I LbH I M Digitized by the Internet Archive in 2015 https://archive.org/details/b21353207_0002 Gesammelte Werke von Robert Koch Unter Mitwirkung von Prof. Dr. G. GAFFKY und Prof. Dr. E. PFUHL Geh. Ober-Med.-Rat in Berlin General-Ober-Arzt a. D. in Berlin herausgegeben von Prof. Dr. J. SCHWALBE Geh. San. -Rat in Berlin ZWEITER BAND Zweiter Teil. Mit 27 Textabbildungen und 3 teils farbigen Tafeln LEIPZIG 1912 VERLAG VON GEORG THIEME Copyright by Georg Thieme 1912 * Inhaltsverzeichnis. Seite Framboesia tropica und Tinea imbricata. (Archiv für Dermatologie und Syphilis. Wien 1902.) Mit 5 Textabbildungen 681 eiseberichte über Rinderi^est, Bubonenpest in Indien und Afrika, Tsetse- oder Surrakrank- heit, Texasfieber, tropische Malaria, Schwarzwasserfieber. (Berlin 1898.) Mit 3 Text- abbildungen 688 f Ein Versuch zur Immunisierung von Rindern gegen Tsetsekrankheit (Surra). (Deutsches Kolo- ^ nialblatt 1901, Nr. 24) 74.3 j Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder ,, Afrikanische Küstenfieber". (Aus dem Englischen übertragen.) (Archiv für wissenschafiliche und praktische Tierheilkunde. Berlin 1904) 748 f Untersuchvingen über Schutzimpfungen gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). (Deutsches Kolo- ^ nialblatt 1904, Nr. 14 u. 15) 774 Die Ergebnisse der Forschungen Robert Kochs über das Küstenfieber der Rinder und ly über die Pferdesterbe gelegentlich seiner letzten Expedition nach Südafrika. (Deutsche Mediziyiische Wochenschrift 1905, Nr. 23.) 799 Anhang. über das Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. (Preisschrift.) (Göt- tingen 1865.) Hierzu Tafel XXXXI— XXXXIII 806 Über das Entstehen der Bernsteinsäure im menschlichen Organismus. (Zeitschrift für ratio- nelle Medizin 1865.) 814 Aus einem brieflichen Bericht über einige ethnologische Befunde. (Zeitschrift für Ethnologie 1875.) 821 Demonstration von Photographien zweier geschwänzter Menschen. Mit 2 Textabbildungen. (Zeitschrift für Ethnologie 1884.) 822 Aus dem Vorwort zur dritten Auflage des Lehrbuches der spezifischen Diagnostik und Thera- pie der Tuberkulose von Bandelier und Röpke. (Würzhurg. ) 823 Reden Kochs gelegentlich von Festlichkeiten, die zu seinen Ehren veranstaltet worden sind. (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1884, Nr. 21, 1904, Nr. 34, 1908, Nr. 8. ) 825 II. Unveröffentlichte Berichte, Gutachten usw. an Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden. Zoonosen, akute allgemeine Infektionskrankheiten usw. Programm für Untersuchungen über Milzbrand. Berlin, 13. XII. 1880, 4. III. 1881 . . 831 Schutzmaßregeln gegen Milzbrandinfektion in Roßhaarspinnereien. Berlin. 30. I. 1883 . 834 Polizeiverordnung zum Schutze der Arbeiter in Tierhaarfal)riken. Berlin, 10. VI. 1887 . 837 Behandlung von Tollwutverletzungen durch Ätzung. Berlin, 16. II. 1888 841 {^Epidemiologie des Texasfiebers. Berlin, 13. III. 1899 842 Immunisierungsversuche gegen das Texasfieber. Berlin, 27. II. 1901 844 Verwertung der Agglutination zur Diagnose der Rotzkrankheit. Berlin, 17. XI. 1902. . 844 L/Untersuchung von Gelljfieber und Cholera. 22. I. 1881 849 , Die Expedition zur Erforschung der Cholera nach Ägvpten. Alexandrien, 25. Vlll. 1883, ^ Berlin, 8. XII. 1884 850 ^^Einfuhrverbot für gebrauchte Wäsche bei Cholera. Berlin, 18. VH. 1884 853 — IV — Seite Berichte über die Cholera in Südfrankreich. Toulon, 5. VII. 1884, 6. VII. 1884, Marseille, / 9. VII. 1884, Berlin, 18. VII. 1884, 22. VII. 1884 855 Über Maßnahmen gegen die Choleragefahr. Berlin, 22. VII. 1884 863 Abtritte in den Eisenbahnzügen bei Cholera. 24. VI. 1884 866 Choleraeinschleppung durch den Schlafwagenverkehr. 24. XI. 1884 866 Verhandlungen der Cholerakommission in den Jahren 1892 — 1894 867 Aufhebimg des Einfuhrverbots gegen Butter usw. bei Cholera in Rußland. Berlin, 19. I. 1893 875 Einfluß von Kochsalz a.xii Cholerabakterien. Berlin, 1. III. 1898 876 Choleramaßnahmen für die deutsch-österreichischen Grenzgebiete. Berlin, 28. V. 1893 . 877 Grenzverkehr mit Österreich in Cholerazeiten. Berlin, 17. VI. 1893 878 Stand der Cholera im Weichselgebiet. Berlin, 11. VI. 1894 879 Beratung über die von Rußland drohende Choleragefahr. Berlin, 1. XII. 1904, 18. IX. 1907, 26. IV. 1909 881 Malariaexpedition nach ItaUen. Berlin, 1. VII. 1891, 29. VI. 1898 883 , Malariauntersuchungen in Istrien. Berhn, 24. IV. 1901, 12. XII. 1901 887 ^ Obligatorische Chininprophylaxe gegen Malaria. Berlin, 18. VI. 1902 890 i/' Bekämpfung der Malaria. Berlin, 7. X. 1902, 18. XI. 1902, 6. III. 1908 892 ^ Über die Pest. Berlin, 27. II. 1901 898 Über Pestserum. BerUn, 24. IV. 1901 898 ^' Verhütimg der Einschleppung der Pest. BerUn, 23. II. 1901, 20. III. 1901 901 (^''Versuche zur Vertilgung von Ratten auf Schiffen. Berlin, 29. IX. 1901 902 ' Maßnahmen gegen die Pest. Berlin, 11. XII. 1901 . 905 ^ Schutzmaßregeln gegen die Pestgefahr. Berlin, 6. I. 1902 907 Bekämpfung des Typhus. Berlin, 14. VIII. 1901 908 Typhvisepidemie in Gelsenkirchen. Berlin, 21. X. 1901 910 Bekämpfung des Typhus. Berlin, 17. XII. 1901 915 Bekämpfung des Typhus in Trier. Berlin, 1. III. 1902, 26. V. 1902 917 Bazillenträgerfrage. Berlin, 28. XI. 1902 920 Bekämpfung des Typhus. Berlin, 29. VII. 1904 921 Serumbehandlung des Typhus. Beriin, 30. XI. 1907 921 /"fjher Tsetsefliegen. Berlin, 25. VIII. 1895 922 /' Über Tsetsekrankheit. Berhn, 18. VIII. 1902, 7. XI. 1902 923 Über Schlafkrankheit. Berlin, 12. IV. 1902, 30. VII. 1904, 21. IX. 1904 925 Über Glossinen. Mviansa, 3. VIII. 1906 928 Über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. Berlin, 14. II. 1906, 18. XI. 1907 929 ' Über Schlafkrankheit. Berhn, 10. XII. 1907 941 Schlafkrankheit in Deutsch- Ostafrika. Berhn, 5. IV. 1909 945 ^ Das Carrasquillasche Lepraserum. Berlin, 6. X. 1896 949 Über Kinderlähmung. Berlin, 30. X. 1909 950 Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Berlin. 4. u. 5. III. 1908 950 Über die Internationale Sanitätskonferenz in Rom. Rom, 24. V. 1885, 2. VI. 1885, 7. VI. 1885 951 Unzulänglichkeit und Unzweckmäßigkeit der Quarantäne. Berlin, 21. III. 1902 .... 956 Über Quarantänemaßregeln. Berlin, 12. IV. 1902 957 Gesetzentwurf über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. Berlin, 6. u. 7. II. 1902 958 Ansiedelungsfähigkeit der weißen Rasse in den Tropen. Berlin, 14. II. 1908 959 Impfgesetz. Reichstagsverhandlungen über das Impfgesetz 1882 963 Beaufsichtigung des Impfgeschäftes und allgemeine Einführung der animalen Vacci- nation. Berlin, 22. IX. 1882, 13. II. 1883 968 Denkschrift über die Notwendigkeit der allgemeinen Einführung der Impfimg mit Tier- lymphe. 1883 ; 978 Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutschland. Mit 15 Text- abbildungen 985 Beaufsichtigung des Impfgeschäftes und Einführung der animalen Vaccination. Oktober 1884. 1898 992 — V — Tuberkulose. Seite Giftigkeit der Tuberkulinpräparate. Abgabe des Tu)>erkulins an Laien. Berlin, 22. XI. 1900 1059 Methodik der Tuberkulinbehandlimg. Berlin, 5. VI. 1901 1062 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Berlin, 1. VII. 1901 1064 Versuche zur Frage der Beziehungen zwischen menschlicher Tuberkulose und Perlsucht. Berlin, 2. IV. 1902, 25. VI. 1904 1086 Fürsorge für Kranke mit vorgeschrittener Lungen- und Kehlkopftuberkulose. 27. IV. 1909 1092 Bedenken gegen die Anlage einer Heimstätte für Tuberkulöse. Berlin, 5. XII. 1898 . . 1094 Nichtinfektiosität von Kranken mit geschlossener Tuberkulose. Berlin, 30. I. 1909 . . . 1095 Krankenhaus für Tuberkulöse. Berlin, 3. III. 1910 1095 Abwässerbeseitigung, Wasserversorgung usw. Abschwemmen von Fäkal massen in städtischen Entwässerungskanälen. Berlin, 25. IX. 1884 1097 Warings Kanalisationssystem. Berlin, 14. I. 1885 1099 Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Oharlottenburg. Berlin, 16. II. 1886 . 1102 Untersuchung des Berliner Leitungswassers. Berlin, 6. III. 1886 1111 Kläranlagen auf Norderney. BerUn, 22. XI. 1887 1113 Untersuchung einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Schmutzwässern. Berlin, 2. II. 1888 1114 Klärverfahren zur Reinigung der Abwässer von Essen. Berlin, 18. V. 1888 1138 Reinigung der Abwässer von Halle. Berlin, 30. V. 1888, 23. X. 1888 1141 Reinigung der Abwässer von Wiesbaden. Berhn, 19. III. 1888, 23. X. 1888 1144 Über Flußverunreinigung. Berhn, 24. X. 1888 1147 Über die Kläranlagen der Stadt Essen. Berhn, 4. II. 1889, 17. I. 1890 1157 Über Versuche mit Gemischen von gereinigtem Kanalwasser und Saalewasser in Halle. Ber- lin, 1. V. 1890 1158 Reinigung der Kanalisationsabwässer durch Chemikalien in Mühlhausen i. Th. Berlin, 21. V. 1890 1159 Wasserversorgung und Kanalisation in Metz. 1902 1161 Verschiedenes. Denaturierung von Alkohol. Berlin, 8. IV. 1881 1165 Prüfung verbesserter Desinfektionsapparate. Berlin, 15. VIII. 1882 1169 Verwendung alter, gebrauchter Watte. Berlin, 18. IX. 1882 1171 Beschaffung einer transportablen Lazarettbaracke für die akademischen Heilanstalten der Universität Kiel. Berhn, 26. II. 1888 1177 Ursachen der hohen Berliner Kindersterblichkeit im Sommer' 1889. Berlin, 17. V. 1890. 1179 Gefährhchkeit der Carbon-Natron-Öfen. Berlin, 23. VIII. 1888 1181 Rauchbelästigung. Berhn, 5. VI. 1889 1183 Die Breslauer Schlachthofanlage. Berlin, 29. VI. 1881 1185 Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle. Berlin, 17. XII. 1884 1191 Über SaUnengärten. Berlin, 29. VII. 1885 1198 Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. Berlin, 1. XI. 18S7 1199 Die Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika. (Nach dem Manuskript des am 12. III. 1906 gehaltenen Vortrages in der Deutschen Kolonialgesellschaft Berlin- Charlottenhurg. ) 1206 Framboesia tropica und Tinea imbricata. ') Von Prof. R. Koch in Berlin. (Mit 5 Al)l)ildimgen.) Auf meinen Reisen in den Tropen habe ich nirgendwo so viel Hautkranke gesehen wie in Neu Guinea und auf den benachbarten Inselgruppen der Südsee. Ganz besonders sind es zwei Krankheiten, welche dem Reisenden in jenen Gegenden fast auf Schritt und Tritt begegnen. Es sind dies die Framboesia tropica und die Tinea imbricata. Die- selben sind seit längerer Zeit bekannt und vielfach beschrieben, aber es fehlt noch an guten AbbikUmgen, und ohne solche ist es trotz der besten Beschreibung nicht möglich, sich eine richtige Vorstellung von dem Aussehen dieser eigentümlichen Hautaffektionen zu machen. In der mir zugänglichen Literatur habe ich wenigstens keine Abbildungen finden können, welche den bescheidensten Ansprüchen genügt hätten'-). Ich habe des- wegen meinen Aufeiithalt im deutschen Kolonialgebiet der Südsee benutzt, um diese Lücke einigermaßen auszufüllen. Allerdings war es mir selbst nicht möglich, Photo- gramme herzustellen, da mein Apparat funktionsunfähig geworden war, aber durch das liebenswürdige und sehr dankensw^erte Entgegenkommen der Herren Privatdozent Dr. A. P f 1 ü g e r (Bonn), Missionar H. F e 1 1 m a n n (Raluana) und Plantagenbesitzer Parkinson (Ralim) bin ich in den Besitz einiger Photogramme gelangt, welche für den Dermatologen von Interesse sein können und welche ich auf Wunsch der Redak- tion des Archivs für Dermatologie zur Veröffentlichung in dieser Zeitschrift zur Ver- fügung gestellt habe. Einige kurze Bemerkungen, denen teils meine eigenen Beobachtungen, teils die Beschreibungen dieser Krankheiten in den Werken von S c h e u b e ^) und von M a n - s o n *) zugrunde gelegt sind, mögen zur Erläuterung der Photogramme dienen. I. Framboesia tropica (englisch: Yaws). Diese Kranlilieit soll in den Tropen weit verbreitet sein. Sie kommt angeblich in den verschiedensten Teilen von Afrika, in Westindien und in Ostindien, sowie auf den Inseln des indischen Archipels, auf den Molukken und in China vor. Aber am häu- figsten trifft man sie auf den Inselgruppen der Südsee. Ob es sich dabei überall um die- selbe Krankheit handelt, ist noch nicht ausgemacht. Nach den vorliegenden Beschrei- bungen zu urteilen, ist die im westlichen Afrika vorkommende und die von da nach West- 1) Aus Archiv für Dermatologie und Syphilis. LIX. Band, Heft 1. Wilhelm Braumüller, Wien und Leipzig, 1902. ^) Während des Druckes dieser Nummer ist in den Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheits- amte (Berlin 1901) Bd. XVIII, Heft 1 eine Arbeit von Bartels über Framboesie auf den Marschall- inseln erschienen, welche einige recht gute Abbildungen enthält. ^) B. S c h e u b e , Die Krankheiten der warmen Länder. Zweite Aviflage. Jena, 1900. *) P. M a n s o n , Tropical diseases. London, 1898. 682 Framboesia tropica und Tinea imbricata. indien vermutlich durch Sklaventransporte verschleppte Framboesie nicht dasselbe Leiden wie die in der Südsee vorkommende Form. In Südafrika und Ostafrika, auch in Britisch- und Niederländisch -Indien ist die Framboesie so wenig häufig, daß ich in diesen Ländern auch nicht einen einzigen FaU zu sehen bekommen habe; es ist mir des- wegen nicht unwahrscheinlich, daß es sich auch in den daselbst beobachteten Fällen Abb. 1. Kind aus Raluana (Blanchebai) mit Framboesia (photographiert von Herrn Missionar Fellmann). nicht um dieselbe Krankheit gehandelt hat, welche in der Südsee so massenhaft und immer zu Gruppen gehäuft vorkommt. Die Südseeframboesie ist ein ansteckendes Leiden und kann von einer Person auf andere verimpft werden. Das Überstehen derselben verschafft, wie bei so vielen an- deren Infektionskrankheiten, Immunität. In den Gebieten, wo sie eigentlich zu Hause Framboesia tropica und Tinea imbricata. 683 684 Framboesia tropica und Tinea imbricata. ist, tritt sie deswegen als Kinderkrankheit auf. Die Bewohner solcher Gegenden kennen dies Verhalten der Krankheit, sie wissen, daß jeder Mensch dieselbe einmal durchmachen muß. Auf den Fidschiinseln werden die Kinder, um sie die Krankheit leicht und schnell überstehen zu lassen, regel- recht damit geimpft^), so wie bei uns früher die Kander gegen Pocken variolisiert wurden. Die erkrankten Kinder, welche ich zu sehen bekam, befanden sich in dem Alter von ein bis zwölf Jahren; je älter sie waren, um so seltener fand sich bei ihnen das Leiden. Meistens waren sie in einem Zustande, wie ihn die Abb. 1 zeigt (das Photo- gramm ist von Herrn Mis- sionar Fellmann angefer- tigt). Das Kind ist an den Beinen, Armen, auf dem unteren Teil des Rückens, am Gesäß, vereinzelt auch im Gesicht und Nacken mit Ul- zerationen bedeckt, welche annähernd kreisförmig ge- staltet sind , vielfach zu Gruppen vereinigt sind, auch zusammenfheßen und da- durch unregelmäßige Begren- zungen erhalten. Sie sind von sehr verschiedener Größe, von derjenigen eines Hanf- kornes bis zum Durchmesser eines Fünfmarkstücks. Sie überragen immer das Niveau der Haut und erscheinen wie gewulstete, der Haut auflie- gende Granulationen. Die jüngsten derartigen Gebilde, welche ich gesehen habe, hatten eine große Ähnlich- keit mit jungen Pocken- pusteln. Sie bildeten er- habene Knötchen, waren von Epidermis bedeckt und zeigten ausgesprochene Dellen- bildung. Die größten Knoten sind immer von Epidermis entblößt, sezernieren eitrig- seröse Flüssigkeit und sind mit feuchten Borken und Krusten bedeckt, nach deren Abb. 4. Frau aus Ralum (Blanchebai) mit Tinea imbricata (photographiert von Herrn Plantagenbesitzer Parkinso n). 1) Scheub e 1. c. p. 326. Pramboesia tropica und Tinea imbricata. 685 Entfernung die polsterähnliche granulierende Masse zum Vorschein kommt. Größere derartige Wucherungen können breiten Kondylomen sehr ähnlich sehen, namentlich wenn sie neben dem Anus oder an den Geschlechtsteilen sitzen. Sie sind auch nicht allzu selten damit verwechselt worden. Einige Autoren, wie Hutchinson halten die Framboesie sogar für eine durch Rasse und Klima modifizierte Syphilis. Bei eiiiem und demselben Kinde kann man die verschiedensten Entwicklungs- stufen der einzelnen Knoten antreffen, ganz junge noch von Epidermis bedeckte Knoten, im Ulzerationsstadium befindliche in allen Größen und solche, welche schon ganz flach und blaß geworden sind, nicht mehr sezernieren und in Abheilung begriffen sind. Alle diese Übergänge sind auf Abb. 1 zu sehen. Das auf Abb. 2 und 3 abgebildete Kind, welches auf der Missionsstation in den Bainingbergen (Gazellenhalbinsel) von Herrn Dr. P f 1 ü g e r photographiert wurde, befindet sich in einem etwas früheren Stadium der Krankheit. Auf dem linken oberen Augenlid und dicht oberhalb des Skrotum be- finden sich ziemlich junge Knoten. Die jüngsten sind allerdings noch kleiner und pocken- ähnlicher. Dieses Kind zeigt auch besonders charakteristisch den Lieblingssitz des Exan- thems in der Umgebung des Mundes und in der Nähe des Anus und der Geschlechtsteile. Die Knoten kommen, wie die Verschiedenheit ihrer Entwicklung zeigt, nicht gleichzeitig zum Vorschein. Von Zeit zu Zeit scheinen immer neue zu entstehen, bis die Empfänglichkeit des Kranken für die Infektion erschöpft ist. Die Dauer der Krankheit zieht sich einige Monate bis über ein Jahr hin. Kleine Kinder können dem Leiden, wenn sie sehr stark davon befallen werden, erliegen. Auf der Insel Des-Lacs wurden mir mehrere Kinder gezeigt, welche sich infolge einer hochgradigen Framboesie in einem sehr elenden Zustande befanden und wohl kaum am Leben geblieben sind. Es wurde mir auch mit- geteilt, daß auf dieser Insel mindestens ein Drittel der Kinder an dieser Krankheit zu- grunde geht. Wenn die Framboesie nach einer Insel eingeschleppt wird, wo sie bis dahin noch nicht vorkam, dann soll sie auch Erwachsene ebenso wie die Kinder ergreifen. Aber ich habe nie davon gehört, daß Europäer Framboesie gehabt haben, obwohl sich die- selben doch bei ihrem Verkehr mit den Eingeborenen nicht selten der Infektion aus- setzen. Über den Erreger der Framboesie ist, obwohl verschiedene Bazillen und Mikro- kokken als solche beschrieben sind'-), nichts Zuverlässiges bekannt. IL Tinea imbricata. Auch diese I\j'ankheit scheint ihren Hauptsitz auf den Südseeinseln zu haben und sich von da aus nach China und den Straits Settlements mit dem von Jalu' zu Jahr zunehmenden Verkehr auszubreiten. Die Tinea wird durch einen dem Trichophyton tonsurans verwandten Pilz ver- ursacht, welcher im Rete malpighi wuchert. Ebenso wie der durch letzteren Pilz be- dingte Herpes breitet sich auch die Tinea kreisförmig aus, heilt aber nicht in der Mitte ab und bildet somit keine ringförmigen Zeichnungen auf der Haut. Sie bedeckt viel- mehr gleichmäßig das ganze von ihr befallene Hautgebiet und unterscheidet sich da- durch vom Herpes tonsurans auf den ersten Blick. Die erkrankte Epidermis löst sich in schmalen Lamellen von der Oberhaut ab; diese bleiben mit dem der Peripherie zu- gekehrten Rande fest sitzen und bekommen dadurch ein Aussehen, welches den reihen- ^) M a n s o n 1. c. p. 432. 2) S c h e u b e 1. c. p. 326. 686 Framboesia tropica und Tinea imbricata förmig sich deckenden Dachziegeln nicht unähnHch ist und der Krankheit ihren Bei- namen imbricata verschafft hat. Auf Abb. 4 ist eine Eingeborene der Gazellenhalbinsel abgebildet (Photogramm des Herrn Parkinson), welche die Tinea imbricata in ausgezeichneter Weise zeigt. An beiden Schultern, namentlich an der rechten, und am Bauche unterhalb des Nabels Abb. 5. Kind aus Raluana (Blanchebai) mit Tinea imbricata (photographiert von Herrn Älissionar F e 1 1 m a n n). ist die charakteristische Zeichnung so zu sehen, wie man sie nur da findet, wo die Haut nicht zerkratzt ist. Das Leiden verursacht einen Juckreiz, infolgedessen die Kranken ge- wöhnlich sich fortwährend kratzen und dadurch die regelmäßige Anordnung der La- mellen zerstören. Framboesia tropica und Tinea imbricata. 687 Bei Kindern habe ich gelegentlich meiner zahlreichen Untersuchungen auf Malaria nicht selten die ersten Anfänge des Leidens zu sehen bekommen, und ein solcher Fall, wo die Tinea, offenbar von einem Punkt auf der Brust ausgehend, sich ganz ungestört kreisförmig ausbreitete, hat Herr Missionar F e 1 1 m a n n photographisch festgehalten (Abb. 5). Bei Erwachsenen kommt die Tinea außerordentlich häufig vor, manchmal sind fast alle Einwohner eines Dorfes davon ergriffen. Aber die Erwachsenen sind dann immer über den größten Teil der Körperoberfläche, meistens am ganzen Körper damit be- deckt. Ich glaube deswegen, daß das Leiden schon in früher Jugend in der Art, wie Abb. 5 zeigt, beginnt, sich allmählich über den ganzen Körper ausbreitet und, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, wohl niemals spontan heilt. Irgendwelche wesentlichen Nachteile für die Gesundheit scheinen nicht damit verbunden zu sein. Ob chronische Anschwellungen der Lymphdrüsen, besonders der Inguinal- und Femoraldrüsen, welche ich bei Tineakranken auffallend häufig getroffen habe, mit dieser Hautkrankheit in Zusammenhang stehen, wird sich nur durch eingehende Untersuchung ermitteln lassen. Reiseberichte über Rinderpest, Bubonenpest in Indien und Afrika, Ttetse- oder Surrakrankheit, Texasfieber, tropische Malaria, Schwarzwasserfieber. Von Robert Koch. Einleitung. Die Rinderpest hatte in Afrika mehrere Jahre gebraucht, um in langsamem Zuge vom Norden nach dem Süden zu fortschreitend bis zum Zambesiflusse zu gelangen. Im Jahre 1896 überschritt sie den Fluß und breitete sich dann mit großer Geschwindig- keit über Transvaal, den Oranje-Freistaat und das Basutoland aus. Von Seiten der Kapkolonie, welche zunächst bedroht war, wurden die größten Anstrengungen gemacht, um die Seuche zum Stehen zu bringen. Es war an der Grenze ein zweifacher durch einige tausend Polizisten bewachter Stacheldrahtzaun gezogen, um das Eindringen von Menschen und Tieren, welche die Rinderpest hätten einschleppen können, zu verhüten. Wo sich trotzdem die Rinderpest diesseits des Zaunes zeigte, wurden ganze Herden als seuchenverdächtig getötet. Man verließ sich aber nicht allein auf diese Maßregeln, sondern entschloß sich, auch die moderne Wissenschaft zu Rate zu ziehen. So erhielt ich Ende Oktober 1896 telegraphisch die Aufforderung, nach Süd- afrika zu gehen und Untersuchungen über die Rinderpest anzustellen. Nachdem ich die Genehmigung des Kultusministeriums hierzu erhalten hatte, konnte ich bereits am 11. November die Reise antreten. Oberstabsarzt Dr. Kohlstock begleitete mich als Assistent. Am 1. Dezember in Kapstadt eingetroffen, begab ich mich alsbald nach Kim- berley, welcher Ort mir für die Anlage der Experimentalstation empfohlen war. Ich fand denselben auch sehr günstig gelegen, da jenseits der kaum eine Meile entfernten Grenze des Freistaates die Rinderpest sich auf mehreren Farmen gezeigt hatte und ein zur Ein- richtung des Laboratoriums geeignetes Grundstück nebst Gebäuden von der De Reers Company zur Verfügung gestellt war. Hier konnte ich mich bis Ende März 1897 mit Untersuchungen beschäftigen, welche hauptsächUch darauf hinausgingen, eine brauchbare Schutzimpfung gegen die Rinder- pest zu fmden. Inzwischen war in Bombay die Bubonenpest ausgebrochen und die deutsche Re- gierung hatte beschlossen, eine wissenschaftliche Mission dorthin gehen zu lassen. Mir wurde die Ehre zuteil, zum Führer dieser Mission ernannt zu werden, und ich mußte ^) Verlag von Julius Springer, Berlin. 1898. Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 689 infolgedessen meine Arbeiten in Kimberley abbrechen, glücklicherweise zu einer Zeit, als die Grundlagen zu den beiden Schutzimpfungsverfahren, welche sich später in der Praxis so vortrefflich bewährt haben, bereits gelegt waren. Meine Arbeiten wurden anfangs durch Oberstabsarzt Dr. K o h 1 s t o c k und Dr. Turner fortgesetzt; später, als Kohlstock nach Deutsch- Süd westafrika eilen mußte, um die Bekämpfung der Rinderpest daselbst zu leiten, trat Dr. Kolle, einer meiner Assistenten vom Institut für Infektionskrankheiten, an seine Stelle. Die Reise von Südafrika nach Indien, welche ich am 22. März 1897 antrat, ging nicht so schnell vonstatten, als ich es gewünscht hätte. Die direkten DampferUnien hatten wegen der Pestquarantäne die Fahrten eingestellt, und ich konnte nur auf dem Umwege über Ostafrika und Aden nach Bombay gelangen. So kam es, daß ich erst am 1. Mai Bombay erreichte, wo die deutschen Pestkommission unter Führung meines Stellvertreters, des Geh. -Rat Professor G a f f k y, den größten Teil ihrer Arbeiten bereits erledigt hatte. Es waren nur noch die Imnmnisierungsverhältnisse der Pest zu untersuchen, Avas die Tätigkeit der Kommission noch bis Ende Juni in Anspruch nahm. Damit waren ihre Aufgaben beendet und sie konnte sich zur Rückkehr nach Deutschland rüsten. Da ich schon vorher den Auftrag erhalten hatte, nach Abschluß der Arbeiten in Indien eine im Gebiet von Deutsch-Ostafrika in letzter Zeit beobachtete pestartige Krankheit zu untersuchen, so konnte ich die Pestkommission auch auf ihrer Heimreise nicht begleiten, sondern mußte nochmals nach Ostafrika gehen, wo ich am 12. Juli anlangte. Hier bot sich mir ein reiches Feld der Tätigkeit. Während Stabsarzt Z u p i t z a in das Innere des Landes ging, um mir das zur Erforschung der pestartigen Kranliheit erforderliche Untersuchungsmaterial zu verschaffen, konnte ich mich ungestört den Studien über tropische Malaria, über Texasfieber, Tsetse- oder Surrakrankheit der Rinder und über die sanitären Verhältnisse des für Besieclelungszwecke und zur Anlage eines Sanatoriuiiis in Aussicht genommenen Usambaragebirges widmen. Erst im Anfang Februar 1898 trafen die ersten Sendungen von Pestmaterial aus dem Innern in Daressalam ein, wo ich meinen Aufenthalt genommen hatte. Die Unter- suchung desselben führte sofort zu dem bestimmten und einwandfreien Ergebnis, daß die fragliche pestartige Krankheit echte Bubonenpest ist. Damit war auch die letzte der mir gestellten Aufgaben erledigt, und nachdem die übrigen noch im Gange befindlichen Arbeiten zu einem vorläufigen Abschluß ge- bracht waren, stand meiner Heimreise nichts mehr im Wege. Am 20. Mai 1898 traf ich nach anderthalbjähriger Abwesenheit in Berlin wieder ein. Während dieser Reise hatte ich fortlaufende Berichte zu erstatten, und zwar in Südafrika an den Minister für Landwirtschaft, Herrn F a u r e, aus Indien und Ost- afrika an den Staatssekretär des Innern Herrn Grafen von P o s a d o w s k y. Die Be- richte sollten zunächst nur Rechenschaft über meine Tätigkeit ablegen, aber sie sind auch zugleich gewissermaßen vorläufige Mitteilungen über die Ergebnisse meiner For- schungen. Sie enthalten manches, von dem ich annehmen darf, daß es für wissenschaft- liche Kreise von Interesse ist, und ich habe mich entschlossen, da die ausführliche Be- arbeitung des gesammten Materials nur stückweise und langsam vor sich gehen kann, diese Berichte jetzt schon, nachdem ich die Genehmigung dazu erhalten habe, zu ver- öffentlichen. Koch, Gesammelte Werke. 690 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. Kimberley, den 9. Dezember 1896^). Sir! Ich habe die Ehre, Ihnen über meine bisherige Tätigkeit betreffs Erforschung der Rinderpest wie folgt zu berichten: Am 5. Dezember 1896 morgens in Kimberley eingetroffen, besichtigte ich zunächst in Begleitung der Herren Dr. Turner, Dr. E d i n g - ton, welcher sich bereits auf der Reise in De Aar uns angeschlossen hatte, und meines Assistenten das von Dr. H u t c h e o n als wissenschaftliche Untersuchungsstation in Aussicht genommene Gehöft Victoria Compound. Dasselbe scheint mir ganz vorzüglich für meine Versuche geeignet zu sein. Ungefähr 3 km von Kimberley ent- fernt und durch Drahtzäune von jedem Verkehr abgeschlossen, bedarf es nur geringer baulicher Verbesserungen behufs zAveckmäßiger Unterbringung der Versuchstiere. Das auf dem Gehöft befindliche Haus enthält einige geräumige und gut beleuchtete Zimmer. Dieselben werden für Laboratoriumsarbeiten hergerichtet werden. Nach Besichtigung von Victoria Compound hatte ich kurze Besprechungen mit den vorgenannten Herren sowie mit dem um 2 Uhr nachmittags in Kimberley eingetroffenen Dr. H e n n i n g. Auf Grund derselben, besonders auf Anregung Dr. Edingtons, begab ich mich am Abend desselben Tages mit den Mehrgenannten — außer Dr. Hutcheon, welcher behufs Einrichtung der Versuchsstation und Ankaufs von Versuchstieren in Kimberley zurückblieb — nach der Untersuchungsstation Dr. Edingtons, an der Eisenbahn- station T a u n g s. Hier am 6. Dezember morgens eingetroffen, besichtigte ich die Ein- richtungen derselben, die Versuchstiere, Präparate und Kulturen. Von den Tieren war eines in der Nacht vom 5. zum 6. Dezember nach Angabe Dr. Edingtons 23 Tage nach Erkrankung an Rinderpest eingegangen, zwei andere waren krank. Die alsbald voij Mr. Robertson vorgenommene Sektion des eingegangenen Tieres ergab, daß dasselbe anscheinend an einer von den Tonsillen ausgegangenen sekundären Infektion zugrunde gegangen war. Kurze Zeit nach Beendigung der Sektion um 12,30 Uhr starb das eine der beiden krank befundenen Tiere. Auch dieses wurde sofort von Robert- son seziert. Diese Sektion ergab die charakteristischen Symptome der Rinderpest in verhältnismäßig frühem Stadium. Von beiden sezierten Tieren wurden Blut, Schleim und Organstücke gesammelt und zum Teil feucht, zum Teil trocken aufbewahrt. Am Nachmittage wurden fünf Rinder, welche inzwischen aus den westlich der Eisenbahn- station Taungs belegenen Dörfern angetrieben waren, besichtigt. Eins derselben zeigte sich frisch erkrankt. Nachdem dasselbe angekauft worden, wurde aus seiner linken Vena jugularis eine größere Menge Blut zu Versuchszwecken entnommen. Am 7. Dezember unternahm ich mit meinen Begleitern eine Fahrt nach der Stadt Taungs, wo eine große Anzahl pestkranker Rinder zu finden sein sollte. Ich fand jedoch kein Stück Vieh in der Stadt vor, da alles Rindvieh von den Einwohnern in die Berge getrieben worden war. Nach Angabe des Tierarztes Dr. S o g a hatten die Be- wohner von Taungs 20 000 Stück Vieh durch die Rinderpest verloren und glaubten die noch übrigen am besten dadurch, daß sie sie weit forttrieben, zu erhalten. Daher begab ich mich sogleich zur Untersuchungsstation Dr. Edingtons zurück. Hier wurde das Tags zuvor angekaufte Tier getötet und seziert; die Organe desselben zeigten die charakteristischen Symptome der Rinderpest. Auch von diesem Tier wurde Untersuchungs- bzw. Infektionsmaterial entnommen. Nachdem ich noch mehrere in vorgeschrittenem Stadium der Rinderpest befind- ') Dieser und die 3 folgenden Berichte sind auch (in fast gleichem Wortlaut), nach einer (von Dr. W. KoUe und Dr. H. Kossei besorgten) Übersetzung, der im „Agricultural Journal" er- schienenen Originalartikel, in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift 1897 Nr. 15/16 ver- öffentlicht. D. Herausgeber. Reiseberichte über r{in(leri)est usw. in Indien und Afrika. 691 liehe Tiere besichtigt und von einem frisch erkrankten Rind hatte Schleim auffangen lassen, kehrte ich in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember mit DDr. Turner, Henning und K o h 1 s t o c k nach Kimberley zurück. Hier waren inzwischen 20 Rinder, 10 Schafe und 10 Ziegen angekauft worden. Von diesen wurden 8 Rinder mit dem aus Taungs eingebrachten Material in der Weise infiziert, daß mit Infektionsflüssigkeit gefüllte Schwämmchen den Tieren in die Nase geführt wurden und darauf das Flötzmaul mit denselben bestrichen wurde. Zur Beobachtung der Tiere nach geschehener Infektion und zur Beaufsichtigung des Wartepersonals zog Dr. Henning nach dem Compound, vim daselbst bis auf weiteres zu verbleiben. Die Einrichtungsarbeiten in Haus und Ge- höft sind heute so weit fortgeschritten, daß ich schon morgen mit der Einrichtung des Laboratoriums beginnen kann. Dieselbe wird voraussichtlich Ende dieser oder Anfang nächster Woche beendet sein. Auch hoffe ich, daß zu derselben Zeit von den infizierten Tieren schon einige erkrankt sein werden, so daß ich dann mit den eigentlichen x4rbeiten beginnen kann. Mit Rücksicht auf die sehr günstigen Verhältnisse, welche das Victoria Compound bietet, beabsichtige ich diese Arbeiten so lange als möglich auf demselben fortzuführen und somit bis auf weiteres in Kimberley zu verbleiben. Was ich bisher in der Kapkolonie von der Rinderpest gesehen habe, läßt mir keinen Zweifel, daß dieselbe die echte Rinderpest ist. ~ Über die M i k r o o r g a n i s- men, welche Dr. Edington gefunden und kultiviert hat, konnte ich bisher noch zu keinem bestimmten Urteil konunen. Die Infektionsversuche mit diesen Kulturen erscheinen mir nicht beweisend, ich muß mir daher mein Urteil vorbehalten, bis ich selbst Versuche mit denselben angestellt habe. Zu diesem Zwecke hat mir Dr. Edington in bereitwilligster Weise die Abgabe von Kulturen zugesagt, auch in jeder übrigen Be- ziehung bei meinem Besuche in Taungs in dankenswerter Weise alles getan, was zur För- derung meiner Untersuchungen dienen komite. Auch die Unterstützung der übrigen mir von dem Gouvernement beigegebenen Herren muß ich mit dem Ausdrucke wärmsten Dankes anerkennen. Dieser Dank gilt in erster Linie Dr. T u r n e r, der nach jeder Richtung hin für unser Wohlbefinden in der denkbarsten Weise sorgt. Ich erhoffe bei solcher Unterstützung ein stetiges Fortschreiten meiner Arbeiten, über welche weiter zu berichten ich demnächst Gelegenheit nehmen Averde. Kimberley, den 30. Dezember ISiXi. Sir! Ich habe die Ehre, Ihnen über meine weitere Tätigkeit, betr. die Erforschung der Rinderpest, wie folgt zu berichten: Die Einrichtung der wissenschaftlichen Station auf dem Mctoria Compound ist seit zwei Wochen beendet. Von den drei Räumen, welche das Laboratorium innfaßt, enthält der größte und am besten belichtete die Mikroskopiertische für mich und meinen Assi- stenten Dr. K o h 1 s t o c k. In der Mitte des Raumes befindet sich ein großer Tisch, auf dem der größte Teil der notwendigen Instrumente und Apparate seinen Platz ge- ftniden hat. An den Wänden verteilt stehen die meine bakteriologische Ausrüstung enthaltenden Koffer, ein durch Dr. H u t c h e o n beschaffter Eisschrank, welcher die in ihm zur Aufbewahrung kommenden Präparate in sehr guter Weise konserviert, und endlich neuerdings ein von Dr. Edington überlassener Brütschrank, welcher mit Petroleumflamme zu heizen ist. Der Nebenraum enthält einen mit verschließbaren Schränken versehenen, die ganze Fensterwand einnehmenden Arbeitstisch. Auf dem- selben sind die drei Dampf kochapparate sowie das Mikrotom aufgestellt. Hier werden die Nährflüssigkeiten für Bakterienkulturen bereitet, Instrumente und Apparate steri- 89* 692 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. lisiert und mikroskopische Schnitte hergestellt. Auf einem Tische in der Mitte des Raumes werden Instrumente und Apparate für Untersuchungen und wissenschaftliche Opera- tionen kurz vor den letzteren vorbereitet bzw. nach denselben gereinigt und desinfiziert. Zur Aufnahme von Chemikalien befindet sich an einer Wand ein Regal, ebenso größere Behälter für verschiedene Zwecke. Daran stößt dann weiter das Arbeitszimmer meines Assistenten Henning. Derselbe führt hier seine Journale und Krankenblätter. Durch einen Ausgang gelangt man auf den ungefähr 80 m langen, (30 m breiten Hof. Die nörd- liche und westliche Hofwand werden von Ställen mit Veranden eingenommen, die Räume an der Ost- und Südwand sind durch Überdachung zu offenen, durch fast mannshohe Scheidewände voneinander abgeschlossenen Boxes eingerichtet. Am östlichen Ende der Nordwand, sowie am westlichen Ende der Südwand befindet sich je ein verschließ- bares Tor. Durch das letztere wird das für die wissenschaftlichen Versuche bestimmte Vieh eingebracht. Diese Rinder stehen 300 m vom Gehöft entfernt in eingefriedigtem Räume (Kraal). Das übrige Vieh ist bisher direkt vom Ankaufsplatz in den Hof gebracht worden. Durch das Nordtor wurden Abfallstoffe und Kadaver der eingegangenen Tiere in der weiter unten beschriebenen Weise fortgeschafft. In der Mitte des Hofes steht ein Pfosten, an dem Blutentziehungen und Injektionen unter Beobachtung aller Desinfek- tionsvorkehrungen an Rindern vorgenommen werden. Die gesamte Wasserversorgung für Haus und Hof geschieht aus der Wasserleitung. Von kleinen Versuchstieren sind Schafe und Ziegen unter den Veranden vor den Ställen, zwei Hunde unter der Veranda am Hause an Pfosten angekoppelt. Vögel, Kaninchen, Meerschweinchen, Schweine sind in Käfigen teils in den Stall veranden, teils in den offenen Boxes untergebracht. In den letzteren steht ein Maultier, welches als Zugtier für die Wagen dient, auf welchen der Dung und die Kadaver der eingegangenen Tiere fortgeschafft werden. Die Wagen laufen auf einem Geleise, welches an allen Viehställ^i und Ständen vorbeiführt und durch das nach Norden zu gelegene Tor zu einer 500 m von Compound gelegenen Anhöhe geht. Auf dieser ist eine 8 m tiefe Grube für Kadaver und Abfälle der an Rinderpest eingegangenen Tiere gegraben. Vor der Grube ist eine offene Zeltbarake für Obduk- tionen errichtet. Dieselbe dient zur Unterbringung der dazu notwendigen Instrumente und Apparate. Die Obduktionen selber werden unter freiem Himmel zwischen Grube und Zeltbaracke vorgenommen, um möglichst viel Belichtung bei Betrachtung der frei- gelegten Organe zu haben. Alle in die Grube geworfenen Kadaver werden zuerst mit einer Schicht von gebranntem Kalk und dann mit Erde bedeckt. Die Versuchsrinder stehen teils in offenen Boxes, teils in geschlossenen mit Doppel- dach, Fenstern und Veranda versehenen Ställen. Es soll in Zukunft so gehandhabt werden, daß die Tiere, welche die Rinderpest überstanden haben, ebenso wie die noch nicht in Versuch genommenen Tiere getrennt voneinander außerhalb des Hofes untergebracht werden und die in Versuch genommenen in die offenen Boxes kommen. Sobald bei den letzteren durch Temperatursteigerung der Krankheitsbeginn angezeigt ist, werden die- selben in die Ställe gebracht. In diesen kann ein Verwehen oder Verschleppen des Düngers oder beschmutzten Futters nicht stattfinden. Ich hoffe auf diese Weise Spontaninfek- tionen vermeiden zu können. Die einzige bis jetzt vorgekommene Spontaninfektion betrifft ein Tier, welches neben dem zuerst erkrankten und an Durchfall leidenden Tiere, beide im offenen Räume, gestanden hat, und zwar zu einer Zeit, als die Stände noch nicht durch Scheidewände voneinander abgeschlossen waren. Die Pflege und Wartung aller Versuchstiere geschieht unter Aufsicht der in Victoria Compound wohnenden Herren Henning, O'Donnoghue und Philipps durch das zum Teil recht gut eingearbeitete Personal in zweckmäßiger und Übertragung von Infektion nach Möglichkeit vermeidender Weise. Alle, die mit kranken Tieren in Eeisebericlite über Einderpest usw. in Indien und Afrika. 693 Berührung gekommen sind, desinfizieren sich sofort vorschriftsmäßig. Auch die Tem- peraturabnahmen werden so gehandhabt, daß ein Übertragen von Iixfektionsstoff durch dieselben als ausgeschlossen angesehen werden muß. Zu weiteren Beobachtungen über Rinderpesterkrankungen in der Nähe Kimberleys bot sich dank der Vermittelung Hutcheons zweimal ausgiebige Gelegenheit. So besuchte ich mit meinen beiden Assistenten am 22. Dezember die ungefähr 3/^ Stunden von dem Freetown-Gate im Oranje-Freistaat belegene Farm Tafel-Koop. Ich fand hier 23 Tiere in den verschiedenen Stadien der Rinderpest vor, zwei dem Tode nahe Rinder ließ ich mit Erlaubnis der Besitzerin töten und nebst einem inzwischen verendeten Tier durch Dr. Henning obduzieren. Bei der Obduktion erwiesen sich zwei Fälle als ältere, einer als eine frische typische Rinclerpesterkrankung. Von den lebenden Tieren wurde Nasenschleim, von den getöteten Tieren Galle, Blut und Präj^arate zu mikroskopischer Untersuchung bzw. zur Infektion entnommen. Meine zweite Fahrt unternahm ich am 29. Dezember mit Dr. K o h 1 s t o c k und O'D o n n o g h u e. Zuerst besuchte ich die nahe an dem Absperrungsgitter auf dem Gebiet des Freistaates gelegene Farm Roy-Fontein, deren Besitzer nach seiner Angabe seit dem Krankheitsausbruch am 13. Dezember von 60 Rindern 39 verloren hatte. Fin in der Nacht eingegangenes Rind ließ ich obduzieren. Die Obduktion ergab die charak- teristischen Erscheinungen der Rinderpest. Unter den noch lebenden Tieren waren Fälle in den verschiedensten Kranl?:heitsstadien vertreten. Dasselbe war auf einer entfernter gelegenen Farm Olifantsdamm der Fall. Hier war die Rinderpest angeblich am 12. De- zember ausgebrochen und hatte bisher von einem Bestände von 140 Haupt 40 Tiere daliingerafft. Ich fand vier in den letzten 12 Stunden eingegangene und zehn kranke Tiere. Das zuletzt gefallene Rind ließ ich obduzieren und fand die ausgeprägten Er- scheinungen der Krankheit. Von dem obduzierten Tiere wurde nur Blut zur Unter- suchung mitgenommen. Beide Besuchsfahrten gaben mir neben der speziellen mssen- schaftlichen Ausbeute ein interessantes Bild von dem Wesen, der Art der Ausbreitung und dem Verlavife der Rinderpest. Auf der letzten Faln-t war mir der Chef der Grenz- polizei im hiesigen Distrikt, Mr. Fenn, ein liebenswürdiger Begleiter wie auch Helfer bei den Obduktionen, was ich nicht unterlassen möchte, dankbar anzuerkennen. Die bisherigen Versuche, betreffend die Übertragung der Rinderpest auf Ver- suchstiere, sind zumeist darauf ausgegangen, einen zuverlässig wirkenden Infek- tions m o d u s zu finden. Als einen solchen kann man die früher geübten Arten der Infektion nicht ansehen, welche darin bestanden, den Versuchstieren Exkrete an Rinder- pest erkrankter Tiere, wie Nasenschleim, Tränenflüssigkeit. Darmausleerimgen, in die Nase zu bringen oder mit Hilfe eines Haarseiles in das subkutane Gewebe einzuführen. Bei diesem Verfahren war der Erfolg entweder an und für sieh nicht sicher, oder es war die experimentelle Krankheit durch Einführung von septischen Stoffen von vornherein mit Sepsis kompliziert; das hat sich auch in den von mir angestellten Versuchen be- stätigt. Wie bereits in meinem ersten Bericht erwähnt, wurden anfangs die Infektions- stoffe nur auf die Nasen- und Maulschleimhaut gebracht. Dabei erkrankte von den acht Tieren, welche mit Material von Taungs infiziert waren, nur eins. Dasselbe ist der Ausgangspunkt für eine Reihe von fortlaufenden Infektionsversuchen geworden. Bei einer zweiten Versuchsreihe mit Material aus Tafel-Kopp erkrankte von drei mit frischem Nasenschleim infizierten Tieren wiederum nur eins. Es schien mir daher nach den in früheren Epidemien gemachten Versuchen die subkutane Injektion von Blut ein in jeder Beziehung besserer Infektionsmodus zu sein. Denn wenn das Blut in einem früheren Stadium der Rinderpest entnommen wird, enthält es noch keine septischen »Stoffe, da- gegen den Ansteckungsstoff der Rinderpest. Diese Voraussetzung hat sich bisher als 694 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. vollkommen berechtigt erwiesen. Es sind bisher fünf Tiere durch Injektion von defi- briniertem Rinderpestblut infiziert worden und ohne Ausnahme nach einem Inkuba- tionsstadium von 3 bis 5 Tagen erkrankt. Vier von diesen Tieren sind bereits gestorben. Dieselben zeigten bei der Obduktion alle Kennzeichen der Rinderpest ; eines ist nach schwerer Krankheit genesen und soll zu weiteren Versuchen über Immunisierung dienen. Ich beabsichtige, durch fortlaufende derartige Blutinjektionen von einem Tiere zum anderen eine Infektionsreihe zu erhalten, welche mir beständig frisches Unter- suchungsmaterial liefert, und zwar sollen zwei solche Reihen, die eine von dem Material aus Taungs, die andere von dem aus Tafel-Kopp abstammend, fortgeführt werden. Es soll hierzu immer nur ein Tier in jeder der beiden Reihen infiziert werden, um die Versuche nicht zu kostspielig zu machen. Eine andere Versuchsreihe wurde mit der subkutanen Injektion von Galle an Rinderpest gestorbener Tiere ausgeführt. Die Ver- anlassung hierzu gab einmal die Verwendung von Galle in einem Gemisch mit Blut und anderen Flüssigkeiten zur Schutzimpfung, wie sie im Oranje-Freistaat mehrfach ausgeführt sein soll, dann aber auch der Umstand, daß ich in der Galle der meisten der bisher untersuchten Fälle eine Bakterienart in Reinkultur fand, welche der Beschreibung nach mit den von Dr. Simpson in Kalkutta gefundenen und für die Mikroben der Rinderjjest erklärten Bakterien übereinstimmte. Alle Infektions versuche mit Galle sind jedoch negativ ausgefallen. Man ist daher zu der Annahnie berechtigt, daß die Galle das Rinderpestkontagium nicht enthält, und daß die Simpson sehen Bakterien nicht als die Rinderpest- mikroben angesehen werden können. Alle Bemühungen, teils mit dem Mikroskop, teils durch Kulturen in dem Rinderpestblut einen spezifischen Mikroorganismus aufzufinden, sind bisher vergeblich gewesen. Ebensowenig ist es gelungen, unter dem Bakterien- gemisch, welches sich im Nasenschleim, im Sekret anderer Schleimhäute und im Inhalt des Darmes findet, irgendeinen spezifischen Organismus zu finden. Die darauf hin- zielenden Untersuchungen werden selbstverständlich noch fortgesetzt, aber der größte Nachdruck muß vorläufig darauf gelegt werden, irgendein Verfahren zu finden, mit Hilfe dessen der Ansteckungsstoff der Rinderpest so weit abgeschwächt wird, daß er sich zur Schutzimpfung verwenden läßt. Zu diesem Zwecke sind Übertragungsversuche auf andere für Rinderpest weniger empfängliche Tiere, in erster Linie auf Schafe und Ziegen, gemacht worden. So wurden am 14. Dezember von einem an Rinderpest kranken Tiere ein Kapschaf, ein Merinoschaf, eine Kapziege, eine Angoraziege mit Rinderpest- blut infiziert. Diese Tiere litten in der Folge nicht an auffallenden Krankheitserschei- nungen, aber sie bekamen sämtlich nach einer Inkubationsdauer von 2 bis 3 Tagen eine der Rinderpestkurve analoge Temperatursteigerung. Ein zweiter am 14. Dezember ebenfalls mit einem Kapschaf, einem Merinoschaf, einer Kapziege und einer Angora- ziege angestellter Versuch verlief in derselben Weise. Nachdem somit festgestellt war, daß bei diesen Tieren durch Injektion mit Rinderpestblut eine Art abgeschwächter Rinderpesterkrankung hervorgerufen werden kann, wurden am 24. Dezember von den genannten Tieren in zweiter Generation wiederum zwei Kap- und zwei Merinoschafe, zwei Kap- und zwei Angoraziegen infiziert. Auch bei diesen Tieren zeigte die (beginnende) Temperatursteigerung, daß es möglich ist, diese abgeschwächte Rinderpest innerhalb von Schafen und Ziegen weiter zu übertragen. Nach einer oder zwei weiteren Genera- tionen soll die RückÜbertragung des auf diese Weise in abgeschwächtem Zustande er- haltenen Rinderpestkontagiums auf frische Rinder versucht werden. Ahnliche Versuchsreihen sind mit anderen Tieren, Antilopen, Schweinen, Eseln, Maultieren, Hunden usw., 'im Gange bzw. sollen mit solchen ausgeführt werden. Ich habe ferner die Absicht, möglichst viele Tiere, welche in diesem Lande in Verdacht stehen, Eeiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 695 an Rinderpest erkranken oder die Weiterverbreitung der Rinderpest bewerkstelligen zu können, auf ihre Empfänglichkeit zu prüfen. Es dürfte sich empfehlen, zu diesen Versuchen auch Kamele heranzuziehen, um über die Immunität derselben gegen Rinder- pest eine endgültige Gewißheit zu erlangen. Endlich soll auch nach einer anderen Richtung hin versucht werden, ob durch chemische oder physikalische Einflüsse das R i n d e r p e s t b 1 u t zur Schutz- impfung verwertbar gemacht, d. h. in einen Vakzin verwandelt werden kann. Eine Gelegenheit, die gegen die Rinderpest in Südafrika angewendeten Heil- mittel und Schutzimpfungen in eingehender Weise zu prüfen, hat sich bis jetzt nicht geboten, doch sollen die mit Galle behandelten Tiere später mit virulentem Material nachgeimpft werden, um zu sehen, ob die Rinderpestgalle nicht irgendwelche schützen- den Eigenschaften hat. Gelegentlich der Besuche auf den durch Rinderpest verseuchten Farmen im Frei- staat stellte sich heraus, daß alle Tiere daselbst am Halse mit Knoblauch geimpft waren. Irgendeinen Nutzen hat diese Schutzimpfung augenscheinlich nicht gehabt. Auf einer Farm war ein Gemisch von Karbolsäure und Petroleum den Tieren prophylaktisch eingegeben worden. Auch dieses Mittel hat nicht das geringste genutzt. Dagegen muß jeder, der Gelegenheit hat, die Rinderpestverhältnisse an der Grenze des Freistaats in der Gegend von Kimberley kennen zu lernen, sich davon überzeugen, daß die bisher durchgeführte bedingte Grenzsperre ihren Zweck voll- ständig erfüllt hat. Auf der einen Seite der Grenze sind schon seit Wochen mehrere Farmen von der Rinderpest stark heimgesucht, während das diesseitige Grenzgebiet noch vollständig von der Krankheit frei ist. Mit Bezug auf den von Dr. E d i n g t o n gefundenen Rinderpestmikroben habe ich folgendes zu berichten: Herr Dr. E d i n g t o n hat mir am 28. Dezember 1896 eine in Fleischbrühe gewachsene Kultur überbracht und in meiner Gegenwart in zwei andere Röhrchen mit Fleischlirühe überimpft. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß die Kultur in diesen letzteren rein und kräftig gewachsen war, habe ich am 31. Dezember von beiden Kultvxren unter sorgfältigem Ausschluß der Möglichkeit spontaner Erkran- kung je einem gesunden Rinde eine Injektion gemacht. Uber den Erfolg derselben werde ich später berichten. Ferner möchte ich auch darauf aufmerksam machen, daß unter den drei in Taungs obduzierten Tieren eins an Texasfieber gelitten hat, wie sich schon am nächsten Tage bei der Blutuntersuchung herausstellte. Um bei Experimenten mit Rinderpest etwaige Irrtümer, welche sich durch Kombination mit Texasfieber ereignen könnten, zu ver- meiden, wird daher das Blut aller Tiere, welche zu meinen Injektionsversuchen benutzt werden, auf diese Krankheit hin untersucht. Bei den bisherigen Beobachtungen über die hiesige Rinderpest hat sich heraus- gestellt, daß die Erscheinungen in einigen Punkten von den Schilderungen früherer Beobachter etwas abweichen. So sind die exanthem- und diphtheritisartigen Verände- rungen der Schleimhäute des Maules und Gaumens nur wenig ausgesprochen gefunden, dagegen sind die frühzeitigen krankhaften Veränderungen im Darm recht bedeutend, ferner wurden bei 10 Obduktionen dreimal fibrinös-blutige Abscheidungen der Darm- wand beobachtet. Dieselben hatten zusammenhängende bis 1 m lange Gebilde erzeugt, welche wurstförmig einen vollkommenen Abguß der Darmwand darstellten und einen engen mit dünnflüssigem Darminhalt gefüllten Kanal einschlössen. Die genannten Gebilde lagen frei im Darm und bestanden aus abgelöstem Darmepithel, festen fibrin- artigen Massen und Blut. Worin diese Verschiedenheit begründet ist, ob in klimatischen Verhältnissen oder der Rasse der Tiere, vermag ich nicht zu sagen; im übrigen stimmen 696 Reiseberichte über Rinderpest visw. in Indien und Afrika. aber die Krankheitserscheinungen mit denen der echten Kinderpest so vollkommen überein, daß an ihrer Identität nicht zu zweifeln ist. Die von B u r d o n - S a n d e r s o n in den letzten englischen Epidemien gemachte Entdeckung, daß der Beginn der Krankheit schon mehrere Tage, bevor augenfällige Symptome eintreten, durch die Temperatursteigerung erkannt werden kann, konnte in jedem einzelnen Falle, der auf der Untersuchungsstation zur Beobachtung kam, be- stätigt werden. Es ist dies eine Tatsache von der größten Wichtigkeit, nicht allein für die experimentelle Untersuchung, sondern auch für die Praxis, da man auf diese Weise den Beginn der Krankheit schon zu einer Zeit erkennen kann, wo noch keine anstecken- den Ausscheidungen erfolgen und wo das an Rinderpest kranke Tier also noch nicht anstecken kann. Kimberley, 27. Januar 1897. Sir! Ich habe die Ehre, Ihnen über den Fortgang der Arbeiten in der Untersuchungs- station über Rinderpest folgendes zu berichten: In meinem letzten Bericht war mitgeteilt, daß mit den von Dr. Edington mir übergebenen Kulturen seiner Rinderpestmikroben zwei Tiere Injektionen erhalten hatten. Diese Tiere haben im Laufe von 3 Wochen nicht die geringste Temperatur- steigerung und auch sonst keine Krankheitserscheinungen gezeigt. Hieraus mußte ge- schlossen werden, daß die Edington sehen Mikroben nicht imstande gewesen sind, bei diesen beiden Tieren Rinderpest zu erzeugen. Es blieb nur noch übrig, den Beweis dafür zu führen, daß diese Tiere nicht etwa an und für sich unempfänglich für Rinder- pest gewesen sind. Zu diesem Zwecke wurden sie nach Ablauf der 3 Wochen mit Rinder- pestblut in der bisher bewährten Weise infiziert. Am 4. Tage nach der Injektion begann bei beiden Tieren die Temperatur zu steigen in derselben charakteristischen Weise, wie es bei allen übrigen bisher mit Blut infizierten Tieren der Fall gewesen ist; die Tiere zeigen auch die übrigen Erscheinungen, wie sie im ersten Stadium der Rinderpest auf- treten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dieselben infolge der Injektion an der Rinderpest erkrankt sind. Nach alledem halte ich mich zu dem Schluß berechtigt, daß die Edington sehen Mikroben nicht die Ursache der Rinderpest sind. Die Übertragungsversuche mit Schafen und Ziegen sind bis jetzt bis zur siebenten Generation fortgesetzt. Um zunächst Gewißheit darüber zu gewinnen, ob die in dieser Weise hervorgerufenen Erkrankungen auch durch wirkliche Rinderpest bedingt sind, wurde aus der zweiten Generation mit dem Blute einer Angoraziege ein Rind infiziert. Dieses Tier erkrankte unter allen Erscheinungen der Rinderpest. Der Krankheits ver- lauf war ein ziemlich schwerer, aber das Tier überstand die Krankheit und kann jetzt zu den hergestellten Tieren gerechnet werden. Dieser Fall erweckte die Hoffnung, daß in der Tat durch die Passage durch Ziegen ein milder Verlauf der Rinderpesterkrankung erzielt werden könnte. Es wurden deswegen, nachdem die Rinderpest fünfmal durch Ziegen und Schafe gegangen war, von einer Kapziege, Angoraziege, Merinoschaf und Kapschaf je ein Rind, also im ganzen vier Tiere infiziert. Alle vier Tiere sind nach einer auffallend kurzen Inkubationsfrist fast zur selben Stunde unter starker Temperatur- steigerung erkrankt. Zwei sind bereits nach sieben- bzw. achttägiger Krankheitsdauer gestorben, und zwar, wie die Obduktion ergeben hat, an einer so intensiven Rinderpest, daß an eine Abschwächung der Krankheit leider nicht zu denken ist; im Gegenteil hat es den Anschein, als ob die Rinderpest in den Schafen und Ziegen zu einer virulenteren Form herangezüchtet ist. Die Hoffnung, auf diesem Wege zur Gewinnung eines Vakzins zu gelangen, kann danach als gescheitert angesehen werden. Dagegen eröffnet sich die Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 697 Aussicht, mit Hilfe der gesteigerten Virulenz den Versuchstieren eine höhere Immunität zu verleihen, als dies durch das Überstehen der natürlichen Infektion ermöglicht ist, und diese Tiere deshalb brauchbarer für Immunisierungszwecke zu machen. Ganz ver- schieden war das Resultat bei den anderen zwei Tieren, von denen das eine mit Blut einer Angoraziege, das andere mit Blut einer Kapziege geimpft wurde. Das erste dieser beiden Rinder zeigte nämlich eine hohe Temperatur nur .5 Tage hindurch, fast keinen Durchfall, und ist nun wieder vollkommen hergestellt. Das andere, welches mit Blut von der Kapziege geimpft wurde, war von vornherein ein schwaches Tier und überstand die Krankheit nicht. Aber bei der Sektion stellte sich heraus, daß die pathologischen Veränderungen im Magen und Darm geringer waren als bei den Tieren, die mit Schaf- blut infiziert waren. In Übereinstimmung mit diesen Beobachtungen halte ich es für wahrscheinlich, daß das Rinderpestvirus durch eine wiederholte Passage durch Ziegen tatsächlich, wenn aucli langsam, abgeschwächt Avird, und ich beabsichtige daher, diese Experimente fortzusetzen. Da von den geimpften Schafen und Ziegen keine Tiere starben, so mußte, um einen Einblick in die krankhaften Veränderungen der inneren Organe zu gewinnen, ein Tier getötet werden. Dies ist auch geschehen, und ein Merinoschaf, welches eine besonders hohe und charakteristische Temperaturkurve hatte, durch Nackenstich ge- tötet. Bei diesem Tiere zeigte der vierte Magen sich kaum verändert, aber die Entzün- dungserscheinungen der Därme, Dickdarm, Mastdarm und auch der Nasenschleimhaut waren ganz die gleichen wie bei einem Rind, welches ungefähr in demselben Stadium der Krankheit getötet wird. Die so außerordentlich widersprechenden Angaben über die Rinderpest bei Schafen und Ziegen finden durch diese Versuche eine ungezwungene Erklärung. Es wird vielfach behauptet, und auch ich habe es auf Rinderpestfarmen im Freistaat gehört, daß die Schafe und Ziegen mit Rinderpestvieh zusammengehalten wurden, ohne daß dieselben erkrankt seien. Von anderer Seite wird dagegen mitgeteilt, daß die Rinderpest sich uiiter Schafen und Ziegen gezeigt habe, nachdem sie unter dem Rindvieh erloschen sei. und daß, wenn sie erst einmal diese Tiere ergriff, sie dann noch viele Opfer gefordert habe. Diese Widersprüche lassen sich dadurch erklären, daß Klein- vieh gelegentlich Rinderpest bekommt, aber nur so leicht erkrankt, daß es nicht bemerkt wird. Erst wenn die Seuche durch mehrfache fortlaufende Übertragung innerlialb des Kleinviehes sich zu einer virulenteren Form herangezüchtet hat, dann werden die Er- krankungen augenfällig, und es kommt auch zu Todesfällen, die dann nicht mehr als durch Rinderpest hervorgerufen zu verkennen sind. Um auf das Rinderpestvirus durch chemische Agentien einen abschwächenden Einfluß auszuüben, sind bislier folgende Versuche gemacht worden: Es wurde Rinder- pestblut mit Glyzerin in verschiedener Konzentration gemischt, ebenso mit Phenol. Die mit diesen Mischungen injizierten Tiere sind überhaupt nicht krank geworden. Es muß selbst das Glyzerin ausreichend gewesen sein, um das Rinderpestvirus abzutöten, was um so bemerkenswerter ist, als fast alle Infektionsstoffe, namentlicli aucli das Pocken- virus, durch Glyzerin nicht geschädigt, sondern eher konserviert werden. Diese Tiere erhielten hinreichend lange Zeit nach der ersten Injektion eine Injektion mit frischem Rinderpestblut und sind nach der gewöhnlichen Zeit an Rinderpest erkrankt. Das mit Phenolblut injizierte Tier ist dagegen gesund geblieben; es ist nicht unmöglicli. dal.'i bei diesem Tiere die erste Injektion einen schützenden Einfluß gehabt hat. Ich liabe deshalb diesen Versuch an mehreren Tieren wiederholt und hoffe, schon bald über den Ausgang berichten zu können. Da eine hinreichende Verdünnung von Blut nnt destil- liertem Wasser die roten und weißen Blutkörperchen zerstört und möglicherweise einen schädigenden Einfluß auf das Rinderpestvirus ausüben konnte, so wurde Rinderpest- 698 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. blut 20fach mit destilliertem Wasser verdünnt injiziert. Dieses Tier ist allerdings etwas später als gewöhnlich, aber ebenso schwer als die übrigen Tiere, erkrankt und an Rinder- pest gestorben. Um zu sehen, wie weit man überhaupt die Verdünnung des Rinderpestblutes treiben kann, ohne seine Wirksamkeit zu beeinträchtigen, wurden dann weiter folgende Ver- suche gemacht. Es wurde frisches Rinderpestblut mit der sogenannten physiologischen Kochsalzlösung (0,6%) verdünnt und davon 1 ccm injiziert. Das so infizierte Tier er- hielt also nur V50 ^^^^ Blut. Auch dieses Tier erkrankte trotz der so geringen Menge des Infektionsstoffes in derselben Zeit und unter denselben schweren Erscheinungen, wie diejenigen Tiere, welche bei dem gewöhnlichen Infektionsverfahren 10 ccm, also die 5000 fache Menge an Infektionsstoff erhalten hatten. Ein sehr bemerkenswertes Experiment ist noch folgendes: 10 ccm Blut, also die gewöhnliche Dosis, wurde bei mäßiger Temperatur (3P C) getrocknet, 4 Tage aufbewahrt, dann mit einer entsprechenden Menge Wasser wieder aufgelöst und einem Rinde injiziert. Dies Tier blieb völlig gesund, woraus hervorgeht, daß das Rinderpestvirus das Trocknen selbst für kurze Zeit nicht zu überstehen ver- mag. Es ist dies ein für die Praxis außerordentlich wichtiges Faktum, und es soll des- wegen in der Folge versucht werden, ob auch andere Träger des Infektionsstoffes, nämlich die Haut und der Dünger von Rinderpesttieren, sich ebenso verhalten wie das Blut und ebenfalls durch Trocknen unschädlich gemacht werden. Das getrocknete Blut hatte das damit injizierte Tier nicht mehr krank gemacht, aber es hat dasselbe auch nicht vor späterer Erkrankung geschützt, denn infolge einer weiteren Injektion mit frischem Blut ist es in der gewöhnlichen Weise an Rinderpest erkrankt. Von den bisher mit Rinderpest infizierten Tieren haben vier die Krankheit über- standen, und ich hatte in meinem letzten Bericht bereits erwähnt, daß das Blut derselben zu Immunisierungsversuchen Verwendung finden sollte. Ehe ich hierzu überging, glaubte ich mich doch davon überzeugen zu müssen, daß diese Tiere auch wirklich völlig immun gegen die Rinderpest seien. Es wurden deswegen zu gleicher Zeit ein frisches und zwei von Rinderpest genesene Tiere in ganz gleicher Weise mit Rinderpestblut injiziert. Der Erfolg dieses Versuches war der, daß das frische Tier an Rinderpest erkrankte und starb, die beiden anderen aber nicht die geringste Krankheitserscheinung, auch nicht einmal eine Spur von Temperatursteigerung zeigten. Nachdem somit die vollkommene Immu- nität dieser Tiere festgestellt war, wurde dem kräftigsten derselben eine größere Menge Blut entzogen und daraus Serum gewonnen. Von diesem Serum erhielt ein frisches Tier 100 ccm unter die Haut gespritzt und am nächsten Tage ccm Rinderpestblut. Dieses Tier ist bis zum 6. Tage gesund geblieben und hat dann eine größere Dosis von frischem Rinderpestblut, nämlich 1 ccm erhalten^). Ein zweites Tier erhielt nicht zuerst Serum und dann Rinderpestblut, sondern sofort eine Mischung von beiden, welche zuvor eine Nacht im Eisschrank gewesen war. Da dieses letzte Tier gleichfalls bis zum 6. Tage gesund bheb, erhielt es am 7. Tage ebenfalls eine größere Menge Rinderpestblut injiziert. Beide Tiere sind auch nach dieser zweiten Injektion bis jetzt gesund geblieben. Ein drittes Tier ist direkt mit dem Blute des immunen Tieres infiziert worden und hat nach 11 Tagen ccm Rinderpestblut injiziert erhalten. Die Versuche ergaben, daß Serum solcher immunen Rinder eine gewisse Schutz- kraft besitzt. Wie weit dieselbe geht, und ob sie sich für die Praxis verwerten läßt, wird sich erst durch weitere Experimente feststellen lassen. ') Anmerkung. Dieser Versuch bildet den Ausgangsi^unkt für die spätere Immunisierung mit Hilfe der Kombination von Serum und virulentem Blut. K. Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 699 Die Übertragung der Rinderpest auf andere Tiere als Wiederkäuer ist bis jetzt in ziemlich großem Umfang versucht worden. Es ist aber bisher nicht mit Sicherheit gelungen, irgendeine Tierspezies aufzufinden, welche an der Rinderpest erkranken kann, außer Ziegen und Schafen. Von Vögeln kann man mit Sicherheit beliaupten, daß sie für Rinderpest unempfänglich sind. Es wurden Hühner, Tauben, Perlhühner und Kra- niche geimpft, ohne jeden Erfolg. Ein Adler und ein Sekretär sind wochenlang mit großen Mengen Eingeweiden an der Pest gefallener Rinder gefüttert worden, ohne daß es ihnen im geringsten geschadet hat. Hunde haben sich vollständig immun erwiesen. Auch ist es nicht gelungen, die Rinderpest auf Esel zu übertragen. Nagetiere (Mäuse, Meer- schweinchen, Kaninchen) sind völlig immun. Nur bei Schweinen hat es den Anschein, als ob die Übertragung gelingen könnte. Die Versuche darüber sind noch im Gange. Die Einrichtungen der Versuchsstation haben sich auch ferner durchaus bewährt, da keine unbeabsichtigten Infektionen vorgekommen sind. Zu weiteren Beobachtungen über Rinderpest und zur Gewinnung von Material hat ein Besuch von mehreren Rinder- pestfarmen im Freistaat und ein kleiner, aber bald unterdrückter Ausbruch der Rinder- pest in einem N'ororte von Kimberley uns erwünschte Gelegenheit geboten. Kimberley. den 10. Februar 1S!»7. Sir! Ich habe die Ehre, Ihnen einige sehr wichtige Resultate mitzuteilen, welche die Untersuchungen auf der Station in Kimberley ergeben haben. In meinem letzten Bericht konnte ich mitteilen, daß das Bhitserum von Rindern, welche die Rinderpest überstanden haben, eine deutlich immunisierende Wirkung hat. Diese Eigenschaft ist indessen eine mu' geringe. Es bedarf 100 ccm eines solchen Serums, um ein anderes Tier gegen Infektion mit einer kleinen Dosis von Rinderpestblut zu schützen. Auch ist diese Immunität ihrem Wesen nach nur eine passive und kann nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit einen Schutz gewähren. Für die Schutzimpfung im großen ist deswegen ein derartiges Serum für sich wohl kaum zu gebrauchen. P^s ist mir aber gelungen, durch eine Kombination von Serum und virulentem Rinder- pestblut in bestimmten Dosen mehrere Tiere innerhalb 14 Tagen so weit zu immuni- sieren, daß sie eine Injektion von 20 ccm frischen Rinderpestbhites (die 10 000 fach tödliche Dosis) ertragen haben, ohne krank zu werden. Ich schließe daraus, daß diese Tiere erheblich stärker immunisiert sind. Allem Anschein nach sind sie sogar aktiv immunisiert. In diesem Falle sind sie genau so immunisiert wie ein Tier, welches die Rinderpest überstanden hat. Besonders wichtig ist es auch, daß für diese Art der Immu- nisierung höchstens 20 ccm erforderlich sind, so daß mit einem Liter Serum 50 Tiere immunisiert werden können. Meine weiteren Unterstichungen über dieses Verfahren werden dahin gehen, zti finden, ob eine noch kleinere Dosis von Serunt anwendbar sein wird, ob die Immunität in noch kürzerer Zeit und womöglich mit einer einzigen In- jektion zu erreichen sein wird. Eine zweite ebenso wichtige Tatsache ist die, daß mit der Galle von Rindern, welche an Rinderpest gestorben sind, andere Tiere immunisiert werden können. In diesem Falle genügt eine einzige Injektion von 10 ccm Galle unter die Haut. Die Immunität tritt am 10. Tage, vielleicht noch früher ein: sie ist eine so beträchthche. daß einem Tiere noch 4 Wochen nach der Injektion 40 ccm Rinderpestblut injiziert werden konnten, ohne ihm im geringsten zu schaden. Auch hier scheint es sich um eine aktive Immuni- sierung zu handeln. Die Tiere bekommen an der Injektionsstelle eine harte Schwellung von etwa Faustgröße, welche im Laufe von einigen Wochen wieder vollständig ver- 700 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika schwindet, vorausgesetzt, daß die Galle noch nicht in Zersetzung übergegangen war, was öfters bei den an Rinderpest gestorbenen Tieren vorkommt. In letzterem Falle kann es zu einer Abszeßbildung kommen, welche indessen den Immunisierungsprozeß nicht zu beeinträchtigen scheint. Diese beiden hier berichteten Tatsachen geben mir die Überzeugung, daß mit Hilfe derselben die Rinderpest sich ohne Schwierigkeit und in nicht zu langer Frist beseitigen läßt. Die Immunisierung mit Serum in der angegebenen Weise kann dazu dienen, um rinderpestfreie Gegenden von den infizierten durch einen breiten Gürtel vom immunisierten Gebiet abzuschließen. Die Schutzimpfung mit Galle dagegen wird in den infizierten Gebieten von unberechenbarem Nutzen sein. Jeder Todesfall an Rinder- pest liefert eine mehr oder weniger große Menge von Schutzstoff für die noch nicht in- fizierten Tiere des betreffenden Ortes. Ich kann nicht dringend genug raten, dieses Verfahren so schnell als möglich zur Kenntnis aller Viehbesitzer zu bringen, deren Vieh bereits infiziert oder von der Infek- tion unmittelbar bedroht ist. Es können dadurch täglich Tausende von Tieren dem Leben erhalten bleiben. Die Technik der Schutzimpfung ist bei beiden Verfahren eine sehr einfache, aber es wird doch zweckmäßig sein, Tierärzte und auch andere dazu geeignete Personen jetzt schon dazu anlernen zu lassen, und ich erkläre mich bereit dazu, die Unterweisung in der Untersuchungsstation in Kimberley zu übernehmen. Auch wird es sich empfehlen, jetzt schon darauf Bedacht zu nehmen, daß in anderen Teilen des Landes Filialstellen der Zentralstelle von Kimberley eingerichtet und mit geeigneten Persönlichkeiten be- setzt werden. Nachdem sich die Verhältnisse in bezug auf die Bekämpfung der Rinderpest so günstig gestaltet haben, halte ich es, bezugnehmend auf das Telegramm vom 6. d. M., nicht mehr für nötig, Versuche mit Kamelen anzustellen. Kimberley, den 10. März 1897. Sir! Ich habe inzwischen Gelegenheit gehabt, die Schutzimpfung mit Galle, wie ich sie in meinem letzten Bericht beschrieben habe, auf einer von der Rinderpest ergriffenen Farm im Freistaat praktisch zu erproben. Diese Farm, Susanna, etwa 4 Meilen von der Grenze im Freistaat gelegen, war wochenlang rings umgeben von Rinderpest, ohne selbst infiziert zu werden, so daß man glaubte, dieselbe würde verschont bleiben, nament- lich da der Farmer (Mr. L i s c h i n g), ein sehr intelligenter Mann, alles aufbot, um die Infektion von seiner Farm fernzuhalten. Aber trotz aller Bemühungen kam die Rinder- pest, und zwar zuer.st unter dem Vieh der zur Farm gehörigen Kaffern zum Ausbruch, so daß in diesem Fall, wie in so vielen anderen, die Einschleppung der Seuche dem ^'er- kehr von Kaffern mit anderen Kaffern auf infizierten Farmen zugeschrieben werden muß. Der Ausbruch erfolgte am 20. Januar, ich besuchte die Farm am 2. Februar und fand den Bestand von 180 Haupt Rindvieh bereits stark infiziert, 27 Rinder waren be- reits tot, mindestens 50 zeigten mehr oder weniger deutliche Symptome von Rinderpest, 44 Tiere, welche noch gesund erschienen, waren von den übrigen getrennt und am Tage zuvor von einem anderen Farmer mit einem Präparat geimpft, welches derselbe vom Herzen und der Blase eines Rinderpesttieres genommen und hergestellt hatte. Auf meinen Vorschlag, mit den übrigen noch gesund erscheinenden Tieren einige Versuche mit Schutzimpfung anzustellen, ging Herr Lisching bereitwillig ein. Die Impfung wurde schon am nächsten Tage ausgeführt, und zwar wurden 18 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 701 kranke Tiere zum größeren Teil mit Blut, welche.s mit Phenol versetzt war, zum kleineren Teil mit Galle injiziert. 10 Tiere, welche noch gesund erschienen, erhielten dasselbe Phenolblut, und 29 ebenfalls gesund erscheinende und bis dahin separiert gehaltene Tiere erhielten Galle injiziert ; die bei diesem Versuch benutzte Galle stammte von einem Tier, welches am Tage zuvor auf der ExperimentaLstation nach sechstägiger Krankheit an Rinderpest gestorben war; dieselbe hatte eine dunkelgrüne Farbe, war fast klar und hatte denselben Geruch wie die Galle von einem gesvinden, eben geschlachteten Tier. In den folgenden Tagen habe ich die Farm wiederholt besucht und konnte folgendes konstatieren : Die mit Galle injizierten Tiere bekamen sämtlich mehr oder weniger starke An- schwellungen an der Injektionsstelle. Manche gingen infolgedessen einige Tage lahm. Diese Anschwellung verlor sich indessen in der 2. Woche und war bald darauf ganz verschwunden. Keines der Tiere hatte einen Abszeß infolge der Impfung gehabt. Am 6. Tage nach der Impfung erkrankten 4 Tiere unter Rinderpestsymptomen. Von diesen starben drei und eines, welches die Krankheit in leichterem Mal.]e gehabt hatte, genas wieder. Wenn man die Inkubationsfrist berücksichtigt, dann sind diese Tiere höchst- wahrscheinlich schon vor der Impfung infiziert gewesen. Aber auch am Tage der Impfung selbst konnte die Infektion erfolgt sein, da die Tiere, um für die Impfung niedergeworfen und gefesselt zu werden, in einen Kraal gebracht werden mußten, in welchem die rinder- pestkranken Tiere bisher jede Nacht gehalten worden waren. Der Boden in diesem Kraal war mit Rinderpestkot bedeckt, er war feucht und es konnte nicht vermieden werden, daß die Tiere beim Niederwerfen sehr stark mit Rinder- pestdünger beschmutzt wurden. Später, am 20. Februar, erschien ein Tier aus dieser Gruppe krank, es hatte höhere Temperatur, fraß nicht, hatte aber keinen Durchfall und auch sonst keine Rinderpest- symptome. Dasselbe wurde schon am nächsten Morgen tot auf der Weide gefunden, es ist deswegen nicht wahrscheinlich, daß es an Rinderpest eingegangen ist. Leider konnte eine Untersuchung dieses Tieres nicht vorgenommen werden, weil die Eingeweide beim Auffinden schon von Geiern aufgefressen worden waren. Im übrigen sind bei diesen mit Galle geimpften Tieren keine Krankheitssymptonie vorgekommen, obwohl sie vom 8. Tage ab mit der übrigen infizierten Herde zusammengelassen wurden, sie hatten immer gut gefressen und zeigten immer ein gutes Aussehen. Das Gesamtresultat für diese Gruppe ist also, wenn ich den letzten zweifelhaften Fall auch noch als Rinderpest rechne, daß von 29 Tieren unter so außerordentlich un- günstigen Verhältnissen, wie geschildert, durch eine einzige Injektion 25 erhalten worden sind. Um aber ganz sicher zu sein, daß diese Tiere wirklich innnunisiert sind, habe ich am 15. Februar vier Tieren, welche beliebig herausgegriffen wurden, eine Injektion mit virulentem Rinderpestblut gemacht. Die Tiere wixrden dadurch nicht im gering3ten krank gemacht, während zwei andere nicht mit Galle vorher injizierte Tiere, welche zur Kontrolle auf der Experimentalstation mit demselben Blut injiziert wurden, schwer erkrankt und an Rinderpest gestorben sind. Im Gegensatz hierzu ergab sich für die anderen Tiere der Farm folgendes : Von den 10 mit Phenolblut injizierten Tieren sind drei nicht erkrankt und am Leben geblieben, die übrigen sind gestorben. Von den 18 kranken Tieren, welche Phenol- blut und Galle erhalten hatten, sind sechs mit dem lieben davongekommen. Die -±4 von dem Farmer mit Herz- und Blasenpräparat Geimpften wurden sämtlich krank, zehn davon sind gesund geworden. Von 80 Tieren, nnt denen nichts geschehen ist, sind nui" sieben davongekommen. Diese letztere Zahl entspricht dem gewöhnlichen Verlust auf den von Rinderpest ergriffenen Farmen. 702 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. Denn in allen Fällen, die mir zur Kenntnis gekommen sind, sind ungeiähr 90% des Bestandes durch die Rinderpest verloren gegangen. Das Resultat, welches ich in diesem Falle mit der Galleninjektion erhalten habe, muß demnach als ein sehr zufriedenstellendes bezeichnet werden. Es beweist aber auch noch, daß die Galleninjektion auch auf einer Rinderpestfarm, wo die natürliche In- fektion in Frage kommt, genau dieselbe gute Wirkung hat, wie bei den Versuchen in der Experimentalstation, wo die immunisierten Tiere durch die künstliche Infektion mit Rinderpestblut nachgeprüft werden mußten. Ich will meinen Bericht über meine Schutzimpfung auf der Farm Susanna nicht abschließen, ohne die tatkräftige Unterstützung mit Anerkennung zu erwähnen, welche mir Mr. Fenn, der Inspektor of Police an der Freistaatgrenze, besonders bei Temperatur- messungen und Obduktionen geleistet hat. Um für die in der Station von mir künstlich immunisierten Tiere ebenfalls den Beweis zu liefern, daß sie gegen die natürliche Infektion geschützt sind, habe ich fünf derselben, und zwar 3 mit Galle und 2 mit Serum immunisierte Tiere seit länger als 3 Wochen in den Stallungen zwischen die rinderpestkranken Tiere gestellt; sie standen so eng zusammen, daß sie von rinderpestkranken Tieren berührt wurden und daß ihr Futter von der Ausleerung derselben beschmutzt wurde. Keines dieser Tiere ist krank geworden. In bezug auf die Immunisierung durch Rinderpestgalle habe ich eine Menge Experimente angestellt, welche teils darüber Auskunft geben sollen, in welcher Weise die Galle am besten anzuwenden ist, teils eine Aufklärung über das eigentliche Wesen dieses merkwürdigen Prozesses geben sollen. Zu diesem Zwecke wurde zunächst ein Kontrollversuch mit der Galle eines ge- sunden Tieres gemacht; derselbe ergab, daß eine derartige Galle keinen immunisieren- den Effekt hat. Auch die Galle von rinderpestkranken Tieren ist nicht von vornherein wirksam, denn Galle von einem Rinderpesttiere genommen, welches am 3. Tage nach der Temperatursteigerung getötet war, schützte das injizierte Tier nicht vor Rinder- pest. Ebenso ist die Galle von solchen Tieren, welche die eigentliche Rinderpest über- standen haben, aber an Nachkrankheiten leiden oder sterben, von gar keiner oder sehr zweifelhafter Schutzwirkung. Am besten hat sich mir immer eine Galle bewährt, wie ich sie auf der Farm Susanna gebraucht habe, deren Eigenschaften bereits bei der Be- schreibung dieses Versuches charakterisiert sind. Aus theoretischen Gründen habe ich den Versuch gemacht, der Rinderpestgalle mehr oder weniger große Mengen virulenten Rinderpestblutes beizumischen. Es ergab sich dabei das sehr wichtige Resultat, daß die Galle imstande ist, erhebliche Mengen von Rinderpestblut unschädlich zu machen, wenn das Blut mit der Galle gut gemischt ist. In einem Falle wurde sogar ein Gemisch von 5 ccm Galle und 5 ccm Blut ohne Anstand vertragen und das betreffende Tier durch die Infektion immunisiert. Es hat sogar den Anschein, als ob der Zusatz von Rinder- pestblut zu Rinderpestgalle die immunisierende Eigenschaft der letzteren erhöht, und ich halte es nicht für unmöglich, daß weniger wirksame Rinderpestgalle, d. h. solche, welche von Tieren in beginnender Krankheit entnommen ist, auf diese Weise zu einem wirksamen Präparat gemacht werden kann, und daß selbst die Galle von gesunden Tieren in gleicher Weise benutzt werden kann. Die hierauf bezüglichen Experimente sind im Gange. Wenn dieselben ein gutes Resultat haben, dann würde man jederzeit imstande sein, beliebig große Mengen von einem sehr stark immunisierenden und gleichmäßig wirkenden Präparat herzustellen. Für die Praxis haben diese Versuche schon insofern eine Bedeutung, als es nicht nötig ist, bei der Entnahme der Galle die Verunreinigung mit Blut ängstlich zu vermeiden. Reiseberichte ül)er Rinderpest usw. in Imlien und Afiika. 703 Ein anderes Experiment sollte dazu dienen, den Zeitpunkt genauer zu ermitteln, in welchem die immunisierende Eigenschaft der Galleninjektion beginnt. Es wurden vier Tiere mit 10 ccm Galle injiziert, welche einem auf der Farm Su- sanna an Rinderpest gestorbenen Tiere entnommen worden war. Von diesen Tieren wurde Nr. 1 am 2. Tage nach der Injektion mit viruloitem Blute injiziert, Nr. 2 am 4., Nr. 3 am G., Nr. 4 am 8. Tage ebenso behandelt. Nr. 1 erkrankte und starb an Rinderpest, als ob gar keine Schutzimpfung vor- genommen wäre. Nr. 2 erkrankte an einer sehr leichten Rinderpest und wurde bald wieder gesund. Nr. 3 und 4 zeigten überhaupt keine Krankheitssymptome und wurden so stark immunisiert, daß sie 20 ccm frisches Rinderpestblut ohne Reaktion vertrugen. Hieraus kann man den Schluß ziehen, daß die Innnunität nach Anwendung dieser Galle spätestens am (>. Tage eingetreten ist. Um zu sehen, ob mit geringeren Dosen als solchen von 10 ccm Immunität erzielt werden könne, infizierte ich drei Tiere mit je 1, 2 und 5 ccm Rinderpestgalle und gab ihnen 10 Tage darauf 0,2 ccm Rinderpestblut. Alle drei Tiere erkrankten in der Folge an schwerer Rinderpest; das Tier, welches 5 ccm Galle erhalten hatte, genas, die anderen beiden starben. Es folgt aus diesem Versuch, daß eine Injektion von weniger als 10 ccm Rinder- pestgalle nicht genügt, um ein Rind gegen Rinderpest zu immunisieren. Meine Versuche über die Immunisierung mit Serum von gesalzenen (immuni- sierten) Tieren sind noch nicht so weit abgeschlossen, daß ich ein definitives Urteil über das Mischungsverhältnis von Serum und Rinderpest blut abgeben kami, aber ich habe so viel Anfragen in bezug hierauf erhalten, daß es mir zweckmäßig erscheint, jetzt schon über das zu berichten, was sich mir bisher als das beste Mischungsverhältnis ergeben hat. Ich benutze das Blut von Tieren, welche die Rinderpest überstanden haben, und überzeuge mich durch eine Nachinjektion von 20 ccm frischen Rinderpestblutes davon, daß dasselbe auch wirklich immunisiert. Das Blut wird durch Venaesektion aus der Vena jugularis entnommen und in gut gereinigten verschließbaren GlasgefäL^en auf- gefangen. Es bleibt 24 Stunden an einem möglichst kühlen Ort stehen und darf in dieser Zeit nicht angerührt werden. Es hat sich dann ein Gerinnsel gebildet, welches in dem ab- geschiedenen Serum schwimmt. Dieses Servnn wird mit einer Saugpipette abgenommen und sofort im Verhältnis von 1,0 : 100 ccm mit frischem Rinderpestblut gemischt, d. h. es kommt auf !)!) Teile Serum I Teil Rinderpestblut. Diese Mischung bleibt ungefähr 12 Stunden bei gewöhnlicher Temperatur stehen und muß dann von Zeit zu Zeit um- geschüttelt werden. Nach Ablauf dieser Zeit werden dem zu immunisierenden Tiere 20 ccm dieses Gemisches am Halse injiziert. Man erhält auf diese Wei^jC eine gewisse Grundimmunität, dieselbe ist zwar erheblich niedriger als die durch die Galleninjektion erzielte, aber man kann sie sehr rasch durch weitere Blutinjektionen hinauftreiben. Ich habe zu diesem Zwecke am 7. Tage nach der ersten Injektion 1 ccm, wieder 7 Tage darauf 20 ccm Rinderpestblut gegeben. Leider ist es mir bis jetzt nicht gelungen, das Serum außer im Eisschrank längere Zeit unter Erhaltung seiner vollen immunisierenden Wirksamkeit zu konservieren. Sollte es sich als notwendig erweisen, das Serum in konservierter Form anzu- wenden, dann wird nichts anderes übrigbleiben, als dasselbe in einem Vakuumajjparat zu trocknen, ein Verfahren, welches sich bei anderen Serumarten vorzüglich bewährt hat. In Fortsetzung meiner Versuche über getrocknete Rinderpeststoffe sind an mehreren Tieren Dünger, Fleisch und Haut von Rinderpesttieren nach 14tägigem Eintrocknen 704 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. an einem schattigen Platze und nachdem sie in Wasser aufgeweicht waren, verfüttert worden. Diese Tiere sind ganz gesund gebheben. Demnach ist der Schluß gerechtfertigt, daß das Rinderpestvirus in den verschiedensten Formen durch Trocknen sehr rasch getötet wird und daß der Trockenprozeß eines der einfachsten und besten Verfahren ist, um Rinderpeststoffe unschädlich zu machen. Nachtrag zu den vorstehenden Berichten über Rinderpest. Über die weitere Entwicklung der von mir entdeckten beiden Immunisierungs- verfahren gegen Rinderpest habe ich noch folgendes mitzuteilen. In bezug auf die Immunisierung mit Galle hat sich später herausgestellt, daß der Impfschutz nur 3—5 Monate dauert. Für eine planmäßige Bekämpfung der Rinder- pest würde dies vollkommen ausreichend sein, da der Infektionsstoff der Rinderpest sehr schnell abstirbt, wie die Austrocknungsversuche gezeigt haben. Eine Dauerform des Rinderpest virus gibt es nicht. Wo aber die GaUenimpfung zeitlich und örtlich un- gleichmäßig ausgeführt wird, da kann es nicht ausbleiben, daß die geimpften Tiere teil- weise wieder infiziert werden, nachdem der Impfschutz erloschen ist. Letzterer ver- schwindet aber nicht plötzhch, sondern nur allmählich, und so kommt es, daß die mit Galle vorgeimpften und später infizierten Tiere mehr oder weniger leicht erkranken und meistens mit dem Leben davonkommen, dann aber auch dauernd geschützt sind. Will man diese spätere Infektion nicht vom Zufall abhängig machen, sondern zu einer Zeit eintreten lassen, wenn noch ein genügender Impfschutz vorhanden ist. dann muß man etwa 3 Monate nach der Galleninjektion eine Impfung mit virulentem Rinderpestblut " " ^en lassen. Nach die^ ^Grundsätzen hat Oberstabsarzt K o h 1 s t o c k die Bekämpfung der Rinderpest in Deutsch- Südwestfrika durchgeführt, und zwar mit dem Erfolg, daß, nachdem man im Juni 1897 mit der planmäßigen Galleninjektion begonnen hat, die Rinderpest im November 1897 in der Kolonie vollständig ausgetilgt war. In manchen Herden betrugen die Verluste nur wenige Prozente, in anderen ging es nicht so glück- lich; es hing das natürlich davon ab, in welchem Umfange die betreffenden Herden bereits infiziert waren. Im großen und ganzen kann man rechnen, daß 75% des Viehbestandes der Kolonie gerettet sind. Im Freistaat haben sich die Verhältnisse ähnlich gestaltet; es sollen nach brief- lichen Mitteilungen, welche ich von zuverlässiger Seite erhalten habe, ebenfalls ungefähr 75% der Tiere gerettet sein. In der Kapkolonie ist man etwas zögernd und weniger planmäßig mit der Gallen- impfung vorgegangen. Trotzdezn sollen nach einer Mitteilung von T h e i 1 e r, welcher sich auf Hutcheon beruft, 1 ^ Millionen (nach K o 1 1 e 2 Millionen) Tiere durch die GaUenimpfung gerettet sein. Nach diesen Erfolgen kann man wohl sagen, daß sich die Gallenimpfung glänzend bewährt hat, namentlich wenn man bedenkt, daß das Verfahren unter den schwierigsten Verhältnissen und fast nur in Herden zur Ausführung gekommen ist, welche bereits infiziert waren. Das zweite Verfahren der Immunisierung durch die Kombination von Serum und virulentem Blut ist später von K o 1 1 e und Turner noch dahin verbessert, daß es ihnen gelungen ist, die Tiere höher zu immunisieren. Infolgedessen kann man mit Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 705 erheblich geringeren Mengen von Serum auskommen und kann ein derartiges Serum auch zur Behandlung bereits erkrankter Tiere verwenden. Die Resultate, welche mit dem so verbesserten Verfahren erzielt sind, sollen sehr günstige gewesen sein. Zahlenangaben darüber habe ich bislang nicht erhalten. Die Rinderpest ist überall da, wo mit dem einen oder dem anderen der beiden Ver- fahren energisch vorgegangen ist, bald geschwunden, und sie soll nacli den letzten Nach- richten schon fast erloschen sein. Auf jeden Fall hat der Entschluß der Regierung des Kaplandes, im Kampfe gegen die Rinderpest die Wissenschaft zu Hilfe zu rufen, für Südafrika die segensreichsten Folgen gehabt. Bombay, den U. Mai 1897. Eurer Exzellenz beeln'c ich )nich über den derzeitigen Stand der Arbeiten der Kommission^) und über die noch zu erledigenden Aufgaben ganz gehorsamst zu berichten. Die Kommission hat bisher über den Verlauf der Epidemie, über das anatomische und klinische Verhalten der Pest und über die Eigenschaften des Krankheitserregers ein umfangreiches und sehr wertvolles Material gesammelt, welches die Unterlagen für die richtige Beurteilung des Wesens der Krankheit, ihrer Verbreitungsweise und der Maßregeln zu ihrer Bekämpfung zu geben imstande ist. Da die hierauf bezüglichen Arbeiten, namentlich aucli in iln-em experimentellen Teil, nahezu beendigt sind, so konnte man an den Abschluß derselben vnid an die Rückkehr der Kommission denken. Hierzu scheint mir indessen der richtige Zeitpunkt, und zwar aus folgenden Gi'ünden, noch nicht gekommen zu sein. Das lehrreichste und deswegen wichtigste Pestexperiment, welches sich ohne unser Zutun vor unseren Augen vollzieht, ist die Epidemie selbst, und dieses Experiment ist noch nicht zu Ende. Es haf allerdings den Anschcj^T'.t als ob die Epidemie über die Grenzen der Präsidentschaft Bombay nicht hinausgeb ,»vird, und als ob sie. nachdem die größeren Städte Bombay, Karrachee und Poona nai. jzu durchseucht sind, im schnellen Abnehmen begriffen ist. Aber das Aufflackern der Seuche in C'utch-Mandvie während der letzten Wochen lehrt doch, daß man vor Überraschungen noch nicht sicher ist. Und gerade solche Beispiele wie das von Mandvie, wo die in Bombay usw. gemachten Er- fahrungen bereits zur Anwendung kommen konnten, geben am besten einen Maßstab dafür ab, ob die Abwehrmaßregeln, wie sie jetzt in der Präsidentschaft ausgeübt werden, wirklich den Wert besitzen, den man ihnen zuschreibt, oder ob der Grund für die Ab- nahme der Epidemie in den großen Städten nicht vielmehr in dem natürlichen Gang der Seuche zu suchen ist, während die Maßregeln daran nicht oder doch nur in beschränk- tem Maße beteiligt sind. Sollte sich aber bei näherer Untersuchung eines solchen Seuchen- ausbruchs, wie anzunehmen ist, herausstellen, daß nur die mangelhafte Anwendung der an und für sich guten Maßregeln die Schuld an dem unerwarteten Umsichgreifen der Pest getragen hat, dann wird es nicht minder lehrreich sein, die Fehler, welche gemacht wurden, kennen zu lernen, um sie gegebenenfalls vermeiden zu können. Es scheint mir allerdings nicht erforderlich zu sein, daß die Kommission das vollständige Erlöschen der Epidemie abwartet, aber solange sich noch so wichtige Ereignisse ab- spielen, wird sie dieselben doch in Indien selbst beobachten und womöglich an Ort und Stelle untersuchen müssen, da sie aus der Ferne betrachtet sehwerlicli im richtigen Lichte erscheinen werden. ^) Die vom Deutschen Reii-h zur Erforschung der Pest entsandte Exjieditiun stand bis zur Übersiedlung Kochs aus Britisch-Südafrika nach Boniliay unter der Leitung von Geli. .Med. -Rat Prof. Gaf fky (vgl. p. 689). D. Herausgeber. Koch, Gesammelte Werke. 90 706 Reiseberichte über Rinderj^est usw. in Indien und Afrika. Eine weitere Aufgabe, welche die Kommission noch zu erledigen hat, besteht dar- in, daß sie ein möglichst zuverlässiges Urteil über die Yersinsche Serumbehandlung der Pest und die H a f f k i n e sehe Präventivimpfung zu gewinnen sucht. Ganz ab- gesehen von der Frage, ob diese Methoden für die Praxis jemals eine große Bedeutung gewinnen werden, so haben sie doch ein so hohes wissenschaftliches Interesse, und es wird ihnen von der ganzen gebildeten Welt soviel Aufmerksamkeit geschenkt, daß es eine Lücke in dem Werke der Kommission bilden würde, wenn dieselben nicht in vollem Umfange gewürdigt werden. Die Kommission hat auch von Anfang an, wie aus dem ersten Berichte derselben hervorgeht, diese Aufgabe in ihr Programm aufgenommen und bereits vor meiner Ankunft eine Anzahl orientierender Experimente ausgeführt. Sie glaubte aber, daß weitere Untersuchungen wegen der langen Zeit, welche sie be- anspruchen würden, besser in Deutschland auszuführen seien; dazu kam noch, daß es an Versuchstieren mangelte. Letzteres Hindernis ist jetzt glücklicherweise beseitigt, da mit der zurückkehrenden Bevölkerung Bombays sich auch die Tierhändler wieder eingefunden haben, mit deren Hilfe die Versuchstiere zu beschaffen sind. Infolgedessen konnten die Arbeiten über die künstliche Immunisierung und über die Wirkung des Serums immunisierter Tiere wieder in größerem Umfange aufgenommen werden, und ich werde nicht verfehlen, schon bald über den Fortgang derselben zu berichten. Bombay, den 26. Mai 1897. Eurer Exzellenz beehre ich mich über die weitere Tätigkeit der Pestkommission ganz gehorsamst nachstehenden Bericht zu erstatten. In der portugiesischen Stadt Damaon, etwas mehr als 100 englische Meilen nörd- lich von Bombay an der Küste gelegen, herrschte die Pest seit einiger Zeit in besonders heftiger Weise, so daß sich die englischen Behörden veranlaßt gesehen hatten, die Grenze des portugiesischen Territoriums streng abzusperren; aüßerdem hatte gerade an diesem Orte Dr. H a f f k i n e eine große Anzahl von Schutzimpfungen nach seiner Methode vorgenommen. Es bot sich hier die Gelegenheit, zu gleicher Zeit eine Epidemie, welche auf abgegrenztem Gebiet und in übersichtlicher Weise verlief, und die Wirkung der Haffkine sehen Schutzimpfung zu studieren. Ich nahm daher das Anerbieten Dr. Haffkines, mit ihm nach Damaon zu gehen, bereitwillig an und reiste in Gemein- schaft mit Geheimrat G a f f k y und Dr. Haffkine am 18. Mai dorthin. Der portu- giesische Gouverneur Oberst Jose Kuchenbuch Villa r, gestattete uns nicht nur, an Ort und Stelle alle erforderlichen Nachforschungen anzustellen, sondern nahm uns auch aufs freundlichste in seiner Wohnung auf. Das, was wir in Damaon über den Verlauf der Seuche in Erfahrung brachten und was sich bei der Besichtigung des Ortes unseren Augen bot, ist für das Verhalten der Pest in so vielfacher Beziehung interessant, daß ich nicht unterlassen möchte, einiges davon mitzuteilen. Die Stadt Damaon liegt an der Mündung eines kleinen Flusses und wird durch diesen in zwei Teile getrennt, von denen der nördlich gelegene etwa 10 000, der südliche 5 — 6000 Einwohner hat. In den Monaten Dezember, Januar und Februar waren ver- einzelte Pestfälle unter Flüchtlingen, welche aus Bombay und Karrachee gekommen waren, beobachtet, aber es kam nicht zu einer eigentlichen Epidemie. Erst im Anfang des März entwickelte sich unter der Fischerbevölkerung des Ortes ein Pestausbruch, welcher schnell um sich griff und bis jetzt etwa 2500 Menschen weggerafft hat. Sehr bemerkenswert ist es nun, daß dieser Ausbruch vollständig auf den nördlichen Stadt- teil beschränkt geblieben ist und in diesem den vierten Teil der gesamten Bevölkerung vernichtet hat. Als Grund für das Verschontbleiben des südlichen Städtteiles wurde uns die strenge Absperrung desselben gegen jeden Verkehr mit dem verseuchten Teil Reiseljerichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 707 angegebeil. Da es uns nicht gelang, irgendeinen Unterschied in bezug auf Boden, Er- nährung, Zusammensetzung und Beschäftigung der Bevölkerung der beiden Stadtteile aufzufinden, so müssen wir allerdings die Absperrung, welche sich wegen der natürlichen Trennung der Stadtteile leicht durchführen ließ, als die Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung ansehen, welche lehrt, daß die Pest weder durch Luft noch durch Wasser, wenigstens in dem vorliegenden Falle auf eine Entfernung von wenigen 100 m verschleppt werden konnte. Es sind zwar auch in dem südlichen Stadtteil vier Pestfälle vorgekommen, doch sind dieselben sämtlich von der anderen Seite des Flusses herübergekommen oder hatten sich dort infiziert. Dieselben wurden glücklicherweise frühzeitig entdeckt und samt ihren Angehörigen sofort nach dem infizierten Stadtteil transportiert. Also nur der menschliche Verkehr, und zwar der Mensch selbst, bildete hier den Träger des Pest- kontagiums, und auch nur durch diesen, und nicht etwa durch V/areii oder ähnliche Gegenstände war die Pest nach Daniaon gebracht; denn die ersten Fälle heften sich mit aller Bestimmtheit auf Pestkranke zurückführen, die mit einem Küstenfahrzeug von Karrachee nach Damaon gekommen und hier zu ihren Angehörigen in dem fast aus- schließlich von Fischern bewohnten Viertel gebracht waren. Erst hier fand die Pest einen Boden, auf dem sie Fuß fassen konnte. Die früher eingeschleppten Fälle hatte der Zufall in weniger unreinliche und weniger dicht bevölkerte Häuser geführt, in denen sie unschädlich geblieben waren. In dem Fischerviertel lebt die ärmste, schmutzigste und am dichtesten zusammengedrängte Bevölkerung des Ortes in niedrigen Häusern, welche nur wenige dunkle, mit schmutzigem Hausrat, Lumpen, Abfall aller Art gefüllte Wohn- räume umfassen. Kaum hatten die Einwohner des Viertels gemerkt, daß die Pest unter ihnen ausgebrochen war, als sie in Angst und Schrecken zum großen Teil ihre Häuser verließen und sich am Seestraiide in Hütten und Zelten, die in aller Eile aus Rudern, Bootsstangen und Bastmatten aufgerichtet wurden, ansiedelten. Hier zeigte sich nun ein anderer für die Pest charakteristischer Zug, auf den in früheren Berichten der Kommission bereits aufmerksam gemacht ist. Unter den aus ihren Häusern geflohenen Menschen traten nur noch vereinzelte Pestfälle auf, aber in den infizierten Häusern des nur zum Teil entvölkerten Stadtviertels hauste die Pest in ungeschwächter Weise weiter; sie kroch von einem Hause zum anderen und von einer Straße zur folgenden, erreichte das benachbarte Quartier der Moliamedaner, wo sie schreckliche Verwüstungen anrichtete, gelangte auf der anderen Seite fortschreitend in eine von Schneidern be- wohnte Straße, die sie ihrer ganzen Länge nach durchzog; dann ergriff sie die sich daran anschließende Straße der Kaufleute und breitete sich so langsam über den ganzen Ort aus. Nur in einem Falle hatte sie gewissermaßen einen Sprung über mehrere Straßen hinweg nach einem anderen, an der entgegengesetzten Seite des Ortes gelegenen Vierte] gemacht, das ebenfalls, wie das erstergriffene, von Fischern bewohnt war und dieselben für das Einnisten der Pest günstigen Verhältnisse bot wie jenes. Hier wiederholte sich gewissermaßen derselbe Vorgang wie im Beginn der Epidemie, nur mit dem LTiiter- schiede, daß dort die Seuche von Karrachee hereingeschleppt, hier dagegen aus geringer Entfernung durch Fischerfamilieii, welche von dem einen Viertel des Ortes in ein anderes flohen, übertragen wurde. Vielfach waren Flüchtlinge aus der Stadt in die benach- barten Dörfer gegangen, ohne daß sie, wenigstens bis jetzt, Veranlassung zu Pestaus- brücheii in denselben gegeben hätten. Warum die Pest sich so hartnäckig an die mensch- lichen Wohnuiiaeii heftet, warum sie nicht sich sofort über weitere Teile einer Stadt breitet, sondern hausweise weitergeht, und was die Ansteckung von einem Haus zum Nachbarhaus vermittelt, das läßt sich nur vermutungsweise sagen. Physikalische Vor- gänge, welche sich im Boden abspielen, können es nicht sein, da sich diese Erscheinung auf Boden von der verschiedensten Beschaffenheit wiederholt. Das einzige, was vor- 90* 708 Eeiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. läufig, abgesehen von der Art des menschlichen Verkehrs, zur Erklärung dienen kann, sind die eigentümlichen Beziehungen der Ratten und ähnlichen Ungeziefers zur mensch- lichen Pest. Aus vielen Orten ist berichtet, daß dem Ausbruch der Pest eine seuchen- artige Krankheit und massenhaftes Sterben der Ratten voranging. In Damaon ist dies zwar nicht der Fall gewesen, aber durchaus zuverlässige Personen teilten uns mit, daß. nachdem die Pest ausgebrochen war, in vielen Häusern kranke und tote Ratten gesehen wurden. In einzelnen Häusern sollen auch zuerst tote Ratten gefunden und kurz darauf Pesterkrankungen vorgekommen sein. Von dem Zusammenhang der Ratten- und Menschen- pest waren die Einwohner von Damaon so überzeugt, daß manche schon ihre Häuser verließen, wenn sie eine tote Ratte fanden. Augenblicklich sollen im nördlichen Damaon die Ratten verschwunden sein, vermutlich sind sie alle von der Seuche hinweggerafft. In dem südlichen von der Pest verschonten Teil von Damaon hat man dagegen von einer Rattenpest nichts bemerkt ; das Ungeziefer soll dort in gleicher Weise sein W esen treiben wie früher. Bekanntlich hat man auch den Schweinen eine ähnliche Bedeutung in bezug auf die Verbreitung der Pest zuschreiben wollen wie den Ratten. In Damaon hat sich etwas Derartiges nicht gezeigt. Wir sahen zahlreiche Schweine in den Straßen der Stadt umherlaufen und im Unrat wühlen, aber es wurde uns von allen Seiten versichert, daß auffallende Krankheiten unter denselben während der ganzen Pestzeit nicht vorgekommen seien. Ebensowenig sollen Hunde, Katzen und andere Haustiere erkrankt sein. Unter der durch Tod und Flucht stark gelichteten Bevölkerung von Damaon hat die Pest zwar schon erheblich nachgelassen, aber wir konnten doch noch in dem Hospital und in den Häusern eine beträchtliche Anzahl von frisch Erkrankten und von Rekonvaleszenten besichtigen. Das Hospital, welches eigentlich für die Verpflegung von Leprösen bestimmt ist, liegt ziemlich weit von der Stadt entfernt ; es hat Platz für 20 Kranke und war zur Hälfte belegt. Ein wenige Stunden vor unserer Ankunft erfolgter Todesfall gab Gelegenheit zu einer Obduktion, bei welcher die typischen Ver- änderungen der Beulenpest konstatiert und zahlreiche Pestbakterien in einem Bubo der Achselhöhle und in der Milz nachgewiesen wurden. Den in ihren Wohnungen auf- gesuchten Pestkranken schien es zwar nicht an Pflege seitens ihrer Angehörigen und an ärztlicher Behandlung, um so mehr aber an Luft und Licht zu fehlen. Nicht selten sollen aber auch die Erkrankten von ihren Angehörigen in kleine am Meeresstrande abseits gelegene Mattenhütten gebracht und dort ihrem Schicksal überlassen worden sein, und es gewährte einen recht traurigen Anblick, als wir diese Hütten aufsuchten und in einer derselben einen etwa 15jährigen schwer pestkranken Jungen fanden, der, in bewußtlosem Zustande am Boden liegend, nur mit wenigen Lumpen bedeckt war und um den sich anscheinend niemand kümmerte. In bezug auf die Maßregeln, welche von den Behörden und den Einwohnern zur Bekämpfung der Seuche ergriffen waren, ist zu erwähnen, daß mehrere portugiesische Ärzte zur Hilfe gesandt waren, daß die Straßen nach Kräften gereinigt, viele Häuser mit Kalkanstrich versehen, ihre Dächer, um Luftzutritt zu schaffen, teilweise abgedeckt, manches Haus sogar ganz abgerissen wurde. Auch von den Desinfektionsmitteln war fleißig Gebrauch gemacht worden. Einen merklichen Erfolg hatten diese Maßregeln indessen nicht gehabt. Um so mehr konzentrierte sich unser Interesse auf die H a f f - k i n e sehen Schutzimpfungen. Dieselben waren in zwei Terminen an nahezu 1400 Per- sonen ausgeführt. Die erste Massenimpfung hatte Ende März an etwa 800 Personen stattgefunden, die zweite Mitte April. Die erste fiel noch in die Zeit, als die Epidemie im Ansteigen befindlich war, die zweite traf mit dem Höhestadium der Epidemie zu- sammen. Zu den Geimpften gehörten fast sämtliche in Damaon ansässige Parsen. Die- selben, etwa 300 an der Zahl, bilden den wohlhabendsten und intelligentesten Teil der Reisel)erichte iibei' Kinderpest usw. in Indien und Afrika. 709 Einwohner. Außerdem hatten die Parsen ihre Bediensteten und die von ihnen abhän- gigen Arbeiter veranlaßt, sich impfen zu lassen. Es wird möglich sein, über diese ziemlich zahlreiche Bevölkerungsgruppe ganz genaue Angaben in bezug auf Zeit und Resultat der Impfung später zu erhalten. Aber es ließ sich auch jetzt schon nach den Mitteilungen einiger hervorragender Mitglieder der Parsengemeinde und nach den Angaben der Ärzte ein Urteil über die H a f f k i n e sehe Schutzimpfung gewinnen, welches durch die spä- teren zahlenmäßigen Daten wohl keine Änderung mehr erfahren dürfte. Bei der H a f f k i n e sehen Impfung werden von einem flüssigen Präparat, das aus abgetöteten Pestkulturen hergestellt ist, bestimmte Mengen in den Oberarm oder am Bauche eingespritzt. Wir hatten Gelegenheit, der Impfung von etwa 100 Personen beizuwohnen, und konnten bemerken, daß Erwachsene 2toCcm, größere Kinder 1 ccm und kleinere Kinder ccm injiziert erhielten. Die darauffolgenden Reaktionen, welche in Anschwellung und Schinerzhaftigkeit der Injektioiisstelle mit geringem Fieber be- stehen, sind sehr wechselnd, sie fehlen manchmal gänzlich und können mitunter recht stark sein, gehen aber in der Regel nach ein bis zwei Tagen spurlos vorüber. \Venn es möglich ist, wird die Injektion nach 8 — 10 Tagen wiederholt, und zwar mit einer etwas stärkeren Dosis. Gewöhnlich bleibt es aber bei einer einzigen Impfung, weil die Geimpften sich später nicht wieder vorstellen. In Damaon waren die Parsen und ihr Anhang zweimal, die meisten übrigen Personen nur einmal geimpft. Was nun die Schutzwirkung des Haff k i n e sehen Verfahrens anbetrifft, so ließ sich sofort ersehen, daß eine solche bei den in Damaon Geimpften unzweifelhaft bestand. Man würde allerdings einen Fehler begehen, wenn man ohne A'orbehalt die Gruppe der geimpften Personen der übrigen nicht geimpften Bevölkerung gegenüber- stellen und in bezug auf Pesterkrankungen vergleichen wollte; denn die Parsen, welche nach der Impfung von Pest fast frei geblieben sind, hatten auch vor derselben keine Pestfälle gehabt. Aber unter den übrigen Geimpften, welche hauptsächlich aus Hindus bestanden, war im Verhältnis zu den nicht geimpften Hindus der Unterschied in der Pestmortalität ein ganz erheblicher. Wir müssen dem H a f f k i n e sehen Verfahren somit eine hohe Schutzwirkung zuerkennen, Avas, nebenbei bemerkt, auch durch unsere Tierversuche vollständig bestätigt wird. Aber der Schutz ist kein absoluter. Es wurden uns 24 Fälle namhaft gemaclit, in welchen nach der Impfung sich Pest mit tödlichem Ausgange entwickelt hatte. Bei einigen von diesen war die Pest in den ersten Tagen nach der Impfung eingetreten, und es war anzunehmen, daß in diesen Fällen die An- steckung stattgefunden hatte, bevor der Impfschutz, welcher immer eine gewisse Zeit zu seiner Entwicklung braucht, eingetreten war. Sie können deswegen nicht als miß- lungene Schutzimpfungen bezeichnet werden. Aber es bleiben dann immer noch unge- fähr 20 Fälle, welche trotz der Impfung der Pest zum Opfer gefallen waren. Diesen 20 Opfern gegenüber stehen aber auf der anderen Seite der Nichtgeimpften mehr als 1000. Daß der Impfschutz nur ein bedingter ist, war auch daraus zu erkennen, daß unter den Geimpften nicht wenige Pesterkrankungen (Zahlen ließen sich hierfür nicht beschaffen), aber mit auffallend mildem Verlauf vorgekommen waren. Die Bubonen gingen in solchen Fällen nicht in diffuse Infiltrationen über, sondern grenzten sich früh- zeitig ab und vereiterten unter schneller Abnahme aller bedrohlichen Ersclieinungen. Zwei solche Kranke, welche sich im Rekonvaleszenzstadium befanden, konnten wir selbst untersuchen. Da unter den Personen, welche nach der Impfung leicht erkrankten oder gar gestorben waren, sich auch solche befanden, welche zweimal geimpft A\aren, so scheint die Wiederholung der Impfung ohne besonderen Nutzen zu sein. Auch wenn das H a f f k i n e sehe Impf verfahren, welches den bereits bekannten Methoden der Schutzimpfung gegen Cholera und Typhus nachgebildet ist, keiner weiteren 710 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. Verbesserung zugänglich wäre, so würde es sich schon in seiner jetzigen Gestalt mit Vorteil verwenden lassen zum Schutz von kleineren Bevölkerungsgruppen, ganz be- sonders aber zur Immunisierung von Ärzten, Krankenwärtern, Personen, welche mit der Reinigung und Desinfektion von Pesthäusern zu tun haben. Zur eigentlichen Be- kämpfung der Pest in größerem Umfange könnte es nur dann dienen, wenn es zwangs- weise ausgeübt wird. Denn im Anfange einer Epidemie finden sich nur verhältnismäßig wenige, welche sich freiwillig impfen lassen, und wenn man warten muß, bis die Epidemie größere Dimensionen erreicht und die Furcht die Massen der Bevölkerung der Impfung geneigt macht, dann ist es zu spät. Soweit sich die Verhältnisse der jetzigen Pestepidemie übersehen lassen, wird es aber auch nicht notwendig sein, zu einer Zwangsimpfung die Zuflucht zu nehmen. Es werden dieselben Maßregeln, welche sich in der Bekämpfung der Cholera so bewährt haben, nämlich die richtige Diagnose der ersten Fälle, schleunige Isolierung der Erkrankten und fortlaufende Beobachtung der Verdächtigen, verbunden mit rationellen Desinfektionsmaßregeln, auch zur Bekämpfung der Pest ausreichend sein. Da aber die Schutzimpfung, d. h. die künstliche Immunisierung gegen Pest, für die oben angeführten besonderen Fälle nützlich sein und deswegen einen gewissen Platz unter den Pestmaßregeln beanspruchen kann, so muß es unsere Aufgabe sein, dieselbe so wirksam als möglich zu gestalten. Nach den bisher über die künstliche Pestimmuni- sierung gemachten Erfahrungen gelten für die Pestbakterien dieselben Gesötze, wie sie früher für die Cholerabakterien und Typhusbazillen nachgewiesen sind, d. h. die immunisierenden Stoffe befinden sich in den Körpern der Bakterien und gehen nur sehr wenig in die Kulturflüssigkeit über; sie- sind auch am wirksamsten in den frischen Kulturen und verändern sich um so mehr, je älter die Kulturen werden. Daraus folgt, daß die stärkste immunisierende Wirkung zu erwarten ist, wenn junge Kulturen, welche möglichst viele Bakterien enthalten, verwendet werden. Selbstverständlich müssen die Kulturen vor der Injektion abgetötet werden, aber es muß dies in solcher Weise ge- schehen, daß die immunisierenden Stoffe dadurch möglichst wenig geschädigt werden. Die besten Bedingungen für die künstliche Pestimmunisierung lassen sich nur mit Hilfe des Tierexperiments feststellen. Da sich nun Affen als besonders geeignet für diese Immunisierungsversuche erwiesen haben, und da sie hier billig und in beliebiger Anzahl zu haben sind, so werden alle die vorher angedeuteten Fragen experimentell zu lösen versucht. Es sind bereits eine Anzahl von Affen nach den verschiedensten Methoden vorbehandelt und sollen nach Ablauf einer entsprechenden Zeit auf ihre Immunität geprüft werden. Von sonstigen experimentellen Arbeiten der Kommission möchte ich hier noch einige Versuche an Ratten erwähnen, welche in bezug auf die früher erwähnte Rattenpest von Interesse sind. Die Ratte ist von allen Versuchstieren, welche auf ihre Empfänglich- keit für die Bubonenpest geprüft wurden, das bei weitem empfindlichste. Einfache Impfungen mit den geringsten Mengen einer Kultur genügen, um bei Ratten eine in wenigen Tagen tödliche Pest, und zwar ohne Ausnahme, zu erzeugen. Aber die Empfäng- lichkeit dieser Tiere geht noch weiter; es ist gar nicht notwendig, ihnen eine Verletzung beizubringen, um sie zu infizieren ; sie können sogar von den unverletzten Schleimhäuten und von den Verdauungswegen aus tödlich infiziert werden. So sterben Ratten, deren Augenbindehaut oder Nasenschleimhaut mit Kulturmasse nur berührt wurden. Andere starben an Pest nach Fütterung mit kleinsten Mengen von Pestkultur, oder wenn sie die Kadaver ihrer an Pest verendeten Genossen angenagt hatten. Da dies letztere in der Freiheit bekanntlich regelmäßig geschieht, so wird es begreiflich, daß, wenn die Pest erst einige Ratten infiziert hat, sich die Seuche unter ihnen rasch ausbreiten und den ganzen Rattenbestand eines Ortes vernichten muß. Dadurch wird es aber auch Reiseberichte über Rinderpest usw. iu Indien und Afrika. 711 erklärlich, wie durch Vermittelung der Ratten die Pest von einem Haus in das andere verschleppt werden kann. Es handelt sich auch iiier nicht mehr um Vermutungen, sondern, wie die im letzten Berichte erwähnten Befunde an toten Ratten aus Pestloka- litäten beweisen, um Tatsachen, denen bei der Bekämpfung der Pest im gegebenen Falle Rechnung getragen werden muß. Da die im Gange befindlichen Immunisierungsversuche eine teilweise Unterbrechung der experimentellen Arbeiten gestatten, so beabsichtige ich in Gemeinschaft mit Herrn Geheimrat G a f f k y und Herrn Professor Pfeiffer eine Exkursion nach den North Western Pi"ovinces zu machen. Wir wollen dort Nachforschungen anstellen über eine eigentümliche Krankheit, welche dort von Zeit zu Zeit auftritt und nach den bisher darüber vorliegenden, aber leider etwas vnigenauen Nachrichten kaum etwas anderes sein kann als die echte Bubonenpest. Diese Krankheit, von den Eingeborenen Mahamari genannt, herrscht entweder dort endemisch oder sie wird, was wahrschein- licher ist. durch den Handelsverkehr aus dem Innern von Asien dorthin eingeschleppt. Sie beansprucht schon deshalb ein besonderes Interesse, weil frühere Pestausbrüche in Nordindien mit ihr nachweislich in Zusammenhang gestanden haben, und weil es nicht ausgeschlossen ist, daß auch die Pest von Bombay nur ein Ausläufer von ihr ist. Ich hoffe avif dieser Exkursion auch Gelegenheit zu Beobachtungen über die indische Rinderpest zu finden. Die Pestepidemie ist bis jetzt noch auf die Bombay -Presidency beschränkt ge- blieben und nimmt innerhalb derselben beständig ab. Wenn keine besonderen Zwischen- fälle eintreten, und wenn, wie zu erwarten ist. die experimentellen Arbeiten bis dahin beendet sind, wird die Kommission bis Ende Juni ihre Aufgaben erfüllt haben und die Heimreise antreten können. Bombay, den 21. Juni 1897. Eurer Exzellenz beehre ich mich über die Ergebnisse, welche die Arbeiten der Pestkommission seit meinem letzten vom 26. Mai erstatteten Bericht geliefert haben, ganz gehorsamst zu berichten. Die Kommission hat sich in dieser Zeit hauptsächlich mit den im Vordergrund des Interesses stehenden Fragen der künstlichen Immunität gegen Pest und der \"er- wendbarkeit des von hochimmunisierten Tieren gewonnenen Serums zu Schutz- und Heilzwecken beschäftigt. Zu den Versuchen hierüber wurden, wie schon früher berichtet ist, ausschließlich Affen benutzt, und zwar standen zwei Arten, ein grauer (Semnopithecus entellus) und ein brauner Affe (Macacus radiatus) zur Verfügung. Dabei stellte sich sehr bald die höchst merkwürdige Tatsache heraus, daß sich diese beiden Affenarten der Pestinfektion gegenüber keineswegs gleichartig verhalten. Die grauen Affen sind außerordentlich empfänglich, sie werden durch subkutane Impfungen mit den geringsten Mengen einer Pcstkultur sicher getötet, während für die braunen Affen bei derselben Infektions- methode immerhin eine gewisse Quantität des Infektionsstoffes erforderlich ist. um eine tödliche Pesterkrankung hervorzurufen. Eine volle Platinöse (etwa 2 mg) einer Pest- kultur in 1 ccm Flüssigkeit verteilt und unter die Haut gespritzt, tötet einen braunen Affen noch sicher; wcnm aber nur 14 Öse eingespritzt wird, dann stirbt nicht mehr jedes so behandelte Tier, sondern es kommt das eine oder das andere Tier nach schwerer Krank- heit mit dem Leben davon. Das Experiment bewegt sich aber in diesem Falle bereits an der Grenze der tödlichen Dosis. Noch geringere Mengen, wie sie z. B. bei der einfachen subkutanen Impfung zur Anwendung kommen, bewirken in der Regel nur eine mehr oder wenio-er schwere Erkrankung mit Ausgang in Heilung. Sehr viel wirksamer als 712 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. die Injektion unter die Haut ist die Injektion in die Bauchhöhle, hier genügen sehr ge- ringe Mengen, in einem Falle ^/gooQ Öse, um auch braune Affen tödlich zu infizieren. Sehr interessant ist es nun, wie durch eine größere Anzahl von Versuchen bewiesen ist, daß diejenigen Affen, welche eine subkutane Impfung oder Injektion überstanden haben, einen hohen Grad von Immunität besitzen; denn sie vertragen nun mehr die Injektion einer vollen Öse in die Bauchhöhle ohne merkliche Krankheitserscheinungen. Um braune Affen durch Fütterung mit Pestkulturen zu infizieren, bedarf es ziem- lich großer Mengen von Kultur. Die Tiere starben in diesem Falle nach einigen Tagen und zeigten bei der Obduktion durch die starken Veränderungen (hämorrhagische In- filtrationen) im Magen und Darm, daß die Infektion in der Tat von den Verdauungs- wegen ausgegangen war. Geringere Mengen wirkten, wenn sie verfüttert wurden, nicht mehr infizierend, verschafften aber auch keine Immunität. Vergleicht man diese beiden Affenarten mit den Ratten in bezug auf ihre Empfäng- lichkeit für Pest, dann scheint der graue Affe in bezug auf hohe Empfänglichkeit der Ratte nichts nachzugeben, da beide Tierarten von Hautverletzungen aus durch die ge- ringsten Mengen des Peststoffes infiziert werden können und somit auch der natür- lichen Infektion, welche wohl meistens in dieser Weise zustande kommt, zugänglich sind, während der braune Affe bei seiner Widerstandsfähigkeit gegen kleine Mengen des Infektionsstoffes nur künstlich infiziert werden kann. Es ist dies insofern von Wich- tigkeit, als der Mensch, welcher verhältnismäßig leicht infiziert wird und deswegen ebenso wie der graue Affe und die Ratte für sehr geringe Mengen des Infektionsstoffes zugänglich sein muß, diesen beiden Tierspezies in bezug auf Pestempfänglichkeit näher steht als anderen Versuchstieren. Zur künstlichen Immunisierung kann man, wie sich aus dem Vorstehenden er- gibt, nur bei wenig empfänglichen Tieren lebende und vollvirulente Kulturen benutzen. Leicht empfängliche Tiere können nur mit abgeschwächten oder abgetöteten Kulturen immunisiert werden. Es wurde deswegen versucht, die Pestbakterien durch Einwirkung von höheren Temperaturen oder von Chemikalien abzuschwächen. Diese Versuche blieben indessen erfolglos. Die Pestbakterien behielten stets bis unmittelbar vor ihrem Absterben die volle Virulenz. Bisher war man der Meinung, daß Pestkulturen, welche längere Zeit gestanden haben, ehe sie weitergezüchtet wurden, sehr bald an Virulenz verlieren. Unsere bisherigen Beobachtungen bestätigten indessen diese Annahme nicht, da mehrere Monate in Kulturflüssigkeit ohne Umzüchtung gehaltene Kulturen nahezu ebenso stark waren wie frische. Eine von Dr. H a n k i n erhaltene Kultur war zufällig und ohne daß der Grund hierfür ermittelt werden konnte, so weit abgeschwächt, daß Mäuse dadurch nicht mehr getötet wurden. Aber auch diese Kultur war für braune Affen noch tödlich und konnte daher zur Immunisierung in lebendem Zustande nicht verwertet werden. Es blieb somit nur übrig, mit abgetöteten Kulturen zu operieren. Zum Abtöten der Kulturen kann man sehr verschiedene Methoden benutzen, wie Chloro- formdämpfe, Phenol in möglichst geringer Konzentration, Temperaturen verschiedenen Grades usw. Die eingehendere Beschreibung dieser Versuche dem Hauptberichte über- lassend, sei hier nur kurz referiert, daß, wie auch schon die Haffkine sehen Schutz- impfungen bewiesen hatten, den toten Pestkulturen eine mehr oder weniger hohe Schutz- wirkung zukommt. Dieselbe wird aber durch alle stärker wirkenden Agentien geschädigt. So setzte die Siedehitze schon nach kurzer Einwirkung die Schutzkraft der Kultur ganz bedeutend herab. Geringe Temperaturen, wie zwei Stunden langes Erwärmen auf 51** oder eine Stunde lang auf 65*^, was eben genügte, um die Bakterien sicher zu töten, störten die Schutzkraft am wenigsten. Chloroformdämpfe mußten stundenlang wirken, um die Bakterien sicher zu töten. Nach 20 Stunden hatten sie die Schutzkraft der Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrilca. 713 Kultur schon deutlich herabgesetzt. Dasselbe gilt von einer l^proz. Phenollösung nach 20 stündiger Einwirkung. Nach einer Angabe von Lustig und G a 1 e o t t i sollte die Behandlung der Kulturen mit %proz. Kalilösung besonders vorteilhaft sein. Unsere Versuche ergaben, daß auch hierdurch die Schutzkraft erheblich geschädigt wird. Da die Abtötung durch Behandlung der Kultur mit einer Temperatur von (3.5'* während einer Stunde die besten Resultate ergeben hatte, so wurden die weiteren Ver- suche unter Anwendung dieser Methode angestellt, und zwar wurde, um die Abtötung der Kultur ganz sicher zu bewerkstelligen, dieselbe nach der Erhitzung noch in einer 0,5 proz. Phenollösung aufgeschwemmt und 20 Stunden stehen gelassen, ehe sie zur Injektion benutzt wurde. Es hatte sich nämlich gezeigt, daß 0,5 proz. Phenollösung zwar frische Kulturen schädigt, aber mit den erhitzten Kulturen ohne Nachteil eine Zeitlang in Berührung bleiben kann. Von der in solcher Weise präparierten Kulturmasse war zvn- Imnnxnisierung eines braunen Affen eine volle Agarkultur, d. h. die gesamte Kultur, welche auf der schräg erstarrten Agarfläche eines Reagensröhrchens innerhalb 48 Stunden gewachsen war, erforderhch, also eine recht bedeutende Substanzmenge. Wurde mir eine halbe Kultur injiziert, dann war der Erfolg schon unsicher. Die Injektion von V^o I'^^ultur nützte dem Versuchstier nichts. Graue Affen waren auch durch eine volle Agarkultur überhaupt nicht so weit zu immunisieren, daß sie die gewöhnliche Infektionsdosis der braunen Affen überstanden hätten. Die Immunität tritt, da es sich hier um eine aktive Immunisierung handelt, nicht sofort ein, sondern nach einem gewissen Zeitraum, der experimentell zu ermitteln war. Es wurden zu diesem Zwecke eine Anzahl Tiere mit abgetöteten Kulturen injiziert und je ein Tier am 3., 5., 7., 10. Tage nach der Immunisierung durch Infektion mit lebender Kultur darauf geprüft, ob die Immunität bereits eingetreten war. Es ergab sich nun, daß am 3. Tage noch gar keine Anzeichen von Immunität zu bemerken waren. Am 5. Tage war schon ein geringer Grad von Immunität vorhanden, denn das Tier starb bedeutend später wie das Kontrolltier, welches wie gewöhnlich am 3. Tage verendete. Am 7. Tage war die Immunität schon vollkommen entwickelt; das an diesem Tage infizierte Tier zeigte gar keine Krankheitserscheinungen nach der subkutanen Infektion. Die auf solche Weise den Tieren künstlicli verschaffte Immunität hat jedoch, wie noch erwähnt werden nniß, nicht einen so hohen Grad, wie diejenige, welche durch Infektion mit lebenden Kulturen erworben wird. In letzterem Falle vertragen die immuni- sierten Tiere die intraperitoneale Infektion, ohne zu erkranken, die mit toten Kulturen immunisierten Tiere dagegen erliegen dieser stärksten Art der Infektion. Erst durch das Überstehen einer nachträghchen Infektion von der Haut aus wurden auch die mit toten Pestkulturen behandelten Tiere so weit immunisiert, daß ihnen inibedenklich eine Injektion mit lebenden J'estbakterien in die Bauchhölile gemacht werden konnte. Über die Dauer der künstlichen Immunität konnten leider keine Experimente angestellt werden, sie würden 7ai ihrer Durchführung viele Monate beansprucht haben. Bemerkenswert ist noch, daß mit der früher erwähnten abgeschAvächten (H a n - k i n sehen) Pestkultur in der gewöhnlichen Dosis keine Immunität zu erzielen war. Wenn flüssige Kulturen filtriert und die feste Substanz sowohl als die abfiltrierte Flüssigkeit, jedes für sich, zur Immunisierung verwendet wurde, dann ergab sich, daß die Flüssigkeit nur sehr geringe, die feste Substanz dagegen die volle immunisierende Eigenschaft besaß. Alle diese Versuche bedürfen noch vielfach der Wiederholung und Ergänzung, namentlich müßten die Immunitätsverhältnisse der so hochempfindlichen grauen Affen 714 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. gründlich studiert werden, um bessere Analogien für den Menschen zu gewinnen. Vor- läufig läßt sich aus den bisherigen Experimenten entnehmen, daß, um mit toten Kul- turen künstlich zu immunisieren, Kulturen von ungeschwächter Virulenz zu verwenden sind. Dieselben müssen in möglichst schonender Weise, am besten durch einstündiges Erwärmen auf 65'' C, abgetötet werden. Die Dosis der zu injizierenden festen Bakterien- substanz — die Kulturflüssigkeit ist wertlos — müßte für jede Tierspezies besonders bestimmt werden. Dasselbe gilt auch für den Menschen. Die Höhe der natürlichen Immunität, wie sie durch Überstehen der Pestkrankheit erlangt wird, läßt sich vor- läufig nur durch Nachimpfungen mit lebenden Pestbazillen erreichen. Die toten Pestkulturen wurden ferner noch benutzt, um zu erfahren, ob die Pest- bakterien, ähnlich wie die Cholera- und Typhusbakterien, ein spezifisches Gift enthalten. Sie wurden vorsichtig getrocknet, bestimmte Mengen abgewogen, dann wieder in Flüssig- keit aufgeschwemmt, bei 65° abgetötet und schließlich braunen Affen in die Bauchhöhle injiziert. Die injizierten Mengen waren recht bedeutend, in einer Versuchsreihe 55 mg, in einer zweiten 80 mg Trockensubstanz. Trotzdem war außer einem kurzen Abfallen der Körpertemperatur und einer geringen Mattigkeit und Appetitlosigkeit, welche nicht länger als einen Tag anhielten, den Tieren nichts anzumerken. Am zweiten Tage nach der Injektion waren sie wieder vollkommen munter. Die Giftwirkung vollvirulenter Pestkulturen ist somit, wenigstens unter den hier gewählten Versuchsbedingungen, eine sehr geringe. Ich komme nun zu den Serum versuchen. Die Kommission konnte nicht daran denken, selbst Tiere so hoch zu immunisieren, daß ihr Serum zu Versuchszwecken ge- eignet gewesen wäre, weil dies viele Monate erfordert hätte. Sie wandte sich deswegen an Herrn Dr. Y e r s i n , da dieser Serum zur Verfügung hatte, welches im Institut Pasteur in Paris hergestellt war. Herr Dr. Y e r s i n hat, was ich hier mit vielem Dank aner- kennen möchte, diesem Ersuchen in bereitwilligster Weise entsprochen, indem er mehrere Serumproben der Kommission überlassen hat. Zum Teil gehörten diese älteren Sen- dungen an (aus März und April stammend), zum Teil neueren; die letzte war Ende Mai in Bombay angelangt. Gewöhnlich wird das Pestserum an Mäusen auf seinen Wirkungswert geprüft. Unsere Versuche mit Mäusen fielen indessen sehr ungleichmäßig aus. Die Tiere blieben zwar länger am Leben als die Kontrolltiere, aber sie starben doch fast sämtlich nach längerem Zeitraum (bis zu 20 Tagen) an unzweifelhafter Pest. Die immunisierende Wirkung des Serums, welche unverkennbar vorhanden war, war somit eine vorüber- gehende, und deswegen ließ sich der eigentliche Wirkungswert des Serums an diesen Tieren quantitativ nicht genügend abschätzen. Dagegen lieferten die Versuche mit braunen Affen bessere Resultate. Schon nach wenigen Tagen heß sich aus dem Verhalten der Haut an der Stelle, wo die Nach- injektion mit lebenden Pestbakterien gemacht war, auf den Wirkungswert des vorher injizierten Pestserums schließen. Wenn nämlich letzteres schon an und für sich keine oder nur eine geringe Schutzkraft besaß, oder wenn ein kräftiges Serum in zu geringer Menge gegeben war, dann entwickelte sich an der Stelle der Nachinjektion eine teigige, schnell an Umfang zunehmende Infiltration des Unterhautgewebes, ebenso wie bei nicht vorbehandelten Affen, und das Tier starb nach wenigen Tagen an Pest. Hatte das Serum einen gewissen Wirkungswert, dann entstand anfangs auch die teigige Schwellung; dieselbe begrenzte sich aber bald, wurde im Zentrum hart und ging allmählich in einen Abszeß über. Die Tiere konnten in diesem Falle nach längerer schwerer Krankheit am Leben bleiben. War schließlich das injizierte Serum stark genug, um dem Versuchs- tier einen vollkommenen Schutz gegen die Impfung mit lebenden Pestbakterien zu ver- Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 715 leihen, dann bildete sich an der Injektionsstelle nur eine kleine scharf abgegrenzte harte Infiltration, welche allmählich wieder verschwand, ohne daß außer Anschwellungen der benachbarten Lymphdrüsen, welche aber auch fehlen können, zu irgendeiner Zeit andere krankliafte Veränderungen an dem Tier zu bemerken wären. Unter Benutzung dieser Kennzeichen für die Schutzkraft des Serums wurde zu- nächst versucht, braune Affen durch eine vorhergehende Injektion von Serum gegen die tödliche Wirkung einer 24 Stunden später folgenden Infektion mit lebenden Pest- bakterien zu schützen, und zwar wurde das Serum in abgestuften Mengen von 10 ccm, 5 ccm, 3 ccm, 1 ccm gegeben. Es stellte sich dabei heraus, daß die älteren Serumsorten selbst bei einer Dosis von 10 ccm nicht mehr ausreichten, um sicher zu schützen; denn von drei Tieren starben zwei, allerdings erst nach längerer Krankheitsdauer und unter Abszeßbildung, was darauf schließen läßt, daß auch dieses Serum eine gewisse Schutz- kraft besaß, aber in einer sehr viel größeren Dosis hätte gegeben werden müssen, um die Tiere am Leben zu erhalten. Erheblich günstigere Resultate lieferte die Prüfung des zuletzt erhaltenen Serums. Affen, welche mit 10 ccm dieses Serums vorbehandelt waren, ertrugen die subkutane Injektion von einer vollen ()se Pestkultur, ohne zu erkranken. Auch 5 ccm und 3 ccm schützten noch vollkommen. 1 ccm genügte dagegen nicht mehr; denn die mit dieser geringen Dosis behandelten Tiere starben ebenso schnell wie das Kontrolltier. Es ist wahrscheinlich, daß 2 ccm von diesem Serum ungefähr dieselbe unsichere Wirkung gehabt haben würden wie 10 ccm der älteren Serumsendungen, und daß es somit einen mindestens fünfmal so hohen Scluitzwert besaß wie diese. Für die höher empfindlichen grauen Affen war aber auch dieses starke Serum in einer Dosis von 10 ccm gänzlich ohne Wirkung. Dieselben starben infolge der Nach- impfung unter Entwicklung der teigigen Hautinfiltration ebenso schnell wie die un- behandelten Tiere. Die Immunität, welche die Tiere durch die Seruminjektion erhalten, bezeichnet man als eine ,, passive". Sie unterscheidet sich von der früher besprochenen ,, aktiven" dadurch, daß sie sehr bald nach der Injektion ihre volle Höhe erreicht, aber auch nach verhältnismäßig kiu'zer Zeit wieder verschwindet. Nach der dem Pestserum beigege- benen gedruckten Instruktion soll die Schutzkraft beim Menschen etwa 4 Wochen lang vorhalten Bei unseren Versuchstieren war die Dauer derselben eine erheblich kürzere. Wurde ein Tier, anstatt nach 24 Stunden erst 4 Tage nach der Injektion von 10 ccm Serum mit lebenden Pestbakterien infiziert, dann erwies es sich allerdings noch vollkommen geschützt. Aber schon 8 Tage nach der Seruminjektion war die Schutz- wirkung so weit gesunken, daß das Versuchstier an der Stelle der Nachinjektion eine teigige Infiltration bekam und nach schwerer Krankheit am 5. Tage starb. Bei einem Tier, welches 12 Tage nach der Seruminjektion nachgeimpft wurde, war der tödliche Krankheitsverlauf ein ebenso schneller wie bei Tieren, welche überhaupt kein Serum bekommen hatten. Zu den nun folgenden Heilversuchen mit Serum wurde nur das zuletzt von Dr. Yersin erhaltene starke Serum benutzt, und zwar in zwei Versuchsreihen an braunen Affen. In der ersten Versuchsreihe erhielten die Tiere zuerst ^4 Öse Pestkultur, d. h. eine eben noch tödlich wirkende Dosis und hinterher eine Seruminjektion von 10 ccm. Wurde das Serum sofort nach der Infektion gegeben, dann erkrankten die Tiere nur leicht und für eine kurze Zeit. 6 Stunden nach geschehener Infektion wirkte das Serum noch so. daß die Tiere zwar sehr erkrankten, aber unter Abszeßbildung zur Heilung gelangten. Nach 12 Stunden verhielt es sich ebenso. Nach 24 Stunden war die Erkrankung schon sehr schwer. Wurde das Serum erst nach 48 Stunden gegeben, so trat der Tod in derselben 716 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. Zeit ein wie bei dem Kontrolltier. Die zweite Versuchsreihe, in welcher die Tiere stärker infiziert wurden (mit 14 Öse Pestkultur), lieferte ein ganz ähnliches Resultat. Das Serum konnte in diesem Falle zwar den Ausbruch der Krankheit nicht zurückhalten, aber es bewirkte, selbst wenn es erst 12 Stunden nach geschehener Infektion gegeben wurde, daß die Tiere nach schwerer Erkrankung mit dem Leben davonltamen. Wurde es später gegeben, dann stand ein tödlicher Ausgang der Krankheit zu erwarten. Bei einem Tier, welchem erst 48 Stunden nach der Infektion 10 ccm Pestserum injiziert worden waren, ^^alrde die Serunibehandlung fortgesetzt, es erhielt an den folgenden Tagen noch drei ebenso große Dosen Serum und wurde dadurch bis zum 10. Tage, an welchem es seiner Krankheit erlag, hingehalten, während das Kontrolltier bereits am 3. Tage gestorben war. Ich habe diese Versuche absichtlich etwas ausführlicher wiedergegeben, weil sie er- kennen lassen, daß das von uns zu diesen Versuchen benutzte Serum unzweifelhafte kurative Eigenschaften besitzt. Zunächst gilt dies selbstverständlich nur in bezug auf die Tiere, an welchen die Versuche angestellt sind. Ob ähnliche Wirkungen auch beim Menschen zu erzielen sind, kann, wie unsere Beobachtungen an den empfindlicheren grauen Affen lehren, nicht ohne weiteres geschlossen werden, sondern muß durch Be- obachtungen an Pestkranken ermittelt werden. Es ist mir nicht bekanntgeworden, ob solche Heilversuche mit dem neuen starken Serum bereits in größerem Umfange angestellt sind. Die früheren Nachrichten über Verwendung von Pestserum zu Heil- zwecken beziehen sich auf die älteren schwächeren Serumsorten und lauten nicht gerade ermutigend, so daß Dr. Y e r s i n, wie die Semaine medicale No. 23 mitteilt, sich selbst dahin geäußert hatte, daß das aus Paris erhaltene Serum unwirksam sei. Übereinstimmend hiermit sind auch die eigenen Beobachtungen der Kommission, welche sie im Parel- hospital an Kranken anstellen konnte. In diesem Krankenhause waren 24 Pestkranke mit Pestserum injiziert, und von diesen starben nur 13; ein sehr niedriges Mortalitäts- verhältnis, welches für die Serumbehandlung sprechen könnte. Dieses günstige Resultat ist indessen nur ein scheinbares, da nur solche Fälle zur Serumbehandlung gewählt wurden, welche am ersten oder zweiten Tage ihrer Erkrankung ins Hospital gebracht wurden und eine nicht zu schlechte Prognose gestatteten. Nach dem Urteil der betei- ligten Ärzte würden die so ausgewählten Kranken auch ohne die Serumbehandlung vermutlich dieselbe Mortalität gehabt haben. Die Pestepidemie im ganzen genommen ist noch in stetigem, wenn auch stellen- weise recht langsamem Abnehmen begriffen. Neue Ausbrüche sind nicht vorgekommen. In Bombay bewegten sich in der letzten Zeit die täglichen Erkrankungsziffern zwischen 1 und 13. Der Monsun, welcher sich seit etwa 2 Wochen eingestellt hat, ist auf den Gang der Epidemie trotz der Wärme und des großen Feuchtigkeitsgehalts der Luft, welche in der Monsunzeit die Erhaltung der Pestbakterien in der Umgebung des Menschen begünstigen müßten, ohne Einfluß geblieben. Auf dem in meinem letzten Berichte erwähnten Ausflug in die North Western Provinces und speziell in das Gebiet von Kumaon, wo die rätselhafte, Mahamari genannte pestartige Krankheit von Zeit zu Zeit auftritt, ist es uns zwar nicht gelungen, selbst Fälle von Mahamari zu Gesicht zu bekommen, aber wir konnten doch aus eigener An- schauung die Verhältnisse kennen lernen, unter denen sich die Krankheit zeigt. Sehr wertvoll war es, die Ansicht des Herrn Dr. Thomson, Sanitary Commissioner with the Government of the North- West Provinces and Oudh, über die Mahamari kennen zu lernen. Er ist zurzeit wohl der einzige Arzt, welcher selbst sowohl die Beulenpest als auch die Mahamari gesehen hat. Derselbe sprach sich mir gegenüber dahin aus, daß er keinen Unterschied in den Symptomen beider Krankheiten finden könne, und daß er sie für identisch halte. Auch das epidemiologische Verhalten der Mahamari, Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 717 die hohe Mortahtät, das seuchenai^tige Erkranken und Massen.st erben in den befaüenen Ortschaften spreclien sämthch dafür, daß Mahaniari echte Beulenpest ist. Darüber, ob diese Annahme zutreffend ist, wird hoffentlich der nächste Ausbruch der Krankheit Auskunft geben, welcher, wie ich nicht zweifle, zu gründlichen bakteriologischen Unter- suchungen Veranlassung geben wird. Nur diese können die endgültige Antwort auf die Mahamarifrage liefern. Auch zu einigen Beobachtungen über die Rinderpest hat dieser Ausflug Gelegen- heit geboten. Nach der von Sachverständigen erlialtenen Auskunft verschwindet die Rinderpest in den Nordwestprovinzen und in Bengalen niemals gänzlich. Sie herrscht in diesen Teilen von Indien offenbar endemisch. Sie soll in der Regel einen ziemlich milden Verlauf haben, namentlich in der heißen trockenen Jahreszeit. Im Gebirge, und wenn es in der Ebene kühler wird, soll die Krankheit mehr um sich greifen und auch eine größere Mortalität bewirken. Wegen dieser etwas abweichenden Verhältnisse hat man mehrfach die Behauptung aufgestellt, daß die indische Rinderpest eine andere Krankheit sei als diejenige, welclie in Europa und Afrika so große A'erheerungen ange- richtet hat. In einigen Dörfern in der Nähe des Städtchens Tanda konnte ich eine Anzahl von pestkranken Rindern untersuchen und auch die Obduktion eines eben verendeten Tieres machen, und ich habe dabei die Überzeugung gewonnen, daß es sich um genau dieselbe Krankheit handelt, welche ich in Südafrika gesehen habe und von der niemand bezweifelt, daß es echte Rinderpest ist. Ansteckungsmaterial, welches von dem erkrankten und dem toten Tier entnommen war. wurde nach Muktesar geschafft in eine für Studien über ansteckende Tierkrankheiten bestimmte und isoliert im Gebirge hochgelegene Versuchsstation der indischen Regierung, und hier durch Verimpfen auf gesunde Rinder die Versiiche über Rinderpest in Gang gebracht. Auch die bald nach der Impfung an den Rindern auftretenden Krankheitssymptome und der Obduktionsbefund eines nach der Impfung gestorbenen Tieres bestätigen, daß es sich hier um unzweifelhafte Rinder- pest handelt. Schließlich habe ich noch über Leprastudien zu berichten, welche Herr Dr. S t i c k e r auf meine Veranlassung in dem nicht weit von Bombay gelegenen Leprosorium ,,Matunga" gemacht hat. Diese Anstalt beherbergt gegen 350 Leprakranke, und es bot sich hier die Gelegenheit an einer größeren Zahl von Kranken, die von mir gefundene Tatsache, daß bei den meisten Leprakranken zahlreiche Leprabazillen im Sekret der Nasenschleim- haut vorhanden sind, nachzuprüfen. Da mit dem Nasensekret die Leprabazillen aus dem Körper heraus ins Freie gelangen, so handelt es sich hier möglicherweise um eine sehr wichtige, vielleicht um die wichtigste Infektionsquelle der Lepra. Es wurden im ganzen 147 Leprakranke untersucht; davon hatten 64 Knotenlepra, 68 Nervenlepra und 15 die gemischte Form der Lepra. Von den mit Knotenform der Lepra Behafteten konnten in 44 Fällen schon bei der ersten Untersuchung die Leprabazillen in großer Menge nachgewiesen werden. Nur bei zwei von diesen Kranken wurden trotz zwei- maliger LTntersuchung die Bazillen vermißt. Von den Fällen mit Nervenlepra zeigten 36 sofort die Leprabazillen, von den gemischten Fällen 11. Im ganzen wurden die Leprabazillen bei 147 Kranken lOOmal gefunden, und diese Zahl würde noch höher ausgefallen sein, wenn es möglich gewesen wäre, die Kranken wiederholt zu untersuchen. Die meisten sind nur einmal untersucht; daß dies aber nicht ausreicht, lehren einige Fälle von Nervenlepra, in denen er.st bei der dritten oder vierten Untersuchung die Leprabazillen gefunden wurden. LTm bei Wiederholungen dieser LT nt ersuchungen Resultate zu erhalten, welche mit denjenigen des Herrn Dr. S t Icker vergleichbar sind, ist es notwendig, die von demselben ausgebildete LTntersuchungsmethode zu kennen und zu befolgen. Zuerst 718 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. wird die Nase mit dem Rhinoskop und der Nasenrachem-aum mit dem umgekehrten Kehlkopfspiegel untersucht. In der Regel finden sich ulzerierte oder gerötete und ge- schwollene Stellen der Schleimhaut, welche mit eitrigem Sekret bedeckt sind. Dieses Sekret wird mit der Hohlsonde oder einem anderen passenden Instrument entnommen und auf Deckgläsern zur mikroskopischen Untersuchung ausgebreitet. Am häufigsten zeigen sich die Schleimhautveränderungen am knorpeligen Teil der Nasenscheidewand. Aber auch wenn keine sichtbaren Veränderungen vorliegen und kein Sekret vorhanden ist, kann durch Abstreichen der vorderen Septumoberfläche Schleim erhalten werden, welcher sehr reich an Leprabazillen ist. Daß es sich wirklich um Leprabazillen handelt, ist leicht durch die spezifische Färbung, die charakteristische Gruppierung und Lagerung im Innern von Zellen zu erkennen. Obwohl zwar noch viele Fragen in bezug auf das bakteriologische und epidemio- logische Verhalten der Pest ungelöst sind, können doch diejenigen Aufgaben, welche die Kommission sich mit Rücksicht auf einen nicht übermäßig ausgedehnten Auf- enthalt in Indien stellen komite, als erledigt angesehen werden. Da außerdem die experi- mentellen Arbeiten wegen der mit dem Monsun eingetretenen klimatischen Verhältnisse notgedrungen eine mehrmonatliche Unterbrechung würden erleiden müssen und auch die Epidemie selbst allem Anscheine nach im Verlöschen ist, so halte ich den Zeitpunkt für gekommen, daß die Kommission ihre Tätigkeit einstellt und die Rückreise antritt. Dieselbe soll, wie ich mir bereits telegraphisch ganz gehorsamst zu melden erlaubt habe, am 25. d. M. mit dem P.- und O. -Schiff ,,India" erfolgen. Inzwischen hat sich aber noch der Zwischenfall ereignet, daß die Pest in Jeddah ausgebrochen ist. Von hier aus läßt es sich nicht beurteilen, ob es sich dabei um ein Ereignis handelt, welches in bezug auf die Pestgefahr für Europa möglicherweise von größerer Bedeutung ist als die Pestepidemie in Bombay, und ob es nicht wünschens- wert oder sogar notwendig ist, daß ein Mitglied der Kommission sich dorthin begibt. Genauere Auskunft über, die Pest in Jeddah dürfte erst in Ägypten zu erwarten sein, und da außerdem Jeddah nur von Ägypten aus zu Schiff zu erreichen ist, so wird die Kommission in Ägypten die Reise unterbrechen und, wenn es die Umstände erfordern sollten, von dort aus Vorschläge in bezug auf den Besuch von Jeddah Eurer Exzellenz ganz gehorsamst unterbreiten. Ich selbst werde die Kommission auf ihrem Rückwege nicht begleiten können, da ich mit einer Mission nach Ostafrika betraut bin und einige Tage nach der Abreise der Pestkommission mich von Bombay dü"ekt dorthin begeben werde. Von dem Tage der Abreise ab wird Herr Geheimrat Professor G a f f k y die Füh- rung der Pestkommission wieder übernehmen. Daressalam, den 12. August 1897. Eurer Exzellenz beehre ich mich ganz gehorsamst zu berichten, daß ich am 12. Juli in Daressalam angekommen bin und am 29. Juli den Erlaß vom 30. Juni d. J. erhalten habe, durch welchen mir der Auftrag erteilt wird, die im Gebiete von Deutsch-Ost afrika aufgetretene pestartige Krankheit zu untersuchen und bei der Bekämpfung dieser Krank- heit mitzuwirken. Über die pestartige Krankheit, um welche es sich hier handelt, waren bisher nur ungenügende Nachrichten an die Küste gelangt. Nach den Mitteilungen von Missio- naren und Reisenden soll die Seuche in den Ländern herrschen, welche den Victoria- Njansa im Norden und Nordwesten umgeben. Sie zeigt sich hauptsächlich unter den Völkern, deren Hauptnahrung die Bananen bilden und welche in dichten Bananenhainen wohnen. So erwähnt Stuhlmann in seinem Reisewerke eine von den Eingeborenen Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 719 Kampuli genannte Krankheit, welclie in Uganda vorkommt, ,,im höchsten Grade an- steckend und tödlich ist und oft ganze Dörfer dahinrafft; wo sie auftritt, schwellen in kurzer Zeit alle Lymphdrüsen an und vereiterii unter selir starken Fiebererschei- nungen: vermutlich eine Art von Bubonenpest". Das Kaiserliche Gouvernement in Daressalam erhielt zuerst eine Nachricht von dem Vorkommen dieser Krankheit im deutschen Schutzgebiete durch einen Bericht des in Bukoba stationierten Stabsarztes Z u p i t z a. Derselbe meldete am 6. Juli 1897, daß in Kisiba, einem Gebiet, welches östlich vom Victoria-Njansa begrenzt und von dem nördlich gelegenen Uganda nur durch den Kagerafluß getrennt ist, öfters eine Seuche auftritt, welche mit heftigem Fieber, starker x4nschwellung der Achsel- und Leisten- drüsen verläuft und meistens in kurzer Zeit zum Tode führt. Von den Eingeborenen wird die Kj-ankheit für sehr ansteckend gehalten, da sie beim Ausbruch der Seuche ihre Dörfer, die in Kisiba sämtlich in Bananenhainen liegen, verlassen und jeden Ver- kehr untereinander abbrechen. Zur Zeit des Berichtes waren zwei Bananenhaine befallen, und es starben darin täglich fünf bis sechs Menschen. Im August und November des vorigen Jahres berichtete Stabsarzt Z u p i t z a dann ferner, daß die Seuche um sich greife; es seien zwei weitere Bananenhaine ergriffen und jenseits des Kagera wüte die pestartige Krankheit furcht- bar. Z u p i t z a hatte diese Nachrichten durch die Missionare und durch Eingeborene erhalten; er selbst war leider durch den Dienst auf der Station und durch langwierige Fiebererkrankung verhindert, L'^ntersuchungen über die Krankheit an (3rt und Stelle vorzunehmen. Nach zweijährigem Aufenthalt am Victoria-Njansa kehrte er vor kurzem nach Daressalam zurück, so daß sich die günstige Gelegenheit bot, von ihm alles zu er- fahren, was er über die Seuche wußte. Danach scheint es sich in der Tat um eine Krank- heit zu handeln, welche in bezug auf Symptome und Mortalität sich von der Bubonen- pest nicht unterscheidet. Eigentümlich ist nur, daß die Krankheit schon seit langer Zeit und wiederholt nach Kisil)a eingeschleppt ist und sich stets auf dieses Gebiet be- schränkt hat. Ähnlich verhält sich aber auch die in früheren Berichten erwähnte Maha- mari, die pestartige Krankheit in den abgelegenen Dörfern des Himalajagebirges. Auch diese haust Jahre und selbst Jahrzehnte hindurcli in den Gebirgsdörfern, bis sie sich plötzlich unter Verhältnissen, welche uns noch unbekannt sind, auf weite Gebiete von Nordindien ausbreitet. Auch in Mesopotamien kann die Bubonenpest lange Zeit hin- durch lokalisiert bleiben, bis sie unvermutet ihre Seuchenzüge in die Nachbarländer macht. So könnte auch im Innern von Afrika ein lokalisierter und seit langen Zeiten bestehender Pestherd vorhanden sein, von dem aus in früheren Zeiten die Pest durch den Sklavenverkehr nach Ägypten und in neuerer Zeit nach Tripolis geschleppt wurde, wo noch in den Jahren 185(i und 1874 die Pest ausbrach, ohne daß eine Einschleppung von Mesopotamien oder anderen Pestherden her hätte nachgewiesen werden können. Die pestartige Krankheit in Kisiba würde dann einen der südlichsten Ausläufer dieses alten afrikanischen Pestherdes bilden. Ob es sich nun aber in der Tat hier um die echte Bubonenpest handelt, womit die eben ausgesprochenen Vermutungen eine feste Ge- stalt gewinnen würden, kann nur durch LTntersuchungen in den von der Seuche ergriffenen Gebieten, also zunächst in Kisiba, ermittelt werden. Kisiba ist von der ostafrikanischen Küste nur durch einen zweieinhalb bis drei Monate dauernden Marsch zu erreichen. Rechnet man für den Hin- und Rückweg 6 Monate und etwa 2 Monate Aufenthalt, dann ergibt sich eine Expeditionsdauer von etwa 8 Monaten. Es entstand nun die Frage, ob ich selbst die Expedition übernehmen und damit 6 Monate hindurch aller wissen- schaftlichen Tätigkeit entzogen werden sollte, oder ob es nicht zweckmäßiger sein würde, einen für diesen Fall besonders eingeübten Arzt nach Kisiba zu senden, welcher das 720 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. für die Untersuchung erforderliche Material einsammeln und nach Daressalam bringen würde, während ich die Zwischenzeit benutzen könnte, um mich mit anderen für die Kolonie wichtigen Fragen zu beschäftigen. Da letzteres ganz besonders den Wünschen des Kaiserlichen Gouvernements entsprach, und da sich außerdem Stabsarzt Z u p i t z a , welcher inzwischen mir bei meinen Arbeiten behilflich gewesen war und sich sehr schnell in die Untersuchungsmethoden eingearbeitet hatte, bereit erklärte, die Expedition zu übernehmen, und da schließlich Euer Exzellenz sich auf eine telegraphische Anfrage damit einverstanden erklärt hatten, daß ich mich nicht ausschließlich mit der pest- artigen Krankheit zu beschäftigen habe, so ist im Einvernehmen mit dem Kaiserlichen Gouvernement die Anordnung getroffen, daß Herr Z u p i t z a nach Kisiba geht. Sollten Euer Exzellenz hiermit nicht übereinstimmen und es für richtiger halten, daß ich mich selbst nach Kisiba begebe, dann würde ein nach dem Eintreffen dieses Berichtes an mich gerichtetes Telegramm mich noch so zeitig erreichen, daß ich die Expedition in einigen Tagen einholen könnte. Damit der Zweck der Expedition nicht durch etwaige Erkrankung des Stabs- arztes Z u p i t z a oder sonstige Störungen zu sehr in Frage gestellt wird, soll ein zweiter Arzt, welcher als Stationsarzt in Bukoba bleiben wird, mit ihm gehen, um eventuell an seine Stelle treten zu können. Die Kosten für diese Expedition will das Kaiserliche Gouvernement tragen. Die Vorbereitungen für dieselbe würden etwa 3 Wochen in An- spruch nehmen, so daß die beiden Ärzte ihren Marsch gegen Ende dieses Monats werden antreten können. Ich selbst beabsichtige, mich vorläufig mit Untersuchungen über die Malaria, über Viehseuchen, welche schon seit Jahren den Viehbestand der Küstengegend ver- heeren, und über die Anlage eines malariafreien Sanatoriums in West-Usambara zu beschäftigen. Übrigens habe ich mich schon gleich nach meinem Eintreffen in Dares- salam an die Bearbeitung dieser Fragen gemacht, zu welchem Zwecke mir von dem Gou- vernement Arbeitsräume im Lazarett der Evangelischen Mission zur Verfügung gestellt und Stabsarzt Z u p i t z a als Assistent überwiesen wurde. Auch an Gelegenheit zur Untersuchung fehlte es nicht, da unmittelbar nach meiner Ankunft das bereits herrschende Fieber in erheblicher Weise zunahm und auch unter den Rindern die gefürchtete Seuche wieder zum Ausbruch kam. In bezug auf letztere gelang es mir sehr bald festzustellen, daß die Rinder zum größten Teil am Texasfieber zugrunde gingen, daß daneben aber auch noch eine Krankheit herrscht, welche in Indien Surra, in Südafrika Tsetsekrankheit genannt wird. Über diese Befunde sowie über einige interessante Beobachtungen bezüglich der hiesigen Malaria werde ich demgemäß ganz gehorsamst Bericht erstatten. Instruktion für Herrn Stabsarzt Zupitza. 1. Zweck der Expedition ist die Beschaffung von Untersuchungsmaterial zur Erforschung der pestartigen Krankheit in Kisiba. 2. Die Expedition geht mit tunliclaster Beschleunigung nach Bukoba und von da in das Land Kisiba. Sollte zurzeit die Krankheit in Kisiba nicht anzutreffen sein, dann ist sie jenseits des Kagera aufzusuchen. 3. Es sind an möglichst vielen Kranken die klinischen Symptome der Krankheit festzustellen (Initialsymptome, Drüsenschwellungen resp. -Infiltrationen, Verlauf und Dauer der Krankheit, gelegentliche Temperaturmessungen, Lungensymptome; etwaige Exantheme usw.). 4. Erkundigungen über die Art der Ansteckung, Inkubationsdauer, Mortalität, Immunität nach überstandener Krankheit, Vorkommen in bestimmten Jahreszeiten, Unterschiede nach Alter, Geschlecht der Erkrankten usw. 5. Beziehungen zu gleichzeitigen Tiererkrankungen, wobei in erster Linie auf Erkrankungen und Sterben unter den Ratten oder anderen Nagetieren zu achten ist. Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 721 (5. Xai hrit htcn über Ausdehnung iles Kraukheitsgebietes in den Naclibarländern, Verlialten in früliereii Zeiten, Zeit und Art der Einschleppung usw. 7. An Untersuchungsniaterial ist zu sanmiehi: Deckglaspräparate von infiltrierten und inzidierteii Drüsen p]rkrankter, bevor die Drüse in Eiterung übergegangen ist. Desgl. vom Blut, diu'ch Einstich in den Finger entnonniien. Desgl. vom Auswui'f, sofern er pneumonische Veränderungen zeigt. Desgl. von infiltrierten Drüsen, Milz, Lunge, Blut aus Leichen. Alkoholpräparate von infiltrierten Drüsen Erkrankter, der Drüsen, ^filz, Lungen, event- auch anderer Organe aus Leichen. 8. Von jeder üliduktion ist ein genaues Protokoll zu gel>en, woliei besonders zu berücksichtigen sinil: sämtliche Lymphdrüsen, Milz, Lunge, Magen, imterer Abschnitt des Ileum und Coecum. 9. Deckglaspräparate mid Alkoholpräparate sind in duplo anzufertigen und jede Serie für sich nach Daressalam zu befördern. 10. An den infizierten Orten sind Ratten einzufangen und auf Pestbakterien zu untersuchen {:Milz und Blut). 11. Es sind mit der .Substanz von infiltrierten Drüsen resp. Milz, Blut Infektionsversuche an Ratten, an anderen Nagetieren, auch an Affen usw. zu machen. Bei Ratten ist Infektion durch Fütterung zu versuchen. 12. Finden sich syjontan erkrankte Ratten oder gelingt die Infektion derselben, dann sind Deckglas- und Alkoholpräparate auch von diesen anzufertigen (Drüsen, Milz, Blut). 13. Soweit sich Gelegeiüieit tlazu bietet imd der Hauptzweck der Expedition dadurch nicht beeinträchtigt wird, sind andere Krankheiten in bezug auf ihr Vorkommen, ihre Verbreitung und Ätiologie zu berücksichtigen und Nachrichten sowie Material davon zu sammeln. 1 4. In erster Linie sind hierbei Malaria, Surra und Texasfieber zu beachten, ferner Lepra, Tuberkulose, Dysenterie, Bilharzia-Krankheit, Anchylostomen- Krankheit, Elephantiasis (wenn durch Filaria sanguinis bedingt), Ainhum; vmter den Tieren: Milzbrand, Rinderpest (Erkundigungen über die letzte Epidemie \md etwaige Residuen derselben), Blutjjarasiten der Tiere (Trypanosomen, malariaartige Parasiten namentlich bei Affen usw.). 15. Sammlung von Insekt(Hi, welche mit einem Stechrüssel versehen sind (hauiitsäclili< h Moskitos, Stechfliegen, Zecken). Dieselljen sind in Alkohol zu konservieren. Daressalam, den 27. Oktober 1897. Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an meinen Bericht vom 12. August d. J. die Ergebnisse meiner bisherigen Untersuchungen über die hier herrschenden A'ieh- seuchen ganz gehorsamst zu berichten. Nachdem vor 4 bis 5 Jahren die Rinderpest auf ihrem Zuge von den vSomaliländern nach Südafrika den größten Teil des Schutzgebietes verheert hatte, hörte man von ge- fährlichen Viehseuchen im Innern nichts mehr, und es scheint sich der Viehstand in den meisten viehzüchtenden Gebieten der Kolonie wieder in erfreulicher Weise gehoben zu haben; nur an der Küste kamen immer noch Seuchenausbrüche vor, denen viele Rinder zum Opfer fielen. Trotz der Bemühungen des Kaiserlichen Gouvernements, welches immer von neuem frische Tiere herbeischaffen ließ, kam die Viehzucht im Küsten- gebiet deswegen nicht vorwärts. Über diese Seuchen herrschte bis jetzt vollkommenes Dunkel : man wußte nicht, ob es sich nur um eine oder um verschiedene Krankheiten handle, ob die Krankheit aus dem Innern gebracht werde oder ob sie an der Küste entstehe. Durch die mikroskopische Untersuchung ließen sich diese Fragen glücklicher- weise sehr bald beantworten, und es ergab sich, daß das Viehsterben an der Küste durch zwei verschiedene Krankheiten, nämlich durch das Texasfieber und die Surra- oder Tsetsekrankheit, bedingt wird. Ich werde mich in diesem Bericht mit der letzteren Krankheit beschäftigen und eine Schilderung des Texasfiebers an der ostafrikanischen Küste sehr bald folgen lassen. Koch, Gesammelte Werke. 91 722 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. Am längsten kennt man die Surra- oder Tsetsekrankheit in Südafrika. Sie be- schränkt sich aber nicht allein auf die südlichen Gebiete des Erdteils, denn vor etwa 2 Jahren hatte ich im Auftrage des Auswärtigen Amtes Präparate zu untersuchen, welche aus Togo nach Berlin gesandt waren und welche sicli als der Tsetsekrankheit zuge- hörig herausstellten. Außerdem gehört eine in Vorder- indien weitverbreitete, unter dem Namen Surra schon seit langer Zeit bekannte Krankheit hierher. Nach den Veröffentlichungen, welche Dr. Bruce über die Tsetse- krankheit in Südafrika gemacht hat, nach dem, was ich an den Präparaten aus Togo gesehen habe, und nach den Mitteilungen, welche mir der langjährige Unter- sucher der Surra in Indien, Dr. L i n g a r d , gemacht hat, kann ich keinen wesentlichen Unterschied zwischen den an den verschiedenen Orten beobachteten Tsetse- und Surrakrankheiten erkennen und muß dieselben vor- läufig für identisch halten. Die Krankheit wird bedingt durch einen Parasiten, welcher im Blute der erkrankten Tiere lebt und von einem Tiere auf das andere durch stechende Insekten, in Süd- Surra- (Tsetse-) Trypanosoma. afrika und in Togo durch die Tsetsefliege, übertragen wü'd. Wie die Übertragung in Indien stattfindet, ist noch nicht mit Sicherheit ermittelt, aber höchst wahrscheinlich geschieht dies dort ebenfalls durch' St echf hegen. Der Parasit, eine Trypanosomaart, ist, wie aus der beifolgenden Skizze (Fig. 1) zu ersehen, zwei- bis dreimal so lang als der Durchmesser eines roten Blutkörperchens. Er hat eine fischähnliche Gestalt und schlängelt sich in lebhaften Bewegungen zwischen den Blutkörperchen hin. Ich habe ihn niemals im Innern von Blutzellen gesehen. Er ist farblos, ist aber leicht mit Anilinfarben zu färben. Wenn Tiere der Infektion ausgesetzt gewesen sind, erkranken sie nicht sofort, sondern nach einem Inkubationsstadium, welches bei den von mir angestellten künst- Uchen Übertragungen eine Dauer von 9 — 12 Tagen hatte. Der Beginn der Krankheit gibt sich durch Steigen der Körpertemperatur imd durch das Auftreten der Parasiten im Blute zu erkennen. Charakteristische anderweitige Symptome stellen sich nicht ein. Unter schnell zunehmender Schwäche, Blutarmut und Abmagerung können die Tiere bald zugrunde gehen, oder sie verfallen in ein mehr oder weniger lange Zeit sich hinziehendes Siechtum, bei dem, wie Dr. L i n g a r d nach- gewiesen hat und wie ich nach eigenen Beobachtungen bestätigen kann, die Parasiten aus dem Blute zeitweilig verschwinden, um periodenweise immer wieder von neuem zu erscheinen und schließlich das Tier nach vielen Monaten zugrunde zu richten. Ich habe in Indien im Versuchsstalle Dr. L i n g a r d s ein an Surra leidendes Tier gesehen, welches aufs äußerste abgemagert war und bereits länger als ein Jahr an der Krankheit litt, und auch in Ostafrika konnte ich Tiere beobachten, welche an dieser chronischen Form der Surra seit Monaten litten. Spontane Heilungen scheinen nicht oder doch nur ausnahmsweise vorzukommen. Ich entdeckte die Krankheit zuerst in Daressalam in einer dem Gouvernement gehörigen Herde bei einigen Tieren und kurze Zeit darauf anich bei einem Rinde, welches einem früheren Beamten gehörte und nie mit jener Herde in Berührung gekommen war. Später konnte ich die Krankheit noch auf der Insel Mafia unter den Tieren der Vieh- station Msikitini, auf der Viehstation Pugii, unter den Rindern des Häuptlings Baruck Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 723 in Barucksruh und in einer Herde nachweisen, welche für West-Usambara bestimmt, aber wegen Krankheitsverdachts in Mombo am Fulje des Gebirges zurückgehalten war. Im ganzen fand ich 26 Tiere an Surra erkrankt. Diese Zahl gibt aber bei weitem nicht an, wie groß die Verluste sind, welche durch die Krankheit bedingt werden und wieviel Tiere augenbhcklich unter dem Küstenvieh mit Surra behaftet sind. Viele Tiere sind schon auf dem Transport zur Küste und bald nach ihrer Ankunft zugrunde gegangen, und von den noch vorhandenen wurden nur die schwerkranken Tiere unter- sucht, und auch unter diesen ließen manche, obwohl die anämische Beschaffenheit des Blutes bestimmten Verdacht auf 8urra erweckte, bei der Untersuchung die Parasiten vermissen; vermutlich weil die Tiere sich gerade in einer parasitenfreien Zwischen- periode der Krankheit befanden. Schon bei den ersten Surrabefunden fiel es auf, daß die erkrankten Tiere sämthch eine und dieselbe Herkunft hatten. Die verschiedenen Herden setzten sich zusammen aus Vieh, welches aus dem Innern, und zwar aus verschiedenen Gegenden, hauptsächlich aber aus Kilimatinde und aus Iringa im viehreichen Uhehelande stammte. Obwohl nun Stallungen und Weide allen diesen Tieren gemeinschaftlich waren, so fanden sich Surrakranke doch nur unter dem Vieh aus Iringa. Das Vieh war zu verschiedenen Zeiten aus dem Innern gebracht und bald nach seiner Ankunft auf die einzelnen Stationen verteilt; auch das Vieh in Barucksruh, ein Geschenk des Gouvernements an Baruck, bestand zum Teil aus Iringarindern. Die einzige Ausnahme schien das in Privatbesitz befindliche Surrarind in Daressalam zu sein, aber beim Nachfragen stellte sich heraus, daß auch dieses Tier von seinem Besitzer einige Zeit vorher aus Iringa mitgebracht war. Es mußte somit der Verdacht entstehen, daß die Krankheit aus Iringa stamme. Nach dieser Richtung angestellte Erkundigungen ergaben indessen sehr bald, daß das Vieh im Uhehelande vorzüglich gedeiht und daß dort von der Surrakrankheit nichts bekannt ist. Es ließ sich aber dann weiter in Erfahrung bringen, daß das Vieh auf seinem Wege von Iringa zur Küste eine Gegend passieren muß, in welcher es unmöglich ist, Vieh zu halten, weil dort alle Tiere bei längerem Aufenthalte zugrunde gehen. Es ist dies das Tal des Ruahaflusses, und es hat den Anschein, als ob in dieser Gegend der Sitz der Krankheit und die Stelle der Infektion für das auf dem Wege zur Küste befindliche Vieh zu suchen ist. In diesem Falle würde der Ruaha für einen Teil des Schutzgebietes eine ähnliche Rolle spielen wie der Sambesi in Südafrika, welcher bekanntlich durch die an seinen Ufern herrschende Tsetsekrankheit allen Viehtransporten ein fast un- überwindliches Hindernis entgegenstellt. Es scheint mir auch nicht ausgeschlossen, daß außer dem Ruaha noch andere Flußniederungen in der Kolonie existieren, welche ebenfalls Surraherde bilden. Leider ist die Entfernung von der Küste zum Ruaha zu groß, als daß ich daran denken könnte, an Ort und Stelle Untersuchungen darüber an- zustellen, ob im Ruahagebiet die Tsetsefliege vorkommt, ob und welche Tiere in jenen Gegenden an Surra leiden und die Infektionsquelle für die Rinder bilden. In Südafrika hat man in dieser Beziehung die Büffel und großen Antilopen in Verdacht und hat be- hauptet, daß in den Gegenden, wo diese Tiere der vordringenden Kultur gewichen sind, auch die Tsetsekrankheit verschwunden ist. Vorläufig sollen auf meinen Vorschlag gelegentliche nach jenen Gegenden gerichtete Expeditionen Untersuchungsmaterial sammeln und weitere Erkundigungen einziehen. Auch sollen Anfragen in Form eines Fragebogens an alle Stationen im Innern gerichtet werden über das etwaige Vorkommen der Tsetsefliege und von surraähnlichen Viehkrankheiten. Auch sollen kleinere Vieh- transporte, zehn bis zwanzig stark, auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Jahreszeiten von Iringa und anderen geeignet erscheinenden Punkten zur Küste geführt werden, um allmählich zu erfahren, auf welchem Wege und zu welchen Zeiten 91* 724 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. mit möglichst geringen Verlusten Viehtransporte aus Uhehe zur Küste gebracht werden können. Die Surrakrankheit beschränkt sich nicht allein auf das Rind, sondern kann auch andere Tiere ergreifen. In Indien ist sie hauptsächlich bei Pferden, Kamelen, Elefanten beobachtet, und es sind gerade die bedeutenden Verluste an Kavalleriepferden für die indische Regierung die Veranlassung gewesen, dieser Krankheit seit einer Reihe von Jahren ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden und wissenschaftliche Untersuchungen über dieselbe anstellen zu lassen. In Ostafrika kommen in dieser Beziehung außer dem Rind nur solche Tiere in Betracht, welche an Stelle der Ochsen in Surragegenden als Trans- porttiere dienen könnten. Ich habe deswegen Ubertragungsversuche an einheimischen Eseln (sog. Massai- eseln) und Bastarden von Maskateseln und Massaieseln angestellt ; diese Versuche sind noch im Gange. Bei einem Vorversuche ist ein Massaiesel, welchem mehrere Kubik- zentimeter Surrablut injiziert wurden, gesund geblieben, während eine Kuh und zwei Kälber, denen zur Kontrolle dieselbe Injektion gegeben war, an Surra erkrankten und starben. Von anderen Tieren haben sich nur noch Hunde und Ratten als empfänglich erwiesen. Da auf den verschiedenen Stationen, namenthch in Daressalam, mit den surra- kranken Rindern andere Rinder in großer Zahl und auch Hunde wo(;henlang in bestän- diger Berührung waren und niemals eine spontane Übertragung vorgekommen ist, so ist anzunehmen, daß an der Küste die Bedingungen dafür nicht gegeben sind, höchst- wahrscheinlich weil es hier an einem unentbehrlichen Faktor für die Infektion mit Surra- parasiten, nämlich an der Tsetsefliege oder einem anderen zur Übertragung geeigneten stechenden Insekt, fehlt^). Aus diesem Grunde bedarf es auch, solange nicht gegen- teilige Erfahrungen gemacht werden, für die Küste keiner besonderen Isolierungs- und Desinfektionsmaßregeln. Ebensowenig sind Einschränkungen in bezug auf Verwertung des Fleisches und der Haut der erkrankten Tiere erforderlich. Es ist mehrfach vor- gekommen, daß ein Surratier geschlachtet, das Fleisch gegessen und die Haut in der Nähe des Viehstalles getrocknet wurde, ohne daß dadurch der geringste Nachteil für Menschen oder Tiere entstanden ist. Da man in Indien gefunden hat, daß die Ratten ziem- lich häufig Surraparasiten in ihrem Blut haben, und da man dort annimmt, daß die Ratten bei der Verbreitung der Krank- heit eine gewisse Rolle spielen, so habe ich meine Unter- suchungen auch auf diesen Punkt gerichtet. Es wurden bis jetzt 24 Ratten, sämtlich in Daressalam, aber in verschie- denen Häusern gefangen, untersucht und in der Tat bei zehn Tieren im Blute Parasiten gefunden, welche den Surrapara- siten auf den ersten Blick gleich zu sein schienen, sich aber doch bei weiterer Untersuchung als eine von diesem ver- schiedene Trypanosomaart herausstellten. Sie sind etwas länger und schlanker als das Surratrypanosoma und unter- scheiden sich von demselben besonders dadurch, daß das Kopfende in einen langen schnabelartigen Fortsatz ausläuft, während der Surraparasit am Kopfe fast stumpf endigt. Die Figur 2 der beigefügten Skizze, welche das Rattentrypanosoma darstellt, läßt diesen Fig. 2. Ratten- Trypanosoma. 1) Anmerkung: Auf der Heimreise erfuhr ich in Mombassa, daß das Verbreitungsgebiet der Tsetsekrankheit in Britisch- Ostafrika bis nahe an die Küste heranreicht, und es wurden mir zum Beweise dafür einige Tsetsefliegen übergeben, welche in der Nähe von Mombassa gefangen waren. K. Eeiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 725 Unterschied der Gestalt erkennen. Die Übertragung des Rattentrypanosonia auf andere Tiere als Ratten ist mir bisher nicht gelungen. Im Blute von Ratten, welche bereits Rattentrypanosomen hatten und überdies mit Surrablut geimpft waren, konnte ich beide Parasiten nebeneinander beobachten. Wurde solches Rattenblut, welches also beide Parasitenarten enthielt, auf einen Hund verimpft, dann erkrankte derselbe an Surra, er hatte in seinem Blute nur die 8urraparasiten, die Rattentrypanosomen. für welche der Hund unempfänglich ist, waren verschwunden. Es war also gelungen, die beiden Parasitenarten vermittels der Passage durch den Hund wieder voneinander zu trennen ; ein weiterer Beweis dafür, daß sie verschiedenen Arten angehören. Wegen der Artverschiedenheit ist denn auch anzunehmen, daß die hier bei Ratten vorkommenden Blutparasiten zur Surrakrankheit der Rinder keine Beziehungen haben. Über die Expedition des Stabsarzts Z u p i t z a habe ich noch gehorsamst zu be- richten, daß dieselbe von Daressalam am :50. August abgegangen und nach den bisher eingetroffenen Nachrichten wohlbehalten am 12. September in Kilossa und am 17. Sep- tember in Mpapua eingetroffen ist. Daressalam, den 15. November 1897. Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an meinen Bericht vom 27. Oktober cl. J. über das Texasfieber im ost afrikanischen Küstengebiet ganz gehorsamst zu be- richten. Ein gewisser Prozentsatz von Rindern, welche den seucheartigen Krankheiten an der ostafrikanisclien Küste erliegen, wird durch die Surrakrankheit fortgerafft, ein erheblich größerer aber durch eine Krankheit, welche in ihren Symptomen, Blutbefund und Leichenerscheinungen mit der in den Vereinigten Staaten als Texasfieber bekannten und von amerikanischen Forschern sorgfältig studierten Viehseuche so weit übereinstimmt, daß ich nicht anstehe, trotz einiger Abweichungen im Verhalten die hiesige Rinder- seuche als Texasfieber zu bezeichnen. Mit dem Texasfieber übereinstimmend sind zunächst die klinischen und anato- mischen Symptome. In den akut verlaufenden, meistens nach 1 bis 2 Wochen tödlich endenden Fällen zeigen die Tiere alle Erscheinungen, welche auf eine schwere Erkrankung hinweisen, aber an und für sich nichts Charakteristisches bieten; sie haben hohe Körper- temperatur, fressen nicht, sind sehr matt und hinfällig, und magern schnell ab. Daneben kann man aber gelegentlich ein Symptom beobachten, welches sofort den Verdacht auf Texasfieber erwecken muß, es ist dies eine mehr oder weniger stark blutige Färbung des Harnes. Dieselbe ist, wie die mikroskopische Untersuchung lehrt, nicht durch eine Beimischung von Blut, sondern von gelöstem Blutfarbstoff bedingt und somit als Hämo- globinurie zu bezeichnen. Merkwürdigerweise hatte man dieses wiclitige Symptom hier vollkommen übersehen oder wenigstens nicht beachtet. Nachdem ich darauf auf- merksam gemacht hatte, fand es sich, wie dies auch beim amerikanischen Texasfieber der Fall ist, zwar nicht in allen, aber doch in den meisten Fällen. Bei den Obduktionen zeigte sich der Urin in der Blase ausnahmslos stark blutig gefärbt, und wiederholt wurde mir Urin voreezeiet, welcher von den erkrankten Tieren abgesondert war und eine dunkel- rote, fast schwarze Farbe aufwies. Bei der Untersuchung der gefallenen Tiere konnte ich alle von den amerikanischen Forschern als besonders charakteristisch für das Texasfieber bezeichneten Verände- rungen konstatieren. Das Blut war sehr dünnflüssig und hatte einen deutlich gelblichen Farbenton. Das Unterhautfettgewebe, Muskulatur und alle Organe zeigten neben hoch- gradig anämischer Beschaffenheit ebenfalls eine unverkennbare ikterische Färbung. 726 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. Die Milz war stark vergrößert, zwei- bis dreimal so dick als bei gesunden Tieren; ihre Substanz war schwärzlich braunrot gefärbt, sehr weich. Die Leber war ebenfalls etwas vergrößert, hatte eine gelbliche Farbe, was besonders auf der Schnittfläche hervortrat, welche ein blaß gelblich marmoriertes Aussehen zeigte. In der Gallenblase fand sich regelmäßig eine ganz dickflüssige Galle, welche wie ein dünner grüner Brei aussah. Die Amerikaner haben die so beschaffene Galle treffend mit zerkautem Gras verglichen. An den übrigen Organen fand sich außer dem blutig gefärbten Urin, einer etwas dunk- leren Färbung der Nierenrinde und fleckiger Rötung der Schleimhaut des vierten Magens, des Duodenum und teilweise des Dünndarms nichts Auffallendes. Die mikroskopische Untersuchung der Organe ergab nur für die Leber einen sehr charakteristischen Befund, auf welchen die amerikanischen Forscher bereits hingewiesen haben. In der Umgebung der intralobulären Venen sieht man in mehr oder weniger weitem Umkreis die Leber- zellen stark verändert ; sie nehmen den Farbstoff nicht mehr an, stellenweise sind auch ihre Kerne nicht mehr färbbar, so daß man sie als abgestorben ansehen muß. Ihre Um- risse sind aber noch deutlich zu erkennen an den sie netzförmig umspannenden Gallen- kapillaren, welche mit einer gelbglänzenden soliden Masse angefüllt sind. Stellenweise sind die Gallenkapillaren so stark und gleichmäßig gefüllt, daß es so aussieht, als wären sie künstlich mit einer gelbgcfärbten Leimmasse injiziert, um sie sichtbar zu machen. Ich erinnere mich nicht, jemals bei anderen Krankheiten auch nur annähernd ähnliche Bilder in Leberschnitten gesehen zu haben, und möchte deswegen dieses Verhalten der Gallenkapillaren als ein sicheres Kennzeichen für das Texasfieber halten. Das größte Interesse mußte sich natürlich der mikroskopischen Untersuchung des Blutes zuwenden, in welchem, wie bekannt, T h. Smith und F. L. K i 1 b o r n e einen Parasiten nachgewiesen haben, den sie für die Ursache des Texasfieber halten. Dieser Parasit befindet sich in den roten Blutkörperchen und hat im vollkommen entwickelten Zustande eine birnenförmige Gestalt. Da in der Regel zwei solcher Para- siten dicht nebeneinander gelagert im roten Blutkörperchen gefunden werden, so hat man diesem sonderbaren Mikroorganismus den Namen Pyrosoma bigeminum beigelegt. Nach Angabe der Entdecker des Pyrosoma soll der Parasit Jugendformen besitzen, welche wie äußerst feine Pünktchen aussehen oder höchstens sehr kleinen Mikrokokken an Größe gleichkommen. Dieselben sollen ausschließlich in den milden Fällen des Texas- fiebers, dann aber in großer Zahl gefunden werden, so daß 5 — 50% der roten Blutkörper- chen davon besetzt sind. In den akuten schweren Fällen des Texasfiebers soll nur die große Birnenform des Parasiten vorkommen und nur ^2"^^% der roten Blutkörperchen damit infiziert sein. In einer gewissen Anzahl der von mir untersuchten Tiere konnte ich das ausge- wachsene Pyrosoma bigeminum nachweisen. Dasselbe entsprach der Beschreibung, welche Smith und K i 1 b o r n e davon gegeben haben, so vollkommen, daß gar kein Zweifel über die Identität des hier gefundenen und des bei den amerikanischen Rindern entdeckten Parasiten bestehen kann. Nur in bezug auf die Jugendformen des Pyrosoma und die Beziehungen derselben, sowie der erwachsenen Parasiten zu dem milden und zu dem schweren Texasfieber bin ich zu anderen Resultaten gekommen als die amerika- nischen Forscher. Ich fand nämlich gerade bei den schweren, schnell tödlich verlaufen- den Fällen in den roten Blutkörperchen eigentümliche Gebilde, welche stäbchenartig aussahen, so daß man sie für kleine Bazillen halten könnte. Dieselben sind häufig etwas gekrümmt, mitunter so stark, daß sie ringförmig werden und in diesem Falle den Para- siten der tropischen Malaria sehr ähnlich erscheinen. Öfters sind diese Stäbchen in der Mitte etwas dicker; sie zeigen dann deutlich eine doppelte Kontur und nehmen die Form eines Weidenblattes an. Zwischen solchen Formen und der Birnenform des erwachsenen Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 727 Pyrosoma finden sicli alle Übergänge, und ich habe infolgedessen die Überzeugung ge- wonnen, daß die von mir gefundenen l'arasiten die eigentlichen Jugendfornien des Pyro- soma bilden. Sie finden sich in den schwersten Fällen in außerordentlicher Menge; mitunter so reichlich, daß 80 — 90% aller roten Blutkörperchen davon besetzt sind. Meistens enthält ein Blutkörperchen 2 oder 4 Parasiten, vielfach aber nur 1 oder 3. So- weit meine Erfahrungen bis jetzt reichen, finden sich in den ganz akuten Fällen nur diese Jugendformen. Je langsamer der Verlauf ist, um so geringer wird die Zahl der Para- siten, und um so sicherer kann man darauf rechnen, daß auch erwachsene birnförmige Parasiten erscheinen. Im Blute derjenigen Tiere, welche die Krankheit überstanden haben oder von vornherein nicht merklich krank waren, aber zu einer infizierten Herde ge- hören, traf ich nur vereinzelte Jugendformen, gewöhnlich in Form von Ringen oder Halbringen. Um eine Vorstellung von den Formen der hier gefundenen Parasiten zu geben, erlaube ich mir eine Skizze beizufügen, welche nach methylenblaugefärbten Präparaten angefertigt ist (Fig. 3). Die obere Abteilung der Skizze zeigt die Jugendform, die untere das voll i'nt- wickelte Pyrosoma bigeminum. Ob diese Differenzen zwischen den Ergebnissen meiner Untersuchungen und den- jenigen der amerikanischen Forscher durch Verschiedenheit der Jahreszeit, des Klimas, der Viehrasse oder vielleicht der Untersuchungsmethode bedingt sind, vermag ich vorläufig nicht zu entscheiden. Die hier gegebene Beschreibung der Parasiten be- zieht sich auf die im Blut der lebenden Tiere vorkom- menden. Im toten Tier und namentlich bei der Kon- servierung von Organstücken in Alkohol nehmen die Parasiten eine Kugelgestalt an, wie auch Smith und K i 1 b o r n e bereits beobachtet haben. Im übrigen konnte ich das sehr merkwürdige Verhalten dieser Krankheit, so wie es von den ameri- kanischen Forschern und im Anschluß an diese in Süd- afrika, Australien, Italien, Donauländern usw. beobachtet • ist, vollkommen bestätigen. Dasselbe kommt bekannt- lich darauf hinaus, daß in Gegenden, wo das Texasfieber endemisch ist, das Vieh mehr oder weniger innnun geworden ist und von der Krankheit kaum merklich zu leiden hat. Solches Vieh kann vollkommen gesund und gut genährt aussehen, aber sobald es mit anderen, nicht gegen Texasfieber immunen Rindern in Berührung gebracht wird, sei es, daß letztere in eine Texasfiebergegend versetzt werden oder daß scheinbar ganz gesunde Rinder aus einer Texasfiebergegend nach anderen gesunden Gegenden gebracht werden, dann bricht nach einigen Wochen unter den nicht immunen Tieren die Seuche aus. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der infizierten Rinder geht zu- grunde, die übrigen kommen im Ernährungszustand sehr zurück, erholen sich aber ganz allmählich und sind dann für die Zukunft geschützt. Die Infektion soll in diesem Fall nicht unmittelbar von einem Tier zum anderen, sondern durch Vermittlung von Zecken vor sich gehen. Bis jetzt habe ich das Texasfieber bei 35 Tieren mit mehr oder weniger reichlichem Parasitenbefund konstatieren können, und in cinerHerde von 58Tieren, welche die Seuche überstanden hatten, habe ich 28 Stück mit vereinzelten Jugendfornien des Parasiten Parasiten des Texasfiebers (Pyrosoma). 728 Reiseberichte über Rinderpest usw. in Indien und Afrika. behaftet gefunden. Alle diese Tiere waren aus dem Inland an die Küste gebracht und bald nach der Ankunft erkrankt. Das im Küstengebiet heimische Vieh dagegen sieht, obwohl es mehrfach mit dem importierten und krank gewordenen Vieh zusammenge- kommen ist, wie ich mich namentlich auf der Insel Mafia überzeugen konnte, gesund aus und befindet sich in gutem Ernährungszustande. Es ist mir bis jetzt noch in keinem einzigen Falle gelungen, die Texasfieberparasiten bei einem Küstenrind nachzuweisen. Auf der Viehstation Pugu, etwa 20 Kilometer von Daressalam, wo das aus dem Innern lierangetriebene Vieh gehalten wird, fand ich in der ersten Zeit meines Hierseins nur Tiere, welche an Surra litten; nicht ein einziger Fall von Texasfieber kam dort vor. Erst als versehentlich Anfang September zwei Zugochsen von Daressalam nach Pugu geschickt und dort mit dem gesunden Vieh auf die Weide gegangen waren, stellten sich Fälle von Texasfieber ein. Die an Texasfieber erkrankten Tiere stammten nicht wie die Surrarinder aus einer bestimmten Gegend im Innern, sondern hatten die verschiedenste Herkunft. Bei weiterem Nachfragen stellte sich auch heraus, daß das Texasfieber nicht erst in neuerer Zeit sich an der Küste eingestellt hat. Eingeborene Schlächter und Viehhändler teilten mit, daß ihnen diese Erscheinung von jeher bekannt sei. Schon ihre Vorfahren hätten ge- wußt, daß die aus dem Innern erhandelten Tiere an der Küste Blutharnen bekommen und meistens zugrunde gehen, während Vieh von anderen Teilen der Küste und von Mafia ohne Gefahr zwischen den Küstenorten transportiert werden kann. Es geht daraus hervor, daß das Texasfieber an der ostafrikanischen Küste und auf der Insel Mafia schon seit langer Zeit endemisch herrscht. Vermutlich erstreckt sich dieses endemische Gebiet auch auf andere o.st afrikanische Inseln, wo Viehzucht getrieben wird, und reicht sowohl nach Norden wie nach Süden über das deutsche Schutz- gebiet hinaus. Namentlich nach Süden zu wird es bis an die englischen Kolonien sich erstrecken, wo das Texasfieber, nachdem es vom Norden her eingeschleppt wurde, seit 1870 beobachtet ist. Nach dem Innern zu scheint das endemische Gebiet, wenigstens in Deutsch-Ost- afrika, nur eine sehr geringe Ausbreitung zu haben. Schon wenige Meilen von der Küste entfernt hört man nichts mehr von Viehseuchen, die auf das Vorhandensein von Texas- fieber schließen lassen könnten. Dies hat seinen Grund aber einfach darin, daß von der Küste nach dem Innern zu ein viele Tagereisen breiter Strich Landes folgt, in dem so gut wie gar keine Rindviehzucht getrieben wird. Die daselbst wohnenden Völkerschaften mußten schon seit vielen Jahren infolge der Raubzüge der Massais und anderer Stämme die Viehzucht vollständig aufgeben. In dem endemischen Gebiete findet sich überall, soweit ich bis jetzt darauf achten konnte, die Rinderzecke, und zwar scheint es dieselbe Art zu sein, welche S m i t h und K i 1 b o r n e als die Vermittlerin der Infektion ansehen. Die hier gesammelten Exem- plare entsprechen vollkommen der Beschreibung und den Abbildungen, welche diese Forscher gegeben haben. Wenn das Vieh aus dem Innern frisch gebracht wird, ist es frei von Zecken; aber schon wenige Wochen später ist es mit vielen, oft Hunderten von Zecken, gewöhnlich am Halse, am Bauch und an der Innenseite der Oberschenkel besetzt. Ninnnt man die erwachsenen Zecken ab imd setzt sie in ein Glas, dann legen sie nach einigen Tagen eine erstaunliche Zahl von kleinen braunen Eiern ab. aus denen nach etwa 4 Wochen die jungen Zecken auskriechen. Die Frage, ob durch diese jungen Zecken die Krankheit übertragen wird, konnte ich im endemischen Gebiet nicht einwandfrei experimentell in Angriff nehmen, aber ich beabsichtige, nach dem texasfieberfreien West-Usambara junge Zecken aus Dares- salam zu bringen und dort Infektionsversuche damit anzustellen. Ich glaube dies un- Reiseberichte iiber Rinderpest usw. in Indien und Afrika. 729 bedenklich tun zu können, da bei dem Klima von West-Usambara ein Einnisten des Texasfiebers nicht zu befürchten ist. So wie die Verhältnisse jetzt liegen, kommt alles darauf an, daß das endemische Gebiet des Texasfiebers keine weitere Ausbreitung nach dem Innern zu gewinnt. Dies läßt sich nur dadurch erreichen, daß ein Verbot erlassen wird gegen den Transport von Küstenvieh nach dem Innern. Es ist dies bereits geschehen durch eine in Abschrift hier beigefügte Verordnung des Gouvernements. Ferner ist es notwendig, mit dem aus dem Innern zur Küste transportierten Vieh so zu verfahren, daß es einen möglichst geringen Verlust durch Texasfieber erleidet. Auch in dieser Beziehung sind die erforderlichen Schritte bereits getan. Es sollen die Viehtransporte nicht direkt zur Küste gebracht werden, sondern nach einem Ort, der leicht zu erreichen, zugleich aber frei von Texasfieber ist. Von da aus wird dann nach der betreffenden Küstenstation immer nur so viel Vieh — es handelt sich in diesem Falle nur am Schlachtvieli — getrieben, als der Bedarf gerade erfordert. Es muß dann natür- lich bald geschlachtet werden, auf jeden Fall so früh, daß es nicht erst an Texasfieber erkranken kann. Für Daressalam ist als Sammelplatz für das Inlandvieh Pugu in Aus- sicht genommen. Nach den hier angedeuteten Grundsätzen wird seit etwa zwei Monaten verfahren, und es ist damit erreicht, daß seit dieser Zeit das Texasfieber fast ganz verschwunden ist. Es sind mir in den letzten Wochen nur zwei Fälle vorgekommen, welche beide hier geborene Kälber betrafen. Außer diesen Maßregeln liabe ich noch \"ersuche in Anregung gebracht, welche sich gegen das Umsichgreifen der Zeckenplage richten sollen. Bei ganz kleinen Viehbeständen kann man die Zecken schon durch regelmäßiges Absuchen loswerden. Die Schmarotzer kommen dann nicht dazu, ihre Eier abzulegen und werden schließlich ausgerottet. Bei etwas größeren Beständen läßt sich diese Maßregel nur unvollkommen durch- führen, namentlich wenn wilde Tiere dabei sind, die sicli nicht berühren lassen. In diesem Falle will man in Australien mit Ölbädern, in Jamaika mit Einreibungen einer ]\lischung von Steinkohlenteer und Leinöl gute Erfolge erzielt haben. Hier ist zunäch.st dieses letztere Verfahren versucht. Dasselbe scheint sich nach dem. was ich bisher davon gesehen habe, sehr gut zu bewähren. Vom Stabsarzt Z u p i t z a ist hier die Nachricht eingetroffen, daß er am 9. Oktober in Tabora angelangt und von dort nach Muansa am Südende des Victoria-Njansa ab- marschiert ist. Ich beabsichtige am 23. November nach Tanga und von dort nach der Station Kwai in West-Usambara zu gehen. Voraussichtlich werde ich in Kwai am 10. Dezember ankommen, dort mich etwa einen Monat lang aufhalten und dann nach Daressalam zurückkehren . Daressalam, den 7. Oktol)er 1897. Runderlaß an die Bezirks- und Bezirksnebenäniler pp. Dem ]>]>. wird anliegend eine Verordnung betreffend Verbringen von Rindvieh von dem „Küstengebiete" nach dem Innern zur sofortigen Veröffentliclrung übersaudt. Es handelt sich hier um eine Angelegenheit von ganz hervorragender wirtschaftlicher Be- deutung. Die bisherigen Untersuchungen des Herrn Geheimrat Professor Dr. K o c h und die infolge- dessen auch ühev Vieherkrankungen im Zuge des ganzen Küstengebiets angestellten Erkundigvmgen 730 Reiseberichte über Einderpest usw. in Indien und Afrika. lassen es leider unzweifelhaft erscheinen, daß das ganze Küstenvieh mit Texasfieber durchseucht ist. Den letzten Anstoß zu der Verordnung hat die Peststellung gegeben, daß eine in den Pugubergen stehende Gouvernenientsherde aus Iringa stammenden Rindviehs durch ein i^aar Zugochsen des Gouvernements, die von Daressalam nach dort verbracht wurden, vollständig durchseucht ward. Das vom Verkehr auszuschließende Gebiet konnte in § 2 ebensowenig nach Lage der Sache für alle Fälle zutreffend normiert werden, wie auch den örtlichen Verhältnissen entsprechend nicht eventuelle nähere Bestimmungen für den Verkehr des Rindviehs innerhalb des ,, Küstengebiets" gegeben werden konnten. Nach dem Fortschreiten der Untersuchung bleibt daher in Aussicht zu neh- men, den örtlichen Verhältnissen entsprechend auf Befehl des Gouverneurs noch nähere ortspolizei- liche Bestimmung zur Ergänzung der allgemeinen Verordnung zvi erlassen. Der Kaiserliche Gouverneur. In Vertretung: gez. von Bennigsen. Verordnung betreffend Verbringen von Rindvieh aus dem Küstengebiet nach dem Innern. § 1. Das Treiben von Rindvieh nach dem Innern aus dem Küstengebiet wird wegen Verseuchung des letzteren mit Texasfieber verboten. § 2. Als Küstengebiet im Sinne des § 1 wird das Gebiet von 50 Seemeilen landeinwärts vorbehalt- lich anderweiter Festsetzting zunächst angesehen. § 3. Zugvieh, welches dem Küstengebiet entstammt oder aus dem Innern kommt und das Küsten- gebiet berührt hat, darf zu Rückfahrten in das Innere nicht mehr benutzt werden. § 4. Vergehen gegen § 1 und 3 der Verordnvmg werden mit Geldstrafe bis zu 1000 Rps., an deren Stelle im Unvermögensfalle Gefängnisstrafe bzw. Kettenhaft bis zu drei Monaten tritt, bestraft. Das fragliche Rindvieh wird konfisziert und obrigkeitlich getötet. § 5. Diese Verordnung tritt mit ihrer Publikation in Kraft. Der Kaiserliche Gouverneur. In Vertretung: gez. von Bennigsen. Daressalam, den 15. Februar 1898. Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an meinen Bericht vom 15. Nov. 1897 ganz gehorsamst zu melden, daß ich von der Expedition nach West-Usambara am 4. Februar 1898 in Daressalam wieder eingetroffen bin. Über die Ergebnisse, welche meine Untersuchungen gelegentlich dieser Expedition gehabt haben, sowie über den Fortgang der Expedition des Stabsarzt Z u p i t z a habe ich getrennte Berichte erstattet, welche hier beigefügt sind. Reiseljerichte über Ilinderpest usw. in Indien und Afrika. 731 Icli nehme an, daß Stabsarzt Z u p i t z a sich bereits auf dem Rückmärsche be- findet und gegen Mitte März die Küste erreichen wird. Unter dieser Voraussetzung hoffe ich, die mir gestellte Aufgabe bis April erledigen zu können, und ich gedenke, so- fern ich keine anderen Weisungen erhalte, dann von hier abzureisen, um im Mai wieder in Berlin zu sein. Daressalam, den 12. Februar 18!)8. Die in meinem letzten Berichte in Aussicht gestellten Versuche über die Beziehungen der Rinderzecken zum Texasfieber sind gelegentlich meiner Exkursion nach dem Usam- baragebirge zur Ausführung gekommen vnid liaben ein sehr befriedigendes Resultat ergeben. Dieselben wurden in folgender Weise angestellt. Es wurden in Daressalam, kin-z vor Beginn der Expedition, Rinderzeckon von Tieren entnonnnen, welche einer mit Texasfieber infizierten Herde angehörten und schein- bar gesund waren. Die Zecken wurden in ein Glas gesetzt und unter Watteverschluß aufbewahrt. Ganz in derselben Weise wurde mit Zecken verfahren, welche von einem texasfieberkranken Kalbe abgenommen waren (das Kalb hatte in seinem Blute die Texas- fieberparasiten in sehr großer Zahl, aber nur in den Jugendformoi : es starb schon am nächsten Tage). Als ich Daressalam wenige Tage später verließ, hatten die Zecken schon in beiden Gläsern begonnen, ihre Eier abzulegen. Während des Transports hatten sich dami die jungen Zecken enwitckelt, waren aber, da es beim Marsch durch die Steppe nicht immer möglich war, sie gegen die Glut der afrikanischen Sonne hinreichend zu scliützen, bei der Ankunft im Gebirge zum großen Teil wieder abgestorben. Immerhin brachte ich noch Hunderte von jungen Zecken lebend bis Kwai. Der Transport hatte zwei Wochen in Anspruch genommen. Sofort nach der iVnkunft in Kwai wurden die jungen Zecken auf gesunde Rinder gesetzt, welclie aus dem Innern des Landes stammten und vorlier niemals mit Texas- fieber in Berührung gekommen waren. Zwei Rinder erhielten die Zecken von den schein- bar gesmiden Tieren und zwei andere Rinder die jungen Zecken von dem texasfieber- kranken Kalbe. Selbstverständlich wurden die Versuchsrinder untereinander und von anderen Tieren streng getrennt gehalten. Die Entwicklung der Zecken war eine sehr ungleichmäßige. Im Verlauf von drei Wochen waren einige schon zur vollen Größe herangewachsen die meisten aber hatten geringere Größe in allen xVbstufungen bis zu mohnkorngroL^en schwarzen Körnchen. An jedem der ^^ersuchstiere konnten bis hundert und mehr Zecken gezählt werden. Auffallende Krankheitserscheinungen traten bei den Versuchstieren nicht ein ; aber am 22. Tage, nachdem die Zecken angesetzt waren, fanden sich bei der Blutunter- suchung zum ersten Male in den roten Blutkörperchen Exemplare von Pyrosoma bige- minum in der so außerordentlich charakteristischen birnförmigen Gestalt des erwach- senen Parasiten. Sehr interessant und bedeutsam gestaltete sich das Experiment weiter- hin dadurch, daß nur die beiden Rinder Texasfieberparasiten bekamen, welche mit den jungen Zecken vom texasfieberkranken Kalbe infiziert wurden. Die beiden anderen Rinder (mit jungen Zecken von gesunden Tieren besetzt) blieben dauernd frei von den Parasiten und bildeten somit ein sehr wertvolles Kontrollexperiment. Die Parasiten hielten sich 10 — 12 Tage im Blute der beiden Rinder, dann ver- schwanden sie. Sie hatten stets die Birnenform und waren verhältnismäßig wenig zahl- 732 Reiseberichte über Rinderpest iisw. in Indien und Afrika. reich. Dieser Verlauf der Infektion entsprach also der leichten Form des Texasfiebers, obwohl das Ausgangsmaterial von einem sehr akuten und schweren Fall abstammte. Es fragte sich nun, wie sich die Infektion bei fortgesetzten Übertragungen ge- stalten würde, ob dieselben dauernd den leichten Charakter bewahren oder zu einer schweren Form übergehen würde. Zu diesem Zwecke wurden mit dem Blute des einen der durch Zecken infizierten Tiere vier neue gesunde Rinder geimpft, und zwar erhielten sie je 20 ccm defibriniertes Blut unter die Haut gespritzt. In diesem Falle trat die Wirkung sehr viel schneller ein und war erheblich stärker. Sämtliche Tiere bekamen am 5. Tage nach der Blutinjektion Temperatursteigerungen, sie fraßen wenig oder gar nicht, hatten Muskelzittern, waren matt und erschienen zum Teil schwer krank. Im Blute fanden sich ebenfalls vom 5. Tage ab die Pyrosomen; sie waren viel zahlreicher als in der ersten Generation, hielten sich aber auch nur etwa 10 Tage im Blute und zeigten sich nur in der Birnenform. Genau ebenso verhielt sich noch ein dritter Infektions versuch, welcher noch in- sofern bemerkenswert ist, als außer zwei frischen Tieren, die vier Tiere vom ersten Ver- suche, welche die jungen Zecken erhalten hatten, ebenfalls 20 ccm Blut, welches Texas- fieberparasiten enthielt, subkutan eingespritzt erhielten. Die beiden frischen Tiere und die beiden im ersten Versuche gesund gebliebenen Rinder erkrankten danach an Texasfieber in der vorher geschilderten Weise und hatten Pyrosomen im Blut. Die beiden Rinder dagegen, welche durch Zecken infiziert gewesen waren und die Krankheit in einer sehr leichten Weise vorher überstanden hatten, blieben diesmal vollkommen ge- sund; sie zeigten weder Temperatursteigerung, noch konnten in ihrem Blute bei vielfach wiederholten Untersuchungen die Parasiten aufgefunden werden; sie waren also durch das einmalige Überstehen der Krankheit in leichtester Form vollkommen immun gegen die Wirkung einer Injektion von 20 ccm Texasfieberblut geworden. Die bisherigen Versuche berechtigen zu folgenden Schlüssen: 1. Es ist der ganz einwandfreie Beweis gelungen, daß junge Zecken, welche mit kranken Tieren überhaupt nicht in Berührung gekommen sind, das Texas- fieber erzeugen können. Dieselben müssen jedoch von Zecken abstammen, welche auf kranken Tieren gesessen haben. 2. Das Überstehen des Texasfiebers in der leichtesten Form verleiht vollkommene Immunität gegen eine Infektion mit erheblichen Mengen von Texasfieberblut. Es würde zu weit führen, wenn ich hier die große Tragweite, welche diese Resultate für die Wissenschaft und hoffentlich auch für die Praxis besitzen, erörtern wollte. Da es auch in der dritten Generation nicht gelungen war, schwere und schnell tödliche Form des Texasfiebers, wie ich sie an der Küste so oft zu sehen Gelegenheit gehabt hatte, zu erzielen, so brach ich die Versuche im Usambaragebirge ab und gedenke dieselben an der Küste, soweit meine Zeit dazu noch ausreicht, fortzusetzen. Zunächst sollen die in Kwai immunisierten Tiere noch daraufhin geprüft werden, ob sie auch gegen die natürliche Infektion im verseuchten Gebiet immun sind und wie sich dieselben gegen Injektion von Blut verhalten, welches die Jugendform des Texas- fieberparasiten enthält. Zu diesem Zwecke sind die sechs kräftigsten Versuchstiere von Kwai nach Daressalam geschafft und zugleich mit einigen aus Pugu bezogenen frischen, d. h. nicht immunen Rindern auf die verseuchten Weiden geschickt. Die Expedition nach dem Usambaragebirge ging auf dem Hinwege über Tanga und auf dem Rückwege über Pangani. Es bot sich mir hierbei vielfach Gelegenheit, Eeiseberichte übei' Riiuleiiiest usw. in Indien und Afrika. 733 weiteres Material über die Ausbreitung des Texasfiebers an der Küste im nördlichen Gebiet der Kolonie zu sammeln. Überall wo ich an den Küstenorten und in der Nähe der Küste Erkundigungen einzog, wurde mir bestätigt, daß frisch aus dem Innern be- zogenes Vieh sehr bald vom Texasfieber ergriffen wird und große Verluste erleidet. Aber schon wenige Tagereisen nach dem Innern zu, so namentlich in den Inseldörfern des Panganiflusses, trifft man ganz gesunde Viehherden, welche vollkommen frei von Zecken sind. Ein sehr charakteristisches Beispiel von Texasfieber bot sich mir in der Nachbar- schaft von Muhesa, der Endstation der Usambaraeisenbahn. Hier befand sich eine Herde von 33 Stück Rindern, unter denen in den letzten Tagen einige Tiere schwer erkrankt und zum Teil gefallen waren. Es wurden fünf Tiere, welche auffallend krank erschienen, untersucht und bei vier die akute und schwere Form des Texasfiebers kon- statiert, dem dieselben auch bald erlegen sind. Diese Herde bestand aus Beutevieh und stammte vom Kilimandscharo. Sie war sofort bis an die Küste nach Tanga ge- bracht, wo sie natürlich der Infektion mit Texasfieber ausgesetzt wurde. Hier hätte man sie lassen und als Schlachtvieh verwerten sollen, statt dessen wurde der Fehler begangen, sie wieder ins Innere zu schaffen und auf diese Weise das verseuchte Gebiet bis zur Eisenbahnstation Muhesa auszudehnen, während im Interesse des Viehtrans- ports gerade dieser Punkt hätte seuchenfrei gehalten werden müssen. Daressalam, den 10. Februar 1o charakteristischen großen birnförmigen Zwillingsparasiten auf ; im Laufe der Krankheit geht eine große Anzahl roter Blutkörper- chen zugrunde, so daß ihre normale Zahl von sechs bis sieben Millionen im Kubikmilli- meter auf zwei bis drei Millionen und noch weniger zu sinken pflegt. Bei der Zerstörung so vieler roter Blutkörperchen wird nun eine große Menge ihres Farbstoffes frei, ver- färbt das Blutserum, und wenn er dann durch die Nieren ausgeschieden wird, so gibt er Anlaß zu dem als Hämoglobinurie oder Rotwasser bekannten Zustande. Außerdem entsteht durch den Verlust einer so großen Menge roter Blutkörperchen eine für das Texasfieber höchst charakteristische erhebliche Anämie, und von dieser Anämie hängen die sich dann einstellenden Symptome und auch der Leichenbefund ab. Beim Rhodesischen Fieber verhält es sich ganz anders. Hier haben wir bei der mikroskopischen Blutuntersuchung bei jedem unserer Beobachtung unterstellten kranken Tiere zwar gleichfalls Blutparasiten aufgefunden, aber diese sind von ganz anderer Ge- stalt und beträchtlich kleiner als das Pyrosoma des Texasfiebers. In den Frühstadien der Krankheit sind sie in der Regel nicht sehr zahlreich, aber ihre Zahl wächst von Tag zu Tag, so daß schließlich in jedem roten Blutkörperchen oder in jedem zweiten ein oder mehrere kleine Parasiten enthalten sind. In den ersten Tagen der Krankheit werden bloß Stäbchen- oder sehr kleine ringförmige Parasiten beobachtet, wenn die Tiere aber etwas länger am Leben bleiben, so tritt eine Anzahl etwas größerer Parasiten in Erscheinung; diese bilden Scheiben oder gleichen in ihrem Umriß einem Blatte. Nur in Ausnahmefällen und nach längerer Krankheitsdauer finden wir außer den kleineren Organismen einige größere birnförmige Parasiten. Unter unseren Fällen mit tödlichem Ausgange beobachteten wir hier nur einen, bei dem die Anzahl der im zirkulierendem Blute vorhandenen Parasiten während des ganzen Krankheits- verlaufes niedrig blieb (ungefähr 1 Parasit kam auf 6 rote Blutkörperchen). In allen anderen Fällen waren die Parasiten sehr zahlreich vorhanden. Nur in vier Fällen wurden die birnförmigen Parasiten beobachtet, in zweien dieser Fälle dauerte die Krankheit verhältnismäßig lange (15 — 16 Tage); in den beiden anderen Fällen konnte die Krank- heitsdauer nicht sicher festgestellt werden. Ein anderer Unterschied besteht darin, daß die roten Blutkörperchen, obwohl sie numerisch reichlicher von Parasiten bewohnt sind als beim Texasfieber, doch nicht in demselben Maße zerstört und folglich auch nicht in ihrer Anzahl so herabgesetzt werden wie bei dieser Krankheit. In einigen der Fälle, bei denen Herr Gray eine tägliche Blutkörperchenzählung vornahm, ließ sich überhaupt keine Verringerung ihrer Anzahl beobachten. In anderen Fällen wurden wiederum Schwankungen in der Anzahl der Blutkörperchen beobachtet, Vorläufiger Bericht über das Ehodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". 751 wobei sie aber nicht unter 4 500 000 im Kubikmillimeter sanken. Nur einmal fiel die Zahl der Blutkörperchen auf 4 200 000 und ein andermal auf 2 380 000. Infolge der ver- hältnismäßig geringen Zerstörung der Blutkörperchen beobachten wir auch nur aus- nahmsweise Hämoglobinurie. Unter unseren Fällen wurde nur einmal eine charakteristische Hämoglobinurie während des Lebens wahrgenommen, und zwar bei dem Falle mit erhebliclier Verminde- rung der Anzahl der Blutkörperchen, während bei einem zweiten Falle sich bei der Sektion ■ein leicht rötlicher Urin vorfand, in dem spektroskopisch die Gegenwart von Hämo- globin festgestellt wurde. Das waren die einzigen Fälle von Hämoglobinurie, die wir sahen. Danach möchte es scheinen, daß bei dieser Krankheit verhältnismäßig wenig Blut- körperchen untergehen; und deshalb stellt sicli walirscheinlich keine bemerkenswerte Anämie, wie sie für das Texasfieber charakteristisch ist, ein. Fernerhin sind dem Rhodesischen Fieber gewisse Leichenbefunde eigen, die dem Texasfieber fehlen, nämlich lokale Schädigungen gewisser Organe, welche anzeigen, daß sich die Parasiten in diesen Teilen in enormer Zahl anhäufen, die Gewebe schädigen und die Zirkulation hemmen. Auf diese Ursache können die höchst charakteristischen Veränderungen bei dieser Krankheit zurückgeführt werden, so die Infarkte in den Nieren, den Lungen und der Leber, die Schwellung und Hämorrhagie der verschiedenen Ljnnph- drüsengruppen (Krural-, Traclieal-, Mesenterial-, Portal-, Bronchial- und Mediastinal- drüsen) und das Auftreten lokaler Ödeme, besonders in den Lungen, woraus ihr gelegent- lich vorgefundener, besonders schaumiger Inhalt resultiert. Daß diese Erscheinungen auf die Wirkung der Parasiten zurückzuführen sind, zeigt sich bei der mikroskopischen ITntersvichung ; wir finden dabei in allen diesen ver- schiedenen Teilen die Organismen in gewöhnlich reichlicher Menge, und wir haben da- selbst eine besondere Form beobachtet, die bis jetzt noch nicht beschi'ieben wurde, eine Form, aus der wir schließen müssen, daß hier eine Vermehrung von Parasiten stattfindet. Nach meiner Ansicht beweisen diese Unterschiede hinlänglich, daß das Rhode- sische Fieber, obwohl mit dem Texasfieber verwandt und zu derselben Klasse von Krank- heiten gehörig, doch ein von ihm deutlich verschiedenes Leiden darstellt; und wir können möglicherweise schließlich zu der Erkenntnis gelangen, daß wir es bei den Pyrosoma- krankheiten der Tiere mit einer Klasse von Krankheiten zu tun haben, deren ^^erhältnis zueinander dem unter den verschiedenen Typen der menschlichen Malaria bestehenden sehr ähnlich ist. Diese wurden ja früher als eine einheitliche Krankheit dargestellt, jetzt wissen wir aber, daß sie durch drei voneinander verschiedene Parasiten, nämlich den des Quartana-, des Tertiana- und des Tropentypus der Malariafieber, hervorgerufen werden. Wir müssen daher bei der Beschreibung solcher Pyrosomakrankheiten der Tiere deutlich unterscheiden zwischen Texasfieber und Rhodesischem Fieber, weil bei diesen zwei Krankheiten die betreffenden Parasiten, die von ihnen erzeugten Symptome und die pathologischen Veränderungen in den Organen verschieden sind. Zur Unterstützvnig meiner Ansicht, daß das Rhodesische Fieber ein besonderes Leiden darstellt, kann ich nocli eine andere Tatsache anführen, der gegenwärtig ein beträchtliches Gewicht hinsichtlich der LTnterscheidung von Infektionskrankheiten bei- gelegt wird ; es wurde nämlich von G r a y , R o b e r t s o n , P i t c h f o r d und T h e i 1 e r direkt durch Versviche nachgewiesen, daß Rinder von Natal und Transvaal, die bekannt- lich, weil dort Texasfieber herrscht, immun dagegen sind, ja daß sogar Rinder aus Texas selbst an Rhodesischem Fieber zu erkranken und auch daran zu sterben pflegen. Wären die beiden Krankheiten von genau gleichem Charakter, so hätte sich eine vollständige Immunität oder doch ein gewisser Grad derselben offenbaren müssen, das ist aber nicht 752 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische EotM'asser oder „Afrikanische Küstenfieber". der Fall; daher können sie nicht für identisch erachtet werden, und ebenso ist auch die Ansicht unhaltbar, das Rhodesische Fieber sei bloß eine ungewöhnlich virulente Form von Texasfieber. Noch eine andere Theorie wurde aufgestellt, daß nämlich das Rhodesische Fieber nicht eine einheitliche Krankheit darstellt, sondern eine Mischform; für diese Annahme besteht aber gar keine Wahrscheinlichkeit. Im Blute der von uns untersuchten Tiere fanden wir nur die für diese Krankheit charakteristischen kleinen Parasiten, und zwar immer in so reichlicher Menge, daß der Krankheits verlauf und der Tod der Tiere ohne jedes Bedenken ihrer Anwesenheit zugeschrieben werden konnte, und es lag daher keiner- lei Bedürfnis für die Annahme irgendeiner Mischinfektion vor. Ursprung der Krankheit. Es erhebt sich nun die Frage, ob diese offenbar neue Krankheit in Rhodesia ihren Ursprung nahm, oder ob sie anderswoher eingeschleppt wurde. Zur Beantwortung dieser Frage muß ich versuchen, der Entstehungsgeschichte dieses Seuchenausbruches nachzugehen. Ende 1900 wurden ungefähr 1000 für Rhodesia bestimmte Rinder aus Neusüd- wales in Beira gelandet, und da sie nicht auf einmal mit der Bahn befördert werden konnten, trieb man sie in das Veldt zur Weide. Sie weideten in der Nachbarschaft der Martini sehen Farm und mitten unter seiner Herde, die allem Anscheine nach voll- kommen gesund war und es in der Folge auch blieb. Zwei oder drei Wochen später brach die Krankheit unter dem australischen Vieh aus, das dann nach Umtali geschickt wurde und die Seuche mit sich schleppte. Wie konnte sich aber nun das australische Vieh infizieren ? In Neusüdwales ist keine derartige Krankheit bekannt, und während der Reise von Australien ereignete sich auch kein Todesfall unter diesen Tieren. Auch in Beira bestand keine offensicht- liche Krankheit. Die Aufgabe würde beinahe unlösbar sein, wenn ich nicht vor mehreren Jahren in den Besitz von einigem Material gelangt wäre, das den Beweis dafür liefert, daß näm- lich dieselbe Krankheit, die jetzt in Rhodesia ausgebrochen ist, auch an der ostafrika- nischen Küste herrscht, und daß sie in Deutsch-Ostafrika auf eine ähnliche Art land- einwärts geschleppt wurde, wie möglicherweise von Beira nach Umtali. Der Viehbestand an der Küste von Deutsch-Ostafrika ist anscheinend ganz gesund und in der besten Verfassung, sobald aber andere Rinder aus seuchenfreien Gebieten dorthin eingeführt werden, z. B. aus den inneren Teilen des Landes, und diese weiden auf Veldt, das Küstenrinder beweidet haben, so pflegen diese eingeführten Tiere zu er- kranken und fast alle zu sterben. Die Merkmale dieser Krankheit sind dieselben wie beim Rhodesischen Fieber, und im Blute dieser verseuchten Tiere, das ich oft untersucht habe, habe ich immer dieselben kleinen Parasiten gefunden, wie ich sie jetzt wieder in UmtaU, Salisbury und Bulawayo angetroffen habe. Unterwegs angestellte Beobachtungen über diese an der Ost- küste herrschende Krankheit. Auf der Herreise hatte ich Gelegenheit, drei Tiere zu untersuchen, die erst wenige Wochen zuvor aus dem Innern an die Küste Deutsch-Ostafrikas gebracht worden waren und die die ersten Krankheitssymptome zeigten, und deren Blut die auch beim Rhode- sischen Fieber vorhandenen charakteristischen Blutparasiten enthielt. Auch meine Assistenten fanden dieselben Parasiten im Blute mehrerer kranker Tiere in Sansibar. Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rötwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". 753 In Tanga sah ich vor 6 Jahren einen Seuchenausbruch von genau demselben Charakter, wie der jetzige in Rhodesia, wenn auch von geringerer Ausbreitung. In diesem Falle verschleppte eine in das verseuchte Gebiet von Tanga eingeführte und dort infizierte Herde die Krankheit nach Mohesa in das Innere. Gebietsteile, die vermutlich von dieser Krankheit befallen sind. Meine Nachforschungen ergaben, daß diese Seuche seit Generationen in Deutsch - Ostafrika und auf den benachbarten Inseln heimisch ist, und ich habe gute Gründe zu der Annahme, daß sie sich noch weiter südlich entlang der Küste erstreckt und aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Beira vorkommt. In Beira wurde mir mitgeteilt, daß früher häufig Rinder von Deutsch-Ostafrika und Madagaskar dorthin eingeführt wurden, und daß letztere Tiere, besonders wenn sie aus dem Süden der Insel stammten, bald erkrankten und starben, wogegen die Rinder von der ostafrikanischen Küste und den nördlichen Gegenden von Madagaskar gesund blieben. Zur Bestätigung dieser Feststellungen und um sehen zu können, ob deutsch-ost- afrikanische Rinder und solche aus Beira gegen das Rhodesische Fieber wirklich immun sind, was der Fall sein müßte, wenn meine Ansicht richtig ist, halte ich es für wohl- angebracht, einige Rinder von Deutsch-Ostafrika und von Beira nach Bulawayo zu schaffen und hier auf ihre Immunität zu prüfen. Weg, auf d e m die Krankheit wahrscheinlich Rhodesia e r r e i c h t e. Danach scheint mir folgende Annahme eine recht einleuchtende Erklärung für die Entstehung des vorliegenden Seuchenausbruches in Rhodesia zu bieten. Das hoch- empfängliche australische Vieh infizierte sich nach seiner Landung in Beira, das, wie ich glaube, zu dem verseuchten Küstengebiete gehört, und schleppte dann die Krank- heit in Rhodesia ein. Der S e u c h e n a u s b r u c h in Transvaal. Ich halte ferner auch die Annahme für gut begründet, daß sich das verseuchte Gebiet noch weiter südlich zur Delagoabai erstreckt, da vor einiger Zeit Transvaal von seiner südöstlichen Grenze her von einer sich langsam ausbreitenden Rinderseuche überzogen wurde, die nach allen Berichten dem Rhodesischen Fieber sehr ähnlich zu sein scheint. Identität d e i" beiden Seuchen in Transvaal und in Rhodesia. Herr T h e i 1 e r , Regierungs- Veterinärbakteriologe zu Prätoria, den ich um Übersendung einiger Blutpräparate aus verseuchten Gebietsteilen Transvaals ersuchte, kam meinem Wvnisclae freundlichst nach, und wir waren imstande, nachzuweisen, daß sich in den Präparaten aus verschiedenen Teilen Transvaals (Nelspruit, Herdepoort und Mooi Piaatz) genau dieselben Blutparasiten vorfinden wie hier im Blute der mit dem lokalen Rhodesischen Fieber behafteten Tiere. Auf welchem Wege die Seuche wahrscheinlich nach Transvaal gelangte. Es kann daher kein Zweifel darüber bestehen, daß dieselbe Krankheit, die jetzt in Rhodesia herrscht, auch in Transvaal vorkommt; ziehen wir aber die Lage der ver- seuchten Gebiete Transvaals und die früher und noeli jetzt vorhandenen Verkehrs- Koch, Gesammelte Werke. 