauf hinausgingen, durch Einspritzungen und Impfungen mit putriden Substanzen künstliche Wundinfektionskrankheiten zu erzeugen und das in dieser Weise gewonnene Material nach einem verbesserten Verfahren zu untersuchen. Durch Apphkation von faulendem Blut, Fleischinfus, mazerierten Hautstück- chen, tierischen Exkrementen gelang es, sechs ganz verschiedene Wundinfektionskrank- heiten bei Kaninchen und Mäusen hervorzurufen, welche malo-oskopisch die größte Ähnlichkeit mit den analogen Erkrankungsformen des Menschen besitzen und nach ihren Symptomen als Pyämie, Septicämie, Phlegmone, Gangrän und Erysipel bezeichnet werden müßten. ^) Alis Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1S78, Nr. 43. 58 Neue Untersuchungen über die Mikroorganismen bei infektiösen Wundkrankheiten. Daß diese Krankheiten aber, wenn auch künsÜiche, so doch unzweifelhafte Infek- tionskranheiten sind, folgt mit voller Gewißheit daraus, daß von dem zuerst erkrankten Tiere gewonnenes Blut, Eiter oder Gewebssaft, in kleinster Menge auf ein anderes Tier verimpft, ausnahmslos genau dieselbe Krankheit hervorruft und das einmal durch die erste Infektion erhaltene Kontagium mit ganz konstanter Wirkung in beliebig vielen Generationen im Tierkörper fortgepflanzt werden kama. So wurde beispielsweise eine durch Einspritzung von faulendem Blut bei Mäusen hervorgerufene Septicämie durch un- glaublich geringe Mengen von Infektionsstoff auf ein zweites Tier, von diesem auf ein drittes und so weiter durch 17 Generationen übertragen. Es genügte in diesem Falle, ähnlich wie bei Milzbrand, mit der Messerspitze ein kaum sichtbares Tröpfchen Blut von einem unmittelbar vorher gestorbenen Tier aufzunehmen oder auch nur das subkutane Bindegewebe mit der Messerspitze zu berühren und ein zweites Tier am Ohr oder Schwanz zu impfen, und es mit absoluter Sicherheit binnen 40 — 60 Stunden zu töten. Die Sektion der so getöteten Tiere hatte immer dasselbe Ergebnis, nämlich außer Milzanschwellung keine makroskopisch erkennbaren Veränderungen der inneren Organe. In ähnlicher Weise konnte bei Kaninchen eine mit keilförmigen metastatischen Herden in Lunge und Leber, mit Milzanschwellung und Peritonitis verlaufende Pyämie von einem Tier auf das andere durch subkutane Einspritzung einer sehr geringen Menge Blut (bis zu ^1^^ Tropfen) übertragen werden. Ebenso heß sich bei Kaninchen Phlegmone, wie sie oft nach Einspritzung mit faulendem Blut bei diesen Tieren entsteht, durch ein kleines Quantum des Abszeßinhaltes (das Blut des kranken Tieres ist in diesem Falle wirkungslos) auf andere Kaninchen verpflanzen. Auch eine ziemlich schnell von der Impfstelle sich ausbreitende und tödlich ver- laufende Gewebsnekrose (Gangrän) wurde bei Mäusen durch Einspritzung mit faulendem Blut erhalten und später durch sukzessive Impfung auf eine größere Zahl von Versuchs- tieren übertragen. Ferner entsteht bei Kaninchen durch Einspritzung mit faulendem Fleischinfus ein durch MilzanschweUung, Ekchymosen an Darm, Fehlen metastatischer Herde charak- terisierter septicämischer Prozeß, der durch subkutane Injektion mit Blut des infi- zierten Tieres von einem Kaninchen auf das andere und auch auf Mäuse verpflanzt werden kann. Schließhch wurde noch in einem Falle am Ohr eines Kaninchens durch Impfung mit Mausekot eine erysipelatöse, nur mit langsam sich ausbreitender Rötung und Schwellung verlaufende Entzündung erhalten. Wenn nun die an diesen künstlichen Infektionskrankheiten gestorbenen Tiere frisch oder mit den bekarmten Hilfsmitteln (Anwendung von Säuren, Alkalien, Häma- toxyhn-.und Anilinfärbung) untersucht wurden, dann ergab sich dasselbe Resultat wie bei den menschlichen Wundinfektionskrankheiten. Es konnten nämlich nur in einzelnen günstigen FäUen Mikroorganismen nachgewiesen werden. In der Mehrzahl und besonders in dem zur Weiterimpfung benutzten Blut und Eiter waren sie gar nicht oder doch nicht mit Sicherheit zu erkennen. Als aber eine andere Untersuchungsmethode angewandt wurde, die im wesent- lichen darin besteht, daß die Objekte mit Anilinfarben, welche von den fraglichen Mikro- organismen bekanntlich mit Vorliebe aufgenommen werden, behandelt und dann mit den stärksten Immersionssystemen unter Benutzung des Abbe sehen Beleuchtungsapparates, der bei richtiger Verwendung das Erkennen der kleinsten gefärbten Körper ermöglicht, untersucht wurden, da änderte sich die Sachlage vollständig. In denselben Präparaten, in denen vorher gar keine oder wenig charakteristische Bakterien zu sehen waren, zeigte dieses neue Verfahren in überraschenderweise selbst die kleinsten Bakterienformen mit Neue Untersuchungen über die Mikroorganismen bei infektiösen Wundkrankheiten. 59 einer solchen Klarheit und Schärfe des Bildes, daß sie mit Leichtigkeit zu erkennen und von anderen gefärbten Objekten im Präparat ganz sicher zu unterscheiden waren. Aber noch mehr leistet diese Untersuchungsmethode. Nicht allein gestattet sie, was bis jetzt ein frommer Wunsch war, vereinzelte und zerstreute Bakterien in den Geweben nach- zuweisen, sondern, was das Wichtigste zu sein scheint, mit ihrer Hilfe sind die Größen- verhältnisse und die Formen der in die Gewebe eingedrungenen Bakterien mit solcher Genauigkeit zu bestimmen, daß es nicht schwer fällt, die pathogenen Bakterienformen, welche man bislang fast nur unter dem Bilde der aus Mil<:rokoltken zusammengesetzten Zoogloea kannte, nach Größe und Gestalt zu differenzieren. Auch in dem ziu- Infektion gebrauchten Blut inid Eiter sowie in den erkrankten Organen der an den geschilderten künstlichen Infektionskrankheiten gestorbenen Tiere wvirden nun vermittels der verbesserten Untersuchungsmethode ausnahmslos Bakterien und zwar in so bedeutender Anzahl gefunden, daß man über ihre Bedeutung als Erreger dieser Krankheiten nicht im Zweifel sein kann. Von hervorragender Wichtigkeit ist aber noch, daß einer jeden der künstlichen Infektionskrankheiten eine ganz konstante, durch Größe, Gestalt und eigentümliche Wachstumsverhältnisse wohl charakterisierte Bak- terienform entspricht. So kommen bei der zuerst erwähnten Septicämie der Mäuse im Blute zahllose außer- ordentlich kleine Bazillen vor, die in die weißen Blutkörperchen eindringen und dieselben zerstören. Niemals gehen diese Bazillen in größere Stäbchen, Mikrokokken oder andere Formen über, so oft man sie auch von Tier zu Tier verimpft und mit derselben Gesetzmäßig- keit, mit welcher das verimpfte Blut eines solchen septicämischen Tieres immer wieder dieselbe Septicämie und keine andere Kranlvheitsform erzeugt, mit derselben Konstanz enthält auch das Blut der an dieser Krankheit gestorbenen Tiere eine beispiellose Menge gleichmäßig geformter kleiner Bazillen und niemals andere Bakterienformen. Ebenso regelmäßig wurden bei der infektiösen Gewebsnekrose Mikrokokken von mitt- lerer Größe gefunden, die stets in Kettenform verbunden sind; bei der Septicämie der Kaninchen ein großer, eiförmig gestalteter Müa'okokkus ; bei der Pyämie der Kaninchen ein sehr viel kleinerer, die roten Blutkörperchen umspinnender Mikrokokkus; bei der Phlegmone ein außerordentlich kleiner, in Zoogloeahaufen am Rande der Abszesse wuchernder Mikrokokkus; schließlich beim Erysipel des Kaninchenohrs ein netz- förmig an der Knorpeloberfläche sich ausbreitender und sternförmige Figuren bildender Bazillus. Diese Untersuchungen beweisen mithin, daß es außer dem Rekurrens und dem Milzbrand auch noch eine Reihe anderer Infektionskrankheiten gibt, deren Entstehungs- weise bisher rätselhaft war, die mit Hilfe vervollkommneter Methoden sich aber als parasitäre Krankheiten erweisen. Sie lehren uns daher, daß auch die teils unsicheren, teils negativen Befunde bei der Untersuchung der menschlichen Wundinfektionskrank- heiten das Fehlen von Mikroorganismen und ihre Bedeutungslosigkeit für diese Krankheiten nicht beweisen können, sondern daß diese Untersuchungen mit besseren Hilfsmitteln wieder aufzunehmen sind und höchstwahrscheinlich zu ähnlichen Ergeb- nissen wie bei den künsthch an Tieren erzeugten Wundinfektionskrankheiten führen werden. Als das wesentlichste Resultat muß indessen der Nachweis angesehen werden, daß einer jeden der untersuchten Infektionskrankheiten eine konstante, nicht nur durch physiologische Wirkung auf den infizierten Organismus, sondern auch durch Größe, Gestalt, Wachstum wohlcharakterisierte Bakterienform entspricht und daß dadurch die Berechtigung, ja sogar die Notwendigkeit gegeben ist, ebensoviele bestimmte Arten von pathogenen Bakterien zu unterscheiden. (30 Neue Untersuchungen über die Mikroorganismen bei infektiösen Wundkrankheiten. Im Anschluß an diese Ausführungen und zur Bestätigung derselben wurden den Mitgliedern der Sektion über eine jede der besprochenen Infektionskrankheiten ein oder mehrere entsprechende Präparate mit Z e i ß sehen Mikroskopen, die mit dem A b b e- schen Beleuchtungsapparat versehen waren, demonstriert. Außerdem wurden einige Milzbrandpräparate vorgelegt, in denen nur die Milzbrandbazillen gefärbt, das um- schließende Gewebe aber ungefärbt geblieben war, um zu zeigen, daß in zweifelhaften Fällen die Färbung als sicheres Reagens zur Unterscheidung der Bakterien von Bestand- teilen tierischer Gewebe benutzt werden kann. Eine ausführliche Beschreibung der Untersuchungsmethode und die detaillierte Schilderung der damit erzielten Resultate wird in einer demnächst erscheinenden Schrift veröffentlicht werden ^). ') Siehe p. 61 ff. D. Herausgeber. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten.') Von Dr. R. Koch, Kreisphysikus in Wollstein. Mit Tafel IV und V. Vorrede. Die vorliegende Arbeit gehört einer Reihe von Untersuchungen an, die ich über die Ätiologie der Infektionskrankheiten bereits angestellt habe und in Zukunft noch weiter auszuführen gedenke. Die gestellte Aufgabe war : Aufklärung darüber zu gewinnen, ob die Wundinf ektionskranliheiten parasitären Ursprungs sind oder nicht. Durch äußere Verhältnisse gezwungen, mußte ich mich indessen lediglich auf Experimente über die Wirkung putrider Stoffe an Tieren beschränlven. Diese haben mich zu positiven und. wie mir scheint, nicht unwichtigen Ergebnissen geführt, und es wäre zur vollständigen Be- antwortung der gestellten Frage nun durchaus notwendig gewesen, weitere ähnhclie Ver- suchsreihen an Tieren mit solchen Stoffen vorzunehmen, welche an Wundinfektions- kranlvheiten leidenden oder gestorbenen Menschen entnommen wurden, und was mir das Wichtigste zu sein scheint, nach der bei meinen Versuchen bewährt gefundenen Methode die fraglichen Mikroorganismen in menschlichem pathologischen Material aufzxisuchen. Da mir jedoch die Gelegenheit, nach dieser Richtung hin meine Untersuchungen zu vervollkommnen, fehlt, so habe ich mich damit begnügt, experimentell an Tieren Kranliheitsprozesse zu erzeugen, welche den beim Menschen beobachteten Wundinfek- tionskrankheiten ähnlich sind und als Beispiele für diese dienen können. Nachdem es mir dann gelungen ist, diese Sammlung von künstlichen Kranls:heits- prozessen soweit zu vervollständigen, daß ich für die wichtigsten Wundinfektionskrank- heiten, nämlich für Septicämie, Pyämie, progressive Eiterung, Gangrän und Erysipelas Beispiele aufweisen kann, so glaube ich meine Aufgabe, soweit sie sich nur an Tieren aus- führen läßt, gelöst zu haben und es sclieint mir deswegen notwendig, die bis jetzt gewon- nenen Resultate zu veröffentlichen. In betreff der dieser Schrift beigegebenen Abbildungen habe ich hier noch eme Be- merkung zu machen. In einem Aufsatze über Untersuchung und Photographieren der Bakterien (Beiträge zur Biologie der Pflanzen, herausgegeben von F. Cohn, II. Bd. 3. Heft)') hatte ich den Wunsch ausgesprochen, daß, um möglichst naturgetreue Abbil- dungen der pathogenen Bakterien zu erhalten, dieselben photographiert werden möchten. Um so mehr fühlte ich die Verpfliclitung, die bei den Wundinfektionskranliheiten in 1) Leipzig 1878. F. C. W. Vogel. Diese Werke p. 27 ff. 1). flerausgeber. 62 Untersuchiingen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. tierischen Geweben aufgefundenen Bakterien photograpliisch abzubilden, und habe es an Mühe, dieser Pfhcht nachzukommen, auch nicht fehlen lassen. Die kleinsten und gerade die am meisten interessierenden Bakterien lassen sich jedoch nur durch Färbung und Be- nutzung ihres Farbenbildes in tierischen Geweben sichtbar machen, und es hat in diesem Falle die photographische Aufnahme mit denselben Schwierigkeiten zu tun, wie bei der Photographie makroskopischer gefärbter Objekte, z. B. eines farbigen Tapetenmusters. Bekanntlich hat man diese Aufgabe mit Hilfe gefärbter Kollodien gelöst. Dies veran- laßte mich, dasselbe Verfahren zum Photographieren der gefärbten Bakterien zu ver- wenden, und es ist mir in der Tat . gelungen, mit EosinlioUodium und Abbiendung einzel- ner Teile des Spektrums durch farbige Gläser Bilder von mit blauer und roter Anilin- farbe gefärbten Bakterien zu erhalten. Doch ist eine so lange Belichtungszeit erforderlich, daß störende Erschütterungen des Apparates gar nicht zu vermeiden sind und deswegen das Bild der genügenden Schärfe entbehrt, um es nicht aUein als Ersatz für eine Zeich- nung, sondern auch als Beweismittel für das Gesehene benutzen zu können. Vorläufig mußte ich daher auf die Veröffentlichung photographischer Abbildungen verzichten, hoffe aber noch später, wenn verbesserte Methoden eine kürzere Exposition gestatten, diesen Mangel ersetzen zu können. Einleitung. Als Wundinfektionskrankheiten bezeichnet man heutzutage eine Gruppe von Ivrankheiten, die man früher perniziöses Wundfieber, purulente Infektion, putride In- fektion, Septicämie, Pyämie nannte oder auch, als sich die Ansicht geltend machte, daß verschiedene ähnliche Krankheiten hierhin gehören, unter dem Ausdruck pyämische oder septicämische Prozesse zusammenfaßte. Streng genommen müßte man dazu alle diejenigen Krankheiten rechnen, welche eine Folge von Verwundungen, selbst der kleinsten, z.B. Stichen einer Impf nadel, sind und deren Ansteckungsfähigkeit durch klinische Beobachtung oder durch das Experiment mit Sicherheit erwiesen ist. Beispielsweise würden also die geimpften Kuhpocken, Milz- brand, Rotz, die Hundswut, selbst die Syphilis zu den Wundinfektionskrankheiten ge- zählt werden müssen. Soweit dehnt man diese Bezeichnung jedoch nicht aus und läßt sie gewöhnlich nur für die den Chirurgen speziell interessierenden Krankheitsprozesse, welche Verletzungen und Operationswunden zu komplizieren pflegen, also für Septicämie, Pyämie, progressive Eiterung oder Phlegmone und Erysipelas gelten. In neuerer Zeit ist man immer mehr zu der Uberzeugung gekommen, daß auch das Puerperalfieber als eine von der Plazentarwundstelle oder von Verletzungen der Geburtswege ausgehende infektiöse Wundkrarrkheit anzusehen ist. Ferner wird von den meisten Autoren die Diphtheritis, weil sie sich gelegentlich zu Verletzungen gesellt und ihre Übertragbarkeit durch Impfungen vielfach erwiesen ist, hierher gerechnet. Bei den Erörterungen, welche ich dem experimentellen Teil dieser Arbeit voraus- zuschicken habe, werde ich mich gleichfalls auf die zuletzt genannten Kranlvheitspro- zesse beschränken, im zweiten Abschnitte dagegen insofern von der üblichen Abgrenzung der Wundinfektionskrankheiten abweichen, daß ich auch den Milzbrand wegen seiner vielfachen Beziehungen zu der experimentell bei Tieren erzeugten Septicämie berück- sichtigen werde. Die Ausdrücke Pyämie sowohl als auch Septicämie werden vielfach in verschie- denem Sinne gebraucht und es ist deswegen notwendig, dasjenige, was ich mit diesen allgemein gebräuchhchen Namen bezeichnen werde, zu präzisieren. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundint'ektionskrankheiten. 63 Lange Zeit unterschied man die Pyämie von der Septicämie dadurch, daß bei der ersteren Metastasen vorkommen und bei der letzteren fehlen. Als man aber darauf aufmerksam wurde, daß auch in solchen Fällen, die man früher als zur Septicämie gehörig bezeichnet hatte, vereinzelte mikroskopische Metastasen nicht selten gefunden werden und deswegen eine sichere Unterscheidung der beiden Prozesse nicht möglich ist, haben einige Autoren es vorgezogen, die durch Aufnahme des gelösten putriden Giftes veranlaßte Krankheit Septicämie, alle übrigen, namentlich die mit der Entwick- lung von Mikroorganismen verbundenen Krankheitsprozesse, pyämische Prozesse zu nennen. In diesem Sinne unterscheidet beispielsweise B i r c h - H i r s c h f e 1 d ^) Py- ämie und Septicämie. Er versteht unter Septicämie eine Krankheit hervorgerufen durch Blutveränderungen, die eine Folge der Aufnahme von Fäulnisprodukten sind. Die Pyämie charakterisiert er dagegen ,,als eine wahrscheinlich durch spezifische Orga- nismen hervorgerufene und von der fauligen Infektion unterschiedene Allgemeininfek- tion, welche von Wundflächen oder den Herden primärer eiteriger Entzündung aus- geht." Auch C o h n h e i m -) identifiziert die Septicämie mit der putriden Intoxi- kation und leitet sie von dem Hineingelangen eines gelösten exquisit putriden Giftes in die Säftemasse des Körpers ab. D a v a i n e dagegen, dessen Arbeiten ich später mehrfach zu erwähnen habe, hält sich an die ältere Unterscheidung von Pyämie und Septicämie und rechnet zu letzterer alle die Fälle, bei denen die Leichenuntersuchung keine Metastasen nachweist, obwohl er die Mitwirkung spezifischer Organismen auch für diese Fälle für erwiesen hält. Die Namen Pyämie und Septicämie entsprechen beide nicht mehr dem, was man ursprünglich damit bezeichnet hat; denn die Pyämie entsteht nicht, wie man es früher glaubte, durch Eindringen von Eiter in die Blutgefäße und die Septicämie ist keine Fäulnis des lebenden Blutes. Es sind schließlich nur noch Sammelnamen geblieben für eine Anzahl von Symptomen, welche höchstwahrscheinlich einer Reihe von ver- schiedenen Krankheiten angehören. Solange diese nicht genügend voneinander geson- dert sind, ist es wohl das zweckmäßigste, diese Namen vorläufig in der allgemein ge- bräuchlich gewordenen Weise gelten zu lassen, um nicht immer wieder in kurzen Zeit- räumen zu neuen Definitionen gezwungen zu sein. Aus diesem Grunde werde ich im Nachfolgenden miter der Bezeichnung Septi- cämie alle diejenigen Fälle von allgemeiner Wundinfektion zusammenfassen, bei denen keine metastatischen Veränderungen vorkommen, und zur Pyämie die mit Metastasen verlaufenden rechnen. Jetziger Stand der Kenntnisse über die Beziehungen der Mikroorganismen zu den Wundinfektionsl. 12:^4. 2) Vorlesringen über allgemeine Pathologie. Berlin 1S77. ]>. Kitt. ^) Lehrbuch der pathologischen Gewebelehre. 1. Aull. p. 204 (4. Aufl. p. lf»i»). 64 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. mit dünnflüssigem Brei gefüllte Höhlen bilden, besteht dieser Inhalt, wie Rindfleisch nachgewiesen hat, nicht aus Eiterkörperchen, sondern allein aus Vibrionen". Dieselben liegen dichtgedrängt anfangs zwischen den Muskelbündeln, dann dringen sie unter gleichzeitiger Auflösung der Muskelfaser in das Innere derselben ein. Weiter als bis zur Bildung kleiner abszeßähnlicher Erweichungsherde konnte Rindfleisch die Veränderungen nicht verfolgen, weil die ganze Affektion nur bei den heftigsten, rasch tödlich endigenden Formen jener Infektionskrankheiten vorkommt. Eine Beschreibung der von ihm Vibrionen genannten Organismen, insbesondere ob sie Stäbchen- oder kugel- förmig und wie groß sie waren, hat Rindfleisch nicht gegeben. Daß die Entwicklung der auch in anderen Organen vorkommenden miliaren Eiter- herde, wie sie bei Typhus, Pyämie usw. gefunden werden, durch parasitäre Organismen, nämhch Bakterien bedingt wird, haben fast gleichzeitig v. Recklinghausen und Waldeyer nachgewiesen, v. Recklinghausen^) bezeichnet die in den kleinsten Nierenvenen, Glomeruli, Harnkanälchen, Lungenalveolen gefundenen Or- ganismen als Mikrokokken, die durch ihr gleichmäßiges Korn und Unveränderlichkeit in Glyzerin, Essigsäure, Natronlauge usw. von Detritus zu unterscheiden sind. Außer- dem macht er auf die bräunliche Farbe im Zentrum des Herdes aufmerksam, sowie daß die Harnkanälchen und Gefäße, in denen die Mikrokokken lagen, stark knotig aufge- trieben waren. Waldeyer bestätigte die Angabe von Rindfleisch über das Auftreten zahlreicher miliarer Bakterienherde im Herzmuskel Pyämischer und fand außerdem Bakterien in kleinen abszeßähnlichen Herden in den Nieren. Diese ersten Beobachtungen lenkten die Aufmerksamkeit auf die bis dahin über- sehenen oder nicht beachteten Bakterien in den metastatischen Herden Pyämischer. Sie wurden durch vieEache ähnliche Befunde bestätigt und erweitert, und es kann als eine feststehende Tatsache betrachtet werden, daß in den meisten Fällen von py- ämischen Metastasen bei einer einigermaßen sorgfältigen Untersuchung Bakterien in Form der sogenannten Zoogloea aufzufinden sind. Etwas wesentKch Neues ist indessen zu den ursprünghchen Beobachtungen von Rindfleisch, v. Recklinghausen und Waldeyer durch spätere Untersuchungen mit Ausnahme einiger gleich zu erwähnender nicht hinzugefügt und es ist deswegen unnötig, die zahlreichen hierher- gehörigen Angaben speziell anzuführen. Erwähnenswert ist, daß P. V o g t ^) im metastatischen Eiterherd eines Pyämischen schon während des Lebens bewegliche ,, Monaden" gesehen hat. Sehr naheliegend war es, den Wundeiter einer Untersuchung zu unterwerfen, um zu erfahren, ob die in den metastatischen Herden gefundenen Bakterien sich im Eiter der infizierten Wunden an- sammeln und von da aus in die Gewebe eindringen. Derartige umfassende Untersuch- ungen sind von Birch-Hirschfeld^) angestellt. Er kam zu dem Resultat, daß die schlechte Beschaffenheit einer Wunde im Verhältnis zur Menge der Kugel- bakterien im Wundeiter steht. Je reichlicher dieselben auftraten, um so mehr verschlech- terte sich der Zustand der Wunde und das Allgemeinbefinden des Kranken. Die un- günstigsten Fälle waren die, bei welchen die Kugelbakterien sich in Kolonieform (Zoo- gloea) verbunden hatten. Mit der Zunahme der Kugelbakterien konnte auch regelmäßig ihr Eindringen in die Eiterkörperchen beobachtet werden. Birch-Hirschfeld untersuchte gleichzeitig das Blut Pyämischer und fand die wichtige Tatsache, daß ^) Vortrag in der Würzb. physik.-med. Ges. 10. .Juni 1871 (zitiert nach Birch-Hirsch- feld, Med. Jahrbb. Bd. 155, Heft 1). ^) Zentralblatt für die medizin. Wissenschaft. 1872. Nr. 44. ^) Untersuchungen über Pyämie. Leipzig 1873. Untersuchiingen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 65 dasselbe Bakterien enthält und daß die Schwere und der rasche Verlauf der Allgemein- infektion der Menge von Bakterien entspricht, welche im Blute nachzuweisen sind. Der Weg, auf dem die Bakterien in die metastatischen Herde gelangen, wäre damit ziemlich genau bezeichnet. Nur die Art und Weise, wie sie von der Wundoberfläche in die Blutbahn kommen, würde noch nicht bekannt sein. Diese Lücke füllen die Unter- suchungen von K 1 e b s aus. Aber nicht allein dieses Umstandes wegen muß die Arbeit von K 1 e b s 1) hier erwähnt werden, sondern weil sie die eingehendsten und zahlreichsten Beobachtungen über die Bakterien der Wundkrankheiten bietet und weil durch die- selbe zum erstenmal der Versuch gemacht ist, mit Hilfe eines reichhaltigen und vor- trefflich benutzten Beobachtungsmaterials den ursächlichen Zusammenhang zwischen Bakterien und Wmidinfektionskrankheiten zu beweisen. K 1 e b s bezeichnet die im Wundeiter vorkommenden Bakterien, indem er von der Ansicht ausgeht, daß kugel- und stäbchenförmige Bakterien in genetischem Zusammenhange stehen und auch die im Eiter gewöhnlich nebeneinander gefundenen Mikrokokken und Stäbchenbakterien zu- sammengehören, als Microsporon septicum. Die Wucherungen dieses Microsporon septicum in Form von auf der Wundfläche festsitzenden Zoogloeamassen wurden auf Granula- tionen, Gelenkflächen und serösen Häuten von K 1 e b s beobachtet. Er konnte dann weiter das Eindringen der Zoogloea in die Spalten des Bindegewebes verfolgen. Dasselbe geschieht entweder mit oder ohne Hilfe der wandernden Ljnnphzellen. Die Verschleppung des Mikrosporon auf dem Wege der Lymphbahnen ließ sich nicht mit voller Sicherheit verfolgen, dagegen wurde das Eindringen desselben durch die arrodierte Wandung einer Vene in die Blutbahn in einem Falle beobachtet. Weiter wurden die Elemente des Mikro- sporon von K 1 e b s in den Thromben, welche sich hinter den Venenklappen entwickeln, in den metastatischen Herden der Limge und der Leber nachgewiesen. So zahlreich und bedeutungsvoll die Tatsachen sind, die bis jetzt über die Ab- hängigkeit der Pyämie von der Entwicklung der Bakterien in den erkrankten Körper- teilen gesammelt wurden, so spärlich und unsicher sind die Angaben über das Vorkommen von Bakterien bei SejMcämie. C o z e und F e 1 1 z sowohl als H u e t e r -) wollten die bei septicämischen Er- krankungen häufig gesehene stachelförmige Gestaltveränderung der roten Blutkörperchen auf das Ankleben und Eindringen von Bakterien zurückführen ; eine Beobachtung, die viel- fach und wohl mit Recht angezweifelt ist. Außer dieser habe ich nur noch eine Angabe von C o 1 1 m a n n von Schatte- b u r g 3) über Bakterien im septicämischen Blute auffinden können. Derselbe sah in einem Falle von Septicämie Stäbchen im Körperblut und in den Gefäßschhngen der Glomeruli. Erheblich reichhaltigeres Material liegt über Erysipelas vor. Nepveu^) fand im Blute Ery sipelatöser Mikrokokken, und zwar reichlicher in den Blutproben, die aus den von dem Erysipel ergriffenen Hautpartien stammten. Dieselbe Erfahrung machte Wilde''), der außerdem angibt, daß auch der Eiter solcher Wunden, von welchem erysipelatöse Entzündung ausgeht, reichlich Mikrokokken enthält. Von Orth '■) wurden dann Mikrokokken im Lihalt der Erysipelasblasen nach- gewiesen. ^) Beiträge zur patholog. Anatomie der Schußwunden. Leipzig, Vogel 1872. ^) Vgl. ß i r c h - II i r s c h f e 1 d: Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Leipzig 187 6, p. 469 und .Med. Jahrbb., Bd. 166, p. 184. ^) Virchow und Hirsch: Jahresbericht f. d. .Tahr 1875, L, i>. 360. ") Virchow und Hirsch: Jahresbericht f. d. Jahi' 1872, L. p. 2.54. ') Med. Jahrbb., Bd. 155, Heft 1, p. 104. ") Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol., I., p. 81. Koch, Gesaninielte Werke. 5 66 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Besonders wichtig ist die Entdeckung von v. Recklinghausen und Lukonisky^), daß die Lymphgefäße und Saftkanäle der Haut an der Grenze der erysipelatösen Affektion mit Mikrokokken gefüllt sind. Bestätigt wurde diese Beobachtung von Billroth und Ehrlich^), die ebenfalls Mikrokokken, aber nicht nur indenLympli-, sondern auch in den Blutgefäßen auffanden. Ferner sind Mikrokokken in erysipelatöser Haut von Tillmanns^) gesehen, sowie von Letzerich ^) bei Impferysipel in den Impfwunden, in den Blutgefäßen, Muskeln, Leber, Milz und Nieren. In bezug auf •phlegmonöse Eiterungen haben sich die LTntersuchungen anscheinend nur auf den Inhalt der Abszesse beschränkt, während die Wandungen der letzteren, d. h. das angrenzende Gewebe, das, wie später gezeigt werden soll, der eigentliche Sitz der Bakterienwucherungen ist, bis jetzt keine Berücksichtigung gefunden hat. In dem Abszeßeiter hat man ebenso wie im gewöhnlichen Wundeiter vielfach Bakterien, und zwar fast immer Mikrokokken gefunden. Einer besonderen Aufzählung der darüber ge- gemachten Angaben bedarf es deswegen nicht. Der Hospüalbrand unterscheidet sich von der DipJitheritis der Schleimhäute so wenig, daß die über letztere gemachten Beobachtungen auch für ersteren gelten können. Nach C o h n h e i m setzt sich bei Traclieotomien zuweilen der Infektionsprozeß von der Schleimhaut auf die Operationswunde fort. Aber auch ohne augenfällige In- fektion werden Wunden öfters diphtheritisch und nach Cohnheims Meinung ist es deswegen sehr wahrscheinlich, daß der Hospitalbrand weiter nichts als eine Diphtherie der Wundflächen ist. H u e t e r ") fand auch in den grauen diphtheritischen Belägen von Wunden und bei genauerer Untersuchung in den angrenzenden, anscheinend noch ganz gesunden Geweben dieselben kleinen, runden, dunkelkonturierten Körperchen, die er später in den Pseudomembranen bei Diphtheritis des Larynx und Pharynx sah. Durch die Arbeiten von Oertel,Nassiloff, C lassen, Letzerich, K 1 e b s, E b e r t h ist es wohl außer Zweifel gestellt, daß in den diphtheritischen Auflagerungen große Mengen von Mikrokokken vorhanden sind. Darüber jedoch, ob die Bakterien in die Gewebe eindringen, lauten die Angaben noch widersprechend. 0 e r t e L"*) fand indessen die entzündete Schleimhaut vollgepfropft mit Mikro- kokken und konnte sie außerdem in den zuführenden Lymphgefäßen der nächstgelegenen Lymphdrüsen, in den Drüsen selbst sowie in den Blutgefäßen der Nieren und anderer innerer Organe nachweisen. Dieselbe Beobachtung wurde von Eberth, Nassiloff und Letzerich gemacht. Später ist es noch wiederholt bestätigt daß bei Diphtheritis kleine Bakterien- herde im Herzfleisch, in der Leber, den Nieren und anderen Organen sich finden. Von verschiedenen Beobachtern ^^), namentlich denjenigen, welche die Diphtheritis auf die Kamnchenkornea überimpften, wird die bräunliche Färbung der Mikrokokken- massen erwähnt. 1) Virchovvs Archiv., Bd. LX, Heft 3 u. 4, p. 418. 2) V. Langenbecks Archiv, Bd. XX, p. 418. ^) Deutsche medizin. Wochenschr. 1878, Nr. 17, p. 224. *) Virchow und Hirsch: Jahresbericht f. d. .Jahr 187.5, p. 69. 5) 1. c. p. 482. ^) Ste Ildener: Volkmanns klinische Vorträge, Nr. 38, p. 24. ') Vgl. Birch-Hirschfeld: Lehrb. d. pathol. Anatomie, p. 799. S t e u d e n e r, 1. c. p. 24. ») C o h n h e i m, 1. c. p. 480. B i r c h - H i r s 0 h f e 1 d, 1. c. p. 799. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 67 Vergleicht man das Verhalten der Bakterien bei Diphtheritis und bei Pyämie, dann fällt sofort eine merkwürdige Ubereinstimmung auf. Bei beiden Kranlcheitspro- zessen sind die Wundflächen mit Mikrokoldvenanhäufungen bedeckt, die in die tieferen Gewebsschichten und Lymphgefäße hineinwuchern, bei beiden finden sich die eigen- tümlichen miliaren Bakterienherde im Herzfleisch, Leber, Nieren und zeigen diese Bakterienhaufen eine bräunliche Farbe. Unwillkürlich drängt sich bei diesem Ergebnis die Frage auf, ob nicht die parasitischen Mikroorganismen der Pyämie und der Diphtheritis identisch sind ? Dieselbe Erscheinung wiederholt sich beim Puerperalfieber, bei welcher Kranlv- heit Waldeyer^) Kugelbakterien in den erkrankten Geweben, in den Lymphgefäßen und im peritonitischeza Exsudat, ferner Birch-Hirschfeld^) Mikrokokkenmassen auf Vaginalgeschwüren, im peri vaginalen Zellgewebe, im Blute, in der Milz und Leber aufgefunden haben. In den Nieren, Lungen und im Herzmuskel wurden die Mikro- kokken von H e i b e r g und O r t h ^) nachgewiesen, und es erwähnt letzterer die grau- gelbliche Farbe der in den knotig aufgetriebenen Harnkanälchen liegenden Mikrokokken. Als zum Puerperalfieber wahrscheinlich in naher Beziehung stehend sei hier noch die zuerst von Orth ■*) als Mycosis septica bezeichnete und beschriebene Affektion der Neugeborenen erwähnt, bei der Mikrokokken im Blute, in der Pleurahöhle und in der Harnblase in einem Falle beobachtet wurden. Auch die sogenannte Nahelmykose der Neugeborenen scheint hierher zu gehören. Weigert'') beschreibt einen derartigen Fall und berichtet, daß das Nabelgeschwür mit Mikrokolvken bedeckt war und daß außerdem Mikrokokkenhaufen im Zentrum von kleinen Blutherden der Lungen und Nieren lagen. Einen analogen Fall hat Hennig ") untersucht und ist zu demselben Resultat gekommen. Weniger aufgeklärt scheint die höchst interessante Beobachtung über das Auf- treten von Bakterien bei Endokarditis zu sein. Sämtliche Forscher, die sich mit der Aufgabe, Bakterien in pathologischen Ob- jekten aufzusuchen, beschäftigt haben, stimmen darin überein, daß dies mit ganz außer- ordentlichen, oft selbst unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft ist. Lim die daraus resultierende Unsicherheit des anatomischen Nachweises der Bakterien durch andere beweisende Tatsachen auszugleichen, hat man in den meisten Fällen das pathologische Experiment zu Hilfe genommen, und um einen vollständigen Überblick über das Tat- sächliche, die Beziehungen der Bakterien zu den Wundinfektionskranliheiten betreffende Material zu erhalten, bedarf es noch einer kurzen Zusammenstellung der Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen über Wundinfektionskrankheiten. 2. Experimentell nachgewiesene Beziehungen der Mikroorganismen zu den Wundinfektionskrankheiten. Die Erfahrung hatte gelehrt, daß mit dem Auftreten der Wundinfektionskrank- heiten die Wundsekretion und die Gewebssäfte eine faulige Beschaffenheit annehmen. Oft stellte sich die Veränderung der Wunden schon vor dem bemerkbaren Ausbruch der Krankheit ein und man schloß hieraus, daß die Fäulnis des Wundsekretes die U^r- ^) Archiv f. Gynäkologie, II. Bd., 1871. = ) Med. Jahrbb., Bd. 15.5, p. 105. ^) Ebendas., Bd. 166, p. 188. Archiv d. Heilk., 1872, XIII, p. 265. ^) Jahresber. d. schles. Gesellsch. f. vaterl. Kultur. .Jahrgang 1875. p. 229. (Die Fußnote fehlt im Original. D. Herausgeber.) 5* 68 Untersuchtingen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Sache der Wundkranklieit sei. Von anderer Seite wurde die Richtigkeit dieser Schluß- folgerung bestritten und dagegen behauptet, daß innere Ursachen die Wundinfektions- krankheiten hervorrufen und daß die Verschlechterung der Wunde etwas Sekundäres ist. Zur Entscheidung dieses Streites sind zahllose Experimente vorgenommen. Aber» die Experimentatoren beschränliten sich lange Zeit darauf, überhaupt den schädlichen Einfluß der in das Blut oder das subkutane Gewebe gespritzten fauligen Substanzen an Tieren zu erforschen und die in den Faulflüssigkeiten enthaltene giftige Substanz zu isolieren. Ob die Krankheit, welche sie durch die Einspritzung der giftigen Flüssig- keit hervorriefen, in der Tat nur eine einfache Vergiftung war oder ob sie auch wirkhch die infektiösen Eigenschaften besaß, wie die beim Menschen beobachteten Krankheiten, darum haben sich die älteren Experimentatoren und auch die meisten neueren gar nicht gekümmert. Es genügte, am Tier durch Einspritzung einer Faulflüssigkeit eine der menschlichen Infektionskrankheit einigermaßen durch Symptome und Leichenerschei- nungen gleichende Krankheit zu erzeugen, um beide sofort zu identifizieren und aus diesem Experiment weitgehende Schlüsse über Infektionskrankheiten zu ziehen. Wenn der- artige Experimente für oder gegen Infektionskrankheiten etwas beweisen sollen, muß vor allen Dingen durch weitere Übertragung der Krankheit von einem Tier aufs andere die Sicherheit gegeben werden, daß die experimentell erzeugte Krankheit ebenfalls eine unzweifelhafte Infektionskrankheit war. Da wir es hier nur mit Infektionskrankheiten zu tun haben, so müssen alle die Untersuchungen, welche sich nur mit den toxischen Eigenschaften der putriden Stoffe be- schäftigt haben, und ebenfalls diejenigen, bei denen die Möglichkeit einer Verwechslung zwischen Intoxikation und Infektion nicht ausgeschlossen ist, unberücksichtigt bleiben. Der erste Versuch, künstliche Wundinfektionskrankheiten bei Tieren hervor- zurufen, ist von C o z e und F e 1 1 z angestellt. Diese Forscher spritzten einige Gramm Blut von an putrider Vergiftung und Puerperalfieber Verstorbenen in das subkutane Bindegewebe von Kaninchen. Infolgedessen starben die Tiere unter bestimmten charak- teristischen Symptomen. Von dem Blute der in dieser Weise getöteten Kaninchen wurde eine weit kleinere Menge anderen Kaninchen ebenfalls subkutan injiziert und dieselben Krankheitserscheinungen und tödlicher Ausgang wie mit dem ursprünglichen putriden Blute bewirkt. C o z e und F e 1 1 z setzten diese Übertragung von Blut eines an pu- trider Infektion gestorbenen Tieres auf ein gesundes in immer kleineren Quantitäten fort und es gelang ihnen, die Infektion schließlich mit sehr geringen Blutmengen zu be- werkstelligen. Dies veranlaßte sie, eine Steigerung in der Virulenz dieses Blutes durch die fortgesetzte Impfung anzunehmen. Im Blute der an putrider Infektion gestorbenen Tiere fanden sie Bakterien in großer Zahl, und zwar geben sie an, gleichzeitig Ketten von kleinen Pünktchen gebildet, Stäbchen und lange oszillierende und wurmförmig sich be- wegende Fäden gesehen zu haben. Die Entdeckung von der steigenden Virulenz der sukzessive verimpften putriden Infektion bei Tieren erregte das lebhafteste Interesse. Die C o z e - und F e 1 1 z sehen Experimente wurden von Clementi und T h i n , von B e h i e r und Lionville"^) wiederholt und bestätigt. Auch diese überzeugten sich, daß zur ersten Infektion eine verhältnismäßig große und zu der folgenden Infektion außerordentlich geringe Mengen des infizierenden Stoffes, sei es Blut, Peritonealflüssigkeit oder dergleichen, erforderlich ist und daß im Blute der durch die Infektion getöteten Tiere zahlreiche Bakterien sich befinden. ^) Virchow und Hirsch: Jahresbericht für 1866, I., p. 195. -) Richter: Die neueren Kenntnisse der krankmachenden Schmarotzerpilze. Separat- abdr. aus d. med. Jahrbb. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 69 Zu gleichen Resultaten kamen noch Colin, V u 1 p i a n , Raynaud und andere \). Am eingehendsten hat sich mit diesem Verhältnisse D a v a i n e -) beschäftigt, welcher die Infektion durch eine Reihe von 25 Tieren sukzessive durchführte und zu der letzten wirksamen Übertragung des putriden Infektionsstoffes nur noch einen Trillionteil eines Bluttropfens anwandte. Auch D a v a i n e sah im Blute dieser Tiere Bakterien, die sich durch ihre Beweglichkeit von den unbeweglichen, von ihm deswegen Bakteridien ge- nannten, Milzbrandbakterien unterscheiden. Obwohl die verschiedensten Flüssigkeiten bei diesen Versuchen zur ersten Infektion benutzt wurden, nämlich faulendes Blut, Blut von Pyämischen, Puerperalkranken, Schar- lach-, Variola- und Typhuskranken, so blieben die damit erzielten Wirkungen immer die nämlichen und die Leichenuntersucliung der Tiere ergab immer als Resultat : Milzanschwel- lung, keine Metastasen, Bakterien im Blut. D a v a i n e bezeichnet diese Krankheit des- wegen als Septicäniie. Von anderen Wundinfektionskrankheiten hat man Diphtheritis und Erysipelas künstlich an Tieren erzeugt. Die Versuche mit Übertragung von Erysipelas sind von 0 r t h angestellt. Er in- jizierte den Inhalt einer Erysipelblase, der zahlreiche Kugelbakterien enthielt, unter die Haut eines Kaninchens. Es entstand eine dem menschlichen Erysipelas vollkommen ana- loge Entzündung, und durch Applikation der Ödemflüssigkeit aus dem subkutanen Ge- webe dieses Tieres bei einem zweiten Kaninchen wurde die charakteristisch verlaufende Entzündung auch auf dieses letztere übertragen. Im subkutanen Ödem und in den affi- zierten Hautstellen der an künstlichem Erysipelas erkrankten Tiere wies Orth ebenfalls Bakterien in großer Menge nach. Auch L u k o m s k y (1. c.) hat an Kaninchen mit ErysipeLflüssigkeit und Faul- flüssigkeiten experimentiert, um Erysipelas künstlich hervorzurufen. Er erhielt indessen bei seinen Versuchstieren ausgedehnte, stark phlegmonöse ünterhautgewebsentzün- dungen mit bedeutender Beteiligung der Cutis. Aber auch in seinen Fällen fanden sich in den Saftkanälen und Lymphgefäßen Mikrokokken. Die Übertragbarkeit des diphtheritischen Kranlcheitsprozesses auf Kaninchen ist durch H u e t e r , T o m m a s i , 0 e r t e 1 , L e t z e r i c h (1. c) festgestellt, sowie daß bei der künstlichen Diphtheritis dieselben Mikrokokken und in derselben Weise auftreten, wie bei der klinisch beobachteten Diphtheritis. Die Untersuchungen über Diphtheritis führten zu einem außerordentlich wichtigen und für das Studium der pathogenen Bakterien lehrreichen Versuch, nämhch die durch- sichtige Hornhaut des Kaninchens als Impfstelle zu benutzen. Nassiloff^) und E b e r t h führten diese Hornhautimpfungen zuerst aus. Anfangs wurden nur diphtheritische Substanzen geimpft, aber bald erkannte man, daß sich die verschiedensten putriden Stoffe, Entzündungsprodukte und dergleichen in gleicher Weise auf die Kornea übertragen lassen. Von Leber, S t r o m e y e r , D o 1 s c h e n k o w , Orth und in besonders umfangreicher Weise von Frisch") sind diese Versuche angestellt und in mannigfacher Weise modifiziert. • M Med. Jahrbb., Bd. 166. p. 174. 2) Ebendas. = ) Birch- Hirschfeld: Lehrb. d. pathol. Anat., p. 608. *) Virchows Archiv., Bd. 50, p. 550. °) Eberth: Bakterische Mykosen. Leipzig- 1872. Experimentelle Studien über die Verbreitung der Fäulnisorganismen in den Geweben. Erlangen 1874. 70 Untersuchungen über die Ätiologie der Wvmdinfektionskrankheiten. Bei einer derartigen erfolgreichen Impfung büclet sich eine eigentümhche, mit ko- nischen Ausläufern versehene, sternartige Figur, die sogenannte Pilzfigur, deren Mittel- punkt vom Impfstich gebildet wird. Die diese Figur zusammensetzenden Massen sind bei Diphtheritisimpfungen dichte Haufen von Mikrokokken, welche ebenso wie die Mikro- kokken der pyämischen und diphtheritischen miliaren Herde im Herzmuskel und in den Meren eine gelbbraune oder graubraune Farbe besitzen. Durch Impfung von Faul- flüssigkeiten wurden auch Pilzfiguren erhalten, die aus stäbchenförmigen Bakterien be- standen. Frisch^) impfte ferner die Hornhaut lebender Kaninchen mit Milzbrand- substanzen und beobachtete die Entwicklung ausgezeichneter Pilzfiguren, die nur aus Milzbrandbazillen bestanden. In allen diesen Versuchen standen die an der Kornea beobachteten Reaktions- und Entzündungserscheinungen in genauem Verhältnis zur Entwicklung und Ausbreitung der Bakterien. E b e r t h '-) fand das Zusammentreffen der Bakterien und der Impf- diphtheritis der Hornhaut so konstant, daß er geradezu sagt : Ohne diese Pilze (d. i. Bak- terien) keine Diphtheritis. Eine eigentümliche und vielversprechende Methode, um die Entstehung der Infek- tionskrankheiten durch ein Contagium animatum zu beweisen, ist von K 1 e b s ^) befolgt. Er brachte Flüssigkeiten und andere Substanzen, die an infektiösen Ki'ankheiten Leiden- den oder Verstorbenen entnommen waren, in gut isolierte, mit Nährflüssigkeiten beschickte Kulturapparate. Nachdem eine Entwicklung von Organismen in der Nährflüssigkeit stattgefunden hatte, wurde von dieser eine kleine Menge genommen und in einen zweiten Kulturapparat mit Nährflüssigkeit gebracht. Mit der Flüssigkeit des zweiten wurde dann ein dritter infiziert und so fort durch eine genügend lange Reihe, um annehmen zu können, daß von der ursprünglich angewandten Infektionssubstanz ein verschwindend kleiner Teil oder gar nichts mehr in der letzten Nährflüssigkeit vorhanden sein kann. Die so vom ursprünglichen Infektionsstoff gewissermaßen befreiten Flüssigkeiten wurden auf Tiere übertragen. K 1 e b s hat dieses Verfahren, das er als fraktionierte Kultur bezeich- net, außer mit Material von verschiedenen anderen Krankheiten, namentlich mit solchem von diphtheritischen und septischen Prozessen angewandt. Die durch fraktionierte Kultur erhaltenen Flüssigkeiten brachten auf Tiere appliziert wieder Septicämie und Diphtheritis hervor ; außerdem fand K 1 e b s sowohl in den Kulturflüssigkeiten als auch in den infi- zierten Tieren die charakteristischen Mikrokokken. In ähnlicher Weise hat Orth'') in Kulturflüssigkeit die Bakterien aus einer Ery- sipelasblase gezüchtet und durch die Injektion dieser Flüssigkeit wieder Erysipel bei Kaninchen erzeugt. 3. Einwendungen gegen die Beweiskraft dieser Tatsachen. Das in den beiden vorhergehenden Abschnitten zusammengestellte tatsächliche Material hat, wie nicht zu leugnen ist, schon einen ansehnlichen Umfang gewonnen. Manchen genügt dasselbe schon, um unter Zuhilfenahme theoretischer Gründe und unter dem Eindruck der eminenten Erfolge der antiseptischen Behandlungsmethoden den Be- weis für das Vorhandensein belebter Infektionsstoffe, ganz besonders auch für die Wund- infektionskrankheiten anzunehmen. Andererseits hat man gegen diese Annahme ver- ^) Die MUzbrandbakterien und ihre Vegetation in der lebenden Hornhaut. Wien 1876. 2) 1. c. p. 14. ^) Virchow und Hirsch: Jahresber. f. d. Jahr 1874, Bd. I, p. 359. ^) Über die Umgestaltung der medizinischen Anschauungen in den letzten drei .Jahrzehnten. Rede, gehalten in München bei der 50. Versammlung deutscher Naturforscher. Leipzig, Vogel 1878. 5) Birch- Hirsch feld, 1. c. p. 608. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 71 schiedene und, wie teilweise zugegeben werden muß, berechtigte Bedenken geltend ge- macht, deren kurze Besprechung erforderlich ist, um ein Urteil über die Bedeutung der ]3akterien für die Wundinfektionskrankheiten gewinnen zu können. Eine nicht geringe Anzahl von Forscliern hat die Behauptung aufgestellt, daß das normale Blut und Gewebe des Menschen und der Versuchstiere schon Mikroorganismen enthalte und daß letztere nicht die Krankheit, sondern umgekehrt der Krankheitsprozeß eine abnorme Vermehrung dieser Organismen zur Folge habe, weil dieselben in den krank- haft veränderten Säften des tierischen Körpers günstigere Existenzbedingungen fänden. Von dieser Schlußfolgerung, die bis jetzt noch niemals experimentell bewiesen, sondern aus theoretischen Voraussetzungen abgeleitet wurde, kann abgesehen werden. Wäre es aber richtig, daß im normalen Blute Bakterien vorkommen, und wenn später dieselben Bakterien, z. B. Mikrokokken in pathologisch veränderten Organen, sei es auch in ungewöhn- licher Menge, angetroffen würden, dann müßte allerdings dadurch der Beweis dafür, daß diese Müvrokkoken die Ursache der Erkranliung seien, außerordentlich erschwert, viel- leicht ganz unmöglich gemacht werden. Sehen wir nun, wie es mit der Richtigkeit der frag- lichen Behauptung steht. Lostorfer, Nedsvetzki und B e c h a m p ^) entdeckten im normalen Menschenblut kleine bewegliche Körnchen. L o s t o r f e r nennt dieselben Mikrokokken und will ihre Weiterentwicklung bis zur Sarzine verfolgt haben. Nedsvetzki hat diesen Körnchen den Namen Haemococci gegeben, er hält sie für identisch mit den von B e c h a m p beschriebenen Körperchen. B e c h a m p nun hat in zahlreichen Aufsätzen seine Ansichten über die von ihm Mikrozymen genannten Körperchen ausgesprochen. Fast in allen tierischen Flüssigkeiten will er sie gefunden haben, und nach Versuchen, die er mit E s t o r zusammen anstellte, sollen diese Mikrozymen durch ihre physiologische Tätigkeit die Blutgerinnung, Käsebildung, Essigsäure- und Alkoholerzeugiuig bewirken können, sie sollen bei der Umsetzung der Leberglykose, bei der Entwicklung des Embryo im bebrüteten Hühnerei und bei allen möglichen anderen Verriclitungen im tierischen Körper tätig sein. Daß B e c h a m p seine Mikrozymen mit den Bakterien in innigen Kormex bringt, geht daraus hervor, daß nach ihm im Darm die Mikrozymen unterhalb der Ileocökalklappe normalerweise in Bakterien sich verwandeln; an kranken Stellen des Dünndarms aber, z. B. wo ein Bandwurm sitzt, da entwickeln sich sofort Bakterien aus den Mikrozymen. Ferner haben ihrer Meinung nach noch J. L ü d e r s, B e 1 1 e 1 h e i m und R i c h a r d s o n -), dann K o 1 a c z e k und L e t z e r i c h 3) Bakterien im normalen menschlichen Bhit gesehen. Auf indirektem Wege suchten Tiegel "*) und B i 1 1 r o t h den Beweis für das Vorhandensein von Bakterien in normalen tierischen Geweben zu führen. Sie brachten unter gewissen Kautelen frische Stücke von Muskeln, Leber usw. in geschmolzenes Pa- raffin, schlössen diese Objekte also luftdicht ein und untersuchten sie nach einiger Zeit auf Bakterien .Es fanden sich nun in der Tat zahlreiche Bakterien darin und B i 1 1 r o t h schließt daraus "), daß in den meisten Geweben des Körpers (vorwiegend wohl im Blut) entwicklungsfähige Bakterienkeime sich befinden. Den Versuchen von B i 1 1 r o t h und Tiegel hat man vorgeworfen, daß der Ein- schluß in Paraffin nicht gegen das Eindringen von Bakterien schützt, weil sich, wie gewiß ') Richter, 1. c. p. 12. -) Virchow und Hirsch: .Tahresber. f. d. .lalu- l,S(is. Bd. I. p. 20.5. 3) Med. Jahrbb., Bd. 168, p. 68. M Virchow und Hirsch: .Jahresber. f. d. Jahr 1874, Bd. I, p. 119. ••) Vegetationsfornien der Coccobacteria septica. BerUn 1874:, p. 58. ") 1. c. p. 60 und 137. 72 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. schon jeder, der Objekte behufs mikroskopischer Untersuchung in Paraffin eingeschmolzen hat, zu beobachten Gelegenheit fand, beim Erkalten und auch noch später Risse und Spalten im Paraffin bilden. Als normales Blut von Pasteur^), Burdon- Sanderson^) und K 1 e b s ^) nach einer aUe Fehlerquellen ausschließenden Methode auf seine Entwicklungsfähigkeit von Fäulnisorganismen geprüft wurde, fielen die Versuche negativ aus. Auch den angeblichen unmittelbaren Beobachtungen von Bakterien im normalen Blute stehen die Angaben von zuverlässigen Mikroskopikern wie Rindfleisch und Rieß gegenüber die bestimmt erklären, daß das normale Blut frei von Bakterien ist, dagegen, wie Rieß nachgewiesen hat, mehr oder weniger reichlich kleine rundliche Kör- perchen enthält, die höchstwahrscheinlich Zerfallsprodukte der weißen Blutkörperchen sind und wegen ihrer Ähnlichkeit mit Mikrokokken zu Verwechslungen mit diesen Ver- anlassung gegeben haben. Nach meinen eigenen Erfahrungen ist die Untersuchung des Blutes auf etwaigen Gehalt an Bakterien ungemein schwierig, wenn man nicht die später zu beschreibenden Hilfsmittel, Färbung und geeignete Beleuchtung, gebraucht. Ohne dieselben ist es meistens unmöglich, mit Sicherheit die von Rieß so charakteristisch beschriebenen Körperchen von Mikrokokken zu unterscheiden und ist es mir deswegen wohl erklärlich, daß mancher, je nachdem er Bakterien finden oder nicht finden wollte, in einem Falle die körnigen Be- standteile des Blutes für Mikrokokken, im anderen Falle etwa vorhandene Mikrokokken für die Reste zerfallener weißer Blutkörperchen ansah. Normales Blut und normale Ge- webe habe ich nun mit HiKsmitteln, die das Übersehen von Bakterien und ihre Verwechs- lung mit gleich großen körnigen Massen nicht zulassen, vielfach untersucht und dabei nicht ein einziges Mal Bakterien gefunden. Ich habe deswegen gleichfalls die Überzeugung gewonnen, daß die Bakterien imBlut und in den Geweben des gesunden tierischen sowohl als menschlichen Organismus nicht vorkommen. Dagegen scheinen mir folgende Einwendungen gegen die Annahme, daß die Bak- terien die Ursache der Wundinfektionskrankheiten sind, berechtigt zu sein. Es muß, um einen vollgültigen Beweis für diese Annahme zu gewinnen, verlangt werden, daß die Bak- terien ausnahmslos und in derartigen Verhältnissen betreffs ihrer Menge und Verteilung nachgewiesen werden, daß die Symptome der betreffenden Krankheit ihre vollständige Er- klärung finden. Denn wenn in einigen Fällen einer bestimmten Art von Wundinfektions- krankheiten Bakterien gefunden werden, in anderen ebenso beschaffenen aber nicht, und wenn ferner die Bakterien in so geringer Anzahl vorhanden sind, daß dadurch unmöglich eine schwere Kjrankheit oder gar das töclhche Ende bewirkt sein kann, dann bleibt selbst- verständlich nichts übrig, als das unbeständige Auftreten der Bakterien als ein vom Zufall abhängiges und die geringe Menge derselben als einzige Ursache der betreffenden Krank- heit nicht ausreichend, also noch andere Ursachen daneben anzunehmen. Diesen Anfor- derungen zu einem vollgültigen Beweis entsprechen nun aber in der Tat die über das Vor- kommen der Bakterien bei Wundinfektionskrankheiten gemachten Beobachtungen nicht. Wegen der schon früher hervorgehobenen Schwierigkeit des Nachweises von Bak- terien im Blut und namentMch in den Geweben sind viele der oben zitierten Angaben auf erhebliche Zweifel gestoßen, ob immer mit Recht, das muß dahingestellt bleiben; denn die frühere Untersuchungsmethode ist eben in den meisten Fällen ein Tappen im Finstern und die Resultate derselben konnten nur sehr zweifelhaft ausfallen. 1) Virchow und Hirsch: Jahresber. f. d. Jahr 1874, Bd. I, p. 119. ^) Cohn: Beiträge zvir Biologie der Pflanzen, Bd. I, Heft 2, p. 194. =•) Med. Jahrbb., Bd. 166, p. 196. *) Virchow und Hirsch: Jahresber. f. d. Jahr 1872, Bd. I, p. 252. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 73 Aber auch abgesehen von dem unsicheren Ergebnis mancher mühevollen Arbeit über die Bakterien der Wundinfektionskrankheiten bringt die Literatur eine Menge von Angaben über das vollständige Fehlen der Bakterien bei ganz unzweifelhaften Wund- infektionskrankheiten. Es würde keinen Zweck haben, alle negativen Befunde hier auf- zuzählen, da sie noch weit mehr als die positiven einen bedingten Wert haben. Nur einige mögen zur Illustration des Gesagten hier ihren Platz finden. Birch-Hirschfeld^) sagt, daß negative Befunde in betreff des Vorkommens von Bakterien, namentlich in Fällen fulminanter Gangrän und putrider Infektion, keineswegs zu den Seltenheiten gehören. Nachdem Orth-) erwähnt hat, daß Mikrokokken im Blute besonders bei sep- tischen Wundkrankheiten, Puerperalerkrankungen und Diphtheritis gefunden sind, hebt er ausdrücklich hervor, daß dieselben durchaus keinen konstanten Befund bilden. E b e r t h ^), der sich von dem häufigen Vorkommen von Bakterien bei septicä- mischen Krankheitsprozessen überzeugt hatte, führt die Septicämie keineswegs allein auf eine Infektion des Blutes durch die Bakterien zurück, und zwar aus dem Grunde, weil er die ausgesprochenste Septicämie auch ohne Bakterien im Blute auftreten sah. Weigert') spricht sich folgendermaßen über das Vorkommen der Bakterien aus : So sicher man auch für einige pathologische Prozesse die Erzeugung derselben durch die Einwirkung der Bakterien annehmen kann, so steht doch auf der anderen Seite eine bei weitem größere Reihe krankhafter Vorgänge, die man aus theoretischen Gründen für mykotische zu halten geneigt ist, bei denen aber der gewissenhafte Forscher nichts von einer Einwirkung der Bakterien aufzufinden vermag. Absichtlich habe ich diese Zitate den Schriften solcher Autoren entnommen, die durch positive Befunde bewiesen haben, daß sie die bedeutenden Schwierigkeiten beim Auffinden der Bakterien zu überwinden verstanden, und weil deswegen ihre Angaben über das häufige Fehlen der Bakterien in Fällen von Wundinfektionskrankheiten eine besondere Beachtung verdienen. Der zweite Umstand, der mir bei Beurteilung der Bakterienfrage von wesentlicher Bedeutung zu sein scheint, daß nämlich fast in allen Fällen, in denen Bakterien gefunden wurden, die Menge derselben eine auffallend geringe war, ist bis jetzt zu wenig hervor- gehoben. Wir wissen allerdings zurzeit noch nicht, wie viel Bakterien dazu gehören, um bei einem Menschen bestimmte Krankheitssymptome zu bewirken oder um ein Kilogramm Versuchstier zu töten. Unzweifelhaft bestehen aber derartige ganz bestimmte, höchstens infolge von Verschiedenheiten der erkrankten Individuen nur innerhalb geringer Grenzen schwankende Verhältnisse zwischen der Menge der pathogenen Bakterien und ihrer Wir- kung, d. h. den Krankheitssymptomen. Die einzige Krankheit, von der mit voller Sicherheit behauptet werden kann, daß sie eine Bakterienkrankheit ist, der Milzbrand, gibt uns dafür genügende Anhaltspunkte. Kleine Tiere sterben schneller nach Impfung mit Milzbrand- blut als größere, und bei Tieren derselben Gattung und von gleicher Größe tritt das töd- liche Ende später ein, wenn die Impfflüssigkeit wenige entwicklungsfähige Sporen oder Bazillen enthält, als wenn sie reich daran ist. Die Erklärung für diese Erscheinungen kann doch nur darin gefunden werden, daß zur Tötung z. B. eines Schafes mehr Bazillen erforderhch sind als für eine Maus, und daß aus den bei der Impfung ungefähr in gleicher Menge bei beiden Tieren eingeführten Bazillen resp. Sporen die kleinere für die Maus ge- M 1. c. p. 1224. 2) Kompendium der pathol.-anatomisclien Diagnostik. Berlin 187(), p. III. Med. Jahrbb., Bd. 16(j, S. 18.5. Berl. klin. Wochenschr. 1877, Nr. 18. 74 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. nügende Anzahl Bazillen schneller als die bedeutende zur Tötung des Schafes erforder- liche heranwächst und daß für Tiere derselben Gattung wieder aus wenigen Sporen sich die tödliche Menge von Bazillen später entwickelt als aus von vornherein gegebenen zahl- reichen Sporen. Weiter lehrt die Milzbrandkrankheit, daß sich eine ungemein große Anzahl von Ba- zillen im Blute entwickelt haben muß, ehe der Tod eintritt. Auch der Typhus recurrens, dessen Beziehungen zu den von Obermeier entdeckten Spirochaeten allerdings noch nicht hinreichend aufgeklärt sind, der aber wegen des ganz konstanten Auftretens dieser Bakterien in jedem einzelnen Fieberanfalle doch mit größter Wahrscheinlichkeit ebenfalls als eine parasitäre Krankheit anzusehen ist, zeigt in bezug auf die Menge der im Blute befindlichen Bakterien dasselbe Verhalten. Es ist nun allerdings nicht anzunehmen, daß sich alle pathogenen Bakterien in diesem Punkte ganz gleich verhalten, aber soviel läßt sich nach Analogie des Milzbrandes und Typhus recurrens wohl schließen, daß nur be- deutende Mengen von Bakterien krankheitserregend wirken können. Dieser Fordenmg entsprechen aber die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen über die Bakterien der Wund- infektionskrankheiten in den meisten Fällen nicht. Gewöhnlich wird von erheblicheren Mikrokokkenanhäufungen auf der Wundoberfläche berichtet, die indessen nur bei größeren Wunden in Betracht kommen können; während in inneren Organen nichts weiter als miliare Bakterienkolonien, oft in geringer Zahl gefunden wurden. Das steht doch in gar keinem Verhältrüs zu der kaum glaublichen Menge von Bazillen im Milzbrandblut. Es können deswegen auch nur solche Befunde als ausreichend zur Erklärung des Krank- heitsprozesses gelten, welche eine bedeutende Menge von Bakterien nachgewiesen haben. Nun gibt es allerdings Angaben über massenhaftes Auftreten von Mikrokokken im Blute oder in den Geweben, das sind aber leider gerade diejenigen, die aus den früher angegebe- nen Gründen am wenigsten zuverlässig sind. Ein dritter Punkt muß noch gegen die Beweiskraft der Bakterienfunde geltend gemacht werden. Es ist das die gleiche morphologische Beschaffenheit der bei den ver- schiedensten Wundinfektionskrankheiten und selbst noch bei anderen gar nicht damit ver- wandten Infektionskrankheiten angetroffenen Bakterien. Jedem, der die Bakterienliteratur durchgeht, muß es sofort auffallen, daß die beiden am besten bekannten Bakterienkrankheiten, der Milzbrand und der Typhus recurrens, sich durch die wohl charakterisierte und leicht erkennbare Form ihrer Parasiten aus- zeichnen, daß aber bei fast allen übrigen Infektionskrankheiten, welche anscheinend mit Mikroorganismen in Beziehung stehen, eine merkwürdige Übereinstimmung in Gestalt, Größe, Anordnung, teilweise sogar in der Färbung der beobachteten Bakterien herrscht. Gerade weil beim Typhus recurrens und Milzbrand so bedeutende Unterschiede in dieser Beziehung bestehen, muß die Gleichmäßigkeit der übrigen pathogenen Bakterien Miß- trauen gegen die Richtigkeit der Beobachtung und gegen die Annahme erwecken, daß Krankheiten, welche teilweise ebensowenig miteinander verwandt zu sein scheinen als jene, dennoch durch dieselben Organismen veranlaßt werden sollten. Diese Bedenken sind auch schon mehrfach geäußert. So z. B. von Birch-Hirschfeldi). Derselbe sagt : Die morphologischen Cha- raktere der bei der Pyämie, der Diphtheritis, den Pocken, der Cholera gefundenen Bak- terien sind so gleichartig, daß allerdings die Vorstellung naheliegt, es handle sich um identische Formen. Daraus würde aber hervorgehen, daß man diesen Organismen keine spezifische Bedeutung beilegen könnte. Sie wären darnach Parasiten der Krankheit, nicht die Ursache derselben. 1} 1. c. p. 233. UntersiTchimgen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 75 Den von B i r c h - H i r s c h f e 1 d angeführten Krankheiten lassen sich noch eine Anzahl anderer anreihen, bei denen ebenfalls die nicht weiter zu unterscheidenden Mikro- kokken gefunden wurden. Nämlich Erysipelas, Puerperalfieber, Nabelmykose der Neu- geborenen, Hospital brand, Intestinalmykose, Endokarditis (mit und ohne akuten Gelenk- rheumatismus), primäre infektiöse Periostitis, Scharlach, Rinderpest, Lungenseuche. Un- möglich können doch alle diese Krankheiten durch einen und denselben Parasiten erzeugt werden. Es bleibt also nichts übrig, als anzunehmen, daß es entweder wirklich immer die- selben Mikrokokken sind, die dann aber nur als eine gelegenthche Komplikation sich mit den aufgezählten ganz verschiedenen Krankheitsprozessen verbinden, oder daß die uns wegen ihrer Kleinheit äußerlich sehr ähnlich oder selbst gleich erscheinenden Mikro- kokken dennoch innerlich verschieden und deswegen imstande sind, zu so verschiedenen Krankheiten Veranlassung zü geben. Um zu zeigen, daß diese letztere Annahme nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liegt, hat C o h n ^) an die gleiche äußere und mikroskopische Beschaffenheit der bittern und süßen Mandel erinnert, die doch beide in ihrer physiologischen Wirkung himmelweit voneinander verschieden sind. Und V i r c h o w '-) hat zu demselben Zwecke darauf hin- gewiesen, daß man den Bildvingszellen des Eies inid zahlreicher pathologischer Gewächse, trotzdem sie neben Bakterien als förmliche Riesen erscheinen, auch nicht im voraus an- sehen könne, was aus ihnen werden wird. Die Möglichkeit, daß die Mikrokokken trotz ihres gleichmäßigen Aussehens ver- schieden und daß sie das vermutete Contagium animatum jener Krankheiten sein können, muß gewiß zugegeben werden. Aber als Unterlage für praktische Aufgaben, zu denen vor allen Dingen die Prophylaxis und Therapie der Infektionskrankheiten zu rechnen sind, können wir mit der Möglichkeit eines Contagium animatum nicht viel anfangen; dazu brauchen wir die zwingende Gewißheit darüber, daß dieser oder jener bestimmte und unter veränderten Verhältnissen an gewissen Kennzeichen immer wieder zu erkennende Mikrokokkus die einzige Ursache der gegebenen Krankheit ist. Denn solange nur die Mög- lichkeit oder selbst die Wahrscheinlichkeit für die Existenz des Contagium animatum gegeben ist. müssen alle weiteren davon ausgehenden Untersuchungen die ebenfalls möglicherweise vorhandenen anderen Krankheitsursachen, z. B. das unbekannte x eines bislang noch niemals nachgewiesenen unbelebten Krankheitsfermentes, das y des Genius epidemicus und andere unbekannte Crrößen in Rechnung ziehen. Daß damit aber die gestellte Aufgabe im höchsten Grade kompliziert und durch zahllose Fehlerquellen ge- fährdet, vermutlich ganz unlösbar wird, liegt auf der Hand. Fassen wir das, was als tatsächlich Bekanntes zusammengestellt wurde, und die daran geknüpften Erörterungen kurz zusammen, so konunen A\-ir zu dem Ergebnis, daß die zahlreichen Befunde von Mikroorganismen bei Wundinfektionskrankheiten und die damit im Zusammenhang stehenden experimenteUen Untersuchungen die parasitische Natur dieser Krankheiten wahrscheinlich machen, daß ein voUgiiltiger Beweis dafür bis jetzt noch nicht geliefert ist und auch nur dann geschafft werden kann, wenn es gelingt, die parasitischen Mikroorganismen in allen Fällen der betreffenden Krankheit aufzufinden, sie ferner in solcher Menge und Verteilung nachzuweisen, daß alle Krankheitserscheinuvgen dadurch ihre Er- klärmig finden, und schließlich für jede einzelne Wundinfektionskrankheit einen morpho- logisch wohl, charakterisierten Mikroorganismus als Parasiten festzustellen. ^) Beiträge zur Biologie der l'flanzen, I. Bd., 2. Heft, p. 135. ^) Die Fortschritte der Kriegsheilkunde. Berlin 1874, ]>. 33. 76 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Sollte es denn nun aber möglich sein, diese Bedingungen überhaupt jemals zu er- füllen ? Oder sind wir hier an der Grenze der Leistungsfähigkeit unserer optischen Hüfsmittel angelangt, wie viele Milvroskopiker anzunehmen scheinen ? Diese Frage wird sich wohl jeder, der sich eingehender mit der Untersuchung der pathogenen Bakterien beschäftigt hat, oft genug vorgelegt haben. Auch mich hat sie vielfach beschäftigt und sie drängte sich mir sofort wieder auf, als ich allgemeine Unter- suchungen über Bakterien anstellte und erkannte, von welchem bedeutenden Vorteil für das Erkennen und Unterscheiden gerade der kleinsten Bakterienformen, ferner der Sporen und Geißelfäden der Bakterien die richtige Verwendung der mikroskopischen Hilfsmittel ist. Seitdem habe ich unablässig versucht, in ähnlicher Weise das Verfahren zum Auf- finden der pathogenen Bakterien in tierischen Geweben zu' verbessern, weil ich den Ge- danken nicht los werden konnte, daß die zweifelhaften Ergebnisse der Untersuchungen über die Parasiten der Infektionskrankheiten in der UnvoUkommenheit der dabei befolgten Methoden ihren Grund haben möchten. Das Verfahren, welches sich mir schließlich als zweckmäßig erwies und zu positiven Resultaten geführt hat, werde ich, ehe ich zu dem Bericht über den experimentellen Teil meiner Arbeit übergehe, zu schildern haben. Beschreibung der Untersuchungsmethode. Die von Recklinghausen zuerst befolgte Methode, die große Widerstands- fähigkeit der Bakterien gegen Säuren und Alkalien, die den tierischen Geweben nicht eigen ist, zu benutzen, wird auch wohl jetzt noch von den meisten Mikroskopikern ge- braucht. Sobald ein durch sein gleichmäßiges Korn ausgezeichneter Haufen kleinster Körperchen sich weder in Essigsäure noch in Kali- oder Natronlauge verändert und man sonst Grund hat, darin Bakterien zu vermuten, dann ist gewöhnlich die Aufgabe gelöst und der Milcrokokkus gefunden. Leicht kann dabei ein Irrtum auch nicht vorkommen, denn das Aussehen eines dichtgedrängten Mikrokokkenhaufens, der sogenannten Zoo- gloea, ist so charakteristisch, daß, wer sich dieses Bild einmal eingeprägt hat, es jederzeit wieder erkennen wird. Ungleich schwieriger gestalten sich aber die Verhältnisse, wenn die Bakterien, namentlich gilt dies von Milirokokken, schwarmähnlich ausgebreitet sind, wenn sie sich in kleinen lockeren Gruppen oder gar einzeln im Gewebe verteilen. Dann kommt das charakteristische Aussehen der Zoogloea nicht mehr zu Hilfe und man kann sich nur noch auf die Resistenz der Bakterien gegen Alkahen und Säuren verlassen, weil die Anzahl der ähnhch gestalteten und außerordenthch leicht damit zu verwech- selnden, kleinen Körnchen in pathologisch veränderten Geweben und im Blute sehr groß ist. Aber sehr bald wird man gewahr werden, wie unzuverlässig dieses Unterscheidungs- merkmal ist. Manche, namentlich sehr kleine Bakterien, werden durch diese Reagentien ebenso zerstört oder verändert wie die tierischen Gewebe, und auch in letzteren finden sich oft unbestimmbare Körnchen, die durch Säuren und Alkalien nicht beseitigt werden. Also mehr als Zoogloeamassen nachzuweisen, vermag dieses Verfahren nicht. Man hat dann weiter versucht, mit Färbungsmethoden bessere Resultate zu er- zielen, und zwar ist zunächst, wie es scheint gleichzeitig von mehreren Seiten, die Häma- toxylinfärbung empfohlen. Dieselbe leistet auch, namentlich wenn sie in der Art der so- genannten Kernfärbung angewandt wird, erheblich mehr,- als die erste Methode. Aber insofern ist sie unvollkommen, als das Hämatoxylin die stäbchenförmigen Bakterien nicht färbt, und die kugelförmigen nicht stark genug, um zerstreut hegende immer mit Sicherheit erkennen zu lassen. Immerhin ist die Anwendung des Hämatoxyhns der ein- Untersuchungen über die Ätiologie der Wimdinfektionskrankheiten. 77 fachen Behandlung der Untersiichungsobjekte mit Reagentien insofern überlegen, als durch die Färbung die Bakterienmassen sehr viel deutlicher im übrigen Gewebe hervor- treten und ein Übersehen oder Verwechseln mit anderen Objekten noch mehr ausge- geschlossen ist. Auch gewährt dies Verfahren, das ja die Untersuchung mit Reagentien selbstverständlich nicht ausschließt, noch den großen Vorteil, daß die gefärbten Objekte in Kanadabalsam konserviert und zur Vergleichung mit anderen Präparaten dienen können. Noch bessere Resultate als die Färbung mit Hämatoxylin hat die mit Anilinfarben gegeben. Meines Wissens ist Anilinfärbung zum Nachweis von Bakterien in tierischen Geweben zuerst von W e i g e r t angewandt. Sein Verfahren, durch dessen Mitteilung er mich zu größtem Dank verpflichtet hat, ist folgendes: Die Untersuchungsobjekte werden in Alkohol gehärtet und die daraus gefertigten Schnitte in einer ziemlich starken wäßrigen Lösung von Methylviolett längere Zeit liegen gelassen. Die Schnitte werden dann mit verdünnter Essigsäure behandelt, mit Alkohol entwässert, in Nelkenöl aufgehellt inid in Kanadabalsam eingelegt. Statt des Methylviolett können auch andere Anilinfarben, z. B. Fuchsin, Anilin- braun usw., in derselben Weise gebraucht werden. Es sind dies allerdings nur die allgemeinen Umrisse, innerhalb deren sich das Ver- fahren bewegt, aber die einzelnen Gewebe und namentlich die verschiedenen Bakterien verhalten sich zu ungleich, als daß es möglich ist, ganz allgemeingültige, alle Einzelheiten berührende Regeln anzugeben. Für manche Objekte eignet sich Fuchsin am besten, für andere passen wieder mehr die Methylfarben. Unter diesen letzteren herrscht eine solche Verschiedenheit in der färbenden Kraft, daß die Schnitte in der einen Lösung wenige Minuten, in einer anderen mehrere Stunden bleiben müssen. Es bleibt demgegenüber nichts weiter übrig, als eine größere Menge Schnitte auf einmal in Arbeit zu nehmen und den geeignetsten Farbstoff sowie die Zeitdauer der Färbung auszuprobieren. Nach einiger Übung wird man gewiß mit wenigen Versuchen den geeignetsten Modus gefunden haben. Auf die Stärke der Essigsäurelösung kommt nicht viel an. Man nehme am besten eine wenige Prozente starke Lösung und lasse sie nicht zu lange einwirken. Die übrigen Mani- pulationen, also Entwässern, Aufhellen und Einlegen sind genau dieselben, wie bei der Herstellung anderer mikroskopischer Präparate. Ein zu langes Verweilen der Schnitte im Alkohol und im Nelkenöl ist zu vermeiden, weil sonst die Farbstoffe durch diese Flüssigkeiten ausgelaugt werden. In den Präparaten, die in dieser Weise behandelt sind, erblickt man nur die Kerne der Zellen und die Bakterien gefärbt. Letztere nehmen sämthch die x4nilinfärbung an, und zwar fällt die Färbung so stark aus, daß die einzelnen Bakterien bedeutend besser zu erkennen sind, als nach Hämatoxylinfärbung. In mit Anilinfärbung behandelten Präparaten ist es deswegen sehr leicht, einzelne große Bakterien, z. B. die Milzbrand- bazillen, mit voller Sicherheit in den verschiedensten Geweben zu erkennen. Sobald aber kleinere Bakterien in Frage kommen, dann wkd allerdings das Resultat unsicher und läßt schließhch bei ganz kleinen Formen vollständig im Stich. Um nun zu verstehen, woher es kommt, daß kleine Objekte trotz intensiver Färbung in tierischen Geweben schwierig oder gar nicht zu unterscheiden sind, muß man sich das Zustandekommen des mikroskopischen Bildes klar machen; doch soll der Einfachheit halber nur der hier vorliegende Fall, nämlich ein aus tierischem Gewebe stammender in Kanadabalsam nach gewöhnlicher Manier eingelegter Schnitt, in Betracht gezogen werden. Wenn sämtUche Bestandteile dieses Gewebes farblos wären und dasselbe Brechungs- vermögen hätten wie der Kanadabalsam, dann würde von dem Gewebe gar nichts zu 1) Bericht über die Sitzungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterl. Kultur, 10. Dezem- ber 1875. 78 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. sehen sein. Das ist nun aber nicht der Fall. Fasern, Kerne und manche andere Teile des Gewebes differieren in ihrem Lichtbrechungsvermögen vom Kanadabalsam und erzeugen durch Diffraktion der durchgehenden Lichtstrahlen ein aus Linien und Schatten be- stehendes Bild 1), das Strukturbild genannt werden mag. Setzen wir nun aber einen zweiten Fall, daß nämlich Teile jenes Gewebes, z. B. Zellenkerne und Bakterien gefärbt sind, dann würden sich die Verhältnisse folgender- maßen gestalten. Bei ganz gleichem Brechungsvermögen von Gewebe und Kanadabalsam würden nur Kerne und Bakterien zu sehen sein, und zwar nur vermöge des Farbstoffes, mit dem sie imprägniert sind; wir würden also ein ganz reines Farbenbild haben, das von dem durch Fasern, Membranen usw. erzeugten Strukturbild ganz verschieden sein, teil- weise mit diesem, z.B. in den Kernbildern, zusammenfallen kann. Zum möglichst deut- lichen Erkennen der Bakterien, die ja durch Anilinfarben ganz besonders intensiv gefärbt werden, würde ein solches reines Farbenbild gewiß das Vorteilhafteste sein. Nun kommt aber das unvermeidliche und störende Strukturbild dazu. Großen gefärbten Objekten, also beispielsweise wieder Milzbrandbazillen, geschieht dadurch in betreff ihrer Erkennbarkeit wenig Abbruch. Höchstens wenn der Schnitt oder sonstige Gewebsteil sehr dick ist (z. B. die Darmschleimhaut in ihrer vollständigen Dicke), kann das Strukturbild so überwiegend, die Menge der übereinandergelagerten Schatten so dicht werden, daß auch die großen Milzbrandbazillen nicht mehr gut zu unter- scheiden sind. Wenn aber die Bakterien kleiner und dünner sind, also an sich schon weniger Farbstoff aufnehmen können, dann macht sich der nachteilige Einfluß des Strukturbildes schon weit mehr geltend ; eine breite dunkle Linie kann dann schon einige Bakterien so verdecken, daß ihr Farbenbild zu schwach wird, um im Auge noch einen Ein- druck zu machen. In dünnen Schnitten und solchen Geweben, deren Strukturbild aus wenigen Linien und Schatten (z. B. Unterhautzellgewebe, Hornhaut) besteht, sind aller- dings noch recht kleine Bakterienformen mit einiger Genauigkeit zu unterscheiden. Schließlich kommt man aber doch an einen Punkt, wo die Bakterien so klein sind, daß die winzigen gefärbten Pünktchen und Strichelchen durch die schwächsten Struktur- schatten schon verdeckt und unsichtbar gemacht werden. An einzelnen besonders gün- stigen Stellen hat man wohl noch eine Andeutung davon, daß Bakterien vorhanden sein könnten, aber an ein sicheres Erkennen und Unterscheiden von Gestalt und Größe der Bakterien ist nicht mehr zu denken. Dieser Fall trat auch bei meinen Untersuchungen ein. In dem Material, das ich mir in der später zu beschreibenden Weise verschafft hatte, fand ich größere Bakterien, auch kleinere, namentlich wenn sie Anhäufungen in den Glomeruli bildeten, mit Leichtigkeit. Nun lag aber die Vermutung vor, daß auch in der Milz und in den LungenkapiUaren Bak- terien zu finden sein müßten, denn die Milz war geschwollen und das Blut aus dem linken Herzen, das eben die Lunge passiert hatte, brachte durch Verimpf ung bei einem anderen Tiere dieselbe tödliche Krankheit und dieselben außerordentlich feinkörnigen Mila-okokken- haufen in den Glomeruli wie bei dem ersten Tier zustande. Aber trotz der größten Mühe waren die vermuteten Bakterien nicht zu finden. Bei der Septicämie der Mäuse, die doch im höchsten Grade infektiös ist, wie ich später zeigen werde, konnte ich überhaupt keine Mikroorganismen nachweisen. Ich war also zu denselben unvollkommenen Ergeb- nissen gelangt, wie die früheren mit den Wundinfektionskrankheiten beschäftigten Forscher. Damals war ich schon durch Versuche, die in Kanadabalsam eingelegten Bakterien zu photographieren, auf die Zusammensetzung des mikroskopischen Bildes aus einem Struktur- und einem Farbenbild aufmerksam geworden und hatte zugleich gefunden, daß 1) N a e g e 1 i und S c h w e n d e n e r: Mikroskop. Leipzig 1877, p. 220. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 79 das Strukturbild durch die Art der Beleuchtung wesentlich verstärkt oder abgeschwächt werden kann. Es ist das durchaus nichts Neues. Jeder Mikroskopiker kennt die Wirkung der Blenden, die unter dem Präparat angebracht sind. Eine enge Blende verdunkelt nicht allein das Gesichtsfeld, sondern hebt die Struktur des Objektes mehr hervor, eine weite dagegen macht das Bild heller, läßt aber auch einen Teil der Struktur undeutlicher werden. Noch auffallender tritt der Unterschied zwischen engen und weiten Blenden hervor, wenn, wie beim Photographieren, zum Beleuchten des Objektes nicht der Hohl- spiegel, sondern eine Linse oder ein Kondensor gebraucht wird, weil man, besonders bei einem Kondensor von kurzer Brennweite, den Kegel der das Objekt beleuchtenden Strahlen weit mehr modifizieren kann. Durch eine vor die Beleuchtungslinse gestellte enge Blende wird die Basis dieses Kegels von Lichtstrahlen so klein, daß der Kegel fast als ein Bündel paralleler Lichtstrahlen betrachtet werden kann. Je größer aber die Öff- nung der Blende wird, mn so größer wird auch bei gleicher Länge der Radius des Strahlen- kegels, der den mit einem gewöhnlichen Hohlspiegel erhaltenen, was die Breite der Basis im Verhältnis zur Länge angeht, weit übertrifft. Betrachtet man nun ein mikroskopisches Präparat bei einer Beleuchtung mit zuerst schmalem und schließlich immer breiter werden- dem, aber immer gleichlangem Lichtkegel, dann wird man sich sofort davon überzeugen, daß, wie es auch nach dioptrischen Gesetzen nicht anders möglich ist, die Diffraktions- erscheinungen und damit das Struktiuijild, welches bei der am meisten engen Blende am intensivsten war, immer mehr verschwindet. In demselben Maße aber, in dem das Strukturbild abnimmt, wird das Farbenbild intensiver und schärfer. Damit war also ein Weg angedeutet, um das Strukturbild soweit unschädlich zu machen, daß auch die kleinsten gefärbten Körper, natürlich soweit überhaupt das optische Vermögen der Objek- tivsysteme reicht, deutlich unterscheidbar werden. Es mußte nämlich ein Beleuchtungs- kegel von so großer Öffnung zur Beleuchtung verwandt werden, daß die Diffraktions- erscheinungen gänzlich zum Verschwinden gebracht werden. Nachdem ich mm verschiedene Linsen und Kondensoren nach dieser Richtung versucht hatte, ohne daß ich einen Apparat traf, der das Struktur bild mehr oder weniger vollkommen beseitigte, fand ich schließlich in dem von Carl Z e i ß in Jena angefertigten, von Abbe angegebenen Beleuchtungs- apparat ein meinem Zweck vollständig entsprechendes Instrument. Dieser Apparat besteht aus einer Linsenkombination, deren Brennpunkt nur einige Millimeter von der Frontlinse entfernt ist. Wenn die kombinierte Beleuchtungslinse also in der Öffnung des Mikroskoptisches und zwar ein wenig tiefer als die Tischebene sich befindet, dann fällt der Brennpunkt mit dem zu beobachtenden Objekt zusammen und letzteres erhält in dieser Stellung die günstigste Beleuchtung. Der Öffnungswinkel der ausfahrenden Strahlen ist so groß, daß die äußersten derselben in einer Wasserschicht fast 60" gegen die Achse geneigt sind, der gesamte wirksame Lichtkegel demnach eme Öffnung von 120'', also eine größere Öffnung als irgendein andrer Kondensor besitzt Die Licht- strahlen werden dem Linsensystem durch einen Spiegel, der nur um einen festen Punkt in der Achse des Mikroskops drehbar ist, zugeführt. Zwischen Spiegel und Linse, nahe dem Brennpunkte des ersteren, befindet sich ein Träger für Blenden, die außerdem seitlich und kreisförmig beweglich sind, so daß der beleuchtende Strahlenliegel in jeder beliebigen Weise verändert werden kann. Durch mehr oder weniger große Blendenöffnung wird auch die Öffnung des Strahlenkegels von der kleinsten bis zur größten mit der Beleuch- tungslinse überhaupt zu erzielenden modifiziert. Seitliche Verschiebung der Blenden- öffnung gibt ohne Bewegung des Spiegels schiefe Beleuchtung, und mit Hilfe einer zentralen Abbiendung kann der mittlere Teil des Kegels ausgeschaltet werden. '■) N a e g e 1 i und S c h w e n d e n e r , I. c, p. 99. 80 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Vermittels dieses Apparates läßt sich das früher beschriebene Verhältnis zwischen Struktur- und Farbenbild in der einfachsten und überzeugendsten Weise ersichtlich machen. Nehmen wir den Fall, daß ein mit Anilin gefärbter Schnitt aus einem sehr kleine Bakterien enthaltenden Gewebe mit Benutzung des Abbe sehen Beleuchtungsapparates untersucht werden soll. Es wird zuerst ein Diaphragma mit enger Blende ^) auf den Dia- phragmenträger gelegt. Die Beleuchtung des Objektes ist dann ungefähr dieselbe wie bei Hohlspiegelbeleuchtung mit mittlerer Zylinderblendung. Dabei erscheint das Gesichts- feld ziemlich dunkel , die Gewebsstruktur tritt deutlich hervor, namentlich die Kerne der Zellen fallen als dunkle Körper mit dunkelblauer oder roter, wenig ausgesprochener Färbung ins Auge; kleine Körnchen lassen gar nicht mit Sicherheit erkennen, ob sie gefärbt sind oder nicht, ebensowenig ist zu unterscheiden, ob derartige Körnchen Bakterien oder Gewebsbestandteile sind. Nun werden nacheinander Blenden mit immer größeren Öffnungen auf den Träger gelegt. Dann verändert sich allmählich das Bild in der auf- fallendsten Weise. Die dunkeln Umrisse der Zellen und Zellkerne und die scharfen Linien der elastischen Fasern, Gefäßwände und dergleichen werden blasser und unbestimmter; die Schatten der ober- und unterhalb der Sehebene befindlichen Körper verschwinden immer mehr; viele von den vorher bemerkten dunklen Pünktchen und Körnchen, die möglicherweise für Bakterien gehalten werden konnten, verschwinden vollständig, an anderen kleinen Objekten, die früher schwarz aussahen, macht sich eine Färbung bemerk- bar, auch die Farbe der Kerne wird deutlicher. Das Gesichtsfeld hellt sich zugleich immer mehr auf. Je mehr nun Linien und Schatten und je mehr im Bilde alle Unter- schiede zwischen hell und dunkel verschwinden, um so reiner und kräftiger treten alle farbigen Objekte hervor und immer deutlicher erkennt man ihre Umrisse, kleine Unter- schiede im Farbenton und in der Stärke der Färbung. Schließlich, wenn auch das letzte Diaphragma entfernt wird, ist alle Strukturzeichnung verschwunden, das Gesichtsfeld gleichmäßig stark erhellt und nur noch farbige Objekte zu sehen, und je helleres Licht man zur Beleuchtung wählt, am besten das Licht von der Sonne grell beleuchteter weißer Wolken, um so leuchtender, intensiver und schärfer konturiert erscheinen die- selben. Dann ist es leicht, unter den gefärbten Körpern die Bakterien, von denen vorher nichts zu erblicken war, oder die als dunkle unbestimmte Körnchen, Strichelchen usw. er- schienen, herauszufinden, namentlich da fast weiter nichts im Präparat gefärbt ist als Kerne und Bakterien. Umrisse und Größenverhältnisse der Bakterien lassen sich dann erkennen, und durch die gleichmäßige Form sind die Bakterien von anderen etwa mit gefärbten körnigen Massen, z. B. zerfallenden Zellkernen, sofort mit Sicherheit zu unter- scheiden. Um die Wirkung des Abbe sehen Beleuchtungsapparates zu veranschaulichen, kann noch eine einfache Vorrichtung dienen. Dieselbe besteht aus einem kleinen, mit Kanadabalsam gefüllten Glasgefäß, in welches kleine gefärbte und ungefärbte Glasperlen getan werden. Es sind also ähnliche Bedingungen gegeben, wie bei einem in Kanadabalsam eingelegten gefärbten Präparat. Die gefärbten Perlen entsprechen den gefärbten Kernen oder Bakterien, die farblosen Perlen den ungefärbt gebliebenen Gewebsteilen. Sieht man nun durch das Glas auf ein dicht darunter gelegtes breites, hell vom Tageslicht be- schienenes Blatt Papier, dann ist von den farblosen Perlen nichts zu sehen, die gefärbten hingegen sind deutlich und scharf zu erkennen ; wird aber das Papier von dem Glase ent- fernt, also der die Perlen beleuchtende Strahlenkegel bei gleicher Basis länger und sein Öffnungswinkel immer kleiner, dann tritt dieselbe Erscheinung ein, wie wenn beim A b b e- 1) Ich habe mir zu dem Apparat einen Satz Blenden anfertigen lassen, von denen die aufein- anderfolgenden Nummern eine immer um einen Millimeter größere Öffnung besitzen, um alle Ab- stufungen in der Beleuchtung herstellen zu können. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskranklieiten. 81 sehen Beleuchtungsapparat sukzessive engere Blendenöffnungen genommen werden; die ungefärbten Perlen fangen nämlich allmählich an sichtbar zu werden, nehmen immer deutlichere und clunlvlere Umrisse an, auch die gefärbten Perlen erscheinen dunkler, zu- letzt sind beide Perlensorten wenig mehr zu unterscheiden und es können farbige durch ungefärbte vollständig verdeckt werden. Mikroskopiker, welche zum erstenmal ein stark vergrößertes, mit dem Abbe sehen Beleuchtungsapparat ohne Blende beleuchtetes Präparat untersuchen, finden dasselbe gewöhnlich ganz fremdartig, zu hell und verschwommen, trotzdem die Umrisse der farbigen Gegenstände ganz scharf sind. Es sind das solche Mikroskopiker, die zu sehr an das dunkle Gesichtsfeld der gewöhnlichen Spiegelbeleuchtung gewöhnt sind und die die fehlende, ihnen wohlbekannte Strukturzeichnung des Gewebes vermissen. Für diese ist es zweckmäßig, die Blenden nicht ganz wegzulassen, sondern die Blendenöffnung so lange zu steigern, bis das zu untersuchende farbige Objekt gerade deuthch genug erscheint; es bleibt dann vom Strukturbild immer noch genug übrig, um sich über das Gewebe selbst orientieren zu können. Überhaupt ist es notwendig, neben der Untersuchung der Bakterien vermittels des reinen Farbenbildes auch andere Methoden, also gleichzeitige Beobachtung der Gewebs- struktur, ferner die Untersuchung der frischen Objekte mit und ohne Anwendung von Alkalien und Säuren zu benutzen, und ich erwähne hier ausdrücklich, daß ich auch diese Verfahren häufig in kontrollierender Weise neben meiner hauptsächlichen Untersucliungs- methode verwertet habe. Obwohl die Anilinfärbung und der Abbe sehe Beleuchtungsapparat so bedeutend die Untersuchung auf pathogene Bakterien erleichtern,^ so darf man sich doch nicht vor- stellen, daß damit ohne weiteres alle Schwierigkeiten beseitigt und alle Fehlerquellen ausgeschlossen sind. Es gehört im Gegenteil eine nicht geringe Übung dazu, ehe man im- stande ist, diese ausgezeichneten Hilfsmittel richtig zu verwerten. Einige der hier in Frage kommenden Schwierigkeiten sollen kurz berührt werden. Da auch einzelne Bakterien dem beobachtenden Auge nicht entgehen, so ereignet es sich nicht selten, daß man auf solche vereinzelte Bakterien stößt, die aus den beim Färben, Auswaschen usw. gebrauchten Flüssigkeiten stammen. Denn selbst das destil- lierte Wasser ist fast niemals frei von Bakterien. Aber sehr bald lernt man diese Bak- terienformen von anderen unterscheiden und erkennt sie sofort als zufällige Verum'eini- gung. Ferner ist jedesmal, wenn einzelne Bakterien nur in den oberflächlichen Schichten von Organen gefunden werden, zu vermuten, daß es sich um beginnende Fäulnis handelt. Auch die bei der Fäulnis auftretenden Bakterien, im Beginn gewöhnlich große Bazillen ^), sind so charakteristisch, daß sie mit den pathogenen Bakterien nicht leicht zu verwechseln sind. Dennoch ist es besser, Objekte, in denen sich schon Fäulnisbakterien eingefunden haben, nur mit Reserve oder noch richtiger gar nicht zu benutzen. Ich habe, um jeden Einwand von Verwechslung mit Fäulnisbakterien auszuschließen und um nicht zu der Meinung Veranlassung zu geben, daß in Anordnung und Zahl der pathogenen Bakterien nach dem Tode noch Veränderungen eingetreten sein könnten, nur solche Objekte zur Untersuchung gezogen, die unmittelbar nach dem Tode des Versuchstieres, nur in wenigen Fällen einige Stunden nach dem Tode, in absoluten Alkohol gelegt wurden. Deswegen habe ich in meinen in dieser Weise gewonnenen Präparaten niemals Fäulnisbakterien gefunden. Dagegen habe ich sie selten in menschlichen Leichenteilen, trotzdem che Sek- tion 15 bis 20 Stunden nach dem Tode gemacht war, vermißt. ^) Vgl. meine Abliandlung über Pliotograpbieren usw. der Bakterien. Beiträge zur Biologie der Pflanzen, 2. Bd., 3. Heft. (Diese Werke S. 27 ff.) Pbotogranmi Nr. 22 auf Taf. III. Koch, Gesammelte Werke. 6 82 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Auf eine merkwürdige Art von Zellen will ich bei dieser Gelegenheit noch aufmerk- sam machen, welche zu Verwechslungen mit kleinen Mikrokokkenhaufen Veranlassung geben könnte. Es sind das die von E h r 1 i c h beschriebenen und abgebildeten so- genannten PlasmazeUen, platte, meistens der Außenwand von Gefäßen aufsitzende Zellen, die aus einem rund um einen Kern gruppierten Körnerhaufen bestehen. Sie ver- halten sich den Anilinfarben gegenüber gerade entgegengesetzt wie alle übrigen Zellen. Bei letzteren wird nur der Kern gefärbt, bei den Plasmazellen färbt sich dagegen nur das feinkörnige Plasma und der Kern bleibt ungefärbt. Da nun die Körnchen genau die Größe mancher Mikrokokken haben, so sieht, besonders wenn der Kern undeutlich oder ver- schwunden ist, die Plasmazelle fast genau so aus, wie eine kleine Mikrokokkenkolonie. Doch sind die Körnchen gewöhnlich von ungleicher Größe. Dieses letztere Verhalten, das Vorhandensein eines Kernes und der Vergleich mit anderen ebensolchen Zellen, sichern indessen leicht ihre Diagnose. In menschlichen Geweben sind sie nicht gerade häufig, aber massenhaft kommen sie bei der Maus, besonders in der Haut des Ohrs, vor. Handelt es sich darum, jede Verwechslung der Bakterien mit tierischen Gewebs- teilen auszuschließen, oder kommt es darauf an, die Menge und Verteilung der Bakterien in einem Organ übersichtlich zu machen, dann kann noch ein besonderes Verfahren zur Verwendung kommen. Werden nämlich nach der Anilinfärbung die Schnitte anstatt mit Essigsäure mit einer schwachen Lösung von kohlensaurem Kali behandelt, dann ver- lieren auch die Kerne und Plasmazellen, überhaupt aUes tierische Gewebe, den Farbstoff wieder und die Bakterien bleiben ganz allein gefärbt. Große Schnitte, in denen in der eben angegebenen Weise nur die Bakterien gefärbt sind, gewähren ausgezeichnete und ganz überraschende Übersichtsbilder. . In der mikroskopischen Technik spielen Färbungsmethoden eine Hauptrolle und viele der wichtigsten Entdeckungen sind schon mit Hilfe derselben gemacht. Aber der Nutzen, den die Färbung bei mikroskopischen Arbeiten gewährt, kann, wie meine Unter- suchungen beweisen, nur vermittels einer zweckentsprechenden Verwendung der Be- leuchtungsapparate vollständig ausgebeutet werden. Bislang ist dies meines Wissens nicht geschehen und ich halte es deswegen nicht für überflüssig, meine Beleuchtungsmethode auch für andere mikroskopische Unter- suchungen zu empfehlen, bei denen es sich vorwiegend um die Unterscheidung sehr kleiner gefärbter Elemente handelt. Für die Verwendung des Abbe sehen Beleuchtungsapparates mache ich noch dar- auf aufmerksam, daß nur solche Systeme mit demselben ein scharfes, nicht verschleiertes Farbenbild geben, bei denen sämthche Zonen der Objektivöffnung richtig korrigiert sind. Die aus der Z e i ß sehen Werkstatt hervorgehenden Objektivsysteme werden vermittels des Abbe sehen Kondensors auf das richtige Zusammenwirken der einzelnen Zonen, namentlich der Randzonen geprüft. Diese eignen sich deswegen sämtlich zur Beobachtung von Farbenbildern, ganz besonders die neuen nach den Angaben von Abbe konstru- ierten Ölsysteme. Bei anderen Systemen, welche ich zu demselben Zweck versuchte, waren fast immer die Randzonen ungenügend korrigiert. Nur noch mit einem System von S e i b e r t und Kraft habe ich scharfe Farbenbilder erhalten. ^) Archiv für nükroskopische Anatomie, Bd. XIII, 1877, p. 263. Untersuchungen über die Ätiologie der Wnndinfektionskrankheiten. 83 Künstliche Wundinfektionskrankhelten. 1. Septicämie bei Mäusen. Mäuse eignen sich ganz besonders gut zu Versuchen mit Infektionskrankheiten, wie ich schon früher bei Untersuchungen über Milzbrand erfahren hatte. Auf Grund dieser Erfahrung versuchte ich es denn aiich nach derselben Methode, die von C o z e und F e 1 1 z , D a v a i n e ii. a. befolgt ist, um bei Tieren künstliche Wundinfektionskrankheiten hervorzurufen, an Mäusen dieselben oder doch ähnliche Kranl^;- heiten zu erzielen. Es wurden also Einspritzungen von putriden Flüssigkeiten, z. B. von faulendem Blut, faulendem Fleischinfus, unter die Rückenhaut einer Maus gemacht. Der Erfolg einer sol- chen Einspritzung ist je nach der Art der Faulflüssigkeit und je nach der Menge, die ein- gespritzt Avird, ein sehr verschiedener. Blut und Fleischinfus, das längere Zeit gefault hat, scheint weniger schädlich zu wirken, wenige Tage faulende Flüssigkeiten haben da- gegen eine intensivere Wirkmig. Von diesen letzteren Flüssigkeiten, namentlich von nicht zu altem faulenden Blut genügen ungefähr fünf Tropfen, um eine Maus binnen kurzer Zeit zu töten. An dem Tiere sind in diesem Falle sofort nach der Einspritzung entschie- dene Krankheitssymptome zu bemerken. Es ist unruhig, läuft viel umher, zeigt aber dabei große Schwäche und Unsicherheit in allen Bewegungen, es frißt nicht mehr, die Respka- tion wird unregelmäßig, verlangsamt und nach 4 — 8 Stunden tritt der Tod ein. An einem solchen Tiere befindet sich im ZellgeAvebe der Rückenhaut noch der größte Teil des eingespritzten faulen Blutes, und zwar in demselben Zustande wie vor der Einspritzung. Es enthält dieselbe Menge von Bakterien der verschiedensten Formen regellos durcheinandergewürfelt, wie es auch die mikroskopische Untersuchung vorher nach- gewiesen hat. Eine Reaktion ist in der Umgebung der Injektionsstelle nicht zu bemerken. Auch die inneren Organe sind unverändert. Wird Blut, das aus dem rechten Vorhof ge- nommen ist, einer anderen Maus eingeimpft, dann bleibt diese Impfung ohne jede Wirkung. Bakterien sind in keinem der inneren Organe und auch nicht im Herzblut aufzufinden. Eine Infektion war also durch die Einspritzung nicht entstanden. Dagegen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der Tod des Tieres durch das im faulenden Blute durch die Untersuchungen von Bergmann, P a n u m und verschiedenen anderen For- schern nachgewiesene lösliche Gift, das Sepsin, bewirkt und daß das Versuchstier also nicht einer Infektions-, sondern einer Intoxikationskranliheit erlegen ist. Bestätigt wird diese Annahme dadurch, daß je weniger Flüssigkeit dem Tier apph- ziert Avird, auch die sofort eintretenden Vergiftungserscheinungen um so weniger aus- gesprochen werden und bei Einspritzung von einem oder höchstens zwei Tropfen ganz fehlen. Nach Einspritzung so kleiner Mengen Blut bleiben Mäuse vielfach auch dauernd ohne Krankheitserscheinungen. Aber ungefähr ein Drittel derselben erkrankt nach un- gefähr 24 Stunden, während welcher Zeit sie noch anscheinend ganz gesund waren, auf jeden Fall keine der vorher geschilderten Vergiftungssjanptome gezeigt haben, unter ganz charakteristischen und konstanten Symptomen. Ehe ich dieselben beschreibe, will ich nur noch erwähnen, daß auch mit weniger Faul- flüssigkeit als mit einem Tropfen die Infektion noch gelingt. Aber mit der Menge der apph- zierten Faulflüssigkeit nimmt auch die Zahl der Erfolge ab, so daß z. B. bei einer in gewöhn- licher Weise vorgenommenen Impfung mit faulendem Blut, wobei also ungefähr V^,^ bis V20 Tropfen zur Verwendung kommt, von 10 — 12 Tieren eins erfolgreich infiziert wird. Das erste Krankheitssymptom bei den infizierten Tieren besteht in einer vermehrten Sekretion der Augenbindehaut. Das Auge sieht trübe aus und es sammelt sich in der 6* 84 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Lidspalte weißlicher Schleim, der die Augen schließlich ganz verklebt. Zugleich steht sich Mattigkeit ein, das erkrankte Tier bewegt sich wenig und langsam; meistens sitzt es mit stark gekrümmtem Rücken und fest angezogenen Extremitäten ganz ruhig. Es hört dann auch auf zu fressen. Die Respiration wird langsamer, die Schwäche nimmt immer mehr zu und fast unmerklich tritt der Tod ein. Niemals gehen Krämpfe vorher, wie es beim Milzbrand regelmäßig der Fall ist. Auch nach dem Tode bleibt das Tier in sitzender Stellung mit stark gekrümmtem Rücken, während eine an Impfmilzbrand ge- storbene Maus immer auf dem Rücken oder auf der Seite liegt und die starren Extre- mitäten weit von sich streckt, so daß schon an der Lage des Körpers nach dem Tode sofort die stattgehabte Impfung mit faulendem Blute von der mit Milzbrand zu unter- scheiden ist. Der Tod der mit faulendem Blut infizierten Mäuse erfolgt ungefähr 40 — 60 Stunden nach der Impfung. » Bei der Sektion findet sich an der Einspritzungs- oder Impfstelle ein geringes Odem des Unterhautzellgewebes, das aber auch oft fehlt, und ahe inneren Organe mit Aus- nahme einer beträchtlichen Milzanschwellung ganz unverändert. Nimmt man nun von der subkutanen Ödemflüssigkeit oder vom Blute aus dem Herzen eines solchen Tieres ein sehr geringes Quantum (z. B. ^/^^ Tropfen) und impft damit eine andere Maus, dann treten bei dieser genau dieselben Krankheitserscheinungen, in derselben Zeitdauer und Reihenfolge wie bei dem ersten Tier und nach ungefähr 50 Stunden der Tod ein. Von diesem zweiten Tier kann in eben derselben Weise ein drittes infiziert werden und so weiter durch beliebig viele Impfgenerationen. Ich habe diese Versuche an 54 Mäusen angestellt und immer das gleiche Resultat gehabt. Davon wurden 17 Impfungen in einer sukzessiven Reihe, die anderen in kürzeren Reihen gemacht. Die Sicherheit, mit der sich der Infektionsstoff von einer Maus auf die andere über- tragen läßt, ist noch bedeutender als beim Milzbrand. Bei letzterem muß, um sicher zu gehen, das Impfmaterial aus der Milz genommen werden, weil das Blut von milzbrandigen Mäusen oft sehr wenige Bazillen enthält. Bei der mit faulendem Blut erzeugten Krank- heit der Mäuse ist es, besonders in den späteren Impf gener ationen, dagegen gleichgültig, von welchem Organ man impft, und selbst die kleinste Menge Substanz hat noch eine sichere Wirkung. Es ist. vollständig hinreichend, über eine kleine Hautwunde einer Maus die Skalpellspitze, die mit dem infektiösen Blute nur in Berührung gekommen ist, hinweg- zustreichen, um das so geimpfte Tier bmnen ungefähr 50 Stunden zu töten. Mehrmals habe ich den Versuch gemacht, das subkutane Gewebe von einer Maus, die nach Impfung am Schwanz gestorben war, an der entgegengesetzten Körperseite, also z. B. am Kopf mit dem Messer zu berühren und einer anderen Maus mit diesem Messer einen kleinen Hautriß am Ohr beizubringen, aber auch in diesen Fällen starben die Tiere ausnahmslos an der geschilderten Krankheit. Diese Krankheit ist hiernach zweifellos eine Infektionskrankheit, die nach dem Sektionsergebnis als Septicämie bezeichnet werden muß. Die bedeutende Virulenz, welche das Blut septicämischer Mäuse besitzt, ließ vermuten, daß, wenn diese Krankheit eine parasitische, durch Bakterien bedingte ist, die Parasiten im Blute und zwar in großer Anzahl vorhanden sein müßten. Aber ver- geblich habe ich mich anfangs bemüht, Bakterien im septicämischen Blute zu entdecken, erst mit Hilfe des Abbe sehen Kondensors gelang es mir, dieselben trotz ihrer ge- ringen Größe mit aller Sicherheit nachzuweisen. Die Blutuntersuchung nahm ich in der bei einer anderen Gelegenheit von mir angegebenen Weise ^) (Eintrocknen am Deckglase und Färben mit Methylviolett) vor, die sich auch hier vollständig bewährte. 1) Vgl. Cohns Beiträge zm- Biologie der Planzen, 2. Bd., 3. Heft, p. 402. (Diese Werke p. 29.) Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 85 Bei Tieren, welche nach Einspritzung von ein bis zehn Tropfen faulenden Blutes krank geworden waren, fanden sich im Blute gewöhnlich verschiedene Bakterien in ge- ringer Zahl, Mikrokokken, größere und sehr kleine Bazillen. Starben die Tiere aber nach Impfung mit faulendem oder septicämischem Blut, dann zeigten sich im Blute nur die kleinen Bazillen, und zwar ohne daß jemals eine Ausnahme vorgekommen wäre und immer in großer Menge. Diese Bazillen (Taf. IV, Fig. 1), die zerstreut oder in kleinen Gruppen zwischen den roten Blutkörperchen liegen, haben eine Länge von 0,8 — 1 Mikrm.i) Ihre Dicke, die sich nicht mehr messen, sondern nur schätzen läßt, beträgt ungefähr 0,1 — 0,2 Mikrm. Um einen Vergleich mit anderen bekannten Bakterien anstellen zu können, sind in Rg. 4 ebenso stark vergrößerte Milzbrandbazillen aus dem Blut einer Maus abgebildet, das genau in derselben Weise wie das septicämische Blut am Deckglas eingetrocknet und gefärbt ist (die Gliederung der Milzbrandbazillen ist in der Zeichnung etwas zu stark ausgefallen). Die Bazillen im septicämischen Blut sieht man oft zu zwei aneinander- hängen, entweder in gerader Linie oder einen stumpfen Winkel bildend. Längere Ketten bis zu vier Bazillen kommen auch wohl vor, sind aber selten. Sie haben beim ersten An- blick große Ähnlichkeit mit kleinen nadeiförmigen Kristallen. Daß es aber unzweifelhaft pflanzliche Gebilde sind, geht daraus hervor, daß, wenn septicämisches Blut in einen hohlen Objektträger und in den Brütapparat gebracht wird, die Bazillen ebenso wie Milz- brandbazillen wachsen, aber nicht wie diese zu langen Fäden, sondern sie vermehren sich zu dichten Haufen, die aus getrennten Bazillen bestehen. In einigen Fällen habe ich auch Sporen in den Bazillen auftreten sehen. Weiter konnte ich aus Mangel an Zeit die Lebens- bedingungen und Vegetationsverhältnisse dieser Septicämiebazillen noch nicht verfolgen, beabsichtige aber bei späterer Gelegenheit mich noch mit dieser Aufgabe zu beschäftigen. Ohne Anwendung von Färbungsmitteln sind die Bazillen im frischen Blute, auch wenn man ihre Form schon kennt, ungemein schwer zu erkennen, und ich habe darüber, ob sie eigene Bewegung besitzen, keine Gewißheit erlangen können. Eigentümlich ist ihr Verhalten zu den weißen Blutkörperchen. Sie dringen in dieselben ein und vermehren sich in ihnen. Oft findet man fast kein einziges weißes Blutkörperchen mehr, in dessen Innern nicht Bazillen zu erblicken sind. Manche Blutkörperchen enthalten nur einzelne, andere dichte Massen von Bazillen, neben denen der Kern noch zu erkennen ist; in noch anderen ist der Kern nicht mehr zu unterscheiden, und schließlich ist aus dem Blutkörperchen ein dichter, an den Rändern zerfallender Bazillenklumpen geworden, dessen Entstehung man sich nicht erklären könnte, wenn man nicht oft alle Übergänge bis zum intakten weißen Blutkörperchen nahe beieinander zu sehen bekäme (Taf. IV, Fig. 2). Von der Impfstelle ausgehend läßt sich der Weg, auf dem sich die Bazillen im Körper verbreiten, leicht ermitteln. Im subkutanen Zellgewebe in der Umgebung der Impfstelle sind sie, wie man am besten nach Impfungen am Ohr sehen kann, reichUch vorhanden, bisweilen schwarmähnliche Anhäufungen bildend. Besonders dicht liegen sie auf der Oberfläche des Ohrknorpels und sind hier von einer Schicht Lymphkörperchen bedeckt. Letztere finden sich nebst zahlreichen roten Blutkörperchen auch im lockeren Bindegewebe. Das reichliche Austreten der roten Blutkörperchen läßt auf eine Veränderung der Gefäßwände schließen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß die Bazillen unmittelljar durch die Lücken der Gefäßwand, die den weit größeren roten Blutkörperchen den Durchtritt gestatten, in die Gefäße hineinwuchern und so in den Blutstrom gelangen. In den Lymphbahnen habe ich sie niemals getroffen. Selbst in den stark vergrößerten Lymphdrüsen sind sie nur in den Blutkapillaren, welche die Drüse durchziehen, ]ücht aber 1) 1 Mikrni. = 0,001 .Milhmeter. 86 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. in den Lymphräumen derselben zu finden. Im lockeren Zellgewebe dringen sie oft weit vor und können vom Ohr bis in das Mediastinum vom Rücken bis in das Beckenzell- gewebe gelangen. Frei in den Körperhöhlen habe ich sie nicht gefunden. Ihre Verbreitung in den Blutgefäßen läßt sich am besten am Zwerchfell ermitteln, wenn die am Rand des Centrum tendineum verlaufenden Gefäße zur Untersuchung gewählt werden. Größere Venen (Taf. IV, Fig. 3 zeigt einen kleinen Abschnitt einer solchen) enthalten bedeutende Mengen ziemlich gleichmäßig verteilter Bazillen und zahlreiche aus weißen Blutkörperchen hervorgegangene Bazillenhaufen. Die freischwimmenden Bazillen sind fast sämtlich mit ihrer Längsachse nach der Richtung des Blutstromes gelagert und beweisen dadurch, daß sie noch durch das strömende Blut in diese Lage gebracht sind und nach dem Still- stande desselben sich nicht vermehrt oder fortbewegt haben. In den Kapillaren häufen sich die Bazillen besonders an den Teilungsstellen an, doch habe ich niemals gesehen, daß es zur vollständigen Verstopfung kleinerer Gefäße gekommen wäre. Auch die Innen- wand der Arterien ist oft mit längsgerichteten Bazillen dicht besetzt. Ganz in derselben Weise sind die Bazillen nun auch im gesamten übrigen Blut- gefäßsystem verteilt. Überall stößt man bei der Untersuchung von Schnitten aus Lunge, Leber, Niere und Milz auf Gefäßdurchschnitte mit freien Bazillen und bazillenhaltigen weißen Blutkörperchen im Innern. Stärkere Ansammlungen in den Glomeruli bilden die Bazülen nicht; auffallenderweise sind sie auch in der erheblich vergrößerten Milz nicht zahlreicher als in den anderen Organen. Der ganze Krankheitsprozeß hat große Ähnlichkeit mit Milzbrand. In beiden Krank- heiten ist die Infektionsfähigkeit an das Vorhandensein der Bazillen im Blute gebunden ; sobald diese fehlen, läßt sich die Krankheit nicht mehr durch Verimpfung des Blutes übertragen. Beide Krankheiten sind durch die ausnahmslos eintretende Entwicklung von überaus zahlreichen Bazillen ausgezeichnet. Es kann deswegen auch keinem Zweifel unterliegen, daß die Bazillen der hier beschriebenen Septicämie dieselbe Bedeutung haben wie die Milzbrandbazillen, daß sie nämlich als das Kontagium dieser Krankheit anzusehen sind. Da Milzbrand mit Erfolg auf verschiedene Tiergattungen übertragen ist, so ver- suchte ich auch mit dem Blut septicämischer Mäuse andere Tierarten zu infizieren. Aus Mangel an anderen Tieren konnte ich diese Experimente nur an Kaninchen und an Feldmäusen anstellen. Bei beiden fiel der Versuch negativ aus. Kaninchen wurden anfangs geimpft, später das gesamte von einer septicämischen Maus gesammelte Blut denselben subkutan injiziert und schließlich Blut, Lungen, Herz, Leber, Nieren und Milz einer septicämischen Maus einem Kaninchen unter die Haut gebracht. Diese Tiere zeigten sämtlich nicht die geringsten Krankheitserscheinungen, weder lokal an der Applikations- steUe noch Allgemeinerscheinungen. Eigentümhch erscheint es, daß auch Feldmäuse, die den Hausmäusen in Größe und Gestalt so ähnlich sind, daß sie auf den ersten Blick kaum voneinander unterschieden werden können, Immunität gegen diese Septicämie besitzen. Diese Tiere sind indessen auch gegen Milzbrand bedeutend weniger empfänglich als die Hausmäuse. Ich beziehe dieses abweichende Verhalten auf Verschiedenheiten im Blute der beiden nahe verwandten Tiere, die sofort bei der Untersuchung des frischen Blutes auffallen. Im Blute der Haus- maus bilden sich nämlich selten Blutkristalle, und wenn es der Fall ist, dann schießen nur an den Rändern des Bluttropfens kleine rechteckige Täf eichen und Nadeln an. Das Feldmausblut verändert sich dagegen regelmäßig sehr bald nach der Entfernung aus dem Körper, indem alle roten Blutkörperchen unmittelbar, oder nachdem sie mit benach- barten Körperchen zusammengeflossen sind, in große regelmäßig gebildete sechseckige Tafeln übergehen, so daß der Tropfen in kurzer Zeit in einen Kristallbrei verwandelt ist. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundiufektiouskrankheiten. 87 Wenn es nun auch nicht geghickt ist, die Septicämie der Mäuse auf die genannten beiden Tierarten zu übertragen, so folgt daraus durchaus noch nicht, daß auch aUe übrigen Arten gegen diese Krankheit immun sind. Auch gegen den Milzbrand sind manche Tier- arten unempfänglich. Es wäre gewiß eine lohnende Aufgabe, möglichst viele ver- schiedene Tiere in bezug auf ihr Verhalten gegen diese Septicämie zu prüfen. 2. Progressive Gewebsnekrose (Gangrän) bei Mäusen. Zugleich mit den eben beschriebenen Septicämiebazillen habe ich einige Male bei Mäusen nach Eins^jritzung mit faulendem Blut in der Umgebung der Injektionsstelle einen Mikrokokkus gefunden, der sich durch seine schnelle Vermehrung und durch regel- mäßige Kettenbildung bemerklich machte. Gewöhnlich sind von der großen Menge Bakterien, die mit dem faulenden Blute eingespritzt wurden, wenn das Tier ungefähi' nach zwei Tagen an Septicämie stirbt, außer den Septicämiebazillen nichts oder doch nur wenige kümmerlich vegetierende Reste zu finden. Es ließ sich also annehmen, daß alle anderen zugleich eingespritzten Bakterien im Körper der lebenden Maus keinen geeigneten Nährboden finden und schneller oder langsamer zugrunde gehen. Deswegen fiel es sofort auf, wemi ausnahmsweise massenhaft wuchernde und gleichmäßig charak- teristisch geformte Mikrokokken gefunden wurden. Im Blute waren sie nicht zu bemerken und durch Impfung mit dem Blut wurden immer nur die Septicämiebazillen übertragen. Um ihre Impffähigkeit zu prüfen, mußte also die Impfsubstanz aus der Nähe der Injektions- stelle genommen werden. In dieser Weise vorgenommene Impfungen waren denn auch erfolgreich und die Virulenz des die Mü^rokokken enthaltenden, aus dem subkutanen Bindegewebe entnommenen Serum war ebenso bedeutend wie die des septicämischen Blutes. Wenn eine gut gereinigte Messerspitze mit dem subkutanen Gewebe an einem von der Injektions- oder Impfstelle ungefähr anderthalb Zentimeter entfernten Punkt nur eben in Berühi'ung gebracht und damit ein anderes Tier geimpft wurde, dann glückte die Impfung jedesmal. Natürlich wurde, weil das Serum auch Septicämiebazillen ent- hielt, immer Septicämie zugleich verimpft. Der Einfluß dieser Mikrokokken auf tierische Gewebe und ihre Weiterverbreitiuig läßt sich am besten am Ohr einer Maus verfolgen, und besonders lehrreich ist es, ein Ohr, auf das nur Septicämiebazillen und ein anderes auf das Bazillen und kettenförmige Mikrokokken geimpft wurden, zu vergleichen. Bei jenem Ohr ist das Zellgewebe von roten Blutkörperchen und Lymphkörperchen dicht erfüllt, so daß die Bazillen oft schwer unter der Menge von Zellkernen zu erkennen sind. Das zweite Ohr hat dagegen ein vollständig anderes Ansehen. Von der Impfstelle aus- gehend sieht man teils zu dichteren Massen zusammengedrängt, teils weitläufig angeordnet äußerst zierliche und regelmäßige Mikrokokkenlietten (Tafel IV, Fig. 6), deren einzelne Elemente, wie sich aus Messungen längerer Ketten bereclnien läßt, einen Durchmesser von 0,5 Mikrm. besitzen. Dieselben lassen sich bis fast an die Basis des Ohres verfolgen und in dem ganzen Gebiet, das sie eimiehmen, sind sämtliche Gewebe in erliebhcher Weise verändert. Soweit nämhcli die Mikrokokken reichen, ist kein rotes Blutkörperchen, keine Kerne von Lymph- oder BindegewebszeUen mehr zu sehen. Selbst die am meisten resistenten Knorpelzellen und die im Mauseohr so reichlich vertretenen Plasmazellen, die sich ebenfalls durch große Widerstandsfähigkeit auszeichnen, -sind blaß und kaum zu erkennen. Sämtliche Gewebsbestandteile sehen so aus, als wären sie mit Kalilauge behandelt; sie sind abgestorben, nekrotisch geworden. Um so kräftiger entwickeln sich unter diesen Verhältnissen die Bakterien. Die Mikrokokken dringen vielfach in die verödeten Blut- und Lymphgefäße ein und füUen dieselben stellenweise so aus, daß sie wie injiziert aussehen. Dazwischen sieht man sehr deutlich, weil sie von keinen Kernen mehr verdeckt werden, die Septicänüebazillen in kleinen Schwärmen, die bisweilen so 88 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. dicht werden, daß sie in ihrer Gestalt an die Pilzfiguren der geimpften Kornea erinnern. Während nun die Bazillen bis zur Wurzel des Ohres und darüber hinaus zu verfolgen sind, im Blute sich ungeheuer vermehrt haben und das Tier schließlich töten, sind die Mikrokokken in ihrer Verbreitung und dem damit verbundenen Zerstörungsprozeß bis zum Tode des Tieres, also innerhalb ungefähr 50 Stunden, nur bis in die Nähe der Ohrwurzel gedrungen. Die Grenze ihres Vordringens ist ganz scharf bezeichnet, wie an einem Längs- schnitt des Ohres bei schwacher (25facher) Vergrößerung sehr gut zu übersehen ist (Taf. IV, Fig. 5). Der obere Teil (c), von der Spitze bis b ist nekrotisch. Die größeren dunklen, länglich- bis kreisrunden Stellen (d) sind Gefäßquerschnitte mit Mikrokokkenmassen. Die diffus verbreiteten Mikrokokkenketten sind natürhch bei dieser Vergrößerung nicht zu sehen. Nur im unteren Viertel des nekrotischen Gebietes befinden sich dichtere Gruppen, die sich als dunkle Pünktchen bemerklich machen. Dann tritt bei b mit einem Mal eine dicht gehäufte Kernmasse, gewissermaßen als ein Wall gegen die Mikrokokkeninvasion, auf und dies ist auch die Grenze, bis zu der noch Mikrokokken zu finden sind, selbst in den Blutgefäßen wuchern sie über diese Stelle nicht hinaus. Der Kernwall hat keine bedeutende Breite und dicht dahinter folgt normales Gewebe. Bei starker Vergrößerung stellt sich indessen heraus, daß die Mikrokokken nicht ganz bis an die Kernschicht heran- reichen. Die Kerne sind an der dem Mikrokokkengebiete zugekehrten Seite der Lymph- zellenanhäufung im Zerfall begriffen. Zahllose immer kleiner werdende Fragmente von ganz unregelmäßigen Formen bilden die obere Grenze des Kernwalles, und sobald man im Präparat in diese Region kommt, kann man mit Sicherheit auf die Nähe der Mikrokokken schließen. Doch bleibt zwischen den letzten Kernresten und den Mikro- kokken fast immer noch ein nur aus nekrotischem Gewebe bestehender, ziemlich breiter Strich, in dem weder Mikrokokken noch Kerne zu finden sind ; selten ist es, daß die Mikro- kokkenketten noch in die zerfallende Kernschicht hineinreichen. Hiernach muß man sich das Verhalten der die Nekrose veranlassenden ketten- förmigen Mikrokokken so vorstellen, daß sie, durch die Impfung in lebende tierische Gewebe gebracht, sich vermehren und bei ihrem Vegetationsprozeß lösliche Substanzen abscheiden, die durch Diffusion in die Umgebung gelangen. In größerer Konzentration, also in der Nähe der Mikrokokken hat dieses gelöste Produkt der Mikrokokken eine so deletäre Wirkung auf alle Zellen, daß sie zugrunde gehen und schließlich völlig ver- schwinden. Entfernter von den Mikrokokken wird die Lösung verdünnter, wirkt weniger intensiv und ruft in einem gewissen Abstand nur noch Entzündungsreiz und Anhäufung von Lymphzellen hervor. So kommt es denn, daß die Mikrokokken sich immer in nekro- tischem Gewebe befinden und bei ihrer Ausbreitung einen Kernwall vor sich herschieben, der auf der ihnen zugewandten Seite fortwährend abschmilzt und auf der entgegen- gesetzten Seite durch sich immer von neuem anlegende LymphzeUen ersetzt wird. Diese Beobachtungen beziehen sich indessen auf Impfungen mit Flüssigkeit, die Mikrokokken und Bazillen enthielt, und man könnte annehmen, daß die Septicämie- bazillen zur Entwicklung der Mikrokokken die notwendigen Vorgänger abgeben, diesen also gewissermaßen den Weg bahnen mußten. Es wurde deswegen in verschiedener Weise versucht, die beiden Parasiten voneinander zu trennen, indem das einemal mehr, das anderemal wenigef Impfflüssigkeit, näher oder entfernter von der Impfstelle genommen, auch die Applikationsstellen möglichst variiert wurden. Aber das half alles nichts; ent- weder wurde reine Septicämie oder Septicämie mit progressiver Nekrose zusammen, niemals aber letztere allein erhalten. Da brachte mich der Zufall auf den richtigen Weg. Es wurde eine Feldmaus, die, wie ich früher erwähnte, gegen Septicämie immun ist, mit SepticämiebaziUen und kettenförmigen Mikrokokken geimpft. Der Versuch war in der Erwartung angestellt, daß beide Parasiten nicht zur Entwicklung kommen würden. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 89 Diese Erwartung ging aber nicht in Erfüllung, denn die Bazillen blieben allerdings wir- kungslos, aber die Mikrokokken vermehrten und verbreiteten sich ganz in derselben Weise, wie es vom Ohr der Hausmaus geschildert ist. Von der Impfstelle an der Schwanz- wurzel beginnend, schritt die Nekrose am Rücken aufwärts, bis tief in die Rückenmus- kulatur eindringend und zu beiden Seiten abwärts nach der Bauchwand zu. Das Tier starb drei Tage nach der Impfung. Die nekrotischen Teile waren von Epidermis und Haaren teilweise entblößt und von kettenförmigen Mikrokokken in außerordentlicher Menge durchsetzt. Auch an der Oberfläche der Bauchorgane, obwohl eine makroskopisch bemerkbare Peritonitis nicht eingetreten war, fanden sich dieselben Mikrokokken. Das Blut und das Innere der Organe war dagegen frei davon. Von diesem Tiere wurden andere Feldmäuse und später von diesen wieder Hausmäuse in mehreren Impfgenerationen infiziert, und zwar immer mit dem Erfolg, daß nur die kettenförmigen Mikrokokken und in deren Gefolge die progressive Nekrose erhalten wurde. 3. Progressive Abszeßbildung bei Kaninchen. C o z e und F e 1 1 z, D a v a i n e und mehrere andere haben bei Kaninchen durch Einspritzungen mit faulendem Blute eine infektiöse septicämieähnliche Krankheit er- zielt und das veranlaßte mich, diesen Versuch zu wiederholen. Es ist mir nun allerdings nicht gelungen, Kaninchen in der von D a v a i n e beschriebenen Weise zu infizieren, aber ich konnte dieselbe Beobachtung machen wie viele andere, die in ähnhcher Vv^eise an Kaninchen experimentiert haben, daß nämlich bei diesen Tieren sehr oft nach sub- kutaner Injektion von Faulflüssigkeiten sich im Unterhautzellgewebe eine immer weiter um sich greifende Abszeßbildung entwickelt, ohne daß es zu einer Allgemeininfektion kommt. Solche Tiere sind anfangs ohne Krankheitserscheinungen. Nur an der Injektions- stelle ist eine flache, linsenförmige, harte Infiltration zu fühlen. Erst nach mehreren Tagen breitet sich diese Härte nach allen Richtungen hin aus, nach oben zu am wenigsten, um so mehr aber nach dem Bauch und den Vorderextremitäten zu. Das Tier fängt zugleich an abzumagern und schwach zu werden und stirbt ungefähr 12 bis 15 Tage nach der Einspritzung. Die Sektion ergibt ausgedehnte, mit einem käsigen Inhalt versehene, flache Abszesse im ünterhautzellgewebe, welche nach verschiedenen Richtungen hin Ausbuchtungen besitzen und untereinander zusammenhängen. Außerdem Abmagerung im höchsten Grade, aber keine Veränderungen am Bauchfell, Darm, Nieren, Milz, Leber, Herz und Lungen. Im Blute sind die weißen Blutkörperchen stark vermehrt, aber keine. Bakterien aufzufinden. Der käsige Inhalt der Abszesse besteht aus einer feinkörnigen Masse, in der stellenweise zerfallende Kerne, aber Bakterien nicht mit Sicherheit nachzuweisen sind. Es liegt hier also derselbe Fall vor, der beim Menschen schon mehrfach gefunden und als Beweis gegen die parasitische Natur eines derartigen Krankheitsprozesses aus- gebeutet ist, daß nämlich der Inhalt von Abszessen, die aus phlegmonösen Entzündungen hervorgingen und die man als durch Infektion entstanden ansehen mußte, frei von Mikro- organismen war. Als nun aber Querschnitte von gehärteten Stücken dieser Abszesse gemacht und diese untersucht wurden, stellte sich das überraschende Resultat heraus, daß sich im Innern des Abszesses allerdings keine Bakterien befanden, daß aber che Wand desselben nach allen Seiten hin von einer dünnen Schicht zu dichten Zoogloeahaufen verbundener Mila-o- kokken gebildet wird. Diese Mikrokokken sind unter den pathogenen Mikrokokken die Ideinsten, die ich bis jetzt beobachtet habe. An einzelnen günstigen Stellen, an denen es möglich war, mehrere aneinandergereihte Exemplare zu zählen und zu messen, fand ich als (natürlich nur annähernd richtigen) Wert 0,15 Mikrom. für den Durchmesser 90 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. dieser Mikrokokken. Aus der Gestalt und Beschaffenheit der den Abszeß einschließenden Zoogloeamassen geht indes hervor, daß dieselben in innigster Beziehung zum Abszeß- inhalt stehen, daß dieser letztere aus den Zoogloeamassen und von diesen eingeschlossenen abgestorbenen Gewebsteilen hervorgeht. Dieser Vorgang vollzieht sich in folgender Weise. Die Mikrokokken wuchern nur in geschlossenen Massen, die an der Peripherie des mehr oder weniger linsenförmigen Abszesses eine andere Gestalt haben als an der oberen und namentlich unteren Fläche desselben. Die Abszeßränder erstrecken sich in die lockeren Maschen des subkutanen Bindegewebes hinein; hier findet die Ausbreitung der Mikro- kokken den geringsten Widerstand und hier sieht man sie in dichten wolkenähnlichen Massen den Abszeß umsäumen (Taf. IV, Fig. 8). Das zunächst folgende Bindegewebe ist mehr oder weniger reichlich von Kernen (e) durchsetzt, zwischen denen man einzelne kleinere Mikrokokkenkolonien (b, c) als Vorläufer der geschlossenen Zoogloeamasse erblickt. Die kleinsten noch aufzufindenden Haufen (d) lassen durch ihre mit spitzen Ausläufern versehene Gestalt darauf schließen, daß sie sich in den Saftkanälen des Bindegewebes befinden. Einen Zusammenhang der Mikrokokken mit den Bindegewebskörpern, wie etwas ähnliches in der geimpften Hornhaut beobachtet ist, habe ich nicht auffinden können. An der unteren Fläche des Abszesses, wo den Mikrokokken die festen Lagen des sich zur Faszie verdichtenden Bindegewebes entgegentreten, können sie sich nicht in so üppiger Weise entwickeln wie an den Abszeßrändern. Hier findet man sie ver- hältnismäßig klein und abgeplattet (Taf. IV, Fig. 7). Nur an einzelnen Stellen schicken sie Ausläufer (b) in die darunter befindlichen, von Kernen durchsetzten Bindegewebs- schichten. Eine ganz eigentümliche Erscheinung macht sich nun aber bemerkbar, wenn man die Zoogloeamassen selbst näher ins Auge faßt. Ihre Außenränder, darunter verstehe ich die dem Bindegewebe zugekehrte Seite der Zoogloeen (Taf. IV Fig. 8, a), sind von der Anilinfarbe dunkel und kräftig gefärbt und lassen die einzelnen Mikrokokken deutlich unterscheiden. Besonders in kleinen, offenbar noch jungen Kolonien (Taf. IV Fig. 8, b, c, d ; Taf. IV Fig. 7, b) sind die Mikrokokken gleichmäßig gefärbt. Wenn man aber in der Richtung nach dem Abszesse zu geht, bemerkt man, daß die Zoogloea blasser wird, ihre Mikrokokken sich nicht mehr genau unterscheiden lassen, sie werden scheinbar immer feinkörniger und gehen in eine fast homogene Masse über, die keinen Farbstoff mehr an- nimmt (Taf. IV Fig. 8, gY). Noch weiter nach dem Abszesse zu findet man blasse, un- verkennbar aus Zoogloeen hervorgegangene Schollen (Taf. IV Fig. 7, d) untermischt mit Kerndetritus (Taf. IV Fig. 7, e; Fig. 8, f), und nur aus diesen beiden Substanzen, den abgestorbenen Zoogloeen und Kernresten, und zwar erstere in überwiegender Menge, be- steht der käsige Inhalt der Abszesse. Ich nannte jene ungefärbt bleibenden Schollen ab- gestorbene Zoogloeen und habe dazu folgende Gründe: Einmal liegt diese Erklärung so nahe, sie geht aus der unmittelbaren Betrachtung und aus dem Vergleich der im fort- schreitenden Wachtstum befindlichen kleinen Mikrokokkenkolonien mit den weiter zurück- liegenden großen Zoogloeen, die ihren Vegetationsprozeß durchgemacht haben, so un- abweislich hervor, daß es dazu keiner besonderen Beweise bedürfte. Man könnte das Wachsen der Mikrokokken nach der einen Seite hin und das Absterben der Zurück- bleibenden sehr gut mit der Vegetation der Torfmoose vergleichen. Außerdem kann man bei verschiedenen anderen Gelegenheiten sich davon überzeugen, daß es ein sicheres Kennzeichen für das Abgestorbensein der Bakterien ist, wenn sie die Anilinfarbstoffe nicht mehr aufnehmen. Diese Art der Bakterienvegetation, wie sie hier beschrieben ist, verdient die höchste Beachtung. Denn es liegt auf der Hand, wie leicht in ähnlichen Fällen der schmale Saum der in noch voUem Wachstum befindlichen und nur in diesem ^) Die Mikrokokken auf Taf. IV sind in den beiden Figuren 7 und 8 teilweise, namentlich nach dem Innern der Zoogloea zu, zu groß gezeichnet. Untersuchiuigen über die Ätiologie der Wundiufektiouskraiiklieiten. 91 Zustande leicht nachzuweisenden Bakterien übersehen werden kann. Anscheinend kommen auch bei den menschhchen Infektionskrankheiten ähnliche Verhältnisse vor; denn Klebs^) fand bei Endokarditis, daß die an der Aortenklappe abgelagerten. Mikrokokken gegen die Oberfläche hin diuikler gefärbt waren, in den tieferen Lagen dagegen immer blasser und blasser wurden und schlief31ich ganz verschwanden, in eine homogene Masse übergehend. Um nun noch zu ermitteln, ob sich dieser als progressive Abszeßbildung bezeichnete Krankheitsprozeß auf andere Tiere übertragen lasse, wurden Einspritzungen mit Blut der an dieser Krankheit gestorbenen Kaninchen bei anderen Kaninchen vorgenommen, doch blieben diese Tiere gesund. Es wurde dann eine geringe Menge des käsigen Abszeß - Inhaltes genommen, mit destilliertem Wasser verdünnt und unter die Haut eines Kanin- chens gespritzt. Danach entstand genau dieselbe Abszeßbildung wie bei dem ersten Tiere. Die Abszesse breiteten sich in derselben V/eise, wie früher beschrieben wurde, aus und führten nach anderthalb Wochen den Tod des Versuchstieres herbei. Von diesem Tiere wurde die Kranliheit auf ein drittes und so noch durch mehrere Generationen übertragen. Es erwies sich mithin, daß die Krankheit nicht nur infolge der Einspritzung größerer Mengen faulenden Blutes entsteht, sondern einen entschieden infektiösen Charakter trägt. Wenn aber früher angenommen wurde, daß die in dem käsigen Abszeßinhalt befindlichen Mikrokokken abgestorben sind, so würde das ja mit diesem Impfresultat nicht in Ubereinstimmung stehen. Dieser W^iderspruch scheint mir indessen nicht un- lösbar; denn es ist sehr wahrscheinlich, daß die Mikrokokken, ebenso wie andere Bak- terien, nach Ablaui ihres Vegetationsprozesses Dauersporen bilden, die ebenfalls, wie z. B. die Bazillensporen, von Anilinfarben nicht gefärbt Averden und deswegen im Kanada- balsampräparat unsichtbar bleiben, und daß die Infektion durch solche Dauersporen vermittelt wird. 4. Pyämie bei Kaninchen. Nachdem es mehrfach mißglückt war, bei Kaninchen durch faulendes Blut eine Allgemeininfektion zu erzielen, wurden andere putride Flüssigkeiten zu diesem Zweck verwandt. Ein Stück Mausefell von der Größe eines Quadratzentimeters war in 30 g destil- lierten Wassers zwei Tage lang mazeriert und von dieser Flüssigkeit wurde einem Ka- ninchen eine Spritze voll unter die Rückenhaut gespritzt. Das Tier blieb zwei Tage lang ohne bemerkbare Krankheitssymptome, dann aber fraß es weniger, wurde immer schwächer und starb 105 Stunden nach der Einspritzung. Bei der sofort vorgenommenen Sektion fand sich eine von der Injektionsstelle ausgehende, flache, eitrige (nicht käsige) Infiltration im subkutanen Bindegewebe, die sich bis zur Hüfte und zur Linea alba erstreckte. Am Bauche drang die gelbgefärbte Infiltration stellenweise durch die Bauchmuskeln und bis zum Peritoneum. Letzteres war glanzlos, vielfach mit zarten weißlichen Gerinnseln besetzt. In der Bauchhöhle befand sich eine geringe Menge trüber Flüssigkeit. Die Därme waren durch weiße fibrinöse Massen verklebt. Leber, Magen und Milz waren mit dünnen weißen Fibrinschichten überzogen, die Milz außerdem stark vergrößert. Die Leber sah nach Entfernung des Belags grau marmoriert aus, hatte auf dem Durchschnitt keil- förmige, graugefärbte Stehen; auch waren die Ränder stellenweise grau gefärbt. In der Lunge befanden sich einige erbsengroße, dunkelrot gefärbte luftleere Stellen. Im übrigen, namentlich am Herzen, waren keine Veränderungen wahrzunehmen. Vom Blute, das aus dem Herzen dieses Tieres genommen war. wurde eine Spritze voll einem zweiten Kaninchen unter die Rückenhaut gespritzt. Dasselbe starb nach . 1) Archiv für experinient. Pathologie und Pharmakologie. IX. Bd., p. 72 (Taf. II. Fig. 3.). ^ 92 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundiufektionskrankheiten. 40 Stunden. Das Sektionsergebnis war im wesentlichen dasselbe. Nur war die Infiltra- tion in der Umgebung der Injektionsstelle mehr ödematös und von kleinen Blutextra- vasaten durchsetzt ; auch die Peritonitis war weniger weit gediehen ; am Dünn- und Dick- darm fanden sich einige kleine subseröse Blutextravasate ; Lunge und Leber zeigten aber dieselben metastatischen Herde wie beim ersten Kaninchen. Da es sich hier also unzweifelhaft um eine Allgemeininfektion handelte und mög- licherweise derselbe Krankheitsprozeß vorlag, den C o z e und F e 1 1 z sowohl als D a - V a i n e nach Einspritzungen von putriden Flüssigkeiten bei Kaninchen erhalten hatten und sie zu ihren Beobachtungen über die sich steigernde Virulenz des septicämischen Durchgangsblutes geführt hatten, so beschloß ich eine ähnliche Versuchsreihe wie D a - V a i n e durchzuführen. Um das Ergebnis der bezüglichen Versuche übersichtlicher zu machen, werde ich sie in einer kleinen Tabelle zusammenstellen. Kaninchen Injektionsflüssigkeit Quantum derselben Tod I Mazerationsflüssigkeit 10 Tropfen nach 105 Stunden II Blut von I 10 40 „ III Blut von II 3 54 „ IV Blut von III 1 92 „ V Blut von IV „ 125 „ VI Blut von V II nono " bleibt gesund. Die Verdünnung des Blutes wurde in derselben Weise bewerkstelligt, wie es D a V a i n e bei seinen Versuchen gemacht hat. Um ^/iqoo Tropfen zur Injektion zu er- halten, wurde nämlich ein Tropfen Blut mit hundert Tropfen destillierten Wassers, von dieser Mischung ein Tropfen nochmals mit hundert Tropfen destillierten Wassers ver- mischt und von der so erhaltenen Verdünnung (also ^/loooo Verdünnung) zehn Tropfen injiziert. Die Tabelle umfaßt nur wenige Versuche, aber das Verhältnis zwischen dem Quantum des injizierten Blutes und der Dauer bis zum Eintritt des Todes ist ein so gleichmäßiges, daß es nicht durch Zufälligkeiten bedingt sein kann. Eine steigende Virulenz des sukzessive verimpften Blutes hat sich nicht herausgestellt. Je weniger Blut injiziert wurde, um so länger dauerte es, ehe der Tod eintrat, und bei einer Verdünnung auf ^/looo Tropfen blieb der Erfolg ganz aus. Es soll damit nicht gesagt sein, daß die In- fektionsfähigkeit des Blutes bei der tausendfachen Verdünnung schon aufgehört hatte. Denn der Versuch wurde nur an einem Tier ausgeführt und möglicherweise hätte, wenn mehreren Tieren zu gleicher Zeit tausendfach verdünntes Blut injiziert wäre, doch das eine oder andere erkrankt oder gestorben sein können. Aber das geht aus der Tabelle hervor, daß ein geringeres Quantum eine verlangsamte Wirkung hat und daß schließlich der Erfolg ein unsicherer resp. negativer wird. Es kann dieses Verhältnis nur durch die Annahme erklärt werden, daß das Blut immer eine gleiche Menge von ungelösten infi- zierenden Formelementen enthält und daß diese Formelemente sich bis zu einer gewissen Zahl vermehrt haben müssen, bis sie imstande sind, das Tier zu töten. Denn ein gelöster Infektionsstoff, der sich von 10 Tropfen bis zu ^1^^^ Tropfen ver- dünnt wirksam zeigt, müßte auch noch in Verdünnung von Viooo Tropfen unter allen Umständen infizierend sein, nur hätte der Tod entsprechend später eintreten müssen. Wenn aber nur ein ungelöster Infektionsstoff annehmbar bleibt und das z. B. Bakterien sind, von denen eine gleichbleibende Menge zur Tötung eines Kaninchens erforderhch ist, dann ist die Erklärung für die verzögerte Wirkung bei zunehmender Verdünnung des injizierten Blutes sofort gegeben. Denn je mehr das Blut verdünnt wird, um so weniger Bakterien muß es verhältnismäßig enthalten, und wenn dem Ver- suchstier bei der Injektion weniger Bakterien beigebracht werden, dann brauchen diese Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 93 selbstverständlich mehr Zeit, bis sie sich bis zur erforderlichen Zahl, um ein Kaninchen zu töten, vermehrt haben, als wenn von vornherein eine größere Zahl injiziert wurde. Wird die Verdünnung nun noch weiter fortgesetzt, dann wird zuletzt ein Moment ein- treten, wo in einem gegebenen Quantum Flüssigkeit, etwa in 10 Tropfen, wie sie zur Einspritzung genommen wurden, nicht immer mit Sicherheit eine oder doch so viel Bakterien, wie zur Infektion erforderlich, suspendiert sind. Dann wird die Infektion unsicher werden. Sehen wir nun, wie die Tatsachen, welche die mikroskopische Untersuchung liefert, mit diesen Erklärungsversuchen stimmen. Zuvor habe ich noch zu erwähnen, daß auch bei den drei letzten Kaninchen mit unbedeutenden Abweichungen dieselben Leichenerscheinungen wie bei den beiden ersten, also lokale purulent-ödematöse Infiltration des subkutanen Bindegewebes, metastatische Herde in Lunge und Leber, Milzanschwellung, Peritonitis gefunden wurden. Dieser Befund ist mit dem, was gewöhnlich als Pyämie bezeichnet wird, so übereinstimmend, daß ich nicht anstehe, diesen Namen auch für die vorliegende, Krankheit anzuwenden. Das Mikroskop zeigt nun überall im Körper und besonders an den schon makro- skopisch als pathologisch verändert zvi erkennenden Stellen Mikrokokken in bedeutender Menge. Meistens sind diese Mikrokokken einzeln oder zu zweien verbunden. Die Messung derselben ist deswegen schwierig. Als Mittelzahl von zehn Messungen, die an Doppel- mikrokokken ausgeführt sind und wenig voneinander differieren, ergibt sich der Durch- messer für einen Mikrokokkus 0,25 Mikrm. Sie stehen also in betreff ihrer Größe in der Glitte zwischen dem kettenförmigen Mikrokokkus der progressiven Gewebsnekrose und dem zoogloeabildenden Mikrokokkus der käsigen Abszesse beim Kaninchen. Ihr Verhalten in den Blutgefäßen läßt sich am besten in den Nierenkapillaren überblicken und ich habe deswegen zur Abbildung (Taf . V, Fig. 9) ein kleines Gefäß aus der Nierenrinde gewählt. Die Größenverhältnisse der Mikrokokken sind in der Zeichnung unmöglich immer richtig wiederzugeben ; sie müßten hier im Verhältnis zu den Mikrokokken auf Taf. IV Figg. 7 und 8 etwas größer gezeichnet sein. In der Mitte des Gefäßes bei c befindet sich eine wandstän- dige kompakte Mikrokokkenablagerung. die eine Anzahl roter Blutkörperchen einschließt und vermutlich sehr bald das Lumen des Gefäßes ausgefüllt hätte; denn an den Seiten lagern sich immer neue Blutkörperchen an und werden von zarten Ausläufern des Mikro- kokkenhaufens umsponnen. Hieraus läßt sich auf die Fähigkeit dieser Mikrokokken schließen, entweder an und für sich durch die Beschaffenheit ihrer Oberfläche die roten Blutkörperchen, an die sie sich anhängen, zum Zusammenkleben zu bringen oder auf geringe Distanzen hin eine Gerinnung des Blutes und auf diese Weise Thrombenbildung zu veranlassen. Die Art und Weise, wie die Mikrokokken die Blutkörperchen gewissermaßen um- spinnen und einschließen, scheint mir für diese besondere Mikrokokkenform ganz charak- teristisch zu sein. Zu solchen teilweisen oder vollkommenen Thrombenbüdungen kommt es in den Nierengefäßen an vielen Stellen, besonders in den Glonieruli. in denen einzelne Kapillarschlingen vollständig mit Mikrokokken ausgestopft sein können. Aber auch in diesen ganz dichten zoogloeaartigen Mikrokokkenmassen erkennt man noch die von den eingeschlossenen roten Blutkörperchen herrührenden hellen Kreise. Größtenteils trifft man indessen auf kleinere Gruppen von Mikrokokken, von denen auf Taf . V in Fig. 9 bei b ein Bei- spiel gegeben ist. In dieser Weise nur wenige Blutkörperchen umspinnend und verklebend, finden sie sich im Kapillargefäßsystem sämthcher untersuchten Organe. So namentlich in der Milz und Lunge. In größeren Gefäßen bilden sich auch bedeutendere Gruppen und ich möchte annehmen, daß die größeren metastatischen Herde in Leber und Lunge nicht durch allmähliches Heranwachsen eines Mikrokokkenhaufens in der Form wie 94 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. es auf Taf. V in Fig. 9 der Fall ist, sondern durch Steckenbleiben solcher stärkeren, im strömenden Blute sich bildenden Mikrokokkengruppen und der damit verbundenen Gerinnsel, also durch wirkliche Embolie zustande kommen. In den metastatischen Herden finden sich ausgedehnte Mikrokokken Wucherungen, die nicht allein auf die Gefäße beschränkt bleiben, sondern auch in das benachbarte Gewebe übergreifen. Die Bauchorgane sind mit einzelnen Doppelmikrokokken an ihrer Oberfläche ziemlich gleichmäßig besetzt. Dichtere Mikrokokkenmassen bilden sich in der Bauch- höhle nicht; auch kleine, in der Flüssigkeit der Bauchhöhle suspendierte Eiterflocken und der mit vielen Eiterzellen durchsetzte fibrinöse Belag der Bauchorgane enthält nur gleichmäßig verteilte, höchstens zu kleineren Gruppen gehäufte Mikrokokken. In der Umgebung der InjektionssteUe liegen im Unterhautzellgewebe flach aus- gebreitete Ansammlungen von Eiterzellen, die von mehr oder weniger dichten, aber niemals zoogloeaähnlichen Mikrokokkenwucherungen umgeben sind. Letztere umziehen auch die stark ausgedehnten und mit Blutkörperchen strotzend gefüllten subkutanen Venen und lassen sich an vielen Stellen in den Gefäßwandungen nachweisen und diese durchdringend bis in das Innere der Gefäße verfolgen. In den Lymphgefäßen und den benachbarten stark geschwollenen Lymphdrüsen waren keine Mikrokokken aufzufinden. Vergleicht man nun das Resultat der mikroskopischen Untersuchung mit dem Ergebnis der Infektions versuche, so ergibt sich die vollkommenste Übereinstimmung, wie sich leicht darlegexi läßt. Zu den Infektionsversuchen wurde das Blut aus dem Herzen genommen und es sind deswegen nur die Verhältnisse des in größeren Gefäßen befindlichen Blutes zu be- rücksichtigen. Dieses enthält, wie gezeigt wurde, reichlich Mikrokokken. Also der eine Teil der Annahme, daß die infizierenden Formelemente Bakterien seien, wäre damit erwiesen. Würden dieselben aber ihren Wachstumsprozeß ebenso wie die Septicämie- und MilzbrandbaziUen im Blute vollziehen, dann müßten sie zu ungefähr ebenso großer Menge wie diese im Blutstrom heranwachsen und die Virulenz des Blutes müßte eine weit bedeutendere sein, als wie sie gefunden wurde. Wie wir gesehen haben, verhalten sich die Pyämiemikrokokken in diesem Purrkte aber anders als jene. Sobald sie nämlich mit den roten Blutkörperchen in Berührung kommen, dieselben zum Zusammenkleben bringen und mehr oder weniger große G*innsel im Blute bilden, können sie nicht mehr wie die frei zwischen den roten Blutkörperchen sich bewegenden Bazillen durch die engsten Kapillarnetze hindurchpassieren, sondern bleiben bald in größeren, bald in klei- neren Gefäßen stecken. Es werden gewiß von der Infektionsstelle aus immer neue Mikro- kokken eindringen, auch von den kleinen Thromben und Embolien sich einzelne Mikro- kokken ablösen und dem Blutstrome beimengen. Gleichwohl kann ihre Gesamtmenge im strömenden Blute nicht über eine gewisse Grenze hinausgehen, da sie immer wieder nach kurzer Zeit irgendwo deponiert werden. So erklärt es sich sehr einfach, daß die Menge der überhaupt im Körper des Versuchstieres befindlichen Mikrokokken immer mehr zunimmt und schließlich, auch abgesehen von den durch die Mikrokokken bedingten Zirkulationsstörungen, eine für das Tier tödliche Höhe erreicht, daß aber zugleich die Zahl der Mikrokokken in dem zur Weiterinfektion verwandten Herzblut eine ziemlich gleichmäßige und so niedrige ist, um bei tausendfacher Verdünnung in der Wirkung unsicher zu werden. 5. Septicämie bei Kaninchen. Eine Allgemeininfektion anderer Art, die ohne Metastasen bleibt und die ich des- wegen als Septicämie im Gegensatz zu der vorigen bezeichne, habe ich zweimal bei Ka- ninchen nach Einspritzung mit faulendem Fleischinfus erhalten. Dieses Infus ent- Untersurhungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 95 hielt ebenso wie die zu den früheren Versuchen gebrauchten ^Dutriden Fhissigkeiten eine Menge der verschiedensten Bakterienformen. Unter die Riickenhaut eines Kaninchens gespritzt, bewirkte es eine jauchige Vereiterung des Unterhautzellgewebes in weiter Ausdehnung und den Tod des Tieres nach dritthalb Tagen. In dem Jaucheherd, der wegen seiner Größe wohl als unmittelbare Todesursache (Resorption gelöster giftig Avirkender Stoffe) anzusehen war, fanden sich noch dieselben regellos durcheinander- geworfenen Bakterienformen wie in dem Fleischinfus, aber an der Grenze desselben war das Zellgewebe von einer leicht getrübten wässrigen Flüssigkeit durchtränkt, die sich von der bräunlichen stinkenden Jauche in der Nähe der Injektionsstelle auffallend unter- schied, und in dieser Odemflüssigkeit befanden sich fast nur große Mengen von ziemlich großen Mikrokokken, die eine ovale Gestalt besaßen. Auch im Blut ließen sich dieselben Mikrokokken, wenn auch nur in geringer Zahl nachweisen. Ferner waren in den Nieren- papillen und in der stark vergrößerten Milz einzelne kleine Venen auf kurze Strecken mit diesen ovalen Mikrokokken vollgestopft. Es wurden zwei Tropfen der Odemflüssigkeit einem zweiten Kaninchen unter die Rückenhaut gespritzt. Dasselbe starb nach 22 Stunden. Bei diesem Tiere war in der Umgebung der Injektionsstelle keine Spur von Jauchebildung zu bemerken. Dagegen zog sich ein geringes Ödem und streifige weißliche Färbung des subkutanen Bindegewebes von der Injektionsstelle bis zum Bauche hin. In diesem ödematösen Bindegewebe lagen zahkeiche bis cm breite, flache Blutergüsse, die von stark gefüllten Gefäßen umgeben waren. Auch die Muskulatur der Oberschenkel und die Bauchmuskeln waren von kleinereil Blutergüssen durchsetzt. An Herz und Limgen wurden keine Veränderungen gefunden. In der Bauchhöhle befand sich keine Flüssigkeit, das Bauchfell war unverändert, die Darmschlingen nicht verklebt. Aber die Oberfläche derselben sah infolge einer Menge kleiner subseröser Blutergüsse stellenweise wie mit Blut bespritzt aus. Zu erwähnen ist noch die erhebliche Vergrößerung der Milz. In diesem zweiten Falle waren in dem ödematösen Bindegewebe nur noch die ovalen Mikrokokken anzutreffen, aUe übrigen Bakterien waren verschwunden. Die Zahl der Mikrokokken war eine ganz bedeutende. Viele kleine Hautvenen waren dicht damit gefüllt. In den Blutergüssen lagen, was sich besonders gut in der Oberschenkelmuskialatvu' nachweisen ließ, kleine von Mikrokokken dicht angefüllte mid dadurch spindelförmig aufgetriebene Venen, die an einzelnen Stellen gesprengt waren und die Mikrokokken in großer Menge in das umgebende Bindegewebe austreten ließen. Die Lungenkapillaren enthielten nicht sehr zahlreiche Mikrokokken, che vereinzelt oder zu zweien verbunden, auch kleine wenig zusammenhängende Gruppen bildend im Bliite verteilt waren. Bedeutend reichlicher waren die Nieren mit Mikrokokken versehen. Die große Mehrzahl der Glomeruli erschien vergröljert, wie aufgequollen, ihre Kapillar- schlingen waren erweitert und mit roten Blutkörperchen stark gefüllt. Die übrigen Glomeruli waren verkleinert, die Kerne ihrer Kapillarwände dicht zusammengerückt, so daß sie aussahen, als wären sie komprimiert. In den vergrößerten Glomeruli fanden sich ausnahmslos mehr oder weniger ausgebreitete Einlagerungen der ovalen Mikro- kokken, die reihenförmig hinter- und nebeneinanderliegend, einschichtig die Innenwand der Kapillaren auskleideten, und zwar nur auf kurze Strecken und nicht ringsherum. Die Mikrokokkenkolonien gewannen dadurch das Aussehen von kurzen, halbaufgerollten Schalen oder Rinnen. An anderen Stellen füllten sie indessen einige Gefäßschlingen auch vollständig aus und außerdem fanden sich alle Übergänge von diesen dichten ob- turierenden Massen bis zu lockeren kleinen Kolonien und einzelnen Mikrokokken (Taf. V, Fig. 10). In den komprimierten Glomeruli waren nur ausnahmsweise kleine Kolonien zu sehen. Einzelne obturierende Mikrokokkenmasssen kamen auch im Kapillaigefäß- 96 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. netz der Marksubstanz vor. Im übrigen zeigten sie sich vereinzelt fast in allen Gefäßen. Anhäufungen von Lymphzellen in der Umgebung der Mikrokokken und Veränderungen an den Epithelzellen der Harnkanälchen waren nicht zu bemerken. Auch lagen die Mikro- kokken niemals im Innern der Harnkanälchen. Die Milz enthielt zerstreute lockere Miltrokokkenkolonien in den Kapillaren in mäßiger Zahl, daneben vereinzelte dichtere Anhäufungen, welche kleine Gefäße am Rande und im Innern der Malpighischen Körper- chen auf kurze Strecken ausfüllten. Im Darm kamen zahlreiche obturirende Mikrokokkenmassen in den Kapillaren, welche die Darmdrüsen umgeben, vor (Taf. V, Fig. 11). An manchen Punkten waren dieselben so ausgedehnt, daß verästelte, ganz aus Mikrokokken bestehende Figuren ent- standen. Die Leber enthielt ähnlich wie die Lunge keine stärkeren Ansammlungen von Mikrokokken. Der größte Durchmesser eines einzelnen Mikrokokkus beträgt 0,8 — 1,0 Mikrm. Diese Mikrokokken differieren von den Pyämiemikrokokken in betreff der Größe also wesentlich. Ebenso aber auch in den meisten übrigen Verhältnissen. Sie schließen, auch wenn sie sich im Innern der Blutgefäße stärker anhäufen, niemals die Blutkörperchen ein, sondern drängen sie zur Seite. Sie bewirken keine Gerinnungen im Blute und des- wegen auch keine embolischen Prozesse. Nur in einem Punkte sind sie den Pyämie- mikrokokken ähnlich, daß sie nämlich ebenfalls bei fortgesetzter Übertragung keine steigende Virulenz zeigen, wie aus folgenden Versuchen hervorgeht. Es wurde vom zweiten Kaninchen eine volle Spritze (10 Tropfen) Blut aus dem Herzen einem dritten Kaninchen subkutan injiziert. Dasselbe starb nach 36 Stunden. Makroskopischer und mikroskopischer Befund war ebenso wie beim zweiten Kaninchen. Vom dritten Kaninchen wurden 2 Tropfen Blut einer Maus und 1 Tropfen einem Kaninchen injiziert. Die Maus starb nach 37 Stunden. Das Kaninchen blieb gesund. Von der Maus, in deren Blut und sämtlichen Organen die ovalen Mikrokokken in ähnlicher Weise wie bei den Kaninchen sich fanden, wurde, und zwar mit Blut aus dem Herzen, eine zweite Maus in der Weise geimpft, daß ein Skalpell mit der Spitze in das Blut getaucht und ungefähr ^/^q Tropfen an der Schwanzwurzel in eine kleine taschen- förmige Wunde gebracht wurde. Diese zweite Maus blieb ebenfalls gesund. Noch ein zweites Mal habe ich durch Einspritzung mit faulendem Fleischinfus denselben durch ovale Mikrokokken bedingten septicämischen Prozeß bei einem Kanin- chen bekommen. Die weitere Übertragung gelang aber auch diesmal nur vermittels Injektion von mindestens 5 — 10 Tropfen Blut. • 6. Erysipelatöser Prozeß beim Kaninchen. Außer den Einspritzungen größerer Mengen von putriden Flüssigkeiten wurden an Kaninchen auch mehrfach Impfungen mit verschiedenen faulenden Stoffen versucht. Dieselben blieben indessen wirkungslos. Nur in einem Falle entstand nach Impfung mit Mäusekot, der in destilliertem Wasser aufgeweicht war, am Ohr eines Kaninchens eine sich von der Impfstelle langsam nach abwärts ausbreitende Rötung und Schwellung. Dieselbe erreichte, am 5. Tage die Ohrwurzel. Während das nicht geimpfte Ohr ganz unverändert war und gegen das Sonnenlicht gehalten nur die Hauptgefäße durchschimmern ließ, sah das geimpfte Ohr bei derselben Beleuchtung gleichmäßig dunlcelrot aus und einzelne Gefäße waren nicht mehr zu erkennen. Es war dicker und zugleich schlaffer Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 97 geworden, die Spitze war umgebogen und hing infolge ilirer Schwere lierab. Das Tier war dabei sichtlich krank und starb am 7. Tage. Eine Einspritzung mit Blut desselben bei einem anderen Tier hatte keine Erkrankung desselben zur Folge. Leider ist es unterblieben, eine direkte Übertragung des Krankheitsprozesses durch Impfung mit Substanz vom Ohr des erkrankten Kaninchens auf das Ohr eines anderen Tieres zu versuchen. Im Blut und sonst in inneren Organen des Kaninchens fanden sich keine bemerkens- werten Veränderungen, namentlich auch keine Bakterien. Die Verhältnisse am erkrankten Ohr waren dagegen so bemerkenswert und trugen so unverkennbar den Charakter einer parasitischen Krankheit, daß ich es für zweckmäßig hielt, obwohl die Ansteckungsfähig- keit in diesem Falle nicht direkt erwiesen ist, eine Darstellung derselben hier zu geben. An Querschnitten des Ohres zeigten sich die Blutgefäße stark erweitert und mit roten Blutkörperchen gefüllt vmd mit zahlreichen Kernen von Lymphzellen umgeben. Diese Kerne wurden nach dem Ohrknorpel zu zahlreicher mid bildeten an dessen Ober- fläche eine ziemlich gleichmäßige dichte Schicht. Zwischen letzterer und den eigent- lichen Knorpelzellen aber ließen sich in ziemlich regelmäßigen Abständen feine Stäbchen unterscheiden, welche in dem dichteren Bindegewebe, das den Knorpelzellen unmittelbar aufliegt, sämtlich in der Ebene des Knorpels verliefen. An manchen Stellen waren die Stäbchen einzeln, an anderen lagen mehrere parallel nebeneinander, bisweilen, und zwar waren das immer Stellen, an denen die Lymphzellen etwas dichter angehäuft waren als sonst, fanden sich dicht zusammengefilzte, aus denselben Stäbchen bestehende Knäuel. Die Stäbchen waren an keiner anderen Stelle zu finden als dicht am Knorpel. Es wurden deswegen Flächenschnitte angefertigt, die denn auch die Verbreitung der Stäbchen an der Knorpeloberfläche sehr gut zur Anschauung brachten. Figur 12 auf Tafel V ist nach einem solchen Flächenschnitt gezeichnet. Die großen rundlichen Körper (c) sind die Kerne von großen platten Zellen, unter welchen die Knorpelzellen folgen. Auf der von den platten Zellen gebildeten Schicht breitet sich ein dichtes Netz aus, das aus Bazillen besteht, und über den Bazillen, sie teilweise verdeckend, liegen die Kerne (b) der Lymph- zellen, von denen der Schnitt jedoch nur einen kleinen Rest zurückgelassen hat. An vielen Stellen haben die Bazillen mehr oder weniger runde, dicht zusammengesetzte Klumpen gebildet (wie sie Fig. 12a zeigt), die einem Haarwulst ähnlich sind. Von diesen aus ziehen nach allen Richtungen in parallelen Zügen sich immer mehr vereinzelnd lange Reihen von Bazillen. Es erinnert dieser Anl)lick sofort an die eigentümlichen, oft sternartigen Figuren der auf die lebende Kaninchenhornhaut verimpften Milzbrandbazillen^). Dieses Bazillennetz erstreckte sich über den ganzen Ohrknorpel, und zwar auf beiden Seiten desselben. Da der Kranliheitsprozeß in seinem Entstehen an der Impfstelle und Fort- schreiten auf die übrigen Teile des Ohres sich verfolgen ließ und in der ganzen Ausdehnung derselben die Bazillen gefunden wurden und weil ferner die Zeichen entzündlicher Reaktion in unmittelbarer Nähe der Bazillen am bedeutendsten waren, so halte ich es für unzweifel- haft, daß die Bazillen auch als die Kranliheitsursache anzusehen sind. Eine Sporenbildung habe ich an ihnen nicht gesehen. Ihre Länge ist sehr verschieden. Ein Stäbchen, an dem ich mit Sicherheit nur zwei Glieder unterscheiden konnte, war 3,0 Mikrm. lang. Die läng- sten, welche demnach aus 6 — 7 Gliedern bestanden, erreichten die Höhe von 9,0 bis 10,0 Mikrm. Die Dicke beträgt 0,3 Mikrm. (Die Milzbrandbazillen haben eine Länge bis 20,0 Mikrm. und Dicke von 1,0 bis 1,25 Mikrm., sind also ungefähr noch einmal so lang und drei- bis viermal so dick wie die Bazillen des Kaninchenohres.) 1) F r i s c h, 1. c Taf. I, Fig. 3, Taf. II. Fig. 9. 10. Koch, Gcsaiiiiiielte Werke. 7 98 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Milzbrand. Die vielfachen Untersuchungen über Milzbrand haben sich fast alle mit dem Ver- halten der Milzbrandbazillen außerhalb des tierischen Körpers beschäftigt. Über ihre Menge im Blute machte man sich gewöhnhch nur nach der Blutprobe, die man aus einem beliebigen Körperteil genommen hatte, eine Vorstellung. Von der im Körper wirkhch vorhandenen Menge der Bazillen, von ihrer Verteilung im Blutgefäßsystem sind aber bis jetzt keine Angaben zur Veröffentlichung gekommen. Um diese Lücke auszufüllen und weil die Milzbrandbazillen sich den Septicämie- bazillen so ähnlich verhalten und zum Vergleich mit diesen sowohl als auch mit den anderen hier geschilderten pathogenen Bakterien dienen können, habe ich es unternommen, an Impfmilzbrand gestorbene Kaninchen und Mäuse in derselben Weise, wie die durch künstliche Wundinfektionskrankheiten getöteten Tiere zu untersuchen. Hierbei erwies sich die isolierte Färbung der Milzbrandbazillen, wie sie durch Be- handlung der in Methylviolett gefärbten Schnitte mit kohlensaurem Kali erzielt wird, von größtem Vorteil. Magen- und Darmschleimhaut lassen sich beispielsweise vermittels dieses Verfahrens für die Untersuchung so präparieren, daß selbst bei schwacher Ver- größerung die Bazillen im ganzen Gefäßgebiet derselben zu übersehen sind. Ebenso geben Schnitte aus den Lungen, Leber und Nieren außerordentlich übersichtliche und instruktive Präparate. Obwohl ich nun vielfach das Blut von milzbrandigen Tieren früher untersucht hatte und keine geringe Meinung von der Zahl der Bazillen im Körper eines milzbrandigen Tieres hatte, so war ich doch ganz überrascht, als ich zum erstenmal isoliert gefärbte Schnitte und Teile von milz brandigen Organen, z. B. die Darmschleimhaut und die Iris von einem Kaninchen vor Augen hatte. Bei einer 50 fachen Vergrößerung sieht ein solches Präparat beim ersten Anblick genau so aus, als wäre in die Gefäße eine blaue Injektions- masse gespritzt. Jede einzelne Darmzotte ist von einem äußerst zierlichen blauen Netz durchzogen; in der Magenschleimhaut ist das gesamte, die Labdrüsen umspinnende Kapillargefäßnetz blau gefärbt; am Ciliarkörper ist jeder einzelne Vorsprung injiziert und ein spiralförmig gewundenes, dunkelblau gefärbtes Gefäß führt von da zur Iris und löst sich in ein mit bogenförmigen, gegen den Irisrand gerichteten Ausbuchtungen ver- sehenes feines blaues Netz auf. Leber und Lunge, drüsige Apparate, wie Pankreas, Speichel- drüse sind von denselben vollständig injizierten blauen Gefäßnetzen durchzogen. Über- haupt ist kein Organ, das nicht mehr oder weniger von der blaugefärbten Masse injiziert ist. Im höchsten Grade auffallend ist aber dabei, daß diese Injektion nur das Kapillar- gefäßsystem betrifft. Alle größeren Gefäße, selbst schon die Arterie und Vene einer Darmzotte, sieht man entweder gar nicht gefärbt oder nur mit einem leichten blauen Anflug, und auch das nur stellenweise, versehen. Bei einer 250 fachen Vergrößerung erkennt man schon, daß die Linien des blauen Kapillarnetzes aus vielen feinen Stäbchen zusammengesetzt sind (Taf . V, Fig. 13) und bei TOOfacher Vergrößerung (Taf. V, Fig. 14) stellt sich heraus, daß die scheinbare Injektion nichts weiter ist, als die bekannten, in diesem Falle dunkelblau gefärbten Milzbrandbazillen, die in ganz unglaublichen Mengen im ge- samten Kapillargebiet abgelagert sind. In allen übrigen Gefäßen, namentlich in den größ- ten, sind die Bazillen oft nur vereinzelt, auf längeren Strecken selbst ganz fehlend. Es gibt dies wieder ein schlagendes Beispiel dafür, wie wenig maßgebend bei Infektions- krankheiten die Untersuchung irgend einer beliebigen Blutprobe ist; denn es ist gar nicht unmöglich, daß man aus dem Herzen einen Tropfen Blut nimmt und keine Mikro- Untersuchungen über die Ätiologie der Wiuidiiifektionskrankheiten. 99 Organismen darin findet, die wenigen darin vorhandenen auch wohl übersieht und daß trotzdem das Kapillargefäßsystem mit Parasiten überladen ist. Indessen ist auch die Verteilung der Milzbrandbazillen im Kapillargebiet keine ganz gleichmäßige. Am spärlichsten sind sie im Gehirn, in der Haut, in den Muskel- kapillaren, in der Zunge. In der Lunge, Leber, Niere, Milz, Darm, Magen sind sie dagegen gleichmäßig in der vorher geschilderten gewaltigen Menge vertreten. Die Milz, die der Krankheit zum Namen verholfen hat. zeichnet sich vor den anderen genannten Organen durch größeren Gehalt an Bazillen nicht aus. In den Kapillaren selbst häufen sich die Bazillen am meisten immer an dem Punkte an, der von der nächsten zuführenden Arterie ^ und von der ableitenden Vene am weitesten entfernt ist, also da, wo die arteriellen Kapil- laren in die venösen übergehen, wo zugleich die Blutbahn am breitesten ist und der Blut- strom am langsamsten fließt. In den Darmzotten ist dies die Spitze und der benachbarte Teil der Peripherie; in der Leber liegt dieser Punkt in der Mitte zwischen den letzten Ästchen der Lebervene und der Pfortader. Zu diesen Stellen, an denen die Bazillen sich reichlicher ablagern, gehören auch die Nierenglomeruli, die größtenteils in Bazillen- klumpen verwandelt sind. Nicht selten kommt es unter dem Druck der sich schnell ver- mehrenden Bazillen an den bezeichneten Orten, also vorzugsweise in den Glomeruli. Darmzotten, außerdem auch in der Magenschleimhaut, Speicheldrüsen, Panl<;reas, zum Zerreißen einzelner Kapillaren und zum Austritt von Blut und Bazillen. Am meisten ereignet sich dies in den Glomeruli. Viele derselben werden gesprengt und die Bazillen gehen in die Harnkanälchen über. Doch gelangen sie nicht weit, wenigstens habe ich sie nur im Anfang der gewundenen Harnkanälchen gefunden, in denen sie zu durchein- andergefilzten langen Fäden auswachsen ; in den geraden Harnkanälchen dagegen habe ich niemals Bazillen angetroffen. Diese eben geschilderten Verhältnisse gelten vom Kaninchen. Mäuse, die ich viel- fach untersucht habe, verhalten sich indessen im wesentlichen ebenso. Nur ist bei diesen Tieren die Milz vorzugsweise mit Bazillen versehen, demnächst die Lungen, am wenigsten die Nieren. Der Unterschied zwischen der ungemein großen Menge von Bazillen im Kapillargebiet und der spärlichen Anzahl derselben in den großen Gefäßen ist bei der Maus nocli auffallender als beim Kaninchen. Ferner hatte ich noch Gelegenheit. Lungen, Leber, Milz und Niere von einem milzbrandigen Schaf zu untersuchen und fand auch bei diesem dieselbe Menge und Ver- teilung der Bazillen wie beim Kaninchen. Das Studium von milzbrandigen Organen mit Hilfe der isolierten Färbung möchte ich allen denen empfehlen, die trotz aller bis jetzt schon dafür gelieferten Beweise den Milzbrand immer noch nicht für eine parasitische Krankheit halten. Die einfache Tat- sache, daß 24 Stunden nach der Impfung mit dem kleinsten Tröpfchen Milzbrandblut, vorausgesetzt, daß es Bazillen oder deren Sporen enthält, der Tod eintritt und fast sämt- liche Kapillaren in den (sofort nach dem Tod in absoluten Alkohol gelegten) Lungen, Nieren, Leber, Milz, Darm, Magen usw. mit einer erstaunlichen Menge derselben Bazillen angefüllt sind, ist doch so einfach, daß sie eigentlich gar keines Kommentars weiter bedarf. Wer da noch die Milzbrandbazillen für zufällig, überhaupt gleichgültig oder nur neben- sächlich hält, der muß den Verlust an Blutbestandteilen, die zum Aufbau dieser un- zähligen Bazillen dienten, nicht minder die Abfallsprodukte, welche ein so rapider Stoff- wechsel wie derjenige der Milzbrandbazillen notwendigerweise liefern muß, und schließlich die durch Verstopfung der meisten Kapillaren bedingten Störungen im Blutkreislauf und in der Ernährung wichtiger Organe, alles dies mul.^ er ebenfalls für gleichgültig, neben- sächlich halten, um statt dessen ein unbekanntes Krankheitsferment für den Tod des Tieres verantwortlich machen zu können. Dann ist aber auch gar nicht einzusehen, 7* 100 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. warum nicht für die Tricliinosis, selbst für die Krätze und andere unmittelbar übertrag- bare parasitische Krankheiten mit demselben Recht außer Trichinen, Milben usw. noch spezifische Krankheitsfermente gefordert werden. Schlußfolgerungen. Daß die vorstehend geschilderten Untersuchungen viele Lücken und Mängel be- sitzen, dessen bin ich mir wohl bewußt. Manche Organe, welche bei Untersuchungen über Infektionskrankheiten nicht unberücksichtigt bleiben sollten, wie Gehirn, Herz, Retina mußten, um Zeit für die wichtigsten und unerläßlichsten Arbeiten zu gewinnen, beiseite gelassen werden. Aus demselben Grunde konnten keine Temperaturmessungen, die gewiß die interessantesten Resultate geliefert hätten, vorgenommen werden. Auf pathologisch-anatomische Details bin ich absichtlich nicht eingegangen, da mich nur die Ätiologie interessierte und ich mich außerdem einer pathologisch-anatomischen Be- arbeitung der Wundinfektionskrankheiten nicht gewachsen gefühlt hätte, die ich deswegen berufeneren Kräften überlassen muß. Trotzdem halte ich das durch meine Untersuchungen gewonnene Material für aus- reichend, um einige wohlbegründete Schlüsse daraus ziehen zu können. Bei meinen Schlußfolgerungen werde ich mich indessen nur auf das Nächstliegende beschränken. Es ist zwar in letzter Zeit üblich geworden, aus jeder, auch der unbedeu- tendsten Beobachtung über Bakterien die weitgehendsten Folgerungen über die Infek- tionskrankheiten im allgemeinen zu ziehen, doch werde ich, obwohl das mir zu Gebote stehende Material reichlichen Stoff zu Betrachtungen in dieser Richtung abgeben würde, dieser Sitte nicht folgen. Denn je länger ich mich mit dem Studium der Infektionskrank- heiten befaßt habe, um so mehr habe ich die Überzeugung gewonnen, daß das GeneraU- sieren neuer Tatsachen hier verfrüht ist und daß jede einzelne Infektionskrankheit oder Gruppe nahe verwandter Infektionskrankheiten für sich erforscht werden muß. Was nun zunächst die von mir beobachteten künstlichen Wundinfektionskrank- heiten betrifft, so sind für die fünf ersten vollständig, für die sechste nur teilweise die Bedingungen erfüllt, welche zum Beweis für ihre parasitische Natur erforderlich sind. Denn es wurde die Infektion durch so geringe Mengen Blut, Serum, Eiter bewerk- stelHgt, daß eine Verwechslung mit Intoxikation ausgeschlossen bleiben muß. In den zur Impfung oder Einspritzung genommenen Substanzen wurden ferner ausnahmslos Bakterien, und zwar für jede der einzelnen Krankheiten eine andere wohl unterscheidbare Form nachgewiesen. Ebenso wurden ausnahmslos in den an der künstlichen Wundinfektionskrankheit gestorbenen Tieren Bakterien in solcher Menge und Verteilung gefunden, daß die Krank- heitssymptome und der Tod ausreichend Erklärung finden. Zugleich waren die vor- gefundenen Bakterien identisch mit denjenigen, die in den Impfflüssigkeiten enthalten waren, und es entsprach also in jeder Beziehung einer bestimmten Krankheit auch eine bestimmte Form von Bakterien. Diese künstlichen Wundinfektionskrankheiten haben in ihrer Entstehungsweise durch putride Substanzen, in ihrem Verlauf und Sektionsresultat die größte Ähnlichkeit mit den menschlichen Wundinfektionskrankheiten. Außerdem konnten bei ersteren ebenso wie bei letzteren die parasitischen Organismen mit den früheren Untersuchungs- methoden nur unvollkommen nachgewiesen werden, und erst mit Hilfe eines verbesserten Verfahrens war es möglich, den Beweis zu führen, daß sie parasitische Krankheiten sind. Deswegen ist der Schluß gerechtfertigt, daß auch die menschlichen Wundinfektions- Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 101 krankheiten sich höchstwahrscheinlich bei Anwendung derselben verbesserten Unter- suchungsmethode sämthch als parasitische Krankheiten erweisen werden. Andererseits geht daraus, daß eine bestimmte pathogene Bakterienform, z. B. die Septicämiebazillen, sich nicht auf jede andere Tierart übertragen läßt (ähnhches ist auch von den Milzbrandbazillen bekannt), hervor, daß nicht unter allen Umständen die Septicämie der Mäuse, Kaninchen, Menschen usw. durch die nämliche Bakterien- form veranlaßt sein muß. Es ist immerhin möglich, daß die eine oder andere der bei Tieren gefundenen Bakterienformen auch in menschhchen Wundkrankheiten eine Rolle spielt. Es muß das aber jedesmal speziell nachgewiesen werden; von vornherein läßt sich nur erwarten, daß überhaupt Bakterien vorhanden sind, die Gestalt, Größe, Wachs- tumsverhältnisse derselben können ähnlich, müssen aber für ähnlich erscheinende Krank- heiten verschiedener Tierarten nicht immer dieselben sein. Außer den bis jetzt bei Tieren gefundenen pathogenen Bakterien gibt es gewiß noch manche andere. Meine Versuche beziehen sich nur auf tödlich verlaufende Krank- heiten. Auch diese sind vermutlich durch die sechs geschilderten Formen noch nicht erschöpft. Bei weiteren Experimenten an vielen verschiedenen Tierspezies, mit den verschiedensten putriden Substanzen und mit möglichst modifizierten Applikationsweisen wird zweifellos noch eine Anzahl weiterer Infektionskrankheiten gefunden werden, die noch zu weiteren Aufschlüssen über die mensclilichen Wimdkrankheiten und die patho- genen Bakterien führen werden. Aber schon in den wenigen Versuchsreihen, die ich vorführen konnte, tritt eine Erscheinung so evident hervor, daß ich sie als feststehend betrachten muß und, weil sie die meisten Bedenken gegen die Annahme des Contagium animatum für die Wund- infektionskrankheiten beseitigen hilft, als das wichtigste Ergebnis meiner Arbeit ansehe. Es ist das die Verschiedenheit der pathogenen Bakterien und ihre Unabänderlichkeit. Einer jeden Krankheit entspricht, wie wir gesehen haben, eine besondere Bakterienform und diese bleibt, so vielfach auch die Krankheit von einem Tier auf das andere übertragen wird, immer dieselbe. Auch wenn es gelingt, dieselbe Krankheit von neuem wieder durch putride Substanzen hervorzurufen, tritt nicht eine andere, sondern dieselbe schon früher für diese Krankheit als spezifisch gefundene Bakterienform auf. Ferner sind die Unter- schiede dieser Bakterienformen so groß, wie sie bei Ox'ganismen, die teilweise an der Grenze des Sichtbaren stehen, nur erwartet werden können. Diese Unterschiede suche ich aller- dings nicht allein in der Größe und Gestalt der Bakterien, sondern daneben noch in ihren Wachstumsverhältnissen, die sich am besten aus der Lagerung und Gruppierung ersehen lassen. Ich fasse deswegen nicht nur das einzelne Individuum, sondern die ganze Gruppe von Bakterien ins Auge und würde beispielsweise einen Mikrokokkus, der bei einer Tierart nur in geschlossenen Haufen, also in Zoogloeaform vorkommt, für verschieden von einem anderen ebenso großen halten, der bei derselben Tierart, also unter denselben Lebens- bedingungen, nur zerstreut gefunden wird. Außerdem muß noch die verschiedene physio- logische Wirkung berücksichtigt werden, wofür ich kaum ein treffenderes Beispiel wüßte, als die nebeneinander im Ohrzellgewebe einer Maus vegetierenden Bazillen und ketten- förmigen Mikrokokken, von denen die einen ins Blut übergehen und in die weißen Blut- körperchen eindringen, die anderen langsam im Gewebe sich ausbreiten und alles um sich her zerstören; dann die Septicämie- und Pyämiemikrokokken des Kaninchens in ihrem verschiedenen Verhalten zum Blute, ferner die nur an der Oberfläche des Ohrknorpels von Kaninchen sich ausbreitenden Bazillen bei der erysipelasartigen Krankheit im Gegen- 102 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. satz zu den ebenfalls am Kaninclienohr eingeimpften schnell ins Blut übergehenden Milzbrandbazillen. Wenn nun aber jeder der untersuchten Krankheiten eine durch physiologische Wirkung, durch Wachtstums Verhältnisse, Größe und Gestalt genau charakterisierte Bakterienform entspricht, die, so oft auch die Krankheit weiter verpflanzt wird, immer dieselbe bleibt und niemals in andere Formen, z. B. von der kugelförmigen in eine stab- förmige übergeht, dann bleibt nichts weiter übrig, als daß diese verschiedenen Formen von pathogenen Bakterien vorläufig als konstante Arten anzusehen sind. Dies ist allerdings eine Behauptung, welche vielfachen Widerspruch, namentlich bei Botanikern finden wird, vor deren Forum diese Angelegenheit eigentlich gehört. Zu denjenigen Botanikern, die sich gegen die Trennung der Bakterien in Arten erklären, gehört beispielsweise Naegeli^), indem er sagt: ,,ich habe seit 10 Jahren wohl Tausende von verschiedenen Spalthefeformen untersucht und ich könnte nicht be- haupten, daß auch nur zur Trennung in zwei spezifische Formen Nötigung vorhanden sei". Auch Brefeld") will nur dann spezifische Formen, die zur Aufstellung von Arten berechtigen, gelten lassen, wenn die gesamte Entwicklungsgeschichte im Wege der Kultur kontinuierlich von Spore zu Spore in den verschiedensten Nährlösungen beobachtet ist. Brefelds Forderung ist theoretisch unzweifelhaft richtig, sie darf aber nicht als Conditio sine qua non für jede Untersuchung über pathogene Bakterien vorweggesteUt werden. Wir würden sonst die Arbeiten über die Ätiologie der Infektionskrankheiten vorläufig ruhen lassen müssen, bis es den Botanikern gelungen ist, durch Reinkulturen und Züchtung von Spore zu Spore die verschiedenen Bakterienarten festzustellen. Es könnte sich dabei sehr leicht ereignen, daß die unendliche Mühe der Reinkultur auf irgendeine Bakterienart verschwendet wird, die sich schließlich als eine kaum beachtens- werte herausstellt. In der Praxis kann nur das umgekehrte Verfahren stattfinden. Zuerst werden gewisse Eigenschaften einer Bakterienform, die sie vor anderen auszeichnen und die Unabänderlichkeit derselben dazu zwingen, diese Form von den übrigen weniger be- kannten und minder interessierenden Formen abzutrennen und bis auf weiteres als Art hinzustellen. Dann erst wird zur Kontrolle dieser vorläufigen Annahme die Kultur von Spore zu Spore zu machen sein. Gelingt sie unter Verhältnissen, die gar keinen Ein- wand gegen ihre Richtigkeit zulassen, und liefert sie ein den früheren Beobachtungen ent- gegenstehendes Resultat, dann muß auch das Urteil, welches aus diesen Beobachtungen gezogen wurde und das zur Aufstellung der Bakterienart führte, berichtigt werden. Auf diesen, wie mir scheint einzig richtigen, praktischen Standpunkt stelle ich mich und unterscheide also bis dahin, daß die Kultur von Spore zu Spore mich eines Besseren belehrt, verschiedene Arten von pathogenen Bakterien. Um übrigens zu beweisen, daß ich in dieser Anschauung nicht allein stehe, will ich hier noch die Meinung von Botanikern anführen, die ein gleiches Urteil schon früher ausgesprochen haben. C o h n 3) erklärt, trotzdem der Ghederung der Bakterien in Gattungen und Arten von manchen die Berechtigung abgesprochen werde, dennoch an der von ihm bisher befolgten Methode festhalten zu müssen, Bakterien von verschiedener Gestaltung und verschiedener Fermenttätigkeit als verschiedene Arten und Gattungen solange ausein- ander zu halten, als nicht der Beweis ihrer Identität mit voller Evidenz geführt ist. 1) Die niederen Pilze. München 1877, p. 20. 2) Untersuchungen über die Spaltpilze. Sitzungsbericht der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin vom 19. Febr. 1878. ^) Beiträge zur Biologie der Pflanzen, I. Bd., 3. Heft, p. 144. Untersuchungen über die Ätiologie der Wuridinfektionskrankheiten. 103 Auf Grund seiner Untersuchungen über die Einwirkung verschiedener Temperaturen und des Eintrocknens auf die Entwicklung von Bacterium termo kam E i d a m ^) zu dem Schluß, daß die verschiedenen Bakterienformen verschiedene Ernährungsbedingun- gen erfordern, daß sie sich auch den chemischen und physikalischen Einflüssen gegenüber verschieden verhalten und dieser Umstand ein weiterer Beweis für die streng durch- zuführende Speziesunterscheidung sei. Für die Notwendigkeit, die von mir beschriebenen pathogenen Bakterien als spezi- fische Arten ansehen zu müssen, will ich noch einen Grund anführen. Man legt, und das mit vollem Recht, das größte Gewicht bei Bakterienunter- suchungen auf die sogenannten Reinkulturen, die nur eine bestimmte Form von Bakte- rien enthalten. Ganz offenbar geschieht dies nur in der Meinung, daß, wenn man durch eine Reihe von Kulturen immer dieselbe Form zu erhalten vermag, diesen Formen eine besondere Bedeutung zukommt, daß man sie als konstante Form, mit einem Wort als Art anzunehmen hat. Gibt es denn nun aber wirkliche, durch eine Reüie von Versuchen von jeder Beimengung anderer Bakterien frei zu haltende Reinkulturen l Allerdings gibt es solche, aber nur in ganz beschränkten Verhältnissen. Nur solche Bakterien lassen sich mit den jetzt zu Gebote stehenden Hilfsmitteln rein kultivieren, die wegen ihrer Größe und leicht erkennbaren Form, wie die Milzbrandbazillen, oder durch Produktion eines charakteristischen Farbstoffes, wie die Pigmentbakterien, stets in bezug auf ilire Reinheit kontrolliert werden können. Sobald in eine Kultur, wie es unter allen Umständen al> und zu vorkommt, eine fremde Bakterienart durch Zufall sich eingeschmuggelt hat, dann wird es in diesen Fällen sofort bemerkt u^nd die verunglückte Kultur wird aus der Versuchsreihe ausgemerzt, ohne daß die Untersuchung in ihrem Fortgang dadurch gestört zu werden braucht. Ganz anders ist es aber, wenn Reinl\:ulturen mit sehr kleinen Bakterien vorgenommen werden sollen, die ohne Färbung vielleicht überhaupt nicht mehr zu erkennen sind, wie soll man da eine Verunreinigung der Kultur entdecken ? Das ist nicht ausführbar und deswegen müssen alle Versuche mit Reinkulturen in Apparaten, und wemi sie noch so vortrefflich konstruiert sind, sobakl sie kleine, wenig charakteristische Bakterien betreffen, als mit unvermeidlichen Fehlerquellen behaftet und für sich allein nicht beweisend gehalten werden. Und dennoch gibt es auch für die kleinsten und am schwierigsten zu erkennenden Bakterien Reinkulturen. Aber nicht in Kulturapparaten, sondern im tierischen Körper finden diese statt. Das beweisen meine Versuche. In sämtlichen Fällen, die zu einer bestimmten Krankheit gehören, z. B. zur Septicämie der Mäuse, wurden nur die kleinen Bazillen und niemals, wenn die Krankheit nicht absichtlich mit der Gewebsnekrose zu- sammen verimpft wurde, irgendeine andere Bakterienart daneben gefunden. Es gibt eben keinen besseren Kulturapparat für pathogene Bakterien als den Tierkörper. Es vermögen in demselben überhaupt nur eine beschränkte Zahl von Bakterien zu vegetieren und das Eindringen derselben ist so erschwert, daß der unverletzte Körper eines Tieres als vollständig isoliert gegen andere Bakterienarten als die absichtlich eingeimpften betrachtet werden kann. Ganz evident stellt es sich heraus, daß in meinen Versuchen wirkhche Reinkulturen gekmgen sind, wenn man die beiden an Mäusen erhaltenen Krank- heiten, die Septicämie und Gewebsnekrose, einer Betrachtung unterwirft. Im faulenden Blute, das die beiden Krankheiten entstehen ließ, waren die verschiedensten Bakterien- arten enthalten. Von diesen allen finden nur zwei im Körper der lebenden Maus die zu ihrer Existenz nötigen Bedingungen. Alle anderen gehen zugrunde und nur diese beiden, Beiträge ziu' Biologie der Pflanzen, I. Bd., 3. Heft, p. 223. 104 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. ein kleiner Bazillus und ein kettenförmiger Mikrokokkus bleiben und vermehren sich. Beliebig oft können diese beiden zugleich weitergeimpft werden, ohne daß sie ihre charak- teristische Form, ihre spezifischen physiologischen Wirkungen ändern und ohne daß auch nur einmal eine andere Bakterienart sich daz wischendrängt. Nun ist es aber ganz in das Belieben des Experimentierenden gestellt, die beiden Bakterienarten, wie ich be- wiesen habe, zu trennen. Durch Blut, in das nur die Bazillen überzugehen vermögen, werden diese allein verpflanzt und von da ab ganz rein erhalten, während vermittels Verimpfung beider Bakterien auf Feldmäuse die Bazillen beseitigt und die Mikrokokken rein weiter kultiviert werden. Es ist unzweifelhaft, daß auch der Versuch gelungen wäre, beide wieder auf einem Tier durch Einimpfung zu vereinigen. Kurz, man hat es voll- kommen in der Gewalt, mehrere Bakterienarten nebeneinander unvermischt und rein weiter zu kultivieren, sie zu trennen und eventuell wieder zu kombinieren. Höhere An- forderungen lassen sich wohl nicht an eine Reinkultur stellen und ich muß deswegen die fortgesetzte Übertragung der künstlichen Infektionskrankheiten für die besten und sichersten Reinkulturen halten. Damit haben sie aber auch Anspruch auf die Beweis- kraft, welche untadelhaften Reinkulturen für die Aufstellung spezifischer Arten der Bakterien zugestanden werden muß. Der Umstand, daß der tierische Körper ein so vortrefflicher Apparat für Rein- kulturen ist und daß, wie wir gesehen haben, bei zweckmäßiger Anordnung des Experi- ments und ausreichenden optischen Hilfsmitteln bei den künstlichen Wundinfektions- krankheiten immer nur eine spezifische Bakterienart als einer bestimmten Krankheit entsprechend gefunden wurde, führt nun ferner zu dem Schluß, daß, wenn bei Unter- suchung einer Wundinfektionskrankheit mehrere verschiedene Bakterienarten gefunden werden, wie z. B. von C o z e und F e 1 1 z bei der künstlichen Septicämie der Kaninchen (vgl. p. 68) zugleich Ketten von kleinen Pünktchen, Stäbchen und lange oszillierende Fäden, daß also in solchem Falle entweder eine kombinierte, mithin keine reine Infek- tionskrankheit, oder, was im zitierten Falle das Wahrscheinlichere ist, eine ungenaue und fehlerhafte Beobachtung vorliegt. Sobald also mehrere Bakterienarten zugleich unter pathologischen Verhältnissen vorkommen, muß entweder der Beweis geliefert werden, daß sie sämtlich an dem pathologischen Prozeß beteiligt sind, oder es muß danach ge- trachtet werden, sie zu isolieren und eine wirkliche Reinkultur zu erhalten, ehe man be- stimmte Schlüsse über die Beziehungen der betreffenden Krankheit zu den Bakterien machen kann. Andernfalls wird man dem Vorwurf nicht entgehen, daß das Experiment kein reines, also kein beweiskräftiges war. Eine weitere Konsequenz, die aus der Annahme verschiedener Arten von pathogenen Bakterien notwendigerweise folgt, will ich nur kurz andeuten. Die Zahl der pathogenen Bakterienarten ist eine beschränkte, denn von der Menge der in putriden Flüssigkeiten enthaltenen Arten kommen im günstigsten Falle eine oder nur wenige im tierischen Körper zur Weiterentwicklung. Die zugrunde gehenden Arten sind also, wenigstens für die betreffende Tierart, nicht pathogene Bakterien. Wenn es aber, was hiernach unzweifelhaft angenommen werden muß, schädliche und unschäd- liche Bakterien gibt, dann können auch alle Versuche, die mit unschädlichen Bakterien, z. B. mit Bacterium termo, an Tieren vorgenommen wurden, absolut nichts für oder gegen das Verhalten der schädlichen, der pathogenen Bakterien beweisen. Nun sind aber fast sämtHche derartige Experimente mit dem ersten besten Gemenge von Bakterienarten ausgeführt, ohne daß feststand, ob in diesem Gemisch auch wirklich pathogene Bak- terien enthalten waren. Es ist also einleuchtend, daß alle diese Experimente zu einem Beweise für oder gegen den Parasitismus der Infektionskrankheiten nicht verwertet werden können. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 105 In allen meinen Versuchen hat sich außer der Beständigkeit der Bakterien in Größe und Gestalt auch die größte Gleichmäßigkeit in ihren Wirkungen auf den tierischen Organismus, aber keine Steigerung der Virulenz, wie sie von C o z e und F e 1 1 z, D a - vaine und anderen beobachtet ist, ergeben. Dies veranlaßt mich noch zu einigen Bemerkungen über das von den genannten Forschern gefundene resp. bestätigte angeb- liche Gesetz von der zunehmenden Virulenz des Durchgangsblutes. Die Entdeckung dieses Gesetzes ist bekanntlich mit großem Enthusiasmus auf- genommen und hat durch die Beziehungen, die demselben zur Lehre von der Anpassung und Vererbung gegeben wurden, kein geringes Interesse erregt. Einige sonst ganz exakte Forscher haben sich durch die verführerische Theorie blenden lassen, daß die unbedeu- tende Wirkung einer einfachen Fäulnisbakterie durch fortgesetzte Anpassung und Ver- erbung bis zum quadrillionfacli verdünnten, noch tödlichen Agens gesteigert werden könne. Sie haben die schönsten Nutzanwendungen für die Praxis daraus geschaffen und nicht dabei bedacht, daß die fraglichen Bakterien noch nicht einmal mit Sicherheit nachgewiesen sind. Die Originalarbeiten von C o z e und F e 1 1 z sowie von D a v a i n e stehen mir nicht zur Verfügung und ich muß deswegen auf eine vollständige Kritik derselben ver- zichten. Soweit ich nun aber aus den mir zugänglichen Referaten, namentlich aus den ausführlichen Berichten im Virchow-Hirsch sehen Jahresbericht, entnehme, scheint ein eigentlicher Beweis dafür, daß die Virulenz des septicämischen Blutes von Generation zu Generation zunimmt, gar nicht geliefert zu sein. Es wurde anscheinend allmählich eine immer stärkere Verdünnung des Blutes eingespritzt und man war erstaunt, wenn dieselbe immer wieder wirkte und schrieb diese Wii'kung der zunehmenden Viru- lenz zu. Aber Kontroll versuche, ob nicht schon in der zweiten und dritten Generation das septicämische Blut ebenso virulent war, als in der fünfundzwanzigsten Generation, scheinen nicht gemacht zu sein. Meine Versuche sprechen wenigstens dafür, und soweit stimmen sie mit den Erfahrungen von C o z e, F e 1 1 z und D a v a i n e. daß zur ersten Infektion eines Tieres verhältnismäßig große Quantitäten putrider Flüssigkeiten erforder- lich sind, daß ferner in der zweiten Generation oder spätestens in der dritten Gene- ration die volle Virulenz erreicht wird und von da ab konstant bleibt. Der D a V a i n e sehen künstlichen Septicämie entspricht von meinen künst- lichen Wundinfektionskrankheiten am meisten die Septicämie der Mäuse. Würde man mit dieser Krankheit in derselben Weise wie D a v a i n e experimentieren, dann würde man ohne Kontroll versuche dieselbe zunehmende Virulenz wie bei jener Krankheit finden können. Man brauchte nur langsam absteigend immer weniger Blut zur Impfung zu nehmen und könnte sich dann jede beliebige Progression für die Virulenz herausrechnen. Ich habe aber schon vom ersten oder zweiten Tiere ein möglichst kleines Quantum Impf- substanz genommen und bin deswegen schneller beim höchsten Punkte der Virulenz angelangt. Ehe ich deswegen nicht die Gewißheit habe, daß auch bei der von D a v a i n e beobachteten Septicämie solche Kontrollversuche gemacht sind, kann ich die Steigerung der Virulenz nur für die ersten Generationen gelten lassen. Um diese aber zu erklären, brauchen wir nicht zum Zauberstab der Anpassung und Vererbung zu greifen, sondern können auf ganz natürlichem Wege zu einer brauchbaren Erklärung gelangen. Nehmen wir als passendstes Beispiel wieder die Septicämie der Mäuse. Werden einem solchen Tiere zwei Tropfen faulenden Blutes eingespritzt, so werden ihm damit nicht nur eine Menge ganz verschiedener Bakterienarten, sondern auch ein gewisses, an sich noch nicht tödliches, aber für die Gesundheit der Maus doch gewiß nicht gleichgültiges Quantum gelösten putriden Giftes (Sepsin) beigebracht. Es wirken also verschiedene Faktoren auf die Gesundheit des Tieres ein. Einmal das gelöste Gift, dann 106 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. verschiedene Bakterienarten, von denen aber vielleicht nur zwei, wie es in unserem Beispiel wirklich der Fall war, sich in dem Körper der Maus vermehren und einen fort- gesetzt nachteiligen Einfluß ausüben können. Eine von diesen beiden Arten ist nur imstande, in das Blut zu gelangen und, wenn ausschließlich Blut zur weiteren Übertragung benutzt wird, wird auch nur diese eine Art aus dem vermeintlichen Kampf ums Dasein siegreich hervorgehen. Es kommt nun für die weitere Entwicklung des Experiments ganz darauf an, wie groß die Menge des putriden Giftes und wie das Zahlverhältnis der beiden Bakterien zueinander ist. Ist viel putrides Gift und eine große Anzahl der lokal sich vermehrenden Bakterienart (in unserem Fall sind dies die Gewebsnekrose veran- lassenden kettenförmigen Mikrokokken), aber wenige Exemplare von der ins Blut über- gehenden Bakterienart (hier Bazillen) eingespritzt, dann wird das erste Versuchstier infolge des überwiegenden Einflusses der beiden anderen Faktoren eher sterben, als bis viel Bazillen ins Blut gelangt und sich dort weiter vermehrt haben. Von dem Blut dieses ersten Tieres, das verhältnismäßig noch sehr wenig Bazillen enthält, muß vielleicht eüi Fünftel- bis Zehnteltropfen verimpft werden, um die Krankheit sicher zu übertragen. Auf das zweite Tier sind mit dem Blute aber nur noch die Bazillen verpflanzt, die sich nun ungestört im Blute entwickeln. Zur Infektion des dritten Tieres genügt dann schon das Ideinste überhaupt zulässige Quantum Blut, und von dieser dritten Generation bleibt die Virulenz des Blutes gleichmäßig. Man kann sich auch noch einen anderen Fall denken, bei dem die Steigerung der Virulenz durch mehr als drei Generationen ohne irgendwelche Anpassung und Ver- erbung eintreten kann. Es würde dies der Fall sein, wenn mehrere ins Blut übergehende Bakterienarten bei der ersten Einspritzung in den Körper des Versuchstieres gelangen. Nehmen wir beispielsweise an, daß demselben faulenden Blute, welches dem vorigen Versuch diente, noch Milzbrandbazillen beigemengt wären, dann würden im Blute des zweiten Tieres außer den SepticämiebaziUen auch MilzbrandbaziUen enthalten sein, und zwar von beiden nur wenig Exemplare; von den MilzbrandbaziUen aber noch weniger als von den anderen, weil sie sich bei Mäusen vorzugsweise in der Milz, Lunge usw. ab- lagern, im Blute aber auch im günstigsten Falle nur spärhch vertreten sind. Anderer- seits haben die MilzbrandbaziUen den Vorteil, daß sie das Tier, wenn sie in reichlicher Zahl eingeimpft wurden, schon binnen 20 Stunden töten, was den SepticämiebaziUen erst nach 50 Stunden gelingt. Im Blute des dritten Tieres würden beide Bazillenarten schon reichlicher enthalten sein, aber doch noch nicht in der Menge, als wenn jede einzeln verimpft wäre. Es muß also immer noch ein größeres Quantum Blut zur Übertragung auf das vierte Tier genommen werden. Vielleicht würde das sogar noch in der fünften Generation der Fall sein, bis die eine oder andere Bazillenart schHeßlich noch allein im Blute vorhanden ist. Wahrscheinlich würden es die SepticämiebaziUen sein. In dieser Weise läßt sich das Coze.Feltz-Davaine sehe Experiment auf einfache Verhältnisse zurückführen und mit meinen Versuchen in Einklang bringen. Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. 107 Erklärung der Abbildungen. (Tafel IV— V) Sämthrhe Al>bildungen sind mit dem Zeichnenprisma möglichst natui'getreu größtenteils mit Benutzung des C. Z e i ß sehen Ölimmersionssystems '/j^ Zoll angefertigt. Zur Bestimmung der Vergrößerung diente ein in derselben Entfernung gezeichnetes Objektiv-Mikrometer. Fig. 1. Blut einer septicämischen Mavis, am Deckglas eingetrocknet, mit Methylviolett gefärbt, in Kanadabalsam eingelegt. Rote Blutkörperchen und dazwischen kleine Bazillen. Vergrößerung 700. Fig. 2. Weiße Blutkörperchen aus der Zwerchfellvene einer septicämischen Maus. Übergänge von solchen Blutkörperchen, die wenige Bazillen enthalten, bis zu solchen, die in einen von Bazillen gebildeten Haufen verwandelt sind. Vergrößerung 700. Fig. 3. Zwerchfellvene einer septicämischen Maus. a. Kerne der Gefäßwand, b. Septicämiebazillen, c. in Bazillenhaufen vei'wandelte weiße Blutkörperchen. d. in die Vene einmündende Kapillargefäße. Vergrößenmg 700. Fig. 4. Blut einer milzbrandigen ^laus. Rote Blutkörperchen und Milzbrandbazillen. Das zu- gehörige Präiiarat ist in derselben Weise hergestellt, wie das in Fig. 1 gezeichnete. Die Glie- derung der Bazillen ist zu stark angegeben. Vergrößerxmg 700. Fig. 5. Längsschnitt vom Ohr einer Maus. Progressive Gewebsnekrose. a. Normaler Knorpel und zu beiden Seiten normales Gewebe, b. Demarkationslinie, Ansammlung von Kernen, c. kernloser, nekrotischer Teil des Ohres, d. Gefäßquerschnitte mit Miki'okokken angefüllt. Vergrößerung 25. Fig. 6. Ein Teil des Knorpels und des anliegenden Gewebes aus Fig. 5 in der Nähe von c bei 700 facher Vergrößerung. a. Nekrotische Knorpelzellen, b. kettenförmige Mikrokokken in Haufen, c. dieselben einzeln. Fig. 7. Randzone vom käsigen Abszeß eines Kaninchens. Untere Fläche. a. Kernanhäufung am äußeien Rande des Abszesses, b. Zoogloea, aus sehr kleinen Mikrokokken bestehend (dieselben sind teilweise, namentlich im Innern der Zoogloea zu groß gezeichnet), c. Zoogloea, teilweise absterbend, d. abgestorbene Zoogloea, e. Kerndetritus. Vergrößerung 700. Fig. 8. R an tlzone vom käsigen Abszeß eines Kanincheias. Seitenteil. a. Wolkenförmige Zot)gloeamassen, b. und c. kleinere, d. kleinste Mikrokokkenkolonien, e. Kernanhäufung in der Nähe der Zoogloea. f. zerfallene Kerne, g. abgestorbener Teil der Zoogloea. . Vergrößerung 700. Fig. 9. Gefäß aus der Rindensubstanz der Niere von einem pyänüschei? Kaninchen. a. Kerne der Gefäßwand, b. kleine Gruppe von Mikrokokken zwischen Blutkörperchen, c. dichter wandständiger Haufen von Mikrokokken. Blutköri>erchen einschließend. d. 1 )op]ielmikrokokken am Rande des großen Haufens. Vergrößerung 700. 108 Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Fig. 10. Glomerulus von einem septicämischen Kaninchen. a. Kapillarschlinge mit membranartig ausgebreiteten ovalen Mikrokokken, b. den Wandungen eines Kapülargefäßes zu beiden Seiten angelagerte Mikrokokken, c. mit Mikrokokken vollständig ausgefüllte Schlinge, d. einzelne Mikrokokken in einem neben dem Glomerulus gelegenen Kapillargefäß. Ver grö ß er ung 700. Fig. 11. Kapillargefäß aus der Dünndarmschleimhaut eines septicämischen Kaninchens. a. Kerne der Gefäßwand, b. ovale Mikrokokken. Vergrößerung 700. Fig. 12. Flächenschnitt vom Ohr eines Kaninchens. Erysipelasähnlicher Krankheitsprozeß. a. Knäulförmige Anhäufungen von Bazillen, b. Kernanhäufungen oberhalb der Bazillenschicht, c. Kern von platten, dem Knorpel angehörigen Zellen unterhalb der Bazillenschicht, d. parallel angeordnete Bazillen. Vergrößerung 700. Fig. 13. Darmzotte vom Kaninchen. Milzbrand. Isolierte Färbung. Vergrößerung 250. Fig. 14. Bin Teil des Gefäßnetzes derselben. — Darmzotte bei 700 facher Vergrößerung. Koch, Gesammelte Werke Untersuchungen über die Aetiok Talcl IV 1 ,4 ^"1 ndinfektionskranklieitcn. # 0 q a 8 Koch, Gesammelte Werke Untersuchungen über die A Tafel V \ 's ««•O' 2 -i> 12 Vundinfektionskrankheiten. Zur weiteren Kenntnis der Febr. recurrens und der Spirochaeten. ') (Aus einem Briefe des Herrn Prof. F e r d. Cohn in Breslau an den Heravxsgeber der Deutschen Medizinischen Wochenschrift.) Dr. H. V a n d y k Carter, der sich schon seit längerer Zeit mit dem Studium des Rekurrens in Vorderindien beschäftigt, wo die Krankheit im vorigen Jahre epidemisch auftrat, hat mir vor einigen Tagen eine aus Grouldas Peipal Hospital in Bombay vom 3. März datierte Mitteilung gesendet, daß es ihm gelungen, das .,S p i r i 1 1 u m f i e b e r" auf die kleineren ostindischenAffenLemnopithecus, Entel- 1 u s und M a c a c u s r a d i a t u s durch hypoderniatische Injektion des d e f i - b r i n i e r t e n Blutes eines vom ersten R e k u r r e n s a n f a 1 1 er- griffenen M e n s c h en zu übertragen; bei niederen Tieren mißlang die Impfung, wie dies auch die Versuche von Koch mit Mäusen, Kaninchen, Schafen und Schweinen ergeben hatten. Am sechsten Tage waren die Affen von heftigem Fieber befallen und ihr Blut wimmelte von den Spiralfäden, wie zwei von Dr. C arte r freund- lichst mir zugeschickte, nach der Koch sehen Methode auf Glasplatte aufgetrocknete und mit Methylviolett gefärbte Proben des Affenblutes zeigten ; diese Spirochaeten hatten zwar anscheinend weniger Windungen und waren teilweise auch kürzer als die im Menschen- blut, doch könnte dies wohl von der Präparierung des Bluttropfens auf dem Objekt- träger herrühren, denn im übrigen stimmen sie, wie auch Dr. Koch findet, mit den euro- päischen sowie mit den schon früher von C arte r an mich geschickten Spirochaeten von indischen Rekurrenskranken vollständig überein. Der glückliche Erfolg der C a r t e r - sehen Impfungen auf Affen verspricht eine baldige experimentelle Lösung der Fragen über das Verhalten der Spirochaeten in den Organen während der verschiedenen Stadien der Krankheit und ist deshalb von besonderer Wichtigkeit. Gleichzeitig mit der Mitteilung von C arte r erhielt ich von Koch die Anzeige, daß es ihm geglückt sei, die R e k u r r e n s s p i r o c h a e t e n in ä h n 1 i c h e r e i s e wie d i e M i 1 z b r a n d b a z i 1 1 e n zu züchten; sie wuchsen ebenfalls in lange, vielfach gewundene, untereinander verschlungene und zu langen Zöpfen verflochtene Fäden aus, die jedoch stets ihre wellenförmige Schraubenform beibehielten. Zwei vor- zügliche Glasphotogramme, welche Koch mir zuschickte, zeigten die Spirochaeten aus dem Blute von sporadisch in Wollstein aufgetretenen Rekurrensfällen, soAvie deren Aus- wachsen in lange Spiralfäden. Über den weiteren Erfolg seiner Kidturversuche wird Koch hoffentlich selbst bald berichten. Endlich erhielt ich am nämlichen Tage auch die neueste Schrift des Dr. Lewes in Kalkutta über das Vorkommen von Mikroorganismen i m nor- male n u n d k r a n k e n Blute, in welcher sich auch Photographien von Re- M Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift. 1879, Xr. 16. 110 Zur weiteren Kenntnis des Febr. recurrens und der Spirochaeten. kiirrensspirochaeten aus Bombay finden, welche beweisen sollen, daß die von Weigert in meinen ,, Beiträgen" abgebildeten und die von Koch photographierten Rekurrens- fäden nur halb so dick seien als die indischen. Nach Kochs Mitteilung sind jedoch die überhaupt höchst mittelmäßig ausgefallenen Photogramme von Lewes entweder mit zu enger Blende oder, was noch wahrscheinlicher, mit direktem, unabgeblendetem Sonnenlicht beleuchtet, so daß die Objekte von breiten Interferenzrändern umsäumt sind ; diese hat Lewes mit gemessen und bekommt infolgedessen doppelt so dicke Spirochaeten, als wenn er richtig eingestellt hätte. Eine ziemlich scharf konturierte Spirochaete in der Lewes sehen Figur 3 zeigt jedoch, ebenso wie die von Carter im vorigen Jahre an mich gesendeten Originalpräparate indischer Spirochaeten, daß diese ebenso dick sind wie die europäischen. Hiermit fallen alle Schlußfolgerungen, welche Lewes aus der Unbeständigkeit der Spirochaeten auf die Bedeutungslosigkeit ihres Vorkommens im Rekurrensblut ziehen zu dürfen glaubt (er betrachtet sie, wie die Milzbrandbazillen, nur als ,,Epiphänomena") ; auch sonst zeigt die Arbeit von Lewes, daß derselbe die Methode der Untersuchung pathogener Bakterien noch zu wenig be- herrscht, um für solche Folgerungen eine Autorität in Anspruch nehmen zu können. Die Übertragung der Rekurrens-Spirochaeten auf Affen.') Von Herrn Dr. Koch in Wollstein erhalten wir soeben die interessante Mitteilung, daß er den Carter sehen Versuch, die Spirochaeten der Rekurrens auf Affen zu über- tragen, welchen Versuch Carter übrigens lediglich auf seine Veranlassung hin gemacht hat, mit Erfolg wiederholte. Augenblicklich experimentiert er noch an zwei Affen. Einer wurde auf der Höhe der Krankheit getötet, um über das Verhalten der Spirochaeten in den verschiedenen Organen, das bislang ja noch gar nicht gekannt ist, Aufschluß zu gewinnen. Es ist nun allerdings recht schwierig, die Spirochaeten in gehärteten Objekten durch Farbstoffe nachzuweisen, gelingt aber, wie ein uns durch Herrn Koch gütigst übersendetes Photogramm beweist, dennoch. Dr. Koch hat die Spirochaeten in Gehirn, Lunge, Leber, Nieren, Milz, Haut aufgefunden. Das uns vor- liegende Photogramm, welches eine ganz besonders ausgezeichnete Leistung der Präpa- ration und Milirophotographie ist, zeigt zwei Kapillaren des Affengehirns und in der oberen eine Spirochaete. Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1879, Nr. 25. I Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. ') Von Dr. R. Koch, Regierungsrat . Mit Tafel VI— XIX. Einleitung. Von den Fortschritten in der Kenntnis der pathogenen Organismen hat die Hygiene bis jetzt verhältnismäßig noch wenig Nutzen ziehen können. Diese Er- scheinung hat ihren Grund darin, daß die große Mehrzahl der Fragen, welche für die Hygiene bezüglich der pathogenen Mikroorganismen in Betracht kommen, sich nur an der Hand von sicheren Methoden zur Trennung der verschiedenen Arten dieser Organis- men lösen lassen, denn es ist der Hygiene beispielsweise durchaus nicht allein darum zu tun, zu erfahren, ob in diesem oder jenem Boden oder Trinkwasser überhaupt Pilze, Bakterien und andere niedere Organismen vorhanden, sondern ob speziell unter denselben solche, welche Krankheiten bewirken können, enthalten sind. Und wenn es gelungen ist, das Vorhandensein eines notorisch schädlichen oder nur verdächtigen Organismus nachzuweisen, dann handelt es sich ferner darum, denselben getrennt von anderen, welche störend und verwirrend auf die Beobachtung einwirken müssen, in allen seinen Verhältnissen zu studieren, seine Lebensbedingungen, seine Entwicklungsgeschichte, alles, was ihm förderhch oder hinderlich ist, zu erforschen. Diese Kermtnisse sind aber nur mit Hilfe von fortlaufenden Kulturen der einzelnen Arten, von sogenannten Rein- kulturen, zu gewiimen, für welche es bis jetzt keine, nach jeder Richtung hin anwendbaren und zuverlässigen Methoden gibt. Diese Lücke auszufüllen, habe ich mich vielfach bemüht und bin schließlich zu Resultaten gekommen, die gewiß noch vielfacher Verbesserung fähig und bedürftig sind, aber auch schon in ihrer jetzigen Gestalt sich bei den im Ge- sundheitsamte ausgeführten Untersuchungen über Infektionskrankheiten und Desinfek- tion durchaus bewährt haben. Teils um diese einer sehr vielseitigen Verwendung und Ausnutzung fähigen Verfahren weiteren Kreisen zugänglich zu machen, teils zum leich- teren Verständnis der in diesen Blättern zu veröffentlichenden, unter Anwendung dieser Methoden gemachten Arbeiten sollen dieselben im Nachstehenden beschrieben werden. Bezeichnung der Aufgabe. Im allgemeinen wird die Erforschung der niederen Orga- nismen für Zwecke der Gesundheitspflege folgende Punkte zu berücksichtigen haben. Vor allem ist festzustehen, ob die in Frage kommenden Organismen überhaupt pathogen sind, d. h. imstande sind, Krankheit zu bewirken. Darauf folgt der Nachweis ihrer An- steckungsfähigkeit, d. h. Übertragbarkeit auf andere, bis dahin gesunde Individuen, und zwar entweder solche, die derselben Art angehören, wie das zuerst spontan von der Krankheit befallene resp. künstlich infizierte Individuum, oder auf solche, die anderen ') Aus Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I, 1881, Berlin. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 113 Arten angehören. Ferner ist die Art und Weise, in welcher die ^^athogenen Organismen in den tierischen Körper gelangen, ihr Verhalteii außerhalb desselben in der Luft, im Wasser, im Boden zu verfolgen und schließlich der Einfluß zu bestimmen, den ent- wicklungshemmende und zerstörende Stoffe auf dieselben ausüben. Ihr Aufenthalt im Körper interessiert die Hygiene nur soweit, als daraus Aufklärung über die Art der Infektion zu erlangen ist, z. B. Lokalisation der pathogenen Organismen im Darm, Über- gang ins Blut, Bildung von Dauerzuständen innerhalb des Körpers. Häufig wird man in der Lage sein, solange nämlich die einer bestimmten Infektionskrankheit eigentüm- lichen Krankheitserreger, wie z.B. bei Cholera, Pest usw., noch nicht bekannt sind, oder wenn es sich im allgemeinen um das Erkennen der gesundheitsschädlichen Beschaffen- heit von Luft, Wasser, Boden und um Beurteilung des Desinfektionswertes gewisser Substanzen handelt, überhaupt das Vorkommen und Verhalten der den pathogenen Organismen erfahrungsgemäß am nächsten stehenden Bakterien und Pilze ins Auge zu fassen und daraus mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit auf das Verhalten der präsumierten, aber noch nicht bekannten Krankheitserreger zu schließen. Bestimmung der pathogenen Eigenschaften. Wenden wir uns nun zu den einzelnen dieser Aufgaben, und zwar zunächst zur Feststellung der jiathogenen Eigenschaften und der Ansteckungsfähigkeit der Mikroorganismen. Von einigen Forschern wird immer noch behauptet, daß im Blute und in den Geweben des gesunden Körpers Bakterien vorkommen; doch stützt sich diese Behaup- tung nicht auf den direkten Nachweis durch das Mikroskop, sondern teilweise auf theo- retische Voraussetzungen und teilweise auf Experimente über die Fäulnisfähigkeit von unter antiseptischen Kautelen isolierten gesunden Organteilen, gegen welche Experi- mente sich indessen sehr gewichtige Einwände, deren Besprechung hier zu weit führen würde, erheben lassen. Soviel steht fest, daß es vermittels des Mikroskopes und mit Hilfe von Untersuchungs verfahren, die noch vereinzelte Bakterien mit Sicherheit in tierischen Organen erkennen lassen, bis jetzt nicht gelungen ist, dieselben im Blute und Geweben gesunder Individuen so nachzuweisen, daß kein Zweifel über ihr Vorhanden- sein daselbst auch während des Lebens Platz greifen kann. Sobald also Bakterien, und dasselbe gilt ganz ebenso von anderen Mikro- organismen, im Innern der Organe, sei es in den Blut- oder Lymphgefäßen oder im Gewebe selbst, in Lageverhältnissen gefunden werden, die nur im lebenden Körper zustande kommen können, oder wenn gar der unverkennbare Einfluß der Mikroorga- nismen auf das von ihrer Invasion betroffene Gewebe, z. B. Nekrose der in einem ge- mssen Bereich gelegenen Zellen, Anhäufung von Rundzellen in der Nachbarschaft, Eindringen der fremden Organismen in die Zellen usw. zu konstatieren ist, dann müssen solche Mikroorganismen als pathogen angesehen werden, mindestens müssen sie ver- dächtig erscheinen und zur weiteren LTntersuchung und Aufklärung des Befundes auf- fordern. Schwieriger ist die Entscheidung über die pathogene Eigenschaft der an der Ober- fläche des Körpers und auf seinen Schleimhäuten gefundenen Mikroorganismen. Hier können nur das massenhafte Auftreten und die Formunterschiede zwischen den ver- mutlich pathogenen und den als unschädlich bekannten, gewöhnlich im oder am Körper schmarotzenden Organismen maßgebend sein. Bis jetzt ist leider diesen harmlosen Schmarotzern zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet; ein Mangel, der sich ganz besonders bezüglich der Darmaffektionen fühlbar macht und gegenüber allen Angaben über patho- gene Bakterien im Darm solange eine gewisse Vorsicht gebietet, bis nicht jeder Zweifel ausgeschlossen ist, daß eine Verwechslung mit habituellen Bewohnern des Darms, die Ko ch , Gesammelte Werke. 8 I 114 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. unter außergewöhnlichen, aber für sie günstigen Verhältnissen sich vermehren und durch große Zahl bemerkhch machen, vorMegt. Gewiß ist aber auch die Zeit nicht fern, wo die im gesunden Körper schmarotzenden unschädhchen Mikroorganismen so bekannt sein werden, daß sie sofort als solche, wenn es auf die Unterscheidung von pathogenen Wesen anlcommt, bestimmt und aus ihrer Zahl die neuauftretenden pathogenen Organismen mit Sicherheit ausgeschieden werden können. Nachweis der pathogenen Mikroorganismen. Wenn es sich nun darum handelt, die im erkrankten Körper vermuteten pathogenen Organismen, zunächst Bakterien, auf- zusuchen, so begegnet man bei der gewöhnlichen, ohne besondere Vorbereitungen und Kunstgriffe ausgeführten mikroskopischen Untersuchung den erheblichsten, stellenweise geradezu unübersteiglichen Hindernissen. Denn wenn auch manche pathogene Bak- terien durch Größe, charakteristische Form, Beweglichkeit sich so auszeichnen, daß sie nicht leicht zu übersehen sind, so besitzen dagegen andere eine so einfache Form und sind so klein, daß sie, mit den ähnlich gestalteten Zerfallsprodukten der Gewebszellen ver- mengt, unmöglich von diesen unterschieden werden können. Glücklicherweise haben jedoch die Bakterien eine Eigenschaft, die es ermöglicht, alle diese Schwierigkeiten zu überwinden. Es ist das ihre in hohem Grade bestehende Fähigkeit, gewisse Farbstoffe, ganz besonders die Anilinfarben, aufzunehmen. Da aber die Flüssigkeiten, in denen sich die Bakterien befinden, also das Blut, Schleim, Gewebssäfte usw., wenn sie unmittelbar mit den Anilinfarben versetzt werden, Niederschläge geben, die ebenfalls gefärbt sind und entweder durch körnchen- oder fadenartige Gestaltung Bakterien vortäuschen oder durch ihre voluminösen Massen die vorhandenen Bakterien verdecken können, so bedarf es noch weiterer Vorbereitungen, um die Bakterien vermittels der Farbstofflösungen gut sichtbar zu machen. Auch ist bei der Untersuchung der gefärbten Objekte mit dem Mikroskop eine ganz besondere Vorrichtung zur Beleuchtung des Präparates erforderlich, wenn der Vorteil der Färbungsmethode zur vollen Geltung gelangen soll. Vor eirügen Jahren habe ich die geeignetsten Methoden zum Nachweis der Bak- terien, wenn sie in Flüssigkeiten oder in tierischen Geweben sich befinden, eingehend beschrieben und teils in einer in F. C o h n s Beiträgen zur Biologie der Pflanzen, Band 2, Hefts'), erschienenen Arbeit, teUs in einer Schrift über Wundinf ektionskrankheiten ver- öffentlicht. Bezüglich der Einzelheiten dieser Methoden muß ich, um nicht zu ausführ- lich zu werden, auf die genannten Schriften verweisen; hier sollen nur die Punkte zur Sprache kommen, welche seit jener Zeit eine Verbesserung erfahren haben oder welche Mißverständnissen ausgesetzt gewesen sind und deswegen einer Richtigstellung bedürfen. Miliroorganismen in Flüssigkeiten. Das Verfahren, die Bakterien in Flüssigkeiten, z. B. in Blut, Eiter, Gewebssaft durch Farbstoffe kenntlich zu machen, besteht darin, daß die betreffende Flüssigkeit in möglichst dünner Schicht auf dem Deckglas ausge- breitet, getrocknet und dann der Einwirkung der Farbstofflösungen ausgesetzt wird. Wenn die bakterienhaltigen Flüssigkeiten nicht oder nur sehr wenig eiweißhaltig sind, dann gelingt die Färbung fast immer in vortrefflicher Weise. Sobald sie aber mehr oder weniger eiweißhaltig sind, dann haftet noch ziemlich lange Zeit nach dem Eintrocknen die Schicht nicht so fest, daß sie nicht größtenteils von der Farbstofflösung aufgeweicht, zerrissen und selbst teilweise vom Deckglas heruntergespült wird. Auch das Eiweiß ist durch das Eintrocknen rücht unlöslich geworden, es geht größtenteils in die Farbstofflösung über und bildet mit dem Farbstoff Niederschläge, die sich am Deckglase fest anhängen, alles verdecken und unkenntlich machen. Dieser Übelstand läßt sich fast ganz vermeiden, Diese Werke, p. 27. 2) Diese Werke, p. ,61. D. Herausgeber. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 115 wenn statt der bei der Färbung fast ausschließlich zur Anwendung kommenden wäßrigen Lösungen von Fuchsin, Methylviolett usw. das in Glyzerin gelöste Anihnbraun genommen wird. In der erwähnten Arbeit über Bakterienuntersuchung ist S. 407 das Glyzerm- braun angelegentlichst empfohlen und von den jenem Aufsatz beigegebenen Photogrammen sind alle, welche Bakterien im Blut oder Gewebsflüssigkeiten abbilden, nach Präparaten angefertigt, die im Glyzerinbraun liegen. Trotzdem ist von manchen immer wieder versucht, Blutpräparate in wäßrigen Lösungen zu färben, und unbegreiflicherweise hat man die unausbleiblichen Mißerfolge der Methode selbst zur Last gelegt. Noch in letzter Zeit ist von M. W o 1 f f ^) die Behauptung aufgestellt, daß mit dem von mir angegebenen Verfahren eine sichere Diagnose auf Bakterien mcht zu machen sei. Er mühte sich ver- geblich ab, die ,, Körnchen und Kugeln" in seinen mit wäßrigen Lösungen gefärbten Blut- präparaten loszuwerden'-^). Daß übrigens auch mit der bisherigen Methode in geschickten Händen etwas geleistet werden kann, beweist außer manchen anderen nach derselben ausgeführten erfolgreichen LTntersuchungen die Arbeit von 0 g s t o n, der in sehr zahl- reichen Fällen in den aus menschlichen Körpern entnommenen Flüssigkeiten ver- schiedene Arten von Bakterien nachgewiesen hat und den seine dabei gewonnenen Er- fahrungen zu folgendem Ausspruche veranlassen: It is impossible to confound them (microorganisnis) with any such granulär bodies as those alluded to hy Woljj {The British Medical Journal 1881. March 12). Immerhin war es wünschenswert, die Bakterienfärbung in eiweißhaltigen Flüssig- keiten so zu verbessern, daß sie auch dem Ungeübten sichere Resultate gibt: Am ein- fachsten mußte dies Ziel dadurch erreicht werden, daß das in der am Deckglas haften- den Schicht vorhandene Eiweiß in eine unlösliche Form übergeführt wurde. Schon beim Aufbewahren der präparierten Deckgläser kann man bemerken, daß nach einigen Tagen, bisweilen erst nach Wochen die Schicht fester geworden ist, besser am Deckglas haftet und weniger Niederschlag beim Zusatz der Farbfiüssigkeit gibt. Bessere Resul- tate und schnelleres Unlöslichwerden der angetrockneten Schicht lassen sich erzielen, wenn die Deckgläser in Lösungen gelegt werden, die koagulierend auf Albumin wirken, wie Lösungen von Chromsäure, chromsauren Salzen, Alaun, Tannin. Der günstige Ein- fluß, den der Alkohol auf die bakterienhaltigen Gewebe beim Erhärten bezüglich der in ihnen enthaltenen Eiweißkörper äußert, brachte mich schheßlich darauf, die am Deck- glas befindliche Eiweißschicht ebenfalls durch Alkohol zu härten, was denn auch den er- wünschten Erfolg hatte. Wenn die Präparate einige Zeit in absolutem Alkohol gelegen hatten, war die Schicht ganz unlöslich geworden und färbte sich gleichmäßig und in ausgezeichneter Weise. Keine Körnchen und andere störende Niederschläge beein- trächtigten die Diagnose der im Blute, Eiter usw. vorhandenen Mikrokokken oder anderer Bakterienarten. Eins nur ist bei dieser Härtung durch Alkpliol unsicher, das ist die Be- Virchows Archiv für pathologische Anatomie, Bd. LXXXI, Heft 2 u. 3. ^) Bei der Beurteilung meiner Untersuchungsmethode begeht W o 1 f f noch den Irrtum, daß er aus der Schrift über Wundinfektionskrankheiten einige Sätze anführt, die sich auf in Alkohol ge- härtete Gewebsteile und die in Schnitten von solchen Alkoholpräparaten aufzusuchenden Bakterien beziehen, während W o 1 f f selbst nur inmier mit der Eintrocknungsmetliode, und zwar nüt der für seine Zwecke am wenigsten geeigneten Art derselben gearbeitet hat. Wenn W o 1 f f beide von mir ausführlich beschriebene Verfahren sich angeeignet hätte, dann hätte er sehr bald erkennen müssen, daß die Färbung der am Deckglas eingetrockneten Blutschicht einen ganz wesentlich anderen Effekt hat, als die nach der Weigert sehen Kernfärbungsmethode ausgeführte Färbung von Gewebs- schnitten und daß schon deswegen aus einem Mißerfolg bei Anwendung des einen Verfaluens nicht auf Untauglichkeit des anderen geschlossen werden kann. Es bedarf hiernach wohl kauni der Er- klärung, daß ich die von W o 1 f f angegriffenen Sätze über die Möglichkeit einer sicheren Diagnose von Bakterien in Gewebsschnitten in ihrem vollen Umfange aufrecht erhalte. 8* 116 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Stimmung der Zeit, während welcher die Präparate im Alkohol verbleiben müssen. Bisweilen sind einige Tage genügend, manchmal ist aber auch erst nach mehreren Wochen der erforderliche Grad von Unlöslichkeit der Eiweißschicht erreicht. Es ist deswegen geraten, eine hinreichende Zahl von Deckgläsern zu präparieren und von Zeit zu Zeit eins aus dem Alkohol herauszunehmen und die Färbung zu versuchen. Sehr oft ist es nun aber bei Untersuchungen von Infektionskrankheiten erwünscht, sofort über das Vorhandensein von Bakterien in den Organen des tierischen Körpers orientiert zu sein, um beispielsweise gleich bei der Sektion den Erfolg einer Impfung und die etwa vorzunehmende Weiterimpfung oder ähnliche Verhältnisse beurteilen zu können. In solchen Fällen würde man natürlich nicht auf das Gelingen der Alkoholhärtung warten können. Es war notwendig, wenn die Methode in jeder Beziehung leistungs- fähig sein soUte, auch hierfür Rat zu schaffen. Als die Untersuchungen von E h r 1 i c h bekannt wurden, mußten die ausgezeich- neten Resultate, welche er an erhitzten Blutpräparaten zur Unterscheidung der ver- schieden granulierten Blutzellen erhalten hatte, dazu auffordern, auch den Einfluß der Hitze auf Bakterienpräparate zu studieren. Ehrlich setzt die mit der angetrockneten Blutschicht versehenen Deckgläser ein bis mehrere Stunden lang hohen Temperaturen (120° — ISO*') aus. Durch eine so intensive Einwirkung von Hitze wird die Blutschicht voUkommen fest und unlöslich, aber die Bakterien verlieren, wie die angestellten Ver- suche ergaben, dadurch ihr Vermögen, Farbstoff aufzunehmen. Für unseren Zweck war es jedoch schon ausreichend, die Hitze nur solange wirken zu lassen, daß die Eiweiß- körper unlöslich werden, und das läßt sich in weit kürzerer Zeit erreichen. Wenn die Deckgläser nämlich nur wenige Minuten lang einer Temperatur von 120** — ISO** ausgesetzt werden, dami ist die Schicht schon so fest, daß sie mit den Farblösungen keine Nieder- schläge mehr gibt und sich sehr gut färben läßt. Ganz genau läßt sich die Dauer der erforderlichen Hitzewirkung nicht angeben. Bisweilen ist das Präparat schon nach 2 Minuten, bisweilen auch erst nach 5 — 10 Minuten genügend erhitzt. Wohl zu beachten ist noch, daß manche Bakterien, z. B. die Milzbrandbazillen, wenn sie zuerst erhitzt und dann gefärbt werden, etwas verändert erscheinen; sie sehen dünner und zierlicher aus, als wenn sie mit Glyzerinbraun gefärbt sind, auch zeigen sie die den Milzbrandbazillen ganz eigentümliche Gliederung nicht so deutlich. Ich will bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, überhaupt darauf aufmerksam zu machen, daß geringe Unterschiede, ähnlich den eben besprochenen, also hauptsächlich im Breitendurchmesser der Bakterien zu be- merken sind, wenn die Präparate in verschiedener Weise hergestellt oder mit verschiede- nen Farbstoffen gefärbt sind. Zu Vergleichen untereinander können deswegen nur nach einem vollständig gleichartigen Verfahren hergestellte Präparate benutzt werden. Wenn man beispielsweise die charakteristische Gliederung der Milzbrandbazillen, die eine un- trügliche Diagnose derselben gewährt, am deutlichsten zur Anschauung bringen will, dann ist es, wie schon vorher erwähnt wurde, am zweckmäßigsten, die Färbung mit Glyzerinbraun vorzunehmen. Mehr oder weniger tritt diese besondere Form der Milz- brandbazillen auch bei anderen Färbungen hervor, aber doch nicht sicher genug, um daraufhin eine Diagnose derselben stellen zu können, und wenn dann bei einer anderen Präparationsmethode jenes Kennzeichen der Milzbrandbazillen nicht deutlich genug in die Augen fällt, dann ist man gewiß noch nicht berechtigt, zu behaupten, wie Z ü r n ^) es getan hat, daß von einem Gegliedertsein der Bazillen keine Rede sein könne. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin, 1878/79, Nr. 20. — Zeitschrift für klinische Medizin, Bd. I, Heft 3. ^) Separatabdruck aus dem I. Bericht des neuen landwirtschaftlichen Instituts der Universität Leipzig 1881. — Zürn bezieht sich zum Beweise seiner Behauptung auf einige Photogramme von Zur Untersuchung von [lathogenen Organismen. 117 Trotz der erwähnten Mängel ist das Erhitzungsverfahren eine wesentHche Bereiche- rung der Untersuchungsmethoden auf Bakterien. Bei den Arbeiten über Infektions- krankheiten im Gesundsheitsamte kommt es unausgesetzt zur Anwendung und ist geradezu unentbehrhch geworden. Bei jeder Sektion eines Tieres, das einer Infektions- krankheit erlegen ist, wird sofort Blut, Gewebssaft von der Impfstelle, aus der Lunge, Milz und. wenn erforderlich, auch aus anderen Organen in der geschilderten Weise unter- sucht und je nach dem Befunde, welcher natürlich nur einen vorläufigen Charakter hat und durch sorgfältige nachträgliche Untersuchung der in Alkohol gehärteten Organe ergänzt wird, richtet sich der weitere Gang des Experimentes. Was nun die Wahl der Farbstoffe betrifft, so verdanken wir auch hier Ehrlich') die Einführung einer neuen, sehr zu empfehlenden Anilinfarbe, des Methylenblaus, welches sich ganz besonders ziu' Färbung von erhitzten Präparaten eignet. In schwierigen und in zweifelhaften Fällen ist es allerdings ratsam, auch andere Anilinfarben zu versuchen, da manche Bakterien sich in bezug auf ihr Färbungsvermögen ganz eigentümlich ver- halten, worauf ich noch später zurückzukommen habe. Wo es irgend angeht, sollte man einige Präparate mit braunen Farbstoffen färben, um die so dringend notwendige photo- graphische Abbildung der Bakterien zu ermöglichen. Dem Auge gefallen freilich die außer- ordentlich kräftigen und gesättigten Töne der roten und blauen Anilinfarben weit mehr als die meistens etwas matt ausfallenden braunen Färliungen. Aber es ist bis jetzt nicht gelungen, von blau oder rot gefärbten, in Kanadabalsam eingelegten Bakterien gute Photograhpien zu erhalten^), während die braun oder gelb gefärbten der photo- graphischen Aufnahme nicht die geringsten Schwierigkeiten bereiten. Präparate, deren Schicht durch Alkoholbehandlung oder Hitze in der angegebe- nen Weise unlöslich gemacht und mit passend gewählter Farbstofflösung gefärbt wurde, müssen frei von körnigen Niederschlägen, Farbstoffpartikelchen und dergleichen sein ; sie enthalten nur noch die in der Flüssigkeit, welche auf dem Deckglas ausgebreitet wurde, ursprünglich vorhandenen geformten Elemente, und wenn die Färbung nicht zu schwach oder zu stark ausgefallen ist, dürfen nur diese letzteren gefärbt erscheinen, während der Trockenrückstand der Flüssigkeit oder das eingetrocknete Plasma kaum durch einen geringen Farbenschimmer angedeutet ist. Zu Verwechslungen mit Mikro- organismen können demnach allein noch die Zellen und deren Produkte, seien es auf natür- lichem oder künstlichem Wege entstandene, Veranlassung geben. Was die eben erwähnten Kunstprodukte betrifft, so wird jeder, der einige Unter- suchungen von Blut, Eiter, Gewebssaft usw. gemacht hat, sich bald überzeugen, daß je dünnflüssiger die untersuchte Flüssigkeit ist, um so weniger die Form der in ihr enthal- tenen Zellen beim Ausbreiten auf dem Deckglase verändert wird. Im Blut beispiels- weise behalten die weißen Blutkörperchen mit wenigen Ausnahmen ihre runde Form Milzbrand bazillen, die er seiner Abhandlung beigegeben hat. Alier diese Photogramme genügen auch nicht den allerbeseheidensten Ansprüchen, die an mikrophotograiihische Leistungen zu stellen sind, und wenn die Präparate, nach denen sie angefertigt wurden, nidit besser sein sollten, dann ist es allerdings erklärlich, wie Zürn zu seiner abweichenden ]\l einung gekonuiien ist. M Zeitschrift für klirüsche Medizin, Bd. 2, p. 710. -) Wenn rot oder blau gefärbte Präparate, die in einer l^ösung xmi essigsaurem Kali oder einer anderen, nicht stark lichtbrechenden Lösung sich befinden, photograiihiert werden, dann kommt das auf dem Negativ entstehende Bild nicht durch die Wirkung der blauen oder roten Anilinfai be, für welche bei durchfallendem Lichte die Kollodiumschicht gar nicht empfindlich ist, zustande, sondern das Bild wird durch den Unterschied im Brechungsvermögen der Bakteriensubstanz und der Ein- schlußflüssigkeit bedingt. Das so erhaltene Bild ist also kein reines Farbenbild, wie ^vir es an in KanadaV)alsaiii befindlichen Bakterien zu sehen gewöhnt sind, und kann auch mit diesen letzteren Bildern nicht unmittelbar verghchen werden. 118 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. bei und erscheinen also nach dem Trocknen als Kreise, in denen der vielgestaltige, oft bandartige Kern liegt. Wenn aber die Flüssigkeit dick und zähe ist, was ganz besonders von dem Gewebssaft der Organe, z. B. der Milz oder Lunge gilt, dann gelingt es meistens nicht, dieselbe zu einer dünnen Schicht auszubreiten, ohne daß die zelligen Elemente mehr oder weniger verzerrt, selbst ganz zerrissen und zersprengt werden. Es entstehen dann kometenartige Figuren, an denen der Rest des Zellenkerns den Kopf und die aus- gestrichene, oft lang hingezogene übrige Kernsubstanz den Schwanz bildet. Die Deutung dieser oft ganz phantastisch geformten Gebilde ergibt sich ganz von selbst. Werüge nebeneinanderliegende Gesichtsfelder zeigen aUe Übergangsformen von den fadenartigen Figuren, die an den Rändern der ausgestrichenen Masse liegen, wo sie am dünnsten war und die ausstreichende Nadel die Zellen am stärksten quetschte und zerdrückte, bis zu den unveränderten, d. h. unbeschädigten ZelUsernen an den dickeren Stellen des Prä- parates. Man sollte also meinen, daß diese verzerrten Zellkerne, die auf den ersten Blick sich als solche zu erkennen geben, mit Mikroorganismen nicht verwechselt werden könnten, und doch ist dies der Fall gewesen. F o k k e r 1) glaubte nämlich bei seinen Untersuchungen über Milzbrand gefunden zu haben, daß es zwei Arten dieser Krankheit gibt. Bei der einen finden sich die be- kannten Bazillen, bei der anderen fehlen sie gänzlich oder sind doch nur vereinzelt vorhanden. Dagegen fand er lange Fäden, die, wie er sagt, mit Lymphzellen verbunden waren und Ähnlichkeit mit Spermatozoen hatten, indem die Lymphzelle den Kopf, der Faden den Schwanz bildete. F o k k e r hält diese Gebilde, die er als Pilzfäden (Pilz- draden) bezeichnet, für richtige durch die Impfung übertragene Pilze, die von den Lymph- zellen aufgenommen, innerhalb derselben auswachsen, diese Zellen in die Länge ziehen und an einem Ende durchbohren. Schließlich fand F o k k e r dieselben Gebilde in der normalen Milz. Aber auch das belehrte ihn noch nicht über die wahre Natur seiner vermeinthchen Pilzfäden, sondern er tröstet sich damit, daß Pilze zu den gewöhnlichen Körperbestandteilen gehören. Eine Abbildung, die er einer seiner Publikationen bei- gegeben hat, läßt es außer allem Zweifel, daß Fokkers Pilzfäden ausgestrichene Zellen- kerne sind. Eher zu entschuldigen würde noch die Verwechslung von Mikrokokken mit den Körnchen der granulierten Zellen, insbesondere der von Ehrlich so genannten Mast- zellen, sein. Die Körnchen von manchen dieser Zellen scheinen in einem sehr losen Zu- sammenhange zu stehen ; die Zellen zerfallen beim Ausstreichen auf dem Deckglas leicht, ihre Körnchen werden zerstreut und können dem Weniggeübten das Bild von einzelnen und in Gruppen geordneten Mikrokokken vortäuschen. Ganz besonders große und regel- mäßig entwickelte derartige Zellen kommen im Blut und namentlich in der Milz und Lunge von weißen Ratten, weniger häufig bei weißen Mäusen vor und ich erinnere mich, Präparate aus diesen Organen gesehen zu haben, in denen die intensiv gefärbten Körn- chen der zerdrückten Zellen in solcher Menge über weite Strecken ausgestreut waren, daß dieser Anblick einem enragierten Mikrokokkensucher unzweifelhaft einen Freuden- ruf entlockt haben würde. Aber die Präparate stammten von gesunden Tieren, und bei genauerem Durchmustern derselben fanden sich noch manche unzerstörte Zellen, in denen die Körnchen einen schwach gefärbten Kern umlagerten und sich dadurch als Bestand- teile von granulierten Zellen zu erkennen gaben. Fast immer sind diese Körnchen überdies durch ihre ungleiche Größe, oft auch durch den eigentümhchen Farbenton, den sie an- nehmen, von Mikrokokken zu unterscheiden. Aber auf jeden Fall ist derartigen Befunden gegenüber Vorsicht geboten und, wenn Zweifel bleiben, der Vergleich mit den ent- 1) Zentralblatt für die medizinischen Wissenschaften, 1880, Nr. 44, 1881, Nr. 2. — Weekblad van hed Nederlandsch Tydschrift voor Geneeskunde, 1881, Nr. 4. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 119 sprechenden, von normalen Tieren entnommenen Objekten, sowie mit Schnitten von ge- härteten Teilen, welche die verdächtigen Körnchenhaufen im Zusammenhange und an ihrer natürlichen Lagerstätte zeigen, anzustellen. Mir ist es bislang noch nicht vorgekom- men, daß es nicht möglich gewesen wäre, eine sichere Entscheidung zwischen Mikrokokken einerseits und den Bestandteilen der granulierten Zellen andererseits zu treffen. Um sich aber die erforderliche Erfahrung auf diesem Gebiete zu verschaffen, ist jedem, der sich mit experimentellen Untersuchungen über Infektionskrankheiten be- schäftigt, dringend zu raten, sich mit den Resultaten der Ehrlich sehen Arbeiten über die granulierten Zellen bekannt zu machen. Auch noch aus einem anderen, die Infektionskrankheiten angehenden Grunde möchte ich das E h r 1 i c h sehe Untersuchungsverfahren für wichtig halten. Ehrlich hat den Beweis geliefert, daß Vinter den zelligen Elementen des Blutes, die man im großen und ganzen für gleichwertig hielt, mit Hilfe von Farbstoffen, was ebensoviel sagen will als mit Hilfe chemischer Reaktionen, Unterschiede festzustellen sind, die zu der Vermutung führen müssen, daß diese Unterschiede mit der Abstammung und der physiologischen Bedeutung der Zellen in Beziehung stehen. Was soll nun aber die dif- ferenzierende Färbung der Blutzellen mit den Infektionskrankheiten zu tun haben ? Einfach das, daß bei einer oder mehreren Gruppen von Infektionskrankheiten die Krank- heitserreger möglicherweise in einer den weißen Blutkörperchen ähnlichen, z. B. amöben- artigen Form vorkommen könnten imd daß es in diesem Falle von größtem Wert sein mirde, sichere Unterscheidungsmerkmale zu besitzen, wie sie das Ehrlich sehe Fär- bungsverfahren unzweifelhaft darbietet. Es ist gewiß eine einseitige, wenn auch augen- bhcklich allgemein adoptierte Meinung, daß alle noch unbekannten Infektionsstoffe Bakterien sein müssen. Warum sollen nicht ebensogut auch andere Mikroorganismen ein parasitisches Leben im tierischen Körper zu führen imstande sein ? Daß dies gerade nur amöbenartige Wesen wären, will ich nicht behaupten. Es sind auch andere dem Reiche der Protisten Angehörige verdächtigt). Der Gedanke, daß amöbenartige Ge- bilde eine Rolle als Parasiten spielen könnten, wird nur deswegen so nahe gelegt, weil M Ihre Bestätigung hat diese Vennutung schneller gefunden, als ich crwaiten koinite. v. W i t - tich (Zentralblatt für die medizinischen Wissenschaften, ISSl, Nr. 4) lierichtete vor kinzeni, daß er im Blute von Hamstern Spirillen gefunden habe. Dies veranlaßte mich, gleichfalls das Blut von Hamstern daraufhin zu untersuchen. Von den Tieren, die zu diesem Zwecke angeschafft waren, starb eins spontan am zweiten Tage der Gefangenschaft; es hatte aber auch an diesen beiden Tagen die Symptome eines schweren Erkrauktseins gezeigt und war nicht, wie die von W i 1 1 i c h unter- suchten Tiere, bis unmittelbar vor dem Tode anscheinend gesund. Bei der Sektion fanden sich in den inneren Organen keine Veränderungen, die als Todesiirsache hätten gedeutet werden können. Dagegen fanden sich im Blute sehr zahlreiche Gebilde, welche in ihren Bewegungen durrhaus nicht den Spirillen oder Spirochaeten glichen, sondern mit schlangenartigen Windungen sich zwischen den Blutkörperchen lebhaft vmd schnell bewegten. In einem im hohlen 01)jektträger gehaltenen Blut- tropfen lagerten sich einige dieser Parasiten an den Band und blieben daselbst längere Zeit in voll- kommener Enhe, so daß ihre Gestalt mit Sicherheit erkannt werden konnte. Sie besitzen einen spindelförmigen Leib mit feinkörnigem Inhalt. Im vorderen Teil dieser s]3indelförmigen Ver- dickung liegen meistens ein bis zwei dunklere Körnchen, nach hinten zu geht die S]iindel allmählich in einen lai]gen Faden über, der, wie mir schien, bei manchen Exemplaren in einer Doppelgeißel endet. Mit Spirillen und Spirochaeten haben diese Parasiten offenV)ar gar nichts gemein: nach meiner Ansicht gehören diesell)en in die Klasse der Geißelmonaden und sind höchstwalirscheinlich identisch imt den von Lewis {Quart. Joimi. of microsc. Sc. XIX. 1S79) lieschriebenen fhu/ellatcd organistiis im Rattenblut. Die Färbung mit Bismarckliraun gelingt ziemlich gut inid es finden sich, um sich eine Vorstellung von der Form und Größe dieser monadenartigen Geljilde zu ver.schaffen, unter den dieser Arbeit beigegebenen Photogrammen zwei nach solchen Präparaten angefertigte Bilder. (Tab. XIX, Fig. 79, 80). Später sind noch vier Hamster spontan erkrankt und gestorljen. Auch im Blute dieser Tiere Ijefanden sich jedesmal zahlreiche Geißelmonaden. 120 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. ein ganz frappantes Beispiel aus der Pflanzenwelt vorliegt. Es betrifft dasselbe eine eigentümliche Krankheit der Kohlpflanze, welche lange Zeit den Botanikern ein Eätsel bheb, bis W o r o n i n 1) die Lösung fand. Er wies nach, daß ein wahrscheinlich zu den einfachsten Formen der Myxomyzeten gehöriger Organismus in Gestalt eines farblosen, feinkörnigen Plasmatröpfchens in die Wurzel der Kohlpflanze eindringt. In einer Paren- chymzelle der Wurzel angelangt, vermischt sich der von W o r o n i n als Plasmodiophora hrassicae bezeichnete Parasit mit dem Plasma der Zelle und ist anfangs von dem Zellen- inhalte gar nicht zu unterscheiden. Erst später macht sich seine Gegenwart durch charak- teristische Veränderungen der Zelle bemerklich. (Vgl. Taf. XIX, Fig. 83, 84.) Der weitere höchst interessante Entwicklungsgang der Plasmodiophora interessiert uns hier weiter nicht, um so mehr aber die erste Zeit seines Aufenthaltes in der infizierten Wurzel. Denn, gesetzt den Fall, daß sich in ähnlicher Weise farblose, äußerst kleine ^lasmaklümpchen in die Säftemasse des tierischen Körpers einen Weg bahnten und sich daselbst vermehrten, würde es da wohl viel anders gehen, als in der Wurzel der Kohlpflanze, wo es nicht möghch ist, den Parasiten vom Plasma der Zelle zu differenzieren ? Gewiß würde man im Blute solche Plasmaklümpchen für Bruchstücke oder Zerfallsprodukte weißer Blut- körperchen halten, wenn es nicht gelingen würde, mit feineren Färbungsmethoden eine Unterscheidung zu bewerkstelligen. In W o r o n i n rief das Studium der Plasmodio- phora schon ähnliche Betrachtungen hervor. Er vermutet, ,,daß die Erscheinung und Entwicklung vieler pathologischer Auswüchse und Anschwellungen, die auf dem tierischen Körper vorkommen, durch kleine Myxamöben, die in den lebendigen Organismus ein- dringen, sich zu Plasmodien entwickeln, eine bedeutende Reizung bedingen usw., zustande kommt". Auch E i d a m ^), welcher die Angaben Woronins bestätigt, spricht sich gleich- falls in diesem Sinne aus und hält es für möglich, daß bei manchen ihrer Ätiologie nach noch unaufgeklärten Infektionskrankheiten, bei denen man nach Bakterien vergeblich gesucht hat, Parasiten auftreten könnten, die zunächst sich von den Gewebselementen des Körpers nicht unterscheiden ließen und demgemäß der Plasmodiophora ähnlich verhalten würden. Das Beispiel der Plasmodiophora wurde etwas ausführlicher besprochen, weil es recht dringend mahnt, beim Aufsuchen von belebten Krankheitserregern nicht allein, wie es jetzt durchgängig geschieht, Jagd auf Bakterien zu machen, sondern die Auf- merksamkeit auch auf andere geformte Elemente des Blutes oder des infizierten Organs zu richten. Mikroorganismen in tierischen Geweben. An die im Vorhergehenden geschil- derte Untersuchung von Flüssigkeiten schließt sich unmittelbar diejenige der tierischen Organe selbst an, welche über die Lagerung und Verteilung der pathogenen Organis- men in den Geweben, ihre Beziehungen zu den benachbarten Zellen usw. Auskunft geben soll. Es handelt sich hierbei meistens um Objekte von den geringsten Dimensionen, die nur in sehr dünnen Schnitten des zu untersuchenden Gewebes zu erkennen sind, und man wird sich deswegen mit dem größten Vorteil zur Herstellung der Schnitte des Mikrotoms bedienen. In betreff der weiteren Behandlung der Schnitte mit den Farbstoff - lösungen, das Entwässern, Aufhellen und Einlegen derselben in Kanadabalsam, sowie dgs Nutzens und Gebrauches des Abbe sehen Beleuchtungsapparates muß ich auf ^) Pringsheims .Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik, 11. Bd., 1878. 2) Der Landwirt. Allgemeine landwirtschaftliche Zeitung, 1880, Nr. 97. Zur Untersvichung von pathogenen Organismen. 121 die ausführliche Darstellung verweisen, die ich in meiner Schrift über Wundinfektions- krankheiten gegeben habe'). Derselben habe ich nur wenig hinzuzufügen. Zvmächst möchte ich auch hier wieder daran erinnern, daß die Untersuchung sich nicht ausschließUch auf Bakterien zu richten hat, sondern auch andere möglicherweise vorkommende Mikroorganismen im Auge haben soll. Es ist das schon bei der Vorbereitung, insbesondere bei der Härtung der Gewebsstücke, zu berücksichtigen. Bis jetzt haf sicli die Alkoholhärtung durchweg als das geeignetste Härtungsverfahren für Bakterienpräparate erwiesen; ob sie das aber auch für alle Mikroparasiten ist, das scheint doch mindestens zweifelhaft, und es ist gewiß ratsam, in manchen Fällen auch andere Mittel zur Här- tung, z. B. Chromsäure, Osmiumsäure, in Anwendung zu ziehen. Dann scheint mir noch eine Erfahrung erwähnenswert zu sein, die sich mir bei den Versuchen, die pathogenen Bakterien mit verschiedenen, namentlich mit den so- gleich zu besprechenden braunen Farbstoffen zu tingieren, ergeben hat. Es ist das nämlich das oft ganz verschiedene Verhalten der einzelnen Bakterienarten gegen gewisse Farb- stoffe. Es schiel! anfangs so, als ob alle Bakterienarten in diesem Punkte sich gleich verhielten, aber das ist nicht der Fall; so wie sich die Bakterienarten durch viele andere besondere Eigenschaften voneinander unterscheiden, so auch durch das ihnen zukommende Färbungsvermögen. Um gleich eins der auffallendsten Beispiele dieser Art anzuführen, so färben sich die Rekurrensspirochaeten in der am Deckglas angetrockneten Blutschicht intensiv mit Fuchsin, Methyl violett, Gentiana usw.. während es nicht möglich ist, sie mit denselben Farbstoffen in Schnitten unter Anwendung der Kernfärbung zu tingieren. Nach meinen Versuchen gelingt es dagegen mit brainien Anilinfarben, leider auch nicht sehr kräftig, so daß das Aufsuchen der Spirochaeten in Schnittpräparaten nicht zu den leichtesten Aufgaben gehört. Da es von den meisten überhaupt für unmöglich gehalten wurde, die Spirochaeten in gehärteten Objekten nachzuweisen, so füge ich zum Beweise für ihre Färbbarkeit zwei Photogramme hier bei, die Schnitte aus dem Gehirne eines mit Rekurrens geimpften und auf der Höhe der Krankheit getöteten Affen abbilden (Taf. IX, Fig. 23, 24). Fast in entgegengesetzter Weise verhalten sich die Leprabazillen. Dieselben sind am Deckglas nur ganz frisch zu färben ; schon kurze Zeit nach dem Eintrocknen nehmen sie den Farbstoff nicht mehr an. In Alkohol gehärtet lassen sie sich dagegen durch lange Zeit, mindestens einige Jahre, ausgezeichnet mit Fuchsin, Gentianaviolett usw., sehr schlecht aber mit Anilinbraun färben. Die Mikrokokken färben sich fast sämtlich gleichmäßig intensiv mit blauen, roten und braunen Anilinfarben. Aber bei den Bazillen machen sich wieder Unterschiede geltend. Manche nehmen sämtliche iVnilinfarben kräftig an, andere, z. B. die von E b er th zuerst beschriebenen kurzen Typhusbazillen in geringerem Maße, wenn auch nicht so schwach, als es nach Eberths Schilderung scheinen könnte. (Vgl. Taf. XIV. Fig. 49 — 53.) ^) Nachdem diese Zeilen sehon längere Zeit niedergeschrieben wai-en, kam mir der Aufsatz von Weigert ,,Zur Technik der mikroskopischen Bakterienuntersuchungen"' (Virchows Archiv, Bd. 84, Heft 2) ziu- Kenntnis. W e i g e r t nimmt für sich, und zwar mit Recht, das Verdienst in An- spruch, zuerst die Kernfärbungen auf Bakterienuntersuchmigen angewendet zu haben. Ich halje es bei meiner ersten Veröffenthchung bestimmt ausgesprochen und wiederhole es hier, daß ich die Keimt- nis von der Anwendimg der Kernfärlnmg zum Nachweis von Bakterien in gehärteten Gewebsschnitten Weigert verdanke, und daß nur die zum sicheren Erkennen der gefärbten Bakterien im Gewebe erforderliche Verwendung des A b b ^ sehen Beleuchtungsapparates von mir eingeführt ist. Imidjrigen freut es mich, konstatieren zu können, daß Weigert auf Grund seiner reichen Erfahrungen in bezug auf das Vorkonunen von Bakterien, die mit unseren jetzigen Färbenütteln möglicherweise nicht sichtbar zu machen sind, zu ähnlichen Anschauungen gekommen ist, wie ich sie weiter unten entwickelt habe. 122 Ziir Untersuchung von pathogenen Organismen. Diese Unterschiede im Färbungsvermögen der Bakterien verdienen insofern Be- achtung, als sie teils Beweismaterial für die Verschiedenheit der Bakterienarten in che- mischer Beziehung liefern, teils aber auch zur vorsichtigen Beurteilung negativer Be- funde auffordern, da es nach den vorhegenden Erfahrungen nicht unmöglich scheint, daß die eine oder die andere Bakterienart die jetzt gewöhnlich zur Anwendung kommenden Farbstoffe nicht annimmt. Ein kleiner Kunstgriff beim Färben mag bei dieser Gelegenheit noch erwähnt werden, da er unter Umständen recht hilfreich sein kann. Es läßt sich nämlich durch ein mäßiges Erwärmen der Farbstofflösung die Zeit, innerhalb welcher die Färbung zu- stande kommt, erheblich abkürzen und zugleich eine stärkere Färbung erzielen. Es scheint sogar, als ob einzelne pathogene Bakterien nur auf diesem Wege hinreichend kräftig zu färben sind. Höher als ungefähr 40 — 50° C darf man indessen beim Erwärmen nicht gehen, weil sonst bindegewebsreiche Schnitte einzuschrumpfen anfangen. Photographische Abbildungen von Mikroorganismen. Von der höchsten Bedeutung für die Erforschung der Mikroorganismen ist die photographische Abbildung derselben. Wenn irgendwo eine rein objektive, von jedem Voreingenommensein freie Auffassung notwendig ist, so ist es auf diesem Gebiete. Aber gerade das Gegenteil hat bisher statt- gefunden und es gibt wohl nirgendswo zahlreichere subjektiv gefärbte Anschauungen und infolgedessen mehr Meinungsverschiedenheiten, als in der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen. Niemand wird bestreiten, daß die Verschiedenheit in der Auffassung der Verhältnisse eines und desselben Gegenstandes fast immer darin beruht, daß dieser Gegenstand dem ersten Forscher unter einem anderen Bilde erschien als dem zweiten. Man erinnere sich nur, daß durchweg mikroskopische Gegenstände in Frage stehen und daß beim Mikroskopieren nicht zwei Beobachter zu gleicher Zeit dasselbe Objekt ins Auge fassen und sich darüber verständigen können, sondern daß der eine nach dem anderen den fraglichen Gegenstand zu Gesicht bekommt und, wie jeder Mikroskopiker weiß, schon die geringste Verschiebung der Mikrometerschraube zur Folge hat, daß so kleine Objekte, wie Bakterien, entweder ganz aus dem Gesichtsfelde verschwinden oder mit ganz anderen Umrissen und Schatten erscheinen. Immerhin ist die Verständigung über den gesehenen Gegenstand noch eher ermöglicht, wenn die Beobachtung desselben mit einem und demselben Instrument, also mit der gleichen Beleuchtung, mit demselben Linsensystem und bei derselben Vergrößerung stattfindet. Wenn nun aber die vielen Bedingungen, unter welchen das mikroskopische Bild zustande kommt, verschieden sind, wenn z. B. der eine Beobachter mit einer engen, der andere mit einer weiten Beleuch- tungsblende, der eine mit schwachem, der andere mit starkem Okular usw. seine Unter- suchung vornimmt, oder wenn gar schon die Präparation und Färbung des Objektes ungleich sind, wenn dasselbe ferner in Flüssigkeiten von verschiedenem Brechungsvermögen eingelegt ist, wie kann es da wundernehmen, wenn der eine Mikroskopiker behauptet, einen Gegenstand ganz anders, vielleicht dicker oder dünner, mehr oder weniger glänzend, gesehen zu haben, oder wenn er ihn möglicherweise überhaupt nicht findet und deswegen sein Vorhandensein bestreitet ? Und wie soll in solchen Fällen der Beobachtungsfehler, mag er nun auf der einen oder auf der anderen Seite liegen, unter den vielen vorher angedeuteten Möglichkeiten nachgewiesen werden ? Lag es an der Präparation oder an der Handhabung des Mikroskops, daß die Beobachter über dasselbe Objekt zu ver- schiedenen Resultaten kamen ? Das zu entscheiden wird ohne anderweitige Hilfsmittel fast nie gelingen; ein jeder der Streitenden bleibt natürlich bei seiner Meinung, und die medizinische Wissenschaft weiß nicht, wem sie Glauben schenken soll. Für diese Miß- stände, die sich in der Mikroskopie zum größten Schaden der Wissenschaft schon un- Zur Untei'svichiiiig von pathogenen Organismen. 123 endlich oft geltend gemacht haben, gibt es nur ein Hilfsmittel, das ist die Photo- graphie, die hier vermittelnd, ausgleichend und belehrend zugleich einzutreten hat. Das photographische Bild eines mikroskopischen Gegenstandes ist unter Umständen wich- tiger als dieser selbst. Denn wenn ich jemandem ein mikroskopisches Präparat in die Hand gebe in der Absicht, daß ganz bestimmte Teile desselben, z. B. bakterienführende Lymphgefäße in Augenschein genommen werden sollen, so habe ich nicht die Sicher- heit, daß nun auch wirkHch die richtige Stelle gefunden inid. wenn dies der Fall sein sollte, die richtige Einstellung, Beleuchtung usw. gewählt wird. Die Photographie da- gegen gibt ein für allemal und ohne daß auch nur die geringste Täuschung möglich wäre, das mikroskopische Bild genau in der Einstellung, Vergrößerung und Beleuch- txmg wieder, in der es bei der Aufnahme sich befand. Nichts ist einfacher, als sich über das, was ein Photogramm darstellt, zu verständigen, denn beliebig viele Beobachter können zu gleicher Zeit das bisher nur einem einzelnen zugängliche Bild in Augenschein nehmen, man kann das Objekt, auf welches es ankommt, mit dem Finger bezeichnen, mit dem Zirkel messen, mit anderen danebengelegten Photogrammen desselben oder anderer Objekte unmittelbar vergleichen, kurz alles vornehmen, was zur Verständigung über den streitigen Gegenstand dienen kann. Ein anderer vielleicht noch höher zu veranschlagender Nutzen der Photographie liegt in der strengen Kontrolle, zu welcher sie den Mikroskopiker seinen eigenen Be- obachtungen gegenüber zwingt. Zeichnungen mikroskopischer Gegenstände sind fast niemals naturgetreu, sie sind immer schöner als das Original, mit schärferen Linien, kräftigeren Schatten als dieses versehen, und was macht nicht manchmal gerade eine schärfere Linie oder ein dunklerer Schatten an geeigneter Stelle aus, um dem Bilde eine ganz andere Bedeutung zu geben. Auf die Auswahl des Präparates kommt es ebenfalls bei der Zeichnung nicht an; denn auch von einem schlechten und selbst von einem nicht beweiskräftigen Präparate läßt sich eine korrekte und scheinbar bcAveisende Zeichnung herstellen. Das ist nun selbstverständlich bei der photographischen Abbildung nicht möglich. Hier wird ja der Schatten des Präparates selbst als Bild festgehalten und der mikroskopische Gegenstand zeichnet sich selbst; dabei ist es auch nicht im geringsten möglich, einen verbessernden Einfluß auf die einzelnen Teile des Bildes auszuüben. Es bleibt also nichts übrig, als solche Präparate herzustellen, die nicht allein den eigenen Ansprüchen genügen, sondern auch allseitiger Kritik in bezug auf ihre Beweislvraft Stand zu halten vermögen. Wer Zeichnungen von seinen mikroskopischen Untersuchungs- objekten veröffenthcht, der hat mit der Kritik kaum zu rechnen, denn die Zeichnung wird unwillkürlich schon im Sinne der subjektiven Anschauung des Autors angefertigt. Wer aber ein Photogramm veröffentlicht, der begibt sich damit jedes subjektiven Einflusses auf die Abbildung seines Präparates, er legt gewissermaßen das LTntersuchungsobjekt selbst seinem Publikum vor und läßt letzteres unmittelbar an seiner Beobachtung teilnehmen. Dieses Bewußtsein, das Untersuchungsobjekt im photographischen Bild vervielfältigt der wissen- schaftlichen Welt zur Kritik offen preisgeben zu müssen, zwingt den Mikroskopiker, sich über die Richtigkeit seiner Beobachtung wiederholt Rechenschaft zu geben und das Resultat seiner Untersuchung nicht eher an die Öffentlichkeit zu bringen, als bis er seiner Sache ganz gewiß ist. Eine allgemeine Anwendung der Photographie bei mikroskopischen Arbeiten würde eine große Zahl unreifer Publikationen gewiß verhütet haben. Von welchem Werte die Photographie gerade für Untersuchungen auf dem Ge- biete der Infektionskrankheiten ist, mögen einige wenige Beispiele erläutern. L e w i s 1) hat sich sehr eingehend mit dem Studium der Bakterien beschäftigt ^) The microscopic orgaiiisiH.t jound in fhe hJooä of man cnid (inunrilfi. Kalkutta 1879. 124 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. und unter anderem auch die Rekurrensspirochaeten gelegentlich der in Indien herrschenden Rekurrensepidemie untersucht. Er kam dabei zu dem Resultat, daß die in Indien ge- fundenen Rekurrenspirochaeten dicker seien als die europäischen, die er nach meinen Photogrammen in Cohns Beiträgen beurteilte. Lewis ist als ein gewissenhafter Beobachter bekannt und seine Angaben verdienen volle Berücksichtigung. Die Wissen- schaft hätte sich also in Zukunft mit diesen beiden verschiedenen Rekurrensspirochaeten, den indischen und den europäischen, zu schleppen gehabt und würde auch mit der Mög- lichkeit zu rechnen gehabt haben, die von Lewis angedeutet wird, daß nämlich wegen dieser Verschiedenheit der Spirochaeten die durch sie bedingte Krankheit auch eine verschiedene sei. Glückhcherweise hat nun aber Lewis gleichzeitig Photogramme seiner indischen Spirochaeten veröffentlicht und da klärt sich die angebliche Differenz sofort auf. Man sieht auf den Photographien von Lewis die Blutkörperchen sowohl als die Spirochaeten von den Linien der Interferenzsäume umgeben, ein untrügliches Kenn- zeichen, daß eine im Verhältnis zur Stärke des Lichtes zu kleine Beleuchtungsöffnung bei der LTntersuchung und vermutlich auch bei der maßgebenden Beobachtung gebraucht ist. Ein jeder Mikroskopiker weiß, daß je enger die Beleuchtungsblende ist, um so dunkler und breiter die Konturen der Gegenstände erscheinen, und daß, wenn das Licht zu gleicher Zeit sehr intensiv ist, z. B. wie es wahrscheinlich bei Lewis der Fall gewesen ist, Sonnenlicht gebraucht wird, sofort die dunklen und breiten Ränder des Gegenstandes von den durch Interferenz entstehenden Farbensäumen umgeben werden. Weiter ist aber auch jedem mit den neueren LTntersuchungsmethoden vertrauten Mikro- skopiker bekannt, daß man gefärbteBakterien nicht mit engen Blenden, sondern im Gegenteil mit möglichst weiten beleuchtet, unter Umständen die Blende ganz wegläßt und diffuses Licht anwendet, um die Farbenwirkung vollständig auszunutzen und ganz scharfe, reine Umrisse zu sehen. So sind auch meine Photogramme unter Anwendung diffuser Beleuchtung gemacht und man wird nicht die geringste Spur von Interferenzlinien auf denselben bemerken. Lewis hat also auf meinen Photogrammen den wahren Durch- messer der Spirochaeten, auf seinen zugleich noch den breiten Interferenzsaum mitgemessen. Hätte er nur eine Zeichnung veröffentlicht, auf der bekanntlich Interferenzlinien nicht wiedergegeben werden, dann wäre der Irrtum vielleicht niemals aufgeklärt^). Auch in einem anderen Punkte ist mir erst durch die Photographie Klarheit ent- standen. Wenn ich in den Publikationen von Letzerich Beschreibungen von Plasma- zellen, Plasmakugeln, ausschwärmenden Mikrokokken usw. fand, so konnte ich mir beim besten Willen keine Vorstellung davon machen, was Letzerich eigentlich damit gemeint und was er gesehen hatte, bis die photographischen Abbildungen zu seiner Arbeit über morphologische LTnterschiede von Schistomyzeten erschienen^). Ein Blick auf diese Photographien lehrt sofort, daß die Plasmazellen und Kugeln ganz gewöhnliche heranwachsende Mikrokokkenkolonien sind, die sich in Hausenblasengallerte befinden, also längere Zeit in einer geschlossenen Masse bleiben, als wenn sie in einer Flüssigkeit wären. Schließlich verflüssigt sich die Gallerte und der Mikrokokkenhaufen fällt aus- einander (schwärmt). Uber die Zürn sehen Photographien ^) hatte ich schon früher Gelegenheit mich zu äußern. Sie leiden fast an allen Fehlern, welche bei Mikrophotographien vorkommen ^) Zum Überfluß will ich noch bemerken, daß ich Gelegenheit hatte, auch echte indische Re- kurrensspirochaeten, die ich von Dr. Carter aus Bombay erhalten habe, nach meiner Weise zu photographieren (Taf. IX, Fig. 21), und da zeigen sie sich in der Tat als völlig identisch mit den euro- päischen. (Vgl. auch diese Werke, p. 108. Dort ist der Autorname fälschlich von P. Cohn ,, Lewes" geschrieben. D. Herausgeber.) ^) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie, Bd. 12, Heft 5. 3) l. C. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 125 können, denn ssie entbehren jeder Schärfe, sind größtenteils gar nicht einmal richtig eingestellt, haben sehr ausgeprägte Interferenzlinien und, was am meisten zu rügen ist, sie sind zum Teil retouchiert. Dennoch sind mir diese unvollkommenen Photographien immer noch unendlich mehr wert, als die schönste Zeichnung. Z ü r n s Photographien lehren auf den ersten Blick, was von seinen Angaben über Milzbrand, milzbrandartige Krankheiten und die dabei vorkommenden Bazillen zu halten ist. Trotzdem Zürn be- hauptet, daß die Milzbrandbazillen keine charakteristische Form hätten, so sind selbst an den verschwommenen Bildern der Milzbrandbazillen auf Z ü r n s Photographien sofort und ganz unverkennbar die wirklichen Milzbrandbazillen von anderen Bazillen zu unterscheiden. Wer sich der Mühe unterziehen will, meine Photogramme (siehe Taf. III, Fig. 21 u. 22 dieses Bandes) mit den Z ü r n sehen zii vergleichen, der wird sofort in der Zürn sehen Fig. 4 auf Taf. II die Milzbrandbazillen und in Z ü r n s Fig. 2 und 4 der Taf. I, welche angeblich gleichfalls Milzbrandbazillen sein sollen, die auf meinen Photo- grammen Nr. 22 abgebildeten Fäulnisbazillen erkennen. Bei der Beschreibung dieses letzteren Photogramms habe ich schon damals auf die Gefahr einer Verwechslung dieser einander ähnlichen, aber doch, wie man hier wieder sieht, mit Sicherheit voneinander zu unterscheidenden Bazillen aufmerksam gemacht. Daß jene Warnung gerechtfertigt war, beweist der Z ü r n sehe Fall ; ich kann sie deshall) nur wiederholen und außerdem bezüglich weiterer Details über diesen Gegenstand auf die nachfolgenden Arbeiten über Milzbrand und Septicämie*) verweisen. Wie notwendig die Photographie zur Illustration von Publikationen über Infek- tionskrankheiten ist, sei noch an einem Beispiel erläutert. S e m m e r ^) hat die Wissenschaft durch zahlreiche Mitteilungen über pathogene Bak- terien, die er bei Hundswut, Staupe, Septicämie, Rinderpest, Rotz, T^^phus gefunden haben will, bereichert. Was soll nun aber von S e m m e r s Angaben halten, wenn man die Ab- bildungen seiner pathogenen Bakterien, die zu der zitierten Abhandlung gehören, betrach- tet. Ich will durchaus nicht behaupten, daß S e m m e r überhaupt keine Bakterien vor sich gehabt hat , obgleich seine Figuren ebensogut alles andere als Bakterien vorstellen können, aber was das für Bakterien gewesen vind ob dieselben wirklich als pathogene zu be- anspruchen sind, das scheint mir doch mindestens zweifelhaft, namentlich wenn man die Bakterien der Hundswut mit denen der Wut beim Rinde, und die Milzbrandbakterien, welche fast wie Zahnspirochaeten aussehen, mit den Staupe- und Typhusbakterien vergleicht. Nach dem Gesagten und im Hinblick auf das, was ich über die Untersuchungen von F o k k e r und die Abbildungen S e ra m e r s mitteilte, denen ich noch manch ähnliches beifügen könnte, wird es mir gewiß niemand verargen, wenn ich mich gegen jede Bakterienzeichnung, die ich nicht am Präparat auf ihre Richtigkeit prüfen kann, im höchsten Grade skeptisch verhalte, und ich kann nicht dringend genug an alle, die auf diesem Gebiete arbeiten, die Aufforderung richten, ihre Entdeckungen mit photographi- schen Abbildungen als Beweisstücken zu belegen. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Photographie jede Zeichnung verdrängen solle, das kann und wird sie niemals, und die Zeichnung wird in vielen Fällen unersetzlich sein. Aber wo die Photographie anwendbar ist, und das ist sie, wie die Erfahrvnig gelehrt hat, für Mikroorganismen fast ausnahms- los, da muß sie im Interesse der Sache zur vollen Geltung gebracht werden. Wer sich auf das allerdings schon etwas schwierigere Photographieren von Schnitt- präparaten nicht einlassen will oder kann, der möge einfache Deckglaspräparate von den M Vü-chovvs Archiv, Bd. 70. p. 371. *) R. Koch, Zur Ätiologie des Milzlirandes, diese Werke, p. 171. — Gaffky, Experimentell er- zeugte Septicämie mit Rücksicht auf progressive Virulenz und akkommodative Züchtung. Mitteil, aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Berlin ISSl, Bd. I. — Loeffler. Zur Imnuinitätsfrage. ebondasell)st. 126 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. ihn beschäftigenden Mikroorganismen herstellen, wie sie aus dem Blute ebensogut wie aus dem Gewebssafte eines jeden beliebigen Organs leicht zu gewinnen sind, und selbst photographieren oder photographieren lassen. Dabei ist jedoch nie aus dem Auge zu lassen, daß die Photographie den Gegenstand so wiedergeben soll, wie er bei der gewöhn- lichen Art und Weise des Mikroskopierens erscheint. Es muß also die Beleuchtung genau derjenigen entsprechen, die auch sonst für die vorteilhafteste zum Beobachten des frag- lichen Objektes erkannt ist. Wenn die Zeichnung auf Diatomazeenschalen im direkten Sonnenlicht und bei schiefer Beleuchtung am besten zu sehen ist, dann wird sie auch unter denselben Beleuchtungsverhältnissen am besten zu photographieren sein. Gefärbte Bakterien untersucht aber niemand in direktem Sonnenlichte, also soll man sie auch nicht in solchem photographieren. Um von gefärbten Objekten gute Photographien zu erhalten, müssen vor allem drei Bedingungen erfüllt werden. Das Präparat muß in den Teilen, welche auf dem Bilde besonders hervortreten sollen, z. B. Bakterien, Zellenkernen, möglichst intensiv mit einer solchen Farbe imprägniert sein, die das blaue Licht nicht durchläßt und auf die lichtempfindliche Schicht also ebenso wie eine alles Licht absorbierende schwarze Farbe wirkt, und das sind vorwiegend gelbe und braune Farben. Die richtige Auswahl der Farben läßt sich sofort beurteilen, wenn das gefärbte Präparat in monochromatischem blauen Lichte, z. B. in solchem Lichte, welches eine Lösung von Kupferammoniak passierte, betrachtet wird, dann müssen die Zellenkerne, Bakterien usw. mehr oder weniger kräftig schwarz auf blauem Grunde erscheinen. Starke Vergrößerungen können nur mit Hilfe von Sonnenlicht erzielt werden, doch ist aus den mehrfach auseinandergesetzten Gründen das unmittelbar auf das zu photographierende Objekt projizierte Sonnenlicht für unsere Zwecke nicht vorteil- haft und es muß deswegen durch eine oder mehrere matte Scheiben zerstreut werden. Das dritte Erfordernis ist eine derartige Konstruktion des Kondensors oder Be- leuchtungsapparates, daß das zerstreute Sonnenlicht in einem möglichst breiten Licht- kegel das Objekt von allen Richtungen her hell beleuchtet und das Strukturbild nicht zur Geltung kommen läßt. Im Grunde genommen sind dies dieselben Bedingungen, welche zur Erzielung des optisch am besten erscheinenden Bildes angewendet werden, und nur wer für die Photographie nicht das geringste Verständnis hat, kann darin etwa beson- dere Kunstgriffe argwöhnen, mit Hilfe deren sich mehr photographieren ließe, als in Wirkhchkeit vorhanden ist. Aber auch bei der weiteren Behandlung der Negative und der Herstellung der Abdrücke vergesse man nie, daß das photographische Bild nicht allein eine Illustration, sondern in erster Linie ein Beweisstück, gewissermaßen ein Dokument sein soll, an dessen Glaubwürdigkeit auch nicht der geringste Zweifel haften darf. Also würde jede und sei es auch die unbedeutendste Retouche des Negativs oder des Abdruckes demselben seinen ganzen Wert rauben. Es ist das eigentlich so selbstverständlich, daß man kaum ein Wort darüber verheren sollte. Aber weil dennoch retouchierte Mikro- photographien veröffentlicht wurden, so war es notwendig, diesen Punkt zur Sprache zu bringen und ein für allemal gegen die Verwertung retouchierter Negative auf das ener- gischste zu protestieren. Die hohe Bedeutung, welche die Mikrophotographie in meinen Augen hat, ver- anlaßte mich, dieselbe möglichst für meine LTntersuchungen nutzbar zu machen, und nach- dem es gelungen war, die am Deckglas angetrockneten Bakterien zu photographieren, auch die noch in den Geweben lagernden Bakterien, also in Schnittpräparaten, ebenso abzubilden. Da es nicht ganz leicht ist, eine gute braune Kern- und Bakterienfärbung zu erzielen, so ging mein Bestreben anfangs dahin, vermittels Trockenplatten und ein- geschalteter entsprechend farbiger Gläser blau und rot gefärbte Präparate zu photo- Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 127 graphieren. Doch mußte dieses Vorhaben nach vielen vergebhchen Versuchen aufgegeben und das andere an den Deckglaspräparaten schon bewährte Verfahren, die Objekte braun zu färben, aufgenommen werden. In manchen Fällen gibt dasselbe ausgezeichnete Re- sultate, in anderen wieder läßt es der Blau- oder Rotfärbung gegenüber noch viel zu wünschen übrig und bedarf noch der Verbesserung. Um aber eine Anschauung von dem zu geben, was sich auf diesem Gebiete vorläufig leisten läßt, werde ich im Anschlüsse an diese. Arbeit aus meiner Sammlung von Negativen eine Anzahl von Beispielen ver- öffentlichen, die nicht allein als Photogramme, sondern zugleich auch durch den Gegen- stand, den sie darstellen, das Interesse zu beanspruchen geeignet sein dürften. r Übertragbarkeit der pathogenen Mikroorganismen. Durch die bisher besprochenen Verfahren wird überhaupt das Vorhandensein der Mikroorganismen im tierischen Körper nachgewiesen, und wenn die Untersuchung ergeben hat, daß die Parasiten in großer Menge vorhanden sind oder daß sie Reizzustände, Nekrose usw. der betroffenen Gewebe ver- anlaßt haben, dann wird dadurch ihre pathogene Eigenschaft festgestellt. In zweiter Linie interessiert uns nun aber die Frage, ob die als pathogen erkannten Mikroorganismen auch infektiös, von einem Körper auf den anderen übertragbar sind. Die beiden Be- griffe pathogen und infektiös dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Man kann sich recht gut Organismen vorstellen, welche imstande sind, in den tierischen Körper einzuwandern und denselben krank zu machen, also pathogen sind, aber nicht die Fähig- keit besitzen, vuimittelbar von einem Körper auf einen anderen überzugehen und diesen ebenfalls krank zu machen, zu infizieren. Vorausgesetzt, daß Intermittens eine Bakterien- krankheit ist, was allerdings noch weiterer Beweise bedarf, dann würde sie ein vortreff- liches Beispiel für die Existenz eines pathogenen, aber nicht infektiösen Mikroorganis- mus abgeben. Die Eigenschaften pathogen und infektiös decken sich also nicht, und wenn ein Parasit als pathogen erkannt ist, dann muß außerdem noch exj^erimentell be- stimmt werden, ob er zugleich übertragbar ist oder nicht. Das hierzu dienende Verfahren wird sich, wenn es sich den Erfolg sichern will, möglichst an die in der Natur vorkommen- den Verhältnisse anschließen müssen, eine Regel, die in den ersten Zeiten der experi- mentellen Bearbeitung der Infektionskranlcheiten und vielfach auch noch heutzutage außer acht gelassen wurde. In der primitivsten Weise hat man versucht. Krankheiten, die bisher nur beim Menschen beobachtet sind, auf Hunde, Katzen, Kaninchen und Meer- schweinchen zu übertragen und ähnliches. Allmählich hat indessen die Erfahrung gelehrt, daß es durchaus nicht gleichgültig ist, welche Tierspezies zu den Infektionsversuchen gewählt wird und daß überdies die Art und Weise der Ubertragimg vom größten Ein- fluß auf das Gelingen des Experimentes ist. Alle diese Verhältnisse eingehend zu be- handeln, würde hier zuweit führen, und es können nur die wesentlichsten Gesichts- punkte kurz hervorgehoben werden, um die Grundsätze zu kennzeichnen, nach denen bei unseren Arbeiten verfahren wurde. Was die Wahl der Versuchstiere betrifft, so ist es zweckmäßig, zunächst Tiere «lerselben Art zu nehmen, wie die, von denen das Infektionsmaterial herstammt. Nur wenn sich dies nicht ausführen läßt, sind verwandte Arten zu gebrauchen. Handelt es sich um menschliche Infektionskrankheiten, dann ist gleichfalls auf die dem Menschen nächststehenden Tiere, die Affen, zu greifen, wie das schlagende Beispiel von Rekurrens lehrt, der sich bislang auf keine andere Tierspezies als auf Affen, auf diese aber mit Leich- tigkeit und Sicherheit, übertragen läßt. Bei der Übertragung des Infektionsstoffes auf Individuen der gleichen oder verwandten Arten darf das Experiment aber nicht stehen bleiben: es ist im weiteren die Reaktion möglichst vieler verschiedener Tierarten gegen den Infektionsstoff zu prüfen. Man wird dabei ganz eigentümlichen, für das Studium der 128 Zur Untersuchiing von pathogenen Organismen. betreffenden Infektionskrankheit wichtigen Abweichungen in der Wirkungsweise der parasitären Organismen begegnen. Es gibt Tierarten, die in der promptesten Weise und ausnahmslos auf den ihnen beigebrachten Ansteckungsstoff reagieren; andere wieder verhalten sich mehr oder weniger immun dagegen. Auch in bezug auf die Verbreitung im Tierkörper finden sich Verschiedenheiten; denn dieselben Bakterien, die bei einer Tier- spezies sofort eine tödliche Allgemeinkrankheit bewirken, können bei einer anderen eine lokal beschränkte, nicht tödliche Affektion hervorrufen. Höchst lehrreiche Beobach- tungen lassen sich bei solchen Versuchen anstellen über die außerordentliche Empfind- lichkeit der pathogenen Bakterien gegen den Nährboden, auf dem sie zu gedeihen ver- mögen, oder den sie verschmähen. Innerhalb derselben Tierklasse, z. B. bei den Nage- tieren, gelingt die Infektion bei einigen, bei anderen wieder nicht. Bei einer früheren Gelegenheit konnte ich auf ein sehr auffallendes Beispiel dieser Art hinweisen, auf das leichte Gelingen der Infektion der Hausmäuse mit den kleinen Bazillen der Mäusesepti- cämie, während es nicht möglich war, eine Feldmaus durch denselben Parasiten zu töten'). Das klingt ganz paradox, und dennoch ist diese Tatsache durch vielfache Experi- mente festgestellt und später durch zahlreiche ähnliche Beobachtungen auf andere Fälle ausgedehnt. Um nur einige herauszugreifen, so sind Mäuse so empfindlich für Milzbrand- infektion, daß sie als ein ganz sicheres Reagens auf die Wirksamkeit der Milzbrand- baziUen gebraucht werden können. Ratten dagegen sind gegen Milzbrand mehr oder weniger immun. Die Septicämie der Kaninchen tötet Kaninchen und Mäuse mit abso- luter Sicherheit, Meerschweinchen und Ratten läßt sie unberührt, läßt sich aber noch auf Sperlinge und Tauben sehr leicht übertragen. Sehr merkwürdig ist in dieser Be- ziehung auch das verschiedene Verhalten von Tieren derselben Gattung, aber von ver- schiedenem Alter, was ganz besonders bei den Milzbrandinfektionen schon mehrfach beobachtet und von verschiedenen Autoren erwähnt ist. Sehr junge Hunde sind an- scheinend ziemlich leicht mit Milzbrand zu infizieren, alte fast gar nicht. Ähnlich verhalten sich die Ratten zum Milzbrand. Dasselbe kehrt bei der Mäusesepticämie wieder, welche, auf ganz junge Kaninchen veriinpft, eine Allgemeininfektion bewirkt, ganz wie bei Mäusen, und die Tiere tötet, bei älteren Tieren nur eine Lokalaffektion hervor- zubringen vermag. Eine eingehendere Besprechung dieser höchst interessanten Verhält- nisse wird in den hierauf bezüglichen Arbeiten gegeben werden. An dieser Stelle wollte ich sie nur erwähnen, um zu zeigen, wie wichtig eine richtige Auswahl der Versuchs- tiere ist. Vornehmlich gilt das von den augenblicklich so sehr in den Vordergrund ge- drängten Immunitätsversuchen, und es braucht nach dem Vorhergesagten wohl nur einer Andeutvmg, welche Irrtümer entstehen können, wenn bei solchen Versuchen junge und alte Tiere untereinandergemischt ohne weiteres Bedenken Infektions ver- suchen unterworfen werden, gegen welche die älteren Tiere möglicherweise an sich schon immun waren. Die besondere Vorliebe der pathogenen Bakterien für bestimmte Tierspezies er- innert an das ähnliche Verhalten der Parasiten überhaupt, die oft in der eigensinnigsten Weise sich auf eine einzige Art von Pflanzen oder Tieren als ihren Wirt beschränken. Für die höher organisierten Parasiten sind dies so bekannte Tatsachen, daß sie fast als selbstverständlich hingenommen werden. Deswegen wird auch niemandem einfallen, bei- spielsweise mit Bandwürmern in Wasser Züchtungsversuche anzustellen, weil Verwandte der Bandwürmer im Wasser leben. Ist es denn aber nicht fast dasselbe Unternehmen, wie Bandwurmzucht im Wasser, wenn, wie man noch tagtäglich zu hören und zu lesen bekommt, Züchtungs versuche mit den empfindlichsten Mikroparasiten ganz stereotyp in Cohn scher oder P a s t e u r scher Nährlösung gemacht werden ? Nicht genug ist Diese Werke, p. 86. D. Herausgeber. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 129 allen, welche Kulti;rversuche mit pathogenen Organismen anstellen wollen, die Berück- sichtigung dieser Verhältnisse anzuraten. Eine nicht geringere Beachtung verdient die Art luid Weise, in welcher die Über- tragung des Infektionsstoffes ausgeführt wird. Das am meisten geübte Verfahren ist die Impfung. Wir sind gewöhnt, unter Impfung eine sehr kleine, oberflächliche Verletzung der Oberhaut mit nachfolgender Applikation des Impfstoffes zu verstehen, und es ist dementsprechend schon keine eigentliche Impfung mehr, wenn die Verletzung die Oberhaut durchdringt und sich in das subkutane Gewebe erstreckt. In der Neuzeit scheint man aber den Begriff Impfung nicht mehr so eng zu begrenzen, man nennt jetzt alles mögliche Impfung, und besonders stark sind die französischen Experimentatoren darin, unter dem Ausdruck Vakzination die verschiedensten Arten der subkutanen, intravenösen und anderer Methoden der Über- tragung zu subsummieren. Eine solche Begriffserweiterung würde nichts auf sich haben, wenn sie nicht zugleich eine Begriffsverwirrung wäre, wie in diesem Falle; denn diese verschiedenen Arten der Übertragung von Infektionsstoffen sind durchaus nicht in ihrem Effekt gleichartig. Eine Impfung kann unter Umständen, wie das in einer anderen Arbeit zur Sprache kommende Beispiel der Bazillen des malignen Ödems (der sogen. Vihr.ions septiques) lehrt, auch bei Verwendung desselben Materials eine ganz andere Wir- kung haben als eine subkutane Injektion. Auch auf die Menge des einverleibten Infek- tionsstoffes wird meistens viel zu wenig Gewicht gelegt. Nur wenn ganz geringe Quantitäten zur Verwendung kommen, kann die störende Nebenwirkung gelöster, ehemisch wirkender Stoffe, die eine Intoxikation anstatt der beabsichtigten Infektion hervorrufen könnten, vermieden werden. Allerdings gibt es auch pathogene Bakterien, die in größerer Menge appliziert werden müssen, um Wirkungen damit hervorzubringen. Um so mehr ist es geboten, bei Übertragungsversuchen nacheinander die allerver- schiedensten Verfahren in Anwendung zu ziehen, aber auch bei der Beschreibung des Experimentes niemals die genaue Angabe des Infektionsmodus, ob einfache Impfung, ob subkutane Injektion, Transplantation usw., zu unterlassen. Wenn in den nachfolgenden Arbeiten von Impfung die Rede ist, dann handelt es sich immer nur um eine wirkliche Impfung. Sobald irgendein anderes Verfahren ange- wendet wurde, ist dasselbe so bezeichnet, daß über die Art der Übertragung kein Zweifel bleiben kann. Über einige Infektionsverfahren habe ich noch ein paar kurze Bemer- kungen zu machen. An Mäusen ist eine wirkliche Impfung kaum ausführbar, höchstens gelingt am Ohr eine so minimale Verletzung, daß sie einer rein kutanen Verletzung gleichzusetzen ist. Jeder nur einigermaßen kräftige Einschnitt in die Haut dringt schon in das sub- kutane Gewebe und sollte eigentlich als subkutane Applikation bezeichnet werden. Auf keinen Fall ist es noch als einfache Impfung anzusehen, wenn man, wie es z. B. zur Untersuchung der Erde auf Infektionsstoffe unter Umständen erforderlich ist, eine taschenförmige Hautwunde anlegt und in diese das Infektionsmaterial bringt. In diese selbe Kategorie würde die Infektion durch subkutan beigebrachte Bandstückchen und ähnliche Verfahren gehören, auf die ich noch bei einer anderen Gelegenheit zurück- kommen werde. Selbstverständhch müssen aUe bei dem Infektionsversuche gebrauchten Instru- mente einer zuverlässigen Desinfektion unterworfen werden, die nach meinen Erfah- rungen in diesem Falle nur durch längeres Erhitzen auf 150" C und darüber erreicht werden kann. Oft liest man, daß mit Alkohol, Karbolsäure und dergleichen desinfiziert wurde. Aber wie unzuverlässig diese Substanzen sind, geht aus den später zu beschreiben- den Desinfektionsversuchen mit Milzbrandsporen hervor. Es bleibt also nichts übrig, Koch , Gesammelte Werke. 9 130 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. als durch hohe Hitzegrade zu desinfizieren. Für manche Instrumente, Messer, Nadeln usw. bietet das gar keine Schwierigkeiten, sie werden einfach ausgeglüht. Aber etwas umständlicher ist die Desinfektion der zur subkutanen Injektion gebrauchten Spritzen. Die gewöhnlichen, selbst aus Metall und Glas konstruierten Spritzen werden durch eine mehrstündige Temperatur von 150 ° C ganz unbrauchbar, und geringere Hitzegrade genügen zur sicheren Desinfektion durchaus nicht. Ich kann mich der Meinung nicht verschließen, daß an diesem Hindernis manches Experiment gescheitert und manches unerklärliche Resultat von subkutanen Injektionen auf eine ungenügende Desinfektion der Spritzen zurückzuführen ist. Zu unseren Infektionsversuchen wurden deswegen, um jedem solchen Einwände zu begegnen, besonders konstruierte Spritzen gebraucht. An denselben ist die Metallfassung mit dem Glaszylinder durch ein in das Glas einge- schliffenes Schraubengewinde verbunden und diese Verbindung durch ein durchbohrtes Korkplättchen dicht gemacht, welches letztere, sobald es erforderlich ist, gewechselt wird. Der Stempel wird durch Faden und Watte so lange umwickelt, bis er vollkommen schließt. Vor jedem Gebrauch wird die Spritze in einem Trockenkasten ein oder meh- rere Stunden auf 150 ° C erhitzt und dann der Stempel mit im Dampf kochtopf steri- lisiertem destillierten Wasser angefeuchtet. Bei diesen Maßregeln ist eine Verschleppung des Infektionsstoffes von einem zum anderen Experimente durch die Spritze ganz unmöglich. Für alle Fälle, in denen die lokale Wirkung des Infektionsstoffes beobachtet werden soU, sind Impfungen am Ohr, auf der Kornea und Transplantationen in die vordere Augenkammer besonders vorteilhaft. Eine spezielle Beschreibung der hierbei üblichen Verfahren scheint mir, da sie schon fast überall eingebürgert sind, nicht erforderlich. Die künstliche Infektion durch Inhalation ist mehrfach versucht, aber leider bis jetzt noch kein einwurfsfreies Verfahren dafür gefunden. Bei Inhalation durch Tracheal- f istein blieb die Infektion von der Tracheal wunde, bei der Inhalation durch Mund oder Nase das gleichzeitige Verschlucken des Infektionsstoffes, und bei der von B u c h n e r ausgeübten Einstäubung des ganzen Tieres die Infektion von irgendeiner kleinen Ver- letzung am Köper nicht ausgeschlossen. Es wäre sehr erwünscht, wenn für diesen Infek- tionsweg recht bald ein zuverlässiges Verfahren entdeckt würde. Bei aUen Infektionsversuchen sollte es zu einer unerläßlichen Bedingung gemacht werden, daß man sich nicht auf einen einzigen Versuch beschränkt und es niemals an den erforderlichen Kontrollversuchen fehlen läßt. Wie oft begegnet man noch Angaben, daß irgendeine verdächtige Substanz oder Flüssigkeit einem Tiere eingeimpft oder sub- kutan eingespritzt wurde, daß das Tier erkrankte, möglicherweise auch starb, und es gUt dann als ganz selbstverständhch, daß der Tod infolge der Impfung und auch der fraglichen Infektionskrankheit eingetreten sei. Und doch liegt es auf der Hand, daß ein einziges solches Experiment so gut wie gar nichts beweist. Zunächst muß nachgewiesen werden, daß der einmalige Erfolg nicht ein scheinbarer oder zufälliger war, und daß die Impfung auch jedesmal oder doch in einer solchen Anzahl von Fällen Krankheit oder Tod der Versuchstiere bewirkt, daß jeder ZufaU ausgeschlossen ist. Dann aber, und darauf muß ich ganz besonderen Wert legen, weil hiergegen schon sehr oft gefehlt ist, muß unter allen Umständen erst noch der Nachweis geliefert werden, daß es sich über- haupt um einen wirklichen Infektionsstoff handelt. Damit, daß irgendein Stoff, wenn er subkutan oder intravenös appliziert oder in die Bauchhöhle oder sonstwie dem Körper zugeführt wird, eine pathogene Wirkung äußert, ist seine infektiöse Eigenschaft noch nicht im mindesten erwiesen. Ähnliche Wirkungen können auch nicht organisierte, lösliche Substanzen äußern. Erst wenn die Übertragung von einem Individuum auf andere vermittels solcher Quantitäten des Impfstoffes gelingt, daß damit seine Repro- duktion, seine Vermehrung in dem erkrankten Körper nachgewiesen ist, erst dann kann Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 131 diese Substanz als infektiös angesehen werden. Es folgt also daraus, daß, wer beweisen will, daß er mit einem Infektionsstoff experimentierte, es unmöglich bei einem Versuche bewenden lassen kann, sondern eine mehr oder weniger lange Reihe von fortlaufenden Übertragungen, von einem Versuchstiere auf das zweite, von diesem auf das dritte usw. ausführen muß, wenn er sich nicht dem berechtigten Einwände aussetzen wiU, daß er es gar nicht mit einer Infektionskrankheit, sondern mit einer Intoxikationskrankheit zu tun gehabt habe. Reinkultur. Nachdem das Vorhandensein der pathogenen Mikroorganismen im tierischen Körper, nachdem ferner ihre Reproduktionsfähigkeit im Körper und ilire Übertragbarkeit auf andere Individuen festgestellt, bleibt noch die wichtigste und die gerade die Hygiene am meisten interessierende Aufgabe, ihre Lebensbedingungen zu erforschen. Wie schon im Eingange dieser Arbeit hervorgehoben wurde, ist diese Aufgabe nur mit Hilfe der Reinkultur zu lösen, und deswegen ist es nicht zuviel gesagt, daß in der Reinkultur der Schwerpunkt aUer Untersuchungen über Infektionskrankheiten liegt. Weil man die Wichtigkeit der Reinliultur schon längst begriffen, so haben sich alle, welche auf dem Gebiete der Infektionskrankheiten forschen, die erdenklichste Mühe ge- geben, die Methoden der Reinkultur zu vervollkommnen. Die Resultate der neueren und neuesten Arbeiten beweisen aber auf das evidenteste, daß man über die ersten schwachen Versuche nicht weit hinausgekommen ist. Man hat höchstens gelernt, die allergröbsten Irrtümer abzustreifen, und auch diese nicht einmal immer. Das Wesentlichste der Reinkultur, wie sie derzeit gehandhabt wird, läßt sich un- gefähr in folgender Weise zusammenfassen. In ein desinfiziertes Gefäß, das mit desinfizierter Watte ,, pilzdicht" verschlossen ist, wird eine sterilisierte passende Nährflüssigkeit gebracht und diese mit der Substanz, welche die rein zu kultivierenden Mikroorganismen enthält, geimpft". Aus dem ersten Gefäß kann, wenn eine Vermehrung derselben stattgefunden hat, die Weiterimpfung vermittels desinfizierter Instrumente auf ein zweites ebenso präpariertes Gefäß ausgeführt werden usw. Kurz, es ist fast der nämliche Vorgang wie bei Fortpflanzung einer Infek- tionskrankheit von einem Tiere auf ein anderes. Es werden selbstverständlich dabei einige Voraussetzungen gemacht, und zwar erstens, daß das Kulturgefäß wirklich desinfiziert ist. Aber wie harmlos man sich dieses Desinfizieren mitunter vorgestellt hat, beweist der Streit Pasteurs und Bastians über die Urzeugung und die bekannte Frage des ersteren an letzteren: ,,Flambez-vous vos vases avant de vous en servirV^), welche von Bastian verneint werden mußte. Zweitens, daß die desinfizierte Watte auch in der Tat pilzdicht schheßt, was nach den Untersuchungen von N a e g e 1 i -) nicht als für alle Fälle gültig anzunehmen ist. Drittens, daß die Nährflüssigkeit zu gleicher Zeit passend und sterilisiert ist. Was unter einer passenden Nährflüssigkeit zu verstehen und daß dieselbe nicht immer so leicht zu beschaffen ist, darüber habe ich mich schon früher ausgesprochen. Hier soll von der Annahme ausgegangen werden, daß eine passende Nährlösung gefunden und dieselbe nur noch zu sterilisieren sei. Mit welchen Schwierigkeiten und welchen Gefahren für das Gelingen des Experimentes diese Arbeit verknüpft ist, kennt jeder, der mehrfach Gelegenheit gehabt hat, mit Heuinfus, Fleischextrakt- oder Malzextraktlösungen als Nährflüssigkeiten zu arbeiten. Kleine Quantitäten solcher und ähnlicher Nährlösungen lassen sich in geeigneten Apparaten ziemlich sicher sterilisieren, aber wie schwierig es wird, größere Mengen derselben frei von entwicklungsfähigen Bakterienkeimen zu machen, ^) Bidleün de VAcademic de med., 1879. p. 1230. ^) Über die Bewegungen kleinster Körperchen, 1879. 