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DAS SEHEN DER NIEDEREN TIERE.

VON

PROF. DR RICHARD HESSE

PRIVATDOZENTEN DER ZOOLOGIE IN TÜBINGEN.

ERWEITERTE BEARBEITUNG EINES AUF DER 79. VERSAMMLUNG DEUTSCHER NATURFORSCHER UND ÄRZTE ZU DRESDEN 1907 GEHALTENEN VORTRAGS.

VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA.

1908.

VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA.

OrganisdieZiued^mäßigkeit, Gntiuid^lutiQ und Uererbung uom Stands punkte der Physiologie. J«""«"^

L Ii ? Breslau. Mit o Fig. im iext. 190^. Preis: oMark.

Über den derzeitigen Stand der Deszendenzlebre in der Zoologie.

Von Dr. Heinrich Ernst Ziegler, Prof. au der Universität Jena. Vortrag gehalten in der gemeinschaftlichen Sitzung der naturwissenschaftlichen Haupt- gruppe der 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Hamburg am 26. September 1901. Mit Anmerkungen und Zusätzen herausgegeben. 1902. Preis: 1 Mark 50 Pf.

Reaeneration und Cransplantalion. ]Zl £Sf M"5Ä?gt:^:

1907. Preis: 7 Mark.

Die Oererbunflslebre in der Biologie. S.^a,'; ÄÄjÄ

9 Figuren im Text und 2 Tafeln. 1905. Preis: 2 Mark.

Oererbun« und Chromosomen. ^rSi^^^:, 'L'SS"-

schaftlichen Hauptgruppen der 77. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Meran. Von Dr. Karl Heider, Prof. der Zoologie in Innsbruck. Mit 40 teilweise farbigen Figuren im Text. 1906. Preis: 1 Mark oO Pt.

Zur uergleicbenden Physiologie des ßesicbtssinnes. J,fS"unJ?£

benempfindung auf anatomisch-physikalischer Grundlage. Von Prof. Dr. E. Raehlmann in Weimar. Mit 16 Figuren im Text. 1907. Preis: 1 Mark 50 If.

Der £id)tsinn augenloser Oere. i:"?,J^tÄcSdeXS!r!n

Freiburg i. B. Mit 3 Textfiguren. 1896. Preis: 2 Mark 40 Pf.

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Deutsche Literaturzeitung vom 6. Juni 1896 (über die erste Auflage):

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Mit 239 Abbildungen im Text. Preis: 9 Mark, geb. 10 Mark.

DAS SEHEN DER NIEDEREN TIERE.

VON

PROF. DR RICHARD HESSE

PRIVATDOZENTEN DER ZOOLOGIE IN TÜBINGEN.

ERWEITERTE BEARBEITUNG EINES AUF DER 79. VERSAMMLUNG DEUTSCHER NATURFORSCHER UND ÄRZTE ZU DRESDEN 1907 GEHALTENEN VORTRAGS.

VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA.

1908.

Alle Rechte vorbehalten.

Wenn wir bei niederen Tieren von „Sehen" sprechen, so dürfen wir nicht vergessen, daß der Vorgang, den wir damit bezeichnen, von dem Vorgang beim Sehen des Menschen in vielen Stücken erheblich abweicht. Vor allem müssen wir dabei ganz von den psychischen Parallelvorgängen absehen, die in den Ausdruck „Sehen" ebenso wie in die Bezeichnungen der anderen Sinnesfunktionen beim Menschen mit einbegriffen werden. Das psychische Geschehen ist uns nur durch die Selbstbeobachtung bekannt. Zwar ist der Schluß völlig berech- tigt, daß auch bei anderen Menschen ein Wahrnehmen, ein Empfinden' vorhanden ist. Ob und wie weit aber solche Bewußtseinsvorgängö auch bei den Tieren, insbesondere bei den niederen Tieren vorkommen,' das kann nicht Gegenstand naturwissenschaftlicher Untersuchung seittj und deshalb können wir darüber nichts bestimmtes aussagen. Wir sind in unserer Beobachtung ganz auf das körperliche Geschehen beschränkt. Aber auch dieses ist bei dem Sehen der niederen Ti^t'd in vieler Beziehung anders, weniger mannigfaltig im ganzen, ei'n-1 facher in den Einzelvorgängen, Das ergibt sich mit Sicherheit äuS der Einfachheit des Baues der betreffenden Sehorgane.

Um dieser Verschiedenheit einen stärkeren Ausdruck zu geben; ist in jüngster Zeit der Versuch gemacht, besondere Ausdrücke heü' zu schaffen für die Vorgänge, die mit der Reizung der Sinnesor^ätte' bei den Tieren zusammenhängen [Beer, Bethe, v. UexkülU)]. 'Eih'fe' solche Neubenennung auf physiologischem Gebiet erscheint mir eblshsd berechtigt, wie etwa in der vergleichenden Anatomie die Einfühkifi^;^ des Namens „Nephridium" für gewisse Exkretionsorgane niedäi^öi'' Tiere, die man früher als Nieren bezeichnete. Um allgemeine'!^' V^r^-' ständlich zu sein, ziehe ich es jedoch vor, mit neuen Worten spar- sam als irgend möglich umzugehen; vor allem werde ich den Ausdruck „Sehen" auch für niedere Tiere beibehalten, dabei aber seine Beidöütü'h'^- erweitern und durch eine angemessene Definition festlegen.

IfL'sso, Das Sehen der nietlorcn Tiere. 1

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Eine solche Definition für Sehen im weitesten Sinne, unter Ausschkiß der psychischen Parallelvorgänge, hat schon 1869 Max Schultzens) gegeben: „Sehen ist die Umwandlung derjenigen Be- wegung, auf welcher das Licht beruht, in eine andere Bewegung, die wir Nervenleitung nennen". In diesem Sinne soll im folgenden von Sehen gesprochen werden. Dementsprechend werden die lichtrezi- pirenden Sinneszellen als Sehzellen und die durch ihre Zusammen- ordnung gebildeten Organe als Sehorgane bezeichnet; die Gesamtheit der Sehorgane bezw. der einzeln gelegenen Sehzellen bei einem Tiere heiße Sehapparat.

Es können natürlich verschiedene Stufen des Sehens unterschieden werden. Das Sehen wird um so vollkommener sein, je größer die quantitative und lokale Verschiedenheit der Nervenerregungen ist, die sich nebeneinander im Sehapparat und den damit verbundenen Teilen des zentralen Nervensystems abspielen. Man kann demnach von Helldunkelsehen sprechen, wenn nur durch die wechselnde Intensität des Lichtes eine Verschiedenheit des Erregungsvorganges bedingt wird, während die Richtung der Lichtquelle oder ihre Ent- fernung oder ihre Gestalt ohne Einfluß auf ihn bleiben. Als Rich- tungssehen bezeichnet man den Sehvorgang, wenn je nach der Lage der Lichtquelle im Verhältnis zum Sehapparat ein charakteristi- scher Unterschied in der Gesamtheit des Erregungsverlaufes eintritt. Ein Bewegungssehen findet dann statt, wenn bei einer bewegten Lichtquelle der Erregungsablauf ein anderer ist als bei einer ruhenden oder einer in anderer Richtung bewegten. Entf er nun gs sehen kommt zustande, wenn eine konstante Verschiedenheit der Erregungen bedingt wird durch die verschiedene Entfernung der Lichtquelle. Beim Formsehen oder Bildsehen schließlich wird eine Verschiedenheit in der Form der Lichtquelle, d. h. in ihrem Umriß und in ihrer Model- lierung, auch zu einer entsprechenden Verschiedenheit in der Gesamt- heit des Erregungsvorganges führen.-

Anders ist es mit dem Farbensehen. Dieses ist unabhängig von der Anordnung der Sehzellen zum Sehorgan und der Sehorgane zum Sehapparat, und beruht vielmehr auf einer bestimmten Eigen- tümlichkeit der Sehzellen. Wir sind aber nicht imstande, einer

sU.

Fig. I.

Sehzelle von Planaria iorva; schematisch, sti Stiftchen- saiim ; k Kern ; nf Nerven- fortsatz.

Sehzelle anzusehen, ob sie für Ätherwellen von bestimmter Länge spezialisiert ist, oder ob gar die quantitativ verschiedenen Reize durch Licht von wechselnder Wellenlänge auch verschiedene Erregungen bei ihr zur Folge haben. Im übrigen sind unsere Kenntnisse vom Farbensehen so gering, und die Ansichten und Theorien über dasselbe so unsicher, daß im folgenden besser von Erörterungen über Farbensehen fast ganz abgesehen wird.

Welche von diesen Abstufungen des Sehens für ein Tier zutrifft, dafür haben wir in den allermeisten Fällen keinen an- deren Anhaltspunkt als die Bauverhältnisse der einzelnen Sehorgane und deren Zu- sammenordnung zum ganzen Sehapparat. Nur in seltenen Fällen hat bisher das Ex- periment zur Entscheidung der Frage einsetzen können.

Allen Sehorganen, die wir mit Sicherheit als solche kennen, ist ein Bestandteil gemeinsam: das. sind die rezipierenden Sinneszellen, die Sehzellen. Die Sehzellen sind stets primäre Sinneszellen, d. h. jede Zelle steht in ununterbrochenem Zusammenhange mit einer Nervenfaser, die ein Fortsatz dieser Zelle ist. Als Endapparate der Organe des chemischen Sinnes kennen wir sowohl solche primäre Sinneszellen, als auch se- kundäre Sinneszellen, die von Ner- venendigungen umsponnen werden, ohne mit ihnen eine anatomische Einheit zu bilden. Als Endapparate in den Tastorganen treffen wir neben primären und sekundären Sinneszellen auch noch freie Nervenendigungen ohne besondere re- zipierende Zellen. Im (regensatz dazu haben die Sehorgane nur diese ouie Art von Aufnahmeorganen, tun- primäre Sinneszellen,

Fig. 2.

Sehzelle von Limax maxinius, kombiniert nach G r a n t S m i t h ^^). k Keni; nf Nerven- fortsatz.

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Die Sehzellen sind durch gewisse Einrichtungen gekennzeichnet, die ihnen allen gemeinsam sind. Wir wollen sie zunächst an der Sehzelle eines Strudelwurmes, Planaria torva (Fig. i), kennen lernen. Gegenüber der Stelle, wo der Nervenfortsatz von der Zelle entspringt, ist diese überzogen von einer Kappe, die aus zahlreichen, zur Zell- oberfläche senkrecht stehenden Stiftchen zusammengesetzt ist, und

die auf vSchnitten durch die Zelle als ein Stiftchensaum erscheint. Jedes ^ Stiftchen verlängert sich in eine Fibrille, die den Zelleib durchzieht und in den Nervenfort- satz eintritt. Diese Fibrillen dürfen wir für das leitende Element der Nervenfaser halten , für Neuro- fibrillen; demnach wären die Stift- chen nichts anders als besonders differenzierte Neurofibrillenenden, die sich vor den Neurofibrillen selbst hauptsächlich durch erhöhte Färbbar- keit und meist durch bedeutendere Dicke auszeichnen. Ganz ähnlich wie bei den im Körperparenchym gelegenen Sehzellen der Planarie ist der Bau einer epithelialen Seh- zelle aus dem „Auge" einer unserer Nacktschnecken, Limax maximus (Fig. 2); hier ist durch spezifische Färbemethoden sicher dargetan, daß die Stiftchen , aus denen der sogen. Stäbchenmantel besteht, die Enden der Neurofibrillen sind, die im Nervenfortsatz der Sehzelle verlaufen. In einem dritten Falle, der hier angeführt sei, bei dem Röhrenwurm Branchioimna Köllikeri (Fig. 3), liegt der Stiftchen- saum nicht an der Oberfläche, sondern im Innern der Sehzelle, zwischen Zellkern und Nervenfortsatz.

Fig. 3- Einzelocell aus dem zusammenge- setzten Kiemen- ocell von Bran- ch io mma Köll ikeri,

etwas schemati- siert. In der Mitte die Sehzelle mit k Kern, Stiftchen- saum und nf Nervenfortsatz, umgeben von Pig- mentzellen pz.

A B

Fig. 4.

Sehzellen von Tiirho (A) und Pecten (B), schematisch. nfi Neurofibrille; nf Nervenfortsatz.