93 754 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". hindernisse in Betracht, so ist meines Erachtens die Ansicht unhaltbar, daß sich die Seuche von Rhodesia dorthin ausgebreitet habe. Sehr wahrscheinhch ist indessen, daß die Seuche in Transvaal ganz auf dieselbe Weise Fuß faßte wie in Rhodesia, nämlich durch Einschleppung von der Küste her, in dem einen Falle von Beira, in dem andern von der Delagoabai. Anscheinend hat sich die Seuche in Rhodesia einem natürlichen Gesetze angepaßt, das sie vormals oft befolgte. Sie wurde, wie das vor kurzem in vielen anderen Fällen geschah, von den verseuchten Küstengegenden landeinwärts geschleppt, und daher erscheint es mir richtiger, sie als ,, Afrikanisches Küstenfieber", denn als ,,Rhodesisches Fieber" zu bezeichnen. Zieht man diese Tatsachen in Erwägung, so erscheint es rätlich, daß diejenigen Häfen an der ostafrikanischen Küste, welche jetzt als Eingangspforten für die Vieh- eiixfuhr nach dem Innern dienen, sorgfältig darauf untersucht werden, ob sie mit Afrika- nischem Küstenfieber" verseucht sind oder nicht; die, welche damit verseucht sind, müßten für Rinder gesperrt werden, oder die Einfuhr dieser Tiere dürfte nur unter solchen Bedingungen gestattet sein, die eine Einschleppung der Seuche von der Küste nach dem Innern unmöghch machen. Vorkommen von Immunität. Es erhebt sich nun eine andere wichtige Frage in bezug auf die vorliegende Epidemie, ob nämlich irgendeine dauernde Immunität gegen die Krankheit bei solchen Tieren zurückbleibt, die einen Krankheitsanfall überstanden haben. Gegen Texasfieber tritt bekanntlich Immunität ein, ob aber auch beim Rhodesischen Fieber irgend welche dauernde Immunität vorkommt, erscheint zweifelhaft, da Gray und Robertson in ihrem Berichte feststellen: ,,Die wenigen Tiere, die sich von dem ersten Anfall erholt hatten, bekamen in vielen Fällen ungefähr drei Monate später einen zweiten, der tödlich endete," und auch wir sahen in Salisbury einen Fall mit dem Tode des Tieres senden, von dem uns versichert wurde, daß es die Krankheit vor einigen Monaten überstanden habe. Das sieht ja nicht so aus, als ob wir auf Immunität rechnen könnten, und doch bin ich überzeugt, daß dergleichen besteht; wir hatten nämlich Gelegenheit, eine be- trächtliche Anzahl von Tieren zu beobachten und zu untersuchen, die die Seuche über- standen hatten, und die, obwohl sie eine Zeitlang auf infiziertem Veldt weideten, doch nicht wieder erkrankten und daher als immun gegen natürliche Ansteckung erachtet werden mußten. Einen hochinteressanten Gesichtspunkt für die Untersuchung dieser Tiere lieferte folgender Fund. Ihr Blut enthielt, obwohl sie vollkommen gesund zu sein schienen und nicht die geringste Temperaturschwankungen zeigten, eine geringe Anzahl von Parasiten. Diese können nur mit Hilfe eines Farbreagens (Agur II) genügend sichtbar gemacht werden, wodurch, ähnlich wie bei der Romanowsky sehen Färbemethode für Malaria, das Chromatin in den Parasiten dunkelrot gefärbt wird. Nach dieser Färbemethode kann jeder einzelne Parasit mit Sicherheit nachgewiesen werden, und es läßt sich hoffen, daß immune Tiere auf diese Weise leicht und sicher erkannt werden können. Eine solche Immunität gegen Rhodesisches Fieber, die durch die Gegenwart einer geringen An- zahl von Parasiten im Blute gekennzeichnet ist, gleicht der beim Texasfieber in hohem Maße, da hier ebenfalls Parasiten in gewisser Anzahl im Blute immuner Tiere vorhanden sind, wie das die Reaktion nach Impfungen mit deren Blute beweist. Die Gegenwart solcher Parasiten im Blute eines anscheinend gesunden Tieres kann als ein Zeichen da- für gelten, daß ein solches Tier durch ihre Anwesenheit in seinem Wohlbefinden nicht beeinträchtigt wird, also immun sein muß. Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". 755 Beziehungen der Zecken zu der K r a n k h e i t . Da wir wissen, daß bei den Pyrosoma-Krankheiten, zu denen das Rhodesische Fieber gehört, Zecken als Vermittler der Ansteckung eine hochwichtige Rolle spielen, so habe ich mich mit dieser Seite der Frage eingehend beschäftigt. Es wurde mir dies dadurch besonders erleichtert, daß es mir bei meinen früheren Untersuchungen über die Pyrosoma-Krankheit zu Daressalam, die ich oben mit dem Rhodesischen Fieber identifiziert habe, gelang, diese Krankheit mit infizierten Zecken in den weit entfernten Bergen von Usambara zu erzeugen und so den Beweis zu liefern, daß die Zecken ebenfalls die Zwischenträger bei dieser Krankheit abgeben. Lasse ich einige seltene Zeckenarten beiseite, so gehören nach meinen Funden die Rinderzecken iia Rhodesia denselben Arten an, die nach den gewöhnlichen Beschreibungen in ganz Südafrika vorkommen. Die in Rhodesia g e f u n d e n e n Z e c k e n und i h r e vermutlichen Beziehungen zu der Seuche. Es sind folgende : Rhipicephalus decoloratus, Rhipicephalus Evertsi und Hyalomma Aegyptium, und diesen müssen wir hinzufügen Rhipicephalus sanguineus, die gemeinste Zecke in Rhode- sien. In Umtali fanden wir auch Amblyomma variegatum häufig auf Rindern und dann und wann Haemaphysalis Leachi, dessen gewöhnlicher Wirt der Hund ist. Wirklich wichtig sind unter diesen Zecken nur die verschiedenen Arten von Rhipi- cephalus. und davon ganz besonders Rhipicephalus decoloratus oder blaue Zecke, weil dieses Insekt sehr nahe mit Zecken verwandt ist, die in Amerika (Rhipicephalus annu- latus) und in Australien (Rhipicephalus Australis) das Texasfieber übertragen, und auch deshalb, weil sie als die Zecke bekannt ist, die das Texasfieber in Südafrika ver- breitet. Aus diesem Grunde können wir vermuten, daß Rhipicephalus decoloratus auch der Zwischenträger bei Rhodesischem Fieber ist. Bis jetzt wurden darüber noch keine direkten Versuche angestellt, und es besteht daher die Möglichkeit, daß die anderen beiden irrten von Rhipicephalus auch als Vermittler dienen. Versuche zur Entscheidung dieser Frage sind schon im Gange. Was den Rhipicephalus decoloratus betrifft, so unterscheidet er sich bekannt- lich von der amerikanischen und der australischen Art durch den Besitz von nur 6 Zahn- reihen an seinem Saugapparate (labium), anstatt der 8 Reihen bei den beiden anderen. Unterschied zwischen Küsten- u n d r h o d e s i s c Ii e n Zeck e n. Bis jetzt ging die allgemeine Ansicht dahin, daß das Verbreitungsgebiet des Rhipi- cephalus decoloratus an der ostafrikanischen Küste sich weit nach Norden erstreckte; ich legte daher auf meiner Reise entlang der Küste von Zecken aus den verschiedenen Landungshäfen eine Sammlung an und fand, daß von Mombassa bis Beira, mit Aus- nahme der Insel Ibo, überall Exemplare von Rhipicephalus vorkommen, und vniter diesen eine Art, die bei flüchtiger Betrachtung dem Rhipicephalus decoloratus gleichen könnte, die aber bei sorgfältiger Untersuchung 8 Zalnircihen aufwies; sie steht daher den amerikanischen und australischen Abarten näher, als dem afrikanischen Rhipi- cephalus decoloratus. Dieses Exemplar findet sich überall entlang der Ostküste Afrikas bis südlich nach Beira, und ich vermute, daß es auch in der Delagoabai und darüber hinaus vorkommt. V^on dem ersten Rhipicephalus decoloratus habe ich nicht einen einzigen Vertreter an der Küste gefunden, in Rhodesia kommt jedoch, soweit meine Nachforschungen reichen, bloß Rhipicephalus decoloratus. mit (i Zahnreihen vor. Auch habe ich in Rhodesia kein Exemplar der mit 8 Zahnreihen versehenen Küstenspezies 93: 756 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". gefunden. Diese Tatsache liefert den Beweis, daß die australischen Rinder, als sie die Seuche von Beira nach Rhodesia einschleppten, nur den Erreger der Krankheit nach Umtali brachten, nicht aber auch die Küstenzecke, die die Krankheit auf sie übertrug; unglücklicherweise stellte sich aber heraus, daß in Rhodesia bereits eine Zeckenart vor- handen war, wahrscheinlich der Rhipicephalus decoloratus, der sich zur Übertragung der Krankheit ebenso eignet, wie der Rhipicephalus an der Küste. Maßnahmen. Ich komme schließlich zu der Frage, wie sich die Seuche weiter entwickeln wird und auf welche Weise wir ihre Weiterverbreitung bekämpfen können. Könnte nichts gegen die Seuche getan werden, so würde sie ganz zweifellos jedes Gebiet, in dem sie zum Ausbruch gelangt, ständig verseuchen, und mit der Zeit würde ganz Rhodesia ebenso stark darunter zu leiden haben, wie bereits Umtali, Salisbury und andere Orte. Es pflegen bloß 10 — 20% der Rinder am Leben zu bleiben, diese Tiere pflegen aber immun zu sein und eine immune Nachzucht zu liefern, die in Rhodesia ebenso gedeihen wird, wie jetzt an der Küste. Es wird sich derselbe Zustand entwickeln, wie in den südlichen Staaten Nordamerikas, in Queensland und an der ostafrikanischen Küste; das einheimische Vieh wird nicht offensichtlich krank, es kann gesund und kräftig erscheinen, aber die Brut von an solchen Tieren reif gewordenen Zecken pflegt für Rinder, die aus unverseuchten Gegenden kommen, pathogen zu sein. Dieser Zustand kann schwerlich als befriedigend erachtet werden. Außerdem ist zu befürchten, daß dieser natürliche Immunisierungsprozeß sehr langsam und launenhaft vor sich geht, und in- folgedessen wird sich die Viehzucht in Rhodesia für viele Jahre nicht lohnend gestalten. Bei dieser Alternative ist es unbedingt notwendig, daß man der Seuche nicht freien Lauf läßt, sondern daß man sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. Ein Radikalmittel wäre die Vernichtung aller Zecken. Dieses wurde jahrelang in den Texasfiebergegenden angewandt, aber leider ohne merkbaren Erfolg; denn es ist zwar möglich, durch Baden und Besprengung eines Tieres die meisten der an ihm sitzenden Zecken zu töten, wie wir aber hier an einigen regelrecht gebadeten Rindern feststellen, bleiben dabei einige am Leben, und es genügen gewöhnlich sehr wenige Zecken zur Er- zeugung einer großen Anzahl junger, die die Krankheit mit Sicherheit weiterverbreiten. Erzielung künstlicher Immunität und damit verbundene Schwierigkeiten. Es kamen daher die Sachverständigen in Nord- und Südamerika, wie auch in Australien zu dem Schlüsse, daß es wohl angebracht sei, die Tiere durch Impfung gegen die Krankheit zu schützen. Anfangs fielen diese Impfungen nicht immer befriedigend aus, da manchmal das zu Impfzwecken benutzte Blut zur Erzielung einer Schutzwirkung zu schwach oder aber zu virulent war. Erst als man Blut von so immunen Tieren er- langen konnte, welche eine zur Immunisierung genügend starke Reaktion gewährten, und man diesen Virulenzgrad aufrechterhalten konnte, kamen die gewonnenen günstigen Resultate zum Vorschein. Ein solches Verfahren müssen wir auch bei der Bekämpfung des Rhodesischen Fiebers anwenden, und es muß unser Bemühen sein, ein brauchbares Virus zu finden, was bei der außerordentlichen Bösartigkeit des Rhodesischen Fiebers mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden ist; und wenn erst einmal die Tatsache feststeht, daß eine natürliche Immunität gegen diese Krankheit wirklich vorkommt, so wird sich ohne Zweifel ein Verfahren zur Erzeugung künstlicher Immunität früher oder später auffinden lassen. Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Kiistenfieber". 757 Es bleibt uns dann noch übrig, einen zuverlässigen Impfstoff von so hoher Wertig- keit aufzufinden, daß wir damit ein Maximum von Immunität bei einem Minimum von Impfverlusten erzielen. Sollte ein solcher Impfstoff auf keine andere Weise zu er- langen sein, dann müßten wir uns bemühen, die Virulenz des Krankheitserregers ab- zuschwächen, z. B., indem wir ihn in anderen Tieren als Rindern fortzüchten, oder nach irgendeiner anderen Methode, von der wir hoffen können, daß sie uns den gewünschten Impfschutz liefert. Daß dies möglich ist, beweist ein Immunisierungs verfahren, das ich bei meinen früheren Versuchen in Ostafril^a zufällig fand, und bei dessen Anwendung gewisse Rinder einer nachträglichen natürlichen Infektion widerstanden. Natürlich werde ich mein Äußerstes daran setzen, sobald wie möglich, einen brauch- baren Impfstoff herzustellen. Um Zeit zu sparen, werde ich gleichzeitig nach sehr verschiedenen Richtungen hin Versuche anstellen, und dazu brauche ich viele gesunde Tiere. Je mehr Tiere wir zu diesen Versuchen zur Verfügung haben, desto eher dürfen wir hoffen, unsere Arbeiten zu einem befriedigenden Abscliluß zu bringen. Bulawayo. den 26. März 1903. Zweiter Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber".'] Von Professor Dr. Robert Koch. Gegenstand dieses Berichtes. Indem ich hiermit meinen zweiten Bericht über das Afrikanische Küstenfieber überreiche, bemerke ich ergebenst, daß ich bei dem jetzigen Stande unserer Unter- suchungen noch nichts liefern kann, was als ein abschließendes Ergebnis unserer Studien anzusehen wäre; ich kann nur die Richtungen angeben, in denen wir unsere Unter- suchungen fortführten, ihren Fortschritt und ihren gegenwärtigen Stand. W a r u m zu diesen Versuchen viel mehr Zeit erforderlich ist, als zu solchen über Rinderpest. Versuche über Afrikanisclies Küstenfieber erfordern viel mehr Zeit als solche über Rinderpest. Bei der Rinderpest erhält man negative oder positive Versuchsergebnisse in jedem Falle innerhalb ein bis zwei Wochen, wozu hingegen beim Afrilianischen Küsten- fieber vier Wochen nötig sind, da die Inkubationszeit bei dieser Krankheit noch unbe- stimmt ist; bei Versuchen mit Zecken ist der Zeitaufwand sogar noch größer, da ein bis zwei Monate bis zum Auskriechen der Zecken vergehen und ein weiterer Monat, bevor der Versuch als abgeschlossen gelten kann — dadurch stellt sich die Gesamtdauer für Versuclie mit Zecken auf zwei oder drei Monate. Versuche mit gesunden Tiere n. Bald nach Absendung meines ersten Berichtes wurde eine Reihe von Versuchen an gesunden Tieren in Angriff genommen. Die dazu erforderlichen Versuchstiere be- zogen wir aus dem Plumtree-Distrikt, im Süden Rhodesias, der bis jetzt noch seuchen- frei ist. Die gesunden Tiere wurden von Plumtree bis Bulawayo mit der Bahn befördert, dort ausgeladen und auf der Landstraße nach Hillside Camp getrieben. Dort Avurde ^) Presented to the legislative Council. 1903. Salisbury. Argus printing and Publishing Company. 758 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". jedes Tier bei seiner Ankunft, um dadurch einer etwaigen Infektion en route zuvor- zukommen, mit einer 5 proz. Lösung von Paraffin in Wasser (,,with a 25 per cent. Solution of paraffin in water") gut besprengt und dann wurden alle in Gebäuden untergebracht, die durch einen sie- in vier Yard Abstand umgebenden Drahtzaun abgeschlossen wurden. Um jede Möghchkeit auszuschließen, daß sich Zecken noch innerhalb der Einzäunung befänden, war alle Vegetation und alles Gras daraus entfernt worden, und das Futter für die Tiere stammte aus Kimberley, einem seuchenfreien Gebiete. Befriedigendes Ergebnis dieser Vorsichtsmaßregeln. Daß diese Vorsichtsmaßregeln hinlänglichen Schutz gewährten, beweist die Tat- sache, daß unter diesen Tieren nach ihrer Ankunft in Bulawayo kein Fall einer zufälligen Infektion von außerhalb vorkam. Voruntersuchung gesunder Tiere vor ihrer Verwendung zu den Versuchen. Bei jedem Transport gesunder Tiere wurde nach seiner Ankunft zunächst eine mikroskopische Blutuntersuchung vorgenommen. Diese Untersuchung ergab die be- merkenswerte Tatsache, daß das Blut von vielen dieser Tiere die bekannten birnförmigen Mikroorganismen des gewöhnlichen Texasfiebers oder Rotwassers enthielt, was beweist, daß im Plumtree-Distrikt gewöhnliches Texasfieber endemisch herrscht. Ein interessanter Befund bei diesen Untersuchungen. Unter der ersten Sendung von 18 Stück aus Plumtree waren birnförmige Orga- nismen in nicht weniger als 8 Fällen zugegen, obwohl alle Tiere augenscheinlich voll- kommen gesund waren, woraus ersichtlich ist, daß die Ansteckung nicht neueren Datums, sondern vielmehr schon länger her war. Diese Tatsache ist von bedeutender Tragweite für die ganze Untersuchung und muß bei unseren weiteren Arbeiten in Rücksicht ge- zogen werden. Schlußfolgerungen aus der Untersuchung gesunder Tiere. Einige Versuche, die wir mit dem Blute solcher die Mikroorganismen des gewöhn- lichen Rotwassers enthaltenden Tiere anstellten, und andere, uns vom Chefveterinär Gray gelieferte Daten erbrachten den zwingenden Beweis, daß das gewöhnliche Rot- wasser entlang den Hauptverkehrsstraßen durch ganz Rhodesia zwischen Bulawayo und dem Süden, zwischen Bulawayo und Salisbury und entlang anderen Handelswegen lange Zeit bestand; und es kann daher von jedem Ochsen, der irgendeine längere Zeit hindurch auf diesen Straßen gearbeitet hat, mit Recht vermutet werden, daß er in seinem Blute die Erreger des Rotwassers beherbergt. Was zu erwarten ist, wenn solche anscheinend gesunden Tiere der Möglichkeit ausgesetzt werden, sich mit einer anderen Krankheit zu infizieren. Nun wissen wir, daß so beschaffene Tiere bei ihrem Aufenthalte in Gegenden mit endemischem Texasfieber, oder wenn sie daher bezogen werden, an Rückfällen er- kranken können. Diese Rückfälle tun sich mikroskopisch durch das Auftreten zahl- reicher Texasfiebererreger kund und treten mit großer Wahrscheinlichkeit dann ein, wenn solche Tiere von irgendeinem anderen fieberhaften Leiden befallen werden, wo- durch ihre Widerstandskraft herabgesetzt wird, da eine solche Schwächung ihrer Wider- Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfiel>er". 759 Standskraft den Texasfiebererregern die Möglichkeit bietet, sich zu vermehren. Er- fahrungen dieser Art sind nicht ungewöhnhcli bei der Rinderpest; es hat sich da heraus- gestellt, daß sich bei einem gegen Texasfieber immunen, aber seine Erreger noch im Blute beherbergenden Tiere, wenn es von Rinderpest befallen wird, nicht allein Rinder- pest, sondern zu gleicher Zeit auch noch Texasfieber entwickelt.. Auch viel unerheb- lichere Störungen, als solche schweren Erkrankungen, können bei besonders dazu ver- anlagten Tieren, wenn sie kurze Zeit vorher an Rotwasser gelitten haben, einen neuen Anfall hervorrufen; so genügt dazu manchmal schon eine bloße Steigerung der Körper- temperatur, wie sie sich infolge von Überanstrengung einstellen kann. Wie sich nach diesen Beobachtungen gewisse P h ä n o m e n e erklären lassen, die im Verlaufe dieses S e u c h e n a u s b r u c h e s beobachtet wurden. Auf Grund dieser Erfahrungen dürfte man erwarten, daß solche prädisponierte Tiere, die kurz zuvor an Rotwasser gelitten haben, wieder Symptome davon zeigten, wenn sie von Afrikanischem Küstenfieber befallen werden ; und an der Hand einer solchen Hypothese ergibt sich eine sehr einfache Erklärung für gewisse während der jetzigen Epidemie beobachtete Phänomene, wie die Gegenwart großer birnförmiger Organismen im Blute gewisser Rinder und das Auftreten von Hämoglobinurie. Diese birnförmigen Parasiten finden sich nicht in allen Fällen von Afrikanischem Küstenfieber, sie treten auch nicht gleichzeitig mit den bazillären Formen auf, sondern zeigen sich erst in den späteren Stadien der Krankheit ; während wir dagegen die gelegentlich beobachtete Hämoglobinurie nur in solchen Fällen antrafen, bei denen sich die birnförmigen Orga- nismen, die bis jetzt als für Texasfieber charakteristisch gelten, neben den bazillären Parasitenformen vorfanden. Zusammenfassung. Insgesamt haben wir das Blut von 91 kranken Tieren untersucht. In jedem Falle fandeii wir die kleinen Erreger des Afrikanischen Küstenfiebers, aber nur in zehn Fällen in Verbindung mit den größeren birnförmigen Organismen, und bei sechs von diesen letzteren haben wir blutigen Urin beobachtet. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß sich unter den Tieren, deren Blut wir untersucht haben, eine gewisse Anzahl besonders dazu veranlagter und latent an gewöhn- lichem Rotwasser leidender Tiere befand, bei denen diese Krankheit wieder offen aus- brach, als sich bei ihnen infolge eines Anfalles von Afrikanischem Küstenfieber eine hohe Temperatin-steigerung einstellte. B e m e r k u n g e n zu dem S e u c h e n v e r 1 a u f e bei de m a u s t r a 1 i s c h e n V i eh. Zm- Unterstützung dieser Theorie kann auch eine Betrachtmig des Seuchenaus- bruchs dienen, der das eingeführte australische Vieh hinwegraffte. Hier hatten Avir Tiere, die sowohl für Rotwasser, als auch für Afrikanisches Küstenfieber empfänglich und der Ansteckung mit beiden Seuchen ausgesetzt waren. Vermutliche Ursache f ü i- diesen Verlauf. Wahrscheinlich waren nun einige empfänglicher für das gewöhnliche Rotwasser, oder es ist das Inkubationsstadium bei Afrikanischem Küstenfieber länger als bei Texas- fieber, sei es nun aus dem einen oder dem anderen Grund; das Rotwasser von dem ge- 760 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieher". wohnlichen kolonialen Typus trat zuerst unter ihnen auf, während bei den später beob- achteten „atypischen" Fällen wahrscheinlich das Krankheitsbild des Afrikanischen Küstenfiebers in den Vordergrund trat. Möglichkeit von Trugschlüssen bei den Versuchen mit Blut von an Mischinfektion leidenden Tieren. Der Umstand, daß das Afrikanische Küstenfieber wahrscheinlich eine längere Inkubationsdauer als das Texasfieber hat, und das in gewissen Fällen gleichzeitige Vor- kommen von Erregern des Afrikanischen Küstenfiebers und des gewöhnlichen Rot- wassers im Blute desselben Tieres bietet uns eine Erklärung für die bei gewissen künst- lichen Übertragungsversuchen erhaltenen anscheinend positiven Resultate, die auf das gewöhnliche Rotwasser als die alleinige Ursache des gegenwärtigen Seuchenausbruches hinzuweisen schienen. Wenn nämlich zur Impfung das Blut eines zu gleicher Zeit an zwei Krankheiten leidenden Tieres verwandt wurde, wovon die eine Krankheit eine kürzere Inkubationsdauer hat als die andere, so wird die Krankheit mit der kurzen Inkubationsdauer zuerst in Erscheinung treten; reagiert dann der Tierkörper darauf mit bestimmten charakteristischen Symptomen, so kann ein solcher Impfversuch sehr irreführen. Impfergebnisse bei gesunden Tieren. Bei Beginn unserer Versuche mit gesunden Tieren erwarteten wir, die Krankheit ohne Schwierigkeit durch subkutane Einimpfung des Blutes kranker Tiere hervorrufen zu können; es gelingt dies leicht beim gewöhnlichen Texasfieber, wo die Infektion von 5 ccm virulentem Blut fast immer einen schweren und häufig einen tödlichen Anfall hervorruft; und da wir annahmen, daß Impfungen mit virulentem Blute in Fällen Afrika- nischen Küstenfiebers eine ähnliche Wirkung haben würden, so war unsere Überraschung um so größer, als wir dann fanden, daß solche Tierimpfungen unwirksam waren, bei denen wir Blut, das die kleinen Parasiten in reichlicher Menge enthielt, subkutan in- jizierten. Da es von Wichtigkeit war, ganz einwandfrei festzustellen, daß sich die Krank- durch solche Überimpfungen nicht übertragen läßt, wurden viele derartige Versuche mit wechselnder Blutmenge und wechselnder Versuchsanordnung angestellt. Anstatt defibri- nierten Blutes, das wir zuerst benutzten, wurde direkt aus der Jugularvene gelassenes frisches Blut in noch warmem Zustande verwandt, indem wir es subkutan, intravenös und intraperitoneal einspritzten. In einigen Fällen wurde das zur Injektion dienende Blut mit einer Emulsion von Milzpulpa und von Lymphdrüsen vermischt, da diese Organe, wie ich schon in meinem ersten Berichte erwähnte, eine große Menge von den Vermehrungsformen der Parasiten enthalten. In anderen Fällen wurden große Dosen virulentes Blut injiziert, so 2000 ccm subkutan und 5000 ccm intravenös, aber mit keiner dieser Methoden gelang es uns, die Krankheit zu erzeugen. Kein einziges der geimpften Tiere wurde krank, noch auch konnten die Parasiten in ihrem Blute mikroskopisch nachgewiesen werden. Selbst in den Fällen, in denen Blut mit unzähligen Parasiten direkt in eine Vene injiziert wurde, waren wir nicht imstande, am folgenden Tage auch nur einen einzigen Parasiten aufzufinden. Alle unsere Versuche, und deren waren viele, besagen, daß die Tierimpfung gesunder, empfänglicher Tiere direkt mit dem Blute von an Afrikanischem Küstenfieber leidenden Tieren die Krankheit nicht hervorruft, und in dieser bemerkenswerten Tatsache unter- scheidet sich nun weiterhin das Afrikanische Küstenfieber vom Texasfieber. Auf der einen Seite ist die Blutübertragung ergebnislos, während auf der anderen Seite Imp- Vorläufiger Bericht über das Rhodesisclie Rotwasser oder „Afrikanische Kiistenfiel>ei". 761 fungen mit dem Blute von Tieren, die an dem weniger gefährlichen Texasfieber leiden, sehr ernste Folgen haben. Impfwirkung von virulentem Blute küstenfieberkranker Tiere. Obgleich sich durch solche Überimpfungen bei Afrikanischem Küstenfieber die Krankheit nicht übertragen läßt, so bleiben sie trotzdem nicht ohne Wirkung. Ge- impfte Tiere werden zwar nicht krank, und Parasiten fehlen in ihrem Blute, wenn aber diese Tiere einer zweiten Impfung mit virulentem Blute unterworfen werden, so unter- scheidet sich die zweite Impfung in ihren Folgen von der ersten. Voneinander abweichende Ergebnisse der ersten und der zweiten Impfung mit virulentem Blute. Nach unseren Beobachtungen erzeugt nämlich die erste Injektion virulenten Blutes entweder nur eine unbedeutende Temperatursteigerung an den beiden folgenden Tagen, oder aber überhaupt keine; nach der zweiten Impfung erfolgt dagegen sofort eine Tempe- ratursteigerung von ein- oder zweitägiger Dauer, die wir der Impfung zuschreiben können. Noch wichtiger ist aber nun der Umstand, daß nach einem Inkubationsstadium von 10 — 12 Tagen ein leichter Anfall von Afrikanischem Küstenfieber einsetzt, charakteri- siert durch das Auftreten der bekannten kleinen Parasiten im Blute und gewöhnlich durch eine zweitägige Temperatursteigerung. Wahrscheinlichkeit einer gewissen Immunität nach einem leichten Anfalle von Afrikanischem K ü s t e n f i e b e r. Unter 21 Versuchen gelang es uns zehnmal, einen leichten Krankheitsanfall her- vorzurufen, was deutlich beweist, daß das kein zufälliges Ereignis ist; und wir haben nun zu ermitteln, nach welchem Verfahren wir diesen leichten Anfall am sichersten herbeiführen, in welchen Dosen das virulente Blut zu verimpfen ist und welcher Zeit- raum zwischen den einzelnen Impfungen verstreichen muß, um eine solche Erkrankung in jedem Falle mit Sicherheit hervorrufen zu können. Ob das Überstehen so eines leichten Anfalles irgendwelche Immunität verleiht, kann ich zurzeit nicht sagen, wenn ich aber in Erwägung ziehe, was für eine Wirkung künstlich hervorgerufene leichte Anfälle bei anderen Infektionskrankheiten auf den Tierkörper ausüben, so denke ich, daß sich auch hier ein gewisser Grad von Immunität einstellen dürfte. Schwierigkeiten bei der Bestimmung des I m m u n i t ä t s g r a d e s wegen des Mißlingens, eine virulente Form der Krankheit k ü n s 1 1 i c h zu erzeuge n. Die Größe dieser Immunität können wir erst dann bestimmen, wenn wir ein sicheres Verfahren finden, wie wir dieselbe bösartige Form der Krankheit künstlich hervor- rufen können, die sie bei Infektion auf dem Veldt annimmt; und dies ist eine andere noch nicht gelöste Aufgabe, doch hoffe ich diese Schwierigkeit zu überwinden und zwar entweder durch eine Modifikation der Methoden mit direkter Überimpfung von virulentem Blute, oder aber, indem ich indirekt verfahre und dabei die natürliche Infektion nach- ahme, nämlich vermittels der Zecken. Ü b e r t r a g u n g s V e r s u c h e mit Zecken sind jetzt im Gange. In dieser Absicht und um sicher festzustellen, welche Zecke für die Verbreitung der Seuche verantworthch zu machen ist, wurden zahlreiche Infizierungsversuche mit 762 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". Zecken in Angriff genommen. Wir sammelten die trächtigen Weibchen aller verdächtigen Zeckenarten von den kranken Tieren und zogen aus ihren Eiern junge Zecken, von denen wir dann viele an empfängliche gesunde Tiere setzten; diese Versuche sind aber noch nicht zu dem Stadium gediehen, in dem wir ein entscheidendes Ergebnis erwarten können, da Infizierungsversuche mit Zecken, wie ich bereits bemerkte, viel Zeit beanspruchen. Andere experimentelle Studien. Neben diesen Versuchen laufen solche zur Gewinnung eines Heilserums einher. Zuerst versuchte ich, ein antitoxisches Serum zur Neutralisierung der giftigen Pro- dukte der Krankheitserreger herzustellen. Zu diesem Zwecke wurden einem Tiere, dessen Serum dazu dienen soll, allmählich ansteigende Mengen virulenten Blutes ein- gespritzt, und von so behandelten Tieren haben wir jetzt mehrere hochimmunisierte. Da wir aber fanden, daß gesunde Tiere auch große Dosen virulenten Blutes vertragen können, entschloß ich mich, Tiere durch sukzessive Impfungen mit großen Mengen virulenten Blutes vorzubehandeln, um ein zytolytisches Serum zu bekommen. Ein solches Serum besitzt die Eigenschaft, daß es die spezifischen Krankheitserreger direkt angreift, anstatt deren Produkte zu neutralisieren, wie ein antitoxisches Serum, und wir haben jetzt auch eine Anzahl immunisierter Tiere, die ein solches zytolytisches Serum liefern können; zur Gewinnung eines genügend wirksamen Serums dieser Art für unsere Ver- suche brauchen wir aber noch mehr Zeit. Notwendigkeit immuner Tiere zur Herstellung von Heilserum. Zur Herstellung von antitoxischem und zytolytischem Serum lassen sich bloß immune Tiere verwenden, da empfängliche Tiere unter den wiederholten Einspritzungen von virulentem Blute zusammenzubrechen drohen; zu unsern Zwecken waren die im- munen Tiere, die aus dem Distrikt Transport (Salisbury) genommen waren, den dortigen Seuchenausbruch überlebt und seitdem beständig auf verseuchtem Veldt geweidet hatten, am brauchbarsten. Über ihre Immunität kann meiner Ansicht nach kaum ein Zweifel bestehen, da keins irgendwelche Zeichen von gestörtem Wohlbefinden nach wieder- holten Injektionen großer Mengen virulenten Blutes zu erkennen gab. Unsere Erfahrungen mit den bei unserer Ankunft hier vorgefundenen Tieren waren weniger befriedigend. Diese vor vielen Monaten von Farmern aus Bulawayo entliehenen Tiere waren kurz vor unserer Ankunft einer Reihe von Impfungen unterworfen worden, indem man dabei mit dem Blute durchseuchter Tiere begann und mit dem Blute kranker Tiere aufhörte; man wollte so durch ein ähnliches Verfahren wie bei der Immunisierung gegen gewöhnliches Texasfieber Immunität erzeugen. Die meisten Tiere waren auf die Weide getrieben worden, um sie nach Schluß der Impfung der natürlichen Infektion auszusetzen; und als wir bei unserer Ankunft ihr Blut untersuchten, fanden sich darin einige kleine Parasiten, was mich in meinem ersten Berichte zu der Annahme verleitete, die Tiere könnten immun sein. Dies ist aber unglücklicherweise nicht der Fall, denn es bildeten sich seitdem verschiedene (bei 13 von 29) akute Erkrankungen an afrika- nischem Küstenfieber aus, die zum Tode führten. Der Fund weniger Parasiten bei Tieren, die aus einem mit afrikanischem Küstenfieber verseuchten Gebiete kommen, kann nicht als Beweis für ihre Immunität gelten. Daraus müssen wir schließen, daß der Nachweis einzelner kleiner Parasiten im Blute von Rindern, die der Ansteckung mit afrikanischem Küstenfieber ausgesetzt Voi'läiifiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". 763 waren, nur besagt, daß diese Tiere mit einem Ansteckungsstoff in Berührung gekommen sind, nicht aber auch, daß sie einer ferneren Ansteckung zu widerstehen vermögen, wie wir vorläufig angenommen hatten. Dies ist nun noch ein Unterscheidungsmerkmal zwischen afrikanischem Küstenfieber und Texasfieber; denn der Nachweis vereinzelter birnförmiger Lebewesen im Blute von Tieren, die an Texasfieber gelitten haben, kann allgemein als Zeichen dafür gelten, daß solche Tiere unter gewöhnlichen Verhältnissen einer Neuerkrankung widerstehen werden; eine gleiche Schlußfolgerung wäre dagegen sehr gewagt, wenn es sich um Fälle afrikanischen Küstenfiebers handelte, bei denen wir auch die Anwesenheit vereinzelter Lebewesen im Blute anscheinend gesunder Tiere festgestellt hätten. Was die Gegenwart solcher kleiner L e 1) e w e s e n bedeutet. Das Vorhandensein solcher kleiner Lebewesen kami nach meiner Ansicht in jedem Falle als ein Beweis dafür gelten, daß die Rinder, in deren Blute sie enthalten sind, be- stimmt aus Gegenden mit afrikaniscliem Küstenfieber stammen. Alle unsere in dieser Richtung angestellten Nachforschungen führten zu dieser Annahme. Es fanden sich einzelne Parasiten im Blute von 40 Tieren, die aus dem verseuchten Gebiete von Salisbury und Bulawayo stammten, während sich in 30 mir aus der Kaphalbinsel zugesandten Blutpräparaten, einem von Texasfieber und afrikanischem Küstenfieber freien Gebiete, keine solchen Parasiten vorfanden. Für die Übersendung der Präparate aus Kapstadt bin ich Herrn Kolonialtierarzt Dr. H u t c h e o n zu Dank verpflichtet, der ihre Be- förderung nach Bulawayo freundlichst vermittelte. Ergebnis der m i k r o s k o p i s c h e n U n t e r s u c h u n g von Blut p r ä - paraten aus s e u c h e n f r e i e n und aus verseuchten Gebiete n. Im Blute von 64 Tieren aus dem seuchenfreien Distrikt von ]Mumtree wurden keine dieser »vereinzelten Parasiten nachgewiesen, und ebensowenig ergab die Unter- suchung der Blutpräparate von weiteren 24 Tieren aus demselben Distrikt ihre Anwesen- heit; dagegen ist es von besonderem Interesse, festzustellen, daß wir im Blute von 7 aus Beira und der 6 aus Daressalam (Deutsch-Ost afrika) zur Prüfung ihrer Imnumität bezogenen Tieren dieselben kleinen Parasiten wie bei unseren einheimischen fanden. Um die Tiere zur Lieferung von antitoxischem inid zytolytischem Serum vorzu- bereiten, brauchten Avir viel virulentes Blut, und der Mangel daran hielt uns in unserer Arbeit anfangs etwas auf. Später hatten wir aber bei der Fortführung dieses Teiles unserer Studien keine Schwierigkeiten mehr zu überwinden. Wir verdanken dies den Bemühungen der Herren Zivilkommissar M a r s h a 1 Hole, Obereingeborenen- kommissar Taylor und Chefveterinär Gray, ebenso der Freigiebigkeit verschiedener Farmer im Bulawayo-Distrikt und der Tatkraft der Herren Fynn und McDonald, Beamte der Fingo-Ansiedlung Bembesi. die uns eine große Menge von den Fingos auf- gebrachte kranke Rinder zusandten. Insgesamt haben uns 78 kranke Tiere zur Verfügung gestanden. Wir konnten an ihnen den Krankheitsverlauf systematisch studieren und ihnen, so lange sie am Leben blieben, virulentes Blut zu Immunisierungszwecken entnehmen, -während uns die ver- endeten ein wertvolles Material für sorgfältige Sektionen lieferten. Bulawa3'o, Rhodesia, den 28. ^lai 1903. 764 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". Dritter Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber".') Von Professor Dr. R. Koch. Ehe ich in meinen Mitteilungen über die Erforschung des afrikanischen Küsten- fiebers fortfahre, muß ich an folgendes erinnern : In meinem zweiten Berichte habe ich auseinandergesetzt, daß eine einmalige Ein- spritzung von Blut eines im akuten Stadium der Krankheit befindlichen Tieres bei einem empfänglichen Tiere keine charakteristische Form der Krankheit erzeugt, daß dagegen wiederholte Einspritzungen solchen Blutes einen leichten Anfall auszulösen scheinen, charakteristiert durch Temperatursteigerung und das Auftreten einer gewissen Anzahl von Parasiten im zirkulierenden Blute. Daraus schloß ich, daß sich durch solche sukzessive Impfungen möglicherweise ein gewisser Grad von Immunität erzielen ließe; daß ferner die Höhe dieser Immunität nur dann bestimmbar wäre, wenn wir so vor- behandelte Tiere hinterher einem solchen Infizierungsverfahren unterwerfen könnten, das bei nicht geschützten Tieren einen ähnlich heftigen Anfall von afrikanischem Küsten- fieber hervorruft, wie er sich gewöhnlich nach der natürlichen Infektion auf dem Veldt einstellt. Die Auffindung eines solchen Infizierungsverfahrens war auch deswegen sehr zu wünschen, um das von uns hergestellte Serum prüfen und gewisse andere Fragen von Wichtigkeit entscheiden zu können. Es wurden vielerlei Versuche zur Erreichung dieses Zweckes angestellt. Die Erreger in dem Blute von solchen Tieren, die durch wiederholte Einspritzung von Blut kranker Tiere leicht erkrankt waren, wurden in einer Serie gesunder Rinder fortgezüchtet zur Entscheidung der Frage, ob sich solche Anfälle durch diese Weiter- impfungen in ihrer Heftigkeit nicht steigern ließen; es bewirkte jedocli die Passage durch 5 Tiere in keiner Weise eine solche Steigerung, da das letzte Tier nicht heftiger reagierte als das erste. Immerhin beweist dieser Versuch, daß sich die Erreger des Küsten- fiebers bei künstlicher Übertragung unter gewissen Bedingungen im Blute der Tiere vermehren und fortpflanzungsfähig bleiben können, selbst dann, wenn sie keine bemerk- baren Krankheitserscheinungen hervorrufen. Unsere Versuche haben ferner gezeigt, daß Impfungen mit dem Blute durchseuchter Tiere, das nur eine unbeträchtliche Anzahl einzelner Parasiten enthält, ähnlich modifizierte Erkrankungen an afrikanischem Küsten- fieber herbeizuführen pflegen; und obwohl diese Versuche nicht zahlreich waren, so möchten sie doch besagen, daß durchseuchte Tiere zu Impfzwecken brauchbarer sind als wirklich kranlie. Andererseits suchten wir nach einem Verfahren zur Übertragung der bösartigen Form der Krankheit. So versuchten wir es ohne Erfolg mit intraokularer Überimpfung von infiziertem Blute, und ebenso bemühten wir uns, durch Übertragungs versuche mit Zecken die natürliche Ansteckungsweise nachzuahmen. Zu diesem Zwecke legten wir uns Zuchten von verschiedenen Varietäten verdächtiger Zecken an. Im Anfange be- reiteten uns die Kälte und Trockenheit der Luft beim Ausbrüten viel Schwierigkeit, da solche Witterungsverhältnisse erfahrungsgemäß für Versuche dieser Art ungünstig sind. Schheßlich gelang es uns aber, in einem Brutofen, in dem die Luftfeuchtigkeit künstlich erhöht war, Eier von Zecken, die von der Haut unserer Tiere gesammelt waren. ^) From the Bulawayo Chronicle, October 3rd. Vorläiifiger Bericht über das Rliodesisehe RotAvasser oder „Afrikanische Küstenfieber". 765 auszubrüten, und zwar ebenso rasch, wie unter den günstigsten natürlichen Bedingungen; als wir dann aber die so ausgebrüteten jungen Zecken an gesunde Tiere setzten, gelang es uns nicht, abgesehen von einigen zweifelhaften Fällen, einen charakteristischen An- fall hervorzurufen. Wir stellten darauf Versuche mit den Brüten verschiedener Zecken- varietäten an, mit bei verschiedenen Temperaturen ausgebrüteten und mit solchen, die wir erst verschieden lange aufbewahrten, ehe wir sie an die Tiere setzten. Diese Unter- suchungen werden jetzt noch fortgesetzt. Um der natürlichen Ansteckungsweise noch näher zu kommen, wurden von uns Brüten junger Zecken im Freien an verschiedenen Stellen an Gräser gesetzt und dann empfängliche Tiere dorthin auf die Weide getrieben. Daß dieses Verfahren von Erfolg begleitet sein würde, erschien etwas zweifelhaft, da zu erwarten war, daß die starken, trockenen W^inde, Staub und Sonne die ausgesetzten Zecken bald abtöten würden ; trotz der ungünstigen Witterung blieben aber nun diese verschiedenen Brüten da, wo wir sie hingesetzt hatten, und zwar am zahlreichsten an der vor der Sonne geschützten Seite der Gräser und da wiederum in besonderen Mengen an den Halmspitzen, wo sie in kleinen Häufchen zusammenhingen, offenbar auf der Lauer nach einem geeigneten Wirte, dem sie sich, wenn er vorüberging, ansetzen konnten. Diese Zeckenlarven zeigten keine Neigung, umher zu kriechen, sondern blieben mehrere Monate an einer Stelle sitzen. Starke Winde schienen sie etwas in der Windrichtung zu zerstreuen, sonstige Änderungen in der Witterung hatten aber anscheinend keinen Ein- fluß auf sie. Bald nach Aussetzung dieser Zeckenbrut in das Veldt fanden wir, daß es hochgradig infektiös wurde. Vorher waren nur gelegentlich Fälle von afrikanischem Küstenfieber unter den daselbst weidenden Tieren vorgekommen, und es schien die natürliche Ansteckving auf dem Veldt so gering zu sein, daß Tiere dort viele Wochen lang weiden konnten, ohne zu erkranken; auch waren in letzter Zeit augenscheinlich infolge der Kälte und Trockenheit die Zecken außerordentlich selten geworden und Krankheitsfälle dementsprechend gering. Die Änderung in der Ansteckungsfähigkeit des Veldt kündete sich durch ein starkes Befallensein unserer sämtlichen Tiere mit Zecken an; es fanden sich auf ihnen viele Nymphen und demzufolge später viele ausgewachsene Zecken, und es wurde jedes aus- gesetzte empfängliche Tier in kurzer Zeit krank. Seitdem wurden bei verschiedenen Anlässen Tiere zur Prüfung ihrer Immunität auf dieses Veldt getrieben, zusammen mit einer Anzahl empfänglicher Kontrolltiere, und in jedem Falle wurden die Kontroll- tiere krank und starben in ungefähr einem Monate. Aus diesem Umstände können wir mit Sicherheit schließen, daß jedes Tier, das auf dem Veldt gesund blieb, immun ist. Auf diese Weise haben wir das Ziel, das wir suchten, erreicht und haben nun ein sicheres Mittel zur Verfügung, um jedes Tier auf seine Immunität zu prüfen, und zwar ist dieses Verfahren für unsere Zwecke jedem anderen vorzuziehen, denn zu guter Letzt ist es die ,,Veldt-Infektion", gegen die die Tiere widerstandsfähig gemacht werden sollen, und jedes künstliche Übertragungsverfahren müßte doch schließlich mit der ,,Veldt- Infektion" verglichen und an ihr geprüft werden, um seine Zuverlässigkeit zu beweisen. Da wir nun in der Lage sind, unsere Tiere von Anfang an durch natürliche Infektion zu prüfen, dürften unsere Versuche allen erforderlichen Ansprüchen genügen. Ich komme jetzt dazu, über das Prüfungsergebnis unserer verschiedenen Ver- suchstiere auf einem in der oben beschriebenen Weise infizierten Veldt zu berichten. Diese Versuchstiere können wir in drei Gruppen einteilen, von denen wir als erste die mit Bluteinspritzungen behandelten Tiere herausgreifen wollen. Eine gewisse Anzahl von Tieren wurde einer einmaligen Impfung mit einer geringen Menge Blut eines kranken oder eines durchseuchten Tieres unterworfen. Diese Tiere schienen keine Ininuniität zu besitzen, da sie alle erkrankten und zugrunde gingen; 766 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". auch die mit einer einmaligen großen Blutquantität eines kranken Tieres geimpften befanden sich in keiner besseren Lage, da die Einverleibung von 500 ccm Blut keinen Schutz gewährte. Wiederholte Einspritzungen befriedigten dagegen mehr und schienen eine zuverlässige Immunität zu verleihen. Aufeinanderfolgende Injektionen von Blut kranker Tiere in Mengen von 200 — 2000 ccm in Pausen von zehn bis zwanzig Tagen erzeugten einen hohen Grad von Immunität, was dem Umstände zuzuschreiben ist, daß das Blut so immunisierter Tiere Eigenschaften annimmt, die es für die Vermehrung der spezifischen Krankheitserreger ungeeignet machen. Es ist zu bedauern, daß ein solches Impfverfahren nicht im großen Maßstabe zu Schutzimpfungen vorteilhaft an- gewandt werden kann wegen der bekannten Schwierigkeiten, das hierzu nötige Blut in den erforderlichen Mengen zu bekommen. Der Impferfolg mit kleineren Mengen solchen Blutes ist nicht so befriedigend, ich glaube aber, daß wiederholte Impfungen mit kleinen Blutquantitäten eine Immunität hinterlassen werden, die sich direkt proportional mit der Anzahl von Injektionen, die man bei dem Tiere vornimmt, erhöhen wird; und wie unsere Versuche lehren, ist es nicht nötig, dazu Blut von kranken Tieren zu verwenden, da das Blut von durchseuchten Tieren eine ähnlich befriedigende Wirkung und in manchen Fällen sogar eine noch bessere entfaltet. Wenn auch die Anzahl der von uns auf diese Art behandelten Tiere zurzeit noch gering ist, und ich keine Tabellen mit der Prozentzahl geschützter Tiere aufstellen kann, so sind doch unsere ganzen Untersuchungen so vielversprechend und weisen so klar auf die Erzielung einer zuverlässigen Immunität hin, daß ich denke, die Zeit ist gekommen, daß mit diesem Verfahren ein praktischer Versuch draußen im Felde angestellt werde. Von unseren Versuchen in dieser Richtung möchte ich hier zwei charakteristische Beispiele anführen. Wie ich oben erwähnte, hatten wir bei acht Tieren durch wiederholte Blutein- spritzungen die Krankheitserreger immer von einem auf das andere Tier übertragen in der Erwartung, die Krankheit würde durch diese Tierpassage an Virulenz zunehmen. Diese Tiere wurden nun auf das infizierte Veldt getrieben. Nr. 1 erkrankte und ging nach der gewöhnlichen Zeit zugrunde; da sich viele Parasiten in seinem Blute vorfanden, so scheint dieses Tier überhaupt keine Immunität besessen zu haben. Nr. 2, 3 und 4 starben nach einer beträchtlichen Zwischenzeit, und bei ihnen erlitt die Krankheit eine deutliche Modifikation, die sich durch eine ungewöhnlich geringe Anzahl von Parasiten im zirkulierenden Blute kennzeichnete. Bis drei Monate nach seiner Überführung auf das infizierte Veldt blieb Nr. 5 immer vollkommen gesund, dann erkrankte es, und jetzt sind bloß noch Nr. 6, 7 und 8 am Leben. Diese sind jetzt noch wohlauf und scheinen immun zu sein. Wenn von acht Tieren drei übrig bleiben, so ist das ja wenig, es muß dabei aber der Umstand berücksichtigt werden, daß diese Tiere nur zwei Einspritzungen von dem schwächsten Virus, über das wir verfügten, erhielten; deswegen bin ich der Ansicht, daß wir dieses Ergebnis etwa als das Mindestmaß des durch wiederholte Blutüberimp- fungen zu erzielenden Impfschutzes ansehen können. In Fall 5 und vielleicht auch in Fall 2, 3 oder 4 würde sich vermutlich dauernder Impfschutz ergeben haben, wären die Bluteinspritzungen, durch die die Tiere temporär immun wurden, wiederholt worden. Ein etwas ähnlicher Versuch wurde mit dem Blute einer Kuh angestellt, die kurz nach der Einrichtung der Hillside-Station von Beira ankam, und die als immun angesehen werden konnte, da sie sich seit ihrer Ankunft immer auf infiziertem Veldt befand. In ihrem Blute fanden wir die vereinzelten Küstenfiebererreger, wie sie in solchen Fällen gewöhnlich vorhanden sind. Zwei empfängliche Tiere wurden mit 20 ccm Blut dieser Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". 767 Kuh sechsmal hmterehiander subkutan geimpft mit Pausen von drei Tagen zwischen jeder Impfung, dann wurden sie auf das infizierte Veldt getrieben. Nach einigen Monaten erkrankte ein Tier und starb. Bei diesem Versuche waren meines Erachtens die Pausen zwischen den einzehien Injektionen zu kurz, und es würden sich bei Einschaltung größerer Zwischenräume die Ergebnisse besser gestaltet haben. Zurzeit ist es unmöglich, endgültig anzugeben, wie lange eine solche Immunität anhält, wieviele Injektionen vorzunehmen sind, oder welchen Zeitraum man zwischen den einzelnen Impfungen am besten verstreichen läßt; ich kann ebenso auch nicht sagen, welche durchseuchten Tiere sich zur Hergabe von Impfstoff am besten eignen. Versuche zur Beantwortung dieser und anderer Fragen sind zwar noch im Gange, doch bin ich zurzeit der Ansicht, daß sich die besten Resultate mit frisch aufgefangenem defibrinierten Blute durchseuchter Tiere, die sich in gutem Nährzustande befinden, erzielen lassen. Dieses Blut wäre jedem Tiere, das geschützt werden soll, in einer Dosis von 10 ccm subkutan zu injizieren, und zwar viermal in Zwischenräumen von 7 Tagen. Weiterhin wären dann eine Zeitlang alle zwei Wochen Dosen von 10 ccm zu verabfolgen und später würde die einmalige Injektion einer solchen Dosis im Monat genügen. Indem ich in der Mitteilung unserer Untersuchungen fortfahre, komme ich nun zu der zweiten Gruppe von Versuchen. Diese umfaßt die mit Serum behandelten Tiere. Wie ich in meinem vorigen Berichte auseinandersetzte, wurde das Serum auf die Weise bereitet, daß wir einige unserer immunen Tiere mit steigenden Blutmengen von kranken Tieren impften, beginnend mit 5 ccm und mit einem Maximum von 2000 ccm endend; andere Tiere hinwieder erhielten eine Anzahl Dosen von 2000 ccm subkutan, oder von 1000 ccm intravenös. Da sukzessive große Dosen die besten Resultate er- gaben, wurde das System der allmählich ansteigenden Dosierung verlassen. Bei der Immunisierung dieser Tiere verwandten wir besondere Sorgfalt auf die Auswahl von Blutquanten mit einer großen Anzahl von Krankheitserregern, und es gelangte kein Blut zur Verwendung, das bei mikroskopischer Prüfung die Parasiten in geringerer An- zahl als Blutkörperchen enthielt. Diese Vorsichtsmaßregel war deswegen notwendig, weil wir ein Serum herstellen wollten, das seine Wirkung besonders auf die im Blute vorhandenen Krankheitserreger entfalten sollte. Nach drei oder vier reichlichen In- jektionen in Zwischenräumen von zwei bis drei Wochen, die von allen Impftieren gut vertragen wurden, fanden wir, daß das Serum dieser Tiere sehr bemerkenswerte Eigen- schaften besaß. Wurde es gesunden Tieren in Dosen bis zu 150 ccm injiziert, so entstand keine gesundheitliche Störung, wurden dagegen kranke Tiere ähnlich behandelt, so hatte dies eine auffallende Veränderung an den in ihrem Blute zirkulierenden Erregern des afrikanischen Küstenfiebers zur Folge. Die Parasiten wurden kleiner, ihr Umriß ging verloren, manchmal waren sie kaum noch sichtbar, und im Laufe einiger Tage ver- schwanden sie. Sorgfältig geführte Listen zeigen, daß in jedem Falle, in dem das Serum angewandt wurde, und selbst bei Tieren mit hochgradiger Infektion, immer eine deutliche Verminderung in der Anzahl der Parasiten eintrat, mid daß sie manchmal überhaupt verschwanden. Einzelheiten über diese Studien, die ein hohes wissenschaftliches Interesse besitzen, behalte ich mir für einen späteren erschöpfenderen Bericht vor. Diese Wirkung unseres Serums auf die Krankheitserreger war gerade das, was wir suchten; wir fanden aber, daß es leider auch in sehr hohem Grade unerwünschte hämolytische Eigenschaften besaß, die eine auflösende Wirkung auf die Blutzellen kranker Tiere ausübten. Eine geringe hämolytische Wirkung wurde als die unvermeidliche Folge des gemeinsamen Vorkommens roter Blutzellen mit den Krankheitserregern in dem zur Immunisierung benutzten Blute erwartet, und eine Trennung beider war unmöglich ; der ungewöhn- liche Charakter dieser bei kranken Tieren durch Überimpfung des Serums hervorgerufenen 768 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". Hämolyse würde indessen, da sie bei gesunden Tieren nicht in Erscheinung tritt, an- zeigen, daß die roten Blutkörperchen sich bei dieser Krankheit in einem Zustande un- gewöhnlicher Vergänglichkeit befinden. Einspritzungen von 50 ccm sorgfältig hergestellten Serums waren bei einem kranken ' Tiere immer von tödlicher Wirkung, und dieser Ausgang ist in erster Linie seiner auf- lösenden Wirkung auf die roten Blutzellen zuzuschreiben. Bei so behandelten kranken Tieren tritt eine plötzliche Temperatursteigerung ein, gefolgt von einem ebenso plötz- lichen Abfall, dem sich Kollaps und Tod anschließen. Bei der Sektion findet man blutigen Urin; das Fett, das subkutane Gewebe und die Schleimhäute sind von umgewandeltem Blutpigment intensiv gelb gefärbt. Diese Erscheinungen folgen auf die Anwendung des Serums nicht nur in Fällen, in denen sich die Krankheit gut ausgebildet hat und viele Parasiten im Blute zugegen sind, sondern selbst bei seiner Anwendung vor dem Auftreten irgendwelcher Parasiten im zirkulierenden Blute und wo das einzige An- zeichen für eine bevorstehende Erkrankung in einer Temperatursteigerung besteht. Eine Erörterung der wissenschaftlichen Tragweite dieser Phänomene würde hier zuviel Raum beanspruchen und auch etwas über den Zweck dieses Berichtes hinausgehen. Ich werde sie daher auf meinen Schlußbericht verschieben. Da die therapeutische Verwendung von Serum in großen Dosen sich als zu gefähr- lich erwiesen hatte, versuchten wir es mit wiederholten kleinen Dosen. Hiermit gelang es uns in einigen Fällen, die Parasiten aus dem Blute zu vertreiben, ohne dabei Hämo- lyse oder Gelbsucht zu erzeugen, die Tiere starben aber trotzdem. Bei ihrer Sektion zeigten sich so hochgradige pathologische Veränderungen in den Nieren, der Leber und den Lymphdrüsen, daß eine Genesung ganz außer Frage kam. Nur wenn wir Tiere in den Anfangsstadien der Krankheit mit kleinen Serumdosen behandelten, waren wir gelegentlich imstande, ein paar davon zu retten; in der Praxis wäre eine solche Methode aber nicht brauchbar, da mit der Behandlung nur dann rechtzeitig begonnen werden könnte, wenn Temperaturtabellen bei jedem Tiere systematisch geführt und ihr Blut mikroskopisch untersucht würde. Auch zu Schutzimpfungen wurde das Serum versuchsweise angewandt. In einigen Fällen injizierten wir gesunden Tieren eine einmalige große Dosis, in anderen Fällen wiederholte kleine Dosen; dann wurden die Tiere auf das infizierte Veldt getrieben, und wir hofften, daß sich vielleicht bei einem mit Schutzserum behandelten Tiere nach natürlicher Ansteckung ein so gemäßigter Anfall ausbilden würde, daß sich danach Genesung und Immunität einstellte. Von drei mit einmaligen großen Dosen behandelten und darauf hinausgetriebenen Tieren wurden alle krank und starben, obwohl die längere Dauer ihrer Krankheit anzeigte, daß das Serum eine gewisse Inhibitivwirkung bei ihnen ausübte. Bei anderen, mehrmals hintereinander geimpften Tieren hatte die Anwendung einer Dosis von 5 ccm keinerlei günstige Wirkung, wiederholte Einspritzungen von 10 und 20 ccm ergaben deutliche, wenn auch schwankende Resultate, die anscheinend sehr von der im besonderen Falle angewandten Serumsorte abhingen. So wurden z. B. bei einem Versuche mit dem Serum eines bestimmten Tieres aus einer Reihe von elf geimpften schließlich sechs immun, wogegen wir mit einer anderen Serumsorte von zehn Tieren nur eins am Leben erhalten konnten, und 50 ccm eines weiteren Serums von mittlerer Wertigkeit schützten und immunisierten von sechs Tieren drei. Es ist möglich, daß wir durch Herstellung eines höherwertigen Serums, was eine längere Zeit in Anspruch genommen hätte, und auch durch sonstige Änderungen im Impf verfahren bessere Ergebnisse hätten erlangen können, wir fanden aber im Laufe unserer Studien, daß wir mit einem komplizierenden Faktor zu rechnen hatten, der uns ganz wesentlich daran hinderte, die Serumbehandlung in irgendeiner befriedigen- Vorläufiger Bericht ül)er das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Kiistenfieber". 769 den Weise durclizufüliren. Dieser Faktor besteht in Komplikationen mit Texasfieber. Texasfieber oder Rotwasser hat, nach iniseren hiesigen experimentellen Studien zu schließen, in Rhodesia eine weit größere Verbreitung, als ich zuerst annahm. Es besteht tatsächlich in einer solchen Ausdehnung, daß wir durchaus nicht überrascht zu sein brauchen, wenn sich bei einem jeden rhodesischen Tiere ein akuter Anfall von Texas- fieber oder Rotwasser entwickelt, wenn bei ihm durch irgendein fieberhaftes Leiden die Widerstandskraft geschwächt wird. In früheren Mitteilungen habe ich über Fälle berichtet, bei denen sich Küsten- fieber mit Rotwasser komplizierte infolge der durch die ersterwähnte Krankheit be- dingten Herabsetzung der Lebenskraft und Steigerung der Temperatur. Denselben Komplikationen begegneten wir nun im Laufe mehrerer Versuche mit Serum. In mehreren Fällen, in denen küstenfieberkranke Tiere nach der Serumbehandlung zu genesen schienen. Da ihre Temperatur gesunken und die Parasiten des Küstenfiebers fast ganz verschwLxnden waren, stellte sich eine plötzliche Temperatursteigerung ein, die das Auf- treten von Rotwassererregern im Blute ankündigte; der Urin wurde blutig, und das bereits vom Küstenfieber geschwächte Tier brach zusammen inid starb. Auf diese Art verloren wir nicht weniger als 14 Tiere, die alle Aussicht zu haben schienen, daß sie sich von den durch die Serunibehandlung abgeschwächten Küsten- fieberanfällen erholten, und es besteht kein Zweifel, daß diese Serumbehandlung, bei Abwesenheit von Texasfieber, weit befriedigender ausgefallen wäre. Bei unserm zweiten Versuche mit Serum, in dessen Verlauf von zehn Tieren nur eins am Leben blieb, war der Tod in mehreren Fällen einer Komplikation der Krank- heit mit Texasfieber zuzuschreiben. Diese Erfahrung zeigt, daß man bei jedem Schutzimpfverfahren gegen Küsten- fieber wahrscheinlich eine holie Sterblichkeit erwarten muß, wenn dasselbe auf der Er- zeugung eines heftigen Krankheitsanfalles bex'uht, der durch Anwendung von Serum oder auf irgendeine andere Weise künstlich reguliert wird; denn diese heftigen Erkran- kungen pflegen nur allzu häufig tödliche Rotwasseranfälle im Gefolge zu haben. Am besten werden wir diese schwere Gefahr vermeiden, wenn wir unsere Zuflucht zu einem Impfverfahren nehmen, welches den Krankheitsanfall so modifiziert, daß er gewöhnlich die ihm unterworfenen Tiere nicht übermäßig in ilirer Konstitution schwächt; und solche leichten Anfälle werden durch wiederholte Hluteinspritzungen bewirkt. In keinem Falle von wiederholter Blutüberimpfung verloren wir ein Tier infolge von hinzutretendem Texasfieber, und ich bin daher überzeugt, daß diese Methode gegenwärtig die einzig praktische ist, nach der wir mit Vorteil Schutzimpfungen bei empfänglichen Tieren vornehmen können. LTnsere dritte Gruppe von Versuchen wurde an solchen Tieren angestellt, von denen man annahm, sie seien unter natürlichen Bedingungen immun geworden. Von diesen Versuchen möchte ich folgende anführen : a) Zwei Halbblut-Zeburinder wurden der Station von Dr. Sauer geschenkt, der glaubte, daß solches Vieh vielleicht eine natürliche Immunität gegen Küstenfieber besäße. Beide Tiere wurden auf unser infiziertes Veldt zur Weide getrieben, erkrankten bald darauf und gingen zugrunde. b) Fünf in Beira gekaufte Tiere wurden nach Bulawayo gebracht und weideten auf dem infizierten Veldt. Von diesen erkrankten und starben drei, worunter zwei junge Tiere reiner Zebuzucht, die überlebenden, alte Kühe, blieben vollkommen gesund und warfen gesunde und kräftige Kälber; das Blut einer dieser Kühe wurde mit gutem Erfolge zu Immunisierungszwecken verwandt. c) Sechs von der deutschen Regierung geschenkte Tiere wurden von Daressalam Koch, Gpsaninielte Werke. 94 770 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". zur Prüfung auf ihre Immunität geschickt. Es zog sich keins davon afrikanisches Küsten- fieber zu, aber zwei starben infolge anderer Ursachen, eins davon war an Tsetse erkrankt. d) Diese Gruppe umfaßt eine Anzahl von Tieren, von denen einige die überleben- den Tiere verschiedener Herden in Salisbury darstellteil, andere wieder waren vor meiner Ankunft in Hillside Camp einer Impfung mit Blut von Texasfieberrindern unterzogen worden; alle hatten viele Monate lang auf infiziertem Veldt in Salisbury und Bulawayo geweidet. Sie wurden auf unsere künstlich infizierte Weide getrieben und keins von ihnen ist erkrankt. Aus diesen Beobachtungen können wir schließen: 1. Das Zeburind besitzt keine inhärente Immunität. 2. Deutsch-ostafrikanisches Rindvieh aus dem Küstengebiete ist vollkommen im- mun, und ebenso sind es einige Tiere aus Beira, eine Bestätigung für meine Annahme, daß diese Krankheit von der Küste stammt. 3. Die von natürlich immunisierten Tieren entfaltete Resistenz zeigt uns, daß solche Tiere mit Sicherheit einer Ansteckung widerstehen werden. Bis jetzt haben wir keinen einzigen Rückfall bei einem durchseuchten Tiere erlebt, und wir können daher annehmen, daß eine Wiedererkrankung nur in seltenen Fällen eintritt. Ich habe diese Krankheit nun nach allen Richtungen studiert, soweit dies in sechs Monaten möglich war, und habe zahlreiche und erschöpfende Versuche angestellt, daher glaube ich genügend unterrichtet zu sein, um eine Meinung darüber äußern zu können, mit welchen Mitteln wir diese Krankheit am besten bekämpfen. In dieser Beziehung drängt sich uns natürlich die Frage nach der Möglichkeit einer Ausrottung der Seuche auf. Daß dies unter bestimmten Verhältnissen ausführbar sein würde, glaube ich, da wir mit Hilfe des Mikroskops in der Lage sind, alle zur Ver- breitung der Seuche fähigen Tiere zu ermitteln, d. h. nicht nur die wirklich kranken, sondern auch solche Tiere, die die Krankheit überstanden und noch zu einer indirekten Übertragung befähigt sind. Tiere der letzten Art, die den Krankheitsei reger vielleicht für ihr ganzes Leben im zirkulierenden Blute zurückbehalten, können als die eigent- lichen Träger der Seuche gelten. Wie wir über diese Tiere verfügen, haben wir zu er- wägen, wenn wir der Frage nach der Ausrottung der Krankheit nähertreten. Zu diesem Zwecke müßten durchseuchte Tiere in eine solche Lage versetzt werden, daß sie nicht mehr länger eine Gefahr für die anderen bilden. Das würde nicht so kostspielig sein, als wenn wir etwa mit gewissen anderen Krankheiten zu tun hätten, denn wir brauchten solche Tiere nicht summarisch zu beseitigen. Es würde genügen, wenn sie von empfäng- lichen Nachbartieren getrennt und hernach zum Schlachten bestimmt würden. Die Verhältnisse liegen daher etwa so, wie bei der Rotzkrankheit, bei der ja gewisse infizierte Tiere mit Hilfe des Malle'ins erkannt und dann ausgerottet werden. Der Kampf gegen die Ausbreitung des Küstenfiebers ist in gewisser Hinsicht nicht so schwierig, als der gegen die Verbreitung des Rotzes, da die dazu erforderlichen Maßnahmen einfach, sicher und weniger kostspielig sein würden. Aber eine Bedingung müßte dabei erfüllt werden, soll diese Maßnahme von Er- folg sein, und diese Bedingung besteht in uneingeschränkter Überwachung sämtlicher Rinder und des ganzen Viehverkehrs. ITnter europäischen Verhältnissen, wo dies ausführbar ist, würde die Ausrottung einer solchen Krankheit die beste Behandlungsmethode darstellen, obwohl ein solches Verfahren kostspielig wäre und einige Jahre zu seiner Durchführung erforderte. Hier in Rhodesia sind indessen die Verhältnisse von denen europäischer Länder ganz und gar verschieden, da das Vieh der Eingeborenen nicht unter Kontrolle gestellt werden kann. C'heftierarzt Gray, der mit den örtlichen Verhältnissen wohlvertraut ist, ver- Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oclei- „Afrikanische Küstenfieber". 771 sichert mir, daß eine .solche Tilgung bei dem gegenwärtigen Fehlen von Einfriedigungen im Lande nicht ausführbar wäre, und ganz unmöglich in bezug auf das Vieh der Ein- geborenen; daher müssen wir einen anderen Ausweg aus unseren jetzigen Schwierig- keiten suchen, und dieser bietet sich uns nur in der künstlichen Tmuumisierung. Die Immunisierung von Rindern gegen afrikanisches Küstenfiebei- unterscheidet sich — dessen sollte man eingedenk sein — in einem sehr wichtigen Punkte von der Immuni- sierung gegen Rinderpest und Lungenseuche. Gegen Lungenseuche und Rinderpest geimpfte Tiere werden nicht zu einer künftigen Gefahrenquelle für empfängliches Vieh in ihrer Nachbarschaft, aber bei allen Malariakrankheiten von der Klasse, welcher das afrikanische Küstenfieber, das Texasfieber und die Tsetsekrankheiten angehören, sind immunisierte Tiere, obgleich sie nicht direkt imstande sind, die Seuche zu übertragen, doch indirekt dazu fähig mit Hilfe eines Lisekts als Zwischenträgers, und dieses Insekt ist beim afrikanischen Küstenfieber die Zecke. Solche immunisierten Tiere sind trotz anscheinender Gesundheit doch fähig, die Seuche weiter zu verbreiten, und diese Tat- sache bildet eine ernste Gefahr für die Viehzüchter, denn sie besagt, daß ihr Überschul] an Vieh zur Lebendausfuhr untauglich ist und daß auch keine Zuchttiere von außer- halb eingeführt werden können, es sei denn, daß sie einem Immunisierungs verfahren unterzogen werden; und das brauchbarste Verfahren zur Immunisierung gegen afrika- nisches Küstenfieber, das ich zurzeit empfehlen kann, besteht nun in der Impfung mit dem Blute durchseuchter Tiere. Handelte es sich nicht darum, daß dem Lande enie epidemische Verseuchung mit afrikanischem Küstenfieber droht, und wenn die Regenzeit nicht bevorstände, in der ein Wiederauflodern der Seuche zu erwarten ist, so hätte ich lieber noch mehr Zeit auf die LTntersuchung der Vorzüge und Nachteile dieses Impfverfahrens verwandt, bevor ich mich darüber äußerte, aber unter diesen Verhältnissen halte ich es als durch die LTmstände gerechtfertigt, mein Material ohne Verzug der Öffentlichkeit zu übergeben, obwohl es noch nicht völlig durchgearbeitet ist. Bei jedem Immunisierungs verfahren bedarf es einiger Zeit, bevor seine Wirkung eintritt, und die Immunisierung gegen afrikanisches Küstenfieber wird meiner Ansicht nach vier bis sechs Wochen in Anspruch nehmen. Wollte man daher mit den Impfungen bis zu Beginn der Regenzeit warten, wo die i\usbreitung der Seuche viel rascher erfolgt, so würde das wahrscheinlich einen viel größeren Verlust an Tieren bedeuten, da die Impfung bereits infizierter Tiere ohne günstige Wirkung bleibt. Das empfohlene Ver- fahren ist gefahrlos und nicht kostspielig. Vorerst rate ich, es nur bei solchen Tieren an- zuwenden, die einer unmittelbaren Ansteckungsgefahr ausgesetzt siiid, ferner bei ver- seuchten Herden und bei Tieren auf verseuchten Weiden, besonders aber bei Herden, unter denen vereinzelte Krankheitsfälle erst vor kurzem vorgekommen sind. Die Aus- führung dieser Impfungen sollte möglichst Tierärzten oder doch solchen Personen über- lassen bleiben, die in dem Verfahren unterrichtet Avurden. Die zur Hergabe des Impf- blutes bestimmten Tiere sollten bei offenbar guter Gesundheit und in gutem Nährzustande sein und entweder einen unverkennbaren Anfall der Seuche überstanden haben, oder von einem solchen Seuchengange herrühren, bei dem die Mehrzahl ihrer Nachbartiere hinweggerafft wurde; auch sollten sie hinterher lange Zeit auf Veldt geweidet haben, das als hochgradig verseucht bekannt ist. Wenn }nöglich, sollte das Blut vor seiner Verwendung erst mikroskojDisch darauf untersucht werden, ob auch die im Blute durch- seuchter Tiere gewöhnlich vorhandenen Lebewesen zugegen sind. Zur Bequemlichkeit der Farmer und Viehbesitzer, die nicht in der ].,age sind, sich die Hilfe eines Tierarztes zu verschaffen oder den Impfprozeß aus eigener Anseliammg kennen zu lernen, seien die folgenden Anweisungen angefügt: 94* 772 Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". Zur Vornahme der Impfung hat sich der Operateur mit folgendem Instrumen- tarium zu versehen: eine Lanzette oder ein Messer mit scharfer Spitze, ein Troikar mit Kanüle von ungefähr ^/^ Zoll Durchmesser, oder eine Kanüle von diesem Durchmesser, aber mit einer Spitze wie bei den Hohlnadeln; damit wird das zur Impfung dienende Blut entnommen, ein Schaumschläger aus Draht, der kurz vorher durch Kochen oder Erhitzen bis zur Rotglut zu reinigen ist, eine Pravazsche Spritze von 10 ccm Inhalt, die kurz vorher mit den dazu gehörigen Nadeln auszukochen ist, zwei emaillierte Gefäße von ungefähr % Gallon Inhalt; sie sind vorher mit einer 5% wässerigen Karbolsäurelösung auszuspülen und dann mit gekochtem Wasser aus- zuwaschen, einige Stücke frischgekochten, sauberen Mousselins zum Durchseihen des Blutes. Zwecks Vorbereitung zur Blutentnahme sollte man das Tier niederlegen und fesseln und seinen Kopf niederhalten. Die Jugularvene wird dann durch Umschnüren des unteren Teils des Halses mit einem kräftigen Strick zum Anschwellen gebracht, dann werden die Haare über der Vene weggeschoren und die Haut mit Seife und mit einer 5 "/q wässerigen Lösung von Jeyes' Fluid oder Karbolsäure gereinigt; alsdann macht man mit dem Messer einen kleinen Einschnitt in die Haut über der Vene in ihrer Längsrichtung, sticht in der Richtung nach dem Kopfe den Troikar mit Kanüle in die Vene ein, zieht den Troikar heraus und läßt aus der in der Vene verbleibenden Kanüle das erforderliche Blutquantum in eins der Emaillegefäße laufen, indem man es fortwährend mit dem Schaumschläger schlägt, um die Gerinnung zu verhindern. Wenn eine genügende Menge Blut entnommen ist, wird der Strick am Halse gelöst und die Kanüle herausgezogen. Die Wunde kann man dann mit einem Stück Heft- pflaster verschließen, oder indem man mit einer Nähnadel einen Seidenfaden durch beide Hautränder zieht, oder auch indem man mit einer Stecknadel die Wundränder — aber bloß die Haut! — durchsticht, und dann einen Seidenfaden in Achtertouren um die Nadelenden herumschlingt. Nachdem man das Blut noch zehn bis zwölf Minuten geschlagen hat, seiht man es durch ein Stück reinen Mousselins in das andere Emaillegefäß, deckt es sorgfältig zu, um Staub und Fliegen fernzuhalten, und es ist nun zum Gebrauche fertig. Da 1% pint durchgeseihten Blutes zur Impfung von 100 Rindern ausreichen, so wird es selten nötig sein, einem Tiere auf einmal mehr als drei pint Blut zu entziehen, die nach dem Umrühren und Durchseihen mindestens noch 1000 ccm gebrauchsfertigen Blutes ergeben; trotzdem können aber nötigenfalls drei bis vier Quart einem Tiere ohne Schaden entzogen werden. Es sollte alle Sorgfalt auf die Reinigung des Operationsfeldes verwandt und die Vene beim Einstechen des Troikars so wenig wie möglich verletzt werden. Wenn Troikar und Kanüle nicht zu beschaffen sind, kann man in dringenden Fällen, nachdem in der angegebenen Weise die Vene zum Anschwellen gebracht wurde, auch mit einem Schnäpper zur Ader lassen; hierbei besteht aber größere Gefahr, die Vene zu schädigen, als wenn eine Kanüle benutzt wird, und das Blut wird auch leichter ver- unreinigt. Zur Vornahme der Impfung läßt man das betreffende Tier festhalten, füllt die Spritze mit geseihtem Blute, hebt die lockere Haut am Halse mit Daumen und Zeige- finger hoch, sticht die Nadel der Pravazschen Spritze unter die Haut, injiziert 10 ccm, zieht die Nadel wieder heraus und verstreicht die durch das injizierte Blut bedingte An- Vorläufiger Bericht über das Rhodesische Rotwasser oder „Afrikanische Küstenfieber". 773 Schwellung vorsichtig mit der Hand; dann wird das Tier losgelassen. Die Dosis beträgt für alle Tiere ohne Rücksicht auf das Alter 10 ccm. Zum Schlüsse möchte ich denen, die eine Impfung vornehmen wollen, einprägen, daß bei dem jetzigen Stande unserer Untersuchungen, wo die ganze Frage noch nicht richtig durchgearbeitet ist, von dem Verfahren nicht zuviel erwartet werden darf, und daß man besonders dann auf keine guten Resultate hoffen kann, wenn man es bei solchen Herden anwendet, in denen die Seuche schon festen Fuß gefaßt hat. \ Untersuchungen über Schutzimpfungen gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe).') Von R. Koch. B u 1 u w a y o, den 7. Februar 1904. Es ist eine in Südafrika allgemein bekannte Tatsache, daß Pferde, welche die Horse-sickness überstanden haben, von der Krankheit nicht wieder oder nur in einer sehr milden Form befallen werden. Solche Tiere werden als ,, gesalzen'" bezeichnet, d. h. sie haben auf natürlichem Wege eine mehr oder weniger starke Immunität erlangt. Es lag natürlich nahe, zu versuchen, den Pferden auch auf künstliche Weise diese Immu- nität zu verschaffen und damit die ungeheuren Verluste, welche die Horse-sickness in Südafrika verursacht, zu verringern oder womöglich ganz zu beseitigen. Zu diesem Zwecke sind seit einer Reihe von Jahren von verschiedenen Experimentatoren zahl- reiche Untersuchungen gemacht. Es ist auch gelungen, hier und da einige Pferde zu immunisieren. Aber leider konnte bisher kein Verfahren gefunden werden, welches geeignet gewesen wäre, künstlich die Immunität ohne zu große Verluste zu erreichen. Seitdem es gelungen ist, die Rinderpest mit Hilfe von Serum erfolgreich zu be- kämpfen, hat man sich namentlich dieser Richtung zugewandt, und man hat auch in- sofern Erfolge gehabt, als es gelang, ein Serum zu erhalten, welches deutliche Schutz- wirkung besaß. Aber dieses Serum hatte zugleich die höchst unangenehme Eigenschaft, daß es bei den Tieren, welchen es eingespritzt wird, eine Hämoglobinurie erzeugt, woran dieselben meistens zugrunde gehen. Alle Bestrebungen zur Auffindung eines guten Schutz- verfahrens sind also bisher sehr unbefriedigend geblieben. Deswegen braucht man aber doch die Hoffnung auf einen schließlichen Erfolg nicht aufzugeben. Die Wissenschaft schreitet beständig fort ; es werden immer neue Methoden der künstlichen Immunisierung gefunden und die alten verbessert. Man muß deswegen immer wieder von neuem diese wichtige Aufgabe in Angriff nehmen und versuchen, dieselbe zu lösen. Ich habe es nun unternommen, das Serumverfahren, welches nach Lage der Dinge die meiste Aussicht auf Erfolg bietet, auf Grund der neuesten Erfahrungen zu verbessern. Zu diesem Zwecke wurden einige Pferde, von welchen man annehmen konnte, daß sie gesalzen waren, höher immunisiert. Für das Ausgangsmaterial zu diesen Ver- suchen habe ich Herrn Colonel Bodle meinen Dank abzustatten, welcher mir ein an Horse-sickness erkranktes Pferd nach Hillside Camp schickte. Von diesem Pferde, welches schon auf dem Wege starb und bei der Obduktion alle charakteristischen Merk- male der Horse-sickness zeigte, wurde Blut entnommen und auf einige Pferde verimpft, nämlich auf mehrere gesalzene und auf ein ungesalzenes. 1) Aus dem „Deutschen Kolonialblatt" Nr. 14 und 1.5. 1904. UntersuchiinKfii iiber Schutzimpfung gingen ITorse-Sicknoss (Pf erdesterbe). 775 Das letztere bekam die Krankheit und starb, die gesalzenen Pferde blieben dagegen vollkommen gesund. 8ie erhielten nun, nachdem durch die erfolglose Impfung bewiesen war, daß sie in Wirklichkeit gesalzen waren, große Dosen von virulentem Blut teils subkutan, teils intravenös in Intervallen von — 4 Wochen eingespritzt. Die Dosen betrugen in der Regel 2 Liter. Diese auLk-rordentlich großen Mengen von virulentem Blut wurden von den gesalzenen Pferden ohne jede auffallende Störung gut ertragen. Nach einigen Einspritzungen wurde dann .Serum von einem der so behandelten Pferde genommen und daraufhin geprüft, ob bereits Schutzstoffe darin enthalten waren. Es zeigte sich aber nur, daß durch dasselbe die Inkubationszeit und auch der Krankheits- verlauf etwas verlängert wurden. Es waren also höchstens Andeutungen dafür vor- handen, daß Schutzstoffe in der Bildung begriffen waren. Die Pferde wurden dann weiter mit großen Dosen von virulentem Blut behandelt und ihr Serum einige Monate später wieder geprüft. Diesmal fanden wir, daß das Serum schon recht starke Schutzwirkung besaß. Um dies festzustellen, wurde in folgender Weise verfahren: Es wurden mehreren Pferden abgestufte Mengen von Serinn subkutan injiziert und am folgenden Tage eben- falls subkutan eine Dosis von virulentem Blut gegeben, von welcher wir wußten, daß sie absolut tödlich wirken mußte, da wir dieselbe Dosis mehrfach angewandt und damit ausnahmslos einen tödlich verlaufenden Anfall von Horse-sickness erzielt hatten. Zu diesem Versuche waren fünf Pferde verwendet. Davon erkrankte eins, ein junges Tier (5 Jahre alt), überstand aber die Krankheit und war danach, wie wieder- holte erfolglose Injektionen von virulentem Blut bewiesen, vollkommen immun, d. h. gesalzen. Die übrigen vier Pferde, zwei alte und zwei junge, wurden überhaupt nicht krank. Es entstand nun aber die Frage, ob nicht etwa diese Tiere, entgegen unserer An- nahme, schon vorher gesalzen waren. Um dies zu erfahren, wurde 15 Tage nach Injek- tion des Serums den beiden alten Tieren luid einem der beiden jungen dieselbe Dosis von virulentem Blut gegeben wie das erste Mal. Alle drei Pferde erkrankten diesmal und starben an Horse-sickness. Damit war bewiesen : erstens, daß die Pferde, welche zu unserem Versuche benutzt wurden, empfänglich waren für Horse-sickness; zweitens, daß sie durch das Serum gegen eine absolut tödliche Dosis von virulentem Blute geschützt wurden; drittens, daß dieser Schutz höchstens 15 Tage vorgehalten hatte. Es wurde nun weiter untersucht, ob das Serum imstande sei, auch nach Ausbruch der Krankheit einen heilenden Einfluß auszuüben. Dies ist leider nicht der Fall. In mehreren Fällen erhielten Pferde, bei denen das erste Symptom der beginnenden Krankheit, nämlich der Anstieg der Körpertemperatur, sich zeigte, sofort große Dosen von Serum, subkutan oder intravenös injiziert, die Injektionen wurden auch wieder- holt und bei einzelnen Tieren bis über 1 Liter gegeben, ohne daß der tödliche Ausgang der Krankheit abgewendet werden konnte. Nur an dem vorübergehenden Abfall der Temperatur und an der verlängerten Dauer der Krankheit ließ sich auch hier ein ge- wisser Einfluß des Serums erkennen. In dieser Beziehung verhält sich unser Serum ähnlich wie das Tetanus- und das Pestserum, welche beide auch eine bedeutende prä- ventive, aber keine oder nur sehr geringe kurative W^irkung besitzen. Bei diesen Versuchen stellte sicli tnui aber die außerordentlich wichtige Tatsache heraus, daß unser Serum vollkommen frei war von der höchst unangenehmen Eigen- schaft, daß es hämolytisch wirkt und infolgedessen Hämoglobinurie erzeugt, eine Eigen- schaft, welche, wie bereits erwähnt wurde, anderen Ex]3eriinentat(tren die größten Hinder- nisse bereitet hatte. Wir konnten das Serum gesunden und kranken Tieren in den größten Dosen sowohl subkutan als auch intravenös injizieren, ohne daß jemals auch nur eine 776 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe^ Spur von Hämoglobinurie eintrat. Diese Eigenschaft wurde übrigens nicht etwa nur am Serum eines einzigen Tieres konstatiert, welches vielleicht zufällig nicht hämolytisch wirkte, sondern am Serum von allen drei Pferden, welche von uns bis jetzt zur Serum- gewinnung präpariert waren. Wir waren also im Besitze eines Serums, welches kräftige präventive und keine hämolytische Eigenschaft hatte, und wir konnten nun daran denken, dasselbe für eine Schutzimpfung, ähnlich wie bei der Rinderpest, zu verwenden. Es kam nur darauf an, eine solche Kombination von Serum und Virus zu finden, welche einen milden Anfall der Horse-sickness entstehen läßt, stark genug, um Immunität zu erzeugen, und nicht so stark, als daß er gefährlich werden könnte. Es mußte also ermittelt werden, welche Dosis des Virus die zweckmäßigste ist, ob es vorteilhaft ist, eine sehr starke Dosis anzu- wenden oder nur eine solche, welche eben ausreicht, um tödlich zu wirken. Ferner muß für die als zweckmäßig gefundene Virusdosis die passende Dosis von Serum bestimmt werden. Dann ist weiter zu ermitteln, ob es besser ist, Virus und Serum zu gleicher Zeit oder mit einem Zwischenraum von einem oder mehreren Tagen, ob das Virus vor dem Serum oder umgekehrt zu geben ist. Auch der Ort, wo die Injektionen zu machen sind, und die Art und Weise, ob subkutan oder intravenös, muß gefunden werden. Es gibt also eine Menge Fragen, welche der Antwort harren, und die Lösung derselben kann nur auf experimentellem Wege geschehen. Hätte man genügend zahlreiche Versuchstiere zur Verfügung und könnte größere Versuchsreihen machen, dann ließen sich die an- gegebenen Aufgaben in verhältnismäßig kurzer Zeit lösen. Ich konnte aber nur an we- nigen Tieren experimentieren, und so blieb mir nichts anderes übrig, als einzelne^ Ver- suche herauszugreifen, welche, wie mir schien, am schnellsten zum Ziele führen würden. Außerdem kam es mehrfach vor, daß die Experimente wiederholt werden mußten, weil im Laufe des Versuchs, da wir vorwiegend alte, billige Pferde benutzten, es zweifelhaft wurde, ob sie nicht schon vorher gesalzen waren. Infolgedessen sind wir nur langsam vorwärts gekommen. Aber wir haben doch bis jetzt einige recht interessante und auch praktisch wichtige Resultate erhalten. Zunächst konnten wir feststellen, daß es möglich ist, bei Pferden durch Kom- bination von Virus und Serum einen abgeschwächten Anfall von Horse-sickness zu er- zeugen, welchen sie gut überstehen und infolgedessen gesalzen sind. Auch ein sehr leichter Anfall, welcher sich nur durch mehrtägige Temperatursteigerung ohne anderweitige sichtbare Symptome zu erkennen gibt, scheint schon eine ausreichende Immunität zu verleihen. Wir haben zurzeit drei Pferde und zwei Maultiere, welche auf diese Weise künstlich gesalzen sind und nach überstandenem Anfall die Injektion von absolut töd- lichen Dosen von virulentem Blut ohne Schaden vertragen haben. Selbstverständlich müssen diese Tiere später noch der natürlichen Infektion ausgesetzt werden. Aber nach allen bisherigen Erfahrungen ist nicht zu bezweifeln, daß derartig immunisierte Tiere auch der natürlichen Infektion widerstehen werden. Ferner konnten wir feststellen, daß das Serum, selbst wenn es am 4. Tage nach der Injektion des Virus gegeben wird, noch imstande ist, den Ausbruch der Krankheit zu unterdrücken. Ich verspreche mir gerade von dieser Kombination gute Erfolge, weil bei dieser Anordnung dem Virus genügend Zeit gelassen wird, um sich zu entwickeln und aktiv immunisierend zu wirken. p]s sind bis jetzt drei Tiere nach dieser Methode immunisiert, und zehn Pferde und ein Maultier sind augenblicklich in Behandlung. Um ganz sicher zu gehen und keine unnötigen Verluste dabei zu haben, fing ich mit verhältnismäßig großen Dosen von Serum an und gehe allmählich mit der Serumdosis herunter. Aber gerade diese Experimente erfordern viel Zeit, weil bei jedem Versuch 14 Tage nach der Seruminjektion gewartet werden muß, ehe das Tier von neuem in- Untersuchungen ü1)er Scluitzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). 777 jiziert werden kann; denn es muß erst die Wirkung des vorher injizierten 8erunis, welche, wie früher erwähnt wurde, etwa 2 Wochen andauert, verschwunden sein. Daneben sind aber auch Versuche im Gange, um zu sehen, ob durch gleichzeitige Injektion von Virus und Serum, wie es in der sogenannten sinuiltaneous Method bei Rinderpest geschieht, gute Resultate zu erzielen sind. Nach dem, was bis jetzt schon erreicht ist, bin ich fest davon überzeugt, daß auf dem einen oder dem anderen der bezeichneten Wege eine brauchbare Schutzimpfung gefunden werden nuiß, und ich beabsichtige, sobald ich durch die im Gange befindlichen Experimente noch mehr orientiert bin, eine größere Zahl der am 3. Februar hier an- gelangten jungen argentinischen Pferde künstlich zu immunisieren. Ich glaube, daß ich bis Ende März imstande sein werde, diese Untersuchungen über Horse-sickness zum Abschluß bringen zu können. * * Buluwayo, den 28. März 1!)04. Bei den Untersucliungen ü)>er künstliche Immunisierung gegen Horse-sickness hat sich gezeigt, daß eine genaue Befolgung ganz bestimmter Vorschriften notwendig ist, wenn übereinstimmende Resultate erzielt werden sollen. Ganz besonders gilt dies für die Herstellung der beiden Substanzen, welche die Grundlage des Immunisierungs- verfahrens bilden, des Virus und des Serums. Ich habe es deswegen für zweckmäßig erachtet, eine eingehende Beschreibung von der Herstellung des Virus und des Serums zu geben und dieselbe diesem Berichte als Anhang beizufügen. Da sowohl das Virus als das Serum, nachdem ihnen konservierende Stoffe zu- gesetzt sind, sich sehr lange Zeit wirksam erhalten, so ist es zweckmäßig, sich von beiden Substanzen einen hinreichenden Vorrat zu beschaffen, um stets unter gleichen Bedin- gungen arbeiten zu können. Ist genügend Virus und Serum beschafft, dann ist die nächste Aufgabe, dasjenige Verhältnis zwischen beiden Substanzen zu finden, bei welchem sie sich entweder gerade oder doch nahezu aufheben ; außerdem wird man aus ökono- nnschen Gründen dieses Verhältnis so wählen, daß der ^^erbrauch von Serum ein mög- lichst geringer ist. Letzteres wird aber dann der Fall sein, wenn die Dosis des Virus so bemessen wird, daß sie ohne Serum gerade noch ausreichend ist, um einen unzweifel- haften Anfall von Horse-sickness hervorzurufen. Um diese Dosis zu finden, habe ich damit begonnen, einigen Pferden, welche an Horse-sickness leiden sollten, um das Blut zum Fortifizieren von gesalzenen Tieren zu liefern, verschiedene Dosen von unkonserviertem und von konserviertem virulenten Blut zu injizieren. Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse dieser Versuche: A. unkonserviertes Blut: B. konserviertes Blut: Nr. Dosis Inkub.-Stad. Nr. Dosis Inkub.- St ad 1 20 ccm 3 Tage 5 10 ccm 5 Ta^ 2 15 „ 5 ,, 6 5 ,, 6 „ 3 5 „ 6 „ 7 5 „ 7 „ 4 1 10 ,, 8 5 ,. (5 „ Sämtliche Tiere erkrankten an typischer Horse-sickness, starben und zeigten bei der Obduktion die für die Horse-sickness charakteristischen Symptome. Bemerkenswert ist noch, daß das Ink^^bationsstadium bis zu einem gewissen Grade von der Virusdosis abhängig ist. Am kürzesten, nur 3 Tage, Ijetrug es nach der größten Dosis, am längsten nacli der geringsten Dosis, 1 ccm unkonserviertes Blut. Letzteres 778 TTnfei'sucluingen über Schutzimpl'ung gegen llorse-Sickuess (Pferdesterbe). war außerdem faulig, da es ohne konservierenden Zusatz und ungenügend verschlossen seit 39 Tagen im Eisschrank gestanden hatte. Es ist sehr wahrscheinlich, daß in diesem Blute die Parasiten der Horse-sickness zum größten Teil abgestorben waren und nur noch sehr wenige zur Wirkung gekommen sind. Das in diesem Falle beobachtete In- kubationsstadium von 10 Tagen wird daher wohl zu den längsten gehören, welche nach Virusinjektion vorkommen. Wir haben denn auch unter 28 Fällen von künstlicher Infektion nur in einem Falle, der wegen Komplikation mit Abszeß und Tsetseerkrankung nicht rein ist, eine längere Inkubation von 11 Tagen beobachtet. In der Regel bleibt das Inkubationsstadium zwischen 6 und 9 Tagen. Da die Dosis von 5 ccm konserviertem Virus regelmäßig getötet hatte und auch von anderen Experimentatoren als sicher tödliche Dosis angesehen wird, so habe ich die ersten Kombinationsversuche von Serum und Virus mit dieser Dosis angestellt, und zwar wurden in verschiedenen Versuchsreihen das eine Mal zuerst Serum und hinter- her Virus, das andere Mal das Virus zuerst gegeben. Das Resultat der ersteren Reihe habe ich bereits in meinem Bericht vom 7. Februar mitgeteilt. Über die zweite Reihe gibt die nachstehende Tabelle Auskunft: Virus Zwischenzeit 1. 2. 3. 4. (Maultier) 5. 5 ccm 5 „ 5 ,, 5 1 Tag 2 Tage 3 „ 3 „ 3 „ Serum 120 300 300 200 300 Resultat gestorben schwerer Anfall leichter Anfall Sämtliche Tiere dieser Versuchsreihe erkrankten an Horse-sickness, die mit ein und 2 Tagen Intervall so schwer, daß sie starben; die drei übrigen überstanden den An- fall und waren danach so hoch immun, daß sie große Dosen von Virus vertrugen, ohne nochmals zu erkranken. Hiernach mußte man annehmen, daß es vorteilhafter ist, das Serum nicht früher als am 4. Tage nach dem Virus zu geben. Ferner mußte versucht werden, ob nicht mit erheblich kleineren Dosen von Virus operiert werden kann, um dementsprechend auch mit einem geringeren Quantum Serum auszukommen. Zu diesem Zwecke wurde folgende Versuchsreihe angestellt : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. (Maultier) Virus 0,25 0.25 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0.1 0.1 Zwischenzeit 3 Tage 3 „ 3 „ 3 „ 3 „ 2 1 „ 3 „ 3 „ Serum 400 400 200 200 200 100 100 400 300 Resultat kein Anfall sehr leichter Anfall tödlicher Anfall kein Anfall In dieser Versuchsreihe waren die Resultate schon erheblich besser. Nur zwei Tiere erkrankten, das eine leicht, das andere mit einem tödlichen Anfall, alle übrigen blieben ohne irgendwelche sichtlichen Erkrankungserscheinungen und wurden später weiterbehandelt. Die beiden erkrankten Pferde waren junge, frisch importierte Argen- tinier, während die übrigen ältere Tiere waren, die sich schon längere Zeit in Südafrika befanden. Da sich hiermit herausstellte, daß die Empfänglichkeit der Pferde gegen Horse- sickness eine sehr verschiedene ist und das Immunisierungsverfahren natürlich für die Untersuchungon übor SrhnlziiiiiilunK gegen norse-Sirkness (Pferdesterbe). 779 am meisten empfindlichen Tiere berechnet werden muß, so ging ich mit der Mrusdosis noch erheblich weiter herunter und benutzte für die nächste Reihe nur noch die hoch- empfindlichen jungen Argentinier. Um aber dem Virus mehr Gelegenheit zAi geben, auf den Organismus innnunisierend zu wirken, dehnte ich die Zwischenzeit zwischen Virus und Serum um einen Tag weiter aus, da ich von der Annahme ausging, daß, wenn eine geringere Virusdosis angewendet wird, eine um so längere Inkubationszeit zu er- warten ist und das Risiko der späteren Anwendung des Serums deswegen nicht wesent- lich größer wird. Diese Versuchsreihe, bei welcher ich auf O.Ol ccm Virus herabging, gestaltete sich folgendermaßen : Virus Zwischenzeit Serum Resultat 1. 0,01 4 Tage 200 sehr leichter Anfall 2. 0,01 4 „ 200 3. 0,01 4 „ 200 4. 0,01 4 „ 100 kein Anfall 5. 0,01 4 „ 100 6. 0,01 4 ,, 100 7- 0,01 4 „ 100 8. 0,01 4 50 0. 0,01 4 ,, 50 mittelschwerer Anfall Zu dieser Reihe gehören dann noch die folgenden beiden Tiere mit tödlichem Anfall. Virus Zwischenzeit Serum Resultat 10. 0,01 4 Tage 200 tödlicher Anfall 11. 0,01 4 „ 100 Um ziniächst über diese beiden letzten Fälle Aufklärung zu geben, sei bemerkt, daß Nr. 10 nicht das gleiche Virus erhalten hat wie alle übrigen Tiere, sondern ein an- deres, hergestellt aus dem Blute eines Pferdes, welches durch sogenanntes Passagevirus infiziert wurde, d. h. durch ein Virus, das sukzessive mehrmals auf Pferde verimpft und dadurch wahrscheinlich zu einer größeren Virulenz herangezüchtet war. Ob diese Erklärung richtig ist, müßte durch weitere Versuche mit Passagevirus geprüft werden. Ich konnte für diesen Zweck keine Tiere opfern und habe es deshalb vorgezogen, dieses Virus nicht ferner zu gebrauchen. Auf jeden Fall lehrt dieser Versuch, daß das Horse- sickness-Blut verschiedene Grade von Virulenz haben kann, und daß man deswegen, wie bereits früher angeraten ist, sich einen großen Vorrat von einem bestimmten Virus lialten soll, dessen Eigenschaft man genau |)rüfen muß, bevor man es in der Praxis ver- wendet. Bei dem Pferd Nr. 1 1 ist insofern von dem sonst üblichen Verfahren abgewichen, als das Virus und das Seruni auf verschiedenen Seiten des Halses injiziert wurden, wäh- rend die übrigen Tiere beide Injektionen stets an derselben Halsseite erhielten. Nur diesem Umstände möchte ich es zuschreiben, daß das Serum nicht zur vollen Wirkung kam. Daß es nicht ganz wirkungslos geblieben war, ließ sich daran erkennen, daß der Krankheitsverlauf ein sehr protrahierter war luid ganz den Anscliein erweckte, als ob das Pferd die Krankheit überstehen würde. Daraus, daß Nr. 11 trotz Serumwirkung einen tödlichen Anfall, Nr. 0 enien mittel- schweren und Nr. 1, 2, :} leichte Anfälle hatten, geht zur Genüge hervor, daß die Dosis von 0,01 ccm des von uns benutzten Virus füi- hochempfindHclie Pferde ausreichend ist, um eine tödliche Infektion zu bewirken. Höchstwahrscheinlich liegt die einfach tödliche Dosis noch erheblich tiefer, und man würde bei sehr empfindlichen oder sehr 780 Untersuchungen über Schutzinii)fung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). wertvollen Tieren als Anfangsdosis für die Immunisierung eine geringere, vielleicht 0,005 com oder 0,002 ccm zu nehmen haben. Auch durch Verkürzung des Intervalls von 4 Tagen auf 3 Tage kann die Gefahr verringert werden. Aber vorläufig scheint mir die in der letzten Versuchsreihe benutzte Kombination von 0,01 ccm Virus und 100 ccm Serum mit 4 Tagen Zwischenraum eine sehr zweckmäßige zu sein, da sämt- liche Pferde, und zwar hochempfindliche Tiere, dieselbe gut vertragen haben, wenn die dabei zu befolgenden Regeln genau eingehalten wurden. Auch die Serumdosis von 100 ccm scheint die gerade richtige zu sein, wie daraus hervorgeht, daß von den beiden Tieren 8 und 9, welche nur 50 ccm erhielten, eins er- krankte, aber glücklicherweise am Leben blieb. Vielleicht könnte man in Zukunft mit Rücksicht auf Serumersparnis versuchen, ob nicht 75 ccm ausreichend sind. Es kam nun weiter darauf an, zu ermitteln, ob die so behandelten Tiere auch einen gewissen Grad von aktiver Immunität erlangt hatten, auf welchem man weiter bauen konnte. Ich ließ deswegen allen Tieren, welche 0,01 ccm Virus überstanden hatten, die fünffache Dosis Virus, also 0,05 ccm, und nach einer Pause von 4 Tagen nur die Hälfte Serum, nämlich 50 ccm, injizieren. Um eine Kontrolle zu haben, erhielt ein junges argen- tinisches Pferd, welches bis dahin noch nicht behandelt war, dieselben Dosen von Virus und Serum. Das Resultat dieses Versuches war, daß von den vorbehandelten Tieren kein einziges irgendwelche Krankheitserscheinungen, nicht einmal vorübergehende Temperatursteigerungen zeigte, während das Kontrolltier innerhalb der gewöhnlichen Inkubationszeit schwer an Horse-sickness erkrankte und starb. Damit war bewiesen, daß die erste Virus- Serumkombination den Tieren einen erheblichen Grad von aktiver Immunität verliehen hatte. Ein Rest von jtassiver Immu- nität konnte es aus dem Grunde nicht sein, weil die zweite Injektion von Virus 12 Tage nach der Seruminjektion gegeben wurde; also zu einer Zeit, wo die Wirkung des Serums vorübergegangen war. Nach diesem ersten Schritt in der Steigerung der Virusdosis wurde dann ein wei- terer Schritt getan und den Tieren 0,2 ccm Virus, d. h. das Vierfache der letzten Dosis, in Kombination mit 50 ccm Serum und 4 Tagen Zwischenraum injiziert, selbstverständ- lich nicht vor Ablauf von 12 Tagen nach der letzten Seruminjektion. Nachdem auch diese Dosis ohne jede Reaktion ertragen war, bin ich zu Injektionen von Virus ohne Serum übergegangen, und zwar zunächst auf 0,2 ccm, bei einigen Tieren auch sofort auf 0,5 ccm. Da auch diese Injektionen gut vertragen wurden, so hatten die Pferde, welche in der geschilderten Weise behandelt waren, nunmehr schon einen solchen Grad von Immunität erreicht, daß sie Virusdosen vertrugen, welche 20- bis 30mal höher sind als 0,01, d. h. die einfach tödliche Dosis. Bis jetzt sind 14 Pferde so weit gebracht, daß sie 0,2 bzw. 0,5 Virus (allein) ohne Reaktion vertragen, und in wenigen Tagen werden die übrigen diese Stufe erreicht haben. Ob dieser Grad von Immunität ausreichend ist, um gegen die natürliche Infektion zu schützen, kann nur durch das Experiment entschieden werden, und es müssen zu diesem Zweck derartige Tiere längere Zeit der natürlichen Infektion ausgesetzt werden. Sollte sich dabei herausstellen, daß sie noch nicht genügend immunisiert sind, dann sind sie in der angegebenen Weise sehr leicht auf beliebig höhere Stufen der Immunität zu bringen, bis man zu einer solchen gelangt, welche auch gegen die natürliche Infektion absoluten Schutz gewährt. Dasselbe gilt von der Dauer dieser künstlichen Immunität. Wenn dieselbe sich bei der Prüfung in der Praxis als zu kurz ergeben sollte, dann kann sie durch gelegentliche Injektionen von Virus immer wieder aufgefrischt werden. Bei dem Arbeiten mit Virus ohne Serum ist nur zu berücksichtigen, daß man. Untersuchungen über Schul zimpfunf; gegen ITorse-Sickness (Pferdesterbe). 781 soweit meine bisherigen Erfahrungen reichen, die Dosen nicht so schnell steigern kann wie bei der Kombination von Virus mit Serum. Bei letzterer kann man unbedenklich zu fünf- bis zehnfach höheren Dosen übergehen. Bei Anwendung von Virus allein bin ich in der Regel nur um das Doppelte gestiegen. Vielleicht bin ich hierbei aber auch in der Vorsicht zu weit gegangen, weil ich bei der geringen Zahl meiner Versuchstiere so wenig als möglich verlieren wollte. Es würde Sache späterer Versuche sein, zu prüfen, ob man nicht auch mit dem Virus allein erheblich schneller steigen kann. Sollte es etwa notwendig werden, über 10 ccm Virus hinauszugehen, dann würde es nicht mehr angängig .sein, das konservierte Virus zu benutzen, weil dasselbe zuviel Glyzerin enthält; man müßte hi diesem Falle frisches Blut oder solches verwenden, welches aseptisch unter Zusatz von Kaliumzitrat zur Verhütung der Gerinnung in Gläsern aufgefangen ist und sich unter Paraffinverschlul.^ monatelang in flüssigem Zustande und vollkommen wirksam aufbewahren läßt. Das Schema zum künstlichen Immunisieren gegen Horse-sickness gestaltet sich nach den bisherigen Erfahrungen also folgendermaßen: I. Stufe 0,01 ccm Virus subkutan am Halse, vier Tage Intervall. 100 ccm Serum (auf derselben Seite subkutan eine Handbreit tiefer injiziert als das Virus), zwölf Tage Pau.se. II. ,, 0,0.5 ccm Virus, vier Tage Intervall. 50 ccm Serum, zwölf Tage Pause. III. 0,2 ccm Virus, vier Tage Intervall. 50 ccm Serum, zwölf Tage Pause. IV. ,, 0,5 ccm Virus, zwölf Tage Pause. V. ,, 1,0 ccm Virus, zwölf Tage Pause. VI. ,, 2 ccm Virus, zwölf Tage Pau.se. VII. ,, 5 ccm Virus usw. Die in diesem Schema angegebenen Dosen gelten natürlich nur für das von uns gebrauchte Virus und Serum. Aber mit wenigen Versuchen kann für jedes andere Virus und Serum diejenige Dosis ermittelt werden, welche für die erste Stufe die geeignetste ist. Gerade auf diese kommt es offenbar am meisten an, weil durch dieselbe die wich- tige Grundimmunität geschaffen wird. Unsere Tiere reagierten, wenn sie es überhaupt taten, nur auf dieser Stufe; bei den späteren haben wir niemals mehr eine Reaktion beobachtet. Hält man sich dann ganz genau an das Schema, unter Berücksichtigung der etwa erforderlichen Modifikation der Dosen, dann wird voraussichtlich die Innnunisierung mit gar keinem Verluste an Pferden verbunden sein. Man kann aber, wenn man die Vorsicht noch weiter treiben will, als ich es getan habe, der Stufe I noch eine Stufe la mit 0,005 ccm Virus und 100 ccm Serum oder mit 0.002 ccm Virus und 50 ccm Serum vorausschicken, wie bereits früher erwähnt wurde. 782 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). Um ein Tier bis zur Widerstandsfähigkeit gegen 0,5 com Virus zu bringen, würden nach dem Schema 48 Tage erforderlich sein ; bis zu 5 com Virus braucht man 36 Tage mehr, im ganzen also etwa 3 Monate. Ein so langer Zeitraum ist aber nur dann erforder- lich, wenn man ganz sicher gehen will. Kommt es darauf aji, schneller zu immunisieren, dann muß man einzelne Stufen auslassen, womit natürlich immer eine gewisses Risiko verbunden ist. In mehreren Fällen, namentlich wenn schon auf der ersten Stufe eine geringe Temperatursteigerung von mehrtägiger Dauer sich bemerkbar gemacht hatte, welche als der Ausdruck einer sehr leichten Reaktion aufzufassen war, habe ich es riskiert, das Schema abzukürzen, indem ich die dritte Stufe ausließ und sofort zum Virus allein überging. Bisher habe ich damit jedesmal Erfolg gehabt und damit die Dauer der Immu- nisierung auf einen Monat abgekürzt. Es würde später zu versuchen sein, ob diese Abkürzung nicht regelmäßig anwendbar ist. Vielleicht wird sich bei weiteren Erfahrungen in der Praxis überhaupt herausstellen, daß die Immunisierung erheblich kürzer zu bewerkstelligen ist, als ich es getan habe. Aber es kam mir vor allen Dingen darauf an, die Grundlage für ein Immunisierungsverfahren zu finden, und zwar für ein solches, bei welchem Verluste ganz sicher ausgeschlossen sind. In dieser Beziehung möchte ich noch bemerken, daß alle Tiere, welche eine starke Reaktion, d. h. einen regelrechten Anfall von Horse-sickness hatten, sofort eine voll- ständige und sehr hohe Immunität besaßeij, so daß wir bald nach dem Anfall 5 ccm Virus geben konnten. Diese Tiere, sechs an der Zahl, hatten ihre Immunität schon nach 15 bis 20 Tagen, je nach der Dauer des Anfalles, erworben. Hiermit ist aber immer eine erhebliche Gefahr für die Tiere verbunden, und es erscheint mir deswegen ratsamer, wenn es auf schnelle Immunisierung ankommt, dahin zu streben, daß die Tiere auf der ersten Stufe eine sehr milde, nur an der Temperaturkurve merkbare Reaktion durch- machen, was sich bei einiger Übung durch Modifikationen der Virus- und Serumdosen sicher erreichen lassen wird. In diesem Falle würde die Immunisierung etwa 1 bis 1^ Monate in Anspruch nehmen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird es sich aber so einrichten lassen, daß die Neuanschaffung von Pferden in der Zeit geschieht, in welcher die Horse-sickness ruht, und dann ist eine langsame, ganz ungefährliche und möglichst hoch getriebene Immu- nisierung entschieden vorzuziehen. In meinem ersten Bericht über Horse-sickness hatte ich Versuche mit simultaner Anwendung von Virus und Serum, nach Analogie der Schutzimpfung gegen Rinder- pest, in Aussicht gestellt. Leider konnte ich hierfür nur vier Pferde verwenden, und ich bin deswegen noch nicht zu abschließenden Resultaten gekommen. Die Versuchsanord- nung schloß sich in bezug auf die Dosierung von Virus und Serum ganz an das andere, hauptsächlich studierte Verfahren an. Die Injektionen wurden aus theoretischen Gründen, deren Darlegung hier zu weit führen würde, nicht wie bei der Rinderpest auf verschie- denen Seiten, sondern auf derselben Seite gemacht, und zwar die Virusinjektion oben und die Seruminjektion fünf Finger breit darunter. Ein etwas älteres Tier erhielt mit 12tägigen Zwischenräumen: I, II III IV V Stufe 0,2 ccm Virus und 100 ccm Serum, „ 0,2 „ „ 50 „ )) 0,5 ,, ,, ,, 50 ,, ,, ,, 0,5 ,-, ,, allein. Es trat niemals die geringste Reaktion ein. TJntersiiclmngon üIkm- Scluitziniiituni; ^f'^''" nni'SP-Sirkness (Pfcrdestorbo). 783 Drei junge argentinische Pferde erhielten ebenfalls mit 12tägigen Zwischenräumen: I. Stufe Ii. III. IV. Die weitere Eehaiidlung geschieht ebenso wie bei dem ersten Verfahren, also 1,0, 2,0, 5,0 com Virus. Die Zeit nach den letzten Injektionen ist noch zu kurz, um das Resultat erkemien zu lassen. Da bei allen vorhergehenden Injektionen niemals eine Spur von Reaktion zu bemerken war, so ist es mir fraglich, ob die Tiere gegen die letzten \'irusflosen sich hinreichend geschützt zeigen werden. Sollte dies der Fall sein, daiui müßten die Ver- suche in dieser Richtung fortgesetzt und insbesondere angestrebt werden, auch bei der simultanen i\.pplikation von Virus und Serum durch Herabsetzung der Serum- oder Steigerung der Virusdosis auf der ersten Stufe eine deutliche Reaktion zu erzwingen. Wenn das gelingt, würde dies Verfahren den Vorzug der Einfachheit und kürzeren Dauer haben. Sollte es aber nicht gelingen, dann verspricht das erstbeschriebene Verfahren mit getrennter Injektion von Virus und Serum eine kräftigere und dauerhaftere Immu- nität, weil bei demselben dem Virus eine gewisse Zeit gelassen wird, um auf den Orga- nismus seine immunisierende Kraft ausüben zu können. Bei der vergleichenden Prüfung der nach den beiden verschiedenen Verfahren immunisierten Pferde gegenüber der natür- lichen Infektion wird es sich sehr bald herausstellen, welches von beiden Verfahren das für praktische Zwecke vorteilhaftere ist. Nachdem sich die Tatsache ergeben hatte, daß durch stufenweise Steigerung der mit Serum kombinierten Virusdosis eine Widerstandsfähigkeit gegen sehr hohe isolierte Virusdosen zu erreichen ist, lag die Frage nahe, ob es nicht möglich sei, auch ohne Serum, allein mit steigenden Virusdosen, denselben Grad von Widerstandsfähig- keit, d. h. Immunität, zu erzielen. Zu Beantwortung dieser Frage konnte ich auch aus Mangel an \'ersuchstieren nur wenige Experimente anstellen, welche aber doch erkennen ließen, daß es in der Tat möglich ist, auch auf diesem Wege gegen Horse-sickness zu immunisieren. Ein Pferd haben wir so weit gebracht, daß es 0,1 ccm Virus ohne Reaktion ertrug, zwei andere bis 0,2 ccm Virus. Aber es scheint so, als ob man mir sehr langsam und in größeren Zeitabständen die Virusdosen erh()hen darf als bei den kombinierten Methoden. Dieses Verfahren mit Virus ohne Serum würde also für jjraktische Zwecke wohl kaum in Be- tracht kommen, so interessant dasselbe auch in theoretischer Beziehung ist. S c h 1 u ß) f o 1 g e r u n gen. 1. Durch kombinierte Injektionen von Virus und Serum können l'ferde auf eine ganz ungefährliche Weise gegen Horse-sickness immunisiert werden. 2. Das von mir gefundene Verfahren wird sich voraussichtlich so weit verein- fachen lassen, daß ein Pferd in 1 bis 1)2 Monaten hinreichend gesalzen ist. Nr. 1 0,01 ccm N'irus und 100 ccm Serum „ ^ 0,01 „ ., „ 75 „ ,, ;? O.Ol , 50 ,. „ 1 0,1 ,, „ 100 „ ^ 0,075 „ „ „ 75 „ „ 3 0,05 ,, ., ., 50 „ ,, 1 bis 3 gleichmäßig 0,2 ccm V'irus und 50 ccm Serum. ,. 1 0.5 ccm Virus, 2 0,2 „ „ 3 0.1 „ 784 Untersuchimgen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). 3. Die Injektionen werden zwei- bis dreimal mit steigenden Dosen von Virus wiederholt. 4. Darauf kann man zu Injektionen von Virus ohne Serum übergehen. 5. In 1 14 Monaten kann ein Pferd so weit gebracht werden, daß es 0,5 ccm Virus ohne Reaktion erträgt. 6. Sollte ein höherer Grad von Immunität erforderlich sein, damit das Pferd absolut gegen die natürliche Infektion geschützt ist, dann ist dies in verhältnismäßig kurzer Zeit durch Fortsetzung des Verfahrens zu erreichen. 7. Es ist wahrscheinlich, daß auch durch simultane Injektionen von Virus und Serum Pferde so weit immunisiert werden können, daß sie das Virus allein vertragen. * * * HerstellungdesVirus. Das erforderliche Blut wird dem Tiere kurze Zeit vor dem Tode entnommen, wenn die Symptome der Horse-sickness, nämlich Schwellung über den Augen, beschleunigte und mühsame Respiration, einen hohen Grad erreicht haben. Man nimmt mit Hilfe eines Troikarts etwa 1 14 bis 2 Liter aus der Vena jugularis und defibriniert es durch Schlagen mit einem Drahtbündel oder einem anderen geeigneten Gegenstand. Das gut defibrinierte Blut wird durch angefeuchtete Gaze filtriert. Um dasselbe zu konservieren, wird unter Benutzung einer von E d i n g t o n angegebenen Formel folgende Mischung hergestellt : Ein Teil Phenol wird in 1000 Teilen Wasser gelöst, hierzu zunächst 1000 Teile Glyzerin und dann unter beständigem Umschütteln 1000 Teile defibriniertes Blut ge- mischt. Es ist selbstverständlich, daß alles, was mit dem Blut in Berührung kommt, In- strumente, feuchte Gaze, Gefäße, vorher gut desinfiziert sein muß. Auch das zur Mischung verwendete Wasser, am besten Regenwasser, muß sterilisiert sein. Die so hergestellte Blutmischung bleibt in einer großen Flasche 2 bis 3 Wochen an einem kühlen, dunklen Orte (womöglich Eisschrank) stehen. Während dieser Zeit lösen sich die roten Blutkörperchen, aber ihre Hüllen und die übrigen geformten Be- standteile des Blutes senken sich zu Boden oder bleiben in Form von feinen Flocken in der Flüssigkeit schweben. Nach allem, was wir über das Virus der Horse-sickness wissen, ist es wahrscheinlich, daß dasselbe an den roten Blutkörperchen haftet, und daß somit ein mehr oder weniger großer Teil desselben an den Hüllen der Blutkörperchen sitzen bleibt und mit diesen in die Flocken übergeht, welche in der Flüssigkeit suspen- diert sind. Wenn diese Flocken, welche sich niemals ganz gleichmäßig in der Flüssig- keit verteilen, nicht entfernt werden, dann ist es unmöglich, das Virus genau zu dosieren, und ich glaube, daß einige Unregelmäßigkeiten, welche bei unseren anfänglichen Ver- suchen beobachtet wurden, darauf zurückzuführen sind, daß dieser Umstand nicht be- rücksichtigt war. Die Flüssigkeit muß deswegen, nachdem den geformten Blutbestandteilen hin- reichend Zeit gelassen wurde, sich zusammenzuballen und die erwähnten Flocken zu bilden, also nach 2 bis 3 Wochen, durch angefeuchtete, sterilisierte Gaze filtriert werden. Dieses Filtrat ist eine dunkelrotbraune Flüssigkeit, welche in dünnen Schichten und namentlich in ihren Verdünnungen vollkommen klar sein muß. Sollte die Viruslösung irgendwelche Trübung oder Flockenbildung zeigen, dann ist sie nicht geeignet zum Gebrauch. \ Untersuchungen über 8( luitzi)ii]ilung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). 785 Nach dem Filtrieren füllt man die Flüssigkeit in Gläser von 50 bis 100 ccm Inhalt so weit, daß ein möglichst geringer Luftraum bleibt, schließt sie mit Glasstöpsel und bewahrt sie wieder im Eisschrank auf. Zur Bereitung der Verdünnungen, welche jedesmal frisch hergestellt werden, dient physiologische NaCl-Lösung (0,85%), welche sterilisiert ist. Es ist zweckmäßig die Injektionsflüssigkeit so zu verdünnen, daß die Virusdosis stets in derselben Menge Flüssigkeit, z. B. in 5 ccm, enthalten ist. Man mißt also, um eine Dosis von 0,01 ccm zu präparieren, 0,02 ccm mit einer in Hundertstel ccm geteilten Pipette ab und setzt 10 ccm NaCl-Lösung hinzu, dann enthalten 5 ccm dieser Mischung die verlangte Dosis von 0,01. Vor der Injektion überzeugt man sich nochmals davon, daß die in der Spritze befindliche Flüssigkeit absolut klar ist. Die Injektion selbst geschieht in der üblichen Weise unter die Haut am Halse, und zwar hoch genug, so daß die etwa nachfolgende Injektion von Serum etwa eine Hand- breit tiefer gegeben werden kann. Herstellung des S e r u m s. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß man gesalzenen Pferden 20 und selbst 200 ccm von frischem virulenten Blut injizieren kann, ohne daß sie im geringsten dadurch beeinträchtigt werden, wurden solche gesalzene Tiere, welche zur Gewinnung von Serum präpariert werden sollten, von vornherein mit den größten Dosen behandelt. Anfangs wurde das virulente Blut, welches einem kranken Tiere möglichst kurze Zeit vor dem Tode entnonnnen ist, subkutan injiziert, später sind wir aber zur intravenösen Injektion übergegangen, weil dieselbe sich leichter ausführen läßt und weit bessere Resultate in bezug auf die Wirksamkeit des Serums gibt. Wir geben in der Regel 2 Liter intravenös. Das dem kranken Tier entzogene Blut wird defibriniert. durch Gaze filtriert und sofort injiziert. Ist das Blut zu stark abgekühlt, dann mul5 es vorsichtig auf etwa 35" C im Wasserbade erwärmt werden. Wenn während der Injektion die Respiration des Tieres um'uhig zu werden be- ginnt, dann wird pausiert, bis die Störung vorübergegangen ist. Unter ITmständen muß die Injektion abgebrochen werden, bevor 2 Liter vollständig injiziert sind. So haben wir einige Male aufgehört, als 1700 ccm eingeflossen waren, in einem Falle sind wir aber auch auf 2500 ccm gestiegen, ohne das Tier dadurch zu schädigen. Die einzelnen Injektionen sind nicht vor 14 Tagen zu wiederholen. Als wir bei einem Tiere schon nach 7 Tagen wieder injizierten, wurde eine mäßige Hämoglobinurie beobachtet. Das ist aber auch das einzige Mal gewesen, daß dieses Symptom bei unseren fortifizierten Tieren vorgekommen ist. Nach vier Injektionen kann man von den injizierten Tiei'en Blut zur Gewinnung von Serum entnehmen. Es geschieht dies 12 bis 1-t Tage nach der letzten Injektion. Man kann dann Tieren 4 bis 5 Liter entziehen und dies drei- bis viermal in Zwischen- räumen von einer Woche wiederholen. Dann gibt man dem Tiefe einige Monate Ruhe l)ei guter Pflege, injiziert wieder und gewinnt von neuem Blut. Auf einen Punkt, welcher nur eine gewisse Bedeutung zu haben scheint, möchte ich besonders aufmerksam machen. Wir haben zum Fortifizieren nur alte Pferde, welche sich in gutem Ernährungszustand befinden, beiuitzt, und ich halte es für wahrschein lieh, daß dies der Grund dafür ist, daß das von uns präparierte Serum keine hämoly- tischen Eigenschaften besitzt. Bei Verwendung von jungen Tieren würde ich es für not- Koch, Gesaninielte Werke. 95 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). wendig halten, das Serum, bevor es in größerer Menge verwendet wird, genau daraufhin zu prüfen, ob es nicht hämolytisch wirkt. Wenn alte Tiere benutzt werden, hat man überdies den Vorteil, daß dieselben höchstwahrscheinlich immun sind gegen die Piroplasmosis der Pferde (Biliary fever), welche in Südafrika sehr verbreitet ist. Wir haben absichtlich mehrmals Blut, welches Piroplasmen in sehr geringer Zahl enthielt, injiziert und bei unseren alten Tieren niemals einen Ausbruch der Krankheit beobachtet. Ein junges Pferd dagegen, welches nur 20 ccm Blut von einem alten gesalzenen Pferde subkutan erhalten hatte, erkrankte nach einer Inkubationsfrist von 9 Tagen an Piroplasmosis und starb daran. Da diese Krankheit leicht mit Horse-sickness verwechselt werden kann und tatsächlich, wie die Literatur über Horse-sickness lehrt, schon mehrfach damit verwechselt ist, so sollte jeder, der über Horse-sickness arbeitet, sich genau vertraut machen mit den Symptomen derselben und mit dem mikroskopischen Blutbefund, welcher allein eine sichere Unterscheidung ermöglicht. In jedem zweifelhaften Falle muß eine mikroskopische Untersuchung des Blutes vorgenommen werden. Allerdings muß dieselbe sehr gründlich gemacht werden, auch erfordert sie viel Übung und Erfahrung, da die Parasiten meistens in sehr geringer Anzahl vorhanden sind und nicht immer die charakteristische Form der Piroplasmen zeigen, sondern unregelmäßige, den Malariaparasiten ähnliche Gestalt annehmen können. Wir haben bei unseren Tieren in fünf verschiedenen Fällen die Piroplasmosis angetroffen. Für die Verwendung des Serums kommt die Gefahr der Übertragung der Piroplasmosis nicht in Betracht, da das Serum behufs seiner Konservierung mit Substanzen ver- setzt wird, welche die Piroplasmen innerhalb von wenigen Tagen abtöten. Nur die Ver- wendung eines ganz frischen Serums könnte gefährlich werden. Als Beispiele für die Fortifikation von gesalzenen Pferden, welche Serum liefern sollen, mögen folgende dienen: Nr. 1 */, 200 ccm von Nr. 2 subkutan 7g 2000 „ „ „ 7 „ 2000 ,, ,, ,, 12 ,, (enthält Piroplasm.) i^/^o 2000 ,, ,, ,,24 intravenös 20/,, 2000 „ „ „ 16 31/10 Blutentnahme. Nr. 3 2000 ccm von Nr. 2 subkutan 7« 2000 „ „ „ 7 -®/g 2000 ,, ,, ,, 12 ,, (enthält Piroplasm.) 11/9 Blutentnahme (das Serum zu schwach befunden). ^/,o 2000 ccm von Nr. 14 subkutan 20/,o 2500 ,, ,, ,, 16 intravenös i/ii Blutentnahme. 2000 ccm von Nr. 28 intravenös (enthält Piroplasm.) i7i2 Blutentnahme 24/ /l2 " Vi Nr. 8 7g 1000 ccm von Nr. 7 intravenös -7g 1000 ,, ,, ,, 12 ,, (enthält Piroplasm.) 1^10 1700 „ „ „ 24 -o/,o 2000 „ „ „ 16 „ (mäßig Hämoglob.) Blutentnahme. 1700 ccm von Nr. 28 intravenös (enthält Piroplasm.) Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). 787 '"/.o Blutentnahme 23/ -^/g 1500 ccm von Nr. 05 intravenös. Um nun das Serum aus dem Blut zu erhalten und zu konservieren, wird folgender- maßen verfahren : Das Blut wird sofort defibriniert, durch Filtration durch Gaze von den Blutge- rinnseln befreit, in hohe Gefäße gefüllt und im Eissclirank stehen gelassen. Schon nach 24 Stunden haben sich die roten Blutkörperchen zu Boden gesenkt und das darüber stehende Serum kann abgegossen werden. Später scheidet sich noch weiteres Serum ab, welches am zweiten und selbst am dritten Tage noch gewonnen werden kann. Im ganzen erhält man von dem defibrinierten IMut nahezu 70% Serum. Zur Konservierung des Serums dient das von Ehrlich angegebene Verfahren. Es werden nämlich von einer Flüssigkeit, welche in 100 Teilen 20 Teile Glyzerin und 5,5 Teile Phenol enthält, 10 Teile mit f)0 Teilen Serum gemischt. Diese Serummischung wird zweckmäßigerweise in Gläser von 200 ccm Inhalt gefüllt und an einem kühlen, dunklen Orte aufbewahrt. Beim langen Stehen bildet sich in dem anfänglich leicht getrübten und rötlich aussehen- den Serum ein Bodensatz. Zur Injektion benutzt man nur die darüber stehende klare Flüssigkeit. Fourth Report on African Coast Fever.') By Professor Koch. Since the publication of my last Report, the method of protective inoculation therein recommended has been applied on a large scale to European and native-owned cattle, in order to ascertain how it was likely to answer in actual practice. These field experiments began in October 1903, and are still going on, and the result of the work done is tabulated on the accompanying returns, to which 1 apjx'ud the foUowing co)n- mentary. List "A" shows the work done in the Victoria district. (Operations, which commen- eed here on October 24th, were initiated by Chief Veterinary Surgeon Gray under my personal supervision, and subsequently kept up by Messrs. Readman, Hill, and Southey, and to the expeditious manner in which the work can be carried out, I can bear witness. To obviate any difficulty which might be experienced in obtaining animals in Victoria suitable for inoculating from, five salted cattle from Hillside Camp, in whose blood the ring forms of the parasite were present, were sent on to await our arrival. These animals were subsequently supplemented by other suital^le animals purchased locally. A large proportion of the cattle in tliis district being owned by natives. before we left Bulawayo the Acting Native Commissioner. Mr. Forrestall, sounded native ') Presented to the Legislative Council, 1904. 95* 788 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). stockowners as to their willingness to have their cattle inoculated. The naajority ex- pressed themselves as anxious to have their animals treated, and as European f armers were equally unanimous in their desire to give the method a trial, Uttle time was lost in making a start, and, thanks to the interest taken in the work by Mr. Forrestall, who accompanied us everywhere and acted as Interpreter, we had no difficulty in making rapid progress, the presence of the Native Commissioner having a reassuring effect on the natives, who were at first inchned to look doubtfully on a method of inoculation in which blood was used. The usual daily tale of animals inoculated in the first round at Victoria ranged between 200 and 400, depending upon the distance traversed between the various kraals. On several occasions Mr. Gray inoculated over 500 in a day, but such days were excep- tionally heavy — 300 head a day may be taken as a very fair average, and that number could only be got through comfortably when a considerable number of natives were present to catch and hold the animals so that no time was lost in going from one animal to another. Shortly betöre the work began the rains commenced, and with the commencement of the wet weather the disease everywhere showed a tendency to revive. To such an extent was this the case that instead of having to inoculate, as we anticipated, a thousand head of cattle in order to include all animals in infected herds and their vicinity, we found that over four thousand had to be dealt with. In almost every direction we met cases of the disease, and microscopic examination of blood smears from sick and dead animals at Mangwendi's and Matchokoto's kraals, near the township, showed that the type of infection which prevailed was a severe one. The history of the course of the disease in Victoria is much the same as in other districts. It was originally introduced a year ago by transport cattle from the north, first appearing on the Victoria-Enkeldoorn road; then the Commonage was infected, in spite of precautions taken to preserve its integrity by prohibiting the outspanning of transport cattle within its boundaries, and enforcing compulsory dipping of all animals entering the township. Once the disease became established on the Commonage, it made a clean sweep of niost of the cattle grazing there, and native stockowners residing some distance from town, who had cattle whose mihi was sold in town, running at the kraals on the edge of the Commonage, took fright and moved their cattle from the vicinity of the infected area, in many instances carrying the disease with them to them to their own kraals, so when we arrived at Victoria we found the Commonage for the most part denuded of cattle, and beyond it a thickly stocked area where isolated outbreaks had occurred, surrounded in most cases by herds of cattle amongst which there had been no outbreaks, although some of these were probably already infected, and all were in imminent danger of becoming so by grazing in the vicinity of infected herds. The apparently clean herds were in such a precarious position that the natives willingly agreed to their being in- oculated, and they were therefore included in the sphere of Operations and helped to swell the sum total of animals treated. Such herds, amongst which no cases of African Coast Fever had appeared, are classified on the return under two headings. Those in which the animals remained healthy during the inoculation period are characterised as "Clean Herds". Those in which iso- lated cases of the disease occurred shortly after inoculation began are shown as "Doubt- fully Clean Herds". That the mortality amongst "Doubtfully Clean Herds" is due not to inoculation but to veldt infection is readily apparent from a consideration of the position of the herds Untersuchungen über Scliutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). 789 included under this category in Retuni "B", the C'hibi Return, for all the herds shown there under this heading are herds whose grazing veldt overlaps that of infected herds, therefore these herds are included in the general return (8heet "D") amongst infected herds. The third group on the returns headed Infected Herds" requires no explanation. It coiuprises herds infected at the time inoculation was begun. Group No. 4 is shown as "C'ombined Infected and Clean Herds". These are herds in which the cattle owned by one individual or kraal were broken up into separate batches, some of which were clean and some infected. There are two lots of cattle of this descrip- tion shown in the Bulawayo return (8heet "('") and one in the Victoria return (Sheet "A"), and they are interesting and instructive in so far as inoculations were conducted simultaneously in both clean and infected herds, the sanie sample of blood being used for each. Reference to List "A" shows that at Victoria thirty clean herds, containing 1,701 head of cattle. received up to date a niaximum uumber of seven inoculations. The addition to these of the clean herd of Chikanganga brings the total number of clean inoculated cattle in this district up to 1,809, amongst which the mortality up to the time of writing is nil. To the number of cattle in infected herds shown as such in List "A", there must be added the cattle of "Doubtfully Clean Herds" and those of C'hikangaga's infected herd. Summecl up, the animals in these herds amount in all to 710 head, amongst which there have been 52 deaths. In most infected herds, so far, only isolated cases of disease have been recorcled, although in a few instances (Bhututu, Mangwencli and Matchokoto) there has been a relatively high death rate, a circumstance to which I will refer later on. Sheet "B", showing the work done in the Chibi District (35 miles from Victoria) calls for no special comment. This district was infected from Victoria, and the disease having appeared there more recently, inoculation was begun at a somewhat later date, so that six inoculations is the maximum number which has been made in this district. Otherwise the conditions are similar to those obtaining at Victoria. Here, 24 clean herds, comprising 1,228 cattle, are being inoculated without any mortality resulting so far. Besides these, ten infected herds, of 656. are also under treatment, amongst which there have been 16 deaths. Sheet "C" shows work done in and around Bulawayo. The disease appeared here about 20 months ago, and while some parts of the district are highly infected. there are still a number of places in the vicinity of the towm which are clean. Our opportu- nities of dealing with clean herds in this district were limited to two, one a herd belonging to Colonel Napier and the other a herd belonging to Mr. Heberden, which must be con- sidered clean, although eight deaths from African C'oast Fever had occurred in it a long time before inoculation connnenced. The latter herd Mr. Heberden succeeded in freeing from the disease by moving it to fresh pasture after each outbreak. Such a line of pro- cedure seems to me of great value, and recourse should be had to it whenever local con- ditions permit of movement withour endangering the safety of neighbouring herds. Mr. Heberden's herd has been inoculated thirteen times and remains liealthy. I am sorry to say that in several instances cattleowners who begaii inoculating suspended Operations after a few injections. because no innnediate benefit was obser- vable, although expectations that such would be forthcoming were scarcely justifiable, as I pointed out in my Third Report that good results need not be looked for when in- oculation is applied to herds in which the disease has gained a thorough footliold. As evidence of the futility of inoculation, public reference has frequently been 790 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). made to a herd belonging to Mr. Flemming, a f armer residing in the vicinity of Bulawayo, but that such a case does not demonstrate the inefficacy of the method can be clearly shown. The herd in question consisted of nine animals, the survivors of about 30, which were alive a year ago. These nine animals were first inoculated on October 15th, 1903. Four injections were made, and then the owner refrained from proceeding further with the experiment, because two or three weeks after the date of the first injection two ani- mals died of African Coast Fever. How many more of the inoculated animals have since died I do not know, but last week blood smears taken from two calves belonging to the same individual were examined at the laboratory, and were found to give evidence of severe infection, and these animals in all probability have since died. As a matter of fact, this herd should not appear in the Return at all, because in- oculation Operations were discontinued, but I include it lest the public should think that a record of this case was deliberately omitted because its outcome had not been satisfactory. In this district, as at Victoria, we find instances (Erasmus and Fingo Location) in which owners have clean and infected lots of cattle which were inoculated simultaneo- usly with the same blood without detriment to the healthy herds, which remain in per- fect health. Altogether, 378 animals in clean herds have been inoculated in and around Bula- wayo without loss. Of infected herds, 312 head have been dealt with, of which 106 have died. The sum total of the results of the experiment in the Bulawayo, Victoria, and Chibi districts, are shown in Return "D", and the conclusions to be drawn from our work so far are : — Ist. Inoculation is devoid of danger, therefore cattle may be inoculated without any risk being incurred. 2nd. In infected herds, a mortality of about 10 per cent. has occurred during the period of inoculation. If we wish to arrive at some estimate from a consideration of these figures of the number of animals that have died because the recommended method has failed to protect them, the foUowing facts must be borne in mind : — Ist. The method is protective, not curative. For this reason, all deaths occurring within twenty-eight days of the first inoculation must be excluded, as animals dying within that period were probably infected before treatment began, allowing for an in- cubative period of fourteen days in such cases, and a similar period for the duration of the disease. 2nd. Immunity does not begin immediately after the first inoculation. The time required for the establishment is greater than I at first supposed. The experiments made at Hillside Camp show that animals turned into a highly infected pasture will not resist the infection after eight weeks' treatment, and I now think that the immu- nising effect of the process is only beginning at the end of that time, and requires at least four or five months before it is completed, therefore any death occurring within three months of the date of the first inoculation cannot be attributed to the inefficacy of the process, because such deaths, in all probability, have occurred amongst animals which have become infected before they have been eight weeks under treatment. Looked at from this standpoint, the results obtained in infected herds assume quite a different aspect, as consideration of a detailed account of the few cases in which we were able to obtain precise Information tends to show. Untersiichungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). 791 The cases to which 1 allude are those of Bhututu, Mangwencli, and Matchokoto, in the Victoria district; and that of the Fingo Location, in the neighbourhood of Bula- wayo. I will take first that of Bhututu. The herd at Bhututu's kraal originally consisted of about 100 head of cattle. In the course of four or five months, 70 animals died, and the surviving 26 were inoculated for the first time on October 24th. Of this severely infected herd, tliree animals died during the next three months; that is, within the period which precedes the development of immunity. Next in order is Mangwendi's herd. This herd consisted originally of 73 animals grazing in the immediate vicinity of Bhututu's Kraal. Seventeen animals died before inoculation began, and at the time of the first inoculation wc found one animal dead and two sick, both highly infected. The two which were sick died during the week, and are included in the mortality return. Within the first two months of inoculation 13 died including the two aforementioned. During the month of January (the third month after the commencement of inoculation) 12 more dropped off. In Matchokoto's herd, which originally contained about 50, 16 only were alive 10 days prior to inoculation, and on the day of inoculation seven were left (four adults and three calves) one of which was very sick and died the following day. Since then four more have died, leaving two survivors out of a herd of 50. No good result was anticipated from the inculation of this herd, and it might very well have been left alone, but it was considered advisable to inoculate, as the natives were desirous that their cattle should be treated. At the Fingo Location near Bulawayo, cattle to the number of about 650 were running when the disease first appeared amongst a lot of 437. Of this infected herd 350 died previous to October 21st, the date upon which inoculation began. During the month of October 18 died. How many of these died prior to inoculation I could no ascertain, therefore all are shown in the mortality return. In the month of November there were 14 deaths, in December four, and in January 13. Of all these we really ought to reckon that only those dying in the last week of January died in spite of inoculation. I think a careful consideration of the cletailed cases of Bhututu, Mangwendi, Matcho- koto, and the Fingo Location makes it clear that not more than a small persentage of the total mortality of 10 per cent. shown as having occurred in infected herds, can be Said to have happened, because the animals had not benefitted by the recommended treatment. I do not contend. however, tliat the result of our field experiments prove that the method so far has afforded a high degree of protection of the stock which have been subjected thereto. Sufficient time has not elapsed for this to be ap])arent. Our work only shows that the establishment of artificial immunity is a mucli more gradual process than I at first hoped it would be. With regard to the suitability of animals for inoculating from. Me find compara- tively little difference in the effect produced by the blood of various animals with which we carried out our inoculation, but more marked benefit appeared to be derived by the use of blood drawn from animals which had recovered from a real attack. Our ex- periments also show that five cubic centimetres of defibrinated blood is a sufficient quantity for each Injektion, and a regulär System of fortnightl^' inoculations I find is best. By the preliminary weekly injections recommended in my former Report, I hoped to hasten the establishment of immunity, but I am now convinced that it is impossible to force the process. I feel certain that in the course of the next few months proofs of increased immu- 792 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). nity in inoculated herds will be forthcoming, therefore I strongly recommend the con- tinuance of the field experiments already begun, modifying the original process by using five cubic centimetres of recovered blood instead of 10, and allowing an interval of a fortnight between each injection. It is a matter for regret that immunity is established so slowly, but the method recommended is satisfactory in this respect ,that once animals are thoroughly immu- nised no further treatment will be necessary, for they will be permanently immune, and their progeny after contracting the disease in a mild form, will also resist further in- fection. While I have called attention in previous reports to the fact that this disease has only been found in Rhodesia, in the Transvaal, and on the African Coast, it is of great interest to note that Dschunkowsky in No. 4 of the "Centraiblatt für Bakteriologie" lately published, describes a disease prevalent in the Russian Transcaucasus, which is very probably identical with African Coast Fever, judging from the train of Symptoms described as occurring in infected animals, and from the drawings given of the specific parasite. I think it is not improbable that a more extended search will show that the disease is much more widely distributed than we at first supposed. C o n c 1 u s i o n s. I will close these Reports on African Coast Fever by stating briefly the conclu- sions which may be drawn from a consideration of our experiments and observations so far as these are of interest in enabling us to understand the nature of the disease, and so far as they suggest what steps should be taken to combat its spread. Ist. African Coast Fever is a cattle disease caused by a characteristic blood para- site, and cases of the disease can be readily identified by a demonstration of the specific organism. 2nd. It is different from Texas Fever or so-called Redwater which was intro- duced into and spread widely over South Africa before the advent of African Coast Fever. 3rd. African Coast Fever may be combined with Redwater, and hgemoglobinuria (blood-coloured urine) is only observed in such cases. It was the occurrence of cases of mixed inf ection of this class which rendered the Identification of the disease so difficult when it first came into this country. 4th. The disease did not originate in Rhodesia, but was introduced from the coast. 5th. It is not transferable directly, and sick animals can be stabled with healthy ones without communicating the disease. 6th. The disease can only be spread by ticks. In this respect it resembles Texas Fever. 7th. The mortality ivom African Coast Fever is very high, the loss in an infected herd commonly amounting to 90 per cent. 8th. Animals which survive are protected against second attaks, and so long as they remain on infected veldt their immunity continues. That this is the case and that the progeny of such animals are protected to a certain degree and become immu- uised by mild attaks of the disease durung infancy, a consideration of the Coast Fever areas on the East Coast of Africa proves. 9th. In the manner referred to in paragraph 8 a really immune stock will be evolved in any country in which the disease appears. T'ntersuchungeu über Scluitzimpfung gegen Hoivse-Sickness (Pferdesterbe) 793 lOth. Immune animals are not free froni parasites. Tliere are always a small number of ring-shaped or ovoid parasites in the blood of such animals. llth. By the transfer of parasites from salted to healthy animals by ticks, the disease can be produced in a virulent form. This fact explains the mysterious infection of healthy stock by recovered and apparently healthy animals if herded together on the same veldt. The introduction of susceptible animals into a pasture over which salted animals have grazed and dropped ticks may suffice to infect them. although they never come into actual contact with the immune herd. 12th. It is impossible to produce the disease by single injections of blood drawn from a sick animal and containing the ])arasite. although this can be readily done in Texas Fever. 13th. Repeated injections into health_\- animals of blood containing parasites, at intervals of fourteen days, produce a very mild infection characterised by a slight rise of temperature, and the appearance of a few parasites in the blood. By such mild attacks, animals so treated become immune after four or five months. 14th. For immunising purposes the blood of a recovered animal can be used if the parasites are present, but care should be taken to see that such blood is free from the parasites of other South African diseases such as trypanosoma and spirilli. 15th. Inoculation per se can do no harm if ordinary care is taken to conduct the Operation in a cleanly manner. 16th. A clean herd be protected by careful Isolation from suspects. particularly from such animals as have had the disease and recovered from it. For this purpose fencing is beneficial. 17th. The destruction of ticks by spraying or dipping is advantageous, and helps to check the spread of the disease, particularly when combined with fencing. The disco- very of a certain and safe method of destroying all ticks. which so far we have not at our command. would arrest any further spread of the disease. 18th. After the disease has appeared in a herd, movement of such a herd to clean veldt from time to time, paticularly after outbreaks is beneficial. and will sometimes suffice to free it from infection if the conditions are favourable. lOth. Clean veldt is only such veldt upon which neither sick nor recovered animals have grazed for at least twelve months. 20th. Such expedients as fencing, dipping. spraying and moving animals, have only a temporary value, as sooner or later the disease will extend to and involve all herds in the vicinity of an infected centre, as Texas Fever did, therefore such precau- tions should t)e supplemented by inoculation with recovered blood whenever disease appears in the vicinit}-. 21th. The artifical establishmcnt of immunity takes from four to five months. It is devoid of risk. inexpensive, and when animals are fully immunised no further treat- ment is necessary. Until this stage is reached animals should be protected as far as possible by spraying. fencing and periodical movement. B u 1 a w a y o . 2!»th February 11»U4. 794 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). Annexure A. List of Cattle inoculated in the Victoria District I. Clean Herds. Number of Cattle Number of Tu opii 1 n t,i on s J. Ii. (.7 \.y U 1 eil Li. VII o Number of Deaths since first lUUCUldtiUU 35 7 0 39 7 0 28 7 0 60 7 0 87 7 0 Petzer 22 7 0 Kruger and Cloete 39 7 0 Du Ploy .... 16 7 0 32 7 0 26 6 0 60 6 0 59 6 0 20 6 0 Ningi 30 6 0 79 6 0 25 6 0 33 6 0 Phillips 63 6 0 51 6 0 90 6 0 Shebabalibi . . . 60 6 0 74 4 0 23 4 0 M'faire 39 4 0 65 4 0 41 4 0 40 4 0 Gobo 76 4 0 Williams .... 275 7 0 134 7 0 30 herds . . 1,701 0 II. Doubtfully clean Herds. Number of Cattle Number of Inoculations Number of Deaths since first Inoculation Clark Baramasumba 23 105 7 7 1 3 128 4 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). 795 Annexure A. ~ Continued. Cattle inoculated in Victoria District. — Continued. III. Infected Herds. NuiTiber Ol ^uniber Ol Tti Af>nlo^"^An o Number of Deaths siiice first Iiioculation 9fi 7 Q ö 59 7 25 7 7 5 Makumbo 20 7 1 6 7 1 Mawafa 5 7 0 17 7 7 Mkoko 103 7 1 117 7 2 Nagina 7S 7 2 Umtima 61 7 3 499 47 IV. Combined infected and clean Herds. Number of Cattle Number of Inoculations Number of Deaths since first Inoculatioii Chikaganga — One lot on infected veldt . . 93 7 1 One lot on clean veldt . . . 108 7 0 201 1 796 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (Pferdesterbe). Annexure B. List of Cattle inoculated in the Chibi District. I. Clean Herds. Number of Cattle Number of luoculations Number of Deaths since first lüoc lation Tshaglomkona Mapeudui . . Massalu . . Thiromwa . . Basutus . . Tshiroue . . Maweracre Masoiodsu . . Masikidau . . M'Gere . . . Masikiduckraal Mangwaua M'Nimo . . M 'Tange . . M'Zonda . . Marshala . . Tshigadsa . . M'Kouese . . M'Subukwa . Chibassa . . Masina . . . M'Tamberi . Tahorouru Tipaitansi . . 64 6 0 75 6 0 71 6 0 62 6 0 27 6 0 14 6 0 24 6 0 152 6 0 40 6 0 9 6 0 4 6 0 35 3 0 52 3 0 41 3 0 26 3 0 54 3 0 57 3 0 45 3 0 105 3 0 82 3 0 6 3 0 94 3 0 80 3 0 59 3 0 24 herds 1,228 II. DoubtfuUy clean Herds. Number of Cattle Number of Inoculations Number of Deaths since first Inoculation 96 6 2 31 6 1 Tarn 150 6 4 85 6 1 83 6 1 Chibi 45 6 1 45 6 1 76 3 1 611 12 Untersuchungen über S( hiitzinii)fung gegen Horse-Sickness (Pferdesterl)e). 797 Annexure B. — Continiied. List of Cattle inoculated in the Chibi District. — Continued. III. Infected Herds. Number of Cattle Number of Iiiocnlations Number of Deaths since lirst luoculation Tom 30 6 1 15 6 8 45 4 Annexure C. List of Cattle inoculated in the Bulawayo District. I. Clean Herds. Number of ( 'attle Nuniber of Inoculations Number of Deatbs since first Inoculation 30 112 6 . 13 0 0 1 ! 142 1 II. Infected Herds. 0 Number of Cattle Number of Inoculations Number of Deaths since first Inoculation HuU Bett Helm CS 32 9 24 ' 62 4 7 4 7 7 0 28 4 4 3 III. Combined infe 193 i cted and clean Herds. 39 Number of ( 'attle Nuniber of Inoculations Xuniber nf 1 )eaths since first Inoculation Erasmus — 1. Lot on infected veldt . . . 2. Lot on clean veldt .... Fingo Location — ■ 1. Lot on infected veldt . . . 2. Lot on clean veldt .... 32 24 87 212 9 9 9 8 18 t) 49 0 1 355 i 1 67 Untersuchungen über Schutzimpfung gegen Horse-Sickness (PferdesterbeJ. Annexure D. Clean Herds. Number of Cattle Number of Deaths Cliibi District 1,509 1,228 378 0 0 0 Infected Herds. 8,115 0 Number of Cattle Number Ol Deaths 720 656 312 52 16 106 1,688 174 1 Die Ergebnisse der Forschungen Robert Kochs über das Küstenfieber der Rinder und über die Pferdesterbe gelegent- lich seiner letzten Expedition nach Südafrika.')') Am Knde des Jahres 1902 erging an Herrn Geheimrat Koch die Aufforderung, sich nach Südafrika zu begeben, wo besonders in der Kolonie Rhodesia die Rinderherden von einer vernichtenden Seuche befallen waren. Am 12. Januar 1903 verließ er in der Begleitung von F. N e u f e 1 d und mir Berlin, um über Neapel nach der afrikanischen Ostküste zu fahren. Dieser Weg war gewählt, da die Seuche dem Vernehmen nach von der Küste, und zwar von Beira aus ihren Weg genommen hatte und Studien an den Hafen- plätzen somit Gelegenheit boten zu Beobachtungen, die späterhin von Wichtigkeit werden konnten. Am 18. Februar landeten wir in Beira und begaben uns alsbald durch das portu- giesische Gebiet und dann über Umtali und Salisbury nach Bulawayo. Während in der Gegend um jene beiden Städte herum fast der gesamte Rindviehbestand bereits vernichtet war, hatte die Seuche Bulawayo erst vor einigen Monaten erreicht, und es bestand die Wahrscheinlichkeit, daß wir hier brauchbares Material für unsere Arbeiten finden würden. Hillside Camp, 1]A Meilen von dem Ort entfernt und früher zum Kaser- nement der Polizeitruppe bestimmt, nahm unsere aus Berlin mitgebrachte Labora- toriumseinrichtung, die vielen Versuchstiere, sowie das nötige Wartepersonal in seine Baracken auf. Bevor ich auf die Beschreibung der Seuche eingehe, will ich bemerken, daß ich mich in meinen Ausführungen an die von R. K o c h dem englischen Gouvernement erstatteten Berichte halte. Doch übergehe ich alles, was nur lokales Interesse bietet oder speziell dem Bakteriologen von Wichtigkeit ist, während ich dagegen die allgemeinen epidemiologisch bedeutenden Beobachtungen hervorzuheben versuchen werde. Bei unserer Ankunft hielt die Mehrzahl der Tierärzte die Seuche für eine besonders virulente Art von Texasfieber, eine Annahme, zu der man sich bestimmen ließ durch das gelegentliche Auftreten von Hämoglobiniu-ie und durch die Gegenwart von birn- förmigen Parasiten in den roten Blutkörperchen. Eingehende Untersuchungen zeigten, daß in jenen Fällen eine zweite Infektion hinzugetreten war zu einer bisher gänzlich unbekannten Krankheit, die Koch afrikanisches K ü s t e n f i e b e r (African Coast Fever) benannte. , Die Inkubationszeit dieser Krankheit beträgt etwa 10 Tage, und dann setzt ein hohes Fieber ein, das mit wenig Remissionen fast 2 Wochen anhält und in 85 bis 90% der Fälle zum Tode zu führen pflegt. Gegen das Ende hin magern die Tiere stark ab, M Aus Deutsche Medizinische Wochenschrift, 1905, Nr. 23. 2) Dieser (von Koch genehmigte) Bericht des Stabsarzt Dr. F. Kleine enthält eine Modifikation der Mitteilungen, die von Koch selbst in seinen Bd. II, p. TtS ff. veröffenthchten Berichten niedergelegt sind. D. Heraiisgeber. 800 Ergebnisse der Forschungen über das Küstenfieber der Rinder usw. in Südafrika. die Hinterhand schwankt beim Gehen vor Schwäche hin und her, Speichel tropft aus dem Maul. Die Atmung wird oberflächlich und unregelmäßig, und schließlich erfolgt der Exitus unter den Erscheinungen eines Lungenödems. Bei der mikroskopischen Untersuchung findet man nach dem Ansteigen der Temperatur in den roten Blutkörper- chen vereinzelte kleine, stäbchenförmige oder sehr kleine, ringartige Parasiten, deren Zahl von Tag zu Tag zunimmt, so daß schließlich manches Blutkörperchen mehrere Plasmodien trägt und das Verhältnis der Parasiten zu den Erythrozyten sich wie 1 : 3, ja 1 ; 1 stellt. Bei der Autopsie fallen starke Schwellung und Hämorrhagien der ver- schiedenen Lymphdrüsengruppen in die Augen, ferner kleine, sehr charakteristische Infarkte in Nieren und Leber, sodann das Auftreten örtlicher Ödeme, besonders um die Trachea herum und in der Lunge. Alle diese Veränderungen scheinen bedingt durch enorme Anhäufung der erwähnten Parasiten und einer eigentümlichen, bisher noch nicht beschriebenen Vermehrungsform in den Geweben, wo sie lokale Schädigung hervor- rufen und die Zirkulation hemmen. Der Urin ist im Gegensatz zu dem Befund bei Texas- fieber nicht blutig. Das Uberstehen der Krankheit verleiht Immunität. — Sehr merk- würdig erscheint, daß es nicht gelingt, durch eine Blutinjektion die Krankheit auf ge- sunde Tiere zu übertragen. Wenn man viele Liter Blut, das ebensoviel Parasiten wie Blutkörperchen selbst enthält, subkutan oder intravenös einem gesunden Rind injiziert, so erkrankt es nicht, und man ist nicht imstande, am nächsten Tage mikroskopisch Parasiten wieder zu finden. Durch diese Unübertragbarkeit unterscheidet sich das afrikanische Küstenfieber streng von allen früher bekannten, durch Blutschmarotzer bei Säugetieren hervorgerufenen Krankheiten. Doch schon steht es nicht mehr allein; denn in einer sehr beachtenswerten Arbeit berichtet Dschunkowsky von einer neuen, transkaukasischen Rinderseuche, deren Parasiten viele Ähnlichkeiten mit denen des Küstenfiebers aufweisen, das Gleiche. Und schon sah R. K o c h in Ägypten eine dritte derartige Krankheit. Es wurde erwähnt, daß sich in manchen Fällen dem Coast Vever das gewöhnliche Texasfieber zugesellt. Mehr als ein dutzendmal, wo küstenfieberkranke Tiere bei einer bestimmten Behandlung zu genesen schienen, wo die Temperaturen gesunken und die Parasiten fast ganz verschwunden waren, stellte sich von neuem plötzlich eine Tempe- ratursteigerung ein, die das Auftreten von Texasfieberparasiten im Blut ankündigte. Bald wurde der Harn blutig, und die Tiere, die wir der einen Seuche glücklich entronnen wähnten, wurden von der anderen hinweggerafft. Diese Erscheinung verdient unsere Aufmerksamkeit. Wir sind in der Lage, deut- lich zu sehen, wie hier die sogenannte Disposition zustande kam, der auch heute noch oft recht dunkle Begriff. Durch die Schädigungen, welche die erste Krankheit dem Organismus gesetzt, wurde der zweiten der Boden geebnet. Mit Recht wird man fragen: Wo konnten denn die Rinder plötzlich die Texasfieberparasiten akquirieren ? Da aus Gründen, auf welche ich nicht näher eingehe, es ausgeschlossen war, daß sich während unserer Beobachtung jene Tiere frisch mit Texasfieber infiziert hatten, so mußten sie die Piroplasmen, die im Augenblick der Schwäche ihres Wirtes sich so unheilvoll zu regen und vermehren begannen, schon lange im Blut und in den Organen tragen. Wahrschein- lich überstanden sie früher einen ganz leichten Texasfieberanfall oder waren infiziert, ohne überhaupt sichtbar zu erkranken. LTndinderTatscheintesnach R. Koch für die pathogenen Protozoen im großen Umfang gerade- zu Regel zu sein, daß sie aus dem Körper genesener Tiere auf lange Zeit hin nicht gänzlich verschwinden, daß sie bei gün- stiger Gelegenheit oder mit gewissen Kunstgriffen und pas- senden Untersuchungsmethoden noch nach vielen Jahren Ergebnisse der Forschungen über das Küstenl'ieber der Rinder ^^s^v. in Südafrika. 801 nachzuweisen sind. IJei gesunden Rindern, die aus einer Texasfiebergegend stammten, fanden wir in 15 — 20% Piroplasmen. Gesunde Pferde und Hunde hatten Plasmodien im Blut, gesunde Kühe Trypanosomen, selbstverständlich stets in ganz außerordentlich geringer Anzahl und bisweilen nur durch Blutübertragung auf andere Tiere nachweisbar. - Hiernach leuchtet es ein, daß jedes Tier, das eine Protozoenkrank- heit durchgemacht hat, eine gewisse Gefahr, deren Größe und Dauer wir noch nicht Ivcnnen. für seine Umgebung bildet. Ist der passende Zwischenwirt vorhanden, so kann der Infektionsstoff in unendlichem Maße vervielfältigt und übertragen werden. Nachdem es entschieden war, daß wir in jener Seuche, die die Rinderherden Rho- desias vernichtet hatte, einer bisher unbekannten Krankheit gegenüberstanden, erhob sich die Frage nach ihrem Ursprung. Sicherem Vernehmen nach waren zuerst aus Austra- lien iiiiportierte Tiere erkrankt. Cecil Rhodes hatte Ende 1900 ungefähr 1000 Rinder — bestimmt für die Kolonie, die seinen Namen trägt — aus Neusüdwales zu Schiff nach Beira (Portugiesi-sch Südafrika) bringen lassen. Da die Tiere nicht alle zugleich mit der Eisenbahn weitertransportiert werden konnten, ging ein Teil in der Nähe der — übrigens gesunden — Herde eines englischen Farmers auf die Weise. ZavcI oder drei Wochen später trat die Krankheit unter dem australischen Vieh auf, das nun schleunigst nach Umtali geschafft wurde, weil man unglückseligerweise meinte, die klimatischen Verhältnisse Beiras wären an dem Sterben schuld, und gesunde Höhenluft würde bald Heilung schaffen. Von Umtali aus verbreitete sich dann die Seuche übers Land, ent- lang den Verkehrswegen. Wie a b e r u n d w o hatte sich das australische i e h infiziert? R. K o c h nahm an. daß dies an der Küste in Beira geschah, daß die dort hei- mischen, scheinbar gesunden Rinder, seit langem durchseucht und immun, d i e P a r a s i t e n , wenn auch in minimaler Anzahl, n o c h i n i h r e m B 1 u t e t r ü g e n und so, natürlich durch Vermittelung eines Zwischenwirts, zur Infektions- quelle für das australische Vieh wurden. In früheren Jahren und jetzt bei unserer Hinfahrt nach Afrika hatte Koch Beobachtungen gesammelt, die ihn zu jener Annahme berechtigten. So ist, um nur ein Beispiel anzuführen, der Viehbestand an der Küste von Deutsch-Ostafrika anscheinend gesund. Konnnt aber fremdes Schlachtvieh dort- hin, etwa aus dem Innern, und wird auf die Weide getrieben, so erkranken die einge- führten Tiere bald und sterben zum großen Teil. Der Fleischer in Daressalam weiß dies und versteht durch schnelles Schlachten pekuniäre Verluste abzuwenden. In dem Blute dreier solcher Schlachttiere, die erst wenige Wochen zuvor aus dem Innern an die Küste gebracht waren, fanden wir dieselben stäbchenartigen Parasiten, die wir mm in Rhodesia wiedersahen. Von den verschiedensten Teilen der Ostküste und besonders von Beira ließen wir uns, um die epidemiologisch überaus wichtige Frage zu erklären, Blutausstriche gesunder Tiere schicken, und fast stets konnten wir, wenn aucli bisweilen erst nach stundenlangem Suchen, mit einer von G i e m s a modifizierten R o m a n o a\ s k y - Färbung ganz vereinzelte, wohlcharakterisierte Parasiten entdecken. Als Experiment um crucis stellte darauf das Gouvernement von Deutsch-Ostafrika mehrere Küstenrinder zur Verfüo-uno-. War in der Tat die Seuche, die an der Küste dem aufmerksamen Be- obachter nur in den bescheidensten Grenzen und gelegentlich zum Bewußtsein kam. dieselbe, die jetzt in unheilvollem Zuge Tausende und aber Tausende von Rindern im Transvaal und in Rhodesia hinwegraffte, so durften an der Küste heimische Tiere, nach Bulawayo transportiert, niclit erkranken. Wirklich blieben die Rindei- auf unserem hoch infektiösen Versuchsfeld gesund: die Annahme Kochs bestand zu Recht, und die Frage nach dem Ursprung der Krankheit war somit erledigt. Koch, Gesammelte Werke. 96 802 Ergebnisse der Forschungen über das Küstenfieber der Rinder usw. in Südafrika. Es galt nun, die wichtigere Frage zu lösen : W i e konnte m an d e m S t e r b e n Einhalt tun? Übertragen wird die Seuche durch einen Zwischenwirt, der dem Genus Rhipicephalus angehört. Darüber, ob eine oder verschiedene verwandte Zecken- arten in Frage kommen, sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Sollte es gelingen, die betreffenden Zecken auszurotten, so würde damit zugleich die Rinder- krankheit ein Ende haben. Nach kurzer Überlegung erkennt man, daß der Gedanke nie zur Wirklichkeit werden kann; denn ebensowenig wie die Moskitos sind die Zecken zu vernichten. Durch ungeheure Fruchtbarkeit machen sie alle Angriffe ihrer Feinde illusorisch. Periodisches Abbrennen der Felder, gesetzlich empfohlene Reinigung der Rinder mit einer Petroleumlösung ließen einen unmittelbaren Nutzen nicht erkennen. Fand man wirklich einmal außen an dem Kadaver eines gefallenen Rindes keine Zecken, so sah man nach dem Abschneiden der Ohren tief unten im Gehörgang Scharen sitzen an Plätzen, wo beim lebendigen Tiere die Hand des Menschen nie hinlangen konnte. Eine einzige Zeckenmutter legt Tausende von Eiern; nach dem Auskriechen sitzt die junge Brut monatelang in dichten Klumpen an den Spitzen der Gräser, trotz Sonne, Wind und Regen göduldig wartend mit ausgestreckten Vorderbeinen, bis das Tier kommt, das ihnen Wohnung und Nahrung bieten soll. War es unmöglich, den Z w i s c h e n w i r t zu vernichten, so mußten wir ver- suchen, die Parasiten im Körper des Rindes zu töten. Dann konnten sie nicht in die Zecken gelangen, und die Quelle der Infektion war damit verstopft. Ich erinnere an die Analogie der Koch sehen Malariabekämpfung durch Vernichtung der Plasmodien im Menschen und an die neueren Maßnahmen gegen Verbreitung des Gelbfiebers, die auf demselben Gedanken fußen. Leider aber gelang es nicht, gegen die Erreger des Küstenfiebers ein Spezifikum zu finden. Zwar stellten wir durch literweise Übertragung von Blut kranker Tiere auf gesunde ein starkes zytolytisches Serum her, das die Parasiten im Körper der kranken Rinder schnell zum Verschwinden brachte, doch erwies es sich als praktisch unbrauchbar. Denn schon nach verhältnismäßig kleinen Dosen dieses Serums gingen Tiere, selbst wenn sie erst am Beginne ihres Leidens standen, mit Hämoglobinurie und Ikterus schnell zugrunde. Bei den vornehmlich praktischen Zielen unseres Aufenthalts ließ sich die interessante LTrsache des Phänomens nicht fest- stellen. Wir wissen nicht : handelte es sich bei der verderblichen Nebenwirkung um ein Freiwerden von Blutgiften durch Auflösung der Parasiten oder um isohämolytische Vorgänge. Auf gesunde Tiere hatte das Serum keinen ähnlichen Einfluß. Unter europäischen Verhältnissen hätte Koch sicherlich zur Ausrottung der Seuche neben den nötigen Absperrungsvorrichtungen das sofortige Abschlachten der erkrankten Rinder und das allmähliche Töten aller derjenigen Tiere empfohlen, die noch Parasiten im Blute trugen. In Rhodesia war dies Verfahren, wie auf wiederholtes Be- fragen von kompetenter Seite versichert wurde, leider aus verschiedenen Gründen nicht möglich, insbesondere wegen des Mangels an Einfriedigungen und aus Rücksicht auf den Widerstand, den die schwarze Bevölkerung einer ihr ganz unverständlichen Maß- regel entgegengebracht haben würde. Auch hatte man der Krankheit ja schon gar zu- viel Zeit gelassen, sich zu verbreiten und einzunisten. So mußte denn also nach einer I m m u n i s i e r u n g s m e t h o d e gesucht werden. Daß das Küstenfieber durch eine Blutinjektion vom kranken Rind auf ein ge- sundes nicht übertragen werden kann, erwähnte ich bereits. Indessen zeigte es sich, daß nach wiederholten Blutinjektionen in dem Blut der injizierten Tiere allmählich Parasiten des Küstenfiebers auftreten, wenn auch außerordentlich spärlich an Zahl. Ob man als Ausgangsmaterial das Blut eines schwerkranken Rindes wählt oder das eines solchen, welches bereits vor Monaten die Krankheit überstand und nur noch ver- Ergebnisse der Forschungen ül>er das KüstenHeber der liimler usw. in Siidafrika. 803 einzelt Plasmodien führt, ist hierbei gleichgültig; sie vermehren sich eben in beschz'änktem Umfang im Körper des neuen Wirts. Um den Gedankengang, der sich alsbald an diese Erscheinung knüpfte, klar zu machen, muß ich auf schon Gesagtes zurückgreifen. Injizierten wir literweise reichlich parasitenhaltiges Blut gesunden Tieren, so gewann deren Serum stark zytoly tische lüigenschaften, die wir wegen unangenehmer Nebenwirkungen therapeutisch leider nicht verwenden konnten. Diese Rinder selbst aber waren gegen die Feldinfektion geschützt. Damit hatten wir also ein Impf verfahren. Ein Impfverfahren aber, bei dem man schwerkranke Tiere in großer Zahl gebraucht und gar wiederholt sehr umfangreiche Subkutaneinspritzungen machen nuiß, ist natür- lich praktisch unbrauchbar. Koch hoffte nun, durch Injektionen kleiner Mengen Blut, welches nur ve r e i n z e 1 t Parasiten enthielt, zum gleichen Ziele zu gelangen. Er sagte sich, daß die fehlende Quantität der Plasmodien wohl durch die Länge der Zeit ersetzt werden könnte, in der die einzelnen Parasiten auf den Wirtsorganismus ein- zuwirken Gelegenheit fänden. Ein Rind, das monatelang avirulente Parasiten im Blut trug, mußte nach und nach eine gewisse Immuintät gewinnen gegen eine Infektion mit virulenterem Material. Da die angestellten Beobachtungen die Anschauung stützten, da ferner die Zeit drängte und an einen Erfolg der Impfung niu' dann zu denken war, wenn man in noch seuchefreien Gebieten einige Monate vor dem Einsetzen der Krank- lieit impfte, so wurden schnell die nötigen Anweisungen gegeben. Koch emj^fahl, 4 bis 5 Monate lang alle 14 Tage je 5 ccm defibriniertes Blut, das von einem nach schwerer Krankheit genesenen Tiere stammte, den zu schützenden Rindern einzu.spritzen. Die zur Blutabgabe geeigneten Tiere waren leicht aus dem Seuchengebiet herbeizuschaffen, und Entnahme wie Injektion lernten die Farmer bald. In den Eingeborenendistrikten impften zuerst Tierärzte, dann andere Europäer, die )nit Yieh umzugehen verstanden. Ich deutete an. daß es bei dem Schutzverfahren weniger auf die Zahl der Injektionen als auf die Länge der Zeit ankommt, die seit den ersten Einspritzvmgen bis zum Ein- bruch der Seuche verstrichen ist. Koch gab aber absichtlich die scheinbar übertrie- benen Vorschriften, um alle zufälligen Fehlerquellen, die in jenen Gegenden natürlich mannigfacher sind und eine ganz andere Rolle spielen als bei ims, nach Möglichkeit auszuschließen. Während unseres Aufenthaltes, der bis Anfang April 1904 dauerte, wurden außer vielem Vieh in der Umgebung von Bulawayo im Maschonaland mehrere tausend Rinder geimpft. Die Resultate der Impfung genügten billigen Ansprüchen Ende 1904 vollauf; immerhin ist es angezeigt, mit einem abschließenden Urteil noch zu warten, zumal da durch die Länge der Zeit die Schutzwirkung eine immer sicherere wird. Einen Nachteil der Impfvnig bedeutet der Umstand, daß die immunisierten Tiere Parasitenträger werden, die gegebenenfalls bei der Anwesenheit eines passenden Zwischen- wirtes eine Gefahr für nicht vorbehandeltes \ieh bilden. Bei der eventuellen Ausfuhr immuner Rinder wie auch bei der Einfulir gesunder Tiere zu Zuchtzwecken sind diese \^erhältnisse zu berücksichtigen. Die zweite Krankheit, mit der wir uns während unseres Aufentlialtes in Afrika beschäftigten, ist die P f e r d e s t e r b e oder Horsesickness. Diese Seuche ist schon seit 100 Jahren bekainit und besitzt wirtschaftlich eine ganz außerordentliche Bedeutung. Sie kommt besonders vor in Rhodesia. Natal, Transvaal, Südwestafrika, in bestinnnten Teilen der Kapkolonie und befällt zur Sommerzeit Pferde wie Maultiere. Ihr Lieblings- sitz findet sich in den Tälern, an Wasserstellen, entlang dem Lauf der Flüsse; sehr hoch- gelegene Orte verschont sie. Die Farmer glauben, ihre Pferde schützen zu können, wenn sie sie vor Tau und Tag und nach Eintritt der Dunkelheit nicht auf der Weise belassen. Die Annahme, daß ein nächtlich stechendes Insekt die Seuche überträgt, ist kaum un- gerechtfertigt und wird durch mancherlei Beobachtungen gestützt, wenn auch noch 304 Ergebnisse der Forschungen über das Küstenfieber der Rinder usw. in Südafrika. nicht ganz einwandfrei. Von Tier zu Tier ist die Krankheit nicht ansteckend, doch ist das Blut bei liünstücher Übertragung höchst infektiös. Das Inkubationsstadium er- scheint in gewissen Graden von der Größe der injizierten Virusdosis abhängig und be- trägt 3 bis 10 Tage. Die Temperatur steigt dann leiterartig bis 40 und 4P C empor, verweilt auf dieser Höhe 3 bis 4 Tage, um vor dem Exitus, der gewöhnlich unter den Erscheinungen des Lungenödems erfolgt, unter die Norm zu sinken. Klinisch besonders in die Augen fallend ist außer hochgradiger Pulsschwäche und Zyanose eine Anschwellung des Kopfes, die 2 Tage oder auch nur Stunden vor dem Tode aufzutreten pflegt. Die Höhlen über den Augen sind prall gefüllt, die Lippen sind gedunsen, und die vergrößerte, bläuliche Zunge ragt zwischen den Zähnen hervor. Bei der Sektion findet man starkes Lungenödem, einen Erguß in den Herzbeutel, lokale Ödeme im Bindegewebe zwischen den Muskeln und Hämorrhagien in den Schleimhäuten. Tritt der Tod rasch und plötz- lich ein, so können außer der erwähnten, leicht zu konstatierenden Herzschwäche die übrigen klinischen Symptome fast vollständig fehlen. Bei der Autopsie sieht man dann kaum besondere Veränderungen. Der Erreger der Pferdesterbe ist noch unbekannt; wahrscheinlich ist er wegen seiner Kleinheit unsichtbar. Die sorgfältigste mikroskopische Untersuchung der Organe und des Blutes führt stets zu negativem Resultat. Dies muß besonders betont werden, da wieder und immer wieder einzelne Autoren^) Plasmodien — insbesondere Piroplas- men — , die mit der Horsesickness in keinerlei Zusammenhang stehen, als ihre Ursache beschreiben. Während der künstlichen Ansteckung fast alle Pferde erliegen, überstehen die natürliche eine gewisse Zahl, ohne daß ihre Besitzer den Zeitpunkt der Erkrankung zu bemerken brauchen. Tiere, die den Aufenthalt in Rhodesia mehrere Jahre ertragen haben, gelten im allgemeinen als immun gegen Horsesickness: als gesalzen". Sie müssen also zu irgendeiner Zeit einen leichten Anfall durchgemacht haben, da sie in der Tat auch der künstlichen Infektion nicht mehr zugänglich sind. Bei der kommerziellen Wichtigkeit der Krankheit — der jährliche Verlust der einzelnen Kolonien kaim mehrere tausend Pfund betragen — hat man schon seit vielen Jahren versucht, den seltenen natürlichen Vorgang künstlich nachzuahmen und Pferde durch einen milden Anfall zu ,, salzen". Hier und da sind vielleicht auch einige Pferde immunisiert, aber es konnte kein Verfahren gefunden werden, welches geeignet gewesen wäre, eine Immunität ohne gar zu große Verluste zu erreichen. Seit den großen Erfolgen Kochs in der Bekämpfung der Rinderpest versuchte man in Afrika namentlich mit Hilfe eines spezifischen Serums weiter zu kommen. Es gelang auch, ein solches zu erhalten, das einige Schutzwirkung besaß, indessen es hatte zugleich die höchst unangenehme Eigenschaft, bei den Tieren, welchen es eingespritzt wurde, eine oft tödliche Hämoglobinurie zu erzeugen. Koch ging sofort daran, ein besseres, hochwirksames Serum darzustellen. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß man natürlich ,, gesalzenen" Pferden eine beliebige Menge frischen virulenten Blutes ohne Nachteil injizieren kann, behandelten wir die Tiere, die wir zur Serumgewinnung zu benutzen gedachten, von vornherein mit den größten Dosen. In der Regel gaben wir 2 Liter intravenös. Gewicht wurde darauf gelegt, daß nur ganz alte Pferde zur Be- nutzung kamen, um auf diese Weise jene erwähnte hämolytische Nebenwirkung wo- möglich zu vermeiden, was, wie ich gleich bemerken will, auch in der Tat glückte. Die Injektionen wurden monatlich etwa zweimal vorgenommen; nach fünf oder sechs In- jektionen war es angängig, dem behandelten Pferd Blut zu entnehmen und das Serum ^) Neuerdings wieder E dington, The Journal of Hygiene, Bd. 4 p. 11. Ergebnisse der Forschungen über das Küstenfieber der Rinder usw. in Südafrika. 805 ZU verwenden. Zur Prüfung seines Wertes wie überhaupt zu allen Imnuniisierungs- versuchen schien es notwendig, stets das gleiche infizierende Material in den Händen zu haben. Wir benutzen deshalb nach E d i n g t o n konserviertes virulentes Blut (1000 Teile Blut, 1000 Teile Wasser, 1000 Teile Glyzerin, 1 Teil Phenol), welches ziemlich lange^) seine Wirksamkeit unverändert behält. Die Dosis von O.Ol ccm war für unsere argentinischen Wrsuchspferde absolut tödlich ; wahrscheinlich lag die Grenze weit tiefer. Das gewonnene Serum verhinderte, in der Menge von 100 ccm 24 Stunden vor der tödlichen Dosis gegeben, den Ausbruch der Krankheit; das gleiche geschah, wenn wir es nach der Infektion am 1., 2., 3. oder 4. Tage injizierten. Von da ab wurde die Wirkung recht unsicher; eine Möglichkeit, die ausgebrochene Sterbe bei Pferden mit Serum noch günstig zu beeinflussen, war kaum vorhanden. Diese Verhältnisse benutzte Koch in folgender Weise: Er sagte sich, daß am 4. Tage nach der Infektion, wo unser Serum den Anfall noch mit Sicherheit unterdrückte, schon eine nicht geringe Menge von I'ara- siten im Pferdekörper zur Entwicklung gekommen sein mußte, die nun von dem Serum abgetötet wurden. Die Annahme, es träte hiernach eine gewisse, wenn auch geringe Immunität gegen die Erreger der Horsesickness ein, erschien gerechtfertigt. Nach zwölf- tägigem Zwischenräume wurde deshalb die fünffache Menge der ersten Virusdosis injiziert, welcher am 4. Tage nur 50 ccm Serum folgten. Dann kam in derselben Weise die 20fache Virusdosis. Die nächste SOfache vertrugen die Tiere bereits ohne Serum. Nunmehr gingen wir allmählich, ohne daß ein Anfall eintrat, mit dem A'irus in die Höhe. Wie weit dies nötig ist, um die Pferde gegen eine spätere natürliche Infektion zu schützen, ist noch nicht mit Bestimmtheit zu sagen, doch werden 5 ccm Virus für alle Fälle genügen. Bei Maultieren braucht man wohl nicht so umständlich vorzugehen, d a k a n n man, dem A n s c Ii e i n n ach, m i t S e r u m n o c h d e n b e g i n n e n d e n Anfall beherrschen und die Tiere mit einem Schlage i m m u - n i s i e r e n. Ich bin überzeugt, daß auch für Pferde das Innnunisierungsverfahren sich vereinfachen läßt, sofern von sachverständiger Seite die K o c h sehen Arbeiten ihre Fortsetzung finden. Hier in Deutschland läßt sich in dieser Hinsicht verhältnis- mäßig wenig tun, denn für praktisch verwertbare Zwecke ist ein Arbeiten unter natür- lichen Bedingungen empfehlenswert. Leider werden alle Untersiichungen, bei welchen man als Versuchstiere nicht Meerschweinchen, sondern Pferde und Rinder gebraucht, durch die damit verbundenen, meist nicht unerheblichen Kosten erschwert : und doch trägt jedes Kajntal, das zur Beseitigung der großen Viehseuchen in den Kolonien ver- wendet wird, gar schnell seine Zinsen. Nach einer Reihe von Monaten allerdings wird eine deutUche Abnalime der Virulenz bemerkbar. ' Anhang Ober das Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. ) Von R. Koch. Nach Feststellung der so sehr interessanten Tatsache, daß zwei der mit musku- lösen Wandungen versehenen Hohlorgane des menschlichen Organismus (Herz und Darm) mit Ganglien versehen sind, die zu den unwillkürlichen Bewegungen derselben in Be- ziehung stehen, war die Vermutung, daß auch andere ähnliche Organe, so besonders der Uterus, sich ebenso verhalten würden, sehr berechtigt. Es liegt auch schon eine An- zahl von Untersuchungen über Ganglien an den Uterusnerven vor, doch sind die Re- sultate derselben so widersprechend, daß diese Frage durchaus noch nicht als abgeschlossen zu betrachten ist, und wird es daher auch nicht als überflüssig erscheinen, wenn jene Untersuchungen im folgenden wieder aufgenommen und weiter ausgedehnt sind. Die erste Erwähnung von Ganglien an den Nerven des Uterus geschieht von T i e d e m a n n (l)'), der sie an dem zur Seite der Vagina liegenden Geflecht, welches er als Plexus hypogastricus lateralis inferior bezeichnet, darstellte. An demselben Ge- flecht beschreibt der nächstfolgende Bearbeiter dieses Gegenstandes, R. L e e (2), neben mehreren kleinen Ganglien ein größeres, von welchem letzteren aus die Nerven für den Uterus nebst den übrigen Beckenorganen entspringen sollen; auch in einer späteren Schrift (3) gibt er die Verhältnisse in gleicher Weise an. J o b e r t (4) dagegen, der in demselben Jahre die Uterusnerven untersuchte, konnte die von R. L e e beschriebenen Ganglien nicht finden. Mehr Erfolg hatte S n o w Beck (5), der einen ganz außer- ordentlich dichten Nervenplexus mit zahlreichen Ganglien abbildet, von denen sich aber keins durch seine Größe, wie bei R. L e e vor den anderen auszeichnet. Alle diese Angaben gründen sich lediglich auf anatomische Präparation und es fehlt ihnen der Nachweis durch das Mikroskop, daß es sich hier wirklich um gangliöse Gebilde handle, so daß mit der Einführung dieser Kontrolle eine neue Epoche für die Untersuchung des betreffenden Gegenstandes beginnt. Merkwürdig und unerklärlich ist es nun aber, wie bei der doch verhältnismäßig leichten Darstellung des Plexus vaginalis mit seinen Ganglien, besonders bei Tieren, den ersten mikroskopischen Untersuchungen diese Gebilde fast ganz entgingen. R e - m a k (6) erwähnt in einer ganz vereinzelten Beobachtung, beim Schwein, aber auch nur bei diesem Tiere, zur Seite des Uterus an den Nervenstämmen Ganglien gesehen ') Eine von der medizinischen Fakultät zu Göttingen gekrönte Preisschrift. Göttingen 1865. Hierzu Tafeln XLI— XLIII. Die .Schrift trägt auf dem dem Titelblatt folgenden Blatt den Aufdruck: Dem geliebten Vater widmet als einen Ausdruck seiner Zuneigtmg vmd Dankbarkeit diese erste Frucht seiner Studien der Verfasser. Auf dem nächsten Blatt folgt die Bemerkting: Die am 4. .Juni 1864 von der medizinischen Fakultät zu Göttingen gestellte Preisaufgabe lautet: Durch eine genügende Reihe von Unter- suchimgen festzustellen, ob und in welcher Verbreitung die Nerven des Uterus Ganghen enthalten. D. Herausgeber. 2) Diese und die folgenden Zahlen beziehen sich auf die am Ende zusaimnengestellten An- merkungen. über (las Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Fterus. 807 zu haben. Kilian (7) dagegen, der doch den Uterus nach allen Seiten hin so gründ- lich untersucht hat, fand gar nichts Derartiges, obwohl er sein Augenmerk auch besonders auf diesen Punkt gerichtet hatte, durch die öfters ausgesprochene Analogie zwischen Uterus und Herz dazu veranlaßt, in welchem letzteren schon Ganglien entdeckt waren. Bei diesem fast negativen Resultat, das auch jetzt noch in den Handbüchern der Ge- webelehre sich vorfindet, beruhigte man sich dann längere Zeit, bis durch M e i ß n e r s Entdeckung der Darmganglien von neuem das Bestreben geweckt wurde, auch im Uterus ein ähnliches V^erhältnis aufzufinden; zumal in der Mazeration mit Holzessig sich der Untersuchung ein neues und schon bewährtes Hilfsmittel darbot; und in der Tat sind auch in einem sehr kurzen Zeitraum, und wie es scheint vollkommen unabhängig von- einander, drei Arbeiten erschienen, welche Notizen über die Ganglien des Uterus enthalten. Der Zeit nach die erste ist die von Körner (8). Derselbe bediente sich der Ma- zeration mit Holzessig. Er beschreibt vom Kaninchen am unteren Teile der Vagina, welcher des peritonealen Überzugs entbehrt, ein dichtes Nervengeflecht mit vielen Ganglien, welches Vagina und Uterus mit Nerven versorgt. Beim Hunde zeigte sich ihm das gleiche Verhältnis und auch im Bindegewebe zur Seite des C'ervix uteri vom Menschen sah er Ganglienzellen. Den Verlauf der Nerven von jenem Plexus zum Uterus läßt er unerörtert, doch scheint er sie sich als auf der Vagina verlaufend vorzustellen'). Ein ähnliches Bild von den Uterusnerven des Kaninchens gibt uns Franken- häuser (9), der aber dadurch eine Verwirrung in seine Darstellung bringt, daß er die Vagina als Uterus bezeichnet; daher kommt es, daß er von Ganglien unmittelbar unter dem Peritonealüberzug des Uterus spricht, während er darunter den Plexus vaginalis versteht ; letzteren beschreibt er als aus nur einem Ganglion bestehend und einer geringen Anzahl Ganglienzellen in den davon ausstrahlenden Nerven-). Am genauesten hat K e Ii r e r (10) den Verlauf der Uterusnerven verfolgt. Seine Untersuchungen beschränken sich auch nicht allein auf das Kaninchen, sondern er- strecken sich noch auf mehrere andere Tiere. Auf einige Abweichung in seiner Beschrei- bung von dem eigentlichen Verhalten der Nerven werde ich später zurückkommen. Ein besonderes Interesse gewährt noch der Umstand, daß K e h r e r in der Submucosa der Vagina und des Uterus bei Säugetieren Zellen gefunden haben will, die er für gangliös erklärt, welcher Meinung Spiegelberg (11), der jene Beobachtung bestätigt, bei- treten zu müssen glaubt. Auf die Bein-teilung dieser Angaben werde ich ebenfalls weiter unten zurückkommen. 1 . Ü b e r das Vorkommen von Ganglienzellen an d e n N e r v e n des Uterus außerhalb der S u b s t a n z d e s s e 1 b e n . Bei den folgenden Untersuchungen habe ich mich einer Methode bedient, welche bei der Präparation feiner Nerven sehr große Vorteile bietet, nämlich der Mazeration in Essig. 24 — 48 Stunden (bei größeren Stücken aber oft erst 3 Tage und länger) ge- M Ganz in derselben Weise hat Kürner in einem neueren Aufsatze (in den Studien des physiol. Instituts zu Breslau, herausgeg. von Heidenhain. Heft III. T.oii)zig 1865) die anatomischen Verhältnisse der l'terusnerven beschrieben. -) In einer späteren Arlieit (.Tenaischc Zeistchr. t'nr Ab-dizin und Xaturwissensi haft, Bd. II, Heft 1. Leipzig 1865), in welcher der ol>en berührte Irrtum beseitigt ist, schildert er mit außerordent- licher Genauigkeit alle zum weiblichen Geschlechtsapparat des Kaninchens gehenden Nerven: doch legt er darin ebenfalls wohl zu viel Gewicht auf das Vorkonnuen eines einzelnen größeren Ganglion im Plexus vaginalis, während doch stets viele in demselben sich finden, welche an Zahl der (ianglien- zellen dem von ihm abgebildeten gleichkommen und da.sselbe auch noch übertreffen und nur in den wenigsten Fällen eins dtTselben bedeutend an Größe vor den anderen viberwiegt. 808 über das Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. nügeii, um das Bindegewebe aufzuhellen, während der Nerv undurchsichtig und weiß bleibt, so daß man ihn mit Lupe, Nadel und Schere bis zu einem sehr geringen Durch- messer vei'folgen kann. Damit aber während der Dauer der Präparation durch die fort- dauernde Einwirkung des Essigs das Präparat nicht zerstört werde, ist es gut, etwas Holzessig zuzusetzen, durch welchen freilich eine gelbliche Farbe hervorgerufen, aber auch eine festere Konsistenz dem Gewebe mitgeteilt wird, ohne daß die aufhellende Wirkung dadvirch gestört würde. Ich halte es auch für vorteilhaft, um ein recht über- sichtliches Bild von der Nervenverbreitung zu erhalten, besonders bei kleineren Tieren, vor der eigentlichen Präparation sämtliche Beckeneingeweide in der Medianlinie zu halbieren, nachdem der Darm bis auf das Rectum entfernt ist; man kann dann nach Feststellung des Zusammenhangs mit dem Sakralplexus eine Hälfte aus der Becken- höhle herausnehmen und sehr bequem ausbreiten (cf. Tab. XLL). Ich will nun versuchen, zuerst ein. Bild von den Uterusnerven im allgemeinen zu entwerfen, um dann nachträglich die Eigentümlichkeiten und etwaigen Abweichungen der einzelnen untersuchten Tierspezies daran zu knüpfen. An der Innervation des Uterus beteiligen sich sowohl der Sympathicus als auch die Spinalnerven. Die Hauptmasse der sympathischen Fasern kommt vom Plexus mesentericus inferior, welcher mehrere größere Ganghen enthaltend stets den Ursprung der Art. mesenterica inferior umgibt und nach oben mit den Plexus renales und coeliacus, zu beiden Seiten aber mit den Lumbarganglien des Grenzstranges zusammenhängt. Außer meh- reren kleineren Nervenstämmen an die Ovarien und in das Mesorectum entspringen aus jenem Geflecht zwei größere, welche unmittelbar nebeneinander auf der Aorta nach abwärts verlaufen und an der Teilungsstelle der Aorta noch einmal durch ein unpaares Ganglion miteinander verbunden sind. Man bezeichnet dieses Stück als Plexus hypo- gastricus magnus. Je nachdem nun aber die Arteria mesenterica inferior höher oben von der Aorta oder erst von der Teilungsstelle derselben entspringt, ist der PI. hypogastr. magnus vorhanden oder fehlt er. Letzteres ist aber bei den meisten Tieren der Fall. Von der Teilungsstelle der Aorta oder, wenn der PI. hypogastr. magnus nicht vorhanden ist, gleich vom Ursprung aus dem PI. mesentericus inferior an entfernen sich die beiden Nervenstämme rasch voneinander, gehen der eine auf der rechten, der andere auf der linken Seite des Rektum zur oberen seitlichen Partie der Vagina. Gegen das Ende des Verlaufs teilt sich ein jeder mehrfach und löst sich in ein mehr oder we- niger dichtes Netz auf, dessen Beschreibung später erfolgt. Dieser zweite Abschnitt wird als PI. hypogastr. lateralis bezeichnet. Außer diesen kommen fast immer noch andere sympathische Nerven, aber von bedeutend geringerem Kaliber, aus einem sehr feinen die Aorta umspinnenden Geflecht oder aus dem Grenzstrang selbst, oft auch aus beiden zugleich. Diese verlaufen ent- weder mit der Art. hypogastrica und uterina, um sich mit den aus dem PI. vaginalis kommenden Fasern zu verbinden, oder gehen direkt mit dem PI. hypogastr. lateralis in das Vaginalgeflecht. Die Spinalnerven der Beckeneingeweide und somit auch des Uterus stammen aus dem PL sacralis. Von letzterem gehen fast unter einem rechten Winkel 2 — 3 Stämm- chen ab, die sich gleich nach ihrem Ursprung vielfach teilen und mit strahlenförmiger Ausbreitung auf der lateralen Seite des Rectum und der Vagina liegen, um mit ihren Endästen, welche dem Os sacrum näher liegen, zum PI. vaginalis, mit denen aber, welche näher der Symphyse, zum Beckenboden sich zu begeben. Nachdem nun alle zum PI. vaginalis sich verbindenden Nerven beschrieben sind, komme ich zu diesem selbst. T i e d e m a n n , dem wir auch die Benennungen der über das Vorkomuien von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. 809 übrigen hierhergehörigen Nervenab8chnitte verdanken, bezeiclniet ihn als PI. hypo- gastricus laterahs inferior; da nun schon außerdem ein PI. hypogastr. magnus und late- ralis (ohne weiteres Epitheton) existiert, so wird man es mir wohl nicht verargen, wenn ich statt jenes langen Namens mich des kürzeren nach der Lage des (leflechts gewählten, nämlich PI. vaginalis, bediene. — Derselbe liegt an der lateralen Wand der Vagina in dem diese bedeckenden Bindegewebe ausgebreitet; findet sich aber nur auf dem Teile, welcher des peritonealen Uberzugs entbehrt, so daß, je höher hinauf an der Vagina der- selbe fehlt, auch die Lage des Plexus höher ist; in manchen Fällen kann er sogar bis auf die unterste Partie des Zervikalteils reichen. Meistens erstreckt er sich noch über die Vagina hinaus nach hinten auf den Mastdarm und nach vorn auf den hinteren vmd äußeren Teil der Blase, bisweilen auch eine kleine Strecke zwischen Blase und Uterus hinein (12). Öfters läßt sich an dem Plexus eine Trennung miterscheiden in eine mehr dem Uterus und der Vagina und eine mehr dem Mastdarm und der Blase zugehörige Abteilung. Nach außen ist er von der Beckenwand stets durch eine Fettlage getrennt : von hinten her treten die sympathischen Nerven in denselben ein ; von unten die vom Sakralplexus kommenden Nerven; nach vorn gibt er die stärksten Zweige ab zur Blase und untersten Teil des Mastdarms; schwächere aber nach innen und oben zur Vagina xind Uterus. Er ist von vielen größeren und kleineren Ganglien durchsetzt, welche fast immer an den Verbindungsstellen mehrerer Nerven liegen; bei größeren Tieren kann der Durchmesser dieser Ganglien ]"' und mehr erreiclien; von dieser Größe findet man alle Ubei'gänge bis zu solchen, welche nur einige Zellen enthalten, bisweilen selbst einzelne Zellen. Die vom PI. vaginalis zum LTterus gehenden Nerven verlaufen stets mit der Art. uterina, welche meistens das Geflecht selbst durchsetzt, seltener daneben hergeht; im ersteren Falle ninnnt sie die Nerven gleich mit, im letzteren ziehen sie schräg durch das Mesometrium zu ihr. Im weiteren Verlauf halten die Nerven dasselbe Verhalten ein, Avie die Arterie, d. h. sie bleiben mit ihren Hauptstämmen am Rande des LTterus im Mesometrium und geben nur immer von Zeit z^^ Zeit Nebenäste an denselben ab. Von allen Tieren, welche ich untersuchte, bot sich mir beim M a u 1 w u r f wegen des Mangels an Fett im Becken die einfachste Präparation und der Nervenzusanunen- hang am deutlichsten und übersichtlichsten, so daß ich der Abbildung auf Tab. XLI nichts weiter hinzuzufügen habe. — Ganz das gleiche Verhältnis wie beim Maulwurf , nur in kleinerem Maßstabe, zeigt sich bei der S p i t z m a u s. Die beiden Abbildungen, Tab. XLIL Fig. 1 und Tab. XLill, Fig. L welche Präparate von der Kuh darstellen, bedürfen ebenfalls weiter keiner Erklärung; nur verdient hervorgehoben zu werden, dal.5 bei diesem Tier verhältnismäßig sehr starke Nervenstämme direkt vom Grenzstrang zu den PI. vaginales verlaufen. Beim Kaninchen habe ich eine besondere Sorgfalt auf die Präparation ver- wandt, da man die Versuche über L^teruskontraktionen fast ganz auf dieses Tier be- schränkt hat, und es dalier wichtig ist, die Uterusnerven desselben so genau als möglieJ) zu kennen. Die Art. mesenterica inferior entspringt bei demselben ungefähr in der Mitte zwischen den Aa. renales und der Bifurkation der Aorta; es gehört also zu den wenigen Tieren, bei denen man einen PI. hypogastricus magnus miterscheiden kann : aus der Teilung des letzteren gehen die PI. hypogastr. laterales hervor, Avelche sieh in die PL vaginales begeben. Diese liegen auf dem unteren Teil der Vagina und enthalten viele Ganglien (Tab. XLII, Fig. 2 zeigt eins von den kleineren). Eine ziemlich deutlich abge- grenzte Abteilung desselben, welche nach hinten und oben liegt, gibt die Nerven für den Uterus ab. Diese verlaufen teils mit einem ganz konstanten Ast der Art. uterina, den 810 über das Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. sie an den untersten Teil der Vagina schickt, zur A. uterina, teils ziehen sie ohne sich an Gefäße anzulehnen, quer durch das Mesometrium zu ihr. Immer kommen dann noch ein oder zwei nur mit der Lupe zu erkennende Fäden hinzu, welche aus dem Grenz- strang und dem feinen Aortengeflecht stammen und direkt mit der Art. uterina zum Uterus gehen. Das weitere Verhalten ist so, wie ich es in der allgemeinen Schilderung angegeben habe. — Nerven, welche vom Ovarium her zur Spitze des Uterushorns gehen sollen, konnte ich trotz meines Suchens darnach nicht finden, ebensowenig auf der Vagina zum hinteren Teil des Uterus verlaufende. Beim Pferd findet sich folgende Eigentümlichkeit. Vom Ganglion mesentericum infer. gehen zwei Nervenstämme aus (auf jeder Seite), von denen nur der eine ungeteilt zum PI. vaginalis geht, während der andere 2 — 3 sehr starke Zweige unmittelbar zum Uterus schickt und nur einen, welcher dünner ist als jene, zum PI. vaginalis, so daß also der Uterus einen großen Teil seiner Nerven direkt vom Ganglion mesenter. inf. erhält. Bei der Maus ist der PI. vaginalis auf zwei Ganglien reduziert, von denen das größere die Nerven für Blase und Mastdarm abgibt, das kleinere dagegen die für Vagina und Uterus. Vom Sympathicus und Aortengeflecht zum PI. vaginalis verlaufende Fäden vermochte ich wegen der Kleinheit des Objekts und der großen Menge von Fettzellen an den betreffenden Stellen nicht zu konstatieren. Beim Schaf ließen sich einige sehr feine Nervenfäden zur Spitze des Uterus- horns verfolgen, welche von den Nerven für das Ovarium dicht vor diesem Organ ab- gingen und neben demselben vorbei zum Uterus vorliefen. Keine bemerkenswerten Abweichungen von dem allgemeinen Verhalten bieten Hund, Katze und Schwei n. Was nun die Uterusnerven beim Menschen anbetrifft, so stimmen meine Resultate ganz mit der Darstellung T i e d e m a n n s (13) auf seinen Tabulae nervorum uteri überein, so daß ich es aus diesem Grunde unterlassen habe, eine Abbildung der- selben zu liefern; die Gestalt und Anordnung der Ganglien im PI. vaginalis ist von ihm sehr naturgetreu wiedergegeben. Nur auf einen Umstand möchte ich aufmerksam machen, daß T i e d e m a n n nämlich die Durchmesser der Nerven und Ganglien etwas zu groß abgebildet hat; dies fällt jedoch nur im Verhältnis zu solchen Präparaten auf, welche in Essig mazeriert wurden, und findet seine Erklärung in dem Vorhandensein eines sehr starken Neurilems. Außer jenen mit dem Messer darstellbaren Ganglien, finden sich im PI. vaginalis noch viele mikroskopische. — K e h r e r hat bei allen von ihm untersuchten Tieren (14) fast ganz untereinander übereinstimmende Resultate erhalten, die aber von den meinigen ziemlich bedeutend abweichen. Ich halte es deswegen für notwendig, hier noch mit einigen Worten die Unterschiede in unserem beiderseitigen Befund zu berühren. K e h r e r unterscheidet stets Nerven, welche von dem Nervus spermaticus internus an die Spitzen der Uterus- hörner gehen, dann Nn. uterini anteriores, welche vom hypogastricus lateralis abgehend mit der A. uterina zu den Uterushörnern verlaufen, und Nn, uterini posteriores, die aus dem PI. vaginalis kommend auf der Vagina zum hinteren Teil des Uterus sich begeben. Von den Nervi spermatici interni zum Uterus verlaufende Nerven habe ich nur beim Schaf gefunden; solche Nerven, welche Kehrers Nn. uterini anteriores entsprechen, nur beim Pferd; dagegen fast immer andere mit der Art. uterina verlaufende Nerven, welche mit dem Grenzstrang und dem Aortengeflecht zusammenhängen, und K e h r e r s Nn. uterini poster., welche nach ihm nur einen Teil des Uterus versorgen, halte ich für die Hauptnerven desselben, nur ist ihr Verlauf durch das Mesometrium und nicht auf der V agina. über das Vorkonuiien von Ganglienzellen an den Nerven des Ttenis. 811 Die in den Ganglien des I'l. vaginalis entlialtenen Zellen bieten auch noch einiges Bemerkenswerte dar. Ihre GröISe ist bei den verschiedenen Tieren nicht konstant. Der Durchmesser derselben ist bei der Maus im Mittel 0,016 ]nin, beim Kaninchen 0,028 mm, bei den größeren Tieren und beim Menschen 0,045 — 0,05 mm^); es scheint also derselbe in einem gewissen, wenn auch nicht geraden Verhältnis zur Körpergrölk' zu stehen. Die einzehien Zellen sind v^on festen Hüllen umgeben, welche viele Kerne enthalten. Deutliche Fortsätze komite ich weder an Zellen aus frischen noch aus solchen Ganghen, welche kurze Zeit in einer schwach sain'cn Flüssigkeit mazeriert waren, durch Zerzupfen erhalten, noch auch habe ich solche wahrgenonnnen an Ganglienzellen, welche man öfters vereinzelt in kleinen, nur wenige Fasern enthaltenden Nervenstännnen trifft. Eigentümlicherweise zeigen die Ganglienzellen vom Schaf. Pferd. Kuh und auch vom Menschen meistens an einer, öfters aber auch an zwei entgegengesetzten Stellen eine Pigmentanhäufung; während beim Schwein die Zellen im ganzen etwas dunkler sind, bei den übrigen Tieren aber gar nichts Derartiges wahrgenonnnen werden kann. Fig. 2 auf Tab. XLIII zeigt zwei soiclier Zellen vom Schaf. — 2, Ob Ganglien i n d e i' S u 1) s t a n z d es Vi e r u s v o r k o m m e n oder n i c Ii t . Über die Art und Weise der Nervenverbreitung im Uterus, ob sie netzförmig oder dichotomiscli, ob mit Ganglien zusannnenhängend oder nicht, herrscht bislang keine sichere Kenntnis, wie ich glaube, aus dem (rrunde. weil man sich bei der Untersuchung fast immer an den menschlichen Uterus oder den vom Kaninchen hielt, beide insofern unpassend gewählt, als sie zu klein sind, um in ihnen die sehr feinen Nerven mit dem Messer präparieren und auch wieder zu dickwandig, um sie mit dem JMikroskop übersehen zu können. Ich habe es versucht, jenen beiden Anforderungen zu genügen, und habe zu dem Ende die Uterusnerven durch Präparation am Uterus vom Pferd, für die mikroskopische Übersicht aber an dem des Maidwurfs dargestellt (15). Bei ersterem konnte ich die Nerven von ungefähr 1 mm Durchmesser bis zu O.OS mm verfolgen (16): im Uterus von Maulwürfen vermochte ich nach Essigmazeration die Nerven von ihrem Eintritt mit einem mittleren Durclniiesser von 0.026 mm bis zu Ästchen, welche nur 2 oder 3 Fasern enthalten und selbst noch einige einzelne verlaufende Fasern zu verfolgen. Beide Fälle ergeben eine einfache dichotomische Verbreitung und nirgends waren an den Nerven Ganglienzellen zu bemerken. Um aber dieses Resultat mit einiger Gewißheit auch von den übrigen Tieren und besonders dem Menschen ausspreclien zu können und nicht bloß die Analogie herrschen zu lassen,- habe ich noch vielfach andere und auch den menschlichen Uterus nach Erhärtung in Alkohol und Chromsäure auf Querschnitten untersucht, ebenso auch an getrockneten Stücken, welche vorher in Essig gelegen hatten (17), ohne jemals Ganglien zu begegnen. Es bleibt mir nun nocii iU)i ig. die Angabe von K e h r e r zu besprechen, nach welcher im submukösen Gewebe der Vagina und des Uterus sicli große Zellen finden sollen, welche runde helle Kerne und einen oder mehrere Fortsätze besitzen und von denen er glaubt, daß es Ganglienzellen mit Nervenfasern seien. Bei der Untersuchung der frischen Vaginal- und Uterusschleimhaut finden sich allerdings nach iVbstreifung des Epithels oft eigentümliche Zt'ilen. welche der obigen Beschreibung entsprechen ') Nach K n r n o r (I. c. p. 12) sind di«' des Menschen um die llalftc kleiner als die des Kauin- clieus; eine Angalie, die udt iiieiiieii üesuHrtten durchaus nicht ül)ereinstijuiut. 812 Über das Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. und einzeln liegenden Ganglienzellen sehr ähnlich sind (18); doch erweisen sie sich wegen des Vorkommens eben solcher frei herumschwimmender Zellen mit allen Übergängen zu dem gewöhnlichen Epithel der Vaginalschleimhaut und auch wegen ihres sonstigen Verhaltens gegen Reagentien (19) als durch Quellung veränderte und durch die Prä- paration zufällig dahin gelangte Epithelzellen. Da ich etwas anderes auf die Beschrei- bung K e h r e r s passendes durchaus nicht finden konnte, so möchte ich mich fast der Meinung hingeben, daß sowohl K e h r e r als auch Spiegelberg sich durch das sehr täuschende Ansehen jener Zellen verführen ließen, sie für Ganglienzellen zu er- klären. A n m e r k u n g e n. 1. Tabulae nervorum nteri, auctore F. T i e d e m a n n. Heidelberg 1822, p. 10. 2. Philosoph. Transact. 1811. P. I. p. 269. 3. Memoirs on the ganglia audnerves of the uterus by R. Lee. London 1849. 1. Recherches sur la disposition des nerfs de l'ut^rus. Compt. rend. d. s^anc. de l'Acad. d. Sc. Mai 1841. p. 401. 5. On the nerves of the uteriis, by Th. S n o w Beck, Philosoph. Transact. 1846. P. II. p. 213. 6. Enzyklopädisches Wörterbiich 25. Bd. Berlin 1841. S. 149. 7. Zeitschrift für rat. Med. Bd. X. 1851. S. 81. 8. De nervis uteri. Dissert. inaug. T h. Körner. Vrafcislav. 1863. 9. .Tenaische Zeitschr. für Med. u. Nattirwissensch. Bd. I. S. 35. 1864. 10. Beiträge zur vergleichenden und experimentellen Gebvirtskunde von A. K e h r e r. Erstes Heft. Gießen 1864. 11. Monatsschrift für Geburtskunde (Berlin) Bd. 24. Heft 1. S. 12 und 13. 12. Wahrscheinlich ist hierauf R e m a k s Angabe von Ganglien an der hinteren Wand der Harnblase zu beziehen, da man in den betreffenden PäUen nicht leicht die Blase aus dem Becken nehmen kann, ohne Ganglien aus dem PI. vaginalis mit zu bekommen. 13. Die von Lee und S n o w B e c k gegebenen Abbildimgen entsprechen weit weniger dem wahren Verhalten. 14. Kaninchen, Katze, Himd, Stute, Rind. 15. Es ist dazu eine Mazeration in Essig mit Zusatz von etwas Holzessig nötig, da im frischen Zustande der Utervis zwar durchsichtig genug ist, man aber keine Nerven zu erkennen vermag. Man darf nicht zu große Exemplare wählen, weil bei diesen die Schleimhaut zu dick ist; diese wird nämlich trübe bei der Mazeration und läßt sich auch nicht entfernen, ohne das ganze Präparat zu zerstören; unter einer großen Anzahl von Maulwürfen ist es mir nur wenige Male gelungen, geeignete Präparate zu gewinnen. Bei der Maus wird der LTterus stets so wenig durchsichtig, daß nichts Sicheres zu erkennen ist. 16. Im Darm findet man bisweilen schon an Nerven von 0,1 mm Durchmesser GangUen. 17. Eine Methode, welche Krause zur Untersuchung der Darmganglien auf Querschnitten empfiehlt. 18. Auf der Vaginalschleinihaut vom Kaninchen findet man außerdem noch öfters kugelige Gebilde von 0,02 — 0,05 mm Durchmesser, mit sehr dicker glänzender Wand und körnigem Inhalt, welche wahrscheinlich pflanzliche Parasiten darstellen und mit jenen Zellen nicht wohl verwechselt werden können. 19. Gleichzeitig auf dem Objektträger beobachtete Ganglienzellen aus dem Ganglion Gasseri desselben Tieres verschwanden schnell durch den Zusatz von Ac, während diese Zellen noch längere Zeit aufzufinden waren. Erklärung der Abbildungen. Tab. XLI. Rechte Hälfte der Vagina und des Uterus mit den Gefäßen und Nerven von einem Maulwurf. Präpariert nach Mazeration in Essig. Vergrößerung: 7mal. Mastdarm und Blase sind entfernt, Uterus und Vagina in der Mittellinie geteilt und die rechte Hälfte zur Seite gelegt Koch, Gesammelte Werke Tafel XXXX[ Über das Vorkoninicn von GanL;liL'iizellc!i an den Nerven des Uterus. Koch, Gesammelte Werke Tafel XXXXri Über das Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. Koch, Gesammelte Werke T.ifel XXXXIII über das Vorkommen von Ganglienzellen an den Nerven des Uterus. 813 und ausgebreitet (der Uterus ist verhältnismäßig sehr groß, weil von einem Tier, daß nicht lange Zeit vorher geworfen hatte). Die Ganglien sind durch dunklere Schattierung angegeben. A. B. C. D. E. F. G. H. I. inf. Aorta. Art. mesenter. A. iliaca. A. hypogastrica. A. uterina. Vagina. Stelle, wo der Muttermund liegt. Uterus. Ovarium. « Von d. PI. coeliacus und renales kommende Stränge. j-l PI. niesent. int', mit zwei grcißeren \md meh- reren kleineren (ianglien. Von diesem l'l. zum PI. vaginalis verlaulende Nervenstämme — PI. hypogastr. (V PI. hypogastr. der linken Seite, t Vom PI. mesent. inf. zum ^fastdarm gehende Nerven. i; Ein vom Grenzstrang, tler unter der Aorta liegt, zum PI. vaginalis gehender Faden. ij Vom Sacralpl. kommende Nerven. PI. vaginalis. i Von demselben zum Uterus gehende Nerven. y. Nerven zur Blase und Mastdarm. l Nerven an die Dammuskeln und äußeren Genitalien. Tab. XLID). Fig. 1. Uterusnerven von der K uh. Der Mastdarm ist entfernt, der Uterus liegt nach vorn herübergeschlagen auf der Vagina, nur die linke Seite desselben ist dargestellt. Präpa- riert nach dreitägiger Mazeration in Essig. I3 der natürl. Größe. A. B. C. D. E. F. G. H. I. K. L. M. N. O. Aorta. Vena cava inf. A. coeliaca. A. renalis dextra. A. mesent. sup. A. mesent. inf. A. iliaca. Vena iliaca. A. Hypogastrica. A. uterina. Cervicalteil des Uterus. Linkes Uterushorn. Ovarium. Ureter. PI. coeliacus. Grenzstrang mit einer Anschwellung. Vom Gangl. coeliac. auf der Aoita und V. cava zum PI. mesent. inf. verlaufende Nerven. PI. mesent. inf. mit mehreren Ganglien. Nerven, welche den Grenzstrang mit dem PI. mes. inf. veroinrlen. PI. hypogastr. der linken und derselbe auf der rechten Seite. Vom Grenzstrang zum PI. vagin. gehender Nerv der linken und der rechten Seite. Nerven, welche mit dem Ureter zur Blase vei"laufen. / Anfang des PI. vaginalis (in einer zur hori- zontalen geneigten Ebene liegend). Tab. XLIII, Fig. 1. PI. vaginalis von demselben Präparat, von der Fläche aus gesehen; natürl. Größe. « Nerven des eintretenden PI. hypogastr. ß Vom Grenzstrang kommender Nerv. }■ Nerven vom PI. sacralis. S Ausstrahhmgen an den Uterus und Vagina. t An Blase und Mastdarm. S An den Beckenboden gehende Nerven. Tab. XLII, Fig. 2. Ein Ganglion aus dem PI. vaginalis vom Kaninchen, nach jNlazeration in Essig. Vergrößerung: SOOmal. (Ich hal)e diese Zeichnung anfertigen lassen, weil die beiden Abbil- dungen, welche von Ganglien des Kaninchens existieren (bei K ö r n e r Fig. 3 und 1, Vjei K e h r e r Tal). I, Fig. 3), sehr wenig naturgetreu sind: am wenigsten die von K e h r e r, auf welclrer freilich jede Zelle einen oder zwei sehr schöne Fortsätze hat)"). Tab. XLIII, Fig. 2. Zwei Ganglienzellen vom Schaf, die Pigmentierung an einer Stelle zeigend. Aus einem frischen Ganglion durch Zerzupfen dai-gestellt. *) Aus technischen Gründen sind die auf dieser Tafel wiedergegebenen Figiu'en und Fig. 1 der Tab. XLIII auf etwa die Hälfte des Originals verkleinert. D. Herausgeber. '-) Eine sehr getreue Abbildung von einem frischen Ganglion nach Essigsäurezusatz aus dem Plexus vaginalis des Kaninchens hat dagegen Frankenhäuser gegel)en im ersten Heft des II. Bd. der .Tenaischen Zeitschr. f. ^ledizin imd Naturw. Tal>. III, Fig. 12. über das Entstehen der Bernsteinsäure im menschlichen Organismus. Von R. Koch in Göttingen. Im Anschluß und als Fortsetzung der in dieser Zeitschrift Bd. 24. S. 97 und in den Nachrichten von d. königl. Gesellsch. d. Wissensch, usw. zu Göttingen 1865, S. 182 mitgeteilten Untersuchungen über die Bildung von Bernsteinsäure im tierischen Orga- nismus einerseits aus Fett, andererseits aus Äpfelsäure unternahm ich auf Veranlassung und unter Leitung des Herrn Prof. Meißner im hiesigen physiologischen Institut Untersuchungen, welche zum Zweck hatten, zunächst die beim Hund und beim Kanin- chen gemachten Erfahrungen auch am Menschen zu prüfen, sodann die Versuche über die Bildung der Bernsteinsäure im Organismus, wie aus der Äpfelsäure, auf einige andere Körper auszudehnen, welche außerhalb des Körpers unter ähnlichen Umständen, wie die Äpfelsäure, Bernsteinsäure liefern, und endlich die von Prof. Meißner schon an- gedeutete Vermutung zu prüfen, ob nämlich die auf Reduktion beruhende Bildung von Bernsteinsäure schon im Darmkanal vor sich geht. Der zu untersuchende (menschliche) Harn wurde stets in derselben Weise behandelt, nämlich mit Barytwasser vollständig ausgefällt, der überschüssige Baryt mit Schwefel- säure unter Vermeidung eines Uberschusses entfernt und mit Salzsäure vollends neu- tralisiert bis fast zur Sirupkonsistenz eingedampft. Während des Eindampfens pflegt die Flüssigkeit wieder saure Reaktion anzunehmen, welche mit Kali- oder Natronlauge aufgehoben wurde, und zwar wurde besonders am Ende des Eindampfens darauf ge- achtet, daß die Flüssigkeit neutral reagierte. Dieselbe wurde dann mit absolutem Alkohol ausgefällt, wobei viel Chloralkalien, harnsaures Alkali und, wenn vorhanden, bernstein- saures Alkali, von anhaftendem Farbstoff braun gefärbt, niederfallen. Digeriert man den Niederschlag in wenig Wasser, so lassen sich, namentlich nach dem Erkalten, die harn- sauren Salze großenteils durch Filtrieren trennen. Die braune Lösung setzt beim Eindampfen noch weiteres harnsaures Alkali, später Chloralkalien ab. Beim Vorhandensein von bernsteinsaurem Alkali ist dasselbe in dem konzentrierten Wasserextrakt sehr leicht an den charakteristischen Kristallisationsformen zu erkennen. Das bernsteinsaure Natron, mit welchem wir es fast immer zu tun hatten, scheidet sich aus jenem Wasserextrakt des menschlichen Harns, sehr ähnlich wie aus dem des Hunde- harns, gewöhnlich in mehr oder weniger breiten, langgestreckten, spießförmigen Kri- stallen aus, an denen, wenn sie sich auf der Spitze stehend unter dem Mikroskop zeigen, sechs abgerundete Kanten mehr oder weniger deutlich zu erkennen sind, und welche, wenn einigermaßen reichlich vorhanden, ein dichtes unregelmäßiges Haufwerk rings 1) Zeitschrift für rationelle Medizin, 186.5, Bd. XXIV. über (las Entstehen der Bernsteinsänre im menschlichen Organismus. 815 um das mikroskopische Präparat bilden; sehr oft sind die Kristallnadehi weidenljlatt- förmig mit einer Verdickung in der Mitte; bei reichhcher Kristalhsation pflegen sich die größeren Spieße und Nadeln an den Enden mit kleineren zu besetzen. Es kamen übrigens auch Fälle vor, in denen sich das bernsteinsaure Alkali nicht in solchen gewohnten Formen aus jenem Extrakt des menschlichen Harns ausscheiden wollte, sondern unregelmäßige, fast kugelige Knollen bildete, die aber doch hier und da an zwei entgegengesetzten Punkten in zwei kvirze Spitzen ausgezogen waren und dann deutliche Übergänge zu den in der Mitte verdickten lanzett- oder weidenblattförmigen Nadeln bildeten. Ist die Menge des bern- steinsauren Alkalis nicht zu klein bei der relativ bedeutenden Menge von C'hloralkalien, welche neben jenem kristallisieren, so kann man leicht auf Zusatz von Salzsäure die Kristallisation der Bernsteinsäure selbst erhalten. Nur werui eine größere dichte Masse von bernsteinsauren Alkalikristallen plötzlich von konzentrierter Säure zersetzt wird, pflegt sich die Bernsteinsäure an Ort und Stelle sofort auszuscheiden, und dann fast immer in dünnen, mehr oder weniger geschichteten, vmregelmäßig sechseitigen oder rhom- bischen Tafeln, die sich auch oft auf der Kante stehend zeigen; diese augen))lickliclie. bei der Zersetzung des Salzes an dessen Platz auftretende, sehr charakteristische Kri- stallisation der F^ernsteinsäure ist oft, wenn nicht sehr viel ßernsteinsäure zugegen ist, nur eine vorübergehende, die sich wieder auflöst, um erst später an anderer Stelle und in anderer Weise wieder zu erscheinen. Bei dieser späteren allmähligen Ausscheidung aus jenem Extrakt, auf welche (im Sommer) oft stundenlang gewartet werden mußte, pflegt die Bernsteinsäure mehr langgestreckte, fast nadeiförmige rhombische Tafeln oder Plättchen zu bilden, geschichtet, zu Büscheln vereinigt, sehr oft in der Form, wie der Querschnitt eines aufgeschlagenen Buches mit vielen, beiderseits sich aufrichtenden Blättern. Allen den verschiedenen Formen, mit welchen sich die Bernsteinsäure aus dem Harn ausscheidet, begegnet man auch leicht bei häufiger Untersuchung der Kri- stallisation reiner Bernsteinsäure unter verschiedenen Umständen. Sobald es die aus dem menschlichen Harn zu gewinnenden Mengen der Säure zuließen, wurde auch die Prüfung avif die charakteristischen Reaktionen derselben angestellt, so besonders die Sublimation der unzersetzten Säure beim Erhitzen ihres Salzes mit saurem schwefel- sauren Kali, dabei die nicht leicht zu verkennende Wirkung ihres Dampfes auf die Nasen- und Schhmdschleimhaut, die Fällung des bernsteinsauren Baryts durch Chlorbaryum mit Ammoniak und Weingeist, die Fällung des bernsteinsauren Eisenoxyds durch neu- trale Eisenchloridlösung. Im allgemeinen ist die Untersuchung des menschlichen Harns auf kleinere Mengen von Bernsteinsäure mehr erschwert, als die des Harns von Tieren, wegen der großen Menge von Chloralkalien, welche zum großen Teil mit dem bernsteinsauren Alkali durch Alkohol gefällt werden. Dieser Niederschlag verhält sich eigentümlich bei Gegenwart von bernsteinsaurem Alkali: für gewöhnlich, bei Abwesenheit von bernsteinsaurem Salz, ist er nicht sehr reichlich, körnig und trocken, bei Gegenwart des bernsteinsauren Alkalis dagegen ist er reichlicher, mehr flockig und sehr klebrig, auch dunkler gefärbt. Endlich pflegt der Alkoholniederschlag unter den Umständen, unter welchen Bern- steinsäure im Harn auftritt, auch zugleich größere Mengen von harnsaurem Alkali, als gewöhnlich, zu enthalten, namentlich dann, wenn die Bernsteinsäureausscheidung im Harn beginnt; hierauf komme ich unten zurück. 1 . Versuch mit F e t t d i ä t . Es wurde 5 Tage lang nachmittags ein halbes Pfund Butter mit etwas Brot ge- nossen, während sonst die gewöhnlichen Nahrungsmittel eingenommen ^^■urden unter Ausschluß aller solcher (vegetabilischer), in denen Körper enthalten sind, von denen 816 über das Entstehen der Bernsteinsäure im menschlichen Organismus. man weiß, daß sie unter Umständen in Bernsteinsäure sich verwandeln können, auch wurde an den verschiedenen Tagen möghchst gleichmäßige Diät und Lebensweise ein- gehalten. (Diese selbstverständlichen Maßregeln wurden auch bei allen späteren Ver- suchen befolgt.) Es erschien nicht notwendig, bei diesem Versuch, bei welchem es darauf abge- sehen war, den Organismus für eine gewisse Zeitdauer auf größeren Fettgehalt zu setzen, sämtlichen Harn zu untersuchen: es wurde nur der über Nacht gebildete, am Morgen entleerte Harn untersucht. Vor Beginn der reichlichen Fettzufuhr enthielt der Harn keine Bernsteinsäure; an den beiden folgenden Tagen, also nach zweimaliger Einfuhr der genannten größeren Fettmenge fand sich auch noch kein bernsteinsaures Salz im Harn. Am dritten Tage und von da an zunehmend zeigte der, wie oben angegeben, her- gestellte Alkoholniederschlag die vorher genannte charakteristische Beschaffenheit, und es fand sich im Harn der dritten Nacht wenig bernsteinsaures Alkali, mehr im Harn der vierten Nacht und eine bedeutende Menge in dem der fünften Nacht. Wahrschein- lich würde die Menge der Bernsteinsäure im Harn noch zugenommen haben, wenn die starke Fettzufuhr fortgesetzt worden wäre, was aber (im Sommer) wegen sich einstellen- der Verdauungsstörungen nicht wbhl ausführbar war. Das Ergebnis des Versuchs stimmt mit dem von Meißner und J o 1 1 y beim Hunde beobachteten überein ; dem Hunde konnten relativ viel bedeutendere Fettmengen und durch weit längere Zeit fortgesetzt einverleibt werden, daher bei diesem Tiere größere Mengen von Bernsteinsäure im Harn erhalten wurden. Daß erst nach Einverleibung eines gewissen Fettüberschusses die Bernsteinsäure im Harn erschien, stimmt mit den am Hunde gemachten Erfahrungen überein. 2. Versuche mit saurem äpfelsauren Kalk. In einem ersten Versuche wurden an zwei Tagen hintereinander abends jedesmal 20 g des äpfelsauren Kalks genommen, nachdem konstatiert war, daß der Harn un- mittelbar vorher keine Bernsteinsäure enthielt. Sämtlicher Harn, nach den Tageszeiten abgeteilt, wurde untersucht. Merkliche Mengen von Bernsteinsäure erschienen erst in dem am Morgen nach der zweiten Einfuhr des Salzes entleerten Harn; im Harn des folgenden Tages fand sich viel Bernsteinsäure, deren Menge im Harn des folgenden Tages wieder abnahm. In einem zweiten Versuche wurden auf einmal 30 g äpfelsauren Kalks abends ge- nommen, nachdem die Abwesenheit der Bernsteinsäure im Harn vorher konstatiert war. Erst am zweiten Abend nachher erschien bernsteinsaures Salz im Harn in kleiner Menge, sehr viel fand sich in dem darauf über Nacht gebildeten, am folgenden Morgen entleerten Harn, eine geringere Menge in dem mittags entleerten Harn, und von da an konnte wieder keine Bernsteinsäure im Harn entdeckt werden. Das Ergebnis dieser Versuche bestätigt gleichfalls für den Menschen das beim Kaninchen und beim Hunde Beobachtete (a. a. O.). Auffallend ist das verhältnismäßig späte Erscheinen der Bernsteinsäure im Harn, doch wird sich dafür unten die Erklärung mit Wahrscheinlichkeit ergeben. Dasselbe sodann, was Meißner in bezug auf die rela- tive Menge der im Harn des Hundes nach Einfuhr von äpfelsaurem Kalk erscheinenden Bernsteinsäure hervorhob (Göttinger Nachrichten a. a. 0., S. 185), muß noch mehr für den Menschen hervorgehoben werden, daß nämlich im Verhältnis zu den sehr be- deutenden Mengen der einverleibten Äpfelsäure die Gesamtmenge der Bernsteinsäure, die im Harn erschien, klein war, wie das mit Sicherheit auch ohne die vor der Hand nicht wohl ausführbaren quantitativen Bestimmungen geschätzt werden konnte. Es über das Entstehen der Bernst einsame im menschlichen Organismus. 817 scheint daher beim Menschen wie beim Hunde ein Teil der an Kalk gebunden eingeführten Äpfelsäure dasselbe Schicksal zu haben, wie die an Natron gebundene Äpfelsäure, welche, gleich anderen an Alkali gebundenen Pflanzensäuren, im Körper zu Kohlensäure ver- brennt, wie das von Meißner beim Kaninchen noch besonders konstatiert wurde (a. a. O.). Es ist nun weiter bemerkenswert, daß ebenso wie beim Hunde, auch beim Menschen dann, wenn es in der Zufuhr darauf angelegt wurde, daß Bernsteinsäure im Harn er- scheinen sollte, zugleich auch viel harnsaures Älkali erschien, wie oben schon bemerkt wurde. In einem solchen Falle liabe ich die Menge der harnsauren Salze bestimmt und dieselbe 4 bis 5 mal größer gefunden, als sie um dieselbe Tageszeit in gewöhnlichem Harn zu sein pflegte; zugleich betrug die Harnstoffmenge nur 1,7%, während sie in dem ent- sprechenden Harn vom Tage vorher bei nahezu gleicher Menge desselben 2,4% betrug. Äuf diese eine den Harnstoff betreffende Wahrnehmung soll kein Gewicht gelegt werden; die Zunahme der Harnsäure aber beim Auftreten der Bernsteinsäure zeigte sich stets, und zwar sowohl dann, wenn die Bernsteinsäure durch Oxydation von Fett entstand, als auch dann, wenn sie ihren Ursprung in Äpfelsäure hatte. Im letzteren Falle setzt das Entstehen der Bernsteinsäure einen Reduktionsprozeß voraus, und daher könnte es auf den ersten Blick rätselhaft erscheinen, daß auch unter diesen Umständen eine Ver- mehrung der Harnsäure auftritt, wie dann, wenn viel Fett mehr oder weniger vollständig, zum Teil zu Bernsteinsäure oxydiert wird. Die von M e i ß n e r ausgesprochene Vermu- tung aber, daß die Zunahme der Harnsäure darauf beruhen werde, daß eine größere Menge leichter oxydierbare Substanz im Körper ist, rechtfertigt sich aucli für den zweiten Fall, eben deshalb, weil ein solches Mißverhältnis bestellt zwischen der Menge der ein- geführten Äpfelsäure und der der ausgeführten Bernsteinsäure, ein Mißverhältnis, welches darauf hinweist, daß viel Äpfelsäure oxydiert wird. Mit dieser Auffassung scheint es auch übereinzustimmen, daß ich die Steigerung der Harnsäuremenge besonders zu der Zeit des ersten Auftretens der Bernsteinsäure im Harn beobachtete, wie es scheint dann, wenn im Organismus das Äußerste zur Oxydation der Äpfelsäure geschehen ist, und der Rest als Bernsteinsäure zum Vorschein kommt. Hierauf wird durch die unten folgenden Beobachtungen über den Ort, wo die an Kalk gebundene Äpfelsäure in Bern- steinsäure verwandelt wird, einiges weitere Licht geworfen werden. 