9* 132 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. das ist aus einigen Versuchsreihen zu ersehen, welche in der Arbeit über Desinfektion mit Wasserdämpfen beschrieben sind (vgl. diese Veröffentlichung')). Viertens, daß die Impfsubstanz keine anderen als die rein zu kultivierenden Mikro- organismen enthält. Wenn auch nur eine sehr geringe Verunreinigung der Impfsubstanz mit einer sich schneller vermehrenden Art von Organismen besteht, als diejenigen sind, welche rein kultiviert werden sollen, kann niemals, wie B u c h n e r treffend nachge- wiesen hat, die beabsichtigte Reinkultur gelingen. Buchner hat sich deswegen, um ein reines Ausgangsmaterial für seine Versuche mit Milzbrandbazillen zu gewinnen, einer eigentümlichen Methode bedient. Er infizierte die Nährlösungen mit so weit verdünnter Milzbrandsubstanz, daß nach ungefährer Berechnung nur ein Bazillus in das Kultur- gefäß kam, und schloß dann aus dem charakteristischen makroskopischen Aussehen der sich entwickelnden Kultur, daß die Reinkultur gelungen sei. Nun werde ich aber später zu zeigen haben, daß es Bazillen gibt, die in Nährflüssigkeiten sich makroskopisch genau so entwickeln wie die Milzbrandbazillen, und wenn sie zufällig mit letzteren vermischt vorkämen, durch das B u c h n e r sehe Verfahren nicht zu unterscheiden sein würden. Ganz unmöglich würde sich dies Verfahren auf solche Bakterien anwenden lassen, die in der Nährlösung keine charakteristischen Formen erkennen lassen, sondern vielleicht nur eine einfache Trübung, wie so viele andere Bakterien auch, bewirken. Die Schwierigkeit, ein vollständig reines Material zur Aussaat zu beschaffen, bleibt also für die große Mehr- zahl der Fälle bestehen und wird für dieselben mit den jetzt üblichen Methoden der Rein- kultur überhaupt nicht zu beseitigen sein. Fünftens, daß bei der ersten Impfung und ebenso bei jeder folgenden Weiter- impfung keine Keime von fremden Organismen aus der Luft in die Kulturflüssigkeit geraten ; eine Gefahr, gegen die der Experimentierende, auch wenn er den schützenden Wattepfropf nur ganz kurze Zeit lüftet, niemals mit Sicherheit seine Reinkulturen be- wahren kann. Wenn die erste, zweite und dritte Umzüchtung auch noch gelungen sind, so wächst doch mit der Zahl der Weiterimpfungen die Wahrscheinlichkeit, daß einmal eine Verunreinigung der Kultur eintreten wird. Um dieser Eventualität soviel als möglich zu begegnen, setzt man gewöhnlich die Reinkultur gleichzeitig in mehreren Proben fort und impft nur von derjenigen weiter, die, wie der Augenschein oder eine mikroskopische Prüfung lehrt, rein geblieben ist. Leider kann man sich aber auch darauf nicht verlassen. Denn wie unsicher die makroskopische Unterscheidimg von derartigen Kulturen ist, habe ich schon oben angegeben, und die mikroskopische kann immer nur Auskunft darüber geben, ob das Tröpfchen, welches als Probe entnommen und zwischen Objektträger und Deckglas gebracht wurde, von fremden Beimischungen frei ist, und auch selbst, wenn in diesem Tröpfchen schon vereinzelte andere Mikroorganismen vorhanden sind, wie soll man sie unter der Menge der Reingezüchteten mit Sicherheit herausfinden ? Gerade die ersten Anfänge der Verunreinigung lassen sich also weder makroskopisch noch mikros- kopisch unzweifelhaft erkennen, und wenn nun zufällig die Weiterimpfung von einer solchen vermeintlich reinen, aber in Wirklichkeit schon unreinen Kultur gemacht wird und die eingedrungenen Organismen den gezüchteten in der Entwicklungsfähigkeit überlegen sind, dann ist die weitere Reinkultur unrettbar verloren; schon in der nächsten Generation wird das Mikroskop kaum noch einen Zweifel über die Verunreinigung lassen, aber diese Einsicht kommt zu spät, weil es unmöglich ist, die nun schon massenhaft vorhandenen ungebetenen Gäste wieder loszuwerden. Um einigermaßen Sicherheit bei der Durchführung einer längeren Reihe von Rein- kulturen in Nährlösungen zu gewinnen, gibt es nach meiner Erfahrung nur ein Aus- kunftsmittel, dessen ich mich auch bei meinen früheren Versuchen und namentlich bei ^) Diese Werke, p. 360 ff. D. Herausgeber. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 133 den Untersuchungen über die Entwicklung der Milzbrandbazillen bedient habe. Es be- steht dasselbe darin, die Menge der Kulturflüssigkeit auf ein so geringes Maß zu be- schränken, daß sie in ihrem ganzen Umfange mit dem Mikroskop übersehen und auf die Reinheit kontrolliert werden kann. Die Ausführung geschieht in der Weise, daß eine Anzahl von Glaszehen, die aus einem hohlen Objektträger und Deckglas gebildet werden, mit einem Tröpfchen Nährlösung versehen werden, und zwar befindet sich die Flüssig- keit an der Unterseite des Deckglases und muß zu einer recht flachen Schicht ausgebreitet sein, damit sie mit dem Mikroskop auch bei einer Vergrößerung, wie sie zur Bakterien- untersuchung erforderlich ist, noch vollständig übersehen werden kann. An den Rand der Nährflüssigkeit wird dann die Aussaat gebracht und die Weiterentwicklung und das Rein- bleiben der Kultur- von Zeit zu Zeit mit dem Mikroskop verfolgt. Wenn die Beschickung der Glaszellen und die Impfung mit einiger Geschicklichkeit und nicht zu langsam ge- macht wird, dann kann man mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß mindestens die Hälfte, meistens noch mehr von den angesetzten Kulturen rein geblieben und zur Weiterzüch- tung geeignet sind. Leider läßt dieses Verfahren, das für Kulturen der leicht kenntlichen Milzbrandbazillen sich gut bewährt, ebenfalls im Stich, wenn sehr kleine und wenig charakteristisch geformte Mikroorganismen rein kultiviert werden sollen. Weitere Mängel dieses Verfahrens sind, daß den zu kultivierenden Organismen nur ein geringer Vorrat an Luft geboten werden kann und daß die gasförmigen Zersetzungsprodukte, die hemmend auf die Weiterentwicklung der Kultur wirken, sich in dem engen Räume anhäufen. Des- wegen ist diese Methode auch nur in vereinzelten Fällen anwendbar. Im Ganzen genommen sieht es also mit den Reinkulturen recht traurig aus und nie- mand, der in der bisher üblichen Weise Züchtungen von Mikroorganismen unternommen und nicht alle die von mir angedeuteten Fehlerquellen ganz sicher vermieden hat (was nach meiner Überzeugung überhaupt unmöghch ist), darf sich beklagen, wenn die Resultate seiner experimentellen Forschung unter den derzeitigen Verhältnissen nicht als auf exaktem Wege gewonnen und daher nicht als beweiskräftige von der Wissenschaft an- erkannt werden. Am meisten dürfte das Gesagte wohl auf die allerdings mit einem anerkennenswerten, aber zugleich blinden Eifer ausgeführten Arbeiten Anwendung finden, die jetzt in Masse aus der P a s t e u r sehen Schule hervorgehen und in Reinkulturen von Organismen der Hundswut, Schafpocken, Lungenseuche usw. Unglaubliches leisten. Die Reinkultur ist, wie schon mehrfach betont wurde, für die weitere Ausbildung der Lehre von den pathogenen Organismen und allem, was damit zusammenhängt, ganz unentbehrlich, und in irgendeiner Weise muß Rat geschafft werden, um eine leicht zu handhabende und exakte Methode derselben zu erlangen. Auf dem jetzt eingeschla- genen Wege scheint mir keine Aussicht für eine ausreichende Verbesserung vorhanden zu sein. Man hat versucht, die Impfungen und Weiterimpfungen unter dem Schutze eines antiseptischen Spray zu machen. Es ist nicht unmöglich, daß dadurch einzelne in der Luft befindliche noch entwicklungsfähige Bakterien vernichtet werden; wie wenig aber die üblichen antiseptischen Mittel gegen Sporen ausrichten, ist aus meinen später zu er- wähnenden Desinfektionsversuchen mit den Sporen von Milzbrandbazillen und anderen Bakterien zu ersehen. Soviel steht nach diesen Versuchen fest, daß ein Spray mit einer Lösung von Karbolsäure, Sahzylsäure, übermangansaurem Kali usw. bei der kurz dau- ernden Berührung absolut keine Wirkung auf Bakteriensporen hat und daß also trotz des Spray eine ganze Kategorie von in der Luft suspendierten Keimen jederzeit die Kulturflüssigkeiten verunreinigen können. Von K 1 e b s ^) ist eine Verbesserung an- gegeben, die darin besteht, daß der das Kulturgefäß verschließende pilzdichte Pfropf Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. XIII, p. 432. 134 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. im oberen Teile durch geglühten Asbest gebildet wird. Vor der Entnahme von Proben zur Untersuchung oder Weiterzüchtung wird die Asbestschicht von neuem erhitzt und und alle etwa inzwischen darauf abgelegten Keime zerstört, dann der Pfropf mit einer ge- glühten Nadel durchbohrt und vermittels ebenfalls geglühter Glasröhrchen die Probe aus dem Kulturgefäße genommen. Ich kann hierin nur eine weitere Komplikation des schon an und für sich sehr umständlichen Verfahrens der Reinkultur erblicken, ohne daß es einen entsprechenden Schutz gegen Verunreinigungen beim Weiterimpfen verschafft, denn wenn auch nur eine sehr kleine Öffnung in den Pfropf gemacht wird, so wird die Gefahr des Eindringens von Keimen doch nur dadurch veringert, aber niemals ganz aufgehoben, und beim Übertragen der Probe von einem Gefäße zum anderen muß diese immer entweder unmittelbar oder das Glasröhrchen, welches sie einschließt, die Luft passieren und kann unterwegs Verunreinigungen aufnehmen. Es leuchtet wohl ein, daß alle Bestrebungen nach dieser Richtung hin vergeblich sind. Ich bin deswegen von dem bisher befolgten Prinzip der Reinkultur vollständig abgewichen und habe einen neuen Weg eingeschlagen. Eine einfache Beobachtung, die jeder .leicht wiederholen kann, brachte mich auf denselben. Wenn man eine gekochte Kartoffel halbiert und mit der Schnittfläche nach oben einige Stunden an der Luft liegen läßt und sie darauf in einen feuchten Raum bringt, z. B. unter eine feucht gehaltene Glasglocke, um sie vor dem Eintrocknen zu bewahren, dann wird man je nach der Temperatur des Raumes, in dem sich die Kartoffel befindet, am folgenden, zweiten oder dritten Tage bemerken, daß mancherlei verschiedene, sehr kleine Tröpfchen auf der Kartoffel entstehen, die fast alle untereinander verschieden zu sein scheinen. Einige dieser Tröpfchen sind von weißlicher Farbe, porzellanartig, andere sind gelbhch, braun, hellgrau, rötlich, einige sehen aus wie ein flach ausgebreitetes Wassertröpfchen, wieder andere sind halbkuglig, noch andere warzenartig. Aber alle vergrößern sich mehr oder weniger, dazwischen zeigen sich Myzelien von Schimmel- pilzen, zuletzt fließen die einzelnen Tröpfchen zusammen und bald tritt ausgesprochene Fäulnis der Kartoffel ein. Werden nun diese Tröpfchen, solange sie noch isoliert be- stehen, mikroskopisch untersucht, am besten nachdem sie auf dem Deckglas ausge- strichen, erhitzt und gefärbt sind, dann stellt sich heraus, daß jedes einzelne derselben aus einer bestimmten Art von Mikroorganismen besteht. In dem einen zeigen sich bei- spielsweise große Mikrokokken, in einem anderen sehr kleine, in einem dritten ketten- förmig angeordnete Mikrokokken, andere Kolonien, besonders die flach ausgebreiteten, membranartig gestalteten werden von Bazillen der verschiedensten Größe und An- ordnung gebildet. Manche bestehen aus Hefezellen und zwischendurch findet sich hin und wieder das aus einer Spore hervorsprossende Myzel eines Schimmelpilzes. Woher alle diese verschiedenen Organismen stammen , darüber wird man nicht lange in Zweifel sein, wenn eine andere Kartoffel, welche mit einem geglühten Messer geschält wurde, um die stets der Schale mit der Erde anhaftenden, durch das kurze Kochen noch nicht getöteten Bazillensporen zu beseitigen, der Luft nicht ausgesetzt und in einem desinfizierten Becherglas unter Watte Verschluß aufbewahrt und beobachtet wird. Auf der so behandelten Kartoffel bilden sich keine Tröpfchen, keine Organismen siedeln sich auf ihr an und sie bleibt unverändert, bis sie nach Wochen allmählig vertrocknet. Es können sich also auf die erste Kartoffel die Keime, welche sich zu den kleinen tropfen- artigen Kolonien entwickelten, nur aus der Luft niedergelassen haben, und man findet in der Tat oft in der Mitte der kleinen Kolonie noch ein deutlich erkennbares Staub- partikelchen oder Fäserchen, welches den Keimen, seien es nun angetrocknete, noch lebensfähige Bakterien, Hefezellen, oder seien es Sporen, zum Träger diente. Um indessen keinen Irrtum aufkommen zu lassen, muß ich noch hinzufügen, daß auf der un- Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 135 geschälten Kartoffel einzelne vom Rande her sich entwickelnde Kolonien aus Keimen entstehen, die an der Schale und zwar in der derselben anhaftenden Erde sich befinden. Was läßt sich denn nun dieser Beobachtung der auf der Kartoffel heranwachsen- den Kolonien entnehmen ? Am auffallendsten ist die Tatsache, daß mit wenigen Aus- nahmen, in denen vermutlich zwei verschiedene Keime so dicht nebeneinander zu liegen kamen, daß die entstehenden Kolonien bald zusammenfließen mußten, oder wenn das- selbe Stäubchen mit verschiedenen Keimen beladen war und diese zugleich zur Ent- wicklung kamen, daß also mit diesen wenigen Ausnahmen jedes Tröpfchen oder Kolonie eine Reinkultur ist und so lange bleibt, bis sie bei weiterem Wachstum mit dem Nachbar zusammenstößt und die Individuen der einen Kolonie sich mit denen der anderen ver- mengen. Wenn an Stelle der Kartoffel die gleich große Fläche einer Nährflüssigkeit dem Einflüsse der Luft ausgesetzt Avorden wäre, dann hätten sich unzweifelhaft auch Keime aus der Luft auf die Oberfäche derselben gesenkt und zwar annähernd dieselbe Zahl mid dieselben Arten, wie es bei der Kartoffel der Fall war, aber die Entwicklung dieser Keime würde in einer von der vorher beschriebenen ganz verschiedenen W^eise vor sich gegangen sein. Die beweglichen Bakterien hätten sich schleunigst in der Flüssigkeit verteilt, würden sich unter die anfangs noch einigermaßen in kleinen schwimmenden Kolonien zusammengehaltenen unbeweglichen gemischt und diese ebenfalls durch ihre lebhaften Bewegungen durcheinander gewirbelt und überallhin verschleppt haben; einige Organismen würden sich am Grunde der Flüssigkeit, andere in den oberen Schichten umhertreiben; manche, die auf der Kartoffel ein Plätzchen fanden, auf dem sie sich un- gestört vermehren konnten, würden in der Nährflüssigkeit von den anderen üppiger wachsenden Organismen schon beim Auskeimen erstickt werden und gar nicht zur Ent- wicklung kommen. Kurz, die ganze Flüssigkeit würde von Anfang an bei einer mikro- skopischen Untersuchung das Bild eines wirren Gemisches von Formen und Gestalten geboten, aber niemals auch nur im entferntesten an eine Reinkultur erinnert haben. Woiin liegt denn aber dieser durchgreifende LTnterschied zwischen dem Nährboden, den die Kartoffel den Mikroorganismen bietet, und demjenigen, den ihnen die Nährflüssig- keit gewährt ? Doch nur darin, daß der eine fest ist mid verhindert, daß die verschie- denen Arten, auch wenn sie beweglich sind, durcheinander gemengt werden, während in dem anderen flüssigen Nährsubstrat von einem Getrenntbleiben der Arten überhaupt nicht die Rede sein kann. Es lag nun nahe, die Vorteile, welche ein fester Nährboden für Reinkulturen bietet, weiter auszunutzen. Es wurden also einzelne der früher beschriebenen spontan auf ge- kochten Kartoffeln entstandenen Kolonien auf anderen eben durchschnittenen Kartof- feln möglichst ausgebreitet und in den feuchten Raum gelegt. Es entstand dann bald, schon am folgenden oder nächstfolgenden Tage eine reichliche EntAvicklung der aus- gesäten Mikroorganismen und zwar Ijehielten sie genau dieselben charakteristischen Eigenschaften wie das ursprüngliche Tröpfchen. War dieses gelb und bestand aus kleinen Mikrokokken, dann erschien jetzt auf der damit infizierten Kartoffel eine ausgedehnte gelbe Schicht, die genau aus denselben kleinen Mikrokokken bestand. Ganz ebenso ver- hielten sich auch andere Mikrokokken, die verschiedenen Bazillenarten, Hefe, Pilze usw. Alle ließen sich ziemlich schnell aus anfänglich sehr kleinen Kolonien durch wenige Fort- züchtungen auf weitere Kartoffeln in reichlicher Menge und in vollkommen reinen Kul- turen erhalten. Ein sehr ängstliches Abschließen der Luft von diesen Kulturen war gar nicht erforderlich, denn wenn auch hier und da Keime von anderen Organismen auf die Kartoffeln gerieten, so konnten sie sich doch nur örtlich entwickeln und langsam aus- breiten, vermochten aber niemals die gesamte Kultur zu gefährden; außerdem machten sie sich durch das charakteristische Aussehen, das ihre in geschlossener Masse befindlichen 136 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Kolonien hatten, unter den gezüchteten Organismen sofort als Fremdlinge kennthch, so daß alle diese zufälligen Verunreinigungen der Kultur beim Weiterimpfen leicht ver- mieden werden konnten. Nur bei zu langem Abwarten trat wohl eine derartige Ver- mehrung der fremden Organismen ein, daß die Kultur in Gefahr geriet. Aber die Er- fahrung lehrte bald, den richtigen Zeitpunkt zur Weiterzüchtung einzuhalten, um stets ganz sichere Reinkulturen zu behalten. Hiermit war also die Möglichkeit, in einer höchst einfachen Weise ganz tadellose Reinkulturen auszuführen, gegeben. Wenigstens mit allen den Organismen, für welche gekochte Kartoffeln ein geeigneter Nährboden sind, und die Zahl derselben ist nicht gering. Wie schon erwähnt, wachsen zahheiche ver- schiedene Milcrokokken und Bazillen auf Kartoffeln in üppiger Weise und es lag nahe, auch andere bekannte und praktisches Interesse bietende Bakterien auf diesen Nähr- boden zu verpflanzen. Es wurden also Heubazillen auf gekochte Kartoffeln gebracht und sehr kräftige Kulturen erhalten, die einen weißhchen, rahmartigen Überzug der Kartoffelschnittfläche bildeten und auf den ersten Blick von anderen spontan auf der Kartoffel entstehenden Bazillenkolonien zu unterscheiden waren, namentlich von den am häufigsten in Form eines kleinen nassen Fleckes am Rande der Kartoffel entstehenden und bald in eine schleierartig gefaltete Membran übergehenden, einen zähen fadenziehen- den Schleim produzierenden Bazillen. Nachdem dieser Versuch geglückt war, wurde ein anderer mit Milzbrandbazillen angestellt und auch dieser gelang in der ausgezeichnetsten Weise, wie ich an einer anderen Stelle ausführlicher zu besprechen haben werde. Aber mit anderen Bakterien, die sich bei Tierversuchen als pathogen erwiesen hatten, fielen alle Kulturversuche auf Kartoffeln negativ aus. Doch das Prinzip war gefunden und es kam nur darauf an, der Sache eine für alle Fälle passende Gestalt zu geben. Es würde keinen Zweck haben, alle die Versuche zu schildern, welche gemacht wurden, um einen der gekochten Kartoffel ähnlichen festen, aber womöglich allen, auch den pathogenen Mikroorganismen passenden Nährboden zu finden, und ich will gleich das Endresultat dieser Versuche angeben, welches in seiner jetzigen Gestalt schon in der großen Mehrzahl der Fälle ein vollkommen ausreichendes Verfahren für Reinkulturen gewährt und mit der Zeit, noch weiter vervollkommnet, unzweifelhaft allen Ansprüchen genügen wird. Nachdem ich eingesehen hatte, daß es wohl kaum möglich ist, eine für alle Mikro- organismen gleich gut geeignete, also eine Art Universalnährflüssigkeit zu konstruieren, beschränkte ich mich darauf, die schon bekannten und andere neue bewährte Nähr- lösungen aus der flüssigen in eine feste, starre Form überzuführen. Das geeignetste Mittel, um dies zu erreichen, ist ein Zusatz von Gelatine zur Nährflüssigkeit. Hausenblase und andere gelatinierende Substanzen sind bei weitem nicht so gut zu gebrauchen. Die Mischung von Nährflüssigkeit und Gelatine, die ich der Kürze halber Nährgelatine nennen will, wird in folgender Weise bereitet: Die Gelatine läßt man in destilliertem Wasser quellen und löst sie dann in der Wärme auf. Auch die Nährlösung wird für sich zu- bereitet und beiden Flüssigkeiten eine solche Konzentration gegeben, daß nach dem in einem bestimmten Verhältnisse stattgefundenen Vermischen derselben der beabsichtigte definitive Gehalt an Gelatine und Nährstoffen erreicht wird. Als den passendsten Gehalt der Nährgelatine an Gelatine habe ich in meinen Versuchen einen 2 bis 3 prozentigen gefunden. Soll also die Gelatinelösung mit der Nährflüssigkeit zu gleichen Teilen ver- mischt werden, dann muß, um die Nährgelatine auf 2% % Gelatinegehalt zu bringen, die Gelatinelösung mit 5 % Gelatine bereitet werden, und ebenso müßte der Nähr- lösung der doppelte Gehalt an Nährstoffen gegeben werden, beispielsweise für eine Nähr- gelatine mit 1 % Fleischextrakt eine 2 % wäßrige Fleischextraktlösung. Übrigens kann man auch die Gelatine sofort in der Nährflüssigkeit quellen lassen und auflösen. Zur UntersutliLing von pathogenen Organismen. 137 Die Gelatine ist meistens von schwach savu-er Reaktion, und es ist deswegen notwendig, wenigstens wenn die Nährgelatine zur Züchtung von Bakterien benutzt werden soll, sie ent- weder mit kohlensaurem Kali, kohlensaurem Natron oder basisch phosphorsaurem Natron zu neutralisieren. Die neutralisierte Nährgelatine wird dann noch einmal aufgekocht und, weil sich entweder hierbei oder schon vorher beini Mischen und Neutralisieren Niederschläge bilden und auch öfters die Gelatine verunreinigt ist, filtriert. Inzwischen ist ein mit Watte verschlossenes Gefäß längere Zeit durch Erhitzen auf 150*^ C desinfi- ziert, luid in dieses wird die Nährgelatine gefüllt, durch den Wattepfropf abgeschlossen und wiederum aufgekocht. Das Kochen braucht nur ganz kurze Zeit stattzufinden, denn es sollen dadurch nur die in der Nährgelatine vorhandenen, leicht zu tötenden Miki"o- oi'ganismen unschädlich gemacht werden. Die darin befindlichen Sporen wüxxlen erst durch längeres Kochen vernichtet werden, das sich aber aus dem Grunde hier xiicht anwenden läßt, weil dadurch die Gelatine in ihrer Fähigkeit zu gelatinieren herabgesetzt wird. Eben deswegen kann auch das Sterilisieren der Nährgelatine im Dampf koch- topfe bei höheren Hitzegraden nicht bewirkt werden. Durch die bisherigen Manipula- tionen ist die Nährgelatine also noch nicht nüt Gewißheit sterilisiert; das stört aber nicht. Wenn die Nährlösung flüssig wäre, würden die noch darin vorhandenen keimfähigen Sporen zu Bakterien auswachsen, sich schnell vermehren, durch die ganze Flüssigkeit verbreiten, aber erst am zweiten oder dritten Tage durch Trübung derselben ihre An- wesenheit verraten. Dann wäre allerdings die Flüssigkeit auch nicht mehr zu retten, da sie in ihrer ursprüngliche)! Zusammensetzung schon verändert, möglicherweise schon wieder mit zahllosen neugel^ildeten Sporen beladen sein würde. In der Nährgelatine aber verhält sich die Sache ganz anders, hier zeigt sich schon der gewaltige Vorteil, den die feste Beschaffenheit des Nährsubstrates für die Beurteilung seines Gehaltes an Bakterien bietet. Am nächsten Tage oder etwas später wird man in der bis dahin ganz klaren erstarrten Gelatine ziemlich gleichmäßig verstreut einige wenige oder auch zahheiche sehr kleine, undurchsichtige, bei auffallendem Lichte weißliche Pünktchen bemerken. Wollte man die Gelatine ihrem Schicksal überlassen, dann würden sich diese Pünktchen bald zu kleinen Kugeln vergrößern, die immer mehr an Umfang zunehmen, allmählig einen Raum umschließen, der, wie beim Bewegen des Gefäßes sich ergibt, mit verflüssig- ter Gelatine gefüllt ist, und zuletzt zusannnenfheßend die gesamte Nährgelatine in eine trübe Flüssigkeit verwandeln. Die kleinen, aus den weißlichen Pünktchen heranwachsen- den Kolonien bestehen aus Bazillen, wovon man sich leicht durch die mikroskopische Untersuchung derselben überzeugen kann. Wenn man das aber weiß und die Gelatine für Kulturzwecke sterilisieren will, dann wartet man natürlich nicht so lange, bis die- selben eine ansehnliche Größe erlangt haben, sonden tötet sie durch iVufkochen der Gela- tine, wenn sie eben schon mit bloßem Auge zu erkennen sind. Darin liegt gerade, wie schon gesagt, ein wesentlicher Vorteil der Nährgelatine, daß in ihr die allerersten An- fänge der Bakterienentwicklung nicht übersehen werden können. Denn die aus einem Keime hervorgehenden Bakterien müssen lange Zeit auf einen Punkt zusammengedrängt liegen bleiben und sich dadurch schon dann dem Auge bemerklich machen, wenn sie an Zahl noch verhältnißmäßig gering sind, und so frühzeitig, daß sie noch nicht zur Sporen- bildung gekommen sein und die Nährlösung als solche noch nicht wesentlich verändert haben können. Einen weiteren Vorzug der Nährgelatine vor Nährflüssigkeiten wird man darin erkennen, daß man an derselben die Menge der noch vorhanden gewesenen, als Verunreinigung anzusehenden Keime aus der Zahl der entstandenen Kolonien gewisser- maßen ablesen kann, und nicht allein dies, sondern auch die Art und Weise, wie die Keime in das die Nälirgelatine enthaltende Gefäß gelangten, ist mit dem ersten Blick zu er- kennen; denn alle Keime, die nach dem Aufkochen der Gelatine noch ent\\icklungs- 138 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. fähig blieben, verteilen sich in der flüssigen Masse ziemlich gleichmäßig und erscheinen später als in das Innere der erstarrten Gelatinemasse eingesprengte Kolonien ; dagegen muß sich alles, was nach dem Erstarren der Gelatine an entwicklungsfähigen Orga- nismen mit der Nährgelatine in Berührung kommt, z. B. aus der etwa nicht vollständig desinfizierten Watte herabfallende mit Keimen beladene Fasern oder aus der Luft den mangelhaft schließenden Wattepfropf passierende Stäubchen oder im oberen Teile des Gefäßes, namentlich im Halse desselben haftende Keime, alle diese nachträglichen Ver- unreinigungen müssen sich auf der Oberfläche der Gelatine ablagern und können nur hier zu Kolonien heranwachsen. ^ Man ist also stets in der Lage, den Zustand des Nährmaterials für die Reinkulturen zu kontrollieren und alle Fehler, die etwa bei der Zubereitung sich einschlichen, sofort zu erkennen und auch bald zu beseitigen. Von welchem Werte gerade dieser beständige Uberblick über die etwa gemachten Fehler ist, wie dadurch in kurzer Zeit Übung und große Sicherheit in der Handhabung des Verfahrens herbeigeführt wird, das bedarf wohl keines weiteren Hinweises. Man erfährt sehr bald, ob die mit dieser oder jener Nährlösung bereitete Nährgelatine leicht oder schwer zu sterilisieren ist. Bei manchen, z. B. alkalischem Urin, oder P a s t e u r scher Nährlösung in Form von Nährgelatine gelingt das Sterilisieren leicht, meist schon durch ein eitimaliges Aufkochen, bei anderen, wie Fleischextrakt- oder Heuinfusgelatine ist es langwieriger ; man kocht sie deswegen mehrere Tage hindurch täglich einmal auf. Denn man darf sich nicht vor- stellen, daß alle Sporen zu gleicher Zeit auskeimen. Bisweilen können tagelang nach dem letzten Kochen noch vereinzelte Kolonien entstehen, die, wie ihre Lage im Innern der Gelatine beweist, von Anfang an in derselben waren und nicht etwa nachträglich hineingekommen sind. Aber, wie gesagt, wenn dies auch der Fall sein sollte, so würden sie bei der häufigen Musterung der Nährgelatine, die in der ersten Woche nicht zu ver- säumen ist, frühzeitig genug bemerkt und durch nochmaliges Kochen unschädlich ge- macht werden. Was nun die weitere Behandlung und die Anwendung der Nährgelatine zu Rein- kulturen betrifft, so ist es vor allem zweckmäßig, die Nährgelatine in eine Anzahl von mit Watte verschlossenen und samt der Watte durch Hitze gut desinfizierten Reagens- gläschen zu füllen, um jederzeit, ohne jedesmal die Gesamtmenge flüssig machen zu müssen und durch das Öffnen einer Verunreinigung auszusetzen, ein entsprechendes Quantum der Nährgelatine zur Hand zu haben. Da dieses Quantum, wie man gleich erfahren wird, nur ein geringes ist, ungefähr 10 bis 15 ccm, so wird auch in jedes einzelne Gläschen nicht mehr hineingefüllt. Weil die Reinkulturen mit den Kartoffeln so bequem und sicher auszuführen waren, so habe ich es vorgezogen, der Nährgelatine eine annähernd ähnliche Form zu geben. Man kann sie in flache Uhrgläser, kleine Glasschalen oder dergleichen ausgießen, aber am zweckmäßigsten für die Handhabung der Kulturen, besonders bei der mikroskopi- schen Untersuchung derselben, war es nach meiner Erfahrung, die Nährgelatine in Ge- stalt eines langen und breiten Tropfens auf Objektträgern, wie sie zum Mikroskopieren gebraucht werden, auszubreiten. Dies geschieht mit einer vorher desinfizierten Pipette, und ebenso werden auch die Objektträger selbst vor dem Gebrauche gut gereinigt und längere Zeit einer Temperatur von 150" C ausgesetzt. Dem Tropfen gibt man eine Dicke von etwa zwei Millimetern, die ' Gelatine erstarrt nach wenigen Minuten und es werden dann die Objektträger auf kleine Glasbänke gelegt, die so breit sind, daß sie zwei bis drei Objektträger nebeneinander tragen können, und schließlich mehrere solcher Glasbänke, etwa vier bis sechs, übereinander geschichtet und in einen beständig feucht gehaltenen Raum gestellt. Für letzteren Zweck verwende ich Glasschalen, die von flachen Glocken bedeckt und im Innern mit angefeuchtetem Fließpapier austapeziert sind. In solchem Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 139 Räume sind die Gelatinetropfen 2 bis 3 Wochen hindurch vor dem Austrocknen bewahrt. Die Aussaat der zu züchtenden Organismen geschieht nun in der Weise, daß mit einer gegKihten Nadel oder einem geglühten Platindraht eine möglichst geringe Menge der dieselben enthaltenden Flüssigkeit oder Substanz aufgenommen und dann in meh- reren, etwa drei bis sechs, Querlinien auf die Gelatine gebracht wird. Die Nadel wird ungefähr in derselben Weise gehandhabt, wie die Inipflanzette beim Impfen mit Schnitten ; auch ist es gut, die Schnitte ebenso flach zu halten wie beim Impfen. Der Ausdruck Impfen würde also für diese Manipulation recht wohl passen. In gleicher Weise wird die Impfung bei melu'eren Objektträgern ausgeführt, so daß also ohne irgend welche Mühe oder erheblichen Zeitverlust zwölf bis fünfzehn Einzelkulturen in Gang gebracht sind ; denn ein jeder Impfstich repräsentiert eine für sich bestehende und von den übrigen in ihrer Entwicklung ganz unabhängige Kultur. Eigentlich ist die Zahl noch größer, weil man die einzelnen Abschnitte eines »Striches noch wieder für sich betrachten und für die Weiterzüchtung verwerten kann. Einen weiteren Schutz als die nicht einmal vollständig abschließende Glasglocke braucht man den Kulturen gegen die überall drohenden Gefahren der Verunreinigung nicht zu geben. Es bleibt auch nicht aus, daß schon beim Impfen der Nährgelatine, beim Lüften der Glocke und während der mikroskopischen Untersuchung der Kulturen fremde Organismen in die Kulturen geraten; aber dieselben können nur immer an der Stelle der Gelatine, auf welche sie gefallen sind, zur Entwicklung kommen; nur hin und wieder wird einmal einer der Impfstriche selbst oder seine unmittelbare Nachbarschaft der Sitz von fremden Kolonien. Aber es ist kaum denkbar, daß sämtliche Kulturen binnen kurzer Zeit so von Keimen befallen würden, daß sie zur Weiterzüchtung unbrauchbar wären, und dies kommt auch in der Tat nicht vor, namentlicli, wenn die Glocken nicht zu oft gelüftet werden. Binnen wenigen Tagen sind die Reinkulturen soweit herangewachsen, daß sie das Maximum ihrer Entwicldung erreicht haben und weiter verimpft werden können. Besonders wenn, wie es bei manchen Bakterien der Fall ist, bei schnellem Wachs- tum die Gelatine verflüssigt wird, ferner wenn schon Sporenbildung eingetreten ist, dann hat ein längeres Liegenlassen der Kultur keinen Zweck und dieselbe muß baldigst weiter übertragen werden. Sollen einzelne Kulturen durcli längere Zeiträume vor Verunreini- gungen geschützt wex'den, dann müssen sie selbstverständlich unter Watte verschlul.^ gehalten werden, aber auch hierbei bewährt sich die Nährgelatine als ein zuverlässiges Substrat, weil an der Gestalt und anderen charakteristischen Merkmalen bei nur einiger Übung auch ohne die sonst unerläßliche mikroskopische Prüfung die Reinheit der aus der Aussaat hervorgegangenen Kolonien mit ziejnlicher Sicherheit und etwa außerhalb der Impfstelle liegende Verunreinigungen sofort als solche erkannt werden können. Bei niedrigen Temperaturen geht die Entwicklung der Kulturen sehr langsam vor sich, manche Organismen bedürfen überhaupt eines bestimmtem Wärmegrades, um ge- deihen zu können. Am üppigsten wachsen die Gelatinekulturen bei 20 bis 25*^' C und bis jetzt ist mir noch kein Organismus begegnet, der bei dieser Temperatur, wenn er über- haupt für künstliche Züchtung zugänglich ist, nicht gewachsen wäre. Sollte es aber nötig sein, Temperaturen über 30'' C, bei denen die Gelatine flüssig wird, zu gebrauchen, dann müßte man auf die Gelatine überhaupt verzichten, oder ihre Eigenschaften insofern noch ausjiützen, daß in die starre durch Watteverschluß geschützte Gelatine geimpft wird, imd erst wenn sich nach ungefähr 24 Stunden hei 25 C in ihr keine fremden Kolo- nien gezeigt haben und damit die größte W^ahrscheinlichkeit iüx das Gelingen einer von Verunreinigungen freien Impfung gegeben ist, daß also dann erst die Kulturen auf Brüt- temperatur gebracht werden. 140 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Eine sehr wichtige Aufgabe bei der Ausführung der Reinkulturen, an deren Nicht- lösbarkeit, wie ich früher auseinandergesetzt habe, die meisten bisherigen Reinkultur- versuche scheitern mußten, nämlich die Beschaffung eines ganz sicher reinen Materials zur ersten Aussaat, kann mit Hilfe der Nährgelatine sehr leicht erfüllt werden. Wenn beispielsweise Blut von einem septicämischen Tiere zu Kulturen verwendet und die darin befindlichen Septicämiebakterien rein gezüchtet werden sollen, dann bedarf es gar keiner außerordentlichen Vorbereitungen mit Spray, geglühten Kapillarröhrchen usw., die schließlich doch alle in Stich lassen, sondern es ist vollständig ausreichend, unter Ver- meidung gröberer Verunreinigungen, was gewiß keine Schwierigkeiten bereitet, also bei- spielsweise mit einer geglühten Nadel etwas Blut aus dem eben geöffneten Herzen oder aus einem beliebigen Blutgefäß zu nehmen und auf die Nährgelatine in einer nicht zu geringen Zahl von Strichen zu impfen. Es wachsen dann in einigen Strichen vereinzelte Pilzmyzelien, auch einige Mikrokokkenhaufen, deren Keime kaum vollständig bei einer Tiersektion auszuschließen sind, außerdem aber auch noch eine je nach dem Gehalte an Septicämiebakterien geringere oder größere Anzahl von ganz reinen, durch ihren eigentümlichen matten Glanz und äußerst feinkörnige Granulierung bei schwacher Ver- größerung sofort erkennbare Kolonien der Septicämiebakterien und darunter genug solche, von denen man bequem oder im Notfalle mit Hilfe des Präpariermikroskops die ^Weiterzüchtungen in Gang setzen kann (vgl. Taf. XVII, Fig. 70). In diesem FaUe waren die fremden Beimischungen in der Minderzahl und deswegen von vornherein auf eine größere Menge von reinen Kolonien der für die Weiterzüchtung bestimmten Bak- terien zu rechnen ; aber wenn sich dieses Verhältnis auch umkehren sollte oder wenn überhaupt nur ganz vereinzelte der aufzusuchenden Bakterien sich in dem Gemisch be- finden, dann gelingt das Experiment, wenn auch nicht ebenso leicht, aber ebenso sicher. Es wird dann nur erforderlich sein, das Bakteriengemisch recht verdünnt und in recht zahlreichen Impf strichen zu impfen. Sehr vorteilhaft ist unter solchen Umständen auch das Impfen in die noch flüssige Gelatine, um die verschiedenen Keime auf eine größere Fläche zu verteilen, oder man kann auch die flüssig gemachte Nährgelatine mit einer möglichst geringen Menge der Substanz gut vermischen, dann erst auf Objektträgern ausgießen und unter den entstandenen Kolonien mit dem Mikroskop die betreffenden heraussuchen. Es wurde schon früher von mir hervorgehoben, daß für die verschiedenen Mikro- organismen auch verschiedene Nährsubstrate zu beschaffen sind. Um nur an eins der gröbsten Beispiele zu erinnern, so wird man Bakterien und Pilze nicht auf demselben Nährboden mit Vorteil kultivieren, denn im großen und ganzen gedeihen diese besser auf saurem, jene besser auf neutralem oder schwach alkalischem Substrat. Es ist deswegen auch notwendig, mit möglichst verschiedenen, den Anforderungen der verschiedenen Gruppen der Mikroorganismen und selbst der einzelnen Arten derselben entsprechenden Nährgelatinen zu arbeiten. f. Bei unseren Untersuchungen kamen mancherlei Nährgelatinen zur Verwendung, von denen in dem einen Falle diese, in einem anderen jene größere Vorteile bot. Beson- dere Erwähnung verdienen : Heuinf us-Gelatine, die für manche Bazillenarten ein vor- zügHches Nährmaterial abgibt; Weizeninfus-Gelatine, mit Humor aqiieus bereitete Gela- tine, Gelatine mit Fleischextrakt und Pepton; eine andere mit Fleischinfus und Pepton eignet sich besonders gut für manche pathogene Bakterien ; unstreitig das beste Nähr- material für pathogene Bakterien ist indessen eine aus Blutserum und Gelatine hergestellte Nährgelatine, über die ich wegen ihrer Unentbehrlichkeit noch einige Bemerkungen machen will. Bei dieser Nährgelatine kann das Sterilisieren nicht durch Kochen bewirkt werden, weil sonst die Eiweißkörper des Serums gerinnen würden ; es muß deswegen schon Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 141 von vornherein darauf Bedacht genommen werden, das Blutserum möghchst von Ver- unreinigungen freizuhalten. Es wird also das frische Blut unmittelbar in einem reinen Gefäß aufgefangen und ruhig stehen gelassen, bis feste Gerinnung eingetreten ist, dann der Blutkuchen am oberen Rande vorsichtig abgelöst und verdeckt ein bis zwei Tage an einen kalten C)rt gestellt, bis sich eine genügende Menge klaren und wenig gefärbten Serums abgeschieden hat. Dasselbe wird mit einer geglühten Pijjette aufgenommen und mit flüssig gemachter vorher gut sterilisierter Gelatine von 5 pCt. zu gleichen Teilen in desinfizierte Probierröhrchen gefüllt und sofort mit desinfizierter Watte verschlossen. Um nun noch die Serumgelatine zu sterilisieren, werden die Probierröhrchen einige Male und zwar anfangs täglich einmal, später nach größeren Zwischenräumen eine halbe bis eine Stunde lang in ein Wasserbad, das eine Wärme von 52" C hat, gebracht. In dieser Weise ist es mir noch jedesmal gelungen, eine vollständig sicher sterilisierte Blutserum- Gelatine zu erhalten. Zu Pilzkulturen wurden Nährgelatinen mit Pflaumen- oder Pferdemist-Dekokt gebraucht, die ebenfalls einen äußerst günstigen Nährboden für dieselben abgeben. Außer den bis jetzt erörterten Vorzügen bieten die mit Nährgelatine angestellten Reinkulturen noch den ganz erheblichen Vorteil, daß sie jederzeit, ohne beschädigt oder in ihrer Weiterentwicklung irgendwie gestört zu werden, der Kojitrolle durch das Mikro- skop unterzogen werden können. Allerdings lassen sich nur schwache Vergrößerungen anwenden, aber diese genügen auch vollkommen, um die Kulturen zu überwachen und die zur Weiterzüchtung geeigneten Stellen auszusuchen. Man kann die mit der Nährgela- tine versehenen Objektträger ohne weiteres unter das Mikroskop legen und beispielsweise mit Hartnack System 4 und Okular 3 oder Zeiß System A. A. nebst starkem Okular und enger Blende des Beleuchtungsapparates untersuchen. Sehr oft sind mit diesen Ver- größerungen schon die einzelnen Bakterien in den Kolonien, wenigstens am Rande, zu erkennen; größere Bazillen, Sarzine, Hefe sind sofort in den einzelnen Individuen deut- lich als solche erkennbar. Sollen in zweifelhaften Fällen stärkere Vergrößerungen zur Verwendung kommen, dann muß der eine oder andere Impfstrich geopfert und mit einem Deckglas belegt werden; in dieser Weise lassen sich auch selbst Immersionssysteme noch zur unmittelbaren Untersuchung der Kolonien benutzen. Gewöhnlich ist das aber nicht erforderlich. Wenn man eine größere Zahl von spontan angesiedelten und von durch Impfung übertragenen Bakterien-, Pilz- usw.- Kolonien auf Nährgelatine mit dem Mikro- skop bei schwacher Vergrößerung beobachtet, dann gewinnt man sehr bald die Über- zeugung, daß jede einzelne Art in der Form. Gestalt, Farbe und im Wachstum ihrer Kolonien, die sie auf Nährgelatine bilden, ganz charakteristische inid leicht wieder zu erkennende Eigenschaften besitzt. Diese Erscheinung hat nichts Auffälliges, wenn man sich erinnert, daß ähnliche Verhältnisse sich überall im weiten Gebiete der Naturbeob- achtung wiederholen, nämlich überall da, wo eine Anhäufung von Individuen derselben Art stattfindet. Mag nun die Entfernung eine so große sein, daß das einzelne Indivi- duum nicht mehr deutlich als solches zu erkennen ist, oder mag die Größe der Einzel- individuen überhaupt so gering sein, daß sie vom unbewaffneten Auge nicht mehr er- faßt werden, so wird man doch aus den Eigenschaften der Gesamtmenge, des Haufens, Schwarms, der Kolonie immer noch mit mehr oder weniger großer Sicherheit auf die bestimmte Art, welcher dieselbe angehört, schließen können : denn die meisten Eigen- schaften des Schwarms sind schließlich doch nichts weiter als die Summe der Eigen- schaften der Einzelindividuen. Nehmen wir nur beispielsweise die Farbe. Bei einem einzigen Tier oder einer einzelnen Pflanze kann dieselbe wegen der Entfernung oder der Kleinheit des Objekts möglicherweise nicht mehr sicher erkannt werden, sobald aber eine größere Anzahl von Individuen derselben Art dicht nebeneinander sich befinden. 142 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. dann summiert sich die Farbenwirkung aller und es entsteht ein Effekt, der sich dem beobachtenden Auge deutlich zu erkennen gibt. Ebenso ist es mit der Bewegung. Ein einzelnes, vom Auge kaum noch erkanntes oder für dasselbe überhaupt schon unsicht- bares kleines Objekt, z. B. ein in der Ferne fliegender Vogel wird entweder gar nicht mehr oder doch so undeutlich wahrgenommen, daß es unmöglich ist, ein Urteil über die Beschaffen- heit desselben zu gewinnen. Das Verhältnis wird sofort anders, wenn ein Schwärm von Vögeln in derselben Entfernung sich bewegt. Nicht allein fällt die größere Menge sofort ins Auge, sondern es erkennt auch ein geübter Blick an der Gestalt des Schwarms und an den Gesamtbewegungen desselben die Art, welcher die den Schwärm bildenden Einzel- individuen angehören. In derselben Weise ließen sich noch andere Eigenschaften der Ge- samtmenge auf diejenigen der konstituierenden Teile zurückführen. Genau ebenso liegen nun aber auch die Verhältnisse in unserem Falle bei den von Mikroorganismen gebil- deten Schwärmen und Kolonien, nur daß hier das unbewaffnete Auge in den meisten Fällen auch die Eigenschaften des Schwarms nicht mehr hinreichend zu erkennen ver- mag und sich dazu einer mäßigen Vergrößerung, des Mikroskops, bedienen muß. Mit Hilfe des Mikroskops lassen sich aber auch die in Farbe, Größe, Gestalt usw. hervor- tretenden Eigenschaften der einzelnen Kolonien so deutlich wahrnehmen, daß es leicht ist, die den verschiedenen Arten angehörigen Kolonien zu unterscheiden. So sind bei- spielsweise Milzbrandbazillen und Heubazillen in Gelatinekulturen gar nicht mitein- ander zu verwechseln. Die Milzbrandbazillen sind niemals beweglich und bilden immer aus langen wellen- und lockenförmigen oft umeinandergedrehten Fäden bestehende Flocken. Die Heubazillen dagegen sind nur in ganz jungen Kolonien zu längeren Fäden ausgewachsen, sobald sie sich weiter entwickeln und, was regelmäßig der Fall ist, dabei die Gelatine verflüssigen, dann sieht man sie nur in Form von lebhaft beweglichen Stäbchen den Innenraum der Kolonie erfüllen und am Rande derselben in ganz regel- mäßigen, senkrecht gegen die Peripherie gerichteten Massen sich in die noch feste Gelatine einbohren, so daß die Kolonie so aussieht, als sei sie von einem Strahlenkranze umgeben. Es gibt das ein so charakteristisches und von dem der Milzbrandkolonie so weit verschie- denes Bild, dass man die einen Bazillen sowohl als die anderen sofort an den geschilderten Kennzeichen unter allen anderen Mikroorganismen wieder erkennen kann. Andere Bazillen zeigen noch wieder andere Formen; die beweglichen bilden meistens kranzartige Figuren ähnlich denen des Heubazillus, aber von diesem durch die Gestalt und Breite des Strahlen- kranzes verschieden. Noch andere Bazillen bilden Kolonien, die wie ein weitausgreifendes, vielfach verschlungenes Wurzelgeflecht aussehen; bei den Desinfektionsversuchen er- hielten wir einen der Hitze am längsten Widerstand haltenden Bazillus, der von ziemlich plumper Form ist und auf der Gelatine flach ausgebreitete Kolonien bildet, in denen die einzelnen Bazillen mosaikartig dicht nebeneinander gelagert sind, also keine Schein- fäden bilden und auch keine Bewegung zeigen. Damit ist die Reihe der verschiedenen Bazillenformen aber noch lange nicht erschöpft, es würde nur zu weit führen, wenn ich alle die von mir bis jetzt beobachteten Arten aufzählen wollte, und wieviele mag es noch außerdem geben. Noch zahlreicher sind die verschiedenen Formen der Mikrokokken- kolonien von einfachen, farblosen, kugelförmigen Gebilden, fein- bis grobkörnigen, bis zu bräunhch, rötlich, gelb, weiß usw. gefärbten, schraubenförmig gewundenen oder blatt- ähnhch gelappten, ausgebreiteten Massen. Leicht kenntlich sind die Häufchen der Sar- zine, die ebenfalls in mehreren, an Größe verschiedenen Arten auftritt. Ganz ähnhch wie diese verhalten sich auch die Hefearten. Die Pilze lassen sich sehr leicht an den auf der Gelatine in voller Üppigkeit zur Entwicklung kommenden Fruktifikationsorganen voneinander unterscheiden. (Vgl. Taf . XIV, Fig. 54.) Wenn Bakterienkolonien im Innern der Gelatine hegen, treten ihre besonderen Eigenschaften nicht so deutlich hervor, als Zur Untei'sucliving von pathogenen Organismen. 143 wenn sie sich ganz ungehindert und im Kontakt mit der Luft an der Oberfläche der Gela- tine entwickeln können. Es ist deswegen auch ratsam, nur die an der Oberfläche be- findlichen Kolonien miteinander zu vergleichen und in der Tiefe liegende, über deren Zu- gehörigkeit man im Zweifel ist. auf die Oberfläche zu verimpfen und da wieder zur vollen Entwicklung kommen zu lassen. Einige Beispiele von Gelatinekulturen sind unter den Photogrammen zu finden, auf deren Beschreibung am Schlüsse dieser Arbeit ich verweise. Zahlreiche und oft lange Reihen von Reinkulturen habe ich mit pathogenen und nicht pathogenen Mikroorganismen auf gekochten Kartoffeln und Nährgelatine aus- geführt, und nicht ein einziges Mal ist es mir begegnet, daß einer dieser Organismen irgendwie ei'kennbare Veränderungen in seinen Eigenschaften hätte erkennen lassen. Sie behielten sämtlich, so oft sie auch untersucht und wenn sie monatelang in Rein- kulturen erhalten wurden, ihre äußeren Kennzeichen sowohl als ihre physiologischen Eigenschaften, soweit sich dieselben feststellen ließen, von Anfang bis zum Ende der Be- obachtung in ganz gleicher Weise. Auch wenn das Nährsubstrat zeitweilig verändert wurde, oder wenn die Zwischenzeiten der Weiterzüchtung das eine Mal möglichst lang und in einer anderen Reihe möglichst kurz genommen wurde, wenn in einer Reihe immer die Sporenbildung abgewartet, in einer anderen aber schon vor der Sporenbildung weiter geimpft wurde, so hatte das alles gar keinen Einfluß auf die Eigenschaften der gezüchteten Organismen. Es kamen selbstverständlich Verunreinigungen der verschiedensten Art vor. Aber wenn beispielsweise unter fünfzehn mit Milzbrandbazillen geimpften Impf- strichen einer Nährgelatine zwölf ganz rein zur Entwicklung kommen, in zweien sich neben den Milzbrandbazillen braune Mikrokokkenhaufen und in einem, aber auch nur an einer Stelle des langen Strichs, Heubazillen angesiedelt haben, und wenn außerdem an einzelnen von den Impfstrichen entfernten Stellen der Nährgelatine einige weitere Mikrokokken- haufen. mehrere Heubazillenkolonien und Pilzmyzelien zur Entwicklung gekommen sind, dann wird doch niemand behaupten wollen, daß in dem einen Impf strich und auch nur an einer Stelle desselben die Milzbrandbazillen sich ohne weitere Übergangsformen so- fort in ganz veritable Heubazillen verwandelt hätten. Es würde eine solche Behauptung zu der Konsequenz führen, daß, weil alle übrigen Impfstriche sich unter den ganz gleichen Bedingungen befinden, man weiter schließen müßte, daß in den beiden mit Mikrokokken verunreinigten Strichen die Milzbrandbazillen sich unnrittelbar in Mikrokokken um- gewandelt und daß die frei und von den Impf strichen entfernt entstandenen Mikrokokken-, Heubazillen- und Pilzkolonien durch Generatio aequivoca entstanden sein müßten. Zu dieser letzten Konsequenz wird man sich nun wohl am schwersten entschließen und wird sagen, daß die frei entstandenen Kolonien von Luftkeimen herrühren, die auf die Gelatine gefallen sind. Dann steht aber auch nichts der Annahme entgegen, daß sich ganz zufällig Mikrokokkenkeime auf zwei der Impfstriche und eine Heubazillenspore auf die eine Stelle des einen Impf Striches niedergelassen haben. Dies Beispiel ist keineswegs ganz ungewöhn- lichen Verhältnissen entnommen, sondern ganz genau in der soeben gescliilderten und in ähnlicher Weise kommen die Beimischungen freaider Organismen in den Reinkulturen vor.. Deswegen ist auch der Einwand, den man gegen die Konstanz der Arten bei meinem Reinkulturverfahren erheben konnte, daß nämlich zur Weiterimpfung nur immer die besten und reinsten Impf striche ausgesucht werden und daß es deswegen gar nicht zu einer Um- wandlung der Art in eine andere kommen könne, nicht stichhaltig. Denn bei meinem Verfahren werden ja nur die schon durch ihre gröberen Eigenschaften kenntlichen, von den reingezüchteten durch eine weite Kluft getrennten Arten ferngehalten, und wenn ganz allmähliche Übergänge von einer Art zu einer anderen vorkämen, dann würde man dieselben, da sie doch nur minimal sein können, nicht mehr deutlich wahrnehmen. 144 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. und unzweifelhaft auch diese minimal veränderten Organismen weiterimpfen, und schließ- hch, ohne es abwenden zu können, die morphologisch abgeänderte Art erhalten. Der Umzüchtung in eine physiologisch verschiedene Varietät würde mein Verfahren auch nicht das geringste Hindernis entgegensetzen, da die Auswahl beim Weiterzüchten nicht nach physiologischen, sondern nach morphologischen Kriterien stattfindet. Aber, ich wiederhole es, es ist mir weder eine morphologische noch physiologische Wandlung der x4.rt bei meinen Versuchen vorgekommen. In der Botanik und Zoologie ist es ein allgemein befolgter Grundsatz, alle belebten Wesen, die bis dahin unbekannt waren, genau zu beschi'eiben, zu benennen und vorläufig als selbständige Arten zu registrieren. Es hat sich allerdings bisweilen zugetragen, daß einzelne als selbständig angesehene Arten sich später als Formen herausgestellt haben, die dem Entwicklungskreise einer schon bekannten Art angehörten. Aber weit häufiger war es notwendig, bei genauerer Untersuchung und Anwendung feinerer Methoden und besserer Instrumente, daß eine Art, die bis dahin für eine einheitliche gehalten wurde, in mehrere zerlegt werden mußte. Von diesem bewährten und allgemein gültigen Grund- satze, alle neuen Formen, die in ihren Eigenschaften wesentlich voneinander abweichen, solange ihre Zusammengehörigkeit nicht unumstößlich nachgewiesen ist, auseinander- zuhalten, ist man merkwürdigerweise auf dem Gebiete der Mikroorganismen, nament- lich auf demjenigen der Bakterien, vielfach abgewichen. Es begegnen uns vom Anfange der Bakterienforschung bis auf die neueste Zeit von H a 1 1 i e r bis N a e g e 1 i und B u c h - n e r die Bestrebungen, die, wie doch nun einmal nicht abzuleugnen ist, in ihren Eigen- schaften sehr verschiedenen Bakterien unbesehen in einen Haufen zusammenzuwerfen und eine einzige oder höchstens ein paar Arten daraus zu machen. Wenn es wirklich der- maleinst gelingen sollte, die Bakterienarten durch Uberführung oder Umzüchtung von einer in die andere bekannte Form zu verwandeln, dann ist es doch gewiß immer noch an der Zeit, diese als zusammengehörig erwiesenen Formen in eine Art zusammenzufassen. Bis jetzt ist dieser Beweis noch nicht geliefert, und es liegt nicht der geringste Grund vor, in der Bakterienlehre von den Maximen der allgemeinen Naturforschimg abzu- weichen. Wenn auch anfangs einige Arten zuviel angenommen würden, so kann das der Wissenschaft keinen Nachteil zufügen, aber wenn von vornherein die Nützlichkeit und Notwendigkeit, die verschiedenen Formen der Bakterien zu erforschen und der Wissenschaft zugänglich zu machen, von der Hand gewiesen wird, so wird damit über- haupt aller weiteren Forschung und allem Fortschritte auf diesem Gebiete ein Riegel vor- geschoben, und das ist gewiß zum größten Nachteile für die Entwicklung dieser jungen und vielversprechenden Lehre. Die Wahrheit und Erkenntnis wird sich unzweifelhaft ebenso wie auf anderen Wissensgebieten auch hier zuletzt Bahn brechen und allen unhalt- baren Hypothesenkram über den Haufen werfen. Aber wie so oft, kann auch hier der wahre Fortschritt der nur auf der Bahn mühsamer und langsam fortschreitender For- schung sich bewegt, durch vielversprechende Theorien, die selbst die schwierigsten Pro- bleme spielend zu lösen scheinen, eine Zeitlang in den Hintergrund gedrängt werden, und wenn auch der Wissenschaft daraus kein bleibender Nachteil erwächst, so kann doch die falsche Richtung dadurch großes Unheil anrichten, daß sie eine Zeitlang Einfluß auf einige der wichtigsten Gebiete der Gesundheitspflege gewinnt und ihre Lehren in die Praxis übersetzt werden. Mir scheint es also ganz unverfänghch und nicht allein das, sondern das einzige Richtige zu sein, eine recht sorgfältige Sonderung aller uns bei unseren Untersuchungen begegnenden Mikroorganismen und insbesondere der Bakterien eintreten zu lassen und sich bezüglich der letzteren ganz streng an den Satz zu halten, daß alle diejenigen Bakterien, welche auf demselbenNährboden und unter übri- Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. ]^45 g e n s gleichen Verhältnissen durch mehrere U m z ü c h t u n g e n oder sog. Generationen ihre Eigenschaften, durch welche sie sich voneinander unterscheiden, unverändert beibe- halten, auch als verschieden anzusehen sind, mag man sie nun als Arten, Varietäten, Formen, oder wie man sonst will, bezeichnen. Bevor ich das Kapitel von der Reinkultur beschließe, will ich mich noch gegen einen Einwurf verwahren, der mir ganz gewiß nicht erspart bleiben wird. Es wird mir ent- gegengehalten werden, daß mein Reinkulturverfahren eigentlich gar nichts Neues und daß es schon eine alte bekannte Sache sei, Bakterien auf Kartoffeln und in Gelatine zu züchten. Das ist schon richtig. Es ist schon lange bekannt gewesen, daß einige Bak- teiden recht gut auf gekochten Kartoffeln wachsen, und man hat auch schon in Gelatine imd in Hausenblasengallerte Bakterien gezüchtet, aber man ist sich der Vorteile, welche der feste Nährboden gewährt^ nicht bewußt gewesen, denn die Hausenblase und Gelatine wurden in so geringer Menge zur Nährlösung genommen, daß sie nicht gelatinieren, nicht zum festen Nährboden werden konnten, oder wenn auch genügend Hausenblase in der Nährlösung vorhanden war, um zu erstarren, dann wurde die Reinkultur mit unreinem Material angefangen und außerdem die Kulturen in Brütwärme gehalten, bei der die Gallerte wieder flüssig werden mußte. Und wie wenig die bisher auf Kartoffeln angestellten Kulturen mit wirklichen Reinkulturen zu tun haben, das zeigen die W e r n i c h sehen Untersuchungen über Micrococcus prodigiosus, bezüghch deren ich auf die Arbeit von Gaffky (vgl. diese Veröffentl.) ^) verweise, in welcher dieselben eine eingehende Er- örterung finden. Das meinem Verfahren Eigentümliche besteht darin, daß es einen festen, wo- möglich durchsichtigen Nährboden verwendet, daß die Nährsubstrate möglichst variiert und den zu züchtenden Organismen angemessen gewählt werden, daß alle Vorsichts- maßregeln zum Schutze gegen nachträgliche Verunreinigungen überflüssig sind, daß die Weiterzüchtung in einer größeren Zahl von Einzelkulturen ausgeführt wird, von denen nur die reingebliebenen zur Fortsetzung der Kultur dienen und daß schließlich eine fort- währende Kontrolle über die Beschaffenheit der Kulturen mit dem Mikroskop ausgeübt wird. Fast in jedem dieser einzelnen Punkte differiert also mein Verfahren von den bis- her üblichen und namentlich auch von den oben erwähnten früheren Kartoffel- und Hausenblasekulturen. Es lag sehr nahe, die vortrefflichen Eigenschaften der Nährgelatinen auch für andere einschlägige Untersuchungen zu verwerten und zwar überall da, wo es darauf ankommt, die Menge und die Arten der vorhandenen Mikroorganismen, z. B. in der Luft, im Wasser, Boden, an Verkehrsgegenständen, Lebensmitteln usw. kennen zu lernen. Luftuntersuchung. Wie leicht die Luft ihre Bestandteile an die Nährgelatine abgibt und mit welcher Bequemlichkeit und Sicherheit Zahl und Art der entwicklungsfähigen Organismen, die sich auf die Nährgelatine niedergelassen haben, gewissermaßen ab- zulesen sind, davon wird jeder, der nur einige Gelatinekulturen gemacht oder gesehen hat, überzeugt sein. Es würde, um vergleichbare Zahlen zu gewinnen , nur erforderlich sein, einer Nährgelatine von einem bestimmten Oberflächengehalt beliebig große Quantitäten Luft so zuzuführen, daß letztere alle in ihr enthaltenen Keime an erstere abgeben müßte. So einfach es anfangs erschien, diese Bedingung erfüllen zu können, so schwierig wurde doch die Ausführung. Es wurde zunächst versucht, Luft durch desinfizierte Watte ^) Gaffky, Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte 1881, Bd. I., p.80. D. Hrsgb. Koch , Gesammelte Werke. 10 146 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. vermittels eines Aspirators zu filtrieren und den mit dem Luftstaub beladenen Watte- pfropf in flüssig gemachte Nährgelatine zu bringen, darin zu verteilen und vor dem weiteren Eindringen von I^uftkeimen durch einen vollständig luftdichten oder nur staubdichten Verschluß zu schützen. Dieser Versuch gelang insofern, als die Bakterien- und Pilz- kolonien gut zur Entwicklung kamen, aber im Innern der Gelatine und von den Fasern des Baumwollenpfropfs hin und wieder verdeckt, bei weitem nicht das schöne und über- sichtliche Bild gewährten, wie die an der Oberfläche einer Nährgelatine aus spontan abgelagerten Keimen entstandenen Kolonien. Deswegen wurde dieses Verfahren vor- läufig wieder aufgegeben. Es würde sich indessen, wenn es auch für allgemeine Luft- untersuchungen nicht recht passend zu sein scheint, für gewisse Fälle, wenn beispiels- weise innerhalb eines kurzen Zeitraums ganz bestimmte Quantitäten Luft untersucht werden sollen, verwenden lassen. Dann wurde nach dem Vorgange von anderen be- kannten Luftuntersuchungsmethoden die durch den Aspirator angesogene Luft gegen einen Tropfen Glyzerin oder eine mit Glyzeringelatine bestrichene Glasplatte geleitet und der Glyzerintropfen oder die Glyzeringelatine mit soviel Nährgelatine vermischt, daß, wie Vorversuche ergeben hatten, die Menge des beigemischten Glyzerins keinen nach- teiligen Einfluß auf die Nährgelatine ausüben konnte. Andere zu gleicher Zeit über den Einfluß des Glyzerins auf Mikroorganismen angestellte Versuche lehrten aber, daß das Glyzerin auf Sporen von Bazillen und Pilzen und auf Hefe nicht nachteilig wirkt, aber viele nicht in einem Dauerzustande befindliche, frisch getrocknete und noch entwicklungs- fähige Bakterien schon nach ziemlich kurzer Zeit tötet. Man erhält daher in der Nähr- gelatine fast nur Pilz-, Hefe- und Bazillenkolonien. Eine richtige Auskunft über den Gehalt der Luft an entwicklungsfähigen Organismen erhält man auf diesem Wege also nicht, weil eine Anzahl derselben, ehe sie in Verhältnisse gebracht werden, in denen sie sich entwickeln könnten, vernichtet werden. Außerdem gewann ich den Eindruck, als ob von dem starken Luftstrome, der hier zur Anwendung kommen muß, viele Staub- teile und Keime an dem Glyzerin oder der Glyzeringelatine vorbeigerissen und nicht an dieselbe abgegeben werden, denn gleichgroße Quantitäten Luft, zur selben Zeit und an dem- selben Orte durch Watte filtriert, ließen, ganz abgesehen von den durch das Glyzerin möglicherweise vernichteten Mikrokokken, viel mehr Pilzmyzelien und BaziUenkolonien zur Entwicklung kommen. Ferner wurde versucht, den Luftstrom unmittelbar gegen die Gelatine zu leiten. Wenn dies vermittels eines engen Rohres geschah, dann vertrock- nete die Gelatine an ihrer Oberfläche gegenüber der luftzuführenden Öffnung und es konnten dann.natürüch keine Staubteile mehr haften. Aber auch bei einer möglichst weiten Öffnung gab die Luft nur wenige Keime an die Gelatineoberfläche ab, wie Kontroll- versuche zeigten, und es konnte auch von dieser Einrichtung kein Gebrauch gemacht werden. Die mangelhaften Erfolge, die ich mit dem mehr oder weniger schnell bewegten Luftstrome gehabt hatte, brachten mich darauf, die Bestandteile der Luft sich aus einer wenig oder gar nicht bewegten Luftschicht absetzen zu lassen. Bis zu einem gewissen Grade konnte man dabei, wenn der ruhenden Luftschicht eine nicht zu geringe Höhe gegeben wurde, auf gleiche Luftmengen rechnen, die innerhalb eines gleichen Zeitraumes ihre festen Bestandteile auf die Nährgelatine herabfallen lasssen. Es war allerdings not- wendig, das Gefäß, in dem sich die Nährgelatine befindet, so einzurichten, daß ähnlich wie bei den früher geschilderten Objektträgerkulturen die Oberfläche der Gelatine un- mittelbar unter das Mikroskop gebracht werden konnte, ohne daß die auf ihr befind- lichen Kolonien dabei beschädigt wurden. So entstand ein zwar sehr einfacher, aber, wie mir scheint, auch sehr leicht zu hand- habender und für gewöhnliche Untersuchungen ausreichender Apparat. Derselbe ist Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 147 folgendermaßen eingerichtet. Am Boden eines zylindrischen Glasgefäßes von 6 cm Durch- messer und 18 cm Höhe befindet sich die zur Aufnahme der Nährgelatine bestimmte flache Glasschale von 1 cm Höhe (ohne die Dicke des Bodens) und 5,5 cm Durchmesser. Um diese Glasschale zum Einfüllen der Gelatine und zur mikroskopischen Prüfung der Kulturen aus dem Zylindergefäß bequem herausheben zu können, dient ein rechtwinklig gebogener schmaler Blechstreifen, auf dessen kvu'zen im Zylindergefäß quer gerichteten Schenkel die Glasschale gestellt wird und vermittels desselben leicht herauf und hinunter bewegt werden kann. Für fortlaufende Luftuntersuchungen ist eine nicht zu geringe An- zahl solcher Gefäße, mindestens zwanzig, erforderlich. Mit einem festen großen Watte- pfropf wird das Zylinderglas, in welches die gut gereinigte Glasschale und der Blechstreifen eingesetzt sind, verschlossen und ein bis zwei Stunden lang einer Temperatur von 150" C ausgesetzt. Nach dem Abkühlen wird unter möglichst kurzer Lüftung des Watte- pfropfes die Glasschale mit Hilfe des Blechstreifens Ins an den Rand des Zylindergefäßes gehoben und mit sterilisierter Nährgelatine 0,5 cm hoch gefüllt, wieder hinabgelassen und das Gefäß mit dem Wattepfropf sogleich geschlossen. Wenn hierbei auch schon einzelne Keime aus der Luft des Arbeitsraumes in die Gelatine geraten sollten, dann sinken sie unter und kommen nicht, wie die später auf der erstarrten Fläche abgelagerten Keime, auf der Gelatine, sondern im Innern derselben zur Entwicklung. Nachdem die Gelatine erstarrt ist, kann der Apparat sofort benutzt werden. An dem Orte, wo die Luft untersucht werden soll, wird der Wattepfropf abgenommen und so aufbewalu-t, daß er inzwischen nicht verunreinigt wird; am einfachsten steckt man ihn in ein zweites in Reserve gehaltenes desinfiziertes Zylindergefäß. Das Gefäß mit der Nährgelatine bleibt nun eine bestimmte Anzahl Stunden, z. B. 5, 10, 12 oder 24 Stunden offen stehen. Dann wird es durch seinen Wattepfropf wieder geschlossen, damit keine weiteren Keime hinein- gelangen können und bis zur vollständigen Entwicklung der Kolonien in einer Temperatur von 20 bis 25" C gehalten. Schon nach 24 bis 30 Stunden zeigen sicli auf der Gelatine die ersten kleinen Kolonien in Gestalt von Tröpfchen oder weißlichen kreisrunden Flecken. Am zweiten Tage ist die Entwicklung meistens schon soweit vorgeschritten, daß die mikroskopische Untersuchung und mit Hilfe einer Lupe die Zählung der einzelnen Kolo- nien vorgenommen werden kann. Später darf dies nicht geschehen, weil sonst die Kolonien zu groß werden und teilweise zusammenfließen. Die Beschaffenheit der Gelatine ist für ein kräftiges Wachstum so verschiedener Keime, wie sie die Luft mit sich führt, von wesentlicher Bedeutung, weil sie zu gleicher Zeit den Schimmel- mid Sproßpilzen, sowie den Bakterien einen günstigen Nährboden abgeben soll. Bei einem gleichzeitig mit einer Reihe verschiedener Nährgelatinen angestellten Versuch schien es mir, als ob eine mit Weizeninfus bereitete Gelatine sich am besten für die Luftuntersuchung eignen möchte, denn auf dieser kamen die verschiedenen Kategorien der Mikroorganismen am gleich- mäßigsten zur Entwicklung. Doch würde ich es für zweckmäßig halten, wenn es nicht an Zeit und Arbeitskräften fehlt, möglichst verschiedene Nährsubstrate, z. B. gekochte Kartoffel, Pflaumeninfus- Gelatine, Blutserum-Gelatine, Weizeninfus- Gelatine 'in ver- schiedenen Gläsern zu gleicher Zeit dem Einfluß der Luft auszusetzen. Legt man nur auf den Nachweis von pathogenen Organismen Wert, z. B. bei der Untersuchung von Luft in Krankenzimmern, dann ist Fleischinfus-Pepton- Gelatine und ganz besonders Blutserum-Gelatine zu verwenden. Mit Weizeninfus- Gelatine habe ich im Laufe des letzten Winters einige Wochen hindurch ziemlich regelmäßige Luftuntersuchungen angestellt, um mich von der Brauch- barkeit der Methode zu überzeugen und über das Vorkommen von entwicklungsfähigen Keimen in der Luft einigermaßen zu orientieren. Die bis jetzt geübten Verfahren der Luftuntersuchung mit Filtrieren durch Watte, Aspiration gegen einen Glyzerintropfen 10* 148 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. USW. geben über die Menge der staubförmigen Bestandteile der Luft ziemlich genaue Auskunft, auch gröbere Keime, wie Pilzsporen, lassen sich der Zahl nach bestimmen, aber die Zahl der entwicklungsfähigen Keime in der Luft konnte bis jetzt keine LTntersuchungsmethode feststellen. Bis zu einem gewissen Grade leistet dies mein Verfahren ganz unzweifelhaft. Es läßt sich allerdings nicht sagen, in wieviel Luft die auf der Nährgelatine abgelagerten Keime enthalten waren, aber im großen und ganzen wird in den einzelnen Versuchen immer ein ziemlich gleichgroßes Quantum von Luft, auch wenn der Apparat im Freien bei mehr oder weniger bewegter Luft aufgestellt ist, seine staub- förmigen Teile auf die Gelatine herabfallen lassen, weil der Glaszylinder so hoch ist, daß in dem unteren Teile desselben die Luft immer als ruhend angenommen werden kann. Bei den obenerwähnten Versuchen, die, wie gesagt, nur als Orientierungs versuche gelten sollen, stellte sich heraus, daß in meinen Arbeitsräumen sehr viel weniger Bakterienkeime, aber mehr Schimmelpilzsporen als in der freien Luft, die vor einem nach dem Garten der Tierarzneischule gehenden Fenster lintersucht wurde, sich befanden. In einem Sammlungszimmer, das zurzeit, als die Gläser mit Nährgelatine aufgestellt waren, wenig betreten wurde, fanden sich noch erheblich weniger Bakterien und Pilze als in den Arbeits- räumen; ganz vereinzelte Pilzmyzelien und wenige Bakterienkolonien hatten sich in einem Glase entwickelt, das in einem Schranke mit nicht fest geschlossener Tür drei Tage lang geöffnet gestanden hatte; dagegen waren auf Gelatine, die neben den Behältern der Versuchstiere aufgestellt gewesen war, fast ebensoviel Pilze und Bakterien ge- wachsen, wie auf der der freien Luft ausgesetzten. Die freie Luft aber enthielt selbst im Winter soviel entwicklungsfähige Keime der verschiedensten Mikroorganismen, daß nach 24 stündigem Öffnen der Gläser sich oft weit über hundert Einzelkolonien auf der Gelatine gebildet hatten und letztere wie dicht besät mit Tröpfchen und kleinen Flecken aussah, nachdem die Entwicklung in Gang gekommen war. Auch bei nur 12 stündigem Öffnen der Gläser schwankte die Zahl der Kolonien noch zwischen vierzig und achtzig, also immer noch zuviel für eine schnelle Übersicht und für die weitere Untersuchung der einzelnen Kolonien. Hiernach scheint es mir am zweckmäßigsten zu sein, die Gläser nur 4 bis 6 Stunden zu öffnen und in sehr verunreinigter Luft vielleicht noch kürzere Zeit. Bei einer regelrechten Untersuchung der aus der Luft erhaltenen Organismen hätten dieselben in Reinkulturen weitergezüchtet und auf ihre pathogenen und sonstigen Eigenschaften geprüft werden müssen. Dazu fehlte es mir damals an Zeit und ich behalte mir nach dieser Richtung hin sich erstreckende Untersuchungen für spätere Zeit vor. Bodenuntersuchung. Sehr viel einfacher gestaltet sich die Untersuchung von Boden- proben auf ihren Gehalt an entwicklungsfähigen Keimen. Es bedarf dazu keiner besondern Vorbereitungen. Die Probe wird strichweise und so, daß die einzelnen Partikelchen nicht zu gehäuft liegen, auf Objektträgern, die einen Überzug von Nährgelatine haben, aus- gestreut. Soll das nachträgliche Eindringen von Luftkeimen ganz ausgeschlossen werden, dann müßte eine ähnliche Vorrichtung oder dieselbe, wie bei der Luftuntersuchung an- gegeben ist, gebraucht werden. Übrigens ist eine Verwechslung der mit der Erde aus- gesäten Keime mit später daraüfgefallenen kaum möglich, weil die aus ersteren ent- stehenden Kolonien stets ihren Ausgangspunkt von den Sandkörnern und Erdbrocken nehmen. Auch für diese Untersuchungen ist eine Nährgelatine von Weizeninfus oder Fleischinfus mit Peptonzusatz besonders geeignet. Eine zwar nicht große Zahl von Boden- proben, die ich bisher auf ihren Gehalt an Mikroorganismen prüfen konnte, die aber ziem- lich gleichmäßige Resultate gab, läßt darauf schließen, daß die oberen Erdschichten ganz außerordentlich reich an Bakterienkeimen sind. AuffaUenderweise sind dies vor- wiegend Bazillen. In ganz frisch entnommener Erde finden sich daneben auch Mikro- Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 149 kokken, aber fast immer in der Minderzahl. In Erdproben, die stark verunreinigten Stellen, z. B. einem mit Düngerjauclie imprägnierten Orte entnommen waren, über- trafen die Mikrokokken an Zahl die Bazillen und es traten auch Schimmelpilze auf; das ist aber nur ein lokales Vorkommen. Die Bazillen dagegen scheinen in den oberen Ivulturschichten von bewohnten Gegenden imd überall, wo Garten- und Ackerbau ge- trieben wird, ganz konstant und immer in großer Menge vorzukonimen ; sie fanden sich in Erde aus dem Tier arzneischulg arten in Berlin ebenso reichlich als in der Erde eines nicht mehr benutzten Begräbnisplatzes und in Bodenproben von Gärten und Äckern, die weit von dicht bevölkerten Stellen entfernt liegen. Weirn man die Erdproben einige Wochen lang austrocknen läßt, dann verschwinden auch die wenigen Mikrokokken in den Kulturen und es bleiben nur^noch die Bazillen und zwar ebenso reichlich als vor dem Trocknen. Da es beliannt ist, daß die nicht in Dauerformen übergegangenen Mikro- organismen sich in getrocknetem Zustande nicht lange Zeit lebensfähig erhalten, so läßt sich aus jener Erscheinung schließen, daß, während die Mikrokokken durch das Ein- trocknen zugrunde gingen, sich die Bazillen in Dauerformen, d. h. als Sporen in der Erde befinden mußten. Diese Annahme wird auch dadurch bestätigt, daß die Bazillenkeime in der Erde, wie es sich bei den Hitzedesinfektions-Versuchen vielfach zeigte, hohen Hitzegraden, welche nur von SjDoren überstanden werden, Widerstand leisteten. Es ist mir sehr wahrscheinlich, daß, weil in der Erde nur Sporen und keine oder nur sehr wenige Bazillen sich vorfinden, diese Sporen nicht an dem Orte entstanden sind, wo sie gefunden werden, sondern mit wirtschaftlichen Abfällen, Dungstoffen und Produkten der Fäulnis und Zersetzung in die Erde gelangten ; teilweise mögen sie auch mit dem Luftstaub von Verkehrsstätten, wo sie sich bilden konnten, weit weggetragen, auf der Erde abgelagert und mit den oberen Schichten derselben vermischt sein. Vorwiegend fanden sich in der Erde die schon früher erwähnten, auf der Nährgelatine wurzelgeflechtähnliche Kolonien bildenden Bazillen und Heubazillen. aul3erdem aber mehr oder weniger zahlreich noch ungefähr sechs bis acht andere wohlcharakterisierte Bazillenarten. Eine sehr auffallende Tatsache konnte ich, ebenfalls aber nur auf wenige Unter- suchungen gestützt, konstatieren, so daß ich vorläufig die Allgemeingiiltigkeit derselben nicht behaupten möchte. Es zeigte sich nämlich, daß der Reichtum an Mikroorganismen im Erdboden nach der Tiefe zu sehr schnell abnimmt und daß kaum einen Meter tief der nicht umgewühlte Boden fast frei von Bakterien ist. Selbst inmitten von Berlin habe ich in Erdproben, die frischaufgeworfenem Baugrunde entnommen waren, in Tiefe von einem Meter keine Bazillen und nur ganz vereinzelte Kolonien von sehr kleinen Mikrokokken nach der Aussaat auf Nährgelatine erhalten. In einem Falle stammte die Erde von einem unmittelbar neben der Panke in der Philippstraße aufgeführten Neubau aus zwei Meter Tiefe, im Niveau des Pankwassers und kaum zwei Meter von demselben entfernt, und auch diese Probe zeigte sich ganz außerordentlich arm an Mikroorganismen. Meine Untersuchungen sind allerdings, was wohl zu berücksichtigen ist, nur im Winter gemacht. Im Sommer könnten die Verhältnisse möglicherweise anders liegen. Doch müßten, wenn nach der jetzt überall gültigen Annahme im Grundwasser und den diesem benach- barten Erdschichten ein reges Leben von Mikrooi'ganismen. und Avenn aucli nur im Sommer, stattfindet, die Dauerformen dieser Organismen daselbst zurückbleiben und sich, ebenso wie sie in den oberen »Schichten leicht nachzuweisen sind, auch in den unteren selbst im Winter auffinden lassen. Da das aber nicht der Fall ist, so sclieint es mir überhaupt fraglich, ob in den tieferen Bodenschichten viele Mikroorganismen existieren. Wasseruntersuchung. Die Untersuchung von Wasser mit Hilfe der Nährgelatine bietet gleichfalls keine Schwierigkeiten. Man mischt ein bestimmtes Quantum des zu 150 Zur Untersuchung von j)athogenen Organismen. untersuchenden Wassers mit entsprechend vieler Nährgelatine, die flüssig gemacht ist, schheßt das Gefäß sofort mit desinfizierter Watte und läßt die im Innern der Nährgelatine zur Entwicklung kommenden Kolonien so groß werden, daß sie mit dem Mikroskop gut zu erkennen sind und daß von denselben Proben zum Weiterzüchten genommen werden können. Mit Rücksicht auf dieses letztere Erfordernis ist es zweckmäßig, die Mischung in einem flachen Gefäß vorzunehmen und erstarren zu lassen, um die einzelnen Kolonien möglichst ausgebreitet und leicht mit einer Präpariernadel erreichbar zu erhalten. Auch ist es vorteilhaft, eine möglichst klare und ungefärbte Nährgelatine, z. B. Weizeninfus- Gelatine, zu verwenden, weil es bei dieser Untersuchung gar nicht zu umgehen ist, daß sich die Kolonien innerhalb der Gelatine entwickeln. Was die Menge des zuzusetzenden Wassers betrifft, so habe ich bei einzelnen Wasserproben mit 1 ccm Wasser auf 10 ccm Nährgelatine nur sehr vereinzelte Bakterienkolonien erhalten; in anderen waren die Mikroorganismen, darunter namentlich aus ganz kurzen Stäbchen, also den eigentlichen Bakterien gebildete Kolonien und viele Schimmelpilzmyzelien, so massenhaft, daß sie nicht mehr übersichtlich waren und das Wasser auf das 10- bis 20 fache mit sterili- siertem Wasser verdünnt werden mußte, um brauchbare Kulturen zu gewinnen. Staubuntersuchung. Ein sehr interessantes Untersuchungsobjekt für Gelatine- kulturen ist der Staub. Anfangs glaubte ich aus demselben eine Musterkarte von allen möglichen durch die Luft verschleppten Mikroorganismen erhalten zu können, wurde aber bald gewahr, daß die Wirklichkeit meinen Erwartungen nicht entsprach. Aus frisch abgelagertem Staub entwickeln sich allerdings noch ziemlich viel Pilzmyzelien und einzelne Bazillen, aber im Verhältnis zu den unmittelbar aus der Luft auf die Gelatine gelangten zahlreichen Keimen schon ziemlich wenig Mikrokokken. Alter Staub da- gegen, der im Innern von Möbeln oder in ganz abgelegenen Winkeln sich ansammelte, läßt auf Nährgelatine fast nur Pilzmyzelien und ziemlich viele Bazillen zur Entwicklung kommen. Also auch hier bestätigt es sich wieder, daß die große Mehrzahl der Luft- keime ziemhch schnell im eingetrockneten Zustand abstirbt, und daß nur die Dauer- formen der Pilze und Bazillen, ganz besonders aber die der letzteren, lebensfähig bleiben und sich aUmälihch anhäufen. Untersuchung verschiedener Objekte. Es bedarf nur eines kurzen Hinweises, daß in gleicher oder älmlicher Weise wie Luft, Wasser, Boden, Staub auch die verschiedensten anderweitigen Objekte auf ihren Gehalt an entwicklungsfähigen Mikroorganismen ge- prüft werden können. Das Arbeitsfeld, welches durch dieses neue Untersuchungsver- fahren eröffnet wird, ist ein so großes, daß es sehr wünschenswert ist, wenn es von recht vielen Kräften in Angriff genommen würde. Außer regelmäßigen und gründlichen allge- meinen Luft-, Wasser- und Bodenuntersuchungen mit besonderer Berücksichtigung des Grundwassers und Regenwassers an recht vielen verschiedenen Orten und zu verschiede- nen Zeiten, wäre es notwendig, Spezialuntersuchungen über Luft in bewohnten und un- bewohnten Räumen, Schulzimmern, Krankenzimmern, Leichenhäusern, Arbeitsräumen, namentlich in solchen, welche überfüllt sind oder wo leicht zersetz bare und fäulnisfähige Substanzen verarbeitet werden, usw. auszuführen. Ferner würde Mauerwerk, Holzwände, Tapeten, Kleidung, alle möglichen Verkehrsgegenstände, Geld, besonders auch Nahrungs- mittel, z. B. Milch, Wurst (mit Rücksicht auf die in letzter Zeit wieder häufigeren FäUe von Wurstvergiftung), kurz alles, was als Aufenthaltsort oder Träger von patho- genen Mikroorganismen dienen kann, auf seinen Gehalt an letzteren zu untersuchen sein. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 151 Beschreibung der Photogramme. Auf einige bei der Betrachtung und Beurteilung, der Photogramme zu berück- sichtigende Punkte habe ich vorher aufmerksam zu machen. Der Mikroskopiker setzt, während er ein Objekt betrachtet, fast unaufhörhch die Mikrometerschraube in Bewegung, bakl nähert er den Tubus, bald entfernt er denselben von dem ins Auge gefaßten Punkt und erhält dadurch in rascher Folge nicht allein den Gesichtseindruck des fraglichen Ge_genstandes und alles dessen, was mit diesem in der-* selben Ebene liegt, sondern er orientiert sich sofort noch über das, was unmittelbar darüber und darunter liegt. Auf diesen Vorteil muß die Photographie verzichten ; denn das photo- graphische Bild kann immer nur eine einzige sehr dünne Schicht des Präparates wieder- geben. Was genau in dieser Ebene liegt, erscheint mit scharfen Umrissen, alles andere, je nachdem es mehr oder weniger von der scharf eingestellten Ebene entfernt ist, un- deutlich, noch weiterhin sieht es verschwommen aus und die in der Richtung der Mikro- skopachse am weitesten von dem fixierten Punkt gelegenen Gegenstände erzeugen im Bilde nur noch einen Schatten. Je stärker die Vergrößerung ist, um so mehr macht sich das geltend. Auf den ersten Blick erscheint deswegen das photographische Bild von Prä- paraten, die eine gewisse Dicke haben, also von allen Gewebsschnitten, etwas fremd- artig. Es befinden sich darin viele Gegenstände mit undeutlichen Umrissen, dann Schat- ten, die gar nicht erkennen lassen, woher sie entstanden sind. Es sind dies die nicht in der eingestellten Ebene gelagerten Kerne, Bakterienhaufen usw., denen man weiter keine Beachtuiig zu schenken hat. Nur die Stellen des Photogramms sind ins Auge zu fassen, die scharf eingestellt gewesen sind. Oft ist es nur eine kleine Gruppe von Bakterien, welche zu gleicher Zeit in eine Gesichtsebene zu bringen waren ; diese wenigen Individuen genügen aber vollkommen, um die Größen Verhältnisse, Gruppierung usw. zu kenn- zeichnen. Um übersichtliche Bilder von der Lageruno; der Bakterienkolonien im Innern von Organen zu gewinnen, sind schwächere Vergrößerungen, am besten hundertfache geeignet. Bei dieser Gelegenheit will ich noch einmal in Erinnerung bringen, daß Zellen- kerne sowohl wie Bakterien nicht das gleiche Aussehen haben, wenn sie diffus am Deck- glas gefärbt oder mit der Kernfärbung behandelt sind. Besonders auffallend ist dies bei den Milzbrandbazillen, die bei Kernfärbung in Gewebsschnitten ein wesentlich anderes Bild geben, als am Deckglas. Vergleiche kann man auf den Photogrammen also auch nur an solchen Bakterien anstellen, die in gleicher Weise präpariert und gefärbt sind. Um übrigens die so notwendigen vergleichenden Beobachtungen der pathogenen Bakterien zu erleichtern, habe ich fast durchweg gleichstarke Vergrößerungen gewählt. Die Über- sichtsbilder sind bei hundertfacher, die stark vergrößerten bei siebenliundertfacher Ver- größerung aufgenommen. Noch stärkere Vergrößerungen gewähren, wie mir vielfache Versuche gezeigt haben, keinen Nutzen, da bekanntlich die Grenze des Leistungsvermö- gens unserer besten Systeme ungefähr bei der angegebenen Vergrößerung erreicht ist. Die Photogramme sind sämtlich mit S e i b e r t sehen Objektivsystemen auf- genommen; die schwächsten Vergrößerungen mit dem photographischen Objektiv 1 Zoll, die hundertfach vergrößerten mit dem photographischen Objektiv 14 Zoll und die sieben- hundertfach vergrößerten mit dem Immersion ssystera VII. Bei der Vorbereitung für den Lichtdruck, die in Entfernung des Negativlacks und Übertragung des Negativs auf Gelatinefolie bestand, sind manche Negative beschädigt, einzelne haben auch an der ursprünglichen Schärfe etwas eingebüßt. Diese und andere Peliler, die beim photographischen Verfahren niemals ganz zu vermeiden sind und vom Fachphotographen durch Retouche verbessert werden, zu beseitigen, habe ich mit Ab- 152 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. sieht vermieden. An sämtlichen Bildern ist auch nicht der aller- geringste verbessernde oder sonstwie abändernde Eingriff vorgenommen; sie entbehren jeder Art von Retouche und geben das unverfälschte und vollkommen naturgetreue Bild der Objekte wieder. Ich muß deswegen den Be- schauer bitten, die hier und da, namentlich an den Ecken und Rändern der Bilder be- findlichen Streifen, Flecken usw., die sich übrigens immer leicht als nicht zum eigent- lichen Bild gehörig erkennen lassen, übersehen oder wenigstens für einen Beweis des rein objektiven Charakters der Bilder nehmen zu wollen. Taf. VI, Fig. 1 — 6 und Taf. VII, Fig. 7 — 10. Diese zehn Photogramme beziehen sich sämtlich auf das Erysipelas des Menschen. Bekanntlich ist schon von verschiedenen Forschern das Vorkommen von Mikro- kokken in der erysipelatös veränderten Haut konstatiert. Zuerst von v. Reckling- hausen und Lukomsky^), dann von Billroth und Ehrlich^), von T i 1 1 - m a n n s ^) und zuletzt von M. W o 1 f f Doch wurden die Mikrokokken von ihnen nicht in allen Fällen gefunden. Auch lauten die Angaben über den Fundort verschieden. Teils sollen die Mikrokokken in den Lymphgefäßen, teils in den Blutgefäßen sich befunden haben. W o 1 f f weicht noch insofern von den anderen Autoren ab, daß er in Blutproben, aus dem Erysipelrande entnommen, neben Mikrokokken auch Stäbchenformen gefunden haben will. Im ganzen genommen herrscht also noch eine gewisse Unsicherheit über die Konstanz des Mikrokokkenbefvmdes. Inwieweit übrigens die Angaben von W o 1 f f Be- achtung verdienen, darüber habe ich mich im Texte dieser Arbeit schon ausgesprochen imd verweise auf die betreffende Stelle'^). Es bot sich mir die Gelegenheit, acht Fälle von Erysipelas zu untersuchen, davon drei an Leichen und fünf an Lebenden. Den Lebenden wurde ein kleines, ungefähr linsen - großes Stückchen Haut vom Erysipelrande und zwar da, wo der Prozeß im schnellsten Fortschreiten begriffen war. exzidiert. Den Leichen wurden die Hautstücke ebenfalls vom Rande des Erysipels wenige Stunden nach dem Tode entnommen. Die Hautstück- chen kamen sofort nach der Exzision in absoluten Alkohol. In allen diesen Fällen wurden am Rande des Erysipels in den Lymphgefäßen und den benachbarten Bindegewebs- spalten Mikrokokken gefunden. In den leichteren Fällen waren die Mikrokokken nur in spärlicher Zahl zwischen den Lymphzellen verteilt, so daß sie oft nur schwer zu finden waren und ohne die Anilinkernfärbung zweifellos gar nicht nachzuweisen gewesen wären. In zwei der tödlich verlaufenen Fälle waren die Mikrokokken in den Lymphgefäßen in großer Menge, sie lagen in dichtgedrängten Massen, zwischen denen keine Lymphzellen mehr zu erkennen waren, und die dadurch erzeugten Bilder güchen einigermaßen denen von Lukomsk y, welcher nur tödliche Erysipelasfälle untersuchte. Die Mikrokokken waren in allen Fällen von gleicher Größe und gleicher Gruppierung, öfters kurze Ketten bildend. In den Blutgefäßen habe ich sie in keinem Falle von Erysipelas gesehen ; auch ver- mißt man sie in den von Erysipelrande entfernteren Lymphgefäßen. Wenn man sie mit Sicherheit treffen will, muß also der Rand untersucht werden. Stäbchenartige Ge- bilde, wie W o 1 f f sie gefunden haben will, sind mir in keinem Falle zu Gesicht gekommen. Die neun ersten Photogramme gehören ein und demselben Falle von ganz typischem Wunderysipel an. Kurz skizziert verhielt sich derselbe folgendermaßen : An einem schlecht geheilten Amputationsstumpf des Unterschenkels war eine Knochenresektion unter An- 1) Virchows Archiv, Bd. 60, p. 418. 2) Langenbecks Archiv, Bd. XX, p. 418. Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft f. Chirurgie 1878, p. 211. *) Virchows Archiv. Bd. 81, p. 193. Diese Werke, p. 115, Anm. 2. D. Herausgeber. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 153 Wendung des antiseptischen Verfahrens gemacht. Am zweiten Tage trat Fieber ein und stieg am dritten Tage zu bedeutender Höhe. Der L i s t e r sclie Verband wurde abgenom- men. Die Operationswunde war in den oberen zwei Dritteilen verlilebt, zwischen den Rändern des unteren Drittels fand sich eine mäßige Menge gelblichen dünnen Eiters. Von letzterem wurden einige Tröpfchen auf Deckgläsern ausgestrichen und in Alkohol gelegt. Auch wurden einige Glaszellen (hohle Objektträger) mit demselben Eiter be- schickt. Von der Operationswunde (in der Mitte des Unterschenkels) erstreckte sich bis dicht unterhalb des Knies dunkle Rötung und Schwellung der Haut, welche mit einem scharf abgeschnittenen Rande endigte. Am vierten Tage hatte sich das Erj-sipel bis oberhalb des Knies ausgebreitet und erreichte am fünften Tag die Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel des Oberschenkels. Jetzt wurde ein Hautstückchen vom Rande ex- zidiert und sofort in absoluten Alkohol gelegt. Das Erysipel schritt in den nächsten Tagen bis zur Kreuzgegend fort und hörte dann auf. Die Wunde heilte ebenfalls in der Folge ziemlich sclmell. Fig. 1, 2, 3 der Taf. VI zeigen nun Schnitte aus jenem Haut- stückchen bei 100 f acher Vergrößerung. Nr. 1 liegt dicht vor dem roten Rande des Ery- sipels, Nr. 2 entspricht dem Rande und Nr. 3 liegt ungefähr 2 — 3 mm davon entfernt. Im oberen Teil der Bilder erscheint die infolge der plötzlichen Alkoholeinwirkung stark gerunzelte Epidermis, darunter in Nr. 1 die in geringem Maß von Kernen durchsetzte Kutis, in welcher einige zum Teil in der Längsrichtung vom Schnitt getroffene Lymph- gefäße durch ihre Anfüllung mit Kernen auffallen. In Nr. 2 ist der Kernreichtum der Kutis schon erheblich stärker als in Nr. 1, und in Nr. 3 ist derselbe, wenigstens soweit der Schnitt sich in der Ebene der scharfen Einstellung befindet, sehr reichlich. Die Ver- änderung der Lymphgefäße vor dem Erysipelrand, wie Nr. 1 es zeigt, ließ schon vermuten, daß die Krankheitsiu'sache hier schon zur unmittelbaren Wirkung gekommen sei, und in der Tat zeigen sich bei 700 f acher Vergrößerung schon vereinzelte oder auch paarweise verbundene Mikrokokken in diesen Lymphgefäßen. Nr. 6 gibt das auf Nr. 1 links be- findliche lange Lymphgefäß zum Teil wieder und es sind schon in der einen Ebene, welche das Photogramm fixiert, eine nicht geringe Anzahl zwischen und neben den Kernen der Lymphkörperchen befindliche Mikrokokken zu sehen. Die Mikrokokken werden in den Lymphgefäßen reichlicher, wenn die Erysipelgrenze, also die gerötete Hautpartie, unter- sucht wird. Nr. 7 auf Taf. VII (700 x ) zeigt ein solches fast quer durchschnittenes Lymph- gefäß. An manchen Stellen wuchern die Mikrokokken in die benachbarten Bindegewebs- spalten hinein, wie auf Taf. VII, Nr. 8 und 9 (700 ) zu sehen ist. Die dunklen Schatten am oberen Rande von Nr. 8 und 9 und an der rechten Seite von Nr. 7 der Taf. VII gehören der untersten Schicht des Rete Malpighn an. Es spielt sich der eigentliche Wachstums- prozeß der Mikrokokken bei leichteren Erysipelfällen also nur in den am oberflächlichsten gelegenen Lymphgefäßen ab. Wie erwähnt, wurden am dritten Tage der Krankheit der Eiter zur weiteren LTntersuchung an Deckgläsern ausgestrichen. Auf Taf. VI gibt Nr. 4 (700 X ) ein Bild desselben. Zwischen den Kernen der Eiterkörperchen liegen die paar- weise, höchstens bis zu vieren verbundenen Mikrokokken, welche in der Größe den in den weit von der Wunde entfernten Hautstückchen gefundenen vollständig gleichen. Taf. VI, Nr. 5 (700 > ) zeigt die in der Glaszelle zur Weiterentwicklung und Vermehrung gekoinmenen Mikrokokken des Eiters. Taf. VII, Nr. 10. 700 x . Schnitt aus der Haut eines an Kopferysipelas Ver- storbenen. (Das Material verdanke ich Herrn Dr. E h r 1 i c h). Reichliche Anhäufung von Mikrokokken in einem erweiterten Lymphgefäß. Rechts unten befindet sich der Quer- schnitt eines Blutgefäßes, welches ganz frei von Mikrokokken ist. Taf. VII, Nr. 11. 100 x. Endocardüis ulcerosa. Mikrokokkenhaltiges Gefäß im Herzmuskel. Geringe Kernansammlung in der Umgebung. 154 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Taf. VII, Nr. 12. 700 x. Die rechte Hälfte des in Nr. 5 abgebildeten Gefäßes. An den dünneren Stellen löst sich die dunkle Masse bei starker Vergrößerung in die ein- zelnen Mikrokokken auf. Taf. VIII, Nr. 13. 100 x. Endocarditis ulcerosa. Herzmuskel. Teilungsstelle eines Gefäßes durch Mikrokokken verstopft. Starke Kernanhäufung rund umher. Taf. VIII, Nr. 14. 700 x . Endocarditis ulcerosa. Mikrokokkenhaufen in einem Harnkanälchen. Vom Epithel des Harnkanälchens sind nur noch Reste am linken Rande vorhanden. In der Nachbarschaft befanden sich noch weitere mit Mikrokokken mehr oder weniger gefüllte Harnkanälchen, die sich um einen mit Mikrokokken dicht gefüllten und von denselben gesprengten Glomerulus gruppierten. Taf. VIII, Nr. 15 und 16. 100 x. Schnitte aus der Niere von Menschenpocken. Gefäße mit Mikrokokken gefüllt. Taf. VIII, Nr. 17. 700 x . Menschenpocken. Leberkapillaren mit Mikrokokken. Taf. VIII, Nr. 18. 700 x. Menschenpocken. Nierenkapillare mit Mikrokokken. Taf. IX, Nr. 19. 700 x . Zahnspirochaeten. Zum Vergleich mit den daneben be- findlichen Rekurrensspirochaeten. Taf. IX, Nr. 20. 700 x . Blut von einem Rekurrenskranken, welches zur Impfung eines Affen diente. Taf. IX, Nr. 21. 700 x. Rekurrensspirochaeten in Knäuelform. Aus Indien. Nach einem von Dr. H. V. Carter aus Bombay erhaltenen Präparat'). (In Glyzerinbraun eingelegt; deswegen erscheinen die roten Blutkörperchen fast farblos, während die anderen in Kanadabalsam eingelegten Deckglaspräparate von Rekurrens die roten Blutkörper- chen dunkel gefärbt zeigen). Taf. IX, Nr. 22. 700 x . Rekurrensspirochaeten aus dem Blute des mit dem Blute Nr. 20 geimpften Affen. (Leider ging ein kräftigeres und weit schärferes Negativ von diesem Bilde bei der Präparation zugrunde und es mußte deswegen dieses nicht die volle Schärfe besitzende Bild als Ersatz genommen werden.) Taf. IX, Nr. 23. 700 x . Schnitt aus dem Gehirn des mit Rekurrensblut geimpften und auf der Höhe der Krankheit getöteten Affen. Zwei Kapillaren ziehen sich von oben nach unten. In der rechts befindlichen liegt eine der Längsrichtung des Gefäßes ent- sprechende, in der Mitte schwach geknickte Spirochaete. In solcher Ausdehnung, wie Nr. 5 che Spirochaete zeigt, bekommt man sie nur selten zu Gesicht, weil es ein Zufall ist, daß die Längsachse der Spirochaete vollständig in der EinsteUungsebene hegt. Meistens sind nur einige Windungen der Spirocheaten einigermaßen deutlich zu sehen. Um von diesem, dem gewöhnlichen Bilde der Spirochaeten in Gewebsschnitten eine Vorstellung zu geben, soU Taf. IX, Nr. 24. 700 x, dienen: ebenfalls ein Schnitt aus dem Gehirn desselben Affen, und zwar vom Rande. Den unteren Teil des Bildes nimmt die dunkelgefärbte Hirnsubstanz ein, dann folgt eine hellere Partie, die Pia rtmter, innerhalb welcher ein größeres Gefäß quer durchschnitten ist. Die Ränder des Gefäßes erscheinen bei dieser Ein- stellung nur am linken unteren Rande einigermaßen deutlich. In der Nähe dieses unteren Randes befinden sich zwei schräg von unten rechts nach oben links verlaufende Spiro- chaeten, von denen 3 bis 4 Windungen deutlich zu unterscheiden sind. Taf. X, Nr. 25. 100 x . Schnitt aus der Leber von einem an Impfmilzbrand gestor- benen Kaninchen. Alle Kapillaren sind mit Milzbrandbazillen mehr oder weniger gefüllt. Taf. X, Nr. 26. 700 x . Aus demselben Präparat wie das vorhergehende Photo- gramm. Bei der stärkeren Vergrößerung erscheinen in dem die Leberzellen umspinnenden Kapillarnetz die einzelnen Milzbrandbazillen. ') Vgl. p. 109—111. D. Herausgeber. l Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 155 Taf. X, Nr. 27. 700 . Schnitt aus der Niere von einem niilzbrandigen Kaninchen. Glomerulus mit Milzbrandbazillen. Taf. X, Nr. 28. 500 ■ . Aus demselben Präparat wie das vorige. Bei der schwäche- ren Vergrößerung erscheint der mit Bazillen teilweise dicht gefüllte Glomerulus plasti- scher als der des vorhergehenden Photogramms. Taf. X. Nr. 29 u. 30. 700 x . Milzbrandbazillen aus der Milz einer an Impfmilz- brand gestorbenen weißen Ratte; neben dunkelgefärbten lebensfähigen befinden sich in demselben Bazillus abgestorbene Glieder, die sich dadurch auszeichnen, daß sie die Anilin- farben nicht mehr annehmen, etwas gequollen aussehen und fast den Eindruck machen, als wäre es eine ihres Inhalts beraubte Hülle. Taf. XI, Nr. 31. 20 >( . Das eine Ende eines Seidenfadens, an welchem Milzbrand- sporen angetrocknet waren und welcher 24 Stunden in einer konzentrierten wäßrigen Lösung von schwefliger Säure (11,436 Gewichtsprozent) gelegen hatte. Auf Nährgelatine gebracht, entwickelten sich die Milzbrandsporen trotz dieser Behandlung in der üppigsten Weise zu langen lockigen und vielfach verschlungenen Fäden und Fadenbündeln. Bei dieser schwachen Vergrößerung sind die einzelnen Fäden kaum zu erkennen und die sichtbaren Linien bestehen fast durchweg aus Fadenbündeln. Dies Photogramm gibt die höchst charakteristische Form, in welcher die bei den Desinfektionsversuchen so vielfach zur Verwendung gekommenen Milzbrandsporen auf Nährgelatine auswachsen, in aus- gezeichneter Weise wieder. Taf. XI, Nr. 32 und die übrigen Photogramme dieser Tafel sowie die drei ersten der nächsten Tafel verdanken ihren Ursprung einem Fall von Milzbrand beim Menschen, der in vielfacher Beziehung Interesse erweckt. In meinem frühei^en Wirkungskreise hatte ich nicht selten Gelegenheit, Milzbrandinfektion beim Mensehen zu beobachten. Die Form, unter welcher die Krankheit auftrat, war fast immer eine erhebliche Schwellung und Rötung, welche von der im Gesicht, am Hals, am Vorderarm oder Hand gelegeneji Infektionsstelle sich mehr oder weniger ausbreitete. Die Haut an der Infektionsstelle selbst war, wenn die Kranken ärztliche Hilfe suchten, meistens schon in weiter Ausdehnung gangränös, bisweilen mit blauroten oder schwärzlichen Blasen umgeben. Die Diagnose ließ sich mit Sicherheit nur durch den Nachweis der Milzbrandbazillen an der Infek- tionsstelle und durch die erfolgreiche Infektion von Versuchstieren feststellen. Ganz abweichend von diesen Milzbrandformen verhält sich der uns hier beschäftigende Fall. Bei einer kräftigen Viehmagd aus einem Orte, in welchem alljährlich der Milzbrand unter Schafen, nicht selten auch unter dem Rindvieh Verheerungen anrichtete, hatte sich im Laufe von acht Tagen in der oberen Sternalgegend aus einer kleinen Kratzwunde eine eigentümliche Geschwulst gebildet. Am einfachsten läßt sich die Gestalt dieser Ge- schwulst mit derjenigen einer Pocke, welche ganz ungewöhnliche Dimensionen angenom- men hat, vergleichen. In der Mitte eine tiefe Depression von schwärzlicher Farbe, die von einem gelblichweiß gefärbten breiten Wulst umgeben ist. Letzterer hat eine ziemlich feste Konsistenz und ist strahlenförmig gefurcht ; am äußeren Rande ist die Ge- schwulst noch von Epidermis bekleidet ; nach innen zu hat sich die Epidermis abgelöst. Die dadurch bloßgelegte Geschwulstmasse sezerniert eine fast vvasserklare Flüssigkeit in solcher Menge, daß dieselbe tro])fenweise herabsickert. Die Größe der Geschwulst ent- sprach ungefähr derjenigen einer kleinen, mitten durchgeschnittenen Kartoffel. Diese in ihrem Aussehen ganz eigenartige Affektion erinnerte, zumal die Geschwulst gegen die nicht gerötete oder sonstwie veränderte Umgebung ganz scharf abgesetzt war, nicht im entferntesten an die bekannten Erscheinungen einer Milzbrandaffektion . Als nun aber etwas von der Substanz aa der Oberfläche des Knotens abgeschabt und mikroskopisch unter- sucht wurde, zeigten sich neben zahlreichen anderen Bakterien, namentlich Mikrokokken . 156 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. ganz unverkennbare Milzbrandbazillen. Zur weiteren Sicherung der Diagnose wurde noch ein Kaninchen am Ohr und zwei Mäuse an der Schwanzwurzel mit der Geschwulstmasse geimpft. Die Kranke erschien übrigens sehr schwach, klagte über die heftigsten Schmerzen in der Brust und hatte eine Körpertemperatur von 40,9 ^ C . Über den weiteren Verlauf kann ich mich kurz fassen. Der Knoten wurde sofort exstirpiert, die Operationswunde mit 5proz. Karbolsäurelösung behandelt und in die Umgebung außerdem 2 proz. Karbol- injektionen mit der Pravazschen Spritze gemacht. Es erfolgte danach schnelle Heilung. Die Geschwulst war nach der Exzision sofort in Alkohol gelegt und die weitere mikro- skopische Untersuchung bestätigte vollständig die vorläufige Diagnose auf Milzbrand. Auch die geimpften Tiere erlagen, und zwar die Mäuse am nächsten, das Kaninchen am darauffolgenden Tage dem regelrechten Milzbrand ; sie hatten sämtlich stark vergrößerte Milz und zahllose Milzbrandbazillen in der Milz, Lunge und im Herzblut. Von diesen Tieren wurden dann noch weitere Impfungen vorgenommen, welche in der gewöhnlichen Weise typischen Milzbrand hervorriefen. Die hier beschriebene Milzbrandform scheint beim Menschen nur sehr selten vorzukommen. Die Schriftsteller führen allerdings eine sogenannte Pockenform des Milzbrandes auf, die sich aber doch wesentlich anders verhält ; es soll eine erbsen- bis bohnengroße Blase von zelligem Gefüge, in der Mitte mit einer Vertiefung versehen auf der Höhe einer erysipelatösen Geschwidst stehen. In unserem Falle war die Pocke, wenn ich sie so nennen soll, bedeutend größer und die Umgebung ganz unverändert, also kann man sie nicht unter die gewöhnlich so bezeichnete Pocken- form des Milzbrandes subsummieren. Unter den zahlreichen Fällen von Milzbrand, die in der Literatur zu finden sind, habe ich nur einen einzigen angetroffen, der dem von mir beobachteten vollständig gleicht. M a 1 1 h y ^) gibt folgende Schilderung davon : ,,Ein junger Mensch hatte auf jedem Arm eine Blatter, dunkelbraun von Farbe, in der Mitte eine schwarze Vertiefung wie bei den Pocken, und die Narben der Haut (unter Narben sollen wohl die strafferen Bindegewebszüge derselben verstanden sein) in die Höhe gedehnt, so daß sie Einschnitte derselben bildeten und die Blattern vollkommen die Gestalt einer gefurchten Pastete oder einer Art von Liebesäpfel darstellte. Ich skari- fizierte diese, legte Diachylon comp, darüber, empfahl ihm Branntwein zu trinken, und so genas er." Einige Beschreibungen von Milzbrandformen, die Hunnius, Glan- s t r o e m und andere von Heusinger zitierte Autoren geliefert haben, machen es allerdings wahrscheinlich, daß dieselbe Form hin und wieder schon anderweitig beobachtet ist, immerhin aber zu den seltenen Milzbrandformen gehört. Der von M a 1 1 h y ge- wählte Vergleich des Karbunkels mit einer Art von Liebesäpfeln, womit er unzweifelhaft die heutzutage auf jedem Gemüsemarkt zu findenden Tomaten meint, ist außerox'dent- üch zutreffend, wenigstens in bezug auf Größe und Gestalt der Geschwulst. Auf die Be- merkung M a 1 1 h y s über die bei seinem Kranken befolgte Heilmethode mache ich noch ganz besonders aufmerksam als ein recht schlagendes Beispiel, daß der Milzbrand beim Menschen auch bei einer so widersinnigen Behandlung, wie die von Matth y angewen- dete, bei welcher durch das Skarifizieren des Knotens die tieferen noch nicht infizierten Gewebsschichten der Infektion durch die an der Oberfläche wuchernden Milzbrandbazillen ausgesetzt werden mußten, dennoch heilen kann. Auch in meinem Falle wäre die Heilung möghcherweise ohne Exstirpation und Karbolsäurebehandlung eingetreten und ich bin weit davon entfernt, dieser Behandlung eine hervorragende Heilwirkung zuzuschreiben. Wenn der M a 1 1 h y sehe Kranke nach französischer Methode anstatt mit Branntwein mit Jod innerlich behandelt worden wäre, dann würde selbstverständlich dem Jod der Heileffekt zugewiesen werden. M Briefe über wichtige Gegenstände der Therapie, 1801. p. 170 (zitiert nach Heusinger, Milzbrandkrankheiten) . Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 157 Was nun die mikroskopische Beschaffenheit des Tumors betrifft, so bestand der- selbe ans einer eigentümhchen fibrinösen Substanz, in vvelclier außer den gleich zu be- schreibenden Bakterien keine Gewebselemente zu unterscheiden waren. Nur am Grunde des Knotens, wo er in das aufgelockerte Kutisgewebe überging, fanden sich Kerne von Rundzellen. Soweit die Epidermis der Geschwulstsmasse fest anlag, waren nur Milz- brandbaziUen in die fibrinöse Substanz eingebettet, und zwar am dichtesten unmittel- bar unter der Epidermislage, und von da aus meistens in dichtgedrängten Zügen in das Innere der Geschwulst sich hineinerstreckend. Taf. XI, Nr. 32. 100 ^ . Zeigt einen Schnitt aus einer solchen Randpartie der Geschwulst, nach oben zu die Epidermis, darunter die, wie selbst bei dieser geringen Vergrößerung schon auffällt, eigentümlich gekräuselten und verschlungenen Bazillen. Je weiter man die Bazillen nach dem Innern der Geschwulst zu verfolgt, um so mehr fällt die Abweichung der Bazillen von der gewöhnlichen bekannten Form des geraden, glatten Stäbchens auf. Sie werden immer stärker gekrümmt, verzerrt, sehen (bei starker Ver- größeriing) gequollen und an den Rändern rauh aus und verlieren immer mehr das Ver- mögen, Farbstoffe aufzunehmen, kurz sie zeigen alle diejenigen Veränderungen, welche man an absterbenden oder in ungeeigneter, z. B. schwach saurer Nährflüssigkeit kümmer- lich wachsenden Milzbrandbazillen zu sehen gewohnt ist. Etwas ähnliches wurde schon von den Bazillen in der Rattenniilz erwähnt (vgl. Taf. X, Nr. 29 und 30). Dieses Ver- halten der Bazillen läßt darauf schließen, daß die tieferen Schichten der Geschwulst ihnen sehr schlechte Bedingung n für ihre Ernährung bieten, und daher mag es auch gekommen sein, daß die Krankheit durch eine so verhältnismäßig lange Zeit ganz lokal geblieben war. Wie man sich dieses merkwürdige Faktum erklären soll, ob hier individuelle Ver- hältnisse, etwa besonders geringe Empfänglichkeit der Kranken für die Milzbrandkrank- heit, wie sie bei manchen Menschen unzweifelhaft vorhanden ist, oder ob eine Mitwirkung der gleich zu erwähnenden anderen Bakterien hier im Spiele ist, muß ich dahingestellt bleiben lassen. Alle die Stellen der Geschwulstoberfläche, welche von Epidermis entblößt waren und sich in einem feuchten Zustande befanden, waren von verschiedenen anderen Bakterienarten in Beschlag genommen, welche die Milzbrandbazillen daselbst teilweise oder ganz verdrängt hatten. Daß sie erst nach den Milzbrandbazillen sich angesiedelt hatten, ging daraus hervor, das letztere immer in den tieferen Schichten unter den an der Oberfläche üppig wuchernden Bakterien, Mikrokokken usw. noch deutlich, wenn auch meistens in der oben angegebenen Weise verändert, zu erkennen waren. Diese nach- träglich angesiedelten Schmarotzer, denen offenbar durch die pathagenen Milzbrand- bazillen erst das Terrain zugänglich gemacht werden mußte, haben insofern ein hohes Interesse, als sie uns Beispiele von Bakterien bieten, für welche vniter Umständen die Ge- webssäfte des lebenden menschlichen Körpers einen günstigen Nährboden abgeben können. Selbstverständlich bleibt vorläufig jedes Urteil darüber, ob diese Bakterien gelegentlich auch selbständig pathogen im menschlichen Körper auftreten können oder ob ihnen immer nur eine sekundäre Rolle, wie im vorliegenden Falle, beschieden ist, in suspenso. Es fanden sich unter denselben einige, welche eine ganz auffallende Ähnlichkeit mit schon bei Pocken und Malaria gefundenen, angeblich pathogenen Bakterien haben, daß es mir notwendig schien, gerade von diesen Photogramme zu veröffentlichen, um die Frage anzuregen, ob die erwähnten als pathogen angesprochenen Bakterien ebenso, wie in meinem Falle, nur sekundäre und, wie ich vorläufig annehmen muß, bedeutungslose Verunreinigungen eines ursprünglich reinen Krankheitsprozesses sind in demselben Sinne, wie man von einer Ver- unreinigung einer Bakterien-Reinkultur spricht, oder ob die in meinem Falle gefundenen Bakterien zufällig dahin verirrte, ursprünglich gleichfalls selbständig pathogene Bakterien sind. Es wäre, wenn die Frage im letzteren Sinne entschieden werden sollte, allerdings 158 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. etwas auffällig, daß zu einer Milzbrandinfektion sich noch ganz zufälhg Pocken- und Malariabakterien gesellen sollten. Nach diesen Ausführungen werde ich mich in der Beschreibung der hierher ge- hörigen Photogramme kurz fassen können. Taf. XI, Nr. 33. 700 x . Schnitt von der Oberfläche der Geschwulst an einer von Epidermis bedeckten Stelle. Rechts die Epidermis, deren Zellen gequollen sind, darunter, nach Hnks zu, das dichte Gewirr von kräftig entwickelten Milzbrandbazillen. Taf. XI, Nr. 34. 700 x. Aus dem Innern der Geschwulst. Gekrümmte, wenig ge- färbte, im Absterben begriffene oder auch zum Teil schon abgestorbene Milzbrandbazillen. Taf. XI, Nr. 35." 700 x . Dichtgehäufte Kolonien von ziemlich großen Mikrokokken neben Milzbrandbazillen, welche teilweise noch wohlerhalten, teilweise gequollen, un- gefärbt, also abgestorben sind. Taf. XI, Nr. 36. 700 x . Kolonien von verschiedenen Mikrokokken. Darunter solche, welche kurze Ketten bilden, in denen je zwei Glieder enger miteinander ver- bunden sind. Nach unten blasse abgestorbene Milzbrandbazillen. Taf. XII, Nr. 37. 700 x . Mikrokokken in einzelnen kleinen, dichtgedrängten Haufen und teilweise zerstreut. Letztere zeigen überall da, wo sie bei der photographi- schen Aufnahme scharf eingestellt waren, eine ganz regelmäßige Anordnung entweder zu zweien, oder noch häufiger zu vieren, gruppiert. Wenn dieses Photogramm mit der Ab- bildung der von K 1 e b s beschriebenen Variola-Mikrokokken ^), wie er sie im Tracheai- schleim einer Pockenleiche gefunden hat, verglichen wird, dann tritt eine so wesent- liche Übereinstimmung in Größe imd Anordnung der Mikrokokken hervor, daß man kaum an ihrer Identität zweifeln kann. Taf. XII, Nr. 38. 700 x . Gruppen einer anderen größeren, aber ebenfalls vor- wiegend zu je vier Individuen verbundenen Mikrokokkenart. Taf. XII, Nr. 39. 700 x. Die Milzbrand bazillen gehen an dieser Stelle bis dicht an die von Epidermis entblößte Oberfläche der Geschwulst. Darüber hinweg ist eine Schicht außerordentlich zierlicher und feiner Bazillen gelagert, welche dadurch aus- gezeichnet sind, daß in ziemlich regelmäßigen Abständen dunkler gefärbte Punkte ein- gelagert sind. Am meisten nach außen befinden sich einige Bazillen, in denen diese Punkte kaum angedeutet sind, daneben lassen sich alle Übergänge bis zu solchen auffinden, in denen die Bazillensubstanz fast verschwunden, dagegen die dunklen Punkte sehr aus- gesprochen hervortreten. Ob dies fortlaufende Stufen von Entwicklung und vielleicht Sporenbildung sind, vermag ich bislang nicht zu entscheiden. Sollte es sich um Sporen handeln, dann würden diese sich von den übrigen bekannten Bazillensporen sehr wesent- lich unterscheiden, weil letztere bei der Kernfärbung keine Anilinfarbstoffe annehmen. Diese Bazillen entsprechen, soweit sich aus Beschreibung und Abbildung schließen läßt, vollkommen den von K 1 e b s und Tommasi-Crudeli'^), sowie von M a r - c h i a f a V a und C u b o n i 3) geschilderten Malariabazillen. Weitere Untersuchung und Vergleichung, wozu sich namentlich photographische Abbildungen der Malariabazülen eignen würden, müssen über dieses eigentümliche Zusammentreffen Aufklärung verschaffen. Taf. XII, Nr. 40. 700 x . Bakterien aus Blut, welches einige Tage gefault war. Dieses Photogramm wurde als Beispiel für die Mannigfaltigkeit der Bakterienarten in Faulflüssigkeiten gewählt. Dicht nebeneinander und doch deutlich gruppenweise ge- sondert, zeigen sich auf demselben sehr feine blasse Bazillen, andere dunkler gefärbte und etwas größere Bazillen, ferner Mikrokokken in allen möglichen Größen, Unter- 1) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie, Bd. X. Heft 3 u. 4, p. 220. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie, Bd. XI. Ebendas., Bd. XIII. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 159 schieden im Färbungsvermögen usw. Zu diesem Photogramm ist zu vergleichen diese Veröffenthchung p. 120. Taf. XII, Nr. 41 und 42. 700 • . Nr. 41 Bazillen im Blute einer an Septicäjnie gestorbenen Maus. Nr. 42 Schnitt aus dem Ohr einer mit Septicämie am Ohr geimpften Maus. Im unteren Teil des Photogramms die großen Knorpelzellen; an deren Rande sich ein Schwärm von kleinen Bazillen hinzieht. Vgl. diese Veröffentlichungen p. 169 ff.'-) Taf. XIII, Nr. 43, 44 und 45. 700 x . Bazillen des mahgnen Ödems. Nr. 43 aus der Ödemflüssigkeit eines Meerschweinchens. Nr. 44 aus der Lunge einer Maus. Nr. 4.5 aus der Milz eines Meerschweinchens (etwas verlängerte Bazillen, wie sie bisweilen vor- kommen, besonders wenn die Sektion nicht sofort nach dem Tode vorgenommen wird). Vgl. diese Veröffentl. p. 54 (diese Werke p. 179. D. Herausgeber). Taf. XIII, Nr. 46. 700 > . Schnitt vom Rande der Niere eines an malignem Ödem gestorbenen Meerschweinchens. Beim Vergleich dieses Photogramms mit den Schnitten aus Milzbrandorganen Taf. X, Nr. 26 und 27 fällt sofort die große Älmlichkeit der beiden Bazillenarten ins Auge. Taf. XIII, Nr. 47 und 48. 700 y . Schnitte aus der Hornhaut eines pockenkranken Schafes, und zwar vom Rande eines Hornhautgeschwüres. Die ulzerierte Stelle ist von einer massenhaften Kernanhäufung umgeben und zwischen den Kernen breitet sich ein dichter Filz von leicht gekrümmten, stellenweise wellig gebogenen Bazillen aus. An manchen Punkten schieben sich die Bazillenmassen vor den Kernen her in das noch intakte Hornhautgewebe hinein wie auf Nr. 47. Es ist deswegen auch wahrscheinlich, daß die Ulzeration durch die Einwanderung der Bazillen bedingt ist. Hin und wieder haben die Bazillen ein gekörntes Aussehen , Nr. 48, ähnlich denjenigen der Bazillen auf Taf. XII, Nr . 39. Taf. XIV, Nr. 49. 100 x . Bakterienherd aus der Niere von Typhus abdominalis. Taf. XIV, Nr. 50. 100 x . Ein ebensolcher aus der Leber von Typhus abdominalis. Taf. XIV, Nr. 51. 100 >' . Ein ebensolcher aus der Milz von Typjhus abdominalis. Taf. XIV, Nr. 52. 700 >; . Schnitt aus der Leber von Typhus abdominalis. Rand eines Bakterienherdes, wo sich derselbe stellenweise auflöst und die einzelnen Bakterien sehr gut zu erkennen sind. Taf. XIV, Nr. 53. 700 x . Schnitt aus der Milz von Typhus abdominalis. Kleiner Bakterienherd, in dem die Bakterien ebenfalls einzeln zu vniterscheiden sind. Zu diesen fünf Photogrammen habe ich folgendes zu bemerken. Beim Abdominal- typhus sind schon mehrfach Bakterien gefunden, und zAvar drei verschiedene Arten. Mikrokokken von mehreren Autoren beschrieben, kurze dicke Bazillen, über welche E b e r t h ') zuerst berichtet hat, und lange dünne Bazillen, die kürzlich von K 1 e b s beschrieben sind. Die Mikrokokken kommen, wie Eberth gefunden hat, nichtsehr oft vor, die kurzen Bazillen dagegen ungefähr in der Hälfte der untersuchten Fälle; und zwar werden diese beiden Bakterienarten immer im Innern der verschiedensten Organe gefunden. Die Klebsschen Bazillen befinden sich fast nur im Bereich der nekrotischen Darmgeschwüre. Es fragt sich nun. kommt einem von diesen Organismen die Bezeichnung Typhusbakterien zu, d. h. ist er die Typhusursache und, wenn dies der Fall ist, welchem. Die beiden Bazillenarten sind fast regelmäßige Begleiter des Typhus, die Mikrokokken treten seltener auf mid haben sehr viel Ähnlichkeit mit den in anderen Krankheiten vor- kommenden sekundär in die Gewebe eingedrinigenen Mikrokokken. Es wird also darüber wohl kein Zweifel bestehen, daß die Mikrokokken, von denen ich übrigens auf der fol- ^) Gaffky, Mitteil, aus d. Kaiserl Gesundheitsamt, 1881, Bd I, p. 120 ff. D. Herausgeher. ^) Löffler, ehendas. p. 169 ff. D. Herausgeber. Virchows Archiv, Bd. 81 u. 83. ^) Archiv für experimentelle Pathologie \ind Pliarmakologie, Bd. XI II 160 Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. genden Tafel ebenfalls eine photographische Abbildung gebe, auch im Typhus abdominalis ein gelegentliches Vorkommen von sekundärer Bedeutung bilden. Es bleiben mithin nur die K 1 e b s sehen und die E b e r t h sehen Bazillen. K 1 e b s scheint beide für identisch und für verschiedene Entwicklungsformen desselben Bazillus zu halten. Dem möchte ich widersprechen. So weit meine Erfahrung reicht, haben die Bazillen in den Mesenterial- di'üsen in der Milz, Niere, Leber usw. nur immer die von Eberth beschriebene Gestalt und genau ebenso sehen sie in den tieferen, nicht nekrotischen Teilen der Darmschleim- haut unterhalb der Darmgeschwüre aus, wo ich sie in zahlreichen Präparaten in aus- gedehnten Lagern vorgefunden habe. In den oberen nekrotischen Partien der Darm- schleimhaut, welche die Kernfärbung nicht mehr annehmen, traten die dünnen langen Bazillen auf, wie sie Klebs abbildet. Einen Übergang zwischen beiden Bazillensorten habe ich nicht beobachten können und muß sie wegen der Form Verschiedenheit, wegen ihres verschiedenen Färbungsvermögens und wegen des verschiedenen Verhaltens zu den inneren Organen für zwei verschiedene Bakterienarten halten. In dem mir zu Gebote stehenden Material, welches weit geringer ist als das von Eberth benutzte, gestaltete sich der Bakterienbefund genau in dem von ihm angegebenen Zahlenverhältnis. In der Hälfte der Fälle waren fast in allen Organen die Herde, welche aus den ganz charakteristischen kurzen Bazillen bestehen, vorhanden, in der anderen Hälfte fehlten sie und nur in einem Falle kamen Mikrokokken vor. Ohne damit irgend- wie Eberth die Priorität streitig machen zu wollen, sondern nur, weil ich annehme, daß ein solcher Befund durch die voneinander unabhängige mehrfache Konstatierung an Wert gewinnt, will ich noch anführen, daß die hier veröffentlichten, auf Typhus abdominalis bezüglichen Photogramme schon vor zwei Jahren, also zu einer Zeit, als Eberth seine Beobachtungen noch nicht veröffentlicht hatte, angefertigt sind. Nach meinem Dafürhalten gewinnt die Annahme, daß die Eberth sehen Bazillen mit dem Typhus abdominalis in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, dadurch sehr an Wahrscheinlichkeit, daß sie überall in den inneren Organen verbreitet gefunden werden, während die K 1 e b s - sehen Bazillen nur nekrbtische Darmpartien in Beschlag nehmen. Sehr charakteristische Beispiele dafür, daß andere Bakterien sich mit Vorliebe auf einem von pathogenen Bak- terien vorbereiteten Boden niederlassen, habe ich in den Photogrammen von Milzbrand des Menschen gegeben. Auch hatte ich Gelegenheit, bei einem Falle von Darmmilzbrand des Menschen in den nekrotischen Partien der Schleimhaut genau dieselben dünnen, langen Bazillen, wie sie beim Typhus vorkommen, in großer Zahl zu finden, und ich kann aus diesen Gründen die Klebsschen TyphusbaziUen vorläufig nur als eine sekundäre Erscheinung ansehen. Eine bestimmte Entscheidung über die Bedeutung dieser verschie- denen Bazillen für den Typhus läßt sich nach den bis jetzt vorliegenden Tatsachen in- dessen noch nicht gewinnen. Eberth hat noch behauptet, daß die kurzen Bazillen wenig Neigung hätten, Farb- stoffe aufzunehmen. Die vorliegenden Photogramme beweisen wolil dagegen, daß auch diese Bazillen im Färb ungs vermögen wenig hinter anderen Bakterien zurückstehen. Taf. XIV, Nr. 54. 100 x. Aspergillus glaucus. Aus der mit Myzelien durchsetzten Niere eines nach Injektion von Sporen dieses Pilzes gestorbenen Kaninchens auf Nähr- gelatine gezüchtet. (Vgl. diese Veröffentlichung p. 131.)^) Taf. XV, Nr. 55. 100 x . Schnitt aus der Niere von Typhus abdominalis. Mit Mikro- kokken gefüllte Gefäße. Stellenweise dringen die Mikrokokken ähnlich wie bei Endocarditis ulcerosa aus einem gesprengten Glomerulus in die benachbarten Harnkanälchen. Taf. XV. Nr. 56. 700 x . Querschnitt eines solchen Harnkanälchens aus der Typhusniere einen Mikrokokkenhaufen einschließend. 1) Gaffky, Mitteil, aus d. Kaiserl. Gesundheitsamt, 1881, Bd. I, p. 131. D. Herausgeber. Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. 161 Taf. XV, Nr. 57, 58, 59 und 60. 700 ■ . Nr. 57 Schnitt aus der Lunge und Nr. 58, 59, 60 Schnitte aus der Niere von einer tödhch verlaufenen Pneumonie, welche sich an einen überstandenen Rekurrens angeschlossen hatte. Die Verbreitung der in diesem Falle gefundenen Bakterien erinnert an diejenige beim Erysipel. Nur in den am Rande der verdichteten Lungenpartien gelegenen Alveolen waren die Bakterien zu finden. Am deutlichsten waren sie in solchen Alveolen, wie das Photogramm Nr. 57 zeigt, in denen das Exsudat den Raum nur teilweise ausfüllte. In den benachbarten, vollständig luftleeren Alveolen waren auch noch die Bakterien zu sehen, aber weniger gut gefärbt und an- scheinend im Absterben begriffen. Sie umgaben also, ebenso wie die Erysipelas-Mikro- kokken, den Krankheitsherd in einem schmalen Saum, demselben teilweise voraus- gehend. An manchen Stellen ließ sich ihr Übergang in einzelne Lungenkapillaren ver- folgen und sie fanden sich dementsprechend auch in der Niere (andere Organe standen mir von diesem Falle nicht zu Gebote) in einigen Kapillaren. Solche Nierenkapillaren, in denen die Form dieser eigentümlichen, stellenweise kurze Ketten bildenden Bakterien besonders hervortritt, sind in den Photogrammen Nr. 58, 59, 60 gegeben. Ohne Kern- färbungsmethode und Anwendung des Abbe sehen Beleuchtungsapparates wären diese Bakterien in den Lungenalveolen unmöglich zu erkennen. Sollte sich nicht noch manche Pneumonie, wenn die Randzone ganz besonders aufmerksam und mit Hilfe der auch in diesem Falle so bewährten Untersuchungsmetliode durchforscht würde, als eine durch Bakterieninvasion bedingte Krankheit herausstellen ? Taf. XVI. Nr. 61. 100 x . Schnitt aus einer pyelonephritischen Niere. In der Mitte, querverlaufend, ein mit dunklem Inhalt gefülltes Harnkanälchen. Andere mehr oder weniger schräg durchschnittene, ebenfalls mit Bakterien gefüllte Kanälchen daneben und darunter. Taf. XVI, Nr. 62. 700 \ . Schnitt aus derselben Niere. Ein schräg durchschnittenes bakterienhaltiges Harnkanälchen; das noch gut erhaltene Epithel umschließt die locker zusammengehäuften, etwas länglichen Bakterien, welche einige Ähnlichkeit mit den Eberthschen Typhusbazillen haben. Taf. XVI, Nr. 63. 700 x . Schnitt aus derselben Niere. Die Größe und Gestalt der Bakterien tritt an dieser Stelle, an welcher sie durch den Schnitt anscheinend von ihrer Kolonie losgerissen und zur Seite gestreut sind, besonders gut hervor. Taf. XVI, Nr. 64 und 65. 100 x . Schnitte aus einer Niere von einem nach Blasen- diphtheritis (Wirbelfraktur, häufiges Katheterisieren) tödhch verlaufenen Fall. In der Niere waren bei der Sektion schon makroskopisch kaum mohnkorngroße graubraune Knötchen in Mark- und Rindensubstanz ziemlich gleichmäßig verstreut zu erkennen. Vermutlich sind dies dieselben bräunlich gefärbten Bakterienherde, welche zuerst von V. R e c k 1 i n g h a u s e n beschrieben sind. Nr. 64 zeigt einen solchen Herd aus der Marksubstanz, Nr. 65 einen aus der Rindensubstanz der Niere bei 100 >; Vergrößerung. Auf letzterem Bilde ist sofort zu erkennen, daß die Bakterienmassen im Gefäßsystem imd nicht in den Harnkanälchen liegen. Die Form der diese Herde konstituierenden Bakterien zeigt sich am besten in einem Präparat, welches in der Weise angefertigt wurde, daß gleich bei der Sektion ein Knötchen vorsichtig aus dem Nierengewebe herauspräpa- riert und mit einer Nadel auf einem Deckglas ausgestrichen wm-de. Taf. XVI, Nr. 66. 700 x ist ein von dem soeben beschriebenen Präparat ange- fertigtes Photogramm. Ihrer Form nach, welche mehr länglich als rund ist, würde sie zur Gattung Bakterium und nicht zu Mikrokokkus zu rechnen sein. Taf. XVII, Nr. 67. 20 x . Sporenhaltige Gartenerde durch Anwendung von Hitze desinfiziert; auf Nährgelatine ausgesät blieb dieselbe unverändert. Taf. XVII, Nr. 68. 20 . Dieselbe sporenhaltige Erde, nicht desinfiziert, als Kontrollpräparat für das vorhergehende dienend, auf Nährgelatine ausgestreut und iimer- Ko c h , Gesammelte Werke. 11 162 Zur Unterstichung von pathogenen Organismen. halb 30 Stunden eine reichliche Entwicklung verschiedener Bazillenarten zeigend. Die einzelnen Bakterien sind selbstverständlich bei der zur photographischen Aufnahme benutzten schwachen Vergrößerung nicht zu unterscheiden. Nur die dichteren Massen, welche fast jedes Erdpartikelchen umschließen, geben sich als wolkenförmige Massen zu erkennen. Taf . XVII, Nr. 69. 20 x . Kolonien von Bazillen der Mäusesepticämie in Nähr- gelatine geimpft. Namentlich im oberen Teil des Impfstriches erscheint die eigentüm- liche, verzweigte Form der kleinen Kolonien. (Vgl. diese Veröffentlichung von Löffler'). Taf. XVII, Nr. 70. 20 x . Kolonien von Bakterien der Kaninchensepticämie in Nährgelatine geimpft. Die strichförmig von rechts nach links sich hinziehenden kugelförmigen Tropfen sind die auf einem Impfstrich zur Entwicklung gekommenen Kolonien. (Vgl. diese Veröffentlichung von Gaffky-). Die Photogramme Nr. 31, 69 und 70 geben recht anschauliche Beispiele über die schon bei schwacher Vergrößerung sich unverkennbar kundgebenden Unterschiede in der Form der Kolonien verschiedener Bakterien in Nährgelatine. Taf. XVII, Nr. 71 und 72. 700 x . Blut von einem Sperling, der mit Kaninchen- septicämie geimpft war. Die charakteristische Form dieser Bakterien (kurze, an den Enden schwach zugespitzte und dunkel gefärbte Stäbchen, in deren Mitte eine Stelle ungefärbt bleibt) tritt besonders auf Nr. 5*) am obern Rande des Bakterienschwarms hervor. An einigen Stellen, so in der Mitte von Nr. 6,**) sind zwei und selbst mehrere Bakterien nach der Teilung in Zusammenhang geblieben und bilden scheinbar längere Stäbchen, die sich aber bei genauerer Betrachtung in die einzelnen Bakterien auflösen lassen. Die großen dunklen ovalen Körper zwischen den Bakterien sind die Kerne der roten Blutkörperchen. (Vgl. diese Veröffentlichung von Gaffky^). Taf. XVIII, Nr. 73. 700 x . Bazillen aus dem Perikardialserum einer Leiche, welche im Sommer drei Tage gelegen hatte, ehe sie seziert wurde. Taf. XVIII, Nr. 74. 700 x . Breite Bazillen von eigentümlich körniger Beschaffen- heit, die sich spontan in Froschblut entwickelt hatten. Daneben finden sich in ziemlich reichlicher Zahl sehr kleine dünne Bazillen. Taf. XVIII, Nr. 75. 700 x . Bazillen, die sich aus Staub, der auf Nährgelatine aus- gestreut war, entwickelt hatten. Dieselben sind beweglich und bilden an der Oberfläche von Nährflüssigkeiten eine dichte weiße Decke, würden also dem, was man gewöhnlich als Heubazillen bezeichnet, entsprechen. Taf. XVIII, Nr. 76. 700 x. Sporenbildung der in Nr. 3***) abgebildeten Bazillen. Die Photogramme der zuletzt beschriebenen verschiedenen Bazillenarten, deren Zahl sich leicht vervielfältigen ließe, mögen im Verein mit den anderen früher besproche- nen Photogrammen der pathogenen Bazillen eine Vorstellung von der Mannigfaltigkeit der Bazillenform geben. Taf. XVIII, Nr. 77. 700 x . Bakterienhaltiges Exsudat aus der Bauchhöhle eines Kaninchens, dem eine intraperitoneale Injektion mit den Bakterien des blaugrünen Eiters gemacht war. Taf. XVIII, Nr. 78. 700 x . Eine, wie es scheint, ziemlich seltene Art von Vibrio oder Spirillum. Die einzige Notiz, welche ich über dieses seltsame Wesen auffinden konnte, enthält ein Werk von M. P e r t y, ,,Zur Kenntnis kleinster Lebensformen, 1852". Es wird daselbst als Spirillum leucomelaenum bezeichnet und gesagt, daß bei richtiger Fokal- ^) Löffler, Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1881, p. 169. 2) Gaffky, ebenda, p. 98. ^) Gaffky, ebenda, p. 94. *) Soll heißen 71, **) 72. ***) 75. D. Herausgeber. Koch, Gesammelte Werke Tafel VI Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel VII Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel VIII Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel IX Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel X Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel XI Zur Untersuchung von pnthogenen Orgnnismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel XII Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. i Koch, Gesammelte Werke Tafel XllI Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. I Koch, Gesammelte Werke Tafel XIV Zur Untersuchung von pathogcnen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel XV Koch, Gesammelte Werke Tafel XVI Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel XVII Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel XVIII Zur Untersuchung von pathogenen Organismen. Koch, Gesammelte Werke Tafel XIX Zur Untcrsucliung von pathogenen Organismen. Zur Untersuchung- von pathogenen Organismen. 163 Stellung intensiv schwarze, mit glashellen Räumen abwechselnd in dem Spirillum er- scheinen. Diese Angabe und die auf Taf. XV, Fig. 31 enthaltene Abbildung lassen keinen Zweifel darüber, ds,^ V evtys Spirillum leucomelaenum. und das von mir gesehene identisch sind. Ich habe dasselbe nur einmal in Wasser gefunden, welches über faulenden Algen stand. Der Sammlung von Bakterienphotographien habe ich dieses Photogramm nicht wegen der Seltenheit des Objektes beigefügt, sondern wegen der überraschenden Ähn- lichkeit, welche dieses Spirillum mit der schematischen Abbildung N a e g e 1 i s in seinem Werk über die niederen Pilze, p. 4, hat. Naegeli nimmt bekanntlich an, daß alle Bak- terien, auch die schraubenförmigen, aus kurzen, im allgemeinen gleichwertigen Gliedern bestehen. Inwieweit diese Annahme begründet ist, will ich hier nicht weiter untersuchen. Das Spirillum leucomelaenum sollte nur als ein Beispiel dafür dienen, daß nicht immer eine dem ersten Anblick als evident erscheinende Gliederung auch in Wirklichkeit einer solchen entspricht. Rechts von dem großen Spirillum leucomelaenum befindet sich auf dem Photogramm ein zweites, kleineres Exemplar, welches mit unregelmäßig verteilten kleineren und größeren dunklen Punkten versehen ist. Von solchen mit einer eben wahr- nehmbaren Punktierung bis zu den regelmäßig schwarz- und weißgestreiften Spirillen finden sich alle Übergänge, und es läßt sich leicht verfolgen, daß nicht eine fortwährende Teilung der einzelnen scheinbaren Glieder des Spirillum. leucomelaenum stattfindet, sondern daß sich eine im Innern desselben auftretende dunkelgefärbte körnige Substanz immer mehr an einzelnen Punkten anhäuft und schließlich in regelmäßigen Abständen q\ier verlaufende Bänder bildet. Taf. XIX, Nr. 79 und 80. 700 x . Blut vom Hamster mit monadenartigen Parasiten. (Vgl. diese Veröffentlichung p. 8.)^) Taf. XIX, Nr. 81. 100 x . Schnitt vom Rand der Nierenpapille einer pyelonephri- tischen Niere. Schon makroskopisch ließ sich an der Oberfläche einiger Papillen dieser Nieren ein weißgelblicher Überzug bemerken, der sich -bei 100 facher Vergrößerung als eine fadenartige Masse erweist, die sich an der Papillenoberfläche ausbreitet und ziemlich tief in das Gewebe derselben eindringt. Taf. XIX, Nr. 82. 700 - . In demselben Schnitt zeigt sich bei starker Vergrößerung die fadenartige Masse als ein kräftig wucherndes Pilzmyzel.' Taf. XIX, Nr. 83. 20 ,\ . Schnitt aus einer durch Plasmodiophora hrassicae ver- änderten Kohlwurzel. Nach einem Präparat von Dr. Eidam. Die dunklen, zwischen den Gefäßbündeln auftretenden und nach der Rinde zu sich erstreckenden Massen sind die mit Sporen der Plasmodiophora gefüllten Zellen. Taf. XIX, Nr. 84. 700 x . Eine der im vorhergehenden Bilde eiithaltenen Zellen bei starker Vergrößerung, bei welcher die einzelnen Sporen der Plasmodiophora zu unter- scheiden sind. (Vgl. diese Veröffentlichung p. 9.)') Berlin, den 10. Mai 1881. ') Diese Werke, p. 119. D. Herausgeber. '-) Diese Werke, p. 120. D. Herausgeber. 11* Entgegnung auf den von Dr. Grawitz in der Berliner medizinischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag über die Anpassungstheorie der Schimmelpilze.') Von Dr. R. Koch. Der in der Überschrift bezeichnete, in den Nrn. 45 vind 46 dieser Zeitschrift zum Ab- druck gekommene Vortrag wendet sich gegen die Arbeiten von Dr. G a f f k y und Dr. Loeffler, vorzugsweise ist er aber gegen mich gerichtet, und ich habe es deswegen im Einverständnis mit den eben genannten Herren übernommen, einige Worte dagegen zu erwidern. In seiner ersten Arbeit über die akkommodative Züchtung der Schimmelpilze (Virchows Arch. Bd. 81) ging Grawitz von der Ansicht aus, daß die Schimmelpilze ,, reine Saprophyten" sind und in der Blutbahn der Warmblüter nicht gedeihen können, also an und für sich nicht pathogen sind. Er glaubte dann gefunden zu haben, daß die Pilze, welche für gewöhnhch auf säuerlichen, festen Substraten bei 10'' bis 20^ C zu vege- tieren pflegen, durch eine sukzessive Anpassung an ein flüssiges, alkalisches, 39" C warmes Nährmittel und durch weitere Um Züchtungen auf Peptonlösungen pathogene Eigenschaften annehmen. Dagegen wies Gaf f ky experimentell nach'-), daß der Aspergillus glaucus, einer der gewöhnlichsten Schimmelpilze, der vorwiegend von Grawitz in seinen Versuchen be- nutzt war, aller der umständhchen Behandlungen nicht bedurfte, um pathogen zu werden, sondern daß er schon an und für sich genau dieselben pathogenen Eigenschaften besitzt, welche Grawitz ihm erst auf dem Umwege der Anpassung gegeben zu haben glaubte. Die Grundidee, von welcher Grawitz ausgegangen, war also nicht richtig, und da Grawitz bei seinen Versuchen die Möglichkeit, daß es an und für sich patho- gene Schimmelpilze geben könnte, ganz außer acht gelassen und durchaus keine Vor- sichtsmaßregeln angewendet hatte, um sich vor einer zufälligen Beimengung solcher Pilze zu seinen durch Akkommodation künstlich pathogen gemachten zu schützen, so war G a f f k y vollkommen berechtigt, die Grawitz sehen experimentellen Unter- suchungen über die Akkommodation der Schimmelpilze für nicht einwandsfrei und also nicht beweisend zu erklären. Der Streit um die Anpassungstheorie der Pilze dreht sich also im wesentlichen um folgende beide Fragen: 1. Gibt es Schimmelpilze, welche von Natur die Eigenschaft besitzen, in der Blut- bahn zum Wachstum zu gelangen ? ') Aus Berliner klinische Wochenschrift, 1881, Nr. 52. Verlag von August Hirschwald, Berlin. Mitteil, aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte Bd. I, p. 126 ff. D. Herausgeber. Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. 165 2. Wenn es solche Pilze gibt, haben diejenigen Forscher, welche durch Anpassung und Umzüchtung pathogene Eigenschaften künstlich an Pilzen erzeugt zu haben behaupten, sich vor Verwechslungen mit den an und für sich pathogenen Pilzen geschützt ? Zur Beantwortung der ersten Frage ist zunächst die von G a f f k y durch zahl- reiche Experimente bewiesene Tatsache zu erwähnen, daß Aspergillus glaucus, wenn er im Brütapparat auf Bi'ot, also auf einem festen sauren Nährboden gewachsen ist, schon in der ersten Generation die von G r a w i t z eingehend beschriebenen patho- genen Eigenschaften besitzt. Seine Sporen, in geringer Menge in die Jugularis eines Kaninchens gespritzt, töten dasselbe in wenigen Tagen, und in den inneren Organen eines solchen Tieres, vorzugsweise in den Nieren, finden sich zahlreiche Pilzmyzelien. Diese Tatsache, welche als ganz feststehend zu betrachten ist, wird auch von G r a w i t z in seinem Vortrag als solche anerkannt. Als ein Beweismittel gegen die exakte Ausführung der bisherigen Experimente über Pilzanzüchtung will G r a w i t z dieselbe indessen noch nicht gelten lassen, weil die Kultur des Aspergillus im Brütapparat statt- gefunden habe und die Wärme ein begünstigendes Moment für die Entwicklung der pathogenen Eigenschaften des Pilzes sei. Die Ansprüche an die Umzüchtung eines un- schädlichen in einen pathogenen Schimmelpilz, für welche früher eine durch mehrere Wochen sich erstreckende sukzessive Anpassung an Wärme, alkalischen und flüssigen Nährboden und Kultur auf peptonhaltigen Flüssigkeiten gefordert wurde, reduzieren sich damit allerdings auf ein sehr bescheidenes Maß. G r a w i t z sagt selbst in seinem Vortrag: ,, Jetzt behaupte ich, daß er (Aspergillus glaucus) nur dann Schaden anrichtet, wenn er auf warmen Medien vorgezüchtet wird." Es genügt also jetzt, Sporen von Asper- gillus glaucus auf Brot auszusäen und im Brütapparat zur Fruktifikation kommen zu lassen, um den bösartigen Pilz zu erhalten. Wie 8S nun aber kommt, daß die Anzüchtung, welche bisher nur auf dem vorhin angedeuteten weitläufigen Weg zu erzielen sein sollte, jetzt auf einmal in kürzester Frist, allein mit Hilfe von Wärme, erreicht wird, darüber bleibt Grawitz jede Erklärung schuldig. Ist denn aber die Kultur des Aspergillus glaucus im Brütapparat als eine Anpas- sung anzusehen ? Doch gewiß nicht. Von Anpassung kann nur dann die Rede sein, wenn irgendein Organismus an Lebensbedingungen gewöhnt wird, die ihm heterogen sind. Die Wärme ist aber dem Aspergillus glaucus durchaus nicht heterogen, er braucht keineswegs an dieselbe ge- wöhnt resp. angepaßt zu werden. Ein gewisser Wärmegrad gehört zu seinen Lebens- bedmgungen, da er unter allen Umständen in der Wärme besser wächst als im Kalten. Es würde der Ausdruck ,, Anpassung" weit eher Anwendung finden können auf den Versuch, den Aspergillus glaucus an niedrige Temperaturen zu gewöhnen und schnell wachsende, üppig fruktifizierende Kulturen unter 10" C zu erzielen. Schon ehe über- haupt noch jemand an den Streit über die Akkommodation der Schinunelpilze dachte, war die Tatsache, daß dem Aspergillus glaucus die Wärme besonders günstig ist und daß er sich mit Vorliebe in warm gehaltenen Kulturen einstellt, den Botanikern bekannt. Eidam berichtet (Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen, I. Bd.. 3. Heft. S. 220). daß es bei seinen Versuchen über das Wachstum von Bacterium termo bei verschie- denen Temperaturen schwierig war, die Kulturflüssigkeiten frei von Myzelflocken zu erhalten, und es erschien ihm eigentümlich, daß die bei höheren Temperaturen auftreten- den Myzelien immer diejenigen von Aspergillus glaucus waren, während sich niemals das gemeine PeniziUium entwickelte, trotzdem sich letzteres im Institut auf verschie- denen Substanzen fruktifizierend vorfand. Obwohl also das Wachsen des Aspergillus glaucus in der Wärme nicht als ein An- 166 Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. passungsvorgang gelten kann, so beruft sich Grawitz dennoch, um seine Anpassungs- theorie zu retten, auf den Umstand, daß G a f f k y nur mit im Brütapparat gezüchteten Aspergillus experimentiert habe, und sagt in etwas drastischer Weise : ,,Wer mich also widerlegen will, hat nur nötig, den Pilz kalt zu züchten und mit Erfolg zu inji- zieren, dann bin ich geschlagen". Nun, auch dieser Fall ist eingetreten. Prof. Licht- h e i m^) in Bern, welcher ebenfalls viele Versuche mit Injektion von Pilzsporen an- gestellt hat und in betreff des Aspergillus glaucus zu den nämlichen Resultaten wie G a f f k y gelangt ist, hat diesen Pilz ,,mehrfach kalt umgezüchtet, ohne daß sein malignes Verhalten Schaden gelitten hätte." Auch G a f f k y ist mit Versuchen von kalt gezüchtetem Aspergillus glaucus beschäftigt, von denen bis jetzt folgender zum Abschluß gekommen ist und vorläufig mitgeteilt werden soll. Sporen von Aspergillus glaucus, welcher im Monat Juli d. J. durch mehrere Generationen kalt gewachsen war, wurde vom 8. bis 28. November auf einem festen Brei von gekochten Äpfeln (festes, saures Nährsubstrat) durch drei weitere Generationen kalt gezüchtet. Von den so erhaltenen Sporen wurde einem Kaninchen eine verhältnismäßig geringe Menge injiziert. Am dritten Tage nach dieser Injektion starb das Kaninchen, seine Nieren zeigten alle die von Grawitz geschilderten charakteristischen makroskopischen Veränderungen und ihr Gewebe war von unzähligen kräftig entwickelten Pilzmyzelien durchsetzt. Durch diese Experimente würden also auch die letzten von Grawitz noch vorge- brachten Gründe gegen die von Natur pathogenen Eigenschaften des Aspergillus glaucus beseitigt sein. Damit schließen aber die zur Entscheidung der vorliegenden Frage verwertbaren Tatsachen noch nicht ab. Lichtheim hat die wichtige Entdeckung gemacht, daß es außer dem Aspergillus glaucus noch einen zweiten an und für sich pathogenen Schim- melpilz, eine Mucorart, gibt. Sehr kleine Mengen von den Sporen dieses Pilzes genügen, um die Tiere durch Myzelbildungen in den inneren Organen nach 2 — 3 Tagen zu töten. Alle Zweifel, daß es Schimmelpilze gibt, welche ohne jede Anzüchtung pathogen sind, müssen diesen Tatsachen gegenüber aufhören. Im Gegenteil ist es sehr wahrschein- lich, daß, wie schon G a f f k y und auch L i c h t h e i m ausgesprochen haben, noch weitere Entdeckungen von pathogenen Schimmelpilzen zu erwarten sind, und da schon ein Aspergillus und ein Mucor sich als pathogen herausgestellt haben, so steht der Ver- mutung, daß beispielsweise auch unter den Arten des Penizillium sich eine oder die andere pathogene befindet, nichts entgegen. Wenn es nun aber feststeht, daß es von Natur pathogene Schimmelpilze gibt, dann ist es wohl selbstverständlich, daß bei einem Experiment, welches sich mit der Umzüchtung von unschädlichen Pilzen zu pathogenen beschäftigt, das Eindringen pathogener Pilze in die Kulturen verhütet werden muß. Ist dies aber nicht geschehen, dann müßte auf jeden Fall der Nachweis geführt werden, daß die Myzelien in den Organen des durch die Pilzinjektion getöteten Tieres auch wirklich der Pilzart angehören, deren Sporen vermeintlich allein injiziert wurden. Denn den Pilzmyzelien im Tierkörper kann niemand, selbst der geübteste Botaniker nicht, unmittelbar ansehen, daß sie z. B. einem Aspergillus niger und nicht dem Aspergillus glaucus angehören; selbst die jungen Myze- lien von Penizillium Mucor und Aspergillus sind nicht ohne weiteres voneinander zu 1) Herr Prof. Lichtheim hat seine im Nachfolgenden erwähnten Untersuchungen über pathogene Pilze in der naturforschenden Gesellschaft zu Bern vorgetragen und mich durch brief- liche Mitteihmgen darüber, zu deren Benutzung er mich ermächtigt hat, zu besonderem Danke verpflichtet. Eine ausführliche Pubhkation dieser Aibeiten ist von ihm in Aussicht gestellt. (Sie ist unter dem Titel „Über pathogene Mucorineen und die durch sie erzeugten Mykosen des Kaninchens" in Zeitschr. f. klin. Med. 1884, Bd. VII, erschienen. D. Herausgeber.) Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. 167 unterscheiden und also im Tierkörper als solche zu diagnostizieren. Nun ist es aber, wie schon erwähnt wurde, eine besondere Eigentümlichkeit des Aspergillus glaucus und wahrscheinlich auch anderer pathogener Pilze, sich mit Vorliebe in warmgehaltene Kulturen einzudrängen, und wenn eine Pilzkultur unter vielfachem Umzüchten wochen- lang, wie bei dem Grawitz sehen Anpassungsexperiment, im Warmen gehalten wird, dann ist es nicht allein möglich, sondern höchstwahrscheinlich, daß solche von Natur pathogene, die Wärme bevorzugende Pilze in die Kulturen der in der Wärme weniger gut gedeihenden Pilze geraten werden, vorausgesetzt, daß nicht ganz zuver- lässige Maßregeln getroffen waren, um ihr Eindringen zu verhüten und die Reinheit der Kulturen fortwährend zu kontrollieren. Diese Forderungen für die Zuverlässigkeit der Experimente über die Akko- modation der Pilze liegen so auf der Hand, daß sie eigentlich gar keiner besonderen Erörterung bedürften, inid es ist nur zu verwundern, daß sie nicht schon vor der Arbeit von G a f f k y geltend gemacht sind. Was hat denn nun Grawitz getan, um bei seinen Untersuchungen die oben angedeuteten Fehlerquellen zu vermeiden 'i Wir gelangen damit zur zweiten für die Ent- scheidung des Streites über die Pilzakkomodation aufgestellten Frage, nämlich der- jenigen, ob die Pilzkulturen von Grawitz vor dem Eindringen von Pilzen, die von Natur pathogene sind, geschützt waren, und wenn dies nicht der Fall ist,, ob Grawitz dafür den Nachweis geliefert hat, daß die in den Organen der Tiere gefundenen Myzelien auch wirklich den von ihm vermeintlich angezücliteten Pilzen angehörten und daß bei- spielsweise, wenn er Sporen von Penicillium glaucum injizierte, die in den Nieren des Versuchstieres vorhandenen Myzelien in der Tat solche von Penicilliiun glaucum oder nicht etwa von einer anderen, möglicherweise an sich pathogenen Penizilliumart, oder von einem pathogenen x\spergillus, Mucor usw. herrührten. Es steht nun fest, daß Grawitz seine Kulturen vor dem Eindringen von patho- genen Pilzen nicht gesichert hat. Er kannte eben noch keine von Natur pathogene Pilze und hielt es deshalb auch nicht für geboten, Vorsichtsmaßregeln gegen dieselben zu gebrauchen. Schon in seiner Arbeit über die Schimmelvegetation im tierischen Organismus (1. c.) hat Grawitz gesagt, daß er mit Massenkulturen experimentiert habe, deren Aussaat nicht kontrollierbar gewesen sei, und in seinem letzthin gehaltenen Vortrag gibt er nochmals die ausdrückliche Erklärung ab, daß er nur dann rein kulti- viere, wenn er bestimmte Gründe dazu habe, solche aber in diesem Falle für ihn nicht vorgelegen hätte n. Um so mehr hätte Grawitz also Veranlassvnig gehabt, die nach der Injektion in den Organen entstandenen Myzelien durch das einzige sichere Erkennungszeichen, nämlich dadurch, daß sie zur Fruktifikation gebracht wurden, als identisch mit der Aussaat zu erweisen. Erfüllung dieser Bedingung müßte überhaupt an die Experimente über Pilzakko- modation geknüpft werden, gleichviel ob die zur Injektion genommenen Pilzsporen einer Reinkultur entstammen oder nicht, weil ohne dieselbe der eigentliche Abschluß des Ex- perimentes, die Kontrolle desselben fehlt. Es ist darauf um so mehr zu bestehen, als ihr sehr leicht und einfach zu genügen ist. Wie G a f f k y gezeigt hat. ist es am zweck- mäL^igsten, Stückchen der von Myzelien durchsetzten Organe, z. B. von den Nieren, auf einen geigneten festen Nährboden zu bringen und die Pilze sich bis zur Fruktifikation ent- wickeln zu lassen, worauf dann das p]rkennen der Art mit absoluter Sicherheit erfolgen kann. Hiergegen hat nun Grawitz folgende Einwände erhoben. Erstens sagt er, daß, wie er bei früheren Kulturen mit Favus gefunden habe, die jungen Keimschläuche sich äußerst schwer in andere Nährlösungen übertragen lassen. Grawitz vergißt 168 Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. nur, daß es sich hier nicht um Favuskulturen, sondern um die MyzeHen von Aspergillus, Mucor, Penizillium handelt. Die Myzelien von Favuspilzen mögen allerdings sehr emp- findlich gegen den Wechsel des Nährbodens sein, daraus folgt aber nicht, daß sich nun alle übrigen Pilze ebenso verhalten. Zum iiiindesten hätte Grawitz doch einen Ver- such machen sollen, seine Myzelien in irgend einer Weise zur Fruktifikation zu bringen und ihre Art zu bestimmen, anscheinend hat er aber auch das noch nicht einmal getan, er würde sich sonst nicht auf seine Favuskulturen berufen, die gar nicht hierhergehören. Wenn er in Wirklichkeit diesen Versuch gemacht hätte, dann würde er allerdings gefunden haben, daß die Myzelien der hier in Frage kommenden Pilze den Wechsel des Nährbodens sehr gut vertragen und mit größter Leichtigkeit zur Fruktifikation ge- bracht werden können. In den Versuchen von G a f f k y ist in jedem Falle diese Kon- trolle geübt und nicht einmal ist es mißlungen, die Myzelien zur Fruchtbildung gelangen zu lassen. Auch L i c h t h e i m ist bei seinen Versuchen in derselben Weise verfahren und ihm ist es ebenfalls gelungen, die Myzelien wieder bis zur Sporenbildung zu bringen. Man sollte annehmen, daß, was von zwei Experimentatoren ohne irgendwelche Schwierig- keiten ausgeführt werden konnte, auch den übrigen erreichbar sein wird. Als zweiten Einwand macht Grawitz geltend, daß die Stücke von myzelhaltigen Organen, welche auf den festen Nährboden (Nährgelatine, gekochte Kartoffeln, Brot) gelegt wurden, nicht ,,vor dem Hinauffallen von Schimmelsporen geschützt sind und der Nachweis fehlt, daß die Pilze, welche auf der Oberfläche fruktifizieren, die unmittel- baren Schößlinge der internen Pilzrasen sind." Auch dieser Einwand ist ebensowenig stichhaltig als der erste. Zum Verständnis der hierbei in Betracht kommenden Ver- hältnisse muß ich allerdings die Kenntnis der bei unseren Arbeiten befolgten Methode der Reinkultur auf festem Nährboden voraussetzen. G a f f k y verfuhr in der Weise, daß die myzelhaltigen Stücke von Nieren usw. auf Objektträger gelegt wurden, welche mit Nährgelatine überzogen waren, und zwar kamen auf einen Objektträger 4 bis 6 Nierenstückchen in gleichmäßigen Abständen. Die Nährgelatine bildet für Pilzsporen der verschiedensten Art einen sehr günstigen Nährboden, und es läßt sich annehmen, daß jede Pilzspore, welche zufällig darauf fällt, auch zum Auskeimen kommt und ein Myzel bildet, natürlich aber, weil der Nährboden in unserem Falle fest ist, nur an der Stelle, auf welche die Spore ursprünglich gefallen war. Nun ereignete es sich aber bei den von G a f f k y in dieser Weise ausgeführten Kulturen regelmäßig, daß binnen kurzer Zeit aus den Nierenstückchen nach allen Seiten unzählige Myzelfäden hervor- sproßten, was in der durchsichtigen Nährgelatine mit Hilfe des Mikroskops sich bequem und sicher verfolgen ließ, daß ferner die von einem Nierenstückchen ausgehenden Myzelien einen kleinen Pilzrasen bildeten, aus welchem sich ausnahmslos die charakteristischen Fruchtköpfe des Aspergillus gl. erhoben und daß der gesamte übrige Teil des Nährbodens ganz frei von Pilzmyzehen blieb. Es fanden sich also nach Verlauf von einigen Tagen auf einem Objektträger, dessen Nährgelatine durchsichtig und frei von irgendwelcher anderweitigen Pilzentwicklung geblieben war, in gleichmäßigen ziemlich weiten Ab- ständen und nur von den ausgelegten Nierenstückchen ausgehend 4 bis 6 mit Frucht- köpfen von Aspergillus gl. besetzte kleine Pilzrasen. Wollte man das Auftreten der Asper- gillusrasen in diesem Falle, wie Grawitz es tut, auf Sporen zurückführen, welche zufällig auf die Nierenstückchen aus der Luft herabfielen, dann müßte man sich den Vorgang so vorstellen, daß eine große Zahl von Aspergillussporen sich in der Luft befanden und entweder gleich beim Ansetzen der Kulturen auf die Nierenstückchen herabfielen oder später in die feuchten Kammern, welche eine Anzahl der mit Nieren- stückchen belegten Objektträger enthielten, hineingerieten. Nun würde es allerdings sehr merkwürdig sein, daß diese Sporen sich nur auf die Nierenstückchen und niemals Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. 169 auf die zwischenliegenden Teile der einen ausgezeichneten Nährboden für solche Sporen abgebenden Nährgelatine lagerten, daß alle Nierenstückchen in ganz gleichmäßiger Weise von Sporen besetzt wurden und, was die volle Unmöglichkeit einer solchen An- nahme sofort zeigt, daß auf zahlreichen anderen gleichzeitig mit jenen Objektträgern präparierten Nährgelatinekulturen, die sich in den in nächster Nähe aufgestellten feuchten Kammern befanden, niemals etwas derartiges sich ereignete. Es bleibt also nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß die Pilzrasen aus den Nierenstückchen selbst hervorgewachsen sind, zumal bekannt ist, daß dieselben eine große Zahl von jungen Pilzmyzelien schon enthielten. Für diejenigen, welche mit der Methode der Reinkultur auf festem Nährboden bekannt sind, hätte es einer so ausführlichen Auseinandersetzung nicht bedurft, um den von Grawitz erhobenen Einwand als nicht zutreffend zu erweisen und damit, daß G r a w i t z einen solchen Einwand machte, hat er nur zu erkennen gegeben, daß er sich über das eigentliche Wesen der von uns geübten Methode der Rein- kultur noch keine ausreichende Vorstellung gebildet hat. Mit der Widerlegung der Gründe, welche von Grawitz gegen die Zuverlässig- keit der botanischen Bestimmung der in den tierischen Organen gefundenen Pilzmyzelien geltend gemacht sind, ist auch die zweite der eingangs aufgestellten Fragen entschieden und es steht also tatsächlich fest: daß es Schimmelpilze gibt, welche an und für sich pathogen sind, also nicht der An- züchtung bedürfen, um sich im Tierkörper aus Sporen zu Myzelien entwickeln zu können, daß Grawitz die zur Injektion benutzten Pilzsporen nicht in Reinkulturen ge- wonnen hat und keine Sicherheit darüber haben konnte, daß diesen Sporen nicht auch solche von Pilzen, die schon an und für sich pathogen sind, beigemengt waren, daß Grawitz es unterlassen hat, die Identität der vermeintlich zu pathogenen herangezüchteten Pilze mit dem im Tierkörper nach der Injektion ihrer Sporen entstandenen Myzelien zu beweisen, obwohl dieser Nachweis leicht und sicher zu geben ist. Durch das, was Grawitz in seinem Vortrage gesagt hat, haben diese Tatsachen nicht die mindeste Abschwächung erlitten, dagegen sind sie durch die inzwischen bekannt gewordenen Untersuchungen Lieh t h e i m s bestätigt und mit weiteren unumstöß- lichen Beweisen versehen Wir halten uns deswegen für vollkommen berechtigt, auf dem in unseren Arbeiten ausgesprochenen Standpunkte stehen zu bleiben und die Grawitz sehen Experimente über die Akkomodation der Pilze für nicht beweisend anzusehen. Solange nicht in exakter Weise der Nachweis geführt ist, daß ein anerkannt nicht patliogener Schimmelpilz, z. B. Penicillium glaucum, durch irgendein künstliches Verfahren in eüaen pathogenen Pilz umgezüchtet ist, müssen wir es als die nächstliegende Erklärung für das Grawitz sehe Experiment ansehen, daß von Natur pathogene Pilze in die Umzüchtungskulturen gedrungen und ihre Sporen zugleich mit denjenigen der umgezüchteten Pilze injiziert wurden. Ausdrücklich verwahren wir uns jedoch noch gegen den von G r a w i t z und auch von anderen Referenten unserer Arbeiten uns gemachten Vorwurf, als seien wir prinzipielle Gegner der Umzüchtungstheorie. Keineswegs sind wir dies und haben das auch unseres Wissens mehrfach an geeigneten Stellen in unseren Arbeiten bestimmt ausgesprochen. Daß wir deA Fragen nach der Umzüchtung und Anpassung der Pilze 1) Auch von einer anderen Seite habe ich noch in letzter Zeit jNIitt eilungen über Versuche mit Aspergillus gl. erhalten, welche die von Natur pathogenen Eigenschaften dieses Pilzes bestätigen und demnächst veröffentlicht werden sollen. 170 Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. und Bakterien vollkommen objektiv gegenüberstehen, geht am besten daraus hervor, daß wir die augenblickliche Lage der Pilzakkomodationsfrage bei weitem nicht so tragisch auf- fassen wie Grawitz, welcher sich für geschlagen erklärt, wenn der kalt gezüchtete Asper- gillus glaucus mit Erfolg injiziert wird und, nachdem dies geschehen ist, eigentlich seine Sache als verloren aufgeben müßte. Nach unserer Meinung ist die Möglichkeit, daß ein nicht pathogener Pilz zu einem solchen mit pathogenen Eigenschaften versehenen umgezüchtet werden kann, auch dadurch, daß sich einige gewöhnlich vorkommende Schimmelpilze als von Natur pathogen erwiesen haben, nicht ausgeschlossen. Aber wir verlangen von dem, welcher einen Pilz umgezüchtet zu haben behauptet, Beweise, untrügliche Beweise. Keineswegs haben wir uns auch mit der in unseren Arbeiten geübten Kritik der bisherigen Pilz- und Bakterienumzüchtungen in Gegensatz zur Darwin sehen Lehre setzen wollen, wie Grawitz glauben machen will; tatsächlich haben wir das auch nicht mit einem Wort getan. Der eigentliche Grund dafür, daß Grawitz mit einer so außer- gewöhnlichen Entrüstung gegen uns auftritt, ist auch nur der, daß wir die von ihm beliebte Erklärung seiner Umzüchtungs versuche, trotzdem die Lücken derselben für jeden Sachkenner von vornherein sich zu erkennen gaben, nicht ohne weiteres akzeptierten. Da die auf die Pilzakkonmiodation bezüglichen Experimente sich als nicht beweis- kräftig herausgestellt hatten und der Verdacht, daß das zur Infektion benutzte Sporen- material nicht rein gewesen, nicht von der Hand gewiesen werden konnte, so wird man es wohl erklärlich finden, daß sich L ö f f 1 e r bei seinen Untersuchungen über die Immu- nität') nur auf wenige Versuche beschränkte. Dieselben wurden mit einem reinen und absolut sicheren Sporenmaterial ausgeführt, und nachdem mehrere Tiere der zweiten Injektion, welche der ersten nach 3 Wochen folgte, erlegen waren, lag kein Grund vor, die Versuche zu vervielfältigen, denn wenige, aber mit zuverlässigem Material ausge- führte Experimente beweisen mehr als viele, welche mit Fehlerquellen behaftet sind. Wenn Grawitz behauptet, daß in dem von L ö f f 1 e r angestellten Versuch die Kaninchen nach der zweiten Injektion nicht infolge der Entwicklung von Myze- lien, sondern wegen noch vorhandener interstitieller Entzündung der Nieren an Urämie gestorben seien, dann übersieht er zwei sehr wichtige Punkte. Erstens daß in den Nieren der Kaninchen, welche eine Präventivinjektion erhalten hatten und nun immun sein sollten, sich massenhafte Anhäufungen von jungen Myzelien fanden und damit genügender Grund für die von L ö f f 1 e r geschilderten makroskopisch bemerkbaren Veränderungen der Nieren gegeben war, die Annahme einer restierenden, interstitiellen Nierenentzündung also überflüssig ist. Zweitens, daß im Kontrollversuch das Kaninchen, welches keine Präventivinjektion erhalten hatte und bis dahin ganz gesund gewesen war, nach der Sporeninjektion genau unter denselben Erscheinungen starb und dieselben Nierenveränderungen zeigte, wie die präventiv injizierten Kaninchen. Grawitz müßte folgerecht auch bei dem Tier des Kontrollversuches eine schon vor dem Experi- ment bestehende interstitielle Nierenentzündung voraussetzen. Aber wie sollte bei diesem bis zur Injektion ganz gesunden Tiere eine interstitielle Nierenentzündung sich einge- stellt haben ? Ist diese Krankheit etwa so gewöhnlich bei Kaninchen ? Man sieht, wohin die Grawitz sehe Behauptung führt. Übrigens hat auch L i c h t h e i m, wie er mit- teilt. Versuche über Immunität angestellt. Er wartete einen vollen Monat, ehe er der ersten Injektion die zweite folgen ließ. Von seinen Versuchstieren waren nach der ersten, in abgestuften Mengen dosierten Injektion diejenigen, welche am meisten von der Sporen- ') Mitteil, aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I, p. 134. Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. 171 flüssigkeit erhalten hatten, gestorben, die überlebenden waren sichtlich krank, erholten sich aber wieder und befanden sich wenigstens 8 Tage lang vor der zweiten Injektion wieder gesund. Die zweite Injektion tötete dann alle Tiere, welche eigentlich immun sein sollten, und es fanden sich Schimmelherde in den Nieren. Einen völlig negierenden Standpunkt haben wir indessen auch dieser Frage gegen- über nicht eingenommen, was derjenige, welcher nur den Grawitz sehen Vortrag liest, annehmen könnte, L ö f f 1 e r hat sich im Gegenteil reserviert genug ausgesprochen, indem er sagt, daß ,,die Grundlagen, auf welchen die Grawitz sehe Immunitäts- theorie ruht, nicht ein wandsfrei seien" und an einer anderen Stelle die Mög- lich k e i t betont, daß der Widerspruch zwischen den Grawitz sehen und seinen Resultaten durch Unterschiede in der Quantität der injizierten Sporen bedingt sein könne. Aus dem eben Gesagten geht zur Genüge hervor, daß die von L ö f f 1 e r gegen die Grawitz sehe Immunitätstheorie gemachten Einwände durchaus berechtigt waren, und um so mehr wäre es erwünscht gewesen, von Grawitz zu hören, wie er sich den weiteren, von L ö f f 1 e r gegen ihn erhobenen, durchaus sachgemäßen kritischen Emwendungen gegenüber stellt. Namentlich, wie er sich nunmehr die von ihm mit so viel Nachdruck hervorgehobenen Beziehungen seiner Pilzversuche zu den Infektions- krankheiten im allgemeinen, und speziell zur Pockenkrankheit und insbesondere noch zur Pockenepidemie der Eskiniotruppe denkt, deren Tod Grawitz bekanntlich auf eine Vakzine-Impfung zurückführt. Gerade diese Fragen beanspruchen ein hohes Inter- esse für die Medizin im allgemeinen und insbesondere für die Hygiene, und sie waren hauptsächlich die Veranlassung gewesen, die Grawitz sehen Experimente im Labo- ratorium des Gesundheitsamtes einer Nachprüfung zu unterwerfen. Aber über diese uns wesentlich interessierenden Fragen läßt uns G r a w i t z ohne Antwort und moti- viert sein Schweigen damit, daß er mit L ö f f 1 e r ,,die Probleme der allgemeinen Patho- logie" ferner nicht diskutieren will. In der Tat ein sehr einfaches Mittel, um einer fer- neren Diskussion auszuweichen. In einer Sache, welche mit der Pilzakkommodation nicht unmittelbar zu tun hat, wendet sich Grawitz noch speziell gegen mich, indem er sagt, daß die jetzt von mir eingeführte Gelatinereinkultur von ihm „bereits 1875 — 1877 dauernd geübt worden sei". Demgegenüber habe ich folgendes zu erwidern. In meiner Abhandlung über die Untersuchung von pathogenen Organismen stehen am Schluß der Beschreibung der Rein- kulturmethode diese Worte: ,, Bevor ich das Kapitel von der Reinkultur beschließe, will ich mich noch gegen einen Einwurf verwahren, der mir ganz gewiß nicht erspart bleiben wird. Es wird mir entgegengehalten werden, daß mein Reinkulturverfahren gar nichts Neues und daß es schon eine alte bekannte Sache sei, Bakterien auf Kartoffeln und in Gelatine zu züchten. Das ist richtig. Es ist schon lange bekannt gewesen, daß Bakterien recht gut auf gekochten Kartoffeln wachsen, und man hat auch schon in Gelatine und in Hausenblasengallerte Bakterien gezüchtet, aber man ist sich de r V o r t e i 1 e, welche der feste Nährboden gewähr t, nicht bewußt g e w e s e n." Zu denen, welche ihre Kulturen mit Hilfe von Gelatine ausführten, aber die Vorteile, welche die Gelatine als fester Nährboden bietet, nicht erkannten, gehört auch Grawitz. Für ihn war die Gelatine nur eine seinen Pilzen zusagende N a h r u n g, denn er sagt: ,, Feinste Gelatine in kochendem destillierten Wasser gelöst ist die beste Nahrung." Reinkulturen hat Grawitz, soviel ich aus seinen Schriften ersehen konnte, auch nur in einem Falle mit gelatinehaltiger Nährlösung zu erzielen versucht, nämlich mit Oidium lactis. Dieser Pilz läßt sich, wie ich mich vielfach überzeugt habe, außer- 172 Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. ordentlich leicht auf richtig bereiteter Nährgelatine schon nach der ersten Umzüchtung in üppigstem Wachstum ganz rein erhalten. Grawitz hatte dagegen, wie er selbst sagt, große Schwierigkeiten mit der Reinkultur dieses Pilzes. Das beweist evident, daß Grawitz allerdings Gelatine in seinen Nährflüssigkeiten hatte, aber von der Methode der Reinkultur auf festem Nährboden nicht die geringste Kenntnis besaß. Die Haupt- vorteile der Nährgelatine offenbaren sich erst bei Bakterienkulturen, bei der Unter- suchung von Luft, Wasser, Boden usw. Davon erwähnt Grawitz auch kein Wort. Nicht einmal bei seinen übrigen Pilzkulturen hat er versucht, sich mit Hilfe der Gelatine Reinkulturen zu verschaffen, was doch so leicht gewesen wäre; Bakterien hat er überhaupt noch nicht auf Gelatine rein kultiviert, er würde es doch gewiß irgendwo mit einem Worte angedeutet haben, oder sollte er seine Erfahrungen über Reinkulturen auf festem Nährboden seit 1875 beharrlich verschwiegen haben ? Wie kommt es denn auch, daß Grawitz eine so vortreffliche Kulturmethode nur, wie er sagt, von 1875 — 1877 be- nutzte und dann wieder verließ ? Der Grund kann nur darin liegen, daß Grawitz, wie gesagt, in der Gelatine nur eine Nahrung der Pilze gesehen hat, während bei meiner Methode die Gelatine weiter keinen Zweck hat, als die Nährflüssigkeit in einen festen Nährboden zu verwandeln. Den eigentlichen Kern der Sache hat Grawitz also früher nicht durchschaut und hat ihn auch jetzt noch nicht erfaßt, wie seine Einwände gegen die von G a f f k y geübte Kultur der Myzelien aus der Niere beweisen. Zum Schluß habe ich noch einige Worte über das abfällige Urteil zu sagen, welches Grawitz über die meiner Abhandlung beigefügten Mikrophotographien abgibt. Grawitz hat daran auszusetzen, daß diejenigen Photographien, welche Organschnitte darstellen, unkenntüch seien. Nun, meine Absicht ging nicht dahin, charakteristische Stellen von Organschnitten, sondern die Bakterien in denselben zu photographieren, und ich habe deswegen mein Augenmerk auf diese gerichtet und nur diese scharf eingestellt, wobei es mir übrigens gleichgültig sein mußte, wie die Umgebung ausfiel. Eigentlich sollte es nicht erforderlich sein, einem Mikroskopiker von Fach aus- einanderzusetzen, daß eine Mikrophotographie genau dieselben Verhältnisse bietet, wie ein auf einen bestimmten Punkt eingestelltes mikroskopisches Objekt, und daß das Photogramm besonders bei starken Vergrößerungen diesen einen Punkt deutlich, eine Anzahl anderer dagegen undeutlich zeigen muß. Wenn ich beispielsweise mein System auf eine Spirochaete in einem Kapillargefäß des Gehirns scharf einstellte, dann kann ich nicht zugleich sämtliche Kerne der Ganglienzellen im ganzen übrigen Gesichtsfeld deutüch zu Gesicht bekommen. Einige liegen über der Einstellungsebene, andere darunter und erscheinen deswegen undeutlich und als Schatten. Verliert denn dadurch aber das naturgetreue Bild der Spirochaete selbst an Wert ? Es ist mir auch noch niemals vorgekommen, daß, wenn ich einem Mikroskopiker, um bei demselben Beispiel zu bleiben, die Spirochaete im Kapillargefäß im Präparate selbst unter dem Mikroskop zeigte, mir der Vorwurf gemacht wurde, das Präparat sei schlecht, es tauge nichts, weil man bei einer gewissen Einstellung nur die Spirochaete und nicht zugleich alle Zellenkerne in der Umgebung scharf sehe. Und nun soll mit einem Male die Photographie mehr zeigen als das Präparat selbst ? Ich bin mir der nicht geringen Mängel meiner photographischen Leistungen wohl bewußt und bin jeder Belehrung und jedem sachgemäßen Tadel auf diesem Gebiete zugänglich, aber wenn ein Urteil so wenig Sachkenntnis verrät, wie das von Grawitz, dann wird man es mir wohl nicht verdenken, daß ich meine Ansicht über die wissen- schaftliche Bedeutung der Mikrophotographie infolge desselben nicht ändere. Nachtrag: Vorstehender Artikel konnte wegen Mangel an Raum erst mehrere Wochen nach dem Niederschreiben desselben zum Druck gelangen. Seitdem sind die Ver- Entgegnung auf den von Dr. Grawitz gehaltenen Vortrag usw. der Schimmelpilze. 173 suche über pathogene Schimmelpilze von G a f f k y fortgesetzt uml haben noch folgende wichtige Tatsachen ergeben. Aspergillus glaucus wurde auf festem sauren Nährboden kalt weiterkultiviert. Sowohl die Sporen der vierten Generation (am 2. Dezember injiziert) als diejenigen der fünften Generation (am 12. Dezember injiziert) wirkten in geringer Dosis nach 2 resp. 3 Tagen tödlich und in den Nieren fanden sich sehr viele Pilzmyzelien. Außerdem wurde noch e i n e a n d e r e A s p e r g i 1 1 u s a r t (vom Asper- gillus glaucus durch dunklere Farbe imd geringere Größe der Fruchtköpfe unterschieden) gefunden, welche, trotzdem sie ebenfalls auf festem sauren Nährboden und kalt kul- tiviert wurde, sich bei der Injektion der Sporen ebenso deletär erwies wie der Asper- gillus glaucus. Es ist dies also schon der dritte vonNatur pathogene Schim- melpilz. Selbstverständlich wurden in sämtlichen Versuchen die in den Nieren ge- fundenen Myzelien in der früher angegebenen Weise zur Fruktifikation gebracht und die Zugehörigkeit dieser Myzelien zu den injizierten Sporen nachgewiesen. Zur Ätiologie des Milzbrandes.') Von Dr. R. Koch, Regierungsrat. Bis vor wenigen Jahren war über die Ätiologie der Milzbrandkrankheit nichts weiter bekannt, als was durch die Entdeckungen von Pollende r, Braueil und D a v a i n e festgestellt war, daß nämlich im Blute von milzbrandkranken und an Milzbrand gestor- benen Tieren mikroskopisch kleine stabförmige Gebilde sich finden und daß durch Ver- irapfung von Blut, welches diese Stäbchen enthält, die Krankheit auf andere Tiere über- tragbar ist, während solches Blut, welches stäbchenfrei ist, z. B. dasjenige vom Fötus eines an Milzbrand gestorbenen Tieres, keinen Milzbrand erzeugt. Diese Tatsache allein konnte jedoch nur vereinzelte Abschnitte der Milzbrandätiologie, die unmittelbare Über- tragung von einem Tier auf das andere durch Insektenstich, Hundebiß, sowie die Infektion von Menschen durch Verletzungen beim Schlachten und Zerlegen von milzbrandigen Tieren erklären. Das große Gebiet der spontanen Entstehung von Milzbrand, die Massen- erkrankungen in Jahreszeiten, in denen Insekten die Übertragung nicht vermitteln können, hauptsächlich aber die merkwürdigen Beziehungen der Krankheit zu Boden- verhältnissen blieben völlig unaufgeklärt. Im Verein mit der damals noch geringen Kennt- nis der pathogenen Bakterien hatte dieser Umstand zur Folge, daß von den meisten die Milzbrandstäbchen für nicht organisierte, zufällige oder doch mit der Krankheits- ursache in nebensächlicher Beziehung stehende Gebilde erklärt wurden. In diese Zeit trafen meine Untersuchungen über Milzbrand, deren Resultate ich hier zum Verständnis des nachfolgenden ganz kurz rekapitulieren muß. Zunächst konnte festgestelUt werden, daß die Milzbrandstäbchen, von denen man bis dahin nicht die geringsten Lebensäußerungen wahrgenommen und die deswegen vielfach für kristallinische Gebilde gehalten waren, in geeigneten Flüssigkeiten und bei einer bestimmten Temperatur sich verlängern, zu langen Fäden heranwachsen, also unbestreitbar lebende Wesen sind, dem Pflanzenreich angehören und in die den Bakterien angehörige Gruppe der Bazillen einzureihen sind. Als diese Entwicklung der Milzbrandbazillen dann weiter verfolgt wurde, zeigte sich, daß in den Fäden schon nach kurzer Zeit glänzende, eiförmige Körperchen entstehen, die nach dem bald erfolgenden Zerfall des Fadens von der Vegetation der Milzbrand- bazillen allein zurückbleiben und wenn sie wiederum in Nährlösung gebracht werden, auskeimen, von neuem zu Stäbchen und langen Fäden heranwachsen. Die glänzenden Körperchen sind also als die Fruchtform der Milzbrandbazillen, als ihre Sporen anzusehen und mit der Umbildung der aus dem Blut eines milzbrandigen Tieres entnommenen Bazillen zu langen Fäden, in denen die Sporen entstehen, und mit der Umwandlung der Sporen in neue Bazillen ist der Entwicklungskreis dieser merk- M Aus Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I, 1881, Berlin. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 175 würdigen pflanzlichen Organismen geschlossen. Durcli viele Experimente wurde dann die Überzeugung erlangt, daf3 die Umwandlungen, welche die Milzbrandbazillen erleiden, niemals über diesen engen Formenkreis hinausgehen. Mit Hilfe dieser Entdeckungen konnte von neuem die Aufklärung der Milzbrand- ätiologie versucht werden; denn es zeigte sich bald bei Versuchen, die mit den Sporen der Milzbrandbazillen angestellt wurden, daß dieselben eine Dauerform im wahren Sinne des Wortes sind. Während die Bazillen selbst sehr vergänglicher Natur sind und in trt)ck- nem Zustande nur wenige Tage lebensfähig bleiben, können die aus ihnen entstandenen vSporen getrocknet jahrelang aufbewahrt werden, ohne daß sie auch nur im geringsten an ihrer Fähigkeit, sich wieder zu Bazillen zu entwickeln oder einem Tier eingeimpft dasselbe durch Milzbrand zu töten, einbüßen. Aber noch mehr als das vermögen sie zu überstehen. Sie können abwechselnd bald feucht bald trocken gehalten werden und verlieren auch dann noch nicht ihre Keimfähigkeit und ihre für Menschen und Tiere gefährlichen Eigenschaften. Nachdem dies erkannt war. bestand keine Schwierigkeit mehr, die vollständige Ätiologie des Milzbrandes in ihren Grundzügen festzustellen. Auf Grund meiner Ver- suche konnte ich dieselbe in folgender Weise darstellen^). ,,Vor der Tatsache, daß Milzbrandsubstanzen, gleichviel ob sie verhältnismäßig frisch oder ausgefault oder getrocknet und Jahre alt sind, nur dann Milzbrand zu erzeugen vermögen, wenn sie entwicklungsfähige Bazillen oder Sporen des Bacillus Anthracis enthalten, vor dieser Tatsache müssen alle Zweifel, ob der Bacillus Anthracis wirklich die eigentliche Ursache und das Kontagium des Milzbrandes bildet, verstummen. Die Übertragung der Krankheit durch feuchte Bazillen im ganz frischen Blut kommt in der Natur wohl nur selten vor, am leichtesten noch bei Menschen, denen beim Schlachten, Zerlegen, Abhäuten von milzbrandigen Tieren Blut oder Gewebssaft in Wunden gelangt. Häufiger wird wahrscheinlich die Krankheit durch getrocknete Bazillen veranlaßt, welche, wie nachgewiesen wurde, ihre Wirksamkeit einige Tage erhalten können. Durch Insekten, an Wolle und dergleichen haftend, namentlich mit dem Staub, können sie auf Wunden gelangen und dann die Krankheit hervorrufen. Die eigentliche Masse der Er- krankungen aber, welche fast immer unter solchen Verhältnissen eintritt, daß die el>en genannten Übertragungsweisen ausgeschlossen werden müssen, kann nur durch die Einwanderung von Sporen des Bacillus Anthracis in den Tierkörper vervu'sacht werden. Denn die Bazillen selbst können sich in dauernd trockenem Zustande nur kurze Zeit lebensfähig erhalten und vermögen deswegen sich weder im feuchten Boden zu halten, noch den wechselnden Witterungsverhältnissen (Niederschlägen, Tau) Widerstand zu leisten, während die Sporen dagegen in kaum glaublicher Art und Weise ausdauern. Weder jahrelange Trockenheit, noch monatelanger Aufenthalt in faulender Flüssigkeit, noch wiederholtes Eintrocknen und Anfeuchten vermag ihre Keimfähigkeit zu zer- stören. Wenn sich diese Sporen erst einmal gebildet haben, dann ist hinreichend dafür gesorgt, daß der Milzbrand auf lange Zeit in einer Gegend nicht erlischt. Daß aber die Möglichkeit zu ihrem Entstehen oft genug gegeben ist. wurde früher schon hervorgehoben. Ein einziger Kadaver, welcher unzweckmäßig behandelt wird, kann fast unzählige Sporen liefern, und wenn auch Millionen von diesen Sporen schließlich zugrunde gehen ohne zur Keimung im Blute eines Tieres zu gelangen, so ist bei ihrer großen Zahl doch die Wahrscheinlichkeit nicht gering, daß einige vielleicht nach langer Lagerung im Boden oder im Grundwasser, oder an Haaren, Hörnern. Lumpen und dergleichen angetrocknet als Staub, oder auch mit Wasser auf die Haut der Tiere gelangen und hier direkt durch ') Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Bd. II, Heft 2, p. 303. (Diese Werke p. 21. D. Herausgeber.) 176 Zur Ätiologie des Milzbrandes. eine Wunde in die Blutbahn eintreten, oder auch später durch Reiben, Scheuern und Kratzen des Tieres in kleine Hautabschilf erungen eingerieben werden. Möglicherweise dringen sie auch von den Luftwegen oder vom Verdauungskanal aus in die Blut- oder Lymphgefäße ein." In betreff der Bildung der Sporen und deren Ablagerung im Erdboden führten mich die aus meinen Versuchen gewonnenen Resultate zu folgenden Schlüssen: ,,Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die meisten Kadaver der an Milzbrand gefallenen Tiere, welche im Sommer mäßig tief eingescharrt werden oder längere Zeit auf dem Felde, im Stalle, in Abdeckereien liegen, ebenso die blut- und bazillenhaltigen Abgänge der kranken Tiere im feuchten Boden oder im Stalldünger mindestens ebenso günstige Bedingungen für die Sporenbildung des Bacillus Anthracis bieten, als es in den geschilderten Versuchsreihen der Fall ist. Durch diese Experimente würde also der Beweis geliefert sein, daß nicht bloß durch künstliche Züchtung im Ausnahmefalle die Sporen des Bacillus Anthracis entstehen, sondern daß dieser Parasit in jedem Sommer im Boden, dessen Feuchtigkeit das Austrocknen der den Höhlungen des noch lebenden oder schon abgestorbenen milzbrandigen Tieres entströmenden Nährflüssigkeit verhindert, seine Keime in unzählbarer Menge ablagert." In den letzten Sätzen glaube ich es deutlich genug ausgesprochen zu haben, daß ich niemals eine Sporenbildung im Innern des Kadavers angenommen, sondern mir nur die- selbe als in den blutigen Abgängen des kranken oder verendeten Tieres und höchstens noch in den der Luft zugänglichen Körperöffnungen vor sich gehend vorgestellt habe. Um über diesen Punkt, auf den ich ein besonderes Gewicht legen muß, gar keinen Zweifel zu lassen, zitiere ich noch folgende Stelle aus meiner Arbeit über die Milzbrandätiologie. ,,Im nicht geöffneten Körper eines an Milzbrand gestorbenen Tieres verlängern sich die Bazillen, auch wenn der Kadaver längere Zeit bei einer Temperatur von 18 — 20" gelassen wird, nur sehr wenig oder gar nicht; offenbar weil der Sauerstoff des Blutes nach dem Tode schnell durch Oxydationsprozesse verbraucht und nicht wieder ersetzt wird." In ihren allgemeinen LTmrissen war die Milzbrandätiologie durch meine Unter- suchungen festgestellt und es blieb nur noch übrig, einige Lücken innerhalb derselben aus- zufüllen. Als diejenigen Fragen, welche hauptsächlich noch zu beantworten waren, habe ich damals folgende bezeichnet: Können sich die Milzbrandsporen schon im lebenden Körper bilden ? Auf welchen Wegen dringen die Milzbrandsporen resp. die aus ihnen hervorge- gangenen Bazillen, abgesehen von den schon bekannten, durch Verletzungen der Haut und Schleimhäute, in den tierischen Körper ? Sind es vorwiegend die Respirationsorgane oder sind es die Verdauungsorgane, welche dem Parasiten den Eintritt in die Gewebe und die Blutbahn gestatten ? Wie verhalten sich die Milzbrandbazillen bezüglich der Sporenbildung, wenn Tier- kadaver in verschiedenen Bodentiefen, in verschiedenen Bodenarten sich befinden ? und wie verhält sich in Hinsicht auf die Verschiedenheit des Bodens ein trockner oder feuchter, wie Ton-, Kalk-, Sandboden ? Welche Einflüsse haben zerstörende oder entwicklungshindernde Stoffe auf die Milzbrandsporen ? Im allgemeinen scheinen mir diese eben aufgestellten Fragen auch jetzt noch bei dem weiteren Ausbau der Milzbrandätiologie in den Vordergrund gestellt werden zu müssen. Doch habe ich auf Grund späterer eigener Erfahrungen und der fortgesetzten eingehenderen Beschäftigung mit der Milzbrandliteratur noch eine Aufgabe hinzuzufügen, deren Lösung von der höchsten Bedeutung für die den Milzbrand betreffenden praktischen Zur Ätiologie des Milzbrandes. 177 Fragen ist. Es handelt, sich nämUch darum, zu erfahren, ob die Milzbrandbazillen in ähnlicher Weise wie diejenigen Bakterien, welche die Ursachen der künstlichen sowohl als natürlichen Wundinfektionskrankheiten bilden, z. B. die Erysipelas-Mikrokokken oder die Bazillen der Mäusesepticämie, für gewöhnlich außerhalb des tierischen Körpers ihren Entwicklungsgang durchmachen und nur, wenn sich ihnen gerade die Gelegenheit bietet, durch Verletzungen der Oberhaut oder von den Respirations- und Verdauungs- organen her in den tierischen Organismus zu gelangen, auf diesem ihnen überaus günstigen Nährboden sich in der bekannten Weise vermehren und damit Krankheit oder den Tod ihres Wirtes herbeiführen. Die Milzbrandbazillen würden in diesem Falle also nicht stets, sondern nur zeitweilig ein parasitisches Leben im Tierkörper führen. Über die Trag- weite, welche eine im bejahenden Sinne ausfallende Beantwortung dieser Frage haben muß, brauche ich mich wohl nicht des weiteren zu ergehen. Dieselbe ist so wichtig, daß ich sie für die Zukunft an die Spitze aller weiteren Milzbrandforschung setzen möchte. Seit der Veröffentlichung meiner Arbeit über die Milzbrandätiologie sind eine Menge von Untersuchungen über denselben Gegenstand angestellt, welche mehr oder weniger die soeben als noch vorhandene Lücken bezeichneten Punkte zum Gegenstand gehabt haben. Daß durch dieselben auch nur einer derselben eine wesentHche Förderung er- fahren hätte, muß ich leider verneinen. Im Gegenteil ist in der letzten Zeit die Milzbrand- forschung auf Wege geraten, welche zu den erheblichsten Irrtümern führen mußten. Es ist nun nicht meine Absicht, eine umfassende Besprechung aller derjenigen Publi- kationen zu geben, die sich mit der Milzbrandätiologie beschäftigen. Nur zwei Forscher haben auf diesem Gebiete Arbeiten geliefert, welche allgemeine Beachtung gefunden haben, es sind Pasteur und Buchner. Die Resultate, zu denen dieselben gekommen sind, würden, wenn sie richtig wären, der von mir aufgestellten Milzbrandätiologie eine ganz andere Physiognomie erteilen, und es blieb mir deswegen nichts übrig, als dieselben mit meinen Er- fahrungen zu vergleichen und zu prüfen, auf welcher Seite die Wahrheit zu suchen ist. Ehe ich jedoch an die Besprechung der Pasteur sehen und Buchner sehen Arbeiten gehe, muß ich eine Angelegenheit erörtern, welche sowohl diese betrifft, als auch über die Angaben anderer Forscher vielfache Aufklärung verschafft. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß es noch andere Infektionskrankheiten gibt, welche die größte Ähnlichkeit mit Milzbrand haben und mit diesem leicht verwechselt werden können. Von einer solchen, diu'ch einen dem Milzbi'andbazillus sehr ähnlichen Bazillus bedingten Infektionskrankheit kann ich dies jetzt schon mit Bestimmtheit be- haupten. Höchstwahrscheinlich gibt es aber noch andere Arten von pathogenen Bazillen, die den Milzbrandbazillen in bezug auf ihre Länge und Breite einigermaßen gleichen und auch dem Milzbrand ähnliche Krankheitsprozesse zu erzeugen vermögen. Daß es eine solche Gruppe von untereinander leicht zu verwechselnden Krankheiten gibt, die deswegen um so vorsichtiger zu beurteilen und um so strenger ausemanderzuhalten sind, lehrt das Beispiel vom Milzbrand und Rauschbrand, welche beiden Krankheiten bis vor ganz kurzer Zeit noch für zusammengehörig gehalten wurden. Beide sind Bazillen- krankheiten, nur sind bei der einen die Bazillen etwas kürzer und dicker, bleiben auf lokale Ansammlungen beschränkt und produzieren innerhalb der Gewebe Gase; im übrigen nähern sich der Krankheitsverlauf und die Symptome des Rauschbrandes den vom Milzbrand bekannten Verhältnissen so weit, daß noch heutzutage in der tierärzt- lichen Praxis Rauschbrand und Milzl)rand vielfach zusammengeworfen werden. Auch die menschliche Pathologie liefert für die von mir aufgestellte Behauptung Beweismaterial. H u b e r ^) gelang es, bei der Wurzener Massenerkrankung, welche in die Kategorie der sog. Fleischvergiftungen gehörte, ebenfalls Bazillen nachzuweisen, die allerdings nicht ') Devitsches Archiv für klinische Medizin, Bd. XXV, ]>. 240. Koch, Gesammelte Werke. 12 178 Zur Ätiologie des Milzbrandes. mit Rücksicht auf ihre morphologischen Kennzeichen, sondern wegen des eigentümhchen, bei der genannten Epidemie sich kundgebenden Krankheitscharakters, der nicht dem- jenigen des Milzbrandes beim Menschen entsprach, für nicht identisch mit Milzbrand- bazillen gehalten wurden. Auch der von E b e r t h berichtete Befund von Bazillen, die einen geringeren Länge- und Breitedurchmesser wie die Milzbrandbazillen hatten und in der Umgebung von Leberabszessen eines Dachses sich befanden, gehört hierher. Das sind freilich sämtlich Krankheitsprozesse, die voraussichtlich zu Verwechslungen mit dem experimentell erzeugten Milzbrand keine Veranlassung geben. Aber auch bei den Versuchen über künstliche Infektion von Tieren mit in Zersetzung begriffenen Flüssig- keiten und anderen Substanzen, welche Keime von Mikroorganismen enthalten, treffen wir sehr häufig auf eine durch pathogene Bazillen bedingte Krankheit. Dieselbe ist von Semmer, Pasteur und anderen erwähnt und beschrieben, aber, wie ich annehmen muß, selten in ihrer reinen Form beobachtet. Pasteur schildert dieselbe folgendermaßen^). Die Muskeln am Bauch und diejenigen der Extremitäten eines an dieser Krankheit gestorbenen Tieres sollen sich im Zustande der lebhaftesten Entzündung befinden. An verschiedenen Stellen, besonders in der Achselgegend, bilden sich Ansammlungen von stinkendem Gas; Leber und Lunge sind entfärbt, die Milz nicht vergrößert, aber oft erweicht; im Herzen kein Blutgerinnsel. Die Bazillen schildert Pasteur als Fäden von einer solchen Diarchsichtigkeit, daß sie der Beobachtung leicht entgehen, und im Blute will er sie gewöhnlich von einer ganz beträchtlichen Länge gefunden haben. Diese ganze Beschreibung beweist, daß Pasteur die in Frage stehende Infektions- krankheit niemals in unkomplizierter Gestalt vor Augen gehabt hat. Wenn einem Tiere eine größere Menge Faulflüssigkeit oder andere Substanzen, welche diese Krankheit hervorzubringen imstande sind, einverleibt wird, dann entsteht allerdings ein dem von Pasteur entworfenen ähnliches Bild. Das subkutane Gewebe und die oberflächliche Muskulatur sind in weiter Umgebung der Injektionsstelle von einer schmutzigrot gefärbten, jauchigen Flüssigkeit durchtränkt; die Muskeln nehmen infolgedessen eine eigentüm- liche Färbung an, welche Pasteur dazu verleitete, dieselbe als in einem Zustand der leb- haftesten Entzündung befindlich zu beschreiben. Mehr oder weniger findet sich in allen Geweben, die von Jauche durchtränkt sind, auch Gasentwicklung. Die Jauche selbst enthält verschiedene Bakterien, Mikrokokken, kurze und lange, bewegliche und unbe- wegliche Bazillen. Die Milz ist gewöhnlich klein; im Blute finden sich verhältnismäßig sehr wenige und ebenfalls differente Bakterienformen. Der ganze Zustand ist ein höchst kompliziertes Gemisch, zusammengesetzt aus den Resultaten der Wirkung verschiedener pathogener Mikroorganismen und der infolge von Resorption fauliger, septischer gelöster Substanzen eintretenden Intoxikation. Wird nun in der von Pasteur befolgten Art und Weise, von welcher C o 1 i n eine vielleicht etwas zu drastische Schilderung gegeben hat, ein Übertragungsversuch von einem solchen Tiere auf ein anderes gemacht und einige oder auch nur eine Spritze voll der bakterienreichen Jaucheflüssigkeit des subkutanen Gewebes dem Versuchstier subkutan appliziert, dann entsteht wieder genau derselbe Prozeß, d. h. ein Gemisch von Infektion und Intoxikation. Aber ganz anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn die Weiterinfektion mit so geringen Mengen des Impfmaterials bewerkstelligt wird, daß die primäre Intoxikation, welche durch die in der injizierten Flüssigkeit enthaltenen giftigen Stoffe bedingt wird, ausgeschlossen bleibt und auch nicht, wie es bei der spritzen weisen Applikation der Infektionsflüssigkeit sich ereignen muß, im lockeren subkutanen Gewebe eine größere abgeschlossene und dem Einfluß des ungebenden lebenden Gewebes wenig und nur langsam zugängliche Flüssigkeitsmenge ') Virchows Archiv, Bd. 77. Bulletin de l'Acad., 1877, p. 793. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 179 deponiert wird, in der sich neben den pathogenen Bakterien in reichlichster Menge noch verschiedene andere nicht unmittelbar pathogene, aber durch Produktion toxisch wir- kender septischer Stoffe zum Tode des Versuchstieres beitragende Bakterien entwickeln und gewissermaßen also zu einer sekundären septischen Intoxikation Veranlassung geben. Wenn, wie gesagt, diese Komplikationen ausgeschlossen werden und nur sehr geringe Mengen der Infektionsflüssigkeit in das subkutane Gewebe des Versuchstieres gebracht werden, dann ergibt das Experiment ein wesentlich anderes Resultat. Die Flüssigkeit, welche, von der Impfstelle ausgehend, mehr oder weniger weit das subkutane Gewebe erfüllt, ist nicht mehr von jauchiger Beschaffenheit, sie besteht vielmehr aus einem schwach rötlich gefärbten Serum ohne Gestank und ohne Gasentwicklung und enthält nur eine bestimmte Form von Bazillen, welche sich als in Größe und Form den Milzbrand- bazillen fast gleiche Stäbchen präsentieren und ohne Hilfe der feineren Präparations- imd Färbungsmethoden von diesen nicht mit Sicherheit zu unterscheiden sind. Ge- wöhnlich sind sie unbeweglich und nur hin und wieder gewahrt man an dem einen oder anderen Stäbchen eine wackelnde, im Beginn der Beobachtung selten einmal eine langsam schlängelnde Bewegung. Die inneren Organe der an dieser Infektionskrankheit gestor- benen Tiere bieten wenig Veränderungen. Die Milz ist meistens vergrößert und dunkler gefärbt, die Lunge hat ein blaß graurotes Kolorit. Im Blute finden sich die Bazillen in verschiedenem Maße, bald scheinen sie ganz zu fehlen, bald sind sie reichlicher vor- handen. Wenn das Blut sofort nach dem Tode untersucht wird, haben die Bazillen keine größere Länge als die Milzbrandbazillen, und die Angabe von P a s t e u r , daß sie im Blute außergewöhnlich lang seien, trifft nur dann zu, wenn die Sektion längere Zeit nach dem Tode gemacht wird. Wenn die Bazillen im Blute auch nicht immer mit Sicher- heit anzutreffen sind, so fehlen sie doch niemals an der Oberfläche der Organe in der Brust- und Bauchhöhle, auf und in deren serösem Überzuge sie in dichten Massen abge- lagert sind. Bei Mäusen gestalten sich die Verhältnisse fast durchweg so, daß eine makro- skopische Unterscheidung von Milzbrand gar nicht und die mikroskopische nur nach Anwendung der Färbungsmethoden zu ermöglichen ist. Der seröse Erguß in das sub- kutane Gewebe ist bei diesen Tieren sehr gering, die Milz ist fast immer ebenso stark vergrößert, dunkelgefärbt und erweicht wie beim Milzbrand und, was die Verwechs- lung mit Milzbrand für den Nichtkenner dieser Bazillen geradezu unvermeidlich macht, es befinden sich die Bazillen nicht vorwiegend in den serösen Häuten der Organe, sondern in großer Menge in den Organen und ihren Blutgefäßen selbst. Ein Stückchen Lunge oder Milz, welches einer solchen Maus entnommen und untersucht wird, enthält zahl- reiche, glatte, unbewegliche Stäbchen, ebenso wie bei Milzbrand. Selbst in der Lunge einer Maus, welche, als die ersten Krankheitssymptome nach der Impfung sich bei ihr zu erkennen gaben, getötet und sofort untersucht wurde, fanden sich schon zahlreiche Bazillen in der Lunge und, wie ich gleich hier erwähnen will, ein sehr kleines Stückchen dieser Lunge unter die Rückenhaut einer gesunden Maus gebracht, tötete diese im Laufe eines Tages unter den schon bekannten Symptomen, namentlich dem reichlichen Vor- handensein von Bazillen in der Lunge und in der stark vergrößerten Milz. Wenn auch bei Mäusen die Bazillen im Blute fast ebenso reichhch auftreten als im subkutanen Gewebe, so ist doch bei anderen Tieren dieser letztere Ort der eigenthche Sitz der Bazillenwucherung. Es ist deswegen auch nicht ganz zutreffend, diese Art von Infektionskrankheit unter den Begriff der Septicämie mit unterzubringen, wie es S e m - m e r und andere getan haben. Als eine passende Bezeichnung für dieselbe möchte ich diejenige als ,, malignes Ödem" in Vorschlag bringen. Obgleich das maligne Ödem in vieler Beziehung dem Milzbrand gleicht, so besitzt dasselbe doch andererseits so untrügliche Kennzeichen, daß bei einer sorgfältigen Unter- 12* 180 Zur Ätiologie des 3Iilzbrandes. suchung beide Krankheiten mit Sicherheit auseinanderzuhalten sind. Die hauptsäch- lichsten Unterschiede sind folgende: In der Leiche eines an Milzbrand gestorbenen Tieres werden die Bazillen in den Organen der Brust- und Bauchhöhle nur im Innern der Blutgefäße oder, wenn es zu einer Berstung der letzteren gekommen ist. in den unmittelbar darangrenzenden Geweben an- getroffen. Die Bazillen des malignen Odems befinden sich dagegen vorwiegend in und auf dem serösen Überzug der Organe. Werden letztere frisch untersucht, dann ist es kaum mög- lich, sich über die Lagerung der Bazillen eine sichere Auskunft zu verschaffen. Nur Schnitte von gehärteten Präparaten können GeA\dßheit darüber geben. Ausschlaggebend kann dieses Merkmal für sich allein nicht sein, weil bisweilen, und zwar bei Mäusen in der Regel, die Bazülen des mahgnen Ödems auch im Innern der Blutgefäße in großer Menge vorkommen. Ein zweites, aber ebenso wie das vorhergehende nicht durchweg gültiges Kenn- zeichen ist die Verschiedenheit üi der Impfbarkeit der beiden Bazillenarten. Die Milz- brandbazillen töten iläuse und Meerschweinchen fast imfehlbar, wenn sie selbst in die kleinste Hautwunde gebracht werden. Die Odembazillen müssen, wenigstens bei Meer- schweinchen, in das subkutane Gewebe gebracht werden und es muß, wenn die Impfung sicher sein soU, das Corium völhg durchtrennt werden; geschieht dies, dann wirken auch sehr kleine Impf mengen meistens tödhch. Bei Mäusen habe ich dasselbe Verhalten be- obachtet. Nur ist es für gewöhnhch außer am Ohr nicht möglich, die dünne Haut einer Maus so zu verletzen, daß das subkutane Gewebe nicht bloßgelegt würde. Deswegen sterben Mäuse fast regelmäßig, auch wenn die Impfwunde möghchst klein angelegt wird. Nur am Ohr gehngt es, einer Maus eine so kleine Verletzung beizubringen, daß die darauf folgende Impfung dieser Wunde mit OdembaziUen von dem Tiere überstanden wird. Sobald allerdings die Wunde mehr nach der Basis des Ohres verlegt wird, wo sie in das Zellgewebe hineintrifft, dann wirkt die Impfung meistens wieder tödlich. Die Impfung am Ohr von Mäusen, werm sie an der Spitze oder bis zur Mitte des Ohres ausgeführt wird, kann ein ziemlich sicheres Unterscheidungsmittel zwischen Milzbrand und malignem Ödem ab- geben. Xach einer derartigen Impfung mit Milzbrandbazillen stirbt das Tier, nach der mit Ödembazillen bleibt es am Leben. ^'lit welcher Sicherheit übrigens das maligne Ödem von einer Maus zur anderen sich verimpfen läßt, mag daraus entnommen werden, daß es mir gelungen ist, in einer ununterbrochenen Reihe die Krankheit durch fünfzehn Generationen von Tier zu Tier durch Überimpfungen kleiner Stückchen Lunge oder Blutgerinnsel aus dem Herzen zu übertragen. Am sichersten gelingt die Infektion mit Ödembazillen, wenn das Verfahren, welches von B u c h n e r für die Impfung mit vermeintlich aus Heubazillen her- angezüchteten Milzbrandbazillen angegeben ist, zur Anwendung kommt, wenn nämlich der Maus ein Leinwandbändchen mit ÖdembaziUen unter die Rückenhaut gebracht wird. Ein sehr unsicheres Kennzeichen zur Unterscheidung zwischen Milzbrand- und Ödembazillen ist die Beweglichkeit der letzteren. Ich habe dieselbe sehr oft gänzlich vermißt, und wenn auch unter vielen unbeweglichen einige sich schlängelnde Bazillen gefunden werden, so folgt daraus immer noch nicht, daß auch die unbeweghchen sämtlich ÖdembaziUen sind; denn es können, wie ich mich bestimmt überzeugt habe, Kombina- tionen von Milzbrand und mahgnem Ödem bei einem Tiere vorkommen. Das einzig sichere und ausschlaggebende Merkmal der beiden Bazillenarten ist ihre Formverschiedenheit. Die MilzbrandbaziUen sind um ein Geringes breiter wie die Ödem- baziUen und zeichnen sich vor diesen durch die ganz eigentümliche Gliederung aus, auf die ich schon mehrfach als ein sicheres diagnostisches Kennzeichen hingewiesen habe^). Um indessen kein IVIiß Verständnis aufkommen zu lassen, beziehe ich mich bei dieser ') cf. F. Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. II, Heft 3, p. 429. (Diese Werke p. 47. D. Herausgeber.) Zur Ätiologie des Milzbrandes. 181 Gelegenheit auf das, was ich in der Arbeit über die Untersuchungsmethoden (s. diese Werke p. 116) bezüghch der Zulässigkeit eines Vergleiches von Deckglaspräparaten mit Schnittpräparaten gesagt habe. In ihrer vollen Schärfe treten die charakte- ristischen Formen der Milzbrandbazillen nur an Deckglaspräparaten hervor, die mit Anihnbraun gefärbt sind. Also können die Unterschiede zwischen Ödem- und Milzbrandbazillen auch nur an solchen in gleichmäßiger Weise hergestellten und mit demselben Farbstoff gefärbten Präparaten oder Photogrammen, die nach denselben angefertigt sind, studiert werden. Auf Tafel XVI des zweiten Bandes der Beiträge zur Biologie der Pflanzen *) habe ich in Nummer 5 ein wohlgelungenes Photogramm der Milz- brandbazillen gegeben, auf welches ich diejenigen, welche sich für die Sache eingehender interessieren und Vergleiche zwischen den auf Tafel VIII, Photogramme Nr. 4.3, 44, 45 dieser Veröffentlichungen (diese Werke Tafel XIII) dargestellten Ödembazillen und Milz- brandbazillen anstellen wollen, verweisen muß. Übrigens lassen auch die nach Schnitt- präparaten hergestellten Photogramme der Milzbrandbazillen (Taf. V [diese Werke Tafel X] Phot. Nr. 26 und 27) hinreichend ihren wesentlich von demjenigen des auf Taf. VIII (diese Werke Tafel XIII) Phot. Nr. 46 zu findenden Ödembazillus ver- schiedenen Typus erkennen. Außerdem habe ich den Abbildungen noch einige andere Bazillenbilder beigefügt, welche ungefähr eine Vorstellung von der Mannigfaltigkeit in den Formen der Bazillenarten geben können (Taf. XIII [diese Werke Tafel XVIII], Phot. Nr. 73, 74 und 75). Die Ödembazillen resp. ihre Sporen sind anscheinend weit verbreitet und finden sich vorzugsweise nebst anderen Bazillenarten in den oberen Kulturschichten des Erd- bodens, außerdem aber auch in den verschiedensten in Zersetzung begriffenen Flüssig- keiten, beispielsweise im faulenden Blut. Auch durch Verimpfung von Staub, der von Heu abgeklopft war, ist es mir gelungen, bei Mäusen das maligne Ödem mit seinen charak- teristischen Bazillen zu erhalten. Hiernach liegt es wohl auf der Hand, daß alles Experi- mentieren mit Milzbrand, sobald Substanzen mit in Frage kommen, welche die Ödem- bazillen enthalten können, unter dem Verdacht stehen muß, daß Verwechslungen zwischen Milzbrand- und Ödembazillen vorgekommen sein könnten. Von jedem Experimentator, der Milzbrandbazillen in n i c h t s t e r i 1 i s i e r t e m Blute züchtet oder der mit an- geblich milzbrandsporenhaltiger Erde Infektionsversuche an Tieren, ganz besonders an den für das maligne Ödem höchst empfänglichen Meerschweinchen, macht, ist der strikte Nachweis zu verlangen, daß er sich keine Verwechslungen zwischen Milzbrand und malignem Ödem hat zuschulden kommen lassen. Wie ich gezeigt habe, ist eine zuver- lässige Unterscheidung aber nur unter Berücksichtigung der Formunterschiede der beiden Bazillenarten möglich. Wer nun, wie B u c h n e r dies tut, die morphologischen Unterschiede der Bakterien und insbesondere der Bazillen so wenig anerkennt, daß er Milzbrandbazillen und Heubazillen für morphologisch übereinstimmend erklärt^, der begibt sich von vornherein der sicheren Grundlage für seine Milzbranduntersuchungen. Auch derjenige, welcher solche Formunterschiede wohl anerkennt, aber wegen Unkenntnis der feineren zur Feststellung dieser Unterschiede erforderlichen Untersuchungsmethoden dieselben nicht aufzufinden vermag, gewährt nicht die Garantie, daß seine Untersuchungen von Irrtümern frei sind. Diesen letzteren Vorwurf muß ich P a s t e u r machen. Derselbe sagt, daß die Ödembazillen, von ihm Vümons septiqnes genannt, die zu den größten und am leichtesten zu unterscheidenden Bakterien neben den Milzbrandbazillen gehören und selbst dem Anfänger im Mikroskopieren kaum Schwierigkeiten bereiten dürften, so durchsichtig seien, daß sie leicht der Beobachtung entgehen könnten. Wer, wiePasteur ') Buchner, Erzeugung des Milzbrandkontagiums, p. 369, Sep.-Abdr. *) Diese Werke Tafel I. D. Herausgeber. 182 Zur Ätiologie des Milzbrandes. nach diesem Ausspruch, nicht einmal sicher im Nachweis so großer Bakterien ist, der ist noch weit davon entfernt, die feineren, nur mit Hilfe der Färbungsmethoden nach- weisbaren Formunterschiede zwischen differenten Bazillenarten aufzufinden und aus- einanderzuhalten^). Den Verwechslungen zwischen Ödembazillen und Milzbrandbazillen begegnet man in der Milzbrandliteratur sehr häufig. Hierfür nur noch einige Beispiele. Von Ravitsch") wurden Versuche mit Einspritzungen von Blut, welches schon bakterienhaltig, aber ohne fauligen Geruch war, bei Schafen gemacht und damit in meh- reren Fällen bei diesen Tieren eine dem Milzbrand im höchsten Grade ähnliche Affektion erzielt. Der Tod trat nach ein bis zwei Tagen ein. An der Einspritzungsstelle fand sich in einem Falle ,.ein ausgebreitetes, diffuses, blutig-seröses Infiltrat des Unterhautbinde- gewebes, in welchem sich eine Unzahl bewegungsfreier Stäbchen und kleiner Bakterien befanden". Im Herzen, in der erweichten Milz, in den Mesenterialdrüsen ,,eine Menge unbeweglicher Stäbchen (Bakteriden)". In einem zweiten Falle waren im dickflüssigen ungeronnenen Blute des Kadavers eine erhebliche Menge unbeweglicher Stäbchen vor- handen und Ravitsch sagt: ,,Wer hätte nun an diesem Kadaver nicht das vollständige Bild des sogenannten Milzbrandes erblickt ? und doch fiel dieses Tier infolge des unter die Haut eingespritzten Blutes eines von putrider Infektion gefallenen Schafes." Wenn Ravitsch nach solchen Resultaten zu der Überzeugung kam, daß der Milzbrand über- havipt keine spezifische Krankheit sei, so ist das ganz natürlich. Man kannte damals das maligne Ödem und die feineren Formunterschiede der Bazillen noch nicht und jedes glatte, unbewegliche Stäbchen, welches in den Größen Verhältnissen den Milzbrand- bazillen nahe kam, wurde mit diesen für identisch gehalten. Ich muß gestehen, daß mir das Resultat der Ra vitschschen Versuche lange Zeit unerklärlich gewesen ist, daß es mir aber auch, je mehr ich die Unterschiede der BaziUenarten kennen lernte (noch lange vor Veröffentlichung der B u c h n e r sehen Arbeit), allmählich die Überzeugung aufdrängte, daß es noch andere milzbrandähnliche Bazillen geben müsse, die in Faulflüssigkeiten nicht selten vorkommen und imstande sind, gelegentlich eine pathogene Rolle zu spielen. Seitdem das maligne Ödem mit seinen charakteristischen Symptomen bekannt geworden ist, sind alle Zweifel geschwunden. Man erkennt sofort, namentlich in dem ersten der beiden zitierten Ra vitschschen Fälle, das maligne Ödem wieder. Etwas anders liegen die Verhältnisse bei einigen Beobachtungen, die von Lustig^) gesammelt und unter dem Titel: ,, Bakteriämie der Pferde" veröffentlicht sind. Von den fünf Fällen, über welche Lustig berichtet, ist der zweite höchstwahrscheinlich eine ge- wöhnliche Milzbrandaffektion, welche von Verletzungen an den Vorderschenkeln aus- gegangen war. Der dritte Fall scheint Mastdarmmilzbrand gewesen zu sein. Leider sind in diesen beiden Fällen keine Impf versuche gemacht. Von den drei übrigen beziehen sich zwei auf Tiere, welche an Krankheiten der Respirationsorgane dyspnoisch gestorben sind. Bei diesen fanden sich im Leberblute viele glatte Stäbchenbakterien, die, wie ich vermute, in die Kategorie der bei erstickten Tieren ganz regelmäßig einige Zeit nach dem Tode zu findenden Bazillen gehören. Mit letzteren kann, wie die Versuche von Gaf f ky*) beweisen, durch subkutane Injektion derselben das maligne Ödem hervor- gerufen werden. Die von Lustig beschriebenen Bazillen sind also wahrscheinlich Daß ich mit obigen Worten die Leistungen Pasteurs, soweit sie die Mikroskojjie angehen, nicht ungerecht beurteile, beweisen seine neuesten Untersuchungen über die Hundswut und die Schilderung der von ihm dabei gefundenen pathogenen Bakterien. Zur Lehre von der putriden Infektion und deren Beziehung zum sogenannten Milz- brande, 1872. ^) Zwölfter Jahresbericht der Tierarzneischule zu Hannover, p. 54. *) G a f f k y , Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1881, Bd. I, p. 92. D. Herausgb. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 183 mit den Ödembazillen zu identifizieren. Auf jeden Fall handelt es sich dabei, wie auch die schon im Lebergewebe und im Blute vorhandene Gasentwicklung zeigt, um post- mortale Veränderungen und es liegt kein Grund vor, aus solchen Befunden eine neue Krankheit mit dem Titel ,, Bakteriämie" zu machen. Mit den schon eben erwähnten Bazillen im Blute erstickter Tiere hat sich Lewis M eingehend beschäftigt und er will an der Hand seiner Beobachtungen beweisen, daß diese Bazillen sich in nichts von den Milzbrandbazillen unterscheiden. Die von Gaffkj^ wieder- holten Lewis sehen Versuche haben indessen mit aller Bestimmtheit ergeben, daß die fraglichen Bazillen die üdembazillen sind und sowohl in bezug auf ihre Form, als aucli auf ihre Wirkung von den Milzbrandbazillen abweichen. Diese Beispiele beweisen zur Genüge, daß ohne eine gründliche Kenntnis der Odeni- bazillen und ohne daß fortwährend darauf Bedacht genommen wird. Verwechslungen der Milzbrandbazillen mit diesen luid noch anderen möglicherweise existierenden patho- genen Bazillen, welche den Milzbrandbazillen ähnlich sein könnten, zu vermeiden, eme von Irrtümern freie experimentelle Bearbeitung des Milzbrandes gar nicht möglich ist. Nachdem diese mehr oder weniger in den meisten bisherigen Milzbrandarbeiten eine Rolle spielende Fehlerquelle erörtert ist, komme ich zur Bespi'echung der Paste urschen Untersuchungen insbesondere. P a s t e u r hat sich in den Mitteilungen über seine Milzbrandforschungen auf einen ganz eigenartigen Standpunkt gestellt. Er kennt und zitiert noch in seinen ersten Publi- kationen die x4rbeiten von D a v a i n e, die von B r a u e 1 1, sowie die meinigen, welche sämtlich in eine Zeit fallen, als P a s t e u r an Milzbranduntersuchungen noch gar nicht dachte. Gleich- wohl spricht er später so, als ob über die Milzbrandätiologie noch nichts bekannt sei. und sendet Dinge, die schon längst als bewiesen und abgemacht anzusehen sind, als neue Entdeckungen in die Welt. Schon Pasteurs erste Arbeit über Milzbra.nd, welche den Nachweis führen sollte, daß die Milzbrandbazillen die eigentliche Ursache der Krankheit bilden, trägt diesen Charakter. B r a u e 1 1 -) hatte bereits im Jahre 1858 gefunden, daß das Blut vom Fötus eines an Milzbrand gestorbenen Tieres keine Bazillen enthält und auch, wenn es verimpft wird, nicht imstande ist, Milzbrand zu erzeugen. Die Brauelischen Versuche sind später verschiedentlich wiederholt, seine Angaben jedesmal bestätigt und das Resultat dieses Experimentes als ein Beweis dafür angesehen, daß, weil der einzige Unterschied zwischen dem mütterlichen und dem fötalen Blut das Vorhandensein der Bazillen im ersteren und das Fehlen derselben im letzteren war, die Virulenz des mütter- lichen Blutes nur durch die Bazillen bedingt sein könne. Dann zeigte D a v a i n e, daß das Mikbrandblut bei millionenfacher Verdünnung seine Virulenz noch nicht einbüßt, diese letztere also nicht an ein in Lösung befindliches Gift oder Ferment gebunden sein kann, da es aller Erfahrung widerspricht, daß ungeformte Stoffe in dieser Verdünnung noch krankheitserregend wirken. Ferner haben Tiegel und K 1 e b s festgestellt, daß, wenn Milzbrandblut durch Tonzellen nnt Hilfe der Luftpumpe filtriert wird, das Filtrat, welches keine Bazillen mehr enthält, ohne Schaden für das Versuchstier verimpft werden kann, während der bazillenhaltige Rückstand die geimpften Tiere durch Milz- brand tötet. Diesen Resultaten konnte allerdings immer noch entgegengehalten werden, dal,^, um das Milzbrandblut virulent zu machen, die Bazillen zwar vorhanden sein müßten, daß aber nicht diese selbst, sondern ein ihnen anhaftender besonderer Stoff die Infektion bewirke. Im Grunde genommen, und namentlich für alle praktischen ^^erhältnisse, hat dieser Einwand gar keine Bedeutung ; um ihn aber auf das denkbar geringste Maß zurück- ') The mkropliytes which have been foiiiid in tlie hiood. (Sep.-Abdr.) ^) Virchows Archiv, Bd. XIV. ^) Arbeiten aus dem Berner pathologischen Institut, 1878. 184 Zur Ätiologie des Milzbrandes. zuführen, habe ich den durch vielfache Experimente gesicherten Nachweis gebracht, daß Milzbrandblut, mag es sich nun in einer beliebigen Form befinden, z. B. trocken, feucht, verdünnt, faulend, kurze Zeit oder jahrelang aufbewahrt, immer nur dann viru- lente Eigenschaften besitzt, wenn es entwicklungsfähige, d. h. noch lebende Milzbrandbazillen oder deren Sporen einschließt und daß also unter keinen Umständen die Mikbrandkrankheit ohne lebensfähige Milzbrandbazillen oder deren Sporen entstehen oder verlaufen kann. Ein zutreffenderer Beweis dafür, daß die Milzbrandbazillen der wahre und einzige Infektionsstoff der Milzbrandkrankheit sind, kann meines Erachtens nicht geliefert werden ; denn was von den Gegnern der Lehre vom Contagiuni animatum verlangt wird, daß nämlich die Bazillen ganz befreit von der anhängenden, möglicher- weise einen gelösten Krankheitsstoff enthaltenden Substanz zur Impfung genommen werden sollen, ist rein unmöglich, weil die Bazillen dann auch von dem etwa durch Diffu- sion in ihr Inneres gelangten Krankheitsstoff noch getrennt werden müßten, ein Unter- nehmen, an das wohl niemand im Ernste denkt. Trotzdem nun also die Frage, ob Bazillen und Krankheitsstoff eins sind, so weit als möglich gelöst und eigentlich als abgetan zu betrachten war, tritt plötzlich Pasteur auf, filtriert von neuem Milzbrandblut durch Tonzellen und impft mit dem Filtrat oder dem Rückstand mit demselben Erfolg wie vor ihm K 1 e b s , macht ferner einige fortlaufende Kulturen mit Milzbrandbazillen im neutrali- sierten Urin, wodurch auch nichts weiter bewiesen wird, als was D a v a i n e schon mit seinen weit getriebenen Verdünnungen des Milzbrandblutes getan hatte, und spricht sich darüber so aus, als hätte er mit diesen beiden Versuchen die ganze Frage überhaupt erst auf die Tagesordnung gebracht, aber auch gleichzeitig vollständig gelöst. Und doch war weder das eine noch das andere der Fall; die Frage war schon, wie gesagt, längst entschieden und alle, die überhaupt für Beweise zugänglich sind, waren schon von der infektiösen Natur der Milzbrandbazillen überzeugt, während eingefleischte Skeptiker, unter denen Colin, der Gegner Pasteurs, an der Spitze steht, natürlich auch durch die Pasteur- schen Experimente nicht eines Besseren belehrt wurden, weil sie eben nur altes Beweis- material, teilweise unter einer neuen Form bringen. Einige Zeit nach dieser ersten Mitteilung über Milzbrand brachte Pasteur die wissen- schaftliche Welt schon wieder durch seine anscheinend so überraschenden Versuche über Infektion von Hühnern durch Milzbrand in eine gewisse Aufregung. Eine wesentliche Bereicherung der Milzbrandätiologie würde, auch wenn Pasteurs Versuche einwurfsfrei wären, aus denselben nicht resultieren und ich könnte mich schon deswegen über dieselben kurz fassen. Außerdem sind aber auch die Voraussetzungen, von denen Pasteur aus- gegangen ist, nicht richtig und das ganze Experiment ist deswegen, wenigstens in der Form, die ihm von Pasteur gegeben wurde, wertlos. Pasteur nahm an, daß sämtliche Vögel gegen Milzbrand immun seien; ferner konnte es nach seiner Ansicht nicht zweifel- haft sein, daß diese Erscheinung durch die hohe Blutwärme der Vögel bedingt sei, und wenn dieses der Entwicklung der Milzbrandbazillen entgegenstehende Hindernis, z. B. durch Abkühlen des Versuchstieres, beseitigt würde, die Immunität aufhören müsse. Einmal ist es aber unrichtig, daß diejenige Wärme, welche das Vogelblut besitzt (42*^ C) das Wachstum der Bazillen schon aufhebt ; Pasteur selbst gibt bei einer späteren Gelegen- heifi) an, daß dieselben noch zwischen 42 — 43° üppig wachsen. Dann ist es aber ferner eine falsche Voraussetzung, daß die Vögel gegen Milzbrand immun seien. Sperlinge lassen sioh, wie durch O e m 1 e r und H u b e r festgestellt ist, ziemlich leicht mit Milz- brand infizieren; 0 emier hat ferner von 28 Enten 9 erfolgreich mit Milzbrand infiziert; unter 38 Tauben gelang ihm die Infektion bei 15, namentlich jungen Tieren; von 31 Hüh- 1) Comptes rendus, 1881, Tome XCII, p. 431. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 185 nern, die von ihm geimpft wurden, starben an Milzbrand 11, mithin 35%, und zwar !» Stüclv gleich nach der ersten Impfung mit infektiösem Blute, während zwei Tiere erst der wieder- holten Impfung erlagen. Hiernach ist wohl der Satz, daß Vögel gegen Milzbrand immun seien, nicht mehr aufrecht zu erhalten, und da ganz besonders Hühner, an denen Pasteur seine Versuche anstellte, auch ohne Vorbereitung durch Abkühlen für Milzbrand nicht unempfänglich sind, so kann die von Pasteur gegebene Erklärung seines Experimentes unmöglich richtig sein ; ganz abgesehen davon, daß in dem Pasteur sehen Versuch die Frage, ob das durch Ab- kühlen angeblich für Milzbrand erst empfänglich gemachte Huhn nicht schon vorher empfänglich war, ganz offen bleiben muß. In derselben Weise, unbekümmert um die bis daliin über die Milzbrandätiologie schon gewonnenen Resultate, konstruierte P a s t e u r sich nun eine eigenartige Ätiologie dieser Krankheit. Er nahm an, daß im Boden sich aus den bazillenhaltigen Abgängen der milzbrandkranken Tiere und der Milzbrandkadaver, sowie vorzugsweise im Innern der letzteren die Bazillen Sporen bilden, daß dann die Bazillen selbst oder ihre Sporen unmittelbar oder als Staub auf die Futterstoffe der gesunden Tiere gelangen und diese von Verletzinigen der Schleimhaut des Maules, Gaumens und Rachens aus infizieren. Pasteur behauptet, daß der spontane Milzbrand, wie die Drüsen.schwellungen am Kiefer und Hals beweisen sollen, fast immer von Verletzungen der oberen Digestionswege aus- gehe, und machte, um seine Behauptungen zu stützen, folgenden Versuch^). Eine Anzahl Schafe erhielten Futter, welches mit einer Milzbrandsporen enthaltenden Flüssigkeit begossen war. Dadurch wurden einige dieser Tiere milzbrandkrank. Als aber das Futter mit solchen Stoffen gemischt wurde, welche leicht Verletzungen im Maule und Rachen hervorrufen, wie Disteln, Haare der Gerstenähre usw. daini wuchs die Zahl der erkrankten Tiere in bemerkenswerter Weise. An dieser Pasteur sehen Lehre von der Milzbrandätiologie ist nur weniges neu und dieses Neue beruht auf Irrtümern. Daß die Sporen sich in den blutigen Ausflüssen der milzbrandigen Tiere und Kadaver bilden müssen, wenn sie auf den Erdboden gelangen und wenn die Bodenfeuchtigkeit das schnelle Eintrocknen verhindert und die zur Sporenbildung erforderliche Wärme vorhanden ist, konnte nach allen Erfahrungen über die Sporenbildung als selbstverständ- lich angenommen werden und ist von mir, wie aus den eingangs dieser Arbeit zitierten Sätzen hervorgeht, schon zu einer Zeit ausgesprochen, als P aste u r sich überhaupt roch nicht mit Milzbranduntersuchungen beschäftigte. Daß die Sporenbildung auch im Innern des weder obduzierten noch durch anderweitige Eingriffe geöffneten Kadavers vor sich gehen sollte, wie Pasteur annimmt, ist unrichtig. Es steht diese Annahme mit meinen Versuchen über das Wachstum der Bazillen bei Abschluß von Luft und auch mit P a s t e u r s eigener Lehre, daß die Milzbrandbazillen ai^robie Bakterien seien, im Widerspruch. Auch die eigentliche Grundlage der Pasten r sehen Theorie, daß nämlich der spontane Milzbrand durch eine Infektion von Verletzungen der Maul- und Raclienschleimhaut aus entstehen soll, ist ganz unhaltbar. Wie groß das tatsächliche Material, welches Pasteur seiner Be- hauptung zugrunde legte, gewesen ist, konnte ich in keiner seiner Mitteilungen auffinden. Sehr zahlreich ist es gewiß nicht gewesen. Toussaint, welcher sich P a s t e u r s Ansichten anschließt, konnte sich nur auf zwölf Sektionen von Milzbrandschafen stützen, von denen bei elf die Lymphdrüsen am Unterkiefer und Hals geschwollen und mit Milzbrandbazillen gefüllt gefunden wurden. Es soll nun durchaus nicht bestritten werden, daß die Infektions- stelle bei milzbrandigen Tieren sich unter L^mständen im Maule befinden kann. Den ') Gazette mM., 1879, Nr. 10. 186 Zur Ätiologie des Milzbrandes. Tierärzten war diese Tatsache schon lange bekannt^) und P a s t e u r befindet sich im Irrtum, wenn er meint, daß er diese Beobachtung zuerst gemacht habe. Aber dieser Infektions- modus scheint sehr selten im Verhältnis zu den von anderen Körperstellen aus zu sein. P a s t e u r fällt hier in denselben Fehler, wie D a v a i n e , als er nachgewiesen hatte, daß In- sekten das Milzbrandgift verschleppen können, und nun glaubte, damit die Entstehung aller Fälle von spontanem Milzbrand erklären zu können. Davaines Irrtum war gewiß noch eher als derjenige Pasteurs zu entschuldigen, weil die Übertragung von Milzbrand im Sommer wahrscheinlich zum großen Teil durch Insekten vermittelt wird, während die von P a s t e u r in den Vordergrund gestellte Infektion von der Maulhöhle aus nur aus- nahmsweise sich ereignen kann. Das erwähnte P a s t e u r sehe Experiment mit der Fütterung der Schafe beweist selbst schon zur Genüge, daß eine solche Beschaffenheit des Futters, welche Verletzungen im Maule der Tiere bewirken kann, zur Entstehung von Milzbrand ganz überflüssig ist; denn es wird ausdrücklich berichtet, daß bei dieser Fütterung einige Fälle von Milzbrand, welche dem spontanen Milzbrand vollkommen glichen, schon ein- traten, bevor die Disteln und Gerstengrannen dem Futter zugesetzt waren. Wozu nach solchem Resultat dann noch diese Komplikation des Experimentes dienen soll, das begreife ich nicht recht ; sie kann doch nur noch zur Verwirrung der schon ziemlich klar- liegenden Verhältnisse führen. Weiter ist noch gegen die P a s t e u r sehe Auffassung des Befundes von geschwollenen Drüsen bei Milzbrandschafen einzuwenden, daß die Verhältnisse bei diesen Tieren ganz eigener Art sind. Die dichte Behaarung schützt den übrigen Körper und läßt vorzugs- weise den Kopf frei; also muß auch die durch Insekten vermittelte Ansteckung gerade bei Schafen hauptsäclilich am Kopfe stattfinden. Wie soll aber eine milzbrandige Drüsen- anschwellung nach einem in der Umgebung des Maules erhaltenen Insektenstich von derjenigen nach Infektion von der Maulschleimhaut aus unterschieden werden ? Nach meiner Erfahrung ist nun aber überhaupt die Meinung, daß die Infektions- stelle immer durch charakteristische Veränderungen der nächstgelegenen Lymphdrüsen sicher bezeichnet werde, nicht in dem Umfange aufrecht zu erhalten, wiePasteur und Toussaint dies wollen. Man sieht recht oft nach Impfungen am Ohr ganz entfernte Lymph- drüsen, z. B. diejenigen der Inguinalgegend, geschwollen, dunkel gerötet und mit Bazillen gefüUt. und umgekehrt bei Impfungen am Schwanz die Halsdrüsen in gleicher Weise verändert. Ich erkläre mir diese Tatsache so, daß beim Milzbrand oft schon sehr früh- zeitig einzelne kleine kutane, subkutane und intramuskuläre Gefäße von den Milzbrand- baziUen verstopft und gesprengt werden und eine solche Stelle mit frei im Gewebe ge- legenen Bazillen auf die benachbarten Lymphdrüsen wieder genau dieselbe Wirkung hat, wie eine absichtlich angelegte Impfstelle. Die Veränderungen der Lymphdrüsen können also nicht immer als sichere Wegweiser für die Eintrittsstelle des Milzbrand- giftes dienen. Es bleibt nun noch der wichtigste Einwand gegen die Pasteursche Theorie. Alle Tatsachen sprechen dafür, daß außer den von der Körperoberfläche vermittelten In- fektionen die übergroße Mehrzahl der spontanen Milzbrandfälle auf eine Infektion vom Darm aus zurückzuführen ist. Alle übrigen Infektionsarten, wie die von den Respirations- wegen aus, diejenigen von Verletzungen der Schleimhäute, in welche Kategorie also auch die von Pasteur angenommene Art der Infektion zu bringen wäre, treten gegen die vom Darm ausgehende ganz in den Hintergrund. Schon die beim Menschen beobachteten Milzbrandformen sprechen für diese Auf- fassung. Meistens handelt es sich beim Menschen um Infektion von Verletzungen der ') cf. Heusinger, Milzbrandkrankheiten, 1850, p. 470. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 187 Körperoberfläche, aber daneben ist schon eine beträchthche Zahl unzweifelhafter Fälle von Darnimilzbrand konstatiert. Andere Infektionsarten als diese beiden müssen beim Menschen so selten sein, daß es nicht möglich war, Beispiele dafür aufzufinden. Dasselbe Verhältnis wiederholt sich bei den größeren Haustieren, Rindern und Pferden. Entweder wird ein Karbunkel an der Körperoberfläche oder Darmmilzbrand gefunden. Bei RinC|lern habe ich selbst einige Fälle von ganz reinem Darmmilzbrand gesehen. Die Dünndarmschleimhaut war von zahlreichen knopfförmigen, großen, schwarz- roten Knoten durchsetzt, auf denen bei der Untersuchung auf dem Querschnitt (nach Alkoholhärtung und Anilin-Kernfärbung) die Darmzotten fast ausnahmslos mit Milz- brandbazillen vollgestopft sich zeigten. Stellenweise erstreckte sieh die Bazillenanhäufung bis zur Submukosa. In dem Blutextravasat, welches die Schichten der Schleimhaut durchsetzte, fanden sich nur vereinzelte Bazillen. Die Milz war nicht vergrößert, im Blute nur nach langem Suchen einige Stäbchen aufzufinden. Wie, häufig beim Rindvieh der Milzbrand unter der Form des Darmmilzbrandes, und zwar vorzugsweise im untersten Teil der Verdauungswege, im Mastdarm, vorkommt, ist schon daraus ersichtlich, daß in manchen Gegenden selbst das Volk diese Art Milzbrand kennt und mit einem eigenen Namen, ..Rückenblut", belegt hat. H a u p t 1), dem eine in Sibirien erworbene sehr reiche Erfahrung über den Milz- brand der Pferde zu Gebote steht, schildert die am Darm gefundenen Veränderungen folgendermaßen: ,,Nach Eröffnung der Bauchhöhle findet sich hier meistens eine mäßige, auch wohl ansehnliche Menge gelblichen oder rötlichen Blutwassers vor. Magen und Darm- kanal sind mit Futtermasse hinlänglich angefüllt; ersterer ist nur selten etwas entzündet oder zeigt entzündungsähnliche Stellen, Flecken, Punkte; letzterer alles dies sowohl von außen als innen, und besonders der dünne Darm, vom Zwölffingerdarm an, fast durchaus in hohem Grade größere oder kleinere Portionen einseitig oder durchaus entzündet, mit ausgezeichneten Flecken und Punkten von Blutunterlauf ungen. bläulich und brandig schwarz, bald nur oder mehr die äußere, bald auch alle Häute durch und durch, auf gleiche Weise die inneren Wände schattiert und verschieden. Der dicke Darm meist weniger betroffen, sogar von aller Entzündung frei. Das Netz und Gekröse scheinen entzündet; die Blutgefäße sehr sichtbar, oft stark angefüllt, mit Blutergießungen ; am meisten der Gekrösteil des dünnen Darms, wenn dieser stark gelitten hat." Ich selbst hatte Gelegen- heit, einigen Sektionen von an Milzbrand gefallenen Pferden beizuwohnen, und habe in diesen Fällen genau dasselbe Bild, welches Haupt entwirft, gesehen. Die Tiere hatten während der sehr kurzen Ki'ankheit nicht die geringsten äußerlich wahrnehmbaren Kenn- zeichen von Milzbrand gehabt, so daß die Diagnose erst durch die Sektion mit Sicherheit festzustellen war. Größere Strecken des Dünndarms hatten infolge von ausgedehnten Blutextra vasaten ein schwarzrotes Aussehen angenommen; die zugehörigen Gekrös- drüsen waren gewaltig vergrößert, erweicht und hämorrhagisch; das benachbarte Gekröse in eine gelbliche sulzige Masse verwandelt; die Milz stark vergrößert, erweicht, im Blute, in den Gekrösdrüsen, in der Darmschleimhaut. und namentlich auch hier wieder in den Darmzotten angehäuft massenhafte Bazillen. Zu diesen auffallenderen Lokalisationen an den Infektionsstellen scheint es haupt- sächlich bei den nicht iui höchsten Grade für Milzbrand empfänglichen Tieispezies zu kommen, während die Schafe, welche entschieden zu den empfänglichsten Tieren gehören, sich insofern anders verhalten, als von vornherein die Bazillen weniger lokal bleil^en. sondern sich schnell im Blutstrom verteilen. Häufig finden sich deswegen bei Milzbrand- schafen, außer den allgeuieinen Veränderungen in der Blutbeschaffenheit, gar keine mit 1) Seuchekranklieiteu der Haustiere, 1845, p. 177. 188 Zur Ätiologie des Milzbrandes. bloßem Auge wahrnehmbare Anzeichen, welche auf den Infektionsort schließen lassen könnten. (Amnion. Zitiert nach Heusinger.) Sehr oft sind aber auch bei diesen Tieren die Anzeichen vorhanden, daß das Krankheitsgift höchst wahrscheinlich vom Darm aus sich den Weg in den Körper gebahnt hat, was Blutextra vasate und Schwellung der Dünn- darmwände und Gekrösdrüsen, ähnliche Lokalisation am Mastdarm, wie beim Rinde, beweisen. Wegen der Wichtigkeit, welche die Frage nach dem Hauptinfektionsort des Milzbrandes beansprucht, sei es mir gestattet, noch einige auf ausgedehnte tierärztliche Erfahrungen begründete Aussprüche hier wiederzugeben. S p i n o 1 a ^) sagt in der Schilderung des Leichenbefundes bei Milzbrand : ,,Der Darm- kanal zeigt, namentlich am Dünndarm, bräunliche und schwarze Flecke. Der Inhalt besteht in einer dunkelbraunen, blutigen, stinkenden Masse und die Zotten sind stets dunkel gefärbt. Im Mastdarm werden (beim Rinde) ganz gewöhnlich Blutergüsse, die oft sehr beträchtlich sind, angetroffen, im Gekröse stets rote Flecke." B r u c k m ü 1 1 e r -) spricht sich dahin aus, daß der Milzbrand nur selten die Schleimhaut des Darmes unverändert läßt und die vorzüglichsten Veränderungen im Dünndarme hervorruft. In dem großen Sammelwerk über Milzbrand von H e u s i n g e r 3), in welchem ein ganz bedeutendes Material verarbeitet ist, findet sich unter der Zusammenstellung, welche das Gesamtergebnis der Beobachtungen über Leicheherscheinungen enthält, unter Nr. 9 folgender Satz: ,,Im Magen finden sich diese Veränderungen der Schleimhaut (Blutergüsse, welche den Zellstoff durchdringen, rot, blaurot oder schwarz färben, so daß er erweicht, abstirbt und aufgelöst wird) im allgemeinen weniger häufig als im Darm- kanal; sind sie vorhanden, so liegen sie vorzüglich im Pylorusteil. Allgemein fin- den sich jene Ergießungen im Darmkana 1." Solchen aus langjährigen zahlreichen Beobachtungen entsprungenen Erfahrungen gegenüber verlieren die an wenigen Tieren und anscheinend nur an Schafen gemachten Beobachtungen Pasteurs allen Wert. Bis hierher hatten die P a s t e u r sehen Milzbrandforschungen die Milzbrandätiologie noch um nichts gefördert. Alle kompetenten Beurteiler verhielten sich deswegen denselben gegenüber auch schweigend oder ablehnend. Auch Pasteur, der selbstverständlich von der Vortrefflichkeit seiner Ideen am meisten überzeugt war und noch in der Sitzung der Academie de Medecine vom 11. November 1879 mit großer Zuversicht gesagt hatte: ,,Depuis deux annees, je me suis occupe de la recherche de Vetiologie du charbon, etjecrois Vavoir trouvee, ainsi que sa prophylaxie" , scheint die Unzulänglichkeit seiner Theorie doch sehr bald gefühlt zu haben; denn schon im Laufe des nächstfolgenden Jahres trat er rüit einer Verbesserung seiner Milzbrandätiologie hervor, die mit demselben Eklat der Öffentlichkeit übergeben wurde, wie die früheren vermeintlichen eigenen Entdeckungen. Diesmal war es allerdings eine Idee, welche bis dahin noch von niemandem geäußert war und Pasteurs unbestrittenes Eigentum ist. Wie ich früher erwähnt habe, kennt Pas te ur keine andere Sporenbildung der Milz- brandbazillen in der freien Natur, als diejenige, welche in der nächsten Umgebung eines in die Erde vergrabenen Milzbrandkadavers und in letzterem selbst stattfinden soll. Nun war es aber nicht gut möghch, die tief in der Erde ruhenden Milzbrandsporen und die nach Fütterung mit stechenden Pflanzen eintretenden Milzbranderkrankungen ohne weiteres in Verbindung zu bringen. Es fehlte hier ein Bindeglied, welches den Transport der Sporen aus den tieferen Schichten der Erde auf das Futter der Tiere vermittelte. 1) Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie für Tierärzte, 1863, Bd. I, p. 166. Lehrbuch der pathologischen Zootomie der Haustiere, 1869, p. 397. ^) Die Milzbrandkrankheiten der Tiere und des Menschen, 1850, p. 550. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 189 Einen so erfindungsreichen Forscher, wie P a s t e u r, konnte das nicht lange in Verlegenheit setzen und in der Tat, das Bindeglied war sehr schnell gefunden. Es sind, wie Pasteur sagt, die Regenwürmer'), welche die Rolle übernehmen, die Milzbrandsporen aus der Tiefe an die Erdoberfläche zu bringen, von wo die Sporen mit dem Staub durch den Wind weiter transportiert und auf den Futterstoffen abgelagert werden. So entstand die berühmte und vielfach als überaus geistreich befundene Theorie P a s t e u r s von der Bedeutung der Regenwürmer für die Ätiologie des Milzbrandes zunächst und vieler anderer Infektionskrankheiten im weiteren. Auch in Deutscldand hat die Pasteur sehe Regen- würmertheorie Bewunderer gefunden. H. R o h 1 f s und, an diesen sich anschließend, R e c 1 a m halten dafür, daß infolge der Pasteur sehen Entdeckungen ,,die fürchter- liche und unheilbare Krankheit des Milzbrandes ihren Schrecken verloren hat, da man nun weiß, wie man ihr vorzubeugen und sie aufs engste einzudämmen vermag". Rohlfs sagt ferner: ,,Auch dürfte es sich empfehlen, nach einem Mittel zu forschen, das die Regenwürmer unschädlich macht. Wir zweifeln nicht daran, daß das deutsche Reichs - gesundheitsamt die Entdeckungen Pasteurs prüfen und mit gesetzlichen Maßregeln, welche dem Werte jener Rechnung tragen, vorgehen werde." Dem schließt sich Reclam mit folgenden Worten an: ,,Wir stimmen dieser Mahnung aus innerster Überzeugung bei und wünschen, daß das deutsche Reichsgesundheitsamt diese Frage zu der seinigen mache." Nun, die Wünsche von Rohlfs und Reclam sind erfüllt: die Paste urschen Entdeckungen sind einer Prüfung unterworfen, leider mit einem den Erwartungen jener nicht entsprechenden Resultat. Für den mit der Milzbrandätiologie, soweit sie bis jetzt feststeht, auch nur oberflächlich Vertrauten konnte allerdings von vornherein kein Zweifel darüber bestehen, daß die neue Paste ur sehe Theorie an demselben Fehler, wie seine früheren Leistungen, leidet, daß sie nämlich vollständig ülierflüssig ist. Eine conditio sine qua non der P a s t e u r sehen Würmerhypothese ist, daß die Milz brandsporen immer tief in der Erde verborgen liegen. Wären sie das nicht und kämen sie auch an der Oberfläche vor, dann sind die Würmer zu ihrem Transport unnötig. Ist es denn nun aber richtig, daß die Milz- brandsporen niu' unten in der Erde sich bilden ? Durchaus nicht. Wer nur einige Kadaver von milzbrandigen Schafen usw. gesehen hat, dem wird das sofort einleuchten. Aus allen Öffnungen der Milzbrandkadaver ergießen sich mehr oder weniger blutig gefärbte Flüssigkeiten; selten wird ein Tier mit unverletzter Haut verscharrt; meistens wird es abgehäutet, oft auch nur der Diagnose wegen geöffnet. Alle die hierbei resultierenden Abgänge, welche mit Blut vermischt sind, enthalten auch Bazillen. Aber nicht allein nach dem Tode, sondern noch während die Tiere krank undiergehen. zeigen sich öfters blutige Ausflüsse. Ganz besonders ist dies bei Schafen der Fall, die in den allermeisten Fällen einen mit Blut untermengten Harn in den letzten Stunden der Krankheit absondern. Diese Flüssigkeiten geben aber sämtlich zugleich die besten Nährflüssigkeiten für die Milzbrandbazillen ab, so daß, wenn sie auf die Erdoberfläche gelangen und hier nur soviel Feuchtigkeit vorfinden, daß sie nicht zu schnell vertrocknen, und wenn gleichzeitig eine entsprechende Temperatur, z.B. 20° C' oder darüber vorhanden ist, dem Wachstum und der Sporenbildung der Bazillen gar nichts im Wege steht. Es ist ganz undenkbar, daß nicht während des Sommers an vielen Stellen, wo milzbrandkrankes Vieh sich aufhielt, wo Milzbrandkadaver auf der Erde gelegen haben, ganz besonders aber dann, wenn das Fell abgezogen oder der Kadaver geöffnet wurde, sich Sporen bilden, die auf der Boden- oberfläche abgelagert bleiben und keines Transportes aus der Tiefe zur Oberfläche l)e- ') Bulletin de l'Acad(^mie de Mc^dec-ine. 1.S80, Nr. 28. ■-) Der von Reclam (Gesundheit 1S80, Nr. 17) seinem Auf.satz über ,, Schutz vor dem Milz- brand" zugrunde gelegte Artikel von Rohlfs findet sich in der Beilage zur Augsburger allge- meinen Zeitung vom 11. August 1880. 190 Zur Ätiologie des Milzbrandes. dürfen. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß, soweit die unmittelbar von milzbrandigen Tieren oder deren Leichen stammenden Bazillen für die Sporenbildung in Betracht kommen, die Sporenbildung in der Umgebung der verscharrten Tierkadaver gegen die ?.n der Erdoberfläche aus den blutigen, bazillenhaltigen Absonderungen stattfindende ganz in den Hintergrund tritt. Unerläßliche Bedingungen zur Sporenbildung sind nämlich, was immer wieder in Erinnerung zu bringen ist, Feuchtigkeit und ein bestimmter Temperaturgrad. An Feuchtigkeit fehlt es den tieferen Bodenschichten zwar nicht, aber ob in denselben immer die zur Entwicklung von Sporen erforderliche Temperatur vorhanden ist, das ist sehr die Frage. Die Bestimmung der unteren Grenze der Tempe- ratur, bei welcher sich noch Sporen in den Milzbrandbazillen zu entwickeln vermögen, schien mir zur Entscheidung dieser Frage unerläßlich zu sein, und ich habe deswegen durch eingehende möglichst genaue Versuche dieselbe festzustellen gesucht. Das Resultat dieser Versuche ist kurz folgendes. Je mehr die Temperatur abnimmt, um so langsamer erfolgt das Auswachsen der Bazillen oder Sporen zu den bekannten langen Fäden. Ebenso tritt auch die Sporenbildung in diesen Fäden um so später ein, je niedriger die Temperatur ist. Zwischen 30'' und 40° C ist das Wachstum und die neue Sporenbildung gewöhnlich schon nach 24 Stunden beendet. Bis zu 25" nimmt die hierzu erforderliche Zeit zu und steigt auf ungefähr 35 — 40 Stunden. Unter 25'' macht sich die Temperaturabnahme sehr schnell in negativem Sinne bemerklich. Bei 23" sind bis zur Sporenbildung schon 48 bis 50 Stunden, bei 21" 72 Stunden erforderlich. Bei 18" zeigen sich die ersten Sporen nach etwa fünf Tagen, bei 16" nach sieben Tagen und zwar wird die Sporenbildung immer spärlicher. Unter 15" hören das Wachstum und die Sporenbildung auf. Die schönsten und kräftigsten sporenhaltigen Kulturen werden zwischen 20" und 25" erhalten und diese Temperatur möchte ich für die der Entwicklung der Milzbrandbazillen unter natürlichen Verhältnissen passendste halten. Unter 18" ist das Wachstum schon so verzögert, daß innerhalb des langen zur Reife erforderlichen Zeitraumes sich schon die ursprüngliche Beschaffenheit der Nährflüssigkeit, in welcher sich die Bazillen befinden, durch ver- schiedene Einflüsse, z. B. Diffusion von selten der Bodenfeuchtigkeit, verändern muß und sich ferner die gegen Temperatureinflüsse weniger empfindlichen anderen Bakterien- arten in Massen einfinden und die Milzbrandbazillen überwuchern werden, ehe sie zur Sporenbildung kommen. Ein Boden, welcher also nicht mindestens 18" C Temperatur besitzt, ist, auch wenn die übrigen Verhältnisse noch so günstig sind, ungeeignet, um es zur Sporenbildung kommen zu lassen. Nehmen wir nun an, daß die Milzbrandkadaver ungefähr einen Meter tief verscharrt werden, und suchen in den Angaben über Boden- temperaturen, wie sich in dieser Tiefe die Temperatur verhält. Nach Müller^) beträgt die Bodentemperatur für das mittlere Schweden und Finnland ungefähr 4", steigt bis zum nördlichen Deutschland auf 8" und hat in einer Linie, welche durch das nördliche Frankreich, Österreich, Südrußland geht, ungefähr 10". Man hat ferner gefunden, daß im mittleren Europa in einer Tiefe von 1 Meter die Bodentemperatur nur noch Schwan- kungen im Gesamtbetrage von 10,5" macht, also 5,2" über oder ebensoviel unter den Mittelwert geht. Wenn diese Angabe durchweg richtig wäre, könnte in den hauptsäch- lichsten Milzbrandländern, in Rußland, Deutschland, Ungarn und Frankreich die Boden- temperatur in der Tiefe von 1 Meter überhaupt nicht die zur Bildung von Milzbrand- sporen erforderliche Höhe von 18" erreichen. Nun ist aber zu berücksichtigen, daß ziem- lich erhebliche lokale Verschiedenheiten vorkommen und daß streng genommen die Milz- brandkadaver nicht immer genau 1 Meter tief, sondern oft genug nur Meter und noch weniger tief vergraben sind. Ich habe aus den Veröffenthchungen des statistischen ^) Lehrbuch der kosmischen Physik, 1872. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 191 Bureaus der Stadt Berlin die Bodentemperaturen vom Jahre 1880 ausgezogen und lasse dieselben der Anschaulichkeit wegen in einer kleinen Tabelle folgen. Die Beobachtungen sind auf elf verschiedenen Stationen gemacht, von denen ich immer nur die höchste und die niedrigste Temperatur (in Graden nach Celsius) aufgezeichnet habe. — Bodentemperatur am 1. In einer Tiefe von V. Meter 1 Meter 3 Meter 0,8— 2,8 — 2.6— 4,8 - 1,0— 4,6 1,0 — 3,0 2,4— 6,0 5,3— 9,0 1 ,U — O.ü — 0,ö A A L* 1 0,U »,i April 1.3— 7.6 4,2— 8,3 6,9— 8,8 :Mai 8.7—11,5 9.0—12,0 6,1—10,8 12,6—15,5 12,1—15,0 7,1—12,8 Juli 14,4—17,8 12,8—16,9 9,2—15,0 15,1—18,5 14,2—17,2 10,5 — 16,6 16,4—19,2 15,1—18,0 11,5—16,8 12,8—14,5 1.3,3—15,4 11,4—14,8 7,1— 9,4 9.1—11,2 10,1—13,3 5,6— 8.3 7,3—10,1 8,5—11,8 Diese Tabelle lehrt, daß in dem Boden Berlins bei 3 Meter Tiefe an keiner der Beobachtungsstellen die zur Bildung von Milzbrandsporen erforderliche Temj^eratur er- reicht wird. In der Tiefe von einem Meter kam nur eine Station auf 18° und auch nur während eines Monats, alle übrigen blieben vniter 18°. In der Tiefe von einem halben Meter erreichten im Monat August eine und im September drei von den elf Stationen die Tempera- tur von 18° oder noch etwas mehr. Die Lehren, welche aus diesen Zahlen für die Er- forschung der Milzbrandätiologie zu entnehmen sind, sind von der höchsten Bedeutung, und zwar nicht allein für die Pasten rsche Theorie von der Bedeutung der Regenwürmer, die schon aus vielen anderen Gründen zu verwerfen ist, sondern namentlich für die Ver- suche mit dem Vergraben von Milzbrandkadavern, über welche ich hier einige Bemer- kungen einschalten muß. Alle diese Versuche sind mit völliger Nichtachtung der für die Sporenbildung unerläßlichen Bedingungen angestellt und haben deshalb auch keinen Wert. Wie weit diese Nichtachtung ging, ist daraus zu ersehen, daß man in den Winter- monaten Milzbrandkadaver vergraben hat und sich wunderte, wenn die später mit den Kadaverteilen und der benachbarten Erde ausgeführten Infektionsversuche negativ aus- fielen. Es hätte sich mit mathematischer Gewißheit vorhersagen lassen, daß es gar nicht anders kommen konnte. Daß die Sporenbildung im mittleren Deutschland selbst in einer mäßigen Tiefe nur an vereinzelten Stellen und nur während einer kurzen Zeit im Jahre stattfinden kann, geht aus der obigen Tabelle zur p]videnz hervor. Also ver- mögen jene Versuche nur dann etwas zu beweisen, wenn sie an solchen geeigneten Stellen und zur geeigneten Zeit vorgenommen werden. Übrigens haben auch die wenigen Versuche, welche ich in der Literatur auffinden konnte und von denen es feststand, daß sie während der Sommermonate ausgeführt waren, ein negatives Resultat ergeben und können als Beweis für meine Behauptung dienen, daß verscharrte Milzbrandkadaver nur in Aus- nahmefällen Veranlassung zur Entstehung von Sporen geben können. In nördlichen Ländern werden auch diese Ausnahinefälle aufhören, weil nur die oberflächlichsten Bodenschichten, welche unter dem direkten Einfluß der Sonnenwärme stehen, die erfordere liehe Temperatur zeitweilig annehmen. In Sibirien, welches von allen Ländern am schwersten vom Milzbrand heimgesucht wird, würden also die Regenwürmer schon in einer Tiefe von wenigen Zentimetern von der Oberfläche überhaupt keine Milzbrand- 192 Zur Ätiologie des Milzbrandes. Sporen mehr vorfinden, die sie zu transportieren hätten. Im mittleren Europa ist die Gelegenheit zur Sporenbildung gleichfalls fast nur auf die Bodenoberfläche beschränkt und findet hier unzweifelhaft oft genug statt, so daß, was schon an der Oberfläche vor- handen ist, nicht erst aus der Tiefe dahin geschafft zu werden braucht. Auch in Frank- reich scheinen die Bodenverhältnisse nicht wesentlich anders zu sein. Wenigstens ist Colin bei seinen Versuchen mit dem Vergraben von Milzbrandkadavern, von denen einige in die warme Jahreszeit fallen, zu negativem Resultat gelangt. Höchst interessant und bezeichnend für die Art und Weise, in welcher P a s t e u r seine Milzbrandstudien anstellt, ist übrigens das Experiment, welches ihn auf die Theorie vom Transport der Sporen durch die Regenwürmer zuerst geführt hat. Pasteur schildert dasselbe in folgender Weise^). Nach einigen Vorversuchen im Laboratorium schien es ihm erforderlich, einen Versuch in größerem Maßstabe zu machen. Es wurde in dem Garten einer Farm ein Hammel auf derselben Stelle, wo er an Milzbrand gefallen und nachdem er seziert war, vergraben. {Nous avons donc enfoui dans un jardin de la ferme de M. Mannory, apres quon en eut fait Vautopsie, un mouton, qui etait inort sponfanement du charhon ä la place meme de V enfouisse- ment.) Zehn Monate und vierzehn Monate später wurde Erde von dieser Stelle, und zwar, worauf Pasteur besonders Gewicht legt, von der Oberfläche derselben genommen, auf Meerschweinchen verimpft und angeblich damit Milzbrand erzeugt. (Die Zweifel gegen die Richtigkeit der Diagnose dieses durch Infektion mit Erde an Meerschweinchen hervor- gerufenen Milzbrandes sind schon früher besprochen und es kann deswegen an dieser Stelle davon abgesehen werden.) Nun überlegt Pasteur, wie die Milzbrandsporen von dem in der Tiefe liegenden Kadaver an die Oberfläche gekommen sind, und weiß schließlich keinen anderen Ausweg, als die Regenwürmer als die Vermittler, als die Träger der Milz- brandkeime aus der Tiefe an die Bodenoberfläche (messagers des germes) zu bezeichnen. Er hätte kaum auf einen widersinnigeren Ausweg geraten können. Die ungezwungenste Erklärung lag doch so nahe. Wenige Sätze noch vor der Schilderung seines Experimentes sagt Pasteur selbst, daß sofort nach dem Tode aus den Nasenöffnungen und dem Maule eines an Milzbrand gefallenen Tieres sich Blut ergießt, daß der Urin oft blutig und die Erde rings um einen solchenKadaver mit Blut beschmutzt ist. (N'est-ce pas un caracthe habituel de la maladie, qu'au rnoment de la w.ort le sang sort par les narines, par la bouche, et que les urines sont souvent sanguinolentes ? En consequence, et dans tous les cas pour ainsi dire, la terre autour du cadavre est souillee de sang.) Und trotzdem Pasteur sich dessen bewußt ist, wurde in einer unerklärlichen Weise bei diesem entscheidenden Experiment der an Milzbrand verendete Hammel gerade auf der Stelle vergraben, wo er gestorben war und wo die Erdoberfläche durch seinen blutigen Urin und die blutigen Ausflüsse aus den Körperöffnungen mit Milzbrandbazillen schon hinreichend geschwängert war. Um das Experiment nun aber noch ganz wertlos zu machen und ihm einen geradezu naiven Anstrich zu geben, wurde das Tier vorher noch auf der Vergrabungsstelle seziert, bei welcher Gelegenheit, wenn bis dahin noch kein Milzbrandblut auf die Bodenoberfläche gelangt wa.r, die Verunreinigung ganz unzweifelhaft eintreten mußte. Soll man unter diesen Umständen darüber erstaunt sein, wenn später an der Oberfläche der Begräbnis- stelle Milzbrandsporen gefunden wurden ? Eher hätte das Gegenteil Verwunderung erregen müssen. In diesem Falle waren die Regenwürmer doch gewiß nicht nötig, um die messagers des germes zu spielen. Eigentlich wäre die Würmerfrage hiermit schon zur Genüge erledigt, um aber den Angaben Pasteurs in jeder Beziehung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, habe ich noch folgenden Versuch gemacht. 1) Bulletin de l'Acad. Med. 1880, Nr 28. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 193 Es wurden ungefähr 300 g Gartenerde mit Milzbrandsporen in sehr reichhcher Menge vermischt. In das Gefäß mit dieser Erde, welche beständig mäßig feucht gehalten wurde, wurden etwa zwölf kräftige Regenwürmer gesetzt, die sich sofort in dieselbe ein- bohrten, ihre Gänge darin bildeten und sich anscheinend ganz wohl befanden. Daß die Würmer von den Bestandteilen der Erde in sich aufnahmen und daß ihr Verdauungs- prozeß im Gang war, ließ sich daraus abnehmen, daß die Exkremente derselben, kleine Zylinder von erdiger Beschaffenheit, an der Oberfläche der Erde regelmäßig abgelagert wurden. Nachdem sich die Regenwürmer fünf Tage lang in dieser Erde befunden hatten, wurde einer derselben herausgenommen, in reinem Wasser mehrmals abgespült, dann noch in destilliertem Wasser sorgfältig gereinigt, auf eine Glasplatte gelegt und mit einer Schere in mehrere Stücke zerlegt. Der Inhalt des Darmkanals, welcher beim Zerschneiden des Wurmes sofort ausströmt, wurde von mehreren Abschnitten desselben zugleich genommen und vermengt, um, weil etwa die Milzbrandsporen vorzugsweise in einem besonderen Teil des Darmkanals abgelagert sein konnten, sie nicht zu verfehlen. Beim Durchschneiden des Wurmes und bei dem Sammeln und Mischen des Darminhaltes konnte man an dem Knirschen der Sandkörnchen schon erkennen, daß der Darminhalt Bestandteile der Erde enthielt und die miliroskopische Untersuchung bestätigte diese Vermutung durch das Auffinden zahlreicher Sandkörnchen. In diesem Gemisch von Darmflüssigkeit und kleinsten, runden, glänzenden Sandpartikelchen Sporen mit Sicher- heit erkennen zu wollen, ist unmöglich, am wenigsten möchte es gelingen, darin die Milz- brand sporen von den in der Erde fast nie fehlenden anderweitigen Bazillensporen zu imter- scheiden. An einzelnen Stellen klingen Pasteurs Angaben über den Nachweis der Milz- brandsporen im Boden fast so, als sei derselbe durch die mikroskopische Untersuchung geführt. Ich halte das für zurzeit unmöglich und muß annehmen, daß Pasieur den de- finitiven Nachweis der Milzbrandsporen nur durch die erfolgreiche Infektion der Versuchs- tiere führen konnte. Auch in meinem Versuche wurde die Virulenz des Darminhaltes der Regenwürmer an Tieren geprüft. Der Inhalt des in der geschilderten Weise behandelten Regenwurmes wurde einer Maus in eine kleine taschenförmige Hautwunde dicht oberhalb der Schwanzwurzel gebracht; eine Applikationsweise, bei welcher mir in sehr vielen Ver- suchen infektionskräftiges Milzbrandmaterial noch niemals die Wirkung versagt hat. Zur Kontrolle erhielt ein Meerschweinchen ebenfalls in eine kleine Hauttasche auf dem Rücken eine geringe Menge der milzbrandsporenhaltigen Erde, in welcher sich die Würmer befanden. Die Maus blieb am Leben, das Meerschweinchen war am zweiten Tage tot. An der Infektionsstelle fand sich ausgebreitetes Ödem, in der Ödemflüssigkeit zahlreiche beweghche und unbewegliche Bazillen, die sich durch Untersuchung mit der Färbe- methode teils als Milzbrand-, teils als Ödembazillen erwiesen. Die Milz war wenig ge- schwollen und enthielt ebenfalls beide Arten Bazillen in mäßiger Zahl. Es handelte sich demnach um eine Mischform von malignem Ödem und Milzbrand und es ließ sich nicht behaupten, daß das Tier an Milzbrand gestorben sei. Da schon anderweitige Erfahrungen vorlagen, daß Meerschweinchen so überaus empfänglich für das maligne Ödem sind und also in solchen Fällen, in denen das Infektionsmaterial die Sporen des malignen Ödems und des Milzbrandes zu gleicher Zeit enthält, zum Nachweis der Milzbrandsporen sehr ungeeignete Versuchstiere sind, so wurde der Infektionsversuch in der Folge nur an Mäusen ausgeführt, die, wie sich gleich aus dem Fortgang des Experimentes ersehen läßt, im Gegensatz zum Meerschweinchen in ausgesprochener Weise mehr für Milzbrand als für das maligne Ödem inklinieren. Die zweite Probe wurde zwölf Tage später angestellt. Von einem gut gereinigten Regenwurm wurde der Inhalt gesammelt, derselbe einer Maus in eine taschenförmige Koch, Gesammelte Werke. 13 194 Zur Ätiologie des Milzbrandes. Hautwunde gebracht und einer zweiten Maus in gleicher Weise ein kleines Quantum Erde einverleibt. Die Erde-Maus war am folgenden Tage tot. Die Sektion ergab ganz reinen, unkomplizierten Milzbrand. In der stark vergrößerten Milz und in der Lunge wurden zahllose Milzbrandbazillen gefunden. Die Regenwurm-Maus blieb gesund. Nach weiteren neun Tagen dasselbe Experiment, mit dem nämhchen Resultat. Die Erde-Maus starb am nächsten Tage an Milzbrand, die Regenwurm-Maus dagegen bheb am Leben. Nach ferneren vier Tagen (also 30 Tage nachdem die Regenwürmer in die milz- brandsporenhaltige Erde gesetzt waren) Wiederholung des Versuches mit demselben Erfolg. Nach fünf Tagen ebenso. In diesem Falle starb die Erde-Maus, wie bis dahin regel- mäßig, am folgenden Tage an Milzbrand. Aber auch die Regenwurm -Maus starb diesmal, allerdings erst am dritten Tage, an regelrechtem Milzbrand. Sechs Tage später derselbe Versuch. Erde-Maus am nächsten Tage an Milzbrand gestorben. Regenwurm-Maus bleibt am Leben. Zum letztenmal wurde dann noch der Versuch 20 Tage später, nachdem sich also die Regenwürmer 61 Tage in der Erde befunden hatten, wiederholt. Die Erde-Maus starb am nächsten Tage an Milzbrand, die Regenwurm-Maus blieb gesund. Das Ergebnis dieses Versuches, kurz zusammengefaßt, ist demnach, daß unter sieben Infektionsversuchen die mit der Erde infizierten Tiere ausnahmslos starben, sechs an Milzbrand, eins an einer Mischform von Milzbrand- und malignem Ödem ; daß dagegen von den Tieren, welchen der Darminhalt der Regenwürmer beigebracht wurde, nur eins starb und, was wohl zu beachten ist, auch dies zwei Tage später als das zugehörige mit Erde infizierte Tier. Nun liegt aber schon die Erfahrung vor, daß Flüssigkeiten, welche nur sehr wenige Sporen enthalten, Mäuse erst nach mehreren Tagen töten, während der sporenreiche Bodensatz derselben Flüssigkeit schon am nächsten Tage tötet. Hiernach ist wohl zu schließen, daß auch im vorüegenden Falle die Regen wurm -Maus nur mit sehr wenigen, möglicherweise nur mit einer einzigen Spore infiziert wurde, während die Erde- Maus Sporen in reichhcher Zahl erhalten haben mußte. Erwägt man nun weiter, daß es durchaus nicht leicht ist, einen Regenwurm vollständig von der anhängenden Erde oder gar von den seiner schleimigen Hülle anklebenden Milzbrandsporen zu reinigen, so liegt es nicht außer dem Bereich der Möghchkeit, daß auch in dem einzigen Falle, in dem der Darminhalt Milzbrand erzeugte, es sich um eine nicht absolut sicher auszuschließende Verunreinigung durch die außerhalb des Wurms befindlichen Sporen gehandelt hat. Aber gesetzt den Fall, daß die Milzbrandkeime hier aus dem Innern des Wurms stammten, so beweist mein Experiment noch zur Genüge, daß die Regenwürmer sehr schlechte messagers des germes sind. Wenn sie auch wirklich bedeutende Mengen von Milzbrand- sporen in den tieferen Schichten des Bodens vorfinden würden, was, wie ich vorher gezeigt habe, nicht einmal der FaU sein kann, so würden sie auch dann die ihnen von Pasteur zugedachte Aufgabe so schlecht erfüllen, daß, wenn allein von den Regen- würmern und von den in der Erde ruhenden Milzbrandkadavern die Existenz des Milzbrandes abhängen sollte, diese Krankheit schon längst ausgestorben sein müßte. Die Theorie von der Bedeutung der Regenwürmer für die Milzbrandätiologie erweist sich demnach, ebenso wie die früheren vermeintlichen Entdeckungen Pasteurs, als ein Irrtum und das Gesamtresultat der Prüfung seiner Milzbrandarbeiten läßt sich dahin zusammenfassen, daß wir Pasteur bisher auch noch nicht das geringste verdanken, was unsere Kenntnisse über die Milzbrandätiologie bereichert hätte, daß im Gegenteil seine Arbeiten auf diesem Gebiete nur Verwirrung in manche schon feststehende oder fast geklärte Frage zu bringen geeignet sind. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 195 Einen wesentlich anderen Charakter wie die P a s t e u r sehen Arbeiten trägt diejenige von B u c h n e r. Die Veranlassung zu dieser Arbeit hat anscheinend weniger das Be- streben gegeben, die Milzbrandätiologie zu fördern, als die Absicht, der N a e g e 1 i sehen Lehre von der binnen verhältnismäßig kurzer Zeit sich vollziehenden Anpassung der Mikroorganismen an ihnen bis dahin fremde Verhältnisse und von der Umwandlung aus einer Form in eine andere ein recht eklatantes Beispiel zu liefern. Derartige Arbeiten, welche einer vorgefaßten Meinung Nachdruck verleihen sollen und die ich Tendenz- arbeiten nennen möchte, sind an und für sich gewiß ebenso berechtigt, wie jede andere wissenschaftliche Arbeit und stiften fast immer insofern einen großen Nutzen, daß, mögen sie nun negativ oder positiv in ihren Resultaten ausfallen, durch dieselben minde- stens Anregung zu weiteren Studien gegeben und die beregte Frage in Fluß gehalten wird. Aber für denjenigen, welcher sich einer solchen Tendenzarbeit widmet, entstellt die große Gefahr, daß er den Tatsachen gegenüber, die ihm die Forschung vorführt, kein unparteiischer Richter mehr bleibt. Ohne es zu wollen und selbst ohne es zu ahnen, er- scheinen ihm die Dinge nicht mehr wie sie sind, sondern im Lichte seiner voi'gefaßten Meinung, und wie leicht ist dann Irrtümern in der Beobachtung und daraus resul- tierenden Trugschlüssen Tür und Tor geöffnet. Auch die Büchner sehe Arbeit macht auf mich den Eindruck, als ob sie an diesem Fehler der Tendenzarbeiten leidet. Bei der großen Verbreitung, welche dieselbe durch Referate in allen medizinischen Zeitschriften gefunden hat, kann ich ihren Inhalt wohl als genügend bekannt voraus- setzen und werde mich sofort zu den einzelnen Punkten wenden, welche mir Bedenken gegen die exakte Anordnung und Ausführung des Experimentes, sowie gegen die Deutung desselben erwecken. B u c h n e r spricht in seiner Arbeit nur von Heubazillen und von Milzbrand- bazillen. Für ihn existierten offenbar nur diese beiden, wie er sagt, morj^hologisch gleichen, physiologisch aber ungleichen Bazillen. Die HeubaziUen repräsentieren also die unschäd- lichen, die Milzbrandbazillen die pathogenen Bazillen. Für denjenigen, der keine ver- schiedenen Arten von Bazillen anerkennt, wie es ein Anhänger Naegelis auch gar nicht anders kann, muß obiger Satz auch in der umgekehrten Form seine Geltung haben, nämlich, daß alle niclitpathogenen Bazillen in die Kategorie der Heubazillen und die pathogenen in die Kategorie der Milzbrandbazillen gehören. Hier stellt sich aber schon der N a e g e 1 i - B u c h n e r sehen Auffassung von dem Verhältnis der verschiedenen Bazillen zu- einander ein Hindernis entgegen, an dem sie scheitern oder dessentwegen sie ein Loch in das sorgfältig gewebte System reißen muß. Denn sobald sich herausstellt, daß es noch andere pathogene Bazillen gibt, dann müssen diese entweder mit den MilzbrandbaziUen zusammengeworfen werden, was absolut unausführbar ist, oder es muß für diesen neuen Bazillus das Loch gerissen und er muß als selbständige Form, Varietät, Art — auf den Namen kommt es durchaus nicht an — anerkannt werden. Diese Eventualität tritt in neuerer Zeit immer unabweisbarer an die N a e g e 1 i sehe Schule heran und ich werde an einem Beispiel zeigen können, wie sie sich zu derselben verhält. Ich habe schon mehrfach auf die unverkennbaren morphologischen Unterschiede zwischen den MilzbrandbaziUen und den gewöhnlich als Heubazillen bezeichneten Bazillen aufmerksam gemacht und verweise deswegen auf die Beschreibung eines Photogrammes dieser verschiedenartigen Bazillen in den Beiträgen zur Biologie der Pflanzen. II. Bd., 3. Heft, p. 428 1). Bei der Betrachtung dieser Photogramme (Taf. III, Nr. 21 u. 22) ergeben sich so in die Augen fallende und so charakteristische Unterschiede in der Form der beiden Bazillenarten, wie man sie bei diesen an der Grenze der lebenden Wesen stehenden Organismen nur erwarten kann. Die Form der einzelnen Gheder, die Verbindung derselben untereinander M Diese Werke, p. 46 und 47. 13* 196 Zur Ätiologie des Milzbrandes. ist bei beiden durchaus verschieden. Außerdem kommt noch hinzu, daß die einen Geißel- fäden haben, die anderen nicht. Die Geißelfäden sind allerdings nicht auf diesem Photo- gramm, dagegen auf dem nach einem Trockenpräparat hergestellten Taf. II, Nr. 5 sehr deutlich zu sehen. Alle diese gewiß nicht unerheblichen morphologischen Unterschiede genügten Buchner nicht, um Heubazillen und Milzbrandbazillen zur Zeit, als er seine Arbeit niederschrieb, für morphologisch verschieden zu halten. Nun häufen sich aber neuerdings die Nachrichten über anderweitige pathogene Bazillen, unter denen ich nur eine Art, die beim Rauschbrand des Rindes vorkommende, nennen will. Und wie stellt sich Büchner zu diesen? In einem Referat über die Arbeiten von Arloing, Cornevin und Thomas über Rauschbrand sagt Buchner wörtlich^): Die Form des Spaltpilzes wird von den Verfassern genau so beschrieben, wie schon F e s e r und Bollinger dieselbe angegeben haben. Es sind Stäbchen, kürzer und etwas breiter als die Milz- brandbakterien, mit abgerundeten Enden und lebhafter Eigenbewegung, also hinlänglich von den Pilzen des Milzbrandes verschieden." Hier genügen demnach mit einem Male abgerundete Enden der Bazillen und Eigenbewegung, d. h. Vorhandensein von Geißel- fäden, um die Rauschbrandbazillen als morphologisch verschieden von den Milzbrand- bazillen anzusehen, während die HeubaziUen, bei denen diese Formunterschiede noch deutlicher ausgesprochen sind, für morphologisch gleich mit den Milzbrandbazillen er- klärt wurden. Wie lassen sich diese Widersprüche in Einklang bringen ? Doch nur da- durch, daß Buchner nunmehr auch die morphologische Differenz zwischen Heu- und Milzbrandbazillen anerkennen muß. Dann ist er aber auch verpflichtet, bei seinem Versuch der Umzüchtung von Milzbrandbazillen in Heubazillen über die allmähliche Ver- änderung der morphologischen Eigenschaften der Bazillen Rechenschaft abzulegen. Wann stellen sich, darf man gewiß fragen, die Geißelfäden ein imd wann verwandeln sich die abgestutzten Enden der Milzbrandbazillen in die abgerundeten der Heubazillen ? Zu dieser Forderung ist man um so mehr berechtigt, als die Abänderung der für Buchner früher nur maßgebenden pathogenen Eigenschaften der Milzbrandbazillen bei der Um- züchtung in einer so wenig gesetzmäßigen Weise vor sich geht, daß ich schon allein aus diesem Umstände auf eine stattgefundene Verunreinigung seiner Kulturen schließen möchte. So ergaben in einem Falle die Kulturflüssigkeiten nach der ersten, zweiten, dritten und vierten Umzüchtung noch Milzbrand, in der fünften, sechsten, siebenten und achten nicht mehr ; nur wenn B u c h n e r von diesen letzteren Flüssigkeiten größere Impf mengen anwendete, wurde Milzbrand erzeugt. Noch deutlicher ist diese Erscheinung in einem anderen von Buchner berichteten Versuch, in dem nur die erste Umzüchtung eine bei Anwendung emer geringen Impfquantität wirksame Flüssigkeit lieferte, die zweite bis fünfte wirkten nur in größerer Menge, die sechste war überhaupt unwirksam. Entspricht dies nun dem Verhältnis, wie wir uns eine allmähliche Abnahme der Virulenz, eine Ab- schwächung derselben vorstellen müssen ? Keineswegs : Nach den in der letzten Zeit ganz geläufig gewordenen Vorstellungen von der Abschwächung der Virulenz eines patho- genen Organismus geht dieselbe in der Weise vor sich, daß gleich große Impfmengen anfangs noch die ursprüngliche typische Krankheitsform, dann nach und nach eine von dieser typischen Form abweichende weniger heftig und weniger gefährlich verlaufende Krankheit erzeugen, also immer noch eine pathogene Wirkung äußern. Ganz anders geht es bei dem Buchner sehen Experiment zu. Hier hört bei irgendeiner Umzüchtung plötzlich die Wirkung der noch in der vorhergehenden Kultur wirksam gewesenen Impf- menge auf und erst, wenn größere Flüssigkeitsmengen verimpft werden, stellt sich die Wirkung wieder ein, der alsdann erzielte Effekt ist aber nicht ein abgeschwächter, sondern immer wieder der ungeschwächte tödliche Milzbrand. Genau dieselbe Erscheinung würde ^) Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1881, Nr. 25. Zur Ätiologie des Milzljiandes, 197 sich gezeigt haben, wenn die letzte der noch in kleinen Quantitäten wirksamen Kulturen stark verdünnt worden wäre, d. h. wenn die Zahl der auf eine bestimmte Menge Flüssigkeit kommenden Milzbrandbazillen soweit verringert wäre, daß nur noch eine größere Impf- menge die Aussicht gibt, einen oder mehrere Bazillen, so viel eben zur Infektion not- wendig sind, in die Impfwunde zu bringen. Ein Analogon bieten die Versuche von C h a u- V 6 a u mit Verdünnung der Vakzine ; mit einem gewissen Grad der Verdünnung hört die Wirkung auf; aber mit größeren Impf mengen derartig verdünnter Vakzine sind immer noch regelrechte Impfpusteln zu erhalten. Ich kann deswegen in dem Verlauf des Buchner- schen Experimentes nicht eine Abschwächung der Milzbrandbazillen erblicken, sondern erkläre, wie mir scheint, in ganz ungezwungener Weise den Vorgang durch eine einge- tretene Verunreinigung der Kultur durch andere Bazillen, welche die Milzbrandbazillen überwuchern, verdrängen und ihre Anzahl reduzieren. Dafür spricht auch die Ungleich- heit in der Zahl der Umzüchtungen, welche erforderlich waren, um die Milzbrandbazillen ihrer Virulenz zu berauben. Die letzte Wirksamkeit mit größeren Impfmengen wurde bei der sechsten, siebenten, achtzehnten und einmal sogar bei der sechsunddreißigsten Kultur beobachtet. Wenn es sich in der Tat um eine Abschwächung handelte, dann ist nicht einzusehen, warum nicht bei derselben Kulturmethode, also bei gleichbleibenden Versuchsbedingungen, die Virulenz nicht auch in den verschiedenen Versuchen zu an- nähernd gleichen Zeiten verschwinden sollte, während im Gegenteil dies Verschwinden der Virulenz zwischen 6 und 36 Tagen schwankte. Die Annahme eines Fehlschlagens der vermeintlichen Reinkultur macht jene Unregelmäßigkeit sofort erklärlich, weil, je nachdem es der Zufall fügt, die fremden Bazillen, welche die Milzbrandbazillen verdrängen, das eine Mal eher, das andere Mal später in die Reinkultur gelangt sein können. Wenn Buchner es als ein Kennzeichen für die Anwesenheit der Milzbrandbazillen in seiner Kultur, auch wenn die Virulenz schon geschwunden ist, anführt, daß die morphologische Beschaffenheit dieser schon abgeänderten Bazillen dieselbe sei, wie diejenige der Milzbranclbazillen. so hat das gar keine Bedeutung. Denn einmal erkennt B u c hner , wie ich früher schon aus- zuführen Gelegenheit hatte, die durch Färbungsmethoden nachzuweisenden morpholo- gischen Unterschiede, wie sie zwischen Heu- und Milzbrandbazillen existieren, nicht an; zweitens gibt es aber auch außer den Heubazillen noch mehrere andere Bazillen, die in Kulturflüssigkeiten sich nicht wie Heubazillen verhalten und nicht, wie diese, eine membranartige Decke auf der Flüssigkeit ablagern, sondern genau ebenso wie die Milz- brandbazillen vom Boden des Gefäßes aus zuerst wolkige Massen und von diesen aus- gehend rankenartige, äußerst zarte Flocken bilden. Ohne besondere Hilfsmittel, wie sie bislang nur die Färbungsmethode bietet, diese Bazillenarten, welche nicht im geringsten pathogen sind, von den Milzbrandbazillen zu unterscheiden, ist geradezu unmöglich. Die Keime dieser den Milzbrandbazillen ähnlichen Bazillen sind viel häufiger und weiter verbreitet, als die der sogenannten Heubazillen. Sie finden sich fast bei allen Luftunter- suchungen überall in den oberen Bodenschichten, im Staub, namentlich auch im Staub von Heu habe ich sie niemals vermißt, wenn ich denselben auf Nährgelatine brachte. Von den eigenthchen Heubazillen scheinen sie in Nährflüssigkeiten überwuchert zu werden, so daß es mir ganz erklärhch ist, daß Buchner in seinen Kulturen, wenn die- selben unrein wurden, zuerst die weit verbreiteten, oben geschilderten Bazillen, welche im Wachstum den Milzbrandbazillen gleichen, erhielt und daß diese schließlich durch die später eingedrungenen Heupilze überwuchert wurden. Wenn ich eine Verunreinigung der B u c h n e r sehen Kulturen für wahrscheinlich halte, so habe ich dafür folgende Gründe : B u c h n e r benutzte Lösungen von Liebigschem Fleisch- extrakt. Es ist das eine Substanz, deren sichere Sterilisierung zu den schwierigsten Auf- gaben gehört. Ich könnte dafür als Belege die Aussprüche verschiedener Experimentatoren 198 Zur Ätiologie des Milzbrandes. anführen, die mit Fleischextraktlösungen als Kulturflüssigkeiten gearbeitet und dieselbe wegen dieser unangenehmen Eigenschaft wieder verlassen haben, aber auch Buchner selbst kennzeiclmet in einer Anmerkung zu seiner Schrift diese Schwierigkeit deutlich genug, indem er erwähnt, daß sich in einem Falle erst nach 18 Tagen die Verunreinigung der Fleischextraktlösung bemerklich gemacht hatte. Würde man sich also in diesem Falle der 12 — 15 Tage klar gebliebenen Flüssigkeit zur Kultur bedient haben in dem guten Glauben, daß sie vollständig sterilisiert sei, dann würde man sich arg getäuscht haben. Nun kommt hierzu noch, daß Buchner sogleich größere Quantitäten Fleischextrakt- lösung, wie er sagt, für 1 % Monate ausreichend, im Dampfkochtopf zu sterili- sieren versucht hat. Wenn es schon schwierig ist, Fleischextraktlösung in kleinen Quantitäten sicher zu sterilisieren, so wächst diese Schwierigkeit noch bedeutend mit der Menge und das ist ganz besonders beim Gebrauch des Dampfkochtopfes der Fall. Zum Verständnis dieser Verhältnisse verweise ich auf die Schilderung der Versuche mit dem Dampf kochtopf in der Arbeit über die Desinfektion mit Wasserdampf i). Wem sollte nicht bei dem Faktum, daß in einem mit Wasser gefüllten Literkolben, der sich im Dampf- kochtopf eine halbe Stunde bei 120*' C Temperatur befand, ein Maximalthermometer nur die Temperatur von 85° C erreichte. Bedenken aufsteigen, ob Buchners im Dampfkoch- topf behandelte Kulturflüssigkeiten auch wirklich sterilisiert waren ? Auch der Apparat, mit Hilfe dessen B u c h n e r seine fortlaufenden Kulturen bewerk- stelligte, hat, so sinnreich er übrigens konstruiert ist, seine Schwächen, und zwar scheint mir die schwächste Stelle die Ausflußöffnung zu sein. Buchner sagt über diese Vorrichtung : ,,Nach Ablauf der Vegetation im Züchtungsgefäße konnte die PUzflüssigkeit aus dessen Boden durch eine verschließbare enge Öffnung abgelassen werden, die weder ein Ein- treten von Luft noch einen Rücktritt der abgelaufenen Pilzflüssigkeit gestattete und daher jedem fremden Pilze den Eingang verwehrte." Es ist mir ganz unklar, wie es möglich sein soll, diese Öffnung am Boden des Gefäßes, welche doch wahrscheinlich durch einen Hahn oder eine ähnliche Vorrichtung abzuschließen war, gegen das Eindringen von fremden Bakterien in einer anderen Weise zu schützen, als durch jedesmal unmittelbar nach dem Ausströmen der Flüssigkeit zu bewerkstelligendes Ausglühen der Metall- oder Glasteile und Schützen der äußeren Partie der Ablaßvorrichtung durch erhitzte Watte. Denn wenn dies nicht geschieht, kann ein schließliches Eindringen von Bakterien in das Kulturgefäß auf demselben Wege, auf dem die abzulassende Flüssigkeit ausströmt, gar nicht ver- mieden werden. Es werden sich zuerst in dem Abflußrohr außerhalb der Schlußvorrich- tung an den mit der Nährflüssigkeit benetzten Wänden Bakterien ansiedeln, bis zur Schlußvorrichtung vordringen und wenn diese das nächste Mal geöffnet wird, in das Gefäß gelangen können. MögUcherweise ist die Schlußvorrichtung aber auch an und für sich nicht zuverlässig ,,pilzdicht". Es wäre doch wünschenswert gewesen, wennBuchner durch eine genaue Beschreibung seines Apparates diesen Bedenken vorgebeugt hätte, die in jedem, der mit Bakterienkulturen vertraut ist, sofort entstehen müssen. Auf einen Punkt möchte ich noch aufmerksam machen, der bei der Beurteilung der von Buchner gewählten Versuchsanordnung wohl im Auge zu behalten ist. Wenn irgendwo sich ein Fehler beim Sterilisieren oder im Abschluß der Kulturflüssigkeit einschlich, dann ist von vornherein wegen der Beschaffenheit der Nährflüssigkeit, welche in ihrem wesent- lichsten Bestandteil, dem Fleischextrakt, eine große Menge von Bazillensporen enthält und außerdem ein ausgezeichnetes Nährmaterial gerade für alle Bazillen abgibt, welche in die Gruppe der sogenannten Heubazillen gehören, gar nicht anders zu erwarten, als daß schließlich die HeubaziUen über alles andere, was ursprünglich darin kultiviert wurde oder später mit den Heubazillen gemeinschaftlich hineingelangte, den Sieg davontragen. 1) Diese Werke, p. 360 ff. D. Herausgeber. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 199 Wäre es Buchner gelungen, die Milzbrandbazillen in andere, weniger pathogen wirkende oder seltener vorkommende Bazillen, z. B. diejenigen der blauen Milch, umzuzüchten, dann hätte das Resultat an und für sich schon eine größere Wahrscheinlichkeit für sich gehabt. Daß nun aber schließlich bei der Umzüchtung gerade die Heubazillen heraus- kommen, die, wenn der Versuch irgendwo eine Lücke ließ, unfehlbar kommen mußten, das allein würde mir, ganz abgesehen von allen anderen Gründen, die ganze Sache schon verdächtig erscheinen lassen. Man könnte nun sagen, daß die lange Dauer, welche zur endgültigen Umzüchtung der Milzbrandbazillen in die Heubazillen erforderlich war, für eine ganz allmählich vor sich gellende Veränderung der Bazillen und nicht für eine Verunreinigung spräche. Dem habe ich folgendes zu entgegnen. Wenn Buchner von 1500 Generationen spricht, welche die Umzüchtung zuwege brachten, .so klingt das allerdings für den mit Bakterienkulturen nicht Vertrauten überwältigend. Für den Sachkenner verwandeln sich aber die 1500 Gene- rationen sofort in iSO Umzüchtungen, für die bisher der Ausdruck Generationen, ob mit Recht oder Unrecht mag dahingestellt bleiben, üblich war, ohne daß die Zahl mit 10 multipliziert wurde. Doch auch diese Zahl muß noch gekürzt werden. Ich habe schon früher erwähnt, daß in der Luft, im Staub und namentlich auch im Staub von Heu ganz konstant die Sporen verschiedener Bazillen vorkommen, von denen einige bei ihrer Vermehrung eine dichte, schleimige oder hautartige Decke an der Oberfläche der Nähr- flüssigkeit bilden, andere aber, und darunter gerade die am weitesten verbreiteten Bazillen, in der Nährlösung Vegetationen bilden, die von denjenigen der Milzbrandbazillen makro- skopisch nicht zu unterscheiden sind. Da man bis jetzt nicht vermochte, diese verschie- denen Bazillenarten immer getrennt zu erhalten, so sind die letzterwähnten, wahrscheinlich wegen des weniger in die Augen fallenden Aussehens ihrer Vegetation, bisher nicht be- achtet und meistens ganz übersehen. Im Grunde genommen gebührt ihnen mit demselben Recht wie den membranbildenden Bazillen der Titel Heubazillen. Auch mikroskopisch sind diese, wie schon erwähnt, nicht pathogenen Bazillen, weil sie unbeweglich sind und den Milzbrandbazillen in Länge und Dicke ziemlich gleichkommen, von diesen ohne die bekannten Hilfsmittel nicht zu unterscheiden. Wenn also Buchner in seinen Versuchen in den Kulturflüssigkeiten Bazillenvegetationen erhielt, die ebenso aussahen wie die Milzbrandvegetationen, aber nicht mehr pathogen waren, dann hatte er sein Ziel schon vollständig erreicht und hatte statt der Milzbrandbazillen einen in der Natur häufig vor- kommenden Bazillus vor sich, der ebensogut wie jeder andere aus dieser Gruppe Heubazillus genannt werden kann. Das Experiment, in einer Kulturflüssigkeit, in welcher ursprüng- lich Milzbrandbazillen sich befanden, nach einer gewissen Zahl von Umzüchtungen Heu- bazillen zu haben, war somit schon nach der 6., 7., 18. und in einem Falle nach der 36. ITm- züchtung beendigt und es hatte im Prinzip gar keinen Zweck, die Zahl der Umzüch- tungen weiter bis auf 150 zu steigern. Wenn schließlich noch ein membranbildender Bazillus erhalten wurde, so bedeutet dies weiter nichts, als daß eine zweite Umzüchtung von einem nicht membranbildenden zu einem mit dieser Eigenschaft versehenen Heu- bazillus noch zu dem ersten Experiment hinzugefügt wurde oder, wie ich die Sache auf- fasse, daß solange weitergezüchtet wurde, bis durch eine weitere zufällige Verunreini- gung auch einmal die membranbildenden Heubazillen in die Kulturflüssigkeit hinein- gerieten und ihre Vorgänger überwucherten. Das B u c h n e r sehe Experiment der Umzüch- tung von Milzbrandbazillen in Heubazillen reduziert sich also darauf , daß nach höchstens 36 Umzüchtungen die MilzbrandbaziUen verschwunden und statt dessen den Milzbrand- bazillen sehr ähnliche Heubazillen sich in der Kulturflüssigkeit befanden. Soll man nun dieses Resultat als ein im Sinne der Umzüchtung positives bezeichnen ? Nach meiner Ansicht nicht. Denn so lange noch ein einziges Bedenken obwaltet, daß die B u c h n e r sehe 200 Zur Ätiologie des Milzbrandes. Kulturmethode nicht, absoluten Schutz gegen das Eindringen von anderen BaziUen- keimen bietet, was sie, wie ich gezeigt habe, nicht tut, ist jenes Resultat nur insofern verwertbar, daß es die Möghchkeit beweist, die Milzbrandbazillen in fortlaufenden Kul- turen durch höchstens 36 Umzüchtungen zu erhalten. Von da ab gelangten andere Bazillen nachträglich in die Kulturen, gewannen die Oberhand, so daß also die Kulturen aufgehört hatten Reinkulturen zu sein. Aus diesen Gründen kann auch jeder Versuch, in welchem die Milzbrandbazillen länger als durch 36 Umzüchtungen rein und wirksam erhalten wurden, als ein Beweis gegen das Gelingen einer Umwandlung der Milzbrand- baziUen in Heubazillen gelten und derartige Versuche stehen mir in einer nicht geringen Anzahl zu Gebote. Ich bewerkstelligte zuerst mit dem in der Arbeit über die Unter- suchungsmethoden beschriebenen Reinkultur verfahren, also mit Hilfe von Nährgelatine^), solche fortlaufende Reinkulturen der Milzbrandbazillen. Dieselben lassen sich ohne Schwierigkeiten ausführen und ich habe mehrere Reihen, in denen die MilzbrandbaziUen auf einer mit Humor aqueus bereiteten Gelatine kultiviert wurden, bis auf 50 Umzüchtungen gebracht, ohne daß die Milzbrandbazillen in ihren morphologischen Kennzeichen oder in ihrer vollen pathogenen Wirkung eine Abänderung erfahren hätten. Ganz ebenso ver- hielten sich dieselben in gleichzeitig ausgeführten fortlaufenden Kulturen auf Fleisch- extrakt-Gelatine. Auch in diesen trat bis zur 50. Umzüchtung gar keine Änderung im Verhalten der Bazillen ein. Mit der 50. Umzüchtvmg, welche die MilzbrandbaziUen noch vollkommen rein geliefert hatte, wurde deswegen abgebrochen, weil der Beweis, daß mit einem sicheren Reinkulturverfahren die MilzbrandbaziUen durch eine weit größere Zahl von Umzüchtungen unverändert zu erhalten sind, als es Buchner gelungen war, zur Genüge geliefert ist. Es war mir damals schon bekannt, daß auch gekochte Kartoffeln ein ausgezeichnetes Nährsubstrat für MilzbrandbaziUen abgeben, und es ließ sich wohl erwarten, daß, wenn überhaupt eine Umwandlung von MilzbrandbaziUen in Heubazillen stattfinden kann, diese auf einem rein pflanzlichen Nährboden am natürlichsten und sichersten vor sich gehen müsse. Deswegen wurden noch einige längere Reihen von Umzüchtungen auf Kartoffeln bewerkstelligt, teils bei Zimmertemperatur, teils im Brüt- apparat, aber ohne daß sich hierin ein Unterschied geltend machte. Einige dieser Reihen gingen bis zur 40. und 50. Umzüchtung. Eine, die ich weniger aus Rücksicht auf weiteres Beweismaterial gegen die Umzüchtung der MilzbrandbaziUen ausführte, als vielmehr, weü es sehr bequem war, für anderweitige Versuche frisches Milzbrandmaterial in dieser Weise stets zur Hand zu haben, wurde bis auf 115 Umzüchtungen fortgesetzt, die sich auf den Zeitraum von sieben Monaten erstreckten. Die weitere Übertragung der BaziUen von einer Kartoffel auf die nächstfolgende fand meistens nach einem Tage, oft auch erst nach zwei bis drei Tagen statt. Im ganzen Verlauf dieser Versuchsreihe wurden sehr oft, um das Vorhandensein der pathogenen Eigenschaften zu prüfen, Tiere mit der von einer Kartoffelkultur entnommenen BaziUenmasse geimpft und jedesmal ebenso sicher Milzbrand erhalten, als wenn mit dem frischen Blute eines an Milzbrand gestorbenen Tieres geimpft worden wäre. Mit sehr kleinen Proben der 115. Kultur auf Kartoffeln wurden zum Abschluß noch drei Mäuse und ein Meerschweinchen geimpft, welche sämtlich am folgenden Tage starben und zwar, wie die Sektion ergab, an regelrechtem Milzbrand. Zu noch erheblicheren Bedenken und Einwänden, als die Umzüchtung der Milz- brandbaziUen in die Heubazillen, gibt der zweite Teil der B u c h n e r sehen experimentellen Arbeit Anlaß, welche sich mit der Überführung der unschädlichen Heubazillen in die pathogenen MilzbrandbaziUen beschäftigt. Ich halte es für überflüssig, auf aUe einzelnen Punkte dieses Experimentes, die zu einer Widerlegung auffordern, einzugehen und will nur den, wie mir scheint, wesentlichsten Einwand hervorheben, da, solange dieser nicht 1) Diese Werke, p. 136. Zur Ätiologie des Älilzbrandes. 201 beseitigt ist, an einen exalvten Beweis der geschehenen Umwandhing der Heu- in Milz- brandbaziUen nicht gedacht werden kann. B u c h n e r hat die Kulturen der zu pathogenen Organismen heranzuzüchtenden Heu- bazillen in nicht sterilisiertem Blute vorgenommen. Er sagt selbst, daß sich in diesem Blute nach 24 Stunden andere Bakterien einstellten. Bekanntlich hat man nun aber durch Einspritzungen von bakterienhaltigen Flüssigkeiten, besonders aber bakterienhaltigem Blut, die vonPasteur Septicämie und von mir mahgnes Odem genannte Affektion bei Tieren schon oft entstehen sehen, und wie ähnlich diese Affektion dem Milzbrand in bezug auf Gestalt und Größe der dabei gefundenen Bazillen und leichte Ubertragbarkeit auf andere Tiere ist und wie außerordentlich nahe für jeden, der nicht mit allen Ersclieinungen dieser Krankheit genau vertraut ist, eine Verwechslung derselben mit Milzbrand liegt, das habe ich schon früher ausführlich auseinandergesetzt. Wer will denn nun bestreiten, daß sich nicht in den Buchnerschen Kulturen mit unsterilisiertem Blut früher oder später auch einmal die fast überall verbreiteten Keime der ()deinbazillen einfinden könnten ? Wenn dies der Fall ist und wenn solches Blut oder von demselben herrührende weitere Kulturen eingeimpft und namentlich in der von Buch n e r befolgten Weise durch Bändchen unter die Haut des Versuchstieres gebracht wird, dann kann es gar nicht ausbleiben, daß ein solches Tier stirbt, Bazillen in der Lunge, vergröl.