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Sehzellen mit Stiftchensäumen haben eine überaus weite Ver- breitung. Sie kommen überall in den Sehorganen der Plattwürmer vor, dann bei zahlreichen Borstenwürmern, vielleicht auch bei den Egeln, ferner bei vielen Weichtieren und in den Sehorganen des Amphioxus. Auch die sogen. Stäbchen und Rhabdomere in den Sehzellen der Arthropoden sind nichts anderes als Stiftchensäume, deren Stiftchen oft zu einem einheitlichen Stab von nahezu kutiku- larer Konsistenz verbacken sind.

Von den Sehzellen mit Stiftchensäumen führen Ubergänge zu einer anderen Modifikation der Sehzellen; solche lassen sich z. B. in der Reihe der Weichtiere nachweisen. Während bei den Lungen- schnecken, z. B. bei Limax, die Sehzellen mit Stiftchensäumen aus- gestattet sind, haben manche Kiemenschnecken des Meeres nur ein ganz dünnes Bündel von Neurofibrillenenden an Stelle des Stiftchen- saumes (Fig. 4A) und bei anderen Mollusken, z. B. den Kammuscheln [Pecten) sind die Sehzellen (Fig. 4B) nur von einer einzigen Neuro- fibrille durchzogen, deren Ende im sogen. Stäbchen durch bedeutendere Dicke und erhöhte Färbbarkeit ausgezeichnet ist. Also auch hier modifizierte Neurofibrillenenden, aber in geringerer Anzahl, oft nur je eines in einer Sehzelle. Ahnlich wie die Sehzellen von Pecten ver- halten sich in dieser Beziehung diejenigen einer Qualle (Charyhdea), die der Raubringel würmer (z. B. Alciope) und der Tintenfische. Viel- leicht sind auch die drei spiralig verlaufenden Fibrillen, die bei den Wirbeltieren im Innern der Zapfen und zum Teil auch der Stäbchen nachweisbar sind [Hesse 1^)], nichts anderes als modifizierte Enden von Neurofibrillen.

Damit ergibt sich für die weit überwiegende Mehrzahl der Seh- zellen eine bemerkenswerte Gleichartigkeit im Aufbau: die durch den Nervenfortsatz eintretenden Neurofibrillen erleiden in der Zelle eine Umwandlung, und treten je nach ihrer Zahl als Stiftchensaum, als Stiftchenbündel oder als vereinzelte, in einem Stäbchen verlaufende Neurofibrillenenden auf. Nur in den Sehzellen der Oligochaeten, also der Regenwürmer und ihrer Verwandten, und in denen der Salpen, konnten solche Bildungen nicht nachgewiesen werden ; diese enthalten vielmehr vakuolenartige Gebilde, die vorläufig als Phaosömen be-

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zeichnet werden. Sie haben vielleicht dieselbe Bedeutung, wie die umgebildeten Enden der Neurofibrillen.

Das so weit verbreitete, fast allgemeine Vorkommen der um- gewandelten Neurofibrillenenden in den Sehzellen legt den Gedanken nahe, daß wir in ihnen Aufnahmeorgane für den Lichtreiz zu sehen haben. Die Ätherv^^ellen, die uns als Licht erscheinen, sind kein all- gemeiner Protoplasmareiz, wie mechanische, chemische und thermische Reize es sind. Läßt man sie auf den präparierten Ischiadicus des Frosches oder auf den bloßgelegten Bauchstrang des Regenwurms einwirken, so erhält man keine Reaktion in Form einer Muskel- zuckung, auch dann nicht, wenn durch eine Sammellinse die Intensität der Einwirkung erhöht wird. Anders ist es freilich bei der An- wendung der für uns unsichtbaren ultravioletten Strahlen, allerdings von einer Wellenlänge und Intensität, wie sie im Sonnenlicht nicht vorhanden sind; diese werden vom Protoplasma absorbiert und wirken reizend und schädigend auf dasselbe ein [Hertel ^^^j u^, dagegen die Strahlen des für uns sichtbaren Lichtes in einen Plasmareiz oder spezieller in einen Nervenreiz zu verwandeln, bedarf es besonderer Vorrichtungen, sogen. Transformatoren. Als solche dienen wahr- scheinlich die Stiftchensäume und die verwandten Bildungen, viel- leicht auch die Phaosomen.

Modifizierte Neurofibrillenenden sind jedoch nicht die einzig möglichen Transformatoren für Lichtreiz; wir kennen noch einige andere. Bei manchen Seeigeln, die auf Lichtreiz reagieren {Arbacia, Diademä) wird dieser Reiz durch die gesamte Haut des Körpers auf- genommen [v. UexkülPi. 25)]. In der Haut findet sich ein purpur- farbener Stoff, der sich im Lichte zersetzt und im Dunkeln neu ge- bildet wird. Dieser scheint als Transformator zu wirken und den Lichtreiz auf den Nerven zu übertragen, wahrscheinlich in der Weise, daß bei seiner Zersetzung ein Stoff entsteht, der als chemischer Reiz unmittelbar den Nerven beeinflußt. In ähnlicher Weise stellt man sich ja die Bedeutung des Sehpurpurs im menschlichen Auge vor. Morphologisch ist die Haut bei diesen Seeigeln noch nicht untersucht, so daß über die Art der gereizten Endorgane nichts bekannt ist.

Es scheint, daß unter Umständen auch Pigmente als Trans- formatoren für den Lichtreiz dienen können. Wenn man die Haut von Tintenfischen {^LoUgo) bestrahlt, so tritt eine Erweiterung der Chromatophoren ein, und zwar zucken bei Anwendung von blauem Licht zuerst die gelben, bei gelbem Licht zuerst die violettroten Chromatophoren auf; dies geschieht auch dann, wenn die Tätigkeit der zu den Chromatophoren gehenden Nerven durch Atropinwirkung aus- geschaltet ist. Daß der Lichtreiz durch Pigment auch auf Nerven- fasern übertragen werden kann, MAird dadurch wahrscheinlich, daß der von Pigment durchsetzte Bauchnervenstrang des Spritzwurms [Sipunculus niLdus), wenn er mittelst eines Kondensors behchtet wird, eine Muskelzuckung auslöst, im Gegensatze zu dem pigmentfreien Bauchstrang des Regenwurms [Hertel i^)]. Allerdings wurde zu diesen Versuchen Licht von einer Intensität verwendet, die jene des diffussen Tageslichtse weit übertrifft und auch größer ist als die des direkten Sonnenlichts.

Man könnte solche Versuche als Beweis dafür anführen, daß es auch Sehorgane geben kann, in denen ein Pigment als Transformator für den Lichtreiz wirksam wäre. Unter diesen Umständen wäre es dann auch denkbar, daß freie Nervenendigungen als Aufnahmeorgane für den Lichtreiz dienten. Einstweilen aber kennen wir kein solches Sehorgan. Es ist zwar oft die Behauptung aufgestellt worden, daß ein Pigmentfleck mit herantretenden Nerven das einfachste Sehorgan darstellt und daß der dunkle Farbstoff, der in den Sehorganen in so weiter Verbreitung vorkommt, für das Zustandekommen der Erregung wesentlich sei. Aber der oben angeführte Versuch kommt dafür nicht in Betracht, wegen Anwendung besonders hoher Lichtintensitäten. Dann aber läßt sich auch aus andren Gründen mit Sicherheit dartun, daß das Pigment in den Sehorganen unwesentlich ist für die Erregung der Sehzellen.

Erstens sind zahlreiche P'älle bekannt, wo in den Sehorganen das Pigment vollständig fehlt, und zwar sind es Sehzellen der ver- schiedensten Art, die in solcher Weise ohne Begleitung von Pigment vorkom.men. Häufig trifft sich das bei Sehzellen mit Stiftchensäumen: bei dem Strudelwurm Polycelis begegnet man zwischen zahlreichen

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Pigmentbecherocellen auch Sehzellen ohne Pigmenthülle [Jaenichen i^)] bei Dialychone, einem Röhrenanneliden, findet sich ein Haufen von Sehzellen mit Stiftchensäumen an genau der gleichen Stelle, wo bei der verwandten Chone ein Pigmentbecherocellus hegt, d. h. ein ebensolcher Sehzellenhaufen, umgeben von einer becherförmigen Pigmenthülle [Hesse ^^.V)]; beim Amphioxiis liegen im Vorderende des Rückenmarks ebensolche Zellen mit Stiftchen saum, wie die Seh- zellen der Pigmentbecherocelle im übrigen Rückenmark, doch ohne Pigment [Joseph i«)]. Im „Auge" unserer Nacktschnecke Limax findet sich vor der Linse eine Fortsetzung der Retina, in der das Pigment völlig fehlt.

Auch andersartige Sehzellen kommen ohne Pigment vor. Beim Blutegel sind Zellen der gleichen Art, wie sie in den Pigmentbechern liegen und in dieser Anordnung jetzt allgemein als Sehzellen angesehen werden, auch sonst ohne Pigment unter der Epidermis verstreut, und beim Rochenegel (Pontobdella) finden sich nur solche Sehzellen ohne benachbartes Pigment. Beim Regenwurm liegen ebensolche Zellen in und unter der Epidermis des Vorderendes, wie sie bei Nais im Pigmentbecherocell als Sehzellen vorkommen. Dergleichen Beispiele ließen sich noch mehr anführen. Es ist nicht einzusehen, weshalb man diesen Zellen die Fähigkeit absprechen sollte, durch Lichtstrahlen in Erregung zu kommen. Wissen wir doch, das albinotische Menschen mit ihren pigmentlosen Augen vollkommen richtig sehen, besonders bei schwachem Licht, w^o sie nicht geblendet werden.

Aber auch in den Sehorganen, wo Pigment vorhanden ist, liegt es oft so weit von den Sehzellen entfernt, daß es als Überträger des Lichtreizes gar nicht in Frage kommt. So ist es mit zahlreichen Sehzelleri 'linxäeri Sehorganen unseres Blutegels, oder in den Ocellen der. Salpönjilodeat ini deriiFacettenanagerp'ivob^Spa'ltfiniß krebsen der Tief- see (Nematoscelis, Stylocheiron, Arachnomysis) [Chun*)|;'ll !Eni'Aag'e deniK-arrinilischlel rist<das .ipärHchie Pigriient'durdh\dJeigroßeiTa;^etum- zelle rvbnii'dieailSöbzellbni^'giEScbiedejn;. . iVielea i i Wirbeltieüenv m di'd eih TiapetuYh besitzeni,; fehlt' iaufioKreite; Sti'eGfc^niodasiPigmen-t. inoder N^ach^ barschaft 'deirl Sehzellen' l'vollkdmnienv.l' d-'i« i'fti-fi •jHijkH .ii h,um:.-.f-,..7

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Dagegen weist die Anordnung des Pigments da, wo es in Seh- organen vorkommt, durchaus darauf hin, daß es dazu dient, den Lichtreiz abzuhalten, nicht aber ihn wirksam zu machen. Nirgends ist das Pigment so gelagert, daß es die Lichtstrahlen von der Seh- zelle allseitig abhielte, was sehr wohl denkbar wäre, wenn es die Rolle eines Transformators spielte. Der Bau des Linsenauges nach dem Prinzip der Camera obscura ist nur denkbar, wenn das Pigment als Blendung wirkt. Denn durch die Linse wird auf der Netzhaut ein Bild entworfen und damit eine Verteilung der Reize auf die Sehzellen bewirkt, und diese würde illusorisch, wenn die Sehzellen noch von anderen Strahlen gereizt würden als von denen, die durch die Linse eindringen. Es gibt aber Cameraaugen, die auf ihrer Ober- fläche der Bestrahlung völlig ausgesetzt sind, so bei manchen durch- sichtigen pelagischen Tieren, wie den Alciopiden und den Schwimm- schnecken (Heteropoden); wenn das Pigment den Lichtreiz übertrüge, würde das Richtungs- und Bildsehen in diesen Augen ganz gestört sein. In den Augen ferner, wo das Pigment unter dem Einfluß des Lichtes wandert, sind die rezipierenden Elemente bei starker Be- leuchtung reicher von Pigment umgeben, bei schwacher Beleuchtung jedoch mehr davon entblößt: so hüllt sich bei den Tintenfischen in hellem Lichte das rezipierende Neurofibrillenende ganz in Pigment ein [Rawitz^o)]; ähnlich ist es bei den Arthropoden mit Pigment- wanderung im Facettenauge, oder bei vielen Wirbeltieren. Würde das Pigment als Transformator dienen, der die Atherwellen in einen Nervenreiz verwandelt, so müßten wir vielmehr erwarten daß es bei spärlicher Beleuchtung sich reichlicher um die rezipierenden Teile an- sammelte und umgekehrt.