3. Versuche m i t A s p a r a g i n. Zu den Körpern, welche unter denselben Umständen sicli außerhalb des Organis- mus in Bernsteinsäure verwandeln, wie die an Kalk gebundene Äpfelsäure, nämlich unter der Wirkung von Fermenten, gehört das dem Amid des Äpfelsäureradikals isomere Asparagin. Es war von vornherein sehr wahrscheinlich, daß das Asparagin diese Um- wandlung auch im menschlichen Organisnuis (sc. Darmkanal, s. unten) erleiden würde, zumal L e h m a n n schon angegeben hatte, daß das eingeführte Asparagin im Harn nicht wiederzufinden sei. Ich habe statt reinen Asparagins Versuche mit Spargel an- gestellt, doch werden unten anderweitige ^Vrsuche mit reinem Asparagin berichtet werden, welche eine hier etwa empfundene Lücke vollkonnnen ausfüllen. Nachdem mittags ein Pfund Spargel gegessen war, erschien am Abend des fol- genden Tages bernsteinsaures Alkali in reichlicher Menge; in dem über Nacht gebildeten Harn fand sich eine noch größere Menge. In der folgenden Harnportion fehlte die Bern- steinsäure ebenso, wie sie vor dem Spargelgenuß und in dem in den ersten 24 Stunden nach dem Genuß desselben entleerten Harn gefehlt hatte. In einem zweiten Versuch fand sich gleichfalls etwa 36 Stunden nach dem Spargelgenul.^ reichlich Bernsteinsäure im Harn; die Dauer des Vorkommens konnte diesmal nicht bestinnnt werden. Koch , Gesammelte Werke. 97 818 über das Entstehen der Bernsteinsäure im menschlichen Organismus. Wie schon bemerkt, kann mit Rücksicht auf den unten berichteten Versuch mit reinem Asparagin nicht daran gezweifelt werden, daß die nach Spargelgenuß reichlich im Harn erscheinende Bernsteinsäure zum größten Teil wenigstens aus dem Asparagin entsteht; da aber in dem Spargel auch Äpfelsäure (in geringer Menge) enthalten ist, so könnte, falls diese an KaUv gebunden ist, ein kleiner Teil der Bernsteinsäure auch von dieser herrühren. Das Asparagin kommt, wie bekannt, unter den als Nahrungsmittel gebrauchten Vegetabilien auch in der Kartoffel und in der Schwarzwurzel (Scorzonera hispanica) vor, und es ist daher zu erwarten, daß nach Genuß derselben, so wie auch nach dem der Althäawurzel, Bernsteinsäure im Harn erscheint. Da die Kartoffel meistens zur täg- lichen Nahrung gehört, so sollte die Bernsteinsäure auch sich meistens im Harn finden: wahrscheinlich aber gehört die Einfuhr einer größeren Quantität Kartoffeln dazu, um einen merklichen Gehalt an Bernstein.säure in den Harn zu liefern; ich habe darüber keine Versuche angestellt. Wenn Bernsteinsäure aus Fett entsteht, so hegt ein Oxydationsprozeß vor, wie dehn durch Behandeln mit Salpetersäure Bernsteinsäure aus verschiedenen Fettsäuren dargestellt wird. Daß die Bildung der Bernsteinsäure aus Fett im tierischen Körper, sofern dies ein Oxydationsprozeß ist, im Blute oder innerhalb von Geweben stattfindet, als ein eigentlicher Stoffwechselprozeß unter Mitwirkung der roten Blutkörper, wird kaum einem Zweifel unterliegen. Dagegen beruht die Bildung der Bernsteinsäure aus Äpfelsäure, so wie aus Weinsäure auf einem Reduktionsprozeß, welcher entweder direkt durch ein reduzierendes Agens, Jodwasserstoff, eingeleitet werden kann, oder aber, wie früher bekannt wurde, bei Gegenwart faulender Eiweißkörper stattfindet, voraus- gesetzt, daß die Säure an Kalk gebunden ist, unter denselben Umständen, unter denen auch fumarsaurer und maleinsaurer Kalk unter Wasserstoffaustritt Bernsteinsäure liefern, so wie auch das Asparagin. Es lag deshalb in der Tat die von Meißner an- gedeutete Vermutung nahe, es möchte die nicht auf Oxydation beruhende Bildung von Bernsteinsäure im Organismus schon im Verdauungskanal stattfinden. Zur Prüfung dieser Vermutung wurden mit einigen hierher gehörigen Körpern Verdauungsversuche angestellt mit künstlichem Magensaft teils unter Zugabe von zu verdauendem Eiweiß, teils ohne solches. Das Pepsin war in Verein mit 0,2% Salzsäure sehr kräftig wirksam zur Verdauung von Eiweißkörpern. Die Gemische wurden in der Brutmaschine 24 Stunden und länger bei etwa 37° C digeriert, dann filtriert, neutralisiert, wobei das aus zugegebenem Eiweiß gebildete Parapepton gefällt wurde; das neutrale Filtrat wurde eingedampft, mit Alkohol gefällt und der Niederschlag auf bernstein- saures Alkali geprüft. 1. V'e rsuche mit saurem äpfelsauren Kalk. Das dem Gemisch beigegebene Eiweiß wurde nicht so reichlich verdaut, wie es derselbe künstliche Magensaft ohne Beimischung des äpfelsauren Kalks tat, offenbar infolge davon, daß an die Stelle eines Teiles der freien Salzsäure Äpfelsäure getreten war. Nach der 24stündigen Digestion wurde das Filtrat mit Kali neutralisiert, im konzentrier- ten Filtrat mit Alkohol ein Niederschlag erhalten, aus dem, in Wasser gelöst, bernstein- saures Kali in dünnen Plättchen in großejr Menge kristallisierte, aus welchen auf Zusatz von Salzsäure die schönsten Bernsteinsäurekristalle erhalten wurden. Es wurden noch zwei Versuche mit äpfelsaurem Kalk angestellt, der eine unter Zugabe von Eiweiß, der andere ohne dasselbe, um zu sehen, ob das Stattfinden von über das Entstehen der Bernst/einsäure im menschlichen Organismus. 819 Eiweißverdauung von Einfluß auf die Umwandlung der ÄpfeLsäure sei. Die Konsti- tution des künstlichen Magensaftes war natürlich in beiden Versuchen genau gleich, sowie auch die Menge desselben und des äpfelsauren Kalks. Die nach ISstündiger Di- gestion vorgenommene Untersuchung ergab Bernsteinsäure in beiden Versuchen, mehr jedoch da, wo zugleich Eiweiß verdaut wurde. Aus diesen Versuchen geht also hervor, daß das Magensaftferment für sich allein auf die Äpfelsäure wirkt, daß aber bei Gegenwart eines durch das Ferment in Umwand- lung, Verdauung, versetzten Eiweißkörpers die Wirkung noch energischer erfolgt. 2. Versuche mit w e i n s a u r e m Kai k. Da mit der Weinsäure, die zu der Bernsteinsäure in sehr ähnlicher Beziehung steht, wie die Äpfelsäure, kein Einverleibungsversuch angestellt worden war, so sollte ein Versuch mit künstlichem Magensaft zugleich einen Versuch jener Art ersetzen. Der weinsaure Kalk wurde mit dem, wie früher aus Pepsin und 0,2% Salzsäure bestehenden künstlichen Magensaft unter Beigabe von Eiweiß 36 Stunden lang digeriert. Der schwer lösliche weinsaure Kalk hatte sich nicht vollständig aufgelöst ; das Eiweiß war größten- teils verdaut. In Lösung fand sich reichlich Bernsteinsäure. 3. Versuche mit A s p a r a g i n. Es wurden zunächst wieder zwei Versuche nebeneinander angestellt, beide ganz gleichmäßig bis auf den Unterschied, daß dem einen Gemisch Eiweiß zugegeben wurde, dem anderen nicht. Nach 20stündiger Digestion fand sich in der Flüssigkeit, in der zugleich Eiweiß verdaut worden war, kein Asparagin mehr, dagegen viel Bernsteinsäure ; in der anderen Flüssigkeit, welcher kein Eiweiß zugegeben war, fand sich sogar nach länger fortgesetzter Digestion noch Asparagin, daneben auch Bernsteinsäure. Hier zeigte sich also wieder, wie beim äpfelsauren Kalk, sehr deutlich die Wirkung davon, daß das Magenferment in die Lage versetzt worden war, seine Hauptwirkung, LTmwandlung, Verdauung eines Eiweißkörpers auszuüben : in diesem Falle ging die Umwandlung des Asparagins viel rascher vor sich, als wenn das Magenferment alle in auf das Aspa- ragin wirkte. Da bekanntlich das Magenferment, sofern darunter die auf Eiweißkörper wirksame Substanz verstanden wird, nicht durch das Pepsin für sich allein gebildet wird, sondern durch Pepsin und Salzsäure (welche letztere einigermaßen durch einige andere Säuren ersetzt werden kann), so konnte die Frage entstehen, ob zur Einleitung der hier inter- essierenden, zur Bernsteinsäurebildung führenden Umwandlungen vielleicht das Pepsin für sich allein, ohne Säure, auch schon geschickt sei. Asparagin eignet sich für einen darauf bezüglichen Versuch. Ich habe denselben angestellt: es wurde Asparagin mit wässeriger Pepsinlösung digeriert, und es entstanden große Mengen von Bernsteinsäure. Das Pepsin erwies sich also hier für sich allein als ein zur LTmwandlung des Asparagins höchst wirksames Ferment. Es konnte wegen der bei der Digestion entstandenen trüben Beschaffenheit der Flüssigkeit der Zweifel entstehen, ob es sich nicht vielleicht einfach um Fäulnis des Pepsins handelte, so daß die Umwandlung des Asparagins doch nicht einer besonderen Wirkung des Pepsins als solchen zuzuschreiben gewesen wäre, indessen wurde dieser Verdacht sofort beseitigt durch das Resultat eines zugleich mit jenem angestellten Versuchs, in welchem Asparagin mit Speichel digeriert worden war. Hier nämlich war entschieden faulige Zersetzung eingetreten und dennoch fand sich sehr viel unverändertes Asparagin, nur sehr wenig Bernsteinsäure. 97« 820 über das Entstehen der Bernsteinsäure im menschlichen Organismus. Für die Vorgänge im Organismus wird die zuletzt erörterte Frage natürlich nicht praktisch; denn im Magen ist unter normalen Verhältnissen das Pepsin stets von freier Säure begleitet, und die vorhergehenden Versuche zeigen, daß unter diesen Unständen und ganz besonders sofern zugleich der eigentliche Verdauungsprozeß im Magen im Gange ist, die an Kalk gebundene Äpfelsäure und Weinsäure so wie das Asparagin sehr leicht die Umwandlung in Bernsteinsäure erleiden. Es kann somit wohl als erwiesen angesehen werden, daß die im tierischen Körper stattfindende, auf Reduktion beruhende Bildung der Bernsteinsäure aus Äpfelsäure (und Weinsäure) sowie die Bildung derselben aus dem Ämid des Äpfelsäureradikals, des Asparagins, im Magen, im Darmkanal schon stattfindet. Es ergibt sich nun auch, worauf oben verwiesen wurde, mit Wahrscheinlichkeit die Erklärung dafür, daß in den beim Menschen angestellten Versuchen die Bernstein- säure verhältnismäßig so spät nach dem Genuß der Muttersubstanzen, und bei Äpfel- säuregenuß in verhältnismäßig so kleiner Menge im Harn erschien, namentlich auch gegenüber dem rascheren Auftreten bei Tieren. Die Tiere, besonders auch der Hund, hatten den äpfelsauren Kalk zugleich mit einer reichlichen Mahlzeit einverleibt erhalten, während ich die Äpfelsäure abends nach einer äußerst mäßigen Mahlzeit einführte. Beim Hunde kam also die Äpfelsäure sofort unter die der Umwandlung in Bernstein- säure günstigsten Bedingungen, während in meinem Magen die Bedingungen dazu viel ungünstiger waren. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß im ganz nüchternen Zustande die Umwandlung im Magen gar nicht stattfindet. Wenn nun demnach der äpfelsaure Kalk nach der Einfuhr großenteils wahrscheinlich zunächst unverändert blieb, viel- leicht erst bei der nächsten reichlichen Mahlzeit die Bernsteinsäurebildung wesentlich stattfand, so würde sich das späte Erscheinen der letzteren im Harn erklären, und wenn man weiter annimmt, daß inzwischen der äpfelsaure Kalk zum Teil Gelegenheit fand, allmählich den Kalk gegen Alkali auszutauschen, in welchem Falle Aufsaugung des leicht löslichen Salzes stattgefunden haben würde, so würde sich erklären, wie ein großer Teil der Äpfelsäure der Umwandlung in Bernsteinsäure entging, wahrscheinlich oxydiert wurde, weil die an Alkali gebundene Äpfelsäure im Körper der Oxydation unterliegt. Eine merkliche Wirkung solcher Oxydation auf die Reaktion usw. des Harns kann nicht erwartet werden, weil die vorausgesetzte Bildung von äpfelsaurem Alkali jedenfalls nur nach und nach bei Kleinem stattfinden konnte. Aus einem brieflichen Bericht über einige ethnologische Befunde.') Von dem Burgwall auf dem Territorium Karne, dessen Beschreibung Sie auf S. 100 der Verh. der Ges. f. Anthrop. gegeben haben, westlich gelegen, und zwar auf der nörd- lichen Seite des Scharker Grabens (Entwässerungskanal), befindet sich ein zweiter Burgwall. Derselbe ist von jenem Wall ungefähr 3 km entfernt, zeigt genau dieselben Größenverhältnisse und Bauart, und ist nur dadurch unterschieden, daß der Wall nicht so hoch, der Ringgraben aber tiefer ist. Ich habe in beiden Wällen nachgegraben, aber außer Knochen von Haustieren und groben, bisweilen mit parallelen Streifen versehenen Scherben nichts Besonderes gefunden. Namentlich fand sich nicht eine einzige Scherbe mit dem Wellenornament. Das Volk nennt diesen Wall ,, Schwedenschanze". Über den Burgwall bei Wollstein erfuhr ich, daß derselbe seit Menschengedenken eine einfache Hügelform und niemals Wallform hatte. Erst seit dem Jahre 1858, als zuerst Teile desselben abgefahren wurden und hierbei Knochen, eiserne Gegenstände und Scherben nebst Tongefäßen zum Vorschein kamen, nannte man ihn Schweden- schanze. Eines der Gefäße, welche damals gefunden wurden, habe ich vom Apotheker Knecht el sen., der es bis jetzt konserviert hat, erhalten. Es ist klein, glatt, mit umgebogenen Rand, ohne Henkel oder Griff und scheint nicht auf einer Scheibe an- gefertigt zu sein. An verschiedenen Orten, nämlich in Alt-Kramzig, Obra. Adamowo, Tarnowo. Neudorf, sind einzelne oder mehrere Urnen gefunden, welche dem Zaborower Typus angehören. Bei Lehfelde stießen die Arbeiter beim Auswerfen von Kartoffelgruben auf mehrere Skelette und förderten einen Schädel zutage, der zerschlagen wurde. Ich untersuchte die Fundstelle möglichst genau und legte in einer Tiefe von zwei Fuß ein vollständiges Skelett bloß, dessen Knochen sehr mürbe waren. Metallgegenstände, Scherben, Sarg- reste oder dergl. waren trotz eifrigen Suchens nicht zu entdecken. Den Schädel konnte ich vollkommen erhalten aus der Erde herausheben. Außer dem von mir ausgegrabenen und dem von den Arbeitern zerstörten Gerippe liegt noch ein drittes, dessen Oberkörper noch gut erhalten sein wird, unter einer Kartoffelgrube und kann erst im Frühjahr aus- gegraben werden. Ich möchte diesem Funde deshalb einigen Wert beilegen, weil man vor etwa 10 Jahren, als man in der Nähe dieser Stelle nach Steinen zum C'hausseebau suchte, ebenfalls mehrere Gerippe und daneben Urnen gefunden haben soll; ein Be- gräbnisplatz, Kirche oder dergl. sind an dieser Stelle niemals vorhanden gewesen. Viel- leicht finden sich bei später vorzunehmenden weiteren Nachgrabungen noch Andeu- tungen über das Alter dieser Gerippe. M Zeitschrift für Ethnologie Bd. VII. 1875. Von Virchow vorgelegt in der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte am 18. XII. 1875. 822 Ethnologische Befunde. — Geschwänzte Menschen. Auch bin ich im Besitze mehrerer großer zinnener und bleierner Münzen, welche bei Tenasserim im britischen Birma beim Goldgraben im Schwemmsand, zwei bis drei Fuß tief, gefunden sind. Mein Bruder, welcher längere Zeit in Birma einen Zinnberg- bau leitete, hat dieselben aus Indien mitgebracht und mir zur Übermittlung an eine Sammlung oder Museum gegeben. Diese Münzen haben einen Durchmesser von 6 bis 8 cm, sind mit eigentümlichen Schriftzeichen und Tiergestalten versehen, welche weder den Indiern noch den Birmesen bekannt waren. Da dieselben vielleicht ein hohes Alter besitzen und für die Sammlung der Anthropologischen Gesellschaft von Wert sein könnten, so stelle ich sie zur Disposition. Herr Virchow zeigt in der Sitzvmg der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte am 17. Mai 1884 die von Herrn Geh. Regierungsrat Dr. Koch von seiner indischen Reise mitgebrachten Photographien zweier geschwänzter Menschen.') Fig. 1. Fig. 2. Die erste dieser Photographien (Fig. 1), welche trotz ihres stark verblaßten Zustandes noch ein recht deutliches Bild gewährt, ist nach einer Bleistiftnotiz auf der Rückseite am 15. Dezember 1871 von einem jungen Menschen in Jullundur, der zu der Kaste der Bannia gehörte, genommen worden. Derselbe ist im darauffolgenden Jahre, etwa 17 Jahre alt, an der Cholera gestorben. Eine genaixere Untersuchung scheint nicht gemacht zu sein. Von dem zweiten Exemjilar, einem noch ganz jungen Kinde, hat Hr. Koch auf der anthro- pologischen Ausstellung in Kalkutta zwei Bilder erworben, welche in Kalkutta selbst von West- field & Co. aufgenommen worden sind. Die eine kleinere, welche hier im Holzschnitt wiedergegeben wird (Fig. 2), zeigt zugleich den Vater des Knaben; auf der anderen etwas größeren (jedoch auch in Vis'tenkartenformat) ist das Kind allein, sitzend dargestellt. Danach scheint das Schwänzchen ungefähr die Länge des Fußes zu haben. Weiteres ist über den Fall nicht bekannt. 1) Zeitschrift für Ethnologie 1884, Bd. XVI p. 273. Aus dem Vorwort zur dritten Auflage des Lehrbuches der spezifischen Diagnostik und Therapie der Tuberkulose von ßandelier und Röpke. In meinen ersten Mitteilungen über das Tuberkulin hatte ich sowohl auf die diagno- stische als auf clie therapeutische Verwertbarkeit dieses Mittels hingewiesen. Aber weder in der einen noch in der anderen Richtung hat das Tuberkulin längere Zeit hindurch die ihm gebührende Berücksichtigung gefunden. Es lag dies offenbar daran, daß zu jener Zeit unsere Kenntnisse über die künstliche Innnunität noch zu gering waren, und deswegen das richtige Verständnis für die spezifische Wirkung und für den Umfang, innerhalb dessen das Mittel etwas leisten kann, fehlte. Infolgedessen verlangte man vom Tuberkulin Erfolge selbst da, wo es sich gar nicht mehr um reine Tuberkulose, sondern um Mischinfektionen mit Eitererregern und mit den damals überall verbreiteten Influenza- Erregern handelte. Aus gleichem Grunde konnte auch das Märchen vom ..mobil gemach- ten Tuberkelbazillus" Glauben finden, das, wenn ich nicht irre, sogar jetzt noch in manchen Köpfen spukt. Erst seitdem die Immunitätslehre immer weiter ausgebaut und dem Verständnis des Arztes näher gerückt wurde, haben sich richtige Vorstellungen über Wirkungs- und Anwendungsweise des Tuberkulins entwickelt, und man hat von rfeuem begonnen, clie wertvollen Eigenschaften desselben sich zu Nutzen zu machen. Namentlich hat zu diesem Umschwung in der Beurteilung des Tuberkulins beigetragen, daß in der Bestim- mung des opsonischen Index und im Komplementbindungsverfahren Methoden gefunden sind, welche es gestatten, die Wirkung des Mittels zu kontrollieren, während man früher auf die rein empirische Beurteilung angewiesen war. Auch die ausgezeichneten Erfolge der Tierärzte in der Diagnose der Perlsucht und in neuester Zeit das Pirquet sehe Verfahren, welches die diagnostische i\nwenclung des Tuberkulins beim Menschen so außerordentlich vereinfacht hat, haben die Aufmerksamkeit wieder auf das Tuber- kulin gelenkt. Von allen Seiten, namentlich auch aus dem Auslande, laufen jetzt Berichte ein über wissenschaftliche Untersuchungen, welche sich mit der spezifischen Behandlung der Tuberkulose befassen. In erster Linie waren es die Spezialärzte für Tuberkulose, welche sich der Tuberkulinbehandlung zugewendet haben ; aber nachdem es sich herausgestellt hat, daß das Tuberkulin in den Händen eines geschickten Arztes auch in der Privat- praxis ohne jede Gefahr nnt Vorteil benutzt werden kann, fühlen auch die praktischen Ärzte allem Anscheine nach vielfach das Bedürfnis, diesem Beispiele zu folgen. Dem stellt sich aber ein Hindernis entgegen, welches darin bestellt, daß es dem Arzte, dei- nicht zufällig Gelegenheit findet, sich bei einon Spezialisten zu informieren, schwer fällt, die ^) Verlag von C. Kabitzsch, Würzburs. 824 Aus d. Vorwort z. Lehrbuch der spezif. Diagnostik u. Therapie d. Tuberkulose usw. erforderliche Belehrung über die Auswahl des Präparates und die richtige Anwendung desselben zu erhalten. Es sind nämlich im Laufe der letzten Jahre mehr als ein Dutzend von spezifischen Präparaten, welche aus der Kultufflüssigkeit der Tuberkelbazillen oder aus der Substanz der Bazillen selbst hergestellt sind, für die Behandlung der Tuber- kulose empfohlen, und es liegt wohl auf der Hand, daß dieselben nicht alle von gleichem Wert sein können. Außerdem gehen auch die Meinungen über die zweckmäßigste Art der Behandlung noch recht weit auseinander. Und da die Angabe sowohl über die ver- schiedenen Präparate wie über die Behandlungsweisen in der Literatur weit verstreut sind, so erfordert es ein förmliches Studium, wenn man sich über den augenblickliehen Stand der spezifischen Tuberkulosebehandlung orientieren will. Ich möchte nur noch besonders betonen, daß ich mit den Herren Verfassern darin übereinstimme, daß bei der Behandlung mit den spezifischen Mitteln Temperatur- steigerungen möglichst vermieden werden sollen, daß es aber nicht zweckmäßig ist, bei kleinsten Dosen stehen zu bleiben, wie es von mehreren Seiten empfohlen wird. Man darf nicht vergessen, daß es sich hier um eine aktive Immunisierung handelt, und daß es für den Kranken nur vorteilhaft sein kann, einen nicht zu geringen Grad von Immu- nität zu erreichen. Auch mit der Empfehlung der spezifischen Behandlung für die ambulante Praxis, allerdings nur unter sorgfältiger Auswahl der Fälle, möchte ich mich einverstanden erklären. Reden Kochs gelegentlich von Festlichkeiten, die zu seinen Ehren veranstaltet worden sind. Am 13. M a i 1884 wurde der D e u t sehe n C hole r a k o in m i s s i o n (K o c Ii , G a f f - k y und F i s c h er ) nach ihrer Hehnkehr aus Indien seitens der Berliner Ärzteschaft ein Festmahl gegeben, auf dem die Verdienste K o c h s um die Entdeckung des Choleraliazillus von ver- schiedenen Rednern, namentlich von E. v. Bergmann, mit Begeisterung gefeiert wurden. Über seine Erwiderung lierichtet die Deutsche medizinische Wochenschrift 1884, Nr. 21, S. 334, f olgenderina ßen : In seiner wie gewöhnlich sachlich bescheidenen Weise drängte Herr Koch selbst in seiner Antwort auf alle diese Ansprachen das eigene Verdienst zurück und wollte sogar nicht einmal aner- kennen, daß er sich besonders großen Gefahren ausgesetzt hal)e. wenngleich die der Kommission gestellte Aufgabe, wie der Tod T h u i 1 1 i e r s beweise, nicht ganz gefahrlos gewesen sei. Bei den jetzt vorhandenen leistmigsfähigen Methoden und den sonstigen günstigen Verhältnissen, wie sie der Expedition überall entgegengekommen, sei die glücklich erfolgte Auffindung des Bazillus der Cholera ein keineswegs phänomenales Ereignis, vielmehr eine reife Frucht, die dem Suchenden in den Schoß fallen nuißte. Bs freue ihn aber, daß man ihm das Verdienst zuerkenne, jene leistimgsfähigen Methoden mit ausgebildet zu haben. Auch die Anschauungen über die Ätiologie der Krankheit seien durch die Entdeckung nicht wesentlich beeinflußt worden, deshalb habe die Expedition sich bemüht, praktisch verwertbare Rf-sultate zu erreichen, und Redner glaube, daß viel erzielt sei, glaube, daß wir einer neuen Invasion der Cholera nicht mehr so hilflos gegenüberstehen werden wie früher, ja, daß es möglich sein werde, die Seuche vollständig auf i Ii i Heimatland In- dien zu beschränken, vorausgesetzt, daß die Regierungen, namentlich die britisch-indische, die Hand dazu bieten. Das für Deutschland speziell erfreuliche Resultat der Expedition sei die Stei- gerung des Ansehens, welches die deutsche Wissenschaft im Auslande infolge des glücklichen Ge- lingens erfahi'e, und somit könne er, Redner, nur dankijar dafür sein, daß man ihm eine so ehren- volle Aufgabe anvertraut, jeden Augenblick sei er bereit, sich einer ähnlichen Aufgabe zu unterziehen, und es harre ja noch so manches Problem der Lösmig, so die Ermittlung des Pestgiftes, des Cielb- fiebergiftes, die Erforschung der Malariakrankheiten, der Lepra, der Rinder])est. Er wünsch?, daß auch die AuFlielhmg dieser Krankheiten der deutschen Forschung vorl)ehalten bleibe. Im .T a h r e 1001 wurde nach der Rückkehr Robert Kochs aus Britisch-Südafrika. wo er im Auftrage der englischen Regierung ergebnisvolle Studien zur Bekämpfung der Rinderpest ausgeführt hatte (vgl. diese Werke Bd. II, p. 748 ff.), von seinen damaligen und früheren Schülern und Mitarbeitern, eine nachträgliche Feier seines 60. G e b u r t s t a g e s veranstaltet, wo- bei ihm seine von seinen Schülern gestiftete 3larmorbüste überreicht wiu'de. Auf die Begrüßungs- ansjirache erwiderte Koch folgendes (Deutsche medizinische \Vochenschrift 1904 Nr. 34): ,,Es ist eine ungewöhnliche Ehre, die »Sie mir aus Anlaß meines 60. Geburtstages l)ereiten, da es doch eigentlich üblich ist, erst den 70. Jahrestag durch eine Feier hervor- zuheben. 826 Beden Kochs gelegentlich von Festlichkeiten, die zu seinen Ehren veranstaltet worden sind. Ich muß Ihnen deswegen gestehen, daß ich ganz überrascht war, als ich zum ersten Male von Ihrer Absicht erfuhr. Aber es hat mich andererseits doch auch außerordent- lich gefreut, daß Sie gerade diesen Zeitpunkt zu einer Feier gewählt haben, und zwar aus folgendem Grunde: Es ist Ihnen ja allen aus eigener Erfahrung bekannt, daß diejenigen Forscher, welche auf unserem Gebiete arbeiten, heutzutage nicht auf Rosen gebettet sind. Die schönen Zeiten sind längst vorüber, als man die wenigen Bakteriologen noch an den Fingern abzählen und ein jeder von ihnen unbehelligt weite Gebiete durch- forschen konnte. Jetzt ist nicht viel freies Feld mehr vorhanden, und ungezählte Scharen drängen sich um ihren Abbau, da ein jeder noch ein Stückchen Erfolg erhaschen möchte. Da kann es nicht ausbleiben, daß man auch bei der bescheidensten und vorsich- tigsten Abgrenzung des Arbeitsgebietes dem einen auf den Fuß tritt, einem anderen, ohne es zu wollen, einen Stoß versetzt, dem dritten zu nahe an sein Gebiet kommt und, ehe man es sich versieht, auf allen Seiten von Gegnern umringt ist. Dies ist natürlich nicht angenehm, es nimmt einem die Ruhe und die Freude an der Arbeit. Ich muß in dieser Beziehung über besonderes Mißgeschick klagen ; denn ich kann reden oder schreiben, was ich will, so stoße ich immer auf leidenschaftlichen Widerspruch und leider gerade bei solchen Leuten, welche von der Sache wenig oder nichts verstehen und am wenigsten dazu berufen sind, ein Urteil darüber abzugeben. Da ist mir schon öfters der Gedanke gekommen, die Büchse ins Korn zu werfen und nicht mehr mitzutun. Aber, meine Herren, wenn ich, wie bei der heutigen Feier, sehe, daß ich noch so viele Freunde und getreue Mitarbeiter habe, auf deren Verständnis und Hilfe, wenn es sein muß, ich rechnen kann, dann muß aller Mißmut und alle Unlust schwinden. Ich werde allerdings die immer schwerer werdende Last der Verwaltung eines großen Instituts abgeben, aber dieser Schritt hat nicht die Bedeutung, als wolle ich unserer Wissen- schaft untreu werden. Nein, meine Herren, ich verspreche Ihnen im Gegenteil, soweit und solange meine Kräfte reichen, mit Ihnen und für Sie tätig -zu sein. Lassen Sie uns fest zusammenstehen und wie bisher alles aufbieten, unsere Wissen- schaft ihren Zielen näher und näher zu führen! M. H.! Ich sage Ihnen meinen herzlichsten Dank für die große Ehre, welche Sie mir durch die Stiftung der Büste erwiesen haben, und insbesondere danke ich auch allen denen, welche mir durch die meinem 60. Geburtstage gewidmete Festschrift eine große Freude bereitet haben. Nochmals allen meinen herzlichsten Dank." Am 11. Februar 1908 wurde nach Kochs Heimkehr von der erfolgreichen Ex- pedition zur Erforschung der Schlafkrankheit aus Ostafrika von der Berliner Ärzteschaft zu seinen Ehren ein Kommers gegeben, an dem sich der größte Teil der Berliner Ärzte beteiligte. Auf die an ihn gehaltene Ansprache erwiderte Koch (Deutsche med. Wochenschr. Nr. 8): ,.,Der heutige Abend ruft mir eine ähnliche Feier in die Erinnerung zurück, welche die Berliner Ärzte der aus Indien zurückgekehrten Choleraexpedition vor etwa 20 Jahren veranstalteten. Auch damals habe ich gerade so wie jetzt die Empfindung gehabt, daß das Fest weniger der Person galt als der freudigen Genugtuung darüber, daß es ge- lungen war, dem Gebäude unserer medizinischen Wissenschaft einen neuen Baustein hinzuzufügen. Und dieser Baustein war nicht von gewöhnlicher Art. Er hat sich als ein solcher von großer Tragfähigkeit erwiesen. Das stellte sich sofort heraus, als wir Reden Kochs gelegentlich von Festlichkeiten, die zu .seinen Ehren veranstaltet worden sind. 827 zum erstenmal Gelegenheit hatten, die neuerworbenen Kenntnisse im Kampfe gegen die Cholera praktisch zu erproben; denn wir konnten mis bald davon überzeugen, daß wir in der Tat nunmehr imstande waren, die Cholera mit Erfolg abzuwehren. Zu gleicher Zeit wurde es aber auch immer deutlicher, daß dieselben Grundsätze, welche sich der (.'holera gegenüber so nützlich erwiesen hatten, auch anderen Seuchen gegenüber ange- wendet werden konnten. Es handelte sich also nicht mehr um einen Einzelfall, sondern um ein allgemeines Prinzip, und jener Baustein, von Avelchem ich sprach, vermochte nicht nur der Abwehr der Cholera, sondern der Seuchenabwehr im allgemeinen als Basis zu dienen. Es war dies gewiß ein großer Fortschritt, aber wir dürfen darüber doch nicht die früheren Bestrebungen zur Bekämpfung der Seuchen mit Geringschätzung betrachten. Sie entsprachen den damaligen unvollkommenen Kenntnissen vom Wesen der Infek- tionskrankheiten. Erst nachdem die Krankheitserreger selbst bekannt geworden waren, konnte sich der Kampf direkt gegen dieselben richten, wie wir es jetzt tun. Wir gehen jetzt von der Anschauinig aus. daß jeder Mensch, welcher die Krankheitserreger in sich trägt, eine Gefahr für seine gesunde Umgebung ist und daß ei- unter Verhältnisse gebracht werden muß, welche diese Gefahr beseitigen. Sei es, daß man ihn isoliert, oder daß man die Wege, auf denen der Infektionsstoff vom Kranken zum Gesunden gelangt, abschneidet, oder daß man die Krankheitserreger im Menschen selbst durch Medikamente vernichtet. Dabei kommt natürlich alles darauf an, daß wir für die betreffenden Seuchen ganz zuverlässige Methoden zum Nachweis der Krankheitserreger besitzen. Insbesondere gilt dies für diejenigen Kranken, welche sich im frühesten Stadium der Krankheit be- finden und für die sogenannten Bazillenträger, weil diese beiden Kategorien von Kranken erfahrungsgemäß am meisten zur Verschleppung der Seuchen beitragen. Auf jeden Fall bildet eine sichere Diagnose gewissermaßen den Schlüssel für die moderne Seuchen- bekämpfung. Mit solchen Grundsätzen ist es nun schon zu wiederholten Malen gelungen, Deutsch- land vor einer Überschwemmung mit (Iholera zu behüten. Und dasselbe Prinzip hat sich mit Erfolg auf den Typhus und sogar auf eine Protozoenkrankheit, die Malaria, anwenden lassen. Auch die Schlafkrankheit, die bekanntlich ebenfalls eine Protozoen- krankheit ist, wird, nachdem es gelungen ist, ein sicheres diagnostisches Verfahren zu finden, nach denselben Grundsätzen bekämpft werden. Es handelt sich also hier nicht um eine vom Zufall begünstigte Entdeckung, sondern um die zielbewußte Anwendung schon vorhandener Erfahnnigen auf einen bestimmten Fall. Darin liegt aber auch die wissenschaftliche l^edeutung der Ergebnisse der Schlaf- krankheits-Expedition, ganz abgesehen von dem innnittelbaren Nutzen, welchen unsere Kolonien davon haben werden. Daß es wiederum gelungen ist, das wichtige allgemeine Prinzip der Seuchenbe- kämpfung in der Praxis zur Anwendung zu bringen, das muß uns mit Genugtuung er- füllen, und diesem Erfolge gilt, wie icli annehmen darf, das heutige Fest. Aber, meine Herren, ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Ich habe die feste Zuversicht, daß der Zeitpunkt ]s:ommt, wo man sich entschließen wird, nach denselben Grundsätzen auch die schlimmsten Geißeln der Menschheit, die Tuberkulose imd die S y p h i 1 i s zu bekämpfen. Ich selbst werde das wohl kaum noch erleben, aber es erfüllt mich doch mit freudigem Stolz, den Grundstein dazu gelegt zu haben. Und in diesem Sinne, meine Herren, bin ich Ihnen dankbar dafür, daß Sie mir dieses schöne Fest bereitet haben. Ich danke Ihnen auch für die anerkennenden Worte, welche Sie meinen Mitarbeitern gewidmet haben, ohne deren Hilfe ich wohl kaum zu diesen Erfolgen gelangt wäre. 828 Reden Kochs gelegentlich von Festlichkeiten, die zu seinen Ehren veranstaltet worden sind. Ich lege aber noch besonderen Wert darauf, daß diese Anerkennung meiner wissen- schafthchen Bestrebungen von den praktischen Ärzten Groß-Berhns ausgeht; denn, meine Herren, ich bin aus den Reihen der praktischen Ärzte, ich bin aus Ihren Reihen hervorgegangen, und ich habe mich bis jetzt stets als einen der Ihrigen gefühlt. Wer meine Arbeiten kennt, der wird mir das Zeugnis nicht versagen, daß ich immer praktische Ziele dabei vor Augen gehabt habe. Deswegen freut es mich aber auch so besonders, wenn die praktischen Ärzte mich noch als zu ihnen gehörig anerkennen und an meinen wissenschaftlichen Erfolgen einen so herzlichen Anteil nehmen." II Unveröffentlichte Berichte, Gutachten usw. an Reichs-, Staats- und Kommunalbehörden. An den Herrn Staatssekretär des Innern. Berlin, den 13. 12. 1880. Euer Exzellenz beehre ich mich nachstehendes ganz gehorsamst zu berichten : Unter den Infektionskrankheiten ist Milzbrand diejenige . welche bezüglich ihrer Entstehung am besten gekannt ist. Man weil,*), daß Organismen, die zu den nie- drig.sten und einfachsten Pflanzengebilden gehören und von den Botanikern als Milz- brandbazillen bezeichnet werden, die Ursache des Milzbrands bilden. Das Studium der Lebensbedingungen und der Entwicklung dieser Parasiten hat schon zu sehr wich- tigen Aufschlüssen über das Wesen des Milzbrands geführt, und die bis jetzt erlangten Resultate berechtigen zu der Hoffnung, daß es gelingen wird, den Milzbrand in allen seinen Beziehungen zu ergründen und damit dieser Krankheit, welche der Landwirtschaft jährlich nach Millionen zu berechnende Verluste schafft. Herr zu werden oder doch wenigstens in ähnlicher Weise wie bei der Trichinenkrankheit die Wege bezeichnen zu können, auf denen sie zu vermeiden ist. Für die Gesundheitspflege hat indessen der Milzbrand nicht allein wegen der Schä- digung des Volkswohlstandes und der gelegentlichen Gefährdung menschlicher Leben ein Interesse, sondern von weit höherer Bedeutung ist diese Krankheit deswegen, weil ihre Entstehungsart in vielen Punkten eine große Ähnlichkeit mit derjenigen der schwer- sten Volksseuchen, der Cholera und des Typhus, hat, und weil man hofft, durch Erfor- schung der Milzbrandursachen auch über die LTrsachen dieser Krankheiten Aufklärung zu gewinnen. In der richtigen Erkenntnis der hohen Bedeutung, welche die Milzbrandunter- suchungen für die Kenntnis der ansteckenden Krankheiten im allgemeinen haben, hat man in letzter Zeit, namentlich seitdem die drohende Pest das Interesse für die Infek- tionskrankheiten wieder rege machte, mit allen Mitteln die Lösung dieser Aufgabe an- gestrebt. Eine große Anzahl von Arbeiten über Milzbrand sind im Laufe des letzten Jahres erschienen, vniter denen diejenigen einiger französischen Gelehrten das größte Aufsehen erregt haben. Ihre Erfolge verdanken diese Forscher wesentlich der Aufmun- terung und Unterstützung, die ihnen die französische Regierung zuteil werden ließ, um Experimente in größerem Maßstabe und besonders an großen Tieren zu ermöglichen. So erhielt beispielsweise kürzlich P a s t e u r zur Fortsetzung seiner Arbeiten über In- fektionskrankheiten und speziell über Milzbrand 50000 Franken. Die Resultate, zu denen die in Frankreich angestellten LTntersuchungen geführt haben, sind folgende: Die Infektionskeime entstehen im Erdboden an Stellen, wo Milzbrand - kadaver vergraben wurden. Selbst wenn die Tierleichen 2 Meter tief eingescharrt sind, gelangen diese Keime allmählich durch die Regenwürmer an die Erdoberfläche und infizieren dann in Staubform das Futter der Tiere. 832 Programm für Untersuchungen über Milzbrand. Die Milzbrandkeime bewirken nur dann eine Infektion der Tiere, wenn sie mit hartem, rauhem Futter, das der Maulschleimhaut derselben kleine Verwun- dungen zufügen kann, verfüttert werden. In ähnlicher Weise, wie der Mensch gegen Pocken durch die Einimpfung der Kuhpocken geschützt wird, können auch Tiere gegen Milzbrand durch eine Art Impfung immun gemacht werden (durch subkutane Einspritzung von Milz- brandblut, das mit Hitze oder Karbolsäure behandelt wurde, um es unschäd- lich zu machen). Wenn diese Angaben sich als richtig erweisen sollten, dann würden sie von der erheblichsten Wichtigkeit für die Landwirtschaft, für die Maßregeln zur Abwehr der Viehseuchen und demnächst auch für die Kenntnis der menschlichen Infektionskrank- heiten sein. Um hierüber Klarheit herbeizuführen, sind schon seit dem letzten Sommer fort- während im Gesundheitsamt Versuche angestellt, denn jene französischen Entdeckungen gaben zu manchen Zweifeln in ihre Zuverlässigkeit Veranlassung. Diese im Gesundheits- amte angestellten Untersuchungen, welche nur an kleinen Tieren gemacht werden konnten, haben nun aber zu ganz anderen Resultaten geführt. Namentlich konnten die Angaben über künstlich zu erzeugende Immunität gegen Milzbrand nicht bestätigt werden. Auch haben diese Arbeiten ergeben, daß das Vorkommen und die Verbreitung der Milzbrandkeime eine ganz andere als die von den französischen Forschern behaup- tete ist. Aus Experimenten an kleinen Tieren läßt sich aber nicht mit Gewißheit auf das gleiche Verhalten der größeren Haustiere gegen Milzbrand schließen. Es sind daher, um über die hochwichtige Frage der künstlichen Immunität ins klare zu kommen. Ver- suche an einer nicht zu geringen Zahl von großen Haustieren, wie Schafen, Rindern, Pferden, unerläßlich. (Es müßten, um die natürliche Entstehungsweise in den sog. Milzbranddistrikten endgültig festzustellen, unter anderem Fütterungsversuche an Schafen, Rindern usw. gemacht werden. Auch sei es erforderlich, mit Boden- und Futterproben von solchen Stellen, die als Milzbrandorte bekannt sind, zu experimentieren, wobei namentlich die Überschwemmungsgebiete der Elbe und Oder ins Auge zu fassen wären. Den größten Nutzen würde schließlich nach vorhergehenden orientierenden Arbeiten auch die gründ- liche Untersuchung von Milzbrandstationen an Ort und Stelle liefern. Für die zur Vornahme der Experimente erforderliche Aufstellung von Versuchs- tieren brachte Koch Abdeckereien, die ohnedies ansteckende Tierleichen zu beseitigen haben, in Vorschlag.) Vorlage an den Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamts. Berlin, den 4. März 1881. Ew. Hochwohlgeboren erlaube ich mir bezüglich der in nächster Zeit vorzunehmen- den Versuche über Milzbrand noch folgendes ganz gehorsamst in Vorschlag zu bringen. Es ist in Aussicht genommen, außer den Versuchen über künstliche Immunität an größeren Tieren zur weiteren Aufklärung der Milzbrandätiologie auch Fütterungs- versuche mit den Sporen der Milzbrandbazillen auszuführen, da die Milzbrandkrankheit unter den Haustieren in der Mehrzahl der Fälle nicht, wie bei dem experimentell er- Programm für Untersuchungen über Milzlirand. 833 zeugten Milzbrand, durcli Jinpluug, sondein duicli die Aufnahme von Milzbrandsporen entweder mit der Atemluft oder, was bei weitem wahrscheinlicher ist, mit Futterstoffen zustande kommt. Wenn, was wohl nicht zu bezweifeln ist, durch das Experiment im positiven Sinne entschieden wird, dann bleibt immer noch eine für die praktische Ver- wertung der bis dahin gewonnenen Resultate sehr empfindliche Lücke. Man würde dann zwar wissen, daß zum Entstehen der Krankheit die Sporen der Milzbrandbazillen gebildet und daß diese Sporen mit der Nahrung in den Tierkörper gelangt sein müssen. Aber unter welchen Umständen und an welchen Orten in der freien Natur die Milzbrand- sporen entstehen, und wie sie in den Verdauungskanal der Tiere gelangen, das wäre noch ganz unbekannt. Und doch würde gerade die Kenntnis dieser Verhältnisse unbedingt notwendig sein, um wirksame Maßregeln gegen die Krankheit treffen zu können. Bis jetzt ist man fast durchweg von der Ansicht ausgegangen, daß die Sporenbildung der Milzbrandbazillen nur inuerlialb und in der nächsten Umgebung der in die Erde vergra- benen Milzbrandkadaver sich vollziehe. Dem widersprechen aber ältere Versuche von F e s e r und zaldreiche vor kurzem veröffentlichte Experimente Colins mit ver- grabenen Milzbrandkadavern. Audi leint die tägliche Erfahrung, daß Tiere mit Milz- brand nieistens an Plätzen infiziert werden, wohin niemals Milzbrantlkadaver gelangt sind. Ferner hat eine sehr große Reihe von Experimenten, die ich in letzter Zeit anstellte, bewiesen, daß die Milzbrandbazillen ganz unabhängig vom tierischen Körper auf und von sehr verschiedenen vegetabilischen Stoffen leben, ihren vollständigen EntA\ick- lungsgang durchmachen und^ Sporen bilden können. In der Nachbarschaft von Sümpfen, Teichen und Seen, besonders in den Flußniederungen, wo ein feuchter Boden mit ab- gestorbenen Pflanzenteilen reichlich versehen ist. finden sich alle Bedingungen ver- einigt, um Brutstätten für die Milzbrandbazillen zu schaffen. Dal.'« sich diesei' Vorgang auch tatsächlich vollzieht, dafür sprechen teils die schon vorher erwähnten tierärzt- Hchen Erfahrungen von dem fast ausschließliclien Vorkonnnen des Milzbrandes in Sumpf- distrikten, insbesondere nach dem Beweiden von Ufern der Sümpfe und von Wiesen, die Überschwemmungen ausgesetzt sind, teils ein bis jetzt allerdings ganz vereinzelter Befund F e s e r s. Diesem Forscher gelang es, bei Verimpfung verschiedener auf den bayrischen Milzbrandalpen gesammelten Schlainmproben in einem Falle bei dem ver- wendeten Versuchstiere unzweifelhaften Milzbrand zu erzeugen. Diesem alleinstehenden Erfolg ist vorläufig keine weitere Bedeutung beizumessen, als dali er dringend dazu auffordert, die Erforschung der Milzbrandätiologie nach dieser Richtung hin mit allen Mitteln zu betreiben, zumal da, wie oben erwähnt ist. andere gewichtige Gründe für die Richtigkeit der Fese r sehen Beobachtung sprechen. Es würde von der größten prak- tischen Bedeutung sein, wenn es gelänge, in einer größeren Zahl von Fällen das Vor- handensein von Milzbrandsporen im Boden von Milzbrandorten, und zAvar an solchen Stellen nachzuweisen, die nicht als Grabstätten für Milzbrandkadaver gedient haben. Untersuchungen dieser Art müßten selbstverständlicli durch Experimente über die bis- her angenommene, aber vermutlich nicht stattfindende Sporenbildung in nicht zu flach vergrabenen Milzbrandkadavern ergänzt werden. Da diese letzteren Versuche nur an ganz besonders -dazu geeigneten Grten angestellt werden könnten und mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft sind, so wird es geraten sein, dieselben erst in zweiter Linie in Angriff zu nehmen. Erst wenn sicli die Vermutungen von dem Entstehen der Milz- brandsporen im Boden, der nur durch Vegetabilien und nicht durch Leichen oder Ab- fälle von Tieren dazu geeignet gemacht ist, bestätigen sollten, würde ich mir erlauben, auf die Versuche mit vergrabenen Milzbrandkadavei'ii zuiückzukonnnen. Die Lösung der anderen Aufgabe stößt auf keine besonderen Schwierigkeiten. Es wäre ausreichend, Bodenproben, die von sachkundiger Hand in .Alilzbrandgegenden, Koch, Gesammelte Werke. 98 834 Schutzmaßregeln gegen Milzbrandinfektion in Roßhaarspinnereien. besonders von den als Infektionsstätten bekannten Plätzen, gesammelt sind, einsenden zu lassen. Sobald unter diesem Material solches gefunden würde, welches Milzbrand hervorzurufen imstande ist, würde eine gründliche Untersuchung der lokalen Verhält- nisse von großer Wichtigkeit sein und gewiß die besten Aufschlüsse geben. An den Herrn Staatssekretär des Innern. Berlin, den 30. Januar 1883. Eurer Exzellenz beehre ich mich über die Gefährdung der in Roßhaar- Spinnereien beschäftigten Arbeiter d u r c h Milzbrandinfektion und die hiergegen zu treffenden Schutz maßregeln ganz gehorsamst zu berichten. Es ist eine schon seit vielen Jahren feststehende und durch zahlreiche Beobachtungen begründete Tatsache, daß Arbeiter, welche sich mit den von kranken Menschen oder Tieren herrührenden oder mit solchen in Berührung gewesenen Abfallstoffen, wie Lum- pen, Roßhaaren, Schafwolle, zu beschäftigen haben, häufig unter ganz eigentümlichen und meistens schnell tödlich verlaufenden Symptomen erkranken. Ursprünglich suchte man diese Krankheit auf die Wirkung des massenhaft eingeatmeten Staubes zurück- zuführen, aber bei sorgfältigerem Studium derselben stellte sich heraus, daß sie mit der unter den Haustieren so häufig vorkommenden Milzbrandkrankheit identisch ist. Auch die bei solchen Arbeitern nicht selten vorkommenden äußerlichen milzbrandartigen Affektionen, welche man früher als einfache Karbunkel, Geschwüre oder in ähnlicher Weise bezeichnete, hat man als echte Milzbrandkarbunkel erkannt. Am häufigsten ist diese Form von Milzbrandinfektionen bis jetzt bei denjenigen Gewerbebetrieben beob- achtet, welche mit der Verarbeitung von Lumpen zu tun haben. Die Bedeutung der- selben für die in Papierfabriken beschäftigten Arbeiter ergibt sich aus folgenden Zahlen- angaben. Nach R e i t b ö c k erkrankten in einer Fabrik zu Ober-Eggendorf von 70 mit der Bearbeitung der Lumpen beschäftigten Arbeitern während der vier ersten Monate des Jahres 1870 16, und es starben 3. Derselbe Berichterstatter nimmt an, daß in dieser Fabrik während ihres 17jährigen Bestehens gegen 48 Arbeiter an der sog. Hadernkrank- heit (Milzbrandinfektion) gestorben sind. D o k a h 1 berichtet, daß in der Fabrik zu Oberwaltersdorf in 5 Jahren von 35 Arbeitern 13 an der Hadernkrankheit erkrankten und davon 11 starben. In der Fabrik zu Schlöglmühl sind nach L e w y seit 17 Jahren unter durchschnittlich 130 Hadernarbeitern etwa 57 Todesfälle durch Hadernkrank- heit vorgekommen, von denen 17 allein auf den Winter 1869 fallen. Diese Vorkommnisse beziehen sich allerdings ausschließlich auf österreichische Papierfabriken, woraus aber nicht zu schließen ist, daß die Milzbrandinfektion der Hadern- arbeiter sich auf die erwähnten Papierfabriken und auf Österreich beschränken. Man war zuerst durch die häufigen Erkrankungen im Winter 1869 zu Schlöglmühl auf diese merkwürdige Krankheit aufmerksam gemacht und fing damals erst an, eingehendere Untersuchungen darüber anzustellen, welche sehr bald ergaben, daß die Krankheit, wenn auch nicht in dieser erschreckenden Häufigkeit, schon in früheren Jahren vor- gekommen war und auch in anderen Papierfabriken nicht fehlte. Wenige Jahre später wurde dann durch Prof. Frisch in Wien der Nachweis geführt, daß es sich dabei nur um eine Milzbrandinfektion handelt, welche unter bis dahin unbekannten Symptomen verläuft. In den meisten Fällen wird unzweifelhaft auch jetzt noch die wahre Natur der Krankheit verkannt, und es ist hierin der Grund dafür zu suchen, daß nur aus ver- einzelten Fabriken bis jetzt Berichte vorliegen und über das Vorkommen der Hadern- Schutzniaßregeln gegen Milzbrandinfektion in Roßhaarspinnereien. 835 krankheit in inländischen Fabriken so wenig verlautet . Nachdem das eigentliche Wesen der Hadernkrankheit erst einmal richtig erkannt war, stellte sich sehr bald heraus, daß auch bei Arbeitern, welche sich mit tierischen Abfällen, ganz besonders mit Tierhaaren, zu beschäftigen haben, dieselbe Krankheit auftritt. So kannte man in England schon lange eine mit dem Namen der Wollsortiererkrankheit belegte, außerordentlich schnell und fast immer tödlich verlaufende Krankheit. Dieselbe befällt nur Arbeiter, welche vom Auslande, besonders aus Kleinasien, kommende Wolle zu transportieren und zu sortieren haben. Da in England der Milzbrand unter den Tieren und demzufolge auch beim Men- schen fast gänzlich fehlt, so waren die Symptome des Milzbrandes den englischen Ärzten unbekannt, und die Wollsortiererkrankheit blieb ihnen so lange ein Rätsel, bis sie, durch die Mitteilungen der kontinentalen Ärzte über die beim Menschen vorkommenden Milz- brandformen und insbesondere durch die mit der Hadernkrankheit gemachten Erfah- rungen belehrt, Infektionsversuche mit dem Blute der an der Wollsortiererkrankheit Verstorbenen anstellten. Sowohl durch das Gelingen derselben als durch den Nachweis der charakteristischen Milzbrandbazillen wurde dann auch diese Krankheit als echter Milzbrand erkannt. Ähnlich geht es mit anderen Gewerbebetrieben, die mit der Ver- arbeitung von Tierhaaren zu tun haben. Man fängt erst in der neuesten Zeit, durch die Hadernkrankheit und die Wollsortiererkrankheit aufmerksam gemacht, an, den Gesund- heitsverhältnissen der Arbeiter auch in bezug auf die Möglichkeit einer Milzbrandinfek- tion Beachtung zu schenken. Einige Andeutungen darüber, daß derartige Infektionen in der Tat vorkommen, finden sich allerdings bereits in der Literatur. So beobachtete Münch 15 schwere Milzbranderkrankungen, welche in Moskauer Roßhaarspinnereien entstanden waren. In Berlin ereignete es sich, daß ein Arbeiter, welcher Haare für die Polster von Eisenbahnwaggons aufzuzupfen hatte, schwer erkrankte, ins Augusta- hospital gebracht wurde und daselbst nach wenigen Tagen verstarb, ohne daß es mög- lich gewesen war, seine Krankheit während des Lebens mit Sicherheit zu erkennen. Erst nach der Sektion verschaffte die genauere Untersuchung der inneren Organe die Aufklärung, daß er an Milzbrand gestorben sei. Inzwischen hatte sich aber ein Kranken- wärter, welcher die Leiche zugerichtet hatte, dabei infiziert und bekam dann ebenfalls Milzbrand mit tödlichem Ausgange. Außer derartigen vereinzelten Mitteilungen ist bis jetzt nichts über die Milzbrand- infektion der Arbeiter in Roßhaarspinnereien in die Öffentlichkeit gelangt. Um so mehr muß es überraschen, wenn die Gebr. S a n d b e r g in Freystadt in dem anliegenden Schreiben^) vom 14. Nov. 1882 angeben, daß in ihrer Fabrik bei einer durchschnitt- lichen Anzahl von 35 Arbeitern innerhalb 8 Jahren 25 Erkrankungen und hierbei 11 Todesfälle an Milzbrand sich ereignet haben. Dennoch liegt kein Grund vor, diese Zahlen für übertrieben zu halten, namentlich wenn man dieselben mit den früher zitierten Er- krankungs- und Sterblichkcitszahlen der in Papierfabriken beschäftigten Arbeiter ver- gleicht. Die weiteren Mitteilungen der Herren Gebr. S a n d b e r g über Milzbrand- todesfälle in der Strafanstalt zu Rawicz, der in dem Briefe von S. Blonder erwähnte Fall, sowie die in einem Schreiben der Gebr. S a n d b e r g vom 4. Aug. 1882 enthaltene Notiz, daß ihnen von vielen Fabrikanten persönlich und auch schriftlich das Vorkommen von Milzbrand unter ihrem Arbeiterpersonal bestätigt sei, lassen im Gegenteil vernuiten. daß auch in anderen Fabriken ähnliche Verhältnisse bestehen, welche entweder wegen Unkenntnis über den Zusannnenhang der Krankheit mit Milzbrandinfektion nicht die gebührende Beachtung finden, oder möglicherweise auch absichtlich verschwiegen werden. Die Richtigkeit der S a n d b e r g sehen Angaben vorausgesetzt, muß die Besehäf- ') Hier nicht abgedruckt. D. Herausgeber. 98* 836 Schutzmaßregeiii gegen Milzbranclinfektion in Roßhaarspinnereien. tigung von Arbeitern in Roßhaarspinnereien als eine der gefährlichsten unter allen Gewerbebetrieben angesehen werden. Sie verdient deswegen die sorgsamste Beachtung seitens der Staatsbehörden und erfordert dringend die Eingreifung von Schutzmaß- regeln im Interesse der gefährdeten Arbeiter. Über die Art und Weise der für den unmittelbaren Schutz anzuordnenden Maß- regeln kann, nachdem in der S a n d b e r g sehen Fabrik das eingeschlagene Verfahren sich bereits durchaus bewährt hat, keine Unsicherheit mehr bestehen. Wie aus der in Abschrift ganz gehorsamst beigefügten Korrespondenz^) mit den Gebr. S a n d b e r g hervorgeht, haben letztere auf den Rat des Kreisphysikus Dr. K o 1 1 m einen Apparat für die Desinfektion mit strömendem heißen Wasserdampf benutzt, welcher nach den in den Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte Bd. 1, S. 329ff. aufgestellten Prinzipien konstruiert war. Die Wirksamkeit des Apparates wurde mit Hilfe von Objekten, welche Milzbrandsporen enthielten, durch das Gesund- heitsamt geprüft und allen Anforderungen entsprechend gefunden. Auch in der Praxis hat sich der Apparat bewährt. Denn einem Attest des Kreisphysikus Dr. K o 1 1 m vom 3. Aug. 1882 zufolge sind im Laufe fast eines Jahres bei Desinfektion des Rohmaterials mit heißen Wasserdämpfen keine Milzbrandfälle mehr vorgekommen, während früher trotz aller sanitätspolizeilichen Vorsichts- und Schutzmaßregeln alljährlich vielfache Erkrankungen und mehrere Todesfälle durch Milzbrandinfektion eingetreten wären. Die Gebr. Sandberg erwähnen in ihrem Schreiben vom 4. Aug. 1883, daß ihre Bestrebungen, die Desinfektion der Roßhaare durch heiße Wasserdämpfe auch in anderen Fabriken einzuführen, wegen der dadurch bedingten Verteuerung des Materials, hauptsächlich veranlaßt durch den nicht geringen (10%) Abgang von der rohen Ware, auf Widerstand gestoßen seien. Hierzu ist zu bemerken, daß der Apparat der Gebr. Sandberg noch nicht mit den von Merke angegebenen V erbesserungen versehen ist, und daß nicht allein der erwähnte Abgang an Rohmaterial bei Verwendung des ver- besserten Merke sehen Apparates fortfallen, sondern sich auch im übrigen die Des- infektion billiger stellen wird, weil bedeutend größere Quantitäten von Roßhaaren auf einmal desinfiziert werden können, und weil das Material trocken aus dem Apparat kommt, also das nachträgliche Trocknen der naßgewordenen Haare wegfällt. Wenn indessen das Desinfektionsverfahren auch noch so einfach und billig bewerk- stelligt werden kann, so ist nach den Erfahrungen, welche die Gebr. Sandberg ge- macht haben, dennoch kaum zu erwarten, daß alle Fabrikanten freiwillig sich zur Ein- führung der Desinfektion ihres Rohmaterials verstehen werden. Ferner dürfte es frag- lich erscheinen, auch wenn die Angaben der Gebr. S a n d b e r g über den Milzbrand unter dem Arbeiterpersonal anderer ihnen bekannter Fabriken richtig sind, ob in der Tat alle Roßhaarspinnereien in Deutschland gleichmäßig unter der Milzbrandinfektion zu leiden haben ; denn allem Anscheine nach ist die Herkunft des Rohmaterials in bezug auf seine Gefährlichkeit von der größten Bedeutung, und besonders scheinen die aus den östlich gelegenen Ländern bezogenen Roßhaare, ebenso wie die von dort her kommen- den Lumpen und Wolle, häufig mit Milzbrandstoffen verunreinigt zu sein. Dement- sprechend werden auch diejenigen Fabriken, welche von dort ihr Material erhalten, vorzugsweise Milzbrandfälle unter dem Arbeiterpersonal haben, während andere mög- licherweise ganz frei davon sind. Mit Rücksicht hierauf würde es sich empfehlen, zu- nächst über alle Roßhaarspinnereien in bezug auf das Vorkommen von Milzbranderkran- kungen durch Sanitätsbeamte Nachforschungen anstellen zu lassen, um zu erfahren, ob und in welchem Umfange Milzbrand daselbst aufgetreten ist. Überall dort, wo Milz- *) Hier nicht abgedruckt. D, Herausgeber. Polizeiverordntmg zum Schutze der Arbeiter in 'J'ierliaarfabriken. 837 brand konstatiert wird, würde die Dampfdesinfektion des Rohmaterials anzuordnen sein. Die richtige Ausführung der Desinfektion läßt sich leicht und sicher kontrollieren und würde ebenfalls durch Sanitätsbeamte zu überwachen sein. In betreff der Art und Weise, in welcher diese Kontrolle zu bewerkstelligen ist, beziehe ich mich ganz gehor- samst auf am 18. Sept. 1882 Nr. 11300 erstatteten Bericht über die Verwendung und Verarbeitung alter gebrauchter Watte, in welchem eine ausführliche Darlegung derselben gegeben ist. Schließlich erlaube ich mir noch ganz gehorsamst dem Ermessen E. E. anheimzu- geben, ob es nicht zweckmäßig sein dürfte, die eben erwähnten Maßnahmen auch auf die mit Lumpen , alter Watte und ähnlichen infektionsverdächtigen Stoffen sich befassen- den Gewerbebetriebe auszudehnen. Sowohl die Gefahren für die Gesundheit der damit beschäftigten Arbeiter, als auch die zum Schutze der Arbeiter zu ergreifenden Maß- regeln sind bei diesen verschiedenen Gewerbebetrieben, wozu in erster Linie • Papier- fabriken und Fabriken zur Verarbeitung alter Watte zu rechnen sind, so ähnlich, daß eine gleichmäßige Regelung der notwendig erscheinenden sanitätspolizeilichen Überwachung und der im Falle der erwiesenen Schädlichkeit anzuordnenden Dampfdesinfektion des Rohmaterials im Interesse der Arbeiterhygiene sehr wünschenswert scheint. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 10. Juni 1887. Eurer Exzellenz beehre ich mich in Erledigung der hohen br. m. Verfügung vom 1. April d. J. ad M. 761 sowie der Verfügung vom 27. Mai M. Nr. 44.32 unter Rückgabe der Anlagen nachstehende gutachtliche Äußerung über den Entwurf einer Polizei- verordnung zum Schutze der Arbeiter in Tierhaarfabriken ganz gehorsamst vorzulegen. Die bisherigen, durch die Angaben, welche die beiliegenden Akten enthalten, noch wesentlich ergänzten Erfahrungen bezüglich des Gesundheitszustandes der in Tierhaar- fabriken beschäftigten Arbeiter lassen keinen Zweifel darüber, daß dieser Gewerbebetrieb infolge der doppelten Gefährdung durch Staubinhalation und durch Milzbrandinfek- tion zu den allergefährlichsten gehört und daß Maßregeln zum Schutze der beteiligten Arbeiter dringend erforderlich sind. Andererseits ist aber auch nicht zu verkennen, daß dieser Industriezweig nach den Versicherungen der Fabrikanten keine tiefer störenden Eingriffe verträgt, ohne in seiner Existenz bedroht zu werden. Es ist deswegen keine leichte Aufgabe, die Maßregeln so zu treffen, daß gleichzeitig die Interessen der zu schützenden Arbeiter und diejenigen der Arbeitgeber hinreichend gewahrt werden. In- dieser Beziehuno- hat nun der Entwurf nach meinem Dafürhalten nicht das Richtige getroffen. Er geht in der Rücksichtnahme auf die Arbeitgeber entschieden etwas zu weit, und es erscheint mir fraglich, ob die in Vorschlag gebrachten Maßregeln auch wirk- lich ausreichend sein werden, um die Arbeiter vor Milzbrandinfektion zu schützen. Sollten meine in dieser Beziehung zu machenden Abänderungsvorschläge als zu weitgehend erscheinen, dann möchte ich gehorsamst anheimgeben, die weniger eingreifenden und in ihrer Wirkuno- unsicheren Maßnahmen des Entwurfs doch nur provisorisch einzuführen, um später, wenn weitere Milzbrandinfektionen vorkommen sollten, zu den von mir für notwendig erachteten strengeren überzugehen, die übrigens nach meiner Überzeugung auch keine zu große Belastung für die Fabrikanten bilden werden. Auch in bezug auf die Desinfektionsvorschriften, welche den jetzt gültigen An- 838 Polizeiverordnung zum Schutze der Arbeiter in Tierhaarfabriken. schauungen über Desinfektion mit Dampf und siedendem Wasser nicht ganz entsprechen, bedarf der Entwurf einiger Abänderungen. Nach diesen Vorbemerkungen wende ich mich zu den einzelnen Paragraphen des Entwurfs. Zu § 1. In diesem sowie in den folgenden Paragraphen sind die inländischen Tier- haare von der Desinfektion und von der Bestimmung, daß Manipulationen vor dem Desinfizieren und die Bearbeitung der nicht desinfizierten Haare in abgesonderten Räu- men vorzunehmen seien, ausgenommen. Als Motiv wird angegeben, daß wegen der strengen Handhabung der Veterinärpolizei im Inlande die Haare von milzbrandigen Tieren nicht in den Verkehr gelangen könnten. Diese Annahme ist indessen nicht richtig. Obwohl bei uns die Veterinärpolizei unzweifelhaft erreicht, daß weniger Haare von milz- brandigen Tieren verwertet werden, als dies im Auslande geschieht, so vermag sie doch nicht den Verkehr ganz von milzbrandinfizierten Stoffen frei zu halten, und jeder, der mit den Milzbrandverhältnissen vertraut ist, weiß, daß noch oft genug Milzbrandkadaver verwertet werden und daß deswegen eine Desinfektion der inländischen Tierhaare keines- wegs überflüssig ist. Das Ausschließen der inländischen Haare würde außerdem die ganze Desinfektion illusorisch machen, denn es gibt, wie allseitig zugegeben ist, kein sicheres Kennzeichen dafür, ob die Haare aus dem Inlande oder aus dem Auslande stammen und ob inländische mit ausländischen Haaren gemischt sind. Damit ist aber auch jede Kontrolle über die Durchführung der Desinfektion der ausländischen Haare unmöglich gemacht. Übrigens bilden nach einer Mitteilung in dem Bericht der Königlichen Regierung zu Kassel vom 7. Dezember 1885 inländische Mähnen- und Kuhhaare nur den fünften Teil des Gesamtbedarfs. Es würde somit die Befreiung der inländischen Haare von der Desinfektion den Fabrikanten gar nicht einmal eine so wesentliche Erleichterung gewähren, daß damit das Aufgeben der Kontrolle zu rechtfertigen wäre. Aus diesen Gründen kann ich diese Ausnahmebestimmung nicht befürworten. Wenn meinem Vorschlage entsprechend die Desinfektion auf sämtliche Tierhaare ausgedehnt wird und wenn sie, wie es die Sicherheit der Arbeiter erfordert, vor dem Sor- tieren stattfindet, dann kann die Bestimmung, daß die weitere Bearbeitung in abgetrenn- ten Räumen und unter Benutzung besonderer Kleidungsstücke zu geschehen hat, fort- fallen. Dementsprechend wäre dann auch § 11 abzuändern. Zu § 2. Um Tierhaare mit hinreichender Sicherheit zu desinfizieren, müssen sie entweder eine halbe Stunde lang gekocht oder eine ebenso lange Zeit der Einwirkung von heißen Dämpfen ausgesetzt werden. In bezug auf die Dampfdesinfektion ist zu unter- scheiden, ob dieselbe in zylindrisch geformten oder in kastenförmigen Apparaten ge- schieht. Im ersteren Falle kann Dampf von 100°, also ohne Überdruck verwendet werden (wie z. B. in den Apparaten von R i e t s c h e 1 und Henneberg oder in dem von der Stadt Göttingen benutzten Apparat); die kastenförmigen Apparate erfordern Dampf unter Druck, doch genügt ein Überdruck von ^/^o Atmosphäre (z. B. im Apparat von Schimmel & Co.). Dementsprechend sind die Bestimmungen des Entwurfs zu ändern. Das halbstündige Kochen und die halbstündige unter den angegebenen Bedingungen stattfindende Dampfdesinfektion sind von gleicher Wirkung. Daraus folgt aber, daß die Desinfektion mit Dampf ohne Spannung nicht, wie der Entwurf sagt, nur ausnahms- weise kleineren Etablissements zu gestatten ist, sondern daß es dem Fabrikanten über- lassen bleiben sollte, für welches Verfahren resp. für welchen Apparat er sich entscheiden Polizeiverordnxmg zum Schutze der Arbeiter in Tierhaarfabriken. 839 will. Nur sollte der von ihm verwendete Apparat vor seiner Benutzung von einem Sach- verständigen (vom zuständigen Medizinalbeamten) auf seine Leistungsfähigkeit ge- prüft und auch später gelegentlich auf richtige Handhabung kontrolliert werden. In mehreren Fabriken sind schon bisher, wie aus den Akten hervorgeht, die Kuh- und Schweinehaare vor der Bearbeitung ausgekocht. Der Fabrikant Rödelheimer gibt sogar an, daß er alle Haare, mit Ausnahme der Pferdeschweifhaare, kochen lasse. Wenn alle Fabrikanten sich dazu eiitschließen könnten, diese anscheinend für die weitere Bearbeitung der Haare notwendige Behandlung vor dem Sortieren vorzunehmen, und würden die Haare mindestens eine halbe Stunde lang gekocht werden, dann wäre damit schon eine ausreichende Desinfektion gegeben, ohne daß den Fabrikanten eine außer- gewöhnliche Leistung zugemutet wird. Die ganze Frage würde dadurch sehr vereinfacht, und es blieben nur noch die Pferdeschweifhaare, welche eventuell eine besondere Des- infektion erforderten. Der Entwurf nimmt auch diese letzteren von der Desinfektion aus, und zwar so- wohl die inländischen als die ausländischen. Es ist dies geschehen, weil einzelne Fabri- kanten behaupten, daß die Schweif haare durch die Dampfdesinfektion beschädigt würden ; sie sollten an Gewicht verlieren und sich kräuseln, so daß sie nicht mehr zu Haarsieben, Haarbüschen usw. verarbeitet werden könnten. Diese Behauptungen sind aber keines- wegs erMdesen. Denn die kontrollierenden Versuche des Gewerberats K i n d haben er- geben, daß es sich bei dem vermeintlichen Gewichtsverlust um Schwankungen in dem Gehalt von hygroskopischem Wasser liandelt, der nach kurzem Liegen der Haare seine frühere Höhe wieder annimmt. Es mul.') auch auffallen, daß bei dem Versuch des Fabri- kanten R ö d e 1 h e i m e r , durch welchen der Gewichtsverlust erwiesen werden sollte, die Haare nicht allein gedämpft, sondern nachträglich auch noch gewaschen und dann erst gewogen sind. Der Gewichtsverlust ist unter diesen Umständen natürlich auf die Entfernung des den Haaren anhaftenden Schmutzes durch das Waschen zu beziehen. Das Kräuseln der Haare soll bei einer Desinfektion vorgekommen sein, bei welcher Dampf von 2 Atmosphären Druck, also von einer vollen Atmosphäre Überdruck benutzt wurde. Die neueren, recht ausgiebigen Erfalirungen über Desinfektion mit Dampf von 100^ ohne Überdruck oder mit Dampf von einem Überdruck, der nicht über Vio Atmo- sphäre hinausgeht, haben dagegen zur Genüge bewiesen, daß Tierhaare selbst in den feinsten Geweben keinerlei Veränderungen erfahren. Die ungünstigen Resultate, welclie man angeblich mit der Dampfdesinfektion der Schweifhaare erhalten hat, können dem- nach nur in einer nicht sachgemäßen Ausführung der Desinfektion ihren Grund haben. V\drd dieselbe richtig gehandhabt, dann läßt es sich sogar erreichen, daß die Haare kaum feucht werden und daß sie nach der Desinfektion nicht noch besonders getrocknet werden müssen. Wenn die Fabrikanten aber Wert darauf legen, den an den Haaren haf- tenden Schmutz unverändert zu erhalten, damit sie ihr ursprüngliches Gewicht und Aus- sehen behalten, so würde sich auch das mit der Dampfdesinfektion vereinigen lassen. Nach meinem gehorsamsten Dafürhalten besteht also kein einziger stichhaltiger Grund, um die Schweif haare von der Desinfektion auszunehmen. Dieselben scheinen mir im Gegenteil ganz besonders der Desinfektion zu bedürfen, da sie durch das aus dem After und den Geschlechtsteilen des Kadavers fast regelmäßig ausfließende Blut mehr als andere Haare infiziert werden und aucli sonst beim Abledern besonders leicht mit Milz- brandblut in Berührung kommen. Auch der Befreiung der amerikanischen Tierhaare von der Desinfektion kann ich nicht beistimmen, da nach den in England gemachten Erfahrungen die aus Südamerika bezogenen Haare nicht selten Milzbrandinfektion veranlaßt haben. Zu § 4. Warum die Schweifhaare von der Reinigung von anhängendem Schmutz 840 Polizeiverordnung zum Schutze der Arbeiter in Tierhaarfabriken. ausgenommen werden, ist mir nicht ersichthch, denn beim späteren Hechehi derselben gefährdet der Staub von Schweifhaaren, namentlich wenn sie nicht desinfiziert sein sollten, die Arbeiter ebenso wie jeder andere Staub. Der abfallende Staub müßte, wenn die Desinfektion der Haare unterbleibt, desinfiziert werden. Zu § 5. Auch diejenigen Arbeiter, welche das Öffnen der Haarballen besorgen, sofern zwischen Öffnen und Sortieren die Desinfektion eingeschaltet wird, haben Eespi- ratoren und Überkleider zu tragen. Die Überkleider müssen so beschaffen sein, daß sie am Handgelenk anschließen und daß sie den Hals möglichst bedecken. Auch sollten dieselben täglich nach Beendigung der Arbeit durch heißen Dampf desinfiziert werden. Ebenso sind die Hände der be- treffenden Arbeiter und namentlich die Nägel unter Benutzung von Nagelbürsten vor der Eßpause und beim Schluß der Arbeit mit einer 1^/^^ Sublimatlösung zu desin- fizieren. Die Notwendigkeit einer besonderen Desinfektion der Hände und speziell der Nägel ergibt sich daraus, daß erfahrungsgemäß die Infektion viel häufiger durch Kratzen mit infizierten Nägeln entsteht, als dadurch, daß etwa schon vorhandene Wunden in- fiziert werden. Die Anwendung von Sublimat wird für diesen Fall nicht zu umgehen sein, so un- gern man sich auch zum Gebrauche dieses giftigen Mittels entschließt, weil es sich hier nur um die Abtötung von Milzbrandsporen handeln kann, die von keinem anderen be- kannten Desinfektionsmittel durch einfaches Befeuchten, wie es beim Waschen ge- schieht, vernichtet werden. Alle diese Schutzmaßregeln würden notwendig sein bei der Hantierung mit in- fektionsverdächtigen Haaren, also nicht desinfizierten inländischen, amerikanischen und Schweifhaaren. Werden dagegen alle Haare sofort nach dem Öffnen der Ballen desinfiziert, dann sind diese Maßregeln nur für diejenigen Arbeiter erforderlich, welche das Öffnen zu besorgen haben. Das Reinigen von Staub und Schmutz sollte nur nach vorgängiger Befeuchtung geschehen. Dem Entwurf ist noch hinzuzufügen, die Vorschrift, daß jedem Arbeiter mit der Polizeiverordnung, welche die Schutzmaßregel enthält, zugleich eine kurze und faßliche Belehrung übergeben wird über die Gefahren, denen er sich aussetzt, beim Einatmen des Haarstaubes, beim Essen mit ungewaschenen Händen und ohne vorher den Mund gespült zu haben, durch das Reiben der Kleidung am Hals und Vorderarm, durch Kratzen mit nicht desinfizierten Nägeln usw. Ferner erscheint es notwendig, namentlich wenn die Desinfektion der Haare nur teilweise zur Ausführung kommen sollte, daß jeder unter den Arbeitern der Tierhaar- fabrikation vorkommende Fall von Milzbrand, auch milzbrandverdächtige Erkrankungen, sofort der zuständigen Behörde gemeldet und vom Medizinalbeamten untersucht wird. Die Anzeigepflicht ist zwar schon im Regulativ vom 8. August 1835 vorgeschrieben, wird aber, wenn nicht von neuem ausdrücklich angeordnet (wie es z. B. im Reg. -Bez. Frankfurt a. 0. 1884 durch Zirkularverfügung geschehen ist), kaum noch beachtet. Namentlich müßte dabei die Aufmerksamkeit der betreffenden Ärzte auch auf die bei uns noch weniger bekannten und wahrscheinlich bisher übersehenen Formen des Lungen-, Kehlkopf- und Darmmilzbrands gelenkt werden. Nur durch eine derartige beständige Überwachung dieses gefährlichen Gewerbe- betriebes würde die Gewißheit zu erlangen sein, daß die angeordneten Schutzmaß- regeln auch ihre Wirkung tun. Behandlung von Tollwutverletzungen durch Ätzung. 841 An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den Februar 1888. Eurer Exzellenz beehre ich mich über die mir mit br. m. Erlaß vom 11. Januar 1888 Nr. 7 M. zur gutachtlichen Äußerung übergebene. hierbei nebst Übersetzung und Begleitschreiben zurückerfolgende Notiz aus der ,,Lancet" ganz gehorsamst zu be- richten, daß der Vorschlag, von tollen Hunden herrührende Bißwunden v e r m Ittels eines Stiftes zu behandeln, der aus s a 1 ]) e t e r s a u r e m Kali und Sublimat bereitet werden und welchen jedermann für alle Fälle bei sich tragen soll, weder als praktisch durchführbar noch als mit den Erfahrungen über die zweck- mäßigste Beliandlungsweise derartiger Wunden übereinstimmend angesehen werden kann. Bißwunden, welche von wirklich an Tollwut erkrankten Hunden herrühren, kommen infolge der vortrefflichen veterinärpolizeilichen Maßregeln in Preußen zurzeit nur noch selten vor, wie die im Verhältnis zu anderen Ländern außerordentlich geringe Zahl von Wuterkrankungen bei Menschen beweist. Wären nun auch möglichst viele Menschen mit dem Sublimatstift versehen, so würde sicli für den Gebrauch desselben doch so selten eine Gelegenheit bieten, daß das beständige Bereithalten unzweifelhaft sehr bald in Vergessenheit geraten und der Stift vielleicht gerade dann, wenn er gebraucht werden soll, nicht zur Hand sein würde. Ein schwerer wiegendes Bedenken gegen den Vorschlag besteht ferner darin, daß die Beschaffenheit des Stiftes keine Gewähi' bietet für eine gründliche Desinfektion der Bißwunde. Das darin enthaltene Sublimat ist allerdings ein sehr kräftiges Desinfek- tionsmittel, aber in Wunden wird seine Wirksamkeit dadurcli sehr Ix'einträchtigt, daß es mit dem eiweißhaltigen Wundsekret eine unwirksame Verbindung eingeht; es des- infiziert daher die Wunden nur, soweit sie leicht zugänglich sind, und wenn sie mit vSub- limat in wässeriger Lösung reichlich bespült werden können. Bißwunden sind aber im Gegenteil mehr oder weniger tief gehende, gerissene, mit Einbuchtungen versehene und deswegen nicht in allen Teilen zugängliche Wunden. In die tieferen Teile solcher Wunden würde man mit dem Stift vielfach gar nicht eindringen, und selbst wenn dies der Fall wäre, so würden doch nicht hinreichende Mengen von Sublimat an die betreffende Stelle gelangen. Von ärztlicher Seite werden wegen der besonderen Verhältnisse, welche bei der Desinfektion von Bißwunden zu berücksichtigen sind, in erster Linie solche Mittel angewendet, die in der Wunde zerfließen, sich in alle Winkel derselben verteilen können und außerdem möglichst kräftig wirken, welche Eigenschaften z. B. dem meisten in solchen Fällen gebrauchten Ätzkali zukommen. Oder es wird die Wunde mit dem Glüh- eisen und zwar so ausgiebig ausgebrannt, daß alles etwa in die Wunde eingedrungene Gift nnt Sicherheit zerstört wird. Eine von diesen beiden Behandlungsmethoden dürfte sich wohl in den allermeisten Fällen in kürzester Zeit ausführen lassen, und sei es auch nur das Ausbrennen der Wunde in der nächsten Schmiede oder Schlosserwerkstätte. Selbst eine so primitive Behandlung würde immer noch der ganz unsicheren Anwen- dung des Sublimatstiftes vorzuziehen sem. Dem zurückhaltenden LTrteil des Herausgebers der Lancet, daß ein Bedenken gegen die seitens des Korrespondenten in Vorschlag gebrachten Methode a priori nicht vorliege, kann ich mich unter diesen LTmständen nicht anschließen, sondern w ürde aus den angeführten Gründen eine etwaige praktische Ausführung des Vorschlags für gerade- zu bedenklich halten. 842 Epidemiologie des Texasfiebers. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 13. März 1899. Eurer Exzellenz beehre ich mich üBer meine Erfahrungen in bezug auf das Texasfieber ganz gehorsamst zu berichten. Auf das Texasfieber wurde man zuerst in den Vereinigten Staaten von Nord- amerika aufmerksam, und dort wurden auch die ersten zuverlässigen Untersuchungen über diese Krankheit angestellt. Smith und Kilborne entdeckten den Erreger des Texasfiebers, einen zu den Protozoen gehörigen Blutparasiten, welchem sie den Namen Pyrosoma bigeminum beilegten.^) Sie fanden auch, daß die Krankheit niemals direkt von einem Tiere auf das andere, sondern daß sie nur durch Vermittlung einer bestimmten Zeckenart (Boophilus bovis) übertragen wird. Das Texasfieber hat seine eigentliche Heimat in den südlichen Staaten von Nordamerika, und man kennt genau die Grenzlinie, bis zu welcher die Krankheit sich erstreckt. Nördlich von dieser Linie tritt sie nur in der warmen Jahreszeit auf, und auch nur dann, wenn sie durch Vieh aus dem südlichen Bezirk eingeschleppt wird. Dies ist schon recht oft geschehen, aber das Texasfieber hält sich in den Nordstaaten immer nur bis zum Eintritt der kalten Jahreszeit, dann verschwindet es wieder völlig bis zur erneuten Einschleppung. Dies eigentümliche Verhalten der Kranken erklärt sich dadurch, daß die mit den Rindern eingeschleppten Zecken im Klima der Nordstaaten nur während der warmen Jahres- zeit die für ihre Existenz erforderlichen Bedingungen finden, in der Winterkälte aber zugrunde gehen; womit dann auch die Krankheit wieder verschwindet. Dabei ist aber noch zu berücksichtigen, daß die Übertragung nicht unmittelbar durch Übergang der Zecken von einem Rind zum andern vor sich geht, es gehört zu den Eigentümlichkeiten dieser Zecken, daß sie, nachdem sie sich in die Haut eines Rindes eingebohrt babfn, ihren Sitz nicht eher wieder aufgeben, als bis sie ihre volle Reife erlangt haben und im Begriff sind, ihre Eier abzulegen. Erst dann verlassen sie ihren Wirt, legen im Grase die Eier ab und sterben. Die aus den Eiern sich entwickelnden jungen Zecken sind es, welche sich den im Grase weidenden Rindern anhaften und ihnen die Krankheit durch ihren Biß einimpfen. Von der Richtigkeit dieser in Nordamerika gemachten Beobachtungen habe ich mich bei denselben Untersuchungen über das Texasfieber in Deutsch-Ostafrika in jeder Beziehung überzeugen können. Dort herrscht das Texasfieber schon seit langer Zeit, ohne daß man angeben könnte, woher es gekommen ist. Auch in Südafrika scheint die Krankheit von jeher zu Hause gewesen zu sein. Dagegen ist sie nach Australien nach- weishch durch amerikanische Rinder eingeschleppt und hat daselbst einen solchen Um- fang erreicht, daß die Viehzucht sehr darunter zu leiden hat. Vermutlich hat das Texas- fieber in tropischen und subtropischen Ländern eine viel größere Verbreitung als bisher bekannt gewor(^en ist. Auch Europa ist nicht frei davon, wie sich in letzter Zeit immer mehr herausgestellt hat. Zuerst wurde ihr Vorkommen in Rumänien durch B a b e s nachgewiesen, einige Jahre später in Finnland durch K r o g i u s und H e 1 1 e n s. In Itahen ist sie weit verbreitet; sie herrscht nicht nur in der Campagna, sondern auch in Sizilien, in Sardinien und in der Lombardischen Ebene. Sehr beachtenswert ist unter diesen europäischen Krankheitsherden der finn- ländische, weil man nach den klimatischen Verhältnissen Finnlands erwarten sollte, daß dort das Texasfieber endemisch gar nicht zu existieren vermöge. Auch in den Donau- ländern müßten die harten Winter das Texasfieber gar nicht aufkommen lassen. Leider 1) Diese Werke Bd. II, p. 726 ff. D. Herausgeber. Epidemiologie des Texasfiebers. 843 ist über diese beiden Texasfieberherde noch gar nichts in bezug auf die daselbst vor- kommenden Zecken bekannt. Ich halte es für nicht ausgeschlossen, sogar für wahrschein- lich, daß in diesen Ländern das Texasfieber durch eine besondere Zeckenart vermittelt wird, welche auch kalte Winter zu überstehen vermag. Die italienischen Zecken sind, wie ich bei meiner letzten Anwesenheit in Italien selbst gesehen habe, identisch mit der in Ostafrika, Südafrika und Amerika lebenden Rinderzecke. Damit stinnnt auch über- ein, daß das Texasfieber in Italien sich in den warmen Niederungen hält und die Rinder in den höher gelegenen Distrikten verschont. Was nun die Möglichkeit einer Einschleppung des Texasfiebers nach Deutschland anbetrifft, so liegt es auf der Hand, daß dieselbe nur durch die Einschleppung von Zecken aus verseuchten Ländern zustande kommen kann. Sowohl in Amerika, als auch bei meinen Versuchen in Ostafrika ist es gelungen, durch Zecken die Krankheit auf eine weite Entfernung zu übertragen. Rinder an und für sich können die Krankheit nicht verschleppen; sie tun es nur unter der Bedingung, daß sie mit Zecken behaftet sind, und sie dienen in diesem Falle also nur als Transportmittel für die Zecken. Hätte man Mittel zur Verfügung, um die Rinder von den ihnen anhaftenden Zecken mit Sicher- heit zu befreien, dann würden so behandelte Rinder, auch wenn sie aus verseuchten Ländern kommen, in bezug auf die Einschleppung von Texasfieber ganz ungefähilich sein. Aus demselben Grunde kann die Krankheit durch frisches Rindfleisch überhaupt nicht verschleppt werden, es müßten denn Hautstücke daran haften, an welchen reife weibliche Zecken sitzen, was ja wohl nicht anzunehmen ist. Aber selbst wenn durch irgendeinen Zufall Zecken, welche auf texaskranken Rin- dern gesessen haben, zu uns gelangten, dann könnten sie doch nur unter gewissen Be- dingtnigen gefährlich werden. Es ist nämlich eine ausgemachte Tatsache, daß die Rinder ausschließlich auf Weiden infiziert werden, weil nur dort sich die jungen Zecken ent- wickeln können. Bleiben die importierten und mit Zecken behafteten Rinder in Stal- lungen, dann ist schon dadurch die Infektion so gut wie ausgeschlossen. Nach den in Amerika und in Italien gemachten Erfahrungen würde überdies eine stattgefundene Einschleppimg nicht von so bedenklichen Folgen sein, als man hier zu Lande gewöhnlich annimmt. Es würde ebenso wie in den nördlichen Staaten von Amerika zu einer Infektion kommen, welche sich genau innerhalb der Grenzen des Weideganges der verseuchten Tiere und auch nur während der auf die Einschleppung folgenden warmen Monate halten würde. Damit wäre es wieder zu Ende, da die Zecken unseren Winter nicht überstehen. Allerdings kann diese Voraussetzung nicht für Zecken Geltung haben, welche aus Nordamerika oder Italien stammen. Rumänische und finnländische Zecken sind mög- licherweise gegen das hiesige Klima Aviderstandsfähig und mirden dann imstande sein, sich hier einzubürgern und auch das Texasfieber bei uns endemisch zu machen. Im Interesse unserer Landwirtschaft mirde es entschieden liegen, wenn eine ge- naue Kenntnis über die Verbreitungsweise des Texasfiebers in Fiimland und in Rumä- nien zu erlangen wäre. Auch erlaube ich mir ganz gehorsamst darauf aufmerksam zu machen, daß, wie mir von tierärztlicher Seite mitgeteilt wurde, im Netzebruch Hämo- globinurie bei Rindern häufig vorkommen soll, was möglicherweise auf eine dem Texas- fieber verwandte Krankheit zu beziehen ist. 844 Immunisierungsversuche gegen das Texasfieber. An den Direktor der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amts. Berlin, den 27. Februar 1901. Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich unter Rückgabe des Berichtes des Roß- arztes R i c k m a n n , betreffend Viehseuchen in Südwestafrika, über die Immuni- sierungsversuche gegen das Texasfieber ergebenst folgendes zu berichten. Derartige Versuche sind in den letzten Jahren mehrfach ausgeführt. Namentlich ist dies geschehen in Nordamerika, Australien und in Argentinien. Am bemerkens- wertesten sind wohl die in Australien angestellten Versuche, weil sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und in großem Umfange durchgeführt sind. Sie sind in einem Bericht des Dr. Frank Tidswell (Report on Protective inoculation against tick fever, Sydney 1899) beschrieben. Aus diesem Berichte geht hervor, daß in Austra- lien zum Immunisieren das Blut von Tieren genommen wird, welche die Krankheit vor einigen Wochen überstanden haben. Wenn solches Blut Rindern unter die Haut gespritzt wird, dami erkranken sie mehr oder weniger leicht an Texasfieber. Es können sogar einige Tiere dabei verloren gehen. Die Verluste sind aber verhältnismäßig gering, nur 3 — 4%, wenn die Impfung bei jungen Tieren, in kühler Jahreszeit und nicht mit mehr als 5 ccm Blut gemacht wird. Dieser ersten Impfung folgen noch eine zweite mit 10 ccm desselben Blutes und schließlich eine dritte mit virulentem Blute, d. h. mit Blut, welches von einem noch in der Krankheit befindlichen Tiere genommen ist. Es geschieht dies, um die künstliche Immunisierung möglichst zu verstärken und von längerer Dauer zu machen. Diese Methode der Immunisierung entspricht vollkommen den bisherigen Erfahrungen über derartige Schutzimpfungen. Sie wird wohl kaum eine wesentliche Verbesserung erfahren und hat sich bereits an vielen Tausenden von Rindern bewährt. In den anderen oben erwähnten Ländern hat man sie mit unbedeutenden Modifikationen nachgeahmt. Auch im Kaplande hat man sich, wie aus dem Berichte des Dr. H u t - Schern hervorgeht, an dieselbe gehalten und ich würde raten, dasselbe in Deutsch- Südwestafrika zu tun. Die von Herrn R i c k m a n n vorgeschlagene Kombination derselben mit Anwendung von Immunserum halte ich für eine unnötige Komplikation, von welcher keine besseren Resultate zu erwarten sind. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizin alangelegenheiten. Berlin, den 17. November 1902. Eurer Exzellenz beehre ich mich ganz gehorsamst zu melden, daß die Untersuchun- gen über die Verwertung der Agglutinatipn zur Diagnose der Rotzkrankheit ihren Ab- schluß gefunden haben. Beim Beginn der Untersuchungen standen nur wenige frühere Arbeiten über Rotz- agglutination zur Verfügung, welche zu einer vorläufigen Orientierung hätten dienen können. M. F a d y a n hatte in bezug auf die Anwendbarkeit der Methode nur zweifel- hafte Resultate erhalten. Verwertung der AggUitination zur Diagnose der Rotzkrankheit. 845 Einige l'ntersuchungen, welche teils von B o u r g e s nnd M e r y , teils von W 1 a d i m i r o w und Nocard herrühren, ergaben, daß Bhitserum rotzkranker Pferde in einer Verdünnung von 1 : 1000 — 2000 agglutinierend wirkt, daß aber auch das Serum normaler Pferde dieselbe Eigenschaft besitzt, jedoch nur in einer Verdünnung von 1 : 200—300. In einer späteren Arbeit gaben Bourges und Mery an, daß mit Wahrscheinlichkeit, aber nicht, mit Sicherheit, auf Rotzerkrankung geschlossen werden könne, wenn das Serum in einer Verdünnung von 1 : 300 oder darüber die Rotzbazillen agglutiniert. Denn in der Regel agglutiniert das Serum von rotzfreien Pferden die Rotzbazillen nur in einer Verdünnung von 1 : 200. Jens e n (Kopenhagen) prüfte die Methode an 2!l rotzfreien und eineni rotzigen Pferde, und zwar im Vergleich mit der Malleinprobe. Bei den rotzigen Pferden erhielt er mit beiden Methoden ein positives Resultat. Bei einem von den rotzfreien Tieren mit Mallein ein positives und mit der Agglutination ein negatives Resultat. Die übrigen rotzfreien Pferde reagierten weder auf Mallein, noch auf Agglutination. Er kommt deswegen zu dem Schluß, daß, soweit sein geringes Material dazu berechtige, die Agglu- tinationsprobe weit zuverlässiger sei als die Malleinprobe. Bei der von ihm angewandten Probe agglutinierte das Serum des rotzkranken Pferdes bei Verdünnung von 1 : 20 und 1 : 50 stark. Die Sera der rotzfreien Pferde agglutinierten überhaupt nicht. N i k o 1 k 1 y erhielt mit dem Serum rotziger Pferde bei Verdünnungen von 1 : 6 bis 1 : 50 typische Agglutinationen, bei stärkeren Verdünnungen nicht mehr. Nach Alfanasieff agglutiniert normales Serum bis 1 : 400, Rotzserum bis 1 : 1600. Als Durchschnittswerte, welche für die Rotzdiagnose ausschlaggebend sein sollen, werden von ihm 1 : 450 bis 1 : 850 hingestellt. Er machte seine Untersuchungen an 18 rotzkranken und 8 gesunden Pferden. P o k c h i c h e w s k y fand an 10 gesunden Pferden, dal,^) das Serum bei 1 : 300 nicht mehr agglutinierte, während es bei 8 rotzkrankeu Pferden noch bei 1 : 1000 Agglu- tination gab. Er beobachtete die Agglutination mit dem Mikroskop ; mikroskopisch agglutinierte das Rotzserum nicht über 1 : 500. R a b i e a u X, welcher ebenfalls das Mikroskop benutzte, kam bei seinen Unter- suclumgen an 9 rotzkranken und 1 1 rotzfreien Pferden zu dem Schlüsse, daß Rotz vor- lianden ist, wenn die i\.gglutination bei einer Verdünnung von 1 : 500 und darüber positiv ausfällt. Die Angaben dieser Autoren sind so Avidersprechend. daß sie nur verwirren, aber nicht orientierend wirken köimen. Es blieb daher weiter nichts übrig, als ganz von vorn anzufangen. Es wäre zunächst festzustellen, wie sich das Agglutinationsphänomen bei den Rotzbazillen überhaupt gestaltet, um auf Grund der hierbei gemachten Beobachtungen sowie unter Benutzung der an anderen Bakterien in bezug auf Agglutination gewonnenen Erfahrungen eine zuverlässig arbeitende Methode zu konstruieren. Zu diesem Zweck verschaffte ich mir mehrere Stämme von Rotzbazillen, welche in bezug auf ihre Virulenz, ihr Wachstum auf verschiedenen Nährböden und sonstige Eigenschaften sorgfältig untersucht wurden. Alsdann wurde der \'ersuch gemacht, verschiedene Tiere, nämlich Esel, Ziegen, Kaninchen mit Hilfe von abgetöteten Rotzkulturen zu immunisieren nnd sie daliin zu bringen, daß ihr Blutserum agglutinierende Eigenschaften annahm. Selbstverständlich nmßte das Serum dieser Tierspezies auch daraufhin geprüft werden, ob es nicht bereits im normalen Zustande die Fähigkeit hat, die Rotzbazillen zu agglutinieren, was in der Tat der Fall ist. Nämhch das Serum normaler Esel agglu- 846 Verwertung der Agglutination zur Diagnose der Rotzkrankheit. tiniert die Rotzbazillen bis zu einer Verdünnung von 1 : 50, normales Ziegenserum agglutiniert dieselben bis 1 : 20, normales Kaninchenserum ebenfalls bis 1 : 20. Durch das angewandte Immunisierungsverfahren, welches darin bestand, daß den Tieren durch Erhitzen auf 60"^ (drei Stunden lang) abgetötete Kulturen zuerst subkutan und später intravenös beigebracht wurden, steigerte sich das Agglutinationsvermögen schon imierhalb weniger Wochen ganz bedeutend. Äm besten gelang dies bei Ziegen, von denen ein Tier so weit gebracht wurde, daß sein Serum die Rotzbazillen bei einer Verdünnung von 1 : 5000 agglutinierte. Mit diesem hochagglutinierten Serum wurden dann die weiteren Versuche angestellt, um ein den Verhältnissen in der Praxis möglichst entsprechendes Verfahren zu finden. Vor allen Dingen kam es mir darauf an, festzustellen, ob es nicht möglich sei, an Stelle der lebenden Rotzbazillen die abgetöteten benutzen zu können. Die hierüber angestellten Versuche gaben durchaus befriedigende Resultate. Durch Erhitzen auf 60^ während 4 Stunden werden die Rotzbazillen, wenn sie sich in Flüssigkeiten aufge- schwemmt befinden, ganz sicher abgetötet. Die auf solche Weise abgetöteten Bazillen werden nun aber genau ebenso stark zum Agglutinieren gebracht wie die lebenden auf- geschwemmten Bazillen. Es ist dies für die Verwendbarkeit der Agglutinationsprobe in der Praxis geradezu von entscheidender Bedeutung, da ich das fortwährende Mani- pulieren mit lebenden Rotzbazillen für so gefährlich halte, daß, wenn sich dasselbe nicht vermeiden ließe, das Verfahren von vornherein hätte als unbrauchbar erklärt werden müssen. Damit die Agglutination immer gleichmäßig ausfällt, ist es notwendig, daß die zu agglutinierenden Bakterien immer in demselben Mengenverhältnis mit dem agglu- tinierenden Serum gemischt werden. Bisher war man in der Weise verfahren, daß in eine geeignete Nährflüssigkeit die Rotzbazillen ausgesät und einige Tage bei Blutwärme gehalten wurden. Die so «rhaltene Kultur wurde dann ohne weiteres zum Agglutinieren benutzt. Dies Verfahren ist nicht zweckmäßig, weil die Kulturen niemals gleichmäßig ausfallen. Es wurden deswegen die Rotzbazillen nicht in flüssigem, sondern auf einem festen Nährboden kultiviert und dann erst in einer passenden Flüssigkeit sorgfältig verteilt. Von sonstigen Bedingungen, welche einzuhalten sind, wenn möglichst genaue Resultate erzielt werden sollen, ist noch folgendes zu erwähnen. Die Mischungen von Aufschwem- mung der Rotzbazillen mit dem zu prüfenden Serum müssen immer auf ein nahezu gleich großes Quantum von Flüssigkeit eingestellt werden. Die Proben werden 18 — 20 Stunden lang im Brutapparat bei 37° gehalten und dann geprüft. Die Prüfung soll mikroskopisch höchstens noch unter Zuhilfenahme einer Lupe vorgenommen werden, aber nicht bei stärkeren Vergrößerungen. Die bedeutenden Ab- weichungen in den Angaben der früheren Untersucher beruhen sehr wahrscheinlich darauf, daß dieselben mit ungleichen Kulturen gearbeitet haben, nach verschieden langer Zeit und bei verschiedener Vergrößerung ihre Beobachtungen gemacht haben. Die Herstellung der Testflüssigkeit, d. h. der Rotzbazillenaufschwemmung, ge- staltet sich also folgendermaßen. Es werden in Reagenzröhrchen im erstarrten Glyzerinbouillonagar von Rotz- bazillen, welche auf Reinheit sorgfältig geprüft sind, Kulturen angelegt, welche nach zwei- bis dreitägigem Aufenthalt im Brutschrank bei 37*^ stark entwickelt sein müssen. Diese Kulturen sind 4 Stunden lang in einem Wärmekasten bei 60" zu halten. Dann wird die Bakterienmasse mit einer Karbol-Kochsalzlösung (Kochsalz 0,85, Acid. carbol. liquefact. 0,5, Aq. dest. ad 100,0) abgespült und sorgfältig in der Flüssig- Verwertung der Agglutination zur Diagnose der Rotzkrankheit. 847 keit verrieben. Auf ein Agarröhrchen nimmt man etwa 10 com Flüssigkeit. Diese stark getrübte Aufschwemmung wird durcli ein gewöhnliches Papierfilter (dünne Qualität) gegossen. Die so erhaltene konzentrierte Testflüssigkeit hält sich im Eisschrank, auf- bewahrt, etwa 14 Tage lang tinverändert. Für den Gebratich wird sie, nachdem ein etwa vorhandener Bodensatz aufgeschüttelt ist, auf das Fünffache verdünnt, so daß von einem Agarröhrchen 50 ccm verdünnte Testflüssigkeit erhalten wird, welche zur Agglutinations- probe fertig ist. Die Agglutination selbst wird in folgender Weise ausgeführt. Um das zu prüfende Serum innerhalb der gewöhnlichen Grenze zwischen 1 : 100 und I : 1000 zu unterstichen, stellt man sich zwei Verdünnungen desselben mit physio- logischer Kochsalzlösung her, 1 : 10 und 1 : 40, bringt abgemessene Mengen davon in Reagenzröhrchen und fügt verdünnt Testflüssigkeit in folgenden Verhältnissen hinzu. Verdünntes Verdünnte Verhältnis Serum Testflüssigkeit der Mischung ( 0,1 ccm 1,0 ccm 1: 100 1: 10 0,05 „ 1,0 „ 1: 200 1 0,1 „ 1,0 „ 1: 400 ( 0,1 „ 1,5 „ 1: 600 1: :40 l 0,05 „ 1,0 „ 1:800 i 0,04 „ 1,0 „ 1 : 1000. Zur Kontrolle dient ein Röhrchen mit 1,0 verdünnter Testflüssigkeit ohne Serum- zusatz. Sämtliche Röhrchen kommen dann in den auf 37" eingestellten Brutajjparat und bleiben in demselben 18 — 20 Stunden. Im KontroUröhrchen zeigt sich nach dieser Zeit ein gleichmäßiger, feiner, lockerer Bodensatz, die darüberstehende Flüssigkeit ist schwach opaleszierend. Die Röhrchen, in denen Agglutination eingetreten ist, enthalten dagegen ein kom- paktes, an den Rändern scharf begrenztes Gerinnsel, das meist unregelmäßige, oft stern- förmige Ausläufer hat. Bei stärkeren Graden der Agglutination ist die darüber befind- liche Flüssigkeit völlig geklärt, doch genügt zu einem positiven Ausfall der Agglutination eine deutliche Gerinnselbildung, welche sich bei Betrachtung des Röhrchens von unten her im Vergleich mit den KontroUröhrchen am sichersten erkennen läßt. Nachdem dieses Verfahren, bei dessen Ausarbeitung Herr Dr. N e u f e 1 d, Assistent des Instituts für Infektionskrankheiten, mir wesentliche Dienste geleistet hat, nach allen Richtungen erprobt und hinreichend eingeübt war, konnten wir daran gehen, Pferde daraufhin zu untersuchen, inwieweit ihr Serum die Fähigkeit besitzt, die Rotzbazillen zu agglutinieren. Selbstverständlich mußte mit gesunden oder vielmehr rotzfreien Pferden be- gonnen werden. Zu dieser Untersuchung wurden zum größten Teil Tiere verwendet, welche auf dem Schlachthof geschlachtet waren. Daneben aber atich einige Pferde, welche im In- stitut für Immunisierungszwecke gehalten werden. Im ganzen konnten 49 Serumproben untersucht werden. Das Resultat war folgendes : Sämtliche Sera agglutinierten mindestens in einer Verdünnung von 1 : 100, die meisten bei 1 : 200 bis 1 : 300, bei drei Tieren zeigte sich sogar noch Agglutination bei 1 : 400. Es fragte sich nun, wie sich die rotzkranken Pferde verhalten würden. Zur Beantwortung dieser Frage bot sich schon bald Gelegenheit. 848 Verwertung der Agglutination zur Diagnose der Rotzkrankheit. In Wolmsdorf bei Bolkenhain war ein Rotzfall gemeldet. Der dorthin geschickte Tierarzt Schmidt brachte das Serum von den gemeldeten und von zwei verdächtigen Tieren desselben Bestandes nach Berlin. Bei der Untersuchung ergab sich für das Serum von Pferd I 1 : 1000 „ II 1: 800 „III 1:2000. Pferd I war kurz nach der Besichtigung und Probeentnahme seiner Krankheit erlegen, die beiden anderen wurden getötet. Bei der Obduktion wurde gefunden : bei Pferd I: Haut-, Lungen-, Kehlkopf-, Luftröhren- und Nasenrotz, bei Pferd II: Lungen-, Kehlkopf- und Nasenrotz, bei Pferd III: Haut- und Lungenrotz. Das Serum von drei rotzkranken Pferden hatte somit eine erheblich höhere Ag- glutination ergeben als dasjenige von rotzfreien Tieren. In einem zweiten Fall, welcher einen Rotzausbruch unter den Pferden der Post- halterei in Potsdam betraf, gestalteten sich die Verhältnisse ähnlich. Aus diesem Pferdebestand Avar ein Tier zum Schlachten verkauft und als rotzkrank ermittelt. Es wurde eine tierärztliche Untersuchung angeordnet und dabei noch ein verdächtiges Tier gefunden, welches eine geschwollene Kehlgangslymphdrüse hatte. Unter den übrigen 26 Pferden konnten klinische Symptome nicht festgestellt werden. Es wurde nun das Serum des verdächtigen und der mit ihm in demselben Stalle be- findlichen oder sonst damit in Berührung gekommenen Pferde untersucht. Bei dem verdächtigen Pferde wurde eine Agglutination von 1 : 2000 nachgewiesen. Aber auch bei zwei anderen, anscheinend völlig gesunden Pferden agglutiniert dies Serum die Rotzbazillen ebenso hoch, d. h. bis 1 : 2000. Das verdächtige Pferd wurde getötet und durch die Obduktion Lungenrotz nach- gewiesen. Der Tötung der beiden anderen Pferde widersetzten sich der Departementstierarzt und der Kreistierarzt, weil außer der Agglutinationsprobe nicht die geringsten Anzeichen für Rotz vorhanden waren. Es erforderte ziemlich umständliche Verhandlungen, um die Erlaubnis zur Tötung zu erhalten. Schließlich konnten die Tiere getötet und ob- duziert werden. Herr Geheimrat Schütz fand bei beiden ausgedehnte rotzige Ver- änderungen in den oberen Luftwegen und Lungen. Nach diesen ersten außerordentlich günstigen Ergebnissen sah es so aus, als ob die Agglutinationsprobe ein untrügliches Erkennungsmittel für Rotz sein müsse. Leider hat sich diese Hoffnung später nicht bewährt, da sich ziemlich viele Ausnahmen sowohl in bezug auf die Agglutinationsfähigkeit der rotzfreien als auch der rotzkranken Pferde ergeben haben. Es wurden bisher im ganzen 627 Pferde aus vielen verschiedenen Beständen unter- sucht. Den Bericht über diesen Teil der Untersuchungen hat Herr Geheimrat Schütz übernommen. Aus einer von ihm mitgeteilten Zusammenstellung der Resultate geht hervor, daß unter den 627 Pferden 34 rotzkrank gefunden wurden. Von diesen zeigten Agglutination: 2000 10 Pferde 1000 9 800 5 „ 600 4 „ 400 6 .. Verwertung d. Agglutination z. Diagn. d. Eutzkranklieit. — Untersucli. v. Gelbfieber u. Cholera. 849 Andererseits agglutinierte das Serum von nicht rotzigen Pferden in einer \er- dünnung von 1 : 200—400 bei 526 Pferden 1 : 600 „ 55 1 : 800 .. 12 Eine scharfe Unterscheidung zwischen rotzkranken und rotzfreien Pferden konnte also nicht erhalten werden, da bei den rotzfreien Tieren die Agglutinationsfähigkeit bis 1 : 800 anstieg und bei den rotzkranken bis 1 : 400 lierabging. Für die Zwecke der Praxis würde die Grenze für die Rotzdiagnose durch die Ag- glutinationsprobe bei 1 : 800 zu setzen sein, weil bei dieser Annahme 70, 6°/o der rotzkranken Tiere und nur 2% rotzfreie Pferde getroffen würden. Icli halte es aber nicht für wahr- scheinlich, daß bei einer Fortsetzung der Versuche dieses Verhältnis infolge von Zu- nahme der Sicherheit bezüglich der Diagnose sich günstiger gestalten wird. Wegen der leichten Ausführbarkeit der Agglutinationsprobe, wegen der geringen Belästigung der Pferdebesitzer, denen nur die Blutentnahme bei den Tieren und keine mehrtägige Außerdienststellung ihrer Pferde wie bei der Malleinprobe zugemutet wird, sowie wegen der unbedeutenden Kosten, welche dadurch beansprucht werden, kann auch jetzt schon die Agglutinationsprobe in der Praxis vorteilhaft Verwendung finden, wenn es darauf ankommt, über das Vorhandensein von Rotz in einem Pferdebestand eine schnelle und vorläufige Drientierung zu gewinnen. Der Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamtes ^^■andte sich am 2 2. J a n u a r 1 8 8 1 an den deutschen Konsid in Rio de Janeiro mit dem Ersuchen, ihm Präparate zum Studiimi von Gelb- fieber und Cholera zu übersenden. Für die Auswahl der dazu verwertbaren Objekte hatte Koch folgende Anweisung ausgearbeitet. Um Material, welches zur Untersuchung auf pathogene Organismen geeignet ist, zu gewinnen, wird folgendes Verfahren zweckmäßig sein. 1 . Leiche n m a t e r i a 1 : Damit das Resultat der Untersuchung nicht zu sehr vom Zufall Ix-einflußt ^\'erde, ist es erforderlich, das Material von mindestens fünf verschiedenen, akut verlaufenden und unzweifelhaften Cholera- resp. Gelbfieberfällen, und zwar von jeder Leiche sämtliche unten näher bezeichneten Objekte, zu entnehmen. Auch ist das Material nur dann verwertbar, wenn die Sektion kurze Zeit nach dem Tode, womöglich wenige Stunden nach demselben vorgenommen ist. Einem jeden Organ sind 2—3 Stücke von 1 — 2 ccm. also ungefähr Daumenglied- größe, zu entnehmen und sofort in absoluten Alkohol zu legen, um sie möglichst schnell zu härten. Für sämtliche von einer Leiche gesammelten Objekte bedarf es eines Gefäßes mit einem Inhalt von 2 Litern absoluten Alkohol. Der Boden des Gefäßes ist mit einer mehrfachen Schicht Filtrierpapier zu bedecken und die Flüssigkeit mit den darin ))e- findhchen Objekten von Zeit zu Zeit umzuschüttein, auch nach Ablauf der ersten 24 Stun- den der Alkohol einmal zu erneuern. Spätestens nach 8 Tagen sind die Teile genügend gehärtet und können zur bequemeren Verpackung in ein Stück Gaze oder Musselin (die Teile jeder einzelnen Leiche für sich zusammen) gebunden und mit einer entsprechen- den Etikette versehen werden. Diese einzelnen Bündel würden dann in ein mit abso- lutem Alkohol gefülltes Blechgefäß kommen, welches zugelötet und in eine mit Säge- spreu oder ähnlichem Stoff ausgefütterte Kiste zu stellen wäre. Koch, Gesamniplte Werke. » 99 850 Untersuch, v. Gelbfieber u. Cholera. - — Die Expedition z. Erforsch, d. Cholera nach Ägypten. Von der Leiche sind zu sammeln: Stücke vom Gehirn, Lunge, Herz, Muskulatur, Haut, die Tonsillen, ein 5 cm langes Stück der Speiseröhre, das nicht geöffnet und oben und unten mit einem Faden umschnürt ist; ferner zwei vom Magen abgeschnürte walnußgroße Stücke, womöglich mit Magen- inhalt; Leber, Leberpforte mit Gallengang, Gallenblase, Milz, Niere; vom Darm, und zwar von 10 verschiedenen Stellen desselben (Dünn-, Dick- und Mastdarm), 5 cm lange, nicht geöffnete, an beiden Enden abgeschnürte Stücke mit ihrem Inhalt; Mesenterial- drüsen. Ferner sind von verschiedenen Flüssigkeiten der Leiche, nämlich vom möglichst reinen Blut (aus der Vena jugularis), Mageninhalt, Inhalt von verschiedenen Stellen des Darmes, Galle, Saft der Lunge, Milz, Leber, Niere, und zwar von jeder Flüssigkeit drei Deckgläschen, in der Weise zu präparieren, daß ein ungefähr hirsekorngroßer Tropfen mit einer zuvor sorgfältig gereinigten Nadel durch einmaliges Ausstreichen in möglichst dünner Schicht ausgebreitet wird. 2. MaterialvomLebenden. In derselben Weise würden Blut vom Lebenden, Erbrochenes und frische Aus- leerungen auf Deckgläschen, und zwar von jeder Flüssigkeit auf ungefähr fünf Gläschen, auszubreiten sein. Auch hier würde es sich empfehlen, von mehreren in verschiedenen Stadien be- findhchen, recht schweren und charakteristischen Krankheitsfällen das Material zu sammeln. Den Deckgläschen ist ein ihren Nummern entsprechendes Verzeichnis mit Be- zeichnung der auf ihnen eingetrockneten Flüssigkeit beizugeben. Das Etui ist nach Füllung an den Seiten mit Papierstreifen hermetisch zu A^er- kleben. Von seiner Expedition zur Erforschung der Cholera nach Ägypten richtete Koch folgenden ersten Brief an den Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamts, Geheimen Oberregierungsrat Dr. Struck. Alexandrien, den 25. August 1883. Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich ergebenst zu melden, daß die zur Unter- suchung der Cholera nach Ägypten abgesandte Kommission am 24. d. M. wohlbehalten in Alexandrien angelangt ist. Die Verzögerung der Reise um einen Tag hatte ihren Grund darin, daß die Schiffe der Peninsular-Compagnie nicht mehr in Alexandrien anlegen, sondern die Passagiere nach Port Said führen, von wo aus ägyptische Dampfer die Ver- bindung mit Alexandrien vermitteln. Die Kommission konnte daher nur auf diesem Umwege nach Alexandrien gelangen. Durch die Fürsorge des deutschen Konsulats fand ich hier alles so weit vorbereitet, daß wir uns noch am Tage der Ankunft im grie- chischen Hospital einige Arbeitsräume einrichten und mit der Sektion einer exquisiten Choleraleiche sowie mit der Untersuchung von Dejektionen und vom Erbrochenen einiger Cholerakranken unsere Tätigkeit beginnen konnten. Die Choleraepidemie ist hier im schnellen Abnehmen begriffen, und wir müssen uns sehr beeilen, um noch einiges Material sammeln zu können. Die Verpackung der Gerätschaften und Instrumente hat sich gut bewährt, bis auf einige zersprungene Glasgefäße hat nichts Schaden erlitten. Auch die als Versuchstiere mitgenommenen Mäuse haben die Reise vortrefflich über- standen. Die Kommission hat im Hotel Khedivial Wohnung gefunden, und bitte ich gehorsamst, etwaige Sendungen dahin oder an das deutsche Generalkonsulat in Alexan- drien gelangen lassen zu wollen. Die Mitglieder der Kommission erfreuen sich, obwohl Die Expedition zur Erforschung der Cholera nach Ägypten. 851 gerade jetzt in Alexandrien hohe Hitze, verbunden mit einem holien Grad von Luft- feuchtigkeit, herrscht, bislang eines guten Gesundheitszustandes. Zu erwähnen ist nocli, daß der Komniission bereits heute die Ehre /.uteil wurde, Seiner Hoheit dem Khedive vorgestellt zu werden. An deniseilten Tage richtete Koch folgendes Schreiben an den Staatssekretär des Innern: Alexandrien, den 25. August 1883. ,, Eurer Exzellenz beehre ich mich ganz gehorsamst zu melden, daß die deutsche Kommission, welche behufs Erforschung der Cholera nach Ägypten entsandt wurde, am 24. d. M. wohlbehalten in Alexandrien eingetroffen ist. Infolge der Störungen im Schiffsverkehr zwischen den italienischen Häfen und Alexandrien konnte die Kommission nicht, wie es ursprünglich beabsichtigt war, direkt von Brindisi nach Alexandrien gehen, sondern war gezwungen, sich zunächst nach Port Said zu be- geben, vmi von da aus Alexandrien zu erreichen. Die Reise wurde hierdurch indessen nur um einen Tag verlängert. Von selten des deutschen Vizekonsuls in Alexandrien, Herrn Hellwig, waren alle Vorkehrungen getroffen, um sowohl in Port Said, als auch beim Eintreffen der Kommission in Alexan- drien alle Schwierigkeiten, welche mit der Expedition und Zollabfertigung des umfangreichen Ge- päcks verbunden waren, zu beseitigen. Auch im iiitrigeu hatte derselbe dafür Sorge getragen, daß die Kommission bei ihrer Ankunft alles vorbereitet fand, um ohne Zeitverlust ihre Tätigkeit beginnen zu können. Es war dies von viin so größerem Wert, als die Cholera in Alexandrien in schnellem Ab- nehmen begriffen ist und kein Augenlilick versäumt werden dürfte, wenn noch einiges Material für die Untersuchung gewonnen werden soll. Anfänglich war es meine Absicht gewesen, mit dem deutschen Hospital in Alexandrien in Verbindimg zu treten, doch sinil mu' wenige Cholerakranke in dasselbe geliefert, die zurzeit schon wieder genesen sind, und es mußte deswegen von diesem Plane Al:)stand genommen werden. Da die meisten Cholerafälle jetzt in das griechische Hospital gelangen und von den Ärzten dieses Hospitals. Dr. Zanker öl und Dr. K a r t u 1 i s , der Kommission in dankens- werter Weise sowohl einige Arbeitsräume, als auch mehrere Cholerakranke zur Verfügung gestellt wurden, so habe ich dieses Anerbieten angenommen. Außerdem hatte das ägyptische Gouvernement der Kommission einen seiner Ärzte, Dr. Hassan Kifky, nüt dem Auftrage überwiesen, zur Herbeischaffung von Kranken- imd Leichenmaterial in jeder Weise behilflich zu sein. Den Bemü- hungen dieses Arztes gelang es auch, noch an demselben Tage eine frische Choleraleiche in das grie- chische Hospital schaffen zu lassen, und der Kommission bot sich hierdurch die günstige Gelegen- heit, ihre Untersuchungen sofort mit einer Cholerasektion beginnen zu können. Am heutigen Tage sind noch mehrere Cholerakranke in das griechische Hospital aufgenommen, und einer der Cholera- kranken ist gestorben, so daß es auch für die nächste Zeit der Kommission nicht an den erforderlichen Untersuchungsobjekten fehlen mrd. Nach dem, was ich bislang über die in Ägypten herrschende Seuche durch die eingezogenen Erkundigungen und durch eigene Anschauung erfahren habe, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß es sich um die echte asiatische Cholera handelt. Die Art und Weise, wie dieselbe von ihrem Heimatsland nach Ägypten verschleppt wurde, ist bislang noch nicht auf- geklärt. Die Cholerasterblichkeit nimmt in allen Teilen Ägyptens soratiiriuiii die Dienste i^ines Aom Konsulat übei'lassenen Ka- wassen sich als ausreichend erwiesen haben. Schließlich habe ich noch ganz gehorsamst zu erwähnen, flaß die .Mitglieder der Kommission heute die Elii'e hatten, Sainei' Hoheit dem Khedive durch den Vizekonsul Herrn Hellwig vor- gestellt zu werden, und daß von Seiner Hoheit bei dieser Gelegenheit mir ebenfalls jede Unter- stützung für die wissenschaftlichen Z\\-ecke der deutsc'hen Konunission zugesichei't A\'urde. (Die übrigen Berichte K i> c hs über seine Choleraexi)editiiin, die bekanntlich nüt der Ent- deckung vles Cholera) )azillus geendet hat, sind bereits in dem von G a f f k y erstatteten ausführ- lichen Bericht seinerzeit veröffentlicht worden und hallen in diesen Werken, Bd. 11. S. 1 ff. Auf- nahme gefunden.) Auf eine Anfrage des Staatssekretärs des Innern, wann der Haiiptbericlit und die wissen- schaftlichen Ergebnisse der Ex]>editi<)n voraussichtlich zu erwarten sein werden, antAvurtele K o c Ii im folgenden Schreilien: 99* 852 Die Expedition zur Erforschung der Cholera nach Ägypten. Berlin, den 8. Dezember 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich auf den Erlaß vom 21. November unter Rück- gabe der mit dem Erlaß vom 1. September d. J. hochgeneigtest zur Einsicht überlassenen, auf die Cholera in Ägypten, der Türkei und den britischen Besitzungen in Asien bezüg- lichen Akten ganz gehorsamst zu melden, daß ich mit der Bearbeitung des Hauptberichtes über die zur Erforschung der Cholera nach Ägypten und Indien unternommenen Ex- pedition seither soviel als möglich beschäftigt gewesen bin. Da mir hierfür aber nur wenig Zeit zu Gebote gestanden hat und es nicht zu ermöglichen war, daß ich mich dieser Aufgabe ohne Unterbrechung widmen konnte, so habe ich dieselbe bis jetzt nur wenig zu fördern vermocht. Inzwischen hat sich durch das Auftreten der Cholera in Europa für mich die Gelegenheit geboten, Kulturen von Cholerabazillen, welche von Indien nach Europa mitzubringen ich Bedenken getragen hatte, zu gewinnen und mit denselben weiter zu experimentieren. Andererseits sind die Untersuchungen über die Cholera- ätiologie auf Grund der von der Cholerakommission gewonnenen Resultate vielfach in Angriff genommen, und es werden ohne Zweifel in nächster Zeit zahlreiche Veröffent- lichungen hierüber zu erwarten sein. Einige Mitteilungen bestätigenden Inhalts nach Beobachtungen, welche in Marseille, Paris und Genua gemacht sind, sollen in den nächsten Tagen erscheinen. Dagegen sind aber auch ganz kürzlich wieder mehrere Arbeiten veröffenthcht, welche zu abweichenden Resultaten gekommen sind. Man will danach gefunden haben, daß das Vorkommen der Cholerabazillen im Choleradarm nicht kon- stant sei, und es sollen bei anderen Krankheiten die nämlichen Bakterien beobachtet sein. Auch behauptet wieder ein Autor, im Gholerablute spezifische Mikrophyten ent- deckt zu haben. Diesen Angaben werden sicher noch viele andere für und gegen die von mir aufgestellte Choleraätiologie lautende folgen, so daß sich auch über diese Frage, ebenso wie über andere ähnliche, z. B. die Tuberkuloseätiologie, ein lebhafter wissenschaft- Hcher Streit entwickeln und es einiger Zeit bedürfen wird, ehe es zu einer Klärung der Meinungen kommt. Unter diesen Verhältnissen dürfte es sich aber empfehlen, den Abschluß des Hauptberichtes einige Zeit hinauszuziehen, denn einerseits steht zu erwarten, daß durch die wieder aufgenommenen eigenen experimentellen Untersuchungen die früheren Ergebnisse noch vervollständigt werden; andererseits würde die Herausgabe des Be- richtes zurzeit eine sehr unerquickliche Polemik unvermeidlich machen, weil, wenn die wissenschaftliche Bedeutung des Berichtes keine Einbuße erleiden soll, nichts übrig- bleiben würde, als die bereits erschienenen und ebenso die noch bevorstehenden zahl- reichen gegnerischen Arbeiten zu widerlegen. Eurer Exzellenz bitte ich daher ganz ge- horsamst, hochgeneigtest genehmigen zu wollen, daß ich bei der Ausarbeitung des Haupt- berichts diesen Verhältnissen Rechnung tragen darf und denselben nicht abschließe, bevor nicht ein gewisser Grad von Beruhigung in dem augenblicklich mit ziemlicher Erregung von beiden Seiten geführten wissenschaftlichen Streit eingetreten ist. Irgend- ein Nachteil für die Abwehrmaßregeln gegen die Cholera oder für wissenschaftliche Interessen kann aus der Verzögerung des Berichtes nicht entstehen, weil alles, was für diese Zwecke zu wissen not tut, bereits in den vorläufigen Reiseberichten und in den Mitteilungen von der im Gesundheitsamt abgehaltenen Konferenz gesagt ist. Auch haben die Cholerakurse ganz vortrefflich dafür gesorgt, daß die Ergebnisse der Cholera- expedition sofort zunutze gemacht und zum Gemeingut der deutschen Ärzte geworden sind. Einfuhrverbot für gebrauchte Wäsche bei Cholera. 853 An den Herrn Staatssekretär des Innern. Berlin, den 18. Jnli 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich bezüglich des in Aussicht genommenen Ein- fuhrverbots für gebrauchte Leib- und Bettwäsche, gebrauchte Kleider, Hadern und Lumpen zu berichten, daß diese Objekte, wenn sie mit C h o 1 e r a d e j e k t i o n beschmutzt waren, nur so lange, als die Dejektionen sich in einem frischen und feuchten Zustande befinden, infektionsfähig sind. Die durch den Handel aus dem Auslande kommenden Lumpen sind aber stets längere Zeit vorher eingesammelt, und etwa darin vorhandener Cholerainfektionsstoff muß lange, bevor sie in den Grpßhandel gelangen, darin abgestorben sein. Die so naheliegende Frage bezüglich der Gefahr einer ( 'holeraverschleppung durch Lumpen ist wiederholt auf den verschiedenen ( 'holerakongrcssen ventiliert, aber man hat nicht ein einziges Beispiel dafür beibringen können, daß die Cholera durch den Ver- trieb von Lumpen verursacht sei, während andere Krankheitsstoffe, z. B. Milzbrand und Pocken, welche eine größere Haltbarkeit besitzen, gar nicht selten zur Infektion der mit Lumpen hantierenden Arbeiter führen. Die immer wiederkehrende Erfahrung, daß Personen. Avelche die Leibwäsche von Cholerakranken zu reinigen haben, so häufig infiziert werden, beweist dagegen, daß nur die verhältnismäßig frischen, durch Choleradejektionen verunreinigten Bekleidungs- stücke gefährlich sind, und in dieser Beziehung verdient besonders die Wäsche der aus Choleragegenden kommenden Reisenden besondere Berücksichtigung. Ein für letztere Tatsache außerordentlich lehrreiches Beispiel habe ich gelegentlich meines Besuches der Stadt Lyon auf der im Auftrage Sr. Durchlaucht des Herrn Reichskanzlers nach Frankreich unternommenen Reise^) in Erfahrung gebracht und füge die mir darüber von Dr. L o r t e t gegebene Notiz ganz gehorsamst unter Rückerb ittung hier bei^). Auch bei den Verhandlungen der im vorigen Monat zusammenberufenen Cholera- kommission ging man von der Ansicht aus, daß nur die frische Cholerawäsche gefährhch sei, und empfahl aus diesem Grunde die ohne Belästigung des Reiseverkehrs ausführbare Überwachung der Bettwäsche der Schlafwagen, und erklärte dagegen jede Einschränkung des Wagen- und Güterverkehrs nicht für erforderlich. Es würde demnach mit den wissenschaftlichen Erfahrungen im direkten Widerspruch stehen, wenn die Einfuhr von gebrauchter Leib- und Bettwäsche, gebrauchten Kleidern, Hadern und Lumpen aller Art verboten, die Kleidungsstücke und Wäsche der Reizenden dagegen, welche notorisch schon den Ausbruch der Cholera veranlaßt haben, unbeanstan- det zugelassen werden sollten. Aus dem gleichen Grunde bedarf es auch keiner Beschränkung bezüglich der Aus- fulir von Knochen und rohen Häuten, Haaren und Abfällen, durch welche ebenfalls noch nie die Cholera verschleppt ist. Wenn die Cholera die Grenze überschreiten sollte, so Avürde dies in erster Linie durch Menschen selbst geschehen, welche infiziert wurden und den Krankheitsstoff in ihrem Innern tragen. Da sich dies aber erfahrungsgemäß nicht verhindern läßt, so wird man auch die sehr viel weniger wahrscheinliche Einschleppungsweise durch die Effekten der Reisenden nicht zum Gegenstande einer Abwehrmaßregel machen und noch Weniger die bislang noch niemals gefährlich gewordenen Lumpen, Knochen, Felle, Haare Von der Einfuhr ausschließen können. ') p. 855 ff. Die Notiz war bei den Akten nicht vorhanden. D. Herausgeber. 854 Abwehrmaßregeln gegen die Cholera in Südfrankreich. Seit der Entdeckung des Cholerabazillus und namentlich seit dem Ausbruch der Cholera in Südfrankreich zu Beginn des Jahres 1884 fanden wiederholt Beratungen über die Abwehr der Seuche seitens der beteiligten Beichs- und preußischen Behörden statt, und an allen diesen Ver- handlungen nahm Koch selbstverständüch, sobald er in Berlin anwesend war, hervorragenden Anteil. Wörtüche Stenograrome existieren von diesen Verhandlungen nicht, sondern ledigUch Be- richte, die von den Protokollführern angefertigt und nachträglich von den Rednern approbiert worden sind. Aus diesen vorwiegend in den Akten des Kaiserüchen Gesundheitsamtes vorhandenen Schriftstücken sind hier nur die bemerkenswerten Ausführungen Kochs wiedergegeben. In der Cholerakommission, die Ende Juni und Anfang Juli 1884 im Dienstgebätide des Eeichs- amts des Innern i;nter dem Vorsitz des Staatssekretärs v. B ö 1 1 i c h e r aus Anlaß des Ausbruchs derCholerainToulon tagte und an der unter anderem a\ich v. Pettenkofer teilnahm, wurde der Beschluß gefaßt, daß KochanOrtundStellegehensolle,umdieNatur der Krankheit festzustellen. Koch erklärte sich zur Übernahme eines solchen Auftrages bereit. Er sprach sich alsdann eingehend über diejenigen Vorkehrungen aus, die für die Reichsbehörden zur Abwehr der Cholera von Deutschland in Frage kommen könnten. Nach den in Ägypten gesammelten Erfahrungen sei von einer Absperrung des Verkehrs an der Grenze nichts zu erwarten. Ebensowenig könne er sich für Unterbrechung des Briefverkehrs, wie es Italien bestimmt haben solle, aussprechen. Dagegen sei es zweckmäßig, an den Hauptübergangspunkten des Verkehrs von Frank- reich nach Deutschland (Eisenbahnstationen, größere Zollstellen) Lokalkomitees zu bilden, die, unterstützt von den Eisenbahnbeamten, dafür zu sorgen hätten, daß nicht offenbar mit ansteckenden Krankheiten behaftete Personen weiter in der Öffentlichkeit belassen würden. Diese seien vielmehr alsbald in geeigneter Weise isoliert unterzubringen. Die Komitees hätten auf die Desinfizierung der dem öffentlichen Verkehr zugänglichen Latrinen (mittels Karbolwassers), auf die Beschaffenheit des Brunnenwassers und der Brunnen selbst besonders zu achten und auch selbst alles an- zuordnen, was nach Lage des einzelnen Ortes und Falles sich zweckmäßig erweise. So- bald die Cholera in Deutschland selbst eingedrungen sein würde, hätte sich die Organi- sierung der Lokalkomitees über das ganze Land zu erstrecken. Gegenstände ihrer Uber- wachung würden außer der Fürsorge für Schließung schlechter Brunnen und Desin- fektion der öffentlichen Latrinen sein: Orientierung über die Häuser und Straßen, in denen früher bereits die Cholera vorzugsweise aufgetreten sei, um den Bewohnern dieser Häuser ausreichende Nahrungsmittel und gutes Trinkwasser zu verschaffen; schleunige Ermittlung der ersten Krankheitsfälle, welche etwa an dem Orte sich zeigen, behufs alsbaldiger Isolierung; Evakuierung von Häusern, in denen besonders zahlreiche Krank- heitsfälle auftreten (was namentlich in Ägypten wirksam gewesen sei); Haus-bei-Haus- Besuch zur Erforschung etwaiger Cholerafälle, da die Meldepflicht der Beteiligten nicht ausreiche; Unschädlichmachung (Vernichtung) der Dejektionen von Cholerakranken, da durch die Dejektionen der Krankheitskeim seiner Uberzeugung nach am leichtesten sich verbreite. Vernichtung beschmutzter Leibwäsche von Cholerakranken (aber gegen Entschädigung, um namentlich bei ärmeren Leuten dem Anreiz der Verheimlichung der Krankheit entgegenzuwirken); öffentliche Belehrungen darüber, wie der einzelne sich zu verhalten habe, um sich vor Aufnahme des Kontagiums zu schützen; die regel- mäßige Mitteilung der Erkrankungen und Todesfälle an das Kaiserliche Gesundheits- amt sei bereits im Jahre 1879 durch Vereinbarung zwischen den verbündeten Regierun- gen sichergestellt. Endlich sei eine etwaige Epidemie zu wissenschaftlichen Forschungen zu verwerten (Beobachtung immuner Orte im Gegensatz zu den Seuchenorten usw.). In der zweiten Sitzung (am 30. Juni) referierte Koch über den von einer Sub- kommission (zu der Koch, v. Pettenkofer und andere gehörten) ausgearbeiteten Entwurf von Bestimmungen für den Fall des Auftretens der Berichte über die Cholera in Südfrankreicli. 855 Cholera in Deutschland. Bei der Debatte über die Kontrolle an den Eisen- bahnstationen der Grenze tritt Koch dafür ein, daß am besten die Kontrolle in den Coupes durch die Schaffner, welche sich beim Wechseln des Zugpersonals an der Grenze über ihre Wahrnehmungen zu verständigen hätten, vorgenommen würde. Ein Zusammendrängen aller Reisenden in den Revisionssälen der Grenzstationen sei aus sanitären Gründen nicht ratsam. Die schmutzige Wäsche, die in den internationalen Schlafwagen sich vorfinde, sei an den Zielstationen in gleicher Weise zu desinfizieren, wie dies sonst im Entwurf bezüglich verdächtiger Wäsche angeraten werde (in 5proz. Karbolsäure). Der Brief verkehr sei völlig ungefährlich, bei Paketen sei ja eine Ver- schleppung der Cholera denkbar, dieselbe entzöge sich jedoch jeder Kontrolle. Auch auf eine Beaufsichtigung des Gepäck- und Frachtverkehrs sei erhebliches CTCwicht nicht zu legen, selbst Lumpen hätten Cholera, soviel bisher bekannt sei, noch nie verschleppt, während sie z. B. als Träger des Pocken- und Milzbrandgiftes sehr gefährlich seien. Die Beförderung von Choleraleichen hält er für gefährlich. Eine allgemeine Desinfektion der Aborte ist seiner Meinung nach unmöglich, und die Kosten würden außer Ver- hältnis zu dem zu erwartenden Vorteil stehen. Sie ist deshalb auf öffentliche Aborte zu beschränken. Unter den Maßnahmen, welche an den einzelnen von Cholera bedrohten oder ergriffenen Orten zu treffen sind, empfiehlt Koch die Schließung gefährlich erscheinender Brunnen. Von seiner Reise in Südfraukreich (siehe oben S. 854) erstattete Koch folgende Berichte an den Herrn Staatssekretär des Innern. Toulon, den 5. Juh 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich ganz gehorsamst weiter zu berichten, daß ich mich sofort nach Abgang der gestrigen Meldung mit Herrn Dr. Strauß sowie mit den Regierungs- und Marinebehörden in Toulon in Verbindung gesetzt habe. Was ich bisher in Erfahrung bringen und selbst sehen konnte, ist im wesentliclien folgendes. Die Herren Dr. Strauß und Dr. R o u x , Mitglieder der im vorigen Jahre von der französischen Regierung nach Ägypten geschickten Choleraexpedition, sind in Toulon seit ungefähr einer Woche mit Untersuchungen über die Natur der Seuche beschäftigt. Sie haben in dieser Zeit 16 Obduktionen gemacht und außerdem die Ausleerungen von 12 Kranken untersucht. In allen diesen Fällen haben sie dieselben Symptome an- getroffen wie bei der vorjährigen Choleraepiclemie in Ägypten. Diese Herren sowohl als andere hiesige Arzte, welche ich über ihre Meinung befragen konnte, sind überzeugt, daß es sich um dif echte asiatische Cholera handelt. Darauf habe ich das Höpital de la marine und Höpital St. Mandrier besucht und daselbst gegen 50 Kranke gesehen. Die große Mehrzahl derselben sind Rekon- valeszenten, aber die Symptome, unter denen sie in die Hospitäler gebracht wurden, und die Erscheinungen, welche ich an mehreren frischen Fällen selbst beobachten konnte, unterscheiden sich nicht von denjenigen der echten Cholera. Außerdem konnte ich in den Dejektionen eines dieser Kranken die Cholerabazillen mikroskopisch nachweisen. Auch in Präparaten, welche die Herren Dr. Strauß und Dr. R o u x von anderen Er- krankungs- und Todesfällen gesammelt hatten, waren die Bazillen zu erkennen. Schließ- lich zeigten noch eine Anzahl in Alkohol aufbewahrter Darmstücke, welche den bisher gemachten Obduktionen entstammten, alle Kennzeichen, welche der asiatischen Cholera eigentümlich sind. Nach alledem muß ich mich dem Urteil der hiesigen Ärzte anschließen und die Krankheit ebenfalls für die asiatische Cholera halten. 856 Berichte über die Cholera in Südfrankreich. Der milde Charakter, welchen die Epidemie bisher scheinbar bewahrt hat, steht mit dieser Annahme nicht in Widerspruch. Denn auch die früheren Choleraepidemien haben in Toulon immer einen verhältnismäßig leichten Charakter gehabt, was allem Anschein nach durch lokale Verhältnisse veranlaßt wird, über welche, sobald ich dar- über genauer informiert sein werde, zu berichten ist. Es darf aus diesem Verhalten der Epidemie in Toulon aber keineswegs, wie es in der Tat geschehen ist, geschlossen werden, daß es sich um eine ,, gutartige oder abgeschwächte" Cholera handle. Die ein- zelnen Fälle sind auch hier ebenso schwer und ebenso rapid verlaufen, wie es bei anderen Epidemien der asiatischen Cholera der Fall gewesen ist. Man hat allerdings für die Gut- artigkeit dieser Epidemie geltend gemacht, daß von den Erkrankten verhältnismäßig wenige sterben. Wie ich jedoch höre, sind manche Ärzte in bezug auf die Diagnose der Cholera etwas weit gegangen und haben Fälle von leichtem Darmkatarrh als Cholera- erkrankung bezeichnet. Von kompetenter Seite habe ich die Versicherung erhalten, daß auch in bezug auf die Mortalität die Krankheit sich nicht im geringsten von der asiatischen Cholera unterscheidet. Im ganzen genommen ist die Epidemie unter Schwankungen noch im Zunehmen begriffen. Von vorgestern abend 7 Uhr bis gestern abend 7 Uhr sind 15 Choleratodes- fälle gemeldet, die höchste bis jetzt notierte Zahl. In der Umgebung von Toulon hat die Krankheit, obwohl sie von den Flüchtlingen mehrfach dorthin verschleppt ist, keinen Fuß fassen können, vermutlich weil die umlie- genden Ortschaften nach dem Gebirge zu liegen und der Cholera keinen geeigneten Boden bieten. Bis jetzt ist nur Marseille, von woher in den letzten 24 Stunden 6 Cholera codes- fälle gemeldet wurden, infiziert. Trotzdem ist nicht zu erwarten, daß es gelingen wird, die Cholera an der Weiter- verbreitung zu hindern. Wenn die Cholera auf europäischen Boden gelangt ist, hat sie noch jedesmal sich über den ganzen Kontinent ausgebreitet, und so wird es auch diesmal nicht ausbleiben, daß sie über kurz oder lang Fortschritte machen wird. In Paris rüstete man sich, wie ich während der Durchreise bemerken konnte, und zwar hauptsächlich durch Desinfektionsmaßregeln, gegen die Cholera, und es erscheint mir notwendig zu sein, auch in Deutschland sich jetzt schon mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß die Seuche ihren Weg dorthin finden wird. Toulon, den 6. Juh 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich im Ansciiluß an meinen gestrigen Bericht gehor- samst zu melden, daß die Choleraepidemie sich bis jetzt über Toulon und Marseille hin- aus noch nicht ausgebreitet hat, aber in diesen beiden Städten entschieden im Zunehmen begriffen ist, da in den letzten 24 Stunden Toulon 17 und Marseille 15 Choleratodes- fälle hatte. Es bot sich mir heute die Gelegenheit, zwei Choleraleichen zu sehen. Der eine Fall betraf einen Matrosen, welcher vor 4 Tagen wegen Erbrechen und Durchfall in das Hospital St. Mandrier gehefert wurde, sich anfangs anscheinend etwas besserte, dann aber in CoUaps verfiel und unter den gewöhnhchen Erscheinungen der Cholera (wässerige, farblose Ausleerungen, Kälte der Extremitäten, eingesunkene Augen, Pulslosigkeit, Unterdrückung der Urinsekretion) heute morgen starb. Der zweite, ebenfalls ein Matrose, befand sich wegen Malaria seit längerer Zeit im Marinehospital und sollte heute als Rekonvaleszent entlassen werden. Doch kam es Berichte über die Cholera in Südfrankreich. 857 nicht dazu, da er um 11 Uhr vormittags erkrankte und bereits 5 Stunden später starb. Kaum 1 Stunde nach dem Tode habe ich die Obduktion der Leiche gemacht. Es lag hier ein ganz reiner und typischer Fall vor. Der Dünndarm war von blaßroter Farbe, seine Schleimhaut und die Drüsen derselben ein wenig geschwollen, er enthielt eine be- deutende Menge von farbloser, wäßrig-schleimiger Flüssigkeit mit vielen weißlichen Flocken darin. In der Flüssigkeit und bi'sonders in den Flocken fanden sich bei der mikroskopischen Untersuchung die kommaförmigen Bazillen in großer Zahl und fast vollkommen rein, ohne andere Bakterien daneben. Das Blut war frei von Mikroben. Von dem im gestrigen Bericht erwähnten Kranken, in dessen Dejektionen die Komma- bazillen gefunden waren, hatte ich außerdem eine Untersuchung mit Nährgelatine- kultur vorgenommen, und es gelang mir aucii auf diesem Wege, die Kommabazillen nicht allein nachzuweisen, sondern auch in Reinkulturen zu gewinnen, an denen ihre charakteristischen Eigenschaften, wie sie in meinen gehorsamsten Berichten aus Indien beschrieben sind, in unverkennbarer Weise hervortraten. Alle diese Untersuchungen habe ich gemeinschaftlich mit Herrn Dr. S t r a u ß ausgeführt und Gelegenheit gehabt, denselben von der Richtigkeit meiner Beobachtungen zu überzeugen. Wenn überhaupt noch ein Zweifel in betreff der Natur der Seuche bestanden hätte, dann müßte er durch diese Tatsache vollkommen beseitigt sein. Uber die Entstehung der Krankheit habe ich leider nichts Positives in Erfahrung bringen können. Es sind in den letzten Monaten sieben Kriegsschiffe mit Truppen von Cochin- china nach Toulon gekommen, und es lag nahe, die Einschleppung der C'liolera mit diesen Schiffen in Beziehung zu bringen. Doch hat angeblich nur eins, die .,Sarthe". in den indischen Gewässern einige Cholerafälle an Bord gehabt. Infolgedessen wurde die Be- mannung ausgeschifft, das Schiff gereinigt und desinfiziert. Darauf .soll die ,.Sarthe" von Saigon bis Toulon 43 Tage unterwegs gewesen sein und während dieser Zeit keinen Todesfall und überhaupt auch nicht die geringste verdächtige Erkrankung an Bord gehabt haben. Auf der Reede mußte das Schiff noch eine dreitägige Beobachtimgs- quarantäne überstehen. Eingehendere Nachforschungen über diese Verhältnisse sind ziemlich aussichts- los, und sind auch deswegen nicht angebracht, weil der französischen Regiennig von der Oppositionspartei der Vorwurf gemacht wird, daß die Expedition nach Tonkin die Ein- sclileppung der Seuche verschuldet habe, und alles aufgeboten wird, um diese Meinung zu widerlegen. Übrigens erscheint es auch mir wenig wahrscheinlich, daß die Cholera durch die französischen Kriegsschiffe von Hinterindien direkt nach Toulon gebracht sein soll. Die Schiffe haben nicht mehr als 300 bis 350 Menschen an Bord gehabt, eine im Verhältnis zu anderen Truppentransportschiffen, welche Choleraepidemien zu über- stehen hatten, geringe Zahl: sie haben auf der Fahrt nur in Point de Galle und in Aden angelegt, wo in letzter Zeit überhaupt keine Cholera geherrscht hat, und die Fahrzeit ist eine so lange, daß während derselben eine Choleraepidemie an Bord nicht unbemerkt bleiben konnte. Die Ärzte in Toulon und namentlich die Marineärzte sind darüber einig, daß die Epidemie indischen Ursprungs sein müsse ; aber über die Art und Weise der Einschleppung hat niemand eine bestinnnte Meinung. Am meisten neigt man sich der Ansicht zu. daß Ägypten noch nicht ganz frei von Cholera sei, und daß auf irgendeine unaufgeklärte Weise der Krankheitskeim von dort gekommen sei, ohne daß man jedoch liierfür triftige Gründe beibringen könnte. 858 Berichte über die Cholera in Südfrankreich. Es scheint überhaupt noch nicht ausgemacht zu sein, daß die Cholera auf fran- zösischem Boden ihren Anfang in Toulon gehabt hat. Der erste tödhche Fall in Toulon ereignete sich am 6. Mai und betraf eine Dame, welche von einer Reise nach Marseille zurückkam und nach 24stündiger Krankheit starb. Danach ist es keineswegs ausge- schlossen, daß in diesem Falle die Infektion in Marseille stattgefunden hat und die Cholera dadurch nach Toulon verschleppt wurde. Marseille ist der direkten Infektion von Indien her weit mehr ausgesetzt als Toulon; denn außer seinem direkten Verkehr mit Indien bildet es noch einen stark frequentierten Durchgangsort für die von Indien nach England Reisenden. Wenn nicht irgendein Zufall noch später das über den Ursprung der Seuche herr- schende Dunkel in anderer Weise aufklärt, möchte ich die direkte Einschleppung durch den Reisendenverkehr von Bombay nach Marseille und von da nach Toulon als die wahrscheinlichste Entstehungsweise der Epidemie ansehen. Die Stadt Toulon ist, wie bereits erwähnt, nach den in früheren Epidemien gemach- ten Erfahrungen kein eigentlicher Choleraort. Im Jahre 1865 starben von nahezu 70 000 Einwohnern nur 1317 an Cholera; 1854 fast die nämliche Zahl, 1302, im Jahre 1849 nur 765. Im Verhältnis zu anderen Städten ist dies eine sehr mäßige Choleramortalität. Soweit ich bis jetzt übersehen kann, sind für die Choleraverhältnisse Toulons verschiedene Umstände von Einfluß. Die Stadt liegt auf einem vom Strande her ansteigenden Terrain. Der obere Teil steht auf felsigem Grund, der untere auf einem Pfahlrost. Die obere Stadt hat überhaupt kein Wasser im Untergrunde. In der unteren stößt man beim Graben auf schlammiges Brackwasser, welches dem Meeresniveau entsprechend gar keinen Schwankungen unter- worfen ist. Eigentliches Grundwasser existiert angeblich nicht. Die Stadt kann wegen dieser Bodenbeschaffenheit auch kein Trinkwasser aus dem Untergrund entnehmen, und mit Ausnahme weniger Brunnen in den Vorstädten existieren in Toulon überhaupt keine Brunnen. Das Wasser wird der Stadt schon seit alten Zeiten von den benach- barten Bergen zugeführt, und zwar in zwei verschiedenen Leitungen ; die eine für Trink- wasser, die andere zum Waschen und speziell auch zum Spülen der Rinnsteine. So weit würden die Bedingungen für die Ausbreitung der Cholera sehr ungeeignet sein. Aber diese günstigen Verhältnisse werden zum Teil durch andere sehr arge Mängel in den sanitären Einrichtungen der Stadt wieder aufgehoben. Toulon besitzt nämlich keine Abfuhr, keine Kanalisation oder sonstige zweckmäßige Beseitigung der mensch- lichen Auswurfstoffe. Aller Unrat wird in Kübeln gesammelt und nachts, öfter auch am Tage, einfach in die Rinnsteine entleert. Letztere werden zeitweise (seit dem Herrschen der Epidemie häufiger) gespült und auf diesem Wege aller Schmutz in die Darse, eine verhältnismäßig kleine Abteilung des Hafens, gespült. Zur Illustration dieser Zustände lasse ich hier den Wortlaut einer am 21. Juni, nach Ausbruch der Epidemie, erlassenen Bekanntmachung folgen: ,,Le maire rapelle aux habitants de la ville: que le jet aux ruisseaux des matieres fecales ne doit avoir lieu, autant que possible, que de huit heures de soir a huit heures du matin." Danach kann man sich wohl eine Vorstellung von dem Inhalt und dem Gestank dieser Rinnsteine machen. Namentlich wenn noch, wie ein hiesiger Korrespondent einem Pariser Journal schreibt: ,,La pluspart des ruisseaux manquent d'eau et le röle des balayeurs consiste ä etendre au milieu des rues les ordures des ruisseaux". Trotzdem habe ich öfter beobachten können, daß die Einwohner Toulons vor ihrem Hause im Rinnsteinwasser Scheuerlappen und dergleichen spülten. In der Darse, welche keinen Abfluß hat, sammeln sich alle Fäkalien von Toulon, infolgedessen sieht das Wasser trübe aus und verbreitet einen intensiven Gestank. Berichte über die Cholera in Südfrankreich. 859 So wie die Sachen liegen, darf es nicht wundernehmen, daß die Cholera, wenn sie einmal nach Toulon eingeschleppt wird, sich bald über die ganze Stadt ausbreitet. Denn wenn ein von Cholera Infizierter dorthin kommt, müssen seine Dejektionen in den Rinnstein gelangen. Entweder hier bereits oder in der Darse, wo sich der ganze Schiffs- und Seehandelsverkehr von Toulon konzentriert und beständig das regste Leben herrscht, findet sich dann hinreichend Gelegenheit zur weiteren Verschleppung und Übertragung des Infektionsstoffes. Es kann nur auffallen, daß unter solchen Umständen die Cholera nicht viel ärger wütet und nicht viel schneller um sich greift. Hier kommen aber die günstigen Trinkwasserverhältnisse in Betracht, welche die Städte vor explosionsartigen Massenerkrankungen, wie sie anderwärts so vielfach vorgekommen sind, schützen. Der Infektionsstoff wird vielmehr beständig in mäßiger Menge über die ganze Stadt aus- gebreitet und führt zu disseminierten, scheinbar in gar keinem Zusammenliang mit- einander stehenden Erkrankungen. Deswegen ist es auch so außerordentlich schwierig, über die ersten Cliolerafälle in Toulon etwas Sicheres in Erfahrung zu bringen. Es ist recht gut möglich, daß auch dem Cholerafall vom 6. Mai, welcher jetzt als der erste angesehen wird, noch andere unbeobachtet gebliebene vorangegangen sind. Andererseits geben aber auch die eigen- artigen Verhältnisse Toulons eine genügende Erklärung dafür, daß die Krankheit gleich von Anfang an sich an den verschiedensten Punkten der Stadt gezeigt hat. Im ganzen genommen herrscht die Epidemie melu' im unteren Stadtteil; aber dieser ist auch der ältere, er ist eng gebaut und sehr diclit bevölkert; der sämtliche von der oberen Stadt kommende Unrat geht durch die Straßen desselben, er liegt der Darse zunächst und hat die meiste Kommunikation danüt. Auch die früheren Epidemien sollen in Toulon in gleicher Weise begonnen haben. Sie fingen mit wenigen über die Stadt verstreuten Fällen an, stiegen langsam an, erreichten keine bedeutende Tagesmortalitätsziffer, zogen sich aber immer bis zum Beginn der kalten Jahreszeit hin. Die Epidemie vom Jahre 1835 dauerte z. B. vom 30. Juni bis 25. Ok- tober, diejenige vom Jahre 1854 vom 21. Juli bis 24. November. Voraussichtlich wird auch diese Epidemie einen ähnlichen Verlauf nehmen. Über die gegen die Cholera in Toulon und im übrigen Frankreich ergriffenen Maß- regeln kann ich leider nichts Günstiges melden. Man tut zwar alles, um den von der Krankheit Ergriffenen ihr Los soviel als möglicli zu erleichtern. Es fehlt ihnen nicht an ärztlicher Hilfe und an sorgsamer Pflege in ihren Familien oder in den Hospitälern, Aber gegen die Ausbreitung der Seuche geschieht von dem. was nach dem heutigen Stande der Wissenschaft geschehen sollte, so gut wie nichts. Man glaubt sich im Gegenteil wieder um fünfzig Jahre in die früheren Cholerazeiten zurückversetzt, wenn man sieht, wie allabendlich Feuer auf den Straßen der Stadt angezündet werden, um die Luft zu reinigen, und wenn man erfährt, daß die Reisenden auf den Bahnhrifeii in Marseille, Lyon und Paris durch Schwefelräucherungen desinfiziert werden. Es wird liier überhaupt alle Hoffnung auf die Desinfektion gesetzt; aber in der Wahl der Desinfektionsmaß- regeln ist noch ganz der frühere unwissenschaftliche Standpunkt eingehalten. In den Krankenzimmern stehen Schalen mit Chlorkallv, oder es sind mit Chlorkalklösung be- feuchtete Tücher aufgehängt; in manche Rinnsteine ist Eisenvitriollösung gegossen, auch einzehie Latrinen und Pissoirs sind mit demselben Mittel oder Chlorkalk beliandelt. Das ist alles. Daß in den Häusern die Dejektionen der Kranken und die beschnnitzte Wäsche vernichtet oder sicher desinfiziert wird, bleibt mehr oder Aveniger dem guten Willen der Leute überlassen, wobei es natürlich gar nicht ausbleiben kann, daß Flüssig- keiten, welche noch ansteckungsfähig sind, in die Rinnsteine gegossen werden. Es denkt auch niemand daran, in den einzelnen Fällen die Infektionsquelle aufzufinden und un- 860 Berichte über die Cholera in Südfrankreich. schädlich zu machen. Man desinfiziert nur in der angegebenen Weise und glaubt damit seine Schuldigkeit getan zu haben. Ganz ebenso hat man es in früheren Choleraepidemien und während der letzten Epidemie in Ägypten gemacht, aber die Cholera hat sich dadurch nicht im geringsten aufhalten lassen und wird es, wenn es so fortgeht, auch diesmal nicht tun. Es ist das um so mehr zu bewundern, als es auch jetzt noch, solange nurToulon und Marseille ergriffen sind, möglich zu sein scheint, durch energisches Vorgehen der Seuche Herr zu werden. Man würde eine größere Zahl von tüchtigen Ärtzen sofort hier- her zu schicken haben, und es müßten in jedem einzelnen Falle die erforderlichen Maß- regeln unter Leitung von Sachverständigen durchgeführt werden. Den mir hochgeneigtest erteilten Auftrag, die Natur, die Einschleppungs- und Verbreitungsart der in Toulon ausgebrochenen Krankheit zu erforschen, glaube ich hiermit erledigt zu haben, und ich gedenke unter der gehorsamsten Voraussetzung, daß Eure Exzellenz nicht anderweitig verfügen, nach einigen Tagen, welche noch der Be- obachtving über den weiteren Gang der Epidemie gewidmet werden sollen, von Toulon abzureisen. Auf der Rückreise beabsichtige ich mich kurze Zeit in Marseille aufzuhalten, um auch die Choleraverhältnisse dieser Stadt aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Marseille, den 9. Juli 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich ganz gehorsamst zu melden, daß ich heute mittag in Marseille eingetroffen bin. In Toulon habe ich vorgestern eine zweite Obduktion machen können, welche fast dasselbe Resultat ergab, wie die in meinem gehorsamsten Bericht vom 6. d. M. beschriebene. Der Verstorbene, ein kräftiger Mann von ca. 25 Jah- ren, war nur wenige Stunden krank gewesen, im sogenannten algiden Stadium der Cholera ins Hospital gebracht und bald darauf gestorben. Der Dünndarm war etwas stärker gerötet und seine Blutgefäße mehr gefüllt als in dem ersten Falle, glich diesem aber im übrigen vollkommen. Der schleimig- wässerige Inhalt des Darmes war reichlich, enthielt viele weißliche Flocken und in diesen letzteren die Cholerabazillen in großer Menge. Die Bazillen sind bis jetzt in allen daraufhin von mir untersuchten Fällen gefunden. Im Hospital de Marine habe ich außerdem noch eine Anzahl mehr oder weniger schwer Erkrankter untersucht. In den schwereren Fällen waren die konstanten Sym- ptome: Erbrechen und wässerige, farblose Ausleerungen, äußerster Verfall der Kräfte, eingesunkene Augen, graue Gesichtsfarbe, kalte Extremitäten, Pulslosigkeit, Muskel- krämpfe, Ausbleiben der Urinsekretion, Tod nach einigen Stunden bis zu einem Tage. Es sind dies die typischen Erscheinungen der asiatischen Cholera in ihrer verderblichsten Form. Die Gefahr der unmittelbaren Übertragung der Krankheit von einem Cholera- kranken auf seine Umgebung hat sich in Toulon in evidentester Weise gezeigt, da unter den im Hospitale befindlichen Personen (Wartepersonal und Kranke) 11 Todesfälle durch Cholera veranlaßt sind. Gestern nachmittag fand in der Mairie zu Toulon unter dem Vorsitze des Maire und in Gegenwart des Sous-Prefet eine Versammlung der Ärzte statt, zu welcher ich eingeladen war, um Ratschläge zur Bekämpfung der Seuche zu erteilen. Ich glaubte mich dieser Aufforderung nicht entziehen zu dürfen und habe mich im Sinne der im Reichsamt des Innern beratenen Maßregeln ausgesprochen. Auch hielt ich es für nütz- hch, dem Maire eine Abschrift der jenen Maßregeln als Anhang beigefügten Belehrungen zu übergeben. Berichte über die Cholera in Südfrankreich. 861 Bei meiner Ankunft in Marseiile wurde icli von einigen liervorragenden Ärzten empfangen und sofort nach dem Cholerahospital in Pharo geführt. Es bot sich hier ein trauriger Anbhck. Mehr als 40 Kranke waren dort untergebracht, von denen mindestens ein Drittel die schwersten Symptome der C-holera hatten, den charakteristischen Ge- sichtsausdruck, Kälte der Extremitäten, Pulslosigkeit, daneben Erbrechen und Durch- fall, mehrere Kranke waren dem Tode nahe. Die Cholera ist nach Marseille allem Anschein nach durch die aus Toulon kommenden Flüchtlinge an mehreren Stellen zugleich eingeschleppt; sie hat sich bald über diese ur- sprünglichen Infektionsherde hinaus verbreitet und herrscht jetzt in allen Stadtteilen ziemlich gleichmäßig. Die Epidemie ist jetzt offenbar in das Stadium der schnelleren Zunahme getreten. In Marseille wurden gestern 27 Todesfälle, in Toulon 19 gemeldet. Von anderen Städten scheint nur Aix ergriffen zu sein, wo gestern 3 unzweifel- hafte Choleratodesfälle vorgekommen sind. Ich beabsichtige, übermorgen nach Lyon zu reisen, dort kurze Zeit auf Nachfor- schungen über die bis jetzt in allen Epidemien bewährte Immunität dieser Stadt zu ver- wenden und dann nach Berlin zurückzukehren. Berlin, den 18. JuU 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an den Bericht vom 9. d. M. ganz gehorsamst zu melden, daß ich am 15. d. M. abends nach Berlin zurückgekehrt bin. Den Aufenthalt in Marseille habe ich noch benutzt, um die Quarantäneanstalten auf den Inseln Ratoneau und Pomegne zu besichtigen. Die sehr interessanten und vor- trefflichen Einrichtungen dieser Anstalten behalte ich mir vor im Zusammenhang nüt den von mir früher besuchten ägyptischen Quarantänen des Roten Meeres zu beschreiben. In Marseille wurde ich gelegentlich meines Verkehrs mit den Ärzten vielfach um meine Meinung über die Choleraverhältnisse der Stadt und über die zu ergreifenden Maßregeln befragt. Meine hierbei gemachten Äußerungen sind zum Teil entstellt, zum Teil ganz unrichtig in der Presse wiedergegeben. In einigermaßen korrekter Weise hat Professor R i e t s c h den Inhalt des von mir Gesagten im ,, Petit Provengal" vom 13. d. M. mitgeteilt, und füge ich die betreffende Nummer dieser Zeitung mit der Bitte um Rück- gabe ganz gehorsamst bei. Ani der Heimi^eise von Marseille hielt ich mich einen Tag in Lyon auf, um, soweit es in so kurzer Zeit möglich ist, einen Einblick in die Verhältnisse zu gewinnen, welche der Stadt Lyon ihre relative Immunität gegen Cholera verschaffen. Die Lage der Stadt ist nun allerdings eine so eigenartige, daß sie für die Entwick- lung der Cholera einen sehr ungünstigen Boden abgibt. Die eigentliche Stadt liegt auf einer sehr schmalen und langen Halbinsel, deren eine Seite vom Saone-, deren andere vom Rhonefhiß bespült wird. Alle städtischen Abfallwasser und Schmutzstoffe gingen in früheren Zeiten auf kürzestem Wege in die schnell strömenden Flüsse und wurden von diesen fortgespült. Jetzt ist noch insofern eine Verbesserung eingetreten, daß mehrere Hauptkanäle die städtische Spüljauche sammeln und nahe an dem Vereinigungspunkt von Saone und Rhone, also möglichst weit unterhalb der Stadt, in den Fluß leiten. Außer- dem hat Lyon eine Wasserleitung, welche das Wasser oberhalb der Stadt aus der Rhone entnimnit. Lyon unterscheidet sich also von Toulon und Marseille dadurch, daß in letz- teren beiden Städten die städtischen Schmutzstoffe und insbesondere die Fäkalien 862 Berichte über die Cholera in Südfrankreich. auf weiten Strecken durch die Stadt selbst geleitet und schließlich im Hafen, unmittelbar neben oder zum Teil noch in der Stadt aufgehäuft werden, während Lyon sehr schnell und mit Hilfe der beiden Flüsse auch dauernd von allen Schmutzstoffen befreit wird. Außerdem sind die nördlichen und westlichen Vorstädte von Lyon hochgelegen und haben felsigen Untergrund, so daß es auch da nicht zur Ansammlung von Fäkalstoffen kommen kann. Nur die östlichen Vorstädte Broteaux und Guillotiere erfreuen sich nicht so gün- stiger Verhältnisse, wie die anderen Teile der Stadt. Diese beiden Vorstädte, namentlich Guillotiere, haben auch früher schon Choleraepidemien gehabt, und es ist zu befürchten, daß sie in der bevorstehenden Epidemie dasselbe Schicksal haben werden. Am 13. d. M. trat ich die Weiterreise von Lyon über Genf und Basel nach Deutsch- land an. Es war meine Absicht, die Schweiz ohne weiteren Aufenthalt zu passieren, aber ich mußte mich in Genf einer langdauernden Desinfektionsprozedur unterziehen, wodurch ich den Anschluß an den Schnellzug nach Basel verlor. Infolgedessen reiste ich nach Bern und fand hier Gelegenheit, von Prof. L i c h t h e i m über die von dem Schweizerischen Bundesrat beschlossenen Choleramaßregeln, welche in mehrfacher Beziehung interessant sind, etwas zu erfahren. Diese allein durch den Zufall herbei- geführten und durchaus privaten Besprechungen mit Professor Lichtheim scheinen die durch viele Zeitungen gegangene irrtümliche Nachricht veranlaßt zu haben, daß ich einer Einladung des Schweizer Bundesrats folgend mit der Cholerakommission kon- feriert hätte. Meine Rückkehr nach Berlin erfolgte am 15. d. M. abends. Berhn, den 22. Juü 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich auf den hohen Erlaß vom 18. d. M. R. A. d. J. ganz gehorsamst zu berichten, daß alle in der Presse mir zugeschriebenen Äußerungen über die Choleraepidemie in Südfrankreich unrichtig sind und teilweise geradezu das Gegenteil von dem enthalten, was ich nach meiner Auffassung der Sache möglicherweise darüber gesagt haben könnte. Da ich, um die mir hochgeneigtest erteilten Aufträge erfüllen zu können, in Verkehr mit den Ärzten von Toulon und Marseille treten und wenn ich von diesen über die Choleraverhältnisse an Ort und Stelle erfahren wollte, mich auch auf einen Meinungsaustausch mit ihnen einlassen mußte, so lag es nicht in meiner Macht zu verhüten, daß manche meiner Äußerungen weiterkolportiert wurden und daß sich die Presse derselben bemächtigte. Erklärlicherweise drehte sich in Toulon und Marseille alles Interesse um die Cholera- frage, und bei dieser allgemeinen Erregtheit kann es nicht Wunder nehmen, daß auch Privatgespräche über Cholera, von denen zu anderen Zeiten niemand Notiz nimmt, ein öffentliches Interesse erhalten. Eine Berichtigung der in den Zeitungen umlaufenden falschen Nachrichten über das angeblich von mir Gesagte hielt ich aus dem Grunde nicht für angezeigt, weil alle, denen meine Ansichten über die Cholera bekannt sind, die Unrichtigkeiten jener Zeitungs- notizen sofort selbst erkennen mußten. Was nun speziell den im hohen Erlasse vom 18. d. M. erwähnten Artikel der National- Zeitung betrifft, so habe ich ganz gehorsamst dazu zu bemerken, daß abgesehen von nebensächlichen und sofort als unrichtig zu erkennenden Angaben desselben mir der Vorwurf gemacht werden könnte, ich hätte durch das absprechende Urteil über die Des- infektion der Reisenden auf den Bahnhöfen eine unzeitgemäße Kritik der von der fran- über Maßnahmen gegen die Choleragefahr. 863 zösischen Regierung angeordneten Schutzniaßregeln geübt und ferner hätte ich durch den Ausspruch, daß die Epidemie Devitschland erreichen werde, unnötigerweise Furcht und Besorgnis in Deutschland erregt. Gegen den ersterwähnten Vorwurf scliützt mich der Umstand, daß die Desin- fektion der Reisenden auf den Bahnhöfen von Marseille, Lyon, Genf nicht eine von den betreffenden Regierungen, sondern nur eine von den Lokalbehörden ausgegangene Maß- regel ist, welche von den meisten französischen Ärzten von vornlierein in den schärfsten Ausdrücken getadelt und schließlich auch von der Academie de Medecine in ihrer Sitzung vom L5. d. M. durcli folgenden Beschluß verurteilt ist: Les pratiques de desinfection imposees aux voyageurs et ä leurs bagages, dans les gares de chemins de fer, sont in- efficaces. Uber die Gefahr der Weiterverbreitung der Cholera habe ich mich nie anders als möglichst zurückhaltend ausgesprochen. Ich habe mich, wenn ich um meine Meinung befragt wurde, damit begnügt, auf die allgemein bekannte Tatsache hinzvxweisen, daß die Cholera, so oft sie bisher auf europäischem Boden erschienen ist , auch jedesmal ihren Zug über ganz Europa genommen habe und daß, Avenn sie diesmal lokal beschränkt bleibe, das eine Ausnahme sein würde. Zugleich habe ich aber den französischen Ärzten gegenüber, ebenso wie in meinem dem hohen Erlaß vom 16. d. M. anliegenden an S. Durchlaucht den Fürsten von Hohenlohe gerichteten Privatbrief, stets meine feste Überzeugung dahin ausgesprochen, daß, solange nur Toulon und Marseille ergriffen seien, die Seuche durch energische und richtige Maßregeln noch getilgt werden könne. Ich glaube nicht, 'daß man sich vorsichtiger über diesen Punkt ausdrücken kann, ohne wissenschaftlich begründeten Tatsachen Gewalt anzutun. An den Herrn Staatssekretär des Innern. Berlin, den 22. Juli 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich auf den Erlaß vom 17. d. M. R. A. d. J. Nr. !)734 I. bezugnehmend ganz gehorsamst zu berichten, daß die auf der Reise nach Südfrankreich gesammelten Erfahrungen mir noch zu folgenden Bemerkungen bezüglich der gegen die Choleragefahr zu treffenden Maßnahmen Veranlassung geben. In den von mir besuchten, von der Cholera bereits befallenen oder bedrohten Orten legte ich mir stets die Frage vor, in welcher Weise sich wohl die Ausführung der von der Cholerakommission beschlossenen Maßregeln gestalten und welche Wirkung durch dieselbe voraussichtlich der Seuche gegenüber unter den jeweiligen Verhältnissen zu erwarten sein Avürde. Hierbei drängte sich mir immer mehr die Überzeugung auf, daß die Maßregeln zwar im allgemeinen zweckentsprechend sind, aber in vielen Einzelfällen nicht ausreichen werden. Jeder Ort hat in sanitärer Beziehung seine besonderen Eigentümlichkeiten und muß dementsprechend durch Maßregeln, welche diesen individuellen Verhältnissen angepaßt sind, gegen die Seuche geschützt werden. Man kann in dieser Beziehung die Ortschaften sehr gut mit Menschen vergleichen, welche ebenfalls individuell verschieden sind und im Falle der Erkrankung nicht nach einem allgemeinen Schema, sondern ihren besonderen Gesundheitsverhältnissen entsprechend jeder in seiner Weise behandelt werden müssen. So Avie nun aber die Kunst des Arztes darin besteht, die bei der Behand- lung des Kranken zu berücksichtigenden Eigentümhchkeiten des Körpers richtig zu wür- digen, so ist es auch die wichtigste Aufgabe der Epidemiologen, die schwachen und die starken Seiten, welche ein Ort der Seuche bietet, herauszufindeai, erstere zu verbessern 864 Über Maßnahmen gegen die Choleragefahr. und letztere im Kampf gegen den Feind geschickt zu verwerten. In Toulon ist beispiels- weise die Ableitung der Fäkalien in offenen Rinnsteinen nach einem stagnierenden Hafen die schwache Seite der Stadt, und es kommt alles darauf an, zu verhindern , daß die Choleradejektionen in die Rinnsteine und weiter in den Hafen gelangen. In diesem Falle würde es zweckmäßig sein, eine provisorische Abfuhr der Fäkalien einzuführen und die kontinuierliche Spülung der Rinnsteine mit Wasser zu inhibieren, weil nur auf diese Weise eine sichere Kontrolle darüber zu erlangen wäre, daß von den Einwohnern nicht mehr in gewohnter Weise die Kübel vor den Häusern entleert würden. In Marseille, welches sehr ähnliche Verhältnisse wie Toulon bietet, würde diese Maßregel allein nicht genügen, um den ebenfalls stagnierenden Hafen vor der Meerverunreinigung zu bewahren, denn viele Häuser entleeren ihren Unrat in unterirdische Kanäle und durch diese in den Hafen. Es müßten in Marseille also auch die Verbindung der Häuser nach den Sielen für die Dauer der Epidemie unterbrochen oder wenigstens Einrichtungen getroffen werden, daß keine Fäkalien und Cholerastoffe enthaltende Waschwässer in die Leitungsröhren gelangen. In dem Erlasse des königlich preußischen Ministeriums der geistlichen, Unter- richts- und Medizinalangelegenheiten vom 14. d. M. heißt es in bezug auf die Reinhaltung der Straßen und Plätze, daß, wo die Entleerung unreiner Flüssigkeiten in die Rinnsteine nicht zu verhindern ist, dieselben häufig und womöglich durch Spülung mit Wasser zu reinigen sind. Im allgemeinen ist dies entschieden ein zu billigender Grundsatz. Aber im speziellen kann, wie das Beispiel von Toulon lehrt, diese Maßregel sehr nachteilige Folgen haben, wenn nämlich das Spülwasser sich mit dem stagnierenden Wasser eines Hafens oder anderer Wasserbassins mischt. Ähnliche Mißstände könnten sich auch er- geben, wenn das der Infektion ausgesetzte Spülwasser in einem den Ort mit wenig Ge- fälle durchfließenden Wasserlauf geleitet wird. Noch ein anderes Beispiel möge beweisen, daß manche Fragen nur von Fall zu Fall zu entscheiden und dementsprechend die Schutzmaßregeln festzustellen sind. Toulon sowohl wie Marseille haben Leitungen, welche das Trinkwasser von auswärts zuführen und einer unmittelbaren Infektion in der Weise wie im Bereich der Stadt gelegene Brunnen und andere Wasserbehälter nicht ausgesetzt sind. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß beide Städte es dem Bestehen der Wasserleitungen verdanken, wenn die Cholera sich in ihnen nur langsam ausbreitet und keine beträchtliche Höhe erreicht. Dennoch bietet eine Wasserleitung nicht unter allen Umständen den gleichen Schutz ; es kann die Leitung im Gegenteil, wenn zufällig Infektionsstoffe hineingeraten, die Epidemie befördern oder selbst explosionsartige Ausbrüche veranlassen. Etwas Derartiges hat sich 1866 in London ereignet; in letzter Zeit liefern noch die von den Wasserleitungen der Städte Genf und Zürich ausgegangenen Typhusepidemien den Beweis dafür, daß auch dieser Teil der sanitären Einrichtungen mit Rücksicht auf die Choleraverbreitung der sorgfältigsten Überwachung bedarf und in jedem einzelnen Falle ein eingehendes Studium der lokalen Verhältnisse erfordert. Noch ein zweiter Punkt, welcher in den Beratungen der Kommission nicht zur Sprache gekommen ist, ist mir bei dem Aufenthalt in den Choleraorten als sehr beachtens- wert erschienen. Wenn eine Seuche sich in einem Orte festsetzt und um sich greift, dann bilden sich stets Infektionsherde, welche die Veranlassung zur Infektion vieler damit in Berührung kommender Menschen werden. So kann beispielsweise ein bestimmtes Haus oder ein Brunnen oder der Zweig einer Wasserleitung oder eine Verkaufsstelle von Nahrungsmitteln der Ausgangspunkt für viele Erkrankungen werden. Auch wenn die Abgänge der Kranken und die dadurch beschmutzten Gegenstände aufs sorgfältigste desinfiziert werden, kann es nicht ausbleiben, daß Infektionsstoffe, welche beispiels- weise von leichten und unbeachtet gebliebenen Choleradiarrhöen herstammen, sich an über Maßnahmen gegen die C'holeragefahr. 865 dem Verkehr zugänglichen Stellen ansammeln und daselbst die gefährlichsten Infektions- herde bilden. Begreiflicherweise ist es eine der Hauptaufgaben bei der Bekämpfung der Seuche, derartige Infektionsherde aufzufinden und unschädlich zu machen. Um dies zu ereichen, muß womöglich in jedem einzelnen Erkrankungsfalle der Infektionsquelle nachgefoi'scht werden. Sollte es dann auch nur in einem Teil der Fälle gelingen, dieselbe aufzufinden, dann würde dadurch schon ein wesentlicher Erfolg erreicht werden. Die beiden soeben bezeichneten Aufgaben können indessen die im Choleraorte befindlichen Ärzte für gewöhnlich nicht übernehmen. Einerseits sind dieselben durch die zurzeit der Epidemie aufs höchste gesteigerten Anforderungen der Praxis in Anspruch genommen, andererseits gehört zur Erfüllung dieser Aufgaben die eingehendste Kennt- nis der epidemiologischen Fragen und speziell der ( "holeraverhältnisse. In Toulon und Marseille lernte ich eine große Zahl von Ärzten keimen und wai' nicht wenig enttäuscht, als ich fand, daß ihr Interesse an der Epidemie sich aussch heßlich um die Behandlung der Kranken mid das Auffinden neuer Kurmethoden drehte. Nur selu' wenige interessier- ten sich für die sanitären Fragen, doch fehlten ihnen die nötigen Kenntnisse inid sie ver- mochten trotz des besten Willens nicht die richtigen Maßregeln gegen die Seuche zu finden. Es ist zu befürchten, daß es auch in Deutschland nicht viel besser gehen und daß es ebenfalls an geeigneten Kräften fehlen wird, um die eigentliche Bekämpfung der Epi- demie durchzuführen, welche, wie erwähnt, durch die möglichst ausgiebige Vernichtung und Desinfektion der (_*holeraausleerungen allein noch nicht zu erreichen ist. Uberhaupt fürchte ich, daß, wenn die Ausfülnung der gegen die C'holeraepidemie in Aussicht ge- stellten Maßregeln unmittelbar den Verwaltungsbehörden und den ihnen zur Seite stehen- den praktischen Ärzten ül^erlassen bleibt, falsche Auffassungen der von der Kommission aufgestellten Grundsätze und daraus resultierende Mißgriffe vielfach entstehen werden. Ohne ein eingehendes Studium der (' holer aätiologie ist es nicht möglich, ein sicheres Urteil im speziellen Falle zu liaben, und meiner Erfahrung nach sind auch in Deutscli- land nicht viele Ärzte über die ( 'holera genügend informiert, um den verschiedenen Theorien über das Wesen der Cholera gegenüber sich einen festen Standpunkt für ihre Entschlüsse zu bilden. Ohne besonders für diesen Zweck geschulte Ärzte wird man meinem ganz gehorsamsten Dafürhalten nacli nicht auskommen. Doch erscheint es mir nicht notwendig, etwa jetzt schon für diese Zwecke geeignete Kräfte zu gewinnen. Es ist nämlich nicht zu befürchten, daß die Cholera gleich anfangs an mehreren f)rten zu gleicher Zeit erscheint. Voraussichtlich wird irgendeine der französischen Grenze be- nachbarte Stadt oder ein Grenzbezirk zuerst ergriffen werden. Eurer Exzellenz bitte ich ganz gehorsamst, in diesem Falle hochgnädigst zu genehmigen, daß ich mich sofort mit den disponiblen ärztlichen Hilfsarbeitern des Gesundlieitsamtes dorthin begebe. Dieser Expedition könnten sich dann solche Ärzte, welche sich speziell der Bekämpfung der Cholera Avidmen wollen . anschließen, und es würde besonders erwünscht sein , daß die von der Seuche zunächst bedrohten deutschen Staaten geeignete Ärzte dorthin senden. Meine Aufgabe würde es dann sein, die so gewonnenen ärztlichen Kräfte an Ort und Stelle und inmitten der ])raktischen Verhältnisse über alles, was zur Bekämpfung der Epidemie notwendig ist, zu belehren und speziell für diesen Zweck auszubilden. Später können diese Ärzte wieder anderen Informationen erteilen, und es würden, wenn die Cholera an Ausbreitung gewinnen sollte, in kurzer Zeit Ärzte in genügender Zahl vorhanden sein, welche ihrer Aufgalje gewachsen sind und luibehindert durch ärztliche Praxis sich auch ganz allein diesem Zwecke widmen köimen. Diesen Ärzten könnte dann auch die Kontrolle über die sachgemäße Ausfühmmg der von der Cholcrakommission vorgeschlagenen Maßregeln übertragen werden, um so ein einheitliches \uu\ zielbewußtes Vorgehen gegen die Verbreitung der Seuche zu erreichen. K o c h , Gesaniinelte Werke. 100 866 Abtritte in d. Eisenbahnzügen b. Cholera. — Choleraeinschleppimg d. d. Schlafwagenverkehr. Vor seiner Reise nach Südfrankreich war an Koch seitens des Staatssekretärs des Innern die Aufforderung ergangen, sich auf eine Zuschrift des Großherzogüch Badischen Staatsministeriums zu äußern, in der auf den Mißstand hingewiesen wurde, der bei den Einrichtungen der Aborte auf den Eisenbahnzügen herrschte: diese hätten zuv Folge, daß die Exkremente auf den Bahnkörper fallen, und bei der Anwesenlieit von Cholera könnten hierdurch die Keime Verbreitet werden. Es wird da- her eine für alle Bahnen gleiche Einrichtung, welche die Abtritte nach unten schließen würde, in Vor- schlag gebracht. Hierauf berichtet Koch in seinem Antwortschreiben vom 2. August 1884 an den Staatssekretär des Innern: Eurer Exzellenz beehre ich mich meine Ansicht auf die mit dem hohen Erlaß vom 24. Juni d. J. geforderte Äußerung bezüglich der Einrichtung der Abtritte in den Eisenbahnzügen unter Rückreichung der Anlage ganz gehorsamst dahin abzugeben, daß die Gefahr einer Choleraverschleppung auf dem vom Großherzoglich Badischen Staatsministerium bezeichneten Wege mir wenig erheblich zu sein scheint. Im Falle der Benutzung eines Abtrittes im Eisenbahnzuge seitens eines Cholerakranken müßten allerdings die Dejektionen auf den Bahnkörper gelangen. Eine Infektionsgefahr könnte dadurch jedoch nur dann entstehen, wenn die Benutzung des Abtrittes auf einer Station stattfindet. Aber auch in diesem Falle gelangen die Dejektionen zwischen die Geleise, also an eine Stelle, wo niemand geht und von wo sie nicht durch den Regen in Wasser- läufe geschwemmt werden. Es dürfte aus diesem Grunde als ausreichend erscheinen, wenn das Stationsper- sonal verpflichtet wird, darauf zu achten, ob der Boden auf den Geleisen durch mensch- liche Auswurfstoffe beschmutzt ist, und vorkommenden Falles die betreffende Stelle durch wiederholtes Übergießen mit 5proz. Karbolsäure zu desinfizieren. In einem am 19. Juli 1884 an den Staatssekretär des Innern gerichteten Schreiben hatte Koch sich dahin geäußert, daß die von der Cholerakommission bei der Ausbreitung der Cholera in Frankreich zu treffenden Maßregeln dann seitens der deutschen Reichs- behörden notwendig werden müßten, wenn Paris ergriffen werden sollte, weil in diesem Falle anzunehmen sei, daß ein großer Teil der Flüchtlinge sich direkt nach Deutschland begeben würde. Lyon habe noch nie bedeutendere Epidemien gehabt und diente vielmehr vielfach als Zufluchtsort; deshalb werde das Erscheinen der Epidemie in dieser Stadt keine große Gefahr für Deutschland abgeben. Abgesehen von Paris, hätten die erforder- lichen Schritte nicht eher zu geschehen, als bis die Linie Paris-Lyon überschritten sei. Am 12. November 1884 wurde, nachdem die Cholera in Paris einige Tage zuvor ausge- brochen war, seitens des Reichsamts des Innern die Frage aufgeworfen, welche Schutz- maßregeln nunmehr in Anwendung gebracht werden sollten. Hierauf äußerte sich Koch in folgendem Schreiben an den Staatssekretär des Innern am 24. November 1884: Eurer Exzellenz beehre ich mich in Erledigung des hohen Erlasses vom 21. d. M. über die Gefahr der Choleraeinschleppung durch den Schlafwagenverkehr unter Rück- reichung der Anlage ganz gehorsamst nachstehendes zu berichten. Die im Sommer einberufene Cholerakommission ging b^i ihren Beratungen von dem Grundsatze aus, daß es unmöglich sei, die Einschleppung der Cholera zwischen verkehrsreichen Ländern auf dem Landwege durch Verkehrsbeschränkungen zu verhindern. Die Richtigkeit dieses Satzes ist durch zahlreiche Erfahrungen aus früheren Epidemien begründet und hat sich auch diesmal bei der weiteren Verbreitung der Epidemie von dem ursprüng- lichen Herde im südlichen Frankreich aus in evidenter Weise gezeigt, indem die Seuche zuerst ihren Weg, trotz strenger Quarantänemaßregeln und fast vollständiger Unter- brechung des Eisenbahnverkehrs, nach Italien und Spanien genommen hat. Wenn es demnach vollkommen berechtigt erscheint, beim Heranrücken der Choleragefahr im allgemeinen keine Verkehrsbeschränkungen eintreten zu lassen, so können doch Verhandlungen der Cholerakommission im Jahre 1892. 867 besondere Verhältnisse Ausnahmen bedingen, z. B. würde das der Fall sein, wenn es sich um Massentransporte von Menschen aus den niederen Vollvskreisen handelt, nament- lich von Arbeitern, durch welche unzweifelhaft im Sommer die Cholera nach Italien eingeschleppt wurde. In solchen Fällen würden auf Grund dieser Erfahrung besondere Vorsichtsmaßregeln, selbst wenn sie mit einer Beschränkung des Eisenbahnverkehrs verbunden sein sollten, dennoch geboten sein. Dagegen kann man sich von der von Seiner Exzellenz dem Herrn Kultusminister in Erwägung genommenen Einstellung des Verkehrs von Schlafwagen zwischen Frankreich und Deutschland einen wesentlichen Erfolg nicht versprechen. Diejenigen Reisenden, welche unter gewöhnlichen Verhält- nissen Schlafwagen benutzen, werden sich durch das Aufhören des Schlafwagenverkehrs nicht abhalten lassen, die beabsichtigte Reise auszuführen. Sie werden in diesem Falle nur gezwungen sein, die gewöhnlichen Wagen zu benutzen. Die ärztliche Besichtigung der Eisenbahnreisenden kann aber überhaupt nur eine oberflächliche sein, und dieselbe wird, weil die von der Cholera Infizierten, aber noch nicht sichtlich Erkrankten durch eine ärztliche Untei\suchung nicht entdeckt werden können, niemals imstande sein, die Einschleppung der Seuche durch Eisenbahnreisende zu verhüten. In letzterem Sinne war diese Maßregel von der Kommission auch nicht in Vorschlag gebracht worden, son- dern lediglich im Hinblick darauf, daß es teils bedenklich erschien, offenbar cholerakranke Menschen ihre Reise fortsetzen zu lassen, teils auch, daß den Mitreisenden nicht zuzu- muten wäre, ferner mit einem Cholerakranken in demselben Räume zuzubringen. Die Kommission ging dabei von der Voraussetzung aus, daß an Cholera bereits Erkrankte auch bei einer oberflächlichen ärztlichen Untersuchung zu erkennen wären, und daß die Mitreisenden in ihrem eigenen Interesse auf Choleraverdächtige bei der ärztlichen Revision aufmerksam machen würden. Diese beiden Voraussetzungen treffen aber auch bezüglich der Schlafwagen in derselben Weise zu wie für andere Eisenbahnwagen, und es würde somit kein Grund vorliegen, dieselben vom Verkehr auszuschließen. Auch die Kommission hatte sich mit dieser Frage beschäftigt und in ihrer zweiten Sitzung sich dahin geeinigt, daß nicht die Reisenden, welche die Schlafwagen benutzen, sondern die in diesen Wagen gebrauchte Wäsche eine besondere Beachtung verdiene, und daß es zweckmäßig sein werde, die Wäsche mit oproz. Karbolsäure zu desinfizieren. Diese Maßregel wird auch jetzt noch vorläufig ausreichen, und es würde der Schlafwagen- gesellschaft zuzugeben sein, daß die Bettwäsche, Handtücher usw. sofort nach dem Ge- brauche in ein Gefäß getan werden, welches öproz. Karbolsäure enthält. Die Bereitung der Karbolsäurelösung hat in der Weise zu geschehen, daß ein Teil der sogenannten 100 proz. Karbolsäure (Acidum carbolicum depuratum) in 18 Teilen Wasser unter häufigem Umrühren aufgelöst wird. Die Wäsche bleibt mindestens 24 Stunden in der Karbolsäurelösung, ehe sie zum Waschen abgegeben wird. Die Kontrolle über die Aus- führung dieser Maßregel kann auf den Zielstationen von der Bahnverwaltung übernommen werden. Sollten Kontraventionen vorkommen oder sich Schwierigkeiten in der Aus- führung dieser Desinfektion herausstellen, dann bliebe immer noch als äußerste Maß- regel die vollständige Einstellung des Schlafwagenverkehrs übrig. Im Jahre 1892, September, wurden wiederum Beratungen einer Cholera- k o m m i s s i o n veranstaltet, im Anschluß an den Ausbruch der furchtbaren Ham- burger Epidemie^). In der dritten Sitzung am 22. September berichtete Koch über Schutzmaßregeln im Stromgebiet der Oder. Seiner Meinung nach ist der Hafen von Stettin für durchweg verseucht zu betrachten. Stettin selbst ist zurzeit noch frei, doch ') Diese Werke Bd. II, S. 207. D. Herausgeber. 100* 868 Verhandlungen der Cholerakomniission im Jahre 1892. besteht die ernste Gefahr einer epidemischen Ausbreitung der Seuche durch Vermittlung der Wasserleitung, da das Fehlen eines Wassermessers an den Stettiner Werken auf eine hochgradige Vergeudung von Wasser sowie dementsprechend eine Steigerung der Filtra- tionsgeschwindigkeit auf 330 —350 mm (höchstes zulässiges Maß 100 mm) am Tage zur Folge hat, welche notwendigerweise die Sicherheit der Filtration beeinträchtigen muß. Die Lage der Wasserwerke oberhalb Stettins bietet keinen Schutz gegen eine Cholera- epidemie. Denn durch den Schiffahrtsverkehr wird die Oder auch dort leicht infiziert. In der vierten Sitzung (26. September) berichtet Koch über einige Beobachtungen aus der gegenwärtigen Epidemie, welche geeignet sind, für die Bestimmung der Inku- bationsdauer bei Cholera verwertet zu werden. Ein Handwerksbursche, welcher sich am 15. d. M. anscheinend gesund aus Hamburg auf die Wanderschaft begab, erkrankte am 19. September, also 4 Tage darauf, in Bruchhausen, Kreis Hoyer, an Cholera. Ein seit 4 Wochen obdachloser Töpfer hat am 19. September in Charlottenburg beim Ab- laden eines Krans geholfen, wobei möglicherweise seine Infektion durch Spreewasser erfolgte. Er erkrankte in der Nacht zum 25., also 6 Tage darauf, an Cholera im Asyl für Obdachlose. Da er das dortige Klosett in der betreffenden Nacht mehrfach benutzt hat und am Vormittag des 25. sehr häufig in Gebüschen des Tiergartens seine Not- durft verrichtet hat, kann er wohl zur Weiterverschleppung der Seuche beigetragen haben. Der Schlosser F. in Spandau hatte am 12. September seine Wohnung räumen müssen, weil bei dem im Nebengebäude des betreffenden Hauses wohnenden Schiffer R. Cholera als Todesursache festgestellt war. Nach Desinfektion des Hauses durfte F. am 22. September seine Wohnung wieder beziehen, worauf er am 24. September an Cholera erkrankte. In der fünften Sitzung (30. September) erstattete Koch einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Choleraepidemie. Die Choleraepidemie ist in sichtlicher Abnahme begriffen. Während seit Beginn der Seuche in mehr als 230 Städten und Dörfern Choleraerkrankungen vorgekommen sind, wurden in den letzten Tagen nur noch aus einer erheblich kleineren Anzahl von Ortschaften neue Krankheitsfälle ge- meldet. In Hamburg selbst kamen am 29. d. M. nur noch 33 Neuerkrankungen und 24 Todesfälle zur Anzeige , in Hamburgs Umgebung hatte nur noch Wandsbek und die Arbeitervorstadt Hilgersburg vereinzelte Krankheitsfälle. Die Unterelbe ist zurzeit ziemlich frei. Aus dem Elbegebiet oberhalb Hamburgs wurden in den letzten Tagen wieder frische Fälle gemeldet, bezüglich deren zum Teil noch Rückfragen erforder- lich sind ... In das Odergebiet war die Cholera wie es scheint durch Kanalwasser ein- geschleppt worden. In Stettin, welches zuerst von der Seuche ergriffen wurde, sind im ganzen 22 Erkrankungen erfolgt. Alle lassen sich auf den Hafen zurückführen. Am- kleinen Hafen hat der vom Staatskommissar zur Gesundheitspflege ins Oderstrom- gebiet entsandte Dr. Hahn einen gefährlichen Seuchenherd in Ückermünde entdeckt . . . Auch in Berlin kommen immer wieder einzelne Cholerafälle vor, welche indessen gewöhn- lich als eingeschleppt erwiesen werden können. Neue Gefahr droht Deutschland vom Osten, wo die Cholera zuverlässigen Nachrichten zufolge schon über Warschau hinaus vorgeschritten ist, und vom Westen. Auf Infektion von Holland aus sind Erkrankungen in Duisburg zurückzuführen. Der Verlauf der Epidemie hat bewiesen, daß die Cholera sich längs der Wasserstraße verbreitet, und daß es durch Vernichtung des in den Ge- wässern wuchernden Infektionsstoffes gelingen kann, dem Überhandnehmen der Seuche Einhalt zu tun. In der elften Sitzung (1. November) gab Koch eine einleitende Über.sicht. Seiner Meinung nach lassen sich i m Verlauf der diesjährigen Choleraepidemie verschiedene Abschnitte unterscheiden : Verhandlungen der C'holerakommission im Jahre 1892. 869 a) Cholera im Nachbarstaate Rußland, b) Cholera in Hamburg (plötzliches und unvermutetes Auftreten). c) Ausbreitung der Cholera von Hamburg aus. Durch den Verkehr von Hamburg muxle die Seuche nach nahezu .300 Orten ver- schleppt, und es sah anfangs aus, als ob in kurzem ganz Deutschland mit Cholera infi- ziert werden würde. Um zu verhüten, in solcher Weise von Ansteckungsstoffen über- schwemmt zu werden, wurde ein anderes Verhalten als früher beobachtet. Der mensch- Hche Verkehr wurde nicht wie ehemals beschränkt, da die Erfahrung gelehrt hat, daß dadurch nicht viel erreicht wird. Die heutzutage geltenden und zielbewußten Maß- regehi (die auch für andere Epidemien Geltung haben) zielen besonders dahin, daß die ersten Fälle an jedem Orte gründlich behandelt werden, damit eine örtliche Epidemie nicht erst zum Ausbruch kommt. In fast allen Fällen, die von Hamburg aus verbreitet wurden, gelang es in dieser Weise, der Cholera Herr zu werden. Während der diesjährigen Epidemie wurde eine Erscheinung beobachtet , auf welche bisher nicht achtgegeben worden war. Es zeigte sich, daß die Cholera nicht nur durch den menschlichen Verkehr verschleppt wurde, sondern daß auch das Wasser der Flußläufe und anderer Wasser- straßen der Träger des Infektionsstoffes werden kann. Während früher nur mehr oder weniger bekannt war, daß eine schlechte Wasserversorgung der Ausbreitung der Seuche Vorschub leiste, haben sich in diesem Jahre noch weitere Beziehungen zwischen Cholera und Wasser herausgestellt. Das häufige Auftreten der Cholera auf Elbschiffen, deren Beziehungen zu Hamburg direkt nicht nachzuweisen waren, fiel namentlich auf, und es entwickelte sich die Annahme, daß die Wasserläufe selbst verseucht sein müssen. Hier- bei kam in Erinnerung, daß Berlin von 1 1 Epidemien 10 nicht durch die Eisenbahn, sondern durch die Spree bekommen hat. Um die Wasserläufe von den Infektionskeimen freizuhalten, genügt es aber, dafür zu sorgen, daß nicht immer aufs neue Keime in das Wasser eingebracht werden, denn der Cholerakeim ist eine exotische Pflanze, die sicher hl den Gewässern unseres Klimas bald zugrunde geht. Wenn es auch möglich ist, in dieser Hinsicht bei den ausschließlich deutschen Gewässern die nötigen Vorkehrungen gegen eine fortdauernde Verunreinigung durch Infektionskeime zu treffen, so droht doch von den Grenzlänclern (Rußland, Frankreich) her ständig die Gefahr einer Einschleppung der Cholera. Es besteht die Hoffnung, daß wir diese Gefahr abwenden werden, wenn wie zurzeit an den Grenzen im Westen und im Osten das Nötige geschieht. An Rhein und Weichsel ist es bereits gelungen, Fälle, die von Holland bzw. Rußland eingeschleppt worden waren, sofort unschädlich zu machen. In der 16. Sitzung (6. Februar 1893) erstattete Koch Bericht über die Cholera in Altona Altona hat im Sommer keine eigentliche Choleraepidemie gehabt. Von ungefähr 700 Erkrankungen, welche während des Sommers in i\,ltona erfolgten, hat sich nur bei etwa 70 die Einschleppung aus Hamburg nicht nachweisen lassen. Dagegen ist in der letzten Zeit in Altona eine Reihe von Erkrankungen eingetreten, welche nicht auf Einschleppung bezogen werden konnte, da sie, wenn auch in geringer Menge, so doch über die ganze Stadt zerstreut, zum Teil in geschlossenen Anstalten (Gefängnissen, Krankenhäusern) auftraten. Der Verdacht fiel auf die Wasserleitungen. Stabsarzt Dr. Weißer, der das Wasser der Filterwerke in Altona untersuchte, hat festgestellt, daß das Wasserwerk im Oktober noch gut funktionierte. Ende November stieg die Zahl der Bakterien auf 750 im Kubikzentimeter filtrierten Wassers; im Dezember auf 1800 und in den letzten Tagen wurden wieder über 1000 nachgewiesen. Diese auffällige Ver- mehrung der Bakterien gab K o c h zu der Vermutung Anlaß, daß ein Teil der Filter- vgl. Bd. II, p. 219 ff. D. Heravisgeber. 870 Verhandlungen der Cholerakommission im Jahre 1892. anläge zurzeit nicht wirksam sein, und daß die Bakterienzahl des von diesem Teile durch- gelassenen keimhaltigen Wassers auf das übrige noch gut filtrierte Wasser die Infektion übertrage, daß mithin die Möglichkeit eines Übergangs von Cholerakeimen aus der Elbe in die Altonaische Wasserleitung gegeben sei. Diese Annahme hat sich als begründet erwiesen. Während des Tauwetters war die Reinigung eines Filters begonnen und die oberste Schicht zum Teil entfernt worden, als plötzlich Frost eintrat, der die Fort- setzung verhinderte. Die auf Veranlassung von Koch ausgeführte Untersuchung eines Filters ergab, daß die Schlammschicht desselben zugefroren war und sich zur Fil- tration als ungeeignet erwies. Außerdem fand noch eine Gruppenerkrankung in einem Komplex von kleinen Häusern statt, welche nicht von der Altonaer Wasserleitung ver- sorgt werden, sondern auf einen schmutzigen Kesselbrunnen angewiesen sind, der in der Folge geschlossen wurde. Unter den in diesen Häusern wohnenden 200 —250 Menschen traten plötzlich 9 Erkrankungen und 8 Todesfälle an Cholera auf. Mittels eines neuen Verfahrens der bakteriologischen Wasseruntersuchung, durch Avelches es gelingt, größere Mengen Wassers auf ihren Gehalt an Cholerakeimen zu prüfen, sind im Institut für In- fektionskrankheiten in dem Wasser jenes Brunnens Cholerabazillen nachgewiesen worden. In Altona gibt es außer der Wasserleitung eine größere Menge von Brunnen für diejenigen, denen das Leitungswasser zu teuer ist. Bei der Untersuchung von 366 Brunnen erwies sich das Wasser von 92 derselben als unbrauchbar. Auch über die Cholera in Nietleben berichtet Koch in derselben Sitzung^). In der 17. Sitzimg erstattete Koch den Bericht über die Cholera in Ruß- land. Nach privater Mitteilung eines russischen Arztes sind die russischen Ostsee- provinzen, namentlich auch sämtliche Häfen einschließlich Petersburg, cholerafrei, während die Seuche in Moskau sowie in Polen noch nicht erloschen ist. Bei einer in Petersburg abgehaltenen Konferenz haben sich die aus dem ganzen russischen Reiche teilnehmenden russischen Ärzte übereinstimmend gegen die zur Verhütung einer Ver- schleppung der Seuche angeordneten Landquarantänen ausgesprochen. Die Annahme einer Verbreitung der Cholera durch Wasser wurde von keiner Seite angezweifelt. In Riga ist die Cholera zuerst auf einem Schiffe im Hafen aufgetreten, ohne daß sich eine Einschleppung nachweisen ließ. Bei der Weiterverbreitung der Krankheit blieben die- jenigen Stadtteile verschont, welche ihren Wasserbedarf einer einwandfreien Wasser- leitung entnahmen. Koch bemängelte auf Grund der von seinem Gewährsmann ge- machten einwandfreien Mitteilung die gegen Reisende beim Übertritt aus Rußland nach Preußen seitens der preußischen Behörde geübten Desinfektionsmaßregeln und bezeichnete die Aufhebung derselben als erwünscht. In der 2 1 . Sitzung machte Koch Vorschläge zu einer Anweisung betreffend die Überwachung von Filterwerken [mit Bezugnahme auf die Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts 1892, S. 767^)]. Koch weist auf die wichtige Rolle hin, welche das Wasser bei der Verbreitung der Cholera spielt. Soweit von den Städten Flußwasser verwandt wird, dient zu seiner Reinigung die Filtration durch Sandfilter. Deren Wirksamkeit hängt davon ab, daß sie richtig konstruiert sind und richtig behandelt werden. Die Erreichung eines brauchbaren Ergebnisses ist nicht so einfach, wie es ur- sprünglich geschienen hat. Bei dem Erlaß von Vorschriften sind zwei Wege denkbar. Entweder kann man auf Grund der bisher vorliegenden Ergebnisse theoretisch konstru- ieren, wie man am vorteilhaftesten bei der Filtration zu verfahren hat, oder man hält ^) vgl. Kochs Abhandlimg über diese Epidemie in dem Aufsatz: Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892 bis 1893. Diese Werke Bd. II, p. 230 ff. D. Herausgeber. 2) vgl. den Aufsatz: „Wasserfiltration und Cholera" in Bd. II, S. 183 ff. D. Herausgeber. Verhandlungen der Cholerakommission im Jahre 1892. 871 sich nur an das Produkt und stellt diejenigen Forderungen auf, welchen das Wasser bei gut arbeitenden Filtern erfahrungsgemäß genügen kann. In letzterem Falle ist es Sache der Techniker, den Weg zu finden, auf welchem die gestellten Forderungen erfüllt werden. Bei den im vorigen Jahre von der Cliolerakommission aufgestellten Erfahrungs- sätzen sind die beiden eben beregten Standpunkte vermengt worden. Koch ist jetzt der Meinung, daß nur der zweite Weg der richtige ist, schon deshalb, weil man bei der Wahl des ersteren nach Maßgabe der inzwischen gemachten Erfahrungen fortwährend ändern müsse, während er für seinen jetzigen Vorschlag eine Gewähr für längere Zeit übernehmen könne. Die von Koch aufgestellten Sätze lauten : Regelung für die W asser- filtration in kühleren Zeiten: 1. Jedes einzelne Filterbassin muß, solange es in Tätigkeit ist, täglich bakteriologisch untersucht werden. Es soll daher eine Vorrichtung haben, welche gestattet, daß Wasserproben unmittelbar nach dem Austritt aus dem Filter entnommen werden können. 2. Filtriertes Wasser, welches mehr als etwa 100 entwicklungsfähige Keime in einem Kubikzentimeter enthält, darf nicht in das Reinwasserreservoir geleitet werden. Das Filter muß dabei so konstruiert sein, daß ungenügend gereinigtes Wasser entfernt werden kann, ohne daß es sich mit dem gut filtrierten Wasser mischt. Die von ihm gestellten Forderungen sind erreichbar, wie das Beispiel Altonas zeigt. Auch die Kostenfrage kommt bei dem erheblichen Kapitalaufwand, welches die Anlage von Wasserfiltern notwendig macht, nicht in Betracht, da es sich lediglich darum handelt, jemand anzustellen, der bakteriologische Wasseruntersuchungen aus- führen kann. Sodann konunt in Betracht, daß die verlangten Einrichtungen nicht nur getroffen, sondern auch überwacht werden. Die Überwachung kann nur eine staatliche sein. Koch stellt daher den weiteren Antrag, daß die Wasserwerke staatlich über- wacht werden. Zu Ziffer 1 seiner Sätze bemerkt Koch, daß es wesentlich ist, das Wasser jedes einzelnen Filters zu untersuchen, nicht das Gesamtfiltrat, weil der Fehler jedes Filters in letzterem um so viel mehr verringert ist, als zu ihm noch andere Filter Wasser liefern. Zu Ziffer 2 ist hervorzuheben, daß es möglich sein muß, das sclilecht befundene Wasser sofort auszuschalten. Diesen Forderungen kann häufig durch kleine Änderungen der Einrichtung genügt werden. In der 22. Sitzung (9. August) teilte Geheimer Oberregierungsrat Hopf mit, daß die Kommission aus Anlaß eines am 5. August in Berlin vorgekommenen Todesfalles von a s i a t i s c h e r C h o 1 e r a zu einer sofortigen Sitzung zusammenberufen worden sei, um von den bisher ermittelten Tatsachen Kenntnis zu nehmen und die erforder- lichen Maßregeln zu besprechen. K o c h hatte am Vormittag an Ort und Stelle Nach- forschungen angestellt und bringt einige Bedenken über die Behandlung der Leiche inid das ärztliche Meldewesen zur Sprache : Was die Infektionsquelle des vorliegenden Cholerafalles anbetrifft, so ist es mög- lich, daß der Verstorbene, der häufig polnische Gesellschaft in seiner Wohnung gehabt hat, durch Leute, die aus verseuchten Gegenden von Russisch-Polen neuerdings her- gekommen sind, angesteckt worden ist; größere Wahrscheinlichkeit bietet die Annahme, daß er sich bei seiner Arbeit auf dem Holzplatz durch das Wasser des Rummelsburger Sees infiziert habe. Die von der Firma des Holzplatzes aus Rußland bezogenen Hölzer gelangen nämlich direkt von dort mittels Kähne ohne Umladung auf der Weichsel, Brahe und dem Warthekanal nach dem Rummelsburger See, woselbst sich der Ausladeplatz der Firma befindet. Da dieser See so gut wie gar keine Strömung besitzt, ist eine Al)- lagerung und Vermehrung etwaiger aus Riißland mit den Kähnen eingeschleppter Cholerakeime leicht möglich, auch im Vorjahre ist der Rummelsburger See verseuclit 872 Verhandlungen der Cholerakommission im Jahre 1892. gewesen. Koch hat deshalb jetzt sofoi-t eine bakteriologische Untersuchung des dor- tigen Wassers und des benachbarten Spreewassers, aus dem das Stralauer Wasserwerk schöpft, angeordnet. Unter diesen Umständen ist das Stralauer Wasserwerk eine erheb- liche Gefahr für Berhn, zumal die derzeitige Filtergeschwindigkeit bedenklich ist. Falls die gänzliche Schließung desselben wegen unzureichender Leistungsfähigkeit des Tegeler- und Miiggelseewerkes sich nicht durchführen läßt, muß wenigstens eine tägliche Kon- trolle jedes einzelnen Filters nach Maßgabe der von der Kommission letzthin befür- worteten Aufforderungen geschehen. In der 23. Sitzung berichtet Koch Näheres über die auf dem Kahn eines Schiffers im Nordhafen zu Berlin vorgekommene Erkrankung der beiden Schwestern Sch. an Cholera. Eine Infektion hat im vorliegenden Falle wahrscheinlich durch das Wasser des Nordhafens stattgefunden, das schon an und für sich sehr schlecht ist und außerdem vielleicht durch russisch-polnische Arbeiter, die dort ebenfalls be- schäftigt sind, mit Cholerakeimen verunreinigt ist. Koch hält eine Schließung der im Nordhafen befindlichen zwei städtischen Badeanstalten und eine ständige Überwachung des Gesundheitszustandes der Schiffsbevölkerung für Berlin und Umgegend für dringend geboten. In der 25. Sitzung (23. September) berichtet Koch über die Beurteilung und Veröffentlichung von leichten Choleraerkrankungen. Bei den bakteriologischen Unter- suchungen, welche seit dem vorigen Jahre in großer Zahl an Wasserproben zwecks Nachweises der Cholerabazillen ausgeführt wurden, sind einige Male Vibrionen, welche von Cholerabazillen sich kaum unterscheiden lassen, aufgefunden worden. Ähnliche Bakterien sind im laufenden Jahre wiederholt in Hamburg in normalen oder diarrhöischen Ausleerungen anscheinend gesunder oder nur leicht kranker Personen beobachtet worden. Es handelte sich dabei stets um Menschen, bei denen einige Möglichkeit der Infektion durch Wasser oder auf anderem Wege vorlag. Bei der großen praktischen Bedeutung der Frage hat das Kaiserliche Gesundheitsamt, unterstützt durch das Entgegenkommen der Hamburger Behörde, insbesondere auch des Hygienischen Instituts und des Neuen allgemeinen Krankenhauses, Parallelversuche mit einer Anzahl gleichmäßig verteilter Proben im Berliner Institut für Infektionskrankheiten, im Hygienischen Institut zu Gießen und im Gesundheitsamt selbst vermittelt, deren Ergebnisse in einer fach- männischen Besprechung vor der heutigen Sitzung unter Beteiligung der Leiter der genannten Hamburger Institute erörtert worden sind. Das Urteil der Fachmänner geht dahin, daß die Frage zwar wissenschaftlich noch nicht abschließend zu beantworten sei, daß aber wohl ein vorläufiges für die Praxis maßgebendes Urteil gewonnen werden kann. Die Abweichungen, welche die Wasserbazillen hinsichtlich der Art ihres Wachstums auf verschiedenen anderen Böden und dergleichen gegenüber den Cholerabazillen zeigen, be- wegen sich nur in solchen Grenzen, innerhalb deren unter Umständen auch der Befund bei wirklichen Choleravibrionen schwanken kann. Die verdächtigen Wasserbazillen wurden bisher nur an einzelnen Stellen der Spree bei Berlin, der Havel, der Elbe, ins- besondere bei Hamburg, im Rheinhafen bei Ruhrort und in der Amstel bei Amsterdam gefunden; sie fehlten in allen sonst noch in großer Zahl untersuchten Proben aus deutschen und ausländischen Gewässern. Es scheint also, als ob ihr Vorkommen sich auf diejenigen Stromgebiete, welche im vorigen oder in diesem Jahre durch Cholera heim- gesucht worden sind, und auch hier nur auf bestimmte Bezirke, beschränkt. Die Befunde der Vibrionen gehen zudem stets neben einem Auftreten von Cholera in der Nähe des Fundortes einher oder einem solchen voraus . . . In der 26. Sitzung (1. November) berichtet Koch über neuere Fälle im Oder- gebiet. Bei dieser Gelegenheit regt er, im Hinblick darauf, daß die zu evakuierenden Verhandlungen (ler Chulerakonimission im Jahre 1892. 873 gesunden Personen oft nur ungern zum \^erlas.sen ihrer Wohnung bereit sind, die Frage an, ob man sie nicht dadurch wilUger machen könne, daß man ihnen eine kleine Entschädigung für den Ausfall an Arbeitslohn verspricht. In der 27. Sitzung wurden in Anwesenheit von fünf Wasserwerktechnikern und Hygienikern Verhandlungen über die Einrichtung und den Betrieb öffentlicher Wasser- filterwerke 1) gepflogen. Als Unterlage diente ein von Koch und Ing. P i e f k e aus- gearbeiteter Entwurf. Dieser Entwurf lautet: 1. Die Eigenschaften, welche das filtrierte Wasser besitzen muß, um den hygie- nischen Anforderungen zu entsprechen, sind: a) Es soll niöglichst klar sein und darf in bezug auf Farbe. Geschmack und Temperatur und chemisches V^erhalten nicht schlechter sein als vor der Fil- tration. b) Es soll nicht mehr als ungefähr lOÜ Keime im Kubikzentimeter enthalten. 2. Um das Wasser in bakteriologischer Beziehung fortlaufend zu kontrollieren, muß täglich das Filtrat jedes einzelnen Filters untersuclit werden. 3. Den hygienischen Anforderungen nicht entsprechendes Wasser ist vom Ge- brauch auszuschließen. 4. Um bakteriologische Untersuchungen im Sinne der Vorschrift Ib zu veran- stalten, muß das Filtrat eines jeden Filters derartig zugänglich gemacht werden, daß zu beliebiger Zeit Probedosen entnommen werden können (bei neueren Anlagen ist dies ohne weiteres durch die Vorkammern ermöglicht). 5. Die Ausführung der Vorschrift 3 bedingt das Vorhandensein einer Einrichtung zum Ablassen minderwertigen Filtrates. Dieselbe pflegt in Gestalt eines großen Schie- bers, der zur Trockenlegung der Sandschicht benutzt wird, gegeben zu sein. Das Ab- lassen hat stets, d. h. aucli unabhängig von dem Ergebnis der bakteriologischen Reinigung, zu geschehen a) unmittelbar nach vollkommener Reinigung des Filters und b) nach Ergänzung seiner Sandschicht. Über die Zeit, binnen welcher in diesen Fällen das Filtrat die vorschriftsmäßige Beschaffenheit erlangt, hat sich der leitende Techniker an der Hand bakteriologischer Untersuchungen zu unterrichten. 6. Ein geordneter Betrieb ist nicht iiiöglich, wenn sich die Filtrationsgeschwin- digkeit nicht innerhalb bestimmter Grenzen liält und größere Schwankungen derselben ausgescldossen werden. Zu diesem Zwecke ist jedes Filter mit einer \^)rrichtung zu versehen, welche die Regulierung der Filtrationsgeschwindigkeit gestattet; und ferner sind hinlänglich geräu- mige Ausgleichreservoire anzulegen. 7. Die Schwierigkeiten in der Behandlung eines Filters wachsen sehr mit der Größe desselben. Von dieser hängt wesentlich der Zeitaufwand ab, welcher zur Aus- führung der Reinigung und anderer Arbeiten sowie zum Ablassen des ersten Filtrates bei Wiederbeginn der Benutzung erforderlich ist. Deswegen empfiehlt es sich, den Filter- bassins keine zu großen Dimensionen zu geben. Für bedeckte Filter ist eine Flächen- große von 2000 qm angemessen, für offene höchstens die doppelte. 8. Es ist ratsam, die Filter keinem zu großen Drucke zu unterwerfen. Die zu- lässige Grenze, bis zu welcher derselbe ohne Benachteiligung des Filtrats gesteigert werden darf, ist in jedem einzelnen Falle durch bakteriologische Untersuchungen zu ermitteln. vgl. p. 870. D. Herausgeber. 874 Verhandlungen der Cholerakouimission im Jahre 1892. 9. Die Ergänzung der Sandschicht darf nicht länger aufgeschoben werden, so- bald sich ihre Stärke bis auf etwa 30 cm vermindert hat. Wenn irgend tunlich, soll die Auffüllung schon früher geschehen. Im Einklang hiermit sind die Sandwaschvorrich- tungen so leistungsfähig herzustellen, daß die Zirkulation des Sandes keine unnötige Verzögerung erfährt. Sehr beachtenswert ist der Vorschlag (von L i n d 1 e y), den in ein Filter frisch eingebrachten Sand durch eine dünne Lage des zurückgebliebenen ge- brauchten zu überdecken. 10. Der bauliche Zustand der Filter ist streng zu überwachen. Defekte, welche unfiltriertem Wasser den Zutritt in die Reinwasserkanäle gewähren, sind schleunigst zu beseitigen. Bei Aufsuchung solcher Schäden leisten bakteriologische Untersuchungen gute Dienste. 11. Wenn mit Eis bedeckte offene Filter infolge zu langer Benutzung andauernd schlecht filtriertes Wasser liefern, so sind sie, falls die Reinigung unausführbar, außer Betrieb zu setzen. Die an frostfreien Wintertagen sich darbietenden Gelegenheiten zum Reinigen lassen sich um so ausgiebiger benutzen, je mehr die Entfernung des Eises erleichtert ist. 12. Es ist erwünscht, daß über die Betriebsergeb nisse, namentlich über die bak- teriologische Beschaffenheit des Wassers vor und nach der Filtration, einer gemeinsam zu bezeichnenden Stelle vierteljährlich Mitteilung gemacht wird, um bei einer erneuten Besprechung nach Ablauf von etwa 2 Jahren geeignetes Material zur Beurteilung zu besitzen. 13. Die Frage, ob und unter welchen Verhältnissen eine staatliche Beaufsichtigung der öffenthchen Wasserwerke erwünscht ist, wird am zweckmäßigsten nach Einsicht des gemäß Nr. 12 gesammelten Materials zu beantworten sein. In der Debatte bemerkt Koch u. a., daß die Forderung, wonach das Filtrat nicht mehr als 100 Keime im Kubikzentimeter enthalten soll, sich auf seine zehnjährige Erfahrung stützt, daß einerseits überall da, wo ein Sandfilter tadellos funktioniert, die Keimzahl unter 100 bleibt, während andererseits ein weit über 100 Keimen gesteigerter Gehalt regelmäßig auf einen der Beseitigung fähigen Schaden im Filter zurückzuführen gewesen ist. Die angegebene Zahl ist allerdings nur als annähernd aufzufassen, aber mit Rücksicht auf die gegenwärtig und voraussichtlich auch noch für die nächsten Jahre bestehende Choleragefahr muß schon jetzt irgendeine Grenzzahl vorgeschrieben werden, die später auf Grund des inzwischen angesammelten Beobachtungsmaterials modifiziert oder auch für jedes Werk unter Berücksichtigung der örtlichen und zeitlichen Einflüsse des Rohwassers besonders normiert werden mag. Die Einwände, die Baurat L i n d 1 e y gegen eine allgemeingültige Grenzzahl der Keime erhebt, erachtet Koch nicht als begründet. Wenn die bakteriologische Untersuchung nicht sofort den derzeitigen Keimgehalt des Filtrats anzeigt, so ist das ein Übelstand, den man mit in den Kauf nehmen muß, der aber nicht gegen ihre Vor- nahme überhaupt spricht. In Zukunft wird übrigens die Untersuchungsdauer bei unvoll- kommener Methode sich noch erheblich abkürzen lassen. Ohne die bakteriologische Untersuchung lassen sich gewisse feinere Störungen des Filtrationsprozesses gar nicht entdecken. Sie ist deshalb unentbehrlich. Wenn manche Werke zurzeit nur ein weit mehr als 100 Keime enthaltendes Filtrat liefern, so ist das eine Folge der unzureichenden Anlage oder der Überanstrengung der betreffenden Werke. Einen Beweis, daß die An- forderung eines unter 100 Keimen bleibenden Keimgehaltes bei normalen Betrieben regelmäßig nicht erfüllt werden könne, habe L i n d 1 e y nicht erbracht. Das Verlangen einer täglichen bakteriologischen Untersuchung des Filtrats jedes einzelnen Filters rechtfertigt Koch damit, daß diese Vorschrift in Cholerazeiten, wie Avifhebimg des Einftihrverbots gegen Butter usw. bei Cholera in Rußland. 875 sie gegenwärtig bestehen, die alleinige Gewähr dafür biete, eine Fehlerquelle im Filtra- tionsprozeß, wie sie häufig ganz unvermutet eintritt, möglichst sofort zu entdecken. Die Kosten sind nicht bedeutend und auch für kleinere Werke tragbar, weil es eines geschulten Bakteriologen für die Wasseruntersuchung nicht bedarf, diese vielmehr auch von dem Betriebsleiter nach einiger Übung vorgenommen werden kaiin. Auf Ein- wände gegen diese Forderung erklärt sich Koch damit einverstanden, daß in der Über- schrift der Anleitung ausdrücklich bemerkt werden soll, daß die vorliegenden Vor- schriften nur für Zeiten der Choleragefahr gelten. In der 32. »Sitzung (16. Oktober 1894) wurde über den gegenwärtigen Stand der Cholera im Deutschen Reiche weiterberaten. Bei den Feststellungen im Netze- Warthegebiet sowie im Odergebiet spricht Koch die Vermutung aus, daß die Übertragung der Cholera in Nakel vielfach durch Kinder vermittelt sei, die auf einer Wiese gespielt haben, wo viele Bewohner von einem von der Cholera ergriffenen Häuserkomplex ihre Ausleerungen frei abzulagern pflegen. In der 33. Sitzung (28. Nov.) bezeichnete Koch das Verhalten der Krankheit am Rhein als sehr lehrreich, drei Formen wären deutlich zu unterscheiden, in denen die Erkrankungen 1. zugereiste Personen beträfen, 2. avif Wasserinfektion und 3. auf direkter Übertragung beruhten. Bei der Besprechung über () b e r s c h 1 e s i e n ist K o c h der Meinung, daß die beigebrachten Gesundheitsatteste aus der Heimat der die preußische Grenze überschrei- tenden, namentlich russischen Arbeiter, die im nächsten Frühjahr wie gewöhnlich zu er- warten seien, wertlos und meist gefälscht wären, aber auch die ärztliche Besichtigung an der Grenze sei wenig zweckmäßig, da leichtere Cholerafälle von dem Arzt leicht über- sehen werden können. Eine fünftägige Beobachtung der Arbeiter an ihrem Bestimmungs- ort, die Evakuierung und Isolierung der Verdächtigen bzw. der mit den Kranken in Be- rührung gekommenen Personen hält er durchaus für geboten. Die Maßregel sei leider sehr einschneidend, am besten werde die Isolierung in Baracken und anderen geeigneten Baulichkeiten vorgenommen, und zwar familien- oder gruppenweise, im Notfalle sei aber auch die Isolierung in den Häusern angängig ixnd jedenfalls der Anhäufimg in schlechten Isolierbaracken vorzuziehen. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 19. Januar 1893. Eurer Exzellenz beehre ich mich zufolge des Auftrages, welcher mir durch den Erlaß vom 18. d. M. M. 361 erteilt ist, über die Zulässigkeit der Aufhebung des Ein- fuhrverbots gegen Butter u n d a n d e r e a u s R u ß 1 a n d kommende Gegen- stände, welche als choleragefährlich a n g e s e h e n w e r den, ganz gehor- samst zu berichten. Bisher ist man im allgemeinen von der Annahme ausgegangen, daß Nahrungs- mittel, bei denen eine Verunreinigung mit Choleradejektionen nicht ausgeschlossen ist, und welche im ungekochten Zustande genossen werden, wie Obst, Gemüse, Milch und die daraus gewonnenen Produkte, die Cholera auf weite Entfernungen zu verschleppen imstande seien. Die darüber angestellten Laboratoriumsversuche haben diese Annahme auch insofern bestätigt, als sich ergeben hat, daß die ( "holerabakterien auf Obst und 876 Aufhebung des Einfuhrverbots gegen Butter usw. ■ — Einfhiß V. Kochsalz auf Cholerabakterien. Gemüse, in Butter und anderen Nahrungsmitteln tage- und selbst wochenlang lebens- fähig bleiben können. Die Möglichkeit, daß auf diesem Wege einmal Cholera verschleppt werden kann, ist daher nicht zu bestreiten. Da aber bisher noch niemals, soweit diese Gegenstände für den Warenverkehr im großen in Betracht kommen, ein Beispiel von einer derartigen Verschleppung bekanntgeworden ist und auch in der jetzigen Epidemie, obwohl ganz besonders auf diesen Punkt die Aufmerksamkeit gerichtet war, nichts dergleichen vorgekommen ist, so muß die erwähnte Möglichkeit doch eine sehr geringe sein. Gegenüber der Gefahr, welche durch den Personenverkehr unabhängig gegeben ist, ist sie geradezu verschwindend. Gegen die letztere müssen sich demnach auch die Nachbarmaßregeln in erster Linie richten, und wenn dies, wie es in der jetzigen Epi- demie zum erstenmal der Fall gewesen ist, zielbewußt und mit aller Sorgfalt durchge- führt wird, dann ist zu erwarten, daß auch die möglicherweise und gewiß nur überaus selten vorkommenden Fälle von Verschleppung der Cholera durch die erwähnten Nah- rungsmittel sofort richtig erkannt und unschädlich gemacht werden. Unter solchen Verhältnissen scheint mir der Nutzen von Einfuhrverboten der gedachten Art in gar keinem Verhältnis zu dem Nachteil, welchen der Handel dadurch erleidet, zu stehen. Sie scheinen mir in gewissem Sinne sogar eher nachteilig zu sein, da sie gar zu leicht den Schein erwecken, als ob etwas von erheblicher Wirksamkeit geschehen sei, wodurch die Aufmerksamkeit von den eigentlich wirksamen Maßregeln abgelenkt wird. Aus diesem Grunde habe ich mich von jeher gegen die Einfuhrverbote von Nah- rungsmitteln ausgesprochen, und insbesondere auch die von Lumpen, in betreff welcher ebenfalls noch niemals eine Verschleppung der Cholera nachgewiesen ist. Auch den vorliegenden Fall kaim ich nur in gleicher Weise auffassen. Ich halte es für unbedenk- lich, wenn der dem Hoflieferanten 0. R. gehörige große Posten russischer Butter zum Verkehr zugelassen wird. Ebenso würde ich es den bisherigen epidemiologischen Er- fahrungen entsprechend erachten, wenn das gegen Lumpen, frisches Gemüse, Obst, Butter und Weichkäse von russischer Provenienz erlassene Einfuhrverbot überhaupt aufgehoben würde. Andere als die augenblicklich schon erfolgten Maßregeln würden für diesen Fall nicht erforderlich sein. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den L März 1893. Euer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf den Erlaß vom 21. Februar d. J. M. 1951 über den Einfluß von Kochsalz auf Cholerabakterien ganz gehorsamst zu berichten. Aus den Untersuchungen von N i c a t i und R i e t s c h , welche fanden, daß die Cholerabakterien im Hafenwasser von Marseille noch nach 81 Tagen, im Meerwasser nach 64 Tagen lebensfähig geblieben waren, läßt sich schließen, daß ein Kochsalzgehalt von 3—4% den Cholerabakterien nicht nachteilig ist. Darüber, ob durch einen hohen und durch welchen Kochsalzgehalt die Cholerabakterien schließlich getötet werden, stehen bis jetzt noch keine Beobachtungen zur Verfügung. Die im Institut für Infek- tionskrankheiten angestellten Untersuchungen beziehen sich auf den Einfluß, welchen geringere Mengen von Kochsalz auf die Entwicklung und Vermehrung der Cholera- bakterien haben. Choleramaßnahmen für die deutsch-österreichischen Grenzbezirke. 877 Es hatte sich herausgestellt, daß wenn einem Wasser, welches auf den Gehalt von Cholerabakterien untersucht werden sollte, sehr keimreiches See- oder Saalewasser, 1% Pepton und eine gewisse Menge von Kochsalz bei ziemlich stark alkalischer Reak- tion zugesetzt mirde, die ( 'holerabakterien bei Bruttemperatur imstande waren, die übrigen im Wasser enthaltenen Bakterien, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen den Nachweis der ( 'holerabakterien unmöglich machen , zu überwuchern und sich in solchen Mengen in den oberflächlichen Schichten des Wassers ansammeln, daß ihre Isolierung und Reinzüchtung dann sehr leicht ist. Hierbei ist es aber nicht gleichgültig, welche Mengen von Kochsalz dem Wasser zugesetzt werden. Wenn verschiedene Proben von demselben Wasser 1% und 2% Kochsalz erhielten, dann hätten sich in dem mit 1% Kochsalz versetzten nach 10 bis 12 Stunden die C'holerabakterien so vermehrt, daß sie an der Wasseroberfläche nahe- zu eine Reinkultur bildeten, während in den Proben mit 1^% Kochsalz mir sehr wenige Cholerabazillen gefunden würden. Aus diesem Verhalten ist zu schließen, daß die ('holerabakterien, wenn sie im Wasser eine Temperatiu' finden, bei welcher sie sich vermehren können, was wohl nur in den heißesten Sommermonaten der Fall sein wird, sie durch einen Kochsalzgehalt von etwa 1% sehr begünstigt werden, daß dagegen 14% zi-iwenig ist, um ihnen einen Vorteil den gewöhnlichen Wasserbakterien gegenüber zu verschaffen, 2% aber schon entwicklungshemmend wirkt. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 28. Mai 1893. Euer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf den Erlaß vom 22. d. M. M. .5621 und unter Rückgabe der Anlage dieses Erlasses über das Ergebnis der Bespre- chungen über die z w i s c h e n d e m Deutsche n R^ e i c h e u n d 0 s t e r r e i c h für die G r e n z b e z i r k e zu vereinbarend e n Choleramaßnahmen ganz gehorsamst zu berichten. Die Besprechungen wurden am 26. und 27. d.M. abgehalten, und es wurde denselben der vom österreichischen Ministerialrat Dr. K u s y vorgelegte Entwurf aber in einer der Dresdener Konvention ents])rechenden Reihenfolge der einzelnen Fragen zugrunde gelegt. Entsprechend dem bei der Dresdener Konvention festgehaltenen l^rinzij) hielt die Kommission es auch für die Regelung des Grenzverkehrs für zweckmäßig, daß Ab- machungen über bestimmte Verpflichtungen mit Ausnahme des Nachrichtenaustausches nicht zu treffen seien, sondern daß es nur darauf ankommen kann, die Maximalgrenze festzustellen, über welche etwaige Beschränkungen nicht hinausgehen dürfen. Deutscherseits wird der größte Wert auf die gegenseitige Meldung der im Grenzgebiet auftretenden Cholera gelegt. Aber Avenn der Nachrichtenaustausch seinen Zweck erfüllen soll, dann nmß verlangt werden, daß nicht nur Choleralu'rde. wie die Dresdener Kon- vention verlangt, sondern auch die einzelnen Fälle, und zwar auf Grund bakteriologischer Diagnose gemeldet werden. Doch kann, um in dieser Beziehung nicht zu weit zu gehen, die Meldung sich auf die ersten Fälle in jedem Orte beschränken. In gleicher Weise wie über die ( 'holeraerkrankmigen ist auch Nachriclit über die ergriffenen Maßregeln zu geben. 878 Grenzverkehr mit Österreich in Cholerazeiten. Der Nachrichtenaustausch würde unmittelbar zwischen den unteren Verwaltungs- behörden der Grenzbezirke stattzufinden haben, dabei wird aber vorausgesetzt, daß diese Behörden die erhaltenen Nachrichten sofort an die betreffenden Zentralstellen ihres Landes weitergeben, um diese in den Stand zu setzen, etwa erforderliche um- fassende Maßregeln ihrerseits zeitig genug anzuordnen, eventuell auch durch Entsendung von Kommissaren an Ort und Stelle helfend eingreifen zu können. Über das, was als Grenzbezirk anzusehen sei, erscheint es zweckmäßiger, die einzehien Kreise, Amtsbezirke usw., welche dahin zu rechnen sind, namentlich zu bezeichnen, als sich an die von öster- reichischer Seite vorgeschlagene Norm von 5 km Entfernung von der Grenze zu binden. In bezug auf den Warenverkehr würden außer den von der Dresdener Konvention bezeichneten Gegenständen (schmutzige Wäsche, getragene Kleider, Betten, Lumpen des Kleinhandels) nur noch Milcheinfuhr- resp. -ausfuhrverbote in Betracht kommen. Den Personen — namentlich dem Arbeiterverkehr — im Grenzgebiet andere Beschränkungen aufzuerlegen, als sie in der Dresdener Konvention zugelassen und im §11 des Reichsseuchengesetzes vorgesehen sind, würde nicht im Interesse Deutschlands liegen, da angenommen wird, daß ein sorgfältig durchgeführtes Beobachtungssystem einen ungleich sicheren Schutz gegen die Choleraverschleppung gewährt, als Absperrungen und Zurückweisungen an der Grenze. Nur in bezug auf Zigeuner, Auswanderer, trupp- weise die Grenze überschreitende mittellose Personen und Vagabunden sind besondere Maßregeln vorzubehalten. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 17. Juni 1893. Eurer Exzellenz beehre ich mich mit Bezugnahme auf den Erlaß vom 12. Juni d. J. M. 6588 über die im Auswärtigen Amt stattgehabte Besprechung den Grenz- verkehr mit Österreich in Cholerazeiten betreffend ganz gehorsamst nachstehenden Be- richt zu erstatten. (Folgen die Namen der Regierungs Vertreter.) Von dem Vertreter des königlich preußischen Ministeriums des Innern wurde der Widerspruch gegen die Beschlüsse der Kommission damit begründet, daß eine un- gehinderte Bewegung der fluktuierenden Arbeiterbevölkerung des Grenzgebietes nicht zugegeben werden könne, weil unter Umständen die Choleraverbreitung dadurch in bedenklicher Weise begünstigt und weil möglicherweise auch die öffentliche Meinung eine Einschränkung dieses Verkehrs oder eme völlige Einstellung desselben fordern würde. Dieser Auffassung konnte sich der gehorsamst Unterzeichnete aus folgenden Grün- den nicht anschließen: Eine Einschränkung des Grenzverkehrs, welche sich allein auf die Arbeiter erstrecken würde, und auch nur, soweit dieselben jenseits der Grenze belegene Arbeitsplätze besuchen, muß als eine unvolUtommene Maßregel angesehen werden, welche die Gefahr der Cholera- verbreitung, wie sie der übrige Grenzverkehr bedingt, nur unerheblich herabsetzt. Außer- dem ist zu befürchten, daß die in einem choleraverseuchten Gebiet in ihrer Beschäfti- gung gehinderten Arbeiter andere Gegenden, welche zur selben Zeit weniger gut über- wacht werden, aufsuchen und die Seuche dahin verschleppt werde. Auf jeden Fall werden in choleraverseuchten Grenzgebieten alle bisher bewährt befundenen Maßregeln, welche auf dem Prinzip der sorgfältigsten Überwachung beruhen, zur Durchführung kommen. Diese Maßregeln haben sich im vorigen Sommer in der Umgebung von Hamburg, Altona stand, der Cholera im Weichselgebiet. 879 und unter den schwierigsten Choleraverhältnissen als vollkommen ausreichend erwiesen, und es ist deswegen anzunehmen, daß sie auch in den Grenzgebieten ohne irgendwelche Verkehrsbeschränkungen genügen werden, um eine etwa entstehende Choleragefahr zu beseitigen. Von Seiten des Vertreters des königlich preußischen Ministeriums des Innern wurde auch zugegeben, daß unsererseits wohl imr in ganz besonderen Ausnahmefällen Gebrauch von der Befugnis zur Verkehrsbeschränkung gemacht werden würde. Alsdann ist aber zu berücksichtigen, daß nach den in Österreich noch herrschenden Anschauungen man sich dort wohl nicht mit einer ausnahmsweisen Anwendung einer solchen Befugnis begnügen, sondern vermutlich einen sehr viel weiter gehenden Gebrauch davon machen wird und deshalb die weiteren Folgen der Maßregel sehr zuungunsten der auswärtigen betreffenden Industrie ausfallen müssen, während die österreichische Industrie kaum darunter zu leiden haben wird. Ganz in demselben Sinne sprachen sich auch der Vertreter des Reiclisamts des Innern und derjenige der königlich Ijayerischen Regierung aus, vmd der Herr Vorsitzende gab infolgedessen der Hoffnung Ausdruck, daß das königlich preußische Ministerium des Innern, das mit seiner Auffassung ganz isoüert verbheben sei, seinen Widerstand gegen den Beschluß der Kommission nunmehr aufgeben werde. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Eurer Exzellenz beehre ich mich ganz gehorsamst zu melden, daß ich mich in- folge des mir am 8. d. M. erteilten Auftrages (M. 5905) an demselben Tage nach Danzig begeben und über den augenblicklichen Stand der Cholera im Weichsel- gebiet sowie über die in Danzig stattgehabten Beratungen folgendes zu berichten habe. In der letzten Zeit sind, wie ich als bekannt voraussetzen darf, an verschiedenen Stellen der Weichsel Cholerafälle vorgekommen, welche nur dadurch entstanden sein konnten, daß das Wasser der Weichsel die Infektion vermittelt hatte. Schon daraus mußte geschlossen werden, daß der Weichselstrom choleraverseucht sei, und es fragte sich nur, in welcher Ausdehnung dies der Fall sei und ob die Verseuchung, d. h. der Gehalt an Infektionsstoff, bereits einen solchen Grad erreicht habe, wie es in den beiden vorhergehenden Jahren in anderen Flußgebieten beobachtet ist. In Danzig neigte man sich, namentlich mit Rücksicht auf den kurz vorher gelungenen Nachweis der Cholerabakterien im Weichselwasser, der Meinung zu, daß die Verseuchung bereits einen sehr bedenklichen Grad erreicht habe und auch schon auf die sogenannte Tote Weichsel übergegriffen haben müsse, d. h. auf den Teil des Stromes, welcher zwischen der Plenendorfer Schleuse und der Stadt Danzig sich befindet. Dieser Auffassung konnte ich mich nach dem, was ich an Ort und Stelle über die in Betracht kommenden Verliältnisse in P^rfahrung gebracht habe, nicht vollständig anschließen. Die bisherigen Vorkommnisse lassen es auch mir nicht zweifelhaft erscheinen, daß in letzter Zeit das Weichselwasser den Cholerainfektionsstoff stellenweise enthalten hat, so auf der Strecke von der russischen Grenze bis unterhalb Thorn und von der Plenendorfer Schleuse einige Meilen aufwärts. Vielleicht auch noch an anderen da- zwischengelegenen Stellen, von denen, weil bis dahin die Stromüberwachung noch nicht zur Ausführung gekommen war, nichts bekanntgeworden ist. Es ist mir auch wahr- Berhn, den 11. Juni 1894. 880 Stand der Cholera im Weichselgebiet. scheinlich, daß die Cholerafälle in der Nähe der Grenze, wo die Einschleppung durch den Flußverkehr von Rußland her vermutlich wiederholt stattgefunden hat, auf ver- schiedene infizierte Punkte des Flußlaufes hinweisen, da sie untereinander (bis auf zwei) in keinem Zusammenhang stehen. Bei Plenendorf scheint dies aber nicht der Fall zu sein. Die beiden daselbst erkrankten Flößer gehören zu demselben Floß. Der zweite schüef mit dem ersten in derselben Strohhütte, hat ihn gepflegt und sich unzweifelhaft infiziert. Diese beiden Fälle gehören also zusammen. Auch der bei Noetzelkathe er- kranlite Buhnenarbeiter Rausch ist mit der Weichsel an einer Stelle in Berührung ge- kommen, wo kurz vorher das Floß mit dem bereits erkrankten Flößer, dessen Ausleerungen in den Fluß gingen, vorbeigefahren war. Derselbe muß deswegen ebenfalls zu dieser Gruppe gerechnet werden, mit welcher schließlich auch der Befund der Cholerabakterien im Weichselwasser im Zusammenhang steht , da dieselben nur einmal , und zwar im Wasser gefunden sind, welches zwischen den Balken des Flusses an der Stelle geschöpft wurde, wo die Strohhütte des choleraerkrankten Flößers gestanden hat. Die Cholerabefunde in der Plenendorfer Schleuse weisen also sämtlich auf ein und dieselbe Infektionsquelle hin. Da aber die Temperatur des Wassers jetzt verhältnismäßig niedrig und der Vermehrung und Weiterverbreitung der Cholerabak- terien im Wasser nicht günstig ist, und da alles geschehen ist, um die Verschleppung durch die bisher erkrankten Menschen zu verhüten, ferner das Floß jenseits der Plenen- dorfer Schleuse festgehalten und soweit als möglich desinfiziert ist, so läßt sich wohl annehmen, daß in kurzer Frist dieser Infektionsherd wieder erloschen sein und dank der auch hier wieder bewiesenen Sorgsamkeit und Energie der betreffenden Behörden eine nicht geringe Gefahr für Danzig und dessen Umgebung abgewehrt sein wird. Bei dieser Auffassung halte ich es nicht für notwendig, jetzt schon Maßregeln zu treffen, welche von der Voraussetzung ausgehen, daß die Weichsel in der Nähe ihrer Mündung bereits in erheblichem Maße infiziert sei, wie Beschränkungen der Fischerei und besondere Vorsichtsmaßregeln in den Seebadeorten, denen die Meeresströmung jeweilig mehr oder weniger verdünntes Weichselwasser zuführt. Da bisher nichts auf eine Verseuchung der ,, Toten Weichsel" und der damit im Zusammenhang stehenden Mottlau hinweist, so würde ich auch die zur Sprache gebrachte Schließung der daselbst befind- lichen Badeanstalt nicht für erforderlich halten. Die Schließung ist aber bereits vom Polizeipräsidium angeordnet und kann unter den jetzigen Verhältnissen, ohne Ver- wirrung anzurichten, nicht wohl rückgängig gemacht werden. Ganz besonders erwähnenswert ist, daß die sämtlichen bisher bekanntgewordenen Cholerafälle im Weichselgebiet nicht infolge der erst in den letzten Tagen eingerichteten Stromüberwachung, sondern gelegentlich bekanntgeworden sind. Dem Fehlen der plan- mäßigen Überwachung ist es auch sicher zuzuschreiben, daß das eine oder andere cholera- infizierte Floß unbemerkt über die Grenze gekommen und der Ausgangspunkt für die Fälle in der Gegend von Schilno und Thorn geworden ist. Vermutlich hat sich dann die Infektion unter den Flößern weichselabwärts fortgesetzt und ist erst wieder an der Plenendorfer Schleuse zur öffentlichen Kenntnis gekommen. Aber auch hier wieder nur durch einen glücklichen Zufall, der es verhindert hat, daß der totkranke Flößer durch die Schleuse und in den Toten Weichselarm transportiert wurde. Es bedarf hier- nach wohl keiner weiteren Begründung dafür, daß es die höchste Zeit war, die Strom- überwachung jetzt in vollem Umfange in Tätigkeit zu setzen. Wenn sich die Cholera gegen alles Erwarten schon am unteren Lauf der Weichsel eingenistet haben sollte, dann würden die an der Toten Weichsel gelegenen Vororte von Danzig wegen ihres fortwährenden Verkehrs mit dem Wasser und bei ihren ungünstigen sanitären Verhältnissen in erster Linie gefährdet sein, und es ist deswegen beschlossen, Beratung über die von Rußland drohende C'holeragefahr. 881 diesen Ortschaften in näclister Zeit eine gesteigerte Aufmerksamkeit zu widmen und sie durch die Beamten der Strompolizeiamtsdiener usw. fortwährend in bezug auf das Vor- kommen verdächtiger Erkranlvungen überwachen zu lassen. Die bakteriologische Station in Danzig war bisher durch die fortlaufenden Unter- suchungen des Mottlauwassers und der in letzter Zeit hinzugekommenen Untersuchungen von Darminhalt choleraverdächtiger Fälle so in Anspruch genommen, daß bis jetzt nur eine einmalige Untersuchung des Weichselwassers an der früher erwähnten Stelle vorgenommen werden konnte. Auch mußte die so notwendige Untersuclunig der in Quarantäne befindlichen Flößer auf Cholerabakterien wegen Mangel an Arbeitskräften unterbleiben. Es wäre daher dringend notwendig, für eine Verstärkung der Leistungs- fähigkeit der Stationen zu sorgen, und es ist beschlossen, dem auf Cholerauntersuchungen eingeübten Assistenten des Krankenhauses, Herrn Dr. V., Herrn Dr. L. beizugeben. Sollte die Arbeit für die Sektion etwa so anwachsen, daß sie von diesen beiden Ärzten nicht zu bewältigen ist, dann dürfte es sich empfehlen, einen Choleraassistenten von einem anderen Orte dorthin zu kommandieren. Am 1 . D e z e m b e r 1 (» 0 4 fand im Kaiserlich e n G e s u n d h e i t s a m t eine Besprechung über die Frage statt: Sind im Hinblick auf die zurzeit von Rußland her drohende Choleragefahr Änderungen der vom Bundesrat in der Sitzung vom 28. Januar 1904 festgesetzten ..Anweisungen zur Bekämpfung der Choleragefahr" notwendig ? Zu § 2 der ,, Anweisungen" machte K o c h darauf aufmerksam, daß in den letzten Jahrzehnten eine große Reihe von Ortschaften mit Zentralwasserversorgung versehen worden seien; so segensreich diese auch sonst wirkten, so böten sie bei nicht einwandfreier Beschaffenheit in Epidemiezeiten große Gefahren. Man würde daher bei einem Ein- dringen der Cholera jetzt in ganz anderon Maße als früher mit der Gefahr von Wasser- leitungsepidemien zu rechnen haben. Gerade die Cholera habe uns den Hauptschaden immer durch derartige Explosionen zugefügt. Er verweist auf die großen Tj'phusepi- demien in letzter Zeit (Gelsenkirclien, Detmold), die durch feldevhafte Wasserleitungen entstanden seien, und stellt den Antrag, sämtliche Zentralwasserversorgungsstellen revidieren zu lassen. Man solle sich dabei aber nicht auf bloße Anfragen beschränken, sondern von erfahrenen und dabei unabhängigen Sachverständigen Besichtigungen vornehmen lassen. Er macht auf die großen Schwierigkeiten aufmerksam, die oft zu überwinden sind, um die Fehler einer Wasseranlage aufzudecken. Noch in diesem Sommer hätten im Ruhrgebiet mindestens in acht Werken Stichrohre bestanden und würden wohl auch jetzt noch bestehen. Auf die V'ersicherung, daß sie nicht benutzt würden, sei nichts zu geben. Es liege auf der Hand, welche Gefahr derartige Zustände bei einem Choleraeinbruch, der jeden Tag erfolgen könne, bieten. Übrigens seien bei einer allge- meinen Revision nicht ausschließlich die Filterwerke in Betracht zu ziehen, sondern auch die Quellwasserleitung, die, wie erst jüngst durch die Dctmolder Typhusepidemie bestätigt sei, ebenfalls große Gefahren darbiete, und ebenso die neuerdings mehrfach eingerichteten Talsperren. Auch Grundwasserwerke sollen revidiert werden, wenngleich sie natürlich weit weniger der Verunreinigung ausgesetzt sind. Zu § 7 bemerkt K o c h , daß das Desinfektionspersonal neben der eigentlichen Desinfektion eine andere, wichtigere Aufgabe zu erfüllen habe, nämlich ein Personal abzugeben, das die Verbindung mit der Bevölkerung aufrechterhalte, bei der Ermitt- lung von Krankheitsfällen von großem Nutzen sei und die Ausführung der ärztlichen Koch, Gesammelte Werke. Wl 882 Beratxmg über die von Rußland drohende Choleragefahr. Anordnungen überwache, in ähnlicher Weise, wie dies mit vorzüglichem Erfolge seitens der Gesundheitsaufseher bei der Typhusbekämpfung geschähe. Es müsse beizeiten dafür gesorgt werden, daß für den genannten Zweck ein genügend zahlreiches und tüch- tiges Personal zur Verfügung stehe, das angemessen zu besolden sei. Bei § 8 lenkt Koch die Aufmerksamkeit auf die große Bedeutsamkeit der Aus- wanderer. Die große Hamburger Epidemie sei durch Auswanderer eingeschleppt worden, und wenn auch seitdem in Hamburg genügende Uberwachungsmaßregeln getroffen seien, so wäre das doch nicht überall der Fall. In einer Sitzung des Reichsgesundheitsrats am 18. November 1907 über den Stand der Cholera im Ausland, insbesondere in Rußland, über die Abwehr der bestehenden Einschleppungsgefahr bemerkt Koch, daß die Gefahr der Einschleppung der Cholera aus Rußland erheblich sei und ihre Abwehr wesentlich davon abhängt, welche Erfolge die russische Regierung bei der Bekämpfung der Seuche im eigenen Lande erzielt. Er glaubt, daß die tägliche ärztliche Kontrolle und Überwachung der Auswanderer, wie sie in Hamburg geübt wurde, für die Bekämpfung der Cholera von wesentlicher Bedeutung sei und auch im Winter überall gehandhabt werden müsse, da man weiß, daß bei der Cholera auch Winter- epidemien vorkämen. Ebenso sei die einmalige gründliche Untersuchung in Hinsicht auf andere ansteckende Krankheiten, wie Pocken und Granulöse, beizubehalten. Da- gegen verspreche er sich von der Desinfektion und dem Reinigungsbad nicht viel Nutzen. Beratung des R e i c h s - G e s u n d h e i t s r a t s über die Abwehr der für das Jahr 1099 von Rußland her drohenden Choleragefahr am 26. April 1909. In der Diskussion zu einem eingehenden Referat von Kirchner (Berlin) über eine im amtlichen Auftrage 1908 ausgeführte Reise nach St. Petersburg zum Studium der dortigen Choleraepidemie bemerkte Koch, daß wohl in dem Wasserwerke von St. Petersburg irgendwie die Möglichkeit bestanden habe, die Filter zu umgehen und unfiltriertes Wasser abzugeben. Daß die während des Sommers erhöhten Ansprüche an den Wasser Vorrat zu einem derartigen Ausweg verleiten, sei durch andere Epidemien hinreichend bekannt geworden. Auf eine Anfrage des Präsidenten B u m m, ob die Schutzimpfung gegen Cholera, die in Rußland zur Anwendung gekommen wäre, jetzt zur Aufnahme in die Anweisung des Bundesrats zur Bekämpfung der Cholera sich empfehle, erwiderte Koch, daß bisher noch nicht genug Erfahrungen vorlägen, um den Wert dieser Schutzimpfungen endgültig beurteilen zu können. Seiner Meinung nach läge der Schwerpunkt aller Be- kämpfungsmaßnahmen auch heute noch auf der raschen bakteriologischen Diagnose, und gerade in diesem Punkte scheine es ihm in Rußland und auch anderswo an den nötigen Kenntnissen zu fehlen. Bezeichnend dafür sei, daß man Bazillenträger, von denen man nach Schätzung des Herrn Mitberichterstatters (B reg er) über 2000 hätte erwarten können, fast gar nicht festgestellt hat. Den Nutzen der 10 fliegenden Labo- ratorien, von denen Herr B r e g e r berichtet habe, solle man nicht überschätzen. Weiterhin bemerkte Koch, daß bei der Cholera infolge der geringen Widerstands- fähigkeit ihres Erregers außerhalb des lebenden Organismus die Desinfektion keine so große Rolle wie bei anderen Seuchen spiele. Beratungen üb. d. v. Rußland drohende Choleragetahr. — Malariaexpedition nach Italien. 883 Er hielt den saiiitätspolizeilichen Nutzen der Kontrollstationen für gering, und zwar nicht nur mit Bezug auf die Saisonarbeiter, sondern auch mit Bezug auf den Aus- wandererverkehr. Wenn bei diesen letzteren trotzdem die Kontrolle strenger gehand- habt werde als bei den erstei'en, so sei das lediglich auf Verlangen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika veranlaßt worden. Er meinte ferner, daß in Städten, in denen die Wasserversorgung geregelt sei, die Einschleppung eines Cholerafalles durch Auswanderer nicht mehr eine solche Ge- fahr bedeute wie früher. Die Erfahrungen in Petersburg, wo sich die Cholera infolge der schlechten Wasserversorgung sehr ausgebreitet hat, und in Moskau, wo infolge der guten Wasserversorgung nur wenige Fälle vorgekommen sind, hätten das neuerdings wieder bewiesen. An den Herrn Minister der geisthchen, Unterrichts- und Medizinalangelegenlieiten. Berlin, den 1. Juh 1891. Eurer Exzellenz beehre ich mich nachstehenden Plan über eine Vorexpedition zum Studium der Malaria in Italien und Griechenland ganz gehorsamst vorzulegen. Die von mir während meines achtmonatlichen Aufenthaltes in Deutsch-Ostafrika angestellten Untersuchungen über das Wesen und die Ätiologie der tropischen Malaria haben in verschiedenen wesentlichen Punkten Aufklärung gegeben, doch bleiben noch zahlreiche Fragen zu erledigen. So sind wir über gewisse Formen der Malaria, besonders das sogenannte Astivo-Autumnalfieber der italienischen Autoren, sowie auch über die irregulären Fieber noch wenig unterrichtet. Es ist ferner strittig, ob es eine echte Quoti- diana gibt. Das örtliche und zeitliche Vorkommen der verschiedenen Malariaformen, das Verhalten der bisher noch gar nicht studierten sogenannten larvierten Malariafälle, sowie die Frage, ob Kombinationen der differenten Malariatypen möglich sind, bedürfen eingehender Untersuchinig. Das gilt auch ganz besonders von dem Schwarzwasserfieber, das in der Mehrzalil der Fälle als Clüninvergiftung sich erwiesen hat. Es wäre zu prüfen, welche anderen Faktoren dabei noch im Spiele sind; besonders wichtig sind die Untersuchungen über Schwarzwasserfieber in den nichttropischen Ländern Griechenland und Italien. Mehr und mehr gewinnt die Hypothese Boden, wonach die Malariaparasiten auf den Menschen durch den Stich blutsaugender Insekten, besonders der Moskitos, über- tragen werden. Es ist notwendig, diese Hypothese weiter auszubauen. Zu diesem Zweck sind in den verschiedenen Malariagegenden die blutsaugenden Insekten sowie deren Entwicklungszustände zu sammeln, systematisch zu bestimmen und mit allen Methoden der mikroskopischen Technik zu untersuchen. Ferner ist das Schicksal der mit dem infizierten Blute in den Darmkanal der blutsaugenden Insekten aufgenommenen Malaria- parasiten methodisch weiter zu verfolgen. Den Beziehungen der Malaria zu Boden und Wasser ist erneute Aufmerksamkeit zuzuwenden. Des weiteren .sind therapeutische Versuche anzustellen über die beste Anwendungsweise des Chinins sowie über dessen eventuellen Ersatz durch andere Mittel: Arsenik, Methylenblau usw. Schließlich ist der Propliylaxe der Malaria eine besondere Aufmerksamkeit zuzu- wenden. Hierbei ist an die prophylaktische Verwendung des Chinins, der Moskitonetze und möglicherweise auch an eine theoretisch mögliche Schutzimpfung zu denken. Diese umfangreichen Aufgaben können nur in einer jahrelangen Expedition, welche die hauptsächlichsten tropischen Malariagegenden bereist, gelöst werden. 101* 884 Malariaexpeditionen. Aber unter allen Umständen wäre es von größter Wichtigkeit, wenn schon vorher den Mitgliedern einer derartigen Expedition die Möglichkeit geboten würde, sich in den in Europa gelegenen Fieberherden Italien und Griechenland auf die ihrer harrenden Fragen einzuarbeiten und sich über das ungeheure Arbeitsfeld zu orientieren. Bei dieser Gelegenheit könnten im besonderen wertvolle Studien über das itaUe- nische Ästivo - Autunnalfieber und dessen Verhältnis zum Tropenfieber sowie über die Ätiologie des in Griechenland sehr häufigen Schwarzwasserfiebers angestellt werden. Da die Fieberzeit in Italien und Griechenland in die Monate August, September und Oktober fällt, so würde diese vorläufige Expedition gleichfalls in diesen Monaten stattfinden müssen. Als Personal schlage ich vor: einen Führer und zwei Assistenten. Die Kosten bei dreimonatlicher Dauer würden sich wie folgt berechnen: Reiseausgaben pro Kopf ca. 700 M., also zusammen ca. 2000 M. Unterhalt pro Person und Kopf 30, für 90 Tage also ca 8000 ,, Summa 10 000 M. Wenn diese Vorexpedition Euer Exzellenz Genehmigung findet, so würde der Auf- bruch spätestens mit Beginn des Monats August des Jahres stattfinden müssen, mit Rücksicht auf das oben geschilderte zeitliche Verhalten der in Frage stehenden Malaria- formen. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 29. Juni 1898. In einem Vortrage, welchen ich in der Kolonialgesellschaft^) gehalten habe, und in mehreren Berichten an das Reichsamt des Innern (über die Malaria in Deutsch-Ost- afrika^), über das Schwarzwasserfieber^), über West-Usambara in sanitärer Beziehung) ist der derzeitige Stand unserer Kenntnisse von der Malaria sowie die dringende Not- wendigkeit einer Fortsetzung der Malariaforschung auseinandergesetzt. Das Ergebnis derartiger Untersuchungen wird in erster Linie unseren Kolonien zugute kommen. Es kann aber auch unter Umständen für die Armee von großer Be- deutung werden. (Malariaprophylaxis im Kriege.) Die nächsten Aufgaben für die weitere Erforschung der Malaria sind folgende: 1. Bis jetzt sind nur drei Arten der Malaria so weit erforscht, daß sie mit Sicher- heit sofort voneinander unterschieden werden können, nämlich Quartana, heimische Tertiana und tertianes Tropenfieber. Diese letztere Art differiert in einigen Punkten von dem sogenannten Astivo-Autumnalfieber der italienischen Forscher, was möglicher- weise von Verschiedenheit der Untersuchungsmethoden herrühren kann. Ob die Malaria irregularis oder das Fieber mit langen Intervallen eine, wie es den Anschein hat, selb- ständige Art der Malaria ist, muß noch ermittelt werden ; ebenso ob es eine solche Quoti- diana gibt. Vielleicht lassen sich weitere Malariaarten auffinden. Alle diese Fragen lassen sich jetzt mit Sicherheit unter Benutzung des Nachweises der Malariaparasiten zur Entscheidung bringen. Allerdings sind diese Untersuchungen nur dann niit Aussicht auf Erfolg aufzustellen, wenn an einer nicht zu geringen Anzahl von Kranken fortlaufende Temperaturmessungen und mehrmals täglich Blutunter- suchungen gemacht werden können. Auch Obduktionen sind nicht zu entbehren. Es 1) vgl. Bd. II, p. 326 ff. 2) XI, p. 307 ff. ^} vgl. Bd. II, p. 321 ff. Malariaexpeclitionen. 885 liegt auf der Hand, daß das hierzu erforderliche Krankenmaterial nur in größeren Hospi- tälern, welche über viele Malariakranke verfügen, zu finden ist. Für jede Malariaart ist das örtliche und zeitliche Vorkommen zu ermitteln. Die sogenannten larvierten Formen der Malaria, über deren Wesen noch sehr wenig bekannt ist, sind eingehend zu studieren. Es ist zu untersuchen, ob Kombinationen der verschiedenen Malariaarten vor- kommen und welchen Finfluß die Malaria auf andere Krankheiten ausübt, wenn sie mit solchen zufällig kombiniert ist. 2. Dringend erforderlich sind weitere Studien über das Schwarzwasserfieber, inwieweit dasselbe durch Chinin, xind zwar mit und ohne Malaria, bedingt ist, welche anderen Faktoren dabei n\öglicherweise noch in Frage konnnen (Erkältung, Überan- strengung, Gifte usw.). Besonders wichtig sind Beobachtungen über das Schwarzwasserfieber in nicht- tropischen Ländern, wie in Griechenland, Italien. 3. Untersuchungen über die Ätiologie der Malaria. Es sind ihre Beziehungen zum Wasser und Boden (Malaria nach Umwühlen des Bodens) festzustellen. Am wahr- scheinlichsten ist es, daß die Malaria durch blutsaugende Insekten, Moskitos, übertragen wird. Es muß versucht werden, diese Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit zu erheben. Zu diesem Zwecke müssen derartige Insekten aus Malariagegenden, ebenso ihre Eier und Larven untersucht werden. Man wird die Lebensweise derselben zu beobachten haben, ob sie z. B. nur einmal Blut saugen; ferner ist zu ermitteln, ob bestimmte Arten von Moskitos in Frage kommen und ob das Vorkommen dersell^en sich mit dem ört- lichen und zeitlichen Auftreten der Malaria deckt. Hierher gehört auch das Nachforschen nach dem Vorkommen der Malariaparasiten bei anderen lebenden Wesen, namentlich bei solchen, welche in Malariagegenden in und am Wasser leben. Bisher sind alle derartigen Bemühungen vergeblich gewesen, nichts- destoweniger müssen sie fortgesetzt werden. Wichtig sind auch Beobachtungen über andere Blutparasiten, welche den Malaria- parasiten nahestehen und Rückschlüsse auf das Verhalten der letzteren gestatten. Bei Affen, Hunden, Vögeln, Amphibien sind derartige Parasiten bereits gefunden. 4. Die Lebensbedingvnigen und die weitere Entwicklung der Parasiten sind zu erforschen. In dieser Beziehung muß das Schicksal der Malariaparasiten im Blute der blut- saugenden Insekten verfolgt werden, wobei namentlich die halbmondförmigen Körjjer zu berücksichtigen sind, welche vermutlich schon eine höhere Entwicklungsstufe der Malariaparasiten darstellen. Obwohl alle bisherigen Versuche zur Übertragung der Malariaparasiten auf andere und alle Züchtungsversuche unter künstlichen Bedingungen fehlgeschlagen sind, so müssen dieselben doch wieder aufgenonnnen Averden. 5. In therapeutischer Richtung sind Versuche anzustellen über die Vv'irkung des Chinins zu verschiedenen Zeiten des Anfalles, um zu erfahren, ob nicht das Chinin auch während des Anfalles (z. B. in der Remission) nützlich sein kann. Das Chinin ist namentlich auch in seiner subkutanen Anwendung zu studieren. Es ist die beste Dosierung unter fortAvährcnder Kontrolle durch mikroskopische Untersuchung der Parasiten zu ermitteln. In gleicher Weise sind andere Fiebermittel, wie Methylenblau und Arsenik, zu Jirüfen. Das beste Verfahren zur Verhütung der Rezidive muß festgestellt werden. Das gleiche gilt von der prophylaktischen Anwendung der Fiebermittel. 886 Malariaexp editionen. Die beiden letzterwähnten Aufgaben beanspruchen eine besondere Wichtigkeit, da in dieser Beziehung zum Schaden der Kranken noch die größte Willkür herrscht. Zu diesem Abschnitt gehören noch Beobachtungen über anderweitige prophy- laktische Maßregeln, wie Moskitonetze, Luftzug, Rauch, starkriechende Substanzen usw. 6. Es sind noch weitere Tatsachen zum Beweis vom Vorhandensein der natürlichen Immunität zu sammeln. Auch sind Blutuntersuchungen bei immunen Menschen zu machen. Sehr wichtige Resultate können Versuche zur Erzeugung einer künstlichen Immu- nität liefern. In Deutschland bietet sich so gut wie gar keine Gelegenheit, um die hier aufge- zählten Aufgaben in Angriff zu nehmen. Es gibt an und für sich nicht viele Malariafälle, und sie kommen nur ausnahmsweise in die Krankenhäuser, wo sich die Gelegenheit zu ausreichender Beobachtung bieten würde. Das ist auch der Grund gewesen, daß in Deutsch- land bisher für die Erforschung der Malaria fast nichts geschehen ist. Wir verdanken alles französischen und ganz besonders italienischen Forschern. Es bleibt also nichts übrig, als in das Ausland zu gehen, und zwar, da für uns das Wichtigste die Erforschung der tropischen Malaria ist, Fiebergegenden in den Tropen aufzusuchen. Für diesen Zweck möchte ich folgende Expedition in Vorschlag bringen, welche zu den intensivsten Fieberherden der Tropen führen und zugleich die Möglich- keit der Benutzung von Krankenhäusern bieten wird. Ostafrika. Über Zanzibar und Deutsch-Ostafrika, wo der Aufenthalt nur so lange dauern wird, als er erforderlich ist, um das gerade vorhandene Beobachtungsmaterial zu sammeln, nach Mozambique. Im Hospital von Mozambique werden die Kranken von sämtlichen Küstenstationen des portugiesischen Gebiets vor ihrer Heimsendung angesammelt. Es befindet sich deswegen daselbst immer eine größere Anzahl von Malariakranken, welche reichliche Gelegenheit zu Studien bieten. Der Aufenthalt in Mozambique würde mehrere Monate dauern. Von Mozambique nach Madagaskar und wieder zuerst nach Nossi-Be, von da nach den fieberverseuchten Hafenorten an der Ostküste. Weiter nach Reunion und Mauritius. Diese beiden Inseln beanspruchen insofern ein besonderes Interesse, als sie bis vor wenigen Jahrzehnten vollständig fieberfrei waren und dann plötzlich seuchenartig von Malaria heimgesucht wurden und auch jetzt noch stark unter Malaria zu leiden haben. Es werden sich hier voraussichtlich wichtige ätiologische Tatsachen ermitteln lassen. Dann weiter nach Holländisch-Indien. Auf dem Wege dahin muß Ceylon berührt werden, und es würde sich empfehlen, auch diese Insel auf ihre Malariaverhältnisse zu untersuchen, wozu 1 — 1 14 Monate aus- reichend sein werden. In Holländisch-Indien findet sich in Batavia mit seinen Hospitälern eine vortreff- liche Gelegenheit für die Erforschung der tropischen Malaria, weswegen daselbst ein längerer Aufenthalt, etwa 5—6 Monate, zu nehmen ist. Auf Java soll es moskitofreie Fiebergegenden geben, deren Besuch von besonderer Wichtigkeit sein würde. Weiter würde die Expedition nach der deutschen Kolonie in Neu- Guinea gehen, um die dortigen Fieberverhältnisse, über welche wir noch recht ungenügend orientiert sind, zu erforschen. Malariaexpeditionen. — Malariaunterstirhungen in Istrien. 887 Auf dem Rückwege nach Europa ist Britisch-Indien zu besuchen, wo die Hospitäler von Madras, Kalkutta und Bombay reiche Ausbeute versprechen. Auch der Besuch des einen oder anderen in fieberfreien Gegenden angelegten Sanatoriums würde wich- tig sein. In allen von der Expedition berührten Orten soll außer den an Ort und Stelle zu machenden Studien möglichst viel Material gesammelt werden, welches später in der Heimat zu bearbeiten sein wird. Auch sind Verbindungen mit Ärzten und sonstigen geeigneten Persönlichkeiten anzuknüpfen, welche nachträglich noch weiteres Material beschaffen können. Das Personal der Expedition besteht aus einem Führer und zwei Assistenten. Die Dauer derselben wird sich auf 1%— 2 Jahre erstrecken. K i;i s t e n der E x p e d i t i o n. Persönliche Ausrüstung k 1000 M 3000 M. Wissenschaftliche Ausrüstung 3000 ,, Eeisekosten (Fahrgeld, Gepäck usw.) 18000 ,, Unterhalt (für jeden Teilnehmer täglich 40 M. auf zwei Jahre berechnet) 87600 ,, Unvorhergesehenes (Laboratorimnsdiener usw.) . . . 8400 ,, 120000 M. Es wird dem Gang der Expedition keinen Eintrag tun, wenn diese Summe in zwei Raten zu je 60 000 M. zur Verfügung gestellt wird. ■ Von großer Bedeutung für das Gelingen der Expedition würde es sein, wenn der- selben schon in diesem Spätsommer und Herbst eine kleinere Expedition nach Italien und Griechenland vorangeschickt wird. Diese könnte in den Monaten August, September und Oktober, in welche die Fieber- zeit dieser beiden Länder fällt, sehr wertvolle Studien über die verschiedenen Formen der in Italien vorkommenden Malariaarten ermöglichen und insbesondere zur Entschei- dung der Frage über die Identität der italienischen Ästivo-Autumnalfieber und des Tropenfiebers führen. In Griechenland sind Untersuchungen über das dort vorkommende Schwarzwasserfieber anzustellen (auf 307 Fälle von schwerer Malaria kamen in Athen 156 Fälle von Schwarzwasserfieber), welche zur weiteren Klärung dieser für unsere Kolonie so überaus wichtigen Krankheit dienen vuid dadurch schon jetzt sehr nützlich werden können. Diese Vorexpedition würde für viele Aufgaben der Malariaforschung eine un- schätzbare Orientierung geben, so daß die Hauptexpedition dann nicht nötig haben wird, sich mit zeitraubenden Vorfragen zu beschäftigen. Die Kosten für dieselbe sind auf ungefähr 10 000 M. zu veranschlagen. An den Herrn Direktor der Kolonial- Abteilung im Auswärtigen Amt. Berlin, den 24. April 1901. Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich über den Fortgang der Malariaunter- suchungen in Istrien im Anschluß an den von Prof. Frosch am 5. Januar d. J. erstatteten und von mir mit Begleitbericht vom 7. Januar vorgelegten Bericht ganz ergebenst folgendes zu berichten: Bei dem ersten Besuch von Brioni durch Prof. Frosch und Dr. E 1 s n e r wurden unter 252 untersuchten Personen 40 als mit Malariaparasiten Behaftete gefunden und 888 Malariauntersuchungen in Istrien. dementsprechend einer Chininkur unterworfen. .In der dann folgenden Zeit bheb die Bevölkerung von Brioni unter fortlaufender Kontrolle in bezug auf das Vorkommen von Malariaparasiten. Einer der dortigen Beamten hatte gelernt, Blutpräparate anzu- fertigen und schickte solche von allen Malariaverdächtigen zur Untersuchung nach Berlin. So wurden noch 131 später zugezogene Arbeiter und andere Personen untersucht und darunter 10 gefunden, welche Malariaparasiten im Blute hatten. Auch unter den bereits vorhandenen Personen wurden alle Verdächtigen wiederholt nachuntersucht und noch 13 Malariakranke nachträglich entdeckt. Die Gesamtzahl der auf Brioni bisher konsta- tierten und infolgedessen mit Chinin behandelten Malariafälle beträgt somit 63 unter 383 untersuchten Personen, d. i. 16,4%. Für die Winterperiode, während welcher keine frischen Infektionen vorkommen, bedeutet diese Zahl einen recht hohen Prozentsatz und läßt erkennen, wie stark Brioni von Malaria verseucht ist. Nachdem bei den meisten Malariakranken die Chininbehandlung 3 Monate durch- geführt war, kam es für mich darauf an, mich an Ort und Stelle von dem Erfolg der Kur zu überzeugen und die weiteren Dispositionen für die Portsetzung des Versuchs zu treffen. Zu diesem Zwecke begab ich mich in Begleitung von Prof. Frosch, Dr. E 1 s n e r und Stabsarzt B 1 u d a u am 5. März nach Brioni. In Wien bot sich die Gelegenheit, mit dem Sektionschef im Ministerium, Herrn v. K u s y, welcher sich für die Versuche in Brioni lebhaft interessiert, in Verbindung zu treten und von ihm die Versicherung zu erhalten, daß von selten der österreichischen Regierung alles geschehen werde, um die Bekämpfung der Malaria auf Brioni und, sofern es zweckmäßig erscheine, auch in benach- barten Orten der Küste von Istrien zu fördern. Es war mir nämlich die geringe Entfer- nung zwischen Brioni und den auf der gegenüber befindlichen Küste gelegenen, voraus- sichtlich ebenfalls malariaverseuchten Ortschaften Fasana, Stignano und Peroi doch etwas bedenklich erschienen. Gleich nach der Ankunft in Brioni wurden deswegen die erforderlichen Schritte getan, um eine Untersuchung dieser Ortschaften zu bewerk- stelligen, was sich denn auch dank den vom Herrn v. K u s y getroffenen Anordnungen unter Mitwirkung des Bezirksarztes Dr. Schiavuzzi in Pola ohne zu große Schwierig- keiten durchführen ließ. Es stellte sich dabei heraus, daß die Bevölkerung von Stignano 8,3%, Fasana 6,8%, Peroi dagegen nur 1,4% Malariakranke enthielt. Danach hielt ich es für notwendig, auch in den beiden erstgenannten Ortschaften die Behandlung der krank befundenen Personen vornehmen zu lassen, damit nicht von diesen durch den fortwährenden Verkehr mit Brioni und möglicherweise auch durch Luftströmungen der Infektionsstoff sofort wieder eingeschleppt werde. Eine vollständige Tilgung der Malaria in Stignano und Fasana ist allerdings bei der Kürze der Zeit, welche bis zum Wiederausbruch der Malaria noch zur Verfügung steht, kaum zu erwarten, aber eine erhebliche Minderung wird sich hoffentlich noch erreichen lassen. Gelegentlich eines Besuchs in Pola, wohin ich mich begeben hatte, um mich den dortigen Regierungs- und Medizinalbehörden vorzustellen, wurde ich dringend auf- gefordert, auch die Ortschaften Ossero und Punta-Croce, welche in der Nähe von Lussin- piccolo, südlich von Pola, liegen und als besonders stark malariaverseucht gelten, zu unter- suchen und womöglich von der Malaria zu befreien. Die daraufhin vorgenommene Unter- suchung ergab, daß Ossero 4,7% und Punta-Croce 10,7% malariakranke Personen haben. Diese Zahlen erscheinen an und für sich zwar nicht übermäßig hoch, aber es finden sich in Punta-Croce merkwürdigerweise fast dieselben Verhältnisse wieder wie in den malaria- verseuchten Dörfern von Neu-Guinea und Java, indem die Malaria fast ausschließlich unter den Kindern herrscht. So haben in diesem Orte von den Kindern im Alter bis zu 2 Jahren 81% Malaria, von 2—5 Jahren 35,3%, darüber hinaus nur noch ein Kind von Jahren und zwei Erwachsene von 24 und 25]/) Jahren. Die letzteren sind wahr- Malariauntei'suchungen in Istrien. 889 scheinlicli erst vor kurzem zugezogen. Punta-Croce liegt ganz abseits von allem Vei'kehr und gleicht in dieser Beziehung einigermaßen den Malariadörfern auf Neu-Guinea und Java. Ossero hat schon mehr Verkehr und zeigt die Beschränkung der Malaria auf das kindliche Alter nicht so ausgesprochen wie Punta-Croce; noch weniger tritt diese Er- scheinung in Fasana und 8tignano hervor, aber sie ist doch immer noch deutlich zu er- kennen. Da sich die Malaria in Punta-CVoce in einer so hochinteressanten Weise verhält, so habe ich es für durchaus geboten gehalten, auch diesen Ort nebst Ossero, welches zu demselben Bezirke gehört, in den Versuch hineinzuziehen. Natürlich wird auch hier damit zu rechnen sein, daß wegen Kürze der Zeit nur ein teilweiser Erfolg zu erreichen sein wird. Aber ich darf mich wohl der Hoffnung hingeben, daß mir für diesen Fall zur Fortsetzung des Versuchs in Punta-Croce im nächsten Jahre die erforderlichen Mittel nicht versagt werden. Da Punta-Croce so isoliert liegt und kein Arzt vorhanden ist, welcher die Chinin- knr daselbst durchfühi'en könnte, so habe ich mich genötigt gesehen, Herrn Stabsarzt Bind au in Lussinpiccolo zu stationieren, von wo er Punta-( 'roce, so oft es erforderlich ist, besuchen kann. Die dadurch erwachsenden Kosten werde ich, sofern Euer Hochwohl- geboren damit einverstanden sind, aus den mir zur Verfügung stehenden Mitteln der Malariaexpedition bestreiten. Hierzu möchte ich indessen noch bemerken, daß die öster- reichischen Behörden die Beschaffung des Chinins sowohl für Punta-Croce wie für die übrigen erwähnten Ortschaften übernommen haben. Auf der Rückreise habe ich Rovigno besucht, um zu sehen, ob daselbst in Ver- bindung mit der zoologischen Station des Berliner Aquariums ebenfalls Malariaunter- suchungen zu beginnen seien. Ich fand hier bereits Versuche im Gang, welche darauf hinausgehen, nach dem Vorschlage der italienischen Malariaforscher die Mücken zu vertilgen und auf diese Weise die Übertragung der Malaria zu verhindern. Da es nicht zweckmäßig ist, zu gleicher Zeit und an demselben Orte zwei auf verschiedenen Prin- zipien beruhende Verfahren zu versuchen, weil es dann unmöglich ist, die Wirkung der- selben auseinanderzuhalten und zu beurteilen, so habe ich vorläufig darauf verzichtet, in Rovigno etwas zu unternehmen. Es ist meine Absicht, Herrn Stabsarzt B 1 u d a u zur Überwachung von Punta- Croce und Ossero vorläufig in Lussinpiccolo zu lassen. Die Überwachung der anderen Ortschaften geschieht unter Mitwirkung des Herrn Dr. Schiavuzzi und dessen Assistenten Dr. D o n a u b e r g e r sowie des Stadtphysikus von Pola Dr. M a n e - r i n i von hier aus. Gegen Mitte Juni d. J. wird zunächst Herr Prof. Dr. Frosch sich wieder nach Brioni begeben, um bei Beginn der Fieberzeit an Ort und Stelle zu sein und zu konsta- tieren, in welchem Umfange der Versuch von Erfolg gcAvesen ist. Wenn es erforderlieh sein sollte, werden dann Dr. E 1 s n e r und ich ebenfalls nach Brioni reisen. An den Herrn Direktor der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amts. Berlin, den 12. Dezember 1901. Euer Hochwohlgeboren beelu-e ich inicli hiermit die Berichte des Herrn Prof. Dr. F r Osch über den Verlauf der Malariabekämpfung auf den Brionischen Inseln während der Zeit vom April bis Ende November 1!»01 sowie den Bericht des Herrn Stabsartzes Dr. B 1 u d a über seine Tätigkeit in Punta-Croce und Ossero zu über- senden. 890 Malariaimtersuchungen in Istrien. — Obligatorische Chininprophylaxe gegen Malaria. ' Ich erlaube mir zu diesen Berichten ganz ergebenst zu bemerken, daß die Ergeb- nisse der Malariabekämpfung in Istrien im ganzen genommen bisher sehr günstige ge- wesen sind. Es ist dies ganz besonders aus der graphischen Darstellung (Anlage 2 zum Ergänzungsbericht des Prof. Frosch vom 7. Dezember) zu ersehen. Dieselbe zeigt in getrennten Abteilungen die von früheren Infektionen her bestehenden Rezidive (untere Abteilung), die mit den beständig zuziehenden Arbeitern neu eingeschleppten Fälle (mittlere Abteilung) und die auf Brioni entstandenen frischen Fälle (obere Abteilung). Während die beiden ersteren Rubriken einen Maßstab abgeben für die Hindernisse, welche sich in diesem Falle der Malariabekämpfung entgegenstellten, zeigt das Verhalten der frischen Fälle, inwieweit unsere Maßnahmen einen Erfolg gehabt haben. Derselbe läßt sich dahin präzisieren, daß — während im vergangenen Jahre nach mäßiger Schätzung gegen 100 'frische Fälle auf Brioni vorgekommen sind — in diesem Jahre nur 17 Fälle beobachtet wurden, und diese auch fast nur im Juli (im August nur noch drei Fälle). In Istrien beginnt die Malaria regelmäßig im Juni oder Juli und erreicht ihren Höhepunkt im September, dann nimmt sie langsam ab. Im vorigen Jahre zeigten sich frische Fälle sogar noch bis in den Winter hinein. In diesem Jahre hat aber die Malaria auf Brioni gewissermaßen nur einen schwachen Anlauf genommen und ist dann vorzeitig ab- gestorben. Da im benachbarten Pola und anderen istrischen Orten die Malaria auch in diesem Sommer ihren gewöhnlichen Gang genommen hat und nach allem, was darüber vernommen wurde, sogar besonders heftig geherrscht hat, so kann das äußerst gelinde und kurze Auftreten derselben auf Brioni nur dem Einfluß unserer Bekämpfungsmaß- regeln zugeschrieben werden. Ob die wenigen im Juli und August beobachteten frischen Fälle durch Anopheles entstanden sind, welche die Malariakeime im vergangenen Jahre aufgenommen und überwintert haben, oder von den im Frühjahr noch vorhandenen wenigen Malariakranken infiziert wurden, bei denen die Parasiten aus den im Bericht angegebenen Gründen noch nicht beseitigt werden konnten, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich bin davon überzeugt, daß, wenn der Versuch über die nächste Fieberkampagne hinaus fortgesetzt wird, dann ein vollständiger Erfolg erreicht und damit der einwandfreie Beweis für die Richtigkeit der Voraussetzungen geliefert werden wird, von denen wir bei diesem Versuch ausgegangen sind. In dem Berichte des Herrn Stabsarztes Dr. B 1 u d a u sind die Mitteilungen über die Art und Weise, wie es ihm gelungen ist, die Chininbehandlung bei den Kindern in Punta-Croce durchzuführen, von größtem Interesse. Dieselben können für die Malaria- bekämpfung unter einer Bevölkerung mit endemischer Malaria, wo es fast ausschließ- lich auf die Behandlung der Kinder ankommt, geradezu als Muster dienen. Am 18. Juni 1902 fand in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes eine Konferenz über die E i n f ü h r u n g einer obligatorischen Chininprophylaxe gegen Malaria in den deutschen Schutzgebieten statt. Nach einem einleitenden Referat von Oberstabsarzt Dr. S t e u d e 1 und nach Ausführungen von einigen aktiven und früheren Regierungsärzten der Schutzgebiete bemerkte Koch, daß er eine sichere Prophylaxe gegen die Malaria noch nicht angeben könne. Das einzig sicher wirkende Mittel gegen Malaria sei und bleibe das Chinin. Nach vielen Versuchen und Er- fahrungen sei er zu der Überzeugung gekommen, daß man zur Prophylaxe dieselbe Dosis brauche wie zur Heilung des Anfalles. Mit kleinen Dosen (unter 1 g) komme man nicht aus. Die Itahener gehen sogar noch weiter, sie geben 2 g. Es handele sich nun Einführung einer obligatorischen Chininprophylaxe gegen Älalaria. 891 darum, in welchem Zeitraum man das Chinin geben solle. Er sei, um die subjektiven Beschwerden zu verhindern, von seiner anfänglichen Methode, jeden 5. Tag 1 g, dazu gekommen, jeden 8. und 9. bzw. 9. und 10. Tag 1 g zu geben. Noch weitere Zwischen- räume wären nicht zulässig, ebensowenig aber eine Herabsetzung der Dosis. Mit Halb- grammprophylaxe (P lehn sehe Methode: 0,5 g Chinin jeden 5. Tag) seien auf deutschen Kriegsschiffen Versuche gemacht worden, eine Besserung der Gesundheitsverhältnisse sei damit nicht erzielt worden. Auffällig sei, daß von den Prophylaktikern 2 Mann in Wilhelmshaven an Schwarzwasserfieber erkrankt seien. Nach den Literaturangaben sei es ihm überhaupt so erschienen, als wenn nach der P 1 e h n sehen Methode auffallend viel Schwarzwasserfieber vorkäme. Stabsarzt Klei n e habe 15 derartige Fälle zusammen- gestellt, davon 7 aus Kamerun. Nocht und Dempwolf hätten dieselben Beobachtungen gemacht. Wenn diese Erscheinung sich durch weitere Feststellungen bestätigen sollte, würde es sich doch wohl nicht verantworten lassen, die P 1 e h n sehe Methode zwangs- weise einzuführen. Er bestreitet durchaus nicht, daß durch die Prophylaxe mit 1,4 g die Zahl der Malariaanfälle sich vermindern ließe, aber als eine sichere Methode, die doch anzustreben sei, könne sie nicht gelten. Koch tritt alsdann für die Vorschläge S t e u d e 1 s ein, Chinin probeweise nehmen zu lassen und die Prophylaxe in einer ,, Be- lehrung" zu empfehlen. Zum Schlüsse bittet er, vorerst noch weiteres Material über die Erfolge einer Methode durch die Ärzte der Schutzgebiete einziasammeln. Erst wenn man über eine größere Anzahl von Fällen verfüge, in denen sich die eine oder andere Methode bewährt habe, könne man an die Einführung bestimmter Vorschriften gehen, einstweilen sei die Frage noch nicht genügend geklärt. Nach einer Erwiderung von A. P 1 e h n gibt Stabsarzt M a r t i n i statistische Mitteilungen über die im Jahre 1888/89 gemachten Versxiche an Bord des ,, Habicht" und „Wolf", wo die Hälfte der Mannschaft Chinin 0,5 g jeden fünften Tag genommen habe, die andere Hälfte nicht. Ein Unter- schied in der Anzahl der Erkrankungen sei nicht aufgetreten, auch nicht in der Schwere der einzelnen Anfälle. Im Jahre 1 Ol hätten alle Leute der Schiffe Chinin regelmäßig erhalten, ohne daß die Zahl der Malariafälle sich verringert halte. Er hält es für unwahrscheinlich, daß dies durch Täuschungen seitens der Mannschaften herlieigeführt sei. Zu diesen Ausführungen nimmt K o c h Stellung. Auffallend sei P 1 e h n s Ansicht über die Wirkung seiner Prophylaxe. Wenn durch die P 1 e h n sehe Behandlungsform die Anfälle nicht unterdrückt würden, sondern nur leichter verliefen, und die Höchstwirkung erst nach längerer Zeit einträte, könne man doch von einem Schutze nicht sprechen. Bei einem nicht behandelten Fieber mirden die Anfälle stets geringer und leichter und blieben schließhch ganz aus. Er erinnert an S t e u d e 1 s Bedenken bezüglich der gleichen Dosis für die ver- schiedenen Individuen. Nach den Bei'ichten B 1 u d a u s aus Istrien waren die Dosen, die man bisher für Kinder als genügend erachtete (Vio g der für Erwachsene dienenden Dose pro Lebensjahr), nicht imstande, die Malaria zu heilen. Er habe dieselbe Erfahrung in Neu-Guinea gemacht. Man könne also eine allgemeingültige Dosis noch nicht auf- stellen. 'Bei seinen ersten Versuchen habe er mit 1 g jeden 5. Tag die Malaria verhütet, als er aber der subjektiven Beschwerden wegen die Zwischenräume auf 7 Tage vergrößert habe, sei Fieber aufgetreten. Er sei daher dazu übergegangen, jeden 8. und 9. bzw. 9. und 10. Tag je 1 g zu geben. Hiermit sei er ausgekommen, und diese Form der Behand- lung sei auch durchzuführen gewesen. Der Beweis für die Zweckmäßigkeit derselben sei wiederum in Neu-Guinea erbracht worden. Bei einer neuerlichen Einführung von Chinesen sei denselben zuerst regelmäßig am 8. und 9. Tage je 1 g Chinin gegeben worden. Als damit einige Monate hindurch die Malaria verhütet worden wäre, habe man sich in Sicherheit gewiegt und die Prophylaxe aufgegeben. Sofort seien Fieberfälle vorgekom- men und der Gesundheitszustand erst ^wieder befriedigend geworden, als man die Leute wieder regelmäßig Chinin nehmen ließ. Nach den Untersuchungen von Kleine stehe 892 Bekämpfung der Malaria. fest, daß Chinin von den einzelnen Individuen ganz verschieden resorbiert werde. Der eine Mensch resorbiere rascher als der andere, daher könnten Beobachtungen an einzelnen Personen keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit machen. Wenn auch A. P 1 e h n in Kamerun mit 0,5 g Chinin jeden 5. Tag gute Erfolge erzielt haben wolle, so sei es doch zweckmäßig, auch an anderen Orten ähnliche Versuche zu machen, und er bittet, auf dieser Basis weiter zu arbeiten. Er sei gar nicht etwa dafür, daß das, was A. P 1 e h n in Kamerun mit vieler Mühe eingeführt und als richtig befunden habe, nun wieder um- gestoßen werde, es müßte aber noch mehr Material gesammelt werden, um wirklich die beste Form der Prophylaxe festzustellen. Es könne den zahlreichen Ärzten in den Kolonien doch nicht schwerfallen, Personen zu bewegen, eine Prophylaxe durchzu- führen. Auf Grund dieser Erfahrungen könne man in der Zukunft dann vielleicht eine allgemeingültige Form der Prophylaxe aufstellen. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 7. Oktober 1902. Eurer Exzellenz reiche ich in der Anlage den Malariabericht des Marinestabs- arztes Dr. E. Martini gehorsamst zurück und berichte darüber wie folgt : Es wird zweckmäßig sein, zugleich mit diesem Berichte eine Veröffentlichung des Marineoberarztes Dr. P. M ü h 1 e n s zu besprechen, welche kürzlich in Nr. 33 und 34 der Deutschen Medizinischen Wochenschrift erschienen ist. Der zum Institut für Schiffs- und Tropenhygiene in Hamburg kommandierte Verfasser untersuchte zu- erst die zum Hamburger Gebiet gehörige Umgebung von Cuxhaven, wo Malaria aus- gebrochen war, und begab sich dann mit Überspringung des zwischenliegenden Küsten- striches in die Umgebung von Wilhelmshaven auf Oldenburger Gebiet. Seine Ermitt- lungen ergaben, daß dieses ganze Gebiet seit langer Zeit bis vor zwei Jahren fast frei von Malaria gewesen war, daß aber mit dem Frühjahr 1901 eine sehr bemerkliche Zunahme des Fiebers eingesetzt hat. Über die Ursache des plötzlichen Wiederauftretens der Krankheit an vielen Orten zugleich konnte der Verfasser nichts in Erfahrung bringen. Der Marinestabsarzt Dr. E. Martini ist seit zwei Jahren mit der Aufgabe betraut, in Wilhelmshaven die Dock- und die Werftarbeiter frei von Malaria zu halten und zu verhüten, daß sich so trostlose Verhältnisse wiederholen, wie sie die im Jahre 1857 be- gonnenen Dockarbeiten mit sich brachten. Um seine Arbeiter gegen Einschleppung der Krankheit von außen her zu sichern, hat Herr Stabsarzt Martini unter anderem auch Meldekarten in der weiteren Umgegend von Wilhelmshaven verteilt und erfuhr dadurch von dem erneuten Auftreten der Malaria rings um Wilhelmshaven herum. Da nun ein großer Teil der 5—6000 Mann betragenden Arbeiter weit entfernt vom Orte ihrer Tätigkeit wohnt, und zwar südUch bis nach Zetel, nördhch sogar bis nach Carolinen- siel an der Nordsee, also innerhalb des neuen Malariagebietes, so war zu befürchten, daß diese Leute sich zu Hause ansteckten und die Krankheit bei den anderen Arbeitern in Wilhelmshaven einschleppten. Deshalb wurde zunächst die Informationsreise unter- nommen, über welche hier der Bericht vorliegt. Auch Herr Stabsarzt Martini fand die ganze Marsch verseucht, nicht nur im Oldenburgischen, sondern auch im Preußischen, und die Nachforschungen nach dem zeithchen Auftreten der einzelnen Fälle wiesen auf die Strandgegend zwischen Neu-Hardingersiel und Bensersiel gegenüber Spiekeroog und Langeoog als Ausgangspunkt der Malaria hin. Auf dieser ganzen Strecke sind seit zwei Jahren Deichbauten in einer Ausdehnung von 7,5 km von einer holländischen Gesell- schaft ausgeführt worden, die vor zwei Jahren auch in der Gegend von Norden einen 12 km Bekämpfung der Malaria. 893 langen Deich aufgeführt hat. Da auch dort seit zwei Jahren die Malaria zugenommen hat, während von dem dazwischenliegenden Gebiet nichts Derartiges bekanntgeworden ist, so dürfte die Annahme des Stabsarztes Martini zutreffend sein, daß die holländischen Arbeiter die Seuche bei uns eingeschleppt haben, zumal auch nach den Angaben des holländischen Arztes Schoo die Malaria in Holland stark verbreitet ist. Wenn diese Ansicht richtig ist, so steht zu erwarten, daß das Fieber auch in die jetzt noch freien Gegenden wird eingeschleppt werden, sobald neue Deichbauten von der holländischen Gesellschaft in Angriff genonnnen werden. Aber noch eine andere Stelle scheint gefährdet zu sein, nämlich die Gegend von Leer, wo eine größere Anzahl Italiener als Erdarbeiter beschäftigt wird. Erfahrungs- gemäß befinden sich unter den Italienern immer Malariakranke. Ob sie in Leer schon Veranlassung zu Ansteckungen gegeben haben, oder ob Schritte getan worden sind, diese zu verhüten, ist hier nicht bekanntgeworden. Es ist also erwiesen, daß in den Marschen Ostfrieslands, wo die Malaria schon fast ganz erloschen war, die Seuche an verschiedenen Stellen wieder aufzuflackern beginnt, und daß sie stellenweise schon eine solche Ausdehnung erlangt hat, daß Kinder sich sogar in der Schule anstecken, wie M ü h 1 e n s berichtet. Da fragt es sich nun, ob von seifen des Staats gegen die Seuche eingeschritten werden soll, denn daß es den prak- tischen Ärzten der Gegend gelingen wird, die Malaria bald zu unterdrücken und ihre weitere Ausdehnung zu verhindern, ist nicht anzunehmen, weil aus beiden Berichten hervorgeht, daß nur ein Teil der Kranken Hilfe beim Arzt sucht. Viele, vielleicht die meisten, wenden Hausmittel an oder gebrauchen Chinin, das sie sich selber aus den' Apotheken holen nach eigenem Gutdünken. Andererseits aber fragt es sich, welchen Verlauf die Epidemie nehmen würde, wenn man sie sich selber überließe. Die eigentüm- liche Witterung des laufenden Jahres, welche sich auch dadurch zu erkennen gibt, daß die Durchschnittstemperatur der letzten Sommermonate um 3 — 4° unter dem Mittel blieb, läßt an die Möglichkeit denken, daß die 3. und 4. Generation der betreffenden Stechmücken (Anopheles) nicht zur Entwicklung gekommen sind, wodurch Spätinfek- tionen der Menschen ausgeschlossen oder an Zahl verringert sein würden. Die Folge könnte dann sein, daß auch weniger Fieberrezidive auftreten, und das hätte wahrschein- lich eine Verminderung der Malaria im nächsten Jahre zur Folge; und wiederholt sich derselbe Vorgang, so würde unter Beihilfe des Chinins, das ja immer dabei gebraucht wird, die Malaria in einigen Jahren wesentlich abnehmen. Es ist aber zu bedenken, daß wir dabei Ausnahmeverhältnisse, vor allen Dingen abnorm niedrige Temperaturen, in Anschlag bringen, auf die nicht zu rechnen ist. Ob noch andere äußere Verhältnisse, die weniger in die Augen fallen, den Verlauf einer Malariaepidemie günstig zu beeinflussen imstande sind, läßt sich zurzeit noch gar nicht ermessen. Man denkt aber unwilUiürlich an solche Möglichkeiten, weil es bekannt ist, daß früher stark verseuchte Gebiete allmählich frei von Wechselfieber geworden sind, ohne daß in methodischer Weise dagegen vorgegangen wurde und ohne daß die Anopheles aus dem Gebiete verschwunden sind. Man hat das, abgesehen vom ausgiebigen Chiningebrauch, mit einer Verbesserung der ganzen Lebenshaltung der Bevölkerung in Verbindung bringen wollen, was vielleicht nicht ganz von der Hand zu wi'isen ist, aber doch noch genauer präzisiert werden müßte. Aber selbst wenn man diese Annahme gelten läßt, so liegen in den Marschen die Verhältnisse jetzt ganz anders; die Bevölkerung ist eine viel dichtere geworden, und es ist eine an Zahl sehr bedeutende Arbeiterbevölkerung hinzugekommen, die zum Teil in Schuppen und Baracken untergebracht ist, in denen ein einziger eingeschleppter Malariafall zahlreiche x\nsteckungen nach sich zieht; durch die verbesserten Verkehrs- 894 Bekämpfung der Malaria. Verhältnisse ist eine viel größere Beweglichkeit in die früher sehr seßhafte Bevölkerung gekommen, wodurch einer schnellen Verbreitung des Wechselfiebers Vorschub geleistet wird. Dazu kommt die fortwährend erneute Einschleppung der Krankheit durch aus- ländische Arbeiter. Wenn man sich also auch auf den Standpunkt stellt, daß in der Erscheinung des Anwachsens und des Nachlassens der Wechselfieberepidemie noch nicht alles geklärt ist, weil diese Epidemien noch nicht im Lichte der neueren naturwissenschaftlichen Forschung genügend untersucht sind, so dürfen die zuletzt vorgebrachten Erwägungen doch dazu führen, sich nicht rein abwartend zu verhalten, denn nichts vermag zu ge- _ währleisten, daß im nächsten Jahre die Seuche nicht in sehr verstärktem Maße auftritt, und dann würden die zu ihrer Unterdrückung nötigen Mittel ein Vielfaches der jetzt schon nicht ganz unbeträchtlichen Kosten ausmachen. Wie man sich aber auch zu der Sache stellen möge, eines ist notwendig: unsere einheimische Bevölkerung muß gegen die von den Ausländern drohenden Gefahren ge- schützt werden, und es ist jetzt gerade die günstigste Zeit, dies zu tun. Da wir auf viele Jahre hinaus noch der ausländischen Arbeiter bedürfen werden, Holländer, Italiener, Dalmatiner, Ungarn, Rumänen usw., welche alle uns Malaria mit- bringen, so ist es geboten, jetzt einen Anfang zu machen, noch bevor Deutschland in größerem Umfange wieder mit Fieber verseucht ist. Dazu ist es notwendig, sofort einige Ärzte mit dem nötigen Hilfspersonal in die verseuchten Gegenden zu schicken, mit der Aufgabe, in der von mir angegebenen Weise die Malaria zu unterdrücken, nachdem diese 'Methode sich an verschiedenen Orten und jetzt wieder in Wilhelmshaven durchaus bewährt hat. Obgleich der Ort mitten im Seuchengebiet liegt, sind die dort beschäftigten Erdarbeiter vollkommen von der Epidemie verschont worden. Wenn mit dem Beginn des Unternehmens gezögert und die Zeit des winterlichen Nachlassens der Epidemie ungenutzt vorübergelassen wird, so geht ein Jahr damit verloren, und die Arbeit wird mühsamer und kostspieliger. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 18. November 1902. Eurer Exzellenz beehre ich mich über den jetzigen Stand meiner Malariaforschung und die nächsten Aufgaben der Bekämpfung der Malaria ganz ge- horsamst zu berichten. Die von mir vor einigen Jahren in Angriff genommenen Aufgaben in bezug auf Erforschung der Malaria, nämlich eine ausreichende Orientierung über die ätiologischen Verhältnisse der Malaria zu gewinnen und ein hierauf begründetes Verfahren der Malaria- bekämpfung zu finden, glaube ich schon einigermaßen gelöst zu haben. Was die Malariaätiologie betrifft, so können wir jetzt als sicher annehmen, daß es drei verschiedene Arten von Malaria gibt: die Quartana, Tertiana und Tropica. Letz- tere wurde von mir mit diesem Namen belegt, weil sie nur im tropischen und subtro- pischen Klima zu Hause ist. Das sogenannte Schwarzwasserfieber, welches früher für die intensivste Form der Malaria gehalten wurde, ist keine eigentliche Malaria, sondern eine Hämoglobinurie, welche unter dem kombinierten Einfluß von Malaria und Klima durch Chinin oder ähnliche Chemikalien hervorgerufen wird. Da die verschiedenen Arten der Malariaparasiten sich im Blute bei hinreichender Übung mikroskopisch leicht nachweisen lassen, so ist die Diagnose der Malaria mit solcher Sicherheit zu stellen, wie kaum bei einer anderen Krankheit. Bekämpfung der Malaria. 895 Von Wichtigkeit war die Entdeckung, daß in Gegenden, wo die Malaria endemisch ist, vorzugsweise die Kinder ergriffen werden, und daß diejenigen Menschen, welche die Krankheit überstehen, nach einigen Jahren immun werden. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache gelingt es leicht, durch eine Anzahl von Blutuntersuchungen bei Kindern und Erwachsenen sichere Anhaltspunkte für die Beurteilung der Malariaverhältnisse einer Gegend bzw. eines Ortes zu gewinnen. Als eine feststehende Tatsache sind ferner die von R. R o ß entdeckten Beziehungen der Stechmücken, insbesondere der Anopheles, zur Malaria anzusehen. Diese Insekten können, wie Roß gezeigt hat, die Malaria vom malariakranken Menschen auf Gesunde übertragen. Es blieb aber daneben auch die Möglichkeit bestehen, daß die Infektion auch auf andere Weise, z. B. durch andere Zwischenträger oder auch von anderen Wirten der Parasiten aus, zustande kommen könne. Erst meine Versuche in Neu- Guinea haben in dieser Beziehung Sicherheit geschafft und den Beweis dafür geliefert, daß es für die Malariaparasiten nur den einen Weg vom Menschen durch die Mücken wieder zum Men- schen gibt. Nachdem dies festgestellt war, konnte man daraii denken, ebenso wie bei anderen Infektionskrankheiten, dadurch, daß man die Parasiten aufsucht und in jedem einzelnen Falle unschädlich macht, die Malaria auszurotten, namentlich da in bezug auf diese Krankheit die Verhältnisse besonders günstig liegen; denn mit Hilfe des Mikroskops können die Parasiten im Blute der Kranken aufgefunden, und durch Chinin können sie unschädlich gemacht werden. Ich habe mich deswegen bemüht, die mikroskopische Diagnose so weit zu vervollkomnmen, daß sie den Anforderungen der Praxis genügt und sich namentlich für die notwendigen Massenuntersuchungen eignet; ferner habe ich versucht, die Anwendung des Chinins so zu gestalten, daß die Malariarezidive, um welche man sich bis dahin viel zuwenig gekümmert hatte, verhütet und somit die Malaria- parasiten nicht bloß vorübergehend, sondern dauernd zum Schwinden gebracht werden. Auch diese beiden Aufgaben glaube ich so weit gelöst yai haben, daß man init den von mir gefundenen Verfahren in der Praxis auskommt. Mit solchen Kenntnissen und Erfahrungen ausgerüstet, habe ich zum ersten Male in Stephansort einen Versuch der Malariaausrottung gemacht, welcher, soweit es unter den dortigen Verhältnissen überhaupt möglich war, vollkommen gelungen ist. Es wurden sämtliche Plantagenangehörige auf Malariaparasiten untersucht, und alle diejenigen, welche damit behaftet gefunden wurden, einer Chininkur unterzogen. Der Erfolg war der, daß nach einem halben Jahre nur noch vereinzelte Fälle von Quartana, der hart- näckigsten Form der Malaria, vorhanden waren und frische Infektionen fast gar nicht mehr zur Beobachtung kameii. Seitdem sind ähnliche Versuche in. Istrien, und zwar auf den Brionischen Inseln und in den Ortschaften Punta-Croce und Ossero, ferner in Südwestafrika auf der Station Franzfontein gemacht, welche zu ebenso günstigen Resultaten geführt haben. Nament- lich ist der Versuch auf den Brionischen Inseln bemerkenswert, weil es daselbst unter recht schwierigen Verhältnissen gelungen ist, die Malaria vollkommen zu tilgen, so daß seit fünf viertel Jahren kein einziger frischer Fall mehr vorgekommen ist, während in den benachbarten Gegenden die Malaria unverändert fortbesteht. Von besonderem Interesse ist auch der Malariabekämpfungsversuch in Daressalam (Ostafrika), durch welchen der Beweis geliefert werden soll, daß sich das Verfahren in größeren Orten und unter Zuhilfenahme von Nichtärzten mit sehr geringen Unkosten durchführen läßt. Stabsarzt 011 wig, welcher diesen Versuch leitet, hat im Laufe eines Jahres erreicht, daß die Gesamtzahl der Malariakranken in Daressalam um mehr als 50% zurückgegangen ist, und daß infolgedessen das Europäerlazarett so leer geworden ist wie nie zuvor. 896 Bekämpfung der Malaria. Erwähnen möchte ich noch die in Wilhehnshaven gelegentlich der neuen Hafen- bauten ergriffenen Maßregeln, welche den befürchteten Ausbruch der Malaria daselbst verhüten sollen. Diese Maßregehi beruhen auf der Anwendung der von mir aufgestellten Grundsätze ; sie werden von dem zum Institut für Infektionskrankheiten kommandierten Marinestabsarzt Martini unter meiner Leitung durchgeführt. Auch hier ist der Erfolg bis jetzt ein günstiger, indem unter den Arbeitern die Malaria nicht ausge- brochen ist. Über die soeben erwähnten verschiedenen weiteren Versuche der Malariabekämpfung sind auf dem im Laufe des vorigen Monats in Berlin abgehaltenen Kolonialkongreß von den betreffenden Herren vorläufige Mitteilungen gemacht, denen sich noch Professor G o s i o aus Rom angeschlossen hat, welcher über die günstigen Erfolge berichtete, die er nach denselben Grundsätzen und in Fortsetzung meiner ursprünglichen Versuche in den toskanischen Maremmen bei Grosseto erhalten hat. Bei derselben Gelegenheit konnte auch Geheimrat D ö n i t z über seine Studien Mitteilung machen, die er an dem von mir auf der letzten Malariaexpedition gesammelten Mückenmaterial gemacht hatte. Ich beabsichtige, in nächster Zeit die ausführlichen Berichte zu diesen vorläu- figen Mitteilungen in der Zeitschrift für Hygiene^) zu veröffentlichen, und werde ich nicht verfehlen, Eurer Exzellenz dieselben nach dem Drucke ganz gehorsamst vorzulegen. Bei der Bekämpfung der Malaria habe ich mich in den bisherigen Versuchen ab- sichtlich nur an das von mir angegebene Verfahren gehalten, um den Beweis dafür zu erbringen, daß dasselbe allein imstande ist. unter den verschiedensten klimatischen und sozialen Verhältnissen die Malaria zum Verschwinden zu bringen. Von anderen Seiten sind noch andere Verfahren in Vorschlag gebracht und stellen- weise auch versucht. Es sind dies die von R. R o s s empfohlene Vertilgung der Mücken durch Beseitigung der Brutplätze und Begießen der nicht zu beseitigenden Wasserstellen mit Petroleum; ferner der in Italien versuchte Schutz der Häuser gegen Mücken durch Drahtnetz und der Menschen durch Handschuhe und Masken. Es ist mir nicht bekannt- geworden, daß auf diesen Wegen nennenswerte Erfolge erzielt sind. Nach dem, was ich selbst beobachtet und durch Mitteilungen anderer erfahren habe, können diese Me- thoden nur unter besonderen Verhältnissen und in beschränktem Umfange Anwendung finden. Trotzdem würde ich dieselben gegebenenfalls zur Unterstützung meines Ver- fahrens ebenfalls benutzen. Was die weiteren Aufgaben der Malariabekämpfung betrifft, so würden dieselben darin zu bestehen haben, daß man so, wie ich es bisher getan habe, jede sich bietende Gelegenheit wahrnimmt, um weitere praktische Versuche anzustellen. Ich halte dies zunächst aus wissenschaftlichen Gründen für sehr wichtig, da wir schon jetzt an dem Beispiel der Malaria sehr viel gelernt haben, was wir für die Bekämpfung anderer Infek- tionskrankheiten verwerten können, und da wir unzweifelhaft auch noch viel mehr daran werden lernen können. Dann halte ich die Portsetzung dieser Versuche aber auch inso- fern für wünschenswert, als die Methode in manchen Einzelheiten noch verbessert werden kann und etwaige Verbesserungen sich nur an der Hand der Praxis finden und erproben lassen. Wenn weitere derartige Versuche in den deutschen Kolonien oder womöglich im Inlande gemacht werden, dann kommen sie außerdem dem Lande selbst zugute. In dieser Beziehung möchte ich ganz gehorsamst darauf aufmerksam machen, daß seit 1—2 Jahren in Ostfriesland die Malaria ziemlich stark zugenommen und fast einen epi- 1) Siehe Bd. II, p. 456 ff. Bekäiiii)fimg der Malaria. 897 demischen Charakter angenommen hat. Es ist nicht unwahrscheinüch, daß sie im nächsten Jahre noch weiter zunehmen wird, und es wäre dann hohe Zeit, dagegen einzuschreiten. Ich würde es für ratsam halten, schon im Beginn des nächsten Jahres, etwa im Februar und März, wenn die ersten Malariafälle sich bei uns zu zeigen pflegen, in jenen Gegenden nachforschen zu lassen, ob daselbst mehr Menschen als gewöhnlich mit Malariaparasiten behaftet sind und demgemäß ein stärkerer Ausbruch in den folgenden IMonaten zu er- warten ist. Man würde dann beizeiten geeignete weitere Maßregeln ergreifen können. Berlin, den 6. März 1!)08. Auszug aus dem Protokoll der Beratung im preußischen Kultusministerium über eine gemeinsame Malariabekämpfung in de m preußischen Kreise W i 1 1 - m u n d und in den anstoßenden o 1 d e n b u r g i s c h e n L a n d e s t e i 1 e n. Koch glaubt, daß es sich um einen richtigen Malariaherd handele. Ehe mit der Bekämpfung vorgegangen werden könne, sei es notwendig, Untersuchungen bei Kindern bis zum Alter von 10 oder 12 Jahren vorzunehmen, da diese wenig oder meistens gar nicht von der Scholle fortgekommen seien. Es sind möglichst jugendliche Kinder im Alter von Jahren zu untersuchen. Lasse sich die Untersuchung solcher Kinder durch- führen — er habe nie Schwierigkeiten damit gehabt — , so könne man auf die Untersuchung der Schulkinder in der Mehrzahl der Fälle verzichten. Die Anzahl der infizierten Kinder gebe einen Gradmesser für den Umfang der Malariaerkrankungen im allgemeinen. Auch müsse die Kinderuntersuchung von Zeit zu Zeit wiederholt werden, um einen Maßstab für den Bekämpfungserfolg abzugeben. Die seinerzeit unter Leitung des Marinestabs- arztes Dr. M a r t i n i ins Werk gesetzte Bekämpfung habe den Zweck verfolgt, anläß- lich der umfangreichen Hafenbauten bei Wilhelmshaven einem Malariaausbruch vor- zubeugen. Diese Aufgabe sei erfüllt, da ein Ausbruch der Malaria gelegentlich der vor- bezeichneten Arbeiten nicht zu verzeichnen gewesen sei. Heute handele es sich um vereinzelte endemische Malariaherde, die bei den vielen Arbeiteranhäufungen eine bleibende Gefahr für Wilhelmshaven und LTmgegend bilden. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus handele es sich um ein ausgezeichnetes Objekt, da man prüfen könne, ob unter den in Deutschland gegebenen klimatischen Verhältnissen und sozialen Be- dingungen eine Ausrottung der Malaria möglich sei. Wünschenswert sei es, die Aufgabe nicht von vornherein zu weit zu stellen. Die Bekämpfung sei erst bei einem Herde durch- zuführen, um später die gewonnenen Erfahrungen bei den anderen Herdon zu verwerten. Daß es in zwei bis drei Jahren gelingen werde, die Malaria völlig zu beseitigen, bezweifele er. Von den Behandlungsmethoden werde diejenige mit Chinin an erster Stelle in Frage kommen. Er sei aber kein Gegner von anderen Bekämpfungsversuchen, z. B. von der Anbringung von Schutzvorrichtungen an den Wohnungen, von dem Wegfangen der Mücken usw. Er hält es für wünschenswert, daß mit Larvizid auf den Gewässern Ver- suche vorgenommen werden. Soweit irgendwie angängig, seien die Wassertümpel zu- zuschütten. Vom mechanischen Schutze der Häuser durch Umspannen von Netzen verspricht Koch sich nichts. In Italien seien vor Jahren derartige Versuche, besonders an Bahnwärterhäusern in Sumpfgegenden, in größerem Umfange vorgenommen worden. Man werde es dem Dr. M ü h 1 e n s überlassen können, an einigen Häuschen derartige Versuche zu unternehmen. Die Angelegenheit habe eine gewisse Bedeutung für unsere Kolonien. Man müsse alles anwenden, um dem etwaigen Vorwurf einer Unterlas.sung vorzubeugen. Koch spricht sich gleichfalls dahin aus, daß die Bekämpfung im Wege Koch, Gesammelte Werke. 102 898 Bekämpfung der Malaria. — Über die Pest. — Über Pestserum. der Güte durchgeführt werden müsse. Eine behördUche Einwirkung sei mögüchst zu unterlassen. In der Hauptsache komme es auf eine gründhche Nachbehandlung an. Vereinzelte Fälle von Malaria seien in Wilhelmshaven und den daran grenzenden oldenburgischen Gebietsteilen seit annährend 30 Jahren beobachtet worden. Es handele sich um alte Krankheitsherde. Dementsprechend seien auch die Bekämpfungsmaß- regeln einzurichten. Koch hebt hervor, daß es dem Charakter der Malaria entspreche, wenn dieselbe nicht in dem Innern der Städte gefunden werde. Er habe stets die Erfahrung gemacht, daß die Malaria in den Außendistrikten der Städte, woselbst sich vielfach Gärten, Wassertümpel und dergleichen befinden, vorkomme. Ähnlich sei es in Wilhelmshaven. Man müsse daher zunächst die Vororte von Wilhelmshaven absuchen, um festzustellen, wieviel Malariaerkrankungen und Parasitenträger dort vorhanden sind. Auch sei es notwendig, eine Ubersicht über die Verbreitung der Anopheles dortselbst zu gewinnen und diese zu vernichten. Koch hält es für notwendig, die Bekämpfung zunächst für einen Zeitraum von 3 Jahren in Aussicht zu nehmen. An den Herrn Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts. Berlin, den 27. Februar 1901, Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich auf das Schreiben vom 20. Februar d. J. Nr. K 30 456/12143 unter Rückgabe der beiden Anlagen ergebenst mitzuteilen, daß ich mit großem Interesse von dem Bericht des Depaty-Commissioner Jackson Kennt- nis genommen habe. Ich ersehe daraus, daß englischerseits in einer mir ganz unbegreif- lichen Weise noch immer an der Fiktion festgehalten wird, daß die Pest vom deutschen Gebiete nach Uganda eingeschleppt sei, während es doch gerade umgekehrt ist. Der eigentliche Pestherd, welcher höchstwahrscheinlich eine große Ausdehnung besitzt und mindestens bis zum nördlichen Ende des Albertsees reicht, liegt nördlich vom Kagera- fluß, also auf enghschem Gebiet. Die Pest in Kisiba bildet nur einen kleinen nach Süden gerichteten Ausläufer jenes großen Pestherdes, und es würde keinen dauernden Erfolg versprechen, wenn man auf deutschem Gebiete die Pest auszurotten versuchen wollte, da sie voraussichtlich in kurzer Zeit von Uganda her wieder eingeschleppt werden würde. Ich stimme somit den Ausführungen des Herrn Stabsarzt Z u p i t z a vollkommen bei und bin auch der Meinung, daß nur ein gemeinsames Vorgehen von Deutschland und England zum Ziele führen kann, wobei aber der eigentliche Schwerpunkt der Aktion in das Gebiet nördlich vom Kagerafluß zu verlegen sein würde. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 24. April 1901. Eurer Exzellenz beehre ich mich unter Rückgabe der Anlagen ganz gehorsamst wie folgt zu berichten: Zurzeit kommen zwei Arten von Pestserum in Betracht. Erstens das vom P a s t e u r sehen Institut unter Verwendung von lebenden Pestkulturen hergestellte Serum und zweitens das von Lustig im Municipality Laboratory zu Bombay mit Hilfe von Pestkulturen, welche durch Behandlung mit Kalilauge abgetötet sind, prä über PestseruLU. 899 parierte Serum. Das erstere Seruiu, kurz als französisches bezeichnet, wurde bereits bei Beginn der indischen Pestepidcniie von Y e r s i n in Bombay versucht, und ich habe damals hinreichend Gelegenheit gehabt, die Y e r s i n sehen Versuche kennen zu lernen und selbst mit diesem Serum zu experimentieren. Y e r s i n ließ sich vorsichtiger- weise nur auf die Behandlung von leichten Pestfällen ein, verglich dann die hierbei er- zielten verhältnismäßig niedrige Mortalität mit der die schweren Falk' umfassenden hohen Gesamtmortalität und erhielt auf diese Weise natürlich Zahlen, welche zugunsten der Serumtherapie sprechen. Die in den Pesthospitälern Bombays tätigen Ärzte, in erster Linie Dr. C h o k s y vom Arthus-Road-Hospital, waren dagegen der Meinung, daß wenn die mit Serum behandelten leichten Pestfälle mit ebenso leichten nicht in gleicher Weise behandelten Fällen verglichen wurden, eine Heilwirkung des Y e r s i n - sehen Serum nicht zu ei'kennen sei. Dieser Auffassung muß ich mich nach dem, was ich damals selbst gesehen habe, anschließen. Die ungünstige Beurteilung des fran- zösischen Serums ist in Bombay anscheinend auch bis jetzt noch unverändert geblieben. Schottelius sagt in seinem vor kurzem veröffentlichten Berichte, daß ,,das fran- zösische Serum unter Y e r s i n s Ägide in Indien zweifellos Unglück gehabt habe und daher dort diskreditiert sei, und zwar nimmt er an, daß im Anfange der eigentlichen Pestepidemie in Bombay vielfach sehr leichte Fälle (Pestis minor) beobachtet seien, und daß es solche Fälle wohl waren, aus deren Genesung unglücklicherweise die guten Resultate der Y e r s i n sehen Serumtherapie gefolgert wurden". Nach derartigen Erfahrungen ist es geboten, den übrigen Angaben von Y e r s i n über Heilerfolge, die er mit seinem Serum erzielt haben will, nicht ohne weiteres Glau- ben zu schenken. Später ist von den Vertretern des Institut P a s t e u r , von C a 1 m e 1 1 e und Metschnikoff, die geringe Wirkung des bis dahin hergestellten Pestserums auch zugegeben und dauTit begründet, daß es bei subkutaner Anwendung nicht zur vollen Geltung komme, es müsse intravenös gegeben werden. Dies ist denn auch gelegentlich der Epidemie in Oporto von C a 1 m e 1 1 e geschehen, und es sollen infolgedessen von den mit Serum behandelten Fällen 14.7%, von den Fällen ohne Serum 62,5% gestorben sein. Aber auch diese Zahlen stehen in starkem Widerspruch zu den Angaben von V a - gedes, welcher gegen Ende der Epidemie, als sich die Verhältnisse mit Sicherheit übersehen ließen, die Ergebnisse der Serumbehandlung ermittelte und fand, daß die Sterblichkeit der im Hospital mit Serum Behandelten 17,4% und diejenige der nicht mit Serum Behandelten 13,5% betrug. Auch die in Alexandrien mit dem französischen Serum erhaltenen Resultate liefern einen weiteren Beitrag zur Beurteilung dieser Frage. Im Griechischen Hospital starben mit Serum 30%, ohne Serum 42%; im Regierungshospital aber, wo kein Serum gebraucht wurde, nur 32,7% der Pestkranken. Diese Daten sprechen keineswags zugunsten des französischen Serum, und an- dere, welche eine größere Zahl von Pestfällen umfassen, gibt es vorläufig nicht. Auch die Mitteilungen von Prof. D u n b a r über seine an Mäusen mit franzö- sischem Serum angestellten Heilvarsuche (Erlaß vom 17. April 1901 M. 10 983 U. I.) ändern hierin nichts. Abgesehen davon, daß man, wie die Versuche der deutschen Pest- kommission an zwei verschiedenen Arten von Affen beweisen, in dieser Beziehung nicht von einer Tierart auf die andere und ebensowenig von einer solchen auf den Menschen schließen darf, so haben auch Untersuchungen, welche von Prof. K o 1 1 c im Institut für Infektionskrankheiten ebenfalls mit französischem Pestserum (im Februar d. J. aus Paris bezogen) an Mäusen angestellt wurden, zu erheblich ungünstigeren Resultaten geführt. Vermutlich findet dieser Widersprucli darin seine Erklärung, daß Prof. Dun 1) a r 102* 900 über Pestserum. Pestkulturen von geringer Virulenz, Prof. K o 1 1 e dagegen eine solche von sehr hoher Virulenz (von dem Bremer Pestfall stammend) bei seinen Versuchen benutzt hat. Was nun weiter das Lustig sehe Serum betrifft, so liegen über Heilerfolge, welche damit erzielt sind, bislang nur spärliche Nachrichten aus Bombay vor, wonach von den Fällen mit Serum 61,8% und ohne Serum 80,4% gestorben sind (bei einer zweiten Versuchsreihe 66,67% und 79,54%). Hierbei fällt die hohe Mortalität auf gegen- über den in Oporto (13,5%) und Alexandrien (32,7%) beobachteten Mortalitätsziffern der nicht mit Serum Behandelten, was wahrscheinlich dadurch bedingt ist, daß in die Hospitäler von Bombay viel mehr schwere Fälle gelangt sind als in diejenigen von Oporto und Alexandrien. Es geht dies auch daraus hervor, daß nach Dr. C h o k s y s Erfahrungen in dem Arthur-Road-Hospital in Bombay 50% aller Fälle in den ersten 48 Stunden sterben, von den übrigen 50% etwa 20% von selbst heilen und nur 30% für die Serumbehandlung zugänglich bleiben. Deswegen ist ein Vergleich zwischen den Zahlen aus Bombay, Oporto und Alexan- drien und damit auch ein Vergleich in bezug auf den Heilerfolg des französischen und des Lustig sehen Serums leider ausgeschlossen. Soweit die Angaben über die therapeutische Anwendung des Pestserums sich überblicken lassen, muß man zu dem Schluß gelangen, daß etwas Zuverlässiges noch nicht vorliegt, und daß es augenblicklich unmöglich ist, zu entscheiden, ob dem Pest- serum ' überhaupt eine Heilwirkung zukommt und welche von den beiden Arten des Serum vorzuziehen ist. Es scheint mir deswegen geboten, jede Gelegenheit zu benutzen, um brauchbare Nachrichten über die Wirkung des Serum auf menschliche Pest zu erhalten. Die meiste Aussicht hierzu bietet Bombay, wo immer noch zahlreiche Pestfälle in die Hospitäler gelangen und zum Teil mit Serum behandelt werden. Da sich außerdem zurzeit Dr. Hahn, Assistent des Münchener Hygienischen Instituts, in Bombay aufhält, um da- selbst Peststudien zu machen, so empfiehlt es sich, denselben dafür zu gewinnen, daß er teils Erkundigungen über die Versuche anderer Ärzte einzieht, teils selbst mit fran- zösischem und Lustig schem Serum Versuche anstellt. Solange man nun über den Wert des Pestserum noch gänzlich im unklaren ist, liegt, wie mir scheint, auch kein zwingender Grund vor, schon jetzt in Deutschland Pestserum zu fabrizieren. Sollte man sich aber dennoch mit Rücksicht auf die öffent- Uche Meinung dazu entschließen, dann muß vor allem die Frage, ob man dazu das fran- zösische Verfahren oder dasjenige von Lustig anwenden will, entschieden werden, und zwar aus folgenden Gründen: Bei dem französischen Verfahren kommen, wie be- reits erwähnt, lebende Pestkulturen zur Verwendung, und es kann deswegen damit nur unter allen Vorsichtsmaßregeln gearbeitet werden. Es müßten dazu ein abgelegener Platz gewählt, besondere Gebäude errichtet werden, das erforderliche Personal müßte eigens für diesen Zweck bestellt werden, usw. Es kommt also in diesem Falle auf die Begründung eines besonderen, sehr kost- spieligen Instituts hinaus, welches vielleicht nur sehr geringe Mengen, möglicherweise auch gar kein Serum absetzen wird, da nach den bisherigen Erfahrungen wohl kaum anzunehmen ist, daß wir es in Deutschland mit mehr als vereinzelten eingeschleppten Pestfällen zu tun haben werden. Zur Präparation des Lustig sehen Serums würden derartige kostspielige Ein- richtungen nicht erforderlich sein, da dasselbe mit toten Kulturen bereitet wird, keine außergewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln erheischt und im Anschluß an ein bereits be- stehendes Institut hergestellt werden könnte. Allerdings muß ich gestehen, daß ich aus theoretischen Gründen und mit Rücksicht über Pestserum. — Verhütung der Einschleppung der Pest. 901 auf die bei älmliclien Immunisierungsverfahren gemachten Erfahrungen zu dem Lustigschen Serum kein besonderes Vertrauen habe. E-^ ist nicht wahrscheinlich, daß die Immunität der Versuchstiere, in diesem Falle Pferde, mit toten Kulturen auch nur annähernd so hoch getrieben werden kann, als mit lebenden Kulturen. Aber man könnte, ohne späteren Entschließungen vorzugreifen, zunächst in der Weise vorgehen, daß man anfängt, einige Pferde — es müssen wegen der unvermeidlichen Verluste minde- stens drei sein — mit Pestkulturen, welche nach dem Lustig sehen Verfahren ab- getötet sind, zu immunisieren, und versucht, die Immunität derselben möglichst hoch zu treiben. Es wird sich dann ja bald herausstellen, ob auf diese Weise ein Serum er- halten ist, welches mit dem französischen Serum konkurrieren kann. Ist dies nicht der Fall, dann kann man jederzeit bei den Tieren zu einer Immunisierung mit lebenden Kulturen übergehen, wozu ich bemerken möchte, daß auch bei dem französischen Ver- fahren die Immunisierung mit toten Kulturen begonnen werden muß. Wenn man auf meinen Vorschlag eingeht, würde jeder Zeitverlust vermieden werden und die MögHch- keit, das eine oder das andere Verfahren schließlich anzunehmen, offen bleiben. Schließlich erlaube ich mir noch ganz gehorsamst zu bemerken, daß im Institut für Infektionskrankheiten Versuche über die Schutz- und Heilwirkung von Pestserum an kleinen Tieren im Gange sind^). Mit dem französischen Serum sind bereits zahlreiche Experimente gemacht, und voraussichtlich werden wir in kurzer Zeit auch imstande sein, das Lustig sehe Serum zu prüfen. Ferner sind Immunisierungsversuche nach verschiedenen Methoden mit Kaninchen begonnen, um, soweit es an kleinen Tieren möglich ist, jetzt schon Erfahrungen über die Vorzüge der verschiedenen Methoden zu sammeln. Im Notfall kann das Institut jederzeit 50 und mehr Portionen vom französischen getrockneten und gut haltbaren Pestserum abgeben, da von diesem für die Untersuchun- gen ein größerer Vorrat gehalten werden muß. Auch wird im Institut eine für mindestens 100 Personen ausreichende Menge von Pestkulturen, welche nach der H a f f k i n e sehen Methode zum Zwecke der Schutz- impfung präpariert sind, vorrätig sein. In einer zur Beratung über Maßregeln zur Verhütung der Einschleppung der Pest durch Schiffe und Waren unter dem Vorsitz des Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamts auf den 23. Februar 1901 einberufenen Kommission war die Grundlage der Verhandlungen die Tatsache, daß in einem am 15. Januar 1901 aus Smyrna in Hamburg angekommenen Dampfer die Rattenpest festgestellt worden war. Koch bemerkte, daß die Bekämpfung der Pest mit der Vernichtung der Ratten zusammenfällt; was bei der Cholera das Wasser, das wären bei der Pest die Ratten. Koch empfahl zur Vernichtung der Ratten auf den Schiffen Kohlensäure und Vergiftung des Kielwassers mit Sublimat. Auf den Einwand von Nocht, daß die Versuche, die er mit Kohlensäure angestellt habe, keine guten Resultate ergeben hätten, verweist Koch auf die Wirkung der Kohlensäure, wie sie zufälligerweise auf einem Schiffe beobachtet wurde, auf dem sich infolge der Anwesenheit gärender Flüssigkeiten Kohlensäure langsam entwickelt hatte. Vor dem Entladen des Schiffes dürfte kein Gift gelegt werden, weil dadurch der Tatbestand verwischt und die Diagnose erschwert werde. (Nocht erwiderte, es solle durch das Legen von Gift vor dem Entladen des Schiffes verhindert werden, daß Ratten während des Entladens an Land gehen. ) vgl. den Aufsatz über das Pariser Pestseruni. Bd. II, p. 6.52. 902 Verhütung der Einschleppung der Pest. — Versuche zur Vertilgung von Ratten auf Schiffen. Außerdem sei es für Leute, die mit den Verhältnissen vertraut wären, leicht, zu ent- scheiden, ob eine Ratte vergiftet oder an Krankheit eingegangen sei.) Was die bestehenden Verwaltungsanordnungen zur Verhütung der Einschleppung der Pest betrifft, so war Koch (und ebenso Kirchner) der Ansicht, daß diese nicht ausreichten. Er wies darauf hin, daß die bisherigen Pestfälle beinahe nur durch Zufall entdeckt worden seien. Die Schiffskontrolle habe versagt. Die Pestfälle seien erst im Krankenhaus entdeckt worden. Er sprach sich daher für Überwachung der Hafenkranken- häuser und für besondere Vorschriften, die für die Ärzte dieser Krankenhäuser zu er- lassen wären, aus. Solange der Hafenarzt auch in kleineren Häfen nicht eine rechtliche Handhabe besitze, alle Kranken von Schiffen, die verseucht oder verdächtig seien, in das Hafenkrankenhaus zu schicken, namentlich auch Ausländer, habe man keine sichere Gewähr. In der Sitzung des Reichsgesundheitsrats zur Beratung der Pestbekämpfung am 20. März 1901 betonte Koch, daß das Verbot der Einfuhr bestimmter Handels- waren nicht empfehlenswert sei, da unter solchen Umständen, wie sie bei dem erwähnten Hamburger Schiff vorlagen, auch andere als die vorher bezeichneten Waren besonderen Maßnahmen unterworfen werden müßten. Diese im einzelnen Falle zu ergreifen, sei Pflicht der Behörde in den Hafenstädten, die je nach Lage der Dinge vorzugehen hätten. Er wies ferner darauf hin, daß die Pest von Kapstadt aus weniger die deutsche Heimat bedrohe als unsere Kolonien in Afrika, besonders Südwestafrika. Er bat darum, daß an Stelle der Sperrung der Lüderitzbai in Kapstadt die gleichen Maßregeln ergriffen werden möchten wie in den heimischen Häfen, und er empfahl vor allem, die Ratten- vertilgung in Swakopmund in Angriff zu nehmen und einen geeigneten Arzt dort zu stationieren, um den Gesundheitszustand dauernd zu über^Yachen. Er regte an, von Deutschland aus Rattenfallen und Rattengifte in größeren Mengen hinauszusenden. Er fragt, ob nicht die südamerikanischen Staaten auf Grund der Venediger Konferenz gezwungen werden könnten, die internationale Meldepflicht strenger als bisher zu er- füllen. (Von einem Legationsrat im Auswärtigen Amt wird darauf hingewiesen, daß die genannten Staaten der Konvention bisher nicht beigetreten seien.) Koch regt ferner an, daß in den preußischen Häfen Vorkehrungen getroffen werden möchten, die es ermöglichen, alle auf ankommenden oder im Hafen liegenden Schiffen befindlichen irgendwie zweifelhaften oder verdächtigen Kranken den Krankenanstalten zu über- weisen. Auf diese Weise sei am besten dafür gesorgt, daß nicht etwa Pestkranke sich tagelang der ärztlichen Beobachtung entziehen. In Hamburg sei durch die vorhandene Organisation die Erfüllung dieser wichtigen Forderung gewährleistet. An den Herrn Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, hier. Berlin, den 29. September 1901. Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich über die von den Professoren P r o s - kau er und Kolle, sowie unter zeitweiser Beteihgung des Stabsarztes Martini mit Schwefelwasserstoff ausgeführten Versuche zur Vertilgung von Ratten auf Schiffen zu berichten. Um die Verwendbarkeit des Schwefelwasserstoffgases zur Vernichtung von Ratten in Schiffsräumen zu prüfen, wurden zunächst Versuche in einem gasdicht konstruierten Kasten von ca. ccm Inhalt angestellt. Diese Versuche bezweckten, diejenige Menge von Schwefelwasserstoff zu erfahren, die zur möglichst schnellen Vergiftung der Ratten erforderlich ist. Versuche zur Vertilgung von Ratten auf Schiffen. 903 Außerdem wurden in den Kasten Säcke, die mit Getreide, Mehlen, Hülsen- früchten, Reis, Kaffee, Tee u. dgl. gefüllt waren, hineingebracht, nach Beendigung des Versuches kurze Zeit gelüftet und sowohl auf Geschmack und Geruch geprüft. Es sei gleich vorweg gesagt, daß diese Gegenstände unter dem Einfluß des Schwefel- wasserstoffes nicht gelitten hatten. Die Entwicklung des Schwefelwasserstoffes ge- schah aus Schwefeleisen und Salzsäure in einem Kipp sehen Apparat. Das Gas wurde in den oberen Teil des Kastens durch ein ca. 14 m unter der Decke desselben angebrachtes Rohr eingeleitet. An der entgegengesetzten Wand des Kastens befanden sich Apparate zur Entnahme von Luftproben behufs Bestimmung derjenigen Schwefelwasserstoff- menge, welche namentlich in der Mitte und am Boden des Raumes vorhanden war. Die in den Kasten eingebrachten Ratten liefen frei herum, nur eine wiu'de in einem Käfig unmittelbar der Decke des Kastens aufgehängt. Diese Versuche ergaben, daß es möglich ist, durch eine durchsclniittlich ca. 10 mg Schwefelwasserstoff im Liter enthaltene Luft Ratten innerhalb 2—5 Minuten zu töten, wenn Verluste von Schwefelwasserstoff durch größere Undichtheiten ausgeschlossen wurden. Geringere Mengen von Schwefelwasserstoff waren in ihrer Wirkung sehr unzu- verlässig, indem durch dieselben nur einzelne für Schwefelwasserstoff wahrscheinlich empfindlichere Tiere in kurzer Zeit zugrimde gingen. Die nach ca. ^stündigem Auf- enthalt im Kasten bei Mengen von 2 —6 mg Schwefelwasserstoff am Leben gebliebenen Tiere gingen aber am nächsten Tage oder nach 48 Stunden regelmäßig ein. Es zeigte sicli ferner, daß die intensivste W^irkung eintrat, wenn die notwendige Menge von Gas plötzlich in den Kasten hineingebracht wurde. Das Gas sank zunächst zu Boden und verteilte sich von da im Räume. In der Mitte des Kastens wurde stets die höchste Menge von Schwefelwasserstoff gefunden. Es wurden darauf entsprechende Versiiche in einem 42 cbm fassenden Kellerraum ausgeführt, bei denen zuerst die Entwicklung von Schwefelwasserstoff mit so viel Schwefeleisen von bekanntem Gehalt an Sulfid und mit konzentrierter Salzsäure be- wirkt wurde, daß die entwickelte Schwefelwasserstoffquantität mindestens 10 mg pro Liter im V ersuchsraum betragen mußte. Zur Aufnahme der Säure diente eine Flasche, die am Boden einen Tubus und ein daran angebrachtes durchlochtcs Rohr besaß. Das letztere war kurz hinter dem Tubus durch einen Glashalni mit weiter Bohrung und mit langarmigem Hebel verschließbar eingerichtet. Der Hebel ließ sich durch eine Schnur, welche durch eine Bohrung des Fensterrahmens hindurchging, von außen in Bewegung setzen, so daß auf diese Weise der Hahn geöffnet und der Inhalt der Flasche zum Aus- fließen gebracht werden konnte, nachdem das Versuchszimmer verscldossen und gegen Schwefelwasserstoffverluste gedichtet war. — Das abgewogene, möglichst zerkleinerte Schwefeleisen war in einer länglichen Bleipfanne, über welche das obige Entleerungs- rohr für die Säure angebracht war, auseinandergebreitet. Infolge dieser Anordnung floß nach dem Öffnen des Hahnes die Säure nicht nur sehr schnell aus. sondern verteilte sich auch gleichmäßig in der Bleipfanne. Da verdünntere Säuren aus Schwefeleisen schneller Schwefelwasserstoff freizumachen imstande sind als konzentrierte, wurde in die Pfanne so viel Wasser eingefüllt, daß die A'erdünnung der Säure mit Wasser schließ- lich 1 : 3 betrug. Die beschriebene Vorriclitiuig ziu- Schwefelwasserstoffentwicklung wurde ca. m unter der Decke des 3 m hohen Raumes aufgehängt. Die Käfige mit Ratten wurden an verschiedenen Stellen in verschiedenen Höhen des Kellerraumes verteilt. Einige Ratten ließ man frei im Keller herumlaufen. Nachdem die Tür und das Fenster durch Wattestreifen und Kitt, bei den späteren Versuchen durch Papierstreifen gedichtet worden waren, wurde der Hahn der Säure- 904 Versuche zur Vertilgung von Ratten auf Schiffen. flasche in der oben angeführten Weise von außen geöffnet und die Zeit abgelesen. Bei den Versuchen, bei denen mit Salzsäure und Schwefeleisen gearbeitet wurde, war die Entwicklung des Schwefelwasserstoffes eine langsame, und deshalb wurde der zur schnellen Abtötung der Ratten erforderhche Gehalt von Schwefelwasserstoff nicht er- reicht, zumal Verluste durch die mit Kitt und Watte gedichtete Tür dennoch stattfanden. Die Ratten starben daher nicht, selbst wenn man 2 Stunden lang den Raum geschlossen hielt; nur diejenigen Tiere verendeten bald, die dem Entwicklungsapparat für das Gas am nächsten aufgestellt waren. Um eine möglichst rasche Zersetzung des Schwefeleisens und damit die schnelle Herbeiführung des tödlichen Quantums an Schwefelwasserstoff in der Luft zu bewirken, wurde an Stelle der Salzsäure konzentrierte (95 proz.) Schwefelsäure verwendet. Letztere hat vor der Salzsäure noch den Vorzug, daß sie beim Zusammenkommen mit dem in der Bleipfanne befindhchen Wasser Wärme entwickelt, die die Zersetzung des Schwefel- eisens stark beschleunigen mußte. In der Tat führte diese Abänderung der Versuche zu einem schnellen Erfolg. Bei Verwendung von 6 kg Schwefeleisen (mit 21% Eisensulfidgehalt) und 1^2 kg konzen- trierter Schwefelsäure von 95% wurden bei einem Versuche 3—12 Minuten nach Beginn der Schwefelwasser^toffentwicklung die 8 im Zimmer befindlichen Ratten getötet. Bei einem zweiten Versuche, bei dem sogar heißes Wasser benutzt war, wurde der Tod der ausgesetzten Ratten innerhalb 5—20 Minuten erreicht. Die Verzögerung war hier wahrscheinlich dadurch bedingt, daß das Säuregefäß plötzlich sprang und etwas Säure ausfloß. Die Verringerung der Menge Schwefeleisens auf 5,5 kg hatte nicht den gleichen Erfolg; es bheben bei Beendigung des Versuches in letzterem Falle immer noch einige Tiere am Leben. Auch hier wie bei den Kastenversuchen starben die in der Schwefelwasserstoffluft gewesenen Tiere nach 1 oder 2 Tagen; der Tod muß auf die nachträgliche Wirkung des Schwefelwasserstoffes zurückgeführt werden. Die obige Menge von Schwefeleisen mit 21% Sulfidgehalt entwickelte für den be- nutzten Kellerraum von 42 cbm Inhalt 11 mg Schwefelwasserstoff pro Liter Luft, also etwas mehr, wie bei den Kastenversuchen als tödliche Dosis bestimmt worden war. In der Tat wird der Schwefelwasserstoffgelialt der Luft im Kellerraum geringer gewesen sein als der berechnete von 11 mg pro Liter, da sich Verluste bei den Versuchen nicht vermeiden ließen. Für den hier in Betracht kommenden Zweck würde es sich aber immer empfehlen, etwas mehr Schwefelwasserstoff zu entwickeln, als der oben im Kasten er- mittelten tödlichen Menge entspricht. Nach den im Keller ausgeführten Versuchen mußte eine Menge von 6 kg Schwefel- eisen mit 21% Eisensulfidgehalt und lV2kg 95proz. roher Schwefelsäure des Handels benutzt werden, um in kürzester Zeit Ratten zu töten. Überträgt man dies auf die Ratten- vertilgung auf Schiffen, so werden für 1000 cbm Raum 143 kg Schwefeleisen und 35,7 kg Schwefelsäure obiger Art nötig werden. Der Preis für 100 kg Schwefeleisen mit 20—22% Sulfid stellt sich auf 15—16 M., derjenige für 100 kg Schwefelsäure obiger Konzentration auf 7 M. Daraus würden sich die Kosten der Chemikalien zur Entwicklung von rasch tödlichen Mengen von Schwefelwasserstoff pro 1000 cbm Raum auf 25.30 M. stellen. Bei einem Schiffe (Pergamon) mit 3600 cbm Laderaum zu 91, — M. (Rosario) mit 2055 cbm Laderaum zu 52, — ,, (Pensilvania) mit 8250 cbm Laderaum zu .... 209,70 ,, Indessen ist es Dr. N o c h t mittels des Kohlensäure und Kohlenoxyd enthalten- den Generatorgases gelungen, Ratten in kurzer Zeit sicher abzutöten. Die Verwendung des genannten Gases hat vor dem Schwefelwasserstoff die von Versuche zur Vertilgung von Ratten auf Schiften. — Maßnahmen gegen die Pest. 905 Dr. N o c h t bereits erwähnten Vorzüge, namentlich ist durch das erstere die Schädigung und sogar Vernichtung von Metallgegenständen und von gewissen Chemikalien so gut wie ausgeschlossen. Da nach N o c h t zudem die Erzeugung von Generatorgas nicht nur billiger, sondern auch leichter für den vorliegenden Zweck zu bewerkstelligen ist als diejenige des Schwefelwasserstoffes, so glaube ich. daß man dem Generatorgas zur Ratten Vertilgung auf Schiffen den Vorzug vor dem Schwefelwasserstoff einräumen muß. Es wird sich daher empfehlen, von weiteren Versuchen mit Scliwefeh^asserstoff vorläufig abzusehen. Berlin, den 11. Dezember 1901. Gutachtliche Äußerung zum Bericht des deutschen B o t - s c h a f t e r s in K o n s t a n t i n o p e 1 vom 18. November d. J. über die dortigen Maß- nahmen gegen die Pest. Eurer Exzellenz beehre ich mich unter Rückgabe der Anlagen ganz gehorsamst zu berichten wie folgt. Die interessanten Ausführungen des Herrn Botschafters präzisieren in klarer und zielbewußter Weise zwei Punkte, deren Würdigung für die Regierungen aller Staaten in bezug auf die Prophylaxis von größter Bedeutung sind, nämlich daß 1. die Bubonenpest in erster Linie eine Rattenkrankheit ist, und 2. die jetzt in Geltung befindlichen internationalen Maßnahmen ganz unzu- reichend und dem heutigen ätiologischen Standpunkte der Wissenschaft nicht mehr entsprechend sind. Ich kann mich diesen Auffassungen des Herrn Botschafters voll anschließen und möchte zur näheren Begründung des ersten Punktes zunächst kurz darauf hinweisen, daß als wesentlichste Erkenntnis aus dem Studium der Pestepidemien, namentlich in Hafenstädten, in den Jahren 1898—1901 die wohl nicht mehr zu bezweifelnde Tat- sache angesehen werden muß, daß tatsächlich die Ratten an erster Stelle, viel mehr als der pestkranke Mensch, für Verbreitung und Verschleppung der Pest in Betracht kommen. Das hat die epidemiologische Beobachtung in Alexandrien, Port Said (1900), Sydney (1899—1901), Brisbane (1900), Kobe (1900), Kapstadt, Port Elizabeth, Delagoa- bai (1901), Neapel (1901), Konstantinopel (1901) ergeben. Dem Ausbruch der Menschen- pest ging hier Rattenpest voraus, und mit der Ausbreitung der Rattenepizootie ging die- jenige der Pest unter den Bewohnern derselben Städte Hand in Hand. Und fast nie — oder selten — war, von vereinzelten Ausnahmen, wie sie namentlich bei Lungenpest vorkommen, abgesehen, ein Zusammenhang zwischen den einzelnen menschlichen Pest- fällen nachzuweisen, wohl aber häufig die Infektion der Menschen vorwiegend auf Pest- ratten zurückzuführen. Die Verschleppung der Pest von Hafen zu Hafen erfolgt in gleicher Weise wie zu Land in erster Linie durch Ratten, die auf jedem Schiff in größter Menge vorhanden sind. Es brauchen dabei, wie erst jüngst eine Beobachtung in Hamburg zeigt, Pesterkrankungen unter den Schiffsinsassen trotz zahlreicher Pesttodesfälle unter den Ratten gar nicht vorzukommen, unter den Ratten kann u n b e m e r Iv t Pest sich verbreiten, und erst beim Ausladen erkranken die Ladearbeiter (wie 1900 in Kobe) an Pest. Solche Pestepizootien unter Schiffsratten sind auch bakteriologisch festgestellt. Aus allen diesen Gründen sind, und damit komme ich auf den zweiten Punkt, die Quarantänevorschriften als veraltet anzusehen und, wie der Herr Botschafter sagt, sinnlos. Als diese Vorschriften sowie diejenigen über den Warenverkehr aus pestver- seuchten Häfen auf der Venediger Konferenz 1897 beschlossen wurden, war man weder 906 Maßnahmen gegen die Pest. im Besitze von ausreichenden epidemiologischen Erfahrungen bezüghch der Infektiosität von pestkranken Menschen, von infizierten Waren usw., noch war die gefährhche Rolle der Ratten auf Grund von zahlreichen Beobachtungen, wie sie jetzt vorliegen, für die Ausbreitung der Pest so klar bewiesen und anerkannt, wie sie jetzt es ist. In Anbetracht des Schadens, der Handel, Verkehr, Schiffahrt und Eisenbahnen in gleicher Weise durch Quarantänemaßregeln, welche die Einschleppung der Pest durch Ratten selbstverständ- lich nicht verhindern können, erwächst, erachte ich eine Revision der internationalen Bestimmungen zur Verhinderung der Verschleppung der Pest für dringend geboten und die Vereinbarung internationaler Maßnahmen zur Vernichtung der Ratten, in erster Linie auf Schiffen und in Hafenstädten, für das sicherste Mittel, der weiteren Ausbreitung der Pest vorzubeugen. Den etwas optimistischen Standpunkt, welchen der Herr Botschafter bezüglich der Ausbreitung der Pest in Konstantinopel und der daraus drohenden Gefahr einge- nommen hat, vermag ich nicht ganz zu teilen. Es darf unter anderem nicht vergessen werden, daß die in Konstantinopel herrschende Krankheit die echte Beulenpest ist, dieselbe Krankheit, welche in Bombay seit 6 Jahren wütet und dort fast eine Million Menschen dahingerafft hat. Dafür spricht einmal der Umstand, daß sämtliche Ärzte, darunter solche, welche Pest schon gesehen hatten, einstimmig die Bubonen für Pest- bubonen erklärt haben, dann aber der Ausfall der bakteriologischen Untersuchung, die zuerst in den Händen des französischen Bakteriologen Dr. N., dann in denen eines englischen Arztes, Mr. B., gelegen hat. Wenngleich über Versuche an Ratten zur Sicherung der Diagnose nicht berichtet ist, sondern nur über Diagnosen mit Hilfe des mikroskopi- schen Präparates oder Züchtung der Bakterien, so ist doch an den Angaben der genannten Herren kaum zu zweifeln, welche Pestbazillen so nachwiesen. Da demnach an dem Vorkommen von echter Pest, die an der ganzen Levante schon seit längerer Zeit herrscht, auch in Konstantinopel nicht gezweifelt werden kann, so ist die Befürchtung, daß eines Tages aus den vereinzelten Fällen eine Epidemie wird, nicht von der Hand zu weisen. Hierin sieht Herr M., der Gesandtschaftsarzt, sicher nicht zu schwarz. Die bisher in Konstantinopel vorgekommenen Pestfälle zeigten keinen Zusammenhang und waren, wie ausdrücklich betont wird, vielfach auf Ratten zurückzuführen. Damit ist aber eine Sachlage festgestellt, aus der man nicht die Gefahr verneinen kann. In Bombay fing die jetzt noch nicht erloschene Epidemie in ganz ähnlicher Weise an, wie jetzt sich die Pest in Konstantinopel zeigt. Monatelang wurden hier und da leichte Drüsenerkrankungen beobachtet, ohne von den Ärzten für die Zeichen der gefürchteten Seuche gehalten zu werden. Rascher, als man dachte, ohne daß man die Ursache zunächst auffinden konnte, kam es dann zur epidemischen, gewaltigen Ausbreitung. Ganz ähnlich war es in Mau- ritius, wo fast 1 Jahr lang vereinzelte Pestfälle vorkamen, bis die ganze Stadt Port Louis verseucht war. Die Pest hat eben die Eigentümlichkeit, wenn nichts gegen ihre Aus- breitung energisch im Beginn unternommen wird, sich langsam einzunisten, sobald sie aber bis zu einem gewissen Grade Fuß in einer Stadt gefaßt hat, sich in größerem Um- fange unter den Menschen auszubreiten, und ist dann nur schwer auszurotten, wie das Beispiel von Bombay zeigt. Dies hängt offenbar mit der Ausbreitung der Ratten und der Pest unter ihnen zusammen, auch spielen hygienische und soziale Zustände sowie die lokalen Verhältnisse hierbei eine erhebliche Rolle. Deshalb sollte der Pest stets mit größter Energie möglichst frühzeitig entgegengetreten werden; namentlich mittels Vorschriften über Meldepflicht verdächtiger Krankheits- und Todesfälle Cmittels Ver- trauensmänner, Schelks, wie in Ägypten), Vernichtung der Ratten durch Auslegen von Gift usw., Säuberung der Häuser, Ställe usw. von Unrat und Abfällen, wodurch die Maßnahmen gegen die Pest. — Schutzmaßregeln gegen die Pestgefahr. 907 Batten in die Wohnungen angelockt werden, Aufklärung der Bevölkerung über die Battengefahr, Vernichtung der Ratten auf Schiffen, in Häfen und Kanälen. Als Grundlage der ganzen Pestprophylaxis muß natürlich eine zuverlässige bak- teriologische Diagnose angesehen werden. Sie dient nicht nur zur Kontrollierung der Ausbreitung der Pest, sondern gibt durch Untersuchung z. B. von Ratten, die tot gefunden werden, auch sichere Anhaltspunkte für die Anwendung frühzeitiger Vorbeugungs- mittel im großen an die Hand. Es ist sehr zu bedauern, daß in dieser Beziehung nichts mehr in Konstantinopel geschieht, und es wäre sehr zu wünschen, daß die jetzt dort daniederliegende wissenschaftliche Untersuchung auf Grund der Methoden der Seuchen- forschung, wie sie uns die Bakteriologie gerade bei der Pest in die Hand gibt, bald wieder von sachkundiger Hand aufgenommen würde. Die Rattenpest z. B., durch deren Er- kennung der Ausbruch der Menschenpest verhütet werden kann, kann nur auf bak- teriologischem Wege festgestellt werden. Daneben ist es auch von großem wissenschaft- lichen Interesse, das Verhalten der Rattenpest noch genauer unter solchen Verhältnissen, wie sie in Konstantinopel vorliegen, zu studieren. Besprechung im Kaiserlichen Gesundheitsamte über weitere gegenüber der Pestgefahr zu ergreifende Schutzmaßregeln am 6. Januar 1902. Bei einer Beratung über die gegenüber den H e r k ü n f t e n a u s A m e r i k a zu beobachtenden Maßnahmen hob Koch hervor, daß San Francisco bisher nicht für verseucht erklärt worden sei, obwohl dort die Pest seit Jahren nicht aufgehört habe. Bei der Erörterung der Gesundheitsverhältnisse in den Mittelmeerländern erklärte Koch, daß er das Hauptgewicht auf die gesundheitspolizeiliche Kontrolle lege, das Einfuhrverbot aber für etwas Veraltetes halte. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob denn die Pest überhaupt durch Bekleidungsgegenstände und dergleichen übei'tragen werden könnte, erwiderte er, daß Fälle solcher Übertragung mit Sicherheit bisher noch nicht festgestellt worden seien, obwohl die theoretische Möglichkeit für ihr Vorkommen spreche. Durch Laboratoriumsversuche sei nachgewiesen, daß an Seidenfäden angetrocknete Pestbazillen sich mehrere Wochen lebensfähig erhalten können. Er halte die Überwachung der Reisenden für das Wichtigste und schlage eine solche bei Reisenden auch aus nur verdächtigen Häfen vor. Auf die weitere Frage des Vorsitzenden betreffs der Pest- ausbrüche in England stellte er die Möglichkeit der Übertragung durch Kleidung, Lumpen und dergleichen als unwahrscheinlich hin; der Pestausbruch sei auf Ratten zurückzu- führen, zumal es sich allein um Hafenplätze handele, in denen diese Tiere häufig seien. Die Erfahrungen in Glasgow, Konstantinopel und anderen Orten haben Koch im Gegensatz zu seiner früheren Meinung davon überzeugt, daß es wegen der Ratten außerordentlich schwer sei, die Pest an einem Platze auszurotten, wenn sie sich einmal festgesetzt habe; die in Rede stehenden Bestimmungen der Venediger Übereinkunft, an welche man vertragsmäßig gebunden sei, seien daher unzureichend; wenn man auch zur Aufhebung der förmlichen Kontrolle der Seeschiffe gewissermaßen gezwungen sei, so sollte man den betreffenden Herkünften jedoch noch weiter eine besondere Aufmerk- samkeit zuwenden. Beim Bericht des Referenten über Glasgow führte Herr Koch aus, daß auch aus der Literatur Berichte über eine neue Einschleppung, auf welche der zweite Aus- bruch der Pest dort zurückzuführen sei, ihm nicht bekannt geworden seien; wahrschein- lich habe die Seuche dort dauernd bestanden. Als Lagerungszeit für loses Getreide bis zu seiner Infektionsunfähigkeit betrachtet Koch eine Frist von 6 Wochen ; selbst Getreide, das sofort vermählen werden soll, 908 Schutzmaßregeln gegen die Pestgefahr. — Bekämpfung des Typhus. dürfe ohne ausreichende Lagerung nicht freigegeben werden, weil sonst leicht eine In- fektion der Ratten in den Mühlen eintreten könne. Darauf berichtet Koch über die Versuche, welche von der hierzu gebildeten Kommission über die Ratten Vertilgung an Bord von Schiffen angestellt sind. Die Ver- wendung von Kohlensäure habe sich als zu kostspielig erwiesen, ebenso von Schwefel- kohlenstoff und schwefliger Säure, welch letztere auch gewisse Waren beschädige. Aussichtsvoller habe sich in Vorversuchen Schwefelwasserstoff gezeigt, der schon in kleinen Mengen wirke, aber bestimmte Waren, besonders Metallsachen angreift. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 14. August 1901. Euer Exzellenz bitte ich gehorsamst, einige Bemerkungen über den heutigen Stand der Bekämpfung des Typhus vorlegen und im Anschluß daran auf die Mittel hinweisen zu dürfen, von welchen eine weitere Einschränkung dieser immer noch bedeutende Opfer an Menschenleben fordernden seuchenartigen Krankheit zu erwarten steht. Es hat sich durch die neueren epidemiologischen Forschungen mit immer größerer Deutlichkeit herausgestellt, daß die große Mehrzahl der Typhusepidemien durch ver- unreinigtes Trinkwasser hervorgerufen wird. Eine eben jetzt von Stabsarzt Dr. S c h u - der veröffentlichte Zusammenstellung von mehr als 600 Typhusepidemien ergibt, daß 77% derselben direkt auf Trinkwasser, 17% auf Milch zurückzuführen sind. Da aber die Milch in 11% der Epidemien erst durch Zumischung von Wasser infektiös wurde, so stellt sich der Prozentsatz der durch Wasser erzeugten Epidemien zum mindesten auf 88%. Das ist aber noch viel zu niedrig gegriffen, denn in den verbleibenden 12% sind noch eine Anzahl versteckter Wasserepidemien enthalten, z. B. solche, die nach dem Genuß von Austern oder von Getränken, die mit Natureis gekühlt werden, ent- standen sind. Als zweite für die Epidemiologie wichtige Tatsache kann hingestellt werden, daß die Zahl und die Ausdehnung der Typhusepidemien in gleichem Schritt abgenommen hat, wie die Versorgung der Ortschaften mit gutem Trinkwasser zugenommen hat. Untersucht man die diesen beiden Tatsachen zugrunde liegenden Erscheinungen näher, so kommt man zu dem Schluß, daß es theoretisch gelingen muß, den Typhus so gut wie vollständig auszurotten, wenn man überall für einwandfreies Trinkwasser sorgt. Leider ist die Erreichung dieses Zieles an die Bedingung geknüpft, daß allen Ort- schaften des Landes, großen und kleinen, gutes Trinkwasser zugänglich gemacht wird. Auf einige der Schwierigkeiten, welche der Erfüllung dieser Bedingung entgegenstehen, soll im nachfolgenden hingewiesen werden. Die Wasserversorgung ist überall Aufgabe der Gemeindeverwaltungen, und da in Preußen die Gemeinden in dieser Beziehung nicht vom Staate mit Geldmitteln unter- stützt werden, wie das in den süddeutschen Bundesstaaten geschieht, so sind bisher nur die wohlhabenden Gemeinden imstande gewesen, sich ein brauchbares Trinkwasser durch Anlegen guter Wasserleitungen zu sichern, während in vielen reich bevölkerten Gegenden, vor allen Dingen in Industriebezirken mit starker Arbeiterbevölkerung, viele Gemeinden viel zu arm sind, um an derartige Unternehmungen denken zu können, um so mehr, weil gerade in dichtbevölkerten Industriebezirken die Herbeischaffung brauch- baren Trinkwassers ganz besonders schwierig und mit außergewöhnlichen Kosten ver- Bekämpfung des Typhus. 909 knüpft ist. Hier wird der Staat helfend eingreifen müssen, aber mit so ungeheuren Geld- mitteln, daß an eine Erledigung dieser Aufgabe vielleicht in Menschenaltern nicht zu denken ist. Diese unglücklichen Gemeinden, welche also auf unabsehbare Zeit ihrem Schick- sal werden überlassen bleiben, bilden aber eine unberechenbare Gefahr für das Gemein- wohl, selbst für die Gemeinden mit guter Wasserversorgung. Als Beispiel sei daran er- innert, daß während der Typhusepidemie in Bc uthen 181)7, wo unter 3G 000 Einwohnern gegen 2000 an Typhus erkrankten, Verschleppungen der Krankheit bis nach Berlin, Torgau, Karlsbad, Reichenhall beobachtet wurden. Diese verschleppten Fälle aber, welche der Sachlage nach gewöhnlich zuerst gar nicht erkannt werden, bilden deshalb eine so große Gefahr selbst für Ortschaften mit sogenannter guter Wasserversorgung, weil die besten Wasserleitungsanlagen gelegentlich schadhaft werden und das Eindringen von krankmachenden Keimen gestatten. Auf diese Weise ist sogar hier in Berlin vor wenigen Jahren eine recht erhebliclie Typhusepidemie entstanden. Es ist sogar auffallend, wie häufig gerade der Typhus epidemisch ausbricht, wenn einmal eine Wasserversorgungs- anlage schadhaft wird oder fehlerhaft betrieben wird. Solche Epidemien sind in aller- neuester Zeit in Lüneburg, Essen a. d. R., Löbau i. S., Striegau, Sprottau und anderen Orten entstanden. Diese Epidemien sowie die an die Verseuchung einzelner Brunnen sich anschließen- den Typhusfälle weisen mit zwingender Gewalt darauf hin, daß trotz aller Desinfektion noch viel mehr Typhuskeime ausgestreut werden, als es bei oberflächlicher Betrachtung scheinen möchte, und daß wir noch weit davon entfernt sind, für die Unterdrückung des Typhus das zu tun, was jetzt schon in unserer Macht steht. Eine Aufklärung über diese Verhältnisse haben uns erst die letzten Jahre gebracht, wo nachgewiesen wurde, daß die Typhusbakterien nicht nur im Stuhle der Kranken enthalten sind, sondern auch bei einer nicht geringen Anzahl von Typhusfällen in un- glaublicher Menge mit dem Urin ausgeschieden werden, und daß selbst nach der völligen Entfieberung des Kranken diese Ausscheidung wochen- und monatelang fortbestehen kann. Dieser Faktor ist bisher von der praktischen Hygiene noch gar nicht gewürdigt worden. Ähnlich verhält es sich mit den festen Entleerungen der Typhusrekonvaleszenten. Die Frage, wie lange ein von Typhus Genesener noch Typhusbazillen zu entleeren ver- mag, kann noch nicht mit genügender Sicherheit zahlenmäßig beantwortet werden. Daß es sich aber nicht selten um Wochen und Monate handelt, ist durch gewissenhafte Beobachtungen festgestellt. Dann kommen für uns noch die leichten Fälle in Be- tracht, welche gar nicht für Typhus gelten, aber ebensoviel Typhusbazillen ausstreuen und deshalb ebenso gt'fährlich sind wie diese. Auf weitere Einzelheiten einzugehen, dürfte nicht nötig sein, denn das Gesagte drängt schon zu dem Schlüsse, daß wir nicht warten können, bis die ganze Monarchie mit einwandfreier Wasserversorgung versehen ist, sondern daß wir dem Typhus direkt zu Leibe gehen müssen, d. h. daß wir jeden, der Typhusbazillen in seinem Organismus beherbergt, aufsuchen und unschädlich machen, bis er keine Gefahr mehr für seine Mit- menschen bildet. Mit der Durchführung dieses Prinzips sind wir bei der Bekämpfimg der Cholera zum Ziele gekommen, und neuerdings hat es sich im Auslande bei der Bekämpfung der Pest bewährt. Dagegen ließ sich für den Typhus diese Art des Vorgehens bisher nicht in Anwendung bringen, weil die Methoden, schnell und sicher eine Typhusdiagnose zu stellen, viel zu wünschen übrig ließen. Wenngleich wir auch jetzt noch nicht glauben, das Mögliche erreicht zu haben, so können wir doch mit Hilfe der im Institut für Infek- tionskrankheiten geprüften und verbesserten Methoden binnen 24 Stunden nicht allein 910 Bekämpfung des Typhus. — Typhusepidemie in Gelsenkirchen. die Typhusbazillen aus den Abgängen oder dem Blute der Kranken isolieren, sondern auch ihre Identität sicherstellen. Das letztere ist ganz besonders wichtig wegen der noch vielfach vorkommenden Verwechslungen mit ähnlichen Bazillen. Hiermit ist aber auch die MögUchkeit gegeben, in der gedachten Weise gegen die Typhuskalaniität vorzugehen, d. h. nicht allein die an Typhus Erkrankten so lange unter Kontrolle zu haben, als sie noch Typhusbakterien ausstreuen, sondern auch in ihrer Umgebung diejenigen Personen ausfindig zu machen, welche infolge nicht beachteter Ansteckung ebenfalls Typhus- bakterien in ihrem Organismus beherbergen, ohne sichtlich erkrankt zu sein. Wieder- holte Untersuchungen ihrer Abgänge werden darüber Auskunft geben. Wenn dann Sorge dafür getragen wird,* daß alle diese Personen fortlaufend beob- achtet und daß ihre Dejektionen sowie ihre Wäsche, Kleidungsstücke und was sonst noch im einzelnen Falle in Frage kommen mag, gehörig desinfiziert werden, so darf man wohl erwarten, daß damit der jetzt vorhandenen schrankenlosen Verbreitung der Typhus- bazillen mit ihren Folgen Einhalt getan wird. Auf Grund dieser Erwägungen bitte ich Euer Exzellenz ganz gehorsamst zu ge- nehmigen, daß der Versuch gemacht werde, den Typhus zunächst in einem beschränkten Gablet in der angegebenen Weise zu unterdrücken, und daß die dazu nötigen Mittel bereitgestellt werden. Da ein großer Teil der Arbeiten im Institut für Infektionskrank- heiten ausgeführt werden würde, so ist der Aufwand, den ein solches Unternehmen verlangen würde, nicht bedeutend und steht in gar keinem Verhältnis zu den Kosten, welche der Typhus dem Staate auferlegt und welche sich angeblich auf 5 Millionen Mark jährlich belaufen. Mit einem Aufwände von 30000 Mark wird sich ein Versuch anstellen lassen, durch welchen in unzweideutiger Weise hervorgeht, ob wir mit unseren jetzigen Hilfsmitteln schon imstande sind, den Typhus zu unterdrücken. Zur Ausführung des Versuches werden vier Assistenten gebraucht werden, welche ausgebil- dete Bakteriologen sein müssen, und für jeden Assistenten ist ein Diener nötig. Die Reisekosten und Tagegelder würden nach den den Kreisärzten zugebilligten Sätzen zu berechnen sein. Außerdem ist ein Posten für Laboratoriumsbedarf in Ansatz zu bringen, weil den Assistenten viel Laboratoriums- material mit auf die Reise gegeben werden muß, und weil dieses zum größten Teil bei den Unter- suchungen aufgebraucht wird. Legt man für die Dauer eines solchen Versuchs ein Jahr zugrunde, so ergibt sich demnach folgende Aufstellung: Vier Assistenten, monatlich 300 M 14 400 M. Vier Diener, monatlich 100 M 4 800 „ Reisekosten und Tagegelder für Assistenten und Diener ... 7 000 ,, Laboratoriumsbedarf 3 000 ,, Unvorhergesehenes 800 ,, 30 000 M. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Msdizinalangelegenheiten. Berlin, den 21. Oktober 1901. Eurer Exzellenz beehre ich mich über die von mir in bezug auf die Typhus- epidemie in Gelsenkirchen 1) gemachten Wahrnehmungen ganz gehorsamst nachstehen- den Bericht zu erstatten: Die Epidemie hat sich während ihres ganzen bisherigen Verlaufs innerhalb der Grenzen gehalten, welche das Versorgungsgebiet des Wasserwerks für das nördliche westfälische Kohlenrevier umfassen. Ihre Verbreitung innerhalb dieses Gebietes ist auch 1) Die Epidemie wurde Anlaß zu einem Strafprozeß. WD. Herausgeber. Typhusepidemie in Gelsenkirchen. 911 eine nahezu gleichmäßige gewesen. Es hat sich in der Stadt Gelsenkirchen nicht einmal ein Unterschied zwischen den kanalisierten und den nicht kanalisierten Stadtteilen herausgestellt. Nach den zahlreichen Erfahrungen, welche in dieser Beziehung bei an- deren Typhusepidemien gemacht sind, folgt daraus mit aller Sicherheit, daß die Typhus- infektion durch das Wasser der Leitung vermittelt ist und daß Typhusbazillen in dem- selben vorhanden gewesen sein müssen. Es fragt sich nur. wie dieselben in das Wasser gelangt sind. Hierfür lassen sich unter den gegebenen Verhältnissen drei verschiedene Annahmen aufstellen. Erstens kann das Wasser der Ruhr, welches der Verunreinigung mit menschlichen Fäkalien und damit der Infektion mit Typhusbazillen vielfach ausgesetzt ist, ohne vor- hergegangene Reinigung in die Leitung gekommen sein. Die Möglichkeit, daß dies ge- schehen konnte, ist bei der Art und Weise, wie die Wasserwerke an der Ruhr angelegt sind, unzweifelhaft gegeben. Sie erhalten nämlich ihr Wasser durch Brunnen und soge- nannte Filterröhren, welche neben dem Fluß in grobkörnigem Kies oder Schotter liegen. Das Gebiet, in welchem diese Brunnen sich befinden, ist der Überschwemmung aus- gesetzt, und die Brunnen des fraglichen Wasserwerkes sollen auch tatsächlich im August d. J. überschwemmt gewesen sein. Wenn die Brunnen, was wohl fast immer der Fall ist, nicht vollkommen dicht sind, dann kann bei solcher Gelegenheit infiziertes Wasser hineindringen. Außerdem haben aber diese Wasserwerke, oder sie hatten es noch bis vor nicht so langer Zeit, eine unmittelbare Verbindung mit dem Fluß durch eine nur mit Schotter bedeckte Rohrleitung, vermittels welcher in Zeiten von Wassermangel Flußwasser gepumpt werden kann. Die zweite Art der Infektion des Leitungswassers kann dadurch zustande kommen, daß, wenn auch kein solches Notrohr vorhanden ist und wenn die Brunnen vollkommen dicht schließen sollten, die Filtration des Wassers im Boden eine ungenügende ist. Da der Boden, in welchem sich das Wasser bewegt, aus einem ganz grobkörnigen Material bestellt, und da die Geschwindigkeit, mit welcher die F^iltration vor sich geht, nach einer angestellten Berechnung ungefähr vierzehnmal so groß ist als diejenige, welche ein mit feinkörnigem Sand arbeitendes Filterwerk nicht überschreiten soll, so bin ich davon überzeugt, daß auch in dieser Beziehung nicht die geringste Sicherheit gegen das Ein- dringen von Infektionskeimen in die Wasserleitung gegeben ist. Allem Anschein nach sind schon mehrere Typhusepidomien im Ruhrgebiet infolge der ungenügenden Filtra- tion entstanden, so früher in Essen und im vorigen Jahre im Stadt- und Landkreis Bochum. Die dritte Möglichkeit, welche für jedes, auch für das beste Wasserwerk gilt, ist die Verunreinigung infolge eines Rohrbruches. Wenn ein größeres Rohr gebrochen ist und ausgewechselt wird, kommen wohl immer mehr oder weniger große Mengen von Schmutz in die Leitung, welche natürlich auch gelegentlich Typhusbazillen enthalten können. Diese letzterwähnte Art der Infektion schien nun die Ursache für die Gelsenkirche- ner Epidemie gebildet zu haben. Es hatte am 16. August d. J. in einer engen Gasse vom Königssteele ein Bruch des Hauptrohres der Wasserleitung stattgefunden, und kurz vorher sollte in dem unmittelbar neben der Bruchstelle gelegenen Hause Nr. 87 ein Mann an Typhus krank gewesen sein, und seine Ausleerungen sollten in einen von dem aus- strömenden Wasser überschwemmten Tümpel geschüttet sein. ' Die Annahme, daß die Typhusepidemie auf diese Weise zustande gekommen sei, wurde noch dadurch mehr gesichert, daß in allen Ortschaften, welche das Wasser aus oberhalb der Bruchstelle (nach Gelsenkirchen zu) gelegenen Zweigen der Leitung er- hielten, Typhus herrschte, wähi'end alle aus Rohrleitungen unterhalb der Bruchstelle 912 Typhusepidemie in Gelsenkirchen. (nach dem Wasserwerk zu) versorgten Orte von Typhus frei gebUeben waren. Außerdem hatte sich irgendeine andere Art der Infektion trotz eifrigsten Nachforschens nicht nach- weisen lassen. Trotzdem mußte diese Erklärung vom Zustandekommen der Seuche fallen gelassen werden, als ich in Gemeinschaft mit. Medizinalrat S p r i n g f e 1 d nochmals eine Unter- suchung vornahm und dabei zu abweichenden Resultaten kam. Es stellte sich heraus, daß sich der Typhusfall schon Ende Juni ereignet hatte, daß er nur wenige Tage im Hause gewesen war und daß seine Ausleerungen nicht auf die Gasse, in welcher der Rohrbruch erfolgte, sondern in eine auf der anderen Seite des Hauses gelegene zementierte Grube geschüttet waren. Der fragliche Tümpel existierte überhaupt nicht. Auch die Ver- teilung des Typhus oberhalb und unterhalb des Rohrbruches war nicht in der ge- schilderten Weise vorhanden, sondern es fanden sich die unterhalb des Rohrbruches angeschlossenen Ortschaften ebenfalls verseucht. Dazu kam aber noch, daß die Direk- tion des Wasserwerks nunmehr entgegen den früheren Aussagen das Vorhandensein eines Rohres zugestand, welches zur Entnahme von unfiltriertem Ruhrwasser diente. Mit Hilfe dessen war während der trockenen Zeit im Sommer, und zwar regelmäßig an den 4 letzten Tagen der Woche, gegen 300 cbm unfiltriertes Ruhrwasser täglich in die Leitung gepumpt. Nicht weit oberhalb dieser Stelle mündet auf derselben Seite ein kleiner Bach, welcher alle Schmutzwässer aus den Dörfern Horst und Eiberg aufnimmt, in die Ruhr. Da in Horst schon seit dem vorigen Jahre von Zeit zu Zeit Typhusfälle, wahrscheinlich während der vorjährigen Epidemie, aus dem Bochumer Bezirk einge- schleppt, vorgekommen waren, von denen die letzten noch im Juni dieses Jahres be- obachtet wurden, so findet die Annahme, daß die Infektion des Leitungswassers von Gelsenkirchen auf diesem Wege, also durch Verschleppung der Typhusausleerungen von Horst in den Bach, von da in die Ruhr und durch das Notrohr in die Leitung, zustande gekommen ist, eine ausreichende Begründung. Nachdem die Infektion des Leitungswassers einmal geschehen war, hat die Epi- demie den gewöhnlichen explosionsartigen^ Verlauf genommen. Sie ist im Laufe von etwa 2 Wochen zu einem Höhepunkt gediehen und nimmt nunmehr unter Schwankungen langsam ab. Da auch bei dieser Epidemie vielfache weitere unmittelbare Übertragungen von den durch das Wasser infizierten Personen auf ihre Umgebung, Sogenannte Kon- taktinfektionen, vorgekommen sind und noch vorkommen werden, so wird sich die Epi- demie voraussichtlich noch längere Zeit hinschleppen. Von selten der Medizinalverwaltung ist unter Leitung des Regierungs- und Medi- zinalrats Springfeld alles geschehen, was dazu dienen konnte, sowohl die Zahl der Wasserinfektionen als auch diejenige der Kontaktinfektionen möglichst einzuschränken. Das Meldewesen ist gut organisiert. Die Kranken werden, soweit es irgend zu er- reichen ist, in die Hospitäler geschafft, und zwar unter allen Vorsichtsmaßregeln, welche geboten sind, um eine Verschleppung des Infektionsstoffes auszuschließen. Es war keine leichte Aufgabe, für so viele Kranke in kürzester Frist ausreichende Unterkunft zu schaffen. Da der im Hospital untergebrachte Typhuskranke im allgemeinen keine wesent- liche Gefahr mehr für seine Umgebung bietet, so muß die möglichst weitgehende Uber- weisung der Kranken in die Hospitäler als eine der wichtigsten Maßregeln zur Beschrän- kung der Seuche angesehen werden. Wie vollkommen aber gerade diese Maßregel aus- geführt ist, geht daraus hervor, daß es gelungen ist, etwa 80% der Kranken in die Hospi- täler zu bringen. Ich habe vier Hospitäler besucht und habe den Eindruck gewonnen, daß die Kranken daselbst gut untergebracht sind. Eins dieser Hospitäler war allerdings etwas überfüllt, und es herrschte daselbst keine gute Luft, auch ließ die Ausübung der Typhiisepidemie in Gelsenkirchen. 913 Desinfektion in allem zu wünschen übrig. Doch sind dies Mängel, die sich, sobald der Andrang von Kranken ein wenig nachläßt, bald beseitigen lassen. Für die Desinfektion der Abgänge der in ihren Wohnungen verbliebenen Typhus- kranken wird durch besonders hierfür angestellte und ausgebildete Desinfektoren gesorgt. Um die Wasserleitung von den Typhuskeimen zu säubern, ist dieselbe in den letzten Tagen des September mit Schwefelsäure (1 pro mille) behandelt. Diese Desinfektion scheint, soweit es überhaupt möglich ist, gut gelungen zu sein. Wenn aber auch damals nicht alle Typhuskeime abgetötet sein sollten, so ist doch nach den Erfahrungen, die man bei derartigen Wasserinfektionen gemacht hat, nicht anzunehmen, daß jetzt noch Typhusbazillen in dem Leitungswasser vorhanden sind. Der Direktion der Wasserwerke ist aufgegeben, das direkt mit der Ruhr in Ver- bindung stehende Rohr schleunigst zu entfernen. Auch eine andere unzulässige Einrichtung, welche darin bestand, daß das Ver- sorgungsgebiet am Sonntage das Wasser aus einem besonderen Behälter (dem sogenannten Erdbassin) erhielt, in welchem das Wasser eine Woche lang gestanden hatte, ist ab- geschafft. Dieses Bassin ist übei'dies gründlich gereinigt und mit Schwefelsäure des- infiziert. Wenn somit alles getan ist, was in einem solchen Falle zunächst geschehen muß, so würde es doch nicht richtig sein, wenn man sich hiermit begnügen wollte. Es ist wohl zu bedenken, daß die Gelsenkirchener Epidemie nur eine Episode, allerdings eine recht traurige, in der Seuchengeschichte des westfälischen Industrie- gebiets ist. Ich finde bei allen Berichterstattern die Angabe, daß dieses Gebiet eigentlich niemals seuchenfrei ist. Durch den gewaltigen Verkehr, und besonders durch die zu- strömenden Arbeiter, werden fortwährend ansteckende Krankheiten, namentlich Typhus und Ruhr, eingeschleppt und finden einen ungewöhnlich günstigen Boden zum Ein- nisten und zur Ausbreitung. In der dichtgedrängten Bevölkerung ist die Gelegenheit zu Kontaktinfektionen reichlich geboten. Da die Wasserversorgung, wie bereits an- gedeutet wurde, eine mangelhafte und die Beseitigung der Fäkalien und sonstigen in- fektiösen Abgänge noch so gut wie gar nicht geregelt ist, so können gerade diejenigen Krankheiten, welche von der Wasserversorgung und der Fäkalienbeseitigung am meisten abhängig sind, nämlich Typhus, Ruhr und Cholera, in einem solchen Gebiet besonders . gefährlich werden. Es ist deswegen auch nicht zu verwundern, wenn im Industriegebiet Typhus und Ruhr niemals verschwinden und wenn es alljährlich zu mehr oder weniger großen explosionsartigen Ausbrüchen dieser beiden Seuchen bald in dem einen, bald in dem anderen Bezirke des Gebietes kommt. Wollte man sich nun darauf beschränken, nur die augenblicklich herrschende Gelsenkirchener Epidemie zum Gegenstand der Fürsorge zu machen, so würde dadurch dem Entstehen eines ähnliclien Unglücks an einer anderen Stelle des Industriegebietes und auch in Gelsenkirchen selbst in zukünftiger Zeit nicht vorgebeugt werden. Hierzu bedarf es Maßregeln, welche das ganze Industriegebiet umfassen und möglichst bald in Angriff genommen werden müssen. Dieselben würden nach meinem gehorsamsten Dafürhalten zu bestehen haben: 1. in einer ständigen Überwachung und Verbesserung der Wasserversorgung; 2. in der schleunigsten Durchführung der bereits projektierten Kanalisation des gesamten Industriegebiets ; 3. in der Begründung eines Instituts, welchem die Aufgabe zufallen würde, eine fortlaufende Seuchenbekämpfung in dem so sehr gefährdeten Gebiet durch- zuführen. Koch, Gesammelfe Werke. 103 914 Typhusepidemie in Gelsenkirchen. In bezug auf die Wasserversorgung erlaube ich mir gehorsamst zu bemerken, daß es am zweckmäßigsten sein wird, zunächst sämtüche Wasserwerke des Ruhrgebiets, nicht etwa allein das Wasserwerk in Steele, welchem die jetzige Epidemie zur Last fällt, bakteriologisch zu kontrollieren, und zwar müssen die Untersuchungen täglich und an allen vorhandenen Brunnen oder sonstigen Wasserentnahmestellen vorgenommen werden. Es ist dies eine Maßregel, welche zur Zeit der letzten Choleraepidemie auf meine Veranlassung bei allen Wasserwerken eingeführt wurde, welche mit Sandfiltern ver- sehen sind. Dieselbe hat sich damals von größtem Nutzen erwiesen, und es ist nur zu bedauern, daß sie nicht allgemein und namentlich auch für solche Wasserwerke Anwen- dung gefunden hat, welche so ungenügende Filtrationseinrichtungen haben wie die Wasserwerke an der Ruhr. Erst wenn durch die bakteriologische Untersuchung die Fehler dieser Werke aufgedeckt sind, wird man an eine Erfolg versprechende Verbesserung derselben gehen können. Die Beseitigung der Fäkalien im Industriegebiete entspricht den hygienischen Ansprüchen in keiner Weise. Sie wird aber nicht eher in einer ausreichenden Weise zu regeln sein, als bis die projektierte Kanalisation verwirklicht wird. Diese letztere sollte deswegen tunlichst beschleunigt werden. Was nun noch die dritte von mir in Vorschlag gebrachte Maßregel, die Begründung eines Instituts zur fortlaufenden Seuchenbekämpfung im Industriegebiet, betrifft, so habe ich mir in Anbetracht der Dringlichkeit derselben ganz gehorsamst erlaubt, diese Angelegenheit sofort selbst in die Hand zu nehmen. Unter der höchst anerkennens- werten Mitwirkung der Herren Landrat H a m m e r s c h m i d t und Regierungs- und Medizinalrat Springfeld wurde die Gründung des Instituts in einer größeren Ver- sammlung und demnächst im engeren Kreise mit maßgebenden Personen, wie Vertretern der beteiligten Kommunen, der Kreisbehörden, der Knappschaft usw., besprochen. Die Idee fand allseitig Anklang, es wurde die Aufbringung der auf etwa 50 COO Maik jähr- lich veranschlagten Kosten garantiert und damit das Zustandekommen des LTnternehmens gesichert. Die Organisation des Instituts ist so gedacht, daß an der Spitze desselben ein mit Epidemiologie und Bakteriologie vertrauter Arzt steht, womöglich ein Medi- zinalbeamter, um auf diese Weise die Verbindung der aus privaten Mitteln gegründeten und unterhaltenen Anstalt mit der Regierung zu gewährleisten. Unter diesem Leiter der Anstalt würden drei bis vier Assistenten in einem für den besonderen Zwecke ein- gerichteten Laboratorium tätig sein. Zunächst wird sich das Institut an der Bekämpfung der jetzigen Epidemie, und zwar in der Weise zu beteiligen haben, daß die versteckten Typhusfälle, die sogenannten ambulanten oder latenten Fälle, welche gerade zur Verschleppung der Seuche am meisten beitragen, aufgesucht werden. Es hat ferner die fortlaufende Prüfung der Desinfektions- maßregeln und die bakteriologischeÜberwachung des Wasserwerks in Steele zu übernehmen. Später, wenn beim Nachlassen der Epidemie mehr Zeit zur Verfügung stehen wird, sind auch die übrigen Wasserwerke bakteriologisch zu untersuchen, es wird außer dem Typhus auch die Ruhr, Diphtheritis und die in letzter Zeit immer mehr zunehmende Ankylostomen- krankheit zu bekämpfen sein. Im übrigen wird sich das Institut an allen sanitären Maß- regeln, soweit dabei wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich sind, zu beteiligen haben. Da es von großem Wert ist, die Hilfe des Instituts womöglich sofort für die Be- kämpfung der Seuche verwerten zu können, so' ist ein Provisorium in der Weise geschaffen, daß die notwendigste Laboratoriumseinrichtung beschafft ist, daß der zum Institut für Infektionskrankheiten kommandierte Stabsarzt v. D., welcher mit den einschlägigen Untersuchungen besonders vertraut ist, sich wieder nach Gelsenkirchen begibt, und daß Regierungs- und Medizinalrat S. die Leitung der Anstalt vorläufig übernimmt. Bekämpfung des Tyjjhus. 915 An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berhn, den 17. Dezember 1901. Nachdem Euere Exzellenz mir für das laufende Etatsjahr zu praktischen Ver- suchen in der Bekämpfung des Typhus einen Betrag von 10 000 Mark zur Verfügung gestellt haben, beehre ich mich Eurer Exzellenz ganz gehorsamst nachstehend einen Plan über die Art der Verwendung zu unterbreiten. Da von selten der Sanitätsabteilung des Königlichen Kriegsministeriums ebenfalls entsprechende Versuche in gewissen Garnisonen beabsichtigt sind, so halte ich es für zweckmäßig, die Aktion in denselben Orten und in Verbindung mit den Militärsanitäts- organen vorzunehmen. Beide Teile könnten damit bei Wahrung vollster Selbständigkeit im einzelnen, doch durch wechselseitige Information und Zusammenarbeiten nicht nur sich gegenseitig Vorschub leisten, sondern die geplanten Versuche würden auch durch Inangriffnahme eines größeren Arbeitsgebietes von vornherein auf eine breitere Basis gestellt. Auch bei der Bekämpfung der Cholera haben wir seinerzeit durch die Mitbeteiligung der Militärsanitätsbehörden wesentliche Förderung gerade bei der prak- tischen Ausführung unserer Maßnahmen unstreitig gehabt. Nach Besprechung mit dem Herrn Generalstabsarzt Dr. v. L e u t h o 1 d bin ich des Entgegenkommens von seiner Seite gewiß. Als bestgeeignetes Gebiet für den Anfang würde sich meines Er- achtens die Gegend von Trier bis Saargemünd empfehlen, wo seit längerer Zeit der Typhus nicht mehr erloschen ist, vielmehr andauernd kleinere und größere Epidemien in den letzten 3 Jahren (so in Trier, Saarbrücken, Saarburg) bedingt hat. Da diese Ge- gend im Kriegsfalle als Aufmarschgebiet gilt, so wird auf die Durchführung der Versuche gerade hier von den Sanitätsbehörden besonderer Wert gelegt. Für den Beginn der Versuche habe ich den Anfang Januar kommenden Jahres ausersehen, und als Aktionszentrum die Stadt Trier. Zwei meiner mit der bakterio- logischen Typhusdiagnose vollständig vertraute Assistenten werden sich dorthin be- geben und entweder schon in dieser Stadt oder, wenn ein in der Nähe gelegener Ort wegen vorhandener zahlreicher Typhusfälle besser geeignet scheint, in diesem mit ihrer Tätigkeit beginnen. Nachdem sich der Leiter der Expedition, für welche Stellung Herr Prof. Frosch in Aussicht genommen ist, mit den Ärzten des Ortes in Verbindui g gesetzt und einen passenden Raum für die Einrichtung des Laboratoriums (am besten wohl im Kreiskrankenhaus) ermittelt haben wird, muß es seine erste Aufgabe sein, sich von dem Charakter, der Lokalisation, den wahrscheinlichen Verbreitungswegen des Typhus an Ort und Stelle ein klares Bild zu verschaffen, wobei der Wasser-. Milch-, Lebens- mittelversorgung, eventuell Einschleppung usw. gebührende Beachtung zu schenken ist. Daraus werden sich dann die wichtigsten und ersten Dispositionen betreffs der LTn- schädlichmachung der eventuell ermittelten Ausgangspunkte der ganzen Epidemie oder der in ihr hervortretenden hauptsächlichsten Gruppen ergeben. Die zu treffenden Maßnahmen werden, analog den bei der Cholera bewährten Vorgängen, lediglich hygie- nischer, nicht therapeutischer Natur sein. Diese sowie die Aus- und Durchführung der notwendigen Bekämpfungsmaßnahmen muß Sache der beamteten oder anderer geeigneter Ärzte sein, denen die Kommission nur beratend zugeordnet gedacht ist. Linter den im Einzelfalle zur Anwendung kommenden Maßregeln steht an erster Stelle die bakteriologische Diagnose, die sich mit den neuen im Institut bewährt gefun- denen Methoden innerhalb 18 bis 24 Stunden gewinnen läßt. Hervorheben möchte ich, daß von der bakteriologischen LTntersuchung der weitgehendste Gebrauch gemacht werden soll; nicht nur in bezug auf tatsächlich bettlägerige Kranke, sondern auch bei so vielen mit leichteren Verdauungsstörungen behafteten Personen, wie zu erlangen sind. 103* 916 Bekämpfung des Typhus. In dieser Beziehung soll das Interesse und Verständnis gerade der nicht beamteten Ärzte für die Mitwirkung gewonnen werden. Ganz planmäßig und ausnahmslos sind die bak- teriologischen Untersuchungen auf die Familienmitglieder des Erkrankten, seine Woh- nungs- und Hausgenossen auszudehnen, nachdem sich gezeigt hat, daß wie bei der Cholera auch beim Typhus sogenannte Parasitenträger vorkommen, d. h. Personen, die, ohne im klinischen Sinne krank zu sein, doch Typhusbazillen in ihren Ausscheidungen haben und deswegen für die Verschleppung der Krankheit genau so gefährlich sind wie die eigentlich Erkrankten. Ob die Untersuchung noch weiter auf andere Personen auszudeh- nen ist, die zu dem weiteren Verkehrskreise des ermittelten Patienten gehören, muß im Einzelfalle entschieden werden; nur nach einer praktisch wichtigen Richtung müssen sie jedenfalls noch versucht werden. Nicht nur die schon stattgefundene Verschleppung, sondern auch die Herkunft der Infektion ist tunlichst aufzudecken, der Zusammenhang mit früheren Fällen mit Sorgfalt zu ermitteln. Auf diese Weise kann es gelingen, die einzelnen Fäden der Epidemie gesondert klarzulegen und sie vielleicht bis zu den gemein- samen ständigen Ausgangspunkten zu verfolgen. Zur Sicherstellung der bakteriologisch gewonnenen Ergebnisse wird im Institute für Infektionskrankheiten eine ständige Nach- prüfung der Kulturen stattfinden, die auch in der Bekämpfung der Cholera vorhanden war und schon deswegen ratsam erscheint, weil bei den geplanten Massenuntersuchungen eine Mitwirkung des Instituts doch nicht zu entbehren ist. Sobald die Diagnose eines Falles sichergestellt ist, muß Sorge getragen werden, alle Möglichkeiten der Weiter- verschleppung von ihm aus zu vernichten. Das hat, neben der bisher üblichen Isolierung der Kranken und Desinfektion der Wäsche, Wohnung usw., noch besonders durch sorg- fältige und wirksame Desinfektion auch der infizierten Abgänge des Kranken oder Para- sitenträgers zu geschehen, solange diese noch infektiös sind. In Frage kommen : Stuhl- gang, Urin, eventuell Auswurf, Abszeßinhalt. Die Desinfektion derselben muß unter ständiger sachverständiger Kontrolle stehen, die nach den jetzt in Gelsenkirchen ge- wonnenen Erfahrungen einzurichten ist und sich dort bewährt hat. Die Desinfektion und die Überwachung des Infizierten ist so lange fortzusetzen, bis die bakteriologische Untersuchung wiederholt negativ ausgefallen ist, so daß die Beendigung statthaft er- scheint. Wo angängig, wird die Aufnahm? und Rstention der Erkrankten in das Kranken- haus als sicherstes Mittel der Überwachung anzustreben sein; bei vielen, namentlich den besser gestellten Patienten werden sich in der Häuslichkeit geeignete Vorkehrungen unschwer einrichten und durchführen lassen, zumal ja gegenüber dem wohlbekannten Typhus bei der Bevölkerung selbst auf Verständnis und guten Willen gerechnet werden darf. Besondere Aufmerksamkeit wird, wie bei der Cholera, den Herbergen, Gast- und Milchwirtschaften, Wäschereien und dergleichen zu widmen sein. Sobald es die Arbeiten in dem zuerst in Angriff genommenen Orte gestatten oder auch erfordern, wird ein zweiter Platz in den Versuchsbereich hineinbezogen und mit dem eventuell frei gewordenen Assistenten besetzt werden; später in derselben Weise, unter Hinzuziehung der in meiner Eingabe vom 16. August 1901 vorgesehenen weiteren zwei Assistenten, noch andere Typhusplätze, so daß in einem späteren Stadium der Ver- suche gleichzeitig vier Orte in Untersuchung stehen können. Etwaige Änderungen in dieser Versuchsanordnung müssen vorbehalten bleiben. Bei der Wahl der nach und nach in den Versuch hineinzuziehenden Orte wird auf einen bei den ätiologischen Nachfor- schungen sich vielleicht ergebenden Zusammenhang mit dem bereits behandelten Orte Bedacht genommen werden müssen. So könnte sich z. B. ergeben, daß, ähnlich wie Köpenick für Berlin, auch dort der eine Ort als Infektionsquelle für einen zweiten oder mehrere angesehen werden muß. Alsdann würde es selbstverständlich sein, dort sogleich mit den Arbeiten zu beginnen. Bekämpfung des Typhus in Trier. ^ 917 Hiermit glaube ich Euer Exzellenz die wesentlichsten Gesichtspunkte erörtert zu haben, die bei der Anstellung und Ausführung dieser Versuche zu beachten sind. Wie bereits eingangs erwähnt, kann auf die Mitwirkung der beamteten Ärzte, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, nicht verzichtet werden. Eure Exzellenz bitte ich deshalb, dahin zielende Instruktionen baldmöglichst an dieselben ergehen zu lassen. Es würde sich empfehlen, zuvörderst von den Kreisärzten des bezeichneten Gebietes für die Haupt- orte eine Typhusstatistik der letzten 3 Jahre aufstellen zu lassen nach den Rubriken: Name, Alter, Geschlecht, Krankheit.sdaten (Anfang und Dauer; Ausgang), Haus, in dem die Krankheit zum Ausbruch gekommen, nebst einem kurzen Resümee über den Verlauf und die mutmaßlichen Ursachen der Erkrankungen. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Mcdizinalangelegenheiten. Berhn, den 1. März 1902. Betrifft die Typhusbekämpfung in Trier. Die unter Alinea 2 des genannten Erlasses Euer Exzellenz vom 26. Februar d. J. hervortretende Auffassung, daß ,, angesichts des wissenschaftlichen Zieles der Versuch einer Einwirkung des Herrn Regierungspräsidenten auf den Gang der Arbeiten nicht in Frage komme", kann ich nicht in Einklang bringen mit dem Sinn und Wortlaut von Euer Exzellenz Verfügung vom 26. November v. J., wonach Euer Exzellenz im Ein- verständnis mit dem Herrn Finanzminister für das laufende Etatsjahr zu p r a k t i - sehen Versuchen in der Bekämpfung des Typhus einen Betrag von 10 000 M. mir bereits zur Verfügung und weitere 20 000 M. für den nächsten Haushaltsetat in Aus- sicht gestellt haben. Dem Sinne dieser Verfügung entsprechend habe ich vielmehr be- reits in meinem Bericht vom 17. Dezember v. J. darauf hingewiesen, daß die von mir geplanten Versuche der Typhusbekämpfung ganz nach dem bei der Cholera bereits erprobten Verfahren durch eine Verbindung der bakteriologischen Tätigkeit mit prak- tischen von den Verwaltungsorganen zu treffenden Maßnahmen vorzunehmen seien. Dementsprechend hatte ich auch an gleicher Stelle ausgeführt, daß die Kommission lediglich als beratende Instanz den beamteten oder anderen geeigneten Ärzten bei der Durchführung der notwendigen Bekämpfungsmaßregeln zuzuordnen sei. Somit bleibt die Durchführung der von der Kommission empfohlenen oder als notwendig bezeichneten Maßnahmen durchaus Sache der Verwaltung in allen ihren Instanzen. Im gleichen Sinne hatte ich Euer Exzellenz in diesem Bericht vom 17. Dezember v. J. gehorsamst gebeten, die geeigneten Instruktionen baldmöglichst ergehen zu lassen. Wieweit dies geschehen, entzieht sich noch immer meiner Kenntnis. Mir ist nur bekannt, daß laut Erlaß vom 14. Januar 1902 Euer Exzellenz den Herrn Regierungspräsidenten in Trier ersucht haben, den drei Assistenten der Kommission jede Förderung zur Erfüllung ihres Reise- zwecks, der in der Vornahme von Typhusuntersuchungen besteht, angedeihen zu lassen. Eine solche Auffassung von der Aufgabe der Kommission und eine solche Empfehlung der Kommissionsmitglieder, in der nicht einmal der Leiter der Kommission inbegriffen ist, kann ich aber nicht als geeignete Einleitung für ein Unternehmen anerkennen, in welchem versucht werdeii soll — Euer Exzellenz eigenem Wunsche gemäß ^, einer Seuche entgegenzutreten, welche nicht nur für den Regierungsbezirk Trier, sondern auch für den preußischen Staat allgemein sich zu einer Kalamität auszuwachsen droht, welche ferner einen viel größeren Umfang bereits im Regierungsbezirk hat, als die amtlichen Berichte melden, und welche bisher allen Versuchen einer Eindämmung dauernd ge- 918 Bekämpfung des Typhus in Trier. spottet hat. Über die zu diesem Zwecke jedenfalls notwendigen und von dem Herrn Oberpräsidenten offenbar auch erwarteten Vorverhandkmgen glaube ich, ohne meine Kompetenz zu überschreiten, nicht unaufgefordert Euer Exzellenz Vorschläge unter- breiten zu sollen; ich erkläre mich aber bereit, dem Herrn Oberpräsidenten fortlaufend durch abschriftliche Zusendung aller mir zugehenden Berichte über den Gang der Ver- suche in Kenntnis zu halten. Jedenfalls aber bitte ich Ew. Exzellenz ganz gehorsamst, die Angelegenheit in die richtigen Wege leiten und zugleich der beim Herrn Oberpräsi- denten und dem Herrn Regierungspräsidenten anscheinend bestehenden Auffassung, daß die Kommission nur wissenschaftliche Zwecke verfolge, als einer Euer Exzellenz eigensten Worten zuwiderlaufende Auslegung baldigst und deutlich entgegentreten zu wollen. Irgendwelche Einwirkung des Herrn Oberpräsidenten oder des Regierungspräsi- denten auf den Gang der Kommissionsarbeiten zur Typhusbekämpfung innerhalb ihres Versuchsgebiets läßt sich nicht mit der Erfüllung der mir gestellten Aufgaben in Ein- klang bringen. Sollte sich unter diesen Umständen eine Vereinigung zwischen den Anschauungen des Herrn Oberpräsidenten und den von mir als notwendig erachteten Maßnahmen nicht erzielen lassen, so hielte ich es für geraten, den Versuch der Typhusbekämpfung nach den von mir dafür aufgestellten Grundsätzen an einer anderen Stelle als im Re- gierungsbezirk Trier auszuführen. Ich bitte ganz gehorsamst, hierüber baldigst eine Entscheidung treffen zu wollen. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 26. Mai 1902. Euer Exzellenz beehre ich mich beifolgenden Bericht des Herrn Prof. Frosch über den Fortgang des Versuchs der Typhusbekämpfung im Landkreis Trier gehorsamst zu überreichen und hieran folgende Bemerkungfen zu knüpfen. Die bisherigen Untersuchungen der Kommission haben bereits zu einigen recht wichtigen Resultaten geführt. Es hat sich vor allen Dingen herausgestellt, daß unter Verhältnissen, wie sie im Landkreis Trier bestehen, durch die Meldepflicht der Ärzte nur ein Bruchteil der in Wirklichkeit vorkommenden Typhusfälle zur Kenntnis gelangt. So wurden beispielsweise in Waldweiler 6 Fälle gemeldet, aber bei genauer Untersuchung weitere 32 Fälle nachgewiesen, welche zur selben Zeit in dem Orte vorgekommen sind. Ähnliche Zustände wurden in einigen anderen Ortschaften gefunden. Die Gründe für das so überaus mangelhafte Ergebnis der ärztlichen Meldungen sind teils darin zu suchen, daß für die Landbevölkerung, namentlich wenn sie unbemittelt ist, die ärztliche Hüfe zu kostspielig wird, teils darin, daß neben den schweren Fällen, welche wohl in der Mehr- zahl noch zur Anzeige gelangen, eine verhältnismäßig große Zahl von ambulanten und sehr leichten Erkrankungen regelmäßig hergehen. So gelang es der Kommission in der Umgebung von Typhuskranken in 4 Fällen bei Personen, welche nicht merklich krank waren, die Typhusbazillen nachzuweisen. Als ein sehr interessantes und auch für die Praxis wichtiges Ergebnis ist es anzusehen, daß nach den Beobachtungen der Kommission in einer Gegend, wo der Typhus endemisch herrscht, vorzugsweise die Kinder ergriffen werden. Der Typhus würde sich in dieser Beziehung also ähnlich ver- halten wie andere Krankheiten, welche nach dem Überstehen eine ausgesprochene Immunität zurücklassen und bei endemischem Vorkommen mehr oder weniger zu Kinder- krankheiten werden, wie Pocken, Masern, Scharlach und Malaria. Es hegt wohl auf der Hand, daß unter diesen Verhältnissen die Typhusbekämpfung, Bekämijfung des Tyijhus in Trier. 919 wenn sie sich nur auf die zur Meldung kommenden Fälle beschränken würde, so gut wie gar keinen Erfolg haben kann. Von einer strengeren Durchführung der Meldepflicht ist auch keine Besserung zu erwarten, da es ja, wie erwähnt, nicht an den Ärzten liegt, daß so wenige Fälle gemeldet werden, sondern andere Gründe obwalten, welche nicht zu beseitigen sind. Es bleibt also nur übrig, in jedem Falle, wo Typhus gemeldet wird, oder wo man sonst sein Vorkommen vermutet, eine gründliche Nachforschung nach weiteren mit dem gemeldeten Falle im Zusammenhang stehenden Fällen durch anamnestische Er- mittlungen und mit Hilfe des Nachweises der Typhusbazillen vorzunehmen. In dieser Hinsicht ist die Kommission zu dem sehr erfreulichen Ergebnis gelangt, daß die im In- stitut für Infektionskrankheiten ausgearbeiteten Methoden zum Nachweis der Typhus- bazillen sich bei ihrer Anwendung in der Praxis vollkommen bewährt haben. Wir sind somit jetzt in der Lage, die einzelnen Typhusfälle mit gleicher Sicherheit wie bei Cholera und Pest frühzeitig diagnostizieren zu können. Wie aus den Berichten des Herrn Prof. Frosch hervorgeht, hat die Kommission sich mit ihren orientierenden Nachforschungen über das Verhalten des Typhus in der Umgebung von Trier nicht allein auf den Landkreis Trier beschränkt, sie hat auch in verschiedenen anderen Kreisen nach den Anzeichen für das endemische Vorkommen von Typhus gesucht und auch solche vorgefunden, aber sie mußte sich doch zunächst auf ein abgegrenztes Gebiet beschränken und liat dazu die Dörfer des sogenannten Hoch- waldes gewählt, in erster Linie das vom Typhus besonders stark heimgesuchte Dorf Waldweiler. Ich habe dieses Dorf besucht und auch die Uberzeugung gewonnen, daß dasselbe sowie das benachbarte Gebiet für die Studien über Typhusbekämpfung vor- züglich geeignet ist, ganz besonders weil hier der Typhus nicht in vorübergehenden Aus- brüchen auftritt, sondern endemisch herrscht. Der eine Teil der Aufgabe, welche die Kommission sich gestellt hatte, nämlich eine geeignete Stelle für den Versuch der Typhusbekämpfung zu finden, sich über das Verhalten des Typhus daselbst zu orientieren und die Untersuchungsmethoden für ihre Verwendung in der Praxis auszubilden, war damit erledigt. Es ist nun der zweite, viel wichtigere Teil zu erfüllen, die nachgewiesenen Typhusfälle für ihre Umgebung unschäd- lich zu niachen und die hierzu am meisten geeigneten Maßregeln aufzufinden. Als ich den Plan für die Arbeiten der Kommission aufstellte, hatte ich angenommen, daß die Kommission an diesem Teil der Typhusbekämpfung sich nur in beratender Weise zu beteiligen haben würde und daß die weiteren Maßnahmen, wie Isolierung der Kranken in einem Krankenhause oder in ihrer Behausung, Beschaffung von kostenfreier ärzt- licher Behandlung, Medikamenten und Pflege, Desinfektion usw., von den Gemeinden, Kreisen oder sonstigen dazu verpflichteten Verbänden zu übernehmen und auch die Kosten dafür zu tragen sein würden, ebenso wie es gelegentlich der Bekämpfung der Cholera geschehen ist. In dieser Annahme habe ich mich aber geirrt, wie sich sehr bald zeigte, als diese Maßregeln zur Anwendung gebracht werden sollten. Niemand wollte oder konnte vielmehr die für die eigentliche Typhusbekämpfung erforderlichen Kosten, welche allerdings nicht unbeträchtlich sein werden, übernehmen. Es ist nun allerdings gelungen, um der Not in Waldweiler möglichst bald abzu- helfen, zunächst eine transportable Krankenbaracke zu beschaffen und vorläufig in Be- trieb zu setzen, aber damit werden wir nicht weit kommen. Es wird unbedingt notw^endig ^ein, noch eine zweite Baracke aufzustellen und die erforderlichen Mittel für den Be- trieb derselben zu beschaffen. Vorläufig haben die Mitglieder der Kommission den ärzt- lichen Dienst in der Baracke übernommen, was aber auf die Dauer nicht durchzuführen ist, ohne daß dieselben ihrer eigentlichen Aufgabe entzogen werden. Es wird also er- 920 Bekämpfung des Typhus in Trier. — Über die Bazillenträgerfrage. forderlich sein, einen Arzt für die Behandlung der in Pflege genommenen Kranken an- zustellen. Es wird auch notwendig sein, die Familien der Erkrankten zu unterstützen, da es oft nur unter dieser Bedingung zu erreichen ist, daß die Kranken sich in die Ba- racke aufnehmen lassen. Es muß ferner für ausreichendes Pflegepersonal gesorgt werden, welches die Überwachung der in ihren Wohnungen bleibenden Kranken übernehmen kann. Außerdem erlaube ich mir jetzt schon ganz gehorsamst darauf aufmerksam zu machen, daß der Versuch der Typhusbekämpfung, wenn er in gründlicher Weise und so durchgeführt werden soll, daß dabei die zweckmäßigste Art und Weise, wie man vorgehen soll, gefunden wird, dies nicht in kurzer Frist zu erreichen ist, sondern daß darüber mehrere Jahre vergehen können. Aus allen diesen Gründen sehe ich mich ge- nötigt, erheblich höhere Geldmittel als die bisher bewilligten ganz gehorsamst zu be- antragen. Von der zur Verfügung gestellten Summe sind bisher für Tagegelder der Kom- missionsmitgheder, Reisekosten und Laboratoriuniszwecke 12 264 M. verausgabt, und ich glaube bestimmt annehmen zu können, daß die Kommission unter den gleichen Verhältnissen, wie sie bisher bestanden haben, dem Voranschlage entsprechend bis Ende dieses Jahres mit dem noch vorhandenen Reste auskommen kann. Aber es wird ganz unmöglich sein, von diesem Gelde etwas für die obenerwähnten Bedürfnisse zu verwenden. Es ist mir nicht möglich, jetzt schon eine bestimmte Berechnung über die für die Fortsetzung des Versuchs erforderlichen Mittel vorzulegen, und so kann ich nur die ganz gehorsamste Bitte aussprechen, vorläufig 50 000 M. der Kommission zur Verfügung stellen zu wollen. Über die Bazillenträgerfrage äußerte sich Koch in der Sitzung des Wissen- schaftlichen Senats bei der Kaiser-Wilhelms-Akademie am 28. November 1902 in der Debatte folgendermaßen: Diese Frage ist in der Cholerazeit aufgeworfen und vielfach diskutiert worden. Man hat gesagt : man kann doch unmöglich einen Menschen cholerakrank nennen, der nicht cholerakrank ist, und wenn er auch die Cholerabazillen in seinen Entleerungen hat, man nannte sie damals ,, Bazillenträger", und da hat man sich, nicht gerade in be- zug auf die Statistik, aber in bezug auf die offizielle Meldung dahin geeinigt, daß die sogenannten Bazillenträger nicht zu melden sind. Es wurde aber alles mit ihnen gemacht, was auch sonst mit cliolerainfektionsgef ährlichen Menschen gemacht wurde, und so ist es mein Standpunkt auch hier in bezug auf die Typhusfrage. Ich stehe ja dieser Frage ganz als Hygieniker gegenüber. Also das gebe ich ohne weiteres zu : jemand, der klinisch- statistische Studien treibt, darf die nicht als Kranke zählen. Sie werden mir aber zu- geben: für uns Hygieniker kommt immer nur derjenige in Betracht, der imstande ist, den Infektionsstoff zu produzieren, der imstande ist, den Infektionsstoff weiter zu ver- schleppen. Die sogenannten Bazillenträger sind für uns die allergefährlichsten. Das sind die, die nicht schwerkrank im Bette liegen, wo alles desinfiziert werden kann, sondern die umherlaufen, manchmal weite Reisen machen und überallhin die Erreger ver- schleppen. Also ich möchte bitten, in bezug auf die Statistik einen gewissen Unterschied zu machen. In der Hygienestatistik zählen wir jeden Fall, der echte Typhusbazillen produziert, als Typhus — ich will nicht sagen: als typhuskrank, aber als Typhusfall, während der Kliniker es meinetwegen anders halten kann. Das ist nicht meine Sache. Bekämpfung des Typhus. — Seruinl)ehandlung des Typhus. 921 Verhandlungen im Kaiserlichen G e « u n d h e i t s a ni t am 29. Juni 1914 betr. die Bekämpfung des Typhus. Koch ist in der Diskussion über die Isolierung der Bazillenträger der Meinung, daß die Bazillen der Bazillenträger als ebenso virulent zu betrachten seien wie andere. Daher sei ja die Gefahr dieser Leute so groß. Kin Beweis lür die Vollvirulei z liege darin, daß diese Bazillenträger Hausinfektionen veranlassen. Zu der Frage der Haltbarkeit der Typhusbazillen außerhalb des Körpers erwähnt Koch, daß die frischen Bazillen im Wasser rasch verschwinden. Im Boden fänden sie vielleicht günstigere Verhältnisse, jedoch sei nicht anzunehmen, daß sie sich an der Oberfläche länger als einen Winter hindurch hielten. Im Sommer gingen sie rasch zugrunde. Er hält die Lebensdauer der Typhusbazillen für eine beschränkte, jedenfalls lägen keine Beweise für längere Haltbarkeit als 14 Jahr vor. Die Möglichkeit einer Verschlep- pung in den Boden sei vorhanden, zumal da Typhusinfektionen auf den Rieselfeldern beobachtet sind. Durch die Typhusstationen sei in keinem Falle der bestimmte Zusam- menhang der Erkrankung mit dem Boden konstatiert. Gelegenheit zu Untersuchungen von verunreinigtem Boden sei auch in Berlin genügend gegeben, dennoch sei im Institut für Infektionskrankheiten kein Fall, in dem Typhusbazillen gefunden seien, zur Beob- achtung gekommen. Wenn Aufgrabungen des Bodens in großem Umfange vorgenommen würden, müßten bei Vorhandensein der Erreger im Boden Gruppenerkrankungen auf- treten. Die Experimente im Laboratorium kämen für die Praxis nicht eher in Betracht, als bis der Nachweis erbracht sei, daß unter natürlichen Verhältnissen Infektionen vor- kämen. Über die Serumbehandlung des Typhus sagte Koch in der Sitzung des Wissen- schaftlichen Senats bei d e r K a i s e r - AV i 1 h e 1 m s - A k a d e m i e vom 30. November 1907 in der Debatte etM'a folgendes: Soweit ich höre, glaube ich, daß es bis jetzt noch nicht gelungen ist, ein brauch- bares Typhusserum zu finden. Ich war zufällig vor 3 Jahren in Paris, als die ersten Mitteilungen 0 a 1 m e 1 1 e s über sein Serum erschienen, und die klangen fast über- schwenglich. Aber seit diesen 3 Jahren habe ich nichts mehr gehört. Wenn das wirklich etwas so Bedeutendes gewesen wäre, hätte man etwas hören sollen. Ich möchte daraus den Schluß ziehen, daß es auch mit diesem Serum nichts ist. Nun ist mir noch ein Punkt aufgefallen, der nämlich, daß man die Hoffnung hat, mit einer Simultanmethode bessere Erfolge zu erzielen. Das ist Zukunftsmusik. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß für gewöhnlich die Simultanmethode ganz etwas anderes ist. Zuerst wandte man sie bei der Rinderpest an. Es handelte sich aber nicht um eine Kombination von Serum mit abgetötetem Infektionsstoff, sondern um eine Kombination nüt dem lebenden Infektionsstoff. Man will auf diese Weise eine modifizierte, abgeschwächte Infektioii erzielen. Man kann das so abstimmen, daß eine milde Rinderpest zum Ausbruch kommt und milde Immunität ergibt. Das würde hier niclit der Fall sein. Wenn man den abgetöteten Infektionsstoff nimmt, und das Serum dazu, so weiß ich nicht, was das werden soll. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch anführen, wie sich die Verhältnisse bei der Rinderpest schließlich gestaltet haben. Man hat zuerst mit der Simultanmethode gearbeitet und stellenweise recht böse Erfahrungen gemacht. Durch große Mengen Serum sind Krankheiten aufgetreten, die mindestens ebenso schlimm waren wie die Rindei'pest, und das hat dazu geführt, daß man die Si- niultanmethode vollständig verlassen hat. Man behandelt die Rinderpest jetzt so, daß 922 Serumbehandhmg des Typhus. — Über Tsetsefliegen. man dem in Frage kommenden Tiere eine recht große Dosis von Serum gibt. Das Rinder- pestserum verleiht sofort Immunität, und zwar für eine auffallend lange Zeit, 3 —4 Mo- nate bei großen Dosen. Es wäre also gar nicht undenkbar, das es gelingt, auch bei menschlichen Krankheiten ähnlich vorzugehen, hoffentlich auch beim Typhus, und schließlich ein Serum zu finden, von dem wir mit einem Schlage Immunität erhalten, allerdings nur eine passive, aber eine passive, die sehr lange vorhält. Auf diese Weise ist es gelungen, durch Rinderpestserum in großen Dosen und ohne den lebenden In- fektionsstoff die Rinderpest überall in ganz kurzer Zeit auszurotten. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 25. August 1895. Euer Exzellenz beehre ich mich auf den Erlaß vom 31. Juli d. J. U. I. 12 174 ganz gehorsamst folgendes zu berichten. Die Fliegen, welche, aus Misahöhe in Togo stammend, dem diesseitigen Institute zur Bestimmung übersandt wurden, gehören, wie die genaue Vergleichung mit dem im hiesigen naturwissenschaftlichen Museum vorhandenen Sammlungsexemplare ergeben hat, zu der Spezies ,, Glossina longipalpis" — Wiedemann — und sind also richtige „Tsetse"fliegen. Nun sind von dem Genus ,, Glossina" bisher sechs Spezies bekannt, welche die Namen Glossina ventricosa, Glossina longipalpis, Glossina fusca, Glossina tabaniformis, Glossina morsitans und Glossina tachanoides führen. Die berüchtigte ,,Tsetse"f liege, auf deren Stich das häufige Sterben von Rindvieh und Pferden zurück- geführt wird, hat die Bezeichnung ,,Tsetse morsitans" erhalten und ist mit der aus Togo übersandten Tsetse longipalpis nicht identisch. Nach den Berichten der Reisenden (vgl. Spense, Transactions Entomological Society, London 1853, Proceedings S. 96, Mitteilung eines Berichts des Reisenden W. O s w e 1 1) hält sich die Tsetse sehr lokal und wandert nicht; man darf deshalb von vornherein es für sehr wahrscheinlich halten, daß auch die Glossina longipalpis nicht erst kürzlich in das Togogebiet eingewandert oder eingeschleppt ist, sondern offenbar ist sie längst dort einheimisch, wofür auch spricht, daß der Entdecker dieser Spezies — Wiedemann — sie Ende vorigen Jahr- hunderts an der Westküste von Zentralafrika in Sierra Leone und später Macquart am Senegal und Kongo aufgefunden hat. Darüber, ob auch die Glossina longipalpis durch ihren Stich Pferden und Rindern gefährlich werden kann, hat sich in der bisher sehr spärlichen Literatur kein bestimmter Anhaltspunkt ergeben. Nur Macquart (Suites ä Buffon Dipteres 11. 245. Tfl. XVI. 8. 1835) spricht die Meinung aus, daß Glossina longipalpis kein Blut saugen könne, weil ihr Stachel zu fein sei, die Haut größerer Tiere zu durchstechen, eine Angabe, die aber noch sehr der Bestätigung bedarf. Sehr wenig wissen wir ferner über den Grund, weshalb der Stich der ,, Tsetse" so verderbliche Folgen für bestimmte Tierspezies nach sich zieht. Zunächst könnte man an eine Giftwirkung denken. Nun geht aber aus den Berichten der Reisenden her- vor, daß unter Umständen sehr wenige Tsetsefliegen genügen, um Pferde und Ochsen zu töten. So starb das eine Pferd des Reisenden J. 0. Weestwood nach 20 Tagen an den Folgen der Stiche von etwa nur 127 Fliegen. O s w e 1 1 gibt an, daß 3 —4 Fliegen ausreichen, um einen Ochsen umzubringen. Livingstone verlor einmal 13 Ochsen durch etwa 20 Fliegen und macht gleich- zeitig die merkwürdige Angabe, daß Hunde, welche von der Milch einer gestorbenen über Tsetsefliegen. — Über Tsetsekrankbeit. 923 Kuh saufen, tödlich erkranken. Genauere Beschreibungen des Krankheitsbildes und des Sektionsbefundes bei Tieren, welche von der Tsetse gestochen sind, verdanken wir dem Reisenden 0 s w e 1 1. Nach dem Stich werden die Augenlider ödematös, es tritt Tränenfluß ein und starke Anschwellung der Sublingualdrüsen. An der Stichstelle findet man beim Aufbrechen des gefallenen Viehes starkes Ödem des Untcrhautzellgewebes und ödematöse Durchtrennung der Muskulatur. Herz schlaff, Blut geronnen, patho- logische Veränderungen am Herzen, Leber oder Lunge. Bei kritischer Sichtung all dieser Berichte wird die Annahme, daß die Tsetsefliege durch die Einimpfung eines fertigen Giftstoffes nach Analogie des Skorpion- oder Schlan- gengiftes wirkt, sehr unwahrscheinlich. Jedenfalls würde die Wirksamkeit dieses hypo- thetischen Tsetsegiftes alles bisher von toxischen Substanzen Bekannte weitaus in den Schatten stellen. Mit dieser Hypothese nicht vereinbar ist ferner die Tatsache, daß der Mensch von dem Stich der Tsetsefliege keine nachteiligen Folgen verspürt. So ist der Reisende L e r o y über hundertmal gestochen worden, ohne mehr als eine Art LTrti- karia davonzutragen. Ein chemisches Gift, welches in so minimalen Dosen Ochsen und Pferde tötet, dabei aber für den Menschen ganz indifferent ist, würde keinerlei Analogen in der gesamten Toxikologie haben. Dagegen lösen sich die Rätsel der Tsetsewirkung sofort, sowie man annimmt, daß diese Stechfliegen organisierte Krankheitsgifte, pathogene Mikroorganismen übertragen, und es wäre hierbei einerseits an milzbrand- und rauschbrandartige Krankheitsstoffe zu denken, andererseits auch an protozoische Blutparasiten vom Malariatypus, wie sie beim Texasfieber des Rindviehs schon bekannt sind. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß diese Meinung schon von L a b o u 1 b e n e im -Jahre 1888 ausgesprochen worden ist. Sollte etwas gegen die Schädigungen der Tsetsefliege geschehen, so wäre es vor allem zunächst erforderlich, die Todesursache der von der Tsetse getöteten Tiere nach den bakteriologischen Untersuchungsmethoden eingehend zu studieren. Ich bitte da- her ganz gehorsamst, die Behörden in Togo geneigtest anweisen lassen zu wollen, Organ- stücke möglichst zahlreich gefallener Tiere in absoluten Alkohol eingelegt hierherzu- senden und getrocknete Deckglasausstriche von frischem Herzblut und Organsäften. Eine genauere Instruktion zur Herstellung der Präparate würde noch besonders hier auszuarbeiten sein. An den Herrn Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts. Berlin, den 18. August 1902. Eurer Hochwohlgeboren beehre ich mich ergebenst zu berichten, daß es dem zum Institut kommandierten Marinestabsarzt Dr. M a r t i n i gelungen ist, bei afrikanischen Pferden des hiesigen Zoologischen Gartens die Tsetsekrankbeit festzustellen. Die beiden damit behafteten Tiere sind von der Direktion dieses Etablissements dem Institut zu Schutzimpf ungs- und Heilversuchen überlassen. Um diese Versuche, welche für die wirtschaftlichen Interessen unserer Schutz- gebiete in Afrika von sehr großem Werte sind, fortsetzen zu können, wird es notwendig sein, die Krankheit weiter auf Pferde zu übertragen; aber es fehlt dem Institut an den hierfür erforderlichen Mitteln, und stelle ich es Euer Hochwohlgeboren ergebenst an- heim, dieselben hierfür gefälligst erwirken bzw. bereitstellen zu wollen. Für die wei- teren Vorversuche bedarf ich zunächst einer Beihilfe von 1000 M. (Eintausend Mark) 924 Uber Tsetsekrankheit. zur Beschaffung von ausrangierten Pferden sowie für Futter und Wartung derselben. Sobald diese Versuche erkennen lassen, daß weitere und wichtigere Ergebnisse davon zu erwarten sind, werde ich mir erlauben, darüber Bericht zu erstatten und eventuell Anträge auf Mehrbewilligungen zu stellen. An die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts. Berlin, den 7. November 1902. Der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes berichte ich über die seither im hiesigen Institut ausgeführten Immunisierungsversuche gegen die Tsetsekrankheit folgendes : Es wurde versucht, die Tsetseparasiten mittels sogenannter Passagen durch emp- fängliche Tierarten, wie Ratten, Hunde und andere Säugetiere, in eine Form überzu- führen, die, auf Pferde verimpft, diese nur leicht erkranken läßt, sodann aber gegen die stetig von Pferd zu Pferd bzw. Rind zu Rind übertragenen Parasiten, die in praxi für die Tsetseverbreitung durch die Tsetsefliege wohl allein in Frage kommen dürften, immun macht. Zu diesem Zwecke ließen wir die Tsetseparasiten in steter Weiterver- impfung auf die gleiche Tierart durch eine ganze Reihe von Hunden bzw. Ratten gehen. Alsdann impften wir je 1 Pferd bzw. Esel mit dem tsetseparasitenhaltigen Blute des 6. bzw. 5. Tieres dieser Reihen. Die so infizierten Tiere, Pferd und Esel, sind krank geworden und werden auch voraussichtlich der Krankheit erliegen; ihr Leiden zeigt aber einen langsameren Ver- lauf als das der gleichartigen Tiere, die mit Tsetseparasiten ihrer gleichen Tierklasse seither infiziert wurden. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, daß es mittels weiterer Passagen durch andersartige Tiere gelingen wird, die von uns gesuchte abgeschwächte Form der Tsetse- parasiten zu finden. Andere Immunisierungsversuche, die mit einem zufällig in unsere Hände gelangten sehr wenig virulenten Tsetseparasiten im Gange sind, bieten ebenfalls eine gewisse Aus- sicljt auf Erfolg. Die gewährten Mittel sind jedoch inzwischen bis auf 200 M. verbraucht. Wenn also die Versuche, wie es sehr zu wünschen wäre, fortgesetzt werden sollen, dann bedürfen wir dazu weiterer Mittel, und erlaube ich mir mit Rücksicht darauf, daß mehrere Versuchsreihen längere Zeit hindurch im Gange zu halten sind und daß wir an Stelle der aus Gründen der Sparsamkeit mehrfach zu Experimenten genommenen Esel notwendigerweise Pferde verwenden müssen, den ergebensten Antrag zu stellen, daß mir für diesen Zweck die Summe von 5000 M. zur Verfügung gestellt wird. Diese 5000 M. können ohne weiteres aus dem Rest der für die Malariaforschung zur Verfügung gestellten Mittel entnommen werden, und ist dies um so mehr zu emp- fehlen, als bei den Immunisierungsversuchen gegen die mit der Malaria verwandte Tsetse- krankheit die Gewinnung gewisser Schlüsse auf die eventuelle Immunisierung gegen Malaria nicht unwahrscheinlich ist. über Schlafkrankheit. 925 An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 12. April 1902. Eurer Exzellenz berichte ich gehorsamst, unter Rücksendung der Anlagen über die Bedeutung, welche der Schlafkrankheit im wissenschaftlichen wie im sozialen Interesse beizumessen ist. Die Schlafsucht des tropischen Westafrika hat schon seit geraumer Zeit die Auf- merksamkeit der Hygieniker auf sich gezogen, weil man die Beobachtung machte, daß ihr ganze Familien, ja ganze Ortschaften zum Opfer fallen. Eigentümlich ist, daß nur die schwarze Bevölkerung daran leidet; diese aber ist imstande, die Krankheit weiter zu verschleppen. So ist sie erst seit kurzem durch Schwarze von der Angolaküste nach der Insel Fernando gebracht worden vuid hat sich dort schon fest eingenistet. In solchen Fällen denlit man zuerst gewöhnlich an eine Infektionskrankheit und ist geneigt anzunehmen, daß der Keim der Krankheit in ähnlicher Weise durch den Ver- kehr verschleppt wird, wie etwa bei der Cholera oder der Pest. Indessen liegen zwingende Gründe für eine solche Annahme bisher nicht vor, und es ist sehr wohl denkbar, daii es sich einfach um die Verpflanzung von gewissen Lebensgewohnheiten handelt, welche bewirken, daß wandernde Neger in der Fremde sich denselben Gefahren aussetzen, welche ihnen in der Heimat diese tückische Krankheit bringen. In Verfolgung dieses Gedankens hat man schon den Genuß der rohen, nur durch Auswaschen vom Gifte befreiten TaroknoUen beschuldigt und angenommen, daß die Neger mit dieser Speise den daran haftenden Krankheitserreger in sich aufnehmen, mag er nun ein Bakterium oder eine Filaria oder etwas ganz anderes sein. Die wenigen bisher bekanntgewordenen Autopsien haben über die Krankheits- erreger keine Klarheit zu bringen vermocht, und auch die Untersuchung der Lebenden hat zu widersprechenden Ergebnissen geführt. C a g i g a 1 und L e p i e r r e fanden im Blute eines Schlafsüchtigen regelmäßig einen Bazillus, M a c k e n z i e dagegen bei einem anderen Kranken eine Filaria, die sowohl bei Tage wie bei Nacht darin an- zutreffen war. Allerdings erklärt M a c k e n z i e in Übereinstimmung mit M a n s o n diesen Befund für einen zufälligen, aber jedenfalls hat der englische Autor keines der Bakterien wiedergefunden, die von verscliiedenen anderen Forschern angegeben wurden. Während man also in betreff des Krankheitserregers sich völlig im unklaren befindet, hat man sich allgemein dahin geeinigt, in dieser Krankheit eine Erkrankung des Gehirns zu sehen. Damit stimmen auch die Obduktionsbefunde überein, die B e 1 1 e n c o o r t neuerdings erhalten hat. Ob aber der Diplostreptokokkus, den er in einem Falle in Loanda gefunden hat und seit der Veröffentlichung im August 1891 in einer größeren Anzahl von Fällen wieder angetroffen haben will, wirklich der Erreger der Krankheit ist, bedarf noch der Bestätigung. Die Gelegenheit, die Angaben Bettencoorts zu prüfen und vielleicht zu erweitern, erscheint günstig, da laut Berieht vom 17. Februar d. J. in Lissabon im Bak- teriologischen Institut noch 15 an der Krankheit leidende Neger untergebracht sind; und da die Krankheit sich auch jeden Augenblick in unseren westafrikanischen Kolo- nien ausbreiten kann und somit für vins selber von größtem Interesse ist, erscheint es wünschenswert, die so seltene Gelegenheit zu benutzen und der Anregung, einen wissen- schaftlichen Arbeiter zur Erforschung der Schlafkrankheit nach Lissabon zu schicken. Folg e zu geben. 926 Über Schlafkrankheit. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 30. JuH 1904. Eurer Exzellenz beehre ich mich unter Rückgabe der nach Daressalam unter meiner Adresse gesandten Schriftstücke M. 10 522, 10 693 U 1 K/04 nebst Anlagen in bezug auf die Schlafkrankheit folgendes ganz gehorsamst zu berichten. Zur Orientierung erlaube ich mir einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken. Die Schlafkrankheit ist, wie nachträglich festgestellt wurde, im Jahre 1896 vom Kongo- gebiet durch Ansiedler nach üsoga am Nordufer des Victoria-Nyansa eingeschleppt (vgl. die beiliegende Skizze des Victoria-Nyansasees^). Sie hat sich dann im Laufe von wenigen Jahren sowohl in der Richtung nach Westen als auch nach Osten am Ufer des Sees ausgebreitet (wie es die roten Kreise mit eingezeichnetem Datum angeben) und soll bis vor einem Jahr mindestens 50 000, nach anderen Mitteilungen bis 200 000 Men- schen dahingerafft haben. In bezug auf die Ätiologie ist durch die ausgezeichneten Arbeiten der von der Royal Society unter Leitung von Bruce ausgesandten englischen Kommission nachgewiesen, daß die Krankheit durch einen Blutparasiten, ein Trypano- soma, verursacht wird, und daß dieser Parasit von kranken auf gesunde Menschen durch eine Stechfliege, Glossina palpalis, übertragen wird. Es bestehen also für diese Krankheit ganz analoge Verhältnisse wie bei der bekannten Tsetsekrankheit der Rinder. Zu ihrem Zustandekommen ist immer das Zusammentreffen dieser beiden Faktoren erforderlich, nämlich das Vorhandensein der Glossina und von Menschen, welche in ihrem Blute die Trypanosomen beherbergen. Zu bemerken ist noch, daß höchstwahr- scheinlich die im Kongogebiet und auch in der Umgebung des Viktoriasees beobachteten Fälle von reiner Trypanosomiasis der Menschen zur Schlafkrankheit gehören, und daß die letztere nur das Ausgangssymptom jener Trypanosomiasis bildet. Auch ist es noch nicht als ausgemacht anzusehen, daß außer der Glossina palpalis andere Glossinaarten, z. B. die weit verbreitete Glossina morsitans, Überträger der menschlichen Trypano- somen sein können. Die Erkundigungen, welche ich über den augenblicklichen Stand der Schlafkrank- heit, soweit sie für unser Schutzgebiet in Frage kommt, in Zanzibar, an der deutsch- ostafrikanischen Küste und in Mombassa, dem Ausgangspunkt der Ugandaeisenbahn, eingezogen habe, haben folgendes ergeben. Auf Zanzibar scheinen einzelne aus Uganda eingeschleppte Fälle beobachtet zu sein. Mein Gewährsmann, Dr. S p u r r i e r , welcher die fraglichen Kranken im Hospital behandelt hatte, ließ es zweifelhaft, ob dieselben echte Schlafkrankheitfälle gewesen seien. Zur Zeit meiner Anwesenheit in Zanzibar waren keine mehr vorhanden. Anders lagen die Verhältnisse in Mombassa, wo bereits im August 1903 ein tödlich verlaufener Fall von Schlafkrankheit, welcher mit Sicherheit diagnostiziert wurde, vor- gekommen ist. Ein zu gleicher Zeit beobachteter verdächtiger Fall soll sich später als einer anderen Krankheit zugehörig herausgestellt haben. Es sind dies die beiden im Be- richte des Dr. Q u o s i g erwähnten Kranken. Zur Zeit meines Besuches konnte mir aber Dr. Macdonald, Sanitätsbeamter von Mombassa, im Hospital zwei weitere Fälle zeigen, welche beide aus Uganda stammten und vor 2—3 Monaten zugereist waren. Der eine von diesen, ein Knabe von 10—12 Jah- ren, zeigte die Symptome der Schlafkrankheit in ausgeprägter Weise, während an dem anderen Kranken nur die ersten Anzeichen der Krankheit sich bemerklich machten. 1) Hier nicht wiedergegeben. D. Herausgeber. über Schlafkrankheit. 927 Da durch den Eisenbalinverkehr sicher noch weitere Einschleppungen erfolgen werden, und da die Glossina palpalis, wie Dr. M a c d o n a 1 d mir mitteilte, schon bis zu einer Entfernung von 30 englischen Meilen bahnaufwärts von Mombassa vorgedrungen ist, so halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß über kurz oder lang beide zum Zustande- kommen der Kranlvheit erforderlichen Faktoren in Mombassa vereinigt sein werden und daß sich dann die Seuche an der ostafrikanischen Küste einnisten wird. Die Krank- heit hat sich in WestafrLls:a zuerst an der Küste ausgebreitet, und erst später hat sie ihren Weg, den Karawanen und den großen Strömen folgend, ins Innere gefunden. So ist zu befürchten, daß, wenn sie erst einmal in Mombassa festen Fuß gefaßt hat, sie von da aus bald die benachbarten Küstengebiete infizieren wird. Also von dieser Seite her auf dem Umwege über Mombassa droht unserm Schutz- gebiet entschieden Gefahr. Aber auchvonUganda unmittelbar ist der anstoßende Teil des Schutzgebiets gefährdet. Über den östlichen Grenzfluß Gori scheint die Seuche allerdings nur in wenigen Fällen auf deutsches Gebiet vorgedrungen zu sein, und nach den an Ort und Stelle ge- machten Beobachtungen des Stabsarztes Dr. L o 1 1 , welchen ich in Daressalam traf, scheint die Krankheit in dem waldlosen östlichen Ufergebiet des Sees ein für die Glossina palpalis unüberwindliches Hindernis zu finden. Aber mit der Westseite des Sees liegen die Verhältnisse ähnlich wie in Mombassa. Vom stark verseuchten Nordufer des Sees kommen häufig die Eingeborenen auf ihren Booten nach dem West- und Südufer des Sees, um zu fischen. Auf diese Weise sind schon mehrfach Fälle von Schlafkrankheit in diese Gebiete eingeschleppt. Es kommt auch vor, daß Leute aus dem deutschen Gebiet nach Uganda gehen, um Arbeit zu suchen, sich dort infizieren und nach ihrer Rückkehr an Schlafkrankheit erkranken. So berichtet Oberarzt Dr. F e 1 d m a n n, daß er im Oktober 1903 drei derartige Kranke in das Lazarett von Bukoba aufgenommen habe. Es heißt in seinem Bericht : ,, Nachdem der erste Fall in' Kisiba festgestellt worden war, erhielten die Sultane den Befehl, nachzuforschen, ob sich in den Dörfern noch andere aus LTganda zurückgekehrte Kranke aufhielten. Auf diese Weise wurden die beiden anderen Kranken gefunden, die von ihren Angehö- rigen versteckt gehalten worden waren. Von diesen zwei Kranken war einer erst vor wenigen Tagen aus Uganda zurückgekehrt, der andere hatte bereits zwei Jahre bei seinen Angehörigen krank gelegen.'' An dem einen Faktor für die Entstehung der Schlafkrankheit auf unserem Gebiet fehlt es also nicht. Aber auch der andere, die Glossina palpalis, ist am Seeufer schon recht nahegerückt. Wie Herr Stabsarzt Dr. L o 1 1 mir mitteilte, ist sie auf der Insel Ikuru, einer der kleinen der Südldiste vorgelagerten Inseln (siehe die Kartenskizze), seit einiger Zeit vorhanden. Wie der Missionar versichert, soll sie in letzter Zeit sogar häufiger geworden sein. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Fliege durch den Bootsverkehr vom Nordufer des Sees nach der Insel Ikuru gebracht wurde. Auf Grund der hier berichteten Tatsachen habe ich die Überzeugung gewonnen, daß die Seuche im Fortschreiten begriffen ist. Wir dürfen uns unter keinen Umständen der Hoffnung hingeben, daß sie an der Grenze des deutschen Schutzgebietes halt macht, und da scheint es mir dringend ge- boten zu sein, schon beizeiten geeignete Maßregeln zu ergreifen. Die zurzeit wichtigste Avürde in der Entsendung einer wissenschaftlichen Mission bestehen, deren Aufgabe es sein würde, irgendwelche Schutzvorrichtungen zu finden, sei es zur Abwehr der Seuche überhaupt, oder sei es zur Heilung der Kranken. So ausgezeichnete Erfolge auch die englische Mission in bezug auf die Erforschung der Ätiologie der Schlafkrankheit erzielt hat, so fehlt es doch noch gänzlich an Mitteln zur Bekämpfung der Krankheit, und in 928 Über Schlafkrankheit. dieser Beziehung würde eine vom Deutschen Reiche auszusendende Mission noch die wichtigsten und dankbarsten Aufgaben zu bearbeiten haben. Auch in Frankreich ist, von ähnhchen Erwägungen ausgehend, seitens der Ac ade '.nie de Medecine der Antrag gestellt, eine Mission zum Studium der Seuche nach Afrika zu entsenden. Die deutsche Wissenschaft sollte bei dem allseitig aufgenommenen Kampf gegen die Schlafkrankheit (auch eine portugiesische Mission ist seit einigen Jahren tätig) nicht zurückbleiben. Den vereinigten Bemühungen der englischen, französischen, portu- giesischen und deutschen Ärzte wird es hoffentlich gelingen, dieser mörderischen, auch unsere Kolonien ernstlich bedrohenden Seuche Herr zu werden. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 21. September 1904. Der Umstand, daß die englische Regierung energische Maßregeln gegen die Ver- schleppung der Schlafkrankheit von Uganda nach dem Küstengebiet trifft, beweist, daß man an Ort und Stelle von der Gefahr einer solchen Verbreitung überzeugt ist. Die in meinem Bericht vom 30. Juli d. J. dargelegte Auffassung erfährt dadurch eine weitere Bestätigung, und ich möchte deswegen nochmals die baldige Entsendung einer deutschen Kommission dringend empfehlen. Es ist dieselbe um so notwendiger, als das englische Verbot, Eingeborene mit Symptomen der Schlafkrankheit zur Eisenbahn- fahrt zuzulassen, seinen Zweck vollkommen verfehlt, da, wie auch im Bericht des Vize- konsuls richtig bemerkt ist, die infizierten Personen lange Zeit, bevor sie die offenkun- digen Symptome der Schlafkrankheit zeigen, die Krankheit durch die in ihrem Blute befindlichen Trypanosomen verschleppen können. Um so mehr ist es aber geboten, so bald als möglich brauchbare und zuverlässige Maßregeln gegen das Umsichgreifen der Krankheit zu finden. Muansa, den 3. August 1906. Dem Kaiserlichen Gouvernement beehre ich mich in bezug auf die zur Untersuchung übersandten, vom Oberarzt Dr. N e u b e r im Bezirk Udjidji gesammelten Glossinen und die der Sendung beigefügten Blutpräparate ergebenst folgendes zu berichten: Von den sechs Gläsern mit Glossinen enthielt: Nr. 1 mit der Bezeichnung Küstenstrich zwischen Udjidji und Kigowa 43 Glos- sina morsitans, Nr. 2 Hafen von Kigowa 28 Gl. morsitans. Nr. 3 Küstenstrich zwischen Mtuniba und Kigowa 53 Gl. morsitans, 2 Gl. fusca, Nr. 4 Landschaft Utumba 56 Gl. morsitans, Nr. 5 Küstengebiet zwischen dem Sultansdorf der Wumba und Landschaft Utumba 65 Gl. morsitans, 1 Gl. fusca, Nr. 6 vom Schalabach und aus der Umgebung des Sultans Wumba 44 Gl. mor- sitans, 2 Gl. fusca. Hierzu erlaube ich mir zu bemerken, daß jede einzelne Fliege genau untersucht wurde und Fehler in der Diagnose ausgeschlossen sind. Das Ergebnis der Untersuchung geht also dahin, daß überall Gl. morsitans und nur an drei Stellen daneben vereinzelte Exemplare von Gl. fusca gefangen wurden Unter den eingesandten Fliegen befindet sich nicht ein einziges Exemplar von Glossina palpahs. über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. 929 In den der Sendung beigefügten Biutpräparaten konnte in einem das Vorhanden- sein von Trypanosomen bestätigt werden. Während Stabsarzt Dr. L e u p o 1 1 in seinem Bezirk die Glossina palpaHs, aber bei den fraghchen Kranken keine Trypanosomen gefunden hatte, so ist im Bezirk Udjidji umgekehrt die Trypanosomiasis nachgewiesen, ohne daß es gelungen ist, die Gl. pal- paUs zu finden. Es bestehen demnach hier noch Widersprüche, welche dringend der Aufklärung bedürfen. Ich glaube annehmen zu können, daß Stabsarzt Dr. P a n s e in wenigen Monaten so weit über das Wesen der Schlafkrankheit informiert sein wird, daß er die Aufgabe übernehmen kann, die Verhältnisse am Tanganika eingehend und zuverlässig zu untersuchen und eventuell auch die Bekämpfung der Schlafkrankheit dort selbst in die Hand zu nehmen. Es wäre mir erwünscht, wenn das Kaiserliche Gouvernement mir seine Ansicht hierüber gefälligst mitteilen wollte, damit ich dasselbe telegraphisch benachrichtigen kann, wenn der geeignete Zeitpunkt zur Entsendung des Stabsarzt Dr. P a n s e ge- kommen ist. Aufzeichnung über die am 14. Februar 1900 im Dienstgebäude des Kaiser- lichen G c s u n d Ii e i t s a m t s abgehaltene Besprechung betreffend die von Reichs wegen erfolgende Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. Auf Einladung des Vorsitzenden führte Koch über seine Pläne hinsichtlich der Ausrüstung und Ausführung der Expedition folgendes aus: Der Zeitpunkt, zu welchem die Expedition in Ostafrika ankommen müsse, sei das Ende der tropischen Regenzeit, d. h. Ende April bis Anfang Mai. Aus diesem Grunde sei es nunmehr Zeit, die Vorbereitungen für die Expedition zu treffen. Sollte der Zeit- punkt aus irgendwelchen Gründen verlegt werden, so müsse ein Aufschub um ein halbes Jahr erfolgen. Der Inhalt der Denkschrift sei zum Teil bereits überholt. Es handelt sich nicht mehr darum, eine unbekannte Krankheit zu erforschen, vielmehr sei ihre Ätiologie im großen vmd ganzen festgestellt. Es gelte nunmehr, Mittel und Wege zu finden, wie man der Krankheit Herr werden könne. Daher sei die der Expedition ge- stellte Aufgabe im wesentlichen eine medizinische. Er habe schon bei seinem letzten Auf- enthalt im Gebiete der Schlafkrankheit ein bestimmtes praktisches Vorgehen ins Auge gefaßt und auch bereits veranlaßt, daß in Deutsch-Ostafrika Vorversuche angestellt werden. Nach erhaltenen Nachrichten hätten sie bereits zu gewissen Resultaten ge- führt. Nach ihrem Eintreffen in Ostafrika werde die Expedition zunächst Vorstudien zur Ergänzung der Kenntnisse über die Fliegenart, die bei der Weiterverbreitung der Krankheit eine Rolle spielt, ferner über Maßregeln zur Vertilgung von Tsetsefliegen anzustellen haben. Die Dauer dieser Vorstudien schätzte er auf 3 Monate. Wenn auch dieses Gebiet außerhalb, d. h. oberhalb des Tsetsegebietes liege, so biete es einerseits den Vorteil des Schutzes der Versuchstiere gegen die Infektion durch Fliegen, also die Möghchkeit ungestörten Arbeitens, andererseits sei man stets in der Lage, das erforder- liche Material an Füegen aus dem Tsetsegebiet zu beschaffen. Den in der Denkschrift als voraussichtliche Niederlassungsstätte der Expedition genannten Ort Entebbe in Britisch-Uganda halte er nicht für geeignet. Abgesehen von anderen Gründen, komme in Betracht, daß es da an ausreichenden Räumen und passenden Einrichtungen fehle. Ratsamer sei es, sich mit einer der Missionsstationen, welche Schlafkranke in Verpfle- gung haben, in Verbindung zu setzen. Dorthin würde er nach beendetem dreimonat- lichen Aufenthalt im Küstengebiet und nach Beschaffung der zu den Forschungen im Koch, Gesammelte Werke. 104 930 über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. Innern des Landes nötigen Ausrüstung aufbrechen. Auch hinsichthch der von der Expedition anzustellenden Heilversuche an Kranken habe er schon Vorbereitungen getroffen und sich hierwegen mit dem Geheimen Medizinalrat Prof. Dr. Ehrlich, Frankfurt a. M., in Verbindung gesetzt; dieser werde ihm sämthche von ihm bis jetzt zur Abtötung der Trypanosomen empfohlenen Mittel zur Verfügung stellen. Wenn enghsche Forscher glauben, im Kongostaat eine Fliegenlarve gefunden zu haben, die möglicherweise bei der Übertragung der Schlafkrankheit mitbeteiligt ist, so handelt es sich dabei wahrscheinlich um eine von ihm in Uhehe bereits beim Studium einer Rattenkrankheit gefundene Art. Jedenfalls werde die Expedition die Frage, ob noch andere Fliegen als Glossina palpalis als Träger oder Übermittler des Ansteckungs- stoffes in Betracht kommen, bei ihren Forschungen eingehend untersuchen. Das Try- panosomenfieber hält Koch in Übereinstimmung mit den englischen Forschern für identisch mit der Schlafkrankheit. Er wird ferner die von anderer Seite bereits ange- stellten Infizierungs- und Immunisierungsversuche an Tieren gleichfalls ausführen, außer; dem prüfen, ob etwa die in Menge vorkommenden Wasservögel Träger von Trypano- somen sind. Bezüghch der Züchtungsversuche von Trypanosomen teilte Koch mit, daß er bezüghche Vorversuche schon gemacht habe; sollte es gelingen, die Trypanosomen der Schlafkrankheit zu züchten, so werde die Möglichkeit, ein Serum zu gewinnen, nahe- gerückt. Beim Studium der Schlafkrankheit sollen vorkommende ähnliche auf Try- panosomen beruhende Krankheiten und sonstige in den tropischen Gegenden sich vor- findende pathogene Protozoen mit erforscht werden. Inwieweit gelegentlich der Ex- pedition auch eine von selten des Vertreters der Kolonialabteilung angeregte Bereisung von ganz Deutsch-Ostafrika auszuführen sein möchte, soll davon abhängig bleiben, welche Zeit und welche Mittel zur Erfüllung des eigentlichen Zweckes der Expedition erforderlich sein werden. Sitzung des Reichsgesundheitsrates am 18. November 1907: Mitteilung über den Verlauf und die Ergebnisse der vom Reiche zur Erforschung der Schlafkrankheit nach Ostafrika entsandten Expedition. Auf Ersuchen des Vorsitzenden (Präsidenten Dr. B u m m) erstattet Koch über den Ver- lauf und die Ergebnisse der von ihm geleiteten Expedition folgenden Bericht: Die vom Reiche entsandte Expedition, die vor etwa 1 ^ 4 Jahren nach Ostafrika gegangen sei, habe den Auftrag gehabt, die Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika zu erforschen und Mittel und Wege zu ihrer wirksamen Bekämpfung zu suchen. Seine und seiner Mitarbeiter Tätigkeit habe sich an die vorangegangene Arbeit anderer Forscher angeknüpft. Schon seit längerer «Zeit sei die Ursache der Krankheit durch englische Forscher festgestellt worden; C a s t e 1 1 a n i habe die Trypanosomen der Schlafkrank- heit zuerst gesehen, Bruce dieselben mit Sicherheit als Erreger nachgewiesen. Von Bruce sei auch nachgewiesen, daß genau wie bei der Tsetsekrankheit der Tiere auch bei der Schlafkrankheit ein Insekt, und zwar die Glossina palpalis, den Zwischenwirt bei der Verbreitung der Seuche bilde. Die Expedition habe sich in dieser Beziehung darauf beschränken können, nachzuprüfen und zu bestätigen, was die früheren Unter- suchungen ergeben hätten. Sein Hauptaugenmerk aber habe er darauf gerichtet, Mittel und Wege zur wirk- samen Bekämpfung der Seuche zu finden. Wesentlich sei zunächst, daß es ihm gelungen sei, eine praktisch leicht zu hand- habende und zuverlässige Methode des mikroskopischen Nachweises der Krankheits- über die Expedition zur Erforschung der Öchlafkranklieit. 931 erreger im Körper der infizierten Menschen zu finden. Es sei ja von Infektionskranl^heiten wie Typhus, Cholera usw. her bekannt, wie sehr der Verbreitung von Seuchen dadurch Vorschub geleistet werde, daß Personen, die Infektionsstoff in ihrem Körper beher- bergen, lange Zeit ohne alle Krankheitserscheinungen unter Gesunden leben. Diese Individuen hielte niemand für krank, und doch seien sie eine beständige Gefahr für ihre Umgebung. Derartige Verhältnisse erschwerten aucli die Bekämpfung der Schlaf- krankheit. Man habe sich früher darauf beschränken müssen, klinisch schlafkranke Personen aufzusuchen und abzusondern. Die auf dieser Grundlage angeordneten Qua- rantänemaßregeln (Ugandaeisenbahn) hätten sich naturgemäß nicht bewähren können. Später habe man außer den sichtlich schlafkranken auch alle mit Drüsenschwellungen behafteten Individuen als krank oder krankheitsverdächtig (z. B. in Karawanen aus dem Kongostaat) behandelt, solche Leute dann herausgegriffen und auf diese Weise eine Bekämpfung der Seuche versucht. Die Diagnose der Krankheit sei jedoch erst zuverlässig geworden, als man sich auf den mikroskopischen Nachweis der Trypanosomen stützte. Man habe die Parasiten zuerst nur in dem durch Punktion gewonnenen Drüsen- saft finden können; für das Gelingen des Nachweises sei also das Vorhandensein von Lymphdrüsenschwellungen Vorbedingung gewesen. Nun gäbe es aber viele Fälle, wo die Krankheit oder wenigstens der Krankheitsverdacht vorläge, ohne daß die Drüsen die geringste Veränderung aufwiesen; andererseits hätten Lymphdrüsenvergrößerungen oft nichts mit der Trypanosomiasis zu tun. Er sei deswegen bestrebt gewesen, die Para- siten im Blute nachzuweisen, wo sie zweifellos, wenn auch vielleicht in sehr geringer Menge, vorhanden sein mußten. Dieser Nachweis sei ihm leicht und sicher gelungen, als er die von Roß für die Darstellung der Malariaparasiten angegebene Methode für seine Zwecke etwas modifiziert und bei den Blutuntersuchungen verwendet habe. Dieses diagnostische Verfahren sei außerordentlich zuverlässig und ergäbe auch in Fällen, wo keinerlei klinische Symptome beständen, einwandfreie Resultate. Es sei ihm wieder- holt vorgekommen, daß er bei Blutuntersuchungen positive Ergebnisse erhielt, wo er sie gar nicht erwartet hätte, so z. B. bei sieben Ruderern (Entebbe, Sese), die 12 Stunden ohne Beschwerden noch schwere Arbeit verrichten konnten. Ein großer Vorteil dieses diagnostischen Verfahrens sei die leichte Ausführbarkeit; er bedürfe nur einiger Bluts- tropfen, die ohne Schwierigkeit aus dem Ohrläppchen zu entnehmen wären. Das sei von Bedeutung, da die Abneigung der Eingeborenen gegen eingreifendere Operationen die Gewinnung von größeren Blutmengen behufs Zentrifugierung oder gar von Rücken- markskanalflüssigkeit nicht zulassen, ganz abgesehen davon, daß die Technik der Ent- nahme zu schwierig sei, um für Massenuntersuchungen unter erschwerenden Verhält- nissen in Betracht zu konnnen. Die in großer Zahl ausgeführten Blutuntersuchungen hätten ergeben, daß die Schlafkrankheit sich ganz allmählich entwickele: die Patienten wiesen zunächst lange Zeit, während der sie bereits Trypanosomen im Blut beherbergten; keinerlei Symptome auf, dann stellten sich Drüsenscliwellungen mid später nervöse Erscheinungen ein. Der eigentlich charakteristische Befund, dem die Krankheit ihren Namen verdankt, bezeichne nur das Endstadium des außerordentlich langwierigen, nnt absoluter Sicherheit zum Tode führenden Prozesses. Als das beste Mittel gegen die Trypanosomen habe sich das Atoxyl erwiesen. Er habe zunächst kein rechtes Vertrauen zu dieser neuen x4rsenverbindung gehabt, sich jedoch im Laufe der Zeit davon überzeugen können, daß das Mittel bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit ganz vorzügliche Dienste leistete. Es sei geradezu erstaunlich, wie rasch schon nach einer Injektion die Parasiten ~ wenigstens für die mikroskopische Untersuchung — aus dem Blut verschwänden. Er habe wiederholt nach der Einspritzung von Stunde zu Stunde Blutpräparate aiigefertigt, sie untersucht und feststellen können, 104* 932 über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. daß die Trypanosomen in der Regel nach 6 Stunden nicht mehr im Blute kreisten. Freilich sei es ihm bald klargeworden, daß eine einzige Injektion nicht ausreiche, um den Körper für immer von Parasiten zu befreien; die Krankheitserreger seien stets nach kürzerer (frühestens nach 1 1 Tagen) oder längerer Zeit (gewöhnlich 2 —4 Wochen) wieder aufgetreten, so daß eine Wiederholung der Einspritzung sich als nötig erwiesen hätte. Es sei nun sein Bestreben gewesen, eine Art der Behandlung zu finden, die Rückfälle ausschloß und fähig war, den Körper des Kranken auf die Dauer von Trypanosomen frei zu halten. Er habe die Atoxylbehandlung in der verschiedensten Weise durchgeführt : wiederholte Darreichung des Mittels nach größeren Pausen, Einspritzung zweier großer Dosen kurz hintereinander und Weiterbehandlung in kürzeren oder längeren Inter- vallen, tägliche kleine Injektionen usw. Es habe sich nach vielfachen Versuchen heraus- gestellt, daß man am besten fahre, wenn man ähnlich wie bei der Malariaprophylaxe mit Chinin an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine größere Dosis, nämlich 0,5 g, gäbe und diese Behandlung mit zehntägigen Pausen 3 —4 Monate lang fortsetze. Das Arsen sei übrigens auch in der Gestalt des Atoxyls keineswegs ungefährlich. Davon habe er sich wiederholt überzeugen können. Besonders bei täglicher Darreichung von Dosen, die etwas größer gewesen seien, als eben nötig erschien, hätten sich häufig Vergiftungs- erscheinungen, allerdings meist leichterer Art, gezeigt, die trotz fortgesetzter Behand- lung bald wieder von selbst verschwunden wären. Bei der Anwendung der gewöhnlichen Atoxylgaben habe er nie schwerere Nebenwirkungen, wie sie von anderen Autoren be- schrieben würden, beobachtet. Dagegen hätten sich recht unangenehme Erscheinungen herausgestellt, als man einmal die Dose des Mittels versuchsweise erheblich gesteigert habe, nämlich schwere Sehstörungen, die zu völliger Blindheit führten. An den Augen der Erblindeten seien kranl^hafte Veränderungen auch bei Untersuchungen durch einen Spezialisten nicht nachzuweisen gewesen, so daß seiner Ansicht nach es sich wohl um krankhafte Vorgänge im Gehirn handle. Ähnliche bzw. noch schlimmere Erfahrungen habe ja auch K o p k e in Lissabon gemacht, bei dem sich in 29 Fällen als Folge der Atoxylbehandlung sechsmal Sehstörungen und vier völlige Erblindungen ergaben. Er glaube, daß sich diese üblen Zufälle vermeiden ließen, wenn man bei der Atoxyldar- reichung eine gewisse Grenze, die wohl in den oben angeführten Dosen gegeben sei, nicht überschritte. Während der Dauer der Kur seien im Blute niemals Trypanosomen gefunden wor- den; in sehr vielen Fällen, insbesondere im Beginn der Krankheit, sei es aber auch ge- lungen, mittels der angegebenen Behandlungsmethode die Trypanosomen dauernd zu beseitigen, so daß sie auch nach dem Aussetzen des Mittels nicht mehr zum Vorschein kämen. Er möchte daher die betreffenden Patienten für wirklich geheilt halten. Seine Beobachtung erstrecke sich allerdings nur auf 10 Monate, darüber hinaus könne er natür- lich nicht garantieren, immerhin erschiene es nach den bei Malaria gemachten Erfahrun- gen sehr wahrscheinlich, daß die Protozoen, nachdem sie lange Zeit unter der Einwir- kung des für sie offenbar verderblichen Mittels gestanden hätten und an der Vermehrung gehindert worden wären, doch schließlich zugrunde gingen und aus dem Körper ver- schwänden. Das Atoxyl sei demnach wohl als wahres Heilmittel zu betrachten, das für die Be- kämpfung der Schlafkrankheit in erster Linie in Betracht käme. Von einer Atxoyl- festigkeit der Trypanosomen habe er nie etwas bemerken können. Bei innerlichem Gebrauche habe das Atoxyl weniger gut gewirkt. Mit den sonst noch versuchten Mitteln hat Koch keine guten Erfahrungen gemacht. Die ver- schiedenen zur Behandlung von Trypanosomenkrankheit empfohlenen Farbstoffe erwiesen sich zwar im Tierversuch recht wirksam, in der Praxis der Kranken- über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. 933 behandlung zeigte es sich jedocli, daß Dosen von der nötigen Höhe so schwere örtliclie Störungen (Schmerzen, Abszesse) verursachten, weshalb ihre Anwendung bei kranken Menschen nicht in Frage kommen könne. Vor ihm hätten in Entebbe enghsche Forscher vielfache Versuche mit arsenigsaurem Natron gemacht, die leidlich günstig ausgefallen wären. Er könne die betreffenden Angaben auf Grund seiner Nachprüfung ungefähr bestätigen, müsse aber sagen, daß das Arsen in der Form des Atoxyls ent- schieden leichter zu handhaben und den alten Arsenpräparaten überlegen sei. Es bleibe übrigens abzuwarten, ob die verschiedenen, neuerdings unter anderem von Loeffler, Flimmer, L a v e r a n empfohlenen, Mittel sich bewähren würden. Solange nicht die Überlegenheit anderer Präparate einwandsfrei durch Behandlung von Menschen erwiesen sei, müsse man sich bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit an das Atoxyl halten. Es sei sehr wünschenswert, daß man danach strebe, immer neue und bessere Mittel aufzu- finden, er hielte es aber für selbstverständlich, daß keins dieser Medikamente für eine weitere Praxis empfohlen würde, bevor es nicht an Meilschen nac]ige2orüft sei. Für die Bekämpfung der Seuche sei es von größter Bedeutung, daß man genau wisse, welche Insekten für die Übertragung der Trypanosomen in Frage kommen. Die Glossina palpalis, der gewöhnliche Zwischenwirt, fände sich nur in eng begrenzten Be- zirken; wenn nun der Nachweis gelänge, daß nicht diese Art allein, sondern auch andere Fliegen, Mücken usw. an der Verbreitung der Parasiten beteiligt sind, so würden sich daraus sehr unerfreuliche Aussichten für die Bekämpfung der Seuche eröffnen, da ja dann viel weitere Gebiete gefährdet wären. Glücklicherweise scheine das nicht der Fall zu sein. Die zunächst in Betracht kommenden Insekten, Glossina fusca und Gl. tachi- noides, in deren Magen, wie einwandsfrei festgestellt wäre, eine Vermehrung der durch Saugen von Blut mitaufgenommener Trypanosomen stattfände, seien wohl kaum ge- fährlich, da sie wenig Neigung zeigten, den Menschen zu stechen. Auch andere Blut- sauger, wie Glossina morsitans, Tabanus, Stomoxys usw., schienen nach den bisherigen Untersuchungen für die Verbreitung der Schlafkrankheit ohne Bedeutung zu sein. Experimentell ließen sich diese Fragen nicht leicht beantworten, es lägen aber Beob- achtungen aus der Praxis vor, die fast so präzis wie Experimente Auskunft gäben. Sehr lehrreich in dieser Hinsicht sei beispielsweise folgende Beobachtung: In der Landschaft Kisiba (Bezirk Bukol^a) befänden sich etwa 600 — 1000 Schlafkranke oder auch noch mehr. In diesem Bezirk habe er und Stabsarzt Feld m a n n trotz der eifrigsten Be- mühungen die Glossina palpalis nicht finden können; selbst die Sümpfe des Kagera- flusses hätten sich frei von dem gefährlichen Insekt erwiesen, dagegen wimmelte es da von Moskitos (Culex, Anopheles) und Zecken (Ornithodorus), die alle den Menschen gern und häufig stechen; auch Stomoxys und Tabanvis gäbe es dort reichlich. Es habe sich nun feststellen lassen, daß trotzdem in Kisiba eine Übertragung auf gesunde Men- schen nicht vorkäme (eine Ausnahme sei später noch zu erwähnen), daß vielmehr die Kranken dieser Gegend sich durchweg in Uganda und Sese infiziert hätten. Diese Leute siedelten zeitweise in die genannten englischen Gebiete über, da dort die Erwerbsbe- dingungen günstigere wären. Man habe in Kisiba deshalb nie schlafkranke Kinder oder alte Leute angetroffen, nur arbeitsfähige Männer in mittlerem Alter, die zeitweise in den genannten verseuchten Bezirken gearbeitet hätten, würden von der Seuche befallen. Man könne bereits auf Grund dieser einzigen Beobachtung fast mit Sicherheit annehmen, daß dort, wo die Glossina palpalis fehle, eine Übertragung der Trypanosomen von Mensch zu Mensch niclit stattfände. Die einzige vorerwähnte Ausnahme bestände darin, daß nach Beobachtungen von Oberarzt K u d i c k e in Kisiba eine direkte Ansteckung beim Geschlechtsverkehr erfolgen könne. Es haben sich dort nämligh 1.5 schlafkranke Frauen gefunden, die alle verheiratet gewesen seien. Von ihnen sei keine einzige je aus 934 Über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. ihrer Heimat herausgekommen; bei allen habe man jedoch feststellen können, daß ihre Männer an derselben Krankheit litten oder ihr bereits erlegen waren. Ein schlafkranker Mann habe offenbar seine drei Weiber angesteckt. Dieser Übertragungsmodus wäre von wissenschaftlichem Interesse, entbehre jedoch jeder praktischen Bedeutung; man könne erfreulicherweise annehmen, daß in der Praxis nur mit der indirekten Verbreitungs- art, und zwar ausschließlich durch den Stich der Glossina palpalis, zu rechnen sei. Viele Versuche und Beobachtungen hätten der Frage gegolten, ob außer bei dem Menschen noch bei anderen Wirbeltieren eine natürliche Infektion mit Trypanosoma gambiense vorkäme; bekannt sei ja, daß es gelinge, viele Tierarten künstlich mit den Er- regern der Schlafkrankheit zu infizieren. In Betracht kämen da zunächst Rinder, Hunde, Affen, Ratten und Mäuse. Bei Hunden hätten die Engländer die Erreger der Schlafkrankheit festgestellt; damit ständen auch die Erzählungen der Schwarzen im Einklang, nach denen häufig, sobald in einer Gegend das Sterben der Menschen begänne, auch die Hunde in Menge zu verenden anfingen. Auch bei Affen sei ein Fall von natür- licher Infektion gefunden worden. Von anderen Tieren sei nichts Derartiges bekannt- geworden. Man habe in dieser Hinsicht zu beachten, daß die Glossinen nur bei Sonnen- schein flögen — etwa von 8 oder 9 Uhr morgens bis 4 oder 5 Uhr nachmittags — , daß also nur solche lebende Wesen gestochen werden könnten, die sich tagsüber im Freien aufhielten. Damit schieden von vornherein die Nachttiere, Ratten und Mäuse, aus. Affen ließen die Fliegen wohl kaum an sich herankommen, so daß sie nur selten Stiche erhalten dürften. Die von natürlich infizierten Hunden ausgehende Gefahr wäre wohl kaum groß, die Bekämpfung der Seuche würde auf diese Weise nicht wesentlich er- schwert, da kranke Hunde nicht lange lebten und leicht beseitigt werden könnten. Man habe vielfach in Vögeln, Schildkröten, Krokodilen, Fledermäusen und Fischen Trypanosomen gefunden. Diese Protozoen unterschieden sich jedoch stets von den Erregern der Schlafkrankheit. Es sei als sicher anzunehmen, daß die genannten Tiere — mit Ausnahme des Hundes und vielleicht auch des Affen — das Trypanosoma gambiense in der Regel nicht beherbergten, infolgedessen ohne Bedeutung für die Verbreitung der Seuche seien. Die Untersuchungen über die Übertragung der Parasiten durch Fliegen hätten übrigens das überraschende Ergebnis gehabt, daß im Leibe (Magen, Speicheldrüsen) der Glossina palpahs nicht weniger als vier verschiedene Trypanosomenarten vorkämen, von denen eine mit dem Krankheitserreger der menschlichen Trypanosomiasis, eine andere mit dem in Krokodilen schmarotzenden Parasiten identisch sei, während die dritte und vierte Art sich sonst nirgends vorgefunden hätten. Es wäre bisweilen sehr schwer, sich durch die mannigfaltigen Formen hindurchzuf Inden ; Irrtümer könnten bei diesen diffizilen Untersuchungen leicht vorkommen. Als einen solchen sei er z. B. geneigt, den Befund französischer Forscher anzusehen, die in Stegomyien das echte Trypanosoma gambiense gefunden haben wollten. Bei der Bekämpfung der Seuche seien vor allem die Lebensbedingungen der Glos- sinen zu berücksichtigen; er halte deshalb eine genaue Kenntnis derselben für unerläß- lich. Man habe früher gar nicht beachtet, wovon diese Insekten eigentlich lebten; das müsse man aber wissen, damit eine auf Entziehung der Nahrungsstoffe basierende Aus- rottung der Glossinen versucht werden könne. Aus den Beobachtungen der Expeditions- teilnehmer und anderer Forscher gehe mit Sicherheit hervor, daß die Glossinen sich ausschheßlich von Blut nährten. Sie müßten etwa alle 3 Tage einmal an lebenden Tieren saugen, sonst stürben sie sicher ab. In welchen Tieren habe man nun die Blutlieferanten für die Glossinen ju sehen ? Aus dem oben angeführten Grunde sei die Zahl der in Be- tracht kommenden Tiere nicht groß. Man könne außer den bereits genannten Arten über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. 