^ertcn Milz und im Blute hat, die sich beliebig oft auf andere Tiere mit demselben tödlichen Erfolg weiter verimpfen lassen. Was kann unter diesen Umständen jemand, für den pathogene Bazillen und Milz- brandbazillen eins und dasselbe sind, wohl anders annehmen, als daß er Milzbrand künst- lich aus unschädlichen Organismen erzeugt hat. Ich will allerdings nicht behaupten, daß bei Büchners Versuchen dieser fremde, den Milzbrandbazillus vortäuschende Bazillus kein anderer als gerade der des malignen Ödems gewesen sei. Ich halte es überhaupt für wahrscheinlich, daß bei weiterem Nachforschen noch mehrere mit pathogenen Eigen- schaften begabte Bazillen entdeckt werden, und so ist es auch möglich, daß Buchner einen anderen, bis jetzt noch nicht so genau studierten Bazillus bei seinem Kulturversuche eingefangen hat. Denn seine Methode der Kulturen in unsterilisiertem Blut möchte ich für die geeignetste Vorrichtung halten, durch Avelche pathogene Organismen, welche zufällig in die Kulturflüssigkeiten geraten, hier unter den für sie günstigsten Verhältnissen festgehalten werden. Am Schlüsse dieser Besprechung der Buchnerschen Arbeit möchte ich noch aus- drücklich erklären, daß ich nicht etwa ein prinzipieller Gegner der Lehre von der Um- züchtung einer Art in eine andere nahe verwandte Art bin und demgemäß auch die Ab- änderung pathogener Organismen in unschädliche und umgekehrt für nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liegend halte. Darin wird mir indessen jeder beistimmen, daß, wenn derartige Abänderungen sich anscheinend unter irgendwelchen Verhältnissen er- eignen, dieselben bei der außerordentlichen Tragweite einer solchen Tatsache nur dann von der Wissenschaft als vollgültig angenommen werden können, wenn sie in exakter Weise bewiesen und über jeden Zweifel erhaben sind. Davon ist aber die Buchn ersehe Umzüchtung von Heubazillen in Milzbrandbazillen noch weit entfernt. Im ganzen genommen ist also durch die neueren Milzbrandarbeiten unsere Kenntnis von der Milzbrandätiologie sehr Aveiüg gefördert und wir sind noch weit davon entfernt, mit Pasteur ausrufen zu können: ..Die Ätiologie des Milzbrandes ist gefunden und zugleich mit ihr die Prophylaxis dieser Krankheit." Die im Eingang dieser Arbeit bezeichneten Lücken in der Milzbrandätiologie. welche nur die hauptsächlichsten fehlenden Punkte bezeichnen, bestehen noch und werden noch 202 Zur Ätiologie des Milzbrandes. mancher Arbeit zu ihrer Ausfüllung bedürfen. Mit einer dieser Aufgaben, nämlich mit der Untersuchung der Einflüsse zerstörender oder entwicklungshindernder Stoffe auf die Milzbrandsporen und -Bazillen, habe ich mich gelegentlich der im Gesundheitsamte aus- geführten Arbeiten über Desinfektion eingehend beschäftigt. Das hierbei gewonnene, ziemlich reichhaltige Material findet sich in den auf die Desinfektion bezüglichen Auf- sätzen Die wichtigste der noch zu erledigenden Fragen ist, wie ich schon früher hervor- gehoben habe, die, ob die Milzbrandbazillen auch unabhängig vom tierischen Organismus leben und ihren Entwicklungsgang vollenden können. Wenn diese Frage in positivem Sinne beantwortet werden könnte, dann würden sofort die bisher noch am meisten rätsel- haft erscheinenden Vorkommnisse im Auftreten und in der Verbreitung des Milzbrandes eine einfache und sachgemäße Erklärung finden. Die Gründe, welche mich zur Aufstellung dieser Frage bestimmt haben, sind folgende : Eigene Beobachtungen und Nachforschungen über das Verhalten des Milzbrandes in einem Milzbranddistrikt machten es mir wahrscheinlich, daß Milzbranderkrankungen bezüglich ihrer Entstehung häufig auf Örtlichkeiten zurückgeführt werden müssen, an denen niemals Milzbrandkadaver vergraben sind und auch sonst nicht der geringste Anhalt geboten war, eine Ablagerung von Milzbrandstoffen durch kranke Tiere oder in sonst einer Weise annehmen zu können. Wie waren die Milzbrandkeime an diese Stellen gelangt ? Sollten sie durch Luftströmungen von Milzbrandstätten dahin geführt sein ? Das war wohl nicht anzunehmen, denn es hätte doch in diesem Falle eine gleichmäßige Ausbreitung über weite Strecken und nicht eine Konzentration auf einige wenige Punkte stattfinden müssen. Weitere Erkundigungen bei Landwirten und Tierärzten, welche langjährige Er- fahrungen über Milzbrand besitzen, bestätigen meine Vermutung, daß solche Milzbrand- lokalitäten vielfach existieren. Auch in der Literatur finden sich dafür zahlreiche Belege. Am auffälligsten ist mir in dieser Beziehung die in den tierärztlichen Berichten ganz regelmäßig wiederkehrende Beobachtung gewesen, daß Überschwemmungen sowohl an Flußufern als auch im Inun- dationsgebiet von Seen oder Sümpfen so außerordentlich häufig zu Milzbrandausbrüchen Veranlassung geben, sobald das Vieh auf die der Überschwemmung ausgesetzt gewesenen Stellen geführt oder mit Futter, welches daselbst gewachsen ist, gefüttert wird. Bei Über- schwemmungen durch Flüsse könnte man allerdings noch daran denken, daß das Wasser zuerst über Stellen, an denen Milzbrandkadaver verscharrt liegen, geströmt ist, sich hier mit Milzbrandsporen beladen und dieselben später auf den überschwemmten Weide- plätzen abgesetzt habe. Dieser Gedanke hat aber schon deswegen wenig für sich, weil auch hier wieder eine viel weitere Zerstreuung der Milzbrandkeime beobachtet werden müßte, was nicht der Fall ist. Fast immer konzentriert sich auch an überschwemmten Flußufern die Milzbrandentstehung auf gewisse, den Viehbesitzern wohlbekannte und von ihnen gefürchtete Punkte. Für die sehr langsam und deswegen ohne stärkere Strö- mung sich vollziehende Überschwemmung in der Umgebung von Seen, Sümpfen, Morästen und Teichen würde die oben angedeutete Erklärung überhaupt nicht zulässig sein. Um eine Vorstellung von der Häufigkeit dieser Art der Entstehung von Milzbrand zu geben, mögen hier einige Zitate aus den Berichten der Deputation für das Veterinär- wesen über die Verbreitung ansteckender Tierkrankheiten in Preußen einen Platz finden. Aus den Berichtsjahren 1862 — 65: In Pr.-Eylau fielen 4 Kühe an Milzbrand an einem Vormittag, als Ursache an- genommen: andauernder Regen und Überschwemmung der Weide. 1) Diese Werke, p. 287 ff. D. Herausgeber. Zur Ätiologie des Milzbrandes. 203 Im Kreis Ueckermünde : 5 Rinder, 1 Füllen. Nasse, tiefliegende Weide. Bei trocke- nem Futter sistierte die Seuche. Kreis Jerichow: Einige Füllen. Dieselben besuchten im Oktober noch eine Weide an der Elbe. Als die Tiere von der Weide genommen und im Stalle verpflegt wurden, hörten die Ster befalle auf. Pr.-Stargardt : 4 Rinder. Überschwemmt gewesene Weide an der Weichsel. Marienburg: 3 Kühe. Überschwemmte Weichsel- Wiesen. Aus den Berichtsjahren 1865 — 70: Auf einer Domäne im Magdeburgischen : Kühe, welche an tiefgelegener Stelle, welche im Frühjahr von der Elbe überschwemmt gewesen, weideten, krepierten bald darauf an Milzbrand, während die übrigen Stücke der Herde gesund blieben. Im Kreise Chodziesen trat der Milzbrand unter den Schafen am heftigsten auf bei Benutzung solcher Weidestellen, welche bei anhaltendem Regen durchnäßt waren und sodann auszutrocknen begannen. Bei Danzig fielen 7 Rinder an Milzbrand. Als Ursache ist Überschwemmung der Weide durch die Nogat angegeben. Kr. Delitzsch: 70 Schafe. Weide auf tief gelegenem, durch Gewitterregen sehr feucht gemachtem Weizenfeld. Andere Abteilungen der Herde, die unter denselben Bedingungen lebten, aber andere Weideplätze am Tage gehabt hatten, blieben gesund. Aus den Berichtsjahren 1870 — 75: Kr. Lebus: 17 Stück Rindvieh. Die Krankheit hörte auf, als das Verfüttern von Heu einer Oderbruchwiese, die im Frühjahr unter Wasser gestanden hatte, eingestellt wurde. Oschersleben : 30 Ochsen von einem Bestand von 80 Stück. Als Ursache wird Heu, welches der Überschwemmung ausgesetzt war, angesehen. Kr. Diepholz: Vereinzelte Fälle. Behüten der durch die Aller überschwemmten Wiesen. Wohlau: 6 Stück Jungvieh. Weide auf einem niedrigen, innerhalb der Oderdeiche gelegenen Terrain, welches schon bei mäßiger Wasserhöhe überschwemmt ist. Kr. Schrimm: 20 Stück Rindvieh in einer Woche. Weide auf überscliAvemmten und verschlammten Wiesen. Neumarkt: 50 Schafe, welche die Ränder eines halb ausgetrockneten Teiches be- weideten, fielen binnen 24 Stunden. Magdeburg: 5 Kühe und 1 Pferd. Beweiden eines ausgetrockneten Armes der Elbe. Kr. Stuhm: Bei verschiedenen Tieren. Weide auf von der Weiclisel 14 Tage zuvor überschwemmten Wiesen. Kr. Angermünde: Beim Rindvieh. Weide auf den von den Oderarmen gebildeten Inseln. Königsberg: 23 Rinder. Weide auf einer im Frühjahr überschwemmten Wiese. Aus den Berichtsjahren 1875 — 80: Wittenberg: 23 Stück Wild. Der Wildpark war im Frühling zum erstenmal über- schwemmt gewesen. Kr. Cleve: 29 Stück Rindvieh. Im Winter vorher überschwemmte Weide. Außer diesen speziell erwähnten Fällen begegnet man in diesen Berichten oftmals mehr allgemein gehaltenen Bemerkungen, welche sich in demselben Sinne aussprechen. Auch von diesen will ich wegen der Bedeutung, welche dieser Frage beigelegt werden muß, noch einige aus den letzten Jahren zitieren. 204 Zur Ätiologie des Milzbrandes. In dem Archiv für wissenschaftliche und praktische Tierheilkunde finden sich fol- gende Sätze: Bd. IV, 1877, S. 175: „Nächstdeni wird am häufigsten die Überschwemmung von Wiesen und Weiden als Ursache des Milzbrandes bezeichnet." Bd. VI. 1878—1879. S. 236: „Über die Ursache des Milzbrandes wiederholen die Berichte nur von neuem, daß der Milzbrand vorzugsweise in Orten, deren Feldmarken Überschwemmungen ausgesetzt waren, beobachtet worden ist." Im Supplementheft des Bd. VI, S. 17: ,,Aus den Tabellen zur Viehseuchenstatistik geht ferner hervor, daß Milzbrandstationen besonders häufig an solchen Orten vorkommen, deren Feldmarken öfter überschwemmt werden." Im Supplementheft des Bd. VII, 1880, S. 18: ,,Aus den Mitteilungen geht hervor, daß die Niederungen und überhaupt die nächste Nachbarschaft nicht nur größerer Ströme, sondern auch kleinerer Flüsse besonders reich an solchen Milzbrandstationen sind. Sehr häufig findet sich die Mitteilung, daß Überschwemmungen von Wiesen und Weiden oder das von solchen Teilen der Feldmark gewonnene Futter, beziehungsweise das Tränken mit dem auf Überschwemmungsstellen zurückgebliebenen Wasser oder Eindringen von Über- schwemmungswasser in die Brunnen die nächste Ursache zu Ausbrüchen des Milzbrandes abgegeben haben. Dieselben Anführungen kehren so häufig wieder, daß ein gewisses Verhältnis zwischen Inundationen der Wiesen und Felder einerseits und dem Auftreten des Milzbrandes andererseits kaum zu bezweifeln sein dürfte." Diesen Mitteilungen und Aussprüchen möchte ich nun keineswegs einen höheren Wert beilegen, als ihnen mit Fug und Recht zukommt. Sie fußen sämtlich auf Beob- achtungen, welche mehr oder weniger einen subjektiven Charakter tragen und von denen manche in dieser Fassung einer strengen Kritik nicht stichhalten möchten. Aber ich beabsichtige auch nicht, dieses Material etwa als einen Beweis für die Richtigkeit meiner Vermutungen, sondern nur für die Zulässigkeit derselben zu benutzen, und sehe sie nur als eine weitere mächtige Anregung zur möglichst gründlichen und eingehenden Prüfung der von mir aufgeworfenen Frage an. Für die Vermutung, daß die Milzbrandbakterien auch ganz unabhängig vom tieri- schen Körper ein Leben zu führen vermögen, wachsen, sich vermehren und Sporen bilden können, und zwar unter Verhältnissen, wie sie sich in der freien Natur sehr oft bieten, dafür stehen mir noch weitere Tatsachen zu Gebote. Wie ich schon früher Gelegenheit hatte zu erwähnen, geben gekochte Kartoffeln für die Milzbrandbazillen einen so aus- gezeichneten Nährboden ab, daß man sie auf demselben durch viele Generationen weiter- züchten kann. Die Bazillen wachsen aber nicht allein auf den Kartoffeln, sondern sie bilden auch in ganz regelrechter Weise ihre Sporen und machen also ihren vollständigen Entwicklungsgang durch. Es ist auch nicht erforderlich, diese auf Kartoffeln erhaltenen Sporen zur Fortsetzung der Kultur etwa wieder in den Tierkörper oder in tierische Flüssig- keiten zu bringen, denn sie liefern, ob sie nun sofort oder nach einer längeren Ruhepause in trocknem Zustande von neuem auf Kartoffeln ausgesät werden, wieder ebenso kräftige Kulturen, wie frisch aus dem Tierkörper entnommene Bazillen. Diese Erfahrung ver- anlaßte mich, eine Reihe anderer, rein pflanzlicher fester und flüssiger Substanzen auf ihre Fähigkeit, die Milzbrandbazillen ernähren und zur Sporenbildung bringen zu können, zu untersuchen, und zwar wurden hierbei besonders solche Verhältnisse berücksichtigt, die den Vorkommnissen in der freien Natur möglichst entsprechen. Zunächst wurden Aufgüsse von Heu, Stroh und dergleichen geprüft. Bekanntlich ist ein Heuinfus, so wie es gewöhnlich bereitet wird, eine für Milzbrandbazillen ganz unge- eignete Nährflüssigkeit. Dieses Heuinfus reagiert allerdings ziemlich stark sauer und man weiß, daß die Milzbrandbazillen in sauren Flüssigkeiten nicht gut gedeihen. Auch der Zur Ätiologie des ^Milzbrandes. 205 Urin, wenn er für Milzbrand bazillen eine Nährflüssigkeit abgeben soll, muß zuvor neutrali- siert oder schwach alkalisch gemacht werden. Es lag deswegen nahe, zu versuchen, ob auch das Heuinfus durch Neutralisieren zu einer den Milzbrandbazillen zusagenden Nährflüssigkeit gemacht werden kann. Es geht dies in der Tat. In Heuinfus, welches durch Zusatz von Kalilösung neutral oder schwach alkalisch gemacht ist, wachsen die Milzbrandbazillen vortrefflich und bilden ihre Sporen ebenso reichlich wie in den besten Nährlösungen. Es wurde nun weiter geprüft, ob das Heu unter solchen Bedingungen, wie sie den natürlichen Verhältnissen einigermaßen enf^sprechen, ebenfalls für Milzbrand- bazillen geeignete Nährlösungen liefern kann. Wenn das Heu möglichst sortiert und die feineren Gräser, die gröberen Gräser, die im Heu befindlichen Kräuter jedes für sich genommen, mit kaltem Wasser Übergossen und einige Zeit stehen gelassen wurde, dann ist es mir einige Male gelungen, auch ohne daß es notwendig war, das in dieser Weise kalt l)ereitete Infus zu neutralisieren, sofort eine Flüssigkeit zu erhalten, in welcher die Milz- brandbazillen gut gediehen. Es waren in diesen Fällen immer sehr feine und schmalblättrige Gräser, welche sich geeignet erwiesen. Aber auch die gröberen Grassorten und Kräuter lieferten mehrfach gute Nährlösungen, wenn sie vor der Behandlung mit Wasser mit einer geringen Menge von Schlemmkreide, kohlensaurem Kalk vermengt wurden, um die freien Säuren zu binden. Dieses letztere Resultat brachte mir in Erinnerung, daß schon oft darauf hingewiesen ist, daß Milzbrandlokalitäten einen kalkhaltigen Untergrund haben. Im Sammelwerke von H e u s i n g e r finden sich darüber zahlreiche Beobachtungen, aber auch in neuerer Zeit ist das Ziisammentreffen von Milzbrand und kalkhaltigem Boden manchen Beobachtern aufgefallen. Aus dem Archiv für Tierheilkunde, Bd. VI, S. 471, entnehme ich folgenden Satz: ,,In betreff derjenigen Ortschaften, in denen der Milzbrand stationär ist, wird mehrfach angeführt, daß die Feldmark Innnusreichen, kalkhaltigen Boden, bzw. Lehmboden mit Mergel hat." Und in derselben Zeitschrift, Bd. VII, Supplementheft, S. 18, heißt es; ,,Am häufigsten wird über die Bodenbeschaffenheit der Milzbrandstationen angeführt, daß die Feldmark humusreichen, kalkhaltigen Boden besitze." Ferner wird von der als ausgezeichnete Milzbrandlokalität bekannten fernie de Rozieres, auf welcher die von der Sociefe centrale de medecine veterinaire ernannte Kommission ihre Versuche anstellte, folgende Beschreibung des Bodens gegeben^): ,,C'e sol est en partie calcaire, couvert d\ine conche dlimmis peu epaisse.'' Nach dem Heu wurden von weiteren ähnlichen Stoffen, wie von Roggenstroh. Hafer- stroh, Gersten- und Erbsenstroh, in derselben Weise kalte Infuse bereitet. Von diesen gab nur Erbsenstroh ein positivCvS Residtat; in diesem wuchsen die Milzbrandbazillen sehr kräftig. Grüne Pflanzenteile, als Keime von Gerste. Erbsen. Gras, Maisstengel imd junger Maiskolben, Kohlblätter, mit Wasser behandelt, lieferten keine für Milzbrandbazillen ge- eignete Nährflüssigkeiten. Dagegen wuchsen sie gut im frischen Saft von rohen Kartoffeln, Mohrrüben, Futter- rüben, roten Rüben, Steckrüben. Ein ganz ausgezeichnetes Nährmaterial bieten den Milzbrandbazillen zerquetschte stärkemehllialtige Sämereien, unter denen Weizen obenan steht. In einem Gemenge von zerquetschtem Weizen und Wasser habe ich die Milzbrandbazillen ein so kräftiges Wachs- tum und Sporenbildung entfalten seheu, wie kaum in einer deui Tierkörper entstammenden Nährlösung. Gerste und Mais eignen sich ebenfalls sehr gut, weniger gut Hafer und Reis. Auch Hülsenfrüchte, Erbsen, Bohnen, Wicken, geben ziemlich gute Resultate. Die im Erdboden vorhandenen organischen Substanzen scheinen an und für sich nicht zur Ernährung von Milzbrandbazillen dienen zu können, denu in Gartenerde, in M Recueil de medecine veterinaire. T. VIII, No. 7. 206 Zur Ätiologie des Milzbrandes. sehr humusreicher Erde vom Ufer eines Flusses, im Schlamm desselben, sowie im Straßen- schlamm, welche Substanzen mit etwas Wasser versetzt wurden, wuchsen die Milzbrand- bazillen nicht. Aus diesen Versuchen läßt sich entnehmen, daß es zahlreiche Pflanzenstoffe gibt, welche den Milzbrandbazillen einen zu ihrer Entwicklung und Sporenbildung vollkommen ausreichenden Nährboden gewähren. Lebende Pflanzenzellen scheinen, ebenso wie den übrigen Bakterien, auch den Milzbrandbazillen nicht zugänglich zu sein. Nur abgestor- benes oder in seiner Kontinuität gestörtes Pflanzengewebe eignet sich zum Nährmaterial. Wahrscheinlich sind es bestimmte Gräser, amylumhaltige Sämereien, saftreiche Wurzeln, welche, an feuchten Stellen oder im Wasser liegend und der Zerstörung durch niedere Organismen preisgegeben, ebenso wie sie vielen anderen Bakterienarten zur Nahrung dienen, auch gelegenthch die Milzbrandbazillen beherbergen. Möglicherweise können durch das Vorhandensein von Kalk im Boden, auf oder in welchem Pflanzenstoffe in Zersetzung übergehen, auch solche Pflanzenteile, welche unter anderen Umständen für Milzbrandbazillen ungeeignet sind, diesen letzteren zugänglich gemacht werden. Man kann sich das Leben der Milzbrandbazillen so vorstellen, daß sie in der soeben angedeuteten Weise in sumpfigen Gegenden, an Plußufern usw. sich alljährlich in den heißen Monaten auf ihnen zusagenden pflanzlichen Nährsubstraten aus den von jeher daselbst abgelagerten Keimen entwickeln, vermehren, zur Sporenbildung kommen und so von neuem zahlreiche, die Witterungs Verhältnisse und besonders den Winter über- stehende Keime am Rande der Sümpfe und Flüsse und in deren Schlamm ablagern. Bei höherem Wasserstande und stärkerer Strömung des Wassers werden dieselben mit den Schlammassen aufgewühlt, fortgeschwemmt und an den überfluteten Weideplätzen auf den Futterstoffen abgesetzt, sie werden hier mit dem Futter von dem Weidevieh aufgenommen und erzeugen dann die Milzbrandkranklieit. Ein gewisses Analogon für ein derartiges Verhalten eines pathogenen Organismus könnte in der Trichinenkrankheit gefunden werden. Die Trichinen können ihren vollständigen Entwicklungsgang höchst- wahrscheinlich ganz allein im Rattenkörper und unabhängig von anderen Tierspezies durchmachen. Eine trichinöse Ratte wird gelegentlich von den anderen Ratten gefressen, infiziert diese und es kann sich also die Krankheit ganz allein unter diesen Tieren erhalten und fortpflanzen. Wenn zufällig auch einmal eine Ratte von einem Schweine gefressen wird und der Parasit auf dieses, von letzterem möglicherweise noch weiter auf den Menschen übergeht, so sind dies gelegentliche Exkursionen, welche die Parasiten machen, auf die sie aber, bezüglich der Erhaltung ihrer Art, ursprünglich nicht angewiesen sind. In ähnlicher Weise kann auch das Eindringen der Milzbrandbazillen in den Tier- körper als gelegenthche Exkursion eines für gewöhnlich für seine Existenz auf einen der- artigen Parasitismus nicht angewiesenen Mikroorganismus angesehen werden. Vorläufig ist dies alles, wie ich hier, um Mißverständnissen vorzubeugen, noch ausdrückUch erklären will, nur Vermutung. Allerdings läßt sich aus den von mir bei- gebrachten Tatsachen soviel abnehmen, daß für die Richtigkeit dieser Vermutung er- hebhche Gründe sprechen und deswegen eine weitere Prüfung derselben unumgänglich notwendig ist. Berlin, Ende Mai 188L über die Milzbrandimpfung.') Eine Entgegnung auf den von Pasteur in Genf gehaltenen Vortrag. Voll Dr. R. Koch, Geh. Regiermigsrat. Im Programm des 4. internatiunalen hygienischen Kongresses in Genf, welcher im September dieses Jahres stattfand, hatte Pasteur für eine der allgemeinen Sitzungen einen Vortrag über Abschwächung der Ansteckungsstoffe angekündigt. Als Mitglied des Kongresses unterließ ich es selbstverständlich nicht, diese Sitzung zu besuchen, weil ich bestimmt erwartete, wissenschaftlich verwertbare Angaben über das von Pasteur befolgte Verfahren zur Abschwäclnmg der Milzbrandbazillen, zuverlässige Zahlen über die Verluste bei der Präventivimpfung und die Widerstandsfähigkeit der geimpften Tiere gegen die natürliche Infektion zu erfahren. Ferner war zu hoffen, daß neue wichtige Entdeckungen bezüglich der Infektionskrankheiten mitgeteilt würden. Es war bekannt geworden, daß Pasteur im Jahre zuvor sich mit Studien über das gelbe Fieber gelegent- lich des Auftretens dieser Krankheit im südlichen Frankreich beschäftigt hatte und daß er seit geraumer Zeit bemüht war, die Mikroben der Lungenseuche zu entdecken. Aber nichts von diesem bekam der Kongreß zu hören, sondern nur bekannte Dinge von der Hühnercholera, von der nouvelle maladie de la rage und in bezug auf die Milz- brand-Präventivimpfungen nur die an sich ganz wertlose Angabe, daß bis jetzt so und soviel Tausende von Tieren geimpft seien. Das einzige anscheinend Neue waren Mit- teilungen über einen Parasiten, welchen Pasteur bei dem typhösen Fieber der Pferde entdeckt haben wollte, der aber, wie wir später sehen werden, unzweifelhaft ebenfalls in die Reihe der schon bekannten Dinge gehört. Alles dies diente offenbar auch nur als Unterlage für eine gegen mich gerichtete Polemik, welche nicht etwa auf das angekündigte Thema beschränkt blieb, sondern sich über alle Differenzen in unseren beiderseitigen Anschauungen bezüglich der Milzbrandätiologie erstreckte. Diese meiner Meinung nach zum größten Teil schon erledigten Fragen über die Abkühlung der Hühner, Bedeutung der Regenwürmer usw. haben für die Hygiene kein wesentliches Interesse und eine Diskussion über dieselben gehört auf keinen Fall in die allgemeine Sitzung eines hygie- nischen Kongresses, und zwar um so weniger, als P a s t e u r s Polemik nicht darauf ausging, mich durch tatsächliche Beweise zu widerlegen, sondern sich in allgemeinen Phrasen bewegte und zum großen Teil persönlich und in einem gereizten Tone gehalten war. Es erschien mir deswegen das Angemessenste zu sein, mich auf einen kurzen Protest gegen Pasteurs Angriffe zu beschränken und mir eine ausführliche Entgegnung vor- zubehalten-). Indem ich dieselbe hiermit der Öffentlichkeit übergebe, halte ich es für zeitgemäß, bei dieser Gelegenheit überhaupt meine Stellung zu den Paste urschen Arbeiten Leipzig 1882, Verlag von Georg Thieme. Die hierauf bezügUche Bemerkung in Bd. I der Verhandhingen des IV. Internationalen Hygiene-Kongresses, p. 145, lautet: M. le prof. R. Koch, de Berlin, monte ensuite ä la tribune 208 über die Milzbrandimpfung. auf dem Gebiete der Erforschung der Infektionskrankheiten darzulegen. Es bedarf wohl kaum der Versicherung, daß, wenn ich auch in vielen Punkten Pas teur widersprechen muß, ich deswegen seinen anderweitigen bedeutenden Verdiensten um die Wissenschaft meine Anerkennung nicht versage. Ein tiefgreifender Unterschied besteht zwischen den Methoden, welche für die Erforschung der Infektionskrankheiten von Pas teur und mir befolgt werden, und es konnte schon allein aus diesem Grunde nicht ausbleiben, daß wir bei unseren experimen- tellen Untersuchungen zu abweichenden Resultaten gelangten. Der von mir eingenommene Standpunkt ist, kurz charakterisiert, folgender: Es ist noch nicht bewiesen, daß sämthche Infektionskrankheiten durch parasitische Mikro- organismen bedingt werden, und es muß deswegen in jedem einzelnen Falle der Nachweis des parasitischen Charakters der Krankheit geliefert werden. Den ersten Schritt zu diesem Nachweis bildet die sorgfältige Untersuchung aller von der Krankheit veränderten Körper- teile, um das Vorhandensein der Parasiten, ihre Verteilung in den erkrankten Organen und ihre Beziehungen zu den Geweben des Körpers festzustellen. Selbstverständlich sind für diese Untersuchung sämtliche Hilfsmittel, welche die mikroskopische Technik der Neuzeit bietet, zur Anwendung zu bringen. Es sind die Gewebe und Gewebssäfte, Blut, Lymphe usw. frisch, ohne und mit Reagentien mikroskopisch zu untersuchen, sie sind dann am Deckglas einzutrocknen und mit den verschiedensten Färbungsver- fahren zu behandeln; die gehärteten Objekte sind durch das Mikrotom in feine Schnitte zu zerlegen, ebenfalls zu färben und die so vorbereiteten mikroskopischen Präparate unter Anwendung zweckmäßiger Beleuchtungsniethoden und mit den besten Linsen- systemen einer eingehenden mikroskopischen Prüfung zu unterwerfen. Erst nachdem man in dieser Weise sich eine gründliche Orientierung darüber verschafft hat, ob Mikro- organismen in den erkrankten Teilen vorhanden sind, an welchen Stellen sie in voller Reinheit, ob beispielsweise in Lunge, Milz, Herzblut usw., anzutreffen sind, kann versucht werden, den Nachweis dafür zu erlangen, daß diese Mikroorganismen pathogener Natur sind und daß sie speziell die Ursache für die in Frage stehende Krankheit abgeben. Sie sind zu diesem Zwecke in Reinkulturen zu züchten, und wenn sie hierdurch von allen ur- sprünglich ihnen noch anhaftenden Bestandteilen des erkrankten Körpers befreit sind, wenn möglich auf dieselbe Tierspezies, bei welcher die Krankheit beobachtet wurde, oder doch auf solche Tiere zurückzuimpfen, bei welchen die fragliche Krankheit erfahrungs- gemäß unter unverkennbaren Symptomen vorkommt. Um dies an einem Beispiel zu erläutern, erinnere ich an die Tuberkulose^). Zuerst wurde durch mikroskopische Unter- suchung festgestellt, daß in den erkrankten Organen durch Farbenreaktionen scharf charakterisierte Bazillen vorkommen; dann wurden diese Bazillen in Reinkulturen isoliert, indem man von solchen Stellen ausging, wo sie nicht mit anderen Bakterien vermischt und durch diese verunreinigt vorkommen ; zuletzt wurde durch die Rückimpf ung solcher Reinkulturen auf möglichst zahlreiche Tiere der verschiedensten Arten, deren et prononce, en allemand, l'allocution suivante, qui est imm^diatement reproduite en frangais par M. Haltenhoff: ,,Ayant appris par le Programme du Congres qua M. Pasteur parlerait aujourd'hui s\ir l'attönuation des virus, je me suis rendu ä la s^ance dans l'espoir d'apprendre quelque fait nouveau sur un svijet qui m'int^resse ä un si haut degr^. Je dois avouer en ce moment que j'ai 6t6 dÖQu dans mon attente et qu'il n'y a dans la communication de M. Pasteur aujourd'hui rien de neuf. Je ne crois pas utile (zweckmäßig) de röpondre ici aux attaques de M. Pasteur et cela pour deux raisons: d'abord, parce que les points en litige ne rentrent qu'indirectement dans le domaine de l'hygiene proprement dite et ensuite parce que ne sachant pas bien le frangais et M. Pasteur ne sachant pas assez l'allemand, nous ne pourrions engager ici une discussion fructueuse. Je me r6serve de r6pondre ä M. Pasteur par la voie des journaux m^dicaux." D. Herausgeber. 1) Diese Werke, p. 403. D. Herausgeber, über die Milzbrandiiiipfung. 209 Empfänglichkeit füi' diese Krankheit bekannt ist, die Tuberkulose von neuem erzeugt. Ein zweites sehr lehrreiches Beispiel bildet das Erysipel des Menschen. Man wußte schon längere Zeit, daß bei dieser Krankheit in den Lymphgefäßen der Haut sich konstant Mikrokokken finden. Damit war allerdings noch nicht erwiesen, daß letztere die Ursache des Erysipels sind. Nachdem es aber Fellleisen vor kurzem gelungen ist, aus exzidierten Hautstücken von Erysipelkranken, unter allen Kautelen gegen eine Verunreinigung durch andere etwa zufällig auf der Hautoberfläche abgelagerte Bakterien, jene Mikrokokken in Reinkulturen zu züchten und durch Verimpfung derselben am Menschen selbst ein typisches Erysipel hervorzurufen, kann kein Zweifel mehr bestehen, daß die Mikrokokken in der Tat die Ursache des Erysipels sind und letzteres als eine parasitische Krankheit anzusehen ist. Von dem Gang der Untersuchiing, wie ich ihn soeben gekennzeichnet habe, und der mir der einzige dem jetzigen Stande der Wissenschaft entsprechende zu sein scheint, weicht Pasteur nicht unerheblich ab. Zunächst geht Pasteur von der Überzeugung aus, daß alle Infektionskrankheiten parasitische, durch Mikroben bedingte Krankheiten sind, und er scheint die erste der von mir aufgestellten Bedingungen, den Nachweis der Mikroorganismen und die Orien- tierung über ihr Vorkommen im Körper, nicht für notwendig zu halten. Denn Pasteur macht beispielsweise keine Angabe darüber, ob er bei der Erforschung der von ihm als nouvelle maladie de la rage bezeichneten Krankheit die Organe des an Rabies verstorbenen Kindes, welches ihm zum Ausgangspunkt seiner Infektionsversuche diente, vor allen Dingen dessen Sublingualdrüsen auf das Vorhandensein spezifischer Mikroben mikrosko- pisch untersucht hat. Gerade in diesem Falle wäre doch eine solche Untersuchung uner- läßlich gewesen, denn es ist bekannt, daß bei Rabies die Sublingualdrüsen den Infektions- stoff enthalten und daß also die vermuteten Mikroben, da das Gewebe der Sublingual- drüsen für gewöhnlich nicht der Sitz von Bakterien ist, hier noch am sichersten in voller Reinheit anzutreffen sein würden. Pasteur aber benutzte als Impfstoff , als er versuchen wollte, die Wutkrankheit von der Leiche jenes Kindes auf Tiei'e zu übertragen, nicht das Gewebe der Sublingualdrüsen, sondern den Speichel selbst, von welchem bekannt ist, daß er eine Unzahl der verschiedensten Bakterien und darunter auch, wie Vulpian (Bull, de l'Acad. 29. Mars 1881) und S t e i n b e r g (National Board of Health, Bulletin April 30 th. 1881) nachgewiesen haben, selbst bei gesunden Menschen pathogene Bakterien enthält. Ebenso verfährt Pasteur mit dem sogenannten typhösen Fieber der Pferde. Er untersucht nicht die ödematösen Schwellungen der Haut und des Darmes, nicht die geschwollene Milz; wir erfahren auch nicht, ob im Blute der erkrankten oder eben gestorbenen Tiere charakteristische Mikroben vorhanden sind. P a s t e u r begnügt sich damit, den aus der Nase eines verendeten Tieres abfließenden Schleim zu verimpfen, welcher ohne allen Zweifel ebenso wie der Speichel diu'ch viele andere Bakterien ver- unreinigt ist. Wenn nun schon das Material, von welchem Pasteur ausgeht, nicht rein ist, und wenn es danach fraglich erscheinen muß, ob durch die Verimpfung solchen Stoffes die in Untersuchung stehende Krankheit überhaupt erzielt werden kann, so wird durch Pasteur der Erfolg des Experimentes dadurch noch mehr in Frage gestellt, daß er die Impfung nicht an einer notorisch für die Krankheit empfänglichen, sondern an der ersten besten Tierspezies, an Kaninchen vornimmt. Um überhaupt erst einmal zu erfahren, ob diese oder jene Substanz das Wutgift enthält, wird man sie doch zunächst nur auf Hunde verimpfen, und wenn eine ganz neue Pferdekrankheit ätiologisch zu erforschen ist und man nicht vorzieht, das Blut, die Milz oder dergleichen als Impfsubstanz zu wählen, sondern durchaus den durch andere Bakterien verunreinigten Nasenschleim benutzen will, dann Koch, Gesammelte Werke. 14 210 Über die Milzbrandimpfung. sollte man doch wenigstens Pferde als Versuchstiere benutzen uild nicht Kaninchen, von denen noch kein Mensch weiß, ob sie an dem typhösen Pferdefieber zu erkranken vermögen und wie sich die Symptome dieser neuen Krankheit etwa bei ihnen gestalten. Die Folgen dieser von P a s t e u r eingeschlagenen Methode der Untersuchung zeigen sich denn auch in eklatanter Weise. Bei seinen Arbeiten über Milzbrand fand P a s t e u r das Terrain schon geebnet. Man kannte schon die Milzbrandbazillen, und der Nachweis, daß dieselben die Ivrankheitsursache sind, war schon geliefert. P a s t e u r hatte also nur mit gegebenen Tatsachen zu rechnen, und die Schwächen seiner Methode konnten sich deswegen nicht so auffallend wie bei späteren Gelegenheiten offenbaren. Auch die Hühnercholera fand P a s t e u r durch Perroncito und Toussaint soweit vorgearbeitet, daß er nicht leicht auf Abwege geraten konnte. Sobald aber P a s t e u r an eine ganz neue Frage herantrat und sich mit dem Kontagium der Hundswut be- schäftigte, kam er infolge seiner fehlerhaften Methode sofort von seinem Ziel ab. Die Mikroben der Hundswut, welche man damals zu finden hoffte und anscheinend auch jetzt noch vergeblich sucht, fand Pasteur nicht; anstatt derselben wurden Bak- terien gefunden, welche eine angeblich neue Krankheit verursachen sollten. Sieht man sich aber die ,,neue Krankheit" etwas genauer an, dann erkennt man in ihr sehr bald die .schon längst bekannte Kaninchensepticämie. Pasteur beschreibt den neuen Mikroben als von geringer Größe, etwas länglich, in der Mitte schwach eingeschnürt, so daß er in seinem Aussehen der Gestalt einer 8 sehr ähnlich ist. Die damit infizierten Kaninchen starben nach ungefähr 24 Stunden. Sowohl der Gestalt, als der pathogenen Wirkung an den geimpften Kaninchen nach können diese Mikroben keine anderen als diejenigen der Kaninchensepticämie sein, einer Krankheit, welche schon von C o z e und F e 1 1 z und später von D a v a i n e , zuletzt noch von G a f f k y bei Gelegenheit seiner Arbeit über Septicämie, eingehend experimentell studiert wurde. Es ist eine eigen- tümhche Tatsache, welche sich beim weiteren Studium der pathogenen Bakterien immer bestimmter herausstellt, daß nämlich derjenige pathologische Prozeß, welchen wir mit dem Namen der Septicämie belegen, kein einheitlicher ist. Es gibt mehrere verschiedene pathogene Bakterien, welche bei bestimmten Tierspezies eine tödliche, unter den Symptomen der Septicämie verlaufende Krankheit bewirken. So kennen wir bereits eine durch äußerst feine Bazillen verursachte Septicämie der Mäuse, welche merkwürdigerweise Meerschweinchen niemals tötet und bei Kaninchen einen dem Ery sipelas ähnlichen Prozeß erzeugt; auch eine dem Meerschweinchen eigentümliche, durch sehr kleine Mikrokokken bedingte Septicämie habe ich wiederholt beobachtet; außerdem ist die schon erwähnte Kaninchensepticämie mit ihren 8-förmigen Mikroben bekannt, welche schon vielfach durch Impfungen von Kaninchen mit den verschieden- sten in Zersetzung befindlichen Substanzen erhalten worden ist. Man hat sie bis jetzt namentlich durch Verimpfungen von faulendem Blut, von Rinnsteinwasser und ähnlichen faulenden Flüssigkeiten erhalten. Sternberg konnte diese Krankheit sogar regel- mäßig mit seinem eignen Speichel, obwohl er sich vollkommener Gesundheit erfreute, erzeugen und er hat sehr charakteristische photographische Abbildungen der 8-förmigen Mikroben veröffentlicht, welche er durch Verimpfung seines Speichels erhielt. Jedem Experimentator, welcher sich mit Infektionsversuchen an Kaninchen beschäftigt, müssen diese Verhältnisse bekannt sein, wenn er nicht in Irrtümer verfallen will. Pasteur hat dieselben nicht gekannt oder unbeachtet gelassen, sonst würde er nicht mit einer an Mikroben so reichen Flüssigkeit, wie der Speichel einer Leiche ist, Impfungen an Kaninchen, anstatt wie es in seinem Falle das einzig Richtige gewesen wäre, an Hunden, welche für septicämische Infektion sehr wenig empfänglich sind, angestellt und vor allem würde er nicht eine schon längst bekannte Krankheit als ,,nouvelle maladie" bezeich- über die Milzbrandimpfung. 211 net haben. Ganz unbegreiflich erscheint es allerdings, daß P a s t e u r, durch die Er- fahrungen in diesem Falle nicht belehrt, neuerdings bei seiner Untersuchung über den Pferdetyphus in denselben Fehler gefallen ist. Es hat doch gewiß für die ätiologische Erforschung dieser Krankheit gar kein Interesse zu erfahren, daß nach Impfung mit dem Nasenschleim des toten Tieres ein Kaninchen in ziemlich kurzer Zeit stirbt; denn geradeso wie Kaninchen durch Impfung mit dem Speichel eines gesunden Menschen getötet werden können, so würde dies vermutlich auch nach der Impfung eines in Zersetzung begriffenen Nasenschleims von einem an irgendeiner beliebigen Krankheit gestorbenen Pferde der Fall sein. Man hätte doch zunächst feststellen müssen, ob nicht avich die Imp- fung mit dem Nasensclileim anderer Pferde oder selbst gesunder Pferde Kaninchen tötet. Alles dies wurde versäumt, und ein neckischer Zufall hat es gefügt, daß auch hier wieder der verhängnisvolle 8-förmige Mikrobe, welcher Kaninchen in ungefähr 24 Stunden tötet, zum Vorschein gekommen ist. Daß es sich auch hier wieder um dieselbe Kaninchen- septicämie handelt, welche mit der von D a v a i n e beschriebenen und von P a s t e u r als nouvelle maladie bezeichneten Krankheit identisch ist, kann für den Kenner der Tierinfektionskrankheiten keinen Augenblick zweifelhaft sein. Eigentlich konnte es auch nicht anders kommen, denn das Kaninchen reagiert nun einmal, wie wir wissen, auf Impfungen mit derartigen Flüssigkeiten, sobald sie diese spezifischen Bakterien enthalten, durch Septicämie. Ich zweifle nicht, daß P a s t e u r, wenn er in dieser Weise fortfährt und in Zersetzung begriffene tierische Flüssigkeiten auf Kaninchen verimpft, noch mehrfach dem 8-förmigen Mikroben der Kaninchensepticämie begegnen und Ge- legenheit finden wird, denselben der Akademie oder einon Kongreß als höchst inter- essante und eminent wichtige Entdeckung vorzuführen. Aber auch gesetzt den Fall, daß die Verimpfung des Pferdenasenschleims eine von den bisher bekannten künstlichen Infektionskrankheiten der Kaninchen abweichende Form ergeben hätte, so müßte ich dies trotzdem für eine Entdeckung von so untergeordneter Bedeutung halten, daß sie nicht dazu angetan ist, um einem internationalen Kongreß als wichtiger Gegenstand mit- geteilt zu werden. Gelegentlich der ätiologischen Untersuchungen, welche im Kaiser- lichen Gesundheitsamte bisher ausgeführt wurden, sind allmählich gegen zehn ver- schiedene künstliche Tierinfektionskrankheiten aufgefunden, welche nicht durch 8-förmige Mikroben, sondern durch charakteristisch geformte und ganz eigentümhche pathologische Prozesse bedingende Bakterienarten erzeugt werden. Es schienen uns indessen weit mehr die pathogenen Mikroorganismen der natürlich vorkommenden Infektionskrankheiten das Interesse zu beanspruchen, als dal3 wir jeden einzelnen dieser Funde zum Gegenstand einer ausführhchen Veröffentlichung zu machen für gut be- funden hätten. Die von P a s t e u r befolgten Methoden müssen also, wie ausemandergesetzt wurde, wegen des Mangels der mikroskopischen Untersuchung, wegen der Verimpfung unreiner Substanzen und der Benutzung ungeeigneter Versuchstiere als fehlerhafte bezeichnet werden und können nicht zu zuverlässigen Resultaten führen. Wenn nun P a s t e u r ferner sich bei der Deutung der in seinen Experimenten erhaltenen Ergeb- nisse vom Vorurteil beeinflussen läßt und zu wunderbaren Vorstellungen ülier die an den Versuchstieren gefundenen Krankheits- und Leichenerscheinungen kommt, so darf ihm hieraus allerdings weniger ein Vorwurf gemacht werden. P a s t e u r ist eben kein Arzt und man kann von ihm nicht verlangen, daß er pathologische Prozesse und Krankheitssymptome richtig beurteilt. Um so mehr wäre es aber Pflicht seiner ärzt- lichen Mitarbeiter gewesen, ihn vor so groben Irrtümern zu bewahren, wie sie in der Auffassung der Kaninchenkrankheit zutage treten, die durch Verimpfung des Nasen- schleims von Pferden erhalten wurde. Diese Pferdekrankheit gehört nach den Unter- 14* 212 Über die Milzbrandimpfung. suchungen von Schütz zur Gruppe der erysipelatösen Prozesse und hat mit dem menschlichen Typhus absolut nichts zu tun. Auch die Krankheit, welche die Impfung des Nasenschleims hervorruft, ist, wie bereits erwähnt wurde, wegen der charakteristi- schen Form des Mikroben ,,en huit" und der schnell tödlichen Wirkung dieses Para- siten identisch mit der gewöhnlichen Kaninchensepticämie und hat gar keine Bezie- hungen zum Typhus. P a s t e u r scheint aber, durch die Ähnlichkeit des zufällig ge- wählten Namens ,, Pferdetyphus" verführt, sich unter derselben eine echt typhöse, mög- licherweise sogar eine dem Abdominaltyphus nahestehende oder selbst identische Krank- heit vorzustellen, denn er hebt mit besonderem Nachdruck hervor, daß die infizierten Kaninchen geschwollene P e y e r sehe Drüsen und zwar vorzugsweise in der Nachbar- schaft der Ileocökalklappe gehabt hätten und daß die Tiere in weniger als 24 Stunden an einem veritable fievre typhoide gestorben seien. Wie man dieses noch nicht einmal 24 Stunden dauernde Fieber als ein typhöses diagnostiziert hat, ist nicht angegeben ; aber auch ohne weitere Erklärungen klingt die ganze Sache im höchsten Grade wunderbar, da man bis jetzt weder ein typhöses Fieber des Kaninchens, noch überhaupt ein eintägiges typhöses Fieber kennt. Dieser eintägige Kaninchentyphus gehört mit der eintägigen Kaninchen-Hundswut von Lannelongue und Raynaud und der schon einen Tag nach der Impfung durch Bazillen im Blute sich manifestierenden Schweinesyphilis, welche von Martineau und H a m o n i c kürzlich beschrieben ist, zu denjenigen Dingen, welche mit aUen Erfahrungen und mit den herrschenden Anschauungen der Wissenschaft in grellstem Widerspruch stehen und nur geeignet sind, das Vertrauen, welches die ätiologische Forschung sich allmählich zu erwerben beginnt, wieder zu zer- stören. Es würde deswegen nur dem Gedeihen dieses jungen Zweiges der Wissenschaft förderlich sein, wenn derartige Irrtümer möglichst bald berichtigt oder der Vergessenheit anheimgegeben würden, und es ist zu verwundern, daß eine so gut redigierte Zeitschrift wie die Annales d'hygiene publique in einer ihrer letzten Nummern (Nr. 9, S. 301) allen Ernstes berichtet, daß P a s t e u r die Typhusbakterien kultiviert habe, was in dieser Fassung bei allen Lesern die Meinung erwecken muß, als ob es sich um die Bakterien des wirklichen Typhus, d. h. des Abdominaltyphus, dabei handle. P a s t e u r hat sich in seinem Genfer Vortrag bitter darüber beklagt, daß ich seine mikroskopischen Leistungen und seine Impfmethode für unvollkommen erklärt habe. Aber nach dem, was wir über seine Impfungen mit Speichel und Nasenschleim an Kanin- chen und seine wiederholten Entdeckungen des Mikroben en huit erfahren haben, kann ich zu meinem lebhaften Bedauern mein Urteil, wenigstens vorläufig, noch nicht ändern. P a s t e u r hat indessen nicht allein durch die Mangelhaftigkeit seiner Methoden, sondern auch durch die Art und Weise, wie er seine Untersuchungen publiziert, die Kritik herausgefordert. Bei industriellen Unternehmungen mag es erlaubt sein und ist gewiß oft durch das Geschäftsinteresse geboten, das Verfahren, welches zur einer Entdeckung führte, geheim zu halten. In der Wissenschaft herrscht aber ein anderer Brauch. Wer von der wissenschaftlichen Welt Glauben und Vertrauen beansprucht, der hat die Pflicht, die von ihm befolgten Methoden so zu veröffentlichen, daß ein jeder in den Stand gesetzt wird, jene Angaben auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Dieser Verpflichtung ist P a s t e u r nicht nachgekommen. Schon bei seiner Publikation über die Hühnercholera hat er seine Methode der Abschwächung lange Zeit verheimlicht und schließlich nur auf das ent- schiedene Drängen von Colin sich zur Bekanntmachung derselben entschlossen. Das- selbe hat sich bei der Abschwächung des Milzbrandvirus wiederholt; denn die Mittei- lungen, welche P a s t e u r bis jetzt über die Bereitung der beiden Impfstoffe gemacht hat, sind so unvollkommen, daß es unmöglich ist, ohne weiteres sein Verfahren zu wieder- holen und zu prüfen. Wer so verfährt, der darf sich nicht beklagen, wenn er in wissen- über die Milzbrandinipfung. 213 schaftliclien Kreisen dem Mißtrauen und einer scharfen Kritik begegnet. Die Wissen- schaft hat hierzu um so mehr Berechtigung, als andere Forscher auf demselben Ge- biete, wie Toussaint und C h a u v e a u , ihre Methoden ohne irgendwelchen Rückhalt veröffentlicht haben und in dieser Beziehung einen wohltuenden Gegensatz zu P a s t e u r bilden. Nach diesen Auseinandersetzungen, welche zeigen, daß Grund genug vorhanden ist, um die Angaben P a s t e u r s einer strengen Kritik zu unterziehen, gehe ich auf die Besprechung der zwischen P a s t e u r und mir bestehenden hauptsächlichsten Streit- fragen selbst über. Dieselben beziehen sich in erster Linie auf die Milzbrandätiologie und sodann auf die Frage nach der Abschwächmig des Milzbrandvirus und die künst- liche Immunität gegen Milzbrand. Was zunächst die Milzbrandätiologie betrifft, so kann ich mich hierüber um so kürzer fassen, als P a s t e u r die Einwände, welche von mir gegen seine Auffassung von der Milzbrandätiologie erhoben sind, nicht in einem einzigen Punkte durch Tatsachen zu entkräften versucht hat, sondern sich in allgemeinen Phrasen ergeht, welche an der Sache natürlich nichts ändern. In der Wissenschaft entscheiden bekanntlich die Tat- sachen, aber nicht schöne und wohlgesetzte Reden. P a s t e u r ist der Meinung, daß er die Ätiologie des Milzbrandes entdeckt habe, welche bekanntlich niu' durch die Kenntnis der Dauersporen der Milzbrandbazillen sowie der Bedingungen ihres Entstehens, ihrer Eigenschaften und Beziehungen zum Boden, Wasser usw. begrünflet werden konnte. Obwohl ich kein Freund von Priori- tätsstreitigkeiten bin, so liegen in diesem Falle die Verhältnisse doch zu offenbar, als daß ich mit Stillschweigen darüber hinweggehen könnte, und ich habe den Pasten r- schen Ansprüchen nur entgegenzuhalten, daß meine Pviblikation, in welcher nicht nvn- die Bildimg der Milzbrandsporen, sondern auch alle ihre Beziehungen zur Ätiologie des Milzbrandes dargelegt sind, im Jahre 1876 erschienen ist. Pasteur hat zum ersten- mal über Milzbrand im Jahre 1877 etwas veröffentlicht, also ein Jahr später. Eines weiteren Wortes scheint mir diese Angelegenheit nicht zu bedürfen. Pasteur stellte dann die Behauptung auf, daß Vögel wegen der liolien Tem- peratur ihre Blutes immun gegen Milzbrand seien, aber durch permanente Abkühlung um einige Zentigrade für Milzljrand empfänglich gemacht werden könnten. Um diesen Satz zu beweisen, nagelte er Hühner auf ein Brett, welches in kaltes Wasser getaucht wurde. Gegen die Beweiskraft dieses Versuches hatte ich geltend gemacht, daß Hühner nicht vollständig immun seien, sondern, wie die Versuche () emiers beweisen, nicht selten (Ilmal unter 31 Impfungen) an Milzbrand erkranken können und daß außerdem andere Vögel, z. B. Sperlinge, trotz ihrer hohen Bluttemperatm- ausnahmslos durch die Impfung milzbrandig zu machen sind. P a s t e u r wirft mir nunmehr vor. daß ich sein Experiment der Hühnerabkühlung doch wenigstens hätte wiederholen sollen, ehe ich die Richtigkeit desselben bestritte. P a s t e u r hat mich hier offenbar mißverstanden, denn ich habe nicht das Tatsächliche in seinem Experiment, sondern die Deutung des- selben für unrichtig erklärt und muß auch ferner bei dieser Erklärung stehenbleiben. Denn es reagieren, wie gesagt, andere Vögel trotz ihrer hohen Bluttemperatur prompt auf die Milzbrandimpfung, wovon ich mich durch vielfache eigene Versuche über- zeugt habe, außerdem sind aber auch das Aufnageln der Hühner und das Eintauchen derselben in Wasser so schwere Eingriffe in die Lebensbedingungen dieser Tiere, daß nicht allein die Abkühlung auf dieselben wirkt, sondern auch andere vernnitlich noch intensivere Störungen zur Geltung kommen, welche sie möghcherweise für die Infektion mit Milzbrand empfänglich machen. Ich erinnere nur daran, daß bei den Präventiv- impfungen gewöhnlich die schwächlichen Tiere starben, daß also auch ohne Abkühlung 214 Über die Milzbrandimpfung. eine herabgesetzte Lebensenergie die Tiere empfänglicher für die Wirkung des Milzbrand- giftes macht. Ähnlich kann es sich auch mit den angenagelten Hühnern verhalten. Auf jeden Fall ist der Versuch nicht rein, er kann das nicht beweisen, was P a s t e u r damit beweisen will, und ich fühle deswegen keine Veranlassung, dieses nutzlose Experiment zu wiederholen. Eine viel wichtigere Meinungsverschiedenheit besteht über das Zustandekommen der natürlichen Infektion. P a s t e u r nimmt an, daß sich in den verscharrten Milz- brandkadavern die Sporen bilden, daß letztere durch die Regenwürmer an die Oberfläche gebracht werden und mit dem Staub auf das Futter gelangen. Das Futter muß nach P a s t e u r, wenn eine Infektion zustande kommen soll, stachlig sein und die Tiere im Maule verletzen. Die Infektion geschieht dann durch eine Art Impfung von der Maul- höhle aus, und P a s t e u r will dies durch die Beobachtung beweisen, daß regelmäßig bei spontan an Milzbrand gefallenen Tieren die Unterkieferdrüsen, als die der Infek- tionsstelle zunächst gelegenen, geschwollen seien. Dem habe ich folgendes entgegen- zuhalten: Nach meinen Beobachtungen können sich auch unabhängig vom Tierkörper die Milzbrandbazillen auf abgestorbenen Pflanzenresten vermehren und ihre Sporen bilden. Sie leben daher vermutlich in sumpfigen Gegenden an der Erdoberfläche, und die Erfahrung lehrt, daß sehr häufig Tiere an solchen Stellen, wo niemals Milzbrand- kadaver verscharrt wurden, infiziert werden. Das Vorkommen der Milzbrandsporen und die Gefahr der Infektion ist also nicht allein auf die Milzbrandkadaver, wie Pasteur meint, beschränkt. Damit wäre schon die Tätigkeit der Regenwürmer bei der Verbrei- tung des Milzbrandes überflüssig. Gegen die Bedeutung, welche Pasteur den Regen- würmern zuschreibt, sprechen aber auch noch andere gewichtige Bedenken, nämlich die niedrige Bodentemperatur in manchen Ländern, in denen der Milzbrand, wie z. B. in Sibirien, die bedeutendsten Verheerungen anrichtet. Außerdem habe ich dierekte Ver- suche mit Regenwürmern in Erde, welche zahlreiche Milzbrandsporen enthielt, ange- stellt und bm zu Resultaten gekommen, welche die Annahme Pasteurs nicht be- stätigen. Auch die Behauptung, daß die natürliche Infektion stachlige Beschaffenheit des Futters und kleine Verletzungen in der Maulhöhle voraussetze, muß ich bestreiten auf Grund eigener Versuche, auf welche ich später zurückkomme, wenn ich die Frage erörtern werde, ob die künstliche Immunität auch gegen die natürliche Infektion Schutz verleiht. Ich wende mich nunmehr zur Besprechung der Abschwächung des Milzbrand- virus und der damit zu erzielenden künstlichen Immunität. Als bekannt darf ich voraussetzen, daß Pasteur zuerst Versuche über die Ab- schwächung der Hühnercholeramikroben angestellt und hierbei die Überzeugung ge- wonnen hatte, daß die Abschwächung eine Wirkung des Luftsauerstoffes sei. Er über- trug alsdann seine Erfahrungen auf die Milzbrandbazillen und es gelang ihm, diese eben- falls in ihrer Wirkung so abzuschwächen, daß damit geimpfte Tiere die Infektion über- standen und infolge dieser vorhergehenden Impfung späteren Infektionen mit dem stärksten Milzbrandgift gegenüber sich immun erwiesen. Um die Tiere indessen gegen die Impfung mit unabgeschwächtem Virus ohne zu große Verluste immun zu machen, bedurfte es, wie Pasteur fand, einer zweimaligen Schutzimpfung, nämlich einer solchen mit einem sehr stark abgeschwächten, als premier vaccin bezeichneten Stoff und einer zweiten mit dem weniger abgeschwächten deux- ieme vaccin. Schon, bei den ersten Erfolgen mit der Hühnercholera hatte Pasteur sich den weitgehendsten Hoffnungen hingegeben, und nachdem es nun gar gelungen war, eine kleine Zahl von Schafen durch Präventivimpfungen gegen Milzbrand immun zu machen, Uber die Milzbrandimpfung. 215 zögerte er nicht mehr, dem Ergebnis seiner Versuche eine allgemeine Bedeutung bei- zulegen. Er hielt es für unzweifelhaft, daß nicht nur Schafe, sondern alle für Milzbrand empfänglichen Tierarten gegen diese Krankheit immun zu machen seien, es schien ihm ferner eine ausgemachte Sache zu sein, dai3 sich alle übrigen Infektionskrankheiten ebenso verhalten müßten wie Milzbrand und daß die ihnen zugehörigen Mikroben abzuschwächen und in schützende Impfstoffe zu verwandeln seien. Mit voller Zuver- sicht verkündete er den nahen Sieg im Kampfe gegen die Infektionskrankheiten. In diese Zeit fiel die Veröffentlichung der im Laboratorium des Gesundheitsamtes von Loeffler ausgeführten Arbeit über Immunität. P a s t e u r hatte sein Verfahren zur Abschwächung der Milzbrandbazillen so unvollkommen mitgeteilt, daß es erst um- fangreicher eigener Studien bedurfte, um es wiederholen und nachprüfen zu können. Die Arbeit von Loeffler bezog sich deswegen mehr auf die Frage der Immunität im allgemeinen und er kam auf Grund zahlreicher Versuche an Mäusen. Kaninchen, Ratten und Meerschweinchen zu folgendem Resultat: Es gibt in der Tat Bakterien- krankheiten, deren einmaliges Überstehen das befallene Individuum immun macht; dagegen sind aber auch nicht wenige Bakterienkrankheiten bekannt, welche dasselbe Individuum in kurzen Zwischenräumen wiederholt befallen können, also keinen Schutz gegen spätere Infektion verleihen. Über Milzbrand sprach sich Loeffler dahin aus, daß den Tierarten, mit welchen er experimentiert hatte, keine Immunität gegen Milz- brand erteilt werden konnte, daß er noch keinen Versuch an Schafen angestellt habe und erst weitere demnächst auch mit diesen Tieren vorzunehmende Experimente lehren müßten, inwieweit die Hoffnungen, welche durch die Versuche P a s t e u r s in Pouilly- le-Fort geweckt wurden, in Erfülhuig gehen würden oder einzuschränken seien. Diese dem damaligen Stande der Frage durchaus entsprechenden Äußerungen haben sich auch in der Folge als richtig erwiesen und sind durch den weiteren Verlauf der Milzbrandfrage in jeder Beziehung gerechtfertigt, wie sich aus folgender Darlegung ergeben mag. Zunächst ist das Bestreben Pasteurs, den Verhältnissen, wie sie bei Hühner- cholera und Milzbrand bestehen, eine allgemeine Geltung für sämtliche Infektionskrank- heiten zu vindizieren, als mit den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft nicht im Einklang stehend zurückzuweisen. Loeffler hatte außer auf seine Versuchs- ergebnisse mit künstlichen Tierinfektionskrankheiten auch auf die Erfahrungen über Erysipelas, Gonorrhoe und Recurrens hingewiesen, welche erwiesenermaßen durch Bakterien bedingte Infektionskrankheiten sind und durch einmaliges Befallen keinen Schutz gegen neue Infektionen erteilen. Zu diesen Infektionskrankheiten, welche den Menschen wiederholt befallen können, tritt in neuester Zeit die Tuberkulose hinzu. Es hat noch kein Arzt die Behauptung aufgestellt, daß ein Mensch, welcher tuberkulös erkrankt war mid z. B. an Skrofulöse oder an einer fungösen Gelenksaffektion litt und davon geheilt wurde, nunniehr gegen Tuberkulose geschützt sei. Im Gegenteil lehrt die Erfahrung, daß derartigen Individuen vielmehr eine erhöhte Disposition für tuber- kulöse Erkrankungen zukommt und daß sie besonders liäufig später phthisisch werden. Auch von der Lepra, welche unzweifelhaft als eine Bakterienkrankheit anzusehen ist, hat man noch niemals etwas erfahren, was darauf schließen ließe, daß eine Immunität gegen diese Krankheit zu erwerben sei. Das von Pasteur als allgemein giltig an- genommene Gesetz kann also nach den bisherigen Erfahrungen nicht als solches gelten. Es ist aber ferner auch noch nicht einmal für den Milzbrand das Gesetz der Immu- nität in dem LTmfange aufrecht zu erhalten, wie Pasten r es will. Loeffler hatte schon gefunden, daß Meerschweinchen. Ratten, Kaninchen und Äläuse nicht immun zu machen sind, und diese Tatsache ist bis jetzt von allen Experimentatoren, welche diesem Punkte ihre Aufmerksamkeit zugewendet haben, bestätigt. G o 1 1 i in Bologna 216 Uber die Milzbrandimpfung. führte die Schutzimpfung außer an anderen Tieren auch an 6 Kaninchen aus und impfte sie sodann mit Milzbrandblut; sämtliche Kaninchen starben darauf an Milzbrand. Auch die von Guillebeaü mit P a s t e u r schem Impfstoff präventiv geimpften Kanin- chen starben nach Impfung mit Milzbrandblut an Milzbrand. In den Versuchen, welche Klein mit aus Paris bezogenem Impfstoffe an Meerschweinchen und Mäusen anstellte, gingen sämtliche Tiere an Milzbrand zugrunde. Im Gesundheitsamte sind sehr zahl- reiche Experimente mit Milzbrandvirus, welches in den verschiedensten Graden ab- geschwächt war und schließlich auch mit echtem P a s t e u r sehen Impfstoff an Kanin- chen , Meerschweinchen und Mäusen angestellt. Aber trotz aller Bemühungen ist es niemals gelungen, eins dieser Tiere gegen die Wirkung des unabgeschwächten Milzbrandgiftes immun zu machen; sie starben ausnahmslos bei den Kontrollimpfungen an echtem Milzbrand. Es kann demnach wohl als ausgemacht gelten, daß nicht alle Tiergattungen sich mit Hilfe des P a s t e u r sehen Verfahrens immun machen lassen. Allem Anschein nach sind auch die Pferde der Schutzimpfung wenig zugänglich; denn in der Sitzung der Societe centrale de medecine veterinaire vom 8. Juni 1882 kamen viele bei der Pferde- impfung eingetretene Mißerfolge zur Sprache und auch von anderen Seiten ist berichtet, daß Pferde die Präventivimpfungen sehr schlecht ertragen. Daß der Mensch höchst- wahrscheinlich keine Immunität gegen den Milzbrand durch das Überstehen dieser Krankheit erlangt, hat schon Loeffler an einer Reihe von Beispielen erörtert. In neuerer Zeit sind noch weitere Belege hierfür durch J. de Jarnowsky geliefert, welcher in seiner eigenen Praxis 50 Milzbrandkranke zu beobachten Gelegenheit hatte und darunter zwei Kranke erwähnt, von denen der eine im Laufe von 2 Jahren zweimal und der andere während eines Zeitraums von 3 Jahren dreimal am Milzbrand erkrankte. Eine ausgesprochene, durch Präventivimpfung erzielte Immunität ist bislang nur bei Schafen und Rindern gelungen, und es würde vorläufig nur für diese beiden Tiergattungen ein Nutzen aus der Präventivimpfung gezogen werden können. Nach Pasteurs Angaben ist die nach seinem Verfahren ausgeführte Präventivimpfung bei Schafen und Rindern so gefahrlos und gewährt einen so sichern und langdauernden Schutz, daß dieselbe der Landwirtschaft zum größten Segen gereichen müsse. In der Tat hat die praktische Verwertung des P a s t e u r sehen V erfahrens schon in weitem Umfange stattgefunden und es fragt sich nunmehr, ob die von P a s t e u r gemachten Versprechungen bezüglich der Gefahrlosigkeit der Impfung und seine Verheißungen des sicheren Schutzes in Erfüllung gegangen sind. Die Immunitätsfrage gipfelt augen- blickhch in diesem Punkte, welcher deswegen eine ausführlichere Besprechung erfordert. Für die Beurteilving dieser Frage lassen sich zwar schon eine große Anzahl von Experimenten verwerten, welche mit den P a s t e u r sehen Impfstoffen an den ver- schiedensten Orten und von zuverlässigen Beobachtern angestellt sind, doch sind bei diesen nur praktischen Zwecken gewidmeten Experimenten einige sehr wichtige Ver- hältnisse mehr oder weniger unberücksichtigt geblieben und ich muß deswegen auf die im Kaiserlichen Gesundheitsamte im Laufe des letzten Jahres angestellten Versuche über Milzbrandimmunität besonderen Wert legen. Dieselben sind von mir in Gemein- schaft mit den Herren Dr. Loeffler und Dr. G a f f k y ausgeführt ; hier können selbst- verständlich nur die Resultate derselben in Kürze angeführt werden, doch ist ihre baldige ausführliche Veröffenthchung beabsichtigt^). So stattliche Reihen von Versuchstieren wie Pasteur es mit Hilfe der ihm alljährlich zur Verfügung gestellten bedeutenden Geldsummen vermag, können wir allerdings nicht aufweisen, dennoch hoffen wir trotz der verhältnismäßig kleinen Zahl unserer Versuchstiere die Entscheidung einiger wichtigen Fragen der Milzbrandätiologie und der künstlichen Immunität erreicht zu haben. M Diese Werke p. 232 ff. D. Herausgeber. über die ]Milzbi'andim]5fung. 217 Was zunächst die Bereitung der Impfstoffe betrifft, so sagt P a s t e u r nur, daß er die Milzbrandbazillen in neutralisierter Fleischbrühe bei einer Temperatur zwischen 42*' und 43° kultiviere, wobei sich die Bazillen nach ungefähr 20 Tagen soweit abschwächen, daß sie zur ersten Impfung von Schafen gebraucht werden können. Über den Zeitpunkt, welcher für die Gewinnung des zweiten Vakzins der geeignetste ist, inid die Eigenschaften, woran man den Grad der Abschwächung mit genügender Sicherheit erkennt, spricht sich P a s t e u r nicht mit Bestimmtheit aus, und doch kommt gerade hierauf sehr viel an. Es dürfte gewiß manchem erwünscht sein, etwas Genaueres über die Herstellung des Vakzins zu erfahren und ich werde deswegen unsere darüber gewonnenen Erfah- rungen hier mitteilen. Ein sehr wesentliches Erfordernis ist ein Thermostat, welcher wochenlang ohne die geringsten Schwankiuigen eine gleichmäßige Temperatur bei- behält. Als solchen haben wir einen von W i e s n e g g in Paris bezogenen Apparat nach d' A r s o n v a 1 benutzt. In diesem befinden sich bei einer Temperatur von 42,5*^ C die mit neutralisierter Hühnerbouillon versehenen mid mit frischen Milzbrandbazillen unter den gewöhnlichen Kautelen infizierten Kölbchen, welche etwa 20 g Flüssigkeit enthalten. Jeden zweiten Tag wird aus eineni Kölbchen eine Impfung an Mäusen, er- wachsenen Meerschweinchen und großeii starken Kaninchen ausgeführt und zugleich von derselben Flüssigkeit, welche zur Impfung diente, in Nährgelatine eine Rein- kultur gemacht. Anfangs werden infolge der Impfung sämtliche Tiere an Milzbrand sterben. Nach mehreren Tagen — die Zahl derselben ist nicht in allen Versuchen gleich- mäßig und differiert oft für verschiedene Gläser desselben Versuchs — wirkt die Impfung auf große Kaninchen unsicher, denn es stirbt, wenn mehrere Tiere geimpft werden, nur nocli ein Teil derselben, von 3 oder 4 Kaninchen beispielsweise nur 1 oder 2, während Meerschweinchen und Mäuse sämtlich durch die Impfung getötet werden. Noch später überstehen auch die Meerschweinchen die Impfung, während Mäuse noch getötet werden. Schließlich lassen sich noch Reinkulturen von Milzbrandbazillen erzielen, welche selbst auf Mäuse ohne jeden Nachteil verimpft werden können. Morphologisch unterscheiden sich diese Milzbrandbazillen, welche ihre pathogene Eigenschaft vollständig einge- büßt haben, nicht von den virulenten Bazillen. Sie sind vollkommen unbeweglich und bilden in Reinkulturen lange Fäden in gleicher Weise wie jene. Diejenigen Kulturen, welche Mäuse töten, aber für Meerschweinchen unschädlich sind, geben den besten Stoff für die erste Impfung der Schafe al). und diejenigen, deren Verimpfung Meerschweinchen milzbrandig macht, aber große Kaninchen nicht inehr mit Sicherheit tötet, liefern den Stoff für die zweite Impfung. Sowohl zwischen diesen Stufen als darüber und darunter liegen noch eine Menge verschiedener Abstufungen, welcher unter Umständen eben- falls als Vakzins verwertet werden können, wenn man sich nicht mit einer zweimaligen Impfung begnügen will. Daß P a s t e u r die hier angegebenen Kennzeichen für die Stufe der Abschwäclunig kennt, möchte ich bezweifeln, da sonst nicht so beträchtliche Schwankungen in der Wirkung seiner Vakzins vorkommen dürften, als es der Fall ist. Ich hatte Gelegenheit einen premier vaccin von P a s t e u r zu prüfen, welcher Mäuse nicht mehr tötete, also zu schwach war, und einen deuxieme vaccin. von welchem noch sämtliche damit geimpfte große Kaninchen milzbrandig wurden, welcher sich also zu stark verhielt. Klein impfte mit einem von Boutroux, dem Agenten Pasteurs. bezogenen ersten Impfstoff 4 Meerschweinchen und 6 Mäuse ; in den nächsten 48 Stunden starben 3 Meer- schweinchen und alle 6 Mäuse, woraus hervorgeht, daß auch dieser Impfstoff als erster Vakzin zu stark war. In Ungarn impfte man nacli einem Bericht der Wiener landwirtschaft- lichen Zeitung in einem Fall 22 Schafe sofort mit dem deuxieme vaccin. ohne vorher den premier vaccin angewandt zu haben ; trotzdem blieben die Tiere sämtlicli gesund und es ist deswegen zu vermuten, daß dieser Impfstoff als deuxieme vaccin zu schwach war. 218 über die Milzbrandinipfung. Die Temperatur, welche auf die Kulturen einwirkt, ist von größtem Einfluß auf die Zeitdauer, innerhalb welcher sich die Abschwächung vollzieht. Je näher die Temperatur an 43° kommt, um so schneller tritt die Abschwächung ein und kann schon in 6 Tagen vollendet sein. Bei 42" kann sie eine Dauer bis zu 30 Tagen erfordern. Die Prüfung der Vakzins an Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen ist deswegen un- erläßlich. Durch längeres Verweilen der Kulturen in Zimmertemperatur verlieren sie sehr langsam immer mehr an Virulenz. P a s t e u r hat die nämliche Beobachtung ge- macht und wir können sie auf Grund vielfacher Erfahrung bestätigen. Wir haben unsere abgeschwächten Kulturen in Nährgelatine weitergezüchtet, was sich sehr einfach und bequem bewerkstelligen läßt und auch erforderlichenfalls für die Beschaffung behebig großer Quantitäten wirklich reinkultivierter Impfflüssigkeiten verwertet werden kann. Auf die Reinheit der Kultur müssen wir aus dem Grunde Gewicht legen, weil durch das Eindringen fremder Bakterien, unter denen sich auch pathogene und beispielsweise septisch wirkende befinden können, die Gefahr der Impfung mit solcher Flüssigkeit un- nötigerweise erhöht wird. So scheint ein Teil der Mißerfolge, welche die Präventiv- impfungen an Pferden hatten, in der Vei'unreinigung der Impfstoffe mit septisch wirken- den Bakterien ihren Grund gehabt zu haben, was mir um so wahrscheinlicher vorkommt, weil ich mehrere Proben der P a s t e u r sehen Originalvakzins bei der mikroskopischen Untersuchung durch zahlreiche andere Bakterienformen stark verunreinigt fand. Sowohl mit den Vakzins, welche wir uns in der erwähnten Weise selbst hergestellt hatten, als auch mit solchen, welche aus Paris von dem Agenten Pasteurs bezogen waren, haben wir genau nach der von P a s t e u r in bezug auf Zeit, Impfstelle, Behand- lung der Spritzen usw. angegebenen Vorschrift eine Anzahl von Impfversuchen an Schafen gemacht, welche zu folgendem Ergebnis führten : Schafe ertrugen die Injektion des premier vaccin (welcher keine Meerschweinchen, aber Mäuse tötet) fast ohne Reaktion. Infolge der später vorgenommenen Injektion des deuxieme vaccin starb eine Anzahl Tiere an Milzbrand. Die Verluste in Prozentverhältnissen anzugeben würde wegen der kleinen Zahl unserer Versuchstiere keinen Zweck haben. Im allgemeinen stimmten sie mit den Resultaten der Versuche in Kapuvar^) und Packisch^) überein, welche beiden Versuchsreihen ich vorzugsweise zum Vergleich mit den unsrigen heranziehen will, weil sie in zuverlässiger Weise durch eigens dazu bestellte Kommissionen beobachtet und kon- trolliert sind. In Kapuvar starb von 50 Schafen nach der Impfung mit premier vaccin kein Tier, nach Apphkation des deuxieme vaccin starben 5 Schafe an Milzbrand. Ebenso brachte die Erstimpfung in Packisch keine Verluste, nach der zweiten starben 3 von 25 Schafen an Milzbrand. Ähnliche Zahlen sind von zahlreichen anderen Impfversuchen berichtet, und die Annahme, daß die Erstimpfung keine Verluste, die zweite Impfung 10 — 15% Verluste ergibt, scheint den tatsächlichen Verhältnissen zu entsprechen. P a s t e u r hält diese Verlustzahlen für ungewöhnlich hoch und möchte sie auf eine besondere Empfänglichkeit der zum Versuche verwendeten Schafrassen beziehen. Doch sind neuerdings auch aus Frankreich Impfresultate berichtet (von Mathieu in der Societe centrale de medecine veterinaire am 13. Juli), welche große Verluste aufweisen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Widerstandsfähigkeit der französischen und der hiesigen Schafrassen scheint demnach nicht zu bestehen. Es sind nun allerdings in Frankreich Präventivimpfungen in vielen Tausenden von Fällen mit sehr geringen Verlusten ausgeführt, doch wurden diese Tiere nicht durch einwurfsfreie Kontroll- impfung auf ihre Immunität geprüft, und es ist anzunehmen, daß dieselben mit einem zu schwachen, weniger wirksamen, dementsprechend aber auch weniger Schutz verleihen- 1) Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1882, Nr. 2. -) Archiv für wissenschaftUche und praktische Tierheilkunde VIII, 4 u. 5. über die Milzbrandimpfung. 219 den Stoffe geimpft sind. Für den zweiten Versuch in Packisch, bei welchem 251 Schafe geimpft wurden, lieferte P a s t e u r, wie ausdrücklich gesagt ist, einen weniger wirk- samen Impfstoff und es fiel infolgedessen nur ein Schaf an Milzbrand. Selbstverständlich führten wir nach geschehener Präventivimpfung, und zwar in einem Falle, welchen ich hier besonders im Auge habe, drei Wochen nach der letzten Impfung eine Kontrollimpfung mit unabgeschwächtem Milzbrandgift aus. Von 6 Schafen, welche mit P a s t e u r schem Vakzin vorschriftsmäßig präventiv geimpft waren, starb eins an Milzbrand. Zwei mit einem anderen Vakzin präventiv geimpfte Schafe blieben nach derselben Infektion am Leben. Auch diese Zahlen sind viel zu gering, um von bestimmten Verlustverhältnissen reden zu können. Aber es ist gleichwohl auffallend, daß bei der Kontrollimpfung in Packisch von 22 Schafen keins und in Kapuvar von 44 Schafen nur ein Tier milz brandig wurde, während wir schon von 6 Tieren eins verloren. Die Erklärung hierfür scheint mir darin zu liegen, daß die Kontrollimpfungen in Packisch und Kapuvar mit einem von P a s t e u r eigens zu diesem Zweck von Paris geschickten virulenten Milzbrandstoff bewirkt sind, in unserem Versuche aber zur Kontrollimpfung ein aus hiesiger Gegend stammendes Milzbrandgift benutzt wurde, welches, wie ich annehmen muß, eine größere Virulenz besitzt als das von P a s t e u r zu den Kontrollimpfungen abgegebene. Auf diese Vermutung haben mich außer den in unsern eigenen Versuchen gewon- nenen Erfahrungen noch folgende Tatsachen geführt. Nach einem Berichte des Kreistierarztes Saake in WoLfenbüttel, welcher auf der Domäne Salzdahlum 82 Schafe mit P a s t e u r schem premier und deuxieme vaccin impfte, erlagen der zweiten Impfung 3 Schafe, was auf eine hinreichende Stärke des Impfstoffes schließen läßt. Als dann nach 8 Wochen später 10 von diesen präventiv ge- impften Schafen einer Kontrollimpfung vinterzogen wurden, starben 2 an echtem Milz- brand. Auch in diesem Versuch war mit Milzbrandblut, welches einem zufällig spontan an Milzbrand gefallenen Schafe entnommen war, die Kontrollimpfung gemacht. Ganz unzweifelhaft trat aber der Unterschied in der Wirkung des von P a s t e u r zur Kontrolle gelieferten sogenannten imabgeschwächten Milzbrandgiftes und dem von spontan an Milzbrand gestorbenen Tieren entnommenen in den Versuchen von B a s s i in Turin hervor. 6 Stück präventiv geimpfte Schafe wurden mit dem P a s t e u r sehen virulenten Stoffe geimpft und blieben gesund, 6 andere ebenfalls präventiv geimpfte Schafe wurden gleichzeitig mit dem Blut eines 214 Stunden vorher an Milzbrand ge- fallenen Rindes geimpft und es starben danach 2 Tiere an Milzbrand. Die Erklärung für diese auffallende Erscheinung möchte ich darin suchen, daß der von P a s t e u r als unabgeschwächtes Virus bezeichnete Stoff im Laufe der Zeit ebenso wie seine Vakzins, sich allmählich immer mehr abgeschwächt hat und nicht mehr seine ursprüngliche Kraft besitzt. Immerhin zeigen sowohl die Versuche in Salzdahlum und Turin, als auch der unsrige, daß eine verhältnismäßig nicht geringe Zahl von Schafen, welche die Impfung mit einem kräftigen deuxieme vaccin überstanden haben, der Impfung mit einheimischem Milz- brandgift erliegt und also nicht vollständig immun geworden ist. Um so mehr läßt sich auch erwarten, daß die Verimpfung eines schwächeren deuxieme vaccin, welcher Schafe in noch geringerer Zahl tötet, auch einen entsprechend geringeren Schutz verleiht, und in der Tat stellt sich immer mehr heraus, daß diese Vermutung begründet ist. In Frank- reich belief sich zu Anfang September nach den Angaben P a s t e u r s die Zahl der ge- impften Schafe auf 400 000 und die der geimpften Rinder auf 40 000. Die Verluste schätzte ') Einer brieflichen Mitteilung entnommen. 220 Uber die Milzbrandimpfung. P a s t e u r auf 3 pro mille für Schafe und 0,5 pro mille für Rmder. Die Richtigkeit dieser Zahlen werde ich selbstverständhch nicht in Zweifel ziehen, aber es ist notwendig, sie mit einem Kommentar zu versehen. Man erfährt nämlich aus diesen Zahlen absolut nichts weiter, als daß eine verhältnismäßig große Zahl von Tieren die Impfung ohne Schaden überstanden hat. Das, worauf es uns aber ankommt, ob nämlich der Zweck der Impfung erreicht und ob diese Tiere wirklich immun geworden sind, darüber sagt P a s t e u r nichts. Der eigentliche Wert der Präventivimpfung würde sich aber doch nur aus Zahlenangaben über die wirklich immunisierten Tiere ergeben. Was würde man wohl von J e n n e r gesagt haben, wenn er weiter keine Vorteile von der Vakzine-Impfung zu rühmen gewußt hätte, als daß Tausende von Kindern geimpft und infolge der Impfung nur so und soviel Prozent gestorben seien ? Gewiß würde nichts der Milz brandimpf ung schneller die volle Anerkennung verschaffen, als wenn man die Tausende von Tieren aufzählen könnte, welche man notorisch gegen Milzbrand geschützt hat. Das hat P a s t e u r allerdings bislang nicht vermocht. Im Gegenteil häufen sich in der letzten Zeit die Klagen über die Mißerfolge der Impfung, und die Schwächen derselben stellen sich immer mehr heraus. Schon in einer am 8. Juni abgehaltenen Sitzung der Societe centrale de medecine veterinaire kam eine Anzahl solcher Mißerfolge zur Sprache und P a s t e u r wurde darüber interpelliert. Er erklärte, daß ihm nicht allein diese, sondern noch viele andere bekannt geworden seien. Dieselben hätten darin ihren Grund, daß der ursprünglich kultivierte Impfstoff allmählich an Virulenz ver- loren habe und daß die im Laufe des Winters bis Ende März dieses Jahres von ihm ge- lieferten Vakzins zu schwach gewesen seien. Wir erfahren hier also, daß während eines langen Zeitraums mit zu schwachem Impfstoff geimpft ist, und können uns deswegen auch nicht mehr wundern, wenn unter den Hunderttausenden von Schafen, welche im Laufe des Winters in Frankreich geimpft sind, so geringfügige Impfverluste vorkamen. Dagegen ist es befremdend, daß P a s t e u r, welcher auch die mit zu schwachem Impf- stoffe geimpften Tiere sorgfältig zusammenrechnet, um mit möglichst hohen Zahlen und geringen Verlusten glänzen zu können, über die vielen ihm bekannt gewordenen Mißerfolge stillschweigend hinweggeht. Die Erklärung, welche Pasten r bei dieser Gelegenheit jenen Mißerfolgen zuteil werden ließ, hat sich außerdem auch schon als ein Irrtum herausgestellt. Die Impfungen hätten, wenn P a s t e u r recht gehabt hätte, vom Anfang April dieses Jahres ab einen gleichmäßigeren Effekt haben und bei einer nicht zu hohen Sterblichkeit einen möglichst kräftigen Schutz verleihen müssen. Dies ist aber nicht eingetreten, wie sich aus folgenden Notizen über einige nach dem ersten April ausgeführte Impfungen ergibt. B a s s i in Turin impfte am 20. April d. J. zum ersten- und am 5. Mai zum zweiten- mal. Bei der Kontrollimpfung mit unabgeschwächtem Milzbrand starben von 6 Schafen 2 Tiere. Die schon erwähnte Impfung in Salzdahlum mit 2 Todesfällen auf 10 Kon troll- impf ungen und einem Verlust von 4% bei der zweiten Impfung fiel in die Zeit vom 25. Mai bis 9. August d. J. Die ebenfalls schon früher erwähnte Impfung in Ungarn, bei welcher 22 Schafe nur mit dem offenbar zu schwachen deuxieme vaccin ohne jeden Nachteil geimpft wurden, fällt in den Monat Juni d. J. Im Recueil de med. vet. Nr. 15 d. J. ist berichtet, daß in Beauchery vom 25. April bis 8. Mai d. J. 296 Lämmer geimpft wurden, von denen nur 1 Tier zehn Tage nach der zweiten Impfung an Milzbrand starb. Offenbar war der Impfstoff zu schwach. Es starben denn auch vom 22. — 24. Juni 4 von diesen Tieren an spontanem Milzbrand. Es ist dies über die Milzbrandiiniifimg. 221 um so auffallender, als 80 nicht geimpfte, als Kontrolltieie dienende Hammel in dieser Zeit keine Verluste an Milzbrand hatten. In Montpothier nahm die Impfung folgenden wunderbaren Verlauf: Am 18. April d. J. wurden 220 Hammel mit premier vaccin geimpft, danach starben 9 Tiere. Die Über- lebenden erhielten am 29. April nochmals premier vaccin; es starben wieder 7 Hammel. Dann folgte am 17. Mai die Impfung mit deuxieme vaccin; es starb danach I Hammel. Nun hätte man meinen sollen, daß nach dieser dreifachen, mit so bedeutenden Verlusten abgelaufenen Impfung die Herde gegen Milzbrand geschützt gewesen wäre. Keines- wegs. Es starben vom 11. bis 13. Juni G Hammel an spontanem Milzbrand. Man ent- schloß sich deswegen, die zweite Impfung noch einmal zu wiederholen. Es geschah am 17. Juni und starben infolgedessen wiederum 5 Hammel an Milzbrand. Hier darf man wohl fragen : gibt es überhaupt eine künstliche Immunität oder taugte der Impfstoff nicht i Auch die luipfungen in Packisch gehören in diese Periode. Der Impfstoff der ersten Versuchsreihe war entschieden zu stark, denn er bewirkte 12% Verlust. Derjenige der zweiten Versuchsreihe, welchen P a s t e u r als einen schwächeren bezeichnete, war. wie sich später herausgestellt hat, zu schwach, denn er schützte nicht gegen die natür- liche Infektion. Diese Beispiele dürften genügen, um zu zeigen, daß der von P a s t e u r nach dem I. April d. J. gelieferte Impfstoff bald zu schwach und bald zu stark, also noch un- zuverlässiger war als der im letzten Winter abgegebene Stoff. P a s t e u r fühlte offenbar schon in der Sitzung der Societe centrale de med. vet. vom 8. Juni das Mißliche seiner Lage. Lieferte er einen kräftigen Impfstoff, der einen sicheren Schutz gegen Impfmilzbrand (wenigstens gegen die Impfung mit P a s t e u r s sog. virulentem Stoff) verleiht, dann erlagen zu viele Tiere der Impfung mit dem deuxieme vaccin. Gab er aber einen zu schwachen Impfstoff , wie es im Laufe des letzten Winters der Fall war, dann wurde offenbar kein genügender Schutz erzielt. Um sich aus dieser Verlegenheit zu befreien, stellte P a s t e u r die merkwürdige Behauptung auf, daß es nicht nötig sei, die Schafe mit einem so kräftigen und große Verluste bedingenden Impfstoff zu behandeln, denn der Impfmilzbrand, also die künstliche Infektion, sei viel gefährlicher für die Tiere als die natürliche Infektion; uni gegen letztere zu schützen, genüge ein schwächerer Vakzin. Irgendwelche Gründe, welche ihn zu dieser offenbar ganz willkürlichen und nur im Interesse der gefährdeten Schutzimpfung aufgestellten Behauptung berechtigten, vermochte P a s t e u r nicht beizubringen. Eigentlich hätte die Frage, ob die Tiere durch die Präventivimpfung auch gegen die natürliche Infektion geschützt werden, noch ehe die Schutzimpfung in die Praxis eingeführt wurde, erledigt werden müssen und nicht, nachdem schon Hunderttausende von Tieren nnt bedeutenden Opfern geimpft sind. Denn wenn es sich nun umgekehrt verhalten sollte, als P a s t e u r annimmt, und die geimpften Tiere sich wohl gegen die künstliche, aber gegen die natür- liche Infektion gar nicht oder doch wenigstens in ungenügender Weide geschützt er- weisen sollten, was würde dann überhaupt die ganze Impfung noch für einen Nutzen haben ? Da diese Frage unbedingt die wichtigste für die Entscheidung über den Wert der künstHchen Milzbrandimmunität ist, so hatten wir dieselbe bei unseren Experi- menten im Kaiserhchen Gesundheitsamte von Anfang an in den Vordergrund gestellt. Es lag uns weniger daran, eine größere Zahl von Schafen gegen Impfmilzbrand imiiiun zu machen, denn die Tatsache der künstlichen Immunität konnte, nachdem sowohl von Toussaint als von P a s t e u r viele Tiere wirklich immun gemacht waren, nicht mehr bezweifelt werden. Dagegen suchten wir uns vor allen Dingen über die Art und Weise Gewißheit zu verschaffen, wie die natürliche Infektion fies Milzbrandes zustande kommt. 222 Über die Milzbrandimpfung. P a s t e u r nimmt, wie früher schon erwähnt wurde, an, daß die Infektion durch rauhes, stachUges Futter, welches den Tieren kleine Verletzungen im Maule beibringt, vermittelt wird. Es würde dies schließlich nur eine besondere Art von Impfmilzbrand sein. Gegen diese Auffassung sprechen verschiedene Gründe, welche ich bei einer früheren Gelegenheit ausführlich dargelegt habe. Einer Wiederholung derselben bedarf es hier indessen nicht, da ich jetzt einige Versuche zu schildern habe, welche Pasteurs Theorie direkt widerlegen. Mehreren Schafen wurden mit dem Futter Milzbrandsubstanzen beigebracht, welche nur Bazillen und keine Sporen enthielten. Einige andere Schafe erhielten dagegen sporen- haltige Milzbrandmassen. Die Fütterung der Tiere geschah in der Weise, daß ein Stück von einer Kartoffel ausgehöhlt, mit dem Infektionsstoff gefüllt und dem Tiere so vor- sichtig in das Maul gesteckt wurde, daß eine Verletzung der Maulschleimhaut nicht dabei vorkommen konnte. Auch das Kartoffelstück kann nicht als stachliges Futter gelten, außerdem erhielten die Schafe nur weiches Heu, so daß die von P a s t e u r voraus- gesetzten Infektions bedingungen vollständig ausgeschlossen waren. Als sporenfreie Substanz diente die frische Milz von einem an Milzbrand gestorbenen Meerschweinchen, als sporenhaltige Substanz eine auf Kartoffeln gezüchtete und in Sporenbildung be- griffene Kultur von Milzbrandbazillen. Das Resultat des Versuches war folgendes: Die mit der sporenfreien Milz vom Meerschweinchen gefütterten Schafe blieben, obwohl die Fütterung noch mit anderem sporenfreien Material wiederholt wurde, gesund. Die mit der sporenhaltigen Bazillenkultur gefütterten Schafe wären dagegen nach wenigen Tagen sämtlich an Milzbrand gefallen. Die Sektion derselben ergab einen Befund, welcher keinen Zweifel darüber ließ, daß die Infektion vom Darm aus stattgefunden hatte. In der Maulhöhle, im Schlund und in der Speiseröhre wurden überdies bei diesen Tieren nicht die geringsten Verletzungen oder Veränderungen gefunden, welche auf eine In- fektion an diesen Stehen hingedeutet hätten. Die Milzbrandbazillen gehen also höchst- wahrscheinlich im Magen, dessen Inhalt eine saure Beschaffenheit hat, zugrunde, während die Sporen ihn unbeschädigt passieren, im alkalischen Darminhalte auswachsen und dann in die Schleimhaut des Darmkanals eindringen. Die mikroskopische Unter- suchung macht es wahrscheinhch, daß die Lymphfolhkel und die P e y e r sehen Drüsen die Stelle der Invasion bilden. Die eben erwähnten Schafe waren mit Milzbrandkulturen gefüttert, welche frische Sporen in reichlicher Menge enthielten. In der Folge haben wir aber auch sporenhaltige Massen verfüttert, welche länger als ein Jahr in getrocknetem Zustande aufbewahrt waren. Dieselben töteten Schafe mit derselben Sicherheit durch Milzbrand wie frische Sporen oder wie eine Impfung mit frischem Milzbrandblut. Wir hatten bei diesen Versuchen, um überhaupt erst einmal die Möglichkeit einer Infektion vom Darm aus festzustellen, nicht zu geringe Mengen von Sporenmaterial verfüttert. Es mußte indessen berück- sichtigt werden, daß, wenn die natürliche Infektion vom Darm aus statt- findet, dieselbe gewöhnlich durch die Aufnahme einer sehr geringen Zahl von Sporen zustande kommen wird, welche sich in Form von Staub oder auf sumpfigen und über- schwemmten Weiden mit dem Schlamm und dgl. dem Futter beigemischt haben. Aus diesem Grunde stellten wir noch folgenden Versuch an. Zehn Schafe erhielten täg- lich ein Kartoffelstück, in welches ein Fädchen mit Milzbrandsporen eingeklemmt war. Die aus Seide bestehenden Fädchen hatten eine Länge von kaum einem Zentimeter, waren ein Jahr zuvor mit nur sehr geringer Menge Milzbrandsporen imprägniert und in trockenem Zustande aufbewahrt. Zwei Schafe, welche als Kontrolltiere dienten, befanden sich mit jenen Tieren zusammen in demselben Stalle, wurden in derselben Weise gepflegt, erhielten aber keine sporenhaltigen Fädchen. Von den zehn gefütterten Schafen über die Milzbrandiuii^fuiig. 223 fiel am 5., 6., 11. und 1!). Tage der Fütterung je eins, insgesamt also vier »Schafe an Milz- brand. Länger wurde die Fütterung nicht fortgesetzt. Die beiden Kontrolltiere waren gesvmd geblieben. In diesem Versuch entsprachen die in Intervallen von mehreren Tagen auftretenden Milzbrandfälle und der Sektionsbefund der gefallenen Tiere vollkommen dem Bilde des unter natürlichen Verhältnissen in einer Herde ausbrechenden Milz- brandes, und es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, daß die natürliche Infektion vorzugsweise und in der kalten Jahreszeit wohl ausschließlich dm*ch Milzbrandsporen stattfindet, welche in kleinen Mengen mit dem Futter in den Darm gelangen und von da aus die Krankheit erzeugen. Daß bei der Fütterung mit vielen Sporen die Schafe ausnahmslos nach einigen Tagen, nach der Fütterung mit geringen Sporenmengen aber in längeren Zwischenräiimen infiziert wurden, erklärt sich daraus, daß die gefütterten Sporen nicht sämtlich im Darm auswachsen, sondern zum größten Teil unverändert den Darmkanal passieren; denn der Kot von Scliafen, welche mit Sporen gefüttert waren, enthielt noch eine beträchtliche Menge unausgekeimter Milzbrandsporen, wie erfolg- reiche Impfungen mit dem ein Jahr lang trocken aufbewahrten Kot ergaben. Wenn die Sporen also im Darm nur teilweise zur Wirkung kommen, dann muß die Infektion um so schneller und sicherer eintreten, je größer die Menge der verfutterten Sporen ist, denn mit der Zahl der in den Darmkanal eingeführten Sporen steigt auch die Zahl der zur Keimung gelangenden. Bei der Sektion dieser an Darmmilzbrand gefallenen, sowie einer Anzahl durch Impfmilzbrand getöteter Schafe ergab sich noch eine bemerkenswerte Tatsache. Die Anschwellung der Lymphdrüsen war eine sehr verschiedene und ließ nur in den seltensten Fällen auf den Ort der Infektion schließen. So fanden sich nach Impfungen am Hinter- schenkel beispielsweise mehrfach die Kiefer- und Achseldrüsen geschwollen, und umgekehrt zeigten sich vielfach nach Milzbrand, welcher infolge von Fütterung eingetreten war, die Kieferdrüsen unverändert, dagegen eine oder beide Inguinaldrüsen geschwollen. Die Veränderungen der Lymphdrüsen schienen sich weniger nach der Infektionsstelle als nach den subkutanen Sugillationen zu richten, welche bei milzbrandigen Schafen fast nie fehlen. Die einer Sugillation benachbarten Drüsen sind immer vorzugsweise ge- schwollen, und da die Sugillationen am häufigsten im lockeren Zellgewebe des Halses ihren Sitz haben, so fanden wir dementsprechend auch die am Brusteingang liegenden Drüsen am häufigsten geschwollen, deninächst folgten die Achsel- und die Kieferdrüsen. P a s t e u r hatte aus der häufigen Schwellung der Kieferdrüsen geschlossen, daß die Infektionsstelle in der Maulhöhle liegen müsse. Er muß bei seinen Sektionen die übrigen Drüsen wenig beachtet haben, sonst hätte ihm das eigentümliche Verhalten derselben nicht entgangen sein können, und er würde vermutlich nicht zu der irrigen Deutung jenes Befundes gekommen sein. Nachdem somit der Modus der natürlichen Infektion festgestellt war, konnten wir daran gehen, die nach dem Pasten r sehen Verfahren präventiv geimpften Tiere auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen die natürliche Infektion zu prüfen. Es wurden zu diesem Zwecke 8 Schafe, welche präventiv geimpft waren und als KontroUtier ein nicht präventiv geimpftes Schaf mit zuverlässig wirksamen und von spontanem Milzbrand herrührenden Stoffen geimpft. Das KontroUtier und eins der prä- ventiv geimpften Schafe waren nach 2 Tagen an Milzbrand gefallen. Der Umstand, daß auch eins der präventiv geimpften Schafe milzbrandig wurde, beweist, daß der zur Kontroll- impfung verwendete Stoff eine bedeutende Virulenz besaß. Diese Kontrolhmpfung mit virulentem Stoffe muß zugleich als eine weitere Schutzimpfung aufgefaßt werden, und man konnte erwarten, daß bei diesen Tieren, welche zwei Präventivimpfungen und außer- 224 Über die Milzbrandimpfung. dem eine Impfung mit sehr virulenter Milzbrandsubstanz durchgemacht hatten, nun- mehr das Maximum der Immunität erreicht sei. Zwölf Tage nach der IvontroUimpfung wurden die überlebenden 7 Schafe und ein nicht präventiv geimpftes Schaf, letzteres als Kontrolltier, mit Milzbrandsporen ge- füttert, und zwar waren diese Sporen in Kulturen auf Kartoffeln aus demselben Milz- brandmaterial gezüchtet, welches zur letzten Impfung der Schafe gedient hatte. Das KontroUtier und zwei der dreifach geimpften Schafe starben innerhalb der nächsten zwei Tage am Milzbrand. Es hatte also derselbeMilzbrandsto ff, welcher bei der Impfung von acht Schafen eins tötete, bei der Fütte- rung unter sieben Schafen zwei getötet, trotzdem ihre Immu- nität d u r c h d i e I m p f u n g inzwischen noch erhöht war. Ich zweifle nicht, daß durch die Fütterung von Milzbrandsporen die nach Pasteurs Verfahren nur zweimal präventiv geimpften Schafe sämtlich oder doch zum größten Teil mit Milz- brand zu infizieren und zu töten sind. Durch unseren Versuch ist der unwiderlegliche Beweis geliefert, daß die Annahme Pasteurs, die natürliche Milzbrandinfektion sei den Tieren weniger gefährlich als der Impfmilzbrand, irrig ist. Es sind im Gegenteil Schafe für die vom Darm aus statt- findende natürliche Infektion noch bei weitem zugänglicher als für den Impfmilzbrand. Wir haben gesehen, daß die Präventivimpfungen, um Schafe gegen den von P a s t e u r zur Kontrollimpfung gelieferten virulenten Milzbrandstoff immun zu machen, einen Verlust von ungefähr 12 % bedingen. Die Immunität gegen das stärker wirkende, von spontanem Milzbrand hiesiger Gegend entnommene Gift würde ungefähr Verluste von 20% erfordern, und um Schafe gegen jede Art der Milzbrandinfektion, namentlich gegen die natürliche Infektion sicher zu schützen, müßten die Präventivimpfungen mit derartig virulenten Stoffen ausgeführt werden, daß die Verluste vermutlich noch einmal so hoch ausfallen würden. Die von uns in bezug auf das Verhalten präventiv geimpfter Schafe gegen die natürliche Infektion gewonnenen Resultate stehen vollkommen in Einklang mit den in Kapuvar und Packisch erhaltenen, woselbst die Versuche von Pasteurs eigenem Assi- stenten und vor Kommissionen von Sachverständigen ausgeführt sind. Sowohl in Kapuvar als Packisch wurden jedesmal zwei Experimente gemacht. Das erste soUte den Beweis führen, daß die Schafe durch die Präventivimpfung gegen die Wirkung eines von P a s t e u r aus Paris geschickten virulenten Stoffes unempfänglich geworden waren. Dieser Beweis ist entschieden gelungen, allerdings mit der Einschränkung, daß die Verluste, welche die Präventivimpfung mit sich brachte, weit höher waren, als P a s t e u r ange- nommen hatte. Der zweite Versuch sollte beweisen, daß die Präventivimpfung die Tiere auch gegen die natürliche Infektion schütze ; dieser Beweis ist aber, wie ich gleich vorweg bemerken will, vollständig mißlungen. Um die geimpften Schafe auf ihre Widerstandsfähig- keit gegen die natürliche Infektion zu prüfen, hatten beide Kommissionen den Weg ein- geschlagen, daß sie die Tiere nach der Impfung zugleich mit einer entsprechenden Anzahl nicht geimpfter Tiere auf solche Weiden bringen ließen, wo erfahrungsgemäß Milzbrand herrscht. Diese Anordnung des Experimentes ist insofern eine unvollkommene, als sie dem Zufall einen zu großen Spielraum läßt. Die Milz brander krankungen ereignen sich nämlich in einer Herde nicht sofort, wenn dieselbe auf eine infizierte Weide geführt wird, auch sind die einzelnen Fälle nicht der Zeit nach gleichmäßig verteilt, sondern die Seuche kann längere Pausen machen, dann sprungweise auftreten, auch könnten zufälligerweise unter den nicht geimpften Tieren Milzbrandfälle vorkommen und die geimpften verschont bleiben, ohne daß damit die Immunität der letzteren einwandsfrei erwiesen sein würde, weil es sich nicht feststellen läßt, daß alle Tiere gleichmäßig, wie in dem von uns ange- über die Milzbrandimpfung. 225 stellten Fütterungsversuch, der natürlichen Infektion ausgesetzt waren. Das Sterben der nicht geimpften Tiere an Milzbrand hätte also für die Präventivimpfung bei dieser Versuchsanordnung wenig oder gar nichts bewiesen. Die Infektion der geimpften Tiere muß dagegen einen unumstößlichen Beweis gegen P a s t e u r s Theorie liefern. Die Versuche in Kapuvar und Packisch haben nun folgenden Verlauf genommen : In Kapuvar wurden vom 28. September bis 10. Oktober 267 Schafe mit premier und deuxieme vaccin geimpft. Nach der ersten Impfung starben 3 und nach der zweiten Impfung 10 Schafe an Milzbrand. Von 221 nicht geimpften KontroUtieren fiel in der gleichen Zeit nur 1 Schaf an Milzbrand. Nach den Verlusten zu urteilen, welche die Präventiv- impfung bewirkte, war der Impfstoff ziemlich kräftig. Die 254 überlebenden geimpften Schafe und die 220 nicht geinipften wurden dann auf die gewöhnliche Weide getrieben. Nach einem in der Wiener landwirtschaftlichen Zeitung veröffentlichten Bericht vom 27. August d. J. sind bis dahin von den geimpften Schafen 2 Stück an spontanem Milz- brand und 3 Stück an einer anderen Krankheit, von den nicht geimpften 4 Stück an Milzbrand und 1 Stück an einer anderen Krankheit gefallen. In Packisch wurden in der Zeit vom 10. bis 20. Mai d. J. 251 Schafe zweimal geimpft und 231 Schafe blieben ungeimpft. Nach der ersten Impfimg starb keins der Tiere und infolge der zweiten Impfung erlag nur ein Schaf. Zur Prüfung ihrer Immunität wurden darauf 24 von diesen präventiv geimpften Schafen mit P a s t e u r s virulentem Stoff nachgeimpft, worauf ein Schaf nach 2 Tagen und eins nach 14 Tagen an Milzbrand fiel. Die Deutung dieses letzteren Falles als Folge der Kontrollimpfung erscheint mir etwas gezwungen; denn es ist mir unter den zahlreichen Fällen von Impfmilzbrand, welche ich zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, noch nie eine so lange Inkubationsdauer vorgekommen. Es dürfte dieser Fall auch schon auf Rechnung der natürlichen Infektion zu setzen sein. Im Laufe der Monate Jiüi und August, also wenige Monate nach der Impfung, sind nun von den geimpften Schafen 3 an Milzbrand, 1 unter Erscheinmigen, welche flenjenigen des Milzln-andes gleich waren, aber wegen weit vorgeschrittener Fäulnis der Leiche eine sichere Diagnose nicht mehr gestatteten, 2 an anderen Krankheiten ge- storben. Von den nicht geimpften fielen 8 Tiere an Milzbrand. Außerdem ist in Packisch von 83 Stück präventiv geimpften Rindern 1 Stück an Milzbrand gefallen^). Der Unterschied zwischen den Verlusten der geimpften und der nicht geimpften Tiere ist in beiden Versuchsreihen so unbedeutend-) und liegt bei der in diesen Versuchen gewählten Anordnung so vollständig noch innerhalb der Grenzen des dem Zufall Unter- Avorfenen, daß von einem eigentlichen Schutz der geimpften Tiere gegen die natüiliche Infektion keine Rede sein kann. Die Versuche von Kajmvar und Packisch sind also entschieden zuungunsten der Pasten r sehen Theorie ausgefallen. Auch die schon früher erwähnten Versuche in Beauchery und Montpothier, über welche M a t h i e u berichtete, haben zu gleichen Resultaten geführt. In diesen Ver- suchen sind Vakzins verimpft, welche von Pasten r nach dem 1. April d. J. geliefert sind und seiner Angabe nacli besonders gut sein sollen. Der Einwand, daß der Impf- stoff zu schwach gewesen sei, kann denniach hier nicht zin- Geltung komuien. In Beau- chery wurden vom 25. April bis 8. Mai d. J. 2!)() Lämmer geimpft und in der Zeit vom 22. bis 24. Juni fielen davon 4 Lämmer an spontanem Milzbrand, während SO zur selben Herde gehörige, aber nicht geim])fte Schafe keine Verluste hatten. In ]\Iontpothier ') Archiv für wissenschaftliche und praktische Tierheilkunde VIII, 6, p. 468. 2) Nach einer mir zugegangenen Mitteilung ist kürzhch wieder eins der präventiv geimpften Schafe in Packisch an Milzbrand gefallen, so daß die geimpften Tiere jetzt 6, die ungeimpften 8 Fälle von natürlicher Infektion aufweisen. Koch, Gesammelte Werke. 15 226 über die Milzbrandimpfung. starben sogar nach einer dreimaligen Präventivimpfung von 203 Hammeln ungefähr einen Monat nach der letzten Impfimg 6 Tiere an Milzbrand. Es muß auffällig erscheinen, daß bis jetzt so spärliche Erfahrungen über die Immu- nität der präventiv geimpften Tiere gegen die natürliche Infektion mitgeteilt, wenig- stens so publiziert sind, daß sie wissenschaftlich zu gebrauchen sind. Das, was von mir im Vorhergehenden zusammengestellt wurde, macht so ziemlich alles aus, was darüber zur Kenntnis gekommen ist. Die bis jetzt vorliegenden Tatsachen sprechen, wie man sieht, sämthch gegen den Nutzen der Präventivimpfung. Daß aber noch außerdem ungünstige Erfahrungen in nicht geringer Zahl gemacht sein müssen, geht aus der schon zitierten Äußerung Pasteurs in der Societe centr. de med. veter. vom 8. Juni hervor, daß ihm noch viele andere Mißerfolge bekannt geworden seien, welche in der schlechten Beschaffenheit des im Winter zur Versendung abgegebenen Vakzins ihren Grund hätten. Damals konnte man diese Entschuldigung wohl noch gelten lassen. Seitdem haben sich aber dieselben Mißerfolge auch nach der Impfung mit später geliefertem kräftigen Impfstoff herausgestellt. P a s t e u r muß auch von diesen Tatsachen Kenntnis gehabt haben, als er seinen Vortrag in Genf hielt, er mußte namentlich den Mißerfolg des Ver- suchs in Packisch ebensogut schon gewußt haben, wie ich ihn damals schon kannte. Alles das hat ihn aber nicht abgehalten, in. Genf von dem Versuch in Packisch nur den günstigen Verlauf der Präventivimpfung an 250 Schafen zu erwähnen, welche selbst- verständhch einen so günstigen Verlauf nehmen mußte, weil sehr wenig virulente Impf- stoffe zur Verwendung gekommen waren. Die damals schon bekannten Todesfälle an natürlichem Milzbrand, welche sich unter diesen Tieren ereignet hatten, verschwieg P a s t e u r. Er hat ebenso alle die in Frankreich bekannt gewordenen ungünstig für ihn ausgefallenen Erfahrungen verschwiegen und die wichtigen, doch ebenfalls von seinem Assistenten und vor einer Kommission ausgeführten Versuche in Ungarn mit keinem Worte erwähnt. P a s t e u r befolgt also die Taktik, von seinem Experiment nur soviel mitzuteilen, als zu seinen Gunsten spricht, das aber, was ihm ungünstig ist, selbst wenn darin die Entscheidung des Experimentes liegt, zu verschweigen. Ein solches Verfahren mag für eine Geschäftsreklame angemessen sein, aber in der Wissenschaft muß dasselbe mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden. An die Spitze seines Genfer Vortrages hat P a s t e u r die Worte gestellt : Nous avons tous une passion superieure, la passion de verite. Mit diesen Worten ist die von P a s t e u r befolgte Taktik nicht in Ein- klang zu bringen und er wird nicht umhin können, über diese Angelegenheit eine be- friedigende Aufklärung zu geben. Das bis jetzt vorliegende Material ist im ganzen genommen schon ausreichend, um ein bestimmtes Urteil über die nach Pasteurs Methode ausgeführte Milzbrand- Präventivimpfung zu gewinnen. Dasselbe würde sich folgendermaßen gestalten: Die Milzbrandbazillen können durch eine eigentümliche Behandlung abgeschwächt werden und als Impfstoff gegen virulentere Stoffe, als sie selbst in dem abgeschwächten Zu- stande sind, verwertet werden. Die Immunität ist nicht bei allen Tierspezies zu erreichen. Bis jetzt ist das P a s t e u r sehe Verfahren anscheinend nur auf Rinder und Schafe an- zuwenden. Mit diesem Verfahren sind, wenn Tiere vollständig immun gemacht und insbesondere gegen die natürliche Infektion geschützt werden sollen, bedeutende Ver- luste verbunden. Je geringer die Verluste bei der Präventivimpfung sind, um so geringer fällt auch der Schutz aus, welcher damit erzielt wird. In bezug auf die praktische Verwertung sind noch einige weitere Verhältnisse von der höchsten Bedeutung: Zunächst die Frage, wie lange der Impfschutz vorhält. Hierüber sind bis jetzt noch sehr unzureichende Erfahrungen gemacht, aber P a s t e u r über die Milzbrandimpfung. 227 nimmt an, daß die Tiere ungefähr für die Dauer eines Jahres geschützt sind und all- jährUch von neuem geimpft werden müssen. Wenn dies richtig ist, dann würden die Ver- histe infolge der Impfung diejenigen, welche eine Folge der spontanen Krankheit sind, selbst in den am ärgsten von Milzbrand heimgesuchten Gegenden weit übertreffen. Ferner ist noch die hygienische Bedeutung der Präventivimpfung in Betracht zu ziehen. Es ist nämlich nicht zu vergessen, daß die Impfung zum Teil mit dem deuxieme vaccin vorgenommen wird, einem Stoff, welcher imstande ist, Schafe zu töten, also in seiner un- mittelbaren Wirkung auf diese Tiere dem natürlichen Milzbrandstoff nicht viel nach- gibt. Es ist auch sehr wahrscheinlich, daß dieses nur mäßig abgeschwächte Krank- heitsgift für den Menschen noch nicht ganz ungefährlich geworden ist. Danach muß es aber bedenklich erscheinen, ein solches Gift durch die Verimpfung auf viele Tausende von Schafen überallhin zu verschleppen, die Möglichkeit der Infektion für die nicht ge- impften Tiere dadurch zu vervielfältigen und schließlich durch den Verkehr mit der Wolle und den Konsum des Fleisches von kurz zuvor geimpften Tieren Gefahren für den Menschen herbeizuführen. Ich erinnere in dieser Beziehung nur an die Schafpocken, eine Krankheit, welche mit verhältnismäßig geringen Verlusten sich verimpfen läßt, den geimpften Tieren einen sicheren Schutz verschafft und für den Menschen keine Ge- faliren bietet. Trotzalledem ist man zu der Überzeugung gekommen, daß die Schafpocken- impfung am meisten dazu beiträgt, die Schafpocken zu unterhalten und überallhin zu verbreiten und man hat sich infolgedessen veranlaßt gesehen, dieselbe geradezu zu verbieten. Die P a s t e u r s c h e P r ä v e n t i v i m p f u n g ist demnach wegen des unzulänglichen Schutzes, welchen sie gegen die n a t ü r - 1 i c h e I n f e k t i o n g e w ä h r t. w e g e n d e r k u r z e n D a u e r i h r e r s c h ü t - zenden Wirkung und wegen der Gefahren, welche sie für Men- schen und nicht geimpfte Tiere bedingt, als praktisch v e r w e r t - b a r nicht zu bezeichnen. Es soll damit nicht gesagt sein, daß die Präventiv- impfung überhaupt keine Zukunft besitzt, sondern nur, daß die von P a s t e u r in Vor- schlag gebrachte Methode an den erwähnten Mängeln leidet und deswegen unbrauchbar ist. Andere verbesserte Methoden werden vielleicht später das leisten, was man jetzt schon in voreiliger Weise von diesem unvollkommenen Verfahren erwartet hat. So fraglich nun auch der Nutzen ist, welchen augenblicklieh die Praxis von der Präventivimpfung mit dem abgeschwächten Milzbrandgift ziehen kann, so resultiert doch für die Wissenschaft ein großer Gewinn aus der Entdeckung, daß die Milzbrand- bazillen abgeschwächt und als Impfstoff benutzt werden können. Schon vor P a s t e u r hatte Toussaint gefunden, daß Milzbrandblut durch Behandlung mit verschiedenen Agentien, so durch Zusatz von 1% Karbolsäure oder durch Erwärmung auf 55'' C. in seiner Virulenz herabgesetzt, also abgeschwächt wird und daß die subkutane Injektion eines in dieser Weise veränderten Blutes Schafe und junge Hunde gegen Impfung mit unabgeschwächtem Milzbrandgift immun macht. Damit war die Tatsache, daß das Milzbrandvirus abgeschwächt und als Mittel zur Immu- nisierung gebraucht werden kann, gefunden und Toussaint muß als der eigentliche Entdecker derselben bezeichnet werden. Doch war T o u s s a i n t s Verfahren ein seltr unsicheres und seine Vorstellung von der Wirkung des abgeschwächten Mrus eine irrige. Während Toussaint darauf ausgegangen war. die Milzbrand bazillen aus dem Blute zu entfernen oder sie zu töten, ist es P a s t e u r s großes Verdienst, den Beweis geführt zu haben, daß gerade die Milzbrandbazillen denjenigen Bestandteil des Blutes bilden, welcher verändert und abgeschwächt werden muß, und daß die neuen Eigenschaften sich auch in den Nachkommen der abgeschwächten Bazillen erhalten lassen. Gerade 15* 228 Uber die Milzbrandimpfung. in diesem letzterwähnten Umstände liegt die hohe wissenschaftliche Bedeutung der Entdeckung. Es ist damit zum erstenmal in einer exakten und gegen jeden Einwand gesicherten Weise der Beweis geliefert, daß eine pathogene Bakterienart unter ganz bestimmten Bedingungen ihre pathogenen Eigenschaften verliert, ohne dabei jedoch morphologisch verändert zu werden. Diese Tatsache ist nicht allein für die ätiologische Forschung, sondern in gleichem Maße auch für die biologische Wissenschaft vom höchsten Interesse und wird unzweifelhaft zu weiteren wichtigen Entdeckungen den Weg zeigen. So groß nun aber auch Paste urs V erdienst um diese wertvolle Bereicherung der Wissenschaft ist, so erscheint es doch als eine Ungerechtigkeit, daß, wenn von der Ent- deckung der Abschwächung des Milzbrandgiftes und der künstlichen Immunität die Rede ist, der Name Toussaints, wie es neuerdings regelmäßig geschieht, entweder ganz in den Hintergrund gestellt oder überhaupt garnicht erwähnt wird. Um jeden Schein der Parteinahme in dieser Sache von mir fernzuhalten, will ich nur an die Worte erinnern, welche B o u 1 e y, der eifrigste Anhänger P a s t e u r s, in der Sitzung der Akademie am 8. März 1881 sprach, in derselben Sitzung, in welcher B o u 1 e y der Aka- demie auch den Bericht über Pasteurs Abschwächungsversuche vortrug. Er sagte : ,,Je maintiens que M. Toussaint a le merite d'avoir demontre, par un procede qui lui appartient, que le virus charbonneux pouvait etre transforme en virus vaccinal contre lui-meme. M. Toussaint est l'inventeur de la methode dont il s'est servi, et cette methode, il l'a pouvee efficace, et, le premier, il a resolu scientifiquement le probleme de l'atte- nuation du virus charbonneux et de sa transformation en virus vaccinal." Auch das Verfahren, mittels dessen das Milzbrandvirus in einen Impfstoff ver- wandelt wird, ist durch P a s t e u r bedeutend verbessert worden. Im Grunde genommen macht es vom rein wissenschaftlichen Standpunkte aus betrachtet, im Gegensatz zum praktischen Standpunkt, keinen wesentlichen Unterschied, ob mit der Präventivimpfung ein größerer oder geringerer Verlust an Tieren verbunden ist. Der Wissenschaft kommt es allein auf die Tatsache an, daß eine künstliche Immunität sich erzielen läßt. Das Toussaint sehe Verfahren lieferte nun aber so unsichere Resultate, daß dieselben anfangs wenig beweisend erschienen, während nach der P a s t e u r sehen Methode der Beweis für das Gelingen der künstlichen Immunisierung in vollem Umfange er- bracht ist. Die Erklärung, welche P a s t e u r für den bei der Abschwächung der Bazillen stattfindenden Vorgang gibt, möchte ich indessen nicht für zutreffend halten. P a s t e u r nimmt nämlich an, daß es der Einfluß des Sauerstoffs sei, welcher die Abschwächung im Laufe einer bestimmten Zeit bewirkt. Die höhere Temperatur wendet er daneben nur in der Absicht an, um die Bazillen an der Sporenbildung und Umwandlung in einen für die Wirkung des Sauerstoffs unzugänglichen Zustand zu ver- hindern. Nun sprechen aber manche Umstände dafür, daß weniger der Sauerstoff der Luft als höhere Temperaturgrade und außerdem eigentümliche, beim Stoffwechsel der Bakterien entstehende Produkte auf die Bazillen schädlich und abschwächend einwirken. In bezug auf die abschwächende Wirkung der Temperatur lassen sich folgende Tatsachen geltend machen. Toussaint hatte gefunden, daß das Milzbrandblut, wenn es 10 Minuten lang auf 55° C erwärmt wird, seine Virulenz zum großen Teil verliert und in einen Impfstoff verwandelt wird. Diese Beobachtung hat Chauveau weiter verfolgt und vor kurzem Mitteilungen über seine höchst interessanten Versuche gemacht. Letztere haben ergeben, daß die Abschwächung um so langsamer zustande kommt, je niedriger die auf das Milzbrandblut einwirkende Temperatur ist. Bei 52" C wird die Abschwächung in 15 Minuten, bei 50° C in 20 Minuten erreicht. Dieselbe Erscheinung über die Milzhrandimpfung. 229 zeigt sich übrigens, worauf ich schon früher aufmerksam zu machen Gelegenheit hatte, auch bei den niech-igeren Temperaturgraclen, welche von Pasteur benutzt werden; denn wir sahen in unseren Versuchen, daß sich bei 43*^ C die Abschwächung in 6 Tagen und bei 42" C in ungefähr 30 Tagen vollzieht. Einen weiteren Beleg für die abschwächende Wirkung der Temperatur auf j^athogene Bazillen haben A r 1 o i n g, Thomas und C o r n e V i n geliefert, welche fanden, daß die Sporen der Rauschbrandbazillen (Charbon symptomatique), wenn sie 6 Stunden lang auf eine Temperatur von mehr als 85° C erwärmt werden, ebenfalls ihre Virulenz einbüßen und die Eigenschaften eines Vakzins gegen Rauschbrand annehmen. Schließlich ist noch eine Beobachtung von Fitz zu erwähnen : Derselbe unterwarf die Sporen des Bacillus butjTicus (des Ferments der Butter- säuregärung) dem Einfluß höherer Temperaturen und es zeigte sich dann, daß wemi dieselben 5 Stunden lang auf 90", oder 7 Stunden lang auf 80" erhitzt wurden, sie noch imstande waren, sich zu vermehren, aber die Fähigkeit, Gärung zu erregen, verloren hatten. Namentlich in den letzten beiden Fällen, in denen hohe Temperaturgrade auf Sporen wirkten, ist der Einfluß des Sauerstoffs als vollständig ausgeschlossen anzusehen und kann nur noch die Wärme als abschwächendes Agens in Betracht kommen. Es hat aber den Anschein, daß, wie schon angedeutet wurde, außer der Wärme noch andere den Bakterien feindliche Stoffe die Abschwächung bewirken können. Auch in dieser Richtung verdanken wir Toussaint den ersten Anhaltspunkt, indem er zeigte, daß die Virulenz des Milzbrandblutes durch den Zusatz von Karbolsäure ab- geschwächt werden kann. Die Karbolsäure — das Phenol — gehört bekanntlich zu den Stoffwechselprodukten der Bakterien und es weisen manche Tatsachen, deren Auf- zählung mich hier zu weit, führen würde, darauf hin, daß in gleicher Weise wie das Phenol auch andere ähnliche, beim Wachstum und bei der Vermehrung der Bakterien entstehende Produkte schwächend und das Wachstum behindernd auf dieselben Bakterien ein- wirken, deren Lebensprozeß sie ihre Entstehung verdanken. Je langsamer die Ab- schwächung der Milzbrandbazillen bei geringeren Temperaturgraden vor sich geht und je mehr Zeit ihnen zum Wachstum und zur Vermehrung gelassen wird, um so mehr muß sich die schwächende Wirkung solcher Stoffwechselprodukte neben dem Einfluß der Temperatur geltend machen. P a s t e u r hat sich zur Stütze seiner Theorie von dem schwächenden Einfluß des Sauerstoffes darauf berufen, daß die Milzbrandbazillen, wenn sie bei Sauerstoff ab- schluß auf 42 — 43" erwärmt werden, ihre Virulenz behalten, während sie dieselbe unter Sauerstoffzufuhr verlieren. Hierbei läßt P a s t e u r aber außer acht, daß ohne Sauer- stoff auch kein Wachstum der Milzbrandbazillen stattfindet, sich also jene Stoffwechsel- produkte nicht bilden können und damit ein wesentliches Agens der Abschwächung wegfällt . Einen schlagenden Beweis gegen die schwächende Wirkung des Sauerstoffs liefert schließhch noch folgende Tatsache. Wenn ein Vakzin in nicht zu langen Zwischenräumen immer wieder in neue Nährflüssigkeiten übertragen wird, dann behält er die ihm eigen- tümliche Virulenz unverändert bei. Läßt man ihn aber lange Zeit in derselben Nähr- flüssigkeit, ohne ihn weiter zu züchten, dann sinkt allmählich seine Virulenz immer mehr und kann schließlich voUkommen verlorengehen, vorausgesetzt, daß es nicht inzwischen zur Sporenbildung kam. In beiden Fällen wirkt der Sauerstoff gleichmäßig auf die Ba- zillen ein, und doch werden in dem einen die Bazillen abgeschwächt und in dem anderen nicht. Ich möchte mir diese Erscheinung vorläufig in der Weise erklären, daß die nicht weitergezüchteten Bazillen, welche beständig im Kontakt mit ihren eigenen Stoffwechsel- produkten bleiben, durch die Einwirkung dieser letzteren abgeschwächt werden. Die nach Ablauf von wenigen Tagen immer aufs neue in eine frische Nährlösung übertrage- 230 über die Milzbrandimpfung. nen Bazillen werden dagegen fortwährend dem nachteiligen Einfluß der sich bildenden Stoff Wechselprodukte früh genug entzogen und bleiben infolgedessen unabgeschwächt, obwohl der Sauerstoff in vollkommen gleicher Weise auf sie einwirken kann wie auf die anderen Bazillen und sich beide auch übrigens unter den gleichen Lebensbedingungen befinden. So einfach, wie P a s t e u r sich den Vorgang der Abschwächung vorsteht, ist er auf keinen Fall, und man wird, um zu einer befriedigenden Erklärung desselben zu ge- langen, sehr verschiedene Momente, die Wärme, chemisch wirkende Agentien, höchst- wahrscheinlich auch noch andere bisher unbekannte Bedingungen in Betracht ziehen müssen. Zum Schluß habe ich noch einige Bemerkungen über die Abschwächung der Krank- heitsstoffe im allgemeinen zu machen. Nach P a s t e u r s Meinung ^ist die Abschwächung schon bei vier verschiedenen Infektionsstoffen gelungen und es kann mit Rücksicht auf diese Erfolge jetzt schon das Vorhandensein eines allgemein gültigen Gesetzes der Abschwächung und Umwand- lung in schützende Impfstoffe angenommen werden, dem sämthche pathogene Organismen unterworfen sind. Soweit kann man meines Erachtens noch nicht gehen. Bislang ist nur die Abschwächung der Milzbrandbazillen als eine unbestrittene Tatsache anzusehen. Für die übrigen von P a s t e u r hierher gerechneten Infektionsstoffe, näm- Hch die Mikroben der Hühnercholera, der nouvelle maladie de la rage und des Kanin- chentyphus bedarf es noch sorgfältiger Nachprüfungen und Bestätigungen seitens zuverlässiger Beobachter. Dieses Verlangen hat um so mehr Berechtigung, als sich zwei der oben genannten Krankheiten unzweifelhaft als mit der Kaninchensepticämie iden- tisch herausgestellt haben und es nach den Untersuchungen von Toussaint nicht ausgeschlossen erscheint, daß selbst die Hühnercholera ebenfalls dieselbe Krankheit ist wie die Kaninchensepticämie. Da man mich irrtümlicherweise vielfach für einen prinzipiellen Gegner der Um- züchtung pathogener Mikroorganismen gehalten hat, so möchte ich bei dieser Gelegen- heit an das erinnern, was ich in den Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheits- amte (Seite 74) und in ähnlicher Weise auch bei anderen Gelegenheiten gesagt habe, „daß ich nämhch keineswegs ein Gegner der Lehre von der Umzüchtung einer Art in eine andere nahe verwandte Art bin und demgemäß auch die Abänderung pathogener Organismen in unschädliche und umgekehrt für möghch halte, doch muß bei der außer- ordenthchen Tragweite einer solchen Tatsache ein exakter Beweis derselben verlangt werden, ehe sie von der Wissenschaft als vollgültig angenommen werden kann." Diesen selben Standpunkt nehme ich auch jetzt noch ein und halte nunmehr, nachdem der Be- weis für die Umzüchtung der Milzbrandbazillen in exakter Weise gebracht ist, dieselbe für eine feststehende Tatsache, verlange aber für weitere Umzüchtungsversuche ebenso unwiderleghche Beweise und bin der Meinung, daß man nicht eher von einem Gesetz der Abschwächung pathogener Mikroorganismen reden kann, als bis es gelungen ist, eine größere Zahl derselben umzuzüchten. Doch ist es in betreff der weiteren Be- strebungen auf diesem Gebiet sehr zu wünschen, daß die dasselbe bearbeitenden Forscher in Zukunft mit größerer Objektivität und mit mehr Selbstkritik zu Werke gehen möchten. Auch ist nach den bisherigen Erfahrungen dringend davor zu warnen, daß die wissenschaftHchen Ergebnisse zu voreilig in die Praxis übertragen werden. Die Hoff- nungen, welche Pasteur an die Schutzimpfung der Hühnercholera knüpfte, haben sich ^) Diese Werke p. 201. D. Herausgeber. über die Milzbrandimpfung. 231 allem Anschein nach nicht erfüllt, denn es ist nichts davon verlautet, daß von den Ge- flügelbesitzern die abgeschwächten Mikroben der Hühnercholera verimpft sind. Die Präventivimpfling gegen Milzbrand stellt sich ebenfalls praktisch verwertbar, wenig- stens vorläufig, nicht heraus und es hat die Schutzimpfung mit abgeschwächten patho- genen Bakterien bis jetzt eigentliche Erfolge noch nicht aufzuweisen. Wenn also auf dem Kongreß zu Genf P a s t e ii r als ein zweiter J e n n e r gefeiert wurde, so geschah dies wohl etwas verfrüht, und man hatte außerdem offenbar im Drange der Begeisterung vergessen, daß J e n n e r s segensreiche Entdeckung nicht Schafen, sondern Menschen zugute gekommen ist. Sollte es in Zukunft einmal gehngen, die den Menschen unmittelbar angehenden Bakterien, von denen wir bereits die Bazillen der Tuberkulose, der Lepra, des Abdo- minaltyphus, die Mikrokokken des Erysipelas, die Spirochaeten des Recurrens, also eine für Abschwächungsversuche hinreichende Zahl, kennen, abzuschwächen und in schützende Impfstoffe zu verwandeln, dann erst wird die Präventivimpfung mit ab- geschwächten Infektionsstoffen in Wahrheit Triumphe feiern können. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen und Milzbrandinfektion durch Fütterung.') Von Dr. R. Koch. ') Die nachstehend geschilderten Versuche bilden die Fortsetzung und den vorläufigen Abschluß der Untersuchungen, welche über die Schutzimpfung gegen den Milzbrand mit künstlich abgeschwächtem Milzbrandmaterial im Laboratorium des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in den letzten Jahren angestellt worden sind. Zur schnelleren Orien- te * tierung ist es notwendig, kurz die Resultate wiederzugeben, zu welchen die bereits im I. Bande der Mitteilungen veröffentlichten Versuche^) geführt hatten. Toussaint und nach ihm P a s t e u r hatten verschiedene Methoden zur Ab- schwächung des Milzbrandvirus angegeben. Nach Toussaint wurde die Abschwächung in der Weise ausgeführt, daß das Blut eines am Milzbrand verendeten Tieres 10 Minuten hindurch auf 55° C erwärmt wurde oder aber daß dasselbe einen Zusatz erhielt von einer bestimmten Menge von Karbolsäure. Zahlreiche Versuche, welche im Gesundheitsamt mit dem nach dieser Methode zubereiteten Impfmaterial an Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen angestellt waren, hatten ergeben, daß bei den genannten Tieren eine Immunität nicht erzielt werden konnte. Die Versuche hatten sich, wie ausdrücklich hervorgehoben wurde, auf diese drei Tierspezies beschränken müssen, da zu jener Zeit größere Tiere, insbesondere Hammel, nicht zu Gebote standen. Das P a s t e u r sehe Verfahren der Milzbrandabschwächung, Kultivieren der Milzbrandbazillen in neutraler Hühnerbouillon zwischen 42" und 43° C, war einer experi- mentellen Nachprüfung noch nicht unterzogen worden. Die ersten Mitteilungen Pa s t e u r s, welche durch Versuchsprotokolle nicht illustriert waren, konnten nur mit einer gewissen Reserve aufgenommen werden aus mehreren triftigen Gründen. Die Basis aller Milzbrand- immunitätsversuche bildet der von P a s t e u r ganz allgemein ausgesprochene Satz : ein einmaliges Überstehen des Milzbrandes schützt gegen jede fernere Infektion. Nun aber ergaben zahlreiche Beobachtungen am Menschen, daß dasselbe Individuum im Verlauf einer verhältnismäßig kurzen Zeit wiederholt an Milzbrandkarbunkeln schwer erkranken kann; an Pferden hatte O e m 1 e r die Beobachtung gemacht, daf3 selbst nach wiederholt überstandenen Impfungen mit unzweifelhaft virulentem Milzbrandmaterial manche Tiere nach einer neuen Impfung doch schließlich noch an Milzbrand zugrunde gingen; zahlreiche im Gesundheitsamt angestellte Versuche an Ratten endlich hatten gezeigt, daß nicht einmal diese an und für sich so wenig für den Milzbrand empfängliche Tier- spezies durch wiederholte Impfung mit virulentem Milzbrandmaterial Immunität sich ') Aus Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1884, Bd. II, Berlin. ^) Zusammen mit Dr. Gaffky und Dr. Loeffler. ä) Vgl. diese Werke p. 174 ff. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandliazillen usw. 233 erwirbt. Da mithin bei dem Menschen, bei dem Pferd und bei der Ratte nicht einmal die glückUch überstandene Einimpfung virulenten Materiales Immunität zurückließ, um wieviel weniger konnte man erwarten, daß Impfungen mit al>geschwächtem Milz- brandmaterial diese Wirkung im Gefolge haben sollten. Auch die von P a s t e u r als Faktum hingestellte Beobachtung, daß Milzbrand- bazillen in neutraler Hühnerbouillon zwischen 42 — 43*^ (J Sporen nicht bilden, schien nicht durchaus unanfechtbar, da in verschiedenen Versuchen diesseits eine exquisite Sporenbildung der Milzbrandbazillen bei 42 — 43'^ C konstatiert war. Es schien daher geboten, vorerst eine ausführliche Mitteilung weiterer Versuche abzuwarten. Nachdem dann P a s t e u r durch einen exakten Versuch in der ferme Rossignol bei Pouilly le Fort den Nachweis geführt hatte, daß durch Impfung mit den nach seiner Methode ab- geschwächten Milzbrandkulturen Hammel immun werden gegen die Einimpfung viru- lenten Milzbrandes, wurden Versuche über die Abschwächung des Milzbrandes bei 42 bis 43*^ C und über die Schutzwirkung der nach der Pasten r sehen Methode abgeschwächten Milzbrandkulturen in größerem Maßstabe auch diesseits in Aussicht genommen. Ganz besonders erschien es notwendig, die Versuche an Schafen anzustellen, da diese Tiere ein wesentlich anderes Verhalten dem Milzbrand gegenüber zu zeigen schienen, als der Mensch und diejenigen Tierarten , mit welchen bisher experimentiert worden war. Für derartige Versuche mit größeren Tieren bedurfte es besonderer Neueinrich- tungen. In den Räumen des Gesundheitsamtes selbst konnten die Versuche nur zum Teil ausgeführt werden. Für die Unterbringung größerer Tiere sind die geeigneten Lokali- täten im Amte nicht vorhanden, auch fehlen die Einrichtungen, um größere infektiöse Tierkadaver schnell und sicher zu beseitigen. Am besten geeignet für diese Versuche erschien das Terrain der fiskalischen Abdeckerei, da dasselbe vor der Stadt isoliert ge- legen ist und außerdem alle Vorrichtungen bietet zur Vernichtung infektiöser Tierkadaver. Das Königliche Polizeipräsidium gab bereitwilligst seine Zustimmung zur Errichtung eines Stallgebäudes auf dem fiskalischen Grundstücke. Das Gebäude besteht aus zwei Räumen, einem kleineren, mit großem Fenster versehenen Vorräume für die Sektion der verendeten Tiere und dem eigentlichen Stalle, welcher Raum genug bietet zur Ein- stellung von etwa 50 Schafen. Der Boden des Gebäudes ist zementiert: er fällt leicht ab nach einer zementierten Zisterne zu, in welche Blut und Urin hineinfließen, um alsdann darin gründlich desinfiziert zu werden. Die Kadaver können sofort nach der Sektion in einem hermetisch geschlossenen Kessel mit übei'hitztem Wasserdampf zerkocht und somit unschädlich gemacht werden. Die Abschwächung der Milzbrandbazillen in den Kulturen, welche bei 42 — 43° C gehalten werden, geht nach den Angaben P a s t e u r s so vor sich, daß von Tag zu Tag die Virulenz der Kulturen abnimmt, bis nach ca. 9 Tagen die entnommenen Proben sich gänzlich unwirksam zeigen. In diesen verschiedenen Stadien der Virulenz läßt sich der Milzbrand weiter kultivieren, so daß man also Kulturen von verschiedener Giftigkeit sich bereiten kann. Zwei von diesen in ver'schiedenem Grade abgeschwächten Kulturen dienten für die Impfung der Hannnel. P aste u r nennt die eine jiremier, die andere deuxieme vaccin. Als wir nun diese Angaben nachprüfen wollten, stellte es sich heraus, daß über verschiedene Details in der Versuchsanordnung, welche wiclitig genug sind, um die Versuchsergebnisse nach irgendeiner Richtung zu beeinflussen, nähere Angaben m der Mitteilung P a s t e u r s fehlten, so z. B. über die Apparate und über die Gefäße, hi welchen die Abschwächung vorgenommen wurde, und über die Menge der in jedem ein- zelnen Versuche verw^andten Kulturflüssigkeit. Von besonderer Wichtigkeit war es namentlich, einen Brütapparat zu beschaffen. Avelcher mit Sicherheit wochenlang auf 234 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. einer bestimmten Temperatur gehalten werden konnte. Die Firma Wiesenegg in Paris, 64 rvie Gay Lussac, beschäftigt sich vorzugsweise mit der Herstellung von Wärme- regulatoren. Unter den zahlreichen in dem Katalog der Firma beschriebenen Brütappara- ten wählten wir, als am besten geeignet für unseren Zweck, den Apparat von d'A r s o n v a 1, dessen Regulations Vorrichtung nur Schwankungen um wenige Zehntelgrade gestattet. Als Züchtungsgefäße nahmen wir E r 1 e n m e y e r sehe Kölbchen, und zwar wurde jedes Kölbchen mit 20 ccm einer mit kohlensaurem Natron neutalisierten Hühnerbouillon beschickt. Als Ausgangsmaterial für alle Versuche diente getrocknetes, 5 Jahre altes, sporen- haltiges Milzbrandblut von außerordentlicher Virulenz. Mit einer minimalen Menge desselben wurde eine Maus geimpft : aus der Milz der meist innerhalb der ersten 24 Stunden an Milzbrand verendeten Maus wurde eine geringe Menge Substanz mit einem geglühten Platindraht unter allen Kautelen entnommen und in die mit neutraler Hühnerbouillon beschickten Kölbchen übertragen. Unmittelbar nach der Aussaat wurden die letzteren dann in den Brütapparat gebracht. In dieser Weise wurde eine Anzahl von Versuchen angestellt. Sehr bald stellte sich jedoch heraus, daß die 9 Tage und länger zwischen 42" und 43" C gehaltenen Kulturen Mäuse ebenso sicher töteten wie das Material, von welchem wir ausgegangen waren. Es drängte sich uns daher die Frage auf : Woran können wir erkennen, daß der Milzbrand bis zu einem bestimmten Grade abgeschwächt ist ? Vergebens suchten wir in den Publi- kationen Paste Urs nach diesen für das ganze Abschwächungsverfahren allerwichtig- sten Angaben. Pa s t e u r hatte nirgends mitgeteilt, welche Kennzeichen für ihn bei der Bestimmung der Virulenz maßgebend gewesen waren. Nach, den Angaben, welche er über die Rückkehr des abgeschwächten Virus zu seiner ursprünglichen hohen Virulenz gemacht hat, konnte man vermuten, daß ihm vielleicht Meerschweinchen von verschiede- nem Alter als Maßstab gedient hatten. Indessen war dies nur Vermutung. Die einzige positive Angabe, welche wir fanden, war die, daß der Milzbrand nach mehreren Wochen, in einem Falle erst nach 6 Wochen, so abgeschwächt wird, daß er ganz junge Mäuse nicht mehr tötet, während er seine Wachstumsenergie behalten hat. Wir beschlossen daher, zunächst diese prinzipiell besonders wichtige Angabe über die gänzliche Ab- schwächung nachzuprüfen. Da die Abschwächung nach ca. 3 Wochen vollendet sein sollte, so wurde erst kurz vor diesem Termme, nach 18 Tagen, mit der Entnahme der Proben begonnen. Beschickt waren 4 Gläschen. Aus allen 4 Gläschen wurden alle 2 Tage je 2 Mäuse geimpft, außerdem Kulturen in Fleischwasserpepton- Gelatine auf Objektträgern angesetzt, um einerseits die entnommenen Proben auf ihre Reinheit zu prüfen und um andererseits zugleich -Reinkulturen von jedem Tage zu gewinnen. Nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht über diesen Versuch. Tag der Probe- Ent- nahme Glas I Glas II Glas III Glas IV Impfung von 2 Mäusen Kultur Impfung von 2 Mäusen Kultur Impfung von 2 Mäusen Kultur Impfung von 2 Mäusen Kultur 18. Tag Maus 1 1 / gesund Maus II J ° rein Maus Ii Maus II h'^^"''' verun- reinigt Maus I f an Milzbrand Maus II gesund rein Maus I f an Milzbrand Maus II gesund rein 20. Tag Maus I^ MausIII^^^'^"^ rein Maus iWl;"" } Milz- Maus II , , 1 brand rein Maus I f an Milzbrand Maus II gesund rein Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 235 Tag der Probe- Ent- nahme Glas I Glas II Glas III Glas IV Impfung von I , , ^ ^ - Kultur 2 Mausen Impfung von 1 , , ->,,.. Kultur 2 Mausen Impfung von 2 Mäusen tVUilUl Impfung von 2 Mäusen Jvuitur 22. Tag Maus 1 1 I gesund Maus II 1 ^ verun- reinigt Maus 1 1 MausII)§^'^"°*^ rein T ^ f f an Maus I ' ' }■ Milz- Maus II , ) brand rein 24. Tag Maus 1 1 gesund Maus II ) - rein Maus 1 1 gesund Maus II 1 ^ rein 29. Tag Maus 1 1 gesund Maus II 1 verun- reinigt Maus 1 1 Maus II l^^^^'^'^'^ rein 30. Tag Maus 1 1 MausIII^^^""'^ verun- reinigt Das Resultat des Versuches ist nach verschiedenen Richtungen hin wichtig. Drei von den besäten 4 Gläschen enthielten am 18. Tage Reinkulturen von Milzbrandbazillen, wie die Kontrollaussaat avif der Nährgelatine ergab. Aus allen drei Gläschen wuchs die Aussaat auch dann noch, als nach der Impfung Mäuse nicht mehr starben. Die funda- mentale Tatsache, daß ein virulenter Milzbrand durch ein Wachstum zwischen 42" und 43'^ C physiologisch unwirksam wird, ohne jedoch seine Wachstumsfähigkeit einzubüßen, war somit durch unseren Versuch bestätigt. Auffallend war es. daß die Zeit des Eintrittes der Abschwächung in den verschiedenen Gläschen außerordentlich ungleich war. Da die Gläschen unter genau denselben Versuchsbedingungen sich befunden hatten, so hätte man erwarten sollen, daß die Virulenz in allen Gläschen zu gleicher Zeit verschwunden sein würde. Ein Blick auf die Tabelle lehrt jedoch, daß in Glas I die Abschwächung schon am 18. Tage; vollendet war, in Glas III am 22. Tage, in Glas IV erst am 29. Tage. Die Ursache dieser auffälligen Verschiedenheiten blieb uns vorderhand noch verborgen, wir werden später sehen, wie sich dieselben in einfacher Weise erklären lassen. Bewahren niui diese bei Zimmertemperatvn' fortgesetzten Reinkulturen des gänzlich abgeschwächten Milzbrandes ihre physiologische Unwirksamkeit ? Zur Entscheidung dieser Frage dienten folgende Versuche: Mit der ersten Kultur der am 29. Tage aus Glas IV entnommenen Milzbrandprobe wurden 2 Mäuse geimpft. Die eine Maus starb nach 5 Tagen an unzweifelhaftem Milz- brand, die andere blieb gesund. Hiernach hatte es den Anschein, als ob die Virulenz wieder zunehme bei der Weiter- kultivierung. Mit der IV. Generation wurden alsdann geimpft: 2 weiße Mäuse, 2 Hausmäuse, 1 altes. 1 mittelgroßes, 1 wenige Tage zuvor geborenes Meerschweinchen. Alle Tiere blieben gesund. Von der V. Kulturgeneration erhielten: 4 Meerschweinchen je ca. V^, 4 Mäuse je ca. 2 Teilstriche des Inhaltes einer Pravazschen Spritze subkutan injiziert. Die Tiere blieben gesund. 236 Experimentelle Studien über die künstliche Abschvvächung der Milzbrandbazillen usw. Von der VI. Generation wurde ein 6 Stunden altes Meerschweinchen geimpft. Das Tier erkrankte nicht. Von der VII. Generation wurden drei 8 Stunden alte Meerschweinchen geimpft, ohne jeden Erfolg. Die Kultur dieses gänzlich abgeschwächten Milzbrandes ist seit jener Zeit fast 2 Jahre hindurch fortgesetzt worden ; von Zeit zu Zeit wurden Mäuse und Meerschweinchen mit derselben geimpft, eine Rückkehr zur Virulenz hat nicht stattgefunden. Die physiolo- gische Unwirksamkeit hat sich mithin von Generation zu Generation weiter vererbt. Die Form der Bazillen hat sich in keiner Weise verändert. Sie sind ebenso unbeweglich wie die virulenten Bazillen. Ihre Enden erscheinen scharf abgeschnitten. Sie bilden lange Fäden und in diesen ovale glänzende Sporen, ganz wie die virulenten Bazillen. War nun dieser ganz abgeschwächte Milzbrand als Impfmaterial zur Immunisierung zu verwerten ? Waren zunächst die Mäuse und Meerschweinchen, welche die Impfung resp. Injektionen mit diesem Milzbrand überstanden hatten, immun geworden ? Am ehesten konnte man das erwarten von den Tieren, welche Injektionen erhalten hatten. Es wurde deshalb den 4 Mäusen und 4 Meerschweinchen, welchen Kulturen der V. Genera- tion injiziert waren, 15 Tage später je ein Fädchen mit wirksamen Milzbrandsporen unter die Haut gebracht. Alle Tiere starben innerhalb der nächsten 3 Tage an echtem Milzbrand; eine Immunität war somit nicht erzielt. Da der ganz abgeschwächte Milzbrand für Immunisierungszwecke nicht geeignet er- schien, griffen wir auf den 24 tägigen Milzbrand zurück, welcher noch 2 Mäuse getötet hatte. Zunächst handelte es sich auch bei diesem Milzbrand wieder darum, das Verhalten der Virulenz der bei Zimmertemperatur fortgesetzten Kulturen festzustehen. Mit der VII. Generation in Fleischwasserpepton- Gelatine wurden geimpft: 2 Meerschweinchen, 2 Mäuse. Die beiden Mäuse starben am 5. resp. 6. Tage an Milzbrand. Die Meerschweinchen bUeben völlig gesund. Vielleicht war nun aber der Milzbrand im Körper der Mäuse wieder virulent geworden. Um darüber Gewißheit zu erlangen, wurde 2 ausgewachsenen Meerschweinchen je 2 Mäusen je '/,, der Milz von der am 5. Tage gestorbenen Maus unter die Haut gebracht. Die Meerschwein- chen blieben gesund, die Mäuse starben am 3. resp. 6. Tage an Milzbrand. Möglicher- weise waren aber noch ganz junge Meerschweinchen für den M ä u s e m i 1 z b r a n d, wie wir die bis zu diesem Grade abgeschwächten Bazillen nennen wollen, empfänglich. Lungenstückchen der zuletzt verendeten Maus wurden: 3 einen Tag alten Meerschweinchen, 1 alten Meerschweinchen, 2 Mäusen unter die Haut gebracht. Die jungen Meerschweinchen starben innerhalb der nächsten 4 Tage, jedoch nicht an Milzbrand, denn es ließen sich in ihren Organen Milzbrandbazillen nicht auffinden, auch blieben zwei mit Partikelchen ihrer Milzen geimpfte Mäuse gesund. Die Mäuse starben an Milzbrand, das ältere Meerschweinchen blieb gesund. Die Lunge der einen Maus wurde auf 2 Meerschweinchen und eine Maus verimpft. Die Maus starb am 3. Tage, das Meerschweinchen blieb völlig munter. Die Organe dieser Maus wurden mit Wasser verrieben zu einem dünnen Brei. Von diesem erhielten 2 Meerschweinchen je 2 Pravazsche Spritzen, 2 Mäuse 2 resp. 4 Teilstriche Experimentelle Studien ül>er die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 237 subkutan injiziert — gewiß ganz enorme Dosen. Die Mäuse starben am 2. resp. 3. Tage, die Meerschweinchen blieben gesund. Das Resultat blieb immer das gleiche: die Mäuse starben, die Meerschweinchen nicht. Auffallend war das Verhalten der Mäusemilzbrand- bazillen im Körper der Maus. Während bei dem virulenten Milzbrande die Kapillaren fast ausnahmslos von kurzen Stäbchen erfüllt gefunden werden, fanden sich bei demMäuse- milzbrande die Kapillargebiete, namentlich der Lungen, von langen Fäden erfüllt, deren Kontinuität sich häufig aus den Kapillaren bis in größere mikroskoiDische Gefäße hinein verfolgen ließ. Von großem Interesse war es nunmehr, festzustellen, ob Meerschweinchen durch den Mäusemilzbrand immun gemacht werden gegen viridenten Milzbrand. Auch diese Frage mußte mit nein beantwortet werden, da alle mit diesem Milzbrand geimpften Meer- schweinchen ausnahmslos der Infektion mit virulentem Milzbrand erlagen, ebenso als wenn gar keine Impfung an ihnen vorgenommen gewesen wäre. Wenn nun auch Meerschweinchen nicht immun wurden, so konnten sich doch Hammel wesentlich anders verhalten. Vielleicht besaßen wir in dem ganz abgeschwächten Milzbrand den I. Vakzin, in dem Mäusemilzbrand den II. Vakzin. Ein Versuch sollte die Entscheidung bringen. 4 kräftige Hammel erhielten von der VI. Generation des ganz abgeschwächten Milz- brandes jeder 2 volle Spritzen auf den Innenflächen des rechten und linken Oberschenkels injiziert. Sie blieben durchaus munter. Genau 3 Wochen später erhielten sie von der X. Generation des Mäusemilzbrandes am linken Oberschenkel je eine Spritze, ein Tier Nr. VI noch eine zweite Spritze am rechten, außerdem 2 Meerschweinchen je Spritze, 2 Mäuse je 2 Teilstriche. Die Mäuse starben unter den charakteristischen Erschei- nungen, das Wohlbefinden der Hammel und Meerschweinchen war, bis auf geringe Temperatursteigerungen bei den ersteren, nicht gestört. 14 Tage später wurde die Milz einer an echtem Milzbrand verendeten Maus mit Wasser verrieben. Von der filtrierten und stark verdünnten Flüssigkeit erhielt zur Probe der besonders reichlich geimpfte Hammel Nr. VI Injektionen am rechten und linken Oberschenkel zugleich mit den beiden geimpften und einem frischen Meerschweinchen. Am 2. Tage starben sämtliche Meer- schweinchen sowie auch der Hammel an echtein Milzbrand, wie die Sektion ergab. Der Hammel war mithin ebensowenig immun gemacht, wie die Meerschweinchen. Von einer Impfung der anderen 3 Hammel nahmen wir deshalb Abstand. Immerhin war es ja )nög- lich, daß unser Mäusemilzbrand dem I. Vakzin entsprach, während der II. Vakzin noch virulenter war. Um den passenden II. Vakzin zu finden, waren wir nun auf ein sehr kost- spieliges Experimentieren an Hammeln mit Kulturen, welche an verschiedenen Tagen zu entnehmen undweiter zu kultivieren waren, angewiesen, da Angaben über die Kriterien des II. Vakzin von P a s t e u r nicht gemacht worden waren. Kurz vor Beginn dieser Versuche erschien in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift der Bericht v. R o s z a- h e g y i s über die Versuche, welche von T h u i 1 1 i e r im Auftrage P a s t e u r s in Ungarn vor einer Kommission angestellt waren. In diesem Berichte fanden sich auch An- gaben über die Vakzins. Nach Mitteilungen T h u i 1 1 i e r s wird als I. Vakzin ein Milzbrand verwandt, welcher 24 Tage, als II. Vakzin ein solcher, welcher 12 Tage zwischen 42'' und 43'^ C gehalten war. Daß diese Angabe für den Grad der Virulenz nicht absolut maßgebend sein konnte, erhellte schon aus unserem ersten Versuche, bei welchem in dem einen Glase nach 18 Tagen bereits vollständige Abschwächung einge- treten war. während in einem anderen nach 24 Tagen noch eine gewisse >^irulenz bestand. Immerhin aber sahen wir uns veranlal.it, uns einen 12 tägigen Milzbrand, sowie außerdem noch, um bei späteren Schutzimpfungen ganz sicher zu gehen, d. h. um unseren verhältnismäßig kleinen Hammelbestand so wenig wie möglich durch eventuelle A>rluste 238 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. bei den Probeimpfungen zu reduzieren, einen 6 tägigen Milzbrand zu züchten, welcher als III. Vakzin noch eingeschaltet werden sollte zwischen der Impfung mit dem II. Vakzin und der Probeimpfung mit virulentem Material. Eine Maus wurde mit virulentem Milz- brand geimpft, aus der Milz wurde eine Reinkultur in Nährgelatine auf Objektträgern gewonnen und mit Teilchen dieser Reinkultur eine Anzahl E r 1 e n m e y e r scher Kölb- chen beschickt. Nach 6 Tagen wurde eine Probe entnommen und ausgesät auf Nähr- gelatine; desgleichen am 12. Tage, aber aus einem anderen Gläschen, da die Kultur im ersten Gläschen inzwischen verunreinigt war. Der am 6. Tage entnommene Milzbrand wuchs üppig gleich bei der Aussaat, der am 12. Tage entnommene wuchs in den Impf- strichen ziemlich kümmerlich, jedoch schon in der II. Generation ganz normal. Von der III. Generation dieses 12 tägigen Milzbrandes erhielten die 3 Hammel, welche bereits 5 Wochen früher eine Injektion des ganz abgeschwächten und des Mäuse- milzbrandes überstanden hatten, je eine Spritze am rechten Oberschenkel injiziert, mit ihnen zugleich 30 Meerschweinchen, welche bereits die Impfung mit dem Mäusemilzbrand überstanden hatten, eine Injektion von 2 Teilstrichen unter die Haut. Die Hammel waren kaum merklich affiziert, sie hinkten ein wenig mit dem Beine, an welchem sie die Injektion erhalten hatten, auch die Meerschweinchen waren bis auf einzelne Individuen munter. Am 7. Tage starben 2 Meerschweinchen, am 8. Tage unerwarteterweise ein Hammel und ein Meerschweinchen und endlich am 10. Tage noch ein zweites Meerschwein- chen, alle Tiere, wie die Sektion ergab, an unzweifelhaftem Milzbrand. Bei den Meer- schweinchen waren die lokalen Erscheinungen auffallend stark entwickelt: ein blutig gelbliches, sulziges Oedem des subkutanen Gewebes breitete sich von der Impfstelle fast über die Hälfte des Körpers aus. 14 Tage später erhielten nun die beiden überlebenden Hammel je % Spritze von der IV. Generation des 6 tägigen Milzbrandes in neutraler Hühnerbouillon injiziert — zu- gleich auch die 26 restierenden Meerschweinchen sowie 3 ungeimpfte 6 Tage alte Meer- schweinchen eine Injektion von je 2 Teilstrichen derselben Kultur. Die Hammel blieben durchaus munter. Zwei von den C Tage alten Meerschweinchen starben am 3. resp. 5. Tage nach der Impfung an Milzbrand. Am 4., 5. und 10. Tage starben 3 von den geimpften Meerschweinchen an Milzbrand, wiederum mit vorwiegend lokalen Erscheinungen. Im Laufe der nächsten 14 Tage starben außerdem noch 4 Meerschwein- chen an Inhalationstuberkulose und das dritte 6 Tage alte Meerschweinchen an einer Pneumonie. Nach Ablauf von 14 Tagen wurde die Probeimpfung der beiden Hammel und der 19 Meerschweinchen vorgenommen mit geringen Partikelchen Lunge einer am echten Milzbrand verendeten Maus. Zur Kontrolle wurde ein nicht geimpfter Hammel mit- geimpft. Am 2. Tage starb der Kontrollhammel an echtem Milzbrand, aber auch einer der vorgeimpften Hammel, gleichfalls an typischem Milzbrand. Die Meerschweinchen fielen sämtlich innerhalb der ersten 3 Tage. Der zweite vorgeimpfte Hammel war augenscheinlich krank, erholte sich jedoch bald und war nach ca. 8 Tagen wieder vöUig munter. Das Resultat dieses Versuches war durchaus nicht ein günstiges zu nennen. Nach der Injektion des 12 tägigen Milzbrandes war ein Hammel an Milzbrand gefallen — die Virulenz des Impfmaterials konnte demnach nicht ganz gering gewesen sein ; der 6 tägige Milzbrand dessen Virulenz aus dem Tode von 2 jungen nicht geimpften und von 3 alten mehrere Male vorgeimpften Meerschweinchen erhellte, war gut vertragen worden — und trotz alledem ging bei der Probeimpfung ein Hammel an Milzbrand zugrunde. Das Resultat stimmte durchaus nicht mit den verlustlosen Impfungen und Probeimpfungen Pasteurs. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der ^lilzl>randbazillen usw. 239 Soviel ging jedoch aus diesem Versuche hervor: Meerschweinchen lassen sich auch nach dem P a s t e u r sehen Verfahren ebenso wenig immun machen gegen Milzbrand, wie nach dem Toussaint sehen Verfahren. Sollten wir nun mit den uns jetzt zu Gebote stehenden Vakzins einen größeren Ver- such wagen ? Das Ergebnis der Vorversuche flößte uns nicht allzu großes Zutrauen ein. Vielleicht war es möglich, noch einen Milzbrand zu finden von etwas höherer Virulenz wie der von uns benutzte 6 tägige, welcher noch als Zwischenstufe vor der Probeimpfung mit dem virulenten Milzbrande eingeschaltet werden konnte. Der Versuch wurde so an- geordnet, daß eine größere Anzahl von Gläschen mit Hühnerbouillon beschickt und mit Milzbrand besät wurden. Tag für Tag wurden Proben entnommen von der Kultur und mit diesen je eine Maus und 2 Meerschweinchen unter die Haut geimpft, außerdem Kulturen in Fleischwasserpepton- Gelatine auf Objektträgern angesetzt. Die Entnahme der Proben geschah mit einem zu einer Öse umgebogenen Platindraht und solange aus demselben Gläschen, bis die Kultur durch aus der Luft hineingelangte Keime verunreinigt war. Der Versuch wurde 24 Tage hindurch fortgesetzt. Der d'A r s o n v a 1 sehe Apparat stand stets über 42". Nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über den Verlauf des Versuches: Die Entnahme begann am dritten Tage : 1 Tag- der Probe- Eiituahme Numnier j Impfung Kultur des Glases von 2 Meerschweinchen von einer Maus 3. Tag 1 Glas I Meerschweinchen I | Meerschweinchen II I tt am 2. Tage Maus j. am 3. Tage rein 4. lag Meerschweinchen I ) Meerschweinchen II | ff am 3. Tage Maus X 1 am 2. Tage rein 5. Tag Glas I Meerschweinchen I Meerschweinchen II f am o. Tage gesund Maus JL 1 am 4. Tage rein 6. Tag Glas I Meerschweinchen I Meerschweinchen II f am 5. Tage f am 6. Tage Maus J. 1 am .5. Tage rein 7. Tag Glas I Meerschweinchen I | gesund Maus J- 1 am Tage rein Meerschweinchen II I 8. Tag Glas I Meerschweinchen I Meerschweinchen II f am 4. Tage gesund Maus t am 3. Tage verunreinigt 9. Tag Glas II Meerschweinchen I | Meerschweinchen II ) ff am 2. Tage Maus t am 3. Tage rein 10. Tag Glas II Meerschweinchen I Meerschweinchen II f am 2. Tage f am 3. Tage Maus J. 1 am 4. Tage verunreinigt 11. Tag Glas III Meersehweinclien I ) Meerschweinchen II | ff am 2. Tage Maus JL ( am 2. Tage rein 12. Tag Glas III Meerschweinchen I Meerschweinchen II f am 2. Tage f am 3. Tage Maus J. 1 am 2 Tage rein 13. Tag Glas III Meerschweinchen I Meerschweinchen II f am 2. Tage f am 3. Tage Maus T am 1. Tage rein 14. Tag Glas III Meerschweinchen I ] Meerschweinchen II I ff am 2. Tage Maus t am 2. Tage verunreinigt 15. Tag Glas IV Meerschweinchen I 1 gesund Jlaus X 1 am 3. Tage nichts Meerschweinchen II gewachsen 16. Tag Glas IV Meerschweinchen I Meerschweinchen II f am 2. Tage gesund Maus I 1 am 2 Tage nichts gewachsen 17. Tag Glas V Meerschweinchen I ' Meerschweinchen II f am 2. Tage Maus X ( am 3. Tage vereinzelte Kolonien kräf- tig gewachsen 240 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. Tag der Nummer I m p f u n g Probe- Entnahme Kultur des Glases von 2 Meerschweinchen von einer Maus 18. Tag Glas V Meerschweinchen I f am 2. Tage Meerschweinchen II f am 6. Tage Maus gesund rein 19. Tag Glas V Meerschweinchen I f am 3. Tage Meerschweinchen II gesund Maus gesund kümmerliches Wachstum 20. Tag Glas V Meerschweinchen I | ^.gg^^jj^j Meerschweinchen II | " Maus gesund vereinzelte Kolonien 21. Tag Glas V Meerschweinchen I f am 2. Tage. ob an Milzbrand? (bis auf die Haut aufgefressen) Meerschweinchen II gesund Maus gesund eine Kolonie 22. Tag Glas V Meerschweinchen I 1 nj- i. • v TT gesund Meerschweinchen II I Maus f am 5. Tage verunreinigt 23. Tag Glas VI Meerschweinchen I 1 • , TT gesund Meerschweinchen II I Maus f am 4. Tage nichts gewachsen 24. Tag Glas VII Meerschweinchen I f am 3. Tage Meerschweinchen II gesund Maus f am 6. Tage nichts gewachsen Bei der Betrachtung dieses Versuches fällt zunächst das außerordentlich ungleiche Verhalten des Milzbrandes in den einzelnen Gläschen auf, wiewohl sie doch alle unter gleichen Bedingungen gehalten waren. Es bestätigt dieser Versuch die schon bei unserem ersten Versuche gemachte Beobachtung, daß die Abschwächung in verschiedenen Gläschen außerordentlich ungleichmäßig vor sich geht. Während in Glas I bereits am 6. Tage eine gewisse Abschwächung sich dadurch bemerkbar machte, daß die Meer- schweinchen erst am 5. resp. 6. Tage starben und am 7. Tage schon kein Meerschweinchen mehr getötet wurde, war in Glas III am 14. Tage die Virulenz noch eine derartige, daß man einen Unterschied zwischen diesem und einem virulenten Milzbrande nicht erkennen konnte, in Glas V war am 17. Tage die Virulenz des Mäusemilzbrandes noch nicht ver- nichtet. 3 Tage später, am 20. Tage, stirbt weder Meerschweinchen noch Maus, jedoch ist der Milzbrand nicht etwa tot — denn er wächst ja noch in den Kulturen. Auch jetzt konnten wir den Grund für die Ungleichmäßigkeit in der Abschwächung noch nicht enträtseln. Auffallend ist es, daß mehrfach nach der Aussaat in Fleischwasserpepton- Gelatine der Milzbrand nicht mehr gewachsen ist, so am 15. und 16. Tage aus Glas IV, am 23. und 24. Tage aus Glas VI und VII, während doch noch unzweifelhaft lebensfähige Keime in der Kultur vorhanden waren, da die geimpften Mäuse resp. Meerschweinchen starben. Aus Glas V wuchsen, als die Abschwächung bemerkbar zu werden anfing, nur vereinzelte Kolonien, und zwar ist deren Wachstum kümmerlich genannt. Während die Milzbrand- kolonien in der Gelatine normal so wachsen, daß sich lange kräftige Fäden entwickeln, welche am Rande der Kolonie umbiegen, sich vielfach verflechten und drehen, zeigte sich bei diesen Kolonien keine so kräftige Fadenentwicklung : Die Kolonie blieb im ganzen kleiner, die Fäden waren kurz, stark gewunden, ,, gekräuselt" ; bei der mikroskopischen Untersuchung zeigten die einzelnen Glieder gewisse Veränderungen der Form, sie waren an den Enden bisweilen kolbig aufgetrieben, die scharfen Konturen waren verwischt, so daß sie ein mehr wurstartiges Aussehen boten. Diese abnorme Entwicklung zeigte sich jedoch nur in der ersten Generation; sobald eine solche Kultur in eine neue Gelatine übergeimpft war, bot sie sogleich das typische Bild des Milzbrandwachstums in der Gelatine. Höchstwahrscheinlich ist daher dieses pathologische Wachstum veranlaßt durch den Einfluß der mitverimpften Zersetzungsprodukte, welche sich in der Hühner- bouillon durch das Wachsen der Milzbrandbazillen gebildet haben. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 241 Ein störendes Moment markiert sich sehr deutlich in diesem Versuche. Trotz aller Kautelen ist es nicht möglich, aus einem und demselben Gläschen Tag für Tag Proben zu entnehmen, ohne daß nach kürzerer oder längerer Frist eine Verunreinigung durch Keime, welche aus der Luft bei der Probeentnahme hineinfallen, sich einstellt. Es ist dieses Verhalten um so störender, da ja die verschiedenen Gläschen in bezug auf die Abschwä- chung sich durchaus verschieden verhalten. Wir werden später sehen, wie diesem Übel- stande abgeholfen werden kann. Welche von diesen verschiedenen Milzbrandkulturen konnten wir nun als II. Vakzin ansprechen ? Aus Glas I erschien uns der 0 tägige besonders geeignet. Derselbe hatte zwar noch 2 Meerschweinchen getötet, doch erst am 5. resp. 6. Tage, der 7 tägige aus Glas I entsprach ungefähr unserem Mäusemilzbrand, da er die beiden Meerschweinchen nicht mehr, wohl aber noch die Maus getötet hatte. Aus Glas V schien uns der 18- und 17 tägige eines Versuches wert für eine 2. resp. 3. Impfung. Zur Orientierung dienten einige mit den fortgesetzten Kulturen des 6 tägigen, 18 tägigen und 17 tägigen Milzbrandes angestellte Versuche. 6 Meerschweinchen, 2 Mäuse wurden mit einer Kultur des 6 tägigen geimpft. Nach 2 Tagen starben die Mäuse, nach 9 Tagen ein Meerschweinchen an Milzbrand, nach 15 Tagen ein zweites, aber nicht an Milzbrand, sondern an einer Pneumonie. Da dieser 6 tägige von 6 Meerschweinchen eines tötete, war er virulenter wie der früher von uns benutzte 12 tägige. Von dem 1 8 tägigen erhielten : 10 Meerschweinchen, 5 Mäuse eine Injektion, und zwar die Meerschweinchen die Dosis von 2 Teilstrichen, die Mäuse von ca. 1 Tropfen. 2 Mäuse starben nach 2 Tagen, 2 nach 4, 1 nach 7 Tagen an Milzbrand. Die Meerschweinchen blieben sämthch gesund, 1 Meerschweinchen starb nach einigen Tagen jedoch an Tuberkulose. Die fortgesetzten Kulturen des 18 tägigen erwiesen sich somit, ebenso wie die des 6 tägigen, schwächer als das ursprünghch aus diesen Gläschen entnommene und zur Impfung verwandte Material. Nach einer Impfung mit einer Kultur des 17 tägigen starben von 4 Meerschweinchen 3 nach 2 Tagen, das 4. überstand die Impfung. Hiernach konnte das 17 tägige etwa einen kräftigen II. Vakzin darstellen. Der Hammel-Iinmvniisierungsversuch gestaltete sich nun folgendermalBen : Es erhielten 14 Hammel jeder % Spritzen einer Kultur unseres Mäusemilzbrandes an der Innenfläche des linken Oberschenkels injiziert, zur Kontrolle wurden 2 Mäuse geimpft. Die Mäuse starben an Milzbrand, die Hammel blieben durchaus gesund. 4 Wochen nach der 1. Injektion wurde denselbeir 14 Hammeln % Spritze des alten 12 tägigen Milzbrandes an der Innenfläche des rechten Oberschenkels beigebracht, zu- gleich 41 Meerschweinchen, welche bereits Impfungen mit abgeschwächten Kul- turen überstanden hatten , dieselbe Dosis am Bauch , 3 Mäusen je 1 Teilstrich am Rücken. Die Mäuse starben, eine am 3., die beiden anderen am 4. Tage an Milzbrand. Die Hammel zeigten keine Störungen ihres Wohlbefindens, aber auch die Meerschweinchen blieben durchaus munter. Die Kultur, welche früher von 30 Meerschweinchen 4 getötet hatte, tötete jetzt von 41 Meerschweinchen kein eürziges. Entweder war, entgegen unseren bisherigen, Erfahrungen, diesen Meerschweinchen durch die früheren Impfungen Koch, Gesammelte Werke. 16 242 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. ein gewisser Schutz verliehen worden, oder aber die Virulenz hatte in der 3 Monate hin- durch von Nährgelatine zu Nährgelatine fortgesetzten Kultur eine merkhche Einbuße erlitten. Ein Probeversuch ergab, daß die letztere Erklärung die richtige war, denn 10 frische, nicht vorgeimpfte Meerschweinchen vertrugen Injektionen dieses 12 tägigen Milzbrandes, ohne in ihrem Wohlbefinden gestört zu werden. 14 Tage nach der 2. Injektion ließen wir nun eine 3. Injektion mit einer Kultur des neuen 6 tägigen Milzbrandes folgen ; es erhielten die 14 Hammel je 1/3 Spritze am linken Oberschenkel, 41 Meerschweinchen je 2 Teilstriche am Bauch, 3 Mäuse je 1 Teilstrich am Rücken. Nach 2 Tagen starben 2 Mäuse und 1 Meerschweinchen, nach 3 Tagen die dritte Maus, nach 6 Tagen ein zweites, nach 15 Tagen ein drittes Meerschweinchen, alle an Milzbrand. Die Meerschweinchen boten wie die in den früheren Versuchen an abgeschwächtem Milzbrand verstorbenen besonders stark ausgeprägte Veränderungen an der Impfstelle, sehr erhebHche, blutig-gelbliche, sulzige Ödeme des subkutanen Gewebes. Die Hammel erschienen in keiner Weise affiziert. Nunmehr glaubten wir die Kultur des 17 tägigen Milzbrandes, welche von 4 Meer- schweinchen 3 getötet hatte, versuchen zu dürfen. 4 Wochen nach der dritten Impfung wurden zur Probe mit der Kultur des 17 tägigen Milzbrandes geimpft: 5 Hammel, 6 Meerschweinchen. Am dritten Tage starben 4 Meerschweinchen und 1 Hammel, am 4. Tage 2 Meer- schweinchen und 3 Hammel, der 5. Hammel war krank, überstand jedoch die Impfung. Dies Resultat hatten wir nicht erwartet. Der IStägige Milzbrand tötete keine Meerschweinchen mehr, der 17 tägige Meerschweinchen und Hammel. Vielleicht lag hier eine Rückkehr zur Virulenz vor, deren Ursachen wir nicht kannten, oder aber es war in dem Gläschen, aus welchem die Probe am 17. Tage entnommen war, eine Sporenbildung eingetreten, und in der Probe waren zufällig einige virulente Sporen enthalten gewesen, welche ausgesät, gewachsen und später weiterkultiviert waren. Eine andere Beobachtung machte diese Annahme noch wahrscheinlicher. Am 24. Tage war aus Glas VII eine Probe entnommen und verimpft worden. Ein Meer- schweinchen starb am 3. Tage nach der Impfung. Aus der Milz dieses Meerschweinchens war eine Kultur gewonnen und weitergeführt worden. Um die Virulenz dieses Milzbrandes festzustellen, wurden 2 von den dreimal geimpften Hammeln und 6 vorgeimpfte Meer- schweinchen damit geimpft. Sämthche Meerschweinchen und auch die beiden Hammel starben. Auch in diesem Falle war eine andere Erklärung kaum möglich. Es mußte eine, wenn auch geringe Sporenbildung in dem Gläschen stattgefunden haben. Einige von diesen Sporen mußten in einer der Proben enthalten gewesen sein und nach der Impfung den Tod des Meer- schweinchens herbeigeführt haben. Daß bisweilen eine solche Sporenbildung vorkommen kann, war schon durch frühere Versuche sichergestellt. Es wurde auf diesen Punkt stets ein besonderes Augen- merk gerichtet. Beweisend für die Richtigkeit unserer Ansicht ist nun aber folgender Versuch : Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazilleu usw. 243 4 Gläsehen mit neutraler Hühnerbouillon waren mit virulentem Material besät und in den Apparat von d'A r s o n v a 1 gebracht worden. Die Temperatur im Apparat war stets über 42**, jedoch nahe an 42" C. Nach 6 Tagen wurden Glas I und II mikroskopisch untersucht. Beide Gläser zeigten einen zum Teil flockigen Bodensatz, welcher sich durch Schütteln gleichmäßig in der Flüssigkeit verteilen ließ. Beide Kulturen bestanden nur aus Milzbrandbazillen, in beiden Gläschen fanden sich in einer Anzahl von Stäbchen ovale, stark glänzende Körperchen, welche man unzweifelhaft für Sporen ansehen mußte. Aus Glas I wurde eine Probe ausgesät in Nährgelatine, die zweite Generation der Kultur tötete 4 Meerschweinchen in 2 Tagen. Das Glas III wurde am 11. Tage untersucht: die Bazillen boten genau dasselbe Verhalten, 4 mit der III. Generation geimpfte Meerschweinchen erlagen prompt an Milz- brand. Am 16. Tage wurden Proben aus Glas IV entnommen — in keinem Präparat fanden sich Sporen. Aus Glas I und IV wurden jetzt Proben ausgesät. Mit der III. resp. V. Gene- ration des 16 tägigen Milzbrandes aus Glas IV wurden je 4 Meerschweinchen am Bauche geimpft. Alle blieben munter. Mit der IV. Generation des 16 tägigen Milzbrandes aus Glas I wurden 8 Meerschweinchen, welche schon 3 Injektionen mit abgeschwächten Kulturen erhalten hatten, geimpft. Innerhalb der nächsten 3 Tage waren alle 8 an echtem Milzbrand erlegen. Nach diesem Versuche konnten wir nicht umhin, die Mrulenz des 17 tägigen und 24 tägigen Milzbrandes durch eine im Beginne des Versuches stattgehabte Sporenbildung zu erklären. In Besitz eines geeigneten II. Vakzin waren wir auch durch den letzten Versuch nicht gelangt. Wir mußten deshalb noch einen neuen Versuch beginnen, um durch eine Prüfung der von Tag zu Tag entnommenen Proben an Hammeln die geeignete Abschwächung herauszufinden. Da sich Mäuse, Meerschweinchen und Hammel sehr different verhielten, so konnten vielleicht auch Kaninchen ein abweichendes Verhalten zeigen : vielleicht gelang es mit Hilfe dieser Tierspezies einen geeigneten Maßstab für den II. Vakzin zu finden. Zu diesem Zwecke mußten stets eine Anzahl Kaninchen \md Meerschweinchen zu gleicher Zeit von derselben Kultur geimpft werden. Wie wir bereits früher gesehen haben, liegt bei der täglichen Entnahme von Proben aus demselben Glase die Gefahr der Venun-eini- gung der Kultur durch Keime aus der Luft sehr nahe. Wenn, wie wir annahmen, die Tem- peratur das hauptsächlich wirksame abschwächende Agens darstellte, so war zu erwarten, daß sich die Abschwächung vollziehen würde, gleichviel ob die Kultur in demselben Glase gehalten oder ob sie Tag für Tag in ein anderes Glas mit frischer HühnerbouiUon weiter- geimpft wurde. Wenn man jedesmal in 2 Gläschen weiterimpfte, so war die Wahrschein- lichkeit, wenigstens in dem einen eine nicht verunreinigte Kultur zu erhalten, sehr groß. Auf diese Weise war zugleich ein sehr bequemes Mittel gegeben, um Sporen der Kulturen von jedem einzelnen Tage zu erhalten. Man hatte nur nötig, das Gläschen, aus welchem z. B. am 6. Tage weitergeimpft war, bei einer Temperatur von 37" C aufzustellen, um eine üppige Sporenbildung in der vorher 6 Tage bei 42 — 43^ C gehaltenen Kultur zu erzielen. Während in einer Reihe von Glas zu Glas weitergeimpft wurde, so daß aus jedem Gläschen nur eine einmalige Probeentnahme stattfand, wurden aus 3 während der ganzen Versuchsdauer im Apparat verbleibenden Gläschen (a, b, c der Tabelle) täglich Proben entnonnnen, in Kölbchen mit Hühnerbouillon ausgesät und zur Sporenbildung bei 37° C aufgestellt. Die Temperatur im d'A r s o n v a 1 sehen Apparat wurde Tag für Tag genau notiert, da, wie wir später sehen werden, die absolute Höhe derselben von ganz wesentlichem Einfluß ist auf die Schnelhgkeit der Abschwächung. Der Verlauf der Untersuchung war folgender: 16* 244 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächving der Milzbrandbazillen usw. Zeitlicher Verlauf des Versuches Temperatur des Apparates Es wurde besät und bei 42 — 43" C aufgestellt Es wurden bei 37" C zur Sporen- bildung aufgestellt Bemerkungen Beginn Glas I, Glas a. Glas b, Glas c mit Die Gläser I, II, III usf. Milz einer an virulentem Milz- blieben immer nur je brand verendeten Slaus 24 Stunden, die 3 Gläs- Ende des I.Tages Glas II aus Glas I ehen a, b, c während der Ende des 2. Tages Glas III aus Glas II ßl d o TT ganzen Versuchsdauer Ende des 3. Tages Glas IV aus Glas III ftia« TTT Urldo XXX im Apparate bei 42-43" C Ende des 4. Tages Glas V aus Glas IV niae TV Vjrida X V TC lagl^cl iUliÄlJltlllU a, b. c Aus den Gläsern a, b, c Ende des 5. Tages Glas VI Glas V iTldS V O Idgl^Cl itlllZÜIdllU wurden vom 4. Tage ab a, bj C täglich Proben entnom- Ende des 6. Tages 49 fi Glas VII a aus Glas VI Ci\oa VT urldö V X men und in Hühner- Glas "VTTh aus Glas VT a, bj C bouillon ausgesät: Die Ende des 7. Tages A9 K 4Z,0 Glas VTTa (jrias V Ii a 7 täg'ig'er Milzbrand so besäten Gläschen bei Glas VIII b aus Glas VII b ijrias Vli D a, b, c 37" C aufgestellt Ende des 8. Tages 49 fi GrläS IX a aus Glas Villa f'lQo VTTT n LrldS V XXX d oia^igci iTiHAUiaiiu. Glas IX aa aus Glas VIII a irias V iXi D a, bj c Glas VIII b verunreinigt Ende des 9. Tages Glas Xa aus Glas IX a ijrias lA a 9 täg'ig'er Milzbrand Glas X aa aus Glas IX aa nioc TIT Ol urias XA dd a, bj c Ende des 10. Tages 49 fi Glas XTa aus Glas Xa VTldS A d IvldglgCX iYlllZUldllU. In Glas X a und X aa je nur Glas Xlaa aus Glas X aa a\ 11 Q ^ Q a VTldö J\. dd ein kleines Flöckchen Ende des 11. Tages 49 ^ Glas XII a aus Glas XI a ninsj YT n Vjri.da AX d I 1 '("Q fVl fl'OV TvTl 1 »7 rkTQ n H II LOj^I^CI ITlll£i Ul dllU. In Glas XI aa nur ein Glas XTIaa aus Glas XI aa nin« YT na Vjridb AI dd a, b, c Flöckchen Ende des 12. Tages 49 ^ 4i5,D Glas XTII a aus Glas XII a n.loo YTT a VTlaS AXX d 1;^ IdgliiCl iVlllZUldllU, In Glas XIaa jetzt 7 Flo- Glas XIII aa aus Glas XII aa niQC YTT TO IjrldS AXl dd a, bj c cken, aus kräftigen Milz- brandfäden bestehend Ende des 13. Tages 49 R Glas XIV a aus Glas XIII a rir„„ YTTT q Vjrias AXXX d 1 0 idglgcr iVJllA UldLlll Der 12 tägige Milzbrand ftlfls YTV na vjrictÄ j\.x. V dd Glas XTTTaa niac YTTT QO uias AXXX aa a, bj c zeigt vielfach monströse Formen Ende des 14. Tages 49 R (xlas Ava aus IjrlaS AI V a filoc YTV a Lxias AX V d Irt Idgl^Cl iUIlZ*UldUU Einzelne, aber kräftige brias A V aa aus ijias AI V aa ßla« YTV aa VTldö AX V dd a, b, c ! Flocken in Glas XIV a Ende des 15. Tages VT7T n Glas A V 1 a aus brias Ava f 1 1„„ YV „ vrias Ava 15 täg'ig"6r Milzbrand und XIV aa Glas A V i aa aus p loci v^r oo ixias ÄV aa (jrias A V aa a, bj c Ende des 16. Tages 42,4 Glas Avila aus irias A V i a Glas XVI a 1 6 täg'ig'er Milzbrand Glas XVTTaa aus Glas XVI aa Glas XVI aa a, b, c Ende des 17. Tages 42,4 filQG YVTTT n Urldrb A. V XIX Ol aus nioQ YVTTa uricto j\. V XX Oj Glas XVII a 1 7 tägiger Milzbrand In Glas XVII aa nichts Glas XVIII aa aus Glas XVII aa Glas XVII aa a, b, c gewachsen, bei 37" 2 Ende des 18. Tages 42,2 Glas XIX a aus Glas XVIII a Glas XVIII a 18 tagiger Milzbrand Tage später deutliches Glas XIX aa aus Glas XVIII aa Cilac YVTTTaa Ijrldb A V XXX da a, b, c j Wachstum TT'.nflp des 1 Q Tao'pQ Glas XX a aus Glas XIX a Ploc VTY o ulas AiA a 19 tägiger Milzbrand Glas XX aa aus Glas XIX aa Glas XIX aa a, b, c "Rndp des 5!n Tacps JJjLH.Hr' Lies Li\J , J-dgCö 42,2 Glas XXI a aus Glas XX a Glas XX a 20 tägiger Milzbrand Glas XXI aa aus Glas XX aa Glas XX aa a, b, c Ende des 21. Tages 42,2 Glas XXI a 21 tägiger Milzbrand Kräftiges W^achstum ver- a, b, c einzelter Flocken in allen Gläsern XVIII, XIX,XX, XXI. In den mit dem 17-, 18-, 19-, 20-, 21tägigen Milzbrand besäten Gläs- Ende des 22. Tages 42,4 chen gleichmäßige Trü- Ende des 23. Tages 42,4 bung Ende des 24. Tages 42,3 Glas XXI aa Bezeichnet als Glas XXIV Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 245 Mit dem 24. Tage wurde dieser Versuch abgeschlossen, da wir nach unseren früheren Versuchen annehmen konnten, die volllvommene Abschwächung erreicht zu haben. Im ganzen waren 93 Gläschen mit neutraler Hühnerbouillon geimpft worden. Nur einzelne wenige waren verunreinigt durch fremde Organismen, selbst zwei von den Gläschen a, b, c, waren rein geblieben, da die Entnahme der Proben in einem wenig besuchten, nahezu staubfreien Raum, im Brütraum selbst, vorgenommen wurde. In allen Gläschen hatten sich bei der Temperatur von ca. 37° C, in welcher jedes Gläschen etwa 5 Tage belassen wurde, reichliche Sporen entwickelt. Die verschiedenen Abschwächungsstufen des Milz- brandes waren somit fixiert und konnten wir nun in aller Muße die Prüfung der Virulenz vornehmen . Zunächst kam es darauf an, zu konstatieren, ob die Abschwächung m den beiden Reihen, in den täghch fortgesetzten Kulturen sowie in den in denselben Gläschen be- lassenen Kulturen gleichmäßig vor sich gegangen war. Zur Orientierung dienten einige vergleichende Versuche. Aus Glas VI und mit 6 tägigem Milzbrand a wurden je 2 Kaninchen und 2 Meer- schweinchen geimpft, sämtliche Tiere starben an Milzbrand. Aus Glas XII und mit 12 tägigem Milzbrand a wurde je ein Meerschweinchen und eine Maus geimpft. Die Mäuse starben — die Meerschweinchen nicht. Mithm bestand gleiche Virulenz in beiden Kulturen. Aus Glas XX und mit 20 tägigem Milzbrand a werden je 2 Meerschweinchen und 2 Mäuse geimpft. Wiederum starben die Mäuse, die Meerschweinchen nicht. Durch diese Vorversuche war demnach bewiesen, daß nach der von uns in Anwen- dung gezogenen, für die Reinkultur des abgeschwächten Milzbrandes erheblich sicheren Methode die Abschwächung in gleicher Weise erzielt werden konnte wie nach der von P a s t e u r befolgten Methode. Wir ließen nunmehr die aus den Gläsern a, b, c entstam- menden Kulturen beiseite und unterzogen nur die von Glas zu Glas weitergezüchteten Kulturen einer eingehenden Prüfung in bezug auf ihr Verhalten gegen Kaninchen, Meerschweinchen und Mäuse. Es wurden geimpft: Nummer des Glases Zahl der g-eimpften Tiere Nicht gestorben An Milzbrand . gestorben Tage nach der Impfung' aus Glas IV 3 Kanincheu 3 3, 3, 3 aus Glas.V 3 Kaninchen 3 3, 3, 3 aus Glas VI 3 Kaninchen 2 Meerschweinchen 3 2 4, 5, 6 2, 2 aus Glas VII 3 Kaninchen 2 Meerschweinchen 3 2 3, 3, 4 3, 3 aus Glas VIII 3 Kaninchen 2 Meerschweinchen 3 2 3. 3, 3 2, 3 aus Glas IX 3 Kaninchen 2 Meerschweinchen 1 1 2 1 3, 3 3 aus Glas X 3 Kaninchen 2 Meerschweinchen 3 2 aus Glas XI 3 Kaninchen 2 Meerschweinchen 3 1 1 5 246 Experimentelle Studien über die künstliche Ajjschwächung der Milzbrandbazillen usw. Nummer des Glases Zahl der geimpften Tiere Nicht gestorben An Milzbrand g'estorben Tage nach der Impfung aus Glas XII 2 Meerschweinchen 3 Mäuse 2 3 2 2 2 aus Glas XIII 2 Meerschweinchen 3 Mäuse 2 3 1, 2, 2 aus Glas XI v 2 Meerschweinchen 3 Mäuse 2 3 1, 2, 2 aus Glas XV 2 Meerschweinchen 3 Mäuse > 2 3 2, 2, 2 aus Glas XVI 3 Mäuse 3 2, 4, 5 aus Glas XVII 3 Mäuse 3 2, 3, 4 aus Glas XVIII 3 Mäuse 3 2, 2, 2 aus Glas XIX 3 Mäuse 3 2, 2, 2 aus Glas XX 3 Mäuse 3 1, 2, 3 aus Glas XXIV 2 Mäuse 2 2, 2 Nach dieser Übersicht trat vom 8. zum 10. Tage ein ziemlich steiler AbfaU der Virulenz ein ; während die 8 tägige Kultur alle Kaninchen und Meerschweinchen tötete, wurde durch die 10 tägige kein Kaninchen und Meerschweinchen mehr tödlich infiziert. Die 9 tägige tötete von 3 Kaninchen 2 und von 2 Meerschweinchen 1 . Diese Kultur schien demnach besonders gut als stärkerer Impfstoff verwertbar. Die Kulturen vom 10. bis 24. Tage repräsentieren den sogenannten Mäusemilzbrand, da alle mit den verschiedenen Kulturen geimpften Mäuse starben. Eine vollständige Abschwächung war mit dem 24. Tage noch nicht erreicht, vielleicht deswegen, weil in den letzten Tagen die Temperatur im Apparat um mehrere Zehntel niedriger war, wie im Beginn des Versuches. Um nun eine verläßhche Immunisierung einer Anzahl Hammel zu erreichen und um womöglich auch eine Anzahl Kaninchen und Meerschweinchen immun zu machen, beschlossen wir uns nicht mit einer zweimahgen Schutzimpfung zu begnügen, sondern deren mehrere mit Kulturen von immer höherer Virulenz vorzunehmen. Wir wählten deshalb Kulturen vom 15. Tage als I. Impfstoff, vom 11. Tage als II. Impfstoff, vom 9. Tage als III. Impfstoff, vom 5. Tage als IV. Impfstoff, um dann erst die Probeimpfung mit unserem außerordentlich virulenten alten Milzbrand folgen zu lassen. Die Impfungen mit den Kulturen vom 9. bis 15. Tage hatten überstanden 12 Meer- schweinchen und 7 Kaninchen. Dieselben wurden zu dem folgenden Versuche mit ver- wertet. Ein Meerschweinchen starb an einer anderen Krankheit. Die restierenden 1 1 Meer- schweinchen und 7 Kaninchen woUen wir zur Unterscheidung von anderen in diesem Versuche geimpften Meerschweinchen resp. Kaninchen als Gruppe A bezeichnen. Es erhielten eine Injektion von einer aus den Sporen bereiteten frischen Kultur des 15 tägigen: 7 Hammel je % Spritze am linken Oberschenkel, 2 frische Meerschweinchen (Gruppe B) 2 Teilstriche, 2 frische Meerschweinchen (Gruppe C) eine subkutane Impfung. Alle Tiere blieben munter. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 247 10 Tage später erhielten eine Injektion des 11 tägigen Milzbrandes: 7 Hammel je 14 Spritze am rechten Oberschenkel, 7 Kaninchen und 11 Meerschweinchen (Gruppe A) je Spritze, 2 Meerschweinchen (Gruppe B) je 2 Teilstriche subkutan am Bauch. 2 Meerschweinchen (Gruppe C) eine Impfung, 2 Mäuse eine Impfung. Die beiden Mäuse starben nach 2 resp. 5 Tagen an Milzbrand, ein Meerschweinchen A nach 7 Tagen an Milzbrand mit ausgesprochenen lokalen Erscheinungen. Alle übrigen Tiere blieben gesund. 2 Hammel starben nach 8 resp. 12 Tagen an Pneumonien. 14 Tage später erhielten eine Injektion des 9 tägigen : 5 Hammel je Vg Spritze am linken Oberschenkel, 7 Kaninchen A 2 Teilstriche, 10 Meerschweinchen A 2 2 ,, B 2 „ 2 ,, C eine Impfung, 2 Mäuse eine Impfung. Es starben: 2 Kaninchen A nach 2 resp. 3 Tagen, 6 Meerschweinchen A, eins nach 2, drei nach 3, eins nach 5. eins nach 7 Tagen, 2 Meerschweinchen B nach 4 resp. 7 Tagen, 2 ,, C nach 4 resp. 6 Tagen. 2 Mäuse nach 2 Tagen. Die Hammel waren etwas traurig, erholten sich jedoch schnell. Ein Kaninchen A starb 2 Wochen nach der Impfung an Tuberkulose. 4 Wochen später erhielten von der Kultur des 5 tägigen Milzbrandes : 5 Hammel je 3 Teilstriche am rechten Oberschenkel, 4 Kaninchen A je einen Teilstrich. 4 Meerschweinchen A je einen Teilstrich, 1 frisches Meerschweinchen einen Teilstrich. Es starben: 3 Kaninchen A nach 2, 3, 4 Tagen, 4 Meerschweinchen A, drei nach 3, eins nach 4 Tagen, das frische Meerschweinchen nach 2 Tagen. Die Hammel bUeben gesund, desgleichen ein Kaninchen A, ein Tier, welches bei der ersten Impfung mit dem 9 tägigen Milzbrand am Leben gebheben war. 13 Tage später erfolgte die Probeimpfung mit virulentem Milzbrand, und zwar mit Partikelehen der Lunge einer Maus, welche mit altem virulenten Material geimpft und innerhalb 24 Stunden verendet war. Das letzte Kaninchen A starb nach 2 Tagen, von den 5 Hammeln starben 2 eben- falls nach 2 Tagen, die übrigen 3 waren anscheinend krank, erholten sich jedoch bald. Nach 2 Tagen starb auch ein zur Kontrolle mitgeimpfter, nicht vorgeimpfter Hammel. Das Resultat war auch in diesem Versuche ein wenig befriedigendes. Meerschwein- chen und Kaninchen war es auch dieses Mal nicht gelungen immun zu machen. Von fünf viermal vorgeimpften Hammeln erlagen zwei der Probeimpfung, während in den P a s t e u r sehen Versuchen bei der Probeimpfung nur ganz ausnahmsweise ein Tier zu- grunde ging. Diese Differenz Heß sich wohl kaum anders erklären, als durch eine geringere Virulenz des von P a s t e u r zur Probeimpfung benutzten Milzbrandes. Da die P a s t e u r sehen Impfstoffe käufhch im Handel zu beschaffen waren, so war es interessant, zu konstatieren, wie sich Hammel, welche mit dem von P a s t e u r 248 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. bezogenen II. Vakzin geimpft waren, unserem virulenten Milzbrande gegenüber verhalten Avürden . Es wurden deshalb eine Anzahl Gläschen I. Vakzin und II. Vakzin von Boutroux, dem Agenten Pasteurs, bezogen. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigten sich einzelne Gläschen durch fremde Bakterien verunreinigt, einzelne enthielten voll- kommen reine Milzbrandkulturen. Die verschiedenen Vakzins wurden zunächst geprüft auf ihr Verhalten gegenüber unseren Reagentien an Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen. Der I. Vakzin auf Mäuse und Meerschweinchen verimpft, tötete nur Mäuse, entsprach also, wie zu erwarten, durchaus unserem Mäusemilzbrand. Eine der Kulturen, welche verunreinigt war mit anderen Bakterien, tötete von 6 Mäusen nur 3, indessen die aus der Milz einer der verendeten Mäuse fortgesetzten Kulturen töteten dann wieder alle Mäuse, jedoch keine Meerschweinchen. Der Versuch lehrt, auf wie einfache Weise man sich aus einer verunreinigten Kultur reines Impfmaterial bereiten kann: man hat nur nötig, eine Maus zu impfen und aus der Milz dieses Tieres die Kulturen dann fortzusetzen. Der II. Vakzin wurde zunächst auf Mäuse und Meerschweinchen verimpft. Die geimpften Tiere starben ausnahmslos. Hierauf nahmen wir Kaninchen zur Prüfung: zum Vergleiche wurden stets auch einige Meerschweinchen mitgeimpft. Von einer Probe wurden 2 Kaninchen und 2 Meerschweinchen an den Ohren geimpft, die Meerschweinchen starben nach 3 resp. 4 Tagen, die Kaninchen blieben gesund. Auch 2 mit einer anderen Probe geimpfte Kaninchen erkrankten nicht. Mit einer dritten Probe wurden 3 Kaninchen und 3 Meerschweinchen an den Innenflächen der Ohren geimpft. Nach 2 Tagen starb ein Meerschweinchen, nach 3 Tagen die beiden übrigen, nach 4 Tagen ein Kaninchen mit starkem, von dem Ohr aus sich über den Hals ver- breitendem Ödem. Die beiden anderen Kaninchen blieben bis auf leichte Rötung an den Impfstellen munter. Gegen Injektionen erwiesen sich die Kaninchen empfindlicher. 6 Kaninchen und 2 Meerschweinchen erhielten je 2 Teilstriche eines II. Vakzin subkutan am Rücken injiziert. Innerhalb der nächsten 6 Tage starben beide Meerschweinchen und 3 Kaninchen. Das II. Vakzin P a s t e u r s entsprach demnach ungefähr dem 9 tägigen Milzbrand in unserem letzten Versuche. Immunität hatten auch die mit dem P a s t e u r sehen II. Vakzin ge- impften Kaninchen nicht erlangt, denn sie erlagen bei der Probeimpfung mit virulentem Milzbrande. Von dem direkt von Boutroux bezogenen II. Vakzin wurden nun 6 bereits 3 mal vorgeimpften Hammeln (s. p. 242) 2 Teilstriche am rechten Oberschenkel injiziert. Die Hammel vertrugen die Injektion sehr gut, während 4 gleichzeitig geimpfte Meerschweinchen innerhalb der nächsten 6 Tage zugrunde gingen. 3 Wochen später wurden die 6 Hammel zugleich mit einem Kontrollhammel mit frischem virulenten, einer Mäusemilz entnommenen Material am rechten Oberschenkel geimpft. Am 2. Tage starb der Kontrollhammel, am 3. Tage einer der geimpften Hammel. Ein zweiter war augenscheinhch krank, erholte sich jedoch, die übrigen vier blieben voll- kommen munter. In unserem letzten Versuche waren von 5 geimpften Hammeln 2 gestorben, in diesem Versuche starb von 6 Hammehr einer. Die Resultate stimmen so gut überein, daß man wohl trotz der kleinen Zahl der Versuchstiere sagen kann: auch durch die sorgfältigste Schutzimpfung läßt sich eine unbedingte Immunität gegen den Impfmilzbrand nicht bei allen Hammeln erzielen. Wenn P a s t e u r bei der Probeimpfung Verluste nicht mehr zu verzeichnen hat, so muß eben sein virulenter Milzbrand dem von uns verwandten an Virulenz nachstehen. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächnng der Milzbrandbazillen usw. 249 Eine Frage, welche für die ganze Abschwächungslehre von prinzipieller Bedeutmig ist, bedarf noch der Besprechung : nämlich die Frage nach der die Al)schwächung ver- anlassenden Ursache. Nach der Ansicht P a s t e u r s ist es der Sauerstoff der Luft, welcher die Abschwächnng bewirkt, nach unserer Ansicht ist es jedoch die Temperatur, welche wir als das hauptsächlichste abschwächende Moment ansehen müssen. Der Grund, warum wir dieser Anschauung uns zuwenden, ist der : Durch geringe Differenzen in der Höhe der zur Abschwächnng verwandten Temperatur läßt sich der zeitliche Verlauf des Abschwächungsvorganges verzögern oder beschleunigen. Es ist durchaus nicht gleich- gültig, ob man bei 42, P oder bei 42,9" abschwächt, obwohl beide Temperaturen noch zwischen 42" und 43" C liegen, wie Pasten r es vorschreibt. Anfangs hatten wir auf Differenzen von einigen Zehntelgraden kein Gewicht gelegt, wir begnügten uns zu kon- statieren, daß das Thermometer im Brütraum des Apparates über 42" C stand. Erhebliche Differenzen in der Virulenz der an denselben Tagen in verschiedenen Versuchen ent- nommenen Proben veranlaßten uns, auf die Temperatur im Apparat ein besonderes Augenmerk zu richten. In einem Versuche Avar der Apparat nahe an 43" (' eingestellt. Am 3. Tage stand er vorübergehend sogar einmal auf 43,3" C. Am 6. Tage wurden aus 2 Gläschen Proben entnommen und ausgesät, um eine Zwischenstufe zwischen 12 tägigem und vii-ulentem Milzbrand zu erhalten. Aus jedem Gläschen wurde 1 Kaninchen und 1 Meerschweinchen geimpft. Alle Tiere blieben munter. Die ausgesäten Proben wuchsen kräftig und rein. Von den Kulturen wurden wiederum je 1 Kaninchen und ein Meerschweinchen geimpft. Auch diese Tiere wurden in keiner Weise affiziert. Die Virulenz war mithin schon am 6. Tage auffallend gering; daß sie schon ganz erloschen war, läßt sich nicht sagen, da verabsämnt wurde, Mäuse zu impfen. In einem anderen Versuche zeigte das Thermometer im Apparat 42,8" C . Am 4. Tage wurde aus einem Gläschen a eine Prolje entnommen und auf 2 Kaninchen und 2 Meer- schweinchen verimpft. Innerhalb der nächsten 3 Tage waren alle Tiere tot. Am 6. Tage wurden aus 2 Gläschen a und b je 2 Kaninchen und 2 Meerschweinchen geimpft. Alle Tiere blieben am Leben. Von der 2. Generation der Kultur des 6 tägigen Milzbrandes aus Glas a wurden der Sicherheit halber 1 Kaninchen, 1 Meerschweinchen, 1 Maus geimpft. Die Maus starb, Kaninchen und Meerschweinchen blieben gsund. Am S. Tage wurden noch einmal aus Glas a 2 Kaninchen, 2 Meerschweinchen, 2 Mäuse geimpft; die Mäuse starben, die Meerschweinchen und Kaninchen nicht. Bei der Temperatur von 42,8" C war niithin die bis zum 4. Tage naliezu unverändert gebliebene Virulenz innerhalb 2 Tage bis zum 6. Tage zu der des Mäusemilzbrandes ab- gefallen. Bei 42,6" C war erst am lü. Tage, wie wir in dem ausführlich mitgeteilten Versuche gesehen haben, die Virulenz des Mäusemilzbrandes erreicht, also 4 Tage später, als bei 42.8" C. Wenn so geringe Temperaturschwankungen imstande sind, so erhebliche Differenzen hervorzurufen in dem Verlauf der Abschwächnng, so erklärt sich auf eine sehr einfache Weise das verschiedene Verhalten der einzelnen Gläsclien in demsellien Versuche. Die Temperatur ist in dem d'Arsonval sehen Apjjarate an allen Stellen des Brütraumes durchaus nicht dieselbe, wie Messungen mit Norraalthermometern ergeben haben. Die Temperatur des Wassermantels selbst im Apparate ist in den oberen Schichten höher Avie in den unteren Schichten. Die Differenzen betragen 1" C und darüber. Ja die Tempe- ratur des Wasserbades übersteigt die des Brütraumes, je nach der Höhe der Temperatur, auf welcher der Apparat gehalten wird, um 1—2" C. Die Temperatur im Brütraum wird nicht unmerklich ferner beeinflußt, wenn man eine gi'ößere Zahl von Gläschen in mehreren 250 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. Etagen übereinander aufstellt. Man kann deshalb nur dann mit Sicherheit von einer Abschwächung bei einer bestimmten Temperatur sprechen, wenn man die Gläschen in der Höhe der Luftschicht aufstellt, in welcher sich die Kugel des Normalthermometers befindet, oder aber wenn man genaue Maximal- und Minimalthermometer in gleicher Höhe mit den Gläschen befestigt. Der merkbare Einfluß der geringen Temperaturschwankungen im Apparat ist der sicherste Beweis, daß nicht der Sauerstoff der Luft, sondern die Temperatur das haupt- sächlichste abschwächende Agens ist. Außer der Temperatur ist jedoch noch den von den Milzbrandbazillen selbst gelieferten Stoffwechselprodukten ein Einfluß auf die Abschwä- chung beizumessen. Wie wir oben gesehen haben, ist das nicht selten beobachtete kümmer- liche Wachstum der aus den abgeschwächten Kulturen entnommenen Proben in der Nähr- gelatine ein deutlicher Beweis dafür, wie außerordentlich die bei der Aussaat mit über- tragenen Stoffwechselprodukte das Wachsen der Bazillen zu beeinträchtigen vermögen. Eine fernere Stütze hat unsere Ansicht von dem abschwächenden Einfluß der Tem- peratur erhalten durch die umfangreichen Versuche, welche C h a u v e a u über die Abschwächung des Milzbrandes bei Temperaturen über 43° C gemacht hat. Je höher man geht in der Temperatur, um so schneller vollzieht sich die Abschwächung. Während bei 42,5" C 3 — 4 Wochen bis zur völligen Abschwächung nötig sind, sind bei 43" C schon wenige Tage, bei 47" C wenige Stunden, bei 50 bis 53" C sogar nur Minuten dazu erforder- lich. Toussaints Verfahren ist mithin im Grunde von dem P a s t e u r sehen Ver- fahren prinzipiell nicht verschieden. Eine Differenz besteht allerdings. Die nach dem Toussaint sehen Verfahren abgeschwächten Milzbrandbazillen erlangen in den Kulturen ihre ursprüngliche Virulenz wieder, die nach P a s t e u r abgeschwächten be- wahren jedoch die nach und nach erlangte Virulenz auch in späteren Generationen, ja sogar in ihren Dauerformen, den Sporen. Je langsamer, also bei je niedrigerer Temperatur, die Abschwächung stattgefunden hat, um so sicherer scheinen die physiologischen Varie- täten ihre Eigenschaften zu bewahren. Über die Bedingungen, unter welchen eine abgeschwächte Varietät zur Virulenz zurückkehrt, sind die Akten noch nicht geschlossen. In seiner Mitteilung an die Akademie vom 8. März 1881 sagt Pasteur über diesen Punkt folgendes: Den abgeschwächten Milzbrand kann man zur Virulenz zurückkehren sehen, wenn man ihn von einem neugeborenen Meerschweinchen, welches demselben noch erliegt, auf ein 1 tägiges, von diesem auf ein 2 tägiges, von diesem auf ein 3 tägiges usw. ver- impfte, so daß er schließlich auch alte Tiere wieder tötete. Da zu einem derartigen Ver- suche eine Meerschweinchenzucht in großem Maßstabe gehört, damit stets Meerschwein- chen von bestimmtem Tagesalter zur Hand sind, unsere Räumlichkeiten jedoch die An- sammlung eines so massenhaften Meerschweinchenmaterials nicht gestatteten, so ver- suchten wir durch eine lange Zeit fortgesetzte Reihe von Impfungen von Maus zu Maus eine Steigerung der Virulenz des Mäusemilzbrandes zu erzielen. Stets wurden von der zuerst gestorbenen Maus, und zwar mit Stückchen ihrer Lunge, 2 Meerschweinchen und 2 Mäuse infiziert und dabei stets darauf acht gegeben, möglichst junge Meerschweinchen in die Versuchsreihe hineinzuziehen, um, falls ein junges Tier sterben sollte, von diesem aus andere junge Tiere, wie sie gerade zur Hand waren, zu impfen. Zur leichteren Uber- sicht ist der Versuch in folgender Tabelle zusammengestellt. 7 Knltnrgenerationen des 24tägigen Milzlirandes 2 Mäuse Maus I und II ff nach -5 resp. 6 Tagen I. Generation im Tierkörper 2 Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse Maus I und II ff nach 3 resp. 6 Tagen II. Generation im Tierkörper 2 Meerschweinchen blieben gesund Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 251 2 Mäusi III. (ieneratiou im Tierki irper 2 Meerschweinchen Maus I und II tt nach 2 Tagen blieben gesund o Maus« IV. Generation im Tierki irper 2 Meerschweinchen Maus I uud II tt nach 3 Tagen blieben gesund 2 Mäuse V. Generation im Tierkörper 2 alte, 2 eintägige Meerschweinchen Maus I und II tt ^^'-^a^ 3 Tagen l)lieben gesund Meer.schweinchen 1 1 nach 9 Tagen, II blieb gesund 2 Mäuse. 2 Meerschw. (eins 3, eins 6 Wochen alt) Maus I und II tt nach blieljen gesund 1 resp. 2 Tagen 2 Mäuse ^T. Generation im Tierkörper 2 alte, 2 eintägige Meerschweinchen Maus I und II tt nach 2 resp. 4 Tagen Idieben gesund 2 Mäuse VII. Generation im Tierkörper Maus I und II tt nach 1 resp. 3 Tagen 2 eintägige Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse Maus I und II tt nach 2 resp. 3 Tagen VIII. Oieneration im Tii'rköi-]icr Meerschweinchen idieben gesund 2 Mäuse Maus I und II tt nach 3 Tagen IX. Generation im Tierkörper 2 Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse Maus I und II tt nach 2 Tagen X. ({eneration im Tierkörper .) Meerschweinchen Idieben gesund 2 Mäuse XI. Generation im Tierkörper Maus I und II tt nach 2 resp. 14 Tagen 2 Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse Maus I und II tt nach 2 resp. 5 Tagen XII. Generation im Tierkör])er > » . Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse Maus I und II tt "^^h 2 resp. 3 Tagen XIII. Generation im Tierköi per 2 Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse Maus I und II tt nach 2 resp. 3 Tagen XIV. Generation im Tierkörper .) Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse Maus I und II tt nach 3 resp. 4 Tagen Organe mit Wasser verrieben, davon XV. Generation im Tierkörper 2 Meerschweinchen blieben gesund 2 Mäuse je 2 Teilstriche XVI. Generation im Tierkörper 2 Meerschweinchen je '/.j Spritze Maus 1 1 nach 4 Tagen, Maus II gesund blieben gesund Lunge mit Wasser verrieben, davon 2 Mäuse je '/'i Spritze XVII. Generation im Tierkörper 2 Meerschweinchen (2 T. alt) je '/.»Spntze Maus I und II tt nach 1 resp. 4 Tagen Meerschweinchen I u. II blieben gesund III t. aber nicht an Milzbrand Da nach sechswöchentlicher Kultur im Körper der Maus sich auch nicht die geringste Steigerung der Virulenz ergeben hatte, wurde der Versuch mit der XVII. Generation Maus abgebrochen. Hin und wieder kommen jedoch FäUe von unzweifelhafter Rückkehr der Virulenz zur Beobachtung, wie z. B. in folgendem Versuche: Aus einem zwischen 42^' und J-.S'^ C gehaltenen Köllichen wurden Tag für Tag Proben entnommen, stets 2 Kaninehen geimpft und Kulturen angesetzt. Es starben nach der Impfung mit 1 tägigem Milzbrande: beide Kaninchen nach 4 resp. 5 Tagen, mit 2 tägigem Milzbrande : ein Kaninchen nach 4 Tagen, mit 3 tägigem Milzbrande: beide Kaninchen nach 2 resp. 3 Tagen, mit 4 tägigem Milzbrande: ein Kaninchen nach 5 Tagen. 252 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. mit 5 tägigem Milz brande : kein Kaninchen, mit 6 tägigem Milzbrande ; ein Kaninchen nach 2 Tagen, mit 7 tägigem Milzbrande : kein Kaninchen, mit 8 tägigem Milzbrande : kein Kaninchen, mit 9 tägigem Milzbrande: kein Kaninchen. Die Kulturen der einzelnen Proben wurden in einer Nährgelatine fortgezüchtet; nach 4 Monaten wurden mit dem 4-, 5- und 7 tägigen Milzbrande je 2 Kaninchen und 2 Meerschweinchen geimpft. Es starben nach der Impfung mit 4 tägigem Milzbrande: ein Kaninchen, beide Meerschweinchen, mit 5 tägigem Milzbrande: ein Kaninchen, ein Meerschweinchen, mit 7 tägigem Milzbrande: beide Kaninchen, beide Meerschweinchen (innerhalb 4 Tagen). Danach hatte der 4 tägige seine Virulenz behalten, der 5 tägige war etwas viru- lenter geworden, der 7 tägige hatte jedoch ganz erheblich an Virulenz zugenommen. Zu bemerken ist, daß es sich hier um Varietäten handelt, deren Abschwächung innerhalb relativ kurzer Zeiträume erfolgt war. In dem Versuche, bei welchem die Abschwächung nicht in demselben Glase, sondern in einer fortlaufenden Reihe von Gläschen stattgefunden hatte, trat uns ein anderes Beispiel der Art entgegen: vom 10. Tage töteten die Kulturen nur Mäuse, keine Meer- schweinchen mehr. Die Meerschweinchen wurden alle, nachdem sie die Impfung mit der Kultur überstanden hatten, mit der Milz der entsprechenden Mäuse nachgeimpft. Sämt- liche Meerschweinchen blieben gesund, nur die beiden Meerschweinchen vom 14. Tage, welche die Impfung mit der Kultur ebenso wie die anderen überstanden hatten , starben nach der Impfung mit der Milz der von derselben Kultur gestorbenen Maus. Die Virulenz hatte in diesem einen Falle im Körper der Maus sich gesteigert. Wie es Fälle gibt, in welchen abgeschwächte Kulturen eine höhere Virulenz wieder- gewinnen, so gibt es auch Fälle, in welchen Kulturen mit verhältnismäßig hoher, nur ein wenig abgeschwächter Virulenz dieselbe in kurzer Zeit ohne erfindlichen Grund verlieren. Ein 7 tägiger Milzbrand hatte 3 Kaninchen und 2 Meerschweinchen getötet. Acht Wochen später wurde mit einer aus den Sporen des 7 tägigen Milzbrandes gewonnenen Reinkultur 7 Kaninchen, 6 Meerschweinchen und 3 Mäuse geimpft. Es starb weder ein Meerschweinchen noch ein Kaninchen, wohl aber starben noch die Mäuse. Die Virulenz hatte mithin bis zu der des Mäusemilzbrandes abgenommen. Die in ganz gleicher Weise nach 6 Wochen aus Sporen gewonnene Kultur des 9 tägigen Milzbrandes aus demselben Versuche tötete von 7 Kaninchen und 10 Meerschweinchen 2 Kaninchen und 6 Meer- schweinchen, hatte in ihrer Virulenz mithin keine Einbuße erlitten. Die Bedingungen, unter welchen eine sogenannte spontane Abschwächung einer Kul- tur resp. eme Rückkehr zur Virulenz eintritt, bedürfen noch eines genaueren Studiums. Es erhellt jedoch aus diesen nicht erklärlichen und vorherzusehenden Schwankungen, daß die Prüfung der Kultur, welche man zu Impfzwecken verwenden will, stets unmittel- bar vor den Impfungen vorgenommen werden muß, wenn man sich nicht unvermuteten Verlusten aussetzen will. Die von uns für die Beurteilung der Virulenz angegebenen Kriterien machen diese Prüfung zu einer sehr einfachen, wenig kostspieligen und zuver- lässigen. Das wissenschaftliche Faktum, daß Hammel durch Einimpfung von Kulturen ab- geschwächten Milzbrandes immun gemacht werden können gegen den Impfmilzbrand, war diirch unsere Versuche bestätigt worden. Freilich hatte sich bei denselben heraus- gestellt, daß nicht alle Hammel selbst nach mehrfachen Impfungen mit Kulturen von Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der ^lilzbrandbazillen usw. 253 graclatim aufsteigender Virulenz gegen den Inipfniilzbrand ininiun wurden, wofern man nvu' einen sehr virulenten Milzbrand zur Probeimpfung verwandte. Wie verhalten sich nun aber die geimpften Tiere gegenüber der natürlichen Infektion? Diese Frage ist für die praktische Verwertbarkeit der Schutzimpfungen von der allergröI3ten Wichtigkeit. Sind die Hammel gar nicht oder nur mit großen Opfern gegen die natürliche Infektion immun zu machen, so verlieren die Milzbrand-Präventivimpfungen ihre prak- tische Bedeutung. Daß gewisse, nicht unerhebliche Unterschiede zwischen der Impfung und der natürlichen Infektion bestehen, darauf weist das Verhalten der Rinder den beiden Infektionsarten gegenüber besonders deiitlich hin. Während Rinder, wie allgemein be- kannt, sich für den Impfmilzbrand nur wenig empfänglich zeigen, erliegen sie der natür- lichen Infektion oft in ganz erschreckender Weise. P a s t e u r hatte die Ansicht aus- gesprochen, daß die natürliche Infektion der künstlichen, was die tödlichen Wirkungen anlangt, nachstehe. Ja er war sogar soweit gegangen, daß er die Behauptung aufstellte: es sei nicht nötig, die Schafe mit einem sehr kräftigen, große Verluste bedingenden Impf- stoffe zu impfen, da ein schwächerer Vakzin schon genüge, um die Tiere gegen die weniger gefährliche natürliche Infektion zu schützen. Zur Entscheidung dieser Frage war es unbe- dingt nötig, den Modus der natürlichen Infektion näher zu studieren, um ihn womöglich ex- perimentell reproduzieren zu können. Denn der von Paste ur betretene Weg, eine Anzahl immun gemachter Tiere auf Weideplätzen zu stationieren, auf welchen notorisch Milz- branderkrankungen häufig vorkommen, und so der natürlichen Infektion auszusetzen, ist in bezug auf die Zuverlässigkeit der Resultate ein so wenig exakter, von so vielen Zufälligkeiten bedrohter, daß er für die wissenschaftliche Entscheidung der wichtigen Frage wohl kaum betreten werden darf. Auf welche Weise erfolgt nun die natürliche Infektion ''. Durch zahlreiche Beobach- tungen ist es festgestellt, daß durch Stiche von Insekten, welche auf Milzbrandkadavern Nahrung zu sich genommen haben, Übertragungen der Krankheit stattfinden können. Diese Art der Infektion, welche einer Impfung gleichzusetzen wäre, tritt jedoch ganz in den Hintergrund gegen die Infektion vom Digestionstraktus aus. P a s t e u r hatte nach dieser Richtung hin Versuche angestellt. Er hatte Schafen Futter vorgesetzt, welches mit sporenhaltigen Milzbrandkulturen gemischt war. Nach der Aufnahme dieses Futters starben einige Tiere, die Zahl der Todesfälle steigerte sich jedoch ganz erheblich, wenn er stachliches Material dem Futter beigab. P a s t e u r schloß daraus, daß auch der Futtermilzbrand eine Art Impfmilzbrand darstellte, daß die Infektion erfolgte von kleinen, durch das Futter erzeugten Verletzungen der ersten Wege. Viele Tatsachen sprachen jedoch dafür, daß in der Mehrzahl der Fälle nicht die Maulliöhle und der Rachen, sondern der Darm die Eingangspforte des Milzbrandvirus darstellte. (S. Mitteilungen Bd. I, Koch, Zur Ätiologie des Milzbrandes^). Es schien daher geboten, den Modus der Infektion vom Darm aus einem eingehenden experimentellen Studium zu unterziehen. Bei diesem Versuche kam es nun vorerst darauf an, einen Fütterungsmodus zu wählen, bei welchem jede Verletzung im Maul und Rachen der Tiere ausgeschlossen war mid bei welchem auch eine bestimmte Dosis des Milzbrandmaterials von den Tieren wirklich aufgenommen wurde. Ein sehr einfaches Verfahren erfüllte diese beiden Bedin- gungen : frische Kartoffeln wurden in längliche viereckige Stücke geschnitten. Von jedem Stücke wurde durch einen Schnitt eine dünne Schicht abgespalten und deckelartig in die Höhe geklappt. Darauf wurde das Innere des Stückes ausgehöhlt, mit Milzljrand- bakterien gefüllt und mit dem Deckelscheiliehen verschlossen. Ein Diener öffnete dem Hammel das Maul, indem er den Kopf senkrecht in die Höhe hielt. Das armierte Kar- toffelstückchen wurde dann bis auf die hintere Partie der Zunge geschoben und nun Diese Werke p. 174 ii. ff. 254 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. von dem Tiere verschluckt. Eine Verletzung der Maulschleimhaut war bei diesem Ver- fahren unmöglich. Als Futter erhielten die Tiere weiches Heu und gequetschte Kartoffeln : Stachelfutter wurde sorgfältig vermieden. Die Hammel, welche zu den Versuchen verwandt wurden, waren von halbedler Rasse, sie waren ausgewachsen, etwas mager, aber im übrigen anscheinend gesund. Als Fütterungsmaterial wurde derselbe Milzbrand verwandt wie in den Abschwächungs- ver suchen. Da Milzbrandsporen sehr viel widerstansdfähiger sich verhalten den verschiedensten chemischen Agentien gegenüber als Milzbrandbazillen, so war es nicht unwahrscheinlich, daß auch dem sauren Magensaft gegenüber eine ungleiche Widerstandskraft der Bazillen und Sporen sich kundgeben würde. Es wurde deshalb zuerst mit der Fütterung von sporenfreiem Milzbrand bazillen material begonnen. Die inneren Organe, an Milzbi-and gefallener Tiere enthalten niemals Bazillen mit Sporen, sondern stets ein ganz reines Bazillenmaterial. 2 Hammel erhielten daher je eine halbe Milz und eine halbe Lunge einer an viru- lentem Milzbrand verendeten Maus. I. Fütterung. Die Tiere zeigten in den folgenden Tagen kein Zeichen von Unbehagen oder Un- wohlsein. Sie erhielten deshalb je zwei halbe Milzen und ein Stück Lunge von zwei an viru- lentem Milzbrand gefallenen Meerschweinchen wenige Stunden nach dem Tode der letzteren. II. Fütterung. Auch nach dieser ganz enormen Dosis von MilzbrandbaziUen zeigten die Tiere ein ungestörtes Wohlbefinden. Da Milzbrandbazillen bei einer Temperatur von 18° C noch reichhch wachsen, aber erst sehr spät zur Sporenbildung gelangen, so wurden bei dieser Temperatur auf einer größeren Zahl von gekochten durchschnittenen Kartoffeln Milzbrandkulturen angelegt, um möglichst große Mengen von Bazillenmaterial zu gewinnen. Nach 2 Tagen standen die Kulturen im üppigsten Wachstum; eine sorgfältige mikroskopische Untersuchung ergab, daß Sporen noch nicht gebildet waren. Das Material wurde nun von den Kartoffeln abgenommen und davon den beiden Hammeln je eine haselnußgroße Portion beigebracht. III. Fütterung. Auch nach dieser Dosis blieben die Tiere munter. Immun von Hause waren sie gegen den Milzbrand nicht, denn beide sind später an typischem Milzbrand erlegen. Der Versuch lehrte demnach, daß die MilzbrandbaziUen im Magen des Hammels zu- grunde gehen, daher nicht imstande sind, Darmmilzbrand zu erzeugen. Nach dem negativen Ausfalle dieses Versuches waren wir sehr gespannt auf das Verhalten der Hammel gegen die Einführung großer Dosen von Milzbrand s p o r e n. Das Material wurde in ganz gleicher Weise wie in dem ersten Versuche auf Kar- toffeln kultiviert, jedoch bei einer Temperatur von ca. 35° C. Nach 2 Tagen waren die Kulturen auf allen Kartoffeln in reichlicher Sporenbildung begriffen. Die Kulturen wurden abgenommen und auf Glasplatten eingetrocknet. 8 Tage später wurde die trockene Masse mit wenig Wasser aufgeweicht und 2 Stunden darauf in ausgehöhlten Kartoffelstückchen an 5 kräftige Hammel verfüttert. Jeder Hammel erhielt eine etwa erbsengroße Portion. Der Effekt dieser Fütterung war ein gewaltiger. In der zweiten Nacht nach der Fütterung starb der 1. Hammel, am zweiten Tage mittags der 2., um fünf Uhr der 3., um 7 Uhr der 4. und 5. Hammel. Alle an unzweifelhaftem Milzbrand. Bei der hohen Bedeutung dieses Versuches ist es notwendig, die SektionsprotokoUe in extenso mit- zuteilen. Wir lassen dieselben am Schlüsse der Arbeit folgen. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 255 Die Protokolle sind nach verschiedenen Richtungen hin lehrreich : Zunächst zeigen sie, wie unumgänglich notwendig es ist, die Sektionen von niilzbrandigen Kadavern wo- möglich unmittelbar post mortem vorzunehmen, da andernfalls die außerordentlich schnell eintretende Fäulnis das Sektionsergebnis nicht unerheblich beeinträchtigt. Obwohl bei Hammel 1 die Sektion höchstens 18 Stunden p. m. gemacht wurde, war doch die Fäuhiis schon soweit vorgeschritten, daß der Darmbefund, auf welchen wir ganz beson- deren Wert legten, für unsere Zwecke nicht mehr verwertbar war. Besonders beweisend sind die Sektionen von Hammel 2 und Hammel 3, da sie unmittelbar nach dem Tode vorgenommen werden konnten. Bemerkenswert sind zunächst die Befunde an den Lymph- drüsen. Bald sehen wir eine Inguinaldrüse geschwollen, bald Axillar-, bald Bugdrüsen, bald wiederum die Submaxillardrüsen geschwollen. Es erhellt daraus, daß es durchaus falsch wäre, aus der Anschwellung bestimmter Drüsengruppen Schlüsse ziehen zu wollen auf den Ort der Infektion. Die Erklärung für die ganz ungleichmäßigen Drüsenschwellun- gen ist unschwer zu finden. Stets findet man in dem Bezirk der geschwollenen Drüsen Blutaustretungen in und unter der Haut sowie in der Muskulatiar. Alle diese Blutaus- tretungen stellen gewissermaßen frische Infektionen dar, auf welche die entsprechenden Drüsen mit starker Anschwellung reagieren. Auffallend ist ferner der Befund an den Halsorganen. Fast in allen Fällen finden sich starke Blutaustretungen an der vorderen Seite des Halses. Fast in keinem Falle fehlt ein nicht unerhebliches Odem des Kehlkopfeinganges sowie eine Anfüllung der Trachea mit feinblasigem, ziegelmehlfarbigem Schaum. Dieses Ödems des Kehlkopfeinganges ist in der Literatur bei der Sektion an Milzbrand verstorbener Menschen mehrfach Erwähnung getan. Auf Grund desselben sah man sich vielfach veranlaßt, eine Infektion durch die Luftwege anzunehmen. In unseren Fällen ist an eine Infektion vom Boden der Mund- höhle resp. vom Kehlkopf eingange her durchaus nicht zu denken. Die Schleimhaut der Mundhöhle, der Zunge sowie des Rachens war in Fällen blaß und, wie stets mit größtmöglicher Sorgfalt konstatiert wurde, durchaus intakt. Außerdem war ja bei der Fütterung mit den Milzbrandbazillen eine Infektion von dieser Gegend aus nicht erfolgt. Der Befund muß daher wohl als ein zum pathologisch-anatomischen Bilde des Futter- milzbrandes gehöriger bezeichnet werden. An eine Infektion vom Kehlkopf eingang her zu denken, hatten wir um so weniger Veranlassung, als ein ganz eigentümlicher Befund im Darm auf diesen als die Eingangspforte für das Milzbrandvirus mit aller Bestimmtheit hinwies. Die 3 ersten Mägen waren stets intakt, ihr Inhalt reagierte sauer. Im 4. Magen dagegen zeigten sich schon deutliche Veränderungen. Einzehie Falten der Schleimhaut, besonders in der Nähe desPylorus, waren geschwollen und gerötet, zum Teil von Ecchy- mosen durchsetzt, zum Teil erodiert. Die Reaktion des Mageninhalts war neutral oder schwach alkalisch. Die auffälligsten Veränderungen zeigten sich regelmäßig im Anfangs- teil des Duodenum. Die Schleimhaut dieses Darmabschnittes war fleckweise geschwollen, intensiv gerötet und auch erodiert. Weiter nach abwärts fanden sich im Dünndarm zahl- reiche derartig gerötete und geschwollene Stellen, besonders schön zeigten die P e y e r- schen Haufen und Solitärfollikel diese Veränderungen : macht man Schnitte durch diese Schleimhautpartien und färbt man dieselben, so sieht man ein ganz auffallendes Bild. Das Epithel der Schleimhaut ist meist verlorengegangen. Die Darmoberfläche ist bedeckt mit dichten Massen von Milzbrandbazillen, welche sich in das Gewebe hinein fortsetzen und an verschiedenen Stellen in die Blutgefäße einbrechen. Dieser Befund bedarf kaum einer Erklärung. Sobald die Sporen die Sphäre des sauren Magensaftes passiert haben und in die alkalisch reagierenden Darmabschnitte gelangt sind, wachsen sie aus zu Bazillen. Die Bazillen vermehren sich massenhaft und dringen in das Gewebe und weiter in die Blutgefäße ein. Die Invasion der Bazillen beschränkt sich jedoch nicht auf die obersten 256 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der ^Nlilzbrandbazillen usw. Darmabschnitte, sondern kann sogar noch im Dickdarm vor sich gehen, da sich die ge- röteten und geschwollenen Partien bis in diesen Darmteil hinein verfolgen heßen. Daß Sporen so tief hinabgelangen, ergibt sich aus den Untersuchungen des Kotes. Mit dem frischen Kot geimpfte Mäuse starben an typischem Milzbrand. Als nach einem Jahre mit getrockneten Kotpartikelchen Mäuse geimpft wurden, war der Erfolg der gleiche. Es mußten also Sporen in dem Kote vorhanden gewesen sein, da die Bazillen nur kurze Zeit im getrockneten Zustande lebensfähig sich erhalten. Ob die Sporen von den verfütterten Sporen herrührten oder ob sich dieselben im Darm der Tiere (in den frisch ausgekeimten Bazillen) wieder von neuem gebildet haben, läßt sich natürlich nicht entscheiden. Die Möglichkeit einer Sporenbildung im Darm kann man nicht von der Hand weisen, da die Temperatur für die Sporenbildung ja eine außerordentlich günstige ist und da die Bazillen im Darminhalt sich wie in einer Nährlösung befinden. Den geschilderten Veränderungen in der Darmschleimhaut entsprechend fanden sich in allen Fällen die Mesenterialdrüsen stark geschwollen, in einzelnen Fällen bis zur Größe einer Kartoffel, die Drüsensubstanz war ödematös, von zahlreichen Blutaustretun- gen durchsetzt. Derartige Veränderungen im Digestionstraktus finden sich bei Tieren, welche an Impfmilzbrand erlegen sind, nicht — sie charakterisieren daher die Erkrankungen sämt- licher Hammel als unzweifelhaften Darmmilzbrand. Durch diesen Versu eh ist der Beweis geliefert, daß Milz- brandsporen im Magen der Hammel nicht zugrunde gehen, im Darm aus wachsen, durch die unverletzte Schleimhaut des Darmtraktus in die Gewebe eindringen und auf diese Weise eine schnelle tödliche Infektion herbeizuführen ver- mögen. Es war daher im höchsten Maße wahrscheinlich, daß bei dem natürlichen Milz- brande die Infektion durch Aufnahme von Sporen mit dem Futter zustande kommt. Freihch wird ja bei der natürlichen Infektion die Dosis der aufgenommenen Sporen niemals eine so enorme sein wie in unserem Versuche: auch werden gewiß nicht immer so frische lebenskräftige Sporen in den Digestionstraktus gelangen. Wir mußten daher, um den Modus der natürlichen Infektion möglichst getreu nachzuahmen, mit der Dosis der Sporen immer mehr herabgehen und auch alte Sporen zum Versuche verwenden. Zunächst erhielt nun ein Hammel eine stecknadelknopfgroße Portion frischer auf gekochten Kartoffeln gezüchteter Sporen, zur Kontrolle ein zweiter Hammel ein haselnuß- großes Quantum. Nach 2 Tagen starb der letztere, nach 4 Tagen auch der erste Hammel, beide an typischem Darmmilzbrand. Beide Dosen hatten gewirkt, die größere Dosis aber schneller wie die kleinere. Es wurden dann 2 Hammel mit Filtrierpapierstückchen von etwa 1 cm im Quadrat, welche mit frischen Sporen befeuchtet waren, gefüttert, und zwar erhielt jedes Tier Tag für Tag ein solches Stückchen. Nach 5 Tagen starb der erste, nach 8 Tagen der zweite Hammel. Bei beiden Tieren wurde durch die Sektion Darmmilzbrand konstatiert. Fortgesetzte Fütterung kleinerer Mengen frischer Sporen hatte demnach dieselbe Wirkung wie die einmalige Verabreichung einer großen Dosis. Wir gingen nun über zur Fütterung alter Sporen, d. h. von Sporen, welche ein Jahr lang auf einer Glasplatte eingetrocknet aufbewahrt worden waren. Dieselben stammten von einem 54 Generationen hindurch auf Kartoffeln gezüchteten Milzbrande. 2 Hammel A erhielten je eine erbsengroße Portion, 2 andere B je eine stecknadel- knopfgroße Portion der Sporen. Um die Wirksamkeit der alten Sporen zu prüfen, wurden 2 Mäuse damit geimpft. Dieselben erlagen innerhalb 24 Stunden an Milzbrand. 3 Tage Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandtiazillen usw. 257 nach der Fütterung starb der eine Hammel A, am 7. Tage der andere Hammel A, beide, wie die Sektion ergab, an Darmmilzbrand. Die beiden anderen Hammel blieben gesund: die große Dosis der alten Sporen hatte prompt gewirkt, die kleinere nicht. Überraschend war dieses Resultat keineswegs. Einmal waren in dem eingetrockneten Material gewiß nicht mehr alle Sporen lebensfähig, dann aber ist es eine durch viele Beobachtungen gesicherte Tatsache, daß alte Sporen sehr viel später auskeimen als frische Sporen. Es ist daher nicht unmöglich, daß ein Teil der alten Sporen schon entleert wird, bevor die Auskeimung erfolgt ist. Je geringer aber die Zahl der zur Entwicklung gelangten Sporen, um so geringer die Sicherheit der Infektion. Wird eine größere Hammelherde auf ein Terrain getrieben, auf welchem erfalirungs- gemäß Milzbrandkeime vorhanden sind, so erkranken von den Tieren in den nächsten Tagen 1, 2, 3 oder 4 Proz. an Milzbrand. Wahrscheinlich jedoch hat eine viel größere Zahl von Tieren gei'inge Sporenmengen aufgenommen, ohne jedoch infiziert worden zu sein. Als P a s t e u r einer Anzahl von Schafen sporenhaltige Milzbrandkulturen mit dem Futter beibrachte, starben keineswegs alle, sondern nur einige wenige. Wenn wir also ein den natürlichen Verhältnissen konformes Bild erhalten wollten, so mußten wir einer größeren Zahl von Hammeln, und zwar jedem Tier eine minimale Dosis beibrin- gen, um einen Verlust von etwa 4 Proz. zu haben, oder aber wir mußten eine geringere Zahl von Hamipeln längere Zeit hindurch mit sehr geringen Sporenmengen füttern. Da uns eine größere Herde nicht zu Gebote stand, so wählten wir den zweiten Weg. 10 kräftige gesunde Hammel wurden 28 Tage hindurcli Tag für Tag mit einem 1 cm langen sporenhaltigen Seidenfädchen gefüttert. Die Sporen waren auf Kartoffeln gezüchtet (22 Generationen), an Seidenfädchen angetrocknet und über ein Jahr lang auf einer Glasplatte trocken aufbewahrt worden. Das Resultat gestaltete sich folgendermaßen: am 6. Tage der Fütterung starb der erste Hammel, zufälligerweise einer von den mehrere Monate früher mit großen Dosen von Bazillen resultatlos gefütterten. Am 7. Tage der zweite, am 12. Tage der dritte und am 20. Tage der vierte. 9 Tage nach dem Aussetzen der Fütterung starb ein Hammel an Blasenwürmern in Lunge und Leber und endlich nach weiteren 13 Tagen, also 22 Tage nach dem Aufhören der Fütterung, der zweite früher mit Bazillen gefütterte Hammel. Eine genaue Durchsicht der Sektionsprotokolle ergibt, daß sämtliche Hammel, auch der 22 Tage nach Sistierung der Fütterung gestorbene, an unzweifelhaftem Darm- milzbrand verendet sind. Unsere Voraussetzungen hatten sich demnach voll und ganz bestätigt. Der Verlauf des Versuches gestaltete sich so wie eine Epidemie von natür- lichem Milzbrand in einer größeren Herde. Bemerkenswert ist es, daß ein Hammel noch gestorben ist 22 Tage nach der Fütte- rung. Daß das Tier infiziert sei durcli Sporen, welche ihm eingegeben worden sind, kann man wohl kaum annehmen. Bei den Temperaturverliältnissen im Hammeldarm hätten während eines Zeitraumes von 22 Tagen die Sporen schon lange ausgekeimt sein und die ausgewachsenen Bazillen sich derart vermehrt haben müssen , daß eine Infektion wohl kaum ausgeblieben wäre. Es dürfte nach unserer Meinung wohl eine andere Erklärung eine größere Wahrscheinlichkeit für sich haben: in dem entleerten Kote sind Bazillen- sporen enthalten gewesen — daß dies vorkommt, beweist der oben zitierte Versuch. — Dieselben sind, nachdem der Kot von den Tieren zertreten, auf das am Boden liegende Heu gelangt und alsdann von dem Tiere wiederum aufgenommen worden. Jedenfalls müssen in diesem Falle außerordentlich geringe Sporenmengen zur Wirkung ge- kommen sein. Das Fazit unserer Fütterungsversuche ist noch einmal kurz zusammengefaßt folgendes : Koch, Gesammelte Werke. 1^ 258 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. Der natürliche Milzbrand entsteht durch eine Infektion vom Darm aus durch kleine, mit dem Futter aufgenommene Sporenmengen. Je größer die Dosis der aufgenommenen Sporen, um so sicherer ist im einzelnen Falle die Wirkung. Große Dosen von Sporen infizieren nach Einführung per os vom Darm aus eben so sicher und schnell, wie Bazillen resp. Sporen nach Impfung m oder unter die Haut. Die Fütterung großer Dosen von Milzbrandsporen ist somit das geeignete Mittel, um Tiere, welche gegen den Impfmilz- brand immun gemacht sind, auf ihre Immunität dem natürlichen Milzbrand gegenüber zu prüfen. Sporenfütterungsversuche an Rindern konnten wir nicht vornehmen, da die Be- schaffung selbst einiger weniger Tiere die für die Milzbranduntersuchungen zur Verfügung stehenden Mittel überschritten haben würde. Wir konnten von diesen Versuchen um so eher Abstand nehmen, als wir Gelegenheit hatten, bei der Sektion mehrerer an natür- lichem Milzbrand verendeter Kühe einen Befund zu konstatieren, welcher mit dem Befunde • der nach Sporenfütterung verendeten Hammel sehr wohl übereinstimmte. Diese Milz- brandfäUe ereigneten sich im Winter bei Stallfütterung mit weichem Heu. Andere Ent- stehungsursachen des Milzbrandes, z. B. durch Insektenstiche, waren ausgeschlossen: alles wies darauf hin , daß in dem Heu Milzbrandsporen enthalten waren, welche vom Darm aus eine Infektion herbeigeführt hatten. Wir lassen eines der SektionsprotokoUe zum Vergleiche hier folgen: ; .Sektion einer an Milzbrand gefallenen Kuh. Kadaver noch warm. Blutig-schleimiger Ausfluß aus Nase und After. Leib stark aufgetrieben. Äußerlich am Halse keine Veränderung. Lymphdrüsen am Unterkiefer nicht vergrößert, ebensowenig die Drüsen in der Leistengegend wie auch die Bronchial- drüsen. Kehlkopfeingang stark ödematös, schmutzig blaurot gefärbt. Kehlkopf und Luftröhre enthalten blutig gefärbten Schaum. Die Gewebe zwischen Kehlkopf und Speise- röhre sulzig ödematös, von Blutergüssen durchsetzt. Sämtliche Venen am Halse stark gefüUt mit flüssigem Blut. Lungen zeigen mehrfach braunrote, derb anzufühlende Partien, welche teilweise etwas tiefer liegen als das umgebende Gewebe. Herz stark gefüUt mit flüssigem Blut. In dem serösen Überzuge des linken Vorhofes zahlreiche Blutextra vasate. Unter dem Epithel der Magenabteilungen, welches am Futterinhalt haften bleibt, größere verwaschene, schmutzigrote Flecken, welche sich in die Muskulatur hinein er- strecken. Im Labmagen schimmert das stark gefüllte Venennetz durch. Das Duodenum ist unverändert. Am Dünndarm macht sich eine Anzahl von Schlingen durch dimkel- braunrote Färbung bemerkhch. Dieselben enthalten einen blutigen Inhalt. Die Schleim- haut erscheint, nachdem sie abgespült ist, flockig dunkelrot gefärbt, an einzelnen Stellen sind die Peyerschen Plaques dunkelrot und stark geschwollen. Auf Schnitten sieht man an diesen Stellen dichte Bazillen- massen von der Oberfläche des Darmes sich in das Gewebe hinein fortsetzen. Am Dick- darm und Mastdarm keine Veränderungen. Mesenterialdrüsen nicht geschwollen. Im großen Netze zahlreiche kleine Ecchymosen. Milz sehr groß, schwarz, zerreißt beim Herausnehmen. Ihre Substanz ist breiartig, enthält eine große Zahl von Milzbrandbazillen. Die Leber ist schlaff. Von der Schnitt- fläche fheßt reichlich dunkelrotes Blut herab. Gallenblase stark ausgedehnt, Galle blutig gefärbt. Nieren blutreich, auf der Schnittfläche auffallend dunkelrot. In der Urinblase ungefähr 2 Liter blutig gefärbten Urins. Mit der Milzsubstanz wurden eine Anzahl von Meerschweinchen geimpft. Alle Tiere erlagen innerhalb der nächsten 2 Tage an unzweifel- haftem Milzbrand. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 259 Bei der großen Bedeutung, welche die Infektion vom Darm aus beansprucht, war es von großem Interesse, zu sehen, wie sich Tiere mit einfachem Magen der Fütterung großer Sporenmengen gegenüber verhalten würden. Hühner und Tauben konnten selbst durch ganz enorme Sporenmengen vom Darm aus nicht infiziert werden. Auch Ratten erwiesen sich gänzlich unempfänglich. Meer- schweinchen, Kaninchen und Mäuse wurden vielfach ohne Erfolg gefüttert mit recht erheblichen Dosen, in einigen wenigen Fällen konnte Jedoch eine Infektion konstatiert werden. Ob besondere FüUungszustände des Magens oder ein bestimmtes Stadium der Verdauung notwendig süad, um eine Infektion zu erzielen, zur Entscheidung dieser Frage würden ausgedehnte Versuche nötig sein; vorderhand möge der Nachweis genügen, daß wir einige positive Resultate erzielt haben. Die Fütterung geschah immer in der Weise, daß die von der Kartoffel abgestrichene sporenhaltige Kultur mit einem stumpfen Hölzchen den Tieren hinter die Schneidezähne gebracht wurde. Nach kurzer Zeit begannen die Tiere dann zu fressen. Zwei junge Meer- schweinchen wurden zweimal mit einer mäßigen Dosis vergeblich gefüttert. Bei der 3. Fütterung erhielt jedes Tier die Menge einer kleinen Bohne von Sporen, welche im Brütapparat nach Aussaat von frischer Mäusemilz auf Kartoffeln sich in reichlicher Menge gebildet hatten. Am 3. Morgen wurden beide Tiere tot gefunden. Die Sektion ergab folgenden Befund: Meerschweinchen I. Inguinal-, Axillardrüsen nicht geschwollen, SubmaxiUardrüsen etwas größer wie in der Norm. In der Bauchhöhle eine ziemlich reichliche Menge blutig gefärbter, schnell gerinnender Flüssigkeit. Leber und Nieren braunrot, blutreich. Milz stark vergrößert. Durch die Wände des Duodenum scheinen braunrote Schleimhaut- partien durch; die zum Duodenum gehörigen Lymphdrüsen stark vergrößert, auf dem Durchschnitt von Blutungen durchsetzt, sehr saftreich. Duodenuminlialt blutig gefärbt. In der Schleimhaut sind einzelne Partien stark geschwollen und blutig infiltriert. Mehrere Beyer sehe Haufen im Dünndarm sind gerötet und geschwollen. Die Mesenterialdrüsen fast alle stark vergrößert, saftreicli. Blase mit Urin gefüllt. Im Herzbeutel etwas blutige Flüssigkeit. Im rechten Herzen flüssiges Blut. Lunge graurot, einzelne Lobuli braunrot, verdichtet. Maulhöhle blaß, intakt; Speiseröhre desgleichen. Kehlkopfeingang nicht geschwollen und gerötet, ebensowenig die Trachea. Meerschweinchen II. Submaxillar- und Axillardrüsen stark vergrößert. Inguinal- drüsen nicht. Leber und Nieren stark bluthaltig. Milz stark vergrößert. Das ganze Duodenum stark gerötet, Schleimhaut desselben teilweise blutig infiltriert. Zugehörige Drüsen stark geschwollen. Im Herzen wenig flüssiges Blut. Lungen graurot. lobulär braunrot verdichtet. Maulhöhle und Speiseröhre intakt. Kehlkopf eingang nicht ge- schwollen. Tracheaischleimhaut gerötet. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigte es sich, daß die Darmschleim- haut beider Meerschweinchen an den stark geröteten Stellen von enormen Mengen von Milzbrandbazillen durchsetzt war, ein ähnliches Bild, wie bei den Hammei- dar mschnitten. In einem anderen Versuche erhielten : 2 junge Ratten, 2 Mäuse, 2 Kaninchen, 2 Meerschweinchen je eine linsen- bis erbsengroße Portion Sporenmaterial, welches frisch aus der Aussaat einer Milz gewonnen war. 17* 260 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. Die beiden Ratten und ein Meerschweinchen bUeben munter, dagegen erlagen am 2. Tage Kaninchen I, am 3. Tage Kaninchen II, ein Meerschweinchen und die beiden Mäuse. Das Meerschweinchen hatte sich offenbar an der Lippe infiziert: es fand sich an der hnken Seite der Unterhppe eine stark entzündete kleine Wunde. Von dieser ausgehend starkes Ödem, welches sich über den ganzen Hals erstreckte. Submaxillardrüsen enorm geschwollen, Axillardrüsen nur wenig, Inguinaldrüsen nicht. Maulschleimhaut intakt. Kehlkopfeingang nicht geschwollen. Trachealschleimhaut gerötet, Trachea mit feinblasig ziegelrotem Schaum erfüllt. Milz groß. Dünndarmschleimhaut in ihrer ganzen Ausdeh- nung leicht gerötet, P e y e r sehe Haufen geschwollen, ebenso die Mesenterialdrüsen. Es fehlte in diesem Falle die Rötung und Schwellung der Duodenumschleimhaut, auch zeigten sich keine Stellen besonders auffallend verändert. Man kann daher den Fall wohl nur als Impfmilzbrand auffassen. Dagegen boten beide Kaninchen das ausgespro- chene Bild des Darmmilzbrandes. Kaninchen 1. Blutiger Ausfluß aus der Nase. Axillar- und Submaxillardrüsen nicht vergrößert. Inguinaldrüsen stark geschwollen, Maulschleimhaut intakt, hintere Zungen- gegend und Kehlkopf blaurot. Speiseröhre blaß, Trachealchleimhaut stark gerötet mit rotem Schaum bedeckt. In der Bauchhöhle etwas blutig gefärbte Flüssigkeit. Milz braunrot, weich, stark vergrößert. In der Duodenumschleimhavit zahlreiche Blutaus- tretungen in der geschwollenen Schleimhaut. Einzelne Partien der Schleimhaut des oberen Teiles des Dünndarmes gerötet. Mesenterialdrüsen stark vergrößert. Kaninchen II. Blutiger Ausfluß aus der Nase. Submaxillar-, Axillar- und Inguinal- drüsen nicht verändert. Bronchialdrüsen stark geschwollen. Maulschleimhaut intakt. Zungengrund bläulich. Trachealschleimhaut kirschrot, in der Trachea blutiger Schleim. Lungen ödematös, braunrot gefleckt. Milz stark vergrößert. Am Pylorus eine Blutaus- tretung in der Schleimhaut. Dünndarmschleimhaut stark gerötet. Beyer sehe Haufen und Mesenterialdrüsen geschwollen. Die Sektion der ersten Maus ergab kein besonders prägnantes Bild des Darmmilz- brandes, dagegen konstatierten wir bei der zweiten einen ganz eigentümlichen Befund: in der Mitte des Dünndarms fand sich ein linsengroßer, bläulichschwarzer Knoten in der Schleimhaut, welcher das Lumen nahezu versperrte. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß wir einen richtigen Anthraxknoten vor uns hatten, wie solche beim Darmmilz- brand des Menschen und auch des Rindes häufiger beobachtet werden. Die beiden Ratten und das zweite Meerschweinchen blieben völlig munter. Wie widerstandsfähig sich häufig Meerschweinchen gerade verhalten, erhellt aus folgendem Versuch : 2 Meerschweinchen wurden 14 Tage hintereinander täglich mit den auf je 6 Kar- toffelhälften im Brütapparat reichlich gebildeten Sporen gefüttert. Die Tiere fraßen das von den Kartoffeln abgestrichene Material ohne Widerstreben. Sie blieben andauernd gesund, ja zeigten auch nicht einmal vorübergehend Störungen ihres Wohlbefindens. Daß sie nicht immun waren, ergab sich daraus, daß sie nach Ablauf von 14 Tagen mit einer minimalen Menge desselben Materiales subkutan geimpft an typischem Impfmilz- brand erlagen. Wir kommen nun zu der Prüfung des Verhaltens der durch Schutzimpfung immun gemachten Hammel gegenüber der Fütterung mit frischem Sporenmaterial. Es standen für diese Versuche zu unserer Verfügung 10 Hammel. Dieselben hatten indessen sämtlich schon die Probeimpfung mit unserem virulenten Milzbrand über- standen — ein Umstand, durch welchen gewiß die durch die Schutzimpfung erzielte Immunität noch ganz besonders befestigt war. Die 10 Hammel hatten also jedenfalls Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 261 das Maximum der durch Schutzimpfung erreichbaren Immunität erreicht. 5 von ihnen waren mit direkt von P a s t e u r bezogenem II. Vakzin geimpft worden, die 5 anderen mit unseren eigenen abgeschwächten Kulturen. Es wurden nun zunächst die 5 mit P a s t e u r schem Impfstoff geimpften, sowie 2 von der zweiten Gruppe mit Sporenmaterial, welches frisch auf Kartoffeln bereitet war, gefüttert, und zwar erhielt jedes Tier eine erbsengroße Dosis pro Tag. Am 2. Tage starb der zur Kontrolle mitgefütterte, nicht geimpfte KontrolUiammel ; am 3. Tage starben zwei von den mitPasteur schem Impfstoffe geimpften ■ — alle drei an unzweifelhaftem Darmmilzbrand. Die übrigen blieben, obwohl die Fütterung 9 Tage hindvu-ch fortgesetzt wurde, gesund. Zwei von diesen immunen Tieren starben im Laufe der nächsten Monate an Pneumonien. Die überlebenden drei wurden zugleich mit den durch Impfung des 15-, 11-, 9- und 5 tägigen Milzbrandes immun gemachten drei Hammeln der zweiten Gruppe und einem Kontrollhammel an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit je einer haselnußgroßen Portion frischer Sporen gefüttert. Der zur Kontrolle der Wirksamkeit des Sporenmateriales mitgefütterte Hammel starb am 3. Tage an Darmmilzbrand. Die immun gemachten 6 Hammel blieben am Leben, boten auch kein Zeichen von Kranksein. Bei den Hammeln, welche die erste Fütterung überstanden hatten, wurde nach 9 Monaten ein Fortbestehen der erlangten Immunität gegen den Fütterungsmilzbrand konstatiert. Aus diesen, wenn auch wenig zahlreichen, so doch einwandsfreien Versuchen geht nun hervor, daß bei einer Anzahl von Tieren absolute Immunität erreicht werden kann: denn eine Anzahl von Hammeln war und blieb wirklich immun, auch bei wiederholter Fütterung großer Dosen frischer Sporen : ob aber die Immunität schon nach der Impfung mit dem II. Vakzin eine derartige ist, daß die Tiere der Sporenfütterung widerstehen, muß mit Recht bezweifelt werden, da von 5 mit P a s t e u r s c h e m II. Impf- stoff und später mit virulentem Milzbrand geimpften Ham- meln zwei an typischem D a r m m i 1 z b r a n d er k r a n k t und ge- fallen sind. Wenn diese Zahlen auch nur klein sind, so geht doch mit Sicherheit aus denselben hervor, daß die natürliche Infektion der Impfung an Bösartigkeit nicht nur nicht nach- steht, sondern daß sie vielmehr dieselbe nicht unerheblich übertrifft. Die Widerstands- fähigkeit der immunen Tiere gegen den Impfmilzbrand gestattet mithin durchaus noch keine bindenden Schlüsse auf die Widerstandsfähigkeit dieser Tiere gegenüber der natür- lichen Infektion. Mit diesen experimentellen Ergebnissen stehen die unter natürlichen Verhältnissen in Kapuvar, Packisch und in Frankreich selbst an vielen Orten gemachten Beobachtungen durchaus in Einklang. Da nun, wie wir gesehen haben, eine sichere Immunität gegen den Impfmilzbrand ohne erhebliche Verluste durch die Schutzimpfung nach dem P a s t e u r sehen Verfahren sich nicht erreichen läßt und da außerdem diese mit Verlusten erkaufte Immunität dem natürlichen Milzbrand gegenüber nur unvollkommen standhält, so ist die bisher geübte Schutzimpfungsmethode für die Praxis nur als ein höchst zweifelhafter Gewinn zu bezeich- nen, besonders wenn man erwägt, daß die der II. Schutzimpfung mit einem immerhin noch starken Virus erliegenden Tier Quellen neuer Infektionen und somit Ursache der Verbreitung der Krankheit zu werden sehr wohl geeignet sind. Ob es gelingen wird, ein sicheres und für die Praxis brauchbares Verfahren der Schutzimpfung zu finden, muß die Zukunft lehren. 262 Experimentelle Stadien über die künstliche Abschwäcliung der Milzbrandbazillen usw. Sektionsberichte über die Hammel. Hammel I — V, verendet nach Füttervuig erbsengroßer Dosen von frischen Sporen. Hammel I. Sektion höchstens 18 Stunden post mortem. Aus der Nase fheßt eine schaumige, blutige Flüssigkeit, in welcher mikroskopisch Milzbrandbazillen nachweisbar sind. Der Leib ist stark meteoristisch aufgetrieben. Am Kinn findet sich eine etwa groschengroße Blutaustretung unter der Haut, zu beiden Seiten des Brustkorbes mehrere bis zweimarkstückgroße Blutaustretungen im subkutanen Ge- webe und in der Muskulatur. Die Hautvenen sind stark mit Blut gefüllt; im Blute der- selben sind Milzbrandbazillen nachweisbar. Die Luftröhre ist in eine blutdurchtränkte Gewebsmasse eingebettet, in welcher die Schilddrüsen kaum noch erkennbar sind. Die submaxillaren Lymphdrüsen sind von etwa Erbsengröße, braunrot, derb, saftreich. Die Bugdrüsen sind beiderseits vergrößert. Die linke Inguinaldrüse ist etwa bohnengroß, auf dem Durchschnitt rotbraun, saftreich, das periadenitische Gewebe blutig infiltriert. Die Schleimhäute des Maules, des Rachens und der Speiseröhre sind blaß und völlig intakt. Die arj^epiglottischen Falten sind leicht geschwollen, rötlich-bläulich gefärbt. Die Tracheaischleimhaut ist braunrot. Die Oberfläche beider Lungen ist mit zahlreichen, etwa linsengroßen Ecchymosen übersät. Beide LTnterlappen sind ödematös. Im Herz- beutel findet sich etwa ein Eßlöffel blutig gefärbter Flüssigkeit. Im Epikard sieht man mehrere kleine Ecchymosen. Das Herz ist schlaff, die Muskulatur ist blaßrot, weich, hat Fäulnisgeruch ; im rechten Herzen findet sich etwas schaumiges Blut, das linke Herz ist leer. Die Organe der Bauchhöhle riechen intensiv faulig. In der Peritonealhöhle findet sich eine ziemlich reichliche Menge blutig-seröser Flüssigkeit. An einzelnen Dünndarm- schlingen bemerkt man rötlich durchschimmernde Partien, welche geschwollenen und ge- röteten P e y e r sehen Haufen entsprechen. Der Pansen ist stark gefüllt mit grünem Futter, die übrigen Mägen leer. Über den Zustand der Schleimhäute der Mägen und des Darmes läßt sich ein sicheres Urteil nicht gewinnen, da die Fäulnis schon zu weit vor- geschritten ist. Die Mesenterialdrüsen sind haselnuß- bis walnußgroß, zum Teil in blutig imbibiertes Gewebe eingebettet. Die Milz ist groß, blaurot, weich, fluktuierend. Die Nieren in blutig imbibiertes Fettgewebe eingebettet, sind dunkel braunrot, weich. Rinden- und Marksubstanz läßt sich an ihnen nicht mehr unterscheiden. Die Leber ist schlaff, faulig. Die Blase leer. Hammel II. Sektion unmittelbar post mortem. Der Kadaver ist warm. Aus der Nase entleert sich schaumiges hellrotes Blut, welches zahlreiche MilzbrandbaziUen enthält. Der Leib ist leicht aufgetrieben. An der linken Seite des Halses findet sich eine markstückgroße Blutaustretung im subkutanen Gewebe, eine ebensolche ca. 6 cm lang und fingerbreit in der Gegend der rechten oberen Rippen. Die submaxillaren Lymphdrüsen sind erbsengroß, die Bugdrüsen links bohnen- groß, sehr saftreich, rechts erbsengroß, eine der letzteren zeigt auf dem Durchschnitte kleine Ecchymosen. Inguinaldrüsen nicht vergrößert. Die Thyreoidea ist braunrot, hart, ihre Umgebung blutig infiltriert. Maul-, Rachen- und Speiseröhrenschleimhaut intakt. Der Kehlkopfeingang ist stark ödematös geschwollen. Die Schleimhaut desselben blaurot, von kleinen Ecchymosen durchsetzt. Die Luftröhre ist mit ziegelrotem klein- blasigem Schaum erfüUt. Auf den Pleuren sind zahlreiche punktförmige bis linsengroße Ecchymosen zu bemerken. Der rechte untere Lungenlappen ist dunkelbraunrot, ödematös, blutreich, der Mittellappen zeigt einzelne lobuläre Partien, welche tiefer liegen und etwas dunkler gefärbt sind wie das benachbarte Gewebe. Oberlappen normal. Die linke Lunge zeigt ein analoges Verhalten. Die Bronchialdrüsen sind teilweise vergrößert, ihr periadeni- tisches Gewebe blutig durchtränkt. Im Herzbeutel wenig rötlich gefärbte Flüssigkeit, Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 263 im rechten Herzen etwas dünnflüssiges schaumiges Bhit, im Unken Herzen ein wenig rötlicher Schaum, in der Kranzfurche eine größere Blutaustretung. Das Herzfleisch ist derb, braunrot. In der Bauchhöhle findet sich eine ziemlich reichliche Menge blutig gefärbter Flüssigkeit. Einzelne Stellen des Dünndarms schimmern rot durch die Darmwancl hin- durch, an mehreren Stellen finden sich Ecchymosen im serösen Überzug des Darmes. Pansen-, Netzmagen-, Psalterschleimhaut intakt. Im Labmagen finden sich hämorrha- gische Erosionen. Die Reaktion ist in diesem Magen neutral, in den übrigen Mägen deutlich sauer. Die Schleimhaut des ganzen Duodenum ist stark gerötet und geschwollen. Die P e y e r sehen Haufen, sowie zahlreiche solitäre Follikel sind auffallend gerötet, in den P e y e r sehen Haufen einzelne Stellen inselartig erhaben über das Niveau des Haufens. Die Mesenterialdrüsen sind haselnuß- bis walnußgroß, meist in sugil- liertes Gewebe eingebettet. Sie erscheinen auf dem Durchschnitt dunkelbraunrot, ödematös. Die Milz ist stark vergrößert, braunrot, weich; die mikroskopische Untersuchung der Substanz zeigt, daß dieselbe zahllose Milzbrandbazillen enthält. Nierenkapsel leicht abziehbar. Marksubstanz dunkelbraunrot, setzt sich gegen die ebenfalls sehr dunkle blutreiche Rindensubstanz noch deutlich ab. Die Leber ist derb, blutreich. Zeichnung der Acini deutlich. Die Blase enthält einige Tropfen einer blutig gefärbten Flüssigkeit. Hammel III. Sektion unmittelbar post mortem. Blutiger Ausfluß aus Nase und Maul. Vor dem oberen Drittel der Luftröhre liegt ein handtellergroßes, blutig-sulziges Extravasat im subkutanen Gewebe. Sub- maxillardrüsen etwas vergrößert. Bug-, Axillar- und Inguinaldrüsen nicht vergrößert. Maul-, Rachen-, Speiseröhrenschleimhaut normal. Kehlkopfeingang ödematös. Schleim- haut daselbst bläulichrot. Trachealschleimhaut leicht gerötet. Lungen hellrot, mit ein- zelnen Ecchymosen bedeckt. Sie enthalten braunrote lobuläre Partien, welche tiefer liegen wie das umgebende Lungengewebe. Am Herzen nichts Besonderes. In den drei ersten Mägen keine Veränderungen, im vierten sind einige Falten ödematös und von kleinen Blutextra vasaten durchsetzt. Schleimhaut im oberen Drittel des Duodenum fast gleich- mäßig dunkelrot, geschwollen. Im Dünndarm zahlreiche, bis fingerlange, dunkelrot gefärbte, geschwollene Partien, welche vorzugsweise den P e y e r sehen Haufen an- gehören. Die diesen Partien entsprechenden Mesenterialdrüsen sind stark geschwollen, einzelne bis zu Kartoffelgröße, auf dem Durchschnitt erscheinen sie von extravasiertem Blute rot gefärbt. Milz sehr stark vergrößert, weich, fluktuierend, enthält zahllose Milzbrandbazillen. Nieren und Leber blutreich. Blase leer. Hammel IV. Sektion ca. 15 Stunden post mortem. Blutiger Ausfluß aus Nase und Maul. Mehrere kleine Blutaustretungen im Zell- gewebe in der Umgebung der Trachea, eine größere dicht oberhalb des Brustbeins, an der hnken Brustseite zwei mehr als handtellergroße Blutaustretungen im subkutanen Gewebe, eine ebensolche am Nacken, mehrere kleinere zerstreut unter der Haut des Rückens und Halses. Submaxillardrüsen bohnengroß, blutreich, saftreich. Bugdrüsen beiderseits vergrößert, Achseldrüsen nur rechts mäßig vergrößert, Inguinaldrüsen beiderseits stark vergrößert, dunkelrot und saftreich. Schleimhaut der Maulhöhle blaß und intakt, oberer Teil der Speiseröhre bläuhchrot, Schleimhaut intakt. Kehlkopfeingang bläulich, stark ödematös. Lungen in den hinteren Partien weiüg lufthaltig, dunkelrot gefärbt, blutreich. In dem lufthaltigen Gewebe finden sich mehrere bis taubeneigroße, dunkler gefärbte und eingesunkene lobuläre Partien. Auf den Pleuren 264 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. einige Ecchymosen. Im Herzbeutel etwas blutig gefärbtes Serum. Herzoberfläche mit vielen kleinen Ecchymosen bedeckt. Herzhöhlen fast leer. In der Bauchhöhle blutig-wäßriger Erguß. Magen stark aufgebläht. Mageninhalt in den drei ersten Mägen sauer, im Labmagen und Duodenum deutlich alkalisch. Im Labmagen einige Schleimhautfalten von kleinen Blutungen durchsetzt. Duodenum- schleimhaut gerötet, besonders am Übergange aus dem Labmagen. Im Dünndarm einzelne, besonders den Beyer sehen Haufen angehörende Schleimhautpartien stark gerötet und geschwollen. Mesenterialdrüsen vergrößert, dunkelrot, saftreich. Milz stark vergößert, breiartig. Nieren sehr blutreich. Leber schlaff. Blase leer. Im Blut der Vena jugularis zahlreiche Milzbrandbazillen. Hammel V. Sektion ca. 15 Stunden post mortem. Ausgedehnte Blutaustretungen unter der Haut, fast über den ganzen Rücken und über die rechte Brustseite sich erstreckend, dicht oberhalb des Brustbeins ist das Zell- gewebe blutig durchtränkt. Kieferdrüsen vergrößert, dunkelrot. Bugdrüsen links stark vergrößert, rechts klein, aber dunkel gefärbt. Achseldrüsen nicht verändert. Inguinal- drüsen vergrößert, graurot. Schleimhaut des Maules blaß, unverletzt. Speiseröhre blaß. Kehlkopfeüigang leicht ödematös, bläulichrot. In der Luftröhre ziegelroter Schaum, im unteren Drittel ist die Schleimhaut derselben streifig ecchymosiert. Herz und Lungen wie in den übrigen Fällen. In der Bauchhöhle blutig-wäßriger Erguß. Schleimhäute der drei ersten Mägen intakt, Reaktion ihres Inhaltes sauer, im Labmagen einzelne Falten geschwollen und ecchymosiert. Inhalt schwach alkalisch. Duodenumschleimhaut im oberen Drittel rot, leicht geschwollen. Das Jejunum ist fast in seiner ganzen Länge rot, hat einen dünnen blutigen Inhalt. Eine Dünndarmschlmge und das benachbarte Mesenterium erscheint blutig gefärbt. Einzelne Partien der Schleimhaut dieser Schlinge sind schwarzrot ge- schwollen. Auch in der Schleimhaut des übrigen Dünndarms und auch des Dickdarms finden sich blutig infiltrierte Stellen, welche auch außen durchscheinen. Mesenterial- drüsen mäßig stark vergrößert, nicht auffallend dunkel gefärbt. Milz sehr groß, blauschwarz, weich, enthält zahllose Milzbrandbazillen. Nieren blutreich. Leber schlaff, von mäßig reichlichem Blutgehalt. In der Blase einige Tropfen blutiggefärbter Flüssigkeit. Hammel VI (gefüttert mit einer erbsengroßen Portion alter Sporen). Sektion 18 Stunden post mortem. Aus der Nase fließt blutige Flüssigkeit. Bauch aufgetrieben. An den haarlosen Stellen auf der Innenseite des Oberschenkels und in der Achselhöhle ist die Haut schwach grünlich gefärbt. An der Vorderseite des Halses und am linken Vorderbein ausgedehnte Blutergüsse unter der Haut, am Rücken 6 handtellergroße Sugillationen. Das Zellgewebe an dem Eingange der Brusthöhle blutig-sulzig infiltriert. Sub- maxillardrüsen bohnengroß, braunrot, derb. Achseldrüsen unverändert. Bugdrüsen etwas über erbsengroß, braunrot, derb, rechte Inguinaldrüse haselnußgroß, graurot, von sulzigem Ödem umgeben, welches sich nach dem Rücken zu erstreckt, linke Inguinaldrüse unverändert. Maulschleimhaut blaß, am linken oberen Alveolarfortsatz ein kleiner, linsengroßer Substanz Verlust in der Schleimhaut, welcher in eine kurze, fistelartige Vertiefung führt, mit blassem, etwas verdicktem Rand, in der Umgebung keine Rötung und Schwellung. Die mikroskopische Untersuchung ergibt, daß Milzbrandbazillen an dieser Stelle nicht eingedrungen sind, da sich dieselben nur im Innern der umgebenden Gefäße und zwar nur in mäßiger Zahl finden. Pharynx und Speiseröhre intakt. Kehlkopf eingang bläulich gefärbt, leicht ödematös, Luftröhre mit rötlichem Schleim erfüllt. Lungen graurot, im allge- meinen gut lufthaltig, einzelne Stellen braunrot, tiefer liegend wie das normale Gewebe. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 265 Im Herzen wenig Blut. Herzfleisch mürbe infolge von Fäulnis. Magenschleimhaut nicht merklich verändert, Duodenumschleimhaut schieferig. Am Dünndarm Schemen einzelne Stellen rot durch, sie entsprechen stark geröteten und geschwollenen P e y e r sehen Haufen. Eine Mesenterialdrüse taubeneigroß, schwarz- braun im Innern, eine zweite haselnußgroß, graurot. Milz mäßig vergrößert, schwarz, weich zerfließlich. Leber weich, faulig, Blutgefäße gasblasenhaltig. Nieren dunkelblutrot, faulig weich. Blase gefüllt. Urin blutig gefärbt, enthält keine Milzbrandbazillen, keine Blutkörperchen. Im Blut einer Hautvene und im Lungen- abstrich zahlreiche Milzbrandbazillen. Hammel VII (gefüttert mit einer erbsengroßen Portion alter Sporen). Sektion kurze Zeit nach dem Tode. Der Kadaver ist noch warin. Aus der Nase fließt blutige Flüssigkeit, aus dem Maule Futterbrei. Hautgefäße stark gefüllt, im Blute einer Halsvene zahlreiche Milzbrand- bazillen. Der ganze Rücken ist von einer ausgedehnten subkutanen Blutaustretung ein- genommen. In der Bauchmuskulatur rechts talergroße Blutaustretung. Beide Sub- maxillardrüsen sowie einzelne Drüsen am Halse stark vergrößert, braunrot. Axillardrüsen beiderseits pflaumengroß, links braunrot, rechts graurot. Bugdrüsen und Inguinaldrüsen normal. Maul. Pharynx und Speiseröhre intakt. Schleimhaut blaß. Kehlkopfeingang bläulichrot, in der Luftröhre mit Futterresten vermischter Schleim. Schleimhaut bläulich- rot. Lungen nicht wesentlich verändert. Im rechten Herzen etwas flüssiges Blut und einige weiche Gerinnsel. Die 3 ersten Mägen intakt. Im Labmagen eine Anzahl flacher, dunkelrot gefärbter, etwa linsengroßer Substanzverluste, welche sich hauptsächlich auf der Höhe der Falten und in der Nähe des Pylorus finden. Schleimhaut des Duodenum stark gallig gefärbt, nach dem Pylorus zu schieferig. In der Schleimhaut des Dünndarms mehrere stecknadelknopf- bis linsengroße Ecchymosen, mehrere P e y e r sehe Haufen blaurot, stark hervortretend. Pankreas mit dem Kopf in sugilliertes Fettgewebe ein- gebettet. Mesenterialdrüsen mäßig vergrößert, dunkelrot gefärbt. Milz stark vergrößert, schwarz, breiig. Nieren und Leber stark bluthaltig. Blase leer. Hammel VIII (gefüttert mit einer haselnußgroßen Portion frischer Sporen). Sektion ca. 12 Stunden post mortem. Reichlicher blutiger Ausfluß aus der Nase, derselbe enthält Milzbrandbazillen. Der Kadaver noch etwas warm, zeigt keine Spur von Fäulnis. Mäßig große Blutaustretung dicht oberhalb des Brusteinganges, diffus ausgebreitete Blutaustretung auf der rechten Brustseite nach dem Rücken zu sich erstreckend. Rechte und linke Kieferdrüse ein wenig vergrößert, aber blaß, rechte Bugdrüse etwas vergrößert, dunkel, saftreich, linke weniger verändert. Axillardrüsen beiderseits sehr stark vergrößert, saftreich. Inguinaldrüsen normal. Schleimhaut der Maulhöhle und Zunge unverändert — ebenso die Speiseröhre. Kehlkopf eingang wenig ödematös. Im Kehlkopf und in der Luftröhre ziemlich viel schwach rötlich gefärbter Schaum. Thyreoidea nicht verändert. Lungen hellrot, mit zahlreichen Ecchymosen bedeckt und einige größere dunkelgefärbte verdichtete Stellen enthaltend. Im rechten Herzen eine große Menge lockerer Blutgerinnsel, im linken ebenso beschaffene Blutgerinnsel in geringer Menge. Schleimhaut des 4. Magens und des Duodenums gleichmäßig geschwollen und von zahlreichen kleinen oberflächlichen schwarzroten Sugillationen durchsetzt. Schleimhaut 266 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächving der Milzbrandbazillen usw. der 3 ersten Mägen unverändert. Inhalt des 1. Magens stark sauer, des 2. und 3. schwach sauer, des 4. schwach alkalisch, des Duodenum alkalisch. Ileum durchweg dunkler gefärbt, stellenweise braunrot, nach außen durchscheinend. Inhalt des Ileum braunrötlicher Schleim, welcher viele Milzbrandbazillen enthält. Schleimhaut des Ileum fast durchweg verdickt, dunkel graurot gefärbt. Follikel und P e y e r sehe Haufen stellen- weise stark geschwollen, blutig gefärbt und oberflächlich ulzeriert. Auch im Dickdarm einzelne vergrößerte dunkelrot gefärbte Follikel. Im Inhalt desselben ziemlich viele Milzbrandbazillen, welche den Farbstoff nicht annehmen. Mesenterialdrüsen in fortlaufenden Gruppen stark vergrößert, sehr saftreich, markig, am auffallendsten im Mesenterium des Ileum. Milz vergrößert, schwärzlich, breiartig, enthält zahlreiche Milzbrandbazillen. Retro- peritonealdrüsen geschwollen, dunkelgefärbt. Nieren gleichmäßig dunkelrot, blutreich, Leber schlaff, blutreich. In der Blase einige Tropfen blutig gefärbten Urins. Hammel IX. (gefüttert mit einer stecknadelknopf großen Portion frischer Sporen). Sektion unmittelbar post mortem. Kadaver warm und ganz frisch. Kein Ausfluß aus der Nase. Blut aus einer Haut- vene am Halse enthält sehr zahlreiche Milzbrandbazillen. Am Nacken eine ziemlich große Blutaustretung unter der Haut. Kieferdrüsen etwas vergrößert und safti'eich, Bugdrüsen beiderseits klein und wenig saftreich. Achseldrüsen beiderseits stark vergrößert und saftreich, die linke von kleinen Blutungen durchsetzt. Inguinaldrüsen wenig vergrößert. Maulschleimhaut und Zunge blaß und unverändert, ebenso die Speiseröhre. Kehlkopf eingang leicht ödematös, viel zäher, schwach rötlicher Schleim im Kehlkopf und oberen Teile der Luftröhre. Lungen graurot. marmoriert, stark ödematös. Im Herzbeutel viel blutiges Serum. Im Herzen flüssiges Blut. Reichlicher blutig-wäßriger Erguß in der Bauchhöhle. Einer Dünndarmschlinge von der Länge mehrerer Finger entsprechend ist das zu ihr gehörige Mesenterium von kleinen, längs der Gefäße liegenden Blutungen in großer Zahl durchsetzt. Ahnliche, zum Teil noch reichlicher von kleinen Blutungen durchsetzte Stellen finden sich in anderen Teilen des Mesenteriums. Schleimhaut der 3 ersten Mägen intakt, Inhalt des 1. und 2. sauer, des 3. imd 4. schwach sauer, des Duodenum alkalisch. Schleimhaut des 4. Magens und des Duodenums fleckig gerötet und geschwollen, am stärksten am Pylorus, in dessen Nähe einige kleine Ecchymosen in der Magenschleimhaut. Die Darmschleimhaut ist den Blutungen im Mesenterium entsprechend diffus gerötet und geschwollen. Darminhalt graugelb, dünn breiig. Dünndarmschleimhaut stellenweise rötlich gefleckt und oberflächlich ulzeriert. P e y e r sehe Haufen meist graurot gefärbt und geschwollen. Im Colon ascendens eine harte, verdickte, braunrote Stelle in der Schleimhaut von 1 cm Durchmesser, welcher der Darminhalt fest anhaftet. Eine im zugehörigen Mesen- terium gelegene Drüse ist stark geschwollen und von kleinen Blutungen durchsetzt. In der Mastdarmschleimhaut zahlreiche kleine Ecchymosen. Mesenterialdrüsen stark vergrößert, dunkelgrau, sehr saftreich. Milz sehr stark vergrößert, schwarz, breiig. Leber und Nieren blutreich. Blase leer. Hammel X (gefüttert an 4 aufeinanderfolgenden Tagen mit frischen Sporen auf Papierstückchen). Sektion kurze Zeit post mortem. Kadaver noch warm, keine Spur von Fäulnis. Blutiger Ausfluß aus Nase und Maul. Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 267 Große Blutaustretungen unter der Haut des vorderen Teiles des Rückens, kleinere am Kreuz linkerseits. Kiefer- und Bugdrüsen kaum vergrößert. Achseldrüsen beiderseits sehr groß, blut- und saftreicli. Inguinaldrüse rechts klein, links stark vergrößert. Maulhöhle und Speise- röhre blaß, intakt. Kehlkopfeingang blaurot, ein wenig ödematös. Im Kehlkopf und in der Luftröhre viel rötlicher Schaum. Schilddrüse groß und blutreich. Lungen marmoriert, im Herzen wenig flüs.siges Blut. In der Bauchhöhle blutig-wäßrige Flüssigkeit. Die 3 ersten Mägen intakt, am Pylorus ist die Schleimhaut ebenso wie im Zwölffingerdarm leicht geschwollen und stark gerötet. Reaktion in den 3 ersten Mägen stark sauer, im 4. schwach sauer, im Duodenum alkalisch. Im Dünndarm zahlreiche P e y e r sehe Haufen stark geschwollen und gerötet, an einzelnen Stellen der Schleimhaut kleine Blutaustretungen. Mesenterialdrüsen in großer Zahl sehr stark geschwollen und saftreich. Milz groß, breiig, enthält sehr zahlreiche Milzbrandbazillen. Nieren und Leber dunkelrot. Blase leer. Hammel XI (gefüttert an 6 aufeinanderfolgenden Tagen mit frischen Sporen auf Stückchen Fließpapier). Sektion 20 Stunden post mortem. Kein blutiger Ausfluß aus Nase und Maul. Im Blut einer Halsvene zahlreiche Milz- brandbazillen. Große Blutaustretungen am Nacken nach dem Rücken zu. Kieferdrüsen klein, saftreich. Bugdrüsen ebenso. Axillardrüsen bedeutend vergrößert, schwarzrot, von sulzig-infiltriertem Bindegewebe umgeben. Inguinaldrüsen wenig vergrößert, grau- rot. Schleimhaut der Maulhöhle blaß, ohne Verletzmigen, Speiseröhre unverändert. Kehlkopf eingang blaurot, ziemlich stark ödematös. Im Kehlkopf und in der Luft- röhre reichliche Menge rötlichen Schaumes. In beiden Lungenspitzen große glattwandige Höhlen von käsig-kalkiger Substanz erfüllt, das benachbarte Lungengewebe ist verdichtet, braunrot. Die übrigen Teile der Lungen sind marmoriert, stellenweise eingesunken. In beiden Herzhöhlen flüssiges Blut und lockere Gerinnsel. In der Bauchhöhle ziemlich viel rötliche, wäßrige Flüssigkeit. Die 3 ersten Ab- teilungen des Magens sind nicht verändert. Die Falten des 4. Magens sind schmutzig- braunrot, besonders in der Nähe des Pylorus. Die Schleimhaut im oberen Teil des Duo- denums ist gleichmäßig gerötet. Einzelne Dünndarmschlingen erscheinen dunkelrot gefärbt, die Schleimhaut im Innern derselben ist geschwollen und gerötet. Mesenterial- drüsen mäßig vergrößert, markig auf dem Durchschnitt. Milz sehr vergrößert, breiig, enthält eine Unzahl von Milzbrandbazillen. Nieren und Leber dunkel gefärbt, blutreich. Blase leer. Hammel XII (an 7 Tagen mit je einem sporenhaltigen Seidenfädchen gefüttert). Sektion 15 Stunden post mortem. Blutiger Ausfluß aus der Nase. Im Blute einer Halsvene sehr viele Milzbrand- bazillen. Große Blutaustretung im Nacken, sich nach dem Rücken hinziehend, eine kleinere Blutaustretung unter der Bauchhaut. Die Drüsen am Kieferwinkel ein wenig vergrößert und dunkel gefärbt. Die Bugdrüsen nicht verändert, die AxiUardrüsen ein wenig größer wie gewöhnlich. Linke Inguinaldrüse vergrößert, blutig gefärbt. Die Maul- höhle ohne Verletzung, auch sonst unverändert. Speiseröhre desgleichen. Kehlkoj^f- eingang etwas ödematös. In der Luftröhre ziemlich viel blutig gefärbter Schaum. Die Lungen sind mit einer Anzahl kleiner Ecchymosen bedeckt. Einzelne Partien der Lungen sind dunkler gefärbt, weniger lufthaltig. Im Herzen eine geringe Menge flüssigen Blutes. In den verschiedenen Abteilungen des Magens nichts Bemerkenswertes. Zwölf finger- darmschleimhaut gleichmäßig gerötet. Einzelne Darmschlingen fleckweise dunkelrot 268 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. gefärbt, die P e y e r sehen Plaques diesen Stellen entsprechend geschwollen. Eine einzige Mesenterialdrüse geschwollen und blutig durchtränkt. Die Milz sehr stark vergrößert, breiartig erweicht. Auf dem Deckglas ausge- strichen erweist sich die Milzsubstanz reich an Milzbrandbazillen. Nieren und Leber wie in den übrigen Fällen. Die Blase enthält einige Tropfen einer blutig gefärbten Flüssigkeit. Hammel XIV (an 7 Tagen mit je einem sporenhaltigen Seidenfädchen gefüttert). Sektion ca. 10 Stunden post mortem. Reichlicher blutiger Ausfluß aus der Nase, in demselben zahlreiche Milzbrand- bazillen. Leib stark aufgetrieben. Im Blut einer Halsvene enorm zahlreiche Milz- brandbaziUen. Das subkutane Gewebe ist an der ganzen rechten Halsseite blutig- sulzig infiltriert. Submaxillardrüsen bohnengroß, saftreich. Rechts wie links eine mehr als bohnen- große dunkel gefärbte, aber wenig saftreiche Zervikaldrüse. Bugdrüsen beiderseits klein und blaß. Linke Achseldrüse fast hühnereigroß, rechts gut taubeneigroß, saft- und blut- reich. Inguinaldrüsen beiderseits blaß, kaum vergrößert. Maulhöhle unverändert, ohne eine Spur von Verletzung. Speiseröhre blaß, intakt. Kehlkopf eingang stark ödematös geschwollen. In der Luftröhre sehr viel rötlich gefärbter Schaum. Beide Lungen röthchgrau ödematös. Im hnken Herzen wenig, im rechten etwas mehr flüssiges Blut. In der Schleimhaut des 4. Magens finden sich einige kleine Hämorrliagien. Reaktion in demselben deutlich alkalisch, im S.Magen sauer. Duodenumschleimhaut geschwollen und gerötet. Im Dünndarm einige Stellen, an welchen die Schleimhaut gerötet ist, sonst nichts Besonderes. (Kadaver nicht mehr ganz frisch.) Pankreas in braunrötliches Fettgewebe eingelagert. Die Mesenterialdrüsen sind in fast ununterbrochener Kette geschwollen, blaß, aber saftreich. Milz mäßig vergrößert, sehr weich. Nieren sehr blutreich, Leber brüchig. In der Blase einige Tropfen blutig gefärbter Flüssigkeit. Hammel XV (11 Tage hindurch täglich mit je einem sporenhaltigen Seidenfädchen gefüttert). Sektion ca. 15 Stunden post mortem. Blutiger Ausfluß aus der Nase, in demselben Milzbrandbazillen. Im Blute einer Halsvene desgleichen. Am Rücken mehr nach links zu finden sich ausgedehnte Blut- austretungen im subkutanen Gewebe. Submaxillardrüsen etwa erbsengroß. Bugdrüse rechts etwas vergrößert, braunrot. Achseldrüsen taubeneigroß, blutreich. Rechte Inguinaldrüse bohnengroß, blutreich, linke nicht verändert. An der Zunge ein alter Defekt in der Schleimhaut mit weißlichen vernarbten Rändern ohne Reaktion in der Umgebung. Kehlkopf eingang stark ödematös geschwollen, blaurot. Trachealschleimhaut blaß, in der Trachea kein roter Schaum. Lungen derb, graurot, die rechte hypostatisch. Herz schlaff, enthält wenig flüssiges Blut. An den Mägen nichts Besonderes. Duodenum- schleimhaut stark gerötet, ebenso einzelne Partien im Dünndarm. Inhalt graurötlich. Die Mesenterialdrüsen stark geschwollen, saftreich. Milz klein, schwarzbraun, weich. Nieren, Leber blutreich. Blase leer. Hammel XVI. (an 19 Tagen täglich mit je einem sporenhaltigen Seidenfädchen gefüttert). Sektion 2^ Stunden post mortem. Reichlicher blutiger Ausfluß aus der Nase. Im Blute einer Hautvene sehr viele Milzbrandbazillen. Große Blutaustretung zwischen den Schulterblättern. Kieferdrüsen etwas vergrößert, dunkelrot gefärbt. Axillardrüsen stark geschwollen, saftreich. Bug- Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. 269 drüsen und Leistendrüsen klein. Maulhöhle und Speiseröhre intakt. Kehlkopfeingang blaurot, stark ödematös. Luftröhre mit blutigem Schaum vollständig erfüllt. Lungen ödematös. Im Herzen etwas flüssiges Blut. In der Bauchhöhle viel blutige Flüssigkeit. Eine Mesenterialdrüse mehr als walnuß- groß, dunkelrot, in ödematöses Gewebe eingebettet. Die benachbarten Drüsen ebenfalls vergrößert. Die zugehörige Dünndarmpartie in einer Ausdehnung von ca. 20 cm rot gefärbt, enthält dünnflüssige, blutige Massen. An einer Stelle derselben ein stark geschwol- lener, teilweise exulzerierter P e y e r scher Haufen. Duodenumschleimhaut gerötet, Magen nicht verändert. Milz sehr groß, breiartig, weich, enthält sehr viele Milzbrandbazillen. Leber mid Nieren blutreich. Blase leer. Hammel XVII (an 28 Tagen täglich mit je einem sporenhaltigen Seidenfädchen gefüttert). Sektion ca. 7 Stunden post mortem. Ziemlich abgemagertes Tier. Nirgends Drüsenschwellungen. Im Blute keine Milz- brandbazillen, ebensowenig in der kleinen derben Milz. Leber von einer großen Menge von Blasenwürmern durchsetzt. In der linken Niere ein Blasenwurm. Lungen stellen- weise mit der Brustwand verwachsen, von überaus zahlreichen Blasen würmern durch- setzt. Sonst nichts Abnormes. Hammel XVIII (an 28 Tagen täglich mit je einem sporenhaltigen Seidenfädchen gefüt- tert). 22 Tage nach dem Aufhören der Fütterung gestorben. Sektion 26 Stunden post mortem. Ziemlich stark aufgetriebener Kadaver. Fäulnisgeruch. Die ganze rechte Seite des Halses und Nackens bis zum Rücken hin A^on einer schwärzlichen sulzig-blutigen Masse eingenommen. In der linken Inguinalgegend eine handtellergroße Blutaustretung. Kiefer- drüsen beiderseits kaum vergrößert, etwas dunkler gefärbt wie in der Norm. Bugdrüsen nicht vergrößert. Achseldrüsen links vergrößert, rechts nicht. Rechts eine vergrößerte Nackendrüse. Inguinaldrüsen nicht vergrößert. Kehlkopfeingang etwas ödematös, blutiger Schleim in der Luftröhre. Maul unverletzt, ebenso die Speiseröhre. Lungen nach hinten zu dunkel marmoriert, stellenweise atelektatisch. Im Herzen etwas flüssiges Blut. In der Pleurahöhle eine mäßige Menge blutig gefärbter Flüssigkeit, in der Bauchhöhle ziemlich viel blutig gefärbte Flüssigkeit. Im Darm einzelne nach außen braunrot durch- schimmernde Stellen, an denen die Schleimhaut gerötet ist. Im oberen Teil des Duodenum ist die Schleimhaut geschwollen, braunrot. Milz mäßig groß, zerfließlich, enthält ebenso wie eine Hautvene zahlreiche Milz- brandbazillen. Nieren und Leber wie gewöhnlich. In der Blase eine geringe Menge blutiger Flüssigkeit. I. I m m u n i s i e r u n g s v e r s u c h. Hammel (VI) XIX (vorgeimpft s. S. 237, starb bei der Probeimpfung mit virulentem Milzbrand). Sektion 4 Stunden post mortem. Leib etwas aufgetrieben. Aus der Nase fließt eine gelbliche schleimige Flüssigkeit. In einer Hautvene zahllose Milzbrandbazillen. Kieferdrüsen nicht verändert. Beide Bug- drüsen walnußgroß, ödematös, beide Axillardrüsen groschengroß, beide Inguinaldrüsen in blutig-sulziges Gewebe eingebettet, stark vergrößert. Kehlkopfeingang ödematös. Trachea mit feinblasigem Schaum erfüllt, l^ungen ödematös. In der linken Herzkannner etwas blutiger Schaum, rechts wenig flüssiges Blut. Bronchialdrüsen ödematös. Magen und Darm nicht verändert. Duodenumschleimhaut rotstreifig. Mesenterialdrüsen nicht vergrößert. Retroperitonealdrüsen taubeneigroß, blutig durchtränkt, ödematös, starkes Ödem in den breiten Mutterbändern, besonders im linken. Am Magen drei Lymphdrüsen groschengroß, ödematös. Milz groß, schwarzrot, weich. Leber und Nieren blutreich. In der Blase einige Troj^fen blutiger Flüssigkeit. 270 Experimentelle Studien über die künstliche Abschwächung der Milzbrandbazillen usw. Hammel XX (nicht vorgeimpft, als Kontrolltier mit virulentem Milzbrand am rechten Oberschenkel geimpft). Sektion ca. 12 Stunden post mortem. Markstückgroße Blutaustretung an der rechten Halsseite. An der Impfstelle hand- fläcliengroßes blutig-sulziges Ödem, Inguinaldrüse rechts walnußgroß, blutig gefärbt, ödematös, links klein und blaß. Kieferdrüsen nicht verändert. Bugdrüsen ziemlich groß, blutig, saftreich. Achseldrüsen klein, blutig, ödematös. Kehlkopfeingang wenig ödematös. Milz wenig vergrößert, ziemlich fest, enthält massenhaft Bazillen. Hammel XXI (vorgeimpft, starb nach der Impfung mit virulentem Milzbrand am rechten Oberschenkel, s. S. 238, Absatz 3). Sektion wenige Stunden post mortem. Reichlicher blutiger Ausfluß aus der Nase. Ausgedehnte Blutaustretungen am Halse und Nacken, sehr große Blutaustretung auf dem Rücken. Kieferdrüsen dunkel, etwas geschwollen. Bugdrüsen klein, Nackendrüsen sehr groß. An der Impfstelle kaum bemerkbares Ödem, die benachbarte rechte Inguinaldrüse sehr groß, blutig, ödematös, die linke desgleichen. Kehlkopf wenig ödematös. Lungen flecken- weise dunkler gefärbt, ödematös. In der Bauchhöhle ziemHch reichlicher, blutiger Erguß, Darm und Mesenterialdrüsen unverändert. Milz groß, schwarz, breiartig, enthält viele Bazillen. In der Blase einige Tropfen blutiger Flüssigkeit. Hammel XXII (mit P a s t e u r schem II. Vakzin vorgeimpft; an 2 Tagen mit frischen Sporen gefüttert). Sektion 6 Stunden post mortem. Aus der Nase fließt blutiger Schleim. Im Blute einer Halsvene Milzbrandbazillen. Keine Blutaustretungen oder Ödeme unter der Haut. Kieferdrüsen normal. Beide Bug- drüsen vergrößert, die rechte stärker wie die linke, aixf dem Durchschnitt rotbraun; rechte Inguinaldrüse stark vergrößert. Maulhöhle und Speiseröhre intakt. Kehlkopf eingang normal. Lungen etwas ödematös, linker Unter läppen in den peripheren Partien atelektatisch. Schleimhaut des 4. Magens schiefrig, von zahlreichen Ecchymosen durchsetzt. Im Duodenum und Dünndarm zahlreiche ecchymotische Partien in der Schleimhaut. Mesenterialdrüsen kaum geschwollen. Milz kaum vergrößert, Milzbrandbaziilen in der auf dem Deckglas ausgestrichenen Substanz derselben mäßig reichlich. Leber und Nieren blutreich. Hammel XXIII (mit P a s t e u r schem II. Vakzin vorgeimpft, an 2 Tagen mit frischen Sporen gefüttert). Sektion ly^ Stunden post mortem. Aus der Nase füeßt schaumiger Schleim. Kieferdrüsen nicht geschwollen. Beide Bug- drüsen etwas vergrößert. Achseldrüsen stärker geschwollen, ebenso die linke Leistendrüse. Maulhöhle und Speiseröhre intakt. Kehlkopf eingang normal, ebenso die Lungen. Im Magen keine Veränderungen. Im Duodenum und Dünndarm zahlreiche hämorr- hagische Partien in der Schleimhaut. P e y e r sehe Haufen nicht geschwollen. Die Reihe der Mesenterialdrüsen mäßig geschwollen. Milz braunrot, mäßig groß, derb. In der Substanz derselben ziemlich reichliche Milzbrandbazillen . Hammel XXIV (nicht vorgeimpft, als Kontrolltier mit frischen Sporen gefüttert). Sektion ca. 10 Stunden post mortem. Starker blutiger Ausfluß aus der Nase. Sehr ausgebreitete Blutaustretungen am Hals, Nacken, an den Vorderbeinen und am rechten Hinterbein. Lymphdrüsen am Kiefer und Bug sowie in der rechten Leiste stark vergrößert. Im Blute einer Halsvene sehr zahlreiche Milzbrandbazillen. Maulhöhle und Speiseröhre intakt. Kehlkopf eingang nicht ödematös. Lungen graurot, marmoriert. In einzelnen Darmschlingen ist die Schleimhaut gerötet. Mesenterialdrüsen leicht geschwollen. Milz vergrößert, schwarz, breiig. über die Pasteurschen Milzbrandimpfungen.') In seinem an die K. K. Gesellschaft der Ärzte in Wien gerichteten Entgegmingsschreiben auf eine Schrift v. Frischs (s. Deutsche iMed. Wochenschr. 1887, Nr. 24 und 25) hatte P a s t e u r mit Bezug auf seine Methode der jMilzbrandimpfung behauptet, die Berliner Schvile habe, durch die Tatsachen gezwungen, ihre darüber ursprünglich geäußerte Meinung geändert. Dieser Behauptung trat R. Koch in einem in der Semaine m^dicale -) (französisch) und in der Deutschen Medizinischen Wochenschritt veröffentlichten Schreiben entgegen: ,,Ich habe vor einigen Jahren mich dahin ausgesprochen, daß die von P a s t e u r gerühmte Milzbrandimpfung nur ungenügenden Schutz gegen die natürhche Infektion gewähre und von sehr kurzdauernder Wirkung sei und daher nicht als brauchbar für praktische Zwecke angesehen werden könne. Seit jener Zeit hat die Methode der Milzbrandimpfung weder durch P a s t e u r noch von einer anderen Seite eine irgend nennenswerte Vervollkommnung erfahren, und, soweit ich weiß, hat man für ihre praktische Brauchbarkeit keinerlei neue Beweise beigebracht. Ich habe daher keinen Grund gehabt, meine Ansicht über diesen Gegen- stand zu ändern, und ich habe auch seitdem über diese Frage nichts veröffentlicht. Daher war auch mein Erstaunen groß, als ich bei der Durchsicht des vor einigen Wochen von P a s t e u r an die K. K. Gesellschaft der Ärzte in Wien gerichteten Briefes las, ,,daß die vor längerer Zeit durch die Berliner Schule erhobenen Einwände durch die Tatsachen widerlegt seien, und daß diese Schule ihre Ansicht geändert habe". Wenn P a s t e u r von der Berliner Schule spricht, so meint er augenscheinlich mich, denn außer mir hat sich niemand mit der Frage der Milzbrandimpfung beschäftigt. Ich habe es deshalb für unerläßlich erachtet, eine derartige falsche Auffassung meiner Ansicht in dieser Frage sich nicht festsetzen zu lassen und, entgegen dem Aus'spruche P a s t e u r s, ausdrücklich zu erklären, daß ich in k e i n e r W e i s e m e i n e A n- sieht über den p r a k t i s c h e n W e r t der M i 1 z b r a n d i m p f u n g e n geändert h a b e. Es scheint mir indessen von einem gewissen Interesse, daß ich mich nicht auf diese einfache Erkläriing beschränke, sondern daß ich kurz die Gründe auseinandersetze, die mich bei meiner ursprünglichen Ansicht verharren lassen. P a s t e u r stützt sich in seinem Briefe auf die Resultate der Impfungen in Frank- reich in den letzten Jahren: mehr als 200 000 Hammel, die jährlich in Frankreich ge- impft werden, bieten eine Sterblichkeit an Milzbrand von 1% dar, während dieser Pro- zentsatz unter den nicht geimpften Herden sich auf 10% erhebt. Mehr als 20 000 all- jährlich geimpfte Stück Rindvieh liefern eine Sterblichkeit von kaum 0,5%, während unter den nicht geimpften Tieren dieser Gattung die Sterblichkeit ungefähr 5% beträgt. ') Aus Deutsche Äfedizinische Wochenschrift, 1887, Nr. 32. ^) De la vaccination charbonneuse. Semaine mM., 1887, p. 305. D. Herausgeber. 272 Uber die Pasteurschen Milzbranclimpfungen. Aus diesen Ziffern scheint sich zu ergeben, daß die Milzbrandimpfung von großer Wirksamkeit ist. Aber wer kann für die Zuverlässigkeit dieser Ziffern einstehen ? Wie und durch wen sind die Einzelfaktoren dieser Berechnung gesammelt ? So wird sich jeder fragen, der sich mit Medizinalstatistik beschäftigt. Wir haben um so mehr Grund zurückhaltend zu sein, als diese Ziffern bis jetzt vereinzelt geblieben sind. Die Milzbrandimpfung wird seit dem Jahre 1881 und nicht allein in Frankreich gehandhabt. Das lebhafte Interesse, welches der Frage anhaftet, die geschickte Re- klame, mit der das Verfahren umgeben wurde, haben seine Kenntnis in alle Gegenden getragen, in denen der Milzbrand heimisch ist: Italien, Österreich-Ungarn, Rußland, Deutschland. Wenn wirklich die Ergebnisse überall so günstige wären, wie P a s t e u r behauptet, so müßte man sich wundern, daß die Methode nicht auch hier in den letzten sechs Jahren dieselbe Verbreitung gewonnen hat, wie in Frankreich. Bedeutende mate- rielle Interessen sind dabei im Spiele, und es bliebe unerklärlich, weshalb man nicht in wohlverstandenem nationalen Interesse das Verfahren überall mit gleicher Bereitwillig- keit aufgenommen haben sollte. Tatsächlich aber ist von keinem Lande bekannt, daß die Milzbrandimpfung sich wie in Frankreich verbreitet hat, und weder in der medi- zinischen noch in der veterinärärztlichen Literatur findet sich etwas über diesen Gegen- stand mitgeteilt. Um nach dieser Richtung, wenigstens soweit Deutschland in Betracht kommt, sichere Anhaltspunkte zu erhalten, habe ich Dr. Schütz, Professor an der Tierarznei- schule in Berlin, gebeten, mir alle erreichbaren Daten über die in Deutschland ausge- führten Milzbrandimpfungen und über ihre Ergebnisse mitzuteilen. Professor Schütz hat meiner Bitte in der liebenswürdigsten und raschesten Weise entsprochen, und ich bin im Besitz absolut authentischer und mit völliger Unbefangenheit gesammelter Doku- mente, die ein Beweismaterial von hohem Werte darstellen und deren Inhalt ich hier mitteilen will. Es hat einiger Wochen erfordert, sie zusammenzubringen, und das ist der Grund, weshalb sich meine heutige Mitteilung etwas verzögert hat : 1. In Gorsleben wurden 1882 31 Stück Rindvieh geimpft: 3 Stück starben im folgen- den Jahr (10%). Die Impfungen wurden nicht fortgesetzt. In der Folge starben noch 2 oder 3 Stück im Jahre, d. h. genau so viel, wie vor der Impfung. 2. In Cannawurf 1882 Impfung von 33 Stück Rindvieh. Vor der Impfung verlor man 1 bis 3 Stück pro Jahr. Die Verluste waren nach der Impfung dieselben. Man ver- zichtete auf die Fortsetzung der Impfungen. 3. In Kelbra wurden 1886 von 140 Stück Rindvieh 64 Stück geimpft; 76 blieben ungeimpft. Jede der beiden Gruppen verlor 1 Tier an Milzbrand ; die Impfungen wurden' nicht fortgesetzt. 4. In Riethnowhausen wurden 1886 22 Stück Rindvieh geimpft. Einen Monat später waren 2 Tiere an Milzbrand eingegangen. 5. In Klonie wird seit 1882 alle Jahre alles Rindvieh und alle Schafe geimpft. Soweit ich nach den mir zur Verfügung stehenden Daten urteilen kann, kann man für die letzten Jahre mit einigen Schwankungen nach oben und unten einen jährlichen Durchschnitt von 270 Stück Rindvieh und 600 Schafen annehmen. Die Mortalität bei ersteren schwankt zwischen 1 und 5% (im Durchschnitt 3,4%). Mehrfach erlagen re- vakzinierte Tiere dem Milzbrand. Leider fehlen genaue Angaben über die Mor- talität vor der Impfung. 6. Die wichtigsten Daten sind diejenigen, welche wir den Impfungen verdanken, welche seit 1882 mit größter Sorgfalt und größter Geduld von dem Departementstierarzt O e m 1 e r im Auftrage des Ministeriums für Landwirtschaft auf Domäne Packisch aus- über die Pasteurschen >Iilzbrandimpfungen. 273 geführt werden. Seit 1882, d. h. seit 5 Jahren, wird fast die ganze Herde, im Mittel 80 Stück Rindvieh und 360 Schafe, alljährhch geimpft. Und doch fordert der Milzbrand im Mittel 4,2% von ersteren, 1,5% von letzteren. Auch hier befinden sich unter den Opfern wiederholt geimpfte Tiere. Angesichts von Resultaten, welche die Wirksamkeit der Impfung so fraglich erscheinen ließen, hat man in den beiden letzten Jahren folgenden Versuch angestellt: 100 geimpfte und 100 nichtgeimpfte Schafe, die sich sonst unter völlig gleichen Bedingungen befanden, wurden auf die suspekten Weideplätze getrieben. Zwei der geimpften Tiere starben an Milzbrand, und im folgenden Jahre zwei andere, die nicht geimpft waren. Der Versuch ist also nichts weniger als überzeugend ausgefallen. Wir fragen, was soll man von einem Impfverfahren denken, das nach fünfjähriger Probezeit solche Resultate ergeben hat l Und tatsächlich sind die Impfungen in Packisch genau nach den Angaben P a s t e u r s ausgeführt, mit Lymphe, die sein Agent B o u- t r o u X geliefert hat. Es handelt sich bei diesen Versuchen nicht um Tausende von Tieren, aber alle Impfungen sind genau verzeichnet und die Todesfälle auf das Gewissenhafteste gezählt. Diese Ziffern haben demnach einen anderen Wert als die großen runden Zahlen Pasteurs, deren Ursprung uns völlig unbekannt ist. Das ist alles, was Deutschland zur Frage der Milzbrandimpfungen beitragen kann. Es findet sich darunter kein einziges günstiges und entscheidendes Ergebnis. Und es scheint in den anderen Ländern nicht anders zu sein. Wenn man dort Erfolge gehabt hätte, würde man sie mitgeteilt haben. Solange andere kompetente Beobachter nicht ebenso brillante Resultate mit- teilen werden wie P a s t e u r, solange die Milzbrandimpfung nicht in den infizierten Gegenden Österreich-Ungarns, Rußlands, Deutschlands. Italiens aligemeine Verbreitung gefunden haben wird — solange wird man nicht behaupten können, daß die früher von mir erhobenen Einwände durch die Tatsachen widerlegt sind. Im Gegenteil, alle bis heute gemachten Erfahrungen, alle vorgebrachten Tatsachen bestätigen vollkommen meine ursprüngliche Ansicht, daß die Milzbrandimpfung nicht einbringt, was sie an Kosten verursacht, daß sie keinerlei Wert für die Praxis besitzt. R. K o c h, Professor der Hygiene an der medizinischen Fakultät in Berhn." Koch, Gesammelte Werke. 18 über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen in Boden, Luft und Wasser.') Von Dr. R. Koch, Geh. Regierungsrat. M. H.! Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß eine Anzahl von Krankheiten, besonders die Infektionskrankheiten, in unverkennbarer Weise von den Verhältnissen der Luft, des Wassers und des Bodens abhängig sind. Die Vorstellungen, welche man sich von der Art und Weise dieser Abhängigkeit gemacht hat, richteten sich natürlich nach den jederzeit herrschenden Ansichten über das Wesen der Krankheitsursachen. Solange man noch den Luftströmungen, der Temperatur und der Feuchtigkeit der Luft, den mineralischen Bestandteilen des Wassers, den gasförmigen Ausdünstungen des Bodens einen überwiegenden Einfluß auf die Entstehung der Krankheiten zu- schrieb, hat man sich fast ausschließlich darauf beschränkt, die rein chemischen und physi- kalischen Eigenschaften der Luft, des Wassers und des Bodens zu untersuchen. Es hat sich aber später immer mehr die Überzeugung Bahn gebrochen, daß nicht sowohl die rein chemischen und physikalischen Verhältnisse Krankheit erregend und beför- dernd wirken, sondern vielmehr der Einfluß, den sie auf gewisse Zersetzungsvorgänge organischer Natur ausüben. Die Folge davon war, daß man nunmehr sein Augenmerk darauf richtete, das Wesen dieser Zersetzungs Vorgänge zu ergründen. Man bestrebte sich, namentlich die Bedingungen zu erforschen, welche auf diese Zersetzungsvorgänge hindernd oder fördernd einwirken, so z. B. die Durchlässigkeit des Bodens, die Schwan- kungen des Grundwassers. Man suchte ferner nach Kennzeichen für den Grad der Ver- unreinigung, welche diese Zersetzungsvorgänge mit sich bringen, um so ein Urteil über die Gesundheitsschädlichkeit derselben gewinnen zu können. In dem Kohlensäure- gehalt der Luft, in dem Gehalt des Wassers an oxydierbaren organischen Substanzen, an Ammoniak, Salpetersäure, Chlor ist denn auch ein bestimmter Maßstab gefunden, nach dem sich wenigstens in gewisser Richtung und für manche Fälle eine vollständig ausreichende Kenntnis der Verunreinigung von Luft und Wasser erhalten läßt. Daß diese erweiterte Auf fassung der Aufgaben, welche hinsichtlich der ätiologischen Erforschung von Luft, Wasser und Boden zu erfüllen sind, zu den wichtigsten Resultaten geführt hat, die wir vor allem den bahnbrechenden Arbeiten von Fetten kofer verdanken, ist Ihnen ja allen bekannt. Nun hat aber die neuere Zeit über diese als wichtig erkannten Zersetzungsvorgänge weitere Aufschlüsse gebracht. Es hat sich herausgestellt, daß alle diese Zersetzungs- vorgänge, die so große Ähnlichkeit mit den Gärungsprozessen haben, ohne Ausnahme 1) VorlJrag auf dem XI. Deutschen Ärztetag in Berlin am 23. Juni 1883. Aus Ärztliches Vereinsblatt für Deutschland, 1883, Nr. 137. Komnüssions-Verlag von F. C. W. Vogel, Leipzig. über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. 275 durch niedere Organismen bedingt sind, und zwar gehören die Organismen, um die es sich handelt, zu den niedrigsten Formen der Pflanzenwelt, den Pilzen und Bakterien. Ja, es ist wohl schon als festgestellt anzusehen, daß eine Anzahl von diesen niederen Organismen, vorzugsweise Bakterien, direkt Krankheiten verursachen können. Damit ist aber auch die Notwendigkeit gegeben, in Zukunft nicht mehr allein, wie früher, den Produkten der Zersetzung seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, sondern außerdem auch die Erreger der Zersetzung, die Mikroorganismen selbst ins Auge zu fassen, und es wird notwendig sein, neben dem Kohlensäuregehalt der Luft, dem Gehalt des Wassers an oxydierbaren organischen Bestandteilen, Salpetersäure, Chlor usw. auch die Pilze und Bakterien in Luft, Wasser und Boden der Zahl und Art nach zu bestimmen, wenn man ein ausreichendes Urteil über die gesundheitsschädlichen Eigenschaften der uns um- gebenden Medien gewinnen will. Diese Überzeugung hat vielfach schon zu Bestrebungen geführt, die eben angedeutete Aufgabe zu lösen. Zu diesem Zwecke wurde versucht, die in der Luft suspendierten geformten Bestandteile, namentlich die Keime von Mikro- organismen in der Weise zu bestimmen, daß Luft durch Schießbaumwolle filtriert wurde, welche man in Äther auflöste xmd so direkt mikroskopisch untersuchte. Nach einem anderen Verfahren wird die Luft gegen eine klebrige Flüssigkeit, z. B. einen Tropfen Gly- zerin oder Glukose, getrieben oder angesaugt, in der V'oraussetzung, daß die festen Bestandteile der Luft an dieser Flüssigkeit haften bleiben, um sie so der mikroskpischen LTntersuchung zugänglich machen zu können. Schließlich hat man noch versucht, die Luft direkt durch Nährflüssigkeiten zu leiten, d. h. durch Lösungen von Substanzen, welche zur Ernährung von Bakterien besonders geeignet sind. Man hoffte, daß sämt- liche entwicklungsfähigen Keime, welche die Luft enthielt, zurückbleiben, sich ver- mehren und so in Art und Zahl erkannt werden könnten. Ähnlich ist man mit dem Wasser verfahren, man hat es entweder direkt untersucht, nachdem es ganz oder teilweise ver- dunstet war, oder mit Mitteln behandelt, welche die suspendierten Bestandteile zu Boden reißen, z. B. Ghlorkalziumlösung, Osmiumsäure, oder mit Substanzen, welche zugleich färbend wirken, wie Anilinfarben. Ob ähnliche Untersuchungen in bezug auf den Boden vorgenommen sind, ist mir nicht bekannt. Alle diese Methoden, nach welchen man bis jetzt untersucht hat, sind jedoch un- vollkommen vmd unsicher. Es würde zu weit führen, wenn ich die Fehler jeder einzelnen Methode kennzeichnen wollte, ich muß mich darauf beschränken, im allgemeinen darauf hinzuweisen, daß die direkte mikroskopische LTntersuchung für Luft und Wasser uns keine Auskunft darüber gibt, ob die Mikroorganismen, welche man gefunden hat, lebend oder tot sind, und es kommt doch vor allen Dingen darauf an, gerade dies zu wissen. Auch die anderen Untersuchungsmethoden, welche die in der Luft befindlichen Keime in eine Nährflüssigkeit bringen, rechnen nicht mit den besonderen Eigenschaften der Bakterien bezüglich ihrer Entwicklung und ihres Wachstums. Die Bakterien und Pilze wachsen nämlich nicht alle in gleichmäßiger Weise. Einige vermehren sich ungemein schnell, andere langsam. Außerdem sind einige beweglich, andere unbeweglich. Denken Sie sich nun eine Lösung, in welcher vielleicht 10, 20 verschiedene Keime aus der Luft zurückgeblieben sind, so wird binnen kurzer Zeit eine Art alle anderen überwuchern, die beweglichen Formen werden sich mit den übrigen vermengt haben, kvu'z es gibt schließlich ein Gewirr von Formen und Gestalten, aus dem man sich nicht herausfindet und am wenigsten ersehen kann, wieviele und welche Arten in der Luft gewesen sind, die man untersucht hat. Die Erkenntnis der Schwierigkeiten, welche sich diesen LTntersuchungen entgegen- stellten, führte nun aber auch zu den Mitteln, die unvollkommenen Methoden durch bessere zu ersetzen. Stellen Sie sich vor, daß es sich nicht um eine Nährflüssigkeit, 18' 276 Über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. sondern um einen festen Nährboden handelte und daß auf diesen festen Nährboden eine Anzahl Keime gelangen würden, die sich getrennt voneinander ablagern. Dann werden sich natürlich die beweglichen nicht mit den unbeweglichen mischen können, auch werden nicht die schnell wachsenden die anderen überwuchern, weil sie in ihrer Ausbreitung durch den festen Nährboden an eine mehr oder weniger eng begrenzte Stelle gebunden werden. Man wird also den wesentlichen Teil der vorhin angedeuteten Fehler vermeiden können. Daß diese Voraussetzung nicht etwa eine rein h\/pothetische ist, sondern sich auch experimentell als richtig erweisen läßt, dafür kann ich Ihnen hier Beispiele zeigen. Ich muß indessen noch vorausschicken, daß bei allen Untersuchungen über niedere Orga- nismen, so bald man sie in getrennten Arten zur Entwicklung bringen will, es besonderer Vorsichtsmaßregeln bedarf, die ich nur andeuten will. Sie werden erfahren, daß in der Luft, im Wasser, an den Gerätschaften, kurz fast überall, eine Menge Keime von Mikroorganismen vorhanden sind. Macht man also den Versuch, irgendeine Art rein tax erhalten, so ist man stets der Gefahr ausgesetzt, daß von überallher Verunreinigungen in die Kultur hineingeraten. Hiergegen kann man sich aber dadurch schützen, daß man alle Gerätschaften und Nährsubstanzen durch Hitze frei von fremden Keimen macht, d. h. sterilisiert. Die Apparate, welche zur Steri- lisierung durch Hitze dienen, sind hier nicht ausgestellt, aber ich bitte Sie, am Nach- mittag, wenn Sie den Pavillon des Gesundheitsamtes in Augenschein nehmen, im La- boratorium für Untersuchungen über Infektionskrankheiten dieselben sich ansehen zu wollen. Alle metallenen und gläsernen Instrumente und die zum Verschluß der Kultur- gefäße dienende Baumwolle werden mit trockener Hitze, und zwar bei einer Temperatur von mindestens 150 — 160'^ C keimfrei gemacht. Flüssigkeiten oder andere Substanzen, welche man als Nährboden benutzen will, kann man nicht gut durch sehr hohe Tem- peratur keimfrei machen, weil dadurch in ihnen chemische Umsetzungen entstehen, durch welche sie möglicherweise als Nährsubstanz ungeeignet gemacht werden. Zur Sterilisierung dieser Substanzen hat sich strömender Wasserdampf von 100° als das zweckmäßigste Mittel erwiesen. Ich kehre nunmehr zu dem Verhalten der auf einem festen Nährboden abgelagerten Keime zurück. Dieselben inüssen sich, wie gesagt, auf dem festen Boden, auf welchem sie sich getrennt abgesetzt hatten, auch getrennt entwickeln, so daß man die aus den Keimen herangewachsenen Kolonien einzeln beobachten und sich über ihr Verhalten informieren kann. Ein in dieser Beziehimg sehr instruktives Experiment läßt sich in der Weise anstellen, daß man eine gekochte und durchgeschnittene Kartoffel nimmt und die Schnittfläche derselben dem Einfluß der Luft aussetzt. Die Kartoffel ist ein vorzüghcher Nährboden für Bakterien und Pilze, wie sie an den hier vorgelegten Bei- spielen von Kartoffeln mit verschiedenen Reinkulturen von Bakterien und Pilzen sehen können. — Die Kartoffel, welche der Luft ausgesetzt werden soll, ist natürlich steri- lisiert. Dieselbe befindet sich in einem durch Hitze keimfrei gemachten Glase und unter Verschluß von Watte. In dieser Weise geschützt, kann sie behebig lange aufbewahrt werden, ohne daß sie irgendwelche Veränderung erleidet ; es wächst nichts auf ihr, trotz- dem sie ein vorzüglicher Nährboden ist. Sobald aber der schützende Watteverschluß eine Zeitlang, z. B. einige Stunden gelüftet wird, dann fallen eine Anzahl von Keimen aus der Luft auf die Oberfäche der Kartoffel und es entwickelt sich durch das Wachstum dieser Keime ein Bild, wie Sie es hier an verschiedenen Beispielen sehen; es erscheint auf der Kartoffel eine Menge von kleinen Pünktchen, Tröpfchen und Pilzmyzelien. Wenn Sie diese genau betrachten, dann sehen Sie, daß fast alle ein verschiedenes Aus- sehen haben; sie differieren in bezug auf Größe, Farbe, Konturen, und wenn man sie über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. 