Das Pigment wirkt vielmehr als Lichtschirm. Es hält Lichtstrahlen, die aus bestimmten Richtungen kommen, von den Seh- zellen bezw. ihren rezipierenden Teilen fern, und läßt nur Strahlen aus bestimmten anderen Richtungen zu: es wirkt also lichtsondernd. Däs Pighient/ beschränkt die Möghchkeit der Erregung für die Zellen, dienesNumgibtl; es i isoliierti äiei optistih itmdi bewirkt damit eine Speziali- sierung:' dem' Sehzelle füp'vjödrienfVjdfer;; wenige/lbestiiaüniA nio •Inn rton r:r .r,'v;>4l-r..; il>^U<v i\ 'f!-.-. ,[.,;> •>!!> "Mxjfinbnsid

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Fig. 5.

Sehorgan von Branchellion torpedinis. sz Sehzelle; / Pignientvvand.

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Es gibt Fälle, in denen eine Pigmentblendung überhaupt nicht vorhanden ist. Beim Regenwurm liegen in der Epidermis, unter

derselben und im Oberschlund- ganglion Sinneszellen, die wir nach ihrer Lage, ihrer histo- logischen Beschaffenheit und ilirer Verteilung über den Regen wurmkörper als Seh- Zellen ansehen müssen. Sie kommen nirgends in Verbin- dung mit Pigment vor. Daher können Lichtstrahlen aus sehr verschiedenen Richtungen zu ihnen gelangen, und alle wer- den bei gleicher Intensität, ^ den gleichen Reiz auf sie ausüben; die Erregungen werden sich im allgemeinen nur dann unterscheiden, wenn die Intensität der er- regenden Lichtstrahlen ver- P schieden groß ist. Wir haben also hier einen Fall von einfachem Helldunkelsehen. Für die Lebensverhältnisse des Regenwurms genügt auch ein solches Sehen: er lebt in dunklen Gängen, die er hauptsächlich bei Fig. 6. Nacht oder bei trübem

Invertierter Pigmentbecherocell von Plannn'a gono- u 1 11

cephala, schematisch, ep Epithelzelle, pz Zelle des Wetter verläßt; bei heller

Pigmentbechers .. Sehzellen deren freies Ende in den Beleuchtung wird der Licht-

Pigmentbecher hineinragt und emen Stiftchensaum tragt. -^^'^'-^ &

reiz, der sein Vorderende trifft, ihn wieder in seine Röhre zurück- scheuchen. Auch beim Rochenegel (Pontobdella), wo keine Pigment- blendungen die Sehzellen optisch isolieren, wird das Sehen nur ein

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Helldunkelsehen sein können. Ähnlich dürfte es bei jenen Muscheln sein, deren völlig pigmentlose Siphonen auf Belichtung reagieren (z.B. Psammobia vespertina) [Nagel^»)]; freilich kennen wir bei diesen die Sehorgane noch nicht.

Die einfachste Pigmentblendung begegnet uns bei einem Egel,, Branchellion torpedinis (Fig. 5). Hier ist auf der dorsalen Seite des Mundsaugnapfs eine paarige Pigmentwand (p) vorhanden, die zur Oberfläche und zur Medianebene senkrecht steht. Die Sehzellen (sz) liegen im Parenchym zu beiden Seiten dieser Wand. Lichtstrahlen, die von vorne kommen, können nur die Sehzellen vor der Pigmentwand er- regen, solche, die von hinten kommen, nur die Sehzellen hinter der Wand; Licht- strahlen aber, die von oben oder von der Seite kom- men, reizen sowohl die einen wie die andern. Es sind also drei verschiedene

Erregungskombinationen gegeben, die den verschie- denen Richtungen der rei- zenden Strahlen entsprechen. Immerhin aber können Strahlen von ziemlich ver- schiedener Richtung noch denselben Reizerfolg haben. Neben dem Helldunkelsehen, das natürlich auch hier besteht, wird durch das Vorhandensein dieser Pigmentblen- dung ein Richtungssehen, wenn auch ein sehr unvollkommenes, be- dingt.

Anders werden die Verhältnisse, wenn das Pigment in becher- artiger Wölbung die Sehzellen oder doch ihre rezipierenden Enden umgibt. Man nennt ein so abgeblendetes Sehorgan einen Pigment- becherocellus. Diese Sehorgane können verschieden gebaut sein.

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Fig. 7.

Epithelialer Pigmentbecherocell von Patclla, sche- matisch, cp Epithel; die Sekretmasse sckr deckt das Sehepithel, das aus pigmentierten Sehzellen nnd pigmentfreien Sekretzellen besteht; sn Sehnerv.

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Entweder besteht der Becher aus besonderen Pigmentzellen, und die Sehzellen ragen von der freien Öffnung her in denselben hinein und bergen ihre rezipierenden Enden in der Tiefe des Bechers (Fig. 6)- das Licht muß dann erst den Körper der Sehzellen passieren, ehe es zu den Transformatoren gelangt: die Sehzellen sind invertiert.' Solche invertierte Pigmentbecherocelle liegen gewöhnHch im Parenchym; nur bei den Capitelliden und bei ÄTazs sind sie innerhalb der Epidermis gelegen. Oder aber die Sehzellen sind epithelial angeordnet und be- grenzen eine becherförmige Grube, in die ihre rezipierenden Abschnitte hineinragen (Fig. 7); der Pigmentbecher kommt dann so zustande, daß das Pigment entweder in den Sehzellen selbst oder in indiffe- renten Epithelzellen zwischen ihnen liegt. Als Pigmentbecherocelle kann man auch solche Sehorgane betrachten, wo eine epitheliale Seh- zelle von einer Pigmentröhre umgeben wird, die am proximalen Ende zwar verengert, aber nicht geschlossen ist (Fig. 3), denn das Eindringen des Lichts von dieser Seite her wird durch die verhältnismäßig ge- ringe Durchsichtigkeit des Körpers verhindert. Die rezipierenden Elemente der Sehzellen liegen hier in deren proximalem Abschnitt, in der Tiefe der Pigmentröhre. So groß diese morphologischen Unterschiede auch sind, und so wichtig sie sich für die weitere Um- bildung der Sehorgane erweisen, für die Art ihres Funktionierens bedingen sie keine Verschiedenheit; diese wird vielmehr nur von der Zahl der Sehzellen und von der Wölbung, d. h. der Weite und Tiefe des Pigmentbechers verursacht. Der invertierte Pigmentbecherocell im Parenchym des Strudelwurms Planarm gonocephala (Fig. 6) und der epitheliale Pigmentbecherocell der Napfschnecke Patella (Fig. 7) sind also in ihren Leistungen etwa gleichwertig.

Bei den Pigmentbecherocellen wird das Sehfeld durch die ge- wölbte Pigmentwandung eingeschränkt und zwar ist die optische Isolierung um so wirksamer, je tiefer der Pigmentbecher und je enger seine Mündung ist. Ocelle, in denen nur eine Sehzelle enthalten ist, haben im allgemeinen einen engeren Pigmentbecher als solche, die zahlreiche Sehzellen umfassen. Das Gebiet, aus dem Strahlen bis auf den Grund des Pigmentbechers gelangen, ist daher bei den Ocellen mit einer Sehzelle viel enger umschrieben als bei den mehr-

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zelligen, sie sind mehr spezialisiert. In den Pigmentbecherocellen mit mehr Sehzellen werden dagegen alle Sehzellen erregt, wenn das Licht ganz oder nahezu parallel der Becherachse einfällt; je mehr die Strahlen schräg zur Becherachse gerichtet sind, um so geringer ist die Zahl der erregten Sehzellen; dabei werden stets diejenigen Seh- zellen erregt, die an der der Einfallsrichtung entgegengesetzten Seite des Pigmentbechers stehen. Somit ist in solchen Ocellen eine größere Verschiedenheit der Wirkungen möglich.

In unserem menschlichen Sinnesleben spielt das Sehen eine ganz gewaltige Rolle. Deshalb fällt es uns schwer, uns eine Vorstellung zu machen von der Bedeutung, die ein immerhin so gering differen- ziertes Sehen wie das Richtungssehen im Leben der Tiere hat. Wir müssen daher mit jeder kleinen Andeutung zufrieden sein, die uns hier w.eiterhilft. Eine solche finden wir in der Verteilung der Sinnes- organe bei den Randquallen, den Hydromedusen. Es gibt Quallen, die mit einfachen Pigmentbecherocellen ausgerüstet sind, und andre, denen statische Organe, sog. Statocysten, zukommen. Beiderlei Sinnes- organe nebeneinander treffen wir nur in ganz seltenen Fällen. Es ist also wohl die Annahme gerechtfertigt, daß sich Sehorgane und statische Organe hier gegenseitig vertreten und die gleiche Aufgabe zu erfüllen haben. Die Leistung der Statocysten kennen wir: in ihnen ist ein schwerer Körper, der Statolith so angebracht, daß er nach verschiedenen Seiten von Sinneszellen umgeben ist; er drückt dann auf die Sinneszelle, die jeweils senkrecht unter ihm Hegt; ändert sich die Haltung des Körpers, so wird auch eine andere Zelle gereizt. Dadurch wird also die verschiedene Lage des Tierkörpers zur Richtung der Schwerkraft mit verschiedenen Nervenerregungen kombiniert: das gibt die Grundlage ab für die Regelung der Körperhaltung im Wasser auf reflektorischem Wege. Wie hier die Schwerkraft, so wirkt wahrscheinhch bei den Pigmentbecherocellen die Richtung des Lichtes, das stets von der Oberfläche her ins Wasser eindringt, als Norm für die Orientierung des Körpers: die verschiedenen Lagen des Körpers sind mit ungleichen Erregungen der Sehorgane ver- knüpft und diese bilden die Grundlage für die Regelung der Körper- haltung. Allerdings werden die Sehorgane bei dunkler Nacht oder

in größerer Meerestiefe aus Mangel an Licht diesen Dienst versagen. Aber ihre Leistung wird damit auch nicht völlig erschöpft sein. Im übrigen wird sie bei anderen Tieren nicht notwendig die gleiche sein wie bei den Hydroniedusen.

Die Pigmentbecherocelle können in zweierlei Weise zu Seh- apparaten Icombiniert sein. Entweder besteht der Sehapparat aus vielen einzelnen Ocellen, deren jeder nur wenige Sehzellen, meist eine einzige, im Pigmentbecher enthält; oder aber es sind nur wenige Ocelle vorhanden, gewöhnhch nur ein Paar und jeder derselben be- steht aus zahlreichen Sehzellen. Allerdings kann man nicht alle hierher gehörigen Sehapparate ausnahmslos in eine dieser zwei Gruppen einreihen. Beim Blutegel, der fünf Paar Pigmentbecherocelle hat, enthält trotzdem jeder Ocell zahlreiche Sehzellen und andrerseits haben die Ocelle der rhabdocoelen Strudelwürmer, die nur in einem Paare vorhanden sind, doch nur je eine Sehzelle. Aber das sind Ausnahmen. In der angeführten doppelten Weise finden sich sowohl parenchyma- töse als epitheliale Ocelle verwendet und die epithelialen Ocelle leiten in beiderlei Anordnung zu höher ausgebildeten Sehorganen über.