935 noch an Wasservögel, unter Umständen auch an Fische denken (Fische, besonders der Lungenfisch", kämen nach Aussage der Missionare sehr häufig an und über die Wasser- oberfläche). Obgleich in den Fliegenbezirken Wasservögel in Unmengen lebten und auch tagsüber für die Blutsauger erreichbar wären, hätten sich in den Glossinen nie Vogel- blutkörperchen finden lassen; auch Fischblut sei nie nachgewiesen worden, dagegen könne man regelmäßig im Magen der Insekten Krokodilblut feststellen. Er habe gefan- gene Glossinen mit Krokodilblut gefüttert und sie bei dieser Nahrung lange am Leben erhalten können. Es ließe sich leicht beobachten, wie die Fliegen den in der Sonne lie- genden Reptilien ihren Stachel zwischen den Platten in die dünne Haut einbohren und sich vollsaugen. Neben dem Krokodilblut könne man in den Glossinen häufig Menschenblut finden, das sich an der Anwesenheit der Filaria perstans (die in diesen Gegenden regelmäßig darin schmarotzte) erkennen und von dem ebenso regelmäßig die Parasiten der Affenmalaria enthaltenden Affenblut unterscheiden ließe. Die Unter- suchungen hätten dahin geführt, daß man im Bezirk des Viktoria-Njansa den Menschen und das Krokodil als wichtigste Blutlieferanten ansehen müsse. Inwieweit noch das Flußpferd, Varanus niloticus und einige große Antilopenarten zu berücksichtigen seien, ließe sich gegenwärtig noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Er sei jedenfalls der Ansicht, daß man die Fliegen ohne Schwierigkeiten ausrotten könne, wenn es gelänge, alle Blut-, d. i. Nahrung liefernde Tierarten ausfindig zu machen und in den Fliegenbezirken zu vernichten. Exzellenz Koch wies hierbei auf das Beispiel der Tsetsefliegenausrottung in Südafrika hin. Dieses äußerst schädliche Insekt sei völlig ausgestorben, als man die großen Jagdtiere, von deren Blut es lebte, abgeschossen hätte. Demnach verspräche vor allem die Ausrottung der Krokodile im Viktoria-Njansa große Vorteile. Ein anderer Weg, den man zur Ausrottung der Glossinen einschlagen könne, be- stände in der Abholzung der von den Fliegen bewohnten Ufer. Diese Maßregel habe sich bisher bei den örtlich eng begrenzten Versuchen (Sijawanda, Luengeratal, Port Florence, Entebbe) ausgezeichnet bewährt. In LTsumbura seien die LTfer in einer Breite von 80 m von Bäumen und Gestrüpp befreit worden ; seitdem gäbe es an diesen Stellen keine einzige Glossine mehr. Eine in der Nähe von Muansa liegende kleine felsige, stark bewaldete Insel, die von Krokodilen wimmele, sei abgeholzt worden, doch so, daß die Bäume in einer kleinen talartigen Senkung stehen blieben. Dr. R a d 1 o f f hätte bald danach feststellen können, daß die gefährlichen Insekten nur im stehengebliebenen Busch anzutreffen waren, während die abgeholzten Partien der Insel sich als fliegenfrei erwiesen. Man habe demnach in der Abholzung der Fluß- und Seeufer ein einfaches Mittel zur Vertreibung der Glossinen ; es sei anzunehmen, daß Versuche in größerem Um- fang, die nunmehr in Angriff zu nehmen wären, die bisher gemachten günstigen Erfah- rungen bestätigen werden. Koch ging nach diesen Erörterungen dazu über, in großen Zügen zu ent- wickeln, wie er sich eine rationelle Bekämpfung der Schlafkrankheit in der Praxis vorstelle: Man dürfe vor allem nicht schematisch verfahren, müsse vielmehr die Maß- regeln an den einzelnen Fall anpassen. Im allgemeinen ständen folgende Wege offen : L Man könne dazu übergehen, die ganze Bevölkerung verseuchter Bezirke in gesunde Gegenden zu versetzen; die infizierten Individuen würden dann, da die Sterb- lichkeit ohne Behandlung eine absolute sei, ausnahmslos zugrunde gehen, damit werde dann die Seuche erlöschen. Die Gesunden könne man nach einer gewissen Zeit — bis die Fliegen ihre Infektionsfähigkeit verloren hätten — wieder an ihren ursprünglichen Wohnsitz zurücklassen. Es sei aber fraglich, ob diese sehr eingreifende Maßregel, die natürlich große Härten im Gefolge habe, sich in der Praxis durchführen ließe. Die Eng- länder machten gegenwärtig in dieser Richtung bereits Versuche; er riete, das Verfahren 936 über die Espedition zur Erfoischung der Schlafkrankheit. zunächst einmal an einem Ort im kleinen zu erproben, wo es, wie z. B. in Muhuru, ohne Härten abginge. 2. Viel leichter durchzuführen und schonender sei es, wenn man in verseuchten Orten alle Leute genau untersuchte, die infizierten herausgriffe und diese Kranken dann in Konzentrationslagern vereinigt (concentration camps, wie sie die Engländer nennen) isolieren würde. Einige derartige Lager seien bereits eingerichtet; sie dürften selbstverständhch nur an fliegenfreien Orten angelegt werden, außerdem müsse die Zahl der Kranken auf höchstens 1000 in einer Niederlassung beschränkt bleiben, da sich sonst große Schwierigkeiten in hygienischer Beziehung (Verpflegung usw.) ergeben würden. Mit dieser Maßregel sei keine besondere Härte verbunden, da die Glossinen nur unmittel- bar am Wasser lebten, die Konzentrationslager also nicht weit in das Innere verlegt zu werden brauchten. In diesen Isolierstationen müsse man Ärzte setzen, die mit den ein- schlägigen Verhältnissen, speziell mit den mikroskopisch-diagnostischen Methoden genau vertraut wären. Koch schätzt die zur Ausbildung nötige Zeit auf wenigstens einen Monat. Den Äi'zten seien tüchtige, gut geschulte Hilfskräfte beizugeben. Augenblicklich ständen für solche Konzentrationslager nur drei Ärzte zur Verfügung ; das genüge nicht. Man habe stets mit Erkrankungen zu rechnen und müsse von oberem und unterem Sanitätspersonal lieber zuviel als zuwenig anstellen; denn eine rationelle Bekämpfung der Seuche sei undenkbar, wenn die Tätigkeit in den Isolierlagern plötzliche Unterbre- chungen erlitte. Die Behandlung der isolierten Kranken habe bis auf weiteres mittels des Atoxyls zu geschehen, das imstande sei; Kranke in den ersten Stadien zu heilen, später wenigstens bedeutend zu bessern. Da in den Konzentrationslagern eine genaue Beobachtung während längerer Zeit möglich sei, könne man hier am besten den emp- fehlenswertesten Modus der Atoxylbehandlung ausfindig machen und beispielsweise auch eine etappenmäßige Therapie erproben, die darin bestände, daß zwei Monate lang regelmäßig gespritzt, dami einen Monat lang pausiert, darauf wieder zwei Monate lang die Injektionskur fortgesetzt würde usf. Vorbedingung für eine richtige Beurteilung der durch die Beobachtung der behandelten Leute gewonnenen Resultate sei natür- lich eine gewissenhafte und alle Verhältnisse berücksichtigende Listenführung, die man nicht außer acht lassen dürfe. 3. Eine rationelle Bekämpfung der Seuche sei in manchen Gegenden nicht durch- führbar, ohne daß man die Möglichkeit der Einschleppung aus verseuchten Nachbar- gebieten zu verhindern suche. Man werde unter Umständen die in Betracht kommen- den Grenzen für den freien Verkehr sperren und strenge Verbote des Besuchs gefähr- licher Gegenden erlassen müssen. Ohne internationale Abmachungen würde sich aller- dings kaum etwas erreichen lassen ; Deutschland müsse sich vor allem mit den englischen Nachbarn ins Einvernehmen setzen und sie zu veranlassen suchen, daß sie in ihren ver- seuchten Gegenden ebenfalls Konzentrationslager einrichten und auch sonst eine ra- tionelle Seuchenbekämpfung in die Wege leiten. 4. Als Hilfsmittel von nicht zu unterschätzender Bedeutung kämen in Frage: a) Die Abholzung der von Glossinen bevölkerten Uferpartien, ganz besonders in der Nähe von Stellen, die z. B. beim Wasserholen oder beim Anlegen der Bote viel von Menschen besucht würden. Bäume, Sträucher und Gestrüpp — alles müßte gründ- lich beseitigt werden, sonst hätte die Maßregel keinen praktischen Wert. b) Die Ausrottung der Blutlieferanten, besonders der Krokodile. Es sei nicht schwierig, diese Tiere auszurotten oder doch wenigstens ihre Zahl stark zu beschränken. Vor allem müsse man zusehen, daß man der Brut habhaft würde. Durch das Aufsuchen und Zerstören der Nester, von denen jedes 60—70 Eier enthielte, könne man der Kro- über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. 937 kodilplage ohne große Mühe Herr werden. Auf die Vernichtung der Brut dieser Rep- tile ausgesetzte Prämien würden dazu dienen, die Ausrottung zu beschleunigen. In der Gegend von Schirati werde man vielleicht die Ausrottung des Varanus niloticus und der großen Antilopen, die nach den Beobachtungen des Stabsarztes F e 1 d m a n n ebenfalls als Blut liefernde Tiere in Betracht zu kommen schienen, betreiben müssen. Nachdem Koch so in großen Zügen einen Überblick über die allgemeinen Grund- lagen und Maßregeln der Bekämpfung der Schlafkrankheit gegeben hat, deutete er in allgemeinen Umrissen an, wie man sich im besonderen Falle auf deutschem Gebiete in Anlehnung an die örtlichen Verhältnisse der von der Seuche heimgesuchten Bezirke zu verhalten habe: Im Laufe der letzten Zeit hätten die genauen Nachforschungen ergeben, daß Deutsch-Ostafrika, das früher als frei von Schlafkrankheit gegolten habe, an drei Punkten von der Seuche bedroht würde, nämlich in Schirati, Kisiba und am Tanganjikasee zwi- schen Udjidji und Usumbura. Hier seien bereits Hunderte und Tausende von Einge- borenen der Krankheit zum Opfer gefallen, hier müsse natürlich auch die Bekämpfung einsetzen, deren Ziel es sei, zunächst eine weitere Ausbreitung der Seuche zu verhindern, sodann, diese drei Herde selbst seuchenfrei zu machen. Es habe ziemlich große Schwierigkeiten verursacht, die Verbreitung der Schlafkrankheit in der Kolonie fest- zustellen. Koch erzählt, daß es ihm beispielsweise in Schirati zuerst nicht gelungen sei. Kranke zu finden; die Bevölkerung sei sehr ungehalten gewesen, als er in dieser Richtung Nachforschungen anstellte. Später sei ihm der Stationschef von Schirati, der seine Bestrebungen stets eifrig unterstützt hätte, zu Hilfe gekommen. Diesem Herrn verdanke er das erste Blutpräparat aus der genannten Gegend, in dem Trypanosomen nachgewiesen werden konnten. In der Folgezeit sei dann im Bezirk Schirati die Ver- breitung der Seuche genau festgestellt worden. Die drei in Betracht kommenden von der Seuche heimgesuchten Gebiete wiesen so verschiedene örtliche Verhältnisse auf, daß es nötig sei, für jedes einzelne ein besonderes Programm der Seuchenbekämpfung aufzustellen : 1. In Kisiba und Bugabu lägen, Avie erwähnt, die Verhältnisse insofern besonders, als dort die Glossina palpalis nicht vorkommt. Es gebe seiner Schätzung nach dort etwa 1000 Schlafkranke, einige Tausend seien sicherlich schon dahingerafft worden, viele gewiß außerhalb ihrer Heimat in Sese oder Uganda an dieser Krankheit gestorben. Er habe bereits erwähnt, daß die Bewohner von Kisiba vielfach in diese Gegenden gingen, um dort zu arbeiten. Eine Beschäftigung, bei der sich die Leute ganz besonders leicht infizierten, sei das Gummisammeln. Koch hat selbst auf Sese wiederholt Gummisammler angetroffen und vom Pere superieur der dortigen Mission erfahren, daß sich auf diesen Inseln beständig 200 —300 Arbeiter der bezeichneten Art aus Kisiba aufhielten. Es sei schon längst bekannt, daß die Eingeborenen, die dieser sehr gewinn- bringenden Beschäftigung nachgingen, durchweg nicht lange am Leben blieben. Was nun die in Kisiba anzuwendenden Maßregeln zur Seuchenbekämpfung anlange, so habe man zunächst Konzentrationslager einzurichten und darin alle Erkrankten zu isolieren. Vielleicht könne man auch erreichen, daß die Leute nicht so oft ihre Heimat verließen, um in verseuchte Gebiete zu wandern; ferner könne man vielleicht dafür sorgen, daß sie, einmal ausgewandert, nicht mehr zurückkehren. Auch daran könne gedacht werden, die außerhalb ihres Bezirks sich Aufhaltenden so schnell als möglich durch die Sultane zurückholen und vor allem die Auswanderung nach Uganda verbieten zu lassen. Eine strenge Grenzsperre würde sich wohl kaum durchführen lassen. Man müsse sich jeden- falls behufs Vereinbarung übereinstimmender Maßnahmen in den Grenzgebieten mit der englischen Regierung in Verbindung setzen. Vielleicht empfehle sich für einige 938 über die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. Zeit das Verbot des Gummisammelns. Wemi irgend möglich, solle man danach trachten, die Erwerbsbedingungen in der Gegend von Kisiba günstiger zu gestalten, vielleicht auch für diese Bezirke eine Zeitlang die Steuern erlassen, damit der Anreiz zur Abwan- derung wegfiele. Ein Konzentrationslager für Kisiba bestände bereits in Kigarawa; dort sei Ober- arzt K u d i c k e seit einiger Zeit tätig. Diese eine Isolierstation genüge aber nicht. Da man nur mit großen Schwierigkeiten von Bugabu nach Kisiba kommen könlie, müßte man daran denken, auch in erstereni Orte ein Lager einzurichten und einen Arzt daselbst zu stationieren. 2. In Schirati, das von Glossinen wimmele, müsse man natürlich in erster Linie auf deren Ausrottung bedacht sein. Das benachbarte englische Gebiet sei stark ver- seucht und es bestehe die große Gefahr, daß hier an der Ostküste des Viktoria-Njansa die Seuche sich nach Süden hin ausbreite. Besonders zu fürchten sei ihr Ubergreifen auf die Inseln, deren bedeutendste, Ukerewe allein von 45000 Menschen bewohnt würde. Hier könne man denn auf ähnliche schlimme Erfahrungen gefaßt sein, wie man sie auf den durch die Schlafkrankheit entvölkerten Seseinseln gemacht habe. Damit dem Vor- dringen der Seuche nach Süden Einhalt getan würde, ehe es zu spät wäre, solle schleunigst ein Arzt nach Schirati geschickt werden. Das dort bereits bestehende Konzentrations- lager sei gegenwärtig verwaist; er befürworte dringend, das Anerbieten des außerordent- lich gründlich durchgebildeten Stabsarztes Prof. Kleine, der dahin zurückzukehren bereit sei, anzunehmen und ihm das Lager von Schirati, sowie die spezielle Ausbildung der im Seuchengebiet zu verwendenden Ärzte anzuvertrauen. Auf diesen Posten gehöre ein besonders fähiger Arzt, da hier sehr viel auf dem Spiele stehe. Es sei in dieser Gegend besonders bedenklich, daß die Fliege an kleinen Flüßchen entlang (Mori, Mara) tiefer als anderswo ins Innere wandere und die Krankheit verschleppe. Die Tiere, welche hier die Glossinen anlockten, müßten unerbitthch ausgerottet werden. Es sei selbstverständ- lich, daß man alle Kranken aufsuche, isoliere und behandle; sie dürften aus den Lagern erst entlassen werden, wenn die Fliegen an ihrem Wohnsitz nicht mehr infektionsfähig wären. Es empfehle sich ferner dringend eine gründliche Abholzung der Ambatsch- büsche an den Seeufern. Gegenüber von Schirati würden gegenwärtig auf der kleinen, dicht bewaldeten ,, Quarantäneinsel" die Krokodile weggeschossen, die Abholzung solle dagegen vorläufig unterbleiben, damit einmal festgestellt würde, was jede Maßregel für sich den Glossinen gegenüber auszurichten imstande wäre. Man habe hier übrigens einmal Gelegenheit, ohne Schwierigkeiten und Härten die Maßregel der Versetzung einer ganzen Bevölkerung zu erproben. Die auf einer Halbinsel nördlich von Schirati ansässigen Leute des kleinen Sultanats Mohuru seien durch die benachbarten englischen Seuchenherde außerordentlich gefährdet; man täte am besten, sie insgesamt aus ihrer Gegend in eine gesündere zu bringen und dort wieder anzusiedeln. Das benachbarte englische Gebiet sei gerade hier im Osten des Viktoria-Njansa ganz besonders stark verseucht; die Hauptherde der Schlafkrankheit befänden sich am Gorifluß. Sehr be- denkhch wäre dabei die durch häufige Grenzverlegungen bedingte beständige Fluktua- tion der Bevölkerung, die nie recht wisse, ob sie deutsch oder englisch sei. Außerdem säßen etwa 1500 Angehörige des deutschen Schutzgebietes jenseits der Grenze; diese Leute warteten nur darauf, daß auf der deutschen Seite die Steuern ermäßigt würden, um alsdann sofort wieder in die Heimat zurückzukehren. Hier sei eine Grenzsperre am Platze, und zwar würde eine geringe Anzahl von Askaris zunächst genügen, um der beständigen Fluktuation Einhalt zu tun. 3. Die Ostküste des Tang anjikasees sei vonUsumbura bis etwas südlich von Udjidji von der Seuche bedroht bzw. schon heimgesucht ; es gäbe dort anscheinend schon mehrere über die ExiDedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. 939 hundert Schlafkranke. Als Standort für die Bekämpfung habe man zunächst das völlig fliegenfreie Udjidji ins Auge zu fassen, wo Stabsarzt F e 1 d m a n n gegenwärtig bereits tätig sei. Es würde aber nicht genügen, wenn man nur an diesem Ort ein Konzentra- tionslager hätte, da die Kranken von Usumbura und den zwischen beiden Orten liegen- den Seeufern kaum alle nach Udjidji gebracht werden könnten. Er hielte es vielmehr für nötig, daß auch in Usumbura, wo Oberarzt Breuer zur Verfügung stände, der- artige Einrichtungen getroffen würden. In diesen Gegenden habe man vor allem mit einer Einschlepi^ung der Seuche vom Kongo her zu rechnen , da ein reger nicht kon- trollierbarer Grenzverkehr, bei dem Schmuggler und Flüchtlinge eine gewisse Rolle spielen, bestände. Wegen der den Verkehr über die Grenze betreffenden Maßnahmen wäre es angezeigt, mit der Regierung des Kongostaates in Verbindung zu treten. Für sehr wichtig halte er schließlich, daß man beständig sein Augenmerk auch auf die süd- lichen Teile des Tanganjikasees, sowie auf den Nyassa richte, und in diese vom südlichen Kongo her bedrohten Gebiete ebenfalls Ärzte sende. Am Nyassasee käme Langenburg als Ausgangspunkt für eine eventuelle Seuchenbekämpfung und als Standort für Ärzte und Sanitätspersonal in Betracht. Am Schluß seiner Ausführungen empfiehlt Koch, man möge sich auch ferner- hin, wie von seiner Seite stets geschehen sei, nicht allein mit rein praktischen Aufgaben, sondern auch mit der Fortsetzung der wissenschaftlichen Erforschung der Krankheit beschäftigen, da durch diese die Grundlagen für die Praxis der Seuchenbekämpfung geliefert würde. Das wissenschaftliche Interesse kollidiere nicht mit dem praktischen, man könne die Betätigung beider ohne Schwierigkeiten vereinigen. In wissenschaft- licher Hinsicht gäbe es noch so mancherlei aufzuklären, was auch für die Praxis nicht belanglos sei. So halte er für notwendig, daß diejenigen, welche nach ihm sich der weiteren Erforschung der Schlafkrankheit widmen würden, vor alleni auf folgende Punkte ihr Augenmerk richten sollten: 1. Wie groß ist die relative Zahl der auf natürlichem Wege infizierten und in- fektionsfähigen Glossinen ? Die englischen Forscher haben bis zu 700 Fliegen gebraucht, um einen Affen zu iixfizieren, so daß anzunehmen ist, daß höchstens 1 —2% der Insekten an der Übertragung der Parasiten beteiligt sind. Aus der geringen Zahl der infizierten Glossinen, die ja schließlich auch nicht bei jedem Stich Parasiten verimpften, erkläre es sich, daß der Mensch sehr häufig gestochen werden könne, ohne zu erkranken. 2. Unter welchen Umständen läßt sich experimentell eine Übertragung der Try- panosomen durch die Glossina palpalis erreichen ? Es sei ihm bisher nicht gelungen, die natürliche Verimpfung von Parasiten im Experiment nachzuahmen. Es scheine ihm bei der Schlafkrankheit ähnlich zuzugehen wie bei Malaria : die Trypanosomen müßten vielleicht erst ein gewisses Entwicklungsstadium erreichen , um sich in der Fliege weiter zu entwickeln. 3. Wie lange bleiben einmal infizierte Glossinen infektionsfähig ? Man müsse das wissen, um beurteilen zu können, wann der versetzten Bevölkerung oder den geheilten Kranken die Rückkehr nach ihrem früheren Wohnsitz etwa gestattet werden kann. 4. Ist das Komplementbindungsphänomen für die Diagnose der menschlichen Trypanosomiasis bzw. zur Feststellung definitiver Heilungen verwendbar ? 5. Gibt es besser wirkende Medilcamente als das Atoxyl ? Neu angegebene (L o e f f- 1er, Flimmer, L a v e r a n) seien zu erproben. 6. Kommen nur die oben genannten Wirbeltiere als Blutlieferanten für die Fliegen in Betracht, oder gibt es noch andere x4rten, von deren Blut die Glossinen leben können ? 7. Vorkommen der Fliegen an den Flüssen. 940 Uber die Espedition zur Erforschung der Schlafkrankheit. Das seien die wichtigsten von den Punkten, mit denen man sich zunächst beschäf- tigen müsse; damit sei jedoch die Zahl der Fragen, die der Aufklärung bedürften, keines- wegs erschöpft. Auf die Frage von Geheimrat B. Frankel, was das Wesentliche von dem von Koch angewandten Ross sehen Färbeverfahren sei, erklärt Koch: Es handle sich nicht um die ursprüngliche Methode von Ross, sondern um eine von ihm selbst zuerst angewandte Modifikation. Das zu untersuchende Blut würde dabei in sehr dicker Schicht auf den Objektträger ausgestrichen und dann der Einwir- kung einer besonders zusammengesetzten Farbmischung, die Eosin und Azur enthalte, ausgesetzt. Dabei lösten sich die roten Blutkörperchen auf, so daß nur die widerstands- fähigeren Zellen und die Parasiten erhalten blieben. Auf die Anfrage von Exzellenz K ö h 1 e r , ob die Krokodile nie die Trypanosomen der Schlaf- krankheit beherbergen und ob über die Vererbbarkeit der Krankheit etwas bekannt sei, führt Koch aus : In den Krokodilen habe man zwar häufig Trypanosomen gefunden, die pathogene Art, das Trypanosoma gambiense, sei jedoch bei ihnen noch nie nachgewissen wordeji. Die Reptile würden zwar beständig von Glossinen gestochen, seien aber wohl unemp- fänglich gegenüber einer Infektion. Die Krokodiltrypanosomen unterschieden sich ganz wesentlich von den Parasiten der Schlafkrankheit, sie ließen sich z. B. züchten, was bei den letzteren noch nicht gelungen sei. — Fälle von Vererbung der Krankheit seien noch nicht festgestellt worden; gegen die Möglichkeit einer derartigen Übertragung spräche es, daß in Kisiba, wo es keine Fliegen, aber viele Kranke gäbe, keine infizierten Kinder zu finden wären. Auf eine Anfrage des Vorsitzenden, ob denn die Fliegen, wenn man die Krokodile ausgerottet hätte, nicht auch mit anderem Blut vorlieb nehmen würden, erwidert Koch, daß während der Flugzeit der Glossinen, also in den heißen Tages- stunden, andere Tiere für die Insekten kaum erreichbar seien. G r u b e r knüpft an die im Vortrag erwähnte Übertragung der Schlafkrankheit durch den Geschlechtsverkehr an und bittet um Auskunft, ob etwa das Sperma die Protozoen enthielte. Darauf erklärt K o c h, er könne diese Frage nicht beantworten und überhaupt keine Auskunft über die Orte, an welchen die Parasiten im Körper sitzen, geben, da es ihm und den übrigen Mitgliedern der Expedition unmöglich gewesen sei, Obduktionen auszuführen. Er würde sich durch Vornahme von Sektionen und pathologisch-anato- mischen Untersuchungen alle Kranke verscheucht haben. Loeffler bittet tun Auskunft, ob sich wohl das Atoxyl als Prophylaktikum irgendwie wirksam gezeigt habe, etwa so, wie das Chinin bei Malaria. Diese Frage sei besonders wichtig bei vorübergehendem Aufenthalt in verseuchten Gegenden. ' Koch erwidert darauf, er habe irf dieser Richtung keine Versuche anstellen können, da Sese fast ganz verseucht sei und wenigstens 15% der Eingeborenen an der Krankheit litten. Die Leute lebten zu lange in diesen verseuchten Bezirken, so daß eine Prophylaxe überhaupt nicht in Frage kommen könne. Die Prüfung der angeregten Frage heße sich vielleicht bei Weißen vornehmen, die allerdings nur sehr selten infiziert würden. Ihm seien zwei derartige Fälle bekannt, von denen der eine einen mit dem Gummihandel beschäftigten Deutschen, der andere den Direktor des botanischen Gartens in Entebbe betroffen habe. Seiner Ansicht nach bestände die beste Prophylaxe in der Anwendung von Fliegennetzen und weißer Kleidung. Er sei fast nie gestochen worden; das Netz und seine Fliegenboys hätten die Glossinen stets wirksam abgewehrt. über Schlafkrankheit. 941 Beratungen des R e i c h s g e s u n d h e i t s r a t s über die Schlafkrankheit am 10. Dezember 1907. 1. Feststellung eines Planes zur Bekämpfung der Schlaf- krankheit in O s t a f r i k a. 2. Stellungnahme Deutschlands gegenüber den Vorschlägen der Londoner Internationalen Konferenz zur B e k ä m p f u n g der S c h 1 a f k r a n k h e i t. S t e VI cl e 1 (Berlin) erstattet da.s Referat ül)er J' ii n k t 1 : Es habe sich allmählich herausgestellt, daß erheblich mehr Schlafkranke in den Kolonien wären, als man ursprünglich angenommen hätte. Die Seuche sei im beständigen Fortschreiten be- griffen, und man müsse ihr Ijald mit allen Mitteln entgegentreten, um eine Weiterverbreitung zu verhindern. Als Leiter der ganzen Bekämpfung sei Professor K 1 e i n e in Aussicht genommen. Herr Kleine habe sich bereit erklärt, zu diesem Zweck in kurzem nach Schirati zu gehen. Die Maß- nahmen, welche zuerst erwogen werden müßten, seien: die Verhinderung der Abwanderung von Kisiba nach Uganda, die Zurückrufung der auf den verseuchten Seseinseln weilenden Leute. Es sei eventuell zu versuchen, den zum Auswandern neigenden Eingeborenen dieser Gegend lohnende Beschäftigung — etwa durch Kaffeebau — in ihrem Gebiet zu verschaffen. Vielleicht gelänge es auch, durch einen begrenzten Steuererlaß die Bewohnerschaft seßhafter zu machen. An Konzentrationslagern käme eins für Schirati, je eins für Kisiba und Bugabu und zwei für den Tanganjikasee in Betracht. Jn jedem der fünf Lager müsse ein Arzt zur Verfügung stehen, in Schirati sei außerdem für Dr. Kleine noch ein Hilfsarzt einzustellen. Man brauche also im ganzen sechs Ärzte. Zwei seien bereits entsandt, zwei ständen aus den Sanitätsoffizieren der Schutz- truppe für den Tanganjikasee zur Verfügung, die zwei noch fehlenden müßten jetzt noch a])geordnet werden. Wenn die Bekämpfimg der Seuche in der angedeuteten Weise organisiert wäie, nnißte man sich unverzüglich an das Aufsuchen und Isolieren der Schlafkranken mat hen. Die Sperrung des Grenzverkehrs, die Zurück! »erufung der außerhall) der Kolonie weilenden Bewohner durch die Sultane usw. seien hauptsächlich Sache der lokalen Verwaltrmgsliehörden ; das Gouvernement sei angewiesen, regelmäßig über die nötigen bzw. angeordneten derartigen Maßnahmen zu berichten. Die von Koch anempfohlene Verlegung von Ortschaften zrun Zweck der Saniermig hält Referent nicht für besonders schwierig. Die Maßregel sei für die fai'))ige Bevölkerung, die in dieser Hinsicht nicht besonders empfindlich wäre, gewiß nicht so eingreifend und hart, wie sie uns aus unserem Gefühl heraus erscheine. Referent berührt sodann kurz einen Punkt, der zuerst im zweiten Teil der Beratungen zur Erörterung kommen soll, nändich die internationalen, auf die Bekämpfung der Seuche in den Grenz- gebieten bezüglichen Vereinbarungen. Nach Ansicht des Referenten sei von selten der englischen Regierung kein großes Entgegenkommen zu erwarten, da eine Speri'img der Grenze den materiellen Interessen Englands zuwiderliefe. Uganda sei auf den Zuzug von Arlieitern aus dem deutschen Ge- biet angewiesen und würde deshall) durch eine Sperre empfindlich geschädigt werden. Wenn des- halb auf besondere Zuvorkonunenlieit von englischer Seite auch nicht zu rechnen wäre, so dürfe man doch andererseits nicht unberücksichtigt lassen, daß die Verhältnisse am Tanganjikasee so lägen, daß England dort dem Kongostaat gegenüber annähernd in der Lage sei, wie wir ihm gegenüber. Koch: Die Art, wie man die Bekämpfung der Seuche organisieren würde, sei von großer Bedeutung für den Erfolg des Unternehmens. Die Oberleitung der Seuchen- bekämpfung müsse in einer einzigen Hand liegen. Die Stellung des Leiters, der ja die Verantwortung für das Gelingen des LTnternehmens trüge, müsse möglichst unabhängig sein. Daß der Leiter der Seuchenbekämpfung nicht ohne das Gouvernement arbeiten könne, sei selbstverständlich; es müßten eben beide Herren Hand in Hand gehen und bestrebt sein, von Fall zu Fall ein Einvernehmen zu erzielen. Die Art der Bericht- erstattung müsse möglichst vereinfacht werden. Koch erachtet es unter den ge- gebenen Aufklärungen für angängig, daß Herr Kleine dem Gouverneur unterstellt Averde. Die Berichte würden seines Erachtens am besten zunächst an den Gouverneur und in dringenden Angelegenheiten aucli an das Kaiserliche Gesundheitsamt erstattet. Bei Erörterung von Punkt 2 der Tagesordnung bemei-kt der Vorsitzende Bumm (Berlin), S t e u d e 1 habe hervorgehoben, da ß das Aufsuchen und Isolieren von Kranken gewisse Schwierig- 942 über Schlafkrankheit. keiten machen würde und daß man zu besonderen Mitteln greifen und die Leute durch Geschenke anzuziehen imd festzuhalten streben müsse. Koch äußert sich dazu in folgender Weise: Er halte die gedachte Aufgabe nicht für besonders schwierig. Die Eingeborenen gingen gern auf alles ein, wenn sie nur Essen und Unterkunft hätten. Eigentliches Heim- weh kennten die Schwarzen nicht. Was sie wegtriebe, sei abgesehen von materiellen Interessen, höchstens Zuneigung zum anderen Geschlecht. Wenn sie im Guten nicht zu halten wären, müsse man eben gelinden Zwang in Anwendung bringen. Zu dem Behuf empfehle es sich wohl , auf den Stationen als Polizeisoldaten immer einige Askaris zu halten, die auf Ordnung zu sehen hätten. Liefen manchmal Leute trotzdem weg, so könne man die Betreffenden missen. Die Sultane hätten einen außerordentlich großen Einfluß auf ihre Leute, mit ihnen müsse man sich von vornherein gut zu stellen suchen. Wenn sie durch Geschenke und gute Behandlung gewonnen wären, gäben sie sogenannte ,,Katikiro" her, das sind gewandte Mittelspersonen, die schnell und sicher die Davon- gelaufenen zurück zu bringen wüßten. Im übrigen könne er Herrn S t e u d e 1 durch- aus beipflichten. Daß die Leute zur Zeit der Feldbestellung schwer zurückzuhalten seien, habe seine Richtigkeit. Vielleicht ließe sich dieser Schwierigkeit bei sogenannter etappenweiser Behandlung leicht begegnen. Die Leute könnten in der Pause, welche nach dieser Methode bei der Behandlung eingehalten zu werden pflege, nach Hause geschickt werden, es sei nur darauf zu halten, daß sie zur rechten Zeit wieder zurück- kehren. Koch betont ferner die großen Schwierigkeiten, die dem Auff nden aller Try- panosomenträger entgegenständen. Die Ärzte müßten sie selbst suchen oder die Lazarett- gehilfen veranlassen, es zu tun; mit den Mitteilungen der Eingeborenen dürfe man sich selbstverständlich nicht begnügen. Auf die Frage des Vorsitzenden, wie lange die Kranken in ärztlicher Be- obachtung bleiben sollen, erklärt Koch, hierauf noch keine endgültige Auskunft geben zu können. Um diese Frage beantworten zu können, sei es sehr wesentlich, zu wissen, ob die Fliegen die Trypanosomen — wie die Engländer annehmen — mit dem aiifge- sogenen Blut direkt von Mensch zu Mensch übertragen könnten oder ob, wie er selbst annehme, die Parasiten in dem Fliegenkörper erst einen Entwicklungsgang durchmachen müßten. Im ersten Falle würde die Bekämpfung leicht sein, während sie, wenn seine Annahme das Richtige träfe, große Schwierigkeiten bereitete, da die Glossinen dann dauernd infiziert SQien, vielleicht während ihres ganzen Lebens. Uber die Lebensdauer der Fliegen sei ebenfalls nichts Genaues bekannt. In der Gefangenschaft könne man sie einen Monat lang lebend erhalten, andere Arten seien erheblich widerstandsfähiger. In dieser Frage werde erst im Laufe der Bekämpfung allmählich Klarheit kommen. Bei der V/egbringung der Bevölkerung aus verseuchten Dörfern solle man die Leute zunächst versuchsweise nach Vo Jahr wieder zurückschicken; nach dieser Zeit würden wohl die infizierten Glossinen ausgestorben sein. Die Zeit für die Isolierung, Behand- lung und Beobachtung der Kranken in den Konzentrationslagern müsse man vorläufig auf ein Jahr bemessen. Es werde sich ja zeigen, ob das genüge oder ob man die Leute noch länger festhalten müsse; daß noch kürzere Zeit genügt, sei wohl kaum anzunehmen. Innerhalb dieser Frist dürfe man die Kranken während der Pausen der Etappen- behandlung nach Hause entlassen. Koch glaubt ferner, daß die bewährten Grundsätze der Cholera- und Pestbe- kämpfung auch auf den Kampf gegen die Schlafkrankheit sich anwenden lassen. Die Seuche würde sich nach diesem Verfahren ausrotten lassen, auch ohne ein Entgegen- kommen seitens der Grenznachbarn. Die Niederkämpf ung der Cholera sei seinerzeit über .Schlafkrankheit. 943 gelungen, ohne daß von russischer Seite eine nennenswerte Mitwirkung erfolgt sei. Deutschland könnte freilich erheblich an Ausgaben sparen, wenn die englische Regie- rung an den Abwehrmaßnahmen sich beteiligt; man könne aber mit einem gewissen Mehr- aufwand von Mitteln auch ohne Englands Unterstützung fertig werden und erreichen, was überhaupt zu erreichen sei, nämlich die Krankheit in der Kolonie auf einem Mini- mum zu halten. Koch vermißt unter den zur Besprechung gestellten Punkten die Bekämpfung der Fliegen, die so außerordentlich wichtig und auch au.ssichtsvoll sei. Man habe es ja schon z. B. in Südafrika dahin gebracht, die Tsetsefliegen auszurotten; dort gäbe es jetzt kaum noch diese Art von Fliegen, da das große Wild, das die Glossinen mit Blut ver- sorgt hätte, abgeschossen worden sei. Man solle sich diese Erfahrungen zunutze machen und in der Kolonie ebenfalls die blut liefernden Tiere vernichten. Gerade diesen direkt gegen die Blutlieferanten, indirekt gegen die Fliegen gerichteten Maßregeln sei großer Wert beizulegen. Die Glossinen lebten, soweit bis jetzt bekannt, hauptsächlich von Krokodilblut, während sie z. B. nur verschwindend wenig Nahrung vom Menschen bezögen. Man müsse also zunächst die Krokodile ausrotten, hauptsächlich durch Ver- nichtung der ziemlich leicht zugänglichen Brut. Wie gut das ginge, lehre das Beispiel Ägyptens, z. B. am Timsah See, wo man die lästigen und gefährlichen Reptile in kurzer Zeit losgeworden wäre. Am Nil, der friiher bis zur Mündung herunter Krokodile beher- bergt habe, fände man sie jetzt erst weit oberhalb von Assuan. Deshalb müßte unter die Bekämpfungsmaßregeln in erster Linie die Vernichtung der Krokodile aufgenommen werden. Unbedingt sei zu versuchen, in dieser Richtung die Mitwirkung Englands zu erlangen. Denn wenn auf englischem Gebiet, das ja auch an den Viktoria-Njansa an- grenze , nichts gegen die Reptile geschähe , würde sich ihre Ausrottung in diesem See nicht erzielen lassen. Er habe über diese Angelegenheit mit dem englischen C'ommis- sioner für Uganda persönlich gesprochen und entgegenkommende Zusicherungen erhalten. Wenn auf diplomatischem Vvege noch nachgeholfen würde, käme die Sache wohl bald in Gang. Koch bezeichnet es außerdem als sehr wünschenswert, daß man in Ost- afrika auch die Tsetsefliege bekämpfe, sie wenigstens längs der großen Transportstrai^e nach Möglichkeit zurückdränge und durch Vernichtung des großen Wildes ausrotte. Besondere Ratschläge bezüglich einer Verbesserung der Viehhaltung usw. behielt sich Koch noch vor. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob die Schlafkrankheit nnr die deutsche Kolonie Ostafrika bedrohe oder ob etwa auch die westlichen afrikanisclien Schutzgebiete gefährdet und auch dort Abwehrmaßnahmen zu ergreifen seien, führt Koch a^us : Die Seuche sei in Westafrika seit langer Zeit bekannt, doch spiele sie dort wenig- stens im deutschen Gebiet keine große Rolle, da sie wenig Neigung zur Weiterverbreitung zeige. In Kamerun habe man in letzterer Zeit mit Mühe sechs Fälle feststellen können; die Krankheit sei also vorhanden ebenso gäbe es dort Glossinen. Welche Faktoren das Umsichgreifen der Seuche verhüteten, sei noch nicht aufgeklärt; ob man das den anders- artigen sozialen Verhältnissen zu danken habe, oder ob es an Blutlieferanten für die Fliegen fehle usw., wisse man noch nicht. Jedenfalls hielt er es für sehr wünschenswert, daß mit systematischen Untersuchungen begonnen würde. Die Ärzte in den betreffenden Schutzgebieten sollten ihr Augenmerk darauf richten, vor allem Fliegen sammeln und in geeigneter Weise präparieren und untersuchen. Von dem gesammelten Material müsse möglichst viel, genau nach Fundstelle und Daten bezeichnet, an das Kaiserliche Gesundheitsamt zur Untersuchung eingesandt werden. Es empfehle sich, bei der Aus- bildung der neu in die afrikanischen Kolonien zu entsendenden Arzte, die im Institut 944 Über Schlafkrankheit. des Herrn N o c h t zu Hamburg erfolgen müßte, auch die Technik der Fliegenunter- suchung zu berücksichtigen. Uhlenhuth (BerUn) hält es für notwendig, daß man derartige Fragen mehr als bisher an Ort und Stelle studiere, in den Kolonien ließe sich vieles leichter entscheiden als in Europa, wo man auf zugesandtes Material angewiesen sei. Da es in den Kolonien jedoch an den nötigen Einrich- tungen, Laboratorien usw. anscheinend fehle, sei die Frage der Errichtung eines größeren hygienischen Forschungsinstituts in einem der Schutzgebiete seitens des Reiches erwägenswert; das Institut werde sich eventuell an eine Krankenanstalt anlehnen müssen, um die Erforschung der tropischen Menschen- und Tierkra.nkheiten an Ort und Stelle zu betreiben, außerdem aber auch die Klimatologie vind hygienischen Fragen allgemeiner Art zu studieren haben. Zu diesem Vorschlag äußert sich Koch dahin, daß sich in Daressalam ein ziem- lich großes, gut ausgestattetes Laboratorium bereits befände, in dem alle wichtigeren Fragen aus dem Gebiete der Tropenmedizin experimentell studiert werden könnten. Auch in Amani finde man Gelegenheit dazu. Er habe vor längerer Zeit bereits dem Gouverneur empfohlen, eine Bekämpfung der Tsetsekrankheit auf Grund wissenschaft- licher an Ort und Stelle vorgenommener Forschungen in die Wege zu leiten. Graf G o e t z e n habe sich für die Sache sehr interessiert und sogar die Bildung einer Kom- mission veranlaßt, die aus den Herren Stuhl mann, Meixner, Kudicke und dem Redner selbst bestanden hätte, leider aber nicht in Tätigkeit getreten wäre. Die Angelegenheit scheine zu ruhen. Den Grund hierfür kenne er nicht. Ob es praktisch sei, ein größeres Institut zu gründen, das sich mit dem Studium aller Menschen- und Viehseuchen beschäftigte, lasse er dahingestellt. Zweckmäßiger sei es vielleicht, sich je- weils mit der Erforschung nur einzelner Krankheiten, z. B. des Küstenfiebers, zu be- fassen und diese an den Orten ihres Vorkommens zu studieren. Punkt 2 der Tagesordnung: ,, Stellungnahme zu den Vorschlägen internationaler Maßnahmen gegen die Schlafkrankheit". Der Vorsitzende v. L o e h r (Berlin) steht zunächst fest, daß außer den Vertretern der an der Sitzung vom 18. November beteiligten Ressorts heute auch Vertreter des Reichsschatzamts zugegen seien. Für sie wolle er kurz wiederholen, was er bereits in der letzten Sitzung über die Lon- doner Konferenz gesagt habe : Die Verhandlungen wären im Juli aufgenommen worden, ihr Ergebnis sei den beteiligten Ressorts bereits seit Monaten bekannt. Man habe drei Hauptpunkte aufgestellt: 1. Errichtung eines internationalen Zentralbmeaus in London, 2. Beschlußfassung über empfehlens- werte Maßnahmen zur Bekämpfung der Schlafkrankheit, 3. Aufstellung eines Programms für die wissenschaftUche Forschung. Koch hält das internationale Bureau für überflüssig. Man könne die Bekämpfung ganz allein durchführen und brauche das Ausland nicht. Der Nutzen, den man aus dieser Einrichtung ziehen könne, bestände vielleicht höchstens in einer gewissen Erleich- terung. Die Seuchenbekämpfung sei in Deutschland so vollkommen organisiert, daß man von den anderen Ländern nichts profitieren könnte. Was man wissen wolle, er- fahre man auch ohne Bureau. Diese Einrichtung würde also keine besonderen Vorteile gewähren, aber gelegentlich durch Eingriffe in interne Angelegenheiten lästig und hin- derlich werden können. Die sachlichen Bedenken gegen das Bureau seien immerhin nicht von so schwerwiegender Natur, daß man auf Grund derselben eine Beteiligung unbe- dingt von der Hand weisen müßte. Wenn politische Rücksichten eine ablehnende Hal- tung nicht erwünscht erscheinen ließen, könne man davon absehen. Bezüglich der Frage: Prophylaktische Maßnahmen hält K o c h u. a. es für eine mißliche Sache, wenn man von London aus den Ärzten bestimmte Instruktionen geben wolle. Er glaube, daß man deutscherseits in diagnostischer Beziehung weiter sei als in England und Frankreich. Engländer und Franzosen hielten sich ihrerseits wieder den Deutschen und anderen in dieser Hinsicht überlegen. So würde niemand gern die Methode des anderen akzeptieren wollen. Außerdem seien die diagnostischen Verfahren Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika. 945 ständig im Fluß, so daß .schon aus diesem Grunde feste Abmachungen nicht angängig wären. Er hielte es für selbstverständlich, daß jeder die Methoden wählte, die ihm als die besten erschienen. Weitere Diskussionsbemerkungen können als unwesentlich übergangen werden. Bei Punkt 3 bemerkt B u m m , die Konferenz dürfe nicht etwa diese Frage als ausschließ- liche Aufgabe einzelnen Nationen zuweisen. Es sei unter keinen Umständen angängig, die Bear- beitung wissenschaftlicher Fragen einzelnen Nationen zu verbieten. Die Freiheit wissenschafthcher Forschung müsse jedem Lande gewahrt bleiben. Koch bemängelt die Punkte unter III.; man könne deutlich erkonien, daß sie am grünen Tisch und nicht aus der Praxis heraus aufgestellt seien. Auf den Vorschlag des Vorsitzenden erklärt sich Koch bereit, als Delegierter Deutschlands zu der Internationalen Konferenz nach London zu gehen. Die Aufgabe der Delegierten werde allerdings sehr undankbar sein; er würde sich ihr jedoch unter- ziehen, weil er sich für moralisch dazu verpflichtet hielte. Ein direkter Nutzen sei seiner Ansicht nach von der Konferenz nicht zu erwarten; man werde nur zu verhüten suchen müssen, daß ihre Tätigkeit eine inierwünschte Richtung nähme. Beratung des R e i c Ii s g e s u n d h e i t s r a t s über den gegenwärtigen Stand der Schlafkrankheit in Deutsch- Ostafrika und ihre Bekämpfung, am 5. April 1909. Zu dem Referat von S t e u d e 1 (Berlin) führte K o c Ii folgendes aus: In Schirati sei anscheinend alles zweckmäßig eingerichtet; er habe dazu keine Vorschläge machen können, auch sei er mit der Einrichtung des zweiten Lagers in Utegi einverstanden. Dagegen bliebe in Ukerewe noch viel zu tun übrig. Dort sehe es sehr bedenklich aus. Der eine dort festgestellte Schlafkranke sei, soviel ihm bekannt, nie von der Insel Uke- rewe weggekommen; von dem anderen stände das auch nicht fest. Das gäbe doch sehr zu denken. Von den 59 Drüsenkranken habe einer so viele Trypanosomen im Blut be- herbergt, daß sie bei einer einzigen LTntersuchuiig sofort gefunden wurden. Wären die Drüsen der Inselbewohner punktiert worden und hätte man den gewonnenen Saft untersucht, so würde man wohl noch erheblich mehr positive Fälle gefunden haben. Man müsse nach den bisherigen üiitersucliungsergebnissen entschieden den Verdacht hegen, daß die Krankheit auf der Insel Ukerewe schon ziemlich verbreitet sei. Er habe stets auf die großen Gefahren hingewiesen, die sich aus dem Einbruch der Seuche hier infolge der großen Dichte der Bevölkerung — die Einwohnerzahl betrage 30 000 bis 40 000 Menschen — ergäben. Bei seiner Anwesenheit auf der Insel habe er zahlreiche Glossinen gefunden, und zwar gerade an der Dampferanlegestelle an der Nordwestecke, dort, wo Stabsarzt W i t t r o c k den infizierten Jungen fand. Es kämen dort also Krankheit u n d Glossinen vor. Da sei es dann höchste Zeit, einzugreifen. Man müsse unverzüglich einen Arzt dorthin schicken, der mit den Grundsätzen der Seuchenbe- kämpfung vertraut sei. Dieser habe die örtlichen und sozialen Verhältnisse genau zu er- forschen und je nach der Sachlage sofort die nötigen Anordnungen zu treffen. Da man nicht warten dürfe, bis die Seuche sich weiter verbreitet hätte, befürworte er, die Ent- sendung dieses Arztes, den man selbstverständlich mit allen erforderlichen Vollmachten ausstatten müsse, auf telegraphischem Wege zu veranlassen. Für die Wirksamkeit der Schlafkrankheitsbekämpfung sei von größter Bedeutung, daß so schnell wie möglich nach Feststellung des Ausbruchs der Seuche an einem Orte vorgegangen werde. Das Telegramm könne dahin abgefaßt werden, daß sofort ein Arzt nach Ukerewe abgeordnet werden solle. Seit der Besprechung im Dezember sei nun schon ein Vierteljahr verflossen und noch wisse man nicht, was in Ukerewe geschehen Koch, Gesammelte Werke. 105 946 Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika. sei. Wenn man die Anordnungen brieflich abgehen lasse, könnte es sich ereignen, daß bei Ankunft des Schreibens nicht, wie im jetzigen Moment, ein geeigneter Arzt zur Ver- fügung stände. Die Entsendung eines Arztes nach dem gefährdeten Ukerewe werde Herrn Dr. Kleine sicherlich nur angenehm sein, da ihm dadurch ein Teil der Ver- antwortung abgenommen würde. Jede Verzögerung in der Sache erachte er für verfehlt; die Erledigung durch ein Telegramm sei das einzig Richtige. Vor allem und ungesäumt müsse eine genaue Absuchung der ganzen Insel vor- genommen werden. Der telegraphisch nach Ukerewe abzuordnende Arzt müsse dauernd daselbst stationiert werden. Die Errichtung eines Lagers für Schlafkranke auf Ukerewe erachte er jetzt nicht für nötig. Auf eine Anfrage von G a f f k y und N o c h t , welche Erfahrungen bisher mit der Verlegung von Ortschaften nach fliegenfreien Gegenden gemacht worden wären, insbesondere, ob nach solchen Verlegungen noch frische Fälle festgestellt worden seien, bemerkte Koch, daß wohl die meisten Schlafkranken nördlich von Schirati im Sul- tanat Mohuru seien. Dort habe man denn auch mehrere Ortschaften ins Innere des Landes verlegt. Es lägen jedoch keine Berichte über die praktischen Erfolge dieser Maß- nahmen vor; man wisse deshalb vorerst noch nicht, wie das Schicksal der verpflanzten Bewohner sich gestaltet habe. Und doch müsse man sich bei fernerer Anwendung dieses Mittels zur Bekämpfung der Seuche auf die hier gemachten Erfahrungen stützen. Es werde dem Leiter der Schlafkrankheitsbekämpfung in Schirati und den von ihm ent- sandten Ärzten überlassen werden müssen, wann und wo sie die Verlegung von Ort- schaften herbeizuführen hätten; sie selbst könnten am besten beurteilen, ob und inwie- weit sich Ortsverlegungen durchführen ließen. Er teilte ferner mit, daß zu der Zeit, als er in jener Gegend war, über 1000 Menschen in das englische Gebiet der Steuerlast wegen abgewandert seien. Sie verblieben wahr- scheinhch dort jenseits des Mqriflusses, bis eine Erniedrigung der Steuern erfolge. So- bald das geschehe, würden sie in ihre Heimat zurückkehren. Wenn Askaris an den Hauptübergangsstellen der Grenze stationiert würden, was leicht durchgeführt werden könne, werde der Wegzug der Eingeborenen sicherlich nachlassen, wenn es auch nicht gelänge, das Übertreten Einzelner ganz zu verhindern. Es sei schon manches erreicht, wenn nicht gleich ganze Trupps die Grenze passieren. Indessen könne man auch in dieser Beziehung von hier aus die Verhältnisse nicht soweit übersehen, um genau beurteilen zu können, an welchen Einzelstellen die Grenze zu sperren sei. Man müsse diese Maß- regel dem Ermessen der Behörden an Ort und Stelle überlassen. Auf die Frage von Gr a f f k y , ob ein Verkehr zwischen der Insel Ukerewe und dem Festland bestände, führte Koch aus : Es lägen hier ähnliche Verhältnisse vor, wie seinerzeit in Sese, nur daß es sich hier nicht um einen Archipel handle. Es bestände ein sehr reger Handelsverkehr in Fischen und Felderzeugnissen, der seinen Weg über Muansa nähme. Die Fischer, die sich übrigens auch mit dem Trocknen der Fische im großen beschäftigten, führen an der Ostseite des Sees nach Norden bis Port Florence. Dort beständen ganze Kolonien von Fischern aus Ukerewe, die in der Kawirondobucht fischten und sich den Umstand zunutze machten, daß die Fischer im Norden des Sees meist der Schlafkrankheit erlegen wären. Die Leute führen nicht mit den Dampfern, sondern in ihren eigenen Booten, was die Überwachung des Verkehrs sehr erschwere. So sei die Verschleppung der Seuche außerordentlich erleichtert. Koch bezeichnete es ferner als besonders erwünscht, darüber unterrichtet zu werden, ob auf englischem Gebiet Konzentrationslager eingerichtet worden seien. Seiner- Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika. 947 zeit seien häufig Schwerkranlie in deutsches Gebiet herüber gekommen. Man müßte ernsthch darauf dringen, daß engUscherseits an der Grenze IsoUerlager geschaffen würden. Er glaube nicht, daß das bisher geschehen sei. Allerdings hätten die Engländer zuge- sichert, am Gorifluß Lager anzulegen. Bei der Diskussion über die Behandlung der Schlafkrankheit bedauerte Koch, daß bisher noch keine Berichte über die Wirkung des Ehrlichschen Arsenophenylglycins vorlägen. Das Mittel sei allerdings erst am 22. Februar in Ostafrika eingetroffen, so daß noch keine umfangreicheren Erfahrungen vorliegen könnten. Immerhin habe man — speziell Geheimrat Ehrlich — ein großes Interesse daran, so bald als möglich zu erfahren: 1. wie das genannte Mittel vom Kranken vertragen wird (Spirasil hat sich wegen seiner üblen Nebenwirkungen als unbrauchbar erwiesen), 2. ob die Trypanosomen überhaupt beeinflußt werden. Feststellungen hierüber könnten wohl in kürzester Zeit erfolgen. Da Geheimrat Ehrlich wegen eventueller Verbesserungen seines Präparats sehnlichst auf Nachricht warte, befürworte er auch in diesem Punkte Absendung eines Telegramms. Es sei sonst zu befürchten, daß man mit der Mitteilung der Ergebnisse warte, bis die Versuche endgültig abgeschlossen wären. Auf eine Anfrage von Koch hielt Stabsarzt M a r s hall (Berlin) das Vorkommen der Schlaf- krankheit auf Maissome für wahrscheinlich, verneinte es aber für Luwonda. Koch bemerkte dazu, daß hiernach Bumbide, Iroba, Ikussa und die Küste von Ihangiro schon als gefährliche Krankheitsherde anzusehen seien; bezüglich der Insel Korne wisse man noch nichts (Sicheres. Die Verhältnisse lägen liier schlimmer als in Ukerewe. Es sollten deshalb sofort ein oder zwei Ärzte nach Bumbide und Ihangiro entsandt werden. Es dürfe kein Zeitverlust eintreten; die telegraphische Erteilung der Weisungen sei dringend erforderlich. Wenn die Krankheit auf Bumbide weiter um sich griffe, wäre die ständige Abordnung eines Arztes dahin unumgänglich nötig. Sparsamkeit würde sich in diesem Falle, wie überall bei der Seuchenbekämpfung, bitter rächen. Koch erbat ferner eine Äußerung des Herrn M a r s h a 1 1 darüber, ob nach seiner Kenntnis der örtlichen Verhältnisse der zu entsendende Arzt besser auf einer Insel oder auf dem Festlande stationiert würde, und wie er sich sonst das Vorgehen gegen die Seuche dächte. Auch wäre von Interesse zu wissen, ob sich noch Kranke auf den Inseln befänden. Mars hall erwiderte, daß von ihm auf den Inseln Abholzungen veranlaßt worden seien; sämtliche Kranken seien von den Inseln nach Bukoba und Kigarama gebracht worden. Der abzu- ordnende Arzt sollte seiner Ansicht nach zunächst nicht ständig auf dem Festland sich niederlassen. Er solle vielmehr beständig die Inseln und die gegenüberliegende Küste bereisen und so weit wie möghch vordringen. Hier im Süden ein Lager zu errichten, lohne sich vorerst nicht. Koch hielt die Errichtung eines Lagers für angebracht nicht nur, wenn Massen von Kranlvcn vorhanden seien, sondern auch schon dann, wenn beispielsweise das Vor- liegen von 12 Krankheitsfällen nachgewiesen sei. Das Prinzip, welches man immer in den Vordergrund zu stellen habe, sei, daß man mit den Lagern so nahe als möglich an die Kranken herangehe. Es könne auf die Dauer nicht ohne Unzuträglichkeiten abgehen, wenn die Kranken der Inseln weit weggebracht werden mül^ten. Viel vor- teühafter sei es, wenn man an der den Inseln gegenüberliegenden Küste, etwa in Ruan- ganiro, ein Lager errichtete, um dorthin die Kranken verbringen zu können. Hier müsse dann auch ein Arzt stationiert werden, dem die Aufgabe zufiele, den ganzen Süden, speziell die Inseln zu bereisen. Auf eine Anfrage von Rüge (Kiel), ob die beim Abholzen tätigen Arbeiter vor Infektion geschützt würden, bezeichnete Koch die Verwendung wirksamer Schutz- 105* 948 Schlafkrankheit in Deutsch- Ostafrika. mittel für sehr schwierig, weil die Mittel, welche die Euroäper anzuwenden pflegen (weißer Anzug, Fliegenboys usw.), für die Eingeborenen bei der Arbeit nicht in Betracht kämen. Eine Frage von Kirchner, wie es am Tanganjika mit Krokodilen stände, be- antwortete Koch dahin, daß diese Tiere in großen Massen dort vorhanden seien. Vor allem sei zu verlangen, daß auch auf der belgischen Seite des Sees abgeholzt werde. Die einzelnen in das Abkommen aufzunehmenden Punkte würden zweckmäßig von einer Subkommission beraten werden. N 0 c h t (Hamburg) fragte, was belgischerseits zur Abwehr der Seuche geschehe. Darauf erwiderte Koch, daß seines Wissens die Kongoregierung zurzeit am Tangan- jikasee nichts gegen die Schlafkrankheit unternehme, während sie am oberen Kongo energisch mit Abholzungen vorginge. Gerade deshalb müsse man versuchen, sobald als möglich ein Abkommen mit Belgien abzuschließen. Er befürwortete, daß man schleunigst zunächst die grundsätzliche Bereitwilligkeit der belgischen Regierung zu einer Vereinbarung festzustellen suche; inzwischen könnte man, wie bereits Herr Freiherr v. Stein vorgeschlagen habe, an Stabsarzt F e 1 d - mann bezüglich der in das Übereinkommen aufzunehmenden Punkte eine Anfrage richten, ganz besonders hinsichtlich dessen, was am Russisi zu geschehen habe und ob es angängig sei, den Bootsverkehr noch mehr als bisher zu unterbinden. Es folgte nunmehr noch eine Erörterung einiger wissenschaftlicher Fragen. Koch erwähnte einen erst vor kurzem eingegangenen Bericht des Dr. Kleine, der beachtenswerte Mitteilungen über die wichtige Frage enthalte, ob die Trypanosomen in den Fliegen einen Entwicklungsgang durchmachten oder nicht. Von dieser Frage hänge bekanntlich ab, wie lange Fliegen, die Trypanosomen beherbergen, infektiös bleiben. Werde die Frage in bejahendem Sinne entschieden, so müsse man annehmen, daß die Trypanosomen sehr lange im Fliegenkörper vorhanden sind, unter Umständen während ihres ganzen Lebens, das etwa 1 Jahr und auch länger dauern könnte. Die Beweisführung auf experimentellem Wege sei bisher daran gescheitert, daß es niemandem gelang — auch den englischen Forschern nicht — Fliegen künstlich zu infizieren und die Trypanosomen mit ihrer Hilfe auf gesunde Tiere zu übertragen. Diese Schwierigkeit habe Dr. Kleine jetzt überwunden. Ihm sei es geglückt, Fliegen zuerst mit Trypa- nosoma Brucei, dann mit Trypanosoma gambiense zu infizieren. Er habe aus Puppen gezüchtete Glossinen zuerst an schlafkranken, dann an gesunden Affen saugen lassen und dabei prompt eine Übertragung der Krankheitserreger auf die gesunden Tiere er- zielt. Die mit Tsetse-Trypanosomen infizierten Fliegen hätten sich bei derartigen Ver- suchen noch nach 4 Wochen als infektiös erwiesen. Es sei keine Gegend bekannt, wo die Schlafkrankheit gerade im Zusammenhang mit der Glossina morsitans vorkäme. Die lokale Verbreitungsweise der Schlafkrankheit an Orten, wo die Glossina palpalis einheimisch sei, hätte den Wert von Experimenten im größten Stil, denen gegenüber Versuche, wie man sie im Laboratorium anstellen könne, ohne Belang seien. Man müsse jedenfalls mit dem Urteil zurückhalten und ab- warten, ob sich aus der weiteren Beobachtung der Ausbreitungsweise der Seuche be- stimmte bis jetzt noch unbekannte Tatsachen ableiten lassen. S t e u d e 1 wies auf beachtenswerte Beobachtungen hin, die man bei der Bekämpfung der Krokodile auf der Schirati vorgelagerten Insel gemacht habe. Es seien dort in kurzer Zeit 10 Kro- kodile und 12 Rieseneidechsen erlegt worden; daran habe sich die unangenehme Folge geknüpft, daß durch das Aas der getöteten Reptile immer neue angelockt wurden, so daß jetzt mehr Tiere sich zeigten als früher. Das C'arrasquillasche Lepraserum. 949 Koch bemerkte dazu, diese Versuche seien nur scheinbar ungünstig ausgefallen: sie wären in viel zu kleinem Maßstab angestellt, als daß man sich auf Grund derselben ein Urteil bilden könnte. Man hätte die Versuche wenigstens auf das gegenüberhegende Festland ausdehnen müssen. Wenn man die Bekämpfung durch Büchse und Gift (ArsenUc) genügend lange in einem größeren Gebiet fortsetzte, müßte die Zahl der Rep- tile unfehlbar mit der Zeit sich verringern. Er habe übrigens zu seiner Freude gelesen, daß nach dem neuen Jagdgesetz für Ostafrika Prämien auf das Einsammeln von Kro- kodilseiern gesetzt seien. Viel wirksamer wäre es allerdings noch, wenn man etwa ein Dutzend Eiersammler gegen gute Entlohnung einstellen würde. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 6. Oktober 1896. Eurer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf den Erlaß vom 10. Sep- tember d. J. — M. 1.5 887 U I — , unter Rückgabe desselben nebst Anlagen, ganz ge- horsamst zu berichten wie folgt: Die von den ,, Berliner Neuesten Nachrichten" vom 27. August d. J. gebrachte Notiz, daß ein italienischer Arzt C! a r r a s q u i 1 1 a 15 Leprakranke mittels eines von ihm bereiteten Sern m behandelt und wesentlich gebessert haben will, war dem In- stitut bereits bekannt. In Nr. 2 der Semaine Medicale 1896, 8. 12/13 ist eine Mitteilung aus 8anta-Fe de Bogota vom 2 5. November 1895 des Dr. D. J u a n de D i o s C a r r a s cj u i 1 1 a an die Academie nationale de medicine de Oolombie abgedruckt, wonach er in der Tat nach der Behandlung mit Blutserum bei 15 damit behandelten Leprösen im Laufe der Behandlung Verschwinden der Anästhesie, der Knoten und Geschwüre mit vollstän- diger Vernarbung derselben beobachtet haben will. Eine weitere Beschreibung der Anfertigung dieses Serums findet sich in der Semaine M6dicale Nr. 44, 1896, S. 355. Gemäß derselben spritzt Carrasquilla Serum, von leprösen Individuen entnommen, Pferden ein, bis zu 60 ccm und wiederholt nach je 10 Tagen diese Injektionen noch zweimal. 10 Tage nach der letzten Injektion wii'd den so behandelten Pferden Blut entzogen, und das daraus sich abscheidende Serum stellt das Carrasquilla sehe Heilserum gegen Lepra dar. Die damit behandelten Patienten reagieren auf die Einspritzung mit dem Serum durch Fieber, Pulserhöhung, Schweißausbruch, Neuralgien, Hautausschläge und selbst Asphyxie. Die von Carrasquilla zur Herstellung eines antileprösen Serums geübte Methode widerspricht ziniächst allen Erfahrungen der Serumtherapie. Daß aber das Serum von Pferden allein schon genügt, um Immunität zu erzielen, ist zwar an und für sich unwahrscheinlich, indessen doch nicht unmöglich, da es sich hier um das Serum von Tieren handelt, die überhaupt gegen Lepra unempfänglich sind. Diese Erwägung gab die Veranlassung bei einer im diesseitigen Institut befindlichen, mit der tuberösen Form der Lepra behafteten Patientin, Pferdeserum in Anwendung zu ziehen. Dieselbe erhielt sukzessiv im ganzen ca. 150 ccm normales und jedesmal frisch präpariertes Pferde- serum im Laufe von 12 Tagen, reagierte darauf auch mit Fieberbewegungen. Auf den leprösen Prozeß hatten aber die Injektionen nicht den mindesten Einfluß. Die von Carrasquilla beobachteten Reaktionserscheinungen zeigen auch in der Tat nichts 950 über Kinderlähmung. — Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Spezifisches, da die Injektion jedes fremdartigen Serums dergleichen Erscheinungen bei Mensch und Tier hervorrufen kann. Da also nach diesem Versuch Pferdeserum an und für sich bei Lepra keinen Erfolg erzielt, müssen wohl noch von anderer Seite Mitteilungen abgewartet werden, um ein endgültiges Urteil abzugeben. Beratung des Reichsgesundheitsrats über die in neuerer Zeit an ver- schiedenen Orten des Reichs epidemieartig aufgetretene Kinderlähmung am 30. Ok- tober 1909. In der Diskussion zu dem Referat von Kirchner empfahl Koch, daß zur Erkennung der übertragbaren Kinderlähmung auch Komplementbindungsversuche an Ort und Stelle an kranken Personen ausgeführt werden möchten; sie lassen am ehesten einen Erfolg erhoffen. Auf eine Frage von Präsident B u m m , ob auch die Maßregel der Desinfektion bei epidemischer Kinderlähmung als erforderlich zu betrachten sei, äußerte sich Koch dahin, daß wenn die Absonderung empfohlen werde, folgerichtig auch die Desinfektion befürwortet werden müsse. Beratung des Reichsgesundheitsrats (Ausschuß für Seuchenbekämpfung) über die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten am 4. und 5. März 1908. Koch schlägt vor, eine größere Anzahl besonders guter Vorträge und Belehrun- gen über Geschlechtskrankheiten zusammenzustellen und als Sammlung von Muster- instruktionen zu verbreiten, damit Ärzte, denen selbst die Gabe der populären Dar- stellung fehlt, sich gegebenenfalls solcher Vorträge bedienen könnten. Er empfiehlt die Einführung einer wirksamen Strafvorschrift. Wenn er auch nicht glaube, daß auf Grund eines derartigen Strafparagraphen viele Verurteilungen erfolgen werden, so werde doch die Strafandrohung in vielen Fällen als heilsame War- nung dienen, namentlich wenn man durch die Aufnahme in die Merkblätter und ähn- liche Schriften dafür sorge, daß die drohende Strafe möglichst weiten Kreisen be- kannt wird. Er bemerkt ferner, daß seiner Schätzung nach die Beteiligung der Prostitution an der Verbreitung der Geschlechtskranliheiten 99% betrage. Ohne alle gesetzliche Zwangsmaßregeln könne man eine derartig gefährliche Infektionsquelle ebensowenig verstopfen, wie es erfahrungsgemäß bei anderen verheerenden Volkskrankheiten der Fall sei. Den Frauenrechtlerinnen, die aus Gründen der Gleichberechtigung die Auf- hebung der Reglementierung forderten, könne man dadurch entgegenkommen, daß man mit den Überwachungsmaßnahmen nach Möglichkeit weibliche Ärzte, und vor allem weibliches Hilfspersonal betraute. Er erblickt ein wesentliches Merkmal der Bordelle darin, daß dort eine Aus- beutung der Dirnen durch den Unternehmer stattfinde. Er bezweifelt im Hinbhck auf den großen Wert der individuellen Prophylaxe ob es ratsam ist, die Ankündigung und Anpreisung von Mitteln zur Verhütung der Geschlechtskrankheiten zu untersagen. über die Internationale Sanitätskonferenz in Rom. 951 Berichte an den Staatssekretär des Innern über die Internationale Sanitäts- konferenz in Rom.^) Rom, den 24. Mai 1885. Eurer Exzellenz beehre ich mich ganz gehorsamst zu berichten, daß ich am 14. d. M. in Rom angelangt bin und mich am 15. in der Kaiserhchen Botschaft gemeldet habe. Da die Eröffnung der Konferenz auf den 20. Mai verschoben war, so benutzte ich die mir bis dahin bleibende Zeit, um mich durch Rücksprache mit italienischen und einigen anderen hier bereits eingetroffenen Delegierten über die speziellen Aufgaben, welche der Konferenz zufallen würden, sowie über die Anschaaungen der Delegierten zu orientieren. Hierbei ließ sich nicht mit Sicherheit erkennen, ob ein bestimmter Grund- gedanke bezüglich der kräftigen Abwehr der Seuchen von Europa, wie ein solcher den Konferenzen von Konstantinopel und Wien zur Basis gedient hatte, für die Zusammen- herufung dieser Konferenz maßgebend gewesen war. Wenigstens Avar bis dahin ein Pro- gramm, welches den Verhandlungen der Konferenz bestimmte Ziele gesteckt hätte, noch nicht aufgestellt. Da außerdem der Wortlaut der Einladung sehr unbestimmt gehalten war und der Konferenz einen weiten Spielraum ließ, so war zu befürchten, daß der Gang der Verhandlungen durch Zufälligkeiten beeinflußt werden und sich un- fruchtbaren Dingen zuwenden könnte, wie dies teilweise bei den früheren Konferenzen der Fall gewesen ist, welche den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf die Erörterung aka- demischer Fragen verlegt haben. Ich hielt es deswegen für zweckmäßig, durch Vorbesprechungen mit anderen Delegierten soviel als möglich dahin zu wirken, daß die Konferenz von der Erörterung vorwiegend wissenschaftlicher Fragen absehen und sich sofort den praktischen Aufgaben zuwenden möge. Namentlich schien es geboten, die Beratungen vorläufig auf die Cholera zu beschränken und auch in bezug auf diese Seuche, abweichend von den früheren Kon- ferenzen, sofort in eine Untersuchung darüber einzutreten, ob die bisher geltenden Ab- wehrmaßregeln, insbesondere die Quarantänen, noch aufrecht zu erhalten und was eventuell an deren Stelle zu setzen sei. Meine dahin gehenden Bestrebungen fanden leb- hafte Unterstützung bei den übrigen Delegierten und scheinen insofern von Erfolg ge- wesen zu sein, daß bei der Eröffnung der Konferenz an Stelle des fehlenden Programms als eine vorläufige Unterlage für die Beratungen derjenige Teil des Programms der Wiener Konferenz vorgelegt wurde, welcher über die gegen Cholera anzuwendenden Q,uarantäne- maßregeln handelt. Die Konferenz wurde vom Ministerpräsidenten, Herrn M a n c i n i , am 20. Mai in feierlicher Weise eröffnet und das Präsidium einem der italienischen Delegierten, dem Minister v. C a d o r n a , übertragen. Beim Beginn der Verhandlungen, welche sich, wie bemerkt, unmittelbar den technischen Fragen zuzuwenden hätten, machte sich sofort das Bedürfnis geltend, das rein technische Material zunächst den technischen Delegierten zu einer vorbereitenden Beratung zu überweisen. Zu diesem Zwecke wurde beschlossen, daß die technischen Delegierten in einer besonderen Kommission über die Vorlage bezüglich der Quarantänen Beschlüsse fassen und diese der Plenarversammlung vorlegen sollten. Dieser Modus gewährte zugleich den Vorteil, daß den technischen Delegierten eine größere Freiheit blieb, von ihrem wissenschaftlichen Standpunkte aus die betreffenden Fragen zu erörtern, Avährend die definitive Beschlußfassung über die einzelnen Punkte den diplomatischen Delegiei'ten zufiel. Auf den Konferenzen von Konstantinopel und Wien hatte eine derartige Teilung der Verhandlungen nicht statt- gefunden, war aber auch nicht erforderlich gewesen, da jene Versammlungen fast aus- Koch war als amtlicher Delegierter Deutschlands entsandt. D. Herausgeber. 952 über die Internationale Sanitätskonferenz in Rom. schließlich aus Ärzten bestanden, während die Konferenz von Rom aus 30 diploma- tischen und 30 technischen Delegierten zusammengesetzt ist. Die technische Kommission hat sich dem ihr erteilten Mandat zufolge am 23. Mai konstituiert unter dem Vorsitz des italienischen Delegierten Prof. M o 1 e s c h o 1 1 1). Von selten der meisten Delegierten ist der Wunsch nach möglichster Beschleuni- gung der Arbeiten kundgegeben, und es wurde dementsprechend beschlossen, daß jedem Redner für einen und denselben Gegenstand das Wort nur einmal und nur für 10 Minuten zu erteilen sei. Es ist dadurch eine eigentliche Diskussion ausgeschlossen, andererseits aber zu erwarten, daß die Verhandlungen in raschem Fluß vonstatten gehen und voraus- sichtlich in wenigen Wochen beendet sein werden. Der erste Gegenstand, welcher in der technischen Kommission am 23. Mai beraten wurde, betraf die Landquarantänen und Sanitätskordons. Dieselben wurden allseitig als nutzlos, unter Umständen wegen der damit verbundenen Anhäufung von Menschen sogar als direkt nachteilig bezeichnet. . . . Ein einziger Delegierter, votierte für die Bei- behaltung des Systems der Landquarantänen. In der nächsten Sitzung, welche am 25. Mai stattfinden soll, wird über die See- quarantänen verhandelt werden. Soweit ich orientiert bin, haben sich die Ansichten über die Zulässigkeit von See- quarantänen gegen früher wesentlich geändert. Die allgemeine Stimmung scheint gegen das bisherige System zu sein, an dessen Stelle man eine Inspektion und Desinfektion der aus infizierten Häfen kommenden Schiffe setzen möchte. Da es notwendig sein wird, bezüglich der Choleragefahr einen Unterschied zu machen zwischen solchen Schiffen, welche dem Handels- und gewöhnlichen Personen- verkehr, und solchen, welche dem Massentransport z. B. von Auswanderern, Pilgern usw. dienen, so besteht die Absicht, zu beantragen, daß über diese beiden Kategorien von Schiffen getrennt beraten werde. Der ersteren Kategorie würde möglichste Freiheit des Verkehrs zu gewähren sein ; höchstens wäre eine den Verkehr in keiner Weise hemmende Inspektion einzurichten und imr diejenigen Schiffe den Isolierungs- und Desinfektions- Maßregeln zu unterwerfen, von denen festgestellt wird, daß sie während der Fahrt Cholera- fälle an Bord gehabt haben. Für die zweite Kategorie würden besondere Maßregeln zu vereinbaren sein. Die französischen Delegierten teilten mir mit, daß sie die Verlegung der Inspek- tionsstation für die indischen Provenienzen von Suez nach einem Punkt am Eingang in das Rote Meer für zweckmäßig hielten. Dieser Anschauung möchte ich mich aus mehr- fachen technischen Gründen anschließen. Im übrigen werde ich es mir angelegen sein lassen, da eine Inspektion und Des- infektion der Schiffe nach meinen in früheren Berichten Eurer Exzellenz bereits dar- gelegten Erfahrungen allein nicht ausreichend sind, um die Choleragefahr zu beseitigen, dahin zu wirken, daß auch sanitäre Verbesserungen in den Hafenstädten, richtiges Er- kennen der ersten Cholerafälle und gegen die ersten Anfänge der Epidemie gerichtete zweckmäßige Maßregeln zur Geltung kommen. . . . 1) Hier und in den folgenden Berichten mußten einige Bemerkungen aus dienstlichen Bedenken gestrichen werden. D. Herausgeber. über die Internationale Sanitätskonferenz in Rom. 953 Rom, den 2. Juni 1885. Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an den Bericht vom 24. Mai über den weiteren Gang der Verhandlungen in der Internationalen Sanitätskonferenz ganz ge- horsamst zu berichten. Die technische Kommission, welche ihre Arbeiten am 23. Mai begann, hat sich den ihr gestellten Aufgaben mit vielem Eifer unterzogen und ist im Laufe einer Woche so weit gelangt, daß sich jetzt schon die voraussichtlichen Resultate übersehen lassen. Im allgemeinen hat die Kommission in ihren Beschlüssen die in meinem letzten Berichte angedeutete Richtung eingehalten und hat, nachdem sowohl Land- als See- quarantäne als vom wissenschaftlichen Standpunkte nicht mehr haltbar verworfen waren, an die Stelle derselben zeitgemäße Maßregeln zu setzen gesucht. An diesem Punkt angelangt, mußte die Kommission, da das von der italienischen Regierung vorgelegte Programm sich auf die Quarantänen beschränkte, für die fer- neren Arbeiten sich selbst ein Programm schaffen. Zu diesem Zwecke traten einige der mit der Cholerafrage am meisten vertrauten Delegierten, nämlich diejenigen von Franlireich, Ungarn, Österreich, Rußland, Nord-Amerika, Deutschland zu privaten Be- sprechungen zusammen und einigten sich über die Grundzüge eines Programms. Die Ausarbeitung und Vorlage desselben übernahmen, soweit es sich um einfache Maßregeln handelte, einzelne Delegierte; in erster Linie die französischen Delegierten; für schwie- rigere Fragen dagegen, wie für die im Roten Meer zu ergreifenden Maßregeln, für das Pilgerwesen, für die Desinfektion usw. wurden Subkommissionen gebildet. Dem ur- sprünglich kleinen Kreis von Delegierten, welche die Initiative ergriffen hatten, schlössen sich sehr bald noch die Delegierten von Norwegen, Schweden,' Dänemark, Holland, Schweiz, Italien an, so daß sich eine in allen prinzipiellen Fragen zusammenhaltende Majorität bildete, welche die Annahme des Programms sicherte. Die bis jetzt zustande gekommenen Beschlüsse beziehen sich auf den Schiffsver- kehr zwischen cholerainfizierten Ländern, richten sich aber im wesentlichen gegen die Einschleppung der Cholera aus Indien nach Ägypten und europäischen Hafenorten. Als erster Satz wurde einstimmig angenommen, daß sanitäre Maßregeln in den Hafenstädten eines der besten Mittel seien, um die Ausbreitung von Epidemien und speziell der Cholera zu verhüten. Im Anschluß daran beabsichtigte man Vorschläge zur Einführung von regelmäßigen und zuverlässigen Meldungen über den sanitären Zu- stand der Hafenstädte zu machen, doch stellten sich im Laufe der Debatte in betreff der Organisation eines derartigen Zwecken dienenden Systems so viel Schwierigkeiten heraus, daß der ursprüngliche Antrag nicht aufrecht erhalten wurde und statt dessen ein vom portugiesischen Delegierten eingebrachter Antrag über die Beteiligung der Konsuln an der Inspektion der Schiffe zur Annahme gelangte. Ein großer Teil der De- legierten, darunter diejenigen Deutschlands, enthielten sich in diesem Falle der Ab- stimmung, weil sie diese Frage als nicht zur Kompetenz der technischen Kommission gehörig erachteten. Es wäre unzweifelhaft sehr wichtig gewesen, gerade auf diese beiden ersten Fragen, die sanitären Verbesserungen in Hafenstädten und die zweckmäßige Gestaltung des Meldewesens, Aveiter einzugehen und die von ärztlicher Seite in dieser Beziehung auf- zustellenden Forderungen genauer zu präzisieren. Aber auf keiner Seite war man ge- neigt, sich darauf einzulassen, weil eine Berührung der inneren Verhältnisse anderer Staaten dabei kaum zu vermeiden war. Wahrscheinlich wird deswegen der erste Satz in der allgemeinen und für die Praxis keinen eigentlichen Anhalt gebenden Fassung bestehen bleiben und auch die Organisation der internationalen Benachrichtigung über den Ausbruch und Gang der Seuchen nicht wieder aufgenommen werden. 954 über die Internationale Sanitätskonferenz in Rom. Die für die Schiffahrt im allgemeinen zur Anwendung kommenden Maßregeln wurden unter den Rubriken abgehandelt : erstens Maßregeln beim Abgang eines Schiffes, zweitens während der Fahrt, drittens bei der Ankunft. Als ein Gegenstand, welcher besondere Berücksichtigung erforderte, wurde die Schiffahrt im Roten Meer angesehen; ebenso auch alles, was mit dem Pilgerwesen in Zusammenhang steht. Die bis jetzt über den Schiffsverkehr gefaßten Beschlüsse sind im wesentlichen folgende : Die mit Choleraländern verkehrenden Passagierschiffe müssen einen von der Re- gierung ernannten Arzt (Medecin independant) haben. Kapitän und Arzt haben darauf zu achten, daß das Schiff sich in einem reinlichen Zustand befindet. Der Arzt kann Cholera verdächtige Passagiere zurückweisen, er sorgt dafür, daß die Reisenden keine beschmutzten und verdächtigen Effekten an Land bringen. Effekten von Personen, welche an Cholera gestorben sind, sollen unter keinen Umständen zum Transport an- genommen werden. Sobald jemand noch im Abgangshafen auf dem Schiff erkrankt, findet seine Überführung in ein Hospital des Hafenortes und gründliche Desinfektion seiner Wäsche sowie der Lokalität, wo er erkrankte, statt. In gleicher Weise wird verfahren, wenn auf einem Schiffe während der Reise Cho- lera ausbricht. Die Kranken werden isoliert, diejenigen Räume des Schiffes, wo die Krankheit zum Ausbruch kam, sowie die schmutzige Wäsche aller auf dem Schiffe be- findlichen Personen desinfiziert. Über das Verfahren bei der Ankunft des Schiffes ist noch kein Beschluß gefaßt, doch läßt sich nach den bisher zur Anwendung gekommenen Prinzipien erwarten, daß solchen Schiffen, welche unterwegs von Cholera frei blieben, sofortige freie Praktik zugestanden wird, solche aber, welche Cholera an Bord hatten, einer fünftägigen Beob- achtung unterworfen werden, wobei Ausschiffung der Passagiere und Mannschaften, Isolierung in möglichst kleinen Gruppen und Desinfektion des Schiffes zur Ausführung kommt. Dieselben Grundsätze, nämlich sorgfältige Inspektion und Überwachung durch unabhängige Ärzte, freie Praktik für die nicht infizierten und fünftägige mit Isolierung und Desinfektion verbundene Beobachtung für die infizierten Schiffe wurden auch für den Verkehr im Roten Meer als anwendbar und ausreichend erachtet. Ursprünglich wollte man. für alle von jenseits der Straße von Bab el Mandeb kommenden Schiffe die Inspektion vorschreiben. Im Interesse der das Rote Meer passierenden neuen deut- schen Schiffslinien, welche nicht unmittelbar mit cholerainfizierten Häfen, teilweise sogar mit noch niemals infizierten Plätzen, wie Australien und Südseeinseln verkehren, schien es mir zweckmäßig, diese Maßregel auf die aus cholerainfizierten Häfen kom- menden Schiffe zu beschränlten. Ein dahin gehender Antrag wurde angenommen. In bezug auf die Inspektion wurde noch beschlossen, daß diejenigen Schiffe, welche keine Passagiere nach Ägypten bringen, nur einmal und zwar in der Nähe von Suez inspiziert werden, daß dagegen solche Schiffe, welche Personen in Ägypten landen, sowohl beim Eintritt ins Rote Meer, in der Nähe der Straße von Bab el Mandeb, als auch zum zweiten Mal bei Suez einer Inspektion unterworfen werden sollen. Die Truppenschiffe sind denselben Bedingungen unterworfen, wie die mit unab- hängigen Ärzten versehenen Personendampfer. Dagegen wurden diejenigen Schiffe, welche keinen Arzt an Bord haben, gleichviel, ob Dampf- oder Segelschiffe, und abge- sehen vom Tonnengehalt, als ,, kleine Schiffe" bezeichnet, für welche einige dement- sprechende unbedeutende Abänderungen, darunter zweifache Inspektion im Roten Meer festgesetzt wurde. über die Internationale Sanitätskonferenz in Rom. 955 Von den durch Subkommissionen vorbereiteten Gegenständen ist außerdem nur noch die Desinfektion erledigt. Dieselbe ist unter meiner Mitwirkung ganz den neueren Erfahrungen über Desinfektion entsprechend ausgearbeitet. Bemerkenswert ist davon nur, daß auf die dringende Empfehlung des amerikanischen Delegierten, und um in der Auswahl der Desinfektionsmittel einige Freiheit zu lassen, neben der Karbolsäure auch Chlorkalk als Desinfektionsmittel zugelassen wurde. Von einer Desinfektion der Waren der nicht infizierten Schiffsräume und des Kielwassers wurde auf Grund der von mir zur Sprache gebrachten Erfahrungen Abstand genommen. Die Vorlage wurde dann von der technischen Kommission en bloc angenommen. Es bleiben noch zu erledigen: das Verhalten bei der Ankunft eines Schiffes, die Maßregeln an den Landesgrenzen, das Pilgerwesen und die Verhältnisse im Mittelmeer. Letztere werden, nach der bereits im Druck erschienenen Vorlage zu urteilen, insofern Schwierigkeiten machen, als die Delegierten der Mittelmeerstaaten, so entgegenkom- mend sie sich bisher in bezug auf Milderung der Maßregeln jenseits des Suezkanals ge- zeigt haben, doch für das Mittelmeer selbst an strengeren Maßregeln festhalten wollen. Wenn sich auch in dieser Frage schließlich noch eine größere Meinungsverschieden- heit ergeben sollte, so ist doch besonders hervorzuheben, daß alle bis dahin gefaßten < Entschlüsse von prinzipieller Bedeutung mit überwiegender Majorität, meistens fast einstimmig angenommen sind und daß gerade die Delegierten der mitteleuropäischen Großstaaten in allen Fragen einig waren. . . . Allem Anschein nach wird die technische Kommission ihre Arbeiten bis zum Schlüsse dieser Woche beendet haben. Die Beschlüsse derselben werden dann dem Plenum der Internationalen Konferenz vorgelegt werden. Rom, den 7. Juni 1885. Eurer Exzellenz beehre ich mich in Fortsetzung meines Berichtes vom 2. d. M. ganz gehorsamst zu melden, daß die technische Kommission ihre Beratungen gestern beendet hat. Die weiteren Beschlüsse derselben bezogen sich zunächst auf das Verfahren bei der Ankunft von Schiffen aus infizierten Häfen. Bei dieser Gelegenheit hatte die aus Freunden des Quarantänewesens bestehende Subkommission versucht, ganz entgegen- gesetzt den bisher zur Geltung gebrachten Prinzipien, eine siebentägige Quarantäne für alle suspekten Provenienzen einzuführen; doch gelang es, die technische Kommission dahin zu bringen, daß das Programm der Subkommission abgelehnt und ihr, nachdem sie durch mehrere Delegierte anderer Richtung verstärkt war, dasselbe zur Umarbeitung nochmals überwiesen wurde. Im neuen Entwurf wurde dann ein Unterschied gemacht zwischen allgemein gültigen Verhältnissen, welche den früheren Grundsätzen (Isolierung und fünftägige Observation infizierter Schiffe, 24 stündige Observation mit Desinfek- tion verbunden für alle übrigen Schiffe mit kürzerer als zehntägiger Fahrzeit) entsprechend behandelt wurden, und speziellen Bestimmungen für das Mittelländische Meer. Alle meine Bemühungen, Ausnahniemaßregeln, welche dem Geiste der Wissenschaft nicht mehr entsprechen und auch in der Praxis sich noch niemals als wirksam erwiesen haben, vom Schiffsverkehr im Mittelmeer abzuwenden, blieben fruchtlos. . . . Unter diesen Um- ständen haben die Delegierten Deutschlands sich der Abstinnnung über die das Mittel- meer betreffenden Fragen enthalten, welche schließlich mit einer sehr geringen Ma- jorität zur Annahme gelangte. Es ist damit für das Mittelmeer, sobald die Cholera in einem der Uferstaaten ausbricht, eine zwei- bis siebentägige Quarantäne beschlossen. 956 Intern. Sanitätskonierenz in Eom. — Unzulänglichkeit u. Unzweckmäßigkeit d. Quarantäne. In mehr zeitgemäßer Weise gelang es, das Mekkapilgerwesen zu behandeln. Das betreffende Programm war gut vorbereitet und wurde mit wenigen redaktionellen Ände- rungen angenommen. Auch in diesem Falle ist der größte Nachdruck gelegt auf hygie- nische Maßregeln, gründliche Inspektion und Desinfektion schon bei der Einschiffung, dann während der Fahrt und schließlich bei der Ankunft in Hedjas. Sobald sich trotz- dem die Cholera in Hedjas zeigt, sollen sämtliche auf dem Seewege in der Richtung nach Suez gehende Pilger der Desinfektion in einer Isolierung in möglichst kleinen Gruppen unterworfen werden. Die Isolierung der einzelnen Gruppen dauert fünf Tage, vom letzten Erkrankungsfall gerechnet. Bei der Ankunft in Suez werden dann die Pilger- schiffe noch einmal inspiziert. Die zum Ersatz der Landquarantäne und Kordons für den Grenzverkehr in Vor- schlag gebrachten Maßregeln sind zum Teil so allgemein gefaßt, daß sie wirkungslos bleiben werden, teilweise enthielten sie aber nach der Vorlage der betreffenden Sub- kommission für den Eisenbahnverkehr sehr lästige und dabei nutzlose Bestimmungen. Es gelang mir einige dieser letzteren zu beseitigen; eine Maßregel indessen, welche ich auch für ganz wirkungslos und deswegen für überflüssig halte, nämlich der Wechsel der Eisenbahnzüge an der Grenze, ist trotz meines Widerspruches mit einer sehr ge- ringen Majorität angenommen. Am Schluß wurde noch der Wunsch ausgesprochen, daß die ersten Cholerafälle überall sofort gemeldet und allen Regierungen telegraphisch mitgeteilt werden möchten. Ein damit verbundener Antrag auf Gründung eines internationalen Zentralmeldebureaus wurde, da man die Unausführbarkeit eines derartigen Projekts einsah, dahin abge- schwächt, daß ein jeder Staat für sich ein Institut schaffen möge, welches die Meldungen aus dem betreffenden Lande konzentriert. Das Protokoll über die bisherigen Verhandlungen bedarf noch vielfacher Korrektur und ist den Delegierten noch nicht in authentischem Wortlaut zugänglich gemacht, sobald dies geschehen sein wird, werde ich nicht verfehlen. Eurer Exzellenz dasselbe sofort ganz gehorsamst zu übersenden. Die Beschlüsse der technischen Kommission werden nunmehr den diplomatischen Delegierten zur Kenntnisnahme vorgelegt werden, und es besteht die Absicht, am 11. d. M. sämtliche Delegierte zu einer Plenarversammlung zu berufen, um darüber schlüssig zu werden, ob man schon jetzt in eine Beratung des von der technischen Kommission ge- lieferten Materials eintreten könne, oder ob die Konferenz vorläufig zu vertagen sei, um den Regierungen Zeit zur Stellungnahme in bezug auf die bisher gefaßten Beschlüsse zu lassen. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berhn, den 21. März 1902. Eurer' Exzellenz beehre ich mich unter Rückgabe der Anlagen ganz gehorsamst wie folgt zu berichten: Die in der Vorlage enthaltenen Ausführungen über die Unzulänglichkeit und Un- zweckmäßigkeit der Quarantäne sind im wesentlichen zutreffend, denn die ganze Ein- richtung der Quarantäne ist Vorstellungen über die Art der Verbreitung ansteckender Krankheiten entsprungen, welche wir heute großen Teils als irrig bezeichnen müssen. Dasselbe läßt sich aber nicht von den Maßregeln sagen, welche gegen die Verbreitung der Krankheiten durch Lumpen, getragene Kleidungsstücke und gewisse andere Handels- artikel gerichtet sind, denn es gibt in der Tat Krankheiten, wie z. B. die Pocken, welche auf diese Weise verschleppt werden. über Quarantänemaßregeln. 957 Aus den von der mexikanischen Delegation gegen die Quarantäne gemachten Einwänden läßt sich aber nicht ableiten, daß nun jede Quarantäne sofort abgeschafft und daß die Beobachtungszeit für Passagierschiffe auf liöchstens 24 Stunden festgesetzt werden müsse. Auf Grund unserer jetzigen Kenntnisse von der Natur der ansteckenden Krankheiten und von den Faktoren, welche bei ihrer Verbreitung mitwirken, werden sich schwerlich allgemeine Maßregeln ableiten lassen, welche alle Bedürfnisse zugleich decken; es ist vielmehr anzunehmen, daß einzelne Krankheiten ganz besondere Maß- regeln erheischen, denn es ist klar, daß eine Krankheit wie die Pest, welche hauptsäch- lich durch Ratten in die menschlichen Behausungen verschleppt wird, sanitätspolizei- lich anders behandelt werden muß, als etwa die Cholera, wo der Mensch das Fluß- und Trinkwasser verseucht, oder gar die Pocken und der Milzbrand, bei denen Effekten und andere Handelsware die Vermittler der Ansteckung sind. Wenn es aber einerseits auch feststeht, daß die internationalen Bestimmungen über die Quarantäne von Grund auf umgearbeitet werden müssen, so läßt sich die For- derung der mexikanischen Delegation auf sofortige Abschaffung der Quarantäne und anderer einschlägiger Maßregeln nicht befürworten, bevor nicht Besseres an ihre Stelle gesetzt ist. Dieses Bessere zu schaffen, kann als die dringendste Aufgabe der internatio- nalen Sanitätspolizei bezeichnet werden. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 12. April 1902. Eurer Exzellenz berichte ich gehorsamst unter Rückgabe der Anlage wie folgt: Die Behauptving des Alexandriner Importvereins, daß die zurzeit geltenden Quaran- tänemaßregeln zum Teil ungenügend, zum Teil überflüssig, hauptsächlich aber schäd- lich sind, weil sie zu einer falschen »Sicherheit führen, ist im allgemeinen als zutreffend anzusehen; ebenso die Klage, daß diese Maßregeln dem Handel und der Schiffahrt un- nötigen Schaden zufügen. Andererseits aber hat, wie Herr Generalkonsul v. M. berichtet, Lord C. mit Recht darauf hingewiesen, daß die ägyptische Regierung nur im Verein mit den europäischen Kabinetten in dieser Angelegenheit vorgehen könne. Da nun die Einsicht, daß die wissen- schaftliche Grundlage, welche zur Aufstellung der geltenden Quarantänemaßregeln geführt haben, den jetzigen Verhältnissen nicht genügt, immer weiteren Kreisen zum Bewußtsein konnnt, und auch schon amerikanische Staaten veranlaßt hat, die Abschaffung der Quarantäne zu befürworten, so dürfte es an der Zeit sein, daß von selten der maß- gebenden Kabinette die Frage der Umgestaltung der internationalen Sanitätsbestinimun- gen in Angriff genommen werde. Das schließt nicht aus, daß man gerade in denjenigen Ländern, welche durch die Quarantäne am meisten betroffen werden, den Versuch macht, solche Maßregeln praktisch und im großen zu prüfen, mit welchen man glaubt, besser zum Ziele zu kommen und ohne den Handel und die Schiffahrt in allzu fühlbarer Weise zu belästigen. Gerade jetzt, wo schon seit Jahren die europäischen Staaten das Eindringen der mit Recht so sehr befürchteten Pest zu verhüten bestrebt sind, dürfte Ägypten das geeignete Land sein, wo man zeigen könnte, daß man mit Maßregeln, welche unseren besseren Kennt- nissen von dem Wesen und der Art der Verbreitung der Seuche angepaßt sind, weiter kommt, als mit der strengen Durchführung der Quarantänevorschriften. Aber auch vor Inangriffnahme solcher praktischen Vorarbeiten für eine Neuregelung des inter- nationalen Sanitätsdienstes wird eine voraufgehende Einigung der europäischen Kabinette notwendig sein. 958 Gesetzentwurf über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten. Vorbesprechung über den Entwurf eines preußischen Ausführungsgesetzes zu dem Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 in der Medizinalabteilung am 6. und 7. Febi'uar 1902. Vorsitzender : Geheimrat Förster. Koch schildert zunächst die in Amerika und England bezüglich der Tuberkulose- bekämpfung getroffenen Maßnahmen. Der Widerspruch gegen eine etwaige Einschrän- kung der persönlichen Freiheit sei wohl gerade in diesen Ländern am größten, und doch hätte man dort bereits eingesehen, daß es töricht sei, den eventuell zulässigen Absonde- rungsmaßregeln entgegenzutreten. Amerika sei vor ca. 8 Jahren mit der Anzeigepflicht und zwar zunächst nur fakultativ vorgegangen. Es habe bisher außerordentlich gute Ergebnisse erzielt, so daß in den meisten amerikanischen Staaten seit 2 — 3 Jahren die Anzeigepflicht bei Tuberkulose obligatorisch eingeführt worden sei. Aus New York habe ihm eine zuverlässige Statistik vorgelegen, wonach die Sterblichkeit dort bereits um % abgenommen habe. Es sei aber begründete Aussicht vorhanden, daß noch viel bessere Erfolge erzielt werden können, namentlich da die Resultate erst für eine verhält- nismäßig kurze Zeit vorliegen. In England habe der Eindruck der Maßnahmen so vor- züglich gewirkt, daß die allgemeine Einführung dort gar nicht schnell genug erfolgen kann. Soviel kann man aber unzweifelhaft schon jetzt sagen, daß der in Amerika und England eingeschlagene Weg der richtige sei. Die deutsche Bevölkerung halte er nicht für so niedrigstehend, daß dies auch hier nicht geschehen könne. Eingeführt würde die Anzeigepflicht späterhin ja doch; die öffentliche Meinung würde hierzu zwingen. Er erachte die Regelung der Tuberkulosefrage für eine der brennendsten und schlage vor, sie in dem vorliegenden Gesetze zu tun. Ein besonderes Gesetz sei wegen der langen Zeitdauer der Ausarbeitung unzweckmäßig, die Fassung des Gesetzesparagraphen hält Koch für besonders gut, zumal man seinerzeit keine Kenntnis der anderen Gesetze, welche ungefähr denselben Ausdruck gebrauchten, gehabt habe. Er warne davor, die Anzeigepflicht im Gesetze zu sehr einzuschränken, empfehle vielmehr nur eine allgemeine Kennzeichnung dessen, was man will, darin aufzunehmen. Vielleicht lasse sich dies juristisch noch präziser ausdrücken. Im übrigen wolle er ein polizeiliches Einschreiten möglichst vermieden wissen, vielmehr der Privatwohltätigkeit ein neues Gebiet eröffnen. Er spreche sich also für den Entwurf aus. Auf eine Anfrage des Vorsitzenden erklärt Koch, daß er unter einer an fortge- schrittener Tuberkulose leidenden Person nur eine solche verstehe, deren Lunge schon teilweise aufgelöst sei und die nicht nur Bazillen, sondern massenhaft Bazillen auswerfe. Die Anzeigepflicht und nötigenfalls Absonderungszwang wünsche er nur für derartige Kranke, die es an der notwendigen Reinlichkeit fehlen lassen und die renitent genug wären, die ihnen aufgegebenen ärztlichen oder sonstigen Verhütungsmaßregeln nicht zu beachten. Sobald ein Kranker durch eigene Maßnahmen (z. B. eigenes Schlafzimmer, Desinfektion des Auswurfs, genaue Befolgung ärztlicher oder sonstiger Anordnungen) sich unter Verhältnisse bringt oder gebracht werde, die eine Ansteckungsgefahr für die Umgebung ausschließen, erachte er die Überführung in ein Krankenhaus für nicht er- forderlich. Koch befürwortet neben der Syphilis auch Schanker und Tripper als melde- pflichtig aufzunehmen. Die letztere Krankheit sei erst in neuerer Zeit als sehr gefähr- lich und sehr ernst zu nehmen erkannt worden. (Verhandelt am 7. Februar.) Auf eine Frage des Vorsitzenden, ob die Anzeige- pflicht bei Tuberkulose nicht auf die praktischen Ärzte beschränkt werden solle, äußert sich Koch gegen eine solche Beschränliung. Das Vorgehen gegen die Tuberkulose sei nur vom praktischen Gesichtspunlite aus in humaner Richtung tunlich und biete auch nur so Aussicht auf Erfolg. In Halle sei vor nicht langer Zeit ein Verein gebildet, Gesetzentwiirf betr. d. Bekämpfung gemeingefährl. Krankh. — Ansiedlungfähigk. d. w eiß. Rasse. 959 der sich die Bekämpfung der Tuberkulose in der von dem Direktor der Landesversiche- rungsanstalt in Lübeclv dort vorgeschlagenen Weise zum Ziele gemacht habe. Das ge- schah in der Art, daß bei armen Familien, in denen ein Mitglied an der Schwindsucht erkrankt sei, die Wohnungsverhältnisse gründlich geprüft würden, im Bedarfsfalle erhielten die Familien dann Geldunterstützung zwecks Mietung einer größeren Wohnung oder Zumietung eines Zimmers. Auf diese Weise erstrebe der Verein, eine räumliche Trennung der kranlvcn von den gesunden Familienmitgliedern herbeizuführen. Er halte diese Idee für sehr zweckmäßig und für viel wertvoller als die ganze Heilstättenbewegung, da die letztere die Entstehung von neuen Krankheitsfällen wohl nur wenig einschränke. Er wünsche und richte an das Ministerium die Bitte, dahin zu wirken, daß die Bestre- bungen des Hallenser Vereins auch in Berlin Eingang finden können. Auf eine Bemerkung von Geheimrat G e r h a r d t , daß er sich dem Urteil Kochs über die Heilstätten nicht völlig anschließen könne, bemerkt dieser, daß es sich bei seinen Ausführungen um Kranke handele, die mit Recht in Heilstätten nicht mehr aufgenommen werden. Im übrigen verkenne auch er nicht die segensreichen Wirkungen dieser Anstalten. Bei Beratung über das Kindbettfieber begründet Koch den Beschluß, eine Sperr- • Vorschrift von 8 Tagen für Hebeammen und Wochenpflegerinnen einzuführen damit, daß eine völlig sichere Desinfektion noch nicht möglich sei. Zu dem Beschluß, bei Rückfallfieber an der Kennzeichnung der Wohnungen und Häuser festzuhalten, äußert sich Koch dahin, daß das Rückfallfieber bzw. die Erreger desselben gerade an den Häusern (Pennen) haften. Eine Verkehrsbeschränkung für Aufseher und Bedienstete von Wasserversorgungs- anstalten bei der Ruhr hält er bei einem ordnungsmäßig angelegten Wasserwerke für völlig überflüssig. Eine Grenzsperre bei Seuchen hält Koch für wirkungslos, ja sogar für die Be- kämpfung der Seuche selbst für nachteilig und zu kostspielig. Hauptsache sei es, die Seuche im Lande selbst zu bekämpfen. Bei der Schlußberatung empfiehlt Koch, den jungen Ärzten bei der Appro- bationserteilung die für sie in Frage kommenden gesetzlichen Bestimmungen zu übergeben, die Mehrzahl derselben hätte von den ihnen obliegenden Fragen zurzeit keine Ahnung. Beratung des R e i c h s g e s u n d h e i t s r a t s am 14. Februar 1 908 über die Fragen : Inwieweit ist die weiße Rasse imstande, unbeschadet ihrer Eigenart und Gesundheit tropische Gebiete dauernd zu besiedeln und sich daselbst fortzupflanzen? Wie verhält sich d i e W i s s e n s c h a f t der k o 1 o n i s i e r e n d e n N a t i o - n e n , insbesondere der Engländer und Holländer, zu dieser Frage? Koch erstattet hierzu folgendes Referat: Die zur Beratung stehende Frage zerfällt in zwei Teile; in ihrem ersten Teile lautet sie: ,,Wie gestaltet sich unser Urteil nach eigener Ansicht auf Grund selbstgewonnener Erfahrungen?", in dem zweiten Teile: ,,Zu welcher Ansicht führt die Wissenschaft der kolonisierenden Nationen, d. h. was sagt die Literatur?" Er beschränke sich in seinen Ausführungen auf den ersten Teil, entsprechend seinen persönlich gemachten Erfahrungen ; über den zweiten die Literatur umfassenden Teil habe Reg. -Rat. B r e g e r das Referat übernommen. Von vornherein sei zu unterscheiden zwischen der Besiedelungsfähigkeit der Küsten- und der inneren Hochländer, vor allem aber auch zwischen der Zeit, zu der man noch 960 Ansiedlungsfähigkeit der weißen Rasse in den Tropen. machtlos der Malaria gegenüber stand und den heutigen Verhältnissen, wo man auf Grund der eingehenden wissenschaftlichen Erfahrungen in der Lage sei, sich vor Malaria zu schützen. So seien noch vor 10 Jahren in Ostafrika, wie er sich selbst zu überzeugen Gelegenheit gehabt habe, sowie auch in Neu-Guinea die Verhältnisse recht traurig ge- wesen. Alles stand damals unter dem Zeichen der Malaria, und besonders in Neu-Guinea herrschte das Schwarzwasserfieber in verheerender Weise. Jetzt ist durch systematische Malariabekämpfung und durch Aufklärung der BevöUierung, namentlich in Deutsch- Ostafrika eine wesentliche Besserung erzielt; Schwarzwasserfieber kommt nur noch selten vor; es handelt sich dabei in der Regel um Erkrankungen aus dem Innern des Landes, aus Gegenden, wohin die Aufklärung der Ärzte noch nicht entsprechend vor- gedrungen ist. Solche Fälle seien meist auf unvernünftigen übermäßigen Chiningebrauch zurückzuführen. Haben sich also auch die Verhältnisse gebessert, so liegen sie doch noch nicht so günstig, daß man zu einer Besiedelung der Malaria aufweisenden Küsten- gegenden raten kann. Bei sachgemäßem Vorgehen läßt sich sicher noch weitere Besse- rung der Gesundheitsverhältnisse in diesen Landstrichen erreichen. Als gutes Beispiel darf Batavia gelten; dieser Ort war früher als äußerst ungesunde, von Malaria ständig heimgesuchte Niederlassung allgemein gefürchtet. In dem neuen heutigen Batavia aber kommt unter den Europäern Malaria so gut wie gar nicht mehr vor. Zur Erreichung dieses Umschwungs genügte schon die Vermeidung der Sumpfgegend durch die Anlage des Villenviertels Weltevreden in einiger Entfernung von der alten Stadt, in welch letz- terer sich die Europäer heutzutage nur noch zur Erledigung ihrer Handelsgeschäfte aufhalten. In Weltevreden selbst findet man keine Anophelesfliege, und man bedarf daher dort auch nicht des Chinins. Dabei weist Weltevreden keine wesentlichen Höhen- unterschiede gegenüber der alten Stadt auf. Koch berichtet, daß er auch in den zur Küstenregion gehörigen Buitenzorg 265 m und Soekuboemi 550 m über dem Meere (in der Höhenlage etwa von Mrogoro in Deutsch-Ostafrika 600 m) 200 Kinder alter, eingesiedelter Familien untersucht und alle malariafrei gefunden hat. An diesen Orten leben viele Pensionäre, die sich sehr wohl und zufrieden fühlen. Das Küstenklima allein ist sonach nicht die Ursache für die Nichtbesiedelungsfähigkeit solcher Landstriche, sondern es handelt sich hierbei vielmehr um die Malariafrage. Auch Singapore, auf einer Insel ohne fließende oder stehende Gewässer gelegen, muß als gesunder Ort bezeichnet werden; das Vorkommen von Ano- pheles dort ist eine Seltenheit. Dasselbe gilt für Mombassa, das an der ostafrikanischen Küste ebenfalls eine Insellage hat. Es ist so gut wie frei von Malaria; die sporadisch vorkommenden Fälle stammen alle aus Gegenden im Innern des Landes. Die deutschen Küstenorte Daressalam, Tanga, Pagani sind durchweg Fieber- herde. Kilwa Kiziwani, auf einer Koralleninsel günstig gelegen, macht davon eine Aus- nahme. Es lassen sich zweifellos, wenn bei der Wahl der Ansiedelungsorte vom hygie- nischen Gesichtspunkte aus richtig vorgegangen wird, noch andere brauchbare Punkte finden oder schaffen. Zusammenfassend legt Koch seine Auffassung über die Be- siedelungsfähigkeit der Küsten gebiete dahin dar, daß zurzeit unter den Küsten- gebieten der deutschen Kolonien keine zu Ansiedelungszwecken geeigneten Stellen be- kannt sind; es erscheint aber nicht ausgeschlossen, daß in Zukunft für Ansiedelungs- zwecke geeignete Orte oder Bezirke noch ausfindig gemacht oder eingerichtet werden; immerhin wird es sich hierbei weniger um Niederlassungen von Bauern als vielmehr um Ansiedelung von Handwerkern und Kaufleuten handeln. Zwischen dem Küsten khma und dem Binnen klima der hochgelegenen Länder aber bestehen, wie Koch weiter ausführte, wichtige Unterschiede. Das Küstenklima zeichnet sich aus durch hohe Luftfeuchtigkeit, durch hohe gleich- Ansiedlungsfähigkeit der weißen Rasse in den Tropen. 961 mäßige Temperatur ohne Schwankungen; hier finden sich die meisten Malariaherde. Demgegenüber hat das Höhenkhma kontinentalen Charakter; es ist bei geringerer Durch- schnittstemperatur trocken und weist größere Temperaturdifferenzen in bezug auf Tag und Nacht auf. Besonders wertvoll sind die kühlen Nächte, die sich auch für die im Hochland gelegenen Gegenden mit Küstenklima (Viktoria-Njansa) vorteilhaft bemerk- bar machen. Auch im Hochland finden sich Malariastriche ; sie sind aber selten und lassen mit verhältnismäßig geringem Aufwand an Mitteln sich beseitigen. Für die Besiedelung durch deutsche Landwirte und Pflanzer kommt hauptsächlich das Hochland Deutsch- Ostafrikas in Frage; es ist aber auch möglich, daß das Hochland von Kamerun und von Neu-Guinea verwertbar sind. Das Klima des großen ostafrikanischen Hochlandes ist demjenigen von Rhodesia sehr ähnlich und auch gegenüber dem Klima von Transvaal nur wenig verschieden. In Rhodesia. das noch innerhalb des Wendekreises liegt, steht die Sonne fast 2 Monate im Zenith; die Sonnentemperatur beträgt in Kimberley und Buluwayo bis 70°. In Transvaal sind seit langer Zeit europäische Ansiedler unbeschadet ihrer Eigenart und ihrer Gesundheit ansässig, sie haben ihre Fortpflanzungsfälligkeit nicht eingebüßt und im Laufe der Zeit keine Mischrasse gebildet. In Rhodesia ent- wickelten sich dieselben Verhältnisse und auch in Britisch-Ostafrika beginnt die Be- siedelung wie in Nairobi, Entebbe, Kompale usw. Man kann unbedenklich die hier ge- machten Erfahrungen auch für Deutsch-Ostafrüia verwerten. Es ist sonach die Schluß- folgerung berechtigt, daß ebensogut wie in Transvaal und Rhodesia, so auch in den ostafrikanischen Gebirgsgegenden, namentlich Uhehe, eine Ansiedelung möglich ist. Allerdings besteht die Burenbesiedelung noch nicht ganz 100 Jahre, und dieser Zeit- raum erscheint für ein endgültiges LTrteil noch niclit vollkommen ausreicliend ; es ist aber anderseits doch auch nicht angängig, vor Besiedelungsversuchen in den deutschen Kolonien erst die Erfahrungen eines weiteren Jahrhunderts abzuwarten. Koch faßt sein endgültiges LTrteil über die Besiedelungsfähigkeit der linieren Hochländer also zusammen: Bis jetzt spricht nichts dagegen, daß die weiße Rasse auf dem Hochplateau von Afrika in Höhen von 3000 — 4000 Fuß (1000 m und darüber) unbeschadet ihrer Eigenart und Gesundheit dauernd existieren und sich fortpflanzen kann. Dies Urteil gelte in erster Linie für Deutsch-Ostafrika und soll Südwestafrika nur insoweit einschließen, als dessen klimatische Verhältnisse denen Transvaals ent- sprechen. In der Diskussion zvi dem zweiten Teil der Tagesordnung bemerkt K o c Ii zu Ausführungen von S t e u d e 1 (Berlin), daß diese sich mehr auf ein gesammeltes reiches statistisches Material, als auf per- sönliche Erfahrungen, denen ein viel höherer Wert beizulegen sei, stützten. Die Furcht der aus den Kolonien Zurückgekehrten vor der Kälte in Deutschland halte er nicht für ein Zeichen beginnender Degeneration. Nach seiner Ansicht sei die niedrige Temperatur des Winters zur Erhaltung eines kräftigen Nervensystems nicht notwendig, ja er halte den Winter, in dem man viel an das Haus gefesselt sei, sogar eher für schädlich. Für die Tropen sei die Hauptsache und ausreichend, wenn die Nächte Abkühlung bringen. Bei den von Herrn S t e u d e 1 beschriebenen LTiitersuchungsbefunden handle es sich wohl meist um Residuen alter Malaria, aber nicht um Folgen des Aufenthaltes im tro- pischen Klima. Daß die Buren degeneriert seien, könne er ebenfalls nicht anerkennen. Mit demselben Rechte könne man den Nordanierikanern, die gleichfalls vielfach auf Gelderwerb ausgehen, Vorwurf der Degeneration machen. Dies wäre aber doch sicher Ungerechtfertigt. Auch bezüglich der Sonnenstrahlung bestehe kein wesentlicher Unter- schied zwischen Rhodesia und Deutsch-Ostafrika. Auch in Buluwayo habe er Bestrah- lungstemperatureii von 70° C beobachtet und doch sei das Tragen von Tropenlielmen Koch, Gesammelte Werke. 106 962 Ansiedlungsfähigkeit der weißen Rasse in den Tropen. nicht nötig. In Iringa habe er einen Ansiedler getroffen, der seine Felder ohne Kopf- bedeckung selbst bestellt habe. Der Kolonisationsversuch in Nairobi sei nicht aus ge- sundheitlichen Gründen verunglückt, sondern aus wirtschaftlichen. Der Ausbruch von Tropenkoller sei nicht auf das Klima, sondern auf andere Gründe, unregelmäßiges, aus- schweifendes Leben, Zügellosigkeit usw. zurückzuführen. Ferner bemerkt Koch, daß seine Angaben über die Trockenheit der Luft sich auf die am Tage vorgenomme- nen Messungen beziehen. In den frühen Morgenstunden hat er auch 100% Feuchtig- keitsgehalt der Luft gefunden; das sei aber nicht von Bedeutung, da dann die Luft- feuchtigkeit nicht so unangenehm empfunden wird, infolge der noch niedrigen Tem- peratur am Morgen ; auch befindet man sich zu dieser Tageszeit noch in den Wohnräumen. Man kann sonach, wie Exzellenz Koch ausführt, die Luft im Innern als trocken be- zeichnen. Das Vorkommen der Malaria in den verschiedenen Höhengegenden ist ganz von den Wasserverhältnissen abhängig; es richtet sich danach, ob Tümpel oder sonst stagnierende Gewässer als Brutstätten für Anopheles vorhanden sind. In Ost-Usam- bara sind keine derartigen Tümpel vorhanden, infolgedessen ist es malariafrei, dagegen kommt auch in Höhen von mehr als 1000 m über dem Meeresspiegel sonst Malaria vor, wenn für das Gedeihen der Anopheles günstige Verhältnisse gegeben sind. Auf eine Anfrage von Gärtner (Jena), ob über die in den deutschen Kolonien betreffs der Fortpflanzungsfähigkeit der europäischen Ansiedler gemachten Erfahrungen noch kein stati- stisches Material vorliege, erwidert Koch, daß die Zeit unseres kolonialen Wirkens nicht zu kurz sei, um eine wirklich brauch- bare Statistik aufzustellen. Früher wären an der Küste in Daressalam alle Kinder malariakrank gewesen, für das Höhenland liegen so gut wie noch gar keine Erfahrungen vor. Koch hebt zur Verhütung von Mißverständnissen noch hervor, daß seine Meinung nicht etwa dahin geht, daß nun gleich im großen mit Besiedelungen begonnen werden solle; es könne sich selbstverständlich bei den geringen praktischen Erfahrungen, die Deutschland auf diesem Gebiete besitzt, nur um ein sehr vorsichtiges schrittweises Vorgehen handeln. Das Ergebnis der Verhandlvmgen faßt der Vorsitzende Präsident B u m m folgendermaßen zusammen : Es ist zu unterscheiden zwischen der Besiedelung der Küstengebiete mit Küsten- klima und der Besiedelung der im Innern gelegenen Hochländer mit Höhenklima in Höhen von etwa 1000 m und darüber. In den ersteren Gebieten (Küstengegenden) der deutschen Kolonien sind gegenwärtig keine Orte bekannt, welche als besiedelungsfähig angesehen werden könn- ten. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß dort noch derartige Orte gefunden oder durch systema- tische Sanierung im Laufe der Zeit geschaffen werden können. Es spricht nicht; dagegen, daß die weißj Rasse imstande ist, unbeschadet ihrer Eigenart und Gesundheit die inneren afrikanischen Hochländer insbesondere der deutschen Schutz- gebiete von Ostafrika, Kamerun und Togo dauernd zu besiedeln und sich daselbst fortzupflanzen; indessen müssen die für eine Besiedelung bestimmten Orte nach den Forderungen der modernen Tropenhygiene vorsichtig ausgewählt werden. Auch soll nur geistig und körperlich gesunden sowie kräftigen Personen die Ansiedlung daselbst gestattet werden. Notwendig ist ferner, daß durch aus- reichende hygienische Maßnahmen für die fortgesetzte Sanierung der Ansiedelungen Vorkehrung getroffen sowie daß die betreffenden Gebiete und Orte mit Sanitätspersonal und gesundheitlichen Einrichtungen in genügender Weise versorgt werden. Mit den Ansiedelungsversuchen soll deutscher- seits mangels ausreichender eigener Erfahrungen nicht sofort in großem Maßstabe begonnen werden, vielmehr empfiehlt es sich, zunächst vorsichtig und schrittweise vorzugehen. Zum Schlüsse stellte der Vorsitzende unter allgemeiner Zustimmung noch fest, daß bei vor- stehender Fragenbeantwortung ausschließlich vom hygienischen Gesichtspunkte ausgegangen sowie angenommen worden ist, wie in jedem Einzelfalle die Frage, ob auch die Bedingungen für ein wirt- schaftliches und soziales Gedeihen der Besiedelung gegeben erscheinen, von den dafür zuständigen Stellen noch besonders geprüft wird. Impfgeselz. Aus zahlreichen Gutachten, Sitzungsprotokollen usw. geht hervor, in wie be- deutendem Maße Koch sich an den Vorarbeiten für die Verbesserung des Impfgesetzes und namentlich für die Einführung der animalen Lymphe beteiligt hat. An den Verhandlungen über das Impfgesetz, zu denen der Reichstag wiederholt durch Peti- tionen von Impfgegnern gezwungen worden ist, hat Koch als Vertreter der Reichsregierung drei- mal teilgenommen. Das erste Mal in der K o m m i s s i o n der fünften Legislaturperiode d e s R e i c h s t a g s im Jahre 188 2. Zur Verhaiadlung standen 28 Petitionen, die alle das Ziel hatten, die Schutzimpfung herabzusetzen und eine Änderung des Impfgesetzes oder seine Al)schaffung vom Reichstage zu er- langen. In der Debatte bemerkte K o c h : Bisher habe man ein Urteil über die Gefahren, welche von der Pockenkrankheit zu fürchten seien, und von dem Nutzen der Kuhpockenimpfung fast ausschließlich mit Hilfe der Statistik zu gewinnen versucht. So wertvoll und unentbehrlich nun aber auch die der Statistik zu entnehmenden Schlüsse sein könnten, so müsse man in Anbetracht der außerordentlichen Fortschritte, welche unsere Kenntnisse über die ansteckenden Krankheiten in der neuesten Zeit gemacht haben, neben der Statistik auch diese er- weiterten wissenschaftlichen Erfahrungen zu Rate ziehen, wenn die Frage über die Not- wendigkeit oder Entbehrlichkeit der Schutzimpfung entschieden werden solle. Nach dieser Richtung hin habe Redner über die Impfung einiges zu sagen. Es dürfe wohl als bekannt vorausgesetzt werden, daß als die Ursache einer Anzahl von ansteckenden Krankheiten sehr kleine lebende Wesen, Parasiten, welche pflanz- licher Natur sind, nachgewiesen wurden. Nach allen Erfahrungen, welche wir über die Pockenkranklieit besitzen, könne es keinem Zweifel unterliegen, daß auch der In- fektionsstoff dieser Krankheit aus derartig kleinsten Parasiten bestehe. Wahrscheinlich würden dieselben schon genauer bekannt sein, als sie es bis jetzt sind, wenn nicht indfolge des Impfzwanges bei uns die Pockenkrankheit so bedeutend abgenommen hätte, daß es kaum möglich sei, das für die Untersuchung dieser Infektionskrankheit erforderliche pathologische Material zu beschaffen. Besser kenne man indessen diese Infektionsstoffe, welche bei der Impfung in Frage konnnen, nämlich diejenigen vom Rotlauf und von den Skrofeln, welche beide eben- falls durch pflanzliche Parasiten — Bakterien — verursacht werden. Die erwähnten Infektionskrankheiten können unabhängig von den dieselben verursaclienden Parasiten nicht entstehen. Wenn eine solche Krankheit zum Ausbruch komme, so könne dies nur dadurch geschehen, daß die Parasiten durch die vielf aclien unmittelbaren und mittel- baren Berührungen zwschen Gesunden und Kranken, welche der menschliche Verkehr bedinge, durch Luftströmungen, Trinkwasser usw. verschleppt inid von kranken auf gesunde Menschen übertragen würden, und wenn eine dieser Infektionskrankheiten, zu welchen auch die Kuhpocken gehören, durch Impfung von einem Menschen auf den andern künstlich verpflanzt werde, so sei dies in der Tat weiter nichts, als das Verpflanzen lOG* 964 Reichstagsverhandlungen über das Impfgesetz. eines Parasiten von einem Ort auf einen anderen. Niemals aber entstehen diese Krank- heiten, wie es noch immer von den Gegnern der Impfung behauptet wird, allein aus Unreinlichkeit und gesundheitswidriger Lebensweise, und zwar ebensowenig wie andere Parasiten, beispielsweise Trichinen, im menschlichen Körper durch Unreinlichkeit, ver- dorbene Säfte usw. sich bilden können: selbige stammen immer nur von anderen, durch einen Zufall mit der Nahrung in den Körper gelangten Trichinen ab. Es sei nun eine allen wohlbekannte Tatsache, daß manche ansteckende Krank- heiten den Menschen nur einmal befallen, so Masern, Scharlach und Pocken. Das Über- stehen der Krankheit verleihe also einen Schutz gegen dieselbe auf mehr oder weniger lange Zeit. Aber nicht allein das Uberstehen der Kranlvheit selbst, also die Wirkung des Infektionsstoffes derselben, gewähre diesen Schutz, sondern auch andere ähnliche, an und für sich schwächere oder selbst künstlich abgeschwächte Infektionsstoffe, wie die Erfahrungen über die künstliche Abschwächung des Milzbrandgiftes gelehrt hätten, vermöchte denselben Schutz zu verschaffen. Ein solches Verhältnis nun bestehe auch zwischen den Menschenpocken und Kuhpocken. Beide Krankheiten seien keineswegs, wie von den Impfgegnern vielfach gesagt werde, identisch; denn noch niemals sei, ob- wohl alljährlich viele tausende von Menschen mit Kuhpocken geimpft werden, aus einer solchen Impfung die dem Menschen eigentümliche Pockenkrankheit entstanden. Die Kuhpocken seien eine natürlich vorkommende, für den Menschen außerordentlich leichte Infektionskrankheit, welche aber trotz ihrer geringfügigen Krankheitssymptome die Eigenschaft habe, gegen die gefährlichen Menschenpocken einen ganz bedeutenden Schutz zu verleihen. Wenn reine Kuhpockenlymphe verimpft werde, könnten immer nur wieder Kuhpocken und nichts anderes daraus entstehen. Treten andere Krank- heiten, beispielsweise Syphilis oder Rotlauf, nach der Impfung zu den Kuhpocken hin- zu, dann sei keine reine Kuhpockenlymphe, sondern zugleich mit dieser das spezifische. Rotlauf- oder Syphilisgift verimpft. Wir haben es also bei der Pockenkrankheit sowohl, als bei der Kuhpockenimpfung und den mit letzterer verbundenen Schädigungen mit spezifischen organisierten Krankheitsstoffen zu tun, deren Eigenschaften man kennen müsse, wenn man den Nutzen und Schaden der Kuhpockenimpfung richtig beurteilen wolle. Die Impfgegner trügen diesen Tatsachen indessen keine Rechnung. Sie nehmen an, daß die Pocken eine spontan aus Unreinlichkeit, verdorbenen Säften oder dergleichen entstehende Krankheit sei, Kuhpocken und menschhche Pocken sollen ein und dieselbe Krankheit sein, ja dieselben hätten behauptet, daß die Syphilis identisch sowohl mit Kuhpocken als mit Menschenpocken und demgemäß jeder geimpfte Mensch eigentlich syphilitisch sei. Einer der Hauptführer unter den Impfgegnern, 0 i d t m a n n , habe sogar die Behauptung aufgestellt, daß die Menschenpocken von den Schaf pocken her- rührten und daß die Pockenkrankheit der Menschen durch den Verkehr mit Schafwolle, wollenen Kleidern usw. veranlaßt werde. Vom Standpunkte der Wissenschaft aus sei es überflüssig, gegen diese rein wilUtürliche Annahme etwas zu sagen, denn es lägen nicht die geringsten Tatsachen dafür vor, diese beiden voneinander verschiedenen Krank- heiten miteinander in Zusammenhang zu bringen. Da aber von einigen Mitgliedern der Kommission ein so großes Gewicht auf die Autorität von 0 i d t m a n n gelegt werde, so wolle Redner nur aus seiner persönlichen Erfahrung noch anführen, daß er Gelegen- heit gehabt habe, die Pockenepidemie von 1871 und 1872 als Arzt in einer Gegend zu erleben, wo eine ziemlich bedeutende Schafzucht getrieben werde. Obwohl nun zu jener Zeit die Menschenpocken überall verbreitet waren, sei auch nicht ein einziger Fall von Schafpocken vorgekommen. Einige Jahre später hätten dagegen die Schafpocken eben- daselbst in entsetzlicher Weise geherrscht, und es sei auch nicht ein einziger Mensch an Pocken erkrankt. Außerdem seien in der Absicht, noch weitere Schutzimpfstoffe Reichstagsverhandlungen über das Impfgesetz. 965 gegen die Pocken zu gewinnen, vielfache Versuche angestellt, die Pocken von Menschen auf Schafe und umgekehrt zu übertragen, aber ohne eigentlichen Erfolg. Redner habe selbst diese Versuche wiederholt, und obwohl er einige Übung und Erfahrung in solchen Experimenten besitze, sei ihm die Übertragung ebenfalls nicht gelungen. Von irgend welchen Beziehungen zwischen Menschen- und Schafpocken könne demnach keine Rede sein. Aus diesen und den vorher angeführten irrtümlichen Ansichten der Impfgegner gehe hervor, daß sie über das eigentliche Wesen der Pockenkrankheit und der Schutz- impfung vollständig im unklaren seien und also auch kein sachverständiges Urteil dar- über haben können. Die Impfgegner befänden sich der Pockenlcrankheit und den gegen diese Seuche getroffenen gesetzlichen Maßregeln gegenüber auf dem gleichen Stand- punkte wie diejenigen, welche das Vorhandensein der Trichinen leugnen, gegenüber der Trichinenschau. Wollte man die Frage nach dem Nutzen oder nach der Entbehr- lichkeit der Trichinenschau an die Trichinenleugner richten, so läßt sich leicht denken, wie die Antwort ausfallen würde. Alle Einwände der Impfgegner, welche sich auf ihre irrigen Ansichten vom Wesen der Pockenkranliheit und der Vaccination stützten, seien völlig wertlos. Von Bedeutung seien nur die Vorwürfe, welche der Impfung wegen ge- wisser Gesundheitsbeschädigungen, welche bei derselben vorgekommen sind, gemacht würden. Von ärztlicher Seite werden die Impfschädigungen durchaus nicht abgeleugnet, wie man glauben könnte, wenn man die Schriften der Impfgegner lese. Nur gegen die Übertreibungen, welche die Impfschädigungen seitens der Anti-Impfagitation erfahren haben, richte sich der von ärztlicher Seite erhobene Widerspruch. So werden von den Impfgegnern alle möglichen Krankheiten, deren Zusammenhang mit der Impfung ganz unerweislich sei, dieser zur Last gelegt. Unter anderen wollte 0 i d t m a n n jetzt ge- funden haben, daß die Diphtheritis infolge der Impfung zugenommen habe. Der Referent habe schon mehrfache Gründe geltend gemacht, welche diese Annahme als unrichtig erscheinen lassen müßten. Dem sei noch hinzuzufügen, daß die Diphtheritis sich ähnlich verhalte wie Masern und Scharlach, die Mortalität sei bei diesen Krankheiten überhaupt bis zum ersten Jahre sehr gering, sie steige aber vom zweiten Lebensjalire an sehr schnell und erreiche zwischen dem fünften und achten Jahre ihr Maximum, um nach dem zehnten Lebensjahre rapide auf ein Minimum zu sinken. Das Ansteigen der Diphtheritis bei Beginn des zweiten Lebensjahres falle nun zufällig mit der Zeit zusammen, in welcher die meisten Kinder geimpft werden. Aber nur eine ganz oberflächliche oder tendenziöse Betrachtung könne hier einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Diphtheritis annehmen, denn wenn ein solcher wirklich bestände, müßte doch dieselbe Wirkung auch nach der zweiten ^Impfung, nach der Revaccination eintreten und die Diphtheritismortalität im zwölften Lebensjahre der Kinder eine Steigerung erfahren. Dies sei aber absolut nicht der Fall, schon vor dem Lebensalter, in welches die Revacci- nation falle, sei die Diphtheritissterblichkeit außerordentlich gering und nehme von da an nicht mehr zu. Außerdem könne Redner sich auch hier auf seine persönlichen Er- fahrungen als Arzt berufen. Er habe sehr bösartige Diphtheritisepidemien gesehen, welche sich auf einzelne in sumpfigen Niederungen belegene Ortschaften beschränliten und den größten Teil der Kinder daselbst wegrafften, während in wenig entfernten aber höher gelegenen Dörfern keine Diphtheritis vorgekommen sei. Die Impfung habe aber sowohl in den von der Diphtheritis heimgesuchten, wie in den von ihr verschont gebliebenen Dörfern ganz in derselben Weise stattgefunden. 0 i d t m a n n s Annahme, daß die Diphtheritis durch die Impfung zugenommen habe, erweise sich mithin eben- sowenig begründet, wie seine Behauptung von der Entstehung der Menschenpocken aus den Schafpocken. 966 Reichstags Verhandlungen über das Impfgesetz. Als Impfbeschädigungen, welche wirklich eintreten könnten und teilweise auch unzweifelhaft vorgekommen seien, könnten nur Syphilis, Rotlauf und Skrofeln be- zeichnet werden. Wegen der außerordentlichen Häufigkeit der Skrofeln unter den Kindern, sowohl geimpften als nicht geimpften, und wegen der langsamen, versteckten Entwicklung dieser Krankheit müsse es jedoch überaus schwierig sein und werde viel- leicht niemals gelingen, mit Sicherheit die Entstehung derselben auf die Impfung zurück- zuführen. So könnten alle die Krankheitsfälle, von denen hier photographische Ab- bildungen vorgelegt wurden, sobald man die Krankengeschichten genauer prüfe, ebenso- gut und wohl noch mit besseren Gründen auf andere Ursachen als auf die Impfung be- zogen werden. Immerhin müsse die Möglichkeit zugegeben werden, daß Krank- heitszustände, welche der Tuberkulose angehören, also auch die Skrofulöse durch die Impfung übertragen werden. Weniger Unsicherheit herrsche über den ursächlichen Zusammenhang von Syphilis und Rotlauf mit der Impfung, denn es lägen bereits eine Anzahl wohlkonstatierter Fälle von Impfsyphilis und Impfrotlauf vor. Allerdings seien auch diese Impfbeschädigungen bei weitem nicht so häufig, als in den Schriften der Impfgegner behauptet werde. Sie seien im Verhältnis zu dem Nutzen, welchen die Imp- fung gewähre, so überaus gering, daß, selbst wenn dieser Nachteil von der Impfung nicht zu trennen sein würde, die Impfung dennoch als eine für das Gemeinwohl unent- behrliche Einrichtung gelten müßte, ebenso wie viele andere nützliche Institutionen, welche ebenfalls nicht absolut frei von Mängeln seien. Glücklicherweise hätten sich nun aber in den letzten Jahren die Verhältnisse geändert und es sei die begründetste Aus- sicht vorhanden, die Impfung soweit zu verbessern, daß sich auch die Gefahr der Uber- impfung von Syphilis und Skrofulöse, hoffentlich auch des Rotlaufs beseitigen lasse. Bis jetzt sei es nämlich niemals gelungen, die Syphilis auf Tiere zu übertragen, eine Tatsache, welche Redner aus vielfältiger eigener Erfahrung bestätigen könne. Auch sonst sei diese Krankheit noch niemals bei Tieren beobachtet worden und sie bleibe ein trauriges Vorrecht des Menschen. Die Impfsyphilis sei also nur dann möglich, wenn die Impfung vom Menschen auf den Menschen geschehe, könne aber nicht vorkommen, wenn die Lymphe von einem Tier, z. B. vom Kalbe, entnommen werde. Schon allein aus diesem Grunde habe man vielfach das Bestreben gehabt, an Stelle der Impfung mit humanisierter diejenige mit animaler Vaccine treten zu lassen und man habe sich fortwährend bemüht, die Unsicherheit in der Wirkung der animalen Lymphe und die LTnmöglichkeit, sie zu konservieren, durch Verbesserungen in den Methoden zu beseitigen, weil diese Mängel der allgemeinen Einführung der animalen Vaccination entgegengestan- den hätten. Schließlich hätten diese Bemühungen in den beiden letzten Jahren zu einem günstigen Resultat geführt und es ständen bereits zwei verschiedene Impfmethoden, diejenigen von P i s s i n und R e i ß n e r , zur Verfügung, welche im Gesundheits- amte geprüft und den zu stellenden Anforderungen durchaus entsprechend befunden seien. Kürzlich sei noch eine weitere Verbesserung durch den Medizinalrat Pfeiffer in Weimar, einen der erfahrensten Ärzte auf dem Gebiete der animalen Impfung, in Vorschlag gebracht, welche für die Massenproduktion der animalen Lymphe erhebliche Vorteile biete und demgemäß eine Verringerung der Kosten für die Lymphegewinnung ermöglichen werde. Auf jeden Fall sei die animale Vaccination schon jetzt so vervollkommnet, daß ihre Ausführung für Massenimpfungen, wie es die öffentliche Impfung verlange, ermög- licht sei. Das fernere Vorkommen von Impfsyphilis würde also, sobald die animale Vaccination allgemein eingeführt werde, vollkommen ausgeschlossen sein. Außerdem verspreche die animale Vaccination aber noch weitere Vorteile. Da die Lymphe nicht mehr wie früher unmittelbar vom Kalbe frisch verimpft zu werden brauche, sondern Reichstagsverliandlungen über das Impfgesetz. 967 Wochen, selbst Monate lang konserviert werden könne, so sei es selbstverständlich, daß man sich, vor der Benutzung der Lymphen, durch eine sorgfältige Untersuchung aller inneren Organe des inzwischen geschlachteten Tieres von der Gesundheit desselben überzeuge. Namentlich werde auch die Abwesenheit tuberkulöser Affektionen, welche bekanntlich beim Rindvieh gleichfalls, bei Kälbern allerdings nur selten vorkommen, konstatiert werden können. Die Verimpfung von Syphilis und Tuberkulose oder Skrofu- löse könne also durch animale Vaccination sicher vermieden werden. Es werde nun aber der animalen Impfung der Vorwurf gemacht, daß andere dem Rindvieh eigentüm- liche Krankheiten, wie z. B. Milzbrand, Aphthenseuche und weitere Infektionskrank- heiten durch die Impfung möglicherweise übertragen würden. Derartige Krankheiten könnten an dem geschlachteten Tier bei der Untersuchung durch einen Sachverständigen eigentlich nicht übersehen werden. Außerdem sei nun aber gerade darin ein unersetz- licher Vorteil der animalen Impfung zu finden, daß wir uns vorher durch eine Probe- inipfung am Tier von der guten Beschaffenheit der Lymphe überzeugen und eine durch- aus zuverlässige Garantie für das Fehlen von schädlichen Verunreinigungen der Lymphe erhalten könnten. Wenn nämlich die von einem Kalbe gewonnene Lymphe das Krank- heitsgift des Milzbrandes, der Aphthenseuche oder anderer ansteckender Krankheiten zufällig enthielte, so würde sich dies, sobald die Lymphe vorher probeweise auf Kälber Kaninchen oder andere geeignete Tiere verimpft werde,- ohne allen Zweifel durch eine Erkrankung dieser Tiere zu erkennen geben und die Lymphe würde in diesem Falle zu verwerfen sein. Selbst der Impfrotlauf, soweit er durch eine fehlerhafte Beschaffenheit der Lymphe bedingt sei, werde höchstwahrscheinlich durch eine solche Probeimpfung an geeigneten Tieren auszuschließen sein. Man kenne jetzt durch Untersuchungen von Dr. Fehleisen, Assistenten an der hiesigen chirurgischen Universitätsklinik die LTrsache des Rotlaufs ganz genau und sei imstande, klmstlich bei Tieren durch Ver- impfung der den Rotlauf bedingenden Mikrokokken diese Krankheit hervorzurufen. In gleicher Weise könne man also auch die Lymphe auf Tiere verimpfen und je nachdem Rotlauf dadurch entstehe oder ausbleibe, könne auf das Vorhandensein oder Fehlen dieser gefährlichen Verunreinigung der Lymphe geschlossen werden. Es sei außerdem noch gegen die animale Impfung eingewendet, daß die Kuh- pocken kaum von den sogenannten Spitz-, Stein- und Wasserpocken der Kühe zu unter- scheiden seien und daß vermutlich sehr oft gar nicht einmal die echten Kuhpocken, sondern jene falschen Pocken verimpft würden. Hiernach könnte es fast so scheinen, als ob für die animale Impfung bald hier bald dort der Impfstoff zusammengesucht werden müsse, das sei aber keineswegs der Fall. Die echten Kuhpocken seien ziemlich selten. In den wenigen Fällen, in denen man sie gefunden und sich von ihrer Echtheit überzeugt hätte, würden sie sorgfältig durch sukzessives Weiterimpfen von Kalb zu Kalb konserviert. So sei in Frankreich schon seit dem Jahre 1836 eine in Pau entdeckte und seit 1866 eine aus Beaugency stannnende echte Kuhpockenlymphe in besonderen Inipfinstituten kultiviert worden. In neuester Zeit sei zu diesen beiden noch eine dritte in der Gironde aufgefundene Stammlymphe gekommen, welche als ein Beispiel dienen möge, wie vorsichtig man ])ei der Auswahl einer solchen neuen Kuhpockenlymphe zu Werke gehe. Es sei nämlich die Lymphe zunächst längere Zeit hindurch auf Kühe ver- impft, um ihre Wirksamkeit und die Beschaffenheit der erzielten Pocken zu beobachten, dann sei sie von mehreren ärztlichen Kommissionen und schließlich noch von der Aca- d^iuie de Medecine zu Paris geprüft und erst, nachdem sie alle diese Proben bestanden hatte, sei sie zur Konservierung dem Pariser Impfinstitut übergeben. Die bei uns in Deutschland benutzten Sorten animaler Lymphe stammten, soweit dem Redner bekannt sei, sämtlich von der Beaugency-Lymphe ab. Hieraus ließe sich ersehen, daß zur ani- 968 Reichstagsverhandlungen über das Impfgesetz. malen Impfung nur wohlbekannte und vielfach bewährte, nicht aber eine an beliebigem Ort von unsicheren Kuhpocken eingesammelte Lymphe gebraucht werde. Überdies sei es durchaus nicht notwendig, nur die originären Kuhpocken zur Impfung der Kälber zu benutzen. Eine von Kindern genommene gute Lymphe erzeuge beim Kalbe vor- trefflich entwickelte Pocken; die aus solchen Pocken gewonnene Lymphe, die sogenannte Retrovaccine, biete dann, nachdem sie einmal oder zweimal durch den Körper des Kalbes gegangen sei, genau dieselbe Garantie gegen Verunreinigung mit Syphilisgift, wie die originären Kuhpocken. An zuverlässigem und sicherem Impfstoff könne also niemals Mangel entstehen. Alle diese Mitteilungen müßten zu der Überzeugung führen, daß die Kuhpocken- impfung auf dem besten Wege sei, die ihr bis dahin noch anhaftenden Mängel abzustreifen. Es scheine deswegen gerade dieser Moment der am wenigst geeignete zu sein, um in der Impfgesetzgebung Änderungen eintreten zu lassen. Wollte man dennoch das Impfgesetz jetzt beseitigen, so würde das gewissermaßen ein Experiment im Großen sein. Nach einer Reihe von Jahren würde sich mit aller Deutlichkeit der Unterschied in der Pocken- sterblichkeit während des Impfzwanges und nach Aufheben desselben herausstellen. Aber es ständen bei diesem Experimente, welches die Impfgegner am gründlichsten von der Unrichtigkeit ihrer Ansichten überzeugen würde, zahlreiche Menschenleben auf dem Spiele, und es sei deswegen dringend davor zu warnen, dasselbe ins Werk zu setzen. Außerdem füge es der Zufall, daß sich augenblicklich in der Schweiz ein solches Experiment vollziehe. Es sei dort ein Gesetz, welches die Zwangsimpfung einführen sollte, abgelehnt, und infolgedessen hätten eine Anzahl Kantone die bis dahin durch- geführte Zwangsimpfung aufgegeben; andere, z. B. Zürich, hätten sie indessen bei- behalten und es müsse sich nun im Laufe der nächsten Jahre herausstellen, von welcher Wirkung dieser Schritt sein werde. Unzweifelhaft müsse es von größtem Wert sein, die Erfahrungen, welche man in der Schweiz machen werde, abzuwarten und für die Beurteilung unserer Verhältnisse zu verwerten. Das Ergebnis dieser Verhandhmgen war der Entschhiß der Eeichsregierung, eine Sachver- ständigenkommission zur Revision des Impfgesetzes einzuberufen. Die Vorbereitungen für diese Konmaission hat Koch als Mitghed des Kaiserl. Gesundheitsamts fast ausschließlich getroffen. Hierüber geben folgende Aktenstücke Auskunft. An den Herrn Staatssekretär des Innern. Berlin, den 22. September 1882. Eurer Exzellenz beehre ich mich über die Berufung einer Kommission zur Beratung der zweckmäßigsten Form einer erfolgreichen Beaufsichtigung des Impfgeschäftes und der allgemeinen Einführung der animalen Vaccination ganz gehorsamst zu berichten. Nachdem die Königlich Preußische Deputation für das Medizinalwesen sich in ihrem Gutachten vom 16. Februar 1881 im wesentlichen übereinstimmend mit den in meinem Berichte vom 13. Mai 1880 gegebenen Ausführungen bezüglich der Beaufsich- tigung des Impfgeschäftes ausgesprochen hatte, und die Berufung einer Kommission in Aussicht genommen war, wurden vermittels Erlasses vom 5. Februar d. J. die Eurer Exzellenz mit meinem Berichte vom 29. November 1881 gehorsamst vorgelegten Ent- würfe zu Verhaltungsregeln bei der polizeilichen Beaufsichtigung des Impfgeschäftes, Verhaltungsregeln für die Impfärzte und einer Belehrung über die Behandlung der Impflinge den Regierungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklen- Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Eiiiführung d. anirnalen Vaccination. 969 burg-Schwerin, Sachsen- Weimar und Elsaß-Lothringen mit dem Ersuchen um eine Äußerung zur Sache übersandt. Noch ehe die Antworten auf diesen Erlaß erfolgten, sah ich mich veranlaßt, Eurer Exzellenz auf Grund der Bedenken, welche gegen die fernere Verwendung der humanisierten Lymphe geltend gemacht werden mußten, und der günstigen Resultate, welche die Versuche zur Konservierung der animalen Vaccine er- geben hatten, die allgemeine Einführung der animalen Vaccination gehorsamst in Vor- schlag zu bringen und die Beratung dieser wichtigen Frage durch eine Sacliverständigen- kommission gleichfalls gehorsamst zu beantragen. Infolgedessen wurden durch Erlaß vom 21. April d. J. die vorgenamiten Regierungen, da es im allgemeinen Interesse lag, daß diese Angelegenheit auch von anderen Sachverständigen einer eingehenden Prü- fung unterzogen würde, aufgefordert, sich auch hierüber zu äußern und für eine eventuell behufs Beratung beider Gegenstände, sowohl der Beaufsichtigung des Impfgeschäftes als der allgemeinen Einführung der animalen Vaccination, zu berufende Sachverständigen- kommission Deligierte zu bezeichnen. Ein gleiches Schreiben war unter demselben Datum an den Königlich Preußischen Herrn Minister der geistlichen, LTnterrichts- und Medizinalangelegenheiten mit dem Ersuchen gerichtet worden, ein Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation über die Einführung der animalen Vaccination zu ex- trahieren. Bis zum 12. August d. J. waren die hierbei gehorsamst zurückgereichten Gut- achten der genannten Regierungen eingegangen, welchen mit dem Erlaß vom 30. August d. J. dasjenige der Wissenschaftlichen Deputation folgte. ,,In bezug auf den ersten in Frage gestellten Gegenstand, die Beaufsichtigung des Impfgeschäftes, haben sämtliche befragte Regierungen sich für die Beschickung der Kommission ausgesprochen. Irgendwelche Abänderungsvorschläge zu den vor- gelegten Entwürfen sind dabei nicht ergangen, so daß dieselben in ihrer jetzigen Form als Grundlage für die Beratungen der Kommission würden dienen können. Der zweite Gegenstand, die allgemeine Einführung der animalen Vaccination, hat nur einer — der Königlich Württembergischen — Regierung, dem von Eurer Exzellenz ausgesprochenen Wunsche gemäß, Veranlassung gegeben, denselben einer sachverstän- digen Prüfung unterziehen zu lassen, indem Versuche mit dem P i s s i n sehen Verfahren angestellt wurden, welche bis jetzt günstige Resultate ergeben haben. Im übrigen haben sich die gutachtlichen Äußerungen gerade mit dieser Frage sehr eingehend beschäftigt und sind zu mehr oder weniger abweichenden Resultaten ge- kommen. In den Gutachten von Preußen, Sachsen, Württemberg. Baden und Sachsen (Großherzogtum) ist die Gefahr der Übertragung von Tuberkulose durch Impfung im wesentlichen auf die Annahme hin, daß die Tuberkelbazillen nicht im Blut nachgewiesen seien, bestritten oder doch als eine minimale hingestellt worden. Weiter wird gegen die allgemeine Einführung der animalen Vaccination geltend gemacht, daß die Erfah- rungen über die Konservierbarkeit noch zu wenig umfangreich und von noch zu kurzer Dauer seien, daß die Impfung selbst, weil zur Ausführung Kritzelschnitte notwendig sind, mit Schwierigkeiten verknüpft sei und leichter Impfrotlauf entstehen werde; außer- dem würden sich für manche Gegenden nicht hinreichend Kälber beschaffen lassen mid die Kosten sich erheblich höher stellen, als in dem Berichte des Kaiserlichen Ge- sundheitsamtes angenommen sei. Die Einwürfe, welche gegen die Möglichkeit einer Überimpfung der Tuberkulose durch die Vaccination gemacht sind, werde ich später zu besprechen haben. Die übrigen Gegengründe zu entkräften, dürfte nicht schwer halten, doch haben dieselben keine prinzipielle Bedeutung und das Eingehen auf jeden einzelnen Punkt würde hier zu weit führen. 970 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Was das Gesamturteil betrifft, so haben sich fast sämthche Regierungen dahin ausgesprochen, daß vorläufig keine zwingenden Gründe vorliegen, von der Impfung mit humanisierter Lymphe abzugehen, weil weder ausreichende wissenschaftliche noch Erfahrungsgründe dafür geltend gemacht werden können, oder, wie von Bayern und Baden hervorgehoben wird, weil das Impfgeschäft infolge seiner vortreffhchen Organi- sation in diesen Staaten bei der Bevölkerung auf keine Hindernisse stoße und keine Impfschädigungen vorgekommen seien. Nur in dem von der Großherzoglich Mecklen- burgischen Regierung beigebrachten Gutachten ist? die animale Vaccination befürwortet, und die Großherzoglich Hessische Regierung macht die Mitteilung, daß die animale Impfung im Großherzogtum bereits allgemein eingeführt sei. Zur Teilnahme an der eventuell zu berufenden Kommission haben sich sämtliche Regierungen bereit erklärt. In Anbetracht der für die allgemeine Einführung der animalen Vaccination un- günstig lautenden Urteile erscheint es mir geboten, nochmals auf die hauptsächlichsten für die animale Vaccination sprechenden Umstände mit einigen Worten zurückzu- kommen. Der schwerste Vorwurf, welcher der Impfung von Seiten ihrer Gegner von jeher gemacht wurde, ist die Gefahr der Übertragung von Syphilis. Die Verhandlungen in den Petitionskommissionen des Reichstages in den Jahren 1879 und 1881 beschäftigten sich fast ausschließlich mit diesem Gegenstand. Wenn auch manche angebliche Impf- schädigungen als unbegründet zurückgewiesen werden konnten, so ließ sich doch nicht leugnen, daß eine Reihe wohl konstatierter Fälle von Vaccinalsyphilis existiert. Unter dem Eindrucke dieser Tatsache wurde selbst von den Anhängern des Impfzwanges das Verlangen nach Beschaffung gefahrloser Lymphe ausgesprochen. Den sichersten Schutz gegen Vaccinalsyphilis bietet nun aber erfahrungsgemäß die animale Lymphe, gegen deren allgemeine Einführung nur ihre geringe Haltbarkeit ein Hindernis abgab. Deswegen mußte sich die Kommission damals darauf beschränken, Untersuchungen über die Frage, ob und wieweit die Impfung mit animaler Lymphe allgemein im Deutschen Reiche durchgeführt werden könne, zu beantragen. Also schon im Jahre 1879 hielt man die Nachteile, welche mit der humanisierten Impfung infolge der Möglichkeit einer Uber- tragung von Syphilis durch die Impfung verbunden sind, für so bedeutend, daß man die Eventualität, zur animalen Vaccination überzugehen, ins Auge faßte. Unzweifelhaft würde man noch weiter gegangen sein, wenn schon damals eine genügende Methode zur Konservierung der animalen Lymphe zur Verfügung gestanden hätte. Inzwischen hat sich die Situation dahin geändert, daß mit dem Erkennen der Möglichkeit einer Übertragung von Tuberkulose durch die Impfung ein neuer Grund gegen die humanisierte Impfung hinzugetreten und durch das Auffinden von bewährten Verfahren zur Konservierung der animalen Lymphe das Haupthindernis für die Ein- führung der animalen Impfung dagegen weggefallen ist. Es ist allerdings richtig, daß unleugbar konstatierte Fälle von Übertragung der Tuberkulose bei der Impfung noch nicht nachgewiesen sind. Aber wie in dem Gutachten der bayrischen Regierung ganz treffend gesagt ist, werden zweifellose Fälle derartiger Impfschädigungen bei der Häufigkeit der Tuberkulose im Kindesalter überhaupt schwer festzustellen sein. In meinem gehorsamsten Bericht vom 6. April d. J. — II A 8 vol. spec. 3 vol. I — KGA Nr. 4603 — habe ich mich deswegen auch in ähnlicher Weise ausgesprochen und nur die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Impfschädigung her- vorgehoben. Hiergegen sind in den Gutachten der Regierungen mancherlei theoretische Bedenken geltend gemacht, welche sich, wie schon früher erwähnt wurde, hauptsächlich darauf BeaulsichtigUDg cl. Inipfgeschäfts u. Einlührung d. animalen Vaccination. 971 beziehen, daß die Tuberkelbazillen nicht im Blute und nicht in der Vaccine nachgewiesen seien. Demgegenüber weise ich gehorsamst nochmals darauf hin, was ich schon in meinem Berichte vom 1 9. Mai d. J. angeführt habe, daß nämlich im Blute von tuberkulösen Tieren das Vorhandensein des Tuberkelvirus durch erfolgreiche Impfungen von Bau m - garten, S e m m e r u. a. bereits nachgewiesen ist, und daß ich inzwischen wieder- holt durch eigne Beobachtung an mikroskopischen Präparaten mich von der Richtig- keit der Weigert sehen Entdeckung überzeugt habe, daß auch bei tuberkulösen Menschen nicht selten der tuberkulöse Prozeß in das Innere von Blutgefäßen eindringt und in diesen Fällen die Tuberkelbazillen sich dem Blutstrom beimengen. Berück- sichtigt man außerdem die Tatsache, daß die Vaccine niemals ohne Beimischung von roten und weißen Blutkörperchen, also von Blutbestandteilen genommen werden kann, dann ist die Möglichkeit einer Infektion mit Tuberkulose bei der Impfung nicht von der Hand zu weisen. Die Meinung, daß die Lymphe, welche von skrofulösen Kindern genommen wird, nachteilige Wirkungen haben könne, ist übrigens nicht neu, sondern findet sich schon von jeher von allen Impfschriftstellern ausgesprochen, und alle Instruktionen für Impf- ärzte enthalten die bestimmte Weisung, unter keiner Bedingung Lymphe von einem skrofulösen Kinde weiter zu verimpfen. Warum sollte wohl die Verwendung der Lymphe scrofulöser Kinder so streng verboten sein, wenn nicht wenigstens der Verdacht ihrer Schädlichkeit vorlag ? In diesem Sinne spricht sich auch das von der bayrischen Regierung eingesandte Gutachten aus. in welchem gesagtwird, daß für denjenigen, der die Impfbarkeit der Tuberkulose schon längst als unumstößliche Tatsache anerkannte, die Gefahr, daß bei Gelegenheit der Schutzpockenimpfiuig mit humanisierter Vaccine auch das tuberkulöse Gift übertragen werden könne, vollständig klar gewesen sei. Ebenso wird in dem Gutachten der mecklenburgischen Regierung, nachdem gesagt ist, daß schon allein der Gefahr der Impfsyphilis wegen die animale Impfung einzuführen sei, mit Bestimmtheit ausgesprochen, daß die Möglichkeit der Tuberkuloseübertragung zuge- geben werden müsse, und daß, wenn diese Gefahr auch eine sehr geringe sein sollte, dennoch die ausschließliche Benutzung der animalen Lymphe in höchstem Maße wünschen wert sei. Zu der Möglichkeit einer Übertragung der Syphilis durch die Impfung müssen wir in Zukunft also auch diejenige der Tuberkulose stellen. Außer diesen beiden Mängeln haftet der humanisierten Lymphe noch ein dritter, sehr wesentlicher Übelstand an, welcher bei der animalen Vaccination fortfallen würde und deswegen für die Einführung der letzteren spricht, das ist die Notwendigkeit der Abimpfung, um den nötigen Vorrat an humanisierter Lymplie zu gewinnen. Eine gesetz- liche Verpflichtung, von den geimpften Kindern Lymphe entnehmen zu lassen, existiert nicht, und die Impfärzte sind bei der Gewinnung der Lymphe lediglicli auf den guten Willen des Publikums angewiesen. In manchen Gegenden scheint allerdings das Ab- impfen ohne Widerspruch geduldet zu werden, aber von vielen Orten laufen die Klagen der Impfärzte ein über die immer mehr wachsende Abneigung der Mütter, von ihren Kindern Lymphe abnehmen zu lassen, so daß die Auswahl unter den zur Verfügung bleibenden Kindern eine zu geringe ist, um den erforderlichen Vorrat guter Lymphe für die Weiterimpfvingen erlangen zu können. Gerade durch das Abimpfen, welches von den Angehörigen der Impflinge meistens als eine überflüssige, für das Kind schmerz- hafte inid selbst schädliche Prozedur angesehen wird, wird die Abneigung der Bevöllvcrung gegen das Impfen vermehrt, und ich kann mich in diesem Punkte vollkommen einver- standen erklären mit dem, was in dem Gutachten der bayrischen Regierung gesagt ist, daß nämlich der Fortfall des Abimpf ens bei der animalen Vaccination dazu beitragen würde, die Vaccination zu popularisieren. 972 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Wie notwendig es ist, die Vaccination, welche gewiß nicht als eine in der Gunst des Volkes stehende Maßregel betrachtet werden kann, zu popularisieren, das lehren die Worte des Correferenten der Petitions-Kommission vom Jahre 1881, welcher ver- sicherte, daß der Impfzwang in allen Kulturländern energisch bekämpft werde, in Italien sei er gefallen, ebenso teilweise in der Schweiz, er werde bekämpft in England, in Belgien und Frankreich. Daß dieser Kampf nicht ohne Aussicht auf Erfolg für die Impfgegner ist, beweist der in der Schweiz am 30. Juli mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit zustande gekommene Fall des eidgenössischen Seuchengesetzes, welches lediglich nur aus dem Grunde abgelehnt ist, weil es den Impfzwang enthielt. Nach diesem Siege der Impfgegner in der Schweiz ist auf einen erneuten Ansturm auf das Reichsimpfgesetz mit Bestimmtheit zu rechnen. Euer Exzellenz wollen hochgeneigtest aus meinen Darlegungen ersehen, daß ich trotz der zum großen Teil in ablehnendem Sinne abgegebenen Gutachten der Regie- rungen bei meiner Überzeugung von der Notwendigkeit der Einführung der animalen Vaccination beharren muß und die Überweisung dieser Angelegenheit an die Kommission, welche über die Beaufsichtigung des Impfgeschäftes zu beraten hat, ganz gehorsamst bitte. In den Gutachten mehrerer Regierungen, welche sich gegen die allgemeine Ein- führung der animalen Vaccination erklärt haben, besonders in dem von der königlich preußischen Regierung vorgelegten Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation, ist die Ansicht ausgesprochen, daß die Impfung mit der humanisierten Lymphe jetzt noch nicht aufzugeben, der animalischen Lj'mphe aber der Boden weiter zu ebnen sei. Auch wenn die Kommission zu einem diesem Standpunkte entsprechenden Beschluß kommen und die zweckmäßigsten Mittel und Wege bestimmen würde, durch welche die Ausbreitung der fakultativen animalen Vaccination zu erreichen ist, so würde ich dies schon als einen ganz erheblichen Gewinn für die Impfung ansehen. Sollten Eurer Exzellenz die Verweisung dieser Angelegenheit an die Kommission genehmigen, dann würden die Fragen, welche derselben bezüglich der Einführung der animalen Impfung im Anschluß an die Gutachten der Regierungen und meinem gehor- samsten Bericht vom 6. April d. J. vorzulegen wären, etwa folgende sein: 1. Sind die der humanisierten Impfung anhaftenden Mängel, nämlich: a) die Gefahr der Vaccinalsyphilis, b) die Gefahr der Vaccinaltuberkulose, c) die mit dem Abimpfen verbundenen Unzuträglichkeiten insgesamt so be- deutend, daß es wünschenswert oder selbst notwendig ist, sich nach einem möglichst gleichwertigen Ersatz umzusehen ? 2 . Ist die animale Vaccine in betreff : a) ihrer sicheren und nachhaltigen Wirkung, b) ihrer Konservierbarkeit, c) der dadurch erwachsenden Unkosten, d) der Beschaffung der zu ihrer Gewinnung erforderlichen Tiere, e) der veränderten Impftechnik, f) der vermehrten Gefahr des Impfrotlaufs, g) des dadurch gewährten Schutzes gegen Vaccinaltuberkulose geeignet, die- selben oder annähernd gleiche oder bessere Dienste, wie die humanisierte Lymphe zu leisten ? 3. Ist, wenn die animale Impfung der humanisierten Impfung ganz oder annähernd gleichwertig erachtet wird, letztere durch erstere zu ersetzen ? Beaufsii htigung d. Imiafgescliäfts u. Einführung d. animalen Vacrination. 973 4. In welcher Weise soll dies geschehen ? und zwar a) welches Verfahren zur Gewinnung und Konservierung der Lymphe ist zu adoptieren ? b) ist die animale Impfung sofort allgemein oder ist sie zunächst partiell und versuchsweise fortschreitend, beispielsweise in einer oder mehreren großen Städten und Landbezirken, einzuführen ? 5. Ist es, wenn die animale Impfung noch nicht für leistungsfähig erachtet wird, daß sie vollständig an Stelle der humanisierten Impfung treten kann, wünschens- wert, neben der allgemeinen humanisierten Impfung die fakultative animale Impfung zu fördern, und in welcher Weise ? Sind beispielsweise öffentliche Institute einzurichten, welche die animale Lymphe kostenfrei oder zum Selbst- kostenpreise abzugeben hätten % 6. Werden weitere experimentelle Untersuchungen über die animale Impfung für erforderlich erachtet, und nach welchen Grundsätzen soll dabei insbesondere bezüglich des Umfanges und der Zeitdauer der Experimente verfahren werden ? 7. Sind weitere experimentelle LTntersuchungen über Vaccinaltuberkulose und in welcher Weise anzustellen ? Gehorsamst gestatte ich mir noch darauf hinzuweisen, daß die Entwürfe, welche den Beratungen über die Beaufsichtigung des Impfwesens zugrunde gelegt werden sollen, die Verwendung der humanisierten Lymphe zur Voraussetzung haben, und für den Fall, daß die Einführung der animalen Vaccination beschlossen wird, in entsprechender Weise umgestaltet werden müßten. Aus dieseni Grunde würde die Beratung über die animale Vaccination derjenigen über die Beaufsichtigung des Impfwesens voranzugehen haben. In betreff der Zusammensetzung der Konniiission beziehe ich mich gehorsamst auf die in meinem Bericht vom 29. November 1881 gemachten Vorschläge, welche dahin gingen, einen höheren Verwaltungsbeamten, einen von selten des Königl. Preußischen Kriegsministeriums zu delegierenden höheren Militärarzt, einen von selten des Königl. Polizeipräsidiums in Berlin zu entsendenden, mit dem Impfwesen besonders vertrauten höheren Medizinalbeamten, je einen Medizinalreferenten der beteiligten Regierungen und einen Vertreter des Kaiserlichen Gesundheitsamtes dafür zu designieren. Von Seiten der Regierungen ist infolge der hohen Erlasse vom 5. Februar d. -J. und vom 21. April d. J. für die Beratung sowohl über die animale Vaccination als über die Beaufsichtigung des Impfwesens folgende Kommission ernannt : von Bayern : Obermedizinalrat Dr. v. K e r s c h e n s t e i n e r in München. ,, Sachsen: Medizinalrat Dr. Siegel in Leipzig. ,, Württemberg: Obermedizinalrat Dr. von Koch in Stuttgart. ,, Baden: Medizinalrat Dr. Arnsperger in Karlsruhe. ,, Hessen: Obermedizinalrat Dr. Reißner in Darmstadt, ,, Mecklenburg-Schwerin: Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Thier f eider in Rostock. ,, Sachsen- Weimar : Geh. Medizinalrat Dr. von Conta in Weimar. ,, Elsaß-Lothringen: Kreisarzt und Medizinalreferent Dr. Meinel in Metz. Von Preußen ist Geh. Ober medizinalrat Dr. E u 1 e n b e r g bislang nur für die Beratung über die animale Vaccination als Kommissar Ijezeichnet, da eine Anfrage über die Beteiligung an der Beratung über die Beaufsichtigung des Impfwesens an diese Regierung noch nicht ergangen ist. 974 Beaufsichtigung cl. Impfgesohäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Außer den vorgenannten Delegierten der Regierungen würden demnach zur Ver- vollständigung der Kommission noch ein höherer Verwaltungsbeamter, ein höherer Militärarzt, ein vom Königl. PoHzeipräsidium zu delegierender höherer Medizinalbeamter und ein Vertreter des Kaiserlichen Gesundheitsamtes als Mitglieder zu bezeichnen sein. Eurer Exzellenz stelle ich hiermit die Bestimmung des Termins für die Zusammen- kunft der Kommission gehorsamst anheim. An den Herrn Staatssekretär des Innern. Berhn, den 13. Februar 1883. Eurer Exzellenz beehre ich mich mit Bezugnahme auf den Erlaß vom 31. De- zember V. J. sowie in Erledigung des Erlasses vom 19. Dezember v. J. die Entwürfe zu den Vorlagen, welche der Kommission zur Beratung über die Einführung der Impfung mit animaler Lymphe und über die Beaufsichtigung der Tätigkeit der Impfärzte zu unter- breiten sind, in der Anlage ganz gehorsamst zu überreichen. Zu denselben erlaube ich mir noch folgendes ganz gehorsamst zu bemerken. Als Grundlage für die Aufstellung der Vorlage dienten die von Eurer Exzellenz in dem Erlasse vom 5. Februar 1882 hervorgehobenen Punkte, welche einer einheit- lichen Regelung im Interesse der Impfung bedürfen. Diejenigen deutschen Regierungen, welche sich gutachthch betreffs der zu ergreifenden Maßnahmen geäußert haben, be- schränkten sich fast ausschließlich darauf, die Regelung der polizeilichen Überwachung des Impfgeschäftes und die den Impfärzten zu erteilende Instruktion zum Gegenstande ihrer Äußerungen zu machen. Über die anderen in Frage kommenden Vorschläge, nämhch über die technische Vorbildung der Impfärzte, die zweckmäßige Auswahl der Impf- ärzte und insbesondere über die Einrichtung einer ständigen technischen Überwachung derselben durch Medizinalbeamte, hat sich nur die Königlich Preußische Regierung ausgesprochen. Es konnte demnach eine ausführliche Zusammenstellung der verschie- denen zum Ausdruck gekommenen Meinungen nur bezüglich der Instruktion für die Impfärzte und der polizeilichen Überwachung des Impfgeschäftes gegeben werden. In betreff der übrigen Beratungsgegenstände sind in möglichstem Anschluß an die Äuße- rungen der Königlich Preußischen Regierung nur diejenigen Gesichtspunkte aufgestellt, welche geeignet angesehen werden können, für die Beratungen der Kommission als Grundlage zu dienen. Wegen der Änderungen, welche in den Verhältnissen der animalen Impfung seit Aufstellung meines letzten Entwoirfes der Instruktion für die Impfärzte eingetreten sind, mußte die früher als Anlage dazu gegebene Instruktion über animale Impfung in Wegfall kommen. Dagegen ist ein die Technik der Impfung mit animaler Lymphe betreffender Passus dem § 1 3 hinzugefügt. Die Reihenfolge der Vorlagen betreffend, wird die Erörterung der Frage über die Einführung der animalen Impfung als diejenige, deren Entscheidung auf alle übrigen einen wesentlichen Einfluß ausüben wird, bei der Beratung in den Vordergrund zu stellen sein. Demnächst würden die beiden umfangreichsten und zugleich wichtigsten Beratungs- gegenstände, nämlich diejenigen über die Feststellung der Obliegenheiten der Impf- ärzte und die polizeiliche Beaufsichtigung des Impfgeschäftes, zweckmäßigerweise zu folgen haben, und erst nach Erledigung dieser die Fragen über die Sicherung einer zweck- mäßigen Auswahl der Impfärzte, die technische Vorbildung derselben und die Ein- richtung einer ständigen technischen Überwachung der Impfärzte durch Medizinal- beamte der Beratung zu unterziehen sein. Beaufsichtigung d. Impfgesfhätts u. Einführung d. animalen Vaccination. 975 Es erschien zweckmäßig, den Vorlagen einige einleitende Bemerkungen voraus- zuschicken, um den Kommissionsmitgliedern einen Einblick in deren Entstehung zu verschaffen. Entwürfe zu den Vorlagen, welche den Verhandlungen der Kommission zur Be- ratung über die Einführung der Impfung mit animaler Lymphe und über die Beauf- sichtigung des Impfgesehäftes als Grundlage zu dienen haben. Einleitende Bern e r k u n g e n. Von der Petitionskommission des Reichstages sind zu den Petitionen wegen Be- seitigung des Impfzwanges in den Sessionen der Jahre 1879 und 1881 Beschlüsse gefaßt, welche Untersuchungen über die Fragen: ob und wieweit die Impfung mit animaler Lymphe allgemein im Deutschen Reiche durchgeführt werden könne, sowie über die zweckmäßigste Form einer erfolgreichen Beaufsichtigung der Tätigkeit der Impfärzte in Anregung gebracht haben. Der Einführung der animalen Vaccination stellte sich damals indessen der Um- stand entgegen, daß die animale Lymphe wegen ihrer geringen Haltbarkeit und un- sicheren Wirkung die Verwendung zu Massenimpfungen nicht zuließ. Es wurde deswegen zunächst die Einrichtung einer erfolgreichen Beaufsichtigung des gesamten Impfgeschäftes ins Auge gefaßt. Als geeignete Maßnahmen, um der Impfung einen möglichst großen Erfolg zu sichern und die in einigen Fällen vorgekommenen Gesundheitsschädigungen der Ge- impften zu verhüten, sind folgende zu bezeichnen: 1. die nähere Feststellung der Obliegenheiten der Impfärzte, 2. die polizeiliche Beaufsichtigung des Impfgeschäftes, 3. die Sicherung einer zweckmäßigen Auswahl der Impfärzte, 4. die genügende technische Vorbildung der Impfärzte, 5. die Einrichtung einer ständigen technischen Überwachung der Impi'ärzte durch Medizinalbeamte. Jede einzelne dieser Maßnahmen bildet den Gegenstand einer Vorlage für die Kommission. Über die beiden ersten Gegenstände, welche zugleich die wichtigsten Verhältnisse des Impfgeschäftes berühren, sind seitens des Gesundheitsamtes in wesentlicher Über- einstimmung mit einem später abgegebenen Gutachten der Königlich Preußischen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen Entwürfe ausgearbeitet, welche auf Veranlassung des Reichsamtes des Innern den Regierungen von Preußen, Bayern, Königreich Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Groß- herzogtum Sachsen zur Begutachtung vorgelegen haben. Die darauf ergangenen Äuße- rungen sind mit den Entwürfen des Gesundheitsamtes in den ^'orlagen Nr. 2 und Nr. 3 zusammengestellt. Die Vorlage Nr. 2 enthält außerdem noch die Belehrung über die Behandlung der Impflinge nach der Impfung. Die weiteren Beratungsgegenstände haben den Regierungen zu besonderen Äuße- rungen keine Veranlassung gegeben, und es sind in den bezüglichen Vorlagen nur all- gemeine Gesichtspunkte aufgestellt, welche den Beratungen als Grundlage zu dienen geeignet erscheinen. Als die Vorbereitungen für die ebengedachten Maßnahmen fast ihren Abschluß erreicht hatten, erhielt das Gesundheitsamt Kenntnis davon, daß Verfahren gefunden seien, welche die Verwendung der animalen Lymphe für Massenimpfungen zu ermög- lichen schienen. Dieselben wurden durch das Gesundheitsamt einer Prüfung unterzogen, 976 Beaufsichtigung cl. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. und auf Grund der erhaltenen günstigen Resultate konnte nunmehr auch die Einführung der animalen Vaccination in Vorschlag gebracht, sowie beantragt werden, daß der zur Beratung über die Beaufsichtigung des Impfgeschäftes zu berufenden Kommission auch diese Frage vorgelegt werden möge. Nachdem dieser Antrag die Genehmigung des Reichsamtes des Innern erhalten hat, wird der Kommission die Beratung über die Ein- führung der animalen Vaccination den übrigen Beratungsgegenständen vorauszuschicken sein, denn die Entscheidung über diesen Gegenstand ist von wesentlichem Einfluß auf die Gestaltung der übrigen Maßnahmen. Die Gesichtspunkte, welche dem Gesundheitsamte bei der Einnahme seiner Stellung zur Frage der allgemeinen Einführung der animalen Impfung maßgebend waren, sind in einer besonderen Denkschrift-^) zusammengefaßt, welche diesen Vorlagen beigefügt ist. Vorlage 1. Zur Beratung über d i e E i n f ü h r u n g der Impfung a n i m a 1 e r L y m p h e. 1. Sind die der humanisierten Impfung anhaftenden Mängel, nämlich: a) die Gefahr der Überimpfung von Syphilis, b) die Gefahr der Überimpfung von Erysipel, c) die Gefahr der Überimpfung von Tuberkulose, d) die mit dem Abimpfen verbundenen Unzuträglichkeiten (Verweigerung des Abimpfens, zeitweiliger Mangel an zuverlässiger Lymphe), insgesamt so bedeutend, daß es wünschenswert oder daß es notwendig ist, sich nach einem möglichst gleichwertigen Ersatz umzusehen ? 2. Ist die animale Vaccine (genuine Vaccine oder Retrovaccine) in betreff: a) ihrer sicheren und nachhaltigen Wirkung, b) ihrer Konservierbarkeit, c) der dadurch erwachsenen Unkosten, d) der Beschaffung der zu ihrer Gewinnung erforderlichen Tiere, e) der veränderten Impftechnik, f) der Gefahr der Überimpfung" von Rotlauf, g) der Gefahr der Überimpfung von auf den Menschen übertragbaren Tier- krankheiten (Perlsucht, Milzbrand, Aphthenseuche usw.), h) des dadurch gewährten Schutzes gegen Vaccinalsyphilis geeignet, einen völligen oder teilweisen Ersatz für die humanisierte Vaccine zu gewähren ? 3 Wie hat, wenn die Einführung der animalen Vaccination ratsam erscheint, dieselbe zu geschehen, und zwar: a) ist sie sofort allgemein oder b) ist sie zunächst partiell und versuchsweise fortschreitend, beispielsweise in einer oder mehreren großen Städten und Landbezirken, einzuführen ? 4. Ist es, wenn die animale Impfung noch nicht für so leistungsfähig erachtet wird, daß sie vollständig an die Stelle der humanisierten Impfung treten kann, wünschens- wert, neben der allgemeinen humanisierten Impfung die fakultative animale Impfung zu fördern und in welcher Weise ? Sind beispielsweise öffentliche Institute einzurichten, welche die animale Lymphe kostenfrei oder zum Selbstkostenpreise abzugeben haben ? 5. Welches Verfahren zur Gewinnung und Konservierung der animalen Lymphe ist zu adoptieren, und welche allgemeinen Grundsätze sind in bezug auf das Alter der Kälber, ihrer Verpflegung, Zeit der Lymphabnahme, Behandlung und Prüfung der 1) Siehe S. 978 ff. Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. aninialon Vaccination. 977 Lymphe, Untersuchung des geschlachteten Impfkalbes usw. aufzustellen ? Ist der ge- nuinen Vaccine oder der sogenannten Retrovaccine der Vorzug zu erteilen ? 6. Werden weitere experimentelle Untersuchungen über die animale Impfung für erforderlich erachtet, und nach welchen Grundsätzen soll dabei insbesondere bezüg- lich des Umfanges und der Zeitdauer der Experimente verfahren werden ? 7. Sind weitere experimentelle Untersuchungen über Vaccinaltuberkulose und Vaccinalerysipel und in welcher Weise anzustellen ? Vorlage 2 und 3 sind hier nicht mit abgedruckt, sowohl weil es nicht sicher feststeht, welchen Anteil Koch an dieser Ausarbeitung gehabt hat, als auch weil die einzelnen Eara- graphen der umfangreichen Vorlagen bei den späteren Verhandlungen der Kommission (diese Werke p. 992 ff.) eingehend berücksichtigt worden sind. Vorlage 4. Zur Beratung über die tS i c h e r u n g einer zweckmäßigen Auswahl der Impfärzte. 1. Ist das öffentliche Impfgeschäft vorzugsweise den beamteten Ärzten zu über- tragen ? 2. Inwieweit ist bei der Übertragung des Impfgeschäftes an nichtbeamtete Ärzte eine Mitwirkung der Staatsbehörde erforderlich ? 3. Hat eine ausdrückliche Inpflichtnahme der Impfärzte bei Übernahme des Impfgeschäftes stattzufinden ? 4. Wie ist die Remuneration der Impfärzte festzustellen ? 5. Wie ist denjenigen Ärzten gegenüber zu verfahren, welche ihren Obliegenheiten als Impfärzte nicht in genügender Weise nachkommen ? Vorlage 5. Zur Beratung über die technische Vorbildung der Impf- ärzte. 1. Welche Anforderungen sind an die technische Vorbildung der Impfärzte zu stellen ? a) Genügt die während des klinischen Unterrichtes zu erteilende Unterweisung in der Impftechnik ( b) Ist außerdem von jedem Arzt, welcher das Impfgeschäft privatim oder öffentlich ausübt, der Nachweis darüber zu verlangen, daß er mindestens zwei öffentlichen Vaccinations- und ebenso vielen Revaccinationsterminen beigewohnt und sich die erforderlichen Kenntnisse über Gewinnung und Konservierung der Lymphe erworben hat ? 2. Soll die Kenntnis der Impftechnik und des Impfgeschäftes bei der Staats- prüfung verlangt werden ? Vorlage 6. Zur Beratung über eine ständige technische Überwachung der Impfärzte durch Medizin albeamte. L Welchen Medizinalbeamten ist die Beaufsichtigung des Impfgeschäftes zu übertragen ? (Unter der Voraussetzung, daß die Impfärzte zum größten Teil selbst Medi- zinalbeamte sind.) Koch, Gesammelte Werke. 107 978 Denkschrift über die Notwendigkeit der allgem. Einführung der Impfung mit Tierlymphe. 2. In welcher Weise ist die Beaufsichtigung zu handhaben ? 3. Wie oft sollen Revisionen der Impfärzte stattfiiiden ? 4. In welchem Umfange ist die Revision auszuführen ? 5. Sollen sich die Revisionen auch auf Privatimpf ärzte erstrecken ? 6. Soll eine technische Überwachung der Impf Institute, insbesondere auch der öffentlichen sowohl als privaten Institute für animale Impfung stattfinden und in welcher Weise ? Denkschrift über die Notwendigkeit der allgemeinen Einführung der Impfung mit Tierlymplie.^) In der Zeit, als das Impfgesetz geschaffen wurde, hielt man die mit der Impfung für das Leben und die Gesundheit der Impflinge verknüpften Gefahren all- gemein für unbedeutend oder vielmehr für gar nicht vorhanden. So heißt es in den Schlußsätzen des von der Königlich Preußischen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen vom 28. Februar 1872 abgegebenen Gutachtens, welches die wesent- lichste Stütze für den Gesetzentwurf bildete, unter Nr. 4, ,,daß keine verbürgte Tat- sache vorliegt, welche für einen nachteiligen Einfluß der Vaccination auf die Gesund- heit der Menschen spricht Leider hat sich später immer unzweifelhafter herausgestellt, daß dieser Satz nicht aufrechtzuerhalten ist. Es sind in der Tat recht ernste Impf- beschädigungen, und zwar anscheinend gar nicht selten, sowohl vor als auch nach dem Erlaß des Impfgesetzes vorgekommen. Die neueren Schriften über Impfung führen eine nicht geringe Anzahl von Fällen stattgefundener Übertragung ansteckender Krank- heiten durch die Impfung auf. So sind bis zum Jahre 1880 fünfzig Fälle bekanntge- worden, in denen Syphilis, mit der Vaccine verimpft, die Veranlassung zur Erkrankung von ungefähr 750 Menschen wurde. (Lötz, Pocken und Vaccination, 1880, S. 113.) Einzelne dieser Fälle von Impfsyphilis werden zwar als unsicher anzusehen sein, dagegen sind gewiß andere nicht zur öffentlichen Kenntnis gelangt, so daß jene Zahlen vermut- lich noch ziemlich weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben werden. Bei weitem größere Gefahren als die Impfsyphilis bietet der Impfrotlauf, welcher, wie jetzt allgemein zu- gestanden wird, nicht selten vorkommt. Oft wird allerdings der Rotlauf nicht der Impfung an und für sich zuzuschreiben sein, namentlich dann, wenn es sich um Einzelerkran- kungen und um das sogenannte Späterysipel handelt. Aber es sind eine Anzahl von Massenerkrankungen an Erysipel konstatiert, welche unmittelbar der Impfung folgten und nach den neusten Erfahrungen über die Ätiologie des Erysipels keine andere Er- klärung zulassen, als daß sie durch die Impfung selbst bewirkt wurden. Auch andere Krankheiten sind durch die Impfung übertragen, oder es muß doch wenigstens die Mög- lichkeit ihrer Übertragung zugestanden werden. So können septische, zur Klasse der Wundinfektionskrankheiten gehörige Krankheitsprozesse durch die Impfung bewirkt werden, wie die Massenerkrankung der Impflinge in Grabnick beweist. Ebenso müssen einige Beobachtungen über das. Entstehen von Geschwüren und Entzündungen des Unterhautzellgewebes nach Verimpfung von in Zersetzung befindlicher Lymphe hierher gerechnet werden. Die Übertragung von Tuberkulose und Skrofulöse durch die Impfung ist bis jetzt noch nicht mit Sicherheit beobachtet und wird auch möglicherweise in Zukunft nicht in unzweifelhafter Weise nachgewiesen werden können, weil diese Krankheitszustände schon an und für sich außerordentlich häufig sind, und weil die ersten Symptome der Erkrankung zu spät nach der Infektion auftreten werden, als daß noch ein unbestreit- barer Zusammenhang zwischen Infektion und sichtbarer Erkrankung zu konstatieren vgl. p. 976. Die Denkschrift ist Ende des Jahres 1883 noch einmal bearbeitet worden und in dieser endgültigen Fassung hier abgedruckt. D, Herausgeber. I)enks( hrift über die Notwendigkeit der allgein. EinliilirunK der Impfung mit Tierlymplie. 979 ist. Dagegen kann aber auch die Möglichkeit einer Übertragung der Tuberkulose oder Skrofulöse nicht bestritten werden, wenn berücksichtigt wird, daß nach den Resultaten der neusten Forschungen das Tuberkelvirus recht häufig, und zwar besonders bei Kindern, in die Blutbahn eindringt und sich dem Blute beimischt, daß ferner die Pockenlymphe niemals ganz frei von den Bestandteilen des Blutes zu erhalten ist, und daß schließlich die tuberkulösen oder skrofulösen Erkrankungen unter Kindern so überaus häufig sind. Namentlich in großen Städten wird es schwierig sein, Abimpflinge in genügender Zahl zu finden, deren Freisein von Skrofulöse mit genügender Sicherheit behauptet werden kann, denn Albu fand beispielsweise unter 500 Berliner Impflingen 292, welche mit skrofulösen Affektionen behaftet waren. Mit Rücksicht auf diese Erfahrungen kann man die Impfung nicht mehr, wie zur Zeit der Beratung über das Impfgesetz, als absolut frei von Gefahren für die Gesundheit der Impflinge hinstellen. In erster Linie wird immer die Impfsypliilis zu fürchten sein, welche die Haupt- waffe in den Händen der Impfgegner bildet. Man hat allerdings geltend gemacht, daß alle Fälle von Impfsyphilis sich auf die Nachlässigkeiten der Impfärzte zurückführen lassen, und daß bei Beobachtung aller V^orsichtsmaßregeln die Impfsyphilis zu vermeiden sein müsse. Demgegenüber muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß unter Um- ständen die Anzeichen der Syphilis bei Kindern kaum bemerkbar sind und vom Impf- arzte im Drange des Geschäfts gar zu leicht unbeachtet bleiben können. In dieser Hin- sicht ist der in Lebus im Jahre l'.JOG vorgekommene Fall von Impfsypliilis bei 15 revacci- nierten schulpflichtigen Mädchen so beachtenswert, daß es zweckmäßig erscheint, die für die Beurteilung dieses Falles maßgebenden Umstände in Erinnerung zu bringen. Die Lymphe war von einem sieben Monate alten Kinde entnommen, welches zurzeit der Impfung anscheinend gesund war und auch bei mehreren späteren LTntersuchungen gesund befunden wurde. Das einzige, was die Aufmerksamkeit des Impfarztes hätte erregen können, war. daß das Kind früher einmal an Furunkeln gelitten hatte. Aller- dings soll die Mutter des Stammimpflings einmal eine Frühgeburt gehabt, ferner ein totes Kind geboren und außerdem ein Kind am Pemphigus verloren haben; doch ist es fraglich, ob diese Tatsachen dem Impfarzte bekannt waren. Auch die Mutter wurde bei den späteren gerichtlichen LTntersuchungen frei von Syphilis gefunden. Ferner sollen die Impfpocken des Kindes am Tage der Revision (am siebenten Tage nach der Impfung) ein ganz normales Aussehen gehabt haben. Ein sehr vorsichtiger Impfarzt würde zwar von einem Kinde, welches früher wegen Furunkeln ärztlich behandelt ist, keine Lymphe entnommen haben, doch werden sich stets Ärzte finden, welche das Überstehen einer Furunkulosis allein nicht für hinreichend halten, um auf die Lympheentnahme zu ver- zichten, zumal wenn nicht bessere Lymphequellen zur Verfügung stehen. Von dieser Ansicht gingen auch die gerichtlichen Sachverständigen und die Verwaltungsbehörde, welche sich über diesen Fall zu äußern hatten, aus, so daß das gegen den Impfarzt ein- geleitete gerichtliche Verfaliren mit der Freisprechung desselben endete. Eine absolute Vollkommenheit wird das Impfgeschäft niemals erreichen, und Fälle, wie der in Lebus vorgekommene, werden auch in Zukunft nicht ganz ausbleiben, da unter der großen Zahl der Impfärzte sich immer einige finden werden, welche in der Auswahl der Stamm- impflinge nicht die zur Vermeidung von Impfsyphilis gebotene äußerste Vorsicht ein- halten. Die mit der Impfung also unleugbar verbundenen Gefahren haben in neuerer Zeit immer mehr Beachtung gefunden; sie sind, wie es in solchen Fällen gewöluilich zu geschehen pflegt, von den Gegnern außerordentlich übertrieben, lial^en aber auch bei denen, welche von dem Nutzen der Impfung überzeugt sind, eine gewisse Beun- ruhigung hervorgerufen, welche zu wiederholten Malen ihren Ausdruck in den Be- 107* 980 Denkschrift über die Notwendigkeit der allgem. Einführung der Impfung mit Tierlymphe. Schlüssen der Petitionskommission des Reichstags gefunden hat. So beantragte im Jahre 1879 diese Kommission die Anstellung von Untersuchungen über die gegenwärtige Verbreitung der Syphilis mit besonderer Berücksichtigung des Kindesalters, sowie über die Frage, ob die Impfung mit animaler Lymphe allgemein im Deutschen Reich durch- geführt werden könne, und über die zweckmäßigste Form einer Beaufsichtigung der Impfärzte. Zu ähnlichen Beschlüssen gelangte die Petitionskommission in den Jahren 1881 und 1883, in welch letzterem Jahre das Plenum des Reichstags unterm 6. Juni insbesondere beschloß : den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, er wolle tunlichst bald eine Kommission von Sachverständigen berufen, welche unter Oberleitung des Reichsgesundheits- amts den gegenwärtigen physiologischen und pathologischen Stand der Impf- frage, insbesondere in bezug auf die Kautelen prüft, die geeignet sind, die Impfung mit der größtmöglichsten Sicherheit zu umgeben, und die — eventuell unter allgemeiner Durchführung der Impfung mit animaler Lymphe — Maßregeln zum Zweck dieser Sicherung vorschlägt. Auch von ärztlicher Seite ist die Frage vielfach diskutiert worden, ob es nicht zu ermöglichen sei, die Impfbeschädigungen auszuschließen, und es wurde als einzige sichere Maßregel, um insbesondere die Impfsyphilis zu vermeiden, die Impfung mit animaler Lymphe bezeichnet. Der Ausführung dieser Maßregel stellten sich indessen die unsichere Wirkung und die geringe Haltbarkeit der animalen Lymphe entgegen, und es blieb nichts übrig, als immer wieder auf den großen Nutzen der Zwangsimpfung im Verhältnis zu den in der Masse von vielen Tausenden von Impfungen fast verschwindenden Nach- teilen derselben hinzuweisen, um dem Volke die Überzeugung von der Notwendigkeit der Impfung beizubringen. Es hat sich jedoch herausgestellt, daß diese Überzeugung, welche sich dem Arzte von selbst aufdrängt, den Nichtärzten sehr schwer oder gar nicht zu verschaffen ist, und daß sich immer weitere Kreise gegen die Fortdauer der Zwangs- impfung erklären. Es ist deswegen auch zu befürchten, daß schließlich unter dem Drucke der öffentlichen Meinung die Zwangsimpfung aufgegeben werden muß, wenn es nicht gelingen sollte, die Impfung zu einem möglichst unschädlichen Eingriff zu machen. Es hat sich neuerer Zeit die Möglichkeit ergeben, dieses Ziel zu erreichen. Die fortgesetzten Bemühungen zur Verbesserung der Impfung mit animaler Lymphe haben schließlich dahin geführt, eine haltbare und ebenso sicher wie die humanisierte wirkende animale Lymphe herzustellen, und zwar läßt sich dieselbe in solchen Mengen beschaffen, daß sie für Massenimpfungen in jedem Umfange hinreicht. Es würde sich nur noch fragen, ob nicht irgendwelche Gründe vorliegen, welche es trotzdem als unzulässig erscheinen lassen würden, die Impfung mit Tierlymphe nunmehr an die Stelle der mit Menschen- lymphe zu setzen. Von den Anhängern der Impfung mit Menschenlymphe werden gegen die Ein- führung der Tierlymphe folgende Bedenken geltend gemacht. Zunächst wird behauptet, daß auch die mit den neueren Verfahren gewonnene Tierlymphe in bezug sowohl auf Wirkung als auf Haltbarkeit unsicher sei. Dem stehen aber die im Gesundheitsamte und an mehreren anderen Stellen ausgeführten Versuche sowie die umfangreiche Er- fahrung der letzten Jahre entgegen, welche zwar ergeben haben, daß die Gewinnung der Lymphe eine sehr sorgfältige Handhabung der Technik voraussetzt, doch aber bei einiger Übung ganz gleichmäßige und zuverlässige Resultate gibt. Insbesondere gibt die Tierlymphe der Menschenlymphe an Haltbarkeit nichts nach. Ein weiterer und anscheinend nicht unberechtigter Einwand ist der, daß die Tier- lymphe weniger leicht hafte als die Menschenlymphe. Es verhält sich nun in der Tat so, daß bei der gewöhnlichen Art und Weise, wie die Impfung ausgeführt wird, nämlich Denkschrift über die Notwendigkeit der allgem. Einführung der Impfung mit Tierlymphe. 981 vermittels eines Einstiches in die Haut oder eines flachen Schnittes, die Tierlymphe noch bis vor kurzem einen hohen Prozentsatz von Fehlimpfungen gab, während die Menschenlymphe fast ausnahmslos gut entwickelte Pocken bei der einfachen Stich- und Schnittimpfung erzielt. Wenn aber die von P i s s i n eingeführte Methode der Impfung benutzt wird, welche darin besteht, daß eine größere Anzahl kleiner seichter, sich kreuzender Schnitte gemacht wird, dann erhält man auch mit der konservierten Tierlymphe ganz ausgezeichnete Erfolge, welche fast gar nicht hinter denen der Menschen- lymphe zurückbleiben. In neuster Zeit haben viele Impfärzte auch mit der einfachen Stich- oder Schnittimpfung vollkommenen Erfolg erzielt. Sollte aber auch noch ein sehr geringer Unterschied in bezug auf die Haltbarkeit bestehen, dann kommt dies aus dem Grunde kaum in Betracht, weil das Ausbleiben einzelner Impfstellen bei einem Impflinge noch nicht zur Folge hat, daß der Zweck der Impfung unerreicht bleibt. Zur Erzielung eines genügenden Impfschutzes ist im allgemeinen schon eine gut entwickelte Vaccine- pustel ausreichend. Gewöhnlich werden aber 6 — 8 Impfstellen bei einem Impfling an- gelegt, und wenn von diesen also auch einige keine Pusteln liefern, so bleiben doch ins- gesamt immer noch so viel Pusteln, als für die Schutzwirkung erforderlich sind. Es er- gibt sich hieraus, daß, wenn auf einer bestimmten Zahl von Impfstellen mit Menschen- lymphe einige Prozent mehr Pusteln im ganzen erzielt werden als mit der Tierlymphe, deswegen doch die Zahl der erfolgreich geimpften, d. h. mit ein und mehr gut entwickelten Pocken versehenen Impflinge bei beiden Verfahren dieselbe sein kann. In Wirklichkeit hat sich auch bei allen den Versuchen, bei welchen eine gut konservierte animale Lymphe mit Kreuzschnitten verimpft wurde, ein derartiges Verhältnis ergeben, daß ebenso wie nach Verimpfung der humanisierten Lymphe nur wenige Prozent der Impflinge als ohne Erfolg geimpft bezeichnet werden mußten. Um solche Erfolge zu erzielen, ist allerdings eine sorgfältigere und etwas umständ- lichere Art der Impfung erforderlich, und dies ist ebenfalls gegen die Impfung mit animaler Lymphe geltend gemacht. Wenn man aber erwägt, daß die Impfung überhaupt nur von Ärzten ausgeübt wird, und daß jeder Arzt, um den Anforderungen seines Berufs gerecht zu werden, weit schwierigere und kompliziertere Operationen und technische Mani- pulationen auszuführen verstehen muß, als es die Impfung mit Kreuzschnitten ist, so darf dieser Einwand gegen die Einführung der Impfung mit animaler Lymphe als un- begründet angesehen werden. Man hat auch auf die erhöhte Gefahr einer Infektion durcli septische Stoffe und besonders durch Erysipel aufmerksam gemacht, wenn die Impfung nicht mit einem ein- fachen Stich oder Schnitt, sondern durch eine größere Zahl von sich kreuzenden Schnitten gemacht werde. Diesem Bedenken lag die Anschauung zugrunde, daß die größere Zahl der Schnitte eine erhöhte Reizung der Impfwunde bewirke, und daß infolge dieser Reizung Erysipelas entstehen könne. Aber durch die neueren Erfahrungen über die antiseptische Wundbehandlung und über die Entstehung des Erysipels sind jene An- schauungen längst als unrichtig erwiesen. Man weiß jetzt, daß Wunden, speziell also auch Impfwunden, nur dann septisch oder crysipelatös werden können, wenn die spezi- fischen Infektionsstoffe der septischen Wundkranlvheiten oder die Erysipelas-Mikrokokken in dieselben gelangen. Es ist allerdings eine Tatsache, daß auch nach Verimpfung von animaler Lymphe mehrfach Impferysipel vorgekommen ist; doch war dies nur dann der Fall, wenn die Konservierung der Lymphe eine derartige war, daß sie die Zersetzung und Fäulnis der Lymphe zuließ. Bei einer richtigen Behandlung und Konservierung der Lymphe läßt sich aber Zersetzung derselben vermeiden, namentlich läßt sich, wie später noch zu erwähnen sein wird, die Gewinnung der animalen Lymphe derartig ein- richten, daß die Verunreinigung derselben mit Fäulnis- oder Infektionsstoffen weit 982 Denkschrift über die Notwendigkeit der allgem. Einführung der Impfung mit Tierlymphe. sicherer ausgeschlossen werden kann, als es bei der humanisierten Lymphe der Fall ist. Mit Rücksicht hierauf kann die besondere Art der Impfung mit Kreuzschnitten, wenn dieselbe sich als unumgänglich notwendig herausstellen sollte, nicht als gefähr- licher gelten als die gewöhnliche Impfmethode. in einem Punkte allerdings wird die Impfung mit animaler Lymphe unbestritten der mit humanisierter Lymphe nachstehen, nämlich in bezug auf die dadurch bedingten Kosten. Die Gewinnung der humanisierten Lymphe verursacht keine unmittelbaren Kosten, während die animale Lymphe, wenn die Unterhaltung eines Kalbes auf 40 M. veranschlagt wird und ein Kalb Lymphe für 800 — 1000 Impflinge liefert, für die Einzel- impfung auf ^/ao M. zu stehen kommt. Die Kosten, welche das Impfgeschäft an und für sich verursacht, werden gewöhnlich auf I M. für einen Impfling veranschlagt, und eine Erhöhung dieser Kosten um ^j^^ kann nicht allzuhoch ins Gewicht fallen. Wenn daher die Gewinnungskosten der animalen Lymphe in Anbetracht der großen Zahl von Imp- fungen, welche alljährlich zur Ausführung kommen müssen, sich auch ziemlich hoch stellen, so dürfte dieser Umstand nicht von der Einführung der Impfung mit animaler Lymphe zurückhalten, da dieselbe die mit der Impfung vermittels humanisierter Lymphe verbundenen Gefahren für Gesundheit und Leben der Impflinge beseitigt und es ohne ihre Hilfe kaum angängig sein wird, die Zwangsimpfung aufrechtzuerhalten. Die Befürchtung, daß nicht immer die erforderliche Zahl von Kälbern zu beschaffen sei, um hinreichende Lymphe für Massenimpfungen zu gewinnen, ist ganz unbegründet, denn die Gewinnung der Lymphe kann, weil letztere haltbar und versendbar ist, auf verhältnismäßig wenige größere Institute beschränkt werden. Diese würden selbst- verständlich nur in solche Städte zu verlegen sein, welche über eine hinreichende Zufuhr von Kälbern verfügen. Sollte durch Viehseuchen und Sperrmaßregeln das eine oder andere dieser Institute in seinem Betriebe eine Störung erleiden, dann können die anderen ausheKend eintreten. Von Seiten der Impfgegner ist der Impfung mit Tierlymphe noch der Vorwurf gemacht, daß sie nicht sicher gegen Syphilis schütze, denn auch Tiere könnten syphilitisch und Zwischenträger der syphilitischen Infektion sein. Demgegenüber muß auf Grund der sorgfältigsten experimentellen Untersuchungen darauf hingewiesen werden, daß diese Behauptung irrig ist. Einige Experimentatoren, so beispielsweise in neuerer Zeit französische Forscher, haben angegeben, daß es ihnen gelungen sei, Syphilis auf Tiere, z. B. Affen, Schweine, zu übertragen. Doch beruhen alle diese Angaben auf Irrtümern. Sowohl bei zahlreichen Versuchen, welche im Gesundheitsamte angestellt sind, als auch bei den Experimenten anderer Forscher, wie z.B. des Professors Neumann in Wien, hat sich herausgestellt, daß die Syphilis nicht auf Tiere übergeht, und daß mithin die Impfung mit animaler Lymphe einen absolut sicheren Schutz gegen Impfsyphilis ge- währt. Außerdem hat man noch vielfach die Befürchtung geäußert, daß die animale Lymphe die Veranlassung zur Übertragung von tierischen Infektionskrankheiten, wie Milzbrand, Perlsucht, Aphthenseucheusw., geben könne. Auch diese Befürchtung kann als durchaus unbegründet bezeichnet werden, weil die vom Kalbe gewonnene Lymphe sich in einer sehr einfachen Weise darauf prüfen läßt, ob sie frei von derartigen Infektionsstoffen sei. Es würde nämhch zunächst die Untersuchung des Kalbes, welches die Lymphe geliefert hat, nachdem es geschlachtet worden, die Abwesenheit der genannten Infektionskrank- heiten mit Sicherheit erkennen lassen; außerdem würde aber noch die Lymphe, ehe sie zur Impfung von Menschen benutzt wird, durch Probeimpfungen an Kälbern oder geeigneten anderen Tieren auf ihre Reinheit versucht werden können. Die einzigen Punkte, in welchen die Menschenlymphe der Tierlymphe überlegen Denkschrift über die Notwendigkeit der allgeni. Einführung der Impfung mit Tierlymphe. 983 ist, sind demnach die einfachere Technik der Impfung und der Wegfall besonderer Kosten für die Gewinnung der Lymphe. Andererseits bietet aber die Tierlymphe außer der Gewährung des Schutzes gegen Impf Syphilis noch einige weitere bei der Beurteilung ihres W ertes nicht zu unterschätzende Vorteile gegenüber der Menschenlymphe. Die Produktion der Tierlymphe wird sich naturgemäß auf verhältnismäßig wenige größere Anstalten konzentrieren, und die Lymphe wird deswegen immer von einer gleich- mäßigen Beschaffenheit sein. Von der Menschenlymphe läßt sich das nicht behaupten. Ältere erfahrene Impfärzte besitzen allerdings in der Gewinnung und Konservierung von Lymphe eine solche Routine, daß die von ihnen bereitete Lymphe niclits zu wünschen übrig läßt. Aber um zu dieser Sicherheit zu gelangen, ist eine mehrjährige Erfahrung nötig. Ehe der Impfarzt sich letztere erwirbt, werden je nach der Beschaffenheit der Lymphe seine Impferfolge mehr oder weniger ungleichmäßig ausfallen. Diese Abhängig- keit des Impferfolges von der Übung, welche der einzelne Impfarzt in der Behandlung der Lymphe besitzt, würde wegfallen, wenn dem Impfarzte sein gesamter Bedarf an Lymphe fertig geliefert wird. Noch erheblich wichtiger erscheint aber die Erleichterung, welche für den Impf- arzt daraus erwächst, daß er des Einsammelns der Lymphe überhoben wird. Es ist dies, wie jeder Impfarzt bestätigen wird, der unangenehmste Teil des ganzen Impfgeschäftes. Die Verantwortlichkeit, welche auf dem Arzte bei der Auswahl der Abimpflinge ruht, ist eine sehr große, und bei einer sorgfältigen Untersuchung derselben finden sich oft unter einer großen Zahl von Impflingen nur wenige, die allen Anforderungen entsprechen. Ist es ihm schließlich gelungen, eine für seinen Bedarf ausreichende Zahl mit guten Impf- pusteln versehener und durchaus gesunder Kinder aufzufinden, dann muß sich der Impf- arzt darauf gefaßt machen, daß die Lymphabnahme, für welche keine gesetzliche Ver- bindlichkeit besteht, seitens der Mutter des Kindes verweigert wird. Welche Verlegen- heiten für den Impfarzt entstehen, wenn er nur wenige gesunde, zum Abimpfen ge- eignete Kinder vorfindet und außerdem auf nicht oder schwer überwindliche Hindernisse seitens der Angehörigen der Abimpflinge stößt, bedarf wohl keiner ausführlichen Dar- legung. Wenn das Impfgeschäft in solchen Fällen keine L^nterbrechung erleiden soll, dann müssen notgedrungen die Anforderungen, welche bezüglich des Gesundheitszu- standes der Abimpflinge und der vorschriftsmäßigen Beschaffenheit der Lymphe liefern- den Pusteln zu stellen sind, entsprechend herabgesetzt werden. In gleichem Maße wird aber auch die Garantie für die gute Beschaffenheit der Lymphe abnehmen. Wenn dem Impfarzt eine gleichmäßig wirkende und zuverlässige Lymphe geliefert wird, dann ist er damit der größten Sorge und der schwer lastendsten Verantwortlichkeit, welche mit dem Inapfgeschäfte in seiner jetzigen Gestalt verknüpft ist, überhoben; er gewinnt außerdem erheblich an Zeit und kann letztere dazu benutzen, um alle Sorgfalt auf die Impfung selbst zu verwenden, in welcher bei der Impfung mit Tierlymphe der Schwer- punkt der impfärztlichen Tätigkeit liegen würde. Erwähnt wurde schon, daß die Tierlymphe, wenn sie in größeren Mengen produziert wird, sehr leicht durch Probeim]:)fungen an Tieren vor der Abgabe auf ihre Güte und die Abwesenheit von fremden Infektionsstoffen geprüft werden kann; auch dies ist ein Vor- zug, welcher der Menschenlymphe abgeht, weil letztere in zu vielen getrennten Posten gewonnen wird, als daß eine solche Kontrolle ermöglicht werden könnte. Um aber der Lymphe noch weitere Sicherheit gegen die Verunreinigung mit Infektionsstoffen und insbesondere mit Erysipelmikrokokken zu geben, würde es nicht allzu schwierig sein, die Kälberimpfung unter antiseptischen Kautelen durchzuführen, während auch diese Maßregel bei der Gewinnung von Menschenlymphe auf unüberschreitbare Hindernisse 984 Denkschrift über die Notwendigkeit der allgem. Einführung der Impfung mit Tierlymphe, stoßen muß. In Vorschlag hat man sie zu demselben Zwecke bereits mehrfach gebracht und in EinzeKällen auch ausgeführt, aber es ist bis jetzt nicht gelungen, sie bei einer größeren Zahl von Kindern beim öffentlichen Impfgeschäft durchzusetzen. Werden nunmehr die Gründe, welche für und gegen die Impfung mit Menschen- lymphe auf der einen Seite und die Impfung mit Tierlymphe auf der andern Seite sprechen, nochmals kurz zusammengefaßt, so ergibt sich folgendes : Für die Impfung mit Menschenlymphe sprechen ihre durch vieljährige Erfahrung bestätigte Sicherheit der Wirkung, die Einfachheit der Impftechnik, die kostenfreie Gewinnung der Lymphe. Gegen dieselbe: die erwiesene Gefahr der ImpfsyphiUs, des Impferysipels, die Möglichkeit der Übertragung von Tuberkulose, die Schwierigkeiten, welche sich für den Impfarzt bei der Lymphegewinnung ergeben. Für die Impfung mit Tierlymphe sprechen: die Sicherheit gegen Impfsyphilis, die mit der Massenproduktion der Lymphe verbundenen Vorteile (gleichmäßige Be- schaffenheit, Kontrolle durch Probeimpfungen), Vereinfachung des Impfgeschäftes, Möghchkeit der antiseptischen Lymphegewinnung und damit sicherer Ausschluß des Früherysipels. Gegen dieselbe: etwas geringere Sicherheit des direkten Erfolges, als der humani- sierten Lymphe zukommt, eine kompliziertere Impftechnik, Kosten der Lymphepro- duktion. Im ganzen genommen wird man sich bezüglich der Tierlymphe dem Eindrucke nicht verschließen können, daß die mit ihr verbundenen Nachteile durch die Vorteile, welche sie gewährt, mehr als aufgewogen werden, und daß sie jetzt imstande ist, die humanisierte Lymphe zu ersetzen. Wie notwendig es aber ist, gerade jetzt einen Ersatz für die Menschenlymphe zu schaffen, wurde im Eingange dieser Darlegung auseinandergesetzt. Zum Schlüsse sei nochmals auf die Hauptpunkte hingewiesen, welche sich kurz dahin präzisieren lassen: Die Zwangsimpfung ist nur dann aufrechtzuerhalten, wenn Impf Schädigungen vor allen Dingen die Impfsyphilis, zu verhüten sind. Die Impfung mit Menschenlymphe vermag diese Bedingung nicht zu erfüllen. Die Impfung mit Tierlymphe, welche in ihrer verbesserten Gestalt der Anwen- dung der Menschenlymphe an Sicherheit der Wirkung nahezu gleichkommt, schließt das Vorkommen von Impfsyphilis aus und bietet auch eine gegen sonstige Impfbeschä- digungen (Impferysipel usw.) erheblich größere Sicherheit als die Impfung mit Menschen- lymphe. Aus diesen Gründen muß auch die Impfung mit Tierlymphe in Zukunft an die Stelle derjenigen mit Menschenlymphe treten. Tafeln zur Veranschaiilichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutsschland. 985 Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutschland/) Den sichersten Maßstab für den Stand der Pockenkrankheit gewähren die Zahlen der Pockentodesfälle. Um die Wirkung des Impfgesetzes, welches die Zwangsimpfung als Schutzmittel gegen die Pockenkrankheit eingeführt hat, zu erfahren, können statistisch verglichen werden : erstens die Pockentodesfälle eines ganzen Landes aus den .Tahren vor und nach dem Inkrafttreten des Gesetzes; zweitens die Pockentodesfälle der Gesamtbevölkerung eines Landes, in welchem die Zwangsimpfung Geltung hat, mit denjenigen eines Landes ohne Zwangsimpfung ; drittens die Pockentodesfälle aus den großen Städten mit Zwangsimpfung und aus solchen ohne Zwangsimpfung. Zuverlässige Angaben über Pockenerkrankungen im Gegensatze zu den Pocken- todesfällen sind nur den Armeestatistiken zu eiitnehmen. Auch nach dieser Richtung hin lassen sich Tatsachen zur Beurteilung des Impfgesetzes gewinnen, und es sind daher viertens die Pockenerkrankungen einer Armee, in welcher die Revaccination streng durchgeführt wird, und welcher außerdem der relative Schutz einer gut geimpften Bevölkerung zugute kommt, mit den Pockenerkrankungen solcher Armeen verglichen worden, welche in mangelhafter Weise revacciniert werden und von einer schlecht geimpften Bevölkerung umgeben sind. I. Die Pockentodesfälle in Preußen vor und nach dem Inkrafttreten des Impfgesetzes (Tafel I A). Bis zum Jahre 1870 ist die Pockenkrankheit eine ziemhch gleichmäßige, in Zwischen- räumen von 10 bis 15 Jahren durch Epidemien vorübergehend gesteigerte gewesen. In die Jahre 1871 und 1872 fällt die mit dem französischen Kriege in Zusammenhang stehende große Pockenepidemie. In den Jahren 1873 und 1874 sinkt die Sterblichkeit in ähnlicher Weise, wie es nach heftigen Pockenepidemien zu geschehen pflegt. Vom Jahre 1875 an zeigt sich aber der Einfluß des Impfgesetzes. Während ohne dasselbe die Pockensterblichkeit sehr bald wieder zugenommen haben würde, fällt sie infolge der Zwangsimpfung dauernd so erheblich unter die geringste Zahl, welche seit Anfang dieses Jahrhunderts vorgekommen ist. Daß diese Abnahme in der Tat eine Folge der Zwangsimpfung und nicht eine Nachwirkung der Epidemie von 1871 bis 1872 ist, lehren die folgenden Abteilungen. II. Die Pockentodesfälle in Preußen, verglichen mit den Pockentodesfällen in Österreich (Tafel I A und B). In Österreich unterscheidet sich die Pockensterblichkeit in früherer Zeit nicht wesentlich von derjenigen in Preußen. Im allgemeinen ist sie etwas höher. Auch die letzte große Epidemie, welche in Österreich auf die Jahre 1872 bis 1875 fiel, weist eine größere Sterblichkeit und eine längere Dauer aiii als die fast gleichzeitige Pockenepidemie in Preußen. ') Den Reichstagsmitgliedern vorgelegt am 6. .Juni 1883. 986 Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutschland. Tafeln zur Veranschaulicluin^ dei' Wirkung- des ImpfKesetzes in Deutschland. 987 ILSl Ii 8' HiiiSiiiBiiHiiiiiiiimimiimiiiiiiiiiii OL 19 SV 1981 9981 ev IV »cai ££ ie_ tCBt PC ez i t I 's Nach der großen Epidemie von 1872 bis 1875 fällt die Sterb- lichkeit in Österreich während der drei fol- genden -Tahre in ähn- licher Weise wie in Preußen. Damit hört aber der Einfluß der Epidemie auf und es steigt im Jahre 187!» die Pockensterblich- keit in Österreich w ie- der auf ihr früheres Maß. Diese Steigerung ist auch nicht etw a eine vorübergehende, denn in den Jahren 1880 und 1881 nahmen die Pok- ken in Österreich wie- der dieselbe Verbrei- tung an Avie früher, es fehlt nur an zuver- lässigen Zahlenanga- ben, und es mußte des- wegen von einer Ein- tragung in die Tabelle Abstand genommen werden . Aus dem A'er- gleiche der Pocken- sterblichkeit in Öster- reich und Preußen nach dem Jahre 1874 ist zu schließen, daß die be- deutende und andau- ernde Abnahme der Pockentodesfälle in Preußen nur in der Wirkung des Impfge- setzes ihren Grund haben kann, da alle übrigen Verhältnisse in bezug auf diePocken- krankheit in beiden Staaten die gleichen geblieben sind. 988 Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutschland. III. Die Pockentodesfälle in deutschen Städten in den Jahren 1870 — 1883, vergUchen mit denjenigen in außerdeutschen Städten (Tafel II). Von je 100 000 Einwohnern starben an den l'ocken: Berlin. Hamboirö. Bire slaii. Miinclieii. f I I Tafeln zur Veranschaulichxing der Wirkung des Imi)fgesetzes in 1 )evitschland. 989 Dresden. London. Paris. Wi e n. 990 Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutschland. Petersl>ur^. Sowohl die deutschen als die fremden Städte haben im Anfang der siebenziger Jahre bedeutende Pockenepidemien zu überstehen gehabt. Trotzdem ist die Pocken- sterblichkeit in allen Städten ohne Impfzwang nach einer vorübergehenden Abnahme sehr bald wieder auf bedeutende Höhen gestiegen, während sie in allen deutschen Städten, ebenso wie es in der Gesamtbevölkerung der Fall ist, seit 1874 andauernd auf sehr ge- ringe Zahlen herabgegangen ist. Es läßt sich wohl kaum eine bessere Illustration der Wirkung des Impfgesetzes denken als der Vergleich zwischen Städten wie Breslau und Wien, Dresden und Prag, Berlin und London usw. IV. Erkrankungen und Todesfälle an Pocken in der preußischen bzw. deutschen Armee, verglichen mit denjenigen in der österreichischen und französischen Armee (Tafel III). Ebenso wie die Gesamtbevölkerungen der betreffenden Länder haben auch die Armeen im Beginn der siebenziger Jahre eine Pockenepidemie zu überstehen gehabt. Bezüglich der französischen Armee fehlen sichere Zahlenangaben, doch steht fest, daß die Verluste derselben ganz bedeutende gewesen sind. Die bei weitem geringsten Verluste hat die preußische Armee während der Kriegs- jahre gehabt, obwohl dieselbe in Frankreich beständig mit der von Pocken in erheblichem Maße befallenen Bevölkerung in Berührung kam. Der Krieg an und für sich mit seinen Strapazen, Entbehrungen usw. kann die Zunahme der Pockentodesfälle in der Armee nicht bewirkt haben, denn die österreichi- sche Armee hat in derselben Epidemie sehr viel größere Verluste an Pocken gehabt. Der einzige Unterschied in betreff der Pockenverhältnisse in den drei Armeen ist darin zu suchen, daß die österreichische und französische Armee, wie zugestanden Erkrankungen und Todesfälle an Pocken in verschiedenen Armeen in den Jahren 1867 - I8ö:{. Von je 100000 Mann erkrankten bezw. starben an den Pocken : Preufsische ( bezw. deutsche ) Armee. Tafel III. 992 Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutschland. ist, mangelhaft revacciniert wurden und sich innerhalb mangelhaft geimpfter und des- wegen von den Pocken stärker heimgesuchter Bevölkerung befinden, während die preu- ^ßische Armee den Vorteil einer sorgfältig ausgeführten Revaccination und den rela- tiven Schutz genießt, welchen eine fast pockenfreie Umgebung gewährt. Der nachteilige Einfluß einer mit Pocken behafteten und der relative Schutz einer pockenfreien Umgebung ist aus der Tabelle der Pockenerkrankungen in der preußischen Armee sofort ersichtlich. Denn es ist wohl anzunehmen, daß die Revaccination schon seit mehreren Jahrzehnten mit gleichmäßiger Sorgfalt in der Armee gehandhabt wird. Trotzdem sind die Pockenerkrankungen in den Jahren 1867 bis 1869, also vor der Zeit des Impfgesetzes, zahlreicher als nach dem Jahre 1874. Hierfür gibt es wohl keine andere Erklärung, als daß in gleicher Weise, wie sich die Pocken in der Armee infolge der massenhaften Berührung mit Pockenkranken in Frankreich erheblich steigerten, so auch früher häufiger unter dem Militär sein mußten, als noch die Zivilbevölkerung m3hr Pockenkranke hatte als jetzt. Bemerkenswert ist noch, daß in der preußischen Armee seit dem Jahre 1-874 über- haupt kein Todesfall an Pocken mehr vorgekommen ist, während die beiden anderen zum Vergleich herangezogenen Armeen noch ganz erhebliche Mortalitätszahlen für Pocken aufweisen. Irgendeinen anderen Grund als die Wirkung einer streng durchgeführten Impfung und Wiederimpfung kann man für diese so überaus auffallenden Unterschiede der Pocken- erkrankungen in den drei Armeen nicht geltend machen. Im Oktober 1884 wurde die p. 968 erwähnte Sachverständigenkommission einberufen, die die im Kaiserlichen Gesundheitsamt ausgearbeiteten Vorschläge (p. 974ff.) über die Ein- richtung einer erfolgreichen Beaufsichtigung des gesamten Impfge- schäftes und über die allgemeine Einführung der Tierlymphe begut- achten sollte. Die Kommission wurde aus Delegierten der hauptsächlich beteiligten Bundesre- gierungen (siehe p. 973) zusammengesetzt, und es wurde gleichzeitig diirch Zuziehung von drei impfgegnerischen Ärzten (Dr. Boing, praktischer Arzt in Ürdingen, Dr. Weber, praktischer Arzt in Köln, und Dr. B e t z , praktischer Arzt in Heilbronn) dafür Sorge getragen, daß auch die Einwendungen der Impfgegner gehört wurden. In dieser Kommission hatte Koch als Mitglied des Kaiserlichen Gesundheitsamtes die Rolle eines Referenten, und dementsprechend hat er sich in weitgehendem Maße an der Debatte beteiligt. Bereits nach den einleitenden Worten des Vorsitzenden der Kommission, des Geh. Oberregie- rungsrats und Vortragenden Rats im Reichsamt des Innern (späteren Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamts) Köhler, äußerte sich Koch über die erste zur Debatte gestellte Frage : ,, Ver- leiht das einmalige Überstehen der Pockenkrankheit Schutz gegen ein nochmaliges Befallenwerden?" mit f olgeriden Bemerkungen : M. H., es wird unter den Ärzten allgemein als feststehend angesehen, daß die Pocken durch das einmalige Uberstehen einen Schutz gegen ein nochmaliges Befallenwerden von dieser Krankheit verleihen. Es ist dies eine Erscheinung, die nicht allein auf diese Krankheit beschränkt ist. Wir kennen eine Gruppe von Krankheiten, die ebenso wie die Pocken durch eine Beteiligung der Haut charakterisiert sind und sich in derselben Weise wie diese verhalten. Die bekanntesten sind Masern und Scharlach. Es weiß jeder, daß das einmalige Überstehen der Masern oder des Scharlach einen Schutz verleiht gegen ein nochmaliges Befallenwerden. Es ist ferner bekannt, daß so ziemlich jedes Kind die Masern überstanden haben muß, und ganz ähnlich ist es auch früher mit den Pocken gewesen. Noch im vorigen Jahrhundert mußte fast jeder die Pocken durch- gemacht haben, und es war eine allgemeine Überzeugung im Volke und unter den Ärzten, daß die Pocken durch das einmalige Überstehen eine Immunität, d. h. Schutz gegen Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 993 eine nochmalige Erkranlvung, verleihen. Ich glaube auch nicht, daß es heutzutage ein medizinisches Werk gibt, welches über diesen Gegenstand handelt und nicht diesen Satz vertreten würde. Es mußte aber, wenn der physiologische und pathologische Stand der Impffrage beraten werden sollte, dieser Punkt doch noch einmal besprochen werden, denn gerade auf der Eigenschaft der Pocken, daß sie durch einmaliges Überstehen eine Immunität gegen eine spätere Ansteckung verleihen, beruht ja schließlich die ganze Begründung des Impfschutzes. Die erste These dieser Vorlage mag vielleicht manchem von Ihnen als sehr überflüssig erschienen sein, aber es ist doch notwendig, daß wir in unseren Beratungen von derselben ausgehen. Auf Ausführungen von Boing bemerkt K o c Ii : M. H., ich habe keineswegs gesagt, daß das einmalige Überstehen der Pocken einen absoluten Schutz verleihe. Ich beziehe mich hierbei wieder auf das Beispiel der Masern. Wir kennen auch eine ganze Reihe von Fällen — mir selbst sind solche Fälle bekannt — , wo einzelne Menschen die Masern zum zweiten, ja zum dritten Male be- kommen haben. Das stößt aber nicht die Tatsache um, daß mit wenigen Ausnahmen die Menschen, die die Masern überstanden haben, nunmehr dagegen geschützt sind. Ganz ebenso verhält es sich auch mit den Pocken. Mir stehen einige Zahlen zu Gebote, die wenigstens eine Vorstellung davon geben können, in welchem Umfange das einmalige Überstehen der Pocken gegen spätere Erkrankungen schützt. Es sind von Bousquet aus 30 großen Blatternepidemien Zahlen gesammelt, die sich auf 16 051 Batternkranke beziehen; davon waren nur 34, welche die Pocken zum zweiten Male bckonnnen hatten. Herr Geheimrat Dr. Siegel, das Mitglied unserer Kommission, hat über die Ejjidemien vom Jahre 1871 im Leipziger Medizinalbezirke berichtet und gibt an, daß unter 3188 Kranken zum zweiten Male nur 26 an den Pocken erkrankt waren. Wir ersehen daraus, daß eine zweimalige Erkrankung an den Pocken allerdings vorkommt, aber in so wenigen Fällen, daß das allgemeine Gesetz entschieden bestehen bleibt. Wir kennen ja kaum eine Regel, die nicht Ausnahmen hat, und so auch diese. Das Beispiel, welches Herr Dr. B ö i n g aus Aachen angeführt hat, klingt mir doch etwas seltsam. Es sollen von 215 Pockenkranken 13 schon nach 4 — 6 Wochen wieder mit Pocken in das Krankenhaus gebracht sein. M. H., ich habe auch als praktischer Arzt eine nicht geringe Zahl von Pockenkranken beobachtet, aber das ist mir doch noch nicht vorgekommen, daß jemand nach 4 — 6 Wochen zum zweiten Male Pocken bekommen hätte. Ich erinnere mich auch niclit, von anderen Ärzten, die Hunderte von l^ocken- kranken selbst gesehen haben, etwas Derartiges gehört zu haben. Dieses Vorkommnis würde etwas ganz Exzeptionelles sein, und es kann nicht eher für wissenschaftliche Zwecke verwertet werden, als bis nachgewiesen ist, daß es sich in der Tat um echte Pocken- erkrankungen handelte. Herr Dr. B ö i n g hat ferner gesagt, daß die Immunität gegen Pocken nach dem einmaligen Überstehen derselben nicht wissenschaftlich und nicht statistisch begründet sei. Das ist meiner Meinung nach auch ganz Nebensache. Über die Immunität bezüglich der Masern besitzen wir ebenfalls weder wissenschaftliche noch statistische Begründungen, sondern das ist etwas, was wir tagtäglich sehen, was uns als praktischen Ärzten jederzeit begegnet, und wofür wir eigentlich eine statistische Begründung gar nicht mehr nötig haben. Herr Dr. B ö i n g hat dann noch meine Untersuchungen über den Milzbrand benutzt, um sie gegen die Immunität bezüglich der Pocken zu verwerten. Mir ist gestern auch noch eine Schrift zugeschickt, das Programm des internationalen Verbandes der Impfgegner aller Länder und Weltteile, in welchem das gleiche geschieht. Es heißt da unter anderem : Koch, Gesammelfe Werke. 