277 mikroskopisch untersucht, so ist man von ihrer Mannigfaltiglveit noch mehr überrascht. — Durch dieses einfache Experiment ist also schon eine gewisse Auskunft über die in der Jjuft befindlichen Keime von Mikroorganismen zu erhalten. Nun ist aber eine solche Kartoffel nicht geeignet, um nach allen Richtuiagen hin die Untersuchung auf Mikro- organismen zu ermöglichen : für Wasser- oder Bodenuntersuchung vi^ürde sie nicht zu verwerten sein. Es war demnach notwendig, noch nach andern Substanzen für einen festen Nährboden sich umzusehen, die bequem zu handhaben sind und außerdem in besserer Weise die mimittell)are mikroskopische Untersuchung gestatten. Für diesen Zweck erwies sich der Zusatz von Gelatine zu irgendwelchen Nährlösungen als be- sonders geeignet, um diese in feste Nährsubstanzen zu verwandeln. Man nimmt Ge- latine, von welcher hier eine Probe vorgelegt wird, setzt dieselbe der Nährlösung zu, läßt sie quellen, bringt sie in der Wärme zur Lösung, sterilisiert durch Kochen und läßt nachher wieder erstarren. Man kann sich natürlich die verschiedenartigsten Nähr- gelatinen herstellen, z. B. mit einem Infus von Weizen oder Backobst, welche letztere sich ganz besonders nährfähig für die Schimmelpilze gezeigt hat. Eine sehr geeignete Gelatine ist die mit Fleischinfus bereitete, und zwar deswegen, weil nicht sowohl der- jenige Nährboden als der vorteilhafteste erscheinen muß, auf welchem die Bakterien und Pilze überhaupt gedeihen, sondern vielmehr ein solcher, auf welchem besonders die uns in erster Linie interessierenden pathogenen Bakterien zu wachsen vermögen. Für diese hat sich aber gerade die Fleischinfusgelatine mit Zusatz von etwas Pepton als beste Gelatinekomposition erwiesen. Sie wird in folgender Weise zubereitet: ] kg gehacktes Rindfleisch und 2 1 Wasser werden gemischt und eine Nacht hindurch in einem kalten Raum, am besten im Eisschrank, stehen gelassen. Dann wird das Wasser ausgepreßt, Gelatine im Verhältnis von 5 — 10%, also auf 2 1 Flüssigkeit 100 — 200 g Gela- tine, und Pepton 1%, also 20 g, sowie ^,2% Kochsalz zugesetzt. Eine Flasche mit den gemischten, eben genannten Ingredienzien zeige ich Ihnen hier. Man läßt das Ganze eine kurze Zeit stehen und bringt darauf bei mäßiger Wärme die Gelatine zur I^ösung. Diese Lösung wird mit kohlensaurem Natron möglichst genau neutralisiert und alsdann in den Apparat zur Dampf sterilisierung gebracht. Bei der Erhitzung tritt eine Ge- rinnung ein und es muß die Lösung filtriert werden, was am besten mit Hilfe eines Heiß- wassertrichters geschieht. Nach dem Filtrieren erhält man eine ganz klare, durchsichtige, schwachgelbliche Lösung, die sehr bald erstarrt und wie die Ihnen hier vorgezeigte Probe aussieht. Es könnten aber während dieser Manipulationen, insbesondere während des Filtrierens, Keime aus der Luft in die Nährlösung eingedrungen sein, und es ist deshalb notwendig, die fertige Nährgelatine in dem mit Watte verschlossenen Gefäß nochmals durch den heißen Dampfstrom zu sterilisieren. Jetzt bleibt die Gelatine trotz ihrer besten Nährfähigkeit im geschlossenen Glase ganz unverändert, klar und kann lange aufbewahrt werden. Das Bild ändert sich aber sofort, wenn man den Wattepfropfen entfernt und der Luft Zugang verschafft. Dann fällt ebenso, wie es bei der Kartoffel der Fall war, eine Anzahl Keime aus der Luft auf die Oberfläche der Gelatine und kommt hier zur Entwicklung. Sie sehen hier einige solcher Beispiele. An der Oberfläche der in diesen Flaschen befindhchen Nährgelatine sind kleine Pilzmyzelien und Tröpfchen sichtbar, die wegen der Durchsichtigkeit der Gelatine weit besser als auf der Kartoffel zu erkennen sind, fch möchte Sie noch besonders darauf aufmerksam machen, daß die Kolonien in diesen Gefäßen fast ausschließlich unter der Öffnung liegen, welche durch den Hals der Flasche gebildet wird; schon hieraus ist zu ersehen, daß diese Keime nicht etwa durch Urzeugsng aus der Nährsubstanz oder durch Verunreinigungen der Gelatine oder des Gefäßes ihren ITrsprung genommen haben können, denn im ersteren Falle müßten sie im Innern der Gelatine, im letztei en dicht an den Glaswänden liegen ; 278 Über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. sie liegen jedoch unter der Öffnung, welche der Luft den Zutritt gestattet, und können nur durch diese an die Oberfläche der Gelatine gelangt sein; sie stammen also aus der Luft und sind, dem Gesetz der Schwere folgend, in das Gefäß hinabgefallen. Wenn Luft- strömungen in das Gefäß hineindringen, dann wirken sie auf die Ablagerung der Keime ein. Sie sehen hier zum LTnterschiede von jenen Gefäßen ein solches, welches im Freien gestanden hat und den Luftströmungen ausgesetzt war. An der Lage der Kolonien, welche sich nach der einen Seite hin gruppieren, erkennen Sie die Windrichtung, welche während der Ablagerung der Keime geherrscht hat. Nun ist aber in einem solchen Glaskolben die Beobachtung und weitere Untersuchung der Kolonien noch zu sehr erschwert. Man kann dieselben nicht in unmittelbarer Nähe betrachten und namentlich nicht direckt unter das Mikroskop bringen, um sie vergrößert untersuchen zu können. Deshalb ist es zweckmäßig, die Gelatine nicht in einem solchen flaschenartigen, sondern in einem flachen, weit offenen Gefäß oder auf einer Glasplatte ausgebreitet der Luft auszusetzen. Auch dann entstehen auf der Oberfläche der Gelatine sehr viele Kolonien aus den ab- gelagerten Keimen, wie Sie an diesem Beispiel einer mit Nährgelatine überzogenen Glasplatte, welche 2 Stunden außerhalb des Fensters gestanden hatte, ganz vorzüg- lich ersehen können. Besonders ist in diesem Falle die Mannigfaltigkeit der Formen sehr auffallend; auch möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß einige Kolonien die Gelatine verflüssigen, während andere die Konsistenz derselben nicht verändern. Hier lege ich Ihnen eine andere Platte vor, welche einen ganz anderen Typus reprä- sentiert. Dieselbe war kaum 14 Stunde* im Stalle unserer Versuchstiere äer Luft aus- gesetzt. Sie sehen auf derselben eine erheblich größere Anzahl von Kolonien und darunter sehr viele von ganz anderem Charakter als die in den vorher gezeigten Beispielen vor- kommenden. Nun kann man aber noch manche andere mehr oder weniger zweckmäßige Formen den zur Aufnahme der Gelatine bestimmten Gefäßen geben. Sehr einfach und bequem sind kleine viereckige Glasnäpfe mit einer Höhlung und einem Glasdeckel, von denen hier eine Anzahl vorgelegt werden. Dieselben sind sämtlich mit Nährgelatine gefüllt und wurden einige Stunden lang der Luft ausgesetzt. Auf der Gelatineoberfläche be- finden sich sehr verschiedene Kolonien von Pilzen und Bakterien. Besonders mache ich auf eins der Glasnäpfchen aufmerksam, in welchem nebeneinander ein schöner brauner Pilz, dann in fast gleicher Größe und Form eine weiße, daneben eine rote, und ferner zwei gelbe Bakterienkolonien entstanden sind. Dieselben haben ein so zierliches und schönes Aussehen, daß man meinen könnte, sie seien künsthch hergestellt, dennoch hat nur der Zufall sie in dieser Weise und auf natürlichem Wege entstehen lassen. In den bis jetzt gezeigten Beispielen von Luftuntersuchung fehlt jeder Anhalt für die Bestimmung der Luftmenge, welche ihre Keime auf der Oberfläche der Gelatine abgelagert hatte. Um nun zunächst möglichst gleiche Luftmengen zu untersuchen und damit einen Ver- gleich in den Resultaten zu ermöglichen, wurde dieser Apparat konstruiert, der die Be- dingungen, die man an ihn stellen kann, aufs einfachste erfüllt. Derselbe besteht aus einem ziemlich hohen, zylindrischen Glase, dessen unterer Teil, wie sich wohl voraus- setzen läßt, eine nicht in Bewegung befindliche Luftschicht enthält, aus welcher sich die Keime ungestört absetzen können. Selbst wenn über die obere Öffnung des Glases Luft- strömungen hinweggehen, so wird doch unten eine mehr oder weTniger große Luftsäule bleiben, welche unbewegt ist. Um nun ferner die Kolonien, welche sich auf der Gelatine entwickeln, gleich für die mikroskopische Untersuchung zugänglich zu machen, wird die Gelatine in ein kleines Glasgefäß gegossen, welches auf den Boden des Zylinders gestellt wird und durch einen Blechstreifen herausgehoben werden kann. Es bleibt nun, wenn das Gefäß dicht mit W^atte geschlossen ist, die sterilisierte Gelatine vollständig über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. 279 ohne jede Veränderung. Sobald aber die Watte entfernt wird, fallen Luftkeime auf die Gelatine und wir sehen bald wieder vielfache Kolonien heranwachsen, wie an diesen Beispielen, welche an verschiedenen Orten und verschieden lange Zeiten der Luft ausgesetzt waren, zu sehen ist. Es war leider nicht möglich, Ihnen einzelne dieser Kolonien unter dem Mikroskop zu demonstrieren, doch habe ich Ihnen hier Photogramme von Ver- größerungen solcher auf Gelatine zur Entwicklung gekommenen Kolonien mitgebracht, um Ihnen eine Idee davon zu geben, wie mannigfaltig sich die Formen derselben ge- stalten, wenn man sie vergrößert betrachtet. Ihre Ränder erscheinen bald rund, bald wellenförmig, strahlenförmig usw. Es ist selbstverständlich ferner notwendig, die Kolo- nien und die in ihnen enthaltenen Mikroorganismen mit allen Methoden und Hilfsmitteln der neueren Mikroskopie, also mit Ölimmersionssystemen, Beleuchtungsapparat, Fär- bungsmethoden usw. zu untersuchen. Hierbei findet man, daß fast jedes dieser Tröpf- chen eine Reinkultur ist und von einer solchen aus kann man in einfachster Weise die Reinkultur einer Bakterienart weiterzüchten. Man nimmt zu diesem Zweck einen Platin- draht, der in einen Glasstab eingeschmolzen ist; derselbe wird ausgeglüht und wieder abgekühlt; dann berührt man damit ein Tröpfchen und überträgt es weiter auf andere Nährgelatine, welche in einem mit Watte Verschluß versehenen Reagenzglas sich be- findet. Es entsteht dann wieder eine ebensolche Kolonie, und zwar ist diese gleichfalls eine Reinkultur von den Bakterien der ursprünglichen Kolonie. Ich zeige Ihnen hier eine Anzahl in dieser Weise erhaltener Reinkulturen, aus der Luft Berlins. Es sind teils Mikrokokken, teils Bazillen, ferner verschiedene Aspergillusarten und andere weiße, schwarze, blaugrüne Schimmelpilze. — Diese Luftuntersuchungsgläser lassen, wie ge- sagt, nur eine vergleichsweise Bestimmung des Gehaltes der Luft an entwicklungsfähigen Keimen zu. Mit der Aufgabe, die Anzahl der Keime in einem bestimmten, abgemessenen Luftquantum zu bestimmen, hat sich Herr Bezirksarzt Dr. Hesse, aus Schwarzenberg in Sachsen, längere Zeit im Laboratorium des Gesundheitsamtes beschäftigt. Zur Lösung dieser Aufgabe kam es darauf an, der Gelatine eine Gestalt zu geben, welche gestattete, abgemessene Quantitäten Luft über dieselbe so hinwegzuleiten, daß sämtliche Keime sich auf der Oberfläche der Gelatine ablagern mußten. Ich müßte zu ausführlich werden, wenn ich alle Vorversuche beschreiben wollte, die zur Konstruk- tion des Hesse sehen Luftuntersuch ungsap^Darates geführt haben. Derselbe besteht aus einem Glasrohr, das mit Nährgelatine soweit gefüllt wird, daß die erstarrte Ge- latine ungefähr ein Viertel des Umfangs bedeckt, wenn das Rohr horizontal gelegt ist. Auf beiden Seiten ist das Rohr mit einem Kautschukverschluß versehen, welcher nach dem Öffnen die Durchleitung von Luft gestattet. Das Ganze befindet sich auf einem besonderen Stativ. Wenn man nun eine bestimmte Quantität Luft durch das mit steri- lisierter Nährgelatine versehene Rohr mit Hilfe eines Flaschenasp irators hindurchsaugt, so gibt die Luft alle ihre Keime an die Gelatine ab. Ein am Ende des Rohres befindhcher Wattepfropf, welchen die aspirierte Luft passieren muß, ist mit Gelatine angefeuchtet und es muß also jeder Keim, der bis an das Ende des Rohres gelangt, an diesem Watte- pfropf zur Entwicklung kommen. Das Freibleiben des Wattepfropfs von Pilzen und Bak- terienkolonien dient also als Kontrolle dafür, daß auch sämtliche in der Luft vorhande- nen Keime in dem Rohr zurückgehalten Avurden. Durch das Rohr, Avelches ich Ihnen hier vorlege, sind 10 1 Berliner Luft hindurchgeführt. Wenn Sie die darin entstandenen Kolonien betrachten und zählen, so stimmt die Zahl derselben ungefäln- mit dem, was Dr. Hesse in einer großen Reihe von Versuchen festgestellt hat, daß nämhch ungefähr auf 2 1 Luft in Berlin eine Pilzspore und ein Bakterienkeim kommt. Durch dieses zweite Rohr sind 12 1 Luft aspiriert. Die Durchleitung ist etwas unregelmäßig vor sich ge- gangen, und es sind deshalb zu viele Keime am Anfang des Rohres liegen geblieben ; die 280 über die neuen üntersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. Luft, welche sehr reich an Keimen war, stammt aus einem Tierstall. Durch das dritte Rohr ist ebenfalls Berliner Luft, und zwar 9 1 geleitet. Diese Bestimmungen der entwicklungsfähigen Keime in der Luft haben schon zu einigen interessanten Resultaten geführt. Wie ich schon sagte, ist die Luft in Berlin derartig beschaffen, daß man auf 2 1 ungefähr einen Pilzkeim und einen Bakterienkeim rechnen kann. Ich habe in ähnlicher Weise Gelegenheit gehabt, in London Luftunter- suchungsgläser aufzustellen. Nach ungefährer Schätzung betrug die Zahl der auf der Gelatine gewachsenen Kolonien wenigstens das Fünffache von dem, was gewöhnlich aus BerHner Luft erhalten wird. Die Untersuchungen haben ferner ergeben, daß es einen außerordentlichen LTnterschied macht, ob sich die Luft in Ruhe oder in Bewegung be- findet, ob derselben Staubteile beigemengt sind oder nicht. Die Luft kann arm an Kohlen- säure sein und eine Unmasse von diesen Keimen niederer Organismen enthalten und umgekehrt. Ich hatte früher schon gefunden, daß Zimmer, welche unbewohnt und ungelüftet sind, fast frei von Keimen sind. Die Luft in einem Keller kann dumpfig er- scheinen und trotzdem nur wenige Keime enthalten. Umgekehrt ist überall da, wo viel Bewegung und viel Staub ist, eine außerordentliche Menge von entwicklungsfähigen Keimen in der Luft vorhanden. Ich habe schon den Gegensatz hervorgehoben zwischen . der Luft im Freien und im Tierstall, in welchem zahlreiche Tiere beständig in Bewegung sind und der Luft viele Staubteile zuführen. Hier lege ich Ihnen noch einige von den Zeichnungen vor, die Herr Dr. Hesse nach seinen Luftuntersuchungsröhren anfertigen ließ und einen sehr guten Einblick in diese Verhältnisse geben. Bei der Üntersuchung eines Schulzimmers hatte Herr Dr. Hesse seinen Apparat vor Beginn des Unterrichts aufgestellt und ließ 2 1 Luft durch das Rohr gehen. Es waren, wie aus der Zeichnung zu ersehen ist, später nur ein einziges Pilzmyzel und zwei Bakterienkolonien zur Ent- wicklung gekommen. In demselben Schulzimmer und an demselben Tage gingen dann während des Unterrichts 2 1 Luft durch ein Rohr mit Nährgelatine. Wie Sie sehen, ergab sich hierbei schon ein ganz anderes Bild; denn es kamen 20 — 30 verschiedene Kolo- nien zur Entwicklung. Als aber die Luft untersucht wurde, während die Kinder das Zimmer verließen, also eine Menge Staub aufgewirbelt wurde, da führte dies zu einem Resultat, welches dem im Tier stall erhaltenen in bezug auf die Menge der zur Entwick- lung gekommenen Kolonien nicht viel nachgibt. Sie sehen also, einen wie großen Ein- fluß auf das Vorhandensein der Mikroorganismen die Bewegung der Luft und der Gehalt derselben an staubförmigen Bestandteilen hat^). Ich komme nunmehr zu der Untersuchung des Wassers nach dieser Methode. Es würde nicht ausführbar sein, dasselbe in gleicher Weise wie die Luft auf die Oberfläche der Gelatine wirken zu lassen. Nun kann man sich aber leicht in der Weise helfen, daß man die Gelatine bei ungefähr 30" verflüssigt, das Wasser zusetzt und sorgfältig mischt. Beim Erstarren der Gelatine werden die im Wasser enthaltenen Keime voneinander getrennt, fixiert und müsen also auch voneinander getrennte Kolonien zur Entwicklung bringen, welche sich jedoch in diesem Falle nicht wie bei der Luftuntersuchung an der Oberfläche der Gelatine, sondern im Innern derselben verteilt finden. Jede einzelne der so entstandenen Kolonien ist, wie die mikroskopische Untersuchung ergibt, eine Reinkultur, sie muß also aus einem einzigen Keime hervorgegangen sein und die Zahl der zur Entwicklung gekommenen Kolonien entspricht demnach annähernd der Zahl der im Wasser vorhandenen entwicklungsfähigen Keime. Sie sehen hier verschiedene Reagenzgläser mit Nährgelatine, der etwas Spreewasser zugesetzt ist. Die Gelatine Die Arbeit von Dr. Hesse über quantitative Bestimmung der entwicklungsfäiiigen Keime von Mikroorganismen in der Luft wird binnen kurzem in den „Mitteilungen aus dem kaiserlichen Gesundheitsainte" publiziert werden. Über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der ^likrokosmen usw. 281 enthält eine sehr große Menge von kleinen Pünktchen und kugelförmiger Kolonien. Ich mache noch besonders auf die Gasentwicklung aufmerksam, die in einzelnen dieser Kugehi vor sich gegangen ist. Das Gas kann in diesem Falle nur ein Produkt der Bak- terienvegetation sein, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch die Entwicklung des Gases in Sümpfen nichts ist als das Produkt bestimmter Bakterienarten. In gleicher Weise wie bei den Luftmitersuchungen kam es auch hier darauf an, die Methode so zu gestalten, daß man die Kolonien zählen und für die direkte nükro- skopische Untersuchung sowie für die Weiterzüchtung in Reinkulturen zugänglich macht. Es ließ sich dies in einer sehr einfachen Weise dadurch erreichen, daß man die flüssige Gelatine, der das Wasser zugesetzt ist, auf eine Glasplatte ausgießt. Die Platte wird zu diesem Zwecke auf einem Nivellierständer in eine horizontale Lage gebracht, die flüssige Gelatine ausgebreitet und sofort verdeckt. Natürlich muß die Glasplatte, sowie die zur Mischung der Gelatine mit dem Wasser dienenden Gefäße zuvor durch Hitze desinfiziert sein. Da man die Gelatine beim Zutritt der Luft ausbreiten muß und hierbei Keime aus der Luft in die Gelatine geraten, so war es notwendig, die Fehler zu bestimmen, welche bei dieser Methode der Wasseruntersuchung nicht zu vermeiden sind. LTm die Zahl der aus der Luft stammenden Keime zu o-fahren. wurden bei jedei" LTntersuchung zur Kontrolle eine oder mehrere Platten in der Weise präpariert, daß der Nährgelatine 1 ccm gekochtes, destilliertes Wasser zugesetzt wurde. Dann schwankte die Menge der in einer solchen Platte zur Entwicklung kommenden Keime zwischen 0 und 5 oder 6. Wenn also auf einer Platte, welche mit einem bakterienhaltigen Wasser präpariert wurde, 1000 oder 10000 Kolonien zur Entwicklung kommen, so ist der in der Methode liegende Fehler verschwindend klein. Ich werde Ihnen nunmehr einige solcher Platten vorlegen. Hier haben Sie z. B. eine Platte, der 1 ccm Wasser aus der Tegeler Wasserleitung zugesetzt ist. Sie sehen, daß die Zahl der Keime vielleicht 50 — 60 beträgt. Das ist eine verhältnismäßig niedrige Zahl. Zum Vergleich gebe ich Ihnen eine Platte, die mit 1 ccm Brunnenwasser präpariert ist. Auch dieses ist noch als recht gut zu bezeichnen, da die Zahl der Kolonien ungefähr 100 beträgt. Man kann die Zählung der Kolonien entweder in der Weise vornehmen, daß man, wenn ihre Zahl nicht zu grol.5 ist, dieselben direkt zählt, oder daß man bei einer großen Menge von Kolonien die Platte auf ein Netz mit qcm-Einteilung legt und nun die Kolonien auf einer Anzahl qcm zählt, aus diesen das Mittel nimmt und danach die Zahl für die ganze F'läche berechnet. Weiter zeige ich Ihnen hier einige Beispiele von schlechterem Wasser, z. B. eine Platte, deren Gelatine mit einem einzigen Tropfen Spreewasser versetzt ist. Die Zahl der Kolonien geht in die Tausende. Das Wasser, welches dazu genommen ist, sieht trotzdem durch- aus nicht so schlecht aus, wie man meinen sollte. Das Brunnenwasser, welches der vor- hin gezeigten Platte zugesetzt war, befindet sich in dieser Flasche; dasselbe sieht trotz des geringen Gehaltes an Bakterien trübe und weit schlechter als das bakterienreiche Spreewasser aus. Hier ist ein Beispiel von dem schlechtesten Wasser, das man wohl zur Untersuchung bekommen kann, es ist eine Platte mit einem einzigen Tropfen vom Pankewasser. Diese letzte Platte zeigt dasselbe Pankewasser bei hundertfacher \'er- dünnung. Die Platte mit dem unverdünnten Pankewasser enthält fast unzählbar viele Kolonien. Bei hundertfacher Verdünnung liegen die Kolonien schon so weit getrennt, daß sie zählbar werden und durch noch weitergehende Verdünnung würde man die Tren- nung der einzelnen Kolonien so weit treiben können, daß man aus jeder einzelnen Kolonie bequem Reinkulturen erzielen könnte. Nach dieser Methode hat Herr Professor V. Rozsahegyi im Gesundheitsamte eine große Reihe von Untersuchungen angestellt. Ich zeige Ihnen hier Abbildungen, die nach Platten aus diesen Untersuchungen ange- fertigt sind. Hier sehen Sie eine Platte mit 1 ccm Wasserleitimgswasser. ferner zwei 282 über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. Beispiele von Brunnenwasser. Diese Methode der Wasseruntersuchung eignet sieh sehr gut zur Kontrolle der Wirkung von Filtrierapparaten. Ich lege Ihnen hier einige hierauf bezügliche Abbildungen vor. Diese erste zeigt eine Platte mit einem Tropfen von unfiltriertem Spreewasser und die zweite eine solche mit einem Tropfen Spreewasser, nachdem dasselbe durch ein Kohlenfilter gegangen war. Es ist infolge der Filtration eine gewisse Abnahme in der Zahl der Kolonien zu bemerken, aber eine so unbedeutende, daß man von einer wirklichen Reinigung des Wassers nicht sprechen kann. Nur die gröberen im Wasser suspendierten Verunreinigungen mit den daran haftenden Bakterien scheinen durch das Filter zurückgehalten und dadurch die Zahl der Kolonien etwas ver- ringert zu sein. Herr Professor v.Rozsahegyi hat außerdem eine Anzahl von Filter- apparaten, wie sie in Haushaltungen vielfach benutzt werden, in gleicher Weise unter- sucht und gefunden, daß bei fast allen der Gehalt an Bakterien durch die Filtration nicht verringert wurde. In einem kürzlich von mir untersuchten Falle hat sich sogar herausgestellt, daß ein Filtrierapparat geradezu verschlechternd auf das Wasser einwirken kann, weil die gröberen vom Filter zurückgehaltenen Verunreinigungen sich schließlich in größerer Menge ansammeln, in Fäulnis übergehen und dem zu filtrierenden Wasser Bakterien in großer Zahl zuführen. Man kann nun aus dem Wasser in derselben Weise, wie ich es vorhin bei der Luft gesagt habe, Reinkulturen machen. Sie sehen hier eine Reihe solcher Reinkulturen, und ich habe gerade solche gewählt, die durch ihre Farbe- erscheinungen charakteristisch sind. Dieselben stammen sämtlich aus Berliner Brunnen- wasser. Beiläufig sei bemerkt, daß nach demselben Prinzip die verschiedensten Sub- stanzen untersucht werden können; man kann genau wie mit dem Wasser z. B. mit der Milch verfahren, es lassen sich schließlich auch feste Substanzen, z. B. Fäkalien, in gleicher Weise mit Nährgelatine in einem Verhältnis mengen, daß die zur Entwicklung kommen- den Kolonien weit genug voneinander getrennt sind, um Reinkulturen daraus ge- winnen zu können. Es würde mir nun noch übrig bleiben, Ihnen die Anwendung dieser Methode auf die Bestimmung von Mikroorganismen im Boden auseinanderzusetzen. Nach dem Ge- sagten werde ich mich wohl kurz fassen können. Man verfährt entweder wie bei der* Wasseruntersuchung und setzt die Erde, die man untersuchen will, der flüssigen Ge- latine zu, oder man streut sie einfach auf der Oberfläche der Gelatine aus. Ich gebe Ihnen hier einige solcher Beispiele von Gelatineplatten, auf denen Erde ausgestreut ist und auf denen, wie Sie sehen, zahlreiche Kolonien von eigentümlichen Formen ent- standen sind. Auch bei diesen Erduntersuchungen haben sich bereits einige interessante Tatsachen herausgestellt, an die man von vornherein nicht gedacht hatte. Sie wissen, daß nach der Anschauung von N ä g e 1 i die tieferen Bodenschichten im Bereich des Grundwassers eine Stätte für die umfangreichste Pilzvegetation sein sollen. Bis jetzt wüßte ich allerdings nicht, daß für diese Ansicht eine positive Unterlage gegeben wäre. Wenn man nun den Boden nach unserer Methode untersucht, so stellt sich gerade das Gegenteil von dem heraus, was die bisher geltenden Anschauungen voraussetzten. Früher schon hatte ich verschiedentlich Gelegenheit, Berliner Bodenproben zu unter- suchen, und zwar waren diese absichtlich aus möglichster Nähe derPanke entnommen. Man sollte denke^, das die nächste Umgebung dieses seit langer Zeit mit einer jauchigen Flüssigkeit erfüllten Wasserlaufs von Fäulnisbakterien ganz infiltriert sein müßte. Als ich aber bei Gelegenheit eines unmittelbar neben der Panke ausgeführten Haus- baues eine Untersuchung des Bodens aus verschiedenen Tiefen vornahm, fand ich zu meiner größten Überraschung, daß nur die oberste Kulturschicht, die schwarze Erde, über die nevien Untersuchvingsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. 283 welche mit Dung und Abfallstoffen vermischt ist, reich an Pilzen und Bakterien, be- sonders Bazillen ist. Die tieferen Schichten bis herab zum Wasserniveau der Panke waren dagegen fast frei von Bakterien, und zwar enthielten die tiefsten, dicht neben dem Bette der Panke gelegenen Schichten die wenigsten Mikroorganismen. Ich habe dann zufällig vor einigen Tagen bei einer Aufgrabung zu KanaUsationszwecken in der Nähe der Panke aufs neue Gelegenheit gehabt, Erdproben zu untersuchen. Sie sehen hier in Gläsern Proben von der oberen, schwarzen Schicht, dann eine solche aus einer Tiefe von zwei Fuß und endlich eine aus drei Fuß Tiefe. Ich lege Ihnen hier Gelatineplatten vor, auf welchen die drei verschiedenen Erdproben ausgestreut sind. Die obere Erde ist auch in diesem Falle sehr reich an Bakterien. Fast jedes Körnchen der Erde hat eine mannigfaltige Vegetation von Bakterien und Pilzmyzelien zur Entwicklung gebracht ; dagegen ist auf der mit Erde aus zwei Fuß Tiefe besäten Platte fast gar nichts gewachsen, und die Erde aus drei Fuß Tiefe, welche auf dieser dritten Platte sich befindet, scheint ganz rein zu sein; wenigstens sind bis jetzt keine Kolonien zur Entwicklung gekommen. Es ist nicht unwahrscheiiilich, daß später auch auf dieser Platte noch einige Kolonien entstehen ; aber das geht aus diesem Versuch mit Sicherheit hervor, daß die Mikroorganis- men im Boden nach der Tiefe zu nicht zunehmen, sondern fast ganz verschwinden. Mit Hilfe dieser Untersuchungsmethode muß man also zu neuen Aufschlüssen über die Be- ziehungen der Mikroorganismen im Boden kommen, welche uns auch zu neuen Anschau- ungen über die Gesundheitsschädlichkeit der Verunreinigungen des Bodens durch Mikro- organismen führen Merden. Dasselbe gilt, wie wir gesehen haben, von dem Vorkommen der Mikroorganismen in Luft und Wasser. Es würde sich nmi noch fragen, welche Bedeutung man solchen Befunden bei- messen soll. Soll man Luft oder Wasser oder Boden, welche Mikroorganismen in Menge enthalten, ohne weiteres für gesundheitsschädlich erklären ? Davor möchte ich jedoch warnen. Es ist bis jetzt noch nicht gelungen, unter allen diesen zahlreichen in Luft, Erde und Wasser gefundenen Bakterien pathogene Arten zu finden, und es läßt sich an- nehmen, daß unter der großen Zahl nur verliältnismäßig sehr wenige schädliche vor- kommen. Andererseits dürfen wir aber auch nicht außer acht lassen, daß, wenn man ein Wasser z. B. nach seinem Gehalte an Ammoniak, Chlor, Salpetersäure usw. beur- teilt und danach allein schon für gesundlieitsschädlich erkläi't, es noch mehr zu solch einem Urteil berechtigen würde, wenn man in dem Wasser außerdem noch eine Menge von Mikroorganismen nachweist, selbst wenn darunter keine pathogenen gefunden sind. Außerdem ist es aber durchaus nicht unwahrscheinlich, daß es auch noch gelingen wird, die pathogenen Bakterien, z.B. die Typhusbazillen, direkt im Wasser oder Boden nach- zuweisen. Denn von den pathogenen Bakterien wachsen mehrere, so z. B. die von Dr. G a f f k y in Reinkulturen gewonnenen Typhusbazillen, die Erysipelmikrokokken, die Milzbrandbazillen ausgezeichnet in derselben Nährgelatine, welche für die Unter- suchung von Luft, Wasser, Boden diente. Es würde nur darauf ankommen, große Reihen von Untersuchungen anzustellen, um diese nicht überall verbreiteten pathogenen Bak- terien doch irgendwo einmal anzutreffen. Ihre Unterscheidung von anderen gleich- zeitig sich entwickelnden Kolonien ist nicht sehr schwierig, da sie in der Gelatine charak- teristische und ziemlich leicht kennthche Formen annehmen, was Sie an einigen Rein- kulturen dieser Typhus-, Erysipel- und Milzbrandbakterien, welche ich Ihnen hier vor- zeige, ersehen können. Ich glaube, m. H., Ihnen hinreichende Beispiele dafür geliefert zu haben, daß diese neueren Untersuchungsmethoden in der Tat schon in einer Menge von Fragen auf dem Gebiete der Hygiene und der Ätiologie der Infektionskrankheiten wichtige Aufschlüsse geliefert haben. Es ist zu erwarten, daß mit Hilfe derselben auch noch wei- 284 über die neuen Untersuchungsmethoden zum Nachweis der Mikrokosmen usw. tere ^Resultate erreicht werden und es ist deswegen erforderlich, daß ein jeder Arzt, der sich für die Ätiologie der Infektionskrankheiten und die damit zusammenhängenden Fragen der Hygiene interessiert, sich mit diesen Untersuchungsmethoden bis zu einem gewissen Grade vertraut macht. Aus diesem Grunde habe ich auch, als ich die ehren- volle Aufforderung von selten des Ausschusses erhielt, einen Vortrag zu übernehmen, gerade dieses Thema gewählt. Es sollte mich freuen, wenn es mir gelungen wäre, durch das, was ich Ihnen mit- geteilt und in möglichst instruktiven Beispielen demonstriert habe, Ihnen wenigstens eine orientierende Übersicht und einen Einblick in dies neue Forschungsgebiet ver- schafft zu haben. Demonstration von Diapositiven, die auf photographischem Wege von bakteriologischen Präparaten hergestellt waren. ) In der Sitzung der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Ge- sundheitspflege vom 2i. April (1887) demonstrierte Geheimrat Dr. K o c h im Hygienischen Institut hierselbst mittels eines Projektionsapparates eine größere Anzahl von Diapositiven, tlie auf photographischem Wege von bakteriologischen Präparaten hergestellt waren. Vortragender wies zunächst auf die Bedeutung der Photographie für die Erforschung der Mikroorganismen hin. Durch die verschiedenen Behandlungen der Präparate, die verschiedenen subjektiven Auf- fassungen über dieselben werden l)ei mehreren Forschern über ein und denselben Gegenstand Meinungsdifferenzen hervorgerufen, welche nur durch die Objektivität einer nicht retouchierten Aufnahme ausgeglichen werden können. Eine solche ist ferner zur Demonstration bedeutend geeigneter als die nicht photographierten mikroskopischen Präparate, bei welchen die Einstellung in verschiedenen Ebenen sowie die verschiedenen Brechungsverhältnisse der Augen den Dar- stellungen Schwierigkeiten bereiten. Bei dem zum Entwerfen der Bilder benutzten Projektionsapparat kommt elektrisches, mittels Gaskraftmaschine erzeugtes Bogenlicht zur Verwendung. Die von diesem ausgehenden Strahlen werden zuerst von einer Linse in ein paralleles Strahlenbündel, sodann durch eine zweite Linse in einen Lichtkegel von großer Intensität verwandelt und auf einen weißen Schirm projiziert. Die da- durch erzielten Vergrößerungen sind bei den nach den älteren Systemen angefertigten Diapositiven 20 000- bis 30 000 fache, bei den nach den neuen apochromatischen Systemen angefertigten 40 000-, sogar (30 000 fache. Doch übertrifft die Deutlichkeit der letzteren, wie Vortragender späterhin nacli- wies, die der übrigen Systeme nur sehr wenig. Vortragender demonstrierte sodann, indem er eine Übersicht über die drei Hauptgrupi^en der Mikroorganismen, der Bakterien, Algen und Pilze gal), che wichtigsten Präparate aus jeder der- selben. Unter den vielen zur Darstellung gelangenden Gegenständen seien hauptsächlich folgende hervorgehoben: Sporen von Plasniodiophora brassicae im Schnitt einer Kohlwurzel, Milzbrand- bazillen gefärbt und imgefärbt, zu Fäden ausgewachsen, mit Sporenbildung, in verschiedenen Organ- schnitten, eine Milzl:>randkolonie auf einer Gelatineplatte, ausgehend von einem sporenhaltigen Seidenfaden, welcher 24 Stimden in konzentrierter wäßriger Lösung von schwefliger Sävu'e gelegen hatte, Fälle von Mischinfektion bei Typhus und Menschenblattern, Anhäufungen von Typhusbazillen in Organschnitten bei schwacher und starker Vergrößerung (l>ei letzterer werden in den Anliäufungen die einzelnen Bazillen sichtbar), die den Milzbrandbazillen ähnlichen Bazillen des malignen Ödems, ferner Cholerabazillen in Komma- und Siiirillenform, Gelatinestichkulturen von Cholera, eine besonders charakteristische Cholerakolonie einer Gelatineplattenkultur, die F i n k 1 e r - P r i o r sehen Bazillen (Vortragender wies auf die neuentdeckte Schwefelsäurereaktinn der Choierakulturen als gleichfalls zu verwertendes Unterscheidungsmerkmal von anderen Bakterienkulturen hin), eine Gelatineplatte nüt Bakterienkeimen aus dem Spreewasser nach Filtration desselben durch ein geglühtes Kohlen- filter (dieselben waren mu^ wenig vermindert), eine zweite Platte mit bis zur Unzählbarkeit vermehrten Aus Deutsche Medizinische Wochensclnift, 1887, Nr. 18. 286 Demonstration von Diapositiven, die auf photographischem Wege hergestellt werden. Keimen nach Filtration des Spreewassers durch ein mehrfach benutztes Kohlenfilter (durch den im länger gebrauchten Filter sich anhäufenden Schlamm ))ildet sich für die durchgehenden Keime ein Nährboden, wodurch eine starke Vermehrung derselben eintritt), ferner die Mikroorganismen des Zahnschleims (vom Vortragenden als Bakterienstilleben bezeichnet), eine Serumkultur von Tuber- kulose, Rekurrensspirochaeten (unter diesen wurde vom Vortragenden auf eine im Gehirnschnitt eines mit Rekurrensblut infizierten Affen vorkommende Spirochaete besonders aufmerksam ge- macht; dieselbe konnte als solche von manchen geübten Mikroskopikern erst nach Ansicht des photo- graphierten Bildes erkannt werden), Bazillen der Mäusesepticämie und Hühnercholera u. a. pie zu den Demonstrationen gegebenen Erläuterungen waren von höchstem Interesse und äußerst instruktiv und fanden seitens der zahlreich versammelten Anwesenden den lebhaftesten Beifall. Br. über Desinfektion. ) Von Dr. R. Koch, Eegierungsrat. Eine genaue Kenntnis der Desinfektionsmittel in bezug auf die Art und Weise, wie sie wirken und, was allerdings auffallend klingt, ob sie überhaupt so wirken, wie man sich bei ihrer Empfehlung und Anwendung vorstellt, hat sich bis jetzt nicht erlangen lassen. Es kann das aber auch nicht wunderbar erscheinen, wenn man bedenkt, daß die Infektionsstoffe, an denen ein Desinfektionsmittel seine Wirkung ausüben soll, noch so wenig bekannt sind. Es ist bisher noch nicht einmal als festgestellt zu betrachten, daß die Infektionsstoffe sämtlich organisiert sind und auch da, wo mit mehr oder weniger Wahr- scheinlichkeit organisierte Infektionsstoffe anzunehmen sind, ist es immer noch möglich, daß dieselben sich in ihren Lebensbedingungen sehr different verhalten und auch von den Desinfektionsmitteln nicht in gleicher Weise berührt werden. Deswegen würde es. wenn ein Desinfektionsmittel in ganz exakter Weise geprüft werden sollte, notwendig sein, dasselbe der Reihe nach an allen den Krankheitsstoffen, gegen die es überhaupt gebraucht werden soll, gewöhnlich doch also an sämtlichen Infektionsstoffen, und zwar unter den- selben Verhältnissen, für welche es bestimmt ist, auf seine Wirksamkeit zu untersuchen. Wenn beispielsweise schwefelige 8äure zur Desinfektion von geschlossenen Räumen dienen soll, müßten Krankenzimmer, die durch Typhus-, Pest-, Diphtlieritis-, Scharlach- usw. Kranke infiziert wurden, damit behandelt werden und alsdann von diesen Räumen festgestellt werden, daß in ihnen die betreffenden Infektionsstoffe auch wirklich un- schädlich gemacht sind. Wie sollte dies aber nachzuweisen sein ? Nur wenn der Zufall der Untersuchung zu Hilfe käme, ließe sich durch weitere Erkrankungen von Menschen in diesen Räumen möglicherweise auf die noch bestehende Wirksamkeit des Infektions- stoffes schließen, während aus dem Umstand, daß niemand mehr daselbst erkrankte, selbstverständlich noch nicht die Vernichtung der Infektionsstoffe erwiesen ist. Einen sicheren Boden kann die unmittelbare Prüfung des Desinfektionswertes nur in dem Falle gewinnen, daß die Übertragung aller der Infektionskrankheiten, deren Keime von dem Desinfektionsmittel zerstört werden sollen, auf Tiere leicht und unfehlbar auszuführen und die Versuchstiere gewissermaßen als Reagens auf die Wirksamkeit des Mittels zu verwerten sind. Vorläufig sind diese Bedingungen kaum für eine oder die andere der bekannten Infektionskrankheiten ausführbar und es ist sehr fraglich, ob sie jemals für alle oder doch nur für die Mehrzahl der Infektionskrankheiten zu erfüllen sein werden. Um nun zunächst erst einmal über die Wirksamkeit der Desinfektionsmittel über- haupt Aufschluß zu gewinnen und zu erfahren, was unter der langen Reihe der im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte angepriesenen Desinfektionsmittel denn noch als solches an- ') Aus Mitteilungen aus dem Kai.serl. Gesundheitsamte, 1S81. Bd. I, Berlin. 288 Über Desinfektion. zusehen und was aus dieser Reihe zu streichen ist, und bei der dringenden Notwendigkeit, für die Praxis feste Anhaltspunkte zu gewinnen, mußten andere Wege eingeschlagen werden, wenn sie auch nur zu einer annähernd richtigen Abschätzung des Desinfektions- wertes füliren sollten. Alle, welche sich mit dieser Aufgabe beschäftigt haben, sind von der Anschauung ausgegangen, daß die Infektionsstoffe die größte Ähnlichkeit mit den Fermenten haben und daß, weil man erstere nicht zur Verfügung hat, die letzteren an deren Stelle gewisser- maßen als Surrogat, zur Prüfung der Desinfektionsmittel unbedenklich genommen werden könnten. Ob mit Recht, das mag dahingestellt bleiben. Außerdem hat sich der Einfluß der immer höher entwickelten Lehre von den organisierten, belebten Fermenten auch hier in so hohem Maße geltend gemacht, daß mit wenigen Ausnahmen ausschließhch diese Gattung von Fermenten bei den Desinfektionsversuchen zur Anwendung kam. Viel weiter ist der Einfluß der Fortschritte in der Kenntnis der belebten Fermente, oder sagen Avir gleich der Mikroorganismen, allerdings nicht gegangen. Denn darum, daß es verschiedene zu den Desinfektionsmitteln gewiß nicht dvirchweg gleichmäßig sich ver- haltende Arten derselben und, was von der höchsten Bedeutung für die Desinfektions- lehre hätte sein müssen, daß es verschiedene Zustände der Mikroorganismen gibt, nämlich solche, in denen sie ohne besondere Schutzvorrichtung der Einwirkung äußerer Ein- flüsse sehr leicht zugänglich sind, und andere, in denen sie gewissermaßen eingekapselt und von einer festen Hülle umschlossen als Dauersporen in einer kaum glaublichen Weise allen ihnen sonst verderblich werdenden Einflüssen Widerstand leisten, davon hat die Desinfektionslehre bis jetzt keine Notiz genommen. So lange nicht alle Infektionsstoffe als Mikroorganismen erkannt sind, scheint es mir überhaupt von einem einseitigen Standpunkte ausgegangen zu sein, wenn Desinfek- tionsmittel nur an Mikroorganismen geprüft werden. Vorläufig dürfen auch die ungeform- ten Fermente bei Desinfektions versuchen nicht außer acht gelassen werden. Außerdem ist es gewiß, wie die Erfahrung gezeigt hat, ein wenig aussichtsreiches Unternehmen, nur solche Desinfektionsmittel finden zu wollen, die für alle Verhältnisse, unter denen des- infiziert werden muß, passen. Das Ziel, in allen Fällen mit Sicherheit desinfizieren zu können, wird weit eher erreicht werden, wenn die verschiedenen Desinfektionsmittel nur in dem Bereiche ihres mehr oder weniger beschränkten sicheren Wirkungskreises gebraucht und keine Anforderungen an dieselben gestellt werden, die sie in Anbetracht ihrer chemischen oder physikalischen Eigenschaften überhaupt nicht leisten können. Es werden aus diesem Grunde zweckmäßigerweise die Aufgaben der Desinfektion in einer mehr als bisher ausgeprägten Weise zu gliedern sein und es ist beispielsweise die Desin- fektion von Kleidern, Wäsche, Betten in einer ganz anderen Weise anzustreben als die- jenige von kompakten Warenballen, ferner wird, wenn es sich um Desinfektion von Räumen handelt, ein Krankenzimmer zweckmäßiger mit diesem, Schiffsräume, Eisen- bahnwagen werden wieder vorteilhafter mit einem anderen Desinfektionsmittel zu behan- deln sein. Dementsprechend muß auch bei der Prüfung eines Desinfektionsmittels ver- fahren und müssen immer die Verhältnisse, unter denen es seine praktische Verwendung finden soll, im Auge behalten werden. Wenn nun auch die Prüfung der Desinfektionsmittel allein durch die Beobachtung ihrer Wirkung auf Mikroorganismen aus den früher erwähnten Gründen nicht durchweg maßgebend sein kann, so hat dieselbe doch unbestreitbare Vorteile und sie ist in ihrer Ausführung, wenn man sich des später zu schildernden Verfahrens bedient, so einfach, daß damit unter allen Umständen die Untersuchung über den Desinfektionswert eines Mittels beginnen sollte. Das erhaltene Resultat verhilft sofort zu einer vorläufigen Orien- tierung über die Leistungsfähigkeit des betreffenden Desinfektionsmittels und gibt über Desinfektion. 289 genügende Anhaltspunkte darüber, ob es sich verlohnt, dasselbe weiteren Untersuchungen zu unterwerfen. Über die Frage, ob die Wirkung eines Desinfektionsmittels schon dann als aus- reichend anzusehen sein soll, wenn es die Weiterentwicklung der Mikroorganismen hemmt, ihr Wachstum luid sonstige Lebensäußerungen nur lahiii legt, oder erst dann, wenn alles Lebende und dessen Keime, aus denen sich neues Leben entwickeln könnte, vollständig vernichtet sind, darüber scheint niemals eine Meinungsdifferenz geherrscht zu haben. Man hat sich stets für die letztere Alternative entschieden und das gewiß mit Recht. Denn es sind, wie immer wieder betont werden muß, die Lifektionsstoffe noch zu wenig bekannt, um die Möglichkeit ausschließen zu können, daß sich dieselben ebenso oder selbst noch widerstandsfähiger gegen Desinfektionsmittel verhalten als die an ihrer Stelle als Reagens verwendeten Mikroorganismen. Nun gehören allerdings gerade die Keime der Mikro- organismen, insbesondere die Dauersporen der Bazillen, zu den resistentesten Gebilden, welche die gesamte Lebewelt aufzuweisen hat. Anderseits ist aber auch wieder zu be- denken, daß von den jetzt bekannten pathogenen Mikroorganismen eine verhältnismäßig große Zahl in die Gruppe der Bazillen gehört, z. B. Milzbrand-, Rauschbrand-, Lepra- bazillen, die von E b e r t h in den Organen von Typhusleichen nachgewiesenen Bazillen, die Bazillen der an Mäusen künstlich zu erzeugenden 8epticämie und noch verschiedene andere. Alle diese besitzen uirzweifelhaft Dauerformen, die mehr oder weniger ebenso resistent sein werden wie die schon in dieser Hinsicht untersuchten Dauersporen anderer Bazillen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß unter den noch unbekannten pathogenen Bakterien sich noch weitere Bazillen finden werden. Wenn es sich bestätigt, daß die ge- wöhnliche Malaria eine Bazillenkrankheit ist, dann läßt sich annehmen, daß die gesamte Gruppe der Malariakrankheiten ebenfalls in diese Kategorie gehört. Ferner lassen sich bei allen den Krankheiten, deren Infektionsstoffe sich in trockenem Zustande lange Zeit wirksam erhalten, wie z. B. Pocken, Pest, ebenfalls Dauerformen vermuten. Unter diesen Verhältnissen kann in der Anforderung an die Leistungsfähigkeit eines Desinfektions- mittels, das gegen größtenteils noch unbekannte, möglicherweise gleichfalls in einer sehr resistenten Dauerform sich bergende Krankheitsstoffe wirken soll, unter keinen LTmstän- den unter das Verlangen nach vollständiger Tötung aller Mikroorganismen und ihrer Keime herabgegangen werden. Ein Desinfektionsmittel, das beispielsweise Pilze nicht zu töten vermag, kann nicht zur Desinfektion von Gegenständen benutzt werden, die durch ansteckende Hautkranke infiziert smd, weil in diesem Falle fast nur Pilze in Frage kommen. Dagegen ist ein Desinfektionsmittel, das Bakterien und ihre Sporen am Leben läßt, überall da nicht zu gebrauchen, wo die Desinfektion durch solche Krankheiten bedingt wird, bei denen Bakterien als Krankheitserreger nachgewiesen sind oder selbst nur vermutet werden. Da diese Krankheiten aber vermöge ihrer Zahl und Bedeutung unter den ansteckenden Krankheiten den ersten Rang einnehmen, so ist es selbstredend, daß bei dem Gang, den die Untersuchung eines Desinfektionsmittels einzuschlagen hat, zuerst die Prüfung mit Bakterien und deren Keimen vorzunehmen ist. Erweist sich das Mittel hierbei als gar nicht oder nur unsicher wirksam, dann ist es, wie gesagt, aus der Reihe der allgemeinen gegen Infektionskrankheiten zu verwendenden Zerstörungsmittel zu streichen. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß es in irgend einem besonderen Falle noch eine spezifische Wirksamkeit, die sich eventuell verwerten läßt, besitzen kami. Ferner ist noch zu unterscheiden, ob bei der Amvendung des Desinfektionsmittels auf Bakterien dasselbe nur die Bakterien in ihrem gewöhnlichen Zustande oder ob es auch die Bakterien in ihren Dauerformen zu töten vermag. Nur im letzteren Falle kann das Mittel als ein solches bezeichnet werden, das den Anforderungen, wie sie nach unseren jetzigen Kenntnissen von den Mikroorganismen gestellt werden müssen, entspricht. Im ersteren Koch, Gesammelte Werke. 19 290 Über Desinfektion. Falle dagegen könnte das Mittel nur gegen solche Krankheiten Verwendung finden, von denen sich mit Gewißheit voraussetzen ließe, daß die ihnen eigentümlichen Infektions- stoffe keine solche resistenten Dauerformen anzunehmen vermögen. Weil über diese Voraussetzung aber vorläufig keine Gewißheit zu erlangen ist, so ist denjenigen Des- infektionsmitteln, die sich zur Tötung- von Dauersporen unfähig oder unsicher erweisen, auch nur ein bedingter Wert zuzusprechen. Um die gelungene Vernichtung der mit dem Desinfektionsmittel behandelten Bak- terien zu erkennen, hat man sich der verschiedensten, meist ganz primitiven Verfahren bedient. Es kann hier nicht die Aufgabe sein, alle die bis jetzt bei Desinfektions versuchen geübten Methoden aufzuzählen und zu kritisieren, nachdem dies hinlänglich in den neueren Publikationen über Desinfektion geschehen ist. In neuerer Zeit haben sich die Anschauungen über diesen Punkt soweit geklärt, daß Beseitigung des Gestankes in Faul- flüssigkeiten, Unbeweglichkeit der Bakterien und ähnliche unsichere Kriterien nicht als Beweise für das Abgestorbensein der Bakterien gelten können, daß dagegen nur aus dem Verluste der Entwicklungsfähigkeit auf ihren Tod geschlossen werden kann, weil sich erfahrungsgemäß herausgestellt hat, daß lebensfähige Bakterien sofort sich weiter zu entwickeln, zu wachsen und sich zu vermehren beginnen, sobald sie in Verhältnisse ge- bracht werden, die ihnen günstig sind. Hier beginnt für das Experiment aber eine neue Schwierigkeit; nämlich diejenige, in welcher Weise die Entwicklungsfähigkeit der mit dem Desinfektionsmittel behandelten Bakterien festgestellt werden soll, ohne daß sich Irrtümer einschleichen können. Fast ausnahmslos haben die neueren Experimentatoren sich folgenden Verfahrens bedient. Zersetzungsfähige Flüssigkeiten (Tabaksinfus, Fleischinfus usw.), in denen sich Bakterien in hinreichender Menge entwickelt hatten, wurden entweder selbst, oder Gegenstände, die mit solchen bakterienhaltigen Flüssigkeiten imprägniert waren, der Einwirkung des Desinfektionsmittels ausgesetzt und dann eine Probe derselben in eine entsprechende sterilisierte und vor Verunreinigungen durch einen Wattepfropf geschützte Nährflüssig- keit gebracht. Meistens begnügte man sich, aus dem Eintreten einer Trübung in der Nährlösung auf die Entwicklung von Bakterien und demgemäß auf die erhaltene Lebens- fähigkeit der mit dem Desinfektionsmittel behandelten und zur Aussaat benutzten Bakterien, damit also auf die Unwirksamkeit des Mittels und beim Klar bleiben der Lösung umgekehrt zu schließen. Gegen dieses Verfahren lassen sich aber verschiedene recht erhebliche Bedenken geltend machen. Zunächst dasjenige, daß mit einem Gemenge von Bakterien experimentiert wird, von dem gar nicht bekannt und auch nicht vorher fest- gestellt ist, welche verschiedenen Arten von Bakterien es enthält und, weil sie sich nicht aUe gleich verhalten, welche davon durch das Desinfektionsmittel betroffen werden und welche nicht. Dann ist ferner nicht ausgeschlossen, daß sich in diesem Bakteriengemisch auch schon vereinzelte oder möglicherweise recht viele sporenhaltige Bakterien befinden und gerade in der Ungewißheit über das Vorhandensein von Sporen liegt der größte Fehler des Verfahrens, weil das eine Mal, wenn keine Sporen zugegen sind, das Desinfektions- mittel sich wirksam, im anderen Falle aber, wenn wenige oder viele Sporen gebildet sind, das Resultat entweder zweifelhaft oder ganz negativ in ,bezug auf die desinfizierende Wir- kung des Mittels ausfallen wird. Diesem Fehler, der, wenn mit in ihrer Zusammensetzung ganz unberechenbaren Bakteriengemischen experimentiert wird, gar nicht zu vermeiden ist, schreibe ich auch die LTngleichheit in den Resultaten zu, die bei den zahlreichen Versuchen mit Desinfektionsmitteln sich ergeben haben. Schließlich ist gegen das bisher übliche Verfahren noch geltend zu machen, daß alle Fehler, welche den Reinkulturen in Flüssigkeiten anhaften, in erhöhtem Maße hier hervortreten müssen. Wenn nämlich eine beliebige Art von Bakterien, z. B. Bazillen, rein gezüchtet wird, dann ist es, sobald über Desinfektion. 291 sich Mikrokokken zwischen den Bazillen zeigen, mit der Reinkultur zu Ende, aber man weiß doch, daß der negative Ausfall des Experimentes durch eine Verunreinigung bedingt sein mußte, und wird das Resultat dementsprechend beurteilen. Ganz anders liegen die Verhältnisse bei dem besprochenen Desinfektions versuch. Wenn bei diesem irgendein Versehen in der Ausführung der Kulturen gemacht wird, oder wenn zufällig beim Ein- tragen der Desinfektionsproben in die sterilisierte Nährflüssigkeit aus der Luft Bakterien- keime zugleich mit hineingeraten, dann wird, auch wenn die Probe keine lebensfähigen Bakterien oder deren Keime mehr enthielt, natürlich in der Nährflüssigkeit Bakterien- entwicklung und Trübewerden eintreten und es wird unmöglich sein, zu entscheiden, ob die Trübung von der Desinfektionsprobe oder von dem Eindringen fremder Keime her- rührt, weil gar nicht bekannt ist, was mit der Desinfektionsprobe ausgesät wurde und woran die aus der Aussaat hervorgegangenen von den zufällig eingedrungenen Bakterien zu unter- scheiden sind. Auch ist nicht zu vergessen, daß das Eintreten einer Trübung in der Kultur- flüssigkeit kein sicheres Kennzeichen für Bakterienentwicklung ist, ebensowenig wie das Klarbleiben derselben für das Fehlen von lebenden Bakterien, denn Trübiuag kann durch Bildung von Niederschlägen entstanden sein und auch in klaren Flüssigkeiten finden sich nicht selten bei der mikroskopischen Untersuchung lebende Bakterien. Die gerügten Fehler lassen sich nur dann auf ein geringes Maß einschränken, wenn in jedem einzelnen Versuch so viele Desinfektionsproben, jede für sich auf die Entwicklungs- fähigkeit ihrer Bakterien, und zwar nicht allein nach deni^ makroskopischen Aussehen, sondern mit dem Mikroskop geprüft werden, daß die Wahrscheinlichkeit für die Richtig- keit des Resultates durch die größere Reihe verbürgt wird. Damit wird das ganze Ver- fahren aber ein höchst mühsames und schwerfälliges. Deswegen habe ich diese Methode verlassen und meine Versuche nach folgenden Prinzipien angestellt. Vor allen Dingen verschaffte ich mir Reinkulturen von solchen Bakterien, die selten in den aus der Luft stammenden Verunreinigungen vorkommen und außerdem leicht in die Augen fallende charakteristische Eigenschaften besitzen. Damit ließ sich schon die Gefahr einer Verunreinigung der Kulturen von seiten zufällig hinein- geratener Keime dieser seltenen Arten auf ein Minimum reduzieren und die Beurteilung der stattgehabten Entwicklung oder des Ausbleibens derselben ungemein erleichtern. LTm ferner von den umständlichen Manipulationen, welche zur Sicherung von Kulturen in Flüssigkeiten durchaus notwendig sind, unabhängig zu werden, wurden die Desinfek- tionsobjekte auf einem festen Nährboden in betreff der Entwicklungsfähigkeit ihrer Bakterien geprüft. Diese Reinkulturen auf festem Nährboden, entweder auf gekochten Kartoffeln oder auf Nährgelatine, die in meinem Aufsatz über die Untersuchungsmethoden ausführlich beschrieben sind, gewähren außerdem eine solche Sicherheit in der Beur- teilung der Entwicklungsfähigkeit von Bakterien, daß Irrtümer vollständig ausgeschlossen bleiben. Als Repräsentanten von solchen Bakterien, die keine Dauersporen bilden und von den Desinfektionsmitteln leicht zerstört werden, wurden Micrococcus prodigiosus und die Bakterien des blauen Eiters gewählt. Beide erzeugen auf gekochten Kartoffeln so außer- ordentlich charakteristische Kulturen, daß eine Verwechslung mit anderen Bakterien gar nicht möghch ist. Wenn beispielsweise ein Stück einer getrockneten, von den genannten Bakterien überzogenen Kartoffelscheibe der Einwirkung emes Desinfektionsmittels aus- gesetzt, darauf auf eine soeben durchschnittene gekochte Kartoffel gelegt wurde und dann im ganzen Bereiche des Stückes eine in üppiger Weise wachsende und sich vergrößernde Kolonie des roten Micrococcus prodigiosus oder der hellbraunen, nach dem Abschaben dunkelblaugrün werdenden Eiterbakterien bilden, dann kann diese nicht von einem kleinen Punkte, wie bei zufälligen Verunreinigungen, sondern im ganzen Bereiche der Aussaat 19* 292 Über Desiixfektion. stattfindende Entwicklung absolut keinen anderen Grund haben, als daß das Desinfek- tionsmittel die genannten Bakterien nicht getötet hatte. Wenn ferner das Resultat sich umgekehrt gestaltet und die mit dem Desinfektionsmittel behandelten Kartoffelstücke nicht die geringste Entwicklung produzieren, während die zur Kontrolle nicht desinfi- zierten Proben ein reichliches Wachstum auf gekochten Kartoffeln hervorrufen, dann ist damit ebenso sicher bewiesen, daß auf jenen die Bakterien wirkhch getötet sind. Von sporenfreien Bakterien wurden in den Versuchen noch frische Milzbrandbazillen und andere pathogene Bakterien benutzt. Als sporenhaltiges Material dienten vor allem die Milzbrandsporen. Einmal weil es doch gewiß am nächsten lag, die Desinfektionsmittel gerade an pathogenen Bakterien zu prüfen, und weil außerdem die Milzbrandbakterien an den eigentümlichen Formen, die sie bei ihrer Entwicklung auf Nährgelatine annehmen, sofort als solche erkannt werden und, wenn auf der Nährgelatine keine Entwicklung eingetreten ist, durch die Verimpfung auf Versuchstiere jeder Einwand ausgeschlossen wird, daß ihre Schädhchkeit für den tierischen Organismus, auch wenn sie in Kultiu'en nicht zur Entwicklung kommen, doch noch nicht gänzhch beseitigt sei. Gelegentlich wurden noch andere Bazillensporen, z.B. die von Heubazillen, Kartoffelbazillen usw. versucht, um immer die Gewißheit zuhaben, ob sich diese nicht anders verhalten würden, als die vorwiegend gebrauchten Milzbrand- sporen. In allen Desinfektionsvprsuchen mit Mikroorganismen ist wohl darauf zu achten, daß die Probe, welche auf die Entwicklungsfähigkeit ihrer Bakterien versucht werden soll, nicht zuviel von dem Desinfektionsmittel absorbiert, dem Nährboden, auf dem die Bak- terien wachsen sollen, zuführt und ihn damit aus einem für das Bakterienwachstum günstigen in einen ungeeigneten verwandelt. Ich habe bei meinen Versuchen, um diese Fehler zu vermeiden, die Probe möglichst klein, für die Experimente mit Milzbrandsporen z. B. kurze Stückchen mit Sporenflüssigkeit getränkter und wieder getrockneter Seiden- fäden, und den Nährboden verhältnismäßig groß genommen, damit durch Diffusion von der Probe in den Nährboden eine so starke Verdünnung des Desinfektionsmittels eintrat, daß sie eine Entwicklungshemmung der Bakterien nicht mehr bewirken konnte. In zweifelhaften Fällen wurde das Desinfektionsmittel durch eine entsprechende indiffe- rente Flüssigkeit, z. B. durch sterilisiertes destilliertes Wasser, absoluten AU^ohol usw. aus der Probe vor dem Kulturversuch entfernt oder auch, wie schon erwähnt, die Impfung auf Versuchstiere zu Hilfe genommen. In den Fällen, wo die gestellte Frage es wünschenswert machte, an mehreren Bak- terien zugleich die Desinfektionsversuche auszuführen, wurde immer entweder sporen- freies oder nur aus Sporen bestehendes Bakterienmaterial benutzt, um gleichmäßige Resultate zu erhalten. Unter gewissen Verhältnissen, wenn es unmöglich ist, eine vollständige und sichere Desinfektion zu erreichen, oder wenn es überhaupt schon ausreichend ist, die Infektions- stoffe eine Zeitlang in ihrer Weiterentwicklung zu behindern, wird man von einer voll- ständigen Vernichtung derselben absehen können oder müssen und wird demgemäß auch solche Mittel zu berücksichtigen haben, die keine eigentlichen Desinfektions-, sondern nur entwicklungshemmende Mittel sind. Namen thch wird diese Aufgabe dann zu erfüllen sein, wenn es sich darum handelt, große Quantitäten von Flüssigkeit, z. B. Inhalt von Schwemmkanälen, Fabrikwasser u. dgl. im Bereiche der menschlichen Woh- nungen in einem unschädlichen Zustande zu erhalten. Es ist also auch für den Fall, daß eine Substanz oder ein besonderes Verfahren sich zur eigentlichen Desinfektion als ungenügend erwiesen hat, noch in bezug auf die entwicklungshemmenden Eigenschaften zu prüfen. über Desinfektion. 293 Meistens werden sich allerdings die zur Desinfektion als geeignet gefundenen Mittel in einer entsprechenden Verdünnung oder Abschwächung auch als die besten zur Hemmung der Entwicklung erweisen; aber es ist recht wohl denkbar, daß ein übrigens erprobtes und ausgezeichnetes Desinfektionsmittel gerade wegen seiner energischen Wirkungen auch in verdünntem Zustande immer noch so viel unerwünschte Nebenwirkungen auf die zu desinfizierenden Massen äußert, z. B. durch Herabsetzung oder Vernichtung des Dungwertes, durch giftige Eigenschaften, daß anstatt der eigentlichen Desinfektions- mittel in solchem Falle selbst Mittel, die nur entwicklungshemmend wirken, vorteilhaft verwendet werden können. Die vollständige Prüfung eines Mittels bezüglich seiner im Kampfe gegen die Infektionskrankheiten verwertbaren Eigenschaften mul.i demnach in erster Linie folgende Punkte berücksichtigen : Es ist festzustellen, ob dasselbe imstande ist, alle niederen Organismen und deren Keime zu vernichten. Für gewöhnlich genügt zu diesem Nachweise die Tatsache, daß das Mittel Bazillensporen tötet, weil bis jetzt keine Gebilde von größerer Widerstands- fähigkeit bekannt geworden sind. Danach ist sein Verhalten zu anderen leichter zu tötenden Mikroorganismen, wie Pilzsporen, Hefe, getrockneten Bakterien, feuchten Bakterien zu untersuchen. Ferner muß das Mittel geprüft werden auf seine Fähigkeit, Mikroorganismen in geeigneten Nährflüssigkeiten in der Entwicklung zu hemmen. Schließlich sind noch die für die praktische Verwendung des fraglichen Mittels wichtigen Fragen nach der zum sicheren Erreichen des beabsichtigten Effektes notwen- digen Konzentration. Zeitdauer der Einwirkung. Einfluß des Lösangsmittels, der Temperatur, vorbereitender Verfahren, wie z. B. vorhergehendes Befeuchten, bei Gasen nach der Verteilung im Raum, ferner die Wirkung von Kombinationen mehrerer Desin- fektionsmittel zu berücksichtigen. Wie man sieht, ist das Programm für die gründliche Untersuchung eines Desinfek- tionsmittels so umfangreich, daß die Bearbeitung eines einzigen Mittels schon recht viel Zeit und Arbeit beanspruchen muß. Es war nun nicht meine Absicht, methodisch der Reihe nach sämtliche Desinfektionsmittel nach einem solchen Programm zu untersuchen, das würde eine Arbeit von der Dauer mehrerer Jahre beansprucht mid bei der großen Mehrzahl der Desinfektionsmittel auch den Aufwand an Mühe gar nicht einmal gelohnt haben. Die im Nachstehenden zu beschreibenden Desinfektionsversuche sind nur dem praktischen Bedürfnisse entsprungen, nach den oben entwickelten Anschauungen und den unseren jetzigen Kenntnissen von den Infektionsstoffen und den Mikroorganismen entsprechenden Prinzipien über den wirklichen oder wenigstens wahrscheinlichen Wert der großen Zahl von angeblichen Desinfektionsmitteln eine zuverlässige Orientierung zu gewinnen. Nur die in der Neuzeit in den Vordergrund gestellten Desinfektionsmittel und solche, die bei den Orientierungsversuchen als einer weiteren Beachtung wert sich herausstellten, wurden eingehender untersucht. Es ergaben sich dabei indessen so manche bemerkenswerte Tatsachen, daß die zum Teil noch nicht abgeschlossenen Versuche auch in dieser unvollendeten Form mit- teilenswert erscheinen. Als ein Beispiel einer Untersuchung, die ziemlich die sämtlichen bei der nnt bakterienhaltigen Substanzen vorgenommenen Prüfung eines Desinfektionsmittels aufzuwerfenden Fragen erledigt, sollen die Versuche über Karbolsäure voran- gestellt werden. 294 Über Desinfektion. Karbolsäure. Bei Kulturen von Bakterien in einem Tropfen Nälirflüssigkeit, der sich an der unteren Seite des Deckglases befand und durch Ölverschluß auf einem hohlen Objektträger befestigt war, um ihn vor dem Verdunsten zu schützen, war es mir oft aufgefallen, daß, wenn das Deckglas vorher zu seiner Desinfektion mit Karbolsäure behandelt war und nur noch kaum durch den Geruch wahrnehmbare Spuren von Karbol- säure an ihm hafteten, die Bakterien in der Nährflüssigkeit kümmerlich oder gar nicht wuchsen. Es schien das darauf hinzudeuten, daß die Karbolsäure eine ganz bedeutende hemmende Wirkung auf die Entwicklung der Bakterien ausübt, was ja auch mit allen anderen bekannten Erfahrungen über die antiseptischen Eigenschaften der Karbolsäure übereinstimmt und eine weitere Bestätigung dadurch erhielt, daß eine unmittelbare Be- rührung der Karbolsäure mit der Nährflüssigkeit nicht einmal erforderlich ist, um das Wachstum der Bakterien zu unterbrechen. Schon ein äußerst kleines Tröpfchen Karbol- säure am Boden des hohlen Objektträgers oder Karbolöl als Einschlußflüssigkeit genom- men genügten, um alle Entwicklung in der Nährflüssigkeit zu unterbrechen. Um nun den Desinfektionswert der Karbolsäure, welcher, nach diesen Andeutungen zu schheßen, ein recht hoher sein mußte, genau zu ermitteln, wurden folgende Versuche angestellt. Reagenzgläser von mittlerer Größe wurden mit 20 com Karbollösungen verschiedener Konzentration gefüllt, in jedes eine Anzahl kurzer Seidenfäden, die mit einer milzbrand- sporenhaltigen Flüssigkeit getränkt und dann getrocknet waren, gelegt und mit einem gut passenden Kork geschlossen. Von Zeit zu Zeit wurde mit einem unmittelbar vorher geglühten Platindraht ein Faden aus der Karbolsäurelösung genommen, auf Nährgelatine, meistens Blutserumgelatine, gebracht und an den folgenden Tagen die ausbleibende Entwicklung der Sporen konstatiert oder das Auswachsen derselben zu den bekannnten langen Milzbrandfäden mit dem Mikroskop beobachtet. Diese Entwicklung der Milz- brandfäden an einem sporenbedeckten Seidenfaden hat ein ganz charakteristisches Aussehen und kann mit keiner irgendwie zufällig sich einstellenden Vegetation verwechselt werden, so daß Irrtümer über die eingetretene oder ausgebliebene tötliche Wirkung der Karbolsäurelösung auf die Sporen gar nicht möglich sind. Erwähnt soll noch werden, daß jedesmal durch kontrollierende Kulturen mit unveränderten Milzbrandsporen, die in der- selben Weise an Seidenfäden angetrocknet waren, die Entwicklungsfähigkeit der Sporen sowohl als die geeignete Beschaffenheit der Nährgelatine geprüft wurden, (cf. Taf. XI, Photogr. 31.) Zunächst kamen wäßrige Lösungen der Karbolsäure zur Anwendung. Die folgenden Tabellen geben die Konzentration der Karbolsäurelösungen, die Zahl der Tage, während welcher die Seidenfäden in der Lösung gelegen hatten, und die Wirkung der Karbolsäure in der Weise an, daß die Zahl der Tage, an denen die Entwicklung der Sporen aufhörte, also die volle desinfizierende Wirkung eingetreten war, doppelt unter- strichen sind; die übrigen nicht unterstrichenen Zahlen bedeuten, daß die Lebensfähig- keit der Sporen an diesen Tagen noch keine Einbuße erlitten hatte. Wenn die Entwicklung nicht mehr so kräftig vor sich ging als in dem Kontroll versuche, dann ist dies durch Sterne angedeutet und in einer besonderen Rubrik genauer die Art der Entwicklungs- störung bezeichnet. Erster Versuch. Konzentration Anzahl der Tage Karbolsäure 2% 1 3 5* * Entwicklung etwas verzögert und weniger stark als Im Kontrollversuche Karbolsäure 5% 1 3 über Desinfektion. 295 Zweiter Versuch. Anzahl der Ta^e, nach deren Ablauf die Milz- Konzentration braucl Sporen auf ihre Entwicklungsfähig- ieit geprüft wurden Karbolsäure 1 % . . . 1 2 3 4 5 7 15 Karbolsäure 2% . . . 1 2 8* 4* 5* 7 * * 3 und i verspätet, aber kräftig, 5 und 7 verspätet und weniger kräftig entwickelt. Karbolsäure 3% . . . 1 2* 8* 4 * 5* 7 * 2 verzögert, aber isräftig, 3 ver- zögert und lückenhaft, 4 und 5 nur vereinzelte Fäden Karbolsäure 4% . . . 1* 2* o 4 * 1 etwas verzögert, 2 vereinzelte. aber kräftige Fäden Karbolsäure 5% . . . 1* 2 3 •4 * 1 an einer Stelle ein kleines Knäuel von Fäden Das Resultat dieser beiden Versuche war ein ganz unerwartetes: Man ist gewöhnt, eine wäßrige Karbollösung von 2% Gehalt als ein ganz sicheres, alle Mikroorganismen in wenigen Sekunden oder Minuten tötendes Mittel anzusehen. Der Chirui-g wäscht seine Hände und spült seine Instrumente damit und glaubt dann, ganz frei von entwicklungs- fähigen Infektionsstoffen zu sein und ohne Gefahr für seinen Patienten dessen Wunden berühren zu können. Nun zeigen aber die obigen Versuche, daß, wenn zufällig Milzbrand- sporen oder ähnliche ebenso widerstandsfähige Infektionskeime an seinen Händen und Instrumenten sich befunden hätten und nicht etwa mechanisch durch das Waschen ent- fernt wurden, der Karbolsäurezusatz zum Waschwasser gewiß auch nicht das Mindeste genützt haben könnte, um den Kranken vor einer Infektion zu schützen. Bei dem ersten Versuche hatte ich mit Bestimmtheit vorausgesetzt, daß die 2% Karbolsäurelösung nach eintägiger Einwirkung die Milzbrandsporen getötet haben würde, und hatte deswegen nur wenige Fäden in die Lösungen gelegt. Nachdem sich aber heraus- gestellt hatte, daß erst nach fünftägigem iVufenthalte in 2% Karbollösung die Milzbrand- sporen sich weniger stark als im Kontrollversuche entwickelten, aber doch immer noch Lebensfähigkeit in hinreichendem Maße besaßen, wurde der zweite Versuch mit einer größeren Zahl von Fäden und gleichmäßiger Abstufung des Prozentgehaltes an Karbol- säure ausgeführt. Das Ergebnis desselben ist, daß 1% KarboUösung selbst nach 15 Tagen keine be- merkenswerte Wirkung auf Milzbrandsporen hat. 2% Karbolsäure äußert schon nach einigen Tagen insofern eine Wirkung, als die Entwicklung der Sporen um ungefähr 10 bis 20 Stunden später, im übrigen aber ebenso kräftig wie sonst eintritt. Letztere Erscheinung zeigt sich öfters bei Sporen, nachdem sie mit Desinfektionsmitteln behandelt sind, so beispielsweise auch nach der Einwirkung starker Hitze. Einen Nutzen für die Desinfektion schafft diese geringe Verzögerung des Wachstums nicht. Nach 5 und 7 Tagen erscheint die Entwicklung schon nicht mehr so kräftig, wie im Kontroll versuche, d. h. es entwickeln sich weniger Milzbrandfäden. Eine Abschwächung derselben tritt dagegen nicht ein. Ich habe in diesem und. wie ich gleich hier erwähnen will, vielfach auch m anderen Desinfektionsversuchen mit Milzbrand- sporen anscheinend schwach entwickelte Kulturen und auch Seidenfäden, die in der nämUchen Weise und mit demselben Desinfektionsmittel behandelt waren, auf Mäuse verimpft und damit ausnahmslos tötUchen Milzbrand erzeugt. Die 3% Karbollösung bewirkt schon nach drei Tagen Lücken in dem sonst dichten Fadengewirr der kräftig entwickelten Kultur. Höchstwahrscheinlich werden die ober- flächhch dem Seidenfaden anklebenden Sporen zuerst getötet, während die zwischen den Fasern desselben in der Tiefe geschützter liegenden sich länger halten. Dadurch 296 über Desinfektion. entsteht dann eine durch Lücken unterbrochene Vegetation. Erst nach 7 Tagen sind alle Sporen getötet und die Desinfektion beendet. Die 4% Karbollösung erreicht diese Wirkung schon am dritten und die 5% Karbol- lösung mit Sicherheit am zweiten Tage ; denn wenn auch im ersten Versuche nach 24 stün- digem Liegen in der 5% Lösung die Sporen sich nicht mehr entwickelten, so kam doch im zweiten Versuche noch vereinzelte Fadenbildung vor. In einem Versuche mit Milzbrandsporen, welche sich einen Tag lang in einem feuchten Räume befunden hatten und dann in Karbolsäurelösungen von 1%, 2%, 5% Gehalt g^egt wurden, verhielten sich diese nicht anders als in ganz trockenem Zustande mit Karbolsäure behandelte Milzbrandsporen. Wie ich später zu erwähnen haben werde, läßt sich die Desinfektionswirkung der schwefligen Säure durch den vorhergehenden Aufenthalt der Sporen im feuchten Räume bis zu einem gewissen Grade steigern. Für die Karbolsäure ist demnach von einer derartigen Vorbehandlung der Desinfektionsobjekte kein Nutzen zu erwarten. Desinfektionsmittel müssen, um praktisch verwendbar zu sein, schnell wirken, ehe sie nämlich durch Verflüchtigung oder durch Verdünnung in ihrem Gehalte an wirksamer Substanz zu sehr herabgesetzt werden. Je schneller sie wirken, um so besser für die An- wendung. Viel länger als 24 Stunden dürfte im allgemeinen die Desinfektionsdauer aus praktischen Rücksichten nicht zu bemessen sein. Wenn nun dieses Maß der Desinfektionsdauer auf die Karbolsäure angewendet wird, so ergibt sich, daß eine 5% starke Lösung zur sicheren Desinfektion noch nicht ausreichend ist; selbst dann nicht, wenn die zu desinfizierenden Objekte, wie in unserem Falle. 24 Stunden lang in eine verhältnismäßig so hinreichend große Menge der Lösung gelegt werden, daß von einer Abschwächung der Desinfektionsflüssigkeit seitens des Desinfektionsobjektes durch die stattfindende Absorption oder durch chemische Um- setzungen gar nicht die Rede sein kann. Aber um wie viel schwieriger wird sich die Des- infektion gestalten, wenn komplizierte Flüssigkeiten, in denen die Karbolsäure Nieder- schläge hervorruft und möglicherweise weniger wirksame Verbindungen eingeht, oder wenn Gegenstände, die nur vorübergehend mit der Karbollösung in Berührung gebracht werden können, zu desinfizieren sind. Es ist gewiß nicht zu hoch gegriffen, wenn für derartige Zwecke eine 10% Lösung für erforderlieh gehalten wird, wobei es allerdings in Frage kommen würde, ob dann der Kostenpunkt und die übrigen störenden Eigen- schaften der Karbolsäure ihre Anwendung noch ratsam erscheinen lassen und ob nicht andere Mittel, von denen später die Rede sein wird, an den Platz, den jetzt die Karbol- säure in fast souveräner Weise einnimmt, zu treten haben. Den Dauersporen gegenüber ist die Karbolsäure, wie wir gesehen haben, ziemlich machtlos und als ein alles Lebende vernichtendes Mittel ist sie deswegen nicht wohl an- wendbar, aber in richtiger Weise und an passender Stelle verwendet, nämlich da, wo es gilt, die nicht in Dauerformen befindlichen Mikroorganismen unschädlich zu machen, kann sie von größtem Nutzen sein, wie der folgende Versuch lehrt. In der Milz einer eben an Milzbrand gestorbenen Maus befinden sich nur Bazillen und niemals Milzbrandsporen. Wenn Seidenfäden mit einer solchen Milz, die fast von breiartiger Konsistenz ist, zusammengerieben werden, so daß sie den Saft derselben auf- saugen und darauf schnell getrocknet werden, dann geben dieselben ein dem in den früheren Versuchen gebrauchten ganz konformes Desinfektionsobjekt, nur mit dem Unter- schiede, daß bei ersterem ganz allein Sporen, bei dem letzteren nur Bazillen der Einwirkung des Desinfektionsmittels ausgesetzt werden. In dieser Weise präparierte Fäden sind nur wenige Tage brauchbar, denn länger wie eine Woche habe ich die Milzbrandbazillen in dieser Form getrocknet niemals lebensfähig gefunden. Es wurden deswegen zu diesem über Desinfektion. 297 Versuche nur ganz frisch getrocknete Fäden genommen und außerdem auf das Sorgfältigste durch Kontrollversuche die Entwicklungsfähigkeit der zur Anwendung gekommenen Bazillen festgestellt. Versuch: Eine Anzahl der oben beschriebenen Fäden wurde in verdeckte Uhr- gläser gelegt, von denen je eins 5%, 4%, 3%, 2%, 1% wäßrige Karbolsäurelösungen enthielt und immer nach 2, 5, 10, 15, 20, 25 Minuten wurde ein Faden aus jedem Glase genommen und auf Blutserumgelatine gelegt. Nach 24 Stunden war noch an keinem einzigen der Fäden auch nur eine Spur von Entwicklung zu sehen, während an den zur Kontrolle auf dieselbe Nährgelatine gelegten Seidenfäden die Bazillen sich schon bedeutend verlängert hatten. Am folgenden Tage und ebenso an den späteren zeigte sich von allen mit Karbollösung in Berührung gewesenen nicht die geringste Lebensäußerung, sie waren also unzweifelhaft selbst schon durch eine 2 Minuten lange Berührung mit 1% Karbolsäurelösung getötet. In den Kontrollpräparaten waren die Bazillen zu einer dichten, flockigen, aus vielversehlungenen und teilweise schon mit Sporen versehenen Fäden zusammengesetzten Masse herangewachsen. Man könnte bei dieseni Versuche einwenden, daß die Entwicklung der Bazillen möglicherweise durch die von dem Seidenfaden aufgesogene und auf die Nährgelatine mit übertragene Karbollösung nur verhindert und daß die Bazillen nicht in Wirklichkeit getötet seien. Dagegen spricht aber, daß in dem mit Sporen ausgeführten Versuch die Seidenfäden eine 5% Karbollösung aufgenommen hatten und daß die Sporen, ohne etwa abgespült zu sein, auf der Gelatine trotz der Anwesenheit der starken Karbollösung sich entwickelt hatten. Um aber ganz sicher zu gehen, habe ich Seidenfäden mit angetrockneten Bazillen, die 2 oder 5 Minuten in 1% und 2% Karbollösung gelegen hatten, sofort in sterilisiertem, destilliertem Wasser abgespült und dann erst auf die Gelatine gebracht, ohne daß das obige Resultat dadurch eine Abänderung erlitten hätte. Diejenige Konzentration der Karbolsäure, welche eben noch ausreicht, um die Bazillen zu töten, läßt sich aus einer Reihe von Versuchen ersehen, die zu einem anderen Zwecke (Milzbrand-Immunität) ausgeführt sind. Wenn Blut von an Milzbrand gestorbenen Tieren mit einem gleichen Teil von 1% Karbolsäurelösung gemischt wurde, konnte schon nach kurzer Zeit diese Mischung einem anderen Tier subkutan eingespritzt werden, ohne daß dasselbe dadiu'ch infiziert oder merklich krank gemacht worden wäre. Eine 0,5% Karbollösung genügte aber schon nicht mehr, um das Milzbrandblut unschädlich zu machen. Hieraus läßt sich schließen, daß die Grenze, bei welcher die Karbolsäurewirkung unsicher wird und schließlich aufhört, zwischen 0,5 und 0,25% liegt, weil in dem ersten Falle die Blut- und Karbolsäuremischung 0,5%, im zweiten 0,25% Karbolsäure enthält. Diese Ergebnisse bestätigen also vollständig, daß die Karbolsäure für eine bestimmte Kategorie von Mikroorganismen, und weil letztere sich doch meistens nicht in Dauer- zuständen befinden, für die große Mehrheit derselben ein ausgezeichnetes Mittel zur Ver- nichtung ist. Diesem Umstände verdankt sie unzweifelhaft ihren hohen Ruf als Desinfektions- mittel, der nun aber insofern eine Einschränkung erfahren muß. daß sich die sichere desinfizierende Wirkung der Karbolsäure in einer Konzentration von 0,5% bis 2% niu- auf die noch nicht in Dauerformen übergegangenen Mikroorganismen bezieht. Nachdem die Wirkung der Karbolsäure auf Sporen und auf sporenfreie Bakterien geprüft ist, würde nun noch die dritte Hauptfrage bezüglich ihres Desinfektionswertes zu erledigen sein, nämlich wieweit sie die Entwicklung und das Wachstum von Bakterien in einer geeigneten Nährflüssigkeit zu hemmen vermag. Aus fünf verschiedenen Versuchsreihen, welche fast genau übereinstimmende Resul- tate ergaben, will ich nur zwei speziell aufführen. 298 über Desinfektion. Erster Versuch: Verdeckte flache Glasschalen (sogenannte Kristallisationsschalen mit flachgeschliffenem Boden), welche aus dem Grunde als Kulturgefäße gewählt wurden, um die in ihnen stattfindende Entwicklung der Milzbrandbakterien unmittelbar mit dem Mikroskop kontrollieren zu können, wurden mit 10 ccm Blutserum, welches ganz klar und frisch war, gefüllt. Nachdem der Reihe nach in eine Schale 1 Tropfen 2% Karbol- säurelösung, in die zweite 2 Tropfen, in die dritte 4 Tropfen, in die vierte 6 Tropfen, in die fünfte 8 Tropfen, in die sechste 10 Tropfen und in die siebente 15 Tropfen derselben Lösung gebracht und eine Schale zur Kontrolle ohne Zusatz von Karbolsäure blieb, wurde in jede Schale ein mit angetrockneten Milzbrandsporen versehener Seidenfaden gelegt. Sämtliche Glasschalen befanden sich unter einer feucht gehaltenen Glasglocke, um die Verdunstung und Verunreinigung durch Staub möglichst zu beschränken. In dem Kontrollgefäß war nach 24 Stunden schon lebhaftes Wachstum von langen Milz- brandfäden mit dem Mikroskop zu sehen, ebenso in den Gefäßen, die 1, 2, 4 und 6 Tropfen der Karbollösung erhalten hatten. In dem Gefäße mit 8 Tropfen war die Entwicklung ■vi'eniger kräftig; in dem mit 10 und in dem mit 15 Tropfen gar kein Wachstum eingetreten. Nach zwei Tagen war die Vegetation der Milzbrandfäden in dem Kontrollgefäße und in den vier ersten Schalen sehr kräftig, auch das Gefäß mit 8 Tropfen unterschied sich von diesen in bezug auf die Entwicklung der Milzbrandfäden fast nicht mehr. In dem mit 10 Tropfen Karbolsäurelösung versetzten Blutserum hatte sich jetzt nachträglich eine schwache, aus vielfach gekrümmten und kurzen Fäden bestehende Vegetation gebildet. Im letzten Gefäße, das 15 Tropfen Karbollösung erhalten hatte, war nicht das geringste Wachstum zu sehen. Auch am dritten Tage zeigte sich keine Entwicklung. Daß die Milz- brandsporen in diesem Gefäße aber nicht etwa schon abgestorben waren, ergab sich daraus, daß der Faden, nachdem er sich im ganzen 72 Stunden in dem mit Karbollösung versetzten Blutserum befunden hatte und dann auf frische Nährgelatine gelegt war, sehr bald der Ausgangspunkt einer üppig entwickelten Milzbrandvegetation wurde. Unzweifelhaft wären auch in dem Blutserum einige Tage später, wenn der Karbolsäuregehalt durch Ver- flüchtigung entsprechend abgenommen hätte, die Sporen noch zur Entwicklung gekommen. Zweiter Versuch: Anstatt des Blutserum diente diesmal eine neutralisierte 1% Pepton- und 14% Fleischextraktlösung als Nährflüssigkeit. Auf je 10 ccm der letzteren kamen 2, 5, 10, 20 Tropfen 2% Karbolsäurelösung. Im übrigen wurde der Versuch ebenso angestellt wie der vorige. Das Resultat gestaltete sich auch fast ebenso wie bei jenem Versuche. Bis 5 Tropfen Zusatz war kein die Entwicklung der Milzbrandfäden hemmen- der Einfluß der Karbolsäure innerhalb zweitägiger Beobachtung wahrzunehmen. Bei 10 Tropfen blieb die Entwicklung schon merklich zurück und bei 20 Tropfen trat gar kein Wachstum ein. In der nachstehenden Tabelle sind die Zahlen dieser beiden Versuche übersichtlich zusammengestellt und dabei die Tropfenzahl unter Abrundung der Bruchteile auf ccm berechnet. Die Abmessung der Tropfen hatte immer mit derselben Pipette stattgefunden, aus welcher bei langsamem, gleichmäßigem Ausfließen 25 Tropfen der 2% Karbolsäure- lösung auf 1 ccm kamen. Zusatz von 2proz. Karbol- säurelösung 0,04 ccm 0,08 ccm 0,15 ccm 0,2.5 ccm 0,3 ccm 0,4 ccm 0,6 ccm 0,8 ccm Milzbrand- sporen in 10 ccm Blutserum 1. Tag 2. Tag gewachsen gewachsen gewachsen gewachsen gewachsen gewachsen gewachsen gewachsen zurück- geblieben gewachsen nicht ge- wachsen sohwache Entwick- lung nicht ge- wachsen nicht ge- wachsen über Desinfektion. 299 Zusatz von 2proz. Karbol- säurelösung 0,04 ccm 0,08 ccm 0,15 ccm 0,25 ccm 0,3 ccm 0,4 ccm 0,6 ccm 0,8 ccm Milzbrand- sporen in 10 ccm Iproz.Pepton- und proz. Fleisch- extraktlösung- 1 To (V i . 1 ag 2. Tag gewachsen gewachsen g'ewachsen gewachsen nicht ge- wachsen geringes Wachs- tum nicht ge- wachsen nicht ge- wachsen Die Berechnung des Grenzwertes für die ziu- Entwicklmigshemmung erforderliche Menge Karbolsäure aus den angegebenen Zahlen ergibt, daß 1 g reine Karbolsäure im- stande ist, in 850 ccm Nährlösmig die Entwicklung von Milzbrandbazillen vollständig zu verhüten. Eine merkUche Behinderung des Wachstums tritt schon dann ein, wenn 1 g Karbolsäure auf 1250 g Nährlösung kommt. Diese Zahlen gelten selbstverständlich nur für das Verhältnis zwischen Karbolsäure und Milzbrandbazillen. Daß andere Bakterien von der Karbolsäure weniger beeinflußt werden, ließ sich gelegentlich dieser Versuche schon daraus abnehmen, daß in einzelnen Gcfäl3en, in denen der Karbolsäurezusatz die Milzbrandbazillen nicht mehr zum Wachstum kommen ließ, aus den zufällig hineinfallen- den Luftkeimen andere Bakterien nachträglich zur Entwicklung gelangten. Die Zahlen, die ich für Milzbrandbazillen gefunden habe, stimmen ziemlich genau mit den Zahlen, die J a 1 a n de 1 a fl r o i x i) für die Entwicklungshemmung von Fleisch- wasserbakterien durch Karbolsäure erhalten hat. Für aus der Luft in gekochtes oder ungekochtes Fleischwasser hineinfallende Bakterienkeime bedurfte es nach J a 1 a n dela Croix zur Entwicklungshemmung stärkerer Konzentration der Karbolsäure (1:400, 1:500), welches Zahlenverhältnis ich nach den bei meinen Versuchen nebenher gemachten Beobachtungen vollkommen bestätigen kann. Wie ich früher auseinandergesetzt habe, ist zur Prüfung eines Desinfektionsmittels am zweckmäßigsten, die Wirkung desselben erstens auf sporenhaltige und zweitens auf sporenfreie Objekte zu bestimmen und drittens zu versuchen, inwieweit es die Fort- entwicklung von Bakterien in Nahrflüssigkeiten zu hemmen vermag. Diese drei Aufgaben sind für die Karbolsäure durch die geschilderten Versuchsreihen, jedoch nur in bezug auf Milzbrandbazillen und deren Sporen gelöst. Die für Tötung der Sporen gefundenen Zahlen werden aber mit geringen Abweichungen auch für die Sporen und Dauerzustände der übrigen durch hohe Widerstandsfähigkeit ausgezeichneten Mikroorganismen gelten können, weil in sehr zahlreichen Versuchen, die gleichzeitig mit solchen und mit Milz- brandsporen angestellt wurden, letztere den ersteren sich immer fast gleich verhielten und nur sehr wenig zurückstanden. Anders verhält es sich aber, wie wir gesehen haben, mit der entwicklungshemmenden Wirkung der Karbolsäure. Für Milzbrandbazillen lag dieselbe zwischen 1250- und 850facher Verdünnung und ist für andere aus der Luft in die Nährlösungen gelangende Mikro- organismen auf ungefähr 500 fache Verdünnung herabzusetzen. Nur die Bestimmung des allgemein gültigen Wertes der Karbolsäiue für den zweiten Teil der Aufgabe, für die Tötung der nicht sporenhaltigen Bakterien, würde noch ausstehen. Wahrscheinlich ist auch dieser Wert für andere widerstandsfähigere Mikroorganismen auf die Hälfte des für Milzbrandbazillen gefundenen, oder selbst noch weiter herabzusetzen. Genauere Untersuchungen darüber sind unzweifelhaft ganz interessant, schienen mir aber der Bedeutung der beiden anderen Werte gegenüber, die im großen und ganzen * ') Archiv für experimentelle Pathdlogie und Pharmakologie, Bd. 13. Heft 3 imd 4. 300 über Desinfektion. schon ein ausreichendes Urteil über den Desinfektionswert verschaffen, zu wenig wichtig, um denselben Zeit zu opfern, und ich zog es vor, mich statt dessen mit den für die prak- tische Verwendung der Karbolsäure als Desinfektionsmittel wichtigen Fragen zu beschäf- tigen. Unter diesen letzteren beansprucht diejenige nach der Wirkung der Karbolsäure in Dampf form eine besondere Bedeutung. Es war allerdings, nachdem sich herausgestellt hat, daß die Karbolsäure für eine zuverlässige Desinfektion in 5% Lösung und mindestens 48 Stunden einwirken muß, kaum zu erwarten, daß die Karbolsäure in Dampfform bei ihrem geringen Verflüchtigungs- vermögen eine irgend erhebliche desinfizierende Wirkung äußern würde. Ferner hatten die mit Karbolsäure in Dampf form von Schotte und G a e r t n e r ^ ) angestellten Versuche schon ergeben, daß, um trockene mit Fäulnisbakterien imprägnierte Objekte zu desinfizieren, 15 g Karbolsäure auf einen Kubikmeter zum Verdampfen gebracht werden mußten und daß wegen der bedeutenden Quantitäten und der Schwierigkeit, dieselben in Dampfform zu verwandeln, eine Desinfektion von geschlossenenRäumen durch Karbol- dämpfe praktisch so gut wie unausführbar ist. Dennoch konnte die Frage aufgeworfen werden, ob nicht die bei gewöhnlicher Temperatur schon zur Verdunstung kommenden geringen Karbolsäuremengen, wenn sie nur durch längere Zeit mit den Desinfektions- objekten in Berührung bleiben können, gleichwohl desinfizierend wirken würden; auch war es wichtig, zu erfahren, ob nicht die Desinfektion mit heißer Luft, deren Unzulänglich- keit sich schon zur Zeit dieser Versuche herausgestellt hatte, nicht zweckmäßigerweise mit der Anwendung von Karboldämpfen zu kombinieren war. Zur Erledigung der ersten der eben angedeuteten Fragen wurde folgender Versuch ausgeführt. In einem Apparate, wie er nach Angabe von N. Gerber zur Fettbestimmung in der Milch dient und in dessen untere Abteilung ungefähr 50 g Karbolsäure gefüllt waren, wurde in die obere Abteilung auf Filtrierpapier Erde, welche Bazillensporen enthielt, gelegt. Dieses obere Gefäß des Apparates war durch einen gut schließenden Kork ge- schlossen und kommunizierte mit dem unteren, die Karbolsäure enthaltenden Gefäße durch eine ziemlich weite Öffnung, nach oben mit der Luft durch ein langes enges Glas- rohr. Von Zeit zu Zeit wurde der Kork gelüftet, eine Probe der Erde entnommen und auf Nährgelatine ausgestreut. Die Erde roch jedesmal stark nach Karbolsäure und es ließ sich wohl annehmen, daß sie beständig unter dem vollen Einfluß der bei Zimmer- temperatur, in welcher der Apparat gehalten wurde, sich entwickelnden Karbolsäure- dämpfe stand. Die Erdproben wurden am 2., 4., 10., 14., 24. und 45. Tage der Karbolsäure- wirkung auf die Entwicklungsfähigkeit der in ihr vorhandenen Bazillensporen geprüft. Es ergab sich, daß dieselben auch nach 45 Tagen ganz ebenso reichliche und üppige Bazil- lenkolonien zur Entwicklung brachten als die zur Kontrolle gleichfalls auf Nährgelatine ausgestreuten Proben von Erde, die nicht mit Karbolsäure behandelt waren. Ich muß gestehen, daß mir dieses Resultat eine Illusion, der ich mich bis zu dieser Zeit hingegeben hatte, geraubt hat. Wenn man viel mit dem L i s t e r sehen antiseptischen Verfahren zu tun gehabt und oft bei Infektionskrankheiten mit Karbolsäure desinfiziert hat, dann gewöhnt man sich allmählich an den Gedanken, daß, sobald nur der Karbolgeruch irgend- wo wahrzunehmen ist, die Luft von allen Infektionskeimen in kurzer Zeit befreit sein muß. In welchem gewaltigen Irrtume sich diese Vorstellung aber bewegt, lehrt der eben geschilderte Versuch und die aus demselben zu entnehmende Tatsache, daß die bei ge- wöhnlicher Temperatur sich entwickelnden Karboldämpfe auch nach anderthalb Monate langer Einwirkung noch nicht im geringsten die Keimkraft der verschiedenen in der Erde enthaltenen Bazillensporen zu beeinträchtigen vermögen. ') Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, Bd. 12, Heft 3. über Desinfektion. 301 Die zweite der oben gestellten Fragen, ob Karboldämpfe bei gleichzeitiger Anwen- dung höherer Wärmegrade vorteilhaft zu verwenden seien, wurde in folgender Weise zu lösen versucht: Eine dreifach tubulierte Flasche befand sich in einem Wasserbade. Durch die eine Öffnung der Flasche wurde luftdicht ein Thermometer und — unmittelbar an der Kugel desselben befestigt — das Desinfektionsoljjekt, welches hier wiederum in den am schwie- rigsten zu desinfizierenden Bazillensporen der Gartenerde bestand, in die Mitte der Flasche eingeführt. Die zweite Öffnung stand mit einem Aspirator und die dritte mit einer zweiten, zweilialsigen Flasche in Verbindung, welche mit karbolsäuregetränkten Fließpapierrollen angefüllt war und in ihrem zweiten Halse ein frei in die Luft mündendes Glasrohr trug. Sobald der Aspirator in Gang gesetzt wurde, mußte die Luft ihren W"eg zuerst durch das Glasrohr in die Karbolflasche nehmen, sich hier beim Durchgang durch die Papierrollen mit Karbolsäuredämpfen beladen und dann das Desinfektionsgefäß passieren, um schließ- lich in den Aspirator zu gelangen, der aus einer großen mit Wasser gefüllten und einem Abflußhahn versehenen Flasche bestand. Wenn letztere von neuem gefüllt wurde, strömte eine ungemein stark nach Karbolsäure riechende Luft aus dem Innern derselben heraus und bewies dadurch, daß der Apparat vollständig seine Schuldigkeit tat und dem Des- infektionsgefäß beständig in langsamem Strom eine mit Karbolsäuredämpfen bei ge- wöhnhcher Temperatur gesättigte Luft zuführte. Das Desinfektionsgefäß wurde dann gleichzeitig im Wasserbade soweit erwärmt, bis am Thermometer die für den Versuch beabsichtigte Temperatur abzulesen war. Nun erst wurde schnell, damit keine zu große Abkühlung eintrat, die in Fließpapier eingewickelte Erde an der Thermometerkugel befestigt und den erwärmten Karbol- dämpfen ausgesetzt. Es unterscheiden sich also diese Versuche von denjenigen, die Schott e und G a e r t n e r angestellt haben, insofern, als bei letzteren durch höhere Temperatur die Menge der Karboldämpfe vermehrt wurde, die Dämpfe selbst aber nur bei geAvöhnlicher Temperatur zur Wirkung kamen, während in meinen Versuchen das umgekehrte Verhältnis eintrat. Die Karboldämpfe entwickelten sich im ersten Gefäße immer nur bei derselben Temperatvu' von 20° C und blieben also annähernd an Menge gleich; dagegen kamen sie mit dem Desinfektionsobjekte im zweiten Gefäße unter ver- schieden erhöhten Temperaturen in Berührung. Bei den Desinfektionsversuchen mit trockner Hitze hatte sich herausgestellt, daß. wenn die Temperatur im Desinfektionsapparate 140" betrug, in nicht zu großen Objekten die Temperatur im Innern derselben bis auf ungefähr 55° bis 75° C innerhalb mehrerer Stunden zu bringen war; da aber diese Temperatur auch für die leicht zu vernichtenden Mikroorganismen, wenn sie sich in getrocknetem Zustande befinden, nicht einmal aus- reicht, so lag es nahe, die Hitzewirkung gerade in diesem Falle durch Karboldämpfe zu unterstützen, und es wurden mit Rücksicht hierauf die Versuche mit Kombination von Hitze und Karboldämpfen auf die genannten Temperaturen beschränkt. In der nachstehenden Tabelle ist das Resultat derselben zu finden. Die Verdunstung der Karbolsäure fand bei Zimmertemperatur (ungefähr 20° C) statt. Bei 20» 0 sich ent- wickelnde Dämpfe von Temperatur in der als Desinfektionsraum dienenden Flasche Zeit (•in Stunden) Entwicklung-sfäliio-keit der Bazillen- sporen auf Nährgelatine Karbolsäure .55» C Vi kräftige ungestörte Entwicklung- n 55» C IVz ziemlich viele Bazilleukolonien 55» C 3 wenige Bazillenkolonien 51 75» r 2 vereinzelte Bazillenkolonien 302 über Desinfektion. Die Versuche ergeben also, daß bei gleichbleibender Karbolsäuremenge die Wirkung derselben mit zunehmender Temperatur schnell gesteigert wird. Dämpfe von einer Tem- peratur zwischen 15*^ und 20 C (Zimmertemperatur) lassen, wie wir früher gesehen haben, die Sporen nach 45 Tagen noch unverändert. Bei 55*^ C dagegen macht sich schon eine ziemlich schnell eintretende Wirkung bemerkbar ; denn wenn auch nach einer halben Stunde die Sporen noch ihre volle Keimkraft behalten haben, so sind nach 1 ^ Stunden schon viele vernichtet und nach 3 Stunden besitzen nur noch wenige ihre Entwicklungs- fähigkeit. Es läßt sich hiernach wohl annehmen, daß nach ungefähr 5 bis 6 Stunden die Vernichtung aller Keime eingetreten sein würde. Aus rein praktischen Gründen kann aber eine Desinfektion mit Hitze und Karboldämpfen von längerer Dauer als 2 Stunden nicht in Ausiclit genommen werden. Wenn diese Kombination nicht in ganz kurzer Zeit, etwa binnen einer halben bis höchstens 2 Stunden, ihren Zweck erfüllt, dann muß sie für die Praxis ihren Wert verheren, weil schon mehrere Stunden an und für sich ver- gehen, ehe bei einer Temperatur von über 100° C im Desinfektionsraume das Innere größerer Desinfektionsobjekte sich auf 50° C und darüber erwärmt, und wenn sie dann noch 5 bis 6 Stunden im Apparate bleiben sollten, die Gesamtzeit einer Desinfektion gegen 8 bis 10 Stunden betragen würde. Deswegen wurde noch in einem Versuche eine Temperatur von 75° C 2 Stunden lang in Anwendung gebracht. Als aber auch dadurch noch keine vollständige Vernichtung aller Keime erzielt war, wurde vorläufig von einer weiteren Verfolgung dieser übrigens höchst interessanten Tatsache Abstand genommen. Für eine Desinfektion großer Objekte durch trockene Hitze wird sich die Karbolsäure kaum verwerten lassen ; aber ganz imzweifelhaft läßt sich aus der durch Hitze gesteigerten desinfizierenden Wirkung der Karbolsäure für andere Zwecke, z. B. um mit trockner mäßig gesteigerter Hitze kleinere Gegenstände zu desinfizieren, Vorteil ziehen; auch Kom- binationen von Karboldämpfen und feuchter Hitze versprechen energische desinfizierende Wirkungen. Die an der Karbolsäure gemachte Erfahrung, daß durch Steigerung der Temperatur die desinfizierende Wirkung flüchtiger Substanzen erheblich zunimmt, gab die Veran- lassung dazu, in derselben Weise noch einige andere Mittel zu prüfen. Diese Versuchs- reihen will ich zum besseren Vergleich mit der kombinierten Karbolsäure-Hitzedesinfek- tion hier einschalten. Es wurde derselbe Apparat wie bei der Karbolsäure benutzt. Bei 20 " C sich entwickelnde Dämpfe von Tempe- ratur • C Zeit Einwirkung auf die Entwicklungsfähigkeit von Bazillensporen in der Erde. Es kamen auf Nähr- gelatine zur Entwicklung Schwefelkohlenstoff . . . 50 34 stunde ehensoviele Bazillenkolonien wie im Kontrollpräparat do. ... 50 1 do. do. ... 50 3 Stunden vereinzelte Bazillenkolonien do. ... 80 % Stunde wenige , do. ... 80 1 « vereinzelte „ do. ... 80 2 Stunden keine „ 67 1/4 Stunde ebensoviele Bazillenkolonien wie im Kontrollpräparat do 67 1 „ do. do 67 2 Stunden . do. Roher Holzgeist .... 70 3 „ do. Auch in diesen Versuchen bestätigt sich am Schwefelkohlenstoff, der bei gewöhn- licher Temperatur, wie aus den weiter unten folgenden Mitteilungen zu ersehen ist, auf Sporen gar keinen nachteiligen Einfluß ausübt, daß bei einer gewissen Temperatur- steigerung, die immer noch weit unterhalb des Siedepunktes des Wassers bleibt, eine über Desinfektion. 303 desinfizierende Wirkung eintritt. Anscheinend übertrifft sogar der Schwefelkohlenstoff in dieser Eigenschaft noch die Karbolsäure, weil seine Dämpfe bei 80** und zweistündiger Dauer eine vollständige Vernichtung der Sporen bewirkt hatten. Daß andere flüchtige Substanzen, bei denen ähnliche desinfizierende Wirkungen vermutet werden konnten , sich nicht sämtlich so verhalten , zeigen die Versuche mit Benzol und Holzgeist. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß sich manche unter gewöhnlichen Verhältnissen unzulängliche Desinfektionsmittel durch Kombination mit einer mäßig gesteigerten Temperatiu' zu einer ausreichenden Wirksamkeit bringen lassen; möglicherweise sind auch solche Substanzen, denen bei Tem]:)eraturen A^on ca. 20" G jede desinfizierende Wir- kung fehlt, wie das Beispiel vom Schwefelkohlenstoff lehrt, bei etwas höheren Tempera- turen als vortreffliche Desinfektionsmittel zu gebrauchen. Es eröffnet sich in dieser Richtmig ein sehr lohnendes Feld für die experimentelle Tätigkeit, welches um so mehr Beachtung verdient, als sich exakten Versuchen gegenüber von der großen Zahl der Des- infektionsmittel nur einige wenige und auch diese nur als für gewisse Verhältnisse praktisch verwendbar erwiesen haben. Doch ich kehre zu den Versuchen über die Karbolsäure zurück. In mancher Hinsicht ist es für die Beurteilung eines Desinfektionsmittels wichtig, die Wirkung von Verbindungen kennen zu lernen, welche dasselbe mit anderen Substanzen eingeht, und nicht minder diejenige von Stoffen, welche demselben in chemischer Be- ziehung nahestehen, auch hat es ein praktisches Interesse, Rohstoffe, welche das Des- infektionsmittel in mehr oder weniger großer Menge enthalten und eine billige Bezugs- quelle abgeben könnten, auf ihre Wirkung zu prüfen. In der folgenden Tabelle sind einige hierher gehörige Mittel zusammengestellt und die Wirkung, welche sie innerhalb bestimm- ter Zeitabschnitte auf Milzbrandsporen äußern, zum Kriterium für ihre Berechtigung, als Desinfektionsmittel gelten zu können, genommen. Die Versuche sind in derselben Weise wie die mit Karbolsäure auf Milzbrandsporen angestellt. Eiiiwirkeiule Flüssigkeit Auzalil der Tage, nach deren Ablauf die Milz- brandspciren auf ihre Ent- wicklungsfähigkeit geprüft wurden f]em erkungen Natriumphenol 5 % in Wasser Natr. sulfo-carbolic. 5 % „ „ Zinc. sulfo-carbolic. 5 % „ „ Eoher Holzgeist \ Eoher Holzessig y sämtlich Holzteer ■ "nverdünnt Steiukohlenteer 2* 5* 10* 2 5 10 2* 5 10 i ^ 5* 20 2 5 10 20 2 5 10 20 * Nur vereinzelte Fäden zur Entwick- lung gekommen * 1 gekräuselte Fäden, * 2 verspätete Entwicklung * 5 etwas verspätetes Wachstum Die doppelt unterstrichenen Zahlen geben in der vorstehenden Tabelle den- jenigen Tag an, an welchem die Milzbrandsporen sich als entwicklungsunfähig erwiesen. Die Karbolverbindungen stehen sämthch der reinen Karbolsäure an Wirksamkeit erheblich nach; am nächsten kommt noch das Zinc. sulf.-carboUcvm. Am wenigsten Wirkung hatte das Natr. sulf .-carholicum. Von den Rohprodukten, welche geprüft 304 über Desinfektion. wurden, zeigte nur der rohe Holzessig eine bemerkenswerte Wirkung. In unverdünntem Zustande kommt er ungefähr einer 5% Karbolsäurelösung gleich. Auffallend ist die innerhalb eines Zeitraumes von 20 Tagen konstatierte völlige Unwirksamkeit des Holz- teers sowohl wie des Steinkohlenteers. Die Präparate, welche im Teer gelegen hatten, wurden in absolutem Alkohol abgespült, so daß sie wenigstens teilweise von der dicken festanhaftenden Teerschicht befreit wurden, und dann auf die Nährgelatine gebracht. Die aus den Sporen heranwachsenden Fäden entwickelten sich gleichwohl fast in derselben Zalil und Stärke, wie an den Kontrollpräparaten. An manchen Stellen, wo eine ziemlich dicke Teerkruste zurückgeblieben war, wurde diese von den Milzbrandfäden gesprengt, die zwischen den Rissen und Lücken dann her vor wuchsen. Im Anschluß an die eben beschriebenen Versuche mögen einige erwähnt sein, die sich auf die praktische Verwendung der Karbolsäure speziell beziehen. In manchen Vor- schriften zur Desinfektion spielen Waschungen mit 1 bis 2% Karbolsäure, Übertünchen mit Kalkmilch, die 2% Karbolsäure enthält, und ähnliche Verfahren eine wichtige Rolle. Daß die Karbolsäure in 2% Lösungen, keine Wirkung haben würde, Heß sich aus den bisherigen Resultaten schon abnehmen, deswegen war es um so wichtiger, zu versuchen, ob der gewünschte Zweck nicht mit 5% Lösungen zu erreichen sei. Zu diesem Versuch wurden auf ein Brett, und zwar in kleine Vertiefungen desselben, Seidenfäden mit an- getrockneten Milzbrandsporen in entsprechenden Abständen gelegt und täglich einmal mit einer reichlichen Menge von folgenden Lösungen übergössen; 2% Karbolsäure, 5% Karbolsäure, KaU^milch mit 2% Karbolsäure, Kalkmilch mit 5% Karbolsäure. Die Flüssigkeiten konnten, weil die Seidenfäden in den Vertiefungen lagen, hinreichend lange Zeit auf dieselben einwirken. Nach 14 bis 14 Stunde waren die Fäden meistens noch feucht und um die mit Kalkmilch begossenen bildete sich allmählich eine dicke Kalkkruste. Nachdem das Übergießen einmal, zweimal, fünfmal, siebenmal und zehnmal stattgefunden hatte, wurde je ein Faden, ohne vorher abgespült zu werden, auf Nähr- gelatine gelegt. In sämtlichen Proben erwiesen sich hier die Milzbrandsporen ganz oder doch zum großen Teil noch entwicklungsfähig. Die mit 5% Karbolsäure siebenmal und zehnmal behandelten Seidenfäden zeigten allerdings erhebliche Lücken in der Milzbrand- vegetation, aber von einer eigentHchen Desinfektion derselben konnte noch gar keine Rede sein. Also auch mit 5% Karbollösungen lassen sich, wenn damit die zu desinfizierenden Objekte nur Übergossen, besprengt, gewaschen oder in sonst einer Weise angefeuchtet werden, selbst nach zehnmaliger Applikation, nicht alle entwicklungsfähigen Keime vernichten und eine in dieser Weise ausgeführte Desinfektion ist mindestens eine unsichere. Alle bisher mit der Karbolsäure angestellten Versuche beziehen sich auf wäßrige Lösungen derselben. Es entsteht nun die Frage, wie sich die Wirkung der Karbolsäure gestalten wird, wenn sie sich in anderen Lösungsmitteln befindet. Diese Frage bean- sprucht durchaus nicht allein ein theoretisches Interesse. Auch die Desinfektionspraxis kennt eine andere als die wäßrige Lösung der Karbolsäure, nämlich die in Öl, und empfiehlt sie für Verhältnisse, unter denen eine Unzuverlässigkeit dieses Mittels von der schwer- wiegendsten Bedeutung sein muß; ich meine, die Desinfektion von Händen und In- strumenten der Hebammen. Und welch festes Vertrauen die Chirurgie auf die sicher desinfizierende Wirkung des Karbolöls setzt, weiß jeder. In den beiden folgenden Tabellen sind die Zahlen für die mit Karbolöl ausgeführten Versuche nach demselben Schema wie in den früheren Tabellen zusammengestellt. Die erste bezieht sich auf Milzbrandsporen, die zweite auf frisch getrocknete sporenfreie Milz- brandbazillen. über Desinfektion. 305 Tabelle 1. Einwirkende Flüssigkeit Anzahl der Tage, nach deren Ablauf die Milz- brandsporen auf ihre Entwicklungsfähigkeit geprüft wurden Bemerkungen Karbolsäure in Ol (5%) 2 6 16 30 40 45 110 sämtliche Proben zeigen auf Nährgelatine eine ganz ungehinderte Entwicklung Karbolsäure in Alkohol (5 %) 2 6 16 30 70 Dasselbe Verhalten Tabelle II. Einwirkende Flüssigkeit Anzahl der Tage, nach deren Ablauf die Milz- brandbazillen auf ihre Lebensfähigkeit geprüft wurden Bemerkungen Karbolsäure in Öl (5%) 1 2 3* 4* 6 3* u. 4* lückenhafte Entwicklung auf Nährgelatine 6 nicht gewachsen Karbolsäure in Öl (1 %) 1 2 3* 4* 6 3* und 4* mit Lücken gewachsen 6 nicht gewachsen Olivenöl (rein) 1 2 3 4* 6 4* mit Lücken gewachsen 6 sieht gewachsen Die zur Kontrolle auf Nährgelatine ausgelegten Fäden wuchsen am 4. Tage ebenfalls nur noch lückenhaft und am 6. Tage gar nicht mehr aus. Das Ergebnis dieser Versuche ist, wie man sieht, ein im höchsten Grade über- raschendes : In Öl oder Alkohol gelöst äußert die Karbolsäure auch nicht die geringste desinfizierende Wirkung. Nicht allein die Sporen, welche sich länger als ein Vierteljahr im 5% Karbolöl ganz unverändert gehalten haben, sondern selbst die sonst gegen alle feindseügen Einflüsse äußerst empfindlichen Bazillen werden von dem Karbolöl nicht beeinflußt. Denn an den im Karbolöl befindlichen Fäden hielten sich die Bazillen genau ebenso lange lebensfähig wie an den zugehörigen in Öl gelegten und den zur Kontrolle trocken aufbewahrten Fäden. Hätte sich nur eine mäßige Differenz in der Wirkung herausgestellt, dann würde eine Erklärung dafür gewiß zu finden gewesen sein, aber für dieses mit allen bisherigen Er- fahrungen und tief eingewurzelten Anschauungen im grellsten Widerspruch stehende Faktum vermag ich vorläufig noch keinen Zusammenhang zu finden. Man könnte daran denken, daß die Membran der Sporen in einem wasserhaltigen, gequollenen Zustande sich befinden muß, damit die Karbolsäure in das Iianere einzudringen vermag. Dagegen spricht aber, daß die Karbolsäure in Dampfform bei 75^ C und in unverkennbarer Weise, wenn auch langsamer, schon bei 55^ auf trockene Sporen einen vernichtenden Einfluß ausübt und daß andere flüchtige Substanzen, wie wir später sehen werden, ebenfalls in Dampfform trockene Sporen entwicklungsunfähig machen können. Ein Irrtum ist bei den Versuchen unmöglich, weil nicht etwa eine einzige, sondern mehrere Reihen von Proben untersucht wurden und in jeder Beziehung ganz gleichmäßige Resultate gegeben haben. Koch, Gesammelte Werke. 20 306 über Desinfektion. Übrigens mag hier schon vorweg bemerkt werden, daß diese merkwürdige Erscheinung sich nicht allein auf die Karbolsäure beschränkt, sondern auch bei anderen Stoffen, wie Salizylsäure, Thymol, vermutlich auch noch bei vielen anderen in gleicher Weise wiederholt. Wenn Karbolöl mit wassei'haltigen Substanzen, z. B. den Geweben des mensch- lichen Körpers, Wunden usw. in Berührung kommt, dann wird es einen Teil der Karbol- säiure unzweifelliaft an diese abgeben und in dieser Weise kann dann immer noch eine antiseptische Wirkung der ursprünglich im Karbolöl gewesenen Karbolsäure sich geltend machen. Dies gilt aber auch nur für den Fall, daß wäßrige Flüssigkeiten mit dem Karbol- öl in Berührung kommen. In allen anderen Fällen, in denen trockene Gegenstände wie Instrumente, Seide, Katgut usw. durch Karbolöl desinfiziert werden soUen, ist auch nicht die allergeringste Wirkung, selbst auf die am leichtesten zu tötenden Mikroorganismen zu erwarten. Der Effekt kann nur genau derselbe sein, als wenn reines Öl gebraucht worden wäre^). Wenn ich mir diese vollständige Unwirksamkeit des beim antiseptischen Verfahren unentbehrlich gewordenen Karbolöls vergegenwärtige und ferner bedenke, daß ein Spray von 1 bis 2% gar keinen Einfluß und selbst 5% Karbolsäure in der kurzen Zeitdauer einer Operation keine bemerkbare Wirkung auf Bakteriensporen ausübt, und schließlich noch, daß um jede Bakterienvermehrung in einer Flüssigkeit zu hemmen, in derselben dauernd die Karbolsäure mindestens im Verhältnis von 1 : 400 vorhanden sein muß, dann kann ich es nicht im geringsten mehr wunderbar finden, daß unter dem L i s t e r- schen Verbände trotz der sorgfältigsten antiseptischen Kautelen so oft Bakterien zu finden sind. Man wird in Zukunft gewiß nicht mehr nötig haben, die im Sekret aseptischer Wunden auftretenden Bakterien auf dem etwas sehr hypothetischen und umständhchen Wege durchs Blut und vom Körper aus in die Wunde gelangen zu lassen. Schweflige Säure. Ein anderes hervorragendes Desinfektionsmittel ist die schweflige Säure, welche ebenfalls eine etwas eingehendere Untersuchung erforderte. Die Versuche schlössen sich im wesentlichen den für die praktische Ausführung berechneten Desinfektionsverhältnissen an und sind zum Teil bei Gelegenheit der von Wolffhügel über schweflige Säure angestellten und in diesen Blättern -) beschriebenen Untersuchungen zur Ausführung gekommen. Bezüglich der genauen Beschreibung der Räumlichkeiten, in welchen die Desinfektionsobjekte der schwefligen Säure ausgesetzt wurden, sowie der Entwicklung und Bestimmung der schwefligen Säure kann ich auf den betreffenden Abschnitt der Arbeit von Wolffhügel verweisen. Erster Versuch: In dem Desinfektionskasten, welcher 390 1 Inhalt hat, wurde soviel Schwefel verbrannt, daß bei Beginn des Versuches 0,986 Volumprozent schwefliger Auffallend ist es, daß dieses merkwürdige Pakbiim den fast täglich mit dem Karbolöl beschäftigten Chirurgen bisher ganz entgangen ist. Eine einzige Andeutung habe ich in der Literatur gefunden, welche die UnZuverlässigkeit des Karbolöls ahnen läßt. Volk mann (Deutsche Zeitschrift für praktische Medizin, 1877, Nr. 18) hatte hintereinander zwei Frauen mit Brustkrebs operiert und für beide Katgut aus einem und demselben Gefäß benutzt. Bei der einen Frau trat überall in der Umgebung des Katguts Haut-, Zellgewebs- und Muskelnekrose ein, doch endete der Fall in Genesung. Im anderen Falle entstand über der Wunde eine Pustel und Milzbrand- geschwür mit tödlichem Ausgang. (Bekanntlich wird Katgut aus Schafsdärmen fabriziert und bei dem häufigen Vorkommen von Milzbrand unter Schafen ist die Befürchtung, daß hin und wieder auch Därme von Milzbrandschafen verarbeitet werden, gewiß nicht unbegründet; wenn dann auch später solche Därme, in denen während der ersten Zeit der Aufbewahrung oder Zubereitung die Milzbrandbazillen zur Sporenbildung gekommen waren, in starkes Karbolöl gelegt wurden, dann kann dies, wie meine Versuche zeigen, die einmal fertiggebildeten Milzbrandsporen nicht wieder unschädlich machen.) ^) Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. I, p. 188. über Desinfektion. 307 Säure vorhanden war. Nach Stunden war der Gehah an schwefhger Säure noch 0,93 Volumprozent. Annähernd kam also während der ganzen Versuchsdauer 1 Volum- prozent schwefliger Säure zur Geltung. Als Desmfektionsobjekt dienten Fäden, an denen mikrokokkenhaltiges Blut von einem Meerschweinchen angetrocknet war. Ein Teil dieser Fäden wurde angefeuchtet, ehe sie in den Kasten gebracht wurden, ein Teil blieb trocken und einige Fäden wurden bei Beginn des Versuches und am Ende desselben als Kontrolle auf Objektträger mit derselben Nährgelatine gelegt, wie die mit der schwefligen Säure behandelten. Bis zum 3. Tag hatten sich an jedem Kontrollfaden 10 bis 20 Mikrokokkenkolonien entwickelt. Über das Verhalten der im Kasten gewesenen Fäden gibt die folgende Tabelle Auskunft. Beschaffen- heit der Fäden Dauer der Einwirkung- der schwefligen Säure nach Minuten 1 2 5 10 15 20 30 45 60 trocken viele Mikro- kokken- kolonien einzelne Kolonien einzelne Kolonien einzelne Kolonien eine Kolonie 0 0 0 0 feucht 2 Mikro- kokken- kolonien 0 0 0 0 0 0 0 , 0 Dieser erste Versuch hatte also das Resultat ergeben, daß die angefeuchteten Fäden schon nach 2 Minuten, die trockenen nach 20 Minuten desinfiziert waren, immerhin auch noch in einer sehr kurzen Zeit. Zweiter Versuch: Im vorigen Versuche war nur sporenfreies Material zur Anwendung gekommen. Es fragte sich nun, ob sich die schweflige Säure gegen Sporen ebenso oder doch wenigstens annähernd so wirksam erweisen würde. Zu diesem Zwecke wurden diesmal sporenhaltige Kartoffelbazillen auf Filtrierpapierstreifen getrocknet, Milzbrandsporen an Seidenfäden angetrocknet und, um noch einmal einen Vergleich mit sporenfreiem Material zu haben, frische einer Mausemilz entnommene, an Seidenfäden angetrocknete Milzbrandbazillen in den Desinfektionskasten gebracht. Letzterer enthielt bei Beginn des Versuches I Volumprozent, nach 24 Stunden 0,75, nach 72 Stunden 0,54 Volumprozent schwefliger Säure. Desinfektions- objekte Dauer der Einwirkung der schwefligen Säure nach Minuten nach Stunden 1 2 3 4 5 6 7 8 10 12 15 20 30 40 50 60 2 3 4 5 20 2448 72 Frisch getrocknete Milzbrand b a z i 1 1 e n + + + + + + + + + + vei geA + •eins yach + elt sen + + + + + + + + + + + + + + Sporenhaltige Kartoffelbazillen . . + + + + + 1 + + + + + + In der vorstehenden Tabelle sind diejenigen Proben, welche noch zur Entwicklung kamen, mit +, diejenigen welche keine entwicklungsfähigen Bakterien mehr enthielten, 20* 308 Uber Desinfektion. mit — bezeichnet. Die zu deia Desinfektionsobjekten zugehörigen, zu gleicher Zeit auf ihre Entwicklungsfähigkeit auf demselben Nährboden geprüften Kontrollpräparate waren sämthch kräftig gewachsen. Die Tabelle zeigt, daß die sporenf r e i e n und trocknen Milzbrandbazillen sich fast ebenso in der schwefligen Säure verhalten, wie im ersten Versuche d;e Mikrokokken. Aber ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bei den sporen h a 1 1 i g e n Objekten. Die Versuchsdauer war von vornherein länger bemessen, weil nach den anderweitigen mit den Sporen gemachten Erfahrungen erwartet wurde, daß die schweflige Säure die- selben nicht sehr schnell töten würde. Dennoch hatte die auf 3 Tage ausgedehnte Wirkung von 1 Volumprozent, das allmählich auf 0,54 Volumprozent herabging, nicht genügt, um auch nur den geringsten Effekt auf die Sporen hervorzubringen, denn letztere ent- wickelten sich ebenso kräftig wie die Kontrollpräparate. Dritter Versuch: Um die Widerstandsfähigkeit von sporenhaltigen Sub- stanzen gegen den Einfluß der schwefligen Säure noch weiter festzustellen und zugleich größere Mengen schwefliger Säure zur Wirkung kommen zu lassen, wurde folgender Versuch gemacht: Die Menge der schwefligen Säure im Desinfektionskasten betrug diesmal zu Anfang 6,13 Volumprozent nach 24 Stunden 4,88 ,, „72 „ 4,47 „ 96 „ 3,3 also anfangs sechsmal und am Ende des Versuches dreimal so viel, als in den ersten beiden Versuchen. Nur sporenhaltige Substanzen wurden in den Kasten eingelegt, und zwar eine sehr geringe Menge von vor 8 14 Jahren getrocknetem, sporenhaltigen Milzbrandblut, Milzbrandsporen an Seidenfäden angetrocknet, sporenhaltige Erde, Heubazillensporen auf Fließpapier getrocknet. Das Resultat ist aus der folgenden Tabelle zu sehen, in der das Zeichen + wieder bedeutet, daß die in der Desmfektionsprobe enthaltenen Sporen ihre Entwicklungsfähigkeit noch im vollsten Maße besitzen. Desinfektionsobjekte Zeit der Einwirkung der schwefligen Säure (6,13 bis 3,3 Volumprozent) nach Stunden Bemerkungen 3 5 20 30 45 50 72 96 Altes getrocknetes sporen- haltiges Milzbrandblut . + + + + + + + + + Milzbrandsporen an Seiden- Sporenhaltige Erde . . . + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + Mit dem gestunden lang der schwefligen Säui'e ausgesetzten Milzbrandblut wurde eine Maus geimpft; dieselbe war am folgenden Tage tot und hatte eine stark vergrößerte Milz und zahllose Milzbrandbazillen in derselben. Heubazillensporen . . . + + + + + + + + + + Also auch hier hatte die schweflige Säure trotz stärkerer Konzentration und bis auf 4 Tage ausgedehnter Einwirkung auf die Sporen verschiedener Bakterienarten nicht den geringsten Einfluß gehabt. VierterVersuch: Die beiden ersten Versuche hatten ergeben, daß die schwef- lige Säure sporenfreie Bakterien, wenn sie an kleinen Objekten und in sehr dünner Schicht derselben ausgesetzt wurden, bei einer Konzentration von ca. 1 Volumprozent sehr schnell über Desinfektion. 309 tötet und also, wenn sie auch gegen sporenhaltige Substanzen sich ganz unwirksam er- wiesen hatte, doch in geeigneten Fällen als Desinfektionsmittel möglicherweise zu ver- Avenden sein könnte. Aber es war vorerst noch festzustellen, ob sich die schweflige Säure den in der Desinfektionspraxis gegebenen Verhältnissen gewachsen zeigt, und auf diese Aufgabe sollten sich die nächsten Versuche beziehen. Die schweflige Säure wurde in einem Zimmer entwickelt. 1 Stunde nach dem Anzünden des Schwefels ergab die Analyse 2,89, 24 Stunden „ „ „ „ „ „ „ „ 0,02, )! 55 )) 3) !) j) )! 0,01 Volumprozent schweflige Säure. Auf Stühlen dicht neben den Absorptionsapparaten waren folgende Desinfektions- objekte ausgelegt ; Stückchen von Kartoffeln mit angetrockneten Kulturen von Micrococcus prodigiostis , von Bakterien aus blauem Wundeiter und von Rosahefe. Die Bakterien- schicht auf diesen Kartoffelstückchen bildete eine Kruste von 0,1 bis 0.5 mm Dicke. Sie wurden absichtlich mit der Kulturschicht nach unten, jedoch so, daß zwischen dieser und dem darunter befindlichen Boden eine Luftschicht blieb, gelegt. Die zu tötenden Bakterien befanden sich also nicht wie früher unmittelbar den Dämpfen der schwefligen Säure ausgesetzt, sondern gewissermaljen in einer Spalte, aber doch der schwefligen Säure vollständig zugänglich. Es sollten durch diese Versuchsanordnung die in der Desinfektions- praxis so häufig zu berücksichtigenden Verhältnisse, daß sich nämlich in Ritzen und Winkeln von zu desinfizierenden Räumen Infektionskeime festgesetzt haben, bis zu einem gewissen Grade nachgeahmt werden. Ebenfalls mit Rücksicht auf die Desinfektionspraxis kamen noch zwei Pakete, die sporenfreie Bakterien enthielten, bei diesem Versuch zur Verwendung. Das eine bestand aus Watte, die mit Filtrierpapier umhüllt und mit einem Faden umschnürt war; dasselbe war 5 cm dick, 11 cm breit und 16 cm lang. Ein zweites enthielt Werg, welches mäßig fest zusammengedrückt und durch umgelegten Bindfaden zusammengehalten wurde. Dieser kleine Ballen hatte eine Dicke von 21 cm. Breite von 32 cm mid Länge von 34 cm. In der Mitte eines jeden dieser beiden Pakete oder Ballen befanden sich eben solche Proben von Micrococcus prodigiosus, von Bakterien des blauen Eiters und von Rosahefe, wie sie frei im Zimmer ausgelegt waren. Mit diesen Proben zugleich wurden noch Streifen von blauem Lackmuspapier, und zwar jede Desinfektionsprobe für sich und ebenso auch das Lackmuspapier noch wieder besonders eingewickelt und verpackt. Außer diesen nicht sporenhaltigen, leicht zu vernichtenden Bakterien wurden noch des Vergleichs wegen verschiedene Proben von Milzbrandsporen, Heubazillensporen und sporenhaltige Erde in dem Desinfekti(jnsraume aufgestellt. Erst nach zwei Tagen wurde das Desinfektionszimmer geöffnet, die Proben heraus- genommen und auf geeigneten Nährsubstanzen (gekochte Kartoffelscheiben, Nährgelatine) auf die Lebensfähigkeit der in ihnen enthaltenen Bakterien geprüft. Wie nicht anders zu erwarten war, hatten die sämtlichen s p o r e n haltigen Des- infektionsproben auch nicht im mindesten an ihrer Entwicklungsfähigkeit verloren. Daß es übrigens während dieses Versuches nicht an Luftfeuchtigkeit gefehlt hatte, ging daraus hervor, daß die Uhrgläser, auf denen diese Proben gelegen hatten, mit einer zu kleinen Tröpfchen zusammenfließenden stark sauren Flüssigkeitsschicht beschlagen waren. In den beiden Paketen fand sich das Lackmuspapier gerötet, aber die Desinfektions- proben, also selbst sporenfreie, hatten ebenfalls ihre volle Entwicklungsfähigkeit bewahrt. Auffallenderweise zeigten sich auch die frei ausgelegten Proben von Micrococcus ■prodigiosus, Bakterien des blauen Eiters und Rosahefe durch die schweflige Säure nicht 310 über Desinfektion. in bemerkbarem Maße beeinträchtigt, da sie sämtlich auf gekochten Kartoffeln sehr kräftige und ausgedehnte Kulturen hervorriefen. FünfterVersuch: Nach diesem Resultat mußte die Anforderung an die des- infizierende Wirkung der schwefhgen Säure noch weiter herabgesetzt werden. Der Versuch wurde in demselben Zimmer und unter denselben Verhältnissen wie der vorige ausgeführt. Auch die schwefhge Säure wurde annähernd in derselben Menge entwickelt. Nach 14 Stunde wurden 3,12 Volumprozent, ,, 2 Stunden ,, 1,25 ,, „ 22 ,. „ 0,015 gefunden. Auf Uhrgläsern waren getrocknete Kulturen von Micrococcus prodigiosus und von Bakterien des blauen Eiters teils mit der Bakterienschicht nach oben, teils mit derselben nach unten aufgestellt. Die Proben blieben 50 Stunden in dem Desinfektionszimmer. Alsdann wurden sie auf gekochte Kartoffeln gelegt. Sie zeigten sich sämtlich ent- wicklungsfähig und ein wesentlicher Unterschied zwischen den mit der Bakterienschicht nach oben und den nach unten gerichteten war nicht zu erkennen. Sechster Versuch: Weil die schweflige Säure in dem Desinfektionszimmer so außerordentlich schnell in ihrer Konzentration zu sehr geringen Werten herabging, wurde ein dem vorigen ähnhcher Versuch noch einmal in dem fast luftdicht schließenden Des- infektionskasten angestellt, um zu erfahren, ob nicht geringe Quantitäten schwefliger Säure, wenn sie längere Zeit gleichmäßig zur Wirkung gelangen, doch imstande sind, getrocknete, sporenfreie Bakterienschichten abzutöten. Bei Beginn des Versuches befanden sich im Kasten 0,120 Volumprozent, nach 24 Stunden 0,119 „48 „ 0,100 schwefUger Säure. Die zur Verwendung gekommenen Desinfektionsproben und das Resultat ist aus der nachstehenden Tabelle zu ersehen. Desinfektionsobjekte Dauer des Aufenthaltes im Desinfektionskasten 1 4 Stunden 20 Stunden 28 Stunden 48 Stunden Micrococcus prodigiosus, Schicht nach unten entwicklungs- fähig- entwicklungs- fähig entwicklungs- fähig entwicklungs- fähig Micrococcus prodigiosus, Schicht nach oben j desgl. etwas schwächer etwas schwächer viel schwächer Bakterien des blauen Eiters, Schicht nach unten desgl. entwicklungs- fähig entwicklungs- fähig entwicklungs- fähig Bakterien des blauen Eiters, Schicht nach oben desgl. etwas schwächer etwas schwächer viel schwächer Die Menge der schwefligen Säure war absichthch in diesem Versuche niedrig be- messen gewesen, weil es praktisch ganz unausführbar sein würde, höhere Volumprozente in Räumen, die nicht luftdicht abgeschlossen sind, dauernd zu erhalten, während durch mehrfach wiederholtes Anzünden von Schwefel eine der diesmal zur Anwendung gekom- menen Menge schwefliger Säure annähernd gleiche Quantität ein bis zwei Tage lang über Desinfektion. 311 vermutlich zu erhalten sein würde. Nach 48 Stunden hatte die schweflige Säure unter den angegebenen Verhältnissen eine ziemlich erhebliche Wirkung auf die mit der Bakterien- schicht nach oben gelegenen Desinfektionsproben ausgeübt. Aber auch nur auf diese; die nach unten gerichteten Bakterienschichten hatten von der schwefligen Säure nicht gehtten. Siebenter Versuch: Die schweflige Säure hatte sich, wie die letzten Ver- suche zeigen, sobald die sonst am leichtesten zu vernichtenden Bakterien in etwas dickeren Schichten und besonders wenn sie mit nach unten gerichteter Schicht der Einwirkung des Desinfektionsmittels ausgesetzt wurden, auch diesen geringsten an ein in der Praxis verwendbares Desinfektionsmittel zu stellenden Anforderungen nicht mehr gewachsen gezeigt. Aber es ließ sich nun gegen die bisherigen Versuche einwenden, daß die schwefUge Säure wegen Mangel an Feuchtigkeit so geringe Wirkungen geäußert habe. Indessen ist früher schon gelegentlich erwähnt, daß die Luft bei den im Desinfektionszimmer ange- stellten Versuchen mit Wasserdämpfen gesättigt war und sich letztere auf den Uhrgläsern, in denen die Desinfektionsproben lagen, niedergeschlagen hatten. Immerhin war es interessant, zu erfahren, ob nicht ein extremer Wassergehalt im Desinfektionsraume wesentlich stärkere Wirkungen der schwefligen Säure bewerkstelligen würde. Es wurde deswegen in dem Desinfektionskasten schweflige Säure entwickelt und gleichzeitig Wasser- dampf hineingeleitet. Vorher waren die in der nachstehenden Tabelle verzeichneten Desinfektionsproben hineingelegt. Bei Beginn des Versuches waren 0,84 nach 24 Stunden 0,55 nach 48 Stunden 0,302 Volumprozent schwefliger Säure in der Luft des Kastens. Der Wassergehalt war so bedeutend, daß schon nach einer Stunde sämtliche Desinfektionsproben stark feucht und aufgeweicht waren. Nach 24 Stunden hatten sich an der Decke des Kastens viele Wasser- tropfen gebildet, die auf die Proben herabfielen, so daß dieselben schließlich tatsächlich im Wasser lagen. (Wenn die Entwicklungsfähigkeit der Bakterien oder Sporen erhalten blieb, dann ist dies in der Tabelle mit +. das Gegenteil mit — bezeichnet.) Desinfektiousobjekte Dauer des Aufenthaltes im Des- infektionskasten Bemerkungen 1 2 4 24 48 Stunden Frisch aus der Milz entnommene Milzbrandbazillen (noch feucht) an Seidenfäden Micrococcus prodigiosus, Schicht nach oben + -1- üehr geringe Ent- wick- lung Mic7-ococc.us p7-o dig iosiis, Schicht nach unten Bakterien des blauen Eiters, Schicht nach oben + + geringe Ent- wick- lung 312 über Desinfektion. Desinf ektionsob j ekte Dauer des Aufenthaltes im Des- infektionskasten Bemerkungen 1 2 4 24 48 Stunden Rfl u'f'P'ri PTi npc nlon oti T^^i ovo Schicht nach unten + + + iVl il "zliTaTi/l CTirtTon QTi Sai rt dnf cJ rl or» iixiiZi ui diius yVi eil all OdU.ciIlclU.dl angetrocknet + + + + + Milzbrandblut + + + + + Das Blut ist nach einstündiger Einwir- kung gequollen, koaguliert und löst sich auf der Nährgelatine nicht mehr auf Sporenhaltige Erde + + + + Die Kombination der schwefligen Säure mit Wasserdämpfen hat im wesentlichen dasselbe Resultat gegeben, wie es die schweflige Säure allein oder unter dem Einfluß des gewöhnlichen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft in den früheren Versuchen ebenfalls getan hat. Die an Fäden in sehr dünner Schicht ausgebreiteten Milzbrandbazillen waren nach einer Stunde getötet ; ohne Zuleitung von Wasserdampf wäre das, wie der erste und zweite Versuch lehren, ebenso der Fall gewesen. In dickerer Schicht befindliche sporenfreie Bakterien waren selbst nach 4 Stunden, trotzdem sie sich einem vollkommen aufge- weichten Zustande befanden, noch nicht vollständig vernichtet. An sporenhaltigen Sub- stanzen hatte sich gar keine Wirkung bemerkbar gemacht. Die bis hierher geschilderten Versuche lassen nicht den geringsten Zweifel darüber, daß die schwefelige Säure, wenn sie auf trockne Objekte, oder wenn sie gleich zeitig mit Wasser oder Wasserdampf auf dieselben einwirkt, einen eigentlichen Desinfektions- wert nicht beanspruchen kann. Der folgende Versuch wurde deswegen auch nur aus theoretischem Interesse angestellt, um zu erfahren, bei welcher Konzentration die vom Wasser absorbierte schweflige Säure überhaupt imstande ist, Bazillensporen, also die widerstandsfähigsten Keime, zu vernichten. Achter Versuch: Schweflige Säure wurde in Wasser bis zur voll- ständigen Sättigung geleitet, dann durch teilweise Verdünnung desselben folgende Konzentrationen hergestellt und in mit gefetteten Glasstöpseln gut verschlossene Gefäße gefüllt. Das erste Gefäß enthielt 11,436 Gewichtsprozent (4000 Volumprozent), „ zweite „ „ 5,718 „ (2000 „ ), „ dritte „ „ 2,859 „ (1000 „ ), „ vierte „ „ 0,286 ,, ( 100 ,, ). In jedes dieser Gefäße wurde eine Anzahl mit Milzbrandsporen versehener Seiden- fäden gelegt, täghch einer derselben herausgenommen und auf die Entwicklungsfähigkeit der Sporen geprüft. In nachstehender Tabelle ist das Resultat dieses Versuches verzeichnet. über Desinfektion. 313 Konzentration der schwefligen Säure Aufe 1 nthalt der Milzt 2 randsporen in c nach Tagen 3 er schwefligen Säure 4 5 I. 11 ,436 Oewichtsprozent Etwas verspätet aber kräftig entwickelt — — TT K VI Q iJ-QTiri r» + C3i'\'t'/^r7Q'ri + 11. ü, i lo VjrcWlLülaprozeui 1 Etwas verspätet gewachsen 1 -r Etwas verspätet gewachsen 1 Mit Lücken gewachsen + VereinzelteFäden zur Entwicklung gekommen III. 2,859 Gewichtsprozent + + + Etwas verspätet gewachsen + Etwas verspätet gewachsen + Etwas verspätet gewachsen IV. 0,286 Gewichtsprozent + + + + + In der schwächsten der zur Anwendung gekommenen Konzentrationen, die auf Volumprozente berechnet immer noch 100 Volumprozenten entsprechen würde, hatte die schweflige Säuere innerhalb fünf Tagen gar keinen Einfkiß auf die Milzbrandsporen aus- geübt; sie entwickelten sich in allen Proben ebenso schnell und ebenso kräftig wie in den Kontrollpräparaten. Die beiden nächsten um das 10 fache und 20 fache stärkeren Konzentrationen lassen schon eine Wirkung erkennen. Aber auch die höchste erreichbare Konzentration der schwefligen Säure konnte nach 24 stündiger Emwirkung nur eine geringe Verzögerung im Wachstum der Milzbrandsporen herbeiführen. Wie üppig und massenhaft die Scheinfäden der Milzbrandbazillen aus den Sporen, welche 24 Stunden in der konzentriertesten Lösung von schwefliger Säure gelegen hatten, zur Entwicklung kamen, zeigt die Photographie Nr. 31, Tab. XI, welche nach diesem Präparat angefertigt wurde. Es blieb noch eine Frage zur Beantwortung übrig, ob nicht etwa, wenn sich der gleichzeitig mit der schwefligen Säure zur Geltung kommende Einfluß der Feuchtig- keit auch als nutzlos erwiesen hatte, doch eine der Anwendiuig der schwefhgen Säure einige Zeit vorhergehende Befeuchtung der Objekte der Wirkung dieses Mittels zu Hilfe kommen könne. Neunter Versuch: Das Innere des Desinfektionskastens wurde durch Ent- wicklung von Wasserdämpfen und Einlegen von feuchtem Fheßpapier in den letzten 24 Stunden vor dem Verbrennen des Schwefels feucht gehalten. Ebenso befanden sich die Desinfektionsproben (Milzbrandsporen und sporenhaltige Erde) 24 Stunden lang unter einer gut schließenden Glasglocke, deren Innenwände mit feuchtem Fheßpapier aus- gekleidet waren. Aus diesem feuchten Raum wurden sie unmittelbar in den Desinfektions- kasten gebracht und dann in diesem 26,0 g Schwefel unter Zusatz von Alkohol verbrannt. Eine zweite Probe von Erde und Müzbrandsporen hatte 24 Stunden lang in destilhertem Wasser gelegen, ehe sie in den Desinfektionskasten gebracht wurde. Bald nach dem Verbrennen des Schwefels wurde der Gehalt an schwefhger Säure im Kasten gleich 4,66 Volumprozent gefunden. Nach 6 Stunden betrug derselbe 3.16, nach 24 Stunden beim Abschluß des Ver- suches 3,28 Volumprozent. Nach dem 24 stündigen Aufenthalt im Kasten kamen beide Proben von Milzbrand- sporen, sowohl diejenige, welche vorher nur im feuchten Raum gewesen, als auch die- jenige, welche im Wasser gelegen hatte, nicht mehr zur Entwicklung. Von den Erd- proben gab die im Wasser gewesene eine ungehinderte, die aus dem feuchten Raum eine 314 über Desinfektion. um ungefähr 24 Stunden verspätete und nicht so reichüche Entwicklung von Bazillen- kolonien wie das Kontrollpräparat. Dieser Versuch hatte also ein gegen alle früheren Desinfektionsversuche mit schwef- liger Säure erheblich besseres, wenn auch immer noch kein ausreichendes Resultat ge- liefert, und es wurde deswegen ein zweites gleiches Experiment angestellt, um die Stei- gerung in der Wirksamkeit der schwefligen Säure durch vorhergehende Befeuchtung der Objekte ganz sicher zu stellen. Zehnter Versuch: Die Versuchsverhältnisse waren die nämlichen wie im vorhergehenden, nur wurden des Vergleichs halber diesmal auch trockene Objekte, wie sie zu den früheren Versuchen benutzt waren, gleichzeitig mit den angefeuchteten in den Kasten gelegt. Kurze Zeit nach dem Verbrennen des Schwefels wurden im Kasten 5,44 Volum- prozent gefunden. Drei Stunden später noch 5,3 Volumprozent. Die Menge der schwefligen Säure war in diesem Versuch also fast dieselbe wie im vorigen. Die Objekte blieben ebenfalls 24 Stunden im Kasten. Das Resultat war folgendes: Milzbrandsporen, welche 24 Stunden vor dem Ein- bi'ingen in den Desinfektionskasten im feuchten Raum sich befunden und im Kasten auf einer Unterlage von feuchtem Fließpapier gelegen hatten, kamen zur Entwicklung. Milzbrandsporen, welche in einem Uhrglase mit Wasser lagen und in diesem Ver- suche nicht wie im vorigen aus dem Wasser herausgenommen, sondern während der Des- infektion in diesem verblieben waren, wuchsen nicht mehr. Trocken eingelegte Milzbrandsporen zeigten ebenso wie in allen früheren Versuchen keine Veränderung in ihrer Entwicklungsfähigkeit. Aus den Erdproben kamen, gleichviel, ob sie vorher feucht gehalten waren, im Wasser gelegen hatten, oder trocken der schwefligen Säure ausgesetzt wurden, die Bazillen- sporen zur Entwicklung, ohne daß eine bemerkbare Behinderung derselben sich gezeigt hätte. Das Ergebnis dieses Versuches war, obwohl bei demselben eine möglichst gleiche Anordnung der Verhältnisse wie im vorigen Versuch angestrebt war, weniger günstig, und es läßt sich aus demselben deswegen schon schließen, daß, wenn auch eine Steigerung der sporentötenden Wirkung der schwefligen Säure durch vorhergehendes Behandeln der Objekte mit Feuchtigkeit erreicht werden kann, dieselbe doch selbst unter den überaus günstigen Verhältnissen im Desinfektionskasten unsicher blieb und entfernt nicht so weit getrieben werden konnte, daß alle Bazillensporen vernichtet worden wären. Wie man sich diesen merkwürdigen Unterschied in der Wirkung der schwefligen Säure auf Sporen, je nachdem sie auf längere Zeit vorher angefeuchtete Objekte oder erst zu gleicher Zeit mit Feuchtigkeit auf bis dahin trockene Objekte angewendet wird, erklären soU, das läßt sich schwer sagen. Die am nächsten liegende Erklärung scheint mir noch folgende zu sein. Die Bazillensporen besitzen vermutlich eine die eigentliche Sporen- membran noch äußerlich einschließende Schleimhülle, welche nur in Wasser und in be- stimmten Salzlösungen quellbar ist. In Wasser, Avelches schweflige Säure gelöst enthält, kommt diese Hülle, möghcherweise wegen des Säuregehaltes der Lösung, ebenfalls nicht zur Quellung; sie bleibt wasserfrei und die Spore verhält sich gegen den Einfluß der schwefligen Säure gerade so wie im trockenen Zustande. Anders wird es sich verhalten, wenn die Schleimhülle vor der Berührung mit schwefliger Säure zum Quellen gebracht wird, wie es bei dem Aufenthalt der Sporen in Wasser oder im feuchten Raum geschieht. über Desinfektion. 315 In diesem Falle kann die schweflige Säure die mit Wasser durchtränkte SchleimhüUe durchdringen und auf die Sporen selbst zur Wirkung kommen. Obgleich die beiden im Desinfektionskasten ausgeführten Versuche auch nur eine unzureichende Wirkung der schwefligen Säuere ergeben hatten, so schien es doch geboten, noch einen Desinfektionsversuch in einem den praktischen Verhältnissen entsprechenden ^ Raum vorzunehmen, um zu sehen, inwieweit sich die der Schwefelung vorhergehende Befeuchtung für die Desinfektionspraxis nützlich erweisen würde. E 1 f t e r V e r s u c h : In einem Zimmer wurde in den letzten 24 Stunden vor Beginn des Versuches einige Male viel Wasser verdampft, so daß alle Gegenstände in demselben stark befeuchtet waren. Zuvor waren eine Anzahl Desinfektionsproben, welche wieder aus Milzbrandsporen und sporenhaltiger Gartenerde bestanden, in dem Räume so verteilt, daß sie teilweise in der Mitte desselben, zum Teil in einer Ecke, fernei' am Boden luid einige Proben mehr oder weniger tief in einer zwischen den Dielen befindlichen Spalte (V^ bis 1 cm tief) sich befanden. Zu gleicher Zeit waren noch eben solche Proben in einen Keller- raum durch 24 Stunden gelegt, in welchem noch mehr Wasserdämpfe als in dem Zimmer entwickelt waren, so daß das Wasser an den Wänden herabfloß. In dem feuchten Keller hatten diese Proben teils frei auf Uhrgläsern gelegen, teils waren sie in den Taschen und an der Oberfläche eines Überziehers verteilt. Unmittelbar vor dem Anzünden des Schwefels im Desinfektionszimmer waren die Proben aus dem Keller in ersteres gebracht. Ver- brannt wurden 3960 g Schwefel, was auf den Kubikinhalt des Zimmers berechnet 10,56 Vo- lumprozent schwefliger Säure hätte geben müssen. Ungefähr eine Stunde nach dem Anzünden des Schwefels wurden indessen nur noch 4,05 Volumprozent und 3 Stvuiden 20 Minuten nach demselben 1,8 Volumprozent schwefliger Säure nachgewiesen. Nach Ablauf von 24 Stunden wurde das Zimmer geöffnet und die Probeobjekte in bezug auf die Entwicklungsfähigkeit der in ihnen enthaltenen Sporen geprüft. Das hierbei erhaltene Resultat war kurz zusammengefaßt folgendes: Sämtliche Proben sporenhaltiger Erde, mochten sie im Keller oder im Desinfektions- zimmer feucht gehalten sein und mochten sie frei inmitten des Zimmers, am Boden, in der Ecke, in einer Spalte oder in dem Überzieher sich während des Desinfektionsversuches befunden haben, sie alle waren von der schwefligen Säure nicht in merklicher Weise be- schädigt und es entwickelten sich aus denselben ganz ebenso schnell und zahlreich die bekannten Bazillenkolonien wie aus der nicht mit schwefliger Säure behandelten Erde. Auch die Milzbrandsporen kamen sämtlich zur Entwicklung, nur eine Probe, welche 24 Stunden vor dem Versuch und während des Versuches in destilliertem Wasser sich befunden hatte, wuchs später als die anderen. Der letzte Versuch zeigt also, daß für praktische Verhältnisse der Vorteil, welchen die der Schwefelung vorhergehende An- feuchtung der Desinfektionsobjekte zu gewähren vermag, verschwindend klein ist. Unter allen Versuchen der gesamten Reihe befindet sich auch nicht ein einziger, in welchem selbst unter den für die schweflige Säure günstigsten Bedingungen, wie sie in der Praxis überhaupt sich nicht herstellen lassen, alle Keime organischen Lebens vernichtet gewesen wären. Die Bedingungen, welche eine zuverlässige Desinfektion er- füllen muß, hatten sich mit der schwefligen Säure demnach nicht erreichen lassen und man kann dieselbe nur als ein sehr unsicher wirkendes Desinfektionsmittel bezeichnen. Da man bislang der schwefligen Säure ein großes Vertrauen schenkte, so hatte man nicht minder die Überzeugung, daß eine Lösung von doppeltschwefligsaurem Kalk, welche beständig große Mengen schweflige Säure abgibt, sich als Desinfektionsmittel bewähren müsse. 316 über Desinfektion. Deswegen mag anhangsweise hier noch ein Versuch mit einer konzentrierten Lösung von doppeltschwefligsaurem Kalk erwähnt werden. Zwei durch Kork gut verschlossene Reagenzgläser wurden jedes mit ungefähr 20 ccm der Lösung von doppeltschwefligsaurem Kalk, die über 90 g schwefliger Säure im Liter enthielt, gefüllt und in das eine Seidenfäden mit angetrockneten Milzbrand- sporen und zwar in die Flüssigkeit selbst hineingelegt, während in das andere sporen- lialtige Erde kam, welche in Filtrierpapier eingewickelt und dicht oberhalb des Niveaus der Flüssigkeit festgeklemmt war, so daß sie nur den Dämpfen der schwefligen Säure ausgesetzt blieb. Täglich wurde eine Probe aus jedem Glase genommen und untersucht. Die Milzbrandsporen sowohl als die Bazillensporen der Erde hielten sich bis zu fünf Tagen ganz gleichmäßig entwicklungsfähig, von da an nahm die Zahl der zur Entwicklung kommenden Sporen ab, aber erst vom 15. Tage an waren alle entwicklungsfähigen Keime getötet. Auch an solchen Proben von Milzbrandsporen, welche, bevor sie in die Lösung des Desinfektionsmittels gelegt wurden, 24 Stimden sich in einem feuchten Räume befunden hatten, erwies sich der doppeltschwefligsaure Kalk nicht merklich wirksamer als gegen trockene Sporen. Der doppeltschwefligsaure Kalk kann demnach ebensowenig wie die schweflige Säure als ein zuverlässiges Desinfektionsmittel gelten. Chlorzink. Das Chlorzink ist in der neuesten Zeit vielfach als eins der wirksamsten Desinfektionsmittel empfohlen. Man schätzt den Desinfektionswert desselben so hoch, daß es selbst noch in einer Verdünnung von 1"/qo ganz zuverlässige Wirkung haben soll. Es lag deswegen nahe, auch dieses Mittel an ausschlaggebenden Desinfektionsproben auf seinen wirklichen Wert zu prüfen. Zunächst wurden Versuche mit einer l*'/,,^ starken Chlorzinklösung vorgenommen. In verdeckten Glasschalen, die ungefähr 30 ccm der Lösung enthielten, wurden kleine Stückchen von Kartoffeln mit angetrocknetem Micrococcus prodigiosus sowie verschiedene sporenhaltige Objekte gelegt. Über das Resultat kann ich mich kurz fassen. Nachdem die Proben in der Chlorzinklösung zwei Tage gelegen hatten, war noch nicht die geringste Abnahme in der Entwicklungsfähigkeit zu bemerken. Selbst der Micrococcus prodigiosus war von dem Desinfektionsmittel nicht beeinträchtigt; die Borken desselben waren voll- ständig aufgeweicht, zerflossen und bildeten einen rötlichen Bodensatz am Grunde der Flüssigkeit. Einige Tröpfchen von dieser rot gefärbten Flüssigkeit erzeugten binnen zwei Tagen schöne und kräftige Kulturen auf Kartoffeln. Als sich hieraus ergab, daß einer l^/^^ starken Lösung so gut wie gar keine des- infizierende Eigenschaft beiwohnte, wurde derselbe Versuch mit einer Lösung von 1% Chlorzinkgehalt wiederholt. Das Resultat unterschied sich nur wenig von dem mit der l°/^o starken Lösung erhaltenen. Micrococcus prodigiosus behielt bis zu 16 Stunden langem Verweilen in der Desinfektionsflüssigkeit seine volle Entwicklungsfähigkeit; von da ab wurden die mit den Desinfektionsproben erzielten Kulturen etwas schwächer als die Kontrollpräparate. Aber selbst innerhalb 48 Standen vermochte die Chlorzink- lösung den Micrococcus prodigiosus noch nicht vollständig zu töten. Die sporenhaltigen Substanzen (Milzbrandsporen, Heubazillensporen) wuchsen nach 48 stündiger Behandlung mit der Chlorzinklösung ebenso kräftig, als wenn sie mit keinem Desinfektionsmittel in Berührung gekommen wären. In einem weiteren Versuche wurden deswegen noch stärkere Lösungen von Chlor- zink genommen und in diese Milzbrandsporen gebracht. In der nachstehenden Tabelle sind die in diesem Versuche erhaltenen Zahlen verzeichnet. Das Zeichen -f bedeutet, über Desinfektion. 317 daß die an den betreffenden Tagen aus der Chlorzinklösung genommenen Milzbrand- sporen in vmbehinderter Entwicklungsfähigkeit gefunden wurden. Desinfektioiisflüssigkeit Dauer des Aufenthaltes in der Chlurzluklösung- nach Tagen 1 3 5 10 20 30 Chlorzink 5 % + + + + + + Chlorziiik 2 % + + + + + Das Resultat dieses Versuches ist also, daß eine 5% C h 1 o r z i n k 1 ö s u n g M i 1 z b r a n d s p o r e n , w e 1 c Ii e e i n e n M o n a t lang in derselben gelegen haben, in ihrer Entwicklungsfähig- keit nicht beeinträchtigt hat. Auch mit diesem Desinfektionsmittel wurde ein Versuch angestellt, ob nicht ebenso, wie es sich für die schweflige Säure herausgestellt hatte, ein vorgängiges Befeuchten der als Desinfektionsproben dienenden Sporen die Wirkung erhöhen würde. Doch ließ sich nicht der geringste Unterschied in der Entwicklungsfähigkeit der Sporen wahrnehmen, ob sie nun feucht oder trocken in die Chlorzinklösungen gebracht wurden. Nach diesen Ergebnissen muß es rätselhaft erscheinen, wie das Chlorzink eigentlich in den Ruf eines Desinfektionsmittels gekommen ist. Es blieb nur noch übrig, an eine besonders kräftige entwicklungshemmende Wirkung des Chlorzinks zu denken, welche möglicherweise seine Empfehlung zur Desinfektion veranlaßt hatte. Also wurde auch nach dieser Richtung hin ein Versuch angestellt. Zu 10 ccm Blutserum wurde soviel von einer Chlorzinklösung gesetzt, daß die Gesamtflüssigkeit einen Gehalt von I^'/q^ Chlorzink besaß; ein zweites Quantum Blut- serum wurde auf ö'*/^,, Chlorzinkgehalt gebracht. Alsdann wurden Seidenfäden mit Milz- brandsporen hineingelegt und mit Hilfe des Mikroskopes die etwa eintretende Entwicklung der Sporen beobachtet. Schon nach 24 Stunden waren in beiden Gefäßen die Sporen zu langen Fäden herangewachsen und ihre Vegetation stand nicht im mindesten hinter der- jenigen des Kontrollversuches zurück. Also auch von einer irgendwie erheblichen entwicklungshemmenden Wirkung des Chlorzinks kann keine Rede sein und es ist mir in der Tat unerklärlich, daß diesem Mittel ein bedeutender Desinfektionswert zugeschrieben werden konnte. Die vorstehenden Untersuchungen haben ergeben, daß drei der hervorragendsten, bisher mit großem Vertrauen in Anwendung gezogenen Desinfektionsmittel den Anfor- derungen, welche die allgemein als maßgebend eingeführte Methode der Prüfung durch bakterienhaltige Objekte stellen muß, nicht genügen, sobald diese Prüfung nur nach den unseren jetzigen Kenntnissen von den Bakterien entsprechenden Prinzipien ausgeführt wird. Der Desinfektionswert der Karbolsäure hat sich als ein weit beschränkterer heraus- gestellt, als bisher durchweg angenommen wird ; die in der Desinfektionspraxis so vielfach angewendete schweflige Säure hat sicli als ein unzuverlässiges und das Chlorzink als ein zur Desinfektion ganz wertloses Mittel erwiesen. Nach diesen Erfahrungen erschien es als ein dringendes Bedürfnis, vermittels eines ausreichenden, leicht zu handhabenden und absolut sichere Beurteilung zulassenden Prüfungsobjektes eine gröl3ere Reihe von Substanzen, die entweder schon als Desinfektionsmittel empfohlen sind oder bei denen desinfizierende Eigenschaften zu vermuten waren, auf ihren Desinfektionswert zu unter- suchen. Als ein hierzu ganz vortrefflich geeignetes Prüfungsobjekt bieten sich die schon mehrfach erwäluiten, an Seidenfäden getrockneten Milzbrandsporen. Ein Mittel, welches 318 über Desinfektion. die Entwicklungsfähigkeit dieser Sporen in kurzer Zeit vernichtet, besitzt nach allen bis jetzt vorliegenden Erfahrungen auch die Fähigkeit, in annähernd derselben Zeit und Konzentration alle übrigen Keime von Mikroorganismen zu töten. Andererseits verdient ein Mittel, welches so exquisite Infektionskeime, wie die Milzbrandsporen sind, nicht zu bewäl- tigen vermag, auch nicht als ein zuverlässiges Desinfektionsmittel angesehen zu werden. Außerdem besitzen die Milz brandsporen als Prüfungsobjekt noch den großen Vorteil, daß die Beurteilung ihrer Entwicklungsfähigkeit ohne zeitraubende Verfahren und mit einer solchen Sicherheit auszuführen ist, daß Irrtümer sich ganz unmöglich einschleichen können. Die nachstehenden Untersuchungen sind daher mit Milzbrandsporen angestellt und zwar in derselben Weise, wie es bei den Versuchen mit Karbolsäure und Milzbrandsporen geschildert wurde. Ehe ich die Ergebnisse derselben in tabellarischer Zusammenstellung gebe, muß ich nochmals hervorheben, daß es vorläufig nur auf eine allgemeine Orien- tierung ankam. Man wird deswegen manche Lücke in der Reihe der zur Untersuchung ge- kommenen Mittel finden. Einzelne Zahlen, z. B. diejenigen der Salizylsäure, des Thymol u. a., müssen noch anderweitig durch Prüfung mit wäßrigen Lösungen ergänzt werden; denn die Versuche mit diesen Mitteln wurden, um nicht zu geringe Konzentrationen zu haben, mit alkoholischen Lösungen angestellt, und erst im weiteren Laufe der Unter- suchung stellte sich mit aller Evidenz die merkwürdige Tatsache heraus, daß die alkoho- lischen ebenso wie die öligen Lösungen von Mitteln, welche in wäßriger Lösung mehr oder weniger wirksam sind, einen bedeutend geringeren (Jod) oder meistens gar keinen Effekt (Salizylsäure usw.) besitzen. Ich glaubte trotzdem diese in alkoholischer Lösung benutzten Mittel mit aufführen zu sollen, um weitere Belege für diese unerwartete und doch ganz gesetzmäßig sich wiederholende Erscheinung zu geben. Die reinen flüssigen Mittel sind in der ersten Gruppe zusammengestellt, wobei dem Alkohol die Mischungen desselben mit Wasser angereiht sind. In der zweiten Gruppe finden sich alle in Wasser gelösten Mittel. In der dritten die in Alkohol oder Äther gelösten. Die Zahlen geben diejenigen Tage an, an welchen eine Probe der Milzbrandsporen aus der Flüssigkeit genommen und auf ihre Entwicklungsfähigkeit geprüft wurde. Wenn keine Entwicklung mehr eintrat, also die Desinfektion gelungen war, so ist das durch doppeltes Unterstreichen der Zahl angedeutet. Es läßt sich also beim Durchsehen der Tabelle sofort erkennen, ob und welche Wirkung von einem Mittel zu erwarten ist. Flüssigkeit Zeit des Aufenthaltes der Milzbrand- sporen in den Flüssigkeiten (nach Tagen) Bemerkungen Destilliertes Wasser Alkohol (absol.) Alkohol (1 Teil mit 1 Teil Wasser) . Alkohol (1 Teil mit 2 Teilen Wasser) Äther Azeton Glyzerin Buttersäure Öl (Provencer-Öl) Schwefelkohlenstoff Chloroform Benzol Petroleumäther Terpentinöl 15 20 35 90 3 5 10 12 20 30 40 50 3 20 30 40 50 65 110 3 20 30 40 50 65 110 5 8* 30 5* 3 10 20 30 40 50 65 110 5 30 90 5 10 20 3 10 20 100 5 10 20 5 5 10 1 65 110 Lückenhafte Vegetation Schwache Entwicklung, große Lücken * Vereinzelte aber kräftige Entwicklung über Desinfektion. 319 Flüssifikeit Zeit des Aufenthaltes der Milzbrand- sporeu in den Flüssigkeiten (nach Tagen) 1 5 1 5 1 1 1 5 10 1 5 lÖ 1 5 10 25 1 5 10 20 1 .5 20 40 5 in 4.5 100 2* 6 5 Tö 25 5 10 25 80 1 2 1 ~6 10 5 10 15* 20* 1* 2** 5 1 3 10* 20* 1 5* 10* 1 5* 10* 2 6 1 5 12 i t 0 1 Li 1 2 1 2 1 2 1 2 1 1 2 2 6 1 1 2 6* 10* ,5 10 1 1) l 5* 1 2 5 1 O 1 n* 1 2 4 10 1 5 1 5 10 1 5 12 1 5 12 1 2 5 1 5 10 1 5 12 Bemerkuneen Chlorwasser (frisch bereitet) Brom (2% in Wasser) .... .Todwasser Salzsäure (2% in Wasser) . . Ammoniak Chlorammonium (5% in Wasser) Kochsalzlösung- (konzentr.) . . Chlorkalziumlösung (konzentr.) . llilorbarium (5% in Wasser) . Eisenchlorid (5% in Wasser) . Bromkalium (5% in Wasser) . .lodkalium (5% in Wasser' Sublimat (1% in Wasser) Arsenik (1 "/„(, in Wasser) Kalkwasser Chlorkalk (5% in Wasser) Schwefelsäure (1 % in Wasser) . Zinkvitriol (5% in Wasser) . . Kupfervitriol (5% in Wasser) . Schwefelsaures Eisenoxydul (5% in Wasser) Schwefelsaure Tonerde (5% in Wasser) Alaun (4% in Wasser) . . . Chromsaures Kali (5% in Wasser) . Doppelt Chroms. Kali (5% in Wasser) Chromalaun (5% in Wasser) . . . Chromsäure ( 1 % in Wasser) . . . Übermangansaures Kali (5% in Wasser) Übermangansaures Kali (1% in Wasser) Chlorsaures Kali (5% in Wasser). . . (jsmiumsäure (1% in Wasser) . . . . Borsäure (5 % in Wasser, nicht vollständig gelöst) Borax (5% in Wasser) Schwefelwasserstoffwasser . Schwefelammonium . . . Senföl mit Wasser Ameisensäure (spez. Gew. 1,120) . Essigsäure (5% in Wasser) . . . Essigsaures Kali (konzentr. Lösung) Essigsaures Blei (5% in Wasser) . Kaliseife (2% in Wasser) . . . Milchsäure (5% in Wasser) . . . Tannin (5% in Wasser) .... Trimethylamin (5% in Wasser) . 40 Verspätet, aber kräftig entwickelt * Lüekeuhaft und verspätet gewacli.'sen * Wacbstnm etwas verzögert, aber kräftig ** Lückenhafte Kntwicklucg * Vereinzelte Fäden gewachsen * Wachstum lückenhaft und wenig kräftig * Wachstum lückenhaft und wenig kräftig * Etwas verspätetes Wachstum, Fäden gekräuselt *;jWachstum lückenhaft und sehr wenig kräftig Sehwaches Wachstum 320 Über Desinfektion. Zeit des Aufenthaltes der Milzbrand- Flüssigkeit sporen in den Flüssigkeiten Bemerkungen (nach Tagen) Chlorpikrin (5% in Wasser) .... 1 2 6 12 Benzoesäure (konzentr. Lösung in Wasser) er 0 lU 70 Benzoesaures Natron (5% in Wasser) . o t D XU Zdmtsaure \l fo m W asser oO, Alkohol 40) Q Ö 0 1 A Tiiflol {\t(\ TTbpr > r. O 1 n iv ViliUJ-ll \Li /Q 111 VV döDCl T^Vj üiHUilUl üv ) 1* D Wachstum Chinin (1 % in Wasser mit Salzsäure) . 1 5 10 Jod (1% in Alkohol) 1* 2* * Lückenhaft gewachsen Valeriansäure (5 % in Äther) .... 5 Palmitinsäure (5 % in Äther) .... 5 Stearinsäure (5% in Äther) 5 Oleinsäure (5% in Äther) 5 Xylol (5% in Alkohol) 5 30 50 90 Thymol (5% in Alkohol) 6 10 15 Salizylsäure (5% in Alkohol) .... 6 10 15 Salizylsäure (2% in Öl) 10 20 80 Oleum ariimale (5% in Alkohol) . . . ' 5 12 Oleum menth. piperit. 5% in Alkohol . 5 12 Der vorstehenden Tabelle habe ich einige Bemerkungen anzuschheßen, welche auf die wichtigeren Ergebnisse der in derselben zusammengestellten Versuche hinweisen sollen. Im destilherten Wasser hatten sich, weil das Gefäß öfters zur Entnahme von Proben geöffnet wurde, mit der Zeit Pilze und Algen angesiedelt. Die Seidenfäden, an denen die Milzbrandsporen hafteten, mußten aus einem dichten Gewirr von Pilzmyzelien befreit werden, ehe sie auf die Nährgelatine gelegt werden konnten. Das hatte jedoch ihrer Entwicklungsfähigkeit nicht den geringsten Abbruch getan, denn sie wuchsen, nachdem sie drei Monate lang in destilliertem Wasser gelegen hatten, noch ebenso kräftig wie zu Anfang. Diese Erscheinung beschränkt sich aber nicht allein auf das destillierte Wasser, auch im Wasser der Berliner Wasserleitung, welches in einem anderen Versuchsgefäß regelmäßig in Zwischenräumen von wenigen Tagen erneuert wurde, hielten sich in einem durch 10 Wochen lang fortgesetzten ähnlichen Versuch die Milzbrandsporen in unver- änderter Entwicklungsfähigkeit. Auch eine Abschwächung der Infektionskraft war nicht eingetreten, denn es wurden am Ende von beiden Versuchen Mäuse mit den Milzbrand- sporen geimpft, welche danach an Milzbrand starben. Nach der N a e g e 1 i sehen Theorie sollen bekanntlich ,,Kontagienpilze", welche ins Wasser gelangen, kaum einige Tage lebensfähig bleiben. Ich muß es N a e g e 1 i überlassen, den Widerspruch zwischen seiner Theorie und den von mir berichteten Tatsachen, von deren Richtigkeit sich jeder leicht durch das höchst einfache Experiment überzeugen kann, aufzuklären. Vom Glyzerin war es schon länger bekannt, daß es auf Bazillensporen keinen nach- teiligen Einfluß ausübt. Auch vom Alkohol ist dasselbe vermutet, aber meines Wissens bisher noch nicht in einem über einen längeren Zeitraum sich erstreckenden Versuch nachgewiesen. In Glyzerin sowohl als in Alkohol und in Verdünnungen des letzteren mit Wasser im Verhältnis von 1 : 1 und 1 : 2 haben die Milzbrandsporen fast 4 Monate lang gelegen und es war auch nicht der mindeste Unterschied in der Entwicklungsfähig- keit vor und nach dem Aufenthalt in diesen Flüssigkeiten wahrzunehmen. Dieses Resultat bestätigt also die schon mehrfach ausgesprochene Behauptung, daß die Behandlung mit über Desinfektion. 321 Alkohol oder Glj^zerin nicht zur Unterscheidung von geformten und ungeformten Fer- menten in dem Sinne benutzt werden kann, daß erstere dadurch vernichtet werden sollten. Schwefelkohlenstoff, Äther, Chloroform, Benzol, Petroleumäther, Terpentinöl wurden in der Hoffnung versucht, daß dieselben in irgendeiner Weise auf den Inhalt der Sporen, den man sich kaum anders als aus einer fettreichen und zugleich wasserarmen Substanz vorstellen kann^), einwirken würden. Bis auf Äther und Terpentinöl zeigten sich die genanjiten Flüssigkeiten ohne merkliche Einwirkung. Auffallend ist es, daß gerade Äther und Terpentinöl, beide Ozonträger, eine im Verhältnis zu anderen Sub- stanzen nicht unerhebliche Wirkung auf die Milzbrandsporen äußerten, mdem die im Äther liegenden Sporen nach acht Tagen, die im Terpentinöl befmdlichen schon nach 24 Stunden nur noch teilweise zur Entwicklung kamen. Die Wirkung des in diesem Versuch in unvermischter Form zur Verwendung ge- kommenen Terpentinöls erschien so erheblich, dal.i mit demselben deswegen noch einige Versuche angestellt wurden, um zu sehen, inwieweit sich dieses Mittel praktisch würde verwenden lassen. In einer Versuchsreihe wurde sporenhaltige Erde bei ungefähr 17" C den Dämpfen von Terpentin in einem Gefäß, wie es bei dem gleichen mit Karbolsäure ausgeführten Experiment diente, ausgesetzt und nach 1, 2, 5, 12, 17, 40 und zuletzt nach 60 Tagen untersucht, ohne daß eine Abnahme in der Keimfähigkeit der Sporen gefunden wurde. In einem zweiten Experiment wurde Wasser mit einigen Tropfeia Terpentinöl versetzt, Milz- brandsporen hineingelegt und öfters geschüttelt, weil möglicherweise der Einfluß des Terpentinöls auf feuchte Sporen ein erheblicherer sein konnte. Aber auch unter diesen Verhältnissen wurden die am 1., 5. und 10. Tage untersuchten Sporen entwicklungsfähig gefunden. Dennoch möchte ich die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß sich das Terpentin- öl in irgendeiner Form, vielleicht in Kombination mit trockener oder feuchter Hitze als Desinfektionsmittel verwerten lassen wird und ich beabsichtige gelegentlich die Ver- suche mit diesem Mittel wieder aufzunehmen. Wenn ein Desinfektionsmittel praktisch verwendbar sein soll, dann muß es nicht allein eine sichere, sondern auch eine schnelle Wirkung besitzen. Wie lang oder vielmehr wie kurz die Zeitdauer zu bemessen ist, während welcher ein Mittel seine desinfizierende Wirkung äußern muß, läßt sich im allgemeinen nicht sagen. Es kommt oft vor, daß die Desinfektionsobjekte mit dem in flüssiger Form befindlichen Desinfektionsmittel nur flüchtig angefeuchtet, besprengt oder gewaschen werden können; in diesem Falle stehen dem Desinfektionsmittel nur wenige Minuten zur Verfügung, in denen es seine Wirkung tun muß. In anderen Fällen läßt es sich einrichten, daß die Desinfektionsdauer einige Stunden in Anspruch nehmen kann. Länger als 24 Stunden kann dieselbe jedoch kaum ausgedehnt werden, ohne daß die Prozedur immer schwerfälliger mid für die Praxis im großen unausführbar wird. Für die Desinfektionspraxis im allgemeinen werden also zunächst nur solche Mittel zu berücksichtigen sein, die mindestens innerhalb 24 Stunden alle Keime organischen Lebens zu vernichten vermögen. LTnter der langen Reihe der untersuchten Substanzen finden sich aber nur sehr wenige, die dieser Bedingung Genüge leisten. Außer Chlor, Brom und Jod haben nur noch Sublimat, Osmiumsäure und über- mangansaures Kali die Milzbrandsporen schon innerhalb der ersten 24 Stunden getötet. Übermangansaures Kali äußerte diese Wirkung jedoch erst in einer 5% Lösung, bei einer Stärke von nur 1% ließ es die Sporen zwei Tage lang inabeschädigt. Da bei einer Des- infektion im großen eine 5% Lösung von übermangansaurem Kali nicht mehr verwendbar ^) Nencki und Schaff er (.Journal f. prakt. Chemie, 1879, Nr. 19 und 20) fanden in einem Gemisch von Fäulnisbakterien, von welchem allerdings nicht gesagt ist, wie reich an Sporen es war, 7,89% Fett. Koch, Gesammelte Werke. 21 322 Uber Desinfektion. ist, SO würde auch dieses Mittel aiis den wenigen noch übriggebliebenen auszuscheiden sein. Ebensowenig ist an eine Desinfektion mit Osmiumsäure zu denken und" es bleiben demnach nur noch die aus Chlor, Brom und Jod bestehende Gruppe und Sublimat. Mit diesen Mitteln wurden noch weitere Versuche angestellt, auf die ich später zurückkommen werde. Sehr auffallend ist es, daß eine Anzahl von Substanzen, die gewöhnlich als dem organischen Leben feindlich angesehen werden, sich den Milzbrandsporen verhältnismäßig wenig oder gar nicht schädlich erwiesen haben. Ich erwähne in dieser Hinsicht besonders die Salzsäure (2%), Schwefelsäure (1%) und die konzentrierten Lösungen von Chlor- natrium, Chlorkalzium; ferner ist die geringe Wirkung fast sämtlicher Metallver- bindungen, unter diesen namentlich diejenige der 5% Eisenchloridlösung, welche nach 2 Tagen die Milzbrandsporen noch nicht getötet hatte, be werkenswert. Überraschend ist es auch, daß Borsäure, Borax, chlorsaures Kali, Benzoesäure, benzoesaures Natron, Zimtsäure und Chinin so wenig Einfluß auf die Milzbrandsporen äußern. Die Versuche mit Indol und Skatol, welche beide Substanzen Herr Professor B a u m a n n mir in dankenswerter Bereitwilligkeit zur Verfügung gestellt hat, haben insofern ein Interesse, daß beide bekanntlich als Produkte des Bakterienstoffwechsels eine ganz bedeutende antiseptische Wirkung ausüben sollen. Bei dem geringen Löslich- keitsvermögen vom Indol und Skatol schien es mir, um eine möglichst hohe Einwirkung auf die Milzbrandsporen zu erzielen, das Zweckmäßigste zu sein, wenn die Flüssigkeit, in welcher sich letztere befanden, beständig einen geringen ungelösten Überschuß davon enthielt. Die Milzbrandsporen wurden, trotzdem schließlich die Seidenfäden, an denen sie hafteten, eine bräunliche Farbe von dem angesetzten Indol und Skatol angenommen hatten und, nachdem sie auf die Nährgelatine gelegt waren, noch lange Zeit den charak- teristischen intensiven Geruch verbreiteten, auch nach 80 Tagen in ihrer Entwicklungs- fähigkeit noch nicht geschwächt. Eine zweite Reihe von Versuchen beschäftigte sich damit, in ähnlicher Weise, wie es in der vorhergehenden mit Bezug auf die Fähigkeit der Desinfektionsmittel, die Milz- brandsporen zu vernichten, geschehen ist, über ihre entwicklungshemmende Wirkung an Milzbrandbazillen eine orientierende Übersicht zu gewinnen. Wie schon früher auseinandergesetzt wurde, haben die entwicklungshemmenden Eigenschaften eines Mittels für die Desinfektionspraxis einen weit geringeren Wert als die das Leben der Mikroorganismen völlig aufhebenden. Unter Umständen kann sogar, was auch schon von anderen Seiten mehrfach hervorgehoben ist, ein das Wachstum und die Entwicklung aus den Dauerformen behinderndes Mittel geradezu einen nachteiligen Effekt haben, indem es gewissermaßen das, was zerstört werden sollte, konserviert. Immerhin hat das Studium der genannten Eigenschaften für die Hygiene im allgemeinen ein großes Interesse, weil manche Fragen derselben, z. B. Konservierung von Nahrungs- mitteln, damit in innigstem Zusammenhang stehen. Ich werde deswegen auch einige Ergebnisse der Versuche, welche zwar nicht unmittelbar mit der Desinfektion zu tun haben, aber übrigens von Interesse sind, kurz berühren. Die Versuche sind in gleicher Weise ausgeführt, wie es bei der Karbolsäure aus- führlich geschildert ist. Die dabei erhaltenen Werte können selbstverständlich nicht denselben Anspruch auf Sicherheit und Allgemeingültigkeit machen, wie die in der Tabelle über Tötung der Milzbrandsporen zusammengestellten. Denn einmal gelten die Resultate nur für Milzbrandbazillen und wir haben schon früher bei den Karbolsäureversuchen gesehen, daß die Milzbrandbazillen in ihrem Verhalten zu einem Desinfektionsmittel über Desinfektion. 323 von anderen Bakterien erheblich abweichen können. Zweitens macht es einen wesent- hchen Unterschied aus, mit was für einer Nährflüssigkeit die Versuche angestellt werden. Ich habe durchweg als für die Milzbrandbazillen am besten geeignet Blutserum oder eine Fleischextrakt-Peptonlösung genommen. Die Zahlen, welche bei Anwendung dieser Nährflüssigkeiten erhalten wurden, können aber auch nur für dieselben allein oder höch- stens noch ganz ähnlich zusammengesetzte Flüssigkeiten Geltung haben, weil ein anderer Gehalt an Eiweißkörpern, Nährsalzen usw. auf die Wirkung des Desinfektionsmittels vom größten Einfluß ist. Diese Verhältnisse sind bis jetzt von den Experimentatoren immer noch zu wenig oder gar nicht berücksichtigt und doch sind sie bei der Über- tragung der experimentell gewonnenen Resultate auf die Praxis von der liöchsten Bedeu- tung. Um dies klarzumachen, will ich als Beispiel nur ein Mittel herausgreifen, obgleich sich dasselbe Verhalten bei jedem einzelnen mehr oder weniger wiederfindet. D a V a i n e und nach ihm verschiedene französische Forscher haben gefunden, daß Jod in äußerster Verdünnung Milzbrandbazillen tötet. Diese Tatsache hatte man in der Weise festgestellt, daß sehr stark mit Wasser verdünntem aber noch eben infektiös wirkendem Milzbrandblut Jodlösung zugesetzt und dann auf Tiere verimpft wurde. Die Tiere blieben gesund und es wurde mit Recht geschlossen, daß die Milzbrandbazillen durch die mit ihnen in Berührung gekommenen Spuren von Jod getötet waren. Nun wurde aber ein gewaltiger Sprung gemacht und sofort weiter geschlossen, daß das Jod ebenso im Körper des an Milzbrand erkrankten Menschen oder Tieres die Bazillen töten und daß dasselbe also ein unfehlbares Mittel gegen Milzbrand sein müsse. Der Versuch wurde gemacht und in der Tat sind, wie aus der einschlägigen französischen Literatur zu ersehen ist, verschiedene damit behandelte Milzbrandkranke hergestellt. Die Mensch- heit hätte also eigentlich alle Ursache, über diese geniale Kombination, welche die Therapie um eine wichtige Kurmethode bereicherte, erfreut und den Entdeckern dankbar zu sein. Leider zerfließt aber diese vortreffliche Kurmethode vor einer nüchternen Kritik in nichts. In dem Experiment, welches zur Empfehlung des Jod als Milzbrandmittel geführt hatte, befanden sich die Milzbrandbazillen in einem so verdünnten Blut, daß es fast dem Wasser gleichzusetzen war. In den Gefäßen des menschlichen Körpers kreist aber nicht Wasser, worin das Jod seine Wirkung entfalten könnte, sondern ein an Alkalien, die mit dem Jod sofort feste Verbindungen eingehen, reiches Blut. Wenn nun derselbe Versuch mit Milzbrandbazillen in Blutserum, anstatt Wasser, wiederholt wird, dann ergibt sich auch sofort ein gewaltiger Unterschied in der Menge des Jod, die zur Behinderung des Wachstums von Milzbrandbazillen nötig ist, gegenüber der von D a v a i n e angegebenen. Bei meinen Versuchen mit Blutserum hatte Jod in einer Verdünnung von 1 : 7000 noch gar keinen Einfluß auf die Bazillenentwicklung und erst bei 1 : 5000 fing das Wachstum derselben an, etwas langsamer zu werden. Wollte man hier schon den Anfang der zur Heilung eines Milzbrandkranken ausreichenden Dosis annehmen, dann müßte, auf den Körper eines erwachsenen Menschen berechnet^, dem Kranken soviel Jod gegeben werden, daß sich beständig 12 g in Zirkulation befinden, was aber unmöglich ist. Es liegen denn auch schon mehrfach spätere Berichte vor, daß mit Jod behandelte Milzbrand- kranke gestorben sind, während es andererseits hinreichend bekannt ist, das eljensolche Kranke oft beim Gebrauche anderweitiger Kuren und selbst ohne irgendwelche medika- mentöse Behandlung auch mit dem Leben davonkamen. Wie wenig übrigens der tierische Organismus bei einer derartigen Betrachtung der ruhenden im Versuchsgefäß befindlichen Nährflüssigkeit, sondern vielmehr einer in beständiger Bewegung und Veränderung sowohl den Parasiten als den parasitentötenden Mitteln gegenül)er sieh verhaltenden Masse zu ') Weil die ililzbrandbazillen beim Menschen mit besonderer Vorliebe im subkutanen Geweihe ihren Sitz haben, darf bei dieser Reehnuns nicht etwa das Blut allein berücksichtigt werden. 21* 324 über Desinfektion. vergleichen ist, lehren in überzeugender Weise noch einige im weiteren zu berichtende ähnliche Versuche mit Sublimat. Wenn, wie gesagt, die in meinen Versuchen erhaltenen Werte zunächst nur für Milzbrandbazillen und nur für die zur Anwendung gekommenen Nährlösungen Geltung haben, so können sie zur Beurteilung der entwicklungshemmenden Eigenschaften der untersuchten Mittel doch insoweit gebraucht werden, als sich annehmen läßt, daß ein Mittel, welches in einer für die praktische Verwendung nicht zu starken Konzentration das Wachstum der Milzbrandbazillen nicht aufhebt oder wenigstens erheblich zurückhält, dies vermutlich auch nicht bei anderen pathogenen Bakterien vermag und ganz gewiß nicht bei den erfahrungsgemäß weniger empfindlichen Bakterien der gewöhnlichen Zer- setzungs- und Fäulnisprozesse. Die ersten Versuche wurden mit denjenigen Substanzen gemacht, die sich als die wirksamsten zur Sporentötung erwiesen hatten. Auch hier stellte sich sofort der bedeu- tende Einfluß heraus, den die Flüssigkeit, innerhalb welcher das Desinfektionsmittel zu wirken hat, ausübt. Im destillierten Wasser hatten Jod, Brom und Chlor außerordentlich sicher und schnell auf Sporen gewirkt; im Blut und Fleischextrakt-Peptonlösung (mit kohlensaurem Kali neutralisiert) traten sie bezüglich ihrer entwicklungshemmenden Eigenschaft weit hinter andere Mittel zurück. Jod ließ (wie schon erwähnt) erst im Ver- hältnis von 1 : 5000 und Brom bei 1 : 1500 eine merkliche Behinderung im Wachstum der Bazillen erkennen und ähnlich verhielt sich auch Chlor. Dieselbe Erscheinung wieder- holte sich bei der Osmiumsäure. In einer Verdünnung von 1: 18000 gab sie der Nähr- lösung schon einen deuthch bräunlichen Ton und färbte sie bei 1:6000 kräftig braun, aber eine Veränderung in der Entwicklung der Milzbrandbazillen war nicht zu bemerken. Übermangansaures Kali zeigte die ersten Spuren von Wachstumsbehinderung bei 1 : 3000, vermochte aber bei 1 : 1400 noch nicht die Entwicklung vollständig aufzuheben. Die einzige Ausnahme in dieser Gruppe machte das Sublimat. Dieses Mittel bewirkte schon in einer Verdünnung von mehr als 1 : 1000000 eine merkliche Behinderung des Wachstums der Milzbrandbazillen und hob bei 1 : 300000 die Entwicklung derselben vollständig auf. Auf die Versuche, welche diese Zahlen ergeben haben, komme ich später noch zurück. Teilweise ebenso von den gehegten Erwartungen abweichende Resultate ergaben sich bei der Untersuchung einer Reihe anderer Mittel. Übertroffen wurde die a priori gefaßte Meinung bezüglich der entwicklungshemmen- den Eigenschaften durch einige Substanzen, die zur Gruppe der ätherischen Öle gehören oder Bestandteile der letzteren bilden, sowie diesen sich anschließend durch AUylalkohol. Wegen der Flüchtigkeit dieser Substanzen ist es ziemlich schwierig, annähernd richtige Zahlen über die Grenze der zur Behinderung oder vollständigen Aufhebung des Bakterien- wachstums erforderlichen Mengen derselben zu gewinnen, und ich glaube nicht, daß mir dies in den wenigen Versuchen, welche darüber ausgeführt werden konnten, vollständig gelungen ist. Um aber eine Anschauung davon zu geben, in welchen minimalen Mengen sie schon zu wirken vermögen, will ich über einige Versuchsreihen ausführlicher berichten. Unter einer im Innern mit feuchtem Filtrierpapier ausgelegten Glasglocke befanden sich sieben Glasschalen, von denen jede 10 ccm Fleischextrakt-Peptonlösung und in dieser einen Seidenfaden mit anhaftenden Milzbrandsporen enthielten. Sechs Glasschalen er- hielten der Reihe nach 1 , 2, 4, 6, 8, 12 Tropfen reinen AUylalkohol zugesetzt, die siebente war zur Kontrolle bestimmt und blieb ohne weiteren Zusatz. Nach dem genau ausge- messenen Gehalt der zum Abzählen der Tropfen dienenden Pipette betrugen die zur Nährlösung zugefügten Mengen 0,02, 0,04, 0,09, 0,13, 0,18, 0,3 ccm, in Summa 0,76 ccm AUylalkohol. In keinem der Gefäße zeigte sich auch nur eine Spur von Entwicklung über Desinfektion. 325 der Milzbrandsporen; was aber am auffallendsten war, auch im Kontrollgefäß wuchs nicht das geringste. Noch nach vier Tagen hatte sich in keinem Gefäße eine Vegetation von Milzbrandbazillen eingestellt. Es wurden nun die Seidenfäden aus den beiden Ge- fäßen, welche 0,02 und 0,3 ccm Allylalkohol, also am wenigsten und am meisten, erhalten hatten, herausgenommen und auf Nährgelatine gelegt, wo sie innerhalb der beiden folgen- den Tage zur üppigsten Entwicklung gelangten. Aus diesem letzteren Experiment ließ sich entnehmen, daß der Allylalkohol den Milz brandsporen an und für sich keinen Schaden zugefügt, sondern sie im wahren Sinne des Wortes nur in ihrer Entwicklung gehemmt hatte. Sobald in dem Tröpfchen allylalkoholhaltiger Nährflüssigkeit, welches dem Seiden- faden anhing, als er auf die Nährgelatine gelegt wurde, der Allylalkohol sich verflüchtigt hatte, ging die Entwicklung der Sporen ungestört vonstatten. Es bleibt nur noch zu erklären, warum auch in dem Kontrollgefäße nichts gewachsen war. In den gleichzeitig unter anderen Glocken aufgestellten, mit derselben Nährflüssigkeit versehenen Kontroll- gefäßen hatten sich die Milzbrandsporen in gewöhnlicher Weise entwickelt. Also konnte bei dem Kontrollgefäße des Allylalkoholversuches, welches sich von jenen nur durch das Vorhandensein von sehr geringen, durch den Geruch noch eben wahrnehmbaren Dämpfen des AUylalkohols unterschied, der Grund für das Ausbleiben der Sporenentwicklung auch nur in der Wirkung dieser Spuren von Allylalkohol gesucht werden. Die weiteren Versuche bestätigen diese Vermutimg vollständig. Es wurde nämlich in den weiteren Versuchsreihen mit der Allylalkoholdosis herabgegangen. Zunächst kam statt des reinen AUylalkohols eine 5% Lösung zur Verwendung, von welcher 0,04, 0,08, 0,16, 0,24, 0,32, 0,4 in die sechs Versuchsgefäße zu der Nährlösung und den Milzbrandsporen gefügt wurde. Auf reinen Allylalkohol berechnet, enthalten jene Quantitäten 0,002. 0.004, 0,008, 0,012, 0,016, 0,02, in Summa 0,062 ccm Allylalkohol, gegen 0,76 ccm des vorigen Versuches. Aber auch dieser geringe Zusatz, welcher im ganzen ungefähr 1 14 Tropfen Allylalkohol auf 60 ccm Nährflüssigkeit beträgt, hatte genügt, um innerhalb vier Tagen keine Ent- wicklung der Milzbrandsporen und, was gleichfalls bemerkenswert ist, auch keiner anderen Bakterien aufkommen zu lassen. Die Nährflüssigkeit in dem zur Kontrolle unter derselben Glasglocke aufgestellten und ohne Zusatz von Allylalkohol gebliebenen Gefäße war, wie im ersten Versuche, vollkommen steril geblieben. In einem dritten Versuche wurde eine 1% Lösung von Allylalkohol genommen, die Zusatzflüssigkeit für die sechs im ganzen 60 ccm Nährflüssigkeit haltenden Gefäße enthielt diesmal insgesamt nur 0,01 ccm Allylalkohol und trotzdem reichte dieselbe aus, um in sämtlichen Versuchs- und im Kon- trollgefäße die Bazillenentwicklung vollständig aufzuheben. Es entzieht sich natürlich jeder Berechnung, wie groß oder vielmehr wie außerordentlich gering die AllylaUsiohol- menge war, die durch Verdunstung und Absorption aus den anderen Gefäßen in das KontroUgefäß gelangen konnte, weil nicht allein dieses letztere, sondern auch die gesamte feuchte Innenfläche der Glocke und der Boden der großen Glasschale, auf welcher die Glocke ruhte, an der Absorption des verdunsteten AUylalkohols teilnehmen mußten. Durch den Geruch konnte der Allylalkohol in den Versuchsgefäßen in diesem Falle nicht mehr konstatiert werden. Im vierten Versuche mußte also noch weniger Allylalkohol zugesetzt werden, und es wurde deswegen von einer P/g,, starken Lösung der Reihe nach 0.03, 0,06, 0,1, 0,2, 0,3, 0,6 den emzelnen Gefäßen, msgesamt 0,001 Allylalkohol zugesetzt. Im Kontrollgefäße und in den fünf ersten Gefäßen war am ersten Tage die Entwicklung der Milzbrandbazillen schwach, wurde aber am zweiten Tage, nachdem durch noch weitere Verdunstung der Allylalkohol immer mehr reduziert war, kräftiger. In dem Gefäße, welches 0.6 erhalten hatte, blieb die Entwicklung auch am zAveiten Tage erheblich zurück. SchließHch wurde noch ein Versuch in der Weise angesteUt, daß die Nährlösung in lange enge, mit Watte verschlossene Reagenzgläser gefüllt wurde, um einmal den Einfluß des 326 über Desinfektion. aus den einzelnen Gefäßen verdunstenden Allylalliohols auf die Nachbargefäße zu ver- meiden und die Verdunstung auf ein möglichst geringes Maß zu beschränken. Es kamen in diesem Falle auf die einzelnen Gefäße 0,015, 0,03, 0,06, 0,12, 0,3 ccm einer l^j^^^ AUyl- alkohoUösung auf je 10 ccm Nährlösung. In den beiden letzten Gläsern waren am ersten Tage die Sporen gar nicht gewachsen, im dritten wenig, in den beiden ersten wuchsen sie in gewöhnlicher Weise. Am zweiten Tage kamen sie in den beiden letzten Gläsern nachträglich noch zu einer geringen Entwicklung, im dritten bheben sie hinter der Ent- wicklung in den ersten Gläsern erheblich zurück. Weiter wurden diese Versuche vorläufig nicht fortgesetzt. Man wird noch die Be- stimmung der Zahlen für die Entwicklungsbehinderung und Aufhebung bei vollständigem Ausschluß der Verdunstung vermissen. Dieselben mußten, weil die Untersuchung immer praktische Gesichtspunkte im Auge hatte, ein geringes Interesse beanspruchen; bei der praktischen Verwendung würde wohl nur nur in Ausnahmefällen (vielleicht Konservierung von Nahrungsmitteln in geschlossenen Gefäßen) der Verlust durch Verdunstung zu ver- meiden sein. Übrigens ist nicht zu zweifeln, daß unter dieser letzteren Bedingung der Grenzwert für die Aufhebung des Bakterienwachstums bei einer noch viel größeren Ver- dünnung des AUylalkohols gesucht werden muß. Wollte man diesen Grenzwert aus den vorstehend beschriebenen Versuchen berechnen, dann würde sich dazu nur der letzte eignen, weil in diesem der Einfluß der stärkeren Lösungen auf die schwächeren ausge- schlossen bheb. Es trat in diesem Versuche bei einem Zusätze von 0,06 der P/q^ Lösung schon eine erhebliche Wachstumsbehinderung ein, so daß, in der gewöhnlichen Weise berechnet, der Allylalkohol diese Wirkung bei einer Verdünnung von 1 : 167000 äußert. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich, wenn den Nährlösungen Senföl zugesetzt wird. Auch die geringsten Spuren des verdunsteten Senföls halten ebenso und in noch höherem Maße, wie es beim Allylalkohol der Fall ist, die Entwicklung in den zugleich mit den anderen Gefäßen unter der Glasglocke befindlichen Kontrollgefäßen auf. Aus einem ebensolchen Versuche, wie soeben vom AHylalkohole beschrieben wurde, erhielt ich folgende Werte. Eine auffallende Behinderung des Wachstums tritt bei einer Ver- dünnung des Senf Öls von 1 : 330000 und die vollständige Aufhebung bei 1 : 33000 ein. Die bedeutende antiseptische Eigenschaft des Senföls könnte gewiß mit Vorteil zur Nahrungsmittelkonservierung und für passende Verhältnisse auch therapeutisch ver- wertet werden. In sehr starken. Verdünnungen wirken dann noch : Thymol, nämlich Anfang der Behinderung bei 1 : 80000 (wenn ich den für Karbolsäure gefundenen entsprechenden Wert von 1 : 1250 hiermit vergleiche, dann scheint mir die in der Neuzeit allgemein übliche Bezeichnung des Thymols als eines Antiseptikum der Toilette, seiner Wirksamkeit nach zu urteilen, eine sehr unzureichende). Pfefferminzöl, Anfang der Behinderung bei 1 : 33000 Terpentinöl, „ „ „ „ 1:75000 Unter den ätherischen Ölen wird man bei weiterem Nachforschen unzweifelhaft noch weitere stark antiseptisch wirkende Mittel finden. Daß sie nicht alle diese Eigenschaft in gleich hohem Maße besitzen, beweisen einige Versuche, die ich noch mit Nelkenöl anstellte. Letzteres zeigt eine merkHche Behinderung des Milzbrandbazillenwachstums erst in einer Verdünnung von 1 : 5000 ; immerhin noch eine erhebliche Wirksamkeit, aber doch nicht im Verhältnis zu derjenigen von Senföl, Thymol und Pfefferminzöl. Von anderen Körpern, die in stärkerer Verdünnung wirken, habe ich zu nennen: Arsenigsaures Kah; welches schon im Verhältnis von 1: 100000 auf das Wachstum behindernd einwirkt, aber erst bei 1: 10000 dasselbe ganz aufhebt. über Desinfektion. 327 Chromsäure: Behinderung bei 1:10000; Aufhebung bei 1:5000. Pikrinsäure: Behinderung bei 1:10000; Aufhebung war bei 1 : 5000 noch nicht erreicht. Blausäure: Behinderung bei 1:40000; Aufhebung bei 1:8000. ~ Mit der Karbolsäure ziemlich auf derselben Stufe stehen : Borsäure: Behinderung bei 1:1250; Aufhebung bei 1:800. Borax: Behinderung bei 1:2000; Aufhebung bei 1:700. Salzsäure: Behinderung bei 1:2500; Aufhebung bei 1:1700. Salizylsäure: Behinderung bei 1:3300; Aufhebung bei 1:1500. Benzoesäure: Behinderung bei 1:2000. Kampfer: Behinderung bei 1:2500; Aufhebung bei 1:1250 noch nicht erreicht. Eukalyptol: Behinderung bei 1: 2500; Aufhebung bei 1: 1000 noch nicht erreicht. Einige Beobachtungen, die zufällig bei Bakterienkulturen gemacht waren, ließen vermuten, daß gewisse Fettsäuren einen erheblich hemmenden Einfluß auf das Bakterien- wachstum ausüben. Es wurden deswegen Versuche mit einigen Fettsäuren angestellt, von denen ich niu' erwähnen will, daß Buttersäure in einer Verdünnung von 1:3000 noch gar keine Störung in der Milzbrairdbazillenentwicklung hervorrief, ebenso Oleinsäure noch nicht bei 1 : 2000. Dennoch ist die Tatsache, daß Kaliseife bei 1 : 5000 schon eine Be- hinderung und bei 1 : 1000 vollständige Aufhebung der Entwicklung bewirkt, während Kali für sich ungefähr achtmal niedrigere Grenzwerte aufweist, kaum anders zu erklären, als daß gewisse Bestandteile der Kaliseife, höchstwahrscheinlich die eine oder andere Fettsäure, ein ziemlich bedeutendes Behinderungsvermögen für die Entwicklung der Milzbrandbazillen besitzt. Eine nicht geringe Zahl der versuchten Körper bewirkt in der Nährlösung Nieder- schläge. Die in diesem Falle erhaltenen Zahlen können nicht unmittelbar als Ausdruck des Hemmungswertes gelten, weil sie zum großen Teile von der durch Ausfällung einzelner Bestandteile der Nährlösung (meistens der Albuminate) veranlaßten Herabsetzung des Nährwertes dieser Flüssigkeit bedingt sind. Ein charakteristisches Beispiel bieten hierfür die Schwefelalkalien : Schwef ehratrium erzeugt keinen Niederschlag und bewirkt eine Behinderung des Bazillenwachstums noch nicht bei einer Verdünnung von 1 : 250. Schwefelkalzium macht einen geringen Niederschlag und behindert bei 1: 350. Schwefelkalium gibt starken voluminösen Niederschlag und behindert schon bei 1 : 2000. Zu den Substanzen, über welche wegen Bildung von Niederschlägen keine maß- gebenden Zahlen zu erlangen waren, gehören Chlorkalk, Alaun, Eisenvitriol, Zinkvitriol, essigsaures Bleioxyd. Ein besonderes Interesse beanspruchen noch folgende Mittel, denen gewöhnlich be- deutende antiseptische, d. h. entwicklungshemmende Eigenschaften zugeschrieben werden. Chinin behindert die Entwicklung der Milzbrandbazillen in merkhchem Maße bei einer Verdünnung von 1 : 830 und hebt sie vollkommen auf bei 1 : 625. Dies sind im Verhältnisse zu anderen Substanzen sehr niedrige Zahlen. Aber sie stimmen ziemhch gut- mit dem Resultate, welches von M o c z u t k o w s k y i) erhalten wurde, als er versuchte, Rekurrensspirochaeten im Blute durch Chinin zu töten. Er fand, daß hierzu Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1879, Nr. 50. 328 über Desinfektion. Chinin im Verhältnis von 1 : 500 (0,2%) erforderlich ist, und berechnete danach die Dosis Chinin, welche einem Rekurrenskranken verabfolgt werden müßte, um die Rekurrens- spirochaeten in seinem Blute zu vernichten auf 12 bis 16 g. Wollte man Chinin innerlich reichen in der Absicht, auf die Milzbrandbazillen in einem Karbunkel zu wirken, dann wäre das Dreizehnfache der obigen Zahl zu nehmen, weil sie dann nicht mehr allein für die Blutmasse, sondern. für die Gesamtmasse des Körpers berechnet werden muß. Der- artige Berechnungen sind gewiß keine müßige Spielereien, denn sie zeigen, wie vorsichtig man in der Empfehlung eines angeblich antiseptisch wirkenden Mittels zu therapeutischen Zwecken sein soll. Von einem Mittel, welches das Bakterienwachstum in dem auf ungefähr 5000 g zu berechnenden Blute eines erwachsenen Menschen verhindern soll, muß vorerst festgestellt sein, daß eine die Maximaldosis nicht überschreitende Menge desselben hin- reicht, um 5000 g Blut oder ebensoviel von einer ähnlich zusammengesetzten Nähr- flüssigkeit längere Zeit in bakterienfreiem Zustande zu erhalten. Damit wäre aber nur erst eine allgemeine Andeutung über die Möglichkeit gewonnen, daß das fragliche Mittel die gewünschte Wirkung äußern wird, welche noch durch die weiteren Untersuchungen über die Resorptionsfähigkeit und die Verluste durch Ausscheidung zu ergänzen ist. Wenn namentlich die letzterwähnten Faktoren in Rechnung gezogen werden, scheint nur für solche Mittel, die ganz außergewöhnliche antiseptische Eigenschaften haben, Aussicht vorhanden zu sein, das Gesamtblut bakterienfrei erhalten zu können. Günstiger liegen die Verhältnisse für eine lokal beschränkte Anwendung antiseptischer Mittel. Chloralhydrat, welches gleichfalls starke antiseptische Wirkung besitzen soll, be- hindert das Wachstum der Milzbrandbazillen allerdings schon in einer Verdünnung von 1 : 1000, hebt es aber selbst bei 1 : 400 noch nicht vollständig auf. Zimtsäure zeigte in einer Verdünnung von 1 : 1000 noch gar keinen nachteiligen Einfluß auf das Wachstum der Bazillen. Chlorsaures Kali fängt bei 1 : 250 an, das Wachstum zu behindern, hat also eine verhältnismäßig sehr geringe antiseptische Wirkung. Auf derselben Stufe stehen Essigsäure und roher Holzessig, welche ebenfalls in einer Verdünnung von 1 : 250 anfangen, die Entwicklung etwas zurückzuhalten. Noch niedriger steht das benzoesaure Natron, das vielgerühmte bakterientötende Mittel, welches erst bei 1 : 200 die Entwicklung der Milzbrandbazillen eben merklich abschwächt. Alkohol behindert das Wachstum bei 1 : 100, hebt es aber erst bei 1 : 12,5 völlig auf. Azeton ließ in einer Verdünnung von 1 : 50 noch keinen Einfluß erkennen. Kochsalz behinderte das Wachstum der Milzbrandbazillen bei 1 : 64, hob es aber bei 1 : 24 noch nicht vollkommen auf. BHckt man auf die beiden Versuchsreihen, welche die allgemeine Orientierung über den Desinfektionswert möglichst vieler sogenannter Desinfektionsmittel zum Zweck hatten, zurück, so wird man finden, daß die Ausbeute an Material, welches sich für Des- infektionszwecke verwerten läßt, eine sehr geringe ist. Wenn der Unterschied zwischen den eigentlichen Desinfektionsmitteln, d. h. solchen, die vollständig vernichtend auf die Mikroorganismen einwirken, und den antiseptisch wirkenden, d. h. nur mit entwicklungshemmenden Eigenschaften versehenen Mitteln, streng eingehalten wird, dann haben sich bei meinen Untersuchungen als Desinfektions- mittel, an deren praktische Verwendung gedacht werden kann, nur Chlor, Brom und Sublimat bewährt und als mit hervorragenden entwicklungshemmenden Eigen- schaften begabt wieder Sublimat und daneben noch einige ätherische Öle, Thymol und AUylalkohol. über Desinfektion. 329 Es bliebe nur noch zu untersuchen, inwieweit diese Mittel und für welche besonderen Fälle dieselben den Zwecken der Desinfektion dienstbar zu machen sind. Es ist mir bis- lang nicht möglich gewesen, in dieser Richtung auch nur annähernd erschöpfende Unter- suchungen anzustellen und ich behalte mir dieselben für spätere Zeit vor. Nur über einige mit Brom mid Sublimat ausgeführte Versuche, die zum Teil sehr wichtige Resultate ge- geben haben, will ich noch berichten. Brom ist zur Desinfektion sowohl in Wasser gelöst, als in Gasform benutzt. In dem Versuche, in welchem das Brom die Milzbrandsporen getötet hatte, befand es sich in einer 2% starken wäßrigen Lösung. Um nun teils einen Vergleich mit den anderen Mitteln derselben Gruppe zu haben, teils zu sehen, wie diese Mittel in gasförmiger Gestalt wirken und ob sie auf die Bazillensporen der Erde ebenso kräftig wirken wie auf die Milzbrand- sporen, wurde folgender Versuch gemacht : Reagenzgläser wurden zum vierten Teile mit 2% Brom (in Wasser ), frisch bereitetem Chlorwasser, 2% Jod (in Alkohol) gefüllt. Einige Zentimeter oberhalb der Flüssigkeit befanden sich in Filtrierpapier eingewickelt und an einem Faden aufgehängt sporenhaltige Erde und an iSeidenfäden angetrocknete Milzbrandsporen. Die Gläser waren durch einen Kork verschlossen. In bestimmten Zeiträumen wurde aus jedem Glase eine Probe ge- nommen und auf Nährgelatine bezüglich der Entwicklungsfähigkeit der in ihr enthaltenen Sporen geprüft. Die nachstehende Tabelle enthält das Resultat dieses Versuches. Dämpfe vom Zeit des Aufentlialtes der Desiiifektiousprobeii in den Reagenz- gläsern (nach Tagen) Brom 2% (in Wasser) Chlor- Wasser (frisch bereitet) Jod 2 % (in Alkohol) M.-B. 1 2 E. 1 2 M.-B. 1 2 5 10 12 E. 1 2 5 10 12 M.-B. 1 2 5 1 12 E. 1 2 5 10 12 M.-B. = Milzbrandsporen E. = Bazillensporeu iu der Erde Die doppelt unterstrichenen Zahlen geben, ebenso wie in den früheren Tabellen, diejenigen Tage an, an denen die Sporen nicht entwicklungsfähig gefunden wurden. Dieser Versuch lehrt, daß Brom in gasförmiger Gestalt die Sporen ebenso wie in wäßriger Lösung schon nach 24 Stunden tötet, während Chlor hinter dieser Leistung etwas imd Jod ziemlich weit zurückbleibt. Es hat diese Tatsache insofern eine Bedeutung, als bei der Unzuverlässigkeit der schwefligen Säure es notwendig sein wird, in Zukunft überall da, wo Desinfektion von geschlossenen Räumen die Anwendung gasförmiger Mittel erfordert, auf das in der Neuzeit fast ganz verlassene Chlor oder Brom zurückzu- greifen und da ist es gewiß von Interesse, zu wissen, welches von diesen beiden Mitteln das wirksamere ist. Nach dem Resultate des obigen Experimentes würde Brom vorzu- ziehen sein und ich zweifle auch nicht, daß Brom und mehr oder weniger auch Chlor sich bei Versuchen im großen zur Desinfektion von geschlossenen Räumen bewähren wird. Damit wäre den Aufgaben der Desinfektion nach einer Seite hin wenigstens genügt . Auch eine andere Abteilung derselben, nämlich die Desinfektion von transportablen, nicht zu umfangreichen Gegenständen, wie Wäsche. Betten usw. scheint durch die An- wendung der feuchten Wärme, wie unsere in einer anderen Arbeit daigelegten Versuche ergeben, ihre Lösung zu finden. Es bleibt dann aber noch eine Kategorie von Des- infektionsobjekten, die zu groß sind, um durch Hitze oder in geschlossenen Räumen 330 Über Desinfektion. desinfiziert werden zu können, wie z. B. Eisenbahnwagen, und da fragt es sich, ob nicht auch für diese das Brom in Wasser gelöst ein zuverlässiges Desinfektionsmittel abgeben könnte. Folgender Versuch sollte darüber Auskunft geben. Auf ein glattgehobeltes hartes Brett wurden Seidenfäden mit Milzbrandsporen gelegt und mit einer 2% Brom- lösung Übergossen, so daß die Flüssigkeit darüber stehen blieb xmd ungefähr nach einer halben Stunde wieder verdunstet war. Nachdem dies einmal geschehen war, zeigte die von dem auf Nährgelatine gelegten Seidenfaden ausgehende Milzbrandvegetation sehr große Lücken, und diejenigen Fäden, welche zweimal oder öfter Übergossen waren, ergaben keine Milzbrandentwicklung mehr. Danach schien allerdings Aussicht vorhanden zu sein, daß das Brom in Lösung für den gedachten Zweck verwertet werden könne. Doch war noch zu bedenken, daß die Desinfektion nur in Form von Waschung oder Besprengung des Gegenstandes vorgenommen werden kann imcl daß in diesem Falle die Bromlösung mit demselben nicht solange, wie in dem eben beschriebenen Versuche, in Berührung bleiben, sondern viel schneller verdunsten würde, also auch eine geringere Wirkung haben müßte. In Berücksichtigung dessen wurde noch folgender Versuch gemacht. Es wurden rauhe Bretter von leichtem Holz genommen, darauf die sporenhaltigen Desinfektions- proben gelegt und nun die Bromlösung durch einen Spray apparat, an dem das verbrauchte Flüssigkeitsquantum abzulesen war, so darüber ausgebreitet, daß die Oberfläche des Brettes und die Proben gründlich durchnäßt, aber nach wenigen Minuten wieder trocken waren. Es wurden zu gleicher Zeit verschieden starke Bromlösungen versucht. Die nach- stehende Tabelle läßt das Resultat dieses Versuches erkennen. Das Zeichen + bedeutet, daß die Milzbrandsporen zur Entwicklung kamen, und das Zeichen — , daß sie getötet waren. Mit Brom in Wasser gelöst wurden die Desinfektionsproben besprengt 1 mal 2 mal 3 mal 4 mal 0,05% + + + + 0,5% + + + 1% + + * Die Entwicklung der Sporen zeigt Lücken 2% + + + +* * Die Sporen sind nur an vereinzelten Stellen zur Entwicklung gekommen 4% (konzentrierte Lösung) . + + + Unter diesen den Verhältnissen der Desinfektionspraxis möglichst angepaßten Ver- suchsbedingungen ist die Wirkung der Bromlösung eine erheblich geringere, als sich beim ersten Versuch ergeben hatte. Nach jenem Experimente schien es so, als ließe sich durch einmahges reichliches Anfeuchten oder Durchnässen mit der Bromlösung schon eine voll- ständige Desinfektion erreichen. Der zweite Versuch beweist aber, daß das nicht der Fall ist und daß eine konzentrierte Bromlösung viermal auf das Objekt gebracht werden muß, wenn alle Keime getötet sein sollen. Dadurch wird es aber auch sofort wieder sehr fraglich, ob imter solchen erschwerenden Bedingungen noch an eine praktische Verwendung der Bromlösung gedacht werden kann. Nicht allein, daß erheblich mehr Zeit von der Des- infektion in Anspruch genommen wird, sondern vor allen Dingen werden die Desinfek- tionskosten unverhältnismäßig gesteigert. Es waren bei dem zweiten Versuche jedesmal 10 ccm der Bromlösung auf 600 qcm der zu desinfizierenden Fläche gekommen, für die 4% Bromlösung berechnet würden bei einer einmaligen Anwendung des Desinfektions- mittels 6 g Brom erforderlich sein, um eine 1 qm große Fläche zu desinfizieren. Auf einen bestimmten FaU angewendet, z. B. auf einen Eisenbahnwagen, dessen Außen- und Innen- über Desinfektion. 331 fläche ungefähr 100 qin betragen mag, stellen sieh die Desinfektionskosten unter den angenommenen Verhältnissen und nach dem zurzeit geltenden Preise des Brom für einmalige Applikation des Mittels auf 5 Mark. Das würde schon eine recht kostspielige Desinfektion abgeben; wenn aber diese Kosten auf das Vierfache oder, im Falle die Des- infektion recht gründlich und sicher ausgeführt werden soll, auf das Fünffache erhöht und außerdem die Arbeitspreise dazu gerechnet werden müssen, dann überschreiten doch wohl die für die Desinfektion erwachsenden Unkosten das zulässige Maß ganz er- erheblich. Suchen wir nun aber nach einem anderen Mittel für die soviel Schwierigkeiten bietende Desinfektion von Gegenständen, denen nicht mit Hitze oder mit gasförmigen Desinfektionsmitteln beizukommen ist, dann bleibt nur noch allein das Sublimat übrig. Eigentlich ist es zu verwundern, daß die ganz bedeutenden desinfizierenden Wirkungen des Sublimats, des einzigen Mittels, über dessen Wirkung alle Autoren einig sind und das von allen an die Spitze der von ihnen untersuchten Substanzen gesetzt wurde, bis jetzt noch keine entsprechende Verwertung gefunden haben. Der Grund hierfür scheint mir nur darin zu liegen, daß man einerseits sich in dem trügerischen Glauben befand, an Karbolsäure, schwefliger Säure, Chlorzink usw. schon sichere Desinfektionsmittel zu besitzen, und andererseits sich durch die giftigen Eigenschaften des Sublimats von seiner praktischen Verwendung abschrecken ließ. Nachdem sich aber herausgestellt hat, daß jene Mittel unsicher oder gar nicht wirken, bleibt nichts weiter übrig, als diese sicher wirkende Quecksilberverbindung ins Auge zu fassen und zu versuchen, ob dieselbe nicht wenigstens für solche Fälle, in denen von ihren giftigen Eigenschaften nichts zu fürchten ist, zu verwenden und ob es ferner nicht möglich ist, die Anwendung dieses Desinfektions- mittels so einzurichten, daß jede Gefahr vermieden wird, oder ferner, ob nicht vielleicht andere weniger giftige Quecksilberverbindvurgen an Stelle des Sublimats gesetzt werden könnten. Die Versuche, welche mit einer Anzahl von Desinfektionsmitteln zur Tötung von Milzbrandsporen angestellt waren, hatten ergeben, daß nur sehr wenige ihre Aufgabe innerhalb eines Tages erfüllt hatten. Zu diesen gehörte eine 1% Sublimatlösung. Es kam also zvmächst darauf an, zu erfahren, ob dies schon die Grenze der Leistung sei, und es wurden zu diesem Zwecke folgende Versuche und zwar aus den oben erörterten Gründen vergleichsweise neben dem Sublimate noch mit anderen wasserlöslichen Quecksilber- verbindungen angestellt. In Reagenzgläsern befanden sich 1% starke Lösungen von Sublimat, salpetersaurem Quecksilberoxyd mad schwefelsam-em Quecksilberoxyd, die beiden letzteren mit einem entsprechenden Zusätze von Salpetersäure resp. Schwefel- säure. In die Lösungen wurden Seidenfäden mit Milzbrandsporen gelegt und nach 24 Stun- den untersucht. Die Milzbrandsporen waren in allen drei Lösungen nach dieser Zeit abgestorben. Darauf wurden von neuem Fäden eingelegt und schon nach 5 Stunden untersucht. Auch in diesem Versuche hatten die drei Quecksilber Verbindungen gleich- mäßig vernichtend auf die Sporen gewirkt. Nun wurden schwächere, nur P/oq starke Lösungen genommen. Milzbrandsporen, welche 24 Stunden in denselben gelegen hatten, waren getötet; ebenso nach 5 Stunden. Schließlich wurde die Zeit der Einwirkung immer mehr abgekürzt, auf I Stunde, 40 Minuten, 20 Minuten, 10 Minuten, stets mit demselben Resultate, daß in den Lösungen die Proben vollkommen desinfiziert wurden. Es bheb nun noch die schwierigste und entscheidende Aufgalx- für die Desinfektionsmittel zu lösen übrig, ob sie nämlich schon bei einmahgem Anfeuchten die Milzbrandsporen und die in den meisten Fällen noch etwas widerstandsfähigeren Bazillensporen der Erde zu be- wältigen vermöchten. Zu diesem Versuche wurden in der schon mehrfach geschilderten Weise die milzbrandsporenhaltigen Seidenfäden und sporenhaltige Erde auf Brettern 332 über Desinfektion. ausgebreitet und mit dem Sprayapparate eine gerade zur vollständigen Anfeuchtung ausreichende Menge der 1°/qq starken Lösungen von Sublimat, salpetersaurem und schwefel- saurem Quecksilberoxyd ausgesprengt. Nach wenigen Minuten waren die Objekte wieder getrocknet und kamen dann auf die Nährgelatine. Es ergab sich dann, daß die Milzbrand- sporen von allen drei Lösungen getötet waren, dagegen war die Entwicklungsfähigkeit der Bazillensporen in der Erde nur durch die Sublimatlösung vollkommen vernichtet, aus der mit schwefelsaurem Quecksilberoxyd behandelten Erde kamen noch mehrere Bazillen- kolonien und aus der mit salpetersaurem Quecksilberoxyd besprengten ziemlich viele solcher Kolonien zur Entwicklung. Um ganz sicher zu gehen, daß nicht etwa die Ent- wickliuig der Milzbrandsporen durch die dem Faden anhängende Sublimatlösung auf der Nährgelatine zurückgehalten werde, wurde der Versuch wiederholt und dabei die Fäden, bevor sie auf die Nährgelatine kamen, abgespült; ferner wurden einigen Mäusen so behandelte Fäden unter die Rückenhaut gebracht. Aber das Resultat blieb dasselbe, die abgespülten Fäden kamen nicht zur Entwicklung und die JVfäuse blieben gesund. In diesem letzten Versuche hatte sich das Sublimat den beiden anderen Quecksilber- verbindungen schheßlich doch noch überlegen gezeigt. Aus diesem Grunde wurden die folgenden Versuche, welche zum Zwecke hatten, die Grenze der sporentötenden Wirkung zu finden, allein mit Sublimat lösungen angestellt. Es kamen hierbei zur Verwendung Lösungen, welche einen Teil Sublimat in 1000, 2000, 5000, 10000, 20000, 50000, 100000, 200000 Wasser enthielten. Zuerst wurden Milzbrandsporen 5 bis 60 Minuten lang in Lösungen von 1 : 1000 bis 1: 10000 gelegt; dann in Alkohol abgespült und auf Nährgelatine gebracht. Keine einzige von diesen Proben kam zur Entwicklung. Danach wurden schwächere Lösungen versucht, 1 : 20000 bis 1 : 200000. Bei 1 : 20000 genügten noch 10 Minuten, um die Sporen, auch nachdem sie mit Alkohol abgespült waren, auf Nährgelatine nicht mehr zur Entwicklung kommen zu lassen. Bei 1 : 50000 und den noch schwächeren Lösungen konnte (bei derselben nachträghchen Behandlung mit Alkohol) selbst bei 60 Minuten langem Einlegen der Sporen keine nachteilige Wirkung des Sublimats an denselben mehr beobachtet werden, sie entwickelten sich ebenso schnell und kräftig wie die nicht mit Sublimat behandelten Kontrollobjekte. Die Grenze der Wirkung des Sublimats scheint also den Milzbrandsporen gegenüber zwischen 20 000 und 50 000 facher Verdünnung zu liegen. Indessen läßt ein anderer Versuch darauf schheßen, daß wahrscheinlich die Be- schaffenheit der Objekte einen Einfluß auf diese Zahl insofern hat, daß bei sehr kurz dauernder Befeuchtung mit der Sublimatlösung nicht alle Teile des Objektes gleichmäßig beeinflußt werden, infolgedessen Unregelmäßigkeiten eintreten und der für die Wirksam- keit gefundene Grenzwert schwankend wird. Die Versuche, welche mich zu dieser Ansicht führten, sind folgende: Ein mit Milzbrandsporen imprägnierter Seidenfaden befand sich 10 Minuten lang in einer Lösung von Sublimat, welche 1 Teil auf 10 000 enthielt, wurde dann in Alkohol längere Zeit ausgewaschen und schheßlich einer Maus unter die Rückenhaut gebracht. In gleicher Weise wurde ein sporenhaltiger Faden mit 1 : 20000 und einer mit 1 : 50000- haltiger Sublimatlösung behandelt und je einer Maus beigebracht. Alle drei Mäuse starben an Milzbrand, und zwar diejenige, welche den Faden aus der 1 : 50000 Lösung erhalten hatte, am folgenden Tage, also ebenso schnell, als wenn sie mit frischer Milzbrandsubstanz geimpft gewesen wäre, die zweite (1: 20000) am 4. und die erste (1: 10000) am 5. Tage. Bei diesen letzten beiden Tieren ist das Inkubationstadium ganz außergewöhnlich ver- längert und es läßt sich kaum anders annehmen, als daß durch die Sublimatlösung nicht allein eine teilweise Vernichtung der Sporen, sondern auch eine derartige Einwirkung auf die noch nicht vollständig getöteten Sporen eintritt, daß dieselben verspätet zur über Desinfektion. 333 Keimling gelangen. Wie man sich diese letztere Wirkung vorzustellen hat, darüber fehlt mir vorläufig jeder Anhaltspunkt. Als dasselbe Experiment nur mit dem Unterschiede wiederholt wurde, daß die Milzbrandsporen, anstatt 10 Minuten, eine Stunde in der Sublimatlösung blieben, änderte sicli das Resultat dahin, daß die erste Maus (1: 10000) am Leben blieb, die zweite (1: 20000) in der Nacht vom 3. zum 4. Tage, nachdem der Seidenfaden unter die Haut gebracht war, an regelrechtem Milzbrand und die dritte (1:50000) nach 40 Stunden ebenfalls an Milzbrand starb. Also auch hier wieder eine im verkennbare Verzögerung selbst bei der dritten (1:50000) Maus. Im allgemeinen läßt sich annehmen, daß bei einer nur wenige Minuten dauernden W^irkung des Sublimats, also bei einer beispielsweise nur ein oder zweimal wiederholten Anfeuchtung des Objektes eine sichere Wirkung noch mit 1 : 5000 starken Lösungen erzielt wird, während bei längerer Dauer der Einwirkung die Desinfektion erst bei einer A^erdünnung von 1 : 20000 anfängt unsicher zu werden. Daß eine einmalige Anfeuchtung mit einer 1 : 5000 starken Sublimatlösung auch noch andere Sporen als die Milzbrandsporen sicher töten kann, beweist folgender Versuch. In der früher schon erwähnten Weise wurden Proben von sporenhaltiger Erde, welche auf einem Brette ausgebreitet waren, mit Lösungen von 1 : 1000, 1 : 2000, 1 : 5000, 1 : 10000, 1 : 20000, 1 : 50000, 1 : 100000 Sublimatgelialt vermittels eines Spray- apparates angefeuchtet und nach dem Trocluien auf Nährgelatine gebracht. In den mit den Lösungen 1:1000, 1:2000, 1:5000 behandelten Proben kam nicht das geringste zur Entwicklung, in der mit 1 : 10000 behandelten wuchsen einige Pilzmyzelien, in der mit 1 : 20000 vereinzelte Bazillenkolonien und in der mit 1 : 50000 und den schwächeren Lösungen behandelten kamen ebenso zahlreiche Bazillenkolonien zur Entwicklung wie in den Kontrollpräparaten. Sublimat ist also das einzige von allen bekannten Desinfektionsmitteln, welches die für die Desinfektionspraxis so überaus wichtige Eigenschaft besitzt, ohne daß eine be- sondere Vorbereitung der Objekte durch Befeuchtung usw. erforderlich wäre, schon dm-ch eine einmalige Applikation einer sehr verdünnten (1: 1000) Lösung und in wenigen Mi- nuten alle, auch die widerstandsfähigsten Keime der Mikroorganismen zu töten. Selbst bei einer Verdünnung von 1 : 5000 würde meistens noch eine einmalige Anfeuchtung genügen. Seiner Verwendung im großen würden nur noch die giftigen Eigenschaften entgegenstehen. Aber hier kommt gerade derLTmstand, daß die Wirkung des Sublimats eine so überaus schnelle und sichere ist, zu Hilfe. Es ist nämlich nicht erforderlich, das Des- infektionsmittel auf dem Gegenstande dauernd zu belassen, sondern es kann nach kurzer Zeit — etwa nach einer Viertel- oder halben Stunde — durch reichliche Spülung mit Wasser wieder entfernt werden. Geringe Mengen des Sublimats würden unzweifelhaft auch dann noch zurückbleiben, die aber in Anbetracht der Desinfektionsobjekte, um die es sich handelt, absolut keine Gefahr für die nur vorübergehend damit in Berührung kommenden Menschen und Tiere bringen können. Immerhin würden die anderen weniger giftigen Quecksilberverbindungen, die dem Sublimat in der Desinfektionswirkung sein- nahe kommen, wenigstens für solche Verhältnisse, in denen die nachträgliche Wieder- beseitigung des Desinfektionsmittels nicht in ausgiebiger Weise zu ermöglichen ist, eben- falls Berücksichtigung verdienen. Bei Verwendung dieser letzteren würde dann eine ein- malige Applikation nicht mehr genügen, die Befeuchtung mit der Lösung des Desinfektions- mittels müßte zwei- bis dreimal vorgenommen werden, was natürlich auch die Kosten der Desinfektion entsprechend erhöhen würde. Wie gering sich übrigens die Kosten einer Desinfektion mit Sublimat stellen würden, kann ein einfaches Beispiel erläutern. Zur Desinfektion des Kielraumes eines Schiffes kann man nach dem. was über die Wirksamkeit resp. Unwirksamkeit der Desinfektionsmittel zurzeit bekannt ist, nicht 334 über Desinfektion. mehr Chlorzink, schweflige Säure, Eisenvitriol und dergleichen verwenden, sondern es bleibt nur Karbolsäure oder Sublimat übrig. Die Karbolsäure müßte in mindestens 5% Lösung genommen und 48 Stunden im Kielraum belassen werden, vom Sublimat dagegen eine Lösung (vgl .p. 279*), die nach ganz kurzer Zeit wieder entfernt werden könnte. Übrigens könnte gerade für diesen FaU ebensogut eine andere Quecksilberverbindung, z. B. schwefelsaures Quecksilberoxyd zur Anwendung kommen, weil es hier ziemlich gleichgültig ist, ob die Lösung wenige Minuten oder einige Stunden im Kielräume bleibt. Nach der Desinfektionsanleitung für amerikanische Schiffe sollen 100 Gallonen Des- infektionsflüssigkeit nach Entfernung des Bilgewassers in den Kielraum gebracht werden. 100 Gallonen entsprechen 450 Litern oder in runder Summe 500 Litern. Soll nun die Desinfektionsflüssigkeit durch Zusatz von Karbolsäure hergestellt werden, dann erfordert sie 25 Kilo Karbolsäure, welche, auf rohe Karbolsäure von 90% Gehalt berechnet, un- gefähr 30 Mark kosten würden. Vom Sublimat oder schwefelsaurem Quecksilberoxyd würde 14 Kilo notwendig sein, welches 3 Mark vom ersteren, 2,80 Mark vom letzteren, also ungefähr zehnmal weniger als die erforderliche Karbolsäure kosten würde. Wenn ich hier von einer Anwendung von Quecksilberpräparaten zur Kielraum- desinfektion spreche, könnte man mir entgegenhalten, daß es doch recht bedenklich sei, m den Schiffsraum größere Mengen von Quecksilber zu bringen, und könnte dabei an den von Eulenberg zitierten Fall des Kriegsschiffes ,, Triumph" erinnern, welches von einem gescheiterten Schiffe 130 Kisten mit Quecksilber beuteln aufnahm und an dessen Bord, als aus den verfaulten Leder beuteln das Quecksilber in den Schiffsraum ausfloß, binnen drei Wochen 200 Mann an Speichelfluß erkrankten. Dieser Fall scheint mir aber mehr für als gegen die Desinfektion mit Quecksilberpräparaten zu sprechen, denn er zeigt, welche gewaltigen Mengen von Quecksilber, gewiß waren es Hunderte von Zeiatnern, sich im Schiffsräume frei und verdunstungsfähig befinden müssen, um eine Gesundheits- beschädigung der Schiffsmannschaft herbeizuführen. Für die praktische Verwendung des Sublimats zur Desinfektion würde ebenso, wie bei allen anderen Desinfektionsmitteln, wolü zu beachten sein, daß die durch meine Versuche gefundenen Zahlen, welche die Grenze der desinfizierenden Wirkung angeben, sich auf solche Verhältnisse beziehen, in denen die in der Lösung befindhche Menge des Desinfektionsmittels unverkürzt zur Geltung kommen muß. Andere Verhältnisse werden auch andere Konzentrationen der Desinfek- tionsmittel erfordern. Namentlich wird dies der Fall sein, wenn Flüssigkeiten mit Sublimat desinfiziert werden sollten, welche reich an Eiweißkörpern oder an Schwefelwasserstoff und anderen mit Quecksilbersalzen unlösliche Verbindungen eingehenden Stoffen sind. Als Maßstab, um auch für diese komplizierteren Verhältnisse ein Urteil über die perfekt gewordene Desinfektion zu gewinnen, kann gelten, daß der zu desinfizierenden Flüssig- keit soviel Sublimat zuzusetzen ist, bis sie mindestens 1 : 5000 freies Sublimat in Lösung besitzt, weil nach den vorliegenden Versuchsresultaten bei diesem Sublimatgehalt die Vernichtung aller Mikroorganismen und ihrer Keime ganz gesichert« ist. Ob die mit Subhmat versetzte Flüssigkeit in Wirklichkeit einen Gehalt von 1 : 5000 Sublimat in Löung besitzt, läßt sich sehr leicht durch das Eintauchen eines mit Schmirgelpapier blank geputzten Streifchens von Kupferblech feststellen. Aus mehreren zu diesem Zwecke angestellten Versuchsreihen ergab sich nämlich, daß ein in der angegebenen Weise prä- parierter Kupferstreifen in einer sublimathaltigen Flüssigkeit innerhalb einer halben Stunde bei einer Konzentration von 1 : 5000 noch eine sehr deutliche Reaktion durch das sich bildende Amalgam zeigt; bei 1: 10000 wurde diese Reaktion undeutlich, und man geht ziemlich sicher in der Annahme, daß, wenn die Kupferreaktion innerhalb einer *) Diese Werke, p. 33.5. ') Eulenberg, Handbuch der Gewerbehygiene, 1876, p. 736. über Desinfektion. 335 halben Stunde deutlich eintritt, mindestens 1 : 5000 Sublimat sich in Lösung befindet. Ein Beispiel möge zur Illustration dieser Verhältnisse dienen. Drei Flüssigkeiten, nämlich Wasser aus der Panke (in seiner Beschaffenheit einem ziemlich stark veruni'einigten Rinnsteinwasser vergleichbar), Kielwasser aus einem Schiffe und faulendes Blut, wurden solange mit Sublimatlösung versetzt, bis die Kupferreaktion eintrat. Das Pankewasser erforderte hierzu 1:2000, das Kielwasser 1:1000. das faulende Blut 1:400 Sublimat. In allen drei Flüssigkeiten war, sobald die erwähnte Reaktion eintrat, jeder Geruch nach Schwefelwasserstoff und Ammoniak vollständig geschwunden, es bildete sich ein mehr oder weniger reichlicher Niederschlag, über welchem eine schwach getrübte Flüssigkeit stand. Innerhalb der nächsten vierzehn Tage (so lange wurde die Beobachtung fortgesetzt) blieben die Flüssigkeiten unverändert, und von Zeit zu Zeit aus denselben entnommene Proben vom Niederschlage oder der Flüssigkeit enthielten, wie die Aussaat auf Nähr- gelatine bewies, keine entwicklungsfähigen Organismen. Der Umstand, daß bei der Anwendung des Sublimats zur Desinfektion von Flüssig- keiten immer mehr oder weniger Niederschläge sich bilden werden, die bei wiederholter Desinfektion sich anhäufen und schließlich doch wegen ihres Quecksilbergehaltes zu be- denklichen Zuständen Veranlassung geben müssen, darf niemals außer acht gelassen werden. Aus diesem Grunde eignet sich die Sublimatdesinfektion nicht für einen fort- laufenden Desinfektionsbedarf, welcher häufige Wiederholungen in der Anwendung des Desinfektionsmittels erfordert. Dagegen ist dieselbe ganz am Platze, wenn eine einmalige, aber absolut sicher wirkende Desinfektion verlangt wird und andere Desinfektionsver- fahren nicht anwendbar sind, wie beispielsweise die schon erwähnte Desinfektion des Kielwassers oder diejenige von Viehtransport wagen. Ebenso wie es unzweifelhaft von Vorteil sein wird, die bakterientötende Eigen- schaft der Quecksilberverbindungen in geeigneten Fällen nutzbar zu machen, so wird sich auch die entwicklungshemmende, d. h. die antiseptische Wirkung derselben ver- werten lassen. Die Desinfektion wird dabei allerdings ziemlich leer ausgehen, weil es sich kaum ermöglichen lassen wird, in diesem Falle die giftigen Eigenschaften der Desinfektions- mittel nicht zur Geltung kommen zu lassen. Um so mehr wird die Therapie von den ganz bedeutenden entwicklungshemmenden Wirkungen der Quecksilberverbindungen überall da Nutzen ziehen können, wo Mikroorganismen im oder am lebenden Körper zu bekämpfen sind. Da die Desinfektion wie gesagt nach dieser Richtung hin sich Avenig oder gar nicht beteiligt, so würden die weiteren Untersuchungen über die antiseptischen Eigenschaften des Sublimats nicht mehr hierher gehören. Aber wegen des allgemeinen Interesses, welches dieser Gegenstand beansprucht, mögen dieselben hier noch mit wenigen Worten zur Besprechung gelangen. Zuerst wurde ein Versuch mit einer 1% starken Sublimatlösung gemacht. Zu 10 ccm Fleischextrakt-Peptonlösung wurde einmal 0,06. ein anderes Mal 0,03 der Sublimat- lösung hinzugesetzt ; nach diesem Zusatz kamen Milzbrandsporen nicht mehr in der Nähr- lösung zur Entwicklung. Danach gehingte eine l^/^y Sublimatlösung zur Anwendung, von welcher 0,35, 0,25. 0,12, 0.06. 0.045. 0,03 den einzelnen Gefäßen, welche 10 ccm der Nährlösung enthielten, zugesetzt wurde. Auch in diesem Versuche wuchsen die Milz- brandsporen noch nicht. Es wurden nun von derselben Sul)limatlösung zu je 10 ccm Nährlösung 0,06, 0,03, 0.015, 0,01, 0,008, 0,006 gesetzt. In den beiden ersten Gefäßen mit 0,06 und 0.03 Sublimatlösung kamen die Milzbrandsporen gar nicht zur Entwicklung: in den beiden folgenden mit 0.015 und O.Ol sehr schwach und in den beiden letzten mit 0.008 und 0.006 fand noch eine merkliche Behinderung der Entwicklung statt, so daß namenthch im letzten Gefäß die Milzbrandvegetation am dritten Versuchstage noch 336 über Desinfektion. nicht halb so stark war als diejenige im Kontrollgefäß. Nehmen wir mit dem Zusatz von 0,006 ccm einer P/^^ Sublimatlösung auf 10 com Nährlösung die Grenze der Ent- wicklungsbehinderung und mit dem Zusatz von 0,03 diejenige der vollständigen Auf- hebung des Milzbrandbazillenwachstums an, dann berechnen sich die Grenzwerte für Entwicklungsbehinderung mit 1 : 1 600 000 und für Aufhebung des Wachstums mit 1 : 330000, Zahlen, die von keinem anderen Mittel erreicht werden. Es lag außerordentlich nahe, auf Grund dieses Resultates einen Versuch zu machen, inwiefern es ausführbar sei, das Wachstum der Milzbrandbazillen im Blute des lebenden Tieres zu behindern oder ganz aufzuhalten. Es sollte dies eigentlich nicht ein therapeu- tischer Versuch sein, sondern es bestand vielmehr die Absicht, solche Verhältnisse im Tierkörper herbeizuführen, die ein abgeschAvächtes Wachstum der Milzbrandbazillen im Tierkörper bewirkten und infolgedessen ein Überstehen der Krankheit auch bei solchen Tieren ermöglichten, die gewöhnlich ausnahmslos durch dieselbe getötet werden. Es hätte sich auf diese Weise neues Material für die Lösung der Frage über die Milzbratid- immunität gewinnen lassen. Ehe ich die Beschreibung der betreffenden Versuche folgen lasse, habe ich aus einer kürzlich erschienenen Arbeit von Schlesinger^) anzuführen, daß Kaninchen und Hunde täglich fortgesetzte subkutane Injektionen von Sublimat, und zwar 1 ccm einer Vl^loo starken Lösung sehr gut vertrugen. Einer von Schlesingers Versuchshunden erhielt über 4 Monate lang täglich 10 ccm, ein anderer steigend 4 ccm bis schließlich 20 ccm durch 5 Monate ohne jeden Nachteil. Erst er Versuch: Ein Meerschweinchen, 615 g schwer, erhielt eine Injektion von 0,3 ccm einer l°/oo Sublimatlösung unter die Rückenhaut. Am folgenden Tage wurde ebensoviel injiziert. Am dritten Tage morgens 0,5 ccm injiziert. Das Tier befand sich nachmittags munter, und es wurden ihm unmittelbar hinter dem Ohr in eine kleine Hauttasche zwei Seidenfäden mit Milzbrandsporen gebracht. Am vierten Tage morgens wieder eine Injektion von 0,5 ccm. Nachmittags ist das Tier tot. Es wurde sofort seziert. Die Umgebung der kleinen Hautwunde war stark gerötet und geschwollen, die benachbarten Lymphdrüsen ver- größert und voll Milzbrandbazillen. Auch die Milz war bedeutend vergrößert, schwarzrot; sie enthielt zahllose Milzbrandbazillen, welche außerdem in der Lunge und im Herzblut außerordentlich reichlich vorhanden waren. Das Tier war also trotz der Sublimatzufuhr an Milzbrand gestorben und der Verlauf der Krankheit, sowie die Beschaffenheit und Zahl der Milzbrandbazillen ließen nicht die geringste Abschwächung in dem Krankheits- prozeß oder in dem Wachstum der Bazillen erkennen. Was die Menge des in diesem Versuch dem Tiere einverleibten Sublimats betrifft, so kommt es ganz darauf an, ob dieselbe im Verhältnis zur Menge des Blutes oder im Verhältnis zum Gesamtgewicht des Körpers berechnet werden soll. In dem letzten Versuch über die durch Sublimat bewirkte Entwickhmgshemmung hatten 0,06 ccm einer P/j,^ Sublimatlösung noch eine erhebliche Behinderung des Wachs- tums in 10 ccm der Nährlösung erzielt und 0,03 ccm hatten dasselbe in einer gleich großen Menge Nährlösung vollständig aufgehoben. Also würden 0,5 ccm derselben Sublimat- lösung (soviel wie dem Meerschweinchen injiziert wurde) die Entwicklung der Milz- brandbazillen in 833 ccm Nährlösung noch behindern und in 167 ccm aufheben. Wenn der Tierkörper in seiner Gesamtheit als Nährsubstrat betrachtet und angenommen wird, daß das eingeführte Sublimat sich gleichmäßig in demselben, also auf 615 g verteilte, dann ^) Archiv für experimentelle Pathologie, Bd. 13, Heft 5. über Desinfektion. 337 hätte unter allen Umständen die Entwicklung der Milzbrandbazillen in abgeschwächtem Maße vor sich gehen müssen. Will man aber aimehmen, daß das Sublimat hauptsächlich noch im Blutstrom sich befand, dann hätten überhaupt keine Milzbrandbazillen in dem- selben entstehen können. Weder das eine noch das andere ist eingeti'eten mad man muß also annehmen, daß entweder das Sublimat im Körper sich nicht gleichmäßig verteilt oder daß es zu schnell wieder ausgeschieden wird, um lange genug in der erforderlichen Konzentration zu bleiben, oder auch, daß es im Tierkörjaer Verwandlungen erleidet, die seine antiseptische Wirkung hindern oder aufheben. Z w e i t e r V e r s u c h : Derselbe sollte, um das Resultat des ersten ganz sicher zu stellen, in derselben Weise, aber gleichzeitig an mehreren Tieren zur Ausführung kommen. Die Verhältnisse dieses Versuches lassen sich am besten in einer tabellarischen Zusammen- stellung übersehen. Versuchs- Meerschweinchen A Meerschweinchen B Meerschweinchen C tage (Gewicht 702 g) (Gewicht 615 g) (Gewicht 710 g) I. Injektion von 0,-5 g- Injektion von 0,5 g Injektion von 0,5 g II. desgl. desgl. desgl. III. desgl. desgl. desgl. IV. desgi. desgl. desgl. Am 4. Tage wurde zur (geimpft mit Milz- (geimpft mit Milz- Kontrolle mit demselben hrandsporen) brandsporen) Material wie Meerschwein- chen A und B eine Maus geimpft, welche am fol- genden Tage an Milz- brand starb V. Injektion von 0,5 g Injektion von 0,5 g desgl. VI. In der Nacht vom In der Nacht vom Injektion von 1,0 g 5. zum 6. Tage 5. zum 6. Tage (geimpft mit der . gestorben gestorben Milz vom Meer- schweinclien A) vn. Injektion von 2,0 g (Impfstelle gerötet und etwas geschwollen) VIII. In der Nacht vom 7. zum 8. Tage gestorlien Zur Injektion war ebenso wie in dem ersten Versuch eine P/^,,, Sublimatlösung genommen. Absichtlich wvuxle bei den Tieren A und B die Impfung erst am 4. Tage vorgenommen, um noch mehr Sicherheit dafür zu haben, daß eine hinreichende Resorption und Verteilung des Subhmats eingetreten sei. Beide Tiere starben nichtsdestoweniger, wie der Sektionsbefund ergab, der ganz genau mit dem im ersten Versuch ausführlicher beschriebenen übereinstimmte, an Milzbrand. Daß die Subhmatinjektion auf den töd- lichen Ausgang keinen Einfluß hatte, geht daraus hervor, daß eine zur Kontrolle mit demselben Material geimpfte Maus an Milzbrand starb und daß das Meerschweinchen C, welches nur Sublimatinjektionen erhalten hatte, bis zum 0. Tage ganz gesund war. Um nun zu erfahren, ob etwa höhere Dosen Sublimat imstande seien, ein mit Milz- brand geimpftes Tier am Leben zu erhalten, wurde dem Meerschweinchen C am 6. Tage morgens 1 g der Lösmig eingespritzt und nachmittags dasselbe mit der von der Sektion Koch, Gesammelte Werke. 22 338 über Desinfektion. des Tieres A kalt aufbewahrten Milz am Grunde des Ohres geimpft. Am 7. Tage war die Impfstelle gerötet und etwas geschwollen. Das Meerschweinchen erhielt nun, und zwar am Morgen dieses Tages, 2 g Sublimatlösung. Diese Menge würde nach den früher ge- machten Erfahrungen und aufgestellten Berechnungen ausreichen, um in einer dem ge- samten Körper des Versuchstieres an Gewicht gleichen Nährlösung das Wachstum der Milzbrandbazillen ganz immöglich zu machen. Trotzdem war das Tier in der folgenden Nacht gestorben und die Sektion zeigte, daß auch in diesem Falle die Milzbrandbazillen in Milz, Lunge luad Herzblut ebenso massenhaft vorhanden waren, wie bei den früher mit Milzbrand geimpften Meerschweinchen. Ich halte diese Untersuchung damit noch lange nicht für abgeschlossen und gebe wegen der erhaltenen negativen Resultate die Meinung noch nicht auf, daß es möghch ist, unter irgendwelchen Verhältnissen in einem mit Milzbrand geimpften Tiere durch den Einfluß antiseptischer Mittel ein abgeschwächtes Wachstum der Milzbrandbazillen zu erreichen oder dasselbe auch ganz zu unterdrücken. Aber eine weitere Verfolgung dieser höchst interessanten Verhältnisse hätte mich zu weit von den mich zurzeit beschäftigen- den Arbeiten abgelenkt und ich muß mir dieselbe für eine spätere Zeit vorbehalten. Die vorstehende Arbeit möchte ich nicht beschheßen, ohne nochmals zu betonen, daß dieselbe keine alle Fragen erschöpfende sein, sondern nur eine vorläufige Orientierung über den Wert der bekannteren Desinfektionsmittel bezwecken sollte. Diese Aufgabe scheint mir trotz der vielen Lücken, welche vorläufig bleiben mußten, durch dieselbe auch insofern erfüUt zu sein, als manche Irrtümer, die wegen Mangel an zuverlässigen Methoden zur Bestimmung des Desinfektionswertes sich eingebürgert hatten, aufgedeckt und manche Andeutungen gewonnen sind, wo und wie ein Eisatz für die als unzuverlässig erkannten Desinfektionsmittel zu suchen ist. Berlin, im April 188L I Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. ) Von Dr. R. Koch. ) Je mehr in den letzten Jahren das Vertrauen auf andere Desinfelvtionsverfahren wankend wurde, um so mehr hat man sich der Hitzedesinfektion und insbesondere der Desinfektion vermittels heißer Luft zugewandt. Am meisten scheint dazu, daß man der Hitze vor allen übrigen Desinfektionsmitteln den Vorzug gegeben hat, die Erfahnxng beigetragen zu haben, daß sich bei den vielfachen neueren Untersuchungen über Mikro- organismen die Hitze bei hinreichender Stärke und Dauer der Einwirkung als eins der wenigen Mittel herausgestellt hat, vermittels deren alle Keime organischen Lebens zu- verlässig vernichtet werden können. Demgemäß hat man auch, um einen handgreif- lichen Beweis von der zuverlässigen Wirkmig der Hitzedesinfektionsapparate zu geben, Substanzen, welche die den Infektionsstoffen am nächsten stehenden Mikroorganis- men, nämlich Bakterien, enthalten, als Prüfungsobjekte benutzt und aus der bakterien- tötenden Wirkung des Apparats auf seine Fähigkeit, Infektionskeime zu vernichten, gesclilossen. Nun hat sich aber bei der immer weiter fortschreitenden Erkenntnis der Lebens- und Entwicklungsverhältnisse der Mikroorganismen herausgestellt, daß derartige Prüfungen des Desinfektionswertes vermittels bakterienhaltiger Substanzen nur dann ihrem Zweck entsprechen, wenn dabei die verschiedenen Entwicklungszustände der Bakterien, welche sich in bezug auf ihre Widerstandsfähigkeit ungemein verschieden verhalten, berücksichtigt werden. In ihrem gewöhnliehen Zustande sind nämlich die Bakterien sehr empfindlich gegen die verschiedensten Desinfektionsmittel und insbesondere auch gegen die Hitze. Sobald sie aber in Dauerformen, welche eine Art Fruchtbildung dar- stellen, in die sogenannten Sporen übergegangen sind, dann zeigen sie sich plötzlich so resistent gegen alle möglichen physikalischen und chemischen Einflüsse, daß sie darin alle übrigen organisierten Keime übertreffen. Bei den bis jetzt vorliegenden Versuchen zur Prüfung des Desinfektionswertes der Hitze vermittels bakterienhaltiger Objekte sind diese Verhältnisse nicht berücksich- tigt und die damit erzielten Resultate können heutzutage nicht mehr maßgebend sein. Deswegen schien es an der Zeit, ebenso wie andere hervorragende Desinfektionsverfahren auch die Hitzedesinfektion einer nochmaligen Prüfung an der Hand von verbesserten und dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse von den Infektionsstoffen und von den als Prüfungsobjekte benutzten Mikroorganismen entsprechenden Methoden zu unterwerfen. Es war dies um so dringender nötig, als in der neuesten Zeit die Hitzedesinfektion in fast allen Krankenhäusern eingeführt ist und sicli auch das Bestreben kundgegeben hat, in größeren Städten, z. B. in Paris, Berlin, für das große Publikum zugängliche Hitze- desinfektionsanstalten zu errichten. Namentlich aus letzterem Grunde schien es dringend ') Aus Mitteilungen ans dem Kaiserl. Gesundheitsanite, l.SSl, Bd. I. -) Zusammen mit Regierung.srat Dr. Gustav Wolffhiigel. 22* 340 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. geboten, ehe kostspielige Einrichtungen im großen getroffen werden, sich davon zu über- zeugen, ob auch wirklich die Hitzedesinfektionsapparate in ihrer jetzigen Konstraktion das leisten, was man von ihnen erwartet. Eine ganz besonders günstige Gelegenheit zur Ausführung derartiger Untersuch- ungen bot das städtische Barackenlazarett in Moabit, welches im Besitze von zwei großen Desinfektionsapparaten ist. Das Gesundheitsamt hat daher von dem Magistrat der Stadt Berlin die Genehmigung zur Vornahme von Desinfektionsversuchen in diesen Apparaten nachgesucht, welche in der entgegenkommendsten und dankenswertesten Weise erteilt wurde. Herr Merke, Verwaltungsdirektor des städtischen Barackenlazaretts zu Moabit, nach dessen Angaben die beiden Desinfektionsapparate konstruiert sind und welcher den größeren derselben in Virchows Archiv, Bd. 77, ausführlich beschrieben hat, beteiligte sich an unseren Versuchen. In gleicher Weise haben auch die Herren Dr. G a f f k y, Dr. Loeffler, Dr. Hüppe und Dr. L a s s a r bei denselben mitgewirkt. Beschreibung der Apparate. Der zuerst aufgestellte Apparat, den wir als den ,, alten Apparat" bezeichnen wollen, ist ein aus Schmiedeeisen konstruierter Zylinder, welcher zur Verminderung der Abkühlung zum allergrößten Teil in den Erdboden eingelassen und ummauert ist. Sein Durchmeser beträgt 2,14 m, seine Höhe 1,90 m. Er hat einen Inhalt von 6,836 cbm. Seine Innenwand ist mit einem in Schneckenwindungen derselben anliegenden kupfernen Rohr ausgekleidet, durch welches der Dampf geleitet wird. Dieses Rohr hat 173,0 mm Umfang, ist 101 m lang und repräsentiert also eine Heizfläche von 17,473 qm. Die Windungen des Rohres hegen 7 cm voneinander entfernt. Die Öffnung des Zylinders wird durch einen schweren eisernen Klappdeckel verschlossen, welcher durch einen Flaschen- zug gehoben und gesenkt werden kann. Derselbe greift mit seinem umgebogenen Rand in eine mit feinem Sand gefüllte Rinne, welche sieh um den oberen Rand des Zy- linders herumzieht. Durch diesen Sandverschluß und durch eine Lage wollener Decken, welche auf dem Deckel ausgebreitet ist, wird die Wärmeabgabe in dem oberen, den Erdboden überragenden Teil des Zylinders möglichst verringert. In dem Deckel befinden sich zwei Öffnungen, eine kleinere zur Aufnahme des Pyrometers bestimmt und eine zweite größere, mit einem dichten großen Wattepfropf verschlossen, soll dazu dienen, die meistens übelriechenden und sehr belästigenden Dämpfe, welche sich aus den in den Desinfektionsapparat eingebrachten Kleidungsstücken usw. entwickeln, vor dem Öffnen des Apparates durch ein aufgesetztes Rohr nach außen abzuleiten. Wir benutzten diese letztere Öffnung zum Einhängen eines Maximalthermometers. Wenn in den Dampf- kesseln, welche das Heizrohr des Apparates speisen, ein Druck von 5 % bis 6 Atmosphären (das Maximum des für die Kessel zulässigen Dampfdruckes) erreicht wurde, dann zeigte das Pyrometer im Apparat ungefähr 150° C, die von uns benutzten Maximal- thermometer, deren Temperaturangabe zuverlässiger als diejenige des Pyrometers sein dürfte, gaben stets eine 8° — 10" C niedrigere Temperatur als dieser an. Die im alten Desinfektionsapparat zu erreichende Temperatur kann also als ungefähr 140*^ C ange- nommen werden. Nachdem der Apparat diesen Höhepunkt der Wärme erreicht hatte, blieb er stundenlang auf demselben fast konstant. Das Öffnen des Deckels behufs Ein- bringen der Desinfektionsproben störte den Gang der Temperatur verhältnismäßig wenig. Sie fiel nur um ein geringes und kam schnell wieder auf den früheren Standpunkt. Der Temperaturgang ist übrigens bei jedem einzelnen Versuch nach den Angaben des Pyrometers genau angegeben ; es sind diese Zahlen also, wenn sie mit den von den Maximal- thermometern erhaltenen verghchen werden sollen, um etwa 10*^0 zu reduzieren. Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 341 Der neue Apparat ist nicht zylindrisch, sondern hat ein Rechteck als Grundfläche. Er ist 1,5 m tief, 3,0 m lang und 2,12 m hoch, er hat also einen Kubikinhalt von 9,540 cbm. Er enthält 53 m Heizrohr von 173 mm Umfang und 50 m Heizrohr von 265 mm Umfang. Die Heizfläche beträgt demnach 22,419 qm. Die Röhren liegen im unteren Teile der Innenwand an und sind 6 cm voneinander entfernt. Es führt eine gutschheßende Doppel- tür in den Apparat und außerdem ist er mit einer später noch zu erwähnenden Venti- lationseinrichtung versehen. Bezüglich der weiteren Details verweisen wir auf die von Merke^) gegebene ausführliche Darstellung. Bei gleich hoher Dampfspannung kam die Temperatur im neuen Apparat nicht ganz so hoch wie im alten. Das Öffnen des Apparates zum Einlegen und Herausnehmen der Objekte hatte bei diesem einen noch geringeren Einfluß auf die Temperatur wie im alten Apparat. V o r V e r s u c h e. Um eine Vorstellung von der Wärme Verteilung im neuen Apparat zu gewinnen, wurde folgender Versuch angestellt. Fünf Maximalthermometer wurden im Apparat folgendermaßen verteilt. Das erste lag am Boden rechts an der Wand. Das zweite lag am Boden links an der Wand. Das dritte in der Nähe der Decke links hinten. Das vierte in der Nähe der Decke links oben. Das fünfte in der Nähe der Decke rechts. (Das letztere befand sich dicht neben dem Pyrometer.) Das Pyrometer zeigte : 1 Uhr 23 M. . . . 142« C (Öffnen der Tür, Einhängen der Thermometer, Schließen der Tür nach 5 Minuten.) 1 Uhr 28 M. . . . 140« C 1 „ 30 „ . . . 1370 „ 1 „ 40 „ . . . 1390 „ 1 „ 43 „ . . . 1390 „ 1 ,, 46 ,, . . . Öffnen der Tür und Herausnahme der Maximalthermometer. Das erste stand auf 122,5" C ,, zweite ,, ,, 131,5° ,, „ dritte „ ,, 122,5» „ „ vierte „ ., 119,7" ,, ., fünfte ,, „ 125,50 „ Diese Thermometerangaben weichen unter sich bis zu 11,8" C voneinander ab, so daß eine ganz gleichmäßige V e r t e i 1 u n g d e r W ä r m e im Innen- raum des Apparates nicht stattfindet. Der neue Apparat unterscheidet sich vom älteren durch seine Lüftungsvorrichtung, welche aus den am Boden der Kammer mündenden 4 luftzuführenden kreisrunden Öffnungen von je 5,5 cm Durchschnitt und der luftabführenden quadratischen Öffnung an der Decke des Innenraumes von 20 cm Seitenlänge liesteht. Die äul3cren Mündungen der ersteren sind durch Blechtüllen verschUeßbar, die letztere läßt sich durch eine eiserne ofentürähnliche Klappe im Schornstein verschließen. Die Schließklappe sowohl wie die Luftzuleitungsröhren am Fußboden bleiben in der ersten halben Stunde geöffnet, um der Feuchtigkeit im Innern der Kammer Abzug zu verschaffen, werden die zweite ') ]. c. 342 Untersuchungen über die Desinfektion mit lieißer Luft. halbe Stunde hindurch geschlossen gehalten und in der letzten halben Stunde zum Zweck der Ventilation wieder geöffnet^). Es war für uns von Interesse, sowohl die Größe des Luftwechsels als auch die Menge des Wasserdampfes der Luft in der Desinfektionskammer zu bestimmen. Die Messung des Luftwechsels geschah durch wiederholte anemometrische Bestimmungen der Luftgeschwindigkeit an den Einströmungsöffnungen zu einer Zeit, wo sämtliche Luftwege geöffnet waren. Der Berechnung wurden die höchsten Werte der Ablesungen zugrunde gelegt. Erster Versuch vom 23. November 1880: größte Luftgeschwindigkeit . . 0,55 m per Sekunde berechnete Luftzufuhr per Stunde 19 cbm. Wollte man aus dieser Luftzufuhr die Größe des stündlichen Luftwechsels be- ziehentlich der Luftabströmung unter Berücksichtigung der Temperaturerhöhung um 120*' C berechnen, welche die eingeströmte Luft in der Kammer erfahren hat, so ist derselbe annähernd zu veranschlagen auf 27 cbm. Zweiter Versuch vom 30. November 1880: größte Luftgeschwindigkeit . . 0,66 m per Sekunde, berechnete Luftzufuhr per Stunde 22,8 cbm; in diesem Fähe, bei dem gleichfalls eine Temperaturerhöhung um 120*^ C vorlag, würde die Luftabfuhr zu veranschlagen sein auf etwa 33 cbm. Die Messung der Luftfeuchtigkeit erfolgte alsbald, nachdem die Kammer mit Kleidern beschickt war. Der Wassergehalt wurde nach der Thrunner- schen Wägemethode bestimmt ; die Luftwege waren während derselben geschlossen. Ein Aspirator sog mittels einer Glasröhre, welche durch eine der luftzuführenden Öffnungen beziehentlich durch einen in dieselbe eingepaßten Kork nach dem Innenraume geführt war, Luft durch eine Chlorkalziumröhre aus einem Kölbchen mit Schwefelsäure-Bimsstein. In Rücksicht auf einen sich in der Glasröhre etwa bildenden Niederschlag wurde diese vor und nach dem Versuch gewogen und die Gewichtsdifferenz mit in Rechnung gebracht. Erster Versuch vom 30. November 1880: Das Pyrometer zeigte 140'' C, die eingelegten Maximumthermometer zwischen 130" und 140° C. Das Sättigungsmaximum würde für 134" C etwa 1623 g Wasser im Kubik- meter Luft betragen.-) Es wurden im Versuch 55 g Wasser im Kubikmeter Luft gefunden. Dieser absolute Wassergehalt entspricht einer relativen Feuchtigkeit von nur 3,1% (berechnet auf 134" C). Die Luft im Freien zeigte um diese Zeit bei einer Temperatur von 5" C gegen 83% relative Feuchtigkeit. Zweiter Versuch vom 21. Dezember 1880: Die höchste Temperatur m Desinfektionsraume war nach Angabe des Maximum- thermometers 122" C. Das Sättigungsmaximum für diese Temperatur beträgt ungefähr 1120 g per cbm Luft. Während des Versuches waren nur 16 g Wasser im Kubikmeter Luft gefunden worden, was annähernd einer relativen Feuchtigkeit von 1,4% entspricht. Die Lvift im Freien hatte bei 9" C eine relative Feuchtigkeit von 100%. Zufolge diesen Beobachtungen ist die Größe des Luftwechsels eine sehr mäßige. Die gefundenen Feuchtigkeitsmengen sind im Vergleich zur Temperatur im Freien groß zu nennen, dagegen erscheinen dieselben gegenüber der Temperatur in der Kammer sehr klein. ') Vgl. die Beschreibung, 1. c. p. 502 und .503. 2) Vgl. Wolpert, Theorie und Praxis der Ventilation und Heizung, 2. Aufl. 1880, p. 128. Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 343 Desinfektionsversuche: Als Probeobjekte dienten bei diesen Versuchen verschiedene mikroorganismenhaltige Substanzen, vorzugsweise solche, welche Bakterien und Dauersporen derselben enthielten. Bezüglich der Grundsätze, welche uns bei der Auswahl dieser Probeobjekte leiteten, sowie der Methoden, welche befolgt wurden, um den stattgehabten Einfluß der Desinfektion auf die Mikroorganismen zu erkennen, verweisen wir auf die ausführliche Darlegung in dem Artikel über Untersucliungsmethoden*) und über Desinfektion**). ErsterVersuch (am 9. November 1880). Der neue Desinfektionsapparat war seit 11 Uhr vormittags geheizt. 12 Uhr 25 Min. bei Beginn des Versuches zeigte das Pjrrometer 78" C. Der Temperaturgang, am Pyrometer abgelesen, war folgender: 12 Uhr 25 Min. . . . 78« C 12 30 ,. . . . 85" C 12 35 ,, 90" C 12 ,, 40 ,, 95" C 12 „ 45 100" C 12 „ 50 „ . . . 103" C 12 „ 55 ,. . . . 106" C . 108" C 5 ., . . . 1091/2" c 10 ... . . 1101/2" c 15 . . . iiiy2'' c 20 „ . . . 114" C 25 .. 1) . . 117" C 30 . . . 1191;" c 35 ... . . 120" C 40 ... . . 121" C 45 „ . . . 1211/2" C 50 ,, . . . 122" C 55 . . . . 123" C 57 ,. -) . . 123" C 2 . 123" C Die Versuchsobjekte befanden sich in Reagenzgläsern, die samt einem dicht schheßenden Wattepfropf, ehe die Objekte hineingelegt wurden, im Trockenschrank eine Stunde lang auf 160"~170" C erhitzt gewesen waren. Die mit den Versuchs- objekten beschickten Reagenzgläser wurden in dem Apparat auf einem in demselben befindhchen Brettergerüst nur mit einer Unterlage von Filtrierpapier ausgelegt. Folgende Gegenstände, die entwicldungsfähige Organismen enthielten, wurden benutzt : 1. Am Tage zuvor von gekochten Kartoffelscheiben entnommene Pilzrasen von Penicilliuni glaucum (sporenhaltig). 2. Ebendaher genommene Massen von AsjjergiUus niger (gleichfalls sporenhaltig). 3. Am Tage vorher eingetrocknete Kulturen von Micrococcus prodigiosus. *) Diese Werke, p. 112 ff. — **) Diese Werke, p. 287 ff . D. Herausgeber. Um 1 Uhr 25 Min. wurden die Öffnungen zur Luftzuführung und das Ventil des Abführungs- rohres geschlossen. Um die durch Öffnen und SchUeßen der Tür des Apparates veranlaßte Temperatur- schwankung zu erfahren, wm-de die Tür % Minuten lang geöffnet, ein Arbeiter ging hinein und wieder hinaus tmd schloß alsdann die Tür wieder. Die Temperatur blieb dabei unverändert. 344 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 4. Auf Filtrierpapier einige Stunden vorher eingetrocknetes Blut einer an Septi- cämie gestorbenen Maus (sehr kleine Bazillen, aber keine Sporen enthaltend). 5. Filtrierpapier getränkt mit Septicämiebakterien, die in fünfter Generation in Fleischinfus kultiviert waren (Kaninchensepticämie). Das Papier war kurz vor dem Versuch präpariert. Die Wirksamkeit der Flüssigkeit durch Impfung festgestellt. 6. Milzbrandbazillensporen, am Tage vorher auf einer Glasplatte getrocknet (in einer Schicht von ungefähr ^/^^ bis 14 ^^^^ Dicke). 7. Kartoffehibazillen, sporenhaltig, im Monat September auf Stückchen Filtrier- papier eingetrocknet. 8. Ein sehr kleiner Bazillus, auf Kartoffeln einen dünnen brauen Überzug bildend, sporenhaltig. Auf einer dünnen (ca. 1 bis 2 mm) Kartoffelscheibe eingetrocknet (3 Monate alt). 9. Heubazillen, sporenhaltig, im September an Filtrierpapierstückchen einge- trocknet. 10. Ein auf Kartoffeln gewachsener, dicke, bräunliche Membran bildender Bazillus. Vor 114 Jaliren auf einer dünnen Kartoffelscheibe eingetrocknet. 11. Erde aus dem Tierarzneischulgarten, am Tage vorher getrocknet. Von sämtlichen Objekten wurde, um Kontrollversuche anstellen zu können, ein Teil zurückbehalten. Die Gläser mit ihrem Inhalt blieben 1% Stunden im Desinfektionsapparat. Sie wurden dann nach dem Laboratorium geschafft, daselbst erst geöffnet und kleine Teile der Gegenstände sofort nach dem Öffnen und unter allen Vorsichtsmaßregeln (geglühte Instrumente usw.) zur Vermeidung etwaiger Verunreinigungen in geeignete Nährsub- stanzen gebracht. Nr. 3 mid 10 kamen auf gekochte Kartoffelscheiben. Nr. 1 und 2 auf Heugelatine. Mit Nr. 4 wurde eine Maus geimpft. Nr. 5 wurde mit einem Tropfen sterilisierten Fleischinfuses im hohlen Objektträger kultiviert. Nr. 6, 7, 8, 9, 11 kamen auf Nährgelatine. Von jedem der erhitzten Objekte wurden mehrere Präparate und zu jedem einzehien Präparat wurde ein KontroUpräparat von den zurückbehaltenen, nicht erhitzten Objekten angefertigt. Bei der wiederholten Revision der Kulturpräparate am folgenden und zweiten Tage ergab sich folgendes Resultat : Nr. Desinfektionsobjekt Erhitzt Nicht erhitzt (Kontrollversuch) 1 Peniciüium. glaucum Keine Entwicklung Gewachsen 2 Asperg. nigr. Von sämtlichen 4 ausgelegten Stückchen ein kräftiges Myzel ausgehend Gewachsen 3 Microc. prod. • Keine Entwicklung Gewachsen 4 Mäusesepticämie Die geimpfte Maus ist gesund gehlieben Kontrollmaus am 12. November an Septicämie gestorben 5 Kaninchensepticämie Keine Entwicklung Gewachsen 6 Milzbrandsporen (frisch einge- trocknet) Kräftige Entwicklung Gewachsen Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 345 Nr. Desinfektionsobjekt Erhitzt 1 C II L e 1 Ii 1 L Ä L (Kontrollversuch) ' 7 Kartoffelnbazillen Gewachsen Gewachsen 8 * Kleiner Bazilhis Gewachsen Gewachsen 9 Heubazillen Gewachsen Gewachsen 10 Bazillen (dicke, brännliche Membran bildend) Gewachsen Gewachsen 11 Gartenerde Entwicklung- verschiedener Arten von Bazillen Gewachsen Mit einem Teil der erhitzten, Milzbrandsporen enthaltenden Probe Nr. 6 wurde überdies eine Maus geimpft. Dieselbe starb nach 23 Stunden an Milzbrand. Die Desinfektionsproben waren ungefähr 1 Stunden im Apparat gewesen und länger als eine Stunde über 100'' C, schließlich bis auf 123'^ C erhitzt. Die Wirkung, welche dadurch auf die verschiedenen Gruppen der Objekte erzielt war, machte sich in einer sehr ausgesprochenen und mit allen übrigen Erfahrungen über die Widerstandsfähigkeit der Mikroorganismen im Einklang stehenden Weise geltend. Es waren nämlich in allen denjenigen Objekten, Avelche sporenfreie Bakterien enthielten (Nr. 3, 4, 5), die Bakterein getötet. Von den beiden sporenhaltigen Pilzproben (Nr. 1 und 2) hatten sich in der einen die Sporen entwicklungsfähig gehalten. Auf sämtliche Objekte, welche Bazillensporen enthielten, hatte die Hitze gar keinen bemerkbaren nachteiligen Einfluß gehabt. Von einer ausreichenden Desinfektion war dies Resultat also noch weit entfernt. Z w e i t e r V e r s u c h (am Iß. November 1880). Der neue Apparat war seit 7 Uhr morgens geheizt imd im Laufe des Vormittags einmal zur Desinfektion benutzt. Die Dam j)f Spannung betrug 5 Atmosphären. Die Luftöffnungen waren sämtlich geschlossen. Der Versuch begann uni 12 Uhr 15 Minuten. Beim Öffnen der Tür erzeugte die aus dem Apparat ausströmende feuchte Luft in dem kühlen Vorraum einen dichten Nebel. Gang der Temperatur (nach dem P_>Tometer) : 12 Uhr 15 Minuten 1200 C 12 „ 30 „ 123« C 1 15 „ 1260 C 1 „ 45 ., 128« C (Beendigung des Versuches.) Als der Apparat nach 1 ^ ^ Stunden, beim Ende des Versuches, geöffnet wurde, trat wieder eine starke Nebelbildung im Vorraum ein und an der Linenfläche der Tür floß die jiiedergeschlagene Feuchtigkeit in Tropfen herab. Der Apparat war absichtlich während dieses Versuches nicht ventiliert. Bei der Herausnahme der eingelegten Objekte blieb die Tür etwa 1 V.Minuten geöffnet und ein Arbeiter ging mehrere Male in den Apparat hinein und wieder heraus. Nachdem die Tür wieder geschlossen war, zeigte das Pyrometer nur 1 1 2 bis 2^ Aveniger als vor dem Öffnen. Die Objekte waren in derselben Weise vorbereitet und befanden sich in mit Watte verschlossenen Reagenzgläsern, wie bei dem vorigen Versuch. Sie wurden möglichst bald nach Beendigung des Versuches auf die Entwicklungsfähigkeit der in ihnen enthaltenen Mikroorganismen geprüft und zu jedem ein Kontrollpräparat mit unerhitzten Substanzen angefertigt . Über die bei diesem Versuche zur Verwendung gekommenen Substanzen und den Einfluß der Erhitzung gibt die nachstehende Tabelle Auskunft. 346 Untersuchungen über die Desinfektion niit heißer Luft. Nr. Desinf ektionsob j ekt Erhitzt Nicht erhitzt (Kontrollversuch) 1 Micrococcus prodir/iosus Keine Entwicklung Kräftig'e Entwickig'. 2 Kleiner Bazilhis, nicht zur Sporenbilduug ge- kommen, auf Kartoffeln einen hellbraunen Keine Entw. Ebenso Überzug bildend a ö Bakterien des blauen Eiters, auf Kartoffeln \Z Ol n o H;n ■f IST' JtVclilc XjIIIVV, kultiviert Sporenfreie A TC Gelber Mikrokokkus auf Kartoffeln (Reinkultur) XVtJlUC JlilltW. "Pl^OTi Ort L'UJcKie K O Eosa Hefe UT £ti t~) £1 1^^ tri" WT Ji-Clllc JlilllW. Ii ö Tl C jijUcnöU R u Blut einer an Septicämie gestorbenen Maus erfolglos an Septicämie 7 Frisch getrocknete Milz von einem an Impf- Impfung einer Maus Geimpfte Maus stirbt milzbrand gestorbenen Meerschweinchen erfolglos an Milzbrand 8 Sporen von Penicill. glauc. Keine Entw. Kräftige Entw. 9 Sporen von Aspergill. nig. Keine Entw. Ebenso • Pilzsporen 10 Sporen von Botrytis vulg. Keine Entw. Ebenso 11 Sporenhaltige unbewegliche Bazillen (auf Kar- Ungestörte Entw. Ebenso toffeln einen grauroten Überzug bildend) 12 Heubazillensporen (seit 4 Monaten getrocknet) Tingestörte Entw. Ebenso 13 Kartoffelnbazillen, sporenhaltig Ungestörte Entw. Ebenso 14 15 Milzbrandsporen (4 Tage vorher eingetrocknet) Milzbrandsporen (4 Wochen vorher getrockuetj Um 20 Stunden ver- spätete, aber übri- ^ CiiO IVl OiL Iflg C XUU Ii Wicklung Ebenso Ebenso Ebenso Bazillen- sporen, zum erstenmal erhitzt 16 Milzbrandsporen (3 Monate vorher getrocknet) Ebenso Ebenso 17 Sporenhaltiges Milzbrandblut (vor 8 % Jahren Ebenso Ebenso eingetrocknet) 18 Sporenhaltige Gartenerde Ungestörte Entw. Ebenso 19 20 Heubazillensporen Kartoff elnbazillensporen Dieselben Proben, welche am 9. Nov. schon einmal Ungestörte Entw. Ungestörte Entw. Ebenso Ebenso Bazillen- sporen, zum zweitenmal 21 Milzbrandsporen erhitzt waren Verspätete, aber kräftige Entw. Ebenso erhitzt Vom ersten Versuch unterschied sich dieser zweite dadurch, daß sofort mit einer höheren Temperatur begonnen und diese während 1 14 Stunden von 120" bis 128" gesteigert wurde. Die drei Gruppen der Objekte, die sporenfreien, pilzsporenhaltigen und bazillen- sporenhaltigen hatten außerdem noch mehr Repräsentanten erhalten als beim ersten Versuch. Die höhere Temperatur hätte eine bedeutendere Desinfektionswirkung erwarten lassen. Doch zeigte sich hierin nur in einem Punkte ein Fortschritt gegen den vorigen Versuch. Es wurden nämlich diesmal außer den sporenfreien Bakterien, denen noch eine Hefeart beigefügt war, auch sämthche Pilzsporen getötet. Den Bazillensporen hatte da- gegen auch die gesteigerte Hitze nichts geschadet. Bei dieser Gelegenheit wurde auch noch ein speziell für die Hitzedesinfektion in letzter Zeit wiederholt und von verschiedenen Seiten in Vorschlag gebrachtes Verfahren geprüft. T y n d a 1 1 hatte gefunden, daß das wegen seines Gehaltes an Bazillensporen so überaus schwierig durch Hitze zu sterihsierende Heuinfus sehr sicher von diesen Sporen befreit werden kann durch wiederholtes kurzdauerndes Erhitzen, welches nicht einmal Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 347 bis zur Siedetemperatur getrieben zu werden braucht. Diese Erfahrung hat man sich auch für die Hitzedesinfektion zunutze machen zu können geglaubt und anempfohlen, die zu desinfizierenden Gegenstände nicht einmal und längere Zeit, sondern wiederholt und jedesmal nur kurze Zeit zu erhitzen, um eine weit höhere Wirkung zu erzielen. Die- jenigen, von denen dieser Vorschlag ausgegangen ist, haben sich indessen den Unterschied, welcher zwischen der Sterilisierung eines Heuinfuses und der Desinfektion irgendeines Gegenstandes, beispielsweise eines Kleidungsstückes, besteht, nicht klar gemacht. Das Heuinfus ist nicht allein der Träger von Infektionskeimen, in diesem Falle Sporen der Heubazillen, sondern es ist zugleich auch eine für diese Keime sehr günstige Nährlösung. Diejenigen Sporen, welche durch das erstmalige Erhitzen nicht getötet wurden, müssen in dieser Nährlösung über kurz oder lang die Dauerform aufgeben und sich in die Bazillen- form verwandeln, in welcher sie mit großer Sicherheit schon durch verhältnismäßig nied- rige Hitzegrade vernichtet werden. Deswegen kann man auch nicht sagen, daß das nach- folgende Erhitzen auf eine sporenhaltige Flüssigkeit, sondern auf eine bazillenhaltige einwirkt. Die Verhältnisse haben sich zwischen erstem und zweitem Erhitzen bedeutend geändert und es ist aus einer schwierig zu sterilisierenden eine leicht zu sterilisierende Flüssigkeit geworden. Ganz anders liegen die Verhältnisse aber bei Desinfektionsobjekten, welche fast ausnahmslos nur Träger und nicht auch Ernährer der Infektionskeinie sind. Vorausgesetzt, daß letztere in einer den Bazillensporen ähnhchen widerstandsfähigen Form den Objekten anhaften, beispielsweise Milzbrandsporen an Tierhaaren, dann bleiben sie nach der ersten Erhitzung immer noch in der Form von Sporen. Sie können in dem Objekt, welchem sie anhaften, weil ihnen dieses keine Nährstoffe und nicht die zum Aus- keimen ganz unerläßliche Feuchtigkeit bietet, nicht zur Weiterentwicklung kommen. Wollte man auch die Desinfektionsobjekte inzwischen befeuchten, so würden immer noch die Nährstoffe fehlen. Auf alle Fälle trifft also die zweite und eventuell auch die weiteren darauf folgenden Erhitzungen die Keime immer noch in der Sporenform an und kann ihnen ebensowenig etwas anhaben als die erste Erhitzung. Es ließ sich also schon von vornherein erwarten, daß eine wiederholte Erhitzung keine andere Wirkung haben würde, wie eine einmalige. Der Versuch bestätigt diese Voraussetzung vollauf. Wir hatten einige der im ersten Versuch schon einmal der Hitzedesinfektion unterworfene sporenhaltige Objekte bei diesem Versuch zum zweitenmal in den Apparat gebracht. Wie aus der Tabelle (Nr. 19, 20, 21) zu ersehen ist, haben dieselben aber auch durch diese zweifache Erhitzung ihre Entwicklungsfähigkeit nicht verloren. Dritter V e r s u c h (am 23. November). Da sich die bisher erreichten Tem- peraturen von 123" und 128" C nicht ausreichend erwiesen hatten, die Bazillensporen zu töten, so beabsichtigten wir, um überhaupt zu erfahren, bei welcher Temperatiu' und binnen welcher Zeit dieses Ziel zu erreichen sein würde, eine möglichst hohe Temperatur dieses Mal anzuwenden. Wie früher schon erwähnt wurde, lassen sich in dem alten Apparat bei gleicher Dampfspannung höhere Temperaturen erzielen als im neuen und es wurde deswegen dieser Versuch in ersterem ausgeführt. Die Luft im Apparat war stark feucht, weil kurz vor dem Anheizen eine Reparatur des Heizrohres vorgenommen werden mußte und dabei Wasser in den Apparat ge- kommen war. Etwa eine Stunde vor Anfang des Versuches hatte die Heizung bei einer Dampf- spannung von 5% Atmosphären begonnen. Die Temperatur während des A^ersuches am Pyrometer abgelesen war folgende: 12 Ulu' 15 Mmuten 147" C 12 „ 30 „ 148" C 348 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer L\ift. 12 Uhr 45 Minuten 146« C 1 „ — „ 1491/2« C 1 „ 10 „ 1511/2'' c 1 „ 15 1530 C Die Desinfektionsproben waren ebenso wie in den beiden vorhergehenden Versuchen in Reagenzgläser eingelegt und wurden in einem kleinen Gefäß von Eisenblech 58 cm tief durch die Öffnung im Deckel des Apparates in den Innenraum desselben eingehängt. Zugleich wurden noch einige Maximalthermometer hineingelassen, von denen sich eins oberhalb des Gefäßes, welches die Probeobjekte enthielt, in einer Tiefe von 39 cm, zwei Thermometer in dem Gefäß selbst und eins unterhalb desselben 135 cm tief befand. Nach einer Stunde wurden die Probeobjekte und die Maximalthermometer aus dem Apparat herausgenommen. Die Thermometer zeigten folgende Temperaturen: in einer Tiefe von 39 cm 140« C im Blechgefäß (58 cm) 140« C in einer Tiefe von 135 cm 139,5« C Die Temperaturverteilung war demnach in den verschiedenen Höhen eine sehr gleichmäßige gewesen. Als Probeobjekte waren dieses Mal nur sporenhaltige Substanzen genommen, und zwar drei verschiedene Bazillensorten, darunter Heubazillen mit Sporen, zwei verschiedene Proben von Milzbrandsporen und sporenhaltige Gartenerde. Die Milzbrandsporen hatten von der Hitze etwas gelitten, denn es kamen weniger zur Entwicklung und etwas später, als im Kontrollpräparat. Alle übrigen Bazillensporen waren durch die Hitze nicht merklich beeinflußt. Noch höhere Temperaturen als die in diesem Versuch erreichten von 140« (153« nach dem Pyrometer) ließen sich nicht erzielen, es mußte also die Zeit der Hitzewirkung ver- längert werden. Vierter Versuch (am 30. November 1880). Im alten Apparat zeigte das Pyrometer beim Beginn des Versuches 152« C (6 Atmosphären Dampfspannung). Der weitere Gang der Temperatur war nach dem Pjrrometer folgender: 1 Uhr — Minuten 152« C 2 „ — „ 153« C 155« C 158« C 160« C 158« C 30 30 2 3 3 4 Außer der hauptsächlich durch diesen Versuch zu erledigenden Frage, ob es mit den höchsten im Apparat zu erreichenden Temperaturen und bei einer dreistündigen Dauer nicht doch möglich sein sollte, die Bazillensporen zu töten, sollte zugleich das Eindringen und die Verteilung der Temperatur in einen mäßig großen Gegenstand bestimmt und der Einfluß der Hitze auf eine Reihe von Stoffen geprüft werden, welche für die Desinfektions- praxis in Frage kommen können. Es wurden zu diesem Zwecke folgende Gegenstände in den Apparat gebracht : 1. Eine Anzahl von Reagenzgläsern mit Desinfektionsobjekten und ein Maximal- thermometer in Filtrierpapier und Zeitungspapier gewickelt und an einem 1 m langen Bindfaden aufgehängt. 2. Eine Anzahl wollener Decken zu einem Bündel aufgewickelt, welches in der Mitte ein Maximalthermometer und zwei Reagenzgläser mit Gartenerde und altem Milzbrand- I Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 349 blut enthielt. Zwischen die der Länge nach einmal zusammengelegten Decken wurden beim Aufwickeln die Maximalthermometer so verteilt, daß nach zwei Schichten der zusammengelegten Decke (also 4 Lagen) jedesmal ein Thermometer eingeschaltet wurde. Das letzte Thermometer war von der Luft durch 8 Lagen der Decken getrennt. Das Bündel, welches der Thermometer wegen lose gewickelt und mäßig fest mit einem Bindfaden umschnürt war, hatte einen Umfang von 106 cm, Länge von 72 cm und Durchmesser von 36 cm. 3. Ein leinener Beutel mit Stoffproben. , Die Maximalthermometer zeigten nach Beendigung des Versuches : 1. Das mit den Reagenzgläsern zusammen in Papier eingewickelte: 145« C. 2. Die in die wollenen Decken eingewickelten: Nr. 1 . . . . 933/2" C Nr. 2 . . 79i/> „ Der Reihe nach von Nr. 4 . . . . 941/2° außen Nr. 5 . . . . 940 „ nach innen Nr. 6 . . aufgezählt. Nr. 7 . . . . 70« Zu erwähnen ist, daß bei mehreren der in die Decken eingelegten Maximalthermo- meter, weil man eine so niedrige Temperatur nicht erwartet hatte, der Quecksilberfaden nur ungefähr bis zu 95" hinabgestoßen war. Deswegen zeigen Nr. 3, 4 und 5 höhere Temperaturen als Nr. 2. Die Decken waren beim Aufwickeln im Innern feucht anzufühlen, das trockene, vorher harte und spröde Milzbrandblut war weich geworden, sö daß es sich beim Einlegen in die Kulturflüssigkeit leicht in kleine Stückchen zerteilen ließ. Die in den Reagenzgläsern befindlichen, also der vollen Einwirkung der Hitze aus- gesetzten Objekte, von den nämlichen sporenhaltigen Substanzen genommen wie im vorigen Versuch, also drei verschiedene Bazillensorten mit Sporen, zwei Proben von Milz- brandsporen und sporenhaltige Erde, welche sämtlich in dem vorigen Versuch sich wider- standsfähig gezeigt, hatten diesmal, wie mehrfache Kulturversuche auf verschiedenem günstigen Nährmaterial erwiesen, ihre Entwicklungsfähigkeit eingebüßt. Sämtliche zur Kontrolle angefertigten Kulturproben hatten sich in gewöhnlicher Weise entwickelt. Das erstrebte Ziel war, also endlich erreicht und festgestellt, daß ckirch dreistündiges Erhitzen auf ungefähr 140" C die Bazillensporen vernichtet werden. Für die Desinfektion sehr wenig günstig hatten sich die Temperaturverhältnisse in dem Deckenbündel gestaltet. Die Temperatur war anscheinend nur sehr langsam ein- gedrungen und hatte in der Mitte des nur 36 cm dicken Objektes einen verhältnismäßig sehr niedrigen Stand erreicht. Dementsprechend hatten die beiden in der Mitte des Decken- bündels eingeschlossenen Objekte, altes Milzbrandblut und Gartenerde, ihre volle Ent- wicklungsfähigkeit bewahrt. Eine mit dem. Milz braiid blut geimpfte Maus starb am fol- genden Tage an Milzbrand. Über den Einfluß der Hitze auf die Stoffproben gibt folgende Übersicht Auskunft. Die Proben waren schon zwei Stunden vor Beginn des Versuches beim Anheizen des Apparates in kleine leinene Beutel verpackt hineingelegt und blieben bis zur Heraus- nahme der Desinfektionsobjekte (also im ganzen fünf Stunden) darin. An diesen Proben, von denen Kontrollstücke zurückbehalten waren, zeigten sich folgende Veränderungen : 350 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. Leinene Beutel Weiße Seide Rote Seide Leinewand Watte Ungebleichte Gaze Gaze (steife) Weißes Wollgarn . Blaues Tuch Schwarzes Tuch Buckskin Zeitungspapier (hatte z. Einwickeln gedient) Jute Ungefärbte Indiafaser Gefärbte Indiafaser Roßhaare Seegras Weiße Bettfedern Putzleder Saffianleder (blau) Saffianleder (grün) Gepreßtes Leder gelb geworden. gelb geworden, der Glanz ist verändert, die Farbe hat einen etwas helleren Ton angenommen, der Glanz ist verändert, ziemlich stark und ganz gleichmäßig bräunlich verfärbt, bräunlich gefärbt und brandig riechend, gelb gefärbt, gelb gefärbt. gelb geworden, von brenzlichem Geruch. in der Farbe abgeblaßt und etwas schmutzig verfärbt. geringe Veränderung in Farbe und Glanz. in der Farbe nicht verändert, doch ist der Glanz verloren. stark bräunlich gefärbt, brüchig und leicht zerreißlich. dunkler gefärbt, sonst nicht verändert. bräunlich geworden, leichter zerreißlich. die Farbe hat einen bräunlichen Ton an- genommen, die Faser ist brüchig. unverändert. brandig riechend. gelb geworden. stellenweise dunkler gefärbt und an diesen Stellen härter, dunkel schmutzigblau verfärbt und leichter zerreißbar. ebenso verändert, etwas härter geworden. Am 7. Januar 1881 wurde hierzu noch folgender Parallelversuch im Laboratorium angestellt : Im doppelwandigen Trockenkasten wurde auf mit Watte gefüllten Bechergläsern eine Schicht Watte in solcher Höhe ausgebreitet, daß sie bis an die Kugel des Thermometers reichte und auf diese Watteschicht dicht neben die Thermometerkugel kleine Pakete von Fließpapier gelegt, welche Proben von denselben Stoffen wie im vorstehend beschriebenen Versuch enthielten. Der Apparat wurde dann drei Stunden lang auf einer Temperatur von 1350 bis 140" C erhalten. Sämtliche Proben zeigten sich danach in ganz derselben Weise verändert wie nach der Erhitzung im alten Desinfektionsapparat des Barackenlazarettes. Weiße Seide, Leine- wand, Watte, weißes Wollgarn waren gelb geworden und hatten einen süßlichen, schwach- brenzHchen Geruch angenommen ; Zeitungspapier war gelb und brüchig geworden ; blaues Tuch heller gefärbt und glanzlos ; weiße Federn gelblich. Drei verschiedene Proben Schreib- und Briefpapier waren auffallend gebräunt. Dieser letzte Versuch beweist, daß bei derjenigen Temperatur und Zeitdauer der Desinfektion, welche zur Vernichtung aller Keime organischen Lebens erforderlich ist, fast alle Stoffe, welche der Hitzedesinfektion zugänglich sind, mehr oder weniger beschädigt werden. V Untersuchungen über die Desinfelition mit heißer Luft. 351 F ü n f t e r V e r s u c Ii (im alten Apparat am 14. Dezember 1880). Das gegen alles Er>varten langsame imd geringe Eindringen der Hitze in das Bündel wollener Decken beim vorigen Versuch, veranlaßte uns, die für die Desinfektionspraxis so überaus wichtige Frage nach der Verteilung der Wärme im Innern von Paketen, Warenballen usw. noch eingehender zu untersuchen. Zu diesem Zwecke wurde in verschiedene Ballen und Pakete je ein Maximalthermometer und ein Päckchen mit leichter und schwieriger zvi desinfizie- renden Objekten eingelegt und 3 Stunden lang einer möglichst hohen Hitze ausgesetzt. Der Versuch begann nachmittags um 1 Uhr bei einem Dampfdruck von 5y^ At- mosphären. Letzterer schwankte während der Versuchsdauer zwischen 5^9 '^^^ 6 Atmo- sphären. Das Pyi'ometer zeigte: 1 Uhr 1330 C 1 „ 5 Minuten . 140" „ 1 „ 10 . . . 1440 „ 1 „ 15 . 1470 „ 1 „ 30 . 1530 „ 0 30 . 1550 „ 3 „ 30 . 158« „ 4 „ . 1590 4 „ 10 . 156° „ Versuch beendigt. Über die Verpackung der Desinfektionsobjekte, die erzielte Maximaltemperatur, Desinfektionsresultat usw. gibt die nachfolgende Tabelle Auskunft. Einfluß der Des- ^5 Angabe der Verpackung Inhalt Erreicht aximalte: infektion auf leicht zu ver- nichtende Mikro- Einfluß auf sporenhaltige Substanzen Bemerkungen 0 C organismen 1 Ein Paket Kleider in In einer Kocktasche 121V. Microc. predig. An Seidenfäden Das Kleiderbündel einem Sack (Überzieher, ein Thermometer und und blauer Eiter angetrocknete war am Tage zuvor Eock , Hemd , Hose, in Fließpapier ein- auf gekochten Milzbrandsporeu schon einmal im Weste). 45 cm lang, gewickelt Garten- Kartoffeln nicht und Gartenerde Desinf. -Apparat ge- 45 cm breit, 25 cm dick erde, an Seidenfäden mehr entwick- kommen auf wesen, stark ausge- getrocknete Milz- lungsfähig Blutgelatine zur trocknet. Es hing brandsporen, Microc. ungestörten unmittelbar an der prodig., blauer Eiter Entwicklung Heizfläche 2 Zwei wollene Decken, ausgebreitet, in ihrer Mitte gefaßt und nebeneinander gehängt, durch einen lose darum- geschlungenen Bind- ■faden zusammengehal- ten. 1 m lang, in der Höhe der Therinometer- kugel 20 cm Durchm. Ein Thermometer und das dieselben Objekte wie in Nr. 1 einschließende Päckchen waren dicht oberhalb des umschlingenden Bindfadens ange- bracht 113'/2 desgl. desgl. 3 Zwei Tafeln Watte, lose aufgerollt und mit Bindfaden umschlun- gen. 70 cm lang, 13 bis 14 cm Durchmesser Thermometer und dieselben Objekte wie in Nr. 1 niV4 desgl. desgl. 352 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. Einfluß der Des- Nummer Angabe uer V crpacuuiig Lihalt o Erreicht <^ Maximalte infektion auf leicht zu ver- nichtende Mikro- organismen Einfluß auf sporenhaltige Substanzen Bemerkungen 4 Ein wollenes Hemd und Thermometer und 90 Microc. prodig. An Seidenfäden Die getragenen Klei- ein Rock Der Länge Objekte wie in und blauer Eiter angetrocknete dungsstücke waren nach zusammengerollt, Nr. 1 auf gekochten Milzbrandsporen noch nicht vorher das Hemd innen, der Kartoffeln nicht und Garteuerde im Apparat ge- Rock außen. 70 cm mehr entwick- kommen auf wesen (wie Nr. 1). lang, 18 cm Durch- lungsfähig Blutgelatine zur BeimHerausnehmen messer ungestörten Entwicklung zeigte sich das Hemd etwas feucht. Beim Einlegen schien es trocken zu sein 5 Eine wollene Decke (hatte auf dem Deckel des Apparates gelegen und war vollkommen trocken) einmal zusam- mengelegt und dann aufgerollt und lose zusammengeschnürt. 75 cm lang, 13 cm Durchmesser Thermometer und Objekte wie in Nr. 1 83 desgl. desgl. 6 Ein Ballen von Hede, der in einen leinenen Beutel gesteckt wurde. 45 cm Höhe, 35 cm Breite, 27 cm Dicke Thermometer und Objekte wie in Nr. 1 77V4 desgl. desgi. Beim Verpacken er- schien die Hede trocken, beim Her- ausnehmen war das Packet im Innern stark feucht. Hing unmittelbar an der Heizfläche 7 Großer Ballen von Hede. Mit Bindfaden um- schnürt. 50 cm Höhe, 55 cm Durchmesser Thermometer und Objekte wie in Nr. 1 74V2 desgl. desgl. Die Hede war beim Einlegen des Ballens trocken, beim Her- ausnehmen feucht. Hing ebenfalls an der Heizfläche 8 Kleines eisernes frei- Thermometer und 139V, desgl. Sowohl Milz- hängendes Gefäß Objekte wie in Nr. 1 brandsporen als die Sporen der Gartenerde hatten ihre Ent- wicklungsfähig- keit verloren Für sämtliche Proben waren Kontrollobjekte zurückbehalten, die sich ausnahmslos entwicklungsfähig zeigten. Die Maximalthermometer hatten, um sie bequem und mit Sicherheit verpacken zu können, eine in der Gegend der Kugel durchbrochene Blechhülle erhalten. Das Ergebnis dieses Versuchs war folgendes: Mäßig dicke Pakete und Ballen mit loser Verpackung lassen die Wärme in so geringem Maße eindringen, daß nach drei- stündigem Aufenthalt im Apparat bei 140° C nur die leicht zu vernichtenden Mikro- Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 353 Organismen getötet, wurden, Dauersporen aber unverändert blieben. Wollene Stoffe und solche Gegenstände, die vermöge ihrer hygroskopischen Beschaffenheit Wasser absor- biert haben (Hede), setzen dem Eindringen der Wärme den meisten Widerstand entgegen. Sechster Desinfektionsversuch (im alten Apparat am 21. Dezember 1880). Um noch weitere Erfahrungen über Desinfektion von Effekten, Kleidern, Betten durch Hitze zu gewinnen, wurden die in folgender Tabelle bezeichneten Gegenstände, die ein Päckchen mit sporenhaltiger Gartenerde und an Seidenfäden angetrocknete Milzbrand- sporen sowie teilweise Maximalthermometer enthielten, 3 Stunden lang im Apparat möglichst stark erhitzt. Der Dampfdruck betrug 5%^ — 6 Atmosphären. Der Gang der Temperatur, am Pyrometer abgelesen, war: 12 Uhr 30 Min. ... 153« C Öffnen und Einlegen der Gegenstände : 2 Uhr 45 Min. . . . 141" C 1 15 ,, . 1510,, 2 • 154" „ 2 30 „ . 156" „ 3 30 „ . 1580 „ 3 45 „ . 1570 „ Schluß des Versuches. 1 Nummer In den Desiiifektioiisapparat gebrachte Geg'eustäude Erreichte Höhe °, des Maximal- thermometers Einfluß auf die Entwicklungs- fähigkeit der Milz- brandsporen Einfluß auf die Ent- wicklungsfähigkeit der Sporen in der Gartenerde Bemerkungen 1 Ein Beutel mit schmutziger Wäsche, von der zwei Stücke etwas feucht waren. Länge -32 cm, Breite 19 cm, Dicke 15 cm 79 auf Blutgelatine zu sehr kräftiger Ent- wicklung ge- kommen auf Blutgelatine gut entwickelt beim Au.spacken fühlte sich die Wäsche noch feucht an 2 Kopfkissen, sehr lose mit Federn gefüllt, Dicke 24 cm 100>/2 gut entwickelt kräftige Entwicklung war am Tage vorher schon einmal erhitzt 3 Ein Rock von Halbtuch, lose mit einem Bindfaden umschnürt. Dicke 15 cm gut entwickelt (um etwa 12 Stunden verspätet) starkes Wachstum 4 Einzelne wollene Decke, gut ge- trocknet (hatte auf dem Apparat gelegen), in der Mitte gefaßt und frei aufgehängt 140 keine Entwicklung keine Entwicklung 5 Ebensolche wollene Decke, die auf einem Krankenbett gelegen hatte, ebenso aufgehäugt wie Nr. 4 140'/, keine Entwicklung keine Entwicklung 6 Roßhaarmatratze. 14 cm Dicke 138'/, keine Entwicklung vereinzelte Bazillenkolonien hing an der Heizfläche 7 Leinener Krankenrock und Hose keine Entwicklung vereinzelte Bazillenkolonien 8 Freihängendes kleines eisernes Gefäß 139 keine Entwicklung- keine Entwicklung Koch, Gesammelte Werke. 23 354 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. Die im vorigen Versuch gefundene Tatsache, daß Gegenstände, wenn sie zusammen- gelegt sind, mehrere Schichten besitzen und nicht zu geringe Dimensionen haben, durch melxrstündiges Erhitzen auf 140" C nicht mehr desinfiziert werden, wurde durch diesen Versuch vollkommen bestätigt. Es läßt sich auch ungefähr die Grenze erkennen, bei welcher die Desinfektion unsicher wird. Einzelne, nicht mit einem Bindfaden umschnürte wollene Decken waren vollständig desinfiziert, während im vorigen Versuch schon das Umlegen eines Bindfadens und das dadurch bewirkte Aneinanderlegen der Falten genügt hatte, um die Desinfektion zu vereiteln. Auch der von einem Faden lose zusammen- gehaltene Rock von Halbtuch war dementsprechend nicht desinfiziert. Sehr beachtens- wert ist der niedrige Stand des Thermometers in Nr. 1, welcher zeigt, ein wie bedeutendes Hindernis in einem kleinen Kleiderbündel ein mäßiger Grad von Feuchtigkeit der Desinfektion mit heißer Luft entgegensetzt. Siebenter Versuch (im alten Apparat am 18. Januar 1881). Es kam darauf an, zu erfahren, ob an den Stellen, an welchen bei Decken, Kleidern usw. mehrere Schichten des Stoffes, z. B. durch den zum Aufhängen dienenden Haken oder durch loses Auf einander schichten, zusammengedrückt werden, die Desinfektion aus- reichend gelingt. Zugleich sollte durch Verteilung der Thermometer innerhalb einer größeren aus wollenen Decken gebildeten Rolle der Gang der Wärme in einem großen Objekt bestimmt werden. 1. Eine wollene Decke wurde vermittels eines eisernen Hakens, nachdem sie an ihrem Mittelpunkt aufgenommen war. aufgehängt und an der Aufhängestelle zwischen einfache Deckenschichten ein Päckchen gebracht, das eine Probe sporenhaltiger Erde und an Seidenfäden angetrocknete Milzbrandsporen enthielt. 2. Eine wollene, einmal zusammengelegte Decke wurde über eine eiserne Stange gelegt und zwischen einfachen Deckenschichten oberhalb der Stange ein ebensolches Päckchen wie in Nr. 1 gelegt. 3. Eine zweifach zusammengelegte, stark getrocknete Decke wurde auf die Eisen- stäbe am Boden des Apparates gelegt, darauf ein Päckchen wie in Nr. 1 und darüber wieder eine ebensolche Decke, so daß das Päckchen nach oben und nach unten durch 4 locker geschichtete Deckenlagen bedeckt war. 4. Aus 19 wollenen Decken, die einmal der Breite nach zusammengelegt waren, wurde ein großer Ballen durch Aufrollen gebildet. Die Decken hatten 18 Stunden lang bei ca. 120" C im großen Desinfektionsapparat gelegen und waren vollständig ausgetrocknet. In die Mitte des Ballens kam ein Thermometer und je eine Probe von Micrococcus pro- (Ugiosus, sporenhaltiger Erde und Milzbrandsporen. Nach 4 Windungen der zusammen- gelegten Decken, also nach 8 Einzelschichten der Decken, wurde wieder ein Thermo- meter dazwischengelegt, nach weiteren 4 Windungen ein drittes Thermometer und Probe von Microccocus prodigiosus, Erde und Milzbrandsporen, usf. bis zu 7 Thermo- metern. Das letzte Thermometer war dann noch wieder durch 4 Doppelschichten bedeckt und durch diese von der Luft getrennt. Unter die äußerste einfache Schicht, sowie an derselben Stelle unter die nächstfolgende einfache Schicht wurde noch je ein Päckchen mit Erde und Milzbrandsporen gesteckt, die also nur durch eine resp. zwei wollene Decken- schichten von der Luft des Apparates getrennt waren. Die Länge des ganzen Ballens betrug 105 cm, der Durchmesser 50 cm, sein Gewicht fast 50 kg. 5. Schließhch wurde noch frei im Blechkästchen ein Thermometer und ein Päck- chen mit Erde und Milzbrandsporen aufgehängt. Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 355 Um 1% Uhr nachmittags wm-de der Apparat geschlossen und um 4% Uhr, also nach 3 Stunden, wieder geöffnet. Während dieser Zeit zeigte ein statt des in Unordnung geratenen Pyi-ometers an dessen Stelle eingeführtes Thermometer: 2 Uhr 1.31« C 2 „ 20 Minuten 135" C 2 „ 45 „ 1371/2" C 3 „ 25 „ 1400 C 4 „ 20 „ 140» C 4 „ 45 „ 140» C Beim Einlegen der Gegenstände war eine kleine, schon mehrere Jahre im Gebrauch befindliche Holztreppe benutzt inrd im Apparat stehen geblieben. Beim Öffnen des Deckels fiel sofort ein penetranter Harzgeruch auf und an dem Holz der Treppe zeigten sich beträchtliche Mengen Harz ausgeschwitzt und daran herabgeströmt. Das Resultat des Versuches in bezug auf Stand der Thermometer und Entwick- lungsfähigkeit der Bakterien zeigt folgende Tabelle: Rolle von wollenen Decken. Thermometer Micrococcus prodigiosus Milzltrandsporen Sporenhaltige Erde Von der Mitte ausgehend: I, Nicht abzulesen, dem Gefühl nach .3-5 » gewachsen gewachsen gewachsen II. Nicht abzulesen, dem Gefühl nach 40» III. Mit einem ärztlichen Thermometer nachträglich 44" 0 bestimmt gewachsen gewachsen gewachsen IV. Unter 6.5" auf 57" geschätzt V. Unter 73" auf 70" geschätzt gewachsen gewachsen gewachsen VI. 83^'// VII. 100» nicht mehr ent- wicklungsfähig gewachsen gewachsen unter einer zweifachen nicht gewachsen vereinzelte Deckenschicht: Bazilleukolouieu gewachsen unter einer einfachen nicht gewachsen nicht gewachsen Deckenschicht: Freihäng-endes Thermometer 139" . . . nicht gewachsen nicht gewachsen nicht gewachsen nicht gewachsen Wollene Decke über eine eiserne Stange gelegt nicht gewachsen nicht gewachsen Zwei wollene Decken lose anfeinandergelegt nicht gewachsen nicht gewachsen Der Versuch hatte also ergeben, daß die Aufhängepunkte usw. genügend desin- fiziert werden. Für den Gang der Temperatur bei ihrem Eindringen in die aus wollenen Decken gebildete Rolle ließ sich, weil die Thermometer nur mit Skalen von 65'' — TO" aufwärts versehen waren, ein richtiges Bild noch nicht gemnnen. Es wurde deswegen be- schlossen, diesen Versuch, und zwar gleichzeitig mit trockenen und in einer zweiten Rolle mit feuchten Decken zu wiederholen und dazu Thermometer mit Skalen bis zu 20° zu benutzen. 23* 356 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. Achter Versuch (im alten Apparat am 28. Januar 1881). In derselben Weise wie beim vorhergehenden Versuch wurden zwei Rollen hergestellt, die eine aus trockenen, die andere aus durch Besprengen mit Wasser feuchtgemachten wollenen Decken. Die Decken waren, um der Rolle eine Länge von ungefähr 1 m zu geben, einmal zusammengelegt; also bestand auch diesmal jede Windung der Rolle aus zwei einfachen Deckenschichten. Die Thermometer wurden so verteilt, daß eins in die Mitte kam und immer nach vier weiteren Windungen ein Thermometer, im ganzen acht Thermometer, eingelegt wurden. Über das letzte Thermometer kamen noch vier Windungen, so daß die Rolle 32 Windungen oder 64 einfache Deckenschichten hatte. In jeder Rolle befanden sich außerdem vier Päckchen mit Bakterienproben, und zwar drei mit Micrococcus pro- digiosus, sporenhaltiger Erde, Milzbrandsporen, und eins, welches am weitesten nach außen zu liegen kam und nur sporenhaltige Erde und Milzbrandsporen enthielt. Von diesen Bakterienproben kam eine ebenfalls in die Mitte, die anderen waren durch je sechs Windungen voneinander getrennt. Die Rollen hatten eine Länge von 1 Meter und einen Durchmesser von etwas über einen halben Meter. Sie waren mit starkem Bindfaden fest umschnürt. Außer diesen beiden großen Rollen wurden noch zwei kleinere, welche als Ver- gleichsobjekte zwischen diesen Versuchen mit heißer Luft und anderen mit Wasserdampf als Desinfektionsmittel dienen sollten, in den Desinfektionsapparat mit hineingelegt. Die eine bestand aus einmal zusammengelegtem Flanell und hatte 20 Windungen. Ein Thermometer und ein Paket mit Micrococcus prodigiosus, Erde und Milzbrandsporen lag in der Mitte und ein zweites Thermometer zwischen der 10. und 11. Windung. Ihre Länge betrug 25 cm, die Dicke 15 cm. Die zweite, feuchtes schwarzes grobes Tuch, war 8 cm dick und 25 cm lang. Sie enthielt ebenfalls in der Mitte ein Thermometer und ein kleines Paket mit Proben von Micrococcus prodigiosus, sporenhaltiger Erde und Milzbrandsporen. Schließlich wurde noch ein Pelz, mit der Haarseite nach außen, der Länge nach zusammengelegt und in der Mitte mit einem Bindfaden umschnürt, in dem Apparat auf- gehängt. Oberhalb des Bindfadens wurde ein Thermometer und ein Paket mit sporen- haltiger Erde und Milzbrandsporen in den Pelz gesteckt. Der Temperaturgang während des 4 Stunden dauernden Versuches war am Pyro- meter abgelesen: Uhr — Minuten 20 30 30 125« C 140» „ 145« „ 148" „ 148" ,, 150» „ 148« ,, 148» ,, Nach dem Öffnen fand sich, daß die aus trockenen Decken gebildete Rolle durch- weg trocken geblieben war. Die aus angefeuchteten Decken gewickelte Rolle war nur in den äußersten Win- dungen trocken, von da ab gleichmäßig feucht, in der Mitte schien sie, weil die Decken beim Beginn des Aufrollens nur wenig angefeuchtet waren, fast trocken. Die Flanellrolle war außen trocken, nach der Mitte zu kaum merklich feucht. Die feucht eingelegte Tuchrolle war äußerlich trocken, im Innern reichlich feucht. Der Pelz außen trocken und hart, im Innern etwas feucht. Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 357 In den beiden Deckenrollen zeigten die Thermometer und zwar in der trockenen : in der feuchten In der Mitte . 34,50 C In der Mitte . . . 45,80 c Nach 4 Windung en 43,0« ,, Nach 4 Windungen 53,80 8 ! • 52,70 „ 8 55,00 „ „ 12 5 5 66,50 „ 12 61,20 „ 16 ? ) 74,00 ^ „ 16 67,00 ,, „ 20 j ; 76,50 „ 20 70,50 „ 24 - ) ; 83,40 „ 24 73,70 „ 28 100,00 ,, 28 74,40 ^ Im Pelz war das Ther moniter auf 86,00 C gestiegen. Das Thermometer der feuchten Tuchrolle zeigte 81,00 C. In der FlanellroUe: das Thermometer in der Mitte 83,00 C zwischen 10. und 11. Windung 92, oo ,. Das Thermometer im freihängenden Blechkasten zur Bestimmung der Temperatur im Apparat stand auf 138,20 C. Über den Einfluß der Desinfektion auf die Bakterienj)roben gibt folgende Tabelle Aufschluß, in welcher registriert ist, ob die Proben auf Nährgelatine (resp. gekochten Kartoffeln) ein Wachstum der Bakterien erkemaen ließen oder nicht. Feuchte DeckeuroUe : Mitte Microc. prod. gewachsen, Nach 6 Windungen „ „ , 19 T » )T )5 TT Erde gewachsen, Milzbrandsporen gewachsen. „ 18 „ Microc. prod. nicht gewachsen, Erde gewachsen, Milzbrandsporen gewachsen. „ 24 „ Erde gewachsen, Milzbrandsporen gewachsen. Trockene Deckenrolle : Mitte Microc. prod. gewachsen, Nach 6 Windungeu „ „ „ 12 TT ^ TT TT TT TT Bazillensporen der Erde g ewachsen, Milzbrandsporen gewachsen. „ 18 „ Bazillensporen der Erde gewachsen, Milzbrandsporen gewachsen, Microc. prod. gewachsen. „24 „ BazillensporenderErdegewachseu, Milzbrandsporen gewachsen. Flanellrolle: Microc. prod. nicht gewachsen, Erde gewa^ihseu, Milzbrandsporen gewachsen. Tuchrolle. . Microc. prod. uicht gewachsen, Erde gewachsen, Milzbrandsporen gewachsen. Pelz .... Erde gewachsen, Milzbrandsporeu gewachsen. Die im freiaufgehängten Blechkasten gewesenen Proben von Erde und Milzbrand- sporen hatten ihre Entwicklungsfähigkeit verloren. Mit Hilfe der niedrige Temperaturen anzeigenden Maximalthermometer war durch diesen Versuch der vorige ergänzt und es hatte sich ganz evident herausgestellt, daß, wenn größere Gegenstände in heißer Luft sich befinden, die Hitze auffallend langsam in das Innere derselben eindringt. Auch macht es für große Objekte keinen wesentlichen Unterschied, ob sie trocken oder feucht sind. Im vorliegenden Falle hatte selbst eine vier Stunden andauernde Temperatur von annähernd 1400 C im Apparat noch nicht ausgereicht, um die am leichtesten durch Hitze zu vernichtenden Bakterien, wie Micro- coccus prodigiosus, in einer verhältnismäßig geringen Tiefe derselben ihrer Entwicklungs- fähigkeit zu berauben. 358 Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. Neun t erVersuch (im alten Apparat am 1. Februar 1881). Das Resultat des vorigen Versuches schien uns für die Frage nach der praktischen Verwertbarkeit der heißen Luft als Desinfektionsmittel von so großer Wichtigkeit, daß wir noch einen ähn- lichen Versuch anzustellen beschlossen. In den Apparat wurden folgende Gegenstände gebracht: 1. Werg, das in ein quadratisches Gestell von dünnen Holzleisten mit 0,65 m Seitenlänge möglichst fest hineingepreßt war. In demselben waren 7 Thermo- meter folgendermaßen verteilt: Thermometer Nr 1 2 3 4 5 6 7 Distanz von außen in cm 81/2 14 1/2 20 1/2 26 1/2 321/2 321/2 20/2 8 1/2 2. Ein Ballen von aufgerollten Schaffellen. 1 m Länge und 1,8 m Umfang. Mit Bindfaden zusammengeschnürt. In demselben: Thermometer Nr. . . 20 10 9 8 Schichten von außen 13 5 7 3. Rolle von einmal zusammengelegtem Packleinen. Länge 1 m, Umfang 1,15 m. Mit Bindfaden zusammengeschnürt. In derselben: Thermometer Nr. 19 18 17 16 15 14 13 12 11 Schichten (doppelt) von außen . . 20 40 100 130 145 160 175 190 205 Während des 4 Stunden dauernden Versuches zeigte das Pyrometer: 121/2 Uhr .... 120» 3 Uhr .... 148» 1 „ .... 1400 4 „ .... 150° 2 1450 41/ 150" Beim Auspacken und Öffnen ergab sich, daß der Wergballen im Innern gleichmäßig feucht war (beim Einpacken trocken). Die Thermometer in demselben zeigten: Entfernimg von der Außenwand 81/2 cm Nr. 1 . . 79,0» 141/2 cm Nr. 2 . . 78,50 201/2 cm Nr. 3 . . . 77,0« 261/2 cm Nr. 4 . . 76,0« 321/2 cm Nr. 5 . . 76,50 8% cm Nr. 7. 78,0« 201/ cm Nr. 6 78,50 321/, cm Das Bündel Schaffelle war im Innern stark feucht. Schichten von außen Thermometer 1 Nr. 20 ... . 960 3 Nr. 10 .... 840 5 Nr. 9 .... 740 7 Nr. 8 .... 740 Die RoUe Packleinwand zeigte sich in den äußeren Schichten (ungefähr 40) trocken vmd heiß, dann folgten eine Anzahl Windungen, die heiß und feucht waren und beim Abwickeln dampften. Hitze sowohl wie Feuchtigkeit nahmen nach dem Innern zu immer Untersuchungen über die Desinfektion mit heißer Luft. 359 mehr ab und von Thermometer Nr. 15 ab (Windungen 145 — 150) erschien die Packlein- wand dem Gefühl ganz trocken und kalt. Windungenzahl Thermometer 20 Nr 19 . . 86« Nr. 18 . . . 720 Nr. 17 . . unter 700 Nr. 16 . . unter 600 Nr. 15 . . kalt Nr. 14 . . . kalt Nr. 13 . . . kalt Nr. 12 . . . 230 Nr. 11 . . . 20,50 40 100 130 145 160 175 190 205 Die in den früheren Versuchen gewonnenen Erfahrungen über das ungemein lang- same Vordringen der Hitze in das Innere von größeren Gegenständen erfuhren auch hier ihre volle Bestätigung. Alte Thermometer, deren Skala nicht unter 65—700 reicht. Als die wesentlichsten Punkte, welche unsere Versuche ergeben haben, können wir folgende hinstellen: 1. In heißer Luft überstehen sporenfreie Bakterien eine Temperatur von wenig über 1000 bei einer Dauer von 1 14 Stunden nicht. 2. Sporen von Schimmelpilzen erfordern zur Abtötung ungefähr eine 1^ stün- dige Temperatur von IlOO — 11 50 C. 3. Bazillensporen werden erst durch 3stündigen Aufenthalt in 1400 C heißer Luft vernichtet. 4. In heißer Luft dringt die Temperatur in die Desinfektionsobjekte so langsam ein, daß nach 3 — 4 stündigem Erhitzen auf 1400 C Gegenstände von mäßigen Dimensionen, z. B. ein kleines Kleiderbündel, Kopfkissen usw., noch nicht desinfiziert sind. 5. Das 3 stündige Erhitzen auf 1400 C, wie es zur Desinfektion eines Gegen- standes erforderlich ist, beschädigt die meisten Stoffe mehr oder weniger. Berlin, im April 1881. Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken/) Von Dr. R. Koch.-) Die umfassenden Versuche, welche über die praktische Verwertbarkeit heißer Luft zu Desinfektionszwecken angestellt waren, hatten, wie in dem betreffenden Aufsatz dieser Veröffentlichungen*) mitgeteilt ist, zuwenig befriedigenden Ergebnissen geführt. Es hatte sich zvmächst die zur Abtötung sämtlicher niederer Organismen erforderliche Tem- peratur also eine so hohe herausgestellt, daß durch die Einwirkung derselben die zu des- infizierenden Gegenstände selbst Schaden erlitten. Sodann war die Zeit, während welcher die Objekte der erhitzten Luft ausgesetzt sein mußten, um des Erfolges sicher zu sein, eine relativ lange. Vor allem aber hatte sich endlich ergeben, daß das Eindringen der Hitze durch selbst nur dünne Schichten eines schlechten Wärmeleiters außerordentlich langsam vor sich geht. Aus diesen Gründen ist die Desinfektion mit heißer Luft nur für wenige Objekte verwendbar und es erschien geboten, sich nach einem für allgemeinere Zwecke brauchbaren Ersatzmittel umzusehen. Zur Beurteilung des Desinfektionswertes der Hitze hatten bakterienhaltige Objekte gedient, welche entweder die bekannten Dauersporen enthielten oder frei davon waren. Von diesen hatten nur die sporenhaltigen Substanzen den höheren Hitzegraden Wider- stand zu leisten vermocht und es war in mehreren Versuchen ein dreistündiger Aufent- halt in einer 140^ C. heißen Luft erforderlich gewesen, um die Sporen zu vernichten. Nun ist es aber bekannt, daß dieselben Sporen in kochendem Wasser, also bei einer er- hebhch niedrigeren Temperatur, in weit kürzerer Zeit getötet werden können. So hatten beispielsweise einige Versuche, in denen Milzbrandsporen mit heißem Wasser behandelt wurden, ergeben, daß schon ein zwei Minuten langer Aufenthalt in kochendem Wasser genügte, um diese Sporen zu töten, während genau ebenso und mit demselben Sporen- material hergerichtete Objekte in der heißen Luft erst bei 140^ und nach 3 Stunden getötet wurden. Der einzige Unterschied, welcher hier zur Geltung kam, bestand in der gleich- zeitigen Wirkung des Wassers. Wie man sich diese Wirkvmg vorstellen soll, ob die Gegen- wart des Wassers zur Anbahnung chemischer Vorgänge notwendig, oder ob sein Einfluß ein mehr physikalischer, etwa durch Aufquellung der die Sporen einhüllenden Schichten, ist, das zu entscheiden muß späteren Untersuchungen vorbehalten werden. Genug, dieser Einfluß ist vorhanden und es fragte sich nur, ob sich derselbe nicht etwa für Des- infektionszwecke verwerten ließ. Und mit der Beantwortung dieser Frage sollen sich die folgenden Versuche beschäftigen. ^) Aus Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1881, Bd. I, Berlin. -) Zusammen mit Dr. Gaffky und Dr. Loeffler. *) Diese Werke, p. 339 ff. Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämj)f e zu DesinfektionszweckeD. 361 Vor allen Dingen interessierte es uns, zu erfahren, ob nicht heiße Wasserdämpfe dieselbe sporentötende Wirkung haben würden wie das heiße Wasser selbst, weil sich in diesemi Falle eine viel ausgedehntere praktische Verwendung ermöglichen ließ, als wenn nur kochendes Wasser diese Dienste geleistet hätte. Da wir die ganz bedeutende Widerstandsfähigkeit der Sporen gegen den Einfluß der Hitze allein noch vor Augen hatten, so wurde von vornherein, um eine möglichst sichere Wirkung zu erzielen, die Anwendung von Wasserdampf, welcher eine höhere Temperatur als 100^ C besitzt, in Aussicht genommen. Wir entschieden uns um so mehr für höhere Temperatur, weil wir voraussetzen zu können glaubten, daß die imter einem höheren Drucke stehenden Wasserdämpfe schneller und tiefer auch in Objekte von größeren Dimensionen eindringen würden, als es bei unsern früheren Versuchen die heiße Luft getan hatte. Zu den Versuchen mit Wasserdämpfen von mehr als 100" C Temperatur diente ein Dampfkochtopf. Im Verlauf dieser Versuche stellten sich indessen so unerwartete Verhältnisse in bezug auf die Verteilung der Wärme in den Objekten, welche in dem Topfe der Hitzewirkung ausgesetzt waren, heraus, daß darüber noch besondere Unter- suchungen angestellt werden mußten. Des besseren Verständnisses halber muß die Be- schreibung dieser letzteren derjenigen der eigentlichen Desinfektionsversuche voraus- geschickt werden. A. Versuche mit dem Dampfkochtopf. Eine Vorstellung, weiche wohl ziemlich allgemein verbreitet sein dürfte, und die wir anfangs gleichfalls teilten, ist, daß wenn man mit Wasser gefüllte Glaskolben in einen Dampfkochtopf bringt, denselben darauf luftdicht schließt und heizt, die Temperatur des Wassers in dem Glaskolben mit der- jenigen des umgebenden Dampfes so ziemlich gleichen Schritt halten müßte. Diese An- schauung ist aber, wie folgende V^ersuche beweisen, eine durcliaus irrige : 1. Versuch. Nachdem der im Lichten etwa 40 cm hohe, im Durchmesser etwa 20 cm haltende Dampfkochtopf zu einem Fünftel mit Wasser gefüllt war, wurden in dem freien Räume oberhalb des Wassers drei verschieden große, mit kaltem Leitungswasser gefüllte Glaskolben aufgestellt, jeder mit einem Maximalthermometer versehen. Die Quecksilberkugeln der Thermometer befanden sich im Mittelpunkt der Kolben. Nachdem tler Topf durch Aufschrauben des Deckels verschlossen war, wurde er durch fünf Gas- brenner angeheizt. Schon nach Verlauf von 15 Minuten liatte die Temperatur des Dampfes die Höhe von 1 20'' C erreicht und wurde nunmelu" durch Regulierung der W^ärme- quelle während einer halben Stunde auf dieser Höhe erhalten (das Thermometer schwankte zwischen 119^ und 12 1" C). — Nach Ablauf der hall)en Stunde wurde durch Öffnen des Ventils der Dampf abgelassen, der Topf geöffnet und die Glaskolben herausgenommen. Das Thermometer in dem kleinsten Kolben (4^ 2 ^'"^ Durchmesser) zeigte 102« C das- jenige im mittelgroßen Kolben (S^o cni Durchmesser) zeigte 92« C und das Thermometer im größten Kolben endlich (12 cm Durchmesser) hatte nur eine Höhe von 85" C erreicht. 2. Versuch. Ein Literkolben, mit kaltem Leitmigswasser gefüllt und mit einem Maximalthermometer versehen, wurde in den Dampfkochtopf gebracht und letzterer durch einen Dreibrenner angeheizt. Nachdem im Laufe von 30 Minuten der Dampf eine Temperatur von 127^0 erreicht hatte, wurde er durch das Ventil abgelassen, der Topf geöffnet und der Glaskolben herausgenommen. Die Quecksilbersäule des in dem Kolben angebrachten Thermometers hatte den niedrigsten Fun k t d e r Skala, 65" C, nicht e r r e i c h t. 3. Versuch. Ein Literkolben, mit Wasser gefüllt und mit Maximalthermo- meter versehen, wurde in den Topf gebracht und dieser durch sechs Gasbrenner geheizt. 362 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. Innerhalb 10 Minuten hatte der Dampf eine Temperatur von 120^ C erreicht und wurde vermittels des Dreibrenners auf dieser Höhe (mit Schwankungen zwischen 119'' und 121" C) eine Stunde lang erhalten. Dann wurde der Dampf abgelassen, der Topf geöffnet und der Glaskolben herausgenommen. Das Maximalthermometer in letzterem zeigte 115" C, also immer noch 5"C weniger als die Temperatur des umgebenden Wasserdampfes betragen hatte. Wir wollen hier nicht versuchen, vom physikalischen Standpunkte aus eine Er- klärung für diese auffallenden Tatsachen zu geben, und begnügen uns damit, ihre außer- ordentliche praktische Tragweite hervorzuheben. Es liegt auf der Hand, daß wir nach diesen Versuchen mit der größten Reserve Angaben gegenüberstehen müssen, nach welchen selbst durch mehrstündiges Erhitzen auf lOO'' im Dampf kochtopf Heuinfus nicht hat sterilisiert werden können. Bei allen solchen Versuchen ist niemals zu ver- gessen, daß wir aus der Temperatur des Dampfes im Kochtopfe nicht ohne weiteres auf die Temperatur von Flüssigkeiten schließen dürfen, welche in besonderen Gefäßen sich innerhalb des Dampfes befinden. Das Thermometer des Topfesgibtnur dieTemperatur desDampfes, nicht aber diejenige in den mit Flüssigkeiten gefüllten Gefäßen an. — Daß diese Tatsache auch viele bei der Bereitung von Konserven gemachte Erfahrungen erklärt, braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden. Bei unseren Versuchen ist übrigens auch nicht außer acht zu lassen, daß möglicher- weise erst im Moment des Ausströmens des Dampfes, weil beim Nachlaß des Dampf- druckes ein wenn auch nur schnell vorübergehendes Aufwallen der Flüssigkeit und da- durch ein Vermischen der kälteren und wärmeren Schichten derselben stattfindet, bzw. mit der Herausnahme der Glaskolben aus dem Topfe der letzte Ausgleich der Temperatur in den verschiedenen Flüssigkeitsschichten stattfindet, daß somit die Temperatur eines Teils der Flüssigkeitsmenge bis zu jenem Moment immer noch etwas geringer gewesen sein könnte, als wir sie nach dem Herausnehmen der Kolben ablesen. Daß, wie es ja auch nicht anders erwartet werden kann, kleinere Wassermengen im Dampfkochtopf sehr viel schneller sich der Temperatur des umgebenden Wasser- darapfes nähern, zeigt folgender Versuch : Ein im Lichten 3 cm 'weites Reagenzröhrchen, bis an den Rand mit Wasser gefüllt, wurde, mit einem Maximalthermometer versehen, neben anderen Objekten in den Topf gebracht und letzterer dann mit 5 Brennern an- geheizt. Nach Ablauf von 15 Minuten zeigte das Thermometer des Topfes eine Temperatur von 120° C. Langsam wurde nun vermittels des Drei brenn ers innerhalb 30 Minuten das Topfthermometer auf 126" C gebracht und erhalten. Nach Öffnen des Topfes war das Reagensgläschen nur noch zu zwei Dritteln etwa gefüllt (höchstwahrscheinlich war ein Teil des Wassers, als beim Nachlaß des Dampfdruckes ein schnell vorübergehendes Aufkochen eintrat, aus dem Gefäß herausgeschleudert); sein Thermometer zeigte 123" C, also auch noch 3" C weniger als das Thermometer des Topfes. Wie lange es bereits auf dieser Höhe gestanden, entzog sich natürlich der Beurteilung. Fast ebenso wie größere, in besonderen Gefäßen befindliche Wassermengen verhalten sich angefeuchtete feste Körper, wenn man sie den gespannten Wasserdämpfen des Dampf kochtopf es aussetzt. Sie nehmen ebenfalls nur äußert langsam die Temperatur des umgebenden Dampfes an, wie folgende Versuche zeigen. 1. Versuch. Eine feuchte Lehmkugel von 10 cm Durchmesser, mit einem Maximalthermometer versehen, dessen Kugel sich in ihrer Mitte befand, wurde in den Topf gebracht und dieser im Laufe von 25 bis 30 Minuten auf 120" C erhitzt. Als danach der Dampf abgelassen und die Lehmkugel herausgenommen wurde, ergab sich, daß die Temperatur im Innern der letzteren den niedrigsten Punkt der Skala, nämlich 65" C, Versuclie über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 363 noch nicht erreicht hatte. — Als dieser Versuch mit einer etwas kleineren Lehmkugel wiederholt wurde, zeigte sich beim Öffnen des Topfes, daß die Kugel auseinander- gefallen war und die Quecksilberkugel des Thermometers fast völlig freilag. In diesem Falle blieb letzteres hinter dem Topfthermometer nur um einen Grad zurück. 2. V e r s u c h. Eine vorher angefeuchtete Rolle von wollenem Tuch, 8 cm dick, 25 cm lang, in ihrer Mitte ein Maximalthermometer einschließend, wurde in dem freien Räume des Topfes befestigt, die Temperatur der Dämpfe vermittels eines Dreibrenners im Laufe von 25 bis 30 Minuten auf 122° C gebracht und dann der Versuch beendet. Das Thermometer inmitten der Tuchrolle war unter 65*^ C, dem niedrigsten Grade der Skala, geblieben. 3. Versuch. Dieselbe Tuchrolle, in gleicher Weise vorbereitet, wurde im Topf den Wasserdämpfen ausgesetzt. Nachdem die Temperatur der letzteren innerhalb 15 Minuten 120" C erreicht hatte, wurde sie langsam innerhalb 30 Minuten bis auf 126" C gesteigert. Nach dem Herausnehmen ergab sich als Maximum der Temperatur innerhalb der Tuchrolle 118" C. Nach diesen Vorversuchen wurde nunmehr zu den eigentlichen Desinfektions- versuchen im Dampfkochtopf geschritten. Zu denselben wurden, wie es bei den Versuchen mit heißer Luft usw. geschehen war, Milzbrandsporen und sporenhaltige Gartenerde be- nutzt, welche nach Beendigung der Hitzeeinwirkung auf Nährgelatine ausgesät und so auf ihre Entwicklungsfähigkeit geprüft wurden. Selbstverständlich wurden zur Kontrolle stets nicht erhitzte Objekte derselben Art ausgesät, welche ausnahmslos zur üppigen Entwicklung kamen, so daß diese Kontrollversuche nicht noch jedesmal erwähnt zu werden brauchen (vgl. Taf. XVII, Fig. 67 u. 68). — Die Milzbrandsporen waren an Seiden- fädchen angetrocknet; die Gartenerde wurde den Dämpfen in Kapseln von Filtrier- papier ausgesetzt, welche je einige Gramm Erde enthielten. Die ersten beiden Versuche wurden in der Weise angestellt, daß die Objekte in ein Reagenzgläschen gebracht und dieses, durch einen Wattepfropf verschlossen, den Wasserdämpfen des Dampf kochtopf es ausgesetzt wurde. Nachdem das Thermometer während einer halben Stunde auf 120" C gestanden hatte, wurde der erste Versuch be- endigt. Die Erde sowohl wie das Papier und die Seidenfäden erschienen nach dem Heraus- nehmen ziemlich trocken; sämtliche Sporen erwiesen sich, auf Nährgelatine gebracht, als nicht mehr entwicklungsfähig. — Im zweiten Versuch hatten nach Erhitzung auf 110" C während einer vollen Stunde ebenfalls sämtliche Sporen ihre Entwicklungs- fähigkeit eingebüßt. In den nachstehenden Versuchen, bei welchen allmählich zu immer niedrigeren Temperaturen und kürzerer Dauer übergegangen wvu-de, um die Grenze festzustellen, bei welcher die desinfizierende Wirkung aufhört, wurden die sporenhaltigen Objekte auf eine Unterlage von Watte gelegt und so unmittelbar neben der Quecksilberkugel des Topfthermometers den Wasserdämpfen ausgesetzt. Der Übersichtlichkeit wegen sind die Versuche in einer Tabelle zusammengestellt. In derselben bedeutet ein Kreuz jedesmal die vollständige Vernichtung der Entwicklungsfähigkeit der Sporen. — Die Zeit, welche erforderlich war, um die Temperatur des Dampfes auf die angegebene Höhe zu bringen, ist in den Versuchen außer acht gelassen. (Tabelle umstehend) Aus den in umstehender Tabelle mitgeteilten Versuchen ergibt sich: 1. Die 10 Minuten dauernde Einwirkung der Wasserdämpfe von 95" C (einschließ- lich der Zeit, welche erforderlich war. um diese Temperatur zu erreichen) genügte, um Milzbrandsporen zu töten, während die Gartenerde unter diesen Umständen noch nicht völlig sterilisiert war. 364 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. Temperatur der Wasserdämpfe innerhalb des Dampikocntopies Dauer der Einwirkung' jener Wasserdämpfe auf Milzbrandsporen und Gartenerde R e s u fü Milzbrandsporen Itat r die Sporen der Gartenerde Bemerkungen 120» C 30 Minuten t t ] 110» C 60 Minuten t t 110» C 30 Minuten t t 110» C 15 Minuten t t • lu ivi muten t j. T DIS liU" ü T - T UKL V CIoULIi WUlUC ajU gebrochen , nachdem die Temperatur von 110» C erreicht war 105» C 10 Minuten t t bis 105» C — t Zur Entwicklung kam in wenigen Kolonien nur eine Bazillenart (kurze dicke Stäbe) Der Versuch wurde ab- gebrochen , nachdem die Temperatur von 105 » C erreicht war 100» C 10 Minuten t Einzelne Kolonien derselben kurzen tUOKcU iJdZlllcll bis 100» C — t Vereinzelte Bazillen- kolonien kamen zur Entwicklung' Der Versuch wurde ab- gebrochen , nachdem die X ClllJJCldtUl VUll i.\j\J \J erreicht war 95» C 10 Minuten t Vereinzelte Bazillen- kolonien, darunter bis 95» C Etwas verspätet und lückenhaft g'ewaclisen Ungehinderte Ent- wicklung, wie in der jxonLxuiic Der Versuch wurde ab- gebrochen, nachdem die erreicht war 90» C j 10 Minuten Verspätet, aber kräf- tig gewachsen 1 Ungehinderte Ent- wicklung, wie in der Kontrolle bis 90» C Kräftig gewachsen, wenn auch etwas später als die Kon- trolle Ungehinderte Ent- wicklung, wie in der Kontrolle Der Versuch wurde ab- gebrochen, nachdem die Temperatur von 90» C erreicht war Versuche über die Verwertbarkeifc heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 365 2. Eine bis zu lOö'' C gesteigerte und dann abgebrochene Erhitzung hatte noch keine ausreichende Wirkung gehabt. 3. Die 10 Minuten dauernde Einwirkung der Wasserdämpfe von 105*' C genügte (einschließhch der Zeit, welche erforderlich war, um diese Temperatur zu erreichen), um auch die Erde vollständig zu sterilisieren. Eine beachtenswerte Erscheinung in dieser Versuchsreihe ist noch die, daß eine ganz bestimmte Bazillenart, welche sich durch kiu'ze dicke Gestalt und Mangel der Eigenbewegung auszeichnet, sich am widerstandsfähigsten erwies. Dieselbe Beobach- tung konnten wir auch bei der Einwirkung der heißen Luft, sowie anderer Desinfektions- mittel auf sporenhaltige Erde machen. Letztere enthält die Sporen von mehreren Bazil- lenarten, besonders reichlich auch diejenigen der Heubazillen, welche bis jetzt immer als die gegen Hitze am resistentesten sich verhaltenden angesehen wurden. Allen diesen anderen Arten ist an Widerstandsfähigkeit jener kurze dicke Bazillus überlegen und es würde sich deswegen empfehlen, zu Desinfektionsversuchen gerade diese Bazillenart zu verwenden. Zur Ergänzung der ersten dient noch folgende Versuchsreihe : Temperatur der Wasserdämpfe innerhalb des Dampfkochtopfes Dauer der Einwirkung Jener Wasserdämpfe auf Milzbrandsporeu und Gartenerde Resultat für Milzbrand- sporen für die Sporen der Gartenerde 105» C 30 Minuten t JL 1 105» C 20 Minuten t t 100» C 30 Minuten t Vereinzelte Bazillenkolonien kamen zur Entwicklung 100» C 20 Minuten t Vereinzelte Bazillenkolonien kamen zur Entwicklung Auch hier verhiehen sich also wieder die Milzbrandsporen weniger widerstands- fähig als einzelne Bazillensporen der Gartenerde. Während letztere selbst nach W Minuten dauernder Einwirkung der Wasserdämpfe von 100° C noch nicht ausnahmslos getötet waren, genügten 20 Minuten unter denselben Verhältnissen, um die Entwicklungsfähig- keit der Milzbrandsporen zu vernichten. Im Anschluß an obige Versuche und diejenigen, welche über die Erhitzung größerer feuchter Objekte im Dam])fkochtopf angestellt wurden, sowie zum Vergleich mit den Ergebnissen, welche die Desinfektion mit heißer Luft an denselben Probeobjekten er- geben hatte, sind noch folgende kombinierte Experimente mitzuteilen. 1. Versuch. Ein langer Flanellstreifen von 50 cm Breite wiuxle in der Quer- richtung einmal zusammengelegt und dann aufgerollt. In die Mitte dieser Rolle, welche aus etwa 20 Windungen des doppelten Flanells bestand und bei einer Länge von 25 cm einen Durchmesser von 15 cm hatte, wurde die Quecksilberkugel eines Maximalthermo- meters, sowie in Papier eingewickelt je eine Probe von Milzbrandsporen und sporen- haltiger Gartenerde eingelegt. Die Rolle wurde dann, mit Bindfaden fest umschnürt, in den Dampfkochtopf gebracht und letzterer angeheizt. Nachdem die Temperatur von IOC C erreicht war, wurde dieselbe innerhalb 25 Minuten auf 120° C gesteigert und auf dieser Höhe mit sehr geringen Schwankungen während 1 i/o Stunden erhalten. Nach Beendigung des Versuches zeigte sich die Rolle in allen ihren Schichten sehwach feucht; das Thermometer im Innern derselben hatte 117° C erreicht. Die Milzbrandsporen sowie die Sporen der Gartenerde kamen auf Nährgelatine nicht mehr zur Entwicklung. 366 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 2. Versuch. Dieselbe Rolle, ebenso armiert, aber außerdem noch mit einem Maximalthermometer zwischen dem Mittelpunkt und der Peripherie versehen, wurde in den Dampfkochtopf gebracht. Dann wurde letzterer angeheizt und die Temperatur der Dämpfe während einer Stunde auf 110" C erhalten. Nach Beendigung des Versuches zeigte das Thermometer in der Mitte der Rolle nur 96,5" C, dasjenige zwischen 10. und 11. Windung des Flanells 100" C. Die Milzbrandsporen, welche in der Mitte der Rolle eingeschlossen gewesen waren, hatten ihre Entwicklungsfähigkeit ein- gebüßt, die neben ihnen der Hitze ausgesetzt gewesene Erde war indessen nicht völlig steriüsiert; denn als sie auf Nährgelatine gebracht wurde, entwickelten sich aus ihr noch vereinzelte Bazillenkolonien. — Die mitgeteilten Versuche, in denen eine Flanell- rolle und eine Tuchrolle im Dampfkochtopf den Wasserdämpfen ausgesetzt waren, bieten eine vortreffliche Gelegenheit zu einem Vergleich zwischen der Desinfektionswirkung der trockenen heißen Luft und des heißen Wasserdampfes, weil dieselben Objekte in der Absicht, vergleichbare Resultate zu gewinnen, bei einem Versuch im Desinfektions- apparat des Barackenlazarettes benutzt waren. Der Unterschied zwischen der Leistung der beiden Desinfektionsverfahren wird am besten aus folgender Zusammenstellung zu ersehen sein. Temperatur Dauer des in der Eolle am Ende des Versuches Wirkung auf Sporen Versuches im Apparat in der Mitte in der halben Dicke Im Des- iufektionsapparat des Baracken- lazarettes FlaneUrolle Tuchrolle FlaneUrolle 4 Stunden 4 Stunden |l>/2 Stunden 140-150» C 140—150» C 120» C 8.3,0 « C 81,0» C 117» C 92,0» C Weder Milzbrandsporen • noch die in der Erde ent- haltenen waren getötet Sporen von Milzbrand und in Erde getötet Im Dampfkochtopf 1 1 Stunde 110» C 96,5» C 100» C Milzbrandsporen getötet, Tuchrolle '/ä Stunde 120—126» C 118» C Sporen in der Erde nicht sämtlich entwicklungs- unfähig Der Unterschied zwischen der Leistung der heißen Luft und des Wasserdampfes ist hiernach ein ganz erheblicher. Während erstere das Maximalthermometer in der Mitte der verhältnismäßig doch recht kleinen FlaneUrolle während einer 4 Stunden andauern- den Hitze von 140 — 150" C nur auf 83" C gebracht und die neben dem Thermometer befüidhchen Proben von Bazillensporen noch gar nicht beschädigt hatte, hatte der Wasser- dampf bei 120" C und nur iy2 Stunden Dauer das Thermometer in der Rolle auf 117" C gebracht und die Sporen vernichtet, also eine vollkommen ausreichende Desinfektion erzielt. Selbst bei 110" C und einer Stunde Dauer war noch eine erhebliche Desinfektions- wirkung zu konstatieren. Unsere Vermutung, daß heiße Wasserdämpfe eine viel energischere Wirkung auf die Keime von Mikroorganismen äußern als die trockene heiße Luft, war vollauf bestätigt und auch die Voraussetzung, daß die Wasserdämpfe schneller und tiefer in poröse Gegen- stände eindringen, hatte sich, wie die Parallel versuche mit der FlaneUrolle ergeben, als Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 367 richtig erwiesen. Ob allerdings auch größere Objekte, z. B. Warenballen, von Wasser- dämpfen so weit durchdrungen werden, daß seine sichere Desinfektionswirkung noch erwartet werden kann, das könnten nur Versuche mit Apparaten von größeren Dimen- sionen ergeben. Immerhin zeigen unsere Versviche eine so bedeutende Überlegenheit des Wasser- dampfes gegenüber der trocknen heißen Luft in der desinfizierenden Wirkung, daß es vorteilhafter erscheint, in Zukunft anstatt wie bisher den Dampf in abgesclrlossenen Röhrensystemen nur zur Erwärmung der Luft im Apparat zu benutzen, ihn ■vielmehr unmittelbar in den Innenraum des Apparates selbst zw leiten und nicht nur die Tempera- tur des Dampfes, sondern auch die desinfizierende Wirkung des Wasserdampfes selbst auszunutzen. Es würde in diesem Falle in weit kürzerer Zeit und mit niedrigerer Tem- peratur dieselbe Desinfektionswirkung und damit eine erhebliche Ersparnis an Zeit und Kosten erzielt werden. Auch die Konstruktion eines für Desinfektion mit Wasserclampf von lOö** — 110° C geeigneten Apparates kann nicht wesentlich kostsj^ieliger sein als diejenige der bisher gebrauchten Apparate zur Desinfektion mit heißer Luft, weil es in der Anlage keinen sehr großen Unterschied machen wird, ob der Dampf in einem eigenen dampf dichten Röhrensystem oder ob er sofort dem dampf dicht konstruierten Apparat selbst zugeführt wird. Immerhin würde, wenn die Bedingung einer dampfdichten Kon- struktion des Apparates zu umgehen wäre, das Desinfektionsverfahren mit heißem Wasserdampf noch bedeutend an Brauchbarkeit gewinnen. Aus der Tabelle (p. 364) ist zu ersehen, daß schon bei einer 10 Minuten lang dauernden Hitzewirkung von lOO'^ 0 die Milzbrandsporen getötet waren und von den so außerordentlich widerstandsfähigen Sporen der Gartenerde nur noch einzelne Kolonien, und zwar nur solche, welche von dem bei allen unseren Desinfektionsversuchen als letzten auftretenden dicken kurzen Bazillus gebildet wurden, zur Entwicklung gekommen waren. In dem zweiten Versuche hatten allerdings 100" (' und 30 Minuten Dauer auch noch nicht zur Tötung aller Sporen aus- gereicht; aber diese Beobachtungen machten es wahrscheinlich, daß eine Verlängerung der Hitzewirkung auf eine Stunde oder selbst noch länger auch die letzten Keime von Mikroorganismen zu vernichten imstande sein würde. An Brauchbarkeit konnte durch eine derartige Ausdehnung der Zeit das Desinfektionsverfahren nicht wesentlich ein- büßen, dagegen wurde, wenn sich wirklich innerhalb einer mäßigen Zeitdauer bei einer Temperatur von 100° G eine vollständige Vernichtung aller Keime lebender Wesen, nach jetzigen Begriffen also eine sichere Desinfektion erreichen ließ, der bedeutende Vorteil gewonnen, daß ein für diese Temperatur konstruierter Apparat nicht dampf - dicht zu sein braucht und bei einer ganz einfachen Einrichtung vollkommen leistungs- fähig sein kann. Um über die Möglichkeit einer ausreichenden Desinfektion mit Dämpfen von 100° C Gewißheit zu erlangen, wurde eine zweite Reihe von Versuchen gemacht. Auch hier ging es uns ganz ähnlich wie bei unseren Experimenten mit dem Dampfkochtopf. I^]s mußten zunächst durch eine Anzahl Vorversuche die den gewöhnlichen Vorstellungen von der Verteilung der Wärme in Gefäßen mit kocliendem Wasser und den davon aus- strömenden Dämpfen vielfach widersprechenden tatsächlichen Verhältnisse festgestellt werden. B. Versuche mit Wasserdämpfen in nicht dampfdicht geschlossenen Apparaten. Vor versuche. Ein Wasserbad aus Gußeisen von 12 cm Höhe und 15 cm Durch- messer wurde zu "-/.. mit Wasser gefüllt und dasselbe durch zwei Gasflammen zum inten- sivsten Kochen gebracht. Die Ternperaturbestimmung mit zuverlässigen Thermometern (bei einem Barometerstand von 754 mm) gemacht, ergab im Mittelpunkte der Wasser- 368 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. menge 99'* C, im Mittelpunkt der obersten Wasserschicht 98,7° bis 98,8" C, mehr nach dem Rande der obersten Wasserschicht zu 98,3° bis 98,5° C. Ein weiteres Steigen der Temperatur fand nicht statt. In einem zweiten Versuche wurde dieselbe Wassermenge nur durch eine Gas- flamme erhitzt. Wenn es hierbei auch nicht zu so lebhaftem Kochen kam, wie bei An- wendung von zwei Brennern, so fand doch immerhin ein ununterbrochenes Aufwallen der Flüssigkeit statt. Während nun unter diesen Umständen das Maximum der Tem- peratur inmitten der Wassermenge 97,6° C betrug, zeigte ein Thermometer, dessen Quecksilber kugel nur in die oberste Wasserschicht eingetaucht war, als Maximum 97,0°. — Das sichtbare Aufwallen der Flüssigkeit, welches wir als Kochen bezeichnen, bietet also an sich noch keine Gewähr, daß wirklich die ganze in Betracht kommende Flüssig- keitsmenge die Siedetemperatur erreicht hat. Wenn nun aber schon in offenen Gefäßen kochendes Wasser in seinen oberen und mittleren Schichten die Siedetemperatur nicht ganz erreicht, so sinkt die Temperatur des von der Oberfläche des kochenden Wassers aufsteigenden Dampfes in einer noch viel auffallenderen Weise schon bei einer geringen Entfernung von der Wasserfläche, wie das nachstehende Versuche veranschaulichen. Ein zylindrisches Blechgefäß von 13 cm Durchmesser und 20 cm Höhe wurde zum vierten Teil mit Wasser gefüllt und letzteres mit Hilfe eines Gasbrenners im Kochen erhalten. In dem Gefäß wurde dann ein Thermometer so befestigt, daß seine Queck- silberkugel, nur einen Zentimeter von der Wasseroberfläche entfernt, von den Dämpfen umgeben war. Die von diesem Thermometer angezeigte Temperatur schwankte unter solchen Verhältnissen zwischen 70° und 78° C. Als das Thermometer so angebracht wurde, daß seine Quecksilberkugel zwei cm oberhalb der siedenden Wasserfläche sich befand, wechselte die Temperatur zwischen 68° und 75° C. — Fast um 10° niedrigere Temperaturen erhielten wir, als derselbe Versuch mit einem größtenteils gefüllten gewöhnlichen Wasser bade angestellt wurde, bei welchem also die mantelartige Verlängerung des Randes fortfiel, wie sie das Blechgefäß dargeboten hatte. Sehr bemerkenswert ist in diesem Versuche der Unterschied in der Dampf tempera- tur, je nachdem derselbe in einem bis fast an den Rand gefüllten Wasserbade oder in einem hochwandigen, nur teilweise gefüllten Gefäß entwickelt wurde. Im ersteren Falle konnte sich die Luft sofort mit dem heißen Dampf vermengen und ihn abkühlen, im letzteren Falle wurde der Dampf besser gegen den abkühlenden Einfluß der Luft geschützt, gewissermaßen durch den oberen, schornsteinähnlich wirkenden Teil des Gefäßes zusammengehalten, und zeigte infolgedessen eine erheblich höhere Temperatur. Wenn diese die Erhaltung der Temperatur in dem Wasserdampf begünstigende Einrichtung noch weitergetrieben wird, dann gelangt man schließlich zu einer Kon- struktion des Gefäßes, wie sie zur genauen Bestimmung des Siedepunktes gewöhnlich verwendet wird. Ein solches Gefäß hat einen langen Hals zur Aufnahme des Thermo- meters und eine oder mehrere Öffnungen am oberen Ende, welche eben groß genug sind, um den sich entwickelnden Dämpfen den Austritt zu gestatten, ohne daß die Luft in das Innere des Gefäßes dringen und abkühlend wirken kann. Ein sehr einfacher, aus einem Glaskolben und auf dessen Hals aufgesetzten Glaszylinder bestehender Apparat, wie er als zur Bestimmung für Siedetemperatm? geeignet in Müllers Lehrbuch der Physik 1868, Bd. II, p. 621 beschrieben und unter Fig. 570 abgebildet ist, wurde zu unseren weiteren Versuchen über die Einwirkung heißer Wasserdämpfe auf die als Probe stets geeignetsten Bazillensporen benutzt. Wenn in dem Kolben desselben das Wasser in starkem Sieden erhalten wurde, zeigte ein gutes Thermometer sowohl dicht oberhalb des Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 369 Wassers bis wenige Zentimeter von der oberen Mündung des Zylinders entfernt gleich- mäßig 100« C. Desinfektionsversuche: In einer Höhe von 40 cm oberhalb des sieden- den Wassers wurden unmittelbar neben der Kugel des Thermometers sporenhaltige Objekte, in Fließpapier eingewickelt, aufgehängt, und nachdem sie der Einwirkung der vorbeiströmenden Wasserdämpfe verschieden lange Zeitabschnitte ausgesetzt gewesen waren, auf ihre Entwicklungsfähigkeit geprüft. Das Resultat dieser Versuche veranschaulicht die nachstehende Tabelle. Ein Kreuz bedeutet in derselben, wie in den früheren Zusammenstellungen, jedesmal die vollständige Vernichtung der Entwicklungsfähigkeit. Selbstverständlich wurde auch hier ein Teil des Sporenmaterials, welcher nicht erhitzt war, zur Kontrolle ausgesät. Diese Kontrolle kam ausnahmslos zur üppigen Entwicklung. Temperatur des strömenden Wasser- dampfes Dauer der Einwirkung jenes Dampfes auf das Sporenmaterial Resultat für Milzbrand- sporen für sporenhaltige Gartenerde 100» C 60 Minuten t t 100» C .30 Minuten t j. 1 100» C 20 Minuten t t 100» C 15 Minuten t t 100» C 10 Minuten t Erst am 2. Tage kam in der Gelatine eine einzige Bazillen- kolonie zur Entwicklung 100» c 5 Minuten t . Erst am 2. Tage vereinzelte Kolonien zum Teil beweglicher Bazillen Ein Blick auf diese Tabelle beweist, daß das Ergebnis in der Tat ein außerordentlich günstiges war. Vorweg sei hervorgehoben, daß auch hier wieder die in der Gartenerde enthaltenen Bazillensporen sich zum Teil widerstandsfähiger erwiesen haben als die Sporen der Milzbrandbazillen. Hatten aber im Dampf kochtopfe Wasserdämpfe von 100" C selbst innerhalb 30 Minuten die Gartenerde noch nicht völlig sterilisieren können, so genügte bei Anwendung strömenden Wasserdampfes von derselben Temperatur die Hälfte jener Zeit vollständig, um diesen Zweck zu erreichen. In bezug auf Milzbrandsporen stimmt das Resultat, welches mit 100" C heißem Dampf erhalten wurde, mit den früheren Versuchen über die Tötung dieser Sporen im kochenden Wasser insofern überein, als in letzterem nach 2 Minuten die Sporen ihre Entwicklungsfähigkeit eingebüßt hatten und im Dampfe nach 5 Minuten. Kürzere Zeit wurde im Dampf nicht versucht, wahrscheinlich hätten auch hier 2 Minuten genügt. Der Unterschied von 3 Minuten ist übrigens so irrelevant, daß man mit gutem Recht dem Dampf von 100" C dieselbe Wirkung wie dem kochenden Wasser beimessen kann. Scheinbar anders gestalten sich die Verhältnisse für die übrigen Bazillensporen. In unserem Versuch, in dem die Sporen von verschiedenen Arten und insbesondere, wie schon früher erwähnt, auch die Heubazillensporen dem heißen Dampf ausgesetzt wurden, waren schon nach 5 Minuten nur noch vereinzelte Sj)oren, nach 10 Minuten in einem Material, welches im unveränderten Zustande Hvmderte von entwicklungsfähigen Sporen eiathielt, nur noch eine einzige Spore zur Entwicklung gekommen: nach 15 Minuten waren sie alle getötet und das Probeobjekt war vollständig desinfiziert. Dagegen hat Koch, Oesammelte Werke. 24 370 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. die Erfahrung gelehrt, daß in Flüssigkeiten, welche dieselben Bazillensporen wie die von uns benutzte Erde enthalten, beispielsweise Heuinfus, Fleischextraktlösung, nur durch mehrstündiges Kochen diese Sporen mit Sicherheit getötet werden können. Dieser Widerspruch ist aber, wie auch schon angedeutet wurde, nur ein scheinbarer. Bei unserer Versuchsanordnung kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die Probeobjekte m ihrem Gesamtumfang auch wirkhch emer Temperatur von lOO'* C ausgesetzt waren. Das läßt sich indessen von den allbekannten, überaus zahlreichen Versuchen, welche zum Zwecke der Beweisführung für oder gegen die Urzeugung von verschiedenen Ex- perimentatoren angestellt sind, nicht behaupten. Diese Versuche sind entweder mit Be- nutzung des Dampfkochtopfes oder in der Weise angestellt, daß die sporenhaltige Flüssig- keit (meistens Heuinfus) in kleinen mit einem Wattepfropf geschlossenen Kolben oder Reagenzgläsern in kochendes Wasser, welches sich in einem offenen Gefäß befand, mehr oder weniger lange Zeit eingetaucht wurden. Vergegenwärtigt man sich nun aber die eigentümlichen Verhältnisse der Temperaturverteilung im Dampfkochtopf und in Flüssigkeiten, welche in offenen Gefäßen zum Kochen gebracht werden, daim wird man sofort einsehen, daß weder bei der einen noch bei der andern Versuchsanordnung die zu sterilisierenden Flüssigkeiten einer gleichmäßig wirkenden Hitze von 100" C ausgesetzt wurden. Denn im Dampf kochtopf dringt überhaupt die Hitze nur ganz allmählich und anscheinend sehr langsam in die inneren Schichten der Flüssigkeit ein und in den Gefäßen, welche in kochendes Wasser tauchen, werden nur die wirklich untergetauchten Teile des Gefäßes im günstigsten Falle der vollen Temperatur von 100" C ausgesetzt; meistens werden auch diese nur Temperaturen von 95" bis 98" C und weniger erreichen, während die oberhalb des Wasserspiegels befindlichen Gefäßwände weit niedrigere Tempera- turen, 50" bis 70", annehmen. Wenn nun, was fast gar nicht vermieden werden kann, die Innenwände des Gefäßes mit der sporenhaltigen Flüssigkeit benetzt sind und zufällig einige Sporen, und wenn es auch nur eine einzige sein sollte, an einer Stelle im Innern des Gefäßes haften bleibt, an welcher nur niedrige Temperaturgrade zur Geltung kommen können, dann werden sie eben selbst durch stundenlanges Kochen nicht vernichtet und es muß nach wenigen Tagen in der Flüssigkeit eine Bazillenvegetation eintreten. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse unserer Versuche über die Wärmeverteilung ver- lieren die widerspruchsvollen Angaben über die Möglichkeit des Sterilisierens von sporen- haltigem Heuinfus ihren rätselhaften Charakter. F. C o h n^) fand in einer Versuchs- reihe, in welcher Heuinfus in Reagenzgläsern und in kochendem Wasser, welches sich in einem offenen eisernen Kessel befand, 2—3 Stunden lang der Hitzewirkung ausgesetzt wurde, daß die Ergebnisse sehr ungleich ausfielen. Manchmal waren 20 Minuten, im anderen Falle 30 Minuten, einige Male 1% bis 2 Stunden zum Sterilisieren erforderlich. Es wurde auch bei einer Versuchsreihe beobachtet, daß in den 60 Minuten lang gekochten Reagenzzylindern Organismen sich entwickelten, während die 45 Minuten gekochten frei- blieben. Diese Unregelmäßigkeit in dem Resultat muß schon darauf hinleiten, daß das- selbe von irgendeiner in der Versuchsanordnung liegenden, dem Zufall unterworfenen Bedingung abhängig ist, welcher Zufall aber nur in der von uns angedeuteten Richtung hegen kann. In der Tat sagt Cohn, daß die Reagenzgläser nur so tief in die Flüssigket eintauchten, daß das aufwallende Wasser die Wattepfröpfe nicht durchnässen konnte. Die Reagenzgläser wurden also in diesem Falle nicht in allen ihren Teilen auf die Tem- peratur des siedenden Wassers gebracht und es mußte ganz dem Zufall anheimfallen, ob auch alle Sporen während der Versuchsdauer getötet wurden, oder ob die eine oder die andere, welche der oberen Gefäßwand anhaftete, der Vernichtung entging. In ähnhcher ^) Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. II, Heft 2, p. 259. Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdäinpfe zu Desinfektionszwecken. 371 Weise würde sich auch für andere Experimente, in denen sporenhaltige Flüssigkeiten durch stundenlanges Kochen oder Aufenthalt im Dampfkochtopf nicht steriüsiert wurden, eine Erklärung finden lassen. Unsere Versuche berechtigen uns dazu, es als erwiesen anzusehen, daßBazillen- Spören die Temperatur des siedenden Wassers nur wenige Minuten überstehen können. In allen Fällen, in denen ein erheblich hiervon abweichendes Resultat erhalten wurde, muß der Grund dafür in einer derartigen Ver- suchsanordnung gesucht werden, daß die gleichmäßige Einwirkung der Temperatur von 100" C auf alle Teile des Gefäßinnern und der darin enthaltenen Flüssigkeit in irgend- einer Weise verhindert war. Eine geringe Verzögerung der Hitzewirkung, welche jedoch den Zeitraum von 10 — 15 Minuten nicht übersteigt, kann dadurch bedingt sein, daß die Sporen nicht ganz frei von dem siedenden Wasser oder vom heißen Wasserdampf ge- troffen werden, sondern von eingetrockneten Substanzen eingeschlossen sind, die erst gelöst oder in einen gequollenen Zustand versetzt sein müssen, damit die Hitze bei Gegen- wart von Wasser auf die Sporen wirken kann. Wir erklären uns beispielsweise in dieser Art den Unterschied in der Zeit, welche erforderlich ist, um die Milzbrandsporen zu ver- nichten, und derjenigen, welche zur Tötung der Sporen in der Erde gebraucht wurde. Die Milzbrandsporen wurden in einer ganz dünnen Lage an einem Seidenfädchen an- getrocknet, der Hitze ausgesetzt und gingen demnach eher zugrunde als die zum Teil in festen, scharf ausgetrockneten Erdbröckchen eingeschlossenen Sporen, deren Hülle erst vom heißen Wasserdampf aufgeweicht werden mußte. Nachdem durch den Versuch im kleinen und im Prinzip die außerordentlich sichere und schnelle Wirkung der heißen Wasserdämpfe auf die Probeobjekte festgestellt war, blieben nun noch zwei Fragen zu lösen. Die erste war die, ob sich in einem größeren Appa- rat von ähnlicher Anordnung wie dem von uns benutzten die Temperatur des Wasser- dampfes bis znr Ausströmungsöffnung ebenfalls ohne Schwierigkeiten auf der Höhe von 100" C erhalten läßt; die zweite lautete, ob nicht auch hinsichtlich des Durchdringens größerer Objekte der strömende Wasserdampf gegenüber demjenigen in einem luftdicht verschlossenen Räume Vorteile bieten dürfte. — Auf beide Fragen geben uns die folgenden Versuche eine sehr befriedigende Antwort. Zur Herstellung eines größeren Apparates wurde zunächst unser Dampfkochtopf als Grundlage benutzt, welcher, wie bereits erwähnt ist, eine Höhe von etwa 40 cm und einen Durchmesser von etwa 20 cm im Lichten besitzt. Der Deckel mit der Ventilvor- richtung wurde entfernt und ein aus Zinkblech hergestelltes zylindrisches Rohr von 1 m Länge und ebenfalls 20 cm Durchmesser auf den Topf aufgesetzt. — An seinem unteren Ende ließ sich dieses Auf satzrohr einige Zentimeter weit bis zu einer vorspringenden äußeren Leiste, vermittels welcher es auf dem oberen Rande des Topfes ruhte, in letzteren einschieben, so daß eine relativ dichte und doch leicht trennbare Verbindung zwischen Topf und Rohr hergestellt war. — Um die Abkühlung des Dampfes an der oberen Öffnung des Aufsatzrohres zu vermindern, wurde an letzteres oben noch ein abnehmbarer,. Helm" angefügt, ein zulaufender Blechkegel von 12 cm Höhe, dessen Spitze ein die Ausfluß- öffnung des Dampfes darstellender kleiner Zylinder von 5 cm Durchmesser bildete. — Die Verbindung des Helms mit dem Rolu' war in derselben Weise hergestellt wie die- jenige zwischen Rohr und Topf. Zur Verminderung der Abkühlung war das ganze Rohr mit einem Filzmantel von 1 cm Dicke umhüllt und der ,,Helm" mit Watte bedeckt. Da der Topf vor Beginn eines jeden Versuches zu etwas mehr als einem Drittel mit Wasser gefüllt wurde, so betrug demnach der Abstand zwischen der Oberfläche des 24* 372 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. letzteren und der Ausströmungsöffnung des Dampfes bei aufgesetztem ,.Helm" etwa 185 cm, bei abgenommenem 175 cm. Geheizt wurde der Topf durch 8 Gasflammen. Es war nun zunächst von Interesse, die Unterschiede in der Dampftemperatur innerhalb der Röhre festzustellen, je nachdem der ,,HeIm" aufgesetzt oder entfernt war. — Im letzteren Falle erreichte ein bis etwa 20 cm oberhalb der siedenden Wassermenge in die Röhre hinabgelassenes Maximalthermometer nicht mehr als 94° C, ein 30 cm weit in das Rohr hinabgelassenes, von der siedenden Wasserfläche also etwa 145 cm entferntes Thermometer sogar nur 88° C. Nach Aufsetzen des Helms dagegen erhielten wir als die korrespondierenden Tempe- raturen 99° C bzw. 98° C. Als wir nunmehr den kleinen Dampf -Ausflußzylinder des ,, Helms" noch durch einen Kork mit fingerdicker Durchbohrung verengerten, zeigte das Thermometer, dessen Kugel nur wenige Zentimeter in die Höhlung des ,, Helms" hinabgelassen war, 100" C. Der Dampf entwich in gleichmäßigem Strome durch das Bohrloch des Korkes. — Daß bei dieser Anordnung des Versuchs von einer Spannung der Wasserdämpfe nicht die Rede sein kann, braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden. Überall in dem ganzen kleinen Desinfektionsapparat, unmittelbar über der Wasserfläche wie dicht unter der Ausströmungsöffnung hatte der Dampf die gleiche Temperatur von 100" C. Es wurde nunmehr folgender Versuch angestellt : Das Aufsatzrohr wurde von dem als Untersatz dienenden Topf abgenommen, und während letzterer inzwischen angeheizt wurde, mit verschiedenen Gegenständen gefüllt. 1. Zu Unterst in das Rohr wurde eine festgewickelte Rolle aus Packleine wand von 37 cm Höhe und 17 cm Durchmesser in ihrer Längsrichtung eingehängt, so daß also der Dampf genügend Raum hatte, um in der 20 cm weiten Röhre an der Rolle vorbeizustreichen. — In der Mitte dieser Rolle befand sich ein Maximalthermometer nebst einem Päckchen Gartenerde; zwischen der Mitte und der Peripherie waren außerdem in gleichen Abständen noch zweimal je ein Maximalthermometer und ein Päckchen Gartenerde in die Rolle eingeschlossen. 2. Oberhalb der Packleinewandrolle wurde ein festgeschnürter Hedeballen von 26 cm Höhe und 14 cm Durchmesser angebracht, in dessen Mitte sich wieder- um neben der Kugel eines Maximalthermometers ein Päckchen Garten- erde befand. 3. Demnächst folgte in der Aufsatzröhre nach oben zu dieselbe Rolle von schwarzem Tuch, welche schon früher bei den Versuchen über heiße Luft und im Dampfkochtopf zur Verwendung gekommen war (von 25 cm Höhe und 8 cm Durchmesser), mit Thermometer und Gartenerde in ihrer Mitte. Über ihr befand sich 4. eine Rolle von Flanell (ebenfalls die in den früheren Versuchen gebrauchte) von 25 cm Höhe und 15 cm Durchmesser mit Thermometer und Garten- erde in der Mitte und ebensolchen zwischen Mitte und Peripherie. EndUch stand zu oberst 5. ein Glaskolben mit drei Liter kaltem Leitungswasser gefüllt und mit einem Maximalthermometer versehen, dessen Quecksilberkugel sich im Mittel- punkt der Wassermenge befand. Während dieser Vorbereitungen war das Wasser in dem als Untersatz dienenden Kochtopf ins Sieden gekommen. Es wurde also das in der beschriebenen Weise armierte Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszvvecken. 373 Aufsatzrohr anf den Topf aufgesetzt, und zwar mit Einschluß des mit durchbohrtem Kork versehenen „Hehns". Bereits nach 6 Minuten erschienen in der Ausströmungsöffnung die ersten Spuren von Dampf; nach 7 weiteren Minuten zeigte ein Thermometer, welches bis zu seiner Mitte in den ,,Helm" eingesenkt wurde, also zur Hälfte aus der Öffnung des ,, Helms" hervor- stand und so das stete Ablesen der Temperatur ermöglichte, 55" C; nach 15 Minuten (vom Aufsetzen des Rohres auf den Topf an gerechnet) hatten die ausströmenden Dämpfe bereits eine Temperatur von 80*^ C und nach weiteren 13 Minuten von 100*^ C erreicht. Nach einer halben Stunde, während welcher unser Thermometer mit minimalen Schwan- kungen auf 100" C gestanden hatte, wiirden die Flammen gelöscht und das Aufsatzrohr entfernt. Das Resultat war zunächst, was das Eindringen der Hitze in die verschiedenen Gegenstände betrifft, ein glänzendes. Sämtliche M a x i m a 1 1 h e r m o m e t e r standen au f 100" C (einige sogar Teile eines Grades darüber, was sich aus unbedeutenden Abweichungen der Thermo- meter erklärt). Wenn wir uns der Versuche erinnern, in denen Glaskolben mit kaltem Wasser gefüllt in geschlossenem Dampfkochtopf erhitzt wurden, wenn wir uns die erstaunlich langsame Erwärmung des Wassers unter jenen Umständen vergegenwärtigen und dann damit die Wirksamkeit des immer neu ersetzten strömenden Wasserdampfes im vor- liegenden Versuche vergleichen, so müssen wir allerdings den Unterschied als einen außer- ordentlich großen bezeichnen. Während im Dampfkochtopf beispielsweise der Dampf im Laufe einer halben Stunde die Temperatur von 127" C erreichen konnte, ohne daß er imstande gewesen wäre, in dieser Zeit einen mit Wasser gefüllten Literkolben auch niu' auf 65" C zu erwärmen, genügte im vorliegenden Versuch nicht gespannter Wasser- dampf von 100" C, um im Laufe einer halben Stunde außer zahlreichen anderen Objekten die dreifache Menge Wasser auf seine eigene Temperatur (100" C) zu bringen. Ob das Resultat nicht schon längere Zeit vor Ablauf der halben Stunde erreicht war, müssen wir dahingestellt sein lassen. — Ebensosehr zugunsten des strömenden Wasserdampfes fällt der Vergleich aus, wenn wir das Durchdringen größerer aus Wolle, Hede usw. bestehender Objekte ins Auge fassen. — Die Unterschiede zwischen den Versuchen im Dampfkochtopf und den eben mitgeteilten sind auch in dieser Beziehung so au.ffäUige, daß es genügt, auf sie hinzuweisen. Sämtliche Objekte, die sich im Aufsatzrohr befunden hatten, waren durchweg mäßig feucht, trockneten aber beim Abkühlen bzw. Aufrollen außerordentlich sclniell. Die Gartenerde der verschiedenen Päckchen wurde auf Nährgelatine gebracht und die Entwicklungsfähigkeit der in ihr enthaltenen zahlreichen Bazillensporen in den nächsten Tagen beobachtet: die Erde in der Flanellrolle, und zwar beide Proben, die- jenige in der Tuchrolle und die im Hedeballen, erwies sich vollständig steiil. Die Erde, welche mitten in der Packleinewandrolle und diejenige, welche am weitesten nach außen zu in derselben gelegen hatte, war ebenfalls völlig sterilisiert. Nur aus derjenigen Erd- probe, welche in der Packleinewandrolle zwischen dem mittleren und dem äußeren Päckchen sich befunden hatte, entwickelte sich in der Gelatine eine vereinzelte Bazillen- kolonie. Ohne Frage hatte also diese Stelle der Rolle die von dem Thermometer auch hier angezeigte Temperatur von 100" C erst ziemhch gegen Ende des Versuches erreicht. Im vorstehenden Versuche waren, was bisher nicht erwähnt ist. gleichzeitig auch kleine Proben verschiedener Stoffe den Dämpfen ausgesetzt, um ihr Verhalten gegen dieselben zu prüfen. Von diesen Gegenständen, welche sich noch unterhalb der Pack- leinewandrolle, also dicht über der dampfentwickelnden Wasserfläche befunden hatten, 374 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. war blaues Dragonertuch nur in der Farbe verändert ; es hatte einen etwas matter blauen Ton bekommen. Ein Stück roten Seidenstoffes war anscheinend durch die Dämpfe gar nicht verändert, Jute und Roßhaare desgleichen. Vollständig verdorben war dagegen Saffian, welcher ebenso wie eine Probe von gepreßtem Leder vollständig entfettet, zu- sammengeschrumpft, hart und brüchig geworden war. — Weißes Schreibpapier hatte sehr wenig gelitten; es hatte etwas an Glanz eingebüßt und ein ganz leicht gelbliches Aussehen bekommen. Nach den durchaus befriedigenden Resultaten, welche der mitgeteilte Versuch ergeben hatte, wurde von einer Wiederholung desselben in dem geschilderten Apparate Abstand genommen. Dahingegen erschien es zweckmäßig, die Versuche nunmehr in noch größerem Maßstabe anzustellen. Leider waren uns aus äußeren Gründen in dieser Beziehung Schranken gesetzt. Wir mußten uns daher begnügen, den geschilderten Apparat nur soweit zu vergrößern, daß die mit ihm anzustellenden Versuche noch in einem hohen Zimmer ausführbar waren. — Zu dem Zweck wurde zunächst an Stelle des als Untersatz verwandten Kochtopfes ein aus Zinkblech hergestelltes zylindrisches, oben offenes Gefäß von 50 cm Durch- messer und 50 cm Höhe benutzt, welches, auf einem eisernen Dreifuß ruhend, die Auf- stellung einer großen Anzahl von Gasbrennern unter seinem Boden gestattete. Als Auf- satz auf dieses Gefäß diente ein oben und unten offener Zinkblechzylinder von gleichem Durchmesser und einer Höhe von 2 m. Der diesen Blechzylinder oben abschließende ,,Helm" bestand wie im vorigen Versuch aus einem Zinkblechkegel (von 35 cm Höhe), welcher an seiner Spitze wiederum in einen wenige Zentimeter hohen zylindrischen Fortsatz auslief. Die Ausströmungsöffnung für den Dampf, repräsentiert durch eben diesen kleinen Zylinder, hatte einen Durchmesser von 6 cm ; von einer weiteren Ver- engerung derselben wurde Abstand genommen. Die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen des Apparates war, nicht so dicht wie bei dem früher benutzten, nur durch falzartiges Übereinandergreifen der Ränder bewirkt. — Um das umfangreiche Blechrohr leichter heben und dirigieren zu können, war an seinem oberen Ende ein Strick befestigt, welcher über zwei in der Decke des Zim- mers befestigte Rollen lief. Eine Umhüllung des Rohrs mit Matten, sowie eine Bedeckung des ,, Helms" mit Watte bezweckte möglichste Beschränkung der Wärmeabgabe, während leider der zur Dampferzeugung dienende Untersatz wegen der Feuergefährlichkeit nur in seinem kleineren oberen Abschnitt in dieser Weise geschützt werden konnte. Der beschriebene Apparat bot uns also als Raum für den strömenden Dampf bzw. zur Unterbringung zu desinfizierender Gegenstände einen Zylinder von fast m Höhe und % m Durchmesser. Allerdings waren die Vorrichtungen gegen etwaige Wärmeverluste nur mangelhafte ; auch war die Schwierigkeit, die erforderliche beträcht- liche Wassermenge (etwa 40 Liter) durch Gasflammen in starkem Kochen zu erhalten, nicht zu unterschätzen, so daß wir von vornherein erwarten mußten, an der Ausströ- mungsöffnung die Temperatur des Dampfes niedriger als in den früheren Versuchen zu finden. — Zunächst handelte es sich nun darum, festzustellen, wieweit diese Er- wartung gerechtfertigt war. Durch 16 unter dem Apparate angebrachte Gasflammen wurde demnach das Wasser ins Kochen gebracht und durch ein in die Öffnung des Helms zur Hälfte eingesenktes Thermometer die Temperatur des ausströmenden Dampfes gemessen. Nach etwa 15 Minuten zeigte dasselbe 64" C, nach weiteren 30 Minuten war es auf 95° C gestiegen, blieb aber dann auf derselben Höhe. — Es wurden nun 6 weitere Gasflammen jenen 16 hinzugefügt. Nach 10 Minuten stand das Thermometer auf 97" C und schwankte von da ab zwischen 97" und 97,5" C. — Dies Resultat mußte durchaus als unseren Erwartungen genügend bezeichnet werden. Ohne Frage wird es bei besseren Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 375 Vorrichtungen gegen Wärmeverlust leicht gelingen, in ähnlichen größeren Apparaten bis zur Ausströmungsöffnung eine Temperatur des Dampfes von 100" C zu erzielen. — Daß übrigens unsere Wärmequelle eine ausreichende war, stellte sich heraus, als den 22 Gasflammen noch 4 hinzugefügt wurden. Eine »Steigerung der Temperatur wurde da- durch nicht erreicht. Wenn nun auch unser unvollkommener Apparat der Anforderung nicht völlig Genüge leistete, strömenden Wasserdampf von Siedetemperatur zu liefern, so war er doch immerhin geeignet, wie die nachstehend mitgeteilten Versuche zeigen, die bisher gewonnenen Erfahrungen über das Eindringen der Hitze in größere Objekte einer weiteren Prüfung zu unterwerfen. 1. Versuch. Aus einem in der Querrichtung zusammengelegten langen Stück Packleinewand wurde durch Aufrollen ein Ballen von 50 cm Höhe und 30 cm Durchmesser hergestellt. In der Mitte des Ballens war ein Maximalthermometer nebst einer Papier- kapsel mit Gartenerde angebracht. Die gleichen Gegenstände waren außerdem noch viermal in regelmäßigen Abständen zwischen der Mitte und der Peripherie des Ballens mit in denselben eingerollt und zwar so, daß sich jedesmal zwischen zwei Thermometern bzw. zwei Päckchen Gartenerde 15 Windungen der doppelten Packleinewand befanden. Demnach hatte der Dampf von außen her bis zu dem in der Mitte befindlichen Maximal- thermometer nicht weniger als 75 doppelte Schichten Packleine wand zu durchdringen. ITm den Zutritt des Dampfes von den Querschnitten her möglichst zu behindern, war die Rolle an beiden Enden mehrfach und sein- fest umschnürt. — Dieser Packleinewandballen wurde derart in seiner Längsrichtung in dem Blechzylinder angebracht, daß er mit seinem unteren Ende von der Wasseroberfläche des Untersatzes etwa 1 m entfernt blieb. Da der Ballen einen Querdurchmesser von 35 cm hatte, so bheben demnach ringsum 7,5 cm für das Vorbeistreichen des Dampfes frei. Auf den Packleinewandballen wurde noch die schon mehrfach benutzte, fest ge- wickelte und geschnürte Flanellrolle von 25 cm Höhe und 15 cm Durchmesser in der Weise aufgelegt, daß ihr Längsdurchmesser mit dem horizontalen des Dampf rohres zusammenfiel. In der Mitte dieser Flanellrolle befand sich ebenfalls ein Maximalthermo- meter und ein Päckchen mit Gartenerde. Angeheizt wurde diesmal gleich mit 26 Gasflammen. Nach 50 Minuten hatte das in der Öffnung des ,, Helms" hängende Thermometer 97*^0 erreicht und schwankte von da ab zwischen 97" und 97,5" C ; vorübergehend erreichte es 98" C. Ein Sinken unter 97" C wurde nicht beobachtet. Nachdem 2 Stunden verstrichen waren, seit der Dampf innerhalb des Helms die Temperatur von 97" C erreicht hatte, wurden die Flammen gelöscht und die Objekte aus dem Rohr entfernt. — Das Resultat war wiederum ein günstiges : die Flanellrollle war durchweg feucht, das Maximalthermometer in ihrer Mitte zeigte 99" C^). — Auch der Ballen aus Packleinewand war gänzlich durchfeuchtet, trock- nete aber, wie auch die Flanellrolle, beim Auseinanderwickehi sehr schnell. Die Maximal- thermometer im Innern des Ballens standen von außen nach innen gezählt auf 9*8" C, 97" C, 95 I/o'' G. 9634" C und endlich das in der Mitte befindliche auf 97" C. Die Prüfung der verschiedenen Proben Gartenerde ergab folgende Resultate: Die Erde m der Flanellrolle war völlig sterilisiert. In dem PackleinewandbaUen war das nur bei den beiden zu äußerst gelegenen Proben der Fall, welche also von dem vorbeistreichenden Dampf durch 15 bzw. 30 Doppelschichten des Stoffes getrennt ge- wesen waren. Aus den drei inneren Proben Gartenerde entwickelten sich in den nächsten Tagen in der Gelatine hie und da vereinzelte Kolonien emes und desselben dicken Bazillus Unsere Maximaltherrnometer waren vorher mit einem Normalthermometer verglichen. Das Maximum der Abweichung betrug etwa 1 " C. 376 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. welcher sich auch in den früheren Versuchen bei weitem am widerstandsfähigsten er- wiesen hatte. — Offenbar hatte also in den inneren Schichten der Packleinewand die Hitze noch nicht genügend lange eingewirkt, um auch diese Sporen zu töten. Es unterliegt indes wohl kaum einem Zweifel, daß alles sterilisiert gewesen sein würde, wenn der strömende Wasserdampf die Siedetemperatur gehabt hätte. 2. Versuch. Der zweite Versuch war im wesentlichen eine Wiederholung des ersten, nur daß eine noch größere Rolle Packleinewand während drei Stunden dem strömenden Wasserdampf von 97° bis 98" C ausgesetzt war. — Der Ballen, wiederum von 50 cm Höhe, hatte einen Durchmesser von 40 cm, so daß ringsum 5 cm für den vorbei- streichenden Dampf frei blieben. Die einzelnen Windungen der Rolle bestanden auch diesmal aus je zwei Lagen Packleinewand. In der Mitte des Ballens sowie in regelmäßigen Abständen zwischen dieser und der Peripherie waren im ganzen sieben Maximalthermo- meter nebst je einer Probe Gartenerde mit eingerollt. Die Rolle wurde in ihrer Längsrichtung so in den Aufsatzzylinder befestigt, daß sie mit ihrer unteren Fläche P/-, m von der Wasseroberfläche entfernt blieb. Um die Temperatur des Dampfes unterhalb der Rolle mit derjenigen oberhalb derselben vergleichen zu können, war noch ein Maximal thermometer von unten her so in die Rolle eingeschoben, daß eine Quecksilberkugel aus letzterer hervofragte, während ein anderes Thermometer auf die Oberfläche des Ballens frei aufgelegt war. Nachdem das in der Ausströmungsöffnung des ,, Helms" hängende Thermometer während drei Stunden eine Temperatur von 97" bzw. 97,5 bis 98" C angezeigt hatte, wurde der Versuch beendigt. Das Maximalthermometer unterhalb der Rolle stand auf 97" C, dasjenige oberhalb derselben auf 98" C. Die Rolle war wiederum durchweg feucht. — Die zwischen ihren verschiedenen Schichten eingewickelt gewesenen Maximalthermometer zeigten von außen nach innen gerechnet: 98,5" C, 98" C, 98,5" C, 98,5" C, 96,5" C, 98" C und endlich das m der Mitte befindliche ebenfalls 98" C. Letzteres war von der Peripherie des Ballens durch 105 Windungen doppelter Packleinewand getrennt gewesen. Selbstverständlich war auch in diesem Versuche, um das direkte Eindringen des Dampfes von unten her möghchst zu erschweren, die Rolle sehr fest gewickelt und mehrfach fest umschnürt. Die sieben Proben von Gartenerde, welche neben den Quecksilber kugeln der Thermo- meter innerhalb des Ballens sich befunden hatten, zeigten auf Nährgelatine ausgesät am folgenden Tage noch keine Spur von Bakterienentwicklung, während in der Kontrolle bereits das üppigste Wachstum fast von jedem einzelnen Erdbröckelchen aus zu beobach- ten war. Auch in den folgenden Tagen erwiesen sich die Erdproben vollständig sterili- siert bis auf diejenige, welche in der Mitte des Ballens und diejenige, welche der Mitte zunächst gelegen hatte. Aus ersterer entwickelten sich einige Kolonien unseres bekannten kurzen dicken Bazillus, aus letzterer auf dem ganzen Objektträger nur zwei vereinzelte Bazillenkolonien. " Auch in diesem Versuch also hatte im innersten Teile des Ballens die Hitze noch nicht genügend lange eingewirkt, um sämtliche BaziUensporen zu töten; jedenfalls aber hatte doch der Wasserdampf selbst die umfangreiche Packleinewandrolle vollständig durchdrungen und ist demnach die Vermutung auch hier durchaus gerechtfertigt, daß sämtliche Erdproben sterihsiert gewesen sein würden, wenn der Wasserdampf die Temperatur von 100" C statt von 97" bis 98" C gehabt hätte. Die beiden letzten Versuche gestatteten uns demnach keinen weitergehenden Schluß, als daß höchstwahrscheinlich in besser konstruierten Apparaten eine ausreichende Desinfektionswirkung zu erzielen sein würde. Wir mußten namentlich aus dem Umstände, daß in dem Vorversuch eine Steigerung der Wärmezufuhr durch Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 377 vier weitere Gasflammen eine merkliche Zunahme der Temperatur im Apparat nicht erzielt wurde, abnehmen, daß der Apparat unter ^llen Umständen wegen der mangel- haften Konstruktion, namentlich wegen der undichten Verbindung zwischen dem Koch- gefäß und dem Aufsatzzylinder, sowie wegen des geringen Schutzes seiner Außenwand gegen Wärmeabgabe, soviel an Wärme verlor, daß der aus dem kochenden Wasser mit 100*^ C aufsteigende Dampf schon in geringer Entfernung von der Wasserfläche immer nur höchstens gegen 97° bis 98" C behalten konnte. Eine weitere Verbesserung des Appa- rates ließ sich wegen der provisorischen Einrichtung desselben nicht wohl anbringen, aber es lag eine andere Möglichkeit vor, die Temperatur selbst in diesem unvollkommenen Apparat auf die zur vollen Desinfektionswirkung nun eüamal unumgänglich notwendigen 100** C zu bringen. Es war nämUch nur erforderlich, den von der Wasserfläche aufsteigen- den Dämpfen eine höhere Anfangstemperatur als 100" C zu geben, z. B. 105" C. Wenn dann auch durch die in der Konstruktion des Apparates begründete unvermeidliche Abkühlung 3" C bis 5° C verloren gingen, so blieben immer noch 100" G oder darüber zur Verfügung, also soviel, wie zur Desinfektion verlangt werden muß. Um den ent- wickelten Dämpfen in einem auf höhere Dampfspannungen nicht eingerichteten Appa- rate eine Temperatur zu geben, welche diejenige des siedenden Wassers übersteigt, gibt es ein einfaches Auskunftsmittel, welches darin besteht, daß statt des Wassers Salz- lösungen, welche einen höheren Siedepunkt als dieses besitzen, angewendet werden. Im l^ehrbuch der physikalischen und theoretischen Chemie von B u f f, Kopp und Z a m m i n e r^) finden sich folgende Sätze: ..Lange Zeit hat man geglaubt, daß die Temperatur der au* kochenden Salzlösungen sich entwickelnden Dämpfe genau gleich der des Dampfes sei, welcher aus reinem, unter demselben Druck normal kochenden Wasser aufsteigt; es ist indessen jetzt außer Zweifel gesetzt, daß die Temperatur dieser Dämpfe, wenn jegliche Abkühlung derselben vermieden wird, der der siedenden Flüssig- keit gleich ist." Eingehende Versuche über die Temperatur von Dämpfen, die aus Salzlösungen entwickelt werden, hat Magnus-) angestellt und dabei gefunden, daß diese Dämpfe allerdings die Temperatur der siedenden Salzlösung nicht ganz erreichen, aber immerhin erheblich heißer sind als die aus reinem Wasser entwickelten Dämpfe. Aus einer Chlor- kalziumlösung, welche eine Siedetemperatur von 107,0" C hatte, erhielt Magnus Dämpfe von 105,25"C und aus einer Lösung von 116, 0"C Siedetemperatur 111,2" C heißen Dampf. Mit Berücksichtigung dieser Tatsachen machten wir folgenden Versuch. 3. Versuch. Das Kochgefäß des Apparates wurde mit 401 25proz. Kochsalz- lösung gefüllt und mit 30 Gasflammen geheizt. Im Innern des Aufsatzrohres wurde die nämliche Rolle von Packleine wand, welche in den früheren Versuchen benutzt war, befestigt. Dieselbe hatte nach dem Aufrollen genau dieselben Maße wie früher, nämlich 50 cm Länge und 40 cm Durchmesser, so daß ringsum zwischen Rolle und Innenwand des Apparates noch 5 cm freier Raum blieb, durch welchen die Dämpfe ungehindert nach oben passieren konnten. Beim Aufrollen der Packleinewand war in die Mitte ein Maximalthermometer und ein Päckchen von Filtrierpapier, welches sporenhaltige Garten- erde enthielt, gelegt und in gleicher Weise je ein Thermometer und ein Päckchen nach 15, 30, 45, 60, 75, und 90 Windungen; danach kamen noch 5 Windungen, welche das letzte Thermometer von dem Dampf trennte. Oben auf der Rolle wurde ferner noch ein Maximalthermometer frei aufliegend und ebenso an der unteren Seite der Rolle ein Thermometer befestigt. Diese untere Fläche der Rolle blieb, nachdem der Aufsatz auf das Kochgefäß gestellt war, 70 cm von der Oberfläche der Salzlösung entfernt. ') 1. Abteilung, p. 214. ^) Gmelin-Kraut, Handbuch der anorganischen Chemie, Bd. I, p. 570. 378 Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. Der Barometerstand betrug zurzeit des Versuches 762 mm. Die Temperatur im Versuchsraum stieg aUmählich bis 32" und zuletzt bis 35" C. Innerhalb einer Stunde erreichte die Temperatur, im Innern des Helms gemessen, 92" C. Eine halbe Stunde später war sie auf 97" gestiegen, nach weiteren 10 Minuten auf 99" C. Nachdem der Apparat im ganzen 2 14 Stunden im Gange gewesen war, zeigte ein in Fünftelgrad geteiltes Normalthermometer genau 100" C, und bei dieser Temperatur blieb es, bis nach einer im ganzen dreistündigen Dauer der Versuch unterbrochen wurde. Ehe wir das Resultat dieses Versuches berichten, haben wir noch zu bemerken, daß die zur Verwendung gekommenen Maximalthermometer vorher bei 100" C miteinander verglichen wurden; die dabei gefundenen Zahlen bewegten sich zwischen 99" und 101,5" C. In den nachfolgenden Temperaturangaben ist diese Differenz der einzelnen Thermo- meter mit in Rechnung gebracht. Das Thermometer, welches an der unteren Fläche der Rolle befestigt gewesen und also 70 cm von der Oberfläche der siedenden Salzlösung entfernt gewesen war, zeigte 105,3" C, das Thermometer oberhalb der RoUe 102" C. Im Innern der Rolle hatten die Thermometer folgende Temperaturen, und zwar von innen nach außen: In der Mitte .... Nach 15 Windungen 30 45 60 75 90 101,0" C 101,0" c 101,0" c 101,0" c 101,0" c 101,5" C 101,5" C Die in den Päckchen befindliche Erde wurde auf Nährgelatine gebracht und zu gleicher Zeit von derselben, aber nicht erhitzten Erde zur Kontrolle ein Kulturpräparat angefertigt. Im letzteren waren schon am folgenden Tage eine große Zahl von BazUlen- kolonien zur Entwicklung gekommen. In sämtlichen Erdproben dagegen, welche in der Packleinewandrolle gewesen waren, auch in der in der Mitte gelegenen, hatte nicht eine einzige BaziUenspore ihre Entwicklungsfähigkeit behalten. Das Ergebnis dieses Versuches hatte also vollständig unseren Erwartungen ent- sprochen und es war hier zum ersten Male gelungen, ein, wie sich bei allen früheren Versuchen herausgestellt hatte, sehr schwer zu bewältigendes Desinfektionsobjekt in allen seinen Teilen zu desinfizieren, und dies mit Hilfe eines höchst mangelhaft konstruierten Apparates. Um die Bedeutung dieses Resultates in das richtige Licht zu setzen, lassen wir hier noch eine Zusammenstellung der Desinfektions versuche mit heißer Luft und der- jenigen mit Wasserdampf an demselben Objekt, der mehrerwähnten Rolle von Pack- leinewand, folgen: Tempe- ratur Versuchs- dauer Erreichte Temperatur nach Zahl der Windungen Desin f ektionserf olg 20 40 100 Wirkung der heißen Luft 130—140« 4 Stunden 86« 72» unter 70» Nach dem Stand der Temperatur zu ur- teilen, hat keine des- infizierende Wirkung stattgefunden "Wirkung desWasserdampf es 90—105,3° 3 Stunden 101» 101» 101,5« Vollständiger Erfolg Versuche über die Verwertbarkeit heißer Wasserdämpfe zu Desinfektionszwecken. 379 Der Zweck, welchen wir bei der letzten Versuchsreihe im Auge gehabt hatten, mit einem einfach konstruierten Apparat die ausgezeichnete desinfizierende Wirkung des heißen Dampfes an einem größeren Probeobjekt auf ihre praktische Verwendbarkeit zu prüfen, war soinit erfüllt. Das überaus günstige Resultat, welches wir erhalten haben, kann darüber keinen Zweifel mehr bestehen lassen, in welcher Weise zukünftig die Hitze für die Desinfektion auszunutzen ist. Die jetzt übliche Form der Hitzedesinfektion, welche in der Erwärmung von Luft durch geschlossene Dampfleitungen besteht, hat sich als sehr unzuverlässig erwiesen. Alle Objekte, welche nur einigermaßen erheblichere Dimensionen besitzen, welche aufgeschichtet oder zusammengehäuft in den Apparat gebracht werden müssen, ferner solche, welche feucht sind, können mit diesem Verfahren überhaupt nicht desinfiziert werden. Dazu kommt, daß dasselbe eine komplizierte und kostspielige Einrichtung verlangt. In bezug auf desinfizierende Wirkung würden Apparate mit gespannten Wasser- dämpfen von Temperaturen über 100" G schon erheblich mehr leisten. Im übrigen bieten sie aber dieselben Mißstände wie die erstgenannten Apparate. Bei weitem übertroffen, was Leistung in der Desinfektion, Einfachheit und Billigkeit der Einrichtung und des Betriebes betrifft, werden beide Verfahren unstreitig von dem von uns in unserer letzten Versuchsreihe geprüften Verfahren mit Dämpfen kochenden Wassers, welche vor Abkühlung so geschützt werden, daß sie ihre Temperatur von 100° C behalten oder deren Temperatur durch die Verwendung von Salzlösungen so erhöht wird, daß der Wärme verlust sie nicht unter lOO*^ C herabgehen läßt. Die Beschädigung der Objekte selbst durch die Hitzewirkung ist beim Verfahren mit trockener Hitze ebenso und fast größer als bei der Desinfektion nnt Wasserdampf, und es kann auch in dieser Richtung kein Vorzug in der Desinfektion mit trockener Hitze gefunden werden. Es ist also unter allen Umständen überall d a, w o d i e Hitze zur Desinfektion ü b e r h a u j) t a n w e n d b a r ist, d a s V e r f a h r e n m i t W a s s e r d a m p f und zwar i n A p p a r a t e n, w e 1 c h e den in unse- ren letzten Versuchen b e n u t z t e n ä h n 1 i c h s i n d, allen ande- ren Methoden der H i t z e d e s i n f e k t i o n vorzuziehen. Berlin, im April 1881. Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. ) Von Dr. R. Koch,^) Geh. Med.-Rat. Die unter dem 11. Juli 1883 erlassene königlich preußische „Instruktion zur Des- infektion von Seeschiffen, welche gemäß der §§ 8, 9 und 10 der Verordnung vom 5. Juli 1883, betreffend die gesundheitspohzeiliche Kontrolle der einen preußischen Hafen an- laufenden Seeschiffe, zu desinfizieren sind", schreibt in § 6 vor, daß die Desinfektion des Kielraumes mit seinem Inhalte durch Sublimat zu geschehen hat, und enthält zugleich eine ausführliche Anweisung über die Art und Weise, wie die Desinfektion zu be- wirken ist. Die Grundlage für diese in dem § 6 gegebenen Instruktionen haben umfassende Vorarbeiten gegeben, welche unter Beteihgung des vortragenden Rates im Königlich Preußischen Ministerium für Medizinal-Angelegenheiten, Herrn Geh. Ober-Reg.-Rat Dr. Eulenberg, sowie des Generalarztes der Kaiserlichen Marine, Herrn Dr. Wenzel, vom Gesundheitsamte ausgeführt worden sind, und welche ihren Abschluß in den nach- stehend mitgeteilten, an zwei Schiffen der Kaiserlichen Marine angestellten Versuchen gefunden haben. — Die ausführliche Beschreibung dieser bereits im November 1881 aus- geführten Versuche, deren Publikation durch äußere Umstände bisher verhindert war, dürfte auch heute noch für die beteiligten Kreise von Interesse sein. Die im Anfange dieses Jahrzehnts mit Hilfe exakterer Methoden im Gesundheits- amte gewonnenen Erfahrungen über die Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln hatten keinen Zweifel darüber gelassen, daß die bis dahin zur Desinfektion des Kielraumes von Schiffen bzw. des Bilgewassers benutzten Desinfektionsmittel den an sie zu stellenden Anforderungen nicht zu genügen vermögen, daß insbesondere Eisenvitriol und Zink- chlorid nur sehr geringe desinfizierende Wirkung äußern, daß die schwefelige Säure sehr unsicher wirkt und außerdem den Verhältnissen der Schiffsdesinfektion nicht angepaßt werden kann, und daß schließlich die Karbolsäure erst in einer Konzentration sicher desinfiziert, welche ihre Anwendung viel zu kostspielig machen würde. Es war daher notwendig, sich nach einem Ersatz für die als unzureichend erlvannten bisher benutzten Desinfektionsmittel umzusehen. Von den wenigen Mitteln, welche sich bei der Prüfung einer großen Reihe von Substanzen auf ihre desinfizierenden Eigenschaften als wirksam erwiesen hatten, konnte für den vorliegenden Zweck überhaupt nur das Subhmat in Frage kommen. Gasförmige Desinfektionsmittel erschienen von vorn- ■) Aus Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1886, Bd. I, Berhn. ^) Zusammen mit Reg. -Rat Dr. Gaffky. Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 381 herein nicht verwendbar, da es sich ja nicht nur um Desinfektion des Bilgeraums, son- dern auch des Bilgewassers handelte. Was zunächst die Desintektionswirkung betraf, so war durch zahlreiche Versuche erwiesen, daß das Sublimat in dieser Beziehung den anderen Desinfektionsmitteln weit überlegen ist. Andererseits konnten die giftigen Eigenschaften des Mittels, welche unter manchen anderen Umständen seine Verwendung bedenkhch erscheinen lassen, für den vorliegenden Fall nicht von Bedeutung sein, weil stets hinreichende Wassermengen zur Entfernung des Desinfektionsmittels nach geschehener Desinfektion zu Gebote stehen und die unschädliche Beseitigung der quecksilberhaltigen Flüssigkeiten. Niederschläge usw. keine wesentlichen Schwierigkeiten verursachen kann. Außerdem bot das Sublimat noch folgende beiden wesentlichen Vorzüge : zunächst beansprucht die Ausrüstung eines Schiffes mit dem erforderlichen Vorrat des Mittels keinen erheblichen Raum, da selbst unter ungünstigen Verhältnissen sehr kleine Mengen von Sublimat zur Desinfektion eines Schiffes genügen. Sodann konnte ein sehr einfaches Prüfungsverfahren für die genügende Wirkung der Sublimatdesinfektion angegeben werden, welches selbst in der Hand eines Laien sichere Resultate ergibt. Für die praktische Verwendung des Sublimats zur Desinfektion ist nämhch wohl zu beachten, daß die experimentell gefundenen Zahlen, welche die untere Grenze der desinfizierenden Wirkung angeben, sich auf solche Verhältnisse beziehen, in welchen die in der Lösung befindliche Menge des Desinfektionsmittels unverkürzt zur Geltung kommen muß. Andere Verhältnisse werden auch andere Konzentrationen des Desinfektionsmittels erfordern. Namentlich wird das der Fall sein, wenn Flüssigkeiten mit Sublimat desinfiziert werden sollen, welche reich an Eiweißkörpern oder an Schwefelwasserstoff und anderen, mit Quecksilbersalzen unlösliche Verbindungen emgehenden Stoffen sind. Als Maßstab, um auch für diese komplizierteren Verhältnisse ein Urteil über die perfekt gewordene Desinfektion zu gewinnen, kann nun gelten, daß der zu desinfizierenden Flüssigkeit soviel Sublimat zuzusetzen ist. daß sie mindestens 1 : 5000 freies Sublimat in Lösung enthält, weil nach zahlreichen Versuchsresultaten bei diesem Sublimatgehalt die Ver- nichtung aller Mikroorganismen und ihrer Keime in wenigen Stunden gesichert ist. Ol) die mit Sublimat versetzte Flüssigkeit in Wirklichkeit einen Gehalt von 1 : 5000 Sublimat in Lösung besitzt, läßt sich sehr leicht durch das Eintauchen eines mit Schmirgelpapier blank geputzten Streifchens Kupferblech feststellen. Aus mehreren nach dieser Richtung angestellten Versuchsweisen ergab sich nämlich, daß ein in der angegebenen Weise prä- parierter Kupferstreifen in einer subhmathaltigen Flüssigkeit innerhalb einer halben Stunde bei einer Konzentration von 1 : 5000 noch eine sehr deutliche blaugraue Färbung durch den an der Oberfläche sich bildenden Quecksilberniederschlag zeigt. Bei 1:10 000 wurde diese Reaktion undeutlich. Jedenfalls geht man ziemlich sicher in der Annahme, daß, wenn die Reaktion innerhalb einer halben Stunde deutlich eintritt, mindestens 1 : 5000 Sublimat sich in Lösung befindet. Ein Beispiel möge zur Illustration dieser Verhältnisse dienen: Drei Flüssigkeiten, nämlich Wasser aus der Panke (in seiner Beschaffenheit einem ziemlich stark verunreinigten Rinnsteinwasser vergleichbar ). Kielwasser aus einem Schiffe und faulendes Blut wurden so lange mit Sublimatlösung versetzt, bis die Reaktion am Kupferblech eintraf. Das Pankewasser erforderte hierzu 1 : 2000. das Kielwasser 1 : 1000. das faulende Blut 1 : 400 Sublimat. In allen drei Flüssigkeiten war, sobald die erwähnte Reaktion eintrat, jeder Ge- ruch nach Schwefelwasserstoff und Ammoniak vollständig geschwunden; es bildete sich ein mehr oder weniger reichlicher Niederschlag, über welchem eine schwach getrübte Flüssigkeit stand. Innerhalb der nächsten acht Tage (so lange wurde die Beobachtung 382 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. fortgesetzt) blieben die Flüssigkeiten unverändert. Von Zeit zu Zeit aus denselben ent- nommene Proben vom Niederschlag oder von der Flüssigkeit enthielten, wie die Aussaat auf Nährgelatine bewies, keine entwicklungsfähigen Organismen. Da zu erwarten war, daß das Bilgewasser eine wechselnde Beschaffenheit haben würde, so wurden zunächst noch mehrere Desinfektionsversuche mit Subhmat an ver- schiedenen Bilgewasserproben, welche von der Marinestation Kiel zur Verfügung ge- stellt waren, im Laboratorium ausgeführt. Das Resultat dieser Versuche war, daß in allen Fällen ein Zusatz von einem Teile Sublimat auf 1000 Teile Bilgewasser zur voll- ständigen Desinfektion genügte. Die im Vorstehenden kurz wiedergegebenen Erwägungen und Laboratoriumsver- suche konnten keinen Zweifel darüber lassen, daß die Sublimatdesinfektion für den Kielraum von Schiffen und dessen Lihalt die einzige von allen zurzeit zu Gebote stehenden Arten der Desinfektion sei, welche ihrem Zwecke entspricht. Auch mußte sie unter den gegebenen Verhältnissen als durchführbar erscheinen. Bevor jedoch das genannte Des- infektionsverfahren zur Anwendung in der Praxis vorgeschlagen werden konnte, erschien es unerläßlich, seine Ausführbarkeit imd Zuverlässigkeit auch noch durch Versuche im großen, d. h. an dazu geeigneten Schiffen zu prüfen. Uber den Verlauf dieser Versuche, welche in der Zeit vom 13. bis 20. November 1881 in Wilhelmshaven angestellt worden sind, soll nunmehr berichtet werden. Von der Kaiserlichen Admiralität waren zwei Schiffe der Kriegsmarine, die Glatt- deckskorvette Freya, ein Holzschiff von 1663 Tonnen Gehalt, und das Kanonenboot I. Ivlasse Hyäne, ein Eisenschiff von 428 Tonnen Gehalt, zu den Desinfektionsversuchen bestimmt. Beide Schiffe, welche kurz vorher von einer langen Seereise zurückgekehrt waren, lagen abgerüstet im Bauhafen der kaiserlichen Werft zu Wilhelmshaven. Auf den Gang der Versuche, .welche sich der gestellten Aufgabe gemäß nur auf die Desinfektion des Kielraums beschränkten, mußten folgende Erwägungen von wesent- lichem Einflüsse sein. Zunächst handelte es sich darum, ob die Versuche in der Weise angestellt werden sollten, daß der vorhandene flüssige und schlammige Inhalt des Bilgeraums im Schiffe zu desinfizieren und dann, nachdem derselbe unschädlich gemacht, aus dem Schiffe zu entfernen sei; oder in der Weise, daß das Kielwasser zuerst auszupumpen und danach der leere Kielraum zu desinfizieren sei. In den meisten Fällen wird es ohne Zweifel zu- lässig sein, vor der eigentlichen Desinfektion eines Schiffes den Inhalt des Kielraumes so viel als möglich zu beseitigen. Andererseits sind aber auch Verhältnisse denkbar, unter denen das Einlassen des Kielwassers aus einem infizierten Schiff in das Wasser eines Hafens oder dessen Nachbarschaft von den bedenklichsten Folgen sein könnte. Außerdem ist es für die Desinfektion die schwierigere Aufgabe, das Kielwasser im Schiffe zu des- infizieren und es schließt diese Aufgabe zugleich diejenige der Desinfektion des Kiel- raumes ein. Deswegen müssen Versuche über die Wirksamkeit eines Mittels zur Schiffs- desinfektion so angestellt werden, daß der gesamte Inhalt des Kielraumes zu desinfi- zieren ist. Eine der wichtigsten Fragen bei der Desinfektion des Kielraumes ist die, in welcher Weise das Desinfektionsmittel mit dem Bilgewasser gleichmäßig vermengt und in alle Teile und Winkel des Kielraumes gebracht werden soll. Wenn das Schiff sich auf hoher See befindet oder auch vor Anker, aber in bewegtem Wasser liegt; dann wird die Mischung des Desinfektionsmittels mit dem Bilgewasser sehr viel weniger Schwierigkeiten machen, als in einem vollkommen ruhig liegenden Schiffe. Die Bewegungen des Schiffes werden es mit sich bringen, daß das hin und herströmende Bilgewasser sich allmählich immer Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 383 gleichmäßiger mit der Desinfektionsflüssigkeit, welche an verschiedenen Stellen in den Bilgeraum gegossen und einigermaßen durch Umrühren darin verteilt wurde, mischt und schließlich auch in alle Abteilungen des Kielraumes gelangt. Ganz anders verhält es sich, wenn die Eigenbewegungen des Schiffes dem Mischen der Flüssigkeiten nicht zu Hilfe kommen; dann läßt sich von vornherein wohl annehmen, daß ein einfaches Ein- gießen der Desinfektionsflüssigkeit in das Bilgewasser und Umrühren des letzteren zur hinreichenden Mischung und Verteilung im Kielraum nicht genügen wird. Die beiden Versuchsschiffe lagen in einem fast vollkommen ruhigen Wasser und hatten nicht die geringste Bewegung. Es war daher notwendig, besondere Vorkehrungen zur Vermischung des Desinfektionsmittels mit dem Kielwasser zu treffen, und zwar schien es zweckmäßig, verschiedene Arten der Mischung zu versuchen, um zu erfahren, welche die beste sei. Mit Rücksicht hierauf wurde in zwei Versuchen die Mischung in der Weise bewerkstelligt, daß vom tiefsten Standpunkte des Kielwassers, also vom Hinter- teil des Schiffes vermittels eines kleinen Pumpwerkes das Kielwasser in einem Schlauch über das Deck hinweg nach dem Vorderteil des Schiffes geschafft wurde, wo der Kielraum eben aufhört vom Kielwasser bespült zu werden. Es war dafür Sorge getragen, daß die Schleusen, durch welche die einzelnen wasserdicht abgeschlossenen Abteilungen des Schiffes miteinander kommunizieren, so weit als möglich geöffnet waren. Auf diese Weise mußte das nach vorn gepumpte Kielwasser im Kielraum zurückströmen und denselben in allen seinen Teilen bespülen. Wenn nun das Desinfektionsmittel in den Kielraum all- mählich, und zwar in das aus dem Pumpenschlauch mit einiger Gewalt ausströmende Kielwasser eingegossen wurde, so konnte es sich hier sofort mit demselben vermischen und es ließ sich wohl annehmen, daß, nachdem das Pumpen eine nicht zu kurze Zeit fortgesetzt und das Kielwasser dadurch in emer gleichmäßigen Zirkulation erhalten war, auch die Mischung in möglichst ausgiebiger Weise bewirkt und das Desinfektionsmittel in alle Teile des Kielraums gedrungen sein mußte. Eine zweite Methode der Einführung des Desinfektionsmittels in den Kielraum ließ sich allerdings nur nach Entleerung des letzteren in der Weise bewirken, daß man frisches Wasser solange einströmen ließ, bis es den früheren Stand des Kielwassers er- reichte oder diesen noch um ein geringes übertraf, und an der Eintrittsstelle dem strö- menden Wasser die Desinfektionsflüssigkeit allmählich zusetzte. Die ersterwähnte Methode wurde in den beiden ersten, die zweite im letzten Ver- suche angewendet. Die Zeit, während welcher das Desinfektionsmittel im Schiffsraum bleiben sollte, hätte nach Maßgabe der im kleinen angestellten Vorversuche ziemlich kurz bemessen werden können, etwa eine Stunde oder noch weniger. Da es aber vor allen Dingen darauf ankam, erst einmal festzustellen, ob überhaupt eine Desinfektion des Bilgeraums und seines Inhalts mit Sublimat zu erzielen ist, so wurde, um möglichst sicher zu gehen, das Desinfektionsmittel eine längere Zeit im Schiffsraum gelassen. In dem einen Versuch bheb es absichthch solange darin, bis die Überzeugung von der gelungenen Desinfektion gewonnen war, damit im Falle des Mißlingens nach dem einmaligen Zusatz des Subli- mats eventuell die Dosis hätte gesteigert werden können. Da Sublimat leicht von heißem Wasser gelöst wird, so schien es am einfachsten, dasselbe in wäßriger Lösung, welche ungefähr 6 bis 7% des Mittels enthielt, anzuwenden. Zur Bestimmung der dem Kielwasser beizumengenden, zur Desinfektion erforder- lichen Sublimatmenge sollte die oben beschriebene Probe mittels eines Streifens Kupfer- blech benutzt werden. Selbstverständlich mußte auch hier durch einen Vorversuch mit einem abgemessenen Quantum des Kielwassers die Menge des Sublimats festgestellt werden, welche erforderlich war, damit die Reaktion am Kupferblech eintrat. 384 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. Um die desinfizierende Wirkung des Sublimats auf den Kielraum zu kontrollieren, wäre es nicht ausreichend gewesen, sich auf den Nachweis von entwicklungsfähigen Mikroorganismen im Bilgewasser und die durch den Zusatz des Desinfektionsmittels gelungene Tötung derselben zu beschränken, weil es sehr wohl möglich war, daß das fragliche Bilge wasser nur solche Mikroorganismen enthielt, welche an und für sich schon sehr leicht zu töten waren, und dann die gelungene Desinfektion dieses Wassers noch keine Gewähr dafür leisten konnte, daß unter denselben Verhältnissen auch alle übrigen Mikroorganismen vernichtet sein würden. Es war deswegen notwendig, solche Keime, welche als besonders resistent bekannt sind, in den Kielraum zu legen und an diesen die Wirkung des Desinfektionsmittels zu prüfen. Am widerstandsfähigsten gegen die verschiedensten physikalisch und chemisch wirkenden Desinfektionsmittel hatten sich bis dahin die in gewöhnlicher Gartenerde in großer Zahl vorhandenen Bazillensporen erwiesen und es wurden diese daher als Desinfektionsproben benutzt. Eine für mehrere Versuche zur Prüfung auf die Entwicklungsfähigkeit dieser Sporen hinreichende Menge Erde, ungefähr ein halbes Gramm, wurde in eine aus Filtrierpapier gefertigte kleine Kapsel gefüllt, letztere mit einem Faden umwickelt, damit sie vom Wasser nicht auf- geweicht werden konnte, und so an einem Stückchen Holz durch einen zweiten Faden befestigt. Nach geschehener Desinfektion sollte die in den Kapseln enthaltene Erde, um zu erkennen, ob die in ihr enthaltenen Bazillensporen noch entwicklungsfähig geblieben oder getötet waren, auf Nährgelatine ausgestreut werden. Hierbei war jedoch zu bedenken, daß der Erde eine nicht geringe Menge von sublimathaltigem Bilgewasser anhaftete, welches, auch wenn die Sporen noch entwicklungsfähig waren, letztere vermöge des Sublimatgehaltes in ihrem Wachstum behindern und so den Anschein erwecken konnte, als seien sie vernichtet. Aus diesem Grunde war es erforderlich, bevor die Erde auf die Nährgelatine gebracht wurde, sie von dem für das Erkennen der Entwicklungsfähigkeit der Sporen störenden Sublimatgehalt zu befreien. Durch Vorversuche, welche im Labo- ratorium des Gesundheitsamtes ausgeführt waren, hatte sich ergeben, daß zu diesem Zwecke am besten absoluter Alkohol zu verwenden ist. Derselbe entfernt, wenn die Erdprobe mehrere Stunden lang damit behandelt wird, das Sublimat vollständig, bewirkt außerdem, daß die Erde wieder ganz trocken wird und sich leicht auf die Nährgelatine ausstreuen läßt, und hat auf die Entwicklungsfähigkeit der Bazillensporen nicht den geringsten nachteiligen Einfluß. Als Nährboden wurde die bekannte Fleischwasser-Pepton- Gelatine benutzt. In der angedeuteten Weise wurde mit sämtlichen bei den Desinfektionsversuchen benutzten Erdproben verfahren. Selbstverständlich gingen neben dem eigentlichen Desinfektions- versuch Kontroll versuche mit Proben her, welche teils eine ziemlich lange Zeit im Becher- glas in sublimatfreiem oder sublimathaltigem Bilgewasser gelegen hatten, teils ohne jede anderweitige Einwirkung geblieben waren. Das Kielwasser selbst wurde ebenfalls mit Hilfe von Nährgelatine in bezug auf das Vorhandensein resp. die Vernichtung entwick- lungsfähiger Organismen geprüft. Die Veränderungen, welche das dem Kielwasser zugesetzte Sublimat an Holz- und Metallteilen des Schiffes und an der Pumpe bewirkte, ließen sich, da namentlich auch durch die chemische Untersuchung die nach der Desinfektion und Spülung des Kielraums in dem Schiffsmaterial zurückbleibenden Quecksilbermengen zu bestimmen waren, nicht wohl in einer anderen Weise untersuchen, als daß Stücke von Holz, Me- tallen, Leder, Kautschuk in den Kielraum gelegt \^urden, während der Desinfektion darin bheben, um schheßlich die daran stattgefundenen Veränderungen festzustellen. Weil in dem Kielraum wohl nur solche metallene Gegenstände vorhanden sind, welche oxydierte Oberflächen besitzen, und Holz, Leder usw. sich in feuchtem Zustande Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeravuns von Schiffen. 385 befinden, so waren auch die Proben so auszuwählen, daß sie eine dementsprechende Be- schaffenheit hatten. Außer diesen Proben sollten auch noch solche vom Schlamm des Kielraums nach Beendigung der Desinfektion und Spülung, sowie Wasser, welches einige Zeit nach der letzten Spülung im Kielraum gestanden, und solches, welches die Pumpe nach Beendigung der Versuche passiert hatte, gesammelt und der chemischen Untersuchung auf etwa vorhandenen Quecksilbergehalt unterworfen werden. Jeder einzelne Desinfektionsversuch sollte demnach folgenden Verlauf haben: Vorversuch zur Bestimmung der zum Kielwasser zu gebenden Sublimatmenge bis zum Eintritt der Reaktion am Kupferblech. Auflösen einer entsprechenden Menge von Sublimat in heißem Wasser. Zirkulierende Bewegung des Kielwassers durch Pumpen (eventuell Einströmen frischen Wassers in den leer gepumpten Kielraum), allmähliches Eingießen der Sublinu\t- lösung in das fließende Kielwasser und fortgesetztes Pumpen bis zum Eintritt der Kupfer- blechreaktion in den von verschiedenen Stellen des Kielraums entnominenen Wasser- proben. Einlegen der Erdproben an verschiedenen Stellen des Kielraums, der Proben von verschiedenen Metallen, Kautschuk, feuchtem Leder und Holz an der tiefsten Stelle des Kielwassers. Am folgenden Tage nochmalige Untersuchung des Kielwassers auf Quecksilber- gehalt mit Kupferblech, dann Entnahme je einer Erdprobe aus den verschiedenen Ab- teilungen des Kielraums. Mehrstündiges Behandeln der Erdproben mit absolutem Alkohol; Untersuchung der Erde und von Tropfen des desinfizierten Kielwassers mit Hilfe von Nährgelatine. Anfertigung von Kontrollpräparaten mit nicht desinfiziertem Kielwasser und Erde. Am dritten Tage mikroskopische Untersuchvnig der Desinfektionsproben (Erde, Kielwasser) und der zugehörigen Kontrollpräparate; Entnahme einer zweiten Reihe von Erdproben aus dem Kielraum und Behandlung derselben in der angegebenen Weise. Am vierten Tage nochmalige Untersuchung der nükroskopischen Präparate. Nach gelungener Desinfektion, Auspumpen des Kielwassers und Einlassen von reinem Wasser in den Kielraum ; mit mehrstündigen Pausen viermalige in derselben Weise ausgeführte Spülung des Kielraums. Am fünften Tage Entnahme von Wasser und Schlamm aus dem Kielraum zur chemischen Untersuchung und der Proben von Holz, Metall, Leder, Kautschuk. Be- sichtigung der letzteren mid Überweisung zur chemischen Untersuchung. Nach Beendigung sämtlicher Desinfektions versuche Durclileitung von reinem Wasser durch die dabei benutzte Pumpe und Entnahme einer Probe des Wassers zur chemischen Untersuchung; endlich Auseinandernehmen der Pumpe und Prüfung der- selben auf etwa eingetretene Veränderungen. Es erschien zweckmäßig, beide Schiffe nicht gleichzeitig zu desinfizieren, sondern zuerst einen Versuch auf dem Holzschiff Freya auszuführen, dessen Kielraum leichter zugänglich war, um die bei diesem ersten Versuche gewonnenen Erfahrungen bei dem folgenden verwerten zu können. Dieser Entschluß bewährte sich in der Folge auch als sehr vorteilhaft, da der erste Versuch auf der Freya aus später zu erwähnenden C4ründen nicht vollkommen nach Vorschrift des aufgestellten Programms verlief, dagegen der zweite auf der Hyäne angestellte Versuch unter Vermeidung der nunmehr erkannten Fehler in der Versuchsanordnung ganz korrekt nach dem Programm ausgeführt werden konnte. Von den beiden Hauptversuchen ist deswegen aucli nur der zweite als maß- gebend zu erachten und soll in der nachfolgenden Darstellung, um von vornherein ein Koch, Gesammelte Werke. 25 386 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. richtiges Bild eines vorschriftsmäßig verlaufenden Desinfektionsversuches zu geben, zuerst beschrieben werden. Der dritte Versuch auf der Freya bezweckte hauptsächlich, den ersten nicht ganz gelungenen Versuch zu ergänzen, daneben aber ein anderes Mischungsverfahren als das in den beiden ersten Versuchen befolgte, zu erproben. Da sich nun dieses Mischungs verfahren als unzureichend erwies, so läßt sich auch dieser Versuch nur teilweise verwerten. Versuch auf dem Kanonenboot Hyäne. — Die Menge des Kiel- wassers, welche ursprünglich auf 250 1 angegeben war, wurde durch nachträgliche Be- rechnung auf ungefähr 2000 1 bestimmt. Das an der tiefsten Stelle des Kielraums geschöpfte Kielwasser war trübe, von heller gelbbrauner Farbe, roch schwach nach ranzigem Fett und war von neutraler Re- aktion. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigten sich in demselben verhältnis- mäßig wenige Mikroorganismen. Auf Nährgelatine gebracht, ließ es zahlreiche Bakterien- kolonien in Form von blassen, mattglänzenden, runden Tröpfchen zur Entwicklung kommen, die sich bei starker Vergrößerung vorwiegend als aus kurzen schmalen Stäb- chen bestehend erwiesen. In einem Becherglas wurde zu 200 ccm dieses Kielwassers so lange von einer 10% Sublimatlösung hinzugefügt, bis die Quecksilberreaktion am blanken Kupferstreifen eintrat. Es war hierzu 1 ccm der Lösung, also 0,5 "/qq Sublimat, erforderlich. Auf die Gesamtmenge des Kielwassers berechnet, mußte demnach ungefähr 1 kg Sublimat zur Desinfektion verwendet werden. Damit die Proben von Holz und Leder in einem hinreichend feuchten Zustande sich befanden, bevor die sublimathaltige Flüssigkeit mit ihnen in Berührung kam, waren dieselben zugleich mit einem Stück Kupferblech und einem Stück rostigen Eisens am Tage vor Beginn der Desinfektion in das Kielwasser gelegt. Nachdem noch sämtliche Schleusen zwischen den einzelnen Kompartments ge- öffnet und damit eine ausreichende Kommunikation der verschiedenen Abteilungen des Kielraums hergestellt war, wurde am 15. November vermittels einer Pumpe das Kiel- wasser aus der Abteilung hinter dem Maschinenraum, wo dasselbe am tiefsten (25 cm) stand, über das Deck und drei Kompartments hinweg unter den Granatenraum geleitet. An der Stelle, wo das Kielwasser aus dem Pumpenschlauch ausströmte, hatte es nur noch 1 bis 2 cm Höhe. In den dazwischenliegenden Kompartments war an mehreren Punkten, wenn die Flurplatten entfernt wurden, der Kielraum ebenfalls zugänglich, und es konnte das Zurückfließen des Wassers vom Vorder- nach dem Hinterteile des Schiffes beobachtet und durch die Bewegung von hineingeworfenen Papierstückchen sichtbar gemacht werden. Bald nachdem die Zirkulation des Kielwassers begonnen hatte, wurde nach und nach 1 kg im Wasser gelöstes Sublimat unter dem Granatenraum eingegossen. LTngefähr 2 Stunden lang blieb das Pumpwerk in Gang. Einige Proben Kielwasser, welche an verschiedenen Stellen des Kielraumes geschöpft waren, zeigten schließlich am Kupferblech deutliche Quecksilberreaktion. Es ließ sich also annehmen, daß das Bilgewasser einen zur Desinfektion ausreichenden Sublimatgehalt besaß und auch gleichmäßg mit dem Desinfektionsmittel gemisccht war. Am Nachmittag des 15. November gegen 5 Uhr wurden alsdann in vier verschiedenen Kompartments Proben von sporenhaltiger Gartenerde in das Kielwasser gelegt, und zwar an jeder der vier Stellen drei Proben. Am folgenden Morgen (16. November) geschöpftes Kielwasser zeigte die Queck- silberreaktion fast noch ebenso stark wie am vorhergehenden Tage. Gegen 11 L^hr vor- mittags (also nach ca. 18 stündigem Liegen in dem sublimathaltigen Kielwasser) wurde Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 387 aus jedem der vier Kompart nieirts je eine Probe der Erde genommen, mit Alkohol be- handelt und auf Nährgelatine gestreut. Ebenso wurde auch das an diesem Morgen ge- schöpfte Kielwasser auf das Vorhandensein entwicklungsfähiger Mikroorganismen durch einen Kultur versuch auf Nährgelatine geprüft. Bis zum folgenden Morgen (17. November) hatten sich in den Kontroipräparaten sowohl aus der Gartenerde als auch aus dem Kielwasser (vor dem Desinfektionsversuch am 15. November geschöpft) zahlreiche Bakterienkolonien entv/ickelt; die aus dem Kielraum der Hyäne entnommenen Erdproben und das am 16. November geschöpfte Kielwasser dagegen hatten auf der Nährgelatine nicht das geringste Bakterienwachstum hervorgebracht. Auch am 18. November, also 48 Stunden nach der Aussaat, zeigten die letzteren Präparate keine einzige Bakterienkolonie, während die Kontrollpräparate von Bakterien wimmelten. Eine zweite Reihe von Erdproben, welche am 17. November (nach 42 stündigeih Liegen im Kielwasser) aus dem Schiff genommen und auf die Ent- wicklungsfähigkeit der Bazillensporen geprüft wurde, verhielt sich ebenso. Sämtliche Sporen waren getötet und es konnte danach keinem Zweifel unterliegen, daß die Des- infektion des Kieh'aums gelungen war. Am 18. November nachmittags wurde der Kielraum mit reinem Wasser zweimal und am 19. November in gleicher Weise zweimal gespült. Vom letzten Spülwasser wurden, nachdem es vier Stunden im Schiffe gestanden hatte, zwei Liter in reine Fla- schen gefüllt und zur chemischen Untersuchung auf Quecksilbergehalt bestimmt. Zu demselben Zwecke wurde Schlamm aus dem Kielräume der Hyäne entnommen. Die am 14. November in das Kielwasser gelegten Stücke von Holz, Metall und Kautschuk hatten sich ungefähr 72 Stunden lang in der sublimathaltigen Flüssigkeit und 24 Stunden im Spülwasser befunden. Sie zeigten sich bei der nunmehr vorgenom- menen Besichtigung teilweise mit fettigem Schlamm überzogen. Das Kupferblech hatte einen grauen Anflug, der sich mit dem Finger leicht abreiben heß. Darunter kam das Metall mit roter metallischer Fläche zvim Vorschein. An den Holz- und Kautschuk- proben ließ sich keine Veränderung wahrnehmen. Ebensowenig schien ein Stück rostiges Eisen sich verändert zu haben. Alle diese Proben wurden ebenfalls zur chemischen Unter- suchung aufbewahrt. Neben diesem Hauptversuche kamen noch folgende Neben versuche mit Kielwasser der Hyäne zur Ausführung. I. In zwei Bechergläser, von denen das eine Kielwasser mit einem Zusatz von 0,5"/oo Sublimat, das andere vor dem Desinfektionsversuche geschöpftes Kielwasser ent- hielt, wurden eine Nacht hindurch Proben von sporenhaltiger Erde gelegt. Das Resultat entsprach demjenigen des Hauptversuches; denn in der im sublimathaltigen Kielwasser gewesenen Probe waren sämtliche Sporen getötet, in derjenigen Erde dagegen, welche im sublimatfreien Kielwasser gelegen hatte, war ihre Entwicklungsfähigkeit ganz un- verändert geblieben. Dieser letzte Versuch beweist außerdem, daß der länger dauernde Aufenthalt im Kielwasser und die Behandlung mit Alkohol, welche diese Proben in der- selben Weise wie alle übrigen erfahren hatten, auf die Sporen keinen nachteiligen Ein- fluß ausübt. II. Bei einer Besichtigung der Maschinenpumpe auf der Hyäne fand sich im unteren Teile derselben noch ein mehrere Liter betragender Rest, von dem wahrschein- lich gegen Ende der Reise des Schiffes ausgepumpten Kielwasser. Dasselbe hatte einen intensiven Schwefelwasserstoffgeruch, färbte Bleipapier braun, war von trüber Be- schaffenheit, grauer Farbe und reagierte neutral. Mit dem Mikroskop waren nur sehr wenige Mikroorganismen darin nachzuweisen. Auch entwickelten sich auf Nährgelatine 388 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. nur wenige Bakterienkolonien. Zur deutlichen Quecksilberreaktion auf Kupferblech bedurfte es eines Zusatzes von 2**/^^ Sublimat. Sowohl in die mit 2^/^^ Sublimat versetzte als in die unveränderte Flüssigkeit wurden Erdproben eine Nacht hindurch gelegt, und zwar mit demselben Erfolge wie im vorhergehenden Versuche. In der sublimathaltigen Flüssigkeit hatten die Sporen ihre Entwicklungsfähigkeit verloren; in dem sublimat- freien Kielwasser waren sie unverändert geblieben, sie wuchsen ebenso schnell und zahl- reich zu Bazillenkolonien aus wie in den Kontrollpräparaten. ErsterVersuch auf derKorvetteFreya. Am 13. November wurde eine Probe des Kielwassers geschöpft und untersucht. Dasselbe war von schwärzlicher Farbe, hatte schwachen Sumpfgeruch, roch außerdem nach ranzigem Fett und reagierte schwach sauer. Mikroskopisch waren ziemlich viele Bakterien darin zu erkennen und bei einem Kulturversuch mit Nährgelatine entwickelten sich zahlreiche, aus dünnen kurzen Stäbchen bestehende Kolonien. Die Quecksilberreaktion mit dem Kupferblech erschien nach Zusatz von 2 ccm einer 10% Sublimatlösung zu 200 ccm des Kielwassers, also bei I^Iqq Sublimatgehalt. Da die Gesamtmenge des Kielwassers auf 250 bis 300 1 angegeben war, so ließ sich an- nehmen, daß mit 250 bis 300 g Sublimat die Desinfektion zu erreichen sei. Nachmittags begann die Desinfektion. Die Pumpe nahm das Kielwasser aus dem hinteren Teile des Schiffes (Tunnelbilge) und führte es durch den Maschinenraum über zwei Kompart ments hinweg in die vordere Abteilung des Kesselraums, wo der Schiffs- boden schon trocken war; von hier floß es ziemlich schnell durch die Öffnungen in den wasserdichten Schotts nach der Tunnelbilge zurück. Die Pumpe blieb anderthalb Stunden in Gang und es wurden allmählich 375 g Subhmat, welches im Wasser gelöst war, dem Kielwasser zugesetzt. Es war inzwischen dunkel geworden und die Reaktion des Kielwassers auf Quecksilber mußte beim trüben Licht einer Laterne beobachtet werden. Sie schien zuletzt einzutreten , und da außerdem schon etwas mehr Sublimat zu- gegeben war, als nach der angeblichen Menge des Kielwassers und dem Resultat des Vorversuches berechnet war, so wurde mit dem Zusatz des Desinfektionsmittels auf- gehört und die Desinfektionsproben, welche aus mehreren Proben von sporenhaltiger Erde und Stücken Zinkblech, Messingblech, rostigem Eisenblech, Leder, Kautschuk, feuchtem Teakholz, trockenem Eichen- und trockenem Fichtenholz bestanden, in das Kielwasser, und zwar in die Tunnelbilge gelegt. Am folgenden Vormittag (am 14. November) wurden die Erdproben, welche bis dahin 16 Stunden im Kielwasser gelegen hatten, aus dem Kielraum genommen, mit Alkohol behandelt und auf Nährgelatine ausgestreut. Auch mit zu gleicher Zeit ge- schöpftem Kielwasser wurde ein Kulturversuch auf Nährgelatine angestellt. Bei dem alsdann erfolgenden Auspumpen des Kielwassers fiel es auf, daß das- selbe nicht mehr so dunkel und schwärzlich aussah als vor der Desinfektion, sondern eine hellere, mehr graubraune Farbe angenommen hatte. Zugleich stellte sich aber auch an der Menge des abfließenden Wassers heraus, daß die ursprünglich mit 200 1 und bei Beginn der Desinfektion mit 250 bis 300 1 angenommene Menge des Kielwassers unmög- lich so gering sein konnte, sondern sich erheblich höher beziffern mußte. Infolgedessen wurde eine nochmalige genaue Berechnung des Kielraumes mit Hilfe der Schiffsrisse vorgenommen und gefunden, daß derselbe bis zur Höhe des Kielwasserstandes ungefähr 4000 1 enthielt; davon ging indessen wieder ein nicht genau zu berechnender, durch Holz- teile lind verschiedene im Kielraum lagernde Gegenstände eingenommener Raum ab, der im äußersten Fall mit 2000 1 in Rechnung zu setzen war, so daß mindestens 2000 1 Kiel- Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeravims von Schiffen. 389 wasser blieben. Hiermit stimmte avich die Angabe des Obermaschinis en auf der Freya, welcher die Kielwassermenge auf 2000 bis 3000 1 schätzte. Eine während des Auspumpens geschöpfte Probe des Kielwassers gab an einem längere Zeit darin befindlichen Kupferstreifen keine deutliche Quecksilberreaktion; erst am folgenden Tage, nach ungefähr 20 Stunden, erschien auf dem Kupfer ein eben deutlich wahrnehmbarer grauer Anflug. In der beim Desinfektionsversuch auf der Hyäne beschriebenen Weise wurde auch der Kielraum der Freya nach dem Auspumpen des Kielwassers an demselben Tage zweimal und am folgenden Tage ebenfalls zweimal gespült. Am 15. November vormittags, ungefähr 24 Stunden nachdem die aus dem Kiel- raum der Freya entnommenen Erdproben auf Nährgelatine gestreut waren, machte sich noch in keinem Präparate Wachstum von Bazillen bemerklich , während in den Kontrollpräparaten schon sehr zahlreiche , in der Entwicklung weit vorgeschrittene Bazillenkolonien vermittels des Mikroskops zu sehen waren. Das gleiche Verhalten fand mit den Kielwasserproben statt; das vor der Desinfektion am 13. geschöpfte Wasser hatte zahlreiche Bakterienkolonien, das nach der Desinfektion am 14. November ge^ schöpfte noch keine einzige gegeben. Aber schon am Nachmittage desselben Tages zeigten sich ganz vereinzelte und in der Entwicklung weit zurückgebliebene Bazillenkolonien in den aus dem Kielraum stammenden Erdproben . Am 16. November, nach 48 stündiger Dauer, hatten in den Kontrollpräparaten der Erde die Bazillen schon den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht. Aus denjenigen Proben, welche im Kielwasser gelegen hatten, waren sehr viel weniger Bazillenkolonien als in den Kontrollpräparaten entstanden, auch waren sie im Wachstum weit hinter diesen zurück. Es ging hieraus hervor, daß zwar die Mehrzahl der Bazillensporen in der Erde getötet und die übriggebliebenen in ihrer Entwicklung gehemmt waren, dennoch eine vollständige Desinfektion der Proben nicht bewirkt war. Das am 14. November geschöpfte Kielwasser selbst verhielt sich dagegen anders, Es war bis dahin noch nicht eine einzige Bakterienkolonie in den betreffenden Prä- paraten entstanden, während in den Kontrollpräparaten die Entwicklung der schon am Tage vorher bemerkten zahlreichen Bakterienkolonien immer weiter fortgeschritten war, und es konnte daraus geschlossen werden, daß alles Lebende darin vernichtet und die Desinfektion desselben also gelungen war. In dem Vorversuch war die zur Desinfektion erforderliche Sublimatmenge auf bestimmt und es hätte auf die schließlich mit 2000 1 angenommene Gesamtmenge des KLielwassers 2 kg Sublimat verwendet werden müssen. Statt dessen sind nur 375 g, also noch nicht ganz der fünfte Teil der verlangten Menge, dem Kielwasser in diesem Versuche beigemischt und damit zwar noch eine vollständige Desinfektion des Kiel- wassers, welches vermutlich nur Mikroorganismen von geringerer Widerstandsfähigkeit enthielt, aber nicht die vollständige Vernichtung der als besonders resistent bekannten Sporen in der Erde erreicht. Es entstand die Frage, ob bei einem ausreichenden Zusatz von Sublimat ebenso wie auf der Hyäne auch auf der Freya die Desinfektion gelungen wäre, oder ob die Ba- zillensporen, wenn sie noch einen oder zwei Tage länger in dem sublinuxthaltigen Wasser gelegen hätten, nicht doch schließhch getötet sein würden. Beide Fragen waren, da das Kielwasser schon ausgepumpt und der Kielraum gespült war, nicht mehr unmittelbar zu beantworten. Da indessen das im Vorversuche mit Subhmat versetzte und ebenso das am 14. November geschöpfte Kielwasser der Freya noch zur Verfügung stand, so 390 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. wurden Proben von Erde in diese beiden Flüssigkeiten gelegt und 18 Stunden lang darin gelassen. Hierauf mit Alkohol behandelt und auf Nährgelatine gestreut, zeigten sich beide Proben als vollständig frei von entwicklungsfähigen Bazillensporen, letztere waren sämtlich abgestorben und die Desinfektion mithin vollständig. Es könnte auffallen, daß in dem wenig sublimathaltigen Kielwasser der Freya in diesem Versuch die Bazillen- sporen nach 18 Stunden getötet, während dieselben im Haupt versuch nach 16 Stunden noch teilweise entwicklungsfähig geblieben waren, und der Unterschied von 2 Stunden zur Erklärung dieser Erscheinung nicht ausreicht. Aber höchstwahrscheinlich ist diese Differenz dadurch begründet, daß in dem Nebenversuche das die Erde einschließende Filtrierpapier nur einfach durch einen Faden umschlungen, während die für den Haupt- versuch bestimmten Erdproben, um sie möglichst fest zu machen und vor Beschädi- gungen zu sichern, mit mehrfachen Lagen von starkem Zwirn umwickelt und dann noch auf ein Holzstückchen gebunden waren. Das Desinfektionsmittel konnte also in erstere Proben sehr viel schneller eindringen und mußte deswegen auch verhältnismäßig eher seine Wirkung äußern. • Aus den letzterwähnten Nebenversuchen läßt sich schließen, daß die volle Dosis des Desinfektionsmittels, d. h. ein Zusatz von 1*^/qo Sublimat oder eine länger dauernde Einwirkung desselben genügt hätten, um den Kielraum der Freya ebenfalls vollständig zu desinfizieren. Da noch ein zweiter Versuch auf der Freya in Aussicht genommen wurde, so blieben die Proben von Holz, Metall usw. noch im Kielraum, um sie möglichst lange der Einwirkung des Desinfektionsmittels auszusetzen. Am 17. November wurden noch zwei reine Flaschen mit dem letzten Spülwasser, welches sich bis dahin 2 Tage lang im Kielraum befunden hatte, zum Zwecke der Untersuchung auf Quecksilbergehalt gefüllt. Zweiter Versuch auf der Korvette Freya. Eine vollständige Ent- leerung des Kielwassers ließ sich auf der Freya nicht bewerkstelligen. Es blieb immer noch ein durch Pumpen nicht mehr wegzuschaffender Rest von ungefähr 1201. Aber schon beim Auspumpen des zweiten Spülwassers kam dieses dem Anscheine nach un- verändert wieder zum Vorschein, und es ließ sich voraussetzen, daß nach viermaligem Spülen von dem ursprünghchen Kielwasser nur noch ein verschwindend kleiner Teil dem letzten Spülwasser beigemengt sein konnte (nach einer Berechnung würde nach viermaligem Spülen noch 0,0015 1 vom ursprünglichen sublimathaltigen Kielwasser im Schiffe vorhanden sein). Dieses letzte Spülwasser, welches schon als frei von Sublimat angesehen werden konnte, wurde bis auf den von der Pumpe nicht zu bewältigenden Rest ausgepumpt, und am 17. November nachmittags durch die Stopfbüchse frisches Seewasser bis zum früheren Stande des Kielwassers eingelassen. Während dieses Wasser in lebhaftem Strome in den Kielraum sich ergoß, wurde in der Nähe der Einflußöffnung 1 kg Sublimat, welches, wie früher, in Wasser gelöst war, zugesetzt und gleichzeitig durch Umrühren des Kiel- wassers in der Tunnelbilge mit einem Besen eine möglichst gleichmäßige Mischung zu bewirken versucht. Nachdem das Kielwasser seine frühere Höhe wieder erreicht hatte, wurde das Ventil in der Stopfbüchse geschlossen. Eine aus dem Vorderteil sowie eine aus der Tunnelbilge geschöpfte Kielwasserprobe gaben deutliche Quecksilberreaktion. Es wurden dann mehrere Erdproben in die Tunnelbilge gelegt. Am folgenden Morgen, am 18. November, zeigte bei einer Wiederholung der Kupfer- probe das Kielwasser im Vorderteil des Schiffes noch deutliche Quecksilberreaktion, Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 391 während aus dem Tunnelbilgeraum geschöpftes Wasser innerhalb einer Dauer von 20 Mi- nuten an dem Kupferstreifen noch keine graue Färbung erzeugte. Zwei Erdproben wurden an demselben Morgen und zwei weitere am folgenden Morgen auf die Entwicklungsfähigkeit der Sporen untersucht. In den beiden ersten kamen schon sehr viel weniger Bazillenkolonien und weit später zur Entwicklung als in den Kontrollpräparaten; aus den beiden letzten Proben wuchsen auf einem Objektträger keine und auf einem zweiten im ganzen nur zwei Bazillenkolonien, während in den Kon- trollversuchen auf einem Objektträger weit über hundert solcher Kolonien entstanden. Die Desinfektion dieser Erdproben war also nach ungefähr 18 Stunden unvollständig, nach weiteren 24 Stunden aber nahezu vollendet. Der Sublimatzusatz hatte in diesem Versuch einem Gehalte des Kielwassers von 0,5 pro mille Sublimat entsprochen, und wenn eine gleichmäßige Verteilung desselben stattgefunden hätte, dann mußten erfahrungsgemäß unter allen Umständen die Erd- proben vollständig desinfiziert sein. Da dies aber nicht der Fall war, so läßt sich umge- kehrt schließen, daß die Mischung keine vollständige war und daß einzelne Abteilungen des Kielwassers einen höheren, andere einen geringeren Gehalt an Sublimat als O.S^/qo besaßen. Möglicherweise hatte auch das nach dem letzten Zusätze von Sublimatlösung noch nachströmende Wasser die sublimatreicheren Wassermengen vor sich her nach dem Vorderteil des Schiffes zu gedrängt, und die Erdproben, welche in der Tunnelbilge mög- lichst weit nach rückwärts gelegt waren, hatten infolgedessen in einem verhältnismäßig sublimatarmen Wasser gelegen. Es spricht für diese Annahme, daß bei der am 18. No- vember vorgenommenen Kupferprobe das vorn im Schiff geschöpfte Kielwasser noch deutliche, das hinten geschöpfte keine Quecksilberreaktion mehr gab. Auf jeden Fall zeigt dieser Versuch, daß die bei demselben zur Ausführung gekommene Art der Bei- mischung des Desinfektionsmittels zum Kielwasser hinter der durch die Pumpe bewirkten erheblich zurücksteht. Am 19. und 20. November wurde der Kielraum der Freya wieder viermal gespült, vom letzten Spülwasser nach mehrstündigem Stehen im Schiffe zwei Flaschen zur che- mischen Untersuchung gefüllt, eine Probe vom Schlamm aus dem Kielraum zu demselben Zwecke entnommen, und schließlich die Holz-, Leder- und Metallstücke, welche vom 13. bis 20. November im Kielwasser gelegen hatten, besichtigt. Dieselben waren zum großen Teile von zähem, fettigem Schlamm überzogen. In den Holz-, Leder- und Kautschuk- stücken konnten keine Veränderungen wahrgenommen werden. Die Metallproben hatten dagegen sämtlich ihr Aussehen verändert. Das Messingblech hatte einen hellgrauen, sehr dünnen Überzug bekommen; der mit dem Finger abgerieben werden konnte. Auch hier zeigte sich, wie bei dem Versuche auf der Hyäne, nach der Entfernung dieses Über- zuges die Metalloberfläche in ihrer ursprünglichen Farbe und anscheinend nicht verändert. An dem Massingblech haftete stellenweise ein Anstrich von Ölfarbe, welcher ganz un- verändert geblieben und auch nicht mit dem grauen Quecksilberüberzug versehen war. Auf dem Zinkbleche hatte sich der stärkste Quecksilberniederschlag gebildet und an ein- zelnen Stellen konnten in dem grauen Überzug eben mit dem bloßen Auge erkemibare Quecksilberkügelchen wahrgenommen werden. Ein Stück stark verrosteten Eisens hatte seine ursprüngliche gelbbraune Farbe verloren und sah grau aus, unzweifelhaft infolge des darauf niedergeschlagenen Quecksilbers. Alle diese Proben wurden zur Vornahme einer chemischen LTntersuchung auf Quecksilbergehalt aufbewahrt. Es war nun noch die Untersuchung der bei sämtlichen Versuchen benutzten Pumpe vorzunehmen. Zunächst wurde einige Minuten lang reines Wasser durch dieselbe 392 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. geleitet, dann eine Probe von diesem Wasser zur chemischen Untersuchung auf Queck- silbergehalt in Flaschen gefüllt und zuletzt die Pumpe auseinandergenommen und genau untersucht. Am Schlauche konnte keine Veränderung gefunden werden. Ein Stück desselben wurde, um einen etwaigen Quecksilbergehalt nachweisen zu können, abge- schnitten und den übrigen zur chemischen Untersuchung bestimmten Proben beigefügt. Auch die aus Leder und Kautschuk bestehenden inneren Teile der Pumpe erwiesen sich dem Anscheine nach unverändert. Dagegen hatten die freiliegenden Metallteile einen grauen Überzug bekommen, und das Schmierfett an der Innenwand des Pumpenstiefels sah ebenfalls auffallend dunkelgrau aus. Dieses Fett wurde mit Twist sorgfältig abge- wischt, um es für die chemische Untersuchung zu gewinnen. Nach seiner Entfernung zeigte sich dann die Innenwand des Pumpenstiefels ebenso wie die Führung des Kolbens, und zwar überall da, wo die Metallflächen einer starken Reibung ausgesetzt sind, streifen- förmig weiß und metallisch glänzend, also vollständig amalgamiert. C h e m i s c h e U n t e r s u c h u n g. Die verschiedenen Proben von Wasser, welche bald nach der Ausspülung des Kiel- raumes geschöpft waren, das nach längerer Zeit wieder angesammelte Kielwasser, Bilge- schlamm, eine Anzahl von Metall-, Holz-, Gummi- und Lederproben, welche während der Desinfektionsversuche im Kielräume der Schiffe gelegen hatten, sowie ein Stück vom Pumpenschlauche, ferner Twist, mit welchem das Innere des Pumpenstiefels aus- gewischt wurde, und Wasser, welches die Pumpe passiert hatte, waren auf Gehalt an Quecksilber zu untersuchen. Die Untersuchung wurde im Laboratorium des Gesundheitsamtes von Herrn Dr. P r o s k a u e r in folgender Weise ausgeführt : Die Gegenstände wurden mit chlorsaurem Kalium und Salzsäure bis zur Ver- treibung des Chlors und der freien Säure auf dem Wasserbade erwärmt, die Rückstände mit heißem Wasser erschöpft und die Lösungen nach dem Filtrieren mit blankem Kupferstreifen mitunter bis zu 20 Stunden lang in Berührung gelassen. Nach dieser Zeit wurde das Kupfer sorgfältig getrocknet und in Reagenzzylindern mit Jod erhitzt. Das auf dem Metall niedergeschlagene Quecksilber setzte sich bei dieser Behand- lung als roter Quecksilber jodidbeschlag auf der Wand des Zylinders ab. Für die Untersuchung der Messing- und Kupferplatten erschien es zweckmäßig, dieselben in einer aus Kaliumchlorat und Salzsäure hergestellten Chlorlösung vollkommen aufzulösen, die Lösung zur Vertreibung des Chlors und der überschüssigen Säure einzu- dampfen und nach dem Wiederaufnehmen des Rückstandes durch Wasser mit Kupfer und Eisen oder Zink in Berührung zu lassen. Von den Wasserproben wurde ein größeres Quantum abgedampft und der Rück- stand in derselben Weise, wie vorher angegeben ist, behandelt. Da die Analyse in allen Proben nur unwägbare Mengen von Quecksilber ergab, so wurde versucht, durch ver- gleichende Bestimmungen nach derselben Methode und mit Flüssigkeiten von bekanntem Quecksilbergehalt mit Hilfe der mehr oder weniger starken Färbung des roten Queck- silber jodidbeschlages wenigstens annähernd die in den Desinfektionsproben gefundene Quecksilbermenge abzuschätzen. Es wurden zu diesem Zwecke eine Reihe von Queck- silber] odidbeschlägen in Reagenzzylindern aus Lösungen von 0,0001 g Quecksilber- chlorid und 100 ccm Wasser, welche einen noch eben deutlich erkennbaren Beschlag liefert, bis zu 0,01 g auf 100 ccm Wasser hergestellt und die von den Desinfektionsproben erhaltenen Beschläge mit diesen verglichen. Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 393 I. Untersuchung der zum D e s i n f e k t i o n s v e r s u c h auf der Hyäne gehörigen Proben. 1. Am 19. November, vier Stunden nach der letzten Spülung aus dem Kielräume der Hyäne entnommenes Wasser. Untersucht wurden 695 com (der Inhalt einer Flasche). Es ergab sich ein ge- ringer Jodquecksilberbeschlag, welcher nach Schätzung mit den oben erwähnten Ver- gleichsbeschlägen einer Menge von 0,00025 g Sublimat entsprach. Ein Liter des Wassers enthielt demnach ca. 0,00035 g. 2. Bilgeschlamm, am 19. November nach Beendigung der Desinfektion ent- nommen. Derselbe enthielt 65,85% Fett. Quecksilber konnte darin nicht nachgewiesen werden. 3. Die am 19. November aus dem Kielraum der Hyäne entnommenen Proben von Metall, Holz und Kautschuk, welche sich ungefähr 72 Stunden lang im sublimathaltigen Kielwasser befunden hatten. a) Kupferplatte (Gesamtoberfläche 191 qcm), von welcher ein 31,5 qcm großes Stück aufgelöst wurde; der daraus erhaltene Jodquecksilberbeschlag entsprach ca. 0,0002 g Sublimat. Ein qm würde mithin ca. 0,06 g Sublimat oder 0,046 g metallisches Quecksilber enthalten. b) Ein Stück rostiges Eisen (Bruchstück von einer großen Schraube). Es ließ sich kein Quecksilber darin nachweisen. c) Kautschukplatte. (Gesamtoberfläche 161 qcm). Es wurden 85 qcm in Arbeit genommen und ca. 0,0004 g Sublimat gefunden. Ein qm enthielt demnach ca. 0,047 g. d) Feuchtes Eichenholz. Gesamt Oberfläche 385 qcm. In Arbeit genommen 40 qcm in einer mehrere mm dicken Schicht. Gefunden 0,00015 g Sublimat. Ein qm enthielt i demnach ca. 0,0375 g. e) Feuchtes Fichtenholz (sehr leicht und weich). Gesamtoberfläche 307 qcm. In Arbeit genommen 50 qcm. Gefunden 0,002 g Subhmat. Ein qm enthielt demnach ca. 0,4 g. Von diesem Holze wurden außer den oberflächlichen Schichten auch die tieferen untersucht und Quecksilber noch bis zu 6 mm Tiefe deuthch nachgewiesen. 4. Kielwasser, welches am 30. November, also 10 Tage nach der Desinfektion, geschöpft war. 665 ccm gaben einen sehr schwachen Jodquecksilberbeschlag, entspre- chend 0,00015 g Sublimat. Ein Liter enthielt denmach ca. 0.00023 g. II. LT n t e r s u c h u n g der zu den beiden D e s i n f e k t i o n s v e r s u c h e n a u f der F r e y a gehörige n P r o b e n. 1. Wasser aus dem Kielraum der Freya. am 17. November geschöpft, zwei Tage nach Beendigung des ersten Desinfektionsversuches. 785 ccm ergaben einen Beschlag, welcher ungefähr 0,00025 g Subhmat entsprach. Ein Liter enthielt demnach ca. 0,00031 g. 2. Wasser, am 20. November, nach Beendigung des zweiten Versuches geschöpft, enthielten Spuren von Quecksilber (in annähernd gleicher Menge wie Nr. 1). 3. Die am 20. November aus dem Kielraum der Freya entnommenen Proben von Metall, Holz, Kautschuk und Leder, welche vom 13. November ab, also 7 Tage lang in dem mehr oder weniger sublimathaltigen Kielwasser gelegen hatten: a) Messingblech. Oberfläche 882,4 qcm. Aufgelöst wurde ein Stück davon mit einer Fläche von 88,4 qcm. Schwacher Jodquecksilberbeschlag, ungefähr 0.0002 g Queck- silberchlorid entsprechend. Ein qm enthielt demnach ca. 0.022 g Subhmat oder 0,016 g metallisches Quecksilber. 394 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. b) Zinkblech. Oberfläche 190 qcm. Das aufgelöste Stück hatte eme Oberfläche von 40 qcm. Der schwache Beschlag entsprach 0,0001 g Sublimat. Ein qm enthielt demnach ca. 0,025 g Sublimat oder 0,018 g metallisches Quecksilber. c) Eisenplatte, 1,3 cm dick, 12 cm breit, 19 cm lang; Gesamtoberfläche 536,6 qcm. Durch Hineinhängen eines Teiles dieser Platte in eine aus Kaliumchlorat und Salzsäure hergestellte Chlorlösung wurde die oberste Schicht aufgelöst. Die angeätzte Oberfläche betrug 174,2 qcm; der von derselben erhaltene Quecksilberjodidbeschlag entsprach 0,0002 g Subhmat. Ein qm hätte demnach ca. 0,0114 g Sublimat, resp. 0,0083 g metalli- sches Quecksilber aufgenommen. d) Zwei Lederscheiben. Gesamtoberfläche 617 qcm; davon kamen zur Unter- suchung 300 qcm und ergaben einen Beschlag, welcher 0,002 g Sublimat entsprach. Ein qm enthielt demnach ca. 0,066 g. e) Kautschukplatte. Gesamtoberfläche 760 qcm ; davon wurden 250 qcm unter- sucht und heferten einen Beschlag entsprechend 0,006 g Sublimat. Ein qm enthielt demnach ca. 0,24 g. f) Ein Stück Teakholz, feucht eingelegt. Oberfläche 498 qcm. Untersucht wurden 90 qcm und ergaben ca. 0,0004 g Sublimat. Ein qm enthielt demnach ca. 0,044 g. g) Ein Stück Eichenholz, trocken eingelegt. Oberfläche 1611 qcm. Zur Unter- suchung genommen 200 qcm, welche einen Beschlag entsprechend 0,0015 g Sublimat heferten. Ein qm enthielt demnach ca. 0,075 g. h) Ein Stück ziemhch festes Fichtenholz, trocken eingelegt. Oberfläche 735 qcm. Es wurden 45 qcm untersucht und ca. 0,0008 g Sublimat gefunden. Ein qm entsprach demnach 0,18 g. Auch von dieser Holzprobe wurden tiefere Schichten untersucht und bis zu 6 mm Tiefe noch eben erkennbare Spuren von Quecksilber nachgewiesen. 4. Wasser aus dem Kielraum der Freya, am 30. November, 10 Tage nach Be- endigung der Desinfektionsversuche geschöpft. 660 ccm desselben ergaben einen Be- schlag, welcher 0,0009 g Sublimat entsprach. Ein Liter enthielt also 0,001g. 5. Wasser aus dem Kielräume der Freya, am 3. Januar 1882 (6 Wochen nach den Des- infektionsversuchen) geschöpft. Aus 715 ccm desselben wurde ein sehr geringer Beschlag erhalten, welcher 0,0002 g Subhmat entsprach. Ein Liter enthielt demnach ca. 0,00028 g. III. Untersuchung der auf die Beschaffenheit der Pumpe bezüglichen Proben. 1. Twist, mit welchem das Innere des Pumpenstiefels ausgewischt wurde. 15 g desselben gaben einen Beschlag, welcher 0,01 g Sublimat entsprach. Die Gesamtmenge des Twistes betrug 32 g und es erhielt also derselbe, unter der Voraussetzung, daß die Quecksilberverteilung darin eine gleichmäßige war, 0,0187 g Sublimat. 2. Ein Stück Pumpenschlauch. Derselbe bestand aus Kautschuk, mit Hanfgewebe überzogen, war 16 cm lang und hatte 2,6 cm im Durchmesser. Die Oberfläche des unter- suchten Stückes betrug 128 qcm und ergab ca. 0,002 g Sublimat. Ein qm Fläche würde denmach 0,15 g, und auf die Länge des Schlauches berechnet 1 m ca. 0,0125 g Sublimat enthalten. 3. Wasser, welches nach Beendigung der Versuche die Pumpe und den Schlauch passiert hatte. Aus 450 ccm desselben wurde ein sehr schwacher, 0,00015 g Sublimat entsprechender Beschlag erhalten. Ein Liter enthielt mithin 0,00033 g. Zu bemerken ist noch, daß sämtliche Wasserproben, welche frisch geschöpft und noch nach mehrtägiger Aufbewahrung in verschlossenen Flaschen geruchlos waren. Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 395 nach einigen Wochen einen deutUchen Geruch nach Schwefelwasserstoff angenommen hatten. Das am 30. November aus dem Bilgeraum der Hyäne geschöpfte Wasser ent- wickelte, nachdem es einige Wochen in verkorkten Flaschen gestanden hatte, sogar einen sehr intensiven Geruch nach Schwefelwasserstoff. Der leichteren Ubersicht wegen ist das Resultat der chemischen Untersuchung hierunter tabellarisch zusammengestellt. Wasserproben Sublimatgehalt per Liter g- 1. Wasser von der Hyäne (20. November) 2. ,, „ „ ,, (30. November) 3. ,, „ ,, Freya (17. November) 4. ,, ,, ,, ,, (30. November) 5. „ „ „ „ (3. Januar 1882) . . • 6. Wasser, welches die Pumpe passierte 0,00035 0,00028 0,00031 0,001 0,00028 0.00033 , M e t a 1 1 p r 0 b e u Sublimat per qm g Metallisches Queck- silber per <|in g 8. Zink (Freya) 9. Messing- (Freya) 10. Eisen (Freya) 0,06 0,025 0,022 0,0114 0,046 0,018 0,016 0,0083 H 0 1 z p r 0 b e u Sublimat per qm g 11. Feuchtes Eichenholz (Hyäne) 12 Trockenes Eichenholz (Freya) 13. Feuchtes Teakholz (Freya) 0,0375 0,075 0,044 0,4 0,18 L e d e r p r 0 b e 0,066 Kaut s c h u k p r 0 Ii e n 0,047 0,24 0,15 Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, daß der Quecksilbergehalt der Wasserproben ein außerordentlich geringer war. Auf die Gesamtmenge des Kielwassers der Hyäne berechnet, würde dasselbe nach Beendigung der Desinfektion und stattgefundener 4 maliger Spülung 0,7 g und 10 Tage später nur 0,46, also noch nicht einmal ein halbes Gramm betragen. Das Kielwasser der Freya wurde am 10. Tage nach der Desinfektion etwas reicher an Quecksilber als dasjenige der Hyäne gefunden; was höchstwahrscheinlich auf die wiederholte Desinfektion und dadurch veranlaßtes Einbringen größerer Sublimatmengen in den Kielraum dieses Schiffes zurückzuführen ist. Nach 6 Wochen war der Gesamt- quecksilbergehalt im Kielwasser der Freya ebenfalls auf 0,5 g herabgegangen. 396 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. Von den Metallen hatte das Kupfer, trotzdem es die kürzeste Zeit im sublimat- haltigen Kielwasser gelegen hatte, die größte Menge Quecksilber reduziert, allerdings auch nur 0,046 g auf 1 qm. Eisen hatte noch nicht ein hundertstel Gramm Quecksilber auf einen Quadratmeter Fläche aufgenommen. Sehr bemerkenswert ist das Verhalten der Holzproben zu den sublimathaltigen Flüssigkeiten. Das in trockenem Zustand ins Kielwasser der Freya gelegte Eichen- holz erhielt ungefähr noch einmal soviel Quecksilber als das in feuchtem Zustande im Kielraum der Hyäne mit Sublimatlösung in Berührung gebrachte Eichenholz; doch kommt hierbei in Betracht, daß letzteres sich viel länger im Kielwasser befand und auch vermutlich aus diesem Grunde mehr Quecksilber aufgenommen hatte. Es scheint dem- nach ohne Belang zu sein, ob das Holz in feuchtem oder trockenem Zustande von der sublimathaltigen Flüssigkeit bespült wird. Dagegen ist es unzweifelhaft, daß die Struk- tur des Holzes von größtem Einfluß ist. Das weiche lockere Fichtenholz, welches im Kielraum der Hyäne während nur eines Versuches gelegen hatte, enthielt fast dreimal soviel Quecksilber als dasjenige Fichtenholz, welches auf der Freya zwei Versuche durchgemacht hatte. Letzteres war aber von erheblich derberer Struktur. Auch der Gegensatz zwischen den weichen Holzproben und den drei harten ist sofort in die Augen fallend. Der Quecksilbergehalt der harten Hölzer ist übrigens ein über alles Er- warten geringer. Auch die Lederplatte und die auf der Hyäne benutzte Kautschukplatte ent- hielten verhältnismäßig sehr wenig Quecksilber. Wenn dagegen in der Kautschuk- platte von der Freya und in der Kautschukmasse des Pumpenschlauches eine drei- resp. sechsfach größere Quecksilbermenge gefunden wurde, so ist hierbei zu berücksichtigen, daß die beiden zuletzt erwähnten Kautschukproben eine erheblich längere Zeit mit Sub- limatlösungen in Kontakt waren. Wäre dies jedoch der einzige maßgebende Faktor für den Quecksilbergehalt im Kautschuk, so hätte im Schlauch der Pumpe, die während der sämtlichen Versuche unausgesetzt zur Bewegung des sublimathaltigen Kielwassers gebraucht war, die größte Q.uecksilbermenge gefunden werden müssen. Da dies nicht der Fall war, so ist anzunehmen, daß noch andere Verhältnisse in Betracht kommen, vielleicht ein ungleich großer Gehalt an Schwefel in verschiedenen Kautschuksorten. Ergebnis der Desinfektionsversuche. Dasjenige Resultat, auf welches das Hauptgewicht gelegt werden muß, ist aus dem Versuche auf der Hyäne zu entnehmen. Derselbe lehrt, daß der Kielraum und sein Inhalt mit Hilfe von Subhmat ohne besondere Schwierigkeit in Wirklichkeit desinfi- ziert werden kann. Es waren als Desinfektionsproben solche Organismen benutzt, die sich bei früheren Desinfektionsversuchen als die widerstandsfähigsten erwiesen und bei- spielsweise in trockenem Zustande eine Erhitzung auf 140" C während einer Stunde lang überstanden hatten. Auch war die Verpackung dieser Proben eine derartige, daß das Desinfektionsmittel nicht unmittelbar mit der Probe in Berührung kam, sondern eine ziemlich dicke Schicht von Papier und Fadenumhüllung zu durchdringen hatte, ehe es seine Wirkung ausüben konnte. Dennoch waren vom Nachmittag des einen bis zum Morgen des anderen Tages, also nach ungefähr 18 Stunden, in sämtlichen Abteilungen des Kielraums die Proben vollständig desinfiziert und es ließ sich hiernach wohl annehmen, daß die Desinfektion auch in schwerer zugänglichen Winkeln und Spalten des Kielraums oder der darin befindlichen Gegenstände, wohin das Desinfektionsmittel ebenso wie in die Proben nur langsam einzudringen vermochte, die Desinfektion in genügender Weise stattgefunden hatte. Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 397 Wie notwendig es gewesen war, besonders geeignete Desinfektionsproben zu ver- wenden, zeigte der erste Versuch auf der Freya, bei welchem der verhähnismäßig zu geringe Zusatz von Subhmat zum Kielwasser immerhin noch genügt hatte, die dem Kiel- wasser selbst angehörigen Mikroorganismen zu töten, während die als Proben verwendeten Bazillensporen entwicklungsfähig geblieben waren. Ohne diese letzteren würde ein richtiges Urteil über das Gelingen oder Mißlingen des Versuches nicht zu erhalten ge- wesen sein. Daß übrigens auch auf der Freya im ersten Versuche bei einem ausreichenden Zusatz von Sublimat die Desinfektion unzweifelhaft gelungen wäre, geht aus dem nach- träglich angestellten Nebenversuche mit dem am 14. November geschöpften Kielwasser der Freya hervor und ist auch schon im ersten Teile dieses Berichtes bei der Schilderung der betreffenden Versuche hervorgehoben worden. Nachdem sich die praktische Ausführbarkeit der Desinfektion des Kielraums durch Sublimat ergeben hatte, waren die Fragen zu beantworten, ob dieses Desinfektions- verfahren nicht mit Unzuträglichkeiten für die Gesundheit der Schiffsmannschaft oder mit einer derartigen Beschädigung des Schiffsmaterials verbunden ist, daß es deswegen verworfen werden müßte. Was die erste dieser beiden Fragen betiifft, so schien bei der Besichtigung der Metallproben, welche in dem Kielraum der Schiffe während der Desinfektionsversuche gelegen hatten und einen unverkennbaren Überzug von reduziertem Quecksilber auf- wiesen, allerdings das im Schiffe zurückbleibende Quantum von Quecksilber bedenklich groß zu sein. Aber die chemische Analyse dieser Objekte hat ergeben, daß das Queck- silber ebenso, wie es bekanntlich auch bei anderen Metallen der Fall ist, einen stark in die Augen fallenden und dennoch der Menge nach nur sehr geringfügigen Überzug auf der Oberfläche der Metalle gebildet hatte. Dasjenige Metall, welches am meisten und im Kielraum wohl fast ausschließhch mit der Sublimatlösung in Berührung kommt, das Eisen, zeigte den geringsten Quecksilbergehalt, nämlich auf einen Quadrat- meter berechnet ungefähr 0,0083 g metallisches Quecksilber. Auf 1000 Quadratmeter würden also noch nicht einmal 10 g Quecksilber kommen. Dabei ist aber wohl zu be- rücksichtigen, daß dieser Befund nur unter ganz exzessiven Verhältnissen zustande gekommen ist. Die Eisenprobe, welche den erwähnten Quecksilbergehalt ergeben hatte, war während zweier Versuche nebst den anderen Proben sieben Tage lang mit sublimat- haltigen Flüssigkeiten in Berührung gewesen. Eine höchstens 18 stündige Dauer der Desinfektion ist aber vollständig ausreichend und es läßt sich erwarten, daß während dieser kürzeren Zeit auch der Quecksilberniederschlag auf eisernen Gegenständen ein ent- sprechend geringerer und für 1000 Quadratmeter kaum höher als 2 bis 3 g zu bemessen sein wird. In den Holzproben wurden mit Ausnahme des weichen Fichtenholzes annähernd gleich große Mengen Quecksilber nachgewiesen wie in den Metallproben; da sich bei ersteren indessen der Quecksilbergehalt nicht wie bei den Metallen auf die Oberfläche beschränkt, sondern mehrere Millimeter tief eindringt und wahrscheinlich das Quecksilber zum großen Teil von der Holzfaser in unlöslichen Verl)indungen festgehalten wird, so stellt sich diejenige Menge des Quecksilbers, welche nach abgeschlossener Desinfektion aus den Holzteilen des Schiffes wieder an den Inhalt des Kielraums oder andere Be- standteile des Schiffes abgegeben werden könnte, als weit geringer heraus, als es von Seiten der Metallgegenstände zu erwarten ist. Auch der Gehalt des Kielwassers selbst an Quecksilber war ein minimaler. Wenn der höchste Betrag, welcher gefunden wurde, derjenige von Wasser Nr. 4 mit 0.001 g Sublimat auf 1 1 als Beispiel gewählt wird, so würde die gesamte 2000 bis 3000 1 betragende Kielwassermenge 2 bis 3 g Sublimat ent- halten. Es sind diese Quantitäten im Verhältnis zu den Dimensionen des Kielraums 398 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. und des Schiffes selbst, sowie zur Verdünnung, iia welcher sie sich befinden, so überaus gering, daß von einer etwa dadurch veranlaßten Gesundheitsbeschädigung gar keine Rede sein kann. Diejenigen Quecksilbermengen, welche im Belag von Spiegeln mit der Luft unserer Wohnräume sich in Kommunikation befinden, sind verhältnismäßig ganz erheblich größer. Überdies kommt hier noch ein Umstand zur Geltung, welcher zeigt, daß die giftigen Eigenschaften der im Schiffe noch verbleibenden Quecksilberreste binnen kurzer Zeit überhaupt verschwinden müssen. Schon nach wenigen Wochen zeigte, wie am Schlüsse des chemischen Berichtes erwähnt ist, die in Flaschen gefüllte Kielwasser- probe deutliche Schwefelwasserstoffentwicklung, und auch im Kielräume des Schiffes wird es nicht ausbleiben, daß sich sehr bald nach der Desinfektion von neuem Schwefel- wasserstoff bildet und letzterer das noch vorhandene Quecksilber oder dessen lösliche Verbindungen in unlösliche und unschädliche Schwefel quecksilberverbindungen überführt. Aus dem Resultat der chemischen Untersuchung läßt sich ferner entnehmen, daß die Beschädigung, welche durch die sublimathaltigen Flüssigkeiten an den im Kiel- raum befindlichen Metallteilen entstehen, bei weitem nicht solche Dimensionen erreichen können, als es bei der ersten Besichtigung der Metallproben in Berücksichtigung des scheinbar dichten und massenhaften Überzuges von reduziertem Quecksilber der FaU zu sein schien. Das von der Oberfläche eines metallenen Gegenstandes durch die Reduktion von Quecksilber verloren gehende Quantum seiner Substanz muß immer der reduzierten Quecksilbermenge entsprechend sein, und da letztere so überaus gering ist, so kann auch der Verlust an Kupfer, Eisen usw. nur ein minimaler sein. Derselbe konzentriert sich nicht auf bestimmte Punkte, sondern verteilt sich ganz gleichmäßig über die gesamte Metalloberfläche und es dürfte deswegen schwer fallen, die Dicke der Schicht, welche in Wirklichkeit verloren geht, überhaupt in Zahlen auszudrücken. Eine feste Vereini- gung, d. h. eine Amalgamierung des Quecksilbers mit den Metalloberflächen findet nur an den Punkten statt, wo, wie z. B. im Pumpenstiefel, eine fortgesetzte Reibung geschieht, an allen übrigen Flächen bildet sich ein staubförmiger Anflug von Quecksilber, welcher nicht fest haftet und sehr bald entweder durch die Bewegungen des Kielwassers wieder fortgespült oder durch den Schwefelwasserstoffgehalt des letzteren in Schwefelver- bindungen verwandelt wird, so daß auch in späterer Zeit kein nachteiliger Einfluß aus dem Kontakt zwischen Metalloberfläche und Quecksilberniederschlag entstehen kann. Im allgemeinen genommen werden die durch die Subhmatdesinfektion gesetzten Veränderungen der Metallflächen gewiß nicht größer, eher geringer sein, als die von anderen zur Schiffsdesinfektion benutzten Substanzen, wie Eisenvitriol und Chlorzink, bewirkt werden. Die geringen Quecksilbermengen, welche in die Holzwandungen des Schiffes ein- dringen, werden auf diese ebenso wie andere Metallverbindungen eher einen konser- vierenden als einen zerstörenden Einfluß ausüben. Der einzige, wenn auch geringe nachteilige Einfluß, welcher sich herausgestellt hat und welcher bei der Sublimatdesinfektion zu berücksichtigen sein würde, betrifft die zur Mischung des Desinfektionsmittels mit dem Kielwasser benutzte Pumpe. An der Innenwand des Stiefels derselben wurde, wie im ersten Teile dieses Berichtes mitgeteilt ist, eine Amalgamierung der Metallflächen beobachtet. Es kann unter diesen Umständen eine Entfernung des reduzierten Quecksilbers durch Abspülen oder einfaches Abreiben nicht bewerkstelligt werden und es besteht deswegen die Gefahr, daß bei dem weiteren Gebrauche der Pumpe sich Quecksilber teile dem Wasser beimischen oder daß an den Stellen, wo sich das Amalgam gebildet hat, wegen der weichen Beschaffenheit desselben eine schnellere Abnutzung der Pumpenteile eintritt. Es würde allerdings noch fest- zustellen sein, ob die Amalgamierung, welche auch nur auf eine äußerst dünne Metall- Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 399 Schicht sich erstrecken kann, nicht durch Abschmirgehi oder einen anderweitigen Rei- nigungsprozeß zu beseitigen ist, und zwar in einer Weise, daß die Brauchbarkeit der Pumpe dadurch nicht beeinträchtigt wird. Auch die aus Kautschuk bestehenden Teile der Pumpe, vor allem die Einlagen des Schlauches, nehmen einen nicht zu vernach- lässigenden Quecksilbergehalt an. Obwohl es sehr wahrscheinlich ist, daß in diesem Falle das Quecksilber sich wegen des Schwefelgehaltes der Kautschukmasse in einer unlöslichen Schwefelverbindung befindet, so würde doch eine Benutzung der Pumpe zur Förderung von Trinkwasser nicht statthaft sein, zu welchem letzteren Zwecke allerdings die für das Kielwasser bestimmten Pumpen nur ausnahmsweise in Frage kommen dürften. Gegen eine Verwendung zum Herbeischaffen von Spülwasser dagegen ist bei dem überaus geringen Quecksilbergehalt des Wassers, welches die Pumpe gleich nach Beendigung der Versuche passiert hatte, kaum ein Bedenken zu tragen. Da im Laufe von wenigen Tagen sich außerdem dieser Quecksilbergehalt noch weiter verringern und schließlich verschwinden muß, so würde es, um ganz sicher zu gehen, genügen, die Pumpe zu dem gedachten Zwecke ein bis zwei Wochen lang nicht verwenden zu lassen. Eine Beschädigung der aus Kautschvik und Leder bestehenden Teile der Pumpe scheint die Sublimatdesinfektion nicht zur Folge zu haben. Dem Augenschein und dem Gefühle nach zu urteilen, hatten sich dieselben gar nicht verändert und namentlich war ihre Elastizität vollkommen erhalten. Außer diesen über die Sublimatdesinfektion gewonnenen Tatsachen haben die Ver- suche noch einige Ergebnisse geliefert, welche für die Desinfektion des Kielraums überhaupt von Wichtigkeit sind, auch abgesehen von dem Fall, daß dieselbe mit Hilfe von Sublimat bewirkt werden soll. Eine der ersten Bedingungen für das Gelingen der Desinfektion des Kielraums ist die gleichmäßige Vermischung des Desinfektionsmittels mit dem Kielwasser. Nur wenn diese bewirkt ist, läßt sich erwarten, daß das Desinfektionsmittel auch in alle Abtei- lungen und Winkel des Kielraums gelangt. Bisher scheint diesem Punkte wenig Aufmerk- samkeit geschenkt zu sein. Man goß die Desinfektionsflüssigkeit an irgendeiner oder auch an verschiedenen Stellen in das Kielwasser und rechnete darauf, daß durch die Schwankungen des Schiffes und die daraus resultierenden Bewegungen des Kielwassers eine ausreichende Verteilung des Desinfektionsmittels im Kielräume geschehen würde. Wenn ein Schiff sich auf hoher See befindet, ist diese Voraussetzung unzweifelhaft richtig. Aber wenn die Desinfektion eines im Hafen oder auf der Reede bei wenig bewegter See liegenden Schiffes bewerkstelUgt werden soll, wird ohne besondere Maßregeln eine gleichmäßige Vermischung des Desinfektionsmittels mit dem Kielwasser nicht zu erreichen sein. Auch die zu den Versuchen in Wilhelmshaven benutzten Schiffe lagen voll- kommen bewegungslos, und es war schon aus diesem Grunde erforderlich, durch irgend- eine passende Vorrichtung die Subhmatlösung im Kielwasser gleichmäßig zu verteilen. Zu diesem Zwecke wurden zwei im Prinzip ganz verschiedene Verfahren versucht, von denen das eine solchen Verhältnissen entsprechen sollte, bei denen, das Kielwasser zugleich mit dem Kielraum der Desinfektion unterzogen werden soll, und das andere für diejenigen Fälle berechnet war, in welchen der Kielraum allein nach Entfernung des Kielwassers zu desinfizieren ist. Für den ersten dieser beiden Fälle schien den meisten Erfolg eine durch die Pumpe bewirkte Bewegung des Kielwasser zu versprechen, für den zweiten der Zusatz des Desinfektionsmittels zu dem Seewasser, welches in den leergepumpten Kielraum einströmte. Wie diese l)eiden Methoden in den betreffenden Versuchen ausgeführt sind, ist eingehend geschildert. Es genügt an dieser Stelle der Hinweis 'darauf, daß nur das Mischungsverfahren mit der Pumpe einen vollständigen Erfolg erzielte und deswegen, wenn es auch etwas un\ständlich ist, dem anderen vorge- 400 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. zogen werden muß und überhaupt für die Schiffsdesinfektion, wenn sie unter ähnhchen Verhältnissen stattfindet, unentbehrhch ist. Außer der vollständigen Verteilung des Desinfektionsmittels ist selbstverständlich noch notwendig, daß dasselbe in der zur Desinfektion hinreichenden Menge dem Kiel- wasser zugesetzt wird, daß also beispielsweise der Gehalt des Kielwassers an Karbolsäure auf mindestens 5%, an Sublimat auf mindestens 0,2°/^^ zu bringen ist. Von vornherein scheint die Erfüllung dieser Bedingung außerordentlich einfach und doch stößt sie in der Praxis, wie die Versuche in Wilhelmshaven und ganz besonders der erste Versuch auf der Freya lehrt, auf recht erhebliche Schwierigkeiten, welche sich daraus ergeben, daß die Menge des Kielwassers nicht mit Sicherheit zu bestimmen ist. Ursprünglich war letztere auf 200 1 für die Freya und auf 250 1 für die Hyäne angegeben. An Ort und und Stelle wurde dann infolge der beim ersten Versuch gemachten Beobachtungen festgestellt, daß die Schiffe ungefähr eine zehnfach größere Kielwassermenge hatten und jener Angabe vermutlich nur ein Mißverständnis zugrunde lag. Aber auch dann konnte trotz sorgfältiger Berechnung nach den Schiffsrissen nur eine annähernde Schätzung erhalten werden, nach welcher die Menge zwischen 2000 und 3000 1, also inner- halb recht weiter Grenzen schwankte. Unter solchen Umständen ist es durchaus notwendig, irgendein einfaches Kennzeichen dafür zu besitzen, daß das Kielwasser auch in der Tat einen hinreichenden Zusatz des Desinfektionsmittels erhalten hat. Für die Subhmatdesinfektion ist in der Reaktion auf blankes Kupferblech ein solches einfaches und untrügliches Kennzeichen gegeben und hat sich auch im Versuch auf der Hyäne voll- kommen bewährt. Aus diesen Erfahrungen geht aber hervor, daß ohne einen derartigen Maßstab die Desinfektion des Kielraums eine ganz unsichere sein wird und daß also zur Schiffsdesinfektion sich nur solche Mittel eignen, welche eine ähnliche einfache Re- aktion wie das Sublimat gestatten. Welches Verfahren auch immer zur Schiffsdesinfektion angenommen werden mag, so wird außer der zuverlässigen Wirksamkeit des Desinfektionsmittels, welche natürlich in erster Linie zu berücksichtigen ist, stets der größte Wert auf die beiden zuletzt be- sprochenen Punkte, nämlich auf die gleichmäßige Verteilung des Desinfektionsmittels im Kielraum und auf die richtige Abmessung der zur Desinfektion hinreichenden Menge des Mittels zu legen sein. Wegen der Wichtigkeit gerade dieser Bedingungen möge hier noch eine Bemerkung darüber Platz finden, wie man sich die Ausführung der Sublimat- desinfektion in der Praxis auf Grund der bei den Versuchen in Wilhelmshaven genom- menen Erfahrungen vorstellen kann. Die Verhältnisse, unter denen die Desinfektion eines Schiffes geschieht, müssen wesenthch verschieden sein, je nachdem dieselbe im eigenen unmittelbaren Interesse des Schiffes und aus eigenem Antriebe oder im Interesse der öffentlichen Gesundheits- pflege auf Anordnung der Hafenpolizei erfolgt. Im ersteren Fall, für welchen als Bei- spiel der Ausbruch einer heftigen Ruhrepidemie an Bord gelten kann, würde die Des- infektion auf hoher See stattfinden, das Kielwasser könnte vorher ausgepumpt, der Kiel- raum vielleicht wiederholt ausgespült und dann erst mit soviel Sublimat desinfiziert werden, daß eben die Kupferreaktion eintritt. Da durch die Spülung des Kielraums das schwefelwasserstoffhaltige Kielwasser und eine Menge organischer Bestandteile ent- fernt sind, würde voraussichtlich schon eine geringe Menge Sublimat genügen. Die Mischung würde unter der Voraussetzung, daß die wasserdichten Abteilungen des Schiffes untereinander kommunizieren oder jede einzelne Abteilung für sich desinfiziert wird, allein durch die Bewegungen des Schiffes bewirkt werden und die Benutzung der Pumpe nur zur Entfernung des sublimathaltigen Wassers erforderlich sein. Letzteres kommt dann nur so kurze Zeit mit der Pumpe in Berührung, daß eine Beschädigung derselben Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeraums von Schiffen. 401 kaum möglich ist und irgendwelche Einschränkungen in ihrem weiteren Gebrauche un- nötig sind. Die Sublimatdesinfektion erscheint also unter diesen Verhältnissen ziemlich einfach vnid durchaus zweckentsprechend. Der zweite Fall, der Avohl am häufigsten Veranlassung zur Ausführung der Schiffs- desinfektion geben wird und als der eigentlich maßgebende anzusehen ist, wird dann eintreten, wenn die Verschleppung von epidemischen Krankheiten, z. B. von gelbem Fieber, Cholera, Pest, aus einem Hafenort nach einem anderen verhütet werden soll. In diesem Falle liegt die exakte Ausführung der Desinfektion nicht, wie beim vorher- gehenden, im Interesse der Schiffsbesatzung, welche dieselbe möglicherweise für eine sehr überflüssige und lästige Maßregel hält. Da nun aber, wie früher gezeigt wurde, die Aus- führung der Desinfektion nicht so einfach und nicht etwa mit dem Hineingießen des Desinfektionsmittels in vnibestimmter Menge und an einem behebigen Punkte des Kiel- raumes geschehen ist, sondern eine richtige Dosierung und gleichmäßige Verteilung er- fordert, und da es sich außerdem nachträglich nicht mehr feststellen läßt, ob die Des- infektion auch vorschriftsmäßig ausgeführt wurde, so wird eine Gewähr für die sichere Desinfektion des Schiffes nur dann gegeben sein, wenn die Hafenpolizei selbst die Aus- führung übernimmt resp. überwacht. Die Desinfektion wird alsdann im Hafen oder auf der Reede stattfinden. Das Kielwasser, welches möglicherweise Infektionsstoffe in sich schließt, muß deswegen vor der Entfernung aus dem Schiffe desmfiziert werden, und der Verlauf der Desinfektion wird ein ähnlicher sein wie bei dem Versuche auf der Hyäne, nur mit dem Unterschiede, daß dieselbe schon nach ungefähr 18 Stunden als beendigt angesehen und der Kielraum dann schon gespült werden kann. Die Dosierung der zur Desinfektion erforderlichen Menge des Sublimats wird vermittels der Kupferreaktion sehr einfach und sicher sein, ein Vorteil, den bislang kein anderes hier anwendbares Des- infektionsmittel besitzt, und der in Anbetracht der früher erwähnten Unsicherheit in der Bestimmung der Kielwassermenge nicht gering anzuschlagen ist. Die Vermischung des Desinfektionsmittels wird mit Hilfe einer Pumpe zu geschehen haben, und es dürfte zweckmäßig sein, da in diesem Falle die Pumpe erheblich mehr von der Sublimatlösung beeinflußt wird als in dem ersterwähnten, wenn eine nur für diesen Zweck dienende, von der Hafenpolizei zu stellende Pumpe benutzt wird, namentlich wenn in demselben Hafen öfters Schiffsdesinfektionen notwendig sein sollten^). Bei einer derartigen Ein- richtung kann ohne irgendwelche nennenswerte Beschädigung des Schiffsmaterials und ohne Gefährdung der Gesundheit der Mannschaft eine zuverlässige Desinfektion be- werkstelligt werden, während sich dies von keinem der jetzt üblichen Verfahren von Desinfektion des Kielraums auch nur im entferntesten behaupten läßt. Das Gesamtresultat der Desinfektionsversuche läßt sich kurz folgendermaßen zusammenstellen : 1. Durch Subhmat können im Kielraum und dessen Inhalt die am meisten wider- standsfähigen Keime von Mikroorganismen getötet werden, und es läßt sich nach allen bis jetzt vorliegenden Erfahrungen hieraus schließen, daß mit diesem Mittel auch eine sichere Vernichtung aller Infektionsstoffe, also eine sichere Desinfektion bewirkt werden kann. M Dieser Empfehhmg ist in der Kgl. Preuß. ,, Instruktion zur Desinfektion der Seeschiffe" vom 11. .Juli 1883 Eechnung getragen worden. Der § 6 dieser Instruktion bestimmt nämlich, daß an jedem Hafenorte seitens der Hafenbeliörde ein für die Zwecke der Desinfektion ein für allemal bestimmtes Pumpwerk bereitzuhalten ist, welches den Schiffern zur Vornahme der Desinfektion zur Verfügung zu stellen ist. Koch, Gesammelte Werke. 26 402 Versuche über die Desinfektion des Kiel- oder Bilgeramns von Schiften. 2. Um diesen Zweck zu erreichen, ist eine gleichmäßige Verteiking der Subhmat- lösung im Kieh-aum erforderhch, und es ist von der Sublimatlösung so viel dem Kiel- wasser zuzusetzen, daß in einer Probe desselben die Kupferreaktion eintritt. 3. Wenn sich das zu desinfizierende Schiff in Ruhe befindet, muß die Subhmat- lösung mit dem Kielwasser gleichmäßig gemischt werden, was am zweckmäßigsten mit HUfe einer Pumpe geschieht. 4. Innerhalb von 18 Stunden kann die Desinfektion als beendet angesehen werden. Vermutlich ist dieselbe aber schon in einer kürzeren Zeit vollendet. 5. Nach einer viermahgen Spülung des Kielraums bleiben in demselben so ge- ringe Spuren von Quecksilber zurück, daß eine Gefahr für die Gesundheit der auf dem Schiffe befindUchen Mannschaft nicht eintreten kann. 6. Das Schiffsmaterial wird durch die Sublimatsdesinfektion anscheinend nicht beschädigt. 7. Die zu den Versuchen benutzte Pumpe hat soviel Quecksilber zurückgehalten, daß ihre Verwendung zur Förderung von Trink- oder Spülwasser nicht ohne weiteres zulässig erachtet wurde; auch schien es fraglich, ob dieselbe nicht mit der Zeit an ihrer Gebrauchsfähig keit Einbuße erleiden würde. Die sub 6 und 7 erwähnten Punkte konnten begreiflicherweise nur auf Grund von Untersuchungen entschieden werden, welche nach einem längeren Zeitraum über den Zustand der zu den Versuchen verwandten Schiffe und der Pumpe anzustellen waren. Derartige Untersuchungen haben denn auch etwa ein halbes Jahr nach Ausführung der Desinfektionsversuehe stattgefunden und haben ergeben, daß an beiden Schiffen keine Beschädigungen vorgefunden worden sind, welche der Wirkung des Desinfektions- mittels hätten zugeschrieben werden können. Insbesondere hat das bei den Versuchen benutzte Druckwerk sowie die zum Entleeren der Bilge gebrauchte Pumpe irgendwelche von der Sublimatlösung herrührende Beschädigungen nicht gezeigt. Die inneren Teile waren mit einem schwarzen Schleim überzogen, an welchem nichts Ungewöhnliches zu bemerken war und welcher durch Reinigung entfernt werden konnte. Bericht des Kaiseriichen Gesundheitsamtes über den Einfluß der Spüljauche von Berliner Rieselgütern auf deren Abwässer und auf die die letzteren aufnehmende Spree.') Berlin, den 12. Februar I880. Die ;Ministerialkoinmission für Beaufsichtigung der Berieselungsanlagen der Stadt Berlin hat beluifs Feststellung des Einflusses, welchen die über die städti- schen, im Kreise Nieder-Bar nim belegenen Rieselgüter verteilte S p ü 1 j a u c h e auf die Beschaffenheit des Wassers der z vi r A b w ä s s e - rung dieser Rieselgüter dienenden Wasserläufe und, nach Ein- mündung der letzteren in die OI>erspree res p. den Rummelsburger See, auf die Beschaffenheit des Wassers der Spree resp. des Rum- mel s b u r g e r Sees und besonders des zur Speisung der S t r a 1 a u e r W a s s e r w e r k e V e r w a n d t e n S p r e e w a s s e r s ausübt, das Kaiserliche Gesundheits- amt und Dr. T i e m a n n , Professor an der Fi'iedrich-Wilhelms-Universität, ersucht, das erstere eine mikroskopisch-bakteriologische, den zweiten eine chemische Untersuchung der luerbei in Frage kommenden Wasser vorzunehmen. Infolge dieses Ersuchens hat die Entnahme von 14 Wasserproben am 9. und 11. Januar in der, in den Protokollen von denselben Tagen registrierten Weise und an den auf dem beifolgenden Situationsplane der betreffenden städtischen Rieselgüter genau bezeichneten Stellen stattgefunden, nämlich : 1. Ungereinigte Spüljauche (sewage) an der Mündungsstelle des Druckrohres in Falkenberg. 2. Wasser aus dem nördlichen Hauptentwässerungsgraben des Palkenberger Rieselterrains ungefähr in der Mitte seines Laufes innerhall) des Rieselterrains. 3. Wasser aus dem südlichen Ilauptentwässerungsgi-aben der Falkenlierger Ländereien oberhall) seiner Einmündung in die Wühle. 4. Wasser aus der Wulile an dem Kreuzungs])unktc mit der von Berlin nach Alt- Landsberg führenden Chaussee. 5. Wasser aus dem Marzahn-IIohenschönhauser (Irenzgi-aljen bei seinem Austritt aus dem Rieselterrain von Marzalm und Bürknersfelde. (). Wasser aus demselben Graben unmittelbar ol)erhalb der Einmündungssteile in den Rummelsbm-ger See. 7. Wasser aus dem Runuiielsbm'ger See vmterhalb und unweit der Einmündung desselben Grabens. 8. Wasser aus dem Ruuanelsl)urger See in der Nähe der Eiswerke. 9. Wasser aus der Spree oberhalb Köpenick. 10. Wasser aus der Spree 200 Schritte oberhalb der Wuhlemündung. 11. Wasser aus der Wühle in der Nähe ihrer Einmündung in die Spree. 12. Wasser aus der Spree 200 Schritte unterhalb der Wuhleeinmündung. 13. Wasser der Strahlauer Wasserwerke, bevor dasselbe die Filter passiert hat. 14. Wasser der Strahlauer Wasserwerke, nachdem es durch die Filter gegangen ist. (I^s folgt hier im Original zunächst der Bericht von Prof. Tiemann, den wir übergehen. D. Herausgeber.) 1) Aus Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für öffentl. Gesundheitspflege zu Berlin. 1883, Heft 1. 26* 404 Einfluß der Spüljauche von Berliner Rieselgütern auf deren Abwässer usw. Für die bakterioskopische Untersuchung wurden bei Entnahme des Wassers aus den versiegelten Flaschen je 200 ccm in sorgfältig gereinigte, durch heißen Dampf desinfizierte, mit ebenso desinfi- ziertem Wattepfropf verschlossene Gläser gefüllt. Zvir Entnahme des Wassers diente eine vor jedes- maligem Gebrauche mit destilliertem Wasser mehrmals ausgespülte Pipette. Der Inhalt der Flasche wurde vor Entnahme der Probe längere Zeit hindtirch stark geschüttelt. Die zur Aufnahme des der mikroskopischen Untersuchung zu vmterwerfenden Wassers bestimmten Flaschen enthielten Auf- schriften, welche denen der Hauptgefäße gleichlautend waren. Die Hauptgefäße hatten sich bis zur Entnahme der Proben, welche am 12. Januar stattfand, in einem kalten Kellerraimie befvmden. Die zur mikroskopischen Untersuchving aus denselben ent- nommenen Wasserproben wurden, um eine Veränderung in ihrem Gehalte an Mikroorganismen zu verhüten, auf Eis avifbewahrt und noch am selben Tage in Arbeit genommen. Zui unnüttelbaren mikroskopischen Untersuchung wurde ein Tropfen des betreffenden Wassers, nachdem dasselbe stark geschüttelt war, auf ein Deckglas gebracht, letzteres mit dem nach unten gerichteten Tropfen auf einen hohlgeschliffenen Objektträger gelegt und bei 100 f acher, darauf bei 500facher Vergrößerung durchgemustert. Es wurden ferner drei Deckgläschen mit einem Tropfen desselben Wassers versehen und zum Eintrocknen der Flüssigkeit an einem gegen Staub und sonstige Verunreinigungen geschützten Orte aufbewahrt. Nach 15 bis 20 Minuten war das Wasser verdunstet. Es wurde dann die den Deckgläschen anhaftende trockene Substanz mit Methylenblaulösung gefärbt, wiederum getrocknet, in Kanadabalsam eingelegt und alsdann bei SOOfacher Vergrößerung unter- sucht. Schließlich wurde noch, um die Zahl der im Wasser befindlichen entwicklungsfähigen Mikro- organismen zu bestimmen, eine entsprechende Menge desselben mit flüssig gemachter und unmittelbar vorher in Siedehitze sterilisierter Nährgelatine vermischt. Die Menge des hierbei zu verwendenden Wassers mußte durch Vorversuche bestimmt werden und schwankte zwischen ^/,oo(i Tropfen und 10 Tropfen. Die Tropfenzahl wurde stets mit derselben Pipette abgemessen; letztere war jedesmal mehrfach mit gekochtem destilliertem Wasser und dann noch mehrere Male mit dem z\i untersuchenden Wasser ausgespült. Die Pipette war gradmert; ein ccm entsprach 22 Tropfen Wasser. Zur Mischung nüt dem Wasser dienten bei jeder Untersuchung 10 ccm verflüssigter Gelatine, welche sofort auf einer horizontal gelagerten, vorher durch Hitze desinfizierten Glasplatte ausgebreitet wurden. Diese Mani- pulation wurde in einem kalten Eaiun ausgeführt, so daß die Gelatine nach wenigen Minuten erstarrte. Die Platte wvirde hierauf in eine feuchte Glocke gelegt und in einem geheizten Zimmer aufbewahrt. Es entwickelte sich dann im Laufe von 40 bis 60 Stunden eine den im Wasser enthaltenen Mikro- organismen entsprechende Anzahl von Kolonien in Form von mehr oder weniger großen, verschieden gefärbten, die Gelatine hin und wieder verflüssigenden Punkten und Tropfen. Die Zahl dieser Kolonien wurde in der Weise bestimmt, daß unter die Glasplatte eine zweite Glasplatte mit eingeätzten Quadratzentimetern gelegt wurde. Die zm- Entmcklung gekommenen Kolonien wiu-den dann auf verschiedenen Stellen der Platte mit Hilfe des Mikroskops bei 30 fa.cher VergTößerung gezählt und hiernach die Durchschnittszahl derselben bestimmt. Die Anzahl der Quadratzentimeter, welche die Fläche der ausgebreiteten Gelatine- schicht einnahm, wurde mit der genannten Durchschnittszahl multipliziert. Es ergab sich hieraus die Zahl der entwicklungsfähigen Organismen, welche in dem der Gelatine zugesetzten Quantvim des z\i untersuchenden Wassers enthalten war, so daß daraus die Zahl der in einem Kubikzentimeter dieses Wassers vorhandenen Keime berechnet werden konnte. Diese Zahl kann zwar nur einen An- spruch avif annähernde Richtigkeit machen; dieselbe fällt jedoch jedenfalls geringer aus, als es der Wirklichkeit entspricht, da mehrere unmittelbar zusammenliegende Keime in eine Kolonie zusammen- fallen und manche Mikroorganismen, trotz der für die meisten Bakterien und Pilze sehr günstigen Beschaffenheit des Nährbodens, auf demselben nicht zur Entwicklung kommen werden. Die in der Methode liegenden Fehlerquellen bewegen sich in sehr engen Grenzen: Bei wieder- holten Versuchen, in denen gekochtes destilliertes Wasser avif einer Nährgelatine untersvicht wurde, betrug die Anzahl der aus einem Kubikzentimeter dieses Wassers gezüchteten Kolonien 4 — 6, eine Zahl, welche gegenüber der großen Anzahl von Kolonien, welche in den untersuchten Wasserproben zur Entwicklung gelangten, verschwindend klein ist. Die im Vorstehenden geschilderte Methode der bakteriosko- pi sehen Wasseruntersuchung ist neu und zuerst vom Kaiserlichen Gesund he.itsamte in Anwendung gebracht. Dieselbe gibt zwar in ihrer bis- herigen Ausbildung kein absolutes Urteil über die Gesundheitsschädlichkeit eines Wassers; eine solche würde sich vielmehr erst klarstellen lassen durch eine Verimpfung der in den untersuchten Wassern gefundenen Bakterien auf lebende Tiere und Feststellung der eventuellen pathogenen Eigen- schaften dieser Bakterien durch eine solche Verimpfung — eine Untersvichungsweise, welche noch einer der Zukunft vorbehaltenen Ausbildung bedarf. Es ist aber bekannt, daß überall da, wo die Be- Einfluß der Spüljauche von Berliner Rieselgütern auf deren Abwässer usw. 405 dingungen dafür gegeben sind, sieh in der Natur niedere organische Wesen ansiedeln und daß diese Ansiedelung vornehmhch da beobachtet wird, wo sich Zersetzungen organischer Substanzen voll- ziehen. Wir finden diese niederen organisierten — dem Pflanzenreiche angehörenden — Wesen daher bei allen Gährungsvorgängen und die erste Bedingung ihrer Existenz, ihrer Verljreitung ixnd ihrer Fortpflanzung ist, abgesehen von der Gegen\^'art der erforderlichen Wärniegrade, einer gewissen Feuchtigkeit usw., das Vorhandensein einer passenden aus organischer Materie l>estehenden Nähr- substanz. Als ein besonderes Kriterium für die Beurteilung der Reinheit eines Wassers ist allgemein der Gehalt desselben an gelöster organischer Suljstanz anerkannt. Wenn daher ein Wasser viel be- lebte, organisierte und entwicklungsfähige Elemente (Bakterien) enthält, so ist zweifellos, daß in denisellien auch eine hinreichende Qiiantität organischer als Nährsubstanz für diese Wesen dienender Stoffe enthalten sein muß. Es liegt somit nahe, daß der Gehalt an entwicklungsfälügen organisierten Keimen seiner Zahl nach einen Rückschluß auf den Gehalt eines solchen Wassers an organischer Materie gestattet. Xtni diesem Gesichtspunkte aus sind die in dem vorhegenden Falle im Gesund- heitsamte ausgeführten, in der beihegenden Übersicht mit Ijesprochenen bakterioskopischen Unter- suchungen in Angriff genommen worden. Es dürfte zweckdienlich sein, im folgenden eine Reihe von Ergebnissen vorzuführen, welche bei früheren zur Orientierung ausgeführten Untersuchungen dieser Art im Gesundlieitsamte gewonnen wurden. Dieselben stehen zu dem hier vorschwebenden Zwecke nicht außer Beziehung und gestatten, da es sich dabei ebenfalls um eine Untersuchung von Wasser aus der Spree und von den Berliner Rieselfeldern gehandelt hat, einen aufklärenden Vergleich mit den in der Anlage verzeichneten Unter- suchungsresultaten. Es stellte sich in einem Kubikzentimeter der nachgenannten Wässer die nebenverzeichnete Anzahl entwicklungsfähiger Keime heraus, in: 1. Flüssigkeit aus dem Druckrohr in Falkenlierg, im INIonat August 50 000 000 im ;\Ionat Oktober 46 000 000 2. dem Sammelgraben für die Drainwässer des Rieselterrains bei Falkenberg zwischen Falkenberg imd .Marzahn 3. Wasser aus einzelnen Drainröhren bei Falkenber; 44 000 76 000 460 860 4 400 48 000 74 000 420 000 830 000 210 000 616 000 4. dem Wasser der Wühle 5. der Spree oberhalb der Einmündung der Wühle 6. des Grenzgrabens 7. der Spree in der Stadt, oberhalb der Panke unterhalb der Panke 8. der Spree bei Bellevue, bei der ersten Untersuchung bei einer zweiten Untersuchung 9. der Spree bei Charlottenburg 10 180 000 der Spree bei Spandau, bei der ersten Untersuchung bei einer zweiten Untersuchung der Wasserleitungswasser im Gesundheitsamte (Tegeler Leitungswasser) in vielen Untersuchungeii dem Tegeler See • dem Brunnenwasser aus versclüedenen Brunnen schwankte zwischen . . erreichte aber in einigen Fällen . 4000 und 12 000 Zur Erläviterung der in der beifolgenden Übersicht enthaltenen Daten ülier die Resultate der bakterioskopischen Untersuchung der betreffenden Wasserproben sei es gestattet, noch Nachstehendes zu erwähnen : In der Beschaffenheit der Wasserproben tritt ein charakteristischer Unterschied insofern hervor, daß die dem R i e s e 1 1 e r r a i n entstammenden A erhältnismäßig reich an solchen 10. 11. 12. 13. 940 000 1 800 000 1 640 000 4 480 000 220 000 5 000 000 160—2.50 3 740 40—160 406 Einfluß der Spüljauche von Berliner Rieselgütern auf deren Abwässer usw. Organismen sind, welche bei ihrem Wachstmn die Gelatine verflüssigen. Es sind dies, anderweitigen Erfahrungen zufolge, gerade diejenigen Bakterien, welche bei der Fäulnis tierischer Substanzen vorzugsweise angetroffen werden, so daß die Zahl ihres Auftretens in einem Wasser einen Rückschluß auf den Grad der vorhandenen Verunreinigung desselben durch tierische Materie gestattet. In dem Wasser der Spree, welches sehr reich an Mikroorganismen gefunden wurde, waren diese für die Fäulnis charakteristischen Bakterien nur in geringer Zahl vorhanden. Nach den Resultaten zu iirteilen, welche im Gesundheitsamte zur Sommerzeit erhalten wurden, scheinen in bezug auf den Gehalt an entwicklungsfähigen Organismen im Wasser starke Schwankungen vorzukommen. Namentlich findet dies im Spreewasser statt. Die auffallend hohen Zahlen, welche mit der Prüfung von Spreewasser von Bellevue, Charlottenburg und Spandau erhalten wurden, haben jedoch höchst wahrscheinlich in vorübergehender Trübung des Wassers und Aufwühlen des Grundschlammes durch Dampfschiffe oder andere Fahrzeuge ihren Grund. Ebenso ist es wahr- scheinlich, daß die im Verhältnisse zum nördlichen Sielgraben (Nr. 2) höheren Werte des südlichen Sielgrabens (Nr. 3) und des Grenzgrabens (Nr. 5) dadurch veranlaßt sind, daß, wie im Protokoll der Wasserentnahme erwähnt ist, diese beiden Gräben kurze Zeit vor dem Schöpfen der Probe geräumt wurden und infolgedessen das Wasser noch eine trübe Beschaffenheit hatte, also durch den aufge- wühlten Schlamm verumeinigt war. Auffallend ist der geringe Gehalt des Grenzgrabens (Nr. 6) an entwicklimgsfähigen Keimen an seiner Binmündungsstelle in den Rimunelsburger See. Wenn eine Rückstauung des letzteren ausgeschlossen ist, daim könnte nur noch die Erklärung am Platze sein, daß die vorher erwähnte Trübung des Wassers, welche durch Räumungsarbeiten veranlaßt wurde, noch nicht bis zu dieser Stelle gedrungen war oder die bei der Reinigung aufgewühlten Umeinigkeiten sich vor Ankunft des Wassers an der Entnahmestelle bereits wieder abgesetzt haben. Im Protokoll über die Entnahme der Wässer ist gesagt, daß das Wasser des Grenzgrabens an der Mündung fast klar gewesen sei, im Gegensatze zu dem trüben Wasser aus dem Anfangsteil dieses Grenzgrabens. Es würde dieser Umstand für eine der letzteren Erklärungen sprechen. Sehr bemerkenswert ist die Reinheit des filtrierten Spreewassers aus den Wasserwerken. Das- selbe enthielt am Tage der Untersuchung weniger Keime als das Tegeler Leitungswasser und entsprach xmgefähr der Beschaffenheit von gutem Brunnenwasser. Eine Entscheidung darüber, ob dieses günstige Verhalten ein konstantes ist, würde nur durch fortlaufende Untersuchungen herbeizu- führen sein. Die Resultate der bakterioskopischen Untersuchung, welche in der Anlage mit aufgeführt sind, stehen im übrigen in einem bemerkenswerten Einklänge mit den Ergebnissen der chemischen Analyse der obengenannten Wasserproben. Einfluß der Spül, ijauche von Berliner Rieselgütern auf deren Aljwässer usw. 407 «< 61 11 61 , £ 5 ' M 'S 5 I c M x3 T ■- s > ■= CO w C3 .X S -o w. " t/1 tß -C -in ÖJD ; ü I 3 s ei e ■5 I (Li C) = c ö c " .5 o f c = ^ " ^ wi SS 5n 4. 5" c c CO 3 c c w B O M . C . - jji c = -Si> C< C= - o «j ß cZ ■ 4) 4) = — '.i C S !S U 0) ^ o c o t. ^ S "5 'w « o ? ^ >'5 5 0 — t- ™ ^ 1 ?; 5 g .5 •g . S = w — C .X! e O 3 f- 3 Sr " r. in p S g 5 S £ 5 = = =3 = ^ 'n "n '2 N 5 lu i _J ^ ac^ ^j: St«; -: S g o i> J . J3 ig DB OJ _• 1-7; a)[_ Q. c>f".- £ 2 > o c üig-El^ Q E " r o C . O M (J .- > s c c c S -u: O S O "r ^ jEUBSuBiujaduiiiiiBM aiPX uajaaiznpaj aj}0)S u'aqosiuBSao uauapuBii -JOA U3|!31 000 001 ui asa c 3 u 3 s c u 1 c XI U c c •5 u V Xi =3 X Bc d . .3= £ c, "5 .S CO ^ 'CÖ P V c e |>^g CO fc- g fc- TS C C 0/ Öf c 0 'a (1> ßer sch ■3 s c V 0; so sc d 1 1 C/3 f - ü 'S S c i3 2 XI Oh W S X _2 f- Sß ^ 5 £ - 3 >'^ c w S N 4)Ä 5o " in C C o o o o — >- ^■o_eß o o 00 OD o o ■g a^ Sß^ 3 Ol 'S c5 C/3 408 Einfluß der Spüljauche von Berliner Rieselgütern auf deren Abwässer usw. (u a. •2 * SD O 'ci. C tu 'vi 0 3 T3 OD <£ 1 S = S £ £ £ g äi c ~ X u -S 5 C ü <1) 4) D .2 Q c 5 c .« CO c 3 Cq 3e JOT3 > 3 3 "'S 'S 'S S • 3 C Ö 4J C Oji CS 3^S^ 4) c O — 3 ^5 D 5 Ji! -= .3 JBUBSUBlUjaduUUlBM aijax uajjaiznpaj ajiojs uaqasiuBSJO uauapueq -aoA uaipi OOOOOl "! 3!a c 3 u 3 C 3 E •a e si u c CS c CS ■5 u :3 Ol c3 3S = 4> > Ä 4) jg 4) M 5 S ao £0 2 E •£ <; o ° « 1 I 2 «li^ o o o .3 o . . « «;o , j«i 4) jÄ-a ^ ^ Cfl ^ 4) O C3 4> C3 M . 3 s 5j. c X '-^ 3 4> 4) fj) cn-o 4'»' in o o o" o o o ES?«i I SC 3 I ? ,r cn " _ £. «J 4J O 4^^ 5 5 <"~ 4) - 4) 3 ö3 Ji! 3 > £. C CS >^ 3 J a 4) « ^t3 2PX N «Iis- O o o o o S^ts btS c c 4) 3"c33ctl«<ü«a«l Ä 5 z y 3 3 •- M CS c_> ^ ^ 4) Jr„— cc I S 2 c >''0 3 „ ^ S « £ 3 e "1 — 2—4) . 4, 3 -«3 = 3 N.--a - 3 i- 30: 4) '":5 öe3[/2 3 O'S £ 4) s5 CO o ö" o CO T—t c C M3 4j^"5 cs_ 4J CS 3 ^ ü ÖÄ ■3— ;r^'ar:tfi3cc CS — . 4) :0 ™ > c "O 337|gjS|o>. W^j-^4)C/3.,-SS -^■S tr« K _ S 4> 2 4)Z«--stSg 4) £•£ s c« 2 C 4)2 c ■- M « 3 w S =t« £ .„ oS Ö£ 4) U) CQ ^DJiqiaS HDBAV113S aqss 'soiqJB} ^sbj S £-5 2 3 & 3 atw'E'o 2 3 >- 41 3 3 « S° 3= £ •° 3S0 Einfluß der Spüljauche von Berliner Rieselgütern auf deren Abwässer usw. 409 U 4) - - c fits; « mz - _ u S = CO ^SJ " < Si'^ 2 in ^ - o D 2 o — ^ a> "> c c -g o N — t« fc- C C 0^ o " > : 4) c ca ^ — O = c o 4) O 5 j;;^ "H '^ — Üi i 4J Ol — Ü ^ t3 > OC <, 4J ^ 41 — 032 |.S - ^ O -i-i 4J g So 5 ^"g U Ä V t n S < S : 4J o 4J •; CQZ Ol n 5 — 4) 4) 4; Q 00 o o o CO 1— t o o o o o o o o o o o o" o o o" CO o o CO 4J £ ^ S; c 5 c c c , O i 4J 4J SB 4) ° "Villip- C/3 -g « C ^ •r ^ s -2 €§is;-° = .ai cj: c-Q S 2 £ 'P^^4J4J4J W öäW N-S-g >>o 4) c j: 4) r 5 5 tj)^ mS o ■£„2 5i 3 4> 3*7 0)'^^ _ i E 2 3 3 o 4J 'n "3 ÖD 3-35 5 a » =~ 3 4J O 41 '3 ^ •2S S-a , st 4J Ä — — — c: u CO — -a 3 c ■^82^ 3 ^ - = S 4i S <= m > — C/2 CO fc, Bericht über die im hygienischen Laboratorium der Universität Berlin ausgeführten Untersuchungen des Berliner Leitungs- wassers in der Zeit vom 1. Juni 1885 bis 1. April 1886.') Von Prof. Dr. R. Koch, Geheimer Medizinalrat, Direktor der hygienischen Institute. Für die Entnahme der Wasserproben wurde dasselbe Programm eingehalten, welches bei Übernahme der Untersuchung seitens des Kaiserlichen Gesund- heitsamtes durch das Mitglied dieses Amtes Herrn Regierungsrat Dr. Wolffhügel mit dem Direktor der städtischen Wasserwerke Herrn Gill vereinbart worden ist. Diesem Übereinkommen zufolge wurde die Entnahme der zu untersuchenden Wasser- proben durch Beamte der städtischen Wasserwerke nach einer hierfür im Juni 1885 im Laboratorium des Kaiserlichen Gesundheitsamtes erhaltenen Anleitung ausgeführt und hat bis jetzt ohne Unterbrechung stattgefunden. Alle acht Tage, und zwar am Dienstag, erfolgte der oben erwähnten Vereinbarung gemäß die Entnahme von 10 Wasserproben an folgenden Stellen: 1. Am Stralauer Werk an der Schöpfstelle, 2. Am Stralauer Werk nach der Filtration im Reinwasserbehälter, .3. Am Tegeler Werk an der Schöpfstelle, 4. Am Tegeler Werk nach der Filtration im Reinwasserbehälter, 5. Im Charlottenburger Sammelbehälter, 6. W. Wilhelmstraße Nr. 75 (Küche des Kastellans im Auswärtigen Amt), 7. SW. Friedrichstraße Nr. 41/42 (Friedrich- Wilhelms- Gymnasium), 8. SO. Schmidtstraße Nr. 16 (Gemeindeschule), 9. N. Friedrichstraße 126 (Friedrichs-Gymnasium), 10. C. Weinmeisterstraße Nr. 15 (Sophien-Gymnasium). Die Untersuchung des Wassers erstreckte sich : 1. auf eine Vorprüfung, bei welcher die Klarheit, Farbe, der Geschmack und Geruch berücksichtigt wurden. Die Temperaturen der Wasserproben wurden von den die Entnahme vollziehenden Beamten unmittelbar nach der Entnahme festgestellt. 2. Auf die chemische Zusammensetzung, wobei quantitativ stets der Rückstand, der Glühverlust, das Chlor, der Kalk und die zur Oxydation der im Wasser befindlichen oxydierbaren Stoffe erforderliche Chamaeleon-Menge (Oxydierbar- keit) ermittelt worden sind. Wo die qualitative Analyse des Wassers, welche ^) Verlag von .Julius Springer, Berlin, 1887. Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 l)is April 1886. 411 sich außer auf Chloride und Kalk noch auf Sulfate, Eisen, Schwefelwasserstoff, Nitrate, Nitrite und Ammoniak erstreckte, es für angezeigt erscheinen ließ, sollte auch eine quantitative Bestimmung dieser letzteren Bestandteile erfolgen. Es sei gleich an dieser Stelle erwähnt, daß außer Bestimmungen des Ammoniaks diejenigen der anderen genannten Verbindung in keinem Falle notwendig wurden. 3. Auf die bakteriologische Untersuchung des Wassers. Die zur Ermittelung der ad 1 und 2 genannten Eigenschaften bzw. Bestandteile des Wassers angewandten Methoden waren die gleichen, welche im Laboratorium des Kaiserlichen Gesundheitsamtes bei der Untersuchung des städtischen Leitungswassers benutzt und dem Magistrat s. Z. berichtet worden sind. Was die Beschaffenheit zunächst des unfiltrierten Spree- und Seewassers anbetrifft, wie sich dieselbe den Ergebnissen der chemischen Analyse vom 1. Juni 1885 bis 1. April 1886 zufolge darstellt, so kann man sagen, daß jene im großen und ganzen die gleiche, wie in der Versuchszeit vom 1. Juli 1884 bis 1. April 1885, geblieben ist. Die Schwankungen hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung sowohl des Spree- als auch des Seewassers in unfiltriertem Zustande waren verhältnismäßig sehr geringe. Nur ein einziges Mal (am 30. März 188()) wurde bei dem Wasser aus dem Tegeler See eine bedeutende Verminderung der bei der quantitativen Untersuchung gewöhnlich bestimmten Bestandteile wahrgenommen. An diesem Tage war zurückgegangen der Rückstand von diu-chsehnittlich 185 mg auf 77,5 m^ der Glühverlust ,, ,, 80,0 „ „ 40,0 „ das Chlor „ „ 16,0 „ j) 5,3 ,, der Kalk ,, ., • 70,0 „ 26 9 die Oxydierbarkeit ,, 13,0 „ 5,0 „ Das filtrierte Seewasser hat an dem nämlichen Tage keine bemerkenswerte Änderung gezeigt. Eine ähnliche Erscheinung bot das nämliche Wasser am 10. und 24. Februar 1885 dar, wie aus dem Berichte des Kaiserlichen Gesundheitsamtes ersichtlich ist; dieselbe konnte seitens dieser Behörde nicht mit genügender Sicherheit aufgeklärt werden. Wie neuere Nachforschungen dartaten, hängt diese abweichende Beschaffenheit des Wassers mit dem starken Eisgang auf dem Tegeler See zusammen. Das Eis schmolz an diesem Tage stark und es war also vermutlich viel Schmelzwasser (Eiswasser) in der geschöpften Probe. Ähnliche Verhältnisse haben, nach einer mündlichen Mitteilung des Betriebs- Ingenieur Herrn An klamm, zu Tegel am 10. und 24. Februar 1885 obgewaltet. Bei einem Vergleich der chemischen Zusammensetzung des unfiltrierten Spreewassers mit dem unfiltrierten Seewasser findet man schon früher gemachte Beobachtungen wieder bestätigt, daß das Flußwasser reicher an Chloriden und an oxydierbaren Substanzen ist als das Tegeler Wasser. Besonders der Unterschied im Chlorgehalte tritt so typisch hervor, daß man aus demselben, da er durch die Filtration nicht geändert wird, bei den in der Stadt entnommenen Wasserproben sofort erkennen kann, ob filtriertes Spree- oder Seewasser vorliegt. Für die Rückstandsmenge, den Glühverlust und Kalk kann über- einstimmend mit den im Kaiserlichen Gesundheitsamt gemachten Beobachtungen ein solch typisches Verhalten der einzelnen Wasserbezugsquellen nicht gefunden werden. Besonders hervorgehoben sei noch, daß das Spreewasser an manchen Entnahme- tagen einen ganz bedeutenden Gehalt an Ammoniak enthielt, so z. B. am 13. Oktober 1885 2,5 mg, am 9. März 1886 1,25 mg, am 23. März sogar 12,5 mg und am 30. desselben Monats 10 mg, während im Oktober 1884 der höchste Gehalt an Ammoniak 0,1 mg, im Februar 1885 0,16 mg betrug und im März 1885 nur Spuren aufzufinden waren. Das unfiltrierte 412 Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. Tegeler Seewasser enthielt meistens nur Spuren und höchst selten bestimmbare Mengen von Ammoniak; der höchste, nur einmal beobachtete Ammoniakgehalt betrug 0,6 mg (am 9. März 1886). Die Ursache für die oben angeführten, auffallend hohen Ammoniak- mengen im unfiltrierten Spreewasser konnten nicht eruiert werden. Weder im unfiltrierten Spreewasser noch im unfiltrierten Seewasser waren Nitrite, Nitrate (angewandt wurde die Metaphenylendiamin-Reaktion in Verbindung mit der Jodzink- Stärke-Reaktion und die Diphenylamin-Probe), Sulfide und Schwefelwasserstoff nachweisbar ; die Eisenmengen, sowie der Gehalt an Sulfaten war, nach dem Ausfall der qualitativen Reaktionen zu urteilen, ein sehr geringer. Bezüglich der äußeren Eigenschaften ist folgendes zu resümieren: Die Farbe des unfiltrierten Spreewassers war gelblich, die des Wassers aus dem Tegeler See bald gelb- lich, bald nur schwach gelblich; beide Wässer waren trübe, enthielten bald mehr, bald weniger suspendierte Bestandteile, rochen und schmeckten mehr oder weniger modrig und setzten beim Stehen bald stärkere, bald schwächere Bodensätze ab. Wie die chemische Untersuchung der Wässer nach ihrerFiltration erwies, übte letztere in erster Linie und hauptsächlich auf die äußeren Eigenschaften des Wassers einen günstigen Einfluß aus. Die filtrierten Wässer — sowohl die aus den Rein Wasser- behältern der Stralauer und Tegeler Werke und aus dem Charlottenburger Hochbehälter, als auch die in der Stadt an den bezeichneten 5 Stellen entnommenen Proben — erwiesen sich als klar, schwach gelblich, ohne modrigen Geruch und Geschmack und nur in verein- zelten Fällen waren geringe Bodensätze zu konstatieren. In der chemischen Beschaffenheit wurde durch die Filtration im Gehalt, an Rück- stand, Chloriden und Kalk gegenüber den nicht filtrierten Wässern nur wenig geändert. Dagegen fand nach der Filtration regelmäßig eine Verminderung des Glüh Verlustes, der Oxydierbarkeit und im Ammoniakgehalt statt; in bezug auf den letzteren trat dieselbe selbst dann hervor, wenn das unfiltrierte Wasser auffallend hohe Mengen von Ammoniak aufwies. So z. B. war das filtrierte Spreewasser am 13. Oktober 1885 frei von Ammoniak, während das unfiltrierte Spreewasser an demselben Tage 2,5 mg Ammoniak enthielt; am 9. März 1886, an dem dasselbe Wasser 1,25 mg, am 23. März und 30. März, an welchen Tagen 12,5 bzw. 10 mg Ammoniak im Liter nachzuweisen waren, wurden in den filtrierten Wasserproben nur Spuren davon aufgefunden. Nur am 2. Februar enthielt das filtrierte, aus dem Reinwasserbehälter entnommene Spreewasser ebensoviel Ammoniak, als das unfiltrierte, nämlich 0,8 mg im Liter, dagegen waren an diesem Tage alle übrigen filtrierten Wässer, — selbst die anscheinend fast nur vom Stralauer Werke kommenden Wasser vom Grundstücke Schmidtstraße Nr. 16 und Weinmeisterstraße Nr. 15 — nur mit Spuren von Ammoniak behaftet. Das Wasser des Charlottenburger Sammelbehälters, welcher von den Tegeler Werken versorgt wird, zeigte mitunter in seinen äußeren Eigenschaften im Vergleich mit dem filtrierten Tegeler Wasser Unterschiede, welche darauf hindeuten, daß das Wasser entweder bei seinem Laufe von Tegel nach Charlottenburg, oder aber im Sammelbehälter selbst Verunreinigungen aufgenommen hatte. Das dem Charlottenburger Sammelbehälter entnommene Wasser war nämlich in einigen FäUen trübe, enthielt häufig suspendierte Bestandteile meist vegetabilischen Ursprungs, häufig auch mit bloßem Auge sichtbare kleine Süßwasserbewohner (Daphnia, Pulex, Anguilula, Wasserpolypen u. dgl. m.); die aus dem Reinwasserbehälter der Tegeler Werke zur Untersuchung eingesandten Proben dagegen waren stets frei davon. Die Ursache dieser ungünstigen Veränderung des fil- trierten Tegeler Wassers, welches aus dem Charlottenburger Hochbehälter entnommen worden ist, wird zurzeit durch Untersuchungen von Wasserproben, welche aus dem Untersv^chungen des Berliner Leitungswassers .Funi 1885 bis April 188(3. 413 Sammelbehälter sowohl, als auch aus den Saugekammern stammen, zu ergründen versucht. Im Rohrnetz hat das Wasser die erwähnte ungünstige Beschaffenheit wieder verloren, denn die in der Stadt entnommenen fünf Wasserproben erwiesen sich stets frei von den im Wasser des C-harlottenburger Sammelbehälters beobachteten Verunreinigungen. Über die Temperatur des Wassers und deren Veränderung in der Rohr- leitung gibt nachstehende Tabelle Aufschluß, in welcher die beobachteten Temperatur- Maxima und -Minima verzeichnet sind: 1885 1886 Juni .Juli August September Oktober Novbr. Dezbr. Januar Februar März 0 C 0 C 0 ( 0 n 0 (' 0, 0 C 0 G Spreewasser unfiltriert . 13 - -23,7 18,5- -24 15 - -19 12 —IS 8,8- -12,3 2 - -5,5 0,5- -1 0,5- -1,5 0,5 0,5- _2 Spreewasser filtriert . . 13,6- -24 18 - -23,6 14,5- •18,5 11,2—16 9,2- -14.5 3 - -6,7 1 1 - -2 1 0,5- Seewasser unfiltriert . 15,1- -23,4 19,7- -24.2 16 - -19,4 14,3—16,2 9,4 -12,8 -7,9 1,5- -3,6 0,7- -2,5 0,6-0,9 0,5- -4.9 Seewasser filtriert . . 16,5- -22,3 20,8- -24,2 16,5- 19,9 14,8 — 16,5 10,6- -12,4 4,7- -8 2,2- -4,7 1,9- -2,7 2,6 — 6 3 - -6,5 Charlotten- burg. Sam- melbeh. . . 17,3- -24,6 21,3- -24,6 16,7- -20 15,1—16.6 10,5- -13,8 4,8- -8,1 2,3- -4 2 - -2,2 2,2—2,3 2,2- -2,7 Wilhelmstr. Nr. 75 . . . 15,5- -20,5 19,4- -21,5 16,7- -19,6 15 —16,5 11,2- -13,9 6,2- -9,7 4 - -5,7 3,4- -3,8 3 —3,4 2,8- -3,1 Friedrichstr Nr. 41/42 . 14,4- -20,6 18,8- -20,8 16,5- 19,5 14,8-16,7 11,1- -13,8 6,4- -9,5 4 - -5,8 3,4- -4,8 3,1-4,5 2,2- -3,3 Schmie! tstr. Nr. 16 . . . 15,1- -20,2 18,6- -20,9 16,1- 19 15 -16,7 10,8- -14 5,8- -9,5 4,2- -5,8 3,6- -4,9 3,4-8,7 3,0- -3.1 Friedrichstr. Nr. 126 . . 16 - -19,5 18,7- -20,7 16,8- 19.8 15 —16,7 11,6- -14 6,3- -9,8 5,9- -7,4 4,1- -5,5 4 —4,4 2,7- 4.9 Weinmei- sterstr. Nr. 15 . . . 14,7- -28,0 18.2- -21,5 13.6- 19.5 14.2-17 10,2- -14,2 6,5- 9,1 5,8- -6,3' 4,3- -6 3,3-5 4,3- -4,9 Die b a k t e r i o 1 o g i s c h e U n t e r s u c h u n g wurde ebenso, wie früher im Kaiserlichen Gesundheitsamt, sowohl mit dem Mikroskop, als auch mit Hilfe der Rein- kultur auf festem Nährboden ausgeführt. Um Untersuchungsfehler auszuschließen, kamen jedesmal 2 Proben, gewöhnUch mit I und y., ^cm Wasser, zur Untersuchung. Die Übereinstimmung der Ergebnisse bewies dann die Richtigkeit des Versuchs. Die Ergebnisse der bakteriologischen Untersuchung sind in der nachstehenden Tabelle in der Weise übersichtlich zusammengestellt, daß die horizontalen Spalten den verschiedenen Jahreswochen, die vertikalen Spalten den einzelnen Entnahmestellen ent- sprechen. Die Zahlen geben die Menge der gefundenen Mikroorganismen, auf 1 com berech- net, an. Ein BUck auf die Tabelle zeigt, daß während des Beobachtungszeitraunis die Leistungen sowohl der Stralauer als auch der Tegeler Wasserwerke und ebenso die Beschaf- fenheit des Leitungswassers in der Stadt durchweg den Anforderungen entsprochen haben. Die vorgekommenen und folglich genauer zu besprechenden Unregelmäßigkeiten traten dabei ohne Weiteres deutUch hervor. 1. Beschaffenheit des Wassers vor der Filtration; Vergleich des Spreewassers mit dem Wasser des Tegeler Sees. Das Spreewasser erwies sich konstant und sehr erheblich stärker mit orga- nischen Keimen verunreinigt als das Wasser des Tegeler Sees. Dabei waren die Schwan- 414 Untersvichungen des IBerliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. klingen in seinem Keimgehalt sehr beträchtliche, von 960 (am 8. September) bis 110 000 und 100 000 (am 21. Juli und 30. März). Auch innerhalb eines und desselben Monats waren Schwankungen um das 5 — lOfache nichts Seltenes. Eine bestimmte Beziehung zur Temperatur und zur Jahreszeit ließ sich nicht erkennen, da beispielsweise die Zahlen des Monats Juni von denen des Dezember, diejenigen des September von denen des Fe- bruar nicht wesentlich verschieden sind. Größeren Einfluß dürften Differenzen im Wasser- stande und in der Stromgeschwindigkeit, wie auf die Klarheit resp. Trübung, so auch auf den Bakteriengehalt eines Flußwassers ausüben. Gegen das Vorjahr war die Zahl der Bakterien durchweg, und speziell in den Wintermonaten, erheblich vermehrt. Die starke Verunreinigung der Spree an der jetzigen Entnahmestelle der Stralauer Werke, welche u. a. auch in den hohen Zahlen der Mikroorganismen sich widerspiegelt, läßt eine Verlegung der Entnahmestelle nach einer vor Verunreinigungen besser geschützten Stelle der Oberspree, namentlich im Hinblick auf die Möglichkeit eines zeitweisen Ver- sagens der Filteranlagen, z. B. am Ende eines harten, langdauernden Winters oder im Hochsommer bei plötzlicher starker Zunahme des Verlaufs, als ein dringendes Bedürfnis erscheinen. — Das Wasser des Tegeler Sees zeichnete sich, namentlich von Mitte September bis Mitte März, durch einen geringen Keimgehalt aus. Das verhältnismäßig ruhige Becken des Sees gibt offenbar den im Wasser suspendierten Bestandteilen, zu denen ja auch die Mikroorganismen und deren Keime gehören, hinreichende Gelegenheit zu Boden zu sinken und bildet so gleichsam ein großes Klärbassin. Nur vorübergehend, und zwar Anfang Juli und Ende März, machte sich eine starke Zunahme der Keime bemerkbar, welche vermutlich im ersteren Falle auf die für eine Vermehrung der Bak- terien besonders günstige Jahreszeit, im letzteren Falle auf den starken Eisgang des Tegeler Sees zurückzuführen sein dürfte, dessen bereits im chemischen Teile dieses Be- richtes Erwähnung geschah. 2. Beschaffenheit des Wassers nach der Filtration. Leistungen der Filterwerke. Ein Vergleich des Keimgehaltes des Wassers vor und nach der Filtration (Spalte 1 und 2 Stralau, Spalte 3 und 4 Tegel) läßt erkennen, daß die Beschaffenheit des durch Filtration gereinigten Wassers durchweg eine gute war, sowohl bei den Stralauer als bei den Tegeler Werken. Die starken Schwankungen im Bakteriengehalt des unfiltrierten Wassers, namentlich des Spreewassers, entsprechen keineswegs ähnlichen Schwankungen in der Beschaffenheit des Filtrats und der oft sehr beträchtliche Unterschied, welcher zwischen dem unfiltrierten Stralauer und Tegeler Wasser besteht, ist nach der Filtration, wie ein Vergleich der Spalten 2 und 4 ergibt, nicht mehr zu konstatieren. Es muß demnach anerkannt werden, daß beide Filterwerke während des Berichtzeitraumes in normaler Weise funktioniert haben. Störungen in der Wirksamkeit der Filter haben sich unter 88 Untersuchungen im ganzen 5mal, und zwar in Stralau an 3, in Tegel an 2 Unter- suchungstagen durch plötzHches Auftreten zahlreicher Mikroorganismen in dem filtrierten Wasser bemerkbar gemacht. Nach Angabe der Herren Betriebs-Ingenieure P i e f k e und A n k 1 a m m war ein Grund für diese auffallenden übrigens schnell vorübergehenden Befunde in Gestalt einer unvermeidlichen Betriebsstörung in jedem einzelnen Falle nach- zuweisen. In Stralau stieg am 21. Juli der Keimgehalt des gereinigten Wassers von 200 auf 1656, und 2 Monate später, am 8. September, ebenso von 184 auf 1000 pro ccm. Indes schon am nächstfolgenden Untersuchungstage, am 24. Juli resp. 15. September, war die Zahl der Organismen wieder auf die normale Höhe von 54 bzw. 44 zurückgegangen. Ein drittes Mal wiederholte sich derselbe Vorgang am 30. März. Zweimal in dem zuletzt Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1880. 415 erwähnten und im ersten Falle traf die mangelhafte Beschaffenheit des Filters mit einer besonders starken Verunreinigung des Spree wassers (100 000 und mehr Keime pro ccm) zusammen, einmal, am 8. September, im Gegenteil mit einer auffallend geringen Ver- unreinigung, so daß an diesem Tage das Wasser nach der Filtration mehr Keime enthielt (1000) als unfiltriertes Spreewasser (960). Zu diesen Befunden gibt Herr P i e f k e nachfolgende Erläuterung : ,,Das plötzliche und schnell vorübergehende Auftauchen zahlreicher Mikro- organismen im Leitungswasser erklärt sich aus dem Umstände, daß kurz vor den durch diese Erscheinung gekennzeichneten Tagen (21. Juli und 8. Sep- tember) ein mit frischer Sandfüllung versehenes Filter in Betrieb genommen worden war. Die bakteriologischen Beobachtungen, welche inzwischen auf dem Werke selbst angestellt worden sind, haben dargetan, daß frisch gewaschener Sand erst nach längerer Zeit (10 — 14 Tagen) genügend keimfreies Wasser liefert und daß es also notwendig ist, auf die Verwertung des ersten Filtrates zu ver- zichten. Die ungeheuren Ansprüche, denen das Filterwerk im Jahre 1885 zu genügen hatte, machten jedoch eine solche Vorsichtsmaßregel unmöglich, auch fehlte es vor der fortlaufenden Anwendung der bakteriologischen Untersuchungs- methode im Betriebe selbst an klarer Einsicht über diesen Punkt. Nachdem dieselbe aber gewonnen, wird gerade die Spülung der Filter — nach jeder kürzeren oder längeren Betriebspause — mit besonderer Sorgfalt gehandhabt. Der hoh(? Befund am .30. März 188(5 ging aus der Bedrängnis hervor, in welche das Filterwerk durch den endlosen und harten Winter versetzt worden war. Die offenen Filter hatten sich sämtlich totgearbeitet, blieben aber wegen einer Eisdecke von 0,45 m Dicke unzugänglich und konnten nicht gereinigt werden. Die aktive Filterfläche hatte sich unter diesen Umständen bis auf weniger als 9000 qm vermindert und das leider zu einer Zeit, wo das Wasser der Spree eine recht ungünstige Beschaffenheit hatte und eine besonders sorg- fältige Filtration notwendig gewesen wäre." In Tegel wurden am 15. Dezember, nachdem das u n f i 1 1 r i e r t e Wasser daselbst seit Monaten nur einige hundert, speziell an diesem Tage 1290 Organismen im Kubikzentimeter enthalten hatte, nach der Filtration 1500 Keime gefunden. 8 resp. 14 Tage früher betrug die Zahl 210 resp. 10, 8 resp. 14 Tage später 260 resp. 110. In geringerem Maße war dieselbe Erscheinung am 11. August beobachtet worden, an welchem Tage im filtrierten Tegeler Wasser 434 Organismen gegen 28 in der vorhergehenden und 50 in der folgenden Woche sich vorfaiaden. In beiden Filtern hatte kurz vor der Unter- suchung eine Betriebsstörung stattgefunden, über welche Herr An klamm in nachstehen- der Weise berichtet: ,,Am 10. August haben wir 2 Filter der neuen Anlage, welche periodisch bis zum 2. August im Betriebe waren, dann aber abgesperrt sind, mit der alten Anlage verbunden. Die Pumpe, an welcher am 11. August für die bakterio- logische Untersucliung die Wasserprobe entnommen wurde, hat also teilweise Wasser enthalten, welches 8 Tage lang in den beiden Filtern und den zuge- hörigen Leitungen gestanden hat und in dem also die Keime inzwischen zur Entwicklung und Vermehrung gekommen waren. Am 15. Dezember früh haben wir die alte Anlage zum Zweck von Rohr- anschlüssen (auf der Strecke nach Charlottenburg) außer Betrieb gesetzt. Bei derartigen Störungen in der Rohrleitung werden sich naturgemäß durch die großen Schwankungen der Wassersäule in den Röhren und Pumpen immer 416 Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. ältere Ablagerungen loslösen und dann von Einfluß auf den bakteriologischen Befund sein." Das jedesmalige schnelle Verschwinden der vorgekommenen Unregelmäßigkeiten dürfte die Anschauung der Betriebsingenieure, wonach dieselben lediglich in den er- wähnten, unvermeidlichen Betriebsstörungen und nicht etwa in mangelhafter Anlage oder fehlerhaftem Betriebe der Filter ihren Grund gehabt haben, durchaus bestätigen. 3. Der Einfluß des Hochreservoirs in Charlottenburg. Es wurde bereits im ersten Teile dieses Berichtes bei Besprechung der physika- lischen Eigenschaften erwähnt, daß das Hochreservoir in Charlottenburg zeitweise einen ungünstigen Einfluß auf die äußere Beschaffenheit des Wassers ausgeübt hat. Ein gleiches muß hinsichthch des Bakteriengehaltes konstatiert werden, wie aus Spalte 5 der tabellarischen Übersicht und speziell aus einem Vergleich derselben mit Spalte 4 (filtriertes Wasser von Tegel) hervorgeht. Es zeigt das Wasser des Hochreservoirs zu 5 verschiedenen Malen, zuerst vorübergehend am 28. Juli und 20. Oktober, ferner m der Zeit vom 15. bis 29. Dezember, sodann Ende Januar und endlich fast während des ganzen Monats März einen zum Teil sehr erheblich höheren Bakteriengehalt als die in Tegel am Wasserwerke selbst geschöpfte Probe filtrierten Wassers. Da eine Verunreinigung unterwegs in den Leitungsröhren zwischen Tegel und Charlottenburg auszuschließen sein dürfte, so werden wir den Grund dieser Erscheinung in den Verhältnissen der Charlottenburger Wasserstation selbst zu suchen haben. Die- selbe bildet bekannthch einen Annex der Tegeler Werke, mit denen sie durch eine eiserne Druckröhrenleitung in Verbindung steht, und hat im wesentlichen die Aufgabe, einmal den Tegeler Pumpen einen Teil der Arbeit abzunehmen und außerdem den Tegeler Filtern als Reservoir zu dienen und denselben ein kontinuierliches, vollkommen gleichmäßiges Arbeiten dadurch zu ermögUchen, daß entsprechend den erheblichen Verschiedenheiten des Wasserbedarfs zu den verschiedenen Tagesstunden die Charlottenburger Pumpen stündlich wechselnde Wassermengen aus ihren Reservoirs in die Stadt drücken, während die Speisung des Reservoirs von Tegel aus ununterbrochen und gleichmäßig vor sich geht. Für die Stralauer Werke fehlt es bekanntlich an einer derartigen Reguliervorrichtung, da das vorhandene 2000 cbm fassende Reinwasserreservoir bei einer Förderung von 40 bis 60 000 cbm täglich 20 bis 30mal seinen Inhalt nachholt, somit eigentlich nur als eine Saugekammer für die Pumpen dient. Die Arbeit der Filter kann daher im Leben keine kontinuierliche und gleichmäßige sein, wie in Tegel, wird sich vielmehr dem wechselnden Wasserverbrauch anpassen müssen. Die Station Charlottenburg besteht aus einem Pumpwerk und 3 großen gemauerten Reservoirs von 4 m Höhe und je 11 500, 1 1 500 imd 14 000, in Summa 37 000 cbm Raumgehalt. Da die tägliche Gesamtförderung sich auf 50 — 60 000 cbm beläuft, so wird der Inhalt des Reservoirs durchschnittlich täglich 2 mal erneuert. Infolge des unregelmäßigen Verbrauchs bei regelmäßigem Zufluß findet ein beständiges Schwanken des Wasserspiegels statt. Die Pumpen arbeiten nach einem vorher festgestellten, für längere Zeit in Geltung bleibenden Plan, welcher das stündlich zu fördernde Wasserquantum bestimmt. Nach Mitteilung des Betriebsingenieurs, Herrn Schaefer, würden sich unter Zugrundelegung einer Gesamtleistung von 50 000 cbm für die einzelnen Tagesstunden folgende Mengen ergeben, welche den Schwankungen im Wasser- stande des Reservoirs umgekehrt entsprechen: 1 Uhr nachts 825 cbm 2 „ „ 725 „ 3 „ „ 725 „ 4 „ 775 „ Untersuchungen^des Berliner Leitungswassers Juni ISSö bis April 1886. 417 5 Uhr nachts 1100 6 >? morgens 1700 7 J! ?? 2425 8 J ? 5 ) 2850 9 ? •> ; ? 3050 10 5) ; 5 3050 II ; ; 55 3000 12 ?5 5 J 3000 1 „ mittags 2725 9 ? ? ?5 2725 3 ? ) ? ; 2725 4 5 5 5 5 2650 5 5 5 2650 6 j ; ! J 2500 7 2275 8 ? 5 5 5 2250 9 !5 J ) 2075 10 ? ! ! ; 1700 11 !) 1475 12 7 7 nachts 900 Die Zirlvulationsverhältnisse in den Reservoirs ergeben sich aus umstehender Skizze. Das Wasser tritt aus dem Tegeler Hauptrohr in jedes Reservoir gesondert ein, und zwar in der einen Ecke, nahe dem Boden ; der Austritt erfolgt in der Mitte der gegen- überliegenden Seitenwand, ebenfalls nahe dem Boden. Eine direkte Verbindung der Reservoirs untereinander besteht nicht; nur die zuführende und abführende Leitung sind gemeinsam. Letztere, aus 2 parallelen und untereinander in Verbindung stehenden Röhren bestehend, führt das Wasser aus allen 3 Reservoirs in eine gemeinsame gemauerte und überwölbte Saugekammer, aus welcher alsdann die Druckpumpen ihren Bedarf entnehmen. Der Zugang zu jedem Reservoir erfolgt durch eine an der einen Seitenwand gelegene gemauerte Treppe. Eine event. Verunreinigung des Wassers würde nur auf diesem, übrigens unter Verschluß gehaltenen Wege erfolgen können, da andere Zugänge fehlen. Die Entnahme der zur Untersuchung bestimmten Wasserproben hat regelmäßig von einer dieser Treppen aus, und zwar meistens derjenigen des Reservoirs I an der auf der Skizze mit a bezeichneten Stelle, stattgefunden. In den obenerwähnten Fällen einer plötzlichen starken Zunahme der Bakterien- menge konnte nur durch die Untersuchung wiederholt konstatiert werden, daß die Haupt- masse derselben aus nur einer einzigen, übrigens ganz unschädlichen Bakterienart bestand, neben welcher sich die in dem Tegeler Wasser sonst gewöhnlich vorkommenden Arten in der üblichen geringen Anzahl von 50 — 150 vorfanden. Ohne Zweifel hatte also eine Bakterienvegetation stattgefunden. Die hierdurch bewirkte zeitweise Verunreinigung des Wassers kann indes mir von beschränktem Umfange gewesen sein und keineswegs die Gesamtmasse des Wassers betroffen haben, denn sie blieb, wie bereits im Eingange dieses Berichtes hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften hervorgehoben wurde und wie sich weiter unten auch für den Bakteriengehalt bestätigen wird, ohne Einfluß auf die Beschaffenheit des Leitungswassers in der Stadt. Eine Ausnahme macht die bereits erwähnte Störungsperiode Mitte Dezember, als infolge von Rohranschlüssen die Tegeler Werke mehrere Tage den Betrieb einschränken mußten (15. — 17. Dezember). Infolge- dessen war, wie oben bemerkt, schon in Tegel das filtrierte Wasser von mangelhafter Koch, Gesammelte Werke. 27 418 Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. Beschaffenheit (1500 Keime), und es scheint damals eine allgemeine Verunreinigung im Reservoir zu Charlottenburg stattgefunden zu haben (5000 Keime), welche sich auch auf die entsprechenden Entnahmestellen in der Stadt erstreckt hat und anscheinend sogar noch in der darauffolgenden Woche nachzuweisen war, wie weiter unten gezeigt werden soll. In den übrigen Fällen scheint es sich dagegen um eine vielleicht durch eine gewisse Stagnation in den Ecken der Reservoirs begünstigte lokale Verunreinigung in der Um- gebung der Entnahmestelle gehandelt zu haben, welche auf die Hauptmasse des Wassers ohne Einfluß blieb. Um übrigens volle Sicherheit über diesen Punkt zu gewinnen, wird seit Anfang des laufenden Berichtsjahres die zur Untersuchung bestimmte Wasserprobe nicht mehr an der bisherigen Stelle, sondern durch eine Öffnung in der Decke der Sauge- kammer dicht vor der Einmündung des von den Reservoirs kommenden Zuleitungsrohres an der auf der Skizze mit b bezeichneten Stelle entnommen, wodurch die Gewinnung einer besseren Durchschnittsprobe gewährleistet erscheint. Zeitweise wurden auch ver- gleichende Untersuchungen der bisherigen und der neuen Entnahmestelle vorgenommen, Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. 419 über deren Ergebnis im nächsten Jahre berichtet werden soll. Noch bleibt zu bemerken, daß die zweimal im Jahre im Juli und November vorgenommene abwechselnde Reinigung der beiden damals allein vorhandenen Reservoirs I und II einen erkennbaren Einfluß auf die Beschaffenheit des Wassers nicht ausgeübt hat. Reservoir III ist neu erbaut und erst im laufenden Jahre in Betrieb genommen worden. 4. Die Beschaffenheit des Wassers an den Entnahmestellen in der S t a d t. Über die Beschaffenheit des Wassers in dem Rohrnetz der Stadt geben die Spalten 6, 7, 8, 9 und 10 der Tabelle Auskunft. Wenngleich die gefundenen Zahlen meist etwas höher sind als bei dem direkt den Reinwasserreservoirs zu Stralau und Tegel entnommenen Proben (Spalte 2 und 4), so ist das Resultat doch in der Hauptsache ein gleiches wie bei den Filterwerken, nämlich eine durchweg normale Beschaffenheit, mit einzelnen plötzlich auftretenden, aber schnell vorübergehenden Störungen. Der Grenzwert von höchstens 300 Mikroorganismen im Kubikzentimeter wurde unter je 44 Untersuchungen bei dem Wasser Nr. 6 2 mal, Nr. 7 4 mal, ,, ,, ,, Nr. 8 6 mal, Nr. 9 2 mal, ,, ,, Nr. 10 6 mal, im ganzen also bei 219 Einzel- untersuchungen 20mal überschritten, während die übrigen 199 Untersuchungen ein zufriedenstellendes Resultat ergaben. Deutet dieser Befund schon darauf hin, daß das Wasser in den Leitungen eine erhebliche Veränderung nicht erfährt, vielmehr im wesent- lichen in derjenigen Beschaffenheit zum Verbrauch gelangt, wie es von den Filterwerken geliefert wird, so läßt sich bei genauer Betrachtung auch für die einzelnen Entnahmestellen ein direktes Abhängigkeitsverhältnis von einem oder dem anderen Filterwerke nachweisen. Bekanntlich gehen sowohl von Stralau als von Charlottenburg 2 Hauptdruckrohre aus, von denen je eins, der nördlichen resp. südlichen Peripherie der Stadt folgend, zu- letzt mit dem entsprechenden Rohr des anderen Werkes zusammentrifft und mit dem- selben direkt kommuniziert. Auf diese Weise entsteht ein im allgemeinen an der Peripherie der Stadt gelegener geschlossener Ring, bestehend aus einem Rohr von 910 bis 760 mm Durchmesser, von dem aus durch Zwischengheder und deren Verästelungen die Versor- gung der ganzen Stadt erfolgt. Im Nordosten entspringt aus demselben noch das Haupt- rohr für die Hoclidruckstation, welche diesen höher gelegenen Stadtteil durcli ein beson- deres Rohrnetz mit Wasser versieht, cfr. die vorstehende Skizze. 27* 420 Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. Die Lage der 5 Entnahmestellen ist nun eine derartige, daß 4 derselben, Nr. 7, 8, 9 und 10, in ziemlicher Nähe des Hauptrohres Nr. 6 dagegen in mehr zentraler Lage sich befinden. Dabei entspricht Nr. 7 dem südlichen, Nr. 9 dem nördlichen Druckrohr von Tegel, Nr. 8 dem südlichen, Nr. 10 dem nördlichen Druckrohr von Stralau. Mit Hilfe der bereits obenerwähnten Differenzen im Chlorgehalt läßt sich nun leicht und sicher nachweisen, daß die Entnahmestellen 8 und 10, welche konstant den höheren Chlorgehalt des Spreewassers aufweisen, von Stralau aus, Nr. 6, 7 und 9 dagegen von Tegel aus mit Wasser versorgt werden. Mittelzahlen aber, welche auf Mischwasser hindeuten würden, in der Regel fehlen. Dies Verhältnis ist so konstant, daß der oben mehrfach erwähnte beschränkte Betrieb der Tegeler Anlage in der Zeit vom 15. bis 17. Dezember sich in der Tabelle des Chlorgehaltes sofort dadurch geltend machte, daß am 15. Dezember die Entnahmestellen 6, 7, 8 und 10 Spreewasser und nur 9 Tegeler Wasser, am 22. Dezember Nr. 6, 8 und 10 Spreewasser und 7 und 9 Tegeler Wasser und erst am 29. Dezember, ebenso wie vorher am 8. Dezember, Nr. 8 und 10 Spreewasser, Nr. 6, 7 und 9 Tegeler Wasser geliefert haben. Tag der Untersuchung Stralau un- filtriert 1. Stralau filtriert 2. Tegel un- filtriert Tegel filtriert 4. Reser- voir in Char- lotten- burg 5. 1885 Dezember 8. 24,9 24,9 16,0 16,0 16,0 Störung in Tegel vom 15. J 15. 24,9 24.9 16,0 16,0 16,0 bis 17. Dezember | 22. 23,5 23,5 16,3 16,8 16,0 29. 23,5 23,5 16,3 16,3 19,9 Entnahmestelle in der Stadt w. sw. so. N. C. 6. 7. 8. 9. 10. 16,0 16,0 24,9 16,0 24,9 24,9 24,9 24,9 16,0 24,9 28,5 16,3 23,5 16,8 23,5 16,3 16,3 23,5 16,3 23,5 Die auf Seite 422 befindliche Tabelle des Chlorgehalts gibt hierüber nähere Aus- .kunft. In derselben sind die von der Regel abweichenden Befunde durch ein Kreuz bezeichnet (-|-). Nach diesem Einblick in die Beziehungen der einzelnen Entnahmestellen zu den beiden Wasserwerken erscheinen auch die Ergebnisse der bakteriologischen Untersuchung in einem neuen Lichte. Es wird verständlich, weshalb die Spalten 8 und 10 der bakterio- logischen Tabelle, in welchen je 6mal eine Überschreitung des Grenzwertes zu ver- zeichnen war, in dem Auftreten und Verschwinden dieser Störungen einen so auffallenden Parallelismus zeigen, wie z. B. am 21. Juli, 24. November, 16. und 30. März. Weiterhin beweist aber die Gleichzeitigkeit dieser Störungen, daß die Ursache derselben auf dem Wasserwerke und nicht in den Leitungen liegen muß, weil beide Entnahmestellen zwar Stralauer Wasser, aber durch verschiedene Druckrohre erhalten (Nr. 8 durch das südliche, Nr. 10 durch das nördliche Hauptrohr von Stralau). Für die von Tegel versorgten Entnahmestellen 6, 7 und 9 ist in bakteriologischer Hinsicht die Störungsperiode vom 15. bis 17. Dezember wieder von besonderem Interesse, da, übereinstimmend mit dem die Herkunft des Wassers kennzeichnenden Chlorgehalt, vom 15. Dezember an das Wasser Nr. 9 an der vorübergehenden Verunreinigung des Tegeler Wassers teilnimmt, während sich dieselbe in der folgenden Woche, wenn auch in abnehmendem Maße, auch bei Nr. 6 und 7 zu erkennen gibt. Diese Umstände in Verbindung mit der regelmäßigen schnellen Wiederherstellung der normalen Beschaffenheit des Wassers dürften die oben aufgestellte Behauptung hinreichend erhärten, daß das Wasser in den Leitungen eine nennenswerte Veränderung nicht erfährt, seine Beschaffenheit vielmehr im wesentlichen von der jedesmaligen quanti- Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. 421 tativen Leistung der Wasserwerke abhängt. Hieraus folgt, daß der Schwerpunkt der Wasseruntersuchung in die Kontrolle der Filterwerke zu verlegen ist, die Untersuchung der einzelnen Entnahmestellen in der Stadt aber an Bedeutung verliert und diese ein- geschränkt werden kann. Auf dieser Anschauung beruhten die Anderungsvorschläge, welche ich am 6. März d. J.^ ) dem Magistrat vorzulegen mich beehi'te und welche seit Anfang Mai d. J., wenn auch in veränderter Form, durch Einrichtung einer bakteriolo- gischen Untersuchungsstation auf dem Stralauer Wasserwerke unter gleichzeitiger Ein- schränkung der Untersuchungen im hygienischen Laboratorium auf eine 14tägige statt der bisherigen Stägigen zu einer teilweisen Ausführung gekommen sind. 5. Das V o r k o m m e n von C r e n o t h r i x. * Die Crenothrix scheint aus der Berliner Wasserleitung vollständig verschwunden zu sein. Sie wurde noch vereinzelt im Wasser der Charlottenburger Reservoirs und ein- zelner Entnahmestellen in der Stadt im Juni 1885, seitdem aber überhaupt nicht mehr beobachtet. Berlin, am 12. November 1886. Der Direktor der hygienischen Institute. Koch, Geheimer jMedizinalrat. ^) Diese Änderungsvorschläge enthalten schon die leitenden Gesichtspunkte, welche im Jahre 1899 (unter dem 13. Januar) unter Leitung des Kaiserl. Gesundheitsamtes als Grundsätze für die Reinigung von Oberflächenwasser dm'ch Sandfiltration allgemeine Vorschrift geworden sind. D. Herausgeber. 422 .Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. Tabellarische Übersicht über den Chlorgehalt im Berliner Leitungswasser. Tag der Unter- suchung Stralauer Werke Tegeler Werke Entuahmestellen in der Stadt Spree^ unfiltriert vasser filtriert Wasser unfiltriert 1 ies Sees filtriert Reservoir in Char- lotten- buig Wilhelm- str. 75 W. Friedricli- str. 41/42 SW. Schmidt- str. 16 SO. Friedrich- str. 126 N. Wein- meister- str. 15 C. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 1885 Juni 2. 9. 16. 23. 30. Juli 7. 14. 21. 28. August 4. 11. 18. 25. September 1. 8. 15. 22. 29. Oktober 6. 13. 20. 27. November 3. 10. 17. 24. Dezember 1. 8. 15. 22. 29. 1886 Januar 5. 12. 19. 26. Februar 2. 9. 16. 23. März 2. 9. 16. 23. 30. 19,5 19,5 19,5 20,4 22,2 21,3 21,3 21,3 22,2 21,3 22,2 21,3 21,3 21,3 21,3 •22,2 31,9 30,8 30,8 30,8 32,0 30,2 29,9 26,6 26,6 24,9 23,1 24,9 24,9 23,5 23,5 22,6 23,5 23,5 21,7 23,1 23,1 21,3 21,3 22,3 20,1 20,1 20,1 21,3 18,6 18,6 18,6 19,5 21,3 18,6 21,3 20,4 20,4 19,5 21,3 19,5 20,4 20,4 21,3 21,3 25,7 30,8 30,8 30,8 32,0 80,2 29,9 26,6 26,6 24,9 2.3,1 24,9 24,9 23,5 23,5 22,6 23,5 23,5 21,7 23,1 23,1 21,3 21,3 22,3 20,1 20,1 20,1 19,5 15.9 15,9 1.7,7 16,8 16,8 16,8 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 16,8 15,9 23,1 16,3 16,3 16,3 16,0 16,0 15,8 16,0 16,0 16,0 16,0 16,0 16,0 16,3 16,3 16,3 16,3 18,1 16,0 16,0 17,8 17,8 17,8 18,8 16,5 16,5 16,5 5,3 15,9 15,1 15,9 15,9 16,8 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,1 15,9 15,9 15,1 15,1 21,3 16,3 16,3 16,3 16,0 16.0 15,8 16,0 16,0 16,0 16,0 16,0 16,0 16,3 16,3 16,3 16,3 19,9 17,8 17,8 17,8 17,8 17,8 18,3 16,5 16,5 16,5 16,0 15,9 15,9 15,9 15,9 16,8 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,1 15,9 15,9 15,9 15,9 21,3 16,3 16,3 16,3 16,0 16,0 15,8 16,0 16,0 16,0 16,0 16,0 16,0 16,3 19,9 18,1 16,3 18,1 17,8 17,8 17,8 17,8 17,8 16,5 16,5 16,5 16,5 16,0 15,1 15,9 15,9 15,9 15,7 16,8 15,9 15,1 16,8 15,1 15,9 15,9 15,1 15,1 15,9 15,1 19,5 14,5 16,3 16,3 16,0 16,0 15,8 14,2 16,0 16,0 16,0 16,0 24,9 + 23,5 + 16,3 16,3 16,3 18,1 16,0 17,8 17,8 17,8 17,8 16,5 16,5 16,5 16,5 16,0 15,1 15,1 16,8 16,8 17,7 15,9 16,8 15,1 15,9 15,1 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 26.6 + 16,3 16,3 16,3 16,0 16,0 15,8 14,2 16,0 16,0 16,0 16,0 24,9 + 16,3 16,3 18,1 16,3 18,1 21.7 + 17,8 17,8 17,8 17,8 16,5 16,5 16,5 16,5 16,0 17,7 18,6 17,7 17,7 23,1 19,5 18,6 20,4 20,4 19,5 20,4 19,5 20,4 19,5 21,3 20,4 28,9 30,8 30,8 27,2 32,0 30,2 26,4 21,3 26,6 24,9 23,1 24,9 24,9 23,5 23,5 22,6 21,7 23,5 21,7 21,3 23,1 21,3 21,3 22,3 20,1 20,1 20,1 19,5 15,9 15,9 15,9 15,9 18,6 15,9 15,9 15,9 15,9 15,9 15,1 15,9 15,1 15,9 15,9 15,9 24,8 + 16,3 16,3 16,3 16,0 16,0 15,8 14,2 16,0 16,0 16,0 16,0 16,0 16,3 16,3 22,6 + 16,3 18,1 17,8 17,8 17,8 17,8 17,8 16,5 16,5 16,5 16,5 16,0 18,6 19,5 18.6 15,9 22,2 17,7 18,6 19,5 21,3 19,5 21,3 20,4 19,5 19,5 20,4 21,3 28,9 26,8 29,8 30,8 32,0 19,5 26,4 21,3 26,6 24,9 23,1 24,9 24,9 23,5 23,5 19,9 23,5 23,5 21,7 21,3 23,1 21,3 21,3 22,3 18,3 20,1 20,1 19,5 Untersuchungen des Berliner Leitungswassers Juni 1885 bis April 1886. 423 Tabellarische Übersicht über die im Wasser der Berliner Wasserleitung gefundenen Mikroorganismen. NB, 1. Die Zahlen bezeichnen die Menge der durch das Gelatinekulturverfahren in jel ccm Wasser gefundenen Organismen. 2. Bei den f il t r ier t en Was s er n sind diejenigen Befunde, welche den zulässigen Grenzwert überschreiten, durch ein ( + ) Kreuz, diejenigen, welche denselben innehalten, durch einen ( — ) Strich bezeichnet. Als Grenzwert wurde die Anzahl von 300 Keimen pro ccm angenommen. Stralauer Werke Tegeler Werke Entnahmestellen in der Stadt Tag der Unter- suchung Spreewasser unfiltriert filtriert 1 Wasser unfiltriert des Sees filtriert Reservoir in Char- lotten- burg Wilhelm- str. 75 W. Fri6ciricli- Str. 41/42 SW. Schmidt- str. 16 SO. Friedrich- str. 126 N. Wein meister- str. 15 C. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 1885 Juni 2. 0 41 0 i.9 118 16 — 41 — 21 — 15 — 42 — 19 — A O 48 — 9. 7 Q^in i you 99 117 39 — 53 — 116 — 90 — 109 — 154 — 90 — 16. 6 100 33 — 115 76 — 41 — 130 — 66 — 42 — 1 Q9 l0£J — 110 — 2.3. 6 100 41- 1 325 194 — 104 — 125 — 634 + 50 — 145 84 — 30. 4 400 53 — 880 44 — 71 — 121 — 160 — 51 — 151 63 Juli 7. ^ ^00 0 oyjyj 98 verunglUcM 42 — 130 — 60 — 103 — 48 — 157 — 40 — 14. 7 200 200 1 896 120 — 152 — 120 — 180 — 80 — 150 — 75 — 21. 110 740 1 656 + 13 220 49 — 90 — 136 — 240 — 368 + 1 07 PIA 1 OiU — p 28. 2 640 54 — 1 500 48 — 31680+ 151 — 156 — 63 — 85 — 86 — August 4. 9 f» Li öiyj 70 900 28 — 209 — 95 — 141 — 53 — 96 — 75 — 11. 3 600 65 — 1 100 434 + 135 — 131 — 132 — 36 — c\r\ 90 — OAA 300 — 18. 1 800 36 — 179 50 — 70 — 300 — 149 — 125 — 1 1 Q 1 lo — 1 A(\ 14VJ 25. ■ 11 900 26 — 4 410 21 — ,40 — 180 — 164 — 37 — 96 — 59 September 1. 0 OOv 600 17- 95 — 77 — 136 — 124 — bi — 1 CA 150 — 8. 1 000 _L 1 220 100 — 250 — 180 — 150 — 83 — verunglückt 85 — 15. rt 0\J\J 44 — 158 56 — 106 — 154 — 139 — 67 — 97^ Li iO T "^A 1 04 — 22. 44 130 55 — 81 — 97 — 85 — 198 — 128 — 306 + 29. 1 1 90 QO III 31 — 82 — 76 — 98 — 63 — 74 87 — Oktober 6. 3 192 36 — 1 RO 9A ^4 xoo — 1 1 fi 7Q 104. 95 — OA 13. 1 204 25 — O Lo 9Q t/u — 12,5 67 62 7o — oz — 20. 2 178 36 — 1 <4 IS lo 790 _1_ 7S 1 8 lO — OQ iö 41 — 27. ^4 1 7Q I/O lU — 04 — 1 9Q AI 4 < Ol — oy — 119 1 IZ — November 3. 8 500 80 — 128 82 — 100 — 340 + 76 — 96 — 91 — 131 — 10. 2 520 42 — 250 32 — 120 — z84 — öö — 126 — 34 — 62 — 17. 6 000 52 — DU Ol — Loy) — ^0 Ou — Q o — Dö 53 — 151 — 24. Ol t)UU 10/ — ^01 7Q 10 — ßß DD — QO 9Q ^y — OoU — )— 18 — 540 + Dezember 1. 9 000 117 — 65 10 — 19 — 62 — 9 — 349 + 4 — 267 — 8. 2 700 220 — 440 210 — 350 + 96 — OOO + n A A 1 700 + 244 — 300 — 15. 5 880 180 — 1 zyu 1 öUU -|- c AAA 1 0 (JUU -\- 9Qn 900 94 i^40 — ' 2 880 + 155 - 22. 5 600 34 — ÖD 9ßA ZDU — öOU -f- Q90 _l_ ^QO -L 1 RO 1 DU 356 + 40 — 29. 4 000 20 — 149 IIA 1 iU — yoU -|- 1 Qß lyo — ^00 OD 131 — 56 — 1886 Januar 5. 4 500 95 — Ov QQ 90=, U\jO 81 75 — 74 — 45 — 40 — 12. 1 400 40- 170 12 — 42 — 43 — 18 — 145 — 21 — 150 — 19. 1 100 94 — 92 36 — 370 + 200 — 190 — 35 — Do — AlA _L 4 1 4 — }- 26. 29 000 100 — 54 60- 502 + 127 — 107 — 236 — 130 - 200 — Februar 2. 20 000 80 — 13 600 24 — 98 — 173 — 107 — 260 — 70 — 250 — 9. 5 900 7 — 15 6 — 65 — 36 — 6 — 143 — 31 — 164 — 16. 1 250 10 — 30 2 — 75 — 26 — 22 — 80 — 103 — 50 — 23. 1 280 8 — 14 8 — 225 — 42 — 92 — 22 — 40 — 18 - März 2. 1 010 8 — 57 3 — 110 — 55 — 36 — 20 — 26 — 58 — 9. 3 680 112 — 225 19 — 475 + 165 — 163 — 105 — 266 — 42 — 16. 14 400 210 — 440 70 — 960 + 160 — 120 — 750 + 125 — 570 + 23. 32 700 145 — 16 500 66 — 1 870 + 136 — 130 — 130 — 50 — 200 — 30. 100 000 2 300 + 50 000 104 — 8 800 + 300 — 310 + 1 600 + 200-^ 1 100 + Diskussionsbemerkung zum Vortrag von A. Frank „Über Desinfektion überschwemmter Räume und Brunnen."') In der Diskussion zu einem von Prof. A. Frank (Charlottenburg) „ÜberDesinfektion überschwemmter Räume und Brunnen" in der Deutschen Gesellschaft für öffent- liche Gesundheitspflege zu Berlin am 30. April 1888 gehaltenen Vortrage erklärte Koch (nach dem offiziellen Verhandltmgsbericht) sich mit dem Vortragenden soweit einverstanden, daß das Brom desinfizierende Eigenschaften habe, von denen man sich beim Versuch im kleinen leicht über- zeugen könne. Aber jedesmal, wenn das Brom unter Verhältnissen im großen geprüft sei, unter denen es in der Praxis zu wirken habe, z. B. bei der Desinfektion von Wohnräumen, Eisenbahnwagen usw., habe es in Stich gelassen. Nach diesen Erfahrungen müsse man doch unbedingt verlangen, daß, wenn das Brom von neuem, wie im vorliegenden Falle für Desinfektion von Brunnen, empfohlen werde, sich diese Empfehlungen auf sorgfältige praktische Versuche stützen müßten. Das sei aber nicht der Fall; der Vortragende habe es nicht für nötig gehalten, derartige Versuche anzustellen, und habe nicht den Beweis geUefert, daß das von ihm empfohlene Mittel auch in der Tat die Wirkung habe, die er von demselben erwartet. Deswegen könne man sich diesen Empfehlungen gegenüber auch nur skeptisch verhalten. Die vom Vortragenden geäußerten Bedenken gegen die Verwendung von Ätzkalk zur Des- infektion von Brunnen könne er nicht teilen, da der Ätzkalk, nachdem er seine Wirkung getan habe, binnen kurzer Zeit in Berührimg mit dem kohlensäurereichen Grundwasser in kohlensauren Kalk übergehen müsse und dann keinen anderen Einfluß auf das Brunnenwasser ausüben könne, als der im Mauerwerk enthaltene Mörtel. Ebensowenig seien die Einwände gegen die Karbolschwefel- säure gerechtfertigt, denn dieselbe solle doch nicht zur Desinfektion von Zeugstoffen, sondern von solchen Gegenständen dienen, welche dadurch nicht eigentlich beschädigt werden können. Es müsse natürlich vorausgesetzt werden, daß ein Desinfektionsmittel auch n\ir für den speziellen Zweck ver- wendet wird, für den es bestimmt ist, aber nicht da, wo es nicht wirken kann, oder wo es Schaden anrichtet. M Aus Verhandlimgen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin, 1888. (Deutsche Medizinal-Zeitung.) Diskussionsbemerkung zum Vortrag von C. Fraenkel „Grundwasser und Bakterien."') Zu einem Vortrag von Prof. C. F r a e n k e 1 „Grundwasser u n d B a k t e r i e n ' in der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin am 26. November 1888 l>e- merkte Koch: Ich glaube nicht, daß es möghch ist, Röhrenbrunnen, die aus Metall kon- struiert sind, deren Wände dicht und haltbar sind, durch Zement-Kesselbrunnen zu er- setzen. Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe Gelegenheit gehabt, solche möglichst gut konstruierte Brunnen zu sehen, ich habe aber nicht einen einzigen gefunden, der absolut dicht genug war. Zwei solcher Brunnen wurden untersucht, weil man den Verdacht hatte, daß sie zu einer Typhusepidemie Veranlassung gegeben haben. In beiden Fällen hatte sich in der Zementwand ein Spalt gebildet, durch welchen eine schwarze Flüssigkeit bis zum Brunnen durchdrang. Durch diese Stelle sickerte Jauche, die von einer zwar gut, aber nicht genügend zementierten Senkgrube kam, durch das lockere Erdreich bis in den Brunnen. Bei der Untersuchung war aufgefallen, daß das anfangs sehr schöne Wasser mit einem Male anfing trübe zu werden und zu stinken, man hatte aber aus alter Gewohnheit doch daraus getrunken und fast alle hatten Typhus bekommen. Wenn Zement absolut undurchlässig gemacht und so konstruiert werden könnte, daß er keine Risse bekommt und auch von oben her genügend abgeschlossen werden könnte, würde er genau denselben Dienst tun wie ein Röhrenbrunnen. Da dies aber bis jetzt niclit fertig gebracht ist, überdies ein zementierter Brunnen viel teurer ist, als ein einfacher Röhrenbrunnen, so bin ich der Meinung, daß man bei einer Auswahl zwischen diesen Brunnen sich nicht lange besinnt und einen einfachen Röhrenbrunnen wählt. Auf die nachträgliche Ansiedlung von Bakterien möchte ich keinen so großen Wert legen, da einmal durch frühere Untersuchungen nachgewiesen ist, daß dies harmlose Bakterien sind, die nur von oben her in den Brunnen hinein gelangt sind. Das können keine Typhusbakterien sein, sondern ganz harmlose, wie sie sich auch in Wasserleitungs- röhren ansiedeln. Auch dies Wasser ist nicht bakterienfrei und konnnt nicht so in unsere Häuser hinein; das braucht uns aber kein Bedenken einzuflößen. Genau so könnten wir auch die Verhältnisse ansehen in bezug auf die Menge der Bakterien, die man im Wasser findet. Dies würde nicht veranlassen, das Wasser als gesundheitsschädlich anzusehen. Auf eine Frage von Prof. A. B a g i n s k y, ob die Schwankungen des Grundwassers keinen Einfluß äußerten, erwiderte Koch: Für Berhner Verhältnisse trifft dies nicht zu. Das Grundwasser ist bei uns etwa 4 — 5 m tief zu treffen. Die höchsten Grundwasserschwankungen, die wir haben, betragen etwa 1 m und steigen zwischen 3 bis 4 m. Dann kommt es aber noch nicht in solche Boden- schichten hinein, in denen überhaupt Bakterien sind. Es ist gar nicht denkbar, daß da- ') Aus Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin, 1888. (Deutsche Medizinal-Zeitung.) 426 Diskussionsbemerkung zum Vortrag von C. Fraenkel ,, Grundwasser und Bakterien". durch aus den oberen Bodenschichten Bakterien in das Grundwasser hineinkommen sollten. Wir wissen, daß die obere Schicht etwa % m beträgt, in einzelnen Fällen auch bis zu 2 m, es kommen sogar 3 m vor, das sind aber Ausnahmefälle und so hoch steigt gewöhnlich das Grundwasser nicht. Der Berliner Sandboden filtriert außerordentlich gut, und schon wenige Zentimeter würden genügen, ein bakterienfreies Wasser zu filtrieren, selbst wenn das Grundwasser so hoch steigen würde. Ein Nichtfiltrieren des Bodens können wir nur da annehmen, wo es sich um ganz grobkörnigen Boden handelt, den wir in unserem Berliner Boden in einer Tiefe von 4 m, meistens 5 — 6 m finden, während die Brunnen, vor allem Röhrenbrunnen, 7 — 10 m tief hinabgehen. In der tiefen Schicht findet der Wasserstrom wahrscheinlich keinen großen Widerstand und bewegt sich ziem- lich schnell. Wenn etwa in diese tiefen Schichten Bakterien hineingeraten, so werden sie darin nicht festgehalten, sondern weiter geschwemmt. Bei diesen Versuchen haben wir den allerschlechtesten Boden besichtigt und dort Brunnenröhren versenken lassen von ^ 2 und 3 m Länge. In diese Röhren sind Millionen und aber Milüonen Bak- terien und eigens dazu bereitete Flüssigkeiten hineingegossen worden. Es war uns unmög- lich, durch diese ganz geringe Entfernung hin in das Saugrohr Bakterien zu bringen. In grobem Boden, etwa in München, können einmal andere Zustände vorkommen wie in dem Berliner Boden, der vielleicht im großen und ganzen in Norddeutschland derselbe ist. Soweit bis jetzt die Erfahrung reicht, ist das Grundwasser in der Regel bakterienfrei, es ist aber nicht ausgeschlossen, daß es unter bestimmten Verhältnissen bakterienhaltig werden könnte; doch ist bestimmt die Möglichkeit auszuschließen, daß etwa durch Schwankungen des Gnmdwassers in Berlin Bakterien hineinkommen. Diskussionsbemerkung zum Vortrag von Nocht „Untersuchungen über verschiedene zu Unterkleidern verwendete Stoffe".') Zu einem Vortrag von Dr. Noch t ,,U nter suchungen über verschiedene zu Unterkleidern v e r a^- e n d e t e vS t o f f e" in der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin am "29. Oktober 1888 bemerkte K o c h in der Diskiission : Ich möchte nur auf einen Punkt aufmerksam machen, der eigentUch eine kleine Lücke bildet, der ein falsches Bild von den V erhältnissen dieser verschiedenen Bekleidungs- stoffe geben könnte. Es sind wollene Stoffe sowohl in frischem, wie in getragenem Zu- stande untersucht und ebenso Barchente, also dicke, poröse Baumwollenstoffe, und der L a h m a n n sehe 8toff ist untersucht, aber nicht in getragenem Zustande. Sie haben gehört, daß dieser Stoff sich in vielen Punkten vor den anderen Baumwollenstoffen auszeichnet und sich mehr den wollenen nähert. Das gilt aber nur für den frischen Stoff, über den getragenen haben wir noch nichts erfahren. Es wäre sehr wohl möglich, daß der getragene Stoff in kurzer Zeit die günstigen Eigenschaften verliert, sei es nun, daß frische Stoffe deswegen sich besser verhalten, weil jede einzelne Faser vielleicht eine ganz dünne Fettschicht hat oder irgendwie Harzstoffe oder sonst etwas, was die Benetzbarkeit des Stoffes verhindert, das da ins Spiel kommt und sich durch Tragen sehr rasch verändert, oder sei es etwas anderes. Es sind das Dinge, die nicht recht aufgeklärt sind, die also namentlich auch, worauf der Herr Vortragende ja auch hingewiesen hat, in bezug auf den Flanell zu denken geben. Man hätte da ursprünglich an die Fettschicht denken können, welche die Wollfasern einhüllt und sie vor der Benetzbarkeit mit Wasser schützt. Aber die direkte Untersuchung, die darauf gerichtet wurde, hat gezeigt, daß getragener Flanell nicht etwa fett ärmer ist als der frische. Man hätte ja annehmen können, daß durch das Waschen mit Seife dieses Fett etwas entfernt wird. Ich möchte bei der Gelegen- heit daran erinnern, daß man in neuerer Zeit die Einfettung der Fasern direkt benutzt hat, um sie gegen Wasser unbenetzbar zu machen und regendichte Stoffe auf diese Weise herzustellen, daß man also die Stoffe mit Vaseline bearbeitet hat, oder daß man die einzelnen Fasern mit einer außerordentlich dünnen, gar nicht mehr sichtbaren, nur fühl- baren Hülle von Kautschuk überzogen und auf diese Weise solche Stoffe unbenetzbar gemacht hat. Das sind Hüllen, die ihren Zweck eine Zeitlang versehen, schheßlich aber durch den Gebrauch auch abgenutzt werden und wieder erneuert werden müssen. Be- kanntlich müssen ja diese porösen wasserdichten Stoffe immer nach einiger Zeit erneuert werden. Also so hätte man auch denken können, daß der neue Flanell seine Unbenetzbar- keit besonders dem Fett verdankt. Das wird doch wohl noch anders liegen und gewiß so zu erklären sein, wie der Herr Vortragende es gedeutet hat. Aber in bezug auf baum- wollene, dicke, poröse Stoffe, also schwere Baumwollenstoffe, muß doch erst die Erfahrung mitsprechen, ob die günstigen Resultate, die man an neuen Stoffen gefunden hat, auch für getragene gelten. Darauf kommt es doch schließlich an. Hat man den Stoff einmal der Wäsche übergeben und hat er diese guten Eigenschaften verloren, dann shid diese Eigenschaften doch nicht zu viel wert. Aus Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft fiu' öffentliche Gesundheitspflege zu Berlin, 1888. (Deutsche Medizinal-Zeitung.) Die Ätiologie der Tuberkulose.') (Nach einem in der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 24. März 1882 gehaltenen Vortrage.) Von Dr. R. Koch, Regierungsrat im Kaiserl. Gesundheitsamt. Die von V i 1 1 e m i n gemachte Entdeckung, daß die Tuberkulose auf Tiere über- tragbar ist, hat bekanntlich vielfache Bestätigung, aber auch anscheinend wohlbegrün- deten Widerspruch gefunden, so daß es bis vor wenigen Jahren unentschieden bleiben mußte, ob die Tuberkulose eine Infektionskrankheit sei oder nicht. Seitdem haben aber die zuerst von C o h n h e i m und Salomonsen, später von Baumgarten ausgeführten Impfungen in die vordere Augenkammer, ferner die Inhalations versuche von Tappeiner und anderen die Übertragbarkeit der Tuberkulose gegen jeden Zweifel sichergestellt und es muß ihr in Zukunft ein Platz unter den Infektionskrank- heiten angewiesen werden. Wenn die Zahl der Opfer welche eine Krankheit fordert, als Maßstab für ihre Be- deutung zu gelten hat, dann müssen alle Krankheiten, namentlich aber die gefürchtetsten Infektionskrankheiten, Pest, Cholera usw. weit hinter der Tuberkulose zurückstehen. Die Statistik lehrt, daß V7 aller Menschen an Tuberkulose stirbt und daß, wenn nur die mittleren produktiven Altersklassen in Betracht kommen, die Tuberkulose ein Drittel derselben und oft mehr dahinrafft. Die öffentliche Gesundheitspflege hat also Grund genug, ihre Aufmerksamkeit einer so mörderischen Krankheit zu widmen, ganz abge- sehen davon, daß noch andere Verhältnisse, von denen nur die Beziehungen der Tuber- kulose zur Perlsucht erwähnt werden sollen, das Interesse der Gesundheitspflege in An- spruch nehmen. Da es nun zu den Aufgaben des Gesundheitsamtes gehört, die Infektionskrank- heiten vom Standpunkte der Gesuddheitspflege aus, also in erster Linie in bezug auf ihre Ätiologie, zum Gegenstand von Ermittlungsarbeiten zu machen, so erschien es als eine dringende Pflicht, vor allem über die Tuberkulose eingehende Untersuchungen anzustellen. Das Wesen der Tuberkulose zu ergründen, ist schon wiederholt versucht, aber bis jetzt ohne Erfolg. Die zum Nachweis der pathogenen Mikroorganismen so vielfach bewährten Färbungsmethoden haben dieser Krankheit gegenüber im Stich gelassen und die zum Zwecke der Isolierung und Züchtung des Tuberkelvirus angestellten Ver- suche konnten bis jetzt nicht als gelungen angesehen werden, so daß Cohn heim in der soeben erschienenen neuesten Auflage seiner Vorlesungen über allgemeine Pathologie ..den direkten Nachweis des tuberkulösen Virus als ein bis heute noch ungelöstes Problem" bezeichnen mußte. ^) Aus Berliner klinische Wochenschrift, 1882, Nr. 1.5. Verlag von August Hirschwald, Berlin. Die Ätiologie der Tuberkulose. 429 Bei meinen Untersuchungen über die Tuberkulose habe ich mich anfaiags auch der bekannten Methoden bedient, ohne damit eine Aufklärung über das Wesen der Krank- heit zu erlangen. Aber durch einige gelegentliche Beobachtungen wurde ich dann ver- anlaßt, diese Methoden zu verlassen und andere Wege einzuschlagen, die schließlich auch zu positiven Resultaten führten. Das Ziel der Untersuchung mußte zunächst auf den Nachweis von irgendwelchen, dem Körper fremdartigen, parasitischen Gebilden gerichtet sein, die möglicherweise als Krankheitsursache gedeutet werden konnten. Dieser Nachweis gelang auch in der Tat durch ein bestimmtes Färbungs verfahren, mit Hilfe dessen in allen tuberkulös veränderten Organen charakteristische, bis dahin nicht bekannte Bakterien zu finden waren. Es würde zu weit führen, den Weg auf welchem ich zu diesem neuen Verfahren gelangte, zu schildern und ich will deswegen sofort zur Beschreibung desselben übergehen. Die Untersuchungsobjekte werden in der bekannten, für Untersuchungen auf pathogene Bakterien üblichen Weise vorbereitet und entweder auf dem Deckglas aus- gebreitet, getrocknet und erhitzt, oder nach Erhärtung in Alkohol in Schnitte zerlegt. Die Deckgläschen oder Schnitte gelangen in eine Farblösung von folgender Zusammen- setzung : 200 ccm destillierten Wassers werden, mit 1 ccm einer konzentrierten alko- holischen Methylenblaulösung vermischt, umgeschüttelt und erhalten dann unter wieder- holtem Schütteln noch einen Zusatz von 0,2 ccm einer 10% Kalilauge. Diese Mischung darf selbst nach tagelangem Stehen keinen Niederschlag geben. Die zu färbenden Ob- jekte bleiben in derselben 20 bis 24 Stunden. Durch Erwärmen der Farblösung auf 40" C im Wasserbad kann diese Zeit auf 1/2 his 1 Stunde abgekürzt werden. Die Deckgläschen werden hierauf mit einer konzentrierten wäßrigen Lösung von Vesuvin, welche vor jedes- maligem Gebrauche zu filtrieren ist. Übergossen und nach ein bis zwei Minuten mit destil- liertem Wasser abgespült. Wenn die Deckgläschen aus dem Methylenblau kommen, sieht die ihnen anhaftende Schicht dunkelblau aus und ist stark überfärbt, durch die Behandlung mit dem Vesuvin geht die blaue Farbe derselben verloren und sie erscheint schwach braungefärbt. Unter dem Mikroskop zeigen sich nun alle Bestandteile tieri- scher Gewebe, namentlich die Zellkerne und deren Zerfallsprodukte braun-, die Tuberkel- bakterien dagegen schön blaugefärbt. Auch alle anderen bis jetzt von mir daraufhin untersuchten Bakterien, mit Ausnahme der Leprabazillen, nehmen bei diesem Färbungs- verfahren eine braune Farbe an. Der Farbenkontrast zwischen dem braungefärbten Gewebe und den blauen Tuberkelbakterien ist so auffallend, daß letztere, welche oft nur in sehr geringer Zahl vorhanden smd, trotzdem mit der größten Sicherheit auf- zufinden und als solche zu erkennen sind. Ganz ähnlich sind die Schnitte zu behandeln. Sie werden aus der Methylenblau- lösung in die filtrierte Vesuvinlösung gebracht, bleiben darin 15 bis 20 Minuten und werden dann in destilliertem Wasser solange gespült, bis die blaue Farbe geschwunden und eine mehr oder weniger stark braune Tinktion zurückgeblieben ist. 4Iiernach entwässert man sie mit Alkohol, hellt sie in Nelkenöl auf und kann sie sofort in dieser Flüssigkeit mikroskopisch untersuchen oder auch schließlich in Kanadabalsam einlegen. In diesen Präparaten erscheinen ebenfalls die Gewebsbestandteile braun- und die Tuberkelbakterien lebhaft blaugefärbt. Übrigens sind die Bakterien Jiicht etwa ausschließlich ]uit Methylenblau zu färben, sondern sie nehmen mit Ausnahme von braunen Farbstoffen auch andere Anihnfarben unter der gleichzeitigen Einwirkung von Alkalien auf, doch fällt die Färbung bei weitem nicht so schön aus wie mit Methylenblau. Ferner kann bei dem angegebenen Färbungs- verfahren die Kalilösung durch Natron oder Ammoniak ersetzt werden, woraus zu schheßen ist, daß nicht etwa dem Kali an sich dabei eine wesenthche Rolle zufällt, sondern 430 Die Ätiologie der Tuberkulose. daß es nur auf die stark alkalische Beschaffenheit der Lösung ankommt. Dafür spricht auch, daß durch einen noch stärkeren Kalizusatz die Bakterien noch an Stellen gefärbt werden können, wo sie mit einer weniger kalihaltigen Lösung nicht mehr zum Vorschein kommen. Doch schrumpfen die Gewebsteile des Schnittpräparates und verändern sich unter dem Einfluß stärkerer Kalilösungen so sehr, daß letztere nur ausnahmsweise von Vorteil sein werden. Die durch dieses Verfahren sichtbar gemachten Bakterien zeigen ein in mancher Beziehung eigentümliches Verhalten. Sie haben eine stäbchenförmige Gestalt und ge- hören also zur Gruppe der Bazillen. Sie sind sehr dünn und ein viertel bis halb so lang als der Durchmesser eines roten Blutkörperchens beträgt, mitunter können sie auch eine größere Länge, bis zum vollen Durchmesser eines Blvitkörperchens, erreichen. Sie be- sitzen in bezug auf Gestalt und Größe eine auffallende Ähnlichkeit mit den Leprabazillen. Doch unterscheiden sich letztere von ihnen dadurch, daß sie ein wenig schlanker und an den Enden zugespitzt erscheinen. Auch nehmen die Leprabazillen bei dem Weigert- schen Kernfärbungsverfahren den Farbstoff an, was die Tuberkelbazillen nicht tun. An allen den Punkten, wo der tuberkulöse Prozeß in frischem Entstehen und in schnellem Fortschreiten begriff en ist, sind die Bazillen in großer Menge vorhanden ; sie bilden dann gewöhnlich dicht zusammengedrängte und oft bündelartig angeordnete kleine Gruppen, welche vielfach im Innern von Zellen liegen und stellenweise ebensolche Bilder geben, wie die in Zellen angehäuften Leprabazillen. Daneben finden sich aber auch zahlreiche freie Bazillen. Namentlich am Rande von größeren käsigen Herden kommen fast nur Scharen von Bazillen vor, die nicht in Zellen eingeschlossen sind. Sobald der Höhepunkt der Tuberkeleruption überschritten ist, werden die Bazillen seltener, finden sich nur noch in kleinen Gruppen oder ganz vereinzelt am Rande des Tuberkelherdes neben schwachgefärbten und mitunter kaum noch erkennbaren Ba- zillen, welche vermutlich im Absterben begriffen oder schon abgestorben sind. Schheßhch können sie ganz verschwinden , doch fehlen sie vollständig nur selten und dann auch nur an solchen Stellen, an denen der tuberkulöse Prozeß zum Still- stand gekommen ist. Wenn in dem tuberkulösen Gewebe Riesenzellen vorkommen, dann liegen die Bazillen vorzugsweise im Innern dieser Gebilde. Bei sehr langsam fortschreitenden tuberkulösen Prozessen ist das Innere der Riesenzellen gewöhnlich die einzige Stätte, wo die Bazillen zu finden sind. In diesem Falle umschließt die Mehrzahl der Riesenzellen einen oder wenige Bazillen und es macht einen überraschenden Eindruck, in weiten Strecken des Schnittpräparates immer neuen Gruppen von Riesenzellen zu begegnen, von denen fast jede einzelne in dem weiten, von braungefärbten Kernen umschlossenen Raum ein oder zwei winzige, fast im Zentrum der Riesenzelle schwebende, blaugefärbte Stäbchen enthält. Oft sind die Bazillen nur in kleinen Gruppen von Riesenzellen, selbst nur in einzelnen Exemplaren anzutreffen, während gleichzeitig viele andere Riesenzellen frei davon sind. Dann sind die bazillenhaltigen, wie aus ihrer Größe und Lage zu schheßen ist, die jüngeren Riesenzellen, die bazillenfreien dagegen die älteren und es läßt sich an- nehmen, daß auch die letzteren ursprünglich. Bazillen umschlossen, daß diese aber ab- gestorben oder in den bald zu erwähnenden Dauerzustand übergegangen sind. Nach Analogie der von Weiß, Friedländer und L a u 1 a m i e beobachteten Bildung von Riesenzellen um Fremdkörper, wie Pflanzenfasern und Strongyluseier, wird man sich das Verhältnis der RiesenzeUen zu den Bazillen so vorstellen können, daß auch hier die Bazillen als Fremdkörper von den Riesenzellen eingeschlossen werden und deswegen ist selbst dann, wenn die Riesenzelle leer gefunden wird, alle übrigen Verhältnisse aber auf tuberkulöse Prozesse deuten, die Vermutung gerechtfertigt, daß sie früher einen Die Ätiologie der Tuberkulose. 431 oder mehrere Bazillen beherbergt hat und diese zu ihrer Entstehung Veranlassung gegeben haben. Auch ungefärbt in unpräpariertem Zustande sind die Bazillen der Beobachtung zugänghch. Es ist dazu erforderlich, von solchen Stellen, welche bedeutende Mengen von Bazillen enthalten, z. B. von einem grauen Tuberkelknötchen aus der Lunge eines an Impftiiberkulose gestorbenen Meerschweinchens ein wenig Substanz unter Zusatz von destilliertem Wasser oder besser Blutserum zu untersuchen, was, um Strömungen in der Flüssigkeit zu vermeiden, am zweckmäßigsten im hohlen Objektträger geschieht. Die Bazillen erscheinen dann als sehr feine Stäbchen, welche nur Molekularbewegung zeigen, aber nicht die geringste Eigenbewegung besitzen. Unter gewissen später zu erwähnenden Verhältnissen bilden die Bazillen schon im tierischen Körper Sporen, und zwar enthalten die einzelnen Bazillen mehrere, meistens 2 bis 4 Sporen, von ovaler Gestalt, welche in gleichmäßigen Abständen auf die Länge des Bazillus verteilt sind. In bezug auf das Vorkommen der Bazillen bei den verschiedenen tuberkulösen Erkrankungen des Menschen und der Tiere konnte bis jetzt folgendes Material unter- sucht werden: I. Vom Menschen: 11 Fälle von Miliartuberkulose. Die Bazillen wurden in den Miliartuberkeln der Lungen niemals vermißt ; oft waren allerdings in solchen Knötchen, deren Zentrum keine Kernfärbung mehr annimmt, auch keine Bazillen mehr zu finden, dann waren sie aber am Rande des Tuberkels noch in kleinen Gruppen vorhanden und in jüngeren, noch nicht im Zentrum verkästen Knötchen in um so größerer Menge zu finden. Sie konnten außer in den Lungen auch in den Miliartuberkeln der Milz, Leber und Niere nachgewiesen werden. Sehr reichlich fanden sie sich in den grauen Knötchen der Pia mater bei Meningitis basilaris. Auch die bei mehreren Fällen imtersuchten ver- kästen Bronchialdrüsen enthielten zum Teil dichte Schwärme von Bazillen und darunter viele sporenhaltige, zum Teil in das Drüsengewebe eingebettete Tuberkel mit einer von epitheloiden Zellen vimgebenen Riesenzelle im Zentrum und im Innern der Riesenzelle einige Bazillen. 12 Fälle von käsiger Bronchitis und Pneumonie (in 6 Fällen Kavernenbildung). Das Vorkommen der Bazillen beschränkte sich meistens auf den Rand des käsig m- filtrierten Gewebes, war daselbst aber mehrfach ein sehr reichliches. Auch im Innern der infiltrierten Lungenpartien trifft man bisweilen auf Bazillennester. Ungemein zahl- reich finden sich die Bazillen in den meisten Kavernen. Die bekannten kleinen käsigen Bröckchen im Kaverneninhalt bestehen fast ganz aus Bazillenmassen. Unter den Bazillen, welche in den käsig erweichten Herden und in den Kavernen sich befinden, wurden einige Male zahlreiche mit Sporen versehene angetroffen. In größeren Kavernen kommen sie mit anderen Bakterien vermischt vor, waren aber leicht von diesen zu unterscheiden, Aveil bei der angegebenen Färbvmgsmethode nur die Tuberkelbazillen die blaue Tinktion behalten, die anderen Bakterien, wie schon erwähnt wurde, eine braune Farbe annehmen. 1 Fall von solitärem, mehr als haselnußgroßem Tuberkel des Gehirns. Die käsige Masse des Tuberkels war von einem zellenreichen Gewebe eingeschlossen, in welches viele Riesenzellen sich eingebettet fanden. Die meisten Riesenzellen enthielten keine Parasiten, aber stellenweise traf man Gruppen von Riesenzellen, von denen jede einen oder auch zwei Bazillen enthielt. 2 Fälle von Darmtuberkulose. In den Tuberkelknötchen, welche sich um die Darm- geschwüre gruppierten, konnten die Bazillen besonders gut nachgewiesen werden, und zwar fanden sie sich auch hier wieder vorzugsweise zahlreich in den jüngsten und kleinsten 432 Die Ätiologie der Tuberkulose. Knötchen. In den zu diesen beiden Fällen gehörigen Mesenterialdrüsen waren die Ba- zillen ebenfalls in großer Menge vorhanden. 3 Fälle von frisch exstirpierten skrofulösen Drüsen. Nur in zweien derselben konnten in Riesenzellen eingeschlossene Bazillen nachgewiesen werden. 4 Fälle von fungöser Gelenksentzündung. In 2 Fällen wurden ebenfalls nur in vereinzelten kleinen Gruppen von Riesenzelleia Bazillen gefunden. II. Von Tieren: 10 Fälle von Perlsucht mit verkalkten Knoten in den Lungen, mehrfach auch im Peritoneum und einmal am Perikardivim. In sänitlichen Fällen fanden sich die Bazillen, und zwar vorwiegend im Innern von Riesenzellen, welche in dem die kalkigen Massen umschließenden Gewebe sich befinden. Die Verteilung der Bazillen ist meistens eine so gleichmäßige, daß unter zahlreichen Riesenzellen kaum eine zu finden ist, welche nicht einen oder mehrere, mitunter bis zu 20 Bazillen umschließt. In einem dieser Fälle konnten die Bazillen zugleich in den Bronchialdrüsen und in einem zweiten in den Mesenterialdrüsen nachgewiesen werden. 3 Fälle, in denen die Lungen von Rindern nicht die bekannten verkalkten, mit höckriger Oberfläche versehenen Knoten der gewöhnlichen Perlsucht, sondern glatt- wandige, mit dickbreiiger, käseartiger Masse gefüllte, kugelige Knoten enthielten. Ge- wöhnlich wird diese Form nicht zur Tuberkulose gerechnet, sondern als eine Bronchi- ektasis aufgefaßt. Auch in der L^^mgebung dieser Knoten fanden sich RiesenzeUen und in diesen die Tuberkelbazillen. Eine verkäste Halslymphdrüse vom Schwein enthielt ebenfalls die Bazillen. In den Organen eines an Tuberkulose gestorbenen Huhnes, und zwar sowohl in den Tuberkelknoten des Knochenmarks, als in den eigentümUchen großen Knoten des Darms, der Leber und Lunge befanden sich große Mengen von Tuberkelbazillen. Von 3 spontan an Tuberkulose gestorbenen Affen wurden die mit unzähligen Knöt- chen durchsetzten Lungen, Milz, Leber und Netz und die verkästen Lymphdrüsen unter- sucht und überall in den Knötchen oder deren nächsten Umgebung die Bazillen gefunden. Von spontan erkrankten Tieren kamen noch 9 Meerschweinchen und 7 Kaninchen zur Untersuchung, welche ebenfalls sämtlich in den Tuberkelknötchen die Bazillen auf- wiesen. Außer diesen Fällen von spontaner Tuberkulose stand mir noch eine nicht un- bedeutende Zahl von Tieren zur Verfügung, welche durch Impfung mit den verschiedensten tuberkulösen Substanzen infiziert waren, nämlich mit grauen und verkästen Tuberkeln menschhcher Lungen, mit Sputum von Phthisikern, mit Tuberkelmassen von spontan erkrankten Affen, Kaninchen und Meerschweinchen, mit Massen aus verschiedenen sowohl verkalkten, als auch käsigen perlsüchtigen Rinderlungen, und schließlich auch durch Weiterimpfung der in dieser Weise erhaltenen tuberkulösen Affektionen. Die Zahl der so infizierten Tiere behef sich auf 172 Meerschweinchen, 32 Kaninchen und 5 Katzen. Der Nachweis der Bazillen mußte sich in der Mehrzahl dieser Fälle auf die Untersuchung der immer in großer Menge vorhandenen Tuberkelknötchen der Lungen beschränken. In diesen wurden die Bazillen nicht ein einziges Mal vermißt; oft waren sie außerordentlich zahlreich, mitunter auch sporenhaltig, aber nicht selten waren sie in den angefertigten Präparaten auch nur in wenigen, jedoch unzweifelhaften Exem- plaren aufzufinden. Bei der Regelmäßigkeit des Vorkommens der Tuberkelbazillen muß es auffallend erscheinen, daß sie bisher von niemandem gesehen sind. Doch erklärt sich dies daraus, daß die Bazillen außerordentlich kleine Gebilde und meistens so spärlich an Zahl sind, namentlich wenn sich ihr Vorkommen auf das Innere der Riesenzellen beschränkt, daß sie schon aus diesem Grunde ohne ganz besondere Farbenreaktionen dem aufmerk- Die Ätiologie der Tuberkulose. 433 samsten Beobachter entgehen müssen. Wenn sie sich aber auch in größeren Mengen beisammen finden, sind sie mit feinkörnigem Detritus in einer Weise untermengt und dadurch verdeckt, daß auch dann ihr Erkennen im höchsten Grade erschwert ist. Übrigens existieren einige Angaben über Befunde von Mikroorganismen in tuber- kulös veränderten Geweben. So erwähnt Schüller in seiner Schrift über skrofu- löse und tuberkulöse Gelenkleiden, daß er konstant Mikrokokken gefunden habe. Zweifel- los muß es sich dabei, ebenso wie bei den von K 1 e b s in Tuberkehi gefundenen kleinsten beweglichen Körnchen um etwas anderes als die von mir gesehenen Tuberkelbazillen, welche unbeweglich und stäbchenförmig sind, gehandelt haben. Ferner hat A u f r e c h t, wie er in dem ersten Heft seiner pathologischen Mitteilungen berichtet, unter einer Anzahl von Kaninchen, welche er mit perlsüchtigen oder tiiberkulösen Substanzen in- fiziert hatte, bei drei von diesen Tieren im Zentrum der Tuberkelknötchen neben zwei verschiedenen Mikrokokkusarten auch kurze stäbchenförmige Gebilde gefunden, deren Längsdurchmesser den Querdurchmesser nur um die Hälfte übertraf. Die Tuberkel- bazillen sind aber mindestens fünfmal so lang als dick, oft noch viel länger im Verhält- nis zur Dicke, außerdem kommen sie bei reiner Tuberkulose niemals mit Mikrokokken oder anderen Bakterien vermengt im Tuberkel vor. Es ist deswegen außerordentlich unwahrscheinlich, daß Aufrecht die wirklichen Tuberkelbazillen gesehen hat ; wäre es der Fall, dann hätte er auch in menschlichen Tuberkeln und in der Perlsuchtlunge die Bazillen nachweisen müssen und es hätte ihm das auffallende Verhältnis zwischen Bazillen und Riesenzellen nicht entgehen können. Auf Grund meiner zahlreichen Beobachtungen halte ich es für erwiesen, daß bei allen tuberkulösen Affektionen des Menschen und der Tiere konstant die von mir als Tuberkelbazillen bezeichneten und durch charakteristische Eigenschaften von allen anderen Mikroorganismen sich unterscheidenden Bakterien vorkommen. Aus diesem Zusammen- treffen von tuberkulöser Affektion und Bazillen folgt indessen noch nicht, daß diese beiden Erscheinungen in einem ursächlichen Zusammenhange stehen, obwohl ein nicht geringer Grad von Wahrscheinlichkeit für diese Annahme sich aus dem Umstand ergibt, daß die Bazillen sich vorzugsweise da finden, wo der tuberkulöse Prozeß im Entstehen oder Fort- schreiten begriffen ist, und dort verschwinden, wo die Krankheit zum Stillstand kommt. Um zu beweisen, daß die Tuberkulose eine durch die Einwanderung der Bazillen veranlaßte und in erster Linie durch das Wachstum und die Vermehrung derselben bedingte parasitische Krankheit sei, mußten die Bazillen vom Körper isoliert, in Reinkulturen solange fortgezüchtet werden, bis sie von jedem etwa noch anhängenden, dem tierischen Organismus entstammenden Krankheitsprodukt befreit sind, und schließlich durch die Übertragung der isolierten Bazilleia auf Tiere dasselbe Krankheitsbild der Tuberkulose erzeugt werden, welches erfahrungsgemäß durch Impfung mit natürlich entstandenen Tuberkelstoffen erhalten wird. Mit Übergehung der vielen Vorversuclie, welche zur Lösung dieser Aufgabe dienten, soll auch hier wieder die fertige Methode geschildert werden. Das Prinzip derselben beruht auf der Verwertung eines festen durchsichtigen Nährbodens, welcher auch bei Bruttemperatur seine feste Konsistenz behält. Die Vorteile dieser von mir in die Bak- terienforschung eingeführten Methode der Reinkultur habe ich in einer früheren Pu- blikation ausführlich auseinandergesetzt. Daß durch dieselbe die Lösung der gewiß nicht einfachen Aufgabe, die Tuberkelbazillen rein zu kultivieren, erreicht wurde, ist mir ein neuer Beweis für die Leistungsfähigkeit dieser Methode. Serum von Rinder- oder Schafblut, welches möglichst rein gewonnen ist, wird in durch Wattepfropf verschlossene Reagenzgläschen gefüllt und .sechs Tage hindurch täglich eine Stunde lang auf 58" C erwärmt. Durch dieses Verfahren gelingt es, wenn Koch, Gesammelte Werke. 28 434 Die Ätiologie der Tuberkulose. auch nicht immer, so doch in den meisten Fällen, das Serum vollkommen zu sterihsieren. Dann wird es auf 65" C mehrere Stunden hindurch und zwar solange erwärmt, bis es eben erstarrt und fest geworden ist. Das Serum erscheint nach dieser Behandlung als eine bernsteingelbe, vollkommen durchscheinende oder nur schwach opaleszierende, fest gallertartige Masse und darf, wenn es sich mehrere Tage lang in Bruttempera.tur be- findet, nicht die geringste Entwicklung von Bakterienkolonien zeigen. Geht die Er- hitzung über 75" hinaus oder dauert sie zu lange, dann wird das Serum undurchsichtig. Um eine große Fläche zur Anlage der Kulturen zu erhalten, läßt man das Serum bei einer möglichst geneigten Lage der Reagenzgläser erstarren. Für solche Kulturen, welche der unmittelbaren mikroskopischen Untersuchung zugänglich gemacht werden sollen, wird das Serum in flachen Uhrgläschen oder in hohlen Glasklötzchen zum Erstarren gebracht. Auf dieses erstarrte Blutserum, welches einen durchsichtigen, bei Bruttemperatur fest bleibenden Nährboden bildet, werden die tuberkulösen Substanzen und zwar in folgender Weise gebracht. Der einfachste Fall, in welchem das Experiment fast ohne Ausnahme gelingt, ist gegeben, wenn ein soeben an Tuberkulose gestorbenes oder ein zu diesem Zwecke getötetes tuberkulöses Tier zur Verfügung steht. Zuerst wird die Haut mit kurz vorher ausgeglühten Instrumenten über Brust und Bauch zur Seite gelegt. Mit einer ebenfalls geglühten Schere und Pinzette werden alsdann die Rippen in der Mitte durchschnitten, die Vorderwand des Brustkorbes, ohne daß die Bauchhöhle dabei eröffnet wird, ent- fernt, so daß die Lungen zu einem großen Teil freigelegt sind. Die Instrumente sind nun nochmals mit anderen eben desinfizierten zu vertauschen, einzelne Tuberkelknötchen oder Partikelchen derselben von der Größe eines Hirsekorns mit der Schere schnell aus dem Lungengewebe herauszupräparieren und sofort mit einem kurz vorher aus- geglühten, in einen Glasstab eingeschmolzenen Platindraht in das Reagenzglas auf die Fläche des erstarrten Blutserums zu übertragen. Selbstverständlich darf der Watte- pfropf nur möglichst kurze Zeit gelüftet werden. In dieser Weise werden eine Anzahl Reagenzgläser, etwa sechs bis zehn an der Zahl, mit Tuberkelsubstanz versehen, weil selbst bei der vorsichtigsten Manipulation nicht alle Gläser frei von zufälligen Ver- unreinigungen bleiben . Lymphdrüsen, die in beginnender Verkäsung sich befinden, eignen sich ebensogut zu diesem Experiment wie Lungentuberkel ; weniger gut dagegen der Eiter aus geschmol- zenen Lymphdrüsen, welcher meistens nur sehr wenige oder gar keine Bazillen enthält. Schwieriger ist die Kultur der Bazillen unmittelbar aus menschlichen tuberkulösen Organen oder aus perlsüchtiger Lunge. Ich habe Objekte dieser Art, deren Entnahme aus dem Körper ich nicht selbst mit den vorher erwähnten Vorsichtsmaßregeln besorgen konnte, sorgfältig und wiederholt mit Sublimatlösung abgewaschen, dann die ober- flächlichen Schichten mit geglühten Instrumenten abgetragen und die Impfsubstanz aus einer Tiefe genommen, von der sich erwarten ließ, daß Fäulnisbakterien bis dahin noch nicht gedrungen sein konnten. Die in der geschilderten Weise mit Tuberkelsubstanz versehenen Reagenzgläschen kommen in den Bruttapparat und müssen dauernd bei einer Temperatur von 37" bis 38" C gehalten werden. In der ersten Woche ist keine merkliche Veränderung zu be- merken. Tritt eine solche ein und bilden sich schon in den ersten Tagen etwa von der Impfsubstanz ausgehend oder gar entfernt von derselben schnell um sich greifende Bakterienwucherungen, die sich gewöhnlich als weiße, graue oder gelbliche Tropfen, oft auch unter Verflüssigung des festen Blutserums, zu erkennen geben, so handelt es sich um Verunreinigungen und das Experiment ist mißglückt. Die Ätiologie der Tuberkulose. 435 Die au.s dem Wachstum der Tuberkelbazillen hervorgehenden Kulturen erscheinen dem unbewaffneten Auge zuerst in der zweiten Woche nach der Aussaat, gewöhnlich erst nach dem zehnten Tage, als sehr kleine Pünktchen und trocken aussehende Schüpp- chen, welche, je nachdem die Tuberkelmasse bei der Aussaat mehr oder weniger zer- quetscht und durch reibende Bewegungen mit einer größeren Fläche des Nährbodens in Berührung gebracht wurde, das ausgelegte Tuberkelstückchen in geringerem oder weiterem Umkreise umlagern. Wenn sich nur sehr wenige Bazillen in dem Aussaat- material befanden, dann gelingt es kaum, die Bazillen aus dem Gewebe freizumachen und unmittelbar auf den Nährboden zu bringen, in diesem Fall entwickeln sich ihre Kolonien im Innern des ausgelegten Gewebsstückchens und man sieht, wenn dasselbe transparent genug ist, z. B. in Stückchen, welche skrofulösen Drüsen entnommen sind, bei durchfallendem Licht dunklere, bei auffallendem Licht dagegen weißlich erscheinende Punkte auftreten. Mit Hilfe einer schwachen, ungefähr 30- bis 40 fachen Vergrößerung sind die Bazillenkolonien schon gegen Fnde der ersten Woche wahrzunehmen. Sie er- scheinen als sehr zierliche, spindelförmige und meistens S-förmige, aber auch in anderen ähnlichen Figuren gekrümmte Gebilde, welche, wenn sie am Deckglas ausgebreitet, gefärbt und mit starken Vergrößerungen untersucht werden, nur aus den bekannten äußerst feinen Bazillen bestehen. Bis zu einem gewissen Grade schreitet im Laufe von drei bis vier Wochen das Wachstum dieser Kolonien fort, sie vergrößern sich zu platten, den Umfang eines Mohnkorns meistens nicht erreichenden, schuppenartigen Stückchen, welche dem Nährboden lose aufliegen, niemals selbständig in denselben eindringen oder ihn verflüssigen. Die Kolonie der Bazillen bildet außerdem eine so kompakte Masse, daß das kleine Schüppchen von dem starren Blutserum mit einem Platindraht im Zu- sammenhang leicht abgehoben und nur unter Anwendung eines gewissen Druckes zer- bröckelt werden kann. Das überaus langsame Wachstum, welches nur bei Bruttemperatur zu erreichen ist, die eigentümliche schuppenartige trockene und feste Beschaffenheit dieser Bazillenkolonien findet sich bei keiner anderen bis jetzt bekannten Bakterienart wieder, so daß eine Verwechslung der Kulturen von Tuberkelbazillen mit denjenigen anderer Bakterien unmöglich und schon bei nur geringer Übung nichts leichter ist, als zufällige Verunreinigungen der Kulturen sofort zu erkennen. Das Wachstum der Kolonien ist, wie gesagt, nach einigen Wochen beendigt und eine weitere Vergrößerung tritt wahr- scheinhch aus dem Grunde nicht ein, weil die Bazillen jeder Eigenbewegung entbehren und nur durch den Wachstumsprozeß selbst auf dem Nährboden verschoben werden, was bei der langsamen Vermehrung der Bazillen natürlich nur in sehr geringen Dimen- sionen erfolgen kann. Um nun eine solche Kultur im Gange zu erhalten, muß sie einige Zeit nach der ersten Aussaat, ungefähr nach 10 bis 14 Tagen, auf einen neuen Nährboden übertragen werden. Dies geschieht so, daß einige Schüppchen mit dem geglühten Platin- draht abgenommen und in ein frisches, mit sterilisiertem, erstarrtem Blutserum versehe- nes Reagenzglas übertragen, daselbst auf dem Nährboden zerdrückt und möglichst ausgebreitet werden. Es entstehen dann in dem gleichen Zeitraum wieder schuppen- artige, trockene Massen, welche zusammenfUeßen und je nach der Ausdehnung der Aus- saat einen mehr oder weniger großen Teil der Blutserunifläche überziehen. In dieser Weise werden die Kulturen fortgesetzt. Die Tuberkelbazillen lassen sich auch noch auf anderen Nährsubstraten kulti- vieren, wenn letztere ähnliche Eigenschaften wie das erstarrte Blutserum besitzen. So wachsen sie beispielsweise auf einer mit Agar-Agar bereiteten, bei Brutwärme hart blei- benden Gallerte, welche einen Zusatz von Fleischinfus und Pepton erhalten hat. Doch bilden sie auf diesem Nährboden nur unförmliche kleine Brocken, niemals so charak- teristische Vegetationen wie auf dem Blutserum. 28* 436 Die Ätiologie der Tuberkulose. Ursprünglich habe ich die Tuberkelbazillen nur aus den Lungentuberkeln von Meer- schweinchen kultiviert, die mit tuberkulösen Substanzen infiziert waren. Die aus ver- schiedenen Quellen abstammenden Kulturen hatten also eine Art Zwischenstufe, den Körper des Meerschweinchens, zu passieren. Hierbei hätte es aber, ebenso wie bei der Übertragmig einer Kultur von einem Reagenzglas in ein anderes, leicht zu Irrtümern kommen können, wenn zufällig andere Bakterien mit verimpft wurden oder wenn etwa bei den Versuchstieren, was gar nicht selten ist, spontane Tuberkulose auftritt, üm diese Fehlerquellen zu vermeiden, bedurfte es besonderer Maßregeln, welche sich aus den Beob- achtungen über das Verhalten der diese Versuche am meisten gefährdenden spontanen Tuberkulose ergaben. Unter Hunderten von eben angekauften Meerschweinchen, welche gelegentlich anderer Versuche zur Sektion kamen, habe ich nicht ein einziges tuberku- löses gefunden. Die spontane Tuberkulose kam immer nur vereinzelt und niemals vor Ablauf von drei bis vier Monaten vor, nachdem die Tiere sich mit tuberkulös infizierten in dem nämlichen Räume befunden hatten. Bei Tieren, welche spontan tuberkulös er- krankt waren, fanden sich ausnahmslos die Bronchialdrüsen ungemein vergrößert und eitrig geschmolzen, meistens auch in der Lunge ein großer käsiger Herd mit weit vor- geschrittenem Zerfall im Zentrum, so daß es einige Male ganz wie in menschlichen Lungen zu echter Kavernenbildung gekommen war. Die Tuberkelentwicklung in den Unter- leibsorganen war hinter derjenigen in den Lungen weit zurück. Die Schwelkmg der Bron- chialdrüsen und der Beginn des Prozesses in den Atmungsorganen lassen keinen Zweifel darüber, daß die spontane Tuberkulose dieser Tiere eine Inhalationstuberkulose ist, welche aus der Aufnahme einiger weniger oder möglicherweise nur eines einzelnen In- fektionskeimes entstanden ist und deswegen sehr langsam verläuft. Ganz anders verhält sich die Impf tuberkulöse. Die Impfstelle befand sich bei den Tieren am Bauch, in der Nähe der Inguinaldrüsen. Diese schwollen auch zuerst an und gaben damit ein frühes und untrügliches Kennzeichen für das Gelingen der Impfung. Die Tuberkulose verlief, weil von vornherein eine größere Menge des Infektionsstoffes einverleibt wurde, unver- gleichlich schneller als die spontane Tuberkulose, und bei der Sektion dieser Tiere wurden die Milz und Leber stärker tuberkulös verändert gefunden als die Limge. Es ist des- wegen durchaus nicht schwierig, die spontane Tuberkulose von der Impftuberkulose bei den Versuchstieren zu unterscheiden. Mit Berücksichtigung aller dieser Verhältnisse ließ sich wohl annehmen, daß, wenn mehrere eben angekaufte Meerschweinchen in gleicher Weise und mit dem gleichen Material geimpft und von anderen Tieren getrennt in einem besonderen Käfig gehalten wurden und dann sämtlich gleichzeitig und schon nach kurzer Frist in der geschilderten, für Impftuberkulose charakteristischen Weise er- krankten, daß dann die Entstehung der Tuberkulose nur auf die Wirkung der verimpften Substanz zurückzuführen ist. In der angedeuteten Weise wurde denn auch verfahren und unter allen Kautelen (vorhergehende Desinfektion der Impfstelle, Benutzung von kurz vorher geglühten Instrumenten) mit der auf ihre Virulenz zu prüfenden Substanz jedesmal vier bis sechs Meerschweinchen geimpft. Der Erfolg war ein durchweg gleichmäßiger ; bei sämtlichen Tieren, welche mit frischen tuberkelbazillenhaltigen Massen geimpft wurden, war die kleine Impf wunde fast immer schon am folgenden Tage verklebt, sie blieb etwa acht Tage lang unverändert, dann bildete sich ein Knötchen, welches sich entweder vergrößerte ohne aufzubrechen oder, was meistens der Fall war, sich in ein flaches trockenes Ge- schwür verwandelte. Schon nach 2 Wochen waren die auf der Seite der Impfwunde gelegenen Leistendrüsen, bisweilen auch die Achseldrüsen, bis zu Erbsengröße geschwollen. Von da ab magerten die Tiere schnell ab und starben nach vier bis sechs Wochen oder wurden, um jede Kombination mit etwa später eintretender spontaner Tuberkulose Die Ätiologie der Tuljerkulose. 437 auszuschließen, getötet. In den Organen aller dieser Tiere, und zwar vorzugsweise in der Milz und Leber, fanden sich die bei Meerschweinchen so sehr charakteristischen, bekannten tuberkulösen Veränderungen. Daß in der Tat bei dieser Versuchsanordnung die Infektion der Meerschweinchen nur durch die veriinpften Substanzen bewirkt wurde, geht auch noch daraus hervor, daß in mehreren Versuchsreihen mit Impfung einer skro- fulösen Drüse, fungöser Massen von einem Gelenk, in welchen beiden Fällen keine Tuberkelbazillen aufgefunden werden konnten, ferner nach Verimpfung von Lungen- tuberkeln eines Affen, welche 2 Monate lang trocken, und mit ebensolchen, welche einen Monat lang in Alkohol aufbewahrt gewesen waren, auch nicht ein einziges von den ge- impften Tieren erkrankte, während die mit bazillenhaltigen Massen geimpften aus- nahmslos vier Wochen nach der Impfung schon hochgradig tuberkulös waren. Von solchen Meerschweinchen, welche durch Impfung mit Tuberkeln aus der Affenlunge, mit Miliartuberkeln aus Gehirn und Lunge vom Menschen, mit käsigen Massen aus phthisischer Lunge, mit Knoten aus den Lungen und vom Peritoneum perl- süchtiger Rinder infiziert waren, wurden nun in der früher geschilderten Weise Kulturen der Tuberkelbazillen ausgeführt. Es stellte sich heraus, daß ebenso wie das Krank- heitsbild, welches die aufgezählten verschiedenen Substanzen beim Meerschweinchen hervorrufen, immer das gleiche ist. so auch die erhaltenen Bazillenkulturen sich nicht im geringsten voneinander unterscheiden. Im ganzen wurden 15 solcher Reinkulturen von Tuberkelbazillen gemacht, und zwar 4 von Meerschweinchen, welche mit Affen- tuberkulose infiziert waren, 4 von mit Perlsueht, 7 von mit menschlichen tuberkulösen Massen infizierten Meerschweinchen. LTm aber auch jeden Einwand auszuschließen, daß durch die vorhergehende Ver- impfung der tuberkulösen Massen auf Meerschweinchen eine Änderung in der Natur der Bazillen, möglicherweise ein Gleichwerden der bis dahin verschiedenen Organismen bewirkt sei, wurde versucht, die Tuberkelbazillen unmittelbar aus den spontan tuber- kulös erkrankten Organen von Menschen und Tieren zu kultivieren. Dieser Versuch gelang mehrfach, \md es wurden Reinkulturen erhalten aus zwei menschlichen Lungen mit Miliartuberkeln, aus einer ebensolchen mit käsiger Pneumonie, zweimal aus dem Inhalt von kleinen Kavernen phthisischer Lungen, einmal aus ver- kästen Mesenterialdi-üsen und zweimal aus frisch exstirpierten skrofulösen Drüsen, ferner zweimal aus perlsüchtiger Rinderlunge und dreimal aus den Lungen von spontan an Tuberkulose erkrankten Meerschweinchen. Auch diese Kulturen glichen einander vollkommen und ebenso denen, welche auf dem LTmwege der Verimpfung auf Meer- schweinchen erhalten waren, so daß an der Identität der bei den verschiedenen tuber- kulösen Prozessen vorkommenden Bazillen nicht gezweifelt werden kann. In bezug auf diese Remkulturen habe ich noch zu erwähnen, daß K 1 e b s, Schül- ler und Toussaint ebenfalls Mikroorganismen aus tuberkulösen Massen gezüchtet haben. Alle drei Forscher fanden, daß die Kulturflüssigkeiten nach der Infektion mit Tuberkelstoff schon nach zwei bis drei Tagen sich trübten und zahlreiche Bakterien enthielten. Bei den Versuchen von K 1 e b s traten schnell bewegliche kleine Stäbchen auf, Schüller und Toussaint erhielten Mikrokokken. Ich habe mich wieder- holt davon überzeugt, daß die Tuberkelbazillen in Flüssigkeiten nur sehr kümmerlich wachsen, dieselben auch niemals trübe machen, weil sie ganz unbeweglich sind, und wenn ein Wachstum stattfindet, dies sich erst im Verlaufe von drei bis vier Wochen zu erkennen gibt. Die genannten Forscher müssen es daher mit anderen Organismen als mit den Tuberkelbazillen zu tun gehabt haben. Bis dahin war durch meine Untersuchungen also festgestellt, daß das Vorkommen von charakteristischen Bazillen regelmäßig mit Tuberkulose verknüpft ist, und daß 438 Die Ätiologie der Tuberkulose. diese Bazillen sich aus tuberkulösen Organen gewinnen und in Reinkulturen isolieren lassen. Es blieb nunmehr noch die wichtige Frage zu beantworten, ob die isolierten Bazillen, wenn sie dem Tierkörper wieder einverleibt werden, den Krankheitsprozeß der Tuberkulose auch wieder zu erzeugen vermögen. Um bei der Lösung dieser Frage, in welcher der Schwerpunkt der ganzen Unter- suchung über das Tuberkelvirus liegt, jeden Irrtum auszuschließen, wurden möglichst verschiedene Reihen von Experimenten angestellt, welche wegen der Bedeutung der Sache einzeln aufgezählt werden sollen. Zunächst wurden Versuche mit einfacher Verimpf ung der Bazillen in der früher geschilderten Weise angestellt. 1. Versuch. Von sechs eben angekauften und in einem und demselben Käfig gehaltenen Meerschweinchen wurden vier am Bauch mit Bazillenkultur geimpft, welche aus menschhchen Lungen mit Miliartuberkeln gewonnen und 54 Tage lang in fünf Um- züchtu^ngen kultiviert waren. Zwei Tiere blieben ungeimpft. Bei den geimpften Tieren schwollen nach 14 Tagen die Inguinaldrüsen, die Impfstellen verwandelten sich in ein Geschwür und die Tiere magerten ab. Nach 32 Tagen starb eines der geimpften Tiere. Nach 35 Tagen wurden die übrigen getötet. Die geimpften Meerschweinchen, sowohl das spontan gestorbene, als die drei getöteten, wiesen hochgradige Tuberkulose der Milz, Leber und Lungen auf; die Inguinaldrüsen waren stark geschwollen und verkäst, die Bronchialdrüsen wenig geschwollen. Die beiden nicht geimpften Tiere zeigten keine Spur von Tuberkulose in den Lungen, der Leber oder Milz. 2. Versuch. Von acht Meerschweinchen wurden 6 mit Bazillenkultur ge- impft, welche, aus der tuberkulösen Lunge eines Affen abstammend, 95 Tage lang in acht Umzüchtungen kultiviert war. Zwei Tiere blieben zur Kontrolle ungeimpft. Der Ver- lauf war genau derselbe wie im ersten Versuch. Die 6 geimpften Tiere wurden bei der Sektion hochgradig tuberkulös, die beiden ungeimpften gesund gefunden, als sie nach 32 Tagen getötet wurden. 3. Versuch. Von 6 Meerschweinchen wurden 5 mit Kultur geimpft, die von perlsüchtiger Lunge herrührte, 72 Tage alt und sechsmal umgezüchtet war. Die 5 ge- impften Tiere zeigten sich, als nach 34 Tagen sämtliche Tiere getötet wurden, tuber- kulös, das ungeimpfte gesund. 4. Versuch. Eine Anzahl Tiere (Mäuse, Ratten, Igel, ein Hamster, Tauben, Frösche), über deren Empfänglichkeit für Tuberkulose noch nichts bekannt ist, wurden mit Kultur geimpft, welche von tuberkulöser Lunge eines Affen gewonnen und 113 Tage lang außerhalb des Tierkörpers fortgezüchtet war. 4 Feldmäuse, welche 53 Tage nach der Impfung getötet wurden, hatten zahlreiche Tuberkelknötchen in der Milz, Leber und Lunge, ebenso verhielt sich ein gleichfalls 53 Tage nach der Impfung getöteter Hamster. In diesen 4 ersten Versuchsreihen hatte die Verimpfung von Bazillenkul- turen am Bauch der Versuchstiere also eine ganz genau ebenso verlaufende Impf tuber- kulöse hervorgebracht, wie wenn frische tuberkulöse Substanzen ver- impft gewesen wären. In den nächstfolgenden Versuchen wurde die Impfsubstanz in die vordere Augen- kammer von Kaninchen gebracht, um zu erfahren, ob auch bei dem so modifizierten Impfverfahren das künsthch kultivierte Tuberkelvirus denselben Effekt haben würde wie das natürliche. 5. Versuch. Drei Kaninchen erhielten ein kleines Bröckchen einer Kultur (von käsiger Pneunomie menschlicher Lunge abstammend und 89 Tage lang fortge- züchtet) in die vordere Augenkammer. Es entwickelte sich schon nach wenigen Tagen Die Ätiologie der Tuberkulose. 439 eine intensive Iritis, die Hornhaut wurde bald trübe und gelbgrau gefärbt. Die Tiere magerten sehr schnell ab, wurden nach 25 Tagen getötet und ihre Lungen von zahl- losen Tuberkelknötchen durchsetzt gefunden. 6. Versuch. Von 3 Kaninchen erhält eines eine Injektion von reinem Blut- serum in die vordere Augenkammer, die beiden anderen eine Injektion mit dem nämlichen Blutserum, mit welchem aber einige Bröckchen von einer Kultur (aus Perlsuchtlungen abstammend und 91 Tage lang fortgezüchtet) verrieben sind. Bei den beiden letzten Kaninchen traten dieselben Erscheinungen wie im vorigen Versuch ein. Schnell ver- laufende Iritis und Trübung der Kornea. Nach 28 Tagen werden die Tiere getötet. Das erste mit reinem Blutserum injizierte Kaninchen ist vollkommen gesund, die Lungen der beiden anderen Tiere sind mit unzähligen Tuberkelknötchen gleichsam überschüttet. 7. Versuch. Von 4 Kaninchen erhält das erste reines Blutserum in die vordere Augenkammer, dem zweiten wird die Kanüle der Spritze, welche Blutserum mit Zu- satz von Bazillenkultur ( von Äff en tuberkulöse abstammend, 132 Tage lang fortgezüchtet) enthält, in die vordere Augenkammer geführt, der Stempel aber nicht bewegt, so daß nur eine minimale Menge der Flüssigkeit in den Humor aq. gelangen kann. Dem dritten und vierten Kaninchen werden von dem mit der Bazillenkultur versetzten Blutserum mehrere Tropfen in die vordere Augenkammer injiziert. Bei den beiden letzten Tieren entwickelt sich wieder Iritis, Panophthalmitis und es folgt sehr schnelle Abmagerung. Bei dem zweiten Kaninchen dagegen bleibt das Auge anfangs unverändert, aber im Verlauf der zweiten Woche entstehen einzelne weißgelbliche Knötchen auf der Iris in der Nähe der Einstichstelle imd es entwickelt sich von da ausgehend eine regelrechte Iristuberkulose. Auf der Iris entstehen immer neue Knötchen, sie faltet sich, allmählich trübt sich dann die Kornea und die weiteren Veränderungen entziehen sich der Beob- achtung. Nach 30 Tagen werden diese vier Tiere getötet. Das erste ist vollkommen gesund, beim zweiten finden sich, außer den erwähnten Veränderungen am Auge, die Lymphdrüsen am Kiefer und neben der Ohrwurzel geschwollen und mit gelbweißen Herden durchsetzt, die Lungen und übrigen Organe sind noch frei von Tuberkulose. Die beiden letzten Kaninchen haben wieder imzählige Tuberkeln in den Lungen. 8. V e r s u c h. 6 Kaninchen werden mit Kultur, welche von menschlicher Lunge mit Miliartuberkeln abstammt und 105 Tage lang fortgezüchtet ist, in derselben Weise wie im vorhergehenden Versuch, das zweite Tier nur durch Einstich in die vordere Augen- kammer, ohne Injektion, infiziert. Es entwickelt sich bei allen 6 Tieren Iristuberkulose, bei einigen auch eine über die Nachbarschaft der Impfstelle sich langsam ausbreitende Infiltration der Konjunktiva mit Tuberkelknötchen. Das Resultat dieser Versuche mit Impfimg in die vordere Augenkammer war, wenn möglichst geringe Mengen von Tuberkelbazillen eingeführt wurden , ein ganz dem von C o h n h e i m, S a 1 o m o n s e n und B a u m g a r t e n erhaltenen ent- sprechendes. Ich begnügte mich damit aber noch nicht, sondern stellte noch fernere Versuche an mit Injektion der Bazillenkulturen in die Bauchhöhle oder direkt in den Blutstrom und suchte schließlich auch noch solche Tiere, deren Infektion mit Tuberkulose nicht leicht gelingt, durch den künstlich gezüchteten Infektionsstoff tuberkulös zu machen. 9. Versuch. Von 12 Meerschweinchen erhielten 10 Blutserum, welches mit Bazillenkultur (von Affentuberkulose abstammend und 142 Tage gezüchtet) versetzt war, in die Bauchhöhle injiziert. Dem elften wurde reines Blutserum in die Bauchhöhle injiziert, und das zwölfte, welches eine ganz frische, bedeutende Bißwunde am Bauche hatte, blieb ohne Einspritzung. 440 Die Ätiologie der Tuberkulose. Von den Tieren, welche die Injektion erhalten hatten, starben je eins nach 10, 13, 16, 17, 18 Tagen. Die übrigen wurden am 25. Tage nebst den Kontrolltieren getötet. Bei den zuerst gestorbenen war das große Netz stark verdickt, zusammengeballt und mit einer derben, gelblichweißen Masse infütriert. Unter dem Mikroskop stellte sich diese Masse als aus zahllosen Tuberkelbazillen bestehend heraus, welche fast sämtUch mit sehr deutlichen Sporen versehen waren. Pie später gestorbenen resp. getöteten Tiere dieser Reihe hatten, außer der Infiltration des Netzes, bereits Tuberkeleruptionen in Milz und Leber. Die Kontrolltiere wurden vollkommen gesund befunden. 10. Versuch. Eine Anzahl weißer Ratten war zwei Monate lang fast ausschließ- lich mit den Leichen tuberkulöser Tiere gefüttert. Von Zeit zu Zeit wurde eine Ratte getötet und untersucht. Einige Male wurden vereinzelte kleine graue Knötchen in den Lungen dieser Tiere gefunden, die meisten waren ganz gesund geblieben. Auch einfache Impfungen mit tuberkulösen Substanzen und mit Kulturen aus denselben hatten keinen Effekt bei diesen Tieren gehabt, obwohl sie wiederholt versucht wurden. Nachdem die Fütterung mit tuberkulösen Massen mehrere Wochen aufgehört hatte, erhielten 5 von diesen Ratten eine Injektion mit Bazillenkultur (von Affentuberkulose und 142 Tage gezüchtet) in die Bauchhöhle. Fünf Wochen später wurden dieselben getötet und in den Lungen sowie in der stark vergrößerten Milz dieser Tiere zahllose Tuberkelknötchen gefunden. Dieser Versuch ist nicht rein, weil die Fütterung mit tuberkulösen Massen vorhergegangen war, aber ich erwähne ihn deshalb, weil es gelungen war, bei Ratten, welche allen Infektionsstoffen gegenüber sich mindestens ebenso resistent verhalten wie Hunde, durch die Injektion der Bazillenkulturen eine regelrechte Tuberkulose zu erzeugen. 11. Versuch. Von 12 Kaninchen erhielten 2 einen halben Kubikzentimeter reinen Blutserums in die Ohrvene injiziert. 4 Kaninchen erhielten in derselben Weise Blutserum mit Kultur (von Affentuberkulose abstammend und 178 Tage fortgezüchtet), 3 Kaninchen Blutserum mit Kultur (aus menschlicher phthisischer Lunge abstammend und 103 Tage fortgezüchtet) und die 3 letzten Blutserum mit Kultur (von Perlsucht- lungen abstammend und 121 Tage lang gezüchtet). Für jede dieser Gruppen wurde eine besondere Spritze benutzt. Die beiden ersten Kaninchen blieben munter und kräftig, alle übrigen magerten rapide ab und fingen schon in der zweiten Woche an schwer zu atmen. Nach 18 Tagen stirbt das erste Tier (Einspritzung mit Kultur phthisischer Lunge), nach 19 Tagen das zweite und dritte (beide hatten Einspritzungen mit Kultur von Affentuberkulose erhalten), nach 21 Tagen das vierte (Einspritzung mit Kultur von Perlsucht), nach 25 Tagen das fünfte (mit Kultur von Phthisis infiziert), nach 26 und 27 Tagen das sechste und siebente (mit Kultur von Affentuberkulose infiziert), am 30. und 31. Tage zwei weitere Tiere. Das letzte und die beiden Kontrolltiere wurden am 38. Tage nach der Injektion getötet. In dem Verhalten der Lunge und der übrigen Organe der mit verschiedenen Kul- turen infizierten Tiere konnte kein Unterschied wahrgenommen werden. Bei sämt- Hchen Tieren fanden sich zahllose Miliartuberkel in den Lungen. Auch die Leber und die Milz von allen diesen Tieren enthielten außerordentlich viele Tuberkel, doch waren dieselben bei den zuerst gestorbenen nur mikroskopisch klein ; bei den später gestorbenen hatten sie sich schon so weit entwickelt, daß sie makroskopisch sichtbar wurden, und bei einem Kaninchen zeigten sich auch im Netz, im Zwerchfell und im Mesenterium viele mit bloßem Auge erkennbare Miliartuberkel. Die beiden Kontrolltiere wurden bei der Sektion ohne jede Tuberkelablagerung in irgend einem Organ gefunden. 12. Versuch. Zwei ausgewachsene kräftige Katzen erhielten eine Injektion in die Bauchhöhle mit Blutserum, welches mit Kultur (von Affentuberkulose erhalten Die Ätiologie der Tuberkulose. 441 und 162 Tage lang fortgezüchtet) verrieben war. Die eine starb nach 19 Tagen. Das Netz war mit einer derben weißUchen Masse infiltriert und stellenweise über einen Zenti- meter dick. Der seröse Überzug der Därme und das Peritoneum hatten ihren Glanz verloren, die Milz war stark vergrößert. Die Infiltration des Netzes bestand ebenso wie bei den Meerschweinchen, welche eine Injektion mit Bazillenkultur in die Bauch- höhle erhalten hatten, aus dichten, größtenteils in Zellen eingebetteten Massen von Tuberkelbazillen. Zu einer makroskopisch erkennbaren Tuberkeleruption war es noch nicht gekommen; aber mikroskopisch ließen sich zahllose Tuberkel in Lunge, Leber und Milz nachweisen. Die zweite Katze wurde nach 43 Tagen getötet und es fanden sich bei derselben sehr zahlreiche hirsekorngroße Tuberkelknötchen in den Lungen. Milz und Netz, verhältnismäßig wenige in der Leber. 13. V e r s u c h. Einer mehrere Jahre alten Hündin wurden zwei Kubikzentimeter Blutserum, welchem Kultur (von menschlicher Miliartuberkulose abstammend und 94 Tage fortgezüchtet) beigemengt war, in die Bauchhöhle injiziert. In den ersten beiden Wochen nach der Injektion war an dem Tiere keine Veränderung zu bemerken, dann verlor es an Munterkeit, fraß weniger und vom Ende der dritten Woche an zeigte sich eine deutliche Auftreibung des Leibes. Zu Anfang der fünften W^oche wurde es getötet. In der Bauchhöhle befand sich ein ziemlich reichlicher Erguß einer klaren, schwach- gelblichen Flüssigkeit. Das Netz, Mesenterium und Mutterbänder waren mit sehr vielen Tuberkelknötchen besetzt, ebenso die Oberfläche des Darms und der Blase. Die ver- größerte Milz, die Leber und Lungen enthielten zahllose Miliartuberkel. Von den Injek- tionsstellen war nichts mehr zu erkennen und nirgends eine Spur von käsigem Eiter. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, clal.^ die zu allen diesen Versuchen benutzten Spritzen vor jedem Gebrauch durch einstündiges Erhitzen auf 160 bis 170" C sicher desinfiziert waren. Vielfach wurden die Tuberkelknötchen, welche sowohl durch Impfung als durch Injektion mit den Bazillenkulturen erhalten waren, mikroskopisch untersucht und voll- kommen identisch gefunden mit den gewöhnlichen, spontan oder nach Impfung mit tuberkulösen Massen bei diesen Tieren entstandenen Tuberkeln. Sie hatten ganz dieselbe Anordnung der zelligen Elemente und waren auch vielfach mit Riesenzellen versehen, welche ebenso wie diejenigen der spontanen Tuberkel Bazillen einschlössen. Ferner wurden aus den Tuberkeln, welche vermittelst der Bazillenkulturen erhalten waren, von neuem die Bazillen in Reinkulturen isoliert und mit diesen sowohl als mit den Tuberkeln Impf versuche angestellt, welche ganz dasselbe Resultat wie Impfungen mit menschlichen Tuberkeln oder Perlsuchtlunge ergaben. Also auch in dieser Beziehung verhielten sich die durch Infektion mit Kulturen erhaltenen Tuberkel wie die natürlich vorkommenden. Bhckt man auf diese Versuche zurück, so ergibt sich, daß eine nicht geringe Zahl von Versuchstieren, denen die Bazillenkulturen in sehr verschiedener Weise, nämlich durch einfache Impfung in das subkutane Zellgewebe, durch Injektion in die Bauch- höhle oder in die vordere Augenkammer, oder direkt in den Blutstrom beigebracht waren, ohne nur eine Ausnahme tuberkulös geworden waren, und zwar hatten sich bei ihnen nicht etwa einzelne Knötchen gebildet, sondern es entsprach die außerordenthche Menge der Tuberkel der großen Zahl der eingeführten Infektionskeime. An anderen Tieren war es gelungen, durch Impfung möglichst geringer Mengen von Bazillen in die vordere Augenkammer ganz dieselbe tuberkulöse Iritis zu erzeugen, wie sie in den be- kannten, für die Frage der Impftuberkulose ausschlaggebenden Versuchen von o h n - heim. S a 1 o m o n s e n und Bau m garten nur durch echte tuberkulöse Substanz erhalten war. 442 Die Ätiologie der Tuberkulose. Eine Verwechselung mit spontaner Tuberkulose oder eine zufällige unbeabsichtigte Infektion der Versuchstiere mit Tuberkelvirus ist in diesen Experimenten aus folgenden Gründen ausgeschlossen: erstens kann weder die spontane Tuberkulose noch eine zufällige Infektion in einem so kurzen Zeitraum diese massenhafte Eruption von Tuberkeln veranlassen. Zweitens blieben die Kontrolltiere, welche genau in derselben Weise wie die infizierten Tiere behandelt wurden, nur mit dem einzigen Unterschied, daß sie keine Bazillenkultur erhielten, gesund. Drittens kam bei zahlreichen, zu anderen Versuchs- zwecken in derselben Weise mit anderen Substanzen geimpften und injizierten Meer- schweinchen und Kaninchen niemals dieses typische Bild von Miliartuberkulose vor, welches nur dann entstehen kann, wenn der Körper auf einmal mit einer großen Menge von Infektionskeimen gewissermaßen überschüttet wird. Alle diese Tatsachen zusammengenommen berechtigen zu dem Ausspruch, daß die in den tuberkulösen Substanzen vorkommenden Bazillen nicht nur Begleiter des tuberkulösen Prozesses, sondern die Ursache desselben sind, und daß wir in den Bazillen das eigentliche Tuberkel virus vor uns haben. Damit ist auch die Möglichkeit gegeben, die Grenzen der unter Tuberkulose zu verstehenden Krankheit zu ziehen, was bisher nicht mit Sicherheit geschehen konnte. Es fehlte an einem bestimmten Kriterium für die Tuberkulose, und der eine rechnete dazu Miliartuberkulose, Phthisis, Skrofulöse, Perlsucht usw., ein anderer hielt vielleicht mit ebensoviel Recht alle diese Krankheitsprozesse für different. In Zukunft wird es nicht schwierig sein, zu entscheiden, was tuberkulös und was nicht tuberkulös ist. Nicht der eigentümliche Bau des Tuberkels, nicht seine Gefäßlosigkeit, nicht das Vorhandensein von RiesenzeUen wird den Ausschlag geben, sondern der Nachweis der Tuberkelbazillen, sei es im Gewebe durch Farbenreaktion, sei es durch Kultur auf erstarrtem Blutserum. Dies Kriterium als das maßgebende angenommen, müssen nach meinen Untersuchungen Miliartuberkulose, käsige Pneumonie, käsige Bronchitis, Darm- und Drüsentuberkulose, Perlsucht des Rindes, spontane und Impftuberkulose bei Tieren für identisch erklärt werden. Über Skrofulöse und fungöse Gelenkaffektionen sind meine Untersuchungen zu wenig zahlreich, um ein Urteil zu ermöglichen. Jedenfalls gehört ein großer Teil der skrofulösen Drüsen- und Gelenkleiden zur echten Tuberkulose. Vielleicht sind sie ganz mit der Tuberkulose zu vereinigen. Der Nachweis von Tuberkelbazillen in den verkästen Drüsen eines Schweines, in den Tuberkelknötchen eines Huhnes läßt ver- muten, daß die Tuberkulose auch unter den Haustieren eine größere Verbreitung hat, als gemeinhin angenommen wird, und es ist sehr wünschenswert, auch nach dieser Richtung hin das Verbreitungsgebiet der Tuberkulose genau kennen zu lernen. Nachdem die parasitische Natur der Tuberkulose somit festgestellt ist, müssen zur Vervollständigung der Ätiologie noch die Fragen beantwortet werden, woher die Parasiten stammen und wie sie in den Körper gelangen. In bezug auf die erste Frage ist es notwendig, zu entscheiden, ob der Infektions- stoff nur unter Verhältnissen, wie sie im tierischen Körper gegeben sind, sich entwickeln, oder ob er, wie z. B. die Milzbrandbazillen, auch unabhängig vom tierischen Organismus an irgendwelchen Stellen in der freien Natur seinen Entwicklungsgang durchmachen kann. Es ergab sich nun in mehreren Versuchen, daß die Tuberkelbazillen nur bei Tempe- raturen zwischen 30 und 4P C wachsen. Unter 30° fand ebenso wie bei 42° innerhalb drei Wochen nicht das geringste Wachstum statt, während beispielsweise Milzbrand- baziUen noch bei 20" und zwischen 42 und 43° C kräftig wachsen. Schon auf Grund dieser einen Tatsache kann die aufgestellte Frage entschieden werden. Im gemäßigten Klima ist außerhalb des Tierkörpers keine Gelegenheit für eine mindestens zwei Wochen anhaltende gleichmäßige Temperatur von über 30° C geboten. Es folgt daraus, daß die Die Ätiologie der Tuberkulose. 