7n u^iyHhM^ U Oi UA.yiwn i^^-^-uc. hAyhA^'i uLt^<- 1875 VII. MED. YIII. I sclfii Mm Jer Ptt ii IIATJGUEALDISSERTATIOI WELCHE m Wimm der dogtorwörde IN DER MEDICIN, CHIRURGIE ID GEBÜRTSHÜLFE UNTER ZUSTIMMUNG DER MEDICINISCHEN FACULTÄT ZU KIEL GESCHRIEBEN HAT PAUL ALBRECHT aus HAMBURG. KIEL. ZU HABEN IN DER UNIVERSITÄTS-BUCHHANDLUNG. DRUCK VON C. F. MOHR (P. PETERS). 1875- Referent : Dr. Kupffer Zum Druck genehmigt : Dr. Esmarch, d. Z. Decan. Seinen verehrten Lehrern Herrii Selieim MicM-Mli Professor Dr, ESIAECH und Herrn Professor Dr. KÜPFFEE in Ehrfurcht und Dankbarkeit gewidmet. Digitized by the Internet Archive in 2015 littps://arcliive.org/details/b21456495 Beitrag zur Torsionstheorie des Humerus und zur morphologischen Stellung der Patella in der Reihe der Wirbelthiere. Die Fortschritte , welche die vergleichende Osteologie der Wirbelthiere in den letzten elf Jahren gemacht hat, sind aut zwei Gebieten derselben zu suchen. Diese beiden Gebiete sind: erstens die vergleichende Knochenlehre des Schädels und zwei- tens die vergleichende Knochenlehre der paarigen Gliedmassen. So ist auf der einen Seite die GoETHE-ÜKEX sche Wirbeltheorie des Schädels als eine falsche erwiesen, da sie sich zum grössten Theile der Integumentalknochen des Schädels , und nicht des Primordialcranium bediente , und an ihre Stelle ist die Hi xi.Ev-GEGKXi'.AUK'sche getreten, welche vermittelst der Kui'i'EER-KowAi.EWSKv'schen Theorie über die Verwandschaft der Seescheiden mit dem Amphioxus eine continuirliche Kette herstellt zwischen dem Primordialcranium des am höchsten entwickelten Wirbelthieres , des Menschen , und dem vorderen Theile des Chordalstranges , welcher bei den Ascidienlarven über die Anlage des Kiemenkorbes hinwegstreicht. So ist auf der anderen Seite die Entwickelungstheorie der Fischflosse zur polydactylen Extremität der Enaliosaurier entstanden und der Entwickelung dieser zur pentadactylen Grundform des Wirbelthierfusses von den Amphibien aufwärts , welcher sich die Theorie anschliesst von der Gleichwerthigkeit des jederseitigen Extremitäten- trürtels und dessen zucrehörio-er freier Gliedmasse mit einem Kiemenbooen und dessen o o o o Radii branchiales. Diese letztere Theorie in ihrer erstaunlichen Tragweite lässt so- gleich erkennen, dass , wenn es wahr ist, dass die jederseitigen Extremitätengürtel und deren freie Gliedmasse Derivate eines Kiemenbogens sind , diese Derix ate \ on Kiemenbogen sich unter einander vergleichen lassen müssen, diese Derivate mit einem Worte im Speciellen ihre Homologa aufweisen müssen, wie ein Kiemenbogen das Homologon eines anderen ist. Es ist somit die comparative Osteologie der paarigen Wirbelthierofliedmassen unter sich nicht nur gestattet, sondern geboten, und oerade auf diesem Felde sind in der letzten Zeit drei grosse Fortschritte gemacht. Diese drei Fortschritte lassen sich in ihren Resultaten kurz in eine vergleichende Knochen-Tabelle der vorderen und hinteren Wirbelthier - Gliedmassen zusammen- fassen , welcher eine weniger ausführliche bei Ge( ;enkaur : vergleichende Anatomie 6 2te Auflage § 205 zu Gr.unde liegt.') Zur Erklärung diene, dass die rechts und links sich gegenüber stehenden Skelettheile einander anatomisch gleichwerthig, das heisst nach dem von Owen für die anatomische Gleichwerthigkeit metamerer Skelet- stücke gebrauchten Ausdrucke , einander im Allgemeinen homolog , im Speciellen homodynam sind. Die Tabelle ist folgende: ') Die GEGKNBAüR'sche Tabelle ist ebenfalls bei Oscar Schmidt, Handbuch der vergleichenden .\natomie , 6. Auf- lage, pag. 302 abgedruckt. Zuweilen findet sich für die Gleichwerthigkeit metaniercr oder homodynamer Skeletstiicke auch der Ausdruck der Homotypie. Dieses scheint mir nicht richtig , da homotype Organe antimere Organe sind , durch Homotypie also die Gleicln\ erthigkeit antinierer Organe ausgedrückt werden sollte. Vergleichende Knochentabelle der vorderen und hinteren paarigen Gliedmassen. Vorderer oder cranialer Extre mi t äte ngUr rel. Primordialer Gürtel. Scapula Suprascapulare. Procoracoid.' . , Hinterer oder caudaler E xtremitäte ng-Urt el. Os ilium. fehlt. Os pubis. Epicoracoid. , fehlt. Mesocoracoid. Coracoid Secundärer Gürtel. Supraclaviciilaria Clavicula. ... - Infraclaviculare Episternum (Interclaviculare) . , Vordere oder craniale freie Gliedmasse. Propterygium basale. Mesopterygium basale. ]\'Iel"apterygium basale. (Humerus). Radius. Ulna fehlt. Os ischii. fehlen, fehlt. . fehlt, fehlt. Hintere oder caudale freie Gliedmasse. ... Propterygium basale. Mesopterygium basale. Metapterygium basale. (Femur). Tibia. Fibula. 1 Carpale pro.ximale I. Carpale proximale III. Carpale proximale II. Carpale proximale IUI. Carpus. proximale Reihe. Radiale. Scaphoideum. (Naviculare). Intermedium. Lunatum. (SemiUmare). Centrale radiale. Centrale ulnare. Centrale. Tarsus. Tarsale pro.ximale I. Tibiale. Tarsale proximale III. Intermedium. Tarsale proximale II. Centrale tibiale Tarsale pi|Oximale IUI. Centrale fibulan proximae Reihe. ! Astragalus. Centrale. Scaphoideum. (Navicula Die carpalen Centralia finden sich doppelt bei Ichthyosaurus und Crypto- branchus iaponicus, sie verschmelzen alsdann , erhallen sich aber als ein Centrale bis zu den Primaten hinauf und werden auch noch beim Menschen embryonal angelegt. (Gegeniiauk.) Carpale proximale V. Accessorium. Carpale distale 1. Carpale distale II. Carpale distale III. Carpale distale IUI. Carpale distale V. Ulnare. Carpus. Carpale I. Carpale II. Carpale III, Carpale IUI. Carpale; V. Trique trum . (Pyramidale) . Pisiforme. Tarsale proximale V. fehlt. distale Reihe. j Multangulum maius. (Trapezium). Tarsalc distale I. Multangulum minus. (Trapezoides). , . Tarsale distale II. Capitatum. (Magnum) Tarsale d stale III. Hamatum. (Uncinatum). Tarsale distale IUI. Tarsale distale V. Fibulare. Tarsus. Tarsale I. Tarsale II. Tarsale III. Tarsale IUI. Tarsale V. Calcaneus. distale Reihe. Endocuneiforme. Mesocuneiforme. Ectoneiforme. Cuboideum. I 7 Die drei in Rede gestellten Fortschritte , welche in dieser Tabelle ausge- sprochen sind, sind folgende : Es ist erstens die Unordnung aufgehoben, welche in früheren Arbeiten durch die Clavicula entstand. Die Clavicula wurde dem Os pubis verglichen und homodynam gesetzt, indem man einerseits das Procoracoid , andererseits die differenten b^ntste- hungsverhältnisse der Clavicula und des Os pubis aus den Augen Hess. Denn wie die Clavicula phylogenetisch ein secunclärer Knochen ist, d. h. ein Knochen ist, der sich aus sofort ossificirendem Gewebe bildet, indem sie zuerst hc'i den Acipenserinen unter den Ganoiden auftritt und sich als Ijindegewebiger, corialer hitegumentalknochen auf den unter ihr liegenden primordialen Schultergürtel senkt, so ist sie auch onto- genetisch ein von einem primären Knochen sich wesentlich unterscheidendes Skeletstück. Denn selbst noch beim Menschen entsteht die Clavicula in ihrer ersten Anlatre aus einem sofort ossihcircnden Gewebe , welches allerdings nach beiden Seiten hin in entschie- denen provisorischen Knorpel sich fortsetzt. ') Sie unterscheidet sich also von einem primären Knochen dadurch, dass sie, wenn auch nur in ihrer ersten Anlage, unmittel- bar ossificirt, während ein primärer Knochen in seiner vollen Ausdehnung aus provi- sorischem Knorpel hervorgeht. Es stellt sich somit die Clavicula auf eine .Stufe mit den Integumentalknochen des Schädels, selbst wenn sich in der aufsteigenden Reihe der Wirbelthiere das Bestreben geltend macht, die Clavicula von einem secundären Knochen zu einem primären durch Anpassung umzubilden. ^) Das Os pubis hingegen ist in der Reihe der Wirbelthiere wie ontogenetisch ein rein knorpelig praeformirter Knochen. So ist die differente Entstehungsweise der Clavicula und des Os pubis das Moment gewesen, welches die vermeintliche Homolooie beider vernichtete , während überdies das wirkliche Homologon des Os pubis in einem ebenfalls primären , aber früh in der Reihe der Wirbelthiere verschwindenden Knochen, dem Procoracoid , ge- funden ist. Dieses Procoracoid, welches bei den urodelen Amphibien zuerst auttritt, verschwindet liei den Crocodilinen, um nur noch einmal bei den Ratiten aufzutauchen, und einen abermaligen Beweis für die nächste Verwandschaft dieser merkwürdigen Unterclasse mit den Sauriern zu liefern. (Gkckni'.auk. HLXLE^'.) Der zweite Fortschritt, welcher in der gegebenen Tafel ausgesprochen ist. ') Vergl. Bruch. Zeitschrift für wissenschaftliche Zonlogie. IV. 371. Gegenbaur. Jenaische Zeitschrift für Meclicin und Naturwissenschaft. I. 7. » Untersuchungen /,ur vergleichenden Anatomie der Wirbeltliiere. IT. 5. Dieselbe Erscheinung bemerken wir in dem Verhalten des episternum in der Reihe der Wirbelthiere. Wahrend es bei den Reptilien ein secundärer Knochen ist und es bei den Vögeln wahrscheinlich durch einen Bandappnrat zwischen der P'urcula und der Crista sterni vertreten wird, finden wir es bei den Amiihibien und Säugetiiieren als primäres Skeletstück, das beim Menschen nicht mehr ossificirt, sondern als Meniscus im Sterno-Claviculargelenk erscheint. — 8 besteht in der festgestellten Homodynamie zwischen den Skeletstücken des Unter- arms und des Unterschenkels. Denn so einfach und sicher es heute erscheint , dass der Radius der Tibia, die Ulna hingegen der Fibula homodynam ist, so vage sind die Hypothesen über diesen Punct, so verwickelt ist die endliche Beweisführuug gewesen. Wenn man bedenkt, dass noch Viccvd'AzvR die Ansicht des Aristoteles vertreten konnte , die Tibia der einen Körperhälfte correspondire mit der Ulna der anderen, welcher Ansicht sogar Cuvier beitrat, wenn man bedenkt, dass Meckel, Bourgery und Cruveiliiier beweisen wollten, der obere Theil der Tibia sammt der Patella sei der Ulna, der untere Theil dem Radius homodynam, während ]\L\R'JINS allerdings die Homodynamie des Radius und der Tibia annahm, aber die Epiphysis proximalis tibiae aus den proximalen Epiphysen der Fibula und Tibia verschmelzen liess , so sieht man ein, welch grosser Fortschritt darin liegt, dass endlich bewiesen ist, was De Blain- ville, Barclay, Flourens und Owen behauptet, aber freilich nicht in endgültiger Weise bewiesen haben: die Homodynamie des Radius und der Tibia, der Ulna und Fibula. Dieser Beweis ist geführt durch zwei andere. Der erste hob scheinbar alle Schwierigkeiten, welche durch die paradoxe Lagerung der cruralen und antibrachialen Skelettheile entstand , indem nämlich der Radius einerseits am Condylus externus hu- meri, die ihm homodyname Tibia am Condylus internus femoris , die Ulna auf der an- deren Seite am Condylus internus humeri und die ihr homodyname Fibula am Con- dylus externus femoris liegt. Dieser erste Beweis ist der Beweis von der Torsion des Humerus, welcher von Martins im Jahre 1857 angebahnt, von Lucae und Welcker verfolgt, von Gegenbaur im Jahre 1868 geführt ist. Der zweite Beweis ist der Beweis einer Stammreihe im primitiven Skelete der freien Gliedmassen. Diese Stammreihe, welche an der vorderen Extremität durch Humerus, Radius, Carpale proxi- male I, Carpale distale I, Metacarpale I und die Daumenphalangen , an der hinteren durch Femur, Tibia, Tarsale proximale I, Tarsale distale I, Metatarsale I und die Phalangen des Hallux gebildet wird, an welche die übrigen Skeletstücke der freien Gliedmasse an der vorderen in 5 , an der hinteren in 4 secundären Strahlen sich an- schliessen, hat den Schlussstein zu dem Beweis für die Homodynamie der Skelet- stücke des Unterarmes und Unterschenkels geliefert. ^) Der dritte Fortschritt endlich, welchen die obige Tabelle wiedergiebt, betrifft die Säuberung des Carpus und Tarsus. Welch' endlose Ansichten über die specielle Homologie der einzelnen Carpalia und Tarsalia aufgestellt sind, welche Verwirrung durch die accessorischen Ossificationscentren , welche Missverständnisse durch das se- cundäre Zerfallen der einzelnen in Rede stehenden Skelettheile entstanden, kann hier ') Vergl. Gegenbaur. Untersuchungen etc. II 164. nicht wiedergegeben werden. Dieser heillosen Unordnung ist aber mit einem Schlage im Jahre 1864 durch die Zurückführung des Carpus und Tarsus auf das primitive aus zehn Knochen bestehende Carpal- und Tarsalskelet ein Ende gemacht. ^) Das Os accessorium oder Pisilorme ist als 'Os hors de rang* aus dem Carpus hinausge- worfen, der Beweis geführt, dass kein Homologon desselben an' der hinteren Extre- mität vorhanden ist, und bewiesen, dass das Pisiforme überhaupt weder zum Carpus gehöre, noch ein anatomisches Sesambein sei, sondern das Rudiment eines sechsten Fing-ers ist. Es ist das Pisiforme das direct nachweisbare auf uns oekommene Erb- theil einer verschollenen Wirbelthierklasse , der polydactylen Enaliosaurier der Secun- därzeit, die der Entwicklung nach zwischen den Dipneusten und Amphibien ihren Rang einnehmen und sich wahrscheinlich durch die Dipneustenstufe auf die Selachier zurückführen lassen. Diese drei Fortschritte sind es, welche in der gegebenen Tabelle ausge- sprochen sind. Es lallt jedoch bei näherer Prüfung der l'afel sofort in die Augen, dass ein Knochen in derselben übergangen ist, der einer der wichtigsten Skelettheile der hinteren Wirbelthierextremität zu sein scheint. P^s ist die Patella. Die Patella wird weder genannt, noch ein Homologon an der vorderen Extremität ihr gesetzt. Der Grund hierfür ist folgender. Es sind über das Wesen der Patella und besonders über das ihr o'leichzusetzende Skeletstück an der vorderen Extremität so viele Strei- tigkeiten geführt, so viele sich widersprechende Ansichten aufgestellt, dass es bis zu diesem Augenblicke nicht gelungen ist, eine voUkomniene Klärung dieser Verhältnisse zu erreichen. Um nun diesem Ziele näher zu rücken, wird es für's Erste unum- gänglich nöthig sein, die Theorien, welche bisher über die Patella und deren Homo- logon an der vorderen Extremität aufgestellt sind, aufzuführen und einer eingehenden Kritik zu unterwerfen , mit einem Worte festzustellen , was von dem bisher Behaup- teten beizubehalten, was zu verwerfen ist. Zu diesem Zwecke gehen wir in der Literatur rückwärts und finden folgende Ansichten über die Patella und deren Homo- logon in der Geschichte verzeichnet, welche einzelne Ansichten ich als Theorien mit dem Namen ihrer Urheber versehen aufführen will. Es sind neun Theorien. Diese sind : 1. Die WiNSLow'sche Theorie. Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Tibia entspricht der Ulna, die Fibula dem Radius, die Patella dem Olecranon. 2. Die Theorie von Vico-d'AzYR. Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Tibia entspricht der Ulna der ent- ') Xcvg]. GKr,ENB.\UR. UiUersuclmiigen etc. I. 10 (7-egengesetzten Körperhälfte, die Fibula dem Radius der entgegengesetzten Körper- hälfte, die Patella dem Olecranon der entgegengesetzten Körperhälfte. 3. Die Theorie von Bourgery und Cr uv eil hier. Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Tibia entspricht in ihrem proximalen Theile der Ulna, in ihrem distalen dem Radius, die Fibula in ihrem proximalen Theile dem Radius, in ihrem distalen der Ulna, die Patella dem Olecranon. 4. Die Theorie von Auzias-Turenne. Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Tibia entspricht in ihrem proximalen Theile der Ulna der entgegengesetzten Körperhälfte, in ihrem distalen dem Radius der entgegengesetzten Körperhälfte, die Fibula in ihrem proximalen Theile dem Radius der entgegengesetzten Körperhälfte, in ihrem distalen der Ulna der entgegengesetzten Körperhälfte, die Patella dem Olecranon der entgegengesetzten Körperhälfte. 5. Die Theorie von Martins. Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Epiphysis proximalis tibiae ist ver- schmolzen aus den ursprünglichen proximalen Epiphysen der Fibula und der Tibia, so dass also was wir die proximale Epiphyse der Tibia nennen, ein zusammengesetztes Gebilde ist. Dem äusseren Theile desselben, welcher von der Fibula herstammt, gehört die Patella ursprünglich an. Der übrige Theil der Tibia entspricht dem Radius, die Fibula der Ulna, die Patella dem Olecranon. 6. Die Theorie von de Blainville und Gerdy. Die Patella ist ein Theil der Fibula. Die Tibia entspricht dem Radius, die Pa- tella dem Olecranon. 7. Die BERTiN'sche Theorie. Die Patella ist ein Sesambein. Sie vertritt das Olecranon. 8. Die CHENAL'sche Theorie. Die Patella ist ein Sesambein. Sie entspricht morphologisch einem selten auftretenden Sesambeine in der Cubitalsehne des M. extensor antibrachii triceps. 