108 994 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. ,,Den richtigen Maßstab zur Beurteilung dieser Pockenlisten, welche alle mit Namen von erkrankten Geimpften gespickt sind, hat in jüngster Zeit der Geh. Regierungsrat Herr Dr. Koch aus dem Kaiserlichen Reichsgesundheitsamte geliefert ; er schreibt in einer Plugschrift ,,Über Milzbrandimpfung" gegen P a s t e u r auf S. 28: ,,Das Sterben der nicht geimpften Tiere an Milzbrand hätte also für die Präventivimpfung wenig oder gar nichts bewiesen. Die Infektion der geimpften muß dagegen einen unumstößlichen Beweis gegen Pasteurs Theorie liefern". Aus seiner Verbindung herausgerissen klingt dieser Satz allerdings so, als ob ich die künstliche Immunität gegen Milzbrand überhaupt nicht gelten lassen wollte. Aber aus dem Zusammenhange geht hervor, daß dies nicht der Fall ist. Es handelte sich nämlich darum, nachzuweisen, daß ein Unterschied besteht zwischen der gewöhnlich durch Impfung bewirkten künstlichen und der in anderer Weise geschehenden natürlichen Infektion, daß die Präventivimpfung gegen die natürliche Infektion weniger schützend wirkt als gegen die künstliche. Ich gehe nämlich von der Annahme aus, daß die natürliche Infektion bei den Schafen vorwiegend durch das Futter, und zwar vom Darm aus, statt- findet ; P a s t e u r nimmt dagegen an, daß sie zwar auch zum Teile durch das Futter zustande kommt, dann aber nur dadurch, daß durch stachliges Futter kleine Wunden in der Maulschleimhaut entstehen und von diesen aus die Tiere infiziert werden. In dem Passus meiner Schrift, aus welchem der zitierte Satz genommen ist, war nur die Rede davon, daß die P a s t e u r sehe Theorie - — ich meine nicht die Theorie von der künst- lichen Immunität überhaupt, sondern die Theorie über die Art und Weise der Infektion — eine andere ist als die, welche ich annehme. Daß ich gegen die Lehre von der künst- lichen Milzbrandimmunität durchaus nichts einzuwenden habe, sondern sie nur nicht in dem Umfange bestehen lassen will, den P a s t e u r ihr zuschreibt, geht daraus hervor, daß ich an einer anderen Stelle gesagt habe: ,,Die Milzbrandbazillen können durch eine eigentümliche Behandlung ab- geschwächt werden und als Impfstoff gegen virulentere Stoffe, als sie selbst in dem abgeschwächten ZuvStande sind, verwertet werden. Die Immunität ist nicht bei allen Tierspezies zu erreichen. Bis jetzt ist das P a s t e u r sehe Ver- fahren anscheinend nur auf Rinder und Schafe anzuwenden. Mit diesem Ver- fahren sind, wennTiere vollständig immun gemacht undins- besondere gegen die natürliche Infektion geschützt werden sollen, bedeutende Verluste verbunden. Je geringer die Verluste bei der Präventivimpfung sind, um so geringer fällt auch der Schutz aus, welcher damit erzielt wird." Ich glaube, daß meine Worte über die künstliche Milzbrandimmunität nicht miß- zuverstehen sind, und ich erkläre nochmals, daß ich nicht gegen die P a s t e u r sehe Auffassung von der künstlichen Erzielung einer Immunität überhaupt bin, sondern daß ich letztere nur nicht in dem Umfange gelten lassen will, wie Pasteur es tut. Im Anschluß daran brachte Koch den Antrag ein, zu beschließen:, ,, Die Kom- mission hält es für feststehend, daß das einmalige Bestehen der Pockenkrankheit Schutz gegen ein nochmaliges Befallen werden von derselben verleihe". Nach Ausführungen von Dr. Boing, Dr. Weber und Oberstabsarzt Dr. G r o ß h e i m , Dezernent im preußischen Kriegsministerium, bemerkt Koch: Ich muß nochmals auf die Milzbrandfrage zurückkommen. Herr Dr. B ö i n g erwähnte, daß ich den Ausspruch getan hätte: eine einzige Tatsache, die gegen eine Theorie spräche, wäre genügend, um die ganze Theorie fallen lassen zu müssen. Das ist für manche Verhältnisse entschieden richtig, trifft aber für den vorliegenden Fall Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 995 nicht zu, weil wir überhaupt nicht annehmen, daß ein absoluter Schutz gegen Pocken erworben werden kann. Dann muß ich aber noch darauf aufmerksam machen, daß der Vergleich zwischen Milzbrandimpfung und der dadurch erzielten Milzbrandimmunität mit dem, worüber wir jetzt beraten, gar nicht zulässig ist. Wenn wir Schafe mit Milz- brand impfen, so impfen wir sie mit abgeschwächtem und nicht mit dem natürlichen, vollständig kräftigen Milzbrandgift. Bekanntlich stirbt jedes Schaf, welches mit richtigem Milzbrandgifte geimpft wird. Mir wenigstens ist noch nicht ein Schaf vorgekommen, welches dieser Impfung widerstanden hätte. Wir haben also gar nicht einmal solche Tiere zur Verfügung, die in der gleichen Weise vom Milzbrande durchseucht sind, wie ein Mensch von Pocken durchseucht ist, nachdem er die Pockenkrankheit überstanden hat. Aber ganz abgesehen davon sprechen auch meiner Ansicht nach die Erfahrungen über die Milzbrandimpfung und die erzielte künstliche Immunität absolut nicht gegen die Schlüsse, die wir aus dem Verhalten des Menschen gegen die einmal überstandene Pockenkrankheit ziehen können. Es ist durchaus nicht notwendig, daß sämtliche Schafe, die wir mit solchem abgeschwächten Gifte behandeln, vollständig immun werden. Ich will einmal den Fall setzen : von 20 Schafen machen wir nur 10 durch die Impfung immun, so bleibt doch der Satz bestehen, daß es möglich ist, durch das einmalige Bestehen einer abgeschwächten Milzbrandkrankheit dem Tiere eine gewisse Immunität zu verschaffen, und wenn nur 50% der Versuche gelingen, so ist der Satz, daß eine solche Immunität zu erzielen ist, ganz unbestreitbar. Ebenso ist es auch mit dem Überstehen der Pocken- krankheit. Und wenn auch nur 50% durch das einmalige Überstehen geschützt würden, dann müßten wir noch immer den Satz bestehen lassen, daß durch das einmalige Bestehen der Pockenkrankheit ein Schutz gegen das nochmalige Befallenwerden von derselben erreicht wird. Höchstens müßten wir dem Worte ,, Schutz" ein einschränkendes Adjektiv zusetzen, und das können wir ja tun. Ich habe ja von vornherein betont, daß der Schutz kein absoluter ist ; aber das steht auch nicht in der These, sondern hier steht nur ,, Schutz", und ich glaube, man wird unter allen Umständen zugeben müssen, daß ein Schutz be- steht. Ob es ein Schvitz von 50% oder 90% oder, wie ich annehmen möchte, ein noch erheblicherer Schutz ist, das ist eine andere Sache. Hier handelt es sich zunächst darum, ob das einmalige Bestehen der Pockenlirankheit eine mehr oder weniger große Sicher- heit gegen weitere Infektion verleiht, und ich glaube, dem können wir wohl alle bei- stimmen. Nachdem Obermedizinalrat und Referent im bayrischen Staat.sministerivmi des Innern Dr. V. K e r s c h e n s t e i n e r . Geli. Regierungsrat imd Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes zu Berlin Dr. v. Scheel, Sanitätsrat und Medizinahefercnt beim Kaiserlichen Bezirkspräsidium in Straßburg Dr. Krieger, Geh. Medizinalrat und Mitgüed der GroßherzogUclr Mecklenburg- Schwerinschen Medizinalkommission in Rostock Prof. Dr. Thierfelder, Dr. B e t z , Geh. Obermedizinalrat und Vortragender Rat im preußischen Kultusministerium Dr. E u 1 e n b e r g , Dr. Weber, Dr. Boing, Obermedizinalrat und Mitglied der Württembergischen Medizinal- kommission Dr. V. Koch, Medizinalrat Dr. Siegel in Leipzig längere Ausführungen gemacht hatten, ergriff Koch wiederum das Wort: Ich habe zunächst einiges über die Erklärung zu sagen, welche Herr Dr. B ö i n g über die Abnahme der Pocken im Anfange dieses Jahrhunderts gegeben hat. Herr Dr. Boing nimmt an, daß die Abnahme im Zusammenhange steht mit den verbesserten Veterinären Verhältnissen — zum großen Teile wenigstens — vmd. es wurde zwar nicht direkt gesagt, aber seine Äußerungen ließen doch darauf schließen, daß die menschlichen Pocken mit den Schafpocken in Beziehung stehen. Diese Ansicht ist schon verschiedent- lich geäußert, und es ist gut, daß wir darüber ins klare kommen, wie es eigentlich mit dieser Frage steht. Ich kann über die Schaf pocken und deren Verhältnis zu Menschen- pocken aus eigener Erfahrung sprechen. Ich habe selbst vielfache Versuche gemacht, 108* 996 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Vaccine auf Schafe zu übertragen, — es gelingt das absolut nicht. Umgekehrt gelang es mir auch nicht, das Schafpockengift direkt auf Menschen zu übertragen. Ich habe es auf mich selbst verimpft, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß es ungefährlich sei, auf Kinder, und auf meine Veranlassung hin haben es andere Ärzte auch getan, und nicht einem ist es gelungen, auch nur eine Pocke beim Menschen mit Schafpocken- gift zu erzeugen. Ich habe dann in den Jahren 1871 — 1873 Gelegenheit gehabt, als praktischer Arzt große Pockenepidemien durchzumachen, und zwar in einer Gegend, wo bedeutende Schafzucht getrieben wurde. Damals konnte man konstatieren, daß während der Pockenepidemien auch nicht ein einziger Fall von Schafpocken unter den Schafen sich zeigte. Umgekehrt kamen einige Jahre später, nachdem die Menschen- pocken vorüber waren, ganz bedeutende Pockenepidemien unter den Schafen in jener Gegend vor, aber wiederum nicht ein einziger Fall von Pocken unter den Menschen. Diese Tatsachen lassen sich nicht wegleugnen, sie sprechen mit absoluter Sicherheit dafür, daß die Schafpocken mit den Menschenpocken nichts zu tun haben und daß es sich um zwei ganz verschiedene Krankheiten handelt. Ich möchte dann nochmals zurückkommen auf den Inhalt der ersten Frage, ob das einmalige Uberstehen der Pockenkrankheit Schutz verleihe. Ich habe von vornherein keinen Irrtum darüber aufkommen lassen, daß ich mir den Schutz nicht als einen ab- soluten gedacht habe. Gleich im Anfange meiner Auseinandersetzungen habe ich aus- drücklich erwähnt, daß, sowie bei Masern und Scharlach ausnahmsweise nochmalige Erkrankungen vorkommen, dies auch bei den Pocken der Fall sei. Ich habe, um diesen Satz als berechtigt hinzustellen, gesagt, daß, selbst wenn nur etwa 50% der Erkrankten dadurch gegen das nochmalige Befallenwerden geschützt würden, die Annahme einer Schutzwirkung immer noch berechtigt sei, — man möge dem Ausdrucke ,, Schutz" dann einen einschränkenden Zusatz geben. Es ist das dahin mißverstanden worden, als ob ich gesagt hätte, es würden nach meiner Ansicht überhaupt nur 50% geschützt. Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe ausdrücklich hinzugesetzt, daß meiner Ansicht nach der Schutz ein sehr erheblicher ist. Wenn ich mich nun aber an die Zahlen halte, welche Herr Dr. B ö i n g gewählt hat, daß also auf eine Million Menschen hundert Wiedererkrankungen vorkämen, und wenn dann Herr Dr. Boing meint, das wäre auch nur ein relativer Schutz, so stimme ich dem vollkommen bei, glaube aber doch berechtigt zu sein, einen derartigen Schutz schon als einen recht bedeutenden ansehen zu können. Ich glaube, daß wir nach allem, was wir bis jetzt gehört haben, und namentlich nach den persönlichen Erfahrungen, die jeder einzelne von uns als Arzt bei Pocken- krankheiten gemacht hat, mit gutem Gewissen aussprechen können, daß in der Tat ein Schutz mit seltenen Ausnahmen verliehen wird. Ich glaube, daß wir in allen diesen Fragen unsere persönliche ärztliche Erfahrung doch nicht hinter das statistische Beweis- material zurückstellen sollen. Ich setze meine eigene Erfahrung in dieser Frage entschieden über das, was uns etwa die Statistik bietet, — namentlich eine Statistik, welche aus einem unkontrollierbaren Urmateriale schöpft. Und soweit ich aus den Äußerungen der Anwesenden entnommen habe, scheint doch die überwiegende Mehrzahl derselben Meinung zu sein und ebenfalls die eigene Erfahrung gemacht zu haben, daß mit nur seltenen Ausnahmen ein zweimaliges Erkranken an Pocken nicht vorkommt. Ich kann daher nur befürworten, daß der von Herrn Dr. Thierfelder gestellte Antrag an- genommen werde. Der von Thier felder gestellte Antrag lautete, zu beschließen: ,,Das einmaUge Über- stehen der Pockenkrankheit verleiht, mit seltenen Ausnahmen, Schutz gegen ein nochmaHges Be- fallenwerden von derselben". Nach Bemerkungen der Herren v. Scheel, Thierfelder, Boing sagte Koch: Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführvuig d. animalen Vaccination. 997 Das vom Herrn Dr. Boing angeführte Experiment des Herrn R o 1 o f f , daI3 einem Schafe ein Pockenhemd vorgebunden sei, und daß das Tier die Pocken bekommen habe, ist mir nicht bekannt ; ich muß aber gestehen, daß ein derartiger Versuch für mich nicht eher überzeugend ist, als bis ich die volle Gewißheit habe, daß keine Fehler in der Anordnung des Experimentes untergelaufen sind. Bei einigen Experimenten, welche über den Zusammenhang zwischen Schafpocken und Menschenpocken gemacht sind, weiß man mit Bestimmtheit, daß dies der Fall war und daß sie deswegen nichts beweisen. Wie es bei diesem Experimente zugegangen ist, weiß ich augenblicklich nicht, aber ich erlaube mir doch die Frage an Herrn Dr. Boing zu richten, ob er selbst schon Schaf- pocken gesehen hat und sich auf eigene Erfahrung berufen kann. (Wird verneint.) Ich muß dabei bleiben, daß für mich in diesem Falle meine eigenen Experimente mehr maßgebend sind, als jene paar aus der Literatur zusammengesuchten Fälle, die mir sehr unsicher zu sein scheinen. Ich bin fest überzeugt auf Grund der Tatsachen, die mir zur Verfügung stehen, daß Schafpocken und Menschenpocken nichts mitein- ander zu tun haben, und soviel ich weiß, steht Bollinger auch auf diesem Stand- punkte. Auch alle Tierärzte, deren Meinung über diesen Punkt mir bekannt ist, nehmen an, daß Schafpocken und Menschenpocken verschieden sind. Wäre die Übertragung der Menschenpocken auf Schafe in so einfacher Weise zu erreichen, wie in dem erwähnten Experimente mit dem Pockenhemde, dann hätten doch während der letzten Pocken- epidemien irgendwelche Fälle von Ansteckung der Schafe durch pockenkranke Menschen vorkommen müssen. Aber es ist nichts Derartiges bekanntgeworden. Im Anschluß an Weber, E u 1 e n Ii e r g und Boing: Es ist nicht richtig, wenn Herr Dr. Boing sagt, daß die Impfung in diesem Falle ganz etwas anderes sei als der Versuch mit dem Hemde. Wir wissen doch, daß wenn man einen Menschen mit Pockengift impft, er unter allen Umständen darauf reagiert, nicht immer mit einer allgemeinen Erkrankung, aber doch mit einer örtlichen Affektion. Genau so ist es mit den Schafen. Ich habe selbst eine Anzahl von Schafen mit Ovine geimpft. Die Impfung mit Ovine erzeugt ohne Ausnahme bei den Schafen eine örtliche Reaktion. Da kann man doch voraussetzen, daß wenn Menschenpocken und Schaf- pocken identisch sind, auch das menschliche Pockengift jedesmal beim Schafe eine Pocke erzeugen müßte. Das tut es aber nicht. Also müssen beide Krankheiten verschieden seiji. Herr Dr. Weber hat noch von dem Verbote der Schafpockenimpfung gesprochen. Auch diese Angelegenheit ist sehr oft mit der Impffrage in Beziehung gebracht worden. Ich möchte indessen darauf aufmerksam machen, daß die Schafpockenimpfung etwas ist, was wir mit der Vaccination gar nicht vergleichen können. Die Schafe werden bei der Schafpockenimpfung nicht mit einem abgeschwächten Gifte, sondern mit einem unabgeschwächten, mit dem natiü'lichen Schafpockengifte geimpft. Es entspricht das also der Impfung mit dem echten Blatterngifte, demjenigen Verfahren, welches in dem vorigen Jahrhundert ausgeübt wurde und in einigen Ländern Asiens auch jetzt noch zur Anwendung kommt. Daß die Menschen mit dem unabgeschwächten, echten Pocken- gifte geimpft werden, um sie vor der allgemeinen Erkrankung an Pocken zu schützen, das hat aber in Europa bekanntlich schon lange aufgehört; man hat eingesehen, daß wenn man die Menschen in dieser Weise impft, man damit die Pockenkrankheit fort- während erhält und immer von neuem verbreitet, weil dieses Krankheitsgift nicht auf die geimpfte Person beschränkt bleibt, sondern von dieser auf andere Menschen auch ohne Weiterimpfung übergeht, was bei der Vaccine nicht der Fall ist. Die Impfung mit Menschen- pocken ist bereits seit dem Anfange dieses Jahrhunderts verboten, während die Schaf- t 998 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Pockenimpfung, die ganz dasselbe in bezug auf die Schafpocken ist, erst vor wenigen Jahren verboten wurde. Man darf also nicht, wie es gewöhnlich geschieht, behaupten, daß die Schaf pockenimpfung verboten sei und die Menschenpockenimpfung fortbestehe. Im Anschluß an Weber: Es scheint mir ein Mißverständnis vorzuliegen. Herr Dr. Weber sagt, daß bei Schafen auch die Impfung mit Vaccine verboten sei. Im Gesetze ist, soviel mir bekannt, keine Rede davon. Im Gesetze ist nur die Ovination gemeint, und darunter verstehen wir die Impfung der Schafe mit Schafpocken und nicht mit Vaccine. Alle die Ärzte, welche sich bemüht haben, die Vaccine auf Schafe zu übertragen, in der Absicht, auf diese Weise die Lymphegewinnung zu verbessern, müßten ja sonst straffällig sein. Nach einer RepUk von Weber: Ich muß es entschieden bestreiten, denn es steht dem nichts im Wege, daß wir bei Schafen alle möglichen Impfversuche anstellen können, z. B. die Impfversuche mit Milzbrand. Niemand hat etwas Ungesetzliches darin gefunden, daß diese Versuche in Deutschland, bekanntlich auf Veranlassung der Regierung, auf der Domäne Packisch an Hunderten von Schafen gemacht sind. Bei der Abstimmung wurde der Antrag Thier felder angenommen. Ein Antrag von Dr. Weber: ,,Die königliche Polizeidirektion in Aachen aufzufordern, die amtlichen Akten über die seit 1881 in Aachen und Burgscheid vorgekommenen Pockenfälle der Impfkommission schleu- nigst einz\isenden", wurde abgelehnt. Vor Beginn der nächsten Sitzung machte Koch folgende Bemerkungen: Ich möchte nur zur Berichtigung der Mitteilungen über den Zusammenhang zwischen Schafpocken und Menschenpocken einige kurze Bemerkungen machen. Es war gesagt, daß Bollinger sich dahin geäußert habe, Schafpocken und Menschenpocken seien identisch. Ich habe inzwischen mir die Schrift von Bollinger verschafft und finde darin folgenden Satz: Aus der ganzen Pathologie der Schafe ergibt sich, daß Menschen- und Schaf- pocken durchaus homologe Krankheiten sind, die, obwohl in jeder Richtung übereinstimmend, gegenwärtig in keiner direkten Beziehung zu- einander stehen. Noch niemals wurde beobachtet, daß aus Menschenpocken Schafblattern entstanden sind, oder umgekehrt. Dann habe ich in bezug auf das Experiment, welches Herr Geheimrat R o 1 o f f angeblich mit dem Pockenhemde an einem Schafe gemacht haben sollte, mündlich Rücksprache mit Herrn Geheimrat R o 1 o f f genommen, und er hat mir mitgeteilt, daß ihm von diesem Veisuche absolut nichts bekannt sei; ec kenne auch m der ganzen Literatur der Tierarzneikunde keine zuverlässige Mitteilung darüber, daß Menschen- pocken auf Schafe oder umgekehrt übertragen wären, und für seine Person halte er diese beiden Krankheiten ebenfalls für vollständig verschieden. Auf längere statistische Ausführungen von Dr. Weber antwortete Koch: Ich muß auch hier wieder bemerken, daß für mich die statistischen Gründe für die Schutzwirkung der Impfung weniger maßgebend sind als meine persönlichen Er- fahrungen. Ich bin jahrelang Impfarzt gewesen, ich habe Tausende von Menschen geimpft, ich habe außerdem eine große Zahl von Pockenkranken gesehen, und habe persönlich die Überzeugung gewonnen, daß die Impfung gegen Pocken schützt. Ich habe eine Menge von Pockenkranken daraufhin untersucht, ob sie geimpft waren oder nicht ; — ich kann meine Angaben allerdings nicht mit Zahlen belegen, aber der Eindruck, den ich gewonnen habe, war der, daß die Impfung einen ganz erheblichen Schutz gegen die Pockenlcrankheit verschafft. Bea\ifsichtigiing d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 999 Ich möchte mich au(3erdem noch gegen die Wiclitigkeit, die man den Urpocken- hsten beilegt, aussprechen. Das Material für die Urpockenlisten wird ja von Nichtärzten geliefert, und namentlich die Frage, ob das betreffende Individuum geimpft war oder nicht geimpft war, wird in den wenigsten Fällen vom Arzte selbst beantwortet; es ist meistens den Familienvorständen und denjenigen, welche sonst zur Anzeige verpflichtet sind, überlassen, diese Notizen zu geben. Also wir können nicht sagen, daß dieses Material in einer ganz zuverlässigen Weise gesammelt wird; namentlich werden wir über das Geimpftsein oder Nichtgeimpftsein immer nur ganz unzuvei lässige Auskunft bekommen. Denn wenn man jemanden fragt, ob er geimpft ist oder nicht, dann wird er unter allen Umständen, wenn er sich der Sache nicht recht erinnert, sagen, er sei geimpft, weil er fürchtet, er würde sonst möglicherweise in Strafe genommen, nachgeimpft oder der- gleichen. Auf diese Weise kommt es höchstwahrscheinlich zustande, daß in den Urpocken- listen eine Menge Menschen, die an den Pocken erkrankt sind, als geimpft angegeben werden. Wir können unmöglich ans einem solchen unsicheren Material zuverlässige Schlüsse ziehen. Aus demselben Grunde können auch die beiden Statistiken, welche von dem Herrn Vorredner als besonders schwerwiegende angegeben wurden, doch auch eine andere Auffassung finden. So z. B. die Statistik von Müller. Müller hat im ganzen für das Jahr 1871 3552 Pockentodesfälle in Berlin angegeben: in Wirklichkeit sind es aber, wie G u 1 1 s t a d t nachgewiesen hat, 5081 gewesen. Man sieht daraus, daß das Material, welches er gesammelt hat, nicht vollständig der Wirklichkeit entspricht. Es ist das nicht sein Fehler, sondern es ließ sich ein solches Material unter den damaligen Verhältnissen eben nicht besser beschaffen. Dann ist gegen die Keller sehe Statistik geltend gemacht, daß der Autor sich in anderen ähnlichen Dingen sehr unzuverlässig erwiesen habe; er habe eine Statistik über Syphilis aufgestellt, und als nachher die Sache von einem anderen Foz'scher genau kontrolliert wurde, stellte sich heraus, daß nicht einmal die Ortsnamen und Entfernungen der Orte, von denen er angibt, daß er sie besucht habe, richtig angegeben waren. Als einen sehr zuverlässigen Statistiker kann man Keller unter diesen Umständen doch wohl nicht gelten lassen . In der weiteren Debatte über die Bedeutung der Urpockenhsten führt K o c h aus: Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, daß der Ausdruck ,, Geimpft sein", wenn er statistisch verwertet werden soll, nicht so anzusehen ist, als ob er stets denselben Wert hat. Herr Dr. R e i ß n e r hat dies bereits an dem Beispiel gezeigt, daß Kinder zu spät geimpft wurden und deswegen trotz des ,, Geimpftseins" an Pocken erkrankten. Aber auch in anderer Beziehung ist der Ausdruck ,, geimpft" ein sehr relativer. Wenn z. B. jemand vor 5 oder 10 Jahren geimpft ist, so müssen wir ihn doch wohl in bezug auf den Pockenschutz anders beurteilen als einen solchen, der vor 40 oder 50 Jahren geimpft worden ist. Das ist hauptsächlich der Grund, weswegen ich alle Statistik bezüglich des Geimpftseins oder Nichtgeimpftseins für unzulässig halte, und weswegen ich auch auf die Urpockenlisten nichts geben kann, selbst wenn die darin eiithaltenen Angaben von Ärzten herrühren; denn auch von diesen erfahren wir nichts weiter, als daß der Betreffende geimpft sei oder nicht, aber darüber, wann und wie er geimpft wurde, geben uns die Urpockenlisten auf keinen Fall die Auskunft. Dennoch bin ich durchaus nicht der Meinung, daß wir an die Impf frage gar nicht auf Grund statistischen Materials heran- treten könnten; im Gegenteil hoffe ich, daß wir noch Gelegenheit haben werden, über die Pockenstatistik der Armee von dem Deligierten des Kriegsministeriums wichtige Mitteilungen zu erhalten. Auch glaube ich, daß die Pockenmortalitätsstatistik für viele Fragen verwertet werden kann. Zu diesem Zwecke sind im Gesundheitsamte graphische Darstellungen der Pockenmortalität ausgearbeitet, aus denen die Wirkung des Impf- 1000 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. gesetzes zu ersehen ist. Über diese Arbeit ist von manchen Seiten abfällig geurteilt worden, aber ganz mit Unrecht. Man hat z. B. gesagt, es seien auf den Tafeln irrtüm- licherweise Städte mit Zwangsimpfung als solche angegeben, welche keine Zwangs- impfung hätten. Dieser Irrtum gelte ganz besonders von London, einer Stadt, welche schon seit langer Zeit Zwangsimpfung habe. Gegen diesen Einwurf muß ich doch be- merken, daß der den Tafeln beigegebene Text keinen Zweifel darüber lassen kann, um was es sich hier handelt. Durch die Tafeln soll nämlich die Wirkung des Impfgesetzes vom Jahre 1874 illustriert werden und da kann ich doch bei jedem Leser voraussetzen, daß, wenn von Impfzwang die Rede ist, darunter derjenige Zwang zu verstehen ist, welchen das deutsche Impfgesetz vorschreibt, also den Zwang zur Vaccination und Revaccination. Und dieser Zwang besteht a u s s c h I i e ß 1 i c h in Deutsch- land; alle anderen Länder haben keinen derartigen Impfzwang. Dort kennt man und so namentlich auch in London, nur den Zwang zur Vaccination. Also wenn in bezug auf diese Tafeln vom Impfzwang die Rede ist, so kann immer nur der in Deutschland oder in deutschen Städten geltende Impfzwang gemeint sein. Insofern also kann man dieser Zusammenstellung auch nicht den geringsten Vorwurf machen, und man muß mit den überaus wichtigen und schlagenden Tatsachen, die sich daraus ergeben, rechnen. Ich bin der Meinung, daß derartige große Zahlen doch ein ungleich sichereres Resultat geben als eine Statistik, welcher engbegrenzte und auf ein unzuverlässiges Urmaterial sich stützende Erhebungen, wie es die Urpockenlisten sind, zugrunde liegen. In der weiteren Debatte sagt Koch: Herr Dr. Boing hat nochmals bezweifelt, daß die Gegenüberstellung von London und Berlin als einer Stadt ohne Zwangsimpfung einerseits, und einer Stadt mit Zwangs- impfung andererseits nicht richtig sei. Ich muß dem entschieden widersprechen; es kann das nur ein Mißverständnis sein. Ich habe schon auseinandergesetzt, daß ich unter Zwangsimpfung den Zwang zur Vaccination und zur Revaccination verstehe, wie ihn das deutsche Impfgesetz vorschreibt. Ein solcher Zwang existiert in London nicht, aber in Berlin. Wenn Herr Dr. Boing also sagt, in London würde mit gleicher Energie und Sorgfalt die Zwangsimpfung ausgeführt als in Berlin, so kann sich das höchstens auf die erste Impfung beziehen. Meiner Ansicht nach ist hier eigentlich gar kein Irrtum mehr möglich. Auch in allen anderen Städten, welche ebenso wie Berlin Zwangsimpfung haben, d. h. also Vaccinations- und Revaccinationszwang, ist die Pockenmortalität auf ein Minimum herabgesunken, während in allen außerdeutschen Städten, wo man sich nur auf die erste Impfung beschränkt, was ich nicht als eine vollständige Zwangs- impfung ansehe, die Pockenmortalität außerordentlich hoch ist im Gegensatze zu den deutschen Städten, wie die Ihnen vorliegenden Tafeln sofort erkennen lassen. Ganz dieselbe Erscheinung können Sie sehen, wenn Sie die Pockenmortalitäts- statistik ein und desselben Landes, z.B. von Preußen, vergleichen aus der Zeit vor Ein- führung und nach Einführung der Zwangsimpfung durch das Impfgesetz vom Jahre 1874 oder auch im Verhältnisse zu einem anderen Lande, welches den vollen Impfzwang nicht hat, wie z. B. Österreich. Auch in diesem Falle zeigt es sich, daß von dem Jahre ab, wo die volle Zwangsimpfung eingeführt ist, die Pockenmortalität in Preußen auf ein Minimum herabsinkt, und zwar so tief, wie es noch niemals in einem Lande beob- achtet worden ist, solange Aufzeichnungen über die Pockensterblichkeit gemacht sind. Ich halte es deswegen zur Entscheidung über den eventuellen Nutzen des Impf- gesetzes auch für vollkommen ausreichend, daß wir uns allein auf die Pockenmortalität beschränken. Alles andere Material ist für diesen Zweck mehr oder weniger zweifelhaft. Herr Dr. Boing hat den Antrag gestellt, daß die Urpockenlisten zur Gewinnung einer Impfstatistik verarbeitet werden sollen. Aber ich habe schon wiederholt darauf hin- Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts vi. Einführung d. animalen Vaccination. 1001 weisen müssen, daß diese Listen für diesen Zweck unbrauchbar sind, weil sie uns keine genügende Auskunft geben über den Inipfzustand, und ich halte deswegen eine Bearbeitung desselben für eine nutzlose Mühe. Von dem Zeitpunl<;te ab, wo das Impfgesetz in Wirkung getreten ist, ist die Pocken- mortalität, wie ich bereits erwähnte, auf ein Minimum herabgesunken. Ich möchte nun doch von den Herren, die die nützliche Wirkung des Impfgesetzes bestreiten, mir eine Erklärung dieser Erscheinung ausbitten. Herr Dr. Boing hat für die Abnahme der Pockensterblichkeit im Anfange dieses Jahrhunderts die veränderten sozialen Ver- hältnisse und die Verbesserung in der Veterinärgesetzgebung als mögliche Ursachen an- geführt. Ich glaube nicht, daß diese Erklärung auch für den plötzlichen Abfall der Pocken- mortalität nach der Einführung des Impfgesetzes im Jahre 1874 geltend gemacht werden kann. Mir ist wenigstens nicht bekannt daß im Jahre 1874 so ganz besondere veterinär- polizeiliche Maßregeln zur Geltung gekommen wären, oder daß seitdem außergewöhn- liche Veränderungen in den sozialen Verhältnissen Deutschlands vor sich gegangen wären. Man könnte höchstens noch behaupten, daß die Abnahme eine Folge der großen Epidemie von 1871 — 1873 gewesen sei, weil die Erfahrung gelehrt hat, daß auf Jahre, in welchen die Pocken ganz besonders stark herrschten, Jahre folgten, in denen die Krankheit weniger intensiv auftrat. Wenn auch zugegeben werden kann, daß dieser Einfluß vielleicht noch für die ersten Jahre 1875, 1876, 1877 bestanden hat, so sehen wir doch, daß auch in den späteren Jahren die Pockenmortalität in Deutschland andauernd eine außerordentlich niedrige bleibt, während in Österreich, welches keinen Revacci- nationszwang hat, die Pockensterblichkeit, wie aus der Tafel zu ersehen ist, nach der großen Epidemie zwar auch auf kurze Zeit heruntergeht, aber sehr bald wieder auf die frühere hohe Zahl gestiegen ist. Nun werden mir die Herren vielleicht einwenden können, daß auch dieses statistische Material unsicher sei; denn auch dieses Material ist ja von Polizeibehörden, von Standes- ämtern usw. gesammelt. Das ist ganz richtig; ich glaube jedoch, daß wir darüber, ob jemand an den Pocken gestorben ist, auch von Laien eine zuverlässige Auskunft er- halten können. Ganz etwas anderes ist es mit dem Nachweise des Geimpftseins und des Nicht - geimpftseins. Das sind, wie ich früher nachgewiesen habe, Tatsachen, welche wir in genügender Weise unmöglich von Laien feststellen lassen können. Aber ich will auch den Fall setzen, dieses für die Mortalitätsstatistik benutzte Material wäre dennoch unsicher, dann kann es höchstens zuungunsten der Wirkung des Impfgesetzes ausfallen. Es kann möglicherweise vorkommen, daß Pockentodesfälle gemeldet werden, die keine wareii. aber schwerlich wird das Umgekehrte der Fall sein, daß Pockentodesfälle nicht zur Meldung kämen. Es würde in diesem Falle den Pockentoten also noch eine Anzahl von anderen Todesfällen hinzugezählt sein, welche die Gesamtzahl erhöhen müssen. Es ist beispielsweise in Preußen festgestellt, daß dies in der Tat sich so verhält, und daß eine zu große Zahl von Pockentodesfällen gemeldet wird, namentlich in den östlichen Provinzen. Gesetzt nun den Fall, daß dieser Fehler der Pockenmortalitätsstatistik anhaftet, und daß eine gewisse Anzahl von Pockentodesfällen zuviel gemeldet wird, dann bleibt dieser Fehler vor und nach Einführung des Impfgesetzes der gleiche, und er wird für größere Zahlen, also vor 1874, viel weniger in Betracht kommen, als für die niedrigen Pockensterblichkeitszahlen in der Zeit nach dem Jahre 1874, welche er in einem erheblicli größeren Prozentverhältnisse beeinflussen wird. Wenn wir also, trotzdem dieser Fehler in der Mortaiitätsstatistik enthalten sein sollte, dennoch eine solche außerordentliche Abnahme finden, dann können wir diese Erscheinung keinem anderen Umstände zuschreiben, als der Zwangsimpfung, und, wie 1002 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. gesagt, nicht einer Zwangsimpfung der Kinder allein, sondern einer Zwangsimpfung, die sich auf Vaccination und Revaccination bezieht. Auf Einwände der Impfgegner, daß die Pockensterblichkeit erhebUch von sozialen Verhält- nissen beeinflußt würde, erwidert Koch: Der Einfluß, welchen soziales Elend, Zusammengedrängtsein der Bevölkerung, Schmutz u. dgl. auf die Pockensterblichkeit einer Bevölkerung ausüben, wird doch oft weit übertrieben. Wir müssen in die Erinnerung zurückrufen, daß im vorigen Jahr- hundert, wo ganz gewiß auch ein großer Teil der Bevölkerung in recht guten Verhält- nissen lebte, eigentlich kein Mensch existierte, der die Blattern nicht durchgemacht hätte. Es ist ja bekannt, daß eine Menge der hochgestelltesten Menschen der damaligen Zeit, daß selbst Fürsten, wie z. B. Ludwig XV. von Frankreich, an den Pocken ge- storben sind. Bezüglich der Behauptung, daß die Pocken möglicherweise gar nicht ansteckend seien, möchte ich noch auf die große Zahl von Erfahrungen hinweisen, die man hierüber bei der früher üblichen Verimpf ung des Pockengiftes gemacht hat. Es gibt Millionen von Individuen, die auf diese Weise geimpft wurden, und bei denen es nicht etwa allein zu einer lokalen Entwicklung von wenigen Impfpocken kam, sondern bei denen sehr oft auch eine allgemeine Erkrankung an Pocken in mehr oder weniger hohem Grade sich einstellte. Es gibt kaum etwas in der Medizin, worüber wir so sicher orientiert sind, als daß die Pocken eine ansteckende Krankheit sind. Die zweite Sitzung (31. Oktober) wird von Dr. Boing mit längeren Ausführungen über den Wert der Statistik sowohl in der Zivilbevölkerung als auch in der Armee eröffnet. Dazu äußert sich Koch: M. H., Herr Dr. Böing hat erklärt, daß er den persönlichen Erfahrungen kein besonderes Gewicht zugestehen könne, und er ist geneigt, hauptsächlich sich an stati- stisches Material zu halten. Ich habe gestern schon verschiedentlich darauf hinweisen müssen, daß jede Statistik, welche den Nachweis des Geimpft- oder Nichtgeimpftseins voraussetzt, mehr oder weniger unsicher, in den meisten Fällen sogar ganz wertlos ist, speziell für die Frage, ob die Impfung einen Schutz verleiht oder nicht. Es kann ja — darin gebe ich Herrn Medizinalrat R e i ß n e r recht — für manche andere Fragen, z. B. über die Dauer des Schutzes und ähnliches, eine solche ins Detail getriebene Impfstatistik immer noch von Nutzen sein ; aber um uns eine absolut unangreifbare Unterlage zu geben für die Frage nach dem Nutzen der Impfung und speziell des deutschen Impfgesetzes, können wir eine derartige Statistik doch nicht brauchen. Ich muß also dabei bleiben, daß wir uns für diesen Zweck nur auf die Mortalitätsstatistik beschränken, und daß wir, gerade weil die übrigen statistischen Unterlagen recht unsicherer Natur sind, auch unseren persönlichen Erfahrungen das volle Recht lassen müssen. Wir sind ja in der Medizin so außerordentlich oft darauf angewiesen, unser Handeln und unser Denken nach der persönlichen Erfahrung einzurichten und nicht nach statistischen Tabellen; so auch in diesem Falle. Es ist ja ganz richtig, daß der einzelne auch wohl einmal auf einen falschen Weg durch seine persönliche Erfahrung geleitet werden kann; aber wenn, wie hier, eine Anzahl von Ärzten, die in der Praxis stehen und selbst eine Menge von Pockenkranken behandelt haben, sich aiif ihre Erfahrungen berufen, dann hat das doch eine gewisse Bedeutung. Herr Dr. Böing hat sich ferner insbesondere auf eine Kritik der bayerischen Impfstatistik eingelassen und hat gefunden, daß in Bayern jährlich auf 1000 Impflinge 36 Restanten kommen: er rechnet dann aus, daß in Bayern unter diesen Verhältnissen zur Zeit der Epidemie 200 000 Ungeimpfte existieren mußten, und daß wenn man nun Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1003 das Verhältnis der erkrankten Geimpften und Ungeimpften berechnet, dieses Verhältnis mit dem der überhaupt vorhandenen Geimpften und Ungeimpften übereinstimmt. Dieses Beispiel stellt Herr Dr. Boing als einen Beweis gegen den Nutzen der Impfung so hoch, daß er sagt : wenn ihm das widerlegt würde, dann wolle er die Berechtigung des Impfgesetzes anerkennen. Nun, wenn dies sein Ernst ist, dann glaube ich, werden wir bald die Freude haben, ihn als Verfechter des Impfgesetzes begrüßen zu können. Es zeigt sich gerade an diesem Beispiel, wie schwach es mit einer derartigen Statistik bestellt ist. Jeder, der selbst Impfarzt gewesen ist, weiß, daß, wenn eine Anzahl Restanten in einem Jahre bleibt, sie in der Regel im nächsten Jahre nachgeimpft werden. Außer- dem besteht ein Teil der Restanten aus den wegen Krankheit oder allgemeiner Schwäche zurückgestellten Kindern, von denen eine Anzahl stirbt. Der Rest bleibt also keineswegs fortwährend unverändert und kann nicht einfach summiert werden. In Bayern wird es sich mit den Impfrestanten ganz ebenso verhalten; vielleicht gibt uns Herr Obermedizinal- rat V. K e r s c h e n s t e i n e r darüber noch spezielle Auskunft. In diesem Falle werden aber nicht 200 000 Ungeimpfte zu rechnen sein, sondern ein ganz verschwindender Bruch- teil; es ist allerdings nicht gesagt, daß alles nachgeimpft wird, aber jedenfalls bleibt nur ein ganz verschwindender Rest von Kindern ungeimpft. Ich weiß nicht, ob Herr Dr. Boing Impfarzt gewesen ist — (Dr. Boing: Allerdings!) ja dann verstehe ich nicht, wie er das übersehen konnte. Auf diesen Fehler ist übrigens schon 1883 in der Berliner klinischen Wochenschrift durch Dr. L. Voigt in Hamburg hingewiesen. Es ist mir überhaupt nicht recht erklärlich, warum die Herren Impfgegner für Beweise und Widerlegungen so wenig zugänglich sind; sie wiederholen stets dasselbe, und wir sind infolgedessen gezwungen, auch die Widerlegungen stets zu v/iederholen. Wenn unsere Beratung in der Weise fortgeht, dann werden wir schwerlich zu einem Ende kommen; es zeigt sich das in gleicher Weise auch an der gestrigen Diskussion über die im Gesundheitsamte aufgestellten Tafeln zur Veranschaulichung der Wirkung des Impfgesetzes in Deutschland. Ich habe gestern schon darauf hingewiesen, daß schon durch den eben angeführten Titel der Tafeln ihr Zweck unverkennbar ausgesprochen ist. Außerdem ist es allbekannt, daß dieselben dem Reichstage vorgelegt sind, um ge- wissermaßen als Rechenschaft über die W^irkung des Impfgesetzes zu dienen. Unter diesen Umständen kann absolut kein Zweifel darüber bestehen, daß der Ausdruck Impf- zwang, wenn er in denselben gebraucht ist, nur im Sinne des deutschen Impfgesetzes gemeint sein kann. Selbst wenn jemand sich die Einleitung hinwegdenkt und die Sätze, die nachher zur Erläuterung gegeben sind, gar nicht berücksichtigt, so kann er doch nicht darüber in Zweifel sein. Ich muß also alle die Ausstellungen, die Herr Dr. Boing nochmals gemacht hat und die ich gestern schon zweimal widerlegte, heute nochmals zurückweisen; hauiDtsächhch die Behauptung, daß London eine Stadt mit Zwangs- inipfung im Sinne des deutschen Impfgesetzes wäre. Wenn man die kleinen Kinder noch so regelmäßig und sorgfältig impft, so ist das etwas ganz anderes als eine Zwangs- impfung, bei der man nicht bloß kleine Kinder impft, sondern auch die Zwangsrevacci- nation durchführt. Wir werden später noch sehen, daß die Impfung keinen absoluten Schutz gibt, sondern nur für eine Reihe von Jahren, und daß es deswegen ein gewaltiger Unterschied ist, ob die Impfung sich allein auf die Erstimpfung beschränkt oder ob im späteren Lebensalter noch einmal eine zweite Impfung erfolgt. Auch die anderweitigen Einwendungen, welche Herr Dr. Boing gegen diese Tafeln gemacht hat, sind durchaus unzutreffend. Zunächst wurde gesagt, daß andere Paktoren zuwenig berücksichtigt seien; die Pockenmortalität sei abhängig zum Teil von dem ganzen Charakter der Epidemie, von der ärztlichen Behandlung, von dem 1004 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. sozialen Elend, von dem gestern auch schon die Rede gewesen ist, und welches meiner Ansicht nach in der Bedeutung, welche ihm von den Herren Impfgegnern gestern gegeben wurde, vollständig widerlegt ist, aber immer von neuem wieder ins Feld geführt wird. Nach meiner Meinung sind gerade bei dieser Mortalitätsstatistik alle in Betracht kommen- den Faktoren berücksichtigt. Wenn der Zustand der Bevölkerung in Preußen vor dem Jahre 1874 mit demjenigen nach dem Jahre 1874 vergHchen wird, dann sind alle übrigen Faktoren dieselben geblieben; nur der Impfzustand hat sich geändert, und wenn von diesem Zeitpunkte ab die Pockensterblichkeit auf ein Minimum sinkt und auch andauernd verbleibt, dann können wir das einzig und allein der Wirkung des Impfgesetzes zuschreiben. Es ist allerdings noch zu berücksichtigen, daß der Abfall der Pockensterblichkeit in den Jahren 1874, 1875 und vielleicht auch noch 1876 nicht ganz allein der Impfung zu- zuschreiben ist. Das ist auch nie geschehen; in der Erklärung zu den Tabellen ist es ganz klar und deutlich ausgesprochen, daß das Abnehmen der Mortalität in diesen Jahren höchstwahrscheinlich zum Teile der unmittelbar voraufgegangenen großen Epidemie zugeschrieben werden muß. Um aber zu zeigen, daß der Einfluß der vorangegangenen Epidemien sich nur auf einige Jahre erstreckt, ist der Vergleich mit Österreich gemacht, in welchem Lande die Pockensterblichkeit nach einem kurz vorübergehenden Sinken schnell wieder den früheren hohen Stand erreicht hat. Herr Dr. B ö i n g hat allerdings gegen diesen Vergleich geltend gemacht, daß Österreich in dieser Weise mit Preußen nicht verglichen werden könne, weil es eine erheblich größere Gesamtsterblichkeit habe — (Dr. Boing: In einzelnen Provinzen!) — in einzelnen Provinzen! Der Einwand ist in diesem Falle um so weniger berechtigt, da es durchaus unzulässig ist, einzelne Provinzen eines Staates herauszugreifen und deren hohe Gesamtsterblichlieit an die Stelle derjenigen des ganzen Landes zu setzen. Die Pockenmortalitätsstatistik von Preußen bezieht sich ja auch nicht auf einzelne Provinzen, sondern auf das ganze Land. Wenn wir aber die Pockensterblichkeit der beiden in Vergleich gestellten Länder in den Jahren vor 1874 betrachten, dann stellt sich heraus, daß sie in Österreich und Preußen ziemlich die gleiche Höhe hat; es finden sich keine erheblichen Unterschiede. Auch in Österreich kam dann in den Jahren 1872, 1873 und 1874 eine ziemlich bedeutende Pockenepidemie vor, welche der preußischen von 1871 und 1872 wenig nachgibt. Die Mortalität sinkt nach dieser großen Epidemie in Österreich ebenfalls erheblich und geht bis zum Jahre 1878 bis auf ungefähr 5,5 auf 100 000 Einwohner zurück. In Preußen dagegen ist sie infolge der gleichzeitigen Wirkung des Impfgesetzes noch viel weiter heruntergegangen, nämlich bis auf 0,34 im Jahre 1877. Während sie nun aber in Preußen sich dauernd niedrig gehalten hat und bis zum Jahre 1881 nur auf ungefähr 3,6 gestiegen ist, hat sie in Österreich im Jahre 1880 bereits wieder eine Höhe von 64 und im Jahre 1881 von 78,8, also mehr als das Zwanzigfache der preu- ßischen Pockensterblichkeit, erreicht. Der Einfluß der Epidemie, welche in Österreich um fast 2 Jahre später auftrat als in Preußen, ist in Österreich schon längst wieder ver- schwunden, und die Pockensterblichkeit ist dort schon wieder eben so hoch gestiegen wie früher, während sie in Preußen dauernd niedrig geblieben ist. Dafür gibt es nach meiner Ansicht, da alle übrigen Faktoren unverändert geblieben sind, und nur ein einziger Faktor, nämlich der Impfzustand in Preußen, eine Änderung erfahren hat, keine andere Erklärung, als daß die Zwangsimpfung, d. h. also das Impfgesetz, in Preußen jene an- dauernd niedrige Pockensterblichkeit bewirkt hat. Ganz dasselbe gilt von den großen Städten. Herr Dr. Boing hat nunmehr, wenn ich ihn recht verstanden habe, selbst zugegeben, daß in London die Pockenmortalität eine erheblich höhere ist als in Berhn; in Paris höher als in Hamburg; in Wien sogar bedeutend höher als in Breslau. Nun unterscheidet sich aber London von Berlin durch Beaufsichtigung d. Imptgeschäfts u. p]inrührving d. aiiimaien Vaccination. 1005 eine bedeutend günstigere allgemeine Mortalitätsziffer. Und in bezug hierauf möchte ich Herrn Dr. Boing doch fragen, wie er das in Einklang bringt mit seiner Auffassung bezüglich der Sterblichkeitsverhältnisse von Österreich. Wenn er Österreich als ein Land mit hoher Mortalitätsziffer hinstellt, welches dementsprechend auch hohe Pocken- ziffern haben müsse, dann müßte doch auch Berlin, mit einer bei weitem höheren all- gemeinen Mortalitätsziffer als London, eine entsprechend höhere Pockenmortalitäts- ziffer als letztere Stadt haben. Es ist aber gerade das ITmgekehrte der Fall: Berlin hatte im Jahre 1878 eine Pockensterblichkeit von 0,78,1879 0,75, 1880 0,81, 1881 4,74, während London im Jahre 1878 38,8, im folgenden Jahre 12,13, im darauffolgenden 12,50, im Jahre 1881 sogar 61,91 hatte. Das sind die Zahlen, welche diese bekanntlich unter den besten hj'gienischen Verhältnissen befindliche Stadt aufweist. London unterscheidet sich aber von Berlin in bezug auf die Imjjfverhältnisse ganz allein dadurch, daf3 in London nur für die einjährigen Kinder Zwangsimpfung besteht und daß keine Revaccination stattfindet, während in Berlin sowohl Vaccinations- als Revaccinationszwang gilt. Noch in den sechziger Jahren war das Verhältnis der Pockensterblichkeit auch in Berlin un- gefähr das nämliche, wie jetzt in Jjondon. Ganz dieselbe Erscheinung begegnet uns nun aber auch in sämtlichen übrigen deutschen Städten, für welche ja ebenfalls das deutsche Impfzwangsgesetz gilt und welche somit Vaccination und Revaccination haben, während in ausländischen Städten, z. B. Paris, Wien, Petersburg, Prag usw., auffallend hohe Pockensterblichkeit besteht. Daß in Paris die Pockenmortalität, wie Herr Dr. Boing ganz richtig angegeben hat, auf einige Jahre, nämlich bis zum Jahre 1878, ebenfalls niedrig war, das hatte darin seinen Grund, daß die Epidemie während der Kriegsjahre in Paris ganz außerordentlich heftig gewütet hat. Alles was überhaupt dort pockenempfänglich war, ist ergriffen worden, und es blieb also für mehrere Jahre eine von dieser vorhergegangenen Pockenepidemie durchseuchte und infolgedessen bedeutend geschützte Bevölkerung zurück. Allmähhch verliert sich aber dieser Schutz durch den Nachwuchs und durch den Zuzug, und so sehen wir, daß in Paris die Pocken- zahl ebenfalls wieder zu steigen anfängt und z. B. im Jahre 1879 45,81 erreicht, 1880 geht sie sogar über 100, im Jahre 1881 auf 49 usw. Das sind Zahlen, wie sie in den deut- schen Städten, mit Ausnahmen, welche später zu erwähnen sind, gar nicht mehr vor- kommen. Die Pocken Verhältnisse in Petersburg, in Prag, Warschau, Wien, also in öst- licher und südöstUcher Richtung, sind geradezu erschrecklich, und ich bin sehr gespannt, von Herrn Dr. B ö i n g eine Erklärung dafür zu bekommen, weshalb in diesen Städten so außerordentlich viel Menschen, und zwar Jahr für Jahr, an den Pocken sterben und bei uns nicht. Steht denn dort die Bevölkerung etwa auf einer so niedrigen Stufe der Kultur, herrscht etwa ein so viel größeres soziales Elend in diesen Städten als in den unserigen, daß damit diese exorbitante Pockenmortalität erklärt werden könnte ? Alle diese Städte haben keinen Impfzwang, darin ist die am nächsten liegende und auch die einzig richtige Erklärung dieser Erscheinung zu finden. Es bleiben nun noch einige andere Bemerkungen des Herrn Dr. Boing, welche einer Entgegnung bedürfen. So soll die Empfänglichkeit für Pocken vom 12. Jahre ab gerade die geringste sein. Es mag ja richtig sein, daß die Sterblichkeit im 12. Jahre die niedrigste ist, aber wir dürfen daraus noch nicht auf eine geringere Empfänglichkeit der Menschen gegen Pocken schließen. Im Gegenteil, alle ärztliche Erfahrung spricht dafür, daß unter den Geimpften schon vom 10. Jahre ab die Empfänglichkeit für die Pockenkrankheit ganz erheblich wieder zunimmt. Wenn nun aber daraus, daß einerseits die Kinder jetzt nicht mehr so frühzeitig wie früher und daß andererseits nunmehr die zwölfjährigen Kinder geimpft werden, der Schluß gezogen wurde, daß damit für die allgemeine Durchimpfung der Bevölkerung nichts gewonnen sei, weil dasjenige, was 1006 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. durch die Revaccination gewonnen werde, durch die spätere Erstimpfung wieder ver- loren gehe, so ist das durchaus irrig. Denn einmal sind in bezug auf die Verbreitung der Pocken die kleinen Kinder durchaus nicht den Kindern von 10 und 12 Jahren gleich- zustellen. Nach meinen Erfahrungen, die ich während der Pockenepidemie von 1871 bis 1873 gemacht habe, haben gerade die Schulkinder, welche an ganz leichten Pocken erkrankten, weil sie noch mehr oder weniger geschützt waren, ganz besonders zur Ver- breitung der Pockenepidemie beigetragen. Sehr oft waren diese Kinder so leicht erkrankt, daß sie kaum einen Tag im Bett zubringen mußten — wie auch Herr Medizinalrat Siegel solche Fälle gestern erwähnte — , und gerade diese Kranken sind es, welche die Epidemie am meisten und schnellsten verschleppen. Dann ist aber bei dieser Frage besonders zu berücksichtigen, worauf immer von neuem hingewiesen werden muß, daß von den Herren Impfgegnern die Bezeichnung ,, geimpft" durchaus nicht in der Weise gebraucht wird, wie sie gebraucht werden sollte. Die Geimpften sind durchaus nicht gleichwertig in bezug auf den Schutz gegen Pocken, um den es sich doch bei dieser Bezeichnung einzig und allein handelt. Diejenigen Menschen, welche schlecht geimpft sind, fungieren in den Listen auch als geimpft; für uns sind sie so gut wie gar nicht geimpft. Solche, welche vor mehr als zehn oder zwölf Jahren geimpft sind, werden in den Listen natürlich ebenfalls als geimpft aufgeführt; und doch können wir sie nicht mehr als sicher gegen die Pocken geschützt ansehen, weil wh wissen, daß sie wieder mehr oder weniger empfänglich für die Pocken geworden sind. Deswegen können wir auch alle diejenigen Beweisführungen, welche diese Unterschiede unter den Geimpften nicht machen, unter keinen Umständen als richtig anerkennen. Zum Schluß möchte ich nur Herrn Dr. B ö i n g noch darauf aufmerksam machen, daß das Beispiel vom Typhus, welches er dafür anführte, daß die Statistik alle Faktoren berücksichtigen müsse, nicht richtig gewählt ist. Er verwechselt offenbar Flecktyphus und Abdominaltyphus, da bekanntlich die Epidemien in Oberschlesien, welche von V i r c h o w untersucht und beschrieben sind, Flecktyphusepidemien waren, aber diese behandeln wir meines Wissens nicht mit Kalomel. Auf dieselben Fragen kommt Koch in der weiteren Debatte noch zweimal zurück: Es haben sich in bezug auf die statistischen Tafeln, welche vom Gesundheitsamte veröffentlicht sind, einige Male Abweichungen in den aus anderen Quellen zitierten Zahlen bemerklich gemacht. So differierte ich in bezug auf die Zahlen der Pockensterb- lichkeit in Wien mit Herrn Dr. B ö i n g und in bezug auf die Zahlen von Otserreich mit Herrn Medizinalrat R e i ß n e r. Die Differenzen sind allerdings so unbedeutend, daß sie auf das Gesamtergebnis, welches wir aus diesen Tabellen ziehen, von keinem Einflüsse sind ; aber um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich doch die Quellen, aus welchen die Zahlen für die Tafeln genommen sind, angeben. Das zur Verwendung gekommene Material ist ausschließlich offiziellen Statistiken entnommen, insbesondere für Österreich und Wien aus den österreichischen Jahrbüchern für Statistik; für die Zeit nach 1875 sind die Veröffentlichungen des Gesundheitsamtes benutzt. Ich bedaure, daß Herr Dr. B ö i n g mich zwingt, immer wieder auf dieselbe Frage zurückzukommen, indem er nochmals behauptet, daß es ein Fehler sei, London und Berlin in bezug auf den Impfzustand der Bevölkerung gegenüberzustellen, weil die eine Stadt ebensowohl Zwangsimpfung habe als die andere. Jemand, der sich noch niemals mit der Impf frage beschäftigt hat, kaim allenfalls auf diese Idee kommen und sagen, daß sowohl in London die Zwangsimpfung herrsche, weil alle kleinen Kinder bis zum dritten Monate geimpft sein müssen, und ebenso auch in Berlin die Zwangs- impfung in bezug auf die Kinder zur Durchführung gelangt; also könne man beide Städte in betreff der Zwangsimpfung gleich, aber nicht einander entgegenstellen. Aber ich darf Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einfülirung d. animalen Vaccination. 1007 doch wohl erwarten, daß ich Herrn Dr. Boing, welcher sich bereits seit Jahren mit der Impffrage beschäftigt, nicht immer und immer wieder auseinanderzusetzen habe, daß der Impf zustand beider Städte nicht in dieser Weise aufzufassen ist. sondern daß Berhn außer dem Zwange für die Vaccination auch den für die Revaccination hat, was für London nicht zutrifft. Das ist ja gerade der Punkt, worin der Impfzustand vor und nach dem Inkrafttreten des Impfgesetzes in Deutschland sich geändert hat. Es ist auch früher schon in vielen Gegenden von Deutschland recht gut geimpft, und man ist dem jetzigen Impfzustande dort ziemlich nahegekommen. Es fehlte aber früher die Ver- pflichtung zur Revaccination, und das veranlaßt gerade einen so erheblichen Unterschied, worauf ich immer und immer wieder hinweisen muß, da die Herren Impfgegner diesen Umstand stets außer acht lassen. Wenn ferner noch die Rede davon war, daß in Bayern, trotzdem dieses Land zu den am besten durcligeimpften gehörte, in den Jahren 1871 und 1872 31 000 Erkrankungs- fälle vorgekommen sind, so beweist das für die LTnwirksamkeit der Impfung gar nichts; denn unter der geimpften Bevölkerung befand sich eine ganz bedeutende Zahl von Menschen, die älter als 12 Jahre waren, welche also hätten revacciniei't werden müssen, um des Impfschutzes in solchem Grade teilhaftig zu werden, wie durch das Impfgesetz beabsichtigt wird. Wir dürfen uns also nicht wundern, daß Bayern trotz der guten Durchführung der Erstimpfung immer noch 31 000 Erkrankte lieferte. Das ist ja gerade der Grund gewesen, weswegen das deutsche Impfgesetz von allen Seiten gewünscht wurde und zum Heile des Landes auch vom deutschen Reichstage schließlich angenommen ist. Wir haben eingesehen, daß das einmalige Impfen allein noch nicht einen ausreichen- den Schutz gewährt und daß die Zwangsrevaccination noch hinzukommen muß. Jetzt, wo die Bevölkerung von Bayern außer der ersten Impfung auch der Zwangsrevaccination unterworfen wird, macht sich schon ein außerordentlich günstiger Einfluß geltend, denn wir haben vorhin durch die Mitteilungen des Herrn Obermedizinalrates v. K e r - sehen st einer erfahren, daß die Pocken in Bayern so gut wie verschwunden sind. Mehr kann man doch nicht verlangen. Es ist dann in bezug auf die Pockenstatistik, welche dem Gutachten der Wissen- schaftlichen Deputation zugrunde gelegt ist, gesagt, daß diese Statistik ganz hinfäUig sei und nicht zur Begründung eines Impfgesetzes hätte dienen sollen. M. H., ich habe Ihnen meine Stellung zur Statistik bereits mehrfach zu erkennen gegeben. Ich lasse der Statistik ihr volles Recht; nur kann ich alle diejenige Statistik, die auf dem Nachweise des Geimpftseins und Nichtgeimpftseins beruht, nicht als beweisend anerkennen. In bezug auf die Beurteilung der Schutzwirkung der Impfung halte ich nur die Mortalitätsstatistik — und das ist im wesentlichen die Statistik, welche jenem Gutachten zugrunde gelegt worden ist — für anwendbar. Deswegen läßt sich auch nicht behaupten, daß das Impfgesetz ohne sichere Grundlage entstanden sei. Aber ich will wirklich den Fall setzen, es würde jene Statistik nicht zu halten sein, dann müssen Sie mir doch zugeben, daß es ganz unpraktisch wäre, uns über Werti und Unwert der früheren Statistik zu streiten, während wir doch seit dem Inkrafttreten des Impfgesetzes die segensreichen Folgen desselben schon so unmittelbar und so klar vor Augen haben. Halten wir uns doch zunächst und vor allen Dingen an das, was das Impfgesetz ge- leistet hat, und streiten uns nicht darüber, inwieweit diese frühere Statistik richtig sei oder nicht. Herr Dr. W e b e r hat noch einmal den Wunsch ausgesprochen, die Urpocken- Hsten zur Verfügung zu bekommen, und hat sich darauf berufen, daß in den Urpockenlisten der Nachweis der Impfung zum großen Teile durch Ärzte geliefert und deswegen zu- verlässig sei. Ich will nun den Fall setzen, daß es so ist, so muß ich dennoch dabei bleiben. 1008 Beaufsichtigung d. Impfgeschälts u. Einführung d. animalen Vaccination. daß die Urpockenlisten auch unter dieser Voraussetzung nur zu ganz falschen Resultaten führen können. Wie ich schon mehrfach auseinandergesetzt habe, kommt es ja für die uns interessierenden Fragen gar nicht darauf an, überhaupt nur zu wissen, daß der Mensch geimpft ist, sondern wir müssen außerdem erfahren, ob er mit Erfolg geimpft war, wieviel Impfnarben er hatte, und namentlich vor wie langer Zeit die Impfung stattgefunden hatte. Wenn in den Urpockenlisten nichts weiter steht, als daß die betreffende Person geimpft oder nicht geimpft sei, so kann uns dies gar nichts nützen, um irgendwelche Schlußfolgerungen daraus über denjenigen Grad von Pockenschutz zu ziehen, in welchem sich die angeblich Geimpften befanden, und daran wird auch nichts dadurch geändert, daß der Nachweis des Geimpftseins durch Ärzte geliefert ist. In gleicher Weise ist auch das Beispiel zu beurteilen, welches Herr Dr. Weber angeführt hat, von der geimpften Mutter, welche ihr ungeimpftes Kind angesteckt haben soll. Das finde ich durchaus nicht wunderbar, zunächst entspricht es der allgemeinen Erfahrung, daß Frauen in den mittleren Lebensjahren, weil sie früher nicht revacciniert woirden, der Ansteckung wieder mehr zugänghch sind. So finde ich es auch ganz erklär- lich, daß diese Frau, welche schon Kinder hat und bei der die Impfung gewiß schon vor zwanzig und mehr Jahren stattgefunden hatte, wieder empfänglich war für die An- steckung durch das Pockengift ; die Frau war vor dem Pockengifte wahrscheinlich ebenso- wenig geschützt wie ihr Kind. Die Forderung, welche Herr Dr. Boing an die Militärstatistik stellte, daß es nämlich nur zulässig sei, die Soldaten, welche geimpft waren und welche an den Pocken erkrankten, der gleichaltrigen männlichen Bevölkerung gegenüberzustellen sei, halte ich nicht für gerechtfertigt; denn die der Armee gegenüberstehende gleichaltrige männliche Bevölkerung verhält sich in bezug auf den Impf zustand ganz exzeptionell. Diese Leute sind nämlich größtenteils beim Militär revacciniert und befinden sich in einem wesentlich anderen Impfzustande als die übrige Bevölkerung. Ich erinnere mich aus der Epidemie von 1871/72, daß es ganz auffallend war, wie gerade die beim Militär revaccinierten Männer in den mittleren Lebensjahren verschont blieben, während un- verhältnismäßig viel Frauen erkrankten. Herr Dr. Weber hat dann noch die Theorie aufgestellt, daß die Abnahme der Pockenmortahtät nach einer größeren Pockenepidemie dadurch zu erklären sei daß das Pockenmiasma durch die Pockenepidemie selbst zerstört oder gelöscht werde. Ge- setzt den Fall, es wäre so, dann müssen wir annehmen, daß in Preußen durch die Epidemie von 1871/72 das Pockenmiasma bis auf ein Minimum vernichtet sei und daß es in diesem Lande nur noch in ganz kümmerlicher Weise fort vegetiert. Wie kommt es nun aber, daß in Österreich und allen außerdeutschen Ländern, die ganz gleiche, unter Umständen noch stärkere Epidemien durchgemacht haben als Deutschland, das Pockenmiasma schon längst in der früheren Höhe wieder zur Wirkung kommt. Wir können unmöglich bei derartigen Betrachtungen die außerdeutschen Verhältnisse außer acht lassen. Ich habe meinen vorhin gegebenen Auseinandersetzungen noch eine Bemerkung bezüglich der bayerischen Impfstatistüi hinzuzufügen, welche von Herrn Dr. Boing noch immer in seinem Sinne verteidigt wird. Herr Dr. B ö i n g sagt, daß er annehmen wolle, 99% seien in Bayern geimpft und 1% ungeimpft; man kommt dann allerdings nur auf 40 000 Ungeimpfte, aber das Resultat der Prozentberechnung bleibe trotzdem fast unverändert. Also von 200 000 Ungeimpften sind wir nun schon auf 40 000 an- gekommen. Ich glaube jedoch, daß auch diese Zahl noch viel zu hoch gegriffen ist. Wie- viel ungeimpfte Restanten in Bayern vorhanden gewesen sind, wissen wir überhaupt nicht. Wir haben gehört, daß unter Umständen, wenigstens den Listen nach zu urteilen, von den Impfrestanl en infolge der in den folgenden Jahren stattfindenden Nachimp- Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vacoination. 1009 fangen gar keine übrigbleiben, wie z. B. Herr Medizinalrat R e i ß n e r uns aus Hessen berichtet hat. Diese Art der Statistik ist denn doch nicht zulässig, daß man ohne weiteres 40 000 Ungeimpfte aus der Luft greift und damit rechnet. Nein, durchaus nicht. Ich will nur konstatieren, daß wir über diesen Punkt über- haupt nichts wissen. Wir können doch unmöglich Statistik machen mit Zahlen, die wir uns beliebig konstruieren, von denen wir etwas Sicheres gar nicht wissen können. Wenn Herr Dr. B ö i n g uns nicht bessere Beweise dafür beibringen kann, daß die üngeimpften in Bayern während der Epidemie sich ebensogut oder noch besser- gestanden hätten als die Geimpften, dann wird er schließlich doch noch seine Zusage erfüllen und ein Verfechter des Impfgesetzes werden müssen. Ich habe noch eine kurze Bemerkung zu machen, welche dazu dienen soll, einen anderen Irrtum, welcher sich möglicherweise einschleichen kann, zu berichtigen. Es war die Rede davon, daß die Abnahme der Pocken nach der Epidemie von 1871 und 1872 nicht mit dem Jahre 1874 zusammenfalle, sondern schon 1873, also voi Einführung des Impfgesetzes, begonnen habe. An und für sich ist es richtig, daß 1873 viel weniger Pockentodesfälle in Preußen vorkamen als in den beiden vorhergehenden Jahren. Aber sie betrugen doch immer noch 35% auf 100 000 Lebende, während nach dem Inkraft- treten des Impfgesetzes diese Zahl niemals über 3,6 hinausgegangen ist. Also sie betrug Ln jenem Jahre noch das Zehnfache. Man kann demnach nicht sagen, daß schon vor dem Inkrafttreten des Impfgesetzes eine solche Abnahme der Pockenmortalität stattgefunden habe wie nachher. Es bleibt also zweifellos als LTrsache für die ganz erhebliche Ab- nahme in den Jahren 1875, 187(3 und 1877 die vereinigte Wirkung der durch die große Epidemie bedingten Immunität und des Impfgesetzes. Dann ist noch die Rede davon gewesen, daß in Langres die französischen Truppen infolge der Strapazen und des Eingeschlossenseins so bedeutende Verluste an Pocken gehabt hätten. Ich kann über diese Angelegenheit aus eigener Erfahrung sprechen, da ich während des Krieges fast zwei Monate lang einem in der Nähe von Langres befind- Hchen Lazarette angehörte. Die Besatzung von Langres schien damals viel weniger das Bewußtsein des Eingeschlossenseins zu haben, wie die geringe Bedeckungsmann- schaft des Lazaretts, bei dem ich mich befand. Die Besatzung von Langres ist bekannt- lich während des ganzen Feldzuges nur 1 — 2 Wochen zerniert gewesen, im übrigen aber hat sie sich der größten Freiheit erfreut und die ganze Umgegend mehr oder weniger beherrscht. Ich ersehe nun aber aus den Mitteilungen der Militärmedizinalabteilung des königlich preußischen Kriegsministeriums, S. 83, daß die französische Armee und Besatzung von Metz, welche vielleicht zehnmal größer war als die Besatzung von Langres, während der Belagerung 176 Pockentodesfälle hatte, während die Garnison von Langres — allerdings in 7 Monaten — bei einer Stärke von nur 15 000 Mann 334 Todesfälle an Pocken gehabt hat, also fast doppelt so viel als die zehnmal größere Armee in Metz und, beiläufig bemerkt, mehr als die gesamte deutsche Armee während des Aufenthaltes in Frankreich. Unter diesen Verhältnissen kann man doch wohl nicht mehr behaupten, daß die Ursache der größeren Pockenmortalität der Truppen von Langres mit den Ent- behrungen und Strapazen des Feldzuges in Zusammenhang steht. Die Sache liegt ganz anders, und sie ist in dem Berichte der Militärmedizinalabteilung in der Weise ausein- andergesetzt, daß die Truppen, welche in Metz eingeschlossen waren, dem stehenden Heere angehörten, also viel besser revacciniert waren, während die in Langres befind- liche Garnison aus Mobilen und Nationalgarden bestand, die schnell zusammengerafft und nicht revacciniert waren. So erklärt es sich in sehr einfacher Weise, daß die Truppen in Metz trotz der schweren Entbehrungen und Strapazen und der sonstigen Not des Krieges, welche sie während der Belagerung auszustehen hatten, inuner noch weniger Ko ch , Gesammelte Werke. 1010 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animaleu Vaccination. Todesfälle an Pocken hatten, als die kleine Besatzung von Langres, welche sich unter viel günstigeren Verhältnissen befand. Auf Bemängelungen der Statistik in Bayern und der Pockenstatistik des Gesundheitsamts führt Koch aus : Herr Dr. Boing hat gesagt, daß ich ihm noch nicht geantwortet habe auf die Tatsache, daß in Bayern von der gut geimpften Bevölkerung 1871/72 immerhin noch eine so erhebliche Anzahl an den Pocken erkrankte. Meines Wissens habe ich mich schon darüber ausgesprochen, sollte es aber nicht geschehen sein, dann will ich noch einmal wiederholen, daß ich dies vollkommen erklärlich finde. Die bayerische Bevölkerung war damals allerdings gut geimpft, d. h. nur in bezug auf die Erstimpfung, aber sie war nicht revacciniert, weil damals leider noch nicht das Zwang.simpfgesetz existierte. Darin sind wir ja einig, daß der Schutz, den eine einmalige Impfung gewährt, doch nur von einer bestimmten Dauer ist. Aus der Tatsache, daß in einer gut geimpften Bevölkerung, wie in Bayern, doch noch Pockenerkrankungen und Todesfälle vorgekommen sind,» karm man demnach keineswegs den Schluß ziehen, daß die Impfung überhaupt nichts tauge. Es hat sich dadurch nur herausgestellt, daß die Impfung, wie wir sie früher hatten, noch nicht ausreichend war und daß sie durch die Revaccination vervollständigt werden mußte. Nachdem dies geschehen ist, sind die Pocken aus Bayern so gut wie ganz ver- schwunden, wie wir gehört haben. Dann ist noch gegen die PockenstatLstik des Gesundheitsamtes gesagt, daß die einzelnen Teile von Preußen sich doch sehr verschieden verhielten und daß man nicht ohne weiteres die niedrige Pockensterbhchkeit auf das ganze Land beziehen könne. Es ist mir recht wohl bekannt, daß die Pockenverhältnisse in Preußen nicht gleichmäßig sind. Es sind deswegen in der Zusammenstellung der Städte auch absichthch Beispiele aus recht verschiedenen Gegenden genommen, z. B. München, Breslau, Dresden, Hamburg. Aber beim Anblicke der Tafeln werden Sie sich überzeugen, daß überall dieselbe Er- scheinung wiederkehrt, und doch hatten alle diese Städte eine erheblich höhere Pocken- sterbhchkeit in den sechziger Jahren. Ich verfüge aber noch über die Zahlen der Pocken- sterblichkeit in einer Anzahl anderer deutscher Städte, die in den verschiedensten Teilen des Reiches liegen. Auch diese verhalten sich im großen und ganzen ebenso wie die Städte, die hier angeführt sind. Die genannten Städte sind hauptsächlich deshalb ge- wählt, weil sie in ihren Verhältnissen ungefähr mit den als Beispiele gewählten ausländi- schen Städten in Vergleich zu stellen waren. Wir sehen nun allerdings, wenn wir die Pockenverhältnisse von ganz Preußen und namentlich einzelner Städte berücksichtigen, daß noch erhebliche Unterschiede vorkommen, aber diese Unterschiede sind durchaus nicht so unerklärlich. Ich werde noch bei einer späteren Gelegenheit mir erlauben, Karten vorzulegen, in welche die jährhche Pockenmortalität in Preußen von 1875 ab verzeichnet ist, also von dem Zeitpunkte ab, wo wir wohl rechnen können, daß das Impfgesetz seine Wirkung ausgeübt hat. Eine derartige Zusammenstellung zeigt aber, daß die Pocken jetzt fast nur noch an den Grenzen auftreten. Namentlich ist die Ostgrenze fortwährend mehr oder weniger von Pocken heimgesucht, weil die Pocken in Rußland noch stark verbreitet sind, und von dorther fortwährend in die östlichen Provinzen eingeschleppt werden. Im Innern des Landes macht sich, soweit mir darüber Zahlen vorliegen, un- zweifelhaft auch die Impfagitation durch ihre Einwirkung auf die Pockensterblichkeit bemerkhch. In den Städten, wo die Impfagitation recht lebhaft gewesen ist, wie in Aachen und Heilbronn, ist auch die Pockenmortalität am höchsten gestiegen. Dr. Boing bemerkt gegen Koch, daß man nicht von 1875 ab schon sehen könne, wie das deutsche Revaccinationsgesetz gewirkt habe. Im Jahre 1875 seien erst die 12jährigen Kinder ge- impft worden, im Jahre 1876 waren revacciniert die 12- und 13jährigen usw. Die MortaUtät sei in Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. aniinalen Vacuination. 1011 den Altersklassen noch sehr stark, die bisher gar keinen Revaccinationsschutz genossen haben. Man würde, wenn man das beweisen wollte, was Koch sage, abwarten müssen, bis diese Jahrgänge der Revaccinierten erreicht wärer;. Ich muß darauf erwidern, daß ich die Sache doch anders auffasse. Ich habe über- haupt nicht gesagt, daß ich die Abnahme der PockensterbUchkeit im Jahre 1875 und in den unmittelbar darauf folgenden Jahren allein auf Rechnung des Impfgesetzes bringe. Diese Abnahme ist wesentlich mit bedingt gewesen durch die Rückwirkung der großen Epidemie. Wir sehen ganz dieselbe Erscheinung in allen Pockenmortalitätstabellen. In Österreich geht z. B. infolge der Pockenepidemie die Mortalität im Jahre 1878, also zwei bis drei Jahre nach dem Aufhören der Epidemie, so weit herunter, wie sie nach den uns zu Gebote stehenden Angaben überhaupt in Österreich noch niemals beobachtet ist. Dann aber geht sie sehr rasch wieder in die Höhe, im Jahre 1879 auf 50,8 und im Jahre 1881 auf 78,8. Der Einfluß der Epidemie macht sich also nur sehr wenige Jahre geltend, durch den Nachwuchs der Nichtgeimpften und durch Zuzug von Nichtgeimpften wird die Bevölkerung sehr bald wieder mehr empfänglich für das Pockengift. In Preußen ist das nicht der Fall, weil von da ab allmählich immer mehr und mehr die Wirkungen des Zwangsimpfgesetzes sich geltend machen. Nun macht aber Herr Dr. B ö i n g den Einwand, daß diejenigen Altersklassen, welche geimpft wurden, noch nicht hinreichen könnten, um den Rückgang der Pockensterblichkeit zu erklären. In bezug hierauf ist aber zu berücksichtigen, daß in den Jahren 1872 und 1873 überall, wo damals noch Pocken herrschten, selbst bis 1874 hin, wie ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann, im ganzen Lande Massenimpfungen vorgenommen sind. Ich habe selbst Tausende von Menschen geimpft, nicht bloß Schulkinder, sondern alles, was unter dem Schrecken der damals herrschenden Epidemie den Wunsch hatte, sich impfen zu lassen. Wir dürfen auch in der Beurteilung dieser Verhältnisse nicht allein die statistisch festgestellten Zahlen als maßgebend ansehen, sondern müssen immer wieder auf unsere persönlichen Erfahrungen zurückgreifen, da über jene Massenimpfungen in den meisten Fällen gar keine Aufzeichnungen gemacht sind. Schheßlich habe ich noch etwas zu dem von Herrn Dr. B e t z Vorgetragenen zu sagen. Herr Dr. B e t z spricht von Pockenpilzen, schreibt denselben alle mögUchen Eigenschaften zu und operiert mit den Pockenpilzen wie mit ganz bekannten Größen. Ich neige mich allerdings ebenfalls der Annahme zu, daß den Pocken ein organisierter Krankheitsstoff zugrunde liegt, aber was das für ein Stoff ist, das wissen wir noch nicht. Seine Eigenschaften kennen wir noch nicht weiter, als wie wir sie aus unseren Erfahrungen über die Art und Weise der Infektion der Pocken entnehmen können. Mir ist nichts darüber bekannt, daß man mit den Pockenpilzen schon so rechnen könnte, wie z. B. mit den Milzbrandbazillen und anderen pathogenen Mikroorganismen. Es wäre mir des- wegen sehr interessant, zu erfahren, ob Herr Dr. B e t z solche Pockenpilze schon ge- sehen hat. Am Schluß der Debatte wird der Antrag von Koch: ,,Die Impfung mit Vaccine ist imstande, einen ähnlichen Schutz zu bewirken", gegenüber einem Antrage von Dr. B ö i n g angenommen. 3. Frage: ,,Von welcher Dauer ist der durch Impfung erzielte Schutz gegen Pocken ?" Dazu bemerkt Koch einleitend: Es wird von selten derjenigen, welche der Impfung einen Schutz zuschreiben, angenommen, daß dieser Schutz kein absoluter ist; er ist es nur für eine gewisse Zeit, und zwar erfahrungsmäßig für eine kürzere Zeit, als derjenige, welcher durch das Über- stehen der Pockenkrankheit selbst erlangt wird. Es ist im allgemeinen kaum anzugeben, von welcher Dauer derjenige Schutz ist, welcher durch die Vaccination erzielt wird, 109» 1012 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. weil er individuell außerordentlich verschieden ist. Es gibt Menschen, die durch eine einmahge Impfung schon für ihr ganzes Leben geschützt sind; es gibt aber auch anderer- seits Menschen, bei denen verhältnismäßig kurze Zeit nach der Impfung — sovt^eit meine Erfahrung reicht, doch mindestens einige Jahre — der Schutz dauert. Wenn wir also diese These einer Diskussion unterziehen und eine bestimmte Zahl für die Dauer des Impfschutzes normieren wollen, so können wir uns nur an Durchschnittswerte halten. Das Impfgesetz nimmt als den Zeitpunlvt, in welchem die Impfung wiederholt werden soll, das 12. Lebensjahr an. Ich weiß nicht, ob für die Annahme dieses Jahres nur die Erfahrungen über die Dauer des Impfschutzes zugrunde gelegen haben oder andere Rücksichten. Soweit meine persönliche Erfahrung reicht, und wenn ich die Mitteilungen anderer berücksichtige, so möchte ich daraus schließen, daß schon mit dem 10. Lebens- jahre bei ungefähr der Hälfte der Menschen oder selbst bei einem größeren Prozent- satze der Schutz gegen die Pockenkrankheit wieder verschwunden ist, und ich würde deshalb in Vorschlag bringen, den durch die Impfung erzielten Schutz gegen die Pocken auf eine Dauer von durchschnittlich 10 Jahren zu normieren. Koch stellt dann den Antrag : ,,Die Dauer des durch Impfung erzielten Schutzes gegen Pocken beträgt im Durchschnitt 10 Jahre". Auf Einwände von Dr. Weber erwidert Koch: Das Impfgesetz nimmt allerdings das zwölfte Jahr an. Ich glaube jedoch, daß es richtiger sein dürfte, schon im zehnten Jahre wiederzuimpfen. Auch über diese Frage steht mir eine ziemlich reiche eigene Erfahrung zu Gebote. In der Provinz Posen wurden schon vor Erlaß des Impfgesetzes auf Veranlassung der Regierung die Schulkinder revacciniert, und als Impfarzt hatte ich Gelegenheit, eine sehr große Anzahl von Schul- kindern von verschiedenem Lebensalter zu impfen. Damals lautete die Vorschrift, daß die zehnjährigen Kinder geimpft werden sollten. Aber die Lehrer brachten außer den zehnjährigen häufig auch noch die acht- und neunjährigen Kinder zum Impftermine. Bei der Impfung dieser in verschiedenem Alter stehenden Kinder zeigte sich, daß die Empfänglichkeit der jüngsten Schulkinder eine geringere war als bei den Zehnjährigen. Letztere gaben aber doch schon ungefähr 50% erfolgreiche Impfungen, woraus sich auf eine bereits erhebliche Abnahme des Pockenschutzes bei diesen Kindern schließen läßt. Ich glaube deswegen auch, daß schon mit dem zehnten Jahre der Zeitpunkt ge- kommen ist, in welchem die Wiederimpfung stattfinden sollte. Es läßt sich ja darüber diskutieren, ob gerade das zehnte oder das zwölfte Jahr zu wählen ist; aber ich würde diesen Termin lieber etwas niedriger greifen, auch schon aus dem Grunde, weil die meisten Kinder, wenn sie nach dem zwölften Jahre ohne Erfolg geimpft werden, zwar nach dem Gesetze noch zweimal nachgeimpft werden sollen, aber nicht dazu kommen, weil sie sehr oft bereits im dreizehnten Jahre die Schule verlassen und der Nachimpfung dadurch entzogen werden. Herr Dr. B ö i n g hat gesagt, daß es nicht zweckmäßig sei, eine bestimmte Alters- grenze für die Dauer des Impfschutzes aufzustellen. Ich stimme den dafür geltend ge- machten theoretischen Gründen vollständig bei, aber aus praktischen Gründen können wir nicht darüber hinwegkommen. Wenn diese Verhältnisse gesetzlich geregelt werden sollen, so muß doch irgendeine Altersgrenze für den Eintritt der Wiederimpfung be- zeichnet werden, und da scheint mir nach meinen Erfahrungen das zehnte Lebensjahr das richtige zu sein. Es ist ja möghch, daß unter den zehnjährigen Kindern noch eine Anzahl solcher sind, welche eigentlich der Impfung noch nicht wieder bedurften, aber das kann doch kein Grund sein, um nicht dieses Lebensalter zu wählen. Die Nachimpfungen der etwa erfolglos Geimpften ziehen sich durch die nächsten zwei Jahre, also bis zum Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1013 zwölften Jahre hin, so daß auch diejenigen Kinder, welche erst im zwölften Jahre wieder empfänglich für die Impfung werden soUten, auch in der Tat geimpft werden. Es wurde sodann in Zweifel gezogen, ob es Menschen gebe, die ihr ganzes Leben hindurch durch eine einmalige Impfung geschützt seien. Ich habe mit manchen Ärzten und Nichtärzten über diesen Punlit Rücksprache genommen, und mir ist mehrfach ver- sichert worden, auch von einigen Personen, die jetzt nicht mehr unter den Lebenden sind, daß sie in ihrer Jugend geimpft seien und daß spätere Revaccinationen keine Erfolge gehabt hätten. Auch ich selbst kann hierfür als ein Beispiel, wenigstens bis zu diesem Momente, gelten. Ich habe mich sehr häufig geimpft und niemals ist bei mir eine Revaccinationspocke gewachsen, und doch bin ich in meinem Leben so viel mit Pockenkranken und Pockenleichen in Berührung gekommen, daß ich Gelegenheit genug zur natürlichen Infektion gehabt habe. Ich glaube also, daß ich durch die erste Impfung bis jetzt vollständig geschützt bin. Solche Erfahrungen stehen aber, wie gesagt, durchaus nicht vereinzelt da. Es ist also nicht zu bestreiten, daß der Schutz gegen die Impfung ein sehr ver- schieden langer ist; dennoch können wir nicht umhin, für die Praxis eine ganz bestimmte Altersgrenze anzugeben, und ich bleibe dabei, daß es am zweckentsprechendsten ist, das zehnte Lebensjahr als solche anzunehmen. Nach einem Gegenantrag von Dr. Boing und Ausführungen von E u 1 e n b e r g modi- fiziert Koch seinen Antrag in folgender Weise: Die Dauer des durch Impfung erzielten Schutzes gegen Pocken schwankt innerhalb weiter Grenzen, beträgt aber im Durchschnitt 10 Jahre. Weiterliin l>emerkt Koch: Die Frage des Herrn Dr. B ö i n g , wie lange man nun den Schutz der Revacci- nation bemessen soll, läßt sich unter Berücksichtigung der Wirkung des Impfgesetzes nicht wohl beantworten. Die Einführung der Revaccination hat die Pockenmortalität auf einen noch erheblich niedrigeren Standpunkt gedrückt als die erste Impfung, und mir scheint dieser Erfolg schon ein hinreichender zu sein. Aber nehmen wir einmal an, daß das Herabsinken der Pockenmortalität, nachdem das Impfgesetz zur vollen Wirkung kam, kein so weitgehendes gewesen und der Schutz, welchen die Revaccination lieferte, weniger ausreichend gewesen wäre, dann würde ich keinen Anstand genommen haben, vorausgesetzt, daß es praktisch durchzuführen gewesen wäre, noch eine weitere Impfung anzuraten. Wir Ärzte verlassen uns ja auch nicht auf eine einzige Revaccination, sondern impfen uns, weil wir uns häufiger als andere der Gefahr der Ansteckung aussetzen müssen, so oft als tunlich wieder in der Überzeugung, daß in vielen Fällen eine einzige Revacci- nation noch nicht genügend schützt. Auch der Schutz, welchen die Revaccination be- wirkt, ist von verschiedener Dauer, aber die Erfahrung hat gelehrt, daß er im allgemeinen zur Abwehr der Pockengefahr genügend ist. Der Vorteil, welchen die gleichmäßige Impfung und Wiederimpfung einer Bevölkerung schafft, hat sich schon unverkennbar herausgestellt. Die Bevölkerung von Deutschland ist zwar nicht absolut, aber doch verhältnismäßig immun gemacht. Wir entziehen dadurch der Seuche so viel Boden, daß sie überhaupt unter unserer Bevölkerung keinen rechten Fuß mehr fassen kann, obgleich unter derselben noch recht viel Menschen sein mögen, die nicht ganz imnum gegen Pocken sind. Sodann freut es mich noch, konstatieren zu können, daß die Herren Dr. B ö i ng und Dr. W e b e r sich bei dieser These dazu verstanden haben, eine Imnuuiität nach der Impfung zuzugestehen. Die beiden Herren haben ja bei den Thesen 1 und 2 das Zustande- kommen einer Immunität überhaupt bestritten, während sie jetzt anerkennen, daß 1014 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. wenigstens ein gewisser Grad von Immunität durch die Impfung erzielt wird oder, mit anderen Worten, daß die Impfung einen gewissen Schutz verleiht. Ob der Schutz nur ein Jahr oder zehn Jahre dauert, darüber läßt sich ja streiten, aber daß die Menschen durch die Impfung gegen die Pockenkrankheit immun zu m^achen sind, wenn auch nur für eine gewisse Zeit, ist doch ein großer Vorteil. Mit ihrer Abstimmung über die beiden ersten Thesen befinden sich die beiden Herren entschieden in einem gewissen Widerspruche. Der Art und Weise, in welcher Herr Dr. Weber die Immunität theoretisch auf- faßt, möchte ich mich nicht zuneigen. Man kann unmöglich die Immunität, die sich ein Arsenikesser gegen Arsenik oder ein Alkoholtrinker gegen den Alkohol verschafft, vergleichen mit der Immunität, die durch das einmalige Bestehen einer ansteckenden Krankheit erworben wird. Der Arsenikesser bekommt seine Immunität nicht dadurch, daß er etwa einmal eine große Dosis Arsenik verzehrt und nun für ein Jahr oder für zehn Jahre gegen die Giftwirkung des Arseniks geschützt wird, — ein solcher Versuch wiii-de ihm denn doch recht schlecht bekommen. Dasselbe gilt auch vom Alkohol. Diese Art von Immunität wird nur durch eine allmähhche, Jahre hindurch fortgesetzte Ge- wöhnung an das Gift erworben. Es ist dies etwas ganz anderes als die Immunität, welche durch einmaliges Überstehen einer Krankheit erlangt wird, oder gar nur durch eine einmahge unbedeutende Operation, wie es die Kuhpockenimpfung ist. Infolge einer solchen Impfung entwickeln sich ohne eigentliche Krankheit einpaar Pusteln, und dennoch wird dadurch der Geimpfte 10 Jahre lang oder länger gegen Pocken geschützt. Diese beiden Arten von Immunität müssen wir daher streng auseinanderhalten. Man hat allerdings schon versucht, Erklärungen von dem Zustandekommen der Immunität zu geben, doch beschränken sich dieselben noch auf rein theoretische Erörterungen, die wir nicht zur Grundlage von praktischen Maßnahmen machen können, und deshalb unterlasse ich es, weiter darauf einzugehen. Der Antrag von Koch wird angenommen. In der dritten Sitzung (1. November) wurde Punkt 4 der Tagesordnung verhandelt: In welchem Verhältnisse steht die Schutzwirkung zur Zahl der Vaccinepusteln ? Als Einleitung zu dieser These möchte ich einige Worte sagen. Es ist bekannt und wird wohl von keiner Seite bestritten werden, daß die Zahl der zur Entwicklung ge- kommenen Impfpusteln in bezug auf den Impfschutz, der dadurch erzielt wird, von größter Bedeutung ist. Es bestehen jedoch darüber Differenzen, für welche Zahl von gut entwickelten Impfpocken man den Impfschutz als genügend annehmen soll, und des- wegen ist es gewiß nicht überflüssig, wenn wir auch hierüber unsere Meinung äußern. Meistens hat man angenommen, daß schon eine einzige gut entwickelte Pocke dem Geimpften einen hinreichenden Schutz verleiht. Dem stehen nun aber andere Er- fahrungen gegenüber, welche beweisen, daß im Verhältnisse mit der Zahl der gut ent- wickelten Impfpocken auch der Impfschutz erheblich wächst und daß eine einzige Impfpocke sich nicht durchweg als genügend erwiesen hat. Mir liegt hier eine Tabelle vor aus dem Stockwell-Blatternspital. Nach derselben sind von 703 Pockenkranken, welche gar keine Narbe hatten, 47^2% gestorben, von 516 Pockenkranken mit schlechter Narbe 25%, von 632 mit einer guten Narbe starben 5,3%, von 677 mit 2 guten Pockennarben starben 4,1, von 301 mit 3 Narben 2,3 und von 259 mit 4 und mehr Narben starben nur noch 1,1%. Das sind so beweisende Zahlen, daß man ihnen kaum noch etwas hinzuzufügen braucht; sie zeigen, daß es ein erheb- licher Unterschied ist, ob die vorgefundenen Narben gut oder schlecht waren. Eine einzige gute Narbe drückt schon die Sterblichkeit auf 5,3% herab. Aber ein bedeutender Impfschutz tritt erst mit 4 oder mehr Narben ein. Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1015 Es läßt sich auch diese Frage nicht mit aller Bestimmtheit dahin beantworten, daß gerade mit einer ganz bestimmten Pockenzahl der Impfschutz genügend sei. Die Beantwortung dieser These gestaltet sich ganz ebenso wie diejenige der vorhergehenden, bei welcher wir uns doch auch aus rein praktischen Gründen über eine bestimmte Zahl schlüssig gemacht haben. Ich halte es deshalb auch hier lediglich aus praktischen Gründen für wünschenswert, daß wir eine Grenze in der Zahl der Impfpocken bezeichnen, welche als genügend für die Schutzwirkung anzunehmen ist, und ich bringe zu diesem Zwecke in Vorschlag, daß wir nicht eine Pocke als ausreichend halten, sondern mindestens zwei verlangen. Koch stellte dann folgenden Antrag : Um einen ausreichenden Impfschutz zu erzielen, sind mindestens zwei gut ent- wickelte Impfpocken erforderlich, und begründete ihn mit den Worten: Von Herrn Dr. Boing ist mir eine Inkonsequenz vorgeworfen worden, insofern ich jetzt mit einem Male eine Morbiditätsstatistik akzeptierte, während ich sonst von derselben nichts habe wissen wollen. Ich glaube jedoch, keineswegs inkonsequent ge- wesen zu sein. Bisher war von einer Statistik die Rede, welche dazu dienen sollte, die Wirkungen des Impfgesetzes, den Impfschutz, zu beweisen. Für diesen Zweck lasse ich allerdings nur die Mortalitätsstatistik als beweiskräftig zu, und halte jede Morbiditäts- statistik einfach aus dem Grunde für ungenügend, weil sie auf den gar nicht mit Sicher- heit zu erbringenden Nachweis des Geimpftseins und Nichtgeimpftseins begründet ist. Ganz etwas anderes ist es, wenn wir, wie es in der vorliegenden Frage der Fall ist. über einzelne Verhältnisse des Impfwesens uns Aufschluß verschaffen wollen. Ich habe gestern schon einmal dem Herrn Medizinalrate R e i ß n e r gegenüber erwähnt, daß ich für derartige Fragen allerdings statistische Untersuchungen für zulässig halte, z. B. über die Frage, wie lange die Impfung von Wirkung sei; dasselbe gilt auch für die Frage, wieviel gut entwickelte Pocken notwendig sind, um genügenden Impfschutz zu erzielen. Das sind Untersuchungen, bei denen wir uns auf Zahlen, die in Hospitälern und von Ärzten auf ganz sicherer Grundlage zusammengestellt sind, mehr oder weniger stützen können. W'enn ich Ihnen hier eine Tabelle vorgelegt habe, so geschah das nur, um der Be- ratung sofort ein bestimmtes Objekt als Unterlage zu geben. Es gibt ja noch eine ganze Anzahl ähnlicher Tabellen und Beobachtungen aus Hospitälern, doch hätte es gar keinen Zweck gehabt, wenn ich Ihnen das gesamte hierüber zur Verfügung stehende Zahlen- material vorgelegt hätte. Ich hielt es für zweckmäßiger, nüch auf diese eine zu beschränken, und das um so mehr, als alle übrigen Beobachtungen zu demselben Resultate gelangt sind. Im übrigen kann ich mich auf das, was ich früher gesagt habe, berufen und noch- mals wiederholen, daß ich durchaus nicht bestreite, daß eine Pocke unter Umständen auch einen genügenden Impfschutz gewähren kann: denn wir haben aus der von mir zitierten Tabelle erfahren, daß von 632 Pockenkranken mit einer guten Narbe nur noch 5,3% starben. Man hat also hinreichenden Grund, zu sagen, daß auch eine Pocke schon genügenden Impfschutz, d. h. einer gewissen Prozentzahl der Geimpften, geben kann, und so war das auch in der Denkschrift gemeint. Hätte ich gewußt, daß man diesen Satz nicht nach seinem Sinne, sondern wörtlich auslegen würde, dann hätte ich einen entsprechenden Zusatz gemacht. Auch zwei Pocken geben noch nicht allen Menschen genügenden Impfschutz. Ich dürfte also, wenn ich mich auf einen rein theoretischen Standpunkt stellen wollte, nicht im allgemeinen von einem Impfschutze durch zwei Pocken sprechen, wie ich es jetzt in Vorschlag bringe, sondern müßte ebenfalls einen 1016 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. einschränkenden Zusatz hinzufügen. Ich hatte Ihnen indessen bereits erklärt, daß ich ganz allein aus praktischen Gründen beantrage, sich über eine bestimmte Zahl schlüssig machen zu wollen. Man wird überhaupt von keiner Zahl der Impfpocken behaupten können, daß sie vollkommenen Schutz garantiert. Selbst zwölf gute Impfpocken geben unter Umständen keinen genügenden Impfschutz, ja wenn wir den ganzen Menschen mit Impfpocken bedecken würden, könnten wir immer noch nicht behaupten, daß er nun ein für allemal geschützt sei. Es ist in unseren Beratungen schon sehr oft die Rede davon gewesen, daß wir uns nicht der Illusion hingeben, als ob durch die Impfung ein absoluter und für die ganze Lebenszeit wirksamer Impfschutz erzielt werden körme. Der Impfschutz kann immer nur ein relativer sein, aber damit sind wir ja auch zufrieden. Um aber diesen relativen Impfschutz nicht zu gering werden zu lassen, wird es erforder- lich sein, gewisse Grenzen aufzustellen, einmal in bezug auf das Alter, in welchem die Impfung wegen Abnahme des Impfschutzes zu wiederholen ist, und zweitens in bezug auf die Zahl der Impfpocken, welche zur Erzielung des Pockenschutzes als genügend gelten sollen. Wer selbst geimpft hat, der weiß, daß darüber, ob eine einzelne Pocke als gut entwickelt anzusehen ist Zweifel entstehen können, und daß der Impfarzt, wenn das Impfgeschäft drängt, geneigt sein könnte, eine Impfpocke als gut entwickelt an- zusehen, die es vielleicht doch nicht ist. Wenn es sich aber um zwei Impfpusteln handelt, dann wird kaum noch Gelegenheit zu solchem Zweifel geboten, und es ist deswegen im Interesse des Schutzes, den wir gewähren wollen, viel besser, wenn wir die Zahl der zur erfolgreichen Impfung notwendigen Impfpocken auf zwei normieren. Herr Dr. B ö i n g hat dann noch die Frage aufgeworfen, es müsse, ehe man die Impfung als berechtigt ansehen könne, doch vor allen Dingen eine Erklärung darüber verlangt werden, wie denn eigentlich der Impfschutz zustande käme. Auch dieses Ver- langen ist von den Impfgegnern schon oft geäußert; wie denn überhaupt bei den Ver- handlungen, soweit sie bis jetzt gediehen sind, von den Herren Impfgegnern nichts Neues vorgebracht worden ist. Die Antwort, welche auf diesen der Impfung gemachten Vorwurf gewöhnlich gegeben wird, lautet dahin, daß wir in der Medizin überhaupt eine ganze Menge anderer Dinge haben, von denen wir auch nur erfahrungsgemäß wissen, daß sie wirken, von denen wir aber nicht angeben können, wie sie wirken. Wir wissen z. B., daß das Chinin gegen das Fieber hilft, aber nicht, wie es hilft; trotzdem wird kein Arzt auf das Chinin als Heilmittel verzichten wollen, weil noch niemand imstande ist, ihm eine Erklärung für die Wirkung des Mittels zu geben. Ganz genau so verhält es sich mit der Impfung. Vvir wissen, daß durch die Impfung, wenn sie richtig durchgeführt wird, d. h. wenn eine Bevölkerung vacciniert und revacciniert wird, die Pockenmortalität ganz bedeutend herabgesetzt wird, und wir müssen uns darüber freuen, daß wir ein so ausgezeichnetes Mittel gegen die früher schrecklich wütende Pockenkrankheit besitzen, unbekümmert darum, daß uns die Erklärung für die Wirkung dieses Mittels noch fehlt. Vielleicht kommt noch einmal die Zeit, daß uns die Wissenschaft auch über diese Rätsel Auf- klärung verschafft. Aber solange dies noch nicht der Fall ist, wollen wir doch ruhig weiter mit dem Chinin das Fieber kurieren und durch die Impfung uns die Pockenkrank- heit vom Halse halten. Weiterhin bemerkte Koch in der Debatt« : Gegen die Annahme einer bestimmten Zahl von Impf pocken ist vom Herrn Medizinal- rate R e i ß n e r geltend gemacht, daß wenn beispielsweise drei Impfpocken als Minimal- grenze festgesetzt würden, ein Kind mit ein oder zwei gut entwickelten Impfpocken notwendigerweise als ohne Erfolg geimpft in die Listen eingetragen und dann nachgeimpft werden müßte. Es wäre aber dann zu erwarten, daß auch die nachfolgenden Impfungen Beaufsichtigung d. Inipfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1017 keinen Erfolg mehr hätten, wie ja die Erfahrung überall gezeigt hat. Dagegen habe ich zu bemerken, daß ganz da.sselbe Bedenken auch bestehen bleiben würde, wenn die Entwicklung nur einer Pocke als Bedingung für eine erfolgreiche Impfung gelten soll. Herr Medizinalrat Siegel und ebenso Herr Medizinalrat R e i ß n e r haben er- wähnt, daß wenn sich nur eüie einzige Pocke, und selbst unvollkommen, entwickelt hätte, meistens die Impfung im nächsten Jahre ohne Erfolg wiederholt wurde; also die Verlegenheit, in die man durch eine derartige aus praktischen Gründen aufgestellte Grenze versetzt wird, muß auch bei einer Pocke ganz genau ebenso eintreten als bei zwei oder drei. Ich möchte andererseits über zwei Impfpocken nicht hinausgehen, weil, je höher wir greifen, um so größer auch die Schwierigkeiten in der Praxis werden, die sich uns entgegenstellen. Eine Pocke halte ich für zuwenig, zwei halte ich gerade für ausreichend, drei möchte ich schon für zuviel halten. Ich setze auch voraus, daß es einem erfahrenen Impfarzte gar nicht schwer wird, bei seinen Impfungen stets mehr als zwei gut entwickelte Pocken zu erzielen. Ich beabsichtige mit dieser Maßregel haupt- sächlich einen Einfluß auf die weniger erfahrenen und noch ungeübten Impfärzte aus- zuüben, die gezwungen werden sollen, sich so schnell als möglich eine Impftechnik an- zueignen, bei welcher sie mindestens zwei gut entwickelte Pocken erzielen. Ich will nur noch darauf aufmerksam machen, daß im Impfgesetz gar nicht einmal das Vor- handensein einer Pocke als für den Impferfolg erforderlich vorgeschrieben ist — dies steht nur in den von den Behörden zum Impfgesetze erlassenen Instruktionen, die gar nicht einmal alle gleichlautend sind. Dann möchte ich Herrn Dr. B ö i n g noch erwidern, daß wenn ich das Chinin als ein ärzthches Hilfsmittel anführe, das wir praktisch anwenden, trotzdem wir die Art und Weise der Wirkung theoretisch noch nicht begründet haben, dies als ein Bei- spiel zum Vergleiche mit der Impfung durchaus zutreffend ist. Es macht dabei keinen Unterschied, daß Chinin bei einem kranken Menschen und daß die Impfung bei einem gesunden Menschen angewendet wird. Es handelt sich überhaupt darum, ob ärztliche Hilfsmittel, deren Wirksamkeit wir theoretisch noch nicht kennen, deswegen in der Praxis nicht benutzt werden sollen. Übrigens möchte ich Herrn B ö i n g darauf auf- merksam machen, daß Chinin nicht bloß kranken Menschen gegeben wird, sondern in vielen Gegenden auch als Prophylaktikum von gesunden Menschen gebraucht wird, um das Fieber zu verhüten. Dann scheint es mir doch, als ob Herr Dr. B ö i n g und ich in unseren Ansichten uns immer mehr nähern: Sie erklären ja, daß Sie durchaus nicht gegen die Annahme der Immunität sind, sondern daß wir nur in bezug auf die Dauer der Immunität differieren ; ich glaube, daß wir uns auch in diesem Punkte noch einigen werden. 'Aber um fest- zustellen, welche Zeitdauer Sie der Immunität zuschreiben, würde ich bitten, aus Ihrer persönlichen Erfahrung, auf die ich doch auch etwas geben möchte, uns mitzuteilen, wieviel Kinder nach Prozenten bei der ersten Impfung von Ihnen mit Erfolg geimpft werden, und wieviel von Ihnen bei der Revaccination mit Erfolg geimpft werden. Sie beobachten doch gewiß, wie wir alle, daß die erste Impfung fast ausnahmslos einen Er- folg hat, und Sie finden später bei der Revaccination, daß nicht alle Kinder mit Erfolg geimpft werden. Nun sagen Sie ja auch, daß wenn die Impfung keinen Erfolg hat, dies einer Immunität zai zu schreiben ist, welche dem Betreffenden durch eine vorher- gehende Impfung erteilt wurde. Also möchte ich von Ihnen eine Erklärung darüber ausbitten, warum bei der Revaccination ein so großer Prozentsatz an Fehhmpfungen vorkommt, warum also in einem späteren Alter die Impfung nicht mehr so wirkt wie in der Jugend; ob Sie das nicht auch als eine Immunität ansehen, die sich über eine längere Reihe von Jahren erstreckt. 1018 Beaufsichtigung d. Imi^fgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Der Antrag von Koch wird angenommen. Die zu Punkt 5 gestellte Frage: Bedarf es einer Revaccination, und nach welcher Zeitdauer? beantragt Koch dahin zu beantworten : Es bedarf einer Revaccination nach Ablauf von 10 Jahren nach der ersten Impfung. Ich glaube, es ist wohl nicht nötig, den Antrag weiter zu begründen. Wir haben uns schon früher darüber erklärt, daß die Impfung keinen absoluten Schutz für das ganze Leben gewährt und daß die Dauer dieses Schutzes im Durchschnitte ungefähr auf 10 Jahre zu bemessen ist. Daraus folgt aber mit Notwendigkeit, daß wir dieser These die von mir in Vorschlag gebrachte Fassung zu geben haben. Punkt 6. Erhöht das Geimpftsein der Umgebung den relativen Schutz, welchen der einzelne gegen die Pockenkrankheit erworben hat, und gewährt also die Impfung nicht nur einen individuellen, sondern auch einen allgemeinen Nutzen in bezug auf Pockengefahr? M. H., die These, welche jetzt zur Beratung steht, behandelt eine der wichtigsten auf die Impfverhältnisse bezüglichen Fragen. Ich kann Herrn Dr. Boing nur bestätigen, daß er mich ganz richtig verstanden hat und daß, meiner Auffassung nach, der durch die erste Impfung erzielte Impfschutz nur ein relativer ist. Auch die Erhöhung des Impfschutzes durch die Revaccination repräsentiert immer noch nicht einen absoluten Schutz. Nur möchte ich den Ausdruck ,, relativ" in meinem Sinne aufgefaßt wissen, nicht etwa, wie Herr Dr. Böing anzunehmen schien, sehr gering, sondern schon recht erheblich. Dieser relative Schutz ist nun in bezug auf die Dauer der Immunität durch die Revaccination noch ganz erhebhch gesteigert, wie die Mortaütätsziffern aus Preußen im Verhältnisse zu anderen Ländern und zurzeit, bevor das Impfgesetz eingeführt war, zeigen. In Preußen ist die Mortalität auf ein Minimum gesunken; in anderen Ländern, welche noch keine Zwangsrevaccination haben, ist sie noch sehr hoch. Es ist allerdings die Pockenmortalität auch in Deutschland, und speziell in Preußen, noch nicht voll- ständig getilgt. Das stimmt aber auch ganz mit dem überein, was ich sagte, daß nämlich der Impfschutz auch bei uns noch kein absoluter ist, und daß er, soweit wie unsere Erfahrung reicht, auch niemals ein absoluter werden kann. Es ist also danach voraus- zusetzen, daß auch unter einer gut durchimpften Bevölkerung, wie derjenigen von Preußen, sich doch noch eine gewisse Zahl von Menschen befindet, die trotz der Impfung und Wiederimpfung noch nicht hinreichend geschützt ist. Es können eben nicht alle Menschen mit voUer Sicherheit durch eine Impfung und eine Revaccination gänzhch geschützt werden. Ich muß es dahingestellt sein lassen, ob es nicht möghch ist, einen einzelnen Menschen durch fortwährendes Wiederimpfen doch vollständig immun gegen die Pocken zu machen; das würde sich aber einer ganzen Bevölkerung gegenüber praktisch nicht ausführen lassen. Wir können froh sein, daß eine einmalige Vaccination und Revacci- nation erreicht ist. Es bleiben also, wie gesagt, noch immer eine gewisse Anzahl von Menschen, die dem Pockengifte gegenüber noch nicht vollständig geschützt sind. Wenn sich nun solche Menschen in einer LTmgebung befinden, die frei von Pocken ist, dann kommen sie gar nicht in Gefahr, daß sie unter diesem Mangel an Impfschutz zu leiden haben, aber sobald solche Menschen mit Pockenkranken in Berührung kommen, dann erliegen sie natürlich der Ansteckung, sie erkranken an den Pocken, und gerade diese Menschen sind es, welche noch die Mortalitätsziffern liefern, die wir in unseren stati- stischen Tabellen für Preußen zu verzeichnen haben. Wenn wir also von dem Grundsatze ausgehen, daß der einzelne Mensch durch die Vaccination und Revaccination noch nicht vollständig geschützt werden kann, so wird es notwendig werden, seine Umgebung so- viel wie möglich von den Pocken frei zu halten. Es ist also nicht einerlei, wenn jemand Beaufsichtigiing d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1019 geimpft ist und dadurch noch keinen vollständigen Schutz gegen die Pockengefahr erlangt hatte, ob derselbe Nachbarn hat, die ebenfalls geimpft sind, oder solche, die die Impfung unterlassen haben und also voraussichtlich viel eher der Gefahr ausgesetzt sind, an den Pocken zu erkranken, als andere Menschen. Es wird nun außerordenthch schwierig sein, das in der Praxis für den einzelnen Menschen wirklich nachzuweisen. Es ist das aber auch nicht nötig, da uns Erfahrungen zu Gebote stehen, welche sich auf umfangreiches statistisches Material und auf große Zahlen stützen. Gerade diese Frage gibt uns ein ausgezeichnetes Beispiel, daß wir mit der Mortalitätsstatistik allein schon manche Fragen lösen können, die man früher immer nur an der Hand der äußerst unsicheren Pockenmorbiditätsstatistik beantworten wollte. Ich möchte Sie bitten, die Tafeln über die Erkrankungen und Todesfälle an den Pocken in den verschiedenen Armeen zur Hand zu nehmeii. Da werden Sie sehen, daß in der preußischen Armee ein erheblicher Unterschied besteht in bezug auf die Pockenerkran- kungen und Todesfälle in der Zeit vor dem Impfgesetz und nach demselben. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Impfverhältnisse der preußischen Armee vor dem Jahre 1874 genau dieselben waren wie nach dieser Zeit. Für die preußische Armee ist schon seit den dreißiger Jahren die Revaccination eingeführt, und man kann v/ohl annehmen, daß nach einer so langen Impfpraxis das Impfgeschäft sich dort ganz gleichmäßig voll- zieht, daß es also in den Jahren 1867, 1808 und 1809 genau so gehandhabt ist wie in den Jahren 1879, 1880, 1881 usw. Nun sind aber in den erstgenannten Jahren erhebhch viel höhere Erkrankungsziffern und auch einige Todesfälle an den Pocken in der preu- ßischen Armee vorgekommen, während seit dem Jahre 1875 überhaupt kein einziger Pockentodesfall sich in der preußischen Armee mehr ereignet hat. Wie sollen wir uns das erklären ? Meiner Ansicht nach gibt es nur eine Erklärung. Wenn Sie nämlich die Pocken- mortalitätstabellen von Preußen auf der ersten Tafel mit derjenigen der Armee ver- gleichen wollen, dann finden Sie daselbst ein ganz ähnliches Verhältnis. Die Bevölkerung von Preußen hatte in den Jahren 1867, 1868 und 1869 ebenfalls erheblich höhere Pocken- mortalitätszahlen als in den Jahren 1879, 1880, 1881. Es folgt daraus, daß in der Be- völkerung sich auch eine entsprechend größere Anzahl von Pockenkranken in den Jahren 1867 — 1869 befinden mußte als in den Jahren 1879 — 1881. Dies war der einzige Unter- schied, welcher für die gleichmäßig geimpfte Armee zur Geltung kam. Die Armee lebte nämlich in den Jahren 1867, 1868 und 1869 inmitten einer Bevölkerung, welche viel mehr Pockenkranke unter sich barg, als später in den Jahren 1871», 1880 und 1881. Wir haben ja vom Herrn Oberstabsarzte Dr. G r o ß h ei m gehört, daß auch in der Armee unter den Revaccinierten immer noch einige Erkrankungsfälle vorgekommen sind. Das entspricht aber auch ganz dem, was wir annehmen. Es zeigt sich daraus, daß selbst die Armee bei ihren ausgezeichneten Impfverhältnissen noch nicht absolut geschützt ist, und daß es für dieselbe durchaus nicht gleichgültig ist, ob sie inmitten einer Be- völkerung sich aufzuhalten hat, welche reich an Pockenkranken ist, oder ob sie sich in einer pockenfreien Umgebung befindet. Ganz dasselbe, was von der Armee gilt, gilt aber nun auch mehr oder weniger von der gesamten Bevölkerung. Ich lege Ihnen hier einige Karten vor, auf welchen das Auftreten der Pocken in Deutschland seit 1875 ver- zeichnet ist. Daraus werden Sie sofort erkennen, daß die Pocken jetzt eigentlich nur noch an unseren Grenzen herrschen, und zwar vorwiegend an unseren östlichen Grenzen. Doch haben auch die westlichen Grenzen in einzelnen Jahren ein stärkeres Auftreten der Pocken gehabt. Ich glaube also, daß wir hier einer Erscheinung gegenüberstehen, die wir ganz in derselben Weise erklären müssen, wie es vorher in bczug auf die Armee geschehen ist. Die Nachbarländer Deutschlands sind, wie wir ja alle wissen, noch recht arg von Pocken heimgesucht, ganz besonders Rußland und Österreich, und so ist es 1020 Beaiifsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. nicht zu verwundern, daß uns die Pocken immer und immer Avieder von Osten und Süd- osten her in die diesen Ländern benachbarten Provinzen eingeschleppt werden. Daß es sich in der Tat so verhält, zeigen hier noch einige andere Aufzeichnungen. Es sind Regierungsbezirke, welche an der Grenze hegen, mit den benachbarten Ländern in bezug auf Pockensterblichkeit verglichen. Es stellt sich dabei heraus, daß z. B. der Regierungsbezirk Oppeln und die sächsischen Bezirke an der böhmischen Grenze gerade diejenigen sind, welche sich durch eine höhere Pockenmortahtät auszeichnen, und daß zu gleicher Zeit auch die angrenzenden Länder ganz besonders durch Pocken heim- gesucht sind. Außerdem sind noch die Pockensterblichkeitszahlen einer Anzahl von Städten aus den Nachbarländern zusammengestellt, da es an zuverlässigen Zahlen über die Pockenverhältnisse der Gesamtbevölkerung dort fehlt. Auch diese lassen erkennen, daß unsere Nachbarländer noch außerordentlich hohe Pockenmortahtät haben. Es ist also erwiesen, daß auch für eine Gesamtbevölkerung und für Bevölkerungsgruppen dasselbe gilt, was wir für das einzelne Individuum angenommen haben, daß es für sie nämlich nicht gleichgültig ist, in welchem Impfverhältnisse sich ihre Umgebung be- findet. Ich möchte also aus diesen Tatsachen die Schlußfolgerung ziehen, daß, da es dem einzelnen nicht wohl möghch ist, durch einfache Impfung und Wiederimpfung, welche durch das Impfgesetz vorgeschrieben sind, absoluten Schutz gegen die Pocken für sich zu gewinnen, der Staat mehr oder weniger das Recht und auch die Pflicht hat. von seinen Angehörigen zu verlangen, daß sie sich impfen lassen, damit der teilweise Schutz, welchen die Impfung der Bevölkerung nur gewähren kann, durch die allgemeine Durchführung dieser Maßregel möglichst vervollständigt werde. Man hat oft gesagt, es mag ja sein, daß das Impfen ganz gut ist, aber dann möge doch derjenige, der diese Überzeugung hat, sich impfen lassen, nur solle man andere, welche nicht davon überzeugt sind, damit verschonen. Das ist nicht richtig. Ja wenn es so wäre, daß der einzelne sich durch die Impfung einen absoluten Schutz für seine ganze Lebensdauer erwerben könnte, dann wäre diese Forderung berechtigt, und dann könnte es dem Beheben des einzelnen anheimgestellt bleiben, sich impfen zu lassen oder nicht. Aber weil wir nur einen relativen Schutz erlangen können, so erwächst uns gegenüber denjenigen Personen, welche durch die Impfung noch nicht hinreichend geschützt sind, die Verpflichtung, ihren unvollkommenen Schutz dadurch zu ergänzen, daß wir ihnen eine geimpfte, d. h. möglichst pockensichere Umgebung verschaffen. Koch beantragt dann, der These folgende Fassung zu geben : Das Geimpftsein der Umgebung erhöht den relativen Schutz, welchen der einzelne gegen die Pockenkrankheit erworben hat, und die Impfung gewährt demnach nicht nur einen individuellen, sondern auch einen allgemeinen Nutzen in bezug auf die Pocken- gefahr. In der weiteren Debatte bemerkt Koch: M. H., es tut mir leid, wenn ich auf einige Dinge, die wir eigentlich schon erledigt haben, nochmals zurückkommen muß, aber die Herren Impfgegner wiederholen ihre Einwände gegen unsere Ansichten immer aufs neue, und es bleibt uns nichts übrig, als auch dieselben Gegengründe dagegen wieder vorzubringen. Ob damit die Diskussion einen raschen Fortgang nehmen wird, das bezweifle ich, ader es bleibt uns nichts anderes übrig, als auch unsere Gegenbeweise zu wiederholen, damit es nicht den Anschein gewinne, als ob wir den Gegnern zugestimmt hätten. Ich habe zurächst über die bayerische Statistik, welche von Herrn Dr. Weber angeführt worden ist, einige Worte zu sagen. Sie erinnern sich, daß die Berechnung, wie Herr Dr. B ö i n g sie auf Grund der angeblich vorhandenen Impfrestanten aufgestellt Beaufsichtigung d. Inipfgesehäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1021 hatte, nicht als zulässig erachtet werden konnte. Man kennt die Zahl der wirklich auf die Dauer in Bayern ungeimpft gebliebenen Kinder absolut nicht. Herr Dr. Boing hat schließlich noch gesagt, daß wenn man auch von den Impfrestanten absehen wolle, doch immer noch ungeimpfte Kinder vorhanden gewesen seien, nämlich diejenigen, welche überhaupt noch nicht zur Impfung gebracht waren. Ja auch deren Zahl kennen wir nicht so ohne weiteres, und übrigens hat Herr Dr. Boing in seiner ursprünglichen Berechnung gar nicht von diesen noch nicht zur Impfung gebrachten Kindern, sondern nur von den Impfrestanten gesprochen. Es handelt sich da also um Dinge, die wir zahlen- mäßig überhaupt nicht nachweisen und also statistisch gar nicht verwerten können. Also können wir auch die Folgerungen, welche aus einer derartigen unhaltbaren Statistik gezogen werden, nicht als beweisend anerkennen, was von uns gestern schon hinreichend geltend gemacht wurde. Da aber heute nochmals die Zahl der 200 000 Impfrestanten und deren prozentuahsche Berechnung gegenüber den Geimpften wieder vorgebracht worden ist, so bleibt nichts übrig, als nochmals darauf aufmerksam zu machen, daß wir eine solche Statistik mit ihren Folgerungen unter keinen Umständen akzeptieren können. Überhaupt schleicht sich immer wieder das Mißverständnis ein, daß Geimpfte ohne weiteres angenommen werden als solche, die nun den vollständigen Impfschutz genössen. So führt Herr Dr. B ö i n g in der Statistik von Schweden und aus der Epidemie in Preußen in den Jahren 1870/71 stets eine Bevölkerung als in dem Sinne geimpft an, daß sie nun vollständig immun sein müsse. Wir erkennen eine derartige Bevölkerung auch in ge- wissem Sinne als geimpft an, aber dennoch nicht als vollständig geimpft, wie es die Bevölkerung von Deutschland nach Einführung des Impfgesetzes infolge der Durchführung von Vaccination und Revaccination ist. In bezug auf die angebliche Zunahme der Pocken im Laufe dieses Jahrhunderts habe ich folgendes zu bemerken: Ein Blick auf die Pockentabelle von Preußen lehrt, daß in den dreißiger Jahren auch eine Epidemie geherrscht hat, die derjenigen in den sechziger Jahren kaum etwas nach- gibt. Überhaupt finde ich gar nicht ein so ausgesprochenes Ansteigen der Pockenmortalität vom Anfange dieses Jahrhunderts bis zu der großen Epidemie von 1871/72. Vor dieser letzten Epidemie erscheint im Gegenteile die Pockenmortalität in Preußen im großen und ganzen ziemlich gleichmäßig zu sein. Eine ganz plötzliche Steigerung tritt erst ein in den Jahren 1871 und 1872, und dafür haben wir ja auch eine genügende Erklärung durch die Kriegsverhältnisse und durch die massenhafte Einschleppung des Pocken- kontagiums nach Preußen. Aber gesetzt auch den Fall, wir lassen eine verhältnismäßig geringe Steigerung gelten, so erkläre ich mir dieselbe sowohl für Schweden, Preußen, und wenn sie sonst noch wo konstatiert werden sollte, in gleicher Weise, wie es bereits von Herrn Dr. Arnsp erger angedeutet wurde. Der Schrecken vor den Pocken schwindet, je länger wir von großen Epidenüen entfernt sind, immer mehr und mehr in der BevöUcerung, und das Volk wird sich in gleichem Maße immer weniger und weniger dessen bewußt, welche Segnungen ihm die Impfung bringt. Es wendet sich von der Impfung ab, und das besonders in den Gegenden, wo die Impfagitation sich geltend gemacht hat .Herr Dr. Boing hat nochmals die Art und Weise, wie die Mortah- tätsstatistüv in diesen Tabellen verwertet ist, angefochten. Ich habe immer betont, daß diese Mortalitätsstatistik nur zusammengestellt ist, um die ^'\jrkung des Impfgesetzes darzulegen, und daß wir alle unsere Vergleiche immer mit Rücksicht auf diesen Punkt angestellt haben. Also wir stellen immer nur das, was keine Zwangsvaccination und -revaccination hat. demjenigen gegenüber, was unter dem Einflüsse des deutschen Impf- gesetzes steht und demgemäß Zwangsvaccination und -revaccination besitzt, und gegen eine solche Statistik läßt sich absolut nichts sagen. Die Herren Dr. B ö i n g und Dr. W e b e r haben sich damit einverstanden erklärt. 1022 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. dalj die Pocken ansteckend seien. Sie sagen, daß das beste Mittel zur Bekämpfung der Pocken die Isolierung der PockenJkranken sei, und sie meinen, daß, solange uns ein solches Mittel zur Verfügung stände, die Zwangsimpfung nicht berechtigt sei. Nun möchte ich aber einmal sehen, wenn wir durch Isolierung sämtlicher Pockenkranken die Ausbreitung der Pocken bekämpfen wollten, ob nicht eine solche Zwangsmaßregel hundert- und tausendfältig so eingreifend in die persönlichen Verhältnisse der Bevölkerung sein und auf einen tausendmal energischeren Widerstand stoßen würde, wie es mit dem unverhältnismäßig geringeren Enigriffe der Zwangsimpfung der Fall ist. Außerdem ist aber dabei immer noch zu bedenken, daß wir auch durch solchen Zwang selbst im günstigsten Falle nicht allzuviel ausrichten könnten, denn die Pocken würden von unseren Nachbarländern her immer wieder zu uns eingeschleppt werden. Wir könnten damit die Pocken also niemals vollständig ausrotten, oder wir müßten es durchsetzen können, daß in sämtlichen Ländern der Erde in gleicher Weise vorgegangen würde. Das ist aber etwas, was doch wohl niemand als durchführbar ansehen wird. Ich kann die Hoffnung, daß man durch Zwangsisolierung die Pocken zurückhalten könne, nicht teilen und halte immer noch die Impfung für die am wenigsten lästige und für die zweckentsprechendste Maßregel. Es ist von Herrn Dr. B ö i n g darauf hingewiesen, daß wir hier über den Nutzen der Impfung und nicht über die Wirkung des Impfgesetzes beraten. Ich weiß nicht recht, wie wir das auseinanderhalten sollen. Meines Wissens geht unsere ganze Beratung der ersten Vorlage, obwohl dieselbe betitelt ist : ,,Über den physiologischen und pathologischen Stand der Impffrage", darauf hinaus, zu prüfen, ob die wissenschaftlichen Unterlagen, welche man als Stützen für das Impfgesetz aufstellen kann, auch wirklich fest begründet sind, und dabei ist es gar nicht zu umgehen, daß wir mehr oder weniger auch unsere Ansichten über die Zweckmäßigkeit und über den Nutzen des Impfgesetzes aussprechen. Ich will den Fall setzen, daß wir das Zwangsimpfgesetz nicht hätten: dann würde wohl kaum eine Veranlassung dazu vorliegen, daß man eine Kommission berufen hätte, um über den physiologischen und pathologischen Stand der Impffrage zu beraten. Also ist doch schließlich das Endziel unserer ganzen Beratung, uns darüber klar zu werden und schlüssig zu machen, ob wir die Wirkungen des Impfgesetzes als so nützliche be- zeichnen müssen, daß wir dasselbe als ganz berechtigt und unumgänglich notwendig erachten müssen. Was die Bemerkung des HeiTn Dr. B ö i n g betrifft bezüglich des Ausdruckes ,, Impfgegner", so sind bekarmtlich alle diejenigen, welche dem Impfgesetze nicht bei- stimmen zu körmen glauben, und welche darauf angetragen haben, daß die Impffrage nochmals einer Diskussion unterzogen werden solle, in neuerer Zeit sowohl von sich selbst als auch von der ihren Parteizwecken dienenden Presse immer als ,, Impfgegner" bezeichnet worden. Auch in allen Petitionen, die von impfgegnerischer Seite an den Reichstag gegangen sind, ist diese Bezeichnung gebraucht, und ich wende dieselbe auch nur in diesem Sinne an, so daß ich nicht glauben kann, damit Herrn Dr. B ö i n g zu nahe getreten zu sein. Nun ist von den Herren Dr. B ö i n g und Dr. Weber in bezug auf die Maß- regeln, welche wir statt der Impfung gegen die Pocken gebrauchen sollen, insbesondere noch darauf hingewiesen, daß das Wesentlichste neben der Isolierung die Desinfektion sei; Herr Dr. Weber hat sogar gesagt, man müsse ein spezifisches Desinfektionsmittel anwenden, und da man ein solches noch nicht habe, so sei es eine Aufgabe des Gesund- heitsamtes, ein derartiges Mittel aufzufinden. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß das Gesundheitsamt sich mit Untersuchungen über Desinfektion schon sehr vielfach beschäftigt hat. Leider haben aber alle bisherigen Bemühungen zu dem Resultate ge- Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vacciiiation. 1023 führt, daß sehr wenig Aussicht vorhanden ist, jemals ein spezifisches Desinfektions- mittel gegen Pocken zu finden. Sie werden mir allerdings entgegenhalten : bei der Epidemie in Essen hat man desinfiziert und die Epidemie hörte danach auf, folglich war auch die Desinfektion eine wirksame. Demgegenüber könnte ich Ihnen aber wiederum Hunderte von Beispielen anführen, wo man in Pockenepidemien sehr gründlich desinfiziert hat. ohne daß es auch nur das geringste genützt hatte. Wir wissen bestimmt, daß mit den Desinfektionsmitteln, die uns jetzt zu Gebote stehen, gegen die Pocken nichts auszu- richten ist. Ein flüchtiges Kontagium, wie dasjenige der Pocken, haftet an allen Dingen: es haftet an den Wänden, an den Möbeln, an den Fußböden, — und wie wollen Sie denn alle diese Gegenstände in einem Pockenhause desinfizieren ? Sie werden wahrscheinlich sagen: man möge gasförmige Desinfektionsmittel anwenden, um einen solchen flüchtigen Infektionsstoff zu zerstören. Aber gerade in dieser Richtung sind viele Versuche ge- macht worden mit schwefliger Säure, mit Chlor, mit Brom usw., und es hat sich immer wieder herausgestellt, daß wenn die gasförmigen Desinfektionsmittel auch an und für sich wohl imstande sind, den Infektionsstoff zu zerstören, sie doch nicht in genügender Konzentration überall dahin dringen, wo sich derselbe festgesetzt hat. Es würde hiernach von wirksamen Maßregeln, welche man gegen die Pocken noch anwenden könnte, den Herren Impfgegnern nichts weiter übrigbleiben als die Isolierung der Pockenkranken: Herr Dr. B ö i ng hat uns schon erzählt, und ich trete seiner Auf- fassung in diesem Falle vollständig bei, daß in einer Epidemie durch die frühzeitige und gründliche Isolierung der Kranken der Krankheit mit vielem Erfolge entgegen- getreten wurde. Das gelit allerdings in kleinen Verhältnissen, wenn z. B. eine Epidemie in einzelnen Häusern, in einer Fabrik oder dergleichen ausbricht; man könnte zur Not noch daran denken, die Isolierung in einem Dorfe oder in einer kleinen Stadt durchzu- führen; aber stellen Sie sich nur einmal vor, wenn wir hier in Berlin eine Epidemie be- kämen wie 1871 und 1872, — was, wenn die Zwangsimpfung aufhören sollte, keineswegs zu den Unmöglichkeiten gehören würde — : wie sollten wir es da wohl anfangen, um Tausende von Pockenkranken zu gleicher Zeit in wirksamer Weise zu isolieren! Es macht jetzt schon außerordentlich viel Umstände und ist kaum durchzuführen, einen einzelnen Kranken gut zu isolieren. Sie müssen außerdem immer bedenken, daß sich die Isolie- rung eines Pockenkranken doch immer nur mit Hilfe eines Wärterpersonals durcli- führen läßt, welches, wema es nicht durch die Impfung geschützt ist oder selbst schon die Pocken durchgemacht hat, ebenfalls der Ansteckung zugänglich ist. Die Verhältnisse liegen in diesem Falle ähnlich, als wenn man beispielsweise Feuer dadurch eindämmen wollte, daß man ihm Holz oder andere brennbare Stoffe entgegenstellt. Es widerstreitet durchaus der medizinischen Erfahrung, wenn wü- uns der Hoffnung liingeben wollten, eine Krankheit, die einen so leicht übertragbaren Ansteckungsstoff besitzt wie die Pockenlvrankheit, durch Isolierung unter allen Verhältnissen einschränken zu können. Namentlich würde aber, worauf ich nochmals zurückkomme, der Zwang, der duich die Isolierung der Pockenkranlien der Bevölkerung auferlegt würde, in gar keinem Yey- hältnisse stehen zu dem Zwange, der ihr jetzt durch das Impfgesetz verursacht wird. Ich bin fest davon überzeugt, wenn die Herren Impfgegner dem Volke mit dem Vor- schlage kommen würden, daß an Stelle des Impfgesetzes die Isolierung der Kranken eingeführt werden soll, und wenn sie ihren Anhängern statistisch berechnen würden, wieviel Tausende dann alljährlich isoliert werden müßten auf Vvochen, vielleicht auf Monate hinaus, dann würde man doch auch im Volke sehr bald zu der Einsicht kommen, daß es besser ist, bei dem Impfgesetze zu bleiben und die Bevölkerung nicht einem solchen Zwange auszusetzen, wie die Isolierung der Kranken ihn zur Folge haben Avürde. SchUeßlich wird der Antrag Kochs angenommen. 1024 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Frage 7: Ist die Impfung mit Gefahr für den Impfling verbunden? Welcher Art ist diese Gefahr und in welchem Umfange besteht sie ? M. H., die Thesen, welche wir bis jetzt beraten haben, entsprechen einigermaßen den drei ersten Sätzen des Gutachtens, welches die Wissenschaftliche Deputation als Unterlage für das Impfgesetz geliefert hat. Wir sind also, was ich hier konstatieren möchte, in bezug auf diese drei ersten Sätze zu demselben Resultate gekommen und haben damit unsere Zustimmung zu dem, was damals die Wissenschaftliche Deputation gesagt hat, ausgesprochen. Anders liegen die Verhältnisse aber mit dem vierten Satze, welchen damals das Gutachten noch aufstellen zu können glaubte. Der vierte Satz lautet : Es liegt keine verbürgte Tatsache vor, welche für einen nachteiligen Einfluß der Vaccination auf die Gesundheit der Menschen spricht. Diesen Satz, glaube ich, Können wir in dem Umfange nicht mehr aufrecht erhalten, denn es hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, daß die Impfung in einzelnen Fällen einen nachteiligen Einfluß auf die Gesundheit der Geimpften zur Folge gehabt hat. Wir würden also diese These 7 in ihrem ersten Satze dahin zu fassen haben, daß die Impfung unter Umständen mit Gefahr für den Impfling verbunden sein kann. Ich würde mir den Vorschlag erlauben, daß wir die Beratung über diese These insofern trennen, daß wir zunächst im allgemeinen den ersten Satz beraten und darauf die Erörterung des zweiten Satzes folgen lassen, in welchem die Art der Gefahr und der Umfang derselben zur Sprache kommt. Wir würden bei Beratung dieses zweiten Satzes speziell auf die Krankheiten einzugehen haben, welche durch die Impfung unter gewissen Umständen hervorgerufen werden können. Ich würde mir in diesem Falle erlauben, den Antrag zu ,stellen, daß der erste Satz der These 7 lauten soll : Die Impfung kann unter Umständen mit Gefahr für den Impfling verbun- den sein. Debatte: Unter dem Ausdrucke ,, Impfung" verstehe ich nicht etwa nur die kleine Operation des Schneidens oder Stechens, sondern überhaupt alles, was sich daran knüpft, also auch die Einführung der Vaccine und die Entwicklung der Pusteln. Ich glaube, daß diese Auffassung auch unserem Sprachgebrauche entspricht, und ich kann mir nicht denken, daß in diesem Sinne das Wort ,, Impfung" mißverstanden werden kann. Ich will den Fall setzen, es würde irgendein Krankheitsgift mit der Vaccine in demselben Augenblicke auf eine Impf wunde übertragen, in welchem der Scl^nitt mit der Lanzette gemacht wird, dann wird auch schon in diesem Moment die Gefahr für den Impfling beginnen. Wenn Herr Dr. Boing in Vorschlag gebracht hat, zu sagen, die Impfung er- zeugt in jedem Falle eine Krankheit, so ist das, meiner Meinung nach, überflüssig. Es bezweifelt kein Arzt, daß es eine Krankheit ist, wenn sich bei einem Menschen die Vaccine- pusteln entwickeln, aber ebenso wissen wir auch alle, daß dies eine höchst geringe Krank- heit ist. Wenn wir hier ausdrücklich sagen würden, daß die Impfung unter allen Vm- ständen eine Krankheit erzeugt, so könnte das doch so aussehen, als ob wir darunter als Ärzte eine wesentliche Krankheit verständen. Wir müßten dann schon hinzu- fügen: eine unbedeutende Krankheit. Ich glaube aber, es ist besser, wir lassen, um Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1025 Mißverständnissen vorzubeugen, diesen Ausdruck überhaupt weg und beschränken uns darauf, zu sagen, daß die Impfung unter Umständen mit Gefahr für den Impfling verbunden sein kann. Von Geh. Medizinahat v. C o n t a war der Antrag eingegangen: Die unter Beobachtung der erforderUchen Vorsichtsmaßregeln von Seiten des Impfarztes und des ImpfUngs bezüghch dessen Angehörigen ausgeführte Impfvmg muß an und für sich als ungefährlich gelten. Dazu bemerkt Koch: Ich möchte, obgleich ich im übrigen vollständig mit dem Antrage des Herrn Ge- heimen Medizinalrates v. C o n t a übereinstimme, doch wünschen, daß in dieser These unsere Überzeugung, daß die Impfung unter Umständen eine Gefalu' bringen kann, zum Ausdruck gelangt. Man könnte uns sonst, wenn dies nicht ausdi'ückhch gesagt wird, das Nichterwähnen dahin auslegen, als ob wir möglicherweise das Vorhandensein der Gefahr nicht anerkennen wollten. Außerdem glaube ich doch, daß es immer besser ist, wir fassen die These möglichst kurz und bündig. Wir kommen ja später noch zur Beratung aller Vorsichtsmaßregeln, und ich würde also auch in dieser Hinsicht empfehlen, raeinen Antrag annehmen zu wollen. Zugunsten eines Antrages von Geh. Medizinalrat T h i e r f e 1 d e r zieht Koch seinen An- trag zurück, dieser wird aber von v. Kerschensteiner aufgenommen und erlangt bei der Abstinuiiung die Majorität. Zum zweiten Teil der Frage 7, „Welcher Art ist diese Gefahr und in welchem Umfang besteht sie?" bemerkt Koch: Daß eine Gefahr unter Umständen mit der Impfung verbunden sein kann, das haben wir soeben erörtert ; es würde sich nun darum handeln, die Art dieser Gefahr näher zu präzisieren und uns darüber auszusprechen, in welchem Umfange dieselbe besteht. Ich bezweifle, ob es zweckmäßig sein würde, auch diesen 8atz noch weiter zu zergHedern und alle Krankheiten, die dabei in Frage kommen, einzeln durchzuberaten. Ich möchte vorziehen, daß wir den Satz im ganzen erörtern, und erlaube mir, dazu folgendes zu bemerken. Die am meisten bekannte Gefahr, welche mit der Impfung verbunden sein kann, ist die der Übertragung von Syphilis, obwohl dies gar nicht einmal diejenige Impflirank- heit ist, welche so in den Vordergnand gestellt zu werden verdiente. Ich glaube, es tut viel mehr der Name dieser Krankheit und der Abscheu, den jedermann davor hat, als die damit verbundene Gefahr, daß dies geschehen ist. Ich weiß nicht, ob wirklich Todes- fälle durch Impfsyphilis festgestellt sind; es mag ja in vereinzelten Fällen vorgekommen sein, aber im großen und ganzen handelt es sich doch um eine wenn auch unangenehme, so doch heilbare Kranl^:heit, die höchstwahrscheinlich auch in den allermeisten Fällen geheilt worden ist. Die Zahl der bis jetzt konstatierten Fälle von Impfsyphihs ist eine verhältnismäßig geringe; es wird meines Erachtens ganz unmöghch sein, diese Zahl etwa genau festzustellen und daraus das Prozentverhältnis der Wahrscheinlichkeit, mit welcher jemand bei der Impfung durch Syphilis infiziert werden könne, zu berechnen. Eine ganze Anzahl von denjenigen Fällen, die in der Literatur verzeichnet sind und über die viel geschrieben ist, haben sich nachher als unrichtig herausgestellt; andere, die in Wirkliclikeit vorgekommen sind, mögen vielleicht gar nicht zur Kenntnis gekommen sein. Ich glaube, es hat auch gar keinen Zweck, hier bestimmte Zahlen aufzustellen; es dürfte genügen, wenn wir unsere Ansicht dahin äußern, daß in der Tat SyphiUserkran- kungen infolge von Impfung vorgekommen sind; daß ihre Zahl nur eine sehr geringe ist, und daß wir entweder bei einer späteren Gelegenheit oder auch schon bei der Fassung Koch, Gesammelte Werke. 1026 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. dieser These sofort betonen, daß durch die Art und Weise der Impfung diese Gefahr in Zukunft vollkommen vermieden werden kann. Von anderen sicher konstatierten Impfschädigungen kommt eigentlich nur noch Rotlauf in Betracht. Der Herr Oberstabsarzt Dr. G r o ß h e i m hat einen Fall von Blutvergiftung als Folge der Impfung angeführt. Es ist schwer, Blutvergiftung und Erysipel in solchen Fällen sicher auseinander zu halten, die meisten derartigen Erkran- kungen fangen mit Erysipel an, nachträglich dringen noch andere Infektionsstoffe in die Wunde, und es kann dann in eine sogenannte Blutvergiftung übergehen. Ich weiß nicht, wie in jenem Falle der Verlauf gewesen ist ; aber ich möchte immer noch annehmen, daß es sich auch dabei ursprünglich um Erysipel handelte, welches erst im weiteren Verlaufe den Charakter der Blutvergiftung angenommen hat. Ich möchte nicht auf Grund vereinzelter Beobachtungen und ohne unabweisbare Gründe alle möglichen Krankheiten der Zahl der Impfschädigungen hinzurechnen. Man muß ja zugeben, daß auch noch anderweitige Gefahren existieren können; so z. B. die jetzt gar nicht mehr von der Hand zu weisende Möglichkeit, daß die Tuberkulose durch eine solche Impfung auf den Impfling übertragen werden könnte. Behauptet ist dies schon [außerordentlich oft, unumstößlich nachgewiesen aber noch niemals; man hört sehr oft, daß dieses oder jenes Kind seit der Impfung zu kränkeln angefangen habe, daß es skrofulös geworden sei, und daß dies natürlich eine Folge der Impfung sei. Ich habe derartige Klagen früher in meiner Praxis nicht selten zu hören bekommen. Derartige Behauptungen spielen auch in der impfgegnerischen Presse eine große Rolle und werden außerordentlich oft der Impfung entgegengehalten. Aber wir wissen alle, daß wenn wirklich einmal — die Möglichkeit geben wir ja zu — eine solche Übertragung von Tuberkulose durch die Impfung stattgefunden hätte, das Inkubationsstadium, d. h. der Zeitraum zwischen der Übertragung des Infektionsstoffes und dem unverkennbaren Ausbruche des Leidens, gerade bei dieser Krankheit ein so langes ist, daß es ganz unmöglich sein würde, den Zu- sammenhang derselben mit der Impfung noch zu beweisen. Es existieren außerordentlich viele andere Gelegenheiten für Kinder, von dem Krankheitsgifte der so weit verbreiteten Tuberkulose ergriffen zu werden, und es ist deswegen geradezu unmöglich, mit überzeugen- der Sicherheit zu konstatieren, daß ein solches Kind wirkhch infolge der Impfung skrofulös oder tuberkulös geworden sei. Ich will auf zahlreiche andere Krankheiten, die man angeblich nach der Impfung und als eine Folge derselben beobachtet haben will, nicht weiter eingehen, — weil der- artige Beobachtungen zuwenig wissenschaftlich begründet sind. Es bleibt noch der Impfrotlauf zu besprechen. In bezug auf diese Krankheit müssen wir bekanntlich unterscheiden zwischen Früherysipel und Späterysipel. Das Früh- erysipel ist, wenn es in Massenerkrankungen auftritt, wie es fast ausnahmslos der Fall ist, immer durch eine fehlerhafte Beschaffenheit des Impfstoffes bedingt. Eine solche Masseninfektion kann nicht etwa durch die Luft, die in dem Räume sich befindet, oder sonst durch ähnliche Dinge zustande kommen, sondern ganz allein dadurch, daß der Infektionsstoff des Rotlaufes sich in der Lymphe befand und mit dieser verimpft wurde. Daß es sich wirklich so verhält, kann nicht mehr zweifelhaft sein, seitdem wir wissen, daß der Infektionsstoff des Rotlaufes aus bestimmten Mikroorganismen besteht, und seitdem wir gelernt haben, damit zu experimentieren. Wir kennen die Bedingungen, unter welchen er sich entwickelt, und können daraus entnehmen, daß er eventuell auch in die Lymphe hineingeraten kann, ebenso aber auch, daß durch eine richtige Auswahl, und Behandlung dex Lymphe die Verunreinigung durch diesen Infektionsstoff sicher vermieden werden kann. Wie das zu geschehen hat, werden wir später bei den Beratungen über die Ausführung der Impfung noch zu erörtern haben. Beaufsichtigung d. Impl'geschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1027 Ich halte es somit für vollkommen ausreichend, wenn wir uns darauf beschränken, die Syphilis und den Rotlauf als Impfschädigungen zu erwähnen und der These die Be- merkung hinzufügen, daß nach unserer Überzeugung durch die sorgfältige Ausführung der Impfung — was wir darunter verstehen, werden wir ja später noch genauer prä- zisieren — die mit der Impfung verbundene Gefahr auf ein so geringes Maß beschränkt wird, daß der Nutzen der Impfung den eventuellen Schaden derselben unendlich üb( r- wiegt. Koch beantragt dann folgende Resolution : Bei der Impfung mit humanisierter Lymphe ist die Gefahr der Übertragung von Syphilis, obwohl außerordentlich gering, docli nicht gänzlich ausgeschlossen. Von an- deren Impfschädigungen kommen nachweislich nur Erkrankungen an Rotlauf vor. Alle diese Gefahren können durch sorgfältige Ausführung der Impfung auf einen so geringen Umfang beschränkt werden, daß der Nutzen der Impfung den eventuellen Schaden der- selben unendlich überwiegt. Er begründet sie mit den Worten: Ich muß gestehen, daß ich durch die Auseinandersetzungen der Herren Dr. Boing und Dr. W-e b e r noch nicht davon überzeugt bin, daß der von mir aufgestellte Satz unrichtig sei. Ich habe gesagt, daß andere Impfschädigungen n a c h w e i s b a r nicht vorkommen, ich habe aber nicht gesagt, daß sie bis jetzt überhaupt nicht vorgekommen seien. Ich kann nur die Beweise, welche dafür angeführt sind, nicht als genügend an- erkennen. Wenn von B o h n in seinem Buche zehn oder zwölf verschiedene Krankheiten als Folgen der Impfung angeführt sind, so ist mir das sehr wohl bekannt ; aber ein Schrift- steller muß, wenn er ein Handbuch über die Impfung schreibt, der Vollständigkeit wegen alles aus der Literatur zusammensuchen, was jemals über diese Frage geschrieben ist, ohne daß damit gesagt ist, daß er selbst von der Richtigkeit dieser Angaben überzeugt ist. Auch das angeführte Beispiel von der Übertragung der natürlichen Pocken durch die Impfung kann ich nicht als beweiskräftig anerkennen; denn das erste Kind, von dem die Lymphe entnommen wurde und welches zum Ausbruche der Pockenkrank- heit Veranlassung gab, mußte doch schon pockenkrank sein, als es ins Impflokal gebracht wurde, und wir wissen, daß, wenn ein Pockenkranker mit ungeimpften Menschen zusammen- gebracht wird, wie das hier der Fall war, nicht erst eine Impfung notwendig ist, um die Ansteckung zu vermitteln. Das Pockengift ist ein Ansteckungsstoff, welcher sich schon bei dem einfachen Zusammensein in demselben Zimmer anderen Menschen mitteilt. Ich gebe ja zu, daß es so gewesen sein kann, wie Herr Dr. B ö i n g annimmt, aber wissen- schaftlich unanfechtbar ist diese Auffassung nicht; es kann ebensogut auch so gewesen sein, daß das pockenkranke Kind die anderen Kinder unmittelbar und ganz unabhängig von der eigentlichen Impfung angesteckt hat. Über die Furunkulose, welche Herr Dr. Weber anführt, habe ich auch Erfah- rungen als Impfarzt gemacht. Solche Fälle kommen bisweilen vor, aber man sieht auch nicht selten ebensolche Fälle von Furunkulose bei Kindern, die nicht geimpft waren. Wie soll man da den Nachweis führen, daß die Furunkulose gerade die Folge der Impfung war ? Ich habe die Möglichkeit von diesen und ähnlichen Nachkrankheiten zugestanden; wir können uns aber doch nicht mit solchen Möglichkeiten aufhalten, wenn es gilt, die notorisch beobachteten Impf Schädigungen zu bezeichnen. Auch die Fälle von Gangrän der Impfstiche und die Folgen, die sich daran knüpfen, sind meiner Ansicht nach keine primäre Gangrän, sondern Erysipele, an welche sich eine Gangrän des Impfstiches anschloß. Ich fasse diese Fälle als Späterysipele auf, welche sich später mit anderen Wundinfektionskrankheiten kombinierten und zur Gangrän 1 10« 1028 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfte u. Einfüllrung d. animalen Vaccination. des Impfstiches oder im allerschlimmsten Falle sogar zum Tode führten. Ich sehe aber gar nicht ein, warum wir diese spätere Folge des Erysipel als besondere Krankheit auf- führen sollen. Ich bleibe dabei, daß als sicher nachweisbar keine anderen unmittelbaren Impf Schädlichkeiten als Syphilis und Erysipel anzunehmen sind. Zu einem Antrag v. Kerschensteiners, die bekanntgegebenen Fälle von Impfschäden in der Kommission zu prüfen, bemerkt Koch: So wünschenswert auch der Antrag des Herrn Geheimen MedizinaLrates V. K e r s c h e n s t e i n e r sein mag, so kann ich mich doch nicht für denselben er- klären. Wenn wir hier alle diejenigen Impfschädigungen, die uns bekannt sind, wozu natürlich auch die in der Literatur gesammelten gehören, einzeln durchsprechen wollten, dann müßten wir sehr viel Zeit gebrauchen, um alles das Für und Wider, was bei jeder einzelnen Impf Schädigung geltend gemacht ist, sorgfältig zu erwägen und zu einem Schlüsse darüber zu kommen. Wir geben ja zu, daß Impfschädigungen vorkommen; wir haben sie auch bezeichnet, und ich glaube, daß wir dieselben durch den Wortlaut, welcher für die These in Vorschlag gebracht ist, auf ihr richtiges Maß zurückführen; das scheint mir aber auch im Interesse der Sache vollauf genügend zu sein. Ich bin aber durchaus nicht prinzipiell dagegen, daß wir dem Antrage des Herrn v. K e r s c h e n - s t e i n 6 r Folge geben ; ich fürchte nur, daß wenn wir darauf eingehen, wir in einigen Wochen hier nicht mit unseren Beratungen fertig werden. V. Kerschensteiner beantragt dann, die weitere Beratung dieses Punktes zu vertagen. Dem vdderspricht Koch. M. H., ich würde doch dafür sein, daß wir uns jetzt noch über diese Sache schlüssig machen, weil ich fürchten muß, daß wenn wir unsere Erfahrung und das uns zu Gebote stehende Material über die Impfschädigungen hier noch zur Verfügung stellen und beraten wollen, das zu weit führen wird. Wir haben hier im Gesundheitsamte ein sehr umfang- reiches Aktenmaterial über angebhche Impfschädigungen, aus dem allerdings schließ- lich, wenn es bei Licht betrachtet wird, nur außerordentlich wenig Positives zu gewinnen sein würde. Aber ich kann Ihnen doch nicht bloß den kleinen Rest von wirklich Tat- sächlichem bieten, damit werden die Herren von der anderen Seite kaum zufrieden sein; wir müßten dann das ganze Material nochmals von Anfang an einer Prüfung und sorgfältigen Kritik unterwerfen, und das würde doch eine außerordentlich zeitraubende Arbeit sein. In bezug auf die Fassung der These stimme ich übrigens den Bemerkungen des Herrn Medizinalrates Arnsperger bei, und bin ebenfalls dafür, daß wir, um alle Mißverständnisse zu vermeiden, den Ausdruck ,, akzidentelle Wundkrankheiten" gebrauchen. Der Rotlauf ist ja auch eine akzidentelle Wundkrankheit. Ich würde also in meinem Antrage an Stelle des Wortes ,, Rotlauf" ,, akzidentelle Wundkrankheiten" setzen. In bezug auf die humanisierte Lymphe ist der Antrag so gefaßt, daß sich das nur auf die Syphilis beziehen kann. Der erste Satz schließt mit einem Punkte, und er kann infolgedessen nicht mißverstanden werden. Ich glaube, es ist notwendig, daß wir an dieser Stelle den Ausdruck ,, humanisierte Lymphe" gebrauchen, weil sich doch wohl schwerlich jemand finden wird, der der animalen Lymphe unter allen Umständen einen ähnlichen Erfolg in bezug auf die Verhütung von Impfsyphilis beimessen wollte. Der Antrag wird dann zurückgezogen. Die von Koch gewünschte Fassung wird angenommen. Frage 8: Haben seit Einführung der Vaccination bestimmte Krankheiten oder die Sterb- lichkeit im allgemeinen eine Zunahme erfahren? Koch: M. H., es ist von verschiedenen Seiten die Ansicht ausgesprochen, daß wenn die Vaccination auch einen gewissen Nutzen habe, es doch andererseits möglich sei, daß Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1029 durch dieselbe im Laufe der Zeit eine Zunahme bestimmter Krankheiten, z. B. Skrofulöse, stattgefunden oder daß sogar die Sterblichkeit im allgemeinen zugenommen habe. Wieder- holt ist nicht bloß die Möglichkeit, sondern sogar die bestimmte Behauptung ausgesprochen, daß es so sei. Auf jeden Fall müssen wir auch auf diesen Vorwurf, den man der Impfung gemacht hat, eingehen. Ich kann mich aber, da niemals ernsthaft der Versuch gemacht ist, jene Behauptung wissenschaftlich zu begründen, einfach darauf berufen, daß weder die medizinische Literatur etwas enthält, noch auch die eigene Erfalirung etwas an die Hand gibt, was dafür sprechen würde, daß eine Zunahme bestimmter Krankheiten oder der Sterblichkeit im allgemeinen infolge der Impfung stattgefunden hätte. Ich beschränke mich deswegen darauf, zu beantragen, daß der These folgender Wortlaut gegeben werden möge : Seit Einführung der Impfung hat sich keine Zunahme bestimmter Krankheiten oder der Sterblichkeit im allgemeinen geltend gemacht, welche als eine Folge dieser Maßregel angesehen werden könnte. Ich glaube, daß wir damit der Auffassung vorbeugen, als ob unserer Meinung nach überhaupt keine Zunahme der allgemeinen Sterblichkeit oder einzelner Krank- heiten stattgefunden hätte. Wir wollen damit nur unsere Überzeugung aussprechen, daß die Impfung etwas Derartiges nicht zur Folge gehabt hat, und das kann man gewiß tun, auch ohne sich darüber auf eine ausführliche Beweisführung einzulassen, lediglich auf Grund der persönlichen Erfahrungen. Zum Schluß der Debatte: M. H., ich nehme an, daß die Diskussion sich ihrem Schlüsse zuneigt, und da ich einige emleitende Worte zu dieser These gesprochen habe, so gestatten Sie mir wohl, daß ich das Ergebnis der Diskussion nunmehr kurz zusammenfasse. Daß die Sterblichkeit im allgemeinen seit der Einführung der Vaccination zu- genommen haben sollte, ist meines Wissens von niemandem behauptet. Dagegen ist es doch noch zweifelhaft gelassen, ob nicht einzelne Krankheiten, wie Syphilis und Skro- fulosis, seit Anfang dieses Jahrhunderts zugenommen hätten. Ein Beweis dafür, daß diese Zunahme mit der Vaccination in einem ursächlichen Zusammenhange stände, ist nicht erbracht. Wir dürfen bei dieser Frage auch nicht unberücksichtigt lassen, daß im Laufe dieses Jahrhunderts außer der Impfung manche andere Dinge zur Ent- wicklung gekommen sind. Ich erinnere z. B. an das öffentliche Verkehrswesen und die Entwicklung der Eisenbahnen mit allem, was damit in Zusammenhang steht. Wer könnte wohl bestreiten, daß nicht gerade der höher entwickelte Verkehr einen viel größeren Einfluß auf die Zunahme solcher Krankheiten ausgeübt hat als die Impfung ? In dem Antrage, den ich vorgeschlagen habe, ist das aber auch alles offen gelassen. Es wird in demselben nur gesagt, daß eine wissenschaftlich nachweisbare Zunahme, welche damit in Zusammenhang stände, nicht stattgefunden hat, und ich glaube, daß wir sämtlich, auf so verschiedenem Standpunkte wir auch stehen, diesem Antrage mit dem einschränlven- den Zusätze, den er nachträglich erfahren hat, unter allen Umständen zustimmen können. Mit Abänderung der Schkißworte in ,, welche als eine Folge der Impfung anzusehen wäre" wird der K o c h sehe Antrag angenommen. Es folgte in der Beratung Vorlage II ,,Zur Beratung über die allgemeine Einführung der Impfung mit animaler Lymphe". These I lautete: 1. Da die mit der Impfung mit humanisierter Lymphe unter Umständen ver- bundenen Gefahren für Gesundheit und Leben der Impfhnge (Impfsyphihs, Impf- erysipel usw.) durch die Impfung mit animaler Lymphe vermieden werden kömien. 1030 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. und da die letztere in der Neuzeit so weit vervollkommnet ist, daß sie der ersteren fast gleichzustellen ist, so hat die Impfung mit animaler Lymphe an Stelle der mit humanisierter Lymphe zu treten. Dazu Antrag Koch: zwischen den Worten ,,mit animaler Lymphe" und ,,v ermieden werden können" einzuschalten : ,, soweit es sich um Übertragung der Syphilis oder der akzidentellen Wundkrank- heiten handelt". Der Schlußpassus dieser These, welcher lautet : ,,Die Impfung mit animaler Lymphe hat an die Stelle der mit humanisierter Lymphe zu treten", scheint die Auffassung hervor- gerufen zu haben, als ob damit gesagt werden sollte, die Impfung mit animaler Lymphe solle nunmehr obligatorisch sein. Das ist aber durchaus nicht die Meinung dieser Worte. Bis jetzt ist auch die Impfung mit humanisierter Lymphe nicht obligatorisch gewesen, sondern sie war nur die allgemein übliche, und es ist daneben mit animaler Lymphe geimpft worden, soviel man wollte. Wir haben ja das Beispiel, daß ein ganzer Staat, daß manche Städte die animale Impfung ganz allgemein oder doch in einem LTmfange angenommen haben, wie er ihnen gerade zweckmäßig erschien. Wenn hier also steht: ,,so hat die Impfung mit animaler Lymphe an Stelle der mit humanisierter Lymphe zu treten", so heißt das nichts weiter, als daß in Zukunft für diejenigen öffent- lichen Impfungen, bei denen man es für zweckmäßig hält, animale Lymphe anzuwenden ist. Deshalb kann immer noch eine Stadt oder ein ganzer Staat, wenn er die Verant- wortung dafür übernehmen will, in Zukunft die humanisierte Lymphe verwenden. Wenn wir diesen Satz annehmen, so sprechen wir damit nur aus, daß wir es für das Zweck- mäßigste halten, daß die Impfung mit animaler Lymphe in den Vordergrund zu treten hat. Daß dem aber so sein muß, darüber kann meiner Ansicht nach gar kein Zweifel mehr obwalten. Wenn ich ganz allein in der Eigenschaft als Impfarzt die Wahl haben sollte, mit humanisierter Lymphe oder mit animaler Lymphe das Impfgeschäft zu verrichten, so würde ich mich stets für die Impfung mit humanisierter Lymphe erklären. Sie ist leichter und bequemer bei der Impfung und hat eine Menge von Vorteilen, die den Impf- arzt immer dazu bestimmen werden, die humanisierte Lymphe an und für sich vor- zuziehen. Es müssen also ganz bestimmte und schwerwiegende Gründe sein, welche mich, der ich doch selbst früher Impfarzt gewesen bin, dazu bestimmen, mich für animale Lymphe zu erklären. Meine Gründe sind folgende. Es ist unbestritten, daß durch die Impfung mit humanisierter Lymphe Schädigungen vorgekommen sind, vor allen Dingen Syphilis und Erysipel. Wenn man nun aber die Möglichkeit hätte, durch die Impfung mit animaler Lymphe die Syphilis und das in Massenerkrankungen auftretende Früh- erysipel mit Sicherheit vermeiden zu können, dann würde ich doch alle anderen Vorzüge, die die humanisierte Lymphe hat, in den Hintergrund stellen und mich sofort für die animale Lymphe entscheiden. Von der Impfsyphilis ist zwar mehrfach behauptet, daß sie bei großer Sorgfalt hätte vermieden werden können. Das ist allerdings recht gut nachträglich gesagt; aber wir haben es doch nicht immer mit Idealen von Impfärzten zu tun, sondern unter der großen Zahl derselben wird doch immer einer oder der andere sein, der vielleicht im Drange des Geschäftes es an der äußersten Vorsicht fehlen läßt, und solange wir mit humanisierter Lymphe impfen, können wir unmöglich sagen, daß unter allen LTmständen die Gefahr der Syphilis ausgeschlossen ist. Wenn im Großherzog- tume Weimar derartige Fälle noch nicht vorgekommen sind, so ist das sehr erfreulich; aber wie Herr Geheimrat v. Cont a gesagt hat, liegen dort die Impfverhältnisse auch Beavifsichtigung d. liiipfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1031 äußerst günstig, es sind da kleine Impf bezirke und vermutlich auch sehr tüchtige Irapf- ärzte. Je größer aber die Kreise sind, und je größere Anforderungen an den Impfarzt herantreten, desto größer wird auch die Gefahr werden, daß die Syphilis bei einem Stamm- impflinge übersehen wird. Die Gefahr der ImpfsyphiUs besteht also unbestreitbar bei der Impfung mit humanisierter Lymphe, und wir können diese Gefahr unter allen Um- ständen durch die Impfung mit animaler Lymphe vermeiden. Herr Geheimrat v. C o n t a hat allerdings gesagt, wenn Lymphe von einem mit Syphilis behafteten Kinde auf ein Kalb verimpft werde, dann sei es möglich, daß nach 4 — 5 Tagen bei der Abimpf ung doch noch das unveränderte Syphilisgift auf das Kind übertragen werden könne. Wenn man aber diese Befürchtung hegt, da liegt doch nichts näher, als daß man einfach von dem ersten Kalbe nochmals auf ein anderes und wiederum auf ein drittes Kalb impft und die Lymphe nicht eher verwendet, als bis sie so oft durch den Körper des Tieres hindurch- gegangen ist, daß sie nach allem menschlichen Ermessen von Syphilisgift absolut frei ist. Also dieser Vorwurf kann der Verwendung der animalen LymjDhe prinzipiell un- möglich gemacht werden. Nach meinem Dafürhalten ist aber die mehrfache Übertragung des Impfstoffes auf Kälber gar nicht einmal nötig, um die Lymphe von dem Syphihs- gift zu befreien, da letzteres 4 — 5 Tage nach der Impfung unzweifelhaft schon längst abgestorben oder verschwunden ist. Wir haben bis jetzt noch nicht ein einziges Bei- spiel in der Medizin, daß das Syphilisgift sich längere Zeit außerhalb des menschlichen Körpers in einem ansteckungsfähigen Zustande erhalten hätte. Die Syphüis wird immer nur durch den unmittelbaren Kontakt übertragen. Auch dafür, daß durch den Tier- körper die Übertragung der Syphilis vermittelt wäre, liegt nicht der geringste Anhalt vor, und ich muß deswegen die Befürchtung, daß das Syphilisgift in wirksamem Zu- stande in der Haut des Kalbes konserviert werden könne, als vollkommen unbegründet ansehen. In ähnlicher Weise wie die Impfsyphilis kann nach meiner Überzeugung auch die dh-ekte Übertragung des Erysipels, die zu den Massenerkrankungen an Früherysipel Veranlassung gegeben hat, mit voller Sicherheit ausgeschlossen werden. Um mich hier- über verständlich zu machen, möchte ich an die Zeit erinnern, ehe die antiseptische Me- thode in die Chirurgie eingeführt war. Damals war in den chirurgischen Kliniken nichts häufiger als Erysipel, das sich zu den Wunden gesellte; jetzt ist diese Krankheit fast ganz aus den chirurgischen Hospitälern verschwunden. Wir verdanken dies doch ganz allein der antiseptischen Methode. Und es steht dem nichts im Wege, dasselbe Mittel anzuwenden, um auch von den Impfwunden das Erysipel fernzuhalten. Herr Geheim- rat V. C o n t a bezweifelt zwar, daß sich die antiseptische Methode bei der Erzeugung der Lymphe und namentlich bei Kälbern anwenden ließe. Das ist mir nicht recht klar. Warum sollen wir nicht auch ein Kalb ebensogut antiseptisch behandeln können wie einen Menschen ? Man macht in neuerer Zeit an Tieren alle die mit Operationen ver- bundenen Experimente, die eine solche Vorsichtsmaßregel erfordern, bereits antiseptisch. Warum sollte man also nicht in gleicher Weise bei einem Kalbe verfahren können ? Es kommt dabei nur auf die Vervollkommnung der Technik an. Bisher sind schon viel schwierigere Aufgaben durch die antiseptische Methode gelöst, und daher habe ich das feste Vertrauen, daß wir auch diese lösen können. Nun scheint Herr Geheimrat v. C o n t a anzunehmen, daß man bei der antisep- tischen Methode die Wunde unmittelbar mit den antiseptischen Mitteln in Berührung bringt. Das ist nicht der Fall. Man würde nicht die Lymphe mit soundso viel Prozent Karbolsäure und Sublimat zu mischen haben, sondern man würde nur die Haut mit einem antiseptischen Mittel reinigen, dieses wieder auf das sorgsamste entfernen und dann erst unter solchen Vorsichtsmaßregeln, daß eine erneute Verunreinigung nicht 1032 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination, stattfinden kann, den Impfstoff in die Impfwunde hineinbringen und durch einen ge- eigneten Verband gegen spätere Verunreinigungen abschließen. Sodann möchte ich doch in Erinnerung bringen, daß man diese Versuche an Kindern schon oft gemacht hat; viele Impfärzte haben denselben Gedanken, da er so nahe lag, schon früher gehabt und durchzuführen versucht; sie haben Kinder in der Tat anti- septisch geimpft, die Pocken antiseptisch sich entwickeln lassen und dann Lymphe daraus genommen. {Geheimrat Dr. v. C o n t a: Bei Kindern ja, aber bei Kälbern ist das doch noch nicht geschehen!) Ich will den Fall setzen, es sei bei Kälbern noch nicht geschehen, so kann es doch jederzeit ausgeführt werden. Es ist noch nicht so lange her, als man glaubte, daß die antiseptische Methode sich z. B. gar nicht bei Operationen am Bauche, am Darme u. dgl. anwenden lasse, und jetzt geht das alles. Warum soll es also nicht einmal ausführbar sein, ein Kalb antiseptisch zu impfen ? Auch die übrigen Bedenken, welche man bisher gegen die animale Lymphe vorgebracht hat, hat Herr Geheimrat v. C o n t a sorgfältig gesammelt und sie uns hier gleich in ihrer Gesamtheit vorgetragen. Ich bin ihm dafür sehr dankbar, weil er mich dadurch in den Stand gesetzt hat, alle diese Einwände einzeln zu beantworten. Es gehört dazu die Frage von der Übertragung der Tuberkulose. Ich bemerke beiläufig, daß alle diese Einwände schon in der Denkschrift über die Einführung der animalen Impfung bereits besprochen sind, und daß ich manches wiederholen muß, was dort bereits gesagt ist. Die Gegner der animalen Impfung stellen die Behauptung auf, daß bei der Impfung mit humanisierter Lymphe die Gefahr der Übertragung des Tuberkelgiftes viel geringer sein soll als bei der Impfung mit animaler Lymphe, denn man verimpfe in der humanisierten Lymphe eine außerordentlich reine Flüssigkeit, die, wie Herr Geheimrat v. C o nt a sagt, fast kein Blut mehr enthalten soll; früher wurde immer gesagt: die humanisierte Lymphe enthalte überhaupt kein Blut. Nun braucht man aber solche Lymphe nur unter das Müiroskop zu bringen, so sieht man, daß jede humanisierte Lymphe Blut enthält. Ob ihr viel oder wenig Blutkörperchen beigemischt sind, ist für diese Frage ganz gleichgültig; sie enthält stets Blutbestandteile. In diesem Blute kann aber, weil die Tuberkelbazillen nicht selten auch in die Blutgefäße dringen und sich dem Blute beimischen, unter Umständen der Infektionsstoff der Tuber- kulose enthalten sein. Es folgt daraus, daß die humanisierte Lymphe an und für sich keine Sicherheit gegen die Möglichkeit einer Verimpf ung von Tuberkelgift bietet. Sodann soll Tuberkulose von oberflächlichen Wunden nicht verimpfbar sein. Ich weiß nicht, womit Herr Geheimrat v. C o n t a diese Behauptung begründen will. Er schien anzunehmen, daß i c h diesen Satz aufgestellt hätte. Das ist doch wohl nicht richtig. Ich habe allerdings gesagt, daß es nicht häufig sei, daß die tuberkulöse Infektion von oberflächlichen Wunden aus geschehe; aber daß es gar nicht vorkäme, habe ich niemals behauptet. Man hat sogar in neuerer Zeit im Hinbhcke auf die Impf frage Ver- suche hierüber an Meerschweinchen gemacht und gefunden, daß man in der Tat von ganz oberflächlichen Wunden aus die Tiere tuberkulös machen kann. Schließlich ist noch in bezug auf Tuberkulose hervorgehoben, daß die Perlsucht, von der wir annahmen, daß sie mit Tuberkulosis identisch ist, beim Rindvieh so außer- ordentlich häufig vorkomme, und daß wegen des häufigen Vorkommens von intrauteriner Perlsucht die Verwendung der Kälber zur Lymphgewinnung sehr bedenklich sei. Daß die intrauterine Perlsucht so häufig vorkommen soll, ist mir ganz neu. Ich weiß nicht, woher Johne, welcher als Gewährsmann zitiert wurde, diese Angabe genommen hat; er selbst \*ertritt sie sicher nicht; vermutlich iät es eine Literaturzusammenstellung, Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1033 um die es sich bei diesem Zitate handelt. Bekannthch ist nichts seltener als Perlsucht bei Kälbern. Wir haben darüber aus einer ganzen Anzahl von Schlachthäusern umfassende Angaben. Die Perlsucht kommt unter den erwachsenen Rindern an manchen Orten allerdings ziemlich häufig vor. Aber überall, wo man die Kälber untersuchte, hat sich ergeben, daß sich nach der Schlachtung die Perlsucht außerordentlich selten vorfand. Es handelt sich da immer um 30 000, 50 000 und mehr Kälber, unter denen einmal ein einziges mit Perlsucht gefunden wurde. Ein Fall von unzweifelhafter intrauteriner Perlsucht ist meines Wissens in der Literatur nicht erwähnt. Ich muß also auf Grund dieser Tatsachen bestreiten, daß die Perlsucht so häufig bei Kälbern vorkäme. Damit will ich selbstverständlich nicht leugnen, daß sie vorkommen k a n n. Aber gegen diesen Fall können wir uns dadurch sichern, daß das Tier geschlachtet und untersucht wird, ehe die von ihm gewonnene Lymphe zur Verwendung kommt. Sollte dies Kalb wirk- lich bereits tuberkulös sein, dann kann dies unmöglich verborgen bleiben, denn wo Tuber- kulose oder Perlsucht vorhanden ist, da zeigen sich sofort die deutlichen Kennzeiclien derselben in der Bildung von Tuberkeln oder Perlsuchtknoten, welche man bei einiger Aufmerksamkeit nicht übersehen kann. In bezug auf die Vermeidung des Impfrotlaufes bei Verwendung der animalen Lymphe habe ich noch nachträglich zu erwähnen, daß man sich durch eine vorhergehende Probeimpfung von der Reinheit der Lymphe versichern kann. Eine derartige Probe- impfung, welche die Abwesenheit des Rotlaufgiftes in der Lymphe erweisen soll, wird nun aber nicht auf ein Kalb, wie HeiT Geheimrat v. C o n t a zu meinen scheint, sondern an solchen Versuchstieren ausgeführt, welche für Erysipel und ähnliche Krankheiten empfänglich sind. Ich möchte Herrn Geheimrat v. C o n t a empfehlen, hierüber die Schrift von Dr. Feh leisen über das Wesen des Erysipels zu vergleichen. Durch die Untersuchungen von F e h 1 e i s e n ist es bewiesen und durch spätere Arbeiten über denselben Gegenstand auch andererseits mehrfach bestätigt, daß man die Erysipel- mikrokokken, d. h. das Rotlaufgift, auf Tiere überimpfen und bei diesen ganz dieselbe Kranliheit, wie es der Rotlauf beim Menschen ist, erzeugen kann. Also wenn ich bei- spielsweise eine Lymphe auf das Ohr eines Kaninchens verimpfen würde, und wenn in dieser Lymphe Erysipelmikrokokken enthalten sind, dann entsteht an dem Kaninchen- ohre ein Erysipel. In diesem Falle würde man unter allen LTmständen die Lymphe ver- werfen müssen. Die antiseptische Gewinnung der Lymphe und die Prüfung der Lymphe durch Probeimpfung können wir nur auf die animale Lymphe anwenden und nicht auf die humanisierte Lymphe, und zwar aus dem Grunde, weil die humanisierte Lymphe immer nur in geringen Quantitäten, so viel wie die Pocken eines Kindes ergeben, ge- wonnen wird. Die antiseptische Gewinnung größerer Mengen würde auf unüberwind- liche Schwierigkeiten in der Praxis stoßen, ebenso würde die Prüfung zahlreicher kleiner Lymphequantitäten durch die Probeimpfung unausführbar sein. Bei der animalen Lymphe fallen alle diese Schwierigkeiten weg, weil wir es mit großen Lymphequantitäten zu tun haben. Ein einziges Kalb kann Lymphe bis zu 1000 Impfportionen liefern, und solche Quantitäten Lymphe können leicht durch Probeimpfung geprüft werden. Sodann habe ich noch eine Bemerkung über die animale Lymphe gehört, welche mir ganz neu war, daß nämlich die animale Lymphe in der heißen Jahreszeit nicht haften soll. Ich habe mit animaler Lymphe in der heißen Jahreszeit geimpft und keinen L^nter- schied gefunden. Überhaupt möchte ich in bezug auf die Gründe, welche Herr Geheim- rat V. C o n t a gegen die Impfung mit animaler Lymphe aus den Beobachtungen im Weimarischen Impfinstitute entnommen hat, bemerken, daß diese übrigens sehr wert- vollen Beobachtungen nicht so ohne weiteres als Beweismaterial dienen können, weil sie aus einer früheren Zeit herstammen. Es mirde gesagt, daß man mit der Verimpfung 1034 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. der animalen Lymphe in Thüringen trübe Erfahrungen gemacht habe, man habe wieder- holt Massenerkrankungen an Erysipel bekommen. Nun müssen wir aber doch bedenken, daß die Impfung mit animaler Lymphe gerade erst in der allerletzten Zeit bedeutend verbessert ist. Ich bestreite nicht, daß im Jahre 1871 die animale Lymphe vielleicht so beschaffen war, daß sie Früherysipel erzeugen konnte. Ich halte es aber doch für richtiger, daß wir nicht die früheren, sondern die jetzigen Verhältnisse als maßgebend erachten. Wenn in der Denkschrift steht, daß die animale Lymphe eine Gefahr böte, wenn sie in Zersetzung oder in Fäulnis übergegangen sei, so halte ich das vollkommen aufrecht. Ich bin auch jetzt noch der Meinung, daß eine solche Lymphe zu verwerfen ist. Noch vor wenigen Jahren war die Methode der Lymphegewinnung derartig, daß sie in bezug auf die animale Lymphe nicht vor Zersetzung und Fäulnis schützte. Jetzt wird man etwas Derartiges kaum noch zu befürchten haben. Sollte nun wirklich noch in diesem oder dem vorigen Jahre einmal ein solches Früherysipel nach Impfung mit animaler Lymphe eingetreten sein, so berührt das meine Auffassung von der Sache durchaus nicht, denn die Lymphe war nicht nach der antiseptischen Methode gewonnen und nicht vorher durch Probeimpfung geprüft worden. Wir dürfen also doch nicht diese wichtige Verbesserung des Impfgeschäftes deshalb abweisen, weil irgendwo einmal Unzuträglichkeiten vorgekommen sind, welche hätten vermieden werden können. Herr Geheimrat v. C o n t a hat dann noch gesagt, daß wenn Viehseuchen herrschen, die Lympheproduktion unterbrochen und daß man dadurch in Verlegenheit kommen werde. Auch das ist schon in der Denkschrift berührt. Ich setze voraus, daß eine Anzahl von größeren Anstalten für die Gewinnung der animalen Lymphe eingerichtet wird, und daß, wenn wirklich eine dieser Anstalten wegen des Herrschens einer Viehseuche keine Lymphe produzieren kann, die andere aushelfen werde. Derartige Bedenlien sind doch von zu geringer Bedeutung, als daß wir uns dadurch abhalten lassen würden, uns aus anderen triftigen Gründen für die Impfung mit animaler Lymphe zu erklären. Ganz dasselbe gilt auch von dem ästhetischen Standpunkte, den Herr Geheimrat V. Cont a der Lymphe gegenüber einnimmt. Ich kann mich auf diesen Standpunkt ^ nicht stellen; mir ist es ganz einerlei, ob die Lymphe schön und reinlich aussieht, oder ob sie, wie die jetzige animale Lymphe, etwas trübe, von breiartiger Konsistenz und gelblichgrauer Farbe ist, wenn sie nur eine gute Wirkung hat und einen genügenden Schutz gegen die' Pocken gibt. Wenn wir die Lymphe genau untersuchen, dann ist ja die graue und trübe animale Lymphe auch schließlich weiter nichts als ausgetrocknetes Serum, Bestandteile der Epidermis und von dem Gewebe der Haut, mit Glyzerin ge- mischt. Das sind aber alles Dinge, aus denen die humanisierte Glyzerinlymphe auch besteht, wenn sie auch noch so klar aussieht. Also es handelt sich da durchaus nicht etwa um andere Stoffe, aus denen die beiden Lymphearten bestehen, sondern nur um eine etwas andere Form. Fassen wir alles, was für und wider die Verwendung der animalen Lymphe gesagt ist, zusammen, dann müssen wir doch schließlich dahin kommen, daß wenn wir die Zwangsimpfung aufrechterhalten wollen, wir auch allen Grund haben, der animalen Lymphe den Vorzug zu geben. Hoffentlich sind Sie alle davon überzeugt, daß wir durch die animale Impfung die Impfsyphilis unter allen Umständen und die akzidentellen Wundkrankheiten zum größten Teile vermeiden können. Wenn wir uns aber durch die bisher angenommenen Thesen auf den Standpunkt gestellt haben, daß die Zwangs- impfung durchgeführt werden muß, dann haben wir auch die Pflicht, die Impfung selbst, soweit es nur irgend menschenmöglich ist, aller ihrer Schädlichkeiten zu entkleiden. Und das, werden Sie mir zugeben, tun wir, wenn wir zur Impfung mit animaler Lymphe übergehen. Wir wissen allerdings recht wohl, daß wir auch damit die Impfung noch Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1035 nicht absolut ungefälirücli machen; aber wir werden ja später noch über die Maßregehi zu beraten haben, welclie das Impfgeschäft in einer Weise regehi sollen, daß dadurch auch die übrigen Impfschädigungen soviel als nur irgend möglich eingeschränkt werden. Ob sie ganz zu vermeiden sein werden, das ist mir zweifelhaft. Ich habe deswegen auch, um darüber keinen Irrtum aufkommen zu lassen, daß ich etwa meine, die animale Lymphe kann alle und jede Gefahr beseitigen, den Antrag gestellt, daß wir an einer geeigneten Stelle einschieben : ,, soweit es sich um direkte Übertragung der Syphilis und der akzi- dentellen Wundkranklieiten handelt". In bezug auf den letzten Satz, zu dem Abänderungsanträge vorliegen, bitte ich nochmals, in Erwägung ziehen zu wollen, ob wir ihn nicht in derselben Form, wie er in der Vorlage steht, lassen wollen, denn es liegt durchaus nicht in der Fassung dieses letzten Satzes, daß wir damit etwa die obligatorische Einführung der Impfung mit animaler Lymphe annehmen, — es würde nur damit ausgesprochen sein, daß der Impfung mit animaler Lymphe der Vorzug zu geben ist. In der weiteren Debatte: M. H., ich möchte vor allen Dingen darauf aufmerksam machen, daß diese Vor- lage bereits vor 2 Jahren entstanden ist. Die Einberufung dieser Kommission war, wie Ihnen bekannt ist, schon seit längerer Zeit in Aussicht genommen und hat sich nur dadurch hingezogen, daß immer neue Beratungsgegenstände zu den früheren hinzu- gekommen sind, welche für die Kommission vorbereitet werden mußten; Sie wollen daher gefälligst immer bei dem Wortlaute dieser Vorlage berücksichtigen, daß sie schon älteren Datums ist. Später noch Verbesserungen daran vorzunehmen, war aus dem Grunde nicht tunlich, weil diese sämtlichen Vorlagen den Einzelregierungen zur Be- gutachtung mitgeteilt sind. Nachträgliche Änderungen hätten also eine wiederholte Mitteilung an die Regierungen und damit eine weitere Verzögerung in der Einberufung der Kommission zur Folge haben müssen. Sie finden also in dieser Vorlage einzelne Vorschläge, welche dem damaligen Stande der animalen Impfung entsprechen, welche ich aber durchaus nicht beabsichtige, auch jetzt noch aufrechtzuhalten. Die Impfung mit animaler Lyinphe hat gerade in der letzten Zeit einen bedeutenden Aufschwung genommen, teils infolge der verbesserten Technik der Lymphegewinnung, teils wohl infolge der immer tiefer eindringenden Uberzeugung unter den Ärzten, daß sie durch die Verwendung der animalen Lymphe einer außerordentlichen Verantwortung über- hoben werden. Im Gesundheitsamte ist eine graphische Darstellung der Zunahme der Impfung mit animaler Lymphe im Deutschen Reiche ausgeführt; ich erlaube mir, Ihnen die Karten vorzulegen, und bitte, sie zirkulieren zu lassen; Sie werden daraus sehen, daß von Jahr zu Jahr die Impfung mit animaler Lymphe sich ein größeres Gebiet er- obert hat. Es reicht diese Aufzeichnung nur bis zum Jahre 1882; aber Sie sehen aus dem letzten Blatte, daß doch schon in einem größeren Gebiete des Deutschen Reiches die Impfung mit animaler Lymphe sich das Terrain in einem Umfange erobert hat, daß es unwahrscheinlich ist, daß sie dort jemals wieder verdrängt werden wird. Ich glaube also, daß wir der weiteren Entwicklung dieser Frage eigentlich mit großer Ruhe entgegensehen könnten, und ich bin fest davon überzeugt, daß über kurz oder lang auch ohne unser Zutun die Impfung mit animaler Lymphe die Bedeutung erworben haben wird, die ihr zukommt. Aber diesen Standpunkt können wir doch hier bei unseren Beratungen nicht einnehmen. Es ist der Vorschlag gemacht, in dem letzten Satze statt der Worte ,,hat — zu treten" zu sagen: ,,kann — treten", oder: ,,es empfiehlt sich, — treten zu lassen". Das würde allerdings darauf hinauskommen, als ob wir ruhig abwarten wollen, bis die animale 1036 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Impfung sich selbst ihr Terrain erobert. Aber das könnte doch auch unter Umständen eine längere Zeit in Anspruch nehmen, und meines Erachtens ist es in vieler Hinsicht notwendig, namentlich mit Rücksicht auf die Gefahren der Syphilisübertragung und die Beunruhigung, welche sich gerade durch die Gefahr der Impfsyphilis in der Bevölke- rung entwickelt hat, daß wir das Portschreiten der animalen Impfung nicht sich selbst überlassen, sondern soviel als irgend möglich fördern. Eine einfache Empfehlung oder der Ausdruck: ,,es kann die Impfung an die Stelle treten", würde für diesen Zweck doch nicht genügen; das würde nicht mehr bedeuten, als was wir jetzt schon haben, das brauchen wir gar nicht mehr auszusprechen. Ich bitte dringend, daß wir den Wort- laut der Vorlage stehen lossen, und ich behalte mir vor, für die folgenden Thesen solche Abänderungsvorschläge einzubringen, daß der Befürchtung, als ob etwa damit eine obligatorische Einführung der animalen Lymphe bezweckt würde, vorgebeugt wird. Ich würde also, um das jetzt schon zu präzisieren, vorschlagen, daß wir den zweiten Paragraphen etwa in der Weise fassen, daß wir sagen: die allgemeine Einführung der Impfung mit animaler Lymphe ist allmählich durchzuführen. Schon durch das Wort allmählich ist vorgebeugt, daß eine Überstürzung eintritt. Es würde ferner der Vorschlag zur vorläufigen Errichtung nur einer Anstalt, welche in Berlin sich befinden soll, jetzt vollständig wegfallen, nachdem schon so ausgezeichnete Resultate anderswo erlangt sind. Der betreffende Satz könnte ungefähr so lauten: ,,und zwar sind dem Lympheverbrauche der betreffenden Bezirke entsprechend die erforderlichen Anstalten zu errichten", also wir könnten uns ganz allgemein ausdrücken und die spezielle Aus- führung den betreffenden Landesbehörden überlassen. Auch die dritte These könnte eine entsprechende Pormulierung erhalten. Ich denke mir den Übergang zur animalen Impfung in der Weise, daß derselbe weder überstürzt noch auch sich selbst überlassen wird. In bezug auf die vierte These, in welcher der Ausdruck ,, obligatorisch" vorkommt, scheint es mir am zweckmäßigsten, daß wir sie ganz fallen lassen. Man könnte sich so ausdrücken, daß, solange die Lympheproduktion einer solchen Anstalt den Bedarf des ihr zugewiesenen Bezirkes nicht deckt, die öffentliche Impfung mit animaler Lymphe nur fakultativ bleibt, und daß später, sobald der Bedarf von animaler Lymphe gesichert ist, in den öffentlichen Terminen die Impfung mit animaler Lymphe ausgeführt wird. Der Ausdruck ,, obligatorisch" kann dann ganz wegbleiben. Ich halte es aber doch für notwendig, daß wir einer der Thesen eine Passung geben, welche erkennen läßt, daß nach unserem Dafürhalten im Interiesse der ganzen Impfverhältnisse wenigstens die öffentlichen Impfungen mit Hilfe von animaler Lymphe durchzuführen sind. Die Privatimpfungen bleiben dadurch unberührt, und es mag zu diesen diejenige Lymphe benutzt werden, für welche der impfende Arzt sich entscheidet. Wenn wir nur das er- reichen, daß eine Anzahl von Anstalten zur Gewinnung von animaler Lymphe gegründet werden, dann bin ich fest davon überzeugt, daß diese sich recht bald das ganze Terrain erobern werden. Aber wenn wir uns nicht dafür erklären, daß bei den öffentlichen Imp- fungen die animale Lymphe verwendet werden soll, dann liegt überhaupt kein Grund vor, solche Anstalten zu schaffen. Ich habe nur noch auf eine Bemerkung des Herrn Geheimrates v. C o n t a zu er- widern, daß, wenn auch in der Denkschrift das Gutachten der Wissenschafthchen Deputa- tion nicht in allen Punkten akzeptiert ist, sie doch im allgemeinen auf demselben Stand- punkte steht und sich keineswegs mit einer Widerlegung desselben befaßt. Sie erinnern sich, daß wir hierüber bereits gesprochen haben. Die Differenz mit dem Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation bezieht sich ganz allein auf den letzten Satz desselben, in welchem gesagt ist, daß keine verbürgte Tatsache vorliege, welche für einen nach- teiligen Einfluß der Vaccination auf die Gesundheit der Menschen spricht. Dieser Satz Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. aninialen Vaccination. 1037 war, nachdem sich mit aller Evidenz herausgestellt hatte, daß Impfsyphilis und Impfrotlauf vorgekommen sind, nicht mehr haltbar. Dies ist aber auch der einzige Widerspruch, welcher zwischen der Denksclirift und dem Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation herausgefunden werden kann. Im übrigen ist in der Denkschrift das Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation gar nicht weiter berührt. Was die anderen Einwände betrifft, die Herr Geheimrat v. C o n t a gegen die animale Impfung noch gemacht hat, nämlich bezüglich der Übertragung von Krank- heitsstoffen vom Kalbe auf den Menschen und des Vorhandenseins von Krankheits- stoffen in der Lymphe, die sich durch die Probe am Tiere gar nicht nachweisen lassen, und dann, daß die humanisierte Lymphe ein reiner, einheitlicher Stoff, die animale Lymphe dagegen ein Pockenbrei sei, usw., muß ich gestehen, daß mir dieselben nicht recht verständlich gewesen sind. Ich wüßte nicht, warum wir nicht imstande sein sollten, die Krankheitsstoffe, die wir kennen, durch Impfung am Tiere nachzuweisen. Es sind überhaupt gar keine Kranklieitsstoffe bekannt, die vom Kalbe auf denMenschen übertragen werden könnten, und deren Vorhandensein wir nicht durch Probeimpfungen an Kälbern in der Lymphe erkennen könnten. Es wäre doch sehr erwünscht gewesen, wenn Herr V. G o n t a sich über diesen Punkt deutlich ausgesprochen und die Krankheiten, die er dabei im Auge hatte, genannt hätte. Es kann sich hierbei immer nur um Erysipel und um Syphilis handeln, welche aber, wie wir überzeugt sind, ganz sicher vermieden werden können. Wenn Herr v. G o n t a an solche Tierkrankheiten gedacht hat, die bei Rindern vorkommen, wie z. B. Milzbrand, Klauenseuche oder dergl. — — (Dr. V. Conta: Ich habe haupfesächhch gesagt, es lägen keine genügenden Erfahrungen vor!) Wenn keine Erfahrungen vorliegen, dann haben wir auch keinen Grund, uns darüber zu streiten, ob derartige Krankheiten die Impfung nnt animalcr Lymphe gefährlich machen könnten. Aber es sind doch schon Millionen von Impfungen mit animaler Lymphe gemacht — ich glaube nicht, daß ich da zu hoch greife — , und doch ist niemals durch die animale Lymphe eine Ansteckung mit Milzbrand, Klauenseuche und anderen Tier- krankheiten vorgekommen. Also die Erfahrung, und zwar eine sehr reiche Erfahrung, spricht direkt gegen die von Herrn v. G o n t a ausgesprochenen Befürchtungen. Ich bitte nochmals, daß wir doch in irgendeiner Weise — ich bestehe durchaus nicht auf dem Stehenbleiben des Wortes ,,hat" in der These — es nicht nur bei einer einfachen Empfehlung der animalen Lymphe bewenden lassen. Ich bin gern bereit, bei den folgenden Thesen derartige Anträge zu stellen, daß jeder Schein, als ob nun die humanisierte Lymphe vollständig von dem Impfgeschäfte ausgeschlossen werden sollte, vermieden wird. Die Tliese wird nach dem Antrag Kochs angenommen. These 2. Ich habe früher schon kurz darauf hingewiesen, daß es notwendig sein wird, den drei Thesen eine andere, dem jetzigen Stande der animalen Impfung entsprechende Fassung zu geben. Ich werde mir erlauben, folgende Anträge zu stellen. Einer Motivie- rung bedarf es wohl nicht, sie liegt in dem Wortlaute selbst. Die Thesen 2 und 3 würde ich bitten, folgendermaßen zusammenzufassen: ,,Die allgemeine Einführung der Impfung mit animaler Lymphe ist allmählich durchzuführen." Auf das ,, allmählich" lege ich besonderen Wert, damit ausgesprochen wird, daß jede Landesbehörde die animale Impfung nach ihren Kräften und ihren sonstigen Inten- tionen entsprechend einführen möge. 1038 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Der zweite Satz, zusammengefaßt mit These 3, würde folgendermaßen lauten: ,,und zwar sind unter Zuhilfenahme der bisher gewonnenen Erfahrungen An- stalten zur Gewinnung von animaler Lymphe in einer dem Bedarf entsprechenden Anzahl herzurichten". Wir greifen dadurch niemandem vor; es mag jeder selbst bestimmen, ob er die Anstalten in eine große Stadt legen will oder wohin sonst, und in welcher Zahl sie er- richtet werden sollen; es bleibt in jeder Richtung die volle Freiheit gewährt; aber es ist unbedingt notwendig, zu erklären, daß Anstalten zur Gewinnung solcher Lymphe eingerichtet werden. Die These 4 würde ich beantragen in der Weise abzuändern, daß der erste Satz von „so lange" bis ,, fakultativ" überhaupt wegfällt, und daß wir dem zweiten Satz folgenden Wortlaut geben: „sobald der Bedarf an animaler Lymphe seitens einer solchen Anstalt gesichert ist, sind die öffentlichen Impfungen mit animaler Lymphe einzuführen". Ich habe das Wort obligatorisch" weggelassen; das Wort ,,sind" kann allerdings einer verschiedenen Auffassung unterliegen, aber auf keinen Fall liegt darin, daß die Impfung mit animaler Lymphe obligatorisch eingeführt werden soll. Das ge- wählte Wort ist der Deutung fähig, und es möge ein jeder Staat und eine jede Behörde es in dem Sinne deuten, wie sie es für angemessen hält. Ich halte es aber für unumgäng- lich notwendig, uns dahin zu erklären, daß die öffentlichen Impfungen mit animaler Lymphe später einzuführen sind, weil das doch die Maßregel ist, die zur Beruhigung der öffentlichen Meinung über die mit der Impfung verbundenen Gefahren am meisten beitragen wird. Weiterhin: M. H., der von mir formulierte Antrag schließt ja durchaus nicht aus, daß man in Zukunft im Notfalle und unter ganz besonderen Verhältnissen noch mit humanisierter Lymphe impfen kann. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, daß der von mir in Vor- schlag gebrachte Wortlaut derjenige ist, welcher am ehesten von allen angenommen werden kann; er präjudiziert durchaus nichts; es ist damit keineswegs ausgesprochen, daß die Impfung mit humanisierter Lymphe vollständig verbannt werden soll. Die Anträge Kochs werden angenommen. Ziffer 5. Für die Einrichtung und den Betrieb der Anstalten sind folgende allgemeine Bestimmungen maßgebend: a) Die Anstalt ist mit bestehenden Schlachthofsanlagen zu verbinden. b) Dieselbe ist der Leitung eines Arztes zu unterstellen. c) Zunächst ist das P i s s i n sehe Verfahren zu benutzen, vielleicht mit der Modifikation von Pfeiffer. Daneben sind weitere Versuche mit dem R e i ß n e r sehen Verfahren an- zustellen und auch sonstige Verbesserungen, z. B. eine noch mehr gesicherte Haftbarkeit der animalen Lymphe, anzustreben. d) Die Lymphe wird den Impfärzten kosten- und portofrei überlassen. e) Für höchstens 300 Impflinge ist ein Kalb zu rechnen. f ) Es ist gestattet, an Stelle der sogenannten genuinen Vaccine die Retrovaccine zu benutzen. g) Die Lymphe ist nicht eher an die Impfärzte abzugeben, als bis die Untersuchung der ge- schlachteten Tiere, welche die Lymphe lieferten, deren Gesundheit erwiesen hat, und bevor nicht die Lymphe bei Probeimpfungen als von guter Beschaffenheit gefunden ist. h) Über Alter, Pflege und Wartung der Kälber, Zeit und Art der Lympheabnahme, Methode der Konservierung, der Aufbewahrung, des Versands usw. werden vom Gesundheitsamte spezielle Instruktionen erteilt. Von dieser These gilt das nämliche, was ich in bezug auf die erste These sagte, daß nämlich manches darin schon durch die Ergebnisse der letzten Jahre überholt ist. Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1039 Ich würde vor allen Dingen den Antrag stellen, den Absatz c zu streichen. Damals, als die Vorlage aufgestellt wurde, war diese Fassung noch vollständig gerechtfertigt. Ich glaube aber, daß wir es jetzt den Anstalten ganz überlassen müssen, welches Ver- fahren sie einschlagen wollen, und ich bin dafür, daß wir den Absatz e gleichfalls streichen. Für die Vorlage wurde die Zahl von 300 Impfportionen angenommen, weil in jener Zeit von einzelnen Seiten die Ausnutzung eines Kalbes im Verhältnis zu den früheren Ge- winnungsmethoden übertrieben wurde. Jetzt hat sich dies alles bekanntlich infolge weiterer Fortschritte in dem Verfahren der Ljanphegewinnmag gänzlich geändert. Dann möchte ich noch vorschlagen, am Ende des Absatzes h den Wortlaut dahin abzuändern, daß nicht gesagt wird: ,, werden vom Gesundheitsamte spezielle Instruk- tionen erteilt". Die Ausarbeitung dieser Instruktionen würde doch erfordern, daß Sach- verständige, denen spezielle Erfahrungen über Lymphegewinnung zur Seite stehen, ebenfalls daran beteiligt werden. Ich würde daher vorziehen, zu sagen: ,, werden durch eine Kommission von Sachverständigen spezielle Instruktionen ausgearbeitet werden". Dann möchte ich noch über den ersten Satz a anheimstellen, ob wir ihn fallen lassen oder stehen lassen sollen. Meiner Ansicht nach ist er eigentlich selbstverständlich. Man wird kaum anderswo Lymphegewinnungsanstalten herrichten können als in Ver- bindung mit Schlachthausanlagen. Es erscheint mir unnötig, daß das gerade vorge- schrieben werden soll. Schließlich habe ich noch eine Bemerkung zu machen zu dem Schlußsatze von g: ,,und bevor nicht die Lymphe bei Probeimpfungen als von guter Beschaffenheit gefunden ist". Nach den günstigen Resultaten, welche namentlich mit der Methode des Herrn Medizinalrates R e i ß n e r gewonnen sind, und nach den dabei gemachten Erfahrungen scheint es nicht notwendig zu sein, die Lymphe jedesmal durch Probeimpfungen zu prüfen. Ich stelle also anheim, diesen Satz eventuell zu streichen. Auf eine Anfrage von v. C o n t a, ob vielleicht im Kaiserlichen Gesundheitsamte Unt-ersuchun- gen darüber angestellt worden sind, daß diirch die Impfung das Fleisch des Kalbes an Nährwert eine Veränderung erleide und daß man irgendeinen Grund habe, Bedenken gegen den Genuß dieses Flei- sches zu erheben, erwidert Koch: Die Frage des Herrn Geheimrates v. C o n t a kann ich dahin beantworten, daß mir diese Versuche über die Injektion von Blut geimpfter Tiere bekannt sind. Auch in Frankreich sind früher schon ähnliche Versuche gemacht, und man kann noch gar nicht absehen, von welcher Tragweite sie sind. Vorläufig haben sie nur ein theoretisches Interesse. Herr v. C o n t a schloß aus diesen Versuchen, wenn ich recht verstanden habe, daß der ganze Körper des Tieres bei der Impfung und Entwicklung der Impf- pocken in Mitleidenschaft gezogen werde, und daß möghcherweise das Fleisch dieser Tiere an Wert einbüße. Bei den Versuchen, welche mit einer Anzahl von Kälbern hier gemacht sind, hat sich etwas Derartiges nicht ergeben. Die Kälber wurden nachher geschlachtet, und das Fleisch ist ohne die geringste Schwierigkeit wie jedes andere Kalb- fleisch verwertet. Ich habe die ausgeschlachteten Tiere selbst gesehen und mich davon überzeugt, daß das Fleisch derselben ebenso gut aussah wie dasjenige von anderen Kälbern. Ich bin deswegen davon überzeugt, daß eine Verringerung des Fleischwertes bei den Impfkälbern nicht zu befürchten ist. Zu Vorlage 6: ,,Z u r Beratung über die technische Vorbildung der I m p f ä r z t e" : 1. An die technische Vorbildung der Impfärzte sind folgende Anforderungen zu stellen: a) Während des klinischen Unterrichtes ist den Studierenden eine Unterweisung in der Impft«chnik zu erteilen. 1040 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. b) Außerdem hat jeder Arzt, welcher das Impfgeschäft privatim oder öffentlich ausüben will, den Nachweis darüber zu bringen, daß er mindestens zwei öffentlichen Vacci- nations- und ebenso vielen Revaccinationsterminen beigewohnt und sich die erforder- lichen Kenntnisse über Gewinnung und Konservierung der Lymphe erworben hat. 2. Bei der Staatsprüfung ist die Kenntnis der Impftechnik und des Impfgeschäftes zu verlangen. bemerkt Koch: Aus Nr. 2 geht hervor, daß bei der Staatsprüfung vom Examinanden die Kenntnis der Impftechnik verlangt wird. Wir Itönnen daher voraussetzen, daß schon die Studieren- den sich damit bekannt machen müssen. Es folgt Vorlage 3: Verhaltungsmaßregeln für die Impfärzte bei Aus- übung der öffentlichen Impfungen. Koch bemerkt zu § 2 : Zum Einleiten der Impfung steht den Impfärzten Lymphe avis den Landesimpfinstituten zur Verfügung. Die Impfärzte haben zum Portführen der Impfung bzw. zur Abgabe von Lymphe an andere Ärzte für ein ausreichendes Material durch Entnahme von Lymphe von geeigneten Impflingen zu sorgen. Es ist zu berücksichtigen, daß diese Vorlage aufgestellt ist, als man eigentlich noch gar nicht an die Einführung der Impfung mit animaler Lymphe dachte, und es wird nötig sein, daß wir den einzelnen Punkten eine der jetzigen Situation entsprechende Fassung geben. Ich würde vorschlagen, daß wir folgenden Wortlaut wählen: ,, Solange die Impfung mit animaler Lymphe nicht für die öffentliche Impfung eingeführt ist", — alsdann folgt der Text des Paragraphen; darauf würde es weiter lauten: ,,nach Ein- treten der Impfung mit animaler Lymphe haben die Ärzte ihren sämtlichen Lymphe- bedarf aus den öffentlichen Impf Instituten zu beziehen". Er .stellt weiterhin den Antrag: Solange die Impfung mit animaler Lymphe für die öffentlichen Impfungen nicht zur Ausführung gelangt, beziehen die Impfärzte zur Einleitung der Impfung Lymphe aus den Landesimpfinstituten. Die Impfärzte haben zum Fortführen der Impfung bzw. zur Abgabe von Lymphe an andere Ärzte für ein ausreichendes Material durch Entnahme von Lymphe von geeigneten Impflingen zu sorgen. Nach Einführung der Impfung mit animaler Lymphe erhalten die öffentlichen Impfärzte ihren sämtlichen Lymphebedarf aus den Landesimpfinstituten. (Wird angenommen.) § 6 : Nur die freiwillig austretende klare, schwach gelb gefärbte Lymphe, welche, mit bloßem Auge betrachtet, weder Blut noch Eiter noch Gerinnsel enthält, darf zum Impfen benutzt werden Übelriechende oder sehr dünnflüssige Lymphe ist zu verwerfen. Dieser Paragraph kann sich selbstverständlich nur auf die humanisierte Lymphe beziehen, und ich schlage deswegen vor, daß wir dies auch dadurch zu erkennen geben, daß wir den Paragraphen dementsprechend abändern, vielleicht in der Weise, daß ge- sagt wird: Die humanisierte Lymphe darf nur dann benutzt werden, wenn sie, mit bloßem Auge betrachtet, weder Blut noch Eiter enthält. Ich lasse die übrigen Kennzeichen absichtlich fort, denn die ergeben sich von selbst, da nach dem vorigen Paragraphen die Blattern nicht gequetscht werden dürfen. Daß die Lymphe größere Mengen von Blut oder Eiter nicht enthalten solle, das kann man wohl vorschreiben. Der Ausdruck Gerinnsel", welcher in dem Entwürfe steht, ist von mehreren Regierungen beanstandet worden, und das wohl mit Recht; denn es ist ja bekannt, daß manche Impfärzte gerade diese Gerinnsel als ganz besonders guten Impf- stoff ansehen. Gegen den zweiten Absatz des Paragraphen würde ich nichts einzuwenden haben. Beaufsichtigung d. Im])fgescliäfts u. Einführung d. aninialen Vaccination. 1041 In betreff der animalen Lymphe ist es wohl besser, keine bestimmten Vorschriften zu geben. Man kann ja nicht wissen, ob nicht in Zukunft noch weitere Verfahren ge- funden werden, die der Lymphe ein besonderes Aussehen erteilen. Von der humanisierten Lymphe, die aus den Pocken entnommen wird, wissen wir erfahrungsgemäß, welchen Bedingungen dieselbe zu entsprechen hat; was aber die animale Lymphe betrifft, so wird immer diejenige, welche die besten Wirkungen hat, vorzuziehen sein; ob Spuren von Blut darin sind oder Gewebsbestandteile oder Gerinnsel, das wird nicht weiter n Betracht kommen. Nach einer Zwischenbemerkung von Dr. Boing: Ich lege nicht so viel Wert auf die von mir vorgeschlagene Fassung und bin ein- verstanden, daß wir die fraglichen Worte eventuell wieder hineinbringen. Also es würde dann heißen: die humanisierte Lymphe darf nur dann benutzt werden, wenn sie freiwillig ausgetreten ist und, mit bloßem Auge betrachtet, weder Blut noch Eiter enthält. S 7 Absatz 1 : Die Aufbewahrung der Lymphe in flüssigem Zustande geschieht in reinen, gut verschlossenen Kai)illarröhren oder Glasgefäßen von 1 bis 2 ccm Inhalt. Zu einem Antrag von Boing, die Kapillarröhren zu desinfizieren, äußert sich Koch: Ich möchte zu dieser Frage bemerken, daß neue Kapillarröhrchen nicht desinfiziert zu werden brauchen. Die Herstellung derselben erfordert, daß sie einem Hitzegrade ausgesetzt werden, bei welchem das Glas schmilzt. Das Innere eines solchen Kapillar- röhrchens ist dtirch diese Hitze ganz sicher desinfiziert. Etwas anderes ist es mit den Glasgefäßen. Wenn es ungebrauchte Gefäße sind, dann genügt eine einfache Reinigung mit Wasser oder dergleichen; die gebrauchten müßten allerdings desinfiziert werden, wie das im nächsten Absätze angegeben ist. Absatz 2: Zur Aufbewahrung in trockenem Zustande werden Platten aus Glas, Elfenbein, Fischbein und Horn (Spatel) benutzt. Dieselben dürfen ohne gründliche Reinigrmg und Desinfek- tion nicht zum zweiten Male benutzt werden. Hierzu Antrag Koch: Hinter ,, Desinfektion" dem Antrage Hessen gemäß in Klammern hinzuzufügen: (am besten durch Auskochen mit Wasser). Ich möchte nur noch zu diesem Satze bemerken, daß ich selbst anfangs, als ich meine Tätigkeit als Impfarzt begann, auch die unangenehme Erfahrung gemacht habe, daß wenn man Impfröhrchen, in denen vorher schon Glyzerinlymphe war, zum zweiten Male benutzt, die Lymphe darin außerordentlich leicht verdirbt. Der Zusatz, welcher von Hessen empfohlen ist, scheint mir deswegen sehr zweckmäßig zu sein. Wenn man einfach sagt ,, Desinfektion", dann werden die meisten im Zweifel sein, in welcher Weise und womit sie desinfizieren sollen. Absatz 4: Es ist gestattet, die Lymphe vor dem Aufbewahren mit höchstens 3 Teilen Gly- zerins und unmittelbar vor dem Gebrauche mit einem Teile reinen destillierten "Vyassers zu vermischen. Ich würde mir den Vorschlag erlauben, daß wir die Mengen des Mischungsver- hältnisses überhaupt nicht bezeichnen. Nur das würde ausdrücklich zu erwähnen sein, daß das allerreinste Glyzerin angewendet werden soll. Ich möchte für den Fall, daß überhaupt eine Bestimmung über da.s Maß Verhältnis gewünscht wird, in Vorschlag bringen, daß wir einen sehr viel geringeren ^'erdümulngs- grad nehmen, als hier angegeben ist. Nach meinen Erfahrungen würde nur die Hälfte an Zusatzflüssigkeit zulässig sein. M. H., es hat sich bei der Diskussion herausgestellt, daß die Meinungen über den zulässigen Grad der Verdünnung der Lymphe doch so weit auseinandergehen, daß eine Koch, Gesammelte Werke. \ 1042 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einfüliiung d. animalen Vaccination. Einigung wohl nicht zu erzielen ist. Es ist das der beste Beweis dafür, daß es wohl das richtigste sein würde, eine Maßbestimmung überhaupt wegzulassen. Ich nehme des- halb meinen früheren Antrag wieder auf und schlage vor, daß wir uns darauf beschränken, die Beschaffenheit des Glyzerins vorzuschreiben. Im übrigen kann man den Grad der Verdünnung den Impfärzten, solange sie noch mit humanisierter Lymphe impfen werden, überlassen. Einzelne scheinen mit Verdünnungen von 1 : 10 gute Resultate zu haben, andere, zu denen ich mich selbst rechne, würden nicht über eine Verdünnung von 1 : 1 hinausgehen. In bezug auf animale Lymphe können wir überhaupt noch keinen Vor- schlag machen. Also wird es am zweckmäßigsten sein, eine Feststellung des Mischungs- verhältnisses ganz zu unterlassen. Ich habe in meinem Antrage absichtlich die Vorschrift bezüglich des destilUerten Wassers ausgelassen, weil ich auf die Beschaffenheit des zugesetzten Wassers nicht so großen Wert lege. Man kann das sogenannte reine destillierte Wasser nehmen oder Brunnenwasser. Zersetzungserreger enthalten diese Wässer immer, und es kommt doch wesentlich darauf an, daß ein reines Glyzerin verwendet wird, welches die weitere Zer- setzung der Lymphe verhütet. Wenn wir es unterlassen, bestimmte Zahlen anzugeben, dann bleibt es den ein- zelnen Landesbehörden unbenommen, für die Impfärzte spezielle Instruktionen darüber zu erteüen. Sobald wir aber bestimmte Vorschriften machen, dann gehen wir, wie Sie hören, dem einen nicht weit genug, dem anderen zu weit. Überlassen wir also die speziellen Instruktionen den einzelnen Staaten; ich glaube, daß wir bei meinem Antrage den augen- blicklichen Verhältnissen am meisten Rechnung tragen. Der Antrag von Koch wird angenommen. §8: Lymphe vonRevaecinierten darf nur im Notfalle und nie zum Impfen von Erstimpflingen zur Anwendung kommen. Die Prüfung des Gesundheitszustandes eines revaccinierten Abimpflinges muß mit besonderer Sorgfalt nach Maßgabe der im § 3 aufgestellten Kautelen geschehen. Dieser Paragraph muß auch stets für die Impfung mit animaler Lymphe An- wendung finden, weil die Retrovaccination zugelassen ist, und infolgedessen Lymphe von Kindern zur Impfung von Kälbern zu benutzen ist. Ich halte es daher nicht für überflüssig, daß auch für diese Kinder ganz dieselben Vorschriften gelten wie für die Abimpflinge, welche die humanisierte Lymphe zur direkten Impfung von Kindern liefern. Diese Bestimmung gilt also gleichzeitig für humanisierte und animale Lymphe. Bei § 8 beantragte R e i ß n e r , daß die sogen. Sammellymphe verboten und nur die Lymphe von den einzelnen Impflingen genommen werden soll. M. H., ich möchte mich gegen diese Beschränkung erklären. Es ist kaum möglich, bei der Gewinnung der Glyzerinlymphe die einzelnen Lymphportionen getrennt zu halten, wenn man von einer größeren Anzahl von Impflingen die Lymphe zu sammeln hat. So weit meine Erfahrung geht, verfährt man auch in Impfinstituten so, daß die Lymphe mehrerer Kinder zusammengemischt und auf diese Weise die Lymphe in größeren Portionen präpariert wird. Ich sehe auch nicht ein, daß man dies nicht zulassen soll. Wenn beispielsweise die Lymphe von 4 oder 5 Kindern genommen ist — um mehr wird es sich wohl nicht handeln — , dann kann man ebensogut die Namen der sämtlichen Kinder, von denen die Lymphe gesammelt wurde, notieren. Ich glaube, man wird den Ärzten, solange sie noch mit humanisierter Lymphe zu tun haben, das Impfgeschäft außerordentlich erschweren, wenn man verlangen wollte, daß sie die Lymphe, die sie von einzelnen Kindern abnehmen, auch immer ganz getrennt aufbewahren und getrennt verwerten sollen. In bezug auf animale Lymphe würde dies keine Schwierigkeiten machen. Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1043 denn da werden wohl stets von einem Kalbe so große Lymphportionen gewonnen, daß man sie im ganzen behandeln und immer auch nur als von dem betreffenden Tiere her- stammend bezeichnen kann; aber von Kindern gewinnt man verhältnismäßig so wenig, daß es schwierig ist, die einzelnen Portionen auseinanderzuhalten. Ich bin dafür, daß wir den Paragraphen unverändert annehmen. § 10 bestimmte, daß die Impfärzte die Herkunft der Lymphe nachzuweisen imstande sein sollten. Ich würde vorschlagen, daß wir diesen Paragraphen fallen lassen, namenthch mit Rücksicht auf die animale Lymphe. Es ist bereits davon die Rede gewesen, daß die Ärzte stets über die Lymphe, welche sie verwenden, Rechenschaft ablegen müssen; namentlich sind in bezug auf die öffentlichen Impfungen schon hierauf bezügliche Be- schlüsse gefaßt. Wenn der Paragraph angenommen werden soll, müßte er eine ganz andere Fassung erhalten. Man könnte die Wünsche, welche in diesem § 10 ausgesprochen werden, mit § 11 verbinden, wonach die Impfärzte betreffs der aus einem deutschen Impfinstitute er- haltenen Lymphe aufzuzeichnen haben, von wo und wann sie die Lymphe erhalten haben. Man brauchte nur hinzuzusetzen: ,, betreffs der aus jeder beliebigen Quelle er- haltenen Lymphe". Nach § 12 sollten die Impfinstrumente u. a. scharf sein. Diejenigen Herren, welche selbst viel geimpft haben, werden hoffentlich mit mir darin übereinstimmen, daß gerade sehr scharfe Instrumente zum Impfen wenig geeignet sind. Es ist viel besser, Instrumente zu haben, welche, ich will nicht sagen, stumpf sind, aber doch auch nicht frisch geschliffen sind. Letztere schneiden sehr tief, es entstehen Blutungen, und das erschwert die Impfung außerordentlich. Arnsp erger wünschte, daß die Instrumente ,,mit aseptischer Flüssigkeit" desinfiziert werden sollten. Wenn es möglich wäre, die Instrumente durch das einfache Abspülen oder Ab- waschen mit einer aseptischen Flüssigkeit vollständig zu desinfizieren, so würde ich bereitwilligat den Antrag des Herrn Geheimrates Arnsperger annehmen. Aber es ist das leider nicht möglich. Eine Lösung von Karbolsäure zerstört die Infektions- k?ime nicht in den paar Sekunden oder Minuten, während deren man das Instrument damit in Berührung bringt. Dazu gehören Stunden, unter Umständen selbst Tage. Wh' dürfen uns also nicht der Illusion hingeben, daß wenn wir ein Instrument in 2 proz. oder auch selbst 5 proz. Karbolsäure legen, dies eine wesentlich andere Wirkung habe, als wenn es in einfaches Wasser gelegt wird. Das einzige Desinfektionsmittel, welches Infektionskeime in wenigen Minuten vernichtet, ist Sublimat. In Sublimatlösungen können wir aber keine metallenen Gegenstände bringen, weil das Quecksilber sofort reduziert und dadurch nicht allein die desinfizierende Wirkung der Lösung aufgehoben wird, sondern auch die Metallteile der Instrumente beschädigt werden. So sehr ich ebenfalls wünschen möchte, daß die Instrumente vor jeder einzelnen Impfung in der sorgfältigsten Weise desinfiziert werden, so muß ich mir doch sagen, daß d?r praktischen Ausführung einer derartigen Desinfektion solche Hindernisse entgegen- stehen, daß wir davon abstehen und uns darauf beschränken müssen, die gründliche Reinigung mit Wasser vorzuschreiben. Das einzige, was außer dem Sublimat noch in Frage kommen könnte, wäre kochen- des Wasser, was neuerdings vielfach zur Desinfektion der Instrumente bei Operationen angewendet wird. Bei der Impfung ist dieses Verfahren aber nicht durchführbar, und deswegen bin ich der Meinung, daß es genügt, die Instrumente gründlich mit Wasser 111* 1044 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. reinigen zu lassen. Höchstens könnte man ausdrückKch sagen, daß die Reinigung mit reinem Wasser geschehen soll, und außerdem anordnen, daß die Instrumente nicht an einem schmutzigen Handtuche abgetrocknet werden. Aber die Desinfektion mit Karbolsäure oder anderen Mitteln halte ich für ungenügend und kann dieselbe nicht befürworten. § 13 traf Bestimmungen über die Ausführung der Impfung. Es wird zweckmäßig sein, daß nicht, wie es noch in der Vorlage geschehen ist, eine bestimmte Art und Weise der Impfung ein für allemal vorgeschrieben wird; denn es scheint in neuerer Zeit auch mit anderen Methoden der Verimpfung von animaler Lymphe guter Erfolg erzielt zu sein. Als dieser Zusatz aufgestellt wurde, war man all- gemein der Meinung, daß es nicht anders ginge als mit Kritzelschnitten. Ich würde vorschlagen, daß wir gleich im Eingange des Satzes sagen: Bei Verwendung von animaler Lymphe ist die Impfung in der Regel folgender- maßen auszuführen, d. h., daß wir vorläufig diese spezielle Impfmethode für die zweckmäßigste halten, daß aber eine Verbesserung und andere Impfverfahren nicht ausgeschlossen sind. Arnsperger beantragte, den ganzen Paragraph zu streichen. M. H., wenn der Zusatz überhaupt gestrichen werden soll, so kann ich mich auch damit einverstanden erklären. Dann würde alles das, was in den ersten drei Sätzen gesagt ist, zu gleicher Zeit auch von der animalen Lymphe gelten. Im Eingang des § 13 ist schon gesagt, was ich beantragen wollte, nämlich: die Impfung wird ,,der Regel nach" an dem Oberarme vorgenommen, so daß also ein gewisser Spielraum gelassen ist. Ich ziehe deshalb meinen Antrag zurück. § 15 bestimmte die Kriterien des Impferfolges. Wir haben früher beschlossen, daß für einen genügenden Pockenschutz mindestens 2 gut entwickelte Impfpocken erforderlich sein sollen. Es steht das in der 4. These der ersten Vorlage. Wenn wir konsequent sein wollen, müssen wir auch an dieser Stelle statt ,, mindestens eine Blatter" sagen: ,, mindestens zwei Blattern". Ich beantrage, daß wir eine dementsprechende Änderung eintreten lassen. . Kranz schlug vor, beim Vorhandensein einer Blatter die Autorevaccmation vorzunehmen. M. H., wir haben eben gehört, daß die Autorevaccination, wenn nur eine Pocke zvir Entwicklung gekommen war, fast regelmäßig oder, wie Herr Zentralimpfarzt Dr. Kranz uns sagte, in seinen Fällen ohne Ausnahme Erfolg gehabt hat. Das ist doch der beste Beweis, daß es recht zweckmäßig ist, ein solches Kind mit einer Pocke noch nicht seinem Schicksale zu überlassen, und daß also der frühere Beschluß ganz gerecht- fertigt ist. An und für sich kommt es ja nicht oft vor, daß Kinder nur eine Pocke haben. Nach meiner Erfahrung habe ich, glaube ich, unter 1000 Kindern nicht 10 gehabt. Nehmen wir aber an, daß dieser Fall eintritt, dann würde in dem Revaccinationstermine sofort die Autorevaccination vorgenommen werden; aber ich halte es eigentlich nicht für zu- lässig, daß man dann ohne weiteres, in der Voraussetzung, daß die Autorevaccination von Erfolg ist, den Impfschein aushändigt. Ich habe als Impfarzt den Impfschein nicht anders ausgestellt, als wenn ich die entwickelten Pocken oder, wenn ich daran z. B. durch eine Krankheit des Kindes verhindert war, die gut entwickelten Narben gesehen hatte. Nur dann habe ich mich berechtigt gehalten, den Impfschein auszustellen. Nach meinem Dafürhalten wird in solchem Falle nichts übrigbleiben, als das betreffende Kind doch noch zu einer Revision kommen zu lassen, was auch deswegen keine zu große Zumutung ist, weil der Impfling entweder zu der im selben Orte noch stattfindenden Beaufsichtif;ung- d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1045 Nachschau der Revaccinierten oder zum Impftermine der nächstfolgenden, gewöhn- lich nahe gelegenen Impfstation bestellt werden kann. Im übrigen bin ich vollständig damit einverstanden, daß der Zusatz hier eingefügt wird, daß in dem Falle, wo nur eine Blatter zur Entwicklung gekommen ist, sofort der Impfarzt die Autorevaccination vorzunehmen hat. In den wenigen Fällen, in denen auch die Autorevaccination ohne Erfolg geblieben ist, wird schließlich nichts anderes übrigbleiben, als das Kind als ohne Erfolg geimpft in die Listen einzutragen, da dann den Anforderungen des Impfgesetzes auf jeden Fall genügt ist. Kranz beantragt den Zusatz: Bei der Revaccination genügt schon die Bildung eines Knöt- chens oder Bläschens, welches in 8 Tagen noch stellt. Ich werde gegen den Antrag des Herrn Dr. K ranz nicht aus dem Grunde stimmen, weil ich ihn für unrichtig halte, sondern weil er mir überflüssig zu sein scheint. Wir revidieren überhaupt nur am Kontrolltage. Vorlage B: Belehrung über die Behandlung der Impflinge nach der Impfung. § 1 — 6 werden fast ohne Diskussion angenommen. § 7 Absatz II und III: Die Entnahme der Lymphe zum Zweck weiterer Impfving ist schmerz- los und bringt dem Kinde keinen Nachteil. Wird sie unterlassen, so pflegen sich die Pocken von selbst zu öffnen. Ich würde dafür sein, den Absatz II zu streichen, denn so ganz schmerzlos ist die Entnahme der Lymphe doch nicht. Die Absicht dieses Satzes soll doch offenbar nur die sein, die Mütter für die Ent- nahme der Lymphe geneigt zu machen. Wenn aber der Arzt sich nicht sonst das Ver- trauen der Mütter erwirbt, und sie dafür gewinnt, die Lymphe von den Kindern abnehmen zu lassen, dann wird dieser Satz ihm gewiß auch nicht hilfreich sein. Ich glaube also, es ist richtiger, man läßt ihn weg, er gibt höchstens zu Mißverständnissen Veranlassung. Die Mütter lassen sich doch nicht einreden, daß die Abnahme der Lymphe schmerz- los sei. M. H., ich bin nur dagegen, daß wir sagen, die Entnahme der Lymphe ist schmerz- los; gegen den anderen Teil dieses Absatzes II : ,.die Entnahme der Lymphe bringt dem Kinde keinen Nachteil" habe ich prinzipiell nichts einzuwenden. Mir wollen aber die beiden Sätze an dieser Stelle überhaupt nicht recht gefallen; ich glaube sie gehören nicht in diese Belehrung hinein; und es erscheint mir nicht zweckmäßig, diesen Teil des Impfgeschäftes den Müttern schon vorher durch einen gedruckten Zettel zur Kenntnis zu bringen. Nach meinen Erfahrungen könnte es sogar das Gegenteil von dem bewirken, was man damit beabsichtigt : die Mütter werden erst aufmerksam darauf, sie besprechen sich untereinander; die eine erzählt der anderen: ich habe mein Kind einmal abimpfen lassen, es hat sehr dabei geschrieen und also große Schmerzen gehabt, — und man wird dann bei den Müttern viel eher auf Widerstand stoßen. Wenn aber der Impfarzt sich das betreffende Kind aussiicht und ohne weiteres die Mutter darum bittet, die Abimpfung zu gestatten, ohne daß eine lange Verhandlung darüber stattfindet, dann wird das Ab- impfen weit eher gestattet, als wenn die Aufmerksamkeit der Mütter schon lange Zeit vorher darauf gelenkt wird. Vorlage Nr. 4: Verhaltungsniaßregeln l)ei der polizeilichen Beaufsichtigung des öffentlichen I mp f gesch äf tes . § 6, Absatz 1, der das Aussetzen der Impfung bei einer Krankheitsepidemie (Masern usw.) bestimmt, sollte nach Antrag von Siegel als überflüssig fortfallen. Ich glaube doch, daß wir diesen Satz hier stehen lassen müssen. Es ist bereits von anderer Seite hervorgehoben, daß der Impfarzt, wenn er einen großen Bezirk, wie z. B. in Preußen der Kreisphysikus einen halben oder ganzen Kreis hat, sehr oft gar 1046 Beaufsiclitigtmg d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. nicht wissen kann, ob in einem entfernten Orte eine Epidemie herrscht. Den Ortsbehörden wird es gewöhnlich bekannt sein und sie werden den Arzt und die Kreisbehörden benach- richtigen können. Ich halte es durchaus nicht für überflüssig, daß sowohl der Impf- arzt als die Ortsbehörde von dem Vorhandensein von Epidemien benachrichtigt werden. § 6, Absatz 4: Der letzte Teil des vierten Absatzes besagt, daß das zur Impfung benutzte Lokal, wenn wegen Auftretens von Menschenpocken geimpft wurde, vmd wenn es zur Wohnung des Erkrankten gehört, sofort nach dem Gebrauche zu desinfizieren sei. Ich setze voraus, daß die Menschen, welche zu einem Pockenhause gehören, nicht außerhalb dieses Hauses geimpft werden. Ein umsichtiger Arzt würde das wenigstens nicht tun. Wenn nun aber in einem solchen Hause geimpft wurde, und das Lokal dieser Vorschrift gemäß desinfiziert werden soll, dann müßten wir doch mindestens auch angeben, in welcher Weise die Desinfektion zu geschehen hat. Das gehört aber offenbar nicht in diese Vor- schriften hinein und es ist deswegen wohl besser, daß wir den Satz überhaupt streichen. Vorlage 5 handelt von der Sicherung einer zweckmäßigen Auswahl der Tmpfärzte. Nac § 1 soll das öffentliche Impfgeschäft vorzugsweise den beamteten Äizten iiteitiagen werden. M. H., ich bin auch davon überzeugt, daß alle Ärzte, die sich die nötige Kenntnis und die erforderliche Technik angeeignet haben, in gleicher Weise impfen und ein Impf- geschäft leiten können. Wenn hier trotzdem gesagt ist, daß vorzugsweise den beamteten Ärzten das öffentliche Geschäft übertragen werden möchte, so hat das nicht darin seinen Grund, daß die beamteten Ärzte als etwa ganz besonders zur Ausführung des Impf- geschäftes befähigt gehalten werden, sondern es sird andere Gründe dafür maßgebend gewesen. Es kommt bei dem Impfgeschäfte außerordentlich viel darauf an, daß kein zu häufiger Wechsel der Impfärzte stattfindet. Das wissen wir alle selbst aus eigener Erfahrung, daß der Impfarzt einige Jahre gebraucht, ehe er die volle Übung und die nötige Erfahrung in bezug auf Technik usw. erlangt hat, und es ist deswegen notwendig, daß das Impfgeschäft womöglich in festen Händen ruht. Nun bilden aber die beamteten Ärzte ein stabileres Element unter den Äizten als die praktischen Ärzte, welche öfters in die Lage kommen, ihr Domizil zu ändern. Wenn ein solcher Fall eintritt, dann ist man gezwungen, sofort einen neuen Impf arzt anzustellen, der erst wieder Jahre gebraucht, ehe er sich ordentlich eingeübt hat, und ich weiß aus eigener Anschauung, in welcher Weise das Impfgeschäft lange Zeit hindurch darunter leiden kaim. Es ist durchaus nicht ein Mißtrauensvotum, welches den praktischen Ärzten durch die vorzugsweise Berücksichtigung der beamteten Ärzte erteilt wird, sondern es würde den beamteten Ärzten das Impfgeschäft nur deswegen zu übertragen sein, weil sie weit eher in der Lage sein weiden, das Impfgeschäft lange Zeit hindurch an ein und demselben Orte ausüben zu können. Die Erfahrungen, welchen diese These ihren Ursprung verdankt, sind unter den in Preußen bestehenden Verhältnissen gemacht. Es ist recht wohl möglich, daß es sich in anderen Staaten anders verhält, und daß man dort deswegen, wie Herr Medizinal- rat Siegel auseinandergesetzt hat, in anderer Weise verfahren wird. Dazu ist aber auch vollständige Freiheit gelassen, wenn in der These der Ausdruck ,, vorzugsweise" gebraucht wird. Ich bin fest davon überzeugt, daß man auch in Preußen nicht etwa ausnahmslos auf beamtete Ärzte das Impfgeschäft übertragen wird, sondern daß man auch tüchtige und zuverlässige praktische Ärzte, von denen vorauszusetzen ist, daß sie ihr Domizil nicht so bald wieder verlassen werden, als Impfärzte anstellen wird. Ich würde also bitten, daß wir diese These in der vorgeschlagenen Fassung annehmen. Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1047 2: Bei der Übertragung des Impfgescliäfts an nifhtbeaintete Ärzte ist eine Mitwirkung der Staatsbehörde erforderUch. Ich weiß nicht, ob und in welcher Weise in den übrigen deutschen Einzelstaaten eine Mitwirkung der Staatsbehörden bei der Übertragung des Impfgeschäftes statt- findet. Zur Aufstellung dieser ifliese hat der Umstand geführt, daß in Preußen die Über- tragung des Impfgeschäftes an Ärzte ohne jede Mitwirkung der Staatsbehörde statt- finden kann, und daß infolgedessen gar nicht selten das Impfgeschäft an den Mindest- fordernden vergeben ist. Das ist ein Mißstand, der unter allen Umständen beseitigt werden muß. Wenn also auch die Herren aus anderen Staaten diese These für über- flüssig halten sollten, so bitte ich dennoch auf Grund dieser Tatsache Ihre Zustimmung dazu erteilen zu wollen. These 4: Die Remuneration der Impfärzte ist der Bestätigung seitens der Staatsbehörde unterworfen. Nachdem wir den Satz angenommen haben, daß die Anstellung der Impfärzte unter allen Umständen durch die Staatsbehörde zu erfolgen hat, kann dieser Satz weg- fallen. Ich beantrage daher, diese These zu streichen. Nachdem ich gehört habe, daß von einzelnen Vertretern der deutschen Staaten Bedenken dagegen geäußert sind, diese These fallen zu lassen, bin ich bereit, meinen Antrag zurückzuziehen. Ich hielt die These ja nur für überflüssig, weil ich glaubte, daß durch die Fassung der These 2 unter allen Umständen die Staatsbehörde es in der Hand haben würde, die Remuneration des Impfarztes festzustellen. Wenn aber Bedenken dagegen geäußert werden, so ziehe ich meinen Antrag zinück. Vorlage Nr. 7 : Anordnung einer ständigen technischen Überwachung der Imjjfärzte durch Medizinalbeamte. These 1. Die Beaufsichtigung der Impfärzte ist dem nächsten Vorgesetzten der Kreis- Medizinalbeamten zu übertragen (unter der Voraussetzung, daß die Impfärzte zum größten Teil selbst Medizinalbeamte sind). Bei der Aufstellung der These schwebte mir etwas Älmliches vor, wie die Revision der Apotheken. Die Apotheken werden in regelmäßigen Zwischenräumen revidiert, und es ist dies ein viel umständlicheres Geschäft, als es die Revision des Impfgeschäftes sein kann. Eine Apothekenrevision nimmt immer längere Zeit in Anspruch. Die Revision des Impfgeschäftes denke ich mir dagegen verhältnismäßig einfach. Meistens wird es doch genügen, eine Anzahl der geimpften Kinder zu besichtigen, einen Blick in die Impf- liste zu werfen und vielleicht bei einigen Impfungen gegenwärtig zu sein. Dadurch wird der revidierende Beamte ein vollständiges Urteil über die Art und Weise gewinnen in welcher das Impfgeschäft von dem betreffenden Arzte ausgeführt wird. Es soll ja nicht jede einzelne Impfstation, sondern es sollen die Impfärzte selbst revidiert werden. Also so außerordentlich groß kann die Last nicht sein, die dem betreffenden Medizinal- beamten dadurch erwächst. Er kann außerdem die Impf revision sehr oft mit der Apotheken- revision und anderen Dienstreisen verbinden. Wir müssen eine strenge Beaufsichtigung des Impfgeschäftes haben, und das Impfgeschäft darf nicht bloß auf dem Papiere kon- trolliert werden, sondern es muß wirklich an Ort und Stelle revidiert werden. Ich wüßte aber nicht, wem anders die Revision übertragen werden sollte, als den höheren Medizinal- beamten, weil in den meisten Fällen die Kreis-Medizinalbeamten selbst Impfärzte sein werden. These 5: Auch die Impfungen der Privatimpfärzte sind der Revision unterworfen. Wenn hier gesagt ist, daß die Impfungen der Privatimpfärzte ebenfalls zu revidieren sind, so darf ich wohl annehmen, daß niemand daraus folgern wird, daß etwa in den 1048 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Familien ausgeführte Einzelimpfungen des Privatarztes einer Revision unterworfen werden sollen oder können. Es ist hierbei nur an diejenigen Fälle gedacht, in welchen die Privatimpfärzte ein Geschäft aus der Impfung machen, bestimmte Termine ansetzen und in diesen impfen. Es gibt nicht wenige solcher Impfärzte, und ich bin der Meinung, daß dieselben doch auch unter allen Umständen derselben Revision unterliegen müssen wie die öffentlichen Impfärzte. Antrag Siegel: zu sagen: . . ., soweit sie nicht von denselben als Hausärzte in Familien ausgeführt werden; Wenn Sie die folgende These in Betracht ziehen, so erstreckt sich dieselbe selbst- verständlich auch auf die technische Überwachung der Privatimpfinstitute für die Pro- duktion animaler Lymphe. Dann werden wir doch nicht umhin können, diese These in irgendeiner Fassung — vielleicht der, welche Herr Dr. Siegel jetzt vorgeschlagen hat — stehen zu lassen. Vorlage Nr. 8: Zur Beratung über die Herstellung einer Pocken- statistik. Es liegt vor allen Dingen daran, keinen Irrtum darüber aufkommen zu lassen, daß es auch mir so erwünscht wie nur irgend jemandem ist, wenn wir eine möglichst eingehende und in weitestem Umfange angelegte Statistik über die Pocken sowohl in bezug auf die Mortalität wie auch auf die Morbilität und auf die ganzen Impfverhältnisse uns verschaffen könnten, um aus einer solchen nach allen Richtungen hin gründlich durchgearbeiteten Statistik alles Wünschenswerte über die Impfung zu erfahren, teils Bestätigungen von dem, was wir schon als sicher annehmen, teils Antworten auf manche Fragen, die wir noch zu stellen haben. Nun werden Sie mir aber zugestehen, daß eine derartige Statistik sehr verschiedener Art sein wird: es wird teils eine solche sein, für die wir ein ganz sicheres Urmaterial uns verschaffen können, aus dem wir dann auch ganz sichere und gar keine Irrtümer zulassende Schlüsse ziehen können. Dann aber wird diese Statistik sich auch zum großen Teile mit Dingen befassen müssen, für die sich das Urmaterial nicht mehr mit genügender Sicherheit beschaffen lassen wird, in welchem Falle wir dann auch nicht mehr zu ganz feststehenden Ergebnissen kommen werden. Und gerade wegen der ungleichartigen Zuverlässigkeit des uns zu Gebote stehenden statistischen Materials müssen wir von vornherein uns klarmachen, zu welchem Zwecke wir eigentlich diese Statistik haben wollen. Die Statistik, mit deren Beratung wir hier seitens der Reichsbehörden beauf- tragt sind, soll nun aber keineswegs eine Statistik sein, welche sich mit akademischen Fragen zu befassen hat, oder eine Statistik, welche andere rein wissenschaftliche Dinge zu berücksichtigen hat, sondern sie soll in erster Linie darüber Auskunft geben, welche Wirkungen das deutsche Impfgesetz gehabt hat, und wenn wir diesen Maßstab an die Statistik legen, über die wir uns hier schlüssig zu machen haben, dann werden wir uns, so schwer es uns auch fallen mag, auf einen verhältnismäßig kleinen Teil der Pocken- statistik beschränken müssen, denn wir können uns für diesen speziellen Zweck nur auf eine Statistik einlassen, welche aus absolut sicherem Urmaterial aufgebaut ist und keine mehrfache Deutung zuläßt. Es fällt auch mir sehr schwer, auf eine Menge stati- stischen Materials verzichten zu müssen, welches zugunsten der Impfung spricht. Vor allen Dingen werden wir auf die ganze Morbiditätsstatistik verzichten müssen; denn was mitzt uns dieselbe, wenn wir nicht von jedem einzelnen Falle ganz genau wissen, wie und mit welchem Erfolge und wann geimpft war. Sie werden allerdings sagen: Es ist nicht so schwierig, dies festzustellen, jeder Arzt kann das tun. Ich habe schon mehr- fach Gelegenheit gehabt, mich über diesen Punkt zu äußern und auszuführen, daß diese Aufgabe doch nicht so ganz einfach ist. Zunächst wird der Arzt, wenn es sich um eine Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1049 größere Epidemie handeln sollte, nicht imstande sein, jeden einzelnen daraufhin zu untersuchen, ob er geimpft ist oder nicht; er wird sich also auch in den meisten Fällen darauf beschränken müssen, die betreffenden Personen einfach zu fragen: ob sie geimpft oder nicht geimpft seien ? Und da werden Sie nn'r wohl zugeben, daß eine sichere Aus- kunft auf diese Frage nicht zu erwarten ist. Voraussichtlich wird die Antwort viel eher dahin gehen, daß der Erkrankte oder Gestorbene geimpft sei, als daß er nicht geimpft sei, selbst wenn der Betreffende auch nicht geimpft war. Denn das Publikum wird glauben, daß wenn die Impfung unterlassen war, mit der wahrheitsgemäßen Beantwortung dieser Frage nachteilige Folgen oder Weiterungen verknüpft sein könnten. Es liegt ein gewisser Vorwurf darin, wenn man jemanden, der krank geworden ist, oder wenn man die Angehörigen eines Mensclien. der an den Pocken gestorben ist. fragt, ob der Betreffende auch geimpft war. Nun will ich aber annehmen, der hieraus resultierende Fehler sei nicht so groß, und wir erhielten dennoch bezüglich der an Pocken Erkrankten und Gestorbenen einen genügend sicheren Nachweis des Geimpftseins, dann sind wir aber auch noch nicht viel weiter; denn wir müssen außerdem noch wissen, vor wie langer Zeit der Mensch geimpft war. Wir nehmen doch an, daß die Schutzwirkung der Impfung nur von einer gewissen Zeitdauer ist, und da ist es ganz unerläßlich, daß wenn wir den Wert der Impfung auf Grund statistischer Erhebungen untersuchen wollen, wir die Geimpften je nach der Zeitdauer der Impfung gruppieren. Jemand, der vor 5 Jahren geimpft ist. kann, wenn er zur Beurteilung des Impfschutzes statistisch in Rechnung gebracht werden soll, nicht mit anderen gleichwertig geschätzt werden, die vor 10 Jahren geimpft sind, oder vor 20 oder vor 40 Jahren. Also mit dem einfachen Ausdruck ,, geimpft" ist uns noch gar nicht geholfen. Damit haben wir ein statistisches Material, mit dem wir absolut nichts anfangen können ; wir müssen also zunächst noch wissen, vor wie langer Zeit die Impfung stattgefunden hat, dann aber müssen wir ferner noch erfahren, mit welchem Erfolge geimpft ist. Denn es ist gleichfalls in bezug auf den Imi^fschutz nicht einerlei, wieviel Pocken ein Mensch gehabt hat. Wir brauchen also noch mehrere unumgänglich not- wendige Tatsachen, die außer dem einfachen Nachweise des Geimpftseins noch geliefert werden müssen. Nun will ich aber den Fall setzen, daß wir auch über alles dies eine genügende Auskunft erhalten, dann sind wir docli noch nicht mit dem vollständigen Materiale versehen, um eine den Anforderungen entsprechende statistische Berechnung aufstellen zu können. Denn wir würden bisher nur die Kenntnis des Impf Verhältnisses der Er- krankten und Gestorbenen gewonnen haben. Nun wird es aber notwendig sein, diese Werte in Beziehung zu bringen mit den Impf Verhältnissen der ganzen Bevölkerung. Wie wollen Sie es aber möglich machen, das Impfverhältnis einer ganzen Bevölkerung zu erfahren ? Das läßt sich im alleräußersten Falle noch für ein paar Häuser, für ein kleines Dorf machen; aber selbst da halte ich es schon für außerordentlich unsicher. Aber für die ganze Bevölkerung eines Landes — z. B. von Preußen — den Nachweis der Impfverhältnisse zu schaffen, das ist geradezu unmöglich. Anfangs gab man sich bei den Beratungen über diese Vorlage noch der Hoffnung hin, man könnte das Impf- verhältnis der Gesamtbevölkerung aus den Impflisten erfahren. Aber einmal würde es eine kolossale Arbeit erfordern, wenn man diesen Weg einschlagen wollte, und dann ist zu bedenken, daß den gewöhnlichen Impf listen denn doch nicht eine solche Genauig- keit zugeschrieben werden kann, wie es für derartige statistische Untersuchungen not- wendig ist. Es ist dann ferner, wenn wir die Impf listen verwerten wollten, zu berück- sichtigen, daß dieselben sich für den größten Teil der Bevölkerung auf eine Zeit beziehen, die verhältnismäßig weit zurückliegt. Bei den jetzigen Verkehrs- und sonstigen sozialen 1050 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Verhältnissen, welche eine starke Fluktuation der Bevölkerung bedingen, läßt sich aber nicht annehmen, daß die Impf listen, selbst wenn sie im übrigen zuverlässig sind, für den Zeitabschnitt, welcher in Frage kommt, noch zutreffend sind. Man hat sogar daran gedacht — Sie können daraus entnehmen, wie ernst diese Frage genommen ist, und wie sehr man sich bemüht hat, die Mortalitätsstatistik zu ver- werten — , ob es nicht angängig sei, gelegentlich der Volkszählung die betreffenden Daten zu schaffen: aber auch dieser Ausweg verbietet sich, wie von sachverständiger Seite bemerkt ist, aus dem Grunde, weil eine solche Erhebung mit ganz unverhältnis- mäßig hohen Kosten verbunden sein würde und man auch auf diesem Wege nur ganz unsichere Auskunft erlangen könnte. Man würde auch da nur fragen: Bist du geimpft oder nicht ? und wie die Antwort auf diese Frage ausfallen wird, das habe ich bereits früher auseinandergesetzt. Aus allen diesen Gründen bin ich der Meinung, daß wir alle unsichere Statistik, d. h. alle diejenige, welche den Nachweis des Geimpftseins und Nichtgeimpftseins voraus- setzt, unter allen Umständen fallen lassen, sobald diese Statistik die Untersuchung über die Wirkung des Impfgesetzes zum Zwecke hat. Es ist noch in Erwägung gezogen, ob man nicht wenigstens für bestimmte Be- völkerungsklassen diese Daten, von denen ich eben sagte, daß sie für die Gesamtbevölke- rung unmöglich zu beschaffen sind, gewinnen könne. Aber auch da haben die sorg- fältigsten Erwägungen dahin geführt, daß die einzige Bevölkerungsklasse, die sich hier- für eignet, die Armee ist. und in bezug auf die Armee wird ja bereits eine so sorgfältige Statistik geliefert, daß wir uns damit, glaube ich, nicht weiter zu befassen brauchen. Es wurde ferner daran gedacht, Krankenkassen, Knappschaftskassen, die Beamten der Post- und Telegraphenverwaltung heranzuziehen; aber auch da ist es nicht möglich, sichere Zahlen zu beschaffen, weil unter diesen Bevölkerungsklassen ebenfalls eine zu große Fluktuation stattfindet. Man müßte das Impfverhältnis derselben in ganz kurzen Zeiträumen feststellen, und das würde einen Aufwand an Arbeit erfordern, der mit dem Erfolge, den wir uns davon versprechen können, in gar keinem Verhältnis steht. Es würden übrigens bei diesen Bevölkerungsklassen auch nur ganz bestimmte Altersklassen in Betracht kommen, so daß wir daraus doch nur lückenhafte Resultate gewinnen würden. Wenn Sie mir in diesen Erwägungen zustimmen, dann werden Sie auch dahin kommen, daß wir uns speziell für die Zwecke, über die wir hier beraten sollen, auf eine Mortalitätsstatistik beschränken, ganz abgesehen davon, daß außerdem für wissen- schaftliche Zwecke soviel Pockenstatistik oder auch Impfstatistik getrieben wird, wie nur irgend möglich. M. H., ich war leider verhindert, dem letzten Teile der Beratung beizuwohnen, und ich weiß nicht, wie weit dieselbe inzwischen gediehen ist. Es wird mich auf jeden Fall interessieren, noch die Gründe zu hören, welche man von anderer Seite für die Ein- führung der Morbilitätsstatistik geltend machen will. Darin werden Sie mir, glaube ich, wohl alle zustimmen, daß wir den Nachweis des Geimpftseins oder Nichtgeimpft- seins nicht so vollständig und genügend sicher gewinnen können, daß derselbe als Grund- lage für eine Statistik dienen kann. Sollten Sie anderer Meinung sein, dann bitte ich darum, auseinandersetzen zu wollen, in welcher Weise das hierzu erforderliche statistische Material beschafft werden soll. Boing verweist in seiner Antwort darauf, daß man durch objektive Untersuchung des Kran- ken auf Zahl und Beschaffenheit der Narben usw. verhältnismäßig gutes Material bekommen könne. Die vorhandenen Mängel und Fehler würden sich, da es sich um große Zahlen handele, ausgleichen. Bis zu einem gewissen Grade ist das, was Herr Dr. B ö i n g gesagt hat, richtig. Ich gebe auch zu, daß es namentlich bei den jetzigen so überaus günstigen Pocken- Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. aniinalen Vaccination. 1051 Verhältnissen in Deutschland möglich ist, jeden einzelnen Fall durch einen Arzt unter- suchen zu lassen. Aber nun rufen Sie sich doch einmal die Verhältnisse ins Gedächtnis zurück, unter denen der Arzt einen Pockenkranken untersucht. Auf dem Lande kennt der Arzt vielleicht den Kranken selbst, er kennt die Angehörigen und weiß, wie er die- selben zu examinieren hat, um zuverlässige Angaben zu erhalten. Nun berücksichtigen Sie aber einmal die Verhältnisse in großen Städten, auf welche sich ja augenblicklich die Pockenmortalität, mit Ausnahme einzelner Grenzbezirke, fast ganz beschränkt. Es handelt sich aber gerade in den großen Städten und in den Grenzbezirken zum größten Teile um pockenkranke Menschen, die nicht ortsangehörig, sondern zugezogen sind, die krank in ein Hospital eingeliefert werden und deren Angehörige nicht zur Stelle sind. Von dem kranken Menschen selbst wird man in solchem Falle über seinen Impf- zustand überhaupt nichts erfahren. Wenn er außerdem z. B. konfluierende Pocken hat, dann kann auch die ärztliche Untersuchung nicht mehr feststellen, ob er Narben hat und wie viele Narben. In verschiedenen Hospitalberichten ist angegeben, daß allein aus diesem Grunde bei einer ganzen Anzahl von Kranken das Impfverhältnis nicht fest- gestellt werden konnte. Nun stirbt der Mensch inzwischen, aber selbst wenn er auch gesund wird, kann er immer noch nicht angeben, wie viel Pockennarben er hatte, und es läßt sich dann auch nicht mehr auf seiner Haut erkennen, was Impfnarben und was Pockennarben sind. Also gerade wegen der Eigenartigkeit der jetzigen Pockenverhält- nisse ist es mir unzweifelhaft, daß wir bei der allererdenklichsten Mühe und bei der besten Fürsorge bei PTntersuchung der Pockenkranken durch Äi'zte doch für einen erheblichen Teil der Pockenkranken nicht imstande sein werden, die Impfverhältnisse festzustellen. Wenn wir aber auch für die Mehrzahl der Pockenkranken sichere Angaben über das Impfverhältnis erhalten sollten, so nützt uns das alles noch nichts, wenn wir nicht zu gleicher Zeit das Impfverhältnis der ganzen zugehörigen Bevölkerung kennen. Aber hierüber eine Auskunft zu schaffen, ist absolut unmöglich. Was sollen wir wohl damit anfangen, wenn wir weiter nichts zur Verfügung haben, als daß z. B. 1000 Pockenkranke in einer bestimmten Gegend oder Stadt und in einem bestimmten Zeiträume vorgekommen sind, von denen vielleicht einige Hundert wegen ungenügender Angabe als nicht ver- wertbar abzuziehen sind, und von denen im übrigen so und so viel mit der und der Zahl von Pockennarben versehen gewesen, vor der und der Zeit geimpft wurden und von denen so und so viel gestorben sind. Aus diesen Daten erhalten wir durchaus noch keine Auskunft über die Wirkung des Impfgesetzes; denn wir können daraus höchstens ent- nehmen, daß von einer bestimmten Anzahl Pockenkranken eine gewisse Anzahl, welche geimpft war, gestorben oder wieder gesund geworden ist. Wir können aber auf keinen Fall aus einem derartigen statistischen Material berechnen, daß von so und so viel ge- impften M e n s c h e n so und so viel an den Pocken erkrankt sind; um das fest- stellen zu können, müssen wir vorerst wissen, wie viel und in welcher Weise geimpfte Menschen in dem betreffenden Bezirke vorhanden sind, wir müssen also die Impfverhält- nisse der ganzen übrigen Bevölkerung kennen. Die Zuverlässigkeit des Materiales voraus- gesetzt, könnte man aus demselben höchstens folgern, daß die Schwere der Erkrankung abgenommen hat, indem wir erfahren, daß jetzt auf eine bestimmte Anzahl von Kranken weniger Todesfälle kommen, als es früher der Fall war. Aber um dies allein festzustellen, macht man doch nicht eine mit so großen Kosten und einem solchen Aufwände von Mühe verbundene Statistik; dazu genügt die jetzt schon vorhandene Statistik der Krankenhäuser. Ich kann mich also nur in dem Falle für eine Morbiditätsstatistik erklären, daß Sie mir Mittel und Wege zeigen, wie wir mit Sicherheit und mit der für diese Frage nötigen Zuverlässigkeit das Impfverhältnis der gesamten Bevölkerung erfahren. Bis jetzt sehe 1052 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. ich noch keinen Ausweg, und deswegen sehe ich mich auch gezwoangen, auf die Morbiditäts- statistik zu verzichten. Ja, meine Herren, wenn es sich um ganz rein wissenschafthche Fragen handelte, dann möchte man meinethalben so viel Statistik machen, wie man will, — je mehr desto besser, vorausgesetzt, daß es nicht zu viel kostet und daß die beabsichtigte Statistik nach wissenschaftlichen Grundsätzen durchführbar ist. Aber wir müssen hier immer im Auge behalten, um was es sich in unserem Falle eigentlich handelt! Wir sollen hier über die Herstellung einer Statistik beraten, welche uns Auskunft über die Wirkung und den eventuellen Nutzen des Impf gesetzes gibt. Von der einen Seite wird der Nutzen des Impfgesetzes behauptet, von der anderen Seite wird er bestritten; es stehen sich hier zwei Meinungen ganz unvermittelt entgegen. Und da bin ich der Ansicht, daß wir unter allen Umständen gerade wegen dieses schroffen Gegensatzes der Meinungen alle Statistik beiseite lassen, welche nur irgendwie unsicher, welche mehrfacher Deutung fähig ist. Wir haben ja gesehen, daß im Laufe unserer Diskussion weder wir durch die gegen die Impfung vorgebrachten Gründe überzeugt sind, noch daß wir die Herren Impfgegner überzeugt haben. Es ist jeder auf seinem Standpunkt stehen geblieben. Also ich glaube, es liegt in unserem beiderseitigen Interesse, daß wir uns da nicht mit einer Statistik befassen, welche sich nach der einen oder anderen Seite hin auslegen läßt, sondern nur eine solche zulassen, die wie die Mortalitätsstatistik eine einzige Deu- tung zuläßt. Herr Dr. Boing sagt zwar, es wäre ganz gut, wenn man in vielen Punkten auch nur eine annähernde Sicherheit erreichte. Ich bin anderer Meinung und erinnere Sie nur an das Beispiel der bayerischen Impf Statistik, an die angeblich vorhandenen 200 ODO Ungeimpften. Zu solchen Dingen führt eine derartige Statistik. Sollten wirklich die Impflisten benutzt werden, so würden sie, auch wenn man sie noch so sorgfältig geführt, doch infolge der Fluktuation der Bevölkerung ganz unsicher werden und es würde nicht ausbleiben, daß der eine das Fazit nach seiner Seite hinzieht, und der andere nach der anderen. Zu einem Abschluß würden wir dann niemals kommen. Uber die Mortalitäts- statistik läßt sich dagegen absolut nicht streiten. Wenn so und so viele Pockentodes- fälle im Deutschen Reiche oder in einem der Einzelstaaten vorkommen, dann wissen wir ganz genau, daß dieser Zahl auch eine ganz bestimmte Anzahl von Pockenkranken entspricht. Insofern kann ich auch Herrn Dr. Weber nicht Recht geben, daß wir nunmehr die Morbilitätsstatistik ganz vernachlässigen würden. Wir dürfen von diesem Standpunkte nicht abgehen, und ich bin auch überzeugt, daß wir mit der Mortalitätsstatistik vollständig alles das erreichen, was wir wollen. Denn wenn in Deutschland die Pockenmortalität so gering bleibt, wie es augenblicklich der Fall ist und wenn wir zu gleicher Zeit erfahren, daß in allen unseren Nachbarländern die Pockenmortalität vielleicht zehn- oder zwanzigmal so hoch, d. h. also ungefähr so hoch ist, wie sie früher vor der Einführung des Impf gesetzes in Deutsehland ebenfalls war, — nun, dann können wir mit gutem Gewissen sagen : so lange es sich so verhält, haben wir gar keine Veranlassung, am Impfgesetze zu rütteln und zu rühren. Also das was wir erfahren wollen, das erfahren wir ganz entschieden schon durch die Pocken- mortalitätsstatistik, und wir erfahren es auch mit der Sicherheit, die gerade für diesen Fall notwendig ist. Bei dieser Statistik kann keine Zweideutigkeit entstehen und wir werden uns nicht wieder darum zu streiten brauchen, ob in Bayern 200 000 Ungeimpfte vorhanden wären oder nur 40 000, oder noch viel weniger. Eine zuverlässige Mortalitätsstatistik wird wie ein zweischneidiges Schwert sein, sie wird mit derselben Sicherheit uns darüber belehren, ob das Impfgesetz von Nutzen ist oder nicht. Ich halte es deswegen auch gerade im Interesse der Impfgegner für ge- Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. 1053 boten, daß wir uns ganz allein aui die Mortalitätsstatistik beschränken, denn wenn ihre Anschauung die richtige ist, dann muß sie selbstverständlich auch mit den Ergeb- nissen dieser Statistik übereinstimmen. So sehr ich m übrigen auf demselben Standpunkte stehe, wie Herr Obe^rmedizinal- rat V. K e r s c h e n s t e i n e r , so möchte ich doch seinem Antrage, der dahin geht, daß die Vornahme einer Pockenmorbilitätsstatistik den Einzelstaaten empfohlen werden soll, nicht beistimmen. Wenn wir bei dieser Gelegenheit eine solche Empfehlung aus- sprechen, dann kann das, wie ich glaube, sehr leicht zu Mißverständnissen Veranlassung geben. Auch scheint es mir nach den Mitteilungen, welche wir soeben von den Ver- suchen in Württemberg gehört haben, doch besser zu sein, wenn wir das den einzelnen Staaten überlassen, ohne es ihnen gerade zu empfehlen. Daß man trotz der bisherigen schlechten Resultate immer wieder mit neuen Versuchen vorgehen werde, davon glaube ich, sind wir alle überzeugt. Einer Empfehlung an dieser Stelle bedarf es deswegen nicht; dieselbe könnte doch so aussehen, als ob wir auch dem Reiche derartige Versuche an- empfehlen wollten . Bei der Debatte über die Meldekarten für Pockentodesfälle: Ich würde bitten, daß wir in das Schema nichts hineinbringen, was nicht absolut hineingehört. Jeder einzelne Staat kann sich nachher das Schema vervollkommnen, wie er will. Was hier steht, ist so viel, als für die Mortalitätsstatistik unumgänglich notwendig ist. Es ist absichtlich alles vermieden, was darüber hinausging und über- flüssig erschien. Dann mache ich noch darauf aufmerksam, daß, wie die Unterschrift zeigt, die Karte noch einmal vom betreffenden Medizinalbeamten kontrolliert wird. Also hat es hier kein besonderes Interesse, zu erfahren, ob der Betreffende ärztlich be- handelt wurde oder nicht. In dieser Beziehung möchte ich darauf hinweisen, wie die Verhältnisse in Preußen liegen. Es existiert daselbst eine Anzeigepflicht des Arztes für die Erkrankung an Pocken, aber nicht für den Todesfall; der Arzt hat nur anzugeben, daß er einen Pockenkranken in Behandlung bekommen hat, er braucht aber nicht anzuzeigen, daß derselbe gestorben ist. Letzteres geschieht vom Standesbeamten. Dann aber wird regelmäßig — ich glaube seit 1878 — jeder einzelne Fall von dem betreffenden Physikus nochmals geprüft, eventuell durch Nachfrage an Ort und Stelle, ob es sich wirklich um Pocken gehandelt hat. Beim Standesbeamten werden namentlich in den östlichen Provinzen, oft Fälle als Pocken- todesfälle gemeldet, die keine sind. Es hat dies darin seinen Grund, daß die polnische Bevölkerung manche Hautkrankheiten mit demselben Namen belegt wie die Pocken. Es kommt infolgedessen nicht selten vor, daß beim Standesbeamten Pockentodesfälle gemeldet werden, welche sich nachher infolge der Recherchen des Medizinalbeamten als irrtümlich herausstellen. Durch dieses Verfahren wird also in jedem einzelnen Falle die Zuverlässigkeit der in der Anmeldekarte enthaltenen Daten gesichert, und es erschien notwendig, eine solche Kontrolle durch den Medizinalbeamten für die Pockenstatistik im Deutschen Reiche allgemein durchzuführen. Auf Grund dieser Verhandlungen faßte der Bundesrat am 18. Jvmi 1885 die Beschlüsse über das Impfwesen, die im wesentlichen mit den von R. Koch ausgearbeiteten Entwürfen übereinstimmen. Sie sind in den ,,VeröffentHchungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts" 1885, S. 45 ff. publiziert. 1054 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Im Jahre 1886 wurde Koch wiederum in amtUchem Auftrage mit der Impffrage beschäftigt, indem er zu den Verhandlungen der Petitionskommission des Reichstages über die gegea den Impfzwang eingereichten Petitionen (März 1886) als Regierungskommissar delegiert wurde. In einer der Petitionen war der Sachverständigenkommission, die im Jahre 1884 eingehend über die Impffrage beraten hatte (s. p. 992 ff.), der Vorwurf gemacht worden, sie habe ohne Kenntnis und Prüfung von Material gearbeitet! Der Referent der Kommission stellte deshalb an die Regie- rungsvertreter das Ersuchen, sich darüber zu äußern, in welcher Weise die Prüfung der Impffrage seitens der genannten Kommission stattgefunden habe. Dazu bemerkt u. a. Koch folgendes : ,,Zur Frage des Referenten über die Tätigkeit der Sachverständigenkommission müsse auch er von seinem ärztlichen Standpunkte aus erklären, daß die Kommission ihre Aufgabe vollkommen erfüllt habe. Er habe die impfgegnerische Literatur der letzten Jahre aufmerksam verfolgt und könne die Versicherung abgeben, daß seitens der Impf- gegner in der Kommission alle von ihrer Partei als maßgebend erachteten Gründe zur Sprache gebracht und auch eingehend von beiden Seiten erörtert seien. Die von den Petenten gewünschte nochmalige Berufung einer Kommission, welche aus einer gleichen Zahl von Impfgegnern und Impffreunden bestehen solle, könne daher zur Beseitigung der bestehenden Gegensätze nicht mehr beitragen, als dies in jener Kommission ge- schehen sei. Man würde sowohl von der einen, wie von der anderen Seite genau dieselben und früher auch in der Literatur schon so oft erörterten Behauptungen und Widerle- gungen verwenden, ohne ein Mitglied der Gegenpartei von seiner Ansicht abzubringen. Eine Verständigung zwischen ärztlichen Impfgegnern und Impffreunden sei wegen des ganz verschiedenen Standpunktes, den dieselben einnehmen, unmöglich. In bezug auf das Zahlen Verhältnis, in welchem Impfgegner und Impffreunde an der Kommission beteiligt waren, wolle er nur noch bemerken, daß Deutschland 15 783 Ärzte habe und von diesen sich nur 17, also eine verschwindend kleine Zahl, der Agitation gegen das Impfgesetz angeschlossen hätten. Es sei aber noch zu erwähnen, daß von den impf- gegnerischen Ärzten die Mehrzahl Homöopathen, sogenannte Naturärzte usw. seien, sich also, auch abgesehen von der Impffrage, im Gegensatz zur eigentlichen medizinischen Wissenschaft befänden. Auch dem Nichtarzte müsse es auffallen, wenn er in den Peti- tionen der impfgegnerischen Ärzte der Behauptung begegne, daß die Pocken durch innerlichen Gebrauch von Pockenstoff zu heilen seien, oder daß jeder mit Kuhpocken- lymphe geimpfte Mensch syphilitisch werde und dergleichen mehr. Berücksichtige man die Zahl der impfgegnerischen Ärzte und ihre Stellung zur medizinischen Wissen- schaft, dann könne man nicht sagen, daß sie in der Kommission, in welcher sich drei Impfgegner und zwölf Impffreunde befanden, imgenügend vertreten gewesen seien." Über andere Behauptungen der Impfgegnerpetitionen äußerte sich Koch dann weiterhin: ,,In den Petitionen seien gegen die Impfung im wesentlichen wieder dieselben Gründe geltend gemacht, über welche bereits in der Sachverständigenkommission ver- handelt \^Tirde. Er könne daher nur auf das gedruckte Protokoll dieser Verhandlungen hinweisen, wolle aber zur Orientierung den augenblicklichen Stand der Impffrage kurz darlegen. Die Einwendungen gegen die Impfung gingen hauptsächlich darauf hinaus, daß die Impfung keinen Schutz gegen die Pockenkrankheit gewähre, daß sie vielmehr oft eine Schädigung der Gesundheit zur Folge habe und daß auch alle neueren Bestrebungen zur Beschaffung einer tadellosen Lymphe erfolglos seien. Was die erste dieser drei Behauptungen betreffe, so hätten die Impfgegner den Beweis dafür ausschließlich auf statistischem Wege zu führen gesucht; sie seien sogar noch weiter gegangen und hätten auch bestritten, daß das Überstehen von echten Pocken gegen eine nochmalige Erkrankung an Pocken ?chütze. In dieser Beziehung sei von den Impfgegnern statistisch angeblich bewiesen, daß die Geblätterten nicht nur nicht ge- Beaufsichtigung d. Imijfgeschäfts u. Einführung d. auimalen Vaccinatiou. 1055 schützt, sondern im Gegenteil fünfmal häufiger an Pocken erkranken, als die Nichtge- blätterten. Was sollten nun aber die Ärzte, welche selbst Pockenepidemien erlebten, zu solcher statistischen Beweisführung sagen, wenn sie sähen, wie inmitten von vielen Pockenkranken die bereits Geblätterten gesund bleiben. Die ärztliche Erfahrung hier- über habe sogar dahin geführt, daß man in Pockenhospitälern solche Personen zur Krankenpflege verwende, welche die Blattern bereits gehabt haben. So sei z. B. während des französischen Krieges für die bayerischen Lazarette ausdrücklich angeordnet ge- wesen, daß die Pockenkraziken womöglich von geblätterten Krankenwärtern gepflegt werden sollten, und nicht ein einziger dieser Wärter sei erkrankt. Aus derartigen tat- sächlichen Erfahrungen könne man doch sehen, zu welchen unrichtigen Schlüssen die Benutzung eines unzuverlässigen statistischen Materials führe. Halte man sich nur an untrügliches Urmaterial, dann lasse sich allerdings auch auf statistischem Wege der Schutz gegen Pockenerkrankung infolge des einmaligen Überstehens der Krankheit mit aller wünschenswerten Sicherheit beweisen. Dasselbe gelte nun auch von dem künst- lichen Schutz durch die Kuhpockenimpfung. Doch ständen uns auch für die Schutz- wirkiing der Kuhpocken außer den statistischen Beweisen ganz überzeugende Tatsachen zur Verfügung. Als nämlich die Impfung zuerst eingeführt wurde, wollte man gar nicht glauben, daß eine so unscheinbare Flüssigkeit, wie die Kuhpockenlymphe, imstande sein sollte, einen Schutz gegen die schreckliche Blatternkrankheit zu geben. Es wurden deswegen in England mehrere tausend Menschen, welche mit Kuhpocken geimpft waren, nachträglich mit Menschenpocken nachgeimpft und nicht ein einziger der so Geimpften erkrankte, während doch die damals noch allgemein geübte Impfung mit Menschen- pocken nie in Stich gelassen hätte. Solche Probeimpfungen seien aber nicht allein in England, sondern später auch an anderen Orten, z. B. in Berlin, Paris, Wien, Neapel ausgeführt und überall habe man sich davon überzeugen müssen, daß ein mit Kuhpocken geimpfter Mensch ohne jede Wirkung mit Menschenpocken geimpft werden könne. Diese Tatsachen hätten dazu geführt, daß die Ärzte an der Wirksamkeit der Impfung nicht im Geringsten mehr zweifeln. Wegen dieser festen Überzeugung von der Schutz- wirkung der Impfung impften sich auch die Ärzte selbst so oft als möglich und sie hätten dadurch erreicht, daß die Pockensterblichkeit unter ihnen eine im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung sehr geringe ist, obwohl sie sich doch am häufigsten der Ansteckung aus- setzen müßten. Dieser Pockenschutz der Ärzte beruhe nun aber nicht etwa, wie man von impfgegnerischer Seite einwenden werde, in besseren Gesundheitsverhältnissen, oder in sonstigen Umständen, denn die Ärzte verhielten sich anderen ansteckenden Krankheiten gegenüber keineswegs in gleicher Weise, sondern hätten z. B. an Diphthe- ritis, Flecktj^phus, Scharlach eine auffallend hohe Mortalität. Den Pocken fielen nur deswegen so wenig Ärzte zum Opfer, weil sie das beste Schutzmittel dagegen kennten und auch anwendeten. Den zweiten Hauptgrund der Impfgegner, daß die Impfung gefährlich sei, könne man ebensowenig gelten lassen, um daraufhin das Impfgesetz aufzugeben. Es sei aller- dmgs richtig, daß infolge der Impfung gewisse Krankheiten entstehen könnten, von denen Syphilis und Wundkrankheiten, namentlich Wundrotlauf, am meisten zu fürchten sind. Doch müsse daran erinnert werden, daß die bis jetzt bekannt gewordenen Fälle von Impfsyphilis, welche sich auf ungefähr 700 Einzelerkrankungen belaufen, nicht etwa ausschließlich in Deutschland vorgekommen seien, sondern aus allen Ländern, in denen geimpft wird, gesammelt wurden; es komme daher nur ein verhältnismäßig kleiner Teil derselben auf viele Millionen Impfungen in Deutschland. Gefährlicher, weil mitunter tödhch verlaufend, sei der Impfrotlauf. Aber gesetzt den Fall, daß diese und andere geringere Schädlichkeiten von der Impfung nicht zu trennen seien so müsse man den- 1056 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts x\. Einführving d. animalen Vaccination. noch auf der allgemeinen Durchfühnmg der Impfung bestehen; denn wie geringfügig seien solche Übel gegenüber den Pocken, welche eine der schrecklichsten Krankheiten seien. Wer selbst Gelegenheit gehabt habe, Pockenkranke zu sehen, wie sie hilflos daliegen mit versch wollenem Gesicht, blind, einen aashaften Geruch verbreitend, und gewisser- maßen bei lebendigem Leibe faulend, der werde trotz aller von den Impfgegnern ver- breiteten Bilder von Kindern mit Impfrotlauf, welche gar keinen Vergleich mit dem Schreckbilde der wahren Pocken aushalten, ein Anhänger der Impfung bleiben. Die erwähnten Impfschädigungen seien indessen nicht notwendig mit der Impfang vei- bunden, sondern könnten durch Anwendung der Tierlymphe auf ein Minimum reduziert werden. Impfsyphilis werde mit aller Sicherheit durch Kälberlymphe ausgeschlossen, weil das S3rphilisgift auf Kälber überhaupt nicht übertragbar sei. Ferner werden da- durch, daß die Lymphe nur dann benutzt werde, wenn das Tier geschlachtet und gesund befunden sei, Tuberkulose und übertragbare Tierkrankheiten ebenfalls sicher zu ver- meiden sein. Die Verunreinigung der Lymphe durch die Bakterien des Rotlaufs und an- dere Infektionsstoffe, welche Wundkrankheiten bewirken, können durch Probeimpfun- gen an Tieren oder, worauf in neuerer Zeit die Bestrebungen gerichtet sind, durch An- wendung der antiseptischen Maßregeln bei der Impfung der Kälber ausgeschlossen werden. Damit falle also auch der Einwand der Impfgegner, daß eine tadellose Lymphe nicht zu beschaffen sei, fort. Die Tierlymphe, wenn sie in zweckmäßiger Weise gewonnen und verimpft werde, sei eine tadellose I^ymphe. Dieselbe werde bereits in Hessen, Ham- burg und in den thüringischen Staaten seit mehreren Jahren mit bestem Erfolg allge- mein gebraucht und solle im Laufe dieses Jahres auch in Bayern, Baden, Württem- berg und Sachsen bei den öffentlichen Impfungen in Anwendung kommen. In Preußen sei man ebenfalls mit den Vorbereitungen zur Einführung der Tierlymphe beschäftigt und es werde demnach in allernächster Zeit in ganz Deutschland diese Lymphe gebraucht werden: Es sei dann zu erwarten, daß größere Impfschädigungen, Avie Impfsyphilis und Massenerkrankungen an Rotlauf nicht mehr vorkommen. Einzelerkrankungen an Verschwärung der Impfpocken, Drüsenanschwellungen usw. seien natürlich auch dann nicht ganz ausgeschlossen, weil die Impfpocken ebenso wie jede andere kleine Verletzung, z. B. Kratzwunden, das Durchlöchern der Ohrläppchen zum Anbringen von Ohrringen bei unreinlich gehaltenen Kindern Ausgangspunkte von Wundkrank- heiten werden könnten. Aber was sollten wohl diese verschwindenden Nachteile gegen- über dem Nutzen, welchen die Impfung stiftet, bedeuten. L^m dies zu ermessen, müsse man sich klar machen, was wohl die Folgen sein würden, wenn das Impfgesetz aufge- hoben werde, Avorauf doch alle Petitionen der Impfgegner direkt oder indirekt hinaus- gingen. Überall, wo die Kuhpockenimpfung Eingang gefunden habe, sei die Pocken- sterblichkeit ungefähr auf den zehnten Teil der früheren Sterblichkeit hör ab gesunken. Dennoch betrug sie in Preußen in den Jahren 1860 bis 1870 noch 20 bis 60 auf 100 000 Einwohner, so daß dieser Staat allein alljährlich 5000 bis 17 000 Menschen an Pocken verlor. Ähnliche Verhältnisse bestanden in den übrigen Ländern und zwar hätten sie, je nachdem die Impfung sorgfältiger oder nachlässiger als in Preußen durchgeführt wurde, noch größere oder geringere Pockensterblichkeit gehabt. Bis 1874 bestand in Preußen nur fakultative Impfung, dann aber sei mit dem Impfgesetz obligatorische Impfung und Wiederimpfung eingeführt und von diesem Zeitpunlct sei plötzlich und andauernd die Pockensterblichkeit in Preußen auf 0,7 bis 3,6 von 100 000 Einwohnern gesunken. Es schwankten die Zahlen der Pockentodesfälle von 1876 bis 1884 zwischen 95 und 1020; also betrug die Pockensterblichkeit nur noch etwa den zwanzigsten Teil der zurzeit der fakultativen Impfung bestehenden. In keinem anderen Lande habe zu gleicher Zeit ein Abfall der Pockensterblichkeit stattgefunden. Während in Eng- Beaufsichtigiing d. Impfgeschäfts u. Einführvmg d. animalen Vaccination. 1057 land, Frankreicli, Österreich noch ebenso wie vor dem Jahre 1874 alljährlich viele Tau- sende von Menschen an Pocken sterben, sei Deutschland augenblicklich von allen Län- dern dasjenige, welches die bei weitem geringste Pockensterblichkeit habe. Da könne man doch nicht behaupten, daß dies irgendeinem Zufall oder irgendwelchen ander- weitigen sanitären Verbesserungen zuzuschreiben sei; denn in letzterer Beziehung stän- den doch unsere westlichen Nachbarländer und namentlich England gewiß nicht hinter Deutschland zurück. Das könne nur eine Folge des Impfgesetzes sein. Würde man dieses beseitigen, dann werds auch Deutschland unzweifelhaft auf den früheren Stan- punkt der Sterblichkeit zurückversetzt werden und was dies bedeute, lasse sich leicht aus den für Preußen angegebenen Zahlen berechnen. Es ergebe sich nämlich, daß in diesem Falle Deutschland voraussichtlich in jedem Jahre 15 000 bis 20 000 Menschen an Pocken mehr verlieren werde als jetzt. Dann werde allerdings das Volk die Pocken mit allen ihren Schrecken wieder kennen lernen und diese Bekanntschaft werde dahin führen, daß in wenigen Jahren eine viel größere Agitation, als sie jetzt gegen das Impf- gesetz ins Werk gesetzt werde, sich für die Wiedel einführung desselben erheben werde. Aber wer möchte wohl die Verantwortung für das Experiment einer zeitweiligen Besei- tigung des Impfgesetzes übernehmen, welches, um vereinzelte Impfschädigungen zu verhüten, vielen Tausenden von Menschen das Leben kosten werde." Entsprechend einem Bundesratsbeschluß vom 16. Juni 1897 wurde im Jahre 1898 vom Reichs- kanzler nach Verhandlungen mit den Bundesregierungen wiedervun eine Sachverständigenkom- mission ziu' Prüfimg der Frage berufen, ob und inwieweit nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft und der auf dem Gebiete des Impfwesens gemachten praktischen Erfahrungen eine Revision oder Ergänzung der zum Vollzuge des Impfgesetzes ergangenen Bestim- mungen angezeigt erschiene. Die Kommission setzte sich ähnUch wie die im Jahre 1884 einbe- rufene aus Vertretern der medizinischen Wissenschaft und Praxis sowie atis Beamten der haupt- sächlich beteihgten Verwaltungsressorts zusammen. Ebenso waren, wie im Jahre 1884, auch Ärzte aus den Reihen der Impfgegner berufen. Die Verhandlungen fanden am 6. und 7. Juli 1898 im Kaiser- lichen Gesundheitsamt statt. An der Sitzung nahmen teil: der Direktor des Kaiserhchen Gesundheits- amts Dr. Köhler, Regierungs- und Kreismedizinalrat Dr. A u b (München), Dr. Boing, Arzt (Berlin), Geh. Regierungsrat B u m m (Beilin), Stabsarzt Dr. B u r g h a g e n (Berlin), Medizinalrat Dr. Chalybäus (Dresden), Geheimrat Dr. Fische r (Karlsruhe), Geheimrat Prof. Dr. Flügge (Breslau), Geheimrat Prof. Dr. Gaffky (Gießen), Geheimrat Prof. Dr. Gerhardt (Berlin), Dr. G e r s t e r (Braunfels), Präsident Dr. Günther (Dresden), R o b e r t K och, Geheimrat Dr. Krieger (Straßburg), Geheimrat Dr. Lent (Köln), Geh. Obermedizinalrat Dr. Neid- h a r t (Darmstadt), Prof. Dr. Pfeiffer (Rostock), Geheimrat Dr. Pfeiffer -(Weimar), Medi- zinalrat Dr. Relncke (Hamburg), Obermedizinalrat Dr. Rembold (Stuttgart), Geheimrat Dr. Schmidtmann (Berlin), Sanitätsrat Dr. M. Schulz (Berlin), Obermedizinah'at Dr. Sie- gel (Leipzig), Medizinalrat Dr. Stumpf (München), Marinestabsarzt Dr. Wilm (Berlin), Prof. Dr. Wolffhügel (Göttingen), außerdem die Regierungsräte Wutzdorff, Engel mann, G ö t z k e (Berlin), die Stabsärzte M u s e h o 1 d und Bassenge (Berlin). An den Verhandlungen hat sich Koch erhebhch weniger aktiv beteiligt als in der Konunis- sion vom Jahre 1884, zweifellos aus dem einfachen Grunde, weil es sich im wesentlichen um dieselben Fragen gehandelt hat, die damals in ausführüchem Umfange diskutiert worden waren. Bei Nr. 5 der zur Debatte gestellten Gesichtspunkte: ,, Empfiehlt es sich, den Handel mit Impfstoff auf die Institute und Apotheken zu beschränken und die Abgabe des Impfstoffes nur auf amtliche Anweisung oder ärztliche Verordnung zuzulassen", wirft Koch die Frage auf, ob es zweckmäßig ist, die Lymphe durch die Apotheken überhaupt zu vertreiben. Jedes längere Lagern verschlechtere die Lymphe. Die Apo- theken würden vielleicht danach trachten, stets die älteste Lymphe zuerst zu verkaufen. Vielleicht werden diesem Umstände die meisten schlechten Erfolge der Privatimpfungen zugeschrieben werden müssen. Es sei auch daran zu denken, welche große Menge von Koch, Gesammelte Werke. 112 1058 Beaufsichtigung d. Impfgeschäfts u. Einführung d. animalen Vaccination. Lj^mplie zweifellos in den Apotlieken lagern würde. Er spricht sich entschieden für eine Zentralisierung des Lyniphvertriebes aus, und zwar in den jetzt bestehenden Staats- instituten . Gegenüber einem Zusatzantrag von G e r s t e r , wonach ein Staatsinstitut eine Apotheke als Depot bezeichnen könne, bemerkt Koch, daß er es für unmöglich halte, eijie einzige Apotheke zu diesem Zwecke auszuwählen. Die Einrichtung von Depots sei Sache der Zentralanstalt. Er stellt an die Impfanstaltsvorstände das Ersuchen, zahknmäßige Angaben in bezug auf das Alter, die Lagerung, die Art und Weise des Umtausches der Lymphe za machen und behält sich einen weiteren Antrag in bezug auf diese Fragen vor. Wenn die Impfinstitute an die Apotheken Lymphe abgeben und dann zur Zurücknahme des schlecht gewordenen Impfstoffes verpflichtet werden, so dürften sich große Schwierigkeiten ergeben. Schließlich zieht Koch seinen Antrag zugunsten eines von G e r s t e r eingebrachten An- trages zurück. Zu Ziffer L3: ,, Sollen die beamteten Ärzte mehr als bisher zu den öffentlichen Impfungen herangezogen werden"? äußert sich Koch: ,, Die Impfung ist eine der be- deutsamsten sanitären Maßregeln, es ist deshalb wünschenswert, daß der beamtete Arzt die Impfung selbst übernimmt, um so mehr als er dadurch in seinem Bezirke die Ver- hältnisse genau kennen lernt. Zum Impfgeschäft gehört Übung. Häufiger Wechsel der Impfärzte ist daher schädlich". Koch beantragt: es sei wünschenswert, die be- amteten Ärzte so viel als möglich mit der Ausführung des Impfgeschäftes zu betrauen. Dieser Antrag wird angenommen. Die Frage zu Ziffer 15, Satz 3: ,,Ist das Verdünnen des Impfstoffes den Impfärzten zu verbieten ?" verneint Koch, da man durch kleine, weit voneinander entfernte Tmpf- schnitte stärkere Reaktionen vermeiden könne. In der Hand eines geschickten Impf arztes würde die Verdünnung nichts schaden. Immerhin aber sei es gefährlich, sie zuzulassen. Die Mehrheit ist für ein Verbot der Verdünnung. Zu Ziffer 16, Satz 2: ,,Ist die Impfung von Kindern unter 3 Monaten auch weiter- hin zu widerraten ?" äußert sich K o c h , er habe ebenfalls sehr junge Kinder mit gutem Erfolge geimpft, selbst wenn diese in nicht besonders gutem Ernährungszustande waren. Er tritt deshalb für Änderung des Bundesratsbeschlusses vom 18. Juni 1885, § 16 ein. Demgemäß wird beschlossen. An der zweiten Sitzung am 7. Juli nahm außer den Vorerwähnten noch teil: Geh. Ober- regierungsrat Dr. M a u b a c h , Geheimrat Prof. Dr. R u b n e r , Geh. Oberregierungsrat Dr. V. Tischendorf (Berlin). Zu Ziffer 23, die von der Autorevaccination und Wiederimpfung handelt, bestätigt Koch als Mitglied der früheren Kommission, daß die Bestimmung: ,, mindestens zwei Blattern für nötig zu halten" nur ani Grund der Statistik getroffen wurde. Auch die Autovaccination wurde als Notbehelf angesehen, weil ein Teil der Kommissionsmitglieder angeblich gute Erfahrungen damit gemacht hatte. Er ist der Meinung, daß auf Grund der weiteren Erfahrungen von den früheren Bestimmungen abgesehen werde und daß eine Blatter sowohl für Erst- als für Wiederimpflinge genüge. Auch die Autorevacci- nation sollte man ablehnen. Angenommen wird ein Antrag Gaffky: ,,Die Erstimpfung hat als erfolgreich zu gelten, wenn mindestens eine Pustel zur regelmäßigen Entwicklung gekommen ist. Bei der Wiederimpfung genügt für den Erfolg schon die Bildung von Knötchen bzw. Bläschen an den Impfstellen. Bei der Beratung über die Verhaltungsvorschriften für die Angehörigen der Impf- linge empfiehlt Koch zu § 10 : bei regelmäßigem Verlauf der Schutzpocken Fette an- zuwenden, da er abgekochtes Wasser für nicht' zweckmäßig halten könne. Es sei im übrigen wohl das beste, derartige Details dem Impfarzt zu überlassen. Tuberkulose. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 22. November 1900. Exzellenz ! Unter Zurückgabe der bezüglichen Anlagen betreffend 1. die Giftigkeit der Tuber- kulinpräparate und 2. die Abgabe des Tuberkulins an Laien bemerke ich zu den darin niedergelegten Anschauungen gehorsamst folgendes : Der Bericht der Technischen Deputation für das Veterinärwesen beschäftigt sich mit den sogenannten Fehldiagnosen, welche sich bei der Tuberkulinprobe an Rindern ergeben, und bringt dieselben in Verbindung mit dem Umstände, daß noch nicht durch den Versuch festgestellt ist, ob ,,die bei Meerschweinchen ermittelte Giftigkeit des Tu- berkulins in einem gleichen Verhältnis zu der diagnostischen Wirksamkeit desselben steht". Da die Tuberkulinprobe der Rinder den rein praktischen Zweck der Assanierung der Herden verfolgt, so muß man sich von vornherein die Frage vorlegen, ob zu er- warten steht, daß durch die in Aussicht genommene vergleichende Untersuchung dieser Zweck gefördert wird; anderenfalls liefe die ganze Untersuchung auf eine müßige Doktor- frage hinaus Um nun die hier gestellte Frage richtig beantworten zu können, ist es nötig, sich darüber klar zu werden, was die Tuberkulinprobe in ihrer jetzigen Gestalt zu leisten imstande ist, und was sie bisher schon geleistet hat. Dieser Tuberkulinprobe sollen diejenigen Rinder unterworfen werden, bei welchen sich durch die klinische Untersuchung keine tuberkulöse Erkrankung nachweisen läßt, und die Probe gründet sich darauf, daß die Körperwärme tuberkulöser Tiere nach der Injektion erheblich ansteigt, wobei zu beachten ist, daß die hierzu erforderliche Dosis je nach der Tierspezies und dem Alter der Tiere wechselt. Vergleicht man darauf die höchste Temperatur in den letzten 24 Stunden vor der Injektion mit dem in den darauf- folgenden 24 Stunden gefundenen Maximum, so erhält man eine Differenz, aus welcher sich bestimmte Schlüsse auf die Erkrankung des Tieres ziehen lassen. In Preußen gilt laut Verordnung vom 8. Februar 1897 der Grundsatz, daß erwach- sene Rinder nach einer Einspritzung von 0,5 g Tuberkulin als tuberkulös zu erachten sind, wenn diese Differenz 1,50° C beträgt. Bei einer Differenz von höchstens 0,5° gelten die Tiere für gesund, und diejenigen, bei welchen die Differenz sich zwischen 0,5 und 1,5° bewegt, müssen als der Tuberkulose verdächtig angesehen werden. Mit diesen drei Kate- gorien von gesunden, verdächtigen und wirklich kranken Tieren rechnen auch unsere Nachbarstaaten. So wird in der Schweiz zufolge Bundesratbeschlusses vom 24. Juli 1896 genau so verfahren, wie hier angegeben. — In Belgien gelten zufolge Instruktion vom 13. Juni 1897 dieselben Grundsätze, doch sind dort etwas andere Zahlen angenommen worden. Bei einer Temperaturdifferenz von 0,8° werden die Tiere als tuberkulosever- 112* i060 Giftigkeit der Tuberkulinpräparate. dächtig an der französischen Grenze zurückgewiesen, und bei 1,2^ Differenz müssen sie geschlachtet werden. Der Unterschied von 0,3'' zwischen dem in Belgien und in Preußen festgesetzten Grenzwert ist nicht so bedeutend, daß ein wesentlicher Unterschied im End- resultat zu erwarten steht. In anderen Ländern, z. B. in Dänemark, ist die Beurteilung ^des Ausfalles der Tuberkulinprobe dadurch etwas erschwert, daß außer der Temperaturdifferenz noch die absolut höchste Temperatur vor der Injektion in Rechnung gezogen werden muß. Aber auch hier kommt man schließlich zur Aufstellung jener drei Kategorien der gesunden, verdächtigen und tuberkulösen Tiere, und nach menschlicher Voraussicht läßt sich nicht erwarten, daß man jemals zu einer reinlichen Scheidung zwischen tuberkulösen und nicht- tuberkulösen Tieren gelangen werde; es wird immer eine Anzahl verdächtiger Tiere übrigbleiben, über welche man erst durch eine nach Monaten wiederholte Tuberkulin- probe Klarheit gewinnen kann; oder man müßte so verfahren, wie es beim Menschen mit den probatorischen Injektionen gemacht wird, d. h. durch eine mehrere Tage lang fortlaufende Reihe von Temperaturmessungen die gewöhnliche Temperaturkurve des zu Untersuchenden ermitteln und danach durch mehrere in kurzen Pausen aufeinander- folgende Tuberkulininjektionen in schnell ansteigender Menge die Einwirkung des Mittels auf die Temperaturkurve feststellen. Eine solche im Verein mit der klinischen Unter- suchung immer zu einem sicheren Resultat führende Probe läßt sich wohl im einzelnen Falle anwenden, nicht aber bei Massenuntersuchungen, wie sie der Veterinär so häufig bewältigen muß. Ein Überblick über die mit dieser Probe erzielten Resultate läßt sich nur gewinnen, wenn man ausschließlich diejenigen Tiere in Betracht zieht, welche unmittelbar nach der Tuberkulinprobe geschlachtet wurden. Da ist nun von vielen Seiten darauf aufmerk- sam gemacht worden, daß das Ergebnis der Schlachtung nicht immer mit dem der Probe übereinstimmt, und in diesen Fällen sprach man von Fehldiagnosen. Einige aus den vielen darüber vorliegenden Berichten entnommenen Zahlen werden dies erläutern. Im Königreich Bayern fand man keine Tuberkulose bei Rindern, bei welchen der Tuberkulinprobe zufolge eine solche angenommen werden mußte: in 14,1% in 8,9% in 8,1% in 3,0 % In Ungarn hatte Hutgra 1898 unter 156 Fällen nur 1,9% Fehldiagnosen. Von den Quarantänestationen des Deutschen Reiches verdienen Warnemünde- Rostock und Kiel angeführt zu werden. Im Jahre 1897 kam in Warnemünde-Rostock auf 532 Tiere nur eine Fehldiagnose und im darauffolgenden Jahre auf 27 Stück keine. In Kiel dagegen ergaben sich 1897 auf 1522 Stück 38,9% und 1898 auf 524 Stück 14,8% Fehldiagnosen. Aus diesen Nebeneinanderstellungen ersieht man : 1 . daß die Zahl der Fehldiagnosen in den letzten Jahren (überall) schnell abgenommen hat, und 2. daß die an verschiedenen Orten erhaltenen Ergebnisse zum Teil sehr erhebliche und auffallende Abweichungen untereinander aufweisen. Die Ursache dieser Erscheinungen liegt darin, daß man erst sehr allmählich gelernt hat, die Wirkung des Tuberkulins richtig zu beurteilen. Denn es ist Tatsache, daß die Zahl der Fehldiagnosen genau in dem Maße abnahm, als man auf die Untersuchung der geschlachteten Tiere größere Sorgfalt verwandte. Die an- fänglich so große Zahl der Fehldiagnosen beruhte also nicht auf einem Versagen der Tuberkuhnproben, sondern auf mangelhafter Untersuchung der geschlachteten Tiere, im Jahre 1895 1896 „ 1897 „ 1898 Giftigkeit der Tuberkulinpräparate. — Abgabe des Tubei'kulins an Laien. 1061 und die Fehldiagnosen waren nur scheinbare. Zurzeit ist man schon bei einem Satz von kaum 2% Fehldiagnosen angelangt. Aber mit den Verhältnissen vertraute Vete- rinäre erklären, daß auch diese 2% ganz in Wegfall kommen würden, wenn man sich dazu entschließen wollte, die anatomischen Untersuchungen mit der von der Wissen- schaft geforderten Genauigkeit anzustellen. Das geht aber nicht an, ohne dem Fleische seinen Marktwert zu benehmen. Denn um die tuberkulösen Herde aufzufinden, deren Lage ja zunächst unbekannt ist, müßte man gerade in diesen schwierigen Fällen das Tier ganz und gar zerstückeln und selbst die Knochen aufsägen. Aber selbst angenommen, daß die restierenden 2% keine scheinbaren, sondern wirkliche Fehldiagnosen wären, so würden doch die 98 % positiver Erfolge dem praktischen Bedürfnis überreichlich genügen. Bei dieser Sachlage ergibt sich von selbst, daß die angeregte vergleichende Unter- suchung über den Giftwert des Tuberkulins uns in betreff der Assanierung der Vieh- bestände nicht einen Schritt weiterbringen würde, denn derjenige, welcher das ge- schlachtete Vieh nur oberflächlich untersucht, wird nach wie vor eine größere Anzahl von Fehldiagnosen zu finden glauben, eben weil die Fehldiagnosen, welche bisher in den Diskussionen eine so große Rolle gespielt haben, nicht dem Tuberkulin zur Last fallen, sondern dem Beobachter. Aber auch wenn man sich auf den rein wissenschaftlichen »Standpunkt stellt, so ist nicht zu erwarten, daß die angeregten Untersuchungen uns weitere Aufklärungen bringen würden. Wir wissen, daß das Tuberkulin eine örtliche Reizung auf das tuberkulös erkrankte Gewebe ausübt, und daß damit eine Steigerung der Körperwärme Hand in Hand geht, und alle Erfahrungen an kranken Tieren und Menschen sprechen dafür, daß diese Temperatursteigerung von dem Grade der Reizung und Entzündung des tuber- kulösen Gewebes abhängig ist und nicht etwa durch direkte Einwirkung auf die Regu- latoren der Körperwärme, die sogenannten Wärmezentren, zustande kommt. Da nun die örtlichen Vorgänge, die Tuberkulinwirkungen, beim tuberkulösen Rinde genau so verlaufen wie bei anderen Tieren und beim Menschen, so fehlt jede Unterlage für die An- nahme, daß die diagnostische Prüfung der Rinder mit Tuberkulin nicht mit den an Meerschweinchen festgestellten Giftwerten parallel laufen sollte. Während ich also die Anstellung der von der Technischen Deputation für das Vete- rinärwesen in Anregung gebrachten Versuche nicht befürworten kann, glaube ich anderer- seits dem Vorschlage zustimmen zu sollen, daß das Tuberkulin einer staatlichen Kon- trolle unterworfen werde. Es gelingt zwar leicht, ein sehr gleichmäßiges Präparat her- zustellen, indem man immer größere Mengen Tuberkulin innig miteinander mischt, wodurch sich die etwa vorhandenen LTngleichheiten im Werte der einzelnen hergestellten Portionen ausgleichen. Aber da das Tuberkulin der Pharmakopoe einverleibt worden ist, so unterliegt es eo ipso der staatlichen Kontrolle, die bei der Eigenart seiner Gift- wirkung aber nicht bei Gelegenheit der Apothekenrevisionen ausgeübt werden kann, sondern in einem besonders darauf eingerichteten Institut vorgenommen werden muß. Bei der außerordentlichen Haltbarkeit des Präparats genügt eine einmalige Prüfung. Zweckmäßig dürfte es sein, die Menge Tuberkulin, welche jedesmal gemischt werden soll, vorzuschreiben. Wenn man eine Mischung von etwa 20 oder 30 Liter verlangt, von welcher Proben zur Kontrolle einzusenden wären, so dürfte eine allen Anforderungen genügende Gleichmäßigkeit des Präparats gewährleistet sein. Die Prüfung kann nach der im Institut für Serumforschung und Serumprüfung ausgearbeiteten Modifikation meiner Prüfungsmethode erfolgen. Mit den Forderungen, welche in dem Bericht über die Abgabe des Tuberkulins an Laien behufs Anwendung desselben beim Rinde aufgestellt worden sind glaube ich mich einverstanden erklären zu sollen, 1062 Methodik der Tuberkulinbehandlung. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 5. Juni 1901. Euer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf mein Schre ben vom 4. Mai d. J. ganz gehorsamst zu berichten, daß ich das Fürstlich Hohenlohesche Krankenhaus in Slawentzitz besucht, mich am 19. und 20. Mai möglichst eingehend über die daselbst vom Geh. Sanitätsrat Dr. G o e t s c h angewandte Behandlung der Lungen- tuberkulose informiert habe und dabei zu nachstehenden Wahrnehmungen gekommen bini). Das Krankenhaus ist nicht ausschließlich für Lungenkranke bestimmt und einge- richtet. Es hat keine Liegehalle und sonstige den Heilstätten für Lungenkranke eigen- tümliche Einrichtungen; aber es hat eine freie Lage, ist von Gartenanlagen umgeben und mit hellen , geräumigen , gut ventilierten Kranlienzimmern versehen. Der An- drang von Lungenkranken ist im Laufe der Zeit so groß geworden, daß sich der Fürst Hohenlohe infolgedessen entschlossen hat, in hochherziger Weise Mittel für den Bau einer ausschließlich für Lungenkranke bestimmten Abteilung mit 100 Betten zu bewilligen. Dieser Erweiterungsbau ist schon ziemlich weit gediehen und soll in einigen Monaten eröffnet werden. Zurzeit befinden sich 36 Kranke mit Lungentuberkulose und eine Lupuskranke im Krankenhaus, welche von Herrn Geh. Rat G o e t s c h unter Assistenz von zwei Ärzten mit Tuberkulin behandelt werden. Uber jeden Kranken wird eine genaue Kranlcengeschichte geführt mit Temperaturtabellen und Einzeichnung des Lun- genbefundes in ein Schema, wodurch die Orientierung über den Verlauf der Krankheit, namentlich über den Stand derselben bei der Aufnahme und Entlassung der Kranken, sehr erleichtert wird. Nur so war es möglich, im Verlauf von zwei Tagen von jedem einzelnen der in Behandlung befindlichen und von 57 der bisher geheilten und zur Re- vision nach Slawentzitz gekommenen früheren Patienten eingehend Kenntnis zu nehmen. Da somit 94 Fälle geprüft und alle wichtigeren Fälle sorgfältig untersucht wurden, so glaube ich wohl zu einem Urteil über die Behandlungsweise des Geh. Rats G o e t s c h und die von ihm erzielten Erfolge befähigt zu sein. Erwähnen möchte ich noch, daß an der Besichtigung mehrere Ärzte, darunter Herr Oberstabsarzt Dr. P a n n w i t z und Herr Regierungsmedizinalrat Seemann, sowie mehrere Direktoren von Landes- versicherungsanstalten teilnahmen. Nach Angabe des Herrn Geh. Rat G o e t s c h sind seit 1891 in das Krankenhaus 224 Kranke mit Tuberkulose aufgenommen. Linter Abzug von 12, welche die Anstalt vor vier Wochen verließen, und der 37 in Behandlung befindlichen bleiben 175 zur Ent- lassung gekommene. Hiervon wurden 50 nur gebessert, da sie teils gegen den Willen des Arztes die Kur unterbrachen, teils sich während der Kur als ungeeignet heraus- stellten. Alle übrigen, 125 an Zahl, bei denen die Kur regelrecht durchgeführt wurde, konnten geheilt entlassen werden. Um eine richtige Beurteilung dieses Resultats zu gewinnen, muß man, die hier in Betracht kommenden Kreise der Kranken in zwei Kategorien trennen, nämüch diejenigen, bei welchen noch keine Tuberkelbazillen im Sputum nach- gewiesen werden konnten, und diejenigen, welche bereits Tuberkelbazillen auswarfen. Von den ersteren ist anzunehmen, daß sie sich in einem Frühstadium der Krankheit befinden, von den letzteren, daß die Krankheit bereits weitere Fortschritte gemacht hat. Zur ersten Kategorie gehören 83 Personen, zur zweiten 42. Dafür, daß die 83 Fälle ohne Tuberkelbazillennachweis wirklich an Tuberkulose gelitten haben, spricht der klinische Befund bei der Aufnahme, namentlich die physi- 1) Vgl. die Veröffentlichung über denselben Gegenstand Bd. II, p. 693. D. Herausgeber. Methodik der Tuberkulinbehandlimg. 1063 kaiischen Symptome für Spitzenkatarrh, vielfach schon mit Infiltration der Lungen- spitzen, und die typischen Reaktionen auf TuberkuUn. Von dieser Kategorie wurden uns 45 als geheilt vorgestellt, und ich habe mich in jedem Falle davon überzeugt, daß beim Beginn der Kur sowohl durch den klinischen Befund als die Tuberkulinreaktion das Vorhandensein der Tuberkulose sichergestellt war. Alle diese Personen machten den Eindruck, daß sie sich jetzt einer vollkommenen Gesundheit erfreuen. Eine Anzahl davon wurde auch genauer physikalisch untersucht, und es konnte keine Lungentuber- kulose mehr nachgewiesen werden. Die anwesenden ärztlichen Sachverständigen waren darin einig, daß man sie als wirklich geheilt ansehen müsse. Weniger einfach gestaltete sich nun aber die Beurteilung der zweiten Kategorie, nämlich derjenigen Personen, welche beim Beginn der Kur Tuberkelbazillen im Aus- wurf hatten. Von ihnen waren nur 12 zur Besichtigung gekommen. Dieselben sahen bis auf einen ebenfalls kräftig, gut genährt und gesund aus, obwohl man in allen Fällen noch die Residuen der früheren l^vrankheit in Schalldifferenzen und Formveränderungen des Thorax über den erkrankt gewesenen Stellen der Lunge erkennen konnte. Sie hatten keinen Husten und Auswurf mehr. Nur ein Mann machte eine Ausnahme, welcher zwar nach der Kur sich vollkommen wohl befunden hatte, aber seit etwa einem halben Jahre wieder an Abnahme der Kräfte, Abmagerung und Husten litt. Bei demselben hatte sich offenbar ein Rezidiv eingestellt, was auch durch die physikalische Untersuchung bestätigt wurde. Er soll die Kur wiederholen, und es wird sich dann zeigen, ob ihm die Kur dann wieder ebenso nützlich sein wird wie das erstemal. Außerdem wurde von dem anwesenden Vertrauensarzt einer Versicherungsanstalt zur Sprache gebracht, daß bei einem der von Geh. Rat G o e t s c h als geheilt entlassenen Lungenkranken anderwärts noch Tuberkelbazillen gefunden seien. In bezug auf die dann noch bleibenden Fälle dieser Kategorie habe ich mich durch genaues Studium der Krankengeschichte und die Mitteilungen des Herrn Geh. Rat G o e t s c h über jeden einzelnen Fall davon über- zeugt, daß bei ihnen der Verlauf ein ebenso günstiger gewesen ist als bei den von uns selbst gesehenen und untersuchten Personen. Es ist somit von 42 Kranken, welche Tuberkelbazillen im Auswurf hatten, bei 40 durch die Kur ein vollständiges Verschwinden der Tuberkelbazillen und ein solches durch längere Zeit, bei einigen Personen schon meh- rere Jahre, andauerndes Wohlbefinden erreicht, daß man auch hier eine Heilung zugeben muß, wenigstens soweit es bei dieser überaus chronischen und zu Rückfällen neigenden Krankheit möglich ist. Ich halte den bei dieser Gruppe von Kranken erzielten Erfolg insofern von Bedeu- tung, weil sich derselbe mit dem, was in anderen Anstalten an Kranken desselben Sta- diums erreicht ist, einigermaßen vergleichen läßt. In der Heilanstalt für Lungenliranke zu Schöneberg wurden von 86 Kranken mit Tuberkelbazillen nur 17 soweit gebracht, daß bei der Entlassung die Bazillen ver- schwunden waren (10,8%). In der Heilanstalt Beizig wurden von 160 Kranken 44 von den Tuberkelbazillen befreit (27,5%). Ähnliche Verhältnisse werden aus den Anstalten Engeltal (10,7%) und Grabowsee (17%) berichtet. Mit dem Erfolg dieser Heilstätten verglichen, erscheint das in Slawentzitz Er- reichte (95%) außerordentlich günstig, wobei zu berücksichtigen ist, daß in letzter An- stalt ausschließlich die Tuberkulinkur zur Anwendung kommt, während in den Heil- stätten das sogenannte hygienisch-therapeutische Heilverfahren geübt wkd. Auch gegenüber den von anderer Seite mit Tuberkulinbehandlung erzielten Re- sultaten sind die Heilerfolge des Geh. Rat G o e t s c h als ein Fortschritt zu bezeichnen. 1064 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Die Gründe dafür sind in der besonderen Art und Weise zu finden, wie in Slawentzitz die Tuberkulinkur gehandhabt wird. Geh. Rat Goetsch verfährt nach folgenden • Grundsätzen. Er wendet die Kur nur bei solchen Kranken an, deren Leiden noch nicht zu weit fortgeschritten ist und welche noch nicht an Komplikationen, namentlich nicht an solchen leiden, welche mit Erhöhung der Körpertemperatur verbunden sind. Er vermeidet möglichst stärkere Reaktionen, beginnt mit sehr niedrigen Dosen und steigt langsam an mit mehrtägigen Pausen, geht aber schließlich bis zu sehr hohen Dosen hinauf. Die Kur dauert infolgedessen ziemlich lange, durchschnittlich vier Monate. Die Kranken werden auch nach Beendigung der Kur andauernd überwacht, von Zeit zu Zeit zur Nachuntersuchung und Probeinjektion einberufen. Nur dieser sorgfältigen und nachhaltigen Behandlung hat Geh. Rat Goetsch offenbar so seine vorzüglichen Resultate zu verdanken, und es ist mir fraglich, ob das Tuberkulin in weniger sorgsamen Händen dasselbe leisten wird. Immerhin möchte ich es für geboten halten, daß auch an anderen Orten die Be- handlungsweise des Geh. Rat Goetsch versucht wird. Eine Verbindung der Tuber- kulinbehandlung mit dem hygienisch-therapeutischen Verfahren wird vielleicht ganz besonders gute Resultate liefern, und könnten auf diesem Wege auch solche Fälle, welche jedem einzelnen dieser beiden Verfahren nicht mehr zugänglich sind , möglicherweise noch geheilt werden. An den Herrn Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und den Herrn Minister für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den L JuU 190L Euren Exzellenzen beehren wir^) uns den anliegenden Bericht 2), welcher die von uns ausgeführten Versuche über die Tuberkulose betrifft, in der Anlage gehorsamst zu überreichen. Aus den Ergebnissen dieser Versuche geht hervor, daß die Tuberkulose des Menschen und die Tuberkulose des Rindes zwei verschiedene Krankheiten sind. Eme Anzahl von Kälbern, welche die Tuberkulinprobe bestanden hatten und als frei von der Tuberkulose gelten konnten, wurden mit Bazillen der menschlichen Tuber- kulose in verschiedener Weise infiziert. Die Tuberkelbazillen wurden entweder mit dem Auswurfe schwindsüchtiger Men- schen oder in Reinkulturen auf Kälber übertragen. Es wurden mehreren Kälbern der Auswurf bzw. die Reinliulturen der Bazillen unter die Haut oder in die Bauchhöhle und anderen Kälbern die Reinkulturen der Bazillen in die Blutbahn gespritzt; 6 Kälber wurden 7 bis 8 Monate lang fast täglich mit bazillenhaltigem Auswurf schwindsüchtiger Menschen bzw. mit Reinkulturen der Tuberkelbazillen gefüttert; 4 Kälber atmeten wiederholt große Mengen der in Reinkulturen gezüchteten Bazillen ein, welche mit Wasser aufgeschwemmt und darauf zerstäubt worden waren. Alle diese Rinder zeigten keine Krankheitserscheinungen und nahmen während der Dauer des Versuchs an Körper- gewicht bedeutend zu. 6 — 8 Monate nach Beginn des Versuchs wurden sie getötet und seziert, wobei sich keine Spur von Tuberkulose an den inneren Organen nachweisen ]ieß. Nur an den Injektionsstellen hatten sich kleine käsig-eiterige Herde gebildet, welche arm an TuberkelbaziUen waren. Mithin wurde bei den Kälbern ein ähnlicher Befund 1) Koch in Gemeinschaft mit Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Schütz, Direktor des Patholo- gischen Instituts der Tierärztlichen Hochschule in Berlin. 2) p. 1066 ff. Tuberkulose dos Menschen und des Rindes. 1065 ermittelt wie bei kleineren Tieren, denen abgetötete Bazillen der menschlichen Tuber- kulose unter die Haut gebracht worden waren. Demnach waren die Kälber absolut unempfänglich für eine Infektion mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose. Als aber ähnliche Versuche an gesunden Kälbern mit Bazillen der Rindertuber- kulose angestellt wurden, welche aus den Lungen eines tuberkulösen Rindes gezüchtet worden waren, zeigte sich, daß die infizierten Kälber nach einer Inkubationszeit von etwa einer Woche an schweren tuberkulösen Prozessen der inneren Organe erkrankten, und dabei war es völlig gleichgültig, ob die Bazillen der Rindertuberkulose verfüttert oder unter die Haut, in die Bauchhöhle bzw. in die Blutbahn gespritzt worden waren. Es trat bei den Kälbern hohes Fieber ein, sie wurden schwach und magerten ab; einige von ihnen starben nach einer Krankheitsdauer von 1 bis 2 Monaten, andere mußten ihrer hochgradigen Erkrankung wegen nach Ablauf von 3 Monaten getötet werden. Bei der Obduktion der gestorbenen bzw. getöteten Kälber wurde folgendes ermittelt : Bei den mit Bazillen der Rindertuberkulose gefütterten Kälbern waren die im Gekröse gelegenen Lymphdrüsen erkrankt. Bei den Kälbern, denen die Reinkulturen der Bazillen unter die Haut oder in die Blutbahn gespritzt worden waren, fanden sich hochgradige tuberkulöse Infiltrationen an der Injektionsstelle, ausgebreitete Tuber- kulose in den benachbarten Lymphdrüsen und schwere tuberkulöse Veränderungen an den inneren Organen, namentlich den Lungen und der Milz vor. Endlich wurden bei den Kälbern, denen die Reinkulturen der Bazillen in die Bauchhöhle gespritzt worden waren, die für die Perlsvicht charakteristischen Veränderungen am Netz und Bauchfell festgestellt. Mithin sind die Rinder im hohen Grade empfänglich für eine Infektion mit Bazillen der Rindertuberkulose, während sie der Infektion mit Bazillen der mensch- lichen Tuberkulose vollkommen widerstehen. Zu demselben Ergebnisse haben die Versuche bei Schweinen geführt. 6 Ferkel wurden etwa 3 Monate lang täglich mit bazillenhaltigem Auswurf schwindsüchtiger Menschen gefüttert und 6 andere Ferkel erhielten ebenso lange täglich Reinkulturen der Tuberkelbazillen des Rindes. Die ersteren blieben gesund und entwickelten sich ausgezeichnet, während die letzteren bald erkrankten und im Wachstum zurückblieben; auch ging die Hälfte von den letzteren zugrunde. Nach 31/0 Monaten wurden sämtliche am Leben gebliebenen Schweine getötet und obduziert. Bei der Obduktion der mit dem Auswurfe schwindsüchtiger Menschen gefütterten Schweine erwiesen sich alle Organe bis auf die Halslymphdrüsen bei zwei Schweinen und die Lungen- und Gekröslymph- drüsen bei einem dritten Schwein als gesund. Aber auch selbst in den erkrankten Or- ganen konnten nur vereinzelte verkalkte tuberkulöse Knötchen nachgewiesen werden, die von glattwandigen Kapseln umschlossen waren. Die Schweine dagegen, welche Ba- zillen der Rindertuberkulose mit der Nahrung aufgenommen hatten, waren in hohem Grade tuberkulös; die am Halse und im Gekröse gelegenen Lymphdrüsen waren tuber- kulös infiltriert und gleichzeitig die Lungen und Milzen schwer tuberkulös erkrankt. Ferner wurden die Bazillen der menschlichen und die der Rindertuberkulose bei je 2 Schweinen unter die Haut und bei je 2 anderen Schweinen in die Bauchhöhle gespritzt. Während die Schweine, denen die Bazillen der menschlichen Tuberkulose eingespritzt worden waren, nur einen kleinen käsig-eitrigen Herd an der Injektionsstelle erkennen ließen, sonst aber gesund waren, konnte bei den Schweinen, denen die Bazillen der Rin- dertuberkulose unter die Haut oder in die^ Bauchhöhle gebracht \\orden waren, schwere Tuberkulose nachgewiesen werden. Schließlich wurden ähnliche Versuche auch bei Schafen gemacht. Den letzteren wurden die Reinkulturen der BaziHen der menschlichen Tuberkulose bzw. die der Rinder- tuberkulose unter die Haut gespritzt und alle Schafe nach Ablauf von etwa 2 Monaten 1066 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. getötet und obduziert. Während sich die Schafe als gesund erwiesen, denen d'e Bazillen der menschlichen Tuberkulose unter die Haut gespritzt worden waren, ließ sich bei den anderen Schafen eine ausgebreitete Tuberkulose nachweisen. Auf Grund dieser Experimente sind wir davon überzeugt, daß die menschliche Tuberkulose und die Rindertuberkulose voneinander verschieden, und daß die Rinder gegen menschliche Tuberkulose unempfänglich sind. Mit Versuchen zur Beantwortung der Frage, ob der Mensch seinerseits unempfäng- Hch ist gegen die Rindertuberkulose, sind wir beschäftigt und werden nicht verfehlen. Eueren Exzellenzen demnächst darüber zu berichten. Menschliche Tuberkulose und Rindertuberkulose (Perlsucht).i) Es wurde bisher allgemein angenommen, daß zwischen dem Erreger der Tuber- kulose des Menschen und demjenigen der Tuberkulose des Rindes ein Unterschied nicht besteht. Einzelne Beobachtungen indessen, auf welche bereits mehrere Forscher hin- gewiesen haben, wie z. B. die verschiedene Beschaffenheit der tuberkulösen Veränderun- gen beim Menschen und beim Rinde und das Fehlen sicher festgestellter Übertragungen der Tuberkulose von dem Menschen auf das Tier, und umgekehrt, machten es sehr zweifel- haft, ob die oben mitgeteilte Annahme zutreffend ist. Zur sicheren Entscheidung der sowohl für die menschliche wie für die tierische Hygiene hochwichtigen Frage: ob wirk- lich der Bazillus der Tuberkulose des Menschen von demjenigen der Tuberkulose des Rindes (Perlsucht) verschieden ist, wurden an einer größeren Anzahl von Tieren Infek- tionsversuche gemacht. Das Infektionsmaterial bestand teils aus Sputum von tuber- kulösen Menschen, teils aus Reinkulturen, die aus tuberkulösen Organen von Menschen bzw. Rindern gewonnen waren. Das Sputum, nach vorheriger Prüfung auf die An- wesenheit von Tuberkelbazillen, und die Kulturen wurden fein verrieben und den Tieren entweder zusammen mit sorgfältig im Dampf sterilisator keimfrei gemachter Milch ver- abreicht oder aber vermischt mit sterilem Wasser nach verschiedensten Methoden beigebracht: durch Inhalation, Einspritzung unter die Haut, in die Bauchhöhle, in die vordere Augenkammer und in die Vene. Die zu den Versuchen benutzten Tiere mußten jung und vollkommen gesund sein. Von größeren Tieren wurden verwendet: Esel, Rind, Schaf, Ziege, Schwein und Hund, von kleineren Tieren: Kaninchen, Ratten, Affen, Mäuse, Tauben und Hühner. Die größeren Tiere, denen vorher Tuberkulin unter die Haut gespritzt worden war, wurden nur dann für den Versuch eingestellt, wenn nach der Einspritzung des Tuberkulins die Temperatur entweder gar nicht oder nur um wenige Zehntelgrade gestiegen war. Auf diese Weise war, soweit möglich, jeder Verdacht be- seitigt, daß die Ver.suchstiere bereits vor Beginn des Versuchs mit der Tuberkulose be- haftet waren. Die Versuchstiere wurden in gründlich gereinigten und desinfizierten Stallungen untergebracht, und zwar die mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose infizierten Tiere stets vollkommen getrennt von denjenigen, welche mit Bazillen der Rindertuber- kulose behandelt worden waren. Bei der Wartung der mit gutem Futter in reichlicher Menge verpflegten Tiere wurde fest darauf gehalten, daß diejenigen Personen, welche mit den mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose infizierten Tieren zu tun hatten, nicht mit den Tieren in Berührung kamen, welche mit Bazillen der Rindertuberkulose infiziert waren, und umgekehrt. Nur bei strengster Berücksichtigung aller dieser Punkte war es möglich, die Versuche durchzuführen und zu einwandfreien Resultaten zu ge- langen. 1) s. p. 1064. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1067 Im folgenden sei ein kurzer Überblick über die bisherigen Versuche gegeben. A. Kälber. Alle für die Versuche benutzten Kälber waren ca. % — 1 14 Jahre alt und vollkommen gesund. Vor Beginn des Versuchs wurde denselben je 0,3 g Tuberkuhn-K o c h sub- kutan eingespritzt, und wurden sofort diejenigen Tiere ausgemerzt, welche nach der Ein- spritzung eine Temperatursteigerung von mehr als 0,4° zeigten. I. Fütterungsver suche. 6 Impftiere und 2 Kontrolltiere. Kalb 1 — 4 wurden mit Sputum und Kalb 5 — 6 mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose aus einer Reinkultur gefüttert. Die beiden Kontrolltiere waren lediglich dazu bestimmt, die Infektionsmöglichkeit durch die im Stalle vielleicht zufällig vorhandenen Bazillen der Rindertuberkulose darzutun. a) Fütterung mit Sputum eines tuberkulösen Menschen. Das Sputum stammte von einem tuberkulösen Menschen und enthiflt zahlreiche Tuberkelbazillen. Es wurde in einer Menge von etwa 10 g pro Tag und Stück zusammen mit Milch verfüttert, die vorher im Dampfsterilisator keimfrei gemacht worden war. Tägliche Fütterung von 10 g Sputum eines tuberkulösen Menschen mit sterilisierter Milch, j^j^jj, jyjj. j V e r s u c h s d a u e r : Nach 236 Fütterungstagen getötet. Pathologisch - anatomischer Befiind: Chronische Entzündung des Bauch- fells, der Milzkapsel und des Brustfells. Partielle einfache Vergrößerung der Gekrösdrüsen. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g. Mit Teilen der zottigen Anhänge an den Or- ganen der Bauchhöhle wnrden 6 Meerschweinchen infiziert, ohne daß bei diesen eine tuberkulöse Erkrankung erfolgte. Hierdurch war mit Sicherheit erwiesen, daß die bei der Sektion ermittelten chronischen Entzündungsprodukte nicht tuberkulöser Natur waren. Tägliche Fütterung mit ca. 10 g bazillenhaltigem Sputum eines tuberkulösen Menschen in ggjjj j^j. 2 sterilisierter Milch. V e r s u c h s d a u e r : Nach 229 Fütterungstagen getötet. Pathologisch-anatomischer Befund: Einfache Vergrößeriing einiger Lymph- drüsen. Alle übrigen Organe gesund. Mikroskopischer Befund: negat iv. M e e r s c h w e i n c h e n ü 1) e r t r a g u n g : negativ. Tägliche Fütterung nnt ca. 10 g l)azillenhaltigem Sputimi eines tuberkulösen Menschen in Kalb Nr. 3. sterilisierter Milch. V e r s u c h s d a. u e r : Nach 236 Fütterungstagen getötet. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Alle Organe gesund. * Tägliche Fütterung mit ca. 10 g bazillenhaltigem Sputum eines tuberkulösen Menschen in Kalb Nr. 4. sterilisierter Milch. V e r s u c h s cl a u e r : Nach 210 Fütterungstagen getötet. Pathologisch-anatomischer Befund: Alle Organe gesund. b) Fütterung mit Reinkulturen der menschlichen Tuber- kulose. Die in Reinkulturen gezüchteten Bazillen der menschlichen Tuberkulose wurden in sterilisierter Milch aufgeschwemmt und täglich etwa 0,2 g pro Stück verfüttert. Tägliche Fütterung mit ca. 0,2 g Bazillen der menschlichen Tuberkulose aus einer Reinkultur Kalb Nr. 5. in sterilisierter Milch. V e r s u c h s d a u e r : Nach 210 Fütter ungstagen getötet. Pathologisch - an atomischer Befund: Partielle einfache Vergrößerrmg der Gekrösdrüsen. Auf dem Durchschnitte der rechten Darmbeindrüse ein entzündlicher Herd mit geröteter Peripherie. 1068 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Mikroskopischer Befund: negativ. Meerschweinchenübertragung: negativ. Der entzündliche Herd in der rechten Darmbeindrüse wurde mit Bouillon verrieben und zwei Meerschweinchen in die Bauchhöhle ge- spritzt, ohne daß die Tiere hiernach irgendwelche tuberkulöse Veränderungen zeigten. Kalb Nr. 6. Tägliche Fütterung mit ca. 0,2 g Bazillen der menschlichen Tuberkulose aus Reinkulturen in sterilisierter Milch. Versuchsdauer: Nach 198 Fütterungstagen getötet. Pathologisch-anatomischer Befund: In einer Tasche der linken Tonsille ein käsiger Pfropf. Mikroskopischer Befund: negativ. Meer schweinchen Übertragung: negativ. Kalb Nr. 7.1 Kontrolltiere blieben gesund. Kalb Nr. 8.) Schluß betrachtung. Aus den vorstehenden sechs Fütterungsversuchen geht mit Sicherheit hervor, daß man nicht imstande ist, Kälber durch Verfütterung von menschlichem tuberkulösen Material, selbst wenn letzteres in großer Menge und 7 Monate lang täghch verabreicht wird, tuberkulös zu machen. 1. Subkutane jj Injektionsversuche. Injektion. a) Tuberkulose des Menschen. Kalb Nr. 1. Einmalige Einspritzung von 10 ccm einer Aufschwemmung, welche durch Verreiben von 1 g einer Reinkultur von Bazillen der menschlichen Tuberkulose mit 100 Teilen Wasser gewonnen worden war, unter die Haut in der Gegend des rechten Schulterblattknorpels. Versuchsdauer: Nach 203 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 115 kg. Klinischer Befund: Anfangs diffuse schmerzhafte, warme Anschwellung an der Stelle der Einspritzung. Die Schwellung und Empfindlichkeit in der Umgebung der Stelle verschwand nach 10 Tagen und machte einem walnußgroßen mit der Unterhaut verwachsenen derben Knoten Platz, der im Verlaufe der nächsten drei Monate die Größe eines Gänseeies erreichte. Vom vierten Monat an nahm die Geschwulst wieder ab, so daß am Tage der Tötung des Kalbes nur eine uner- hebliche Schwellung die Stelle der Einspritzung kennzeichnete. Allgemeinbefinden stets gut. Körper- temperatur innerhalb der normalen Grenzen. Pathologisch-anatomischer Befund: Pentastomenknötchen im Darm und in den Gekröslymphdrüsen. In den Portaldrüsen sowie in beiden Tonsillen je ein käsiger Pfropf. An der Injektionsstelle abgekapselte käsig-eitrige Herde in der Unterhaut von Erbsengröße. Mikroskopischer Befund: Anwesenheit von Tuberkelbazillen in den Herden der Unterhaut, nicht aber in den käsigen Pfropfen der Tonsillen. In den Knötchen des Darms und in den Gekrösdrüsen konnten vereinzelte Pentastomenhäkchen nachgewiesen werden. Die Tonsillarpfröpfe stellen bei Rindern ein häufiges Vorkommen dar und enthalten niemals Tuberkelbazillen, zuweilen aber andere säurefeste Bazillen. Meerschweinchenüber tragung ergab allgemeine Tuberkulose bei den Tieren, welche mit Teilen aus den käsig-eitrigen Herden der Unterhaut infiziert worden waren. Sonst negativ. Kalb Nr. 14. Einmalige Einspritzung von 5 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) unter die Haut hinter dem linken Schulterblatt. Versuchsdauer: Nach 243 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 144 kg. Klinischer Befund: Anfangs schmerzhafte Anschwellung in der Umgebung der Injektionsstelle. Dieselbe wandelte sich später in einen walnußgroßen festen Knoten um, der lang- sam weicher und größer wurde und am Tage der Tötung des Kalbes eine hühnereigroße fluktuie- rende Geschwulst darstellte. Allgemeinbefinden gut. Temperatursteigerung am Tage nach der Injektion von 39' auf 40^ in der übrigen Beobachtxmgszeit, mit Ausnahme kleiner Tagesschwan- kungen, fieberfrei. Pathologisch - anatomischer Befund: Hühnereigroßer, eitrig-käsiger Abszeß an der linken Seite hinter der Schulter, Leberabszeß. Abgekapselter Abszeß zwischen der Haube und der Bauchwand. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1069 i k r o s k o p i s c h e r Befund: Tuberkelbazillen an der Injektionsstelle, sonst negativ. Die beiden Abszesse an der Haube und in der Leber, welche infolge eines Fremdkörijers entstanden waren, finden sich beim Rinde sehr häufig. Meerschweinchen Übertragung: Die sowohl mit dem Inhalt wie mit der Wan- dung des Unterhautabszesses infizierten Meerschweinchen bekamen allgemeine Tuberkulose. Einmalige Einspritzving von 10 ccm Sputum eines tuberkulösen Menschen unter die Haut Kalb Nr. 3. in der Höhe der rechten Schulterblattgräte. V e r s u c h s d a u e r : Nach 207 Tagen getötet Ct e w i c h t s z u n a h ni e : + 127 kg. Klinischer Befund: In den ersten acht Tagen zeigte sich an der Injektionsstelle eine schmerzhafte Anschwellung, die sich bald von der Nachbarschaft abgrenzte und nach vier- zehn Tagen einen hühnereigroßen derben und mit der Unterhaut verwachsenen Knoten bildete. Im weiteren Verlauf wurde der Knoten wieder kleiner, war nach sechs Wochen walhnißgroß und fühlte sich schließlich nur noch als geringe Unebenheit unter der Haut an. Allgemeinbefinden gut und stets fieberfrei. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Vereinzelte linsengroße käsige Herde in der Unterhaut. Mikroskopischer Befund: Zahlreiche Tuberkelbazillen an der Injektionsstelle. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Abszeßinhalt l)zw. mit Teilen der Abszeßwand infizierten Meei'schweinchen erkrankten sämtlich an allgemeinei' Tu))erkulose. b) R i n d e r t u b e r k u 1 o s e (P e r 1 s u c h t). Einmalige Einspritzung von 5 ccm einer Aufscliwemmung vf)n Bazillen der Rindertuber- Kalb Nr. 23. kulose (Verdünnung 1 : 100) unter die Haut in der Mitte der rechten Seite des Halses. Die Bazillen der Rindertuberkulose entstammten einer Reinkultur, welche aus den tuberkulösen Organen eines Rindes hergestellt worden war. V e r s u c h s fl a u e r : Nach 49 Tagen gestorben. G e w i c h t s z u n a h m e : — 33 kg. Klinischer' Befund: Bereits nach kuizer Zeit schwoll die Injektionsstelle stark an, war sehr schmerzhaft und vermehrt warm, so daß man am 10. Tage eine handflächengroße, Yo cm hohe, mit der Unterhaut verwachsene derbe Geschwulst wahrnehmen konnte. Gleichzeitig nahm die rechte Bugdrüse allmählich an (iröße zu, war am 12. Tage hülmerei- und am 23. Tage schon faust- groß. Der Umfang der Einstichstelle wie der rechten Bugdrüse vermehrte sich beständig Iiis zu dem am 49. Tage eintretenden Tode. Am 4. und 5. Tage hatte das Kalb Durchfall, womit verminderte Freßlust verbunden war, welche andauerte und sich gegen das Ende der Krankheit z\im vollständigen Aufhören der Futterauf- nahme steigerte. Die Atmung begann vom 20. Tage an beschleuuigter zu werden, zu welcher Zeit auch zuerst ein krankhafter Husten bemerkt wurde; die Hustenstöße waren kräftig und hatten einen vollen Ton, später wurden sie innner häufiger, nahmen dafür aber an Stärke ab, bis schließlich niu' noch ein mattes Hüsteln zu hören war. Atemfrequenz zu tlieser Zeit ca. 70 — 80 in der Minute mit starker Bewegung der Rippen und der Bauchwand. Beim Liegen wurden Kojif \md Hals gestreckt imd die Nasenflügel weit geöffnet. Das Deckhaar war gesträulit, die Haut fest anliegend: zuweilen stellten sich Schüttelfröste ein. Nährzustand täglich schlechter: Blick trübe und matt. Die in den eisten Tagen nach der In- jektion wenig erhöhte Temjjeratur stieg am 10. Tage auf 40,3" und hielt sich von da beständig zwischen 40" und 41°. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Faustgroßer tuberkulöser aljgekap- selter Herd an der rechten Ilalsseite (Injektionsstelle). Schwere tuberkulöse Entziaidung der rechten Bugdrüse und der rechten unteren Halslj'mphdrüse. Beginnende tuberkulöse Entzündung der bron- chialen und mediastinalen Ijvmphdrüsen. Miliartuberkulose der Lungen, der Leber, der Milz und der Nieren. Tuberkulose aller tibrigen Körperlymphdrüsen. Mikroskopischer Befund: Nachweis von Perlsuchtbazillen in allen krankhaft veränderten Organen. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Teilen aus der Injektionsstelle in- lizierten Meerschweinchen bekamen ausgebreitete Tuberkulose. Einmalige subkutane Injektion von 5 ccm einer Aufschwemnuing von Bazillen der Rinder- Kalb Nr. 24. tuberkulöse (Verdünnung 1 : 100) an der rechten Halsseite. 1070 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Versuchsdauer: Nach 100 Tagen getötet. Gewich tszxi nähme: + 1 kg. Klinischer Befund: Kurze Zeit nach der Injektion starke Schwelhmg der betreffen- den Hautstelle, die am 10. Tage eine handtellergroße 1 cm hohe feste, schmerzhafte und vermehrt warme G-eschwulst darstellte, mit der eine Vergrößerung der nachbarlichen rechten Bugdrüse ver- bunden war. Die Injektionsgeschwulst blieb andauernd sehr schmerzhaft, so daß das Tier schon bei jeder Annäherung an die rechte flalsseite scheu zurückwich. Am 15. Tage war ein fingerdicker Strang zwischen Geschwulst und Bugdrüse fühlbar. Die Geschwulst ragte halbkugelförmig über die Hals- seite hervor und hatte am 20. Tage die Größe eines Menschenkopfes, während die rechte Bugdrüse faustgroß war. Die zuerst derbe Geschwulst wurde allmählich etwas weicher und bekam an ihrer Kuppe eine Öffnung, aus der sich andauernd eine übelriechende graue schmierige Masse entleerte. Vom 12. Tage ab hustete das Kalb hin und wieder, auch steigerte sich die Atemfrequenz am 30. Tage. Zur Zeit der Tötung des Tieres war ein häufiger matter Husten wahrzunehmen, und betrug die Zahl der Atemzüge 60 in einer Minute. Die Preßlust, welche im ersten Monat noch ziemlich rege war, ließ im zweiten Monat bedeutend nach. Da^ Tier magerte zusehends ab und bekam ein struppiges Deckhaar. Die Temperatur hielt sich in den ersten Tagen zwischen .39 und 39,5, stieg am 10. Tage auf 40" und blieb im Mittel während der ganzen Beobachtungszeit auf dieser Höhe. Im ganzen machte das Kalb einen sehr kranken Eindruck und wäre sicherlich in kurzer Zeit an Perlsucht zugrunde gegangen. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulöses Geschwür an der In- jektionsstelle, umfangreicher tuberkulöser Käseherd in der Mitte der rechten Halsseite. Tuberkulöse Erkrankung der Umgebung, der Bug- und unteren Halslymphdrüse der rechten Seite. Tuberkulöse Wucherungen auf Rippen- und Lungenfell. Umfangreiche käsige und kalkige Veränderungen in den bronchialen und mediastinalen Lymphdrüsen. Miliartuberkel in den Lungen, der Leber, der Milz, in den Nieren und den portalen Lymphdrüsen. Mikroskopischer Befund: In allen veränderten Organen ließen sich Perlsucht- bazillen nachweisen. Kalb Nr. 28. Einmalige Einspritzung von 5 ccm einer Aufschwemmimg von Bazillen der Rindertuberkulose (Verdünnung 1 : 100) unter die Haut in der Gegend der rechten Lende. Versuchsdauer: Nach 77 Tagen gestorben. Gewichtszunahme: — 25 kg. Klinischer Befund: An der Injektionsstelle in der rechten Lendengegend trat eine starke schmerzhafte Schwellung ein, welche schon nach 15 Tagen den Umfang einer menschlichen Faust hatte und später bis zur Doppelfaustgröße heranwuchs. Die rechte Kniefaltendrüse war am 10. Tage deutlich fühlbar und hatte nach 20 Tagen ungefähr die Größe eines Gänseeies. Husten zeigte sich zum ersten Male am 14. Tage, derselbe wurde später immer häufiger, nahm dafür an Stärke ab. Ungefähr zu derselben Zeit machte sich eine geringe Beschleunigung der Atmung bemerkbar, welche am 50. Tage bis auf 70 und später bis auf 84 Atemzüge in der Minute gestiegen war. Hierbei stöhnte das Kalb zuweilen laut und bewegte angestrengt die Rippen und die Bauchwandungen. Die Freßlust ließ allmählich nach; in den letzten 3 Wochen wurden nur nocli ganz geringe Futtermengen und schließlich keine Nahrung mehr aufgenommen. Dabei magerte das Tier ungeheuer ab, wurde sehr schwach und schwankte beim Herumtreten. Einige Tage vor dem Tode trat Durchfall ein. Die Temperatur stieg am 11. Tage auf 40', blieb andauernd hoch und betrug zeitweise anhaltend über 41". Pathologisch-anatomischer Befund: Doppelfaustgroßer käsiger Herd an der Injektionsstelle und in den Bauchdecken. Tuberkulose der rechten Kniefaltendrüse, der inneren Darmbein-, der Lenden- und Nierendrüsen. Ausgebreitete metastatische Tuberkulose der Lungen, der bronchialen und mediastinalen Drüsen der Leber, der Portaldrüsen und der Milz. Tuberkulose beider Kehlgangsdrüsen, der mittleren und unteren Halsdrüse, sowie der Achseldrüse der rechten Seite, der Bugdrüsen, Kniekehlendrüsen und einiger Gekröslymphdrüsen. Mikroskopischer Befund: Nachweis von Perlsuchtbazillen in allen erkrankten Organen Schlußbetrachtung. Die vorstehenden Versuche haben gezeigt, daß es nicht möglich ist, nach subkutaner Injektion von Bazillen der menschlichen Tuberkulose bei drei Kälbern eine Ausbreitung der Tuberkulose hervorzurufen, trotzdem die Tiere 7 bzw. 8 Monate lang beobachtet wurden und die Bazillen an der Injektionsstelle lebend sich erhalten hatten, wie durch Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1071 die Übertragung derselben auf Meerschweinchen bewiesen worden ist. Ganz anders verhielten sich die mit Bazillen der Rindertuberkulose subkutan infizierten drei Kälber; denn dieselben erkranliten innerhalb kurzer Zeit an allgemeiner Tuberkulose, und ging infolgedessen das eine am 49., das zweite am 77. Tage zugrunde, während das dritte am 100. Tage schwerkrank getötet wurde. Hieraus geht mit Sicherheit hervor, daß die Bazillen der menschlichen Tuberkulose vollkommen unschädlich für das Rind sind, daß aber die Perlsuchtbazillen bei letzterem innerhalb kurzer Zeit die schwersten Veränderungen hervorrufen und den Tod veran- lassen können. 2. Intra- a) T u b e r k u ] o s e d e s Mensche n. abdominale Injektion. Einmalige Einspritzung von 5 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) in die Bauchhöhle. ^''"^ Das Material wurde dem Kalbe in der rechten Flankengegend unter Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßregeln eingespritzt. Die Hauptstelle wurde nach dem Abrasieren der Haare mit Su])li- mat und Alkohol gründlich desinfiziert. Nach Durchschneidung der Haut wurde eine sterile Kanüle durch die Bauchdecken geführt, so daß das tuberkulöse Material direkt in die Bauchhöhle gespritzt werden konnte. V e r s u c h s d a u e r : Nach 208 Tagen getötet. Gewi c h t s z u n ahme: + 134 kg. Klinischer Befund: Das Tier hatte während der ganzen Beobachtungszeit weder Fieber noch irgendwelche andere Störungen m Allgemeinbefinden gezeigt. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Alle Organe normal. Einma'ige Einspritzung von 5 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Kalb Nr. 13. Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) in die Bauchhöhle. Injektionsstelle, rechte Lendengegend. V e r s u 0 Ii s d a u e r : Nach 243 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 1.54 kg. Klinischer Befund: An der Injektionsstelle in der Unterhaut der rechten Lenden- gegend bildete sich im Laufe der Beobachtungszeit eine etwa gänseeigroße feste Geschwulst aus. Die betreffende Stelle war wahrscheinlich dadurch infiziert worden, daß beim Zurückziehen der Ka- nüle einige Tropfen ihres Inhalts in die Unterhaut gelaufen waren. Allgemeinbefinden und Freß- lust waren stets ungestört. Vom 14. — 3.5. Tage hatte das Kalli etwas Fieber; sonst war es fieberfrei. F a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d : Tuberkulöse Herde in der lechten Lendengegend. Im übrigen alle Organe normal. M i k r o s k o IT i s c h e r Befund: In den Abszessen Tuberkelliazillen nachweisliar. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Teilen des Inhalts imd der rmi die Herde gelegenen Wand infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tul>erkulose. Einmalige Einspritzung von 5 ccm Si)utuiii eines tadiei'kulösen Menschen in die Bauchhöhle Kalb Nr. 15. in der rechten Lendengegend. V e r s u c h s d a u e r : Nach 243 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 180 kg. Klinischer Befund: Während der ersten 2 Monate hatte das Kalb zeitweilig Fieber, später blieb es andauernd fieberfrei. Sonst vollkommen gestmd. P a t h o 1 o g i s 0 h - a n a t o m i s c h e r Befund: Alle Organe normal. ])) T u b e r k u 1 o s e des R i n d e s. Einmalige Einspritzung von 5 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Rindertuber- Kalb Nr. 27. kulose (Verdünnung 1 : 100) in die Bauchhöhle. Injektionsstelle rechte Lendengegend. V e r s u c h s d a u e r: Nach 100 Tagen getötet. Gewichtszunahme: -f 22kg. KlinischerBefund: In der Unterhaut und etwas tiefer in der Mu.skulatur der rechten Lendengegend, in welche beim Zurückziehen der Kanülenspitze einige Tropfen der Aufschwemmung geflossen sein müssen, bildete sich je eine knotenförmige Anschwellung, welche zuerst hasel- bzw. walnußgroß war. Später flössen die Anschwellungen zusammen rmd entstand eine faustgroße Ge- schwulst. Noch später wurde letztere etwas weicher, fing an zu fluktuieren und brach schließlich auf. 1072 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Aus der Öffnung floß eine schmierige übelriechende graue Masse ab. Neben der Schwellung der Unter- haut ging eine Vergrößerung der rechten Kniefaltendrüse einher, welche nach 4 Wochen ungefähi- die Größe eines Gänseeies hat^. Vom 12. Tage ab hustete das Kalb fortwährend. Die Atmimg begann in der Mitte des zweiten Monats beschleunigter zu werden. Am Tage der Tötung konnten 60 Atemzüge in der Minute gezählt werden. Die Freßlust, welche im ersten Monat noch rege war, ließ in der folgenden Zeit allmählich nach. Die Temperatur stieg vom 5. Tage ab und schwankte bis zum 35. Tage zwischen 40,5° und 41°, um später durchschnittlich auf 40" stehenzubleiben. Pathologisch-anatomischer Befund: Erweichter tuberkulöser Herd in der Bauchwand an der Injektionsstelle. Tuberkulöse Entzündung der rechten Darmbein- und Knie- faltendrüsen. Umfangreiche tuberkulöse Entzündung des Netzes und Bauchfells. Tuberkulöse Entzündung der linken Darmbeindrüsen, einiger Gekrösdrüsen, der portalen und der renalen Lymph- drüsen. Miliartuberkulose der Leber. Tuberkulose des Brustfells, der bronchialen, mediastinalen und linken unteren Halslymphdrüsen. Mikroskopischer Befund: In den krankhaft veränderten Organen ließen sich Perlsuchtbazillen nachweisen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen von erkrankten Organen in- fizierten Meerschweinchen wurden von allgemeiner Tuberkidose befallen. Schlußbetrachtung« Während drei Versuchskälber, denen Bazillen der menschlichen Tuberkulose in die Bauchhöhle gespritzt worden waren, vollkommen gesund blieben, erkrankte ein Kalb, dem Perlsuchtbazillen in die Bauchöhle eingespritzt worden waren, innerhalb kurzer Zeit an Serosa-Tuberkulose. ^ 3. Intravenöse Injektion. a) Menschliche Tuberkulose. Kalb Nr. 16. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufscliwemnmng von Bazillen der menschlichen Tuberkulose (Verdünnung 1 : 5000) in die rechte Jug-ularvene. Zu dem Zwecke wurde, nach gründ- licher Desinfektion und Abrasieren der Haare, die Haut über der Jugularvene durchschnitten und die Kanüle in die Vene gestochen, durch welche die Flüssigkeit in die Blutbahn gespritzt wurde. Versuchs dauer: Nach 242 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 163 kg. Klinischer Befund: An der Injektionsstelle bildete sich unter der Haut ein hirse- korngroßes Knötchen, das schließlich bis zur Größe einer Erbse anwuchs. Das Allgemeinbefinden des Tiei'es war stets gut. Die Temperatur hielt sich, außer einem Ansteigen am 8. vmd 9. Tage und im Beginn des zweiten Monats nach der Einspritzung, innerhalb der normalen Grenzen. Pathologisch - anatomischer Befund: Chronische lobuläre Lungenentzün- dung und chronische Entzündung der Bronchien. Erbsengroßer fibröser eitriger Knoten an der late- ralen Seite der rechten Jugularvene. jM i k r o s k o p i s c h e r Befund: In dem Knoten an der Einstichstelle befanden sich Tuberkelbazillen, nicht aber in den erkrankten Lungenteilen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen des Inhaltes und der Wan- dung des Knotens infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Die mit Stückchen aus den chronisch entzündeten Lungenteilen infizierten Meerschweinchen blieben gesund. Kalb Nr. 17. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Tuberkulose (Verdüimung 1 : 1000) in die rechte Jugularvene. Versuchsdauer: Nach 242 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 163 kg. Klinischer Befund: Nach einigen Wochen waren unter der Haut an der Injektions- stelle einige erbsengroße feste Knötchen zu fühlen. Am 2., 6. und 7. Tage nach der Injektion trat etwas Fieber ein, während der ganzen übrigen Zeit normale Körpertemperatur. Pathologisch-anatomischer Befund: Multiple eiterig-käsige Herde an der Injektionsstelle. Alle übrigen Organe normal. Mikroskopischer Befund: In den eiterig- käsigen Herden sind Tuberkelbazillen nachzuweisen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Inhalts- und Wandteilen der eitrig- käsigen Herde infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Tuberkiilose des Menschen und des Rindes. 1073 Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Kalb Nr. 18. Tuberkulose (Verdünnung 1 : 5000) in die rechte Jugularvene. V e r s u c h s d a u e r: Nach 242 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 17.5 kg. Klinischer B e f \i n d : Nach einigen Wochen zeigte sich unter der Haut an der In- jektionsstelle ein haselnußgroßer fester Knoten, der bis zur Größe einer Walnuß heranwuclis. Am 7. Tage nach der Injektion stieg die Körpertemperatur bis auf 40", sonst war das Tier fieberfrei. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Multiple käsig-eiterige Herde an der Injektionsstelle. Alle übrigen Organe normal. Mikroskopischer Befund: Nachweis von Tuberkelljazillen in den käsigen Herden. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g : Die mit Teilen des Inhaltes wie der Wan- dung der käsig-eiterigen Herde infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. b) Tuberkulose der Rinder (P e r 1 s u c h t). Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Rindertuber- Kalb Nr. 25. kulose {Verdünnimg 1 : 500) in die rechte .Jugularvene. Versuchs dauer: Nach 100 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 18 kg. Klinischer Befund: Am 4. — 11. Tage nach der Injektion bestand bei dem Kalbe starker Durchfall. Da einige Tropfen der Aufschwemmung entweder direkt oder zusammen mit dem aus der Einstichstelle zurückgeflossenen Blute in die Unterhaut gekommen waren, so schwoll diese an; es bildete sich ein walnußgroßer fester Knoten in derselben, der später die Größe eines Gänseeies erreichte. Die rechten Halslymphdrüsen und die rechte Bugdrüse vergrößerten sich gleich- falls; letztere wurde faustgroß und war leicht zu ftihlen. Am 20. Tage nach der Einspritzung wurde zuerst Husten vernommen, der später immer häufiger wurde und dem Tiere Schmerzen vervirsachte. Die Zahl der Atemzüge stieg langsam an und betrug am Tage der Tötung des Kall)es 60 in der Mi- nute. Die Atmung geschah angestrengt xind mit starker Bewegung der Brust- und Bauchwandvmgen. Das Allgemeinbefinden des Tieres wurde im ersten Monat wenig durch die Injektion beeinflußt, da- gegen zeigte sich später eine allmähliche Abnahme der Kräfte und der Freßlust. Die Temperatiu' begann am 12. Tage nach der Einspritzung zu steigen und blieb während der 100 tägigen Be- obachtungszeit durchschnittlich auf 40". P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Ausgeln-eitete Tuberkulose der Lun- gen. Tuberkulose der bronchialen und mediastinalen Lymphdrüsen. Große tuberkulöse Neubil- dung an der Injektionsstelle. Verkäsung und Verkalkung der rechten oberen, mittleren, unteren trachealen Lymphdrüsen und der rechten Bugdrüse. Tuberkulose des Brustfells, des Herzlieutels, der portalen, renalen, lumbalen, submaxillaren, retropharyngealen, der linken trachealen Lymph- drüsen vmd der linken Bugdrüse. Miliartuberkulose der Milz, Leber und Nieren. M i k r o s k o 13 i s c h e r Befund: In allen erkrankten Organen Perlsuchtbazillen nach- gewiesen. M e e r s c h w e i n c h e n ü h e r t r a g u n g: Die mit Teilen von erkrankten Organen infizierten Meerschweinchen wurden von allgemeiner Tuberkulose befallen. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwenunung von Bazillen der Rindertuljer- Kalb Nr. 26. kulose (Verdünnung 1 : 500) in die rechte Jugularvene. V e r s VI c h s d a u e r : Nach 26 Tagen gestorben. Gewichtszunahme: — 22 kg. Klinischer Befund: Bereits am 4. Tage nach der Einspritzung stellte sich l)ei dem Kalbe Husten ein, der von dieser Zeit ab nicht mehr verschwand. Die Zahl der Atemzüge nahm in kurzer Zeit bedeutend zu; sie betrug nach 8 Tagen 20, nach 14 Tagen 40 und am Todestage 80 in der Minute. Hierbei wurden Brust und Baucliwände stark bewegt vmd die Nasenflügel weit geöffnet. Die Freßlust ließ sehr bald nach und das Tier ging schnell im Nährzustand zurück. Die Haut war trocken, festanliegend; die Haare waren aufgebürstet. Häufig woirde das Tier von Schüttel- frösten befallen und zitterte am ganzen Körjier. Dazu gesellten sich große Schwäche, eingefallene Augen, trüber Blick und einige Tage vor dem Tode Durchfall. Die Temperatur stieg am 8. Tage auf 41, .3" und blieb zwischen 40,5° und H" bis zu dem am 26. Tage erfolgten Tode. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Akute ]Miliartul)erkulose der Lungen und ausgebreitetes interlobviläres und sul)pleurales Emphysem. Miliartuberkel in Leber, Milz und Nieren. Käsige Veränderung an der Injcktionsstelle. Leichte Trübung des Herzens. Trvibimg der Koch, Gesammelte Werke. 113 1074 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Leber tind der Nieren. Leichte katarrhalische Entzündung der Nieren. Katarrhalische Entzündung des Labmagens und des Dünndarmes. Mikroskopischer Befund: In allen erkrankten Organen konnten Perlsucht- bazillen nachgewiesen werden. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen der betroffenen Organe in- fizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Schlußbetrachtung. Während es unmöghch war, drei Kälber durch intravenöse Injektion von Bazillen der menschlichen Tuberkulose zu infizieren, gingen von zwei Kälbern, welchen dieselbe Dosis von Bazillen der Rindertuberkulose in die Vene gespritzt wurde, das eine schon nach 26 Tagen infolge Miliaturtuberkulose zugrunde, während das andere an allgemeiner Tuberkulose sämtlicher Organe schwer erkrankte. Aber auch dieses Kalb würde in kürzerer Zeit zugrunde gegangen sein, wenn es nicht getötet worden wäre. III. Inhalationsversuche mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose. Art der Ausführung der Inhalation. Zum Zwecke der Inhalation wurde ein auf Rollen beweglicher Kasten hergestellt, dessen Wände innen mit Zinkblech ausgeschlagen waren. Dadurch war der Innenraum des Kastens von der Umgebung luftdicht abgeschlossen. Der Innenraum hatte eine Länge von 2,20 m, eine Breite von 0,80 m und eine Höhe von 1,60 m. Die beiden schmalen Seiten des Kastens wurden durch Türen gebildet. Eine Tür hatte in Höhe von 1,20 m eine kreisrunde Öffnung von 6 cm Durchmesser. Im Dache des Kastens, 14 ^ '^on der anderen Tür entfernt, war eine gleich große Öffnung angebracht, welche durch einen Holzstöpsel fest verschlossen werden konnte. Waren beide Löcher geöffnet, so war damit für einen genügenden Luftwechsel im Innern des Kastens gesorgt. Ferner war, 1 m von der mit einem Loche versehenen Tür entfernt, in Höhe von ^ jede Längs- wand 1 Ring angebracht. In diesen Kasten wurde das Kalb hineingeführt und die Hals- kette desselben jederseits an den Ringen befestigt, so daß der Kopf des Tieres nach der mit einem Loch versehenen Tür gerichtet war. Nach Schließung beider Türen und der Dachöffnung wurde in die Türöffnung ein Kork gesteckt, dessen Zentrum durch- bohrt war. Der Sprayapparat bestand aus einer Flasche, welche 500 ccm faßte und mit einem doppelt durchlöcherten Stöpsel verschlossen war. Durch den letzteren führten zwei rechtwinklig gebogene Röhren ; die eine reichte mit einem Schenkel bis auf den Boden der Flasche, während der zweite Schenkel der Röhre durch den in der Türöffnung be- findhchen Kork bis in den Innenraum des Kastens führte; die andere Röhre hatte nur zwei kurze Schenkel, von denen der außerhoib der Flasche befindliche mit einem Gummi- ballon verbunden war. Die Flasche stand auf einem kleinen Brette dicht unter dem Loche in der Tür, und durch Druck auf den Gummiballon gelangte die im Sprayapparat befindliche Flüssigkeit im fein zerstäubten Zustande in den Innenraum des Kastens gerade dahin, wo sich der Kopf des Versuchstieres befand. Die für die Inhalation be- stimmte Flüssigkeit bestand aus 500 ccm einer Aufschwemmung, welche durch Verrei- bung von 1 bzw. 2 g einer Reinkultur der Bazillen der menschlichen Tuberkulose mit 500 Teilen Wasser gewonnen worden war. Die Zerstäubung dieser Flüssigkeitsmenge dauerte ca. 15 Minuten. Während dieser Zeit und in den noch folgenden 15 Minuten verbHeb das Kalb in dem vollkommen luftdicht abgeschlossenen Kasten. Darauf wurden während der nächsten 1 Yo Stunden die beiden Löcher an der Tür und am Dach des Kastens geöffnet. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1075 Nachdem das Kalb mithin 2 Stunden in dem Kasten zugebracht hatte wurde es herausgenommen und am ganzen Körper mit warmem Lysolwasser tüchtig abgewaschen, um die zufälhg auf die Haare gefallenen Bazillen zu entfernen oder abzutöten. Einmalige Inhalation von .500 ccm einer Aufschwemmnng von Bazillen der menschlichen Kalb Nr. 19. Tuberkulose (Verdünnung 1 : 500). Inhalationszeit 15 Minuten. Aufenthalt im Kasten 2 Stunden. V e r s u c h s d a u e r: Nach 179 Tagen getötet. G e w i c h t s z u n a h m e : + 7S kg. Klinischer Befund: Während der ersten beiden .Monate nach der Inhalatiim stieg die Temperatur bei dem Kalbe öfters fiel)erhaft an, hielt sich aber in der folgenden Zeit innerhalb der normalen Grenzen. Das Allgemeinl)efinden und die Freßlust waren stets gut, dagegen hustete das Tier nach dem ersten ^lonat bis zum Tage der Tötung häufiger. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Einige abgekapselte zusanunenlie- gende erbsengroße tuberkiüöse Herde in der rechten Lunge. Leberegel in den Gallengängen. Mikroskopischer Befund: Anwesenheit von Bazillen der menschlichen Tuber- kulose in den erkrankten Lvmgenteilen. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit erkrankten Limgenstiickchen in- fizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Einmalige Inhalatiim von 500 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Kalb Nr. 20. Tuberkulose (Verdünmmg 1 : 500). V e r s u c h s d a \i e r : Nach 1 7!) Tagen getötet. G e w i c h t s z u n a h m e : +11 5 kg. Klinischer Befund: Fieberhafte Temperat\ir im ersten Monat: in dei' idirigen Zeit war die Temperatur normal. P a t h (> 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f und: Alle Organe normal. Dreimalige Inhalationen von je 500 ccm einer Aufschwemmimg von Bazillen der mensch- Kalb Nr. 21. liehen Tuberkulose (Verdünnung 1 bzw. 2 : 500). .Jedesmal zweistündiger Aufenthalt im Kasten. Dauer der Inhalation 15 Minuten. Erste Inhalation 1 g auf 500 g aqua; 13 Tage später zweite Inhalation 1 g : 500 g aqua: 11 Tage später dritte Inhalation 2 g : 500 g aqua. V e r s u c h s d a u e r : Nach 179 Tagen getötet. G e w i c h t s z n n a h m e : -|- 1 1 9 kg. Klinischer Befund: Nach der ersten und zweiten Inhalation einige Tage Fieber, in der übrigen Zeit normale Temperatur. Allgemeinbefinden gut. Pathologisch - a'n a t o m i s c h e r B e f und: Alle Organe normal. Dreimalige Inhalation von je 500 ccm einer Aufschwemiiuuig von Bazillen der menschlichen Kalb Nr. 22. Tuberkulose (Verdünnung 1 l)zw. 2 : 500). Jedesmal zweistündiger Aufenthalt im Kasten, Dauer der Inhalation 15 Minuten. Erste Inhalation 1 g Tuberkelbazillen auf 500 g aqua; 13 Tage nach erster Inhalation 1 g Tuberkelbazillen auf 500 g aqua: 11 Tage nach zweiter Inhalation 2 g Tuberkelbazillen auf 500 g aqua. V e r s u c h s d a u e r: Nach 179 Tagen getötet. Gewi c h t s z u n a h III e : + 99 kg. Klinischer Befund: Jedesmaliges Ansteigen der Temperatur einige Tage nach der Inhalation, während der ül)rigen Beobachtungszeit normale Temi)eratur. Allgemeinbefinden gut. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d: Broncliiektatische, mit einer grünlich- gelben schleimigen zähen Masse angefüllte Höhlen im mittleren imteren Teile des Hinterlappens der rechten ljunge. Ein abgekapseltes Exemplar von Distomum lic|iaticiiiii in demselben T^ungen- ahschnitte. Distomen in den Gallengängen der Leber. .Mikroskopischer Befund: In den l)ronchiektatischen Hohlen keine Tuberkel- liazillen nachzuweisen. .M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Teilen aus den bronchiektatischen Hohlen infizierten .Meerschweinchen blieben gesund. 113* 1076 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Schlußbetrachtung. Die vier Inhalationsversuche lehren, daß man nur in einem Falle imstande war, durch Inhalation von Bazillen der menschlichen Tuberkulose einen kleinen abgekapselten tuberkulösen Prozeß in den Lungen hervorzurufen, während die übrigen drei Kälber, von welchen zwei die ungeheure Menge von je 4 g Bazillen der menschlichen Tuberkulose eingeatmet hatten, vollkommen gesund blieben. Schluß. Hiernach haben die durch Fütterung, Injektion und Inhalation mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose bzw. mit Perlsuchtbazillen bei Kälbern gemachten Versuche zu folgendem Ergebnis geführt: Das Rind ist für den Bazillus der menschlichen Tuberkulose nicht empfänglich, während der Perlsuchtbazillus für das letztere eine sehr große Virulenz hat. Zur möglichst schnellen Unterscheidung, ob man es mit der Tuberkulose des Men- schen oder derjenigen des Rindes zu tun hat, eignet sich am besten die Einspritzung des tuberkulösen Materials unter die Haut eines Kalbes. Das mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose subkutan infizierte Kalb zeigt meist ein sofortiges Ansteigen der Temperatur, welches aber nur kurze Zeit andauert. Die Injektionsstelle vergrößert sich langsam, ohne daß die weitere Umgebung mit- betroffen wird, auch geht die Schwellung später wieder etwas zurück. Die in der Nach- barschaft gelegenen Lymphdrüsen schwellen dabei gar nicht oder nur einige Tage ganz unbedeutend an, um bald wieder ihre normale Größe anzunehmen. Eine Veränderung im Allgemeinbefinden der infizierten Tiere tritt niemals ein. Bei dem mit Perlsuchtbazillen infizierten Kalbe tritt erst nach 7 — 10 Tagen ein fieberhaftes Ansteigen der Körpertemperatur ein; von dieser Zeit ab besteht aber an- dauernd Fieber. Die Injektionsstelle schwillt in kurzer Zeit bedeutend an, die Schwellung setzt sich auf die Umgebung, besonders auf die benachbarten Lymphdrüsen fort, welche schon nach 10 Tagen das Doppelte ihrer normalen Größe erreichen. An der Injektions- stelle kommt es später meist zur Eiterung und zum Durchbruch durch die Haut. Mit diesen lokalen Erscheinungen ist eine Verminderung der Freßlust, öfteres Husten und eine allmähliche Erschwernis und Beschleunigung der Atmung verbunden. Gewöhn- lich erkranken die Tiere so heftig, daß sie schon nach wenigen Wochen an der Perlsucht verenden. B. Schweine. Alle zum Versuch benutzten ca. ^ Jahr alten Schweine waren gesund und hatten auf eine subkutane Einspritzung von je 0,1 g Tuberkulin gar keine bzw. ganz unbe- deutende Temper aturste 'gerungen gezeigt. I. Fütterung, a) Menschliche Tuberkulose. Sechs Schweine erhielten täglich zusammen ca. 100 g Sputum eines tuberkulösen Menschen, das in gewissen Zwischenräumen auf seinen Gehalt an Tuberkelbazillen untersucht wurde. Das Sputum wurde im Mörser verrieben und mit 2 Liter Milch, die im Dampfkochapparat sterilisiert worden war, tüchtig vermischt. Die Schweine fraßen dieses Gemisch stets mit großer Begierde und bekundeten danach im Allgemeinbefinden keine Veränderung, auch blieb die Temperatur stets innerhalb der normalen Grenzen. Tuberkulose des Menschen und des Eindes. 1077 Täglich ca. 15 g Sputum eines tuberkulösen Menschen. Fütter u n g s d a u e : 104 Tage. V e r s u c h s d a u e r : Nach 138 Tagen getötet. Gewichtszunahme: -|- 40 kg. P a t h ti 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d : Alle Organe normal. Schwein Nr. 1. Täglich ca. 15 g Sputum eines tuberkulösen Menschen. Schwein Nr. 2. F ü 1 1 e r u n g s d a u e r : 104 Tage. V e r s u c h s d a u e r : Nach 138 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 50 kg. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s (! h e r Befund: Partielle verkalkte Tuberkulose der Gekröslymphdrüsen und der rechten imter der Ohrspeicheldrüse gelegenen Lymphdrüse. Einige Miliartuberkel in den Lungen. Mikroskopischer Befund: In den käsigen imd verkalkten ^Massen der Gekrös- und der rechten unter der Ohrspeicheldrüse gelegenen Lymjjhdrüse und in den Tuberkeln der Lungen waren Tuberkelbazillen nachzuweisen. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Teilen der veränderten Lymphdrüsen und Lungen infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Täglich ca. 15 g Sputum eines tul»erkulösen ^Menschen. SchweinNr.3. F ü 1 1 e r u n g s d a u e r : 104 Tage. V e r s \i c h s d a u e r: Nach 138 Tagen getötet. G e w i c h t s z u n a h m e: + 49 kg. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Einige stecknadelkopfgroße käsige und kalkige Knötchen in den hinter dem Schlundkopfe gelegenen Lymphdrüsen. Im übrigen alle Organe normal. M i k r o s k o p i s c h e r B e f u n d: In den Knötchen der genannten Lymi)hdi ii!-en wurden Tuberkelbazillen ermittelt. M e e r s c h w e i n c h e n ü 1) e r t r a g u n g: Die mit Teilen der Knötchen infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Täglich ca. 15 g Sputum eines tul)erkulösen Äfenschen. SchweinNr.4. F ü 1 1 e r u n g s d a u e r: 104 Tage. V e r s u c h s d a u e r : Nach 104 Tagen getötet. Gewichtszunahme: -|- 27 kg. Pathologisch-anatomischer Befund: Alle Organe normal. Täglich ca. 15 g Sinitum eines tuberkulösen Mensclien. Schwein Nr. 5. F ü 1 1 e r u n g s d a u e r: 104 Tage. Vers u c h s d a u e r: Nach 104 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 25 kg. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d: Tuberkidose der Kelilgangslymph- drüsen. Chronische Entzündung der Leber. Mikroskopischer Befund: In den käsig veränderten Lymphdrüsen Tiiberkel- Ijazillen. Meers c h w e i n c h e n ü Ii e r t r a g u n g: Die mit Teilen der Lymphdrüsen infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Täglich ca. 15 g Sputum eines tiiberkulösen Menschen. SchweinNr. 6. F ü 1 1 e r u n g s d a u e r: 104 Tage. Vers u c Ii s d a u e r : Nach 104 Tagen getötet. G e w i c h t s z u n a h m e: + 20 kg. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d : Alle Organe ntirmal. b) R i n d e r t u b e r Iv u 1 o s e. Sechs Schweine erhielten tägUch Perlsuchtbazillen, welche in sterilisierter Milch aufgeschwemmt waren. Die Perlsuchtbazillen waren aus tuberkulös erkrankten Or- ganen eines Rindes hergestellt, worden. Das tägliche Quantum, welches verfüttert wurde, betrug für alle sechs Schweine i;ngefähr die HäKte einer Bouillonkultur. 1078 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. SchweinNr.l. Täglich der zwölfte Teil einer Reinkultur der Perlsuchtbazillen. Fütter ungsdauer: 75 Tage. Versuchsdauer: Nach 109 Tagen getötet. Gewichtszunahme: +30 kg. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulose der im Kehlgange hinter dem Schlundkopfe, am Halse, Buge und in dem Gekröse gelegenen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose der Lungen und Leber mit gleichzeitiger tuberkulöser Erkrankimg der an der Teilungsstelle der Luftröhre, im Mittelfelle und in der Leberpforte gelegenen Lymphdrüsen. Mikroskopischer Befund: Der Nachweis von Perlsuchtbazillen gelang in den erkrankten Organen. Meersch weinchen über trag 11 ng: Die mit denselben infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. SchweinNr.2. Täglich der zwölfte Teil einer Reinkultur der Perlsuchtbazillen. Fütterungs d au er: 75 Tage. Versuchsdavier : Nach 109 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 25 kg. Pathologisch-anatomisch erBefund: Tuberkulose der im Kehlgange, hinter dem Schlundkopfe, am Halse, Buge, in dem Gekröse, an der Teilungsstelle der Luftröhre, in dem Mittelfelle und in der Leberpforte gelegenen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose der Lungen und Leber. Mikroskopischer Befund: In allen erkrankten Organen waren Perlsuchtbazillen nachzuweisen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen der erkrankten Organe in- fizierten Meerschweinchen bekamen ausgebreit«te Tuberkulose. Schwein Nr. 3. Täglich der zwölfte Teil einer Reinkultur der Perlsuchtbazillen. Fütterungs dauer: 68 Tage. Versuchs dauer: Nach 68 Tagen gestorben. Gewichtszunahme: + 1 kg. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulose der im Kehlgange, hinter dem Schlundkopfe, im Gekröse und in der Leberpforte gelegenen Lymphdrüsen. Ausgebreitete und Miliartuberkulose der Lungen. Miliartuberkulose der Leber und Milz. Mikroskopischer Befund: In den erkrankten Organen ließen sich Perlsucht^ bazillen nachweisen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen der betroffenen Organe in- fizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Schwein Nr. 4. Täglich ein Zwölftel einer Reinkultur der Perlsuchtbazillen. F ü 1 1 e r II n g s d a u e r : 54 Tage. Versuchsdauer: Nach 54 Tagen gestorben. Gewichtszunahme: + 3 kg. P a t h ologisch-anatomischer Befund: Tuberkulose der im Kehlgange, hinter dem Schlundkopfe und in dem Gekröse gelegenen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose der Lungen. MikroskopischerBefund: In den Drüsen und Lungen ließen sich Perlsuchtbazillen nachweisen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen aus den erkrankten Drüsen und Lungen infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Schwein Nr. 5. Täglich ein Zwölftel einer Reinkultur der Perlsuchtbazillen. Fütterungsdauer: 75 Tage. Versuchsdauer: Nach 109 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 23 kg. Pathologisch-anatomischerBefund: Tuberkulose der im Kehlgange, hinter dem Schlundkopfe, im Gekröse, an der Teilungsstelle der Luftröhre, im Mittelfelle und in der Leber- pforte gelegenen Lymphdrüsen. Ausgebreitete und Miliartuberkulose der Lungen. Miliartuberkulose der Leber und Milz. Mikroskopischer Befund: Die Anwesenheit von Perlsuchtbazillen in den er- krankten Organen wurde nachgewiesen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen aus den erkrankten Organen infizierten Meerschweinchen bekamen ausgebreitete Tuberkulose. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1079 Täglich ein Zwölftel einer Reinkultur der Perlsuchtbazillen. Schwein Nr. 6. Fütter ungsdauer: 54 Tage. Versuchsdauer: Nach 54 Tagen gestorben. Gewichtszunahme: + 6 kg. Pathologisch-anatomischerBefund: Tuberkulose der im Kehlgange, hinter dem Schlundkopfe und im Gekröse gelegenen Lymphdrüsen. Tuberkulose der Lungen. Mikroskopischer Befund: In den erkrankten Organen wurden Perlsuchtbazillen ermittelt. Meer schweinchen üb ertragung: Die mit Teilen der Drüsen und der Lungen infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Schlußbetrachtung. Die vorstehenden sechs Fütterungs versuche mit bazillenhaltigeni Sputum eines tuberkulösen Menschen und die entsprechenden Parallelversuche mit Bazillen der Tuber- kulose des Rindes zeigen, daß es unmöglich ist, bei Schweinen durch Verfütterung der Bazillen der menschlichen Tuberkulose eine allgemeine Tuberkulose zu erzeugen. Die Verfütterung der Bazillen der Rindertuberkulose dagegen verursachte bei sechs Schweinen innerhalb kurzer Zeit schwere tuberkulöse Veränderungen des Ver- dauungsapparates, denen bald eine allgemeine Ausbreitung der Tuberkulose auf die übrigen Organe folgte. An letzterer gingen zwei Schweine bereits nach 54 und eins nach 68 Tagen nach dem Beginn des Versuchs zugrunde II. I n j e k t i o n s V e r s u c h e. 1, Subkutane Injektion. a) Menschliche Tuberkulose. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Tuberkulose Schwein Nr. 1. des Menschen, welche durch Verreiben von 1 g einer Reinkultur der Bazillen mit 100 Teilen Wasser gewonnen worden war, unter die Haut an der Innenfläche des linken Hinterschenkels. Versuchsdauer: Nach 135 Tagen getötet. Gewichtszunahme: 53 kg. + Klinischer Befund: An der lujektionsstelle bildete sich im Laufe der Beobachtungs- zeit ein ca. kii'schkerngroßer Knoten aus. Dagegen wurden weder Temperatursteigerung noch son- stige Veränderungen im Allgemeinbefinden beobachtet. Pathologisch-anatomischer Befvind: Bohnengroßer verkalkter Herd an der Injektionsstelle des linken Hinterschenkels. Im übrigen alle Organe normal. Mikroskopischer Befund: In den verkalkten Massen des Knotens waren Tuber- kelbazillen nachzuweisen. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Teilen der verkalkten Injektions- stelle infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen SchweinNr.2. Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) unter die Haut des linken Hinterschenkels V e r s u 0 h s d a u e r: Nach 100 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 21kg. Klinischer Befund: An der Innenfläche des linken Hinterschenkels — Einstich- stelle — bildete sich ein ca. haselnußgroßer Knoten aus. Vom 8. bis 14. Tage nach der Einspritzung stieg die Temperatiir auf 40,2 — 40,3"; während der ganzen übrigen Zeit bestand normale Temperatur. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulöser käsiger Herd an der Injektionsstelle des linken Hinterschenkels. Tuberkulose in der linken äußeren Schamdrüse. Par- tielle leichte katarrhalische Lungenentzündung. MikroskopischerBefund: In der Injektionsstelle und in der linken äußeren Schani- drüse wurden Tuberkelbazillen nachgewiesen; die übrigen Organe waren frei von letzteren. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen aus der Injektionsstelle in- fizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose, während diejenigen Meerschwein- chen, denen Stückchen der erkrankten Lunge unter die Haut gebracht worden waren, gesund blieben. 1080 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. b) Rindertuberkulose. Schwein Nr. 1 . Einmalige Einspritzung von 2 ccna einer Aufschwemmung von Bazillen der Eindertuber- kulose (Verdünnung 1 : 100) unter die Haut in der Gegend der rechten Kniefalte. Versuchsdaiier: Nach 135 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 19 kg. Klinischer Befund: Innerhalb 14 Tagen entstand eine walnußgroße Anschwellung an der Injektionsstelle in der rechten Kniefalte, die später wieder etwas kleiner wurde. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulöser Herd an der Injektions- stelle. Tuberkulose der im Kehlgange, hinter dem Schlundkopfe, an der Teilungsstelle der Luft- röhre, im Mittelfelle und in der Lungenpforte gelegenen Lymphdrüsen. Ausgebreitete und Miliar- tuberkulose der Lungen. Miliartuberkulose der Leber und Milz. Mikroskopischer Befund: Perlsuchtbazillen wurden in allen erkrankten Organen nachgewiesen. Meer Schweinchenübertragung:' Die mit Teilen von erkrankten Organen in- fizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Schwein Nr. 2. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Rindertuber- kulose (Verdünnung 1 : 100) in der Gegend der rechten Halsseite. Versuchsdauer: Nach 135 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 20 kg. Klinischer Befund: An der Injektionsstelle in der Gegend der rechten Halsseite bildete sich innerhalb 8 Tagen ein fester Knoten, der später weicher wurde und sich nach außen öffnete. Aus der Öffnung floß eine eitrige gelbe Masse. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulöses Geschwür an der In- jektionsstelle. Tuberkulose der Lungen, der an der Teilungsstelle der Luftröhre, im Mittelfelle und in der Leberpforte gelegenen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose der Milz. Mikroskopischer Befund: Die Anwesenheit von Perlsuchtbazillen ließ sich in allen erkrankten Organen feststellen. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen der erkrankten Organe in- fizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tviberkulose. Schlußbetrachtung. Diejenigen Schweine, denen Bazillen der menschlichen Tuberkulose unter die Haut gespritzt worden waren, bheben gesund, trotzdem die Bazillen ihre Virulenz nicht ver- loren hatten, dagegen erkrankten diejenigen Schweine, welchen Bazillen der Rindertuber- kulose unter die Haut gespritzt worden waren, innerhalb kurzer Zeit an allgemeiner Tuber- 2. Intra- kulose. abdominale a) Menschliche Tuberkulose. Injektion. Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) in die Bauchhöhle. Versuchsdaxier: Nach 102 Tagen getötet. Gewich tsz\i nähme: + 21kg. Klinischer Befund: Vom 8. bis 14. Tage nach der Einspritzung fieberhafte Tempe- ratur, sonst keine Veränderungen. Pathologisch-anatomischer Befund: Alle Organe von normaler Be- schaffenheit. SchweinNr.2 Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) in die Bauchhöhle. Versuchs da u er: Nach 135 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 50 kg. Klinischer Befiind: Das Tier war stets vollkommen gesund. Pathologisch-anatomischer Befund: Alle Organe waren normal. b) Rindertuberkulose. SchweinNr. 1. Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Rindertuber- kulose (Verdünnung 1 : 100) in die Bauchhöhle. Versuchsdauer: Nach 94 Tagen getötet. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1081 Gewichtszunahme: + 4 kg. Klinischer Befund: Das Schwein hustete öfters und ging infolge der allmählich abnehmenden Freßlust im Nährzustande zurück. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulose des Bauchfells. Aus- gebreitete und Miliartuberkulose der Lungen. Tuberkulose der an der Teilungsstelle und am unteren Ende der Luftröhre gelegenen Lymphdrüsen. Miliartuberkel in der Milz, in einem Knoten der Gekrös- lymphdrüse und in der in der Leberpforte gelegenen Lymphdrüse. Mikroskopischer Befund: Nachweis von Perlsiichtbazillen in den erkrankten Organen. p M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Teilen der erkrankten Organe in- fizierten Meerschweinchen wurden von allgemeiner Tuberkulose befallen. Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwenunung von Bazillen der Rindertuber- ScliweiiiNr.2. kulose (Verdünnung 1 : 100) in die Bauchhöhle. V e r s u c h s d a u e r : Nach 135 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 17 kg. Klinischer Befund: Das Tier zeigte während der Beobachtungszeit meist nur ge- ringe Freßlust und hustete öfter. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f vi n d : Käsig verkalkter Knoten in der Bauchwand. Tuberkulose des Bauchfells und der in der Leberpforte und im Älittelfelle gelegenen Lymphdrüsen. Akute Miliartuberkulose der Lungen, der Leber und der Milz. Mikroskopischer Befund: In den erkrankten Organen konnten Perlsuchtbazillen nachgewiesen werden. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g u n g: Die mit Teilen aus den erkrankten Organen infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. S c h 1 u ß b e t r a c h t u n g. Eine Einspritzung von Bazillen der menschlichen Tuberkulose in die Bauchhöhle von Schweinen vermochte bei letzteren keine Veränderung hervorzurufen ; dagegen er- kranliten Schweine, denen Bazillen der Rindertuberkulose in die Bauchhöhle einge- spritzt worden waren, innerhalb kurzer Zeit an allgemeiner Tuberkulose. a) M e n s c h 1 i c h e T u b e r k u 1 o s e. ^- '"travenöse Injektion. Einmalige Einspritziuig von 1 ccni einer Aufschwemmung von Bazillen der menschlichen Schwein Nr. 1. Tuberkulose (Verdünmmg 1 : 100) in eine Vene des rechten Ohres. Versuchs d a vi e r: Nach 100 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 1 5 kg. Klinischer Befund: Während der ganzen Beobachtungszeit war bei dem Schweine Hvisten und verminderte Freßlust zu beobachten. Ferner l>e'-tand in den ersten 40 Tagen nach der Einspritzung Fieber; später war das Tier fielierfrei. 1' a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d: Miliartuberkulose iler Limgen und der an der Teilungsstelle der Lviftröhre vmd im Mittelfelle gelegenen Lymphdrüsen. Mikroskopischer Befund: In Avisstrichjiräparaten aus den erkiankten Organen konnten Tu1)erkelbazillen nachgewiesen werden. M e e r s c h w e i n c h e n ü b e r t r a g vi n g: Die mit erkrankten Lvnigenstückchen und Teilen der im ^Nlittelfelle gelegenen Drüsen infizierten ^Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. ■ • Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Avifschwemmung von Bazillen der menschlichen Schwein Nr. 2. Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) in eine Vene des rechten Ohres. Versuchs d a u e r: Nach 138 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 25 kg. K 1 i n i s c h e r B e f u n d : Außer einer liochnormaleu Temperatur in den ersten 4 \\ (ichen nach der Einspritzung der Bazillen keine Veränderungen im Allgemeinbefinden. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Alle Organe normal. 1082 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. b) Rindertuberkulose. SchweinNr.l. Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Rindertuber- kulose (Verdünnung 1 : 100) in eine Vene des rechten Ohres. Versuchsdauer: Nach 135 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 20 kg. Klinischter Befund: Außer öfterem Husten und zeitweise verminderter Freßlust waren keine Veränderungen zu beobachten. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulose der Lungen, der an der Teilungsstelle der Luftröhre, im Mittelfelle, Kehlgange, Gekröse und in der Leberpforte gelegenen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose der Leber und Milz. Mikroskopischer Befund: In den Lungen, der Leber, Milz und den erkrankten Drüsen konnten Perlsuchtbazillen nachgewiesen werden. Meerschweinchenübertragung: Die mit Teilen aus den erkrankten Organen infizierten Meerschweinchen bekamen allgemeine Tuberkulose. Schwein Nr. 2. Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwei umimg von Bazillen der Rindertuber- kulose (Verdünnung 1 : 100) in eine Vene des rechten Ohres. Versuchsdauer: Nach 94 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 2 kg. K 1 inischer Befund: An der Iiijektionsstelle bildete sich ein Geschwür, das sich all- mählich auf die ganze Oberfläche der äußeren Ohrmuschel ausdehnte. Das Tier hustete viel und ließ mehr imd mehr in der Preßlust nach. Pathologisch-anatomischer Befund: Tuberkulöse geschwürige Verände- rungen an der Injektionsstelle am rechten Ohr. Ausgebreitete Tuberkulose der Lungen und des Brustfells. Tuberkulose der im Kehlgange, hinter dem Schlundkopfe im Verlaufe und an der Teilungs- stelle der Luftröhre und im Mittelfell gelegenen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose der Milz und Leber. Mikroskopischer Befund: In Ausstrichpräparaten aus den erkrankten Organ- teilen konnten Perlsuchtbazillen nachgewiesen werden. Meerschweinchen Übertragung: Die mit Stückchen der tuberkulösen Organe infizierten Meerschweinchen erkrankten an allgemeiner Tuberkulose. Schlußbetrachtung. Die Erkrankung derjenigen Schweine, denen Bazillen der menschlichen Tuber- kulose in die Blutbahn gespritzt worden waren, blieb auf die Lungen beschränkt, wäh- rend die mit Bazillen der Rindertuberkulose intravenös infizierten Schweine innerhalb kurzer Zeit an allgemeiner Tuberkulose sämtlicher Organe erkrankten. Schluß. Die Fütterungsversuche sowie die subkutanen, intraabdominalen und intravenösen Injektionen mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose einerseits und denen der Rinder- tuberkulose andererseits haben gezeigt, daß auch das Schwein für die Bazillen der menschlichen Tuberkulose nicht empfänglich ist, daß sich dagegen die Bazillen der Rinder- tuberkulose innerhalb kurzer Zeit über den ganzen Körper verbreiten und zu allgemeiner Tuberkulose führen. C. Schafe. Den zum Versuch benutzten sechs Schafen wurde vorher 0,1 g Tuberkulin unter die Haut gespritzt. Hiernach trat keine oder nur eine ganz unbedeutende Temperatur- steigerung bei den Schafen ein. 1. Subkutane ^ i, i • u rr i i i Injektion Menschliche Tuberkulose. Schaf Nr. 1. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Tuberkulose des Menschen, welche durch Verreiben von 1 g einer Reinkultur der Bazillen mit 100 Teilen Waaser gewonnen worden war, unter die Haut an der rechten Seite des Halses. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1083 V e r s u c h s d a u e r: Nach 63 Tagen getötet. Gewichtszunahme: -(- 7 kg. Klinischer Befund: Außer einer geringen Schwellung der Injektionsstelle und der benachbarten Bugdrüse wurden keine Veränderungen wahrgenommen. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d : Eiterig-käsiger Herd an der Injektions- stelle; Tuberkulose der rechten Bugdrüse; alle übrigen Organe normal. Mikroskopisch erBefund: In dem Herde der Unterhaut, nicht aber in der Bug- drüse konnten Tuberkelbazillen nachgewiesen werden. M eersch wein chenübert rag ung: Versuch noch nicht beendet. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwen^mung von Bazillen der menschlichen Schaf Nr. 2. Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100). Versvichsdauer: Nach 63 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 11 kg. Klinischer Befund: Geringe Schwellvmg an der Injektionsstelle. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Eiterig-käsiger Herd an der In- jektionsstelle. Mikroskopischer Befund: Nachweis von Tuberkelbazillen in dem Herde in der Unterhaut. b) R i n d e r t u b e r k u 1 o s e. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemnnuig von Bazillen der Rindertuber- Schaf Nr. 1. kuUise (Verdiinnung 1 : 100) unter die Haut. V e r s u c h s d a u e r : Nach 63 Tagen getötet. Gewichtszunahme: — 6 kg. Klinischer Befund: Das Schaf magerte täglich mehr und mehr ab, zeigte hohes Fieber, beschleunigtes röchelndes Atmen und geringe Freßlust, auch wurde es in kurzer Zeit ge- storben sein, wenn es nicht getötet worden wäre. Pathologisch-anatomischer Befund: An der Injektionsstelle eiterig-käsige Knoten. Tuberkulose der tmteren trachealen Lymphdrüsen. xMiliartuberkiüose der Lungen nebst Lymphdrüsen, der Milz und Nieren. Mikroskopischer Befund: In den erkrankten Organen konnten Perlsuchtbazillen nachgewiesen werden. Meerschwein chenübert ragung: Versuch noch nicht beendet. Einmalige Einspritzung von 2 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Rindertuber- Schaf Nr. 2. kulose (Verdünnung 1 : 100) unter die Haut. V e r s u c h s d a u e r : Nach 63 Tagen getötet. Gewichtszunahme: + 5 kg- KlinischerBefund: Vom 8. Tage ab hohes Fieber, mit verminderter Freßlust. Husten und Beschleunigung der Atmung. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r Befund: Ilühnereigroßer eiterig-käsiger Herd an der Injektionsstelle. Tuberkulose der an der Luftröhre gelegenen Lymphdrüsen, der Bugdrüsen, der in der Le)>erpforte vmd im Gekröse gelegenen Lymphdrüsen. Tuberkulose der Lungen, Leber, Nieren und Milz. M i k r o s k o p i s c h e r B e f u n d: In allen erkrankten Organen konnten Perlsuchtbazillen nachgewiesen werden. M e e r s c h w e i n c Ii e n ü b e r t r a g u n g: Versuch noch nicht beendet. Schlußbetrachtung. Diejenigen Schafe, denen Bazillen der menschlichen Tuberkulose unter die Haut gespritzt wurden, blieben gesund, während die mit Bazillen der Rindertuberkulose in derselben Stelle infizierten Schafe mit allgemeiner Tuberkulose behaftet waren. , ,T 1 1 • 1, rn 1 1 1 2. Intravenöse a) M e n s c h 1 1 c h e i u b e r k u 1 o s e. , • , i- '' Injektion. Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwemnumg von Bazillen der menschlichen Schaf Nr. 1. Tuberkulose (Verdünnung 1 : 100) in die Drosselvene an der rechten Seite des Halses. Versuchsdauer: Nach 63 Tagen getötet. 1084 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Zusammenstellung Menschliche Tuberkulose. Tier- gättung Art der Infektion Art des Infektionsstoffes Wie lange nach der Infektion gestorben getötet W 1 Result CS ÖD o R( tZ* .-M ^% N jsult T. > CS at — — 6 Schweine Fütterung IV JLd^c Iclll^ Irt^llLU LLlil ü C 1 U - k u 1 1 u r 2 nach 54 1 nach 68 Tagen 8 nach 109 Tagen 6 3 Kälber Subkutan 5 ccm Rein kultur. Verdünnung* 1 : 100 1 nach 49 1 nach 77 Tagen 1 nach 100 Tagen 3 2 Schweine OUUKULtlU ^ cciu xveiuKuiiur. vei (-luuuung i . luu — 135 Tagen 2 2 Schafe Subkutan 2 ccni Reinkultur. Verdünnung 1 : 100 — 63 Tagen 9 — — 1 Kalb Intra- abdoniinal 5 ccm Reinkultur. Verdünnung 1 : 100 — 100 Tagen 1 2 Schweine Intra- abdoniiual 1 ccm Reinkultur. Verdünnung* 1 ; 100 1 nach 94 1 nach 135 1 tl.L;Cll O 2 Kälber lutra- venüs 1 ccm Reinkultur. Verdünnung 1 : 500 26 Tagen 100 Tagen 2 — — 2 Schweine Intra- venös 1 ccm Reinkultur. Verdünnung 1 : 100 1 nach 94 1 nach 135 Tagen 2 1 Schaf Intra- venös 1 ccm Reinkultur. Verdünnung 1 : 100 63 Tagen 1 1086 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. G e w i c h t s z VI n a h m e : + 101/2 kg. Klinischer Befund: Außer Husten waren keine Erscheinungen wahrzunehmen. Pathologisch-anatomischer Befund: Eiterig-käsiger Herd an der Injek- tionsstelle. Zahlreiche graue durchscheinende Knötchen in den Lungen. Mikroskopischer Befund: Es gelang zwar der Nachweis der Tuberkelbazillen in dem Herde an der Injektionsstelle, nicht aber in den Knötchen der Lungen. Meer schweinchen Übertragung: Versuch noch nicht abgeschlossen. b) Rinder tuberkulöse. Schaf Nr. 1. Einmalige Einspritzung von 1 ccm einer Aufschwemmung von Bazillen der Rindertuber- kulose (Verdünnung 1 : 100) in die Drosselvene an der rechten Seite des Halses. Versuchsdauer: Nach 63 Tagen getötet. Gewichtszunahme: -)- 1 kg. Klinischer Befund: Abnahme in der Freßlust. Husten und Beschleunigung der Atmung. Vom 8. Tage nach der Injektion an hohe Abendtemperatur. P a t h o 1 o g i s c h - a n a t o m i s c h e r B e f u n d : Abgekapselter käsig-eitriger Herd an der Injektionsstelle. Tuberkulose der Lungen, der bronchialen und mediastinalen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose der Leber, Nieren, Milz, der mesenterialen, portalen, lumbalen und subiliakalen Lymphdrüsen. Mikroskopischer Befund: Nachweis von Perlsuchtbazillen in allen erkrankten Organen. Meer schweinchen Übertragung: Versuch noch nicht beendet. Schlußbetrachtung. Das mit Bazillen der menschlichen Tuberkulose intravenös infizierte Schaf zeigte nur eine geringe Veränderung in den Lungen, ohne jede Neigung, sich auszubreiten, während das Schaf, dem Bazillen der Rindertuberkulose in die Blutbahn gespritzt worden waren, schon innerhalb kurzer Zeit an allgemeiner Tuberkulose erkrankte. Schluß. Die vorstehenden Versuche zeigen, daß Schafe, ebenso wie Schweine und Kälber, nach Infektion mit Bazillen der menschhchen Tuberkulose nicht erkranken, daß aber nach Infektion mit Bazillen der Perlsucht eine Erkrankung an Tuberkulose bei Schafen eintritt, welche der bei Kälbern ähnlich ist. Nur scheint die Ausbreitung der Tuberkulose bei Kälbern schneller zu erfolgen als bei Schafen. Beratung des Reichsgesundheitsrats über Anstellung von Ver- suchen zur Frage der Beziehung zwischen menschlicher Tuberkulose und Perlsucht am 2. April 1902. K o s s e 1 (Berlin) gab zunächst eine Übersicht über die seit dem Londoner Tuberkulose- kongreß im Juli V. J. erschienenen Arbeiten, welche sich mit Versuchen zur Entscheidung der vor- liegenden Frage beschäftigten. Statt der von Koch angegebenen subkutanen Injektion hat der größte Teil der genannten Autoren die intravenöse oder intraperitoneale Einspritzung angewandt. Es liege aber auf der Hand, daß ebenso wie bei Einspritzungen unter die Haut lokale Veränderungen entstehen, und daß die Einspritzung zumal größerer Mengen von Tuberkelbazillen in die Halsvenen zimächst anatomische Veränderungen in den Lungen hervorrufen müsse. Besonders wenn solche Tiere dann zu früh getötet würden, könne der Eindruck hervorgerufen werden, als ob es sich um eine gelungene Übertragung der menschlichen Tuberkulose auf das Rind handle. Lasse man die Tiere jedoch länger am Leben, so könne anscheinend eine Rückbildung bis zum völligen Verschwinden der Veränderungen eintreten. .Jedenfalls gehe auch aus den angeführten Versuchen hervor, daß im allgemeinen die Tuberkelbazillen menschlicher Herkunft von denen tierischer Herkunft in ihrer Wirkung verschieden seien. Die Gegner Kochs führten jedoch diese Verschiedenheiten auf Unter- Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1087 schiede in der Virulenz, nicht auf Artverschiedenheiten zurück und betrachteten meist den Perlsucht- bazillus als den für den Menschen gefährlicheren, weil er sich bei den Versuchstieren stets als der viriilentere erwiesen habe. V. B a u m g a r t e n (Tübingen) betonte, daß man die Frage nach der Empfänglichkeit des Menschen für die Perlsucht des Rindes und umgekehrt die Empfänglichkeit des Rindes für mensch- liche Tuberkulose vollkommen trennen müsse von der Frage nach der Identität der beiden Bazillen (menschliche Tuberkulose und Perlsucht). Ja es könne sogar Identität der beiden Bazillen bestehen, ohne daß Perlsucht auf den Menschen und umgekehrt die menschliche Tuberkulose auf das Rind übertragen werden kann. Daß die Menschen sehr wenig empfänglich sind für die Perlsucht der Rinder, beweisen einmal seine in Königsberg gemachten Versuche vmd dann auch das höchst seltene Vor- kommen von primärer Darmtuberkulose und Tuberkulose der Mesenterialdrüsen beim Menschen. Er empfehle, die Versuche mit Kulturen möglichst verschiedener Herkunft zu machen. Gelingt es dann nicht ohne weiteres, die menschliche Tuberkulose auf das Rind zu übertragen, so gelinge es vielleicht nach Passage durch verschiedene Tiere. Er schlägt zu diesem Zwecke vor, die vom Menschen gewonnene Kultur der Reihe nach durch Meerschweinchen, Kaninchen, Schwein, Ziege und Rind zu schicken. Koch erwidert zunächst, daß der Frage nach Verwendung möghehst verschie- denen Impfmaterials insofern schon entsprochen sei, als die verschiedensten Autoren mit den verschiedensten Kulturen gearbeitet hätten, und doch seien alle diese Kulturen menschlicher Tuberkelbazillen nicht imstande gewesen, beim Rinde Perlsucht zu er- zeugen. Sodann gibt er eine kurze Zusammenstellung der — hauptsächlich von Tier- ärzten gesammelten — Fälle, die als Beweis der Übertragbarkeit der Rindertuberkulose auf den Menschen in der Literatur angeführt werden bzw. ihm durch private Mitteilungen bekannt geworden sind. Zuerst beschrieben im Jahre 1886 Riehl und P a 1 1 a u f eine Hautaffektion bei Fleischern, welche sie als Tuberculosis cutis verrucosa bezeich- neten, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß dic^e Krankheit mit der Perlsucht etwas zu tun haben könne. R a v e n e 1 berichtet von drei vermutlich durch Infektion mit Perlsuchtmaterial zustande gekommenen Erkrankungen an Hauttuberkulose bei Men- schen, von denen eine besonders interessant sei, weil die aus der Hautaffektion nach Passage durch das Meerschweinchen herausgezüchteten Bazillen die von Koch für Perlsucht als charakteristisch betrachtete Eigentümlichkeit zeigten, daß sie für Rinder sehr pathogen waren. Ein Dr. Müller hat bei zwei Fleischern Sehnenscheidenent- zündungen tuberkulöser Natur als Folgen von Verletzungen bei der Bearbeitung perl- süchtigen Tiermaterials feststellen können, die lokal blieben. Dieselbe Erkrankung wird von Oberarzt Sick in Hamburg von einem gewissen Arbeiter Hein und von einem Tierarzt berichtet, der sich selbst auf diese Weise infiziert hatte. Koch nimmt an, daß leichte Hautverletzungen, die mit perlsüchtigem Material infiziert werden, meist nur zur Knötchenbildung führen, dagegen tiefere Verletzungen auch solche Sehnen- scheidenentzündungen tuberkulöser Natur hervorrufen können. Er hat in zwei Fällen bei im übrigen völlig gesunden Arbeitern des Berliner Schlachtviehhofs aus derartigen Hautveränderungen Reinkulturen gezüchtet. Auch in Gelsenkirchen hat Koch drei Schlachthof angestellte mit Tuberculosis cutis verrucosa gefunden und Reinkulturen aus den ausgeschnittenen Hautstückchen gewonnen. In einem dieser Fälle soll der Knoten 8 Jahre lang bestanden haben, die Perlsuchtbazillen würden also — wenn sie dessen überhaupt fähig wären — Zeit genug gehabt haben, sich dem menschlichen Or- ganismus anzupassen. Die gewonnenen Kulturen sollen demnächst an Rindern geprüft werden. Koch empfiehlt, noch mehr solches Material zu sammeln. Nach Erwähnung noch einiger ähnlicher Fälle, die aus der Literatur bekannt sind, hebt er hervor, daß allen diesen Fällen gemeinsam ist einmal die Geringfügigkeit der Erkrankung, sodann der Umstand, daß die Affektion in allen Fällen lokal bleibt, ohne auf die benachbarten 1088 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Drüsen überzugreifen. Im Gegensatz dazu führe der sogenannte Leichentuberkel, der auf Infektion mit menschlicher Tuberkulose beruhe, häufig zu allgemeiner Tuber- kulose. Frankel (Halle) hebt dagegen hervor, daß auch der sogenannte Leichentuberkel beim Menschen genau so wie die Infektion mit perlsüchtigem Material verlaufen kann. Er empfiehlt ferner eine Umfrage bei den ijathologischen Anatomen und Kinderärzten bezüglich der Häufigkeit der pri- mären Intestinaltuberkulose beim Menschen. Darauf betont Koch nochmals an der Hand des seither von ihm aus allen Rich- tungen gesammelten Materials das äußerst seltene Vorkommen von primärer Darm- tuberkulose, welches jetzt mit einzelnen Ausnahmen allseitig anerkannt sei. Trotzdem jetzt besonders auf das Vorkommen dieser Erkrankung geachtet werde, sei es ihm doch nur in wenigen Fällen gelungen, Material von primärer Tuberkulose der Mesenterial- drüsen und des Peritoneums zu erhalten. Im ganzen habe er bis jetzt vier solcher aus Mesenterialdrüsen gewonnenen Kulturen geprüft. Ein Fall betraf ein 10 ^jähriges Mädchen, das eine einzige verkalkte Mesenterialdrüse hatte. Die Impfung derselben auf Meerschweinchen fiel positiv aus. Die hieraus gezüchtete Reinkultur war für Rinder pathogen, so daß es den Anschein hat, als ob die Erkrankung in diesem Falle tatsäch- lich auf Infektion mit Perlsuchtbazillen beruhe. Die übrigen drei Kulturen sowie die aus den Fällen von Peritonealtuberkulose gewonnenen Kulturen zeigten alle keine Patho- genität für das Rind. Gaf fky (Gießen) bestätigt sodann das höchst seltene Vorkommen von i^rimärer Tuber- kulose des Darms in Gießen. Den Unterschied zwischen Tuberculosis cutis verrucosa und dem so- genannten Leichentuberkel hält er ebenfalls für sehr gering, wenn überhaupt einer besteht. Er be- zeichnet es als wünschenswert, daß auch Versuche von Einatmung menschlichen tuberkulösen Ma- terials in den Versvichsplan aufgenommen würden. L ö f f 1 e r (Greifswald) berichtet, daß auch Perlsuchtbazillen beim Rinde, subkutan geimpft, nicht immer zu einer Allgemeininfektion, sondern auch nur zu lokalen Veränderungen ohne Betei- ligung der inneren Organe führen könnten. Koch führt diese Beobachtung Löfflers auf die geringe Virulenz des benutzten Perlsuchtstammes zurück. Die Reaktion sei aber jedenfalls immer noch eine stärkere gewesen, als er sie mit seinem Stamm von menschlicher Tuberkulose bekommen habe. Er betont noch besonders, bei den Versuchen sorgfältig zu vermeiden, daß eine Über- tragung von Tier zu Tier im Stall stattfinden könne, und erklärt die Anwendung der subkutanen Impfung als dringend und allein wünschenswert. Die einzuspritzende Menge sei genau festzusetzen. Durch mikroskopische Präparate wird von Koch die Aufnahme der Tuberkelbazillen durch die Makrophagen bei peritonealer Impfung von Meerschwein- chen veranschaulicht. Diese Makrophagen verschleppen das aufgenommene Material in den ganzen Körper und führen auf diese Weise eine allgemeine Erkrankung herbei. Schütz (Berlin) berichtet über Versuche, die von ihm mit der Milch perlsüchtiger Kühe durch Verfütterung an Kälber gemacht wurden. In der Regel erkrankten die Kälber nicht an Tuber- kulose; aber wenn sie erkrankten, so trat niemals eine Tuberkulose an den inneren Organen auf mit Überspringung des Darms und der Mesenterialdrüsen. Bei Verfütterung von Milch, welcher mensch- liches tuberkelbazillenhaltiges Sputum oder Reinkulturen von menschlichen Tuberkelbazillen zu- gesetzt waren, trat in keinem Falle Tuberkulose auf ; bei Verfütterung von Milch, welcher Perlsucht- bazillen zugesetzt waren, erkrankten in der Regel die Kälber nicht. Auch hier wurde niemals Tuber- kulose der inneren Organe mit Überspringen des Darms und der Mesenterialdrüsen beobachtet. Koch schlägt vor, um die Versuche möglichst den praktisch in Betracht kommen- den Ansteckungsmöglichkeiten anzupassen, neben der subkutanen Impfung möglichst noch Fütterungsversuche an Rindern — die Schweine könnten, weil praktisch unwichtig, ausfallen — zu machen, und zwar mit tuberkelbazillenhaltigem menschlichen Auswurf möglichst verschiedener Herkunft. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1089 Auch die von G a f f k y vorgeschlagenen Einatmungsversuche werden in den Plan aufge- nommen. Die Vorbereitung des anzuwendenden Impfmaterials wird nacli Koch folgen- dermaßen gehandhabt: Nach Gewinnung der Tuberkelbazillen bzw. Perlsuchtbazillen in Reinkultur werden Oberflächenkulturen auf 2 proz. Glyzerinbouillon angelegt. Nach- dem hinreichendes Wachstum eingetreten ist, wird die Kulturmasse auf dem Filter ge- sammelt und durch Auspressen mit Filterpapier von der anhaftenden Kulturflüssigkeit befreit, gewogen und behufs gleichmäßiger Verteilung im Mörser mit einer geringen Menge physiologischer Kochsalzlösung verrieben. Die auf diese Weise gewonnene Emulsion wird so mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt, daß in 1 ccm der Ver- dünnung 1 cg der Kulturmasse enthalten ist. Von dieser Verdünnung sollen 5 ccm ein- gespritzt werden. Der Zusatz von 2% Glyzerin sei ganz ohne Bedeutung, da dieser während des Wachstums der Bazillen vollkommen aufgebraucht werde. Das Alter der zu benutzenden Rinder wird auf 3 — 6 Monate festgesetzt. Die Einspritzungen in die Milchdrüse werden, weil praktisch unwichtig, fallen gelassen. Man einigt sich dahin, daß die Versuche sich namentlich auf subkutane Impfung, Einatmung und Verfütterung von tuberkulösem Material bzw. Reinkulturen von Tuberkelbazillen erstrecken sollen. Die Versuche sollen außerdem nur mit Rindern und Schweinen gemacht werden, die übrigen im früheren Versuchsplan enthaltenen Versuchstiere, Pferde, Kaninchen, Affen, fallen weg ; nur der v. Behring sehe Versuch mit der Ziegenpassage soll auf Antrag von Frankel nachgeprüft werden. Die Kontrollschweine sollen mit abgekochter Milch, welcher Reinkulturen von Perlsuchtbazillen zugesetzt sind, gefüttert werden. Die Nummer C des früheren Versuchsplans fällt ebenfalls ganz weg, da sie nach den Ausführungen von Koch ohne jeden praktischen Wert ist, ebenso die Versuche mit den Kollodiumsäckchen und an Affen, die schon durch frühere Versuche hinreichend bearbeitet seien. Nach der Meinung von K o c h kommt die Frage nach der Identität der Tu- berkelbazillen des Menschen und der Perlsuchtbazillen des Rindes praktisch gar nicht in Betracht, sondern es komme nur darauf an, zu erfahren, ob Milch, Fleisch usw von perlsüchtigen Tieren für den Menschen gefährlich sei oder ob umgekehrt das Rind dvirch die menschliche Tuberkulose Schaden leiden könne. Dieses sollen die anzustellenden Versuche aufklären. Durch Tierärzte sollten ferner die Leute festgestellt werden, welche eine Zeitlang die ungekochte Milch notorisch perlsüchtiger Rinder genossen haben, ohne zu erkranken. Die Frage kommt nach längerer Diskiission zu keinem definitiven Abschluß. Koch hält es zwar für notwendig, daß die Tiere vor Beginn der Versuche mit Tuberkulin geprüft würden, schon um eine Ansteckungsmöglichkeit im Stalle zu ver- meiden und damit eine große Fehlerquelle auszuschalten, legt aber keinen Wert darauf, ob man Tuberkulin aus Tuberkelbazillen oder Perlsuchtbazillen anwendet. Die zu ver- wendende Dosis wird auf mindestens 0,5 g Tuberkulin festgesetzt. Die Frage des Vor- sitzenden, ob die Tuberkulineinspritzung eine Einwirkung auf den Ausfall der Versuche selbst haben könnte, wird verneint. Koch bemerkt schließlich, daß die Resultate der in den verschiedenen Ländern schon bestehenden Tuberkulosekommissionen, da sie alle nach verschiedenen Plänen, mit verschiedenen Tieren, verschiedenen Kulturen usw. arbeiten, notwendigerweise auch ganz verschieden ausfallen müßten, und hält es daher im Interesse der Sache für wünschenswert, daß man versuchte, mit den auswärtigen Tuberkulosekommissionen Fühlung und wenn möglich fortlaufenden Verkehr zu bekommen. Der Vorsitzende schlägt zu diesem Zwecke vor, den Versuchsplan, mit einem Kommentar versehen, durch Vermittelung des Auswärtigen Amte-; den Regierungen der betreffenden Länder zugänglich zu machen und zugleich die Bitte daran zu knüpfen, auch ihrerseits Kenntnis von ihren Versuchsplänen und -ergebnissen zu gelten. Koch, Gesammelte Werke. 114 1090 Tuberkulose des Menschen und des Rindes. Beratung des Reichsgesundheitsrats über „Weitere Ergebnisse der im Gesundheitsamte angestellten Versuche zur Frage der Identität der Tuberkelbazillen des Menschen mit den Perlsuchtbazillen des Rindes", am 25. Juni 1904. K o s s e 1 (Berlin) beginnt mit der Schilderung der Impfungsversuche. Er weist zunächst auf die große Zahl der seit der letzten Sitzung') erschienenen Veröffentlichungen über die vorliegende Frage hin. Nach seiner Ansicht stimmen die Ergebnisse aller Versuche im großen und ganzen über- ein, nur ihre Deutung ist verschieden. Die im Gesundheitsamte angestellten Versuche hatten im we- sentlichen folgendes Ergebnis geliefert. Die Bazillen aus tuberkulösen Veränderimgen bei Menschen, Rindern und Schweinen lassen sich in zwei verschiedene Typen trennen, die als Typ\is humanus und Typus bovinus bezeichnet werden können. Die beiden Typen unterscheiden sich zunächst in ihrem Wachstum auf Bouillon mit Zusatz von 2,5 % Glyzerin. Die Bazillen des Typus humanus gedeihen auf diesem Nährboden gut, sie bilden nach kurzer Zeit an der Oberfläche der Flüssigkeit eine zu- sammenhängende dicke Haut, welche an den Wandungen des Glases emporklettert. Die Bazillen ' des Typus bovinus dagegen zeigen ein viel spärlicheres Wachstum und die Bildung einer sehr zarten, j oft nur schleierartigen Oberflächenhaut. (Demonstration.) Ferner lassen sie a\ich morphologische | Unterschiede erkennen: In gefärbten Ausstrichen aus Reinkulturen von Typus bovinus sind die i Stäbchen von sehr verschiedener Größe, manche erscheinen stark gekörnt, andere sind von schatten- haftem Aussehen. Die Bazillen des Typus humanus dagegen sind mehr gleichmäßig gefärbt und ij von gleicher Länge. (Demonstration.) Die Ergebnisse der subkutanen Verimpf ung auf Kaninchen |j stimmten mit den an Rindern erzielten überein, insofern als die Bazillen des Typus bovimis bei Ka- ninchen nach subkutaner Injektion allgemeine Tuberkulose hervorriefen, die Bazillen des Typus humanus dagegen nicht. Nvir eine einzige Kultur zeigte in dieser Hinsicht ein anderes Verhalten. Koch bemerkt, daß die Richtigkeit seiner auf dem Londoner Kongreß geäußerten Ansicht durch die in Rede stehenden Untersuchungen voll bestätigt worden sei und er jetzt auf jenem Standpunkt fester als je beharre. Schon die Verschiedenheit im Wachs- tum der Kulturen hat das Vorhandensein zweier — er will sich ebenso wie der Vorredner vorsichtig ausdrücken — Typen mit solcher Evidenz herausgestellt, daß daran nicht mehr gezweifelt werden kann. Seine im Londoner Vortrag mitgeteilte Anschauung von einer Artverschiedenheit sei ganz falsch interpretiert worden, ihm seien Behaup- tungen imputiert worden, welche er nie ausgesprochen habe. Es sei ihm damals vor allem auf die Art der Bekämpfung der menschlichen Tuberkulose und auf die Erledigung der Frage angekommen, ob dem Fleisch, der Milch, der Butter perlsüchtiger Tiere die- jenige Bedeutung für die Verbreitung der menschlichen Tuberkulose gebühre, welche jenen Nahrungsmitteln bis dahin beigelegt wurde. D a m m a n n (Hannover) berichtet über Versuche, welche er im Auftrage des preußischen Landwirtschaftsministeriums Ende 1902 begonnen hat. Diese haben zu Resultaten geführt, die in manchen Punkten von denjenigen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes abweichen und bis jetzt nur zum kleinsten Teil zum Abschluß gebracht sind. Was die zunächst der Diskussion unterliegenden Impfversuche betreffe, so seien diese erstens mit direkt vom Menschen entnommenen tuberku- lösem Material, zweitens mit solchem, welches den Meerschweinchenkörper passiert habe, und drittens mit Reinkulturen menschlicher Tuberkelbazillen ausgeführt worden. O r t h will an den von K o s s e 1 mitgeteilten Versuchsergebnissen keine Kritik üben, sondern aus diesen nur seine Konsequenzen ziehen, und zwar in zweifacher Richtung. Die erste Frage lautet: Ist eine Verschiedenheit zwischen den Bazillen menschlicher Herkunft und denen tierischer Abstammung vorhanden? Die vorliegenden Untersuchungen liefern eine bejahende Antwort. Die zweite Frage lautet: Ist die Perlsucht für den Menschen gefährlich? Auch hier geben die Ver- suche eine bejahende Antwort. Namentlich die neueren Versuche beweisen mit Gewißheit, daß beim Menschen Fälle von Tiiberkulose vorkommen, die durch den Perlsuchtbazillus hervorgerufen sind. Die auf diese Weise zustande gekommenen Erkrankungen können auch einen recht schweren Charakter aimehmen, wie dies besonders der Fall des Kindes mit Hydrocephalus zeige. Also eine Gefahr liege unstreitig vor, doch sei diese Gefahr — darin stimme er mit Koch überein — nicht so groß wie die der menschlichen Tuberkulose. *) Im Jahre 1903; an dieser Sitzung hatte Koch (wegen seiner Anwesenheit in Südafrika) nicht teilgenommen. D. Herausgeber. Tuberkulose des Menschen und des Rindes. 1091 Koch kann die D a m m a n n sehen Versuche, da dieselben nicht eingehend genug dargestellt seien, keiner Kritik unterziehen. Es sei eine schwierige Sache, Spon- tantuberkulose auszuschließen, gerade bei Kälbern, bei denen die Tuberkulinprobe unsicher ist. Da helfe weiter nichts, als daß man den Befund genau untersucht und deutet. Bei einer Einspritzung unter die Haut am Halse entstehe zunächst eine Veränderung der Bugdrüse, dann erst greife der Prozeß über auf die Lunge usw. Finde man nach subkutaner Injektion keine Veränderungen an der Bugdrüse, sondern nur Lungen- oder Darmtuberkulose, dann sei dies keine Wirkung der Injektion. Sehe man hier- auf die Literatur durch über Versuche, die vielfach von Leuten ohne besondere Vor- kenntnisse und nur an wenigen Tieren angestellt wurden, dann müsse man sagen, sie halten auch keiner milden Kritik stand. Wenn man 2 Kälber mit derselben Kultur impfe, dann werden entweder beide krank oder keines; der Befund müsse eindeutig sein. In zweifelhaften Fällen sei eine Wiederholung des Versuchs notwendig. Nach einer Replik von D a m m a n n bemerkt Koch, daß er mit seinen Aus- führungen keine Bemängelung beabsichtigt habe, er wolle nur die Widersprüche zwischen den D a m m a n n sehen Versuchen und denen des Gesundheitsamtes lösen. Im übrigen halte er die beiden von D a m m a n n erläuterten Fälle für negativ. Erscheinungen an der Impfstelle seien immer vorhanden. Auch könne es nach der Einspritzung von Bazillen menschlicher Provenienz zu einer Verschleppung einzelner Keime nach anderen Organen kommen, doch heilen etwa dadurch entstehende Veränderungen wieder ab. Tuberkulöse Veränderungen, in denen sieh keine Bazillen nachweisen lassen, seien für ihn keine Tuberkulose; bei solcher finde er immer Bazillen. K o s s e 1 berichtet dann über die Pütterungsversuche. D a m m a n n (Hannover) und Schottelius (Freiburg) teilen abweichende Resul- tate mit. Koch hat zusanunen mit Schütz 6 Tiere monatelang mit Sputum ge- füttert; das Resultat war dasselbe wie im Gesundheitsamte und bei vielen anderen ihm bekanntgewordenen Versuchen. Die Resultate von Schottelius stehen allen diesen diametral gegenüber. Nach seiner Ansieht sei die Kuh vorher perlsüehtig ge- wesen und habe während des Versuches die beiden anderen Tiere angesteckt. Wenn Schottelius aus der Kuh eine Kultur herausgezüchtet hätte, dann wäre diese sicher eine vom Typus bovinus gewesen. Der Vorsitzende faßt das Ergebnis der Besprechung dahin zusammen, daß sich auch bei den Fütterungsversuchen Verschiedenheiten zwischen dem typus humanus und dem typus bovinus herausgestellt haben, und daß diese auch in der Richtung Unterschiede aulweisen, ob man am Kalbe oder am Schweine operiert. Kossei berichtet ferner über die I nhalations versuche, die noch nicht abgeschlossen sind, und übei' Versuche mit Ziegenpassagen. Koch war von Anfang an gegen die Passageversuche, da es sich für ihn nur um die Entscheidung der praktischen Frage handelte, ob ein Mensch durch den Genuß von Milch, Butter oder Fleisch perlsüchtiger Rinder generalisiert tuberkulös werden kann. Für ihn haben daher die Passageversuche nur theoretischen Wert und können nach seiner Meinung fallen gelassen werden. Nach Mitteilungen von Weber (Berlin) über die Frage von der Umwandlung der Säugetier- bazillen im Kaltblüterorganismus gibt K o s s e 1 einen ttberblick über die Resultate der Immunisierungsversuche. Koch ist der Ansicht, daß durch diese ITntersuehungen vollkommen die Rich- tigkeit des von ihm eingenommenen Standpunktes bestätigt wird, daß 114* 1092 Fürsorge für Kranke mit vorgeschrittener Lungen- und Kehlkopftuberkulose. 1. wir es bei den Bazillen der menschlichen Tuberkulose und denen der Perl- sucht mit zwei Typen zu tun haben, welche schon in der Kultur voneinander unterschieden werden können, und daß 2. beim Menschen zwar infolge Aufnahme von Perlsuchtbazillen Verände- rungen auftreten können, diese jedoch einmal sehr selten sind und zum andern nie einen progressiven Charakter haben, sondern regressive Pro- zesse darstellen. Ferner können die bovinen Bazillen die Mesenterialdrüsen nicht überspringen, und die etwa in diesen auftretenden Erscheinungen gehen stets wieder zurück. Kul- turen aus Hauttuberkulose bei Fleischern zeigten auch in solchen Fällen, wo die Verän- derungen etwa 3 Jahre alt waren, schon in der Kultur deutlich bovinen Charakter, vor allen Dingen hohe Pathogenität für das Rind. Trotzdem sei ihm kein Fall bekannt- geworden, wo sich der Prozeß weiter ausgedehnt habe, nur in dem Falle Troje sei er bis zu den regionären Achseldrüsen vorgedrungen, habe jedoch augenscheinlich hier halt- gemacht. Die Infektion mit Perlsuchtbazillen wirke also beim Menschen immer nur lokal. Primäre Darmtuberkulose beim Menschen sei an und für sich schon ein seltenes Vorkommnis, und unter diesen seltenen Fällen sei eine bovine Infektion so selten anzu- nehmen, daß man darüber die auf anderen Gebieten liegenden Hauptaufgaben der Be- kämpfung der menschlichen Tuberkulose nicht zurückdrängen dürfe. Orth ist der Ansicht, daß die Rindertuberkulose für den Menschen doch nicht ganz so un- schuldig ist, wie K o c h es darstellt. 25 % der in den Bereich der vorliegenden Versuche gelangten Miliartuberkulosefälle haben bovinen Ursprung erkennen lassen, und müsse hieraus gefolgert werden, daß bovine Infektion beim Men chen auch zum Tode führen kann. Koch deutet diese Erscheinung in demselben Sinne, wie es K o s s e 1 bei einer Kultur getan hat, daß es sich nämlich in solchen Fällen um eine Mischinfektion handelt. Hierauf müsse man immer aufs strengste Bedacht nehmen, zumal da in der überwie- genden Zahl von FäUen nur lokale Veränderungen gefunden werden. Weit mehr als durch solche Erwägungen würde die Entscheidung der Frage dadurch gefördert, daß man sich bemüht, solche Fälle zu ermitteln, in denen Menschen längere Zeit hindurch Milch von eutertuberkulösen Kühen getrunken haben. Derartige Untersuchungen sollten nunmehr in erster Linie ins Auge gefaßt werden , zumal sie weder besonders schwierig noch kostspielig werden können, wenn die Veterinäre der Angelegenheit ihre Unterstützung leihen. Beratung des Reichsgesundheitsrats über die Ausgestaltung der Für- sorge für Kranke mit vorgeschrittener Lungen- und Kehlkopftuberkulose, am 27. April 1909. In der Diskussion zu den Referaten von v. Leube (Würzburg) und Biele- feld t (Lübeck) führte Koch aus, daß der in der Überschrift des Referats des Herrn V. Leube enthaltene Begriff der ,, vorgeschrittenen" Tuberkulose als eines für die All- gemeinheit besonders gefährlichen Stadiums dieser Krankheit seiner Ansicht nach un- haltbar sei. Es handele sich nicht um die Frage, ob vorgeschrittene Tuberkulose be- stehe oder nicht, sondern darum, ob eine offene oder geschlossene Tuberkulose vorliege. Ohne weiteres gefährlich für ihre Umgebung seien nicht die Kranken mit vorgeschrittener Tuberkulose, wohl aber alle Kranken mit offener Tuberkulose, gleichviel, in welchem Stadium der Krankheit die Tuberkulösen der letztbezeichneten Art sich befänden. Kranke mit offener Tuberkulose schieden oft sogleich im frühesten Stadium ihrer Er- krankimg große Mengen von Tuberkelbazillen aus. Der an offener Tuberkulose leidende Kranke sei die ganze Zeit über ansteckend; er stecke aus seiner Umgebung die dazu I Fürsorge für Kranke mit vorgeschi'ittener Lungen- nnd Kehlkopftuberkvdo.se. 1093 Disponierten schon so frühzeitig an, daß seine IsoHenmg im dritten Stadium viel zu spät käme. Er verweise in dieser Hinsicht auf die mit der Isolierung der Aussätzigen in Hawai gemachten Erfahrmigen. Trotzdem seit 40 Jahren sämtliche Kranke dort auf der Insel Molokai auf das strengste abgesondert würden, sobald sie als aussätzig entdeckt seien, zeige die Lepra in Hawai nicht nur keine Abnahme, sondern sogar eine Zunahme. Die Ursache liege in der zu späten Absonderung. Genau so stehe es mit der Tuberkulose. Die Absonderung nur der bereits Schwerkranken werde niemals zu dem angestrebten Ziele führen, die Weiterverbreitmig des Krankheitserregers der Tuberkulose überhaupt zu verhindern oder zu verhüten. Herr v. L e u b e habe deshalb sehr zutreffend, wie man aus dem dritten Leitsatz seines Referats ersehen könne, die Kranken aller Stadien bei der Maßnahme der Unterbringung in Krankenanstalten berücksichtigt; es sei rich- tiger, die Bezeichnung offene Tuberkulose" zu setzen an Stelle des Ausdrucks ,, vor- geschrittene Tuberkulose". Er stelle den Antrag, diese Änderung der Bezeichnung vor- zunehmen. V. L e u b e stimmte grundsätzlich den Ausführungen von Koch zu, glaubt aber, daß aus praktischen Rücksichten doch unterschieden werden müsse zwischen den Leichtkranken mit offener Tuberkulose und den Vorgeschritteneren mit Kavernen. Koch bemerkte dazu, daß niemand es für ausführbar erachten werde, alle Kranken mit offener Tuberkulose in Krankenhäuser zu verbringen. Nun würden aber nur etwa 40 000 Kranke jetzt alljährlich in Deutschland zeitweise in den Lungenheilstätten unter- gebracht; ihnen gegenüber ständen mehrere hunderttausend Tuberkulöse, die zum Teil eine bedenkliche Ansteckungsgefahr bildeten und frei umhergingen. 68 000 Tuberkulöse stürben allein in einem Jahre außerhalb der Krankenhäuser und sonstiger Anstalten in ihren Wohnungen. Es müsse vor allem für die außerhalb von Anstalten sich auf- haltenden a n s t e c k u n g s g e f ä h r 1 i c h e n Tuberkulösen gesorgt werden. Die Anstalten hülfen nicht, solange die Kranken nicht hineingingen. Er lege das Haupt- gewicht nicht auf die Krankenhäuser, die ja doch nicht alle ansteckungsgefährlichen Tuberkulösen aufnehmen könnten, sondern auf die Bekämpfung der Tuberkulose in den Wohnungen durch die Eürsorgestellcn. Koch wies weiter darauf hin, daß den Fürsorgestellen seiner Ansieht nach in der Zukunft der Hauptanteil an der Bekämpfung der Tuberkulose zufallen werde. Die Fürsorgestellen hätten in weitestem Umfange für die Kranken zu sorgen, da auch die Schwerkranken nicht dauernd, sondern nur zeitweise in den Krankenanstalten verbleiben würden. Die Fürsorgestellen müßten ferner belehrend wirken. Für ihre großen Auf- gaben bedürften sie indes der nötigen Geldnnttel. Er beantrage daher einen Zusatz zu Leitsatz 5 des Herrn v. Leube des Inhalts, daß die Fürsorgestellen — unter welchen Namen alle in Betracht kommenden Stellen zusammengefaßt werden sollten — zur Er- füllung ihrer Aufgaben der ausgiebigsten LTnterstützung durch die Regierungen be- dürfen. Koch beanstandete den Ausdruck ,, zur Fürsorge der Kranken berufene Organe", man solle statt dessen einfach ,, Fürsorgestellen" sagen und damit eine einheitliche Bezeichnung für alle derartigen Stellen einführen. In Newyork, in Norwegen und Dänemark seien Zwangsbestimmungen vorhanden. Sie kämen aber z. B. in Newyork nur für den Fall ,, offensichtlicher Gefährdung" der Umgebung zur Anwendung. Hierbei erhebe sich schon gleich die oft schw er;'ge Frage, wann eine solche ,, offensichtliche Gefährdung" vorliege. Ferner sei der Zwang allen denen gegenüber zulässig, welche die angeordneten Vorsichtsmaßnahmen zu Hause nicht ausführten. In Wirklichkeit käme es aber, wie ihm in Newyork versichert worden sei, 1094 Bedenken gegen die Anlage einer Tuberkuloseheimstätte. fast niemals zur Ausübung des Zwanges. Vielmehr sei schon die Androhung des Zwanges wirksam genug. Seiner Ansicht nach sei die Einführung eines Zwanges in Deutschland zurzeit noch nicht möglich. Zu einer Bemerkung von Scheibe (Berlin) über die Erkrankung des Wärter- personals an Tuberkulose wies Koch auf die auffallende Tatsache hin, daß derartige Ansteckungen der Wärter oder der Ärzte mit Tuberkulose in einzelnen Krankenhäusern verhältnismäßig häufig seien, in anderen dagegen gar nicht vorkommen sollen. So be- haupte Dr. Williams, der Leiter eines großen Tuberkulosekrankenhauses bei London, nie einen derartigen Fall in seiner Anstalt erlebt zu haben. Es sei wünschens- wert, die Ursache dieser verschiedenen Häufigkeit von Tuberkuloseinfektion beim Warte- personal aufzudecken. Er befürworte, eine diesbezügliche Erhebung im Reiche anzu- stellen und diese vielleicht auf alle Krankenpfleger zu erstrecken, auch auf die nicht in Krankenhäusern tätigen. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 5. Dezember 1898. Euerer Exzellenz beehre ich mich über die vom Regierungspräsidenten in H. gegen die Anlage einer Heimstätte für Tuberkulöse bei A. erhobenen sanitären Bedenken ganz gehorsamst gutachtlich zu äußern: Darüber, daß die Tuberkulose eine ansteckende Krankheit ist, und daß insbesondere der an TuberkelbaziUen reiche Auswurf der Tuberkulösen die allerhäufigste Ursache für die Entstehung der Tuberkulose bildet, besteht heutzutage kein wissenschaftlich begründeter Zweifel mehr. Jeder Tuberkulöse, welcher Tuberkelbazillen produziert, ist deswegen eine Gefahr für seine Umgebung, wenn nicht die von ihm abgegebenen Tuberkelbazillen auf irgendeine zuverlässige Weise unschädlich gemacht werden. Die Ansteckungsfähigkeit der Tuberkulose macht sich indessen nicht unter allen L'mständen, sondern nur unter gewissen Bedingungen geltend. So hat die Erfahrung gelehrt, daß Ansteckung nur erfolgt, wenn Tuberkulöse mit Gesunden in eine langdauernde Berührung kommen, wie es in Familien, bei eng zusammenlebenden Menschen, z. B. in Gefängnissen, Krankenhäusern usw., geschieht. Dagegen ist mir nicht ein einziges Beispiel dafür bekanntgeworden, daß die Tuberkuloseansteckung von einem Gebäude auf ein benachbartes auf dem Wege der Übertragung durch die Luft zustande gekommen wäre, daß also beispielsweise in der Umgebung einer Krankenanstalt, welche zahlreiche Tuberkulöse verpflegt, Fälle von Tuberkulose vorgekommen wären, welche man auf eine derartige Ansteckung hätte beziehen können. Ich glaube deswegen nicht, daß die Bewohner der durch einen ziemlich großen Zwischenraum von der geplanten Anstalt getrennten Gebäude, insbesondere der Kgl. Oberförsterei, irgendwie durch die tuber- kulösen Insassen der Anstalt gefährdet werden. Auch kann ich mir nicht denken, daß durch das Sputum, welches die Kranken der Anstalt beim Spazierengehen außerhalb der Anstalt etwa auf und an den Wegen entleeren, größere Unzuträglichkeiten herbei- geführt werden, als sie jetzt schon an einem Kurorte, welcher von Hunderten Tuber- kulöser besucht wird, bestehen. Die Bedenken, welche der Herr Regierungspräsident gegen die Anlage vom sani- tären Standpunkt geltend gemacht hat, erscheinen mir deswegen unhaltbar, und ich bin davon überzeugt, daß die Anstalt sowohl auf Parzelle 52 als auf Parzelle 287/73 des Lageplanes bestehen kann, ohne irgendwelche Gefahr für die Nachbargrundstücke oder für die Stadt A. zu bieten. Nichtinfektiosität v. Kranken m. geschlossener Tuberkulose. — Krankenhaus f. Tuberkulöse. 1095 An den Dezernenten der Deputation für die öffentliche Gesundheitspflege und die städtischen Krankenanstalten in Berlin. Berlin, den 30. Januar 1909. Hochgeehrter Herr Stadtrat ! Die an mich gerichtete Anfrage: .,Kann es ohne Gefahr für Rekonvaleszenten geschehen, daß Kranke mit ge- schlossener Tuberkulose in dieselbe Anstalt aufgenommen werden? Letztere würden in besonderen Schlafräumen untergebracht werden, aber mit Nichttuber- kulösen im Eßraum und Tageraum zusammenkommen. Schwindsüchtige sind selbstverständlich ausgenommen." beehre ich mich wie folgt zu beantworten. Ein Kranker mit geschlossener Tuberkulose ist für seine Umgebung ganz unge- fährlich. Ich verstehe hierbei unter geschlossener Tuberkulose einen Krankheitszustand, bei welchem von Seiten der Kranken gar keine Tuberkelbazillen an die Außenwelt ab- gegeben werden, sei es im Sputum oder in den Fäzes oder in Absonderungen der Schleim- häute. Da aber sehr oft im Verlaufe der Krankheit eine geschlossene in eine offene Tuberkulose übergeht, so müssen derartige Kranke fortlaufend sorgfältig überwacht werden, wenn man mit Sicherheit eine von ihnen ausgehende Infektionsgefahr ver- meiden will. Unter der Voraussetzung also, daß eine derartige Überwachung stattfindet und daß jeder Kranke, bei welchem auch nur der Verdacht einer offenen Tuberkulose ent- steht, sofort entfernt wird, können Kranke mit geschlossener Tuberkulose unbedenk- lich mit nichttuberkulösen Rekonvaleszenten in derselben Anstalt untergebracht werden, namentlich wenn die Tuberkulösen besondere Schlafräume haben. Bemerkungen zu dem Bauprogramm betreffend ein Krankenhaus für Lungen- und Kehlkopfleidende in Buch in einer Konferenz des Berliner Magistrats am 3. März 1910. Die zu errichtende Anstalt soll nach dem Programm zur Entlastung und Ergänzung der städtischen Krankenhäuser in bezug auf die Unterbringung der an Lungen- und Kehl- kopftuberkulose Leidenden dienen. Eine weitere wichtige Aufgabe derselben würde darin zu erblicken sein, daß sie eine Besserung der Tuberkuloseverhältnisse der Stadt Berlin bewirkt. Diese Verhältnisse liegen nicht günstig. Während in PreuI3en in den letzten 25 Jahren die Sterblichkeit an Lungentuberkulose beständig und gleichmäßig abgenommen und im Jahre 1908 die Zahl 16,4 auf 10 000 Lebende erreicht hat, ist Berlin in dieser Beziehung erheblich zurückgeblieben. Etwa 13 Jahre lang ist die Berliner Kurve der Schwindsuchtsmortalität der preußischen parallel gegangen, und es ist die Mortalitätsziffer von 34,6 auf 21,0 im Jahre 1898 erreicht worden. Dann, also seit etwa 10 Jahren, hört für Berlin das Absinken der Kurve auf. Dieselbe verläuft mit erheblichen Schwankungen in derselben Weise wie vor der Periode der Mortalitätsabnahme. Im Jahre 1908 betrug die Mortalität 19,8, also 13,4 mehr als im Staate Preußen. Daher ist es ge- kommen, daß der Berliner Stadtkreis, welcher früher unter den Regierungsbezirken etwa in der Mitte rangierte, in den medizinalstatistischen Nachrichten für das Jahr 1908 an der Spitze, also mit der höchsten Schwindsuchtssterblichkeit, aufgeführt ist. Bei anderen Großstädten ist ein solcher Stillstand in der Abnahme der Schwindsuchtssterb- lichkeit nicht beobachtet. So hat z. B. London ein gleichmäßiges Sinken bis 14,0 im Jahre 1907. Ganz besonders möchte ich auf Hamburg hinweisen. Diese Stadt hatte 1888 1096 Berliner Krankenhaus für Tuberkulöse. die Ziffer 31,7. Von da ab ist die Mortalität an Lungenschwindsucht fast ohne Unter- brechung bis 13,4 im Jahre 1908, also auf mehr als die Hälfte, herabgegangen. Die einzige mir bekannte Stadt, welche ähnliche Verhältnisse, wenn auch nicht so auffallende auf- weist wie Berlin, ist Newyork, welches im Jahre 1907 eine Schwindsuchtsmortalität von 23,7 hatte und in den letzten 7 Jahren keine deutliche Abnahme gezeigt hat. Man hat in neuerer Zeit Untersuchungen darüber angestellt, welche Ursachen dem in den allermeisten Ländern und Großstädten beobachteten Rückgange der Lungen- tuberkulose zugrunde liegen und hat gefunden, daß dabei verschiedene Faktoren in Frage kommen. Die wichtigsten sind Verbesserungen der Wohnungsverhältnisse und ganz besonders die Überführung der Tuberkulösen in Krankenhäuser. Diese letztere Maßregel erweist sich aber um so wirksamer, je mehr es gelingt, die Kranken mit soge- nannter offener Tuberkulose, d. h. diejenigen, welche durch Verbreitung der ausgehusteten Tuberkelbazillen für ihre Umgebung besonders gefährlich sind, in den Krankenhäusern unterzubringen und sie daselbst möglichst lange Zeit zurückzuhalten. In der richtigen Erkenntnis, daß eine möglichst umfangreiche Bereitstellung von Krankenbetten für Kranke mit offener Tuberkulose das sicherste Mittel zur Verbesserung der Tuberkulose- verhältnisse in einer Großstadt ist, hat man in Newyork beschlossen, die im Jahre 1908 für Schwindsüchtige zur Verfügung stehende Bettenzahl von 2500 auf 5000 zu bringen, von denen mindestens 3500 für vorgeschrittene, d. h. unheilbare Fälle bestimmt sind. Man rechnet dabei auf eine Verpflegungsdauer von durchschnittlich 4 Monaten für einen Kranken. Es ist sehr erfreulich, daß auch Berlin den Entschluß gefaßt hat, in gleicher Weise vorzugehen. Die Erhöhung der Bettenzahl für Schwindsüchtige um 500 wird allerdings dem Bedarf wohl nur zum Teil entsprechen, aber einen mehr oder weniger kräftigen Einfluß auf die Abnahme der Schwindsucht in Berlin wird man sich doch sicher davon versprechen können. Jedoch wird dies nur dann der Fall sein, wenn die neue Anstalt ausschließlich für Fälle mit offener Tuberkulose zur Verfügung gestellt und der Auf- enthalt der Kranken in der Anstalt nicht zu kurz bemessen wird. Nun kommt unter Kindern die offene Lungentuberkulose, worunter ich, wie be- reits erwähnt, diejenigen Fälle verstehe, bei denen Tuberkelbazillen ausgehustet und in der Umgebung verstreut werden, verhältnismäßig selten vor. Aus diesem Grunde würde ich es für ratsam halten, die neue Anstalt nur für Erwachsene einzurichten, und zwar so, daß für Männer drei Pavillons und für Frauen ein Pavillon bestimmt werden. Aus dem Bauprogramm ist zu ersehen, daß die Anstalt ganz nach dem Vorbüde der Lungenheilstätten geplant ist. Sie wird im Walde liegen, mit zweistöckigen Pa- villons und mit Liegehallen versehen sein. Unter der Voraussetzung, daß die Kranken- pavillons mit der Front nach Süden gerichtet sind, was in dem Programm nicht erwähnt ist, glaube ich diesem Plane vollkommen beistimmen zu müssen. Nur einen Punkt möchte ich zur Erwägung anheimgeben. Die Krankenräume sollen in einem Pavillon umfassen: drei Säle mit je 20 Betten, zwei Zimmer mit je 2 Betten und vier Zimmer mit je einem Bett. Nach den Erfahrungen, welche man in den Heilstätten gemacht hat, ist es vorzuziehen, die Krankenräume nicht zu groß zu machen und über 6 Betten für einen Raum nicht hinauszugehen. Die meisten Anstalten haben nur Räume für 1, 2 und 4 Betten. Beelitz hat einige Räume mit 8 Betten, die aber am Ende des Pavillons hegen und von drei Seiten Fenster haben. Von Räumen mit 20 Betten ist entschieden abzuraten. Wenn es irgend angängig ist, sollte man Räume mit mehr als 6 Betten nicht in den Bauplan aufnehmen. Abwässerbeseitigung, Wasserversorgung usw. An den Herrn Staatssekretär des Innern. Berlin, den 25. September 1884. Eurer Exzellenz beehre ich mich folgendes ganz gehorsamst zu berichten. Die an das Reichskanzleramt gerichtete Eingabe des Herrn S. vom 1. v. M. ist die Veranlassung geworden, daß ich eine Äußerung darüber abgeben soll, ,,ob ich auf Grund meiner Forschungen das Abschwemmen von Fäkalmassen in städtischen Ent- wässerungskanälen, wie bei dem Schwemmkanalsystem geschieht, in sanitärer Be- ziehung für zulässig erachte, sowie ob nicht das L i e r n u r s y s t e m , weil es Maß- regeln ausführbar macht, die das gänzliche Ausschließen von Fäkalien aus den Kanälen sowie die Desinfektion allen infizierten Hauswassers praktisch ermöglicht, den Vorzug verdient". Da meine Forschungen sich im wesentlichen auf Infektionskrankheiten beziehen, so wird die von mir verlangte Äußerung sich auch nur mit der Frage zu beschäftigen haben, inwieweit Infektionsstoffe besser durch das Schwemmsystem oder durch das Liernursystem beseitigt und unschädlich gemacht werden. Zum großen Teil ist diese Frage bereits in dem diesseitigen Bericht vom 4. Juni d. J. erörtert und insbesondere auf folgende hierhergehörige Punkte hingewiesen. Die Annahme, daß Infektionskeime aus einer in Ruhe befindlichen oder gleich- mäßig strömenden Flüssigkeit sich in die Luft erheben könnten, hat sich bei allen dar- über angestellten Untersuchungen als irrig erwiesen. Es ist demnach auch nicht zu be- fürchten, daß Infektionskeime aus der Spüljauche der Schwemmkanäle in die Kanal- luft übergehen und mit dieser in die Häuser und Straßen der Stadt, aus der man sie ent- fernen will, zurückgelangen. In bezug auf die Beseitigung von Infektionsstoffen bietet daher das Liernursystem dadurch, daß es infolge der Konstruktion des Röhrensystems ein Ausströmen von Kanalgasen verhindert, gegenüber dem Schwemmsystem keinen Vorteil. Ein zweiter Irrtum, welcher früher gewöhnlich bei der Beurteilung aller zur Ent- fernung von infektionsfähigen Abfallstoffen dienenden Einrichtungen gemacht wurde, besteht darin, daß man die menschlichen Fäkalien als die einzigen Träger von Infektions- stoffen ansah, und daß man infolgedessen fast ausschließlich der Beseitigung der Fä- kalien die Aufmerksamkeit schenkte. In Wirklichkeit ist es aber nicht so. Die Wirt- schafts- und Waschwässer geben nach allen neueren Erfahrungen wahrscheinlich die häufigsten Veranlassungen zur Verbreitung von Infektionsstoffen, und dieselben ver- dienen deswegen noch mehr Beachtung als selbst die Fäkalien. In der Eingabe des Herrn S. ist diesem besonders wichtigen Punkte auch genügend Rechnung getragen und darauf hingewiesen, daß das Liernursystem eine vollkommene Sicherheit für die Vernichtung von Infektionsstoffen, welche im Wirtschaftswasser 1098 Abschwemmen von Päkalmassen in städtischen Abwässerungskanälen. enthalten sind, biete. Es sollen nämlich, wenn Infektionskrankheiten in einem Hause ausbrechen, von der Polizei die für das Hauswasser dienenden Ausgüsse geschlossen und dadurch die Bewohner des Hauses gezwungen werden, das Hauswasser in die Klo- setts zu gießen. Die infektionsverdächtige Flüssigkeit gelange dann mit den Fäkalien in die Poudrettefabrik und werde daselbst durch Erwärmung auf 100° desinfiziert. Theoretisch mag dies richtig sein, aber in der Praxis wird es sich anders gestalten, als von L i e r n u r vorausgesetzt wird. Denn die Polizei kann von dem Vorkommen eines Falles der hier in Frage kommenden Krankheiten, z. B. von Cholera oder Typhus, niemals so frühzeitig Nachricht bekommen, daß nicht schon Abgänge des Kranken und von der verunreinigten Wäsche desselben herrührendes Waschwasser in die Haus- leitung gelangt sein könnten. Ganz unbeachtet sind auch bei dieser von L i e r n u r beabsichtigten Maßregel die leichteren Erkrankungsfälle geblieben, welche überhaupt nicht zur Kenntnis der Polizei kommen. Gerade solche Fälle sind diejenigen, welche erfahrungsgemäß am meisten zur Verschleppung der Infektionskrankheiten beitragen. Bei der Cholera bilden sie sogar die überwiegende Zahl der Erkrankungen, und es wür- den also während einer Choleraepidemie auch beim Liernursystem große Mengen von Infektionsstoff in die für Wirtschaftswässer bestimmte Leitung gelangen, und es würde sich nunmehr fragen, ob die weitere Behandlung dieser Schmutzwässer beim Liernur- system oder beim Schwemmsystem mehr geeignet ist, Infektionsstoffe zu beseitigen. L i e r n u r will die Flüssigkeit vermittels Filtration durch Koaksfilter reinigen, doch kann, wie ausführlich im ganz gehorsamst diesseitigen Bericht vom 4. Juni d. J. dar- gelegt ist, eine wirkliche Reinigung in der von ihm angegebenen Weise nicht erzielt werden, da eine fast neunzigmal so große Filtrationsgeschwindigkeit in Anwendung kommen soll, als erfahrungsgemäß zulässig ist. Zahlreiche neuerdings im Gesundheits- amte angestellte LTntersuchungen haben gerade in bezug hierauf ergeben, daß nur bei einer sehr sorgsamen Behandlung der Filter und wenn das Verhältnis von Filterfläche zur Geschwindigkeit der zu filtrierenden Flüssigkeit das zulässige Maß nicht übersteigt, die Flüssigkeit von Bakterien gereinigt wird. Es ist daher zweifellos, daß das von L i e r - n u r in Vorschlag gebrachte Verfahren höchstens gröbere Schmutzstoffe aus den Wirt- schaftswässern zurückhalten wird, während alle Mikroorganismen und also auch die In- fektionsstoffe ungehindert durch die Filter hindurchgehen. Die mit dem Schwemm- system verbundene Berieselung großer Flächen und Filtration durch ausgedehnte Boden- flächen von nicht zu geringer Dicke entspricht dagegen je nach der Vollkommenheit der Ausführung mehr oder weniger den erwähnten Bedingungen, um die städtischen Abwässer von Infektionsstoffen zu befreien, ehe sie in die öffentlichen Flußläufe ab- gelassen werden. Die von mir verlangte Äußerung über die Beseitigung der Infektionsstoffe durch das Schwemmsystem und das Liernursystem würde demnach dahin zu lauten haben: daß das Abschwemmen von Fäkalmassen, wie es beim Schwemmsystem geschieht, in sanitärer Beziehung unter der Bedingung für zulässig zu erachten ist, daß die städti- schen Abwässer durch Berieselung hinreichend großer Bodenflächen einer genügenden Filtration unterworfen werden; und daß das Liernursystem keine Sicherheit gegen die Infektion des Hauswassers bietet und auch keine ausreichende Desinfektion des infizierten Hauswassers bewirkt, in dieser Beziehung also hinter dem Schwemmsystem zurücksteht. Warings Kanalisationssystem. 1099 An den Herrn Mini.ster der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, dön 14. Januar 1885. Eure Exzellenz haben durch hohe br. m. Verfügung vom 22. Juli er. (Nr. 5460) die unterzeichnete Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen^), unter gleich- zeitiger Ubersendung eines Berichtes des Kaiserlichen Generalkonsuls zu Rotterdam und einer Schrift des Zivilingenieurs P o n t z e n , zu einem gutachtlichen Bericht über das von dem C'olonel Geo. E. W a r i n g erfundene Kanalisationssystem aufgefordert, welchem Auftrage wir hiermit unter Rückgabe der Anlagen der hohen Verfügung ganz gehorsamst nachkommen. Das nach seinem J]rfinder gewöhnlich als Waring-System bezeichnete Kanali- sationsverfahren gehört zu den sogenannten Separatesystemen, welche sich von dem im Gegensatze hierzu als Combined-System bezeichneten gewöhnlichen Schwemm- system dadurch unterscheiden, daß die Fäkalien, das Haus- und Wirtschaf tswasser für sich allein in Röhren abgeleitet werden, während das Regenwasser entweder in offenen Rinnsteinen oder in einer besonderen Kanalleitung dem nächsten Wasserlauf zuströmt. Von dem Liernursystem unterscheidet es sich dadurch, daß es die Entfernung der Schmutzwässer aus den Häusern durch großes Gefälle und gelegentliche Spülung der Kanäle, also nach Art der Schwemmkanäle bewirkt und daß es in bezug auf den endlichen \"erbleib der Schmutzwässer oder die Verwendung derselben überhaupt keine Vorschläge macht. Der Gedanke, die Kanalisation dadurch zu vereinfachen, daß das Regenwasser von dem Kanalsystem ausgeschlossen wird, lag sehr nahe und ist auch schon längst ausgeführt, indem vor nahezu 40 Jahren mehrere englische Städte, z. B. Alnwich und Tottenham, in dieser Weise kanalisiert wurden. Es stellte sich jedoch dabei heraus, daß die Kanäle durch das Hauswasser allein nicht in geeigneter Weise gespült werden konnten, und daß es zu Ablagerungen von Schlamm in den Kanälen mit Verstopfung derselben und allen daraus resultierenden Ubelständen kam. Bei späteren nach diesem Prinzip ausgeführten Kanalisationen hat man es daher vorgezogen, die Regenwasser nicht gänzlich vom Hauswasser zu trennen, sondern, wie z. B. in Oxford, einen Teil derselben zur Spülung der Kanäle zu verwenden. Im allgemeinen hat das Separate- system trotz des Vorteils seiner erheblich größeren Billigkeit in verhältnismäßig wenigen Fällen und nur in kleinen Städten Anwendung gefunden. Doch hat sich in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit der Kanalisationsingenieure demselben wieder mehr zugewendet, und man hat seine Leistungsfähigkeit zu verbessern gesucht, um es mit dem Combined- System konkurrenzfähig zu machen. Diesen Bestrebungen verdanken mehrere neue Kanalisationssysteme und darunter auch das Waring-System ihre Entstehung. Das Eigenartige dieses letzteren Systems liegt darin, daß die Spülung der Röhren durch Einschalten resp. Anfügung von selbsttätig wirkenden Spülbassins bewirkt wird, wodurch einer der hauptsächlichsten Vorwürfe, welche man dem Separate-System gemacht hat, beseitigt werden sollte. Das Waring-System ist zum erstenmal in der am Missisippi gelegenen Stadt Memphis im Jahre 1880 zur Ausführung gekommen und soll, soweit die Berichte darüber reichen, in dieser Stadt zur Zufriedenheit funktioniert, und namentlich soll sich auch die periodische automatische Spülung bewährt haben. Die Vorteile, welche das Waring-System besitzt, sind, abgesehen von der Frage nach dem Verbleib der abgeführten Schmutzwässer, die nämlichen, welche für das Sepa- rate-System überhaupt geltend gemacht werden. Im wesentlichen kommen dieselben ^) Für sie hat K o c h die.ses Referat erstattet. D. Heraiisgeljer. 1100 Warings Kanalisationssystem. darauf hinaus, daß die Anlage erheblich weniger kostspielig ist als diejenige eines Co- bined- Systems, und daß somit auch kleinere und weniger wohlhabende Kommunen der Vorteile einer Kanalisation teilhaftig werden können. Durch den Ausschluß des Regenwassers von der Leitung wird die Menge des aus der Stadt abzuführenden Wassers an und für sich, insbesondere aber die Schwankung derselben so verringert, daß Röhren von bedeutend kleinerem Durchmesser genügen; auch köimen die Röhren durchweg aus Ton bestehen und brauchen nicht so tief gelegt zu werden, als es beim Comb ined- System geschieht. Die Kosten einer derartigen Anlage sollen nur den fünften Teil der zur Ausführung eines gewöhnlichen Schwemmsystems erforderlichen betragen. Außerdem bedingt das geringere Wasserquantum eine ent- sprechende Reduktion an Maschinen, wenn die örtlichen Verhältnisse eine Fortschaffung des Wassers durch Pumpen verlangen, und ebenso an Rieselflächen, wenn es notwendig wird, die städtische Spüljauche durch Rieselung zu reinigen. Diesen Vorteilen der Billigkeit stehen jedoch Nachteile gegenüber, welche die Verwendbarkeit des Separate-Systems wesentlich einschränken. W a r i n g und mit üim alle Vertreter des Separate-Systems nehmen an, daß das Regenwasser aus Städten ohne Bedenken öffentlichen Wasserläufen übergeben werden kann. Damit wird man sich aber nicht einverstanden erklären können, wenn der Grund- satz aufrechterhalten werden soll, daß kein mit fäulnisfähigen Substanzen beladenes Wasser in größeren Mengen den öffentlichen Wasserläufen zugeführt werden darf, ohne daß es vorher einem Reinigungsprozeß unterworfen wird. Denn das Regenwasser wäscht von den Dächern, Höfen und Straßen einer Stadt, namentlich beim Beginn des Regen- falles, so erhebliche Mengen von Kot und Urin von Tieren, von Straßenschmutz, von allen möglichen Wirtschaftsabfällen fort, daß es in bezug auf seinen Gehalt an fäulnis- fähigen Massen der städtischen Spüljauche kaum etwas nachgibt. In kleinen Orten und namentüch in solchen, deren Boden ein hinreichendes Ge- fälle hat, wird die Ableitung des Regenwassers in offenen Rinnsteinen und flachliegenden Kanälen, falls die Fäkalien von denselben ferngehalten werden können, meistens zulässig sein. Aber in größeren und eben gelegenen Städten ist eine derartige Beseitigung des Regenwassers nicht mehr angängig. Rinnsteine, wenn sie auch nur zur Leitung des Regenwassers dienen sollten, würden ganz sicher zur Ansammlung von Abfällen, Straßen- schlamm usw. Veranlassung geben und im Winter durch Einfrieren die Reinhaltung der Straßen und die Ableitung des Regen- und Schmelzwassers zeitweise unmöglich machen. Es würde also für größere Städte nichts übrigbleiben, als auch für das Regen- wasser eine besondere Kanalleitung neben derjenigen für das Hauswasser anzulegen, und zwar müßten die Kanäle derselben genau dieselben Dimensionen haben wie die für das Maximum des Regens berechneten Kanäle des Combined- Systems. Die oberflächliche Lage der Leitungsröhren verhindert, daß die Kanalisation zugleich dränierend Avirkt. Städte, deren Lage eine Tief er legung des Grundwassers verlangt, damit die Keller nicht vom Grundwasser überschwemmt werden, müssen des- wegen außer der flachliegenden Leitung für das Hauswasser noch ein besonders tief- liegendes Kanalnetz für die Bodendränage in den Untergrund legen, oder sie müssen die Röhren des Separate-Systems so tief legen, daß sich damit eine Dränage verbinden läßt. Die Stadt Memphis wäre beispielsweise dazu gezwungen, neben dem Separate- System noch eine besondere Dränageleitung für das Grundwasser anzubringen. Die hier angedeuteten Nachteile des Separate-Systems müssen sich naturgemäß um so mehr geltend machen, je weniger eine Stadt durch ihre natürliche Lage begün- stigt und je größer sie ist. In nördlichen Breiten, wie namentlich in Norddeutschland, würde eine oberflächliche Lage der Abflußröhren nicht zu einem Einfrieren des In- Warings Kanalisationssystem. 1101 halts derselben Veranlassung geben. Berlin, dessen Lage in einem niedrigen Flußtal und an einem verhältnismäßig langsam strömenden Fluß für das Separate-System sehr ungünstig ist, müßte, wenn es nach diesem System hätte kanalisiert werden sollen, mindestens mit zwei getrennten Kanalleitungen versehen sein, mit einer Leitung für das Hauswasser und mit einer zweiten für das Regenwasser, wozu möglicherweise noch eine dritte für die Dränage des Lintergrundes gekommen wäre, wenn eine genügende Dränage sich nicht mit einer der beiden anderen Leitungen hätte verbinden lassen. Dann würde aber immer noch die Frage offen geblieben sein, in welcher Weise das mit dem städtischen Schmutz beladene Regenwasser zu reinigen gewesen wäre, ehe es in die Spree geleitet werden durfte. Mit der Notwendigleit einer Ableitung des Regenwassers in einem besonderen Kanalsystem geht aber der eigentliche Vorteil des Separate-vSystems vollständig ver- loren, wofür die Stadt Berlin ein sehr reiches Beispiel geliefert hat. Im Jahre 1870 wurde nämlich dem Magistrat das Projekt Barry-Etlinger vorgelegt, welches die Ka- nahsation des Radialsystems I — V nach dem Separate-System, und zwar nach Ableitung des Hauswassers durch ein eisernes Röhrensystem, die Ableitung des Regenwassers durch Tonröhren in Vorschlag brachte. Die Ausführung dieses Projektes sollte 60 Millio- nen Mark kosten. Man nahm an, daß wenn auch die Hauswasserleitung aus Tonröhren konstruiert würde, die Kosten auf 40 Millionen Mark zu reduzieren seien. Aber auch unter dieser Bedingung würde das Separate-System immer noch erheblich teurer ge- wesen sein als das zur Ausführung gekommene Combined-System, welches von Baurat Hobrecht auf ungefähr 35 Millionen Mark veranschlagt wurde. So wenig also im allgemeinen das Separate-System für große Städte, welche sich unter gleichen Verhältnissen wie Berlin befinden, geeignet ist, so muß doch anerkannt werden, daß dasselbe für kleine (selbst auch noch für Mittelstädte) und unter besonders günstigen örtlichen Bedingungen mit Nutzen verwendet werden kann. Namentlich wird es dort am Platze sein, wo natürliches Gefälle vorhanden ist, damit die Ableitung des Regenwassers ohne Schwierigkeit an der Oberfläche stattfinden kann, und wo die Lage des Ortes an einem großen Fluß oder am Meer die direkte Einleitung des verun- reinigten Regenwassers zulässig erscheinen läßt. Auch ist es wohl denkbar, daß unter LTmständen in derselben Stadt das Separate-System neben dem Combined-System für einzelne dafür geeignet erscheinende Stadtteile mit Vorteil zu benutzen ist. Das Separate-System verdient daher in Zukunft namentlich in betreff der Kanalisation kleiner Städte volle Beachtung. Was aber speziell das Waring - System in dieser Beziehung anbetrifft, so ist die Zeit seiner praktischen Verwendung noch zu kurz und die Zahl der Orte, wo dasselbe eingeführt ist, zu gering, um jetzt schon beurteilen zu können, ob dasselbe anderen Modi- fikationen des Separatc-Systems vorzuziehen ist. Namentlich werden über die Wirkung der automatischen Spülvorrichtvxng noch weitere Berichte abzuwarten sein. Denn wenn sich auch in Memphis diese Einrichtung bewährt haben soll, so sind doch die örtlichen Verhältnisse verschiedener Städte voneinander zu abweichend, als daß man diesem einen Beispiel schon ein allgemeingültiges Urteil entnehmen könnte. Aus dem, was über das Waring-System hier gesagt wurde, ergibt sich von selbst, inwieweit die in dem Schreiben des Kaiserlichen Generalkonsuls enthaltenen Bemerkun- gen über dieses System und über die Berliner Kanalisation begründet sind. Doch möchten wir nicht unterlassen, auf einige Irrtümer in den Zahlenangaben dieses Berichtes hin- zuweisen. Die Länge der Straßenleitung scheint für Berlin mit 40 km angenommen zu sein. Dieselbe betrug bis Ende 1883 bereits mehr als 400 km. Es würde also, da die Kosten 1102 Warings Kanalisationssystem. der Leitung für 40 km mit ^4 Million Mark veranschlagt sind, die notwendige Ausgabe 5 Millionen Mark betragen. Durch die Trennung des Regenwassers vom Hauswasser soll die Quantität der zu entfernenden Schmutzwässer von 100 auf 7 — 8 % verringert werden. Dieses Mengen- verhältnis kann vielleicht für maximale Mengen von Regen und für einzelne Tage im Jahre zutreffen, aber im Jahresdurchschnitt stellt sich die Differenz zwischen der Menge des Haus- und Regenwassers erheblich geringer. Eine genaue Feststellung derselben hat zwar noch nicht stattgefunden. Aber es läßt sich aus einem Vergleich der Wasser- mengen, welche in trockenen Monaten auf die Rieselfelder gepumpt wurden, mit der Ge- samtmenge des im Laufe des ganzen Jahres dahingeschafften Wassers mit einiger Wahr- scheinlichkeit annehmen, daß durch den Ausschluß des Regenwassers eine Verringerung der abzuführenden Schmutzwässer höchstens auf 75 — 80% zu erzielen sein würde. In dem Bericht sind die Kosten des Separate- Systems für Berlin und eine Länge der Lei- tung von 40 km mit V2 Million Mark veranschlagt. Inwieweit diese Annahme berechtigt ist, wird teils aus dem Kostenanschlag für das früher erwähnte Barry-Etlinger- sche Projekt, teils daraus zu ersehen sein, daß die Kanalisation von Memphis, einer Stadt von 40 000 Einwohnern, fast eine Million Mark (1 150 000 Fr.) gekostet haben soll. Auch die Angabe, daß in Paris auf breiter Grundlage der Anfang mit der Kana- lisation nach dem System W a r i n g gemacht sei, und daß demnächst ganz Paris und nachher andere französische Städte in dieser Weise kanalisiert werden sollten, ist dahin zu berichtigen, daß in Paris eine Kommission, welche zur Prüfung von verschiedenen Kanahsationssystemen eingesetzt ist, neben anderen Systemen auch das Waring-System, und zwar letzteres auf einigen Schulgrundstücken und an einer öffentlichen Latrine, seit dem Herbst 1883 versucht hat. Über das Resultat dieser Versuche ist bislang nichts Authentisches bekanntgeworden. Unser Gutachten über das Waring-System resümieren wir dahin: 1. daß demselben alle Vorteile und Nachteile des sogenannten Separate- Systems zukommen, daß es also bei der Kanahsation von kleinen Orten, von einzelnen Anstalten und unter besonderen örtlichen Verhältnissen eine Verwendung finden kann, daß es aber nicht für Großstädte, welche eine besondere Regenwasserleitung erfordern würden, geeignet ist, 2. daß es kein abgeschlossenes System ist, insofern es die Hauptfrage, die nach dem endlichen Verbleib der Schmutzwässer, offen läßt, 3. daß in den FäUen, wo diese Wässer zur Berieselung verwendet werden, die durch den Ausschluß des Regenwassers bedingte Verminderung der zu beseitigenden Schmutzwässer bei weitem nicht so groß ist, als sie geschätzt worden ist, 4. daß die Erfahrungen über die dem Waring-System eigentümliche automatische Spülvorrichtung noch von zu kurzer Dauer sind, um jetzt schon definitiv über die Ver- wendbarkeit desselben in der Kanalisationstechnik urteilen zu können. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 16. Februar 1886. Euerer Exzellenz beehre ich mich in Erledigung des mir hochgeneigtest erteilten Auftrages (Erlaß vom 31. Oktober vorigen Jahres U. IV. 6313/M. 6901) über den Befund, welchen die Untersuchung der Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Char- lottenburg ergeben hat, ganz gehorsamst Bericht zu erstatten. Den Anlaß zu dieser Untersuchung hatten die Klagen der Vorsteher der Labo- Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Charlottenburg. 1103 ratorien über die schlechte Beschaffenheit des Wassers gegeben, welches die Technische Hochschule ans der Charlottenburger Wasserleitung erhält. Die Mängel des Wassers sind in einem dem Erlaß beigefügten, vom Prof . H. W. V. verfaßten Zeitungsartikel aus- führlich auseinandergesetzt. Sie gehen im wesentlichen dahin, daß das Wasser einen Geruch nach Schwefelwasserstoff verbreite, beträchtliche Mengen von Eisen enthalte und infolgedessen trübe werde und schlammigen Bodensatz bilde, daß es ferner sehr reich an organischen Substanzen und an Kalk sei; dann wird noch der Verdacht aus- gesprochen, daß das Wasser sehr viele Mikroorganismen enthalte. Ein so beschaffenes Wasser ist für den Gebrauch in chemischen Laboratorien nicht geeignet, und es entstand auch die Besorgnis, daß dasselbe als Trinkwasser ge- nossen für die Gesundheit der Lehrer, Beamten und Schüler der Anstalt nachteilig sein könne. Um nun die hier in Frage kommenden Eigenschaften des Wassers zu ermitteln, war eine einmalige Untersuchung nicht ausreichend, denn die Beschaffenheit eines Wassers kann so erheblichen Schwankungen unterliegen, daß eine einzige Untersuchung eine ganz falsche Vorstellung davon gibt. Es müssen deswegen mindestens zwei Ana- lysen innerhalb eines nicht zu kurzen Zeitraumes ausgeführt werden. Auch durfte sich die Untersuchung nicht auf einen einzigen Wasserauslaß beschränken, da auch in dieser Beziehung trotz der gemeinsamen Bezugsquelle Verschiedenheiten vorkommen können. Außerdem mußte von vornherein darauf Bedacht genommen werden, die Ursachen der schlechten Beschaffenheit des Wassers aufzufinden, um über die Möglichkeit einer Abhilfe sowie der Art und Weise, wie diese erreicht werden könne, ein LTrteil zu ge- winnen. Zu diesem Zwecke war es erforderlich, auch die Charlottenburger Wasserleitung und die Entnahmestelle des Wassers am Teufelssee in den Bereich der LTntersuchung zu ziehen. Die Untersuchung nahm ihren Anfang am 12. November v. J. mit einer Besich- tigung an Ort und Stelle, welche hauptsächlich dazu dienen sollte, die zur Entnahme von Wasserproben geeigneten Auslässe zu bestimmen. An dieser Besichtigung beteiligten sich der Rektor der Königlichen Technischen Hochschule Herr Professor Dr. D. und Herr Professor R. Es wurden mir bei dieser Gelegenheit mehrere Wasserauslässe gezeigt, welche ein der Schilderung von Professor V. entsprechendes Wasser lieferten, z. B. ein Auslaß in einem Raum neben dem Rektoratszimmer und ein Auslaß im Zimmer des Herrn Professor R. Dieses Wasser war trübe, enthielt eine Menge dunkelbrauner Flocken, roch deutlich nach Schwefelwasserstoff \ind schmeckte tintenartig. Dagegen fanden sich auch andere Auslässe, welche ein klares und geruchloses Wasser lieferten. Der tintenartige Geschmack fehlte indessen aus solchem klaren Wasser nicht, selbst dann nicht, wenn es durch eins der mehrfach angebrachten Kohlenfilter ge- gangen war. Diejenigen Auslässe, welche klares Wasser gaben, waren die am meisten im Ge- brauch befindlichen; das trübe Wasser kam dagegen aus wenig benutzten Wasserhähnen. In Berücksichtigung dieser Verhältnisse wurde dann beschlossen, das Wasser von zwei fortwährend im Gebrauch befindlichen und daneben das Wasser von zwei wenig gebrauchten Auslässen zu untersuchen; außerdem sollte der Bodensatz, welchen das Wasser im Reser- voir des photographischen Laboratoriums gebildet hatte, analysiert werden. Wasser- proben wurden am 16. November und 10. Dezember, aus einem Auslaß (la) auch noch am 29. Dezember entnommen und dieselben zeigten bei der Analyse folgende Be- schaffenheit : 1104 Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Charlottenburg. 1. Zwei in fortwährendem Gebrauch befindliche Ausflüsse. 1 a) Auslaß beim Zimmer Nr. 121 b) Auslaß in der Wohnung des Hausinspektors am am am am am 16. Novemb. 10. Dezemb. 29. Dezemb. 16. Novemb. 10. Dezemb. In 1 Liter Milligram m 197,5 195,0 192,5 195,0 195,0 Chlor 16,0 16,0 16,3 16,0 16,0 Härte 7,6» 7,2" 8,9" 9,2" 9,2» Spur 0,8 Spur 4,5 1,6 Oxydierbarkeit (Permanganat -Ver- 5,4 9,0 2,4 7,5 7,5 Spur 1,44 3,78 0,7 1,8 Änzahl der Mikroorganismen in 17 63 74 26 104 II. Zwei wenig gebrauchte Ausflüsse. a) Auslaß beim Zimmer b) Auslaß am Boden neben dem Nr. 128 Feuerhahn (westl. Ecke d. Gebäud.) am am am am 16. Novemb. 10. Dezemb. 16. Novemb. 10. Dezemb. In 1 Liter Milligramm 202,5 187,5 192,5 172,5 (245,0 m Bo- (305,0 m Bo- (272,5 m Bo- (310 m Boden- densatz) densatz) densatz) satz) Chlor 16,0 16,0 16,0 16,0 8,3» 8,2» 8,1" 8,6» Ammoniak 2,0 1,0 3,5 4,0 Oxydierbarkeit (Permanganat -Ver- 6,0 7,5 7,4 7,0 1,6 3,6 1,2 Spur Anzahl der Mikroorganismen in 4 33 99 1240 Hierzu ist noch folgendes zu bemerken. Die Proben unter la und b waren sämtlich bei der Entnahme klar, trübten sich aber in kurzer Zeit, so daß sie bei der Ankunft im Laboratorium bereits ein opaleszierendes Aussehen hatten. Das Wasser schmeckte tintenartig. Es hatte einen eigentümlichen Sumpf- oder Moorgeruch, roch daneben aber auch mehr oder weniger deutlich nach Schwefelwasserstoff. Letzteres Gas war indessen in so geringer Menge vorhanden, daß es sich chemisch nicht nachweisen ließ. Nur in dem Wasser, welches der Auslaß im Zimmer des Herrn Professor R. lieferte, ergab die Bleireaktion auch chemisch das Vorhandensein von Schwefelwasserstoff. Die Wasserproben unter 2a und b waren von vornherein trübe und enthielten reichliche Mengen von braunen Flocken. Auch der eigentümliche Greruch trat bei diesem Wasser noch stärker hervor. Der vom Wasser im Reservoir des photo- graphischen Laboratoriums abgesetzte schwarzbraune Schlamm enthielt 59,95% Eisen- oxyd, der Rest bestand aus organischer Substanz und Spuren von Kalk. Aus dem Ergebnis der chemischen Analyse und der bakteriologischen Unter- suchung ist zu ersehen, daß das Wasser aus der Leitung der Technischen Hochschule arm an gelösten Bestandteilen ist, nicht zuviel organische Substanzen enthält und nur Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Charlottenburg. 