Viele Ocelle mit je einer Sehzelle treffen wir bei zahlreichen Strudel- und Schnurwürmern, und unter den Ringelwürmern bei den Capitelliden und manchen Röhrenwürmern. Die Beschränktheit des Sehfeldes des Einzelocellus, d. h. des Gebietes, aus dem die Licht- strahlen bis in die Tiefe des Pigmentbechers zu den rezipierenden Elementen der Sehzelle dringen, wird hier durch Häufung der Ocelle ausgeglichen. Indem die Achsen der zahlreichen Pigmentbecher divergieren, wird vom gesamten Sehapparat ein großes Gebiet be- herrscht. Durch eine solche Kombination zahlreicher Ocelle wird außer vollkommenerem Richtungssehen noch ein weiterer Vorteil er- reicht: ein Lichtpunkt, der sich bewegt, wird beim ruhenden Tiere nach einander eine ganze Reihe von Einzelocellen reizen, in deren Sehfeld er kommt, und zwar wird je nach der Richtung seiner Be- wegung die Reihenfolge und Auswahl der erregten Sehzellen ver- schieden sein. So kommt ein einfachstes Bevvegungssehen zustande.

Richtungssehen und Bewegungssehen müssen bei diesem Seh- apparat um so vollkommener sein, je zahlreicher die Einzelorgane

•5

sind und je genauer sich ihre Sehfelder ergänzen. Eine fortschreitende Vervollkommnung in der Anordnung der Ocelle läfät sich am schönsten verfolgen in der Reihe jener Röhrenwürmer, die auf den Kiemen epitheliale Sehorgane tragen. Die einfachste Gruppierung zeigen die lockeren Reihen divergierender Ocelle bei Vermilia und Hypsicomus (Fig. 8); zu dichteren Gruppen schließen sich diese Reihen bei Protula (Fig. 9) zusammen, um dann bei Dasychone und Sabella (Fig. 10) enggeschlossene Verbände zu bilden, in denen sich die Ocelle dicht aneinander legen. Fig. 8.

Auf jeder Kieme stehen im allge- meinen zwei solcher Verbände, in eini- ger Entfernung von einander, und zwar der eine auf dieser, der andere auf der

entgegengesetzten Seite von der Me- dianebene der

Kieme. . Anstatt

dessen ist bei Bran-

chio'm7na (Fig. 11)

^ , . Fig- 9- Fig. 10.

am Ünde jeder pig_ 3_ Epitheliale Pigmentbecherocelle mit je einer Sehzelle auf Kieme nur ein Kiemen von Hypsicomus stichophthahnus.

Fig. 9. Ebensolche auf den Kiemen von Protula prolitla.

emziger, aber ent- pjg Ebensolche, zu einem zusammengesetzten Ocell grup-

sprechend größerer piert, auf den Kiemen von Sahclla reniformis.

Komplex solcher Ocelle vorhanden. Die Einzelocelle sind kegel- förmig, die Kegelbasis nach außen gekehrt; bei enger Zusammen- ordnung ergibt sich damit von selbst eine gleichmäßige Divergenz ihrer Axen (Fig. 12). Da die rezipierenden Elemente ganz in der Tiefe der Pigmentröhre geborgen sind, können zu ihnen nur Strahlen aus einem Kegel gelangen, der etwa die Verlängerung der kegel- förmigen Sehzelle bildet. Somit schließen die Sehfelder der Einzel- ocelle fast ebenso genau zusammen wie die Ocelle selbst. Dicht unter

i6

der Cuticula liegt in jeder Sehzelle eine etwa plancovexe Linse (Fig. 3) ; diese bewirkt wahrscheinlich, daß alle ganz oder nahezu in der Axen- richtung auf die Oberfläche des Ocellus auffallenden Strahlen auf den rezipierenden Stiftchensaum vereinigt werden, daß dagegen die^ schräg einfallenden Strahlen eine Ablenkung gegen den Pigmentmantel leiden.

er-

Denken wir uns im Gebiete dieses Sehorgans eine leuchtende Fläche, so werden durch die von ihr ausgehenden Strahlen

Fig. II. Zusammengesetzter Ocell an der Spitze der ^ii^ r»^„n^ ^

Kiemen von Branchiomma Köllikeri. ^^^^ J^"^ ^^^^^ erregt,

in deren Sehfeld die Fläche hineinragt. Die Kombination der erregten Ocelle wird sich ändern, wenn die Form der Fläche eine andere ist. Und falls die Fläche nicht in allen ihren Teilen gleich , hell ist, werden auch nicht alle getroffenen Ocelle gleich stark gereizt, sondern

Fig. 12. Querschnitt durch den zusammengesetzten die einen mehr, die an- Kiemenocell von Branchiomma Küllikeri. , , t-n

ep unveränderte Epithelzellen. dem weniger. Damit

ist die Möglichkeit einfachsten Formsehens gegeben. Es ist die gleiche Art des Sehens, die Johannes Müller i**) für die zusammen- gesetzten Augen der Krebse und Insekten postuliert und als musi- visches Sehen bezeichnet hat: die Gesamterregung entsteht durch Nebeneinanderreihen der zahlreichen, in den verschiedenen Ocellen entstehenden einheitlichen Einzelerregungen, wie sich ein Mosaikbild aus einzelnen einfarbigen Steinchen zusammensetzt; es ist (mitExners Ausdruck) ein Appositionsbild. Zwar werden diese Bilder nicht be- sonders lichtstark sein; denn nur ein dünnes Bündel von den Strahlen,

1/

die von einem Punkte eines Gegenstandes nach allen Seiten hin aus- gehen, gelangt in den zugeordneten Ocellus; aber sicher werden auffälligere Formunterschiede auch Unterschiede in der Gesamt- erregung zur Folge haben.

Je ferner ein leuchtender Körper ist, um so geringer ist die Zahl der Sehfelder, die er einnimmt, und um so schwächer die Erregung der Einzelocelle. Wenn sich aber der Körper dem Sehorgan nähert, nimmt die Zahl der erregten Ocelle ständig zu. Es wird damit dem Tiere die Annäherung eines Feindes gleichsam signalisiert, und das dürfte die Hauptbedeutung dieser Einrichtung sein. Ein Unterscheiden der Formen, menschlich gesprochen, ist von weit geringerer Bedeu- tung für das Leben des Tieres, um so mehr, als die verhältnismäßig kleine Zahl der Ocelle nur ein sehr undeutliches Formensehen zuläßt.

Von geringerer Leistungsfähigkeit als die Kombination zahl- reicher Pigmentbecherocelle mit nur einer Sehzelle erscheint das Auf- treten eines Paars von Ocellen, deren jeder zahlreiche Sehzellen ent- hält. Die beiden Ocelle kehren einander den Boden des Pigment- bechers zu, so daß also ihre Sehfelder nach entgegengesetzten Seiten liegen und sich ergänzen. In einem solchen Ocell ist eine Einfall- richtung des Lichtes bevorzugt, nämlich die parallel der Axe des Pigmentbechers. In diesem Falle werden alle Sehzellen des Ocellus gereizt, bei jeder anderen Richtung der Lichtquelle nur ein be- stimmter Teil derselben. Das Richtungssehen ist daher weniger voll- kommen; ein Bewegungssehen dürfte nur in sehr beschränktem Maße vorhanden sein.

Dagegen geht eine überaus wichtige Fortbildung des Sehorgans von dieser Grundlage aus. In den epithelialen Pigmentbecherocellen sind die rezipierenden Enden der Sehzellen von einem Sekret (P'ig. 7 sekr^j der indifferenten, zwischen den Sehzellen verteilten Epithel- zellen überzogen; dieses bewahrt sie vor Beschädigung und hält mecha- nische und chemische Reize fern. Wenn sich nun die epithelialen Sehgruben stärker wölben und vertiefen, wird die ganze Grube von dem Sekret ausgefüllt (Fig. 13). Schließt sich die Sehgrube durch Näherung ihrer Ränder zu einer Blase, so wird die Füllmasse ab- geschnürt und erfüllt jetzt die Augenblase, deren Form sie angepaßt

Hesse, Diis ScIk-d der niederoii Tiere. 2

i8

ist. Ihre meist gewölbte äußere Oberfläche und ihr starkes Lichtbrech- ungsverniögen bewirken, daß die Füllmasse in solchen Sehgruben und Sehblasen eine neue Funktion übernimmt: sie wird zur Sammellinse. Innerhalb dieser Füllmasse kann sich dann noch eine regelmäßig gestaltete, meist kugelige Linse von stärker lichtbrechender Substanz

bilden (Fig. 14), wo- durch die optische Leistung sehr ver- vollkommnet wird. Solche Übergangs- reihen von epithe- lialen Pigment- becherocellen zu becher- oder blasen- förmigen Linsen- ocellen finden sich bei den Weichtieren und den Ringel- würmern. Bei den

Weichtieren be- zeichnen die Seh- organe der Schnek- ken Patella (Fig. 7), Haliotis (Fig. 13), Turbo und Murcx \o^Qx Helix{^\^. 14)]

einzelne Punkte dieser Entwicklung; unter den Anneliden ist die Reihenfolge Ranzania, Syllis, Nereis, Alciope. In etwas anderer Weise bilden sich die Linsenocelle der Arthropoden: hier wird die Linse durch eine bikonvexe Verdickung der Köperkutikula geliefert, und die Sehzcllen sondern sich meist aus dem Teil des Epithels, der diese

Sehfjnilie der Schnecke Haliotis. sckr Sekretmasse, von den in der Retina zwischen den Sehzellen stehenden Sekretzellen ab- geschieden ; sn Sehnerv.

Linse abscheidet. Trotz der morphologischen Unterschiede stehen sich diese Linsenocelle funktionell nicht fern.

Stark lichtbrechende Substanzen mit konvex gewölbter Ober- fläche haben die Eigenschaft, parallele oder wenig divergente Strahlen, die auf sie auffallen, konvergent zu machen. In einer idealen bikonvexen Linse sind die Brechungsverhcältnisse so bemessen, daß die von einem Punkte ausgehenden Strahlen, die auf ihre Oberfläche fallen, sich

Fig. 14.

Linsenocell der Weinbergschnecke, Helix pomatia; etwas schematisch, cp Epithel; sz Seh- zclle mit Stiftchensaum; pz Pigmentzclle; sn Sehnerv. Der Raum zwischen Linse und

Retina ist von Sekretmasse erfüllt.

hinter derselben wieder in einem Punkt vereinigen. Dadurch ent- stehen von leuchtenden Gegenständen, die vor der Linse liegen, nach bekannten Gesetzen verJ<leinerte umgekehrte Bilder hinter der Linse, und zwar liegt das Bild eines fernen Gegenstandes, von dem die Strahlen parallel auf die Linse fallen, dem Linsenmittelpunkt am nächsten; alle Bilder von näheren Gegenständen liegen zunehmend

weiter von der Linse entfernt. Die Sehzellcn können nur dann

2*

20

durch die von der Linse „geordneten" Lichtstrahlen genügend stark erregt werden, wenn andere Strahlen von ihnen ferngehalten werden Dies geschieht durch den Pigmentmantel, der den ganzen Linsenocell mindestens bis an die Ränder der Linse umschließt. Ein solches Sehorgan ist also nach dem gleichen Prinzip gebaut wie die Camera obscura des Optikers und Photographen.