9. Die OwEN'sche Theorie. Die Patella ist ein Sesambein. Sie entspricht morphologisch einem selten auftretenden Sesambeine in der radialen Sehne des M. flexor antibrachii biceps. Es sind dies die neun Theorien, welche über den morphologischen Werth der Theorien über die morphologische Bedeutung- der Patella und ihres Homologon an der vorderen Extremität. Erste Gruppe. Die Patella ist ein abo-elös'ter Knochentheil. Zweite Gruppe. Die Patella ist ein Sesambein. VI. Die Theorie von de Bl.-vinville VII. Die BERXiNsche b. ~ Os sesamoideum tendinis und Gerdy. Theorie. cubitalis m. e.xtens. anti- C. ~ Os sesamoideum ten- brachii tricipitis. dinis radialis m. flexoris I.- Tibia ~ Ulna. Portio proximalis tibiae Ulna. Portio distalis tibiae ~ Radiu VIII. Die CHENALsche Theorie. antibrachii bicpitis. Villi. Die 0\\Tii\'sche Theorie. Epiphysis pro.ximalis tibiae ~ Epiphysis proximalis radii + Epiphysis proximalis ulnae. Diaphysis tibiae <~ Diaphysis radii. Epiphysis (listalis tibiae ~ Epiphysis distalis radii. V. Die Theorie von Martins. 2. Der entgegengesetzten Körperhälfte. IUI. Die Theorie von Auzias-Turen'NE. I. Der gleichen Körperhälfte. III. Die Theorie von Boi'RGErv und Cru\'eii.hier. entgegengesetzten Körperhälfte. II. Die Theorie von VicQ-d'AzvR. I. Der gleichen Körperhälfte. I. Die WiNSLOWsche' Theorie. i Patella und ihres Homologon an der vorderen Extremität aufgestellt sind. Man sieht auf den ersten Blick, dass sie in zwei grosse Abtheilungen zerfallen, indem die ersten 6 Theorien von dem Grundgedanken ausgehen, die Patella sei der abgelös'te Theil eines der beiden Unterschenkelknochen, die letzten drei jedoch im Gegensatze zu jenen die Patella für ein Sesambein erklären , welches in der Tibialsehne des M. extensor cruris quadriceps liegt und zu keiner Zeit der Entwickelung mit einem der beiden Unterschenkelknochen in genetischem Zusammenhange steht. Die erste Gruppe kann man wieder in zwei Unterabtheilungen bringen, je nachdem die Patella als ein Derivat der Tibia oder der Fibula angesehen wird. Auch diese erste Unterabtheilung lässt sich auf das Bequemste in fernere Ordnungen trennen, wodurch der ganze Theoriencomplex und dessen Entstehung verständlicher wird. Zur besseren Uebersicht also gebe ich folgendes Schema der neun über das Wesen der Patella aufgestellten Theorien, in welchem der Kürze wegen statt des Wortes homolog das mathematische Zeichen der Aehnlichkeit gesetzt ist: — Betrachten wir diese Theorien von der ersten fortschreitend zur letzten, so sehen wir in der schrittweisen Aenderung der Ansichten ein verkleinertes Bild der Entwickelung, welche die ganze vergleichende Anatomie genommen. Denn wie die sogenannte Anatomie des Menschen von Galen bis in die Mitte des i6ten Jahrhun- derts eine Anatomie der Hunde und Affen war, die sich erst durch Vesal zu einer Anatomie des Menschen emporschwang, so sind umgekehrt die ersten vergleichend anatomischen Versuche, die in das Ende des vorigen Jahrhunderts fallen, solche, in denen die Verhältnisse des Menschen ohne jedes Bedenken auf die übrigen Thiere übertragen werden. Diese falsche Methode ist bis vor Kurzem fast allgemein befolgt worden, die Goethe -OKEN'sche Wirbeltheorie des Schädels und die sich an dieselbe anschliessenden von Spix, Bojanus, Etienne Geoffroy-St.-Hilare, Carl Gustav Carus und Owen beweisen dies. Erst Darwin ist der vergleichenden Anatomie geworden, was Vesal der descriptiven Anatomie des Menschen war. Wenden wir uns somit zunächst an die WiNSLOw'sche Theorie, die erste Theorie der ersten Gruppe, so sehen wir, dass vom Menschen ausgehend die vor- dere und hintere Extremität anscheinend auf die natürlichste Art und Weise verglichen werden. Die Vergleichung findet Statt, während die Unterarmknochen sich in der Stellung der Ruhe, d. h. in Supination befinden. Es wird alsdann folgendermassen geschlossen: Der Humerus entspricht dem Femur, die medial liegende Ulna der medial liegenden Tibia, der lateral liegende Radius der lateral liegenden Fibula. Die Flexions- und Extensionsflächen sind aber verschieden vertheilt am Humerus und am Femur. Am Humerus liegt die Flexionsfläche vor der Axe, praeaxial, am Femur hinter der Axe, postaxial. Die Extensionsfläche hingegen liegt beim Oberarmbeine postaxial, beim Knochen des Oberschenkels praeaxial. Mithin ist es nicht zu verwundern, dass die Patella, welche ursprünglich von der Tibia sich lös'te , und welche dem Olecranon entspricht, am Beine vor der Axe liegt, während das Olecranon sich am Arme hinter derselben befindet. So hat Winslow geschlossen, indem er die unübersteiglichen Schwierig- keiten vernachlässigte, welche durch diesen Vergleich an Hand und Fuss entstehen. Es entspricht nämlich, wenn wir die WiNSLOw'sche Comparation weiter fortsetzen, offenbar der fünfte Finger der Hand, der bei der Supination medial liegt, dem medial liegen- den Hallux, der Daumen hingegen der kleinen Zehe. Es liegt ferner die Flexions- fläche der Hand nach vorn , während die Flexionsfläche des Fusses nach hinten liegt, und die Extensionsflächen sich in entsprechender Weise umgekehrt verhalten. Um nun einen fundamentalen Widerlegungsgrund für diese Theorie wie für sämmtliche Theorien dieser Gruppe zu finden, müssen wir auf die Torsion des Hu- 13 merus näher eingehen und die Verhältnisse betrachten, welche aus dem differenten Verhalten des vorderen Metapterygium basale im Gegensatz zum hinteren in der Reihe der Wirbelthiere wie in der individuellen Entwickelung entspringen. Wir müssen ferner zur Widerlegung dieser ganzen Gruppe betrachten, ob die Patella je phylo- oder ontogenetisch einem der Unterschenkelknochen als sich später von ihm trennende Epi- oder Apophyse angehöre. Somit bestände unsere nächste Aufgabe, um die Kritik jener Theorien in eingehender Weise üben zu können, in zwei Untersuchungen, nämlich erstens in einer Untersuchung über die Torsion des Humerus und der aus dieser entspringenden differenten Zustände , und zweitens in einer Untersuchung über die phylo- und ontogenetische Entstehung der Kniescheibe. Wir wenden uns zur ersten Aufgabe, zur Untersuchung über die Torsion des Humerus. Wie wir schon oben gesehen haben, hat Charles Martins, Professor der me- dicinischen Naturwissenschaften zu Montpellier, im Jahre 1857 zuerst den Gedanken einer Torsion des Humerus ausgesprochen. Es ist für das Folgende durchaus nöthig, die Gründe zu erörtern, welche ihn zu dieser Ansicht brachten. Die meisten Anthro- potomen wie hauptsächlich Bertin, Legat, Winslow, Sabatier, Soemmering, Bighat, Barclay, Boyer, Megkel, die beiden Cloquets, Lauth, Blandin, Estor, Cruveiliiier, Jamin, Sappey und Henle, ja sogar der grosse Albin, der in diesem Sinne, tam- quam si aptet se ad amplexum vom Humerus sagt, hatten eine courbure de torsion am Oberarmknochen beschrieben. Diese Torsion schien ihnen angedeutet durch eine Linie, welche theils scharfkantig, theils rauh sich vom Epicondylus externus humeri allmählig nach hinten schlägt , um an einer ausgezeichneten Stelle an der hinenseite des Collum anatomicum humeri zu enden. So steigt sie vom Epicondylus externus humeri scharfkantig als Crista condyloidea externa (external condyloid ridge der eng- lischen Anatomen) in die Höhe, indem sie dem distalen Theile des Ligamentum inter- musculare externum, am Epicondylus dem M. extensor carpi radialis longus und proxi- mal hiervon dem M. brachio-radialis zum Ansätze dient. Von dem Puncte jedoch an, wo der N. radialis, die A. profunda brachii superior und die VV. profundae brachii superiores das Ligamentum intermusculare externum durchbohren , verfolgt man die Linie weiter in der Fossa musculo-spiralis (musculo-spiral groove der englischen Ana- tomen) zwischen den rauhen Ansatzleisten des M. anconaeus internus und des M. anconaeus externus bis an die mediale Seite des Collum anatomicum humeri eeo-en- über dem Tuberculum infraglenoidale scapulae. Wir wollen diese Linie nach dem Vorgange der Franzosen, welche dieselbe im Anklänge an eine ähnliche rauhe Linie des Femur »la ligne apre de l'humerus « nennen, kurz mit dem Ausdrucke Linea aspera humeri bezeichnen. Wie gesagt, diese Spirallinie war längst vor Martins bemerkt und beschrieben. Martins nun kam, da die Zeit grosse Schwierigkeit in dem an- scheinend paradoxen Verhältnisse fand, dass der Radius, den man schon damals nach dem Vorgange von De Blainville allgemein der Tibia gleichsetzte , am Condylus ex- ternus humeri, die Tibia jedoch gegen den Condylus internus femoris entspringt, auf den Gedanken zum Zwecke der Vergleichung der vorderen und hinteren Extremität die beschriebene Spirale vom Humerus abzuwickeln, das heisst den Humerus zurück- zudrehen , bis die Articulatio humero - radialis , also das proximale Ende des Radius sammt dem Condylus externus humeri nach innen zu liegen kommt. Er nahm nicht an wie sein Nachfolger Gegenbaur, dass der Humerus je, sei es in der Reihe der Wirbelthiere, sei es in der individuellen Entwickelung, actuell diese Drehung vollzogen habe, er gab nur an, dass zur möglichen Vergleichung der vorderen und hinteren Extremität man sich den Humerus um seine LänQsaxe im entere ofenofesetzten Sinne seiner Torsionsspirale retorquirt denken müsse. Die Torsionstheorie, welche Martins aufstellte, betraf also eine potentielle Torsion des Humerus, die durch Gegen- BAURs Untersuchungen zu einer Theorie der actuellen Torsion des Humerus erhoben wurde. Die Neigung, solche potentiell geforderten Körpertheile aufzustellen, ja sogar sie mit anderen unverändert gelassenen Körpertheilen in einen anatomischan Vergleich zu ziehen, lag in der Richtung jener Zeit, wofür die Forderung Martins, das Ho- mologen eines Os ilium in dem Spiegelbilde der Scapula der gleichen Körperhälfte zu suchen, an welche Forderung sich die eingehendsten anatomischen Vergleiche schliessen, ein schlagender Beweis ist. ^) Wie gesagt, Martins behauptete,, den Tor- sionsindex des Humerus habe die Natur in der Spirale gegeben, welche die Linea aspera humeri um den Knochen schlägt. Um den leicht möglichen Verwirrungen bei diesen Untersuchungen zu entgehen, kann man die beschriebene potentielle und actuelle Drehung des Humerus leicht dadurch nachahmen, dass man einen Humerus am Collum chirurgicum durchsägt, und so die Möglichkeit erhält, den Humerus um seine Längs- axe zu rollen. Aufs Höchste wird die Drehung dadurch nachgeahmt, dass man, wie Martins es vorschlägt, ^) einen Humerus bis an das Collum chirurgicum in eine ver- dünnte wässerige Salzsäurelösung hängt und auf diese Weise einen Humerus herstellt, der bis auf seinen chirurgischen Kopf clecalcinirt ist und in der ganzen distalen Aus- dehnung sich leicht um seine Längsaxe torquiren lässt. ') Vergl. Martins, nouvelle comparaison etc. 5 1 2. ^) Vergl. Mautins, nouvelle comparaison etc. 482. 15 Gesetzten Falles dies sei geschehen, so kann man jetzt an eine Retorsion des Humerus denken. Diese Retorsion muss nun, wenn die Linea aspera der hidex einer potentiellen oder actuellen Torsion des Humerus sein soll, offenbar in folgendem Sinne erfolgen. Zugleich wird vorausgesetzt, dass, indem wir vom Menschen aus- gehen, die Vordergliedmassen und mit ihnen die Längsa.xen der Humeri und der antibrachialen Skeletstücke parallel zur Medianebene des Körpers orientirt sind. Das Tuberculum minus humeri steht alsdann nach vorn, das Planum supraspinatum tuberculi maioris direct nach aussen. Am distalen Ende steht der epiconylus radialis (exter- nus) — und hierauf ist grosses Gewicht zu legen — nach aussen und etwas post- axial, das heisst hinter der Axenebene, die man sich durch die Mitte des Planum supraspinatum tuberculi maioris und die medial nach unten prolongirte Lippe des Caput anatomicum humeri gelegt denkt, während der Epicondylus ulnaris (internus) nach innen und etwas praeaxial steht. Die beschriebene Axenebene nun, welche man auf den anatomischen Kopf des Humerus construirt, schneidet die durch das distale Ende des Humerus gelegte Axenebene beim erwachsenen Indogermanen in einem Winkel , dessen Durchschnittswerth gleich 1 2 ^ von Gegenbaur gefunden ist. Der Epicondylus radialis liegt also in diesem Falle 1 2 ^ hinter der proximalen Axenebene des Humerus, während der Epicondylus ulnaris um eben so viele Grade vor derselben zu stehen kommt. Die folgende dem Gegenbaur entnommene, nach der Lucae-Wel- cKER'schen Weise gezeichnete Figur giebt diese Verhältnisse wieder. Da in diesem Versuche der Einfachheit halber immer die rechte Extremität zum Vergleiche heran- gezogen wird, so ist auch hier statt des Risses, den Gegenbaur vom linken Humerus giebt, der rechte Humerus genommen. Man sieht die erwähnten Axen, indem A B die proximale , a b die distale Axe darstellt , ferner die Lagerung des Epicondylus ulnaris vor der proximalen Axe. i6 Will man nun die Spirale abdrehen, so muss man, da dieselbe medial unter dem Collum anatomicum entspringt und lateral am Epicondylus radialis ihr Ende nimmt, den von der Spirale umgriffenen Theil des Humerus bei festliegendem Caput chirur- gicum von aussen nach innen retorquiren und zwar absolut so , dass der Epicondylus radialis stärker postaxial, der Epicondylus ulnaris stärker praeaxial rückt, bis die Axenebene des distalen Humerusendes die Axenebene des proximalen Humerusendes in einem Winkel von 90 ° schneidet. Dann steht die Ebene, welche durch das distale Gelenkende des Hume- rus geht, parallel zur Vertebro-sternal-ebene des Körpers, während die durch das proximale Gelenkende des Humerus geführte Axenebene unverändert einen rechten Winkel mit der Vertebro-sternal-ebene des Körpers bildet. Kürzer gesagt, es geht alsdann durch das distale Gelenkende eine Sagittalebene , durch das proximale eine frontale. Ist die Drehung soweit erfolgt, so sehen wir, dass die Spirale noch nicht gänzlich abgewickelt ist. Wir müssen also, um die gänzliche Abwicklung derselben zu erreichen, die Retorsion weiter vollführen. Der Epicondylus radialis rückt alsdann nach innen, seine Postaxia- Htät wird geringer, die Epicondylus ulnaris hingegen rückt nach aussen, seine Prae- axialität wird geringer. Endlich wird der Winkel zwischen der proximalen Humerus- axe und der distalen gleich o'', das distale Gelenkende des Humerus hat sich nun um 168 ^ gedreht, der Epicondylus radialis, früher externus, liegt innen, der Epicon- dylus ulnaris, früher internus, liegt aussen. Die proximale wie die distale Axe stehen unter sich parallel senkrecht zur Vertebro-sternal-ebene des Körpers, der Radius liegt innen, die Ulna aussen, kurz man hat durch die 168 ° Retorsion ein Verhalten her- gestellt, wie es die hintere Extremität ohne vorhergegangene Retorsion darbietet, indem der der Tibia homologe Radius nunmehr ebenfalls innen, die der Fibula homologe Ulna nunmehr ebenfalls aussen liegt. Dies ist das Verfahren des Martins , der auf diese Weise einen ideellen retorquirten Humerus herstellte, der nunmehr sammt den Skeletstücken des Unter- armes in schicklicher Weise für die Vergleichung mit der unverändert gebliebenen hinteren Extremität vorbereitet war. Sein Nachfolger Gegenbaur jedoch hat nachzu- weisen gesucht, dass diese Retorsion keineswegs nur einen ideellen Werth besitze, indem die Torsion des Humerus nicht, wie Martins meinte, nur eine potentielle sei, sondern einen actuellen Werth habe, da sie factisch in der phylogenetischen Ent- wickelung der Wirbelthiere wie in der individuellen, embroyologischen Entwickelung jedes einzelnen amphipneumonen Wirbelthieres von den Amphibien aufwärts Statt ge- funden habe und Statt finde. Er wies nach, dass der mittlere Werth des Torsions- Winkels, welchen die proximale und die distale Gelenkaxe mit einander bilden, bei Embryonen kleiner sei als bei Kindern, bei Kindern kleiner als bei Erwachsenen, bei 17 niederen Wirbelthieren kleiner als bei höheren, ja sogar beim Neger kleiner als beim Indogermanen sei. So steht also bis heute die Lehre von der Torsion des Humerus, indem man annimmt, dass dieselbe actuell phylo- und ontogenetisch in Erscheinung tritt , erklärt man durch sie die bisher paradox erscheinende epicondyle Lagerungsverschiedenheit des Radius und der Tibia, der Ulna und der Fibula, und hat durch sie ein Mittel ge- funden, den differenten Zustand der vorderen Extremität auf den ursprünglichen der hinteren Extremität zu reduciren. Als ich diese Verhältnisse näher untersuchte, fiel mir zunächst folgendes auf. Wenn ich nämlich die Torsion des Humerus in dem Sinne vornahm, wie sie zur Ab- wickelung des Torsionsindex, der Spirale, vorgenommen werden musste, d. h., wenn ich den Epicondylus radialis mit ihm den Radius allmählich postaxial, den Epicondylus ulnaris mit ihm die Ulna allmählich praeaxial sich drehen Hess, so wickelten sich zwar die Spirale , der N. radialis und die ihn begleitenden Gefässe ab , es entstand dagegen eine seltsame Verwirrung in folgenden Gebilden. Es schlägt sich nämlich bei der im obisfen Sinne auso-eführten Retorsion der M. flexor antibrachii biceps von dem Tuberculum supraglenoidale scapulae einerseits und von der Bicipital- facette des Coracoides andererseits um den Humerus von oben und innen nach aussen und unten herum, gelangt von der praeaxialen auf die postaxiale Seite der Extre- mität und setzt sich dort mit seiner Hauptsehne an den Radius. Es schlägt sich ferner bei im obigen Sinne ausgeführter Retorsion der M. extensor antibrachii biceps mit seinem langen Kopfe von dem Tuberculum infragenoidale scapulae von hinten und innen auf die praeaxiale Seite des Humerus nach aussen und unten auf das Olecranon. Es schlagen sich ferner bei so ausgeführter Drehung die A. und V. brachialis, der N. medianus und der N. ulnaris von oben und innen auf die praeaxiale Seite des Humerus, die A. und V. brachialis und der N. medianus um die praeaxiale Fläche herum, auf die postaxiale , während der N. ulnaris erst nach seinem Verlaufe im Sulcus ulnaris auf die praeaxiale Fläche der vorderen Extremität tritt. Diese Verhältnisse habe ich mich bemüht, in der folgenden Zeichnung wiederzugeben, in welcher die unverändert gehaltene vordere und hintere Extremität mit der im beschriebenen Sinne retorquirten vorderen Extremität in Bezug auf die durch die Retorsion erzielten differenten Ver- hältnisse zu gleicher Zeit einer Prüfung unterworfen werden können. 