443 Tuberkelbazillen in ihrem Entwicklungsgang lediglich auf den tierischen Organismus angewiesen, also nicht gelegentliche, sondern echte Parasiten sind und nur aus dem tierischen Organismus stammen können. Auch die zweite Frage, wie die Parasiten in den Körper gelangen, ist zu beant- worten. Die weit überwiegende Mehrzahl aller Fälle von Tuberkulose nimmt ihren Anfang in den Respirationswegen und der Infektionsstoff macht sich zuerst in den Lungen oder in den Bronchialdrüsen bemerklich. Es ist also hiernach sehr wahrscheinhch, daß die Tuberkelbazillen gewöhnlich mit der Atemluft, an Staubpartikelchen haftend, eingeatmet werden. Über die Art und Weise, wie dieselben in die Luft kommen, kann man wohl nicht in Zweifel sein, wenn man erwägt, in welchen Unmassen die im Kavernen- inhalt vorhandenen Tuberkelbazillen von Phthisikern mit dem Sputum ausgeworfen und überallhin verschleppt werden. Um über das Vorkommen der Tuberkelbazillen im phthisischen Sputum eine Anschauung zu gewinnen, habe ich wiederholt die Sputa von einer großen Reihe von Phthisikern untersucht und gefunden, daß in manchen derselben keine, aber ungefähr in der Hälfte der Fälle ganz außerordentlich zahlreiche Bazillen, darunter auch sporen- haltige, vorhanden waren. Nur beiläufig sei bemerkt, daß in einer Anzahl Proben von Sputum nicht phthisisch Kranker die Tuberkelbazillen niemals gefunden wurden. Mit solchem frischen bazillenhaltigen Sputum geimpfte Tiere wurden ebenso sicher tuber- kulös, als wie nach Impfung mit Miliartuberkeln. Aber auch nach dem Eintrocknen verloren derartige infektiöse Sputa ihre Virulenz nicht. So wurden vier Meerschweinchen durch Impfung mit zwei Wochen altem trockenen Sputum, ferner vier Meerschweinchen durch Impfung mit vier Wochen lang trocken aufbewahrtem Sputum und weitere vier Meerschweinchen durch acht Wochen hindurch trocken gehaltenes Sputum ganz in derselben Weise tuberkulös, wie nach Infektion mit frischem Material. Denmach läßt sich wohl annehmen, daß das am Boden. Kleidern usw. eingetrocknete phthisische Sputum längere Zeit seine Virulenz bewahrt und, wenn es verstäubt in die Lungen gelangt, daselbst Tuberkulose erzeugen kann. Vermutlich wird die Haltbarkeit der Virulenz von der Sporenbildung der Tuberkelbazillen abhängen und es ist in dieser Beziehung wohl zu berücksichtigen, daß die Sporenbildung, wie wir an einigen Beispielen gesehen haben, bereits im tierischen Organismus selbst und nicht, wie bei den Milzbrandbazillen, außerhalb desselben vor sich geht. Auf die Verhältnisse der erworbenen oder ererbten Disposition, welche in der Ätiologie der Tuberkulose unzweifelhaft eine bedeutende Rolle spielen, jetzt schon eingehen zu wollen, würde zu sehr in das Gebiet der Hypothese führen. Nach dieser Richtung hin bedarf es noch eingehender Untersuchungen, ehe ein L^rteil gestattet ist. Nur auf einen Punkt, welcher zur Erklärung mancher rätselhaften Erscheinungen dienen kann, möchte ich aufmerksam machen: das ist das überaus langsame Wachstum der Tuberkelbazillen. Dasselbe bewirkt höchstwahrscheinlich, daß die Bazillen nicht, wie beispielsweise die ungemein schnell wachsenden Milzbrandbazilleia, von jeder beliebigen kleinen Verletzung des Körpers aus zu infizieren vermögen. Wenn man ein Tier mit Sicherheit tuberkulös machen will, dann muß der Infektionsstoff in das subkutane Gewebe, in die Bauchhölile, in die vordere Augenkammer, kurz an einen Ort gebraclit werden, wo die Bazillen Gelegenheit haben, sich in geschützter Lage vermehren und Fuß fassen zu können. Infektionen von flachen Hautwunden aus, welche nicht in das subkutane Gewebe dringen, oder von der Kornea gehngen nur ausnahmsweise. Die Bazillen werden wieder eliminiert, ehe sie sich einnisten können. Hieraus erklärt sich, weshalb die Sektionen von tuberkulösen Leichen nicht zur Infektion führen, auch wenn kleine Schnittwunden an den Händen mit tuberkulösen 444 Die Ätiologie der Tuberkulose. Massen in Berührung kommen. Kleine schwache Hautschnitte sind eben keine für das Eindringen der Bazillen geeigneten Impf wunden. Ähnliche Bedingungen werden sich auch für das Haften der in die Lungen geratenen Bazillen geltend machen. Es werden wahrscheinlich besondere, das Einnisten der Bazillen begünstigende Momente, wie stagnierendes Sekret, Entblößung der Schleimhaut vom schützenden Epithel usw., zu Hilfe kommen müssen, um die Infektion zu ermöglichen. Es wäre sonst kaum zu verstehen, daß die Tuberkulose, mit der wohl jeder Mensch, namentlich an dicht be- völkerten Orten, mehr oder weniger in Berührung kommt, nicht noch häufiger infiziert, als es in Wirklichkeit geschieht. Fragen wir nun danach, welche weitere Bedeutung den bei der Untersuchung der Tuberkulose erhaltenen Resultaten zukommt, so ist es zunächst als ein Gewinn für die Wissenschaft anzusehen, daß es zum ersten Male gelungen ist, den vollen Beweis für die parasitische Natur einer menschlichen Infektionskrankheit, und zwar der wich- tigsten von allen, vollständig zu liefern. Bisher war dieser Beweis nur für Milzbrand erbracht, während von einer Anzahl den Menschen betreffenden Infektionskrankheiten, z. B. von Rekurrens, von den Wundinfektionskrankheiten, Lepra, Gonorrhöe, nur das gleichzeitige Vorkommen der Parasiten mit dem pathologischen Prozeß bekannt war, ohne daß das ursächliche Verhältnis zwischen diesen beiden erwiesen werden konnte. Es läßt sich erwarten, daß die Aufklärungen, welche über die Ätiologie der Tuberkulose gewonnen sind, auch für die Beurteilung der übrigen Infektionskrankheiten neue Gesichts- punkte ergeben, und daß die Untersuchungsmethoden, welche sich bei der Erforschung der Tuberkuloseätiologie bewährt haben, auch bei der Bearbeitung anderer Infektions- krankheiten von Nutzen sein werden. Ganz besonders möchte dies letztere für Unter- suchungen über diejenigen Krankheiten gelten, welche wie Syphilis und Rotz mit der Tuberkulose am nächsten verwandt sind und mit ihr zusammen die Gruppe der In- fektions- Geschwulstkrankheiten bilden. Inwieweit die Pathologie und Chirurgie die Kenntnisse über die Eigenschaften der Tuberkuloseparasiten verwerten können, ob beispielsweise der Nachweis der Tuberkel- bazillen im Sputum zu diagnostischen Zwecken benutzt werden kann, ob die sichere Bestimmung mancher lokal-tuberkulöser Affektionen auf die chirurgische Behandlung derselben von Einfluss sein wird, und ob nicht möglicherweise auch die Therapie aus weiteren Erfahrungen über die Lebensbedingungen der Tuberkelbazillen Nutzen ziehen kann, das alles zu beurteilen ist nicht meine Aufgabe. Meine Untersuchungen habe ich im Interesse der Gesundheitspflege vorgenommen, und dieser wird auch, wie ich hoffe, der größte Nutzen daraus erwachsen. Bisher war man gewöhnt, die Tuberkulose als den Ausdruck des sozialen Elends anzusehen, und hoffte von dessen Besserung auch eine Abnahme dieser Krankheit. Eigentliche gegen die Tuberkulose selbst gerichtete Maßnahmen kennt deswegen die Gesundheitspflege noch nicht. Aber in Zukunft wird man es im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechtes nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem faßbaren Parasiten zu tun haben, dessen Lebensbedingungen zum größten Teil bekannt sind und noch weiter erforscht werden können. Der Umstand, daß dieser Parasit nur im tierischen Körper seine Existenzbedingungen findet und nicht, wie die Milzbrandbazillen, auch außerhalb desselben unter den gewöhnlichen natür- lichen Verhältnissen gedeihen kann, gewährt besonders günstige Aussichten auf Erfolg in der Bekämpfung der Tuberkulose. Es müssen vor allen Dingen die Quellen, aus denen der Infektionsstoff fließt, soweit es in menschlicher Macht liegt, verschlossen werden. Eine dieser Quellen, und gewiß die hauptsächlichste, ist das Sputum der Phthisiker, um dessen Verbleib und Überführung in einen unschädlichen Zustand bis jetzt nicht Die Ätiologie der Tuberkulose. 445 genügend Sorge getragen ist. Es kann nicht mit großen Schwierigkeiten verknüpft sein, durch passende Dcsinfektionsverfahren das phthisische Sputum unschädHch zu machen iund damit den größten Teil des tuberkulösen Infektionsstoffes zu beseitigen. Gewiß verdient daneben auch die Desinfektion der Kleider, Betten usw., welche von Tuber- kulösen benutzt wurden, Beachtung. Eine andere Quelle der Infektion mit Tuberkulose bildet unzweifelhaft die Tuber- kulose der Haustiere, in erster Linie die Perlsucht. Damit ist auch die Stellung gekenn- zeichnet, welche die Gesundheitspflege in Zukunft der Frage nach der Schädlichkeit des Fleisches und der Milch von perlsüchtigen Tieren einzunehmen hat. Die Perlsucht ist identisch mit der Tuberkulose des Menschen und also eine auf diesen übertragbare Krankheit. Sie ist deswegen ebenso wie andere vom Tier auf den Menschen übertrag- bare Infektionskrankheiten zu behandeln. Mag nun die Gefahr, welche aus dem Genuß von perlsüchtigem Fleisch oder Milch resultiert, noch so groß oder noch so klein sein, vorhanden ist sie \md muß deswegen vermieden werden. Es ist hinlänglich bekannt, daß milzbrandiges Fleisch von vielen Personen und oft lange Zeit hindurch ohne jeden Nachteil genossen ist, und doch wird niemand daraus den Schluß ziehen, daß der Verkehr mit solchem Fleisch zu gestatten sei. In bezug auf die Milch perlsüchtiger Kühe ist es bemerkenswert, daß das Uber- greifen des tuberkulösen Prozesses auf die Milchdrüse von Tierärzten nicht selten be- obachtet ist, und es ist deswegen wohl möglich, daß sich in solchen Fällen das Tuberkel- virus der Milch unmittelbar beimischen kann. Es ließen sich noch eine Anzahl weiterer Gesichtspunkte über Maßregeln auf- stellen, welche auf Grund unserer jetzigen Kenntnisse über die Ätiologie der Tuber- kulose zur Einschränkung dieser Krankheit dienen könnten, doch würde eine Besprechung derselben hier zu weit führen. Wenn sich die Überzeugung, daß die Tuberkulose eine exquisite Infektionskrankheit ist, unter den Ärzten Bahn gebrochen haben wird, dann werden die Fragen nach der zweckmäßigsten Bekämpfung der Tuberkulose gewiß einer Diskussion unterzogen werden und sich von selbst entwickeln. über die Ätiologie der Tuberkulose.') Von Dr. R. Koch, Regierungsrat. M. H. ! Das Resultat meiner Untersuchungen über die Ätiologie der Tuberkulose ist bereits publiziert und ich darf wohl voraussetzen, daß das Wesentliche derselben be- kannt ist. Es scheint mir deswegen im Interesse der Sache zu liegen, wenn ich Ihnen nur in kurzen Umrissen den Gang dieser Untersuchungen und das Prinzip, nach welchem sie ausgeführt sind, auseinandersetze. Bei der Untersuchung über eine Infektionskrankheit, deren parasitische Natur man nachweisen will, hat man sich lange Zeit, und vielfach geschieht das auch jetzt noch, darauf beschränkt, einfach das Vorhandensein von Parasiten zu konstatieren. Damit allein ist aber wenig gedient. Es ist klar, daß man aus diesem einfachen Zusammentreffen des Parasiten mit der Krankheit noch nicht auf den ursächlichen Zusammenhang der- selben unmittelbar schließen kann. Ein solcher kann allerdings wahrscheinlich werden, wenn der Parasit an einer Stelle gefunden wird, von der man weiß, daß daselbst der Krankheitsprozeß im Entstehen ist. Um aber mit Sicherheit den ursächlichen Zusammen- hang zwischen Parasiten und Krankheit darzulegen, bedarf es noch weiterer Nachweise. Man hat, um dieses Ziel zu erreichen, verschiedene Wege eingeschlagen. Zunächst ver- suchte man die Parasiten von den Krankheitsproduktfen, von dem Blute, dem Eiter oder dergleichen dadurch zu trennen, daß man die Substanzen filtrierte oder sie Aus- waschungen unterzog. Diese Methoden wurden jedoch sehr bald wieder verlassen. Das Filtrieren kann nur für einzelne Fälle verwendet werden, beispielsweise für die Milzbrand- bazillen, die so groß sind, daß sie das Filter schwer passieren. Bei den kleinsten Mikro- organismen würde sich das nicht ausführen lassen. Auch das Auswaschen oder sonstige Reinigen von Krankheitsprodukten hat insofern etwas Mißliches, als diese Prozeduren immer mit mehr oder weniger tiefen Eingriffen für die Parasiten verbunden sind. Die beste Methode, welche schon von jeher von allen, welche sich eingehender mit diesen Untersuchungen beschäftigt haben, benutzt ist und meines Wissens zuerst von K 1 e b s eingeführt und vielfach gehandhabt wurde, ist die in möglichst zahlreichen Umzüch- tungen fortgesetzte Reinkultur. Vermittels derselben läßt sich der Parasit von den Krankheitsprödukten trennen. Es bleibt dann noch die Aufgabe, festzustellen, ob dieser Parasit, welchen man isohert hat, wirkhch auch die Ursache der Krankheit ist. Um dies zu erfahren, müssen die Parasiten wieder auf Tiere verimpft und es muß mit ilmen die ursprüngliche Krankheit wieder erzeugt werden, und zwar nicht nur in einem vereinzelten oder in wenigen Fällen, sondern das Experiment muß so gleichmäßig ge- ^) Aus Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin. Erster Kongreß, Wiesbaden 1882. Verlag von J. F. Bergmann. über die Ätiologie der Tuberkulose. 447 lingen, daß wie bei den schon bekannten Infektionskranlvheiteii. z. B. Milzbrand, jede einzelne von zahlreichen Impfungen den bestimmten Krankheitsprozeß zur Folge hat. Ich habe mich bemüht, bei meinen Untersuchungen diesen drei Aufgaben, welche also in dem Nachweis der Parasiten, der Isolierung derselben und ihrer erfolgreichen Verimpfung bestehen, zu genügen. Um sich über das Vorhandensein der Parasiten zu orientieren, lag es am nächsten, die schon bewährten Untersuchungsmethoden, die, wie Sie wissen, sich hauptsächlich auf dem Gebiete der Farbreaktion bewegen, zu versuchen. Die beste derartige Methode ist das Weigert sehe Kernfärbungsverfahren. Man kann mit demselben so ziemlich alle Mikroparasiten, die wir keime a, so darstellen, daß sie der Untersuchung zugänglich werden. Bei der Tuberkulose hat dies Verfahren jedoch im Stiche gelassen. Auch ich habe ursprünglich dieses Verfahren versucht, mit demselben negativen Resultat wie andere vor rnir. Ich hatte aber bei diesen Versuchen einige Male Andeutungen, daß eine Änderung in der Reaktion der Farblösung auch ein anderes Färbungsresultat hatte. Es fand sich nämlich, daß, wenn man die Farblösung, die man ge- wöhnlich in neutralem oder selbst saurem Zustande anzuwenden pflegt, alkalisch machte, alsdann Dinge gefärbt erschienen, von denen man bis dahin nichts gesehen hatte. Nun vertragen aber nicht alle Anilinfarben, die man gewöhnlich zu diesen Färbungen verwendet, den Zusatz von Alkalien. Unter den mir bekannten Anilinfarben verträgt das Methylen- blau den stärksten Zusatz von Ammoniak, Natron oder Kali und ich habe deswegen diesen Farbstoff benutzt. Die genaueren Vorschriften über das Mischungsverhältnis sind in meinen Publikationen angegeben und ich möchte nur soviel erwähnen, daß der Methylenblaulösung möglichst viel Kalilösung zugesetzt wird, ohne daß es jedoch zur Bildung eines Niederschlages kommt. In eine solche Methylenblaulösung bringt man das in bekannter Weise präparierte Objekt, also z. B. ein Deckgläschen mit einer Schicht von tuberkulösen Massen, das vorher getrocknet und erhitzt wurde, und läßt es bis' 24 Stun- den darin. Ebenso verfährt man mit Schnitten von gehärteten Gewebsstücken. Ich habe nur in Alkohol gehärtete Objekte verwendet. Wenn man das Präparat herausnimmt, so sind die Schnitte resp. die Schichten am Deckgläschen fast schwarzblau und stark überfärbt. Nun gibt es eine eigentümliche Eigenschaft gewisser Anilinfarben, daß sie sich gegenseitig verdrängen können. Nimmt man z. B. eine wäßrige Lösung von Vesuvin. statt dessen man auch eine Bismarckbraunlösung wählen kann, und behandelt mit dieser die in Methylenblaulösung gefärbten Objekte, so verdrängt das Vesuvin das Methylen- blau in wenigen Minuten aus der Schicht am Deckglase oder dem Schnitt und färbt das Objekt braun. Bringt man aber die .Schnitte darauf in gewöhnlicher Weise in Alkohol zum Entwässern und in Nelkenöl zum Aufhellen und untersucht sie. so sieht man. daß nicht alles braun gefärbt ist. Die Zellenkerne und alle Zerfallsprodukte der Zellen sind schön braun, aber die der Tuberkulose eigentümlichen Parasiten haben ihre blaue Farbe in sehr auffallender Weise beibehalten. Man erhält also blaue Bilder auf braunem Grunde. Es schien anfangs so, als ob die Färbung in ausreichender Weise nur durch diese Methylenblaulösung zu erzielen sei. Aber wie es so oft in der Wissenschaft geht, daß eine Entdeckung neue hervorruft, so auch hier. Dr. Ehrlich hat. indem er nach dem- selben Prinzip verfuhr, aber in einer anderen Weise die Anilinlösung in alkalischen Zustand versetzte, ausgezeichnete Färbungsresultate bekommen. Die Tuberkelbakterien lassen sich nach seinem Verfahren nicht bloß mit Methylenblau, sondern auch mit anderen Anilin- farben, z. B. Fuchsin, Gentianaviolett, so intensiv färben, daß sie gar nicht zu übersehen sind. Außerdem können sie ebenso wie mit Hilfe von Methylenblau und Vesuvin in einer anderen Farbe als die Gewebsbestandteile gefärbt werden. Diese letztere Eigenschaft kommt der Untersuchung außerordentlich zustatten und ohne dieselbe würde es wohl kaum gelungen sein, diese Arbeiten so schnell und so sicher abschließen zu können. 448 über die Ätiologie der Tuberkulose. Wir können diese Verschiedenheit im Färbungsvermögen der Tuberkelbakterien und der tierischen Gewebe als ein ganz bestimmtes und sicheres Kennzeichen benutzen und müssen sie gewissermaßen als eine chemische Reaktion auffassen, so daß, wenn wir in einem Untersuchungsobjekt bei diesen Färbimgsmethoden blaue Bakterien erhalten, welche die Form der Tuberkelbakterien haben, gar kein Irrtum mehr möglich ist. Es gibt aller- dings noch eine Art, welche die gleiche Eigenschaft besitzt, das sind die Leprabazillen. Eine Verwechslung mit diesen wird aber wohl nicht vorkommen können. Die in tuberkulösen Organen mit Hilfe der genannten Färbungsmethoden gefundenen Parasiten sind Bazillen, d. h. stäbchenartige Gebilde. Es sind äußerst feine, dünne Stäbchen, die nach meiner Schätzung mindestens fünf- bis sechsmal so lang als breit sind. Sie finden sich vorzugsweise an den Stellen, wo der tuberkulöse Prozeß im Ent- stehen und wo er im Fortschreiten begriffen ist. Man sieht sie ähnlich wie die Lepra- bazillen häufig in den Zellen liegen. Sie sind dann bündeiförmig angeordnet. An den Stellen, wo der Prozeß im Abnehmen begriffen ist, finden sie sich in weit geringerer Zahl. Je chronischer der Prozeß verläuft, um so häufiger treten Riesenzellen auf und in diesem Falle sieht man die Bazillen häufig im Innern der Riesenzellen liegen, und zwar bisweilen in größerer Menge, meistens aber befinden sich nur ein oder wenige Bazillen in einer Riesenzelle. Die Bazillen sind nun auch ohne die Färbung zu sehen, aber nur an solchen Stellen, von denen man sich vorher durch die Färbung überzeugt hat, daß sie in großer Menge vorhanden sind. Sehr oft wird man allerdings bei künstlich tuberkulös gemachten Tieren solchen Fällen nicht begegnen, in denen die Bazillen massenhaft vorhanden sind. Viel- fach findet man sie nur in geringer Zahl. Wie das zusammenhängt, kann ich nur ver- mutungsweise .angeben. Ich stelle mir vor, daß, wie bei allen Bakterienkrankheiten, so auch bei der Tuberkulose eine schnelle Vermehrung der Bazillen stattfindet, dann aber sehr bald ein Zeitpimkt eintritt, wo das Wachstum aufhört und die Bazillen, nach- dem sie Sporen gebildet haben, schnell wieder verschwinden. Man kann also je nach dem Zeitpunkt der Untersuchung die Parasiten in großer Zahl oder in wenigen Exem- plaren antreffen; möglicherweise werden sie auch vollständig vermißt und doch sind ihre bei der Färbung unsichtbar bleibenden Keime vorhanden. Nimmt man also von einem solchen Falle, von dem man sich überzeugt hat, daß die Bazillen in reichlicher Zahl vorhanden sind, eine geringe Menge der bazillenhaltigen Substanz und verreibt sie mit destilliertem Wasser, so sieht man die Bazillen, aller- dings lange nicht so deutlich wie in den gefärbten Präparaten, aber doch in einzelnen Exemplaren ganz unverkennbar. An solchen Objekten konnte ich feststellen, daß die Bazillen vollständig unbeweglich sind. Ich habe nun eine große Anzahl von Fällen auf das Vorkommen von Bazillen unter- sucht, und zwar von Miliartuberkulose, von käsigen Pneumonien, Kavernen, Darm- geschwüren, Tuberkulose des Gehirns, verkästen Lymphdrüsen, und die Bazillen niemals vermißt. Oft war ihr Vorkommen sehr wenig zahlreich, oft wieder ganz außerordentlich stark. In skrofulösen Drüsen habe ich sie ebenfalls mehrfach konstatieren können, ebenso in fungösen Gelenkgranulationen. Sodann habe ich eine große Zahl von tuber- kulösen Tieren untersucht, zunächst perlsüchtige Rinder, und habe sie auch hier ganz in derselben Weise konstatieren können wie beim Menschen. Ferner wurden sie ge- funden in verkästen Drüsen vom Schwein, bei der Tuberkulose der Hühner sowie der Affen und in über 200 Fällen von mit tuberkulöser Substanz geimpften Tieren. Ich glaube, daß diese Befunde wohl genügen, um daraufhin behaupten zu können, daß die Tuberkelbazillen bei allen tuberkulösen Prozessen konstant vorkommen. Es würde damit also die erste Aufgabe, der Nachweis der Parasiten, erfüllt sein. über die Ätiologie der Tuberkulose. 449 Ich gelange zum zweiten Teil der Untersuchung, welcher sich damit beschäftigt, die Parasiten von den tierischen Gewebsbestandteilen zu isolieren. Dies war schon deshalb notwendig, weil noch gar keine Lebensanzeichen an den Stäbchen bemerkt waren und es noch nicht feststand, daß dieselben selbständige lebende Organismen waren. Es wurden verschiedene Versuche gemacht, die Bazillen zu kultivieren, und ich kam schließ- lich unter Verwertung früherer Erfahrungen dahin, einen festen Nährboden anstatt der Flüssigkeiten, die gewöhnlich als Nährsubstanz genommen werden, zu benutzen. Weil die von mir zu ähnlichen Zwecken verwendete Nährgelatine bei einer Temperatur über 30° C, welche zum Wachstum der Tuberkelbazillen erforderlich ist. flüssig wird und in diesem Falle als fester Nährboden also nicht dienen kann, so mußte ich mich nach einem anderen Nährsubstrat umsehen, welches auch bei höherer Temperatur noch fest bleibt und doch alle Eigenschaften besitzt, die wir von einem festen Nährboden fordern müssen. Zufällig hatte ich gefunden, daß Blutserum, wenn man es längere Zeit auf 65*' — 70° C erhitzt, starr wird und seine Durchsichtigkeit behält. Das Blutserum muß natürlich vorher sterilisiert werden, was in der Weise geschieht, daß man es eine Reihe von Tagen hintereinander täglich einmal eine Stunde auf 58° C erhitzt. Wenn man nun auf ein solches Blutserum irgendwelche Keime von Mikroorganismen bringt, so fangen sie binnen kurzer Zeit an, sich zu entwickeln. Ich zeige Ihnen hier als Beispiel einer Bakterien- kultur auf festem Nährboden ein Gläschen mit Blutserum, in welches eine Spur einer Flüssigkeit, welche verschiedene Mikroorganismen enthielt, gebracht und ausgebreitet wurde. Sie sehen, daß sich darin eine Anzahl von Tröpfchen gebildet hat, die sich alle, ganz ohne sich zu stören, entwickelten und durch Größe, Farbe und sonstiges Aussehen voneinander unterscheiden. Wenn man von diesen Tröpfchen ein wenig nimmt und unter- sucht, so findet man, daß das eine Mikroorganismen von dieser, das zweite von einer anderen Art enthält, die aber, wie gesagt, auch schon makroskopisch in ihren Kolonien zu unterscheiden sind. Hätte man diese verschiedenen Mikroorganismen in eine Flüssig- keit gebracht, dann hätte man sie nicht ohne weiteres trennen können. Der feste Nähr- boden verschafft uns also die Möglichkeit, eine qualitative und quantitative Analyse auf das Vorkommen der entwicklungsfähigen Oi'ganismen in irgendeiner beliebigen Substanz anstellen zu können. Nach demselben Prinzip habe ich versucht, die Tuberkel- bazillen von anderen Mikroorganismen getrennt zu züchten. So ganz einfach ist dies nun nicht. Es ist ja schon sehr schwierig, ein Material zu erhalten, welches ganz frei von Verunreinigungen ist. Ursprünglich wurden nur Tiere, die zu diesem Zwecke getötet waren, benutzt, um ganz frische und von Fäulnisorganismen möglichst freie Substanz zu erhalten. Mit diesem Material gelang es, zwar nicht jedesmal, aber doch in einer ziemlich großen Anzahl von Fällen, Reinkulturen der Tuberkelbazillen zu gewinnen. Mitunter dringen auch bei der sorgfältigsten Handhabung fremde Organismen in die Kulturen ein ; aber derartige Verunreinigungen sind leicht zu erkennen. Die Tulierkel- i)azillen haben nämlich die Eigenschaft, daß sie ungemein langsam wachsen. Sie ge- brauchen selbst unter den günstigsten Verhältnissen mindestens 10 — 20 Tage, um deutlich unterscheidbare Kolonien zu bilden. Wenn es sich also ereignet, daß in einem Gläschen, in das man ein Bröckchen eines Miliartuberkels gebracht hat, sich schon am zweiten oder dritten Tage eine oder mehrere Kolonien in Form von Tröpfchen zeigen, dann ist eine solche Kultur verunglückt und kann nicht weiter benutzt werden. Ich möchte nun, ehe ich Ihnen die eigentlichen Tuberkelbazillenkulturen vor- zeige, noch einige Kulturen von anderen Bakterien vorlegen, die als Beispiele dienen mögen, mit welcher Sicherheit man die Bakterien in Reinkulturen unterscheiden kann. Hier sehen Sie eine Kultur von Bazillen, die aus Fleischextrakt gewonnen wurde. Eine andere Kultur enthält die Bakterien des grünen Eiters: ferner sind hier ein paar Koch, Gesammelte Werke. 450 über die Ätiologie der Tuberkulose. Bakterienkiilturen in Gelatine, die das Nährsubstrat nicht verflüssigen, und zwar ist die eine gebildet durch Bazillen, welche die Milch blau färben, die zweite durch Mikro- kokken, welche pathogener Natur sind. In diesem Glase befindet sich eine Kultur von äußerst kleinen und zarten Bazillen, welche in der Gelatine sich in der Gestalt von zarten Wölkchen ausgebreitet haben. Diese letztere Kultur wurde erhalten aus dem Blute einer Maus, welche an Mäusesepticämie gestorben ist. Es folgen nunmehr einige Kulturen von Tuberkelbazillen, welche durch eine längere Reihe von Umzüchtungen rein geblieben sind. Die eine stammt aus der Lunge eines tuberkulösen Meerschweinchens, die andere aus der Lunge eines Menschen mit Miliartuberkulose. Das dritte Präparat zeigt den Beginn einer Kultur, welche von einem Bazillen in reichlicher Menge enthaltenden Stückchen tuberkulöser Lunge ausgeht. Es ist nun sehr leicht, wenn man erst einmal derartige Anfänge von Kulturen hat, dieselben fortzusetzen. Man nimmt ein kleines Schüppchen oder Bröckchen der auf der Oberfläche des erstarrten Blutserum zur Entwicklung gekommenen Bazillenmassen und überträgt es in ein folgendes Glas, wo es im Laufe von 2 — 3 Wochen zu einer neuen Kultur heranwächst. Manche dieser Kulturen sind schon 14 bis ^ Jahr fortgesetzt und entsprechen 15 — 20 und mehr Umzüchtungen. Diese durch Umzüchtungen erhaltenen Kulturen, zeigen sich unter dem Mikroskop als aus nichts als Bazillen bestehend, und ich glaube, daß mit Rücksicht auf den mikroskopischen Befund und die lange Dauer der fortgesetzten Kultur kein Zweifel darüber bestehen kann, daß diese Kulturen in der Tat vollkommen rein sind und nichts weiter als Tuberkelbazillen enthalten. Wie schon erwähnt wurde, sind diese Bazillen ursprünglich aus getöteten tuber- kulösen Tieren, die mit verschiedenen bazillenhaltigen Substanzen geimpft waren, er- halten. Ich habe jedoch schließlich auch unmittelbar aus tuberkulösen Lungen und Drüsen vom Menschen, sowie aus Lungen perlsüchtiger Rinder und anderer spontan erkrankter Tiere derartige Kulturen erzielt. Es ist dies keine ganz leichte Aufgabe, weil die Gefahr der Verunreinigung in diesem Falle sehr viel größer ist. Es würde nun die wichtige Frage zu beantworten sein, ob durch Verimpf ung der so gewonnenen Kulturen die ursprüngliche Krankheit, d. h. die Tuberkulose, wieder er- zeugt werden kann. Es ist Ihnen bekannt, wie vielfach Impfversuche mit tuberkulösen Massen gemacht sind, und wie schwer es gehalten hat, sich zu überzeugen, daß durch die Impfung wirklich Tuberkulose hervorgebracht werde. Man hat immer eingewandt, daß die Versuchstiere nicht selten spontan an Tuberkulose erkranken. Ich habe des- wegen bei der Rückimpfung ein solches Verfahren gewählt, das diesen sehr berechtigten Einwand ausschließen soll. Es wurden zuerst einfache subkutane Impfungen vorgenommen ; die Tiere erkrankten danach ganz genau in derselben Weise, als wenn sie mit frischem tuberkulösen Material geimpft wären. Die spontane Tuberkulose findet sich bei frisch angekauften Tieren so gut wie gar nicht und sie entsteht immer erst nach einem mehr- monatlichen Zusammenleben mit tuberkulösen Tieren. Wenn also mehrere frisch an- geschaffte Tiere nach der Impfung im Verlauf von höchstens 5 Wochen in gleicher Weise tuberkulös geworden sind, so glaube ich berechtigt zu sein, diese Tuberkulose als Effekt der Impfung ansehen zu können. Aber um jenen Einwand einer Verwechslung der spon- tanen mit der durch Impfung künstlich erzielten Tuberkulose vollständig zu beseitigen, habe ich die Versuchstiere in anderer Weise infiziert, welche die Konkurrenz mit der spontanen Tuberkulose wohl ganz ausschließt. Ich habe Tuberkelbazillenkulturen in die Bauchhöhle injiziert und damit sehr rasch verlaufende Miliartuberkulose er- zielt. Ferner wurden diese Kulturen, um sie direkt in den Blutstrom gelangen zu lassen, in die Ohrvene von Kaninchen injiziert, nach dem Vorgange von Aufrecht. Es ist dies eine sehr bequeme Art und Weise, um bei den Versuchstieren binnen kürzester über die Ätiologie der Tuberkulose. 451 Zeit eine massenhafte Eruption von Miliartuberkeln zu erhalten, mit Ausschluß der sonst als Zwischenstufe sich einschiebenden verkäsenden Lymphdrüsen. Ich habe eine Anzahl Präparate von Kaninchen zur Besichtigung aufgestellt, die in dieser Weise infiziert wurden. Es ist noch hervorzuheben, daß bei allen diesen Versuchen die größte Sorgfalt auf die vorhergehende Reinigung der Impfstelle und Desinfektion der Instrumente, ins- besondere der Spritzen, verwendet wurde. Es gibt nun noch eine Art der Infektion, welche meiner Ansicht nach durchaus beweisend ist für die Übertragbarkeit der Tuber- kulose, das ist die Impfung in die vordere Augenkammer. Injiziert man nun einem Kaninchen einige Tropfen einer mit Tuberkelbazillenkultur verriebenen Flüssigkeit in die vordere Augenkammer, so kann man eine in wenigen Wochen verlaufende Miliar- tuberkulose, oder wenn nur eine sehr geringe Menge dieser Flüssigkeit eingebracht wurde, eine lange Zeit lokalisiert bleibende Iristuberkulose erzeugen. Außer Kaninchen und Meerschweinchen lassen sich nun auch Tiere infizieren, von denen man annimmt, daß sie der Tuberkulose schwer oder nicht zugänglich sind. In dieser Richtung habe ich namentlich Versuche mit Ratten angestellt, welche auf subkutane Impfungen und lange fortgesetzte Fütterungen mit tuberkulösen Sub- stanzen nicht reagieren. Bringt man diesen Tieren große Massen von Tuberkelbazillen in die Bauchhöhle, so gelingt es doch, sie tuberkulös zu machen, wie an mehreren hier vorgelegten Lungen zu sehen ist. Auch bei Hunden habe ich in derselben Weise so große Massen von Tuberkeln erzielt, wie man sie wohl bei anderen Infektionsweisen noch nicht hervorgerufen hat. Durch alle diese Impfresultate halte ich den Beweis für erbracht, daß die Tuberkulose durch die reingezüchteten Bazillen wieder erzeugt werden kann. Es wäre damit der Gang der LTntersucliung geschlossen. Wir wissen nunmehr, daß die Bazillen die eigentliche Ursache der Tuberkulose sind. Es würde sich nun noch fragen, wie wir uns die Ätiologie auf Grund der über das Verhalten der Bazillen gewon- nenen Kenntnisse zu denken haben l Zunächst ist zu berücksichtigen, daß der Kaver- neninhalt phthisischer Lungen sehr bazillenreich ist. Es ließe sich danach annehmen, daß auch das Sputum von Phthisikern Bazillen enthalten müsse. Das veranlaßte mich, das Sputum zu untersuchen und ich habe in der Tat in vielen Fällen zahlreiche Bazillen und vielfach auch mit Sporen versehene gefunden. Übrigens lassen sich Sporen nicht allein im phthisischem Sputum, sondern auch in Käseherden, wo die Zahl der Bazillen im Abnehmen begriffen ist, nachweisen. Ich habe ferner das Sputum von Phthisikern getrocknet, trocken aufbewahrt, Tiere damit geimpft, und noch nach acht Wochen denselben Erfolg damit erzielt wie nüt frischem Sputum, so daß ich annehmen möchte, daß die Infektion der Menschen hauptsächlich durch das Sputum, welches in trocknem, staubförmigem Zustande überallhin verschleppt wird, zustande kommt. Inwieweit andere Infektionsquellen existieren, z. B. die Tuberkulose der Haustiere usw., müssen weitere Untersuchungen lehren. Jedoch scheinen diese bei weitem nicht die Bedeutung zu haben, wie die Infektion durch Sputum. Ich glaube, daß wir damit die Ätiologie der Tuberkulose in ihren Grundzügen wenigstens kemien gelernt haben, und es steht zu hoffen, daß die Lücken, welche noch bestehen, recht bald ausgefüllt werden. In der an das Referat angeknüpften Oiskussion bemerkte Koch: Es sind eben mehrere Fragen angeregt worden, die sich auf die Lücken beziehen, von denen ich zu Urnen sprach. Ich fühle recht wohl, daß wir über manche Dinge in der Ätiologie der Tuberkulose noch wenig aufgeklärt sind, namentlich gilt dies von dem ersten Punkt, von der Heredität der Tuberkulose. Aber ich glaube, daß auch diese Frage bis zu einem gewissen Grade wenigstens schon jetzt einer Erklärung zugängig geworden ist. Wie wir gesehen haben, wachsen die Tuberkelbazillen nur auf einem bestimmten 29* 452 über die Ätiologie der Tuberkulose. Nährboden. Geringe Abänderungen des letzteren können schon ein Nichtwaehsen der Bazillen bedingen. Es ist das ein Verhalten, welches uns tägHch bei allen Mikroorga- nismen, besonders bei den pathogenen, begegnet. Es ist außerdem eine Beobachtung, die wir ganz allgemein bei Parasiten machen; der Bandwurm ist z. B. so auf seinen Wirt angewiesen, daß man ihn nur bei einer gewissen Tierspezies findet. Je mehr ein Organis- mus nun zum reinen Parasiten wird, um so empfindlicher verhält er sich gegen den Nähr- boden. Es ist das ein Punkt, auf den ich noch nicht eingegangen bin, der für die Beur- teilung der Heredität aber außerordentlich wesentlich ist. Die Tuberkelbazillen sind nämhch im Gegensatz zu anderen pathogenen Bakterien ganz reine Parasiten; sie bilden Sporen im Innern des tierischen oder menschlichen Körpers und sind nicht wie andere Mikroparasiten auf die Außenwelt angewiesen. Die Milzbrandbazillen z. B. bilden niemals Sporen im tierischen Körper. Ganz anders die Tuberkelbazillen. Sie bilden Sporen schon an dem Orte, wo sie im tierischen Organismus gewachsen sind. Dementsprechend haben sie auch die Eigenschaft der reinen Parasiten, daß sie ganz außerordentlich empfindhch gegen ihren Nährboden sind. Wir wissen schon, wie be- stimmte Tierspezies nur unter ganz besonders günstigen Verhältnissen tuberkulös werden, z. B. Hunde und Ratten; während man andere Tiere, z. B. Meerschweinchen und Kaninchen, nur in der einfachsten Weise zu impfen braucht, um jedesmal Erfolge zu erzielen. Es verhalten sich also verschiedene Tierspezies wesentlich verschieden in bezug auf die Empfänglichkeit für Tuberkulose. Aber auch unter den Individuen der- selben Spezies ist die Disposition nicht gleich. Ich habe eine Beobachtung gemacht, die hierher gehören würde. Die jungen Tiere nämlich, von denen ich anfangs nach meinen Erfahrungen mit anderen Infektionskrankheiten glaubte, daß sie ganz besonders emp- findhch sein müßten, sind es in diesem Falle nicht, denn die Tuberkulose verläuft bei ihnen weit langsamer als bei erwachsenen Tieren. Es ist das also auch schon ein Zeichen, daß die Tuberkelbazillen nicht auf jedem Nährboden gleich gut gedeihen, und es führt zu der Annahme, daß individuelle Verschiedenheiten existieren, und wenn wir uns das klarmachen, kommen wir auch schon der Erklärung der Heredität der Tuberkulose etwas näher. Wir müssen uns vorstellen, daß die Bedingungen, welche das Wachstum des Parasiten begünstigen, ungleich verteilt sind, und daß diese Bedingungen, nicht aber die Parasiten selbst, vererbt werden. Ich glaube, daß man sich auf diese Weise wenigstens vorläufig eine Vorstellung über diese Frage machen kann. Zu der zweiten Frage, welche aufgeworfen wurde, ob ein Unterschied zwischen Phthisis und Tuberkulose besteht, habe ich folgendes zu bemerken: Ein solcher Unter- schied besteht nach meiner Ansicht nicht. Wir haben gesehen, daß aus Tuberkulose ebenso wie aus Phthisis durch Impfung immer wieder Tuberkulose entsteht. Daraus allein könnte man schon auf eine Identität der beiden Prozesse schließen. Es ist aber noch etwas anderes, was uns das Verhalten zwischen Phthisis und Tuberkulose erklär- hch macht. Wir erzeugen beim Tier immer Tuberkulose unter ganz bestimmten Ver- hältnissen; es ist eine Impf tuberkulöse, welche die Experimente liefert. Beim Menschen dagegen entsteht die Affektion auf eine ganz andere Art und Weise. Der Infektionsstoff wird nicht in den Blutstrom, in das subkutane Gewebe oder sonstwie durch Impfung eingeführt, sondern wir können nicht anders abnehmen, als daß derselbe in der großen Mehrzahl aller Fälle in einem oder mehreren Keimen durch Einatmen in die Lunge ge- langt. Man könnte diesen Zustand bei Tieren experimentell erzeugen. Ich habe der- artige Versuche noch nicht gemacht, aber es haben sich mir mehrfach spontan entstan- dene Inhalationstuberkulosen bei Tieren geboten. Die spontane Tuberkulose der Tiere verläuft nun genau so, wie beim Menschen die Phthisis. Wenn Tiere mit anderen tuberkulösen in einem Stalle zusammenleben und über die Ätiologie der Tuberkulose. 453 tuberkulös erkranken, so sieht man, daß bei diesen spontan erkrankten Tieren starke Anschwellung der Bronchialdrüsen und in der Lunge nur ein oder wenige große Käse- herde vorhanden sind. Es kann sogar zu regelrechter Kavernenbildung kommen. Es ist also der Unterschied nicht ein spezifischer, sondern nur ein in der Art und Weise der Infektion begründeter. Ich erinnere ferner daran, daß die Infektion ganz anders ver- läuft, je nachdem man in die vordere Augenkammer größere Quantitäten von Tuberkel- bazillen injiziert oder nur möglichst wenige derselben hineinbringt. Im ersten Falle haben wir eine in wenigen Wochen verlaufende Miliartuberkulose, im anderen einen Prozeß, der sich über Monate hinzieht. Wir haben also genau denselben Unterschied: in einem Fall eine Miliartuberkulose, im anderen ein Bild, das ich als Phtliisis des Auges bezeichnen möchte, und beide werden durch denselben Infektionsstoff erzeugt. So stelle ich mir vor, daß die Phthisis beim Menschen ihren eigentümlichen Charakter nur durch die Art der Infektion erhält. Es ist das ein Gebiet, welches auf jeden Fall experimentell bearbeitet werden muß, und es würde sich sehr empfehlen, wenn Versuche gemacht würden, Tiere, wie ich es spontan beobachtet habe, künstlich durch Inhalation weniger Infektionskeime phthisisch zu machen. Für das Auge ist der Beweis geführt, er müßte aber auch noch für die Lunge erbracht werden. Kritische Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen.') Von Dr. R. Koch. Es ist nahezu ein Jahr vergangen, seitdem ich meine Untersuchungen über die Ätiologie der Tuberkulose veröffentlicht habe. Dieselben haben seitdem zu vielfachen Äußerungen Veranlassung gegeben, welche zum größten Teile Bestätigungen meiner An- gaben enthielten. Aber auch an gegenteiligen Meinungsäußerungen hat es nicht gefehlt, imd da einige der letzteren kürzlich ihre Stimme mit besonderem Nachdruck erhoben haben, so scheint es, um nicht total falsche Ansichten über meine Arbeiten aufkommen zu lassen, an der Zeit zu sein, die von gegnerischer Seite gekommenen Publikationen in einer kritischen Besprechung auf ihren wahren Wert zu prüfen. Meine Untersuchungen über die Tuberkulose gingen darauf hinaus, die parasitische Natm- dieser Krankheit zu beweisen. Es wurden Bazillen gefunden, welche allen zur Gruppe der tuberkulösen Affektionen gehörigen Krankheitsprozessen eigen sind; diese Parasiten wurden durch Reinkulturen isoliert und dann erfolgreich verimpft. Ich war mir der weittragenden Bedeutung und der Wichtigkeit des Resultates meiner Arbeit vollkommen bewußt und habe sie deswegen nicht eher vor den Richterstuhl der Öffent- lichkeit gebracht, als bis sie mir nach allen Richtungen hin ausgearbeitet und gegen jeden Einwand gesichert schien. Deswegen glaubte ich aber auch erwarten zu können, daß meine Arbeit von namhaften Vertretern der pathologischen Anatomie, deren Gebiet sie doch zunächst berührte, in ihrem ganzen Umfange geprüft worden wäre. In dieser Voraussetzung habe ich mich jedoch getäuscht. Bis jetzt ist wenigstens nichts davon verlautet, oder es müßten solche Kundgebungen etwa in nächster Zeit zu erwarten stehen. Mehr Beachtung haben meine Untersuchungen bei den Klinikern gefunden. Es hatte sich bald herausgestellt, daß mit Hilfe des Ehrlich sehen Färbungs Verfahrens der Nachweis der Tuberkelbazillen diagnostisch bequem zu verwerten sei, und allein diesem Umstand ist es zu danken, daß man sich allgemein mit dem Aufsuchen der Ba- zillen im Sputum beschäftigt hat, während sich sonst wohl nur wenige Forscher mit den Tuberkelbazillen befaßt haben würden. So wertvoll in mancher Beziehung dieses allgemeine Interesse für die Sache auch sein muß, so hat es doch den großen Nachteil im Gefolge gehabt, daß der eigentliche Schwerpunkt meines Beweises für die parasitische Natur der Tuberkulose, nämlich die Erzeugung der Tuberkulose durch Verimpf ung des isolierten Parasiten, ganz aus dem Auge verloren ist, und daß sich vorläufig der Streit hauptsächlich darum dreht, ob im Sputum und in tuberkulös veränderten Geweben die Tuberkelbazillen regelmäßig vorkommen und ob ihnen die spezifischen mikrochemi- M Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1883, Nr. 10. Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. 455 sehen Merkmale zukommen, die ich angegeben hatte. Dies sind aber, wie ich später noch des weiteren auseinanderzusetzen habe, ganz nebensächhche Fragen. Mit wenigen Ausnahmen beschränken sich alle bis jetzt publizierten Untersuchungen über die Tuberkel- bazillen auf den Nachweis derselben im Sputum oder sonstigen Exkreten der Phthisiker. In dieser Hinsicht haben bereits sehr zahlreiche zuverlässige Forscher die von mir und Ehrlich gemachten Angaben bestätigt, und es kann als ausgemacht angesehen werden, daß mit Ausnahme weniger Fälle in den Exkreten phthisisch erkrankter Organe die Tu- berkelbazillen vorhanden sind und daß sie bei Nichtphthisikern bis jetzt noch nicht mit Sicherheit beobachtet wurden. Die Tuberkelbazillen finden sich allerdings nicht selten in sehr geringer Zahl, und es bedarf des vollständigen Beherrschens der Unter- suchungsmethoden, um sie dann zu finden. Aber ich erinnere in dieser Beziehung an die Rekurrens- Spirochäten. Anfangs wurden dieselben ebenfalls von manchen Forschern vermißt und ihr regelmäßiges Vorkommen beim Rekurrens bezweifelt oder selbst ganz geleugnet. Jetzt aber würde niemand mehr die Behauptung wagen, daß die Spirochäten nicht zu finden seien. Ebenso wird es auch mit den Tuberkelbazillen gehen. Die Schwie- rigkeiten, welche die Färbung und die zur Untersuchung gefärbter Bakterien nun einiiial unbedingt notwendige besondere Handhabung des Mikroskops bereiten, werden bald überall überwunden sein, und man wird die Bazillen nur ausnahmsweise im phthisischen Sputum usw. vermissen. Wenn die in den bestätigenden Angaben enthaltenen Fälle zusammengerechnet werden, dann belaufen sie sich schon weit über tausend; außerdem geben alle, welche die Bazillen regelmäßig im phthisischen Sputum gefunden haben, an, daß sie dieselben bei vielfachen Kontrolluntersuchungen bei Nichtphthisikern niemals gefunden hätten. Dieser Tatsache gegenüber würde ich die verhältnismäßig wenigen Publikationen, welche meine Angaben nicht bestätigeia, mit Stillschweigen übergehen können, und das um so mehr, als sie sämtlich einen vollständigen oder doch erheblichen Mangel an Verständiais für Bakterienuntersuchungen und für die Beziehungen der patho- genen Bakterien zu den Infektionskrankheiten verraten, meistens auch erkennen lassen, daß ihre Autoren überhaupt ohne Vorkenntnisse und ohne vorhergehende Übung an leichteren Aufgaben sich sofort an diese schwierige Frage gemacht haben, so daß es nicht zu verwundern ist, wema ungenügende Leistungen zutage kamen. Dennoch scheint es mir im Interesse der Sache geboten, wenn ich von vornherein auch zu diesen Meinungsäußerungen Stellung nehme, weil ihnen in weiten Kreisen eine höhere Bedeutung beigelegt zu werden scheint, als ihnen zukommt. Diese Überschätzung erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, daß die neue Lehre vielen hergebrachten An- schauungen widerspricht, daß sie, wie schon K 1 e b s vor mehreren Jahren auf der Naturforscherversammlung zu Kassel sehr richtig hervorhob, einen tiefen Riß in die herrschenden Systeme macht und mit alten liebgewordenen Traditionen zu brechen zwingt. Dem einen gelingt letzteres leichter als dem anderen, manchem auch gar nicht, und da ist es deian nicht zu verwundern, wenn nach jedem Strohhalm gegriffen wird, um sich aus den hereinbrechenden Fluten zu retten. Mit welcher Freude wurde doch die Nachricht begrüßt, daß die Tuberkelbazillen auch im Darminhalt gesunder Menschen oder in einem einzigen Falle von Bronchiektasis gefunden seien. Schon hoffte man, die unliebsamen Gäste wieder loszuwerden, aber diese Hoffnung ist kläglich zuschanden geworden. Wenn ich mich nach diesen allgemeinen Bemerkungen nunmehr zu den einzelnen Gegnern der neueren ' Ansichten über die Ätiologie der Tuberkulose wende, so möchte ich zunächst die Aufmerksamkeit auf die merkwürdige, stellenweise geradezu spaßhafte Aufnahme lenken, welche die Tuberkelbazillen bei amerikanischen Forschern gefunden haben. 456 Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. Ephraim Cutter (American medical weekly) findet sich mit den Tuberkel- bazillen in der allereinfachsten Weise ab. Er meint, daß dieselben gar nichts Neues seien, H. Salesbury habe schon früher im Blut, Lungen und Sputum der Phthisiker das Mycoderma aceti, die Essigsäurebakterien, gefunden. Das stimme mit meinen Angaben vortrefflich ; allerdings wären die Tuberkelbazillen sehr viel kleiner als die Essigbakterien, aber das käme daher, daß die Tuberkelbazillen die ,,babies" oder eine EmbryonaKorm der Essigbakterien seien. Rollin R. 'Gregg spricht in einer mir zugesandten Schrift seine Überzeugung dahin aus, daß die Phthisis nur in einem Verlust des Blutes an Albumen ihren Grund habe. In jedem Tuberkel sollen Fibrinfäden vorkommen und diese seien offenbar irrtüm- hcherweise von mir für Bakterien gehalten. Mikroskopische Untersuchungen hierüber selbst anzustellen, scheint dieser Autor für überflüssig gehalten zu haben. Schmidt (microscopial investigation into the nature of the socalled bacillus tuberculosis, Chicago medical Journal and examiner 1882, December) hat sich dagegen, wie er behauptet, redlich bemüht, die Tuberkelbazillen zu Gesicht zu bekommen. Wie so vielen anderen, glückte ihm dies nun aber nicht sogleich; er konnte mit dem Färben nicht zustande kommen. Hätte er nur geduldig weiter versucht oder sich von anderen, welche die Bazillen zu färben verstanden, belehren lassen, dann wäre unzweifel- haft sein sehnhcher Wunsch doch noch in Erfüllung gegangen. Aber Schmidt steht in Amerika, wie im Medical record 1882 Nr. 628 zu lesen ist, in hohem Ansehen als Mikro- skopiker, und was Schmidt nicht sieht, das kann unmögüch vorhanden sein. Bazillen sind es also nicht, was die europäischen Mikroskopiker gesehen haben, und es kam nur noch darauf an, zu finden, was es denn eigentlich für Dinge gewesen seien. Auch das hatte der große Mikroskopiker Schmidt sehr bald herausgebracht. Es sind Fett- kristalle, welche an und für sich eine bläuliche Färbung haben, so daß man sich leicht einbilden konnte, man habe sie blau gefärbt. Daß die Bazillen nach Belieben auch roten Farbstoff annehmen, daß sie wachsen und sich vermehren, daß sie noch einige andere bemerkenswerte Eigenschaften haben, welche Fettkristallen nicht zukommen, das hat dem Mikroskopiker Schmidt keine Sorgen gemacht. Eine in deutlichen Ausdrücken gehaltene Belehrung über den Unterschied zwischen Tuberkelbazillen und Fettkristallen ist Schmidt übrigens sehr bald durch Whittaker (The Cincinnati lancet and clinic, 1883, 13. Jan.) zuteil geworden. Ein ebenso tüchtiger Mikroskopiker wie Schmidt scheint F o r m a d zu sein. An Selbstbewußtsein fehlt es ihm überdies nicht, da er im Eingange seiner Schrift (The bacillus tuberculosis and some anatomical points which suggest the refutation of its etiological relation with tuberculosis. Philadelphia medical times for November 18, 1882) folgenden Ausspruch tut : ,,A great deal of good work in pathology is done in America. Admiration of European pathological works is certainly justifiable, but this forms no reason, why the good, honest work of Americans, even that of youngmen, should be left unnoticed." Trotzdem gelang es ihm ebenfalls nicht, die Bazillen im Sputum bei einer Anzahl von Phthisikern zu entdecken, obwohl dieselben umfangreiche Zerstö- rungen und käsige Veränderungen in den Lungen hatten. Außerdem spricht er den Tu- berkelbazillen jede Verschiedenheit gegenüber anderen Bakterien in bezug auf ihr Ver- halten zu Farblösungen ab, wonach es wohl keinem Zweifel unterliegen kann, daß F o r m a d die Tuberkelbazillen überhaupt nicht gefunden hat. Seiner Meinung nach ist aber auch auf die morphologischen und physiologischen Eigenschaften der Bakterien kein Wert zu legen, da ihm bei seinen in Gemeinschaft mit Wood angestellten Bak- terienkulturen derartige Veränderungen der Bakterien vielfach begegneten. Schließlich beruft sich Formad noch darauf, daß er Kaninchen Stücken Glas, Metall, Holz Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. 457 beigebracht habe, und daß die Tiere danach tuberkulös geworden seien, ferner, daß von fünf bis sechshundert Kaninchen, an denen Impfversuche mit Diphtheritis gemacht wurden, mehr als 100 an Tuberkulose zugrunde gingen. F o r m a d steht also ganz auf dem zur Zeit Waldenburgs herrschenden Standpunkt. Die klassischen Unter- suchungen von C o h n h e i m und S a 1 o m o n s e n, durch welche unwiderleglich be- wiesen wurde, daß Iristuberkulose niemals anders als nach Verimpfung von tuberkulösen Substanzen entsteht, scheinen für F o r m a d nicht zu existieren. Übrigens ist F o r m a d den Tuberkelbazillen gegenüber kein unparteiischer Richter. Er hat sich vier Jahre lang damit abgegeben, den Unterschied zwischen skrofulösem und nichtskrofulösem Gewebe zu entdecken, und hat auch einen solchen gefunden. Derselbe besteht darin, daß die Lymphspalträume bei Skrofulösen enger sind als bei Gesunden, daß sie sich mit desquamierten, wuchernden Endothelzellen anfüllen, infolgedessen zum Teil obli- terieren und so die Veranlassung zu tuberkulösen und speziell käsigen Prozessen abgeben. F o r m a d behauptet, daß alle Phthisiker skrofulöses Bindegewebe haben, daß also die Tuberkelbazillen zur Erklärung der Phthisisätiologie überflüssig seien. Er hat auch mit Hilfe dieser am Bindegewebe zu erkennenden Zeichen ferner gefunden, daß es skrofu- löse und nichtskrofulöse Tiere gibt. Zu letzteren gehört das leicht mit Tuberkulose infizierbare Kaninchen, zu ersteren die Katze. Auch alle wilden Tiere sind nach F o r m a d nicht skrofulös. Aber durch Einsperren und schlechtes Futter können sowohl wilde Tiere als die nichtskrofulösen Katzen fih- Tuberkulose empfänglich gemacht werden. Das ist nun alles recht hübsch konstruiert, stimmt aber keineswegs mit der Wirklichkeit. Katzen sind nach meinen Erfahrungen fast ebenso leicht mit Tuberkulose zu infizieren Avie Kaninchen. Sie sind mithin ski'ofulös im F o r m a d sehen Sinne. Ferner sind merkwürdigerweise Hamster und Feldmäuse, wild lebende Nagetiere, auch wenn sie erst eben eingefangen sind, sehr empfänglich für Impftuberkulose, während die durch viele Generationen in engen Behältern gehaltenen weißen Mäuse ebenso schwierig mit Tuberkulose zu infizieren sind wie Hunde. Die F o r m a d sehe Theorie von den skrofu- lösen und nichtskrofulösen Tieren steht also mit allen daraus abgeleiteten Konse- quenzen, auch abgesehen von den Tuberkelbazillen, vorläufig vollständig in der Luft. Über die Bedeutung der Tuberkelbazillen aber kann F o r m a d überhaupt nicht eher ein beachtenswertes Urteil zugestanden werden, als bis er es gelernt hat, die Bazillen mit Sicherheit zu finden, bis er sich mit der einschlägigen Literatur, namentlich mit den intraokularen Impfungen von C o h n h e i m und S a 1 o m o n s e n, von H ä n s e 1 1, S c h u c h a r d t, B a u m garten, Da m s c h vertraut gemacht und bis er es in der experimentellen Technik so weit gebracht hat, daß seine mit Holz, Glas und Metall geimpften Tiere nicht mehr an Tuberkulose sterben oder daß er wenigstens zu unter- scheiden vermag, ob ein Tier an spontaner, beabsichtigter oder unbeabsichtigter Impf- tuberkulose erkrankt bzw. gestorben ist. Auch S t e r n b e r g (Medical News XLI) konnte die Bazillen nicht finden, und hielt sich daraufhin für verpflichtet, ihre Existenz zu bestreiten. Hoffentlich hat er sich inzwischen von seinem Irrtuni überzeugt. Wollte man nun meinen, daß die deutsche Medizin keine solche Blüten der Tuberkel- bazillenliteratur hervorgebracht hätte wie die eben angeführten amerikanischen, so würde man irren. B e n e k e (die erste Überwinterung auf Norderney, Norden 1882) wollte die Tu- berkelbazillen nicht gelten lassen, weil er aus alkoholisch-ätherischen Auszügen gesunden Blutes Gebilde dargestellt hatte, welche das Aussehen und die Reaktion der Tuberkel- bazillen boten. Diese Leistung gibt den S c h m i d t sehen Fettkristallen nichts nach und ist auch ebenso zu beurteilen wie diese. 458 Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung bringen, daß noch im Jahre 1876, also vor nicht sehr langer Zeit, ein namhafter Botaniker die Milzbrandbazillen für leblose, kristallinische Gebilde erklärte. Heutzutage würde das niemand mehr wagen, und doch gehen unsere Kenntnisse über die biologischen Eigenschaften der Milzbrandbazillen kaum weiter als in betreff der Tuberkelbazillen. Ein gewisses Aufsehen haben die Mitteilungen von B a 1 o g h und C r ä m e r gemacht. Crämer (Sitzungsberichte der physikalisch-medizinischen Sozietät zu Erlangen. Sitzung vom 11. Dezember 1882) berichtet, daß er in den Darmausleerungen von 20 ver- schiedenen Gesunden Bazillen gefunden habe, welche bei Anwendung des Ehrlich- schen Färbungsverfahrens ebenso wie die Tuberkelbazillen blaugefärbt geblieben seien. Ob diese Bazillen den Tuberkelbazillen auch in Gestalt und Größe glichen, ist nicht gesagt. Dieser Angabe ist aber schon sehr bald darauf von M e n c h e ( Aus der medi- zinischen KHnik zu Bonn. Vortrag, gehalten in einer Sitzung der medizinischen Sektion des niederrheinischen Vereins für Natur- und Heilkunde am 22. Januar 1883) entgegen- gehalten, daß sie auf einem Irrtum beruhen müsse, veranlaßt durch mangelhaftes Ent- färben des Präparates ; denn er selbst habe bei Nichtphthisikern im Stuhl mit derselben Farbenreaktion niemals Bazillen gefunden, welche blaugefärbt blieben. Hiermit stimmen auch demnächst zur Veröffentlichung kommende Resultate von Untersuchungen, welche G a f f k y zur Kontrolle der Crämer sehen Angabe angestellt hat. Es konnten in keinem Falle den Tuberkelbazillen ähnlich reagierende Bakterien im Stuhl von Ge- sunden nachgewiesen werden^), und ich muß deshalb ebenfalls die Crämer sehe Mit- teilung als auf irgendeinem Irrtum beruhend ansehen. Aber auch gesetzt den Fall, daß im Darmkanal Bazillen vorkämen, welche die- selbe Farbenreaktion wie die Tuberkelbazillen geben und ihnen außerdem in Gestalt und Größe gleich wären, so wäre damit an der Sachlage auch nicht das geringste ge- ändert. Es müßte doch vorerst noch bewiesen werden, daß sie die nämlichen pathogenen Eigenschaften besitzen wie die Tuberkelbazillen. Die Bazillen der Lepra gleichen letzteren ebenfalls in der Reaktion, verhalten sich aber physiologisch ganz different, da es noch nicht gelungen ist, Tiere damit zu infizieren. Außerdem muß ich in Erinnerung bringen, daß ich niemals die Behauptung aufgestellt habe, daß es überhaupt keine Bakterien gäbe, welche dieselbe Farbenreaktion besitzen wie die Tuberkelbazillen, sondern ich habe in meiner Publikation über die Ätiologie der Tuberkulose wörtlich gesagt: ,.Auch alle anderen bis jetzt von mir daraufhin untersuchten Bakterien, mit Ausnahme der Leprabazillen, nehmen bei diesem Färbungsverfahren eine braune Farbe an." Diesen Satz kann ich auch heute noch in vollem Umfange aufrecht halten. Weder im Sputum, noch im Darminhalt, noch in den allerverschiedensten Faulflüssig- keiten und Gemischen von Bakterien sind mir trotz der vielfachen, seit meiner ersten Publikation darauf speziell gerichteten Untersuchungen bislang andere Bakterien vor- gekommen, welche die gleiche Farbenreaktion geben, wie die Tuberkel- und die Lepra- bazillen. Alle gegenteiligen Behauptungen muß ich deswegen so lange in Zweifel ziehen, als der betreffende Autor nicht als ein durchaus zuverlässiger Mikroskopiker bekannt und jeder Irrtum ausgeschlossen ist. und solange nicht beweisende Präparate vorgelegt werden kömien. Meiner Ansicht nach liegt es keineswegs außer dem Bereich der Mög- lichkeit, daß noch irgendwo einmal den Tuberkelbazillen gleich reagierende Bazillen angetroffen werden. Auf alle Fälle müßten solche Bakterien aber, wenn sie einmal ge- 1) Die von Lichtheim im Darminhalt gesehenen großen Mikrokokken halte ich für Bazillen- sporen. Weitere Mitteilungen hierüber bleiben vorbehalten. BesiJrechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelljazillen gerichteten PuMikatinnen. 459 fluiden werden sollten, auf ihre pathogenen Eigenschaften geprüft werden, ehe weitere SchUisse daraus zu ziehen sind. Man sieht wohl, wie weit der angebliche Befund ( ' r ä ni e r s noch davon entfernt war. die neue Lehre von der Tuberkulose irgendwie zu erschüttern, und doch wurde die Kunde, daß die Tuberkelbazillen bei 20 Gesunden gefunden seien, wie ein erlösendes Wort von allen Seiten begrüßt. Hieran ist mir erst so recht klar geworden, mit wie ge- ringem Verständnis gerade die Kreise, auf deren gesundes Urteil ich am meisten ge- rechnet hatte, meine Beweisführung von der parasitischen Natur der Tuberkulose auf- genommen haben. Ebenso belehrt mich dieser Zwischenfall darüber, daß die neue Lehre, weil sie mit dem herrschenden System nun einmal nicht zu vereinigen ist. noch manchen Kampf mit den Anhängern dieses Systems zu bestehen haben wird. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem C r ä m e r sehen Befund hat die Angabe von Balogh (Wiener medizinische Wochenschrift 1883. Nr. 1), daß im Schlamm Bazillen vorkommen, welche den Tuberkelbazillen gleichen sollen. Ich muß dieser Behauptung auf Grund meiner umfangreichen Erfahrungen widersprechen. Beispielsweise habe ich den Schlamm der Berliner Rieseljauche, das reichhaltigste Bakteriengemenge, welches mir bislang vorgekommen ist, mit dem E h r 1 i c h sehen Verfahren untersucht, aber keine den Tuberkelbazillen gleich reagierende Bakterien gefunden. Überdies kann Balogh in Anbetracht der Niederlage, welche er (' o h n h e i m gegenüber erlitten hat. wohl nicht als ein Mikroskopiker gelten, dessen Angaben ohne weiteres als zuverlässig angenommen werden könnten. Auch die Inhalationsversuche, welche Balogh an- gestellt hat, um die pathogene Natur seiner Bazillen zu erweisen, sind völlig wertlos. Daß die Lunge von Versuchstieren auf das Eindringen von Fremdkörpern, z. B. von tierischen Parasiten, von Aktinomyzes und auch von leblosen Partikelchen durch Knöt- chenbildung reagiert, ist längst bekannt. Darauf kommt es auch gar nicht an. Echte Tuberkelknötchen müssen infektiös sein, was entweder aus der Verbreitung des tuber- kulösen Prozesses in seiner charakteristischen Form im Tierkörper selbst oder durch Weiterimpfung auf andere Tiere zu ersehen ist. L"m diesen Nachweis scheint sich Balogh gar nicht bekümmert zu haben. Diesen selben Fehler in der experimentellen Behandlung der Tuberkulose finden wir bei S c h o 1 1 e 1 i u s ( Virchows Archiv für pathologische Anatomie. Bd. XCI. Heft 1). Derselbe hatte früher nachgewiesen, daß durch Inhalation großer Quantitäten nicht tuberkulöser Massen bei Hunden in den Lungen Knötchen zu erzielen sind, welche, wie er sagt, anatomisch den Tuberkeln gleichen. Diese Versuche und die daraus ab- geleiteten Schlüsse sind bereits durch B e r t h e a u und Weigert vollständig wider- legt, aber S c h o 1 1 e 1 i u s bleibt auf seinem Standpunkt hartnäckig stehen und beruft sich immer von neuem auf die anatomische Beschaffenheit der Knötchen. Mit dem- selben Recht müßte man eine Pockenpustel und eine durch Tart. stib. erzeugte Pustel gleichfalls identifizieren, denn sie sind anatomisch gleich und doch enthält die eine einen Infektionsstoff und die andere nicht. Darin liegt eben das Kriterium für den echten Tuberkelknoten, daß er infektiöse Eigenschaften besitzt. Die Erfahrung hat gelehrt, daß mit sehr seltenen Ausnahmen, zu welchen die durch tierische Parasiten oder durch Aktinomyzes bedingten Ivnötchen gehören, alle mit dem anatomischen Charakter der Tuberkel versehenen Knötchen bei der Verimpf ung Tuberkulose erzeugen. Also muß man diese beiden Arten Knötchen wohl trennen, und es ist gewiß das Richtigste, der großen Majorität den Namen Tuberkulose zu belassen und dieser den Charakter einer Infektionskrankheit beizulegen, dagegen die verschwindende Minorität der er- wähnten Affektionen, zu welcher auch die S c h o t t e 1 i u s sehen Knötchen der Hunde- lunge zu rechnen sind, unter irgendeinem anderen passenden Namen unterzubringen. 460 Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. Schotten US findet noch weitere Widersprüche in der abweichenden Form der Tuberkulose bei den verschiedenen Tieren. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle das Verhältnis der Tuberkulose bei verschiedenen Tierarten zu besprechen, und behalte ich mir dies für eine andere Gelegenheit vor. Nur so viel möchte ich Schottelius jetzt schon entgegnen, daß er selbst sagt: ,,es ist ja bekannt genug, wie verschieden- artig und verschieden wertig nicht selten krankmachende Ursachen auf verschiedene, selbst einander nahestehende Tierspezies wirken". Ferner möchte ich an die gleichen Verhältnisse beim Milzbrand erinnern. Derselbe verläuft klinisch und anatomisch beim Menschen so verschiedenartig, daß man ohne Berücksichtigung der gleichen Ursache, d. h. der Milzbrandbazillen, ganz verschiedene Krankheitsbilder daraus machen müßte, und ferner differieren die Milzbrandformen des Menschen ganz erheblich von denen der Tiere und ebenso diejenigen der letzteren untereinander. So kann beispielsweise ein lokal bleibender Karbunkel der Haut weder anatomisch noch klinisch mit einem von Anfang an unter dem Bilde der Allgemeininfektion verlaufenden Milzbrand ver- glichen werden und dennoch gehören beide derselben Krankheit an. Wenn Schotte- lius konsequent sein wollte, müßte er auch den Milzbrand in so und soviele Einzel- krankheiten zerlegen. Denuiach kann nur der ätiologische, nicht aber der klinische und anatomische Standpunkt maßgebend sein für die Beurteilung dessen, was zur Tuber- kulose zu rechnen und was davon abzuscheiden ist. Schottelius schenkt den übrigen Beweisgründen, welche für die parasitische Natur der Tuberkulose aufgestellt sind, fast gar keine Beachtung; die Tuberkelbazillen sind für ihn höchstens zufällige Begleiter der Krankheit. Dabei vergißt Schottelius aber, daß die Beweisführung für die Ätiologie der Tuberkulose die nämliche ist, wie die für Milzbrand. Leugnet er die ätiologische Bedeutung der Tuberkelbazillen, dann muß er auch diejenige der Milz- brandbazillen leugnen. Ja, wenn er konsequent sein will, muß er wohl oder übel dann auch Trichinen und Krätzmilben als zufällige Begleiter und nicht als Ursachen der be- treffenden Krankheiten annehmen. Die Arbeit von Schottelius wendet sich aber hauptsächlich gegen die Iden- tifizierung der Perlsucht und menschlichen Tuberkulose, und er führt als Grund da- gegen an, daß die Einwohner mehrerer Dörfer in der Nähe von Würzburg viele Jahre hindurch das Fleisch von perlsüchtigen Rindern genossen haben, ohne daß irgend jemand danach tuberkulös geworden sei. Bekanntlich hat Bollinger schon früher ähnliche Angaben über den Genuß von Perlsuchtfleisch in den Wasenmeistereien Bayerns ge- macht. Gegen die Identität von Perlsucht und Tuberkulose kann man meines Erachtens hieraus aber keinen Beweis ableiten. Denn zunächst steht nicht fest, daß die Leute Fleisch genossen haben, welches Tuberkelbazillen enthielt. Es ist im Gegenteil zu ver- muten, daß, wenn für den eigenen Bedarf geschlachtet wird, die erkrankten Teile der Lunge und Baucheingeweide weggeworfen werden, während sie vom Schlächter, der alles zu verwerten trachtet, noch zu Wurstwerk verarbeitet oder in irgendeiner anderen Form in den Verkehr gebracht werden. Aber selbst wenn es mehrfach vorgekommen sein sollte, daß bazillenhaltige Massen gegessen wurden, so folgt daraus noch nicht, daß Perlsuchtfleisch (worunter ich hier nur bazillenhaltige Substanz verstehe) ein für aUemal unschädlich sei. Auch hierfür läßt sich der Milzbrand als ein sehr passendes Bei- spiel anführen. Denn es sind mir aus eigener Erfahrung viele Fälle bekannt, in denen Milzbrandfleisch ohne jeden Nachteil genossen wurde. Schottelius müßte dem- nach auch das Milzbrandfleisch für unschädlich und für den Verkehr zulässig erklären. Darin würde er aber wohl schwerlich Anhänger finden. Es sind noch manche andere Punkte in der Schrift von Schottelius, welche wenig mit feststehenden Tatsachen übereinstimmen. So hat J o h n e in seiner soeben erschienenen Schrift : Die Geschichte Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuljerkelliazillen gerichteten Publikationen. 461 der Tuberkulose, mit. besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose des Rindes, Leipzig 1883, bereits darauf hingewiesen, daß die klinischen und anatomischen Verhältnisse der Perlsucht von S c h o 1 1 e 1 i u s ganz unrichtig aufgefaßt sind. Erwähnt sei außer- dem noch, daß S c h o 1 1 e 1 i u s die Impftuberkulose der Kaninchen gar nicht für eine echte Tuberkulose hält. Der Verschiedenheit im Bau der kleinsten Bronchien bei Herbivoren und Karni- voren, welche Schottelius mit Hilfe der Korrosionsanatomie gefunden hat und durch welche er die verschiedene Empfänglichkeit dieser Tiere gegen Inhalationstuber- kulose (von ihm Inhalationspneu monie genannt) zu erklären versucht, kann ich keinen Wert beimessen. Die Voraussetzung, von welcher Schottelius hierbei ausgeht, daß nämlich Herbivoren leicht und Karnivoren schwer empfänglich seien, trifft nämlich nicht zu, da beispielsweise Katzen leicht und einige Nagetiere, wie Mäuse und Ratten, schwer empfänglich sind. Den Ausführungen von Schottelius schließt sich D e 1 1 w e i 1 e r (Berliner klin. Wochenschr. 1883, Nr. 7 u. 8) fast durchweg an. Auch er hält die Tuberkelbazillen für eine Begleiterscheinung der Tuberkulose und nicht für die Ursache, trotzdem er bei 87 Plithisikern fast ausnahmslos die Bazillen konstatierte. Seiner Meinung nach können die mit den Bazillen erhaltenen Impfresultate nichts beweisen, weil bei Tieren nur Miliartuberkulose und niemals das typische Bild der Phthisis erzielt werde. Diese Bedenken würde D e 1 1 w e i 1 e r gewiß fallen lassen, wemi er die Arbeit von Weigert über die Entstehung der Miliartuberkulose in Berücksichtigung ziehen und sich überdies klar machen wollte, dal.^ auch andere Infektionskrankheiten beim Tier anders verlaufen wie beim Menschen und daß. wenn ein Kaninchen aus einem Milzbranclkarbunkel des Menschen geimpft wird, dasselbe nicht einen Karbunkel, sondern eine Allgemeininfektion bekommt, sich also ebenso abweichend verhält wie nach Impfung aus einem lokal ge- bliebenen tuberkulösen Prozeß, z. B. aus einer phthisischen Lunge oder aus einem fungösen Gelenk. Wenn man Studien über die Entstehung \nid ühev die anatomischen Verhält- nisse des lokal verlaufenden Milzbrandes beim Menschen, also z. B. eines Hautkarbiuikels anstellen wollte, würde man Kaniiachen und Meerschweinchen gar nicht gebrauchen können, weil diese überhaupt nie eine lokal beschränkte Milzbrandaffektion bekommen. Man müßte dazu irgendeine Tierspezies wählen, bei welcher der Milzbrand dieselben Erscheinungen wie beim Menschen aufweist. Dennoch können wir für das ätiolo- gische Studium des Milzbrandes Kaninchen und Meerschweinchen benutzen, und die damit angestellten Experimente haben ihre volle Beweiskraft, wenn der erzielte Milzbrand auch nicht das typische Bild des nienschlichen Milz])randes bietet. Genau ebenso liegen auch die Verhältnisse bei der experimentell erzeugten Tuberkulose. Unsere Versuchstiere sind entweder fast unempfänglich, wie Hunde. Ratten. Hausmäuse, oder sie bekommen nach einem verhältnismäßig kurzen Stadium lokaler Tuberkulose eine Allgemeininfektion und Miliartuiierkulose. Selbst die spontane Tuberkulose des Affen bleibt niemals lokal, sondern endet immer mit einer Miliartuberkulose. Ich zweifle nicht, daß, wenn man danach suclien wollte, auch schließlich Tierspezies finden würde, welche nach Inhalation so geringer Mengen tuberkulöser Substanz, daß sie nur eine oder wenige Infektionsherde in den Lungen erlialten, auch das typische Bild der mensch- lichen Phthisis zeigen werden. Vielleicht befaßt sich D e t t w e i 1 e r mit dieser Auf- gabe, um seine Skrupel über Zusammenhang von Phthisis und ^liliartul^erkulose gründ- lich zu beseitigen. Die Bemerkungen D e 1 1 w e i 1 e r s über die biologischen Verhält- nisse der Tuberkelbazillen lassen erkennen, daß er sich selbständig noch nicht mit Bak- terienstudien abgegeben hat. und seine Andeutungen über Umzüchtung der Mikro- organisnien in der kranken menschlicheji Lunge sowie ül)er die Beziehungen der Bazillen 462 Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. ZU ihrem Nährboden und ihre Ubiquität erinnern doch gar zu sehr an die Schlagworte eines bestimmten Zweiges der Bakterienhteratur. Bei näherer Überlegung müßte es Dettweiler doch auffallen, daß bei Phthisis und Tuberkulose immer nur diese eine mit spezifischen Merkmalen versehene Art von Bakterien und keine andere auftritt. Im Inhalt der Lungenkaverne ebenso wie im Miliartuberkel der Milz, in den tuberkulös erkrankten Hirnhäuten und in der fungösen Gelenkkapsel, bei den spontan an Tuber- kulose erkrankten und bei den an experimenteller Tuberkulose leidenden Tieren treffen wir ausnahmslos dieselben kleinen Bazillen. Beim Milzbrand kommen merkwürdiger- weise ebenso ausnahmslos andere große Bazillen vor, beim Erysipel Mikrokokken, beim Rekurrens Spirochäten usw. Für Dettweiler sind es natürlich auch sämtüch zu- fällige Begleiter wie die Tuberkelbazillen. Nun möchte ich mir von Dettweiler aber doch eine Erklärung darüber ausbitten, wie es kommt, daß sich die eine Krankheit ausnahmslos von kleinen, eine zweite von großen Bazillen, eine dritte von Mikro- kokken usw. begleiten läßt. Das kann doch nicht nur eine Marotte dieser Krankheiten sein. Auch mit der beliebten Redensart vom Akkomodieren und Umzüchten kommt man diesen Tatsachen gegenüber nicht aus. Ganz unverständlich ist es mir, daß Dettweiler bei seinen Anschauungen über Phthisis in seiner Anstalt Desinfektionsmaßregeln zur Anwendung bringt und die Phthisiker in Sublimatlösung spucken läßt. Es geschieht dies allerdings nur, wie Dett- weiler sagt, um selbst den strengsten Infektionisten zu genügen. Nun muß ich aber gestehen, daß ich mich ebensowenig auf den antiseptischen Verband eines Chirurgen, der nur zur Beruhigung seines Patienten und dessen Umgebung listert, verlassen würde, als auf Desinfektionsmaßregeln, welche nur zur Beruhigung der Infektionisten dienen sollen. D e 1 1 Av e i 1 e r s Arbeit macht auch im ganzen genommen den Eindruck, daß er sich, natürlich unbewußt, in seinen Bakterienbetrachtungen durch seine Stellung als Leiter eines Sanatoriums zu sehr beeinflussen läßt. Ich gelange nunmehr zur Besprechung der Schrift von Spina (Studien über Tuberkulose, Wien 1883). Dieselbe war durch reklameartige Signale, wie: Bazillen und kein Ende! von Wiener Fachblättern in auffallender Weise angekündigt, und, dem Ernst der Sache gegenüber, unpassende Witze vom Verblassen des blauen Glanzes der Tuberkelbazillen ließen die unverhohlene Freude darüber erkennen, daß es nunmehr mit den Bazillen aus sei. Das Erscheinen dieser Schrift bezeichnete Professor Schnitz- 1 e r, der Redakteur der Wiener medizinischen Presse, als ,,ein literarisches ]^reignis ersten Ranges" und sagte, daß ,,mit einer der Schule Strickers eigenen unerbitt- lichen Logik" meine aus der Entdeckung - der Tuberkelbazillen gefolgerten Schlüsse durch dieselbe widerlegt seien. Nach diesen Ankündigungen glaubte ich in der Tat eine sorgfältige Arbeit, welche zur Bereicherung der Wissenschaft in irgendeiner Weise bei- tragen würde, erwarten zu dürfen. Aber welche Enttäuschung. Es ist mir selten eine in jeder Beziehung dürftigere Leistung als die Spina sehe Arbeit vorgekommen. Spina ist der erste, welcher es unternommen hat, meine Untersuchungen in ihrem vollen Umfange nachzuprüfen. Wenn er sich dieser Aufgabe iinterzog, hätte er sich doch aber vor allen Dingen mit den L^ntersuchungsmethoden, welche ich befolgt habe, vertraut machen und mit denselben soweit einüben müssen, daß er sie vollständig beherrschte. Das hat Spina nicht für notwendig befunden. Er mikroskopiert nur mit einem System für Wasserimmersion, anstatt mit Dlimmersion und Abbe schem Beleuchtungsapparat. Er läßt die Farblösungen und die übrigen Reagentien nicht auf eine möglichst dünne Schicht hinreichend lange einwirken, sondern bringt Frosch- muskel oder Bröckchen käsiger Substanz auf das Deckglas und läßt die Reagentien zwischen Objektträger und Deckglas zu diesen viel zu dicken Objekten fließen, so daß Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelhazillen gerichteten l'ubUkationen. 463 höchstens in den äußersten Randschichten, und auch da nur unvollkommen, die Re- aktionen vor sich gehen können. Er untersucht seine mit Anilinfarben behandelten Prä- parate in Glyzerin anstatt in Kanadabalsam. Er benutzt zum Aufweichen einer Sub- stanz, in welcher er eine bestimmte Gattung Bakterien nachweisen will, bakterienhaltigen Speichel. S p i n a s mikroskopische Technik ist also gerade das Gegenteil von dem, was heutzutage bei der Untersuchung auf Bakterien ausgeübt wird. Er mußte mit dieser nur aus Fehlern bestehenden Technik zu den Resultaten kommen, die er erhalten hat. Es ist gar nicht möglich, daß er bei seinem Verfahren Unterschiede in der Farbenreaktion zwischen Tuberkelbazillen und anderen Bakterien erhalten kann, und er wird auf dem von ihm verfolgten Wege niemals dahin kommen, das fast konstante Vorkommeir der Tuberkelbazillen bei Phthisikern und ihr ausnahmsloses Fehlen bei Nichtphthisikern konstatieren zu können, wie es von zahlreichen anderen Forschern, welche in richtiger Weise färbten, geschehen ist. Auch kann es gar nicht ausbleiben, daß Spina, wenn er seinem Präparat bakterienhaltigen Speichel zusetzt, bisweilen dickere Bazillen als die Tuberkelbazillen findet. Ich muß gestehen, daß es mir zweifelhaft ist, ob Spina mit seiner fehlerhaften und unbeholfenen Technik überhaupt Tuberkelhazillen zu sehen bekommen hat. Das Arbeiten mit Bakterien hat aus natürlichen Gründen in bezug auf die zur Vermeidung von Fehlern zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln eine große Ähnlichkeit mit der antiseptischen Chirurgie. Stelle man sich nun einmal vor, daß ein Chirurg streng antiseptisch nach irgendeiner bestimmten Methode verfährt und gute Resultate erzielt. Darauf möge ein anderer Chirurg, ohne sich streng an die Vorschriften des ersteren zu halten und indem er sich beispielsweise auch solche Abweichungen erlaidit, daß er seine Finger oder die Nähseide mit Speichel befeuchtet, zu entgegengesetzten Resultaten gelangen und nunmehr mit Triumph verkünden, daß sein Vorgänger unrecht habe und total widerlegt sei. Was wird dann wohl der Fall sein ? Man wird diesen zweiten suppo- nierten, hoffentlich aber in der Wirklichkeit gar nicht existierenden Chirurgen einfach auslachen. Viel besser als der supponierte C*hirurg hat es Spina auch nicht gemacht. Aber man lacht ihn nicht aus, im Gegenteil, der Redakteur der Wiener med. Presse, der sich doch entschieden für einen Sachverstäiidigen in Bakterienfragen hält, nennt das eine Arbeit ,, ersten Ranges". Die Anwendung der Farblösungen in der Mikroskopie ist im Grunde genommen nichts weiter als eine Manipulation mit chemischen Reagentien und muß nach denselben Grundsätzen wie diese gehandhabt werden. S p i n a s Behandlung oder vielmehr Miß- handlung der Färbimgsmethoden möge ebenfalls an einem Beispiel veranschaulicht werden. Irgendeine Reaktion soll mittels der Lösung eines Metallsalzes vorgenommen werden, nun setzt aber der Laborant nicht die J^ösung zu der zu prüfenden Flüssigkeit, sondern wirft ein Stück ungelöster Substanz in das Gefäß, wundert sich, daß die Re- aktion entweder gar nicht oder unvollkommen eintritt, und behauptet, dal3 die Reaktion falsch sei. Begeht denn aber S p i n a nicht den nämlichen Lapsus, wemi er verlangt, daß die Reagentien in dicke Objekte in kürzester Frist eindringen sollen. Trotzdem wird seine Arbeit als eine ausgezeichnete Leistung des Stricker sehen Laboratoriums, ,,das sich bekanntlich eines Weltrufes erfreut", in der Tagespresse ausposaunt. Doch Scherz beiseite. In der Chirurgie und in der Chemie können solche Mißgriffe über- haupt nicht mehr vorkommen. Aber in der Bakterienlehre finden, wie man sieht, die ungereimtesten Dinge immer noch zahlreiche gläulnge Bewunderer. Es ist das ein recht betrübendes Zeugnis für das geringe Verständnis, welches viele Ärzte für diesen Teil der Wissenschaft besitzen, es beweist, wie verworren noch die Begriffe und wie misicher noch das Urteil über das Richtige und Falsche auf diesem Gebiete sind. 464 Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. In bezug auf die mikroskopischen Untersuchungen S p i n a s komme ich zu dem Urteil, daß er sich für Bakterienuntersuchungen noch nicht die erforderUche Übung und Kenntnis der Methoden angeeignet hat. Seine Leistungen sind mit denen Schmidts, welcher die Fettkristalle im Sputum entdeckte, auf eine Stufe zu stellen. Die ., unerbitt- liche Logik" zwingt mich zu der Behauptung, daß alle Schlußfolgerungen, welche Spina seinen mikroskopischen Untersuchungen über Tuberkelbazillen entnommen hat, keinen Heller wert sind. Spina hat nun weiter versucht, meine Reinkulturen der Tuberkelbazillen und die mit denselben ausgeführten Impfungen zu wiederholen. Diese Versuche sind aller- dings mit erheblich größeren Schwierigkeiten verknüpft als der einfache mikroskopische Nachweis der Tuberkelbazillen, und nach den mikroskopischen Leistungen S p i n a s war wohl nicht viel Gutes zvi erwarten. Aber das, was vuiter S p i n a s Händen daraus geworden ist, hat geradezu ein klägliches Aussehen. Man kann es noch nicht einmal eine Karikatur meiner Versuche nennen. Spina hat mit dem Sterilisieren und mit der weiteren Behandlung des Blutserums kein Glück gehabt. Innerhalb weniger Tage traten, wie er ganz harmlos berichtet, auf der freien Oberfläche seines Blutserums Mikro- kokken und Stäbchen auf, außerdem zeigte das erstarrte Serum schon nach vier Tagen Erscheinungen von Austrocknung. Dies hielt aber Spina nicht ab, mit dem nicht sterilisierten und austrocknenden Serum Kulturversuche anzustellen, und zwar zunächst mit Stückchen von Froschmuskeln. Es entstanden auch einzelne trockne, schuppen- artige, aus ,, kleinen sphäroiden Bakterien" bestehende Kolonien, und Spina glaubt nunmehr dieselben Schüppchen produziert zu haben, wie sie in meinen TuberkelbaziUen- kulturen sich bildeten. Da muß ich Spina denn doch darauf aufmerksam machen, daß ich niemals unsterilisiertes Blutserum zu Reinkulturen verwende. Ferner lasse ich das Blutserum nicht innerhalb weniger Tage vertrocknen, denn die besagten Schüpp- chen bilden sich erst ungefähr vom zehnten Tage der Kultur an oder selbst später, und zwar erscheinen sie zuerst als Pünktchen und wachsen allmählich innerhalb weiterer zehn Tage zu Schüppchen heran, welche ein trockenes Aussehen haben, während die benachbarte Oberfläche des Serums glänzend und feucht ist. Bei der mikroskopischen Untersuchung meiner Tuberkelbazillenkulturen haben sich dieselben niemals anders als aus den in bezug auf Farbenreaktionen und Gestalt charakteristischen Bazillen be- stehend erwiesen. ,, Kleine sphäroide Bakterien" habe ich nie in diesen Kulturen ge- funden. Außerdem ist in meiner Publikation über die Tuberkelbazillenkulturen zu lesen, daß bei einer ungefähr 30- bis 40 fachen Vergrößerung die Bazillenkolonien gegen Ende der ersten Woche als sehr zierliche, spindelförmige und meistens S-förmige oder auch in anderen ähnhchen Figuren gekrümmte Gebilde erscheinen. Andere Bakterien bilden meines Wissens diese eigentümlichen und sehr charakteristischen Formen, von denen in nächster Zeit eine Abbildung veröffentlicht werden soll, nicht. Spina hätte doch seine Schüppchen am Ende der ersten Woche auch auf diese Eigenschaft unter- suchen soUen. Dazu hätten seine mikroskopischen Kenntnisse gewiß ausgereicht, und es ist nicht recht ersichthch, warum er das unterlassen hat. Das war also der erste Versuch S p i n a s zur Kontrolle meiner Angaben über Tuberkelbazillenkulturen. Nun kommt der zweite und letzte. Spina will aus Tuberkel- Icnötchen des Omentum Kulturen erzielen, natürlich wieder mit unsterilisiertem und vertrocknetem Blutserum. Was tut Spina? Er nimmt ein Tuberkelknötchen, pinselt es, um etwaige auf der Oberfläche desselben haftende Fäulnisbakterien zu entfernen, mit einem in Sublimat desinfizierten Pinsel und bringt es dann auf das erstarrte Serum. Das ist doch geradezu haarsträubend. Man begegnet ja in der Bakterienliteratur den wunderlichsten Dingen, aber so etwas ist mir doch noch nicht vorgekommen, daß man Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. 465 einen Gegenstand, um ihn für eine Reinkultur von anhängenden Fäulnisbakterien zu säubern, abpinselt, so etwa, wie man den Staub von einer glatten Fläche wegpinselt, und daß dann noch Sublimat, das intersivste Bakteriengift, auf das Tuberkelknötchen gebracht wird, aus dem Bazillenkolonien wachsen sollen. Ich hatte in meiner Schrift gesagt, daß ich menschliche Liuigen, aus denen ich Material für Kulturen entnehmen wollte, an der Oberfläche mit Sublimat abgewaschen, dann aber die so behandelten oberflächlichen Schichten mit geglühten Instrumenten abgetragen und das Impf- material der Tiefe entnommen habe. Ich hätte es mir nimmermehr träumen lassen, daß jemand diese Angabe so arg miLU^erstehen imd das Impfmaterial selbst mit Sublimat behandeln würde. Was aus den so mit dem Sublimatpinsel bearbeiteten Kulturen ge- worden ist, kann ich wohl mit Schweigen übergehen. In solcher Weise werden also in dem Stricker sehen Laboratorium Reinkulturen gemacht ! Obwohl nun Spina keine Reinkultui-en von Tuberkelbazillen erhielt, auch nie- mals solche gesehen hat, so machte er doch einige Impfungen damit. Zwei Kaninchen wurden mit trockenen Bakterienschüppchen, die S p i n a auf Serumgallerte gezüchtet hatte, subkutan am Rücken geimpft. Das eine Tier starb nach 86 Tagen an Tuberkulose, und zwar, wie aus dem Obduktionsbefund (zwei große käsige Knoten in den Lungen) zu ersehen ist, an Inhalationstuberkulose. Das zweite starb nach 43 Tagen, hatte gesunde Brustorgane, allerdings weißliche Knötchen auf dem Bauchfell und in der Milz, sonst aber keine Erscheinungen der bei Kaninchen so überaus charaktei'istischen Impf tu berkulose . Das ist alles. Meine Experimente waren in etwas anderer W^ise angestellt, und ich kann doch nicht umhin, S )i i a auf die Unterschiede zwischeia seinen und meinen Impfversuchen aufmerksam zu machen, da er den betreffenden Abschnitt meiner Arbeit nicht gelesen zu haben scheint. Ich habe meine Versuche nicht auf zwei Kaniaichen beschränkt, sondern verwendete mehrere himdert Tiere, und zwar verschiedenen Arten angehörige dazu, die nicht allein subkutan, sondern auch in anderer Weise, z. B. von der Bauchhöhle, von der vorderen Augenkammer aus infiziert wurden. Zu jedem Einzel- versuch dienten wenigstens 3 bis 4, öfters 10 Tiere, und außerdem gingen stets Kontroll- versuclie an einem oder zwei Tieren daneben her. Bei Infektionsversuchen, welche die Wirksamkeit der Kulturen erweisen sollten, habe ich die Tiere niemals 86 Tage am Leben gelassen, sondern spätestens am Ende der viei-ten Woche getötet. Denn bekanntlich können Kaninchen, ob sie mit Glas, Holz, Metall usw. oder auch gar nicht geimpft sind, wenn man sie nur lange genug in infiziei-ten Stallungen sitzen läßt, schließlich tuberkulös werden. Auf diese Unterscheidung zwischen Impftuberkulose luid spontaner Tuber- kulose muß ich großen Wert legen. S p i n a mußte, wenn er auch in meiner Arbeit diesen ausdrücklich betonten Punkt übersehen hatte, schon aus den seiner Schrift bei- gegebenen umfangreichen historischen Studien ersehen haben, daß auf die richtige Be- urteilung der spontanen Tuberkulose der Versuchstiere sehr viel ankommt. Um die Besprechung des S p i n a sehen Buches zu vervollständigen, will ich nur noch erwälmen, daß auch die 76 Seiten umfassende historische Einleitung zu vielerlei Ausstellungen Veranlassung gibt. Zur C'harakteristik der Spin a sehen Darstellung will ich nur anführen, daß er aus den Versuchen von 0 o h n h e i m und S a 1 o m o n s e n folgenden Eindruck gewonnen hat: ..Diese Impfversuehe lehren im günstigsten Falle nur, daß die Vorderkammer ein für das Gelingen der Impfversuche ungünstiger Impfort ist." Das genügt wohl. Alles zusammengenommen, hat sich also herausgestellt, daß Spina weder Bak- terien zu mikroskopieren, noch zu kultivieren, noch zu verimpfen versteht. Auf die Koch, Gesammelte Werke. 30 466 Besprechung der gegen die Bedeutung der Tuberkelbazillen gerichteten Publikationen. Lehre von der Bedeutung der Tuberkelbazillen hat seine Arbeit keinen Einfluß. Der einzige Erfolg derselben ist der, daß Spina seine eigene wissenschafthohe Stellung und diejenige des Instituts, in welchem er sich seine Kenntnisse über Bakterien erwarb, und unter dessen Autorität er seine Arbeit publizierte, schwer geschädigt hat. Wenn er diesen Schaden nicht zu einem dauernden werden lassen will, dann bleibt ihm nichts übrig, als seine Bakterienstudien nochmals von neuem zu beginnen, sich die nötigen Vorkenntnisse und Übung an leichteren Aufgaben zu erwerben und schließlich auf Grund einer sachgemäßen experimentellen Bearbeitung der Tuberkulose seine Irrtümer offen und ehr hell einzugestehen. Zum Scliluß dieser kritischen Besprechung sei nochmals darauf hingewiesen, daß der einzige Versuch, meine Arbeit über Tuberkulose in ihrem ganzen Umfange zu kontrollieren, von Spina unternommen ist, aber leider, wie wir gesehen haben, einen höchst imbefriedigenden Ausgang genommen hat. Auch alle übrigen zur Besprechung gelangten gegnerischen Schriften enthalten nichts, was meine Angaben über die Ätiologie der Tuberkulose auch nur im geringsten zu erschüttern vermöchte. Eine angenehme Aufgabe war es für mich nicht, eine so durchweg gehaltlose Literatur zu kritisieren, aber ich konnte mich im Interesse der Sache dieser Verpflichtung nicht entziehen und werde auch ferner diese Last auf mich nehmen, hoffe dann aber einem sorgfältiger be- arbeiteten Material zu begegnen. Die Ätiologie der Tuberkulose.') Von Dr. R. Koch, Geh. Regierungsrat. Eine Reihe von Untersuchunsfen, welche ich in den letzten Jahren über die Ätiologie der Tuberkulose anstellte, haben mich zu Resultaten geführt, über welche zuerst gelegent- lich eines Vortrages in der Physiologischen Gesellschaft zu Berün am 24. März 1882 be- richtet wurde (Berlmer klin. Wochenschr., 1882. Nr. 15). Meine damaligen Mitteilungen konnton sich indessen nur auf die wichtigsten Punkte beschränken, während die eingehend© Beschreibung der Versuche für einen ausführlichen Bericht vorbehalten bleiben mußte. Seitdem ist durch fortgesetzte Untersuchungen noch maiiche Lücke ergänzt, auch einzelnes neu hinzugekommen. Der hierdurch vervollständigte und erweiterte Bericht über meine Arbeiten zur Erforschung der Tuberkuloseätiologie soll im nachstehenden gegeben werden. Die Frage, ob die Tuberkulose eine durch übertragbare Krankheitsstoffe bedingte Krankheit sei, kann auf verschiedene Weise in Angriff genommen werden, und es ist dies auch tatsächlich geschehen. Man hat teils mit Hilfe der khnischen Beobachtung, teils durch anatomische und schließlich durch experimentelle Untersuchungen Gewißheit über das Wesen dieser Krankheit zu gewinnen gesucht. Am unsichersten sind die Resultate gewesen, welche die am Krankenbett gesammel- ten Erfahrungen geliefert haben. Es begegnen zwar jedem einigermaßen beschäftigten Arzte hin und wieder Fälle, in denen er nicht umhin kann, eine Übertragung der Tuber- kulose von einem Menschen auf andere anzunehmen. Dann aber folgen wieder zahlreiche Fälle, in denen jede Infektion ausgeschlossen zu sein scheint. Es ist wiederholt der Versuch gemacht, mit Hilfe des gesammelten klinischen Materials die Ansteckungsfähigkeit der Phthisis zu beweisen, doch niüssen diese Versuche als gescheitert angesehen werden, da es nicht gelungen ist, jener Anschauung Eingang in die Wissenschaft zu verschaffen. Manche Kliniker haben allerdings die Möglichkeit einer Ansteckung nicht aus dem Auge gelassen, aber im großen und ganzen gilt die Phthisis bei den Ärzten als eine von konstitu- tionellen Anomalien ausgehende, nicht infektiöse Krankheit. Einen nicht zu verkennenden Hinweis auf den infektiösen Charakter der Tuberkulose lieferte dagegen die pathologische Anatomie, als Buhl auf den Zusammenhang der Miliartuberkulose mit primären käsigen Herden aufmerksam machte und den Satz auf- stellte, daß die allgemeine Tuberkulose als eine Krankheit aufzufassen sei, welche durch die Resorption eines im primären Käseherd vorhandenen Virus, also gewissermaßen durch Selbstinfektion zustande kommt. Über den Weg, auf welchem das tuberkulöse ') Aus Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsauite, 1.SS4, Bd. II, Berlin. 30* 468 Die Ätiologie der Tuberkulose. Virus sich durch den Körper verbreitet, haben dann ferner die Entdeckungen von P o n - f i c k über die Tuberkulose des Ductus thoracicus und von Weigert über die Venen- tuberkeln bei MiUartuberkulose Aufklärung geschafft. Indessen lassen diese Tatsachen nur auf die Ausbreitung des Tuberkelvirus im Körper selbst schließen, ohne daß daraus die Übertragbarkeit desselben von einem Individuum auf andere, also das, was als eigent- liche Ansteckungsfähigkeit bezeichnet wird, zu folgern wäre. Mit dieser letzteren Frage hat sich dann in der eingehendsten Weise die experi- mentelle Pathologie beschäftigt. Der Gang, welchen die experimentellen Untersuchungen über die Infektiosität der Tuberkulose genommen haben, ist in letzter Zeit mehrfach (s. J o h n e. Die Geschichte der Tuberkulose. Leipzig 1883) in ausführlicher Weise ge- schildert, so daß ich auf die historische Darstellung desselben Verzicht leisten und mich auf einige kurze Bemerkungen über die wichtigsten Abschnitte beschränken kann. Vereinzelte, unvollkommen und negativ ausgefallene Versuche, Tuberkulose künstlich zu erzeugen, sind schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ausgeführt. Die ersten erfolgreichen Experimente rühren von Klencke her, welcher im Jahre 1843 durch Verimpfung von miliaren und von infiltrierten Tuberkeln vom Menschen, und zwar durch Einbringen dieser Massen in die Halsvenen, bei Kaninchen eine weitverbreitete Tuber- kulose der Lungen und Leber erzielte. Klencke muß demnach als der Entdecker der experimentellen Tuberkulose bezeichnet werden. Er hat seine Versuche nicht weiter fortgesetzt, und so gerieten sie fast in Vergessenheit. In planmäßiger und grundlegender Weise wurde indessen die experimentelle Tuberkulose von V i 1 1 e m i n bearbeitet. Er verimpfte nicht allein tuberkulöse Substanzen vom Menschen, sondern auch von der Perl- sucht der Rinder und wies auf experimentellem Wege die Identität von Perlsucht und Tuberkulose nach. i 1 1 e m i n s Untersuchungen schienen durch die Zahl der Experi- mente, durch ihre sorgfältige Ausführung und Vergleichung mit entsprechenden Kontroll- versuchen die Frage zugunsten der Infektions theorie schon entschieden zu haben. Den- noch kamen die zahlreichen Forscher, welche V i 1 1 e m i n s Versuche in der von ihm an- gegebenen oder in modifizierter Weise wiederholten, zu sehr widersprechenden Resultaten. Die Verteidiger der Infektionstheorie, unter denen besonders K 1 e b s zu nennen ist, suchten die experimentelle Technik zu verbessern und von den ihr anhaftenden Fehlern zu befreien ; die Gegner bestrebten sich dagegen den Nachweis zu führen, daß der tuber- kulösen Substanz keine .spezifischen virulenten Eigenschaften zukommen und daß auch mit nicht tuberkulösen Impfstoffen echte Tuberkulose zu erzeugen sei. Zu einer wirk- lichen Entscheidung kam dieser Streit erst durch die von C o h n h e i m und S a 1 o m o n - s e n für diese Untersuchung benutzte Impfung in die vordere Augenkammer von Kanin- chen. Es war ein überaus glücklicher Gedanke, das Kaninchenauge als Impfstelle zu wählen. Es unterscheiden sich hierbei von vornherein die Fälle, in welchen es gelungen ist, die tuberkulöse Substanz zu verimpfen, von denjenigen, wobei zugleich mit dem Tuberkelvirus andere Infektionsstoffe verimpft wurden. Bei der subkutanen Impfung bewirken nämlich derartige Stoffe oft mehr oder weniger ausgebreitete käsige Infiltra- tionen, welche der tuberkulösen Verkäsung nicht unähnlich sind. Im Auge dagegen ver- anlassen sie eine schnell verlaufende allgemeine Entzündung, welche mit der langsam imd eigenartig sich entwickelnden Impftuberkulose des Auges in keinem Falle verwechselt werden kann. Diese Impftuberkulose nimmt, wenn das Experiment gelungen ist, ihren Verlauf so, daß sie dem Blick des Experimentators jederzeit zugänglich ist. Nach einem ziemlich langen Inkubationsstadium entstehen, von dem transplantierten Stückchen tuber- kulöser Substanz ausgehend, einzelne kaum mit bloßem Auge wahrnehmbare graue Knöt- chen in der Iris. Die Zahl der Knötchen nimmt allmählich zu, dieselben wachsen, werden im Zentrum gelblich, verkäsen und zeigen sowohl makroskopisch wie mikroskopisch alle Die Ätiologie der Tuberkulose. 469 typischen Kennzeichen der echten Tuberkelknötchen. Die tuberkulöse Infektion bleibt auch nicht allein auf das Auge beschränkt, sondern sie verbreitet sich später über den gesamten Organismus, ergreift namentlich die benachbarten Lymphdrüsen, die Lungen, Milz, Leber vuid Nieren. Von C o h n h e i m und S a 1 o m o n s e n sowohl, als auch von denjenigen Forschern, welche diese Versuche wiederholt haben, wird ausnahmslos be- richtet, daß eine Iristuberkulose in keinem Falle nach Verimpfung von nicht-tuberkulösen Substanzen eingetreten ist. AuI3erdem ist noch niemals eine spontane Iristuberkulose bei Kaninchen beobachtet. Diese Infektionsmethode ist also allen anderen insofern über- legen, als eine Beeinträchtigung des Experimentes durch unbeabsichtigte Versuchsfehler, wie sie bei der Transplantation in die Bauchhöhle und bei der subkutanen Impfung sich so leicht ereignen können, oder durch eine Verwechselung der künstlichen Tuberkulose mit einer spontan entstandenen vollständig ausgeschlossen ist. Die \'ersuche von C o h n- h e i m und S a 1 o m o n s e n müssen deswegen im Gegensatz zu den früheren Tuberkulose- infektit)nsversuchen als vollständig einwandsfrei gelten, und es ist diu'ch dieselben be- wiesen, daß die verschiedensten tuberkulösen Substanzen einen spezifischen und ein- heitlichen Infektionsstoff enthalten. Von welcher Beschaffenheit dieser Infektionsstoff ist. ob er durch selbständige und mit konstanten Eigenschaften versehene Organismen gebildet wird, welche als Parasiten in den Organismus eindringen und ihn tuberkulös erkranken lassen, oder ob es nur unter gewissen abnormen Bedingungen im Körper und zwar aus seinen eigenen Bestandteilen entstehende Gebilde organisierter oder auch unorganisierter Natur sind, das jnußte vor- läufig unentschieden bleiben. Nach den Resultaten, welche in den letzten Jahren hin- sichtlich der Ätiologie mancher Infektionskrankheiten erhalten waren, erschien es in- dessen nicht ausgeschlossen, daß auch die Ursache der Tuberkulose in irgendwelchen Mikroorganismen zu suchen sei. Um nun hierüber Aufschluß zu erhalten, war es geboten, alle diejenigen Erfahrungen, welche sich bei der Erforschung anderer Infektionskrank- heiten als nützlich ergeben hatten, zu verwerten, und es war derselbe Gang der U^nter- suchung einzuschlagen, welcher sich schon bei anderer Gelegenheit als der zweckmäßigste herausgestellt hatte. Wenn man diese Vorteile sich zuiiutze machen wollte, dann war die Untersuchung in folgender Weise in Angriff zu nehmen. Zunächst war festzustellen, ob in den erkrankten Teilen Formelemente vorkommen, welche nicht zu den Bestand- teilen des Körpers gehören oder aus solchen hervorgegangen sind. Wenn sich solche fremdartigen Gebilde nachweisen ließen, dann war weiter zu untersuchen, ob dieselben organisiert sind und ob sie irgendwelche Anzeichen von selbständigem Leben bieten, wohin besonders eigene Bewegung, mit welcher sehr oft noch die Molekularbewegung verwechselt wird, Wachstum, Vermehrung, Fruchtbildung zu rechnen sind. Ferner waren die Beziehungen zu ihrer LTmgebung. das Verhalten der benachbarten Gewebs- bestandteile, ihre Verteilung im Körper, ihr Auftreten in den verschiedenen Stadien der Krankheit und ähnliche Umstände zu eruieren, welche schon mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen Ge- bilden und der Krankheit schließen lassen. Die auf diesem Wege gewonnenen Tatsachen können möglicherweise schon soviel Beweismaterial liefern, daß nur noch der äußerste Skeptizismus den Einwand erheben kann, daß die gefundenen Mikroorganismen nicht Ursache, sondern nur eine Begleiterscheinung der Krankheit seien. Oft wird dieser Ein- wand allerdings eine gewisse Berechtigung haben, und es gehört deswegen zur vollstän- digen Beweisführung, daß man sich nicht allein damit begnügt, das Zusammentreffen der Krankheit und der Parasiten zu konstatieren, sondern daß außerdem direkt diese Parasiten als die eigentliche Ursache der Krankheit nachgewiesen werden. Dies kann nur in der Weise geschehen, daß die Parasiten von dem erkrankten Organismus vollständig 470 Die Ätiologie der Tuberkulose. abgetrennt und von allen Produkten der Krankheit, welchen etwa ein krankmachender Einfluß zugeschrieben werden könnte, befreit werden, und daß durch Einführung der isolierten Parasiten in den gesunden Organismus die Krankheit mit allen ihren eigen- tümlichen Eigenschaften von neuem hervorgerufen wird. Ein Beispiel möge das eben Gesagte erläutern. Wenn das Blut von an Milzbrand gestorbenen Tieren untersucht wird, so finden sich darin regelmäßig zahlreiche stäbchenförmige, farblose, unbewegliche Gebilde. Man konnte diesen Stäbchen nicht unmittelbar ansehen, daß sie pflanzlicher Natur sind, imd in der Tat wurden sie anfangs vielfach für unbelebte, kristallinische Gebilde gehalten. Erst daraus, daß man dieselben wachsen, Sporen bilden und aus den Sporen wieder von neuem Stäbchen entstehen sah, konnte mit Sicherheit geschlossen werden, daß sie belebt seien und zur Klasse der niedersten Pflanzen gehören. Wenn nun ferner das stäbchen- haltige Blut eines an Milzbrand gestorbenen Tieres in äußerst geringer Menge auf ein anderes Tier verimpft w^rd, dann stirbt dies regelmäßig wieder an Milzbrand, und im Blute des geimpften Tieres finden sich ebenfalls die Stäbchen, die sogenannten Milzbrand- bazillen. Damit ist aber noch nicht bewiesen, daß durch Verimpf üng der Stäbchen die Krankheit übertragen wurde, denn es wurde nicht allein diese, sondern auch noch alle übrigen geformten und ungeformten Bestandteile des Blutes verimpft. Um zu erkennen, ob die Bazillen und nicht irgendwelche anderen Bestandteile des Milzbrandblutes den Milzbrand erzeugen, müssen die Bazillen aus dem Blute isoliert und allein verimpft werden. Die Isolierung der Bazillen läßt sich durch fortgesetzte Reinkulturen am sichersten er- reichen. Es wird zu diesem Zwecke eine geringe Menge von bazillenhaltigem Blut auf einen festen Nährboden gebracht, auf welchem die Bazillen zu wachsen vermögen, z. B. auf Nährgelatine oder auf gekochte Kartoffeln. Daselbst beginnen sie sehr bald sich reichlich zu vermehren, während die übrigen Bestandteile des Blutes, die roten und weißen Blutkörperchen und das Blutserum unverändert bleiben. Nach zwei bis drei Tagen, wenn die Bazillen eine dichte Masse von sporenhaltigen Fäden gebildet haben, wird eine möglichst geringe Menge dieser nicht mehr blutrot, sondern weißlich aussehenden Masse genommen und wiederum auf Nährgelatine oder gekochte Kartoffeln übertragen. Die Bazillen vermehren sich auch jetzt ganz in derselben Weise wie nach der ersten Aussaat und bilden wieder eine dichte weiße Decke auf der Kartoffel, und schon in dieser zweiten Umzüchtung wird die sorgfältigste Untersuchung mit dem Mikroskop kaum noch Spuren von den übrigen Bestandteilen des Blutes erkennen lassen. In gleicher Weise werden die Übertragungen ferner fortgesetzt. Nach der dritten oder vierten kann man die Bazillen schon als befreit von den ursprünglich zugleich mit ihnen ausgesäten Blutbestandteilen ansehen. Werden nun die Umzüchtungen noch bis zur zwanzigsten oder fünfzigsten oder selbst noch weiter geführt, dann ist wohl mit aller nur denkbaren Gewißheit anzunehmen, daß den Bazillen nicht das geringste von den Krankheitsprodukten des Körpers mehr anhaftet. Auch in ihrem Innern können sie etwas Derartiges nicht mehr bergen; denn die zuerst ausgesäten Bazillen sind ebenfalls nicht mehr vorhanden und ihre in vielen Generationen entstandenen Nachkommen haben die zum Aufbau erforderlichen Stoffe ihrem Nährboden, der Kartoffel, entnommen. Die in dieser Weise rein gezüchteten Milzbrandbazillen haben demnach mit dem erkrankten Organismus, aus dessen Blut die' erste Aussaat stammte, und mit den Krankheitsprodukten, welche dem tierischen Stoffwechsel angehören, keinerlei Beziehungen mehr. Trotzdem erzeugen sie, sobald sie einem gesunden Tiere eingeimpft werden, sofort wieder tödhchen Milzbrand. Das geimpfte Tier erkrankt ebenso schnell und unter denselben Symptomen, als wenn es mit frischem Milzbrandblut geimpft oder an spontanem Milzbrand erkrankt wäre, und in seinem Blute erscheinen ebenso wie beim natürlichen Milzbrand zahllose Bazillen, welche die nämUchen Eigenschaften wie die bekannten Milzbrandbazülen haben. Diesen Tatsachen gegenüber Die Ätiologie der Tuberkulose. 471 gibt es keine andere Erklärung, als daß die Milzbrandbazilleii nicht etwa eine Begleit- erscheinung des Milzbrandes, sondern die eigentliche Ursache dieser Krankheit sind. Nun bietet der Milzbrand nicht immer dasselbe klinische Bild, er tritt bei den verschie- denen Tierspezies in verschiedener Torrn auf; beim Menschen kann er unter den Sym- ptomen einer Allgemeininfektion ohne hervortretende lokale Störungen verlaufen, oder er kann rein lokal bleiben und sich auf eine bestimmte Stelle der äußeren Haut, auf den Darm, auf den Kehlkopf beschränken. Trotzdem müssen wir auch in diesen Fällen, wenn an den erkrankten Stellen die charakteristischen Bazillen gefunden werden, diese als die Erkrankungsursache ansprechen; denn ihre pathogenen Eigenschaften sind uns bekannt und wir können uns deswegen nicht wohl vorstellen, daß sie Inden Geweben des- selben Organismus das eine Mal harmlose Schmarotzer und das andere Mal krankheits- erregende Parasiten abgeben. Diese Schlußfolgerungen sind so unabweislich, daß sie wohl von niemandem mehr bestritten werden vmd daß in der Wissenschaft allgemein die Milzbrandbazillen als die Ursache sowohl des gewöhnlichen typischen Milzbrandes, wie er bei unseren Haustieren vorkommt, als auch der klinisch davon abweichenden, beim Menschen auftretenden Formen angesehen werden. Den soeben skizzierten Gang, welchen die Beweisführung für die parasitische Natur des Milzbrandes mit Erfolg genommen hat, und die sich aus den hierbei erhaltenen Resul- taten mit Notwendigkeit ergebenden Folgerungen habe ich auch meinen Untersuchungen über die Ätiologie der Tuberkulose zugrunde gelegt. Dieselben hatten sich demnach zuerst mit dem Nachweis pathogener Organismen, dann mit deren Isolierung und schließ- lich mit ihrer Verimj^fung zu beschäftigen. Ich gehe nunmehr zur Schilderung dieser einzelnen Abschnitte der Untersuchung über. I. Der Nachweis pathogener Organismen in den tuberkulös veränderten Organen und in den Absonderungen der letzteren. Pathogene Organismen, welche die Größe der Milzbrandbazillen besitzen und wie diese in erheblicher Anzahl im Blute auftreten, oder solche, welche wie die Rekurrens- spirochaeten durch ihre eigentümlichen Bewegungen in die Augen fallen, bieten der Unter- suchung keine erheblichen Schwierigkeiten und der Nachweis solcher Mikroorganismen gelingt mit Hilfe der gewöhnüclien optischen Hilfsmittel. Anders gestalten sich aber die Verhältnisse, wenn sehr kleine und in spärlicher Zahl vorhandene pathogene Bakterien innerhalb der Gewebe nachzuweisen sind, namentlich wenn Anhäufungen und Zerfall von Zellen an den betreffenden Stellen eingetreten sind, was fast immer der Fall ist. Dann ist es notwendig, alle die feineren technischen Hilfsmittel der Mikroskopie, wie besondere Methoden der Präparation und differenzierender Färbungen, zur Anwendung zu bringen und mit den besten optischen Apparaten, Ölimmersionssystemen und A b b e - schem Beleuchtungsapparat, die Untersuchungen vorzunehmen. Auch in betreff der Tuberkulose war zu erwarten, daß etwa vorhandene pathogene Organismen dem Auffinden ganz besondere Schwierigkeiten bereiten würden, da schon vielfach nach denselben gesucht war, ohne daß bis dahin Vertrauen erweckende Befunde zur Kenntnis gelangten.. Ich begann meine Untersuchungen mit solchen Objekten, in denen der Infektionsstoff mit Sicherheit zu erwarten war, wie z. B. in frisch entwickelten, noch grauen Tuberkeln der Lunge von Tieren, welche drei bis vier Wochen nach der Impfung getötet waren. Aus solchen in Alkohol gehärteten Lungen wurden Schnitte angefertigt und nach den für den Bakteriennachweis bewährtesten Methoden untersucht. Auch wurden graue Tuberkel zerquetscht, auf Deckgläsern ausgebreitet, getrocknet 472 Die Ätiologie der Tuberkulose. und dann auf das Vorhandensein von Mikroorganismen geprüft. Alle Bemühungen, in diesen Präparaten Bakterien oder andere Mikroorganismen aufzufinden, blieben ohne Erfolg. Da sich bei früheren Versuchen, die Bakterien möglichst kräftig und von dem umgebenden Gewebe differenziert zu färben, herausgestellt hatte, daß der Zusatz von Alkalien zu den Farblösungen in gewissen Fällen wesentliche Vorteile bietet, so wurde auch dieses Verfahren angewendet. Von den gebräuchlichen Anilinfarben verträgt das Methylenblau den reichlichsten Zusatz von Alkalien, weswegen gerade dieser Farbstoff gewählt wurde und zu einer wäßrigen Lösung desselben so viel Kalilauge hinzugefügt wurde, daß kein Niederschlag entstand und die Flüssigkeit eben noch klar blieb. Zur Herstellung dieser Mischung wurde 1 ccm einer konzentrierten alkoholischen Methylen- blaulösung mit 200 ccm destilüerten Wassers gemengt, umgeschüttelt und unter wieder- holtem Schütteln noch 0,2 ccm von 10% Kalilauge zugesetzt. Als mit dieser Farblösung Deckglaspräparate 24 Stunden hindurch behandelt wurden, zeigten sich in der Tuberkel- masse zum ersten Male sehr feine stäbchenartige Gebilde, welche, wie die weiteren Unter- suchungen ergaben, sich vermehren und Sporen bilden können, also zu derselben Gruppe von Organismen wie die Milzbrandbazillen gehören. In Schnittpräparaten war es ungleich schwieriger, diese Bazillen zwischen den dichtgehäuften Kernen und Detritusmassen zu erkennen, und es wurde deswegen nach dem Vorgange von Weigert, welchem es gelungen war, die Milzbrandbazillen in einer anderen Farbe als die sie umgebenden Gewebsbestandteile zu färben, versucht, durch ähnhche differenzierende Farbreaktionen die Tuberkelbazillen deutlicher sichtbar zu machen. Diese Absicht wurde denn auch durch Anwendung von einer konzentrierten wäßrigen Vesuvinlösung erreicht, mit welcher die blau gefärbten Deckglas- und Schnittpräparate so lange behandelt wurden, bis sie dem bloßen Auge rein braungefärbt erschienen. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigte sich daim., daß nur die vorher blaugefärbten Zellkerne und deren Zerfallsprodukte die braune Farbe angenommen hatten, daß aber die Tuberkelbazillen schön blaugefärbt geblieben waren und sich infolgedessen sehr deutlich von ihrer Umgebung abhoben, so daß sie selbst in dichtgehäuften Kernmas.sen gut zu erkennen waren. Bei Anwendung von Methylenblau in der eben beschriebenen Weise färben sich indessen die Bazillen nicht sehr intensiv und es erfordert eine gewisse Übung, um sie überall in tuberkulösen Objekten nachzuweisen. Ein anderes Verfahren, welches den Bazillen eine sehr kräftige Färbung verleiht, verdanken wir Ehrlich. Ich benutze dasselbe jetzt ausschließlich und empfehle es dringend allen, welche ihre »Studien über die Tuberkelbazillen beginnen. Das Ehrlich- sche Färbungsverfahren hat später manche unwesentliche Modifikationen, zum Teil auch Verbesserungen erfahren. Zu letzteren möchte ich das von Weigert festgestellte Mischungsverhältnis der Lösungen und die von Rindfleisch empfohlene Abkürzung der Färbung durch Erwärmen der Farblösung rechnen. Wenn ich die Art und Weise, in welcher ich das Ehrlich sehe Verfahren anwende, möglichst genau beschreibe, so bin ich durchaus nicht der Meinung, daß die von mir befolgte Modifikation die beste sei und daß nicht mit anderen Modifikationen des Verfahrens ebenso gute Resultate zu erzielen sind. Aber das Färben der Tuberkelbazillen scheint immer noch vielen Forschern Schwie- rigkeiten zu bereiten und aus diesem Grunde kann es gewiß nicht überflüssig erscheinen, wenn hier eine möglichst genaue Vorschrift der Färbungsmethode gegeben wird. Zur Herstellung der Farblösung sind Anilinwasser und gesättigte alkoholische Lösiingen von Methyl violett (wohl zu unterscheiden von Methylenblau) oder Fuchsin erforderlich. Das Anilinwasser wird in der Weise bereitet, daß von reinem Anilin, einer ölartigen, anfangs farblosen, später braun werdenden Flüssigkeit, etwa 5 ccm in 100 ccm destillierten Wassers gegossen und diese Mischung wiederholt umgeschüttelt wird. Es Die Ätiologie der Tuberkulose. 473- lösen sich dann im Wasser 3 — 4% vom Anilin und der Rest bleibt in Form von dicken Tropfen am Boden des Gefäßes. Nachdem sich so eine gesättigte Lösung von Anilin in Wasser gebildet hat, was nach ungefähr einer halben Stunde der Fall ist. wird dieses Anilin Wasser durch ein vorher angefeuchtetes Filter filtriert, um es von dem Rest des ungelösten Anilins zu trennen. Das Filtrat muß wasserklar und farblos sein, auch dürfen in demselben keine Tröpfchen von Anilin suspendiert sein. Sollten letztere das Filter passiert haben, dann ist die Flüssigkeit noch einmal zu filtrieren. Das Anilin wasser hält sich nicht und muß jedesmal frisch bereitet werden. Das zweite Ingredienz der Farblösung, die gesättigte alkoholische Lösung von Methylviolett, erhält man, indem eine nicht zu geringe Menge (20 g) von trockenem Methylviolett in einem gut schließenden Glasgefäß mit 100 — 150 ccm absoluten Alkohols Übergossen und mehrfach umgeschüttelt wird. Nach tagelangem Stehen muß am Boden des Gefäßes immer noch ungelöstes Methylviolett liegen, welches natürlich durch späteres Nachfüllen von Alkohol allmählich auch in Lösung gebracht und verwertet werden kann. Wenn an Stelle des Methylviolett das Fuchsin, welches für Dauerpräparate gewisse Vorteile zu bieten scheint, benutzt werden soll, dann verfährt man ebenfalls in der eben beschriebenen Weise. Nunmehr werden die alkoholische Methylviolettlösung und das Anilinwasser ge- mischt, und zwar kommen nach der von Weigert angegebenen Vorschrift auf 100 ccm Anilinwasser 11 ccm Methylviolettlösung. Ich setze dieser Mischung noch 10 ccm abso- luten Alkohol hinzu, weil ich gefunden habe. dal3 sich dann die Farlilösung in einem gut verschlossenen Glase etwa 10 Tage lang brauchbar erhält und nicht jedesmal vor dem Gebrauch filtriert zu werden braucht. Die Präparate, welche auf Tuberkelbazillen untersucht werden sollen, sind in folgender Weise herzustellen. Deckgläser werden durch Spülen in Salpetersäure und Reinigen mit Alkohol von anhängendem Fett und ähnlichen Verunreinigungen, welche das Haften der zu unter- suchenden Substanz störend beeinflussen können, befreit. Alsdann ist die Substanz in einer möglichst dünnen Schicht auf dem Deckglas auszubreiten. Am leichtesten gelingt diese Prozedur, wenn es sich um das Ausbreiten von weichen käsigen Massen handelt; dieselben können mit einem Skalpell oder einer Nadel gleichmäßig und dünn ausgestrichen werden. Festere, bröcklige, käsige Massen müssen mit dem Skalpell sorgfältig zerdrückt und durch wiederholtes Ausstreichen auf dem Deckglas verteilt werden. Noch schwieriger ist es, ein Tuberkelknötchen, welches eine derbe Konsistenz besitzt, zu präparieren. Es muß vollständig zerquetscht und auf dem Deckglas zerdrückt werden. Auch die Präpara- tion der Deckgläser mit Sputum erfordert eine besondere Technik. Man darf sicli nicht darauf beschränken, irgendein behebiges Schleimflöckchen aus dem Sputum zu ent- nehmen, da das Sputum nicht allein aus dem Sekret der erkrankten Lungenpartien, sondern außerdem aus Bronchialsekret, Speichel. Mund- und Nasenschleim besteht. Es ist deswegen erforderlich, nur diejenigen Teile des Sputums zu untersuchen, welche von der erkrankten Lunge abgesondert sind, also die zusammengeballten, gelblichen Klumpen, welche oft nur vereinzelt in der schaumigen, schleimigen Flüssigkeit schwimmen, oft allerdings auch den größten Teil des Sputums bilden. Aus diesen gelblichen, äußerst zähen Massen wird mit dem Skalpell, nachdem ein solcher Ballen an den Rand des Glases gezogen ist, ein Stückchen abgelöst, aus der Flüssigkeit heraus- und an der Innenwand des Glases emporgezogen. Hier läßt es sieht leicht weiter zerteilen und in beliebig großen Partikelchen abnehmen, um es auf das Deckglas zu übertragen. Auf letzterem wird es mit dem Skalpell recht gleichmäßig und dünn ausgestrichen und der etwa vorhandene Überschuß nach einer Ecke des Deckglases gebracht und von da mit Fließpapier entfernt. 474 Die Ätiologie der Tuberkulose. Nachdem das Deckglas in dieser Weise präpariert ist, läßt man die auf demselben ausgebreitete Schicht vollkommen trocken werden. Erst wenn dies geschehen ist, wird das Deckglas vorübergehend erhitzt, um die Schicht für wäßrige Flüssigkeiten, mit denen sie nunmehr in Berührung gebracht wird, unlöslich zu machen. Das Erhitzen kann in der Weise geschehen, daß das Deckglas in einen auf 110^ erhitzten Trockenkasten 20 Mi- nuten lang gebracht wird, oder man faßt das Deckglas mit einer Pinzette und zieht es einige Male, und zwar nicht zu schnell, durch eine Gas- oder Spiritusflamme. Die präparierte Schicht des Deckglases ist hierbei nach oben gerichtet und wird also nicht unmittelbar von der Flamme berührt. Daß bei einem derartigen vorsichtigen Erhitzen die Formen der Bakterien, Zellen usw., welche sich in der Schicht befinden, nicht im geringsten geändert werden, davon kann man sich durch folgendes Experiment überzeugen. Von mehreren mit einer angetrockneten Schicht versehenen Deckgläsern wird das erste gar nicht erhitzt, das zweite wird einmal durch die Flamme gezogen, das dritte zweimal usw. Wenn die Deckgläser darauf mit Farblösungen behandelt werden, stellt sich heraus, daß die Färbung der Zellkerne und Bakterien auf den nicht erhitzten und den einmal bis viermal durch die Flamme gezogenen Deckgläsern keinen Unterschied zeigt. Auch die Formen bleiben unverändert. Wird das Erhitzen aber weiter getrieben und die Deck- gläser noch öfter durch die Flamme gezogen, dann verlieren die Bakterien allmählich die Fähigkeit, die Farbstoffe aufzunehmen, während die Zellkerne sich noch nach sehr inten- siver Erhitzung färben lassen. Bei den gar nicht erhitzten Deckgläsern löst sich die Schicht mehr oder weniger, oft ganz ab, auch bilden sich aus den in Lösung gehenden Eiweißkörpern mit den Farbstoffen Niederschläge, welche die Schicht bedecken und das Unterscheiden feiner Bakterien sehr erschweren und selbst unmöglich machen können. Bessere Resultate geben schon die ein- oder zweimal durch die Flamme gezogenen Deck- gläser, die besten aber die dreimal durch die Flamme gezogenen. Auf diesen letzteren haftet die Schicht gleichmäßig, die Eiweißkörper sind unlöslich oder doch so schwer löslich geworden, daß sich keine Niederschläge mehr bilden; auch färben sich Bakterien und Zellkerne gleichmäßig intensiv, während die Zwischensubstanz gänzHch oder doch fast ganz ungefärbt bleibt. Ich verfahre deswegen immer in der Weise, daß ich die Deck- gläser, nachdem die auf ihnen ausgebreitete Schicht vollkommen trocken geworden ist, was immer innerhalb weniger Minuten geschehen ist, dreimal in einem mäßig schnellen Tempo durch die Flamme eines Bunsenbrenners ziehe. Nach dem Erhitzen wird das Deckglas auf die in einem Uhrglas oder flachen Schäl- chen befindliche Farblösung so gelegt, daß es, mit der Schicht nach unten, auf der Flüssig- keit schwimmt. Es ist darauf zu achten, daß nicht Luftblasen unter dem Deckglas hängen bleiben, weil sonst an diesen Stellen die Schicht nicht benetzt und also auch nicht gefärbt wird. Wenn nunmehr die Farblösung über einer Flamme soweit erhitzt wird, daß sie eben anfängt Blasen zu werfen, und man sie nach einmaligem Aufsieden noch etwa 10 Minuten mit dem Deckglas in Berührung läßt, dann erhält man eine ausreichend kräf- tige Färbung. Bessere Resultate werden indessen erzielt, wenn das Deckglas auf der nicht erhitzten Lösung mehrere Stunden lang schwimmt. In allen schwierigen Fällen, wenn es .sich um den Nachweis vereinzelter Bazillen handelt, empfiehlt es sich, das Deck- glas 12 Stunden und länger in der Farblösung zu lassen. Sollen Gewebsschnitte auf Tuberkelbazillen untersucht werden, so müssen nicht zu große Stücke der betreffenden Organe in absolutem Alkohol gut gehärtet werden. Andere Härtungsmethoden erschweren oder verhindern selbst die Färbung der Bazillen. Die Schnitte brauchen nicht sehr dünn zu sein, weil bei der Doppelfärbung auch in ziemlich dicken Schnitten noch einzelne Bazillen mit aller DeutliT-hkeit zu unter- scheiden sind. Doch ist es zweckmäßig, große Schnitte anzufertigen, weil die Ver- Die Ätiologie der Tuberkulose. 475 teihmg der Bazillen oft eine sehr ungleichmäßige ist und es deswegen vorkommen kann, daß in kleinen Schnitten keine Bazillen angetroffen werden. Die Benutzung des Mikrotoms bei der Herstellung der Schnitte ist aus diesem Grunde wohl kaum zu entbehren. Die Schnitte werden unmittelbar in die Farblösung gelegt und bleiben in derselben mindestens 12 Stunden. Sie können sogar ohne Nachteil mehrere Tage darin sein. Die Schnitte sowohl wie die dem Deckglas anhaftende Schicht sehen, wenn sie nach der angegebenen Zeit aus der Farblösung genommen werden, dunkelblau, fast schwarzblau aus. In diesem Zustande sind alle Gewebsteile fast gleichmäßig dunkel- gefärbt und es ist kaum möglich, die gröberen Strukturen zu erkennen. Um die Präparate für die mikroskopische Untersuchung geeignet zu machen, muß ein großer Teil des Farb- stoffes wieder entfernt werden. Dies kann in verschiedener Weise bewerkstelligt werden. Bei dem von mir ursprünglich benutzten Verfahren der Färbung mit alkalischer Meth\'len- blaulösung hatte ich gefunden, daß die blaue Färbung der Gewebsbestandteile durch Be- handlmig mit Vesuvinlösung verdrängt werden kann. Dasselbe läßt sich nun auch an den Präparaten, welche nach dem Ehrlich sehen Verfahren gefärbt sind, ausführen. Wenn dieselben in Wasser abgespült und dann in eine konzentrierte wäßrige Vesuvinlösung gebracht, darin öfters hin und her bewegt und schließlich in Alkohol übertragen werden, dann gelingt es, die dunkelblaue Färbung fast vollständig zu verdrängen. Schneller und vollständiger werden indessen die Präparate nach dem Vorgange von E h r 1 i c h durch Behandlung mit verdünnter Salpetersäure entfärbt. Daß dieselbe auch durch andei'e Anilinfarbstoffe, wie z. B. durch das erwähnte Vesuvin, zu bewerkstelligen ist, habe ich hier nur aus dem Grunde angeführt, weil von vielen die Wirkung der Salpetersäure irrtümlich für etwas Spezifisches gehalten wird, was schon deswegen nicht der Fall ist, weil auch andere Säuren ähnlich wirken. Gewöhnlich wird zum Entfärben der Präparate Salpetersäure gebraucht, welche mit 2 Teilen Wasser verdünnt ist. Eine so starke Konzentration der Säure ist indessen nicht unumgänglich notwendig und ich wende in neuerer Zeit eine mit o — 4 Teilen Wasser verdünnte Säure an. VielJeicht wird man in der Verdünnung noch weiter gehen können. Wohl zu beachten ist, daß die Salpetersäure frei von salpetriger Säure ist. Wenn ich von einem Entfärben der Präparate durch Salpetersäure gesprochen habe, so bin ich der Beschreibung gefolgt, welche E h r 1 i c h von seinem Verfahren gegeben hat. Bei der Behandlung der Deckglaspräparate mit Salpetersäure trifft diese Bezeicli- nung, wenn die Präparate wenig intensiv gefärbt sind, auch zu; nach einer stärkeren Färbung, welche erheblich bessere und zuverlässigere Resultate gibt, entfärbt dagegen die Salpetersäure die gefärbte Schicht innerhalb weniger Minuten schon nicht mehr vollständig, und Schnittpräparate, welche, wie besonders hervorgehoben wurde, eine längere Zeit hindurch und sehr intensiv gefärbt werden müssen behalten nach der Sal- petersäurebehandlung stets noch eine ziemlich dunkle Färbung. Der Ausdruck ., Ent- färben" ist hier also nicht wörtlich zu verstehen. Das Mißlingen der Bazillenfärbung scheint in den meisten Fällen gerade darin seinen Grund geliabt zu haben, daß man meinte, die Präparate müßten nach der Behandlung mit Salpetersäure ganz farblos sein, und daß dieselben, um dies zu erreichen, teils zu wenig gefärbt, teils zu lange in der Säure gelassen wurden. Wenn Schnittpräparate 12 Stunden in der Farblösung gelegen haben und nunmehr in die Salpetersäure gebracht werden, so verlieren sie ihre schwarzblaue Farbe in wenigen Sekunden und nehmen ein grünlich-blaues Aussehen an. Bringt man sie dann in destil- liertes Wasser, dann verändert sich sofort der Farbenton ; er wird wieder erheblich dunkler und geht in Blau mit violettem Stich über. Die Salpetersäure hat also einen Farbstoff in dem Präparat gelassen, welcher in Wasser unlöslich ist und in Verbindimg mit Wasser 476 Die Ätiologie der Tuberkulose. einen dunkleren Ton annimmt. Daß dieser Rest von Farbstoff auch in der Salpetersäure sehr wenig löslich ist, geht daraus hervor, daI3 beim nochmaligen Eintauchen der Schnitte in die Säure ilare Farbe wieder grünlich-blau, aber nicht blasser als beim erstmaligen Behandeln mit der Säure wird, und daß sie auch beim nochmaligen Spülen mit Wasser wieder die frühere dunkle Färbung annehmen. Ich schließe hieraus, daß ein längeres Verweilen der Präparate in der Säure von keinem Vorteil für die weitere Entfärbung ist und lasse sie deswegen nur wenige Sekunden, höchstens eine halbe Minute in derselben. Dagegen habe ich gefunden, daß der von der Salpetersäure in den Präparaten zurück- gelassene Rest von Farbstoff in Alkohol von 60 bis 70% löslich ist, wenn die Präparate unmittelbar aus der Säure in den Alkohol übertragen werden. Längeres Verweilen der Präparate in Wasser scheint den Farbstoff schließlich auch für Alkohol unlöslich zu machen und es ist deswegen zweckmäßig, die Präparate nach der Behandlung mit Säure nicht in Wasser zu spülen, sondern sofort in den Alkohol zu bringen. Das von mir befolgte Verfahren der Entfärbung gestaltet sich also folgendermaßen : Die Präparate werden mit Hilfe eines Platindrahtes, welcher in einen Glasstab eingeschmol- zen ist, aus der Farblösung gehoben und in die mit 3 — 4 Teilen Wasser verdünnte Salpeter- säure gelegt. In dieser werden sie einige Sekunden hin und her bewegt, bis sie eine grünlich- blaue Färbung angenommen haben, und dann sofort in eine Schale mit 60% Alkohol gebracht. Im Alkohol bleiben sie auch nur etwa 10 — 15 Minuten, um darauf die sogleich zu beschreibende Nachfärbung zu erhalten. In den mit Salpetersäure und Alkohol behandelten Präparaten sind die Gewebs- bestandteile gänzlich farblos oder besitzen nur noch einen geringen bläulichen Farbenton, während die Tuberkelbazillen eine intensiv blaue Farbe beibehalten haben. Die Lagerungs- verhältnisse der Bazillen zu ihrer L^mgebung sind bei einer solchen Beschaffenheit der Präparate kaum festzustellen. Auch ist es sehr schwierig, einzelne Bazillen in dem Gewebe, dessen Struktur durch die besondere Art der später zu erwähnenden Beleuchtung so gut wie vollkommen unsichtbar gemacht wird, aufzufinden, und es ist aus diesem Grunde notwendig, dem Gewebe nachträglich wieder eine Kernfärbung zu geben. Um hierbei einen möglichst auffälligen Kontrast zwischen der Färbung der Bazillen und der Zellkerne zu erhalten, wird zur Nachfärbung, wenn die Bazillen blau gefärbt sind, ein gelber oder hellbrauner Farbstoff, und wenn sie rot gefärbt sind, ein grüner oder blauer gewählt. Für den ersten Fall eignet sich am besten Vesuvin, für den zweiten Methylenblau. Beide Farbstoffe dürfen jedoch nur in schwachen Lösungen und nicht zu lange Zeit einwirken, damit nur eben hinreichend deutliche Kernfärbung eintritt und nicht etwa vereinzelte Bazillen durch zu dunkel gefärbte Kernmassen verdeckt werden. Ich benutze zur Nach- färbung eine wäßrige, frisch filtrierte Vesuvinlösung, welche in einer Schicht von 2 cm Tiefe noch eben durchsichtig ist. Auf diese werden die entfärbten Deckglaspräparate so gelegt, daß sie mit der präparierten Schicht nach unten gerichtet schwimmen. Schnitt- präparate bleiben einige Minuten darin. Es ist nicht erforderlich, daß die Schnittpräparate, wenn sie aus dem Alkohol in die Vesuvinlösung gebracht werden, schon vollkommen farblos .sind, weil sie später zur Entwässerung noch weiter mit Alkohol behandelt werden müssen und dann noch den letzten Rest des etwa zurückgebliebenen blauen Farbstoffes hergeben. Aus der Vesuvinlösung überträgt man die Präparate wieder in 60% Alkohol und aus diesem in absoluten Alkohol. Die weitere Behandlung ist die bekannte, nur ist zu empfehlen, zum Aufhellen der Präparate nicht Nelkenöl, sondern Terpentinöl oder noch besser Zedernöl zu nehmen, welches die Anilinfarben nicht aus den Präparaten auszieht. In bezug auf den Einschluß in Kanadabalsam habe ich noch darauf aufmerksam zu machen, daß ein mit Terpentinöl verdünnter Balsam am besten geeignet zu sein scheint. Sehr Die Ätiologie der Tviberkulose. 477 dickflüssiger Balsam, welcher erwärmt werden muß, um das Präparat, einlegen zu können, darf nicht gebraiicht werden, weil beim Erwärmen gewöhnlich die Tuberkelbazillen schnell entfärbt werden. Deckglaspräparate können sofort nach dem Abspülen der Vesuvinlösung mit Wasser untersucht werden oder man läßt sie wieder trocknen und legt sie ebenfalls in Kanadabalsam ein. Für die Untersuchung des Sputums auf Tuberkelbazillen kann über- haupt die Nachfärbung in der Regel entbehrt werden, so daß die mikroskopische Unter- suchung solcher Sputumpräparate sofort der Behaiidlung derselben mit Salpetersäure und Alkohol folgt. Der Übersichtlichkeit wegen will ich das ganze Färbungsverfahren hier nochmals kurz rekapitulieren : Deckglaspräparate in möglichst dünner Schicht getrocknet, n a c h dem Trocknen dreimal in der Flamme erhitzt. Schnittpräparate von Objekten, Avelche in Alkohol g u t gehärtet sind. Färben mit einer Lösung, bestehend aus: 100 ccm Anilinwasser, 11 ccm alkoholischer Methylviolettlösung (oder Fuchsin), 10 ccm absoluten Alkohol. Die Präparate bleiben mindestens 12 Stunden in der Farblösung (die Fär- bung der Deckgläser kann durch Erwärmeii der Lösung abgekürzt werden). Behandeln der Präparate mit verdünnter ( 1 : 3) Salpetersäure einige Se- kunden lang. Spülen in 60% Alkohol während einiger Minuten (für Deckgläser genügt mehrmaliges Hin- und Herbewegen im Alkohol). Nachfärben in verdünnter Vesuvinlösung (oder ^Methylenblau) einige Minuten lang. Nochmaliges Spülen in 60% Alkohol, .Entwässern in absolutem Alkohol, Aufhellen in Zedernöl. Mikroskopische Untersuchung des Präparats. Einlegen des Präparats in Kanadabalsam, wenn dasselbe konserviert werden soll. Was nun die mikroskopische Untersuchung der in dieser Weise hergestellten Prä- parate anlangt, so gilt für dieselben alles das, was ich bei früheren Gelegenheiten^) über das Mikroskopieren gefärbter Objekte gesagt habe. Auch in diesem Falle sollen nicht Strukturverhältnisse, welche sieh durch das verschiedene Liclitbrechungsvermögen der einzelnen Gewebsbestandteile zu erkennen geben, bestimmt werden, sondern es kommt ganz allein darauf an. die verschiedenen Farbenverhältnisse der mikroskopischen Objekte, also Absorptionsbilder, möglichst rein und scharf zu sehen. Das hierbei nur störend wirkende Strukturbild muß deswegen beseitigt werden, was, wie ich gezeigt habe, am vollkommensten mit Hilfe des bekannten Abbe sehen Beleuchtungsapparates geschieht. Die eigentümliche Beleuchtung, welche dieser Apparat gewährt, wenn er ohne Abbiendung benutzt wird, vertragen jedoch nicht alle Linsensysteme. Letztere müssen besonders mit Rücksicht auf diese Art der Beleuchtung konstruiert sein. Einen je größeren Öffnungs- winkel ein System besitzt, um so besser ist es für die Beobachtung der Absorptionsbilder mit Hilfe des Abbe sehen Beleuchtungsapparates geeignet. Aus diesem Grunde sind für die LTjitersuchung gefärbter Objekte Ölimmersionssysteme die am meisten leistungsfähigen. Die Deckglaspi-äparate müssen, wenn sie richtig hergestellt sind, eine so dünne Schicht besitzen, daß das Strukturbild nur von einer einfachen Lage von Objekten ge- Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten. Leipzig 1878, p. 31i'f. (siehe diese Werke p. 77ff. ). — Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1881, Bd. I, p. 9 (siehe diese Werke ]i. 120 ff.). 478 Die Ätiologie der Tuberkulose. bildet wird und an und für sich wenig zur Geltung kommt. Diese Präparate können deswegen auch einfach in Wasser untersucht werden und im Notfall genügt ein Wasser- immersionssystem für dieselben, wenn durch einen Kondensor das Gesichtsfeld hinreichend aufgehellt wird. Bei Schnittpräparaten ist es dagegen unmöglich, das durch viele über- einandergeschichtete Lagen von Gewebsteilen erzeugte Strukturbild zu beseitigen, wenn nicht das Präparat in stark hchtbrechende Flüssigkeit gelegt wird, um die Brechungs- unterschiede des Gewebes wegzuschaffen, und wenn nicht die volle Beleuchtung des Abbe sehen Apparates zur Geltung kommt und auch vollständig durch den großen Öffnungswinkel eines Ölsystems ausgenutzt wird. Leicht wird man sich von der Not- wendigkeit der als unerläßlich notwendig bezeichneten optischen Hilfsmittel überzeugen, wenn man stufenweise einen vorschriftsmäßig gefärbten Schnitt zuerst so untersucht, daß sich derselbe in Wasser befindet und mit einem Trockensystem oder Wasserimmer- sionssystem und verhältnismäßig enger Blende mikroskopiert wird. Feine Farbenunter- schiede, also kleine gefärbte Bakterien, sind unter diesen Bedingungen in einigermaßen kernreichen Geweben so gut wie gar nicht zu unterscheiden. Auch das Einlegen des Sclmittes in Glyzerin ändert hieran noch fast nichts, weil die Brechungsunterschiede der Gewebsbestandteile durch das Glyzerin nicht hinreichend und auch viel zu langsam ausgeglichen werden. Eine merkliche Verbesserung bewirkt schon das Aufhellen des Schnittes durch stark lichtbrechende Flüssigkeiten, wie Nelkenöl, Zedernöl usw. ; denn das Aufhellen beruht eben nur in dem mehr oder weniger weit getriebenen Auslöschen des Strukturbildes. Aber auch diese Verbesserung genügt noch nicht, um die Farben- bilder in voller Klarheit und Schärfe erscheinen zu lassen. Nur die von allen Seiten eindringende Lichtmenge des Abbe sehen Beleuchtungsapparates und das Ölsystem vermögen diese Aufgabe zu erfüllen. Wem es also nur darum zu tun ist, Deckglasprä- parate zu untersuchen, ohne daß es auf vollkommene Sicherheit des Befundes ankommt, für den wird sich ein Mikroskop mit Wasserimmersionssystem und ohne Beleuchtungs- apparat zur Not ausreichend erweisen. Trockensysteme sind für Bakterienuntersuchungen überhaupt nicht zu gebrauchen. Sobald aber zuverlässige Untersuchungen über feinere Bakterien angestellt werden sollen, oder wenn man sich gar ein selbständiges L^rteil über die neueren Resultate der Bakterienforschung erwerben will, dann ist dies nur mit Be- nutzung der besten optischen Hilfsmittel, also mit Ölimmersionssystemen und Abbe- schem Beleuchtungsapparat zu ermöglichen. In betreff der Vergrößerungen, welche für die Untersuchung von Tuberkelbazillen in Anwendung gebracht werden müssen, will ich noch bemerken, daß 500 — 700 fache Vergrößerungen die zweckmäßigsten sind und daß dieselben am besten mit einem Ölsystem Zoll und den entsprechenden Okularen erreicht werden. Bei der Anwendung des im vorhergehenden beschriebenen Färbungsverfahrens ver- halten sich die Gewebsbestandteile des Körpers fast sämtlich abweichend von den Tuberkel- bazillen. Während letztere trotz der Behandlung mit Salpetersäure, Alkohol und Vesuvin ihre ursprünglich angenommene dunkelblaue Färbung beibehalten, verlieren, wie schon erwähnt wurde, die übrigen tierischen Gewebe die blaue Farbe wieder und es werden bei der Nachfärbung die Kerne der Zellen sowie die Zerfallsprodukte der letzteren, ferner die Körnchen der Plasmazellen braungefärbt. Eine Ausnahme hiervon machen nur die verhornten Gewebsbestandteile, wie Haare und Epidermis, welche ebenfalls mehr oder weniger blaugefärbt bleiben. Da in letzteren Tuberkelbazillen wohl kaum zu suchen seüa dürften, so wird das Auffinden der Bazillen in den Geweben durch ihr charakteristi- sches Verhalten gegen Anilinfarbstoffe ungemein erleichtert. Selbst in den dichtesten Kernanhäufungen und inmitten von zerfallenen Zellen, welche oft alle möglichen Gestalten, von kleinsten Pünktchen und raikrokokkenähnlichen Gebilden bis zu länglichen, stäb- Die Ätiologie der Tuberkulose. 479 chenähnlichen Formen, annehmen und dadurch Bakterienansammlungen vortäuschen können, lassen sich noch mit absoluter Sicherheit einzelne Tuberkelbazillen durch die dunkelblaue Farbe unterscheiden, welche in der braungefärbten Umgebung und durch die Lichtabsorption des braunen Grundes als fast schwarzgefärbte Stäbchen erscheinen. Diese merkwürdige Verschiedenheit in der Farbenreaktion bezieht sich jedoch, wie immer wieder betont werden muß, nur auf das hier beschriebene Färbungsverfahren. Schon eine andere Vorbereitung der Objekte als die hier zur Bedingung gemachte schnelle und gute Alkoholhärtung der Organe scheint andere Vei'hältnisse herbeizuführen. Denn während gewöhnlich die Körnchen der Plasmazellen sich ebenso verhalten wie die Zellen- kerne und eine den Tuberkelbazillen entgegengesetzte Färbung zeigen, habe ich neulich ein von Herrn Dr. Bend a, Assistenten am Pathologischen Iiistitut in Göttingen, an- gefertigtes Präparat gesellen, in welchem Tuberkelbazillen nicht aufzufinden waren, da- gegen die Körnchen der Plasmazellen blau gefärbt erschienen. Vermutlich hatte in diesem Falle das Objekt, von welchem der Schnitt angefertigt war, eine Behandlung mit Chrom- säure erfahren oder war nicht schnell genug in iVlkohol gehärtet worden. Dem Nachweis der Tiiljerkelbazillen kommt der Zufall aber ferner noch insofern zu Hilfe, als nicht allein die Gewebsbestandteile eine entgegengesetzte Färbung annehmen.- sondern a\ich alle übrigen, mir bis jetzt bekannt gewordenen und daraufhin untersuchten Bakterien, mit Ausnahme der später zu erwähnenden Leprabazillen, ebenfalls in ent- gegengesetzter W eise wie die Tuberkelbazillen auf das Ehrlich sehe Färbungsver- fahren reagieren. Schon dem phthisischen Sputum sind fast regelmäßig aus der Mund- höhle stammende Bakterien beigemengt. Ich habe niemals gesehen, daß eine dieser zahlreichen Bakterienarten dieselbe Farbenreaktion zeigt wie die Tuberkelbazillen. Von vielen zuverlässigen Forschern ist diese Beobachtung bestätigt und kann wohl als fest- stehende Tatsache angesehen werden. Dasselbe gilt von den im Darminhalt beim Vor- handensein von tuberkulösen Geschwüren vorkommenden Tuberkelbazillen. Wenn der- artige Ausleerungen auf dem Deckglase in vorschriftsmäßiger Weise präpariert und gefärbt werden, dann scheinen sie fast ganz aus Bakterien zu bestehen : in solchen dichten Massen erfüllen letztere die Schicht. Aber sie färben sich sämtlich in entgegengesetzter Weise wie die Tuberkelbazillen und besonders ist dies bei den kleineren Bazillenarten, welche etwa zur Verwechselung mit den Tuberkelbazillen führen könnten, der Fall. Ein eigentüm- liches Verhalten zeigt eine große Bazillenart, welche ziemlich große ovale, endständige Sporen bildet, indem ihre Sporen oft eine deutlich ausgespiochene. mitunter sogar eine intensive blaue Farbe behalten, während die Substanz des Bazillus selbst braun gefärbt wird. Allem Anscheine nach färben sich diese Sporen nur kurze Zeit nach ihrem Entstehen, bleiben aber ungefärbt , sobald sie älter sind. In der Figur 23 auf Tafel XXIV sind bei a einige solcher Sporen abgebildet, unter denen die dunkler blaugefärbten höchstwahrscheinlich die jungen Sporen vorstellen. Unter den vielen Sporen des Darminhaltes, welche anderen Bazillenarten angehören, wurden bislang keine gefunden, welche ebenfalls die Färbung der TuberkelbaziUen annehmen. Auch die Sporen der Milzbrandbazillen, Heubazillen und noch anderer, welche Dr. G a f f k y auf meine Veranlassung in bezug auf diese Farben- reaktion prüfte, blieben ungefärbt. Dagegen fand Dr. G a f f k y bei dieser Gelegenheit, daß die Sporen der Schimmelpilze stark blaugefärbt werden. Auch scheint eine bestimmte Hefenart die Färbung anzunehmen. Da eine Verwechselung der Tuberkelbazillen mit den erwähnten Sporen und Hefe unmöglich ist, wird ihre Diagnose, soweit sie auf der Farbenreaktion beruht, hierdurch nicht beeinträchtigt. In neuerer Zeit habe ich noch vielfach bakterienhaltige Substanzen, wie faulendes Fleischinfus, in Zersetzung begriffenen Urin, ebensolches Blut, Milch, faulende Pflanzen- aufgüsse, Schlamm aus Sümpfen. Berhner Rieseljauche u. dgl. m. mit dem E h r lieh- 480 Die Ätiologie der Tuberkulose. sehen Färbungsverfahren geprüft, aber niemals Bakterien gefunden, welche dieselbe Farbenreaktion annehmen wie die Tuberkelbazillen. Ich muß deswegen alle Behauptun- gen von dem Vorkommen von Bakterien, welche sich tinktoriell ebenso wie die Tuberkel- bazillen verhalten und im Sputum, Faulflüssigkeiten, Darminhalt gesunder Menschen, Sumpf schlämm gefunden sein sollen, für irrtümlich und auf einer fehlerhaften Anwendung des Färbungsverfahrens beruhend halten. Zu dieser Annahme fühle ich mich um so mehr berechtigt, als ich fast täglich Beispiele sehe, welche Schwierigkeiten den meisten die Ausübung der allerdings etwas komplizierten Färbungstechnik bereitet. Außer den Tuberkelbazillen ist bis jetzt nur eine einzige Bakterienart bekannt, welche sich in gleicher Weise wie die Tuberkelbazillen färbt. Es sind dies, wie ich schon in meiner ersten IVIitteilung erwähnt habe, die Leprabazillen. Diese Tatsache ist um so bemerkenswerter, als nicht allein die der Tuberkulose und der Lepra angehörigen Para- siten in vielfacher Beziehung ähnlich und offenbar nahe verwandt sind, sondern bekannt- lich auch jene beiden Krankheiten selbst anatomisch sowohl als ätiologisch sich sehr nahe stehen. Vollkommen decken sich allerdings die tinktoriellen Eigenschaften der beiden Bazillenarten nicht. Denn wenn auch die Leprabazillen mit demselben Färbungsverfahren gefärbt werden können wie die Tuberkelbazillen, so ist das Umgekehrte doch nicht der Fall. Erstere nehmen bekanntlich, wie zuerst N e i ß e r nachgewiesen hat, die Wei- gert sehe Kernfärbung an, was letztere nicht tun. So sehr sich also die beiden Bazillen auch in Gestalt, Größe usw. ähnlich sind, so würde man, sobald es auf eine diagnostische LTnterscheidung derselben ankommt, durch das verschiedene Verhalten gegen die Wei- gert sehe Kernfärbung eine jede der beiden Bazillenarten mit Leichtigkeit als solche diagnostizieren können. Das Beispiel der Leprabazillen lehrt schon, daß die Tuberkelbazillen keineswegs eine ganz exzeptionelle Stellung in bezug auf ihr Verhalten gegen Farbstoffe einnehmen; es ist deswegen auch nicht unwahrscheinlich, daß im Laufe der Zeit doch noch weitere Bakterienarten gefunden werden, welche dieselben oder ähnliche tinktorielle Eigenschaften besitzen Avie die Tuberkelbazillen. Irgendeinen Einfluß auf die Auffassung von der ätiologischen Bedeutung der Tuberkelbazillen würde ein solcher Befund indessen nicht ausüben. Denn die besondere Reaktion gegen Farbstoffe ist doch nicht die einzige spezi- fische Eigenschaft der Tuberkelbazillen; sie besitzen im Gegenteil, wie wir später sehen werden, auch in biologischer Beziehung eine Reihe von anderen Eigentümlichkeiten, welche viel triftigere Gründe abgeben, sie als eine spezifische Art von den übrigen be- kannten Bakterien zu trennen. Bei allen derartigen Erwägungen ist es sehr zweckmäßig, sich in Erinnerung zu bringen, wie die gleichen Verhältnisse bei Milzbrand liegen. Man wird dann sehen, daß die MilzbrandbaziUen keine spezifischen tinktoriellen Eigenschaften besitzen und trotzdem, wie jetzt allgemein anerkannt wird, Bakterien einer bestimmten Art sind und die Ursache des Milzbrandes bilden. Genau dasselbe könnte auch für die Tuberkelbazillen zutreffen, wenn sie sich zufällig durch die Fa^benreaktion nicht von anderen Bakterien unterscheiden würden. Wenn letzteres dennoch tatsächlich der Fall ist, so ist es immerhin von dia- gnostischem Wert, aber es ist ein grober Irrtum, wenn man meinen wollte, daß mit der spezifischen Farbenreaktion der Tuberkelbazillen ihre ätiologische Bedeutung steht und fällt. Es erscheint mir ferner nicht unwahrscheinlich, daß demnächst noch weitere Ver- fahren aufgefunden werden, vermittels welcher die Tuberkelbazillen gefärbt werden können. Die Ehrlich sehe Färbungsmethode hat bereits vielfache Modifikationen erfahren, von denen in theoretischer Hinsicht am bemerkenswertesten die von Z i e h 1 gefundenen Tatsachen sind, daß das Anilin durch andere Substanzen, wie Phenol, Resorzin Die Ätiologie der Tuberliulose. 481 usw. ersetzt werden kann. Die Angaben einiger Autoi-en. daß die Tuberkelbazillen auch mit reinem Fuch.sin zu färben seien, scheinen gleichfalls darauf hinzudeuten, daß noch andere Wege existieren, auf denen die Färbung gelingen kann. Die diagnostische Bedeu- tung der Ehrlich sehen Färbungsmethode leidet keine.swegs darunter, wenn etwa andere Vei'fahren, welche keinen exklusiven Charakter haben, gefunden werden. Denn das bleibt trotz alledem als eine hinreichend festgestellte Tatsache bestehen, daß bei strikter Befolgung des Ehrlich sehen Verfahrens sich die Tuberkelbazillen in einer ihnen ganz eigentümlichen Weise verhalten und dadurch von allen bis jetzt bekannten Bakterien zu unterscheiden smd. Das Verfahren hat damit den Wert einer chemischen Reaktion, welche die Unterscheidung von schwierig zu trennenden Substanzen ermöglicht, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie genau nach der angegebenen Vorschrift ange- wendet wird. Von besonderem Interesse würde es sein, den Bazillen eine braune oder gelbe Färbung erteilen zu können, weil es nur unter dieser Bedingung zu erreichen sein würde, brauchbare Photogramme der Tuberkelbazillen zu erhalten. In letzter Zeit ist es mir mit Hilfe einer vorhergehenden Behandlung der Präparate mit einer sehr schwachen Kalilösung (^'^o^/oo) allerdings gelungen, die Tuberkelbazillen ziemlich intensiv braun zu färben, doch entsprechen die Präparate noch nicht den Anforderungen, welche an dieselben zu stellen sind, wenn sie photographiert werden sollen. Hoffentlich gelingt es noch, auch diese Schwierigkeit zu überwinden. Aber vorläufig habe ich auf photographische Abbil- dungen verzichten müssen, so sehr ich auch gewünscht hätte, durch Photogramme einen zuverlässigen Vergleich zwischen den Form- und Größenverhältnissen der Tuberkel- bazillen und anderer ähnlicher Bazillen zu ermöglichen. Als ein weiterer Mangel, welcher der Tuberkelbazillenfärbung noch anhaftet, ist die geringe Haltbarkeit der Präparate zu erwähnen. Nach kürzerer oder längerer Zeit beginnt in den mit Kanadabalsam eingeschlossenen Präparaten die Farbe der Bazillen an Intensität abzunehmen, ganz allmählich werden sie immer unscheinbarer und verschwin- den schließlich vollständig. Am schnellsten scheinen die mit Methylviolett und Gentiana- violett gefärbten Präparate zu verblassen, denn in einigen Fällen war die Farbe der Bazillen schon nach 2 Tagen wieder verschwunden. Sehr viel länger halten sich die mit Fuchsin gefärbten Präparate, ebenso auch die mit alkalischer Methylenblaulösung ge- färbten. Woran es liegt, daß die Färbung so wenig haltbar ist, während dieselben Farben sich bei der Färbung anderer Bakterien als Jahre hindurch unveränderlich erwiesen haben, vermag ich nicht zu sagen. Aber aus dem Umstand. dal3 sieh unter einer großen Reihe von Präparaten doch einzelne gefunden haben, welche die Färbung fast ein Jahr lang vollkommen unverändert bewahrt haben, muß ich schließen, daß irgendwelche Bedin- gungen vorhanden sein und auch zu finden sein müssen, welche die Haltbarkeit der Präparate ermöglichen werden. Übrigens sind die Präparate, nachdem sie verblaßt sind, dadurch nicht ganz un- brauchbar geworden, da sie sich mit geringer Mühe von neuem färben lassen. Man ver- flüssigt den Kanadabalsam durch Erwärmen, hebt den Schnitt mit einem Pinsel vorsichtig auf und überträgt ihn in Terpentinöl. Nach 24 Stunden wnd er in absoluten All^ohol ge- legt und nach weiteren 24 Stunden in die Farblösung, um das ganze Färbungsverfahren nochmals durchzumachen. Die Tuberkelbazillen nehmen die blaue Farbe ebenso intensiv wie bei der ersten Färbung an, die Umgebung erscheint dagegen nicht so schön und rein gefärbt wie früher. Eine zuverlässige Erklärung für das von anderen Bakterien abweichende Verhalten der Tuberkelbazillen gegenüber den Farbstoffen zu finden, erscheint mir wegen der un- zureichenden Kenntnisse vom feineren Bau der Bakterien und von ihrer chemischen Konstitution vorläufig unmöglich. Manche Gründe sprechen dafür, daß die Tuberkel- Koch, Oesammelte Werke. 31 482 Die Ätiologie der Tuberkulose. bazillen in ähnliclier Weise, wie dies bereits von anderen Bakterien bekannt ist, von einer Hüllsiibstanz umgeben sind, welche sich tinktoriell etwas anders verhält als die Inhalts- masse. So erscheinen die mit Methylenblau gefärbten Bazillen dünner als die mit Methyl- violett oder Fuchsin gefärbten. Auch sieht man in den Kulturen, in denen die Bazillen dicht aneinandergedrängt liegen, die mit Methylviolett gefärbten Bazillen sich berühren, die mit Methylenblau gefärbten und dünn erscheinenden Bazillen durch deutliche Zwischen- räume voneinander getrennt. Ferner verschwindet die Färbung der intensiv mit Methyl- violett gefärbten Bazillen beim Verblassen nicht gleichmäßig, sondern es verblaßt zuerst eine äußere Schicht, so daß von dem dicken Bazillus ein dünnerer, immer noch intensiv gefärbter Faden übrigbleibt, welcher ungefähr die Dicke des mit Methylenblau gefärbten Bazillus besitzt. Schließlich spricht auch das feste Zusammenkleben der Bazillen in den Kulturen für das Vorhandensein einer einhüllenden Kittsubstanz. Es ist deswegen wohl denkbar, daß eine die Bazillen umkleidende, mit besonderen Eigenschaften ausgerüstete Hülle existiert und daß diese das Eindringen der Farbstoffe unter gleichzeitiger Einwir- kung von Alkalien, Anilin imd ähnlichen Stoffen gestattet, für Säuren dagegen mehr oder weniger undurchgänglich ist. Weiter als bis zu Vermutungen wird man an der Hand der bis jetzt vorliegenden Tatsachen jedoch nicht gehen können. Wenn ich nunmehr zur Beschreibung der Tuberkelbazillen selbst übergehe, so erscheint es, obwohl sie zuerst mit Hilfe von Farbstoffen sichtbar gemacht wurden, den- noch sachgemäß, zunächst ihre Eigenschaften zu schildern, wie sie sich in lebendem Zu- stande, und ohne daß sie von irgendwelchen Reagentien beeinflußt sind, zu erkennen geben. Um Präparate für diese Art der Beobachtung zu gewinnen, sind nur solche tuber- kulöse Substanzen verwendbar, welche bedeutende Mengen von Bazillen enthalten, weil vereinzelte Bazillen in den Detritusmassen ohne Hilfe der Farbenreaktionen nicht mit Sicherheit zu unterscheiden sind. Zu diesem Zweck habe ich frische Tuberkelknötchen der Lungen von Meerschweinchen benutzt, nachdem ich mich durch die Färbung von ihrem reichen Gehalt an Tuberkelbazillen überzeugt hatte. Die Knötchen wurden in einem Tropfen von bakterienfreiem Blutserum zerquetscht, die Substanz möghchst fein in der Flüssigkeit verteilt, ein für die mikroskopische Untersuchung ausreichendes Tröpf- chen dieser Flüssigkeit an der unteren Seite eines Deckglases flach ausgebreitet und auf einem hohlen Objektträger mit Vaseline befestigt, um störende Strömungen in der Flüssig- keit und eine zu schnelle Verdunstung derselben zu vermeiden. In einem so hergestellten Präparat finden sich bei der in gewöhnlicher Weise, also bei entsprechender Abbiendung des Lichtes durch Diaphragmen, stattfindenden mikroskopischen Untersuchung zwischen undurchsichtigen Haufen von unbestimmbaren Kömchen hellere Stellen, in denen die geformten Elemente weniger dicht liegen und hier bemerkt man zahlreiche farblose, sehr feine und kurze Stäbchen. Dieselben sind meistens in kleinen Gruppen vereinigt; an den einzeln liegenden Stäbchen ist außer der sogenannten Molekularbewegung keine Eigenbewegung zu bemerken. Die Länge der Stäbchen beträgt ungefähr ein Viertel bis zur Hälfte vom Durchmesser eines roten Blutkörperchens. Eine Gliederung ist an ihnen nicht wahrnehmbar, auch lassen sich ihre Beziehungen zu den umgebenden Zellen bei dieser Art der Untersuchung nicht erkennen und man würde, wenn keine weiteren Beobachtungen angestellt werden könnten, eher irgendwelche leblose Gebilde als Bakterien vor sich zu haben glauben. Wird ein solches Deckglas von dem hohlgeschliffenen Objektträger abgehoben, so daß die bazillenhaltige Substanz eintrocknet, und wird dasselbe alsdann in der früher beschriebenen Weise doppelt gefärbt, dann erscheinen die zahlreichen Körnchen und Überreste von Zellen braungefärbt, die Stäbchen dagegen behalten eine intensiv blaue Färbung und unterscheiden sich hierdurch scharf von allen bekannten Bestandteilen des Die Ätiologie der Tuljerkulose. 483 tierischen Gewebes, mit welchem sie untermengt sind. Nach geschehener Färbung zeigen sich die Bazillen auch erst in ihrer vollen Zahl; sie sind nicht allein an den dünnsten Stellen des Präparates, sondern überall, selbst mitten zwischen dichten Zellenliaufen mit voller Sicherheit zu unterscheiden. Bemerkenswert ist noch, daß die Stäbchen nach der Färbiuig dünner erscheinen als im ungefärbten Zustande, was darin seinen Grund hat, daß sie vor der Färbung bei abgeblendetem Lichte betrachtet werden müssen, wobei die an den Rändern des Objektes auftretenden Interferenzlinien den Durchmesser des- selben scheinbar vergrößern, während die Untersuchung der gefärbten Bazillen im vollen, von allen Seiten her einfallenden Licht geschieht, wodurch alle Interferenzerscheinungen ausgeschlossen werden. In gleicher Weise würde man durch Ausbreitung der auf ihren Gehalt an Tubei'kel- bazillen zu prüfenden Substanz auf dem Deckglas und durch Färbung derselben die ver- schiedensten Objekte untersuchen können. Doch erfährt man hierdvu-ch nicht viel mehr, als daß Bazillen in irgendeinem Gewebe oder in einer Flüssigkeit überhaupt vorhanden und in welcher Menge sie vorhanden sind. Ihre Lagerung und ihre Beziehungen zu den umgebenden Geweben läßt sich auf diesem Wege wenigstens gar nicht bestimmen. Die Untersuchung auf dem Deckglas ist deswegen für Flüssigkeiten wohl ausreichend, für Gewebe kann sie indessen nur einen vorläufigen, orientierenden Charakter haben, während nur die LTntersuchung der von gehärteten Teilen angefertigten Schnitte eine maßgebende Auskunft über das Vorkommen und die Verbreitung der Bazillen in den tuberkulös ver- änderten Organen gibt. Um nun zu erfahren, ob die Bazillen regelmäßige Begleiter der Tuberkulose sind, habe ich ein möglichst umfangreiches Material daraufhin untersucht. Letzteres ei'hielt ich zum größten Teil durch Herrn Dr. F r i e d 1 ä n d e r, welcher mir auf meine Bitte das reiche Material des städtischen Krankenhauses im Friedrichshain in bereitwilligster Weise zugänglich machte, und durch den Direktor des städtischen Krankenhauses in Moabit, Herr Di-. G u t t m a n n , welcher mir gleichfalls eine Reihe von Tuberkulose- fällen zur Untersuchung überließ. Beiden Herren für die Unterstützung, welche sie meiner Arbeit hierdurch zuteil w(U'di'n ließen, meinen Dank auch an dieser Stelle auszusprechen, ist mir eine angenehme Pflicht. In der nachfolgenden Beschreibung der bei diesen Untersuchungen gewonnenen Resultate muß ich der Übersichtlichkeit wegen von einer historischen Aufzählung der einzelnen Fälle in der Reihenfolge, wie sie der Zufall mir in die Hand führte, verzichten und werde ich sie nach den üblichen anatomischen Gesichtspunkten gruppiert besprechen. Bevor ich mich jedocli hieizu wende, habe ich noch einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken. Wenn ein Tuberkelknötchen ohne Anwendung von Kernfärbung und nicht mit dem diffusen Licht des Abbe sehen Beleuchtungsapparates in Schnittpräparaten untersuclit wird, dann erscheint es als ein aus dicht zusammengedrängten zelhgen Elementen zusam- mengesetzter und deswegen wenig durchsichtiger Körper. Sobald das Tuberkelknötchen im Zentrum verkäst, dann verwandeln sich die Zellen in eine mehr oder weniger fein- körnige, fast undurchsichtige Masse; in welcher feine Details nicht zu unterscheiden smd. Aber ein hiervon durchaus verschiedenes Bild des Tuberkels wird erhalten, wenn die Schnittpräparate in stark lichtbrechende Medien eingelegt und. die Untersuchung nach geschehener Kernfärbung und l)ei diffuser Beleuchtung vorgenommen wird. Die jüngsten Tuberkelknoten erweisen sich dann ebenfalls aus Anhäufungen von gefärbten Kernen bestehend. Doch liegen die Kerne nicht so dicht gedrängt, daß nicht ein Schnitt von gewöhnlicher Dicke immer noch durchsichtig genug erscheint, um selbst die feinsten in den Räumen zwischen den Kernen vorkommenden Formelemente gut luiterscheiden zu 31* 484 Die Ätiologie der Tuberkulose. können. Ganz verändert erscheinen aber in dem Präparat die käsigen Zentren der Tuber- kelknötchen: dieselben sehen, weil daselbst die Zellen abgestorben sind und keine Kern- färbung mehr annehmen, fast ungefärbt und vollkommen durchsichtig aus, nur hin und wieder finden sich in denselben die Reste von zerfallenden Kernen in Form von gefärbten Körnchengruppen, welche allerdings stellenweise ziemlich dichtgedrängt sein können, aber auch dann noch die Unterscheidung aller einzelnen Formelemente gestatten. In derselben Weise verhalten sich größere käsige Herde. Die käsige Substanz selbst ist durch das Präparationsverfahren vollkommen durchsichtig geworden und zeigt nur einen leicht graugelben Farbenton, von vereinzelten braunen Körnchen oder Körnchengruppen unterbrochen. Jeder einzelne Tuberkelbazillus ist mit Leichtigkeit darin zu unterscheiden. Die Vorstellungen, welche gewöhnlich von dem mikroskopischen Bilde des Tuberkels und tuberkulös veränderter Gewebe gelten, sind also den eben geschilderten Verhältnissen entsprechend zu modifizieren, wenn es sich um die Untersuchung oder bildliche Reproduk- tion von Präparaten handelt, welche mit Kernfärbung versehen und diffus beleuchtet sind. Über die Eigenschaften der Tuberkelbazillen im allgemeinen, wie sie sich im ge- färbten Zustande ergeben, ist noch folgendes zu erwähnen. Sie erscheinen stets in Form von Stäbchen, deren Länge, wie schon bei der Beschreibung der ungefärbten Bazillen angegeben wurde, einem Viertel bis der Hälfte vom Durchmesser eines roten Blutkörper- chens gleichkommt (ungefähr 0,0015 — 0,0035 mm). So schwankend die Länge der Bazillen sich verhält, ebenso konstant ist ihr Dickendurchmesser, vorausgesetzt, daß ein und dieselbe Färbungsmethode zur Verwendung kommt. Bei dem von mir anfangs befolgten Färbungsverfahren mit alkalischer Methylen blaulösung erscheinen sie erheblich dünner als bei Anwendung des Ehrlich sehen Verfahrens. Es ist schwierig, die geringen Größen- verhältnisse, um welche es sich hier handelt, ohne Zuhilfenahme der Photographie zu fixieren. Wenn ich eine größere Anzahl meiner Bakterienphotogratnme auf Bazillen, welche den Tuberkelbazillen am meisten in ihren Größenverhältnissen entsprechen, durchsehe, dann finden sich unter den in F. Cohns Beiträgen zur Biologie der Pflanzen, II. Bd., 3. Heft gegebenen Photogrammen auf Tafel XV, Nr. 1*) zwischen keulenförmigen Bazillen mit endständigen Sporen sehr dünne und kleine Bazillen, welche, wenn die ^"ergrößerung des Photogramms anstatt von 500 mal auf 700 mal angenommen würde, den Tuberkelbazillen am nächsten kommen. Es finden sich unter diesen Bazillen auch sporenhaltige, welche ungefähr eine Vorstellung von den später zu erwähnenden sporen- haltigen Tuberkelbazillen geben können . Auch die in diesen Mitteilungen , Band I auf Tafel VII, Fig. 41**), photographierten Bazillen der Mäusesepticämie sind fast ebenso dick, wie die Tuberkelbazillen, aber durchschnittlich etwas kürzer als diese^). Die Tuberkelbazillen sind indessen gewöhnlich nicht vollkommen gerade Stäbchen, meistens findet man an ihnen leichte Knickungen oder Biegungen und oft auch eine geringe Krümmung, welche an den längsten Exemplaren selbst bis zu den ersten Andeu- tungen von schraubenförmiger Drehung gehen kann. Durch diese Abweichung von der *) Diese Werke Tafel II, Nr. 9. — **) Diese Werke Tafel XII, Fig. 41. ' ) In meiner ersten Mitteilung über die Tuberkelbazillen hatte ich es nur als unwahrschein- lich bezeichnen können, daß Aufrecht, welcher seiner Angabe nach schon früher stäbchenförmige Körper in den Tuberkeln gesehen hatte, auch die wirklichen Tuberkelbazillen vor sich gehabt habe. Gelegentlich des ersten medizinischen Kongresses in Wiesbaden hatte ich Gelegenheit, ein von Aufrecht vorgelegtes, direkt mit Fuchsin gefärbtes Präparat zu sehen, welches die von ihm als Tuberkelbazillen bezeichneten Bazillen enthielt. Diese Bazillen entsprachen in Länge und Dicke fast den Milzbrandbazillen. Wenn man die erwähnten Photogramme mit denjenigen von Milzbrandbazillen, z. B. die Figur 41 auf Tafel VIT (diese Werke XII) des ersten Bandes dieser Mitteilungen mit Figur 29, Tafel V ( diese Werke X) vergleicht, dann kann es keinem Zweifel mehr unterliegen, daß Aufrecht die wirklichen Tuberkelbazillen früher überhaupt nicht gesehen hat. Die Ätiologie der Tuberkulose. 485 gradlinigen Form unterscheiden sieh die Tuberkelbazillen von anderen Bakterien, welche wie die auf den Photogrammen bezeichneten ihnen in den Größenverhältnissen sehr nahe kommen, in bemerkenswerter Weise. Die Verteilung der Bazillen in den tuberkulös veränderten Geweben ist eine sehr wechselnde. Mitunter sind sie in dichten Massen zusammengehäuft, so daß schon bei einer schwachen Vergrößerung die bazillenhaltigen Stellen an ihrer blauen Färbung zu erkennen sind. Sehr häufig aber sind sie nur in geringer Zahl vorhanden. Am sichersten trifft man die* Bazillen dort an, wo der tuberkulöse Prozeß im ersten Entstehen oder im schnellen Fortschreiten begriffen ist. Hier sind sie anfangs in mäßiger Zahl und zwischen den Kernen der angesammelten und gewöhnlieh schon sehr frühzeitig den epithehoiden Charakter zeigenden Zellen zu finden. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich dann, daß ein Bazillus fast regelmäßig unmittelbar neben einem Kern liegt und daß er sich im Innern der zu diesem Kern gehörigen Zelle befindet. Oft kann eine Zelle auch zwei und selbst drei Bazillen enthalten. An etwas weiter vorgeschrittenen Stellen nimmt die Zahl der Bazillen gewöhnlich außerordentlich zu. Sie gruppieren sich dann vielfach zu kleinen, dicht aneinandergedrängten Haufen, in denen die Bazillen parallel angeordnet und so eng verbunden sind, daß es oft schwierig ist, die Zusammensetzung der Gruppe aus ein- zelnen Bazillen noch zu unterscheiden. In dieser Anordnung haben die Tuberkelbazillen eine große Ähnlichkeit mit den meistens in solcher Weise gruppierten Leprabazillen. Das Verhältnis der Tuberkelbazillen zu den Zellen läßt sich in diesem Stadium nicht mehr bestimmen, weil die Zellen schon weitgehende Veränderungen erfahren haben und im Absterben begriffen sind. Ihre Kerne beginnen zu zerfallen und sich in unregelmäßig gestaltete Körnchen von sehr wechselnder Größe zu verwandeln. Allmählich werden auch diese spärlicher imd es bleibt eine gleichmäßige Masse übrig, welche keine Kern- färbung mehr annimmt und in welcher alle in-sprünglich vorhandenen Zellen abgestorben sind. Diese Masse bildet das, was man früher als das Wesentliche des Tuberkels, als den Träger des Infektionsstoffes angesehen hat, nämlich das käsige Zentrvim desselben. An Tuberkelbazillen ist diese käsige Substanz aber in der Regel sehr arm. Nur wenn das Absterben der Zellen und ihre Umwandlung in die kernlose käsige Masse sehr schnell vor sich gegangen ist, sind die Bazillen noch eine Zeitlang in größeren Massen sichtbar. Sie behalten offenbar die Fähigkeit, den Farbstoff zu fixieren, länger als die unter ihrem Einfluß zugrunde gehenden Zellen. Aber sehr bald gehen auch die Bazillen weitere Ver- änderungen ein, sie sterben entweder ebenfalls ab oder sie gehen in den Zustand der Sporen- bildung über, bei welchem sie allmählich ihre Färbbarkeit einbüßen. Es bleiben in letzterem Falle nur ihre Sporen in der Käsesubstanz zurück, und da es bis jetzt keine Mittel gibt, die Sporen der Tuberkelbazillen in irgendeiner Weise zu färben, so verrät sich ihre An- wesenheit nach dem Verschwinden der Bazillen nur durch die infektiösen Eigenschaften der käsigen Substanz, in welche sie eingebettet sind. Bei der Bedeutung, welche man früher und irrtümlicherweise auch noch in allerletzter Zeit den käsigen Produkten des tuberkulösen Prozesses beigemessen hat, darf es nicht überflüssig erscheinen, wenn noch- mals mit allem Nachdruck auf die Tatsache hingewiesen wird, daß bei sämtlichen tuber- kulösen Affektionen zuerst die Tuberkelbazillen erscheinen, welchen sich Ansammlungen von Zellen unmittelbar anschließen, und daß das Absterben dieser Zellen und die hieraus resultierende käsige Veränderung ein sekundärer Prozeß ist. Die noch vielfach herrschende Meinung, daß das Verhältnis zwischen Tuberkelbazillen und Verkäsung ein umgekehrtes sei, daß die Verkäsung das Primäre vorstelle und daß durch die Verkäsung den Tuberkel- bazillen erst ein geeigneter Nährboden bereitet werde, ist daher eine durchaus irrige. Für die anatomische Auffassung der infolge der Tuberkulose auftretenden Gewebsverän- derungen kann der Vorgang der Verkäsung von Belang sein, aber für die Ätiologie der 486 Die Ätiologie der Tuberkulose. Tuberkulose hat er nicht die geringste Bedeutung. Wenn man mir kürzhch den Vorwurf gemacht hat^), daß ich bei meiner Darlegung der Tuberkuloseätiologie den Prozeß der ^"erkäsung zu wenig berücksichtigt habe, so geschieht dies mit Unrecht und mit Ver- kennung des von mir einzuhaltenden Standpunktes, da ich nur die ätiologischen Ver- hältnisse der Tuberkulose bearbeitet habe, die anatomischen Details aber, namentlich \\ enn sie von der Ätiologie so weit abliegen, wie die Verkäsung der tuberkulösen Gewebe, den pathologischen Anatomen überlassen muß. Von größerer Wichtigkeit für die uns hier interessierenden Fragen sind'die Beziehun- gen der Tuberkelbazillen zu den in tuberkulös veränderten Geweben so häufig auftretenden Riesenzellen. Diese eigentümlichen Gebilde sind in tuberkulösen Geweben so häufig, daß man sie eine Zeitlang als für die Tuberkulose charakteristisch ansehen zu können glaubte. Mehr- fach ist auch schon, weil die Riesenzellen fast regelmäßig im Mittelpunkt des Tuberkel- knötchens ihren Sitz haben, die Meinung ausgesprochen, daß in ihrem Innern das tuber- kulöse Virus enthalten sem müsse, ja man wollte letzteres in der Gestalt von sehr kleinen Körnchen darin gesehen haben. Es hat sich nun allerdings herausgestellt, daß die Riesen- zellen auch bei anderen Krankheitsprozessen vorkommen und keine spezifischen Produkte der Tuberkulose sind. Dagegen hat sich die Überzeugung, daß in den Riesenzellen der Infektionsstoff enthalten sein mü.sse, als richtig erwiesen. Denn sobald Riesenzellen in den Tuberkeln auftreten, finden sich auch fast regelmäßig in ihnen Tuberkelbazillen. Das Verhältnis der Bazillen zu den Riesenzellen ist ein sehr mannigfaltiges. Bei allen sehr langsam verlaufenden tuberkulösen Prozessen, z. B. Skrofulöse, fungöser Gelenk- entzündung usw., bei welchen die Bazillen nur in sehr spärlicher Zahl vorkommen, findet man die Bazillen fast ausschließlich in den RiesenzeUen und dann immer auch nur ein oder wenige Exemplare in einer RiesenzeUe (cf. Taf. XX, Fig. 4 und 5, Taf. XXIV, Fig. 24 und 25, Taf. XXV, Fig. 29). Wenn aber, entsprechend dem mehr oder weniger intensiven Verlauf des Prozesses, die Bazillen in größerer Menge auftreten, dann sind auch die etwa vor- handenen Riesenzellen reichhcher dami tversehen und die Anzahl der von einer Riesenzelle eingeschlossenen Bazillen kann .50 und mehr erreichen (cf. Taf. XXI, Fig. 9, Taf. XXVI. Fig. 32 und 33). Ein einzelner Bazillus ist im Innern der Riesenzelle mitunter nicht ganz leicht zu erkennen, denn es trifft sich natürlich oft so, daß das Stäbchen sich nicht in der Horizontalebene des Präparates befindet, sondern schräg oder senkrecht dagegen gestellt ist und dann also im mikroskopischen Bilde nicht wie ein blauer Strich, sondern nur als ein Punkt erscheint, welcher sich beim Heben und Senken des Tubus nach oben und unten auf eine gewisse Entfernung verfolgen und nur hierdurch seine Stäbchenform erkennen läßt. Da der Inhalt der Riesenzelle einen mehr oder weniger intensiven braunen Farbenton annimmt, so zeigt sich auch das Stäbchen nicht immer in der charakteristischen blauen, sondern in einer dunkleren, selbst in schwarzer Farbe, was darin seinen Grund hat, daß das Anihnbraun den blauen Teil des Spektrums absorbiert und deswegen ein blauer Gegenstand, durch eine braune Lösung betrachtet, schwarz erscheinen muß. Auf diesen Umstand möge bei dieser Gelegenheit überhaupt aufmerksam gemacht und hervorgehoben werden, daß die Bazillen stets, wenn der Untergrund, auf welchem sie gesehen werden, braun ist, wenn z. B. braun gefärbte Kerne unter ihnen hegen, nicht mehr blau, sondern immer mehr oder weniger schwarz aussehen. Wenn, wie gesagt, das Auffinden eines einzelnen Bazillus in einer RiesenzeUe unter Umständen schwierig sein kann, so geben Bazillen, welche in größerer Menge eine Riesen - ') Baumgarten, Über die Wege der tuberkulösen Infektion. Zeitechr. f. klin. Med., Bd. VI, Heft 1. Die Ätiologie der Tuberkulose. 487 zelle erfüllen, ein um so auffallenderes Bild, welches schon bei einer verhältnismäßig schwachen Vergröi3erung nicht zu übersehen ist. Es erscheinen die Riesenzellen in diesem Falle wie kleine blaue Kreise, welche von einem braunen Wall, den Kernen der Riesen- zelle, umgeben sind (cf. Taf. XXVI, Fig. 31). Die Anordnung der Bazillen in den Riesenzellen gestaltet sich sehr oft in einer ganz eigentümlichen Weise. Wenn die Kerne der Riesenzelle einen geschlossenen Ring bilden und beispielsweise nur ein Bazillus in der Riesenzelle sich befindet, dann liegt er meistens ziemlich genau in der Mitte oder nur wenig exzentrisch (cf. Taf. XXIV, Fig. 24). Vielfach sind aber die Kerne der Riesenzelle, namentlich wenn dieselbe eine ovale oder noch mehr in die Länge gezogene Gestalt besitzt, nach dem einen Ende hin zusammengedrängt, also unipolar angeordnet. In diesem Falle findet sich gewöhnlich der Bazillus in dem kernfreien Teil der Zelle ; oft nimmt er eine den Kernen geradezu entgegengesetzte Stelle ein und liegt in der äußersten Spitze des kernfreien Poles (cf. Taf. XXV, Fig. 29). Un- willkürlich drängt sich bei der Betrachtung solcher Riesenzellen die Vermutung auf, daß eine Art von Antagonismus zwischen den Kernen der Riesenzelle und dem von der Zelle eingeschlossenen Parasiten besteht, welcher bewirkt, daß die Kerne von den Bazillen möglichst weit entfernt werden. Am auffälligsten tritt dieser merkwürdige Gegensatz zwischen Kernen und Bazillen an solchen Riesenzellen hervor, deren Kerne äquatorial gruppiert sind und welche dann an jedem der beiden kernfreien Pole einen Bazillus auf- weisen, oder auch bei bipolarer Anordnung der Kerne, bei welcher, wie in Taf. XXV, Fig. 27, je ein Kernhaufen einen Bazillus gewissermaßen in Schach hält. Auch wenn die Zahl der Bazillen in der Riesenzelle zunimmt, kann diese opposi- tionelle Gruppierung der Kerne und Bazillen noch zur Geltung kommen (Taf. XX, Fig. 4). Gewöhnlich tritt dann aber eine ganz andere Anordnung der Bazillen ein. Es sieht ganz so aus. als ob mit der Zunahme der Bazillen an Zahl auch ihre Haltung den Kernen gegen- über eine mehr aktive wird. Sie drängen sich nämlich immer mehr an die Peripherie der Zelle (Taf. XXI, Fig. 9), schieben sich zwischen die Kerne hinein (Taf . XXVI, Fig. 32) und durchbrechen auch schließlich den Kernwall (Fig. 33). Sehr bemerkenswert ist bei diesem Vorgange noch, daß die Bazillen sich in diesem Falle regelmäßig mit ihrer Achse senk- recht gegen die Oberfläche der Riesenzelle stellen, so daß sie im mikroskopischen Bilde, wenn die obere Wölbung oder der Boden der Riesenzelle eingestellt wird, als Punkte erscheinen, dagegen bei der Einstellung des größten Durchmessers der Zelle das Bild eines von blauen Stäbchen gebildeten Strahlenkranzes abgeben. Einer derartigen be- deutenden Zunahme der Bazillen scheint regelmäßig der Untergang der Riesenzelle zu folgen; denn sehr oft trifft man in der Nachbarschaft solcher mit vielen strahlenförmig gestellten Bazillen versehenen Riesenzellen, und zwar in der Richtung nach dem Innern des tuberkulösen Herdes zu, Gruppen von Bazillen, welche noch dieselbe strahlenförmige Anordnung zeigen, aber nicht melw von braungefärbten Kernen eingeschlossen werden (cf. Taf. XXVI, Fig. 34). Da außerdem manche Übergangsformen gefunden werden, so kami es nicht zweifelhaft sein, daß derartige strahlenförmige Bazillengruppen die Stellen bezeichnen, an welchen sich früher Riesenzellen befanden, deren Kerne verschwunden sind und von deren Inhalt nur noch die Bazillen übrig geblieben sind. An der Hand der im Vorhergehenden beschriebenen mikroskopischen Bilder wird man, ohne sich in zu gewagten Hypothesen zu verHeren, zu ungefähr folgenden Vorstellun- gen von den Beziehungen der Bazillen zu den zelligen Bestandteilen des Tuberkels ge- langen. Als das erste Stadium in der Entstehung des Tuberkels ist das Auftreten eines oder einiger Bazillen im Innern von Zellen, welche einen epithelioiden Charakter tragen, anzusehen. Wie die Bazillen dahin gelangen, das läßt sich wohl kaum anders als in der Weise erklären, daß sie. da ihnen jede Eigenbewegung fehlt, von solchen Gewebselementen. 488 Die Ätiologie der Tuberkulose. welche Eigenbewegung besitzen, also von den Wanderzellen, sei es im Blut- oder Lymph- strom, oder im Gewebe selbst aus schon bestehenden tuberkulösen Herden aufgenommen und weiter verschleppt werden. Nur so ist die eigentümliche Tatsache erklärlich, daß häufig einzelne Bazillen oder kleine Gruppen derselben in ziemhch gleichmäßigen und zwar verhältnismäßig weiten Abständen verteilt gefunden werden, wie es beispielsweise in skrophulösen, fungösen, lupösen Geweben imd überhaupt bei allen chronisch ver- laufenden tuberkulösen Affektionen vorkommt. Denn eine Wanderzelle, welche einen Bazillus aufgenommen hat, übernimmt damit keine so harmlose Last, wie etwa, wenn sie Zinnoberkörnchen oder ein Kohlepartikel und andere indifferente Stoffe verschluckte. Mit letzteren beladen kann sie noch weite Wege zurücklegen, aber unter dem deletären Einfluß des Bazillus treten Veränderungen in der Wanderzelle ein, welche sie bald zum Stillstand bringen. Ob nun die Wanderzelle zugrunde geht und die Bazillen von anderen an Ort und Stelle vorhandenen Zellen übernommen werden, welche letztere dann eine epithelioide Beschaffenheit annehmen, oder ob, was mir nach meinen Beobachtungen das Wahrscheinhchere ist, die den Bazillus transportierende Wanderzelle selbst sich in eine epithelioide Zelle und demnächst in eine Riesenzelle verwandelt, das zu entscheiden, muß dem speziell hierauf gerichteten Studium überlassen bleiben. Für die Annahme, daß die Bazillen ursprünghch durch Wanderzellen verschleppt und dadurch ihre Verteilung im Gewebe bedingt wird, lassen sich noch folgende Gründe geltend machen. Zunächst möchte ich einen analogen Prozeß in Erinnerung bringen, bei welchem ebenfalls stäbchenartige Bakterien von den farblosen Zellen des Blutes inkorporiert werden. Es ist dies die von mir in den Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten beschriebene Septicämie der Mäuse (cfr. die der zitierten Schrift beigefügten Fig. 2 und 8)*). Bei dieser Krankheit finden sich die den Tuberkel- bazillen sehr ähnlichen Septicämiebazillen ebenfalls im Innern der weißen Blutkörperchen und zwar anfangs in einem oder wenigen Exemplaren dicht neben dem Kern; dann ver- mehren sie sich sehr schnell in der Zelle, zerstören den Kern und sprengen schließlich die Zelle, um, frei geworden, bald wieder von anderen Zellen aufgenommen zu werden und den- selben schnellen Untergang zu bereiten, so daß binnen kurzer Zeit die Mehrzahl der weißen Blutkörperchen von Bazillen besetzt gefunden wird. Die Tuberkelbazillen wachsen, wie wir später sehen werden , außerordentlich viel langsamer, als die Septicämiebazillen , die mit ihnen beladenen Zellen können deswegen sehr viel länger noch vitale Funktionen äußern und es gestaltet sich dementsprechend der weitere Verlauf in beiden Krankheiten, trotzdem der erste Beginn der Bakterieninvasion so große Ähnlichkeit besitzt, doch so gänzlich verschieden. Auch die direkte Beobachtung spricht dafür, daß die Tuberkelbazillen zuerst von den Wanderzellen ergriffen und transportiert werden. Es läßt sich dies am besten in den Fällen erkennen, in welchen größere Mengen von Bazillen unmittelbar in die Blutbahn, z. B. durch Injektion in die Ohrvene des Kaninchens gebracht werden. Wird ein in dieser Weise infiziertes Tier frühzeitig getötet, dann findet man im Blute noch zahlreiche weiße Blutkörperchen, welche einen oder mehrere TuberkelbaziUen einschließen, und außer- dem treten im Gewebe der Lunge, Leber, Milz selbst hin und wieder echte Rundzellen auf, welche mit einem einfachen oder geteilten Kern versehen sind, noch keine epithelioide Form besitzen, also vollkommen den farblosen BlutzeUen gleichen und ebenfalls Tuberkel- bazillen enthalten. Eine andere Deutung für diese Zellen, als daß sie Wanderzellen sind, welche die Bazillen im Blutstrome aufgriffen und in das benachbarte Gewebe hineintrans- portierten, wird wohl kaum zu finden sein. Auch bei Meerschweinchen, welchen größere Mengen von Tuberkelbazillen in die Bauchhöhle injiziert wurden imd welche schon im Laufe der ersten Woche starben, finden sich dieselben Erscheinungen. *) Siehe diese Werke Tafel IV, Fig. 2 u. 8. Die Ätiologie der Tuberkulose. 489 Ein dritter Grund für die erwähnte Annahme scheint mir darin zu Hegen, daß in vollständig abgestorbenem Gewebe, also an solchen Stellen, wo der Einfluß der lebenden Zellen auf die Bazillen vollkommen ausgeschlossen ist, wenn es daselbst noch einmal zu einem lebhaften Wachstum der Bazillen kommt, sich dieselben zu ganz typisch gestalteten Gruppen anordnen, welche den eigentümlichen Formen der Bakterienkolonien in Rein- kulturen auf Blutserum gleichen (cf. Taf. XXVIIl, Fig. 45 und 46). Diese Formen müssen wir also als diejenigen ansehen, welche die Tuberkelbazillen annehmen, wenn sie sicia ungestört entwickeln und ihre Gruppierimg allein durch die von ihrem Wachstum aus- gehenden Verschiebungen imd Ortsveränderungen bestimmt wird. Jede andere Anord- nung wird als die Wirkung von irgendwelchen Störungen, z. B. von Flüssigkeitsströmun- gen, oder durch den direkten Einfluß beweglicher Gewebselemente veranlaßt, aufzufassen sein. So scheinen mir auch die Lagerungsverhältnisse der Bazillen in den Riescnzellen, nämlich ihre den Kernen entgegengesetzte Stellung und die strahlenförmige Anordnung derselben nicht durch eine den Bazillen selbst zukommende Bewegung, sondern durch Strömungen in dem Plasma der Zelle bedingt zu sein, da die Bazillen nach dem Absterben der Zelle die einmal eingenonnnene strahlenförmige Anordnung nicht mehr verändern. Nachdem sich nun die Wanderzelle, welche den Bazillus transportierte, in eine epithelioide Zelle verwandelt und ihre Ortsbewegung aufgegeben hat, scheint der pathogene Einfluß des Bazillus sich auch auf die in einem gewissen Umkreis befindlichen benachbarten Zellen auszudehnen, mögen dieselben an Ort und Stelle aus schon vorhandenen Zellen infolge des Reizes, welchen der Bazillus selbst oder vielmehr die von ihm produzierten und durch Diffusion in die Umgebung gelangten Stoffe ausüben, hervorgegangen oder ebenfalls als Wanderzellen daliin gelangt sein. Alle in einem bestimmten Bezirk gelagerten Zellen verwandeln sich ebenfalls in epithelioide Zellen. Die den Bazillus enthaltende Zelle selbst aber erleidet noch weitere Umwandlungen. Sie vergrößert sich immer mehr unter fortwährender Vermehrung ihrer Kerne und gelangt schließlich zur Gestalt und Größe der bekannten Riesenzellen. Daß in der Tat die Entwicklung der Riesenzellen in dieser Weise vor sich geht, läßt sich an geeigneten Präparaten erkennen, welche alle Übergangsstufen zwischen einfachen epithelioiden Zellen mit einem Bazillus und den vollständig ausgebildeten vielkernigen und mit vielen Bazillen versehenen Riesenzellen aufweisen. Am geeignetsten für das Studium der Entwicklung der Riesenzellen möchte ich die an Riesenzellen so ül)eraus reichen tuberkulösen Gewebe vom Rind und Pferd halten, in denen ich vielfach die erwähnten Übergangsformen zwischen epithelioiden Zellen und Riesenzellen gesehen habe. Das weitere Schicksal der fertig gebildeten Riesen - zelle ist, je nachdem der Krankheitsprozeß einen schnellen oder langsamen Verlauf hat, ein verschiedenes. Im letzteren Falle bleibt die Zahl der \^on der Riesenzelle eingeschlosse- nen Bazillen immer nur eine beschränkte. Meistens finden sich nur ein oder zwei Bazillen. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß der in einer großen Riesenzelle befindliche Bazillus noch derselbe ist, welcher zum Entstehen der Zelle die Veranlassung gegeben hat. Man trifft nicht selten in einer Riesenzelle einen Bazillus, welcher nicht mehr so intensiv gefärbt wird, wie andere Bazillen in benachbarten Riesenzellen; auch habe ich solche Fälle gesehen, in denen die Riesenzelle einen dunkel und kräftig gefärbten Bazillus und daneben einen zweiten sehr blassen Bazillus enthielt, Avelcher ohne besondere Aufmerk- samkeit übersehen Aväre. Ferner sind mir bisweilen sporenhaltige Bazillen im Innern von Riesenzellen begegnet. Aus alledem schließe ich, daß die Riesenzelle ein ziemlich dauerhaftes Gebilde ist. daß dagegen die Bazillen gewöhnlich eine geruigere Lebensdauer Ijesitzen und sich nur dadurch längere Zeit in den Riesenzellen erhalten können, daß einer absterbenden Generation immer eine neue folgt. Mitunter kommen sie daim im Innern der Riesenzelle zur Sporenbildung und hinterlassen in diesem Falle nach ihrem Ver- 490 Die Ätiologie der Tuberkulose. schwinden die Keime für eine spätere Nachkommenschaft. Oft genug scheint aber auch die Vegetation der Bazillen in der Zelle auszusterben und die leere Riesenzelle bleibt dann als ein Merkmal des früheren Vorhandenseins der Bazillen zurück. Wenn man, wie es sehr oft der Fall ist, in einem tuberkulösen Gewebe ziemlich zahlreichen Riesenzellen begegnet und unter diesen nur verhältnismäßig wenige mit Bazillen versehen findet, dama darf man wohl annehmen, daß manche der anscheinend leeren Riesenzellen Sporen von Tuberkelbazillen enthalten, andere dagegen die Stätte der früheren Bazillen Vegetation bezeichnen, und man ist versucht, einen Vergleich mit einem vulkanischen Terrain an- zustellen, auf welchem neben vereinzelten, noch tätigen Vulkanen eine große Zahl von zeitweise schlummernden oder von gänzlich erloschenen Kratern vorkommen, welche letztere in ihrer charakteristischen Gestalt ein untrügliches Kennzeichen ihrer früheren Tätigkeit besitzen. Über das Schicksal der Riesenzellen, wenn die Bazillen in ihnen zu schneller Ver- mehrung gelangen, ist früher schon die Rede gewesen. In diesem Falle ist der Ausgang ein dem eben geschilderten entgegengesetzter, es unterliegt die Riesenzelle, sie wird ge- wissermaßen von den sich zwischen den Kernwall eindrängenden Bazillen gesprengt. Ihre Kerne zerfallen, lösen sich in kleine Körnchen auf und die Zelle geht zugrunde. Worin es liegen mag, daß das eine Mal die Bazillen unterliegen oder für lange Zeit auf bestimmte Stellen gebannt bleiben müssen und in spärlicher Vegetation ihr Dasein eben fristen, das andere Mal aber ihre Zahl rapide zunimmt und alle zelligen Elemente in ihrer Nähe schnell zugrunde gehen, darüber lassen sich nur Vermutungen aussprechen, avif welche ich hier noch nicht eingehen will, welche ich aber später erörtern werde. Die weiteren Veränderungen, welche sich im tuberkulösen Gewebe nach dem Ent- stehen der epithelioiden und Riesenzellen vollziehen, sind sämtlich regressiver Natur. Zum größten Teil gehören sie in das Gebiet der von W e i g e r t als Koagulationsnekrose bezeichneten Prozesse und führen alsdann zum Absterben des tuberkulös erkrankten Gewebes und zur Bildung der sogenannten käsigen Massen, welche so häufig das Innere der tuberkulösen Herde bilden. Die Tuberkelbazillen verschwinden in den käsigen Massen gewöhnlich sehr bald, so daß sie nur in jüngeren Herder noch anzutreffen sind, in älteren aber fast immer fehlen. In anderen Fällen kann es indessen auch nach dem Verschwinden der Bazillenvegetation zu einfacher Schrumpfung und Umbildung der tuberkulösen Gewebe in festes Bindegewebe kommen. Eine sehr wichtige Eigenschaft der Tuberkelbazillen ist hier noch zu besprechen. Es ist die Sporenbildung derselben. Bekanntlich wurde zuerst von F. C o h n in den so- genannten Heubazillen das Auftreten von glänzenden Körperchen beobachtet, welche bei dem Zerfall der Bazillen übrig bleiben und später wieder von Neuem zu Bazillen aus- keimen können, deswegen als die Fruchtform der Bazillen angesehen werden müssen und von F. Cohn als Sporen bezeichnet wurden. Das Aussehen der Sporenbildung, wie es sich im mikroskopischen Bilde von Bazillen, welche mit Anilinfarben tingiert sind, zeigt, ist in sehr instruktiver Weise auf dem Photogramm Nr. 76, Taf. XIII*), im ersten Bande dieser Mitteilungen zu sehen. Die Bazillen erscheinen daselbst kurz gegliedert, und zwar meistens aus zwei Ghedern bestehend. Einzelne dieser Glieder sind gleichmäßig dunkel gefärbt und gleichen noch vollkommen den sporenfreien Bazillen auf dem Photogramm Nr. 75. In vielen Gliedern bemerkt man indessen das Auftreten eines hellen Punktes, welcher allmählich an Größe zunimmt, während der gefärbte Inhalt des Gliedes sich immer mehr nach den beiden Enden zurückzieht und die Seiten auch nur noch durch feine, die Umrisse des GHedes bezeichnende Linien begrenzt werden. Der helle Raum im Innern des Bazillengliedes ist die Spore, welche sich in diesem Präparate, weil es in eine stark *) Diese Werke Taf. XVIII. Die Ätiologie der Tuberkulose. 491 lichtbrechende Substanz eingebettet ist. nicht durch ihren Ghxnz, sondern durch das Freibleiben von Farbstoff auszeichnet. Mit wenigen Ausnahmen nehmen nämhch die Bazillensporen die Anilinfärbung nicht an. So scharf gegeneinander abgesetzt, wie bei den Bazillen dieses Bildes, erscheint die Gliederung nicht immer. Bei manchen Bazillen- arten, so z. B. bei den Milzbrandbazillen, bleiben die Glieder dicht aneinander geschlossen und bilden einen zusrjnmenhängenden Faden, welcher die ungefärbten Sporen in gleich- mäßigen Abständen enthält. Ebenso verhält sich nun auch die Sporenbildung der Tuberkel- bazillen. Der Bazillus bleibt in seinem Zusammenhang erhalten und zerfällt nicht in die einzelnen Glieder, aber in jedem Glied entsteht ein heller Körper, so daß der Bazillus nach der Färbung einem dunklen, durch helle eiförmige Räume unterbrochenen Fädchen gleicht. Unter Anwendung der stärksten Systeme und bedeutender \"ergrößerungen läßt sich dann feststellen, daß der sporenhaltige Tuberkelbazillus genau dasselbe Bild wie die sporenhaltigen Milzbrandbazillen, nur in sehr verkleinertem Maßstabe wiedergibt. Die Sporen sind eiförmig, am Rande von einer feinen gefärbten Linie begrenzt und finden sich gewöhnlich in einer Anzahl von 2 — () in einem Bazillus. Da jede einzelne Spore ein Glied einnimmt, so läßt sich aus ihrer Zahl auf die Zahl der Glieder des Bazillus, d. h. der einzelnen Elemente, aus denen sich derselbe aufbaut, schließen. Wenn eine Substanz mit sporenhaltigen Tuberkelbazillen in ungefärbtem Zustande und in weniger stark licht - brechenden Zusatzflüssigkeiten untersucht wird, dann erscheinen die Bazillen mit stark glänzenden Körperchen versehen; letztere können demnach nicht Vakuolen oder ein- fache Lücken im Protoplasma des Bazillus, sondern sie müssen echte Sporen sein. Die auf Taf. XXIX, Fig. 47 abgebildeten sporenhaltigen Tuberkelbazillen sind mit Z e i ß' Ölimmersion Vis Okular 4 und ausgezogenem Tubus gezeichnet. Doch nuißten die Bazillen, um die Gestalt der Sporen richtig wiedergeben zu können, noch größer gezeichnet werden, als sie bei dieser Vergrößerung erscheinen. Nach diesen Bemerkungen über die allgemeinen Eigenschaften der Tuberkelbazillen wende ich mich nunmehr zur Schilderung ihres Verhaltens in den verschiedenen tuber- kulösen Prozessen. A. Tuberkulose des Menschen. 1. Miliartuberkulose. Es wurden im ganzen 19 Fälle untei'sucht, in denen die Tuberkel in Form von miliaren und submiliaren grauen Knötchen und meistens mit weißlichem oder schwach gelblichem Zentrum versehen zu gleicher Zeit in mehreren Organen. Lunge, Gehirn. Leber. Milz und Nieren verbreitet sich vorfanden. Die Bazillen fehlten in den Tuberkelknötchen bei keinem dieser Fälle. Je kleiner und jünger die Knötchen waren, um so reichlicher fanden sich die Bazillen und zwar am dichtesten im Zentrum (cf . Taf. XX, Fig. I). Sobald die Mitte des Knötchens keine Kernfärbung mehr annimmt und also die Verkäsung be- ginnt, nimmt die Zahl der Bazillen sofort ab. In den größeren Knötchen, deren Mitte schon eine weitgehende Verkäsung erfahren hatte, waren wenige Bazillen und nur noch zwischen den Kernen der die Peripherie des Knotens einnehmenden epithelioiden Zellen aufzufinden. Hin und wieder trifft man auch in den am Rande des Käseherdes befind- lichen Riesenzellen einzelne Bazillen oder Gruppen derselben (cf. Taf. XX, Fig. 4 und 5). Eine auffallende Erscheinung, welche übrigens auch bei den chronischen Prozessen der Lunge wiederkehrt, ist die, daß die meisten Riesenzellen schwarze Pigmentkömehen enthalten, neben welchen oft noch die Bazillen gut zu unterscheiden sind (cf. Fig. 4). In anderen Organen hal)e ich solche pigmenthaltigen Riesenzellen nicht gesehen und ihr Vorkommen scheint auf die Lunge beschränkt zu sein. Nach Analogie anderer später zu erwähnenden Befunde aus der Lunge des Schweins und anderer Tiere möchte ich an- 492 Die Ätiologie der Tuberkulose. nehmen, daß es sich hier um Riesenzellen handelt, welche sich ursprünglich im Innern eines Alveolus entwickelten und das Pigment der im Alveolus vorhandenen und zugrunde gehenden Zelle in sich aufgenommen haben ^). Bei der weiteren Ausdehnung des Knöt- chens gelangen diese Zellen, welche anfangs in den unmittelbar angrenzenden Alveolen zur Entwicklung kamen, in das Knötchen selbst hinein. In manchen der älteren Knötchen scheinen die Bazillen vollkommen Avieder verschwunden zu sein. Doch ist zu bedenken, daß Schnittpräparate von größeren Tuberkeln immer nur Bruchstücke enthalten und daß, wenn in diesen die Bazillen fehlen, damit ihre Abwesenheit für den Gesamtknoten noch nicht erwiesen ist. Wahrscheinlich gestalten sich hier die Verhältnisse ähnlich, wie es früher von den Riesenzellen auseinandergesetzt wurde, daß nämlich neben solchen Knoten, welche noch reichliche Bazillen enthalten, andere vorkommen, in denen die Bazillen wieder ganz oder unter Hinterlassung von Sporen verschwunden sind. Immerhin stößt man, wenn nur eine hinreichende Anzahl von Schnitten untersucht wird, fast regel- mäßig auch auf bazillenreiche Stellen, und es würde nicht richtig sein, auf Grund weniger Präparate ein Urteil über das Vorhandensein oder Fehlen der Bazillen in Miliartuberkeln abzugeben. In der Leber und in der Milz habe ich bei Mihartuberkulose die Bazillen fast nur in Riesenzellen gesehen. Namentlich finden sich in der Milz oft neben vollständig ent- wickelten Tuberkeln Riesenzellen von erhebUcher Größe, welche fast isoliert oder nur von wenigen epithelioiden Zellen umgeben und regelmäßig der Sitz von 1 — 3 Tuberkel- bazillen sind. Die Tuberkel der Gehirnhäute waren fast ohne Ausnahme sehr reich an Tuberkel- bazillen. Vielfach finden sich letztere in der unmittelbaren Umgebung kleiner Arterien, an welche sich spindelförmige Anhäufungen epithelioider Zellen anlagern; zwischen letzteren sind in ziemlich gleichmäßiger Anzahl die Bazillen ausgestreut (cf. Taf. XXI, Fig. 7). An manchen Stellen sind die Bazillen aber auch in so dichten Massen vorhanden, daß sich ihr Vorhandensein schon bei schwacher Vergrößerung durch die blaue Färbung der betreffenden Partien zu erkennen gibt. In diesem Falle sind es vorwiegend Rund- zellen, also jüngere Zellformationen, zwischen denen die Bazillenvegetation ihren Sitz hat (ci. Taf. XXI, Fig. 8). Einige Male habe ich auch Ansammlungen von Bazillen im Innern von Gefäßen gesehen. Von miharen Tuberkeln der Choroidea stand mir nur von einem Falle Untersuchungs- material zu Gebote, welches ich Herrn Prof. Weigert verdanke. Es fanden sich auch hier kernlose Herde, also schon ausgebildete Verkäsung. welche von großen Riesenzellen und vielen epithelioiden Zellen umgeben waren. Teils in den Riesenzellen, teils aber auch außerhalb derselben zwischen den epithehoiden Zeilen verteilt waren ziemlich viele Tuber- kelbazillen vorhanden. Bis auf einen Fall waren stets ältere Käseherde und zwar meistens in den Lungen und Bronchialdrüsen nachweisbar. Auch in diesen, als die Ausgangspunkte der Miliar- tuberkulose zu betrachtenden Herden wurden in den Fällen, welche daraufhin untersucht werden konnten, die Bazillen nachgewiesen. Mehrfach fanden sie sich allerdings nur spär- lich in der Peripherie der Herde, mitunter traf man aber auch auf Nester von dichten Bazillenmassen. Es würde zu weit führen, wenn ich über alle von mir untersuchten Fälle von Miüar- tuberkulose ausführlich hier berichten wollte, und ich greife deswegen nur einige der besonders charakteristischen heraus. Diese Ansicht wird auch von Watson Cheyne vertreten auf Grund von direkten Beobachtungen von RiesenzeUen, welche in Alveolen der menschlichen Lunge gefunden wurden; cf. Practitioner. April 1883. Die Ätiologie der Tuberkulose. 493 1. Arbeiter, 36 Jahre alt. Kräftiger Mann, welcher sich bis 14 Tage vor seiner Aufnahme in das Krankenliaus nicht unwohl fühlte, erkrankte mit Husten, Brustschmerzen und mäßigem Fieber. Die im Krankenhause beobachteten Symptome waren wenig charakteristisch und entsprachen denjenigen einer katarrhalischen Pneumonie. Unter Zunahme der Dyspnoe kollabierte der Kranke sehr schnell und starb i Tage nach seiner Aufnahme. Aus dem Sektionsprotokoll ist folgendes hervorzuheben. Die Pleuren sind beiderseits mit zahlreichen miliaren Knötchen besetzt. Beide Lvnigen graurot infiltriert, mit Einlagerung sehr vieler miliarer grauer Knötchen. Die größeren Knötchen zeigen zentrale Verkäsung. Im Conus arteriosus des Heizens mehi'ere submiliare graue Knötchen des Endokard. Am Schließungsrande der Mitralis Kru])tion derber miliarer bis erbsen- großer Knoten. Milz doppelt vergrößert, in der dunkelroten Pulpa zahlreiche graue miliare Knötchen. In der Leber nur w^enig zahlreiche Knötchen. Beide Nieren enthalten graue miliare Knötchen sowohl in der Mark-, als auch in der Rindensubstanz in reichlicher Anzahl. Das Becken der rechten Niere ist dilatiert, in demselben finden sich zwei etwa l]o bis 2 cm im Durchmesser betragende Defekte mit buchtigen Rändern und käsigem Grunde. Eine fast haselnußgroße käsige Einlagerung in einer l^apille. Harnblase frei von Tuberkeln. In der Prostata einige käsige Einlagerungen. In der Urethra reichliche miliare Knötchen. Verkäsung des Nebenhoden, zum Teil mit käsiger Erweichung. Eingezogene Narben am Skrotum. Im Hoden selbst reichliche Einlagerung grauer miliarer Knötchen. Der Ductus thoracicus ist dilatiert, an mehreren Stellen seiner Wand finden sich käsige Ver- dickungen, auch sind einige mit käsigeui Grunde versehene Defekte an der Innenfläche desselben vorhanden. Es handelte sich hier demnach um eine chronische Tuberkulose der Urogenitalorgane, an diese schloß sich die Tuberkulose des Ductus thoracicus an. welche dann wieder den Ausbruch der allgemeinen Miliartuberkulose zur Folge hatte. Dieser Fall gehört seiner Ent- stehung nach zu der von P o n f i c k beschriebenen Form der Miliartuberkulose und bildet ein typisches Beispiel derselben. Der mikroskopische Befund entsprach vollkommen der vorhin vom Verhalten der Bazillen entworfenen Schilderung. Die Tuberkel im Lungen- gewebe zeigten sich noch verhältnismäßig klein und enthielten zum größten Teil Bazillen in reichlicher Anzahl. Einige waren so stark damit besetzt, daß sich bei schwacher Ver- größerung in der Mitte eine bläuliche Färbung zeigte. Die Abbildung Fig. 1. auf Tat. XX. gibt eine Stelle aus einem Schnitt dieser Lunge wieder, bei öOfacher Vergrößerung. Das Tuberkelknötchen a, dessen Zentrum noch kernhaltig und also noch nicht verkäst ist, hat eine blaue Färbung in der Mitte. Daß die blaue Färbmig in der Tat durch die reichlich vorhandenen blaugefärbten Tuberkelbazillen bedingt ist, beweist die Fig. 2, welche die blaue Stelle von a bei 7Ü0facher \"ergrößerung zeigt. Die Tuberkelbazillen sind teilweise zerstreut, teilweise aber auch in dichten Gruppen angeordnet; die Kerne sind vielfach im Zerfall begriffen. In dem Knötchen b, dessen Zentrum ebenfalls noch nicht merklich verkäst ist, finden sich ebenfalls ziemlich viele Bazillen, wenn auch nicht so reichlich als in a. Die Fig. 3 zeigt eine Stelle aus der Mitte des Knötchens bei 700 facher Ver- größerung. Die geringere Zahl der Kerne deutet schon darauf hin, daß die Nekrose im Zentrum dieses Knötchens bereits begonnen hat. und vermutlicli sind deswegen die Ba- zillen schon im Abnehmen begriffen. In den kernlosen käsigen Zenti'en der übrigen Ejiötchen treten nur noch vereinzelte Bazillen auf. Dagegen besitzen diese Tuberkel Riesenzellen, von denen eine aus dem Knötchen c in Fig. 4 und eine andere aus dem Knötchen d in Fig. 5 abgebildet ist. Die erstere hat neben einer Anzahl Bazillen schwarze Pigmentkörnchen aufgenommen. Bei beiden Riesenzellen tritt die unipolare Anordnung der Kerne ziemlich deutlich hervor und ebenso die den Kernen entgegengesetzte Lagerung der Bazillen. Letztere war in Fig. o in Wirklichkeit größer, als es in der Zeichnung sich 494 Die Ätiologie der Tviberkulose. wiedergeben ließ, denn der Bazillus lag bedeutend höher wie die kompakte Masse der Kerne, und man muß sich deswegen vorstellen, daß das Plasma der Zelle nach dieser Stelle hin einen Fortsatz ausschickte, an dessen äußerstem Ende der Bazillus lag. Auch in den Tuberkeln der Leber und Milz fanden sich viele Riesenzellen, welche zum großen Teil mit Bazillen versehen waren. Reichliche Mengen von Bazillen waren am Rande und in der Umgebung des Herdes in der Nierenpapille vorhanden. An einzelnen Stellen in der Umgebung dieses Herdes hatten die Bazillen Ansammlungen in den Harn- kanälchen gebildet, und die hierbei eintretende eigentümliche Gruppierung der Bazillen (Fig. 6) erinnerte an die später zu erwähnenden Figuren, welche sie in den Blutserum- Kulturen bilden. Ob in diesem Falle die Bazillen aus dem Blutstrom in die Harnkanälchen gelangt, oder ob sie aus dem Nachbargewebe dahin fortgewuchert waren, ließ sich nicht entscheiden. In einer anderen tuberkulösen Niere, welche ich von Prof. Weigert erhielt, waren zahlreiche Glomeruli und die benachbarten gewundenen Harnkanälchen mit Ba- zillenmassen besetzt, was wohl darauf schließen läßt, daß auch von dem Blutstrom her die Bazillen in die Harnkanälchen und von da aus vielleicht auch in den Urin übergehen können. 2. Ein zweiter Fall von Tuberkulose des Ductus thoracicus, bei einem 48 jährigen Manne, zeigte ein analoges Verhalten. Der tuberkulöse Prozeß hatte hier von käsigen Mediastinaldrüsen auf den Ductus thoracicus übergegriffeii und Miliartuberkulose der Limge, Leber, Milz und Nieren bewirkt. Der Tod war später als im ersten Falle erfolgt; die Tuberkeleruption war nicht so reichlich, die einzelnen Knötchen schon zu größerem Umfange gelangt , stärker verkäst und enthielten dementsprechend die Bazillen nur noch in geringer Zahl. 3. 9 jähriger Knabe. Angeblich erst Avenige Tage vor seinem Eintritt ins Kranken- haus erkrankt. Bei der x4ufnahme benommenes Sensorium, große Unruhe und Delirien, hohes Fieber, in den folgenden Tagen machten sich bronchitische Erscheinungen be- merklich ; Tod 10 Tage später. Die Sektion ergab : Käsige Schwellung der Bronchial- drüsen. Bronchopneumonische Herde in beiden Unterlappen der Lunge. Außerdem zahl- reiche graue miliare und submiliare Tuberkel in den Lungen, in der vergrößerten Milz, in der Leber und den Nieren. An der Gehirnbasis in der LTmgebung der Gefäße leichte Trübung und eine große Anzahl von grauen Knötchen. In den Tuberkeln der Limge, Leber, Milz und Nieren wurden Bazillen in wechselnder Menge gefunden. Sehr reichlich waren aber die Tuberkel der Pia mater damit versehen. Die Figuren 7 und 8 sind nach Präparaten gezeichnet, welche dem Gehirn dieses Falles entstammen. Fig. 7 zeigt einen Teil der Wandungen (a innere, b mittlere, c äußere Gefäß- haut) und Umgebung einer kleinen Arterie, deren spindelförmige Auftreibung durch An- häufung von epithelioiden Zellen bedingt ist. Zwischen letzteren, erscheinen die Tuberkel- bazillen. In Fig. 8 ist ein Abschnitt aus einem mit Bazillen sehr reichlich versehenen Knötchen abgebildet. In den zu diesem Falle gehörigen verkästen Bronchialdrüsen fanden sich bedeutende Mengen von Bazillen, und zwar nicht nur am Rande der käsigen Herde, sondern aüch weit in dieselben vordringend. Die Teile des Drüsengewebes, welche noch nicht nekroti- siert waren, enthielten zahlreiche Riesenzellen, welche sich ebenfalls durch die Menge der eingeschlossenen Tuberkelbazillen und deren radienförmige Anordnung auszeichneten. In Fig. 9 ist eine dieser Riesenzellen abgebildet. Offenbar hatte der tuberkulöse Prozeß in den Bronchialdrüsen erst vor kurzem begonnen und schnell um sich gegriffen. Das Drüsengewebe war unter dem Einfluß der großen Menge der Tuberkelbazillen sehr bald nekrotisiert und erweicht. Irgendwo mußte ein Durchbruch in ein Gefäßlumen statt- gefunden und bedeutende Mengen der Bazillen in den Blutst?om geführt haben, um die allgemeine Eruption von Miliartuberkeln zu veranlassen. Die Durchbruchsstelle war Die Ätiologie der Tuberkulose. 495 indessen in diesem Falle nicht aufzufinden gewesen. Daß dieselbe nicht immei' leicht zu entdecken ist, dafür möge der folgende Fall ein Beispiel abgeben. 4. Ein kräftiger Mann von ca. 30 Jahren starb nach einer Krankheit, welche unter typhösen Symptomen verlief und nicht länger als drei Wochen gedauert hatte. Bei der Sektion fanden sich sehr viele graue miliare Knötchen in Lunge, Leber und Nieren, sowie in der stark vergrößerten Milz. Die Bronchialdrüsen waren geschwollen und von markiger Beschaffenheit, aber nicht verkäst. Auch im übrigen war kein älterer Käseherd trotz der gründlichsten Untersuchung nachzuweisen, so daß man Anstand nahm, die Diagnose auf Miliartuberkulose zu stellen. Der Darm und die Mesenterialdrüsen waren nicht verändert. Die mikroskopische Untersuchung ergab nun folgendes, sehr bemerkenswerte Resultat. Schnitte aus den Bronchialdrüsen ließen ausgedehnte kernlose Stellen erkennen, welche nur von schwarzen Pigmentkörnchen und zahlreichen Bruchstücken der zerfallenen Kerne durchsetzt waren und außerdem dichte Schwärme von Tuberkelbazillen enthielten. Letztere waren in der unmittelbaren Umgebung einzelner kleiner Arterien so massenhaft angehäuft, daß das Gefäßlumen bei schwacher Vergrößerung von einem blauen Hof um- geben zu sein schien (Fig. 10). Eine stärkere Vergrößerung zeigte dann diese blauen Massen als aus Bazillen zusammengesetzt (Fig. II). An einzelnen Stellen drangen die Bazillen bis in das Innere des Gefäßes vor und es konnte deswegen keinem Zweifel unterliegen, daß sie auf diesem Wege in die Blutbahn gelangt und in großer Menge nach allen Rich- tungen hin transportiert waren. Es würde damit eine dritte Art und Weise gefunden sein, wie eine tuberkulöse Allgemeininfektion und dadurch bedingte Miliartuberkulose zustande kommen kann, nachdem es P o n f i c k gehmgen war, einen dieser Wege im Ductus thoracieus zu entdecken, und nachdem W e i g e r t als den zweiten und allem Anschein nach bei weitem am häufigsten vorkommenden in dem Durchbruch tuberkulöser Massen in die Venen kennen gelelirt hat. Die Miliartuberkel der Milz und Lunge enthielten ziemlich viele Bazillen, zum Teil auch in Riesenzellen. Dieser Fall war aber noch in einer anderen Beziehung von großem Interesse. Es zeigte sich nämlich, daß zahlreiche Kapillaren auf kurze Strecken mit Mikrokokken erfüllt waren. Bei der Doppelfärbung nahmen die Tuberkelbazillen, wie immer, die blaue Farbe, die Mikrokokken dagegen die braune Farbe an. An manchen Stellen waren in demselben Gesichtsfeld und in geringer Entfernung voneinander braungefärbte Mikrokokken und blaugefärbte Bazillen zu sehen. Die kapillären Mikrokokkenembolien fanden sich außer- dem noch sehr zahlreich in der Lunge und besonders in der Milz. Sie hatten zu auffallenden Veränderungen in ihrer Umgebung, wie Kernanhäufung oder Nekrose, noch nicht geführt und konnten daher erst in den letzten Tagen vor dem Tode entstanden sein. Die Kom- bination von Bazillen- und Mikrokokkeninvasion, wie sie hier vorliegt, gehört zu den i Mischinfektionen, deren ^^orkommen durchaus nicht so selten zu sein scheint. Künstlich lassen sich solche Mischinfektionen bei Tieren durch gleichzeitige oder aufeinanderfol- gende Verimpfung verschiedener Infektionsstoffe, z. B. von Milzbrand- und Septicämie- bazillen bei Mäusen, erzeugen. Auch Tuberkulose und Milzbrand kann zu gleicher Zeit bei demselben Tiere vorkommen. Ich hal)e eine Anzahl hochgradig tuberkulöser Meer- schweinchen mit Milzbrandbazillen geimpft. Infolgedessen wurden die Tiere milzbrandig und starben. Mehrere von ihnen hatten sehr reichliche Mengen von Tuberkelbazillen in der Lunge und Milz, und es nahmen in Schnitten aus diesen (Organen bei der Doppel- färbung die Tuberkelbazillen die blaue und die gleichfalls sehr zahlreichen Milzbrand- bazillen die braune Farbe an. Als anderweitige spontan entstehende Mischinfektion ist das Vorkommen von Mikrokokkenherden bei Typhus zu betrachten. Ferner ist von 496 Die Ätiologie der Tuberkulose. B r i e g e r und Ehrlich^) auf eine Kombination von Typhus mit dem malignen Ödem aufmerksam gemacht, bei welcher Gelegenheit zuerst der sehr passende Ausdruck „Mischinfekticn" gebraucht wurde. Eine solche Mischinfektion hegt also offenbar auch in dem hier besprochenen Falle vor. Die primäre Infektion bildete die tuberkulöse Er- krankung der Bronchialdrüsen, welche infolge rapider Wucherung der Bazillen und ihres Eindringens in arterielle Gefäße zu allgemeiner Miliartuberkulose führte. Erst nachdem diese Krankheit schon weit gediehen Avar, den Organismus in seinem Kräftezustand sehr herabgesetzt und damit wahrscheinlich den Boden für die Mikrokokkeninvasion vor- bereitet hatte, erfolgte letztere, allem Anschein nach von einem geschwürigen Defekt an der Zunge ausgehend, und bewirkte im Verein mit der Miliartuberkulose dem Kranken ein um so schnelleres Ende. Eine ähnüche Kombination von Tuberkelbazillen in Miliartuberkel der Lvuage und Mikrokokkenpfröpfen in den benachbarten Gefäßen hat auch Watson Cheyne^) beobachtet, und es läßt sich wohl annehmen, daß bei einiger Aufmerksamkeit diese Art der Mischinfektion nicht allzu selten zu finden sein wird. Von den übrigen zur Untersuchung gekommenen Fällen von Miliartuberkulose mögen noch folgende kurz skizziert werden. 5. Kjiabe von 8 Jahren. Käsige Bronchialdrüsen, zahlreiche miliare Tuberkel in den Lrmgen, der Milz, Leber und Nieren. Die Knötchen der Lunge waren durchweg mit großem kernlosen käsigen Zentrum versehen und es waren nur in den peripherischen Teilen derselben vereinzelte kleine Gruppen von Bazillen aufzufinden. Auch in einigen Riesenzellen am Rande der käsigen Zentren waren Tuberkelbazillen nachzuweisen. Ebenso fanden sich in der Milz bazillenhaltige Riesenzellen. In den Knötchen der Leber und Nieren gelang es in diesem Falle nicht, Bazillen aufzufinden. Dagegen waren sie in den Bronchialdrüsen recht reichlich in einzelnen Nestern vorhanden. 6. 34 Jahre alter, kräftig gebauter und gut genährter Mann. Litt seit ungefähr 3 Wochen vor seinem Eintritt ins Krankenhaus an Husten. Ziemüch hohes Fieber und bronchopneumonische Sj^mptome; es stellten sich bald zerebrale Erscheinungen ein und es konnte ophthalmoskopisch Tuberkulose der Choroidea konstatiert werden. Der Tod erfolgte 14 Tage nach der Aufnahme. Käsige konfluierende Herde in beiden Lungen- spitzen; ziemUch große, nicht sehr dicht gesäte MiHartuberkeln in den Lungen, in der Milz und Leber; Bronchialdrüsen verkäst. In den Knötchen der Lunge finden sich Tuber- kelbaziUen nur vereinzelt in der Peripherie. Leber und Milz enthalten Riesenzellen, darunter einige mit Bazillen. Auch in den Bronchialdrüsen konnten nur an wenigen Stellen kleine Gruppen von Bazillen nachgewiesen werden. 7. 17 Jahre alter Bäckerlehrling, anämisch und von schwächlichem Körperbau, hustete seit einem halben Jahre, wurde mit einem rechtsseitigen pleuritischen Exsudat in das Krankenhaus aufgenommen. Die Punktion des Thorax entleerte 500 ccm klare seröse Flüssigkeit. 4 Wochen später stellten sich Zerebralsymptome ein und nach weiteren 2 Wochen erfolgte der Tod. Die Sektion ergab eine tuberkulöse Pleuritis, Miliartuberkulose der Lungen und tuberkulöse Meningitis. In den Knötchen der Lungen sowohl als in denjenigen der Pia mater fanden sich Tuberkelbazillen, und zwar stellenweise in reich- licher Menge. 8. 6 Jahre altes Mädchen. Bronchialdrüsen verkäst und zum Teil verkalkt. Einzelne lobuläre, rot hepatisierte Herde in den Lungen, innerhalb deren die Bronchien mit eite- rigem Inhalt versehen waren. An der Gehirnbasis trübe sulzige Infiltration der Pia; zahlreiche mihare und submiliare Knötchen an den Gefäßen der Fossa Sylvii. Die mikro- ') Berliner klinische Wochenschrift, 1882, Nr. 44. ■-) The Practitioner. Vol. XXX, No. IV (April 1883), p. 295. Die Ätiologie dei' Tuberkulose. 497 skopische Untersuchung ergab in den Bronchialdrüisen an vereinze^lten Stellen Tuberkel- bazillen in geringer Zahl. In den hepatisierten Partien der Lunge fanden sich die Alveolen mit Bakterien von verschiedenen Arten erfüllt ( Aspirationspneu monie). Die Meningeal- tuberkel waren sehr reichlich mit Tuberkelbazillen versehen und entsprachen ungefähr den in Fig. 7 und 8 gegebenen Abbildungen. II. 34 jähriger Arbeiter. Potator, 2 Jahre vorher wegen Karies der Handwurzel- knochen behandelt. Komplikation mit lymphangitischen Abszessen am linken Fußrücken und Oberschenkel. Tod unter zerebralen Symptomen nach 7 wöchentlichem Aufenthalt im Krankenhause. Die Sektion ergab: Käsige Infiltration mit Kavernenbildung in beiden Lungenspitzen, Miliartuberkel in beiden Lungen und an der Gehirnbasis. Sowohl in den Lungen- als in den Meningealtu berkein fanden sich ziemlich zahlreiche Tuberkel- bazillen . 10. 5 jähriger Knabe. Ausgedehnte \'erkäsung der Bronchialdrüsen. In der linken Lungenspitze ein mehr als haselnußgroßer verkäster Herd mit zentralem Zerfall. Mäßig viele und veihältnismäßig große Miliartuberkel in den Lungen. Ziemlich zahlreiche graue und gelblich-käsige Knötchen in Leber, Milz und Nieren. Die Pia mater der Gehirn- basis graugelb sulzig infiltriert. Bei der mikroskopischen L'ntersuchung fanden sich zahl- reiche Tuberkelbazillen, zum Teil von Riesenzellen eingeschlossen, in den Bronchial- drüseu; ebenfalls massenhafte Anhäufungen der Bazillen in den Tuberkeln der Gehirn- häute. In den Ivnötchen der Lunge, Leber, Milz und Nieren Avaren nur verhältnismäßig wenige Bazillen vorhanden. 11. 1 jähriges, stark atrophisches Kind. Angeblich acht Tage vor seiner Aufnahme mit Husten erkrankt. Die bronchitischen Symptome und Dyspnoe, welche sich bei der ersten Untersuchung vorfanden, nahmen zu und das Kind starb Wochen später. Der rechte obere Lappen der Lunge fand sich käsig infiltriert. Bronchialdrü.sen verkäst. Zahlreiche miliare Tuberkeln auf dem Peritoneum, am Zwerchfell und in der Milz. Tuber- kulöse Meningitis. In den Meningealtuberkeln zahlreiche Tuberkelbazillen. Nester von Bazillen in den käsigen Teilen der Lunge und in den Bronchialdrüsen. Vereinzelte Bazillen in den Tuberkeln des Peritoireum und Zwerchfells, und zwar ausschließlich in Riesen- zellen eingeschlossen. Mäßig A'iele Bazillen in den Milztuberkeln. 2. Lungenphthisis. 29 Fälle wurden untersucht und die Tuberkelbazillen in keinem deiselbcn vermißt. Die Menge der Bazillen unterlag allerdings erheblichen Schwankungen, aber es ließ sich auch hier wie bei der Mihartuberkulose insofern eine Beziehang zwischen der Zahl der Ba- zillen und dem phthisischen Prozeß erkennen, als die Bazillen am reichlichsten in frischen käsigen Infiltrationen und im Innern von Kavernen gefunden wurden, deren Wandungen in rapider Schmelzung begriffen waren. Weniger zahlreich wurden die Bazillen in mit derben schwieligen Wänden versehenen Kavernen angetroffen. Am spärlichsten fanden sie sich im narbigen, schrumpfenden, stark pigmentierten Lungengewebe. Je mehr ihre Zahl abnimmt, um so mehr beschränkt sich ihr Vorkommen auf das Innere von Riesen- zellen. Man darf sich indessen nicht \' irstellen. daß jeder einzelne Fall sich in bezug auf das Vorkommen der Bazillen gleichmäßig verhält, und daß die eine phthisische Lunge durchweg große Mengen von Bazillen, eine andere dagegen überall nur vereinzelte Bazillen aufweist. ^Mitunter kann es allerdings so sein, aber meistens wird man finden, daß in der- selben Lunge ausgedehnte Partien ganz frei von Bazillen sind, aber an einzelnen Stellen sich dichte Nester derselben finden. So können namentlich Kavernen von einiger Aus- flehnung fast oder ganz frei vo)i Bazillen erscheinen, bis man bei weiter fortgesetzter Untersuchung plötzlich in einer versteckten seitlichen Ausbuchtung oder dicht neben Koch, Gesammelte Werke. -^^ 498 Die Ätiologie der Tuberkulose. der Kavernen wand gelagert, aber noch nicht mit ihr verschmolzen, einem oder mehreren Nestern von Tuberkelbazillen begegnet, welche so dicht gelagert sind, daß sie schon bei schwacher Vergrößerung als dunkelblaue Flecke erscheinen. Für die Untersuchung phthisischer Lungen folgt hieraus, daß man sich nicht darauf beschränken darf, von irgend- einer Stelle, z. B. von dem Stück einer Kavernenwand, eine größere Anzahl Schnitte zu durchmustern, sondern es ist zweckmäßig, von möglichst vielen verschiedenen Stellen und zwar von einer jeden derselben eine nicht zu geringe Anzahl von Präparaten zu unter- suchen. Erst dann wird man ein richtiges Bild von dem Verhalten der Tuberkelbazillen in dem betreffenden Falle erhalten. Eine Vorstellung von der Verteilung der Bazillen, wenn sie in großer Menge in phthisischen Lungen auftreten, können die Figuren 12, 13, 17, 18, 19 geben. Fig. 12 zeigt bei 100 facher Vergrößerung, bei welcher einzelne Bazillen nicht mehr, dichtere Bazillenmassen dagegen als blaue Stellen zu sehen sind, eine kleine geschlossene Kaverne, welche gewissermaßen dem Typus einer solchen entspricht. Der Inhalt besteht aus einem Gemisch von Zelldetritus und Tuberkelbazillen und befindet sich in einem erweichten, halbflüssigen Zustande, so daß derselbe, wenn eine Kommunikation mit den offenen Luftwegen sich bildete, sehr bald entleert werden könnte. An der rechten Seite hat die Kavernenwand eine kompakte Beschaffenheit und scheint dem Angriff der Bazillen zu widerstehen; links dagegen bilden die Bazillen eine üppige Vegetation, sie legen sich in dichten Massen der Kavernen wand an, dringen in diese und in das benachbarte Lungen - gewebe ein und bringen es zu rascher Schmelzung. Dieselben Verhältnisse wiederholen sich bei großen Kavernen, natürhch in größerem Maßstabe. So stellt Fig. 13 die Stelle einer großen Kaverne dar, an welcher das von Bazillenmassen durchsetzte Alveolar- gewebe sich auflöst und zerfasert; während in Fig. 18 fest zusammengeschlossene Bazillen- vegetationen der noch dem Eindringen der Bazillen teilweise Widerstand bietenden Kaveraenwand aufgelagert sind. Über die Art und Weise, in welcher die Bazillen unter Umständen in die äußersten Verzweigungen der Luftwege und in die Alveolen vordringen, gibt die Fig. 17 Auskunft. Der Schnitt hatte in diesem Präparat eine Anzahl Alveolen in der Längsrichtung getroffen und es zeigen sich nur noch die äußersten Spitzen der Alveolen mit Bazillenmassen gefüllt, während der übrige Teil derselben und die zuführen- den Luftwege mit kernlosen, nekrotischen Massen ausgefüllt sind und den Weg bezeichnen, welchen die Bazillenvegetation genommen hatte. Nach den bei meinen L'ntersuchungen gemachten Erfahrungen möchte ich mir die Beziehungen der Bazillen zu den phthisischen Prozessen in folgender Weise vorstellen. Es gelangen ursprünglich nur einzelne oder wenige Bazillen in die Lunge, welche wegen ihres langsamen Wachstums sehr bald von einer Zelhnfiltration eingeschlossen und da- durch von einem schnelleren Vordringen in die Umgebung der Infektionsstelle abgehalten werden. Die Bazillen gehen indessen in der Zellinfiltration nicht zugrunde, sondern bringen ebenso wie im Miliartuberkel das Zentrum der Zellenmasse zur Nekrose und Verkäsung. Der erste Anfang einer Phthisis würde, wenn es jemals gelänge, denselben zu Gesicht zu*) bekommen, vollkommen einem Miliartuberkel gleichen. Allmählich nimmt das Knötchen immer größere Dimensionen an und wird dem Miliartuberkel immer un- ähnlicher. Ein Analogon dieses Stadiums würde indessen in den nicht selten vorkommen- den Fällen von großen SolitärtuberkeLn zu finden sein, welche nicht immer vereinzelt, sondern auch in einer gewissen Anzahl in verschiedenen Organen verstreut auftreten köroien. Auch diese möchte ich als aus einzelnen Miüartuberkehi hervorgegangen auf- fassen, deren Zahl so gering ist, daß sie nicht den baldigen Tod ihres Trägers herbeiführen, wie es bei der allgemeinen Mihartuberkulose der Fall ist, die vielmehr Zeit zu weiterem *) Fehlt im Original. Die Ätiologie der Tuberkul(3se. 499 Wachstum gewinnen und schließlich zu käsigen Herden von beträchtlicher Größe heran- ^\'achsen können. Es ist anzunehmen, daß der phthisische Prozeß dieselbe Entwicklung nimmt, daß nämlich von einem miliaren Knötchen ausgehend ein immer weiter um sich greifender Käseherd heranwächst. In der Lunge gestalten sich die Verhältnisse aber noch ganz eigentümlich, weil der größer werdende Käseherd nicht geschlossen bleibt, sondern über kurz oder lang sich einen Weg in die Bronchien bahnt, sich entleert und so in eine Kaverne sich verwandelt. Die weitere Zunahme der Kaverne geht dann in einer sehr unregelmäßigen Weise vor sich, je nachdem der Vegetationsprozeß der Tuberkel- bazillen an einzelnen Stellen kürzere oder längere Zeit Halt macht oder fortschreitet und dementsprechend sich stellenweise Ausbuchtungen oder Schrumpfungen bilden. Im großen und ganzen genommen behält aber die Kaverne, auch wenn sie noch so groß und unregelmäßig gestaltet ist, die wesentlichen Eigenschaften der tuberkulös-käsigen Herde bei: nekrotische Massen im Innern, an welche sich nach außen Nester von epithe- lioiden Zellen mit eingelagerten Riesenzellen anschließen, und in den Riesenzellen vielfach Tuberkelbazillen. Nur insofern findet eine Abweichung statt, daß die Tuberkelbazillen bei der Kaverne auch im Innern der nekrotischen Massen verhältnismäßig reichlich vor- kommen, was bei den käsigen Herden, welche dauernd geschlossen bleiben, gewöhnlich nicht der Fall ist. Vermutlich hat dies darin seinen Grund, daß eine beständige Ent- leerung der abgestorbenen und von den Bazillen als Nährboden gewissermaßen erschöpften Massen stattfindet und die Absonderung der Kavernenwände den Bazillen beständig ein frisches Nährniaterial zuführt. In dieser Weise würde die gewöhnliche chronische Form der Phthisis verlaufen, bei welcher die Vegetation der Bazillen eine sehr verlangsamte und das Vorkommen der Bazillen ein sehr spärliches ist und im wesentlichen auf die Riesenzellen in der nächsten Umgebung der Kavernen und auf den Kaverneninhalt beschränkt bleibt. Sehr beachtens- wert ist noch der Umstand, daß selbst in verhältnismäßig kleinen tuberkulösen Herden das Wachstum und die Verteilung der Bazillen nicht gleichmäßig, sondern mehr oder weniger diskontinuierlich sind. In großen Herden und ganz besonders in größeren Kaver- nen tritt dieses Verhalten, auf wf Iches schon früher hingedeutet wurde, immer auffallender hervor. Es können ausgedehnte Strecken der Kaverne ganz frei von Bazillen und mit- unter die Bazillen überhaupt nur auf einzelne Stellen von sehr geringer Ausdehnung be- schränkt sein. Es läßt dies darauf schließen, daß die Lebensbedingungen für die Bazillen in einem tuberkulösen Herd nicht überall gleich günstig sind und wahrscheinlich auch der Zeit nach Schwankungen unterliegen können. Die Bazillen müssen dann an den Stellen, welche ihnen keinen geeigneten Nährboden mehr abgeben, verschwinden. In diesem Falle kann das eine Mal nur ein vorübergehendes Freiwerden von den Parasiten statt- finden, wenn nämlich die Bazillen von der Nachbarschaft aus später wieder vordringen oder wenn sie Sporen hinterließen, welche unter günstigeren Verhältnissen wieder zur Entwicklung kommen. Das andere Mal wird aber auch eine dauernde Befreiung der erkrankten Stelle von den BaziUen stattfinden können, wenn die eben genannten Bedin- gungen für das Wiederaufleben der Bazillenvegetation nicht eintreten. Es wird dann Schrumpfung, Vernarbung und Heilung an einer solchen Stelle folgen. Es läßt sich nun aber auch denken, daß, so gut wie diese Vorgänge partiell in der Peripherie des tuber- kulösen Herdes vorkommen, dasselbe im ganzen Umfange des Herdes sich ereignen und damit eine vollständige Heilung zustande kommen kann. Analoge Verhältnisse finden sich auch bei anderen durch Bakterien bedingten Krankheiten, welche ebenfalls von der ur- sprünglichen Infektionsstelle sich zentrifugal ausbreiten, dabei aber in ihrem Fortschreiten bedeutende Unregelmäßigkeiten zeigen können und bald an einem Punkte stehen bleiben, bald an anderen rapide weiterwuchern, wie es beispielsweise beim Erysipel der Fall ist. 32» 500 Die Ätiologie der Tuberkulose. Die Entwicklung eines einzelnen unter dem Bilde der chronischen Phthisis ver- laufenden tuberkulösen Herdes in der Lunge kann nun aber in mehrfacher Beziehung kompliziert werden, wenn die Tuberkelbazillen in irgendeiner Weise aus dem Bereich des ursprünglichen Herdes nach anderen Orten hin gelangen und dort zur Entwicklung sekundärer Herde Veranlassung geben. Dieser Vorgang kann sich auf verschiedenen Wegen vollziehen. Einmal können die Bazillen in größere Blutgefäße der Lungen gelangen, über den ganzen Körper durch den Blut ström in mehr oder weniger großer Zahl aus- gesät werden und Miliartuberkulose bewirken. Dann vermögen die Bazillen allem An- schein nach sich auch auf dem Wege der Lymphbahnen zu verbreiten, bis in die Bronchial- drüsen vorzudringen und sekundäre tuberkulöse Veränderungen zu veranlassen. Am weit- aus häufigsten finden aber die aus den Kavernen in die Luftwege beförderten Bazillen Ge- legenheit, sich an anderen Orten festzusetzen. Vielfach nisten sie sich im weiteren Verlauf der Luftwege und zwar vorzugsweise im Kehlkopf ein. Oft fassen sie, wenn das Sputum verschluckt wird, auch im Darmkanal Fuß. Am meisten muß aber der gewöhnliche Verlauf der Phthisis dann beeinflußt werden, wenn bazillenhaltiger Kaverneneiter auf dem Wege ist, durch die Bronchien nach außen befördert zu werden, aber durch irgendeine unglückliche Störung der Respirations- bewegungen wieder aspiriert und in andere bis dahin noch gesunde Teile der Lunge gebracht wird. Wenn nur eine geringe und an Bazillen arme Masse aspiriert wird, dann kann dieselbe auch nur die Entstehung einer verhältnismäßig geringen Anzahl neuer Infektionsherde herbeiführen. Dieselben werden, je nach dem Orte, wohin die bazillen- haltigen Massen gelangen, bald in unmittelbarer Nähe des Mutterherdes, bald weit davon entfernt, selbst in der anderen bis dahin gesunden Lunge von geringen Anfängen ebenso langsam wie der erste Tuberkelherd allmählich heranwachsen und sich ebenfalls schheß- lich zu Kavernen entwickeln. Sobald aber, was gar nicht selten der Fall zu sein scheint, erheblichere Mengen von bazillenreichem Kaverneninhalt aspiriert werden und ausgedehnte Partien der Lunge plötzlich mit dem Infektionsstoff gewissermaßen überschwemmt werden, dann kommt es gar nicht erst zur Bildung einzelner Tuberkelknötchen, sondern es entstehen tuberkulöse Infiltrationen, welche durch die lobuläre und selbst lobäre An- ordnung sofort erkennen lassen, daß sie ihren Ausgang von den Respirationswegen her genommen haben. Das Eindringen der Tuberkelbazillen in Masse hat auch zur Folge, daß es nicht, wie es beim Auftreten einzelner Bazillen der Fall ist, zu abschließenden Zellanhäufungen und zur Bildung von Riesenzellen kommt, sondern es tritt in weitem Umfange und verhältnismäßig schnell die Nekrose der zelhgen Bestandteile des befallenen Gewebes ein. Infolgedessen bilden sich ausgedehnte Verkäsungen, an manchen Stellen auch rapide Schmelzung des Gewebes mit Entwicklung von Kavernen, welche einen anderen Charakter als die früher geschilderten tragen. Während jene Kavernen derbe feste Wände besitzen, in denen sich Riesenzellen und spärliche Tuberkelbazillen finden, sind die Wände der im zusammenbrechenden, in weiter Ausdehnung verkästen Lungengewebe entstandenen Kavernen von dichten BaziUenvegetationen durchsetzt ; sie bestehen nicht aus verdichtetem schwieligen Gewebe, welches nur langsam unter dem Einfluß der Bazillen schmilzt, sondern die Wand läßt noch deutlich die Struktur der Alveolen erkennen, welche von der käsigen bazillenreichen Substanz angefüllt, aber im Begriff sind, aus ihrem Zusammenhang gelöst zu werden und zu zerfallen. Diese Zustände werden gewöhnlich als käsige Pneumonie, akute Phthisis usw. bezeichnet und Fälle dieser Art haben das Material zu den Präparaten geliefert, nach denen die Zeichnungen der Fig. 12, 13, 17, 18, 19 angefertigt sind. Nament- lich sind die Fig. 13 und 17 geeignet, zur Illustration des geschilderten Vorganges zu dienen. Die Ätiologie der Tuberkulose. 501 Die allerverschieclensten Kombinationen dieser beiden soeben geschilderten Pro- zesse, des aus einem einzigen Infektionsherd hervorgehenden, langsam um sich greifenden tuberkulösen Herdes und der aus einer Überschwemmung mit Infektionsmaterial ent- stehenden käsigen Infiltration, geben das gestaltenreiche Bild der mit dem allgemeinen Namen Phthisis belegten tuberkulösen Zerstörungen der Lunge. Es verdient noch erwähnt zu werden, daß die zu käsigen Infiltrationen Veranlassung gebenden aspirierten Massen nicht immer aus einem tuberkulösen Herd der Lunge selbst stammen müssen. Es stehen mir einige Beobachtungen an Tieren zur Verfügung, welche beweisen, daß eine käsige Ulzeration der Tonsillen oder ein tuberkulöses Geschwür am Kieferrande, welches infolge einer Bißwunde bei einem Kaninchen sieh entwickelt hatte, in einem Falle auch eine mit den Luftwegen kommunizierende verkäste Bronchialdrüse die bazillenhaltigen Massen liefern können, welche in die Lunge aspiriert werden. Es sind des- wegen auch beim Menschen tuberkulöse Prozesse im Kehlkopf, Rachen und in der Mund- höhle, sowie verkäste Bronchialdrüsen, sobald letztere in die Bronchien ihren Inhalt ent- leeren, als Ausgangspunkte von käsigen Infiltrationen der Lunge wohl im Auge zu behalten. Eine besondere Berücksichtigung verdient noch das Verhalten des Sekretes tuber- kulöser Lungen, das phthisische Sputum. Da die Tuberkelbazillen bei keinen anderen Krankheitszuständen als bei den tuberkulösen vorkommen, so ist dem Nachweis derselben eine sehr wichtige diagnostische Bedeutung beizumessen. Die ersten Untersuchungen, welche ich mit phthisischem Sputum anstellte, führten zu dem Ergebnis, daß ungefähr in der Hälfte der untersuchten Fälle sehr reichliche Mengen von Bazillen im Sputum sich zeigten, in anderen Fällen waren nur wenige Bazillen zu finden inid in manchen schienen sie zu fehlen. Als ich aber das Ehrlich sehe Färbungsverfahren anwandte und mir eine größere Übung erworben hatte, ist mir unter einer nicht geringen Zahl von Phthisen kein Fall mehr vorgekommen, in welchem die Bazillen gefehlt hätten. Damit soll nicht etwa gesagt sein, daß nicht doch in vereinzelten Fällen auch die Bazillen bei wiederholtem LTntersuchen des Sputums vermißt werden, im allgemeinen aber kann es auf Grund der überaus zahlreichen, inzwischen auch von anderen Forschern veröffent- lichten Untersuchungsresultate als eine feststehende Tatsache angesehen werden, dal,5 die Bazillen mit wenigen Ausnahmen konstant im phthisischen Sputum vorkommen, im Sputum anderer Lungenkranken dagegen fehlen und somit ein untrügliches diagnosti- sches Kennzeichen für das Vorhandensein tuberkulöser Lungenaffektionen abgeben. Oft treten die Bazillen im Sputum in ganz bedeutender Menge auf. Anscheinend sind dies immer Fälle, in denen es sich um schnelle Schmelzung käsig infiltrierter Lungen- partien handelt und in denen Kavernenwände, wie sie in den Fig. 13 und 18 abgebildet sind, ihr Sekret dem Sputum beigemengt haben. Die schon von jeher als besonders charakteristische Bestandteile des phthisischen Sputums bekannten käsigen Bröckchen bestehen fast ganz aus Bazillenmassen. Auf dem Deckglas ausgebreitet gibt ein solches käsiges Bröckchen Bilder, wie sie die Fig. 15 zeigt. Man kann sich die käsigen Bröckchen als in der Weise entstanden denken, daß kompakte Bazillenmassen, wie sie mitunter an der Innenwand der Kavernen gefunden werden (Fig. 18). sich im ganzen ablösen und von dem Kavernensekret fortgeschwenimt werden. Einer mittleren BaziUen- menge entspricht das in Fig. 14 abgebildete Präparat, welches auch die Lagerung und Gruppierung der Tuberkelbazillen, wie sie sich in Deckglaspräparaten gewöhnlich zeigt, sehr charakteristisch wiedergibt. Vielfach begegnet man indessen auch solchen FäUen, in denen das Sputum sehr arm an Bazillen ist und eine Reihe von Präparaten abgesucht, ja mitunter die Untersuchung mehrere Tage hintereinander wiederholt werden muß, ehe es gehngt, einige Bazillen zu entdecken. Die von G a f f k y bei einer Anzahl von Phtisikern durch eine längere Zeit fortgeführten Sputumuntersuchungen. welche sich 502 Die Ätiologie der Tuberkulose. in diesem Bande der Mitteilungen veröffentlicht finden^), geben am besten eine Vorstellimg von der Frequenz der Bazillen im phthisischen Sputum. Sehr oft sind die im Sputum vorkommenden Bazillen sporenhaltig, und zwar scheint dies besonders dann der Fall zu sein, wenn die Bazillen sich unbehindert und reichlich, z. B. bei den käsigen Infiltrationen, entwickeln konnten. Gerade diese Verhältnisse sind für die Ätiologie der Tuberkulose von der größten Wichtigkeit und es wird auf dieselben später noch zurückzukommen sein. Da das Sputum immer mehr oder weniger mit Speichel vermengt ist, so enthält dasselbe neben den Tuberkel bazillen auch regelmäßig andere Bakterienarten, und zwar um so reichlicher und in um so mannigfaltigeren Arten, je mehr Speichel und Mundhöhlen- schleim demselben beigemischt ist. Die Fig. 16 ist nach einem Präparat gezeichnet, welches neben den Tuberkel bazillen viele der Mundhöhle entstammende Bakterien enthielt und die hauptsächlichsten Formen der letzteren wiedergibt. Wenn Sputum längere Zeit in einem Gefäß aufbewahrt wird, dann bleiben die Tuberkelbazillen unverändert, sowohl in bezug auf ihre Anzahl, als ihr Verhalten den Farbstoffen gegenüber. Die anderen Bakterien dagegen vermehren sich sehr bald, es stellen sich auch noch andere Bakterien, aus der Luft oder zufälligen Verunreinigungen herrührend, ein, und es entwickelt sich sehr bald eine regelrechte Fäulnis. Bei der mikro- skopischen Untersuchung finden sich dann zahllose, sehr vielen verschiedenen Arten angehörige Bakterien, aber es ist mir bis jetzt niemals begegnet, daß unter den im frischen Sputum vorkommenden Bakterien aus der Mundhöhle oder unter den im faulenden Sputum auftretenden Bakterien sich solche befunden hätten, welche sich tinktoriell wie die Tuberkelbazillen verhielten. Letztere behalten stets, wenn die Färbung vor- schriftsmäßig ausgeführt wird, ihre intensiv blaue Farbe, während alle übrigen Bakterien braungefärbt erscheinen. Zu erwähnen ist noch, daß mitunter Bakterien auch in die Kavernen eindringen und sich in deren Sekret vermehren können, so daß man in diesen Fällen schon im Kaver- neninhalt neben den Tuberkelbazillen andere Bakterien findet. Es handelte sich indes in den wenigen Fällen, auf welche sich meine derartigen Beobachtungen erstrecken, immer nur um bestimmte Bakterienarten, so daß nicht etwa, wie in dem der Luft aus- gesetzten Sputum, eine Art von Fäulnis des Kavemeninhalts vorlag, sondern angenommen werden muß, daß von den verschiedenen Bakterienarten, welche der Zufall in die Kavernen hineinführt, nur ganz bestimmte daselbst zu gedeihen vermögen. Dieselben führen dann entweder ein unschädliches Schmarotzerleben in dem Kaverneninhalt, wie z. B. die Bak- terien des grünen Eiters, welche ich wiederholt in großen, alten Kavernen gefunden habe, oder sie beteiligen sich anscheinend an dem Zerstörungswerk der Tuberkelbazillen, wie es mir mit einer besonderen Art von Mikrokokken der Fall zu sein schien. Letztere zeichnen sich durch eine eigentümliche Anordnung aus, sie bilden fast regelmäßig Gruppen von 4 Exemplaren und haben deswegen beim ersten Anblick eine gewisse Ähnhchkeit mit Sarzine, unterscheiden sich von dieser jedoch im übrigen sehr wesentlich. G a f f k y hat die Eigenschaften derselben weiter verfolgt-) und gefunden, daß sie für manche Tier- spezies pathogen sind. Auch in dem Falle, in welchem sie zuerst entdeckt wurden, schienen sie zu dem schnellen Zerfall des Lungengewebes beigetragen zu haben. Es ist sehr wün- schenswert, daß auf diese Kombinationen der Phthisis in Zukunft geachtet werde, weil dieselben zum Auffinden solcher Bakterienarten führen müssen, welche an und für sich gar keine oder nur bedingte pathogene Eigenschaften für den menschlichen Organismus ^) Gaffky, Ein Beitrag zum Verhalten der Tiiberkelbazillen im Sputum. Mitteil, des Kaiserl. Gesundheitsamtes, 1884, Bd. II, p. 126. D. Herausgeber. ■-) Langenbecks Archiv, Bd. XXVIII, Heft 3. Die Ätiologie der Tuberkulose. 503 besitzen, aber unter besonderen für sie günstigen Bedingungen, wie z. B. in einem ulzerösen Herd der Lunge, sich einnisten und für den weiteren Verlauf des Prozesses von entscliei- dendem Einfluß sein können. Von welcher Bedeutung derartige, sekundär zur Wirkung kommende Bakterien sein können, ist bereits bei Besprechung der Miliartuberkulose und der dabei vorkommenden Mischinfektion im Fall 4 erwähnt. Im Anschluß an die Lungenphthisis mögen hier noch einige Bemerkungen über die Darmphthisis Platz finden. Unter den 29 Fällen von Phthisis, welche ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, erhielt ich außer Teilen der phthisischen Lunge auch in acht Fällen Stücke vom Dünndarm mit tuberkulösen Ulzerationen und ebensooft käsige Mesenterial- drüsen. Mehrfach waren die Dünndarmgeschwüre von frischen Tuberkeleruptionen, welche den Lymphbahnen folgten, umgeben. Einem solchen Falle entstammt das Prä- parat, welches in Fig. 20 bei 3 facher Vergrößerung abgebildet ist. Diese Abbildung zeigt die seröse Oberfläche des Darms und die wurzelähnlich vom primären tuberkulösen Herd ausgehenden Stränge, welche von dicht aneinandergereihten und zu kleinen Gruppen vereinigten Tuberkelknötchen gebildet werden. In Fig. 21 ist ein Schnitt durcli eine solche Tuberkelgruppe bei 70 facher Vergrößerung abgebildet. Die Tuberkel sind so reich an Tuberkelbazillen, daß schon bei der schwachen Vergrößerung blaue Stellen erscheinen. Eine dieser letzteren ist dann in Fig. 22 bei 700 facher Vergrößerung wiedergegeben, um zu zeigen, daß die blaue Färbung in der Tat dvn-ch Anhäufungen von Tuberkelbazillen veranlaßt ist. In den übrigen Fällen von Darmtuberkulose war das Verhalten der Bazillen das nämliche wie in dem für die Abbildungen benutzten. Die Bazillen waren stets in großer IMenge vorhanden und fanden sich in den am meisten zentrifugal gelegenen, also in den jüngsten Knötchen am zahlreichsten. Auch in den zu diesen Fällen gehörigen Mesenterialdrüsen waren die Tuberkel- bazillen immer in dichten Schwärmen vorhanden, welche sich hauptsächlich an der Peri- pherie der verkästen Stellen ausbreiteten. Das Wachstum der Bazillen scheint demnach, soweit sich wenigstens aus dem mir zu Gebote stehenden Untersuchungsmaterial schließen läßt, im Darm günstigere Be- dingungen zu finden, als dies in der Lunge gewöhnlich der Fall ist. Es darf deswegen auch nicht überraschen, wenn in den Ausleerungen der mit tuberkulösen Darmgeschwüren versehenen Phthisiker die Tuberkelbazillen, und zwar in verhältnismäßig reichlicher Menge, vorkommen, wie L i c h t h e i m zuerst gefunden hat. Unter den zahllosen und zum größten Teil stäbchenförmigen Bakterien des Darminhaltes würde allerdings der mikroskopische Nachweis der Tuberkelbazillen so gut wie unmöglich gewesen sein. Avenn nicht die spezifischen tinktoriellen Eigenschaften der letzteren zu Hilfe kämen, welche sich gerade in diesem Falle als besonders nützlich erweisen. In Fig. 23 ist ein Deckglas- präparat einer tuberkelbazillenhaltigen Darmausleerung von einem Phthisiker abgebildet, in dessen Darm nach dem einige Wochen später erfolgtenTode tuberkulöse Geschwüre nachgewiesen wurden. Da von mehreren Seiten die Sicherheit des Nachweises von Tuberkelbazillen in Darmausleerungen bezweifelt ist, so veranlaßte ich Herrn Dr. G a f f k y, hierüber eine Reihe von Untersuchungen anzustellen. Dieselben ergaben, daß weder in den Ausleerungen GJesunder, noch in den Ausleerimgen von Kranken, welche an nicht tuberkulösen Krankheiten litten, irgendwelche Bakterien gefunden wurden, welche die- selbe Farbenreaktion wie die Tuberkelbazillen gaben. Auch nicht bei allen Phthisikern, welche daraufhin untersucht wurden und welche im Sputum Tuberkelbazillen hatten, konnten solche in den Darmausleerungen nachgewiesen werden; regelmäßig aber bei Phthisikeria, welche deutliche Symptome ulzeröser Erkrankung des Darms hatten. Eine von G a f f k y bei diesen Untersuchungen gemachte Beobachtung verdient noch besondere 504 Die Ätiologie der Tuberkulose. Erwähnung. Es kommen nämlich im Davminhalt nicht selten große sporenhaltige Bazillen vor, deren Körper, ebenso wie der aller übrigen Bakterien, die braune Farbe annimmt, während die Spore mehr oder weniger intensiv blaugefärbt bleibt. Die Sporen scheinen um so dunkler blaugefärbt zu werden, je jünger sie sind. Wenn der Körper des Bazillus zugrunde geht und die Spore allein zurückbleibt, dann kann dieselbe, da sie an Größe ungefähr einem großen Mikrokokkus gleicht, mit einem solchen beim ersten Anblick leicht verwechselt werden; namentlich wenn mehrere Sporen nahe beisammenliegen, können sie einem Häufchen von großen Mikrokokken sehr ähnlich sein. Vermutlich sind deswegen die von L i c h t h e i m als blaugefärbte Mikrokokken bezeichneten Gebilde mit diesen Sporen, von denen in Fig. 23 bei a eine kleine Gruppe abgebildet ist, identisch. Es scheinen aber auch noch andere im Darm vorkommende Bazillen Sporen zu bilden, welche bei dem Ehrlich sehen Färbungsverfahren die blaue Färbung beibehalten, denn G a f f k y fand in den Darmausleerungen eines tuberkulösen Affen neben Tuberkel- bazillen Bazillen von noch größeren Dimensionen als die vorhin erwähnten. Dieselben hatten nicht eiförmige, sondern sehr langgestreckte, fast stäbchenförmige Sporen. Die Sporen waren endständig und in mehrgliedrigen Bazillen so angeordnet, daß in zwei be- nachbarten Gliedern die sporenhaltigen Enden einander zugekehrt waren und also in der hier durch Punkte (Sporen) und Striche (Bazillenglied) angedeuteten Weise folgten - • ■ • , eine eigentümliche Anordnung der Sporen, auf welche ich schon bei einer anderen Gelegenheit einmal aufmerksam gemacht habe^). Die Sporen der Milzbrand-, Heu- und Kartoffelbazillen, welche ebenfalls mit dem Ehrlich sehen Färbungsver- fahren geprüft wurden, zeigten die Reaktion nicht, aber es ist sehr wahrscheinhch, daß sich doch noch andere Bazillensporen tinktoriell so verhalten, wie die der beiden beschrie- benen Bazillen und daß man mit Hilfe der Anihnreaktion diese Bazillenarten von anderen leicht wird unterscheiden können. Das Tier, bei welchem die Bazillen mit stäbchen- förmigen Sporen gefunden wurden, starb bald nachher und hatte, wie die Sektion ergab, außer zahlreichen Tuberkeln in den Lungen, Milz usw. auch mehrere tuberkulöse und mit massenhaften Tuberkelbazillen versehene Geschwüre im Dünndarm. Von den zur Untersuchung gekommenen Phthisisfällen will ich nur einige, welche als Ausgangspunkte für Impfungen und für Kulturen der Tuberkelbazillen dienten, hervorheben. 1. Frau von 30 Jahren, deren Mutter ebenfalls an Phthisis gestorben ist. Litt seit einem halben Jahre an Husten mit Auswurf. Starke Abmagerung, hin und wieder geringes Fieber. Tod nach dreimonatlichem Aufenthalt im Krankenhaus. Sektion: Linke Lunge partieU verwachsen ; sowohl der obere als der untere Lappen mit einer Anzahl kommuni- zierender Kavernen durchsetzt. Rechte Lunge ebenfalls verwachsen, enthält eine große buchtige Kaverne im oberen Lappen und mehrere kleinere im Mittellappen. Milz, Nieren. Leber frei von tuberkulösen Veränderungen. Es fanden sich bei der mikroskopischen L%tersuchung im Kavemeninhalt nur mäßig viele Bazillen. In der Umgebung der mit derben Wandungen versehenen Kavernen Riesenzellen, welche um kleine kernlose Herde gruppiert und vielfach mit Tuberkelbazillen versehen waren. 2. Mann von 23 Jahren. Die Mutter desselben soll an Phthisis geütten haben. Ein Jahr zuvor wegen Pleuritis im Krankenhause gewesen. Seit mehreren Monaten wieder- holt Hämoptysis. Außerdem Durchfall. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus mager, anämisch; Dämpfung und Bronchialatmen über der rechten Lungenspitze, Husten mit eitrigem Auswurf. Tod nach 4 Monaten. In der rechten Lunge große Kavernen mit teils schwieligen, teils käsig infiltrierten Wänden. An den Stimmbändern tuberkulöse Ulzera- ') F. Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. II, Heft 3. Diese Werke p. 27 ff. D. Herausgeber. Die Ätiologie der Tuberkulose. 505 tionen. Beginnende amyloide Degeneration der Milz. Zahlreiche Geschwüre im Darm. Schwellung und Verkäs ung der Mesenterialdrüsen. Auch in diesem Falle waren die Tuberkelbazillen in verhältnismäßig geringer Zahl im Kavei'neninhalt und im Lungen- gewebe, dagegen in großer Menge im Grunde der Darmgeschwüre und in den verkästen Mesenterialdrüsen vorhanden. 3. Arbeiter von 43 Jahren, ziemlich kräftig gebaut, keine Heredität nachzuweisen. Litt seit einem Vierteljahr an Husten, Auswurf und zunehmender Schwäche. In der letzten Zeit hatten sich die Beschwerden, namentlich Dyspnoe sehr verschlimmert. Tod nach 12tägigeni Aufenthalt im Krankenhaus. In beiden Lungenspitzen Kavernen von mäßiger Größe, ausgedehnte käsige Infiltrationen mit stellenweiser Erweichung und Kavernenbildung in den mittleren und unteren Teilen der Lunge. LTlzerationen im Kehl- kopf. In den Kavernen sowohl als in dem käsig infiltrierten Lungengewebe finden sich die Bazillen in sehr großer Menge. Die Fig. 12 ist nach einem Präparat aus dieser Lunge gezeichnet. 4. Mann von 32 Jahren, hereditär nicht belastet. Angeblich erst seit 4 Wochen krank. Bei der Aufnahme anämisch, abgemagert. Tod nach sechswöchentlichem Aufent- halt im Krankenhaus. In beiden Lungen zahlreiche Kavernen von verschiedener Größe, deren L^mgebung in weiter Ausdehnung käsig infiltriert war. Einige kleinere Kavernen lagen nahe an der Oberfläche und machten sich als leichte Hervorwölbungen kenntlich. Dieselben wurden zur Gewinnung von Reinkulturen benutzt. Auch stammen die Abbil- dungen Fig. 13, IS, 19 von diesem Falle. 5. Dienstmädchen von 19 Jahren, Mutter an Phthisis gestorben. Seit einem Jahre an Husten leidend. Ist von schwachem Körperbau, abgemagert, kurzatmig und hat profuse Schweiße. Tod nach siebenwöchentlichem Aufenthalt im Krankenhaus. Im linken oberen Lungenlappen eine mäßig große Kaverne. Der übrige Teil des Lappens infiltriert von dicht aneinanderstehenden lobulären käsigen Herden, zum Teil mit zentralem Zerfall. Rechts fast die ganze Lunge mit graugelben käsigen Massen infiltriert und mit vielen erweichten Stellen. In der Trachea flache Ulzerationen. Im Ileum und im Anfang des Kolon zahlreiche Geschwüre mit buchtigen Rändern. Mesenterialdrüsen zum Teil frisch käsig infiltriert. Sowohl im Innern der Kaverne als in den käsig infiltrierten Partien beider Lungen fanden sich außerordentliche Mengen von Bazillen, meistens nesterweise zusammengehäuft. Aus der rechten Lunge stammt das Präparat, welches in Fig. 17 wiedergegeben ist und das Eindringen der Bazillen in die Lungenalveolen zeigt. Auch in den Darmgeschwüren und Mesenterialdrüsen waren die Tuberkelbazillen in bedeutender Anzahl vorhanden. 3. Tuberkulose verschiedener Organe. Die unter dieser Rubrik zu erwähnenden, von mir untersuchten Fälle von Tuber- kulose betreffen einzelne Organe, welche teils operativ entfernt wurden, teils von Sektionen herrührten, ohne daß mir weitere Notizen über den Krankheitsverlauf oder über den übrigen Sektionsbefund zugegangen sind. Ich kann dieselben deswegen hier nur summa- risch aufzählen. 2 Fälle von tuberkulösen Geschwüren der Zunge. Im Grunde der Geschwüi^e und stellenweise in das Zungengewebe tief vordiingend fanden sich dichte Schwärme von Tuberkelbazillen. Ebenso reichlich waren die Tuberkelbazillen vorhanden in 4 Fällen von Tuberkulose des Nierenbeckens, in einem Fall von Tuberkulose der Harnblase und der Harnröhre, einmal bei Tul)erkulose der Nebenniere und in einem Fall von Tuberkulose des Uterus und der Tuben. 506 Die Ätiologie der Tuberkulose. Dagegen Avar die Zahl der Tuberkelbazillen sehr gering in 5 operativ entfernten tuberkulösen Hoden. Sie konnten hier nur vereinzelt in den zahlreich vorhandenen Riesenzellen nachgewiesen werden. Ganz dasselbe Verhalten zeigte sich auch in 2 Fällen von großen solitären Tu- berkelherden des Gehirns. Auch hier beschränkte sich das Vorkommen der Bazillen auf die Riesenzellen. Der einzige von den hierhergehörigen Fällen, in welchem überhaupt keine Tuberkel- bazillen nachzuweisen waren, betraf die Untersuchung von Eiter, welcher aus einem tuberkulösen Nierenabszeß stammte. Die Verimpfung dieses Eiters hatte ein positives Resultat gegeben und es mußten also Infektionskeime in demselben vorhanden sein. Es wird später noch von diesem Falle die Rede sein und die Erklärung für den negativen Ausfall der mikroskopischen Untersuchung gegeben werden. 4. Skrofulöse Drüsen. Die skrofulösen Drüsen, welche ich untersucht habe, verdanke ich zum größten Teil Herrn Geh. -Rat B a r d e 1 e b e n, welcher mir dieselben, gleich nachdem sie exstir- piert waren, zur Verfügung stellte. Im ganzen kamen 21 Fälle zur Untersuchung, in denen die Drüsen sich als tuberkulös erwiesen. Ich verstehe darunter das Vorhandensein von epithelioiden Zellen, welche herdweise gruppiert sind und mehr oder weniger zahlreiche Riesenzellen einschließen. Mit wenigen Ausnahmen, in denen eine Nekrose und Ver- käsung des erkrankten Drüsengewebes noch nicht eingetreten war, schlössen sich diese Nester von epithehoiden Zellen unmittelbar an die vorhandenen käsigen Herde an und bildeten die nächste Umhüllung derselben. Nur in Drüsen, welche eine derartige tuber- kulöse Struktur besaßen, konnten Tuberkelbazillen nachgewiesen werden. In einer An- zahl von Fällen dagegen, in denen die Drüsen vergrößert, zum Teil auch erweicht und von Eiterherden durchsetzt waren, aber epithelioide Zellen und Riesenzellen sowie die charakteristische Gewebsnekrose fehlten, wurden keine Bazillen gefunden. Die zur Untersuchung gekommenen tuberkulösen resp. skrofulösen Drüsen ge- hörten 21 verschiedenen Kranken an. Davon befanden sich 11 im Alter von 10 — 20 Jahren, 7 im Alter von 20 — 30 Jahren, je einer von 37, 39 und 3 Jahren. Die Drüsen hatten ihren Sitz gehabt: 15 mal am Halse und in der Submaxillargegend, 3 mal am Nacken, 2 mal in der Achselhöhle und 1 mal in der Kubitalgegend ; im letzten Falle, welcher einen 3 jährigen Knaben betraf, bestand zu gleicher Zeit Karies der Handwurzel derselben Seite. Bei 3 Fällen waren Rezidive nach der ersten Operation aufgetreten und hatten die Veranlassung zu einer nochmaligen Drüsenexstirpation gegeben. Von mehreren Fällen war angegeben, daß in der Familie Phthi.sis erblich sei. Im allgemeinen verhielten sich die tuberkulösen Drüsen in bezug auf ihren Gehalt an Tuberkelbazillen sehr gleichmäßig. Im Innern der Käseherde habe ich die Bazillen nur in 2 Fällen und auch hier nur ganz vereinzelt gefunden. Auch zwischen den epithe- lioiden Zellen traten die Bazillen nur ausnahmsweise in einzelnen Exemplaren auf. Da- gegen fanden sich regelmäßig unter den Riesenzellen einige, bisweilen auch ziemlich viele, welche einen oder zwei Tuberkelbazillen enthielten. Riesenzellen mit einer größeren Anzahl von Bazillen, wie man sie so oft in Bronchial- und Mesenterialdrüsen antrifft, habe ich in skrofulösen Drüsen niemals finden können. In den 3 FäUen, in welchen nach einem längeren Zeitraum eine zweite Drüsen- exstirpation stattfand, zeigten sich die Drüsen zweimal von derselben Beschaffenheit wie bei der ersten Untersuchung; der dritte dieser Fälle, welcher auch im übrigen be- merkenswert ist, verhielt sich folgendermaßen : 34 jähriger, kräftig gebauter Mann. Seit Die Ätiologie der Tuberkulose. 507 einem Jahre waren am Halse und in beiden Achselhöhlen große Drüsentumoren entstanden und hatte sich gleichzeitig hochgradige Anämie entwickelt. In den Lungen keine Tuber- kulose nachweisbar. Die exzidierten Tumoren hatten Gestalt und Größe von Kartoffeln, waren von weicher, fast markartiger Beschaffenheit und ohne käsige Veränderungen im Innern. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß in die Geschwulstmasse zahllose kleine Herde von epithelioiden Zellen eingebettet waren, welche in ihrer Mitte eine oder mehrere Riesenzellen enthielten. In ziemlich vielen dieser Riesenzellen fanden sich ein oder höchstens zwei Tuberkelbazillen. Ganz vereinzelt kam es auch vor, daß ein Bazillus im Innern einer epithelioiden Zelle, unmittelbar neben dem Kern derselben, gelagert war. Kaum ein Jahr nach der Entfernung dieser Drüsen hatten sich an den Operations- stellen fast ebenso große Tumoren von neuem entwickelt. Dieselben wurden wieder exstirpiert und zeigten dasselbe mikroskopische Verhalten, nur mit dem Unterschied, daß die Zahl der bazillenführenden Riesenzellen gegen früher entschieden zugenommen hatte. In Fig. 25 ist eine Riesenzelle, welche sich in dem Präparat einer Achseldrüse dieses Falles befand, abgebildet. Die in Fig. 24 abgebildete Riesenzelle stammt aus der Submaxillardrüse eines 8 jährigen skrofulösen Knaben. Aus derselben Drüse wurden Reinkulturen von Tuberkelbazillen erhalten. 5. Tuberkulose der Gelenke und Knochen. Es wurden von mir untersucht: 13 tuberkulöse Gelenke, und zwar 3 Hüftgelenke, 5 Kniegelenke, 3 Ellenbogengelenke, 1 Fußgelenk, 1 Fingergelenk; ferner 10 tuberkulöse Knochenaffektionen, und zwar 3 mal an Handwurzel-, 5 mal an Fußwurzelknochen, 2 mal Wirbelkaries (von diesen letzteren wurde in einem Falle nur der Eiter untersucht). Zum größten Teil verdanke ich auch dieses Untersuchungsmaterial Herrn Geh. -Rat Bardeleben. Das Granulationsgewebe, welches sich in der Umgebung tuberkulöser Knochen und Gelenke bildet, bietet keine wesentlichen Unterschiede in den einzelnen Fällen. Es wiederholt sich ganz konstant dasselbe Bild in der Gewebsstruktm^ und in der Anordnung der Bazillen und dasselbe gleicht vollkommen demjenigen, wie es von den skrofulösen Drüsen beschrieben ist. Es finden sich ebenfalls mehr oder Aveniger dicht eingesprengte imd oft konfluierende Herde von epithelioiden Zellen, welche Riesenzellen umschließen, und ebenso ist auch hier das Vorkommen der Bazillen fast ausschließlich auf die Riesen- zellen beschränkt. In den käsigen, kernlosen Stellen ebenso wie im eitrigen Sekret gelang es nur in einigen Fällen , vereinzelte Bazillen aufzufinden. Also auch in dieser Beziehung verhält sich die Knochen- und Gelenktuberkulose ebenso wie diejenige der skrofulösen Drüsen. Die Bazillen konnten in sämtlichen Fällen nachgewiesen werden. Nur in dem von Wirbelkaries stammenden Abszeßeiter war es nicht möglicli Tuberkelbazillen aufzufinden. Aber die Impfung mit diesem Eiter gab gleichfalls, wie früher vom Eiter aus einem tuber- kulösen Nierenabszeß erwähnt wurde, ein positives Resultat. Fig. 27 zeigt bei 70 facher Vergrößerung einen Schnitt aus der fungösen Gelenks- kapsel eines resezierten Hüftgelenks (von einem 18 jährigen hereditär belasteten Kranken). Das Präparat enthält sehr gleichmäßig verteilte, runde Herde von epithelioiden Zellen mit zentral gelagerten Riesenzellen. Die obere Riesenzelle dieses Präparates ist in Fig. 27 in 700 facher Vergrößerung abgebildet. Dieselbe enthält 2 Tuberkelbazillen. 6. Lupus. Nach den anatomischen Untersuchungen F r i e d 1 a e n d e r s und nach den posi- tiven Impfergebnissen, welche Hüter und S c h ü 1 1 e r erhalten hatten, war zu ver- 508 Die Ätiologie der Tuberkulose. muten, daß auch der Lupus zur Gruppe der echten tuberkulösen Erkrankungen gehören müsse. Ich benutzte daher die mir von den Herren Direktor Hahn, Professor Küster und Professor L e w i n bald nach meiner ersten Publikation über die Ätiologie der Tuber- kulose gebotene Gelegenheit, eine Anzahl von Lupusfällen zu untersuchen, um über jene A^ermutung Gewißheit zu erlangen. Es kamen 7 Lüpusfälle zur Untersuchung, welche sämtlich mit den ausgesprochen- sten Syniptonien versehen und durch längere Zeit im Krankenhause beobachtet waren, so daß über die Richtigkeit der Diagnose kein Zweifel obwalten kann. Von 4 Fällen erhielt ich exzidierte Hautstücke, von den übrigen 3 Fällen ausgekratzte Lupussubstanz. Zur direkten mikroskopischen Untersuchung eigneten sich nur die exzidierten Hautstücke. Es wurden in sämtlichen 4 Fällen, wenn auch in jedem einzelnen nur in wenigen Exem- plaren, die Tuberkelbazillen und zwar nur im Innern von Riesenzellen aufgefunden. Die Tuberkelbazillen sind im Lupusgewebe so vereinzelt, daß in 2 Fällen die Bazillen erst dann gefunden wurden, als das eine Mal 27 und das andere Mal 43 Schnitte durchgesucht waren. Doch traf es sich wiederholt, daß, wenn in einer Reihe von Schnitten sich kein einziger Bazillus zeigte, kurz hintereinander Schnitte mit einem bis drei Bazillen folgten. Mehr als einen Bazillus habe ich nie in einer Riesenzelle bei Lupus gesehen. In Fig. 30 ist ein Schnitt bei schwacher (30 facher) Vergrößerung aus lupöser Haut mit drei nebeneinanderhegenden Lupusknötchen und in Fig. 29 eine in dem links ge- legenen Knötchen befindliche Riesenzelle abgebildet, welche einen Tuberkelbazillus an dem kernfreien Pole enthält. Es möge schon hier vorläufig bemerkt werden, daß von sämtlichen 7 Fällen Impfun- gen in die vordere Augenkammer von Kaninchen ausgeführt sind, welche ausnahmslos Iristuberkulose und bei denjenigen Tieren, welche längere Zeit am Leben gelassen wurden, allgemeine Tuberkulose zur Folge hatten. In diesen Impftuberkeln fanden sich zahlreiche Tuberkelbazillen. Von einem Falle (exzidiertes Hautstück aus der Wange eines 10 jährigen Knaben mit Lupus hypertrophicus) gelang es auch Reinkulturen der Bazillen zu gewinnen, welche ebenfalls mehrfach zu erfolgreichen Impfungen an Tieren benutzt sind. B. Tuberkulose der Tiere. Beim Studium der Erscheinungen, unter denen die Tuberkulose bei den verschie- denen Tierarten verläuft, stellt sich die merkwürdige Tatsache heraus, daß die Tuberkulose sich fast bei jeder Tierspezies anders verhält. So auffallend diese Tatsache auch im ersten Augenblick erscheint, so steht sie doch im Einklänge mit den über andere Bakterien- krankheiten gemachten Beobachtungen. So verhält sich auch der Milzbrand in ähnlicher Weise verschieden bei verschiedenen Tieren; ein anderes Beispiel bietet die durch sehr kleine Bazillen bedingte Mäusesepticämie, welche, wenn sie verimpft wird, Mäuse tötet, aber bei Kaninchen nur eine auf die Haut beschränkt bleibende, erysipelasartige Krank- heit hervorruft. Bis jetzt ist noch kein warmblütiges Tier bekannt, welches gegen die Infektion mit Tuberkelvirus ganz unempfänglich ist, und es läßt sich danach wohl erwarten, daß sich recht viele Varietäten in dem anatomischen Bilde der Tuberkulose bei den verschiedenen Tierspezies ergeben werden. So verschieden sich nun aber auch die Symptome der Tuberkulose bei einzelnen Spezies gestalten können und so schwer man beispielsweise geneigt sein könnte, eine menschhche Phthisis und eine Impf tuberkulöse des Meerschweinchens als gleichartige Krankheiten zu erklären, so finden .sich doch zwischen diesen Extremen, teils schon in derselben Spezies, noch mehr aber in anderen Spezies, vermittelnde Übergangsformen der Die Ätiologie der Tuberkulose. 509 Tuberkulose, welche die scheinbare Kluft verschwinden lassen. Aber die völlige Einheit und Zusammengehörigkeit der tuberkulösen Prozesse ver.schiedener Tierspezies drängt sich sofort unabweisbar auf. wenn man von der makroskopischen Beschaffenheit der tuberkulösen Organe und von den sekundären Veränderungen in denselben, wie Ver- käsung, Verkalkung absieht und sich an die primäre Struktur des Tuberkels hält, welche, wie wir bereits oe.sehen haben, in typischer Regelmäßigkeit in allen den verschiedenen Prozessen beim Menschen, ebenso aber auch bei den scheinbar so verschiedenen Formen der Tuberkulose bei verschiedenen Tierspezies sich Aviederholt. Die am meisten in die Augen fallenden Unterschiede in der Tuberkulose der verschiedenen Tierspezies betreffen nur jene sekundären Veränderungen, welche in dem einen Falle zu ausgedehnter Koagula- tionsnekrose ohne ^"erkäsung f Leber ujid Milz vom Meerschweinchen), in einem anderen zu schneller Erweichmig und Bildung dünnflüssigen eitrigen Sekretes (Tuberkel des Affen), ferner zu Umwandlung in breiartige käsige Substanz (Tuberkulose des Menschen), zu gleichzeitiger Verkalkung und ^"erkäsung (Perlsucht des Rindes), zur Bildung derber Geschwulstmassen mit eingelagerten Kalkkonkrementen (Tuberkulose des Huhns) usw. führt. Die primären Veränderungen sind in allen diesen Fällen histologisch vollkommen gleich. Etwas Ähnliches findet sich auch in bezug auf die Eiterbildung bei verschiedenen Tieren. So hat der infolge einer einfachen Entzündung entstandene Eiter des Kaninchens imd des Huhns eine ganz andere Beschaffenheit als der des Menschen und doch wird man deswegen in diesem Falle nicht von verschiedenen Arten der Eiterung sprechen. Es würde zu weit führen, wenn die besonderen Eigentümlichkeiten der Tuberkulose von jeder einzelnen Tierart eingehend geschildert werden sollten, und ich werde mich daher auf eine kuize ( 'harakteristik dei" einzelnen Formen beschränken müssen. 1. Perlsucht des Rindes. Die Tuberkulose des Rindes \'erläuft bekanntlich fast immer mit der Bildung von Knötchen, welche nicht eigentlich verkäsen und zerfallen, sondern verkalken und sich in solchen Mengen zusammenlagern, daß sie schließlich große Tumoren bilden können. Daneben kommen aber auch ausgedehnte derb-käsige Infiltrationen des Lungengewebes vor, sowie nnt breiartigen käsigen Massen gefüllte Hohlräume in der Lunge. Von der letzterwähnten Form kamen 4 Fälle vaiv Untersuchung. Der käsige Inhalt der Höhlungen war von einer solchen Konsistenz, daß, wenn die Hohlräume angeschnitten wurden, der Inhalt in wurstförmigen Massen ausgepreßt werden konnte. Die Hohl- räume selbst schienen aus erweiterten Bronchien hervorgegangen zu sein, in ihien Wan- dungen fanden sich ziemlich zahlreiche Riesenzellen und in einer Anzahl dieser letzteren ein bis mehrere Tuberkelbazillen. Die käsige Masse war. wie die danüt angestellten Impfungen ergaben, infektiös, doch konnten keine Bazillen in derselben aufgefunden werden. An den Stellen, wo die bronchiektatischen Kavernen sich der Lungenoberfläche näherten, fanden sich mehrfach auf der Pleura die gewöhnlichen knotenförmigen Tumoren der Perlsucht und ließen den unnüttelbaren Zusammenhang mit dieser häufigsten Form der Rindertuberkulose erkennen. Von dieser letzteren Form wurden 11 Fälle untersucht, in denen die Entwicklung der Perlsuchtknoten sich nicht allein auf die Lungen beschränkte, sondern auch aiif Zwerchfell, Peritoneum und Netz sich erstreckte. Mehrfach fanden sich auch die Mesente- rialdrüsen tuberkulös verändert und von derben käsigen Herden durchsetzt. Die Tuberkel- bazillen fehlten in keinem Falle, doch war auch hier ihre Anzahl außerordentlich schwan- kend. In einigen Fällen fanden sich, ähnlich wie in skrofulösen Drüsen und bei den vorhin erwähnten käsigen Herden in der Lunge des Rindes, auch in den Perlsuchtknoten 510 Die Ätiologie der Tuberkulose. nur verhältnismäßig wenige Bazillen und zwar ausschließlich in Riesenzellen. Ich vermag mich daher der mehrfach ausgesprochenen Meinung, daß Perlsuchtknoten in Gegensatz zu den Tuberkeln des Menschen immer sehr reich an Bazillen seien, keineswegs anzu- schließen. Neben solchen FäUen, welche sehr langsam verlaufen und beständig nur sehr wenige Bazillen aufweisen, finden sich solche, in denen die Zahl der Bazillen dauernd oder auch nur vorübergehend eine ganz bedeutende sein kann. Auch in derselben Lunge können stellenweise sehr wenige und an anderen Stellen wieder Bazillen in großen Massen gefunden werden. So gehören die Präparate, nach denen die Fig. 31 — 34 gezeichnet sind, einem solchen Falle an. Schnitte, welche aus großen und harten, also älteren Ivnoten dieser Lunge angefertigt wurden, enthielten öfters nur vereinzelte Bazillen in Riesenzellen. Die jüngeren Knoten dagegen zeigten sich außergewöhnlich reich an Bazillen und ließen die früher erwähnten eigentümlichen Be- ziehimgen zwischen Bazillen und Riesenzellen besonders gut erkennen. Einen Abschnitt aus einem derartigen Knötchen zeigt die Fig. 31 bei schwacher Vergrößerung. Die Riesen- zeUen sind mit Tuberkelbazillen so angefüllt, daß sie als blaue Flecke und Kreise er- scheinen. Daneben finden sich auch zwischen den kleinen Zellen Bazillen in solcher Menge, daß sie dem Präparat stellenweise eine blaue Färbung verleihen. In den Fig. 32 und 33 sind einzelne Riesenzellen, und in Fig. 34 ein nach dem Zerfall der Riesenzelle zurückbleibender Bazillenhaufen, wie solche nach dem Innern des Knötchens zu vor- kommen, abgebildet. Die käsigen Mesenterialdrüsen von perlsüchtigen Rindern, welche ich zur Unter- suchung erhielt, waren stets außerordentlich reich an Bazillen. Weniger zahlreiche Bazillen wurden dagegen in den zottigen und von vielen kleinen harten Knötchen durchsetzten perlsüchtigen Wucherungen vom Perikardium eines Rindes und ebenso in den Knoten, welche bei einem Falle in der Niere saßen, gefunden. Im ganzen belief sich also die Zahl der untersuchten Fälle von Perlsucht auf 17, und es fehlten die Bazillen in keinem derselben. 2. Tuberkulose des Pferdes. 4 Fälle, von denen mir allerdings nicht sämtHche Organe zugänglich waren, wurden untersucht, doch ließ sich leicht erkennen, daß die Tuberkulose des Pferdes eine Mittel- stellung zwischen derjenigen des Rindes und des Menschen einnimmt. Stellenweise hatten die tuberkulösen Neubildungen am Peritoneum und Netz die größte Ähnlichkeit mit den Perlsuchtknoten des Rindes, während in denselben Fällen gleichzeitig die Lungen von außerordentlich zahlreichen miliaren Tuberkeln durchsetzt waren, welche ihnen auf der Schnittfläche vollkommen das Aussehen einer menschüchen, mit Miliartuberkeln versehenen Lunge verliehen. In einem Falle ließ sich auch der Weg, auf welchem das Tuberkelvirus in den Blutstrom gelangt war und zur Miliartuberkulose geführt hatte, ermitteln. Es waren nämlich die Retroperitonealdrüsen in einen sehr großen, von festen gelbhchen Käseherden durchsetzten Tumor verwandelt, welcher die Vena cava inferior zum Teil einschloß und höckerige Wülste nach dem Innern der Vene zu bildete. Schnitte durch diese Drüsenmasse und besonders durch die in die Vena cava hineinragenden Knoten gaben ähnliche Bilder, wie das in Fig. 31 abgebildete Präparat. Sie enthielten außerordent- liche Mengen von Tuberkelbazillen, teils frei, teils die zahlreichen Riesenzellen erfüllend. jMehrere der Knoten waren an ihrer Oberfläche erweicht und hatten offenbar sehr viele Tuberkelbazillen dem Blut der Vena cava beigemischt. Die MiUartuberkulose war hier also in derselben Weise, wie es von Weigert beim Menschen nachgewiesen ist, ent- standen. Die Ätiologie der Tuberkulose. 511 Auch in den übrigen Fällen von Pferdetuberkulose waren die Tuberkelbazillen in den Knoten vom Netz und Peritoneum, in den kolossal vergrößerten Bronchialdrüsen, in den Tuberkelknoten der Lunge. Milz, Leber und zwar stellenweise in großer Anzahl nachzuweisen. 3. Tuberkulose des Schweines. Dieselbe scheint verhältnismäßig recht häufig vorzukommen. Namentlich finden sich beim Schwein oft käsige Veränderungen in den Halslymphdrüsen, welche höchst- wahrscheinlich immer tuberkulöser Natur sind. In 4 Fällen, in denen ich solche Drüsen zur Untersuchung erhielt, fanden sich jedesmal zahlreiche Tuberkelbazillen, zum Teil frei, zum Teil in Riesenzellen. Außerdem kommt bei Schweinen eine eigentümliche Form von käsiger Pneumonie vor. bei welcher größere Teile der Lungen lobulär von graurötlich bis graugelblich gefärbten Massen infiltriert und fast vollkommen luftleer sind. Auch von dieser Form habe ich 5 Fälle untersucht. Die Alveolen waren stellenweise mit dichten Haufen von Tuberkel- bazillen erfüllt. An anderen Stellen waren die Bazillen bereits in das umgebende Gewebe gedrungen, und es hatten sich hier bazillenhaltige Riesenzellen gebildet. In 2 Fällen zeigten sich auch vielfach eine oder selbst mehrere bazillenhaltige Riesenzellen frei in den Alveolarräumen. Es handelte sich offenbar in allen diesen Fällen von käsiger Pneu- monie um eine durch Aspiration größerer Bazillenmassen entstandene Tuberkulose. In einem Falle schien die noch ganz frische Infektion der Lunge von den Tonsillen aus- gegangen zu sein, welche in tiefe, mit käsigem Grunde versehene ITlzerationen verwandelt waren und ebenfalls Tuberkelbazillen enthielten. Einmal erhielt ich Muskelstücke vom Schwein, welche von zahlreichen kleinen, zum größten Teil verkalkten Knötchen durchsetzt waren. Auch diese erwiesen sich bei der mikroskopischen LTntersuchung als tuberkulös; sie enthielten Riesenzellen, welche Tuberkelbazillen einschlössen. 4. Tuberkulose der Ziege und des Schafes. Vom Schaf hatte ich nur einmal Gelegenheit eine mit Tuberkelknoten versehene Lunge vmd die zugehörigen, teilweise verkästen und vei'kalkten Bronchialdrüsen zu unter- suchen. Die Lungentuberkel enthielten Riesenzellen mit wenig zahlreichen Tuberkel- bazillen. In den Bronchialdrüsen waren die Bazillen dagegen reichlicher vorhanden. Auch von der Ziege steht mir nur ein Fall zur Verfügung, der allerdings insofern ein besonderes Interesse bietet, als sich sowohl in der rechten als wie in der linken Lunge eine fast faustgroße Kaverne gebildet hatte und den Beweis lieferte, daß unter LTmständen auch bei Tieren sich ein der menschlichen Lungenphthisis ganz analoger Zustand ent- wickeln kann. Die Kavernen waren zum Teil mit käsigem Eiter gefüllt. Ihre Innenwand war sinuös, rauh und zerfasert. In dem einschließenden Gewebe fanden sich zahlreiche Riesenzellen mit Tuberkelbazillen, ehizelne Bazillen waren auch im eitrigen Inhalt der Kavernen nachzuweisen. Im übrigen war das Lungengewebe in der LTmgebung der Kavernen, und zwar in einem ziemlich weiten IT mkreise, von miliaren Tuberkelknötchen durchsetzt, welche ebenfalls mit bazillenhaltigen Riesenzellen versehen waren. Ebenso verhielten sich auch einige größere Knoten in der Milz und Leber, sowie die stark ver- größerten und verkästen Bronchialdrüsen. 5. Tuberkulose des Huhnes. Dieselbe tritt gewöhnlich endemisch auf und vernichtet nicht selten fast sämtliche Hühner eines Hofes. Es finden sich bei den erkrankten Tieren am Darm und in der Leber 512 Die Ätiologie der Tuberkulose. mehr oder weniger höckrige, mitunter auch ganz glatte Tumoren, Avelche erbsen- bis walnußgroß sind. In einem der untersuchten Fälle erreichte ein Knoten in der Leber sogar die Größe eines kleinen Apfels. Diese Tumoren sind von derber Beschaffenheit, sehen auf dem Durchschnitt weißlich und gelblich gefleckt aus und sind an den gelblich gefärbten Stellen teilweise verkalkt. In einem Falle waren auch im Mark der langen Röhrenknochen fast hanf korngroße Tuberkelknoten vorhanden. Alle diese Knoten, welche vier verschiedenen Tieren angehörten, waren außerordentlich reich an Tuberkel- bazillen, namentlich häuften sich letztere in der unmittelbaren Umgebung der verkalkten Partien. In den am Darm sitzenden Knoten ließen sich die Tuberkelbazillen bis in die Darmzotten verfolgen, und es ist hiernach nicht unwahrscheinlich, daß sie vom Darm aus ihren Zugang zu den inneren Organen gefunden hatten, namentlich auch, da nur einmal vereinzelte kleine Knötchen in der Lunge gefunden wurden. Andererseits ist aber auch wieder aus diesem Befund zu schließen, daß die Bazillen ebenso, wie es in der Darm- tuberkulose des Menschen der Fall ist, in den Darminhalt und mit diesem nach außen gelangen, um alsdann zu weiterer Infektion Veranlassung zu geben. 6. Tuberkulose des Affen. Beim Affen verhält sich die Tuberkulose von der des Menschen in mehrfacher Be- ziehung verschieden. Sie bleibt gewöhnlich nicht lange auf ein Organ beschränkt, sondern verbreitet sich frühzeitig über den ganzen Körper. Dann tritt sie aber nicht wie die mensch- liche MiHartuberkulose in Form von zahlreichen Knötchen auf, welche eine gleichmäßige Größe besitzen, sondern führt zur Bildung einer größeren oder geringeren Anzahl von tuberkulösen Herden, welche sehr verschieden groß sind und besonders in der Leber, Milz und Drüsen anstatt der festen käsigen Substanz der tuberkulösen Herde des Menschen ziemlich dünnflüssigen Eiter enthalten, so daß sie eher den Eindruck von multiplen Abszessen als von Tuberkeln machen. Daneben kommen allerdings auch die typischen Formen des grauen Tuberkels mit gelblichem Zentrum in der Lunge, auf der Pleura und im Netz vor. Aber auch diese sind von sehr verschiedener Größe und man gewinnt den Eindruck, als ob beim Affen die Ausbreitung des Tuberkelvirus nicht auf einmal, wie bei der menschlichen Miliartuberkulose, sondern kontinuierlich und nur in geringen Mengen vor sich geht. Die Zahl der von mir untersuchten tuberkulösen Affen beträgt acht. Bei allen war die Krankheit spontan entstanden und anscheinend befand sich der erste Infektionsherd immer in der Lunge. Nur in einem Falle war die Tuberkulose von der Nasenhöhle aus- gegangen. Es hatte sich ein Geschwür im Nasengang gebildet, das wahrscheinhch durch eine Kratzwunde am Naseneingange veranlaßt war und sehr langsam immer weiter auf das Septum und die Muscheln übergriff. Es schwollen die submaxiUaren Lymphdrüsen an und abszedierten. Dann erst bekam das bis dahin muntere und kräftige Tier Atem- beschwerden und magerte ab. Bei der Sektion fanden sich sehr zahlreiche Tuberkel sehr verschiedener Größe in der Lunge, Milz, Leber und Netz. In sämtlichen Fällen konnten die Tuberkelbazillen nachgewiesen werden und zwar in den Tuberkeln der verschiedensten Organe. Doch war die Zahl der Bazillen nicht sehr reichhch. 7. Spontane Tuberkulose der Meerschweinchen und Kaninchen. LTnter vielen Hunderten von Kaninchen und Meerschweinchen, welche für Versuchs- zwecke angekauft waren, experimentelle Verwendung fanden und schließlich .seziert wurden, fand sich nicht ein einziges Tier, welches tuberkulös war. Erst nachdem die Die Ätiologie der Tviberkulose. 513 Infektionsversuche mit tuberkulösen Substanzen begonnen hatten und sich eine größere Anzahl von tuberkulösen Tieren in abgetrennten Käfigen, aber in demselben Raum mit anderen Versuchstieren befanden, kamen einzelne Fälle von spontaner Tuberkulo.se bei letzteren vor. Jedoch stellten sich deutliche Symptome von Tuberkulose fast niemals eher bei solchen Tieren ein, als bis sie wenigstens drei bis vier Monate in einem Räume mit tuberkulösen Tieren zugebracht hatten. Eine sehr charakteristische Erscheinung war es auch, daß, wenn die Zahl der künstlich infizierten tuberkulösen Tiere abnahm, in entsprechender Weise die Fälle von spontaner Tuberkulose seltener wurden und um- gekehrt. Eine längere Zeit hindurch, als nur sehr wenige tuberkulöse Tiere in dem Stalle für Versuchstiere gehalten wurden, hatte die spontane Tuberkulose unter den übrigens recht zahlreichen Meerschweinchen und Kaninchen sogar gänzlich aufgehört. Die Veränderungen, welche in diesen an spontaner Tuberkulose gestorbenen Tieren gefunden wurden, unterscheiden sich von den infolge von künstlicher Infektion ent- standenen in sehr charakteristischer Weise, so daß sicli die verschiedene Art und Weise der Infektion mit aller Sicherheit erkennen läßt. Es wurden nämlich regelmäßig bei den Tieren mit spontaner Tuberkulose ein oder einige wenige große tuberkulöse Herde, die sich in weit vorgeschrittener Verkäsung befanden, in der Lunge und zugleich bedeutend vergrößerte und verkäste Bronchial- drüsen angetroffen. Einige Male fehlten auch größere Herde in den Lungen, nur die Bronchialdrüsen waren ganz außergewöhnlich groß und mit käsigem Inhalt gefüllt. Die tuberkulösen Veränderungen in den übrigen Organen waren dagegen verhältnismäßig wenig fortgeschritten. Die künstlich infizierten Tiere verhielten sich verschieden, je nachdem sie durch subkutane Impfung oder durch Inhalation von bazillenhaltigen Flüssigkeiten infiziert waren. Gewöhnlicli fand die Impfung an einer Seite des Bauches statt und es fanden sich dann stets die der Impfstelle am nächsten gelegenen Lymphdrüsen erheblich geschwollen und verkäst. Die Bronchialdrüsen waren dagegen fast immer so klein, daß sie kaum auf- gefunden werden konnten. Auch waren in diesen Fällen die Leber und Milz am weitesten tuberkulös verändert, während die Tuberkel in den Lungen noch verhältnismäßig klein waren. Bei den durch Inhalation infizierten Tieren, welche immer größere Mengen von Bazillen in die Lvuigen aufgenommen hatten, fanden sich auch dementsprechend nicht ein oder wenige große Herde, sondern eine sehr große Anzahl von kleinen Tuberkeln in den Lungen (cf. Fig. 48). Zieht man diese an künstlich infizierten Tieren gemachten Erfahrungen in Betracht, dann wird man die spontane Tuberkulose, wie sie unter den erwähnten Verhältnissen bei Meerschweinchen und Kaninchen vorkam, als durch In- halation von einem oder wenigen Infektionskeimen, d. h. Bazillen entstanden sich vor- stellen müssen. Von derartig spontan erkrankten Tieren habe ich 17 Meerschweinchen und 8 Kanin- chen untersucht, darunter ein wildes Kaninchen, welches als das einzige von 10 Tieren derselben Art nach ungefähr dreimonatlicher Gefangenschaft hochgradig tuberkulös starb. Dieselben hatten sämtlich in der Umgebung der käsigen Herde der Lungen ziemlich viele, in einigen Fällen sogar außerordentlich zahlreiche Bazillen. In den sekundär entstandenen Tuberkeln war die Zahl der Bazillen gewöhnlich geringer. Erwähnenswert scheint mir noch zu sein, daß mehrfach in den größeren Käseherden der Lunge der zentrale Zerfall sehr weit fortgeschritten war und infolgedessen sich voll- ständige Kavernen, wenn auch von geringem Umfange, gebildet hatten. Bis zu einem gewissen Grade führt die spontane Inhalationstuberkulose also auch bei diesen Tieren Verhältnisse herbei, welche der menschlichen Phthisis analog sind. Die Infektion bleibt nur nicht lange genug lokalisiert, sie greift zu früh auf andere Körperregionen über und Koch, Gesammelte Werke. 