Die Linse ist ein neues Mittel der optischen Isolierung und ist demnach als Hilfsorgan für das Sehen dem Pigment an die Seite zu stellen. Sie bewirkt, daß durch Strahlen, die aus einer bestimmten Richtung zu dem Sehorgan gelangen, stets bestimmte Sehzellen ge- troffen werden, daß also jeder Sehzelle oder Sehzellgruppe eine be- stimmte Richtung im Räume zugeordnet ist, oder mit anderen Worten, daß jede Sehzelle ihr begrenztes Sehfeld hat genau wie bei den gehäuften Pigmentbecherocellen mit divergenten Achsen. Aber sie bietet dieser Einrichtung gegenüber einen bedeutenden Vorteil: die größere Lichtmenge. Durch den Pigmentbecher wird zu einer Sehzelle nur das dünne Strahlenbündel zugelassen, das von einem leuchtenden Punkt des Sehfeldes* auf die Öffnung des Pigmentbechers fällt; durch die Linse' aber werden auf eine Sehzelle alle Strahlen vereinigt, die von einem im Sehfelde der Zelle gelegenen leuchtenden Punkte auf die ganze Außenfläche der Linse fallen. Je größer daher die Linse ist, um so lichtstärker ist, ceteris paribus, das Auge. Deshalb sind bei Dämmerungs- und Tiefseetieren {Tarsius, Eulen, Tiefseefische Macrurics u. a.) die Linsen und daher auch die ganzen Augen von besonderer Größe ^).

ij Anm. Auch bei den im Hellen, nahe der Meeresoberfläche lebenden Schwinini- schnecken- (Heteropoden-) Gattungen Carinaria und Pterotrachea ist ,die für eine Schnecke bedeutende Vergrößerung der Linse auf die gleiche Ursache zurückzuführen ^Fig. 15). Hier kann nämlich durch die sog. Fenster, seitliche helle Stellen in der Wand der Augenkamnier, Licht, das die Linse nicht passiert hat, in das Auge eintreten luid besondere, dem Fenster gegenüberstehende sog. Nebensehzellen treffen eine Einrichtung, die wahrscheinlich zur Vergrößerung des Sehfeldes dient. Wenn nun auch durch bestimmte Vorkehrungen ver- hindert ist, daß dieses Licht die Retina, die nur den Boden des Auges einnimmt, un- mittelbar trifft, so wird doch immerhin die optische Isolierung derselben durch reflektierte Strahlen beeinträchtigt. Daher müssen die Bilder, die von der Linse entworfen werden, besonders lichtstark sein, und dies ist erreicht durch bedeutende Vergrößerung der Linse. Ganz wie es V. Franz^) für die sog. Teleskoiiaugen von Fischen und Tintenfischen der Tiefsee treffend auseinandergesetzt hat, müßte dann das Auge, wegen des durch die Linsen- vcrgrö^erung erhöhten Abstandes zwischen Linse und flctina, zu einer großen Masse an-

2 1

Daraus folgt, daß die Leistungen der Linsenaugen ähnlich sind wie die der gehäuften Pigmentbecherocelle, aber in vervollkomm- netem Maße: sie werden dem Richtungssehen und Formensehen dienen. Die Vollkommenheit ihrer Leistungen hängt außer von der Leistungs- fähigkeit der Linse, hauptsächlich von der Zahl der Sehzellen ab, wie dort von der Zahl der einzelnen Pigmentbecherocelle. Aber es treten hier noch besondere Komplikationen hinzu infolge der Eigentümlich- keiten der Linse. Die Entfernung des Bildes vom Linsenmittelpunkt wechselt ja mit der Entfernung des leuchtenden Objekts; die rezipierenden Elemente der Sehzelle aber e. haben eine feststehende Entfernung von der Linse und werden maximal gereizt, wenn der zugeordnete leuchtende Punkt innerhalb eines bestimmt entfernten Gebietes hegt. Somit ist jeder Sehzelle nicht nur eine be- stimmte Richtung, sondern auch eine be- stimmte Entfernungszone zugeordnet, inner- halb deren sich die leuchtenden Punkte be- finden müssen, um die Zelle maximal zu erregen. Nähert sich ein leuchtender Punkt von fern her der Linse, so erleidet sein Bild so lange nur eine ganz geringe Ver- schiebung, als die Strahlen des von ihm zur Linse gelangenden Strahlenbüschels noch annähernd einander parallel sind; bei

weiterer Annäherung wird die Verschiebung des Bildes zunehmend schneller, und zwar beträgt sie, wenn der Lichtpunkt in einer Ent- fernung von der doppelten Brennweite der Linse vor ihr angelangt ist, im ganzen die Strecke der einfachen Brennweite. Kommt der Lichtpunkt noch näher, so entfernt sich das Bild überaus schnell.

schwellen, wenn die Retina etwa wie beim Schneckenauge die Form einer Kugelschale hätte; indem aber bei den Heteropoden aus dieser kugeligen Masse nur ein Keil, oben vom Durchmesser der Linse, oder ein taschenförmi{4 schmales Gebilde gleichsam herausgeschnitten ist, kommt eine kompendiösere Form zustande, wobei die Retina auf den Grund des A.uges beschränkt wird.

Fig. IS- Auge von Pterotrachca coro- nata, 20 fach vergrößert, e Linse; f Fenster; sn Sehnerv.

22

Bei Sehzellen, die auf ferne Objekte eingestellt sind, können daher die rezipierenden Elemente auf sehr engem Räume zusammenge- drängt sein; bei Seh- zellen aber,' die in größerem Abstand von der Linse Hegen und somit auf nähere Ob- jekte eingestellt sind, ist die zugeordnete Entfernungszone um so breiter, je mehr sich die rezipierenden Ele- mente in der Richtung der von der Linse her- kommenden Strahlen ausdehnen. Ein Licht- punkt, der außerhalb dieser Zone liegt, wird eine schwächere und weniger lokalisierte Erregung auslösen als ein Punkt innerhalb derselben. Demnach ändert sich die Er- regung mit der ver- schiedenen Entfernung der Objekte, allerdings in weiten Grenzen und so ist für die Linsenaugen zugleich eine Art Entfernungs- sehen möglich.

Es gibt Linsen-

Fig. 16.

Stirnocell einer Fliege {Helophilus sp.). sz^ Sehzellen mit kurzem, der Linse dicht anliegenden rezipierenden Abschnitt (dicke Kontur); sz^ von der Linse entfernte Sehzelle mit langgezogenem rezipierenden Abschnitte; sn Sehnerv.

Fig. 17.

Stirnocell einer Libelle (Agrioti sp.). l Linse; sz^, sz., eiste, zweite Reihe der Sehzellen; in ihnen sind die lichtrezipicren- den Elemente (Rhabdome) durch die dickeren Linien dar- gestellt; sn Sehnerv.

äugen, bei denen die zugeordnete Entfernungszone verschoben werden kann, sei es durch Veränderung des Abstandes zwischen Linse und

Sehepithel, sei es durch Änderung der Linsenwölbung. Solche Augen besitzen die Fähigkeit, sich auf eine bestimmte Entfernung emzu- stellen, zu akkomodieren. Das geschieht in den Augen der Tmten- fische und der Wirbeltiere, vielleicht auch in denen der Alciopiden und der Kammuscheln (vgl. 13, V, S. 474 f- "nd VI, S. 397 f-). deren Besonderheiten hier nicht genauer erörtert werden sollen. Bei der weit überwiegenden Zahl der Wirbellosen aber fehlt den Linsen- augen eine solche Fähigkeit. Immerhin gibt es einzelne Linsen- augen, in denen der Mangel, den die feste Einstellung auf eine be- stimmte Entfernungszone mit sich bringt, durch besondere Einrich- tungen vermindert wird: sie sind auf mehrere Entfernungen zu- gleich eingestellt. Im Stirnocell einer Fliege, Helophilus (Fig. 16), zerfällt z. B. die Netzhaut in zwei nebeneinanderhegende Abschnitte: der eine [sz^ Hegt der Linse dicht an, der andere {sz^ ist von ihr durch einen größeren Zwischenraum getrennt; jener ist auf eine weite Entfernungszone eingestellt, und da sich die Bilder ferner Objekte viel weniger schnell verschieben als diejenigen naher, so sind die lichtrezipierenden Elemente der Sehzellen sehr zusammengedrängt; der andere Teil ist auf nähere Objekte eingestellt, und entsprechend der größeren Verschiebung, die das Bild eines näheren Objekts bei dessen Annäherung erfährt, haben hier die rezipierenden Elemente eine größere Erstreckung in die Tiefe. Noch merkwürdiger sind die Einrichtungen in den Stirnocellen der Libellen (Fig. 17): hier liegen zwei Reihen von Sehzellen hintereinander; die rezipierenden Elemente der zweiten Reihe beginnen etwa da, wo die der ersten Reihe auf- hören. . Damit ist ein ausgesprochenes Entfernungssehen gegeben : fernere Gegenstände erregen die distale {sz^, nähere die proximale {sz^ Reihe der Sehzellen. Ein Objekt, das sich auf den Ocell zu bewegt, wird an einer Stelle eine plötzliche Veränderung der Er- regung bewirken, wenn sein Bild von der einen auf die andre Reihe von Sehzellen übertritt: also eine besondere Art von Bewegungs- sehen. — Dieser Vorteil aber ist mit einem Nachteil anderer Art verbunden: durch eine solche Teilung der Retina wird bewirkt, daß in jeder Teilretina die Zahl der Sehzellen auf die Hälfte herabgesetzt ist, daß also die von einer solchen vermittelte Gesamterregung viel

weniger different ist oder daß. n.enschlich gesprochen, die wahr- genommenen Bilder viel weniger deutlich sind.

Auch bei dem so bemerkenswert kompliziert gebauten Auge der Kammuscheln [Pecten) (Fig. z8) ist die Retina aus zwei hinter- emander gelegenen Abschnitten zusammengesetzt. Die Sehzellen der distalen Schicht kehren ihre freien Enden der Linse zu und

tragen an ihnen bürstchenartige Bildungen, die ich als Stiftchensäume

ansehen möchte. Die Fasern des von der Lin- senseite herkommenden distalen Sehnerven {sn^ treten zwischen diesen Zellen hindurch und ver- binden sich wahrschein- lich mit deren proximalen Enden. Die Sehzellen der proximalen Schicht [sz^ tragen Stäbchen, in denen je eine Neurofibrille endet (vgl. oben Fig. ^B), und ihre Nervenfasern stre- ben von der Mitte der jTjg jg Schicht aus strahlig nach

Auge vom Mantelrand einer Kammuschel fPectenJ, außen und vereinigen sich, schematisch. / Linse; sz^ erste Schicht Sehzellen und

s?i^ der von ihnen ausgehende Ast des Sehnerven; sz umbiegend, unter der

zweite Schicht Sehzellen ^ und ..,^der zugehörige Seh" Mitte des Pigmentepithels

ZU dem proximalen Ab- schnitte des Sehnerven {sn^). Die hchtrezipierenden Enden der ersten Schicht Sehzellen sind der Linse viel näher als die der zweiten; die Verhältnisse sind also darin ähnlich wie beim Stirnocell der Libellen.

Nachdem ich früher (13, VI) die epithelähnliche Anordnung der distalen Sehzellen- schicht und den Durchtritt der Nervenfasern zwischen diesen Zellen nachgewiesen hatte, glaubte ich eine Verbindung dieser beiden nicht annehmen zu dürfen. Entwicklungs- geschichtliche Untersuchungen haben mich eines besseren belehrt. Bütschli") hat das Pecten- Auge als Augenblase gedeutet, deren distale Wand durch die Retina, deren proxi- male durch die Pigmentepithel gebildet wird. Danach war zu vermuten, daß die erste An-

läge des Auges eine Einstülpung ist. Eine solche ergibt auch die Untersuchung tatsächlich als frühestes Entwicklungsstadium dieses Auges (Fig. 19), und zwar steht die Achse der Ein- stülpung nicht senkrecht zur Fläche des Mantels, wie das fertige Auge erwarten ließe, son- dern parallel dem Mantel, senkrecht zu dessen Rand, wie etwa bei den Grubenaugen am Mantelrande von Lima (palingenetischer Zustand). Die der Schale zugekehrte Wand des eingestülpten Epithelsäckchens wird dann zur Retina, die andere Wand zum Pigmentepithel. Junge Augen, an denen man schon alle Teile des fertigen Organes erkennen kann, zeigen noch die gleiche Orientierung wie die erste Einstülpung (vgl. Fig. 19 und 20). Die Mitte der Retinaanlage gibt die distale Reihe der Sehzellen (Fig. 20 sz^), und zwar sind diese auf den vorliegenden Stadien schon mit ihren freien, den Stiftchensaum tragenden Enden der Linse zugewendet, während doch in der Anlage, infolge der Einstülpung, das freie Ende der Zellen gegen das Lumen der Einstülpmig gerichtet war: sie sind also aus der invertierten in die vertierte Orientierung übergegangen. Solche „Reversion" läßt sich auch sonst bei Seh- zellen beobachten (Spinnen, Landtrikladen, -pj^^ 20. vgl. 13, VIII, S. 625 und 633). Der distale Nerv tritt schon, ganz wie beün fertigen Auge, von der Linsenseite her an diese Zell- schicht heran. Es ist keine andere Möglich- keit, als daß er mit ihnen in Zusammen- hang steht; denn unter ihnen liegen noch keine Zellen, zu denen er zwischen ihnen hindurch gelangen könnte; auch von den sog. Zwischenzellen, die sich im fertigen Auge nachweisen lassen und mit denen ich früher die Nervenfasern verbunden glaubte,

Fig. 19.