3 i8 Theorie der radio-postaxialen Torsion des Humerus. Vor der Retorsion. Nach der Retorsion. Wir sehen also, dass die Rückdrehung des Humerus in dem Sinne vollfijhrt, dass der Epicondylus radialis nach hinten, der Epicondylus ulnaris nach vorn rückt, welche Drehung ich kurz als die radio-postaxiale Drehung bezeichnen will, zwar den N. radialis und die ihn begleitenden Organe detorquirt, dafür aber eine Torsion der genannten Muskeln, Gefässe und Nerven bedingt. Während somit der N. radialis 19 und die ihn begleitenden Organe vor der Retorsion eine Spirale beschrieben, die von innen und oben über die postaxiale Fläche des Humerus nach aussen, unten und vorn lief, beschreiben der M. extensor antibrachii triceps, mit seinem Caput longum , der M. flexor antibrachii biceps , die A. und V. brachialis, der N. medianus und der N. ulnaris nach der Retorsion sämmtlich Spiralen von innen und oben nach aussen, unten und hinten über die pr:eaxiale Fläche der Extremität. Als ich die Torsionsverhältnisse des Flumerus näher untersuchte , war dies, wie fj'esatrt, das erste, welches mir auffiel. Dies veranlasste mich, die Torsionsver- hältnisse des Humerus in der Reihe der Wirljelthiere wie in der individuellen Ent- wicklung eingehender zu verfoltren. Zunächst ergab sich für die Werthe des Tor- sionswinkels bei Embr}'onen und Neugeborenen eine solche Schwankung innerhalb weit gesteckter Gränzen, class man allerdings alle Mittelwerthe, die bis jetzt gefunden, für [jrovisorische erklären muss. So hnden wir z. B. eine Tafel bei Gegenbaur, in welcher die Torsionswinkel der Mumeri von b^mbryonen aufgeführt werden, deren y\lter zwischen der löten und 33sten Woche schv/ankt. Diese lautet, nachdem ich der Einfachheit halber das .Supplement des Torsionswinkels, welches Gegenhaur giebt, auf den Torsionswinkel selbst reducirt habe : 1 . löte Woche 1^2'^ 2. 17» » 131 j ■ 3 ■ 0 I 8 » . » 130'-' 4 . 19» » : 150'^ 5 . 20 » » 132° 0 ö. 24 » » I 0/ 7. 33^ « 158" 8. 33 » » 121 " Welche Unterschiede sind hier zu constatiren ! Während man annehmen sollte, dass der Torsionswinkel von o dem Alter des hidividuum ungefähr direct proportional an- wachse, bis er den WerUi erreicht habe, den der erwachsene hidogermane als Mittel- werth für den Torsionswinkel des Humerus aufweist, fällt er in dieser Tabelle von der löten bis iSten Woche, statt anzuwachsen, in der i9ten Woche finden wir als- dann eine rapide Steigerung, in der 20sten fällt er auf das Niveau der löten zurück. In der 24sten steht er noch auf 137 nachdem er in der igten schon auf 150" gestanden, in der 33sten Woche finden wir zwei Werthe, einen von 158°, der sich begreifen lässt, und einen von 121 der eine um 11 ^ geringere Torsion aufweis't, als sie der Humerus von lö Wochen, der also mehr als die Hälfte jünger ') Jenaische Zeitschrift etc. III. 57. 3* 20 war, aufweisen konnte. Ich gebe zu, class individuelle Verhältnisse eine grosse Rolle bei allen derartigen Messungen spielen, dass alle aus derartigen Messungen sich er- gebenden Resultate nie einen absoluten, sondern stets nur einen annähernden Mittel- werth repräsentiren, aber solch' enorme Schwankungen, wie sie die gegebene Tabelle aufweist, können weder einen annähernden Mittelwerth geben, noch einer neuen Theorie als haltbare Stützen dienen. Wenn eine progressive Torsion des Humerus während der embryonalen Periode nachgewiesen werden soll , so darf ein Embryo von 33 Wochen nicht Zehn-Elftel des Torsions winkels aufweisen, den ein anderer von i6 Wochen hat, ohne dass eine besondere Erklärung dieses widersprechenden Factum folgt. So aber geht es weiter : während Gegenbaur den Mittelwerth des Torsionswinkels am Humerus indogermanischer Embryonen zu 139'' findet, wird der von Neugeborenen zu 135 also noch geringer gefunden, während nach der Torsionstheorie das Gegentheil zu erwarten stand. Gegenbaur selbst hat sich die Schwierigkeiten durchaus nicht verhehlt, welche aus diesen schwankenden Werthen erwachsen, ist jedoch der Ansicht, class Angesichts der Thatsache, dass der mittlere Werth des Torsionswinkels am Humerus von Embryonen kleiner als bei Kindern, und der von Kindern wieder kleiner als von Erwachsenen sei, trotz jener Schwan- kungen eine Drehung des Humerus um seine Längsaxe als erwiesen betrachtet werden müsse. Und wie mir scheint, kann man eine solche Drehung innerhalb gewisser Grän- zen trotz der schwankenden Werthe allerdins^s zugeben, aber diese schwankenden Werthe haben zur Folge, uns an dem progressiven Torsionsprocess am Humerus von 0° bis 168'^ zweifeln zu machen, und die Winkelschwankungen, die sich zwischen den distalen und proximalen Gelenkaxen des Humerus finden , für ähnliche zu halten, wie sie sich für die Winkel nachweisen lassen, welchen die proximalen und distalen Gelenkaxen anderer Skeletstücke bilden, ohne dass man für letztere hypothetisch eine einst erfolgte Torsion verlangt. Dieser Zweifel wird vermehrt, wenn wir an anderen Skelettheilen, an denen man keine erfolgte Torsion voraussetzt, Spirallinien nach- weisen können, die sich um den Knochen schlingen, wie sich die Linea aspera um den Fkimerus schlingt. Betrachten wir zum Beispiel eine Fibula , so finden wir eine scharfe Kante postaxial am Malleolus von dem Puncte aufsteigen, an welchem das Ligamentum fibularc tali posticum seinen Ansatz nimmt. Von hier schlägt sich diese Linie allmählich immer weiter nach aussen rückend nach oben, indem sie zunächst den lateralen Fasern des M. flexor hallucis longus, dann denen des INF soleus zum Ursprünge dient, um endlich zwischen dem Tuberculum bicipitale und dem Tuberculum peronei longi am Capitulum fibulae ganz nach aussen gelangt zu enden. Mit dem- selben Rechte wie beim Humerus könnten wir behaupten, diese Linea aspera fibulae sei der Torsionsindex einer einst von aussen nach innen erfolgten Torsion der Fibula, 21 während selbstverständlich das Capituluni libulae seinen iirsprünt^lichen Stand Ix'ibe- halten. Mit demselben Rechte könnten wir die bibula von innen nach aussen retor- quiren, kurz mit demselben Rechte in Bezu^^^- auf die Torsion alles das mit der Fibula vornehmen, was wir in Bezug auf die Torsion mit dem Humerus vorgenommen haben. Wenn wir nun noch Winkelschwankungen zwischen den Axenebencn finden, welche wir durch die proximale und distale Articulationsfläche der Fibula legen, so ist die Identität vollständig. Und wir finden solche Schwankungen. Die folgende Figur zeigt das in der LucAE-WEixKEk'schen Weise ^) gezeichnete proximale und distale Gelenkende einer erwachsenen, weiblichen, indogermanischen Fibula. Der stärkere Umriss zeigt das proximale Gelenkende, der schwächere Umriss das distale Gelenk- ende. Die Axe A B die Axe des proximalen Gelenkes, a b die Axe des distalen Gelenkes. Beide Axen fallen mit der entsprechenden proximalen und distalen Ge- lenksaxe der Unterschenkelknochen zusammen. Der Winkel, welchen beide Axen zwischen sich schliessen, beträgt in diesem Falle 31 0. a A B b Ich habe noch einige andere Messungen ausfuhren können, deren Resultat ich hier wiedergebe. 1. - 25 ° linke Fibula eines Mannes. 2. - 28 rechte Fibula desselben Mannes. 3. - — 2 " linke Fibula eines F"oetus aus der der 30sten Woche. 4. - 5 ^ rechte Fibula desselben Foetus. ') Die Art und Weise, wie ich die Lucae-Welcker'scIic Methode für die Messung des Axenwinkels verwcrthetc, ist folgende. Die Fibula wurde in einem Glaskasten senkreclit mit dem proximalen Gelenkende nach oben aufgestellt, und zunächst dieses proximale Gclenkende mit der auf dasselbe aufgetragenen Axe des Tibio-femoralgelenkes gezeichnet. Zugleich wurden jedoch auch dem distalen Gelenkendc zwei Stecknadeln eingefügt, und diese sammt dem bei der Aufstellung von oben sichtbaren Theile der distalen Epiphyse in die Zeichnung aufgenommen. Hierauf wurde die Fibula mit dem distalen Ende nach oben aufgestellt, dies untere Gclenkende sammt den Nadeln gezeichnet und als lann die letztere Zeichnung in die erstere übertragen. Die Nadeln selbst waren in der Art in die distale Epiphyse eingefügt, dass eine durch sie gelegte Einie mit der Axe des distalen Unterschenkelgelenkes zusammenfiel. 22 Wir können ferner derartige Spirallinien an der Tibia, für welche in dieser Hinsicht Dasypus gymnurus ein classisches Beispiel giebt, an der Ulna , ja selbst am Femur nachweisen, für welch' letzteren Knochen sich leicht eine Linie verfolgen Hesse, die vom Condylus externus zum kleinen Rollhügel aufsteigt und fast in jeder Hinsicht das getreue Wiederbild der Linea aspera humeri ist. Ja, Gkgenraur hat die Winkel gemessen, die bei verschiedenen Oberschenkelbeinen zwischen der proximalen Axen- ebene und der distalen liegen , und die Werthe derselben wie die entsprechenden Winkelwerthe- am Humerus zwischen Aveiten Gränzen schwankend gefunden. Die 6 von Gegenbaur verzeichneten Werthe sind: lo °, 7 1 7 1 2 22 °, 4 Meyer giebt den Werth von 25 an. Kurz man hat ähnliche Winkelschwankungen wie beim Humerus von grosser Excursionsweite und nimmt doch nicht an , dass das Femur einst von o ^ auf 14 ^, der mittleren Proportionale aus obigen 7 Winkelwerthen, sich gedreht habe. Nähme man dies aber an, so thäte man es ohne Begründung. Fassen wir das Gefundene kurz zusammen, so müssen wir, nachdem was wir gesehen haben, als erwiesen Winkelschwankungen ansprechen , die wie bei allen übrigen Röhren- knochen auch zwischen der proximalen und distalen Gelenksaxenstellung des Humerus Statt finden, eine Torsion des Humerus dagegen, wie sie die MARTiNS-GEGENBAUR'sche Theorie verlangt, in der embryonalen und postembryonalen Entwickelung eines indo- germanischen Humerus bis jetzt für unerwiesen erklären. Die Gränzen dieser Winkel- schwankung sind nach GE(iENi!AUR 121 ° und 178 °. Unter 1 2 1 " und über 178 " ist keiner beim embryonalen noch erwachsenen Menschen gemessen. Kein Winkel von 90 ^ ist lür den Menschen beobachtet und vom Winkel von o ^ ist nicht die Rede. Und auch in der Reihe der Wirbelthiere, also in phylogenetischer Entwickelung ge- stalten sich die Winkelverhältnisse der proximalen und distalen Humerusaxen nicht ofünsticrer für die Martins- GEGENRAUR'sche Torsionstheorie des Humerus. Die Mar- TiNs'sche Angabe für diese Verhältnisse ist folgende: Bei den Reptilien, "V^ögeln und Fledermäusen beträgt die Torsion des Humeais 90 bei den Säugethieren mit Aus- nahme der Fledermäuse 180". Bei den Säugethieren ist jedoch zwischen zwei ver- schiedenen Zuständen des proximalen Gelenkendes des Humerus zu unterscheiden, was aber auf das distale Gelenkende, welches immer um iSo'^ torquirt ist, keinen Einfluss hat. Bei den schwanzlosen Catarrhinen ist nämlich . wie wir schon oben für den Menschen gesehen haben , die Torsion des proximalen Gelenkendes gleich o, bei den übrigen Säugethieren jedoch mit Ausnahme der Fledermäuse tritt eine Drehung des proximalen Gelenkendes von 90 ein. Hypothese auf Hypo- these. Gegenisaur schon hat den fundamentalen Irrthum in dieser Behauptung aufge- deckt. Er sagt, die Stellung der Scapula muss hierbei zuerst berücksichtigt werden. Und in der That möchte ich der Stellung der Scapula, welche bei den verschiedenen 23 Wirbelthieren i^anz ausserordcintlich verschieden ist, einen noch höheren Werdi bei- legen als Gkcienüauu , da ohne Frage die Stellung des Schultergürtels und die Orientirung der Cavitas glenoidalis Scapulae zur Scapula einen massgebenden lünlluss auf die proximale Gelenkverbindung desHumerus, hierdurch auf die Axe der proxi- malen Articulationsfläche des Oberarmes und hierdurch wieder auf den Winkel be- sitzen, den die proximalen und distalen Gelenksaxen des Humerus einschliessen. Es wird das causale Moment der Winkelschwankung- zwischen der proximalen und dista- len Axe des Humerus nicht nur in der durch Anpassung allmählich sich difterenciren- den Verwendung der vorderen freien Gliedmasse zu suchen sein, sondern im gleichen Grade, ja vielleicht in höherem in der Lagerung des Schultergürtels, die wieder durch die complicirtesten Factoren bedingt ist. In der Wirbelthierreihe selbst wird auch von Gegexüaur nicht die schrittweise Zunahme des Torsionswinkels nachgewiesen. Bei Plesiosaurus und Jchth)Osaurus finden wir den primitiven Zustand der vorderen freien Gliedmasse. Bei Plesiosaurus ist der Humerus pra?axial massig convex , post- axial concav, der Radius liegt am Condylus internus humeri, die Ulna am Condylus externus humeri, kurz man hat den Zustand der vorderen freien Gliedmasse, den uns die hintere freie Gliedmasse noch heute am höchsten Wirbelthiere im Wesentlichen unverändert darbietet. Und dennoch ist nicht bewiesen, dass dieser primitive Zustand durch radio-postaxiale dVjrsicMi zu demjenigc^n Zustande geführt hat, den wir ihn in der Quartär-Zeit bei den Wirbelthieren von den Amphibien aufwärts antreffen. V^on dem Torsionswinkel des Humerus bei Amphibien sagt Gec.emiaur nichts, während Martins, der sie nach dem Vorgange von Merrem noch mit dem Worte Batrachier bezeichnet, nichts als diese Bemerkung für sie hat: Chez les batraciens la torsion est moins marquee c|ue dans les Sauriens, cependant je Tai constatee .... hier folgen einige Namen, aber ke-ine Zahlen. Bei den Sauropsiden misst Ge(;eni;air den Torsionswinkel zu ungefähr 90 es werden jedoch keine Finzelwerthe angegeben. Bei den Mammalien sind die Torsionswinkel grade so divergent und widersprechend, wie sie es für die Embryonen von hidogermanen waren. Während z. B. eine Katze, also ein zonoplacentales , relativ hoch stehendes .Säugethier einen Torsionswinkel von 74 für den Humerus aufweis't, zeigt eine zweite einen solchen von 87 Beide Werthe sind stark divergent und unter dem Mittelwerthe des Torsionswinkels, der für die Reptilien gefunden ist. Wir sehen also, dass eine graduelle Zunahme des Torsionswinkels am Humerus der Wirljelthiere weder ontogenetisch , noch phylogene- tisch bis jetzt nachgewiesen ist. Besonders eine solche von o ° bis 168 ^ anzunehmen, ist eine Willkühr. Dass die Verhältnisse bei den Enaliosauriern durchaus nicht nur \om Standpunkte der Torsionstheorie des Flumerus, sondern auch auf ganz anderem Wege sich erklären lassen, werden wir später sehen. 