1105 einen geringen Grad von Härte besitzt. Auch die Zahl der Mikroorganismen ist eine sehr geringe; eine Ausnahme macht nur das Wasser aus dem sclilechten Auslasse 2b, in welchem die Anzahl der Mikroorganismen bis auf 1240 im Kubikzentimeter stieg. Ein Vergleich mit dem Berliner Leitungswasser, und zwar mit dem filtrierten Wasser des Tegeler Sees, welches ein anerkannt gutes Wasser ist, wird am besten zeigen, daß das Charlottenburger Wasser in bezug auf seinen Gehalt an organischen Substanzen, auf die Anzahl von Mikroorganismen und die Härte nichts zu wünschen übrig läßt. Charlottenburger Wasser la filtriertes Wasser des Tegeler Sees. (Dez. 1885) Rückstand 197,5 197,5 Härte 7,6° 6,5» Oxydierbarkeit (Permanganat- Verbrauch) 5,4 16,0 Anzahl der Mikroorganismen im ccm . . 17 150 Das Charlottenburger Wasser erwies sich also vim ein geringes härter als das Berliner Leitungswasser, enthielt aber erheblich weniger organische Substanzen und selbst weniger Mikroorganismen. In bezug auf diese Eigenschaften des Wassers sind die eingangs erwähnten Klagen demnach nicht begründet. Dagegen werden die dem Wasser gemachten Vorwürfe in anderen Punkten voll- kommen bestätigt. Vor allem ist dies der Fall in betreff des Eisengehalts und der daraus sich ergebenden Mängel. Der Eisengehalt ist nicht gleichmäßig, denn er schwankte zwischen kaum bestimm- baren Spuren und 3,78 mg im Liter. Zum Teil wird das darin seinen Grund haben, daß das Wasser beständig einen Teil seines ursprünglichen Eisengehalts verliert durch Um- wandlung der löslichen Eisenoxydulverbindungen in unlösliches Eisenoxydhydrat, welches sich ausscheidet und absetzt. Infolgedessen wird das Wasser um so ärmer an gelöstem Eisen, je länger es in der Leitung gestanden hat, und so muß auch das Wasser, je nach dem Auslaß, welcher dasselbe liefert, und je nach der Zeit der Entnahme einen verschiedenen Eisengehalt haben. Zum Teil ist diese Erscheinung aber auch darin be- gründet, daß das Wasser schon von Haus aus mit verschiedenem Eisengehalt in die Leitung eintritt. Diese fortwährende Ausscheidung der in Lösung befindlichen Eisenverbindungen hat dann zur Folge, daß das anfangs noch klare Wasser sehr bald eine geringe Trübung zeigt, welche allmählich zunimmt, bis sich bräunliche Flocken bilden. Letztere senken sich allmählich zu Boden und geben sowohl in den Leitungsrohren als in Reservoiren, in denen das Wasser längere Zeit steht, zur Ablagerung eines braunen Schlammes Ver- anlassung. Dieser Schlamm ist locker und leicht beweghch, so daß er vom Wasser, wenn es vorübergehend die Leitungsröhren schneller durchströmt, fortgeschwemmt wird und von Zeit zu Zeit mit dem Wasser in größeren Mengen zum Vorschein kommt. Es sind dies dieselben Erscheinungen, welche in dem Wasser der Berliner Leitungen beobachtet wurden, solange dieselben einen Teil ihres Wassers nicht aus dcjn Tegeler See, sondern aus Tiefbrunnen neben dem See entnahmen. Die Ausscheidung von Eisen wurde damals in Zusammenhang gebracht mit der Entwicklung einer Alge, der Creno- thrix polyspora, welche sich in allen Teilen der Leitung, namentlich auch in dem Röhren- system angesiedelt hatte. Es mußte deswegen auch im vorliegenden Falle an die Mög- lichkeit einer Beteiligung der Crenothrix gedacht werden. Aber das Charlottenburger Wasser erwies sich, wie die speziell auf diesen Punkt gerichtete Untersuchung ergab, nahezu frei von Crenothrix. Nur in dem Wasser des schlechten Hahns 2b fand sich ein einziger Crenothrixfaden. Reichlich waren die Crenothrix allerdings im Schlamm aus K och, Gesammelte Werke. 115 1106 Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Charlottenburg. dem Reservoir des photographischen Laboratoriums vertreten neben zahlreichen anderen Mikroorganismen, unter denen besonders Beggiatoen erwähnenswert sind, weil sie regel- mäßig da auftreten, wo lebhafte Zersetzungen von schwefelhaltigen Substanzen vor sich gehen. Es läßt sich jedoch nicht annehmen, daß diese Anhäufungen von Crenothrix und Beggiatoen sämtlich aus der Leitung stammen. Man wird diesen Befund vielmehr so zu erklären haben, daß einzelne Fäden dieser Algen mit dem Wasserleitungswasser in das Reservoir gelangten und in dem abgelagerten Schlamm eine ihrer Vermehrung günstige Stätte fanden. Um die Annahme, daß die Crenothrix an der Bildung des Eisenschlamms beteiligt sei, gänzlich ausschließen zu können, müßten allerdings fernere Untersuchungen, nament- lich auch zu anderen Jahreszeiten gemacht werden, da es nicht unwahrscheinlich ist, daß die Vegetation der Crenothrix in den Wintermonaten, in welche die jetzigen Unter- suchungen fielen, eine geringere ist als im Sommer. Außer seinem hohen Eisengehalt hat das Charlottenburger Wasser nun aber noch weitere Eigenschaften, welche einem guten Wasser nicht zukommen sollen. Sämtliche Wasserproben hatten einen eigentümlichen, unangenehmen Geruch, welcher teilweise durch Schwefelwasserstoff bedingt war. Dann ist noch der außergewöhnlich hohe Gehalt von Ammoniak, welchen fast alle Proben zeigten, auffallend. Der Gehalt an Eisen, Schwefelwasserstoff und Ammoniak ist also dasjenige, was an dem Charlottenburger Wasser auszusetzen ist, und es würde sich nunmehr fragen, inwieweit dasselbe durch diese Bestandteile ungeeignet wird, als Trink- und Gebrauchs- wasssr zu dienen. Der Eisengehalt ist an und für sich nicht gesundheitsschädlich, aber er bewirkt, daß das Wasser einen tintenartigen Geschmack hat und beim Stehen trübe wird. In- folgedessen wird von den meisten Menschen ein solches Wasser nicht gern getrunken; wenn es auch n'cht direkt schädlich ist, so verfehlt es seinen Zweck als Trinkwasser doch insofern, als es zuwenig benutzt wird, und diejenigen, welche darauf angewiesen sind, meistens irgendein klar aussehendes, aber vor Infektion nicht geschütztes Brunnen- wasser vorziehen. Das Charlottenburger Wasser verliert auch nicht etwa seinen Eisen- gehalt in so kurzer Zeit, daß es nach einigem Stehen klar und trinkbar wird, denn in mehreren Versuchen ließ sich nach 8 tägigem Stehen des Wassers noch ein Gehalt an gelöstem Eisen nachweisen. Die am 29. Dezember aufgefangene Wasserprobe vom Auslaß la enthielt z. B. anfangs 3,78 mg Eisen im Liter und nach 8 tägigem Stehen 0,108 mg. Noch weniger entspricht ein stark eisenhaltiges Wasser den Anforderungen an ein gutes Gebrauchswasser. Es ist zur Wäsche ungeeignet, weil es in weißem Zeug braune Eisenflecke hinterläßt, für viele gewerbliche Zwecke ist es ganz unbrauchbar, nament- lich aber in chemischen Laboratorien gar nicht zu verwenden. Mitunter ist auch beob- achtet, daß derartiges Wasser zu Inkrustationen in den Röhren der Leitung Veranlassung gibt. Es wurde deswegen ein Rohr, in welchem das Wasser längere Zeit stagnierte, heraus- genommen und untersucht, aber es zeigten sich in seinem Innern keine Ablagerungen. Auch der geringe Schwefelwasserstoffgehalt des Wassers ist an und für sich nicht ' gesundheitsschädlich, bedingt aber teils durch den unangenehmen Geruch und Geschmack daß es als Trinkwasser ungeeignet ist, teils wegen der chemischen Eigenschaften des Schwefelwasserstoffs, daß es in Laboratorien nicht benutzt werden kann. Außerdem hat das Vorkommen von Ammoniak und Schwefelwasserstoff in dem Wasser selber noch in einer anderen Richtung eine Bedeutung. Wenn diese beiden Sub- stanzen im Wasser auftreten, so gilt dies gewöhnlich als ein Anzeichen dafür, daß das Wasserversorgung der Technischen Hochschule in C'harlottenburg. 1107 Wasser zu Fäulnisherden oder sonstigen verdächtigen Zersetzungsprozessen im Boden oder an der Oberfläche desselben in Beziehung steht oder daß es durch Fabrikabwässer verunreinigt ist. Inwieweit dies für das Charlottenburger Wasser zutrifft, konnte nur die Untersuchung der Leitung und der Entnahmestellen des Wassers ergeben. Zu diesem Zwecke verschaffte ich mir die Erlaubnis zur Besichtigung des Wasser- werks am Teufelssee, welche unter Beteiligung der Direktoren des Wasserwerks am 23. November vorigen Jahres stattfand. Das Wasserwerk schöpft das Wasser, wie in dem Zeitungsartikel gesagt ist, nicht aus dem Teufelssee selbst, sondern aus 16 Tiefbrunnen, welche die Konstruktion von Abessynierbrunnen haben und das Wasser aus einer Tiefe von 20 — 30 m entnehmen. Diese Brunnen befinden sich zwar in der Nähe des Teufelssees, aber sie durchsetzen in einer Tiefe von 8 — 13 m eine undurchlässige Tonschicht, so daß sie wahrscheinlich mit dem Teufelssee nicht kommunizieren, sondern ihr Wasser aus dem unter der Tonschicht angesammelten Grundwasser erhalten. Durch eine Dampfmaschine wird das Wasser aus dem Brunnen nach einem neben dem Maschinenhause befindlichen großen Sammelbrunnen und aus diesem in die Rohr- leitung gepumpt, welche das Wasser nach dem Hochreservoir in Charlottenburg führt. Von da aus gelangt es dann in das Rohrnetz, welches die Stadt Charlottenburg durch- zieht. Das Wasserwerk liefert im Durchschnitt im Sommer täglich 4000 und im Winter 1600 cbm Wasser. Am Teufelssee wurden Wasserproben entnommen aus dem Brunnen Nr. 13, aus dem Sammelbrunnen vmd des Vergleiches halber aus dem Teufelssee; ferner aus dem Hochreservoir in Charlottenburg. Das Wasser aus dem Brunnen war klar und geruchlos. Das Wasser aus dem Sammelbrunnen hatte einen geringen Geruch nach Schwefel- wasserstoff, und ein Streifen Bleipapier, welcher neben dem einen vom Sammelbriinnen gespeisten Wasserhahn im Maschinenhaus aufgehängt wurde, hatte nach einer halben Stunde eine schwarzbraune Färbung angenommen, durch welche Reaktion ein Schwefel- wasserstoffgehalt des Wassers in unzweifelhafter Weise nachgewiesen wurde. Das Wasser aus dem Hochreservoir zeigte schon bei der Entnahme die charakte- ristische Eisentrübung. Diese drei Proben hatten starken Eisengeschmack. Auch das Wasser des Teufelssees erschien etwas getrübt, aber nicht infolge von Eisenausscheidving, sondern weil es, wie die mikroskopische Untersuchung ergab, zahl- reiche Exemplare einer fadenartigen farblosen Alge enthielt. Es hatte auch keinen eisen- artigen, sondern einen faden Geschmack. Die chemische und bakteriologische Analyse dieser Wasserproben lieferte folgende Zahlen : Wasser aus dem Sammel- Hoch- Brunnen Nr. 13 brunnen reservoir Teufelssee Milligramm im Liter 17.5,0 207,5 192,5 175,0 Chlor 16,0 16.0 16,0 16,0 7,8° 9,3» 6,6» 8,2° Ammoniak 2,3 4,5 3,5 Spur 5,7 9,3 8,7 15,3 Eisen 1,1 0,4 Spur Spur Mikroorganismen in cbcm . 96 179 1.57 540 115* 1108 Wasserversorgung der Technischen Hochschiile in Charlottenburg. In dem Brunnen Nr. 13 und im Sammelbrunnen konnten keine Crenothrix nach- gewiesen werden. Dagegen fand sich dieselbe reichlich im Bodensatz, welcher durch tiefes Einsenken einer Flasche in den Brunnen Nr. 12 herausgehoben wurde, ebenso auch im braungelben Schlamm, welcher bei einer Reinigung des Reservoirs am Tage vor der Besichtigung abgelassen war. Da der Gehalt an Eisen und Ammoniak in diesem Wasser von Wichtigkeit er- schien, so wurden später noch einmal Bestimmungen desselben gemacht und gefunden: 27. 1. Wasser aus dem Hahn f Eisen . . im Maschinenhaus l Ammoniak 2. Wasser aus dem ( Eisen . . Brunnen Nr. 15 \ Ammoniak 3. Wasser aus dem ( Eisen . . Brunnen Nr. 13 l Ammoniak Januar 1,6 2,0 1,6 2,0 2,1 2,0 28. Januar 1,6 2,0 1,6 2,0 2,1 2,0 Alle diese Wasserproben zeigten Eisentrübung, als sie ins Laboratorium gebracht wurden. Wenn nun das Wasser aus den Brunnen am Teufelssee, also von der Ursprungs- stelle, mit dem Wasser verglichen wird, welches in der Technischen Hochschule das Ende der Leitung erreicht hat, dann zeigt sich kaum ein Unterschied. Auch das Brunnenwasser hat einen auffallend hohen Ammoniakgehalt und ent- hält, wie die Beobachtung an dem Wasser im Maschinenhause lehrt, bereits unmittelbar, nachdem es aus den tiefen Schichten des Brunnens gehoben ist, Schwefelwasserstoff. Diese beiden Stoffe sind also nicht durch eine zufällige Verunreinigung oder durch eine in der Leitung vor sich gehende Zersetzung hineingelangt. Daraus folgt aber, daß das Ammoniak und der Schwefelwasserstoff nur solchen Zersetzungen ihren Ursprung ver- danken können, welche in den Bodenschichten am Ort der Entnahme vor sich gehen. Die Umgebung des Teufelssees wird zum großen Teil durch ein sogenanntes Fenn, d. h. durch Torf- und Moorboden, gebildet, in welchem vegetabilische Stoffe in großer Menge abgelagert sind. Die Zersetzung dieser Stoffe liefert offenbar auch das im Grund- wasser dieser Gegend auftretende Ammoniak und den Schwefelwasserstoff. Von der Zersetzung irgendwelcher ammoniakalischer Stoffe, welche bedenklicher Natur sein würde, können sie nicht herrühren, da weit und breit in der Umgebung des Teufelssees keine menschlichen Wohnstätten oder sonstige Gelegenheit zur Verunreinigung des Bodens mit animalischen Abfällen vorhanden sind. Damit fällt aber auch jeder Grund, um diesen beiden Bestandteilen des Wassers irgendeine Bedeutung als Anzeichen für eine gesundheitsschädliche Verunreinigung des Wassers beizumessen. Was den Eisengehalt des Wassers an der Ursprungsstelle betrifft, so zeigt er ebenso auffallende Schwankungen wie das Leitungswasser in der Technischen Hochschule. Bei der ersten Untersuchung war er verhältnismäßig gering, bei der gegen Ende Januar gemachten Analyse ziemlich hoch gefunden. Worin diese Schwankungen ihren Grund- haben, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Vielleicht hängen sie mit den Schwan- kungen des Grundwassers zusammen, welches sich, nach dem Stand des Wassers im Teufelssee zu urteilen, während der Zeit vom Oktober bis zum Januar in langsamem Ansteigen befand. Nur insofern bestand zwischen dem Wasser der Brunnen und dem Leitungswasser ein Unterschied, daß ersteres das Eisen nur in gelöster Form enthielt, während im Leitungs- wasser schon ein erheblicher Teil desselben sich in Form von braunen Flocken ausgeschieden •Wasserversorgung dei' Technischen Hochschule in Charlottenburg. 1109 hatte, welche die starke Trübung des in der Leitung stagnierenden Wassers (Auslässe II) verursachen. Zu bemerken ist noch, daß das Wasser aus dem Teufelssee sicli von dem Wasser der Brunnen sehr wesentlich unterscheidet. Es ist fast frei von Eisen und Ammoniak und gleicht bis auf einen etwas höheren Grad von Härte dem Wasser des Tegeler Sees. Es hat also die Eigenschaften des Oberflächenwassers, während das Brunnenwasser alle Kennzeichen besitzt, welche dem Grundwasser hiesiger Gegend zukommen. Beide Wasserquellen können also nicht in Verbindung stehen, und es wird dadurch die schon früher ausgesprochene Vermutung, daß die Brunnen nicht etwa aus dem Teufelssee durchsickerndes Wasser liefern, vollkommen bestätigt. Als einziger Mangel von Bedeutung, welcher dem Charlottenburger Wasser an- haftet, bleibt demnach nur sein Gehalt an Eisen und Schwefelwasserstoff. Der Eisen- gehalt allein ist aber nach den Erfahrungen, welche an mehreren Orten mit eisenhaltigem Leitungswasser gemacht sind, schon ein recht erheblicher Mangel. Ganz besonders hat das Beispiel der Berliner Wasserleitung gezeigt, daß sich aus dem Eisengehalt des Wassers die größten Unzuträglichkeiten ergeben und daß ein solches Wasser auf die Dauer weder als Gebrauchs Wasser noch als Trinkwasser zu benutzen ist. So wird auch für die Tech- nische Hochschule, sofern nicht dieser Fehler des Wassers zu beseitigen ist, nichts anderes übrigbleiben, als sich eine andere Wasserbezugsquelle zu verschaffen. An eine mit der Zeit eintretende Besserung des Wassers ist nicht zu denken. Es liegen nämlich einige Analysen des "Wassers aus früheren Jahren vor, welche, soweit sie einen Vergleich zulassen, zeigen, daß das Wasser schon damals ebenso beschaffen war wie jetzt. Im Dezember des Jahres 1878 ist das Wasser eines Brunnens am Teufelssee gleich- zeitig von Dr. B. und im Laboratorium des Gesundheitsamtes untersucht. Der Ammoniak- gehalt war nicht erheblich. Aber es fanden sich Spuren von Salpetersäure, einer höheren Oxydationsstufe des Ammoniaks. Der Eisengehalt wrirde nicht quantitativ bestimmt, aber Dr. B. erwähnt, daß, nach dem Absatz von Eisenoxydhydrat zu urteilen, der Eisen- gehalt erheblicher sei, als daß ein solches Wasser für die Zwecke der Hauswü-tschaft und Technik empfohlen werden könne. Eine von Dr. Z. zu jener Zeit gemachte mikroskopische Untersuchung ergab, daß das Wasser des Brunnens Nr. 6 die C'renothrix, aber nicht reichlich enthielt, daß aber im Schlamm vom Boden des Reservoirs die Crenothrix in großer Menge vorhanden war. Dann ist im Jahre 1880 von Dr. B. das Mischwasser der Brunnen untersucht und dabei ein außerordentlich hoher Eisengehalt, nämlich 16,57 mg im Liter, gefunden. Zu- gleich bemerkte Dr. B. in dem Wasser aus dem Leitungshahn des Maschinenhauses einen deutlichen Schwefelwasserstoffgeruch. Es ist dies derselbe Hahn, dessen Wasser auch bei der jetzigen LTntersuchung am 23. November Schwefelwasserstoffgehalt er- kennen ließ. Von Seiten der Direktion der Charlottenburger Wasserwerke wurde die Vermutung ausgesprochen, daß die schlechte Beschaffenheit des Wassers in der Technischen Hoch- schule hauptsächlich darin ihre Gründe habe, daß die Hochschule ihre Wasser aus einem in dem Gebäude selbst endigenden Leitungsstrange erhalte. Deswegen könne das Wasser nicht genügend zirkulieren und setze mehr Leitungsschlamm ab als in Leitungsröhren, in denen das Wasser stets in Bewegung sei. Wenn die Leitung der Technischen Hoch- schule mit dena übrigen Röhrensystem so verbunden würde, daß das Wasser zirkulieren könne, dann würden wahrscheinlich die jetzt bestehenden Übelstände verschwinden. Zur Begründung dieser Meinung berief sich die Direktion darauf, daß in denjenigen Häusern, welche mit Hauptleitungsröhren verbunden sind, über das Wasser keine Klage 1110 Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Charlottenburg. geführt werde, und es wurden auch zwei solcher Häuser namhaft gemacht mit dem An- heimgeben, das Wasser derselben einer Untersuchung zu unterziehen. Das ist denn auch geschehen, und es wurde am 29. Dezember das Wasser jener beiden Häuser, nämlich Berliner Straße Nr. 143 und 59, außerdem aber auch noch das Wasser aus einem dazwischenliegenden, von der Direktion nicht bezeichneten Hause Berliner Straße 104 untersucht. Das Ergebnis dieser Untersuchung war folgendes: Von der Direktion der Charlottenburger Wasserwerke als Häuser mit gutem Wasser bezeichnet: Berliner Str. 143 Berliner Str. 59 Milligramm im Liter Rückstand 187,5 200,0 Chlor 16,3 16,3 Härte 10,2» 9,2» Ammoniak Spur Spur Oxydierbarkeit 4,2 0,7 Gelöstes Eisen 5,94 3,24 Anzahl der Mikroorganismen im ccm 42 30 Bemerkungen: Schwacher Geruch Trübe und nach nach Schwefelwas- Eisen schmeckend, serstoff, wird in kurzer Zeit trübe, stark nach Eisen schmeckend zum Vergleich untersucht : Berliner Str. 104 195,0 16,3 10,2» 0 4,5 4,32 54 Trübe und nach Eisen schmeckend (ziemlich starker Wasserverbrauch im Hause). Die Analyse zeigt, daß das Wasser dieser Häuser dieselben Fehler, namentlich den hohen Eisengehalt, besitzt und ebenso schnell trübe wird wie das Wasser der Hochschule. Die Hoffnung der Direktion, daß durch eine Änderung in der Leitung Abhilfe zu schaffen sei, kann ich daher nicht teilen. Zu erwähnen ist noch, daß gelegentlich der Entnahme der Wasserproben die Einwohner mehrerer Häuser auf der Berliner Straße angaben, daß sie das Leitungswasser wegen des unangenehmen Geschmacks nicht trinken, sondern ihr Trinkwasser aus Brunnen nehmen. In der Technischen Hochschule selbst ist dann noch der Versuch gemacht, das Wasser durch Filter zu verbessern. Es waren zwei verschiedene Filter im Gebrauch, ein Kohlefilter und ein Olszewskisches Tonfilter. Um die Wirkung dieser Filter zu er- mitteln, wurde das Wasser desselben Wasserhahns vor und nach der Filtration ana- lysiert. Vor der Filtration roch das Wasser (Auslaß beim Zimmer Nr. 121) schwach nach Schwefelwasserstoff und enthielt 3,78 mg gelöstes Eisen. Nach der Filtration durch das Olszewskische Filter waren Geruch und Eisengehalt unverändert. Durch das Kohlefilter war zwar der Geruch beseitigt, aber der Eisengehalt betrug noch 2,43 mg, und das Wasser hatte noch einen starken Eisengeschmack. Diese Filter wirken also wenig oder gar nicht verbessernd, sie halten nur das bereits ausgeschiedene Eisen zurück. Nun ist es aber nicht unmöglich, durch anders konstruierte Filter das Wasser eisen- freizumachen, wenn man es nämlich bei der Filtration durch braune Steine oder durch Eisenfeilspäne gehen läßt. Doch ist auch die Anwendung solcher Filter nicht zu empfehlen, weil die Poren derselben durch den Eisenschlamm verstopft werden. Infolgedessen nimmt ihre Ergiebigkeit sehr schnell ab, und sie müssen so oft gereinigt werden, daß ihre Anwendung namentlich in einem großen Institut zu fortwährenden Störungen in der Wasserversorgung Veranlassung geben muß. Es bleibt demnach keine andere Ab- Wasserversorgung der Technischen Hochschule in Charlottenburg. 1111 hilfe, als daß das Wasser schon an der Entnahmestelle gereinigt wird. In welcher Weise dies zu geschehen haben würde, haben die umfassenden und durch Jahre fortgeführten Versuche auf den Berliner Wasserwerken ergeben. Nach manchen vergeblichen Ver- suchen fand man schließlich, daß aus dem eisenhaltigen Wasser nach starker Lüftung, welche dadurch bewirkt wird, daß das Wasser über einen Treppenrost fließt, im Laufe von mehreren Stunden sämtliches Eisen in Flocken gefällt und daß das Wasser durch ein Sandfilter von diesem Niederschlag befreit werden kann. Aber auch bei diesem Verfahren zeigte sich der Übelstand, daß das Filter infolge von Verstoj^fung der Poren den Dienst sehr bald versagt und dann erneuert werden muß. Dadurch wird der Betrieb so kostspielig, daß die Stadt Berlin darauf verzichtete, dui'ch dieses Verfahren das eisen- haltige Wasser der Tegeler Tiefbrunnen eisenfrei zu machen, und es vorzog, das Wasser aus dem Tegeler See zu entnehmen. Mag nun die Direktion der Charlottenburger Wasser- werke in gleicher Weise oder in einer anderen Weise Abhilfe schaffen, so muß von ihr doch immer verlangt werden, daß sie ein Wasserliefert, welches eisen- frei ist und keinen Schwefelwasserstoff enthält. Sollte sie dazu nicht imstande sein, dann wird die Technische Hochschule sich in die Notwendigkeit versetzt sehen, eine andere Bezugsquelle für ihren Wasserbedarf zu suchen. Für diesen Zweck könnte man daran denken, das Wasser, wie es z. B. im Gynäko- logischen Institut geschieht, av;s eigenen Tiefbrunnen zu entnehmen. Dagegen müßte jedoch geltend gemacht werden, daß auch solches Wasser mehr oder weniger eisen- haltig sein würde. Auf dem Hippodrom, ganz in der Nähe der Hochschule, befindet sich ein Wasserwerk, welches sein Wasser aus Tiefbrunnen schöpft. Dieses Wasser ist nach einer LTntersuchung von Dr. B. stark eisenhaltig und enthält reichlich Crenothrix. Auch die Technische Hochschule hat bereits einen Brunnen von 25 m Tiefe. Mit Rücksicht auf die Frage der Wasserversorgung wurde bei der jetzigen LTnter- suchung deswegen das Wasser dieses Tiefbrunnens und außerdem zum Vergleich das Wasser aus einem benachbarten Flachbrunnen von 9 m Tiefe einer Untersuchung unterzogen. Das Wasser beider Brunnen hatte Eisengeschmack und enthielt im Flachbrunnen 0,9, im Tiefbrunnen 1,26 mg gelöstes Eisen. Eine Wasserversorgung der Technischen Hochschule vermittels einer eigenen Lei- tung kann daher nicht in Betracht kommen. Es bleibt dann schließlich, wenn auf andere Weise kein gutes Wasser für die tech- nische Hochschule zu beschaffen wäre, nur noch übrig, derselben den Anschluß an die Berliner Wasserleitung zu verschaffen, welche anerkannt gutes Wasser liefert. An den Magistrat hiesiger Königlichen Haupt- und Residenzstadt, hier. Berlin, den 6. März 1886. Auf das gefällige Schreiben vom 15. v. M. Nr. 421 F. B. I 86 teile ich dem Magi- strat ergebenst mit, daß ich gern bereit bin, die chemische und bakteriologische Untet'^ suchung des hiesigen Leitungswassers^) auch fernerhin im Hygienischen Institut, und zwar unter den angegebenen Bedingungen, ausführen zu lassen. Gleichzeitig erlaube ich mir auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen für die Zukunft einige Änderungen in dem LTntersuchungsverfahren in Vorschlag zu bringen. 1) Siehe die in Bd. I, p. 410 ff. veröffentlichte Arbeit. D. Herausgeber. 1112 Untersuchung des Berliner Leitungswassers. Dieselben bestehen im wesentlichen in einer erheblichen Ausdehnung der bak- terioskopischen Untersuchung, verbunden mit einer Einschränkung der chemischen Untersuchung, und beziehen sich im einzelnen auf folgende Punkte: 1. Im Interesse einer möglichst zuverlässigen und genauen Kontrolle der Wasser- versorgung der Stadt und speziell, um zu verhüten, daß etwaige vorübergehende Unregel- mäßigkeiten und Fehler des Filtrationsprozesses der Kontrolle sich entziehen, erscheint es erforderlich, eine Durchschnittsprobe des filtrierten Wassers sowohl der Stralauer als der Tegeler Werke nicht, wie bisher, wöchentlich, sondern in Zukunft täglich bak- teriologisch zu untersuchen. 2. Sehr zweckmäßig würde damit die fortlaufende bakteriologische Untersuchung je eines bestimmten Filters sowohl in Tegel als in Stralau in der Weise zu verbinden sein, daß das betreffende Filter während einer ganzen Filterperiode, vom Beginn bis zur Außerbetriebsetzung, täglich einmal untersucht und durch einen planmäßigen Wechsel allmählich sämtliche Einzelfilter einer derartigen Prüfung unterzogen würden. Auf diesem Wege wird es möglich sein, wertvolle wissenschaftliche Einblicke in das Wesen des Filtrationsprozesses zu erhalten, etwaige Schwankungen in der Lei- stungsfähigkeit eines und desselben Filters resp. Unterschiede in den Leistungen der verschiedenen Filter festzustellen und eventuell deren Ursachen aufzuklären. 3. Mit Rücksicht auf die vorstehend proponierte, erheblich verschärfte Kon- trolle der 'Filterwerke könnte die sonstige bakteriologische Untersuchung, welche sich bisher noch auf das Wasser der Spree bei Stralau, des Tegeler Sees und des Hoch- reservoirs zu Charlottenburg sowie auf fünf sehr zweckmäßig über die Stadt verteilte Stellen des Rohrnetzes erstreckte, in der Weise vereinfacht werden, daß unter Fest- haltung der bisherigen Entnahmestellen die Untersuchung nicht mehr wöchentlich, sondern zweimal monatlich, am 1. und 15. jeden Monats, vorgenommen wird, unter dem Vorbehalte, daß im Bedarfsfalle vorübergehend häufigere Untersuchungen auch dieser Proben stattfinden. 4. In gleicher Weise würde es genügen, die chemische Untersuchung, deren Wert für die hygienische Beurteilung des Trinkwassers und insbesondere für die Beurteilung des Filtrationseffektes gegenüber der bakterioskopischen Untersuchung mehr zurück- tritt, unter Festhaltung der bisherigen Entnahmestellen, künftig nicht mehr wöchent- lich, sondern ebenfalls am 1. und 15. jeden Monats vornehmen zu lassen, bei der täglichen Kontrolle der Filterwerke (cfr. oben Nr. 1 und 2) von einer chemischen Untersuchung aber gänzlich abzusehen. Als Termin für den Beginn des neuen Untersuchungsmodus möchte sich der 1. April d. J. empfehlen. Sollten vorstehende Vorschläge die Billigung des Magistrats finden, so würde es behufs Ausführung der Untersuchung der Einzelfilter erforderlich sein, daß dem Hygienischen Institut regelmäßig, etwa alle Woche, von jedem der beiden Filterwerke eine Übersicht des Filterbetriebes zuginge, aus welcher die Zahl und die Nummer der im Betriebe befindlichen Filter sowie einige andere für die Beurteilung des Filtrations- prozesses wichtige Angaben (Filtrationsdruck, Geschwindigkeit usw.) zu ersehen wären. Ebenso scheint es mir von Nutzen zu sein, die Resultate der Untersuchungen den die Filtration leitenden Betriebsingenieuren regelmäßig, etwa alle 8 Tage, bei vor- kommenden Unregelmäßigkeiten aber sofort direkt mitzuteilen. Das Hygienische In- stitut würde zu einer derartigen Benachrichtigung gern bereit sein. Die Berichterstattung an den Magistrat würde entweder in bisheriger Weise viertel- jährlich oder, falls solches dortseits erwünscht sein sollte, auch monatlich erfolgen können. Kläranlagen auf Norderney. 1113 An den Herrn Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Berlin, den 22. November 1887. Eurer Exzellenz beehre ich mich das von mir durch den hohen Erlaß vom 17. No- vember d. J. Nr. 6666 geforderte Gutachten über die Zulässigkeit von Kläranlagen auf Norderney hierunter ganz gehorsamst zu erstatten. Die Reinigung der Sielwässer durch Behandlung mit Chemikalien, gewöhnlich als Klärverfahren bezeichnet, ist in den letzten Jahren so wesentlich verbessert, daß es mit dem Rieselsystem, welches bis dahin entschieden als das den hj^gienischen An- forderungen am meisten entsprechende Reinigungsverfahren gelten mußte, in Kon- kurrenz treten kann. Jedoch ist dies nur unter ganz bestimmten Verhältnissen der Fall. Es gelingt nämlich, wohl durch Zusatz von Chemikalien, im Schmutzwasser Niederschläge zu erzeugen, welche alle festen, also suspendierten Stoffe mit sich niederreißen und das Wasser vollkommen klären. Aber die gelösten organischen Substanzen, und zwar gerade diejenigen, welche noch fäulnisfähig sind, bleiben zum Teil im Wasser zu- rück und bewirken, daß das geklärte Wasser, wenn es nicht sehr bald und hinreichend stark verdünnt wird, z. B. durch Einleiten in einen mit entsprechenden Wassermengen versehenen Fluß, nachträglich wieder in Fäulnis übergeht und alle mit diesem Zustande in Verbindung stehenden Übelstände hervorruft. Also nur, wenn das geklärte Wasser auf kürzestem Wege und mit genügendem Ge- fälle einem dasselbe stark verdünnenden Wasserstrom zugeführt werden kann, läßt sich das Klärverfahren vom hygienischen Standpunkte aus befürworten, und in solchem Falle kann es als Ersatz für die Berieselung in Frage kommen, sofern letztere wegen Mangel an geeigneten Ländereien oder mit Rücksicht auf die Anlagekosten unausführbar er- scheint . In Norderney fehlt es nun nicht an Land, das für Rieselanlagen geeignet ist, und es wird somit nur der Kostenpunkt für die Annahme des Klär Verfahrens entscheidend sein können, selbstverständlich jedoch nur unter der Voraussetzung, daß das Klärver- fahren in bezug auf Reinigung und zweckentsprechende Beseitigung des Schmutzwassers unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu sehr hinter der Leistung einer Rieselanlage zurückbleibt. Letzteres scheint aber nach den Angaben, welche in dem Erlaß über die für Nor- derney in Aussicht genommene Anlage gemacht werden, der Fall zu sein. Zunächst soll die Kläranlage mit großen Bassins ausgestattet werden, welche die Fäkalien eines ganzen Jahres aufzunehmen haben. Eine derartige Einrichtung ist immer bedenklich. Denn große Behälter, welche dauernd dicht bleiben und keine Fäkalien in den Boden versickern lassen, werden schwerlich herzustellen sein. Dann ist das Maga- zinieren von Fäkalien, ob mit oder ohne hinreichendem Zusatz von desinfizierenden Mitteln, immer mit Mißständen verbunden und würde nur in weiter Entfernung vom Orte ausführbar sein. Am meisten Bedenken erregt aber der Umstand, daß das geklärte Wasser täglich nur 2 Stunden lang in das Wattenmeer abgelassen werden kann, und daß es bei ungün- stigem Winde auch noch länger zurückgehalten werden muß. Damit fällt die wichtigste Voraussetzung für die Zulässigkeit des Klärverfahrens weg, nämlich die möglichst schnelle Beseitigung und Verdünnung des geklärten Wassers. Es ist zu befürchten, daß unter solchen Verhältnissen das Wasser bereits in faulendem Zustande in das Wattenmeer gelangt und sich dann auf weite Strecken hin in unangenehmer Weise bemerklich machen wird. Eine Kläranlage unter so wenig günstigen Bedingungen ist meines Wissens nach 1114 Untersuchung einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Schmutzwässern. nie versucht, und es würde dieselbe also eine Art von Experiment sein, dessen Ausgang voraussichtlich ein unbefriedigender sein wird. Soweit ich die Angelegenheit an der Hand der in dem hohen Erlaß geschilderten Ver- hältnisse übersehen kann, erscheint mir die Reinigung des Sielwassers durch eine Kläran- lage für Norderney nicht empfehlenswert; es sei denn, daß die Reinigung durch Berieseln auf unüberwindliche Hindernisse stößt und daß das Klärverfahren als ein Notbehelf dafür einzutreten hat. Aber auch in diesem Talle müßten die Einrichtungen so getroffen werden, daß ein Magazinieren der Fäkalien nicht geschieht, und daß ein schneller Ab- fluß sowie eine reichliche Verdünnung des geklärten Wassers gesichert ist, wenn nicht über kurz oder lang unhaltbare Zustände sich entwickeln sollen. Berlin, den 2. Februar 1888. Bericht über die Untersuchung der auf dem Fabrikgrundstück der Berliner Maschinen- baugesellschaft eingerichteten Versuchsanstalt zur Reinigung von Schmutzwässern. ^) Von der Maschinenbau-Aktiengesellschaft vormals S. Schw. in Berlin ist auf ihrem Grundstück Chausseestraße 17/18 eine Versuchsanstalt zur Reinigung von Fäkalien und zur Verarbeitung derselben zu Poudrette nach einem eigentümlichen Verfahren eingerichtet. Diese Anstalt wrde zu Anfang des vorigen Jahres von einer Ministerialkommission einer Besichtigung unterzogen und infolgedessen von den bei der Kommission beteiligten Ministerien des Innern, der Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten , der öffentlichen Arbeiten und des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten dem Hygienischen Institut der Universität der Auftrag erteilt, eine chemische und bakteriologische Untersuchung des Verfahrens auszuführen. Der Auftrag ging insbesondere dahin, ,, daß zu prüfen sei, ob und inwiefern aus den in der Anstalt allein behandelten Abtrittseffluvien die offensiven Bestandteile mittels der in Anwendung gezogenen Chemikalien und durch die Torffiltration entfernt werden; die Untersuchung solle sich auf die Flüssigkeiten, welche zu und aus der Rei- nigungsanstalt gelangen, sowie auf die in dem Stadium nach erfolgter Beimischung der Chemikalien und vor der Torffiltration befindlichen Effluvien zu erstrecken haben, die bakteriologische Untersuchung der gereinigten Abwässer sei nicht nur möglichst bald nach der Entnahme der Proben, sondern auch in angemessenen Zwischenräumen nach der letzteren anzustellen und darauf zu achten, das weitere Verhalten der in den Abwässern nach der Reinigung verbliebenen organisierten Keime und Nährsubstanzen zueinander unter Verhältnissen zu verfolgen, welche den natürlichen möglichst ähnlich zu gestalten seien". Um sich über das Verfahren selbst zu orientieren und dementspre- chend den Plan für den Gang der Untersuchung zu entwerfen, besuchte der Unterzeichnete die Versuchsanstalt und fand, soweit die chemische und bakteriologische Untersuchung in Betracht kommt, folgende Verhältnisse. Auf dem Hof der Maschinenbau anstalt befinden sich ein Trocken- und ein Spül- klosett, die von etwa 700 Arbeitern benutzt werden. In den Sammelbehälter des Spül- klosetts gelangen auch die Abgänge des mit Spülung versehenen Pissoirs. Von den Sam- melgruben der Klosetts werden die Fäkalien in die dicht danebengelegene Anstalt, und zwar zunächst in ein Mischgefäß gehoben, in welchem sich eine Zerkleinerungs- vorrichtung für die den Fäkalien beigemengten festen Stoffe befindet. Die in eine Flüssig- keit von ziemlich gleichmäßiger Beschaffenheit verwandelten Fäkalien erhalten alsdann mit Hilfe von mechanisch bewegten becherartigen Meßgefäßen Zusätze von 1) Die Grundlagen dieses Gutachtens sind bereits von Prof. Proskauerin der Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten Bd. X, 1891, veröffentlicht. D. Herausgeber. Untersucluing einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Sclimutzwässern. 1115 1. Kalkmilch, 2. Magnesmmsulfatlösung, 3. Lösung von sogenanntem Lahnphosphat (durch Schwefelsäure aufgeschlosse- ner Phosphorit), 4. Magnesiumchloridlösung in später anzugebenden Mengenverhältnissen. Die Mischung mit den Chemikalien geht in einer geschlossenen Rinne vor sich, aus welcher Proben nicht entnommen werden konnten. Erst nach dem Zusatz aller Chemikalien kommt die Flüssigkeit in einer offen enRinne zum Vorschein und fließt in einen der drei vorhandenen Absitzkästen, um in diesem den ge- bildeten Niederschlag absetzen zu lassen. Nach geschehener Klärung der Flüssigkeit wird die obenstehende klare Flüssigkeit abgelassen und durch einen mit Torf gefüllten Behälter, Torffilter, geleitet. Der abgesetzte Schlamm wird ebenfalls in einen Behälter, Schlammkasten, gebracht, dessen Boden mit einer Torf schiebt bedeckt ist. und nur das Abfließen der aus dem Schlamm sickernden, durch den Torf filtrierten Flüssigkeit ge- stattet. Der stichfähig gewordene Schlamm nebst Torf wird dann noch mit dem Torf, der zur Filtration des geklärten Wassers gedient hat, gemengt, in einem besonderen Apparat bei einer Temperatur von angeblich 70'' C getrocknet, zerkleinert und so in Poudrette verwandelt. Die aus dem Torfbehälter in den Schlammkasten abfließenden filtrierten Flüssigkeiten gehen in die städtischen Kanäle. Diesen Verhältnissen ent- sprechend wurde beschlossen, für die chemische und bakteriologische LTntersuchung zunächst folgende Proben zu entnehmen : 1. Fäkalien aus dem Trockenklosett, 2. Fäkalien aus dem Spülklosett, 3. Flüssigkeit aus dem Mischgefäße (vor Zusatz der Chemikalien), 4. Flüssigkeit aus der offenen Rinne (nach Zusatz der Chemikalien), . 5. geklärte Flüssigkeit aus den Absitzkästen, 6. Schlamm aus den Absitzkästen, 7. Torf aus dem Torffilter, 8. aus dem Toi'ffilter abfließende Flüssigkeit, 9. Schlamm aus dem Schlammkasten, 10. aus dem Schlammkasten abfließende Flüssigkeit, 11. Poudrette. I. Untersuchung. Am 6. Juni v. J., nachdem die Direktion der Maschinenbauanstalt vorher davon in Kenntnis gesetzt war, geschah die Entnahme dieser Proben, wobei noch folgendes zu bemerken ist. Der Inhalt des Trockenklosetts war von einer dicken Schicht Stroh umlagert, und es war nicht möglich, die Probe aus der Tiefe des Behälters, wo das Saugerohr ein- mündet, zu entnehmen. Da auch das Zuleitungsrohr vom Klosett zum Mischgefäß und die Einmündungsstelle in letzterem nicht zugänglich war, so blieb nur übrig, feste zwischen dem Stroh abgelagerte Kotmassen für die Untersuchung zu verwenden. Beim Spülklosett konnte ebenfalls nur von den oberen Schichten dts flüssigen Inhalts ge- schöpft werden. Beide Proben entsprangen also nicht eigentlich dem Fäkaliengemisch, welches vom Boden der Sammelbehälter angesogen und in das Mischgefäß gehoben wird. Von den drei Absitzkästen waren nur zwei, nämlich Nr. 2 und 3, gefüllt. Der In- halt des Kastens 2 gehörte zu der am selben Tage (6. Juni) verarbeiteten Jauche, die Füllung des Kastens 3 hatte mit einer zwei Tage vorher, am 4. Juni, verarbeiteten Jauche stattgefunden. 1116 Untersuchung einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Schmutzwässern. Das Torffilter hatte kurz vorher eine frische Füllung mit Torf erhalten. Der im Schlammkasten befindliche Schlamm, die aus dem Schlammkasten ab- fließende Flüssigkeit und die Poudrette gehörten ebenfalls zu der am 4. Juni bearbeiteten Jauche. Um einen Vergleich mit der fertigen Poudrette anstellen zu können, wurde außer den bereits aufgezählten Proben noch eine solche von Schlamm aus dem Schlammkasten gemischt mit dem unterliegenden Torf, also von dem Gemisch, welches zur Bereitung der Poudrette ^ient, sowie auch eine Probe des noch ungebrauchten Torfes in die Reihe der Untersuclmngsobjekte aufgenommen. A. Chemische Untersuchung. Die chemische Untersuchung von Fäkalien und Schmutzwässern wird nicht immer nach denselben Grundsätzen und nach gleichen Methoden ausgeführt, und es ist des- wegen notwendig, daß bei dieser sowohl als bei den späteren Untersuchungen zur An- wendung gekommene analytische Verfahren anzugeben und, soweit es erforderlich ist, zu modifizieren. 1. Ein Teil der betreffenden Flüssigkeiten ist sehr reich an nicht gelösten suspen- dierten Stoffen, und es müßte deswegen bei der Analyse auf eine Trennung der suspen- dierten und gelösten Stoffe Bedacht genommen werden. Die Trennung des suspendierten von den gelösten Stoffen geschah durchweg nicht durch Filtrieren, sondern durch De- kantieren. Die Analyse der Gesamtflüssigkeit, in welcher durch sorgfältiges Mischen eine möglichst gleichmäßige Verteilung der suspendierten Stoffe herbeigeführt war, ergab den Gehalt an ungelösten und gelösten Stoffen, die Analyse der dekantierten Flüssigkeit dagegen den Gehalt an gelösten Stoffen und die Differenz von beiden die Menge und Zusammensetzung der nicht gelösten Stoffe. 2. Die Bestimmung des Trockenrückstandes geschah in der Weise, daß 200 ccm Flüssigkeit eingedampft wurden. Da hierbei ein Teil des in manchen Proben vorhan- denen Kalkhydrats in kohlensauren Kalk übergeht und diese Umsetzung, wie verglei- chende Rückstandsbestimmungen ergaben, nicht immer im gleichen Verhältnis vor sich geht, so wurden die Rückstände mit Kohlensäure gesättigtem destillierten Wasser in der Eindampfschale aufgenommen, 24 Stunden lang unter einer Glasglocke, in deren Inneres Kohlensäure geleitet wurde, unter öfterem Umschwenken aufbewahrt, wiederum eingedampft und bei einer Temperatur von 100 bis 105" bis zur Gewichtskonstanz ge- trocknet. Bei diesem Verfahren muß allerdings das Gewicht des Rückstandes etwas zu hoch ausfallen, nämlich um diejenige Menge von Kohlensäure, welche zur Sättigung des freien Kalkes erforderlich ist. Aber die Resultate fallen bei kontrollierenden Ver- suchen sehr gleichmäßig aus und sind auch unmittelbar vergleichbar mit den in gleicher Weise erhaltenen Werten der Glühverluste. Ein anderer Fehler bei der Rückstandsbestimmung beruht darin, daß flüssige Substanzen beim Abdampfen mit dem Wasser verjagt werden, ohne daß sich die Menge derselben ermitteln läßt. Einzelne Proben der untersuchten Flüssigkeiten schienen ziemlich reich an solchen Stoffen zu sein, und es sind vielleicht manche sonst uner- klärliche Abweichungen in den Resultaten auf diesen nicht zu vermeidenden Fehler zurückzuführen. 3. Der Gehalt an organischer Substanz wird gewöhnlich entweder durch Oxy- dation mit Kaliumpermanganat oder aus dem Verlust bestimmt, den der Trockenrück- stand beim Glühen erleidet. Dies letztere Verfahren leidet an dem Fehler, daß beim Glühen auch mineralische Stoffe (Chloride) verflüchtige werden oder Zersetzungen er- leiden, und daß deswegen für die beim Glühen zerstörte organische Substanz zuviel in Rech- Untersuchung einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Schmutz wässern. 1117 nung gebracht wird. Dennoch müßte dasselbe hier verwendet werden, weil das erst- genannte Verfahren, welches sonst entschieden den Vorzug verdient, mit den zu unter- suchenden Flüssigkeiten ganz gleichmäßige Resultate gab, sobald dieselben in verschie- denen Verdünnungsgraden geprüft wurden. So erforderte beispielsweise eine Probe der Flüssigkeit, welche aus dem Torffilter abfloß, bei lOOfacher Verdünnung 400 mg Kaliumpermanganat, auf ein Liter der ursprünglichen Flüssigkeit berechnet, bei öOfacher Verdünnung 393,4 mg und bei 20facher Verdünnung 139,0 mg. Da die von der Anstalt gelieferten Flüssigkeiten schon an und für sich eine verschiedene Konzentration besaßen und da die an organischen Stoffen sehr reichen Flüssigkeiten außerdem, um die An- wendung der Kaliumpermagnanatmethode zu ermöglichen, vorher hätten verdünnt werden müssen, so hätte dieser Fehler natürlich zu ganz unsicheren Ergebnissen geführt. Die Bestimmung des Glühverlustes wurde so ausgeführt, daß der Trockenrück- stand verkohlt, die Kohle im heißen Wasser ausgelaugt und nach Veraschung mit dem abgedampften wässerigen Auszuge vereinigt wurde. Die Gesamtasche wurde dann noch in gleicher Weise, wie es für den kalkhaltigen Trockenrückstand angegeben ist, mit kohlensäurehaltigem Wasser behandelt. 4. Für die Bestimmung des Gesamtstickstoffs kam das K j e 1 d a h 1 sehe Ver- fahren zur Anwendung, und zwar in der von Arnold (Zeitschrift für chemische In- dustrie 1887, S. 4) beschriebenen Form mit geringen für die besonderen Verhältnisse als zweckmäßig befundenen Abweichungen. Je nach der Menge des Abdampfrückstandes wurden 100 — 300 ccm der verschiedenen Proben mit K j e 1 d a h 1 sehen Zersetzungs- kölbchen mit Schwefelsäure, Zinkstaub und einigen Tropfen Platinchlorid versetzt und fast zur Trockenheit verdampft. Die dabei erfolgende Wasserstoff entwicklung bewirkte, daß das Abdampfen ruhig und ohne Stoßen der Flüssigkeit vor sich ging. Der Abdampfrückstand wurde dann der Zersetzung durch rauchende Schwefelsäure, Quecksilber und Kupfersulphat unterworfen. Da das vorhandene Zinksulphat und Platinchlorid die oxydierende Wirkung der rauchenden Schwefelsäure hinreichend unterstützten, so konnte der von Arnold empfohlene Zusatz von Benzolsäure unter- bleiben. Die weitere Behandlung geschah, dann ganz nach Arnolds Angaben, selbst- verständlich wurden sämtliche bei dem Verfahren zur Anwendung kommenden Reak- tionen vorher auf etwa vorhandenen Stickstoff nach derselben Methode untersucht. 5. Das Ammoniak wurde mit einer Modifikation des gewöhnlich befolgten S c h 1 ö s - s i ng sehen Verfahrens bestimmt. Durch 50 — 100 ccm der Flüssigkeit, welche in einer doppelt tubulierten Wulff sehen Flasche mit überflüssigem Kalk versetzt war, wurde durch Schwefelsäure gewaschene und dadurch ammoniakfrei gemachte Luft in leb- haftem Strome geleitet. Zur Absorption des mit letzterer entweichenden Ammoniaks dienten zwei hintereinander aufgestellte mit 1/10 Normalschwefelsäure beschickte Röhr- chen, welche der Luftstrom passieren mußte. Die Menge des absorbierten Ammoniaks ließ sich dann durch Titrieren des Schwefelsäurerestes ermitteln. In bezug auf die Stickstoff- und Ammoniakbestimmiingen ist noch ausdrücklich zu bemerken, daß, wenn wegen zu großer Menge von Proben nicht alle sofort in Arbeit genommen werden konnten, die zurückbleibenden Proben stets frisch mit Schwefel- säure bis zur Säurereaktion versetzt wurden, teils um eine Verflüchtigung des freien Ammoniaks, teils eine weitere Zersetzung der Flüssigkeit zu verhüten. 6. Nitrite und Nitrate fanden sich, wie hier vorweg bemerkt werden soll , nur in abwägbaren Spuren und genügte somit der qualitative Nachweis durch Diphenylamin für Salpetersäure und Metaphenylendiamin für salpetrige Säure. Zur Bestimmung des Kalkgehaltes wurde die Asche benutzt, und zwar unter Ver- wendung des titrimetrischen Verfahrens mit Oxalsäure und Kaliumpermanganat. 1118 Untersuchung einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Schmutzwässern. Schließlich ist noch zu erwähnen, daß, um möglichst zuverlässige Resultate zu- erhalten, alle Analysen doppelt und in den Fällen, in welchen es wegen der großen Mengen und suspendierten Stoffen schwierig war, gute Durchschnittsproben zu erhalten, mit unter 3 — 4 Kontrollanalysen ausgeführt sind. Das Ergebnis der chemischen Analyse der am 6. Juni gesammelten" Proben war folgendes : Trocken- substanz Wasser Glüh- verlust Asche Gesamt- stickstoff /o /o »/o 10 o; 20,11 79,89 16,74 3,37 0,53 Am 6. .Juni verarbeitete .Jauche berechnet auf mg im Liter Rück- Glüh- Gesamt- Ammoniak- stand verlust Asche stickstoff stickstoff 5036,0 3880,0 1156,0 845,0 3. Plüssig:keit aus dem Mischgefäß ...... 2745,0 1467,0 1269,0 451,0 257,1 1620,0 458,0 1162,0 264,0 165,0 6072,0 2468,0 3604,0 422,8 198,8 (Nach Zusatz der Chemikalien) 2429,0 40,0 2389,0 2.36,1 156,5 7. Geklärte Flüssig-keit aus dem Absitzkasten Nr. 2 1895,0 52,0 1843,0 232,0 117,0 8. Aus dem Torffilter abfließende Flüssigkeit . . 1408,0 248,0 1160,0 185,9 150,7 Am 4. Juni verarbeitete Jauche. 9. Geklärte Flüssigkeit aus dem Absitzkasten Nr. 3 2078,0 88,0 1990,0 309,0 121,9 10. Aus dem Schlammkasten abfließende Flüssigkeit 2757,0 615,0 2142,0 320,6 111,9 Feste Produkte von der am 4. und berechnet in Prozenten der 6. Juni verarbeiteten Jauche. Trockensubstanz Wasser Glüh- Asche Gesamt- Ammoniak- verlust stickstoff Stickstoff 11. Schlamm aus dem Absitzkasten Nr. 2 . . . . 70,79 49,75 50,25 4,91 0,62 69,53 43,19 56,81 7,16 0,64 13. Gemisch von Schlamm oder Torf aus dem Schlamm- 78,66 70,71 29,29 5,15 0,72 14. Torf aus dem Torffilter 72,15 90,83 9,17 5,19 0,25 15. Poudrette 32,39 56,01 43,99 5,57 0,21 16. Ungebrauchter Torf 16,65 90,89 9,11 3,09 0,062 Zur Erläuterung dieser Zahlen mögen folgende Bemerkungen dienen: Die Zusammensetzung des festen Kots aus dem Trockenklosett entspricht ziemlich genau dem von König (Die Verunreinigung der Gewässer, S. 78) angegebenen Durch- schnittsgehalt der menschlichen Fäzes (Wasser 75,0, Glühverlust 21,6, Asche 3,4, Ge- samtstickstoff 0,7%), man könnte deswegen daran denken, diese Zahlen zu benutzen, um die im Spülklosett vor sich gehende Vermengung mit Harn und die gleichzeitige Verdünnung durch das zur Spülung dienende Wasser zu berechnen und dann aus dem Vergleich mit dem Inhalt des aus beiden Klosetts gefüllten Mischgefäßes auf die Menge von Flüssigkeit zu schließen, welche von jedem der Klosetts der Reinigungsanstalt zugeführt wird. Ursprünglich bestand auch die Absicht, so zu verfahren. Aber schon bei dieser ersten Untersuchung und noch mehr bei der darauffolgenden stellte es sich heraus, daß nicht, wie anfänglich vorausgesetzt war, die Mischungsverhältnisse sowohl in bezug auf den Inhalt der beiden Klosetts als auch auf die Verdünnung mit Wasser Untersuchung einer Versuchsanstalt, zur Reinigung von Schmutzwässern. 1119 gleichbleibend waren, sondern einem fortwährenden Wechsel, und zwar innerhalb recht weiter Grenzen, unterlägen. Außerdem scheint die Beimengung von Papier, vielleicht auch von anderen zufällig in die Klosetts gelangenden Stoffen die Zusammensetzung des Klosettinhaltes in ganz unkontrollierbarer Weise zu beeinflussen, wie aus einem Vergleich zwischen der Zusammensetzung der Flüssigkeit aus dem Spülklosett und dem Inhalt des Mischgefäßes hervorgeht. Letztere Flüssigkeit hätte in bezug auf ihren Ge- halt an festen Bestandteilen eine höhere Zahl ergeben müssen als diejenige des Spül- klosetts, da im Mischgefäß der konzentriertere Inhalt des Trockenklosetts dazukommt. Statt dessen hatte das Mischprodukt aus beiden Klosetts nur wenig mehr als halb so- viel Trockensubstanz, wie die Jauche aus dem Spülklosett allein. Letztere müßte also in irgendeiner Weise auf dem Wege bis zum Mischgefäß eine weitere Verdünnung durch nahezu gleiche Mengen von Wasser erfahren oder, wenn auch die konzentrierteren Fäzes des Trockenklosetts zum Inhalt des Mischgefäßes beigetragen hatten, sogar mit mehr als der gleichen Menge Wasser verdünnt sein. Ferner hätte der Aschegehalt in der Jauche des Mischgefäßes entsprechend dem Grade der Verdünnung etwa halb soviel betragen müssen als derjenige der Flüssigkeit aus dem Spülklosett. Es wurde aber etwas mehr als ebensoviel Asche darin gefunden, was auf die Beimengung von aschreichen Stoffen wie Papier und dergleichen schließen läßt. Wegen dieser ITnsicherheit in den Mischungs- verhältnissen wurde später von einer Analyse des Inhalts der beiden Klosetts Abstand genommen. Aber noch ein anderer Umstand machte sich bereits bei dieser ersten LTutersuchung geltend, dessen Bedeutung allerdings erst bei den späteren in vollem Maße erkannt wurde, der aber, wie sich dann herausstellte, für die chemischen Vorgänge bei dem Reinigungs- verfahren, von wesentlichstem Einfluß ist. Es betrifft dies die Zeit, welche seit der Ent- stehung der Jauche bis zu ihrer Verarbeitung verstrichen ist und welche den Grad der Zersetzung bedingt, in welchem sich die zur Verarbeitung kommende Jauche befindet. Auf eine frische Jauche wirken nämlich die hinziigesetzten Chennkalien anders als auf eine bereits in Zersetzung übergegangene. In letztere sind die organischen Stoffe — und ganz besonders gilt dies von den stickstoffhaltigen — mehr oder weniger in solche Verbindungen übergeführt, die bereits flüchtig sind oder von dem Hauptbestandteil der Chemikalien, vom Ätzkalk, in flüchtige Stoffe verwandelt werden. In diesem Falle muß der Trockenrückstand, welcher natürlich nur die nicht flüchtigen Stoffe umfaßt, verhältnismäßig zu gering ausfallen, ein Fehler, der dann weiter auch die Be- stinnnung des Glüh Verlustes beeinflußt. Wird nun letzterer gleich dem Gehalt an or- ganischer Substanz gesetzt, wie es jetzt allgemein üblich ist bei der Analyse derartiger Flüssigkeiten, dann kann es kommen, daß der Effekt der Chemikalien in Anbetracht des geringen Glühverlustes ein ganz bedeiitender zu sein scheint, während er in Wirk- lichkeit nur ein verhältnismäßig geringer ist. Anscheinend ist diesem Fehler bei den bisherigen Analysen von Schmutzwässern vielfach zuwenig Rechnung getragen, und manche auffallenden Widersprüche in den Analysen über die reinigende Wirkung von Chemikalien auf derartige Flüssigkeiten dürfte hierin ihre Erklärung finden. Die An- wendung eines anderen Verfahrens zur Bestimmung der organischen Substanzen, bei welchen ein Verlust an flüchtigen Stoffen ausgeschlossen ist, würde den obenerwähnten Fehler natürlich vermeiden lassen. Aber das einzige Verfahren, welches in dieser Be- ziehung in Frage kommen könnte, die Bestimmung der Oxydierbarkeit mit Kalium- permanganat, gibt aus den bereits früher angeführten Gründen so unsichere Resultate, daß es ebenfalls zu Irrtümern führen würde. Trotzdem gibt die Analyse doch noch einen Anhaltspunkt für die richtige Beurteilung der Beschaffenheit der Jauche vor und nach der Behandlung mit den Chemikalien, allerdings nicht für den Gesamtgehalt 1120 Untersuchung einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Schniutzwässern. der organischen Substanzen, aber doch für den wichtigsten Teil derselben, für die stick- stoffhaltigen Substanzen und speziell für das Ammoniak. Diese beiden Bestandteile wer- den ohne Eindampfen in der ursprünglichen Flüssigkeit, also ohne daß flüchtige Sub- stanzen verloren gehen können, bestimmt, und an die Zahlen, welche nach der Kjel- dahl sehen Methode für den Gesamtstickstoff und nach dem Schlössing sehen Verfahren für Ammoniak gefunden werden, wird man sich in allen den Fällen halten müssen, in denen die dem Reinigungsverfahren entnommene Jauche bereits in Zersetzung übergegangen ist. Auch die am 6. Juli zur Verarbeitung gekommene Jauche war offenbar eine solche in Zersetzung begriffene, was sich sofort aus dem hohen Ammoniakstickstoffgehalt der Flüssigkeit im Mischgefäß zu erkennen gibt; derselbe betrug 257,1 mg im Liter (während eine später untersuchte, die weit weniger zersetzt war, nur 70 mg hatte). Daß die Jauche an diesem Tage sich nicht in frischem Zustand befand, hatte vermutlich darin seine Gründe, daß die Entnahme an einem Montag stattfand und ein Tag vorher als an einem Sonntag der Betrieb der Anstalt geruht hatte. Für ein Gemisch von Fäzes und Urin macht ein Tag in der Hitze des Sommers in bezug auf die sich entwickelnden Zersetzungsorgane schon viel aus. Im übrigen geht aus den Zahlen der Proben Nr. 3 und 4 hervor, daß in der Jauche des Mischgefäßes vom Gesamtstickstoff mehr als die Hälfte (264 mg von 451) und vom Ammoniak etwa ^/g (165 mg von 257) in Lösung sich befanden. Die Proben Nr. 3 und 4 und die Proben Nr. 5 und 6 unterscheiden sich dadurch, daß letztere den Zusatz der Chemikalien erhalten haben, durch welche die ursprüng- liche Flüssigkeit (Nr. 3 und 4) eine wesentliche Änderung erfahren müßte. Was nun die Qualität und Quantität dieses Chemikalienzusatzes betrifft, so soll derselbe nach den in der Reinigungsanstalt selbst von den Angestellten der Schwartz- kopfschen Fabrik erhaltenen Mitteilungen am 6. Juni so stattgefunden haben, daß auf 1000 Liter Jauche kamen: 2,25 kg Kalk (in 101 Liter Wasser verteilt), 0.225 kg Magne- siumsulfat (in 24 Liter Wasser), 1 kg Lahn-Phosphat (in 48 Liter Wasser), 0,48 kg Magne- siumchlorid (in 24 Liter Wasser). Es wurde besonders Wert darauf gelegt, daß das Verhältnis zwischen Kalk, Magne- siumchlorid und Magnesiumsulfat noch bis 10 : 2 : 1 betrage, und daß, wenn wegen größerer Konzentration der Jauche eine konzentrierte Kalkmilch (bis 2,5 kg im Kubik- meter) zugesetzt werden müsse, auch der Zusatz von Magnesiumsulfat und Magnesium- chlorid in den angegebenen Verhältnissen zu erhöhen sei, während der Phosphatzusatz unverändert bleiben könne. Die Mischung der Jauche mit diesen Chemikalien geschah nun in der Weise, daß ein Meßgefäß (Schwinghahn), welches bei jeder Entleerung 1,04 Liter Jauche aus dem großen Mischbehälter lieferte, in vier Entleerungen 4,16 Liter Jauche in die erste Abteilung der geschlossenen Rinne übergoß, während durch gleichzeitig nur einmal in Bewegung gesetzte Schöpfbecher aus den Chemikalienbehältern der Reihe nach 0,42 Liter Kalkmilch mit ca. 0,4 g Kalk. 0,10 Liter Magnesiumsulfatlösung mit ca. 0,9 g Magnesiumsulfat. 0,20 Liter Phosphatlösimg mit ca. 1 g Phosphat. 0,10 Liter Magnesiumchloridlösung mit ca. 1,8 hinzugefügt wurden. Auf 1000 Liter berechnet entsprechen diese Zusätze nahezu dem oben ange- gebenen Mischungsverhältnis. Die Dauer der Mischung betrug nach den seitens der Direktion der Maschinenbauanstalt erhaltenen Angaben Untersuchung einer Versuchsanstalt zur Reinigung von Schmutzwässern. 1121 für die Kalkmilch für die Magnesiumsulfatlösung, für die Phosphatlösung .... für die Magnesiumchloridlösimg 23,4 Sekunden. 21,3 19,0 17,1 Also insgesamt 80,8 Sekunden. Die Menge der ursprünglichen Flüssigkeit erfährt durch den Zusatz der Chemika- lien eine Zunahme im Verhältnis von 100 : 120, darf also bei dem Vergleich der Flüssig- keiten vor und nach dem Zusatz der Chemikalien nicht unberücksichtigt bleiben. Die Veränderungen, welche die Jauche durch die Chemikalien erfährt, ist. soweit es sich um das Aussehen der Flüssigkeit und um das Verhalten der darin suspendierten ungelösten Stoffe handelt, eine ganz bedeutende. Die ursprüngliche Jauche ist eine übelriechende, schmutzigbraune, trübe, schwach alkalisch reagierende Flüssigkeit, welche die suspendierten Bestandteile nur langsam und nicht vollständig absetzt, so daß sie auch nach längerem Stehen nicht ganz klar wird. Die mit Chemikalien versetzte Jauche dagegen, wie sie in der offenen Rinne zum Vorschein kommt sieht heller, mehr gelblichbraun aus. ist flockig trübe und setzt die flockigen Massen in wenigen Minuten so vollständig ab, daß die über dem schmutzig gelbbraun gefärbten Bodensatz stehende Flüssigkeit ganz klar erscheint. Diese Flüssig- keit ist gelb, etwa wie dünner Urin gefärbt; riecht ammoniakalisch und reagiert stark alkalisch Diesen äußerlich hervortretenden auffallenden Veränderungen in der Beschaffen- heit der Jauche entsprechen nun aber keineswegs ebenso weitgehende Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung derselben, wenigstens nicht in bezug auf diejenigen Bestandteile, deren Beseitigung durch das Reinigungsverfahren in erster Linie ange- strebt wird. Die Jauche behält vor dem Zusatz der Chemikalien in Lösung (Nr. 4 dekantierte Flüssigkeit aus dem Mischgefäß) 458,0 mg organische Substanzen (Glühverlust), nach dem Zusatz der Chemikalien dagegen (Nr. 6) nur noch 40,0, also nur noch den IL Teil. Würde man den Glühverlust als maßgebend ansehen, dann wäre also eine sehr weit- gehende Reinigung der Jauche erzielt, aber ein Blick auf den Gehalt der Flüssigkeit an Gesamtstickstoff und Ammoniak vor und nach dem Chemikalienzusatz lehrt sofort, daß hier diejenigen Verhältnisse vorliegen, auf welche früher hingewiesen ist, daß näm- lich eine an flüchtigen Stoffen sehr reiche Flüssigkeit analysiert wurde, da schon allein der Gesamtstickstoff in der nicht abgedampften Flüssigkeit den Glühverlust um mehr als das Fünffache übertrifft. Beim Abdampfen derselben hatte denn auch bereits der Geruch nach Ammoniak, Trimethylamin und Urin auf die Verflüchtigung von Stoffen hingewiesen. Wie groß in diesem Falle der Verlust an nicht stickstoffhaltigen flüch- tigen Substanzen zu bemessen, und wie hoch der Stickstoff der flüchtigen Stickstoff- vernünderungen als organische Substanz zu berechnen ist, um einen Maßstab für das Defizit zu haben, läßt sich immöglich angeben, zieht man aber allein den Stickstoff- gehalt in Betracht, dann ergibt sich als Bildung des Chemikalienzusatzes nur eine sehr geringe Abnahme (von 264,0 auf 236,1 mg), die sich auch noch bei Anrechnung der Ver- dünnung, welche die Jauche durch den Chemikalienzusatz erfährt (von 100 auf 120) auf 0 reduziert. Dasselbe was die Analyse in bezug auf den Gesamtstickstoff ergeben hat, wiederholt sich auch für den Ammoniakstickstoffgehalt, der nur den Verdünnungs- graden entsprechend herabgesetzt ist (von 165 auf 156 mg). Daß der Aschegehalt der geklärten Flüssigkeit von 1162 mg auf 2389 gestiegen ist, erklärt sich dadurch, daß ein Teil der Chemikalien in Lösimg geblieben ist. Koch, Gesammelte Werke. tlO 1122 Untersuchung einer Versuciisanstalt z. Reinigung v. Schmutewässern. Nahezu dieselbe Zusammensetzung, insbesondere in bezug auf geringen Glüh Ver- lust und hohen Gehalt von Gesamtstickstoff, zeigt die aus dem Absitzkasten Nr. 2 ent- nommene Flüssigkeitsprobe (Nr. 7). Der Ammoniakstickstoffgehalt ist allerdings etwas geringer, ohne daß ein bestimmter Grund dafür anzugeben ist; derselbe könnte mög- licherweise durch die wechselnde Beschaffenheit der verarbeitenden Jauche, vielleicht auch durch Verflüchtigung während des Stehens im Kasten verursacht sein. Auch die dritte Probe von geklärter Flüssigkeit, aus dem Absitzkasten Nr. 3 von einer 2 Tage früher verarbeiteten Jauche herstammend, zeigt dieselbe Eigentümlichkeit: geringen Glühverlust und hohen Stickstoffgehalt. Inwieweit letzterer im Verhältnis zur ursprünglichen Flüssigkeit herabgesetzt oder unverändert geblieben ist, läßt sich nicht sagen, da die Zusammensetzung der zugehörigen Jauche nicht bekannt ist. Aber wenn die Konzentration der letzteren entsprechend dem Rückstand der geklärten Flüssig- keit angenommen wird, dann ist der Stickstoff geh alt der geklärten Jauche noch so hoch, daß eine Herabsetzung desselben durch die Chemikalien keineswegs wahrscheinlich ist. Auf die Klärung der Jauche durch die Chemikalien folgt in den Reinigungsver- fahren dann weiter die Filtration der geklärten Flüssigkeit durch Torf. Welche Wir- kung dieser Vorgang hat, zeigt die Beschaffenheit der Flüssigkeit Nr. 8 im Vergleich mit Nr. 7. Der Stickstoff geh alt ist von 232,0 auf 185,9 herabgegangen und der Ammo- niaks'tickstoffgehalt von 117,8 auf 150,7 gestiegen. Ein Teil des Stickstoffes ist also im Torffilter zurückgehalten, ein anderer Teil weiter in Ammoniak übergeführt, so daß der Stickstoff zum weitaus größten Teil als Ammoniak in der Flüssigkeit vorhanden ist, wenn sie die Reinigungsanstalt verläßt. Auffallenderweise hat nun aber der Glühverlust, d. h. der Gehalt an nicht flüch- tigen organischen Substanzen, wieder bedeutend zugenommen. Weitere Erklärung findet diese Erscheinung darin, daß zur Filtration der Flüssigkeit frischer Torf aufgeschüttet war, der noch nicht ausgelaugt war und deswegen an die hindurchsickernde Flüssig- keit lösliche, noch nicht flüchtige organische Substanzen abgab, dagegen einen Teil der stickstoffhaltigen Substanz zurückhielt. Die aus dem Torffilter abfließende Flüssigkeit hatte immer noch gelbliche Farbe, ammoniakalischen Geruch, reagierte stark alkalisch, trübte sich nach einigem Stehen durch Abscheidung von Kalziumkarbonat, das sich bald wieder absetzte. Von ganz ähnlicher Beschaffenheit war die aus dem Schlammkasten absickernde Flüssigkeit Nr. 10, nur mit dem Unterschiede, daß ihr Stickstoffgehalt im Verhältnis zur zugehörigen geklärten Jauche Nr. 9 keine Abnahme zeigte. Die Proben von Schlamm, Torf und Pou- drette haben hier nur in bezug auf ihren Stickstoff- und Ammoniakgehalt Interesse. Da schon der ungebrauchte Torf einen Stickstoffgehalt von 3,09% besaß, so ist die Zunahme auf 5,57% in der Poudrette nur als eine verhältnismäßig geringe anzusehen, offenbar kommt, dieselbe fast ganz auf den Stickstoffgehalt der ursprünglich in der Jauche vorhandenen ungelösten Substanzen, welche durch das Versehen vollständig zurückgehalten werden. Der sehr geringe Gehalt der Poudrette an Ammoniak läßt ersehen, daß auch von diesem Stoff durch die Chemikalien kaum etwas gebunden wird; das in die Poudrette übergegangene Ammoniak kann auch von dem ursprünglich in den suspendierten Be- standteilen der Jauche vorhandenen Ammoniak (nach der Analyse 8,18% Ammoniak- stickstoff auf Trockensubstanz berechnet) herrühren. B. Bakteriologische Untersuchung. Dieselbe geschah nach der gewöhnlichen Methode durch Vermischen der zu unter- suchenden Flüssigkeit mit Nährgelatine in mehreren Verdünnungen und Zählung der Untersuchung einer Versuchsanstalt z. Reinigung v. Schmutzwässern. 1123 nacli einigen Tagen zur Entwicklung gekommenen Bakterienkolonien. Von den festen Substanzen (Torf, Poudrette) wurde 1 g abgewogen, im Mörser möglichst fein zerrieben und dann mit der Gelatine in abgestuften Mengen sorgfältig gemischt. Sämtliche Proben wurden nach der Entnahme sofort in das Laboratorium geschafft und untersucht, so daß Fehler infolge von weiterer Zersetzung der Flüssigkeiten aus- geschlossen waren. Ergebnisse der bakteriologischen Untersuchung : Zahl der entwicklungsfähigen Keime in 1 ccm 1. Fäkalien des Trockenklosetts (nach fünffacher Verdünnung mit destilliertem, ste ilisiertem Wasser) 150 000 000 Am 6. Juni verarbeitete Jauche: 2. Flüssigkeit aus dem Spülklosett 15 000 000 3. Flüssigkeit aus dem Mischgefäß 25 000 000 4. Flüssigkeit aus der offenen Rinne (nach Zusatz der Chemi- kalien) 36 000—600 000 5. Geklärte Flüssigkeit aus dem Absitzkasten Nr. 2 ... 500 6. Aus dem Torffilter abfließende Flüssigkeit 120 000 Am 4. Juni verarbeitete Jauche: 7. Aus dem Schlammkasten abfließende Flüssigkeit .... 130 000 Feste Prodvikte von der am 4. und 6. Juni verarbeiteten Jauche; 8. Schlamm aus dem Absitzkasten Nr. 2 450 000 9. Söhlamm aus dem Schlammkasten 60 000 10. Gemisch von Schlamm und Torf aus dem Schlamm- kasten (lg) 15 000 000 11. Torf aus dem Torffilter (lg) 70—400 000 000 12. Poudrette (lg) 2 000 000 13. Ungebrauchter Torf (lg) 20 000 Diese Zahlen ergeben, daß die Fäkalien vor ihrer Behandlung mit Chemikalien (Nr. I, 2 und 3), wie auch nicht anders zu erwarten war, sich sehr reich an Mikroorga- nismen erwiesen. Nach dem Zusatz der Chemikalien hat die Zahl der noch entwicklungsfähigen Keime bedeutend abgenommen (von 15 Millionen auf 36 000 — 600 000), aber es muß auffallend erscheinen, daß mehrere Untersuchungen derselben Probe, nämlich der Flüssig- keit aus der offenen Rinne (Nr. 4), Zahlen geliefert hatten, die so weit voneinander ab- wichen (36 000—600 000). Die Erklärung hierfür lieferte erst eine der späteren Unter- suchungen, welche ergaben, daß der Einfluß der Chemikalien auf die Mikroorganismen nach der im Apparat stattgefundenen Mischung nicht sofort, sondern erst längere Zeit nachher den Höhepunkt erreicht, so daß die unmittelbar nach der Mischung mit den Chemikalien untersuchte Flüssigkeit noch verhältnismäßig viel Keime enthält, von Stunde zu Stunde aber immer ärmer daran wird. Zum Teil mag die Differenz auch darin begründet sein, daß die Flüssigkeit aus der offenen Rinne noch sämtliche suspendierte Stoffe enthält, welche letzteren, wie die Untersuchung der Schlammproben ergibt, einen großen Teil der Keime in sich schließen. Ein gleichmäßiges Zerteilen dieser suspen- dierten flockigen Massen in der Flüssigkeit gelingt aber auch bei anhaltendem Schütteln nicht immer, und dementsprechend können auch die für die bakteriologische Unter- suchung entnommenen geringen Plüssigkeitsmengen nicht immer gleichmäßig aus- fallen. Die Untersuchung der geklärten Flüssigkeit aus dem Absitzkasten (Nr. 5), welche bereits längere Zeit unter dem Einfluß der Chemikalien gestanden und sämtliche suspen- iie* 1124 Untersuchung einer Versuchsanstalt z. Reinigung v. Schmutzwässern. dierte Stoffe abgesetzt hatte, lieferte dagegen ganz gleichmäßige Resultate. Dieselbe erwies sich so arm an entwicklungsfähigen Keimen (500), daß die ursprüngliche Menge derselben bis zu diesem Stadium des Reinigungsverfahrens auf ^/goooo abgenommen hatte. Die dann folgende Behandlung der geklärten Jauche führt nun aber wieder, wie die Zahlen unter Nr. 6 und 11 zeigen, zu einer entschiedenen Verschlechterung derselben. Das Torffilter, entfernt davon eine weitere entwicklungshemmende oder keimtötende, d. h. desinfizierende Wirkung auszuüben, wird im Gegenteil, nachdem es sich mit der an stickstoffhaltigen und noch fäulnisfähigen Stoffen sehr reichen Klärflüssigkeit voll- gesogen hat, zu einem wahren Fäulnisherd. Aus den 20 000 Keimen, welche der un- gebrauchte Torf im Gramm enthält, werden bei der Filtration 70 — 400 Millionen, und damit übereinstimmend kommt die an Keimen vorher sehr arme Flüssigkeit aus dem Torf wieder mit 120 000 Keimen im Kubikzentimeter zum Vorschein. Der Schlamm aus dem Absitzkasten Nr. 8 enthält im Gegensatz zu der zu ihm gehörigen Klärflüssigkeit noch verhältnismäßig viel Keime (450 000), woraus zu ent- nehmen ist, daß durch die Chemikalien zwar der größte Teil der Mikroorganismen in den Fäkalien vernichtet, aber doch eine nicht unbedeutende Menge nvir eingehüllt und zu Boden gerissen wird. Der im Schlammkasten befindliche Schlamm (Nr. 9), welcher 24 Stunden gelagert hatte, war ärmer an Keimen (60 000) als der frisch aus dem Absitzkasten entnommene, vermutlich infolge der fortdauernden Wirkung der Chemikalien. Der Torf dagegen, auf welchem er lagerte, war ebenso wie derjenige des Torffilters wieder sehr keimreich, so daß ein Gemisch desselben mit dem Schlamm 15 Millionen Keime im Gramm enthielt. Dementsprechend enthielt auch das durch diesen Torf aus dem Schlamm hindurchsickernde Wasser wieder größere Mengen (130 000) von Mikro- organismen. Beim Eintrocknen von bakterienhaltigen Substanzen gehen erfahrungsgemäß viele Bakterien zugrunde, und es muß deswegen der Keimgehalt der trockenen Poudrette geringer sein als derjenige des Gemisches von Schlamm und Torf, aus dem die Poudrette hergestellt wird. Bringt man die Differenz im Wassergehalt zwischen beiden in An- rechnung, dann ergibt sich für die Poudrette nur eine Abnahme des Keimgehalts um etwas mehr als die Hälfte. Da diese geringe Abnahme fügl'ch dem Einfluß des Trocknens allein zugeschrieben werden kann, so läßt sich nicht annehmen, daß die bei der Her- stellung der Poudrette zur Anwendung kommende Temperatur eine wesentliche Wirkung auf den Keimgehalt derselben hat. II. Untersuchung. Nachdem die Analyse der am 6. Juni entnommenen Proben beendigt war, wurde sofort die Vorbereitung für eine weitere Untersuchung getroffen, welche eine teilweise Wiederholung der ersten beabsichtigte, außerdem sich aber auch auf die Prüfung der einzelnen Abschn tte des chemischen Teils des Reinigungsverfahrens und auf das Ver- halten der flüssigen Endprodukte unter solchen Verhältnissen erstrecken sollte, welche einer Einleitung derselben in öffentliche Gewässer entsprechen würde. In der Annahme, daß sich die Reinigungsanstalt in einem nur Sonntags unterbrochenen Betriebe befindet, wurde die Entnahme der Proben auf den 6. Juli (einen Mittwoch) angesetzt, ohne daß die Direktion der Maschinenbauanstalt hiervon vorher in Kenntnis gesetzt war. Leider erwies. sich jene Annahme als irrig. Der Betrieb der Anstalt war gerade unterbrochen worden, wurde aber, da alle Vorbereitungen für die Entnahmen der Proben nun einmal getroffen waren, in Gang gesetzt, um wenigstens so viel Untersuchungsmaterial zu ge- winnen, als sich beschaffen ließ. Untersuchung einer Versuchsanstalt z. Reinigung v. Schmutzwässem. 1125 Einige der früher zur Untersuchung gekommenen Objekte konnten deswegen diesmal nicht mit untersucht werden; so der Inhalt des Schlammkastens und die aus letzterem abfließende Flüssigkeit, weil der Schlammkasten in Reparatur befindlich war. Die aus dem Torffilter abfließende Flüssigkeit konnte nicht an der Abflußstelle ent- nommen, sondern mußte aus dem Abzugskanal, über welchem eine Lokomotive stand, geschöpft werden. Da diese Flüssigkeit aber bei der Analyse einen ganz auffallend ge- ringen Gehalt an festen Stoffen ergab (1 Liter lieferte nur 569 mg Rückstand), so mußte angenommen werden, daß sie nicht aus dem reinen Filtrat des Torffilters, sondern aus einem Gemisch mit anderen Flüssigkeiten unbekannter Zusammensetzung bestand. Sie ist deswegen in dem nachstehenden Verzeichnis der analytischen Ergebnisse nicht mit aufgeführt. Außerdem ist noch zu erwähnen, daß der Absitzkasten nur ca. 25 cm hoch gefüllt war und somit nur aus dieser Höhe Flüssigkeit abgelassen werden konnte. A. Chemische Untersuchung. Die chemische Untersuchung der Proben vom 6. Juli lieferte folgende Ergeb- nisse : Berechnet auf mg im Liter Eück- stand Glüh- verlust Asche Gesamt- stickstoff Ammoniak- stickstoff 4.517,0 2669,0 1848,0 708,0 319,2 2408,0 1067,0 1341,0 508,0 67,2 3. Flüssigkeit aus der offenen Rinne (nach Zusatz 8345,0 2924,0 5421,0 515,0 179,2 4. Dieselbe Flüssi 1149 1,6 730 6,9 986 5.1 736 5,2 734 3.9 1000 4,0 778 11,4 1041 10,2 762 10,6 777 9,2 1017 Nicht gemessen 1589 15,3 1464 16,2 957 12.8 900 14,5 2969 19,4 2437 18,7 1964 16,3 1856 16.6 1343 15,3 1910 18,9 1238 17,1 1818 17,5 1857 18,2 1376 16,6 1117 15,8 744 14,4 2009 19,6 1133 16,6 1264 15,7 796 15.0 666 12,4 929 13.4 724 11.5 848 11,1 685 11,0 705 8,1 709 8,2 696 7,3 741 7,1 723 7,3 706 4,9 710 6,1 648 5,1 761 5,3 980 2,7 möge, teils durch eine bessere Erforschung der Krankheitsursache, um zu rationellen Abwehrmaßregeln zu gelangen, teils durch eine umfangreichere Ausnutzung der günstigen Erfahrungen, welche man mit der künstlichen Ernährung der Kinder unter Zuhilfe- nahme des Soxhletschen und ähnlicher Apparate, welche zur Zubereitung der Milch dienen, gemacht hat. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 23. August 1888. Eurer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf den br. m. Erlaß vom 20. Juli d. J. (Nr. 6151 M) unter Rücksendung desselben nebst Anlagen über die Ge- fährlichkeit der sogenannten Carbon-Natron-Öfen ganz gehorsamst nachstehenden Bericht zu erstatten. Die Garbon-Natron-Öfen, welche von der Firma Alwin Nieske in Dresden in den Handel gebracht werden, sollen nach den darüber veröffentlichten Prospekten durchaus gefahrlos sein, weil angeblich das Fexierungsmaterial nur Kohlensävn'c produziert und bei der vorschriftsmäßigen Verwendung in Schlaf- und Wohnräumen die Heizgase durch einen Gummischlauch ins Freie abgeführt werden. Aufmerksam gemacht durch eine Abhandlung von Professor Wolpert, welcher Versuche mit einem Carbon-Natron-Ofen angestellt hat, sowie durch eine Zeitungsnotiz, nach welcher ein derartiger Ofen die Ursache einer tödlichen Kohlenoxydgasvergiftung gewesen sein sollte, veranlaßte ich im Herbst des vergangenen Jahres Herrn Dr. Petri, im Hj'gienischen Institut den Oarbon-Natron-Ofen daraufhin zu untersuchen, inwieweit derselbe die ihm von der Firma Nieske zugeschriebenen Eigenschaften wirklich besitzt. Als Versuchsofen wurde die kleinste Nummer der von Nieske gelieferten Öfen benutzt ; derselbe stimmt aber in seiner Konstruktion, namentlich auch in bezug auf den damit verbundenen Gummischlauch so vollkommen mit den größeren Öfen überein, daß die erhaltenen Resultate auch für letztere Geltung haben. 1182 Gefährlichkeit der Carbon-Natron-Öfen. Die Einrichtung des Carbon-Natron-Ofen unterscheidet sich von derjenigen anderer Öfen insofern, als er in seinem oberen Teile nicht luftdicht abgeschlossen, sondern nur mit einem lose aufliegenden Deckel versehen ist, so daß die Heizgase an dieser Stelle fast ungehindert aus dem Ofen in die Luft des beheizten Raumes übergehen können. Würde das für die Heizgase bestimmte Abzugsrohr mit dem oberen Teil des Heizkörpers in Verbindung stehen und in einen Schornstein führen, der eine stark ansaugende Wir- kung ausübt, dann wäre es trotzdem noch möglich, daß infolge kräftiger Zugwirkung die Heizgase sämtlich nach dem Schornstein abgeführt werden und daß durch die Spalte neben dem Deckel eher Luft in den Ofen hineingesogen wird als daß Heizgase den Ofen an dieser Stehe verlassen. Das ist aber nicht der Fall, denn das Abzugsrohr beginnt zwar oben am Heizkörper, geht dann aber wieder nach unten und steht gegenüber der Regulierungsöffnung mit einem Gummischlauch in Verbindung, welcher durch eine Öffnung ins Freie geführt werden soll. Bei dieser Einrichtung fehlt für die Heizgase jede Veranlassung, in den Gummischlauch überzutreten, der Inhalt des letzteren erwärmt sich demzufolge nicht über die Zimmertemperatur, und es kann somit von dem Gummi- schlauch überhaupt keine Zugwirkung, wie etwa von einem Schornstein, ausgeübt werden. Es bleibt unter diesen Verhältnissen den Heizgasen nichts anderes übrig, als aus dem Ofen auf dem nächsten Wege, d. h. durch den Spalt neben dem Ofendeckel, in die Luft des geheizten Raumes zu entweichen. Daß sich dies auch in Wirklichkeit so verhält, ist durch Dr. P e t r i s Versuche direkt erwiesen; denn selbst mit HiKe eines sehr empfindlichen Anemometers ließ sich ein Aus- treten der Heizgase aus dem vorschriftsmäßig geheizten Ofen durch den Gummischlauch nicht nachweisen; sogar eine Flaumfeder, welche durch den allergeringsten Luftzug in Bewegung versetzt wurde, blieb, wovon ich mich selbst überzeugt habe, auf der Mün- dung des Gummischlauchs regungslos liegen. Wenn die Heizgase gesundheitsgefälorliche Stoffe enthalten, dann müssen die- selben also sämtlich in den vom Carbon-Natron-Ofen geheizten Raum gelangen. Die Heizgase der Ofenfeuerung enthalten nun aber stets solche Stoffe, vor allem das höchst gefährliche Kohlenoxydgas. Es ließ sich sogar erwarten, daß bei der verlangsamten Verbrennung, wie sie im Carbon-Natron-Ofen stattfindet, besonders reichliche Mengen von Kohlenoxydgas produziert werden. Auch diese Voraussetzung ist durch Dr. Petris U^ntersuchungen bestätigt. Es konnten mit Hilfe der üblichen Reaktionsmittel, nämlich durch PaUadiumchlorür und durch verdünnte Blutlösung und schließlich auch durch das Tierexperiment, übereinstimmend in der Luft des geheizten Raumes solche Mengen von Kohlenoxydgas nachgewiesen werden, daß dieselben nach der bisherigen Erfahrung auf Menschen tödlich wirken können. Diese Beobachtungen allein würden schon ausreichend sein, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß die Benutzung eines Carbon-Natron-Ofens ebenso lebensgefährlich ist, wie die eines Kohlenbeckens in einem geschlossenen Raum oder eines Ofens, dessen Klappe zu früh geschlossen ist. Die bisher bekanntgewordenen Unglücksfälle haben aber auch weiter den Beweis geliefert, daß die Verwendung des Ofens zur Beheizung von Wohn- und Schlafräumen in der Tat die schlimmsten Folgen haben kann, und daß die erhobenen Bedenken nicht ausschließlich von theoretischer Bedeutung sind. Wenn derartige Unglücksfälle nicht häufiger vorgekommen sind, dann mag dies daran liegen, daß die Öfen gewöhnlich in solchen Räumen benutzt werden, in denen sich Menschen nur vorübergehend aufhalten oder in denen durch häufiges Öffnen der Türen ein starker Luftwechsel stattfindet. Aber die den Carbon-Natron-Öfen zur Last fallenden Kohlenoxydgasvergiftungen werden unzweifelhaft in dem Maße zunehmen, in welchem dieser Ofen beim Publikum immer Gefährlichkeit der Carbon-Natron-Öfen. — Rauchbelästigung. 1183 weiter Eingang findet. Besonders bedenklich muß es in dieser Beziehung noch erscheinen, daß das Publikum keine Ahnung von der Gefährlichkeit des Carbon-Natron-Ofens hat und daß die Firma Nieske mit ihren Prospekten und Gebrauchsanweisungen die Ab- nehmer der Öfen in den Glauben versetzt, als ob die Heizgase, welche möglicherweise schädlich wirken können, durch den Gummischlauch beseitigt würden. Diejenigen Besitzer des Ofens, welche denselben hiernach für ungefährlich halten, werden ihn ge- legentlich auch in solchen Räumen aufstellen, wo er unter allen Umständen gefährlich werden muß. In diesem Sinne ist der Ofen entschieden als gemeingefährlich anzusehen, und es wird unzweifelhaft manchem Verlust an Gesundheit und Leben dadurch vorgebeugt werden, daß der Gebrauch der Carbon-Natron-Öfen in geschlossenen Räumen allgemein untersagt wird. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizin alangelegenheiten. Berlin, den 5. Juni 1889. Euer Exzellenz beehre ich mich zufolge des mit br. m. Erlaß vom 15. April d. J. (Nr. 3186 M) erhaltenen Auftrages und unter Rückgabe des bezüglichen Erlasses nebst Anlage über die Rauchbelästigung ganz gehorsamst mich hierunter gutachtlich zu äußern. Von den Bestandteilen des Rauches, welcher bekanntlich aus einem wechselnden Gemisch von Wasserdampf, gasförmigen Produkten des Verbrennungsprozesses, Flug- asche und Ruß besteht, kann als gesundheitsschädliche Verunreinigung der Luft auf weitere Entfernung hin nur der Ruß in Betracht kommen. Die Flugasche bleibt nur so kurze Zeit in der Luft suspendiert, daß sie von den Luftströmungen nicht weit fort- getragen wird, und die Gase, unter denen vorzugsweise schweflige Säure und Kohlen- oxyd schädlich wirkem könnten, werden sehr bald nach dem Ausströmen aus dem Schorn- stein durch hinreichende Mengen von Luft bis zur vollkommenen Unschädlichkeit ver- dünnt. Die Verunreinigungen der Luft mit diesen Bestandteilen des Rauches können daher nur in unmittelbarer Nähe der Rauchentwicklung zur Wirkung gelangen. Der Wasserdampf kann als ein nie fehlender Bestandteil der Luft unberücksichtigt bleiben. Nur der Ruß, d. h. Kohle in äußerst fein verteiltem Zustande, bleibt verhältnismäßig lange Zeit in der Luft schweben und kann auf weitere Entfernung hin die Luft so er- füllen, daß er in mehr oder weniger großen Mengen von der Bevölkerung eines Ortes, welcher mit rauchentwickelnden Feuerungsanlagen versehen ist, eingeatmet wird. Man sollte deswegen streng genommen auch nicht von einer Rauch-, sondern von einer Ruß- belästigu ng spr echen . Das Einatmen von Ruß ruft weder sofort, noch wenn es einige Zeit fortgesetzt stattfindet, Krankheitssymptome hervor, und dies ist der Grund, daß man im allgemeinen den Ruß für eine indifferente Verunreinigung der Luft hält, die höchstens als Belästi- gung, aber nicht als eine Schädigung anzusehen ist. Diesem Standpunkt entspricht auch das in dem anliegenden Bericht des Polizeipräsidenten erwähnte Gutachten des Sanitätsrats Dr. R. Auf Grund nachstehender Erwägungen bin ich indessen zu einer von der herr- schenden Meinung abweichenden Ansicht über die Bedeiitung der Einatmung von Ruß gekommen. Die bei Gewerbebetrieben der verschiedensten Art gemachten Erfahrungen haben gelehrt, daß alle Staubarten, wenn sie dauernd eingeatmet werderi, mehr oder weniger schädlich für die Lunge sind. Auch der Ruß gehört natürlich zu den Staub- 1184 Rauchbelästigung. arten, und es würde eine Ausnahme von der Regel sein, wenn das Eindringen desselben in die Lungen gänzlich ohne nachteilige Folgen bliebe. Letzteres ist aber auch nicht der Fall, und wenn man bisher vom Gegenteil überzeugt war, so lag das eben nur daran, daß unmittelbare an Menschen angestellte Beobachtungen fehlten, und zwar an Menschen, welche nicht nur vorübergehend, sondern eine lange Zeit hindurch wie bei den mit Staub- entwicklung verbundenen Gewerbebetrieben Ruß einzuatmen hatten. Etwas Derartiges kommt aber vor, und man hat es bisher nur übersehen. Es müssen nämlich in Berg- werken die mit höchst unvolUvommenen Grubenlampen ausgerüsteten Bergleute den von ihren Lampen entwickelten Ruß während der Arbeitszeit einatmen, und unter Be- rücksichtigung der Folgen, welche daraus für die Gesundheit dieser Arbeiter entstehen, läßt sich die Frage, ob das' Einatmen von Ruß schädlich oder unschädlich sei, mit aller Bestimmtheit entscheiden. Ganz besonders ist dies der Fall bei den in Erzbergwerken beschäftigten Bergleuten, welche nicht wie die Arbeiter der Kohlengruben neben dem Ruß noch Kohlenstaub einzuatmen haben, bei denen also die Wirkung der Rußeinatmung ganz rein hervortritt. Bei diesen Arbeitern nun zeigt sich, daß der Ruß genau dieselben Zerstörungen in der Lunge anzurichten vermag wie die gefährlichsten Staubarten, denn zahlreiche Arbeiter erkranken nach mehr oder weniger langer Zeit unter denselben Symptomen, wie diejenigen Gewerbetreibenden, welche dem Staub von Kohlen, Kalk, Zement usw. ausgesetzt sind, und die massenhafte Ablagerung von Ruß in den Lungen der Bergleute läßt keinen Zweifel darüber, worin die Ursache der schweren und oft töt- lichen Erkrankung zu suchen ist. Allerdings gehören diese Beobachtungen Verhältnissen an, welche gewissermaßen das Extrem der Rußeinatmung bilden, und man könnte behaupten, daß diejenigen Mengen von Ruß, welche mit der rußhaltigen Stadtluft eingeatmet werden, auf die Lunge gar keinen Einfluß ausüben. Aber auch dies scheint mir nicht richtig zu sein. Wenn die Lunge imstande wäre, den in verhältnismäßig geringer Menge eingedrungenen Ruß vollständig wieder herauszubefördern, etwa mit Hilfe einer den Ruß einhüllenden Schleimabsonderung und der Fortbewegung des Schleims durch das Flimmerepithel, dann würde in der Tat die Einatmung von Ruß ohne nachteilige Folgen bleiben müssen. Dazu ist aber die Lunge nicht imstande. Ein Teil des eingeatmeten Rußes wird zwar wieder entfernt, wie man ohne weiteres an dem schwarzgefärbten Auswurf solcher Menschen, welche Ruß eingeatmet haben, sehen kann; aber ein anderer nicht geringer Teil bleibt in der Lunge und wird in dem Gewebe derselben abgelagert, wofür leider nur zu oft der handgreifliche Beweis durch die Schwarzfärbung der Lungen geliefert wird, welcher man fast regelmäßig bei der Obduktion erwachsener Personen begegnet und welche zum allergrößten Teil durch die während des Lebens inhalierten und von der Lunge zurückgehaltenen Rußmengen bedingt ist. Daraus folgt aber, daß selbst ge- ringe Mengen von Ruß in der Atmungsluft nicht gleichgültig sein können. Auch aus einer solchen Luft müssen, wenn auch nur sehr kleine Mengen von Ruß in das Lungengewebe dauernd aufgenommen werden; diese Wirkung muß sich summieren und im Laufe der Zeit zu demselben Effekt führen, als ob große Mengen von Ruß in kürzerer Frist einge- atmet wären. Zu eigentlichen Entzündungsprozessen und Verschwärung der Lunge, wie es bei den Bergleuten der Fall ist, kommt es nach Einatmung riißhaltiger Stadtluft wohl niemals, aber ohne Schädigung der Lunge kann die Ablagerung so bedeutender Mengen von Ruß, wie sie tatsächlich in der Lunge erwachsener Menschen gefunden werden, auch nicht vor sich gehen. Einesteils muß die Funktionsfähigkeit des Organs an und für sich dadurch beeinträchtigt werden, andererseits muß aber auch die Wider- standsfähigkeit gegen kranlvmachende Einflüsse herabgesetzt werden. Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß die Erkrankung der Lunge infolge von Staubinhalation die nach- Rauchbelästigung. — Schlachthof anläge in Breslau. 1185 trägliche Infektion dieses Organs mit Tiiberkulose in hohem Maße begünstigt. Ebenso wird vermutlich auch die mit Ruß imprägnierte Lunge leichter tuberkulös werden als eine gesunde Lunge. Nach alle diesem habe ich die Überzeugung gewonnen, daß die Verunreinigung der Luft mit Ruß, wenn sie auch nicht weiter geht, als es gewöhnlich in industriellen Städten der Fall ist, nicht bloß als eine Belästigung, sondern geradezu als eine Gefahr für die Gesundheit anzusehen ist, welche ebenso, wie man anderweitige Luftverunrei- nigungen von mehr unmittelbarer Wirkung nicht mehr duldet, unter allen LTmständen vermieden werden sollte, und zwar kann dies um so mehr verlangt werden, als es nach dem LTrteil der Techniker ausreichende Mittel gibt, um ohne Schädigung der Industrie die Rauchentwicklung verhüten zu können. An den Herrn Minister der geistlichen usw. Angelegenheiten. Berlin, den 29. Juni 1881. Euer Exzellenz haben die unterzeichnete Wissenschaftliche Deputation^) für das Medizinalwesen durch die br. m. Erlasse vom 5. März d. J. (Decr. zu Nr. 1769 M) und 7. April d. J. (Decr. zu Nr. 2972 M) beauftragt, über die vom Magistrat zu Breslau projek- tierte Schlachthofanlage ein Gutachten abzugeben. Wir verfehlen nicht, diesem Auftrage unter Rücksendung der Akten und Vorgänge hiermit ganz gehorsamst nachzukommen. Der Magistrat von Breslau beabsichtigt, im Süden der Stadt auf einem an der Hubener Straße gelegenen Terrain einen Schlachthof anzulegen. Von verschiedenen Seiten ist dagegen Einsprache erhoben und sind namentlich auch sanitäre Bedenken geltend gemacht, dahingehend, daß benachbarte Fabrikanlagen einen nachteiligen Ein- fluß auf den Schlachthof ausüben würden und daß die Schlachthof anläge selbst, deren Abwässer den städtischen Kanälen zugeführt werden müssen, für die Stadt gefährlicli werden könne. Auf Grund der in dieser Angelegenheit von den Stadtphysikern, vom Regierungsmedizinalrat, vom Medizinalkollegium und in technischer Beziehung von mehreren Beamten abgegebenen Gutachten hat der mit der Beschlußfassung beauftragte Kreisausschuß am 7. September v. J. die Genehmigung zur Ausführung des Projekts nur unter besonderen Bedingungen erteilt. Gegen diesen Beschluß ist sowohl von seilen des Magistrats, der die bedingungslose Genehmigung verlangt, als von Seiten des Polizei- präsidiums und der Fleischerinnungen, welche die gänzliche Verwerfung beantragt hatten, Einspruch erhoben. Die alsdann mit einer Begutachtung der Angelegenheit beauftragte Königliche Technische Deputation für Gewerbe hat sich dahin ausgesprochen, daß in den beiden Hauptfragen, betreffend die Entwässerung der Schlachthof anläge und den zu befürch- tenden nachteiligen Einfluß benachbarter Fabriken die Meinungen der Sachverständigen und die Angaben der sich gegenüberstehenden Parteien zu weit voneinander abweichen und es deswegen geboten sei, eine abermalige LTntersuchung durch Sachverständige an Ort und Stelle vornehmen zu lassen. Der Herr Minister für Handel und Gewerbe hat bei dieser Sachlage an Euer Ex- zellenz das Ersuchen gerichtet, zimächst noch ein Gutachten von der Wissenscliaftlichen Deputation für das Mcdizinalwesen zu erfordern, und zwar über die Frage: ob der für die Schlachthausanlage in Aussicht genommene Platz tatsächlich durch die benachbarten Fabrikanlagen übelriechenden Gasen und namentlich ') Für diese hat K o e h das Referat erstattet. D. Herausgeber. Koch, Gesammelte Werke. 120 1186 Schlachthofanlage in Breslau. Rauchausströmungen ausgesetzt ist, welche geeignet sind, schädlich auf das frisch geschlachtete Fleisch einzuwirken und dasselbe für den menschlichen Genuß untauglich zu machen. Später ist dann noch weiter das Ersuchen ergangen, das Gutachten auch auf die Frage auszudehnen : ob gegen die beabsichtigte Einleitung der Abwässer aus dem projektierten Schlachthofe in die städtischen Kanäle gesundheitliche Bedenken zu erheben sind. Gutachten. In betreff der ersten Frage kommen folgende Fabrikanlagen in Betracht: 1. Eine 140 m vom Bauplatze entfernte südlich von demselben gelegene Melasse- Spiritusbrennerei. Über Art und Umfang des Betriebes dieser Fabrik liegen keine aus- reichenden Angaben vor. Nur so viel läßt sich ersehen (Bl. 363 des Aktenvolumens), daß die Melasse nach Behandlung mit 1/9% schwefliger Säure (soll wohl heißen Schwefel- säure) und nachdem Hefe zugesetzt ist, in Gärbottichen vergoren, in verschlossenen Apparaten destilliert und daß die zurückbleibende Schlampe, soweit sie nicht an Ort und Stelle zum Verkauf kommt, in Schlampekohle verwandelt wird. Wie die Verarbeitung der Schlampe zu Schlampekohle geschieht, insbesondere die dabei entweichenden übel- riechenden Dämpfe ohne weiteres ins Freie gelassen werden, oder ob die Destillations- produkte, unter denen sich auch stets Trimethylamin befindet, weiter verarbeitet werden und ob dabei vielleicht übelriechende Gase in die Umgebung gelangen, ist leider nicht gesagt. Es macht sich diese Lücke um so mehr bemerklich, als von der einen Seite be- hauptet wird, daß die Fabrik die Umgebung durch übelriechende Dämpfe, besonders solche, die nach Trimethylamin riechen, verpeste und von der anderen Seite dies ebenso entschieden bestritten wird. Das Polizeipräsidium sagt in seiner Entgegnung (Bl. 388) : Da die Fabrik ihre stinkenden Emanationen bei feuchter Luft und günstiger Windrichtung bis auf eine Entfernung von 2 km und darüber nach der Stadt verbreitet, so ist mit Sicherheit an- zunehmen, daß diese Emanationen nach den nur 140 m entfernten Schlachthöfen in solcher Konzentration gelangen, daß durch dieselben das frische Fleisch geschädigt und verdorben wird. Auch das Medizinalkollegium nimmt an (p. 251), daß ein widerlicher Trimethyl- amingeruch sich bei bestimmter Windrichtung bis in die projektierte Schlachthofsanlage bemerkbar machen werde. Seitens des Magistrats wird dagegen behauptet (p. 363), daß in der Fabrik kein Trimethylamin entstehe und auch gar nicht entstehen könne. Wenn das Medizinal- kollegium zu der entgegengesetzten Ansicht gekommen sei, so beruhe das darauf, daß keines der Mitglieder desselben die Fabrik besichtigt und sich von dem Betriebe der- selben überzeugt habe. Andere Sachverständige, närrdich der Prof. P o 1 e k und der Bezirksphysikus Dr. J a c o b y , hätten nach einem Besuche der Fabrik ein von dem Gutachten des Medizinalkollegiums völlig verschiedenes Gutachten abgegeben (vi. 306 bis 307). Da weder von der einen noch von der anderen Seite die Behauptungen von dem Vorhandensein oder Fehlen der übelriechenden Dünste durch tatsächliche Beweise begründet sind, so muß diese Frage unentschieden bleiben. Immerhin wird mit der Mög- lichkeit einer von der Fabrik ausgehenden Luftverunreinigung bei der Anlage des Schlacht- hofs gerechnet werden müssen, sofern nicht in der Fabrik besondere Einrichtungen getroffen sind, um das Entweichen von übelriechenden Gasen zu verhüten. Schlachthof anläge iti Breslau. 1187 2. Die 1,3 km entfernte chemische Fabrik Silesia (Bl. 257), in welcher Schwefel- säure, Salpetersäure, Ammoniak und Ammoniaksalze, Superphosphate, Blanc fix, Chlorzink, Blutlaugensalz, Rhodenverbindungen hergestellt und unter anderen dazu erforderliche Rohmaterialien auch Knochen, Leim, Leder, Horn usw. verarbeitet werden. Nach dem Gutachten des Reg. -Medizinalrats Wolff (vi. 96) sollen sich bei der Fabrikation des Superphosphats ,, gesundheitsschädliche Gase und übelständige Ex- halationen" entwickeln, die zwar bei sorgfältigem Fabrikbetrieb zum großen Teil zu vermeiden seien, immerhin aber bei mangelhafter Aufmerksamkeit in sehr belästigender Weise hervortreten würden, insbesondere müsse dabei das übelriechende Ammoniak und die giftige Fluorwasserstoffsäure in Betracht kommen. Auch könnte die Fabrika- tion der Schwefelsäure sehr leicht in hohem Grade die Atmosphäre verunreinigen, wenn ein Defekt in den Apparaten eintrete. Im Gegensatz zu diesem Gutachten, das sich auf wirklich vorgekommene Luft- verunreinigung durch die Fabrik Silesia nicht beruft, sondern nur die Möglichkeit der- selben hervorhebt, schildert das Medizinalkollegium in seinem Gutachten (Bl. 255) in eingehender Weise den Betrieb der Fabrik und konstatiert auf Grund eigener Wahr- nehmungen, daß übler Geruch bei den verschiedensten Windrichtungen in der Um- gebung der Fabrik schon in einer Entfernung von 200 bis 250 Schritt nicht mehr zu be- merken sei. Es gehe allerdings eine geringe Menge von Fluorwasserstoffsäure in die Luft über, aber bei der sofort eintretenden Verteilung im Lufträume könne dieselbe unmög- lich noch eine schädliche Wirkung auf eine Entfernung von 1,3 km ausüben. Ferner wird berichtet, daß die zur Verarbeitung kommenden tierischen Abfälle durch Benzin entfettet und dann mittels heißer Dämpfe behandelt werden, wodurch alle etwa m den- selben enthaltenen Infektionsstoffe sicher zerstört würden; es könne somit kein Be- triebszweig der chemischen Fabrik Silesia der projektierten Schlachthofanlage gefähr- lich werden. Da hierdurch die Unschädlichkeit der Fabrik Silesia überzeugend nachgewiesen ist, so kann dieselbe für den projektierten Schlachthof außer Betracht bleiben. 3. Zwei Cichorienfabriken, von denen eine sich in 250 m Entfernung befindet; ferner mehrere Ziegeleien, eine Dachpappenfabrik, eine Ölfabrik, deren Entfernungen von der Schlachthofanlage nicht angegeben sind (Bl. 253). Sämtliche unter 3. aufgeführten Fabriken, ebenso aber auch die unter 1. und 2. erwähnten liefern mehr oder weniger Rauch, der sich je nach der Stärke und Richtung der Luftbewegung auch bis zur Stelle der projektierten Schlachthof anläge ausbreitet und von dem behauptet wird, daß er auf die Beschaffenheit des Fleisches von Einfluß sein könne. In gleicher Weise soll, wie die Fleischerinnung in ihrer Eingabe behauptet, auch der von den Lokomotiven aus dem Rangierbahnhofe der Oberschlesischen Eisenbahn ausgehende Rauch wirken. Über die Entfernung dieses Bahnhofs finden sich ebenfalls keine Angaben und in dem Gutachten des Medizinalkollegiums ist diese Quelle der Luftverunreinigung überhaupt nicht erwähnt. Im allgemeinen ist die Rauchbelästigung durch die umliegenden Fabriken von keiner Seite bestritten und also als wirklich vorhanden anzunehmen. Aus dem, was über die in der Umgebung der projektierten Schlachthofanlage befindlichen Fabriken in den Akten enthalten ist, läßt sich soiiiit entnehmen, daß nur die Exhalationen der Melasse-Brennerei und der aus verschiedenen Fabriken, vielleicht auch der vom Rangierbahnhofe ausgehende Rauch bezüglich eines nachteiligen Ein- flusses auf das im Schlachthof lagernde Fleisch in Frage kommen kann. Von den Exhalationen der Melasse-Brennerei wird behauptet, daß sie übelriechend 120* 1188 Schlachthofanlage in Breslau. sind und daß sie Trimethylamin enthalten. Von den Fleischerinnungen wird dann noch insbesondere die Befürchtung ausgesprochen, daß das Fleisch, wenn es diesen Gasen ausgesetzt werde, dieselben anziehe, dadurch selbst übelriechend und gesundheitsgo- fährlich werde, außerdem habe die Berührung mit verunreinigter Luft zur Folge, daß das Fleisch leichter und schneller in Fäulnis übergehe. Was diese Behauptungen anlangt, so ist es richtig, daß Fleisch ebenso wie andere Gegenstände flüchtige, übelriechende Stoffe absorbieren und einen unangenehmen Geruch annehmen kann, sofern solche Stoffe in starker Konzentration, wie namentlich in geschlossenen Räumen, zur Einwirkung gelangen. Dagegen widerspricht es aller Erfahrung, daß dasselbe auch dann eintritt, wenn das Fleisch den Strömungen der freien Luft ausgesetzt ist oder in Räumen aufbewahrt wird, in denen ein lebhafter Luftwechsel stattfindet. Die Verdünnung, welche flüchtige Stoffe in der freien Luft erfahren, ist eine so weitgehende, daß durch den Geruch wahrnehmbare Mengen in nicht geschlossenen Räumen und unter gewöhnlichen Verhältnissen vom Fleische nicht mehr festgehalten werden. Deswegen läßt sich auch nicht erwarten, daß die möglicherweise der Melasse-Brennerei entströmenden Dünste das auf dem Schlachthofe befindliche Fleisch übelriechend machen werden. Das Königliche Polizeipräsidium führt zwar einige Beispiele an (Bl. 388), in denen infolge vorhergegangener Desinfektion das Fleisch Karbol- und Chlorgeruch angenommen haben soll; dieselben sind aber für den vorliegenden Fall nicht beweisend, da es sich um andere Stoffe und auch um andere Verhältnisse als die zwischen der Brennerei und dem projektierten Schlachthof bestehenden handelte. Wir befinden uns in dieser Frage in voller Übereinstimmung mit der vom Medi- zinalkollegium in seinem Gutachten (Bl. 251) vertretenen Meinung und können dem Medizinalkollegium auch darin beipflichten, daß, wenn die übelriechenden Dünste der Brennerei zum Schlachthofe gelangen, sie das Fleisch selbst nicht schädigen werden, höchstens bei den Personen, weiche dort verkehren, ein Gefühl dos Ekels hervorrufen könnten. Wir möchten jedoch nicht unterlassen, an dieser Stelle darauf aufmerksam zu machen, daß im letzten Schlußsatze des betreffenden Gutachtens die Worte ,,bei den auf dem Schlachthofe verkehrenden Personen" ausgelassen bzw. durch die Worte „bei dem Publikum" ersetzt worden sind. In dieser Fassung kann der Satz so gedeutet werden, und ist in der Tat vom Polizeipräsidium (p. 388 und 389) auch so aufgefaßt, als ob das Fleisch selbst ekelerregend und zwar nicht allein für die auf dem Schlacht- hofe sich einfindenden Käufer, sondern auch nach dem Transport zum Schlachthof nach der Stadt für das dort kaufende Publikum sei. Dies ist aber, wie die Ausführungen im Gutachten selbst und wie der erste Schlußsatz desselben beweist, nicht die Meinung des Medizinalkollegiums gewesen. Auch die Annahme, daß die von der Brennerei ausgehenden Dünste eine fäulnis- befördernde Wirkung auszuüben vermögen, ist eine irrige. Sie würden die Fäulnis des Fleisches befördern, wenn sie demselben Fäulniskeime zuführten oder wenn sie die Ent- wicklung und Vermehrung der Fäulnisorganismen im Fleische begünstigten. Aber weder das Eine noch das Andere ist der Fall. Sie selbst könne wegen der hohen Temperatur, der sie bei der trockenen Destillation ausgesetzt werden, keine Fäulniskeime enthalten, und, da die von vegetabilischen Substanzen ausgehenden Destillationsprodukte erfahrungs- gemäß eine fäulnisverhindernde Wirkung haben, so werden auch die bei der Verkohlung der Schlampe sich entwickelnden Destillationsprodukte eher einen die Fäulnis zurück- haltenden als befördernden Einfluß ausüben. Was noch speziell das Trimethylamin anbetrifft, so sind die Befürchtungen, daß dasselbe dem Fleische giftige Eigenschaften erteilen könnte, ganz unbegründet. Selbst Schlachthofanlage in Breslau. 1189 unter den ungünstigsten Verhältnissen könnte das Fleisch von diesem Stoffe, der in ge- wissen Nahrungsmitteln, z. B. im Hering, in nicht unbeträchtlicher Menge ohne Schaden genossen wird, nur äußerst geringe Spuren aufnehmen und dadurch niemals gesund- heitsschädlich werden. Wir kommen somit zu dem Resultat, daß die von der Brennerei ausgehenden Dünste in der für die Anlage des Schlachthofes angenommenen Entfernung in keiner Weise auf das frisch geschlachtete Fleisch schädlich einzuwirken und dasselbe für den menschlichen Genuß untauglich zu machen vermögen. Ähnlich wie mit den gasförmigen Exhalationen der Brennerei liegen die Verhält- nisse in bezug auf die behauptete schädliche Wirkung des Rauches aus den umliegen- den Fabriken. Daß sich geringe Mengen von Rauchbestandteilen, d. h. Ruß und Flugasche, auf frischem Fleisch ablegen, wird sich in Großstädten, deren Luft immer mehr oder weniger damit verunreinigt ist, überhaupt nicht vermeiden lassen. Eine geringe Rauchbelästi- gung würde daher bei der projektierten Schlachthof anläge nichts von den gewöhnlichen Verhältnissen Abweichendes bilden, und es kann sich nur darum handeln, welchen Ein- fluß eine ungewöhnliche Verunreinigung der Luft durch Rauch auf das Fleisch haben würde. Die Bestandteile des Rauches enthalten keine Stoffe, die in den geringen Mengen, welche hier in Frage kommen können, gesundheitsschädlich wirken. Sie haben auch auf die Fäulnis des Fleisches keinen fördernden, sondern, ebenso wie die früher erwähnten Produkte der Schlampedestillation, eher einen die Fäulnis zurückhaltenden Einfluß. Es kann also auch bei einer reichlichen und sichtbar werdenden Ablagerung von Rauchbestandteilen das Fleisch keine gesundheitsschädliche Beschaffenheit annehmen. In solchem Zustande wird das Fleisch auch nicht etwa ekelerregend sein, denn der Rauch, welcher beispielsweise an geräucherten Fleischwaren regelmäßig haftet, hat keine ekel- erregenden Eigenschaften. Das Fleisch wird dadurch also in keiner Weise gesundheits- widrig, aber es kann unansehnlich werden, was, wenn auch nicht aus hygienischen, so doch aus anderen naheliegenden Gründen, unter allen Umständen bei einer Schlacht- hofanlage vermieden werden sollte. Ob nun aber in bezug auf die projektierte Schlachthofanlage die Verhältnisse so liegen, daß die benachbarten Fabrikanlagen Rauchmengen produzieren, welche hin- reichend sind, um das Fleisch sichtbar mit Ruß zu bedecken und dadurch unansehnlich zu machen, das läßt sich aus den uns zur Verfügung stehenden iVkten nicht ersehen. Es ist für keine der betreffenden Fabriken festgestellt, in welchem Umfange die Rauch- produktion stattfindet, und ob es wirklich auf dem für den Schlachthof in Aussicht ge- nommenen Platze zu erheblichen Rauchablagerungen kommt. Es würden also auch für die Entscheidung dieser Frage erst noch die nötigen LTnterlagen zu beschaffen sein. Wir können uns somit in bezvig auf den behaupteten schädlichen oder vielmehr belästigenden Einfluß der dem Schlachthofe benachbarten Fabriken nur dem Antrage der Königl. Technischen Deputation anschließen, über den tatsächhch bestehenden LTmfang der Luftverunreinigung, und zwar speziell durch die übeh-iechenden Dünste der Melasse- Spiritusbremierei und durch den Rauch sämtlicher benachbarter Fabrik- anlagen und des Rangierbahnhofes, Untersuchungen durch Sachverständige an Ort und Stelle vornehmen zu lassen. Da aber Ausströmungen von übelriechenden Gasen, und ganz besonders von Rauch, durch geeignete Vorkehrungen mehr oder weniger, unter Umständen sogar vollkommen vermieden werden können, so würde sich die Untersuchung auch darauf zu erstrecken haben, ob die etwa vorhandenen Übelstände nicht durch Änderungen im Betriebe der betreffenden Fabriken zu beseitigen sind, soweit solche 1190 Schlachthofanlage in Breslau. Änderungen von den Adjazenten auf Grund gesetzlicher Vorschriften verlangt werden können. Die zweite von uns zu beantwortende Frage bezieht sich auf die Entwässerung des Schlachthofs und die daraus für die Stadt Breslau sich etwa ergebenden Nachteile. Die in Aussicht genommene Entwässerung soll in der Weise geschehen, daß das Abwasser durch Einschaltung von Fettöpfen, Gullies von Fett und sonstigen suspen- dierten Stoffen möglichst befreit, in einem Hauptkanal gesammelt, durch diesen einem Klärbassin zugeführt und dann erst in das städtische Kanalsystem geleitet wird. Da der Schlachthof an der Peripherie des Kanalnetzes liegt, muß das von dem- selben kommende Schmutzwasser einen weiten Weg bis zur Pumpstation, und zwar durch die Stadt, hindurchmachen. Seitens des Polizeipräsidiums und der Fleischerinnungen werden hiergegen folgende Bedenken geltend gemacht. Es wird behauptet, daß derjenige Teil des Kanalsystems, welcher das vom Schlachthof kommende Schmutzwasser abführen soll, schon jetzt nicht imstande sei, das ihm zuströmende Wasser zu bewältigen, wie die häufig vorkommenden Kellerüberschwemmungen bei Regengüssen bewiesen. Diese Kanäle würden also um so weniger imstande sein, noch überdies das Abwasser des Schlachthofs aufzunehmen, und da letzteres von sehr unreiner Beschaffenheit sei, so werde für den betreffenden Stadt- teil bei ferneren Überschwemmungen eine dementsprechend größere Gesundheitsgefahr sich ergeben. Außerdem wird die Befürchtung ausgesprochen, daß die städtischen Ka- näle durch Fettablagerungen verstopft und daß vom Schlachthofe aus Infektionsstoffe durch die Kanäle in die Stadt verschleppt werden könnten. Demgegenüber bestreitet der Magistrat, daß Überschwemmungen häufig vor- gekommen und daß die betreffenden Kanäle ihrer Aufgabe nicht gewachsen seien, und behauptet, daß das Schlachthof ab wasser sowohl in bezug auf Qualität als Quantität ohne Bedenken durch die städtischen Kanäle abgeleitet werden kömie. Was zunächst die Qualität der Abwässer betrifft, so werden dieselben, nachdem sie in der erwähnten Art und Weise von suspendierten Stoffen befreit sind, nicht wesent- lich fäulnisfähiger sein, als andere aus Klosetts, Küchen usw. stammende Gebrauchs- wässer, und es steht ihrer Einleitung in die Kanäle insofern kein Bedenken entgegen. Auch die anderen in bezug auf die Qualität des Schmutzwassers ausgesprochenen Be- fürchtungen sind nicht gerechtfertigt. Denn wenn in der Schlachthof anläge selbst für die Zurückhaltung des Fettes durch Fettöpfe, Schlammfänge und Klärbassins gesorgt wird, kann es zu nennenswerten Fettablagerungen in den Kanälen nicht mehr kommen; und wenn Infektionsstoffe, seien es menschliche oder tierische, vom Schlachthof her in die Kanäle gelangen, was allerdings vorkommen kann, so wird auch iji dieser Beziehung das Schlachthofwasser nicht gefährlicher sein, als die ebenfalls unter Umständen mit Infektionsstoffen beladenen Abwässer aus Krankenhäusern, Privatwohnungen und manchen Gewerbebetrieben. Somit läßt sich nicht behaupten, daß der Inhalt des Kanalsystems durch die Bei- mischung des von den suspendierten Stoffen befreiten Schlachthofabwassers in irgend- einer Beziehung eine schlechtere Beschaffenheit erhält, als er seinem Ursprung nach naturgemäß jetzt schon haben muß. Es bleibt demnach nur noch die Frage, ob das Schlachthofabwasser seiner Quan- tität nach zu reichlich ist, um durch die städtischen Kanäle abgeleitet werden zu können. Hierüber liegen ganz widersprechende Angaben vor. Von der einen Seite wird behauptet und rechnungsmäßig nachzuweisen versucht, daß die Kanäle zu klein seien und nicht das richtige Gefälle haben, von der anderen Seite wird in gleicher Weise dargelegt, daß sie ihrer Aufgabe vollkommen gewachsen seien. Schlachthofanlage in Breslau. — Markthalle auf dem Magdeburger Platz in Berlin. 1191 Inwieweit die eine oder die andere der streitenden Parteien recht hat, läßt sich aus dem uns zu Gebote stehenden Material nicht erkennen. Nur so viel ist zu ersehen, daß beide bei ihren Berechnungen nicht von den üblichen Grundlagen ausgegangen sind. Die Berechnung des Magistrats stützt sich auf die Zahlen, die bei der Erbauung des Kanalsystems als maßgebend angenommen sind, nämlich auf die Annahme, daß durch die Kanäle eine 2 4 s t ü n d i g e maximale Regenmenge von 0,026 m abzuführen sei. Es wäre aber richtiger gewesen, die nach Ausscheidung der ganz ausnahmsweise auftretenden Wolkenbrüche zu berechnende maximale Regenmenge für eine Stunde, welche wesentlich höher ist, der Berechnung zugrunde zu legen. Von der anderen Seite, im Gutachten des Baurats K r ö h n k e , ist dagegen die vom Schlachthof abzuleitende Regenmenge entschieden zu hoch berechnet, indem nämlich von der Voraussetzung ausgegangen ist, daß die für eine Stunde angenommene maximale Regenmenge von 0,01121 m ohne Verlust in die Kanäle gelangt. Dies ist aber nicht richtig, denn wenn auch das in Frage kommende Terrain vollständig bebaut und gepflastert wäre, so würde doch nur ein Teil, und zwar, wie neuere Beobachtungen gelehrt haben, auf einer der »Schlachthofanlage entsprechenden Fläche etwa 50% des Regenwassers, in die Kanäle abfließen. Da somit die nötigen Unterlagen zu einer Beurteilung über die Fähigkeit der städtischen Kanäle zur Ableitung der Schlachthof ab wässer fehlen, so müssen wir uns auch bezüglich dieser Frage dem Antrage der Königl. Technischen Deputation auf eine nochmalige gründliche Untersuchung der Sachlage durch geeignete Techniker anschließen, zumal da nach dem Berichte des Königl. Regiennigsjiräsidiums zu Breslau vom 30. März d. J. und den Anlagen derselben gegenwärtig der Magistrat selbst die ungenügende Beschaffen- heit der Abzugskanäle, selbst für die gewöhnlichen Verhältnisse, anzuerkennen scheint. Wir fassen schließlich unser Gutachten dahin zusammen: Es ist nicht anzunehmen, daß die aus den benachbarten Fabrikanlagen ausströ- menden übelriechenden Gase und Rauchmengen schädlich auf das frisch geschlachtete Fleisch einwirken und dasselbe für den menschlichen Genuß untauglich machen werden. Inwieweit das Fleisch durch den Rauch unansehnlich gemacht werden kann, läßt sich aus den uns zur Verfügung stehenden Angaben nicht ersehen. Gegen die Einleitung des vom Schlachthofe konnnenden Abwassers in die städti- schen Kanäle besteht, wenn dasselbe in der beabsichtigten Weise gereinigt i.^t, in bezug auf seme Qualität kein Bedenken. Es läßt sich aus dem vorliegenden Material nicht ersehen, ob die in Frage kom- menden Kanäle richtiges Gefälle und ausreichende Weite besitzen, um das Schlachthof- abwasser unter allen Umständen aufnehmen zu können. An den Herrn Minister der geistlichen usw. Angelegenheiten. Berlin, den 17. Dezember 1884. Eurer Exzellenz beehrt sich difc unterzeichnete Wissenschaftliche Deputation^) für das Medizinalwesen in Erledigung des ihr durch die hohe br. in. Verfügung vom 22. Ok- tober d. J. (Nr. 7355 M) erteilten Auftrages und unter Rückgabe der Anlagen das über die Zulässigkeit der Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle geforderte Gutachten ganz gehorsamst hierunter zu erstatten. Schon bei der ersten Aufstellung eines Planes zur Versorgung der Stadt Berlin mit Markthallen war der Magdeburger Platz, damals noch als Platz A bezeichnet, für Siehe Fußnote auf S. 1185. 1192 Zulässigkeit der Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle. die Errichtung einer Markthalle in Aussicht genommen. Dieses erste Projekt, welches sich auf die Anlage von 11 Markthallen erstreckte, entstand im Jahre 1872. Es war von der Deutschen Baugesellschaft aufgestellt, kam aber nicht zur Ausführung. 1880 nahm der Magistrat die Markthallenangelegenheit selbst in die Hand. Es wurde der Bau einer Zentralhalle und einer Anzahl Hallen für den Detailverkauf beabsichtigt. Eine dieser letzteren sollte ebenfalls auf dem Magdeburger Platz errichtet werden. Eine schon da- mals an das Königliche Polizeipräsidium jedoch nur generell dahin gerichtete Anfrage, ob es einen solchen Plan höheren Orts befürworten würde, \vurde von demselben unterm 28. Juni 1880 in ablehnendem Sinne beantwortet. Der Magistrat ließ indes den Plan, anscheinend wegen der großen finanziellen Opfer, welcher der Ankauf eines sonstigen geeigneten Platzes in der Schöneberger Vorstadt zu dem gedachten Zweck der Ge- meinde auferlegen würde, nicht fallen und legte, da behufs Errichtung der Markthalle auf dem bezeichneten Platz die zuvorige Festsetzung von Baufluchtlinien nach Maß- gabe des Gesetzes vom 2. Juli 1875 (GS. S. 591) notwendig ist, dem Polizeipräsidium unterm 30. Juni d. J. ein diese Baufluchtlinien darstellendes, aus einem Situations- plan vom 1. Mai d. J. bestehendes Projekt, eine perspektivische Ansicht der Markthalle sowie einen Situationsplan vom 20. Mai d. J., in welchem die Grundfläche der Markt- halle und das freibleibende Terrain eingezeichnet ist, mit dem Antrage vor, das Pro- jekt hinsichtlich der von ihm wahrzunehmenden polizeilichen Interessen zu prüfen und demselben zuzustimmen. Das Polizeipräsidium versagte unterm 17. Juli d. J. diese Zustimmung teils aus ästhetischen und verkehrspolizeilichen, teils aus sanitären Gründen und berief sich dabei auch hinsichtlich der letzteren auf den § 3 des erwähnten Gesetzes, welcher, wenn es sich bei der Feststellung der Fluchtlinien um Veränderungen von Straßen oder Plätzen handelt, unter anderem verlangt, daß auf die Förderung der öffentlichen Gesundheit Bedacht genommen werden soll. Die infolgedessen auf Grund des § 5 a. a. 0. und des § 146 des Gesetzes vom 1. Augu&t 1883 vom Magistrat unterm 12. August d. J. angerufene Entscheidung des Herrn Mi- nisters der öffentlichen Arbeiten soll jetzt in Gemeinschaft mit Eurer Exzellenz als Mi- nister der Medizinalangelegenheiten getroffen werden, da nach der Ansicht des ersteren unter den von dem Polizeipräsidium für die Versagung der ortspolizeiliclien Zustimmung geltend gemachten Gründen nur der Einwand Beachtung verdient, daß die Bebauung vorhandener Plätze in einer Großstadt wie Berlin in gesundheitspolizeilichem Interesse als nachteilig zu erachten und deshalb nur in Fällen zwingender Notwendigkeit zuzu- lassen sei, was hier um so weniger als vorliegend anerkannt werden köime, als es sich um die Erbauung einer Markthalle handle, wobei erfahrungsmäßig auch bei größter Reinlichkeit eine Verschlechterung der Lufträume nicht zu vermeiden sei. Von Eurer Exzellenz ist über diese dem Gebiet der Sanitätspolizei entnommenen Einwendungen zunächst unser Gutachten erfordert. Zur Begründung der angedeuteten sanitären Bedenken gegen das Projekt hebt das Polizeipräsidium folgendes hervor. Die Fluchtlinien für den Platz seien bereits in der Weise festgestellt, daß derselbe ein offener, freier Platz bleiben soll. Danach habe e.^ für die Polizeibehörden nur auf die Prüfung der Frage ankommen können, ob durch das Projekt eine Verbesserung der durch die bereits feststehenden Fluchtlinien eingetretenen Verhältnisse , insbesondere eine Förderung auch der öffentlichen Gesundheit, herbeigeführt werden würde. Diese Frage sei seiner Ansicht nach zu ver- neinen. Es sei als eine im allgemeinen Gesundheitsinteresse unabweisliche Notwendig- keit zu betrachten, daß die öffentlichen Plätze der Stadt, sobald dieselben von dem zurzeit hindernden Marktverkehr befreit sein werden, mit Bäumen bepflanzt und so Zulässigkeit der Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle. 1193 namentlich für die Kinder der Einwohnerschaft öffentliche Spiel- und Erholungsplätze geschaffen würden. Das gesundheitspolizeiliche Interesse erfordere, daß insbesondere in einer Großstadt, in welcher naturgemäß die Ausnutzung der im Privateigentum be- findlichen Bauquartiere durch hohe und dichte Bebauung eine vielfach ergiebige sei, die Bebauung des als offene Plätze im Bebauungsplan ausgeworfenen Terrains nur im Fall zwingender Notwendigkeit aus Grund des öffentlichen Interesses zugelassen werde. Davon, daß betreffs des Magdeburger Platzes eme derartige Notwendigkeit vorliege, könne sich das Polizeipräsidmm auch jetzt nicht überzeugen, da es keine Schwierig- keit darbieten würde, in dortiger Gegend die zur Anlage einer Markthalle erforderlichen Privatgrundstücke zu erwerben. Überdies seien von der Errichtung einer Markthalle auf dem Magdeburger Platze die aus dem Marktverkehr selbst bei den umfassendsten Vorsichtsmaßregeln sich ergebenden Verunreinigungen und üble Gerüche zu befürchten, welche die Anwohner des Platzes belästigen würden. Vom Magistrat sind dagegen im wesentlichen nachstehende Momente zur Besei- tigung dieser Bedenken hervorgehoben worden. In dem Bericht an den Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten vom 12. August d. J. wird ausgeführt: Wenn das Polizeipräsidium aus sanitären Rücksichten gegen Errichtung von Markthallen auf öffentlichen Plätzen prinzipiell Bedenken hege, so erscheine umgekehrt es sich weniger zu rechtfertigen, wenn man die Anlage von Markthallen auf das Hinter- land größerer Bauquartiere verweisen würde. Die öffentlichen Plätze, auf denen sich der Marktverkt-hr, wie überall in der Welt, so auch in Berlin, abspiele, seien gerade dazu geschaffen, Markthallen aufzunehmen. An diesen Orten sei jedenfalls der Zutritt von Licht und Luft zu solchen Anlagen, das erste Requisit sanitätspolizeilichec Rücksicht, am ausgiebigsten gesichert, und wenn der Magistrat bei den Markthallen der Innen- stadt von öffentlichen Plätzen abgesehen habe, so sei dies darin begründet, daß dieselben zum Teil schon mit Gebäuden besetzt seien, zum Teil eine ungünstige Form hätten, endlich aber in der Innenstadt die Häusermassen nur durch enge Straßenzüge getrennt und wenige öffentliche Plätze vorhanden seien, so daß sicli hier das Verhältnis der un- bebaubarea zu der bebaubaren Fläche viel ungünstiger gestalte, als in dem Viertel der Potsdamer Vorstadt südlich des Schiffahrtskanals. In dem früheren Schreiben an das Polizeipräsidium vom 30. Juni d. J. hatte der Magistrat nur darauf hingewiesen, wie ausweislich der bisherigen Verhandlungen städti- scherseits in erster Reihe darauf Bedacht genommen worden sei, die IMarkthallen ohne Inanspruchnahme öffentlicher Plätze zu errichten, wie aber hinsichtlich des Magde- burger Platzes eine Ausnahme hiervon gerechtfertigt sei. Derselbe liege in dem durch seine natürliche Lage gesundheitlich bevorzugtesten Teile der Stadt. Außer den nahe belegenen baumbepflanzten LTferstraßen des Schiffahrtskanals, welche sich durch den ganzen Stadtteil zögen, seien auch die den Platz umgebenden sowie die in der Nähe desselben liegenden Straßen breit angelegt, der botanische Garten im Süden, der Tier- garten im Westen und Nordwesten gewährten den Bewohnern dieses Stadtteils beson- ders vorteilhaft gelegene, leicht erreichbare Erholungspunkte. Außerdem befinde sich ein zweiter großer Platz — der Lützowplatz — , dessen Offenlegung nur noch eine Frage der Zeit sei, in unmittelbarer Nähe, und auch ein dritter Platz — der Dennewitzplatz — sei nur in geringer Entfernung. Für Licht und Luft sei in jener Gegend mithin ausreichend gesorgt. Dazu komme, daß die auf dem Magdeburger Platz projektierte Markthalle nach dem aufgestellten Projekt in die Mitte des seiner inneren Fläche nach und abge- sehen von den ihn umgebenden Bürgersteigen der angrenzenden Straßen rund 8850 qm großen Platzes gesetzt werden soll und nur 1940 qm, also kaum den vierten Teil des 1194 Ziüässigkeit der Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle. Platzes, einnehmen werde, während der übrigbleibende Teil mit Gartenanlagen ver- sehen werden solle, um dem Platz den Charakter eines öffentlichen Spiel- und Schmuck- platzes zu gewähren, welchen er jetzt keineswegs besitze, und zu dessen Gewährung ein Zwang seitens der Polizeibehörde gegen die Kommune auch nicht angewendet werden könne. Zurzeit entbehre der Platz nämlich, welcher wöcheiitlich zweimal für den öffent- lichen Markt benutzt werden müsse, des Baumschmucks und könne als ein von hohen Häusern umgebener sonniger, mit Steinen gepflasterter Platz keine Erholungsstätte für die anwohnende Bevölkerung bieten. Würde die Genehmigung zur Anlegung der projektierten Markthalle auf demselben nicht erteilt, dann müsse die Kommunalver- waltung überhaupt vx)n der Errichtung einer solchen Halle in der Schöneberger Vor- stadt absehen, und der Platz bleibe alsdann auch ferner dem öffentlichen Marktverkehr überlassen, und eben in seinem jetzigen Zustande. In dem Bericht vom 12. August wird schließlich vom Magistrat noch bemerkt, daß wenn dieser Fall einträte, auch die jetzt bestehenden Verunreinigungen des Platzes durch den Marktverkehr schwerer zu vermeiden sein würden, wie die einer Markthalle. Eine solche könne und werde in ausgiebigstem Maße mit Be- und Entwässerungsanlagen, welche reichliche Spülungen ermöglichen, mit Ventilationseinrichtungen usw. versehen werden, was bei einem offenen Markte nicht möglich sei. Zweifellos werde sich ein lebhafterer Fuhrwerksverkehr nach Errichtung der Markt- halle einstellen. Das werde aber auch geschehen, wenn die Halle an einer anderen Stelle in jener Gegend errichtet würde, bisher sei es der städtischen Verwaltung noch stets gelungen, jeden begründeten Vorwurf der Unsauberkeit städtischer Straßen durch die von ihr entfaltete Tätigkeit zurückzuweisen, und dies werde auch bei den die Markt- hallen umgebenden Straßen gelingen. Gutachten. Wir glauben bei Erstattung unseres Gutachtens von einer Erörterung der prin- zipiellen Frage, ob in Großstädten öffentliche Plätze, welche einmal bestehen, als solche unter allen Umständen zu erhalten oder unter welchen Umständen ihre Bebauung wieder zuzulassen sei, absehen zu sollen. In allen großen Städten, welche mit Tausenden von meist dicht aneinanderliegen- den Wohnhäusern und anderen Gebäuden besetzt sind, muß es sicher als eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Gesundheitspflege betrachtet werden, die freien Plätze zu erhalten und zu vermehren. Bei Festsetzung neuer Baufluchtlinien wird somit als Regel festzuhalten sein, dieser Vorschrift zu genügen. Aber es kann eben nur eine Regel sein. Bei der Vielgestaltigkeit der Entwicklung unserer großen Städte werden einzelne Ausnahmen sich sogar als sanitär empfehlenswert erweisen. Mit einer generellen Fot- mulierung dieser Ausnahmen dahin, daß sie nur aus Gründen ,, dringendster" oder ,, zwin- gender" Notwendigkeit genehmigt werden dürfen, ist nichts gewonnen. Denn es ist danüt noch keine praktisch brauchbare Handhabe für die Entscheidung im einzelnen Falle gegeben. Es müssen vielmehr in jedem solchen Falle die konkreten Verhältnisse nach allen Richtungen erwogen, und es muß alsdann nach Anleitung der Vorschrift im § .3 des Gesetzes vom 2. Juli 1875 geprüft werden, ob der vorhandene sanitäre Zustand einer Stadt oder eines Stadtteils ein solcher ist, daß im Fall der Bebauung eines öffentlichen Platzes nach dem vorgelegten bestimmten Projekt durch dieselbe die öffentliche Gesundheit gefördert wird oder nicht. . Zulässigkeit der Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle. 1195 Dabei wird es auf den Zweck des Gebäudes, dessen Umfang (nach Flächeninhalt und Höhe), die Größe des Platzes, die Gründe, welche zu dem Bau Anlaß geben, und die Folgen, welche er ausübt, ankommen. Diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt, kommen wir zu folgender Erwägung. Auf dem Magdeburger Platz hierselbst soll kein Privat- und kein Wohngebäude errichtet werden; der Eigentümer will den Platz nicht etwa nach den in sanitärer Be- ziehung geradezu verderblichen, viel zu laxen Bestimmungen der noch bestehenden Baupolizeiordnung vom 21. April 1853, insbesondere der §§ 27, 28 und 31, mit Häuser- massen von vier oder mehr Stockwerken besetzen, wie dies zum größten Schaden der öffentlichen Gesundheitspflege auf dem Grund und Boden von Privatpersonen bei be- schränktestem Hofraum noch alltäglich geschehen kann und nur zu häufig geschieht. Es soll vielmehr auf dem Magdeburger Platz nur ein Gebäude, und zwar zu einem öffentlichen Zweck nach einem bestimmt begrenzten, vom Magistrat vorgelegten Plan hergestellt werden. Der Zweck ist die Herstellung einer Markthalle an Stelle des auf demselben Platz zweimal in der Woche stattfindenden offenen Marktes. Dieser Zweck verdient vom sanitären Standpunkt aus unseres Erachtens volle An- erkennung. Die öffentliche Gesundheit wird dadurch gefördert. Wenn bei der Errichtung von Markthallen auch in erster Linie Interessen des Handels und Verkehrs in Betracht kommen mögen, so wird durch dieselben doch nicht allein eine gleichmäßige Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln gewährleistet, sondern es werden dadurch auch erf alii'ungs- gemäß die Preise der Nahrungsmittel auf einem weniger schwankenden und selbst nie- drigeren Niveau gehalten als es bei dem periodischen Verkehr auf offenen Märkten der Fall zu sein pflegt. Die sanitätspolizeiliche Kontrolle der Lebensmittel wird in einer Markthalle wesentlich erleichtert und infolgedessen zuverlässiger. Manche arge Miß- stände, welche der Verkehr auf offenen Märkten unvermeidlich mit sich bringt, wie z. B. Beschädigungen der Lebensmittel durch den Hin- und Hertransport, Verderben der- selben durch Regen und Sonne, hauptsächlich aber die Gefährdung der Gesundheit von Käufern und Verkäufern durch ungünstige Witterungseinflüsse, alles dies wird durch die Errichtung einer Markthalle beseitigt, und die Vertreter der Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege haben daher alle Veranlassung, die Ausfülu-ung dieser Maßregel in jeder Weise zu unterstützen. Andere Großstädte wie London, Paris, Wien, sind in dieser Beziehung schon lange vorangegangen, und es ist sehr erfreulich, daß nunmehr auch die städtische Verwaltung Berlins in energischer Weise und nach wohl- durchdachtem Plan damit vorgeht, die Stadt mit einer Zentralmarkthalle und einem System von Hallen für den Detailverkehr zu versehen. In Frage kann also nur kommen, auf welchem Platze in der Schöneberger Vor- stadt die Markthalle zu stehen kommen soll, um für jene Gegend die gedachten Vorteile zu erreichen. Die Grenzen des Stadtteils, welchem sie dienen soll, gehen ziemlich weit. Nach Norden hin werden die Bewohner der Gegend zwischen der Königgrätzer Straße, der Köthener Straße, dem Schiffahrtskanal und der HohenzoUernstraße sich auch noch zu einem großen Teil voraussichtlich der fraglichen Markthalle bedienen müssen, da soviel uns bekannt, nicht bloß der offene Markt auf dem Magdeburger Platz, sondern auch der am Potsdamer Tor in Wegfall kommen soll. Nach Osten hin würde etwa der Potsdamer Güterbahnhof nach Westen der Zoologische Garten und nach Süden die das städtische Weichbild dort gegen Schöneberg und Charlottenburg begrenzende Kurfürsten-, Bülow- und andere Straßen die Grenzen des Stadtteiles bilden, für welchen die Halle bestimmt sein würde. AUen iimerhalb dieser Grenzen ansässigen Bewohnern werden die 1196 Zulässigkeit der Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle. sanitären Vorteile zugute kommen, welche durch die Errichtung einer Markthalle ent- stehen. Die Lage des Magdeburger Platzes, ziemlich in der Mitte der durch obige Grenzen gegebenen Fläche, kann somit an sich nur als zweckmäßig bezeichnet werden. Nun würde allerdings der Platz aufhören, ein vollständig freier zu sein. Allein die Änderung, welche in Frage steht, ist, wie schon oben angedeutet, keine solche, daß der Platz als öffentlicher Platz zu bestehen aufhörte. Noch nicht ganz der vierte TeU soll nach dem vorgelegten Projekt vom 1. Mai d. J. mit einer Halle von 10 — 12 m, also von erheblich geringerer Höhe als die der umliegenden Privatgebäude, besetzt, die Halle in der Mitte des Platzes errichtet werden, und die ringsumher verbleibenden freien Teile des bisherigen Platzes sollen von den umliegenden Privatgebäuden außer, wie bis- her, durch die breiten den Platz umgebenden Straßen noch durch einen Flächen- raum, welcher jeder an sich noch etwa einmal so breit ist als jede dieser Straßen, von dem Markthallengebäude getrennt bleiben. Die so belassenen freien Plätze zu den vier Seiten des Gebäudes aber sollen nach dem Projekt mit Gartenanlagen versehen werden und einen Schmuck- und Erholungsplatz bilden, während der Platz in seinem jetzigen Zu- stande kahl, mit Steinen gepflastert und ganz sonnig ist, auch nicht anders eingerichtet werden kann, solange er zu den Wochenmärkten verwendet wird. Diese Änderung des Magdeburger Platzes müssen wir hiernach auch als eine sani- täre Verbesserung ansehen. Wenn demgegenüber darauf hingewiesen wird, daß die Unreinüchkeit des Platzes durch die Markthalle vermehrt werde und üble Gerüche die Umwohner belästigen würden, so vermögen wir bei der angedeuteten Lage der Halle und bei dem guten Rufe, deren sich die städtische Verwaltung in betreff der Reinigung der öffentlichen Straßen und Plätze seit Jahren mit Recht erfreut, diese Befürchtung nicht zu teilen. Im Gegenteil werden die Unsauberkeiten, welche der Verkehr eines öffentlichen Marktes jetzt auf dem Platz an je zwei Wochentagen zur Folge hat, und wird der Staub, welcher auf dem sonnigen gepflasterten Platz bei trockenem Wetter alltäglich entsteht, sich mindern, und die üblen Gerüche, welche eine Markthalle den Umwohnern verursacht, können und werden durch gute Ventilationsvorrichtungen im Innern auf ein für die Gesundheit unschädliches Maß herabgesetzt, hier nicht schlim- mer, sondern wegen der weiten Entfernung von den umliegenden Privatgebäuden sogar geringer sein, als an vielen anderen Stellen eines bewohnten Stadtteils, auf welchen Markthallen zu stehen kommen. Ähnliches gilt unseres Erachtens von dem Einwand, der daraus entnommen werden könnte, daß aus dem eingereichten Projekte vom 1. Mai nicht erhellt, wie die Wagenzu- und -abfuhr zu und von der Markthalle erfolgen soll, und daß die Aufstellung der Wagen auf dem Platz denselben zum Erholungsplatz ungeeignet machen könnte. Wir besorgen auch dies um deswillen nicht, weil wir davon ausgehen, daß die Zufuhr der Waren und die Abfuhr von Unreinlichkeiten meist des Nachts oder in den ganz frühen Morgenstunden erfolgen wird und die Wagen in der Halle selbst be- und entladen werden, so daß es nur gepflasterter Zwischenwege zwischen den geplanten Bosquets usw. bedarf, um ohne Gefahr für das dort Erholung suchende Publikum auch für den geschäfthchen Verkehr mit der Halle den erforderlichen Raum zu gewinnen. Müssen wir hiernach uns dahin aussprechen, daß das im § 3 des Gesetzes vom 2. JuK 1875 aufgestellte Verlangen, bei Festsetzung neuer Baufluchthnien auf die For- derung der öffentlichen Gesundheit Bedacht zu nehmen, durch den Bau der von den städtischen Behörden auf dem Magdeburger Platz nach dem Projekt vom 1. Mai d. J. zu errichtenden Markthalle in der Tat erfüllt wird, so können wir nicht umhin, auch andererseits noch hervorzuheben, welche Konsequenzen entstehen würden, wenn die ortspolizeiliche Zustimmung zu dem Projekt aus anderen als sanitären, etwa aus ästhe- Zulässigkeit der Bebauung des Magdeburger Platzes in Berlin mit einer Markthalle. 1197 tischen oder verkehrspolizeilichen Gründen, welche allerdings der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten in seinem Schreiben an Eure Exzellenz vom 22. September d. J. selbst nicht für durchschlagend erachtet, versagt werden sollte. Da, soweit wir übersehen, die städtischen Behörden nicht dazu gezwungen werden könnten, für die fraglichen Stadtteile an einem anderen Platze eine Markthalle zu er- richten und zu diesem Zweck Privatgrundstücke anzukaufen und ebensowenig dazu, den Magdeburger Platz in einen mit Gartenanlagen versehenen Schmuck- und Erholungs- platz umzuwaiideln, auch wenn dort die projektierte Markthalle nicht errichtet wird, so würde eben der jetzige Zustand nach allen Richtungen hin so verbleiben, wie er jetzt ist. Die offenen Wochenmärkte mit ihren oben geschilderten sanitären Bedenken wür- den beibehalten werden müssen, und die Umwohner des Platzes würden die dadurch bedingten Unreinlichkeiten sowie den Staub und den blendenden Sonnenschein des ge- pflasterten Platzes in dem bisherigen Umfange weiter zu tragen haben. Die minder wohlhabenden Bewohner der Gegend aber würden die in der Umgebung der Markthalle projektierten Schmuck- und Erholungsplätze ferner entbehren müssen. Wir vermöchten dies nur als einen sanitären Schaden für den Stadtteil zu bezeichnen, so sehr derselbe auch im übrigen durch baumbepflanzte breite Straßen und Vorgärten vor anderen Teilen der Stadt begünstigt sein mag. Es ist schließlich hier noch eine uns von Euer Exzellenz vorgelegte, vom Baurat Orth verfaßte, auf die Verwendung des Magdeburger Platzes bezügliche Druckschrift vom 27. Oktober d. J., überschrieben: ,,Die öffentlichen Plätze des Berliner Westbe- zirkes" und die Erwiderung darauf, unterzeichnet: ,,Die Umwohner des Magdeburger Platzes" (ohne Datum), zu erwähnen, welche nachträglich eingegangen sind. Der Baurat Orth setzt auseinander, daß, Avenn die Errichtung der Markthalle auf dem Magdeburger Platze nicht gestattet und der Magistrat infolgedessen gezwungen werde, bedeutende Summen für den Ankauf eines anderweitigen Bauplatzes zu ver- wenden, weder die Mittel übrigblieben, den Lützowplatz anzukaufen und freizulegen, noch auf dem Dennewitzplatz eine Kirche zu erbauen, und damit gewissermaßen ein dauernder Notstand bezüglich der öffentlichen Plätze in der Schöneberger Vorstadt geschaffen werde, und die Umwohner kämpfen gegen diese Ausführung an. Mit dem Markthallenprojekt von seiner sanitären Seite befassen sich diese Schriften nicht; sie betrachten die Angelegenheit von finanziellen und anderen Standpunkten und können deswegen für die hygienische Beurteilung derselben, welche für uns lediglicli maßgebend ist, nicht in Betracht kommen. Danach geben wir unser Gutachten dahin ab : Wenngleich die Erhaltung und Vermehrung der öffentlichen Plätze in großen Städten als eine wichtige Aufgabe der öffenthchen Gesundheitspflege betrachtet werden und deshalb die Regel bilden muß, so ist doch unter den obwaltenden besonderen Umständen und den jetzigen Zuständen gegenüber die teilweise Be- bauung des Magdeburger Platzes mit einer Markthalle und die Verwandlung des Restplatzes in einen Schnuick- und Erholuiigsplatz, wie dies nach dem Be- richte des Magistrats an den Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten vom 12. Aug. d. J. beabsichtigt und in dem Situationsplane vom 1. Mai d. J. vorgesehen ist, von den Aufsichtsbehörden aus sanitären Gründen nicht füglich zu beanstanden. 1198 Anlage von Salinengärten. An den Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Berlin, den 29. Juli 1885. Dem von Eurer Exzellenz der unterzeichneten Wissenschaftlichen Deputation^) für das Medizinalwesen durch br. m. Verfügung vom 16. März (Nr. 1897 M) erteilten Auftrage zur gutachtlichen Äußerung über die von dem Abgeordneten D. in Vorschlag gebrachten .Salinengärten beehren wir uns unter Rücksendung der Anlagen durch nachstehenden Bericht ganz gehorsamst nachzukommen. Unter einem Salinengarten versteht Herr D. einen von Gradierwerken rings um- schlossenen Platz, welcher im Freien, aber in der Nähe von dicht bewässerten Teilen einer Stadt gelegen ist und den Kindern der armen Bevölkerung als Spiel- und Tummel- platz dienen soU. Die Sole für die Gradierwerke könne durch Auflösen von gering- wertigen Steinsalz künstlich hergestellt und vermittels Windmotoren auf die erforder- liche Höhe gehoben werden. Die Luft eines solchen Salinengartens ist mit der gestäubten Sole erfüllt und soll auf die Kinder, welche sie einatmen, stärkend und heilend wirken. NamentHch ist dabei an die skrofulösen Kinder aus den unteren Volksschichten gedacht, von denen doch nur der kleinste Teil in Ferienkolonien und in die Kinderheilstätten der Seeküste und der Solbäder geschickt werden können, um der Vorteile dieser segens- reichen Einrichtungen teilhaftig zu werden. Herr D. weist auf das relativ hohe Alter der Salinenarbeiter und die günstigen Erfahrungen über die Heilwirkung des Aufent- haltes in Solbädern und am Meeresstrande zur Begründung seines Projektes hin. Er ist von dem günstigen Einfluß, welchen die Salinengärten in bezug auf die Skrofulöse und die m großen Städten durch diese Krankheit angerichteten Verwüstungen in der Kinderwelt ausüben werden, überzeugt und bezeichnet sie als ein Spezifikum gegen die Skrofulöse, wünscht aber noch, daß sein Projekt der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen zur Beurteilung darüber vorgelegt werde, ob die Anlage von SaHnengärten den größeren Stadtgemeinden zu empfehlen sei. Die Veranlassung zu der Idee, den Spielplatz der Kinder mit Gradierwerken zu umgeben und so die Kinder eine möglichst lange Zeit Gradierluft atmen zu lassen, hat zweifellos die günstige Wirkung gegeben, welche nicht selten der Aufenthalt am Meeres- strande und der Gebrauch der Solbäder auf skrofulöse Kinder ausübt. Aber dieser Erfolg ist ein so unsicherer und ungleichmäßiger, daß man weit davon entfernt ist, den Aufenthalt am Meeresstrande und im Solbade als ein Spezifikum gegen Skrofulöse ansehen zu können. Außerdem ist auch noch keineswegs ausgemacht, daß gerade die See- oder Gradierluft in den günstigen Fällen das Heilmittel bildete. Es wirken bei dem Gebrauch der See- und Solbäder noch andere Faktoren, insbesondere das Baden selbst, die veränderte Lebensweise und Aufenthalt im Freien, zweckmäßige Ernährung, bei dem Heilerfolg mit, und es ist sogar sehr unwahrscheinlich, daß die unbedeutenden Mengen von Saltzteilen, welche mit der Atemluft inhaliert werden, eine wesentliche Rolle dabei spielen. Unter diesen Umständen muß es aber auch sehr fraghch erscheinen, ob der Aufenthalt in einem Salinengarten für skrofulöse Kinder, deren übrige Lebens- verhältnisse unverändert bleiben, einen anderen Effekt haben wird, als überhaupt der Aufenthalt im Freien. Die günstigen Gesundheitsverhältnisse der bei den Gradierwerken beschäftigten Arbeiter lassen sich für das Projekt der Salinengärten nicht verwerten, da das relativ hohe Alter dieser Arbeiter zunächst nichts weiter beweist, als daß die Beschäftigung bei den Gradierwerken keine gesundheitsschädliche ist. Aus den bisher zur Verfügung stehenden Erfahrungen sind also keine Gründe 1) Siehe Fußnote auf S. 1185. Anlage von Salinengärten. — Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. 1199 für die Zweckmäßigkeit der Salinengärten beizubringen. Auch fehlt es vollkommen an Versuchen, um die von dem Projekt erhofften Vorteile direkt zu beweisen. Es dürfte doch nicht schwerfallen, in einem Solbade, welches mit einer bevölkerten Stadt ver- bunden ist, z. B. in Halle oder in Inowi'azlaw, oder auch in irgendeiner großen Stadt ohne Solbad eine dem Projekt entsprechende Anstalt von bescheidenen Dimensionen aus Privatmitteln ins Leben zu rufen, die Nützlichkeit und Lebensfähigkeit derselben außer Frage zu stellen und somit einen Weg einzuschlagen, welcher bei anderen ähnlichen Projekten sehr bald zur Entscheidung über den Wert derselben geführt hat. Vorläufig fehlt es dem Vorschlage des Herrn D. noch an tatsächlichen Unterlagen, und unser Urteil über dasselbe geht demgemäß dahin, daß wir, in voller Anerkennung der demselben zugrunde liegenden humanen Bestrebungen, doch nicht befürworten können, daß die Anlage von Salinengärten den größeren Stadtgemeinden zu emp- fehlen sei. An den Herrn Minister der geistlichen usw. Angelegenheiten. Berlin, den 1. November 1887. Euer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf die hohen Verfügungen vom 4. August d. J. J. Nr. M. 6800 und vom 20. Oktober d. J. J. Nr. M. 8736 und unter Rückgabe der Anlagen das von mir bezüghch des Speiseetats für das Strafgefängnis zu Plötzensee erforderte Gutachten hierunter ganz gehorsamst zu erstatten. In der Strafanstalt zu Plötzensee war bis zum Jahre 1873 für die Beköstigung der Gefangenen der Speiseetat maßgebend, welcher für die dem Ministerium des Innern unterstellten Straf- und Gefangenenanstalten aufgestellt war. Vom 1. Januar 1873 ab fand aus Sparsanikeitsrücksichten eine Änderung statt, welche darin bestand, daß die Brot- und Fettportion verringert wurde. Gleichzeitig wurde aber als Entschädigung den arbeitenden Gefangenen gestattet, aus ihrem Verdienstanteil gewisse Nalirungs- mittel (Milch, Wurst, Hering, Käse usw.) und Genußmittel (Tabak) sich zu beschaffen; es wurde ferner die sogenannte Mittelkost eingeführt, eine bessere für kränkhche oder in ihrem Ernährungszustande herabgekommene Gefangene bestimmte Kost, deren An- wendung von ausgezeichnetem Erfolge für den Gesundheits- und Ernährungszustand der Gefangenen war ; dann wurde noch besondere Sorgfalt auf die Zubereitung der Speisen verwendet, um eine möglichst weitgehende Ausnützung derselben durch die Verdauungs- organe zu erzielen; es wurde auf Abwechselung in den Gerichten (insbesondere auch in der Fettung) und auf Zugabe von Gewürzen gehalten. Eine weitere sehr wichtige Ver- besserung für die Ernährung der Gefangenen bildete die im Jahre 1884 erfolgte Ein- führung derBeckerschen Kochapparate. Dieselben gewähren den Vorteil, daß die vegetabi- lischen Nahrungsmittel verdaulicher und infolgedessen besser ausgenutzt werden, daß die Speisen im allgemeinen ihr Aroma bewahren und daß sie nicht zu einem unansehn- hehen gleichmäßigen Brei zerkocht werden. Zur selben Zeit gaben in großem Maßstab von Meinert in Plötzensee ausgeführte Ernälu-ungsversuche die Anregung dazu, an Stelle von weniger nahrhaften Nahrungsmitteln andere, die wie z. B. Rindslunge, Leber, Milch, an animahschem Eiweiß reich sind, zu setzen und dadurch die Kost gehaltvoller zu machen, andererseits aber durch Herabsetzen der Supptenportion den zu großen Umfang der täglichen Kost zu verringern. Alle diese Verbesserungen zusammengenommen hatten auf den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit der Gefangenen eine sehr günstige Wirkung gehabt. Gleich- wohl erschien es dem Direktor der Anstalt, Herrn Geheimen Justizrat Wirth, geboten. 1200 Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. noch einen Schritt weiterzugehen und einen neuen, wesenthch abgeänderten Speiseetat aufzustellen, welcher versuchsweise vom 1. April d. J. an für Plötzensee auf ein Jahr eingeführt und bezügUch dessen seitens des Königlichen Justizministeriums ein wissen- schaftliches Gutachten verlangt ist über die Fragen: a) ob auch vom Standpunkt des Physiologen und Mediziners eine Änderung des seither für das Straf gefängnis in Plötzensee gültigen Speiseetats vom 1. Januar 1873, namenthch im Hinblick auf die durch denselben gewährten Quantitäten Eiweiß und Fett, geboten war ? b) im Falle der Bejahung der Frage zu a: ob die durch den Entwurf des Speiseetats vom Jahre 1887 vorgeschlagene Änderung zweckmäßig und für die dauernde Anwendung zu empfehlen ist ? Gutachten : Aus der dem Schreiben des Königlichen Justizministeriums beigefügten Denk- schrift des Geheimen Justizrats Wirth ist zu ersehen, daß folgende Gründe ihn zur Auf- stellung eines neuen Speiseetats veranlaßt haben: 1. die durch Beobachtung des Gesundheits- und Kräftezustandes der Gefangenen gewonnene Überzeugung, daß die Ernährung der Gefangenen in Plötzensee eine un- zureichende sei. Insbesondere habe sich dies seit dem Jahre 1879 herausgestellt, nach- dem die Durchschnittsstrafzeit eines Gefangenen von 3 Monaten auf 6 Monate ge- stiegen war. 2. die Einführung der Beckerschen Kochapparate, welche eine andere Darreichung und Verwertung der Speisen ermöglichte, und auf die Art der Beköstigung deswegen einen wesenthchen Einfluß ausüben mußte. 3. die infolge der Meinertschen Ernährungsversuche gewonnene Überzeugung, daß die bisherige Kost zu wenig Eiweiß und Fett, dagegen zu viel Kohlehydrate ent- halte. Inwieweit der zweite der hier aufgeführten Gründe, vielleicht noch unter Hinzu- nahme des Umstandes, daß der alte Speiseetat im Laufe der Jahre, namentlich der letzten, manche verbessernde Änderung erfahren hat, die Aufstellung eines neuen Etats erfordert und ob nicht die dadurch bedingten Veränderungen ebenfalls im Rahmen des bisherigen Etats Platz finden kömaen, entzieht sich meiner Beurteilung. Für die ärztliche Begutachtung des Entwurfs kommen nur die beiden anderen Gründe in Betracht, und zwar in erster Linie der letzte, der offenbar für den Verfasser des Entwurfs auch der ausschlaggebende gewesen ist; denn auf S. 23 der Denkschrift sagt er darüber: ,,er halte es für eine Gewissenssache, das erhebliche Manko an anima- lischem Eiweiß und Fett durch effektiven Zusatz von Fett und eiweißhaltigen Speise- materialien zu den vom Etat gewährten Nährstoffen zu decken". Dieser Aufgabe sucht der neue Entwurf denn auch hauptsächlich gerecht zu werden und den Etat so zu gestalten, daß die gebotene Menge an Nährstoffen denjenigen Werten möghchst nahe kommt, welche im Anschluß an Voit von den meisten Physiologen zur Ernährung eines mit mittlerer Arbeit beschäftigten Menschen notwendig erachtet werden. Der alte Speiseetat gewährt an Nährstoffen: 96 22 g Eiweiß (7,63 g anim. 88,59 g vegetab.), 33,27 g Fett, 572,84 g Kohlehydrate. Der neue Etat dagegen: 106,68 g Eiweiß (20,98g anim., 85,70 g vegetab.), 46,57 g Fett, 546,87 g Kohlehydrate. Nach Voit sind zur Ernährung eines mit mittlerer Arbeit beschäftigten Mannes erforderlich: 118 g Eiweiß, 56 g Fett, 500 g Kohlehydrate. Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. 1201 Der neue Etat kommt somit den von V o i t aufgestellten Zahlen erheblich näher als der alte. Doch ist bei diesem Vergleich nicht außer acht zu lassen, daß in den hier angeführten Zahlen die am alten Etat vorgenommenen Verbesserungen noch nicht mit in Rechnung gestellt sind und daß derselbe in seiner schließlichen Gestalt bezüglich der Menge des animalischen Eiweißes und des Fettes etwas günstigere Verhältnisse bietet ; daß ihm ferner die bessere Ausnutzung des vegetabilischen Eiweißes infolge des neuen Kochverfahrens zugute kommt. Immerhin gewährt der Entwurf des neuen Etats eine größere Menge an Gesamteiweiß, speziell auch an animalischem Eiweiß und an Fett. Diese Überlegenheit erreicht der neue Etat aber nur mit Hilfe eines Mehraufwandes an Geldmitteln, der sich pro Kopf und Jahr auf 7,73 M. beläuft und bei einer allgemeinen Annahme desselben, wie die Ausführungen auf S. 1 der Denkschrift ergeben, den preußi- schen Justizverwaltungsetat nüt mehreren hunderttausend Mark jährlich belasten würde. Es handelt sich also um eine recht kostspielige Neuerung, die schon aus diesem Grunde auf ihre Notwendigkeit sorgfältig geprüft werden muß. Der Verfasser des Entwurfs hält, wie gesagt, die in Plötzensee den Gefangenen gewährten Nährstoffmengen für unzureichend, weil dieselben weit hinter der von der Wissenschaft aufgestellten Norm zurückstehen, und er ist von der Notwendigkeit einer Änderung mit Rücksicht auf die von ihm als feststehende Werte angesehenen Voit sehen Zahlen überzeugt. Er würde sich vollkommen im Rechte befinden, wenn die Voit sehen Angaben als unbestritten und allgemeingültig daständen. Das ist nun aber nicht der Fall. Die Voit sehen Zahlen sind gewonnen aus der Untersuchung des Stoffwechsels von nur wenigen Personen und aus der Berechnung des Nährstoffgehaltes einer Anzahl von Kostsätzen. Den von Voit und seinen Schülern bei ihren Untersuchungen gefundenen Werten stehen aber andere gegenüber, die davon erheblich abweichen. Wenn Voit für einen mittleren Arbeiter verlangt : 105 g verdauliches Eiweiß, 56 g Fett, 500 g Kohlehydrate, so ergab sich nach einer von Flügge angestellten Berechnung des Kostsatzes der Berliner Volksküchen, daß ein Berliner Arbeiter sich durchschnittlich mit 68 g verdaulichem Eiweiß, 72 g Fett, 430 g Kohlehydrate auf seinem Bestand erhält und ein Leipziger Arbeiter sogar nur mit 56 g verdaulichem Eiweiß, 37 g Fett, 290 g Kohlehydrate. Andere Forscher sind in anderen Gegenden Deutschlands zu ähnlichen Ergebnissen wie Flügge gekommen. Es ist daher die Annahme gerechtfertigt, daß den von Voit aufgestellten Zahlen nur ein für die von ihm speziell untersuchten Personen gültiger, vielleicht ein lokaler, aber kein allgemeiner Wert zukommt, und daß für andere Gegenden mit anderen Sitten und Ernährungsweisen auch andere Durchschnittswerte für die Menge der erforderlichen Nährstoffe sich ergeben werden. Es ist in bezug auf die Ernährungsverhältnisse ferner wohl zu berücksichtigen, daß der Mensch sich sehr verschiedenen Nährstoffmengen mit seinem Stoffwechsel an- passen kann. Wenn ihm mehr oder weniger Freiheit in der Auswahl seiner Nahrungs- mittel bleibt, dann richtet sich der Stoffwechsel regelmäßig auf eine über den notwendigen Bedarf hinausgehende, also auf eine Luxuskonsumption ein, die sich am deutlichsten in dem Verbrauch der Eiweißstoffe zu erkennen gibt. Es zeigt sich das an den bedeuten- den Schwankungen des im Harne täglich ausgeschiedenen Stickstoffes, den man allgemein als Maßstab für den Eiweißverbrauch im Körper annimmt. Derselbe kann bei eiweiß- reicher Nahrung auf 25 g und darüber steigen; für die wohlhabende BevöUierung Deutsch- lands beträgt er 14 — 16 g, bei frei lebenden Arbeitern, welche sich mit ihrer Ernährung schon der Grenze des durcha\is Notwendigen immer mehr nähern, findet man 8 — 11 g Koch, Gesammelte Werke. 121 1202 Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. (entsprechend einem wirklichen Eiweißverbrauch von 52 — 71 g) und innerhalb dieser letzten Zahlen bewegen sich auch die in Gefangenanstalten beobachteten Werte. Man könnte danach auch annehmen, daß die V o i t sehen Zahlen nicht etwa lokalen Verhältnissen ihren Charakter verdanken, sondern sich auf Menschen beziehen, die in der Luxuskonsumption eine ziemlich hohe Stufe einnahmen. Ob diese oder eine andere Erklärung für die auffallenden Differenzen in den bisherigen Befunden die richtige ist, und ob die Voitschen oder die von Flügge und anderen gefundenen Zahlen einem Speise- etat für Gefangene zugrunde zu legen sind, das sind eben noch offene Fragen, die nicht eher zu beantworten sind, als bis die Wissenschaft über große Reihen von Untersuchungen verfügt, bei denen der Einfluß der individuellen und lokalen Verhältnisse ausgeschlossen werden kann. Aber nicht allein in bezug auf die Normierung des Nährstoff bedarf s, sondern auch in anderen bei der Beurteilung von Kostsätzen in Betracht kommenden Dingen ist die Wissenschaft noch nicht zu abschließenden Resultaten gekommen. Dahin gehört hauptsächlich die Bestimmung der Verdaulichkeit resp. Ausnutzung der Nahrungsmittel. So wird die Ausnutzung des in der Berechnung des Nahrungswertes eine bedeutende Rolle spielenden vegetabilischen Eiweißes von einigen mit 60%, von anderen mit 80% oder mit 90% angenommen. Auch hier spielen die individuellen Ver- hältnisse, Art der Zubereitung usw. eine so bedeutende Rolle, daß sich vorläufig gar keine bestimmten Regeln aufstellen lassen. Ferner haben von den Stoffen, welche man bisher wegen ihres Stickstoffgehaltes als Eiweiß in Rechnung gezogen hat, manche, wie z. B. die Amidverbindungen in vegetabi- lischen Nahrungsmitteln, nach neueren Untersuchungen gar keinen oder nur einen be- dingten Nährwert. Deswegen müssen aber nicht allein die bisher übUche Berechnung des wirklichen Eiweißverbrauchs aus dem Stickstoffgehalt des Harns, sondern auch alle den Kostsätzen zugrunde gelegten Berechnungen des Eiweißgehaltes aus dem Stick- stoff der Nahrungsmittel, namentlich der vegetabilischen, als ganz unsicher erscheinen. Es enthalten beispielsweise Kartoffeln 40% und Hülsenfrüchte 11,5% Stickstoff als Amidverbindungen, die nicht als Eiweiß in Rechnung gesetzt werden dürfen. Wie groß der Fehler sein kann, wenn letzteres geschieht, mögen einige Zahlen zeigen, welche der Berechnung der Nährstoff mengen des Speiseetats für Plötzensee vom 1. Januar 1873 (Anlagenheft III, Nr. 1) entnommen sind. Es sind da für Kartoffeln 8008 K, für Hülsen- früchte 14 060 K, insgesamt 22 068 K vegetabilische Stickstoffsubstanz, d. h. Eiweiß berechnet ; von dieser Gesamtsumme müßten aber eigentlich 4820 K, also mehr wie der fünfte Teil, für mehr oder weniger wertlose Stoffe abgezogen werden. Aus dem Gesagten ergibt sich hinreichend, daß vom wissenschaftlichen Stand- punkte aus wohl diejenige Menge von Nährstoffen festgestellt werden kann, welche die nicht zu eng bemessene und eine gewisse Luxuskonsumption bedingende Kost freier gut situierter Arbeiter zu enthalten pflegt ; daß es aber vorläufig noch an den nötigen Unterlagen fehlt, um diejenige Menge von Nährstoffen resp. Nahrungsmitteln anzugeben, welche ohne Verschwendung gerade noch ausreicht, um Gefangene auf dem erforder- lichen Ernährungs- und Kräftezustand zu erhalten, und darum handelt es sich doch im vorliegenden Falle. In dieser Beziehung lassen sich von selten der Wissenschaft nur die für frei lebende Arbeiter gewonnenen niedrigsten Zahlen verwerten, und da man den Gefangenen doch gewiß nicht besser beköstigen will als den frei lebenden Arbeiter, so wird vom wissenschaftlichen Standpunkte ein Kostsatz für Gefangene nur dann als unzureichend bezeichnet werden können, wenn er in seinem Gehalt an verdaulichen Nährstoffen unter jene Zahlen herabgeht. Daß dies aber bei dem Etat für Plötzensee vom Jahre 1873 nicht der Fall ist, lehrt Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. 1203 ein Vergleich zwischen den betreffenden früher angeführten Zahlen, welcher ergibt, daß in bezug auf Eiweiß kein wesentlicher Unterschied besteht und daß die Menge des Fettes diejenige in der Kost eines Leipziger Arbeiters fast erreicht. Eine wissenschaftlich zu begründende Veranlassung zur Änderung des Speiseetats lag somit nicht vor. Damit ist aber nicht gesagt, daß nicht dennoch der Speiseetat für die besonderen Verhältnisse des Gefangenenlebens unzureichend oder unzweckmäßig sein kann. In diesem Falle müssen sich seine Mängel, wenn auch wissenschaftlich nicht nachweisbar, empirisch durch den mangelhaften Ernährungs- und Kräftezustand der Gefangenen zu ei'kennen geben, soweit nicht andere nachteilige Einflüsse des Gefangenenlebens auf die Ernährung in Frage kommen. War der frühere Etat also wirklich für die Ernährung der Gefangenen ungenügend, dann hätte man erwarten sollen, daß nicht zu verkennende Anzeichen im Aussehen der Gefangenen und in der Abnahme ihrer Leistungsfähigkeit darauf hingewiesen hätten. Davon findet sich aber in der Denkschrift nichts erwähnt. Nur andeutungsweise heißt es S. 8 : ,, Gleichwohl drängt sich mir durch die Beobachtung des Gesundheits- und Kräfte- zustandes der Gefangenen, namentlich solcher mit längerer Haftzeit im Laixfe der Jalii'e mehr und mehr die Überzeugung auf daß die Ernährung der Gefangenen in hiesiger Anstalt eine unzureichende ist." LTnwillkürlich muß man hier fragen, worin bestanden diese Beobachtungen ? war die Ernährungsweise allein zu beschuldigen ? und handelte es sich dabei nicht gleichzeitig und vielleicht hauptsächlich um andere Einflüsse des Gefängnislebens ? Auch sind in den letzten Jahren nicht unwesentliche Verbesserungen der Kost durch Einführung von weiteren animalischen Nahrungsmitteln, wie Rindslunge, Leber usw., durch Anwendung des Beckerschen Kochverfahrens mit allen seinen bereits auf- gezählten Vorzügen bewirkt. Konnten nicht dadurch allein schon die allem Anscheine nach doch nur wenig deutlichen Anzeichen ungenügender Ernährung zum Verschwinden gebracht werden ? Auch auf diese sehr naheliegende Frage gibt die Denkschrift keine Antwort. Es fehlt demnach auch in dieser Beziehung an einer stichhaltigen Begründung zur Aufstellung eines neuen Etats, und ich vermag deswegen die im Ministeriellen Schreiben unter a) gestellte Frage: ,,ob vom Standpunkt des Physiologen und Mediziners eine Änderung des seither für das Strafgefängnis in Plötzensee gültigen Speiseetats vom 1. Januar 1873, namentlich im Hinblick auf die durch denselben gewährten Quantitäten Eiweiß und Fett, geboten war" ? so wie die Verhältnisse augenblicklich liegen nur in verneinendem Sinne zu beantworten. Eine Änderung würde nur dann gerechtfertigt sein, wenn untrügliche Beweise für die Unzulänglichkeit des bisherigen Etats beigebracht werden. Wenn z. B. nach- gewiesen wird, daß der Ernährungs- und Kräftezustand der Gefangenen in Plötzensee ein unzweifelhaft schlechterer ist, als in anderen Anstalten, die eine an Nährstoffen reichere Kost geben, oder daß der Zustand der Gefangenen in Plötzensee sich im Laufe des Versuchsjahres infolge der Anwendung des neuen Etats unverkennbar gegenüber demjenigen in den 2 — 3 vorhergehenden Jahren gebessert hat. Sollte ein Jahr des Ver- suchs sich nicht als ausreichend erweisen um hierüber Gewißheit zu erlangen, so würde die Wichtigkeit der Frage es gerechtfertigt erscheinen lassen, den einmal begonnenen Versuch noch ein oder zwei Jahre fortgehen zu lassen, aber von einer definitiven Ein- führung des Etats vorläufig Abstand zu nehmen. Obwohl die Frage a verneint wurde und damit ein Eingehen auf die Frage b : ob die durch den Entwurf des Speiseetats vom Jahre 1887 vorgeschlagene Änderung zweck- 121* 1204 Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. mäßig und für die dauernde Anwendung zu empfehlen ist ? eigentlich ausgeschlossen ist, so möchte ich doch nicht unterlassen auf einige Punkte aufmerksam zu machen, welche, ohne die Aufstellung eines neuen Etats zu erfordern, auch jetzt schon im Rahmen des alten Etats verbesserungsfähig sind. Wenn eine weitere Aufbesserung der Gefangenenkost sich demnächst als erforder- lich herausstellen sollte, dann würde vor allem die Menge des Fettes zu vermehren sein, da in dieser Beziehung der Etat vom Jahre 1873 am meisten von der Kost des freien Arbeiters abzuweichen scheint, und da gerade für den arbeitenden Menschen eine reichliche Fettzufuhr unbedingt notwendig ist. Durch Einführung billiger Pflanzen- fette, wie sie z. B. für die Fabriken von Kunstbutter Verwendung finden, ließe sich gewiß auf Kosten der Kohlehydrate eine Zulage an Fett bewerkstelligen, ohne daß dadurch ein Mehraufwand entsteht. Im allgemeinen ist der Schwerpunkt bei der Ernährung der Gefangenen nicht sowohl auf eine reichliche Zufuhr von Nährstoffen zu legen, als auf die Darreichung derselben in leicht verdaulicher, schmackhafter Form und in möglichst reichlicher Ab- wechselung. Auch die nahrhafteste Kost wird bekanntlich, wenn sie diesen Anfor- derungen nicht entspricht, sehr bald nicht mehr vertragen, sie erregt Widerwillen, und es stellt sich das Abgegessensein mit allen seinen Folgen ein, die noch schlimmer sein können, als diejenigen einer zu wenig nahrhaften Kost. Durch eine vermehrte Zufuhr von Nährstoffen, die aber in unzweckmäßiger Form gereicht werden, läßt sich diesem Übel also nicht abhelfen, sondern nur durch Verbesserungen der mehrerwähnten Art. Erfreulicherweise ist gerade in dieser Beziehung unter der Leitung des Geheimen Justiz- rats Wirth in Plötzensee sehr viel geschehen, und das infolge davon auf ein ,. Minimum reduzierte Abgegessensein" (Denkschrift p. 16 u. 17) unter den Gefangenen liefert den besten Beweis dafür, daß auch schon mit dem in den letzten Jahren verbesserten Speiseetat vom Jahre 1873 die Gefangenenkost der schwierigsten an eine derartige Kost zu stellenden Anforderung gerecht geworden ist. Die Einrichtungen der Mittel- kost, die den Gefangenen gebotene Möglichkeit, aus ihrem Verdienst die Kost zu ver- bessern, abwechselnder zu gestalten und einfache Genußmittel zu erlangen, die Ein- führung neuer Nahrungsmittel, die Verwendung der Beckerschen Kochapparate sind nach meinem Dafürhalten wirksamere Mittel zur Verbesserung der Gefangenenkost, als die im Entwarf beabsichtigte Vermehrung der Nährstoffe. Von dieser Überzeugung ausgehend möchte ich die Frage aufwerfen, ob denn diese Hilfsmittel schon vollständig erschöpft sind ? Allerdings entzieht es sich meiner Beurteilung, ob eine weitere Ausdehnung in der Anwendung der Mittelkost und in der den Gefangenen gewährten Erlaubnis, ihren Verdienst zur Selbstbeköstigung zu verwenden, sich mit den Einrichtungen der An- stalt vereinbaren läßt ; aber das ist nicht zu bezweifeln, daß, wenn dies zu ermöglichen ist, auch der bisherige günstigere Erfolg noch gesteigert werden kann. Sollten nicht noch andere billige Bezugsquellen für animahsches Eiweiß, als die in der Denkschrift erwähnten für die Gefangenenbeköstigung nutzbar gemacht werden können ? z. B. zentrifugierte Milch, frische Seefische, Pferdefleisch und anderes, minderwertiges, aber vollen Nährstoff besitzendes Fleisch. Trotz des fehlgeschlagenen Versuches mit Carne pura könnte sich das eine oder das andere derartige Nahrungs- mittel doch als brauchbar erweisen. Auch in bezug auf die Abwechselung in den Speisen ließen sich noch Ver- besserungen anbringen. In der Denkschrift ist es als ein Grundsatz aufgestellt, daß die pro Kopf und Tag zur Verfügung stehende Menge von Nährstoffen auch mögüchst genau innerhalb eines Tages gereicht werden müsse. Das Einhalten dieses Grundsatzes Speiseetat für das Strafgefängnis zu Plötzensee. 1205 bindet natürlich die Hände in bezug auf die so dringend notwendige Abwechselung in den Speisen. Eine solche Beschränkung ist aber gar nicht notwendig. Die Kost des freilebenden Menschen zeigt in der Menge der tägUch aufgenommenen Nährstoffe sehr große Differenzen. Die Ernährung ist also derart, daß das Minus des einen Tages durch ein Plus des nächsten oder darauf folgenden gedeckt wird. Ebensowenig ist das ängstliche Einhalten eines bestimmten Verhältnisses zwischen animalischem und vegetabilischem Eiweiß (p. 22) erforderlich. Dasselbe hat nur dann einen Sinn, wenn das vegetabilische Eiweiß in einer wenig ausnutzbaien Form vor- handen ist und einem zu starken Überwiegen desselben bei der Berechnung des Ei- weißbedarfs vorgebeugt werden soll. Ist man aber mit Hilfe des Beckerschen Koch- apparates wirklich imstande, das vegetabiHsche Eiweiß bis zu 90 % nutzbar zu machen, so kann der Verwendung des vegetabilischen Eiweißes ein viel weiterer Spielraum gelassen werden. Da der Beckersche Apparat in der letzterwähnten Frage eine so bedeutende Rolle spielt, wäre es dringend notwendig, daß die Wirkung desselben auf die Verdau- lichkeit der Speisen einer genauen Untersuchung unterzogen würde, um in Zukunft die durch das Kochverfahren gewährten Vorteile auch rechnungsmäßig bei der Auf- stellung eines Speiseetats verwerten zu können. Die Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika.') Deutschland gehört zu denjenigen Ländern, welche alljährlich einen beträchtlichen Teil ihrer Bevölkerung durch die Auswanderung verlieren. Im Anfange des vorigen Jahr- hunderts wanderten jährlich etwa 5000 Menschen aus, eine Zahl, die beständig gewachsen ist und im Jahre 1881 die außerordentliche Höhe von 220 000 Menschen erreichte. Sie ist seitdem zwar stark zurückgegangen, fängt aber seit 1901 wieder an zu steigen und muß auch naturgemäß entsprechend dem beständigen Anwachsen der Volkszahl in Deutschland in Zukunft wieder zunehmen. Der Verlust, welchen Deutschland im 19. Jahr- hundert durch die Auswanderung erlitten hat, beträgt 6 — 8 Millionen Menschen, und die Ausgewanderten sind dem Vaterlande wirklich verloren gegangen, sie geben schon in der ersten oder zweiten Generation ihr Deutschtum auf und verschwinden in dem Strom der fremden Nationalitäten. Müssen wir uns da nicht die Frage vorlegen, ob das in dem jetzt begonnenen Jahrhundert so fortgehen soll, oder ob es nicht doch Mittel und Wege gibt, um diesem Übel ganz oder wenigstens teilweise abzuhelfen ? Ja wenn Deutsch- land Kolonien besäße, in welche der Auswandererstrom geleitet werden könnte, dann würden die Ausgewanderten der deutschen Nationalität erhalten bleiben. Aber leider ist Deutschland bei der Verteilung der Erde zu spät gekommen und hat nur wenige Kolonien erwerben können, die ihrer Lage nach für die Besiedelung mit Europäern für geeignet gehalten werden. Nur das subtropisch gelegene Deutsch- Südwestafrika ist, soweit sein Klima und seine Gesundheitsverhältnisse in Betracht kommen, für die Zwecke der Ansiedelung zu gebrauchen; doch wird in dieser Kolonie wegen der geringen Ergiebigkeit des Bodens bloß eine beschränkte Zahl von Ansiedlern unterzubringen sein. Die übrigen Kolonien liegen sämtlich in den eigentlichen Tropen und sind deswe- gen nach der herrschenden Ansicht für den dauernden Aufenthalt von Europäern nicht geeignet. Insbesondere gilt dies auch von unserer größten Kolonie, von Deutsch-Ost- afrika. Es ist zwar schon wiederholt die Frage aufgeworfen, ob nicht wenigstens in ein- zelnen höher gelegenen Gebieten Ansiedelungsversuche zu machen seien, aber dem wur- den immer wieder die Aussprüche von Afrikareisenden und Kennern des Landes ent- gegengehalten, welche ein sehr ungünstiges Urteil über die Gesundheitsverhältnisse gerade dieser Kolonie abgegeben hatten. In dieser Beziehung will ich nur erinnern an den bekannten Ausspruch des Afrika- reisenden Dr. Fischer. Derselbe sagte: ,, Afrika ist überall unfruchtbar, wo es ge- sund ist, und ungesund, wo es fruchtbar ist". Und B u c h n e r erklärt: ,,Im ganzen tropischen Afrika gibt es sicher nicht ein einziges Quadratkilometer ohne Fiebermiasmen". In ähnlichem Sinne haben sich noch viele andere Schriftsteller geäußert. Da ist es denn nicht zu verwundern, daß, wenn das Land immer und immer wieder mit der größten Bestimmtheit als im höchsten Grade ungesund bezeichnet wird, man dies allgemein glaubte. Nun ist aber nicht zu vergessen, daß alle diese Aussprüche aus einer Zeit ^) Das Konzept dieses am 12. März 1906 in der Deutschen Kolonialgesellschaft, Abteilung Berlin-Charlottenburg gehaltenen, aber bisher noch nicht veröffentlichten Vortrags hat sich im Nachlaß Kochs gefunden. D. Herausgeber. Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika. 1207 stammen, wo man über die wichtigste Tropenkrankheit, die Malaria, noch ganz unge- nügende Kenntnis besaß. Da aber jetzt die Malaria zu den am gründlichsten studierten und am besten gekannten Kranliheiten gehört, so ist wohl die Zeit gekommen, solche Aussprüche einmal gründlich auf ihre Richtigkeit zu untersuchen. Mir selbst war es schon bei meinem ersten längeren Aufenthalt in Ostafrika in den Jahren 1897 und 1898 klar geworden, daß es nicht angängig ist, die Gesundheitsver- hältnisse der Kolonie im Bausch und Bogen abzuschätzen, sondern daß man dieselben für die verschiedenen Gegenden getrennt untersuchen soll, da man dann finden wird, daß es allerdings ungesunde, daneben aber auch gesunde Gebiete in Ostafrika gibt. Als ein solches gesundes Gebiet hatte ich damals das Hochland von West-Usambara kennen gelernt, und ich hatte bereits früher die Ehre, in dieser Gesellschaft über meine in bezug hierauf gemachten Erfahrungen berichten zu können^). Während des ver- gangenen Jahres habe ich nun wiederum Gelegenheit gehabt, ein solches gesundes Hoch- land, das Land Uhehe, aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Da Uhehe für uns von besonderem Interesse ist, weil es in letzter Zeit öfter als der Teil von Ostafrika be- zeichnet wurde, welcher für eine Besiedelung in erster Linie in Frage komme, so scheint es mir zeitgemäß zu sein, die Aufmerksamkeit der kolonialen Kreise auf dieses Gebiet von neuem zu lenl^en und vom ärztlichen Standpunkt aus zu erörtern, inwiefern das- selbe auch wirklich für eine europäische Ansiedelung geeignet ist. Ich werde mich aber hierbei nicht allein auf das Land Uhehe beschränlien, sondern auch andere Gegenden und andere gesundheitlich wichtige Verhältnisse der Kolonie, soweit ich dieselben auf Grund eigener Erfahrung beurteilen kann, berücksichtigen. Die Besiedelungsfähigkeit eines Landes ist, soweit die Gesundheit in Frage kommt, abhängig vom Klima desselben und von den daselbst herrschenden Krankheiten. Ich werde also zunächst das Klima von Deutsch-Ostafrika und im Anschluß daran die in dieser Kolonie vorkommenden wichtigen Krankheiten zu erörtern haben. Das Klima gestaltet sich in den verschiedenen Teilen der Kolonien außerordentlich verschieden. An der Küste hat es einen ganz anderen Charakter als im Innern, und im Tieflande wiederum einen anderen als im Hochlande. Bei der Beurteilung des Klimas von Afrika werden diese Gegensätze gewöhnlich viel zu wenig berücksichtigt. Man nmß sich immer gegenwärtig halten, daß das Innere von Afrika ein ausgedehntes Hoch- plateau ist, welches eine Höhe von durchschnittlich 4000 Fuß über Meereshöhe hat. So- bald man die Küste verläßt, beginnt der Anstieg, wie es am besten der Lauf der Uganda- Eisenbahn zeigt. Schon in der Höhe des Kilimandscharo hat die Bahn 1500 Fuß über dem Meeresspiegel erreicht. In Nairobi beträgt die Höhenlage 4540, am Rande des sog. afrikanischen Grabens 7400. Auf dem Man-Plateau fast 8000 (Koniferenwälder); sinkt bis zum See auf 4000 Fuß ! Auf deutschem Gebiet steigt die Bahn von Daressalam bis Morogoro auf ca. 2000! (1. Höhenstufe.) Weiter nach dem Innern zu erreicht das Land bei Mpapua eine Höhe von 3400. (2. Höhenstufe.) Auf dieser Höhenstufe finden sich aber wiederum Gebirgszüge, welche bis zu Höhen von 5000 aufsteigen, so z. B. südlich von Mpapua das Rubehogebirge, welches sich bis zum großen Ruahafluß er- streckt. Jenseits des Ruaha noch weiter nach Süden folgt dann das Hochplateau von Uhehe von 5 — 6000 Fuß Höhe. Nun weiß aber ein jeder, daß die Temperatur um so mehr abnimmt, je höher man steigt. Die Abnahme erfolgt schneller, wenn man ein steiles Gebirge, wie den Kilimandscharo oder das Usambara- Gebirge besteigt, als beim langsamen Aufstieg von der Küste zum Hochplateau des Innern. Im Durchschnitt kann man die Abnahme der mittleren Jahrestemperatur mit 1.5" auf 1000 Fuß anneh- ') Diese Werke Bd. II, p. 326 ff. und p. 435 ff. 1208 Gesundheitsvei'hältnisse von Deutsch-Ostafrika. men, das würde auf 4000 Fuß etwa 6° ausmachen. Auch mit der Entfernung vom Äqua- tor wird das Jahresmittel der Temperatur niedriger. Die Differenz beträgt für den Zwischenraum vom Äquator bis zum Wendekreis etwa 5°. Wenn also ein Land unter dem Äquator 40C0 Fuß hoch liegt, dann müssen seine Temperaturverhältnisse derartige sein, daß sie demjenigen eines Landes gleichkommen, welches um 25" vom Äquator entfernt liegt, d. h. welches nicht mehr zum tropischen, sondern zum subtropischen Klimagebiet gehört. LTnd so ist es in der Tat. Sobald man sich von der Küste ins Innere von Ostafrika begibt, läßt man das eigentliche tropische Klima mehr und mehr hinter sich und kommt, je höher man ansteigt, in ein Klima, welches dem nordafrikanischen, und in den Gebirgsländern in ein solches, welches dem südeuropäischen gleicht. LTm Ihnen den L^nterschied aber noch deutlicher zu machen, möchte ich zunächst das echt tropische Klima, wie es an der Küste und auf den benach- barten Inseln herrscht, kurz charakterisieren. Am ausgeprägtesten finden wir dasselbe auf der Insel Zanzibar, welche geradezu als Typus für das Tropenklima gelten kann. Dasselbe ist nicht so sehr durch die Höhe der Temperatur ausgezeichnet, welche an den wärmsten Tagen nur wenig über 30° hinausgeht (bis 32,6°), als vielmehr durch seine Gleichmäßigkeit. Die Temperatur sinkt nie unter 20,5. Die tägliche Wärmeschwankung beträgt 4,1°. Der Temperaturunterschied des wärmsten und kältesten Monats erreicht kaum 3° (im Mittel). Dazu kommt nun aber eine ebenso gleichmäßige und hohe Feuch- tigkeit, welche sich fast das ganze Jahr hindurch auf 80% hält. Diese beiden Faktoren, die gleichmäßig hohe Temperatur und der beständige Feuchtigkeitsgehalt der Luft, machen das Klima für den Europäer auf die Dauer un- erträglich. Die Haut befindet sich in beständiger Transpiration, die heißen Nächte ver- hindern einen erquickenden Schlaf, und so kommt es, daß allmählich eine immer größere Erschlaffung und Abspannung eintritt, welche den Europäer zwingen, nach wenigen Jahren eine längere Erholung in einem kühleren und trockneren Klima zu suchen. Dies ist das Klima, an welches man gewöhnlich denkt, wenn von Tropenklima die Rede ist. Aber schon an der gegenüberliegenden Festlandsküste macht sich deutlich der Einfluß des kontinentalen Klimas geltend. Obwohl in gleicher Meereshöhe wie Zan- zibar gelegen, hat Daressalam während der trockenen Jahreszeit zeitweilig einen Luft- feuchtigkeitsgehalt von wenig mehr als 50%, und während der Nacht kann die Tem- peratur bis 17° sinken. Während dieser Zeit, d. i. in den Monaten Juni bis Oktober, kann infolgedessen das Klima geradezu angenehm sein. Geht man nun aber in das Innere des Kontinents oder in der Nähe der Küste ins Gebirge, dann trifft man ein Klima, welches dem vielgerühmten Klima von Südafrika nahezu gleichkommt. Ich habe mich ziemlich lange Zeit in Südafrika aufgehalten, und ich kenne die klimatischen Verhältnisse von Bechuana-Land und von Rhodesia. Es sind die nämlichen wie diejenigen in den höher gelegenen Teilen von Deutsch-Ostafrika, mit dem einzigen Unterschied, daß die Luft während der Trockenzeit hier nicht ganz so trocken wird wie in Südafrika. Aber in der kühlen Jahreszeit sinkt auch im Innern von Ostafrika die Temperatur gelegentlich bis zu 7° und stellenweise noch um 1 — 2° niedriger. Es ist das eine Temperatur, bei welcher man abends tüchtig friert und die strahlende Wärme eines Kaminfeuers sehr wohltuend empfindet, und wo man nachts mehrere wollene Decken gebraucht, um sich vor der Kälte zu schützen. Am Tage kann es im Sonnenschein recht warm werden, aber dafür sind die Abende und Morgen um so erfrischender. Auch die Wärme am Tage wird wegen der Trockenheit der Luft niemals schwül und drückend wie an der Küste. Ein solches Klima hat keine Spur mehr von der erschlaffenden Wirkung des tropischen Küstenklimas, man fühlt sich im Gegenteil sehr frisch und wohl in demselben. Daß es ein dem Europäer auch für die Dauer zusa- I Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika. 1209 gendes Klima ist, dafür liefert das Volk der B u e r n den besten Beweis, welches sich in solchem Klima kräftig und gesund gehalten hat und dem es auch nicht an Nachwuchs gefehlt hat. Selbst in Rhodesia, welches schon innerhalb des Wendekreises, aber auch in einer Höhe von ca. 4000 Fuß liegt, gedeihen die Familien der europäischen Ansiedler ebensogut wie im Transvaal, und sie würden, davon bin ich fest überzeugt, auch in den höher gelegenen Teilen von Deutsch-Ostafrika sich in ganz gleicher Weise verhalten. Das Klima ist also für einen großen Teil der Kolonie als ein gesundes zu bezeich- nen. Es fragt sich nur noch, ob nicht, trotz der günstigen klimatischen Bedingungen, dort Kraiil<;heiten herrschen, welche den dauernden Aufenthalt des Europäers in der Kolonie unmöglich machen. Um diese Frage zu beantworten, muß ich Ihnen eine kurze Schilderung der Krank- heiten, welche hier in Betracht kommen, geben und Ihnen auseinandersetzen, ob und welche Gefahren von denselben drohen und wie man sich eventuell davor schützen kann. Glücklicherweise sind es nicht viele Krankheiten, da von der Schar, welche den Menschen in Europa gefährlich werden können, manche und gerade die schlimmsten in Ostafrika nicht oder vielmehr noch nicht vertreten sind. So fehlt die Tuberkulose fast vollständig, Typhus und Diphtherie sind nur ganz vereinzelt an der Küste vorgekommen. Für den Europäer die wichtigste und geradezu ausschlaggebende Kranlvheit im tropischen Afrika ist die Malaria, mit der ich deswegen beginnen will. In früheren Zeiten hat dieselbe viele Opfer gefordert, aber das hat sich doch im Laufe der Zeit we- sentlich geändert. Wir kennen jetzt ganz genau das Wesen und die Ursache der Malaria und wissen, wie wir uns dagegen schützen können. Ich darf wohl als bekannt voraus- setzen, daß die Malaria durch Blutparasiten bedingt wird, welche durch den Stich be- stimmter Mückenarten, der Anopheles, von den Kranken auf die Gesunden übertragen werden. Wenn jemand durch den Stich einer Mücke infiziert wird, dann erkranl^t er nicht sofort, sondern erst nach 6 — 12 Tagen. Die Krankheit kann also, wenn der Betreffende den Ort der Infektion verläßt und sich beispielsweise in eine malariafreie Gegend be- gibt, auch da zum Ausbruch kommen. In früheren Zeiten, wo man das Vorhandensein einer Zwischenzeit zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit, das sogenannte Inkubationsstadium, nicht kannte oder doch nicht genügend berücksichtigte, wurde oft irrtümlicherweise ein solcher Ort für malariaverseucht gehalten. Jetzt ist man aber in der Lage, mit aller Sicherheit ermitteln zu können, ob ein Ort malariaverseucht ist oder nicht. Es gibt zwei Kennzeichen, an welchen man erkennen kann, ob Malaria am Orte ist. Das eine ist der Nachweis von Malariaparasiten bei denjenigen Menschen, welche diesen betreffenden Ort niemals verlassen haben und nur an diesem selbst infiziert sein konnten; solche Menschen sind aber die im Orte geborenen Kinder. Wenn man bei der Untersuchung einer nicht zu geringen Zahl von solchen Kindern im Blute Malariapara- siten findet, dann ist damit das Vorhandensein der endemischen Malaria erwiesen, und es müssen also an diesem Ort die Bedingungen für die Malariainfektion gegeben sein, und zwar in um so größerem Maße, je höher der Prozentsatz von infizierten Kindern ist. Man kann bei solchen Untersuchungen 80 — 100% infizierte Kinder finden. Das zweite Kennzeichen für endemische Malaria bildet das Vorhandensein der Anophelesmücken. Wo man dieselben antrifft, da kann man immer mit größter Wahr- scheinlichkeit annehmen, daß Malaria vorhanden ist. Jeder, der mit der Möglichkeit rechnen muß, mit Malariagegenden in Berührung zu kommen, müßte diese gefährlichen Insekten kennen, um so immer über die ihm bevorstehende Gefahr orientiert zu sein und danach seine Maßregeln treffen zu können. Sie sind an ihrer charakteristischen Hal- tung und an den gefleckten Flügeln leicht und mit Sicherheit zu erkennen. Auch die 1210 Gesundheits Verhältnisse von Deutsch- Ostafrika. Larven der Anopheles, welche in kleinen Wasserpfützen und Sümpfen leben, haben ein sehr charakteristisches Aussehen und können daran sofort erkannt werden. An manchen Stellen, z. B. in Daressalajn, findet man die Anopheles während des ganzen Jahres, auch in der Trockenzeit. An anderen Orten treten sie nur im Laufe der Regenzeit und öfters noch im Beginn der Trockenzeit auf, dann verschwinden sie. So habe ich es gefunden in Morogoro, Kilossa und in der Mkatta-Ebene, welche zwischen diesen beiden Orten liegt. Es ist dies insofern beachtenswert, als in solchen Gegenden die Gefahr der Malariainfektion sich nur auf einige Monate im Jahre beschränkt und damit auch die Prophylaxis entsprechend kurz ist. Die Verhältnisse liegen hier ähnlich wie in Südeuropa, wo die Malaria auch nur im Sommer und Herbst zu fürchten ist. Über die Ausbreitung der Malaria in Deutsch-Ostafrika sind wir durch die Benutzung der früher erwähnten Kennzeichen schon einigermaßen orientiert. Die Buchner- sche Behauptung, daß es im ganzen tropischen Afrika sicher nicht ein einziges Quadrat- kilometer ohne Fiebermiasmen gäbe, hat sich dabei als absolut falsch herausgestellt. Sie gilt noch nicht einmal für den Küstenstrich, woselbst doch, wie man annehmen sollte, die Verhältnisse besonders günstig für die Entwicklung der Malaria liegen müssen ; denn es gibt auch an der Küste Stellen, wo die Anopheles ganz fehlen oder doch nur ver- einzelt vorkommen, vermutlich wenn sie zufällig vom Wind oder durch den Bootsver- kehr dahin verschleppt werden. Solche Stellen sind malariafrei. Die Hafenstadt Mom- bassa, welche auf einer Koralleninsel mit durchlässigem trockenen Boden liegt, ist z. B. so gut wie frei von Malaria. Die aus Korallenl^alk bestehende Insel Chole, an der Süd- spitze von Mafia gelegen, gilt ebenfalls als malariafrei. Ich habe bei einem Besuche der- selben überhaupt keine Mücken bemerkt, man konnte daselbst ohne Moskitonetz schlafen. Es gibt sicher noch mehr derartige Stellen an unserer Küste, die man aufsuchen und, wenn sie sonst dazu geeignet sind, für Niederlassungen benutzen sollte. Nach dem Innern zu findet sich Malaria besonders an der Karawanenstraße, wie, Prof. O 1 1 w i g durch die L'^ntersuchungen von Kindern festgestellt hat. Aber ich möchte nach meinen Erfahrungen die bestimmte Vermutung aussprechen, daß die In- fektionsgefahr sich nur auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt. Das müßte eben noch festgestellt werden. Auch über das Verhalten der einzelnen Stationen im Innern wissen wir nur, daß auf einigen derselben Anopheles vorkommen, aber das zeitliche Verhalten der letzteren ist noch nicht ausreichend festgestellt. Darüber jedoch kann ich jetzt schon ganz bestimmte Auskunft geben, daß bei einer gewissen Höhenlage in Deutsch-Ostafrika keine Anopheles mehr vorkommen und damit auch die Malaria verschwindet. In den Gebirgen ist das malariafreie Gebiet schon mit ca. 3000 Fuß erreicht. Ich habe dies Verhalten schon vor Jahren im Gebirge von Westusambara feststellen können und habe im vergangenen Jahre eine Bestätigung dafür in Amani gefunden, welches in Ostusambara in einer Höhe von ca. 3000 Fuß liegt. Während eines mehrwöchentlichen Aufenthaltes daselbst unmittelbar nach der Regen- zeit, wo anderswo die Anopheles besonders zahlreich sind, habe ich in Amani nicht einen einzigen gesehen. Für das Verhalten der Malaria auf den Hochländern im Innern der Kolonie kann ich Ihnen das Beispiel von Uhehe anführen. Auf der Station Iringa, welche über 5000 Fuß hoch liegt, habe ich bei meinem Aufenthalt daselbst gegen Ende der Regenzeit keine Anopheles bemerkt. Aber es wurde mir mitgeteilt, daß in dem Tal des kleinen Ruaha- Flusses, unterhalb von Iringa, gelegentlich Anopheles beobachtet seien. Da ich aber bei einigen eingeborenen Kindern, welche ich am kleinen Ruaha traf, keine Anzeichen von Malaria, namentlich keine Milzvergrößerung, konstatieren konnte, so erschien mir diese Angabe doch nicht ganz sicher, und ich habe deswegen, um Gewißheit über das Gesimdheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika. 1211 V orkommen von Malaria in Iringa zu erhalten, Herrn Oberarzt N e u b e r t veranlaßt, eine Untersuchung von 39 Askarikindern auszuführen, die in Iringa geboren waren und den Ort niemals verlassen hatten. Unter diesen Kindern, welche im Alter von bis 3 Jahren standen, wurden bei zweien Malariaparasiten gefunden, aber nicht diejenigen der ge- fährlichen tropischen Malaria, sondern dieselben Formen, welche auch hier in Deutsch- land vorkommen. Die beiden Kinder waren übrigens gut entwickelt und hatten keine Milzvergrößerung. Man muß hieraus schließen, daß in Uhehe die Malaria vereinzelt vorkommt. Es kann indessen nicht schwierig sein, so vereinzelte Fälle durch geeignete Behandlung zu heilen, d. h. von ihren Parasiten zu befreien und dann die Malaria in kurzer Zeit auszurotten. Unter den Offizieren und Beamten der Station und den Missio- naren der nicht weit von Iringa gelegenen Missionsstation Tosamaganga sind seit Jahren keine Malariaerkrankungen vorgekommen. Um zu den malariafreien Gebieten im Innern der Kolonie zu gelangen, müssen die Ansiedler allerdings, solange keine Eisenbahnen existieren, den verseuchten Küsten- strich passieren, mitunter auch sumpfige und malariaverseuchte Gegenden, wie sie be- sonders am Fuße der Gebirge vorkommen. Dabei kann natürlich eine Infektion mit Malaria stattfinden und hat in früheren Zeiten auch oft stattgefunden. 8o fand ich bei meinem ersten Besuch von West-Usambara unter den Trappisten, welche sich daselbst kurz vorher angesiedelt hatten, mehrere, welche an Malaria litten und sich ihre Krank- heit auf dem Marsche von der Küste bis zum Fuße des Gebirges zugezogen hatten. Wenn man nun nicht vorzieht, den Marsch ins Innere während der Trockenzeit, wenn keine Anopheles da sind, zu machen, dann läßt sich die Malariainfektion dank dem prophylaktischen Gebrauch von Chinin mit voller Sicherheit verhüten. Die Trap- pisten, welche später nach Usambara gingen und prophylaktisch Chinin nahmen, sind auch tatsächlich nicht mehr erkrankt. Um diese Wirkung zu haben, muß das Chinin in einer ganz bestimmten Weise gebraucht werden. Es würde zu weit führen, wenn ich hier die verschiedenen Methoden der Chininprophylaxe, wie sie von verschiedenen Seiten empfohlen sind, erörtern wollte. Ich werde mich darauf beschränken Ihnen diejenige Methode anzugeben, welche sich mir und soviel ich weiß auch vielen anderen bewährt hat. Dieselbe besteht darin, daß an jedem achten und neunten Tage ein Gramm Chinin genommen wird. Das Mittel kann in Pulverform oder in Lösung, es kann morgens oder abends genommen werden, nur ist darauf zu achten, daß dasselbe auch wirklich aus bestem Chinin besteht und daß seine Resorption nicht dadurch behindert wird, daß man es in einen vollen Magen bringt. Nach dem Einnehmen des Chinins stellt sich bekanntlich Ohrensausen, eine gewisse Erschlaffung und etwas Unbehagen ein. Wenn diese Nebenwirkungen des Chinins fehlen, dann ist zu vermuten, daß das Chinin nichts taugt oder daß es nicht resorbiert wurde; dann ist aber auch auf eine sichere Wirkung nicht zu rechnen. Irgendwelche Nachteile sind mit dem längeren Gebrauch des Chinins nicht ver- bunden. Aber ich weiß recht wohl, daß die Chininprophylaxis nicht zu den Annehmlich- keiten gehört, und es gibt nicht viele Menschen, welche imstande sind, dieselbe jahrelang durchzuführen. Aber ein halbes Jahr lang und selbst bis zu einem Jahre kann man, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, Chinin prophylaktisch nehmen. Es bleibt eben nur die Alternative, entweder malariakranli zu werden mit dem ganzen Risiko, welches damit verbunden ist, oder sich eine Zeitlang die Unannehmlichkeiten der Chininprophy- laxis gefallen zu lassen. Für mein Teil ziehe ich das letztere vor, um so mehr, da es sich in der Regel doch nur um den zeitweiligen Gebrauch des Chinins handelt, nämlich nur so lange, als man den Stichen der Anopheles ausgesetzt ist. Also überall, wo die Flug- zeit der Anopheles nur auf einige Monate beschränkt ist, kann auch die Chininprophy- 1212 Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika. laxis auf diese Zeit eingeschränkt werden. Allerdings ist es immer sehr empfehlenswert, das Chinin noch etwa zwei Monate länger zu nehmen, wenn man vor Malariarezidiv ganz sicher sein will. Es ist das eine Regel, welche überhaupt für jede Art der Behandlung der Malaria mit Chinin befolgt werden sollte. Denn die Malariaparasiten werden nicht etwa durch das Chinin sofort getötet, sondern nur in ihrer Entwicklung behindert ; sie verschwinden bei dem Fortgebrauch des Chinins erst im Laufe von etwa zwei Monaten. Meine eigenen Erfahrungen über die Chininprophylaxis, wenn sie in der ange- gebenen Weise durchgeführt wird, sind, wie ich bereits erwähnte, sehr günstige. Ich habe früher mit Prof. 0 1 1 w i g zusammen in Neu- Guinea etwa ein halbes Jahr zuge- bracht, ohne eine Spur von Malaria zu haben, während alle anderen, welche dort lebten, ohne Ausnahme schon nach einem Aufenthalt von wenigen Wochen an Malaria er- krankten. Wir verdanken dies nur der regelmäßig durchgeführten Chininprophylaxis. Gegen Ende meines dortigen Aufenthaltes ließ ich, gewissermaßen um die Probe zu machen, das Chinin weg und hatte drei Wochen später, schon auf der Rückreise begriffen, den ersten Anfall von Malaria. Im vorigen Jahre habe ich in Ostafrika, obwohl ich von Anopheles gestochen wurde, absichtlich kein Chinin genommen; kurze Zeit darauf fühlte ich, daß ein Fieberanfall im Anzüge war, ich konnte noch die Malariaparasiten in meinem Blute nachweisen, nahm dann sofort einige kräftige Dosen Chinin, schloß daran die regelmäßige Chininprophylaxis und habe, obwohl ich mich später mehrere Monate wäh- rend der Regenzeit auf dem Marsche befand und noch oft von Anopheles gestochen bin, keine Spur von Malaria mehr gehabt. Ich bin deswegen fest davon überzeugt, daß jeder, welcher mit der Malaria und ihrer Prophylaxis nur einigermaßen Bescheid weiß, durch Deutsch-Ostafrika auch in ungünstiger Jahreszeit reisen kann, ohne befürchten zu müssen, daß er malariakrank wird. Bei solchen Personen, welche ihre Malaria vernachlässigen und das Chinin unregel- mäßig oder in zu niedrigen Dosen nehmen, entwickelt sich öfters eine fehlerhafte Be- schaffenheit des Blutes, welche darin besteht, daß die roten Blutkörperchen sehr leicht zerstörbar werden und durch verschiedene Veranlassungen, wie starke Körperanstren- gungen, Erkältungen, vielleicht auch Sonnenhitze, ganz besonders aber durch bestimmte Chemikalien, zu denen auch das Chinin gehört, zum Zerfall gebracht werden. Das in ihnen enthaltene Blutrot, das Hämoglobin, löst sich dann im Blute, wird durch die Nieren ausgeschieden und erscheint in großer Menge im Urin, welchen es dunkelrot, fast schwärzlich färbt. Wegen dieser Eigenschaft hat man diesen Krankheitszustand Schwarz Wasserfieber genannt. Es ist dies eine sehr oft tödlich verlaufende und deswegen mit Recht gefürchtete Krankheit. Das Schwarzwasserfieber kommt also nur bei solchen Menschen vor, bei denen sich durch vernachlässigte oder unrichtig behandelte Malaria eine eigentümliche Dispo- sition entwickelt hat. Wo diese Disposition besteht, wird der Anfall fast nur durch eine Chinindosis zum Ausbruch gebracht. So wurden bei 60 Fällen von Schwarz- wasserfieber, welche im Hamburger Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten innerhalb der letzten fünf Jahre beobachtet sind, die Anfälle 58mal durch Chinin und nur in zwei Fällen durch Antipyrin und Methylenblau, also auch durch Chemikalien hervorgerufen. Glücklicherweise läßt sich diese gefährliche Krankheit, auf deren Rechnung wohl die meisten Todesfälle in unseren tropischen Kolonien und insbesondere in Ostafrika in früheren Jahren gekommen sind, mit ziemlicher Sicher- heit dadurch vermeiden, daß man die erwähnte Chininprophylaxis anwendet und da- durch sich überhaupt vor Malaria schützt, sowie daß man jeden Malariafall, welcher trotzdem entstanden sein sollte, gründlich behandelt und die Malariaparasiten durch eine zwei Monate lange Nachkur zum Verschwinden bringt. Sollte der Verdacht be- Gesundheitsverhältnisse von Deutsrh-Ostat'rika. 1213 stehen, daß sich aus irgendwelchen Gründen die Disposition zum Schwarzwasserfieber entwickelt hat, was bei Menschen, die in den Tropen längere Zeit an vernachlässigter Malaria gelitten haben oder welche eine unzulängliche Prophylaxe befolgt haben, wohl meistens der Fall ist, dann darf unter keinen Umständen ohne weiteres Chinin in voller Dosis oder selbst in mäßiger Dosis gegeben werden. In solchen Fällen fängt man mit ganz kleinen Chinindosen, z. B. 1/20 S' steigt langsam an und kommt, ohne daß ein Anfall von Schwarz Wasserfieber entsteht, schließlich bis zur vorschriftsmäßigen Dosis. Auf diese Weise gelingt es dem geschickten Arzt in der Regel, die vorhandene Malaria zu heilen und damit auch die Disposition zum Schwarzwasserfieber wieder zu beseitigen. Im ganzen haben sich die Malariaverhältnisse in Ostafrika gegen früher bedeutend gebessert. Teils weil die dort lebenden Europäer über das Wesen der Malaria, über ihre Behandlung und über die Prophylaxis durch Chinin besser orientiert sind wie früher und sich auch danach verhalten; teils aber auch, weil die Malaria in einer planmäf3igcn Weise an einigen Hauptorten der Küste durch Ausrotten der Malariaparasiten in den infizierten Menschen durch Chinin bekämpft wird. In neuester Zeit ist es gelungen, auf Java und in Italien durch reichliche Anwen- dung von Chinin die Malaria verhältnismäßig sehr zu verbessern, und es ist sicher zu er- warten, daß dies um so mehr in Ostafrika gelingen wii'd, wenn die Bekämpfung der Malaria nach rationellen Grundsätzen gehandhabt wird. Bei etwaigen Ansiedelungen würde man auch von vornherein darauf zu achten haben, daß dieselben nur in mückenfreier, oder doch wenigstens anophelesfreier Ge- gend angelegt werden. In wie kläglicher Weise Ansiedelungsversuche scheitern können oder vielmehr scheitern müssen, wenn man diese einfachsten Vorsichtsmaßregeln in bezug auf Ma- laria unbeachtet läßt, lehrt ein Beispiel, welches in dem Journal ^es Krankenhauses von Bagamoyo mitgeteilt ist. In diesem Krankenhause wurden kurz nacheinander drei Ansiedler schwer kranlv eingeliefert, welche zwei Monate vorher in Ostafrika an- gekommen waren und im Hinterlande von Bagamoyo nicht weit von der Küste, also im malariaverseuchten Gebiet, eine Farm errichten wollten. Sie bewohnten eine Hütte, welche etwa 30 Schritte von einem Sumpf gebaut war. Nach drei Wochen fingen sie an zu kränkeln, sie nahmen zwar Chinin, aber nur nach dem Augenmaß, wie es in der Krankengeschichte heißt, sie wurden immer kränl^er und elender und sahen, als sie endlich ins Krankenhaus geschafft wurden, wie Leichen aus. Unter richtigem Gebrauch von Chinin erholten sie sich dann langsam und verließen, sobald es möglich war, das ihnen so verhängnisvoll gewordene Land. Wenn man aber im Gegensatz hierzu im Ge- birge gesunde Missionarsfamilien mit blühenden Kindern sieht, dann überzeugt man sich davon, daß es trotz aller Malaria in unserer Kolonie Gegenden gibt, in denen euro- päische Ansiedelungen aufs beste gedeihen können. Im engsten Zusammenhang mit der Malaria, mit welcher sie früher verwechselt wurde, steht eine Kranltheit, auf deren Existenz man erst seit kurzer Zeit aufmerksam geworden ist, nämlich das R ü c k f a 1 1 f i e b e r , Rekurrens. Gelegentlich kommt diese Krankheit bekanntlich auch hier bei uns vor. Sie ist nicht direkt ansteckend, sondern wird, ähnlich wie es bei der Malaria durch die Anophelesmücken geschieht, durch ein blut- saugendes Insekt, durch Zecken übertragen. Die Menschen erkranlven an dieser wenig tödlichen, aber langwierigen und sehr angreifenden Kranl^heit, wie gesagt, wenn sie von den Zecken gestochen werden. Diese Zecken leben aber nur in den Hütten der Ein- geborenen, sowie in den Rasthäusern und unter den Schutzdächern an den Karawanen- straßen, und sie kommen, ähnlich wie bei uns die Wanzen, nur des Nachts aus ihren Schlupfwinkeln hervor, um das Blut von Menschen zu saugen. Man hat also nur nötig. 1214 Gresundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika. 'nicht in den Eingeborenenhütten usw. zu nächtigen, um vor der Infektion mit Rekurrens geschützt zu sein. Ich bin mit einer Karawane, bei welcher sich drei Europäer befanden, monatelang auf Karawanenstraßen marschiert, auf denen vorher viele Europäer an Rekurrens erkrankten, ohne daß wir infiziert wurden. Die einzige Vorsichtsmaßregel, welche wir befolgten, bestand darin, daß wir unsere Zelte stets in einer mäßigen Ent- fernung (20 — 30 Schritt) von den Eingeborenenhütten aufschlagen ließen und niemals die Rasthäuser oder Schutzdächer benutzten. Unsere Diener dagegen, welche oft in den Eingeborenenhütten und unter den Schutzdächern schliefen, wo sie von den Zecken gestochen \vurden, bekamen Rekurrens. Unter solchen Umständen ist nun vollkommen berechtigt zu sagen, daß derjenige, welcher jetzt noch an Rekurrens erkrankt, selbst die Schuld daran trägt. Die Rekurrens ist also ein typisches Beispiel dafür, wie leicht eine Krankheit zu vermeiden ist, wenn man ihre Ursache kennt. Dasselbe gilt auch von einer anderen Krankheit, welche im deutschen Schutzge- biet vorkommt, von der menschlichen Pest. Es existiert wahrscheinlich schon seit den ältesten Zeiten in den oberen Nilländern und bis an die Westküste des Victoria-Nyansa sich erstreckend ein Pestherd. Derselbe reicht mit seinem südlichsten Ausläufer bis an die Nordgrenze unserer Kolonie und ganz wenig darüber hinaus, bis auf das Südufer des Kageraflusses. Das Bestehen dieses Herdes kennt man seit fast zehn Jahren. Er hat innerhalb dieser Zeit nicht die geringsten Fortschritte gemacht. Aber vor 30 bis 40 Jahren ist angeblich durch geraubte Sklaven, welche aus jenen Gegenden stammten, die Pest nach Uhehe eingeschleppt, also gerade in das Land, welches für Ansiedelungs- zwecke am meisten in Frage kommt. Aus den Untersuchungen von Stabsarzt Dr. Z u - p i t z a über das Verhalten der Pest in Uhehe konnte man schon ersehen, daß es sich nicht um einen größeren Herd, sondern nur um wenige zerstreute Punkte handelte, an denen einzelne Pestfälle vorgekommen waren. Ich habe mich dann noch selbst in Iringa davon überzeugen können, daß die Pestgefahr in Uhehe in der Tat eine ganz unbedeu- tende ist, die sich voraussichtlich, wenn sie systematisch bekämpft wird, in kurzer Zeit wird überwinden lassen. Da sich außerdem die Pest beim Menschen nur im Anschluß an Rattenpest entwickelt, welche an die Behausungen der Eingeborenen gebunden ist, so gilt also auch hier die Regel, krankheitsverdächtige Hütten der Eingeborenen zu ver- meiden. Auf jeden Fall kann das geringfügige Vorkommen keinen Grund dafür abgeben, Uhehe deswegen als ungeeignet für Besiedelung zu erklären. Eine echte Tropenkrankheit, welche gewöhnlich mit der Malaria zusammen aufge- zählt wird, ist die Dj^senterie. Dieselbe kommt in Deutsch-Ostafrika glücklicherweise nur an sehr wenigen Punkten vor, so am Kilimandscharo und in Muanza am Viktoria- see. In Uhehe fehlt sie, soweit ich in Erfahrung bringen konnte, vollständig. Sie kommt also für die Ansiedelungsfrage gar nicht in Betracht. Von einer anderen Krankheit ist in letzter Zeit viel die Rede gewesen, die, wenn sie sich über unsere Kolonie verbreiten würde, allerdings schon unangenehmer werden könnte. Es ist dies die Schlafkrankheit. Bekanntlich hat die Reichsregierung den Entschluß gefaßt, eine Expedition zu entsenden, welche Untersuchungen über die Krank- heit und über die Mittel zur Abwehr derselben ausführen soll. Ich glaube, daß Aussicht für eine erfolgreiche Lösung der Aufgabe dieser Expedition besteht und daß es gelingen wird, diese Gefahr von der Kolonie fernzuhalten. Damit habe ich diejenigen Krankheiten, welche die Gesundheitsverhältnisse der Kolonie wesentlich beeinflussen können, erledigt. Allerdings kommen noch einige andere vor, wie Pocken, Lepra, Ankylostomen- krankheit. Doch scheidet die Pockengefahr für den Europäer, welcher vacciniert ist, Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika. 1215 aus, und die beiden anderen genannten Krankheiten spielen wohl für den Eingeborenen eine Rolle, aber nicht für den Europäer, der keine Gelegenheit hat, mit denselben in Berührung zu kommen. Nur eins habe ich noch zu erwähnen, das ist der Sonnenstich, der in den Tropenschilderungen so oft eine unheimliche Rolle spielt. Sehr groß kann diese Rolle nicht sein, da es mir noch nicht gelungen ist, trotz mehrfachen und längeren Aufenthalts in den Tropen einen einzigen Fall zu Gesicht zu bekommen oder von anderen Ärzten einen zuverlässigen Bericht über ein solches Vorkommnis zu erhalten. Ich will keineswegs bestreiten, daß Sonnenstich existiert, kommt doch derselbe sogar bei uns an sehr heißen Sommertagen vor; ich möchte nur bestreiten, daß er in den Tropen in besorgniserregen- der Weise auftritt und ein Hindernis für den dauernden Aufenthalt des Europäers da- selbst sein könnte. In Rhodesia, welches bekanntlich schon innerhalb des Wendekreises liegt und wo fast zwei Monate lang die Sonne mittags im Zenith steht, trägt niemand einen Sonnenhut, und ich habe trotzdem daselbst niemals etwas von Sonnenstich gehört. Im ganzen genommen komme ich somit in bezug auf die Gesundlieitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika zu einem recht günstigen Urteil, wenigstens soweit es auf die menschlichen Gesundheitsverhältnisse ankommt. Da es aber von vornherein meine Ab- sicht war, diese Verhältnisse nicht nur im allgemeinen, sondern speziell im Hinblick auf die Besiedelungsfähigkeit der Kolonie zu erörtern, so würden meine Ausführungen unvollständig sein, wenn ich nicht noch mit kurzen Worten die Krankheiten der Nutztiere besprechen würde. Auch unter diesen gibt es eine Krankheit, welche alle anderen an Bedeutung weit überragt, das ist die Tsetsekrankheit, welche außer Schafen, Ziegen und Geflügel allen anderen Haustieren gefährlich wird. Leider ist diese Kranliheit weit verbreitet über die Kolonie. Sie kommt überall da vor, wo die Tsetsefliege existiert, und zwar nicht nur die Glossina morsitans, welche man bisher immer für die ausschließliche Überträ- gerin der Krankheit hielt, sondern auch die Glossina fusca und Glossina pallidipes. Na- mentlich die Gl. fusca ist sehr häufig zu finden, z. B. an der Karawanenstraße, welche von Daressalam aus ins Innere führt, ferner am Fuße der Gebirge, so am Ulugurugebirge, Usambaragebirge, Paregebirge, Kilimandscharo, Rubehogebirge. In allen diesen Ge- genden ist die Viehzucht sehr beeinträchtigt, meistens sogar ganz ausgeschlossen und es würde für die Kolonie ein großer Gewinn sein, wenn es gelingen sollte, dieser Krank- heit Herr zu werden. Merkwürdigerweise kommen am Rubehogebirge nur am östlichen Rande Glossinen vor. Sobald man das Gebirge überstiegen hat, trifft man keine Glos- sinen mehr. Sie fehlen auch vollständig im Tale des großen Ruaha. Und von da an bis an den Rand des Uhehegebirges und auf dem Gebirge selbst habe ich keine Spur von Tsetsefliegen und Tsetsekranlilieit mehr angetroffen. Die Tsetsekrankheit ist sehr nahe verwandt mit der Schlaf kranl^heit ; beide haben als Ursache einen Blutparasiten, ein Trjrpanosoma, und bei beiden dient eine Glossina als Vermittlerin der Ansteckung. Deswegen ist zu erwarten, daß die Erfolge, welche die Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit hoffentlich erzielen wird, auch für die Bekämpfung der Tsetsekrankheit sich nützlich erweisen werden. Vorläufig fehlt es noch an wirksamen Maßregeln gegen die Tsetsekrankheit. Auch das K ü s t e n f i e b e r , eine für Rinder recht verderbliche Krankheit, sollte angeblich fast über die ganze Kolonie verbreitet sein, aber durch die während meiner letzten Anwesenheit in Ostafrika angestellten gründlichen Untersuchungen konnte fest- gestellt werden, daß dasselbe glücklicherweise in der Hauptsache auf die Küste beschränlvt ist und im Innern nur einzelne Herde bestehen, welche sich, wenn sie energisch bekämpft werden, sicher wieder beseitigen lassen. Allerdings wird man in Zukunft alle Viehtrans- 1216 Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrilca. porte, welche von der Küste nach dem Innern gehen oder welche von den verseuchten Stellen im Innern ausgehen oder mit letzteren in Berührung gekommen sind, streng überwachen oder noch besser ganz inhibieren müssen, wenn das Entstehen von immer neuen Herden und damit die allmählich vollständige Verseuchung der Küste vermieden werden soll. Leider hat sich gerade diese Krankheit in Uhehe eingenistet, allerdings nur in einem ziemlich eng abgegrenzten Herd im Tal des kleinen Ruaha. Sollte Uhehe für Ansiedelung ernstlich in Aussicht genommen werden, dann müßte alles aufgeboten werden, um gerade diesen Herd sobald als möglich zu beseitigen. Das mit dem Küstenfieber nahe verwandte Texasfieber ist über ganz Afrika ver- breitet und wird sich deswegen wohl kaum auf die Dauer ausrotten lassen. Glücklicher- weise ist dasselbe den Rindern sehr viel weniger gefährlich als das Küstenfieber und bedarf deswegen nicht besonderer Maßregeln. In den letzten Jahren ist die Rinderpest in Britisch-Ostafrika in der Nähe unserer Grenze wiederholt zum Ausbruch gekommen, und es ist deswegen nicht unmöglich, daß sie gelegentlich einmal auch auf unserem Gebiet erscheint. Es würde das in keiner Weise eine solche Bedeutung haben, wie in früheren Zeiten, wo das Auftreten der Rinder- pest gleichbedeutend war mit fast völliger Vernichtung der Rinderherden. Man ist heutzutage dank der neueren Forschungen imstande, die Rinderpest durch Anwendung des Rinderpestserums sehr bald zum Stehen und auch zum völligen Verschwinden zu bringen. Als ein wirkliches Hindernis für Ackerbau und Viehzucht im Schutzgebiet bleibt also nur die Tsetsekrankheit, aber auch diese nur in den Niederungen. Alle höher ge- legenen Gebiete, und insbesondere Uhehe sind frei davon. Wenn ich bei meinen Mitteilungen das Land Uhehe als Beispiel in den Vordergrund gestellt habe, so soll damit keineswegs gesagt sein, daß dasselbe der einzige Teil der Ko- lonie ist, welcher für Besiedelungszwecke etwa in Frage kommt. Ich habe dieses Land nur deswegen hervorgehoben, weil es, wenn von Ansiedelung in neuerer Zeit die Rede war, vorzugsweise genannt wurde und dann, weil ich es aus eigener Anschauung kenne. Aber wenn man ins Innere der Kolonie kommt, dann sieht man schon bei Moro- goro hohe Gebirge im Norden und Süden von der Karawanenstraße sich auftürmen, welche sicher klimatisch und gesundheitlich nichts zu wünschen übrig lassen. Je weiter man vordringt auf der Karawanenstraße, um so gebirgiger wird das Land. Es folgen die Rubehoberge mit vielen Seitenketten und Ausläufern, welche von Mpapua bis zum Ruahafluß reichen. Ferner südlich von Uhehe das zu Songea gehörige Land, die Ge- birgsländereien am Nyassa, das Land westlich vom Victoria- Nyanza. Alle diese Länder sind nach dem, was mir Kenner derselben mitgeteilt, klimatisch und auch in ihren Ge- sundheitsverhältnissen ebenso beschaffen wie Uhehe. Unsere Kolonie hat also ausgedehnte, für Besiedelung geeignete Gebiete. Aller- dings muß ich ausdrücklich betonen, daß mein Urteil nur als ein vom ärztlichen Stand- punkt abgegebenes gelten soll. Es ist nicht meine Aufgabe, die Frage der Besiedelungs- fähigkeit von Deutsch-Ostafrika in bezug auf die Ergiebigkeit des Bodens und unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse und der Beziehungen zu den Eingeborenen zu erörtern. Aber ich würde es für durchaus zeitgemäß halten, wenn dies von zustän- diger Seite nunmehr geschehen möchte, und wenn auch nach dieser Richtung hin die Antwort im bejahenden Sinne ausfallen würde, sollte man ernstlich an die Besiedelung der Kolonie gehen, indem man den Strom der Auswanderer dorthin zu lenken versucht. Wenn es mir gelungen sein sollte, die Anregung zu weiteren derartigen Untersuchun- gen über die Besiedelungsfähigkeit von Deutsch-Ostafrika zu geben, dann würde dieser Vortrag seinen Zweck vollkommen erreicht haben. Druch von Richard Hahn (H. Otto) in Leipzig.