Erste Anlage des Auges von Pccten. c Einstülpung; per Periostracum ; / 5 Falten und Vorsprünge des Mantelrandes, die den gleich bezeichneten Bildungen in Fig. 20 entsprechen.

Fig. 20.

Weiter entwickeltes Auge von Pccten. l Linse; sz^ und sz^ die zwei Gruppen von Seh- zellen; tap Tapetum mit der großen Tapetumzelle; pz Zellen des Pigmentepithels; sn Seh- nerv (aus einem benachbarten Schnitte ergänzend eingetragen); mn Mantelrandnerv.

ist noch keine Spur zu entdecken. In Fig. 18 habe ich schematisch dargestellt, wie ich mir den Zusammenhang zwischen den distalen Sehzellen und den Nervenfasern vorstelle. Aus dem ringförmigen Rand der Retinaanlage werden die Sehzellen der proximalen Schicht; sie bleiben invertiert und schieben sich von der Seite her allmählich unter die distale Schicht, bis sie eine zusammenhängende Lage bilden. Damit erklärt sich morphologisch

~ 26 ~

RL:r~.^"°^'"""^ einander ,,eicHsa„, .e„

Sehr eigenartig ist die Anordnung der Sehzellen im Auge der Schwimmschnecken (Heteropoden). Dies Auge hat eine keil- oder taschenähnliche Gestalt: das offene Ende der Tasche ist durch Ein- lagerung der großen kugligen Linse erweitert. Der Grund der Tasche ist schmal, kielförmig und wird von der Retina eingenommen- hier sind die Enden der Sehzellen in mehreren kantig vorspringenden Längsleisten angeordnet (Fig. 21, 1-5) und ihre rezipierenden' Ele- mente liegen jedesmal in einer schmalen langgestreckten Ebene, deren

schmaler Durchmesser (xy) in die Rich- tung der Augenachse fällt. Es werden daher entferntere Lichtpunkte die an der Leistenkante {x) gelegenen, der Linse näheren Sehzellen erregen, wäh- rend nähere Punkte gleichzeitig die an der Basis der Leiste {y] liegenden Zellen erregen. Das ist wahrscheinlich eine Einrichtung, die dem Entfernungs- sehen dient und dem Sehen von Be- wegungen, die in der Richtung gegen

Querschnitt durch die Retina von Pfrro- das Auge ZU erfolgen. trachea vtuttca. 1—5 erste bis fünfte

Gruppe von Sehzellen mit ihren Stiftchen- Es gibt Linsenocelle, in denen die

säumen; sn Sehnerv; der Pfeil zei^t die 7^1,1 A^^ c u n 1 . 1

Richtung des Lichteinfalls. ^^^^ Sehzellen sehr germg ist; bei

einer Meeresnacktschnecke, Pleurobran- chiis membranaceus, sind deren nicht mehr als 8 10 vorhanden, und ähnlich ist es z. B. bei vielen Tausendfüßern. Solche Linsenocelle mit nur wenigen Sehzellen können für sich allein nicht mehr leisten als ein Richtungssehen, Vollkommenere Leistungen werden erreicht durch Häufung solcher einfachen Ocelle, wobei ihre Achsen divergieren, in ähnlicher Weise wie durch Häufung der Pigmentbecherocelle: das führt zur Entstehung der zusammengesetzten Augen der Arthropoden. Bei vielen Tausendfüßern, den niedersten Lisekten (Poduren, Lcpismd) und unter den Krebsen bei den Asseln sind gehäufte Linsenocelle vorhanden. Diese Häufung von Ocellen wird zum zusammengesetzten

Fig. 21,

27

Auge oder Facettenauge, wenn das trennende Gewebe zwischen den Einzelocellen schwindet und sie sich dicht zusammendrängen, nur von wenigen Pigmentzellen getrennt. Es wiederholt sich hier derselbe Konzentrationsvorgang, den wir bei den Pigmentbecherocellen auf den Kiemen der Röhrenwürmer verfolgt haben (vgl. oben S. 15). Das ist bei Scutigera unter den Tausendfüßern, bei fast allen höheren Insekten und bei der Mehrzahl der Krebse verwirklicht. In diesem Verbände wird der einzelne Linsenocellus als Facettenglied bezeichnet.

Das zusammengesetzte Auge der Arthropoden ist dem von Branchtomma, das oben geschildert wurde, überaus ähnlich; nur hat jeder Bestandteil morphologisch den Wert eines Linsenocells und be- steht aus 13 (bis 14) Zellen 1), die trennenden Pigmentzellen ungerechnet. Die 7 (bis 8) Sehzellen sind so angeordnet, daß ihre rezipierenden Enden der Ocellachse zugekehrt sind und sich meist zu einem einheit- lichen axialen Rhabdom an einander legen; ja bei vielen Krebsen greifen sogar die Abschnitte der Stiftchensäume benachbarter Seh- zellen in einander wie die Zähne zweier Zahnleisten. Bei Reizung des Rhabdoms werden daher alle Sehzellen des Facetten gliedes in gleicher Weise erregt: das Facettenglied vermag also, trotz seiner zahlreichen Sehzellen, nur einen Reiz auf einmal aufzunehmen, nicht mehrere nebeneinander.

i) Diese Zellen sind zwei Corneagenzellen bzw. Haiiptpigmentzellen, vier Kegelzellen und sieben bis acht Sehzellen. Die Corneagenzellen der Krebse, deren Kerne direkt unter der Cornealinse liegen, und die Hauptpigmentzellen der Insekten, deren Kerne neben der Spitze des Kristallkegels liegen (Fig. 22 pz^) sind einander homolog, wie ich (13, VIII) wahr- scheinlich zu machen sachte; zur Gewißheit wird dies durch einen Befund, den ich neuer- dings Lihellula gemacht habe: hier reichen die Hauptpigmentzellen bis unter die Cornea- linse und schieben sich dort mit einer Verbreiterung zwischen diese und die Kegelzellen ein. Die Zahl der Sehzellen ist wechselnd: meist sind es sieben. Acht Sehzellen kommen regel- mäßig bei den Hymenopteren vor und begegnen uns auch bei Cicada (Grenacher); außer- dem finde ich diese Zahl bei Aptis, wobei allerdings eine Anzahl dieser Zellen rudimentär sind. Bei manchen Insekten findet sich eine achte Sehzelle in besonderer Lage, so bei Dytiscus im proximalsten Ende des Facettenglieds, ähnlich bei Phryganea; bei Ascalaphns liegt der Kern derselben am distalen Ende des Rhabdoms, während die sieben anderen Seh- zellkeme dem Kristallkegel nahe liegen. Vielleicht ist auch der große Kern , der sich bei Schwärmern und Eulen regelmäßig proximal vom Rhabdom findet, den übrigen Sehzell- kcrnen homolog. Das genau vierkantige Rhabdom der Dekapoden deutet auch auf ursprüng- liche Acht- und nicht Siebenzahl der Sehzellen. Weiteres Suchen bringt vielleicht noch mehr Anhaltspunkte dafür, daß die Achtzahl der Sehzellen die ursprüngliche ist, die Sieben- zahl auf einer Reduktion beruht.

28

22.

.cl

Fig. 2 2.

Facettenglied eines zusammengesetz- ten Insektenauges

(„Appositions- auges"), cl Cor- nealinse ; kk Kegel ; :pz^ u. pz^ Haupt- undNebenpigment- zellen ; sz Sehzelle ; rh Rhabdom; nf Nervenfaser.

Fig. 23. Schema des Sehens mit dem euconen zusammengesetzten Arthropodenauge (Appositionsauge). Den Facettengiiedern

Fig. 23

Es liegt datin die Frage nahe, weshalb so viele Sehzellen vor- handen sind, wälarend doch eine einzige für die Aufnahme des ein- heitlichen Reizes genügen würde. Da liegt zunächst wohl auf der Hand, daß die Vielzahl histo- risch begründet ist in der Her- kunft des Facetten gliedes von einem Linsenocell, in dem diese Zahl von Sehzellen in weniger gedrängter Anordnung vorhanden war und ein Richtungssehen und vielleicht auch Bewegungssehen ermöglichte. Die Mehrzahl der Sehzellen mag aber auch physio- logisch ihre Bedeutung haben: wegen der geringen Ausdehnung der Hchteinlassenden Oberfläche ist das Facettenglied sehr wenig lichtstark; der Reizerfolg ^wird dann wohl durch die größere Zahl reizaufnehmender Zellen gestei- gert. Möglich ist schließlich auch, daß die Sehzellen nicht alle die gleiche spezifische Energie be- sitzen, sondern auf Licht von ver- schiedener Wellenlänge abge- stimmt sind. Es ist ja bei manchen Insekten, speziell Hymenopteren, mit Sicherheit nachgewiesen, daß sie durch verschiedene Farben

1 K O

. j ,. . ., ungleich gereizt werden, daß sie,

^ ..www.^..g..^uv.».i 123 sind die in ihre 00

jedesmaligen Sehfelder fallenden Stücke / // /// menschlich gesprochen , Farben eines Objektes entsprechend zugeordnet. cl

Cornealinse; kk Kristallkegel. unterscheiden. Ob dies aber auf

die angedeutete Weise zustande kommt, ob die erwähnte Möglichkeit auch Wirklichkeit ist, dafür haben wir keinerlei Anhaltspunkte.

29

Das Sehfeld eines Facetten gl iedes wird bestimmt durch die Be- schaffenheit seines lichtbrechenden Apparates. Dieser besteht aus der meist schwach Hnsenartig gewölbten zugehörigen Kutikula, die als Corneafacette oder Cornealinse (Fig. ziel) bezeichnet wird, und einem kegel- oder pyramidenförmigen Gebilde [kk) mit nach außen ge- richteter Basis. Der Kegel ist entweder ein einfacher Zellkegel und besteht aus vier Zellen mit hellem Plasma (sogen, acone Augen), oder er wird zum Kristallkegel durch Umwandlung des Inhalts solcher Zellen in eine stark lichtbrechende Substanz von fast kutikularer Be- schaffenheit (sogen, eucone Augen) oder er ist in selteneren Fällen, als PseudoConus, neben den vier Zellen von einer Sekretmasse gebildet (sogen, pseudocone Augen). Die Strahlen, die parallel zur Achse des Facettengliedes auf die Oberfläche der Cornealinse fallen, werden konvergent gemacht und gelangen zur Spitze des Kegels und von dort ins Rhabdom, In den Zellkegeln ist die Wölbung der Kegel- wand so bemessen, daß Strahlen, deren Richtung nur wenig von der Achsenrichtung abweicht, unter sehr spitzem Winkel gegen die Wand des Kegels geworfen und durch totale Reflexion ebenfalls zur Kegel- spitze geleitet werden; schräger einfallende Strahlen werden nicht reflektiert, sondern gelangen durch die Kegelwand in das umgebende Pigment und werden dort resorbiert. Etwas anders ist die Wirkung der Kristallkegel. Durch Exners^) Untersuchungen ist gezeigt, daß sie aus verschieden stark lichtbrechenden Lagen geschichtet sind, deren Brechkraft gegen die Achse des Kegels zunimmt. Dadurch wird bewirkt, daß der Weg aller Strahlen, die nicht genau in der Achse .entlang gehen, nicht geradhnig, sondern mehr oder weniger ge- bogen verläuft, und zwar werden Strahlen, die schräg zur Achse ein- fallen, so geleitet, daß sie einen Bogen beschreiben mit der Konka- vität nach der Seite, nach welcher sie von der Achsenrichtung ab- weichen (Fig. 23). Die Kristallkegel leiten also ebenfalls alle unter nicht ganz spitzem Winkel zur Achse einfallenden Strahlen seitlich ab, gegen das umgebende Pigment. Zum Rhabdom gelangen somit nur Strahlen, die ganz oder nahezu parallel zur Achse des Facettengliedes auf die Cornealinse auffallen. Das Sehfeld des Facettengliedes hat daher die Gestalt einer abgestumpften, sechsseitigen Pyramide, deren

Seiten in. günstigsten Falle in der Verlängerung der Seiten des I^acettengliedes liegen. Wenn dieser Fall eintritt - und estt nil ^sCe.^^^, aaß die Brechkraft der Kristallkegel Fallen gerade so abgemessen ist - dann schließen sich die Sehfelder benachbarter Facettenglieder dicht an einander wie die Facettenglieder selbst; gegeneinander aber sind sie gesondert: Strahlen aus dem Nach- barsehfeld gelangen nicht zum Rhabdom. Die Gesamtleistung ist also wie beim Branc/^üm^na-Auge (vgl. oben S. x6): es werden durch diese Art der Lichtsonderung verkleinerte aufrechte Bilder erzeugt sogen. Appositionsbilder (Exner); wir haben ein musivisches Sehen Johannes Müller-) hat diese Verhältnisse zuerst erkannt und seine Theone ist durch Grenacher-) von morphologischer Seite, durch Exnero) von physiologischer Seite neu und überzeugend begründet so daß sie jetzt allgemein anerkannt wird.