33 f 514 Die Ätiologie der Tuberkulose. führt dadurch den Tod des Tieres herbei, ehe sich bedeutende Kavernen ausbilden können, yvie sie in der nienschhchen Lunge vorkommen. Die Tuberkulose der übrigen Organe nimmt bei Kaninchen sowohl als bei Meer- schweinchen einen ganz eigentümlichen Verlauf, und zwar bei beiden Tieren einen ver- schiedenen. Im Beginn haben die Tuberkelknötchen in Leber und Milz bei beiden Tierarten das gewöhnüche charakteristische Aussehen, welches sie in der Lunge überhaupt beibehalten. Es sind miüare, grau durchscheinende Knötchen, mit gelblichem Zentrum und von ziemlich derber Konsistenz. Die Milz ist bei Meerschweinchen erheblich vergrößert und von schwarzroter Farbe, von welcher sich die grauen Knötchen sehr deuthch abheben. Sehr bald aber konfluieren die Tuberkel und es entstehen größere weißgraue Inseln. Auch diese nehmen immer mehr zu und geben dann der Milz ein hellgraurot und schwarzrot marmoriertes Aussehen. Schheßlich überwiegen die hellen Partien und die Milz kann dann ein ganz fremdartiges Aussehen annehmen, welches nicht im geringsten mehr an die Entstehung dieses Zustandes durch Tuberkulose erinnert, namentlich wenn es in der brüchigen Milzsubstanz zu kleinen Rupturen und Hämorrhagien kommt, welche der Milz ein noch bunteres Kolorit ver- leihen. Auf jeden Fall ist es ganz eigentümlich, daß die Tuberkulose in der Milz der Meer- schweinchen zu so ausgedehnter Koagulationsnekrose, aber niemals zu eigentlicher Ver- käsung führt, während doch in den Lymphdrüsen dieser Tiere stets eine ausgesprochene ^'erkäsung vorhanden ist. Ganz ähnhch verhält sich auch die Leber der Meerschweinchen. Es bilden sich anfangs graue, disseminierte Knötchen; dann entstehen hellere Partien, welche zunehmen, konfluieren und sich ziemlich intensiv gelb färben. Die Leber nimmt an L^mfang kolossal zu und sieht zuletzt großfleckig gelb- und braunmarmoriert aus. In den dunkleren Partien der Leber sind gcAvöhnlich noch frische graue Knötchen zu sehen. Bei der Sektion eines hochgradig tuberkulösen Meerschweinchens fällt sofort neben der von grauen Knötchen durchsetzten Lunge die hellgrau und schwarzrot marmorierte, ungemein vergrößerte Milz samt der gelb- und braunmarmorierten, ebenfalls bedeutend vergrößerten Leber ins Auge und es gibt dies ein Gesamtbild, welches mit keiner andern bei diesen Tieren vorkommenden Krankheit zu verwechseln ist. Eine Vorstellung von dem Aussehen der tuberkulösen Milz und Leber vom Meerschweinchen können die Fig. 51 und 53 geben. Doch hatten die hier abgebildeten Organe noch nicht den äußersten Grad der Veränderungen erreicht. Bei der mikroskopischen Untersuchung einer so veränderten Milz oder Leber stellt sich dann heraus, daß in den hellgefärbten Partien keine Kernfärbung mehr eintritt; die Zellen sind abgestorben und es hegt also in der Tat eine Koagulationsnekrose vor. Ein großer Teil des Organs ist tot, aber es tritt kein weiterer Zerfall ein, das Organ behält seine Form imd hat nur die Farbe geändert. In diesen abgestorbenen Massen finden sich gewöhnlich nur vereinzelte Bazillen. Nur in einzelnen FäUen habe ich eine eigen- tümliche Vermehrung und Anordnung der Bazillen im nekrotischen Lebergewebe gesehen, von welcher später zu berichten sein wird. Mehr oder weniger zahlreich treten aber die Bazillen am Rande der nekrotischen Partien auf und sind dann auch vielfach von Riesen- zellen eingeschlossen. In den Nieren von Meerschweinchen habe ich niemals mit bloßem Auge sichtbare Tuberkel beobachtet. Beim Kaninchen erscheinen Milz und Leber ebenfalls, wenn auch bei weitem nicht in dem Maßstabe wie beim Meerschweinchen, vergrößert. Die Tuberkel bleiben aber bei diesem Tiere in den genannten Organen immer klein und unscheinbar und es kommt niemals zu Veränderungen, wie sie vom Meerschweinchen beschrieben wurden. Dagegen Die Ätiologie der Tuberkulose. 515 sind fast regelmäßig die Nieren mit einer Anzahl weißlicher Knoten besetzt, welche bis zu Erbsengröße heranwachsen. In diesen Knoten finden sich gewöhnlich die Tuberkel- bazillen in reichlicher Zahl und meistens in Nestern angeordnet. Einige Male habe ich auch Harnkanälchen gefunden, die mit Bazillen angefüllt waren. 8. Künstlich erzeugte Tuberkulose bei Tieren. Die künstlich erzeugte Tuberkulose verhält sich im allgemeinen ganz ebenso wie die spontan entstandene. Sie nimmt ebenfalls die für jede besondere Tierspezies charak- teristische Form an und führt beispielsweise bei Hühnei-n zur Entwicklung derber knolliger Tumoren am Darm und in der Leber, bei Kaninchen zur Bildung kleiner grauer Tuberkel mit gelblichem Zentrum in Lunge, Milz und größerer weißlicher Knoten in den Nieren, bringt bei Meerschweinchen die bedeutende Vergrößerung der Milz und Leber nebst den eigentümlich grau oder gelb marmorierten Verfärbungen dieser Organe hervor. Selbstredend bedingen aber die verschiedenen Arten der Infektion gewisse Ver- schiedenheiten im Verlauf der Tuberkulose und in der Gestaltung der pathologischen Veränderungen. Namentlich ist es von größter Bedeutung, ob die Infektion mit sehr weni- gen Bazillen oder mit größern Mengen derselben bewirkt wurde. Der hierdurch bedingte Unterschied ist am einfachsten ani Kaninchenauge zu studieren. Werden nämlich mög- lichst wenige Bazillen in die vordere Augenkammer gebracht, dann entstehen zuerst getrennte graue Knötchen, echte Miliartuberkel, welche im Zentrum gelblich werden. Ihre Zahl nimmt allmählich zu, sie konfluieren schließlich und führen erst nach längerer Zeit die allgemeine Verkäsung und Zerstörung des Auges sowie das Auftreten von Tu- berkeln in anderen Organen herbei. Wenn dagegen von vornherein eine reichliche Menge von Bazillen in die Augenkammer eingeführt wird, dann kommt es nicht erst zur Bildung einzelner Knötchen, sondern es tritt dieselbe Erscheinung ein, welche früher gelegentlich der Schilderung der Lungenplithisis als diffuse käsige Infiltration nach Aspiration von bazillenreichen Substanzen erwähnt wurde. Auch das Auge wird in diesem Falle diffus käsig infiltriert, geht sehr schnell zugrunde, und auch die Allgemeininfektion, das Auf- treten vieler grauer Knötchen in der Milz und Lunge, findet sehr frühzeitig, gewöhnlich schon nach drei Wochen statt. Fast derselbe Unterschied in der Wirkung von bazillenarmen oder bazillenreichen Infektionsmassen stellt sich heraus, wenn dieselben in die Bauchhöhle von Meerschwein- chen eingebracht werden. Das eine Mal disseminierte Tuberkelknoten des Peritoneum und des Netzes mit langsamem Fortschreiten des Prozesses, das andere Mal bedeutende Verdickung, Schrumpfung und Verkäsung des Netzes, neben einer diffusen Infiltration des Peritoneum mit zahllosen kleinsten Tuberkelknötchen. Noch anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn die Bazillen direkt in den Blut- strom gebracht werden, wenn sie in größeren Mengen durch Inhalation in die Lunge ge- langen, oder wenn die Infektion nur von einer kleinen Wunde an irgendeiner Körperstelle aus geschieht. In jedem dieser Fälle muß das Anfangsstadium der Veränderungen sich entsprechend dem jedesmaligen Infektionsmodus gestalten. Im weiteren Verlauf aber kommen sie stets auf das typische Bild der Tuberkulose hinaus. Namentlich tragen die sekundär und entfernt von der ursprünglichen Infektionsstelle entstehenden Tuberkel- knoten immer ein und denselben Charakter. Sie sind anfangs kleine graue Knötchen, bestehen aus Herden von epithelioiden Zellen, enthalten Riesenzellen und Tuberkel- bazillen, ganz genau so wie die spontan entstandenen Tuberkelknoten, von denen sie sich in nichts unterscheiden. Einer besonderen Beschreibung des Verhaltens der Tuberkelbazillen in der künstlich erzeugten Tuberkulose bedarf es deswegen nicht, und ich kann mich auf die summarische 33* 516 Die Ätiologie der Tuberkulose. Aufzählung der untersuchten Fälle beschränken. Dieselben betrafen 273 Meerschweinchen, 10-5 Kaninchen, 3 Hunde, 13 Katzen, 2 Hamster, 10 Hühner, 12 Tauben. 28 weiße Mäuse (Varietät der Hausmaus), 44 Feldmäuse (Arvicola arvalis), 19 Ratten. Bei diesen Tieren wurden ausnahmslos in den Tuberkeln die Tuberkelbazillen auf- gefunden. Wegen der großen Zahl der Tiere war es allerdings nicht möglich, in jedem einzelnen FaUe alle mit Tuberkeln versehenen Organe zu untersuchen, und ich habe mich in den meisten Fällen darauf beschränken müssen, einige Tuberkelknötchen der Lunge oder Milz auf Deckgläschen zu zerquetschen und auszubreiten und so die Bazillen nachzuweisen. Wird nunmehr das Resultat der mikroskopischen Untersuchung tuberkulöser Ob- jekte, wie es im Vorhergehenden ausführlich beschrieben, nochmals kurz zusammengefaßt, so ergibt sich folgendes. In allen denjenigen Krankheitsprozessen, welche durch ihren Verlauf sowie durch die charakteristische mikroskopische Struktur und die infektiösen Eigenschaften ihrer Produkte als echte Tuberkulose angesehen werden müssen, kommen in den tuberkulösen Herden regelmäßig stäbchenförmige Gebilde vor, welche mit Hilfe besonderer Färbungs- methoden nachgewiesen werden können. Dies trifft ebensowohl für die Tuberkulose des Menschen, als für diejenige der verschiedenen Tierarten zu. Auch ist die Zahl der Einzelfälle, welche insgesamt und speziell für die einzelnen Formen der Tuberkulose untersucht wurden, groß genug, um behaupten zu können, daß es sich hier nicht um eine gelegentliche, sondern um eine regelmäßige Erscheinung handelt, und daß also die Tuberkelbazillen zu den typischen Bestandteilen der Tuberkel und der Produkte derselben gehören. Die beiden einzigen Fälle, in denen die Bazillen nicht aufzufinden waren, betreffen die mikroskopische Untersuchung des Eiters von einem tuberkulösen Nierenabszeß und des Eiters aus dem Abszeß einer Wirbelkaries. Daß in diesen FäUen die Bazillen in Wirklichkeit gefehlt hätten, läßt sich jedoch nicht behaupten, weil hier gerade solche Produkte der Tuberkulose untersucht wurden, in denen, wie sich bei den übrigen Untersuchungen herausgestellt hatte, fast regelmäßig die früher etwa vorhanden gewesenen Bazillen wieder verschwunden sind. Unzweifelhaft wären auch in diesen Fällen, wenn die Ursprungsstätten des Eiters hätten untersucht werden können, die Bazillen aufgefunden worden. Dagegen sind bislang, so vielfach die verschiedensten Krankheitsprozesse des Menschen und der Tiere daraufhin geprüft wurden, noch niemals die der Tuberkulose eigentümlichen Bazillen bei anderen Krankheiten nachgewiesen. Wo dies angebüch ge- schehen ist, haben sich die betreffenden Angaben als irrtümlich, aus einer unrichtigen Anwendung der Untersuchungsmethoden hervorgegangen erwiesen. Ein zweites wichtiges Ergebnis ist es, daß das Erscheinen der TuberkelbazUlen den Beginn des tuberkulösen Prozesses bezeichnet. Sie treten schon dann auf, wenn eben die ersten Veränderungen an den zeUigen Elementen der Gewebe zu bemerken sind. Erst wenn die Tuberkelbazillen vorhanden sind, entstehen die Anhäufungen epithehoider Zellen und die Bildung von Riesenzellen und noch später aus dem Zerfall dieser zelligen Elemente die bisher für so besonders charakteristisch gehaltenen käsigen Produkte. Ferner steht das Vorhandensein und die Zahl der TuberkelbaziUen mit dem Fortschreiten des tuberkulösen Prozesses im innigsten Zusammenhang. Denn wo die Tuberkulose einen chronischen Charakter trägt, finden sich nur wenige und zerstreute Bazillen, wo sie da- gegen in schnellem Fortschreiten begriffen ist, sind auch zahlreiche und dichtgehäufte Bazillen vorhanden, und wo der tuberkulöse Prozeß zum Stillstand gekommen oder ab- gelaufen ist, da verschwinden auch die Bazillen. Die Ätiologie der Tviberkulose. 517 Diese drei Tatsachen, nämlich daß die Tuberkelbazillen regelmäßig vuid ausschließ- lich bei der Tuberkulose vorkommen, daß sie örtlich und zeitlich allen der Tuberkulose eigentümlichen pathologischen Veränderungen vorangehen, daß ihre Anzahl, ihr Er- scheinen und Verschwinden im direkten Verhältnis zum Verlauf der Tuberkulose steht, diese Tatsachen also lassen schon mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, daß die Tuberkelbazillen nicht eine zufällige Begleiterscheinung der Tuberkulose sind, sondern in einem lu'sächlichen Zusammenhang mit derselben stehen. An die Entscheidung dieser Frage knüpfen sich aber so weittragende Konsequenzen, daß man nicht dabei stehen bleiben konnte, dieselbe ihrer Lösung nur nahegebracht zu liaben, sondern es mußte versucht werden, sie mit untrüglicher Sicherheit zu entscheiden. Außerdem versprach eine Aveitere Erforschung der Lebensbedingungen imd Entwick- lungsverhältnisse der Parasiten weitere wichtige Aufschlüsse über die Ätiologie der Tuber- Jvulose und über die Mittel und Wege, um diese für das Menschengeschlecht verderblichste Krankheit abzuwehren. Die einzige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, lag darin, daß der gleiche Weg ein- geschlagen wurde, welcher sich für die Erforschung anderer Bakterienkrankheiten be- währt hat. Es mußten nunmehr die Tuberkelbazillen aus den ei'krankten Organen isoliert, in Reinkulturen außerhalb des Körpers fortgezüchtet, ihr Verhalten hierbei erforscht und schließlich mit den von allen Beimengungen der Krankheitsprodukte befreiten Bazillen die Tuberkulose künstlich erzeugt werden. II. Isolierung und Reinkultur der Tuberkelbazillen. Es war vorauszusehen, daß die Gewinnung von Reinkultiu-en der Tuberkelbazillen mit Schwierigkeiten verknüpft sein würde, und es wurde deswegen von vornherein die Methode der Kultur auf festem durchsichtigen Nährboden in Anwendung gezogen, weil dieselbe allen anderen Methoden der Reinkultur an Sicherheit und leichter Handhabung überlegen ist. Bezüglich des Prinzips, welches dieser Methode zugrunde liegt, sowie des Unterschiedes von anderen Verfahren und der vielfachen Vorteile, welche sie bietet, verweise ich auf die im ersten Bande dieser Mitteilungen, p. 18*), gegebene ausführliche Schilderung derselben. Zunächst wurde versucht, aus zerquetschten Lungentuberkeln auf Nährgelatine (Fleischwasser- Pepton- Gelatme) die Bazillen zum Wachstum zu bringen, aber ohne jeden Erfolg. Diese Versuche hatten bei Zimmertemperatur stattgefunden, weil die Gelatine bei einer höheren Erwärmung flüssig wird und damit alle Vorteile des festen Nährbodens verliert. Da nun die Vermutung sehr nahe lag, daß die Versuche nnßlangen, weil eine Temperatur von ungefähr 20" C für das Wachstum der Bazillen nicht ausreichend sei, so war es notwendig, einen anderen festen luid zugleich durchsichtigen Nährboden zu be- schaffen, der alle zur Ernährung der Bazillen erforderlichen Bestandteile enthielt. Ein solcher schien sich in erstarrtem Blutserum zu bieten. Ich hatte bei Experimenten, welche darauf ausgingen, Blutserum nach dem von T y n d a 1 1 zuerst für Heuinfus angegebenen Verfahren durch wiederholtes Erwärmen zu sterilisieren, gefunden, daß das Serum, wenn es längere Zeit über 65° C' erwärmt wird, erstarrt, aber durchsichtig bleibt. Einen solchen Nährboden kann man, ohne daß er irgendwelche Veränderungen erleidet, längere Zeit hindurch Temperaturen aussetzen, welche der Körpertemperatur entsprechen. Es wurden nun bazillenhaltige Substanzen auf solchem erstarrten durchsichtigen Blut- serum ausgebreitet und in einem Brütapparat bei 37° C gelassen. Die öfters vorgenommene direkte Untersuchung mit schwachen Vergrößerungen heß nach einer Reihe von Tagen *) Diese Werke p. 13]. 518 Die Ätiologie der Tuberkulose. das Auftreten von eigentümlich gestalteten Kolonien erkennen, welche, wie bei stärkeren Vergrößerungen und unter Anwendung der Farbenreaktion zu erkennen war, nur aus den Tuberkelbazillen bestanden. Ehe ich jedoch zur genaueren Beschreibung dieser Bazillenkulturen übergehe, habe ich noch die Bereitung des erstarrten Blutserums, wie sie sich im Laufe der Zeit als die zweckmäßigste erwiesen hat, zu schildern. Schon das Auffangen des Blutes erfordert gewisse Vorsichtsmaßregeln. Als Gefäße zum Auffangen des Blutes dienen zylindrische, ziemlich hohe, mit einem Glasstöpsel versehene Gläser. Dieselben werden gut gereinigt, dann mit einer 1 "/f,^ Sublimatlösung ausgespült, um die ihnen etwa noch anhängenden Bakterienkeime zu töten, und mit Alkohol nachgespült, um das Sublimat wieder zu entfernen. In die so gereinigten Gefäße läßt man das Blut des Schlachttieres unmittelbar aus der Stichwunde hineinfließen, doch ist es gut, das eben nach dem Stich ausfließende Blut, welches abgeschnittene Haare, Schmutzpartikelchen der Haut und des Felles mit fortschwemmt, nicht aufzufangen. Das Gefäß wird bis nahe zum Rande gefüllt, mit dem Stöpsel geschlossen und sofort in einen Eisschrauk gestellt. Sobald die Gerinnung des Blutes beginnt, darf das Gefäß nicht mehr bewegt werden, weil sonst die Bildung eines festen Blutkuchens gestört und dem Serum eine Menge roter Blutkörperchen beigemengt wird. Die mit Blut gefüllten Gefäße bleiben im Eisschrank 24—30 Stunden und selbst länger stehen, bis sich eine reichliche Schicht von vollkommen durchsichtigem, bernsteingelb gefärbtem Serum über dem Blut- kuchen gebildet hat. Wenn das Serum mehr oder weniger blutiggefärbt ist, dann enthält es zu viele rote Blutkörperchen und wird beim Erwärmen undurchsichtig. Das Serum wird nunmehr mit einer Pipette in Reagenzgläser, welche mit einem Wattepfropf versehen sind, gefüllt. Sowohl die Pipette als die Reagenzgläser samt ihrem Wattepfropf sind vorher dadurch frei von Bakterienkeimen gemacht, daß sie mindestens eine Stunde lang auf 150'^ — 160° C erhitzt wurden, was in einem doppel wandigen, aus Eisenblech angefertigten Wärmekasten geschieht. Man füllt die Reagenzgläser ungefähr zum dritten Teil mit Serum und verschließt sie sofort wieder mit ihrem Wattepfropf. In dem Blut- serum befinden sich regelmäßig trotz aller dieser Vorsichtsmaßregeln noch Bakterien, welche aus der Luft, von den Haaren des Schlachttieres usw. stammen und sehr bald Fäulnis und Zersetzung des Serums bewirken wüi"den, wenn sie nicht vernichtet werden. Andere für Reinkulturen von Bakterien bestimmte Flüssigkeiten kann man leicht und sicher durch Kochen steriHsieren, d. h. frei von allen Keimen machen. Mit dem Blutserum geht dies jedoch nicht, weil es bei höheren Temperaturen vollkommen undurchsichtig wird. Es bleibt also nichts übrig, als das von T y n d a 1 1 zum Sterilisieren von Heuinfus in Vorschlag gebrachte Verfahren anzuwenden und das einmahge Erhitzen bis zur Siede- temperatur durch wiederholtes Erwärmen auf Temperaturen von 55^ — 60" zu ersetzen. Die Bakterien werden nämlich, wenn sie nicht sporenhaltig sind, in Flüssigkeiten auch durch eine Temperatur von 55° ziemlich schnell getötet. Die Sporen dagegen überstehen bekanntlich derartige Temperaturen und sterben erst in Siedehitze ab. Das einmalige Erhitzen der Flüssigkeit tötet also nur die sporenfreien Bakterien und läßt die etwa darin vorhandenen Sporen unberührt. In dem ihrem Wachstum sehr günstigen Medium kommen die Sporen jedoch über kurz oder lang zur Keimung, sie verwandeln sich in Bazillen, können als solche der Temperatur von 55" nicht mehr widerstehen und werden also bei den darauffolgenden Erwärmungen getötet, noch ehe sie Zeit gefunden haben, von neuem Sporen zu bilden. Da aber die Sporen zu verschiedenen Zeiten zur Keimung gelangen und oft erst nach mehreren Tagen weiter zu Bazilleia sich entwickeln, so ist es not- wendig, das Erhitzen zu wiederholen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß es fast immer ausreichend ist, das Blutserum an fünf aufeinanderfolgenden Tagen täglich eine Stunde lang auf 58° zu erwärmen, um es vollkommen frei von entwicklungsfähigen Keimen zu Die Ätiologie der Tuberkulose. 519 erhalten. Diese Erwärmung kann in einem offenen Wasserbade geschehen. Sicherer ist es, hierzu ein besonders für diesen Zweck bestimmtes Blechgefäß zu benutzen, welches doppelte, mit Wasser gefüllte Wandungen und einen ebenso konstruierten Deckel be- sitzt, so daß eine allseitig gleichmäßige Erwärmimg stattfindet. Das in dieser Weise sterilisierte Blutserum wird hierauf zum Erstarren gebracht imd zwar, vim eine möglichst große Impffläche zu erhalten, bei stark geneigter Lage der Reagenzgläser. Auch hierzu bedient man sich zweckmäßigerweise eines mit doppeltem Boden und mit einem Glasdeckel versehenen Blechkastens, welcher ein wenig schräg gestellt wird. Das im Boden des Kastens befindliche Wasser wird so stark erhitzt, bis ein in dem Kasten zwischen den Reagenzgläsern liegendes Thermometer 65*^ G anzeigt. Bei dieser Temperatur erstarrt das Serum in einer halben bis vollen Stunde. Das Serum von verschiedenen Tieren verhält sich nicht gleichmäßig, am schnellsten pflegt das Hammelserum, am langsamsten das Kälberserum zu erstarren. Wenn das Serum stärker ei'wärmt wird, z. B. auf 70", dann kommt es weit schneller zum Erstarren, aber es gelingt dann auch schwieriger, dasselbe durchsichtig zu erhalten. Ein gut präpariertes Blut- serum muß fast vollkommen klar, durchsichtig und bernsteinartig, höchstens am unteren Ende des Reagenzglases in der dicksten Schicht weißlich und weniger durchsichtig sein. Auch darf es nicht zu weich sein, sondern muß fast die Konsistenz eines hartgekochten Hühnereis besitzen. Während des Erwärmens schlägt sich gewöhnlich an der oberen, kühleren Wand des Reagenzglases mehr oder weniger Wasserdampf nieder und bildet Tropfen, welche beim Aufrichten des Reagenzglases nach unten fließen und zwischen der tiefsten Stelle der Serumfläche und der Glaswand sich ansammeln (cf. Fig. 35). Ein kleiner Teil der Impf- fläche wird durch diese Flüssigkeit verdeckt. Doch ist dieselbe insofern von Wert, als sie durch Diffusion aus dem erstarrten Blutserum lösliche Substanzen aufnimmt und in eine sehr gute Nährlösung verwandelt wird. Wenn die zu kultivierenden Bak- terien auf der Fläche des erstarrten Serums bis unmittelbar an den obei'en Rand dieser Flüssigkeit ausgebreitet werden, dann entwickeln sich dieselben zu gleicher Zeit und dicht nebeneinander auf dem festen Nährboden und in der Nährflüssigkeit, so daß die besondere Art ihres Wachstums in Flüssigkeit und auf festem Substrat sofort ver- glichen werden kann. Bei einer länger dauernden Aufbewahrung der mit erstarrtem Blutserum versehenen Reagenzgläser findet, da der Wattepfropf die Verdunstung von Feuchtigkeit nicht zurück- hält, eine ganz allmählich von oben nach unten fortschreitende Vertrocknung des Serums statt, doch geht dieselbe so langsam vor sich, daß monatelang zwischen dem oberen vertrockneten und zwischen dem von der Flüssigkeit unten verdeckten Teil des Blut- serums immer noch eine für Kulturen geeignete hinreichend große Fläche zur Verfügung bleibt. Wenn das SteriUsieren des Blutserums nicht gelungen ist, dann zeigt sich dies schon wenige Tage nach dem Erstarren, namentlich wenn das Serum probeweise in den Brutapparat gebracht wird. Es bilden sich dann weißhche Pünktchen, welche vereinzelt oder in großer Zahl auftreten und sich bald vergrößern. Mitunter verflüssigt sich auch unter dem Einfluß solcher Bakterien das Blutserum, wird dann trübe und bedeckt sich mit einer weißhchen Haut. Die mikroskopische Untersuchung zeigt, daß es sich hier stets um Bazillen handelt, welche offenbar aus spät zur Keimung gelangenden Sporen hervorgegangen sind. Selbstverständhch sind nur solche Serumgläser für Reinkulturen verwendbar, welche auch nach mehrtägigem Aufenthalt im Brütapparat keine Spur derartiger Verunreinigung aufweisen, sondern vollkommen klar und durchsichtig ge- blieben sind. 520 Die Ätiologie der Tuberkulose. Für manche Zwecke, insbesondere wenn es darauf ankommt, die Reinkulturen direkt mit dem Mikroskop bei schwacher Vergrößerung zu untersuchen, ist es zweckmäßig, das Serum in Uhrgläsern oder in anderen passenden Glasgefäßen zum Erstarren zu bringen. Solche Gefäße erhalten dann einen Glasdeckel zum Schutz gegen das Eindringen von Luftkeimen (cf. Eig. 41), sie werden ferner in Glasglocken gestellt, welche mit feuchtem EHeßpapier ausgekleidet sind, und können so der Brutwärme ausgesetzt werden. Einen so sicheren Schutz gegen nachträglidhe Verunreinigungen, wie durch Watte verschlossene Reagenzgläser, gewährt diese Vorrichtung allerdings nicht und durch viele Umzüchtungen fortzusetzende Reinkulturen der Tuberkelbazillen sind nur mit HUfe des in Reagenz- gläsern erstarrten Blutserums durchzuführen. Eine ebenso große Sorgfalt, wie die Bereitung des sterilisierten und erstarrten Blut- serums erfordert, ist unumgänglich notwendig, wenn nunmehr auf den fertig präparierten Nährboden die Aussaat gemacht und zugleich das Eindringen von fremden Keimen in die Kulturen und die Verunreinigung der letzteren durch Bakterien und Pilze verhütet werden soll. Was das zur Aussaat zu verwendende Material betrifft, so ist natürlich dasjenige das geeignetste, welches viele Bazillen enthält, von weicher Beschaffenheit ist, um die Bazillen möglichst ausbreiten zu können, und möglichst frisch, d. h. noch frei von Fäulnis- bakterien ist. Wenn letztere sich nur auf die Oberfläche des Organes beschränken, welches als Ausgangspunkt für Kulturen dienen soU, dann ist es unter gewissen Vorsichts- maßregeln immer noch möglich, Reinkulturen von Tuberkelbazillen zu erhalten. Sobald aber fremde Bakterien schon in die tieferen Schichten eingedrungen sind, werden alle Bemühungen, die Tuberkelbazillen von diesen in den Kulturen zu trennen, vergeblich sein, weil die Fäulnisbakterien außerordentlich viel schneller als die Tuberkelbazillen wachsen und den gesamten Nährboden in Beschlag genommen haben, ehe letztere zu einem sichtbaren Wachstum gelangt sind. Auch dann, wenn das Aussaatmaterial sehr wenige Bazillen enthält und von derber Konsistenz ist, wird es einige Schwierigkeiten machen, die Kulturen in Gang zu bringen. Es läßt sich nämlich in diesem Falle die bazillenhaltige Substanz nicht so zerdrücken, daß die Bazillen frei und auf der Oberfläche des Blutserums ausgebreitet werden können ; sie bleiben deswegen in der Substanz versteckt, kommen hier zur Entwicklung und es entziehen sich die in spärlicher Zahl heranwachsenden Kolonien sehr leicht der Be- obachtung. Am sichersten gelingen die Reinkulturen, wenn zur Aussaat ein bazillenreicher Tuberkel oder ebensolche Substanz aus dem Innern von noch wenig verkästen Lymph- drüsen eines getöteten tuberkulösen Meerschweinchens genommen wird. Zu diesem Zwecke ist folgendermaßen zu verfahren. Eine Anzahl Messer, Scheren und Pinzetten werden in der Flamme so stark erhitzt, daß sie sicher von allen ihnen anhaftenden Bakterien befreit sind, und bereitgelegt, jedoch so, daß eine nachträgliche Verunreinigung der Instrumente nicht mehr stattfinden kann. Inzwischen ist das unmittelbar vorher getötete Tier auf einem Sezierbrett ausgespannt. Um bei der Durchtrennung der Haut das Ab- stäuben von Schmutzpartikelchen, Haaren usw. zu vermeiden, wird der Pelz des Tieres mit einer starken Subhmatlösung reichlich angefeuchtet. Hierauf durchschneidet man mit einer noch heißen Schere unter Zuhilfenahme der ebenfalls noch heißen Pinzette die Haut und legt sie nach beiden Seiten soweit zurück, daß die Lymphdrüsen der AxiUar- und Inguinalgegend vollkommen frei sind, doch dürfen die Drüsen, wenn sie für die Kultur benutzt werden sollen, mit den Instrumenten, welche zur Durchschneidung der Haut dienten, nicht berührt werden. Mit einer anderen, ebenfalls noch heißen Schere wird nun aus der Seitenwand des Brustkastens ein 1 — 2 qcm großes Stück herausgeschnitten Die Ätiologie der Tuberkulose. 521 und die Oberfläche der Lunge bloßgelegt. Damit sind eine Anzahl Tuberkelknötchen zugänglich gemacht, von welchen möglichst schnell eins oder mehrere mit wiederum ge- wechselten Instrumenten, welche für diese Operation jedoch abgekühlt sein müssen, herauspräpariert werden. Um die in dem Knötchen enthaltenen Bazillen frei zu machen, zerschneidet oder zerquetscht man dasselbe mit der Schere oder noch besser zwischen zwei eben vorher geglühten imd wieder abgekühlten Skalpellen. Die in dieser Weise zerstückelte und zerriebene Substanz wird mit einem Platindraht, welcher in einen Glas- stab eingeschmolzen ist und unmittelbar vor dem Gebrauch geglüht und wieder ab- gekühlt wurde, in das Reagenzgläschen gebracht, auf der Oberfläche ausgebreitet und verrieben. Das Reagenzglas ist hierbei schräg oder fast horizontal zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten und der Wattepfropf inzwischen mit den anderen Fingern der Hand so zu halten, daß eine Verunreinigung desselben durch Berührung mit anderen Gegenständen nicht stattfinden kann. Die Übertragung der Substanz auf das erstarrte Serum, welche Prozedur der Kürze halber als Impfung bezeichnet werden mag, muß mög- lichst schnell ausgeführt werden, dannt nicht aus der Luft Keime fremder Organismen auf die Impf Substanz oder in das Reagenzglas hineingeraten. Auch ist es zweckmäßig, das Ex- periment in einem Räume vorzunehmen, in welchem kein Staub aufgewirbelt wird, imd ebenso sind alle unnötigen Bewegvuigen, welche Staub von der Kleidung usw. in die um- gebende Luft führen könnten, zu vermeiden, da die Erfahrung gelehrt hat, daß gerade an den Staubpartikelchen die in der Luft suspendierten Keime von Mikroorganismen haften. Trotz aller dieser Vorsichtsmaßregeln wird das Eindringen einzelner fremder Keime nicht mit absoluter Sicherheit zu vermeiden sein, und es ist notwendig, in jedem einzelnen Falle mehrere Reagenzgläser, etwa 5 — 10. zu impfen, um, wenn auch in dem einen oder anderen die Reinkultur iiicht gelingen sollte, doch die übrigen frei von allen Verunreini- gungen zu erhalten. In gleicher Weise, wie hier die Präparation der Lungentuberkel zur Aussaat be- schrieben wurde, ist zu verfahren, wenn Lymphdrüsen-, Milztuberkel usw. zur Kultur benutzt werden sollen. Stets hat man mit geglühten Instrumenten zu operieren, welche jedesmal, wenn eine neue Schicht bloßzulegen ist, gewechselt werden. Alle vorbereitenden Schnitte, welche die Impfsubstanz selbst noch nicht berühren, sind mit heißen Instrumenten auszuführen, die Impfmasse aber mit abgekühlter Schere und Pinzette herauszuschneiden Der stete Wechsel der Instrumente ist notwendig, damit Verunreinigungen, welche sich beim Durchschneiden der Haut und der oberflächlichen Schichten den Instrumenten anhängen, nicht in die Kulturen verschleppt werden. Wenn die Organe von eben getöteten oder gestorbenen Tieren zur Verfügung standen und die Aussaat in der eben beschrielienen Weise mit tuberkelbazillenhaltigen Substanzen ausgeführt wurde, dann sind mir die Reinkultiu'en ohne Ausnahme gelungen. Un.sicher wurde der Erfolg dagegen, sobald Material von menschlichen Leichen oder von perlsüchtigen Rindern zur Verwendung kam. da dasselbe an der Oberfläche stets verunreinigt und überdies nicht immer ganz frisch war, wenn ich es erhielt. Ich habe in diesen Fällen zuerst die Oberfläche des Objektes wiederholt mit l^/oo Subhmatlösung gründlich abgewaschen, dann mit immer wieder gewechselten glühend heißen Instrumenten die oberen Lagen schichtweise abgetragen und die Impfsubstanz aus einer Tiefe genommen, von der ich annehmen konnte, daß sie noch frei von fremden Bakterien war. In dieser Weise gelang es meistens auch von derartigem Material noch Reinkulturen zu erhalten, insbesondere auch aus oberflächUch gelegenen kleinen Lungenkavernen, deren Decke nach Sublimatbehandlung mit heißen Instrumenten entfernt wurde. Nachdem das erstarrte Blutserum mit bazillenhaltiger Substanz geimpft ist, werden die Gefäße in Brütapparate gebracht und andauernd bei einer Temperatur von ungefähr 522 Die Ätiologie der Tuberkulose. 37° C gehalten. Nicht jeder Brütapparat eignet sich zur Kultur der Tuberkelbazillen. Das Wachstum geht nur sehr langsam vor sich und die Gefäße müssen deswegen wochen- lang im Brütapparat verweilen. Wenn nun der Brütapparat vermöge seiner Konstruktion eine schnelle Verdunstung von Flüssigkeit aus den Kulturgefäßen veranlaßt, dann ver- trocknet das Serum, ehe die Tuberkelbazillen sich zu sichtbaren Kolonien entwickelt haben. Namentlich solche Apparate, welche ungleich erwärmt sind, so daß der darin stets vorhandene Wasserdampf an den kühleren Stellen, z. B. am Glasdeckel, sich ver- dichtet und durch immer von neuem aus den Kulturgefäßen entwickelten Wasserdampf ersetzt werden muß, sind nicht brauchbar. Sehr zweckmäßig sind die d'A r s o n v a 1 - sehen Thermostaten ; die Wärme ist in denselben gleichmäßig verteilt und das Blutserum hält sich darin fast unverändert. An den im Brutapparat befindlichen Kulturen wird man nun in den ersten Tagen keine Veränderung wahrnehmen. Tritt eine solche dennoch ein und bilden sich weißliche oder auch anders gefärbte Tropfen und Flecke auf der Oberfläche des Serums, welche sich mehr oder weniger schnell vergrößern, die am Grunde des Glases befindliche Flüssig- keit trüben, oder gar das Serum verflüssigen, dann ist dies ein Zeichen, daß die Rein- kultur nicht gelvmgen und daß fremde Bakterien eingedrungen sind, welche die Tuberkel- bazillen überwuchert haben. Untersucht man solche Tröpfchen oder Flecken, dann findet man sie stets aus Bazillen oder Mikrokokken bestehend, weiche bei dem Ehrlich sehen Färbungsverfahren eine den Tuberkelbazillen entgegengesetzte Färbung annehmen und sich von diesen auch sonst in Größe und Gestalt unterscheiden. In denjenigen Gläschen, welche frei von solchen Verunreinigungen geblieben sind, zeigen sich dem bloßen Auge nicht eher als nach 10 — 15 Tagen die ersten Andeutungen der heranwachsenden Kolonien von Tuberkelbazillen. Dieselben erscheinen als mattweiße Pünktchen und kleine Flecken, welche auf der Oberfläche des Serums liegen, glanzlos sind und sich deswegen von ihrer feuchten Umgebung deutlich abheben. Sie lassen sich am besten mit kleinen, trockenen Schüppchen vergleichen, welche der Serumober- fläche lose anhaften. Je nachdem die Impfsubstanz in einem größeren oder geringeren Umkreis verrieben oder ausgestrichen wurde und entsprechend dem Reichtum des Impf- materials an Bazillen entwickeln sich die Schüppchen in größerer oder geringerer Zahl und Ausdehnung auf der Serumoberfläche. Die einzelnen Schüppchen erreichen nur eine beschränkte Ausdehnung, so daß sie, wenn wenige vorhanden sind, getrennt bleiben. Zahlreiche und dicht zusammengelagerte dagegen vereinigen sich schließlich und bilden einen sehr dünnen, grauweißen, glanz- losen Überzug auf dem Serum. In Fig. 38 ist ein Abschnitt eines Reagenzgläschens mit erstarrtem Blutserum abgebildet, auf welchem ein Stückchen von einer tuberkulösen Meerschweinchenlunge verrieben war. Nach drei Wochen hatten sich im Brutapparat unmittelbar neben dem graurot gefärbten Lungenstückchen und auch in der Umgebung, soweit die Impfsubstanz, um die Bazillen möglichst auf der Oberfläche zu verteilen, mit dem Platindraht auf dem Serum herumgeführt und gequetscht war, weißliche, kleine Kolonien von Tuberkelbazillen gebildet. Ihre Zahl war in diesem Falle verhältnismäßig gering, weil nur wenige Bazillen in den Lungentuberkeln vorhanden waren, wie die spätere Untersuchung von Schnittpräparaten derselben Lunge ergab. In anderen Fällen waren die kleinen Kolonien sehr viel zahlreicher, in manchen, so besonders nach Aussaat von sehr bazillenreichem Kavemeninhalt, flössen sie sehr bald zusammen und bildete eine zusammenhängende membranartige Masse. Ein von dem eben geschilderten ganz abweichendes Bild liefern die aus Substanzen, welche nur vereinzelte Bazillen enthalten, zur Entwicklung gekommenen Kulturen. Wie bereits früher angedeutet wurde, gelingt es in diesem Falle nicht, durch Reiben und Die Atiol(jgie der Tuberkulose. 523 Quetschen der Substanz die Bazillen freizumachen und auf der Oberfläche des Serums zu verteilen. Sie bleiben in der Substanz und bilden in dieser selbst die Kolonien, welche fast bis zur Größe eines Molinkornes heranwachsen. Die Fig. 40 zeigt ein solches Beispiel. Auf dem erstarrten Serum hegen einige Stückchen einer kurze Zeit vor der Aussaat exstirpierten skrtjfulösen Drüse luid in jedem dieser Stückchen haben sich im Laufe von drei Wochen eine oder mehrere solcher Kolonien gebildet, welche in der halbdurch- scheinenden Drüsensubstanz bei durchfallendem Lichte als mattgraue Pünktchen er- scheinen. Dieses Präparat ist bei Sfacher Vergrößerung gezeichnet. In derartigen Fällen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß eine jede einzelne dieser kleinen Kolonien aus einem einzigen Bazillus oder höchstens aus zwei Bazillen hervorgegangen ist, weil bei der mikroskopischen Untersuchung immer nur ! — 2 Bazillen in einer Riesenzelle des be- treffenden Gewebes gefunden wurden. Danach ist denn aber ferner zu schließen, daß auch in den zuerst erwähnten Beispielen die auf dem Serum zur Entwicklung kommenden einzelnen Schüpjichen auch aus einzelnen Bazillen hervorgegangen sind. Ist in der eben geschilderten Weise der Anfang von Reinkulturen der Tuberkel- bazillen erhalten, dann läßt sich die weitere Fortsetzung derselben ohne Schwierigkeit bewerkstelligen. Es werden zu diesem Zwecke nüt dem unmittelbar vorher geglühten und wieder abgekühlten Platindraht einige der weißlichen Schüppchen in ein anderes Reagenzglas mit erstarrtem Serum übertragen und auf der Serumoberfläche möglichst weit ausgebreitet und verrieben. Bei dieser zweiten Aussaat gelangen schon bei weitem zahlreichere Bazillen auf die Serumoberfläche und sie lassen sich leichter und gleichmäßiger verteilen, als es mit dem ursprünglichen Impfmaterial der Fall war; infolgedessen erhält man auch schon in dieser und ebenso in den weiteren LTmzüchtimgen nicht mehr die eüi- zelnen Schüppchen, sondern zusammenhängende, membranartige Kolonien. Dieselben nehmen im allgemeinen die Gestalt an, die ihnen bei der Aussaat durch die Bewegungen des Platindrahtes vorgeschrieben wurde. Sie können daher strichförmig und zwar in senkrechter oder horizontaler Richtung angelegt werden, oder auch in irgendeiner änderten beliebigen, auf bestimmte Teile der Serumoberfläche beschränkten Figur erhalten werden. Recht kräftig wachsende Kulturen gehen indessen über das ursprüngliche Gebiet der Aussaat mehr oder weniger weit hüiaus. Es ist diese Ausdehnung jedoch nicht die Folge von Eigenbewegungen der Bazillen, welche sie, wie bereits früher hervorgehoben wvu'de. nicht besitzen, sondern sie kommt dadurch zustande, daß bei der fortwährenden Ver- mehrung der Bazillen die Massenzunahme nicht nach dem Dickendurchmesser, sondern in der Fläche stattfindet. Die heranwachsenden Bazillen türmen sich nicht übereinander, sondern sie haben die Tendenz, sich in der Fläche auszubreiten und schieben die schon fertiggebildete, zusammenhängende Bazillenmembran über die Oberfläche des Serums hinweg. Am auffallendsten macht sich dieser V^organg bemeiklich, wenn die Bazillen- membran an die Flüssigkeit am Grunde des Reagenzglases gelangt. Sie dringt dann nicht in die Flüssiglceit hinein, sondern sie schiebt sich über dieselbe ebenfalls hinweg und bildet eine feine, vollständig abschließende Decke an der Oberfläche der Flüssigkeit. Sehr oft steigt sie sogar an der entgegengesetzten Seite des Glases noch einige Millimeter hocli hinauf. In den Fig. 35 — 37 sind derartige Kulturen abgebildet. Es ist schwierig, flie eigentümliche Farbe und die glanzlose Oberfläche der Bazillenkulturen im Gegensatz zur glänzenden Oberfläche des Serums in der Abbildung wiederzugeben. Auch ist es nicht vollständig gelungen, den Lichtreflex der Flüssigkeit im unteren Teil des Reagenzglases zu treffen. Aber immerhin sind die Abbildungen ausreichend, um das Gesagte zu er- läutern. Die Fig. 'Mi zeigt ein Reagenzglas mit Wattepfropf und erstarrtem Blutserum, mit einer- als weißliche, membranartige Auflagerung erscheinenden Bazillenkultur, welche den oberen Rand der Flüssigkeit nicht erreicht hat. In Fig. 35 ist eine Kultur, von der 524 Die Ätiologie der Tubei'kulose. Seite gesehen, abgebildet, welche clie Flüssigkeit erreicht imd sich als feines, weißliches Häutchen über dieselbe hinwegzieht. Eine andere ebenso gestaltete Kultur zeigt die Fig. 37 von der Fläche gesehen. Die Bazillenkulturen haben noch einige bemerkenswerte Eigenschaften, welche sie schon makroskopisch bei einiger Aufmerksamkeit von anderen Bakterienkulturen unter- scheiden lassen. Zunächt verflüssigen sie niemals das Serum, wie dies einige Bakterien- arten regelmäßig tun. Sie dringen auch nicht in das Serum ein, sondern bleiben stets an der Oberfläche desselben und liegen dieser lose auf. Infolgedessen kann, wenn das Reagenzglas geneigt wird und die am Boden befindliche Flüssigkeit über die Serum- oberfläche hinwegfließt, die membranartige Bazillenvegetation abgehoben und fort- gespült werden. Andere Bakterienkolonien besitzen eine breiartige Konsistenz und lassen sich in Flüssigkeiten gleichmäßig verteilen, indem sie letztere trüben. Dies ist mit den Kolonien der Tuberkelbazillen nicht der Fall. Die von ihnen gebildeten dünnen Mem- branen lösen sich in der Flüssigkeit nicht auf, sondern zerbrechen infolge ihrer festen Konsistenz in mehr oder weniger große Schollen, welche von der Flüssigkeit fortgespült werden und sich schließlich am Boden derselben ablagern. Die eigentümhche starre imd brüchige Beschaffenheit dieser Kolonien zeigt sich am besten in dem Teil der Kultur, welcher die im Reagenzglas befindliche Flüssigkeit überzieht. Sobald diese Flüssigkeit in Bewegung gesetzt wird, zerbricht das Häutchen an ihrer Überfläche in Platten und Schollen, welche langsam zu Boden sinken. Die Flüssigkeit bleibt stets klar, sowohl wenn die Bazillenvegetation selbst darüber hinwegzieht, als auch wenn durch Abspülen der Serumoberfläche Bazillenmassen hineingelangten, oder wenn von vornherein Impf- substanz absichtlich hineingebracht wurde. Auch aus dieser Erscheinung würde, wie schon die direkte Beobachtung früher ergeben hatte, zu schließen sein, daß die Tuberkel- bazillen keine selbständige Bewegung besitzen, denn bewegliche Bakterien verteilen sich in den Nährlösungen nach allen Richtungen hin und geben denselben dadurch ein trübes Aussehen. Innerhalb gewisser Grenzen ist außerdem aber noch das makroskopische Verhalten der Tuberkelbazillenkulturen von der Konsistenz des erstarrten Blutserums abhängig, auf welchem sie heranwachsen. Je fester dasselbe ist, um so mehr nehmen die Bazillen- kolonien die eben geschilderte Beschaffenheit an. Auf einem sehr weichen, gallertartigen Serum dagegen ist die Entwicklung etwas anders. Die Verteilung der Bazillen wird bei der Aussaat nicht gleichmäßig, weil sich auf dem weichen Serum die harten und fest zusammenhängenden Bazillenmassen nicht zerdrücken lassen. Die Impfsubstanz bleibt daher in kleinen, voneinander getrennten Bröckchen auf dem Serum liegen. Das Wachs- tum der Kolonien erstreckt sich dann nicht so gleichmäßig über die Fläche hinweg, wie auf festem Serum, sondern führt zu dickeren, kompakten Massen, welche dem weichen Serum fest anhaften. Auch wenn das Serum schon etwas weniger weich ist, so daß die Kolonien anfangen, sich an der Oberfläche auszubreiten, bemerkt man noch ein festeres Haftenbleiben der Bazillenmembran an der Serumfläche. Es gelingt dann nicht, die Mem- bran vom Serum abzuspülen oder sie mit dem Platindraht abzuheben, ohne daß Teile des Serums zugleich mit losgerissen werden. Wenn schon die makroskopisch bemerkbaren Eigenschaften der Kultiiren von Tuberkelbazillen eine Unterscheidung von anderen Bakterien kulturen und damit ein Urteil über ihre Reinheit zulassen, so ist dies noch weit mehr der Fall, wenn sie mit mäßig starken Vergrößerungen, wie sie mit einem Z e i ß sehen Objektivsystem AA und Okular 4 bei ausgezogenem Tubus (ungefähr achtzigfache Vergrößerung) zu erzielen ist, untersucht werden. Es ergibt sich dann, daß die Bazillenkolonien so eigentümlich ge- staltete Formen bilden, wie keine andere Bakterienart. Mikroskopisch ist die Entwicklimg Die Ätiologie der Tuberkulose. 525 der Kolonien natürlich weit früher zu bemerken, als dies dem unbewaffneten Auge möglich ist. Schon 5 — 6 Tage, nachdem die Aussaat erfolgt und die Kultur in Brutwärme gehalten ist, treten auf der Serumoberfläche eigentümliche, sehr zierliche Figuren auf. Dieselben erscheinen als feine, vielfach bogenförmig gekrümmte Linien. Die kleinsten haben meistens die Gestalt eines S. Längere Kolonien zeigen die mannigfaltigsten schlangenförmigen Windungen und Krümmungen, welche oft an verschlungene Schriftzüge erinnern. Wäh- rend die Enden dieser Linien scharf zugespitzt verlaufen, sind sie im mittleren Teil mehr oder weniger spindelförmig angeschwollen — und zwar sind die kleineren, jüngeren Kolonien außerordentlich dünn und zart, die älteren dicker und von plumperen Formen. Allmählich nehmen sie durch fortgesetztes Breiterwerden und Zusammenschmelzen der Windungen immer mehr eine plattenförmige Gestalt an. welche durch wellenartige Zeichnungen und durch den Ubergang ihrer Ränder in die eigentümlichen geschwungenen Linien der Einzelkolonien ihre Entstehung aus solchen noch erkennen läßt. Schließlich verschmelzen eine Anzahl solcher Platten und bilden damit die früher geschilderten membranartigen Bazillenkolonien, während die aus Einzelkolonien hervorgegangenen Platten den mit bloßem Auge eben sichtbaren weiL^lichen Schüppchen entsprechen. Um die Kolonien direkt unter dem Mikroskop untersuchen \ukI ihre Fortentwicklung verfolgen zu können, eignen sich besonders gut viereckige Glasnäpfchen, welche mit einem Glasdeckel versehen sind. Die Fig. 41 zeigt ein solches Gefäß mit abgehobenem Glasdeckel in natürlicher Größe. Das erstarrte Blutserum in demsell>en ist an seiner Ober- fläche mit Bazillenkolonien bedeckt, welche sich im Laufe von 14 Tagen entwickelt haben. In Fig. 42 ist eine Partie vom Rande dieser Kolonien mit Z e i ß schem Syi^tem AA und Okular 4 abgebildet. Auch Fig. 39 zeigt die eigentümlichen Gestalten der Kolonien vom Rande der Membran, welche in Fig. 36 abgebildet ist. Die Einzelkolonien sind in diesem letzteren Präparat in der Entwicklung nocli nicht so weit gediehen als in jenem. In Fig. 43 ist dann noch ein Stück von dem die Flüssigkeit überziehenden Häutchen gezeichnet, welches aus netzförmig zusammenhängenden Bazillenkolonien besteht. Daß diese Kolonien nur durch die Tuberkelbazillen gebildet werden, ergibt sich sehr bald, wenn man dieselben nach dem Ehrlich sehen Verfahren färbt und mit starken Vergrößerungen imtersucht. Am zweckmäßigsten geschieht dies in der Weise, daß man ein Deckglas gegen die mit Kolonien besetzte Oberfläche des Serums fest andrückt und wieder abhebt. Es bleiben dann zahlreiche Kolonien in ihrer natürlichen Anordnung und Gestaltung am Deckglase hängen, trocknen daselbst ein und können nun ebenso, wie es früher von den Deckglaspräparaten beschrieben wurde, gefärbt werden. Derartige am Deckglase haftende Kolonien aus der in Fig. 41 abgebildeten Kultur sind in Fig. 44 wiedergegeben Die Bazillen sind in den Kolonien nicht regellos durcheinandergeworfen, sondern sind mit ihrer Längsachse mehr oder weniger parallel zur Längsachse der Kolonie gestellt. Auffallend ist noch, daß die Bazillen nicht unmittelbar aneinanderstoßen. ^) K 1 e b s hat in mehreren neuerdings erschienenen Publikationen (Ai'chiv f. exper. Patlml. Bd. 17) angegeben, daß er konstant nel>en den Tuberkelliazillen noch eine feinkörnige Masse finde, welche die Anilinfarben nicht annehme und die von ihm als aus Mikrokokken Ijestehend angesehen wird. Auch in einer von mir erhaltenen Reinkultur habe er diese Mikrokokken gefunden. Die Rein- kvdtur, welche ich K 1 e b s a,\\t seinen Wunsch ii!>erlassen habe, war auf einem sehr weichen Serum gewachsen. Wie im Text erwähnt ist. läßt sich in solchem Falle die Bazillenmasse nicht von der Serumfläche abheben, f)hne daß Teile des Serums mit abgerissen werden. Bei der mikroskoiiischen Untersuchung erscheint nun aber das erstarrte Serum als eine feinkörnige, mit Anilinfarben wenig färbl>are Masse. K 1 e 1) s hat offenbar Teile des Serums vor Augen gehallt, als er in jener Reinkultur Mikrokokken zu finden meinte. Mii' ist bei den zahlreichen mikroskopischen Untersuchungen, welche ich mit meinen Reinkulturen von Tuberkelbazillen angestellt habe, noch niemals etwas anderes als echte Tuberkelbazillen begegnet. 526 Die Ätiologie der Tuberkulose. sondern durch wenn auch nnr sehr geringe Zwischenräume voneinander getrennt sind. Wie bereits früher angedeutet wurde, ist aus diesem Verhalten zu schheßen, daß die Bazillen von einer Bindesubstanz umgeben und durch diese, wie der feste Zusammenhalt der Kolonien beweist, zusammengekittet sind. Sehr häufig findet man in weiter fort- geschrittenen Kolonien die meisten oder fast sämtliche Bazillen sporenhaltig. Die in Fig. 47 abgebildeten sporenhaltigen Tuberkelbazillen entstammen einer solchen Kultur. Gewöhnlich haben die Kulturen nach 4 Wochen das Maximum ihrer Entwicklung erreicht und sie bleiben dann unverändert. Die Weiterführung derselben geschieht des- wegen am zweckmäßigsten in Zwischenräumen von 2 — 4 Wochen. Doch sind auch solche Kulturen, welche monatelang bestanden haben, noch entwicklungsfähig und können zu weiteren Umzüchtungen verwendet werden. Nach der im Vorstehenden beschriebenen Methode sind von mir eine Anzahl Rein- kulturen von Tuberkelbazillen aus verschiedenem Material gewonnen und durch längere oder kürzere Reihen von Umzüchtungen fortgesetzt. Mehrere Kultur versuche, und zwar die ersten, welche angestellt wurden, gingen von Meerschweinchen aus, welche durch Impfung vom Menschen und verschiedenen Tieren tuberkulös infiziert waren. Andere Kulturen sind unmittelbar aus dem ursprüng- lichen tuberkulösen Material erhalten. Die indirekt mit Hilfe der Anfangsimpfung von Meerschweinchen gewonnenen Reinkulturen betreffen folgende Fälle : 1. Lungenphthisis vom Menschen durch 22 Monate (also fast 2 Jahre) in 34 Um- züchtungen kultiviert; 2. Lungenphthisis vom Menschen (käsige Masse aus der Lunge) durch 2^ Monate in 5 Umzüchtungen kultiviert; .3. Lungenphthisis vom Menschen (Kaverneninhalt) durch 3 Monate in 6 Umzüch- tungen kultiviert; 4. Miliartuberkulose vom Menschen (Tuberkel der Lunge) durch 7 Monate in 12 Umzüchtungen kultiviert; 5. Miliartuberkulose vom Menschen (Tuberkel der Pia mater) durch 3 Monate in 5 Umzüchtungen kultiviert; 6. Miliartuberkulose vom Menschen (Tuberkel der Milz) durch 2% Monate in 4 Umzüchtungen kultiviert; 7. Uterustuberkulose vom Menschen durch 4 Monate in 6 LTmzüchtungen kul- tiviert ; 8. Darmtuberkulose vom Menschen (verkäste Mesenterialdrüsen) durch 6 Monate in 9 Umzüchtungen kultiviert; 9. Lungenphthisis vom Menschen (Sputum) durch 414 Monate in 7 LTmzüchtungen kultiviert ; 10. Skrofulöse vom Menschen (exstirpierte Halsdrüse) durch 7 Monate in 12 Um- züchtungen kultiviert; 11. Tuberkulose vom Affen (Lungentuberkel) durch 6 14 Monate in 12 Umzüch- tungen kultiviert; 12. Tuberkulose vom Affen (Milztuberkel) durch 7 Monate in 13 Umzüchtungen kultiviert ; 13. Tuberkulose vom Affen (verkäste Bronchialdrüsen) durch 4 Monate in 6 Um- züchtungen kultiviert ; 14. Perlsucht vom Rind (Pleuraknoten) durch 3 Monate in 5 Umzüchtungen kul- tiviert ; Die Ätiologie der Tuberkulose. 527 15. Perlsueht vom Rind (Pleiu'aknoten) durch 3^2 ^lonate in 5 Umzüchtimgen kidtiviert ; 16. Perlsueht vom Rind (Peritonealknoten) durcli 21 Monate in 29 Umzüchtungen kultiviert ; 17. Perlsucht vom Rind (Peritonealknoten) durch 3 Monate in 5 Umzüchtungen kultiviert ; 18. Perlsucht vom Rind (Knoten vom Zwerchfell) durch 4 Monate in 6 Umzüch- tungen kultiviert; 19. Perlsucht vom Rind (breiartige käsige Massen aus der Lunge, erster Fall) durch 8 Monate in 13 Umzüchtungen kiüti viert; 20. Perlsuclit vom Rind (breiartige käsige Massen aus der Lmige. zweiter Fall) durch 3 Monate in 5 Umzüchtungen kultiviert; 21. Tuberkelbazillenkultur (Nr. 1; 5. Umzüchtung) durch 4 Monate in 7 Umzüch- tungen kultiviert. Unmittelbar aus tuberkulösem Material wurden folgende Reinkulturen erhalten : 22. Miliartuberkulose vom Menschen (Tuberkel der Lmige) durch 19 Monate in 24 Umzüchtungen kultiviert; 23. Miliartuberkulose vom Menschen (Tuberkel der Lunge) durch 6 Monate in 10 LTmzüchtungen kultiviert; « 24. Limgenphthisis vom Menschen (Inhalt einer Kaverne) durch 7 Monate in 11 Umzüchtungen kultiviert; 2.5. Lungenphthisis vom Menschen (Inhalt einer kleinen Kaverne in der Lungen- spitze) durch 7 Monate in 10 Umzüchtungen kultiviert; 26. Lungenphthisis vom Menschen (Inhalt einer geschlossenen Kaverne) durcli 18 Monate in 24 Umzüchtungen kultiviert; 27. Käsige Pneumonie vom Menschen (Lungengewebe) durcli 5 Monate in 7 Um- züclitungen kultiviert ; 28. Käsige Pneumonie vom Menschen (Lungengewebe) durch 7 Monate in 9 L'^m- züchtungen kultiviert ; 29. Skrofulöse Drüse durch 6 Monate in 8 Umzüchtungen kultiviert; 30. Skrofulöse Drüse durch 5 Monate in 7 Umzüchtungen kultiviert; 31. Skrofulöse Drüse durch 3 Monate in 3 Umzüchtungen kultiviert; 32. Skrofulöse Drüse durch 3 Monate in 4 Umzüchtungen kultiviert; 33. Tuberkulöser Hoden durch 4 Monate in 6 LTmzüchtungen kidtiviert; 34. Fungöses Gelenk durch 15 Monate in 19 Umzüchtimgen kultiviert; 35. Lupus durch 16 Monate in 21 Umzüchtungen kultiviert; 36. Perlsucht hinge (käsige Masse) durch 6 Monate in 8 Umzüchtungen kultiviert; 37. Perlsiichtlunge (verkalkte Knoten) durch 5 Monate in 7 Umzüchtungen kultiviert ; 38. Perlsuchtknoten vom Zwerchfell durch 9 Monate in 15 Umzüchtungen kultiviert ; 39. Perlsiichtknoten vom Perikardium durch 18 Monate in 23 Umzüclitungen kultiviert ; 40. Käsige Pneumonie vom Schwein durch 5 Monate in 8 Umzüchtungen kultiviert; 41. Spontane Tuberkulose beim Meerschweinchen (Knoten . der Lunge) dureli 6 Monate in 9 Umzüchtungen kultiviert; 42. Spontane Tuberkulose beim Meerschweinchen (Milz) durch 3 Monate in 5 Um- züchtungen kultiviert; 43. Spontane Tuberkulose beim Meerschweinchen (Knoten der Lunge) durcli 4 Monate in 7 Umzüchtungen kultiviert. 528 Die Ätiologie der Tuberkulose. Die Erhaltung der Kulturen beansprucht einen solchen Aufwand an Zeit und Mühe, daß nur immer eine gewisse Anzahl zu gleicher Zeit unterhalten werden konnte. Die meisten üeß ich wieder eingehen, sobald nach einer durch mehrere Monate fortgesetzten Kultur und damit vorgenommenen Impfungen ihre vegetativen und pathogenen Eigen- schaften hinreichend festgestellt waren. Nur die Kulturen Nr. 1 (Lungenphthisis), Nr. 16 (Perlsucht), Nr. 22 (Miüartuberkulose), Nr. 26 (Inhalt einer Kaverne aus einer phthisischen Lunge), Nr. 34 (fungöses Gelenk), Nr. 35 (Lupus), Nr. 39 (Perlsucht) sind bis jetzt fort- geführt und sollen auch ferner erhalten werden, um zu erfahren, ob bei dem fortgesetzten, außerhalb des tierischen Körpers stattfindenden Leben der TuberkelbaziUen nicht irgend- welche Veränderungen in ihren Eigenschaften eintreten werden. Es könnte auffälHg erschemen, daß eine so verhältnismäßig große Anzahl von Kulturen angelegt wurde, während doch einige schon genügt hätten, um das Verhalten der Bazillen in den Kulturen zu beobachten. Mir schien es indessen anfangs keineswegs ausgeschlossen, daß, wenn auch die Bazillen der verschiedenen Tuberkuloseformen, der Perlsucht, des Lupus, der Phthisis usw. mikroskopisch keine Unterscheidung zuheßen, sich doch vielleicht in den Kulturen der von verschiedenem L^rsprunge abstammenden Bazillen Unterschiede herausstellen würden. Aber trotz der größten darauf gerichteten Aufmerksamkeit habe ich nichts Derartiges finden können. Auch in den Kulturen, mögen sie nun aus Mihartuberkeln oder aus Kaverneninhalt oder Lupus oder Perlsucht ge- nommen sein, verhielten sich die Tuberkelbazillen vollkommen gleich. Ebenso hat sich auch an den durch einen längeren Zeitraum, zwischen 16 und 22 Monaten, fortgeführten Kulturen in keiner Weise eine Veränderung bemerkhch gemacht. Wenn ich früher die Behauptung aufstellte, daß die Kulturen der Tuberkelbazillen besonders charakteristische Eigenschaften besitzen, vermöge deren die TuberkelbaziUen fast mit größerer Sicherheit und auf jeden Fall mit gewichtigeren Gründen von anderen Bakterien unterschieden werden können als durch ihre tinktoriellen Eigenschaften, so kann ich mich zur Begründung dieser Behauptung auf ein sehr reiches Beobachtungs- material stützen. Es wurden nämlich, nachdem die günstigen Eigenschaften des erstarrten Blutserums erkannt waren, unzählige Versuche teils von Reinkulturen verschiedener Bakterien, teils von Aussaat der verschiedensten tierischen Substanzen auf Blutserum gemacht, ohne daß jemals Vegetationen, welche den TuberkelbaziUenkulturen geghchen hätten, auftraten. Es bilden diese, allerdings anderen experimentellen LTntersuchungen angehörenden Versuche gleichwohl Kontroll versuche, aus denen hervorgeht, daß nur aus Substanzen, welche TuberkelbaziUen enthalten, die oben geschilderten charakteristi- schen Kulturen zu erzielen sind. Von besonderer Bedeutung für die Ätiologie mußte es nun noch sein, festzustellen, ob die TuberkelbaziUen unter Verhältnissen wachsen und sich vermehren können, welche ihnen eine vom Körper des Menschen und der Tiere unabhängige Existenz ermöglichen. Zur Entscheidung dieser Frage war zunächst zu untersuchen, ob die Bazillen nur auf dem erstarrten Blutserum wachsen, oder ob sie auch in anderen Nährmedien gedeihen. Versuche mit flüssigem sterilisierten Blutserum ergaben das Resultat, daß Partikel- chen von Bazillenkulturen, welche an die Oberfläche des in einem Reagenzglas befindlichen Serums gebracht wurden, sich hier ebenso wie an der Oberfläche der Flüssigkeit neben dem erstarrten Blutserum in der bereits früher beschriebenen Weise entwickelten und einen dünnen weißhchen Überzug bildeten, welcher von brüchiger, spröder Konsistenz war, beim Bewegen des Serums zerbrach und sich zu Boden senkte. Das Serum blieb stets klar. Wenn es nicht gelang, die Aussaat auf der Oberfläche des Serums schwimmend zu erhalten und wenn dieselbe in der Flüssigkeit unterging, dann kam es zu keiner bemerk- baren Vermehrung der ausgesäten Stückchen. Die Ätiologie der Tiiljeikulose. 529 Das Blutserum von verschiedenen Tierarten zeigte soavoIiI im erstarrten als i)n flüssigen Zustande keine wesentlichen L'nterschiede in der Fähigkeit, den Tuberkelbazillen als Nährboden zu dienen. Am besten scheinen sie allerdings auf Hammel-. Rindei - und Kälberserum zu gedeihen. Aber auch das Serum vom Pferde- inid Schweineblut gibt recht kräftige Kulturen. Sogar auf dem Serum von Hundeblut wuchsen die Kulturen nicht merklich schlechter, trotzdem doch diese Tierspezies gegen die Tuberkulose ziemlich resistent ist. Auf erstarrtem Hühnereiweiß wuchsen dagegen die Tuberkelbazillen nicht. In anderen Flüssigkeiten als Blutserum gelang es mir anfangs nicht, ein Wachstum der Tuberkelbazillen zu erzielen. Wenn ein oder mehrere Bröckchen einer Kultur in ein Glas mit neutralisierter Fleischbrühe gebracht wurde, dann schienen sich allerdings die Bröckchen im Laufe von 4 — 5 Wochen etwas vergrößert zu haben, aber es war schwer zu unterscheiden, ob ein wirkliches Wachstum stattgefmiden hatte. Erst als ich Stücke der Bazillenkultm- fein zerrieben und zerdrückt, dem Fleischinfus zugesetzt und durch öfteres Schütteln darin verteilt hatte, kam es zu einer unverkennbaren Entwicklung. Nicht unwesentlich scheint es für das Gelingen dieses Versuches zu sein, daß die Kulturen in Glaskölbchen mit flachem, weitem Boden, sog. E r 1 e n m e y e r sehen Kölbchen, angesetzt werden und nur soviel Flüssigkeit in die Kölbchen gegeben wird, daß der Boden einen halben bis höchstens einen Zentinietei- hoch bedeckt ist. Das Fleischinfus bliel) stets klar, aber im Laufe von 4 — 5 Wochen bildete sich am Boden des GefäLk'S eine fein- körnige, sandartig aussehende weiße Ablagerung. Die einzelnen Köinchen, welche ver- nmtlich aus den kaum sichtbaren Pavtikelchen der Aussaat herangewachsen waren, be- standen ausschließlich aus Tuberkelbazillen. Vergleicht man dies Verhalten der Kulturen in flüssigen Nährmedien, nämlich ihr langsames Wachstum imd das Klarbleiben der Flüssigkeit, mit den Angaben über frühere Kultu] versuche von K 1 e b s, S c h ü 1 1 e r, T o u s s a i n t. welche schon nach 1 3 Tagen eine Trübung der Kulturflüssigkeit beobachteten, so kann man sich der Überzeugung nicht verschließen, daß diese Kulturen keine Reinkulturen gewesen sein können. Auch in betreff des Fleischinfuses wiederholt sich die Erscheinung, daß das Fleisch verschiedener Tiere, und zwar auch solcher, welche wenig empfänglich für Tuberkulose sincL wie Hund, Ratte und Hausmaus, die Kulturen in fast gleicher Stärke zur Ent- wicklung kommen lassen. Zu erwähnen ist noch, daß durch einen Zusatz von Agar-Agar zum Erstarren ge- brachtes und dadurch in einen festen Nährl)oden verwandeltes neutralisiertes Fleischinfus, welches ohne verflüssigt zu werden dei' Bi uttemperatur ausgesetzt werden kann, einen Nährboden für Tuberkelbazillenkultureu al)gil)t. Derselbe steht allerdings dem ei'starrten Blutserum erheblich nach, weil auf der schlüpfrigen Oberfläche die Bazillen sich schlecht ausbreiten lassen und es infolgedessen nicht zui- Entwicklung der charakteristischen membranartigen Kiüturen kommt, sondern mehr kompakte unförmliche Massen entstehen. Da einige pathogene Bakterien, z. B. die Milzbrandbazillen, die TA'phusbazillen, die Rotzbazillen und die Ei-ysipelasmikrokokken auf pflanzlichen Substanzen, z. B. nament- lich auf gekochten Kartoffeln, sehr kräftig wachsen, so wurden auch mit den Tuberkel- bazillen nach dieser Richtung hin Versuche angestellt, welche indessen zu keinen positiven Resultaten geführt haben. Im ganzen genommen ist daher den Tuberkelbazillen in bezug auf den Nährboden kein sehr großer Spielraum geboten. Ahnlich verhält es sich auch mit einer zweiten, für die Existenz der Bakterien wesentlichen Bedingiuig, mit den Temperaturgrenzen, innerhalb deren noch ein Wachstum vor sich geht. Koch, Gesammelte Werke. ^ 530 Die Ätiologie der Tuberkulose. In vielfach wiederholten Versuchen ergab sich, daß bei einer Temperatur von 42*' C im Laufe von drei Wochen kein Wachstum stattfindet. Ferner ist bei 30° C die Ent- wicklung eine sehr geringe und hört zwischen 28° und 29° C vollständig auf. Am besten gedeihen die Kulturen in einer Temperatur von 37° — 38° C. Anderen pathogenen Bakterien steht eine erheblich größere Breite der Temperatur- grenzen, innerhalb deren sie sich vermehren können, zur Verfügung. So wachsen bei- spielsweise die Milzbrandbazillen zwischen 20° — 24° C sehr üppig und bilden in kurzer Zeit Sporen. Auch bis zu 43° C können sie noch gedeihen. Berücksichtigt man nun, daß die Milzbrandbazillen bei einer Temperatur, welche im Sommer von der Bodenoberfläche vielfach erreicht wird, in 24 — ^48 Stunden ihren ganzen Entwicklungsgang bis zur Sporen- bildung durchlaufen können und daß sie dies auf abgestorbenen pflanzlichen Substraten tun können, dann ist die Vermutung berechtigt, daß sie auch in der Tat ihren Entwick- lungsgang in der freien Natur und unabhängig vom Tierkörper an geeigneten Stellen nehmen. Es bedarf wohl keiner weiteren Ausführung, daß damit die Ätiologie der Milz- brandkrankheit eine ganz andere Gestalt erhält, als wenn die Milzbrandbazillen in ihrer Existenz allem auf den Tierkörper angewiesen wären. Dasselbe würde für die Tuberkelbazillen gelten, wenn sie auf Nährsubstraten, wie sie in der freien Natur vorkommen, zu wachsen vermöchten und wenn sie bei einer der Sommerwärme entsprechenden Temperatur in verhältnismäßig kurzer Zeit sich ent- wickeln und Sporen bilden würden. Dies ist aber nicht der Fall. Die untere Temperatur- grenze, bei welcher die Tuberkelbazillen noch eben zu wachsen vermögen, wird nicht von der Sominertemperatur erreicht, auch geht das Wachstum dieser Bakterien zu langsam vor sich, als daß sie nicht von den überall vorkommenden sehr viel schneller sich ent- wickelnden anderen. Bakterienarten sehr bald überwuchert würden, ehe sie ihren Ent- wicklungsgang abgeschlossen hätten. Wenn also auch außer den tierischen Substraten noch andere, leichter erreichbare gefunden würden, welche den Tuberkelbazillen als Nähr- boden dienen können, dann würden doch die letzterwähnten Gründe mit aller Entschieden- heit gegen die Annahme sprechen, daß die Tuberkelbazillen auch eine vom tierischen Organismus unabhängige Existenz führen können. Wir sind demnach genötigt, soweit bis jetzt die Erfahrungen reichen, die Tuberkelbazillen nicht als gelegentliche, sondern als echte Parasiten anzusehen, d. h. als solche, welche nur im tierischen resp. menschlichen Organismus ihre Existenzbedingungen finden. III. Infektionsversuche. Die Infektionsversuche bildeten bisher den wichtigsten Teil der experimentellen Untersuchungen über die Tuberkulose. Aber obwohl dieselben in außerordentlich großem Umfange angestellt sind, so entbehren sie doch bis auf wenige Versuchsreihen der Vorsichts- maßregeln, welche notwendigerweise damit verbunden sein müssen, um sie einwands- frei zu machen. Es sind drei Fehlerquellen, welche den Infektions versuch in Frage stehen können. Erstens die Verwechslung der spontanen Tuberkulose mit der durch die Infektion künstHch erzeugten Tuberkulose, zweitens die Verwechslung der Produkte echter tuberkulöser Erkrankung mit pathologischen Veränderungen, welche denselben makroskopisch oder selbst auch mikroskopisch mehr oder weniger ähnlich sind. Drittens: unbeabsichtigte Infektion mit Tuberkelvirus durch infizierte Instrumente, Impfmaterial usw., kurz gesagt, durch Nichtbeachtung der antiseptischen Vorsichtsmaßregeln. Wie soU man sich nun gegen diese Fehlerquellen schützen ? Die Ätiologie der Tuberkulose. 531 Um die durch spontane Tuberkulose entstehenden Irrtümer zu vermeiden, hat man vorgeschlagen, nur an solchen Tieren zu experimentieren, bei denen Tuberkulose selten oder gar nicht vorkommt. Da aber Tiere, bei denen keine spontane Tuberkulose vor- kommt, sich überhaupt gegen diese Krankheit mehr oder weniger immun verhalten und also kein zuverlässiges Reagenz auf die Wirkungen des Tuberkelvirus abgeben, so ist dieser Vorschlag praktisch nicht durchführbar. Auch für Versuche über Milzbrand- infektion würde man beispielsweise nicht Hunde, welche sich bekanntlich dieser Kraiikheit gegenüber fast immun verhalten, als ausschließliche Versuchstiere wählen, sondern im Gegenteil uüt für die Milzbrandinfektion mögüchst empfänglichen Tieren experimentieren. Das gleiche gilt für die Tuberkuloseinfektionsversuche. Je empfänglicher also eine Tierart für die Infektion mit Tuberkelvirus ist, um so besser ist sie für die in Rede stehenden Infektionsversuche geeignet. Jedoch immer nur unter der Voraussetzung, daß es gelingt, bei den Versuchstieren die künstliche und die spontane Infektion auseinanderzuhalten. Bei einiger Aufmerksamkeit ist dies aber gar nicht so schwierig. Die Kennzeichen, durch welche beide zu unterscheiden sind, wurden früher schon ausführlich angegeben. Es versteht sich wohl von selbst, daß, wenn sich auch mit Hilfe dieser Kennzeichen die spontane Tuberkulose als Versuchsfehler aus- schließen läßt, gleichwohl alle Vorsichtsmaßregeln beobachtet werden müssen, um die spontanen Erkrankungen auf ein möglichst geringes Maß einzuschränken. Durch Trennung der tuberkulösen Tiere von den übrigen in besonderen Käfigen, häufiges Lüften, Reinigen und Desinfizieren der Stallungen ist dies auch wohl zu erreichen. Dennoch ist es nicht ratsam, Kaninchen und Meerschweinchen dauernd mit tuberkulösen Tieren in denselben Räumen zu halten ; viel länger als acht bis zehn Monate würden sie in infizierten Stallungen kaum frei von Tuberkulose bleiben. Es sollte in einem Falle eine Anzahl Tiere für Ver- suche über Immunität möglichst lange erhalten werden, aber trotz der besten Pflege blieben nur einzelne länger als ein Jahr frei von Tuberkulose, um schließlich wenige Monate später ebenfalls doch noch tuberkulös zu werden. Nach diesen Erfahrungen erscheinen alle die zahlreichen Experimente, in denen die Tuberkulose nach einer Dauer von drei Monaten oder später konstatiert wurde, als wenig oder gar nicht beweiskräftig, wenn nicht aus dem Befund selbst hervorgehen sollte, daß eine spontane Tuberkulose vorliegt oder ausgeschlossen werden kann. Was nun die zweite Fehlerquelle, die Verwechslung von nicht tuberkulösen Knötchen mit echten Tuberkeln betrifft, so ist nichts einfacher, als dieselbe auszuschließen. Die echten Tuberkel sind infektiös und enthalten Tuberkelbazillen, die unechten nicht. Selbst wenn man den diagnostischen Wert der Tuberkelbazillen nicht anerkennen will, muß man zwischen infektiösen und nicht infektiösen Knötchen unterscheiden. Also darf man, wenn durch einen Infektionsversuch, z. B. durch Inhalation irgendwelcher Substanzen, in der Lunge eines Hundes einige graue Knötchen erzielt sind, sich nicht nnt diesem ein- fachen Befunde begnügen und daraufhin behaupten, daß dies echte Tuberkel seien. Unter allen Umständen muß auch noch die infektiöse Natur solcher Ivnötchen nachge- wiesen werden. Meistens wird man. wenn es sich um echte Tuberkulose handelt, der Mühe überhoben sein, durch eine weitere Verimpfung der Knötchen noch ihre Infektiosität besonders beweisen zu müssen; denn es wird sich in diesem Falle der Krankheitsprozeß selten auf die Infektionsstelle beschränkt zeigen; fast immer hat er bereits auf andere Organe des Körpers übergegriffen und hefert durch die Propagationsfähigkeit schon selbst den Beweis für seine infektiöse Natur. Wenn sich also eine über die ursiirüngliche Infektionsstelle hinaus auf Lymphdrüsen, Lunge, Leber, Milz erstreckende Tuberkel- bildung findet, dann kann dieselbe ohne weiteres als infektiös angesehen werden ; bleiben aber, wie es beispielsweise nach Inhalation von nicht virulenten, festen Partikelchen in 34* 532 Die Ätiologie der Tuberkulose. den Lungen und nach Injektion von köniigen Massen in die Bauchhöhle im Peritoneum der Fall ist, die hierdurch entstandenen Knötchen auf den Infektionsort, hier also Lunge oder Peritoneum, beschränkt und zeigen keine Neigung zur weiteren Infektion des Körpers, dann spricht dieser Umstand dagegen, daß hier echte Tuberkel vorliegen und der Beweis für ihre Infektiosität müßte noch besonders geliefert werden. Geschieht dies nicht, wie es unbegreiflichenvei.se in mehreren neueren Untersuchungen, welche sich gegen die Infek- tiosität der Tuberkulose richteten, der Fall gewesen ist, dann fehlt dem Experiment der beweiskräftige Abschluß. Der dritte der bezeichneten Fehler, die unbeabsichtigte Infektion durch Instrumente usw., scheint fast allen früheren Versuchen über Tuberkulose in einem mehr oder weniger hohen Grade anzuhaften, sowohl denjenigen, welche für die Infektiosität, als auch den- jenigen, welche gegen die letztere beweisend sein sollten. Und doch ist dieser Fehler ohne besondere SchAvierigkeiten zu vermeiden, wenn man sich an die für antiseptische Operationen geltenden Regeln hält und vor allen Dingen für jeden einzelnen Versuch die Instrumente sorgfältig desinfiziert. Alle Metallinstrumente, wie Scheren, Pinzetten, Messer, Impflanzetten müssen ausgeglüht werden. Eine ganz besondere Sorgfalt erfordert die Behandlung der zu Injektionen verwendeten Spritzen. Spritzen von gewöhnlicher Konstruktion können nicht mit genügender Sicherheit desinfiziert werden, weil sie starkes Erhitzen nicht zulassen, ohne beschädigt zu werden, und flüssige Desinfektionsmittel erfahrungsgemäß die im Innern der Spritze befindlichen und insbesondere die dem Stempel anhaftenden Infektionsstoffe nicht sicher vernichten. Deswegen muß den Spritzen eine besondei'e Konstruktion gegeben werden, welche die Desinfektion durch Hitze ermöglicht. Zu diesem Zwecke ist die Spritze aus Glas und Metall anzufertigen. Das untere Ende derselben wird durch eine eingelegte durchbohrte Korkplatte luftdicht mit der Fassvmg für die Kanüle verbunden und der Stempel durch Bewickeln mit einem weichen Baumwollfaden gedichtet. In dieser Form kann die Spritze vor jedem Versuch durch einstündiges Erhitzen auf 150° — 160" C frei von Infektionskeimen gemacht werden. Der Stempel wird dann noch durch Einsaugen von gekochtem destillierten Wasser an- gefeuchtet und gibt, wenn die Bewicklung mit einiger Sorgfalt ausgeführt wurde, einen ebenso dichten Verschluß wie die gewöhnlichen Leder- oder Kautschukstempel Die Hände des Experimentators und die Operationsstelle sind mit f/oo Sublimat- lösung zu desinfizieren und selbstverständlich auch im übrigen alles zu vermeiden, was eine unbeabsichtigte Infektion des Versuchstieres während oder nach der Operation herbeiführen könnte. Bei sämtlichen im Nachstehenden aufgeführten Infektionsversuchen sind die eben auseinandergesetzten Vorsichtsmaßregeln streng durchgeführt und es wurden also, um letztere nochmals kurz zu bezeichnen, für jeden Versuch mehrere frisch angekaufte Tiere verwendet, in getrennten Käfigen gehalten, der Effekt der Infektion wurde so frühzeitig konstatiert, daß eine Verwechslung mit der erst spät auftretenden spontanen Tuberkulose nicht vorkommen konnte ; es wurden ferner die infolge der Infektion auftretenden tuber- kulösen Veränderungen stets auf das Vorhandensein von Tuberkelbazillen und, wo es erforderlich schien, noch speziell auf ihre infektiösen Eigenschaften geprüft; die Infektion selbst fand unter antiseptischen Kautelen und insbesondere mit zuverlässig desinfizierten Instrumenten statt. Die im Laufe meiner Untersuchungen über die Tuberkulose ausgeführten Infektions- versuche zerfallen in zwei Gruppen. Der einen Gruppe gehören diejenigen Versuche an, 1) Spritzen dieser Konstruktion liefert H. Windler, Hof-Instrumenteniiiacher, Berlin N^\^ Dorotheenstraße 3. Die Ätiologie der Tuberkulose. 533 in welchen tubeikelbazillenhaltige Gewebsteile, der zweiten diejenigen, in denen Rein- kulturen von Tuberkelbazillen als Infektionsmaterial benutzt wurden. 1. Infektionsversuche mit tuberkelbazillenhaltigen Gewebsteilen. Dieselben dienten teils dazu, um die Wirkung der Produkte verschiedenartiger tuberkulöser Prozesse zu studieren, teils um ein für den Beginn der Reinkulturen geeignetes Aussaatmaterial zu gewinnen. Als Impfmaterial wurden Gewebsstückchen verwendet aus verschiedenen Organen von menschlicher Miliartuberkulose, aus phthisischen Lungen, verschiedenen Formen lokalisierter Tubei'kulose. aus fungösen Gelenken, skrofulösen Drüsen. J^upus, Tuberkulose verschiedener Tiere. Die Impfsubstanz wurde stets auf den Gehalt an Tuberkelbazillen geprüft. Die Impfung geschah in der Weise, daI3 bei Meerschweinchen am Bauch mit der Schere ein kleiner Einschnitt gemacht und durch f^inführen der Scherenspitze in diesen Schnitt eine etwa ^2 tiefe, taschenförmige. subkutane Wunde angelegt wurde. In diese kleine Hauttasche wurde ein hirsekorn- bis senfkorngroßes Stückchen der Im})f- substanz möglichst tief hineingeschoben. Am folgenden Tage erschien die Impfwumle stets verklebt und zeigte keine Reaktion. Meistens trat erst nach zwei Wochen eine merk- liche Anschwellung der der Impfstelle zunächst gelegenen Lymphdrüsen, gewöhnlich der Leistendrüsen auf einer Seite, ein und zugleich zeigte sich eine Verhärtung und Knoten- bildung an der bis dahin völlig verheilten Impfwunde. Darauf nahm die Vergrößerung der Lymphdrüsen schnell zu, öfters bis zu Haselnußgröße. Der Knoten an der Impfstelle brach dann meistens auf und bedeckte sich mit einer trockenen Kruste, unter welcher ein flaches, wenig absonderndes luid mit käsigem Grunde versehenes Geschwür sich be- fand. Die Tiere fingen dann an abzumagern, bekamen struppiges Haai-. Respirations- beschwerden und starben gewöhnlich zwischen der vierten bis achten Woche, oder sie wurden innerhalb dieses Zeitraumes getötet. Auch bei Kaninchen wurde einige Male die fmjif Substanz in eine taschenförmige Hautwunde gebracht. Da aber der Krankheitsverlauf nicht so präzis und schnell wie bei Meerschweinchen nach der subkutanen Impfung verhef, so habe ich später bei Kanin- chen nur noch die vordere Augenkammei' als Impfstelle gewählt. Der Verlauf der infolge dieser Impfung entstehenden Iristuberkulose ist schon oft beschrieben und es bedarf daher nicht einer besonderen Schilderung derselben. Folgende Impfungen wurden in dieser Weise ausgeführt: 1. Miliartuberkulose. Tuberkelknoten der Pia mater, sehr reich an Tuberkelbazillen : 6 Meerschweinchen. Davon starb eins 5 Wochen, zwei G Wochen, zwei 7 Wochen nach der Impfung. Das sechste wurde in der achten Woche getötet. Bei sämtlichen Tieren waren Lunge, Leber, Milz in hohem Grade tuberkulös und die Leistendrüsen verkäst. 2. Miliartuberkulose. Graue Knötchen der Lunge, ziemlich reich an Tuberkel- bazillen: 6 Meerschweinchen. Drei starben in der sechsten Woche, die übrigen einige Tage später getötet. Sämtlich tuberkulös wie in Nr. 1. 3. Miliartuberkulose. Graue, gelbe Knötchen aus Milz und Niere, nicht sehr reich an Tuberkelbazillen: 6 Meerschweinchen. Starben in der sechsten und siebenten Woche. Sämtlich tuberkulös wie Nr. 1. 4. Miliartuberkulose. Graue Knötchen der Lunge, ziemlich reich an Bazillen: .3 Meerschweinchen. Zwei starben in der sechsten, eines in der siebenten Woche. Sämtlich tuberkulös wie Nr. L 5. MiUartuberkulose. Graue Knötchen der Lunge, wenige Bazillen enthaltend: o Meerschweinchen. 2 Kaninchen an der Ohrwurzel. Ein Meerschweinchen starl) nach 534 Die Ätiologie der Tuberkulose. 8 Wochen, die übrigen einige Tage später getötet. Sämtlich tuberkulös. Die Kaninchen nach 10 Wochen getötet, hatten verkäste Lymphdrüsen an der Ohrwurzel und am Halse, ziemlich viele graue Knötchen in den Lungen, einige Knötchen in den Nieren und in der Milz. Mit Tuberkeln aus der Milz von einem der Meerschweinchen wurden 5 Meerschwein- chen geimpft. Von denselben starben 3 in der achten Woche, die beiden übrigen wurden noch in derselben Woche getötet und sämtlich tuberkulös gefunden. Ferner erhielten mit der in Wasser verriebenen käsigen Drüsensubstanz der Kaninchen 2 Kaninchen eine Injektion in die Bauchhöhle. Bei der nach 8 Wochen erfolgten Tötung dieser Tiere fand sich Tuberkulose des Netzes, der Milz, Leber und auch ziemlich viele graue Knötchen in beiden Lungen. 6. Käsige Pneumonie und Tuberkulose der Gehirnhäute: 2 Meerschweinchen mit der bazillenreichen käsigen Lungensubstanz, 1 Meerschweinchen mit einem Stückchen der tuberkulös infiltrierten und bazillenreichen Pia mater geimpft. Die Tiere starben in der fünften und sechsten Woche. Sämtlich tuberkulös. 7. Käsig infiltrierte Lunge, reich an Bazillen: 6 Meerschweinchen. Das erste starb nach 6 Wochen. Die übrigen waren bereits schwer krank und wurden am Tage darauf getötet. Sämtüch tuberkulös. 8. Phthisische Lunge mit Kavernen, Darmgeschwüre und verkäste Mesenterial- drüsen. Mit dem Inhalt einer Kaverne, welcher ziemlich viele Bazillen enthielt, wurden 2 Meerschweinchen und mit der sehr bazillenreichen Substanz der Mesenterialdrüsen 4 Meerschweinchen geimpft. Die letzteren starben im Laufe der fünften und sechsten Woche, von den beiden ersteren das eine in der sechsten Woche, das andere wurde wenige Tage später getötet. Sämtlich tuberkulös. 9. Käsige Bronchitis und Darmtuberkulose. Mit der mäßig bazillenreichen Lungen- substanz wurden 5 Meerschweinchen geimpft. Es starben davon 2 in der achten Woche, die übrigen wurden vor Ablauf derselben Woche getötet. Sämtlich tuberkulös. 10. Phthisische kavernöse Lunge. Mit verdichtetem Lungengewebe, welches wenige Bazillen enthielt, wurden 4 Meerschweinchen geimpft. Davon starben 3 in der siebenten und achten Woche, das letzte erst in der zwölften Woche. Sämtlich tuberkulös. 11. Phthisisches Sputum. Von 3 verschiedenen Phthisikern entnommenes frisches, mehr oder weniger bazülenreiches Sputum wurde auf 9 Meerschweinchen zu verschiedenen Zeiten verimpft. Die Tiere starben zum Teil vor der achten Woche, zum Teil wurden sie dann getötet. Sie waren sämtüch tuberkulös. 12. Zwei Wochen lang getrocknetes phthisisches Sputum : 3 Meerschweinchen. Zwei starben in der sechsten Woche, das dritte wurde dann getötet. Sämtlich tuberkulös. 13. Zwei Monate lang getrocknetes phthisisches Sputum. 3 Meerschweinchen. Nach 5 Wochen getötet und mit Tuberkulose in Lunge, Leber und Milz gefunden. 14. Tuberkulose des Uterus und der Tuben. Käsige Substanz aus den Tuben auf 6 Meerschweinchen verimpft. Zwei Tiere starben nach 7 Wochen. Die übrigen wurden in der neunten Woche getötet. Sämtüch tuberkulös. 15. Eiter aus einem tuberkulösen Nierenabszeß. 2 Meerschweinchen wurden damit subkutan geimpft und 2 erhielten eine Injektion in die Bauchhöhle. Nach 5 Wochen wurden die Tiere getötet. Bei den subkutan geimpften Meerschweinchen waren die Inguinaldrüsen geschwoUen und in beginnender Verkäsung; in der vergrößerten Milz zahlreiche, in der Lunge wenige graue Knötchen. Die injizierten Meerschweinchen hatten viele TuberkeUmötchen auf dem Peritoneum und im Netz; Milz stärker tuberkulös als bei den geimpften Tieren, ebenso auch größere und zahlreiche Tuberkel in den Lungen. 16. Eiter aus einem von Wirbelkaries ausgehenden Kongestionsabszeß. 5 Meer- schweinchen erhalten davon eine Injektion in die Bauchhöhle, einem Meerschweinchen, Die Ätiologie der Tuberkulose. 535 welches als Kontrolltier dient, wird dasselbe gekochte destillierte Wasser, welches zum Verdünnen des Eiters diente, in die Bauchhöhle gespritzt; es wird mit den übrigen Tieren in demselben Käfig belassen. In der siebenten Woche wurden die Tiere getötet. Das K(mtrolltier hatte weder in der Bauchhöhle noch in den Lungen eine Spur von Tuberkulose. Bei den mit Eiter injizierten fand sich eine ausgezeichnete Tuberkulose des Peritoneums, des Netzes, außerdem auch mehr oder weniger weit gediehene Tuberkulose der Milz und Lunge. In Fig. 28 findet sich in zweifacher Vergrößerung ein Stück vom Peritoneum eines dieser Meerschweinchen abgebildet. 17. Fungöses Ellenbogengelenk. Substanz mit sehr wenigen Bazillen auf 4 Meer- schweinchen verimpft. In der zehnten Woche getötet. Sämtlich tuberku.lös. 18. Skrofulöse Drüsen von verschiedenen Fällen zu verschiedenen Zeiten auf 10 Meerschweinchen verimpft. Die Impfsubstanz enthielt wenige Bazillen und dement- sprechend verlief auch die Tuberkvdose sehr viel langsamer. Doch ließ auch bei diesen Tieren die als erstes merkbares Krankheitssymptom auftretende Schwelhmg xmd spätere Verkäsung der Leistendrüsen keinen Zweifel darüber, daß die Impfstelle die Eintrittsstelle des Tuberkelvirus gebildet hatte. Von den Tieren starben in der zehnten bis zwölften Woche 4, die übrigen wurden dann getötet. Bei allen waren die Lymphdrüsen in der Nähe der Impfstelle verkäst, die Milz, Leber und Lunge in ausgeprägter Weise tuberkulös. 19. Skrofulöse Di'üse. Übertragung der bazillenarmen Drüsensubstanz in die vordere Augenkammer von 4 Kaninchen. Es entwickelte sich bei allen 4 Tieren eüie im Laufe der dritten Woche beginnende Iristuberkulose, welche zur Verkäsung des Bulbus führte. In der zehnten Woche wurden die Kaninchen getötet und außer der Zerstörung des Bulbus Verkäsimg der Halslymphdrüsen imd zahlreiche graue Knötchen in den Lungen gefunden. 20. Von 5 verschiedenen Lupusfällen wurden 18 Kaninchen in die vordere Augen- kammer geimpft. Der Verlauf entsprach genau dem unter Nr. 19 geschilderten. Eine anfangs langsam sich entwickelnde Iristuberkidose. allmählich zu Verkäsung und Ver- eiterung des Bulbus und schließlich zu allgemeiner Tuberkulose fülxrend. Die Impfung blieb bei keinem dieser Kaninchen erfolglos. Einige wurden getötet, als die Iristuberkulose sich eben entwickelt hatte, andere, nachdem die Schwellung und Verkäsung der Hals- drüsen eingetreten war, noch andere starben schließlich mit ausgebreiteter Tuberkulose der Lungen, Leber, Milz und Nieren. Sowohl in den Iristuberkeln als in den tuberkulös veränderten Drüsen, Lungen usw. wurden mehr oder weniger reichlich die Tuberkelbazillen nachgewiesen. Von einem sechsten Lupusfall wurden noch 3 Meerschweinchen und von einem der oben erwähnten Fälle ;> Meerschweinclien subkutan geimpft. Auch bei diesen Tieren kam es zur Schwellung und Verkäsung der Inguinaldrüsen. Sie starben in der siebenten bis zehnten Woche nach der Impfung, waren hochgradig tuberkulös und hatten in Lunge, Milz, Leber und Drüsen zahlreiche Tuberkelbazillen 21. Perlsuchtlunge, teilweise verkalkte Knoten mit ziemlich vielen Bazillen, auf 8 Meerschweinchen verimpft. Dieselben starben innerhalb 5 — 8 Wochen und waren sämthch hochgradig tuberkulös. Von einem dieser Meerschweinchen wurden dann 4 andere, und von einem zweiten .3 andere Meerschweinchen geimpft. Auch von diesen 1) Kürzlic h haben D e m m e, Pfeiffer und D o u t r e 1 e p o n t Mitteilungen ü)>er das Vorkommen von Tuberkelbazillen in lupöser Haut und in den Tuberkeln der mit Lupus geimpften Tiere gemacht. Meine Untersuchungen über Lupus, welche sich nicht allein auf den Nachweis der Bazillen in lupöser Haut und in den Impftuberkeln, sondern auch auf lauge Zeit hindtu-ch fortgeführte Reinkulturen von Lupusbazillen und damit luiternommene erfolgreiche Impfungen erstrecken, waren schon mehrere Monate abgeschlossen, als jene Mitteilungen publiziert wurden, so daß dieselben keinen Einfluß mehr auf meine Arbeit haben konnten. , 536 Die Ätiologie der Tuberkulose. Tieren starben 5 in der sechsten und siebenten Woche, die beiden letzten wurden in der achten Woche getötet. Bei allen wurde ebenfalls Tuberkulose gefunden. Ferner war von der in diesem Versuch zur Verwendung gekommenen Perlsuchtlunge noch eine Katze geimpft imd nach 7 Wochen tuberkulös gestorben. Eine zweite mit Lungen tu berkein von diesem Tiere geimpfte Katze erschien nach 6 Wochen abgemagert und kurzatmig ; sie wurde getötet und ebenfalls mit zahlreichen Tuberkeln in Lunge und Milz versehen gefunden. 22. Perlsuchtknoten vom Peritoneum auf 6 Meerschweinchen verimpft. Es starben 3 davon in der fünften und sechsten Woche, die übrigen wurden einige Tage später getötet. Sämtlich tuberkulös. 23. Perlsuchtknoten aus der Lunge, zum Teil mit käsigem Inhalt und nicht sehr reich an Bazillen. 7 Meerschweinchen ; 5 davon starben bis zur' siebenten Woche, die beiden letzten wurden m der achten Woche getötet. Sämtlich tuberkulös. 24. Verkalkte Perlsuchtknoten vom Peritoneum, mit vielen Bazillen. 3 Meer- schweinchen; dieselben starben bis zur sechsten Woche. Sämtlich tuberkulös. 25. Käsige Pneumonie vom Schwein. Verdichtetes, sehr bazillenreiches Lungen- gewebe. 5 Meerschweinchen. Dieselben starben in der fünften und sechsten Woche und Avaren tuberkulös. 26. Von einem an spontaner Tuberkulose gestorbenen Kaninchen, und zwar mit den Lungentuberkeln desselben, 4 Meerschweinchen geimpft. Davon starben 2 in der siebenten Woche, 2 wurden in der achten Woche getötet. Sie waren sämtlich tuberkulös. Von dem ersten dieser Tiere wurden wieder 4 Meerschweinchen, vom zweiten 2 Meerschweinchen und 4 Kaninchen, vom dritten 2 Kaninchen und vom vierten 1 Meerschweinchen und 1 Kaninchen geimpft, und zwar die Meerschweinchen subkutan, die Kaninchen in die vordere Augenkammer. Die Meerschweinchen starben bis zur neunten Woche an Tuber- kulose, die Kaninchen bekamen sämtlich Iristuberkulo.se; 2 starben in der neunten und zehnten Woche an Tuberkulose, die übrigen wurden dann getötet und ebenfalls mehr oder weniger zahlreiche Lungentuberkel bei ihnen gefunden. 27. Von einem an spontaner Tuberkulose gestorbenen Affen wurden 2 Meerschwein- chen imd 2 Katzen, und zwar mit Lungentuberkeln, geimpft. Erstere starben in der sechsten Woche, die eine Katze nach 7 und die andere nach 13 Wochen, sämtlich tuberkulös. Von einem der Meerschweinchen wurden dann ferner 6 Meerschweinchen und 1 Kaninchen (in die vordere Augenkammer) geimpft, welche ebenfalls sämtlich tuberkulös wurden vor der achten Woche (teils gestorben, teils getötet). Schließlich wurde noch von 2 Tieren dieser zweiten Gruppe die Tuberkulose mit Erfolg auf 7 weitere Meerschweinchen über- impft. Auch von einer der Katzen hatte eine erfolgreiche Übertragung auf 4 Meerschwein- chen stattgefunden. Zu erwähnen ist noch, daß mit der 56 Tage lang getrockneten Milz dieses Affen 5 Meerschweinchen, und mit Lungentuberkeln desselben, welche 57 Tage in absolutem Alkohol gelegen hatten. 4 Meerschweinchen geimpft wurden. Diese Tiere zeigten 4 Monate hindurch keine ^'eränderung, sie wurden dann getötet und erwiesen sich als frei von Tuberkulose. 28. Von einem zweiten an spontaner Tuberkulose gestorbenen Affen wurden 2 Meerschweinchen mit Lungentuberkeln geimpft und starben in der achten und neunten Woche an Tuberkulose. Von diesen Meerschweinchen wurden femer 2 Meerschweinchen und 1 Kaninchen geimpft. Dieselben Avurden in der sechsten Woche, als sie bereits krank erschienen, getötet und tuberkulös gefunden. Mit Lungentuberkeln desselben Affen, welche getrocknet und 3 Tage lang auf- bewahrt waren, wurden noch 2 Meerschweinchen geimpft, welche ebenfalls in der sechsten Woche getötet und tuberkulös gefunden wurden. Die Ätiologie der Tuberkulose. 537 Die soeben avit'gezählten Inipfversuche wurden insgesamt an 179 Meerschweinchen. 35 Kaninchen und 4 Katzen angestellt und die Impfung hatte ohne Ausnahme Tuberkulose zur Folge gehabt. Auch beschränkte sich das Vorhandensein tuberkulöser Veränderungen nicht auf vereinzelte Knötchen zweifelhafter Natur in einem oder dem anderen Organe, sondern es ließ sich in jedem einzelnen Falle zunächst schon an der Entwicklung der charakteristischen Krankheitssyniptome, wie Drüsenanschwellung käsiger Ulzeration der Impfstelle, Abmagerung und Respirationsbeschwerden, dann bei der Sektion an den von der Impfstelle ausgehenden, auf die benachbarten Lymphdrüsen, wie auf Lunge. Milz und Leber fortgeschrittenen, ganz erheblichen pathologischen Veränderungen die Tuberkulose mit aller nur wünschenswerten Sicherheit konstatieren. Überdies wurden stets durch mikroskopische Untersuchung die charakteristischen Gewebselemente der Tuberkel und das \'orhandensein von Tuberkelbazillen nachgewiesen. Die Art und Weise, in welcher sich die Impf tuberkulöse bei den verschiedenen Tieren und in den verschiedenezi Organen verhielt, ist bereits früher ausführlich beschrieben. Andere Experimentatoren haben weniger günstige Erfolge bei ihren Impfungen mit tuberkulösen Substanzen gehabt. Demgegenüber werden die von mir erzielten gleichmäßigen Resultate weniger auffällig erscheinen, wenn man berücksichtigt, daß ich nur mit solchem Material impfte, in welchem Tuberkelbazilleii nachweislich vorhanden waren, und daß ich zu meinen Impfungen nur die für Tuberkulose besonders empfäng- liche?! Tiergattungen benutzte. Aul.^erdem mag zu meinen Erfolgen nicht wenig beigetragen haben, daß die Impfungen selbst möglichst sorgfältig und genau ausgeführt wurden. Man könnte es als einen Mangel empfinden, daß keine Kontroll versuche mit Ver- impfungen von nicht tuberkulösen Substanzen angestellt sind. Doch erschien es mir nicht notwendig, eigene derartige Kontrollversuche anzustellen, weil während der Dauer meiner LTntersuchungen beständig in denselben Räumen luid ebenfalls an Meerschweinchen und Kaninchen nach Hunderten zählende Impfungen mit den mannigfaltigsten Substan- zen, welche keine Tuberkelbazillen enthielten, gemacht und danach niemals eine auf die Impfung zu beziehende Tuberkulose erhalten wurde. Namentlich ist vielfach nicht- tuberkulöses Material in die vordere Augenkammer von Kaninchen gebracht, ohne daß auch nur ein einziges Mal Iristuberkulose entstanden wäre, während letztere nach der Verimpfung echt tuberkulöser Massen niemals ausblieb. Kontrollversuche bilden gewisser- maßen auch die unter Nr. 27 angeführten erfolglosen Impfungen nnt getrockneten und in Alkohol aufbewahrten Lungentuberkeln vom Affen, welche offenbar durch das Absterben der Bazillen ihre Virulenz verloren hatten. Der \^ersuch war mithin eine Impfung mit indifferentem Material. Meine Versuche berechtigen mich demnach zu dem Schluß, daß nur die Verimpfung vf)n tuberkelbazillenhaltigen Substanzen eine echte Tuberkulose bei den Versuchstieren zu erzeugen vermag. Einen Unterschied in der Impfwirkung des von tuberkulösen Prozessen verschiedener Art, also von Miliartuberkulose, Phthisis. Skrofulöse, fungösen Gelenksleiden, Lupus. Perlsucht und anderen Formen der Tiertuberkulose abstammenden Materials habe ich nicht wahrnehmen können. Also auch in diesei' Beziehung zeigen die verscliiedenen Arten der Tuberkulose ein ganz gleiches Verhalten. 2. Infektionsversuche mit Reinkulturen der Tuberkelbazillen. Diese zweite Gruppe der Infektionsversuche bildet den Abschluß des Beweises, daß die Tuberkulose eine Infektionskrankheit und daß sie durch Tuberkelbazillen bedingt ist. 538 Die Ätiologie der Tuberkulose. Bis clahin war nachgewiesen, daß die Tuberkelbazillen bei aJlen tuberkulösen Krank- heitsprozessen und zwar ausschließlich bei diesen vorkommen, ferner, daß nur tuberkel- bazillenhaltige Substanzen imstande sind, Tuberkulose zu erzeugen. Da aber in beiden FäUen die Bazillen noch an Bestandteile des Körpers gebunden sind, so war immer noch die Vermutung berechtigt, daß neben den Bazillen noch irgend ein anderer Stoff von Be- deutung, daß er vielleicht sogar der eigenthche Infektionsstoff sei, während den Bazillen nur eine sekundäre Rolle zufalle. Diese Frage konnte nur dadurch entschieden werden, daß die Bazillen ganz rem vmd abgetrennt von allen körperlichen Bestandteilen verimpft wurden. Wenn sie auch dann noch Tuberkulose erzeugten, dann mußten sie der einzige \md unzweifelhafte Infektionsstoff der Tuberkulose sein. Die hohe Bedeutung, welche gerade diesem Teile der Untersuchung zukam, erforderte, daß die strengsten Vorsichts- maßregeln befolgt wurden, um alle Irrtümer auszuschließen. Es wurden dementsprechend Avie in den früheren Infektionsversuchen für jedes einzelne Experiment mehrere frisch angekaufte Tiere verwendet, außerdem gingen neben den meisten Versuchen besondere KontroU versuche her. Die Tiere eines jeden Versuches befanden sich in einem besonderen Käfig und wurden von anderen tuberkulösen streng abgesondert; sie wurden auch mög- lichst frühzeitig getötet, um jeden Einwand einer Kollision mit spontaner Tuberkulose abzuschneiden. Ferner wurden möglichst verschiedene Methoden der Infektion und ver- schiedene Tierspezies benutzt, um auch nach dieser Richtung die Wirkung der Rein- kulturen zu erfahren. Auf die Desinfektion der zur Verwendung kommenden Gefäße und Instrumente, namentlich der Spritzen, wurde die größte Sorgfalt verwendet. Die zur Infektion dienenden Kulturen bestanden, wie fast jedesmal noch besonders konstatiert wurde, ganz allein aus TuberkelbaziUen. Dieselben wurden mit aller Vorsicht von dem erstarrten Blutserum vermittels geglühter Platindrähte abgehoben, was sich, wie früher schon ausdrücklich erwähnt wurde, leicht ausführen läßt, ohne daß auch nur das geringste von dem Blutserum dabei mit losgerissen wird. Es ist deswegen nicht zuviel behauptet, daß in den meisten Versuchen absolut reine Bazillenmassen zur Verwendung kamen, denen nicht einmal mehr etwas von dem Nährboden, auf dem sie gewachsen waren, anhaftete. Übrigens ist in mehreren Versuchen den KontroUtieren sterihsiertes Blut- serum injiziert, ohne daß dadurch jemals auch nur eine Spur von Tuberkulose entstand. Man kann daher mit aller Sicherheit behaupten, daß, wenn durch die Infektion mit einer TuberkelbaziUen-Reinkultur, welche durch mehrere Umzüchtungen fortgesetzt ist, echte Tuberkulose erzeugt wird, dies ganz allein eine Wirkung der Tuberkel- bazillen ist. 1. Versuch: Reinkultur aus Miliartuberkeln menschlicher Lunge fNr. 22 in der früheren Aufzählung der Reinkulturen). Durch 5 Umzüchtungen 54 Tage lang kultiviert, wurde auf 4 Meerschweinchen subkutan verimpft. Zwei in demselben Käfig befindliche Tiere bheben ungeimpft. Bei den geimpften Tieren schwollen nach 14 Tagen die Inguinal- drüsen, die Impfstellen verwandelten sich in Geschwüre und die Tiere begannen abzu- magern. Nach 32 Tagen starb eins derselben, die übrigen wurden am 35. Tage getötet. Die geimpften Meerschweinchen, sowohl das spontan gestorbene als die drei getöteten, wiesen hochgradige Tuberkulose der Milz, Leber und Lungen auf; die Inguinaldrüsen waren stark geschwollen und verkäst, und zwar erheblich stärker auf der geimpften Seite, die Bronchialdrüsen wenig geschwollen. Die beiden nicht geimpften Tiere zeigten keine Spur von Tuberkulose. 2. Versuch: Reinkultur aus der tuberkulösen Lunge eines Affen (Nr. 11), 95 Tage lang in 8 Umzüchtungen kultiviert, auf 6 Meerschweinchen subkutan verimpft, zwei Kontrolltiere bleiben ungeimpft. Nach 32 Tagen wurden sämtliche Tiere getötet und die 6 geimpften hochgradig tuberkulös, die beiden ungeimpften gesund gefunden. Die Ätiologie der Tuberkulose. 539 3. Versuch: Reinkultur aus perlsüchtiger Lunge (Nr. 37), 72 Tage lang durch 6 Uni- züchtungen kultiviert, auf 5 Meerschweinchen subkutan verimpft; ein Kontrolltier blieb ungeimpft. Als die Tiere nach 34 Tagen getötet wurden, erwiesen sich die geimpften tuberkulös, das ungeimpfte gesund. 4. Versuch: Reinkultur aus der tuberkulösen Lunge vom Affen (Nr. 11), 113 Tage lang in 9 Umzüchtungen kultiviert, subkutan verimpft auf 2 Meerschweinchen, 1 Hamster, 6 weiße Ratten, 5 weiße Mäuse, 4 Feldmäu.se, 2 Igel, 6 Hühner, 4 Tauben, 2 Sperlinge, 3 Aale, 1 Goldfiscb, 5 Frösche, 1 Schildkröte. Von diesen Tieren erkrankten merklich nur die Meerschweinchen, der Hamster und die Feldmäuse; dieselben wurden 53 Tage nach der Impfung getötet und sämtlich hochgradig tuberkulös befunden. Die Tuberkulose des Hamsters hat allem Anschein nach sehr große Ähnhchkeit mit derjenigen beimMeer- schwemchen ; die Milz ist sehr vergrößert und hat ein graurot marmoriertes Aussehen, auch die Leber erscheint von großen gelblichen Herden durchsetzt. Sehr charakteristisch sehen auch die tuberkulös veränderten Organe der Feldmäuse aus. Die Inguinaldrüsen sind bedeutend vergrößert und verkäst, die Lungen von zahlreichen mohnkorn- bis stecknadel- kopfgroßen grauen Knötchen, Leber und Milz von vielen weißlichen hirsekorngroßen Tuberkeln sehr gleichmäßig durchsetzt, so daß letztere ein sehr zierliches, gesprenkeltes Aussehen erhalten. Alle übrigen Tiere dieses Versuches wurden 2 Monate später getötet und es stellte sich dann bei ihrer LTntersuchung heraus, daß eine der 5 weißen Mäuse einige graue Knötchen in der Lunge hatte, die übrigen waren gesund, ebenso die Ratten und die Igel. Von den Hühnern hatten 3 die für diese Tiergattung charakteristischen großen Tuberkelknoten am Darm und in der Leber. Der Rest der Versuchstiere war gesund . 5. Versuch: Reinkultur aus der geschlossenen Kaverne einer phthisischen Lunge (Nr. 26) durch 12 Monate in 16 Umzüchtungen kultiviert, auf 17 Meerschweinchen sub- kutan verimpft, 2 Kontrolltiere blieben ungeimpft. Mit diesen Tieren wurden Beobacli- tungen über die Einwirkung von Mitteln angestellt, welche die Entwicklung der Tuberkel- bazillen zu verhindern vermögen, und sie konnten daher nicht getötet werden. Ti'otzdem auf die Meerschweinchen teils Arsenik, teils Karbolsäure in möghchst reichlicher Menge einwirkten, verlief die Tuberkulose ganz in derselben Weise wie bei den früheren Versuchs- tieren, die Lymphdrüsen schwollen beträchtlich, Abmagerung trat ein, sämtliche Tiere starben in der vierten bis sechsten Woche und waren hochgradig tuberkulös. Die beiden Kontrolltiere wurden dann getötet und gesund befunden. 6. Versuch: Folgende Reinkulturen und zwar erstens aus Lupus (Nr. 35), durch 5 Monate in 8 Umzüchtungen, zweitens von einem fungösen Gelenk (Nr. 34), durch 4 Monate in 7 Umzüchtungen, drittens von einer skrofulösen Drüse (Nr. 29), durch 5 Monate in 7 Umzüchtungen, viertens von Miliartuberkulose (Nr. 22), durch 9 Monate in 12 Umzüchtungen, fünftens aus der Kaverne einer phthisischen Lunge (Nr. 25), durch 6 Monate in 9 Umzüchtungen, sechstens von Perlsuchtknoten (Nr. 39), durch 9 Mo- nate in 11 Umzüchtungen kultiviert, wurden subkutan auf Feldmäuse und zwar von jeder einzelnen der Kulturen 4 Tiere geimpft. Die Mäuse befanden sich zu je zAveien in eineni geräumigen Glase. Einige Tiere starben schon nach wenigen Tagen, anscheinend infolge des Einflusses der Gefapgenschaft. Alle übrigen erkrankten in sichtlicher Weise, die Leistendrüsen begannen zu schwellen, die Tiere magerten ab und bekamen Respirations- beschwerden. Im Verlauf von 4 — 6 Wochen starben sie sämtlich. Die LTntersuchung einiger dieser Tiere wurde dadurch gänzlich vereitelt oder nur unvollständig ermöglicht, daß die überlebenden Feldmäuse mehrfach, trotzdem sie reichliche vegetabilische Nah- rung zur Verfügung hatten, ihre gestorbenen Genossen annagten und mit großer Gier die inneren Organe derselben verzehrten. Dennoch blieben von jeder der einzelnen Ab- teilungen dieses Versuches mehrere Tiere zur Untersuchung imd es ließ sich feststellen, 540 Die Ätiologie der Tuberkulose. daß sie sämtlich an hochgradiger Tuberkulose der Lunge, Leber und Milz zugrunde ge- gangen waren. EinLTnterschied in dem Verhalten der aus den verschiedenen Reinkulturen hervorgegangenen Tuberkulose war nicht zu erkennen. Das Gesamtbild der patholo- gischen Veränderungen war bei allen Tieren identisch und ebenso war auch das makro- skopische Aussehen der einzelnen Knötchen, sowie ihr mikroskopisches Verhalten und insbesondere der Gehalt an Tuberkelbazillen überall derselbe. Für diesen Versuch be- achtenswert ist noch, daß die Tiere sich erst wenige Tage in der Gefangenschaft befanden, als sie geimpft wurden, und daß eine große Anzahl anderer Feldmäuse unter gleichen Verhältnissen ebenfalls in Gläsern monatelang gehalten wurden, ohne daß eine einzige davon tuberkulös geworden wäre. 7. Versuch: Da Feldmäuse ein so sicheres und bequemes Reagens auf Tuberkulose abgeben, so wurden zum Zwecke von Versuchen, welche ich gemeinschaftlich mit Herrn Dr. G a f f k y über den Einfluß entwicklungshemmender Substanzen auf tuberkulöse Tiere ausführte, 24 Feldmäuse subkutan mit der Reinkultur aus einer phthisischen Lunge (Nr. 1), durch 7 Monate in 12 Umzüchtungen kultiviert, geimpft. Auch von diesen Tieren, welche mit Inhalationen flüchtiger Substanzen behandelt wurden, starben einige schon nach wenigen Tagen an Pneumonie, bei allen übrigen entwickelte sich Tuberkulose und verlief in derselben Weise, wie bei den Mäusen des vorhergehenden Versuches. Bei der Sektion zeigte sich stets ausgeprägte Tuberkulose der Lungen, der Milz und der Leber. 8. Versuch : Zu gleichem Zwecke wurden noch mit Reinkultur aus käsiger Pneumonie (Nr. 28), durch 6 Monate in 8 Li^mzüchtungen kultiviert, 5 Meerschweinchen, ferner 4 Meerschweinchen mit Reinkultur aus phthisischer Lunge (Nr. 24), durch 6 Monate in 10 LTmzüchtungen kultiviert, und 6 Meerschweinchen mit Reinkultur aus Hodentuber- kulose (Nr. 33), durch 3 Monate in 5 Umzüchtungen kultiviert, geimpft, sämtlich subkutan. Die Tiere hatten ebenfalls verschiedene gasförmige entwicklungshemmende Substanzen einzuatmen, wurden aber trotzdem krank, magerten ab, starben innerhalb 4 — 6 Wochen und wurden bei der Sektion sämtlich tuberkulös gefunden. 9. Versuch: Reinkultur von Lupus (Nr. 35), durch 12 Monate in 15 Umzüchtungen kultiviert, auf 5 Meerschweinchen subkutan verimpft. Dieser Versuch wurde angestellt, um zu sehen, ob die gerade ein Jahr lang fortgesetzte Kultur der aus Lupushaut stammen- den Tuberkelbazillen auf die Virulenz derselben einen Einfluß ausgeübt hatte. Dies war jedoch nicht der Fall. Die geimpften Tiere erkrankten ebenso sicher und schnell me in den früheren Versuchen; zwei starben in der vierten Woche, die übrigen wurden darauf getötet und sämthch bei der Sektion hochgradig tuberkulös gefunden. 10. Versuch : In derselben Absicht wurde auch die am längsten fortgesetzte Rein- kultur (Nr. 1), von Lungenphthisis des Menschen, durch 18 Monate in 26 Umzüchtungen kultiviert, auf 4 Meerschweinchen subkutan verimpft. Der Verlauf war ganz derselbe wie im 9. Versuch. Die Tieren starben in der vierten und fünften Woche nach der Impfung und waren tuberkulös. 11. Versuch: Bei früheren Gelegenheiten hatte sich schon ein wesentlicher Unter- schied in der Empfänglichkeit der Hausmäuse und Feldmäuse gegen Impfung mit Tuber- kulose herausgestellt. Es wurden deswegen nochmals 12 weiße Mäuse mit einer Reinkultur v^on Miliartuberkulose (Nr. 22), derselben, welche auch zur Impfung der Feldmäuse im 6. Versuch gedient hatte, und zwar zur selben Zeit wie die Feldmäuse geimpft. Während die Feldmäuse, wie bereits mitgeteilt ist, tuberkulös wurden, blieben die weißen Mäuse zwei Monate lang ohne irgendwelche Krankheitserscheinungen ; sie wurden dann getötet und bei keiner tuberkulöse Veränderungen gefunden. Die hier zusammengestellten 11 Versuche haben das Gemeinsame, daß die Impf- substanz den Tieren subkutan beigebracht wurde. Die Wirkung war im allgemeinen Die Ätiologie der Tuberkulose. 541 dieselbe, wie bei der sul)kutanen Veriinpfung von fiiseheii tuberkidösen Gewebsstücken. Die kleine Hautwunde verklebte und verheilte in den ersten Tagen, dann folgte Drüsen- anschwellung, Abmagerung, Tod, \md die Sektion ergab eine über J^unge, Milz und Leber sich erstreckende massenhafte Tuberkeleruption mit den sich daran knüpfenden charak- teristischen weiteren Veränderungen dieser Organe. Nur insofern ließ sich ein Unterschied bemerken, als nach Verimpfung der Reinkultm'en der Verlauf der Tuberkulose ein schnel- lerer war als nach der Verimpfung von tuberkulösem Gewebe. Für Meerschweinchen ließ sich diese Zeitdifferenz durchschnittlich auf etwa 2 Wochen veranschlagen. Diese Erschei- nung erklärt sich am natürlichsten in der Weise, daM> bei der ^'erimpfung tuberkulöser Ge- webe die TuberkelbaziUen von letzteren eingeschlossen sind und deshalb auch nicht eher zur Wirkung kommen können, bis das Gewebe resorbiert ist, während sie in den Reinkul- turen unverhüllt in das subkutane Gewebe des Versuchstieres gelangen und sofort in Aktion treten können. Dasselbe ist auch bei der Impfung in die vordere Augenkammer der Kaninchen und der danach entstehenden Iristuberkulose der Fall und zwar hier in noch auffallenderem Maße, weil die Entwicklung dei' Tuberkel makroskopisch un- mittelbar verfolgt werden kann. Mikroskopisch glichen die durch Verimpfung der Reinkulturen erhaltenen Tuberkel in jeder Beziehung den nach Verimpfmig von echt tuberkulösen Gewebsteilen und ebenso den spontan entstandenen Tuberkeln. Sie bestanden aus Anhäufungen von Zellen, welche meistens den Charakter der epithelioiden Zellen hatten, schlössen Riesenzellen ein und enthielten außerdem Tuberkelbazillen in mehr oder Aveniger große)- Anzahl. Ilire Virulenz ging schon daraus hei vor. daß sie in allen Fällen vom sulikutanen Gewebe aus sich über sämtliche von der Tuberkulose bevorzugten Organe verbreitet hatten. Außer- dem wurden aber nocli in mehreren Fällen Weiterimpfungen auf andere Tiere ausgefülirt und damit ebenfalls regelmäßig Tuberkulose erzeugt. Die Impfung der Reinkultiuen war nur bei einigen für Tulierkulose wenig oder gar nicht empfängliclien Tierspezies ohne Wirkmag geblieben. Dagegen hatte sie die übrigen zahlreichen Tiere ausnahmslos tubei kulös gemacht, und da aul^erdem sämtliche Kontrolltiere gesund geblieben waren, so konnte kein Zweifel mehr darüber sein, daß die Frage, zu deren Entscheidung diese Versuche luiternommen waren, in bejahendem Sinne beantwortet werden muß mid daß die Tuberkelbazillen also als einzige Ursache dei' Tuberkulose anzusehen sind. Dennoch schien es notwendig, nicht hierbei stehen zu bleiben, sondern auch nach den übrigen bis jetzt bei den Untersuchungen über Tuberkulose zur Anwendung ge- kommenen Infektionsverfahren die Reinkulturen der Tuberkelbazillen auf Versuchstiere zu übertragen, um so nach jeder Richtung hin ihre Identität mit dem Tubeikel virus zu erweisen. Die bis jetzt angewendeten ^>rfahren sind folgende: Impfung in die vordere Augen- kammer von Kaninchen, Injektion in die Bauchhöhle, Injektion in eine größere Vene, Inhalation von Reinkultui der Tuberkelbazillen. I m ]) f u n g von R e i n k u 1 t u r e n in die v o r d e r e A u g e n k a m m e r. Dieselbe geschah in der Weise, daß durch die Kornea, und zwar am oberen Rande derselben, ein mehrere Millimeter langer Einschnitt gemacht und durch diesen mit Hilfe eines stumpfen Hakens ein möghchst kleines Bröckchen einer Reinkultur in die vordere Augenkammer geschoben wurde. Es gehört hierzu einige Übung und Geduld und ich habe deswegen später eine andere Methode befolgt. Es wurde nämlich die mit destilliertem Wasser verriebene Kultur in eine Spritze genommen, deren Kanüle sehr fein und scharf 542 Die Ätiologie der Tuberkulose. ist. Die Spitze läßt sich leicht durch die Kornea in die Vorderkaramer stechen und es kann dann die Flüssigkeit in die Vorderkammer injiziert werden. Dieses letztere Ver- fahren ist auch insofern vorteilhafter, als sich die Menge des einzuführenden Infektions- stoffes sehr leicht bestimmen läßt. Man sieht deuthch beim Bewegen des Stempels der Spritze, wie sich die trübe Injektionsflüssigkeit dem Humor aqueus in der Vorderkammer beimengt, und man kann beliebig viel oder wenig Flüssigkeit injizieren. Auch läßt sich ein Minimum von Bazillen in die Vorderkammer bringen, wenn die Kanüle der gefüllten Spritze bis in die Vorderkammer emgeführt und, ohne daß eine eigentliche Einspritzung stattfindet, wieder herausgezogen wird, da Spuren von der in der Kanüle sich befindenden Flüssigkeit sich dem Kammerwasser beimischen, wenn auch der Spritzenstempel nicht in Bewegung gesetzt wird. 12. Versuch: Von einer Reinkultur aus einer käsig-pneumonischen Lunge (Nr. 27), durch 3 Monate in 5 Umzüchtungen kultiviert, wurden kleine Bröckchen in die vordere Augenkammer von 3 Kaninchen gebracht. Es entwickelte sich schon nach wenigen Tagen eine intensive Iritis, die Hornhaut wurde bald trübe und gelbgrau gefärbt. Die Tiere magerten dann sehr schnell ab. Sie wurden nach 25 Tagen getötet und es fanden sich außer der käsig-eitrigen Zerstörung des Bulbus Schwellung und Verkäsung der Unterkiefer- und Ohrwurzel-Lymphdrüsen, sehr zahlreiche graue, zum Teil mit weiß- Hchem Zentrum versehene TuberkeLknötchen in den Lungen. 13. Versuch: Reinkultur aus Perlsuchtlunge (Nr. 19), 3 Monate lang in 5 Umzüch- tungen kultiviert, wurde mit sterilisiertem Blutserum verrieben und in die vordere Augen- kammer von 2 Kaninchen injiziert. Ein drittes Kaninchen erhielt eine ebensolche Injek- tion mit dem reinen Blutserum. Bei den ersteren Kaninchen traten dieselben Erscheinun- gen wie im 12. Versuch ein. Schnell verlaufende Iritis und Trübung der Kornea nach wenigen Tagen. Die Augen des dritten Kaninchen zeigten keine Veränderung. Nach 28 Tagen wurden die Tiere getötet. Das mit reinem Blutserum injizierte Kaninchen erwies sich als vollkommen gesund. Die beiden anderen hatten verkäste Bulbi, geschwollene und mit käsigen Einlagerungen versehene Lymphdrüsen am Unterkiefer und neben der Ohrwurzel, unzähhge TuberkeLknötchen in den Lungen. 14. Versuch: Von 4 Kaninchen erhielt das erste reines Blutserum in die Vorder- kammer injiziert; dem zweiten wurde die Kanüle der Spritze, welche Blutserum mit Zusatz von Reüikultur (von Affentuberkulose, Nr. 12, 4I/2 Monate in 8 Umzüchtungen kultiviert) enthielt, in die vordere Augenkammer geführt, der Stempel aber nicht bewegt; dem dritten und vierten Kaninchen wurden von dem mit Reinkultur versetzten Blut- serum mehrere Tropfen in die vordere Augenkammer injiziert. Bei diesen beiden letzten Tieren entwickelte sich wieder Iritis, Vereiterung des Bulbus und es folgte schnelle Ab- magerung. Bei dem zweiten Kaninchen dagegen blieb das Auge anfangs unverändert, erst im Verlauf der zweiten Woche entstanden einzelne weißgelbliche Knötchen auf der Iris in der Nähe der Einstichstelle, und es entwickelte sich von da ausgehend eine tjrpische Iristuberkulose. Es entstanden auf der Iris immer neue Knötchen, die Iris legte sich in strahlenförmige Falten; allmählich trübte sich jedoch die Kornea und entzog dadurch die weiteren Veränderungen der Beobachtung. Nach 30 Tagen wurden die Tiere getötet. Das erste war vollkommen gesund; beim zweiten fanden sich außer den erwähnten Ver- änderungen am Auge die Ljanphdrüsen am Kiefer und neben der Ohrwurzel geschwollen und von gelbweißen Herden durchsetzt, die Lungen und übrigen Organe waren noch frei von Tuberkulose. Die beiden letzten Kaninchen hatten wieder unzählige Tuberkel in den Lungen. 15. Versuch: Reinkultur von Miliartuberkeln aus einer menschlichen Lunge fNr. 4), durch 4i^'2 Monate in 8 Umzüchtungen kultiviert, wurde mit Blutserum verrieben und Die Ätiologie der Tuljerkulose. 543 die Kanüle einer damit gefüllten Spritze 6 Kaninchen in die vordere Aiigenkaninier ge- stochen, ohne daß jedoch eine Einspritzung gemacht wurde. Bei allen Tieren entwickelte sich Iristuberkulose, bei einigen auch eine über die Nachbarschaft der Impfstelle sich langsam ausbreitende Infiltration der Conjunctiva mit Tuberkelknötchen. Zwei nach 4 Wochen getötete Tiere dieses Versuches hatten bereits käsig infiltrierte Lymphdrüsen am Halse, aber noch keine Tuberkel in den Lungen. Die übrigen Kaninchen wurden nach 8 Wochen getötet und es fanden sich dann auch mehr f)der weniger zahlreiche Tuberkel in den Lungen. Zu verschiedenen Zeiten erhielten dann noch Kaninchen Injektionen von Rein- kulturen in die vordere Augenkammer, um den Einfluß von Substanzen, welche auf die Entwicklung der Tuberkelbazillen hindernd einwirken, an diesen Tieren zu prüfen. Über diese Versuche, welche ich, wie sclion früher erwähnt ist, mit Herrn Dr. G a f f k y ge- meinschaftlich ausgeführt habe, wird bei einer späteren Gelegenheit berichtet werden. Hier möge nur beiläufig erwähnt werden, daß außer zahlreichen anderen Mitteln auch Arsenik^), Helenin, Schwefelwasserstoff und zwar stets in möglichst großen Dosen und wochenlang den Tieren beigebracht M'urden. Wir haben auch nicht in einem einzigen Falle eine günstige Wirkung eines Mittels konstatieren können. Alle Tiere sind ebenso schnell tuberkulös zugrunde gegangen, wie die nicht mit entwicklungshemmenden Mitteln behandelten. Die Infektion fand in verschiedener Weise statt; teils durch einfache Impfung (vgl. Versuch 7 und 8), teils durch Injektion in die Augenkammer, teils durch Injektion in eine Vene. Die von der Augenkammer aus infizierten Kaninchen betrafen folgende Fälle. 16. Versuch: Reinkultur aus Miliartuberkeln menschlicher Lunge (Nr. 22), durch 8 Monate in 10 LTmzüchtungen kultiviert, mit destilliertem Wasser verrieben und 2 Kanin- chen in die Vorderkammer injiziert ; Reinkultur aus phthisischer Lunge (Nr. 1), durch 13 Monate in 21 Umzüchtungen kidtiviert, ebenso bei 15 Kaninclien injiziert; von der- selben Reinkultur einen Monat später bei (3 Kaninchen injiziert. Alle diese Kaninchen gingen sehr schnell unter den früher geschilderten Symptomen zugrunde und hatten stets zahlreiche Tuberkelknötchen in den Lmigen. In allen den Fällen dieser Versuche, in welchen es gelungen war, sehr geringe Mengen der Remkultur in die vordere Augenkammer zu bringen, war der Effekt genau derselbe wie nach der Implantation von natürlichem Tuberkelvirus in die vordere Augenkammer. Es entstanden einzelne Tuberkelknötchen in der Iris, welche sich vermehrten, zur Ver- käsung des Bulbus und schließlich zur allgemeinen Tuberkulose führten. Insofern bestand allerdings auch hier ein Unterschied, als die Knötcheneruption zeitiger eintrat als nach der Verimpfung tuberkulöser Gewebe. Der mutmaßhche Grund dieser Erschemung wurde bereits besprochen. Ein sehr bemerkenswertes Faktum haben die Versuche aber noch weiter ergeben, nämlich den bedeutenden LTnterschied in der Wirkung, je nachdem eine sehr geringe Anzahl von Bazillen oder eine große Menge derselben in die vordere Augenkammer der Kaninchen gelangt. Im ersten Fall sehen wir einen langsam fort- kriechenden Prozeß entstehen, in welchem der Infektionsstoff sich zuerst auf der Iris ausbreitet, dann an die Lymphdrüsen gelangt, diese zur Verkäsung bringt und nun erst in die Blutbahn eindringend über andere Organe des Körpers ausgesät wird. Wird da- ') Die Verwendung von Arsenik gegen Tuberkulose ist in früheren Zeiten vielfach empfohlen und auch schon von manchen Ärzten versucht. Es lag daher nahe, den Einfluß dieses Mittels auf tuberkulöse Tiere zu erproben. Unsere Versuche sind fast ein Jahr früher angestellt, bevor die Empfeh- lung des Arseniks durch B vi c h n e r erschien, also nicht durch letztere veranlaßt. Das Helenin sollte nach den Angaben von K o r a b bei Tieren die Tuberkiilose verhütet haben, nnä Schwefel- wasserstoff wurde von F r o s c Ii a u e r sehr lebhaft einpfolilen. 544 Die Ätiologie der Tuberkulose. gegen von vornherein eine große Menge der Bazillen in der vorderen Augenkammer deponiert, dann hat es den Anschein, als ob den Bazillen der vorhin angedeutete Weg zum Teil erspart büebe, namentlich scheint es, als ob die Lymphdrüsen, welche sonst immer dem Fortschreiten der Bazillen einen Widerstand entgegensetzen und sie längere oder kürzere Zeit festhalten, ganz übersprungen werden. Das Erscheinen massenhafter Tuberkelknötchen in den Lungen, Milz usw. findet bei diesem Infektionsmodus so früh- zeitig statt, wie nach der unmittelbar in eine Vene geschehenen Lijektion der Tuberkel- bazillen. Auch die Menge der Knötchen gibt nach der Injektion in die vordere Augen- kammer derjenigen nach Injektion in die Blutbahn nicht erheblich nach. Ob nun die Erklärung hierfür darin zu suchen ist, daß die Bazillen aus der vorderen Augenkammer auf irgendeinem Wege wirklich direkt in den Blutstrom in Menge gelangen können, oder ob ihre große Zahl, welche die vorliegenden Lymphbahnen und Drüsen plötzlich überschwemmt, bewirkt, daß die meisten Bazillen das Hindernis durchbrechen und nur wenige zurückgehalten werden, das muß ich unentschieden lassen. Auf jeden Fall ist diese Erscheinung geeignet, über das oft so unerklärlich erscheinende, unregelmäßige Verhalten der Tuberkulose in bezug auf die Dauer ihres Verlaufes und auf das längere oder kürzere lokale Beschränktbleiben derselben Aufklärung zu verschaffen. Injektion von Reinkulturen in die Bauchhöhle. Die Reinkulturen wurden, mit Blutserum oder mit destilliertem Wasser verrieben, in eine desinfizierte Spritze gefüllt, die üperationsstelle am Bauch des Versuchstieres mit Subhmatlösung desinfiziert, dann die Kanüle der Spritze langsam durch die Bauch- decke getrieben, so daß der Darm unverletzt blieb und nun die Flüssigkeit in die Bauch- höhle gespritzt. Diese an und für sich sehr einfache Operation läßt sich bei Tieren, deren Darm nicht beständig mit festem, unnachgiebigem Futter gefüllt ist, sehr leicht ausführen und ist mir bei Meerschweinchen, Ratten, Mäusen, Katzen usw. stets gelungen, ohne daß Darmverletzung oder traumatische Peritonitis eingetreten wäre. Kaninchen sind wegen des stark gefüllten Blinddarmes für diesen Versuch weniger geeignet. Die Tiere erhielten, um einen möglichst schnellen Effekt zu erzielen, nur größere Mengen von Rein- kultin- injiziert. Auch die Bauchhöhle reagiert ebenso wie die vordere Augenkammer verschieden auf verschiedene Mengen des Tuberkel virus. Nach Injektion von Eiter mit wenigen Bazillen entstand auf dem Peritoneum der Meerschweinchen, wie wir früher ge- sehen haben (p. 534 u. 535), eine disseminierte Tuberkeleruption, daneben Entwicklung von I^ötchen im Netz und in der Milz. Wenn aber Massen von Tuberkelbazillen in die Bauch- höhle von Meerschweinchen injiziert werden, dann werden dieselben vorwiegend vom großen Netz aufgenommen, dasselbe ballt sich zusammen und bildet einen horizontal verlaufenden, dicken wurstähnlichen Wulst, welcher auf dem Durchschnitt die größte Ähnlichkeit mit einer durchschnittenen, stark geschwollenen, frisch verkäsenden Lymph- drüse hat. In diesen weißgelblichen, ziemlich derben Herden des Netzes befinden sich Unmassen von Tuberkelbazillen, welche meistens in ausgezeichneter Sporenbildung begriffen sind. Außerdem ist, wie die mikroskopische Untersuchung ergibt, die geschwol- lene Milz, die Leber und das Peritoneum reichlich mit Tuberkelbazillen versehen, doch tritt der Tod dieser Tiere so frühzeitig ein, daß es nicht zur Entwicklung makroskopisch sichtbarer Tuberkelknötchen kommt. Ein Flüssigkeitserguß wurde in der Bauchhöhle von Meerschweinchen nicht, wohl aber bei Hunden und Katzen gefunden. Dagegen sind bei Meerschweinchen regelmäßig die Pleuren so stark mit einer klaren, schwach- gelblichen Flüssigkeit gefüllt, daß die Lungen dadurch komprimiert werden und dies den Tod der Tiere zur Folge hat. Gewöhnlich starben die Meerschweinchen nach der Die Ätiologie der Tuberkulose. 545 Injektion in 10 — 20 Tagen. Wenn eine geringere Menge Kultursubstanz eingespritzt wird, dann ist der Krankheitsverlauf von längerer Dauer und es kommt dann auch zur Entwicklung makroskopisch sichtbarer, außerordentlich zahlreicher Tuberkelknötchen. und zwar vorwiegend auf dem Peritoneum, am Netz, in der Milz und Leber. Die für Tuberkulose weniger empfänglichen Tierspezies, Hunde, Ratten, weiße Mäuse, erliegen selbst sehr reichlichen Bazilleninjektionen gewöhnlich erst nach einigen Monaten. Sie zeigen dann aber auch ungemein reichliche Tuberkeleruption in den Unterleibsorganen, dagegen weniger zahlreiche Knötchen in den Lungen. 17. Versuch: Reinkultur aus der tuberkulösen Lunge vom Affen (Nr. 11), durch 6 Monate hi 11 Umzüchtungen kultiviert, wurde mit Blutserum verrieben und 10 Meer- schweinchen je ein halber Kubikzentimeter dieser Flüssigkeit in die Bauchhöhle injiziert. Von 2 Kontrolltieren erhielt das eine eine ebensolche Injektion von reinem Blutserum, das andere, welches eine ganz frische, l^edeutende Bißwunde am Bauche hatte, bhel> ohne Einspritzmig. Von den Tieren, welche die Injektion ei'halten hatten, starben je eins nach 10, 13. 16, 17, 18 Tagen. Die übrigen wurden am 25. Tage nebst den Kontroll- tieren getötet. Bei den zuerst gestorbenen Meerschweinchen war das große Netz zusammen- gerollt, stark verdickt und von gelblichweißer brüchiger Substanz hei'dweise infiltriert : an Leber und Milz waren noch keine Knötchen sichtbar. Die später gestorbenen, resp. getöteten Tiere dieses Versuches hatten, außer der Infiltration des Netzes, bereits Tuber- keleruption in Milz urid Leber. Die Kontrolltiere wurden vollkommen gesund gefunden. 18. Versuch: Reinkultur der tuberkiüösen Lunge vom Affen (Nr. 11), durch 5^4 Mo- nate in 10 Umzüchtungen kultiviert, mit Blutserum verrieben, wurde 2 ausgewachsenen kräftigen Katzen in die Bauchhöhle injiziert. Die eine Katze starb nach 19 Tagen. Das Netz war zusammengeballt, sehr verdickt, von einer weißlichen derben Masse infiltriert. Der seröse Überzug der Därme und des Peritoneums hatte seinen Glanz verloren, die Milz war stark vergrößert. Die Infiltration des Netzes bestand ebenso wie bei den Meer- schweinchen des vorigen Versuches aus dichten, größtenteils in Zellen eingebetteten Massen von Tuberkelbazillen. Makroskopisch waren in den Lungen. Milz und Leber noch keine Knötchen wahrzunehmen, aber mikrosko]>isch zeigten sich diese Organe bereits von einer ungemein reichlichen Tuberkeleruption durchsetzt. Die zweite Katze wurde nach 43 Tagen getötet und es fanden sich bei derselben bereits hirsekorngroße Tuberkelknötchen in großer Anzahl, welche über Lungen, Milz und Netz ziemlich gleich- mäßig verteilt waren, in der Leber verhältnismäßig gering an Zahl waren. Beide Katzen sollten von der Infektionsflüssigkeit eine volle Spritze, als Monate in 11 LTm- züchtungen kultiviert, vgl. den 17. Versuch), 3 Kaninchen Blutserum mit Reinkultur Nr. 1 (aus phthisischer Lunge, durch ß Monate in 10 Umzüchtungen kultiviert), 3 Kanin- chen Blutserum mit Reinkultur Nr. 1!» (Perlsuchtlunge, durch 4 Monate in 7 LTmzüch- tungen kultiviert). In den ersten Tagen nach der Operation war an keinem dieser Kaninchen etwas Auffallendes zu bemerken. Die beiden ersten Kaninchen blieben auch später munter und kräftig, alle übrigen fingen bereits in der zweiten Woche an schwer zu atmen und magerten ungemein schnell ab. Nach 18 Tagen starb das erste Kaninchen (Ein- spritzung mit Kultur Nr. 1). nach U» Tagen das zweite und dritte (Eins])rit/,ung nüt Kultur Nr. 11), nach 21 Tagen das vierte (Kultur Nr. P»), nach 25 Tagen das fünfte (Kultur Nr. 1), nach 26 und 27 Tagen das sechste und siebente (Kultur Nr. 11), am dreißigsten und einunddreißigsten Tage zwei weitere Tiere. Das letzte uml die beiden Kontrolltiere wurden am aclitunddreißigsten Tage nach der Injektion getötet, [n dem 35* 548 Die Ätiologie der Tuberkulose. ^"erhalten der Lunge und der übrigen Organe der mit den verschiedenen Kulturen behan- delten Tiere konnte ebenso wie in den früheren ähnlichen Versuchen kein Unterschied wahrgenommen werden. Bei sämthchen Tieren fanden sich zahllose Miliartuberkel in den Lungen. Auch die Leber und die Milz von allen diesen Tieren enthielten außerordent- lich viele Tuberkel. Bei den zuerst gestorbenen waren die I^jnötchen am kleinsten, aber auch am zahlreichsten. Offenbar hatte die große Menge der Tuberkel den Tod so früh- zeitig veranlaßt. Bei den später gestorbenen Tieren war die Zahl der Knötchen etwas geringer, ihre Größe dagegen beträchtlicher. Die beiden Kontrolltiere wurden bei der Sektion ohne jede Tuberkelablagerung in irgendeinem Organ gefunden. 24. Versuch: Reinkultur von Lupus, Nr. 35 (durch 5 Monate in 8 Umzüchtungen kultiviert), mit destilhertem Wasser verrieben und 5 Kaninchen in die Ohrvene injiziert. Dieselben starben am dreizehnten bis achtzehnten Tage nach der Injektion und zeigten denselben Sektionsbefund wie die Kaninchen des vorigen Versuches. 25. Versuch : Reinkultur von Affentuberkulose Nr. 11(6 Monate in 12 Umzüchtungen kultiviert), mit destilliertem Wasser verrieben, erhielten 10 Kaninchen, welche zu In- halationsversuchen mit entwicklungshemmenden Mitteln bestimmt waren, in die Vena jugularis injiziert. Sie starben alle im Laufe von 2 — 3 Wochen nach der Injektion und hatten massenhafte Tuberkel in den Lungen, Leber und Milz. Die in den Versuchen mit Injektion in die Blutbahn erzeugten Tuberkelknötchen unterschieden sich, ebenso wie in allen früheren durch Reinkulturen bewirkten Infektionen, nicht von den spontan entstandenen Tuberkeln. Sie enthielten Tuberkelbazillen in mehr oder weniger großer Anzahl und waren virulent, denn sie brachten, auf andere Tiere verimpft, was mehrfach geschah, in derselben Weise Tuberkulose zustande, wie die Ver- impfungen von echten, spontan entstandenen Tuberkeln. Inhalation von Reinkultur der Tuberkelbazillen. Um tuberkulöse Substanzen in die Lungen von Versuchstieren zu bringen, hat man entweder von einer Tracheotomiewunde aus eine Injektion in die Bronchien gemacht, oder man zerstäubte die in einer Flüssigkeit suspendierte Infektionsmasse und Heß sie von den Tieren einatmen. Das erstere Verfahren entspricht zu wenig dem natürlichen Infektionsmodus und ist auch durch die Operationswunde in störender Weise kompliziert. Ich habe deswegen das zweite Verfahren gewählt, welches allerdings aus nahehegenden Gründen nicht ganz ungefährlich für den Experimentator ist und deswegen auch besondere Vorsichtsmaßregeln erheischt. Der Versuch kam in folgender Weise zur Ausführung : Ein sehr geräumiger Kasten, welcher an einer Seite eine Öffnung für die Mündung des Zerstäubungsapparates hatte, wurde in einem Garten, in hinreichender Entfernung von bewohnten RäumUchkeiten aufgestellt. Der Zerstäubunggapparat war an der Außenseite des Kastens aufgestellt xind ragte mit seiner Mündung in den Innenraum des Kastens. Durch Gummischlauch und ein entsprechend langes Bleirohr, das durch die Holzbekleidung eines geschlossenen Fensters geführt war, wurde der Apparat mit dem Gummigebläse verbunden und konnte so vom Zimmer aus in Betrieb gesetzt werden, ohne daß man nötig hatte, sich in den Bereich der zerstäubten Flüssigkeit zu begeben. 26. Versuch: Reinkultur aus phthisischer Lunge vom Menschen (Nr. 1 durch 15 Mo- nate in 23 Umzüchtungen kultiviert) wurde mit destilhertem Wasser verrieben und die Flüssigkeit soweit verdünnt, daß sie fast klar erschien. Was an sichtbaren Bröckchen noch in der Flüssigkeit vorhanden war, setzte sich nach kurzem Ruhen ab, die oben eine kaum merkhche Trübung zeigenden Schichten der Flüssigkeit wurden abgegossen und Die Ätiologie der Tuberkulose. 549 zur Inhalation benutzt. An drei aiifeinanderfolgenden Tagen wurden jedesmal im Vei-- laufe einer halben Stunde 50 qcm zerstäubt und von folgenden im Kasten befindlichen Tieren inhaliert: 8 Kaninchen, 10 Meerschweinchen, 4 Ratten, 4 Mäusen. Nach der Inhalation wurden die Tiere in abgesonderten geräumigen Käfigen gehalten und gut verpflegt. Es stellten sich bei einigen Tieren bereits nach 10 Tagen Atembeschwerden ein; dann starben 3 Kaninchen und 4 Meerschweinchen im Laufe von 14 — 25 Tagen. Alle übrigen Tiere wurden 28 Tage nach der letzten Inhalation getötet. Sänithche Kanin- chen und Meerschweinchen hatten in den Lungen zahlreiche Tuberkel, welche einen um so größeren LTmfang erreicht hatten, je länger die Tiere nach der Inhalation am Leben gebheben waren. Bei den später gestorbenen resp. getöteten Tieren fanden sich dann aucli bereits Tuberkel in Leber und Milz. Die Tuberkel in den Lungen glichen in jeder Be- ziehung denjenigen, welche bei Kaninchen und Meerschweinchen durch Inhalation von phthisischem Sputum in einigen zu anderen Zwecken angestellten Versuchen erhalten waren. Namentlich hatten die durch Inhalation von Sputum und von Reinkulturen der Tuberkelbazillen erzeugten Tuberkelknoten auch das gemeinsam, daß, wenn sie eine gewisse Größe erreicht hatten, schon makroskopisch ihre alveoläre Ausbreitung deutlich zu erkennen war. Sie erschienen nicht scharf abgerundet und begrenzt, sondern umfaßten meistens das Zentrum eines Lobulus. Sie hatten dadurch, daß die einzelnen Alveolen mit käsiger Masse gefüllt waren und deswegen als feine weißliche Pünktchen erschienen, ein matt feinkörniges Aussehen, und an ihrem Rande hoben sich in dem dmiklen grauroten Hof die weißgelblichen Pünktchen der verkästen Alveolen sehr deuthch ab. In den Fig. 4!) und 50 ist ein Stückchen von der Lunge eines diesem Versuche angehörigen Kaninchens in natürhcher Größe und in dreifacher Vergrößerung gezeichnet. Die größten Tuberkel- knoten umfaßten einen ganzen Lobulus und flössen bisweilen mit benachbarten Knoten zusammen, in dieser Weise größere verdichtete, weißgelbliclie Stellen in der Lunge bildend, welche ganz das gewöhnliche Bild der käsigen Pneumonie wiedergaben. Auch die bei Kaninchen und Meerschweinchen vorkommende spontane Tuberkulose zeigt in der Be- schaffenheit der primär entstandenen Tuberkelknoten das eben geschilderte Verhalten, nämlich die alveoläre Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses. Es bestätigt auch dieser Umstand die schon früher ausgesprochene Ansicht, daß die spontane Tuberkulose dieser Tiere fast ausschheßlich eine Inhalationstuberkulose ist. Die getöteten Ratten und Mäuse hatten in den Lmigen sehr zahlreiche graue Knöt- chen bis zu Hanfkorngröße, von denen manche ein weißgelbliches Zentrum besaßen, doch war die Verkäsung derselben bei weitem nicht soweit fortgeschritten wie in den Lungen der Meerschweinchen und Kaninchen. Auch fanden sich in der Milz der Ratten und Mäuse nur vereinzelte graue Knötchen. Diese Tiere sind, wie bereits mehrfach hervor- gehoben wurde, sehr viel weniger empfänglich für Tuberkulose, die einzelnen Tuberkel entwickeln sich bei ihnen weit langsamer, und es kommt nicht so leicht zur Weiterver- breitung der Tuberkulose auf andere Organe. Auch mikroskopisch glichen die durch Inhalation von Reinkulturen erhaltenen Tuberkel vollkommen den echten Tuberkeln in der Anordnung der epithehoiden Zellen, der Riesenzellen und dem Gehalt an Tuberkelbazillen. Um übrigens auch die infektiösen Eigenschaften derselben zu erweisen, wurden nnt Tuberkeln aus verschiedenen Organen sowohl von mehreren Meerschweinchen als auch von Kaninchen und aus der Lunge einer Ratte und einer Maus insgesamt 22 Meerschweinchen subkutan am Bauch geimpft. Dieselben bekajuen ohne Ausnahme sehr bald Anschwellung der Leistendrüsen auf der Seite der Impfstelle, magei'ten ab und starben im Vei^lauf von 5 — 8 Wochen an Tuberkulose. Wenn wir die sämtlichen Infektionsversuche mit Reinkulturen nun noch einmal überblicken, dann ergibt sich folgendes Gesamtresultat: 550 Die Ätiologie der Tuberkulose. Diejenigen Versuchstiere, welche den für Tuberkulose leicht empfänglichen Tier- spezies angehören, nämlich Meerschweinchen. Kaninchen. Feldmäuse und Katzen, sind ohne Ausnahme infolge der Infektion mit Tuberkelbazillen tuberkulös geworden. Die Zahl dieser Tiere beträgt 217 (94 Meerschweinchen, 70 Kaninchen, 9 Katzen, 44 Feld- mäuse). Eine Anzahl zur Kontrolle in gleicher Weise mit indifferenten Flüssigkeiten behandelte und unter denselben Verhältnissen gehaltene Tiere waren dagegen ohne Aus- nahme frei von Tuberkulose geblieben. Von den weniger empfänglichen Tieren waren nur Hühner durch eine einfache subkutane Impfung, und zwar nur die Hälfte der ge- impften, tuberkulös geworden. Aber der Infektion mit großen Mengen von reinkulti- vierten Tuberkelbazillen hatten selbst Hunde, Ratten und weiße Mäuse, welche für Tuberkulose sonst sehr wenig empfänglich sind, nicht widerstehen können und waren ebenfalls ausnahmslos tuberkulös geworden. Die verschiedenen zur Anwendung gekommenen Verfahren der Infektion hatten mit den Reinkulturen denselben Effekt gehabt wie mit natürlichen tuberkulösen Substanzen ; nur hatten die ersteren eine etwas schnellere Wirkung als letztere. Auch die Produkte der Infektion waren den durch natürlichen Infektionsstoff er- zielten ganz gleich, sowohl in ihrem mikroskopischen Bau als ihrem Gehalt an Tuberkel- bazillen und ihren virulenten Eigenschaften. Durch die sorgfältigste Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßregeln, welche zur Ver- meidung der beim Experimentieren über Tuberkulose drohenden Fehler erforderlich sind, sind Irrtümer in diesen Versuchen mit Sicherheit ausgeschlossen. In dieser Hinsicht möge auch noch hervorgehoben werden, daß in gleicher Weise wie mit den reinkultivierten Tuberkelbazillen außerordentlich viele Versuche mit anderen pathogenen und nicht pathogenen Bakterien angestellt sind. Dieselben wurden ebenfalls Kaninchen in die vordere Augenkammer gebracht oder in die Venen injiziert, sie wurden Kanin- chen, Meerschweinchen. Mäusen usw. subkutan eingeimpft, in die Bauchhöhle in- jiziert; auch zu Inhalationsversuchen sind andere Bakterien nach dem früher geschil- derten Verfahren benutzt. Aber niemals ist dadurch Tuberkulose bei den Versuchs- tieren erzeugt. Es können also in den mit Reinkulturen gemachten Versuchen nur die von allen ursprünglichen Krankheitsprodukten vollkommen befreiten Tuberkelbazillen die Ursache der Tuberkulose gewesen sein. Damit ist aber für den Satz, daß die Tuberkulose eine durch die Tuberkelbazillen bedingte Infektionskrankheit ist, die Beweisführung abgeschlossen. Man könnte zwar sagen, und es ist dies auch geschehen, daß die Tuberkelbazillen aller- dings eine Ursache für das Zustandekommen der Tuberkulose abgeben, daß aber außerdem noch andere Dinge, z. B. andere Mikroparasiten, ebenfalls Tuberkulose erzeugen könnten. Diese Annahme ist indessen irrig, weil, wie wir gesehen haben, in allen Fällen echter Tuberkulose die Tuberkelbazillen vorkommen und auch die Art und Weise ihres Vor- kommens auf einen ursächlichen Zusammenhang mit der Krankheit schließen läßt. Wollte man trotzdem neben den Tuberkelbazillen noch ein besonderes Tuberkelvirus gelten lassen, dann würde das dahin führen, daß mit demselben Recht neben Trichinen und Krätzmilben auch noch irgendein spezifisches, bis jetzt unbekanntes Agens als Infektionsstoff angenommen werden müßte. Wir können also mit Fug und Recht sagen, daß die Tuberkelbazillen nicht bloß eine Ursache der Tuberkulose, sondern die einzige Ursache derselben sind, und daß es ohne Tuberkelbazillen keine Tuber- kulose gibt. Die Tuberkulose schließt sich damit in bezug auf Erkenntnis ihrer Ätiologie dem Milzbrand an. Es stehen die Tuberkelbazillen genau in demselben Verhältnis zur Tuber- kulose, wie die Milzbrandbazillen zum Milzbrand. Die Ätiologie der Tuberkulose. 551 Die Beziehungen der Tuberkelbazillen zur Ätiologie der Tuberkulose. Die im vorliergehendeii Ijfrichteteii L'ntersuchungen haben uns bei'eits so viele Kenntnisse über die biologiscJien Eigenschaften der Tuberkelbazillen und ihr eigentüm- liches Verhalten in dem von ihnen befallenen Körper verschafft, daß sich mit Hilfe der- selben die Ätiologie der Tuberkulose in ihren Umrissen mit einiger »Sicherheit feststellen läßt. Mit der Zeit werden wir gewiß die Eigenschaften der Tuberkelbazillen noch ein- gehender kennen lernen und noch manches Neue über dieselben erfahren, was unsere Ansichten über die Ätiologie der Tuberkulose erweitern und vielfach auch verbessern wird : dennoch kann uns diese Überzeugung nicht abhalten, uns jetzt schon eine Meinung über die Beziehungen der Tuberkelbazillen zu der von ihnen verursachten Krankheit zu bilden. Wenn wir von dem experimentell bewiesenen Satze ausgehen, daß nur die Tuberkel- bazillen imstande sind, echte Tuberkulose zu erzeugen, und wenn wir uns damit beschäftigen, den Weg zu verfolgen, welchen die Bazillen bei der Infektion nehmen, dann drängt sich uns zunächst die Frage nach der Herkunft der Bazillen auf. Kommen dieselben irgendwo und iinabhängig vom menschlichen resp. tierischen Organismus in der Außenwelt vor. so wie es beispielsweise von den Milzbrandbazillen und den Erysipelasmikrokokken an- genommen werden muß l Die Beantwortung dieser Frage ist nicht allein für die Ätiologie, sondern noch viel mehr für die Prophylaxis von der allergrößten Wichtigkeit. Denn gesetzt den Fall, daß die Tuberkelbazillen in den überall verbreiteten faulenden tierische]! oder pflanzlichen Stoffen leben, sich vermehren und Sporen bilden können, dann würde es wohl überhaupt unmöglich sein, diese Parasiten von den Menschen fernzuhalten. Glücklicherweise verhält es sich aber anders. Die P^rfahrung hat gelehrt, daß die Tuberkel- bazillen sehr viel langsamer wachsen als alle anderen Bakterien, daß sie ferner nur in Blutserum und Fleischflüssigkeit wachsen und, was die Hauptsache ist, Temperaturen von mehr als 30" C bedürfen, um einigermaßen gedeihen zu können. Wenn auch alle diese Bedingungen sich einmal vereinigt fänden, die Tuberkelbazillen aber nicht gegen das Uberwuchern durch andere schnell wachsende Bakterien geschützt wären, dann würden, wie man es oft genug an den durch fremde Bakterien verunreinigten Kulturen sehen kann, die Tuberkelbazillen sehr bald von den konkurrierenden Bakterien unter- drückt und zum Absterben gebracht werden. Nun finden sich aber in der Tat die für die Tuberkelbazillen günstigen Kntwicklungsbedingungen. namentlich die wochenlang Tag und Nacht über 30" C betragende Wärme, außer im tierischen Orgarüsmus nirgends vereinigt, und es ist daher keine andere Annahme möglich, als daß die Tuberkelbazillen in ihrer Existenz ganz allein auf den tierischen und menschlichen Organismus angewiesen sind. Sie sind also echte Parasiten, welche ohne ihren Wirt nicht zu existieren vermögen: sie sind nicht, wie die Milzbrandbazillen, gelegentliche Parasiten, welche gewöhnlich in der freien Natur ihren Entwicklungskreislauf vollenden und nur zeitweilig eine Invasion in den tierischen Körper machen. Auch darin besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen den Milzbrand- und den Tuberkelbazillen, daß erstere sich im Tierkörper nur vermehren, aber niemals Sporen bilden und zur Bildung der Dauerform erst wieder ins Freie gelangen müssen, während die Tuberkelbazillen ihren vollen Entwicklungsgang im Körper durch- machen und in keiner Weise ein Leben in der freien Natur bedürfen, um die zur Erhaltung der Art notwendige Dauerform annehmen zu können. Eine andere Frage ist diejenige, ob nicht aus den viel verbreiteten und oft auch in den Körper hineingelangenden gewöhnlichen Bakterien unter begünstigenden Um- ständen durch Anpassung und Umzüchtung Tuberkelbazillen entstehen imd ebenso um- gekehrt die Tuberkelbazillen entAveder schon im Körper selbst oder, nachdem sie denselben 552 Die Ätiologie der Tuberkulose. verlassen haben, wieder in unschädliche Bakterien sich verwandeln können. Es würde dann gar nicht der Invasion spezifischer Bakterien bedürfen, um die Tuberkulose zur Entwicklung zu bringen, sondern es käme alles auf die zur Umwandlung der unschädlichen in schädliche Bakterien erforderlichen Vorbedingungen an, welche sich mit dem, was man jetzt gewöhnlich als Disposition bezeichnet, decken würden. Die Vorstellung von einer Anzüchtung der Tuberkelbazilien entspricht ganz den jetzt vielfach herrschenden weit übertriebenen Anschauungen von der Wandelbarkeit der Bakterien und hat auch bereits Vertreter gefunden. Mehr Wert als denjenigen einer rein hypothetischen Be- trachtung kann sie indessen bis jetzt nicht beanspruchen, denn es lassen sich gar keine Tatsachen dafür, aber manche dagegen geltend machen. Ein sicher konstatiertes Beispiel einer Umzüchtung von unschädlichen in schädliche Bakterien gibt es bekanntlich noch nicht und es liegt also kein Grund vor, um gerade den Tuberkelbazillen eine derartige Entstehung aus indifferenten Bakterien zuzuschreiben. Um so weniger ist hierzu eine Veranlassung, als es unter den zahllosen Tierexperimenten mit pathogenen und nicht pathogenen Bakterien niemals vorgekommen ist, daß sich in dem für Tuberkelbazillen so überaus günstigen Nährboden des Kaninchen- oder Meerschweinchenkörpers diese aus anderen Bakterien entwickelt hätten. Im Gegenteil lehren alle mit den nötigen Kautelen vorgenommenen Experimente, daß die Tuberkulose nur dann entsteht, wenn echte, d. h. bereits fertige Tuberkelbazillen dem Tierkörper einverleibt werden. Anders Hegen die Verhältnisse mit einer eventuellen Abschwächung der Tuberkel- bazillen, da für die Möglichkeit eines derartigen Vorganges die Abschwächung der Milz- brandbazillen als Beispiel angeführt werden kann. Obwohl nun die Möglichkeit einer derartigen Abänderung der Virulenz nicht zu bestreiten ist, so ist doch zu bedenken, daß die Abschwächung der Milzbrandbazillen sich unter Umständen vollzieht, welche nur künstlich hergestellt werden können, aber unter gewöhnlichen Verhältnissen weder im Tierkörper noch außerhalb desselben zur Wirkung kommen. Außerdem spricht noch gegen eine derartige Annahme, daß die Tuberkelbazillen, nachdem sie in Kulturen, also außerhalb des Tierkörpers und auf einem toten Nährsubstrat, fast zwei Jahre lang fort- gezüchtet wurden, nicht die geringste Veränderung in ihren Eigenschaften und namenthch nicht in ihrer Virulenz gezeigt haben. Auch in den Versuchen von Fischer und Schill, über welche in diesen Mitteilungen an anderer Stelle berichtet ist^, trat, als Tuberkelbazillen 6 Wochen lang dem Einfluß der Fäulnis ausgesetzt wurden, keine Ab- schwächung der Virulenz ein. Alles dies spricht mit Entschiedenheit gegen die An- nahme einer leicht eintretenden Änderung in den virulenten Eigenschaften der Tuberkel- bazillen. Es ist wohl nicht anders denkbar, als daß die Tuberkelbazillen zu irgend- einer Zeit aus anderen Bakterien hervorgegangen sind. Nachdem sie nun aber einmal echte Parasiten geworden sind, scheinen sie auch mit anderen Parasiten die Eigentüm- lichkeit gemein zu haben, daß sie ihre Eigenschaften mit großer Hartnäckigkeit festhalten. Die einzige Quelle für die Herkunft bleibt also der tierische resp. menschhche Organismus, und an Gelegenheit, sich in dem ihnen angewiesenen Wirt in ungeheuren Massen zu reproduzieren, Dauerformen zu bilden, ins Freie zu gelangen und andere Opfer zu befallen, fehlt es bei der außerordentlichen Verbreitung der Tuberkulose diesem Parasiten nicht. Unter den verschiedenen Formen der Tuberkulose sind es allerdings nur einige, welche eine leichte Übertragung der Bazillen zulassen. Es sind dies aber auch gerade die am häufigsten vorkommenden Formen, nämlich die Phthisis und die tuber- kvdösen Erkrankungen der Haustiere. Die übrigen Arten der Tuberkulose spielen in bezug auf die Infektion fast gar keine Rolle, da bei ihnen die Tuberkelbazillen teils in ') E. Schill und B. Fischer, Über die Desinfektion des Auswurfs der Phthisiker. Mitteilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, 1884, Bd. II. D. Herausgeber. Die Ätiologie der Tuberkxdose. 553 so geringer Zahl vorhanden sind, teils auch so versteckt bleiben, daß sie nur ausnahms- Aveise zu einer Infektion Veranlassung geben können. Fragen wir zunächst, inwieweit die Phthisis zu einer Übertragung der Tuberkel- bazillen von Kranken auf Gesunde Veranlassung geben kann, so liegt es wohl auf der Hand, daß hier alle die Bedingungen für die Ausbreitung des Infektionsstoffes im reich- lichsten Maße vorhanden sind. Man darf sich nur daran erinnern, daß durchschnittlich ein Siebentel aller Menschen an Phthisis stirbt und daß die meisten Phthisiker mindestens einige Wochen, oft Monate hindurch große Mengen von Sputum auswerfen, in welchem Unmassen von sporenh altigen Tuberkelbazillen enthalten sind. Es werden nun von diesen imzähligen Infektionskeimen, welche allenthalben auf dem Boden, an Kleidungsstücken usw. verbreitet werden, die übergroße Mehrzahl wieder zugrunde gehen, ohne daß sie jemals Gelegenheit finden, sich von neuem in einem lebenden Organismus anzusiedeln. Wenn man aber ferner berücksichtigt, daß nach den erwähnten Versuchen von Fischer xmd Schill die Tuberkelbazillen in einem faulenden Sputum 43 Tage und in lufttrocke- nem Sputum bis zu 186 Tagen ihre Virulenz behalten können, dann wird man mit Rücksicht auf die große Menge der von den phthisischen Kranken produzierten Tuberkelbazillen und auf die Haltbarkeit der letzteren in feuchtem sowohl als in trocke- nem Zustande die ungeheure Verbreitung des Tuberkelvirus hinreichend erklärt finden. Über die Art und Weise, wie das Tuberkelvirus von Phthisikern auf Gesunde über- tragen wird, kann ebenfalls kein Zweifel obwalten. Durch die Hustenstöße des Kranken werden von dem zähen Sputum Partikelchen losgerissen, in die Luft geschleudert und so gewissermaßen zerstäubt. Nun haben aber zahlreiche Experimente gelehrt, daß die Inhalation von zerstäubtem phthisischen Sputum nicht allein die für Tuberkulose leicht empfänglichen, sondern auch die widerstandsfähigeren Tierarten mit absoluter Sicherheit tuberkulös macht. Daß der Mensch hiervon eine Ausnahme machen sollte, ist nicht an- zunehmen So läßt sich denn auch wohl voraussetzen, daß, wenn zufällig ein in unmittel- barer Nähe von Phthisikern sich aufhaltender gesunder Mensch frisch expektorierte und in die Luft geschleuderte Teilchen von Sputum inhaliert, er dadurch infiziert werden kann. Aber allzuoft wird eine in dieser Weise stattfindende Infektion vermutlich nicht vor- kommen, weil die Sputumteilchen doch gewöhnlich nicht so klein sind, daß sie längere Zeit in der Luft suspendiert bleiben kömiten. Weit mehr geeignet für die Infektion ist dagegen das eingetrocknete Sputum, welches bei der nachlässigen Weise, mit der das Sputum der Phthisiker behandelt wird, offenbar in erheblicher Menge in die Luft gelangt. Nicht allein wird das Sputum direkt auf den Boden gespien, um daselbst eingetrocknet, zertreten und in Staubform aufgewirbelt zu werden, sondern es gelangt, auch vielfach an Bett- wäsche, Kleidungstücken und namentlich Taschentüchern, welche selbst von den rein- lichsten Kranken durch das Abwischen des Mundes nach dem Ausspeien mit dem gefähr- lichen Infektionsstoff verunreinigt werden, zum Eintrocknen und Verstäuben. Die Er- fahrungen, welche bei der Untersuchung der Luft auf entwicklungsfähige Bakterien gewonnen sind, haben gelehrt, daß die Bakterien nicht in isoliertem Zustande in der Luft suspendiert sind, sondern daß sie mit den Flüssigkeiten, in welchen sie gewachsen sind, an der Oberfläche von Gegenständen eintrocknen und nur dann in die Luft gelangen, wenn die eingetrocknete Masse in kleinen Splittern abspringt oder wenn die Träger der eingetrockneten Bakterienflüssigkeit selbst so leicht sind, daß sie vom geringsten Luftzuge fortgeführt werden können. Als solche leicht bewegliche Träger funktionieren nun aber am besten die Staubteilchen, welche aus Bruchstücken von Pflanzenfasern, Tierhaaren Epidermisschüppchen und ähnlichen Stoffen bestehen. Deswegen sind auch die Ver- unreinigungen von Geweben aus Pflanzenstoffen und Tierhaaren, also von Bettwäsche, Bettdecken, Kleidern. Taschentüchern, wenn sie durch phthisisches Sputum geschehen. 554 Die Ätiologie der Tuberkulose. am meisten zu fürchten. Von Speigefäüen, vom Fußboden kann sich eingetrocknetes Sputum nur in gröberen Brocken, welche nicht kncht in die Luft emporgehoben werden, ablösen ; dagegen kann man sich kaum eine für die Verstäubung des Sputums günstigere Vorrichtung denken, als die schnell vor sich gehende Eintrocknung an Zeugstoffen, von denen sich bei jeder Bewegung Fäserchen ablösen, welche den Infekt ionsstoff in die Luft führen, verhältnismäßig lange suspendiert bleiben und, wenn sie auch schließlich zu Boden sinken, durch den leichtesten Luftzug wieder aufgewirbelt werden. IJäe von Hesse angestellten Luftuntersuchiingen sind gerade in dieser Beziehung außerordentlich lehr- reich und kann ich deswegen zur weiteren Begründung des eben Gesagten auf die be- treffende in diesen Mitteilungen^) enthaltene Abhandlung desselben verweisen. Wie bereits früher erwähnt wurde, kann sich die Virulenz des getrockneten Sputums monatelang, unter Umständen vielleicht auch noch weit länger erhalten. Es hängt die Haltbarkeit der Virulenz höchstM^ahrscheinlich davon ab, ob die Tuberkelbazillen gut entwickelte, keimfähige Sporen enthalten oder nicht. Auf jeden Fall ist aber, wenn das getrocknete Sputum auch nur einige Wochen die ^^irulenz behält, ein Phthi.siker imter den Verhältnissen, in welchen man jetzt gewöhnlich diese Kranken findet, ganz dazu angetan, seine nächste Umgebung mit reichlichen Mengen von Infektionsstoff, und zwar in der für das Zustandekommen einer Infektion geeignetsten Form zu versehen. Wenn die Tuberkelbazillen in Staubform inhaliert werden, dann können sie ebenso, wie es mit anderen inhalierten Staubteilchen der Fall ist, entweder schon in den oberen Luftwegen hängen bleiben oder bis in die Alveolen dringen. Die Tiefe, bis zu welcher sie in den Respirationstraktus eindringen, wird wesentlich von der Art und Weise der Atmung abhängen. Wenn tief und bei geöffnetem Munde geatmet wird, dringen sie am weitesten ein. Die Atmung durch die Nase wird dagegen schon einen gewissen Schutz gegen das Eindringen der Träger des Infektionsstoffes gewähren, da von der Nasenschleim- haut eine beträchtliche Menge Staub aus der Respirationsluft zurückgehalten wird. Ob die Tuberkelbazillen nun aber, wenn sie in die Bronchien und Alveolen gelangen, dazu kommen, festen Fuß zu fassen und sich einzunisten, das wird von mancherlei Umständen abhängen. Ganz besonders wird hierauf das langsame Wachstum der Tuberkelbazillen von Einfluß sein. Andere pathogene Bakterien, z. B. die Milzbrandbakterien, scheinen, wie die Wollsortiererkrankheit und besonders die unter der Form des Kehlkopfs milzbrands verlaufende Affektion lehrt, infolge ihres rapiden Wachstums sehr bald zu einem der- artigen Umfang heranzuwachsen und auch so schnell eine unmittelbar schädliche Ein- wirkung auf die in ihrer Nähe befindlichen Zellen auszuüben, daß das Flimmerepithel der Respirationsschleimhaut sie nicht mehr zu bewältigen und fortzuschaffen vermag; sie können deswegen schon in den oberen Abschnitten der Respirationswege sich an- siedeln und die ihnen eigenen pathologischen Prozesse hervorrufen. Ganz anders liegen die Verhältnisse für die Tuberkelbazillen. Diese brauchen ebensoviel Tage, wie die Milz- brandbazillen Stunden, um eine nennenswerte Entwicklung zu erreichen, und werden, ehe sie dazu kommen, unter gewöhnlichen Verhältnissen durch die Flimmerbewegung des Epithels längst wieder aus den Respirations wegen hinausbefördert sein. Es müssen daher noch besondere begünstigende Momente hinzukommen, um ihnen ihre Ansiedelung zu ermöglichen. Dieselben werden gewiß durch mancherlei Zustände herbeigeführt. Doch scheinen die wichtigsten und häufigsten Hilfsursachen für das Zustandekommen der Infektion durch solche Krankheiten geliefert zu werden, welche, wie z. B. die Masern, die Respirationsschleimhaut ihres schützenden Epithels zeitweilig berauben, oder welche stagnierende Sekrete liefern, in denen die Tuberkelbazillen sich ansiedeln können. Auch hat man, und das gewiß mit Recht, darauf aufmerksam gemacht, daß durch Adhäsionen ') Hesse, Mitteil, aus d. Kaiserl. Gesundheitsamte, 1884, Bd. II, p. 182 ff. D. Herausgeber. Die Ätiologie der Tuberkulose. 555 der JAingen und fehlerhafte Form des Brustkastens, welche eine ausgiebige Bewegung der Lungen hindern und ganz besoiders geeignet sind, umschriebene Ansammlungen von Bronchialsekret zu veranlassen, das Entstehen der Tuberkulose, d. h. das Einnisten der Tuberkelbazillen begünstigt werde. Wenn man sich die Notwendigkeit solcher Hilfsmomente für das Eindringen der Tuberkelbazillen klar macht, dann kann es nicht mehr so auffällig erscheinen, daß viele Menschen trotz vielfachen \>rkehrs mit Phthisikern nicht infiziert werden, während andere offenbar schon bei einer der ersten Gelegenheiten angesteckt wurden und noch andere, nachdem sie lange Zeit sich ungestraft der Infektion aussetzten, schließlich der- selben doch noch einmal zum Opfer fallen. Bei den Ersterwähnten kam den Tuberkel- bazillen, welche unzweifelhaft oft genug inhahert wurden, nichts zu Hilfe, und sie wurden deswegen wieder aus den Respirationswegen entfernt; die ZAveiten hatten von vorn- herein irgendeine defekte Stelle ihrer Respirationsorgane, an der die Bazillen zu haften vermochten, und es kam nur darauf an, daß der Infektionskeim auch gerade an diese Stelle gelangte; die Letzterwähnten erwarben erst in späterer Zeit einen solchen Defekt und verloren damit gewissermaßen ihre Immunität gegen Tuberkulose. Die Schwierig- keiten, welche sich der Ansiedelung der Tuberkelbazillen entgegenstellen, sind in den oberen Luftwegen noch erheblicher, und erklärt sich wohl hieraus die so seltene primäre Erkrankung derselben. Da die weitaus größte Zahl der tuberkulösen Erkrankungen ihren Anfang in der Lunge nimmt, so ist wohl anzunehmen, daß auch die Infektion in allen diesen Fällen in der eben angedeuteten Weise, d. h. durch Inhalation von getrocknetem und zerstäubtem phthisischen Sputum zustande gekommen ist. Wegen der massenhaften Produktion des Infektionsstoffes und wegen der vielfachen Berührinigen. in welche derselbe auch mit anderen Teilen des menschlichen Körpers kommen muß, ist es indessen nicht un- wahrscheinlich, daß auch von anderen Stellen als von den Lungen aus Infektionen statt- finden. So möchte ich annehmen, daß die primären Erkrankungen oberflächlich ge- legener Lymphdrüsen dadurch entstehen, daß Kratzwunden, Hautausschläge usw., in welche zufällig Tuberkelbazillen geraten sind, die Eingangspforte für die Infektion bilden, von wo aus die Bazillen in den Lymphbahnen weitergeführt werden und in die Drüsen gelangen. Wenn dann die ursprüngliche Lifektionsstelle wieder geheilt ist, ge- winnt es den Anschein, als ob sich der Kranklieits|)i-ozeß primär in den Drüsen ent- wickelt hatte. Eine Anzahl von Fällen, in denen bei übrigens gesunden erwachsenen Menschen käsige und tuberkelbazillenhaltige Lymphdrüsen des Nackens exstir])iert wurden, mißte ich nur gar laicht anders zu erklären, als daß sie durch Infektion von Kratzwunden der Kopfhaut entstanden sind. Da die Darmentleerungen der Phthisiker nicht selten ziemlich viele Bazillen enthalten, so gilt, wemi sich Gelegenheit zum Ein- trocknen und Verstäuben solcher Ausleerungen bietet, in bezug auf die Gefahr der In- fektion ganz dasselbe wie vom Sputum. Doch tritt diese Gelegenheit wohl nicht all- zuoft ein. Immerhin "Ist auch diese Möglichkeit der Ausbreitung von Infektionsstoff im Auge zu behalten. Der zweiten Hauptquelle für das Tuberkel virus, der Tuberkulose der Haustiere, scheint bei weitem nicht die Bedeutung zuzukommen, wie dem phthisischen Sputum. Die Tiere produzieren bekanntlich kein Sputum, so daß von ihnen während des Lebens aus den Respirationswegen keine Tuberkelbazillen ins Freie geliefert werden. Auch in den Darmausleerungen tuberkulöser Tiere scheinen nur ausnahmsweise Tuberkel- bazillen vorzukommen. Dagegen steht es fest, daß die Milch tuberkulöser Tiere die Ver- anlassung zur Infektion geben katni. Mit Ausnahme dieser einen Gelegenheit gelangt also das Tuberkelvirus erst nach dem Tode der Tiere zur Geltung und kann nur durch 556 Die Ätiologie der Tuberkulose den Genuß des Fleisches eine Iixfektion veranlassen. Außer der vermutlich nur sehr selten vorkommenden unmittelbaren Infektion, welche bei dem Verkehr mit tuberkulösen Fleischteilen von kleinen Wunden und Exkoriationen der Haut aus erfolgen kann, wird in diesem Falle die Aufnahme des Infektionsstoffes nur durch die Digestionsorgane erfolgen und in diesen werden sich dementsprechend auch die ersten Krankheitserschei- nungen zeigen müssen. Nun ist aber die primäre Tuberkulose des Darms eine gar nicht häufige, im Verhältnis zur primären Lungentuberkulose sogar geradezu seltene Affek- tion. Daraus ist zu schließen, daß die gedachte Infektion durch den Genuß des Fleisches von tuberkulösen Tieren nicht oft vorkommt. Wahrscheinlich würde sie eine häufigere Erscheinung sein, wenn nicht, was wohl gewöhnlich der Fall sein wird, die sichtbar kranken Fleischteile beseitigt und wenn nicht, wie es doch wohl fast ausschließlich geschieht, das Fleisch in gekochtem Zustande genossen würde. Auch kommt hier wesent- lich in Betracht, daß die Tuberkulose der Schlachttiere, namentlich die Perlsucht des Rindes, mehr oder weniger lokalisiert bleibt, so daß nur der Genuß der tuberkulös ver- änderten Lungen, Drüsen usw. eventuell gefährlich sein würde. Daß indessen die In- fektion vom Darmkanal aus wohl möglich ist, beweisen schon die häufigen Fälle von sekundärer Darmtuberkulose der Phthisiker, welche auf die Infektion durch die ver- schluckten eigenen Sputa zurückgeführt werden müssen. Eigentümlich ist es aller- dings, daß, obwohl anzunehmen ist, daß ein jeder Phthisiker mehr oder weniger vom tuberkelbaziUenhaltigen Sekret seiner Lunge verschluckt, doch nicht bei allen Darm- geschwüre gefunden werden. Ich erkläre mir dies in folgender Weise: Erstens scheint der Darm an und für sich für die langsam wachsenden Tuberkelbazillen einen noch ungünstigeren Angriffspunkt zu bieten als die Lunge. Dann haben aber ferner die Fütte- rungsversuche mit Milzbrandbazillen und deren Sporen gelehrt, daß Milzbrandbazillen, welche keine Sporen enthalten, im Magen zerstört werden, während die Sporen dieser Bazillen den Magen unbeschädigt zu passieren vermögen. Deswegen können auch nur sporenhaltige Substanzen die Infektion vom Darmkanal aus bewirken. Die Tuberkel- bazillen werden sich in dieser Beziehung höchst wahrscheinlich ebenso wie die Milz- brandbazillen verhalten und nur in dem Falle, daß sie mit Sporen versehen sind, eine Darmtuberkulose veranlassen , vorausgesetzt , daß sie nicht zu schnell durch den Darmkanal hindurchgehen, um ihr Auskeimen und Einnisten an irgendeiner Stelle der Darmschleimhaut zu ermöglichen. Ganz dasselbe gilt natürlich für die Gefahr einer Infektion durch tuberkulöses Fleisch, und es mag auch dieser Umstand zur Erklärung für die relativ seltene Infektion durch den Genuß von solchem Fleisch beitragen. Dieselben Verhältnisse gelten für die Infektion durch die Milch perlsüchtiger Kühe. Vor allen Dingen ist, wenn eine Infektion zustande kommen soll, notwendig, daß die Milch Tuberkelbazillen enthält. Dies scheint aber nur dann der Fall zu sein, wenn die Milchdrüsen selbst tuberkulös erkrankt sind. Da aber Perlsuchtknoten im Euter nicht sehr oft vorkommen, so wird auch die Milch perlsüchtiger Kühe häufig keine infektiösen Eigenschaften besitzen. Damit erklären sich aber sofort die Wtdersprüche in den An- gaben der verschiedenen Autoren, welche Fütterungsversuche mit Milch von perlsüch- tigen Kühen angestellt haben. Die einen behaupten, positive Resultate erzielt zu haben, und ihre Angaben sind derartig, daß an der Richtigkeit der Beobachtung gar nicht zu zweifeln ist. Die anderen dagegen konnten bei ihren Versuchstieren keine Infektion erhalten. Auch dieses Resultat wird seine Richtigkeit haben. Die positiven Erfolge wurden dann mit einer Milch erzielt, welche zufälHg Tuberkelbazillen enthielt, die nega- tiven mit Milch, welche frei von Bazillen war. Wenn nun auch die Infektion seitens der tuberkulösen Haustiere im allgemeinen nicht häufig zu sein scheint, so darf sie doch keineswegs unterschätzt werden. Die Perl- Die Ätiologie der Tuberkulose. 557 sucht des Rindes, die käsigen \'eränderungen in den Lymphdrüsen beim Schwein sind ein so häufiges Vorkommnis, daß sie voUe Beachtung verdienen. Wenn wir nun die Tuberkelbazillen, welche durch Inhalation in die Lungen, durch Wunden in die Haut, durch Verschlucken in den Darmkanal gelangten, in ihrem weiteren Verhalten im Körper verfolgen, so sehen wir, daß sie oft an dem Ort der ersten An- siedelung lange Zeit, bisweilen auch dauernd bleiben. Sie bilden die aus Herden von epithelioiden Zellen bestehenden Knötchen, welche Riesenzellen einschließen und regel- mäßig vom Zentrum aus der Koagulationsnekrose anheimfallen. Die Erscheinungen, welche durch das allmähliche Anwachsen eines solchen Herdes und die stets gleich- mäßigen Schritt haltenden regressiven Veränderungen desselben bedingt werden, sind in einem der früheren Abschnitte ausführlich besprochen. Das erste Anzeichen von dem Übergreifen des tuberkulösen Prozesses auf die Umgebung ist die Neubildung ähnlicher Knötchen in der Nachbarschaft des primären Herdes. Auch die Art und Weise, in welcher man sich die hiermit verbundene Wanderung der Bazillen aus dem ersten Herd nach dem Punkte, wo die sekundären Knötchen entstehen, vorzustellen hat, habe ich be- reits früher angedeutet. Die einfachste Erklärung dieses Vorganges scheint mir folgende zu sein. Die Tuberkelbazillen können, weil sie keine eigene Bewegung besitzen, nur durch andere selbstbewegliche Elemente oder durch Flüssigkeitsströmungen fortbewegt werden. Da . aber die Tuberkelknötchen gefäßlos sind und nicht einzusehen ist. wie andere in Bewegung befindliche Flüssigkeiten in den tuberkulösen Herd gelangen und Bazillen daraus fortschwemmen sollten, so bleibt nichts übrig, als die Wanderzellen, welche auch bei anderen pathogenen Bakterien erfahrungsgemäß dieselbe Rolle spielen, als diejenigen Elemente anzunehmen, welche die Weiterbeförderung der Bazillen be- sorgen. Die mit einem Bazillus beladene Zelle gelangt dann nur noch so weit, bis sie unter dem Einfluß der Parasiten ihre Beweglichkeit verliert. An der Stelle, wo die Zelle zum Stillstand kam, muß wieder ein neues Tuberkelknötchen entstehen. In dieser Weise bilden sich Gruppen von Tuberkeln, welche zerschmelzen, zerfallen und die bekannten Zerstörungen entstehen lassen. Mit der Annahme, daß die Wanderzellen Träger der Bazillen sein können, ist auch in der ungezwungensten Weise der Übergang zu den weitei-en Exkursionen gegeben, welche die Tuberkelbazillen in den allermeisten Fällen im Körjier ausführen. Wenn die Wanderzelle sich in den Saftbahnen des Gewebes bewegt und auf ihi-e eigene Fort- bewegung angewiesen ist, dann ist der Weg, den sie zurückzulegen vermag, nur ein kurzer und der neu entstehende Infektionsherd nuiß in geringer Nähe vom Ausgangspunkte der WanderzeUe liegen. Sobald sich aber die Wanderzellen in den Lymphgefäßen be- wegen und ihnen der Lymplistrom in ihrer Fortbewegung zu Hilfe kommt, dann legen sie schon weitere Wege zurück, wie es nicht selten an den im Verlauf von Lymphgefäßen sich ausbreitenden Tuberkeln zu sehen ist. Sehr oft aber werden dann auch die Tuberkel- bazillen in den Lymphgefäßen noch weiter fortgeschwemmt und bis in die nächsten Lymphdrüsen geführt., wo sie in gleicher Weise wie an dem ersten Infektionsort Knötchen- bildung und Verkäsung hervorrufen. Die hierdurch bedingten Veränderungen im Drüsen- gewebe scheinen gewöhnlich ein Aveiteres Vordringen der Bazillen auf dem Wege der Lymphbahnen zu verhindern. Damit ist aber dem Fortschreiten der Bazillen noch keine unüberwindliche Schranke gesetzt. Sie können nänilich unter besonderen Ver- hältnissen auch in den Blutstrom gelangen. Dies geschieht, wenn, wie P o n f i c k ge- zeigt hat, die Tuberkulose auf den Ductus thoracicus übergreift und das Innere desselben erreicht; er werden dann die Tuberkelbazillen direkt vom Lymphstrom in die Blut- bahn geführt. Eine zweite imd zAvar die häufigste Veranlassung zum Eindringen der Tuberkelbazillen ins Blut hat W e i g e r t entdeckt ; es ist dies die Bildung von Tuberkel- 558 Die Ätiologie der Tuberkvilose. knoten in der Wand von Venen und das Durchbrechen der im Zerfall begriffenen Knoten in das Lumen des Gefäßes. Auf eine dritte Möglichkeit ist in dem p. 495 u. 496 beschriebe- nen Fall hingewiesen, in welchem die Bazillen direkt in das Lumen einer Arterie hinein- wucherten. In allen diesen Fällen werden die Bazillen vom Blutstrom schnell fort- gespült, in den verschiedensten Organen des Körpers zerstreut und abgelagert. Wenn sehr viele Bazillen mit einem Male ins Blut geraten, dann sind die Verhältnisse genau dieselben, wie bei dem Experiment am Kaninchen, welchem Tuberkelbazillen aus der Reinkultur in erheblicher Menge in die Ohrvenen injiziert werden. Es entstehen so- wohl bei dem künstlichen als wie bei dem natürlichen Experiment in gleicher Weise Tuberkelknötchen in großer Anzahl und zwar vorzugsweise in der Lunge, Milz und Leber. Weshalb gerade diese Organe so besonders bevorzugt sind, bedarf noch der Aufklärung. Durch die Entdeckungen von P o n f i c k und Weigert ist der Zusammenhang zwischen den lokalisierten tuberkulösen Prozessen und der akuten Miliartuberkulose, welcher früher so rätselhaft schien und von vielen deswegen als unmöglich bezeichnet wurde, mit unumstößlicher Gewißheit klargelegt. Dieses Beispiel der Vielgestaltigkeit einer Krankheit mahnt dringend, nicht ohne zwingende Gründe pathologische Prozesse, und insbesondere Infektionskrankheiten, lediglich vom anatomischen Standpunkte auf- zufassen, sondern in erster Linie die ätiologischen Verhältnisse als maßgebend anzusehen. Nicht immer dringen auf einmal größere Mengen von Tuberkelbazillen in die Blut- bahn. Es kann auch vorkommen, daß nur verhältnismäßig wenige Bazillen vom Blut- strom fortgerissen werden. Dann entstehen auch dementsprechend weniger zahlreiche Tuberkelherde, welche aber, weil in diesem Falle das Leben länger erhalten'bleibt, größere Dimensionen erreichen, als wenn durch eine massenhafte Eruption von Tuberkelknötchen ein schneller Tod herbeigeführt wird. Auch hierin verhält sich die auf natürlichem Wege vor sich gehende Infektion vollkommen so. wie die künstlich erzeugte. Mitunter treten nur sehr wenige Bazillen ins Blut über und es bilden sich nur vereinzelte Tuberkel, welche aber im Laufe der Zeit zu erheblichen Dimensionen heranwachsen. Dieser Vorgang, welcher sich schubweise wiederholen kann, ist von Weigert sehr treffend als chronische Miliartuberkulose bezeichnet, im Gegensatz zur akuten, welche wegen der von vorn- herein massenhaft entstehenden Tuberkel schnell tödlich verläuft. An diese letzterwähnten Formen der Mihartuberkulose schließen sich diejenigen Prozesse an, bei denen an Stellen des Körpers, welche einer Invasion der Bazillen von außen her nicht ohne weiteres zugänglich sind, und scheinbar ohne einen die Infektion vermittelnden Herd eine örtlich beschränkte Tuberkulose sich entwickelt. Derartige Prozesse, zu denen die fungösen und kariösen Affektionen zu rechnen sind, entstehen streng lokalisiert. Man kann ihr Entstehen daher kaum anders erklären, als daß ein einzelner Infektionskeim, also ein einzelner Bazillus, durch den Blutstrom an der be- treffenden Stelle abgelagert wurde. Aber wie soll ein vereinzelter Bazillus ins Blut ge- langen ? Könnte er direkt, nachdem er durch Inhalation in die Lunge kam, in die Lungenkapillaren übergetreten sein, ohne in der Lunge selbst vorher zur Bildung eines tuberkulösen Herdes Veranlassung gegeben zu haben ? Für mich hat eine solche Annahme wenig Wahrscheinlichkeit. Das fast regelmäßige Vorkommen von verkästen resp. verkalkten Bronchialdrüsen bei den erwähnten Krankheitszuständen legt vielmehr die Vermutung nahe, daß auch die Lymphdrüsen nicht immer ein unüberwindliches Hinder- nis für das weitere Vordringen der Bazillen sind und daß vereinzelte Bazillen ebenso wie sie durch Wanderzellen und den Lymphstrom bis zu den Lymphdrüsen verschleppt wurden, ebenfalls mit Hilfe der Wanderzellen die Lymphdrüsen in zentripetaler Richtung wieder verlassen können und durch den Lymphstrom dem Blute zugeführt werden. Ich zweifle nicht, daß, wie man bei der Miliartuberkulose fast in jedem Falle den Aus- Die Ätiologie der Tuberkulose. 559 gangspunkt der Infektion nachweisen kann, es aucli gelingen wird, in allen Fällen von lokalisierter Tuberkulose innerer Organe sowohl als der Knochen und Gelenke, wenn sie zur Sektion kommen, irgendeinen älteren tuberkulösen Herd, meistens wohl ver- käste Bronchialdrüsen zu finden, von denen aus die V^erschleppung einzelner Bazillen ins Blut erfolgen kannte. Sehr wahrscheinlich gehört auch die tuberkulöse Basilarmeningitis der Kinder insofern hierher, als bei derselben sehr oft Lungen, Milz und Leber frei von Tuberkulose, aber fast regelmäßig die Bronchialdrüsen verkäst gefunden werden, woraus zu entnehmen ist. daß letztere auch in diesem Falle als primärer p]rkrankungsherd anzusehen sind. Figentümlich bleibt es allerdings, daß bei dieser Form der Tuberkulose, bei welcher offenbar nicht einzelne, sondern zahlreiche Tuberkelbazillen aus dem Blute abgesetzt werden, die Pia mater als Ablagerungsstätte so bevorzugt ist. Wenn schon, wie in den früheren Abschnitten gezeigt ist, die verschiedenen Formen der Tuberkulose wegen der gleichen Eigenschaft der bei ihnen vorkommenden Bazillen und der aus letzteren gewonnenen Kulturen, sowie wegen der Identität der aus ihnen hervorgehenden Impfprodukte als identisch erklärt werden mußten, so gibt auch die fortschreitende Erkenntnis ihrer Entstehungsweise neue Belege für diese Annahme. Die beim ersten Blick so sehr verschieden erscheinenden Formen der Lungenphthisis. der akuten und chronischen Miliartuberkulose, der unter dem Gesamtbilde der Skrofulöse verlaufenden Drüsen- und Schleimhautaffektionen, der Knochen- und Gelenktuberkulose, der lokalisierten Tuberkulose einzelner Organe, wie z. B. der Nieren, des Darms, sie alle erscheinen in ungezwungener Weise zusammengehörig, wenn man ihre Entstehung ins Auge faßt. Nur der I^upus bietet insofern der Identifizierung mit Tuberkulose eine ge- wisse Schwierigkeit, als die klinische Beobachtung einen nicht zu verkennenden Unter- schied in dem V'erhalten zwischen lupöser und unbestritten tuberkulöser Affektion der Haut und Schleimhäute konstatiert. Nichtsdestoweniger sind die für die Einheit dieser beiden Krankheiten sprechenden ätiologischen Gründe zu schwerwiegend, als daß sie dieser Differenz gegenüber, welche möglicherweise in der individuellen Disposition ihre Erklärung finden kann, zurücktreten müßten. Ähnlich liegt auch das Verhältnis der Tuberkulose der Tiere, in erster Linie der Perlsucht, zur Tuberkulose der Menschen. Auch diese müssen trotz der Verschieden- heiten im anatomischen \'erhalten und im klinischen Wrlauf wegen der Identität des sie bedingenden Parasiten für identisch mit der menschlichen Tuberkulose gehalten werden. Man hat zwar, besonders mit Bezug auf die Perlsucht, geltend gemacht, dal.^ die Übertragung dieser Krankheit auf den Menschen noch nicht sicher konstatiert sei. Dagegen läßt sich aber folgendes bemerken. Wegen der sehr langsamen Entwicklung der Krankheit sind, wenn die ersten deutlichen Symptome zutage treten, Ort und Zeit der Infektion und damit auch die Quelle derselben gewöhnlich gar nicht oder nur noch in unzuverlässiger Weise festzustellen. Es wird deswegen schon bei der häufigen In- halationstuberkulose mir in verhältnismäßig wenigen Fällen gelingen, den Infektions- modus in wissenschaftlich verwertbarer Weise zu bestimmen. Noch viel weniger «ird dies aber bei der erheblich selteneren, durch Genuß von Fleisch oder Milch perlsüchtiger Rinder entstehenden Darmtuberkulose zu ermöglichen sein, weil hier die Unsicherheit durch die leicht mögliche Verwechslung mit den anderen, viel häufigeren Infektions- arten noch erhöht wird. Es ist deswegen sehr die Frage, ob jemals ein Fall von mensch- licher Tuberkulose einwurfsfrei auf den Genuß von Fleisch oder Milch von tuberkulöse)! Tieren zurückgeführt wird. Wenn man aber bedenkt, daß bei den verschiedensten Tier- arten (Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, Feldmäusen) durch Verimpfung von Perl- suchtmassen und den daraus gewonnenen Reinkulturen mit der größten Regelmäßig- 560 Die Ätiologie der Tuberkvüose. keit eine Krankheit erzeugt wird, welche der bei diesen Tieren durch Impfung mit Tu- berkelmassen entstandenen Krankheit nicht allein anatomisch vollkommen gleich ist, sondern die Tiere mit derselben Sicherheit tötet wie letztere, dann läßt sich wohl nicht erwarten, daß der Mensch diesem Krankheitsgift gegenüber eine Ausnahme macht. Sollte sich also auch wirkhch noch im Laufe weiterer Untersuchungen wieder eine Differenz zwischen den Tuberkel- und den Perlsuchtbazillen herausstellen, welche uns nötigen würde, dieselben nur als nahe Verwandte, aber doch als verschiedene Arten anzusehen, dann hätten wir gleichwohl alle Ursache, die Perlsuchtbazillen für im höchsten Grade verdächtig zu halten. Vom hygienischen Standpunkte aus müssen dieselben Maßregeln dagegen ergriffen werden, wie gegen die Infektion durch Tuberkelbazillen, solange nicht bewiesen ist, daß der Mensch ungestraft Hautwunden mit Perlsuchtbazillen in Berührung bringen, daß er dieselben inhalieren oder ihre Sporen in seinen Darmtraktus bringen kann, ohne tuberkulös zu werden. Gegen die einheitliche Auffassung sämtücher durch die Tuberkelbazillen bedingten Krankheitsformen scheint noch die erhebliche Verschiedenheit im Verlauf der Krankheit bei verschiedenen Individuen derselben Art und in der EmpfängUchkeit derselben gegen die Tuberkelinfektion zu sprechen. Es sind dies jedoch Erscheinungen, welche in mehr oder minder ausgesprochener Weise bei allen Infektionskrankheiten wiederkehren. Man lüü't sich in diesem Falle damit, eine verschiedene Disposition für die Krankheit, sowohl was das Befallenwerden von derselben als was ihren mehr oder weniger intensiven Ver- lauf betrifft, anzunehmen, ohne daß mit dieser Bezeichnung der Erscheinung eine Er- klärung derselben gegeben wird. Eine Anzahl solcher Differenzen im Krankheitsbilde der Tuberkulose wü'd schon einfach durch die Verschiedenheit der Infektionsstelle er- klärt. Dann scheint aber auch die Menge des ursprünglich zur Wirkung gelangenden Infektionsstoffes von wesentlicher Bedeutung zu sein. Einzelne Infektionskeime werden wegen ihrer langsamen Fortentwicklung vom Organismus leichter und längere Zeit in Schranken gehalten, so daß sie lokalisiert bleiben, als wenn von vornherein viele Keime mit einem Male importiert werden, welche sich gegenseitig in ihrem Vernichtungs- werke unterstützen. Eine bestimmte Vorstellung von dem, was mit individueller Dis- position bezeichnet wird, kann man sich femer für alle die Verhältnisse machen, in denen unserer früheren Annahme gemäß gewisse Hilfsmomente, wie Defekte im Epithelüberzug der Respirationsschleimhaut, stagnierende Sekrete, Störungen der Respiration usw. die Ansiedelung der Tuberkelbazillen begünstigen. Wenn nun auch ein großer Teil der unter dem Ausdruck , .Disposition" zusammen- gefaßten Erscheinungen sich auf einfache und leicht erklärliche Verhältnisse zurück- führen läßt, so bleiben dennoch einige schwer oder gar nicht zu deutende Tatsachen, welche uns zwingen, vorläufig die Annahme einer Disposition noch bestehen zu lassen. Es ist dies vor allem der auffallende Unterschied im Verlauf der Tuberkulose bei Kindern und bei Erwachsenen; ferner die unverkennbare Prädisposition mancher Familien für die Erkrankung an Tuberkulose. Es mag im letzteren Falle manche dieser Prädispo- sition zur Last gelegte Erkrankung viel eher auf die vermehrte Gelegenheit zur Infek- tion zu beziehen sein; auch kann man an besondere zum FamiliencharaktTer gehörende prädisponierende Momente, wie Neigung zu Katarrhen der Respirationsorgane, fehler- haften Bau des Brustkastens denken; dennoch bleiben viele hierauf bezügliche Be- obachtungen, welche solche Erklärungen nicht zulassen. Übrigens lehrten oft schon die einzelnen Krankheitsfälle, daß ein und derselbe Mensch nicht zu jeder Zeit ein gleich günstiges Objekt für die Entwicklung der Parasiten ist; denn es kommt bekanntUch gar nicht so selten vor, daß tuberkulöse Herde, welche eine nicht geringe Ausdehnung erlangt hatten, schrumpfen, vernarben und zur Heilung gelangen. Das heißt aber soviel, Die Ätiologie der Tuberkulose. 561 daß derselbe Körper, welcher bei der Invasion der Tuberkelbazillen einen günstigen Nährboden für dieselben abgab, so daß sie sich vermehren und ausbreiten konnten, allmählich diese den Tuberkelbazillen günstigen Eigenschaften verliert, sich in einen schlechten Nährboden verwandelt und damit dem ferneren Wachstum der Bazillen eine Grenze setzt. Es bestand also in demselben Menschen zeitweilig eine Disposition für Tuberkulose und zeitweilig wieder nicht. Worin dieser Unterschied begründet ist, ob in einer Änderung in der chemischen Zusammensetzung der Gewebssäfte oder in physikalischen Bedingungen, das müssen spätere Untersuchimgen lehren. Soviel steht fest, daß diese Unterschiede bestehen, und es steht gewiß nichts der Annahme entgegen, daß ähnliche, den Tuberkelbazillen günstige oder ungünstige Bedingungen bei gewissen Menschen nicht bloß zeitweihg. sondern auch während des ganzen Lebens bestehen. Was nun noch die viel diskutierte Frage der hereditären Tuberkulose betrifft, so kann ich mich nach dem eben Gesagten darüber kurz fassen. Es liegen keine Tat- sachen vor, welche die Annahme rechtfertigen, daß intrauterin oder extrauterin im kindlichen Organismus Tuberkelbazillen vorhanden sein können, ohne daß sie in einer verhältnismäßig kurzen Zeit sichtbare Veränderungen zuAvege bringen. Nun ist aber bisher die Tuberkulose beim Fötus und beim Neugeborenen überaus selten gefunden, und es ist also hieraus zu schließen, daß der Infektionsstoff auch mn- ausnahmsweise während des intrauterinen Lebens zur Geltung kommt. Dieser Annahme entspricht auch die Tatsache, daß von meinen Versuchstieren, namentlich Meerschweinchen, welche nicht selten vor oder auch nach der tuberkulösen Infektion trächtig wurden, niemals Junge geworfen wurden, welche bereits bei der Geburt tuberkulös Avaren. Die von hoch- gradig tuberkulösen Müttern abstammenden Jungen waren frei von Tuberkulose und blieben auch monatelang hindurch gesund. Nach meinem Dafürhalten findet die here- ditäre Tuberkulose am inigezwungensten ihre Erklärung, wenn angenonnnen wird, daß nicht der Infektionskeim selbst, sondern gewisse Eigenschaften, Avelche die Ent- wicklung der später mit dem Körper in Berührung gelangenden Keime begünstigen, also das, was wir Disposition nennen, vererbt werden. Die Ätiologie der Tuberkulose, wie sie hier auf der Grundlage unserer Kenntnisse vom Tuberkelbazillus entwickelt -wurde, bietet im einzelnen kaum etwas Neues. C o h n - heim hat schon vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus die Tuberkulose als eine Infektionskrankheit aufgefaßt und dementsprechend ihre Ätiologie dargestellt. Nach dieser Richtung hin haben meine Untersuchungen also der Wissenschaft keinen wesent- lichen Fortschritt gebracht ixnd doch muß es als ein Gewinn betraclitet werden, daß für die überaus wichtige Frage der Infektiosität der Tuberkulose, welche bis dahin von den meisten noch bestritten wurde, nunmehr solclie Beweise geliefert sind, welche keine triftige Einwände mehr zulassen. Niclit minder wichtig ist es, daß die Tuberkelbazillen einen sicheren Anhalt dafür geben, was in Zukunft als dem Gebiete der Tuberkulose angehörig zu betrachten ist. Die Diagnose der Tuberkulose wird in zweifeUiaften Fällen von dem Nachweis der Tuberkelbazillen abhängig zu machen sein. Die Praxis hat sich bekanntlich dieses Hilfsmittels schon in ausgedehnter Weise und zwar mit vollem Erfolg bedient und damit ein reiches Beweismaterial für die Richtigkeit meiner Auffassung von der Bedeutung der Tuberkelbazillen geliefert. Schon dadurch hat sich ein greif- barer Nutzen aus der Entdeckung des Tuberkelbazillus ergeben. Aber es steht zu hoffen, daß auch noch in anderer Bezieliung Gewinn daraus zu ziehen ist, welcher sich für die Bekämpfung der Krankheit verwerten läßt. Nach den bisher angestellten Versuchen scheint allerdings in therapeutischer Richtung keine allzu große Aussicht vorhanden zu sein, daß es gelingen wird, Mittel zu finden, welche die Parasiten im Körper des Kranken beeinflussen. Um so mehr Wert möchte ich auf die prophylaktischen ^Maßregeln legen. Koch, Gesammelte Werke. 36 562 Die Ätiologie der Tuberkulose. Dieselben müssen teils darauf gerichtet sein, die Tuberkelbazillen durch passende Des- infektionsverfahren direkt zu vernichten, teils müssen sie dahin streben, den Gesunden vor der Berührung mit Tuberkelbazillen in allen den Verhältnissen zu bewahren, in denen eine zuverlässige Vernichtung der Parasiten nicht zu ermöglichen ist. Es scheint mir nicht mehr verfrüht zu sein, mit proph3'laktischen Maßregeln gegen die Tuberkulose vorzugehen. Aber bei der großen Ausdehnung dieser Krankheit werden alle Schritte, welche gegen dieselbe getan werden, mit den sozialen Verhältnissen zu rechnen haben und es wird deswegen sorgfältig zu erwägen sein, in welcher Weise und wieweit man auf diesem Wege gehen darf, ohne daß der gestiftete Nutzen durch un- vermeidhche Störungen und andere Nachteile Avieder beeinträchtigt wird. Es würde zu weit führen, hier noch auf eine ausführliche Besprechung der Pro- phylaxis einzugehen und ich behalte mir vor, bei einer anderen Gelegenheit meine An- sichten darüber auseinanderzusetzen. Berlin , im Juh 1883. Die Ätiologie der Tuberkulose. 563 Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Miliartu1)erkulose, Schnitt aus der Lunge. 50 fache Vergrößerung, a Tuberkel mit vielen Bazillen; b Tuberkel mit weniger zahlreichen Bazillen: c und d Tuberkel mit bereits verkästem, kernlosen Zentrum: e Gefäßquerschnitt von Pigmentablagerungen umgeben (cf. p. 493). Fig. 2. Die blaugefärbte Stelle aus dem Tuberkel a der Fig. 1 bei 700 f acher Vergrößerung. Blau- gefärbte Tuberkelbazillen und braungefärbte Zellkerne (cf. p. 493). Fig. 3. Mitte des Tuberkels b der Fig. 1 bei 700 facher Vergrößerung (cf. p. 493). Fig. 4. Eiesenzelle mit blaugefärl^ten Tuberkelbazillen und schwarzen Pigmentkörnchen, aus dem Tuberkel c der Fig. 1. 700 fache Vergrößervmg (cf. p. 493). Fig. 5. Riesenzelle mit einem Bazilkis aus dem Tuberkel d der Fig. 1. 700 fache Vergrößerung (cf. p. 493). Fig. 6. Schnitt aus der Niere. Hariikanälchen mit Gruppen von Tuberkelbazillen gefüllt, welche den in Kultiu-en auftretenden (Fig. 44) Figuren ähnlich sind (cf. p.494). a Unverändertes Harnkanälchen : b Kapillargefäß; c Hariikanälchen mit Gruppen von Tuberkelbazillen. Fig. 7. Miliartuberkulose. Ein Teil der Wandungen u.nd Umgebung von einer kleinen Arterie der Pia niater. a Innere: b mittlere und c äußere Gefäßhaut. An diese schließen sich Lagen von epithelioiden Zellen, zwischen welchen Tuberkelbazillen auftreten. 700 fache Ver- größerung (cf. p. 494). Fig. 8. Aus einem Tuberkelknötchen von jMeningitis liasilaris tuberculosa. 700 fache Vergrößerung (cf. p. 494). Fig. 9. Riesenzelle mit strahlenförmiger Anordnung der Bazillen. Aus der verkästen Bronchial- drüse eines FaUes von Miliartuberkulose. 700 fache Vergrößerung (cf. p. 494). Fig. 10. Eine kleine Arterie von Tuberkelbazillen in dichten Massen imigeben. Aus einer Bronchial- drüse. Akute Miliartuljerkulose. 100 fache Vergrößerung (cf. p. 495). Fig. 11. Ein Teil vom Rande derselben Arterie bei 500 facher Vergrößerung. Fig. 12. Schnitt aus der phtliisischen Liuige. Eine kleine Kaverne mit Anhäufung von Bazillen- masse am linken Rande. 100 fache Vergrößerung (cf. p. 498). Fig. 13. Schnitt durch die Wand einer großen Kaverne. Rechts der freie Rand der Kaverne, aus aufgelösten und von ßazillenmassen durchsetztem Alveolargewebe bestehend. 100 fache Vergrößerung (cf. p. 498). Fig. 14. Sputum eines Phthisikers. Deckglaspräparat. Tuberkelbazillen, einzeln imd in kleinen Grup- pen, zwischen den braungefärbten Kernen der Zellen. 700 fache Vergrößerung (cf. p. .501). Fig. 15. Käsiges Bröckchen aus dem Sjmtum eines Phthisikers. Deckglaspräparat. 700 fache Ver- größerung (cf. p. 501). Fig. 16. Sputum eines Phthisikers mit Speichel vermengt. Tuberkelbazillen blau-, aus dem Inhalt der Mundliöhle stammende Bakterien braungefärbt. 700 fache Vergrößerung (cf. p. 502). Fig. 17. Schnitt aus einer phthisischen Lunge, das Vordringen der Tuberkelbazillen in die Alveolen zeigend. 100 fache Vergrößerimg (cf. p. 498). Fig. 18. Partie von der Innenwand einer großen Kaverne. Rechts der freie Rand der Kaverne. Links das zusammengepreßte luftleere Alveolargewebe. 100 fache Vergrößerung (cf. p. 498). Fig. 19. Ein Stückchen der in Fig. 18 abgebildeten Bazillenmasse (durch a bezeichnete Stelle) vom äußersten Rand der Kaverne l)ei 700 facher Vergrößerimg. Fig. 20. Stück vom Dünndarm mit einem tuberkulösen Geschwür, welches von frischen, den Lymph- gefäßen folgenden Tuberkeleruptionen umgeben ist. Von der Außenseite des Darmes ge- sehen (mit der Lupe gezeichnet). 3 fache Vergrößerung (cf. p. 503). Fig. 21. Schnitt in der Längsrichtung des in Fig. 20 gezeichneten Darmes durch einige Tuberkel- knötchen. a Serosa, b Längsmuskelschicht. c Quermuskelschicht. 70 fache Vergrößerung. Fig. 22. Eine der blau erscheinenden Stellen aus Fig. 21 bei 700 facher Vergrößerung. Fig. 23. Darmausleerung bei Darmphthisis. Deckglaspräparat, 700 fache Vergrößerung. Die Tuberkelbazillen blau-, die übrigen Bakterien braungefärbt. Rechts unten (a) eine Gruppe von mehr oder weniger intensiv blaugefärbteii eiförmigen Bazillensporen (cf. p. 504). Fig. 24. Schnitt aus einer skrofulösen Drüse. Riesenzelle mit einem Tuberkelbazillus. 700 fache Vergrößerung (cf. p. 507). Fig. 25. Sclimtt aus der Axillardrüse des auf p. 507 beschriebenen Falles von Lymplidrüsentuber- kulose. 700 fache Vergrößerung. 36* 564 Die Ätiologie der Tuberkulose. Fig. 26. Fungöses Granulationsgewebe mit Haufen von epithelioiden Zellen und zentral gelagerten Kiesenzellen. 70 fache Vergrößerung (cf. p. 507). Fig. 27. Eine der in Fig. 26 enthaltenen Riesenzellen (durch den Buchstaben a bezeichnet) bei 700 f acher Vergrößerung. Dieselbe enthält 2 Bazillen. Fig. 28. Tuberkulose des Bauchfells vom Meerschweinchen, nach Injektion von Eiter aus einem Senkungsabszeß (Wirbelkaries) in die Bauchhöhle. Zweimal vergrößert (cf. p. 535). Fig. 29. Schnitt aus lupöser Haut. Eiesenzelle mit einem Tuberkelbazillus. 700 fache Vergrößerung. Fig. 30. Schnitt aus lupöser Haut. 30 fache Vergrößerung. Links normale Haut, rechts 3 neben- einandergelagerte Lupusknötchen. Das am üieisten nach links gelegene Knötchen enthält die in Fig. 29 gezeichnete Riesenzelle. 20 fache VergTößerung (cf. p. 508). a Epidermis; b Cutis; c durchschnittene, schwach blaugefärbte Haare. Fig. 31. Schnitt aus einem Perlsuchtknoten der Lunge. Links oben die bindegewebige Kapsel (a), dann folgt ein zellenreiches, von Riesenzellen durchsetztes Gewebe (b). Die Riesenzellen sind mit Tuberkelbazillen so reichlich angefüllt, daß sie ztim Teil wie kleine, von einem braunen Wall umgebene blaue Flecke oder Kreise erscheinen. Stellenweise treten die Ttiberkelbazillen auch außerhalb der Riesenzellen in dichten Schwärmen auf und bilden blavie Stellen im Präparat. Nach dem Innern des Knotens zu (c) hört die Kernfärbung auf, es begiimt hier das nekrotische, zum Teil in käsige, zum Teil in kalkige Massen tun- gewandelte Gewebe, welches ursprünglich auch der Sitz einer reichlichen Bazillenvegetation war, wie die kranzförmig angeordneten Bazillenhaufen, die Reste ehemaliger bazillen- haltiger Riesenzellen, beweisen. 70 fache Vergrößerung (cf. p. 510). Fig. 32. Riesenzelle mit ziemlich vielen Bazillen aus dem in Fig. 31 abgebildeten Präparat. 700 fache Vergrößerung. Fig. 33. Riesenzelle nüt sehr vielen strahlenförmig angeordneten Bazillen; aus demselben Präparat. 700 fache Vergrößerung. Fig. 34. Strahlenförmig gestellte BazUlen, welche nach dem Verschwinden der sie einschließenden RiesenzeUe ihre ursprünghche Anordnung beibehalten haben; aus demselben Präparat. 700 fache Vergrößerung. Fig. 35. Reinkultur von TuberkelbazUlen (b) auf erstarrtem Blutserum (a) im Reagenzglas, Profil. Natürhche Größe (cf. p. 523). Fig. 36. Eine ebensolche Kultur, von der Fläche aus gesehen. Die Bazillenvegetation (a) beschränkt sich nur auf die Fläche des erstarrten Blutserums und hat die unten angesammelte Flüssig- keit (b) nicht erreicht, so daß letztere freigeblieben ist. Fig. 37. Eine Kvütur, welche die Flüssigkeit erreicht und deren Oberfläche in Form eines sehr dünnen Häutchens überzogen hat (a). (cf. p. 524.) Fig. 38. Erstarrtes Blutserum, auf dessen Oberfläche ein Stückchen von einer tuberkulösen Meer- schweinchenlunge (a) gebracht und verrieben war. Nach 3 Wochen waren bei Brüttemperatur in der Umgebung des Tuberkelstückchens kleine weißliche Schüppchen, die ersten Anfänge der Tuberkelbazillenkulturen, entstanden (cf. p. 522). Fig. 39. Vom Rande der in Fig. 36 abgebildeten Kultur, bei 30 facher Vergrößerung, die eigentüm- liche Anordnung der Bazillenkolonien zeigend (cf. p. 525). Fig. 40. Erstarrtes Blutsertun mit einigen Stückchen einer frisch exstirpierten skrofulösen Drüse (a). Die Zahl der Bazillen war in dem zur Aussaat benutzten Drüsengewebe so gering, daß beim Verreiben der Substanz auf dem erstarrten Blutserum keine Bazillen frei wurden und daher auch keine Bazillenkolonien in der Umgebung der Gewebsstückchen, sondern nur im Innern derselben zm" Entwicklung kamen. Die Kolonien erscheinen als dunklere Pünktchen in der halbdm'chscheinenden Drüsensubstanz. 3 fache Vergrößerung (cf. p. 523). Fig. 41. Viereckiges Glasnäpfchen mit aufgeschliffenem Glasdeckel (abgehoben). Dasselbe enthält erstarrtes Blutserum (a) und auf diesem Tuberkelbazillen-Kulturen (b). Natürliche Größe (cf. p. 525). Fig. 42. Aus der in Fig. 41 in natüi-licher Größe gezeichneten Kultur bei 80 facher Vergrößerung. Fig. 43. Netzförmig zusammenhängende Bazillenkolonien aus derselben Kultur. 80 fache Ver- größerung. Fig. 44. Kolonien von Tuberkelbazillen aus der in Fig. 41 gezeichneten Kultur, am Deckglas an- getrocknet und gefärbt. 700 fache Vergrößerung (cf. p. 525). Fig. 45. Kolonien von Tuberkelbazillen aus einem nekrotischen Herd der Leber vom Meerschwein- chen, welches mit Bazillenkulturen geimpft war (Schnittpräparat). 700 fache Vergrößerung (cf. p. 489). s. y Die Aetiologie der Tuberkulose. Die Aetiologie der Tuberkulose. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXII Die Aetiologie der Tuberkulose. I Koch, Gesammelte Werke Die Aetiologie der Tuberkulose. Koch, Gesammelte Werke 21. Tafel XXIV 1 f Die Aetiologie der Tuberkulose. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXV Die Aetiologie der Tuberkulose. Koch, Gesammelte Werke Tafei XXVI 1^ Die Aetiologie der Tuberkulose. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXVII Die Aetiolügie der Tuberkulose. Die Aetiologie der Tuberkulose. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXIX Die Aetiologie der Tuberkulose, Die Ätiologie der Tuberkvilose. 565 Fig. 46. Kolonien von Tuberkelbazillen a\is einem nekrotischen Herd der Niere vom Menschen (Schnittpräparat des Herrn Dr. B e n d a). 700 fache Vergrößerung. Fig. 47. Sporenhaltige TuberkcUiazillen aus der in Fig. 42 abgebildeten Kultur. Gezeichnet mit Z e i ß' Öliumiersion, Okiüar 4 und ausgezogenem Tubus. Fig. 48. Tuberkulöse Lunge vom ^Meerschweinchen. Nach Inhalation von Reinkulturen der Tuberkel- bazillen. Fig. 49. Ein Stück von der tuberkulösen Lunge eines Kaninchens. Ebenfalls nach Inlialation von Kulturen der Tuberkelbazillen. Nattii-liclie Größe. Fig. 50. Dasselbe bei 3 faclier Vergrößerung. Fig. 51. Hochgradig tuberkulöse Milz vom Meerschweinchen. Nach subkutaner Impfung von Ba- zillenktdtvu'en. Fig. 52. Kanincheimiilz mit Miliartuberkeln. Nach Injektion von Reinkultviren der Tuberkelbazillen in die vordere Augenkammer. Fig. 53. Hochgradig tuberkulöse Leber vom Meerschweinchen. Nach subkutaner Impfung mit Bazillenkulturen. Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen, welche bei der erfolgreichen Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten gemacht sind.') Von Dr. R. Koch. Die Aufgabe, mit welcher sich dieser Kongreß zu beschäftigen haben wird, ist eine der schwierigsten; aber auch eine der dankbarsten. Ich brauche wohl nicht von neuem auf die unzähligen Opfer hinzuweisen, welche die Tuberkulose in allen Ländern alljährhch verlangt, und auf das grenzenlose Elend, das sie in den von ihr befallenen Famihen anrichtet. Sie wissen alle, daß es keine Krank- heit gibt, welche der Menschheit so tiefe Wunden schlägt wie diese. Um so größer würde aber auch die Freude und die Genugtuung sein, wenn es gelänge, die Menschheit von diesem an ihrem innersten Marke zehrenden Feinde zu befreien. Von vielen wird allerdings bezweifelt, daß wir imstande seien, diese Krankheit, welche seit Jahrtausenden besteht und sich über die ganze Erde verbreitet hat, mit Erfolg zu bekämpfen. Dem möchte ich entschieden widersprechen. Wir können diesen Kampf mit sicher begründeter Aussicht auf Erfolg aufnehmen, und zwar schließe ich dies aus folgenden Gründen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war uns das eigentliche Wesen der Tuberkulose unbekannt, man hielt sie für eine Folge, gewissermaßen für den Ausdruck des sozialen Elends, und da man diese vermeintliche Ursache mit einfachen Mitteln nicht beseitigen konnte, so verheß man sich auf die zu erwartende allmähliche Besserimg der sozialen Zustände und tat nichts. Heute hegen in dieser Beziehung die Verhältnisse ganz anders. Wir wissen, daß das soziale Elend die Tuberkulose zwar wesenthch begünstigt, daß aber die eigenthche Ursache der Krankheit ein Parasit ist, also ein sichtbarer und greifbarer Feind, den wir ebenso verfolgen und vernichten können wie andere para- sitische Feinde des Menschen. EigentUch mußte man sich darüber, daß die Tuberkulose eine vermeidbare Krank- heit sei, schon damals klar sein, als der Tuberkelbazillus entdeckt wurde und als die Eigenschaften dieses Parasiten und die Art seiner Übertragung bekannt geworden waren. Ich kann auch wohl sagen, daß ich mir der vollen Tragweite dieser Entdeckung von vornherein bewußt gewesen bin, und so wird es jedem gegangen sein, der sich von dem ursächhchen Zusammenhang der Tuberkulose mit dem Tuberkelbazillus überzeugt hatte. Aber die Kräfte von wenigen Ärzten genügten doch nicht, um den Kampf gegen eine so tief in unseren Gewohnheiten und Sitten wurzelnde Krankheit aufzunehmen. Dazu ') Vortrag, gehalten auf dem Britischen Tuberkulosekongreß. — Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1901, Xr. 33. Die Bekämpfung der Tubeikulose vmter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. 5B7 gehört das Zusammenwirken vieler, womöglich aller Ärzte und die Mitwirkung des Staates sowohl als der Bevölkerung. Dieser Zeitpunkt, wo ein solches Zusammenwirken zu er- möghchen ist, scheint aber nunmehr gekommen zu sein. Es gibt wohl kaum noch einen Arzt, welcher die parasitäre Natur der Tuberkulose leugnet, und auch unter den Nicht- ärzten hat die Kenntnis vom Wesen der Krankheit weite Verbreitung gefunden. Hierzu kommt nun noch weiter, daß es in neuerer Zeit bereits gelungen ist, ver- schiedenen parasitären Krankheiten mit Erfolg entgegenzutreten, und daß wir von diesen Beispielen gelernt haben, in welcher Weise der Kampf gegen die Seuche zu führen ist. Die wichtigste Lehre, welche wir dabei gewonnen haben, ist die, daß es ganz ver- kehrt ist, die Seuchen nach einem allgemeinen Schema zu behandeln. In früheren Zeiten ist man so verfahren; mochte es sich beispielsweise um Cholera oder Pest oder Lepra handeln, es wurden immer Absperrungsmaßregeln, Quarantänen, zwecklose Desinfektion angeordnet. Jetzt wissen wir dagegen, daß jede Krankheit entsprechend ihrer besonderen Art und Weise zu behandeln ist und daß die dagegen anzuwendende]! Maßregeln aufs genaueste dem besonderen Wesen, der Ätiologie der Seuche angepaßt sein müssen. Nur wenn wir diese Lehre bei der Bekämpfung der Tuberkulose beständig im Auge behalten, dürfen wir auf Erfolg rechnen. Da gerade auf diesen Punkt so außerordentlich viel ankommt, werde icli mir erlauben, denselben an einigen Beispielen zu erläutern. Diejenige Seuche, welche augenblicklich im Vordergrunde des Interesses steht, die Bubonenpest, kann für uns in mehrfacher Beziehung lehrreich seiji. Früher ging man von der Überzeugung aus, daß der pestkranke Mensch im höchsten Grade ansteckend sei und daß die Krankheit nur durch pestki anke Menschen und deren Effekten verschleppt werde. Auf diesem Standpunkte stehen noch die neuesten inter- nationalen Vereinbarungen. Obwohl wir nun gegen die früheren Zustände den großen Vorteil voraus haben, daß wir mit Hihe des Mikroskops und des Tierexperimentes im- stande sind, jeden einzelnen Fall von Pest mit absoluter Sicherheit zu erkennen, und obwohl mit größter Sorgfalt die angeordnete Schiffsinspektion. Quarantäne, die Isolierung der krank befundenen Personen, die Desinfektion der infizierten Wohniurgen und Scliiffe durchgeführt sind, so ist doch die Pest überall hin verschleppt und hat an manchen Stellen eine bedenkliche Ausbreitung gewonnen. Worin dies seinen Grund hat, wissen wir m- folge der in neuester Zeit gewonnenen Erfahrungen über die Infektionsweise der Pest sehr gut. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß nur diejenigen Pestkranken ansteckend sind, welche an Pestpneumonie leiden, ein Zustand, welcher glücklicherweise nicht oft vorkommt, und daß die eigentliche Verschleppung der Pest durch die Ratten statt- findet. Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß in den allermeisten Fällen, wenn nicht in allen von Verschleppung der Pest durch den überseeischen Verkehr dieselbe durcli- Pest unter den Schiffsratten bewerkstelligt wurde. Auch hat sich gezeigt, daß überall da, wo bewußt oder unbewußt die Ratten vertilgt wurden, die Pest schnell verschwand, während sie an anderen Orten, wo man sich um die Rattenpest zu wenig gekümmert hat, die Seuche ihren Fortgang genommen hat. Dieser Zusammenhang menschlicher Pest mit der Rattenpest war bis dahin vöUig unbekannt, und so kann man auch denjenigen, welche die jetzt geltenden Maßregeln gegen die Pest geschaffen haben, keinen Vorwm-f daraus machen, wenn ihre Anordnungen erfolglos geblieben sind. Aber es ist hohe Zeit, daß auch im internationalen Verkehr dieser erweiterten Erkenntnis der Pestätiologie Rechnung getragen wird. Da die Menschenpest sich in einem solchen Abhängigkeits- verhältnis von der Rattenpest befindet, so ist es auch erklärlich, dal3 die Schutzimpfung und die Anwendung von Heilserum so wenig Effekt gehabt haben. Es mögen dadurch eine gewisse Anzahl von Menschen vor der Krankheit bewahrt geblieben sein, aber die Ausbreitung der Seuche im ganzen ist dadurch nicht im geringsten gehindert. 568 Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei der Cholera. Dieselbe kann unter Umständen auch direkt von Menschen auf andere Menschen übertragen werden, aber die hauptsächlichste und gefährüchste Verbreitung derselben geschieht durch das Wasser, und es müssen deswegen die Choleramaßregeln in erster Linie gegen diesen Punkt ge- richtet werden. In Deutschland, wo man nach diesem Grundsatze gehandelt hat, ist es gelungen, vier Jahre hindurch die immer wieder aus den verseuchten Nachbarländern eingeschleppte Seuche ohne Anwendung von Absperrungsmaßregeln und ohne sonstige Behinderung des Verkehrs regelmäßig auszurotten. In gewisser Beziehung lehrreich kann für uns auch die Hundswut sein. Gegen diese Krankheit hat die sogenannte eigenthche Schutzimpfung sich als ein hervorragend wirksames Mittel erwiesen, um den Ausbruch der Krankheit bei bereits infizierten Men- schen zu verhindern; aber zur Verhütung der Infektion selbst kann eine derartige Maß- regel selbstverständlich nichts beitragen. Die eigentliche Bekämpfung für diese Seuche kann nur durch den Maulkorbzwang geschehen. Auch in dieser Beziehung hat man in Deutschland die besten Erfalu'ungen gemacht, aber zugleich gesehen, daß die voll- kommene Ausrottung der Seuche nur durch internationale Maßregeln erreicht werden kann, da die Hunds wut, welche sehr leicht und schnell zu unterdrücken ist, Jahr für Jahr aus den Nachbarländern wieder eingeschleppt wird. Nur noch eine Krankheit gestatten Sie mir hier anzuführen, weil sie ätiologisch der Tuberkulose sehr nahe steht und wir von ihrer erfolgreichen Bekämpfung für unsere Zwecke manches entnehmen können. Es ist dies die Lepra. Sie wird durch einen Para- siten bedingt, welcher dem Tuberkelbazillus sehr ähnUch ist. Sie braucht ebenso wie die Tuberkulose eine lange Zeit, ehe sie nach erfolgter Ansteckung zum Ausbruch kommt, und sie verläuft fast noch langsamer und schleppender als diese. Die Ansteckung ge- schieht nur von Mensch auf Mensch, aber nur dann, wenn Kranke und Gesunde in nahe Berülrrung treten, wie es in engen Wohnungen und Schlafräumen der Fall ist. Bei dieser Krankheit spielt also die unmittelbare Übertragung die Hauptrolle, Übertragungen durch Tiere, Wasser oder dergleichen kommen nicht in Betracht. Die Maßregeln müssen sich also gegen diesen engen Verkehr der Kranken mit den Gesunden richten. Dies kann nur durch Isolierung der Kranken geschehen. Im Mittelalter ist dies in strengster Weise mit Hilfe zahlreicher Leproserien durchgeführt und dadurch die Lepra, welche eine erschreckende Ausbreitung gewonnen hatte, in Mitteleuropa vollkommen ausgetilgt. In neuester Zeit ist in Norwegen dasselbe System befolgt und durch ein eigenes Gesetz die Internierung der Leprösen angeordnet. Nun ist es aber im höchsten Grade inter- essant zu sehen, wie dies Gesetz gehandhabt ist. Es hat sich gezeigt, daß es gar nicht notwendig war, dasselbe streng durchzuführen, denn es genügte schon die Internierung der schlimmsten Fälle und auch nur eines Teiles derselben, um ein Abnehmen der Lepra herbeizuführen. Es mußten nur so viele Ansteckende den Leproserien überwiesen werden, daß die Anzahl der Neuangesteckten von Jahr zu Jahr immer geringer wurde. Es zog sich infolgedessen die Ausrottung der Krankheit über einen weit längeren Zeitraum hin, als wenn man, wie im Mittelalter, jeden Leprakranken unerbitthch in die Lepro- serien gesteckt hatte, aber man erreicht auch so denselben Zweck, zwar langsam, aber ohne jede Härte. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, worauf ich hinaus will, nämlich darauf hinzuweisen, daß man bei der Bekämpfung von Seuchen das Übel an der Wurzel treffen muß und nicht die Kräfte auf nebensächhche unwirksame Maßregeln vergeuden soll. Es fragt sich nun, ob das, was bisher gegen die Tuberkulose geschehen und was noch weiter in Aussicht genommen ist, auch wirklich die Tuberkulose an ihrer Wurzel trifft, so daß sie über kurz oder lang verdorren muß. Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. 569 Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir uns vor allem darüber orientieren, wie die Ansteckung bei der Tuberkulose zustande kommt. Selbstverständlich gehe ich dabei von der Voraussetzung aus, daß wir unter Tuber- kulose nur diejenigen Krankheitszustände verstehen, welche durch den Tuberkelbazillus verursacht sind. In , der weitaus überwiegenden Zahl der Erkrankungen an Tuberkulose hat die Krankheit ihren Sitz in den Lungen und sie hat auch an dieser Stelle begonnen. Mit Recht wird daraus geschlossen, daß der Krankheitskeim, d. h. die Tuberkelbazillen, durch Einatmung in die Ltuige gelangt sein müssen. Auch darüber, woher die mit der Atmungsluft in die Lunge gedrungenen Tuberkelbazillen stammen, besteht keine LTngewißheit. Man weiß im Gegenteil mit aller Bestimmtheit, daß dieselben mit dem Auswurf der Schwindsüchtigen in die Luft gelangen. Dieser Auswurf enthält, namentlich im vorgeschrittenen Stadium der Krankheit fast immer Tuberkelbazillen, manchmal in unglaublichen Mengen. Schon beim Husten und selbst beim Sprechen wird er in Tröpf- chenform, also in feuchtem Zustande in die Luft geschleudert und kann ohne weiteres zur Infektion von Personen dienen, welche sich in der Nähe des hustenden Schwind- süchtigen befinden. Dann aber kann er auch in getrocknetem Zustande, z. B. in Wäsche, oder auf dem Fußboden zerrieben werden und in Staubform in die Luft gelangen. Es hat sich in dieser Weise ein uniuiterbrochener Kreis, ein sogenannter Circulus vitiosus, für den Ansteckimgsvorgang gebildet: von der erkrankten Lunge, welche tuberkelbazillenhaltigen Schleim und Eiter produziert, bis zur Bildung von fexichten und trockenen Partikelchen, welche vermöge ihrer Kleinheit sich längere Zeit schwebend in der Luft halten können, und schließlich bis zur neuen Infektion, wenn Teilchen mit der Atmungsluft in eine gesunde Lunge eindringen und den Krankheitsprozeß von neuem entstehen lassen. Auf demselben Wege können die Tuberkelbazillen aber auch zu anderen Organen des Körpers gelangen und so andere Formen der T\iberkulose ent- stehen lassen. Doch das ist erheblich seltener der Fall. In dem Auswurf der Schwind- süchtigen haben wir also die Hauptquelle der Infektion für Tuberkulose zu sehen. Dar- über sind auch wohl alle einig. Es entsteht nun die Frage, ob nicht daneben noch andere Quellen existieren, welche so reichlich fließen, daß sie bei der Bekämpfimg der Tuber- kulose berücksichtigt werden müssen. In dieser Beziehung hat man früher der Vererbung der Tuberkulose eine große Bedeutung beigemessen. Nachdem man aber durch gründhche Nachforschung sich davon überzeugt hat, daß eine hereditäre Tuberkulose zwar nicht gänzlich fehlt, aber doch mir außerordentlich selten vorkommt, so können wir diese Entstehung der Tuber- kulose für unsere praktischen Maßnahmen ganz außer acht lassen. Aber eine andere Möglichkeit der Tuberkuloseinfektion besteht, wie allgemein angenommen wird, in der Übertragung des Krankheitsstoffes von tuberkulösen Tieren auf den Menschen. Diese Infektionsweise wird heutzutage allgemein als erwiesen an- gesehen und für so häufig vorkommend erachtet, daß sie von manchen geradezu als die wichtigste angesehen wird und daß die strengsten Maßregeln dagegen verlangt werden. Auch auf diesem Kongresse werden die Verhandlungen über die Gefahr, welche dem Menschen von der Tiertuberkulose droht, einen wichtigen Teil bilden. Da ich nun aber durch meine LTntersuchungen zu einer Ansicht gekommen bin. welche von der allgemein geltenden abweicht, so bitte ich im Hinblick auf die große Bedeutung dieser Frage zu gestatten, daß ich dieselbe ein wenig eingehender erörtere. Eine echte Tuberkulose ist bisher bei fast allen Haustieren beobachtet. Am häu- figsten beim Geflügel und bei Rindern. Die Geflügeltuberkulose hat indessen so viel Abweichendes von der menschlichen Tuberkulose, daß wir diese, als für eine Infektion 570 Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. des Menschen nicht in Frage kommend beiseite lassen können. Es bleibt also eigentlich 2iur die Rindertuberkulose zu berücksichtigen, welche, wenn sie in Wirklichkeit auf den Menschen übertragbar ist, durch den Genuß von Milch und Fleisch kranker Tiere in der Tat außerordentlich häufig Gelegenheit zur Infektion bieten würde. Schon bei meiner ersten ausführlichen Veröffentlichung über die Ätiologie der Tuberkulose habe ich mich über die Identität der menschlichen und der Rindertuber- kulose zurückhaltend ausgesprochen. Es fehlten mir damals sichere Anhaltspunkte, um diese beiden Arten der Krankheit scharf auseinander zu halten, aber ebenso fehlte es an sicheren Beweisen für die völlige Übereinstimmung derselben, und ich mußte deswegen die Entscheidung dieser Frage offen lassen. Um dieselbe zu einem Abschluß zu bringen, habe ich später die darauf bezügUchen Untersuchungen mehrfach wieder aufgenommen, bin aber, solange ich an kleinen Tieren, wie Kaninchen und Meerschwein- chen experimentierte, nicht zvi einem befriedigenden Resultat gekommen, obwohl es nicht an Andeutungen fehlte, welche eine Verschiedenheit der beiden Tuberkulose- formen wahrscheinhch machten. Erst als mir durch das Entgegenkommen des Ministe- riums für Landwirtschaft die Möghchkeit geboten wurde, an Rindern, den für diese Untersuchungen allein maßgebenden Tieren, zu experimentieren, bin ich zu vollkommen entscheidenden Resultaten gelangt. Von den Experimenten, welche ich in Gemeinschaft mit Prof. Schütz von der tierärztlichen Hochschule in Berlin während der letzten beiden Jahre ausgeführt habe, will ich hier nur einige der wichtigsten kurz anführen. Eine Anzahl von jungen Rindern, welche die Tuberkulinprobe bestanden hatten und somit als frei von Tuberkulose gelten konnten, wurden auf verschiedene Weise mit TuberkelbaziUen , welche von menschlicher Tuberkulose stammten, infiziert; einige erhielten auch direkt den bazillenhaltigen Auswurf von Schwindsüchtigen. Es wurden mehreren Tieren die Tuberkelbazillen, bzw. das Sputum, unter die Haut ge- spritzt, anderen in die Bauchhöhle, anderen in die große Halsvene; sechs Tiere wurden 7 bis 8 Monate lang fast tägüch mit bazillenhaltigem Sputum gefüttert; vier Tiere in- haherten wiederholt große Mengen von Bazillen, welche in Wasser aufgeschwemmt waren und mit diesem verstäubt wurden. AUe diese Rinder, im ganzen 19, zeigten keine Krankheitserscheinungen, sie nahmen an Gewicht bedeutend zu. 6 bis 8 Monate nach Beginn der Versuche wurden sie getötet. In ihren inneren Organen fand sich keine Spur von Tuberkulose. Nur an den Injektionsstellen hatten sich kleine Eiterherde gebildet, in denen wenige Tuberkelbazillen nachgewiesen werden konnten. Es ist dies derselbe Befund, den man erhält, wenn man ansteckungsfähigen Tieren abgetötete Tuberkelbazillen unter die Haut bringt. Unsere Versuchstiere verhielten sich also den lebenden menschhchen Tuberkelbazillen gegenüber so, als ob man ihnen tote Bazillen beigebracht hätte. Sie waren absolut unempfänglich dafür. Als nun aber dasselbe Experiment an tuberkulosefreien Rindern mit Tuberkel- baziUen angestellt wurde, welche aus der Lunge eines perlsüchtigen Rindes stammten, war der Verlauf ein vollkommen anderer. Die infizierten Tiere erkrankten nach einer Inkubationszeit von etwa einer Woche ausnahmslos an den schwersten tuberkulösen Veränderungen der inneren Organe. Es war dabei ganz gleich, ob ihnen der Infektions- stoff nur unter die Haut gebracht oder in die Bauchhöhle oder in die Blutbahn injiziert wurde. Es trat hohes Fieber ein, die Tiere wurden schwach, magerten ab und starben teilweise nach 1% bis 2 Monaten, teilweise wurden sie in schwerkrankem Zustande nach Ablauf von drei Monaten getötet. Es fanden sich bei der Obduktion starke tuber- kulöse Infiltrationen an der Injektionsstelle, in den benachbarten Lymphdrüsen und weit vorgeschrittene tuberkulöse Veränderungen der inneren Organe, hauptsächlich der Lungen und Milz. Durch die Injektion in die Bauchhöhle wurden auch die für Perl- Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. 571 sucht SO charakteristischen tuberkulösen Wucherungen auf dem Netz und Bauclifell erzeugt. Die Rinder erwiesen sich somit in ebenso hohem Maße empfänglich für die In- fektion mit dem Bazillus der Rindertuberkulose, wie sie unempfänglich geblieben waren für den Bazillus der Menschentuberkulose. Ich möchte hier nur noch darauf aufmerksam machen, daß im Museum of Pathology and Bacteriology Präparate von den Organen der Rinder, welche in diesen Versuchen künstlich perlsüchtig gemacht wurden, aus- gestellt sind. Ein fast ebenso scharfer Unterschied zwischen der Tuberkulose des Menschen und des Rindes zeigte sich bei einem Füttenuigsversuch an Schweinen. Sechs junge Schweine wurden drei Monate lang täglich mit dem bazillenhaltigen Auswurf von Schwind- süchtigen gefüttert. Sechs andere Schweine erhielten ebensolange täglich mit ihrem Futter Perlsuchtbazillen. Die mit Sputum gefütterten Tiere blieben gesund und wuchsen kräftig heran, die mit Perlsucht lunge gefütterten dagegen wurden bald kränklich und blieben im Wachstum zurück, und die Hälfte davon starb. Nach Monaten wurden die überlebenden Schweine sämtlich getötet imd untersucht. Bei den mit Sputum gefütterten Tieren fand sich keine Spur von TuVjerkulose, mit Ausnahme vereinzelter kleiner Knötchen in den Halslymphdrüsen und in einem Falle wenige graue Knötclien in der Lunge. Die Tiere dagegen, welclie Perlsuchtbazillen gefressen hatten, zeigten wiederum ausnahmslos schwere tuberkulöse Erkrankungen, besonders tuberkulöse In- filtration der stark vergrößerten Halslymphdrüsen und der Mesenterialdrüsen , und regelmäßig fand sich auch ausgebreitete Tuberkulose der Lungen und Milz. Aiich bei Eseln, Schafen und Ziegen, denen die beiden Arten von Tuberkelbazillen in die Blutbahn injiziert wurden, trat der Unterschied zwischen menschlicher xind Rinder- tuberkulose in ebenso scharfer Weise hervor. Übrigens muß ich erwähnen, daß unsere Versuche nicht die einzigen sind, welche zu einem derartigen Ergebnis geführt haben. Wenn man die ältere Literatur durch- forscht und die Berichte über die zahlreichen Experimente zusammensucht, welche früher mit Verfütterung von tuberkulösem Material an Kälbern, Schweinen und Ziegen von Chauveau, Günther und Harms, Bollinger, Dam mann und anderen ausgeführt sind, so ergibt sich, daß die mit Milch und Lungenstücken von perlsüchtigen Rindern gefütterten Tiere regelmäßig an Tuberkulose erkrankten, während die mit menschlichem Material gefütterten nicht tuberkulös wurden. In neuester Zeit sind von S m i t h, D i n w i d d i e und R e p p in Nordamerika vergleichende Untersuchungen über menschliche und Rindertuberkulose angestellt und dabei mit den unserigen über- einstimmende Resultate erzielt. Wenn unsere Experimente so eindeutig und vollkommen beweisend ausgefallen smd, so liegt dies daran, daß wir solche Arten der Infektion ge- Avählt haben, welche aUe Fehlerquellen ausschheßen. und außerdem soi-gfältig in bezug auf Stallung, Futter und Wartmig der Tiere alles vermieden haben, was störend auf den Verlauf des Experimentes einwirken konnte. In Berücksichtigung aUer dieser Tatsachen halte ich mich zu der Behauptung berechtigt, daß die menschliche Tuberkulose von der Rmdertuberkulose verschieden ist und daß die menschliche Tiiberkulose auf das Rind nicht übertragen werden kann. Es erscheint mir aber sehr wünschenswert, wenn auch an anderen Orten diese Versuche wiederholt werden, um jeden Zweifel an der Richtigkeit meiner Behauptung zu be- seitigen. Hierzu möchte ich nur noch bemerken, daß misere Regierung sich wegen der großen Bedeutung dieser Angelegenheit entschlossen hat, eine Kommission zu ernennen, welche dieselbe weiter verfolgen soll. i 572 Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. Wie steht es nun aber mit der Empfänglichkeit des Menschen für die Rinder- tuberkulose ? Diese Frage ist für uns doch noch weit wichtiger als die Unempfänghch- keit des Rindes für Menschentuberkulose. Eine direkte Beantwortung dieser Frage ist nicht möglich, weil selbstverständüch die experimentelle Prüfung derselben am Menschen ausgeschlossen ist. Aber wir können ihT auf indirektem Wege näherzutreten versuchen. Bekannthch enthält die Milch und die Butter, welche in großen Städten konsumiert wird, sehr oft und in nicht unbeträchtlicher Menge die Bazillen der Perl- sucht im lebenden Zustande, wie die zahlreichen Infektionsversuche mit solchen Molkerei- produkten an Tieren bewiesen haben. Die meisten Bewohner dieser Städte genießen täglich derartige lebende und vollvirulente Perlsuchtbazillen und führen, ohne es zu beabsichtigen, das Experiment aus, welches wir nicht anstellen dürfen. Wenn die Perl- suchtbazillen für den Menschen infektiös sind, dann müssen unter der Bevölkerung der großen Städte, namentlich unter den Kindern sehr viele Fälle von Tuberkulose vor- kommen, welche auf den Genuß von tuberkelbazillenhaltigen Nahrungsmitteln zurück- zuführen sind. Von den meisten Ärzten wird auch angenommen, daß es sich tatsächlich so verhält. Aber in Wirklichkeit ist dies nicht der Fall. Eine durch Nahrungsmittel entstandene Tuberkulose können wir mit Sicherheit nur dann annehmen, wenn der Darm zuerst erkrankt, Avenn eine sogenannte primäre Darm tuberkulöse gefunden wird. Dieser Be- fund ist aber außerordenthch selten. Ich selbst erinnere mich unter vielen Obduktionen von Tuberkulösen nur zweimal primäre Darmtuberkulose gesehen zu haben. Unter dem großen Obduktionsmaterial des Charitekrankenhauses in Berlin kamen in fünf Jahren nur zehn Fälle von primärer Darmtuberkulose vor. Baginsky fand im Kaiser- und Kaiserin-Friedrich-Kinder-Krankenhause unter 933 Fällen von Tuberkulose bei Kindern niemals eine Darmtuberkulose ohne gleichzeitige Erkrankung der Lunge und Bronchialdrüsen, Biedert beobachtete unter 3104 Obduktionen tuberkulöser Kinder nur 16 Fälle primärer Darmtuberkulose. Ich könnte Ihnen aus der Literatur noch eine Menge derartiger Zalilen zitieren, aus denen allen unzweifelhaft hervorgeht, daß die primäre Darintuberkulose, insbesondere bei Kindern, ein verhältnismäßig seltenes Leiden ist. Und von diesen wenigen Fällen, welche aufgezählt werden, steht noch gar nicht einmal fest, daß es sich dabei um Infektion durch Rindertuberkulose gehandelt hat. Es konnte ebensogut menschliche Tuberkulose sein, welche durch die vielverbreiteten und auf ii'gendeine Weise in den Verdauungskanal, z. B. durch Verschlucken von Mundspeichel, gelangten menschlichen Tuberkelbazillen entstanden war. Bisher war in solchen Fällen niemand imstande, mit Sicherheit zu entscheiden, ob die vorgefundene Darmtuber- kulose menschüchen oder tierischen Ursprungs war. Jetzt können wir die Diagnose stellen. Es ist nur nötig, die Tuberkelbazillen aus dem tuberkulösen Material in Reinkultur zu züchten und durch Verimpfung auf Rinder darauf zu prüfen, ob sie der Rindertuber- kulose angehören. Ich empfehle zu diesem Zwecke die subkutane Injektion, welche ganz besonders charakteristische und überzeugende Resultate gibt. Seit einem halben Jahre bin ich mit derartigen Untersuchungen beschäftigt, habe aber wegen der Selten- heit solcher Erkrankungen nur wenige Fälle zur Untersuchung bekommen können. Was sich dabei bis jetzt ergeben.hat, spricht nicht dafür, daß die Perlsucht beim Menschen vorkommt. Wenn die wichtige Frage, ob der Mensch überhaupt empfänglich für Perlsucht ist, auch noch nicht vollkommen entschieden ist und sich sobald noch nicht entscheiden lassen wird, so kann man doch jetzt schon sagen, daß, wenn eine derartige Empfänglich- keit bestehen sollte, die Infektion von Menschen nur sehr selten vorkommt. Den Umfang der Infektion durch Mich, Butter imd Fleisch von perlsüchtigen Tieren möchte ich kaum Die Bekäinpfuno; der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. 573 größer schätzen, als denjenigen durch Vererbung, und ich halte es deswegen für nicht geboten, irgendwelche Maßregeln dagegen zu ergreifen. Somit bleibt denn als die Hauptquelle für die Tuberkuloseinfektion nur noch das Sputum der Schwindsüchtigen, und auf die Verhütung der aus der Verbreitung des- selben entstehenden Gefahren haben sich die Maßregeln zur Bekämpfung der Tuber- kulose zu richten. Was hat nun in dieser Beziehung zu geschehen '. Es lassen sich ver- schiedene Wege einschlagen. Zunächst könnte man daran denken, alle an Lungentuber- kulose Leidenden, welche in ihrem Sputum Tuberkelbazillen haben, in geeignete Anstalten zu bringen. Das ist aber nicht allein gänzlich unausführbar, sondern auch unnötig. Denn der Schwindsüchtige, Avelcher Tuberkelbazillen aushustet, ist damit an und für sich noch nicht ansteckend, sofern er nur dafür sorgt, daß sein Auswurf in richtiger Weise beseitigt und unschädlich gemacht wird. Dies trifft gewiß für sehr viele, namentlich in den ersten Stadien befindliche Ki-anke zu und ebenso für die der wohlhabenden Klasse angehörigen Schwindsüchtigen, welche sich die erforderliche Pflege beschaffen können. Aber wie sieht es bei den Unbemittelten aus ? Jeder Arzt, welcher häufig in die Wohnun- gen der Armen gekommen ist, und ich kann hierüber aus eigenen Erfahrungen reden, weiß, wie traurig sich da das Los der Schwindsüchtigen und ihrer Familien gestaltet. Die ganze Familie ist auf ein oder zwei enge, schleclit ventilierte Räume angewiesen. Der hilfsbedürftige Schwindsüchtige ist ohne Pflege, weil die leistungsfähigen Mitglieder der Familie auf Arbeit gehen müssen. Wie kann unter solchen Verhältnissen für die notwendige Reinlichkeit gesorgt werden l Wie soll ein solcher hilfloser Kranker seinen Auswurf so beseitigen, daß er keinen Schaden mehr anrichtet \ Nun male man sich aber noch weiter aus, wie sich die Zustände in der Wohnung des unbemittelten Schwind- süchtigen des Nachts gestalten. Da schläft die ganze Familie zusammengedrängt in einem engen Raum. Der SchAvindsüchtige verstreut beim Husten, auch wenn er noch so vorsichtig ist, den von seiner kranken Lunge abgesonderten Krankheitsstoff, und seine in nächster Nähe befindlichen Angehörigen müssen dieses Gift einatmen. In solcher Weise werden ganze Familien infiziert. Sie verfallen dem Schicksal des Aus- sterbens und erweckten bei denen, welche die Ansteckungsfähigkeit der Tuberkulose noch nicht kannten, den Anschein, als sei die Tuberkulose vererbbar, während es sich dabei doch nur um die einfachsten Ansteckungsvorgänge handelt, welche deswegen nicht so in die Augen springend sind, weil die Folgen der Ansteckung nicht sofort, sondern gewöhnlich erst nach Jahren zum Vorschein konnnen. Oft bleibt unter solchen Verhältnissen die Ansteckung nicht auf eine einzelne Famihe beschränkt, sondern sie greift in dicht bewohnten Mietshäusern auf benach- barte Familien über, \md es entstehen dann, wie die ausgezeichneten Untersuchungen von B i g g s für die dichtbevölkerten Stadtteile von New York gezeigt haben, förmhche Nester oder Krankheitsherde. Untersucht man nun aber diese Verhältnisse genauer, dann stellt es sich heraus, daß es nicht etwa die Armut an und für sich ist, welche die Tuberkulose begünstigt, sondern die schlechten Wohnungsverhältnisse sind es, unter denen sich die LTnbemittelten überall und hauptsächlich in den großen Städten befinden. Denn die Tubei-kulose ist, wie die Statistik für Deutschland lehrt, auch unter den Armen weniger häufig, wenn sie nicht dicht gedrängt leben, imd kann unter einer wohl- habenden Bevölkerung sehr stark vertreten sein, wenn die Wohnungsverhältnisse, nament- lich in bezug auf die Schlafräume, ungünstig sind, wie es beispielsweise bei den Bewohnern unserer Nordseeküste der Fall ist. Also die überfüllten Wohnungen der Armen sind es, welche wir als die eigentlichen Brutstätten der Tuberkiilose anzusehen haben; aus ihnen erwächst uns die Krankheit 574 Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. immer von neuem, und an die Be.seitigung dieser Zustände müssen wir in erster Linie denken, wenn wir das Übel an der Wurzel angreifen und den Kampf gegen die Tuber- kulose mit wirksamen Waffen aufnehmen wollen. Es ist nun sehr erfreulich zu sehen, wie man fast in allen Ländern bestrebt ist, die Wohnungsverhältnisse für die L^nbemittelten zu verbessern. Ich bin auch davon überzeugti, daß durch diese Bestrebungen, welche in jeder Beziehung gefördert werden müssen, eine erhebliche Verminderung der Tuberkulose erreicht werden wird. Aber es wird doch eine lange Zeit in Anspruch nehmen, ehe auf diesem Gebiete wesentliche Veränderungen geschaffen werden können, und es läßt sich inzwischen vieles tun, um sehr viel schneller zum Ziele zu kommen. Wenn wir also vorläufig nicht imstande sind, die Gefahr, welche die engen, über- füllten Wohnungen mit sich bringen, zu beseitigen, so bleibt nichts anderes übrig, als die Ki'anken daraus zu entfernen und sie in ihrem eigenen Interesse und in demjenigen ihrer Umgebung besser unterzubringen, und das kann nur in geeigneten Krankenanstalten geschehen. Ich denke dabei aber nicht im entferntesten daran, den Kranken irgend- welchen Zwang anzutun, möchte ihnen aber eine zweckmäßige Krankenpflege in besserer W^eise ermöglichen, als es jetzt der Fall ist. Zurzeit gilt der Schwindsüchtige im vor- geschrittenen Stadium seiner Krankheit als unheilbar und als ein für Heilanstalten wenig geeignetes Objekt. Er wird deswegen nicht gern aufgenoiaimen und, sobald es sich irgend machen läßt, wieder aus den Krankenanstalten entlassen. Auch der Kranke selbst hat, wenn er keinen Erfolg von der Behandlung sieht und die Kosten infolge der langen Dauer seiner Krankheit schwer auf ihm lasten, den Wunsch, das Hospital bald wieder zu verlassen. Das würde ganz anders werden, wenn wir Spezialhospitäler für Schwindsüchtige hätten und die Kranken in diesen Anstalten unentgeltlich oder doch für sehr mäßiges Kostgeld verpflegt würden. In solche Anstalten würden die Kranken gern gehen, sie könnten dort weit besser behandelt und verpflegt werden, als es jetzt der Fall ist. Ich weiß recht wohl, daß die Ausführung dieses Vorschlags wegen der erheblichen damit verbundenen Kosten auf große Schwierigkeiten stoßen wird. Aber es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn wenigstens in den bereits bestehenden Hospi- tälern, welche doch jetzt schon eine große Zahl von Schwindsüchtigen aufnehmen müssen, besondere Abteilungen für diese Kranken geschaffen würden, in denen ihnen pekuniäre Erleichterungen geboten werden. Wenn auch nur ein erheblicher Bruchteil der Schwind- süchtigen auf solche Weise zweckmäßig untergebracht wird, dann muß dies eine Ab- nahme der Infektion und damit der Tuberkulose im ganzen zur Folge haben. Ich er- innere in dieser Beziehung an das, was ich über die Lepra mitgeteilt habe. Auch bei dieser Krankheit hat man schon große Erfolge dadurch erzielt, daß man nur einen Teil der Kranken in Anstalten unterbrachte. Das einzige Land, welches eine größere Zahl von Spezialhospitälern für Tuberkulöse besitzt, ist England, und es unterliegt keinem Zweifel, daß der Rückgang der Tuberkulose in England, welcher viel bedeutender ist als in irgendeinem anderen Lande, zum großen Teil dem Vorhandensein solcher Hospi- täler zu verdanken ist. Die Begründung von Spezialhospitälern für Schwindsüchtige und die bessere Verwertung der bereits bestehenden Hospitäler für die Unterbringung der Schwindsüchtigen möchte ich als die wichtigste Maßregel in der Bekämpfung der Tuberkulose bezeichnen, und es eröffnet sich zur Durchführung derselben ein reiches Feld der Tätigkeit für den Staat, für die Kommunen und für die Privatwohltätigkeit. Es gibt viele Menschen, welche über große Reichtümer verfügen und gern bereit wären, von ihrem Überfluß zum Wohl ihrer armen und vom Schicksal schwer gebeugten Mit- menschen abzugeben, aber nicht wissen, wie sie dies in zweckmäßiger Weise bewerk- stelhgen soUen. Hier bietet sich ihnen die Gelegenheit, sich ein wahres und dauerndes Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. 575 Verdienst durch Stiftungen für Schwindsüchtigen-Hospitäler oder Freistellen für Schwind- süchtige in besonderen Abteilungen anderer Hospitäler zu erwerben. Da wir aber voraussichthch auf die Hilfe des Staates, der Konnuunen und der reichen Wohltäter leider wohl noch lange zu warten haben, so müssen wir vorläufig andere Maßregeln ergreifen, welche der eben erwähnten Hauptmaßregel die Wege ebenen, zu ilirer Ergänzung und zum vorläufigen Ersatz dienen können. In dieser Beziehung scheint mir die Anzeigepflicht von besonderem Wert zu sein. Dieselbe hat sich bei allen ansteckenden Krankheiten als unentbehrlich erwiesen, um über den Stand derselben, ihre Ausbreitung, Zunahme und Abnahme sichere Kenntnis zu gewinnen. Auch im Kampf gegen die Tuberkulose können wir auf die Anzeigepfücht nicht verzichten, wir brauchen sie nicht nur zur Orientierung über die Ausbreitung der Krankheit, sondern hauptsächlich um zu erfahren, wo helfend und belehrend einzu- greifen ist, namentlich auch, wo die bei Todesfällen und beim Wohnungswechsel von Schwindsüchtigen so dringend erforderhchen Desinfektionen vorzunehmen sind. Glück- hcherweise ist es gar nicht erforderlich, etwa alle an Tuberkulose Erkrankte anzuzeigen, auch nicht einmal alle Schwindsüchtigen sind der Anzeigepflicht zu unterwerfen, sondern nur diejenigen, welche mit Rücksicht auf ihre Wohnimgsverhältnisse für ihre Umgebung gefährlich sind. Eine derartige eingeschränkte Anzeigepflicht ist bereits mehrfach ein- geführt. So in Norwegen durch ein besonderes Gesetz, in Sachsen durch einen Ministerial- erlaß, in New York und, den Beispielen dieser Stadt folgend, in mehreren anderen amerikanischen Städten. Diese Maßregel hat sich in New York, wo sie zuerst fakultativ eingeführt und später obligatorisch gemacht wurde, vorzüglich bewährt. Es ist damit der Beweis geliefert, daß die Mißstände, welche man früher von der Einführung der Anzeigepfücht für Tuljerkulöse gefürchtet hat, nicht eintreten müssen, und es ist dringend zu wünschen, daß die genannten Beispiele recht bald überall zur Nachfolge Anregung geben. In engem Zusammenhange mit der Anzeigepflicht steht die Desinfektion, welche, wie bereits erwähnt wurde, beim Wohnungswechsel und bei Todesfällen von Schwind- süchtigen geschehen mviß, damit diejenigen, welche in die infizierte Wohnung einziehen, vor Ansteckung bewahrt werden. Zweckmäßigerweise sollte die Desinfektion aber auch auf die infizierten Betten und Kleider der Schwindsüchtigen ausgedehnt werden. Eine weitere Maßregel, deren Wirksamkeit man bereits allseitig anerkannt hat, ist die Belehrung der breitesten Volksschichten über die Ansteckungsgefahr seitens der Tuberkulose und über die beste Art, derselben vorzubeugen. Wenn in der letzten Zeit fast in allen Kulturstaaten eine erhebliche Abnahme der Tuberkulose konstatiert ist, so kann dies nur darin seinen Grund finden, daß die Kenntnis von der Ansteckungs- fähigkeit der Tuberkulose in immer weitere Kreise gednmgen ist und daß die Vorsicht gegenüber dem Schwindsüchtigen infolgedessen immer mehr zugenommen hat. Wenn schon allein die bessere Erkenntnis vom Wesen der Tuberkulose genügt hat, um eine große Zahl von Ansteckungen zu verhüten, so muß dies für uns ein bedeutsamer Hinweis sein, von dieser Maßregel einen möglichst ausgiebigen Gebrauch zu machen und noch immer mehr dahin zu wirken, daß jedermann die Gefahren kennt, welche ihm im Ver- kehr mit Schwindsüchtigen drohen. Es wäre nur zu wünschen, daß die Belehrungen kürzer und präziser gefaßt werden, als es jetzt gewöhnhch der Fall ist, und daß ein be- sonderer Nachdruck auf die Vermeidung der schlimmsten Ansteckungsgefahr gelegt wird, nämhch auf die Benutzung von Schlafräumen und engen, schlecht ventiherten Arbeitsstätten zugleich mit ScJi windsüchtigen. Selbstverständhch müssen die Beleh- rungen eine Anweisung erhalten, wie der Schwindsüchtige sich beim Husten zu verhalten und wie er seinen Auswurf zu behandeln hat. 576 Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. In einer ganz anderen Richtung bewegt sich eine Maßregel, welche in letzterer Zeit in den Vordergrund getreten ist und augenbücklich gewissermaßen alle Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuberkulose beherrscht, es ist dies die Gründung von Heilstätten. Daß die Tuberkulose in ihren frühen Stadien heilbar ist, muß als eine unbestrittene Tatsache angesehen werden. Deswegen lag der Gedanke nahe, durch die Heilung von möghchst vielen Tuberkulösen die Zahl der in das ansteckungsfähige Stadium der Schwindsucht gelangenden Kranken und damit die Zahl der Neuinfektionen herabzu- setzen. Es fragt sich nur, ob die Zahl der auf solche Weise zur Heilung gebrachten Per- sonen auch so groß sein wird, daß dadurch ein merklicher Einfluß auf die Abnahme der Tuberkulose im allgemeinen zu erwarten ist. Ich will versuchen, diese Frage an der Hand der mir zu Gebote stehenden Zahlen zu beantworten. Nach dem Geschäftsbericht des Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke werden in diesen Anstalten bis zum Schlüsse des Jahres 1901 ungefähr 5500 Betten zur Verfügung stehen, und es können unter der Annahme, daß jeder Kranke durchschnittlich drei Monate in der Anstalt bleibt, jährlich mindestens 20 000 Kranke behandelt werden. Aus den bis jetzt vorliegenden Berichten der An- stalten über die erzielten Resultate geht weiter hervor, daß von den Kranken, welche in ihrem Auswurf Tuberkelbazillen haben, durch die Kur in der Heilstätte etwa 20% die Tuberkelbazillen verheren. Dieser Maßstab ist der einzig sichere, welcher für den erzielten Erfolg, insbesondere auch mit Rücksicht auf die Prophylaxis, in Betracht kommen kann. Wenn wir denselben unserer Schätzung zugrunde legen, dann würden jährhch 4000 Fälle von Tuberkulose als geheilte ausscheiden. Nun gibt es aber nach den Ermittelungen des Reichsgesundheitsamtes in Deutschland 226 000 Personen über 15 Jahre alt, welche an Lungentuberkulose so weit erkrankt sind, daß für sie eine Kranken- hausbehandlung notwendig ist. Dieser großen Anzahl von Lungenkranken gegenüber scheint denn doch der Erfolg der Heilstätten ein so geringer, daß ein wesentlicher Ein- fluß davon auf eine Abnahme der Tuberkulose im allgemeinen noch nicht zu erwarten ist. Mit dieser Berechnung möchte ich nun aber in keiner Weise der Heilstättenbewegung ent- gegentreten. Ich beabsichtige nur, damit vor einer Überschätzung derselben zu warnen, welche sich in letzter Zeit mehrfach bemerkhch gemacht hat und von der Ansicht auszugehen scheint, daß mit den Heilstätten allein der Kampf gegen die Tuberkulose durchgeführt werden könne und daß andere Maßregeln nebensächhch seien. In Wirklichkeit verhält es sich aber umgekehrt. Was allein mit der allgemeinen Prophylaxis, welche sich aus der Er- kenntnis der Ansteckungsgefahr und der dadurch bewirkten größeren Vorsicht gegenüber den Schwindsüchtigen ergibt, zu erzielen ist, das zeigt eine Berechnung Cornets über die Abnahme der Tuberkulosesterbhchkeit in Preußen in den Jahren 1889 bis 1897. Während vor 1889 der Durchschnitt .31,4 "o^'q betrug, ist er in dem genannten Zeitraum auf 21,8 ""/o gesunken; d. h. soviel, daß im Verlauf von acht Jahren 184 000 Personen an Tuberkulose weniger gestorben sind, als nach dem Durchschnitt der früheren Jahre zu erwarten war. In New York ist seit dem Jahre 1886 unter dem Einflüsse der von B i g g s in geradezu musterhafter Weise geleiteten allgemeinen sanitären Maßnahmen die Sterbhchkeit an Tuberkulose um mehr als 35 % zurückgegangen. Und dabei handelt es sich sowohl in Preußen wie. in New York nur um die ersten Anfänge dieser Maß- nahmen. Bei einer weiteren Entwicklung derselben sind erheblich bedeutendere Erfolge zu erwarten. B i g g s glaubt in fünf Jahren soweit zu kommen, daß allein in der Stadt New York jährhch 3000 Menschen weniger an Tuberkulose sterben werden als früher. Nun glaube ich allerdings, daß sich die Leistungen der Heilstätten erheblich ver- bessern lassen. Wenn streng darauf gehalten wird, daß nur solche Kranke aufgenommen werden, welche für die Anstaltsbehandlung geeignet sind, und wenn die Zeitdauer der Die Bekämpfung der Tuberkulose unter Berücksichtigung der Erfahrungen usw. 577 Behandhing verlängert wird, dann wird der Heileffekt sieher auf 50^ ^ und vielleicht noch höher gebracht werden können. Aber auch dann und wenn die Zahl der Heilstätten noch sehr vermehrt wird, wird doch der Gesamteffekt immer nur ein mäßiger sein. Die Heilstätten werden niemals die anderweitigen voji mir bezeichneten Maßregeln über- flüssig machen. Sie können aber, wenn sie in großer Zahl vorhanden sind und richtig funktionieren, ein wesentliches Hilfsmittel neben den eigentlichen sanitären Maßregeln im Kampfe gegen die Tuberkulose bilden. Werfen wir nun zum Schluß noch einmal einen Blick zurück auf das, was bisher zur Bekämpfung der Tuberkulose geschehen ist und was noch zu geschehen hat, dann können wir mit einer gewissen Befriedigung konstatieren, daß schon vielversprechende Anfänge gemacht sind. Ich rechne dahin die Schwindsuchtshospitäler Englands, die gesetzüchen Bestimmungen in Norwegen und Sachsen, die von B i g g s in New York geschaffene Organisation, deren Studium imd Nachahmimg ich allen städtischen Sanitäts- behörden avifs dringendste empfehlen möchte, ferner die Heilstätten und die Belehrung. Es ist nur notwendig, diese Anfänge Aveiter zu entwickeln, sie in ihrem Einflüsse auf die Abnahme der Tuberkulose zu prüfen und eventuell zu verbessern und überall, wo noch nichts geschaffen ist. in gleicher Weise zu verfahren. Wenn Avir bei diesem A^orgehen ims stets von dem Geiste der echten Präventiv - medizin leiten lassen, Avenn Avir die im Kampfe gegen andere Seuchen gcAVonnenen Er- fahrungen zu Rate ziehen, zielbeAvul3t darauf ausgehen, das Übel an der Wurzel zu treffen inid uns nicht auf SeitenAvegen zu a erlieren, dann muß die mit so großer Energie begonnene Bekämpfung der Tube]kuk)se zu einem siegreichen Ausgange führen. Koch, Gesammelte Werke. 37 übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. ) Von Dr. R. Koch, Direktor des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin. Bei den nachfolgenden Mitteilungen werde ich mich streng an das zur Diskussion gestellte Thema: ..Ubertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen" halten und nicht dem Beispiele der meisten Herren Vorredner folgen, welche im Gegensatz hierzu sich mit der Frage von der Übertragbarkeit der Menschentuberkulose auf das Rind beschäftigt haben. Es würde viel zu weit führen, wenn ich auch diese Frage hier erörtern wollte, aber ich behalte mir vor, näher darauf einzugehen, wenn ich meine weiteren Untersuchvuigen über Menschen- und Rindertuberkulose demnächst veröffent- hchen werde. Im allgemeinen stimme ich mit dem, was der Herr Referent ^) vorgetragen hat, vollkommen überein. Insbesondere scheint auch mir die bisher gesammelte Statistik über primäre In- testinaltuberkulose etwas unsicher und zu sehr mit Widersprüchen behaftet, als daß sie als ausschlaggebendes Beweismaterial verwertet werden könnte. Besonders häufig soll diese Form der Tuberkulose nach den Angaben von W o o d - h e a d ^), Still*) und S h e n n a n "') in England sein. Aber es fehlt auch nicht an englischen Berichten, nach welchen die primäre Intestinaltuberkulose in diesem Lande weniger häufig (nach C a r r ") nur fünf Fälle unter 53 tuberkulösen Kindern bis zu zwei Jahren) oder sogar sehr selten (C o u 1 1 s ') vorkommen soll. In Amerika wurden nach B o v a i r d ^) in New York von 369 tuberkulösen Kindern fünf mit primärer Intestinaltuberkulose (1,4%) gefunden. In Boston dagegen nach C o u n c i 1 m a n 37,1%. In Deutschland haben sich alle Autoren, soweit ich Äußerungen derselben in der Literatur finden konnte und soweit meine persönlichen Erkundigungen reichen, dahin 1) Vortrag, gehalten auf der Internationalen Tuberkulosekonferenz zu Berlin gelegentlich der Diskussion über das obengenannte Thema. — Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1902, Nr. 48. — Mit geringer Abänderung der Einleitung auch veröffentlicht in den Verhandhxngen der ersten Internationalen Tuberkulosekonferenz 1902. D. Herausgeber. ^) Vgl. das Referat des Herrn Präsidenten Dr. Köhler in Nr. 4.5 der Deutschen Medi- zinischen Wochenschrift. 3) Lancet, .July 14., 1888. British Med. .Journal, August 19., 1899. 5) The Scottish Med. and Surg. Journal, Sept. Oct. 1901. «) British Med. .Journal, August 19., 1899. ') British Med. Journal, August 10., 1901. *') B o V air d, Primary intestinal tub. inchildren. Archives of Pediatrics 1901, Vol. XVITI. No. 12. ") Council man, Wallory and P e a r c e, Difteria. Boston 1901. übertragbar keit der Rindertuljerkulose auf den Alensrhen. 579 ausgesprochen, daß die primäre Intestinaltuberkulose bei uns ein recht seltenes Vor- kommnis bildet. Die einzige Ausnahme hiervon findet sich in Kiel, woselbst Heller 37,8% primärer Darmtuberkulose bei den Obduktionen tuberkulöser Kinder gefunden hat. Ziu- Beurteilung dieser Verhältnisse karni ich noch folgende Tatsache mitteilen : Vor 1 ' 4 Jahren hat das Kultusministerium auf meine Bitte an sämtliche Leiter der Universitätskliniken in Preußen die Aufforderung ergehen lassen, solclie Fälle von primärer Darmtuberkulose, welche sich die Erkrankung angeblich durch den Genuß von Milch perlsüchtiger Kühe zugezogen haben, mir zugänglich zu machen. Die gleiche Aufforde- rung erging vor acht Monaten an sämtliche Direktoren der pathologisch-anatomischen Institute der preußischen Universitäten in bezug auf Fälle von primärer Tuberkulose des Darms, der Mesenterialdrüsen und des Bauchfells, sofern nach den Ki-ankenge- schichten oder besonderen Ermittelungen die Erkrankung auf den Genuß perlsüchtiger Naln'ung zurückgeführt werden müsse. Herr Heller in Kiel erhielt eine spezielle derartige Aufforderung. Daraufhin ist mir bis jetzt weder von den Kliniken noch von den pathologisch- anatomischen Instituten auch nur eine einzige Meldung zugegangen, woraus ich schließen zu müssen glaube, daß innerhalb dieser Zeit in den preußischen U n i v e r s i t ä t s - Instituten kein Fall von primärer Intestinaltuberkulose zur Beobachtmig gekonunen ist, welcher auf den Genuß von perlsüchtiger Nahrung hätte bezogen werden können. Noch vor diesen Erlassen liatte V i r c h o w mir einen Fall von primärer Intestinal- tuberkulose zur ^'erfügung gestellt, wobei er ausdrücklich bemerkte, daß derartige Fälle in seinem Institute nicht oft, etwa drei- bis viermal im Jahre, vorkämen. Zufällig ist dies, wie ich nebenbei bemerke, derselbe Fall, über welclien im Laufe der Diskussion Herr M. W o 1 f f berichtet hat. Er gab an, mit tuberkulösem Material, welches er da- von gewonnen hatte, Perlsuclit bei einem Rinde erzeugt zu haben. Ich bin bei meiner LTntersucliung fheses Falles geiade zu dem entgegengesetzten Resultat gekonunen. denn die davon erhaltene Reinkultur von Tuberkelbazillen erwies sich als vollkonnneii avirulent für das Rind. Auf die Gründe, weshalb Herr M. W o 1 f f und ich zu so wider- sprechenden Resultaten gekommen sind, kann ich hier nicht eingehen; ich )iuil.^ mir die Erörterung derselben für eine andere Gelegenheit vorbehalten. Die erwähnten auffalleiiden Widersprüche in den statistischen Angaben über primäre Intestinaltuberkulose müssen natürhch durch irgendwelche Verhältnisse be- dingt sein. Örtliclie Unterschiede scheinen denselben nicht zugrunde zu liegen, wenigstens habe ich in bezug auf Kiel und das übrige Deutschland trotz vielfacher Nacliforschungen nichts Derartiges ausfindig machen können. Es bleibt also kaum etwas anderes übrig, als die Erklärung darin zu suchen, dal.^ das sulijektive Urteil darüber, was man unter primärer Intestinaltuberkulose zu verstehen habe, noch recht unsicher ist und daß manche die Bezeichnung noch auf Fälle anwenden, bei denen andere sie nicht gelten lassen würden. Ehe hierüber aber nicht eine Einigung erzielt ist, werden wir wohl schwerlich zu einem allseitig als zuverlässig anerkannten Beobachtungsmaterial gelangen. Weniger widerspruchsvoll sind die Angaben über die vom Herrn Referenten er- wälmten Beobachtungen von Hautinfektionen bei Tierärzten, Fleischern und .Schlacht- hofarbeitern. Es liegen bis jetzt schon ziemlich viele Mitteilungen über derartige Vor- komnniisse vor, und ich selbst habe auch mehrfach Gelegenheit gehabt, solche Fälle zu untersuchen. Sie haben alle das Gemeinsame, daß nach einer Verletzung an den Händen oder Armen, welche beim Zerlegen von perlsüchtigen Tieren zustande gekommen war, sich auf der Haut warzenähnliche Gebilde entwickeln, die sogenannte Tuberculosis verru- cosa cutis. In seltejien Fällen kami es, wenn die Verletzmig bis auf eine Sehne ging, 37* 580 übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. ZU einer tuberkulösen Sehnenscheidenentzündung kommen. Vereinzelt scheint der Prozeß auch noch die nächsten Lymphdrüsen, aber in sehr geringem Maße, ergriffen zu haben. Im übrigen bleibt die Krankheit aber lokalisiert, führt nicht zu einer Tuber- kulose der inneren Organe und verläuft als ein unbedeutendes Leiden der Haut, das oft, wie mir von Schlachthofarbeitern versichert wurde, von selbst heilt. Nur bei einem Falle wurde bisher immer angenommen, daß es zu einer Allgemein- infektion gekommen sei. Es ist dies der von Pfeiffer mitgeteilte Fall eines Tier- arztes, bei welchem sich II4 Jahre nach einer Verletzung am Finger eine im Verlauf von weiteren I14 Jahren zum Tode führende Lungentuberkulose entwickelte. Bei der Obduktion erwiesen sich aber die Achseldrüsen als frei von Tuberkulose, und man muß daraus folgern, daß ein Zusammenhang zwischen der Infektion am Finger und der tuber- kulösen Infiltration der Lunge nicht bestand. Es handelte sich nur um ein zufälliges Zusammentreffen der örthch gebliebenen Perlsuchtinfektion — sofern dies überhaupt eine solche war, was aucli nicht bewdesen ist — imd einer anderweitigen Infektion der Lxinge. Bei dem außerordentlich häufigen Vorkommen von primärer Lungentuber- kulose muß sich doch gelegenthch auch einmal ein solches Zusammentreffen derselben mit einer Tuberculosis verrucosa cutis ereignen. Es hätte nicht viel daran gefehlt, daß sicli vor kurzem ein neuer derartiger Fall in die Literatur eingeschhchen hätte. In Berlin sollte nämhch ein Tierarzt sich bei der Obduktion einer perlsüchtigen Kuh am Zeigefinger verletzt haben, infolgedessen lungen- krank geworden und an Hämoptoe gestorben sein. Bei sofort angestellter Nachfrage stellte sich indessen heraus, daß der Betieffende aus einer tuberkulösen Famihe stammte und schon vor der Fingerverletzung unzweifelhafte Symptome von Lungentuberkulose gezeigt hatte. Auch ein von H a r t z e 1 1 ^) mitgeteilter FaU kann selbst vor der mildesten Kritik niclit bestehen. Ein Arbeiter hatte sicli bei der Reparatur von Viehtransportwagen eine Verletzung am Handrücken mit nachfolgender Warzenbildung zugezogen und starb ein Jahr später an Lungentuberkulose. Es fehlt dabei jeglicher Nachweis vom Zusammen- hang beider Affektionen; auch ist nicht erwähnt, ob eine Obduktion gemacht wurde. Noch dürftiger ist die in derselben Arbeit R a v e n e 1 s enthaltene Angabe, daß der Tod des Mr. W. vom Royal Veterinary College of Edinburgh einer Infektion zu- geschrieben werde, die er sich bei der Obduktion einer perlsüchtigen Kuh zugezogen hatte. Mit solchen lückenhaften Berichten ist zur Entscheidung der hier vorliegenden Fragen mit dem besten Willen nichts anzufangen. Man sollte sie besser ganz beiseite lassen und sich nach wirklich beweiskräftigen Beobachtungen umsehen. Die vom Herrn Referenten erwähnte Mitteilung Baumgartens über die in Königsberg mit virulenten Perlsuchtbazillen geimpften Krebskranken halte ich dagegen für sehr wichtig. Es handelt sich dabei um ein in jeder Beziehung und in seinem ganzen Verlaufe zuverlässig beobachtetes Experiment, und da es als erwiesen anzusehen ist, daß ein Antagonismus zwi.schen Karzinom und Tuberkulose nicht besteht, so ist das negative Ergebnis dieses Versuches nur dahin zu deuten, daß die betreffende Perlsucht- kultur bei subkutaner Injektion keine Virulenz für den Menschen besessen hat. Bei allen Versuchen, welche darauf hinausgehen, die Frage von der Übertrag- barkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen durch die Statistik der primären In- testinaltuberkulose und durch die Beobachtungen von Hautinfektionen beim Menschen zu lösen, müssen wir uns darüber klar sein, daß wir es dabei immer nur mit indirekten Beweisen zu tun haben. ^) R a V e n e 1, The intercommunicability of human and bovine tiiberculo.sis 1902, p. 18. Ubertragbarkeit der Rindertiiberkiüose auf den ^Menschen. 581 Demi von den der Statistik zugrunde liegenden Fällen weiß niaii im günstigsten Falle, daß sie echte primäre Intestinaltuberkulosen sind, aber nicht, ob sie nun auch wirklich durch Perlsucht u.nd nicht vielmehr durch menschliche Tuberkulose bedingt sind, mit welcher wir doch wegen ihrer außerordentlichen Verbreitung in jedem ein- zelnen Falle zu rechnen haben. Ebenso beweist das Vorkommen von lokal bleibender Perlsuchtinfektion infolge von Verletzungen der äußeren Haut noch keineswegs, daß die Perlsuchtbazillen nun auch imstande sind, die unverletzte Darmschleimhaut zu infizieren oder, wenn sie die- selbe auch spurlos zu passieren vermögen, die Mesenterialdrüsen tuberkulös zu machen und von da aus eine allgemeine Infektion des Körpers mit ihren bekannten und mit Recht gefürchteten Folgen zu bewirken. Andererseits kann man aber doch erwarten, daß, wenn die tuberkulöse Infektion durch den Genuß von perlsüchtigeni Fleisch und Milch in Wirklichkeit so häufig vorkommt, wie behauptet wird, sich dies auch der direkten Beobachtung bemerkhch machen müßte. Diese Seite der Frage ist meines Erachtens bisher viel zu wenig beachtet, und es ist durchaus notwendig, daß wir unsere Aufmerksamkeit auch einmal dieser Richtung zuwenden. An analogen Verhältnissen fehlt es in dieser Beziehung nicht. Es gibt verschie- dene andere Inf ektionskranldieiten , welche auch durch den Genuß von Fleisch und Milch auf den Menscheii übertragen werden und durch ilir Verhalten uns in bezug auf die Tuberkulose sehr lehrreich sein können. Ich erinnere in dieser Beziehung an die soge- nannten Fleischvergiftungen, welche zu einem großen Teile durch t^'jjhusähnliche Bazillen bedingt sind; ferner an die Erkrankungen infolge des Genusses von Fleiscii milzbrand- kranker Tiere. Auch die Milch kann, wie in neuerer Zeit so häufig beobachtet wurde, gelegenthcli TyphusbaziUen enthalten und dann zur Entstehung von Typhuserkrankungen Ver- anlassung geben. Für aUe derartigen Infektionen durch Fleisch und Milch ist es nun außerordentlich charakteristisch, daß sie nicht in Form von Einzelerkrankungen, sondern als Gruppen-, oft sogar als Massenerkrankungen auftreten. Dies kann ja auch gar nicht anders sein, da die Milch einer Kuh, das Fleisch eines kranken Tieres doch wohl immer von mehreren, oft sogar von recht vielen Personen gleichzeitig genossen wird, welche zwar nicht sämthch, aber in einem mehr oder weniger großen Prozentsatz infiziert werden und erkranken. Durch die Häufung derartiger Krankheitsfälle wird nicht nur die Aufmerksamkeit auf die stattgehabte Infektion und die gemeinschafthche Ursache gelenkt, sondern es wird auch dadurch der unwiderleghclie Beweis erbracht, daß das betreffende Nahrungs- mittel den Infektionsstoff enthalten haben muß. Unter solchen Verhältnissen bedarf es keiner Statistik und kemer Tierversuche, die Beobachtung selbst hefert uns den direkten Beweis für das Zustandekommen der Krankheit durch den Genuß der infizierten Nah- lungsmittel. In gleicher Weise muß sich nun aber auch die Tuberkuloseinfektion gestalten, wenn Tuberkelbazillen, welche für den Menschen virulent sind, sich im Fleisch oder in der Milch befinden. Es muß auch hier ein gewisser Prozentsatz derjenigen Menschen, welche die infizierten Nahrungsmittel genossen haben, erkranken, und es muß zu Gruppen- erkrankungen kommen. Allerdings würden sich bei der Tuberkulose die Verhältnisse insofern anders ge- stalten wie beim Typhus, als bei der erhebhch längeren Inkubationsfrist der Tuberkulose die Erkrankungen nicht so bald nach der Infektion auftreten und zeitlich nicht so zusammengedrängt erscheinen würden wie beim Typhus. Aber andererseits würde die 582 übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. Tiiberkuloseinfektion wieder dadurch begünstigt werden, daß die Ingestion der Tuberkel- bazillen sich bei denjenigen Menschen, welche auf den Genuß von perlsüchtigen Nahrungs- mitteln angewiesen sind, vielfach wiederholt und über einen längeren Zeitraum erstreckt, wodurch die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen der Infektion wesentlich ei'höht wird. Es spricht also alles dafür, daß es auch bei der Tuberkulose, wenn sie in der Tat durch den Genuß von Fleisch luid Milch perlsüchtiger Tiere hervorgerufen werden kann, zu Gruppenerkrankungen kommen muß, und es fragt sich nur, ob denn dieselben nicht schon längst beobachtet und beschrieben sind^). Sehen wir uns zunächst nach Mitteilungen über Erkrankungen infolge von Genuß perlsüchtigen Fleisches in der Literatur um. Nur möchte ich noch vorweg darauf aufmerksam machen, daß nicht etwa, wie vielfach angenommen wird, nur tuberkelfreies Fleisch, und zwar in gekochtem oder gut durchgebratenem Zustande genossen wird. Im Gegenteil. Ein Kenner der Fleisch- beschau, O s t e r t a g '-), sagt hierüber, daß ,, tagtäglich ungezählte Mengen tiiberkulöser Organe in den Verkehr kommen und verzehrt werden". Meistens werden dieselben zu Wurst verarbeitet. Ich selbst habe mich noch vor kurzem in einer Gerichtsverhandlung als Sachverständiger über einen Fall zu äußern gehabt, in welchem es nur durch einen Zufall verhindert worden war, daß perlsüchtiges Fleisch in das Geschäft eines Hof- schlächtermeisters, allerdings ohne dessen Wissen, geriet, wo es zum Wurstmachen benutzt werden sollte. Obwohl nun also gar kein Zweifel darüber bestehen kann, daß noch bis vor kurzem bei mangelhafter Fleischbeschau sehr viel perlsüchtiges Fleisch in den Verkehr gelangte und solches gewiß auch jetzt noch oft genug genossen wird, so findet sich doch in der ganzen Literatur keine einzige Beobachtung von Gruppen- oder Massenerkrankungen infolge von Genuß perlsüchtigen Fleisches. Aber noch mehr: es findet sich noch nicht einmal eine Einzelerkrankung beschrieben, und es fehlt also vollständig an Berichten über Gesundheitsschädigungen durch perlsüchtiges Fleisch. Dagegen sind von mehreren Autoren Tatsachen mitgeteilt, welche das Gegenteil beweisen. Nach B o 1 1 i n g e r 3) ergab eine im Auftrage der bayrischen Regierung 1879 angestellte Sammelforschung eine Menge von Einzelbeobachtungen, welche für die Un- schädlichkeit des Fleisches tuberkulöser Tiere sprechen. Man fand viele Famihen, ja ganze Dörfer, welche gewohnheitsmäßig perlsüchtiges Fleisch verzehrten, ohne daß die Tuberkulose in ihnen häufiger vorkam als anderswo. Ganz ähnliche Erfahrungen haben G o e r i n g ^) und Schottelius'') gemacht. ^) Nachträglieh hat mich B. Fraenkel darauf aufnaerksam gemacht, daß er schon vor Entdeckung des Tuberkelbazillus in seiner Arbeit über Tuberkulose im Gerhardt sehen Hand- buch für Kinderkrankheiten sich in ähnlichem Sinne ausgesprochen hat. Er vertrat damals die Meinung, daß die Tuberkulose durch die Milch perlsüchtiger Tiere nicht übertragen werden könne, und gab als Grund dafür an, daß er es noch niemals erlebt habe, daß mehrere Kinder einer Familie gleichzeitig an Tuberkulose erkrankten, was doch notwendig sei, wenn der gemeinsame Milehtopf die Ursache abgäbe. Vgl. B. Fraenkel, Bemerkungen zur Prophylaxe der Tuberkulose imd die Isolierung der Phthisiker. Berliner klinische Wochenschrift 1901, Nr. 38. 2) Handbuch der Fleischbeschau 1899, p. 646. = ) O s t e r t a g, 1. c, S. 646, B o 1 1 i n g e r, Deutsche Zeitschrift für Tiermedizin Bd. I, S. 242 ; Bd. II, p. 138 und 279. *) G o e r i n g. Die Verbreitung der Tul»erkulose des Rindes in Bayern. Deutsche Zeitschrift für Tiermedizin, Bd. VI, p. 142 und 290. ^) Schottelius, Zur Kritik der Tuberkulosefrage. Virchows Archiv Bd. XCI, S. 129. t'bertragbarkeit der R-indeituberkulo.se auf den Menschen. 583 Infolgedessen lierrscht denn auch in beziig auf die Gefährlichkeit des perlsüchtigen Fleisches eine sehr milde Auffassung. Auf den Tuberkulosekongressen zu Pax'is 1885 und 1891 entschied man sich noch für den völligen Ausschluß des Fleisches sämtlicher tuberkulösen Tiere. Aber schon auf den Kongressen von 1893 und 1898 kam man zu einer rationellen Auffassung, indem der Verkauf des Fleisches von Tieren, bei welchen die Tuberkulose lokal ge- bheben war, für zulässig erachtet wurde. Auch auf dem siebenten internationalen Kongreß für H3^giene in London wurde die völlige Beseitigung des tuberkulösen Fleisches einstimmig abgelehnt. O s t e r t a g, ein energischer Verteidiger der Identität von Rinder- und Menschen- tuberkulose, sagt in seinem , .Handbuch der Fleischbeschau" (1899): ,, angesichts des seltenen Vorkommens primärer Darmtuberkulose beim Menschen und der massenhaften Verbreitung der Tuberkulose bei Rindern kann dem Fleische dieser Tiere schon empirisch nur eine ganz geringe Gefährlichkeit für die Gesundheit des Menschen zugesprochen werden." Auch von den höchsten Behörden in Preußen ist derselbe Standpunkt eingenommen. In einem Runderlaß des Ministers des Innern, der Landwirtschaft, der Medizinalangelegen- heiten, des Ministers für Handel und Gewerbe vom 26. März 1892 heißt es folgender- maßen: .,Da an der Berliner Tierärztlichen Hochschule und an mehreren preußischen Universitäten in großem Maßstabe jahrelang fortgesetzte Versuche, durch Fütterung mit Muskelfleisch von perlsüchtigen Tieren Tuberkulose bei anderen Tieren zu erzeugen, im wesentlichen ein negatives Ergebnis gehabt liaben (Gutachten der Wissenschaft- lichen Deputation für das Medizinalwesen vom 1. Dezember 1886), somit eine Uber- tragbarkeit der Tuberkulose durch den Genuß selbst mit Perlknoten behafteten Fleisches nicht erwiesen ist, so kann das Fleisch von gut genährten Tieren, auch wenn eine (tuber- kulöse) Erkrankung vorliegt, in der Regel nicht als minderwertig erachtet und der Verkauf desselben nicht unter besondere polizeiliche Aufsicht gestellt werden." Aus alle dem geht somit hervor, daß es vollständig an Beweisen für die Gefähr- lichkeit des perlsüchtigen Fleisches fehlt, dieselbe ist, wie sich der Ministerialerlaß aus- drückt, ,, nicht erwiesen". Niemand wird abei' bestreiten, daß die Perlsuchtbazillen im Fleische identisch sind mit den in der Milch vorkommenden, und es besteht also ein unlösbarer Wider- spruch darin, daß in neuester Zeit der Milch tuberkulöser Tiere gegenüber eine erheblicli schärfere Auffassung Platz gegriffen hat als gegenüber dem tuberkulösen Fleisch. Wie steht es nun weiter mit dem direkten Beweis von der Gefährlichkeit der M i 1 c h von perlsüchtigen Tieren ? Auch die in der Milch enthaltenen Perlsuchtbazillen kommen in bedeutendem Umfange in den Verkehr und werden viel häufiger in lebendem Zustande genossen, als gewöhnlich angenommen wird. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß I bis 2% aller Milchkühe an Tuberkulose des Euters leiden und wohl ausnahmslos mehr oder weniger bazillenhaltige Milch pro- duzieren. Die Eutertuberkulose ist aber nicht derartig beschaffen, daß sie in ihren aller- ersten Anfängen als solche erkannt wird. Wenn man auf das Leiden aufmerksam wird und eine einigermaßen sichere Diagnose sich ermöglichen läßt, dann hat es schon wochen- und selbst monatelang bestanden, und ebenso lange Zeit ist die Milch mit ihren Perl- suchtbazillen getrunken. Solche Milch wird auch wohl kaum jemals von einer einzigen Person benutzt. In der Regel wird sie mit der Milch von mehreren anderen Tieren der- selben Viehhaltung gemischt und von einer größeren Zahl von Menschen genossen. Gelangt die Milch in eine Sammelmolkerei, dann kann sie sich auf Hunderte von Kon- 584 Übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. sumenten verteilen. In bezug auf diesen letzteren Fall kann ich die Anschauung des Herrn N o c a r d nicht teilen, daß durch die Verdünnung die Milch weniger infektiös und die PerlsuchtbaziUen schließlich ganz unwirksam \\ erden könnten. Wenn es sich um ein gelöstes Gift handelte, dann wäre diese Annahme richtig. Aber wir haben es hier mit Mikroorganismen zu tun, die sich nicht verdümien, sondern nur verteilen lassen, dann aber mit um so mehr Menschen in Berührung kommen und, wenn sie für diese virulent sind, um so gefährlicher \\erden. Nun beruhigt man sich ge\\öhnlich damit, daß die Perlsuchtbazillen durch das Kochen der IVIilch abgetötet werden; aber auch in dieser Beziehung befindet man sich in einem bedenküchen Irrtum. Allerdings, wenn die Milch im Laboratoriumsversuch auf Siedehitze gebracht wird, dann sind alle PerlsuchtbaziUen vernichtet. Aber bei der Art und Weise, wie die Milch im Haushalt gekocht wird, bleiben sie am Leben. Prof. B e c k ^) hat auf meine Veranlassung im Institut für Infektionskrankheiten zahl- reiche und gründHche Untersuchungen hierüber angestellt und gefunden, daß durch einfaches kurzes Aufkochen der Milch in Gefäßen mit weiter Öffnung, also bei der Be- handlung, welche die Milch im Hauslialt regelmäßig erfährt, die Tuberkelbazülen nicht abgetötet werden. Hierzu ist ein gleichmäßiges Sieden während mehrerer Minuten erforderlich, wozu sich die Hausfrauen aber nicht verstehen, weil dann die Milch leicht überkocht oder anbrennt. Wenn also jemand behauptet, daß er keine lebenden Perl- suchtbaziUen genießt, weU er nur gekochte Milch trinkt, dann hat er noch den Nachweis zu führen, daß die von ihm genossene Müch stets mehrere Minuten lang im Sieden ge- halten wurde. Auch auf die in größeren Molkereien gebrauchten Sterilisierungsapparate kann nvAn sich nicht voUkommen verlassen. Solange sie vorschriftsmäßig bedient und sorg- fältig überwacht werden, dürften die meisten derartigen Apparate wohl ihren Zweck erfüUen. Aber sobald es auch nur einmal vorübergehend an der nötigen Sorgfalt fehlt, dann schlüpfen die etwa vorhandenen Infektionsstoffe ungeschädigt hindurch, wie die zahlreichen Typhusepidemien beweisen, die von solchen Molkereien ausgegangen sind. Noch auf einen Punkt möchte ich hinweisen, welcher bei den Erörterungen über die Perlsuchtmilch fast immer unberücksichtigt bleibt. Es handelt sich doch für uns nicht aUein um die Milch, sondern auch um die Produkte, welche aus derselben gewonnen werden, vor aUem um die Butter, welche erwiesenermaßen sehr häufig lebende Perl- suchtbaziUen enthält. Es ist mir schon häufig begegnet, daß Personen, welche leiden- schaftlich versichern, daß sie seit Jahren wegen der Perlsuchtgefahr nur gekochte Müch genießen, auf die Frage, wie sie es mit der Butter halten, eingestanden, daß sie überhaupt nicht daran gedacht hätten, daß konsequenterweise auch diese sterihsiert werden müßte. Unter solchen Umständen glaube ich zu der Behauptung berechtigt zu sein, daß wohl fast aUe Menschen im Laufe ihres Lebens mehr oder weniger oft und auch in nicht so sehr geringen Mengen lebende PerlsuchtbaziUen genossen haben. Wenn die Perlsucht- baziUen wirklich für den Menschen gefahrbringend sind, dann können wir folgerichtig erwarten, daß schon außerordenthch häufig Gesundheitsschädigungen, welche durch Perlsuchtmilch in ein wandsfreier Weise verursacht sind, beobachtet und beschrieben sind. Ich habe mir nun daraufhin die einschlägige Literatur angesehen und glaube be- haupten zu können, daß mir nichts WesentUches entgangen sein kann. Aber anstatt der unzähhgen Fälle, auf welche man rechnen mußte, habe ich im ganzen nur zwei Gruppenerkrankungen und 28 Einzelerkrankungen auffinden können, 1) Beck, Experimentelle Beiträge zur Untersuchung über die Marktmilch. Deutsche Viertel- jahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege 1900, p. 430. Ubertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. 585 welche wir uns übei'dies noch daraufhin ansehen müssen, ob sie auch wirkhch einwands- freie Beweisstücke bilden. Da ist zunächst der berühmte und immer wieder zitierte Fall von O 1 1 i v i e r zu erörtern, welchen er in der Academie de Medecine am 24. Februar 1891 vorge- tragen hat. In einem Mädchenpensionat erkrankten im Laufe von wenigen Jahren 13 Schüle- rinnen an Tuberkulose, von denen sechs starben. Bei mehreren schien der Ausgangs- punkt der Darmkanal zu sein. Als man nach der Ursache forschte, stellte sich heraus, daß in der Wirtschaft des Pensionats seit Jahren eine Kuh gehalten wurde, welche an Eutertuberkulose litt, und daß deren Milch von den Pensionärinnen getrunken war. Dies sieht in der Tat ganz so aus, als ob es infolge des Genusses von Perlsuchtmilch zu einer Gruppenerkrankung gekommen und hier ein einwandsfreier Fall von Perlsucht- infektion aufgefunden sei. Ollivier war auch diesei- Meinung und ebenso alle die- jenigen, welche bis in die neueste Zeit diesen Fall als ein klassisches Beispiel der Infektion durch Perlsuchtmilch verwertet haben. Jedoch so einwandsfrei, wie man angenommen hat, ist dieser Fall keineswegs, denn abgesehen davon, daß anscheinend nur eine Obduk- tion gemacht wurde und die Diagnosen der angeblichen Darmtuberkulose etwas un- sicher sind, hat man sich nur darauf beschränkt, die Heredität als anderweitig in Be- tracht kommende Ursache auszuschUeßen. Eine direkte Infektion von Mensch zu Mensch hat man offenbar gar nicht in Rechnung gezogen, und doch hätte der Verlauf der kleinen Tuberkuloseendemie genau ebenso gewesen sein können, wenn eine der Pensionärinnen oder eine Lehrerin an Lungentuberkulose litt und durch ihren Auswurf eine Anzahl Mitbewohnerinnen des Pensionats infizierte. Etwas derartiges ist schon recht oft vor- gekommen und hätte unter allen Umständen berücksichtigt werden müssen. Aber auch abgesehen hiervon ist der angeblich klassische Fall in ein Nichts zerronnen, sogar in sein Gegenteil verwandelt, durch eine zweite Mitteilung ( ) 1 1 i v i e r s, zu welcher er sich schon in der nächstfolgenden Sitzung der Academie infolge besserer Information genötigt sah. Er mußte nämhch die Erklärung abgeben, daß er sich geirrt habe und daß die Milch von der fraglichen Kuh nicht von den Pensionärinnen, sondern von dem Unterrichtspersonal und von den Dienstboten der Anstalt getrunken sei. Unter den- jenigen Personen, welche regelmäßig die verdächtige Milch genossen hatten, sei auch nicht ein einziger Fall von Tuberkulose vorgekommen. Wenn trotz dieser Berichtigung der Fall Ollivier s von den Verfechtern der Identität von Menschen- und Rindertuberkulose noch immer als Beweismittel benutzt wird, so zeigen sie dadurch, in welcher einseitigen und kritiklosen Weise sie bei ihrer Beweisführung zu Werke gehen. Icli komme nun zu dem zweiten Beispiel einer Gruppenerkrankung. Dieselbe ist von Hüls in der Münchener medizinischen Wochenschrift vor wenigen Monaten veröffenthcht und auch vom Herrn Referenten berührt. In einer MüUerfamiHe von neun Personen, welche angeblich jahrelang Milch, Butter und Fleisch von tuberkulösen Tieren genossen hatte und sonst keine Gelegenheit zur Infektion gehabt haben soU, starben sieben Mitglieder an Schwindsuclit. In diesem Falle braucht man aber nur die Reihen- folge der Todesfälle zu beachten, um sofort zu sehen, daß der Zusammenhang ein ganz anderer als der von Hüls angenommene ist. Zuerst erkrankte die Mutter, erholte sich aber wieder nach einigen Monaten. Im folgenden Jahre erkrankte das jüngste Kind und starb. Im gleichen Jahre wurde ein 18 jähriger Sohn krank und starb. Wieder ein Jahr später folgte ein 23 jähriger Sohn. Im nächsten Jahre wurde die Mutter wieder krank und starb. Dann folgte ein 16 jähriges Mädchen, dann der Vater und zuletzt noch ein dritter Sohn. 586 übertragbar keit der Rindertuberkulose auf den Menschen. Daß unter den hier angedeuteten Krankheitsverhältnissen in der Famihe die Be- rührung, das Zusammenwohnen der Erkrankten mit den Gesunden und damit die Über- tragung von Mensch zu Mensch ausgeschlossen gewesen sein soll, ist für mich unglaublich. Jeder Kenner von Infektionskrankheiten wird ohne weiteres die Überzeugung gewinnen, daß es sich in diesem Falle um eine fortlaufende Kette von Kontaktinfektionen und nicht um eine aus gemeinsamer Nahrungsmittelinfektion hervorgegangene Gruppen- erkrankung handelt. Um letztere Entstehung annehmen zu können, hätten die Erkran- kungen im Laufe eines halben Jahres oder höchstens eines Jahres erfolgen müssen; sie konnten sich nicht, wie es hier geschehen ist, über eine Reihe von Jahren hinziehen. Also auch mit diesem Falle von Gruppenerkrankung ist es nichts, und es bleiben nur noch die 28 Fälle von Einzelerkrankungen. Dieselben vei'dienen schon an und für sich kein großes Vertrauen. Würde man denn wohl einen einzelnen Typhusfall, bei dem sich der Genuß von verdächtiger Milch nachweisen läßt, so ohne weiteres als beweiskräftig gelten lassen ? Das wird man doch sicher nicht tun. Trotzdem will und kann ich die Möglichkeit nicht bestreiten, daß auch einzelne FäUe vorkommen können. Um aber beweisend zu sein, müssen sie gewisse Bedingungen erfüllen. Diese Bedingungen sind folgende: Erstens muß der sichere Nachweis der Tuber- kulose überhaupt, womöghch auch des Ausgangspunktes derselben geliefert werden. Bei Erwachsenen müssen Avir deswegen das Vorhandensein unanfechtbarer klinischer Symptome und, wo diese nicht vorhanden sind, die Obduktion verlangen. Bei Kindern sind die klinischen S^aiiptome viel zu unsicher, und es ist deswegen bei diesen die Obduk- tion stets erforderlich. Zweitens müssen andere Infektionsquellen mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Versicherung, daß der Betreffende aus gesunder Familie stammt, genügt unter keinen Umständen. Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten der Infektion, welche für jeden Menschen, sowohl innerhalb als außerhalb der Familie, in Betracht kommen. In dieser Beziehung kann ich dem Herrn Referenten nur beipflichten, welcher auf die Untersuchungen von Preisich und Schütz sowie von Dieudonne über das Vorkommen von TuberkelbaziUen im Nagelschmutz der Kinder und damit auf eine sehr beachtenswerte Quelle der Infektion bei Kindern hingewiesen hat. Drittens ist in jedem Falle von angebhcher Infektion durch den Genuß von Perl- suchtmilch das Verhalten der übrigen Personen, welche dieselbe Milch genossen haben, zu berücksichtigen. Diese Mitkonsumenten bilden gewissermaßen das Kontrollexpe- riment, und wenn von den zahlreichen Personen, welche sämtlich die verdächtige Milch getrunken haben, nur eine einzige erkrankt, so spricht dies entschieden dagegen, daß diese eine Person durch das gemeinsame Nahrungsmittel infiziert ist. Auch beim Typhus würde man sofort, wenn von allen Personen, welche dieselbe Milch trinken, nur eine an Typhus erkrankt, schon allein aus diesem Grunde den Verdacht, daß es sich um eine Milchinfektion handeln könnte, fallen lassen. Viertens ist auch auf die Herkunft der Milch zu achten. Nachdem sich in neuerer Zeit immer mehr herausgestellt hat, daß tuberkelbazillenhaltige Milch nur von solchen Kühen herstammt, welche an Eutertuberkulose leiden, kann uns die allgemeine An- gabe, daß jemand Milch einer perlsüchtigen Kuh getrunken hat, nicht mehr genügen, um zu beweisen, daß auch wirklich Perlsuchtbazillen in seine Verdauungsorgane ge- langt sind. Es kann recht wohl ein Mensch Perlsuchtmilch genießen, ohne daß er da- durch mit PerlsuchtbaziUen in Berührung kommt. Es muß eben Milch von einer Kuh mit Eutertuberkulose sein, und deswegen darf die Angabe hierüber in einem Bericht von Milchinfektion nicht fehlen, wenn er vollständig sein soll. übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. 587 Wenn ich nun die von mir aus der Literatur zusammengestellten 28 Einzelfälle daraufhin prüfe, inwiefern sie den soeben aufgestellten Bedingungen entsprechen, dann komme ich zu folgendem Resultat. Nur bei zehn Fällen ist erwähnt, daß eine Obduktion stattgefunden hat (und nur sieben hiervon sollen Darm tuberkulöse gehabt haben). Nur bei drei Fällen ist belichtet, daß die Milch von einer Kuh mit Eutertuberkulose stammte. Bei keinem einzigen sind mit vSicherheit die übrigen Infektionsmöghchkeiten aus- geschlossen. In der Regel ist nur das Fehlen der Heredität angegeben, obwohl wir doch wissen, daß gerade diese eine sehr untergeordnete, wenn überhaupt eine Rolle spielt. Bei keinem Falle ist über das Verhalten der zugehörigen Personen berichtet. Das Unzulängliche dieses Beweismaterials ist aucli denjenigen, welche damit operieren, nicht gänzhch entgangen. So sagt R a V e n e 1 ^) : ,,Die Zahl der Fälle, in welchen die Infektion auf den Geniiß von tuberkulöser Milch zurückgeführt werden kann, ist nicht groß -), und fast alle sind dem Einwände ausgesetzt, daß alle anderen Qiiellen der Infektion nicht völlig ausge- schlossen werden können". Und in dem Bericht eines Komitee der American Public Health Association^), welclier sich übrigens durch Einhalten eines auffallend parteiischen Standpunktes auszeichnet, wird zugestanden, daß man in den berichteten Fällen nicht wissen könne, ob die Krank- heit durch Perlsuchtbazillen verursacht gewesen sei. Aber trotz dieser Zugeständnisse wiid mit den gesammelten Fällen verfahren, als ob sie unwiderleglich bewiesen wären. Es scheint mir deswegen notwendig, einige dieser Fälle und darunter gerade die- jenigen, welche als ganz sicher angesehen werden und dadurch eine gewisse Berühmtheit erlangt haben, kuiz zu besprechen. * Ich beginne mit dem Fall Gosse, über welchen N o c a r d *) berichtet laat. Dr. Gosse, ein Genfer Arzt, besuchte mit seiner Familie regelmäßig Sonntags eine Farm, wo die 17 jährige Großtochter mit Vorliebe frisch gemolkene Milch trank. Das junge Mädchen erkrankte und starb nach längerer Krankheit an Darmtuberkulose, wie die Obduktion ergab. Eine daraxifhin angestellte Untersuchung ergab, daß von den fünf Kühen der Farm vier tuberkidös waren und von letzteren zwei sogar an Euter- tuberkulose litten. Dieses Faktum liielt man für ausreichend, um daraufhin die Be- liauptung aufzustellen, daß die Kranklieit und der Tod des jungen Mädchens dureli Perlsuchtnnlch verursacht sein müsse. Davon, daß die Infektion auch auf andere ^^>ise hätte zustande kommen können, ist gar nicht die Rede, und docli wird das Mädchen bei seinem ständigen Aufenthalt in der Stadt unzweifelhaft hinreichend Gelegenheit zu anderweitiger Infektion gefunden haben. Wir müssen ferner fragen, was 'aus den- jenigen Menschen geworden ist, welche die übrige Milch aus der verseuchten Farm ge- trunken haben ? Die Bewohner der Farm haben dies doch sicher getan. Ist denn niemand von ihnen krank geworden ? Wäre dies der Fall gewesen, dann hätte man es docli sofort A-erkündet. Da dies nicht gescheheii ist, so nniß man annehmen, daß auch niemand weiter krank geworden ist, und man wird weiter zti der logischen Schlußfolgerung gedrängt. M 1. c. 2) Es würde riclitiger sein, zu sagen: .,ist gegen alles Erwarten klein'". ^) Relation of bovine tuberrulosis to the public liealth. Washington 1901 . p. 22. Herausgegeben vom U. S. Department of Agriciilture. *) Nocard, Les tuberculoses animales. p. 124. 