24 Als ich die unlösbaren Widersprüche fand, welche sich durch die radio-post- axiale Torsion des Humerus ergeben, untersuchte ich sämmtliche amphipneumonen Wirbelthiere, welche mir im hiesigen zoologischen Museum zugänglich werden konnten, und zu meinem Erstaunen fand ich, dass sich alle Verhältnisse, welche durch die obige Theorie in unheilbare Verwirrung gerathen , auf das leichteste durch einen Process erklären lassen, der sich graclehin durch die ganze Amphipneumonen -Reihe geltend macht. Ich übergehe in unserer Betrachtung derselben die Dipneusten, welche in Ce- ratodus den primitiven, in Lepidosiren den dem primitiven zunächst stehenden Zustand der freien Gliedmassen aufweisen, von welchem Primitivverhältnisse sogar die Ver- hältnisse der Selachierflosse abgeleitet werden müssen. Somit kommen wir zur zweiten Abtheilung der Amphipneumonen, zur fünften Classe der Wirbelthiere, zu den Enalio- sauriern. Den einfachsten Zustand finden wir bei Ichthyosaurus. Die vordere freie Gliedmasse ist der hinteren in allen wesentlichen Theilen vollständig homolog. Die Cavitas glenoidalis, durch Scapula und Coracoid gebildet, steht nach hinten, an ihr ar- ticulirt der dicke Kopf des kurzen, prismatischen Humerus, der an seinem distalen Ende zwei Facetten aufweist, welche die Gelenkflächen für Radius und Ulna darstellen. Dieses sind kurze flache Knochen. Der Radius liegt am Condylus internus , die Ulna am Condylus externus humeri. Ein Olecranon ist nicht vorhanden. Blicken wir jetzt auf Plesiosaurus , so bemerken wir ein , wenn auch nur geringes Abweichen von diesem Zustande. Die Ulna ist nämlich etwas nach hinten gerückt, der Radius etwas nach vorn ; auch ist die Ulna postaxial convex, pra^axial concav, der Radius umgekehrt. Wir verlassen hiermit die Enaliosaurier und gehen zu den Amphibien. Hier finden wir die Abweichung, die wir schon bei Plesiosaurus im Verhältniss zu Ichthyosaurus constatiren konnten, weiter foro-eschritten. Die Perennibranchiaten schliessen sich zu- nächst an jene frühesten Zustände vollständiger Homologie der beiden freien Glied- massen an. Der Radius lieet um ein gferino-es vor der Axe. Die Ulna um eben so viel hinter derselben. Die proximale Apophyse der Ulna erhebt sich etwas über die Axe des Brachio-antibrachialgelenkes. Diese Zustände sind fast identisch mit denen, welche die Jugendzustände der Derotremen und Salamandrinen und die Larven der Anuren darbieten. (Owen.) Bei den letzteren bemerkt man allmählig eine Ver- schmelzung der antibrachialen und cruralen Skeletstücke zu je einem antibrachialen und cruralen Knochen. Die erwachsenen Anuren zeigen diese Verschmelzung voll- ständig mit Ausnahme des distalen antibrachialen Gelenkendes, an dem man noch die Constituenten unterscheiden kann. Der Radius lässt sich deutlich nach innen verfolgen, seine grössere Partie aber liegt vor der Ulna, so dass die Anuren einen abermaligen Fortschritt jener in obigem Sinne, das heisst im radio - prseaxialen Sinne, vor sich 25 gehenden Verschiebung der Unterarmknochen nachweisen lassen. Labyrinthodonten waren mir nicht zugänglich. Den Gymnophionen fehlen Gürtel und Gliedmassen. Zu bemerken ist noch, dass die erwachsenen Anuren ein deutliches Olecranon entwickelt haben, an welches sich der post-axiale M. extensor antibrachii triceps heftet. In der Kapsel des Brachio-antibrachialgelenkes ist an der Stelle, wo die Cubitalsehne des Extensor triceps an dieselbe tritt, eine faserige Scheibe eingesetzt, welche nicht dem Olecranon, denn das ist ausserdem vorhanden, sondern einem supraanconaealen Sesam- beine functionell und morphologisch entspricht. Der Processus coronoideus wird vom Radius gebildet^), nicht wie deim Menschen von der Ulna; es setzt sich an ihn die Radialsehne des M. sterno-radialis , der dem M. flexor antibrachii biceps der Säuge- thiere entspricht. Wir wenden uns zu den Sauropsiden. Die Chelonier zeigen eine erhebliche Modification am Humerus, in Anpassung an die differenten Verhältnisse, die durch das epidermoidale Exo-Skelet bedingt sind. So muss sich die vordere freie Gliedmasse buchstäblich zwischen Rücken- und Bauchpanzer hervorwinden, wodurch ein Knick zwischen der proximalen und distalen Hälfte des Humerus entsteht, dessen Winkel bei einigen Genera fast gleich einem Rechten ist. Dass hierbei Axenschwankungen des ausgiebigsten Characters zwischen dem proximalen und distalen Gelenkende ein- treten, ist augenscheinlich. Alles jedoch in Betracht gezogen und auf ursprüngliche Verhältnisse reducirt lässt den Radius bei Cheloniern noch nicht soweit nach vorn und aussen gerückt sein , wie bei Anuren , ein Factum, das leicht durch die Descendenz- theorie zu erklären ist. Bei den übrigen mit vorderen Gliedmassen versehenen Rep- tilien geht der Process weiter, wie dies die später folgende Zeichnung des Armske- letes von Crocodilus niloticus zeigt, bis endlich bei den Pterosauriern der Radius ganz nach vorn, die Ulna ganz nach hinten gerückt ist. Dieses Verhältniss finden wir noch bei den Ratten , bei denen übrigens die Ulna schon etwas nach innen abschweift. Bei den Carinaten liegt der massig entwickelte Radius nach vorn und aber- mals etwas mehr nach aussen, die starke Ulna nach hinten und innen. Unten den Sauropsiden ist das Olecranon sehr verschieden entwickelt. Bei einigen stark ausge- sprochen, ist es bei anderen nur schwach in Erscheinung getreten. Bei den Sauriern ist es meist hoch und schmal, bei den Crocodilinen niedrig und dick. Bei den Vögeln ist das Olecranon meist schwach entwickelt, das Auftreten eines supra-anconaealen Sesamoid in der Cubitalsehne des M. extensor antibrachii triceps wird bei einigen Speeles beobachtet. ') Vergleiche Ecker, Anatomie des Frosches, i. Abtheilung, pag. 51. 26 Wir kommen zur neunten Classe der Vertebraten, den Säugethieren, welche mit den Reptilien zugleich von den Amphibien abzuleiten sind. Und so finden wir in der That bei den Ornithodelphen einen Zustand der antibrachialen Knochenbezieh- ungen, den man an die Amphibien anschliessen darf. Reducirt man zum Beispiel bei Echidna die durch Anpassung differencirte Lage des Humerus gegen die Vertebro- sternal-Axe, durch welche der Scheitel des Cubitalwinkels mit dem colossalen Ole- cranon nach aussen zu liegen gekommen ist, so finden wir, dass der Radius vor der Ulna, doch etwas nach innen liegt. Bei den Didelphen ist der Process weiter vor- geschritten und der Radius immer noch vor der Ulna befindlich etwas nach aussen gerückt. Unter den Monodelphen zeigen die Edentaten, zumal Dasypus, einen Zu- stand, den man, wenn er nicht durch secundäre Rückanpassung erklärt werden kann, was aber das wahrscheinlichste ist, direct an die Verhältnisse von Amphibien an- schliessen muss. Bei Dasypus gymnurus liegt der Radius innen, die Ulna aussen, der Condylus internus humeri bietet eine Eminentia capitata für den Radius, der Con. dylus externus humeri eine Trochlea für die Ulna. In dem Anschluss an die Am- phibien muss jedoch mit grosser Vorsicht verfahren werden, da diese eigenthümliche Säugethierklasse die heterogensten Anpassungsscheinungen auch in ihrem übrigen Skeletbau aufzuweisen. Ich erinnere nur an die Verwirrung, die in der Ansicht über das distale Unterschenkelgelenk dieser Thiere bis aul Huxley geherrscht hat. Zu bemerken ist noch, dass das colossale Olecranon bei Monotrennen, verschiedenen Marsupialien und Edentaten nur zum allergeringsten Theil durch die proximale Apo- physe der Ulna, sondern zum grössten Theil durch die Diaphyse derselben gebildet wird , indem diese sich wie bei Edentaten fast um einen eben so grossen Abstand über die Articulatio humero-radialis verlängert, wie sie ihn in der Ausdehnung vom distalen zum proximalen Gelenkende besitzt. Die Indeciduaten liefern neue interessante Verhältnisse für die gegenseitigen Beziehungen der Unterarmknochen. Bei den Artio- dactylen nämlich liegt der Radius grade vor der Ulna und besitzt zwei Gelenkfa- cetten für die Trochlea und Eminentia capitata. Die Ulna ist schwach entwickelt und zum Theil verschwunden im distalen Theil, am proximalen findet man das starke Olecranon. Bei den Tylopoden und den Einhufern ist das distale Ende der Ulna voll- ständig verkümmert, die proximale Partie desselben mit dem Olecranon liegt dem Ra- dius fest verschmolzen nur nach aussen abweichend an. Die Sirenen hingegen bilden die Brücke zu den Cetaceen, bei denen einzelne Skeletelemente der vorderen freien Gliedmasse ausserhalb jeder Gelenkverbindung treten können. Die Cetaceen besitzen Radius und Ulna, letztere ein schwach angedeutetes Olecranon. Der Radius liegt grade vor der Ulna. Unter den Deciduaten articulirt der Radius am Condylus externus humeri, die 27 Ulna am Condylus internus. Doch ist ein allmähliches Fortrücken des Radius von innen nach aussen und der Ulna von aussen nach innen auch hier nachzuweisen. Bei Chiropteren ist das distale Ende der Ulna rudimentär, das proximale gering mit schwachem Olecranon entwickelt. Ueber dem Olecranon befindet sich bei Pteropus ein supraanconaeales Sesamoid des Tendo communis extensorius antibrachii. Bei verschie- denen Deciduaten hingegen hauptsächlich bei Prosimien und Primaten sehen wir eine neue Erscheinung schrittweise sich heranbilden. Es tritt hier nämlich das all- mähliche Streben auf, die Kreuzung der Unterarmknochen, die durch die radio-prae- axiale Verschiebung derselben eingetreten ist, durch eine Supination zu corrigiren. Ein ähnliches Streben haben wir schon für einige Edentaten beobachtet. Zu diesem Zwecke entfernen sich die antibrachialen Skeletstücke, die bisher hart oder nahe an einander lagen , weiter von einander , das Spatium interosseum wird relativ weiter, kurz durch Adaptation treten Bedingungen auf, welche der Supinationsmöglichkeit sich günstig erweisen. Diese beginnt bei Lemuren , wächst bei Menocerken und Anthropoiden, um endlich beim Menschen ihren höchsten Grad zu erreichen. Werfen wir jetzt einen Rückblick auf die relativen Beziehungen der Unterarm- knochen, wie wir sie in der Reihe der Amphipneumonen gefunden haben, so sieht man, wie aus den gegebenen Factis ein stetig fortschreitender Process in der gegen- seitigen Stellung des Radius und der Ulna sich nachweisen lässt. Bei den Plesio- sauriern lag der Radius innen, die Ulna aussen, bei den Reptilien und niederen Säugethieren lag im Allgemeinen der Radius vorne , die Ulna hinten , bei den dis- coplacentalen Säugethieren lag der Radius aussen, die Ulna innen. Zwischen dem ersten Stadium, dem der Plesiosauren , und dem zweiten, dem der Reptilien und niederen .Säugethiere sind alle möglichen Uebergänge bei den Amphibien zu finden, zwischen dem zweiten und dritten, dem der discoplacentalen Säugethiere , finden wir in den niederen Säugethierstufen die verbindenden Uebergangsformen. Im ersten Stadium ist also , da es das ursprüngliche Stadiuni ist , keine Verschiebung der Un- terarmknochen vorhanden, die Verschiebung ist o, im zweiten Stadium hingegen finden wir gegen das erste Stadium eine Verschiebung von 90 im dritten abermals von 90" gegen das zweite, von 180° also gegen das erste. Diese drei Stadien sind in folgender Zeichnung wiedergeben, in welcher ich, um Radius und Ulna leicht unterscheiden zu können, die proximalen Epiphysen derselben, wie sie beim Menschen in Erscheinung treten, in Anwendung gebracht habe. 4* 28 I. II. III. Wir haben jedoch noch eins zu beachten. Im Stadium I liegen das proximale und das distale Ende des Radius innen, im Stadium II liegt das proximale vorne, das distale innen, im Stadium III aber sind zwei Zustände zu unterscheiden, die mit III a und III b bezeichnet werden können. Das Stadium Illa, selbstverständlich das primäre, weis't das proximale Gelenkende des Radius aussen, das distale innen auf. Das distale Ende ist also vom Plesiosaurus her innen geblieben, während die an- fänglich QOgradige, dann i Sogradige Verschiebung nur das proximale Gelenkende des Radius betraf. Dadurch ist aber bei der i Sogradigen Verschiebung des proximalen und der gogradigen Verschiebung des distalen Gelenkendes , welchen Zustand das Stadium III a vorstellt , eine vollkommene Kreuzung der Skelettheile des Unterarms eingetreten, während im Stadium I die Knochen als parallel betrachtet werden dürfen. Das Stadium II jedoch zeigt weder einen Parallelismus noch eine Kreuzung des Ra- dius und der Ulna. In diesem Stadium bilden Radius und Ulna einen Winkel, dessen .Scheitel innerhalb der Berührungsfläche der proximalen Gelenkenden zu suchen ist. Dieses Stadium möchte ich daher das Stadium der halben Kreuzung nennen. Der 29 Grund, wesshalb in den Stadien I, II und III a , welch letzteres Stadium die meisten Säugethiere mit Ausnahme der Prosimien und Primaten repräsentiren, nur das proximale Gelenkende des Radius sich verschiebt und nicht das distale, und so also halbe und o-anze Kreuzung" der Skelettheile des Unterarmes in Erscheinung;- treten, ist offenbar darin zu suchen, class die vordere freie Gliedmasse in diesen Stadien hauptsächlich noch als Stützorgan in Verwendung gebracht wird, zu diesem Zwecke aber die Palma manus gegen den Boden stehen , der Daumen und mithin auch das distale Gelenkende des Radius nach innen gerichtet bleiben muss. Bei Prosimien und Primaten aber tritt ein neuer Zustand auf. Die Hand wird zum u-rössten Theile als Greiforgan verwendet. Die eingetretene Kreuzung wird corrigirt durch die Supi- nation. Bei vollständig vom Menschen ausgeführter Supination hat nun auch das distale Gelenkende iSo*^ um die Ulna beschrieben, bei welchem Process im Gegen- satze zum früheren nunmehr das pro.ximale Gelenkende des Radius seinen Stand unverän- dert jedoch rotirend beibehält. Ist die Supination nur um 90 '* ausgeführt (welchen Zustand man als Semisupination, auch, aber weniger gut als Semipronation bezeichnen kann) , so liegt das proximale Gelenkende des Radius aussen von der Ulna , das distale Gelenkende vor der Ulna. Dieser Zustand der halben Supination ist aber nicht zu verwechseln mit dem Zustande der halben Kreuzung, in welch" letzterem das proximale Ende des Radius vor der Ulna, das distale innen von der Ulna liegt. Diesen Fehler findet man vielfach in vergleichend anatomischen Schriften verbreitet. So z. B. sagt man vom PVosch seine Unterarmknochen ständen in Semipronation. Im Stadium Illb, dem Stadium der vollendeten Correction der Kreuzung, die durch die 180" alleinige Verschiebung des proximalen Gelenkendes entstand, kann man die Skelettheile des Unterarmes wieder als zu einander parallel betrachten, so dass also vom Stadium I bis zum Stadium III a eine theilweise Verschiebung der Unter- armknochen von 0° — 180°, im Stadium III b eine vollständis^e Verschiebunsf derselben in Erscheinunof tritt. Ich o;ebe hier die bezüijlichen Zeichnunijen , in denen ich des leichteren Ueberblickes wegen die Umrisse des Radius und der Ulna nehme, wie sie vom Menschen her bekannt sind. Das Stadium der Semisupination habe ich zwischen die Stadien III a und III b eingeschaltet, es aber unbezeichnet gelassen, da es kein bei irgend einem Thiere stationäres Stadium vorstellt. Die Grade am Olecranon zeigen die Verschiebung der proximalen Gelenk- enden , die Grade am Processus styloides radii die Verschiebung der distalen Ge- lenkenden an. 30 o" 90" iSo» 180" 180" o" o» 90 0 180" I. II. Illa. Illb. Fassen wir nun diesen Nachweis über die allmähliche Verschiebung der Unter- annknochen bei den Amphipneumonen im Gegensatz zur Martins -GEGENBAUR'schen Torsionstheorie des Oberarmes in's Auge , so ergiebt sich folgender fundamentale Unterschied. Indem Martins und Gegenbaur annahmen, dass die Torsionsspirale der Linea aspera humeri durch Torsion des Humerus bei festliegendem, sei es Caput anatomicum, sei es Caput chirurgicum entstanden sei, mussten sie zur Ansicht kommen, dass das distale Gelenkende und passiv mit ihm das übrige distale Skelet der vor- deren freien Gliedmasse sich radio-post-axial um die Längsaxe des Humerus gedreht habe. Wir hingegen Hessen dem Humerus seine ursprüngliche Lage, oder gaben ihm vielmehr nur Winkelschwankungen zwischen der proximalen und distalen Axe seiner Gelenkenden zu, sahen dagegen, dass der Radius und die Ulna ihrerseits eine gegenseitige Verschiebung erlitten. Diese Verschiebung ging in dem Sinne vor sich, dass der Radius praeaxial, die Ulna postaxial rückte, und wir erkennen somit, dass, während die Torsionstheorie des Humerus eine radio- postaxiale Torsionstheorie ist, die Verschiebung der Unterarmknochen , wie wir sie durch die Reihe der Amphipneu- monen verfolgt haben, im Gegensatz zur radio-post-axialen Torsionstheorie eine radio- praeaxiale Verschiebung derselben betrifft. Wir können uns diesen fundamentalen Unterschied beider Ansichten kurz durch ein kleines Schema vergegenwärtigen, welches das gegenseitige Verhalten der proximalen Gelenkenden der Unterarm- Vordere freie Gliedmasse. Vordere freie Gliedmasse. Hintere freie Gliedmasse. (MARTINS-GEGENBAUR'sche Torsionstheorie des Humerus.) (Ansicht von der Verschiebung der Unterarmknochen.) Stadium I. + ■e- Stadium II. t Stadium III. 31 knochen in beiden Theorien wiedergiebt. Zugleich ist das unverändert bleibende Verhalten der Unterschenkelknochen hinzugefügt. Die schwarze Kugel bezeichnet den Radius, die weisse die Ulna, das Viereck an der Ulna deutet auf den Stand des Olecranon. Die Tibia ist wie der Radius, die Fibula wie die Ulna bezeichnet. o Der Punct an der horizontalen Axe zeigt die Richtunc»' nach innen, der Pfeil an der verticalen Axe giebt die praiaxiale Richtung an. Zum Verfrleich sind wie immer die Knochen der rechten Gliedmassen »jenommen. 