Die Facettenaugen der Arthropoden sind, wenn wir von den besonders gestalteten Facettenaugen des Tausendfüßers Scu^i^era und des Krebses Lmm/us absehen, mit ganz wenigen Ausnahmen morpho- logisch so einförmig gebaut, daß unabänderlich jedes Facettenglied aus 13 oder 14 Zellen besteht, die in gleicher Weise angeordnet sind. Trotzdem kommen sie in immer neuen Modifikationen vor, und dem- entsprechend wechselt ihre Leistungsfähigkeit. Um uns über die Leistungsfähigkeit dieser Augen unter wechselnden Bauverhältnissen Klarheit zu verschaffen, gehen wir am besten von einem konkreten Beispiele aus: ich wähle dazu das Auge einer großen Libelle, Aesc/ina, das in seinen Abschnitten gewisse Verschiedenheiten zeigt. Betrachtet man einen Frontalschnitt durch das Aesc/ma-Auge (Fig. 24), so fällt ohne weiteres auf, daß die Divergenz der Achsen der Facettenglieder in den einzelnen Bezirken des Auges verschieden ist. Faßt man je IG Facettenglieder in der Schnittebene zusammen, so schwankt die Größe des Winkels, den eine solche Dekade einnimmt, zwischen 50 und 18". Am geringsten ist die Divergenz auf der dorsalen, am größten auf der ventralen Seite. Ein Objekt, das sich in einer ge- gebenen Entfernung vom Auge befindet, wird eine um so differentere und stärkere Erregung hervorrufen, je mehr Einzelsehfelder es ein- nimmt, oder ein Auge wird dies Objekt um so deutlicher sehen, je

3'

6"

schmaler die Sehfelder seiner ' Facetten glieder sind, je we- niger deren Axen divergieren. In einer Entfernung von 1,37 ^ '^^^ Auge steht ein I m langer Stab, dessen Rich- tung tangential zur Au gen Oberfläche ist, unter einem Winkel von 40" i). Die von

ergibt sich : a = =

d

b-c 0,01516

Fig. 24. Frontalschnitt durch das Aeschna-Auge. Die Zahlen geben die Grade des Winkels, der von jedesmal 10 in einer Reihe liegender Faceltenglieder eingenommen wird, oder, in anderer Fassung, den Diver- genzwinkel, den die Achsen des I., II., 21. Fa- cettengliedes mit- einander bilden.

i) Anm. Zu leichterer Kontrolle der folgenden Be- rechnung gebe ich hier eine nähere Ausführung. Die Höhe eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Basis i m lang ist und dessen Winkel an der Spitze 40" mißt, beträgt 1,373 m. Man kann diese Zahl mit ganz geringem Fehler für die Entfernung des Stabes von der Oberfläche des Auges einsetzen, obgleich sie eigentlich die Entfernung von Krüm- niungsmittelpunkt des betreifenden Abschnittes der Ober- fläche bedeutet. Die Größe des Netzhautbildes, das im menschlichen Auge von einem i m langen Stab bei 1,373 m Entfernung entsteht {a), verhält sich zur Größe des Ob- jektes {b), wie die Entfernung der Netzhaut vom Knoten- punkt im reduzierten Auge nach Listing {c) zur Entfer- nung des Objekts von diesem Knotenpunkt (d). Die Werte betragen: b=im] c = 0,01 516m; rf= 1,373 m. Danach

m = 0,0 1 1 m

1 1 mm.

1.373

Wenn man, um keine zu große Zahl zu bekommen, die größte Breite der Zapfen in der menschlichen Retina mit 7 /j. zugrunde legt, so kommen auf die Strecke von II mm 1571 in einer Reihe liegender Zapfen; legt

man die Breite der Zapfen in der Macula lutea, die 4 5,5 /t beträgt, zugrunde, also etwa 5 P; so kommen auf eine Linie von 11 mm Länge 2200 Zapfen. Dabei ist aber zu berück- sichtigen, daß jene Bildgröße die Breite der Macula überschreitet, also nicht bloß mit Zapfen, sondern auch mit den schmäleren Stäbchen gerechnet werden muß. Es ist daher sicher nicht

Ihm ausgehenden Strahlen würden dann im dorsalen Teile des Aeschna Auges fast 60 in einer Linie gelegene Facettenglieder erregen in einem seitlich gelegenen Teil etwa 50, mehr gegen die Ventralseite 40 und .m ventralsten nur 30. Die Deutlichkeit der Bilder des Stabes in diesen vier Regionen würde sich demnach wie 6:5:4:3 verhalten, bei emer flächenhaften Lichtquelle sogar wie 36 : 25 : 1 6 : 9 oder wie 4 3 . , Zum Vergleich sei bemerkt, daß durch einen i m langen Stab bei 1,37 m Entfernung im menschlichen Auge weit über 2000 in einer Linie gelegene rezipierende Elemente erregt werden. Um nur 50 Elemente zu erregen, wie beim Aeschna-Kv.^^, müßte der Stab etwa 75 m vom Auge entfernt sein. Dabei zeigt das ^.^.^^^«-Auge unter allen von mir geprüften Insektenaugen, mit Ausnahme desjenigen des Windenschwärmers (Sphinx convolvuli), die geringste Divergenz der Facettenglieder, gibt also die genauesten Bilder. Der Winkel von 40 0 wird bei dem gelbrandigen Wasserkäfer (Dytiscus marginalis) im günstigsten Falle von 30 Facetten gliedern eingenommen, bei einer großen Wanderheuschrecke [Acridmm egyptium) oder beim Bluttröpf- chen {Zygaenä) nur von 20, bei Kleinzirpen {Aphrophora, Cercopis), oder Afterfrühlingsfliegen {Perlä) etwa von 10, ja beim Ohrwrm [Forßcula), einer Schabe {Ectobia) oder einer Blattlaus [Aphis ul- mariae) nur etwa von 5—6 Facettengliedern. Das bedeutet eine sehr geringe Genauigkeit der Bilder auch für mäßig entfernte Objekte. Deutlichere Bilder kann man im Facettenauge im allgemeinen nur von nahen Objekten erwarten i).

zu hoch gegriffen, wenn man annimmt, daß über 2000 in einer Linie gelegene Elemente durch das Bild des Stabes erregt weiden.

i) Exner"), schätzt die Sehschärfe des Insektenauges viel höher ein. Wir ver- danken ihm eine sehr interessante mikrophotographische Reproduktion des Netzhaul- bildes aus dem Auge eines Leuchtkäferchens (siehe unten S. 37), bei dem verhältnismäßig kleine Gegenstände, die sich in 2,25 m Entfernung vom Auge befanden, mit überraschender Deutlichkeit erkennbar sind, ein Beweis für die hohe Leistungsfähigkeit des optischen Appa- rats im Facettenauge. Er wirft nun die Frage auf, ob die Schärfe des Netzhautbildes aucli wirklich ein Maß für die Sehschärfe abgebe (S. 180) und bejaht sie, da es ,,doch wohl ab- surd wäre zu denken, die Natur habe einen so komplizierten dioptiischen Apparat zur Her- stellung eines Bildes konstruiert und dem Tiere keine Netzhaut gegeben, um das Bild zu verwerten". Aber wir können in den seitlichen Partien unserer Netzhaut die Schärfe des Netzhautbiides auch nicht voll ausnutzen! Im übrigen stimmt es nicht, wenn er sagt, daß die Anzahl der Facettcngliedcr bzw. Rhabdome durciiaus der Schärfe des Bildes cnts])reche. Das Mikro-

33

Die Winkel, die von je lo in einer Reihe liegenden Facettengliedern ausgefüllt werden, habe ich ähnlich wie bei Aesehna bei einer Anzahl anderer Insekten auf Frontal- schnitten durch das Auge untersucht und gebe hier die Zahlen: Forficula mcricularm 67 8iO- Ectohia lapponica 58», 98"; Acridmm egyptium 27", 22», 20 , 21,5 , 20 , i/ , ,40' 27»: Mantis religiosa 44", 34", " », 29», 26,5», 25», 23«, 14"; Heptagenia .p^ 26,5», 38«, 38«; Perla sp. 44", 35°. 36°, 50°; Chrysopa perlu 49°, 38", 48 , \ Aphrophora spumaria 37,5°, 30°. 36°. 36°; Cercopü sangtänolenta 41", 34°, 43,5 ; Aphis ulmariae 77°, 63,5; Dytiscus marginalis 20", 25«, 18», h", 15°, 10 , 13 , 16 , 2 1«; Zygaena sp. 18,5", 17», 19», 22,5»; Wz durch das ganze Auge nahezu

gleichmäßig 6—8». Diese Zahlen sind ermittelt durch Messung an Zeichnungen, die mit dem Zeichenapparat nach Frontalschnitten der Augen entworfen wurden. Auf absolute Ge- nauigkeit können sie keinen Anspruch erheben , da der Schnitt nicht immer genau entlang den Reihen der Fazettenglieder geht. Für unsere Zwecke ist diese Genauigkeit aber genügend, bei den verhältnismäßig großen Unterschieden zwischen den verschiedenen Arten.

Aber auch die lichtstarke des Bildes ist in den einzelnen Ab- schnitten des Aeschna-KM%&^ verschieden. Alle Strahlen, die ganz oder nahezu parallel zur Axe des Facettengliedes auf die Oberfläche der Cornealinse fallen, werden durch den lichtbrechenden Apparat zum Rhabdom hingeleitet. Daher ist die Lichtmenge, die zum Rhab- dom gelangt, um so größer, je größer die Oberfläche der zugehörigen Cornealinse ist. Im Auge von Aesehna haben die dorsalen Facetten- glieder eine Oberfläche von 2600/^2, die ventralen eine solche von i20o^t2. jene sind also mehr als doppelt so lichtstark wie diese. Von zwei Augen mit gleich divergenten Facettengliedern wird das- jenige lichtstärker sein, bei dem der Krümmungsradius der Augen- oberfläche größer ist; denn bei diesen sind die lichteinlassenden Ober- flächen der Facetten glieder größer. Je weniger ferner die Facetten-

photogramm des Netzhautbildes ist 120 fach vergrößert, natürlich linear. In ihm füllt das R an der Fensterscheibe eine Rechteckfläche von 5 und 8 mm Seiten aus; das entspricht im nicht vergrößerten Netzhautbilde einem Rechteck von 0,04 und 0,066 mm Seitenlänge, also 0,00264 nim* Inhalt. Ich habe nun, in Ermangelung von Schnitten durch das Leuchtkäfer- auge, bei dem Auge von Dyliscits marginalis, das nach Leinemanns") Zählung der Facetten zu den leistungsfähigsten Käferaugen gehört, an Querschnitten durch die Rhabdom- gegend Zählungen vorgenommen. Daraus konnte ich berechnen , daß hier auf 1 mm^ etwa 3783 Rhabdome kommen; die Zahl ist eher zu groß als zu klein wegen der Schrumpfungen an konserviertem Material. Das gäbe auf eine Fläche von 0,00264 mm* nur 10 Rhabdome, d. h. 10 Rezeptionseinheiten. Dabei kann aber von einem ,, Erkennen" des R nicht die Rede sein. In unserem Auge wird, unter Zugrundelegung der in voriger Anmerkung ge- machten Angaben, jenes Rechteck, das von dem R im Mikrophotogramm eingenommen wird, bei einer Entfernung von 30 cm vom Auge ein Rechteck von 0,25 x 0,4 mm Seiten mit nicht weniger als 4000 Zajifen decken; ein Rechteck von der Größe wie im Netzhaul- biidchen würde in unserer Net/.liaul iinmcrliin 100 Zai>fen decken!