588 Übertragbai'keit der Eiiidertubei'kulose auf den Jlenscheu. (laß die fragliche Milch nicht gesundheitsgefährUch war und auch nicht die Krankheit der Großtochter des Dr. Gosse verschuldet haben kann. Herr N o c a r d, welcher diesen Fall in die Perlsuchthteratur eingeführt hat, war der Meinung, daß derselbe fast den Wert eines Experimentes habe. Ich glaube nicht, daß dieser ausgezeichnete Kenner der Tuberkulose, welcher recht wohl weiß, mit wie ^•ielen Kautelen und wie sorgfältig ein Tuberkuloseexperiment durchgeführt werden muß, um unseren heutigen wissenschafthchen Ansprüchen zu genügen, auch jetzt noch diesen Ausspruch aufrecht erhalten wird. Noch weniger stichhaltig als der eben besprochene Fall ist derjenige, welchen Dr. S t a n g in Amorbach beobachtet hat. Derselbe ist von Bollinger beschrieben. Ein fünfjähriger Knabe litt an Bauchwassersucht und starb unter den Erscheinungen der Abzehrung. Bei der Obduktion fand sich Tuberkulose der Lymphdrüsen des Unter- leibes, ferner der serösen Häute und der Lungen. In bezug auf die Ätiologie wurde er- mittelt, daß durch zwei Generationen keine Tuberkulose in der Famihe vorgekommen war und daß der Knabe jahrelang die Milch von einer perlsüchtigen Kuh getrunken hatte. Auch dieser Fall ist, wie Bollinger sagt, einem Experimente zu vergleichen. Aber außer denselben kritischen Bedenken, welche gegen den vorhergehenden Fall er- hoben werden mußten, kommt hier noch hinzu, daß wir nicht erfahren, ob die Kuh an Eutertuberkulose htt. Ferner hatte der Knabe neben seiner Mesenterialdrüsen- und Peritonealtuberkulose auch Tuberkulose der Lungen. Es hätte doch festgestellt werden müssen, ob nicht die letztere das primäre Leiden war, wie es so häufig der Fall ist. Über den oft zitierten, von J o h n e ^) mitgeteilten Fall erfahren wir nur, daß ein Kind im Alter von Jahren, welches infolge von Masern und Lungenkatarrh in seinem Ernährungszustande zurückgekommen war, an MiUartuberkulose des Gehirns starb. Dasselbe war mit der Milch einer perlsüchtigen Kuh ernährt. Ob eine Obduk- tion gemacht wurde, ob andere Infektionsmöghcl^eiten berücksichtigt wurden, ob die Kuh an Eutertuberkulose Utt, ob andere Personen, welche dieselbe Milch getrunken haben, erkrankten, wird nicht berichtet. Nach Angabe von U f f e 1 m a n n ^) starb ein Kind nach Genuß von ungekochter JVßlch einer kranken Kuh an tuberkulösen Knoten, welche sich im subkutanen Gewebe entwickelt hatten. Weder das Kand noch die Kuh wurden obduziert. Uffelmann selbst mißt diesem Falle keine Beweiskraft zu, trotzdem wird derselbe in der Literatur regelmäßig angeführt, wenn es gilt, die Gefährlichkeit der Milch perlsüchtiger Kühe durch Fälle aus der Praxis zu beweisen. Einige Berichterstatter '^G ö r i n g ^) , S c h o e n g e n teilen sogar mit, daß Kinder, solange sie die Milch einer perlsüchtigen Kuh erhielten, kränkelten, Ausschläge bekamen und husteten, sich dann aber bald wieder erholten, wenn ihnen Milch von gesunden Kühen gegeben wurde. Solche Fälle beweisen natürlich gerade das Gegenteil von dem, was man beweisen wollte, nämlich daß die Perlsuchtmilch von Kindern längere Zeit hindurch getrunken wurde, ohne daß sie tuberkulös wurden. Von derselben Art wie die soeben aufgezählten Fälle sind auch alle übrigen. Wir kommen also zu dem Resultat, daß man ebenso wie für die Schädlichkeit des Perlsuchtfleisches so auch für den schädhchen Einfluß der Perlsuchtmilch noch ^) Deutsche Zeitschrift für Tiermedizin, Bd. II, p. 281. 2) Johne, Geschichte der Tuberkulose. Leipzig 1883. p. 57. 2) Archiv 'für Kinderheilkunde 1880, Bd. I, p. 414. *) Deutsche Zeitschrift für- Tiermedizin Bd. VI, p. 142. °) Alis der Dissertation von Behrens, Über primäre tuberkulöse Darminfektion des Menschen. Berlin 1894. übertragbarkeit der Rindertuberkvüose auf den Menschen. 589 nicht eine einzige einwanclsfreie Beobachtung hat beibringen können, obwohl doch un- zählige Menschen sich dieser vermeintlichen Gefahr fortwährend aussetzen. Es Hegen nini aber auch für die Perlsuchtniilch ebenso wie für das Fleisch Be- obachtungen darüber vor, daß Menschen lange Zeit hindurch dieselbe ohne Nachteil getrunken haben. Die Berichte darüber sind allerdings nicht zahlreich, offenbar weil es viel interessanter war, nach Infektionen zu suchen, während man sich um das Aus- bleiben der Infektion nicht gekümmert hat. Und doch wäre es so leicht, in kin-zer Zeit ein brauchbares Material zu sammeln. Man hätte nur nötig, auf dem Lande, wo die Verhältnisse übersichtlich sind, den FäUen von sicher konstatierter Eutertuberkulose nachzxigehen und zu ermitteln, wie lange die Krankheit bei dem Tiere bestanden, welche Menschen, insbesondere Kinder, die Milch und daraus hergestellte Butter genossen haben, ob und Avie die Milch gekocht wurde und ob die betreffenden Personen im Laufe von ein bis zwei Jahren an Tuber- kulose, vmd zwar an welcher Form derselben erkrankt sind. Es sind mir im Laufe des letzten Jahres recht zahlreiche Zuschriften zugegangen von Personen, welche mir mitteilten, daß sie selbst oder ihre Angehörigen mehr oder weniger lange Zeit ungekochte Perlsuchtniilch getrunken liätten und gesund geblieben seien. Da es aber nicht möglich ist, jetzt noch diese Fälle auf ihre Richtigkeit zu prüfen, so will ich auf dieselben nicht eingehen. Aber ich möchte an das internationale Komitee die Bitte richten, seinen Einfluß dahin geltend zu maclien. daß an Stelle des jetzt vorhegenden, völlig unbrauchbaren Materials zuverlässige Beobachtixngen gesammelt werden, und zwar: 1. Fälle von angeblicher Infektion nach Genuß von Perlsuchtmilch unter Berück- sichtigung der von mir angeführten Bedingimgen ( Obduktion. Ausschluß anderer In- fektionsquellen, Verhalten der übrigen Personen, welche dieselbe Milch genossen haben, Nachweis der Eutertuberkulose) ; 2. Fälle von Ausbleiben der Infektion nach Genuß von Perlsuchtniilch, ebenfalls unter Einhaltung der nötigen Bedingungen (Nachweis der Eutertuberkulose, genügend lange Beobachtung der Personen, Angaben darüber, ob und wie die Milch gekocht wurde). Vorläufig können wir nur sagen, daß die schädliche Wirkung der Perlsuchtmilch und ihrer Produkte nicht e r wiesen ist. Was diese Tatsache gegenüber der unendlich häufigen Gelegenheit zur Infektion bedeutet, das überlasse ich dem Ermessen eines jeden Einzelnen. Selbstverständlich gilt dieses Urteil nur in bezug auf den Menschen. Es ist Sache der Landwirtschaft und der Veterinärwissenschaft, festzustellen, inwieweit perlsüclitige 3Iilch für die Viehzucht nachteilig ist und mit welchen Maßregeln die etwa vorhandenen Gefahren zu bekämpfen sind. Maßregeln in bezug auf Perlsuchtfleisch und Perlsuchtniilch , welche zur Bekämpfung der menschlichen Tuberkulose dienen sollen, lassen sich zurzeit niclit begründen. Außer- dem würden solche Maßregeln wegen der Entschädigungen, welche für beschlagnahmte Tiere zu zahlen sein würden, und wegen der ungeheuren Mengen von Milch, welche be- lilcksichtigt werden müßten, sehr kostspielig sein. Es ist aber entschieden richtiger, derartige Mittel nicht für etwas auszugeben, was noch gar nicht bewiesen ist, sondern sie vielmehr für solche Maßregeln zu verwenden, welche mit Sicherheit eine Abnahme der menschlichen Tuberkulose zur Folge haben müssen. In dieser Beziehung kann ich nur wiederholen, was icli in meinem Londoner Vor- trage gesagt habe : Die Bekämjifung der Tuberkulose darf sich nicht auf falschen Wegen verlieren, Avenn sie Avirkliclien Erfolg haben soll. Sie muß darauf ausgehen, die Hauptquelle, ja 590 Übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen. man kann sagen, fast die einzige Quelle der Infektion zu schließen. Es sind dieses die- jenigen Phtliisiker, welche infolge der ungünstigen Verhältnisse, unter denen sie sich befinden, oder weil sie sich den einfachsten Regeln zur Verhütung der Infektion hart- näckig widersetzen, eine Gefahr für ihre Umgebung bilden. Für diese Kranken muß in irgendeiner Weise gesorgt werden, indem man ihnen günstigere Verhältnisse, z. B. in bezug auf Wohnung, schafft oder indem man sie in geeigneten Anstalten so unterbringt, daß sie aufhören ihrer Umgebu.ng gefährlich zu sein. Nach den Erfahrungen, welche wir bei anderen Infektionskrankheiten gemacht haben, muß man zu der Überzeugung gelangen, daß nur auf diesem Wege etwas zu er- reichen ist, und ich möchte deswegen dringend dazu raten, daß diese Aufgabe in Zukunft mehr in den Vordergrund der Tuberkulosebekämpfung gestellt wird, als es bisher ge- schehen ist. über die Immunisierung von Rindern gegen Tuberkulose/) (Au8 dem Institut für Intektioiiskrankheiteii in Berlin und aus dem pathokjgischen Institut der tierärztlichen Hochschule in Berlin.) Von Prof. Dr. R. Koch. ) I. Für die Möglichkeit, Binder gegen die experimentelle Infektion mit l'erlsucht zu immunisieren, liegen heute bereits viele Beweise vor. die von verschiedenen Seiten beigebracht worden sind. Dagegen herrscht noch keine Übereinstimmung über die Methoden, die zur Immiuiisiei'ung anzuwenden sind, und über die Zuverlässigkeit der Resultate, die sich dabei überhaupt erreichen lassen. Im folgenden soll daher eine größere Versuchsreihe mitgeteilt werden, bei der es gelungen ist. durch eine bestimmte Art der Vorbehandlung einen hohen Grad von Immunität bei Rindern herzustellen. Anderer- seits soll auch gezeigt werden, daß anscheinend gei'inge Veränderungen der Methode ausreichten, um das Ergebnis der Versuche zweifelhaft zu machen. Von den verschiedenen Wegen, auf denen man die Immunisierung gegen Perl- sucht versuclit hat, sind bisher ohne Zweifel die besten Resultate durch die intravenöse Injektion lebender menschlicher Tuberkelbazillen erzielt worden. Es ist das die M e t h o de, die a u c h wir von Anfang an a n g e w a n d t haben, u n d die sich uns n a t u r g e m ä ß aus de m A u s fall de i' v o r a n g e g a n g e n e n V e r s u h e ü b e r d e n Unterschied zwischen den Bazillen d e r m e n s c h 1 i c h e n und der R i n d e r t u b e r k u 1 o s e e r g a b. D e n n f ü r uns steht es fest, d a ß das P r o b 1 e m d er Tu b e r k u 1 o s e - I m m u n i - s i e r u n g in dem Sinne, w i e e s u n s h i e i' 1) e s c h ä f t i g t , d. h. im S i n n e des [ m p f s c h u t z e s v o r her g e s u n d e r Tiere g e g e n tödliche D o s e n v i r u 1 e n t e n M a t e r i a 1 s a u f d a s Innigste m i t d er Frag e d er V e r - s c h i e d e n h e i t d e r Bazillen d e r m e n s c h 1 i c h e n T u b e r k u 1 o s e u n fl d e r B a z i 1 1 e n d e r P e r' 1 s u c h t v e r k n ü p f t i s t. u n d d a ß dieses P r o b 1 e m in ei n n e u e s S t a d i u m e i n g e t r e t e n ist, seitdem diese gelegentlich schon f ]• ü h e r b e h a u p t e t e Verschiedenheit d u r c h die Versuche von Koch u n d S c h ü t z in exakte r W eise na c h g e - wiesen wurde. Aus diesen Versuchen hatte sich ergeben, daß Rindern größere Mengen lebender Bazillen der menschlichen Tuberkulose ohne Schaden eingespritzt werden konnten, während sie nach der Einspritzung selbst von kleinen Mengen lebender ') Aus Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 1905, Bd. 51. Verlag von A'eit & Co., Leipzig. — Auch im Archiv für wissenscliaftliclie und praktische Tierheilkimde Bd. 31, Heft 6 veröffentlicht. D. Herausgeber. -) In Verbindung mit Prof. Dr. W. Schütz, Piof. Dr. F. Neufeld und Dr. IT. Aließner. 592 Über die Immunisierung von Rindern gegen Tuberkulose. Bazillen der Perlsucht an allgemeiner Tuberkulose erkrankten. Hiernach lag es nahe, Rinder, die nur für das Virus der Perlsucht empfänglich sind, durch vorhergehende Behandlung mit dem Virus der menschlichen Tuberkulose zu immunisieren, und so stehen unsere Immunisierungsversuche im unmittelbaren Zusammenhange mit den früheren Versuchen von Koch und Schütz und knüpfen direkt an diese an. Unseren Versuchen an Rindern sind die von Neufeld ^) beschriebenen Experimente an Eseln imd Ziegen zum Teil zeithch vorausgegangen, und an diesen beiden Tierarten gelang es uns, zum ersten Male (im Herbst 1901) die Möglichkeit einer Immunisierung gegen große Dosen virulenter Perlsuchtbazillen mit Sicherheit festzustellen. Kurze Zeit darauf haben wir, wie ebenfalls bereits von N e u f e 1 d -) mitgeteilt ist, dasselbe Immuni- sierungsverfahren auf Rinder übertragen. Die Einspritzung von lebenden Bazillen der menschhchen Tuberkulose ist im übrigen nicht die einzige Methode gewesen, durch welche man versucht hat, Rinder gegen Perlsucht immun zu machen. Es kamen daneben, indem wir von den Versuchen mit passiver Immunisierung hier absehen, in Betracht: 1. Die Einspritzung von Stoff- wechselprodukten der Tuberkelbazillen oder von toten Tuberkelbazillen, 2. die Ein- spritzung von lebenden Bazillen, die den TuberkelbaziUen nahe stehen (Bazillen der Geflügeltuberkulose, Bazillen der Kaltblütertuberkulose und säurefeste Bazillen) und 3. die Einspritzung von Perlsuchtbazillen, deren Virulenz abgeschwächt worden ist. Die beiden ziierst erwähnten Methoden hat M'Fadyean^) zur Immunisierung benutzt. Wir woUen auf die wenig bekannt gewordenen Versuche desselben hier aus- führücher eingehen, weil es die ersten gewesen sind, bei denen unzweifelhaft ein be- trächthcher Grad von Immunität bei Rindern erreicht und durch Prüfung mit einem an Kontrollrindern als virulent erwiesenen Material demonstriert wurde. Bei den Ver- suchen nüt Tuberkulose giften handelt es sich allerdings nicht um gesunde, sondern um bereits spontan tuberkulöse Rinder, und der Autor selbst nimmt an, daß hier die Immunität nicht durch das Tuberkulin allein, sondern durch dessen Wirkung auf die schon bestehenden tuberkulösen Herde bedingt wurde. Bei zwei Rindern, die schon vor dem Versuche auf eine Einspritzung von Tuber- kulin reagiert hatten, also tuberkulös waren, versuchte M'Fadyean Immunität durch große Dosen von Tuberkuhn hervorzurufen. Das eine der beiden Tiere erhielt zuerst kleme Mengen, dann %'iermal 10 ccm und fünfmal 20 ccm Tuberkuhn. Schheß- lich wurden ihm gleichzeitig mit zwei KontroUtieren verriebene Teile einer tuberkulösen G«kröslymphdrüse emes Pferdes in die Vene gespritzt. Als die drei Tiere 2 bzw. 3 Monate nach dieser Injektion getötet wurden, ergab die Sektion, daß das mit Tuberkuhn vor- behandelte Rind nur eine verkalkte mesenteriale Ljmiphdrüse aufwies, während aUe übrigen Organe frei von tuberkulösen Veränderungen waren, daß dagegen bei den beiden Kontrolltieren eine ausgedehnte Lungentuberkulose bestand. Bei einem zweiten, bereits ebenfalls spontan tuberkulösen Rinde wurden zuerst vier Injektionen von Tuberkulin gemacht ; darauf erhielt es gleichzeitig mit einem Kon- troLhind intravenös 1 34 ccm einer Emulsion aus der mit miliaren Knötchen durchsetzten Leber eines mit Perlsucht infizierten Kaninchens. Das Kontrollrind wurde etwa nach 7 W^ochen schwer krank getötet, und zeigte ausgebreitete Mihartuberkulose der Lungen ; das ersterwähnte Tier dagegen blieb zunächst gesund und erhielt in kurzen Zwischen- räumen siebenmal 20 ccm und einmal 10 ccm Tuberkulin unter die Haut gespritzt. M Deutsche Med. Wochenschrift, 1903. 2) Ebenda, 1904. ^) M'Fadyean, Experiments regarding the immunisation of cattle against Tuberculosis. The Journal of comparative pathology and therapeutics, 1901, p. 136 und 1902, p. 60. über die Immunisieiung von Rindern gegen Tuberkulose. 593 Dann wurde die Einspritzung von Teilen tuberkulöser Organe (Lunge eines mit Perl- sucht infizierten Kaninchens und Pferdemilz) in die Venen noch zweimal wiederholt, und endlich wurden viermal Tuberkelbazillenkulturen (ob Perlsucht oder menschliche Tuberkelbazillen ist aus den Angaben des Autors nicht ersichtlich) in die Venen ge- spritzt, dazwischen mehrfache Injektionen von Tuberkuhn. 2 Monate nach der letzten Einspritzung und fast 2 Jahre nach der oben erwähnten ersten Injektion mit der für das Kontrolltier tödüchen Perlsucht verreibung starb das Rind, und die Sektion ergab tuberkulöse Herde in beiden Nieren, in den unteren Lungenpartien, in vielen Drüsen, sowie Miliartuberkvilose der weichen Hirnhaut. Auch dieses Rind hat, wie schon der Vergleich mit dem Kontrolltier ergibt, zweifellos einen beträchthchen Grad von Immu- nität besessen, der jedoch bei der immer erneuten Zufuhr von infektiösem Material nicht ausreichte. Wir lassen die anderen Versuche von M ' E a d y e a n gleich folgen. Zwei Rinder, die auf die Einspritzung mit Tuberkulin nicht reagiert hatten, er- hielten zuerst eine Aufschwemmung von Geflügeltuberkulosebazillen (baziUenreiche Emulsion der Leber eines spontan tuberkulösen Easans bzw. Huhns) intravenös, alsdann mehrfach wiederholte Dosen von Tuberkuhn. Darauf wurden den Tieren je drei- bis viermal perlsuchthaltige Organ verreibungen, vier- bis fünfmal je eine Tuberkelbazillenreinkultur (dieselbe, die in den oben erwähnten Versuchen an- gewandt wurde) in die Venen gespritzt, dazwischen wieder mehrfache Tuberkuhndosen. Beide Tiere starben schließlich nach längerer Zeit (etwa 2 Jahre nach der ersten In- jektion von Perlsuchtmaterial). Die »Sektion ergab nicht besonders zahlreiche Herde in den Lungen, Nieren und Drüsen, ferner in dem einen Falle einige Miliarknötchen in der weichen Plirnhaut. in dem anderen Falle einen haselnußgroßen, bazillenhaltigen Knoten im verlängerten Marke. Auch bei diesen Rindern darf man annehmen, daß sie bereits einen gewissen Grad von Immunität erreicht hatten; die Immunität reichte aber noch nicht aus, um der- artig große und wiederholt verabreichte Mengen des virulenten Materials unschädlich machen zu können. Auch P e a r s o n und G i 1 1 i 1 a n d i) versuchten Rinder durch Einspritzung von Tuberkulin zu immunisieren. Sie spritzten zwei Kühen, die vorher mit Tuberkuhn geprüft waren, ohne zu rea- gieren, an zehn aufeinander folgenden Tagen jedesmal je 5 ccm Tuberkulin unter die Haut. Darauf fütterten sie die Versuchstiere und zwei Kontrolltiere 10 Tage lang mit je 100 g einer perlsüchtigen Lunge vom Rinde und spritzten den Versuchstieren während der Fütterung außerdem noch täglich je 15 ccm Tuberkulin unter die Haut. Drei Monate später wurden sämtliclie Tiere getötet. Bei der Obduktion wiesen die Versuchsrinder nur tuberkulöse Veränderungen in den mesenterialen Lymphdrüsen auf, die Kontroll- rinder dagegen auch in anderen Drüsen sowie in den Lungen. Hieraus schlössen die Ver- fasser, daß die Widerstandsfähigkeit gegen die Infektion mit Perlsucht durch die Ein- spritzungen von Tuberkuhn erhöht worden sei. Die Immunisierung von Rnidern mit den Bazillen der Geflügeltuberkulose und mit anderen den Tuberkelbazillen mehr oder weniger nahestehenden Bakterien ist mehr- fach versucht worden, nachdem bereits in den neunziger Jahren entsprechende Vei- suche an kleinen Tieren gemacht worden waren. Die Versuche an kleinen Tieren sollen 1) Pearson and Gilliland, Some experiments upon the immunisation of cattle afjainst tuberculo.sis. .Journal of comparative mediciue and veterinary archives. Philadelphia, iVovember 1902. Koch, Gesammelte Werke. 38 594 über die Immunisierung von Eindern gegen Tul)erk\ilose. nur soweit kurz erwähnt werden, als sie eine gewisse Analogie zu den Versuchen an Rindern bieten. So versuchten Grane her und Ledoux-Lebard^), Kaninchen durch Ein- spritzungen von Bazillen der Geflügeltuberkulose in die Venen immun zu inachen. Ähn- liche Versuche machten H e r i c o u r t und Riebet-) bei Hunden. G r a n c h e r und Martin^) spritzten Kaninchen zuerst alte und dann frische, sehr virulente Bouillon- kulturen der Geflügeltuberkulose in die Venen. B a b e s impfte Hunde, Kaninchen und Meerschweinchen mit Bazillen der Geflügeltuberkulose. Auch C o u r m o n t und D o r versuchten durch Einspritzung von immer gesteigerten Mengen der Bazillen der Geflügeltuberkulose Immunität bei Kaninchen hervorzurufen. Paterson") wandte zu diesem Zwecke bei Kaninchen und Meerschweinchen abgetötete Kulturen der Geflügeltuberkulose an. Im allgemeinen ist zu sagen, daß die Erfolge, von denen ein Teil der Experimentatoren spricht, von einem anderen Teile in Abrede gestellt worden ist. Zu den letzteren gehört namentlich S t r a u s '). Auch T e r r e gelang es nicht, mit Fischtuberkulosebazillen Meerschweinchen gegen Tuberkulose zu immunisieren. Wir selbst wurden durch die Beobachtung, daß das 8erum von Ziegen und Eseln, die gegen Tuberkulose immunisiert worden waren, nicht nur Tuberkelbazillen, sondern auch eine Reihe anderer säurefester Bazillen agglutinierte "), und daß umgekehrt das Serum von Tieren, die z. B. mit dem M o e 1 1 e r sehen Thimotheebazillus vorbehandelt worden waren, wiederum Tuberkelbazillen agglutinierte, auf die Anwendung ,, säure- fester" Bazillen zur Immunisierung gegen Tuberkulose hingewiesen. Aber schon wenige Versuche an Ziegen ergabeii, daß mit dem M o e 1 1 e r sehen Thimothee-, Pseudoperl- suclit- und dem Bhndschleichentuberkulosebazillus zum mindestens eine so schnelle und vollkommene Immunität wie mit dem Bazillus der menschlichen Tuberkulose auch nicht annähernd erzielt werden konnte; zum Teil hatten diese Kulturen auch noch schädliche Nebenwirkungen. Wir haben deshalb die Versuche nicht weiter fortgesetzt. Nur bei Meerschweinchen, bei denen noch keines der zahlreichen bisher versuchten Immunisierungsverfahren als sicher wirkend anerkannt worden ist, wurde eine größere Zahl von Versuchen mit lebenden Kulturen des Thimotliee-, Mist-, Pseudoperlsucht- M GrancheretLedoux-Lebard, Etudes sur la tuberculose experimentale du lapin. Anh. de med. exp. et d'anat. path., 1891, No. 2. ^) H^ricourt et Riebet, De la vaccination contre la tuberculose humaine pai' la tul)er- oulose a%'iaire. Etudes exp. et clin. sur la tuberculose, 1892, A.III, Pasc. 2, p. 36.5. — La vacci- nation tul)erculeuse chez le chien. Compt. rend. de l'acad. des sciences, 1892. T. CXIV, p. 854, 1889. — Influence sur l'infection tuberculeuse de la transfusion du sang des chiens vaccinfe contre la tuber- culose. Eljenda, T. CXIV, p. 842. — La vaccination tuberculeuse chez le chien. Le bull. m(^d, 1892, No. 29, p. 741 et No. 48, p. 906. ^) G r a n c h e r et M a r t i n, Tuberculose experimentale sur un inode de traitement et de vaccination. La sem. m^d, 1890, No. 37. — Note sur la vaccination antitub. Congres pour l'^tude de la tuberculose, 1891, p. 10. — Etüde sur la vaccination tubpr{-ulpuse. Revue de la tuberculose. 1893, T. I, p. 289. *) B a b e s, Essais de traitement de la tuberculose (par Finjection du sörum de chiens rendus röfractaires k cette maladie). Communication au congrös pour l'ötude de la tuberculose, 1893. C o \i r m o n t et D o r. De la vaccination contre la tuberculose aviaire ou Mimaine avec les produits .solubles du bacille tuberculeux aviaire. Congres pour lYtude de la tid)er< ulosc. 1891, p. 651. Paterson, A method of prothicing iuuiumity against tul>erculous iiilcction. Tbc Laucet, 1897, p. 1106. ') S t r a u s, La tubercul. et son bacille, 1895, ]). 797. ») Terre, Ref. Centralblatt für Bakteriologie, Bd. XXXIII, p. 200. ") Koch, Über die Agglutination der Tuberkelbazillen und über die Verwertung dieser Agglu- tination. Deut.sche Med. Wochenschritt , 1901, Nr. 48. Diese Werke p. 094 ff. I). Herausgeber. Uber die Immiini.sierving von Rindern gegen Tuljerkulose 595 und Blindschleiclientuberkuloscbazillus geniaclit. Die Meerschweinchen wurden größten- teils intravenös (diu-ch Injektion in die Axillarvene), in einigen Fällen auch intraperi- toneal mit lebenden Kulturen der genannten Bazillen vorbehandelt und nach verschieden langer Zeit durch subkutane oder intraperitoneale Injektionen kleiner Mengen scliAvach virulenter Tuberkelbazillen auf ihre Immunität geprüft. Bei den so vorbehandelten Meerschweinchen ließ sich zwar häufig eine Verzögerung im Auftreten der ersten In- fektionserscheinungen und im Verlaufe der Infektion nachweisen, insbesondere war die Erkrankung der Lymjjhdrüsen bei subkutaner Infektion bisweilen eine sehr geringe, und wir hätten deshalb bei einer nicht genügend langen Beobachtung der Tiere leicht zu falschen Schlußfolgerungen verleitet werden können. Unsere Meerschweinchen sind indes schließlich alle tuberkulös geworden. Auch andere Experimentatoren sind zu älmlichen Ergebnissen gekonnnen. Moeller^) versuchte Meerschweinchen und Kaninchen durch subkutane und intravenöse Injektionen säurefester Bazillen immun zu machen. Hierbei zeigte sicli, daß selbst durch wiederholte intravenöse Injektionen nur ein hemmender Einfluß auf die Entwicklung der Tuberkulose, aber keine vollständige Immunität gegen dieselbe zustande kam, und zwar hatte der Thimotheebazillus und der Grasbazillus II die relativ geringste, der Pseudoperlsuchtbazillus die relativ stärkste Wirkung. K 1 e m p e r e r -) kommt auf Grund von acht Versuchen an Meerschweinchen zu dem »Schlüsse, daß durch subkutane bzw. intraperitoneale Einspritzungen von säure- festen Bazillen ein abschwächender und hemmender Einfluß auf die tuberkulöse In- fektion ausgeübt wird. Der Schutz war aber nur gering und vorübergehend, da alle behandelten Meerschweinchen infolge der Einspritzung der Bazillen der menschlichen Tuberkulose später dennoch zugnnide gingen. D i e u d o n n e ^) fand, daß eine aus dem Froschkörper gezüchtete Kultur bei Meerschweinchen keine Imnnniität gegen eine nachfolgende intraperitoneale Impfung mit Tuberkelbazillen hervoriief. Die be- treffende Kultur war nach mehreren Passagen durch Frösche gewonnen, naclidem der erste Frosch mit Säiigetiertuberkulose geimpft worden war. Auf die Frage der I"m- züchtung von Tuberkelbazillen durch derartige Passagen brauchen wir iiicht mein- ein- zugehen, nachdem durch die eindeutigen Versuchsergebnisse von W e b e r mid T ante*) die Fehlerquelle, der die früheren Autoren zum Opfer gefallen sind, aufgedeckt worden ist. Fried m a n n ''') hat aus einer spontan entstandenen Höhle in den l^ungen einer Scliildkröte einen Bazillus gezüchtet, den er für einen modifizierten Bazillus der mensch- liclien Tuberkulose hält. Er berichtet zunächst über die innnunisierende Wirkung dieser Kultur (soweit ersichtlich bei intravenöser Applikation) an Meerschweinchen; bei den teilweise anscheinend günstigen Resiütaten ist jedoch nach dem oben angeführten zu beachten, daß in allen Fällen die Beobachtungsfrist der Tiere eine viel zu kurze ist, um irgend sichere Schlüsse aus den Versuchen zu ziehen®). M o e 1 1 e r. Über aktive luimuni.sierung gegen Tuberknld.se. Zeitschrift für Tnberkulo.se und Heil.stättenwesen, Bd. V, p. 206. ^) K 1 e m p e r e r. Über die Beziehung der säurefesten Saprophyten (Pseudotutierkelbazillen) zu den Tnberkelbazillen. Zeitschrift für khn. Medizin, 1903, Bd. XLVIII, p. 2.50. ^) D i e u d o n u .Münchener Med. Wochensclirift, 1903, p. 2282. *) VV e b e I' inid Taute, Tuberkulosearbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Heft 3. ') F r i e d m a n n. Spontane Lungentuberkulose bei Schildkröten und die Stellung des 'i'ulierkelbazillus im System. Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenvvesen, Bd. IV, p. 439. — • Immunisierung gegen Tuberkulose». Deutsche Med. Wochenschrift, 1903, p. 953. — Zur Frage dei' aktiven Imnnmisierung gegen Tuberkulose. Ebenda, 1904, p. 166. '■) Diese Bedenken werden durch die seither erfolgte Buldikation von L i b 1» e r t z und Büppel (Deuts<'he Med. Wochenschrift, 1904. Nr. 46) noch verstärkt. 38* 596 Über die Immunisierung von Rindern gegen Tuberkulose. In einer späteren Mitteilung berichtet Fried mann ^) über zwei mit seiner Kultur vorbehandelte Rinder, die nachher mit einer Perlsuchtkultur infiziert wurden, ohne an allgemeiner Tuberkulose zu erkranken. Die Infektionsdosis wird nicht an- gegeben. Sie genügte jedenfalls nicht, um das Kontrolltier in 4 Monaten zu töten, sondern dasselbe wurde alsdann geschlachtet und wies in den Lungen ,, unzählige feinste, dem Verlauf der Gefäße folgende Knötchen (Mihartuberkel)" auf. Nach den vorliegenden spärlichen bzw. wenig exakten Versuchen muß es wohl dahingestellt bleiben, ob und bis zu welchem Grade sich mit dem Schildkrötentuberkelbazillus eine Immunisierung her- beiführen läßt. F r i e d m a n n hat auch einen Heilungsversuch bei einem Rinde vorgenommen, das auf die Einspritzung von Tuberkulin reagiert hatte, also tuberkulös war. Bei der Sektion dieses Rindes fanden sich nur einige kleine, verkalkte und abgekapselte tuber- kulöse Herde in zwei trachealen Lymphdrüsen. Nun läßt sich aber ein ähnlicher Be- fund bei gar nicht behandelten Rindern sehr häufig beobachten. Mithin geht aus dem Befunde nicht hervor, daß die Verkalkung und Abkapselung der tuberkulösen Herde eine Folge der Behandlung mit Schildkrötentuberkelbazillen war. R ö m e r -) macht eine kurze Angabe über Versuche, mit einem Stamm von Hühner- tuberkulosebaziUen Rinder gegen Perlsucht zu immunisieren. Das Verfahren wurde jedoch als zu gefährlich und für die Praxis nicht geeignet wieder verlassen. Ein ganz sicheres Urteil darüber, inwieweit Rinder durch Einspritzung von Ge- flügeltuberkulosebazillen oder von manchen anderen säurefesten Bazillen gegen Perl- sucht immunisiert werden können, läßt sich aus den Mitteilungen der oben genannten Autoren noch nicht gewinnen. Wenn sich auf diesem Wege eine gewisse Immunität erreichen läßt, so dürfte in jedem Falle der Grad derselben nicht annähernd mit dem- jenigen zu vergleichen sein, den eine geeignete Vorbehandlung mit echten Tuberkel- bazillen hervorruft. Was die oben erwähnte dritte Methode betrifft, durch Einspritzung von Perl- suchtbaziUen, deren Virulenz abgeschwächt worden ist, gegen virulente Perlsucht zu immunisieren, so woUen wir später darauf zurückkommen. Wir wenden uns jetzt zu den Versuchen v. Behrings. V.Behring hat in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern Römer und R u p p e 1 über eine größere Anzahl von Versuchen, Rinder gegen Perlsucht zu immunisieren, berichtet und auf Grund der dabei von ihm erhaltenen Resultate die intravenöse In- jektion eines bestimmten Stammes (,, Kultur I") von menschlichen Tuberkelbazillen zur Einführung in die Praxis empfohlen, um durch Immunisierung der Kälber in den ersten Lebensmonaten allmählich einen tuberkulosefreien Viehstand zu schaffen. Was die Methode der Immunisierung anlangt, so hat v. Behring zuerst (Einl. p. V) die vorläufige Angabe gemacht, Rindern im Alter von 5 bis 7 Monaten als erste Dosis 0,001 g seiner Kultur intravenös einzuspritzen und nach 4 Wochen eine zweite Injektion von 0,025 g folgen zu lassen; dann hat er die Dosis auf 0,004 bzw. 0,01g festgesetzt. Später hat v. Behring empfohlen, dieselbe Kultur, nachdem sie im Vakuum bei niederer Temperatur getrocknet ist, zur Schutzimpfung zu benutzen und bei der ersten Injektion 0,004 g, bei der zweiten, frühestens 12 Wochen danach auszuführenden Injektion 0,02 g Trockensubstanz zu injizieren. Die Impfung soll in der Regel nur bei Kälbern von 3 Wochen bis zu 4 Monaten, bei älteren, bis zu 2 jährigen Kälbern aber Friedmann, Über Immunisierung von Rindern gegen Tuberkulose (Perlsucht) und über Tuberkuloseserum- Versuche. Deutsche Med. Wochenschrift, 1904, p. 1673. 2) Römer, Beiträge zur experimentellen Therapie, Heft 7, p. 86. von Behring, Tuberkulose. Beiträge zur experimentellen Therapie, Heft ö. über die Immunisierung von Rindern gegen Tuberkulose. 597 nur ausnahmsweise und nur dann ausgeführt werden, wenn eine Prüfung mit Tuberkuhn negativ ausgefallen ist. Der Impfstoff soll in diesem getrockneten Zustande 1 Monat lang haltbar sein. V. B e h r i n g hat bisher keinen Versuch veröffentlicht, in welchem ein Rind durch eine der von ihm empfohlenen Methoden immunisiert und der Erfolg der Immu- nisierung durch eine Kontrollinjektion nachgewiesen worden ist. Dagegen haben einige der von ihm auf andere Weise immunisierten Rinder zweifellos einen genügenden Grad von Immunität besessen, um eine für Kontrolltiere akut tödliche Perlsuchtinfektion M'enigstens eine Zeitlang zu überleben, so die in der ersten Mitteilung beschriebenen Rinder 8. 10. 11, 16, 17, 20. Die Mehrzahl dieser Tiere erwies sich jedoch bei der Sektion nicht als frei von Tuberkulose, bei einigen fanden sich sogar erhebhche tuberkulöse Veränderungen, die teils auf die Prüfung mit virulentem Material, teils auf die zur Vor- behandlung gemachten Injektionen zurückzuführen sein dürften. Sämtliche soeben angeführten Tiere Avaren. bevor sie mit virulentem Material geprüft Avurden. entweder intravenös oder subkutan mit wenig virulentem Perlsuchtmaterial behandelt worden; es ist dies eine Vorbehandlung, die y. B e h r i n g, wie er und Römer mehrfach be- tonen, für die Praxis vollkommen ausschließt. Die meisten der genannten Tiere hatten außerdem noch mehrfache (zwei Tiere sogar neun) Injektionen von menschlichen Tu- berkelbazillen erhalten. Wodurch also in diesen Fällen die Immunität erzielt worden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Weniger scheinen mis die später von R ö m e r mitgeteilten Versuche für die Frage der Immunisierung zu beweisen, und zwar deswegen, weil hier der Nachweis fehlt, daß die zur Prüfung benutzte Perlsuchtkultur genügend virulent war. Im Gegenteil geht aus der Durchsicht der Kurven hervor, daß die hauptsächlich benutzte Perlsucht- kultur 18 wenigstens im Mai 1903 keine hohe Virulenz besaß. Es wurden nämhch ain 26. Mai 1903 zwei Kontrolltiere intravenös mit 0.0005 g der Kultur infiziert (bei einem der Tiere gelangte vielleicht nicht das ganze Material wirklich in die Vene) und am 6. bzw. 13. Oktober 1903 getötet. Der Befund war beim ersten Tier: In vier Drüsen je ein bis zwei Stecknadel- bis hirsekorngroße Knötchen mit spärlichen Tuberkelbazillen. ..Innere Organe ohne Veränderungen". Das zweite Tier, das niemals gefiebert hatte, zeigte außer zwei Drüsen mit verkästen bzw. verkalkten Herden in einer Lungenspitze drei hirsekorngroße verkalkte Tuberkel mit spärhchen Bazillen. Noch geringfügigere Veränderungen zeigte ein am 5. Juli 1903 mit 0,0025 g derselben Kultur subkutan infiziertes und am 29. August getötetes Kontrollrind. Mithin sind diejenigen Rinder, die etwa in der Zeit der soeben angeführten Virulenzprüfungen mit Perlsucht- kultur 18 infiziert wurden, ohne sichtlich zu erkranken, daraufhin doch nicht als immu- nisiert anzusehen. An akuter fortschreitender Tuberkulose nach Injektion dieser Perl- suchtkultur ist von den von R ö m e r an dieser Stelle beschriebenen Tieren nur e i n einziges (Nr. 44) erkrankt, welches im August 1902 0,01 g der Kultur intravenös er- halten hatte. Dies ist jedoch gerade ein Tier-, das wenigstens annähernd nach der für die Praxis empfohlenen Methode immunisiert worden war, indem es zwei Injektionen O.Ol bzw. 0.02 g) der Kultur I von menschlichen TuberkelbaziUen, und außerdem zwei Injektionen der A r 1 o i n g sehen Kultur erhalten hatte. Es erkrankte nach der In- jektion der Perlsuchtkultur schwer und wies, als es etwa 8 Wochen danach getötet A\urde, allgemeine Tuberkulose der Lungen auf. R ö m e r deutet an. daß dieser Miß- erfolg darauf beruhe, daß das Rind 44 (welches zu Beginn der Innnunisierung 146 kg wog) schon in zu vorgeschrittenem Alter sich befunden habe, — eine Erklärung, die ^) E ö rn e r , Beiträge zur experimentellen Therapie, Heft 7. 598 Über die Immunisiei'ung von Rindern gegen Tuberkulose. nach unseren eigenen, sowie H ii t y r a s Beobachtungen nicht, als zutreffend angesehen werden kann. Über den zweiten von Römer benutzten Perlsuchtbazillenstamm (2015) hegt überhaupt keine Virulenzprüfung an einem Rinde vor. Nun kann gewiß nicht erwartet werden, daß bei Tuberkuloseversuchen an gi-oßen Tieren etwa jedesmal ein KontroU- tier geopfert wird, aber von Zeit zu Zeit, insbesondere aber beim Abschluß jeder größeren Versuchsreihe muß unbedingt die Virulenz der Perlsuchtkulturen festgestellt werden, wenn die Versuche überhaupt eine beweisende Kraft haben sollen. Als befremdKch muß es wohl bezeichnet werden, wenn Römer eine Methode der Immunisierimg auf Grund von Versuchen empfiehlt, bei denen die wenigen Kontrollprüfungen, die über- haupt angestellt wurden, negativ ausgefallen sind. An einer Stelle berichtet v. Behring über fünf Kälber, von denen das eine durch einmahge, die übrigen durch mehrmalige Einspritzung seiner Kultur I von mensch- hchen Tuberkelbazillen vorbehandelt waren; die Tiere erhielten schheßlich zugleich mit einem Kontrolltier 0,0005 g der Perlsucht 18 (die anscheinend 24 Tage im Vakuum aufbewahrt war) intravenös. Da das Kontrolltier indessen nicht tödlich erkrankte und weder über dieses noch über die fünf Versuchskälber Obduktionsberichte vorliegen, so lassen sich aus diesen Mitteilungen keine Schlüsse über eine etwa eingetretene Immu- nität ableiten. V. Behring '^) selbst äußert sich speziell mit Bezug auf die Anwendung der im N'akuum getrockneten Tuberkelbazillen: Meine Institutsexperimente beweisen, daß die hier beschriebene Schutzimpfung mit Kultur I von menschüchen TuberkelbaziUen gegen nachfolgende Avillkürhch ausgeführte Injektionen eine größere Widerstandsfähig- keit bedingt, aber noch nicht in dem Grade, daß akut tödhche Dosen vom Rindertuber- kulosevirus gut vertragen werden. Man kann hiernach die Versuche v. Behrings und seiner Mitarbeiter dahin zusammenfassen, daß aus denselben wohl die Möglichkeit einer Immunisierung von Rindern überhaupt hervorgeht, daß aber eine geeignete Methode zur Immunisierung sich daraus nicht, ergibt. Um eine unparteüsche Nachprüfung zu ermöglichen, hat v. Behring mehrere Tiere, die von ihm schutzgeimpft waren, an andere Untersucher zur Nachprüfung ab- gegeben. Auch diese Tiere waren jedoch keineswegs nach einer der von v. Behring für die Praxis angegebenen Methoden behandelt, sondern hatten vielfach wiederholte Injektionen von verschiedenem Material erhalten. Wenn somit von vorne herein aus diesen Versuchen ein Schluß auf die Leistungsfähigkeit des für die Praxis empfohlenen Ver- fahrens nicht gezogen werden konnte, so lieferten sie nicht einmal in allen Fällen den Beweis, daß die betreffenden Tiere überhaupt immun waren. Einerseits gelang es in der Regel nicht, dieselben einer für die KontroUtiere tödhchen Infektion zu unterwerfen, andererseits erwiesen sich einige der Tiere, trotzdem sie nicht mit hochvirulentem Material geprüft wurden, in der Folge nicht als tuberkulosefrei. So erhielt Lorenz^) zwei Kälber, von denen das eine 8 und das andere 14 Ein- spritzungen von tuberkulösem Material erhalten hatte. Nun erwies sich das von Lorenz für die Kontrolle benutzte Material als so wenig virulent, daß auch die Kontrolltiere ^) von Behring, Beiträge zur experimentellen Therapie, Heft 8. 2) Zeitschrift für Tiermedizin, N. F. VI, p. 321. ^) Lorenz, Die Bekämpfung der Rindertuberkulose und das v. Behring sehe Immuni- sierungsverfahren. Berliner tierärztl. Wochenschrift, 1903, Nr. 48. Uber die Iiuinunisiening von Riiitlern gegen Tuberkulose. 599 nach der subkutanen Infektion zwar mäßig starke lokale Erscheinungen zeigten, bei der Schlachtung aber nur ganz geringfügige tuberkulöse Veränderungen an den inneren Organen aufwiesen. Da ferner ein Obduktionsbericht über die beiden vor- liehandelten Tiere nicht vorliegt, so fehlt überhaupt jeder Nachweis dafür, daß letztere ininum waren. S c h 1 e g e 1 1) unterwarf zwei in Marburg immunisierte Rinder, von denen das eine (Nr. 14) neun und das andere (Nr. 40) drei Einspritzungen von tuberkulösem Material erhalten hatte, einer Probe. Hierbei ist besonders hervorzuheben, daß dem Rinde Nr. 14 achtmal der für den praktischen Gebrauch empfohlene Stamm (I) von Bazillen der menschhchen Tuberkulose in ansteigenden Mengen von 0.005 bis 0,4 g in die Venen eingespritzt wordoi war. Bei der ersten Probe wurde den beiden Versuchsrindern und einem Kontrollrinde eine Einspritzung von einem perlsüchtigen Drüsenstückchen eines Rindes gemacht. Hierbei konnte kein Unterschied zwischen dem Verhalten der Ver- suchsrinder und dem des Kontrollrindes nachgewiesen werden, abgesehen von der größeren Tuberkulinempfindlichkeit des letzteren, auf welche Römer besonderen Wert legt. R ö m e r übersielit dabei die naheliegende Möglichkeit, daß die Tuberkuhnempfind- lichkeit der Versuchsrinder durch die vielfach wiederholten Injektionen von tuberkulösem Material abgestumpft sein kann '-). Darauf wurde den drei Rindern zugleich mit zwei neuen Kontrollrindern 0,0005 g von Perlsuchtbazillen in die Venen gespritzt. Es ist dies die oben genauer besprochene Infektion, bei welcher sich der Stamm der Perlsucht- bazillen 18 für die Kontrollrinder so wenig virulent erwies. Das vorbehandelte Rind Nr. 14 wurde allmählich marantisch ; als es etwa 3 Monate später getötet wurde, fanden sich in den Mediastinaldrüsen sowie in einer Lunge und in einer Niere mehrere kleine Knötchen, die Tuberkelbazillen enthielten. Das ersterwähnte Kontroll- rind, dem zweimal Teile eines Perlsuchtknotens injiziert worden waren, wies zahl- reichere Knötchen in Lungen, Nieren, Milz und mehreren Lymphdrüsen auf. Die beiden anderen KontroUrinder, denen nur einmal Perlsuclitbazillen in die Venen gespritzt worden waren, zeigten, wie oben erwähnt, keine bzw. ganz minimale Veränderungen der inneren Organe. Über das zweite vorbehandelte Tier ist noch kein Sektions - bericht mitgeteilt. An Eber") waren zwei Rinder zur Probe gesandt worden. Das eine der Tiere (Nr. 9), welches nüt acht intravenösen und einer intraokularen Injektion vorbehandelt worden war, erhielt zur Prüfung seiner Immunität zunächst viermal Verreibungen von Perlsuchtknoten subkutan bzw. intravenös. Erst das bei einer fünften (intravenösen) Injektion verwandte Material (0,01 einer Perlsuchtkultur) war von genügender Virulenz, um 2 Kontrolltiere in 28 bis 38 Tagen zu töten. Das immunisierte Tier wurde nach 5-^/4 Monaten schwer krank getötet und zeigte zahlreiche verkäste Knötchen in Lungen und Nieren, sowie tuberkulöse Basilarmeningitis. Über das Ergebnis der Probe bei diesem Rinde und dem Rinde Nr. 46 sagt Eber folgendes: ,,Die Widerstandsfähigkeit der vorbehandelten Rinder war keine absolute. Bei genügend starker Dosierung erkrank- ten beide Rinder an den Folgen der tuberkulösen Infektion." M Schlegel. Zur Tulierkiilose-Sehutzimpfung. Berliner tierärztl. Wochenschrift, 1903. Nr. 49. -) E 1) e r (Deutsche tierärztl. Wochenschrift, 1903, Nr. 1) teilt einen entsprechenden Fall nüt, wo ein vielfach vorbehandeltes Tier .sich trotz negativer Tuberkulinprol)e als tuberkulös erwies. Eber, Über die Widerstandsfähigkeit zweier in Marburg mit Tuberkelbazillen verschie- dener Herkunft vorbehandelter Rinder gegen subkutane und intravenöse Injektionen mit tuberkulösem, vom Rinde stammenden Virus. Berliner tierärztl. Wochenschrift, 1904, Nr. 53. 600 über die Immuuisierung von Rindern gegen Tuberkulose. Weit günstiger fielen die Versuche von H u t y r a ^) aus. H u t y r a verwandte teils den Originalimpfstoff v. B e h r i n g s, teils drei verschiedene von ihm selbst frisch gezüchtete Kulturen des menschlichen Typus ; dabei sei bemerkt, daß eine dieser letzteren von einem an Tuberkulose eingegangenen Affen herstammte. Die Versuchskälber H u t y r a s standen im Alter von 31^4 bis 12 Monaten. Der Autor injizierte von v. Behrings Impfstoff bei der ersten Impfung 0,004, bei der zweiten 0,01, in anderen Fällen 0,04 g; von seinen eigenen Kulturen 0,005 bzw. 0,025 g. Zwischen beiden Einspritzungen lagen etwa 40 Tage, zwischen der zweiten Impfung und der Infektion 7 bis 8 Wochen. Als Prüfungsdosis diente 0,02 g der v. Behring- schen Perlsuchtkultur 18. Dieselbe wurde in einem Falle subkutan, sonst intravenös gegeben, und ihre Virulenz stets an Kontrolltieren erwiesen. Vier von den zehn schutz- geimpften Tieren wurden außerdem vor der intravenösen Injektion der Perlsuchtkultur noch 14 Tage lang mit derselben Kultur gefüttert. Von den zehn vorbehandelten Tieren war bei ehiem die Immunisierung mißlungen ; dasselbe starb annähernd gleichzeitig mit den Kontrollen etwa 5 Wochen nach der In- fektion an Mihartuberkulose. Die anderen wurden, während alle Kontrolltiere an Miliar- tuberkulose der Lungen eingingen, nach 2^ bis 3 Monaten getötet. Keines der Tiere zeigte sich völlig frei von Tuberkulose, sondern es fanden sich stets in den inneren Organen, sowie in einigen Lymphdrüsen bazillenhaltige Knötchen; diese Veränderungen waren zum Teil nur sehr geringfügig, zum Teil auch ausgedehnter, wobei bemerkens- wert ist, daß die von dem Autor selbst gezüchteten frischen Kulturen entschieden ein besseres Resultat ergaben, als der v. Behring sehe OriginaUmpfstoff . Mit Rück- sicht auf die Menge des zur Prüfung eingespritzten Infektionsmaterials, dessen Virulenz stets kontroUiert wurde, steht außer Zweifel, daß die Versuchstiere H u t y r a s zum größten Teil einen erheblichen Grad von Immunität besaßen. Ferner hat Thomassen-) eine Mitteilung veröffentlicht, nach der es ihm ge- lungen ist, bei zwei Kälbern nach der Einspritzung von Bazillen der menschhchen Tuber- kulose in die Venen einen erheblichen Grad von Immunität gegen die Perlsucht zu er- zeugen. Dieselben zeigten nach der KontroUeinspritzung von Perlsuchtbazillen nur geringe tuberkulöse Veränderungen in den Lungen, während das gleichzeitig mit derselben Menge der PerlsuchtbaziUen infizierte Kontrollkalb innerhalb 19 Tagen an allgemeiner Tuberkulose zugrunde ging. Ein drittes Tier immunisierte Thomassen durch eine intraokulare Injektion. Dieses Versuchskalb war frei von Tuberkulose. Einen guten Immunisierungserfolg hatten ein Jahr früher P e a r s o n und G i 1 1 i - 1 a n d -^j bei zwei Kälbern erreicht. Sie spritzten zwei Kälbern in einem Zeiträume von 2 Monaten Bazillen der menschhchen Tuberkulose in ansteigenden Mengen, zu- sammen 0,16 g in die Venen ein. Nach weiteren 2 Monaten erhielten die beiden Versuchskälber und zwei Kontrollkälber eine Einspritzung von PerlsuchtbaziUen in die Luftröhre. Nach abermals 2 Monaten wurden sämthche Kälber getötet. Die Versuchskälber erwiesen sich bei der Obduktion frei von Tuberkulose, während die Kontrollkälber zahlreiche Herde in den Lungen und in vielen Drüsen erkennen heßen. 1) H u t y r a, Schutzimpfung-sversuche gegen die Tuberkulose der Rinder nach v. B e h r i n g s Methode. Beiträge zur experimentellen Therapie, Heft 9. Thonaassen, L'inununisation des jeunes bovid^s contre la tuberculose. Ree. de m6d. v^törinaire, 1903, p. 6. ') Pearson and G i 1 1 i 1 a n d, a. a. O. Uber die Immunisierung von Bindern gegen Tuberkulose. 601 V. B a \i m g a r t e n ^) hat durch Einspritzung von Bazillen der menschlichen Tuber- kulose in die Unterhaut bei Kälbern einen so hohen Grad von Immunität erreicht, (laß sie gegen eine für Kontrollrinder tödüche Infektion mit Perlsuchtbazillen geschützt waren, v. B a u m g a r t e n sagt : „Schon eine einmahge subkutane Impfung mit mensch- lichen Tuberkelbazillen genügt, um diese Immunität gegen Perlsuchtinfektion zu be- wirken." Auch bestand diese Immunität noch 2^^ Ja-hre nach der Präventivimpfung ..gegen jede folgende für Kontrollrinder tödhche Perlsuchtimpfung" fort. Nähere An- gaben hat V. B a u m g a r t e n über die Versuche bisher nicht gemacht ; er glaubt aber die Einspritzung in die Venen durch eine Einspritzung in die Unterhaut ersetzen zu können 2). II. Von unseren eigenen Versuchen sollen hier nur die späteren in ausführlichen Pro- tokollen wiedergegeben werden, bei denen Rinder ausschließlich diu-ch ein- oder zwei- malige intravenöse Injektion vorbehandelt wurden. Von den früheren Versuchen ist der erste, in welchem eine Immunisiennig ge- hingen war, bereits von N e u f e 1 d ^) mitgeteilt worden : dieser und einige folgende Versuche ergaben zwar die Möglichkeit einer Immunisierung von Rindern, Avaren jedoch insofern nicht ganz rein und für die Methodik der Immunisierung nicht maßgebend, als die Tiere zunächst zu anderen Zwecken eine subkutane Einspritzung und inzwischen jnehrfach wiederholte Dosen von Tiiberkulin oder von abgetöteten Tuberkelbazillen erhalten hatten. AUmähhch kamen w ir dann zu einer einfacheren und sicheren Methode der Immu- nisiennig. wobei mis A\'iederum die früher an Ziegen und Eseln gemachten Erfahrungen 1) V o n B a u ni g a r t e n. Über Immunisierungsversuche gegen Tuberkulose. Berliner klin. Wochenschrift, 1904, Nr. 43. ") Nach Abschluß dieser Arbeit hat F. K 1 e m p e r e r (Experimenteller Beitrag znv Tul)er- kulosefrage (Zeitschrift für klin. .Medizin, Bd. LVI, Heft 3 u. 4) sehr bemerkenswerte Versuche publi- ziert, auf die wir kmz hinweisen möchten. Der Autor stellte zunächst diirch einen Versuch am Rinde fest, daß sich auch dru-ch s u b k u t a n e Injektion von menschlichen Tuberkelbazillen Immunität erzeugen läßt, imd \\ andte sich dann der Frage zu, ob auch bei schon bestehender Perlsuchtinfektion noch eine nachträgliche Immunisierung mid somit günstige Beeinflussung der bestehenden Krankheit möglich ist. Bei den von K 1 e m p e r e r in Versuch genommenen, natürlich erkrankten Tieren war jedoch die Tulierkiüose schon zu weit vorgeschritten, als daß noch ein Einfluß hätte erwartet \\ erden können. Bei einigen künstlich mit Perlsucht infizierten Rindern dagegen sah K 1 e in p e r e r bis zu einem gewissen Grade eine günstige Beeinflussung des Verlaufes der Infektion durch nach- trägliche subkiitane Injektionen von menschlichen Tuberkelbazillen. Nunmehr verfolgt Klemperer den folgenden Gedankengang (der theoretisch auch ^ lln v. Baum garten gelegenthch schon gestreift wurde): wenn, entsprechend den Anschauimgen K o c h s, die Perlsuchtbazillen für den Menschen eine geringe Viriüenz besitzen, so ist damit die Mög- Hchkeit gegeben, Menschen durch Injektion lebender Perlsuchtbazillen in analoger Weise wie Rinder durch menschliche Tuberkelbazillen zu immunisieren. Klemperer gibt nun eine Anzahl von A'orv ersuchen in dieser Richtung, aus denen zimächst soviel hervorgeht, daß in der Tat lebendes Perlsuchtmaterial der verschiedensten Herkunft in nic^it unbeträchtlicher Quantität einer Anzaiil von Versuchspersonen, z. T. vielfach wiederholt, sidjkutan eingespritzt werden konnte, ohne daß, abgesehen von gelegentlichen Abszessen, nachteilige Folgen auftraten. Aiich tuberkulöse Personen A erhielten sich den Injektionen von Perlsuchtmaterial gegenüber nicht anders wie gesunde. Das Ergebnis dieser Versuche, deren ersten der "S^erf asser a)i sich selbst ausführte, bietet nelxMi Monate zugrunde. 2. Kultur 482 (Kalb 3 und 4) entstammte der Lunge eines Mensehen (Sek- tionsprotokoll des pathologischen Instituts der Berhner Universität Nr. 482 des Jahres 1903). Das mit diesem Material infizierte Meerschweinchen war nach 2 Monaten schwer erkrankt und wurde deshalb getötet. Auf den mit Milzstückchen dieses Tieres be- schickten Glyzerinserumröhrchen wuchsen die Bazillen sehr gvit. 3. K u 1 t u r 486 (Kalb F) und 6) war gezüchtet aus der Milz eines Meerschweinchens, das mit einem Teile der tuberkulösen Bronchialdrüse eines Menschen ( Sektionspro- tokoll des pathologischen Instituts der Berliner Universität Nr. 486 des Jahres 1903) infiziert worden und innerhalb 3 Monaten zugrunde gegangen wai-. Die Kultur wuchs anfänglich schlecht, später besser. 4. K u 1 1 u r 496 (Kalb 7 und 8). Mit einem eingesandten tuberkulösen J^ungen- stückchen eines Menschen (Sektionsprotokoll des pathologischen Instituts der Berliner Universität Nr. 496 des Jahres 1903) wurde ein Meerschweinchen subkutan infiziert und nach 2 Monaten getötet. Die aus der Milz dieses Meerschweinchens gezüchteten Tuberkelbazillen wuchsen gut. 5. Kultur 492 (Kall) !l und 10) entstammt der tuberkulö.sen Lunge eines Men- schen (Sektionsprotokoll des pathologischen Instituts der Berliner LTniversität Nr. 492 des Jahres 1903), mit der drei Meerschweinchen subkutan infiziert worden waren. Zwei Meerschweinchen starben nach lYz^ Meerschweinchen nach 2 Monaten. Aus der Milz des zuerst gestorbenen Meerschweinchens wurden Kulturen angelegt, die gut wuchsen. 6. Kultur Westen höff er (Kalb 11 und 12). Das Ausgangsmateria- rührte von der tuberkulösen Lunge eines Menschen her, der von Herrn W e s t e n 1 h ö f f e r am 14. März 1903 im pathologischen Institute der Universität obduziert worden war. Die drei mit Lungenteilclien infizierten Meerschweinchen starben innerhalb zwei Monaten . 7. Kultur Aug usta-Hospital (Kalb 13 und 14). Von einem im Augusta- Hospital am 17. Februar 1902 von Herrn Privatdozent Dr. 0 estreich obduzierten tuberkulösen Menschen wurden Teilchen der Bronchialdrüse einem Meerschweinchen unter die Haut gebracht und von der Milz dieses Tieres, das nach 2 Monaten gestorben war, Kulturen angelegt. 604 Über die Immunisierung von Rindern gegen Tuberkvdose. S P a s \ — l~ '= 1 bU9 wie die angeführten Beispiele, deren Zahl sich leicht vermehren ließe, lehren, nicht die Rede sein, und wir müssen daher nach anderen Faktoren als einer spontanen, im epi- demiologischen Gange der Tuberkulose hegenden Ursache der Abnahme suchen. Man könnte daran denken, daß die Virulenz der Tuberkulose nachgelassen habe. Gegen diesen Erklärungsversuch spricht aber zunächst der Umstand, daß die Abnahme Epidemiologie der Tuberkulose. 645 der Tuberkulose ganz plötzlich eingesetzt hat und in wenigen Jahrzehnten vieKach 50% und darüber hinaus erreicht hat. Nachdem die Mortalität der Schvt-indsucht mehr als 2000 Jahre hindurch eine erhebliche und viehach eine langsam ansteigende gewesen ist, M-ird doch darin nicht mit einem Male und ohne irgendwelchen merkbaren Grund Tafel s. Es starben an Lungenschwindsucht von je 10000 Lebenden: in Manhattan und The Broux in Greater New York o — — o— o — o— o • 0 eine Änderung eintreten. Außerdem müßte sich die Abnahme der Virulenz doch zu- nächst dadurch bemerkbar machen, daß die einzelnen Fälle von Lungenschwindsucht leichter verhefen und häiifiger zur Heilung kommen. Davon ist aber nichts zu bemerken. Es ist allerdings richtig, daß die Behandlung der Tuberkulose in der Neuzeit gi-oße Fort- schritte gemacht hat, und daß es gelingt, durch die sogenannte hygienisch-diätetische 646 Epidemiologie der Tuberkulose. und ganz besonders durch die spezifische Behandkuig der Tuberkulose viele Fälle zur Heilung zu bringen. Aber dieses Vorteils wird zurzeit doch nur ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz der Tuberkulösen teilhaftig, und man kann sich leider bei den nicht so behandelten Fällen immer wieder davon überzeugen, daß die Lungentuber- kulose noch immer denselben mörderischen Charakter hat wie früher. Außerdem hatte die Schwindsuchtsabnahme schon eine Reihe von Jahren angedauert, ehe die neuen Behandlungsmethoden einen einigermaßen beachtenswerten Umfang angenommen hatten. Von mehreren Seiten ist die Schwindsuchtsabnahme mit der Entdeckung des Tuberkelbazillus in Zusammenhang gebracht. Man hat gesagt, daß dadurch der an- steckende Charakter der Schwindsucht bewiesen wurde, und daß die Menschen infolge- dessen vorsichtiger wurden und der Ansteckung möglichst aus dem Wege gingen, während bis dahin die Ärzte von der Ansteckungsf älügkeit der Schwindsucht nichts wissen wollten, und das große Publikum ihnen hierin selbstverständlich folgte. Diese Behauptung hat gewiß manches für sich. Auf jeden Fall ist es im höchsten Grade auffällig, daß mit wenigen Ausnahmen die Schwindsuchtsabnahme überall nur wenige Jahre nach jener Entdeckung eingesetzt hat. Aber gerade diese Ausnahmen beweisen, daß die neu entstandene Furcht vor der Ansteckungsgefahr nicht der einzige Faktor ist, Avelcher hier in Frage kommt, wenn wir ihm auch einen gewissen und nicht geringen Einfluß zubilligen müssen. Bei deutschen Autoren begegnet man häufig der Ansicht, daß die soziale Gesetz- gebung, namentlich die Krankenversicherung, die Abnahme der Tuberkulose bewirkt habe. Bis zu einem ge\vissen Grade ist das namentlich mit Rücksicht auf das zeitliche Zusammentreffen in Deutschland unbestreitbar der Fall; da aber in den meisten übrigen Ländern, wo derartige Gesetze noch nicht eingeführt sind, die Abnahme zur selben Zeit und ebenso weit stattgefunden hat, so kann jene Gesetzgebung auch bei uns nicht der ausschlaggebende Gmnd gewesen sein. Es würde zu weit führen, wenn ich hier alle bis jetzt unternommenen Erklärungs- versuche aufzählen und besprechen wollte. Ich werde mich daher sofort denjenigen Untersuchungen über diese Frage zuwenden, welche nach meiner Ansicht die größte ^ Beachtung verdienen. Diese Untersuchungen wurden durch die auffallende Tatsache veranlaßt, daß sich die Tuberkulosesterblichkeit in den drei zu Großbritannien gehörigen Ländern ganz verschieden verhält. In England und Schottland nimmt sie ab, in Irland nimmt sie dagegen wenn auch nur langsam, aber doch deutlich zu. Dafür die Ursache aufzufinden, hat der bekannte Medizinalstatistiker Newsholme sich bemüht. Mit der größten Gründlichkeit hat er alle dabei in Frage kommenden Faktoren untersucht, hauptsächlich Wohnung, Nahrung, Lohnverhältnisse, Krankenfürsorge, Auswanderung und er ist scliheßhch zu der Überzeugung gekommen, daß für Irland die Art und Weise der Krankenfürsorge den ausschlaggebenden Faktor bildet. Während in England und Schottland die der Armenpflege anheimfallenden Phthisiker geschlossenen Anstalten überwiesen werden, erhalten sie in Irland ihre Unterstützung, ohne dadurch verpflichtet zu werden, daß sie sich in eine Anstalt begeben; sie bleiben also in ihrer Behausung und bewirken andauernd in ihrer Umgebung Ansteckung. Newsholme versucht auch den Nachweis zu führen, daß auch in Norwegen die Schwindsuchtssterblichkeit im Zunehmen begriffen ist, weil nicht ausreichend für die Unterkunft der Phthisiker in Krankenanstalten gesorgt ist. Ich mochte hierzu bemerken, daß man diesen Mangel in Norwegen bereits erkannt hat und bemüht ist, demselben durch Begründung von Spezialkrankenanstalten für Schwindsüchtige abzuhelfen. Es scheint so, als ob in den allerletzten Jahren infolgedessen die Mortalitätskurve nicht mehr ansteigt. N e w s - h o 1 m e weist ferner auf die auffallend hohe Schwindsuchtssterbhchkeit von Paris hin Epidemiologie der Tuberkulose. 647 und begründet dieselbe durch die ungenügenden Krankenhausverhältnisse, infolge deren der Aufenthalt der Kranken in denselben zu kurz ist, um einen merklichen Einfluß auf die Verhütung der Ansteckung ausüben zu können. In bezug darauf, daß eine möglichst ausgiebige und langdauernde Überweisung der Schwindsüchtigen an die Krankenanstalten das wirksamste Mittel ist. um die An- steckung und damit die Ausbreitung der Schwindsucht zu verhüten, möchte ich N e w s - hol m e vollständig beipflichten. Auch nach meinen Ei^ahrungen hat überall da, wo für die Unterbringung der Schwindsüchtigen in Krankenhäusern in ausreichendem Maße gesorgt ist, die Schwindsucht am meisten abgenommen und umgekehrt. Es liegt ja auch aivf der Hand, daß auf keine andere Weise die Ansteckungsgefahr, welche von einem Phthisiker ausgeht, so gründlich beseitigt wird als durcli die Isolierung im Kranken- hause. Einen schlagenden Beweis dafür liefert übrigens die Lepra, bei welcher es ge- lungen ist, nach demselben Prinzip die Seuche mit gutem Erfolg zu bekämpfen. Außer diesem Faktor spielt aber noch ein zweiter eine sehr wichtige Rolle. Es ist dies die Wohnung. Je l)eengter dieselbe ist, je mehr es ihr an Licht und Luft fehlt, um so mehr wird durch dieselbe die Ansteckung begünstigt. Von vielen Aiitoren wird der Armut und der Bevölkerungsdichtigkeit ein entscheidender Einfluß auf die Phthisis- frequenz zugeschrieben, und es geschieht dies mit Recht; aber in Wirklichkeit sind es die mangelhaften und zu beengten Wohnungen, in welche durch die Armut und durch die Zunahme der Bevölkennigsdichtigkeit die Menschen getrieben werden. Ich möchte sogar noch einen Schritt weitergehen und den Satz aiif stellen, daß es nicht so sehr die Wohnungen im ganzen, sondern die Beschaffenheit des Schlafraumes ist, welche die Gefahr der Ansteckung schafft. Selbst in einer geräumigen und an und für sich gesunden Wohnung kann die Ansteckungsgefahr eine sehr große werden dadurch, daß die Be- wohner bei Nacht dicht zusammengedrängt in einem engen Schlairaum zubringen. Es ist gewiß kein Zufall, daß die höchsten Sterblichkeitsziffern für Schwindsucht bei uns nicht in den ärmsten Gegenden der östlichen Provinzen, sondern in den relativ wohlhabenden und weitläufig bebauten Gegenden der Nordseeküste sich finden, wo seit alters her die üble Gewohnheit besteht, daß als Schlafraum schrankähnliche, in die Wand gebaute Behälter, sogenannte Butzen, dienen, welche nachts geschlossen werden, und daß in den nördlichen Gegenden Schwedens mit einem notorisch recht gesunden Klima die höchsten Schwindsuchtsziffern da vorkommen, wo die Leute ebenfalls in Wandschränken schlafen, welche den friesischen Butzen ganz konform sind. Die auffallende Tatsache, daß bei uns vielfach die Städte eine geringere Schwind- suchtssterblichkeit haben als das benachbarte Land, ist offenbar zum Teil auf den Mangel an Krankenanstalten, zum Teil aber auch auf die schlechte Gewohnheit der Landl)ewohner zurückzuführen, daß sie, auch wenn ihnen mehrere Wohnräume zur Verfügung stehen, den schlechtesten und engsten zum Schlaf räum machen. Als Beispiel für jene LTnter- schiede mag eine Zusammenstellung für einige preußische Regierungsbezirke nach Stadt und Land getrennt dienen (Taf . 9). Aber auch in den Städten ist es mit den Wohnungsverhältnissen noch mangel- haft bestellt. Die Zahl der Wohnungen, welche aus einem einzigen Raum bestehen, in dem oft kinderreiche Familien wohnen, kochen und schlafen, oft in einem einzigen Bett, sind noch recht zahlreich. Nach R u b n e r sind in Hamburg, Berlin, Breslau 10 bis 14% Wohnungen übermäßig belegt, wenn man die Bewohnung eines einf enstrigen Zimmers durch mehr als 5 Personen als überfüllt bezeichnet. K a y s e r 1 i n g hat berechnet, daß von den in ihren Wohnungen verstorbenen Phthisikern 40,6% Einzimmerwohnungen, 41,7% Zweizimmerwohnungen besaßen; daß in Berlin im Laufe von .3 Jahren 8229 Personen allein durch die in einzinnnerigen Woh- 648 Epidemiologie der Tuberkulose. nungen sterbenden Schwindsüchtigen der höchsten Ansteckungsgefahr ausgesetzt wurden. Bekannthch sind die Schwindsüchtigen im letzten Stadium, wo sie hilflos sind und reich- lich tuberkelbaziUenhaltiges Sputum auswerfen, ganz besonders ansteckend. T a f e 1 9. Von 10000 Einwohnern starben 1875/79 an Lungenschwindsucht (Nach Hirsch, Histor.-geogr.JPathologie.) in den in den axif dem Regierungsbezirken : Städten : Lande: Marienwerder 25,4 13,5 Danzig 23,9 14,1 Königsberg 24,9 14,5 Bromberg 31,3 18,5 Erfurt 26,9 27,0 Breslau 37,3 27,5 Hannover 33,8 44,4 Osnabrück 48,7 52,2 Köln 47,6 53,4 Wenn wir daran festhalten, daß der wirksamste Schutz gegen Ansteckung die Isolierung der Schwindsüchtigen in Krankenanstalten ist, aber dann weiter bedenken, daß die Zahl derjenigen erwachsenen Personen, für welche wegen ihres tuberkulösen Leidens eine Krankenhausbehandlung notwendig wäre, im Deutschen Reiche auf min- destens 150 000 bis 200 000 jährlich geschätzt wird, und daß es ganz unmöglich ist, diese aUe in Krankenanstalten unterzubringen, so wird nichts anderes übrig bleiben, als dieselben zum großen Teil in ihren Wohnungen zu isolieren. Dies würde sich auch einigermaßen ausführen lassen, wenn man dem Kranken einen besonderen Schlafraum überlassen könnte. Aber wie soll das ermögUcht werden, wenn die Wohnung überhaupt nur aus einem Raum besteht ? Diese Betrachtungen zeigen, daß die Abnahme der Schwindsucht in neuerer Zeit durch verschiedene Faktoren bedingt wird, von denen die beiden wichtigsten die Kranken- fürsorge mit Isoherung der Phthisiker in Krankenanstalten und die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, insbesondere des Schlafraumes sind. Es geht daraus hervor, welche ungeheuren Hindernisse noch überwunden werden müssen, ehe es gehngen wird, die Schwindsuchtsmortahtät immer weiter herabzusetzen und schheßhch ein Niveau zu erreichen, welches womöghch noch tiefer liegt als das niedrigste zurzeit bestehende von 7 auf 10 000 Lebende. Zu gleicher Zeit ergibt sich aber auch der große Nutzen, welchen uns die genaue Kontrolle der Schwindsuchtssterbhchkeit für Länder und Städte verschafft. Die Mor- talitätskurve läßt sofort erkennen, ob die Schwindsuchtsverhältnisse ungünstig liegen, ob die Mortahtät im Sinken begriffen ist, und ob die ergriffenen Maßregeln noch wirk- sam sind, oder ob Verbesserungen, Ergänzungen usw. anzuordnen sind. So ist für Nor- wegen der Verlauf seiner Schwindsuchtskurve Veranlassung gewesen, mit dem Bau von Krankenanstalten vorzugehen und damit ein Absinken der Kurve zu bewerkstelhgen. New York hat, sobald sich herausstellte, daß die Kurve anfing flacher zu ver- laufen, und sich stärkere Schwankungen zeigten, ebenfalls beschlossen, die Kranken- fürsorge zu verstärken und die 2500 jetzt für Schwindsüchtige zur Verfügung stehenden Betten auf 5000 zu bringen. In Berlin soll aus demselben Grunde ein Spezialkranken- haus für Lungenschwindsüchtige mit 1000 Betten errichtet werden. Epidemiologie der Tuberkulose. 649 Es ist sehr zu wünschen, daß überall eine derartige genaue Kontrolle geübt wird, und daß dieselbe auf immer kleinere Bezirke ausgedehnt wird, um so tiefer in die Tuber- kuloseverhältnisse einzudringen und die für die einzelnen kleineren Ortschaften und ländlichen Bezirke besonders in Frage kommenden Schädlichkeiten aufzudecken und dafür Abhilfe zu schaffen. Bei uns ist die Statistik schon so weit entwickelt, daß es möglich ist, die einzelnen Kreise in bezug auf ihre SchwindsuchtssterbKchkeit zu übersehen. Ich habe hier zwei Regierungsbezirke herausgegriffen, welche sehr anschaulich zeigen, welche interessanten Ergebnisse der Vergleich zwischen den einzelnen Kreisen liefert (Taf. 10). Tafel 10. Von 10000 Einwohnern starben 1907 an Tuberkulose in den Kreisen des des Reg.-Bez. Allenstein Reg.-Bez. Osnabrück (10,33) (23,34) Osterode ... 7,2 Osnabrück (Land) . 15,0 Johannisburg . . . 7,7 Iburg 17,0 Sensburg .... . 8,5 Osnabrück (Stadt) . 18,0 Neidenburg . . . . 9,5 Meppen 22,8 Rössel . 10,0 Melle 24,0 Orteisburg . . . . 11,0 Aschendorf .... 25,0 Lyck . 11,5 Grafschaft Bentheim 25,75 Lotzen . 11,5 Bersenbrück . . . 28,0 Allenstein . . . 13,0 Lingen 30,0 Wittlage 30,0 Hümmling .... 35,0 Für die eigentliche Tuberkulosebekämpfung wird man sogar noch weiter gehen und auch den Kreis noch in kleinere Bezirke zerlegen müssen, welche zu untersuchen und mit Fürsorgestellen oder anderweitigen Einrichtungen zur Bekämpfung der Seuche zu versehen sind. Die Mortalitätsstatistik und die sich daran anknüpfenden epidemiologischen Untersuchungen bilden daher ein wichtiges Glied in den Maßregeln, mit welchen die Tuberkulose zu bekämpfen ist. über bakteriologische Forschung. ) Von Dr. R. Koch. Als ich den ehrenvollen Auftrag erhielt, einen der Vorträge für den internationalen Kongreß zu übernehmen, wurde ich vor die Wahl gestellt, das Thema für diesen Vortrag derjenigen Wissenschaft zu entnehmen, mit welcher ich mich jetzt vorzugsweise zu be- schäftigen habe, nämlich der Hygiene, oder der Bakteriologie, welcher ich mich früher jahrelang fast ausschließlich widmen konnte. Ich habe mich für das letztere entschieden, weil ich annehme, daß die Bakterio- logie noch immer das allseitigste Interesse beansprucht, und so will ich es denn ver- suchen, Urnen in kurzen Zügen den jetzigen Stand der bakteriologischen Forschung, wenigster s in einigen wichtigeren Teilen derselben, zu schildern. Allerdings werde ich damit denjenigen, welche mit der Bakteriologie vertraut sind, nichts Neues bieten. Um aber auch vor diesen nicht mit ganz leeren Händen zu erscheinen, beabsichtige ich, einige bei meinen fortgesetzten Studien über die Tuberkulose gefundene und noch nicht bekannt gegebene Tatsachen meiner Darstellung einzuflechten. Die Bakteriologie ist, wenigstens soweit sie für uns Ärzte in Betracht kommt, eine sehr junge Wissenschaft. Noch vor etwa 15 Jahren wußte man kaum mehr, als daß bei JVIilzbrand und Rekurrens eigentümliche fremdartige Gebilde im Blute auf- treten imd daß bei Wundinfektionskrankheiten gelegentlich die sogenannten Vibrionen vorkommen. Ein Beweis dafür, daß diese Dinge die Ursachen jener Krankheiten sein könnten, war noch nicht geliefert und mit Ausnahme weniger für Phantasten gehaltener Forscher faßte man solche Befunde mehr als Kuriositäten auf, als daß man Krankheits- erreger dahinter vermutet hätte. Man konnte auch kaum anders denken, denn es war noch nicht einmal bewiesen, daß es sich um selbständige und für diese Krankheiten spezifische Wesen handelte. In faulenden Flüssigkeiten, namentlich aber im Blute erstickter Tiere, hatte man Bakterien gefunden, welche von den Milzbrandbazillen nicht zu unterscheiden waren. Einzelne Forscher wollten sie überhaupt nicht als lebende Wesen gelten lassen, sondern hielten sie für kristalloide Gebilde. Den Rekurrensspirillen identische Bakterien sollten im Sumpfwasser, im Zahnschleim vorkommen und den jVIikrokokken der Wundinfektionskrankheiten gleiche Bakterien waren angeblich im gesunden Blut und in gesunden Geweben gefunden. Mit den zu Gebote stehenden experimentellen und optischen Hilfsmitteln war auch nicht weiter zu kommen und es wäre wohl noch geraume Zeit so geblieben, wenn sich nicht gerade damals neue Forschungsmethoden geboten hätten, welche" mit einem Schlage ganz andere Verhältnisse herbeiführten und die Wege zu weiterem Eindringen ^) Aas Verhandlungen des X. Internationalen Medizinischen Kongresses, Berlin 1890. 1891, Bd. I. Verlag von August Hirschwald, Berlin. über bakteriologische Forschung. 651 in das dunkle Gebiet öffneten. Mit Hilfe verbesserter Linsensysteme und deren zweck- entsprechender Anwendung, unterstützt durch die Benutzimg der Anilinfarben, wurden auch die kleinsten Bakterien deutlich sichtbar und von anderen Mikroorganismen in morphologischer Beziehung unterscheidbar gemacht. Zugleich wurde es durch die Ver- wendung von Nährsubstraten, welche sich je nach Bedarf in flüssige oder feste Form bringen ließen, ermöglicht, die einzelnen Keime zu trennen und Reinkulturen zu ge- wannen, an denen die eigentümlichen Eigenschaften jeder einzelnen Art für sich mit voller Sicherheit ermittelt werden konnten. Was diese neuen Hilfsmittel zu leisten imstande waren, zeigte sich sehr bald. Es wurde eine Anzahl neuer, wohl charakteri- sierter Arten von pathogenen Mikroorganismen entdeckt und, was von besonderer Wich- tigkeit war, auch der ursächliche Zusammenhang zwischen diesen und den zugehörigen Krankheiten nachgewiesen. Da die aufgefundenen Krankheitserreger sämtlich zur Gruppe der Bakterien gehörten, so mußte dies den Anschein erwecken, als ob die eigent- lichen Infektionskrankheiten ausschließlich durch bestimmte und voneinander ver- schiedene Bakterienarten bedingt seien, und man durfte sich auch der Hoffnung hin- geben, daß in nicht zu ferner Zeit für alle ansteckenden Krankheiten die zugehörigen Erreger gefunden sein W'ürden. Diese Erwartung hat sich indessen nicht erfüllt, und die weitere Entwicklung der Bakterienforschung hat auch in anderer Beziehung einen mehrfach unerwarteten Fortgang genommen. Wenn ich mich zunächst an die positiven Ergebnisse der bakterio- logischen Forschung halte, dann möchte ich aus denselben folgende Punkte hervorheben. Es ist jetzt als vollständig erwiesen anzusehen, daß die Bakterien ebenso wie die höheren pflanzlichen Organismen feste , mitunter allerdings schwierig abzugrenzende Arten bilden. Die noch bis vor wenigen Jahren mit großer Hartnäckigkeit festgehaltene und auch jetzt noch von einzelnen Forschern vertretene Meinung, daß die Bakterien in einer von allen übrigen lebenden Wesen abweichenden Art und Weise wandelbar seien und bald diese morphologischen oder biologischen Eigenschaften, bald andere gänzlich davon verschiedene annehmen könnten und daß höchstens einige wenige Arten anzunehmen seien; oder daß die Bakterien überhaupt keine selbständigen Organismen seien, vielmehr in den Entwicklungskreis von Schimmelpilzen oder, wie einige wollten, von niederen Algen gehörten; ferner die ihre Selbständigkeit noch weiter anfechtende Ansicht, daß sie Abkömndinge von tierischen Zellen, z. B. von Blutkörperchen seien; alle diese Anschauungen sind unhaltbar gegenüber den in überwältigender Zahl ge- sammelten Beobachtungen, welche ausnahmslos dafür sprechen, daß wir es auch hier mit gut charakterisierten Arten zu tun haben. Wenn wir uns an die Tatsache halten, daß einige durch Bakterien bedingte Infektionskrankheiten, wie Lepra und Phthisis, in ihren unverkennbaren Eigenschaften schon von den ältesten medizinischen Schrift- stellern beschrieben werden, so könnten wir daraus sogar schließen, daß die pathogenen Bakterien eher die Neigung haben, ihre Eigenschaften innerhalb langer Zeiträume fest- zuhalten, als sie, wie mit Rücksicht auf den wandelbaren Charakter mancher epide- nüscher Krankheiten meistens angenommen wird, schnell zu verändern. Innerhalb ge- wisser Grenzen allerdings können Abweichungen von dem gewöhnlichen Typus der Art bei den Bakterien und insbesondere auch bei den pathogenen Bakterien vorkommen ; doch unterscheiden sich die Bakterien auch in dieser Beziehung nicht im geringsten von den höheren Pflanzen, bei denen aiich vielfache, meistens auf äußere Einflüsse zurückzuführende Änderungen anzutreffen sind, die uns höchstens veranlassen, von Varietäten zu sprechen, aber die Art als solche bestehen zu lassen. So kommt es vor, daß eine Bakterienart unter ungünstigen Ernährungsbedin- gungen verkümmerte Formen hervorbringt, daß einzelne in die Augen fallende, oder 652 Über bakteriologische Forschung. uns von unserem ärztlichen Standpunkte interessierende, aber für das Gesamtleben der Pflanze vielleicht wenig wichtige Eigenschaften, z. B. die Bildung eines Farbstoffes, die Fähigkeit, im lebenden Tierkörper zu wachsen, gewisse Giftstoffe zu produzieren, zeitweilig oder, soweit die Erfahrungen darüber bis jetzt reichen, auch gänzlich ver- schwinden können. Dabei handelt es sich aber immer nur um Schwankungen, welche sich innerhalb gewisser Grenzen bewegen und nie von dem Mittelpunkt des Arttypus so weit entfernen, daß man nötig hätte, den Übergang in eine neue oder eine schon be- kannte Art, z. B. des Milzbrandbazillus in den Heubazillus, anzunehmen. Da uns nun aber wegen der geringen Größe der Bakterien nicht, wie bei den höheren Pflanzen, durchgreifende und zur Systematik verwendbare morphologische Kenn- zeichen zu Gebote stehen, so sind wir um so mehr darauf angewiesen, uns bei der Be- stimmung der Arten nicht an einzelne Kennzeichen zu halten, von denen man von vorn- herein gar nicht einmal wissen kann, ob sie zu den festen oder den wandelbaren Eigen- schaften der betreffenden Art gehören, sondern wir müssen so viele Eigenschaften als nur irgend möglich, auch wenn sie augenbhckhch noch so unwesentlich zu sein scheinen, und zwar morphologische und biologische, gewissenhaft sammeln und erst nach dem so gewonnenen Gesamtbilde die Art bestimmen. In dieser Beziehung kann man gar nicht weit genug gehen und manche Mißverständnisse und Widersprüche, welche in der Bakteriologie anzutreffen sind, lassen sich auf die leider immer noch nicht genügend befolgte Beachtung dieser Regel zurückführen. Ein sehr charakteristisches Beispiel für die Schwierigkeit, mit welcher die Be- stimmung einer Art zu kämpfen hat, liefert der Typhusbazillus. Trifft man denselben in den Mesenterialdrüsen, in der Milz oder der Leber einer Typhusleiche, dann wird wohl niemals ein Zweifel darüber entstehen, daß man es mit den echten Tj^phusbazillen zu tun hat, da an diesen Stellen bisher noch niemals andere Bakterien beobachtet sind, welche mit ihnen verwechselt werden könnten. Aber ganz anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn es sich um den Nachweis der Typhusbazillen im Darminhalt, Boden, Wasser, Luftstaub handelt. Da finden sich zahlreiche ihnen sehr ähnliche Bazillen, die nur ein sehr geübter Bakteriologe, und auch dieser nicht mit absoluter Sicherheit von den Typhusbazillen zu unterscheiden vermag, da es noch immer an unverkenn- baren und konstanten Merkmalen derselben fehlt. Die in neuerer Zeit mehrfach ge- machten Angaben, daß Typhusbazillen im Boden, im Leitungswasser, in Nahrungs- mitteln nachgewiesen seien, können daher nur mit berechtigtem Zweifel aufgenommen werden. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Diphtheritisbakterien. Ein glücklicher Zufall hat es dagegen gewollt, daß für einige andere wichtige pathogene Bakterien, wie die Tuberkelbazülen und die Cholerabakterien, von vornherein so sichere Kennzeichen sich darboten, daß sie unter allen, auch den schwierigsten Umständen zuverlässig als solche zu erkennen sind. Die großen Vorteile, welche sich aus der sicheren Diagnose der Krankheitserreger in diesen Fällen ergeben haben, müssen für uns eine dringende Aufforderung sein, trotz aller früheren vergeblichen Bemühungen immer wieder von neuem nach ähnhchen sicheren Merkmalen auch für Typhus-, Diphtheritis- und andere wichtige pathogene Bakterien zu suchen; denn nicht eher wird es möglich sein, auch diese Krankheitserreger auf ihren verborgenen und vielfach verschlungenen Wegen außerhalb des Körpers zu verfolgen und damit feste Unterlagen für eine rationelle Pro- phylaxis zu gewinnen. Aber wie vorsichtig man in der Beurteilung der Kennzeichen, welche zur Unter- scheidung der Bakterien dienen, selbst bei wohlbekannten Arten sein soll, das habe ich an den Tuberkelbazillen erfahren. Diese Bakterienart ist bekanntlich durch ihr Verhalten gegen Farbstoffe, durch ihre Vegetation in Reinkulturen und durch ihre über bakteriologische Forschung. 653 pathogenen Eigenschaften, und zwar durch ein jedes einzehie dieser Kennzeichen, so bestimmt charakterisiert, daß eine Verwechsehing mit anderen Bakterien ganz aus- geschlossen scheint. Und dennoch sollte man sich auch in diesem Falle nicht auf ein einziges der genannten Merkmale für die Bestimmung der Art verlassen, sondern die bewährte Regel befolgen, daß alle zu Gebote stehenden Eigenschaften berücksichtigt werden müssen und erst, wenn sie sämtlich übereinstimmen, die Identität der betreffen- den Bakterien als bewiesen zu erachten ist. Als ich meine ersten Untersuchungen über die Tuberkelbazillen anstellte, habe ich es mir angelegen sein lassen, streng nach dieser Regel zu verfahren, und es wurden dementsprechend die Tuberkelbazillen der verschie- densten Herkunft nicht allein auf die Reaktionen gegen Farbstoffe, sondern auch auf ihre Vegetationsverhältnisse in Reinkulturen und auf die pathogenen Eigenschaften geprüft. Nur in bezug auf die Tuberkulose der Hühner ließ sich dies nicht durcM ühren . da es mir damals nicht möglich war, frisches Material zu erhalten, aus dem ich Rein- kulturen hätte züchten können. Da aber alle übrigen Arten der Tuberkulose identische Bazillen geliefert hatten und die Bazillen der Hühnertuberkulose in ihrem Aussehen und in ihrem Verhalten gegen Anilinfarben damit vollkommen übereinstimmten, so glaubte ich mich trotz der noch vorhandenen Lücke in der Untersuchung für die Iden- tität aussprechen zu können. Später erhielt ich dann von verschiedenen Seiten Rein- kulturen, welche angeblich von Tuberkelbazillen herrührten, aber in mehrfacher Be- ziehung von diesen abwichen ; namentlich hatten auch die von geübteii und durchaus zuverlässigen Forschern damit an Tieren gemachten Inf ektionsversuclie zu abweichenden Resultaten geführt, welche jetzt noch als unaufgeklärte Widersprüche angesehen werden. Zunächst glaubte ich es mit Veränderungen zu tun zu haben, wie sie bei pathogenen Bakterien nicht selten beobachtet werden, wenn man dieselben in Reinkulturen außer- halb des Körpers, also unter mehr oder weniger ungünstigen Bedingungen, längere Zeit fortzüchtet. Um aber das Rätsel zu lösen, wurde versucht, durch die verschiedensten Einflüsse die gewöhnlichen Tuberkelbazillen in die vorhin erwähnte vermeinthche Va- rietät umzuzüchten. Sie wurden viele Monate lang bei einer so hohen Temperatur ge- züchtet, daß eben noch ein kümmerliches Wachstum erfolgte; in anderen Versuclis- reihen wirkten noch höhere Temperaturen wiederholt so lange Zeit auf die Kulturen, bis letztere dem Absterben möglichst nahe gebracht waren. In analoger Weise ließ ich Chemikalien, Licht, Feuchtigkeitsentziehung auf die Kulturen einwirken; sie wurden in vielen Generationen mit anderen Bakterien zusammen gezüchtet; in fortlaufenden Reihen auf wenig empfängliche Tiere verimpft. Aber trotz aller dieser Eingriffe ließen sich doch nur geringe Veränderungen in den Eigenschaften erzielen, welche hinter dem, was unter gleichen Verhältnissen bei anderen pathogenen Bakterien vorkommt, weit zurückblieben. Es gewinnt daher den Anschein, als ob gerade die Tuberkelbazillen ihre Eigenscliaften mit großer Hartnäckigkeit festhalten, was auch damit übereinstimmt, daß Reinkulturen derselben, welche von mir nun seit mehr als neun Jahren im Reagenz- glase fortgezüchtet wurden, also seitdem nie wieder in einen lebenden Körper gelangt sind, sich bis auf eine geringe Abnahme der Virulenz vollkommen unverändert erhalten haben. Als alle Versuche, den Zusammenhang zu finden, gescheitert waren, da brachte schließhch ein Zufall die Aufklärung. Vor Jahresfrist traf es sich, daß ich einige lebende Hühner, welche an Tuberkulose litten, erhielt, und diese Gelegenheit benutzte ich, um das, was mir früher unmöglich gewesen war, nachzuholen und Kulturen direkt aus den erkrankten Organen dieser Tiere anzulegen. Als die Kulturen heranwuchsen, sah ich zu meiner Überraschung, daß sie genau das Aussehen und auch alle sonstigen Eigen- schaften der den echten Tuberkelbazillen ähnlichen rätselhaften Kulturen besaßen. Nachträglich liei.^ sicli denn auch in Erfahrung bringen, daß letztere von Geflügeltuber- 654 über bakteriologische Forschung. kulose abstammten, aber in der Voraussetzung, daß alle Formen der Tuberkulose identisch seien, für echte Tuberkelbazillen gehalten waren. Eine Bestätigung meiner Beobachtung finde ich in Untersuchungen, welche von Prof. Maff ucci über Hühnertuberkulose gemacht und kürzlich veröffentlicht sind. Ich stehe nicht an, die Bazillen der Hühner- tuberkulose als eine für sich bestehende, aber den echten Tuberkelbazillen sehr nahe verwandte Art zu halten, und es drängt sich damit natürlich sofort die für die Praxis wichtige Fi'age auf, ob die Bazillen der Hühnertuberkulose auch für den Menschen pa- thogen sind. Diese Frage läßt sich indessen nicht eher beantworten, als bis diese Bazillen- art bei fortgesetzten Untersuchungen einmal beim Menschen angetroffen wird, oder bis in einer genügend langen Reihe von Fällen ihr Fehlen konstatiert wurde. Dazu wird man sich aber natürlich nicht wie bisher auf die Untersuchung mit Farbstoffreagentien beschränken dürfen, sondern man wird in jedem einzelnen Falle das Kulturverfahren anwenden müssen. Alle neueren Erfahrungen weisen also bestimmt darauf hin, in der Trennung der Bakterienarten möglichst sorgfältig zu verfahren und die Grenzen für die einzelnen Arten eher zu eng, als zu weit zu ziehen. Auch in einer anderen wichtigen prinzipiellen Frage haben sich die Verhältnisse gegen früher wesentlich geklärt und vereinfacht, nämlich in bezug auf den, Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den pathogenen Bakterien und den ihnen zugehörigen Inf ektionskrankheiten . Der Gedanke, daß Mikroorganismen die Ursache der Infektionskrankheiten sein müßten, ist zwar von einzelnen hervorragenden Geistern schon sehr frühzeitig aus- gesprochen, aber die allgemeine Meinung konnte sich damit nicht recht vertraut machen und verhielt sich gegenüber den ersten Entdeckungen auf diesem Gebiete sehr skeptisch. Um so mehr war es geboten, gerade in den ersten Fällen mit unwiderleglichen Gründen den Beweis zu führen, daß die bei einer Infektionskrankheit aufgefundenen Mikro- organismen auch wirklich die Ursache dieser Krankheit seien. Damals war der Ein- wand immer noch berechtigt, daß es sich um ein zufälliges Zusammentreffen von Krank- heit und Mikroorganismen handeln könne, daß letztere also nicht die Rolle von gefähr- lichen Parasiten, sondern von harmlosen Schmarotzern spielten, welche erst in den er- krankten Organen die im gesunden Körper fehlenden Existenzbedingungen fänden. Manche erkannten zwar die pathogenen Eigenschaften der Bakterien an, hielten es aber für möglich, daß sie erst unter dem Einfluß des Krankheitsprozesses aus anderen harm- losen, zufällig oder auch regelmäßig vorhandenen Mikroorganismen sich in pathogene Bakterien verwandelt hätten. Wenn es sich nun aber nachweisen Keß : erstens, daß der Parasit in jedem einzelnen Falle der betreffenden Krankheit anzutreffen ist, und zwar unter Verhältnissen, welche den pathologischen Veränderungen und dem klinischen Verlauf der Kjrankheit entsprechen; zweitens, daß er bei keiner anderen Krankheit als zufälliger und nicht pathogener Schmarotzer vorkommt; und drittens, daß er, von dem Körper voUkommen isoHert und in Reinkulturen hinreichend oft umgezüchtet, imstande ist, von neuem die Krankheit zu erzeugen; dann konnte er nicht mehr zu- fälhges Akzidens der Krankheit sein, sondern es ließ sich in diesem Falle kein anderes Verhältnis mehr zwischen Parasit und Krankheit denken, als daß der Parasit die Ursache der Krankheit ist. Dieser Beweis hat sich denn nun auch in vollem Umfange für eine Anzahl von Infektionskrankheiten führen lassen, so für Milzbrand, Tuberkulose, Erysipelas, Tetanus und viele Tierkrankheiten, überhaupt für fast aUe diejenigen Krankheiten, welche auf Tiere übertragbar sind. Dabei hat sich nun aber weiter ergeben, daß auch in allen den Fällen, in welchen es gelungen ist, bei einer Infektionskrankheit das regelmäßige und über bakteriologische Forschung. 655 ausschließliche Vorkommen von Bakterien nachzuweisen, letztere sich niemals wie zu- fällige Schmarotzer, sondern wie die bereits sicher als pathogen erkannten Bakterien verhielten. Wir sind deshalb wohl jetzt schon zu der Behauptung berechtigt, daß, wenn auch nur die beiden ersten Forderungen der Beweisführung erfüllt sind, wenn also das regelmäßige und ausschließliche Vorkommen des Parasiten nachgewiesen wurde, damit der ursächliche Zusammenhang zwischen Parasit und Ivrankheit auch vollgültig be- wiesen ist. Von dieser Voraussetzung ausgehend müssen wir dann eine Reihe von Krank- heiten, bei denen es bisher noch nicht oder doch nur in im vollkommener Weise ge- lungen ist, Versuchstiere zu infizieren und damit den dritten Teil des Beweises zu liefern, dennoch als parasitische ansehen. Zu diesen Krankheiten gehören Abdominalt}'|)hus. Diphtheritis, Lepra, Recurrens, asiatische Cholera. Namentlich die Cholera möchte ich in dieser Beziehung ausdrücklich hervorheben, da man sich gegen die Auffassung derselben als einer parasitischen Krankheit mit außergewöhnlicher Hartnäckigkeit ge- sträubt hat. Es sind alle erdenklichen Anstrengungen gemacht, die Cholerabakterien ihres spezifischen Charakters zu berauben, aber sie haben alle Anfechtungen siegreich überstanden und man kann es jetzt wohl als eine allgemein bestätigte und festbegründete Tatsache ansehen, daß sie die Ursache der Cholera bilden. Außer in diesen allgemeinen, aber wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung höchst wichtigen Fragen hat die bakteriologische Forschung noch nach vielen Richtungen hin festen Fuß gefaßt und die Beziehungen der pathogenen Bakterien zu den Infektions- krankheiten klar gelegt. Es würde aber zu weit führen, auf dieselben näher einzugehen, und mag es genügen, darauf hinzuweisen, daß wir jetzt erst imstande sind, uns richtige Vorstellungen davon zu machen, wie die Krankheitsstoffe sich außerhalb des Körpers im Wasser, im Boden und in der Luft verhalten; Vorstellungen, welche von den früheren, aus unsicheren Hypothesen abgeleiteten, erheblich alnveichen. Erst jetzt können wir uns darüber zuverlässige Auskunft verschaffen, inwieweit die Krankheitserreger al§ echte Parasiten anzusehen sind, d. h. als solche, welche ausschließlich auf den mensch- lichen oder tierischen Organismus angewiesen sind, oder ob man es mit Parasiten zu tun hat, welche auch außerhalb des Körpers die Bedingungen für ihre Existenz findeji und nur gelegentlich als Krankheitserreger funktionieren. Es sind dies Verhältnisse, welche für die prophylaktischen Maßnahmen bei einigen Krankheiten, so namentlich bei der Tuberkulose, von einschneidender Bedeutung sind. Ferner hat die Art und Weise, wie die Krankheitserreger in den Körper eindringen, sich für einige pathogene Bakterien hinreichend genau ermitteln lassen, um auch über diese Vorgänge zu richtigeren Vor- stellungen zu gelangen. Auch über das Verhalten der pathogenen Bakterien in\ Innern des Körpers werden unsere Kenntnisse immer umfassender und manche pathologische Vorgänge, welche bisher rätselhaft erscheinen mußten, werden damit dem Verständnisse näher gebracht. Dahin gehört das so häufige Vorkommen von Kombination mehrerer Infektionskrankheiten, von denen dann die eine als die primäre, die andere als die sekun- däre anzusehen ist. Letztere verschafft dann der eigentlichen Ivi'ankheit einen abweichenden, be- sonders schweren Charakter oder schließt sich als Nachkrankheit an dieselbe an. Es sind dies Zustände, welche vorzugsweise bei Pocken, Scharlach, Diphtheritis, Cholera, auch bei Typhus und Tuberkulose beobachtet werden. Weiter sind hier zu nennen die Resultate, welche die Untersuchung der Bakterien in bezug auf ihre Stoff Wechselprodukte ergeben hat, da sich unter denselben solche befinden, welche eigentümliche Giftwirkungen haben und möglicherweise auf die Symptome der Infektionskrankheiten von Einfluß sind, vielleicht sogar die wichtigsten derselben bedingen. Von ganz besonderem Inter- esse sind in dieser Beziehung die in neuester Zeit entdeckten giftigen Eiweisstoffe, die 656 über bakteriologische Forschung. sogenannten Toxalbumine, welche aus den Kulturen von Milzbrand- , Diphtheritis- und Tetanusbakterien gewonnen werden können. Mit sehr regem Eifer ist die ebenfalls hierher gehörige Frage nach dem Wesen der Immunität bearbeitet, welche nur unter ZuhiKenahme der Bakteriologie zu lösen ist. Zu einem eigentlichen Abschluß ist dieselbe allerdings noch nicht gebracht, aber es stellt sich doch immer mehr heraus, daß die eine Zeitlang im Vordergrunde stehende Meinung, nach welcher es sich um rein zelluläre Vorgänge, um eine Art von Kampf zwischen den eindringenden Parasiten und den von seiten des Körpers die Verteidigung übernehmenden Phagozyten handeln sollte, immer mehr an Boden verliert und daß auch hier höchstwahrscheinlich chemische Vorgänge die Hauptrolle spielen. Eine Fülle von Material hat in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit die bakterio- logische Forschung in bezug auf die biologischen Verhältnisse der Bakterien geliefert und manches ist davon auch für die medizinische Seite der Bakteriologie von Wichtig- keit. So das Vorkommen von Dauerzuständen, welche bei manchen Bakterien, z. B. den Milzbrand- und Tetanusbazillen in Form von Sporen auftreten und sich durch eine im Vergleich mit anderen Lebewesen beispiellose Widerstandsfähigkeit gegen hohe Temperaturen imd gegen die Wirkung chemischer Agentien auszeichnen. Auch die zahl- reichen Untersucliungen über den Einfluß, welchen Wärme, Kälte, Austrocknen, che- mische Substanzen, Licht usw. auf die nicht sporenhaltigen pathogenen Bakterien aus- üben, haben manche Ergebnisse geliefert, welche sich prophylaktisch verwerten lassen. Unter diesen Faktoren scheint mir einer der wichtigsten das Licht zu sein. Vom direkten Sonnenlichte wußte man schon seit einigen Jahren, daß es Bakterien ziemlich schnell zu töten vermag. Ich kann dies für Tuberkelbazillen bestätigen, welche je nach der Dicke der Schicht, in welcher sie dem Sonnenlicht ausgesetzt werden, in wenigen ^Minuten bis einigen Stunden getötet werden. Was mir aber besonders beachtenswert zu sein scheint, ist, daß auch das zerstreute Tageslicht, wenn auch entsprechend lang- samer, dieselbe Wirkung ausübt; denn die Kulturen der Tuberkelbazillen sterben, wenn sie dicht am Fenster aufgestellt sind, in 5 — 7 Tagen ab. Für die Ätiologie der Infektionskrankheiten ist auch die Tatsache von Wichtigkeit, daß alle Bakterien nur in feuchtem Zustande, also bei Gegenwart von Wasser oder sonstigen geeigneten Flüssigkeiten, sich vermehren können und daß sie nicht imstande sind, von feuchten Flächen aus eigenem Antriebe in die Luft überzugehen. Infolge- dessen können pathogene Bakterien auch nur in Form von Staub und von Staubteilchen getragen in die Luft gelangen, und nur solche, welche in getrocknetem Zustande längere Zeit lebensfähig bleiben, können durch Luftströmungen verschleppt werden. Aber niemals sind sie imstande, sich in der Luft selbst zu vermehren, wie die früheren An- schauungen es von Krankheitsstoffen voraussetzten. Auf allen den bisher besprochenen Gebieten hat die bakteriologische Forschung das, was sie zur Zeit ihrer ersten Entwicklung zu versprechen schien, vollkommen erfüllt, teilweise sogar übertroffen. In anderen Teilen aber hat sie den Erwartungen, zu denen sie berechtigte, nicht entsprochen. So ist es nicht gelungen, trotz der immer weiter verbesserten Färbungsmethoden und trotz der Anwendung von Linsensystemen mit immer größerem Öffnungswinkel, über die innere Struktur der Bakterien mehr zu erfahren, als sich mit den ursprünglichen Methoden hatte ermitteln lassen. Erst in letzter Zeit scheinen neue Färbungsmethoden weitere Aufschlüsse über den Bau der Bakterien zu geben, insofern als es gelingt, einen wahrscheinlich als Kern zu deutenden inneren Teil von der äußeren Plasmahülle zu unterscheiden und die anscheinend von der Plasma- schicht ausgehenden Bewegungsorgane, die Geiseln, mit einer Deutlichkeit sichtbar zu machen, wie es bisher nicht möglich war. Uber V)akteriologische Forschung. 657 An mehreren Stellen \md zAvar gerade an solchen, wo es am wenigsten zu erwarten war, hat uns die bakteriologische Forschung aber vollkommen im Stich gelassen, nämlich in der Erforschung einer Anzahl von Infektionskrankheiten, die wegen ihrer ausge- sprochenen Infektiosität ganz besonders leichte Angriffspvmkte für die Forschung zu bieten schienen. Es betrifft dies in erster Linie die gesamte Gruppe der exanthema- tischen Infektionskrankheiten, also Masern, Scharlach, Pocken, exantliematischen Tjrphus. Auch für keine einzige derselben ist es gelungen, nur den geringsten Anhalts- punkt dafür zu finden, welcher Art die Krankheitserreger derselben sein könnten. Selbst die Vakzine, die jederzeit zur Verfügung steht und am Versuchstiere so leicht geprüft werden kann, hat allen Bemühungen, das eigentliche Agens derselben zu ermitteln, hartnäckig widerstanden. Dasselbe gilt von der Hundswut. Auch über die Krankheitserreger der Influenza, des Keuchhustens, des Trachoms, des Gelbfiebers, der Rinderpest, der Lungenseuche und mancher anderer unzweifel- hafter Infektionskrankheiten wissen wir noch nichts. Bei den meisten dieser Krank- heiten hat es auch nicht an Geschick und Ausdauer in der Verwendung aller uns jetzt zu Gebote stehenden Hilfsmittel gefehlt und wir können das negative Ergebnis der Bcr mühungen zahlreicher Forscher nur so deuten, daß die Untersuchungsmethoden, welche sich bisher in so vielen Fällen bewährt haben, für diese Aufgaben nicht mehr ausreichen. Ich möchte mich der Meinung zuneigen, daß es sich bei den genannten Krankheiten gar nicht um Bakterien, sondern um organisierte Krankheitserreger handelt, welche ganz anderen Gruppen von Mikroorganismen angehören. Man ist dazu um so mehr bex'echtigt, als in neuerer Zeit bekanntlich im Blute mancher Tiere, sowie im Blute von Menschen, welche an Malaria erkrankt sind, eigentümliche Parasiten entdeckt wurden, welche der untersten Stufe des Tierreiches, den Protozoen, angehören. Über den ein- fachen Nachweis dieser merkwürdigen und höchst wichtigen Parasiten ist man aller- dings noch nicht hinausgekommen und man wird voraussichtlich auch nicht eher weiter kommen, als bis es gelungen sein wird, diese Protozoen in ähnlicher Weise, wie die Bak- terien, in künstlichen Nährmedien oder unter anderweitigen, möglichst natürlichen Ver- hältnissen vom Körper getrennt zu zücliten und in ihren Lebensbedingungen, ihi'em Ent- wicklungsgang usw. zu studieren. Sollte diese Aufgabe, woran zu zweifeln gar kein Grund vorliegt, gelöst werden, dann wird sich höchst wahrscheinlich in der Erforschung der pathogenen Protozoen und verwandter Mikroorganismen ein Seitenstück zur bak- teriologischen Forschung entwickeln, welches uns hoffentlich auch die Aufklärung über die erwähnten ätiologisch noch nicht erforschten Infektionskrankheiten bringen wird. Bisher habe ich absichtlich eine Frage unberührt gelassen, obwohl sie gerade die- jenige ist, welche am häufigsten und zwar nicht ohne einen gewissen Vorwurf an den Bakteriologen gerichtet wird. Ich meine die Frage, wozu denn nun alle die mühselige Arbeit, welche bis dahin auf die Erforschung der Bakterien verwendet wurde, genützt hat. Eigentlich sollte in solcher Weise gar nicht gefragt werden, denn die echte Forschung verfolgt ihre Wege unbeirrt durch die Erwägung, ob ihre Arbeit unmittelbaren Nutzen schafft oder nicht ; aber für so ganz miberechtigt kann ich diese Frage im vorliegenden Falle denn doch nicht halten, da wohl die wenigsten von denen, welche sich mit bak- teriologischen Forschungen befassen, praktische Ziele dabei vollständig aus den Augen gelassen haben. Ganz so kümmerlich, wie jene Fragesteller meinen, sind die bisherigen praktisch verwertbaren Resultate der bakteriologischen Forschung denn auch keineswegs. Ich erinnere nur an das, was auf dem Gebiete der Desinfektion geleistet ist. Gerade hier fehlte es früher an jeglichem Anhalt, man bewegte sich vollständig im Dunkeln und hat oft genug große Summen für nutzlose Desinfektion weggeworfen, ganz abgesehen Koch, Gesammelte Werke. 42 658 über bakteriologische Forschung. von dem indirekten Schaden, welchen eine verfehlte hygienische Maßregel im übrigen zur Folge hat. Jetzt haben wir dagegen sichere Kennzeichen in Händen, mit Hilfe deren wir imstande sind, die Desinfektionsmittel auf ihre Wirkungsfähigkeit zu prüfen, und wenn auch noch manches auf diesem Gebiete zu tun ist, so können wir doch behaupten, daß die jetzt gebräuchlichen Desinfektionsmittel, soweit sie die Prüfung bestanden haben, auch wirklich ihren Zweck erfüllen. Zu den praktischen Erfolgen ist auch die Verwendung der bakteriologischen Me- thoden zur Kontrolle der Wasserfiltration zu rechnen, da diese Methoden gerade für diesen Zweck durch nichts anderes zu ersetzen sind. Im Zusammenhang hiermit stehen die Aufschlüsse, welche die bakteriologische Untersuchung über die filtrierenden Eigen- schaften des Bodens geliefert hat, und die wichtigen Folgerungen, welche sich daraus für die Verwertung des Grundwassers zur Wasserversorgung und für die richtige Kon- struktion der Brunnen ergeben. In gleicher Weise wie für das Wasser würde dieselbe auch zur Kontrolle der Milch, namentlich soweit sie zur Ernährung der Kinder bestimmt ist, soAvie zur Untersuchung anderer Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenstände, welche infektionsverdächtig sind, zu benutzen sein. Die Untersuchung der Luft in Schwemm- kanälen und die Berichtigung, welche die allgemein verbreiteten Anschauungen über die Schädlichkeit der Kanalluft dadurch erfahren haben, die Untersuchung der Luft in Schulzimmem, der Nachweis von pathogenen Bakterien in Nahrungsmitteln, im Boden usw., stehen, wie sich nicht in Abrede stellen läßt, in innigem Zusammenhange mit der Praxis. Zu den praktischen Erfolgen möchte ich ferner rechnen die mit Hilfe der Bakteriologie ermöglichte Diagnose vereinzelter Fälle der asiatischen Cholera und der ersten Stadien der Lungentuberkulose, erstere für die Prophylaxis der Cholera, letztere für die frühzeitige Behandlung der Tuberkulose von Wichtigkeit. AUes das sind aber Vorteile, welche sich im Kampfe gegen die Bakterien nur in- direkt verwerten lassen. Direkt wirkende, also therapeutische Mittel können wir jenen indirekten bislang kaum an die Seite stellen. Das einzige, was sich in dieser Beziehung anfühi'en läßt, sind die Erfolge, welche P a s t e u r und andere mit den Schutzimpfungen bei Hundswut, Milzbrand, Rauschbrand und Schweinerotlauf erzielt haben. L^nd gerade der Hundswutimpfung, der einzigen, welche für den Menschen verwertbar ist, könnte man entgegenhalten, daß die Ursache der Hundswut noch nicht bekannt und wahr- scheinlich gar nicht einmal bakterieller Art sei, daß diese Schutzimpfung also auch nicht der Bakteriologie zugute gerechnet werden könne. Immerhin ist auch diese Ent- deckung auf bakteriologischem Boden gewachsen und wäre ohne die vorhergehenden Entdeckungen von Schutzimpfungen gegen pathogene Bakterien wohl nicht gemacht. Obwohl nun gerade in dieser Richtung die bakteriologische Forschung trotz un- endlicher Mühe nur so unbedeutende Resultate aufzuweisen hat, so bin ich trotzdem nicht der Meinung, daß das immer so bleiben wird. Ich habe im Gegenteil die Uber- zeugung, daß die Bakteriologie auch für die Therapie noch einmal von größter Bedeu- tung sein wird. Allerdings verspreche ich mir weniger für Krankheiten mit kurzer Dauer der Inkubation und mit schnellem Krankheitsverlauf therapeutische Erfolge. Bei diesen Krankheiten, wie z. B. bei der Cholera, wird wohl immer der größte Nachdruck auf die Prophylaxis zu legen sein. Ich denke vielmehr an Krankheiten von nicht zu schnellem Verlauf, weil solche viel eher Angriffspunkte für das therapeutische Eingreifen bieten. L'nd da gibt es wohl kaum eine Krankheit, welche teils aus diesem Grunde, teils wegen ihrer aUe anderen Infektionskrankheiten weit überragenden Bedeutung die bakterio- logische Forschung so herausfordert, wie die Tuberkulose. Durch solche Gedanken bewogen habe ich denn auch sehr bald nach der Ent- deckung der Tuberkelbazillen angefangen, nach Mitteln zu suchen, welche sich gegen über bakteriologische Forschung. 659 die Tuberkulose therapeutisch verwerten lassen und ich habe diese Versuche, allerdings vielfach unterbrochen durch Berufsgeschäfte, bis jetzt unablässig fortgesetzt. In der Überzeugung, daß es Heilmittel gegen die Tuberkulose geben müsse, stehe ich auch keineswegs vereinzelt da. B i 1 1 r o t h hat sich noch in einer seiner letzten Schriften mit aller Bestimmtheit in diesem Sinne geäußert, und es ist bekannt, daß von zahlreichen Forschern dasselbe Ziel angestrebt ist. Nur scheint mir, daß von letzteren in der Regel nicht der richtige Weg bei ihren Untersuchungen eingeschlagen wurde, indem sie das Experiment beim Menschen beginnen ließen. Dem schreibe ich auch zu. daß alles, was man auf diesem Wege entdeckt zu haben glaubte, vom benzoesauren Natron bis zur Heißluftmethode herab, sich als Illusion erwiesen hat. Nicht mit dem Menschen, sondern mit dem Para- siten für sich in seinen Reinkulturen soll man zuerst experimentieren ; auch wenn sich dann Mittel gefunden haben, welche die Entwicklung der Tuberkelbazillen in den Kul- turen aufzuhalten imstande sind, soll man nicht wieder sofort den Menschen als Ver- suchsobjekt wählen, sondern zunächst an Tieren versuchen, ob die Beobachtungen, welche im Reagenzglase gemacht wurden, auch für den lebenden Tierkörper gelten. Erst wenn das Tierexperiment gelungen ist, kann man zur Anwendung am Menschen übergehen. Nach diesen Regeln verfahrend, habe ich im Laufe der Zeit eine sehr große Zahl von Substanzen darauf geprüft, welchen Einfluß sie auf die in Reinkulturen gezüchteten Tuberkelbazillen ausüben, und es hat sich ergeben, daß gar nicht wenige Stoffe im- stande sind, schon in sehr geringer Dosis das Wachstum der Tuberkelbazillen zu ver- hindern. Mehr braucht ein Mittel natürlich nicht zu leisten. Es ist nicht nötig, wie irriger- weise noch vielfach angenommen wird, daß die Bakterien im Körper getötet werden müßten; sondern es genügt, ihr Wachstum, ihre Vermehrung zu verhindern, um sie für den Körper unschädlich zu machen. Als solche in sehr geringer Dosis das Wachstum hemmende Mittel haben sich erwiesen, um nur die wichtigsten anzuführen, eine Anzahl ätherischer Öle, unter den aromatischen Verbindungen /^-Naphthylamin, Para-Toluidin, Xylidin, einige der so- genannten Teerfarben, nämlich Fuchsin, Gentianaviolett, Methylenblau. Clünolingelb, Anilingelb, Auramin, unter den Metallen Quecksilber in Dampfform, Silber- und Gold- verbindungen; ganz besonders fielen die Cyan- Gold Verbindungen durch ihre alle an- deren Substanzen weit überragende Wirkung auf; schon in einer Verdünnung von 1 zu 2 Millionen halten sie das Wachstum der Tuberkelbazillen zurück. Alle diese Substanzen blieben aber vollkommen wirkungslos, wenn sie an tuber- kulösen Tieren versucht wurden. Trotz dieses Mißerfolges habe ich mich von dem Suchen nach entwicklungs- hemmenden Mitteln nicht abschrecken lassen und habe schließlich Substanzen getroffen, welche nicht allein im Reagenzglase, sondern auch im Tierkörper das Wachstum der Tuberkelbazillen aufzuhalten imstande sind. Alle Untersuchungen über Tuberkulose sind, wie jeder, der damit experimentiert, zur Genüge erfahren hat, sehr langwierig; so sind auch meine Versuche mit diesen Stoffen, obwohl sie mich bereits fast 1 Jahr beschäftigen, noch nicht abgeschlossen und ich kann über dieselben daher nur soviel mitteilen, daß Meerschweinchen, welche bekanntlich für Tuberkulose außerordentlich empfänglich sind, wenn man sie der Wirkung einer solchen Substanz aussetzt, auf eine Impfung mit tuberkulösem Virus nicht mehr reagieren, und daß bei Meerschweinchen, welche schon in hohem Grade an allgemeiner Tuberkulose erkrankt sind, der Krank- heitsprozeß vollkommen zum Stillstand gebracht werden kann, ohne daß der Körper von dem Mittel etwa anderweitig nachteilig beeinflußt wird. 42» 660 Über bakteriologische Forschung. Aus diesen Versuchen möchte ich vorläufig keine weiteren Schlüsse ziehen, als daß die bisher mit Recht bezweifelte Möglichkeit, pathogene Bakterien im lebenden Körper ohne Benachteiligung des letzteren unschädlich zu machen, damit erwiesen ist. Sollten aber die im weiteren an diese Versuche sich knüpfenden Hoffnungen in Erfüllung gehen und sollte es gelingen, zunächst bei einer bakteriellen Infektionskrank- heit des mikroskopischen, aber bis dahin übermächtigen Feindes im menschlichen Körper selbst Herr zu werden, dann wird man auch, wie ich nicht zweifle, sehr bald bei anderen Krankheiten das gleiche erreichen. Es eröffnet sich damit ein vielverheißendes Arbeits- feld mit Aufgaben, welche wert sind, den Gegenstand eines internationalen Wettstreits der edelsten Art zu bilden. Schon jetzt die Anregung zu weiteren Versuchen nach dieser Richtung zu geben, war einzig und allein der Grund, daß ich, von meiner sonstigen Gewohnheit abweichend, über noch nicht abgeschlossene Versuche eine Mitteilung ge- macht habe. Und so lassen Sie mich denn diesen Vortrag schließen mit dem Wunsche, daß sich die Kräfte der Nationen auf diesem Arbeitsfelde und im Kriege gegen die kleinsten, aber gefährlichsten Feinde des Menschengeschlechts messen mögen und daß in diesem Kampfe zum Wohle der gesamten Menschheit eine Nation die andere in ihren Er- folgen immer wieder überflügeln möge. — Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose.') Von Prof. R. Koch. In einem Vortrage, welchen ich vor einigen Monaten auf dem internationalen medizinischen Kongresse hielt, habe ich ein Mittel erwähnt, welches imstande ist, Ver- suchstiere unonpfänglich gegen Impfung mit Tuberkelbazillen zu machen und bei schon erkrankten Tieren den tuberkulösen Krankheitsprozeß zum Stillstand zu bringen. Mit diesem Mittel sind inzwischen Versuche am Menschen gemacht, über welche im Nach- stehenden berichtet werden soll. Eigentlich war es meine Absicht, die Untersuchungen vollständig zum Abschluß zu bringen und namentlich auch ausreichende Erfahrungen über die Anwendung des Mittels in der Praxis und seine Herstellung in größerem Maßstal>e zu gewinnen, ehe ich etwas darüber veröffentlichte. Aber es ist trotz aller Vorsichtsmaßregeln zu viel davon, und zwar in entstellter und übertriebener Weise, in die Öffentlichkeit gedrungen, so daß es mir geboten erscheint, um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen, schon jetzt eine orientierende Übersicht über den augenblicklichen Stand der Sache zu geben. Allerdings kann dieselbe unter den gegebenen Verhältnissen nur kurz ausfallen mid muß manche wichtige Fragen noch offen lassen. Die Versuche sind unter meiner Leitung von den Herren Dr. A. L i b b e r t z und Stabsarzt Dr. E. Pfuhl ausgeführt und zum Teil noch im Gange. Das nötige Ivrankenmaterial haben zur Verfügung gesteht Herr Prof. B r i e g e r aus seiner Poli- klinik, Herr Dr. W. L e v y in seiner chirurgischen Privatklinik, Herr Geheimrat F r a e n t z e 1 und Herr Oberstabsarzt R. Köhler im Charitekrankenhau.se und Herr Geheimrat v. B e r g m a n n in der chirurgischen Universitätsklinik. Allen diesen Herren, sowie deren Assistenten, welche bei den Versuchen beliihlich gewesen sind, möchte ich an dieser Stelle für das lebhafte Interesse, welches sie der Sache gewidmet, und füi' das uneigennützige Entgegenkommen, das sie mir bewiesen haben, meinen tiefgefühlten Dank aussprechen. Ohne diese vielseitige Mitliilfe wäre es nicht möglich gewesen, die schwierige und verantwortungsvolle Untersuchung in wenigen Monaten so weit zu fördern. Über die Herkunft und die Bereitung des Mittels kann ich, da meine Arbeit noch nicht abgeschlossen ist, hier noch keine Angaben machen, sondern muß mir dieselben für eine spätere Mitteilung vorbehalten"^). 1) Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1890, Nr. 46 a. Diejenigen Ärzte, welche jetzt schon Versuche mit dem Mittel anstellen wollen, können dasselbe von Dr. A. L i b b e r t z (Berlin NW., Lüneburgerstr. 28 II) beziehen, welcher unter meiner und Dr. Pfuhls Mitwirkung die Herstellung des Mittels übernommen hat. Doch muß ich be- merken, daß der zurzeit vorhandene Vorrat niu' ein sehr geringer ist, und daß erst nach einigen Wochen etwas größere Mengen zur Verfügung stehen werden. 662 Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. Das Mittel besteht aus einer bräunlichen klaren Flüssigkeit, welche an und für sich, also ohne besondere Vorsichtsmaßregeln, haltbar ist. Für den Gebrauch muß diese Flüssigkeit aber mehr oder weniger verdünnt werden, und die Verdünnungen sind, wenn sie mit destilliertem Wasser hergestellt werden, zersetzlich; es entwickeln sich darin sehr bald Bakterien Vegetationen, sie werden trübe und sind dann nicht mehr zu ge- brauchen. Um dies zu verhüten, müssen die Verdünnungen durch Hitze sterilisiert und unter Watteverschluß aufbewahrt, oder was bequemer ist, mit 0,5 proz. Phenol- lösung hergestellt werden. Durch öfteres Erhitzen sowohl, als durch die Mischung mit Phenollösung scheint aber die Wirkung nach einiger Zeit, namentlich in stark verdünnten Lösungen, beeinträchtigt zu werden, und ich habe mich deswegen immer möglichst frisch hergestellter Lösungen bedient. Vom Magen aus wirkt das Mittel nicht; um eine zuverlässige Wirkung zu erzielen, muß es subkutan beigebracht werden. Wir haben bei unseren Versuchen zu diesem Zwecke ausschließlich die von mir für bakteriologische Arbeiten angegebene Spritze benutzt, welche mit einem kleinen Gummiballon versehen ist und keinen »Stempel hat. Eine solche Spritze läßt sich leicht luid sicher durch Ausspülen mit absolutem Alkohol aseptisch erhalten, und wir schreiben es diesem Umstände zu, daß bei mehr als tausend subkutanen Injektionen nicht ein einziger Abszeß entstanden ist. Als Applikationsstelle wählten wir, nach einigen Versuchen mit anderen Stellen, die Rückenhaut zwischen den Schulterblättern und in der Lendengegend, weil die In- jektion an diesen Stellen am Avenigsten, in der Regel sogar überhaupt keine örtliche Reaktion zeigte und fast schmerzlos war. Was nun die Wirkung des Mittels auf den Menschen anlangt, so stellte sich gleich beim Beginn der Versuche heraus, daß in einem sehr wichtigen Punkte der Mensch sich dem Mittel gegenüber wesentlich anders verhält, als das gewöhnlich benutzte Versuchs- tier, das Meerschweinchen. Also wiederum eine Bestätigung der gar nicht genug ein- zuschärfenden Regel für den Experimentator, daß man nicht ohne weiteres vom Tier- experiment auf das gleiche Verhalten beim Menschen schließen soll. Der Mensch erwies sich nämlich außerordentlich viel empfindlicher für die Wirkung des Mittels als das Meerschweinchen. Einem gesunden Meerschweinchen kann man bis zu 2 ccm und selbst mehr von der unverdünnten Flüssigkeit subkutan injizieren, ohne daß dasselbe dadurch merklich beeinträchtigt wird. Bei einem gesunden erwach- senen Menschen genügt dagegen 0,25 ccm , um eine intensive Wirkung hervorzu- bringen. Auf Körpergewicht berechnet ist also ^/^soo Menge, welche beim Meer- schweinchen noch keine merkliche Wirkung hervorbringt, für den Menschen sehr stark wirkend. Die Symptome, welche nach der Injektion von 0,25 ccm beim Menschen entstehen, habe ich an mir selbst nach einer am Oberarm gemachten Injektion erfahren ; sie waren in Kürze folgende: 3 bis 4 Stunden nach der Injektion Ziehen in den Gliedern, Mattig- keit, Neigung zum Husten, Atembeschwerden, welche sich schnell steigerten; in der 5. Stunde trat ein ungewöhnlich heftiger Schüttelfrost ein, welcher fast 1 Stunde an- dauerte; zugleich Übelkeit, Erbrechen, Ansteigen der Körpertemperatur bis zu .39,6"; nach etwa 12 Stunden ließen sämtliche Beschwerden nach, die Temperatur sank und erreichte bis zum nächsten Tage wieder die normale Höhe; Schwere in den Gliedern und Mattigkeit hielten noch einige Tage an, ebenso lange Zeit blieb die Injektionsstelle ein wenig schmerzhaft und gerötet. Die untere Grenze der Wirkung des Mittels liegt für den gesunden Menschen un- gefähr bei 0,01 ccm (gleich 1 ccm der hundertfachen Verdünnung), wie zahlreiche Ver- suche ergeben haben. Die meisten Menschen reagierten auf diese Dosis nur noch mit Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. 663 leichten Gliederschmerzen und bald vorübergehender Mattigkeit. Bei einigen trat auJ3er- dem noch eine leichte Temperatursteigerung ein bis zu 38" oder wenig darüber hinaus. Wenn in bezug auf die Dosis des Mittels (auf Körpergemcht berechnet) zwischen Versuchstier und Mensch ein ganz bedeutender Unterschied besteht, so zeigt sich doch in einigen anderen Eigenschaften wieder eine ziemlich gute Übereinstimmung. Die wichtigste dieser Eigenschaften ist die spezifische Wirkung des Mittels auf tuberkulöse Prozesse, welcher Art sie auch sein möge n. Das Verhalten des Versuchstiers in dieser Beziehung will ich, da dies zu weit führen würde, hier nicht weiter schildern, sondern mich sofort dem höchst merkwürdigen Ver- halten des tuberkulösen Menschen zuwenden. Der gesunde Mensch reagiert, wie wir gesehen haben, auf 0,01 ccm gar nicht mehr oder in unbedeutender Weise. Ganz dasselbe gilt auch, wie vielfache Versuche gezeigt haben, für kranke Menschen, vorausgesetzt, daß sie nicht tuberkulös sind. Aber ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bei Tuberkixlösen ; wenn man diesen dieselbe Dosis des Mittels (0,01 ccm) injiziert^), dann tritt sowohl eine starke allgemeine, als auch eine örtliche Reaktion ein. Die allgemeine Reaktion besteht in einem Fieberanfall, welcher, meistens mit einem SchütteKrost beginnend, die Körpertemperatur über 39°, oft bis 40° und selbst 41° steigert; daneben bestehen Gliederschmerzen, Hustenreiz, große Mattigkeit, öfters Übelkeit und Erbrechen. Einige Male wurde eine leichte ikterische Färbung, in einigen Fällen auch das Auftreten eines masernartigen Exanthems an Brust und Hals beobachtet. Der Anfall beginnt in der Regel 4 — 5 Stunden nach der Injektion und dauert 12 bis 15 Stunden. Ausnahmsweise kann er auch später auftreten und verläuft dann mit ge- ringerer Intensität. Die Kranken werden von dem AnfaU auffallend wenig angegriffen und fühlen sich, sobald er vorüber ist, verhältnismäßig wohl, gewöhnlich sogar besser wie vor demselben. Die örtliche Reaktion kann am besten an solchen Kranken beobachtet werden, deren tuberkulöse Affektion sichtbar zutage liegt, also z. B. bei Lupuskranken. Bei diesen treten Veränderungen ein, welche die spezifisch antituberkulöse Wirkung des Mittels in einer ganz überraschenden Weise erkennen lassen. Einige Stunden, nachdem die Injektion unter die Rüekenhaut, also an einem von den erkrankten Hautteilen im Gesicht usw. ganz entfernten Punkte gemacht ist, fangen die lupösen Stellen, und zwar gewöhnlich schon vor Beginn des Frostanfalls an zu schwellen und sich zu röten. Während des Fiebers nimmt Schwellung und Rötung immer mehr zu und kann schließlich einen ganz bedeutenden Grad erreichen, so daß das Lupusgewebe stellenweise braunrot und neki'otisch wird. An schärfer abgegrenzten Lupusherden war öfters die stark geschwollene und braunrot gefärbte Stelle von einem weißlichen fast 1 cm breiten Saum eingefaßt, der seinerseits wieder von einem breiten lebhaft geröteten Hof umgeben war. Nach Ab- fall des Fiebers nimmt die Anschwellung der lupösen Stellen allmählich wieder ab, so daß sie nach 2 — 3 Tagen verschwunden sein kann. Die Lupuslierde selbst haben sich mit Ivrusten von aussickerndem und an der Luft vertrocknetem Serum bedeckt, sie verwandeln sich in Borken, welche nach 2 — 3 Wochen abfallen und mitunter schon nach einmaliger Injektion des Mittels eine glatte rote Narbe hinterlassen. Gewöhnlich be- darf es aber mehrerer Injektionen zur vollständigen Beseitigung des lupösen Gewebes, doch davon später. Als besonders wichtig bei diesem Vorgange muß noch hervorge- 1) Kindern im Alter von 3 — 5 Jahren haben wir ein Zehntel ilieser Dosis, also 0,001, sehr schwächlichen Kindern nur 0,0005 ccm gegeben und damit eine kräftige, aber nicht besorgniserregende Reaktion erhalten. 664 Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. hoben werden, daß die geschilderten Veränderungen sich durchaus auf die lupös er- krankten Hautstellen beschränken ; selbst die kleinsten und unscheinbarsten im Narben- gewebe versteckten Knötchen machen den Prozeß durch und werden infolge der An- schwellung und Farbenveränderung sichtbar, während das eigentliche Narbengewebe, in welchem die lupösen Veränderungen gänzlich abgelaufen sind, unverändert bleibt. Die Beobachtung eines mit dem Mittel behandelten Lupuskranken ist so instruktiv und muß zugleich so überzeugend in bezug auf die spezifische Natur des Mittels wirken, daß jeder, der sich mit dem Mittel beschäftigen will, seine Versuche, wenn es irgend zu ermöglichen ist, mit Lupösen beginnen sollte. Weniger frappant, aber immer noch für Auge und Gefühl wahrnehmbar, sind die örtlichen Reaktionen bei Tuberkulose der Lymphdrüsen, der Knochen und Ge- lenke usw., bei welchen Anschwellung, vermehrte Schmerzhaftigkeit, bei oberflächlich gelegenen Teilen auch Rötung sich bemerklich machen. Die Reaktion in den inneren Organen, namentlich in den Lungen, entzieht sich dagegen der Beobachtung, wenn man nicht etwa vermehrten Husten und Auswurf der Lungenkranken nach den ersten Injektionen auf eine örtliche Reaktion beziehen will. In derartigen Fällen dominiert die allgemeine Reaktion. Gleichwohl muß man annehmen, daß auch hier sich gleiche Veränderungen vollziehen, wie sie beim Lupus direkt beobachtet werden. Die geschilderten Reaktionserscheinungen sind, wenn irgendein tuberkulöser Prozeß im Körper vorhanden war, auf die Dosis von 0,01 ccm in den bisherigen Versuchen ausnahmslos eingetreten, und ich glaube deswegen nicht zu weit zu gehen, wenn ich annehme, daß das Mittel in Zukunft ein unentbehrliches diagnostischesHilfs- mittel bilden wird. Man wird damit imstande sein, zweifelhafte Fälle von beginnen- der Phthisis selbst dann noch zu diagnostizieren, wenn es nicht gelingt, durch den Befund von Bazillen oder elastischen Fasern im Sputum oder durch die physikalische Unter- suchung eine sichere Auskunft über die Natur des Leidens zu erhalten. Drüsenaffek- tionen, versteckte Knochentuberkulose, zweifelhafte Hauttuberkulose und dergleichen werden leicht und sicher als solche zu erkennen sein. In scheinbar abgelaufenen Fällen von Lungen- und Gelenkstuberkulose wird sich feststellen lassen, ob der Krankheits- prozeß in Wirkhchkeit schon seinen Abschluß gefunden hat, und ob nicht doch noch einzelne Herde vorhanden sind, von denen die Krankheit, wie von einem unter der Asche glimmenden Funken, später von neuem um sich greifen könnte. Sehr viel wichtiger aber als die Bedeutung, welche das Mittel für diagnostische Zwecke hat, ist seine Heilwirkung. Bei der Beschreibung der Veränderungen, welche eine subkutane Injektion des Mittels auf lupös veränderte Hautstellen hervorruft, wurde bereits erwähnt, daß nach Abnahme der Schwellung und Rötung das Lupusgewebe nicht seinen ursprünglichen Zustand wieder einnimmt, sondern daß, es mehr oder weniger zerstört wird und ver- schwindet. An einzelnen Stellen geht dies, wie der Augenschein lehrt, in der Weise vor sich, daß das kranke Gewebe schon nach einer ausreichenden Injektion unmittelbar abstirbt und als tote Masse später abgestoßen wird. An anderen Stellen scheint mehr ein Schwund oder eine Art von Schmelzung des Gewebes einzutreten, welche, um voll- ständig zu werden, wiederholter Einwirkung des Mittels bedarf. In welcher Weise dieser Vorgang sich vollzieht, läßt sich augenblicklich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, da es an den erforderlichen histologischen Untersuchungen fehlt. Nur soviel steht fest, daß es sich nicht um eine Abtotung der im Gewebe befindlichen Tuberkelbazillen handelt, sondern daß nur das Gewebe, welches die Tuberkelbazillen einschließt, von der Wirkung des Mittels getroffen wird. In diesem treten, wie die sichtbare Schwellung und Rötung Weitere ISIitteilungen ülier ein Heilmittel gegen Tviberkulose. 665 zeigt, erhebliche Zirkulationsstörungen und damit offenbar tiefgreifende Veränderungen in der Ernährung ein, welche das Gewebe je nach der Art und Weise, in welcher man das Mittel wirken läßt, mehr oder weniger schnell und tief zum Absterben bringen. Das Mittel tötet also, um es noch einmal kurz zu wiederholen, nicht die Tuberkel- bazillen, sondern das tuberkulöse Gewebe. Damit ist aber auch sofort ganz bestimmt die Grenze bezeichnet, bis zu welcher die Wii'kvuig des Mittels sich zu erstrecken ver- mag. Es ist nur imstande, lebendes tuberkulöses Gewebe zu beeinflussen; auf bereits totes, z. B. abgestorbene käsige Massen, nekrotische Knochen usw.. wirkt es nicht; eben- sowenig auch auf das durch das Mittel selbst bereits zum Absterben gebrachte Gewebe. In solchen toten Gewebsmassen können dann immerhin noch lebende Tuberkelbazillen lagern, welche entweder mit dem nekrotischen Gewebe ausgestoßen werden, möglicher- weise aber auch unter besonderen Verhältnissen in das benachbarte noch lebende Ge- webe wieder eindringen könnten. Gerade diese Eigenschaft des Mittels ist sorgfältig zu beachten, wenn man die Heilwirkung desselben richtig ausnutzen will. Es muß also zunächst das noch lebende tuberkulöse Gewebe zum Absterljen gebracht und dann alles aufgeboten werden, um das tote sobald als möglich, z. B. durch chirurgische Nachliilfe. zu entfernen; da aber, wo dies nicht möglich ist und nur durch Selbstlülfe des Organismus die Aussonderung langsam vor sich gehen kann, muß zugleich durch fortgesetzte Anwendung des Mittels das gefährdete lebende Gewebe vor dem Wiedereinwandern der Parasiten geschützt werden . Daraus, daß das Mittel das tuberkulöse Gewebe zum Absterben bringt und nur auf das lebende Gewebe mrkt. läßt sich ungezwungen noch ein anderes, höchst eigen- tümliches Verhalten des Mittels erklären, daß es nämlich in sehr schnell gesteigerten Dosen gegeben werden kann. Zunächst könnte diese Erscheinung als auf Angewöhnung beruhend gedeutet werden. Wenn man aber erfährt, daß die Steigerung der Dosis im Laufe von etwa 3 Wochen bis auf das öOOfache der Anfangsdosis getrieben werden kann, dann läßt sich dies wohl nicht mehr als Angewöhnung auffassen, da es an jedem Analogen von so weitgehender und so schneller Anpassung an ein starkwirkendes Mittel fehlt. Man wird sich diese Erscheinung vielmehr so zu erklären haben, daß anfangs viel tuberkulöses lebendes Gewebe vorhanden ist und dementsprechend eine geringe Menge der wirksamen Substanz ausreicht, um eine starke Reaktion zu veranlassen; durch jede Injektion wird aber eine gewisse Menge reaktionsfähigen Gewebes zum Schwinden gebracht, und es bedarf dann verhältnismäßig immer größerer Dosen, um denselben Grad von Reaktion wie früher zu erzielen. Daneben her mag auch innerhalb gewisser Grenzen eine Angewöhnung sich geltend machen. Sobald der Tuberkulöse so weit mit steigenden Dosen behandelt ist, daß er nur noch ebensowenig reagiert wie ein Nichttuberkulöser, dann darf man wohl annehmen, daß alles reaktionsfähige tuberkulöse Gewebe getötet ist. Man wird alsdann nur noch, um den Kranken, solange noch Bazillen im Körper vor- handen sind, vor einer neuen Infektion zu schützen, mit langsam steigenden Dosen und mit Unterbrechungen die Behandlung fortzusetzen haben. Ob diese Auffassung und die sich daran knüpfenden Folgerungen richtig sind, das wird die Zukunft lehren müssen. Vorläufig sind sie für mich maßgebend gewesen, um danach die Art und Weise der Anwendung des Mittels zu konstruieren, welche sich bei unseren Versuchen folgendermaßen gestaltete: Um wieder mit dem einfachsten Falle, nämlich mit dem Lupus zu beginnen, so haben wir fast bei allen derartigen Kranken von vornherein die volle Dosis von O.Ol ccm injiziert, dann die Reaktion vollständig ablaufen lassen und nach 1 — 2 Wochen wieder 0,01 ccm gegeben, so fortfahrend, bis die Reaktion immer schwächer wurde und schließlich 666 Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. aufhörte. Bei zwei Kranken mit Gesichtslupus sind in dieser Weise durch drei bzw. vier Injektionen die hipösen Stellen zur glatten Vernarbung gebracht, die übrigen Lupus- kranken sind der Dauer der Behandlung entsprechend gebessert. Alle diese Kranken haben ihr Leiden schon viele Jahre getragen und sind vorher in der verschiedensten Weise erfolglos behandelt. Ganz ähnlich wurden Drüsen-, Knochen- und Gelenkstuberkulose behandelt, in- dem ebenfalls große Dosen mit längeren Unterbrechungen zur Anwendung kamen. Der Erfolg war der gleiche wie bei Lupus; schnelle Heilung in frischen und leichteren Fällen, langsam fortschreitende Besserung bei den schweren Fällen. Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse bei der Hauptmasse unserer Kj-anken, bei den Phthisikern. Kranke mit ausgesprochener Lungentuberkulose sind nämlich gegen das IVIittel weit empfindlicher, als die mit chirurgischen tuberkulösen Affektionen behafteten. Wir mußten die für Phthisiker anfänglich zu hoch bemessene Dosis von 0,01 ccm sehr bald herabsetzen und fanden, daß Phthisiker fast regelmäßig noch auf 0,002 und selbst 0,001 ccm stark reagierten, daß man aber von dieser niedrigen Anfangs- dosis mehr oder weniger schnell zu denselben Mengen aufsteigen kann, welche auch von den anderen Kranken gut ertragen werden. Wir verfuhren in der Regel so, daß der Phthisiker zuerst 0,001 ccm injiziert erhielt, und daß, wenn Temperaturerhöhung da- nach eintrat, dieselbe Dosis solange täglich einmal wiederholt wurde, bis keine Reaktion mehr erfolgte; erst dann wurde auf 0,002 gestiegen, bis auch diese Menge reaktionslos vertragen wurde, und so fort immer um 0,001 oder höchstens 0,002 steigend bis zu 0,01 und darüber liinaus. Dieses milde Verfahren schien mir namentlich bei solchen Kranken geboten, deren Kräftezustand ein geringer war. Wenn man in der geschilderten Weise vorgeht, läßt es sich leicht erreichen, daß ein Kranker fast ohne Fiebertemperatur und für ihn fast unmerklich auf sehr hohe Dosen des Mittels gebracht werden kann. Einige noch einigermaßen kräftige Phthisiker wurden aber auch teils von vornherein mit großen Dosen, teils mit forzierter Steigerung in der Dosierung behandelt, wobei es den Anschein hatte, als ob der günstige Erfolg entsprechend schneller eintrat. Die Wirkung des Mittels äußerte sich bei den Phthisikern im allgemeinen so, daß Husten und Auswurf nach den ersten Injektionen gewöhnlich etwas zunahmen, dann aber mehr und mehr geringer wurden, um in den günstigen Fällen schließlich ganz zu verschwinden; auch verlor der Auswurf seine eitrige Beschaffenheit, er wurde schleimig. Die Zahl der Bazillen (es sind nur solche Kranke zum Versuch gewählt, welche Bazillen im Auswurf hatten) nahm gewöhnlich erst dann ab, wenn der Auswurf schleimiges Aussehen bekommen hatte. Sie verschwanden dann zeitweilig ganz, wurden aber von Zeit zu Zeit wieder angetroffen, bis der Auswurf vollständig wegblieb. Gleichzeitig hörten die Nachtschweiße auf, das Aussehen besserte sich, und die Kranken nahmen an Gewicht zu. Die im Anfangsstadium der Phthisis behandelten Kranken sind sämtlich im Laufe von 4 — 6 Wochen von allen Kranklieitssymptomen befreit, so daß man sie als geheilt ansehen konnte. Auch Kranke mit nicht zu großen Kavernen sind bedeutend gebessert und nahezu geheilt. Nur bei solchen Phthisikern, deren Lungen viele und große Kavernen enthielten, war, obwohl der Auswurf auch bei ihnen abnahm und das subjektive Befinden sich besserte, doch keine objektive Besserung wahrzunehmen. Nach diesen Erfahrungen möchte ich an- nehmen, daß beginnend ePhthisis durch das Mittel mit Sicher- heit zu heilen ist^). Teilweise mag dies auch noch für die nicht zu weit vorge- schrittenen FäUe gelten. ') Dieser Ausspruch bedarf allerdings noch insofern einer Einschränkung, als augenblicklich noch keine abschließenden Erfahrungen darüber vorliegen und auch noch nicht vorliegen können, ob die Heilung eine definitive ist. Rezidive sind selbstverständlich vorläufig noch nicht ausge- Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. 667 Aber Phthisiker mit großen Kavernen, bei denen wolü meistens Komplikationen, z. B. durch das Eindringen von anderen eitererregenden Mikroorganismen in die Ka- vernen, durch nicht mehr zu beseitigende pathologische Veränderungen in anderen Organen usw. bestehen, werden wohl nur ausnahmsweise einen dauernden Nutzen von der Anwendung des Mittels haben. Vorübergehend gebessert wurden indessen auch derartige Kranke in den meisten Fällen. Man muß daraus schließen, daß auch bei ihnen der ursi^rüngliche Krankheitsprozeß, die Tuberkulose, durch das Mittel in derselben Weise beeinflußt wird wie bei den übrigen Kranken, und daß es gewöhnlich nur an der Möglichkeit fehlt, die abgetöteten Gewebsmassen nebst den sekundären Eiterungsprozessen zu beseitigen. Unwillkürlich wird da der Gedanke wachgerufen, ob nicht doch noch manchen von diesen Schwerkranken durch Kombination des neuen Heilverfahrens mit cliirurgischen Eingriffen (nach Art der Empyemoperation), oder mit anderen Heilfaktoren zu helfen sein sollte. Überhaupt möchte ich dringend davon abraten, das Mittel etwa in schematischer Weise und ohne Unterschied bei allen Tuber- kulösen anzuwenden. Am einfachsten wird sich voraussichtlich die Behandlung bei beginnender Phthise und bei einfachen chirurgischen Affektionen gestalten, aber bei allen anderen Formen der Tuberkulose sollte man die ärztliche Kunst in ihre vollen Rechte treten lassen, indem sorgfältig individualisiert wird und alle anderen Hilfsmittel her- angezogen werden, um die Wirkmig des Mittels zu unterstützen. In vielen Fällen habe ich den entschiedenen Eindruck gehabt, als ob die Pflege, welche den Kranken zuteil wurde, auf die Heilwirkung von nicht unerheblichem Einfluß war, und ich möchte des- wegen der Anwendung des Mittels in geeigneten Anstalten, in welchen eine sorgfältige Beobachtung der Kranken und die erforderliche Pflege derselben am besten dvuTh- zuführen ist, vor der ambulanten oder Hausbehandlung den Vorzug geben. Inwieweit die bisher als nützlich erkannten Behandlungsmethoden, die Anwendung des Gebirgs- klimas, die Freiluftbehandlung, spezifische Ernährung usw. mit dem neuen Verfahren vorteilhaft kombiniert werden können, läßt sich augenblicklich noch nicht absehen; aber ich glaube, daß auch diese Heilfaktoren in sehr vielen Fällen, namentlich in den vernachlässigten und schweren Fällen, ferner im Rekonvaleszenzstadium im Verein mit dem neuen Verfahren von bedeutendem Nutzen sein werden^). Der Schwerpunkt des neuen Heilverfahrens liegt, wie gesagt, in der möglichst frühzeitigen Anwendung. Das Anfangsstadium der Phthise soll das eigentliche Objekt der Behandlung sein, weil sie diesem gegenüber ihre Wirkung voll und ganz entfalten kann. Deswegen kann aber auch gar nicht eindringlich genug darauf hingewiesen werden, daß in Zukunft viel mehr, als es bisher der Fall war, seitens der praktischen Ärzte alles aufgeboten werden muß, um die Phthisis so frühzeitig als möglich zu diagnostizieren. Bislang wurde der Nachweis der Tuberkelbazillen im Sputum mehr als eine nicht un- interessante Nebensache betrieben, durch welche zwar die Diagnose gesichert, dem Kranken aber kein weiterer Nutzen geschafft wird, die deswegen auch nur zu oft unter- lassen wurde, wie ich noch wieder in letzter Zeit an zahlreichen Phthisikern erfahren habe, welche gewöhnlich durch die Hände mehrerer Arzte gegangen waren, ohne daß ihr Sputum auch nur einmal untersucht war. In Zukunft muß das anders schfossen. Doch ist wohl anzunehmen, daß dieselben ebenso leicht und schnell zu beseitigen sein werden, wie der erste Anfall. Andererseits wäre es aber auch möglich, daß nach Analogie mit anderen Infektionskrank- heiten die einmal Geheilten dauernd immun werden. Auch dies muß bis auf weiteres als eine offene Frage angesehen werden. In bezug auf Gehirn-, Kehlkopf- vmd Miliartuberkulose stand uns zu wenig Material zu Gebote, um darüber Erfahrungen sammeln zu können. 668 Weitere Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. werden. Ein Arzt, welcher es unterläßt, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, namentlich mit Hilfe der Untersuchung des verdächtigen Sputums auf Tuberkelbazillen die Phthisis so früh als möglich zu konstatieren, macht sich damit einer schweren Ver- nachlässigung seines Kranken schuldig, weil von dieser Diagnose und der auf Grund derselben schleunigst eingeleiteten spezifischen Behandlung das Leben des Kranken abhängen kann. In zweifelhaften Fällen sollte sich der Arzt durch eine Probeinjektion die Gewißheit über das Vorhandensein oder Fehlen der Tuberkulose verschaffen. Dann erst wird das neue Heilverfahren zu einem wahren Segen für die leidende Menschheit geworden sein, wenn es dahin gekommen ist, daß möglichst alle Fälle von Tuberkulose frühzeitig in Behandlung genommen werden und es gar nicht mehr zur Ausbildung der vernachlässigten schweren Formen kommt, welche die unerschöpfliche Quelle für immer neue Infektionen bisher gebildet haben. Zum Schluß möchte ich noch bemerken, daß ich absichtlich statistische Zahlen- angaben und Schilderung einzelner Krankheitsfälle in dieser Mitteilung unterlassen habe, weil diejenigen Arzte, zu deren .Krankenmaterial die für unsere Versuche benutzten Kranken gehörten, selbst die Beschreibung der Fälle übernommen haben und ich ihnen in einer möglichst objektiven Darstellung ihrer Beobachtungen nicht vorgreifen wollte. Fortsetzung der Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. ') Von Prof. R. Koch. Seit der vor 2 Monaten erfolgten Veröffentlichung (cf. diese Wochenschr. 1890, Nr. 46 a) meiner Versuche mit einem neuen Heilverfahren gegen Tuberkulose haben viele Ärzte das Mittel erhalten und sind dadurch in den Stand gesetzt, sich durch eigene Versuche mit den Eigenschaften desselben bekannt zu machen. So weit ich die bisher hierüber erschienenen Publikationen und die an mich gelangten brieflichen Mitteilungen übersehe, haben meine Angaben im großen und ganzen volle Bestätigung gefunden. Darüber, daß das Mittel eine spezifische Wirkung auf tuberkulöses Gewebe ausübt und infolgedessen als ein sehr feines und sicheres Reagens zum Nachweis versteckter und zur Diagnose zweifelhafter tuberkulöser Prozesse verwertet werden kann, ist man wohl allgemein einig. Auch in bezug auf die Heilwirkung des Mittels wird von den meisten berichtet, daß trotz der verhältnismäßig kurzen Dauer der Kur bei vielen Ki'anken schon mehr oder weniger weitgehende Besserung eingetreten ist. In nicht wenigen Fällen soll wie mir berichtet wurde, selbst Heilung erzielt sein. Nur ganz vereinzelt ist be- hauptet, daß das JVIittel nicht allein bei zu weit vorgeschrittenen Fällen gefährlich werden könne, was man ohne weiteres zugeben wird, sondern daß es den tuberkulösen Prozeß geradezu befördere, also an und für sich schädhch sei. Ich selbst habe seit 1% Monaten Gelegenheit gehabt, an etwa 150 Kranken mit Tuberkulose der verschiedensten Art im städtischen Krankenhause zu Moabit weitere Erfahrungen über die Heilwirkung und die diagnostische Verwendung des Mittels zu sammeln, und kann nur sagen, daß alles, was ich in letzter Zeit gesehen habe, mit meinen früheren Beobachtungen im Ein- klang steht, und daß ich an dem, was ich früher berichtete, nichts zu ändern liabe-). Solange es nur darauf ankam, meine Angaben aiif ihre Richtigkeit zu prüfen, war es nicht erforderlich zu wissen, was das Mittel enthält und woher es stammt. Es mußte im Gegenteil die Nachprüfung um so unbefangener ausfallen, je weniger von dem Mittel selbst bekannt war. Nachdem nun aber die Nachprüfung, wie mir scheint, in hinreichendem Maße stattgefunden und die Bedeutung des Mittels ergeben hat, wird es die nächste Aufgabe sein, das Mittel auch über den bisherigen Bereich der Anwendung hinaus zu studieren und womöglich die Prinzipien, welche der Entdeckung desselben zugrunde liegen, auch auf andere Krankheiten anzuwenden. Diese Aufgaben verlangen 1) Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1891, Nr. 8. ^) In bezijg auf die Daiier der Heilung möchte ich hier anführen, daß von den Kranken, welche von mir vorläufig als geheilt bezeichnet waren, zwei in das Krankenliaus ^Moabit zur weiteren Be- obachtung wieder aufgenommen sind, und daß sich seit 3 Monaten keine Bazillen im Sputum ge- zeigt haben; auch die physikalischen Symptome sind bei denselben allmählich vollkommen ver- schwunden. 670 Fortsetzung der Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. selbstverständlich die volle Kenntnis des Mittels, und ich halte deswegen den Zeitpunkt für gekommen, daß nach dieser Richtung hin die erforderlichen Angaben gemacht werden, was in folgendem geschehen soll. Ehe ich auf das Mittel selbst eingehe, halte ich es zum besseren Verständnis der Wirkungsweise desselben für geboten, ganz kurz den Weg anzugeben, auf welchem ich zur Entdeckung desselben gekommen bin. Wenn man ein gesundes Meerschweinchen mit einer Reinkultur von Tuberkel- bazillen impft, dann verklebt in der Regel die Impfwunde und scheint in den ersten Tagen zu verheilen; erst im Laufe von 10 — 14 Tagen entsteht ein hartes Knötchen, welches bald aufbricht und bis zum Tode des Tieres eine ulzerierende Stelle bildet. Aber ganz anders verhält es sich, wenn ein bereits tuberkulös erkranktes Meerschweinchen geimpft wird. Am besten eignen sich hierzu Tiere, welche 4 — 6 Wochen vorher erfolg- reich geimpft wurden. Bei einem solchen Tier verklebt die kleine Impf wunde auch anfangs, aber es bildet sich kein Knötchen, sondern schon am nächsten oder zweiten Tage tritt eine eigentümliche Veränderung an der Impfstelle ein. Dieselbe wird hart und nimmt eine dunklere Färbung an, und zwar beschränkt sich dies nicht allein auf die Impfstelle selbst, sondern breitet sich auf die Umgebung bis zu einem Durchmesser von 0,5 bis 1 cm aus. An den nächsten Tagen stellt sich dann immer deutlicher heraus, daß die so veränderte Haut nekrotisch ist, sie wird schließlich abgestoßen, und es bleibt dann eine flache Ulzeration zurück, welche gewöhnlich schnell und dauernd heilt, ohne daß die benachbai'ten Lymphdrüsen infiziert werden. Die verimpften Tuberkelbazillen wirken also ganz anders auf die Haut eines gesunden, als auf diejenige eines tuberkulösen Meerschweinchens. Diese auffallende Wirkung kommt nun aber nicht etwa ausschließ- lich den lebenden Tuberkelbazillen zu. sondern findet sich ebenso bei den abgetöteten, ganz gleich, ob man sie, wie ich es anfangs versuchte, durch niedrige Temperaturen von längerer Dauer, oder durch Siedehitze, oder durch gewisse Chemikalien zum Ab- sterben gebracht hat. Nachdem diese eigentümliche Tatsache gefunden war, habe ich sie nach allen Richtungen hin weiter verfolgt, und es ergab sich dann weiter, daß abgetötete Rein- kulturen von Tuberkelbazillen, nachdem sie verrieben und im Wasser aufgeschwemmt sind, bei gesunden Meerschweinchen in großer Menge unter die Haut gespritzt werden können, ohne daß etwas anderes als eine lokale Eiterung entsteht^). Tuberkulöse Meer- schweinchen werden dagegen schon durch die Injektion von sehr geringen Mengen solcher aufgeschwemmten Kulturen getötet, und zwar je nach der angewendeten Dosis innerhalb von 6 — 48 Stunden. Eine Dosis, welche eben nicht mehr ausreicht, um das Tier zu töten, kann eine ausgedehnte Nekrose der Haut im Bereich der Injektionsstelle bewirken. Wird die Aufschwemmung nun aber noch weiter verdünnt, so daß sie kaum sichtbar getrübt ist, dann bleiben die Tiere am Leben, und es tritt, wenn die Injektionen mit ein- bis zweitägigen Pausen fortgesetzt werden, bald eine merkliche Besserung im Zu- stande derselben ein ; die ulzerierende Impfwunde verkleinert sich und vernarbt schließ- lich, was ohne eine derartige Behandlung niemals der Fall ist ; die geschwollenen Lymph- drüsen verkleinern sich; der Ernährungszustand wird besser, und der Krankheitsprozeß kommt, wenn er nicht bereits zu weit vorgeschritten ist und das Tier an Entkräftung zugrunde geht, zum Stillstand. Damit war die Grundlage für ein Heilverfahren gegen Tuberkulose gegeben. Der praktischen Anwendung solcher Aufschwemmungen von abgetöteten Tuberkelbazillen stellte sich aber der Umstand entgegen, daß an den Injektionsstellen die Tuberkelbazillen ^) Derartige Injektionen gehören zu den einfachsten und sichersten Mitteln, um Eiterungen zu erzeugen, welche frei von lebenden Bakterien sind. Fortsetzung der Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. 671 nicht etwa resorbiert werden oder in anderer Weise verschwinden, sondern unverändert lange Zeit Hegen bleiben und kleinere oder größere Eiterherde erzeugen. Das, was bei diesem Verfahren heilend auf den tuberkulösen Prozeß wirkt, mußte also eine löshche Substanz sein, welche von den die TuberkelbaziUen umspülenden Flüssig- keiten des Körpers gewissermaßen ausgelaugt und ziemlich schnell in den Säftestrom übergeführt wird, während das, was eitererzeugend wirkt, anscheinend in den Tuberkel- bazillen zurückbleibt oder doch nur sehr langsam in Lösung geht. Es kam also lediglich darauf an, den im Körper sich abspielenden Vorgang auch außerhalb desselben durchzuführen und womöglich die heilend wirkende Substanz für sich allein aus den Tuberkelbazillen zu extrahieren. Diese Aufgabe hat viel Mühe und Zeit beansprucht, bis es mir endlich gelang, mit Hilfe einer 40 bis SOproz. Glyzerinlösung die mrksame Substanz aus den Tuberkelbazillen zu erhalten. So gewonnene Flüssig- keiten sind es gewesen, mit denen ich die weiteren Versuche an Tieren und schließhch am Menschen gemacht habe und welche zur Wiederholung der Versuche an andere Arzte abgegeben sind. D a s M i 1 1 e 1 , m i t w e 1 c h e m das n e u e H e i 1 v e r f a h r e n gegen Tuberkulose ausgeübt wird, ist also ein Glyzerinextrakt aus den Reinkulturen der Tuberkelbazillen. In das einfaahe Extrakt gehen aus den Tuberkelbazillen natürlich neben der wirk- samen Substanz auch alle übrigen in 50% Glyzerin löslichen Stoffe über, und es finden dich deswegen darin eine gewisse Menge von Mineralsalzen, färbende Substanzen und andere unbekannte Extraktivstoffe. Einige dieser Stoffe lassen sich ziemlich leicht daraus entfernen. Die wirksame Substanz ist nämlich unlöslich in absolutem Alkohol und kann durch denselben, allerdings nicht rein, sondern innner noch in Verbindung mit anderen ebenfalls in Alkohol unlöslichen Extraktivstoffen ausgefällt werden. Auch die Farb- stoffe lassen sich beseitigen, so daß es möglich ist, aus dem Extrakt eine farblose trockene Substanz zu erhalten, welche das wirksame Prinzip in viel konzentrierterer Form enthält, als die ursprüngliche Glyzerinlösung. Für die Anwendung in der Praxis bietet diese Reinigung des Glyzerinextraktes indessen keinen Vorteil, weil die so entfernten Stoffe für den menschlichen Organismus indifferent sind und also der Reinigungsprozeß das Mittel nur unnötigerweise verteuern würde. Uber die Konstitution der wirksamen Substanz lassen sich vorläufig nur Ver- mutungen aussprechen. Dieselbe scheint mir ein Derivat von Eiweißkörpern zu sein imd diesen nahe zu stehen, gehört aber nicht zur Gruppe der sogenannten Toxalbumine, da sie hohe Temperaturen erträgt und im Dialysator leicht und schnell durch die Membran geht. Das im Extrakt vorhandene Quantum der Substanz ist allem Anscheine nach ein sehr geringes; ich schätze es auf Bruchteile eines Prozents. Wir würden es, wenn meine Voraussetzung richtig ist, also mit einem Stoffe zu tun haben, dessen Wirksamkeit auf tuberkulös erkrankte Organismen weit über das hinausgeht, was uns von den am stärksten wirkenden Arzneistoffen bekannt ist. Über die Art und Weise, wie wir uns die spezifische Wirkung des Mittels auf das tuberkulöse Gewebe vorzustellen haben, lassen sich selbstverständlich verschiedene Hypothesen aufstellen. Ich stelle mir, ohne behaupten zu wollen, daß meine Ansicht die beste Erklärung abgibt, den Vorgang folgendermaßen vor. Die Tuberkelbazillen produzieren bei ihrem Wachstum in den lebenden Geweben ebenso wie in den künst- lichen Kulturen gewisse Stoffe, welche die lebenden Elemente ihrer Umgebung, die Zellen, in verschiedener Weise und zwar nachteilig beeinflussen. Darunter befindet sich ein Stoff, welcher in einer gewissen Konzentration lebendes Protoplasma tötet mid so ver- ändert, daß es in den von Weigert als Koagulationsnekrose bezeichneten Zustand 672 Fortsetzung der Mitteilungen über ein Heilmittel gegen Tuberkulose. Übergeführt wird. In dem nekrotisch gewordenen Gewebe findet der Bazillus dann so ungünstige Ernährungsbedingungen, daß er nicht weiter zu wachsen vermag, unter Umständen selbst schließlich abstirbt. Auf diese Weise erkläre ich mir die auffallende Erscheinung, daß man in frisch tuberkulös erkrankten Organen, z. B. in der von grauen Knötchen durchsetzten Milz oder Leber eines Meerschweinchens, zahlreiche Bazillen findet, während letztere selten sind oder gar fehlen, wenn die kolossal vergrößerte Milz fast ganz aus weißlicher, im Zustande der Koagulationsnekrose befindlicher Substanz besteht, wie man es häufig beim natürlichen Tode tuberkulöser Meerschweinchen findet. Auf große Entfernung vermag der einzelne Bazillus deswegen auch nicht Nekrose zu bewirken; denn, sobald die Nekrose eine gewisse Ausdehnung erreicht hat, nimmt das Wachstum des Bazillus und damit die Produktion der nekrotisierenden Substanz ab, und es tritt so eine Ai't von gegenseitiger Kompensation ein, welche bewirkt, daß die Vegetation vereinzelter Bazillen eine so auffallend beschränkte bleibt, wie z. B. beim Lupus, in skrofulösen Drüsen usw. In solchem Falle erstreckt sich die Nekrose gewöhnlich nur über einen Teil einer Zelle, welche dann bei ihrem weiteren Wachstum die eigen- tümliche Form der Riesenzelle annimmt; ich folge also in dieser Auffassung der zuerst von Weigert gegebenen Erklärung von dem Zustandekommen der Riesenzellen. Würde man nun künstlich in der Umgebimg des Bazillus den Gehalt des Gewebes an nekrotisierender Substanz steigern, dann würde sich die Nekrose auf eine größere Entfernung ausdehnen, und es würden sich damit die Ernährungs Verhältnisse für den Bazillus viel ungünstiger gestalten, als dies gewöhnlich der Fall ist. Teils würden alsdann die in größerem L^mfange nekrotisch gewordenen Gewebe zerfallen, sich ablösen und, wo dies möglich ist, die eingeschlossenen Bazillen mit fortreißen und nach außen be- fördern; teils würden die Bazillen soweit in ihrer Vegetation gestört, daß es viel eher zu einem Absterben derselben kommt, als dies unter gewöhnlichen Verhältnissen ge- schieht. Gerade in dem Hervorrufen solcher Veränderungen scheint mir nun die Wirkung des JVIittels zu bestehen. Es enthält eine gewisse Menge der nekrotisierenden Substanz, von welcher eine entsprechend große Dosis auch beim Gesunden bestimmte Gewebs- elemente, vielleicht die weißen Blutkörperchen oder ihnen nahestehende Zeilen schädigt und damit Fieber und den ganzen eigentümlichen Symptomenkomplex bewirkt. Beim Tuberkulösen genügt aber schon eine sehr viel geringere Menge, um an bestimmten Stellen, nämMch da, wo Tui)erkelbazillen vegetieren und bereits ihre Umgebung mit demselben nekrotisierenden Stoff imprägniert haben, mehr oder weniger ausgedehnte Nekrose von Zellen nebst den damit verbundenen Folgeerscheinungen für den Gesamt- organismus zu veranlassen. Auf solche Weise läßt sich, wenigstens vorläufig, unge- zwungen der spezifische Einfluß, welchen das Mittel in ganz bestimmten Dosen auf tuberkulöses Gewebe ausübt, femer die Möglichkeit, mit diesen Dosen so auffallend schnell zu steigen, und die unter nur einigermaßen günstigen Verhältnissen unverkenn- bar vorhandene Heilwirkung des Mittels erklären. Weitere Mitteilung über das Tuberkulin.') Von Prof. R. Koch. Nach dem Bekanntwerden des Tuberkulins sind mehrfach Versuche gemacht, das in demselben enthaltene wirksame Prinzip zu isolieren, um es frei von anderen Stoffen anwenden zu können, denen man störende Nebenwirkungen zuschreiben zu müssen glaubte. Auch ich habe mich mit solchen Versuchen seit längerer Zeit beschäftigt und will über die gewonnenen Resultate im nachstehenden berichten. Da bis jetzt nur vorläufige Mitteilungen über die hierher gehörigen Arbeiten vorliegen und mir auch nach meinen eigenen Untersuchungen die Frage noch nicht völlig spruchreif zu sein scheint, so werde ich mich darauf beschränken, meine eigenen Befunde zu schildern, einer späteren Zeit es überlassend, Vergleiche zwischen den Resultaten der verschiedenen Beobachter an- zustellen und etwaige Widersprüche aufzuklären. Einige Vorversuche hatten erkennen lassen, daß die wirksame Substanz des Tuber- kulins nicht zu den Alkaloiden oder Ptomainen gehört, sondern ein den Eiweißkörpern nahestehender Stoff ist, von dem es fraglich sein mußte, ob er die gewöhnlichen zur Isolierung solcher Stoffe angewendeten Manipulationen vertragen würde, ohne in seiner Zusammensetzung verändert zu werden. Ich bin deswegen in der Weise vorgegangen, daß ich nach jedem chemischen Eingriff die dadurch erhaltenen Produkte auf ihre Wir- kungsweise am Tierkörper prüfte, um mich davon zu überzeugen, ob der wirksame Stoff überhaupt noch vorhanden und, wenn dies der Fall war, ob eine vollständige oder nur eine teilweise Trennung erzielt war. Ohne eine solche Schritt für Schritt der Unter- suchung folgende Kontrolle verliert man sehr bald den Faden und gerät auf Irrwege. Da in diesem Falle auf den Tierversuch und die richtige Beurteilung desselben fast alles ankommt, so wird es notwendig sein, auf denselben etwas näher einzugehen. Gesunden Meerschweinchen kann, wie ich früher bereits auseinandergesetzt habe, das Tuberkulin in ganz bedeutenden Mengen beigebracht werden, ohne daß eine merkliche Wirkung eintritt. Diese sind als Reagens für den wirksamen Stoff des Tuberkulins also nicht zu gebrauchen. Tuberkulöse Meerschweinchen reagieren dagegen auf ver- hältnismäßig kleine Dosen des Tuberkulins in einer ganz charakteristischen Weise. Allerdings genügt es für den vorliegenden Zweck nicht, dem Tiere nur so viel Tuber- kulin zu injizieren, daß es in ähnlicher Weise reagiert, wie wir es beim tuberkulösen Menschen zu sehen gewöhnt sind ; denn die Temperatursteigerung und auch die örtlichen Symptome sind beim Meerschweinchen nicht ausgesprochen genug, um ein sicheres Urteil über die Wirkung einer einmaligen Tuberkulinin jektion zuzulassen. Es bleibt nichts übrig, als dem Tiere eine so große Dosis beizubringen, daß es dadurch getötet wird. Bei Meerschweinchen, welche schon hochgradig tuberkulös sind, also 8 — 10 Wochen M Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1891, Nr. 43. Koch, Gesammelte Werke. 43 674 Weitere Mitteihmg über das Tuberkulin. nach der Impfung, genügt hierzu oft schon 0,01 g TuberkuHn. Für Tiere mit weniger vorgeschrittener Tuberkulose, 4 — 5 Wochen nach der Impfung, ist in der Regel 0,2 — 0,3 erforderlich. Einer Dosis von 0,5 g erliegen aber auch diese ausnahmslos. Nimmt man also Tiere, welche vor mindestens 4 Wochen geimpft sind, und injiziert ihnen 0,5 g Tuber- kulin oder eine dieser Dosis entsprechende Menge des aus dem Tuberkulin gewonnenen und auf seine Wirksamkeit zu prüfenden Stoffes, dann kann man, je nachdem das Tier stirbt oder am Leben bleibt, daraus auf das Vorhandensein oder Fehlen des wirksamen Stoffes schließen. Man verfügt damit über ein dm-chaus zuverlässiges Reagens, welches mich bis jetzt in mehreren hundert Versuchen nicht ein einzigesmal im Stich ge- lassen hat. Es sind nun ferner die Erscheinungen, unter welchen das tuberkulöse Tier durch das Tuberkulin getötet wird, so charakteristisch, daß eine Verwechslung mit einer zufällig eingetretenen anderAveitigen Todesart nicht zu befürchten ist. Das Tier stirbt je nach dem Grade der bei ihm vorhandenen Tuberkulose in 6 — 30 Stunden. Tritt der Tod früher oder später ein, dann kann er nicht mehr mit Sicherheit auf die Wirkung des Tuberkulins bezogen werden ; bei meinen Versuchen ließ sich in allen derartigen Fällen eine andere Todesursache, wie Pneumonie, malignes Ödem oder andere Infek- tionskrankheiten nachweisen . An der Leiche eines durch Tuberkulin getöteten tuberkulösen Meerschweinchens finden sich folgende Veränderungen. Die Impfstelle des am Bauche subkutan geimpften Tieres zeigt sich beim Zurückschlagen der Bauchdecken durch Gefäßinjektion stark gerötet; oft hat sie eine dunkle, fast violette Färbung; die Injektionsröte erstreckt sich auch mehr oder weniger weit auf die Umgebung. Die der Impfstelle benachbarten Lymph- drüsen sind ebenfalls stark gerötet. Milz und Leber lassen außer den tuberkulösen Ver- änderungen an ihrer Oberfläche zahlreiche punkt- bis hanfkorngroße Flecken erkennen, welche schwärzlichrot gefärbt sind und ganz das Aussehen von Ekchymosen haben, wie sie bei manchen Infektionskrankheiten gefunden werden. Untersucht man diese Stellen mikroskopisch, dann stellt sich heraus, daß es sich nicht um Blutextravasate handelt, sondern um eine enorme Erweiterung der Kapillaren in der nächsten Um- gebung der tuberkulösen Herde. Die Kapillaren sind vollgestopft mit roten Blutkörper- chen, welche so dicht zusammengedrängt liegen, daß es so aussieht, als sei hier der Blut- strom zum vollständigen Stillstand gekommen. Nur ausnahmsweise findet man Zerreißungen der Gefäße und Bluterguß in das Gewebe. Auch in der Lunge finden sich, aber nicht regelmäßig und nicht so in die Augen fallend, ähnliche Veränderungen. Der Dünndarm ist oft ziemlich stark und gleichmäßig gerötet. Das, was in diesem Symptomenkomplex nie fehlt und geradezu pathognomisch ist, sind die hämorrhagie-ähnlichen Flecke an der Leberoberfläche. Am besten sieht man sie bei Tieren mit 4 — 5 Wochen alter Tuber- kulose, deren Leber schon von zahlreichen grauen Knötchen durchsetzt ist, aber noch nicht infolge ausgedehnter Nekrose das bekannte, eigentümliche gelb und braun mar- morierte Aussehen angenommen hat. Hat man nur einige Male die hier geschilderten Veränderungen gesehen, dann wird man, wie gesagt, wohl niemals in Zweifel darüber bleiben, ob eine Tuberkulinwirkung vorliegt oder nicht. Meine ersten Versuche zur Isolierung des wirksamen Stoffes aus dem Tuberkulin wurden mit Alkohol angestellt. Mischt man das Tuberkulin mit dem fünffachen Volumen absoluten Alkohols, dann scheidet sich eine braune harzartige Masse aus, welche dem Boden des Gefäßes fest anhaftet. Sowohl die abgeschiedene braune Masse, als die darüber stehende Flüssig- keit, welche sich klar abgießen läßt, zeigen bei der Prüfung in nahezu gleicher Stärke die Tuberkulinwirkung. Eine Trennung läßt sich also auf diese Weise nicht erreichen. Weitere ^litteilung über das Tuberkulin. 675 Wenn aber Alkohol in immer größerem Überschuß angeAvendet wird, dann be- kommt man schließlieh statt der harzartigen Masse einen feinkörnigen Niederschlag, der, wiederholt mit absolutem Alkohol gewaschen, auf einem gehärteten Filter unter Absaugen gesammelt und im Vakuum über Schwefelsäure getrocknet, ein fast weißes Pulver gibt. Um diesen Niederschlag zu erhalten, verfährt man am zweckmäßigsten in der Weise, daß man das Tuberkulin langsam in die 20- bis 25 fache Menge von ab- solutem Alkohol unter fortwährendem Umrühren eintröpfeln läßt, nach dem Absitzen des Niederschlages den Alkohol abgießt, von neuem absoluten Alkohol in gleicher Menge hinzufügt, dies einige Male wiederholt und schließlich den Niederschlag in der ange- gebenen Weise trocknet. Wenn man es versucht, den alkoholfeuchten Niederschlag durch Erwärmen auf dem Wasserbade zu trocknen, dann sintert er zusammen und wird bräunlich; im Vakuumexsikkator dagegen trocknet er zu einer weißen, schwammigen Masse, die leicht zu Pulver zerdrückt werden kann. Das Tuberkulin gibt bei der Be- handlung mit Alkohol etwa 10% trockenes Pulver. Letzteres ist aber keineswegs die wirksame Substanz in reiner Beschaffenheit; denn es enthält neben dieser noch eine Menge in Alkohol unlöslicher Extraktivstoffe. Auch gelingt es nicht, durch absoluten Alkohol den \\drksamen Stoff vollständig aus dem Tuberkulin niederzuschlagen. Denn AS'enn der abfiltrierte Alkohol verdunstet wird, dann bleibt eine gelbliche klare Flüssig- keit zurück, welche aus dem Glyzerin und den im letzteren gelösten Substanzen besteht. Von dieser Flüssigkeit genügen 0,5 ccm nicht mehr, um ein Tier zu töten. Aber in einem Versuche erfolgte der Tod nach Injektion von 1 ccm, in einem anderen von 1,5 ccm. Wenn nun auch durch Ausfällen mit Alkohol nicht die Gesamtmenge des wirk- samen Stoffes aus dem Tuberkulin gewonnen werden kann, so läßt sich doch auf diese Weise ein großer Teil von unwirksamen Substanzen entfernen und dariuiter vor allem das Glyzerin, welches auf die Lösungsverhältnisse der im Tuberkulin enthaltenen Stoffe von wesentlichem Einfluß ist. Es kam nun weiter darauf an, Trennungen des im Alkoholniederschlag vorhan- denen Gemisches von Körpern zu bewirken. Zu diesem Zwecke wurden unter Mitwirkung der Herren P r o s k a u e r und Prof. B r i e g e r so ziemlich alle hierfür in Frage konnnen- den Methoden versucht, von denen ich nur folgende speziell erwähnen Avill: Behand- lung mit Ammoniumsulfat, Magnesiumsulfat, Kaliumkarbonat, Baryt, Phosphormolyb- dänsäure, Phosphorw(jlframsäure, Eisenazetat, Bleiazetat, Tannin, Tierkohle. Aber keine von diesen Methoden hat zum Ziele geführt. Entweder wurde der wirksame Stoff, wie beim Ammoniumsulfat, noch zu sehr durch andere Stoffe verunreinigt abgeschieden, oder er verlor seine Wirksamkeit von vornherein, oder er ließ sich nicht in Avirksamer Form A'on dem Fällungsmittel trennen. So konnte z. B. mit Tannin alles Avirksame aus dem Tuberkulin gefällt werden und der Niederschlag hatte, durch Zusatz von Na- triumkarbonat in Lösung gebracht, noch seine volle Wirksamkeit, aber es ist nicht ge- lungen, die Avirksame Substanz nun Avieder vom Tannin abzuscheiden. Vielleicht hätten diese Versuche bei Aveiterer Fortsetzung doch noch Erfolg gehabt, Avenn es nicht inzAvischen auf einem anderen Wege gelungen Aväre, dem Ziele näher zu kommen, Avodurch jene Methoden vorläufig in den Hintergrund gedrängt wurden. Es war mir nämlich auf- gefallen, daß, wenn der Alkohol mit dem Tuberkulin in einem sehr viel niedrigeren Ver- hältnis Avie in den früheren Versuchen, und zAvar im Verhältnis von 2 : 3 gemischt Avird, es nicht zur Ausscheidung der braunen harzartigen Masse kommt, sondern sich ein Aveißer flockiger Niederschlag bildet, der sich gut absetzt und durch Spülen mit Alkohol von gleicher Konzentration leicht reinigen läßt. Es Avird bei diesem Versuch ein Teil Tuber- kulin (z. B. 10 ccm) in ein Becherglas getan und unter Umrühren anderthalb Volumteile (in diesem Falle 15 ccm) absoluter Alkohol hinzugefügt, das Glas verdeckt und 24 Stunden 43* 676 Weitere Mitteilung über das Tuberkulin. stehen gelassen. Es hat sich dann in der dunkelbraunen Flüssigkeit ein flockiger Boden- satz gebildet. Die obere Flüssigkeit wird vorsichtig abgegossen, 60% Alkohol in gleicher Menge zugegossen, umgerührt und wieder zum Absetzen hingestellt. Dies wird so oft 3 — 4mal, wiederholt, bis der über dem Niederschlag stehende Alkohol fast ungefärbt ist, dann wird einige Male mit absolutem Alkohol in gleicher Weise gespült (in der Regel genügt dreimalige Spülung), der Niederschlag auf das Filter gebracht, abgesogen und im Vakuumexsikkator getrocknet. Er gibt dann eine schneeweiße Masse, welche nach dem Trocknen bei 100*^ (wobei sie 7—9% Wasser verliert) in gepulvertem Zustande leicht grau gefärbt erscheint. Ivleinere Mengen des Niederschlages kann man auch auf dem Wasserbade vom Alkohol befreien, ohne daß sein Aussehen dadurch geschädigt wird, wie es bei dem mit 100% Alkohol erhaltenen unreinen Niederschlage der Fall war. Dieser durch Ausfällen mit 00% Alkohol erhaltene Niederschlag übertrifft alle auf andere Weise aus dem Tuberkulin hergestellten Stoffe so sehr an Wirksamkeit und ver- hält sich bei allen bisher mit demselben angestellten Reaktionen so konstant, daß man ihn als nahezu rein ansehen kann; vielleicht bildet er schon in Wirklichkeit das voll- kommen isolierte wirksame Prinzip des Tuberkulins. Während von dem lOOproz. Alkohol- niederschlag mindestens 50 mg erforderlich sind, um dieselbe Wirkung zu erzielen wie mit 0,5 g Tuberkulin, genügen von dem 60proz. Alkoholniederschlag 10 mg; in mehreren Versuchen starben die Tiere schon auf 5 mg, in einem Falle sogar auf 2 mg an ausge- sprochener Tuberkulinwirkung. Die Ausbeute beträgt etwa 1% ^). Berücksichtigt man die Wirkung der gewonnenen Menge im Verhältnis zu derjenigen des verarbeiteten Tuberkulins, dann ergibt sich, daß dem Tuberkulin kaum die Hälfte der wirksamen Substanz durch die Fällung mit 60% Alkohol entzogen wird, und dem entspricht auch die Prüfung des Filtrates, von welchem nach Entfernung des Alkohols und Zusatz von Wasser bis zum ursprünglichen Volumen 0,75 bis 1,0 g zur sicheren Tötung eines tuber- kidösen Tieres erforderlich ist. Der 60proz. Alkoholniederschlag, welchen man vorläufig als gereinigtes Tuberkulin bezeichnen könnte, hat folgende Eigenschaften. Er löst sich im Wasser ziemlich leicht, am schnellsten, wenn er in einer Reibschale mit dem Wasser verrieben wird. Eine derartige Lösung behält indessen nicht sehr lange Zeit volle Wirksamkeit, derm es wurde wiederholt beobachtet, daß sie schon nach 1 bis 2 Wochen erheblich an Stärke der Wirkung abgenommen hatte. Besonders empfindlich scheint die wässerige Lösung gegen das Eindampfen zu sein ; sie leidet dabei aber weniger, solange noch genügend Flüssigkeit vorhanden ist, als gegen Ende des Eindampfens wenn die Lösung sehr konzentriert wird; es scheiden sich dann gerinnselartige Flocken aus, welche auf Wasserzusatz sich nicht wieder lösen. Eine Probe des Niederschlags, welche auf dem Wasserbade wiederholt zur Trockne eingedampft und gelöst wurde, hatte schließlich ihre Wirkung vollkommen verloren. Auch durch längeres Stehen und durch schärferes Trocknen bei höherer Temperatur wird das gereinigte Tuberkulin teilweise unlöslich. Anfangs nahm ich an, daß die unlöslichen Bestandteile dem Tuber- kuhn beigemengte fremde Substanzen seien, welche man durch vorsichtiges trockenes Erhitzen, durch Behandeln mit heißem Dampf usw. ausscheiden könne. Auch dann noch, als sich herausstellte, daß die unlöslich gewordenen Stoffe (wenn sie nicht durch wiederholtes Erhitzen verändert waren) dieselbe Wirkung wie das Tuberkulin selbst hatten, ließ sich immer noch annehmen, daß es sich um koagulierte Eiweißkörper handelte, welche den wirksamen Stoff mit niedergerissen haben konnten. Da es aber weder 1) Die AiLsbeute läßt sich leicht steigern, wenn man mehr Alkohol, z. B. 65 — 70% dem Tuber- kulin zusetzt. Dann werden aber nicht allein größere Mengen des wirksamen Stoffes, sondern auch andere Stoffe mitgefällt und man erhält kein reines Präparat. Weitere Mitteilung ül)er das Tul:)erkulin. 677 gelang, durch andere Eiweißstoffe, welche der wässerigen Tuberkulinlösung zugesetzt und zur Koagulation gebracht wurden, noch diu'ch andere zu diesem Zweck in der Lösung bewerkstelligte Niederschläge das wirksame Prinzip auszufällen, so mußte diese Auf- fassung Mäeder aufgegeben werden, und ich möchte vorläufig die fragliche Substanz, da sie die gleiche Wirkung wie das Tuberkulin hat, als eine in Wasser unlösliche Modi- fikation des Tuberkulins ansehen. Wenn das gereinigte Tuberkulin nicht sehr sorgfältig hergestellt und aufbewahrt wird, enthält es immer eine geringe Menge dieser unlöslichen Substanz, und man erhält keine ganz klare Flüssigkeit beim Auflösen. Der Zusatz einer geringen Menge von Na- triumkarbonat bis zur devitlich alkalischen Reaktion genügt dann aber in der Regel, um alles in Lösung zu bringen. Lösungen des reinen Tuberkulins in Glyzerin 50% sind dagegen sehr haltbai-. Eine von mir seit 4 Monaten aufbewahrte Lösung hat sich bis jetzt unverändert wirksam gehalten. Wenn die Lösungen einen Glyzeringehalt von einigen Prozent haben, kann man sie auch wiederholt eindampfen und wieder lösen, ohne daß sie dadurch geschädigt werden. Selbst sehr hohe Temperaturen verträgt das Tuberkulin, wenn die Lösung desselben stark glyzerinlialtig ist. So wurden mehrere Proben im Autoklaven stunden- lang auf ISO'*, selbst bis zu 160° erhitzt, ohne daß ihre Wirkungsfähigkeit merklich da- durch herabgesetzt Avurde'). Das Glyzerin spielt somit für das Tuberkulin eine sehr wichtige Rolle als konservierendes Mittel. Fertigt man eine konzentrierte Lösung des möglichst sorgfältig gereinigten Tuber- kulins an und gießt davon einige Kubikzentimeter in absoluten Alkohol, dann entsteht nicht, wie man erwarten sollte, sofort ein Niederschlag, sondern nur eine ganz schwache Opaleszenz. Der Alkohol kann dann Wochen lang stehen, ohne daß sich dieses Aus- sehen ändert und ein Niederschlag sich absetzt. Das gereinigte Tuberkulin ist also in Alkohol nicht vollständig unlöslich. 80 proz. Alkohol kann schon ziemlich viel davon aufnehmen, 60 proz. Alkohol beträchtliche Mengen. Wie kommt es nun aber, daß das Tuberkulin aus der ungereinigten Flüssigkeit durch Alkohol gefällt werden kann ? Dieses Rätsel ließ sich leicht dadurch lösen, daß dem tuberkulinhaltigen Alkohol der Reihe nach die Bestandteile der ungereinigten Flüssigkeit zugesetzt wurden. Der Glyzerin- zusatz ließ keinen Niederschlag entstehen. Die Extraktivstoffe bildeten an luid für sich einen Niederschlag; aber nachdem dieser sich abgesetzt hatte, hatte der Alkohol noch sein opaleszierendes Aussehen. Erst wenn die Salze hinzugefügt wurden, ballte sich das Tuberkulin zu Flocken inid wurde vollständig als Niederschlag abgeschieden. Von den Salzen erwies sich voi zugsweise das Natriumchlorid als ein geeignetes Fällungs- mittel für Tuberkuhn in Alkohol. Schon ein Tropfen einer konzentrierten Natrium- chloridlösung genügt, um in mehreren hundert Kubikzentimetern Alkohol das Tuber- kulin zum Ausfallen zu bringen. Dieses Verhalten des Tuberkulins gegen verdünnten Alkohol ist bei der Reindarstellung wohl zu berücksichtigen. Sobald nämlich durch mehrmaliges Spülen mit 60 proz. Alkohol diejenigen Mineralsalze, welche die Fällung des Tuberkulins begünstigen, entfernt sind, fängt bei weiterem Spülen mit verdünntem Alkohol letzterer an zu o])aleszieren, d. h. er beginnt das Tuberkulin zu lösen, und man In einem von Professor Pfuhl angestellten derartigen Versuche wurden zu gleicher Zeit Proben: 1. von Eohtuberkulin, 2. von wässeriger Lösung und 3. von 50 °o glyzerinhaltiger Lösung des gereinigten Tuberkulins 2 Stunden lang im Avitoklaven einer Temperatur von 160" ausgesetzt und dann entsprechende Mengen davon tuberkulösen Tieren injiziert. Nur das Tier, welches die wässerige Lösung erhalten hatte, blieb am Leben; che beiden anderen mit Eohtuberkulin tind glyzerin- haltiger Lösung des gereinigten Tuberkulins injizierten starben und zeigten ausgesprochene Tuber- kulinwirkung. 578 Weitere JNIitteilung über das Tuberkulin. kann auf solche Weise bedeutende Mengen Niederschläge verlieren. Tritt diese Erschei- nung ein, dann muß der Alkohol durch Zusatz von Natriumchlorid geklärt und zur wei- teren Spülung absoluter Alkohol verwendet werden. Von den chemischen Reaktionen, welche zur Charakterisierung des gereinigten TuberkuUns dienen können, seien folgende erwähnt. Zunächst gibt es alle Eiweißreaktionen ; so die Biuratreaktion, die A d a m k i e - w i c z sehe Reaktion (Eisessig und konzentrierte Schwefelsäure) ; mit dem M i 1 1 o n - sehen Reagens entsteht ein weißer Niederschlag, der beim Erwärmen rötlich wird usw. PhosphorwoLframsäure, Eisenazetat, Ammoniumsulfat, Gerbsäure fällen das Tuber- kulin aus seiner Lösung vollständig aus. Bleiazetat bewirkt eine starke Trübung, aber keine vollständige Fällung. Auch die Essigsäure ruft in der wässerigen Lösung des gereinigten Tuberkulins anfangs starke Trübung und selbst geringen Niederschlag hervor, welcher aber auf wei- teren Zusatz wieder verschwindet. Die durch Essigsäure abgeschiedene Substanz zeigte bei der Prüfung weder eine geringere, noch eine höhere Wirksamkeit wie das reine Tuber- kulin mid scheint der in Wasser unlöslichen Modifikation ähnlich, vielleicht damit identisch zu sein. Wässerige Pikrinsäurelösung bewirkt einen flockigen Niederschlag, der sich beim Erwärmen auflöst und beim Erkalten der Flüssigkeit wieder erscheint. Verdünnte Salzsäure und Schwefelsäure lassen keinen Niederschlag entstehen. Ebenso verhalten sich diese Säuren in stärkerer Konzentration. Salpetersäure bewirkt dagegen einen Niederschlag, der beim Stehen zunimmt, beim Kochen eine gelbe Lösung gibt und auf Zusatz von Natronlauge braunrot wird (Xanthoproteinsäurereaktion) . Aschenanalysen und Elementaranalysen des gereinigten Tuberkulins sind von den Herren Proskauer und B r i e g e r ausgeführt und haben ergeben : 1 . Aschenanalysen : 1. Asche von 0,4816 g Substanz (bei 100" getrocknet) 0,0802 = 16,65% (B r i e g er). II. Asche von 0,1410 g Substanz (bei 100« getrocknet) 0,0265 = 18,46% (Pros- kauer). III. Asche von 0,1740 g Substanz (bei 100° im Vakuum getrocknet) 0,0350 = 20,46% (Proskauer). Die Präparate I und II waren von mir aus je 500 ccm Rohtuberkulin hergestellt, Präparat III von Herrn Proskauer aus 300 ccm (sechsmal mit 60% Alkohol ge- waschen, viermal mit 70%, je dreimal mit 80% und 90% und fünfmal mit absolutem Alkohol, letzterer mit Äther verdrängt und dann getrocknet). Die Asche bestand fast ganz aus Kalium- und Magnesiumphosphat und enthielt keine Chloride. Die Asche der Probe II enthielt 59,84% Phosphorsäure. 2. Elementaranalyse (für aschefreie Substanz berechnet) : I. Brieger II. Proskauer III. Proskauer Kohlenstoff .... 47,02% 48,13% 47,67% Wasserstoff .... 7,55,, 7,06,, 7,18,, Stickstoff 14,45,, 14,46,, 14,73,, Schwefel — 1,17 „ 1,14 „ Für die Elementaranalyse wurden dieselben Präparate wie für die Aschenbe- stimmung benutzt. Zieht man alle bisher beschriebenen Eigenschaften des gereinigten Tuberkulins in Betracht, dann muß man zu der Annahme gelangen, daß dasselbe zur Gruppe der Weitere Mitteilung über das Tuberkulin. 679 Eiweißkörper gehört. Der hohe Aschengehalt und der ungleichmäßige Verlauf einiger Reaktionen (Bleiazetat, Essigsäure) lassen indessen vermuten, daß die Substanz noch nicht in vollkommen reiner Darstellung vorliegt, daß aber etwaige Beimengungen doch nur in sehr geringer Menge vorhanden sein können und vielleicht in Spuren von dem Tuberkulin äluilichen Eiweißkörpern und in Mineralstoffen bestehen, welche für die therapeutische Verwertung des Präparats wohl keine Bedeutung haben. Obwohl das Tuberkulin den Albumosen am nächsten zu stehen scheint, so unterscheidet es sich doch von diesen und insbesondere von den sogenannten Toxalbuminen sehr wesentlich durch seine Beständigkeit gegenüber hohen Temperaturen. Auch von den Peptonen weicht es in mehrfacher Beziehung, namentlich durch die Fällbarkeit durch Eisen- azetat ab. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß man bei weiterem Suchen unter den Produkten' der pathogenen Bakterien noch anderen ähnlichen Körpern begegnen wird, die sich als eine besondere Gruppe der Eiweißkörper werden abgrenzen lassen. Bei der chemischen Untersuchung des Tuberkulins hatte sich die Prüfung der gereinigten Substanz in bezug auf ihre physiologische Wirkung auf den Versuch au tuberkulösen Meerschweinchen beschränkt. Nachdem es nun aber gelungen war, den wirksamen Stoff in möglichst isolierter Form herzustellen, war es natürlich von größtem Interesse, zu erfahren, wie derselbe auf die Menschen wirkt, namentlich ob die von uns erwünschten therapeutischen Effekte des Rohtuberkulins bei dem reinen Tuberkulin ohne alle störenden Neben wii'kungen eintreten. Zu diesem Zwecke wurden vorerst einige Versuche an Gesunden angestellt, und zwar an Ärzten, welche sich in dankenswerter Weise dazu bereit erklärt hatten. Dr. Kitasato erhielt am 24. Juni 1891 mittags um 12 Uhr 2 mg injiziert. Zur Zeit der Injektion betrug die Temj^eratur 36,5". Sie stieg bis abends 8 Uhr auf 38,3", blieb bis 11 Uhr 38,2" und fiel dann ziemlich schnell. -4 Uhr nachmittags war Hustenreiz eingetreten, ^;^'elcher 3 Stunden anhielt. Dann folgte etwas Kopfschmerz, ]\rattigkeit und Schweiß. Sonst war das Allgemein- befinden nugestört. (Der Puls stieg von 72 Iiis 92.) Dr. A. W a s s e r m a n u erhielt am 25. Juni 3 mg injiziert. Die Temperatur stieg von 37,2" bis 38,7" im Laufe von 11 Stunden imd fiel dann «ieder zm' Norm. Beim Beginn der Eeaktion wiu'de Empfindlichkeit und ziehendes Gefühl in den Brust- und Bauchmuskeln beobachtet : auch Hitze vmd Eingenommensein des Kopfes, kein SchütteÜ'rost. (Puls von 80 bis 114.) Dr. H. M a a s s 13. .Juli 4 mg. Die Temperatur geht im Laufe von 12 Stunden von 37,0" bis 39,0°. Die subjektiven Beschwerden bestanden in leichtem Frost und später folgendem Hitze- gefühl, Mattigkeit und Kopfschmerzen. (Puls von 72 bis ICD.) Direktor Dr. P. G u 1 1 m a n n 28. Juli 5 mg. Die Temperatur geht von 36,5" innerhalb 8 Stun- den auf 39,2". 4 Stunden nach der Injektion zunehmendes Ziehen in den Gliedern, nach weiteren 2 Stunden Frösteln, welches Herrn G u 1 1 m a n n zwang, ins Bett zu gehen. Dann folgte Hitze tmd Schweiß. Kein Kopfschmerz: aber Erbrechen von Magenschleim (es war aus Vorsicht nur sehr wenig genossen). Dabei vollkommene Schlaflosigkeit, auch in der Nacht. (Puls bis 135.) In allen diesen Fällen war das Wohlbefinden nach 24 Stunden vollständig oder doch nahezu wieder eingetreten. Die Temperatursteigerung entspricht genau der zur Anwendung gekommenen Dosis : 2 mg ergaben 38,2'^ Maximaltemperatur 3 „ „ 38,7» 4 „ „ 39,00 5 .. ., 39,20 Aber auch die subjektiven Empfindungen hielten damit gleichen Schritt, und es zeigten sich alle die bekannten nach Einspritzung des Rohtuberkulins auftretenden Störungen wieder, so daß ein Unterschied in dieser Beziehung zwischen dem gereinigten und ungereinigten Präparate nicht wahrgenommen werden konnte. Ganz besonders 680 Weitere Mitteilung über das Tuberkulin. fiel dies noch in einem Falle auf, der von den vorher beschriebenen sich etwas abweichend verhielt und deswegen auch abgesondert Erwähnung finden soll: Herr O. Wassermann, von kräftigem Körperbau und ohne irgendwelche nachweis- baren Anzeichen von Tuberkvilose, erhielt am 27. Juli 4 mg des gereinigten Präparats injiziert. Die Temperatur stieg von 36,9'' innerhalb 10 Stunden auf 39,5", fiel dann auf 38,4", ging aber bis 27 Stunden nach der Injektion wieder auf 40,2". Während des ersten Anstiegs der Temperatm- hielten sich die subjektiven Störimgen innerhalb mäßiger Grenzen, so daß Herr Wassermann noch eine Spazier- fahrt unternehmen konnte. Kurz vor dem zweiten Ansteigen der Temperatur trat Frost ein, der Puls erreichte 140, wm-de klein imd imi-egelmäßig, so daß Exzitantien (Alkoholika) erforderlich erschienen. Puls und Temperatur kamen erst nach ungefähr 48 Stunden wieder auf ihren gewöhnlichen Stand. Ob in diesem Falle ein Verdacht auf Tuberkulose, für welchen sich nachträglich einige Anhaltspunkte ergaben, oder das unruhige Verhalten des Herrn W. die Erklärung für den unregelmäßigen und stürmischen Verlauf der Reaktion geben kann, mag un- entschieden bleiben. Diese Beobachtung lehrt jedoch unzweifelhaft, daß auch das ge- reinigte Tuberkulin bei zu starker Reaktion nicht unbedenkliche Symptome hervor- zurufen vermag. Mit entsprechend niedrigen Dosen und in vorsichtigster Weise sind dann im wei- teren auch möglichst ausgedeluite Versuche mit dem gereinigten Tuberkulin an Tuber- kulösen angestellt, und zwar geschah dies an einer größeren Zahl von Kranken im Kranken- I hause Moabit, welche einige Monate lang teils ausschließlich mit dem reinen Tuberkulin, teils in Abwechslung mit dem Rohtuberkulin behandelt wurden. Über diese Versuche kann ich mich kurz fassen, da sie ebenfalls zu dem Ergebnis geführt haben, daß das reine Tuberkulin von dem Rohtuberkulin sich in seiner Wirkung nicht merklich imterscheidet. Ersteres hat diagnostisch und therapeutisch denselben Effekt wie das letztere, wenn es in einer solchen Dosis angewendet wird, daß die Reaktionserscheinungen, namentlich die Temperatur, welche den sichersten Maßstab abgibt, die gleiche Höhe erreichen. Es hat sich aber dabei herausgestellt, daß das gereinigte Tuberkulin, welches für Meer- schweinchen etwa 50mal so stark als das Rohtuberkulin gefunden war, für den Menschen bei der Berechnung der Dosis höchstens als 40mal so stark anzunehmen ist. Auch in bezug auf die Dosierung bietet das gereinigte Tuberkulin keinen Vorteil. Denn die Wirkungsfähigkeit desselben läßt sich doch nur, ebenso wie beim Rohtuber- kulin, nicht auf Grund von chemischen Reaktionen, sondern durch die Prüfung am Tier- körper feststellen, und am Kjrankenbette ist in jedem einzelnen Falle bei beiden Mitteln die Dosis den Verhältnissen entsprechend zu bemessen, was sich auch dann nicht ändern würde, wenn die Wirkung des gereinigten Tuberkulins eine absolut gleichmäßige sein würde. Ob das reine Tuberkulin dem Rohtuberkulin etwa an Haltbarkeit überlegen ist, können erst weitere Erfahrungen lehren. Bis jetzt hat sich das Rohtuberkulin als eine an Glyzerin sehr reiche Tuber kulinlösung recht haltbar erwiesen. Wenigstens habe ich an den ältesten, mir zur Verfügung stehenden Proben des Tuberkulins noch keine Ab- nahme in der Wirkung wahrnehmen können. So interessant und wichtig die Versuche zur Reindarstellung des wirksamen Prinzips aus dem Tuberkulin in theoretischer Hinsicht auch sind, so haben sie doch für die Praxis bis jetzt noch keinen wesentlichen Fortschritt gebracht, was mich aber nicht abhalten wird, diese Frage noch weiter zu verfolgen. In meiner letzten Veröffentlichung über das Tuberkulin hatte ich über die Her- kunft desselben und seine Bereitungsweise soviel angegeben, wie es für den Sachver- ständigen ausreichen mußte, um den von mir angegebenen Weg verfolgen zu können. Weitere Mitteilung über das Tuberkulin. 681 Die Angaben, daß das Tuberkulin in den Tuberkelbazillenkulturen enthalten ist, und daß man sich von dem Vorhandensein desselben jederzeit durch den Versuch am tuber- kulösen Meerschweinchen überzeugen und bei Versuchen zur Gewinnung des wirk- samen Stoffes aus den Kulturen die Reaktion am Tiere stets als eine zuverlässige Kon- trolle benutzen kann, hätte genügen müssen, um einen geschickten Bakteriologen zur Herstellung des Tuberkulins oder eines gleichwertigen Präparates zu befähigen. Wenn trotzdem nur ganz vereinzelte Bakteriologen sich an diese Aufgabe herangewagt und, soweit ich die weitschichtige Literatur zu übersehen vermag, dieselbe auch nur teil- weise gelöst haben, so hat das eigentlich etwas Beschämendes für die heutigen Bak- teriologen, welche, anstatt selbständig experimentell vorzugehen, in ungestümer Weise nach einem Rezept zur Herstellung des Tuberkulins verlangen. Es ist mir überhaupt fr glich, ob die Art und Weise der Herstellung, wie ich sie befolge, schon die beste ist. Ich habe im Laufe der Zeit fortwährend daran verbessert und halte sie auch noch Aveiter verbesserungsfähig, hoffe aucli, daß sich noch ganz andere geeignetere Methoden werden auffinden lassen. Wenn ich daher jetzt, wo die Beurteilung der Tuberkulinfrage eine ruhigere und mehr objektive geworden ist, den richtigen Zeitpunkt gekommen erachte, um meine Erfahrungen über die Herstellungsweise des Präparates zu veröffentlichen, so würde ich es sehr bedauern, wenn man sich sklavisch an meine Angaben halten und nicht versuchen würde, etwas Besseres zu schaffen. Vorweg habe ich aber noch folgendes zu bemerken. Bei der Tuberkulingewinnung liegt der Schwerpunkt darin, daß man es versteht, die Tuberkelbazillen in Massen zu kultivieren. Ohne solche Massenkulturen ist an die Herstellung des Tuberkulins in nennenswerten Mengen überhaupt nicht zu denken. Tuberkelbazillen in Massen zu kultivieren, ist aber nur einem geübten Bakteriologen möglich, der Ungeübte wird wohl auch Massenkulturen zustande bringen, aber keine Reinkultux'en ; mit unreinen Kulturen wird er nichts als Unheil anrichten, und er sollte deswegen seine Hände lieber davon lassen. LTrsprünglich habe ich die Tuberkelbazillen auf Glyzerinpeptonagar in Reagens- gläsern gezüchtet, die Kulturen, wenn sie den Höhepunkt der Entwicklung erreicht hatten, abgespült, auf einem feinen Drahtnetz gesammelt, mit einer 4 proz. Glyzeriu- lösung Übergossen, mit dieser Lösung auf den zehnten Teil eingedampft, abfiltriert und das Filtrat verwendet. Die Züchtung auf Agar in Reagensgläsern ist aber sehr müh- sam und gibt verhältnismäßig wenig Ausbeute. Als es darauf ankam, größere Mengen zu schaffen, mußte daher versucht werden, größere Gefäße für die Kulturen zu benutzen; dabei ergaben sich aber Schwierigkeiten in der Verwendung des Nähragar, und ich griff auf frühere Versuche zurück, die ich über die Züchtung der Tuberkelbazillen in flüssigen Nährmedien angestellt hatte. Anfangs fielen die Kulturen wenig befriedigend aus; sie wuchsen in der Flüssigkeit sehr langsam und kümmerlich. Zufällig machte ich dann aber die Beobachtung, daß einzelne platte Stückchen der Bazillenkultur, welche an der oberen Fläche trocken waren und unbenetzt blieben, auf der Oberfläche der Flüssig- keit sich schwimmend erhielten, und daß diese Stückchen sich in üppigster Weise ent- wickelten. Sie bildeten im Laufe von einigen Wochen an der Oberfläche eine dieselbe vollkommen bedeckende, ziemlich dicke, oberwärts trockene und oft faltige Haut von weißlicher Farbe. Nach 6 — 8 Wochen ist das Wachstum beendet; die Haut fängt dann an, von der Flüssigkeit benetzt zu werden, und sinkt schließlich, in lappenförmige Stücke zerfallend, unter. Der Ertrag einer solchen Kultur ist erheblich größer als der auf festem Nährboden erzielte. Als Kulturflüssigkeit kann man ein Infus von Kalbfleisch benutzen, das in der gewöhnlichen Weise hergestellt wird. Dasselbe muß schwach alkalisch sein und einen 682 Weitere Älitteilung über das Tuberkulin. Zusatz von einem Prozent Pepton und 4 — 5% Glyzerin erhalten. An Stelle des Kalb- fleischinfuses kann auch eine einprozentige Fleischextraktlösung verwendet werden. Die Kulturgefäße, am besten Kölbchen mit flachem Boden, werden nur zur Hälfte, und zwar mit 30 — 50 ccm Flüssigkeit gefüllt, gut sterilisiert und dann so geimpft, daß ein nicht zu kleines Stück der Aussaatkultur auf der Oberfläche der Flüssigkeit schwimmt. Die Kulturen werden am besten bei 38° gehalten. In bezug auf die Herkunft der zur Kultur benutzten Tuberkelbazillen habe ich keinen Unterschied gefunden. Für die Wirksamkeit des Tuberkulins ist es ganz gleich- gültig, ob dasselbe mit frisch gezüchteten Kulturen oder mit mehrere Jahre alten her- gestellt wird, ebenso ob die Kulturen direkt vom tuberkulösen Menschen gewonnen, oder ob sie wiederholt durch den Tierkörper gegangen sind. Bei dieser Art und Weise der Züchtung geht ein Teil des wirksamen Stoffes in die Kulturflüssigkeit über, wovon man sich durch Probeinjektion an tuberkulösen Meer- schweinchen leicht überzeugen kann. Ich habe deswegen, nachdem ich dies bemerkt hatte, die Kulturen nicht mehr mit wässeriger Glyzerinlösung, sondern gleich mit der Kulturflüssigkeit extrahiert, um so auch den in dieser enthaltenen Stoff zu verwerten. Daß auf diese Weise die Kulturen genügend extrahiert werden, geht daraus hervor, daß sie nach der Extraktion nvu* noch eine geringe Wirkung auf tuberkulöse Meerschwein- chen auszuüben vermögen, imd daß die Kulturflüssigkeit, wenn sie ohne die Kulturen eingedampft wird, ein erheblich schwächeres Tuberkulin liefert. Die zur Extraktion verwendeten Kulturen müssen vollkommen reif, also 6 bis 8 Wochen alt sein. Sie müssen selbstverständlich absolut rein sein, wovon man sich durch die mikroskopische Untersuchung jedes einzelnen Gefäßes überzeugen muß. Erst nach langer Übung wird man imstande sein, auch ohne mikroskopische Untersuchung die Abwesenheit von Verunreinigungen durch fremde Mikroorganismen zu konstatieren, welche letzteren bekanntlich in flüssigen Nährmedien weit schwieriger als auf festen zu erkennen sind. Die vollkommen rein befundenen Kulturen werden in einem geeigneten Gefäß auf dem Wasserbade auf den zehnten Teil ihres ursprünglichen Volumens eingedampft. Da sie hierbei stundenlang einer Temperatur von nahezu 100° ausgesetzt bleiben, so kann man mit voller Sicherheit darauf rechnen, daß in der eingedickten Flüssigkeit die Tuberkelbazillen ausnahmslos abgetötet sind. Um die letzteren aber möglichst daraus zu entfernen, wird die Flüssigkeit durch ein Ton- oder Kieseiguhrfilter filtriert. Das so gewonnene Tuberkulin enthält etwa 40—50% Glyzerin und ist dadurch gegen Zersetzung durch Bakterien geschützt. Man hat nur darauf zu achten, daß sich nicht Schimmelpilze darauf ansiedeln. So verwahrt, hält es sich allem Anscheine nach sehr lange, vielleicht jahrelang im wirksamen Zustande. Bevor es angewendet wdrd, muß es selbstverständlich noch auf seine Stärke ge- prüft werden, was in der Weise geschieht, daß eine größere Reihe von tuberkulösen Meer- schweinchen abgestufte Dosen injiziert erhalten. Wenn man für jede Dosis mindestens zwei Tiere nimmt und die Dosen genügend abstuft, dann läßt sich die Stärke des Tuber- kulins mit hinreichender Genauigkeit ermitteln. Bei der Auswahl der Tiere für diesen Versuch ist jedoch wohl darauf zu achten, daß die Tuberkulose sich bei ihnen möglichst in demselben Stadium der Entmcklung befindet. » über neue Tuberkulinpräparate. ') (Aus dem Institut für Infektionskrankheiten in Berlin.) Von Prof. Dr. R. Koch, Geh. .\red.-Rat. Seit meinen Veröffentlichungen über das Tuberkulin lial)e ich die Untersuchungen über die Verwendung von Kulturen der Tuberkelbazillen zur Behandlung der Tuber- kulose ununterbrochen fortgesetzt und glaube damit soweit zu einem Abschluß gelangt zu sein, daß ich die Resultate dieser Untersuchungen veröffentlichen kann. Das fertige Produkt dieser Jahre hindurch fortgeführten Arbeiten wird einfach und in mancher Beziehung geradezu selbstverständlich erscheinen. Aber jeder, der über Tuberkulose gearbeitet hat, weiß, wie außercjrdentlich mühsam und zeitraubend der- artige Untersuchungen sind und wie sie Ausdauer und Geduld oft auf die härteste Probe stellen. Um so mehr möchte ich es deswegen auch an dieser Stelle dankbar an- erkennen, daß Herr Dr. M. Beck mir bei meinen Arbeiten unermüdlicli und getreu- lich assistiert hat. Die Anwendung der Bakterien und ihi'er Produkte zu Heil- und Schutzzwecken kommt immer auf eine Art Inununisierung hinaus, und ich halte es daher für zweck- mäßig, meine Stellung zu den daljei in Betracht kommenden Fragen kurz zu präzisieren, um später nicht mißverstanden zu werden. Ursprünglich dachte man sich die Immunität gegen Infektionskrankheiten als etwas Einfaches, Unteilbares. Allmählich ist man aber mehr und mehr zu der Einsicht gelangt, daß die Immunität zwar einfach sein kann, aber es nicht sein muß. daß sie auch aus zwei Komponenten, vielleicht sogar aus mehreren zusammengesetzt sein kann. Es wird sich dies am besten an einigen Beispielen auseinandersetzen lassen. Wie Behring und K i t a s a t o gezeigt haben, können Tiere gegen Tetanus immunisiert werden. Man benutzt dazu die filtrierten Kulturflüssigkeiten, d. h. die in Wasser löslichen Produkte der Tetanusbazillen, unter welchen sich das spezifische Tetanusgift befindet. Gegen dieses Gift, und zwar gegen sehr große Dosen desselben sind die iinmunisierten Tiere geschützt, aber doch nur auf eine gewisse Zeit. Auf die Tetanusbakterien selbst hat die Immunisierung keinen Einfluß, dieselben vegetieren in dem immunisierten Körper, soweit ihnen bei ihrem streng anaerobiotischen Wachstum die Gelegenheit dazu geboten ist. inibehindert weiter. Wir haben es hier also mit einer einfachen und reinen Gift-Immunität zu tun, und es kann schließlich, wenn diese künst- liche Immunität nach einigen Wochen wieder geschwunden ist, dahin kommen, daß in dem immunisierten Tierkörper das von den Tetanusljazillen immer weiter produzierte Tetanusgift nicht mehr unschädlich gemacht wird und daß das Tier alsdann noch an ") Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1897, Nr. 14. 684 über neue Tuberkulinpräparate. Tetanus zugrunde geht, ohne daß es von neuem mit Tetanusbazillen infiziert zu werden braucht. Das entgegengesetzte Verhalten finden wir bei Cholera und Typhus. Für diese Ivrankheiten haben die Untersuchungen Pfeiffers den Nachweis geliefert, daß die mit frischen Agarkulturen immunisierten Tiere zwar gegen die lebenden Bakterien, aber nicht gegen das von letzteren produzierte Gift geschützt sind. Denn die lebenden Cholera- und Typhusbakterien gehen in dem immunisierten Tierkörper in überraschend kurzer Zeit zugrunde, während es noch nicht gelungen ist, Tiere über eine gewisse Gift- dosis hinaus zu immunisieren ; in diesem Falle ist die Immunität eine rein bakterielle, d. h. eine ausschließlich gegen die Bakterienkörper gerichtete. Das Ideal einer Immunisierung wird immer sein, den tierischen, resp. menschlichen Körper nicht nur gegen eine einzige der Schädlichkeiten, welche die pathogenen Mikro- organismen mit sich bringen, zu schützen, sondern gegen alle. Diese Verhältnisse spielen auch bei der Tuberkulose eine große Rolle. Zunächst könnte es allerdings so scheinen, als ob für Tuberkulose überhaupt keine Immunität besteht, da sie beim Menschen Jahre hindurch dauern kann, ohne daß die Empfänglichkeit dafür abnimmt. Selbst in den Fällen, wo eine Heilung eintritt, ist der Mensch dadurch nicht immun gegen eine neue Invasion der Tuberkelbazillen ge- worden; er ist dann im Gegenteil, wie die Erfahrung lehrt, eher noch empfänglicher für eine frische tuberkulöse Infektion. Und doch existieren Andeutungen, welche dafür sprechen, daß auch die Tuberkulose unter bestimmten Bedingungen eine Art Immu- nisierung erkennen läßt. Ich finde dieselben in den Beobachtungen, welche man bei der Miliartuberkulose des Menschen und bei der experimentellen Tuberkulose des Meer- schweinchens machen kann. Es tritt hierbei in der Regel ein Stadium ein, in welchem die Tuberkelbazillen, welche anfangs in großer Menge vorhanden waren, wieder ver- schwinden, so daß man sehr sorgfältig suchen muß, um überhaupt noch einige Reste derselben zu finden. Es ist dies sehr auffallend, da wir noch später sehen werden, daß die Tuber kelbaziUen, wenn sie experimentell dem Körper einverleibt werden, außer- ordentlich langsam resorbiert werden. Es scheint sich in jenen Fähen also in der Tat um einen Immunisierungsvorgang, und zwar um einen rein bakteriellen zu handeln. Leider kommt er für den betreffenden Organismus zu spät, als daß er für denselben noch von Nutzen sein könnte. Aber diese Beobachtungen sind für mich von Anfang an die Veranlassung gewesen, unablässig nach einem Verfahren zu suchen, welches gestattet, auch in einem frühen Stadium der Tuberkulose, wo es noch etwas nützen kann, diesen Zustand von Immunität herbeizuführen. Die beiden erwähnten Vorgänge haben eins gemeinschaftlich, nämlich daß der Körper in kurzer Zeit mit Tuberkelbazillen über- schwemmt wird. Gerade dieser Umstand scheint mir auch die Erklärung dafür abzu- geben, daß es bei der Tuberkulose unter gewöhnlichen Verhältnissen zu einer ausge- sprochenen Immunität nicht kommt. Für gewöhnlich verhält es sich so, daß die Tu- berkelbazillen in den Geweben des menschlichen Körpers nur in geringer Zahl und sehr langsam wachsen; sie befinden sich meistens von nekrotischem Gewebe umgeben und erst lange Zeit, nachdem sie selbst abgestorben sind und wahrscheinlich tiefere chemische Veränderungen erfahren haben, kommen sie zur Resorption. Wo die Tuberkelbazillen in größeren Mengen wuchern, z. B. in Kavernen und an der Oberfläche von Schleim- häuten, da werden sie unverändert abgestoßen und überhaupt nicht resorbiert. So kann denn auch unter solchen Bedingungen eine Immunisierung nicht zustande kommen. Dieselbe tritt nur dann ein, wenn zahlreiche Tuberkelbazillen, wie bei Miliartuberkulose und Meerschweinchentuberkulose, sich schnell im ganzen Körper verbreiten und mit den lebenden Geweben in Wechselwirkung treten. über neue Tuberkuliiipräparate. 685 Um eine künstliche Immunität zu erhalten, mußten Verhältnisse angestrebt werden, welche den eben geschilderten möglichst ähnlich sind. Dem stellen sich aber geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Alle Versuche, die unveränderten lebenden oder selbst abgetöteten Tuberkelbazillen in einigermaßen größerer Menge vom sub- kutanen Gewebe, von der Bauchhöhle oder von der Blutbahn aus zur Resorption zu bringen, sind mir mißglückt, und ebenso ist es vielen anderen Forschern gegangen. Subkutan injiziert machen die toten Tuberkelbazillen regelmäßig Eiterungen und sie können in den entstandenen Abszessen noch monatelang in großer Zahl und gut färbbar nachgewiesen werden. Werden sie in die Bauchhöhle von Versuchstieren gebracht, dann werden sie schon besser resorbiert, und es ist mir gelungen, auf diese Weise deut- liche Immunität zu erzielen, aber daneben kommt es regelmäßig zu umschriebenen Entzündungen mit ihren Folgen, als Verwachsungen der Bauchoi'gane imter einander, Knickung und Verschluß des Darms usw., welchen ein großer Prozentsatz der Tiere zum Opfer fällt. Die in die Blutbahn der Versuchstiere, z. B. Kaninchen, injizierten abgetöteten Tuberkelbazillen rufen in den Lungen ganz dieselben Tuberkelknötchen hervor, wie es die lebenden tun, und in den Knötchen kann man noch nach sehr langer Zeit die unveränderten Tuberkelbazillen finden : die Resorption geht also auch hier nicht in der erwünschten Weise vor sich. Als es sich somit herausstellte, daß die Tuberkelbazillen in unverändertem Zu- stande für Immunisierungszwecke nicht zu gebrauchen sind, versuchte ich, dieselben durch chemische Eingriffe resorbierbar zu machen. Die einzigen Verfahren, welche in dieser Beziehung etwas leisteten, bestanden in der Behandlung der Tuberkelbazillen mit verdünnten Mineralsäuren oder mit starken Alkalien bei Siedehitze. Damit gelingt es in der Tat, die Tuberkelbazillen so zu verändern, daß sie in toto vom subkutanen Gewebe aus in größeren Mengen, wenn auch langsam, aber doch vollständig resorbiert werden. Irgendwelche Anzeichen von Immunität wurden hierbei indessen nicht er- zielt, imd es ist anzunehmen, daß dieser chemische Eingriff eine zu tiefe Veränderung der Bazillensubstanz bewirkt und ihre immunisierenden Eigenschaften zerstört. Da also auch auf diesem Wege nichts zu erreichen war, so ging ich dazu über, unter Verzicht auf die Gesamtmasse der Tuberkelbazillen resorbierbare Bestandteile aus denselben zu extrahieren und dieselben zu Immunisierungszwecken zu benutzen. Zuerst versuchte ich es mit Glyzerinextraktion, welche zur Auffindung des Tuber- kulins führte. Das Tuberkulin hat die höchst wertvolle Eigenschaft, daß es, in sehr geringer Menge subkutan beigebracht, bei tuberkulös erkrankten Menschen und Tieren eine charakteristische Reaktion auslöst. Diese Eigenschaft läßt sich zunächst verwerten, um die Tuberkulose in den frühesten Stadien zu erkennen, also zu einer Zeit, wo die physikalische Diagnose vollkommen im Stich läßt und wo doch gerade die meiste Aus- sicht auf therapeutische Erfolge vorhanden ist. Die Anwendung des Tuberkulins als diagnostisches Hilfsmittel, woralif ich in meiner ersten Veröffentlichung über das Tuber- kulin den größten Nachdruck gelegt habe, hat sich denn auch im Laufe der Zeit mehr und mehr bewährt. Es wird heutzutage in den meisten Kulturstaaten zur frühzeitigen Diagnose der Rindertuberkulose (Perlsuclit) verwendet. Die planmäßige Bekämpfung dieser weit verbreiteten Krankheit ist darauf begründet und hat bereits zu sehr guten Erfolgen geführt. Bei den vielen Tausenden von Tuberkulinin jektionen, welche zu diesem Zwecke an Rindern gemacht sind, hat sich die Befürchtung, daß infolge der Reaktion die Tuberkelbazillen mobil gemacht und nach gesunden Teilen des Körpers verschleppt werden könnten, als irrig erwiesen. Es stimmt das vollkommen überein mit meinen eigenen Erfahrungen an mehr als 1000 Fällen von Anwendung des Tuberkulins zur Frühdiagnose der Tuberkulose beim Menschen, über welche demnächst Herr Stabs- 686 über neue Tuberkulinpräparate. arzt Dr. N i e t n e r ausführlich berichten wird. Auch in diesen Fällen hat sich niemals der geringste Anhalt für die Mobilmachung und Verschleppung von Tuberkelbazillen erkennen lassen. Auf Grund solcher Erfahrungen sollte man doch endlich das törichte Vorurteil vom mobilgemachten Tuberkelbazillus fallen lassen und sollte die diagnostische Verwendung des Tuberkulins auch zur Bekämpfung der menschlichen Tuberkulose nach Analogie der Perlsuchtbekämpfung verwerten. Ich kann hier nur das wiederholen, was ich bei früherer Gelegenheit gesagt habe, daß auch bei der Tuberkulose die Pro- phylaxis unendlich wichtiger und vorteilhafter ist als alle Therapie. Die weitere Ausnutzung des Tuberkulins besteht in der Anwendung desselben zi;r Behandlung der Tuberkulose. Da nach jeder Tuberkulinreaktion eine unverkenn- bare Besserung des tuberkulösen Prozesses eintritt, so lag es sehr nahe, die Reaktionen solange, als noch eine Besserung damit zu erzielen war, fortzusetzen. Bis ins Unbe- grenzte läßt sich dies nun aber nicht durchführen; allmählich erlischt die Reaktions- fähigkeit und damit natürlich auch die Wirkung des Tuberkulins. Es kommt schließlich zu einer vollkommenen Immunisierung gegen das Tuberkulin, welche einige Monate anhalten kann. Auf die Tuberkelbazillen selbst hat die Immunisierung keinen Einfluß, es handelt sich also um eine reine Toxinimmunität, aber nicht um eine bakterielle. Leider ist sehr oft die Reaktionsfähigkeit gegen das Tuberkulin bereits erloschen, ehe eine vollkommene Heihuig erfolgt ist. Es treten dann Rezidive ein, welche, sobald die Reak- tionsfähigkeit sich wieder eingestellt hat, von neuem mit Tuberkulinreaktionen zu be- handeln sind. Auf diese Weise kann man mit der nötigen Geschicklichkeit und Aus- dauer, wenn auch nicht in allen, so doch in sehr vielen Fällen von unkomplizierter Tuber- kulose Heilung oder doch mindestens erhebliche Besserung erreichen. Ich würde des- halb, wenn es mir nicht inzwischen gelungen wäre, wirklich bakterieU-immunisierende Präparate aus den Kulturen der Tuberkelbazillen darzustellen, auch jetzt noch das Tuber- kulin für das beste unter den jetzt zu Gebote stehenden Mitteln gegen Tuberkulose halten. Aber selbstverständlich blieb auch nach Auffindung des Tuberkulins mein Wunsch immer auf die Gewinnung solcher bakteriell-imnnmisierender Substanzen gerichtet. Unter den vielen später wieder fallen gelassenen dahinzielenden Versuchen möchte ich hier einen erwähnen, der mich länger als ein Jahr beschäftigt hat, da er in mehr- facher Beziehung sehr lehrreich ist. Es handelt sich um ein Präparat, welches durch Extraktion der Tuberkelbazillen mit ^/lo Normalnatronlauge gewonnen wurde. Die Tuberkelbazillen wurden in der Lauge gut verteilt, drei Tage lang bei Zimmertemperatur unter öfterem Umrühren stehen gelassen, die über den Kulturmassen stehende Flüssig- keit durch Fließpapier filtriert und schließlich neutralisiert. Die so erhaltene klare, schwach gelblich gefärbte Flüssigkeit war nicht ganz frei von Tuberkelbazillen. Sie enthielt soviel davon, daß in einem gewöhnlichen Deckglaspräparat 5 — 10 Bazillen im Gesichtsfeld zu sehen waren. Dieselben lagen aber stets einzeln, nie in Haufen. Selbst- verständlich waren dies ganz sicher abgetötete Tuberkelbazillen, da ich durch Vor- versuche festgestellt hatte, daß sie in ^/^^ Normalnatronlauge schon nach 12 — 15 Stunden abgestorben sind. Das Präparat wurde, weil es ein alkalisches Extrakt war, der Kürze wegen als TA bezeichnet. Mit diesem TA angestellte Versuche ergaben nun, daß das- selbe in sehr kleinen Dosen ganz ähnliche Reaktionen bewirkte, wie das Tuberkulin, nur waren die Reaktionen von etwas längerer Dauer; auch blieb die Reaktionsfähigkeit länger erhalten. Die Hauptsache aber war, daß die damit erzielten Erfolge sich als be- ständiger erwiesen, als die mit Tuberkulin erhaltenen. Es kam weniger oft und später zu Rezidiven. Es stellte sich jedoch bei diesem Präparat ein Übelstand ein, der mich schließlich dazu zwang, es wieder aufzugeben. Bei einer gewissen, allerdings ziemlich hohen Dosis bildeten sich an den Injektionsstellen Abszesse, die vollkommen steril waren über neue Tuberkiüinpräparate. 687 und nur durch den Gehalt des Präparats an toten Tuberkelbazillen bedingt sein konnten. Die Flüssigkeit wurde deswegen in der Folge durch Tonzellen filtriert vnid so die Tu- berkelbazillen vollständig daraus entfernt. Auf der Oberfläche der Tonzelle blieben aber bei der Filtration nicht nur die Bazillen, sondern auch eine gewisse Menge kolloider Substanz zurück, und es stellte sich sehr bald heraus, daß das filtrierte Präparat nun keine Abszesse mehr machte, aber in seiner Wirkung dem gewöhnlichen Tuberkulin auch nicht mehr überlegen war. Da das Präparat außerdem sich nicht lange hielt und immer frisch hergestellt werden mußte, so habe ich das außerordentlicli haltbai'e Glyzerin- extrakttuberkulin ihm schließlich vorgezogen. Daß bei einer gewissen Dosis des TA regelmäßig Abszesse eintraten, halte ich für ein sehr wichtiges Faktum. Dasselbe lehrt uns nämlich, daß eine Angewöhnung, eine Immunisierung gegen die in ihrer Form erhaltenen Tuberkelbazillen bei subkutaner Applikation nicht zu erwarten ist. Von dem Präparat wurden anfangs die kleinsten Dosen, welche nur vereinzelte Tuberkelbazillen enthalten konnten und noch ganz gut resorbiert wurden, injiziert. Dann wurde ganz allmählich gestiegen, bis man nach 20 bis 30 Injektionen an die abszeßmachenden größeren Dosen kam. Wenn eine Ange- wöhnung an größere Mengen von Tuberkelbazillen möglich wäre, dann hätte sie hier eintreten müssen : aber dies geschah nicht ; offenbar weil das subkutane Gewebe imstande ist, eine geringe Zahl von toten Tuberkelbazillen noch ganz gut zu bewältigen, aber über eine gewisse Menge derselben hinaus dazu absolut luifähig ist. Wollte man auf diesem Wege dem Körper eine größere Menge von Tuberkelbazillen einverleiben, dann müßte man eine Menge von Injektionen auf entsprechend viele Hautstellen verteilen, was sich aus praktischen Gründen von selbst verbietet. Diese mit dem TA gemachten Erfahrungen brachten mich auf die Idee, die Tu- berkelbazillen, wenn sie in luizerstörtem Zustande unter keinen Umständen resorbiert werden, womöglich mechanisch soweit zu zertrümmern, daß sie für die resorbierenden Elemente des Körpers besser angreifbar gemacht wurden. In dieser Idee wurde ich über- dies noch besonders bestärkt durch Beobachtungen, welche ich in bezug auf das chemische Verhalten der Tuberkelbazillen gemacht hatte^). Bei den früher erwähnten Versuchen, die Tuberkelbazillen durch Mineralsäuren und starke Alkalien in einen gelösten Zustand überzuführen, hatte ich nämlich gefunden, daß die Tuberkelbazillen zwei eigentümliche chemische Körper enthalten, y eiche beide zu den inigesättigten Fettsäuren gehören. Die eine Fettsäure ist in verdünntem Alkohol löslich und wird durch Natronlauge leicht verseift; die andere löst sich nur in siedendem absoluten Alkohol oder Äther imd ist sehr schwer verseif bar. Beide nehmen die sogenannte Tuberkelbazillenfärbung an, d. h. sie werden durch Karbolfuchsin intensiv rot gefärbt und behalten diese Färbung auch nach der Behandlung mit verdünnter Salpetersäure und mit Alkohol. Da bei dieser Behandlung die erste der beiden Fettsäuren sich in Alkohol löst und aus den mikrosko- pischen Untersuchungsobjekten ausgezogen wird, so bleibt bei dem Färbungsverfahren, wenn es auf die Tuberkelbazillen angewendet wird, nur die zweite, in kaltem Alkohol unlösliche Fettsäure in demselben zurück; diese fixiert den Farbstoff und ist somit der Träger der eigentlichen Tuberkelbazillenfärbung. Durch heiße Natronlauge kann man die Fettsäure langsam aus den Tuberkelbazillen austreiben und mit Hilfe des Mikro- skops den Vorgang der Abscheidung leicht verfolgen, wie die Fettsäure in Form von färbbaren Tröpfchen aus dem Bazillus austritt und zu größeren Tropfen zusammen- fließt, während die Bazillen anfangs noch ihre Form bewahren, aber nicht mehr die spezifische Färbung der Tuberkelbazillen, sondern nur noch die der übrigen Bakterien M Diese und andere rhcmische Untersucluuigen, welche ich in (ienieinschaft mit Herren Prof. Pros kauer angestellt habe, sollen demnächst veröffentlicht werden. 688 Über neue Tuberkulinpräparate. annehmen. Diese Fettsäuren bilden, wie das mikroskopische Bild des gefärbten Bazillus lehrt, eine zusammenhängende Schicht in dem Körper desselben, sie schützen ihn gegen Eingriffe von außen und bewirken, daß eine Resorption so schwer vor sich geht. Es kam somit darauf an, diese Schutzhülle zu zerstören, wenn die Tuberkelbazillen resor- bierbar gemacht werden sollten. Die ersten darauf hinzielenden Versuche scheiterten sämtlich. Alles Zerreiben und Zerquetschen mit und ohne Zusätze von harten, pulverförmigen Massen ließ die Tuberkelbazillen unverändert. Erst als ich gut getrocknete Kulturen nahm und sie ohne irgendwelchen Zusatz im Achatmörser mit einem Achatpistill lange Zeit hindurch verarbeitete, ließ sich erkennen, daß die färbbaren Tuberkelbazillen an Zahl abnahmen und daß schließhch nur noch wenige Tuberkelbazillen übrig geblieben waren. Um auch diese sicher zu entfernen, verteilte ich die so gewonnene Substanz in destilliertem Wasser und zentrifugierte sie. Mit Hilfe einer sehr kräftigen Zentrifuge (4000 Umdrehungen in der Minute, eine halbe bis dreiviertel Stunden lang) ließ sich die Flüssigkeit in eine obere weißlich opaleszierende, aber vollkommen klar durchsichtige Schicht, welche keine Tuberkelbazillen mehr enthielt, und einen fest anhaftenden schlammigen Boden- satz trennen. Letzterer wurde wieder getrocknet, dann im Mörser verarbeitet und zentri- fugiert wie vorher; er gab dann gleichfalls eine klare obere Schicht und einen festen Bodensatz. Diese Manipulation konnte fortgesetzt werden, bis schließlich fast nichts übrig blieb, als die schon ursprünglich in der Kultur befindlichen und später zufällig hineingeratenen Verunreinigungen von Baum wollfasern, Staub usw. Es ließ sich also auf diese Weise mit Leichtigkeit die gesamte Masse der Tuberkelbazillenkultur in eine Reihe von vollständig klaren Flüssigkeiten verwandeln. Dieser Versuch, den jeder ohne Schwierigkeit wiederholen kann, war der Aus- gangspunkt für meine weiteren Arbeiten. Zunächst überzeugte ich mich durch Versuche an Tieren und später an Menschen, daß die so gewonnenen Präparate sämtlich vollkommen resorbierbar waren und niemals Abszesse machten, vorausgesetzt, daß sie gut zentrifugiert waren und keine färbbaren Tuberkelbazillen mehr enthielten. Es stellte sich dann ferner alsbald heraus, daß nur die erste Flüssigkeit sich von den folgenden wesentlich unterscheidet, die zweite und die darauf folgenden unter sich aber nicht unterschieden sind. Ich habe deswegen als Tuber- kulin 0 (abgekürzt T 0) die oberste Schicht nach dem ersten Zentrifugieren und als T R den nach dem ersten Zentrifugieren gebliebenen und weiter verarbeiteten Rest be- zeichnet. Schon bei der mikroskopischen Untersuchung des verarbeiteten Ausgangsmaterials zeigt es sich, daß die Körper der Tuberkelbazillen nicht in eine gleichmäßige Substanz verwandelt sind. Man sieht, wenn mit Karbolfuchsin vor- und mit Methylenblau nach- gefärbt ist, überhaupt keine rot gefärbten Massen mehr, auch die Tröpfchen der Fett- säure fehlen, dagegen befinden sich im Gesichtsfelde blaß gefärbte wolkige Gebilde, die von dunkelblauen Tröpfchen umsäumt sind; letztere häufen sich namentlich nach dem Rande zu. Nach der Trennung in die Flüssigkeiten TO und TR findet man die violetten wolkenartigen Gebilde in TR, die blaugefärbten Massen in TO. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß ein Zusatz von 50% Glyzerin TO nicht verändert, in TR dagegen einen flockigen weißen Niederschlag hervorruft, über welchem eine ganz wasserklare Flüssigkeit zurückbleibt. Über noch weitere interessante chemische Unter- schiede werde ich bei anderer Gelegenheit berichten. Das Verhalten gegenüber dem Glyzerin ließ schon erkennen, daß TR hauptsächlich diejenigen Bestandteile der Tuberkelbazillen enthält, welche in Glyzerin unlöslich sind, also bei der Glyzerinextraktion zurückbleiben, während das TO die im Glyzerin löslichen über neue Tuberkiilinpräparate. 689 Teile umfaßt. Mit dieser Annahme stimmt denn auch die Prüfung der beiden Präparate an Tieren und am Menschen überein. TO steht in seinen Eigenschaften dem gewöhnhchen Tuberkuhn sehr nahe, es entspricht fast ganz der Wirkvnig des früher geschiklerten TA (alkalisches Extrakt), nur daß bei dem TO keine Abszeßbildungen zu befürchten sind. Aber es hat auch nur sehr geringe immunisierende Eigenschaften. Das TR dagegen wirkt ganz entschieden immunisierend. Es macht zwar auch bei Tuberkulösen Reaktionen, wenn zu große Dosen angewendet werden, aber seine Wirkung ist ganz unabhängig von diesen Reaktionen. Während beim Gebrauch von gewöhnlichem Tuberkulin, ebenso wie von TA und TO Reaktionen hervorgerufen werden müssen, um Heileffekte zu erzielen, suche ich bei der Anwendung des TR die Reaktionen möglichst zu vermeiden und bemülie mich nur, den Kranken durch allmähliche Steigerung der Dosis, zwar so schnell als möglich, aber auch mit möglichster Schonung für größere Dosen des Mittels unempfänglich zu machen, d. h. ihn gegen das TR und damit, wie ich annehmen zu können glaube, auch gegen die Tuberkelbazillen selbst zu immmii- sieren. Daß das TR alles umfaßt, was an immunisierenden Faktoren in den Kulturen der Tuberkelbazillen enthalten ist, geht auch schon daraus hervor, daß ein Mensch, welcher gegen TR immunisiert ist, auch wenn bei der Immunisierung Reaktionen fast ganz vermieden sind, nicht mehr auf große Dosen des gewöhnlichen Tuberkulins und des TO reagiert; er ist also gegen alle Bestandteile der Tuberkelbazillen imminiisiert. Ich habe gerade dieses Verhalten des TR, weil es mir sehr wichtig zu sein schien, in einer so großen Anzahl von Fällen konstatiert, daß über die Richtigkeit der Beobachtung kein Zweifel obwalten kann. Wenn das TR seine volle Wirkung entfalten soll, dann sind allerdings bei seiner Herstellung noch einige unerläßliclie Bedingungen zu erfüllen. Zunächst eignet sich nicht jede Tuberkelkultur zur Präparation eines wirksamen TR. Ich habe mich in neuerer Zeit durch Versuche, die ich gemeinschaftlich mit Herrn Dr. V a g e d e s angestellt habe und welche später veröffentlicht werden sollen, davon überzeugt, daß die Tuberkel- bazillen gar nicht so gleichmäßig virulent sind, wie man bisher allgemein angenommen hat. Es kommen ziemlich bedeutende Abstufungen in der Virulenz selbst bei frisch gezüchteten Kulturen vor. Die in den Laboratorien lange Zeit hindurch fortgezüchteten Kulturen haben in der Regel an Virulenz sehr verloren. Zur Präparation von TR soll man nur hoch viru- lente Kulturen verwenden. Die wenig virulenten liefern aucli wenig Avirksame oder selbst ganz unwirksame Präparate. Die Kulturen dürfen nicht zu alt sein, sie müssen so jung wie möglich verarbeitet werden. Das Trocknen darf nur im Vakuumexsikkator vorgenommen werden. Andere Manipulationen bringen leicht derartige Veränderungen hervor, daß die Substanz weniger löslich und damit auch weniger wirksam wird. Überhaupt sind alle chemischen Ein- griffe, und wenn sie noch so gering sind, zu vermeiden, da das TR sehr empfindlich da- gegen zu sein scheint. Aus demselben Grunde sind auch sowohl die zu verarbeitenden Kulturen als das fertige Präparat vor Licht zu schützen. Die Kulturen müssen ferner möglichst frisch, also gleich nachdem sie vollkommen trocken geworden sind, verarbeitet werden; denn ein längeres AufbeAvahren schädigt sie ebenfalls. Größere Mengen als etwa 100 mg lassen sich mit der Hand nicht verar- beiten, und es gehört vschon große Übung dazu, um dieses Quantum zu bewältigen. Eine ausreichende Trennung von TO und TR ist nur dann erreicht, wenn das voUkommen klare TO mindestens 50% der festen Substanz aufgenommen hat. Anderenfalls bleibt in TR eine mehr oder weniger große Menge vom TO, und man erhält bei der Injektion desselben unerwünschte Reaktionen. Koch, Gesammelte Werke. 44 690 über neue Tuberkulinpräparate. Wer sich mit der Herstelhmg des TR befassen will, 2nuß sich dessen bewußt sein, daß hoch virulente lebende Tuberkelbazillen in trockenem Zustande so zu verarbeiten sind, daß eine Staubbildung gar nicht zu vermeiden ist. Die damit verbundene Gefahr halte ich für keine geringe, und ich muß gestehen, daß ich bei diesen Versuchen das Gefülil hatte, als ob ich mit explosiblen Stoffen zu tun hätte. Einen Respirator habe ich nicht benutzt, weil mir derselbe keinen ausreichenden Schutz zu bieten schien. Er kann nicht verhüten, daß sich der Bazillenstaub auf die Kleider legt und im Zimmer verbreitet. Ich halte es deswegen auch für ausgeschlossen, daß das TR etwa in größeren Mengen mit Handbetrieb hergestellt werden könnte. Ein gleichmäßig gutes, allen An- forderungen genügendes Präparat in größeren Mengen kann unter Vermeidung der bei der Verarbeitung drohenden Gefahren nur der Großbetrieb mit Zuhilfenahme von ge- eigneten maschinellen Einrichtungen produzieren. Derartige Einrichtungen für den Großbetrieb zu treffen, haben sich auf meine Veranlassung die Farbwerke von Meister, Lucius & Brüning in Höchst a. M. entschlossen, und sie können das Präparat TR so- wohl als TO genavi nach meinen Angaben hergestellt abgeben. Die Flüssigkeiten sind behufs Konservierung mit einem Zusatz von 20% Glyzerin versehen, der dieselben nach meinen bisherigen Erfahrungen gegen Zersetzung genügend schützt, ohne das TR in den unlöslichen Zustand überzuführen. Die Anwendung und Dosierung des Präparates ist eine sehr einfache. Die In- jektionen werden ebenso wie beim Tuberkulin auf dem Rücken mit HiU'e einer gut steri- lisierbaren Spritze gemacht. Die Flüssigkeit enthält im Kubikzentimeter 10 mg fester Substanz und ist für den Gebrauch durch Verdünnung mit physiologischer Kochsalz- lösung (nicht mit Phenollösung) auf die erforderliclie Dosis zu bringen. Man beginnt mit ^/.„o mg. Es ist dies eine so niedrige Dosis, daß darauf nur ausnahmsweise eine Re- aktion eintritt; sollte dies aber der Fall sein, dann verdünnt man noch mehr. Die Ein- spritzungen werden ungefähr jeden zweiten Tag unter so langsamer Steigerung der Dosis vorgenommen, daß höhere Temperatursteigerungen als um einen halben Grad möglichst vermieden werden. Etwaige Temperatursteigerungen, welche durch die Injektion be- dingt sind, müssen vollkommen geschwunden sein, ehe von neuem injiziert wird. Ich bin in der Regel bis 20 mg gestiegen und habe dann, wenn auf diese Dosis keine Reaktion erfolgt, aufgehört oder nur noch in größeren Pausen injiziert. Will man Tiere immunisieren, dann gibt man von vornherein soviel, als sie gut resorbieren können, den Meerschweinchen z. B. 2 — 3 mg, größeren Tieren entsprechend mehr. Bei tuberkulösen Tieren muß man natürlich mit viel kleineren Dosen anfangen, da eine Dosis -von 2 mg unter Umständen schon tödlich sein kann. Was nun die mit dem TR zu erzielenden Wirkungen anbetrifft, so wiU ich mich hier nur auf einige kurze Bemerkungen beschränken und behalte mir vor , später hierüber und namentlich über die Behandlung von Kranken ausführlicher zu berichten. Bei der Immunisierung gesunder und der Behandlung kranker Tiere kommt alles darauf an, möglichst große Dosen beizubringen. Natürlich müssen dieselben so bemessen sein, daß sie noch gut resorbiert werden, was sich leicht an dem Verhalten der Infiltration an den Injektionsstellen bemessen läßt. Unter Einhaltung dieser Bedingungen ist es mir gelungen, eine größere Anzahl von Meerschweinchen vollkommen zu immunisieren, so daß sie wiederholte Impfungen mit virulenten Kulturen ertragen haben, ohne in- fiziert zu werden. Die Impfstellen verschwanden spurlos, und die der Impfstelle be- nachbarten Inguinaldrüsen waren noch Monate nach der Impfung in einigen Fällen ganz unverändert, in anderen nur wenig vergrößert, aber ohne sichtbare tuberkulöse Veränderungen; Tuberkelbazillen konnten in ihnen nicht aufgefunden werden. ilbev neue Tuberkulinprä parate. 691 Bei einer Anzahl von Tieren war zur Zeit der ersten Impfung die Immunisierung noch niclit beendet. In diesen Fällen fand sich die Impfstelle zwar verheilt, aber die Inguinaldrüsen waren verkäst. Die inneren Organe dagegen waren frei von Tuberkulose, während die KontroUtiere weit vorgeschrittene allgemeine Tuberkulose der Lungen, Milz und Leber zeigten. Einen noch geringeren Grad von Immunisierung zur Zeit der Impfung glaube ich da annehmen zu müssen, wo bei den Versuchstieren sich nur die Lungen tuberkulös erkrankt zeigten, während Leber und Milz nur Spuren von Tuberkulose erkennen ließen oder ganz frei davon waren. Diesen Zustand habe ich außer in diesen Fällen nur noch bei tuberkulösen Meerschweinchen gesehen , welche mit dem gewöhnlichen Tuber- kulin behandelt wurden, aber in einem zu weit vorgeschrittenen Stadium der Er- krankung. Bei Meerschweinchen, welche nach geschehener tuberkulöser Infektion Injektionen mit TR erhalten hatten, wurden ausnahmslos mehr oder weniger weit vorgeschrittene regressive Veränderungen an den beim Beginn der Behandlung bereits tuberkulös ge- gewesenen Organen gefunden. Namentlich zeigte sich das an Leber und Milz. In der Leber fehlten die nekrotischen, gelblich gefärbten Herde, dafür sah man Furchen und Einsenkungen an der Oberfläche, welche dem Organ ein eigentümlich höckeriges Aus- sehen verleihen. Die Milz ließ ebenfalls Schrumpfvingen erkennen, die in einigen Fällen soweit gegangen waren, daß von dem Organ nur noch ganz geringe Reste übrig geblieben waren, die erst nach sorgfältigem Suchen aufgefunden werden konnten. Im allgemeinen habe ich bei diesen Versuchen den Eindruck gewonnen, daß die volle Immunisierung etwa 2 bis 3 Wochen nach der Applikation größerer Dosen ein- tritt. Eine Heilung tuberkulöser Meerschweinchen, bei denen die Krankheit bekanntlich sehr rasch verläuft, gelingt deswegen nur, wenn die Behandlung frühzeitig, schon 1 bis 2 Wochen nach der Impfung eingeleitet wird. Letztere Regel gilt auch für den tuberkulösen Menschen, dessen Behandlung man nicht zu spät beginnen soll. Im Anfang werden so kleine Dosen gegeben, daß von ihnen noch keine nennenswerte Immunisierung zu erwarten ist; erst wenn man zu größeren Dosen gelangt ist, 0,5 — 1 mg, treten unverkennbare Wirkungen der Immunisierung ein. Damit ist auch von vornherein eine Grenze für die Anwendbarkeit des Präparats gegeben. Ein Kranker, dessen Zustand nur noch wenige Monate Lebensfrist gestattet, hat keinen Nutzen davon zu erwarten. Ebensowenig hat es einen Zweck, Kranke damit behandeln zu wollen, welche an sekundären Infektionen, namentlich durch Strepto- kokken bedingten, leiden und bei denen septische Prozesse die Tuberkulose ganz in den Hintergrund gedrängt haben. Es ist doch selbstverständlich, daß eine Immunisierung gegen Tuberkulose auf Streptokokken und andere pathogene Mikroorganismen, welche bei vorgeschrittener Tuberkulose oft eine so verhängnisvolle Rolle spielen, keinen Ein- fluß, wenigstens keinen unmittelbaren ausüben kann. Derartige Zustände sind in der Regel schon an dem Verhalten der Temperatur zu erkennen, und in dieser Beziehung hat die Erfahrung gelehrt, daß Kranke, deren Temperatur über 38° hinausgeht, für die spezifische Behandlung der Tuberkulose nur noch ausnahmsweise zugänglich sind. Das Präparat ist von mir bei einer ziemlich großen Zahl geeigneter Kranken, und namentlich auch bei Lupuskranken angewendet, und ich habe bei denselben ausnahms- los eine bedeutende Besserung erreicht, welche viel weiter geht, als die mit dem gewöhn- lichen Tuberkulin und mit TA erzielten Erfolge. Ich rede absichtlich nur von ,, Besse- rung", obwohl nach gewöhnlichen Begriffen nicht wenige Fälle als geheilt bezeichnet werden konnten. Aber ich halte es für verfrüht, den Ausdruck Heilung zu gebrauchen, bevor nicht ein hinreichend langer Zeitraum ohne Rezidiv verstrichen ist. 44* 692 über neue Tuberkulinpräparate. Bei Lupxiskranken war es besonders bemerkenswert, daß die örtlichen Reaktionen sehr gering blieben und trotzdem eine beständig fortlaufende Besserung sich vollzog. Ebenso fehlten bei Phthisikern die vom Tuberkulin her bekannten stürmischen Reak- tionen, die vorübergehende Infiltration in den erkrankten Lungenpartien zur Folge hatten. Beim TR war eine geringe Zunahme der Rasselgeräusche in der Regel das ein- zige örtliche Symptom, welches bald wieder verschwand. Schon nach wenigen Injek- tionen nahm die Menge des Sputums ab, und oft versiegte es schließlich ganz, womit natürlich auch der Befund von Tuberkelbazillen aufhörte. Dementsprechend schwanden die Rasselgeräusche über den erkrankten Lungenpartien, und das Dämpfungsgebiet verkleinerte sich. Irgendwelche beängstigenden Nebensymptome oder eine sonstige Beeinträchtigung der Gesundheit, welche dem Präparat zugeschrieben werden könnte, habe ich in keinem Falle gesehen. Fast alle Ki-anken nahmen von Anfang an im Gewicht zu und erreichten bis zum Schluß der Behandlung ganz erhebliche Gewichtszunahmen. Besonders in die Augen fallend war auch die Veränderung der Temperaturkurve bei solchen Kranken, welche die bekannten täglichen Temperaturschwankungen um einen Grad und darüber hatten. Die zackige Linie glich sich mehr und mehr aus und ging allmähhch zur nor- malen, fast gestreckten und dicht unterhalb von 37" verlaufenden Linie über. Ob die von mir bisher geübte Methode in der Anwendung des TR, nämlich lang- sames Ansteigen von subkutan beigebrachten kleinsten Dosen bis etwa auf 20 mg, die beste ist, wage ich nicht zu behaupten. Es ist möglich, daß andere Methoden, vielleicht auch Kombinationen mit dem TO oder mit Serumpräparaten, die vermittels TO oder TR^) gewonnen sind, besser und schneller zum Ziele führen, das müssen eben weitere Versuche lehren. Aber das glaube ich mit Bestimmtheit behaupten zu können, daß weitere Verbesserungen der Präparate selbst nicht mehr zu erwarten sind. Dieselben bestehen aus hoch virulenten, frischen Kulturen, welche unmittelbar vorher noch lebend waren imd ohne chemische Eingriffe in den löslichen Zustand übergeführt sind. Etwas Besseres läßt sich in dieser Art nicht darstellen, und was überhaupt mit Tuberkelkulturen zu erreichen ist, das muß mit diesen Präparaten zu erreichen sein. Berlin, den 14. November 1896. Versuche zur Serumgewinnung mit den Präparaten TO und TR sind bereits im Gange. über die Behandlung der Lungentuberkulose mit Tuberkulin In einem Aufsatz „Über die Behandlung der Lungentuberkulose mit Tuberkulin", Deutsche Med. Wochenschrift 1901, Nr. 25, schreibt Geh. San. -Bat Dr. Goetsch in Slawentzitz u. a.: ,,Als ersten Grimdsatz bei der Tuberkulinbehandlxmg habe ich stets daran festgehalten, keine fiebernden Tuberkulösen zu injizieren. Fiebernde Tuberkulöse müssen erst durch Bettruhe und Ein- packungen entfiebert werden. Gelingt dies nicht, so sind sie für die Tuberkulinkur nicht geeignet. Die neuen Kranken werden bei der Aufnahme gewogen, ilvre Temperaturen festgestellt, das Sputum genau auf Bazillen untersucht, der Befund der Lungen eingetragen, überhaupt geprüft, ob der Kräfte- zustand noch himeichend ist und ob die Veränderungen in den Lungen nicht schon zu weit vorge- schritten sind, daß eine Kur überhaupt eine Aussicht auf Erfolg nicht mehr bietet. Scheinen die Kranken zur Kur geeignet und zeigen sie Tuberkelbazillen, so wird am dritten Tage mit der Kur begonnen. Bei diesen Kranken wird die Anfangsinjektionsdosis dem örtlichen Befund mid dem allgemeinen Kräftezustand entsprechend gewählt, gewöhnlich ist es 0,0001 g vom alten Tuberkulin. Ruft die Dosis eine erhöhte Temperatur hervor, so wird auf 0,00001 zurückge- gangen, wird auch dies nicht vertragen, so wird das neue Tuberkulin (TR) angewandt, welches meisten- teils in Dosen von 0,001 mg wirksamer Substanz gut vertragen wird und sich als Vorkur für das alte Tuberkulin gut bewährt hat. Sobald 0,1 mg TR erreicht ist, wird dann 0,0001 resp. 0,001 altes Tuberkulin eingespritzt und gut vertragen. Durch allmähliche Steigerungen gelingt es, die Kranken bis 1,0 g alten Tuberkulins zu bringen, womit dann die Kur beendet ist, indem die Bazillen und der Husten geschwunden, wie auch meistenteils der Auswurf, das Gewicht ein normales geworden sind und die physikalischen Erscheinungen sich möglichst ausgegUchen haben. Dabei ist die alte Arbeits- freudigkeit wieder eingekehrt. Aber diesen Erfolg kann man nur erreichen ohne Gefahr für den Patienten, wenn man den zweiten Grundsatz bei meiner Methode befolgt, nämlich mit der Dosis nicht eher steigt, als bis die letzte Dosis ohne Reaktion verlaufen ist." An diesen Aufsatz schließt Koch folgende Nachschrift: Die meisten Ärzte sind der Meinung, daß die Behandlung der Lungentuberkulose mit spezifischen Mitteln, insbesondere mit Tuberkulin, nutzlos und außerdem gefahr- voll sei. Diese irrige Meinung ist dadurch entstanden, daß man das Tuberkulin viel- fach in Krankheitsfällen angewendet hat, bei denen es sich nicht mehr um reine Tuber- kulose handelte, sondern um Komplikationen derselben mit Eiterungsprozessen. In solchen Fällen kann die si^ezifische Wirkung des Tuberkulin unmöglich zur Geltung kommen. Alle Ärzte, welche über größere Erfahrung in bezug auf Tuberkuliubehandlung verfügen und dieselbe veröffentlicht haben, wie S p e n g 1 e r, T u r b a n , P e t r u s c h k y. Krause, T h o r n e r, H e r o n , R e m b o 1 d , B a n d e 1 i e r, sprechen sich da- hin aus, daß, wenn man nur reine, nicht zu weit vorgeschrittene, d. h. vollkommen fieber- freie Fälle von Lungentuberkulose mit Tuberkulin behandelt, diese ausnahmslos günstig beeinflußt werden. Außerdem ist man auch darüber einig geworden, und ich kann dem aus meiner eigenen Erfahrung nur beistimmen, daß es zweckmäßig ist, alle stärkeren Reaktionen zu vermeiden. Geh .-Rat Goetsch ist in dieser Beziehung noch weiter gegangen. Er hat die Reaktionen möglichst ganz vermieden, ist aber schließlich doch zu sehr hohen Dosen gelangt. Er hat mit diesem Verfahren auffallend gute Resultate erzielt, wovon ich mich persönlich im Krankenhause zu Slawentzitz vor kurzem über- zeugt habe. Um anderen Ärzten zu ähnlichen Versuchen Anregung zu geben, hat er sich auf meine Veranlassung zur vorstehenden Veröffentlichung entschlossen. über die Agglutination der Tuberkelbazillen und über die Verwertung dieser Agglutination/) (Aus dem Institut für Infektionskrankheiten in Berlin.) Von Dr. R. Koch. Nachdem man gefunden hatte, daß das Serum von Tieren, welchen Bakterien in- jiziert wurden, nach einer gewissen Zeit agglutinierende Eigenschaften gegen dieselben Bak- terien erhält und daß ferner das Serum von Menschen agglutinierend auf Typhusbazillen, Choleravibrionen und Pestbakterien wirkt, wenn die betreffenden Menschen an T3rphus, Cholera oder Pest erkrankt waren, lag es nahe, auch das Blut von Tuberkulösen darauf zu prüfen, ob es die TuberkelbaziUen zur Agglutination bringt. Einer derartigen Unter- suchung stellen aber die Tuberkelbazillen dadurch ein Hindernis entgegen, daß sie in ihren Kulturen kompakte Massen bilden, welche sich gemssermaßen schon in einem agglutinierten Zustande befinden. Dieses Hindernis hat A r 1 o i n g 2) dadurch überwunden, daß er die Tuberkel- bazillen lange Zeit hindurch auf Kartoffeln züchtete und auf diese Weise schließlich eine Kultur erhielt, welche nicht mehr in fest zusammenhängenden Massen, sondern in der Flüssigkeit ziemlich gleichmäßig verteilt, emulsionsartig wächst. In Gemein- schaft mit Courmont prüfte A r 1 o i n g derartige TuberkelbaziUenkulturen auf ihre Agglutinationsfähigkeit und erhielt mit denselben, wenn ihnen Blutserum oder seröse Ergüsse von tuberkulösen Menschen und Tieren zugesetzt wurden, positive Re- sultate. Beide Autoren, hauptsächlich Courmont, haben dann in zahlreichen Publi- kationen die Agglutination der Tuberkelbazillen beschrieben und die Verwendung der- selben zur Frühdiagnose der Tuberkulose empfohlen. Die Reaktion des Serums soll in einzelnen Fällen von sicherer Tuberkulose ausbleiben und auch gelegentlich bei Nicht- tuberkulösen eintreten, aber im allgemeinen so zuverlässig sein, daß sie praktisch brauch- bar sei. Einige französische Autoren, in Deutschland nur B e n d i x haben diese Angaben bestätigt. Dagegen haben C. Fraenkel, Lubowsky, M. Neisser, Dieudonne, Horcicka, Beck und Rabinowitsch^) das Arloing- Courmont sehe Verfahren weniger günstig beurteilt ; sie erhielten viel häufiger ab- 1) Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1901, Nr. 48. — Nach einem Vortrage, welcher auf Veranlassung des Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke in dem zu Berlin abgehaltenen Informationskursus der Heil Stättenchefärzte am 26. Oktober 1901 im Institut für Infektionskrankheiten gehalten wurde. 2) Arloing et Courmont, De l'agglutination du bacille de Koch. Zeitschrift für Tuber- kulose ixnd Heilstättenwesen Bd. I. ^) Deutsche Medizinische Wochenschrift 1900, Nr. 14. *) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten Bd. XXXVII, p. 205, wo auch die übrigen Literaturangaben zu finden sind. über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. 695 weichende Resultate und halten deswegen das Verfahren für luisicher und zur Früh- diagnose unbrauchbar. Als ich mich bei meinen Untersuchungen über die Beziehungen der Perlsucht zur menschlichen Tuberkulose veranlaßt sah, auch die Agglutination als Mittel zur Unterscheidung der beiden Bakterienarten heranzuziehen, versuchte ich zunächst das von A r 1 o i n g- C o u r m o n t angegebene Verfahren. Aber sehr bald mußte ich mich davon überzeugen, daß dasselbe für den praktischen Gebrauch viel zu umständlicli ist und keine gleichmäßigen und zuverlässigen Werte gibt. Die Kulturen müssen sehr sorgfältig angelegt und behandelt werden, sie müssen 8 — 12 Tage im Brütapparat bleiben und oft geschüttelt werden. Trotz aller Sorgfalt fallen die Kulturen nicht immer gleich- mäßig aus, ihre Agglutinationsfähigkeit ist verschieden^), weswegen A r 1 o i n g - C o u r - m o n t raten, die Kulturen vor dem Gebrauch mit Serum von bekanntem Aggluti- nationswert auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. Ich habe deswegen versucht, auf andere Weise die TuberkelbaziUen in einen Zu- stand zu versetzen, in welchem sie agglutinationsfähig sind, und es stellte sich sehr bald heraus, daß dies sehr einfach und ohne die langwierige Behandlung, welche A r 1 o i n g - C o u r m o n t angewendet haben, zu bewerkstelligen ist. Bei der Ausarbeitung des im nachstehenden zu beschreibenden Agglutinations- verfahrens und der damit an Tieren und Menschen angestellten mühsamen und zeit- raubenden Versuche ist Herr Dr. F. N e u f e 1 d, Assistent am Institut für Infektions- krankheiten, mein Mitarbeiter gewesen. Die Verwertung der Agglutination für die Be- handlung der Tuberkulösen in der Krankenabteilung des Instituts hat fast ausschließ- lich in den Händen des Herrn Stabsarzt Dr. F. K. Kleine gelegen. Beiden Hei-ren fühle ich mich füi' ilu'e unermüdliche und wertvolle Assistenz zu vielem Dank verpflichtet. 1. Beschreibung des Agglutinationsverfahrens. Jede beliebige Kultur von TuberkelbaziUen kann in folgender Weise agglutinations- fähig gemacht werden. Die Kultur, welche in einem Kölbclien auf der Kulturflüssigkeit scliwimmend gezüchtet ist, wird auf einem Filter gesannnelt und zwischen Fließpapier gepreßt, um die anhängende Flüssigkeit zu entfernen. Man wägt dann eine bestimmte Menge der- selben, z. B. 0,2 g, ab und verreibt sie in einem Achatmörser zuerst mit wenigen Tro])fen einer schwachen Natronlauge (es genügt V-,o Normal-Natronlauge). Unter möglichst kräftigem und gleichmäßigem Reiben wird allmählich mehr Natronlauge zugesetzt bis zum Verhältnis von 1 Teil Kultur auf 100 Teile Natronlauge, in dem hier angenommenen Verhältnis also 0.2 Kultur auf 20 ccm Flüssigkeit. Es ist notwendig, die Kultur recht gründlich zu verarbeiten, da die Tuberkelbazillen durch die Natronlauge aus ihrem festen Verbände gelöst werden sollen und um so mehr Bazillen frei luid damit agglu- tinationsfähig gemacht werden, je besser die Mischung und Verreibung geschieht. In der Regel braucht man zu dieser Operation 15 Minuten. Hierauf wird die so erhaltene dicke Flüssigkeit in einer Handzentrifuge^) 6 Minuten lang zentrifugiert, mit einer Pipette von dem Bodensatz abgefüllt und mit verdünnter Salzsäure bis zu schwach-alkalischer Reaktion gebracht. In diesem Zustande ist die Flüssigkeit noch zu konzentriert ; sie muß, um zum Gebrauch fertig zu sein, noch verdünnt ^) A r 1 o i n g - C o u r m o n t , 1. c. p. 16: ,,Malgre toutes les pr^caiitions indiqures ra])pre- ciation de la limite du pouvoir agglutinant n'est pas toujours facile, parce que l'aptitude des cultures ä se laisser agglutiner peut presenter d'assez grandes differences."' ^) Wir benutzen eine Handzentrifuge, welche von F. inid IM. Lautenschläger in Berlin. Oranien- burgerstraße 54, bezogen ist: dieselbe gibt bei 38 Km'beldrehungen in der Minute 2000 Umdrehungen. 696 über die Agglutination der Tviberkelbazillen usw. werden, und zwar geschieht dies mit einer 0,5proz. Karbolsäure- und 0,85 proz. Koch- salzlösung (dieselbe muß durch mehrfaches Filtrieren von allen Trübungen befreit sein). Der zentrifügierten Aufschwemmung der Tuberkelbazillen wird von der Karbolkoch- salzlösung soviel hinzugesetzt, daß die ursprüngliche Menge der Kultur in der fertigen Flüssigkeit 3000 fach verdünnt ist (abgesehen von dem abzentrifugierten Teil derselben). Diese Testflüssigkeit sieht fast wie reines Wasser aus ; nur bei schräg einfallendem Licht und gegen einen dunklen Hintergrund gehalten, erscheint sie in einem Reagenzgläschen schwach opaleszierend. In einem davon angefertigten mikroskopischen Präparat sind die Tuberkelbazillen einzeln oder nur noch zu wenigen Exemplaren zusammengelagert und gleichmäßig über das Gresichtsfeld verteilt. Der Zusatz von Karbolsäure zur Verdünnungsflüssigkeit ist notwendig, weil zur vollständigen Ausbildung der Agglutination die Proben 24 Stunden lang im Brütapparat gehalten werden müssen und während dieser Zeit die störende Entwicklung von anderen Bakterien zu verhüten ist; der Kochsalzzusatz wirkt befördernd auf die Agglutination. Mit einer so zubereiteten Testflüssigkeit erhält man schon sehr gute Resultate, auf jeden FaU weit bessere als mit dem Arloing-Courmontschen Verfahren. Da aber der Agglutinationsvorgang, wie nicht mehr zu bezweifeln ist, ein rein chemischer Prozeß, eine Art Fällung ist, so haben vdv uns bemüht, das Verfahren noch weiter zu verbessern und mit möglichst gleichmäßigen Gewichtsmengen zu arbeiten. Zu diesem Zwecke ist die feuchte Bazillenmasse, bei welcher der Wassergehalt doch immer ein schwankender sein wird, wenig geeignet. Wir haben deswegen getrocknete Tuberkel- kulturen benutzt. Allerdings können dieselben nicht ohne weiteres verarbeitet werden, da sie sich mit Natronlauge nur unvollkommen verreiben lassen. Wenn man sie aber, wde es zur Herstellung des Xeu-Tuberkulins geschieht, vollständig zu Staub verreibt (beschrieben in meiner Abhandlung über neue Tuber kulinpräparate, Deutsche Medi- zinische Wochenschrift 1897. Nr. 14)^, dann können sie sofort, auch ohne Mischung mit Natronlauge, zur Testflüssigkeit verwendet werden^). Dieses Präparat hat noch den Vorteil, daß man sich davon einen gewissen Vorrat halten, genaue Mengen abwägen und eine in ihrer Zusammensetzung stets gleichwertige Testflüssigkeit daraus bereiten kann. Unser Verfahren zur Herstellung der Testflüssigkeit ist folgendes: 0,1 g des Prä- parats wird mit der früher erwähnten Karbolkochsalzlösung im Achatmörser sorgfältig verrieben und gemischt, zuerst mit wenigen Tropfen, dann allmählich mit mehr Flüssig- keit bis zum Verhältnis von 1 : 100. Dann wird 6 Minuten zentrifugiert, vom Bodensatz abgegossen und mit Karbolkochsalzlösung nochmals 10 fach, d.h. auf 1: 1000 verdünnt. In dieser Verdünnung läßt sich die Flüssigkeit im Eisschrank etwa zwei Wochen kon- servieren. Zum Grebrauch mrd nach Bedarf genommen und wieder mit Karbolkoch- salzlösung 10 fach verdünnt, so daß die fertige Testflüssigkeit eine 10 000 fache Ver- dünnung oder \äelmehr Aufschwemmung der staubförmigen Tuberkelbazillen bildet. Auch diese Flüssigkeit hat das Aussehen von Wasser und zeigt nur eine Spur von Opa- leszenz''). ^) s. diese Werke p. 658 ff. D. Herausgeber. ^) Das fertige Präparat, welches aus getrockneten tmd in Kugelmühlen zu feinst ena Staub verriebejien Tuberkelbazülen besteht, kann von den Farbwerken vorm. Meister, Lucius & Brüning in Höchst a. M. bezogen werden. ^) Unser Agglutinationsverfahren war bereits vollständig ausgebildet, als R o m b e r g in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift 1901, N. 18 über eine von v. Behring hergestellte Flüssigkeit Mitteilung machte, welche er zu Agglutinations versuchen mit dem Serum von tuber- kulösen Menschen benutzt hat. über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. 697 Wenn man der fertig präparierten Testflüssigkeit eine solche Menge von stark agglutinierendem Serum hinzufügt, daß eine kräftige Reaktion eintreten muß. also wenn z. B. ein Serum, welches in einer Verdünnung von 1 : 3000 nach 24 Stunden noch eben deutliche Agglutinationserscheinungen gibt, mit der Testflüssigkeit in einem Ver- hältnis von 1 : 10 oder auch 1 : 25 gemischt wird, dann zeigt sich die Agglutination nach wenigen Minuten, namentlich, wenn das Reagenzgläschen in der geschlossenen Hand warm gehalten wird. Die Mischung wird trüber, es bildet sich ein flockiger Nieder- schlag, welcher sich mehr und mehr zusammenballt, zu Boden sinkt und schließlich eine völlig klare Flüssigkeit zurückläßt. Dieser Versuch gelingt besonders gut, wenn statt der 10 000 fachen Verdünnung die 1000 fache (die Stannnflüssigkeit) genommen und als Kontrolle eine Mischung derselben mit dem Serum eines unbehandelten Tieres daneben gehalten wird. In dem einen Gläschen kommt dann der Niederschlag sofort, in dem anderen bleibt die Mischung gänzlich unverändert und klar. Wird die Mischung von Serum und Testflüssigkeit nur im Verhältnis von 1 : 100 und weniger, also mit immer mehr abnehmenden Mengen von Serum, hergestellt, dann tritt die Reaktion nicht mehr so schnell ein, sondern erfordert eine immer längei'e Zeit- dauer zu ihrem Zustandekommen. Erfahrungsgemäß ist aber nach 15 — 20 Stunden der allergrößte Teil der Reaktion abgelaufen, und man kann darauf reclAien, daß, wenn diese Zeit innegehalten wird, unter sich vergleichbare Werte erhalten werden. Aber nicht allein die Zeitdauer der Reaktion, sondern auch die Temperatur, bei welcher die Proben gehalten werden, und das Quantum der Mischung müssen sich immer ganz gleich bleiben. Wir setzen unsere Mischungen deswegen stets nachmittags in der gleich zu beschreibenden Weise an, lassen die Proben über Nacht im Brutapparat und unter- suchen sie am nächsten Morgen. Um alles, was sonst noch zur Technik der Agglutination gehört, gleich hier zu erledigen, sei erwähnt, daß das Blut der zu untersuchenden Person mit einem Schröpf- kopf entnommen und möglichst bald zentrifugiert wird, um ein klares Serum zu erhalten. Soll das Serum konserviert werden, dann geschieht dies am besten durch Zusatz von einer Flüssigkeit, welche 5,5% Karbolsäure und 20% Glyzerin enthält, und zwar kommt ein Teil dieser Flüssigkeit auf neun Teile des Serums. Zum Abmessen des Serums be- nutzt man Pipetten, an welchen ein Kubikzentimeter in 100 Teile geteilt ist. Wir prüfen das Seruin in Verdünnungen von 1 : 10. 1 : 25, 1 : 50, 1 : 75, 1 : 100. 1 : 150. 1 : 200, 1 : 300 usw. Um diese Verdüinuuigen in möglichst übereinstimmenden Mengen von Flüssigkeit zu erhalten, nehmen wir zur: Verdünnung von 1 : 10, Serum 0.1. Testflüssigkeit 0.9. ., 1 : 25. ,. 0,04, „ 1,0. „ 1 : 50, „ 0.02. ., 1.0, ,. 1 : 75, „ 0,02, „ 1,5, ,. 1 : 100, ,. 0,02, ., 2,0. Verdünnungen von mehr als 1 : 100 werden mit entsprechend größeren Mengen von Testflüssigkeit, und Verdünnungen von mehr als 1 : 1000 mit verdünntem Serum hergestellt. Um eine gleichmäßige Mischung zu erhalten, wird zuerst das Serum in die Reagenzgläser gefüllt, dann die Testflüssigkeit hinzugefügt und umgeschüttelt. Selbst- verständlich wird eine Probe der unvermischten Testflüssigkeit als Kontrolle neben den Mischungen aufgestellt. Die Agglutinationswerte des Serums bewegen sich beim Menschen, wie wir später sehen werden, in verhältnismäßig niedrigen Grenzen. Man setzt deswegen ein derartiges Serum zur Agglutinationsprobe zunächst nur in Verdünnungen von 1 : 10 bis 1 : 50 698 Über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. oder höchstens 1 : 100 an. Nehmen wir aber an, wir hätten es mit einem noch bis 1 : 100 agglutinierenden Serum zu tun, dann würde bei der Untersuchung, nachdem die Proben 15 — 20 Stunden im Brutapparat gestanden haben, folgendes Aussehen gefunden werden. Im Gläschen mit der Verdünnung von 1 : 10 liegt am Boden eine zusammen- geballte flockige Masse mit darüberstehender ganz klarer Flüssigkeit. Die Verdünnung 1 : 25 hat annähernd dasselbe Aussehen, aber der Niederschlag ist lockerer. Bei 1 : 50 ist der Niederschlag noch nicht zu Boden gesunken, er schwebt in Form von kleinen Flocken, gleichmäßig in der Flüssigkeit verteilt. Bei 1 : 75 ist der Niederschlag noch deutlich als schwebende Flocken zu erkennen, aber er ist schon erheblich feiner als auf der vorhergehenden Stufe. Die Verdünnung von 1 : 100 erscheint zunächst nur ein wenig getrübt, und erst bei genauem Zusehen und bei richtiger Beleuchtung, d. h. bei schräg einfallendem Licht und dunklem Hintergrunde, erkennt man noch deutlich einen sehr feinen, in der Flüssigkeit gleichmäßig verteilten Niederschlag. Würde man in diesem Falle noch weitere Verdünnungen angesetzt haben, dann hätte die Probe bei 1 : 150 vielleicht noch eine Andeutung von Trübung, aber keinen makroskopisch sichtbaren Niederschlag ergeben. Darüber hinaus wären dann die Proben von demselben Aussehen gewesen wie die Kontrolle. Es ist durchaus notwendig, daß man ein für allemal ein ganz bestimmtes optisches Kennzeichen als Grenze der Agglutinationserscheinung annimmt, wenn man unter sich vergleichbare Werte erhalten will. Für unsere Untersuchungen haben wir als Grenze das Vorhandensein eines bei makroskopischer Betrachtung eben noch deutlich erkenn- baren schwebenden und gleichmäßig verteilten Niederschlags angenommen. In zweifel- haften Fällen wurden die Proben von mehreren geübten Beobachtern besichtigt, und wenn nur einer in seinem Urteile abwich, dann wurde das Resultat als ein negatives verzeichnet. Es erfordert einige Übung, um das Vorhandensein der letzten Spuren des Nieder- schlages sicher zu erkennen. Aber wenn man erst eine Anzahl von Agglutinationen, namentlich mit einem hochwertigen Serum, welches alle Abstufungen der Reaktion zeigt, gesehen hat, dann gewinnt man sehr bald die nötige Sicherheit. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß das konservierte Serum seinen Agglu- tinationswert nicht unverändert bewahrt. Derselbe kann innerhalb weniger Wochen erheblich herabgehen. Auch ist zu beachten, daß die Stammtestflüssigkeit (Verdünnung von 1 : 1000) sich nicht länger als etwa 14 Tage hält. Wenn die Flasche oft geöffnet ist, in der Wärme und am Licht gestanden hat, dann kann sie sogar schon früher un- brauchbar werden, was sich dadurch zu erkennen gibt, daß ihre FäUbarkeit zunimmt und daß sie gewissermaßen überempfindlich wird. Es kann dann geschehen, daß ein Serum mit alter Testflüssigkeit einen etwas höheren Titer gibt, als mit einer frisch prä- parierten Testflüssigkeit. Nachdem unser Agglutinationsverfahren selbst so genau beschrieben ist, daß wohl ein jeder imstande sein wird, dasselbe anwenden und nachprüfen zu können, gehe ich dazu über, die Ergebnisse, welche die Anwendung des Verfahrens auf die Untersuchung von tuberkulösen und nichttuberkulösen Menschen und Tieren geliefert hat, mitzuteilen. II. Anwendung des Agglutinationsverfahrens auf Tiere. Über die Agglutination der Tuberkelbazillen durch das Serum von Tieren haben bisher meines Wissens nur A r 1 o i n g und C o u r m o n t berichtet. Dieselben geben an, daß normale Kaninchen kein Agglutinationsvermögen besitzen, Ziegen dagegen ein schwaches; Kälber haben keins, erwachsene Rinder ungefähr 1 : 5, der Hund soll Uber die Agglutination der Tuberkel bazUlen usw. 699 gewöhnlich 1 : 5 besitzen und gelegentlich 1 : 10 und selbst 1 : 20 erreichen können. Bei tuberkulös gemachten Kaninchen stieg das Agglutinationsverniögen auf 1 : 10 und selten auf 1 : 20, in einem Falle auf 1 : 80. Bei Hunden konnten Arloing-Cour- m o n t durch Injektion von abgeschwächten Kulturen das Agglutinationsvermögen auf 1 : 300, in einem Falle sogar bis auf 1 : (300 treiben. Bei Ziegen gelang ihnen dies nur bis 1 : 80, und bei Rindern bis 1 : 20. Von diesen Mitteilungen der beiden französischen Forscher haben eigentlich nur die Angaben über das künstlich erhöhte Agglutinations vermögen bei Tieren, welche }nit Kulturen der Tuberkelbazillen behandelt wurden, ein erheblicheres Interesse. Daß bei Tieren auch ,ohne eine solche Behandlung sehr geringe Agglutinationswerte vor- kommen würden, ließ sich bei den Erfahrungen, Avelche in dieser Beziehung mit anderen Bakterienarten gemacht sind, auch für die Tuberkelbazillen erwarten. Wir haben des- wegen bei unseren Untersuchimgen auf diese ganz geringen spontanen Agglutinations- erscheinungen keinen besonderen Wert gelegt und die normalen Tiere meist nur auf ein Agglutinationsvermögen von 1 : 25 und darüber geprüft, öfters auch auf 1 : 10, aber niemals unterhalb dieses Wertes. Von 30 normalen Kaninchen fanden wir 28, deren Serum bei einer Verdünnung von 1 : 25 noch keine Agglutinationswirkung zeigte (sieben von diesen Tieren verhielten sich auch bei 1 : 10 negativ, zwei waren bei 1 : 10 positiv). Bei zwei Kaninchen war dagegen das Serum schon vor jeder Behandlung in der Verdünnung von 1 : 25 agglu- tinierend. Unter 11 Ziegen gaben 10 bei 1 : 25 keine, ein Tier dagegen eine schwache Reak- tion. Zwei Esel reagierten bei 1 : 25 nicht. Zwei normale Hunde reagierten bei 1 : 25 ebenfalls nicht. Drei normale Rinder gaben bei 1 : 25 keine Reaktion, ebensowenig auch drei Rinder, welche auf Tuberkulin reagiert hatten. Sehr eigentümlich ist das Verhalten von Pferden, von denen 10 untersucht wurden. Sie hatten sämtlich ein spontanes Agglutinationsvermögen von 1 : 25, zwei Tiere so- gar 1 : 50. Es geht aus diesen Beobachtungen hervor, daß das spontane Agglutinationsver- mögen bei verschiedenen Arten von Tieren ein sehr wechselndes ist. Besonders auf- fallend ist es, daß bei Arten, welche in der Regel keine oder doch wenigstens keine er- hebliche Agglutination besitzen, einzelne Individuen angetroffen werden mit Agglu- tinationswerten bis zu 1 : 25 und beim Pferde selbst bis 1 : 50. Ob solche spontan stärker agglutinierenden Tiere der tuberkulösen Erkrankung gegenüber ein besonderes Verhalten zeigen, konnten wir an den wenigen Exemplaren, welche uns bisher zur Ver- fügung standen, nicht feststellen. Mit der künstlichen Steigerung des Agglutinationsvermögens bei Tieren sind wir erheblich weiter gekommen als A r 1 o i n g und C- o u r m o n t. Am leichtesten gelang es bei Ziegen, das Agglutinationsvermögen zu erhöhen. Die Tiere, 25 an der Zahl, wurden nach den bekannten Prinzipien der Immunisierung mit abgetöteten und auch lebenden Kulturen der Tuberkelbazillen teils subkutan, teils intravenös behandelt und erlangten schon nach einer oder wenigen Injektionen eine Agglutination von 1 : 50 und selbst 1 : 100. Durch fortgesetzte Behandhmg konnten fünf Ziegen bis über 1 : 1000 und eine bis 1 : 1500 gebracht werden. Auch bei Kaninclien ist es uns gelungen, wenn auch schwieriger als bei Ziegen, ziemlich hohe Agglutinationswerte zu erreichen. Zehn Tiere erlangten Werte zwischen 1 : 100 und 1 : 400. Bei einer größeren Anzahl von Rindern, welche mit erhebliclien Mengen von Tu- berkelbazillen infiziert waren, wurden Agglutinationswerte von 1 : 10 bis 1 : 50 gefunden. 700 Über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. Eins von diesen Tieren, welches wiederholt Tuberkelbazillen in steigenden Mengen erhalten hatte, erreichte einen Agglutinationswert von 1 : 200 , konnte aber trotz verschiedener Versuche , die Agglutination weiter zu steigern , bisher nicht höher gebracht werden. Pferde erhielten dagegen schon nach wenigen Injektionen einen Wert bis zu 1 : 200. Esel verhielten sich ähnlich wie Ziegen. Sie kamen nach kurzer Behandlung auf 1 : 200 bis 1 : 400. Bei einem Tiere ist es sogar gelungen, den Agglutinationswert von 1 : 3500 zu erreichen. Um das Agglutinations vermögen entstehen zu lassen oder, wenn es bereits vor- handen ist, weiter zu steigern, bedarf es immer deuthcher, womögüch starker Reaktionen. Das Agglutinationsvermögen zeigt sich nicht sofort, sondern erst einige Tage nach der Injektion; es erreicht vom 7. — 10. Tage den höchsten Grad und sinkt dann langsam wieder. Man muß deswegen, um die größten Werte zu erhalten, die Tiere am 7.— 10. Tage nach der Injektion untersuchen. Wenn Tiere mit Bakterienkulturen behufs Immunisierung behandelt werden, daim treten regelmäßig im Blute derselben außer den agglutinierenden auch immuni- sierende Eigenschaften auf, z. B. antitoxische, bakterizide usw. Wir konnten daher an- nehmen, daß auch bei unseren künstlich zu mehr oder weniger hohen Agglutinationswerten gebrachten Tieren ein gewisser Grad von Immunität erzielt sei. Die Frage, ob das Agglu- tinationsvermögen selbst zu den immunisierenden Eigenschaften zu rechnen ist und gCAvissermaßen einen der Faktoren bildet, aus welchen sich der komplizierte Begriff der Immunität zusammensetzt, will ich, obwohl ich mich dieser Auffassung zuneige, hier unerörtert lassen. Aber im allgemeinen kann man nach den bisherigen Erfahrungen doch annehmen, daß die Größe des Agglutinations Vermögens und die Immunität in einem gemssen Verhältnis zueinander, wenigstens im Beginne des Immunisier ungs- prozesses, stehen und daß das Agglutinationsvermögen somit einen Wertmesser für den erzielten Grad der Immunität abgibt. Wir haben unsere Tiere hierauf untersucht und unzweifelhafte Beweise dafür erhalten, daß sie in der Tat entsprechend ihrem Agglu- tinationsvermögen mehr oder weniger hohe Grade von Immunität gegen die künstliche Infektion mit TuberkelbaziUen erhalten haben. Es handelt sich dabei, dem langsamen Verlaufe der Tuberkulose entsprechend, um langwierige Versuche, welche bis jetzt noch nicht abgeschlossen sind und deren Berichterstattung ich mir deswegen für spätere Zeit vorbehalten muß. Wir haben auch versucht, mit Serum, welches einen Agglutinationswert von 1 : 1000 hatte, Heilversuche an tuberkulösen Menschen anzustellen, damit aber bis jetzt noch keine befriedigenden Resultate erzielt. Daraus folgt aber nicht, daß auf diesem Wege überhaupt nichts zu erreichen ist, sondern nur, daß der Grad von passiver Immunität, welcher mit diesem Serum erzeugt wurde, ein zu geringer ist. Da es bereits gelungen ist, ein Serum mit dem Werte von 1 : 3500 zu erhalten, und die Aussicht vorhanden ist, noch viel höhere Werte zu erreichen, so soUen diese Versuche mit möglichst hoch- wertigem Serum später wieder aufgenommen werden. Der Besitz von hochwertigem Tierserum hat es uns ermöglicht, auch eine andere interessante Frage in Angriff zu nehmen, nämlich diejenige, wie sich ein derartiges Serum zu anderen Bakterien, insbesondere zu den näheren Verwandten der TuberkelbaziUen und zu den sogenannten säurefesten Bakterien verhält. Als das Serum in bezug hierauf geprüft wurde, stellte sich heraus, daß es gegen- über den Diphtheritisbakterien, den Typhus- und verschiedenen Kolibazillen, den Pest- bakterien gar keine agglutinierenden Eigenschaften besitzt. Dagegen agglutiniert es die Bazillen der Perlsucht, der Geflügeltuberkulose, der Fischtuberkulose, der Blind- über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. 701 schleichentuberkulose, die A r 1 o i n g - C o u r m o n t sehen Bazillen, die Butterbazillen, die M o e 1 1 e r sehen Grasbazillen und alle anderen für uns en'eichbaren säurefesten Bakterien, und zwar anscheinend ebensogut wie die Bazillen der menschlichen Tuber- kulose. Wir haben dann auch den umgekehrten Versuch angestellt und Tiere mit einigen jener Bakterienarten, z. B. mit den Bakterien der Blindschleichentuberkulose imd den Grasbazillen, immunisiert und gefunden, daß das Serum dieser Tiere ebenfalls die ganze Reihe der oben aufgezählten Bakterien, inklusive der Bazillen der menschlichen Tuber- kulose zu agglutinieren vermag. Die einzelnen Arten dieser Gruppe, welche durch ihre tinktoriellen Eigenschaften gekennzeichnet sind, stehen sich somit, wenigstens in bezug auf den Gehalt an denjenigen Stoffen, welche von dem agglutinierenden Serum aus- gefällt werden, so nahe, daß eine Unterscheidung derselben mit Hilfe der Agglutination nicht möglich ist. Schließlich möchte ich hier noch über einen interessanten ^^ersuch berichten, der sich ebenfalls mit hochwertigem Serum ausführen läßt. Wenn man nämlich die Tuberkelbazillen auf der von P r o s k a u e r angegebenen Asparagin-Glyzerin-Nähr- flüssigkeit züchtet, dann bleibt diese Flüssigkeit, welche vollkommen klar und farblos ist, während des Bazillen Wachstums ini verändert ; irgendwelche geformten ungelösten Bestandteile gehen von der Kultur in dieselbe nicht über. Und doch enthält diese Flüssig- keit eine durch das agglutinierende Serum aiisfällbare Substanz. Allerdings ist diese Substanz nur in verhältnismäßig geringer Menge darin enthalten, weil der Versuch nur mit einem hochwertigen Serum und bei nicht zu großer Verdünnung gelingt. Mit keinem anderen Serum als mit einem solchen, welches die Tuberkelbazillen agglutiniert, tritt die Reaktion ein; die Fällung muß also eine spezifische sein. Ob die fällbare Sub- stanz in der klaren Nährflüssigkeit dieselbe ist, welche auch die Fällbarkeit des aus der Kultur hergestellten Präparates bedingt, muß noch untersucht werden^- III. Anwendung des Agglutinationsverfahrens auf Menschen. Von Nichttuberkulösen wurden 30 Personen untersucht. Von diesen hatten fünf ein Serum, welches im Verhältnis von 1 : 25 agglutinierte. Es waren dies ein Fall von Karzinom, zwei Rekonvaleszenten von Typhus, ein Erysipel, eine Furunkulosis. Bei dem Karzinomkranken, welcher bald nach der Untersuchung starb, konnte durch die Obduktion das vollständige Fehlen von Tuberkulose mit Sicherheit festgestellt werden. In einem Falle von Muskelrheumatismus agglutinierte das Serum sogar noch in einer Verdünnung von 1 : 50. Sechs dieser Nichttuberkulösen wurden auch auf Agglutination von 1 : 10 ge- prüft und bei zweien eine schwache Reaktion gefunden. Von Tuberkulösen, und zwar Phthisikem, wurden 78 auf Agglutination geprüft. Davon reagierte ein Fall mit 1 : 50 (eine Phthisis dritten Grades), vier mit 1 : 25 [zwei dritten, eine zweiten und eine ersten Grades-)]. Alle übrigen erreichten den Aggluti- nationswert von 1 : 25 nicht. Es befanden sich darunter 38 Phthisiker dritten, 8 zweiten, und 21 ersten Grades. Außerdem gaben ein Fall von Blasen-, ein Fall von Knochen-, ein Fall von Haut- tuberkulose und eine tuberkulöse Iritis keine x4gglutination. ^) Es handelt sich bei diesem Experiment selbstverständlich nicht mehr xun eigentliche Agglu- tination, sondern um eine einfache FäUvmg. Dieselbe steht aber unzweifelhaft zu den Vorgängen, welche man ursprünglich mit dem nicht sehr glücklich gewählten Ausdruck ,, Agglutination" be- legte, in engster Beziehung. 2) Nach der von T \i r b a n vorgeschlagenen Einteilung. 702 Über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. Von den eben erwähnten 78 Phthisikern wurden 38 außerdem auf die Aggluti- nation von 1 : 10 untersucht und nur 14 darunter gefunden, welche eine positive Reak- tion gaben. Es waren elf dritten, zwei zweiten vind einer ersten Grades. Noch stärkere Konzentrationen des Serums als 1 : 10 anzuwenden, hielten wir nicht für angängig, weil das sichere Erkennen der Agglutinationsgrenze dann nicht mehr möglich ist. Im ganzen genommen ist bei unseren Untersuchungen ein deutlicher Unterschied im Agglutinationsvermögen zwischen Tuberkulösen und Nichttuberkulösen nicht zum Vorschein gekommen, und wir können uns dem Urteil von C. Fraenkel, Neisser, D i e u d o n n e, Beck und R a b i n o w i t s c h , welche alle mit dem Arloing- C o u r m o n t sehen Verfahren arbeiteten inid zu demselben Resultat gekommen sind, nur anschließen. Auch wir halten die Agglutination zur Diagnose und speziell zur Früh- diagnose der Tuberkulose für ganz unbrauchbar. Für diesen Zweck bleibt vorläufig noch das alte Tuberkulin das zuverlässigste Hilfsmittel, wie auch auf dem letzten Tu- berkulosekongi'eß in London bei den Verhandlungen über den diagnostischen Wert des Tuberkulins von fast allen Rednern anerkannt wurde. Mit welcher Sicherheit das Tuberkulin das Vorhandensein von Tuberkulose anzeigt, geht in besonders überzeugender Weise aus einer Mitteilung von E.France hervor, welche er auf dem Londoner Kongreß machte. Derselbe hat in einer Irrenanstalt 55 Personen mit Tuberkulin geprüft und gefunden, daß 45 davon reagierten. Von den Reagierenden kamen 29 später zur Ob- duktion und w uiden sämtlich tuberkulös gefunden. Von den Nichtreagierenden konnten fünf obduziert werden, sie waren sämtlich frei von Tuberkulose. Mehr kann man von einem diagnostischen Hilfsmittel nicht verlangen. Anmerkung. Da ich von den Zuhörern aufgefordert wurde, eine genaue Anweisung für die Anwendung des Tuberkulins zu diagnostischen Zwecken zu geben, so komme ich diesem Wunsche nach, indem ich hier den darauf bezüglichen Abschnitt aus meinem in London gehaltenen Vortrage über die diagnostische Verwertung des Ttiberkiilins wiedergebe: ,, Zunächst wird die Temperatur des Patienten mindestens einen, oder besser 2 Tage lang beobachtet, um die Überzeugung zu gewinnen, daß die Temperatur sich unterhalb von 37" bewegt. Kranke mit Temperaturen über 37" sind ungeeignet für die diagnostische Anwendung des Tuberkiüins vmd sollten unter keinen Umständen der Tuberkulinprobe unterworfen werden. Wenn der Kranke als geeignet befunden ist, dann erhält er vormittags unter die Haut des Rückens eine Injektion von 0,1 — 1 mg Tuberkulin: bei schwächlichen Menschen fängt man mit 0,1 mg an, bei kräftigen Per- sonen mit voraussichtlich sehr geringen tuberkulösen Veränderungen kann man mit 1 mg beginnen. Erfolgt auf diese erste Einspritzimg gar keine Temperatursteigerung, dann steigt man auf die doppelte Dosis, aber nicht schon am nächsten, sondern erst am darauffolgenden Tage. Tritt aber eine geringe Temperatvuerhöhung, sei es auch mir y^", ein, dann wird mit der Dosis nicht gestiegen, sondern, nachdem die Temperatm- wieder vollkommen zur Norm zurückgekehrt ist, dieselbe Dosis noch ein- mal gegeben. Sehr oft zeigt sich dann, daß die nunmehr eintretende zweite Reaktion, obwohl die Dosis die nämhche geblieben ist, doch stärker ausfällt als die erste. Es ist dies eine für die Tuber- kuhnwirkung ganz besonders charakteristische Erscheinung und kann als ein untrüghches Kenn- zeichen für das Vorhandensein von Tuberkulose gelten. Wenn nun aber nach den ersten niedrigen Dosen keine Reaktion erschienen ist, dann steigt man weiter bis 5 mg und schließlich auf 10 mg. Letztere Dosis pflege ich der Sicherheit halber zweimal zu geben, und erst, wenn darauf keine Re- aktion erfolgt, halte ich mich zu der Annahme berechtigt, daß keine frische oder im Portschreiten befindliche Tuberkulose vorliegt, welche eine spezifische Behandlung erfordert." Bei der Untersuchung der Tuberkulösen auf Agglutinationsvermögen hat sich als besonders auffallend herausgestellt, daß die Kranken dritten Grades, welche nach Analogie der Agglutinationserscheinungen beim Typhus und bei anderen bakteriellen Krankheiten sämtlich und am stärksten die Reaktion zeigen sollten, dies nicht tun. Wenn wir aber von der berechtigten Annahme ausgehen, daß durch das Agglutinations- vermögen das Vorhandensein von immunisierenden Eigenschaften, welche einen Schutz über die Agglutination der Tuherkelliazillen usw. 703 gegen die betreffende Krankheit verleihen, oder kurz gesagt, das Vorhandensein von Schutzstoffen angezeigt wird, dann kann uns das Fehlen der Agglutination bei vor- gesclirittener Phthisis nicht mehr wundern. Die Tuberkulose gehört bekanntlich nicht zu den bakteriellen Kj'ankheiten, in deren Verlauf sich, wie bei Typhus, Cholera, Pest, Schutzstoffe in so großer Menge bilden, daß es zu einer vollständigen Immunität kommt. Es wäre im Gegenteil mit unseren jetzigen Anschauungen über Agglutination und Immu- nität gar nicht zu vereinigen, wenn in den höheren Stadien der Tuberkulose ausgespro- chenes Agglutinations vermögen gefunden würde, ohne daß sich gleichzeitig das Auf- treten von Schutzstoffen durch Besserung und schließlich Heilung der Ivi-ankheit be- merkbar machte. In dieser Beziehung verhält sich die Tuberkulose eben anders als die genannten Kranldieiten. Es entstehen bei ihr unter natürlichen Verhältnissen aus Grün- den, welche wir vorläufig nicht kennen, keine oder doch zu wenig Schutzstoffe, um es zu einer Heilung und nachfolgenden Immunität kommen zu lassen. Um so mehr muß sich uns die Frage aufdrängen, namentlich nachdem es verhält- nismäßig leicht gelungen ist, bei Tieren die Agglutination und den Bestand an Schutz- stoffen so außerordentlich zu erhöhen, ob es nicht möglich ist, auch dem menschlichen Organismus in seinem Kampfe gegen die zerstörenden Einflüsse der Tuberkulose durch die künstliche Erzeugung von Schutzstoffen zu Hilfe zu kommen. Mit dieser Auf gäbe haben wir uns denn auch befaßt und glauben, sie in befriedigender Weise gelöst zu haben. Die Bestrebungen, den Menschen gegen die Tuberkulose zu schützen, ilm zu immu- nisieren, sind schon eine Reihe von Jahren im Gange, aber sie wurden dadurch außer- ordentlich erschwert, daß wir keinen sicheren Maßstab besaßen für das, was in dieser Beziehung in jedem einzelnen Versuche erreicht war. Aber dadurch, daß das Aggluti- nationsverfahren uns jetzt ein Mittel in die Hand gibt. Schritt für Schritt uns zu ver- gewissern, ob wir uns mit unseren Immunisierungsversuchen avif dem richtigen Wege befinden, ist die friUiere Unsicherheit mit einem Schlage beseitigt. Wir sind deswegen bei unseren Untersuchungen in der Weise vorgegangen, daß wir zuerst an Tieren ermittelt haben, in welcher Form, Dosis und Applikationsweise die Tuberkelbazillenkulturen angewendet werden müssen, um mögliclist bald und mög- lichst hohe Agglutinationswerte zu erzielen. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen haben wir dann, selbstverständlich mit aller gebotenen Vorsicht, auf den Menschen übertragen. Es stellte sich zunächst heraus, daß ziemlich hohe Agglutinationswerte entstehen, wenn die Gesamtmasse der TuberkelbaziUen subkutan injiziert wird. Die Bazillen- masse muß aber, um resorbiert werden zu können, in der von mir früher angegebenen Weise^) zu feinstem Staub verarbeitet sein. Nur durch diese mechanische Auf Schließung der Tuberkelbazillen ist ihre Resorptionsfähigkeit zu erreichen, dieselbe bildet gewisser- maßen den Schlüssel zu allen Methoden der Immunisierung gegen Tuberkelbazillen. Bei meinen früheren Immunisierungsversuchen hatte ich die aufgeschlossenen Tuberkelbazillen durch Zentrifugieren in zwei Teile zerlegt, in den ungelösten Rest (TR) und die obere Flüssigkeit (TO). Das nochmals veri-iebene und aufgeschwemmte TR gab verhältnismäßig schwache, das TO stärkere Reaktionen. Ich habe damals, um die Reaktionen möglichst zu vermeiden, dem TR den Vorzug gegeben. Wir haben aber jetzt mit Hilfe der Agglutinationsprüfung gefunden, daß es besser ist, die Kultur- masse ungetrennt zu benutzen, vnid daß das Agglutinationsvermögen auch beim Menschen am sichersten und schnellsten eintritt, wenn nicht zu geringe Reaktionen zustande kommen und wenn möglichst rasch zu hohen Dosen gestiegen wird. ^) Deutsche Medizinische Wocliensclirift 1897, Nr. 14, siehe diese Werke p. 683. D. Herausgeber. 704 Über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. Außerdem haben wir uns davon überzeugt, daß man die Aufschwemmung der pulverisierten Tuberkelbazillen durch einen Zusatz von 50% Glyzerin für lange Zeit konservieren kann, ohne daß sie dadurch an Wirkung verliert. Wir benutzten eine Auf- schwemmung von" einem Teil pulverisierter Tuberkelbazillen mit 100 Teilen destillierten Wassers, welcher Flüssigkeit gleiche Teile Glyzerin zugesetzt werden. Diese Mischung bleibt einige Tage stehen, sie wird dann von den gröberen, nicht mehr suspendierten Teilen abgegossen und so konserviert^). 1 ccm des Präparats entspricht 5 mg der pul- verisierten Tuberkelbazillen. Die Verdünnungen werden mit 0,8% NaCl-Lösung her- gestellt. Wir wenden dieses Präparat in der Regel so an, daß mit einer subkutanen In- jektion von 0,0025 mg (immer auf Bazillensubstanz berechnet, also mit dem 2000. Teil von einem Kubikzentimeter des Präparats) begonnen wird. Auf diese geringe Dosis tritt nur ganz ausnalimsweise eine Reaktion ein. Wir steigern dann mit ein- bis zwei- tägigen Pausen die Dosis sehr schnell, jedesmal um das Zwei- bis Fünffache, bis wir zu ganz ausgesprochenen Reaktionen mit Temperaturerhöliungen von 1 % bis 2'' kommen. Sobald eine derartige kräftige Reaktion eingetreten ist, müssen sehr viel längere Pausen gemacht werden. Wir warten in der Regel 6 — 8 Tage und länger, je nach dem Ausfall der Agglutinationsprüfung. Jeder Kranke wird selbstverständlich vor Beginn der Be- handlung auf das Vorhandensein von Agglutinationsvermögen untersucht und ebenso wieder nach den ersten zwei bis drei Reaktionen. Diese zweite Untersuchung muß, worauf bereits früher aufmerksam gemacht wurde, erst etwa 8 Tage nach der letzten Injektion gemacht Averden. Findet sich, daß sich das Agglutinationsvermögen in einem gCAvissen Grade eingestellt, oder daß schon vorhandenes durch die Injektionen erhöht Avurde, dann kommt es darauf an, dasselbe zu erhalten und womöglich noch höher zu treiben. Wir gehen deswegen niemals mit der Dosis zurück, wiederholen auch nicht dieselbe Dosis, sondern gehen mit derselben stets hinauf. Anderenfalls sinkt das Agglu- tinationsvermögen sehr bald, und der gewonnene Vorteil geht wieder verloren. Mit den subkutanen Jnjektionen sind Avir bis auf Dosen von 20 mg, in einzelnen Fällen bis auf 30 mg gestiegen. Höher kann man nicht gut gehen, Aveil größere Mengen nicht mehr resorbiert Av^erden. Es empfielüt sich sogar, Avenn 20 mg zu langsam resorbiert werden soUten, dieselben auf zwei Körperstellen zu A'erteilen. Die größeren Dosen von 10 bis 20 mg werden A'on uns nur noch in Pausen von 2 — 4 Wochen gegeben. Mitunter sinkt das Agglutinationsvermögen trotz der fortwährend gesteigerten Dosis. In solchen Fällen ist es uns regelmäßig gelungen, durch intravenöse Injektion des Präparats das Agglutinations vermögen in überraschender Weise zu erhöhen. Zu diesen intraA^enösen Injektionen haben AA'ir aus nahehegenden Gründen nur eine Flüssig- keit benutzt, aus AA'elcher durch kräftiges und langes Zentrifugieren ?lle suspendierten Bestandteile sorgfältig entfernt sind. Dieselbe entspricht also dem früheren TO. Auch ist hierbei Avohl zu beachten, daß die Dosis für intravenöse Injektionen erheblich nied- riger sein muß als diejenige für subkutane Injektionen. Bei unseren vielfachen ver- gleichenden Versuchen fanden wir, daß für die intravenöse Injektion ziemlich genau der zehnte Teil der subkutanen Dosis zu nehmen ist. Einzelnen Kxanken, welche be- reits weit immunisiert Avaren, koimten Avir bis 5 und selbst 10 mg intravenös geben, ohne daß mei;kliche Reaktionen eingetreten sind. Die intravenösen Injektionen bieten soviel Vorteile, daß wir dieselben in der letzten Zeit in immer größerem Umfange angewendet haben. Die Behandlung wird jetzt ^) Ein derartiges fertiges Präparat kann von den FarbAverken vorin. Meister, Liicius und Brüning in Höchst a. M. bezogen werden. über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. 705 gewöhnlich mit subkutanen Injektionen begonnen luid. sobald Reaktionen eingetreten sind, mit intravenösen fortgesetzt. Unter 74 Kranken, welche nach diesen Grundsätzen behandelt sind, wurden ge- bracht zu einem Agglutinationsvermögen von: 1 : 25 14 (dieselben hatten vorher gar nicht oder nur bis 1 : 1 0 agglutiniert) 1 : 50 28 1 : 75 9 1 : 100 10 1 : 150 6 1 : 200 1 1 : 250 1 1 : 300 1 Bei den 9 Übrigbleibenden ist es nicht gelungen, ein Agglutinations vermögen zu erzielen. Vier davon hatten niemals Reaktionen ; wahrscheinlich handelte es sich, da auch keine Tuberkelbazillen bei denselben nachgewiesen werden konnten, um alte abgeheilte Phthisis. Fünf sind nur kurze Zeit und mit zu geringen Dosen behandelt. Da unsere Kranken zum größten Teil dem zweiten und dritten Stadium der Phthisis angehörten, so können wir auf Grund dieser Erfolge wohl die Behauptung aufstellen, daß einem jeden Phthisiker, mit vielleicht nur geringen Ausnahmen, künstlich ein ge- wisser Grad von Agglutinationsvermögen und dementsprechend auch eine mehr oder weniger große Menge von Schutzstoffen verschafft werden kann. Allerdings haben wir den Eindruck gewonnen, daß im ersten Stadium befindliche Phthisiker besonders leicht und hoch zum Agglutinieren zu bringen sind und daß bei ihnen das Agglutinationsvermögen verhältnismäßig lange Zeit erhalten bleibt, während die Phthisiker zweiten und besonders dritten Grades für die künstliche Immunisierung schwerer zugänglich sind und das gewonnene Agglutinationsvermögen erheblich schneller wieder verHeren. Daß bei unseren Phtliisikern das Auftreten des Agglutinationsvermögens in der Tat mit der Bildung von Schutzstoffen verbunden war, glauben wir daraus schließen zu können, daß sich das Befinden derselben von dem Zeitpunkte ab, wo ihr Serum agglu- tinierende Eigenschaften angenommen hatte, sichtlich besserte. Der Appetit stellte sich ein, und dementsprechend nahm das Körpergewicht, welches bis dahin im Sinken begriffen war, wieder zu, und zwar oft in ganz beträchtlichem Maße. Die Nachtschweiße hörten auf, die Rasselgeräusche nahmen vielfach ab, und ebenso die Menge des Sputums. Bei manchen Kranken verschwand das Lungensputum vollständig, und damit schAvanden selbst verständlic|i auch die Tuberkelbazillen. Die auffallendste Erscheinung in dieser Beziehujig war aber das Verhalten der Temperatur. Bei solchen Kranken, welche keine erhöhte Temperatur hatten, haben wir niemals nach dem Ablauf der Reaktionen das Auftreten von Temperatursteigerungen gesehen, welche als eine Folge dieser Reaktionen hätten gedeutet werden können. Im Gegenteil haben wir regelmäßig beobachtet, daß bei fiebernden Phthisikern mäßige und mittlere Temperatursteigerunfien durch die Re- aktionen günstig beeinflußt wurden. Zuerst trat ein Temperaturabfall nur vorüber gehend vom 3. — 4. Tage nach der Reaktion ein, also gerade in der Zeit wo der Immu- nisierungsvorgang einsetzt. Die Temperatur blieb dann mehrere Tage niedrig, stieg aber allmählich wieder an. Wurde nun von neuem eine kräftige Reaktion hervorgerufen, dann fiel die Temperatur wieder, imd zwar anhaltender, als nach der vorhergehenden Reaktion. Durcli fortgesetzte Reaktionen konnten derartige Temperatursteigerungen in solcher Weise dauernd beseitigt werden. In einzelnen FäUen ist es uns sogar gelungen, Koch, Gesammpitp Werke. 45 706 über die Agglutination der Tuberkelbazillen usw. auch höheres Fieber mit ausgesprochenem hektischem Typus zum Schwinden zu bringen. Der fieberhafte Zustand eines Phthisikers ist für uns deswegen keine Kontra- indikation mehr, wie es bei der Anwendvmg des alten Tuberkuhns der Fall ist. Wir haben nur solche Kranke von der Behandlung ausgeschlossen, welche sich in einem Zustande von zu großer Schwäche befanden, ferner solche, bei denen die Zerstörung der Lunge so weit vorgeschritten war, daß an eine Besserung überhaupt nicht mehr zu denken war, und bei Kranken, welche Anzeichen von geschwächter Herzaktion darboten. Bei allen übrigen haben wir die Behandlung versucht und nur dann aufgegeben, wenn nach einigen Reaktionen kein Agglutinationsvermögen sich einstellte tmd das Körpergewicht im Ab- nehmen blieb. Wir sind aber nur bei wenigen Kranken gezwungen gewesen, aus diesen Gründen die Behandlung abzubrechen. In welchem Umfange die bisher beobachteten Besserungen bei unseren Kranken unter der fortgesetzten Behandlung zu wirldichen Heilungen führen werden, läßt sich jetzt noch nicht beurteilen, ganz abgesehen davon, daß das uns zu Gebote stehende Krankenmaterial zur vollständigen Durchfülirung einer derartigen Behandlung und zur langdauemden Überwachung des Erfolges ganz ungeeignet ist, da es aus unbemittelter Personen besteht, die von Krankenkassen nur für eine bestimmte Frist der Kranken- anstalt überwiesen werden, oder, wenn sie sich auf eigene Kosten im Hospital befinden, dasselbe wieder verlassen, wenn sie nur gebessert, nach ihrer eigenen Meinung aber schon geheilt sind. Nach meinen sonstigen Erfahrungen in bezug auf Behandlung der Tuber- kulose möchte ich annehmen, daß die Kranken, und ganz besonders wenn sie einem vorgeschrittenen Stadium der Phthise angehören, ein halbes Jahr und länger behandelt werden müssen. Es wird aber nicht notwendig sein, daß die Kranken während der ganzen Zeit der Behandlung sich in einer Krankenanstalt befinden. Sobald größere Dosen erreicht und die Reaktionen geringer geworden sind, können die Injektionen, welche dann nur noch alle 2 — 4 Wochen gemacht zu werden brauchen, unbedenkhch in am- bulanter Behandlung gegeben werden. Aber auf jeden Fall müßten sie eventuell mit größeren Pausen solange fortgesetzt werden, bis die Tuberkelbazillen im Sputum dauernd verschwiuiden sind. Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß die immxmisierende Behand- lung der Tuberkulose sich in keiner Weise im Gegensatz zu anderen Behandlungsmethoden befindet. Diese Art der Behandlung scheint mir hauptsächlich da am Platze zu sein, wo die Leistungsfähigkeit der anderen aufhört, und so glaube ich auch, daß die Lungen- heilstätten, welche unter ihren Kranken wohl immer einen gewissen Prozentsatz von vorgeschrittenen Phthisen haben werden, bei diesen von der immunisierenden Behandlung einen nützhchen Gebrauch machen können.