32 Aus diesen Schematen ergiebt sich leicht, dass man den Unterschied zwischen der MARTiNS-GEGENBAUR'schen Torsionstheorie des Humerus und der Ansicht von der Verschiebung- der Antibrachialskelettheile noch kürzer fassen kann, indem man die Sinuswerthe der Bogen vergleicht, welche die antibrachialen Skeletstücke in beiden Ansichten beschreiben. Nach der Martins GEGENBAURschen Theorie nämlich wachsen die Sinus der Radialbogen von o auf -f- i , um alsdann von + i auf o wiederum zu fallen. Nach der Ansicht von der Verschiebung der antibrachialen Skeletstücke hingegen wachsen die Sinus der Radialbogen von o auf — i, um alsdann von — i auf o zu fallen. Die Sinuswerthe der Ulnarbogen zeigen selbstverständlich das ent- gegengesetzte Verhalten. Wir erhalten somit folgende kleine Tabelle : MARTiNS-GEGENBAUR'sche Ansicht von der Verschiebung der Torsionstheorie des Humerus. antibrachialen Skelettheile. Sinus der Radialbogen. Stadium I o Stadium I = o II = + I . II = — I III ==0 » III = o Sinus der Ulnarbogen, Stadium I o Stadium I o II = _ I , II _ + I III o » III = o Noch auf eins ist hier aufmerksam zu machen. Wir haben nämlich gesehen, dass in der Reihe der Amphipneumonen Radius und Ulna ihre ursprüngliche parallele Stellung aufgeben , dass durch die i Sogradige Verschiebung des proximalen Radius- endes eine Kreuzung der antibrachialen Skeletstücke eintritt, und dass erst später in den entwickeltsten Classen der Säugethiere diese Kreuzung durch Supination corrigirt werden kann. Die gekreuzte Stellung der antibrachialen Skeletstücke bezeichnet der Entwicklung nach einen früheren Zustand als die supinirte. Betrachten wir jedoch diese Verhältnisse vom Standpuncte der MARTiNS-GEGENBAUR'schen Torsionstheorie des Humerus, so sehen wir, dass Radius und Ulna passiv und in paralleler Stellung um die Axe des Unterarmes gedreht werden , dass also der Radius nach erfolgter i68gradiger Drehung noch parallel der Ulna liegt. Soll nun die Pronation eintreten, so muss das distale Gelenkende einen abermaligen Bogen von 1 80 ^ um die Ulna beschreiben^). ') Vergl. Martins nouvelle comparaison etc. pag. 489. Martins sagt an dieser Stelle: Toutefois , si ä la rotation fixe de 180° due ä la torsion de l'humerus, nous ajoutons les 180" que le pouce decrit pendant le mouvement de pronation de l'avant-bras, nous trouvons que dans la transformation organique du membre posterieur en membre anteriur, l'apophyse stylokle du radius a decrit une circonference tout entiJ;re. - 33 Wir sehen also, dass nach der MARTiNS-GEGENBAUR'schen Ansicht die durch die Pronation erfolgte Kreuzung" der antibrachialen Skeletstücke als späterer Zustand lufgefasst werden muss. Die parallele Lage des Radius und der Ulna, wie wir sie jei der supinirten Hand finden, wäre demnach zufolge der MARTiNs-GEciENüAUk'schen rheorie die frühere. Dieses widerspricht aber der Einsicht, die wir über diese Ver- lältnisse in der Reihe der Amphipneumonen gewonnen haben. In der Reihe der iVirbelthiere geht eben die orekreuzte Stellunof der Unterarmknochen der endlichen o o o parallelen voran. Es ist dies ein neuer Beweis gegen die Martins - GEGENBAUR sche Forsionstheorie des Humerus. Wir wollen nun, wieder der Einfachheit halber, an einer menschlichen vorderen reien Gliedmasse, die radio-prae-axiale Rückverschiebung des Radius und der Ulna wnehmen. Der Humerus bleibt hierbei unverändert. Wir brinoen also den Radius ind die Ulna zunächst in das Stadium III a, das heisst in das Stadium der Kreuzung, lierauf in das Stadium II, das Stadium der halben Kreuzuno^, und endlich in das 5tadium I. das Stadium des radio -internen Parallelismus. Betrachten wir nunmehr, vas mit den hauptsächlichsten Weichtheilen bei dieser radio-prse-axialen Rückverschie- )ung der Unterarmknochen vorgegangen ist, wie wir oben die Veränderungen in ler gegenseitigen Lage der Weichtheile bei der radio -post- axialen Retorsion des "iumerus ins Auge fassten. Der ganze M. flexor antibrachii biceps bleibt bei dieser adio-prae-axialen Rückverschiebung der Unterarmknochen vor der Axe des Humerus ind des Antibrachium ; der M. extensor antibrachii triceps hingegen bleibt hinter der Vxe. Der Unterschied ist nur, dass während vor der Rückverschiebung die Radial- ehne des Biceps sich aussen, die Cubitalsehne des Triceps hingegen sich innen be- and, nach der Rückverschiebung das umgekehrte Verhältniss eingetreten ist. Die \. und V. brachialis orelancren nach auso^eführter Rückverschiebuncr von der )rseaxialen Seite der Oberarmes auf die postaxiale des Unterarmes, genau wie lie A. und V. femoralis sich von der prteaxialen Seite des Oberschenkels auf lie postaxiale des Unterschenkels schlagen. Auf dieselbe W^eise gelangen der N. nedianus und der N. ulnaris von der prreaxialen Seite des Humerus auf die postaxiale les Unterarmes. Kurz, wenn man den nunmehr rückverschobenen Unterarm und die lurch diesen Vorgang bedingten Veränderungen mit den an der hinteren Extremität inverändert gebliebenen Zuständen in einen Vergleich zieht, so sieht man (bis auf den ^. radialis, auf den wir gleich zu sprechen kommen werden) , ein beinahe vollständig deiches Verhalten der vorderen und hinteren Extremität. Die folo-ende Fiorur soll > o o lies verdeutlichen. Man sieht wieder vordere und hintere freie Gliedmasse in ihrem leutigen Zustande, dazwischen das durch die Rückverschiebung der Unterarmknochen 5 34 restituirte primitive Armskelet, welches mit dem unverändert gebliebenen Skelet der hinteren Extremität übereinstimmt. Wie man in der zweiten Figur sieht, hat bei der radio-prae-axialen Rückver- schiebung die Radialsehne des M. flexor brachii biceps etwas um den Knochen herum- gegriffen, und sich so an den Radius gesetzt, wie sich noch heute die Radialsehne des M. sterno radialis bei Anuren an den Radius heftet. Ansicht der raclio-prae-axialen V^erschiebung der antibrachialen Skeletstücke. Vor der Rückverschiebung. Nach der Riickverschiebung. 35 Es fällt uns jedoch beim aufmerksamen Betrachten dieser Fig-uren alsbald eine Thatsache auf, die von grosser Wichtigkeit ist. Vergleichen wir nämlich 11 und III, denn diese müssen wir vergleichen, so sehen wir, dass der pra;axiale Muskel der vorderen Extremität vorne von der Scapula herabläuft, um sich mit seiner Endsehne an den innen liegenden Radius zu setzen. So sehen wir, dass der praeaxiale Muskel der hinteren Extremität vorne von dem der Scapula homologen Os ilium herabläuft, um sich mit seiner Endsehne an die dem Radius entsprechende, innen liegende Tibia zu setzen. Somit sind diese Muskeln homolog. Somit ist also der M. flexor anti- brachii biceps das Homologon des M. extensor cruris quadriceps So sehen wir zweitens, dass der postaxiale Muskel der vorderen Extremität hinten von dem Schulter- ijLirtel herabläuft, um sich mit seiner Endsehne an die aussen lieoende Ulna zu setzen. So sehen wir, dass der postaxiale Muskel der hinteren Extremität hinten von dem ßeckengürtel heral)läutt, um sich mit seiner Endsehne an die der Ulna entsprechende aussen liegende bibula zu setzen. Somit sind auch diese Muskeln homoloo-. Somit ist also der M. extensor antibrachii triceps das Homologon des M. flexor cruris biceps^). Um diese Verhältnisse ganz klar zu machen, will ich die GEGENBAURschen Schemata über die Verschiedenartigkeit in der Extremitätenstellung der xVmphirrhinen wieder- geben, zugleich ein fünftes .Schema den Menschen betreffend hinzufügen, in den vier letzten aber ausserdem noch Radius und Ulna, Tibia und Fibula dadurch andeuten, dass Radius und Tibia mit starkem -Striche, Ulna und b'ibula mit feinem .Striche i>e- rissen werden. Zugleich zeigen sämmtliche 5 Schemata zusammen den allmählichen Fortschritt in der V^erschiebung der antibrachialen .Skeletstücke und das homologe Verhalten der pneaxialen und postaxialen Muskeln beider Gliedmassen. Von den Amphibien an l)emerkt man, dass der Winkel zwischen Oberarm und Unterarm unverändert nach \orne often bleibt, während der Winkel zwischen Ober- schenkel und Unterschenkel durch Anpassung" an die hauptsächlich stützende Function der hinteren Extremität seinen .Scheitel nach vorne, seine Oeffnung nach hinten erhält. Die einzelnen Schemata stellen folgende Thiere vor: A. Fisch. B. x^mphibium. C. Reptilium. D. Löwe. E. Mensch. ') Dass ilicscj keine vollständige, sondern nur eine theihveise Homologie ist, indem der M. Ilexor antibrachii biceps -)- M. Ilexor antiljrachii brachialis anticus dem M. sartorius -j- M. extensor cruris quadriccps entspricht, werden wir später sehen. Der Einfachheit wegen sind hier nocli die gleich ins Auge fallenden partiellen Homologien gesetzt. ^) Dass auch dieses keine vollständige, sondern eine theilweisc Homologie ist, wird sjiäter gezeigt werden. Der M. extensor antibrachii triceps entspricht nämlich in totaler Homologie dem M. Ilexor cruris biceps — |— M. semitendinosus — |- M. semimembranosus. 3 Wir müssen uns jedoch zu unserem Vergleiche der V^erhältnisse zurück- wenden, welche uns einerseits an dem nach Martins und Gegenbaur retorquirten Humerus, andererseits an den von uns zurückverschobenen Skelettheilen des Unter- armes für die vordere freie Gliedmasse entgegentraten. Wir sahen nämlich schon am Anfange dieser unserer Voruntersuchung, dass durch die nach der Martins-Gegen- i'.AiR'schen Theorie aussfeführten Retorsion des Humerus zwar der N. radialis und 37 die ihn begleitenden Organe retorquirl. dagegen aber die Muskeln, die A. und \\ brachialis, der N. niedianus und der N. ulnaris in die widersprechendsten Lagen ge- bracht werden. Andrerseits haben wir gesehen, dass die radio-pne-axiale Rück\'er- schiebung des Radius und der Ulna erstens phylogenetisch gerechtfertigt ist. und dass durch sie zweitens die vordere Gliedmasse in jeder wichtigeren Hinsicht mit schein- l:)arer Ausnahme des N. radialis auf den ursprünglichen Zustand der unverändert ge- bliebenen hinteren Extremität reducirt wird. Wir ^vollen somit den X. radialis \on diesem Standpuncte aus ins Auge fassen. Wir sahen also, dass die Spirale, welche der N. radialis um dem Humerus schlägt sammt der Linea aspera chirch die radio- l^ost-axiale Retorsion des Humerus abgewickelt wurde. Wir wollen nunmehr auch die Veränderungen betrachten, welche durch die radio - pn-e - axiale Rückverschiebung der antibrachialen SkelettheiU; in den Lagerungsbeziehungen des N. radialis eintreten. Schieben wir also im radio-pr:e-axialen Sinne die Unterarmknochen um einander zu- rück, nachdem wir vorher die LIand in Pronation gebracht haben, und legen auf diese Weise den umgekehrten Weg zurück , welchen die Entwicklung phylogenetisch einsT^eschlaofen, so bemerken wir folcfendes: Im Stadium III b, dem .Stadium des radio- externen Parallelismus schlägt der N. radialis, das heisst selbstverständlich sein am proximalen Theile des Unterarmes die A. radialis begleitender Ast, eine Spirale von 180"') um die Längsaxc der vorderen freien Gliedmasse. Im Stadium der Semisupi- nation schon beträgt diese Spirale 270 im .Stadium III a, dem .Stadium der Kreuzung, 360**. Durch die i Sogradige Verschiebung, welche nun vom Stadium III a bis zum Stadium I das proximale .Stück des Radius erleidet, wird die Radialspirale um die Längsaxe der vorderen freien Gliedmasse in Bezug auf ihren Bogenwerth nicht mehr verändert. Nach ausgeführter radio-pra^-axialer Rückverschiebung der antibrachialen .Skeletstücke also beschreibt der N. radialis eine Spirale von 360 ° um die Längsaxe tler vorder(;n freien Gliedmasse. Die folgende Zeichnung soll diese Verhältnisse dar- thun. No. I ist die unverändert gelassene \'ordere freie Gliedmasse, No. 2 die nach der Mar i iNS- Gegknuai R schen Theorie retor(|uirte , No. 3 die nach unserer Ansicht zurüchverschobene vordere PLxtremität. No. 4 die den [primitiven Zustand vorstellende unverändert (jebliebene hintere Extremität. ') Diese Ziihl yielil ie .ille aul' ilie Spirale des X. riuliali-, Ije/iiyliclieii Z.ililen nur einen ainijhcrndcn, nie einen absolulen ^\'e^^ll, 38 Verhalten des N. radialis und des N. flbularis. unvcriindcrt gtlasscne nach Martins-Gegenüaur nach unserer Ansicht HilltCl'-KxtrcmitÜt. retorquirtc riickxerschobcnc Vorder-Extrcniität. Als ich diese Untersuchung zuerst anstellte , machte mich diese seltsame 36ogradige Spirale, welche cier N. radialis nach der Riickverschiebung um die Längs- axe der vorderen Extremität beschreibt, an der Richtigkeit meines Vorgehens zwei- ein. Allerdings waren durch eben diese radio-pras-axiale Riickverschiebung, wie 39 wir gesehen haben, die sämmtlichen wichtigeren Organe des Humerus und des proxi- malen Antibrachiums in genau homologe Stellung zu dem primitiven V^erhalten der hinteren freien Gliedmasse gebracht. Allerdings beschreibt ja der N. radialis noch heute beim Menschen im Stadium der Pronation eine Spirale von 360 um die Längsaxe der Vorder-Extremität. Dieses war mir jedoch nicht genügend. Ich unter- suchte daher auf das Eingehendste die Lagerungsbeziehungen des N. radialis bei einer Wirbelthierclasse, von der ich annehmen durfte, dass sie den primitiven Extre- mitäten-Verhältnissen der Ichthyosaurier näher ständen, als irgend eine andere jetzt lebende Wirbelthierclasse. Ich untersuchte somit verschiedene Amphibien und fand zu meinem Erstaunen, dass der N. radialis bei diesen Thieren in der That eine Spirale von ungefähr 270 um die Längsaxe der vorderen freien Gliedmasse be- schreibt ^). Diese ungefähr a/Ogradige Spirale des N. radialis entspricht der un- gefähr 90gracligen Verschiebung der L^nterarmknochen. welche sich eben im .Stadium II. dem Stadium der hallten Kreuzung befinden, und wir erhalten somit den wichtigen .Satz, dass der Bogenwerth der radio-pr^e-axialen Verschiebung der Unterarmknochen und der Bogenwerth der Radialnervenspirale um die Längsaxe der Vorderextremität sich gegenseitig zu 360 " ergänzen. Oder kürzer die algebraische Summe aus den .Sinus des Verschiebungsbogens und des Radialnervenljogens ist o. Die Martins- GEGKNiJAUR sche Theorie der Torsion des Humerus hino-eg"en verlancjt in den früheren phylo- und ontogenetischen Entwickelungsstufen für den N. radialis einen weniger aufgewickelten Zustand, proportional der geringeren Torsion des Mumerus. Da nun beim Frosche z. B. eine geringere Torsion des Humerus sein soll als beim Menschen, so hätte auch die Radialnervenspirale eine geringere, d. h. unter 168 sein müssen. Statt dessen finden wir beim Frosche eine solche von ungefähr 270 während ^\ ir eine unter 90 " (denn der Torsionswinkel der Reptilien ist nach Gecknuaur 90 hätten erwarten sollen. Es ist dies ein neuer Beweis QreSfen die MARriNS-CTp:GEN- üAURsche Theorie von der Torsion des Humerus. .Somit wäre also der letzte Anstoss für die radio -pra;- axiale Verschiebungsan- sicht der antibrachialen Skelettheile hinweg geräumt. Es veranlasst uns jedoch diese auf den ersten Anblick paradoxe , bei näherer Untersuchung phjlogenetisch gerecht- fertigte .Spirale des N. radialis einen .Schritt weiter zu thun. Der X. radialis im zu- rückvcrschobencn Zustande der linterarmknochen, dem Zustande also, der dem primi- tiven Verhalten der hinteren Extremität entspricht, hat anscheinend kein Homologon an der hinteren Extremität. Denn auf den ersten Blick oresehen, schlinget sich kein ') Der X'. radialis schlagt sich liekanntlich liald wieder auf die t)orsalscitc des Unteraiiiies /urück. Die Spirale wird also immer nur Iii-; auf die Stelle 711 rcehuen sein, wn der X. radialis die A. radialis verlässt. 40 . , Nerv an der hinteren freien Gliedmasse postaxial von innen nach aussen herum, um prseaxial wieder von aussen nach innen zu gelangen. Verfolgt man aber den N. ischiadicus. so bemerkt man, dass derselbe , bald nachdem er etwas über der Mitte des Oberschenkels den Muskelast für den kurzen Kopf des M. flexor cruris biceps abgegeben, in zwei Zweige zerfällt, nämlich in einen Innern, den N. popliteus internus oder tibialis , und in einen äusseren, den N. popliteus externus oder fibularis. Dieser N. fibularis nun gelangt an der postaxialen Seite der hinteren Extremität weiter bis hinter das Capitulum fibulae, und spaltet sich hier abermals in zwei Zweige, in einen oberflächlichen, den N. peroneus superficialis, und in einen tiefen, den N. peroneus profundus. Diese beiden Zweige des N. fibularis schlagen sich um das Capitulum fibulae herum auf die prjeaxiale Seite des Unterschenkels und laufen in der Richtung von aussen nach innen gegen den Fuss zu. Beide Zweige spalten sich in ihrem Ver- laufe über die praeaxiale .Seite des Unterschenkels abermals in einen Ramus internus und in einen Ramus externus. Der Ramus internus des N. peroneus superficialis, gewöhnlich als N. cutaneus dorsi pedis internus bezeichnet, läuft aber mit seinem innersten Aste an der Tibialseite des Hallux entlang und hat somit von seinem Aus- gangspuncte im N. ischiadicus eine .Spirale von 360 ^ um die hintere freie Gliedmasse beschrieben. Ich stehe daher nicht an, den N. fibularis oder popliteus externus oder peroneus als das Homologon des N. radialis zu erklären. Dass die Ablösung der zum N. fibularis und der zum N. tibialis gehörigen Fasern distaler erfolgt als der Zerfall des Plexus brachialis in seine Hauptäste, den N. radialis, den N, medianus und den N. ulnaris ist keine unüberwindliche Schwierigkeit. Die versorgten Nervenbezirke sprechen mehr für die Homologie der an der vorderen und hinteren Extremität ge- legenen Nerven als die secundäre Erscheinung der früheren oder späteren Trennung von Nervengruppen, die schon in dem Hauptstamme enthalten sind. Eine eingehende Arbeit über die vergleichende Nervenkunde der vorderen und hinteren Extremität, die ich hier nur den allgemeinen Resultaten nach mittheilen will, hat mich auf die folgenden ferneren Homologien der Hauptnervenstämme in der vorderen und hinteren Extremität geführt. Zum Zwecke der besseren Uebersicht gebe ich eine kleine ver- gleichende Tabelle in der Art, wie sie Gegenbaür für die homologen Skeletstücke der vorderen und hinteren Extremität und andererseits für die Skelet- und Nerven- metamerie des Kopfes entworfen hat. Somit erscheinen uns folgende Nerven der vorderen und hinteren Gliedmassen homolog. 6 Vergleichende Tabelle der Hauptnervenstämme an der vorderen und hinteren freien Gliedmasse. Vordere oder craniale Gliedmasse. Hintere oder caudale Gliedmasse, N. medianus N. plantaris internus ') N. ulnaris , . , N. plantaris externus -) N. radialis N. popliteus internus. N. popliteus e.xternus. ") j N. ischiadicus. Rami niusculares N. axillaris )^ N. glutaeus llTfSnbr. N, cutaneus fenioris posterior. I N. cutaneus bracliii posterior . Nn. supraclaviculares N. cutaneus femoris anterior externus. N. cutaneus brachii nterior medius N. cutaneus brachii anterior internus N. perforans Casseri ^ Ramus externus Ramus internus N, cruralis. N. obturatorius. ') Mit Hinzuziehung der zu ihm gehörenden Muskeläste am Unterschenkel. ■ » .... . , für M ■ (lexor cruris biceps, M. samitendinosus und M. semimembranosus. 41 Eine kleine Zeichnuni; wird das \ erhältniss der 1 iaiiptner\ enstäniinc zu ein- ander besser veranschaulichen. Man sieht di(; nach radio-prce-axialer Rück\ erschiebunL; hergestellte ursprüngliche vordere und die im ursprünglichen Zustande verharrende hintere freie Gliedniasse. Vergleichende Nerventafel der hinteren und xorderen freien Gliedmasse. 6 1 _42 Den allgemeinen -Eindruck, den wir erhalten, wenn wir die vorhergehende Tabelle betrachten, ist, dass die Nerven der hinteren Extremität länger zu einem ge- meinschaftlichen Nervenstamme vereinigt bleiben, als die der vorderen, ein Factum, das sich auf die in der ganzen Amphipneumonen-Reihe fast gleichbleibende V erwendung der hinteren Extremität im Gegensatz zur auf das Höchste wechselnden Verwendung der vorderen Extremität zurückführen lässt. Ein ähnliches Zerfallen ursprünglich einem Stamme angehöriger Nervengebilde treffen wir in der phylogenetischen Entwickelung der Augenmuskelnerven, namentlich des N. oculomotorius und des N. abducens, welche sammt dem N. trochlearis ursprünglich der Trigeminusgruppe angehören. (Gegenbaur.) So werden z. B. Oculomotorius und Abducens bei Petromyzon theil- weise, bei Lepiclosiren vollständig durch Aeste des Trigeminus vorgestellt. Wir haben uns injietreff der Martins- GEC.ENüAUR'schen Torsionstheorie des Humerus und unserer Ansicht über die Verschiebung der antibrachialen Skeletstücke noch eine Frage vorzulegen. Die Frage ist: Was ist das torquirende oder ver- schiebende Moment in der Reihe der Wirbelthiere gewesen - W^ir beginnen mit der MARTiNS-Gi'.(;ENr.AUR'schen Torsionstheorie des Humerus. Was also ist das torquirende Moment gewesen, welches bei festliegendem Kopfe den Oberarmknochen um i68 ° torquirte : Die Anpassung nämlich müsste beim er- wachsenen Thiere, dessen Skelettheile schon verknöchert, durch k^unctionsdifferenci- rung- entstanden sein. W'o also ist die Torsionskraft, welche , w vnu wir sie mit F be- zeichnen, d^m Torsionswinkel, den wir w nennen wollen, direct proportional ist. Für den Torsionswinkel haben wir aber, da die Torsionswinkel bei gleichen Kräften und gleichen Dimensionen an verschiedenen Substanzen verschieden ausfallen, den Werth I F. 1 w ^. . wenn der Torsionscoefficient, 1 die Länge, r der Radius des torquirten Stabes ist. Mithin ist F ^ w . T Wo ist nun diese ung^eheure Kraft? Gegenbaur saut: Diese Kraft sei in dem Wachsthum der dia-epiphysen Knorpel zu suchen. ^) Wie das Wachsthum dieser Knorpel aber auch in millionen und aber millionen Jahren eine fast iSogradige Tor- sion eines langen Knochens bei festliegendem Kopfe hervorbringen kann, ist mir ganz undenkbar. Aber gesetzt auch diese Knorpel drängten durch ihr einseitig stärkeres Wachsthum einen solchen Knochen wie den Humerus um sich selbst herum (obgleich ') ^'^gl- Jenaisclic Zeitschrift IV, 60. 43 dies noch lanc^e keine Torsion wäre, denn die Torsion soll auch nach der Martins- Gegenbai Rschen Theorie den ganzen Knochen betreffen , wie die Linea aspera an- zeigt) aber wie gesagt alles dieses zugegeben, wesshalb wachsen die dia -epiphysen Knorpel, um grade in dieser Richtung eine Torsion hervorzubringen, wesshalb nicht in der entgegengesetzten, wesshalb nicht ohne überhaupt eine Torsion zu erzeugen? Hierauf finde ich keine Antwort verzeichnet. Und ich wüsste mir auch keine auf diese Frage zu geben. Betrachten wir dagegen die radio-prae- axiale Ansicht von der Verschiebung der Unterarmknochen, so lässt sich hier allerdings das verschiebende Moment in der Reihe der Wirbelthiere nachweisen, ja es lässt sich sogar nachweisen, wesshalb in der hinteren Extremität keine homologe Verschiebung der Tibia und der Fibula Statt gefunden hat. Bei den Enaliosauriern nämlich sind beide Extremitäten, vordere und hintere, noch vollkommen gleich, da sie noch vollkommen gleiche Function haben. Die Stammväter der heutigen Amphibien aber kamen ans Land, neue Functionen traten an die Gliedmassen heran, und dass diese nicht für vordere und hintere Ex- tremität die gleichen waren, werden wir gleich sehen. Die hintere Extremität nämlich musste hauptsächlich den Körper, der sich noch wenig über den Boden erhoben hatte, auf dem Boden fortschieben, die praeaxialen Oberschenkelmuskeln oder physio- logisch ausgedrückt die Extensoren des Unterschenkels und die postaxialen Unter- schenkelmuskeln, das heisst die Beuger des Fusses mussten das Uebergewicht ge- winnen. Die vordere Gliedmasse diente zwar auch zur Fortbewegung auf dem Erd- boden, aber in geringerem Masse und die Richtung controlirend, in welcher die hinteren Gliedmassen den Körper vorwärts schoben. Der Hauptzweck der vorderen Glied- massen war das Ergreifen und das Festhalten der Beute, hierzu aber wurden die postaxialen Oberarmmuskeln oder physiologisch ausgedrückt die Extensoren des Unter- armes und die postaxialen Unterarmmuskeln, d. h. die Beuger der Hand hauptsächlich verwendet, und so mussten auch diese das Uebergewicht gewinnen. Während also an den Antibrachial- und Cruralmuskeln das gleiche Verhältniss blieb, zeigte sich, dass am Oberarm und Oberschenkel ein entgegengesetztes Verhalten auftrat, indem am Oberarm die postaxialen , am Oberschenkel die praeaxialen Muskeln das Ueber- gewicht gewannen. Um aber die gewaltige Kraft dieser stärker entwickelten Muskeln zu reguliren, ja in gewisser Weise noch zu heben, sehen wir leicht zu erklärende Hemmungsvorrichtungen gerade an diesen Muskeln auftreten. Durch die stärkere Reibung der distalen Endsehne an der Gelenkkapsel, welche sie passirt, veranlasst, sehen wir ferner gerade zwischen den Endsehnen dieser Muskeln und der Gelenk- kapsel faserige, knorplige oder knöcherne Scheiben eingesetzt. So zeigen schon viele Anuren eine faserige Scheibe zwischen der distalen Sehne des M. extensor antibrachii 6» 44 triceps und der Gelenkkapsel über dem wohlentwickelten Olecranon, die sogenannte Patella brachialis. So sehen wir ferner bei den Reptilien eine solche zwischen die Tibialsehne des M. extensor cruris quadriceps und die Kniegelenkskapsel eingefügte Knorpel- oder Knochenscheibe, die Patella femoralis oder kurzweg die Patella auf- treten. Nun ist es aber klar, dass ein jeder Muskel bei der Contraction das Be- streben hat, seine Anheftungspuncte einander zu nähern. Da das Punctum mobile hierbei den geringeren Widerstand leistet, so wird der Weg, den es zurücklegt, um so viel grösser sein, im Gegensatz zum Punctum fixum, an dem der zu überwindende Wider- stand grösser ist, der zurückgelegte Weg um so viel kleiner. Prävalirt nun ein Muskel über seine Antagonisten, sind seine Zusammenziehungen kräftiger als die seiner Antagonisten, so wird sich im Laufe der Zeit ganz allmählich das Bestreben geltend machen, den hauptsächlich als Punctum mobile verwendeten Skelettheil gegen den als Punctum fixum zu betrachtenden zu nähern. Es wird also die Ulna, das Punctum mobile des überwiegenden post-axialen Oberarmmuskels allmählig nach hinten gezogen werden. Und ebenso wird die Tibia, das Punctum mobile des überwiegenden praeaxialen Oberschenkelmuskels allmählich nach vorne gezogen werden. Die hintere Gliedmasse bleibt bei den übrigen Amnioten auf dieser Stufe stehen, die Tibia etwas nach vorn, die Fibula etwas nach hinten, im Einklänge mit ihrer bleibenden Ver- werthung für das Thier. Sie dient von den Reptilien bis zum Menschen als haupt- sächlichstes Stütz- und Sprungorgan des Körpers, nur bei den Vögeln und Fleder- mäusen kommt sie beim Fliegen oder Flattern aus dieser Function. Die vordere Extremität hingegen geht bis zum Menschen den differencirtesten Verhältnissen entgegen. Wir sahen, dass die Ulna durch den continuirlichen Zug des überwiegenden post- axialen Oberarmmuskels allmählich nach hinten gezogen wurde. Auf diese Weise kam der Radius wesentlich nach vorn und zwar hauptsächlich das proximale Ende desselben, da das distale der nothwendig pronirten Stellung der Hand wegen innen bleiben musste. Bei den Säuge thieren ist endlich durch den unausgesetzten Zug, den von Geschlecht zu Geschlecht der überwiegende postaxiale Oberarmmuskel aus- übt, die Ulna nach hinten und innen, das proximale Ende des Radius nach vorne und aussen gerückt. Bei den weiter entwickelten Säugethieren tritt nun eine neue Differencirung ein. Die vordere Gliedmasse verliert ihre Bedeutung als Stützorgan immer mehr und mehr, sie wird allmählich lediglich zum Greiforgan. Diesen letzten Zustand finden wir bei den schwanzlosen Catarrhinen , bei denen die vordere Extre- mität nur noch in der Jugend als Stützorgan dient. Und wie konnte dieser Zustand entstehen? Die Supination entstand durch das Ueberwiegen und den überwiegenden Gebrauch der sogenannten Supinatoren. Um sich von Ast zu Ast schwingen zu können, bedurften die betreffenden Thiere der vollständigen Beweglichkeit des distalen 45 Radiusstückes um den Processus styloideus ulnae. So ist der Zustand des radio- externen Parallelismus der Unterarmknochen entstanden, den wir beim Menschen, der am geschicktesten seine Hand zu verwerthen weiss, bewundern. Die beiden Causal- momente in der Ansicht der radio-prse-axialen Verschiebung- der Skelettheile des Anti- brachium bilden also i . — die Rück- und Einwärtsziehung der Ulna durch den über- wiegenden Gebrauch des postaxialen Oberarmmuskels und 2. — die Auswärtsrollung des Radius durch den überwiegenden Gebrauch der Supinatoren. Die Verschiebung der Unterarmknochen an einander bedarf aber keiner solch' immensen Energie, wie eine Torsion des Humerus um seine Längsaxe bei festliegendem Caput chirurgicum sie verlangt. Die Kraft aber, welche durch das Ueberwiegen des post-axialen Ober- armmuskels seit der Steinkohlenperiode des palaeolithischen Zeitalters auf die Ulna gewirkt hat, ist wohl dem Producte des Widerstandes, welchen die Knochen der Verschiebung entgegensetzten, und dem allmählich zurückgelegten Wege gleich zu setzen. Jede Contraction des überwiegenden M. extensor antibrachii triceps, jeder Tatzenschlag hat die Ulna um einen wenn auch minimalen Theil aus ihrer ursprünglich äusseren Lage, wie wir sie bei den Enaliosauriern finden, rückwärts und einwärts gezogen, welche in der Reihe der Wirbelthiere nachgewiesene phylogenetische An- passung an die neue Eunction der Vorderextremität sich allmählich auf die Nach- kommen vererbt hat. So giebt die ontogenetische Entwickelung der Vorderextremität eine kurze Recapitulation der zahllosen Vorgänge , welche die phylogenetische Ent- wickelung derselben bestimmten. ^) Wir müssen noch ein Wort über die physiolo- gische Bezeichnung der Oberarm- und Oberschenkelmuskel hinzufügen. So wird nämlich der pra^axiale Oberarmmuskel M. flexor antibrachii biceps, der pneaxiale Oberschenkelmuskel M. extensor cruris quadriceps genannt. Diese physiologischen Bezeichnungen dürfen keinen Einfluss auf die vergleichende Anatomie ausüben. Denn die vergleichende Anatomie ist eine vergleichende Lehre der anatomisch gleich- werthigen, das heisst der homologen Gebilde. Der M. extensor antibrachii triceps und der M. extensor cruris quadriceps zum Beispiel sind keine anatomisch gleichwerthigen, wohl aber physiologisch gleichwerthige Organe. Die physiologische Gleichwerthig- keit bezeichnet man im Gegensatz zur anatomischen , welche den Namen Homologie trägt, nach dem Vorgange von Owen mit dem Namen der Analogie. So sind also der M. extensor antibrachii triceps und die P^lexoren des Unterschenkels homolog, der M. ') Die zwischen der pro.ximalcn und distalen Gelenkaxe des Ilumerus auftretenden Schwankungen, die aber das Ultimum von go " nie übersteigen, beruhen allerdings auf verschiedener Entwicklung der dia-epiphysen Knorpel und besonders auch der Gelenkknorpel. Dies ist beim Ilumerus wie bei allen anderen Röhrenknochen. Auf einer Torsion des ganzen Knochens aber beruhen diese Schwankungen nie, sondern eben nur auf der verschiedenen Entwickelung dieser Knor))el. 46 extensor antibrachii triceps und der M. extensor cruris quadriceps analog. Die ver- gleichende Anatomie also ist die vergleichende Lehre von den homologen, die ver- gleichende Physiologie die vergleichende Lehre von den analogen Organen des Organismenleibes. Ehe ich die phylogenetischen Verhältnisse der vorderen freien Gliedmasse in Betreff der Verschiebung der antibrachialen Skeletstücke verlasse, gebe ich eine kleine vergleichende Tafel über das Verhalten der Unterarmknochen bei einigen wich- tigen Repräsentanten der Amphipneumonengruppe. Die folgenden 8 Figuren stellen folgende vordere freie Gliedmassen vor. 1. - Brustflosse eines Selachiers nach Gegenbaur, Grundzüge etc. 2. Aufl. §201. 2. - Vordere freie Gliedmasse von Ichthyosaurus intermedius nach Huxley, ana- tomy of vertebrated animals 244. 3. - » » » » Plesiosaurus nach Huxley, ibidem. 210. 4. - » » » » Salamandra maculosa, nach Gegenbaur, Carpus und Tarsus, Tafel I. 5. - j » » » Crocodilus niloticus. 6. - » » » » Struthio camclus. 7. - » » » * Dasypus gymnurus. 8. - » » » » Capra hircus. 9. - » » » » Macacus. 10. - » '» » » Engeco troglodytes. ] 47 Um das ontogenetische Verhalten des Radius und der Ulna zu constatiren, habe ich mehrere Rinderembryonen untersucht, deren Alter zwischen die 8te und i2te Woche, mithin also in die Zeit fiel, in welcher die Verknöcherung der Anti- brachial-diaphysen statt findet. Und zu meinem Erstaunen fand ich, dass der Radius dieser Thiere in diesem relativ hohen Alter noch einwärts von der Ulna lag, aller- dings schon etwas nach vorne abgewichen. Die Ulna hingegen lag etwas nach hinten und bedeutend weiter nach aussen, als wir dies beim erwachsenen Rinde wahrnehmen. Auch liegen in diesen ersten Stadien die Unterarmknochen hart aneinander, woher wohl die Ansicht entstanden ist, dass ursprünglich beide Knochen nur eine Knorpel- masse bilden. So habe ich ferner bei älteren Embryonen einen schrittweisen Ueber- gang in das Stadium III nachweisen können, dem Stadium, in welchem die proximale Radiusepiphyse nach aussen von der Ulna gerückt ist, während die distale sich noch innen befindet. Diese schrittweise radio-prae-axiale Verschiebung der Unterarmknochen, welche somit auch ontogenetisch nachgewiesen werden kann, scheint mir im höchsten Grade gegen die radio-post-axiale Torsionstheorie des Humerus zu sprechen, welche für die embryonalen Winkelschwankungen die widersprechendsten Daten giebt. Dies letztere Factum scheint nur erklärlich, wenn man bedenkt, dass die Epiphysen des Humerus in jenen embryonalen Zuständen noch vollständig knorpelig sind. Bekanntlich treten beim Menschen erst im Laufe des ersten Jahres die Ossificationscentren der distalen, im Laufe des zweiten das Ossificationscentrum der proximalen Epiphyse des Humerus auf Auch muss ich bemerken, dass in embryonalen Stadien die Axe, welche man durch das distale Gelenkende des Humerus legt, mit der Axe des proximalen Gelenkes der Antibrachialknochen einen Winkel von solch' verschiedenem Werthe bildet, dass jch mich nicht getrauen würde, von den Axenschwankungen, die zwischen dem proxi- malen nnd distalen Ende des Humerus stattfinden , auch nur einen Schluss auf die Stellung des Unterarmes zu ziehen. Dies thut aber die Torsionstheorie des Humerus, indem sie den Unterarm passiv der distalen Humerusgelenkaxe folgen lässt. Wir schliessen hiermit die erste Voruntersuchung, welche wir anstellen mussten, um über den morphologischen Werth der Patella und ihres Homologon an der vorderen Ex- tremität eine nähere Einsicht zu erhalten. Diese Untersuchung über die Torsion des Humerus hat uns für diesen Zweck folgenden wichtigen Factor geliefert. Wir haben durch die radio-prae-axiale Verschiebung der Unterarmknochen die Homologie der Flexoren des Unterarmes mit den Extensoren des Unterschenkels, die Homologie der Extensoren des Unterarmes mit den Flexoren des Unterschenkels zu beweisen gesucht. Wir wenden uns zur zweiten Voruntersuchung, zur jjhylo- und ontogenetischen Entstehung der Patella. Die Anamnien zeigen keine Patellarbildung an der hinteren Extremität. Unter den Reptilien fehlt sie den Cheloniern, Crocodilinen, sowie selbst- 48 verständlicher Weise den Ophidiern , bei den Sauriern hingegen wird sie beobachtet. Veranus niloticus besitzt sogar zwei verknöcherte Patellen in der Tibialsehne des grossen Unterschenkelstreckers. Die Patella lös t sich bei den niederst organisirten Amnioten durchaus nicht von der Tibia oder Fibula ab, sie ist zu keiner Zeit eine Epi- oder Apophysenbildung der Unterschenkelknochen. Ueberdies sind bei Sauriern die proximalen Epiphysen der Tibia und Fibula wohl entwickelt. Die Patella entsteht eben an der Tibialsehne des M. extensor cruris quadriceps und zwar wahrscheinlich durch die continuirliche Reibung der Tibialsehne des benannten Muskels an der Kniegelenkkapsel. So entsteht zuerst in dem zwischen der Tibialsehne und der Kapsel liegenden Gewebe eine faserige Scheibe, wie wir eine solche supraanconaeale Scheibe schon bei einigen Anuren bemerkt haben, in diese Scheibe lagern sich Knorpelzellen ein, und die Verknöcherung erfolgt sodann. Solche zwischen einer Sehne und einer Gelenkkapsel sich bildenden Knochen kann man aber als wahre Sesambeine bezeichnen, im Gegensatze zu den Knochengebilden, welche innerhalb einer Sehne auftreten, die man als falsche hinstellen kann. Die Patella also tritt bei den Reptilien als wahres Sesambein auf. Auch bei den meisten Vögeln finden wir die Patella. Von ungewöhnlicher Grösse ist sie bei den Pinguinen, bei denen sie mit der Spina procnemialis tibiae articulirt und selbst von zwei Ossificationscentren aus ossificirt. Bei Colymbus existirt die Patella zusammen mit dem Processus epicne- mialis oder rotularis tibiae , obgleich dieser starke Tibialfortsatz für viele Vögel der alleinige distale Ansatzpunct des grossen Unterschenkelstreckers ist. Den meisten Gralla- toren, Tauben und Insessoren fehlt die Patella. Auch bei den Vögeln hat die Patella keinen genetischen Zusammenhang mit den Unterschenkelknochen , auch in dieser Wirbelthierclasse ist sie ein wahres Sesambein. (Owen.) Die Säugethiere besitzen zum grössten Theile, sei es eine knorpelige oder knöcherne Patella. Ausser Cetaceen und Sirenen fehlt sie einigen Marsupialien und den Chiropteren. So ist bei Phalan- gista und Dasyurus keine Patella vorhanden, sondern an der Stelle, an welcher sie zu suchen wäre, befindet sich etwas festeres Bindegewebe mit eingestreuten unregel- mässigen Ossificationscentren. Bei Petaurista, Lipurus, Phascolomys und Myrraecobius fehlt die Patella. Somit ist in der Reihe der Amnioten die Patella kein zu einem der Unterschenkelknochen in irgend einer (genetischen Beziehunof stehendes Skeletstück. Was die ontogenetische Entwickelung der Patella anbetrifft, so tritt dieselbe schon früh im knorpeligen Zustande zwischen der gemeinschafdichen Extensorensehne des Unterschenkels und der Kniegelenkkapsel auf. Ich habe sie bei einem ungefähr 9 Wochen alten Rinderfötus nachweisen können. Die Verknöcherung in ihr beginnt beim Menschen durchschnittlich am Ende des zweiten Jahres, doch ist der vollständig knorpelige Zustand derselben noch bis zum 7. Lebensjahre beobachtet worden. Sie 49 hängt zu keiner Zeit genetisch mit der Epiphysis proximalis der Tibia oder der Fi- bula zusammen. Für die Entstehung der Tibia und F"ibula ist übrigens noch folgendes zu bemerken. Das Ossificationscentrum der Diaphysis tibiae erscheint durchschnitdich in der 7. Woche, bald darauf das Ossificationscentrum der Diaphj'sis fibulae.- Das Erscheinen der Ossificationscentren in den Epiphysen dieser Knochen verhält sich jedoch different. Während das Ossificationscentrum der proximalen Tibiaepiphyse ungefähr zur Zeit der Geburt, das der distalen Tibiaepiphyse im zweiten Jahre auf- tritt, erscheint das Ossificationscentrum der distalen Fibulaepiphyse vor dem Ossifica- tionscentrum der proximalen. Es entsteht nämlich das erstere im Laufe des zweiten Jahres zusammen mit dem distalen Ossificationscentrum der Tibia, während das letztere nicht vor dem 3. oder 4. Jahre auftritt. Man hat aus diesem späteren Erscheinen des Ossificationscentrum der proximalen Fibulaepiphyse auf einen möglichen Zusammen- hang dieser Epiphyse mit der Patella schliessen wollen, doch scheint mir dieses keineswegs gerechtfertigt, obschon bei Radius und Ulna nicht dieses umgekehrte Verhalten in dem Auftreten der Ossificationscentren in den Epiphysen Statt findet. Es scheint mir dieser Vorgang, da die Patella lediglich als Sesamknorpel an der Sehne des grossen Unterschenkelstreckers entsteht, für noch gewagter, als die Hypo- these, dass der erste Finger an Hand und Fuss keinen Metacarpus resp. Metatarsus besitze, indem der Metacarpus I oder Metatarsus I eben die Phalanx prima sei, die direct ohne Vermittelung eines besonderen Metacarpus oder Metatarsus primus direct an dem Os multangulum malus resp. dem Os endocuneiforme articulire. ^) — Somit ist also die Patella phylogenetisch und ontogenetisch ein Sesamknorpel oder Sesambein zwischen dem Tendo communis extensorius cruris und der Gelenkkapsel des Kniegelenkes und hat zu keiner Zeit der phylo- oder ontogenetischen Entwicke- lung einen genetisehen Zusammenhang mit den Unterschenkelknochen. Wir hätten somit die beiden Voruntersuchungen beendet, welche wir anstellen mussten, um eine Kritik derjenigen Theorien üben zu können, welche über den mor- phologischen Werth der Patella und ihres Homologon an der vorderen Extremität aufgestellt sind. Wir wenden uns somit zu der Kritik derselben, können aber schon im Voraus folgende aus den beiden Voruntersuchungen gewonnenen Schlüsse ziehen, I . Da der M. extensor cruris quadriceps dem M. extensor antibrachii triceps nicht homolog ist, so kann auch kein an der Tibialsehne des M. extensor cruris quadriceps auftretendes Gebilde einem an der Ulnarsehne des M. extensor antibrachii triceps auftretendem Gebilde homolog sein. ') Ebensowenig kommt zu irgend einer Zeit eine Verschmelzung der proxi«ialen Crural-Epiphysen zur Erscheinung. Eine Thatsache, die also weder bewiesen ist, noch bewiesen werden kann , dient der MARTlNs'schen Theorie über die Consti- tuenten der proximalen Tibiaepiphyse zur (liundlage. 9 50 2. Die Patella ist keine losgelöste Epiphysenbildung der Tibia oder Fibula, sondern ein Sesamknorpel oder Sesambein an der Tibialsehne des M. extensor cruris quadriceps. Folglich ergiebt sich, dass die Patella weder einem Sesambeine in der Ulnar- sehne des M. extensor antibrachii triceps, noch der proximalen Ulnarepiphyse, welche zum Theil das Olecranon bildet, homolog sein kann. Wir sehen hieraus, dass die ganze erste Gruppe der 9 Patella-Theorien, welche die Patella zu einem abgelösten Knochentheile stempeln, als unrichtig fortfällt. Die zweite Gruppe, welche die Patella von vorne herein als Sesambein betrachtet, enthält möglicherweise unter den 3 sie repräsentirenden Theorien die richtige. Wir wenden uns jedoch zur Besprechung der einzelnen Theorien , da hie und da noch von den Autoren für ihre Ansicht fälschlich beigebrachte Gründe der besonderen Widerlegung bedürfen. Wir beginnen mit der ersten Gruppe , indem wir mit der ersten Theorie derselben den Anfang machen. 1. Die WiNSLow'sche Theorie. »Die Patella ist ein Theil der Tibia, die Tibia entspricht der Ulna, die Patella dem Olecranon.« Diese Theorie ist falsch, denn wie wir gesehen haben, ist die Patella kein Theil der Tibia, die Tibia ent- spricht nicht der Ulna , die Patella nicht dem Olecranon. Diese Theorie wurde im Jahre 1775 aufgestellt, 2. Die Theorie von Vico-d'AzvR. Die Patella ist ein Theil der Tibia, die Tibia entspricht der Ulna der entgegengesetzten Körperhälfte, die Patella dem Olecranon der entgegengesetzten Körperhälfte.« Diese Theorie ist falsch, denn wie wir gesehen haben, ist die Patella kein Theil der Tibia , die Tibia entspricht nicht der Ulna der entgegengesetzten Körperhälfte , die Patella nicht dem Olecranon der entgegengesetzten Körperhälfte. Es ist überhaupt schwer zu begreifen, wie solch' paradoxe Theorie entstehen konnte. Dennoch lässt sich ihr Entstehungsgrund zeigen, wofür ich die treffenden Worte von Charles Martins anführe. Dieser sagt: Vicq- d'AzYR ayant place le membre superieur dun squelette a cdt6 du membre inferieur correspondant, il vit que les deux cols, qui portent les tetes articulaires , etaient dirigds en sens inverse ; de lä l'idee malheureuse de comparer le membre infc^rieur droit au membre superieur gauche. Die Theorie von VicQ-d'AzvR ist im Jahre 1778 aufgestellt. 2) Gl vier hat sich derselben theilweise angeschlossen, doch gab er im Antagonismus gegen Etienne Geoffroy-Saint-Hilaire und die naturphilosophische ') Vgl- WiNSLOW, Exposition anatomique de la structure du -corps humain, tome I, pag. 285. ') Vgl. ViCQ-d'AzYR, Memoire sur les rapports qui se trouvent entre les usages et la structure des quatre extremit^s dans l'homme et dans les aniniaux, pag. 254. 51 Schule kaum die Berechtigung zu, Vergleichungen dieser Art anzustellen. ^) Im Jahre 1838 hat Frederic Blondin neue Beweise für die Theorie von Vicij-d'AzvR beigebracht. ^) Der Hauptbeweis unter diesen ist : Die Tibia ist der Ulna homolog, weil die Tibia sich distal mit dem Astragalus, die Ulna distal sich mit dem Os pyra midale verbindet, Astragalus und Pyramidale aber homologe Skelettheile sind. Wie wir aber schon gesehen haben, danken wir den grossartigen Untersuchungen Gegen- BAURS über den Carpus und Tarsus der Wirbelthiere, die endliche Feststellung der Homologien, die zwischen den carpalen und tarsalen Skeletstücken Statt finden. Es ist nämlich der Astragalus dem Scaphoid und dem Lunatum , das Triquetum oder Pyramidale hingegen dem Calcaneus homolog. Blondin also hat eine falsche Ho- molojjie durch eine falsche beweisen wollen. Am weitesten im Umo-ereimten ist BouRGERY gegangen, der für Antibrachium, Crus und Patella die Theorie aufstellte, die wir heute nach ihm und Cruveiliiier benennen, für Humerus und Femur aber die Vicij-dA/.VR'sche Theorie beibehielt. Nach Bourgery also entspricht der Humerus einer Körperhälfte, dem Femur der anderen Körperhälfte. Der proximale Theil des Radius dem proximalen Theil der F"ibula der gleichen Körperhälfte, der distale Theil des Radius dem distalen Theil der Tibia der gleichen Körperhälfte, der proximale Theil der Ulna deni proximalen Theil der Tibia der gleichen Körperhälfte, der distale Theil der Ulna dem distalen Theile der Fibula der gleichen Körperhälfte, die Patella dem Olecranon der gleichen Körperhälfte. Flourens hat 1838 die Theorie von Vicij-d'AzYR widerlegt. Dennoch vertrat sie Ciiauveau im Jahre 1857 aufs Neue."') 3. Die Theorie von Bourgery und Cruveiliiier. »Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Tibia entspricht in ihrem proximalen Theile der Ulna, in ihrem distalen dem Radius. Die Patella entspricht dem Olecranon.« Diese Theorie ist falsch, denn wie wir gesehen haben, ist die Patella kein Theil der Tibia, ent- spricht die Tibia in ihrem proximalen Theile nicht der Ulna, die Patella nicht dem Olecranon. Diese Theorie ist von Seiten Bourgery's im Jahre 1832''') aufgestellt, im Jahre 1843 von Cruveiliiier') so wesentlich \erbessert, dass die Theorie den Namen beider Anatomen tragen muss. Der Hauptunterschied in beider Ansichten liegt ') Vergl. CuviER, Legons d'anatomie comparee, seconde edition, tome l, pag. 343. ^) Vergl. Blonuin, nouveaux elements d'anatomie descriptive, tome I, pag. 202. ■*) Vergl. Bourgery, Traite complet de l'anatomic^le l'liomnic, tome I, pag 133. 0 Vergl. Fl.ouRENS , nouvelles obscrvations sur le parallele des extremites dans l'homme et les quadrup^^des. Annales des sciences naturelles, tome X, [lag. 35. ^) Vergl. Chauveau, Traitc d'anatomie comparee des .inimaux domestiques, pag. 103. '') Vergl. Bourgery 1. c. ') Vergl. Cruveilhier, anatomie descriptive, tome I., pag. 339. 7* 52 in der für die Patella irrelevanten Homologie des Femur. Nach Bourgery ist, wie wir schon bei Besprechung der ViCQ-d'AzvR'schen Theorie gesehen haben, das Femur einer Seite dem Humerus der anderen Seite homolog, während Cruveiliiier das Femur einer Seite dem Humerus der gleichen Körperhälfte homolog setzt. Eine der Bour- GERY-CRUVEiLHiER'schen ähnliche Theorie hat man später auch bei Meckel finden wollen. Sie hat verschiedene für die Patella unwichtige Modificationen. Die Bour- GERV-CRUVEiLHiER'sche Thcoric übrigens hat man kurzweg la theorie du croisement ^) genannt. 4. Die Theorie von Auzi as-Turenne. ?> Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Tibia entspricht in ihrem proximalen Theile der Ulna der entgegenge- setzten Körperhälfte, in ihrem distalen dem Radius der entgegengesetzten Körper- hälfte, die Patella dem Olecranon der entgegengesetzten Körperhälfte.« Diese Theorie ist falsch, denn wie wir gesehen haben, ist die Patella kein Theil der Tibia, ent- spricht die Tibia keinem Skeletstücke der entgegengesetzten Körperhälfte, noch die Patella einem solchen. Diese Theorie, ^) welche I hypothese du Vicy-cI'Azyr combinee avec Celle du croisement« nach dem MARTiNs'schea Ausdrucke ist, ^) wurde im Jahre 1846 aufgestellt und hat keinen Nachfolger gefunden. 5 Die Theorie von Martins. »Die Patella ist ein Theil der Tibia. Die Epiphysis proximalis tibiae ist verschmolzen aus den ursprünglichen proximalen Epiphysen der P"ibula und Tibia. Dem äusseren Theile derselben, welches von der Fibula ursprünglich herstammt, gehört die Patella an, welche dem Olecranon entspricht. « Diese Theorie ist falsch, denn wie wir gesehen haben, ist die proximale Epiphyse der Tibia nicht aus den ursprünglichen proximalen Epiphysen der Fibula und Tibia verschmolzen, gehört die Patella keinem der Unterschenkelknochen phylo- oder onto- genetisch an, noch ist sie das Flomologon des Olecranon. Diese Theorie, welche den Uebergang bildet von den vorhergehenden Theorien, in denen die Tibia als Aus- gangspunct der Patella betrachtet wurde, zu der de BLAiNviLLE-GERDv'schen Theorie, welche die Fibula als Ausgangspunct derselben ansieht, ist im Jahre 1857'') aufge- stellt. Diese Theorie ist so augenscheinlich falsch, indem sie die verschiedensten Facta aus der Entvvickelung.sgeschichte auf das Bestimmteste als geschehen anführt, während dieselben nie in der Entwickelung Statt gefunden. Literessant ist es nur, ') Vergl. Martins 1. c. p. 478. '} Vergl. AuziAS-TiiRF.NNE , Sur les analogies des menibres supei ieiirs avec les inferieurs. Comptes rendus de l'aca demie des Sciences de Paris, (ome XXIII, pag. 1148. Vergl. Martjns, 1. c. 479. Vergl. Martins, 1. c. 53 wie nach einmal vorgefasster Ansicht alles einer solchen Theorie noch so Wider- sprechende in den Rahmen derselben hineingezwängt wird. So wäre das eine Factum, dass bei Ornithodelphen und verschiedenen Didelphen neben einer Patella auch ein Peronecranon vorkommt, hinreichend genug, die MARTiNs'sche Theorie zu widerlegen. Denn da nach Martins die Fibula mit ihrer ursprünglichen rein hypothetischen Epi- physis pro.ximalis, welche mit der Tibia verschmolzen sein soll, der Ulna homolog ist, so muss also wohl nach eben dieser Ansicht das Olecranon einem Peronecranon homolog sein. Zugleich ist aber nach Martins auch die Patella dem Olecranon homolog , und die Art und Weise , wie dies mit Logik und MARTiNs'scher Theorie Unvereinbare nun dennoch mit der MARTix'schen Theorie in Einklang gebracht wird, ist bezeichnend für die Richtung der vergleichenden Anatomie vßfi Darwin. ^) ^ 6. Die Theorie von de Blainville und Gerdy. »Die Patella ist ein Theil der Ficula. Die Fibula entspricht der Ulna, die Patella dem Olecranon.« Diese Theorie ist falsch, denn wie wir gesehen haben, ist die Patella kein Theil der Fibula und dem Olecranon nicht entsprechend. Dennoch ist diese Theorie die verständigste, welche in der ganzen ersten Gruppe, die wir hiermit betrachtet haben, aufgestellt ist. In aller Kürze wurde sie von de Blainville im Jahre i8i8^) ausge- sprochen. Im Jahre 1829 schloss sich Gerdy ^) an dieselbe an und brachte Beweise für dieselbe bei, welche de Blainville nicht gegeben hatte. Für das widersprechende Verhalten, dass die Patella als hinteres Olecranon sich nicht mit der Fibula, der hinteren Ulna, sondern mit der Tibia verbinde, suchte er keine neue Hypothese auf- zustellen, indem er alle weitere Bedenken dadurch abzuschneiden hoffte, dass er dieses widersprechende Verhalten einfach als eine Anomalie erklärte. Dieser de Blainville- GERDYschen Theorie ist auch der Engländer Barclay^) mit geringen Modificationen gefolgt. Ja, die ganze Theorie ist von Martins unserem Goethe zu- geschrieben worden. Diesem Vorgange kann ich nicht beistimmen, denn das zweite Capitel der vergleichenden Knochenlehre von 1824, welches Ulna und Radius be- handelt, giebt, so richtig die in ihm ausgesprochenen allgemeinen Ansichten auch sind, durchaus keinen fest aufgestellten Vergleich zwischen Radius und Tibia, Ulna und Fibula. Aus dem 8ten Capitel des ersten Entwurfes einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anatomie, ausgehend von der Osteologie, vom Januar 1795 ') Auch die Behauptung Martins (1. c. pag. 500), bei Fracturen des Olecranon mit ligamentöser Heilung werde das abgelös'tc Olecranon zu einer wahren Patclla brachialis, bcdarPkeiner Widerlegung, da derartige chirurgische Analogien durchaus keine beweisende Kraft für vergleichend anatomische Verhältnisse haben können. ^) Vergl. de Blainville, nouveau dictionnaire d'histoirc naturelle de Deterville, articlc Mamif^res, tome XIX, pag. 91. ') Vergl. Gerdy, note sur le parallMe des os, bulletin universcl de Ferussac, sciences medicales, tome XVI, pag. 369. ^) Vergl. Barclay, The bones of the human body. 1824. 54 Hesse sich sogar eher beweisen, dass Goethe an eine Homologie der Ulna und der Tibia gedacht habe, ohne dass in dem Werke von 1824 hierauf Bezug genommen ist. Aber selbst wenn Goethe die Homologie des Radius und der Tibia, der Ulna und Fibula ausgesprochen hätte , so hätte er eben behauptet , was andere bewiesen haben. Doch nicht die Behauptung macht den Meister, sondern der Beweis. Sonst wäre Anaximander Urheber der DARwm'schen Theorie. Die de BLAiNviLLE-GERDv'sche Theorie stützt sich hauptsächlich auf das Factum, dass bei den verschiedenen Amphi- pneumonen, so bei einigen Anuren, Vögeln, Fledermäusen, ja selbst zuweilen beim Menschen eine an der Ulnarsehne des M. extensor antibrachii triceps auftretende Patella brachialis beobachtet wird. Diese Patella brachialis, schliesst diese Theorie weiter, ist selbstverständlich der Patella femoralis homolog. Nun ist aber die Patella brachialis das abgelöste Olecranon, folglich ist die Patella femoralis dem Olecranon homolog. Das Olecranon ist eben eine nicht abgelöste Patella brachialis, die Patella femoralis ein abgelöstes hinteres Olecranon. So die Theorie. Betrachten wir jedoch die betreffenden Verhältnisse näher, so erkennen wir, dass jenen Thieren, welche die Patella brachialis, sei es regelmässig, sei es wie der Mensch nur ausnahmsweise, auf- weisen, durchaus das Olecranon nicht fehlt, hn Gegentheil, das Olecranon besteht neben der Patella brachialis bei diesen Thieren stärker, bei jenen schwächer ent- wickelt. Bei Anuren zum Beispiel bemerken wir ein ausgebildetes, bei Vögeln und Pteropus ein schwach entwickeltes Olecranon neben der Patella brachialis. Auch sieht man zu keiner Zeit der Entwickelung dieser Thiere die Epiphyse des Olecranon sich lösen und zur Patella brachialis werden, sondern die Epiphysis proximalis bleibt ungetrennt mit der Diaphysis ulnae verbunden ein Olecranon bildend und nebenher tritt zwischen dem Tendo extensorius antibrachii communis und der Cubitalgelenkkapsel eine Patella brachialis auf. Diese Patella brachialis ist ein Sesamknorpel oder ein Sesambein, der Patella femoralis analog entstanden, aber in ihrem anatomischen Ver- halten durchaus nicht homolog zu setzen. Denn da, wie wir gesehen haben, der M. extensor antibrachii triceps nicht dem M. extensor cruris quadriceps, sondern den Flexoren des Unterschenkels homolog ist, so kann auch ein Sesambein an der Ulnar- sehne des M. extensor antibrachii triceps nicht einem Sesambeine an der Tibialsehne des M. extensor cruris quadriceps homolog sein, sondern das Homologon ist in einem Sesambein in der Fibularsehne des M. flexor cruris biceps zu suchen, da an den cruralen Sehnen des M. semimembranosus und semitendinosus niemals Sesambeine ent" stehen. Ein solches Sesambein in der Fibularsehne des M. flexor cruris biceps, welches einer Patella brachialis homolog ist, finden wir zum Beispiel bei Phascolomys Wombat unter den Marsupialien. Wir können jedoch noch einen Schritt weiter gehen. Da nämlich ein Sesambein in der Ulnarsehne des M. extensor antibrachii triceps einem 55 Sesambeine in der Fibularsehne des M. flexor cruris biceps homolog ist, so ist auch das Olecranon, welches der üljer die Articulatio cubitalis hervorstehende proximale Theil der Diaphysis ulnae und deren proximale Epiphyse ist, dem proximalen Theil der Diaphysis fibulae und deren proximaler Epiphyse homolog. Erhebt sich nun die proximale Partie der Eibuladiaphyse und deren proximale Epiphyse über das Kniegelenk, so erhalten wir ein hinteres Olecranon, welches, da es von der Perone ausgeht, von den lüigläntlcrn als Peronecranon bezeichnet wird. Olecranon und I-'eronecranon sind also homologe Gebilde an homologen Sehnen homologer Muskeln. Dieses Peronecranon findet sich enorm bei IVIonotremen , den verschiedensten Mar- supialien und Edentaten entwickelt. Diese kleine Untersuchung, welche den Ilaupt- stützpunct der de BLAlNVIl.LE-Gl■:RI)^ 'sehen Theorie widerlegte, wird uns in der Be- trachtung der zweiten Gruppe, zu der wir jetzt übergehen, auf weitere Vergleichungen, der an den proximalen Epiphysen der antibrachialen und cruralen Skeletstücke auf- tretenden Anpassungsresultate führen. 7. Die BERTiN'sche Theorie. »Die Patella ist ein Sesambein. Sie vertritt das Olecranon. « Diese Theorie ist falsch, denn wie wir gesehen haben, darf eine Vertretunsf des Olecranon an der hinteren Extremität durch die Patalla nicht gedacht werden , da der M. extensor antibrachii triceps dem M. extensor cruris quadriceps nicht homolog ist. Dem Olecranon ist eben das Peronecranon homolog. Diese Theorie ist zuerst von Bektin aufgestellt, der die Kniescheibe le grand os sesamoide de la jambc nannte. Flourens hat sie weiter ausgebildet im Kampfe gegen die Theorie von Vic N. glutaeus superior. M. tensor fasciae latae j M. pyritorniis M. gemellus superior M. obturator internus M. gemellus inferior M. quadratus femoris lutaeus maximus M. iliacus internus M. psoas maior M. obturator externus M. adductor pectineus M. adductor brevis M. adductor longus M. adductor gracitis M. adductor magnus unbenannte Nerven des plexus sacralis. N. sflutaeus inferior. Nil. iliaci und psoatici des plexus kimbaüs, welche zum grössten Theile direct, zum kleineren durch den N. crurnlis zu den betreffenden Muskeln verlaufen. N. obturatorius. M. sartorius M. extensor cruris rectus M. extensor cruris vastus externus M. extensor cruris vastus medius M. extensor cruris vastus internus M. extensor cruris quadriceps N. cruralis. N. radialis. M. extensor antibrachii triceps M. flexor cruris biceps IVI. seniitendinosus ^ M. semimembranosus J \ N. fibularis. 6i Die die betreffenden Muskeln versorgenden Nerven habe ich beigefügt. Es ist auch diese Tabelle ein vorweg genommener Auszug aus einer grösseren Arbeit über die vergleichende Nervenkunde der Gliedmassen. Ausgegangen bin ich bei diesen Ver- gleichungen von der Beobachtung, dass im Kampfe ums Dasein und in der durch ihn bedingten Anpassung ererbter Zustände an neue Anforderungen am leichtesten die Ursprungsstellen eines Muskels sich verändern, bedeutend langsamer d i e A n s ä t z e d e r M u s k e 1 n u n d a m schwersten endlich die d e n M u s k e 1 ver- sorgenden Nerven. So steigt beim Descensus testiculi der Plexus spermaticus n. sympathici längs der A. spermatica interna mit dem Hoden in das Scrotum, so wandern die Vagusäste des Magens mit dem Magen , so dass wir schliesslich das ohne die Entwickelungsgeschichte unverständliche Factum erhalten, dass ein Gehirnnerv ein Organ der Bauchhöhle mit Zweigen versieht. (Gegenbaür.) Da aber die Versorgung durch die Nerven so ausserordentlich constant gegen alle Anpassungen sich verhält, so setzt eine vergleichende Muskellehre eine vergleichende Nervenlehre voraus. Nicht die Ähnlichkeit im Verlaufe zweier Muskeln, nicht der ähnliche Ansatz, nicht die ahnliche Function ist der Prüfstein für deren Homologie, sondern die Versorruno' durch homolocre Nerven. Auf diese Weise allein schon hätten wir die Homologie der Flexoren des Unterarmes mit den Extensoren des Unter- schenkels , der Extensoren des Unterarmes mit den Flexoren des Unterschenkels für bewiesen halten können. Wir haben also an dem Cubitalgelenk und dem distalen Gelenk des Femur folgende totale und folgende partielle Homologien. Distales Humerusgelenk. Distales Femurgelenk. T o t a 1 e H o m o 1 o g i e . Olecranon. Peronecranon. Partielle Homologie. o Sesamoid an der distalen Sehne des M. Sesamoid an der distalen Sehne des M. extensor antibrachii triceps. flexor cruris biceps. Sesamoid an der radialen Sehne des M. Sesamoid an der tibialen Sehne des M. flexor antibrachii biceps. extensor cruris quadriceps. Zum Schluss sage ich Herrn Professor Dr. Kupffer , Herrn Professor Dr. Petersen, Herrn Dr. Pansch und Herrn Dr. Heincke meinen herzlichsten Dank für das freundliche Entgegenkommen, welches sie mir bei meiner Arbeit bewiesen haben. — Literatur. Für die Torsionstheorie des Humerus. Charles Martins. Nouvelle comparaison des membres pelviens et thoraciqiits chez rhomme et chez les mammiferes, deduite de la torsion de l'humerus. Extrait des memoires de l academie des sciences et lettres de Montpellier. Tome III. pag. 471 — 512. — 1857. Ebenfalls in den Annales des sciences naturelles Ser. IV. Tome VIII. pag. 45. — 1857. — Ost. comp, des articulations du coude et du genou. Memoire de l academie de Montpellier tome III. 1862. LUCAE. Abhandlung der Senkenberg, naturf. Gesellschaft. V. Bd. Welcker. Archiv für Anthropologie II. 273. Gegenbaur. Ueber die Drehung des Humerus. Jenaische Zeitschrift für Medicm etc. IV. 50. SpenGEL. Ueber ein neues Instrument zur Messung des Torsionsvvinkels am Humerus. Archiv für Anthropologie. HUMPHRY. Observations on the limbs of vertebrate animals, the plan of their con- struction, their homology aud the comparison of the fore aud hind limbs. 1860. F'ur die Patella. Die vorstehend genannten Werke haben ebenfalls einen Werth für die Patella. Ferner: Bertin. WiNSLOW. ViCQ-d'AZYR. de Blainville. jMeckel. Barclay. Gerdy. Traite d'osteologie. 1754. Exposition anatomique de la structure du corps humain. 1775. Memoire sur les rapports qui se trouvent cntre les usages et la structure des quatre extremites dans l'hommc et dans les animaux. Memoires de l'academie royale des sciences. 1778, Oeuvres recueillies par Moreau. Tome IV. 1805. Nouveau dictionnaire d'histoire naturelle de Detervillc, article mammiferes. Tome XIX. 1818. Osteographie, primatcs. Tome I. 1841. System der vergleichenden Anatomie. 6 Bde. 1821 — 1833. The bones of the human body represented in a series of engravings. 1824. Note sur le parallele des os. Bulletin universel de Ferussac. Sciences medic. Tome XVI. 1829. 64 DUGES. BOURGERY. CUVIER. Blandin. Flourens. Cruveilhier. Owen. JOLY et Lavocat. Lavocat. Auzias-Turenne. Gervais. Chauveau. HUMPHRY. FOLTZ. Gegenbaur. HUXLEY. Memoire sur la conformite organique dans l'echelle animale. Annales des Sciences naturelles XXIV. 1831. Traite complet de l'anatomie de rhomme. 1832. Legons d'anatomie comparee, recueillies et publiees par Dum^ril. Seconde edition. 8 Bände. 1835 — 1846. Nouveaux elements d'anatomie descriptive. 1838. Nouvelles obserVations sur le parallele des extremites dans l'homme et les quadrupedes. Annales des sciences naturelles. Tome X. 1838. Memoires d'anatomie et de physiologie comparees. 1844. Anatomie descriptive. 2de edition 1843. Report on the archetype aud homologies of the vertebrate skeleton. Report of the sixteenth meeting of British association 1846. 1847. On the nature of Limbs. 1849. Principal forms of skeleton aud teeth. 1860. On the dislocation of the tail at a certain point observable in the Skeleton of many Ichthyosauri. Trancact. Geologie. Society. 2. series. vol. V. On the anatomy of vertebrates. 3vo]. 1866. Etudes d'anatomie philosophique sur le pied et la main de l'homme, Memoires de l'academie de Toulouse. 1853- Comptes-rendus de l'academie des sciences de Paris Tome XXXIX. 1854- Sur les analogies des membres superieurs avec les inferieurs. Comptes-rendus de l'academie des sciences de Paris. Tome XXIII. 1846. Annales des sciences naturelles. XX. 1853. Theorie du squelette humain. 1856. Traite d'anatomie comparee des animaux domestiques. 1857. A Treatise on the human skeleton including the joints. Homologie des membres pelviens et thoraciques de l'homme. Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere, Istes Heft: Carpus und Tarsus. 1864 Utes Heft: Schultergürtel der Wirbelthiere. Brustflosse der Fische. 1865. Grundzüge der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. 1870. Grundriss der vergleichenden Anatomie. 1874. A manual of the anatomy of vertebrated animals. 1871. 66 Thesen. ■ Die tiefen Atheromcysten des Halses indiciren in der Regel nicht die Exstirpation, sondern die Injection von lodtinctur nach vorheriger Ausspülung- des Sackes. Die Ossa interparietalia sind zuweilen bei menschlichen hydrocephalen Schädeln als besondere, von den Ossa supraoccipitalia getrennte Skeletstücke nachzuweisen. Das Vorkommen epidermoidaler Gebilde in Ovarienc)'sten ist dadurch zu erklären, dass das Keimepithel vom ersten Keimblatte herstammt, nicht durch einen Foetus in foetu. Bei der ersten Befruchtung eines Vogel- oder Säugethierweibchens zeigen sich nicht nur Furchungsvorgänge in den befruchteten Eiern, sondern secundäre Fur- chungen auch in anderen, nicht befruchteten Eiern des betreffenden Eierstockes. Diese secundär gefurchten Eier unterscheiden sich von den befruchteten Eiern dadurch, dass sie in den ersten Stadien der Furchung stehen bleiben. Hierauf ist der Einfluss des ersten Männchens auf die ganze folgende Nachkommenschaft eines Weibchens selbst beim späteren Wechsel der Männchen zurückzuführen.