HfMse, Das .ScIuti der iiirdcicii Tific. 3

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glieder divergieren, um so geringer ist, unter sonst gleichen Ver- hältnissen, die Oberfläche ihrer Cornealinsen. Daher sind im all- gemeinen die Facettenglieder in den Augen, wo sie stärker diver- gieren, kürzer als dort, wo ihre Divergenz geringer ist: Forficula, Perla, Edobia, haben sehr kurze, Acridvu77i oder Aeschna bedeutend längere Facettenglieder. Damit wird es auch erklärlich, warum in manchen Augen eine Anzahl von Facettengliedern eine bedeutende Verlängerung erfährt: es sind das stets diejenigen, deren Divergenz geringer ist. Im Auge der Gottesanbeterin {Mantis religiosa^) liegen diese nach der Seite und nach unten (Fig. 25) also nach den Rich- tungen, aus denen die dem Tiere erreichbare Beute kommt. Bei den Männchen mancher Eintagsfliegen dagegen liegen solche ver- längerte Facettenglieder nach oben, wo sie ihre höher fliegenden Weibchen zu suchen haben; so sind bei Baeiis und Potaniathus die dorsalen Facetten gheder weniger divergent als die übrigen (eine Zehnergruppe füllt bei B. dorsal etwa 17", seitlich etwa 22», bei P. dorsal im Durchschnitt 18°, seitHch etwa 37O) und zugleich haben sie bei jenen die 1 1/2 fache, bei diesen die doppelte Länge als die seitHchen^). Diese Differenzierung kann so v/eit gehen, daß es zu einer Teilung des Auges in zwei scharf gegeneinander abgeseszte Abschnitte kommt, einen dorsalen mit besonders langen Facetten- gliedern, das sogen. Frontauge, und einen ventralen von gewöhnlichem Bau, das sogen. Seitenauge: So ist es unter den Eintagsfliegen bei den Männchen von Cloe, unter den Fliegen bei denen von Bibio marci (Fig. 2 6) 3). Hier ist im Auge eine Arbeitsteilung eingetreten:

1) Dieses in mehr als einer Beziehung höchst bemerkenswerte Auge lernte ich durch ein gelegentliches Präparat des Herrn cand. rar. nat. E. Linck kennen. Es findet zur Zeit im hiesigen zoologischen Institut eine eingehende Bearbeitung.

2) Die Maße sind nach den Figuren von C. Zimmer-") genommen.

3) In der Abbildung, die ich hier gebe, konnte ich die Eigentümlichkeiten dieses sonderbaren Auges nicht ganz zum Ausdruck bringen. Die Formverschiedenheit der Kegel im Front- und Seitenauge wurde zwar angedeutet; doch konnte nicht dargestellt werden daß im Seitenauge ein echter Pseudoconus vorhanden ist, d. h. daß der distale Teil der Kegelzellen gleichsam von einer Sekretvakuole erfüllt ist, während im proximalen Teil ihr unverändertes Plasma mit dem Kern liegt, daß dagegen im Frontauge die Reste der Kegel- zellen im Pseudoconus proximal zu einem echten Krystallkegel umgewandelt sind, dem die zugehörigen Kerne distal, an der Grenze gegen die Sekretmasse, aufliegen. Auffällig ist auch der aus der Figur ersichtliche Unterschied in der Pignientierung von Front- und Seilen-

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die Seitenaugen, bei denen die Facettenglieder stark divergieren, haben ein großes Sehfeld, geben aber sehr ungenaue Bilder; in den Front- Fig. .5. '

Fig. 25.

Schnitt durch das Facettenauge der Gottesanbeterin (Mantis religiosa); ventr. Ventraiseite.

Fig. 26.

Frontalschnitt durch das Facettenauge des Männchens der Aprilfliege (Bibio marci).

Sa Frontauge; sa Seitenauge.

auge; letzteres hat reichliches, schwarzbraunes Pigment, während im ersteren ein helles, gelb- brairaes Pigment in geringer Masse, hauptsächlich in der Umgebung der Kegel und im distalen Ende der Retinula enthalten ist. Ähnlich sind auch die dorsalen Teile der Augen bei Libellula und bei den Männchen der Eintagsfliegen Baetrs, Potamanthus und Cloe heller und weniger reichlich pigmentiert. Dies Verhalten scheint demnach mit dem Sehen dunkler Objekte auf dem hellem Grunde des Himmels zusammenzuhängen; aber wie dieser Zusammen- hang ist, darüber kann ich mir keine Rechenschaft geben. Daß bei diesen Insekten der Teil des Sehorgans, der deutlichere Bilder gibt, nach oben gerichtet ist und nicht, wie bei

3*

Fig. 27. Schema des Sehens mit dem zu- sammengesetzt. Arthropoden- auge: Superpositionsaiige. Be- zeichnung wie bei i''ig. 23.

äugen dagegen ist die Di glieder sehr vermindert

Sehfeldes verringert, aber die Deutlichkeit der Bilder entsprechend erhöht; sie würden je- doch sehr lichtschwach sein, wenn nicht ihre Facettenglieder wesent- hch verlängert und da- mit die Oberfläche der Einzellinsen vergrößert wäre.

In manchen Fa- cettenaugen aber wird die Lichtstärke und da- mit die Intensität der Erregung noch auf eine andere, höchst bemer- kenswerte Weise ge- steigert. Beim Leucht- k äf erchen (Lavipyris ) sind die Kristallkegel mit den Cornealinsen verwachsen, und daher kann der gesamte licht- brechende Apparat im Zusammenhang präpa-

der lauernden Man/is, nacli der Seite und unten, hängt wolil damit zusammen, daß Insekten bei ihrem geringen Gewicht, nicht mit besonderer Kraft nach unten stoßen können, wie Raubv()gel, sondern viel eher, mit Hilfe erhöhter Flügel tälig- keil, von unten nach oben.

ergenz der Facetten- und die Weite des

A B

Fig. 28,

Zwei Facettenglieder eines für Superpositionsbilder eingerich- teten Facettenauges von einer Noctuide. Das Pigment hat in die Lichtstellung, in /> die Dunkelstellung, rl Cornea- linse; Kri.stallkegel ; /c, Hauptpignientzellen ; pz., Nebcn|)ignientzcllen ; szk Kerne der .Sehzellcn ; ;■// Rhabdom; nf Nervenfasern ( Nerven fortsätze d. Sehzellen).

riert und geprüft werden. Exner«) hat, unter Verwertung dieser Eigentümlichkeit, den experimentellen Nachweis erbringen können, daß hier die Summe der Linsen und Kristallkegel imstande ist, ein emheit- liches, aufrechtes verkleinertes Bild zu entwerfen, auch ohne die hmzu- tretende Lichtsonderung durch Pigmentblendungen. Er konnte dies Bild sogar auf mikrophotographischem Wege festhalten. Diese Leistung beruht auf der merkwürdigen Art, wie die Kristallkegel, infolge der schichtweisen Verminderung ihres Brechungsvermögens von der Axe nach der Oberfläche, das Licht brechen. Die von einem leuchtenden Punkte ausgehenden Strahlen werden nicht bloß durch den Kristall- kegel des dem Punkte zugeordneten FacettengHedes auf das ent- sprechende Rhabdom vereinigt, sondern auch durch die benachbarten Kristallkegel so gebrochen, daß sie zu jenem Rhabdom gelangen (Fig. 27). Die verschiedenen Strahlenbüschel vereinigen sich natür- lich erst in einem gewissen Abstand hinter den Kristallkegeln. Während bei der gewöhnlichen Form des musivischen Sehens (vgl. oben Fig. 23) von einem leuchtenden Punkte nur das dünne Strahlen- bündel zur Rezeption kommt, das auf die Oberfläche des zugeordneten Facettengliedes fällt, wird auf diese Weise eine weit größere Menge jener Strahlen auf das zugeordnete Rhabdom vereinigt: wenn nur die dem zugeordneten Kegel zunächst benachbarten, also die sechs ihn um- gebenden, die Strahlen in der geschilderten Weise brechen, kommt sechsmal mehr Licht zum Rhabdom; kommen, wie im Schema Fig. 27 für die Strahlen / gezeichnet ist, auch die zweitnächsten noch in Be- tracht, so wird die Lichtmenge im ganzen achtzehnmal größer. Das von ferneren Kristall kegeln kommende Licht wird wahrscheinlich durch die zwischen den Kegeln stehenden Pigmentblenden abgefangen (Fig. 27 rechts). Exner nennt die so entstehenden Bilder Super- positionsbilder, im Gegensatz zu den Apposidonsbildern beim einfachen musivischen Sehen.

In solchen Facettenaugen, die für die Rezeption von Super- positionsbildern eingerichtet sind, schheßen sich die Rhabdome nicht unmittelbar an die Kristallkegel an, sondern sind durch einen Zwischen- raum von ihnen getrennt (Fig. 28 rli); sie liegen etwa dort, wo die von benachbarten Kristallkegeln herkommenden Strahlen gleichen

.-.8

er-

e

Ursprungs zur Vereinigung gelangen. Die dadurch bedingte V.. längerung der Facettenglieder bewirkt zugleich eine entsprechend. Vergrößerung der Cornealinse; trotz geringer Divergenz der Facetten- glieder ist diese daher noch ziemlich groß.

Bedingung für die Entstehung von Superpositionsbildern ist aber ferner, daß die Pigmenthüllen der Facettenglieder auf der Strecke zwischen Kristallkegeln und Rhabdomen wegfallen. In den Augen vieler Krebse und Insekten wandert das Pigment unter dem Einfluß des Lichtes: bei starker Belichtung umscheidet es die Facettenglieder in ihrer ganzen-Länge und fängt die von den Nachbarkegeln kom- menden Strahlen ab (Fig. 28 A); bei geringer Belichtung zieht es sich zwischen die Kristallkegel zurück (Fig. 28 B) und macht den Zwischenraum zwischen ihnen und den Rhabdomen frei für die kon- vergierenden Strahlenbündel (vgl. Schema Fig. 27). So erzeugen diese Augen bei heller Beleuchtung Appositionsbilder, bei schwacher Beleuchtung die lichtstärkeren Superpositionsbilder: es ist also ver- hütet, daß bei Lichtfülle die Rhabdom'e durch übergroße Lichtmengen zu stark in Anspruch genommen werden. Im Auge vieler Tiefsee- krebse, deren dunkle Umgebung nur durch das verhältnismäßig spär- liche Licht der phosphoreszierenden Tiefseebewohner unterbrochen wird, befindet sich das Pigment stets zwischen den Kristallkegeln: sie erzeugen nur Superpositionsbilder [Chun*), Doflein^)].

Beim Entwerfen der Superpositionsbilder stellen die Cornea- linsen und Kristallkegel des ganzen Auges funktionell eine Einheit vor, ebenso wie die Rhabdome eine davon unabhängige Einheit bilden. Diese Unabhängigkeit findet bei manchen Formen auch morphologisch ihren Ausdruck darin, daß die Zahl der Linsen und Kegel durch Rückbildung vermindert wird gegenüber der Zahl der Rhabdome, mit der sie, dem Aufbau des zusammengesetzten Auges entsprechend, ursprünglich gleich ist (Fig. 2g im Abschnitt /a). Facetten- glieder lassen sich an dem Auge dann nicht mehr unterscheiden; ihre ursprüngliche Zahl wird nur noch durch die Zahl der Rhabdome an- gegeben. Eine verminderte Anzahl großer Linsen und Kristallkegel wirkt als einheitlicher Lichtbrechungsapparat und entwirft das Bild; ihnen gegenüber stehen, an Zahl überwiegend, die Rhabdome und

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bilden eine einheitliche Netzhaut, die das Bild rez.p.ert So .st aus der Kombination zaUreicher Einzelaugen wieder ein «nhe.thches Seh- organ geworden. Mit diesen sonderbaren Bildungen haben uns Chuns ) Untersuchungen an Schizopoden der Tiefsee bekannt gemacht.

Exner«) legt bei der Unterscheidung der Augen für Appositions- und Superposilions- bilder besonderen Wert darauf, daß die letzteren besonders zum Sehen von Bewegungen geeignet seien, weil in ihnen Zerstreuungs- kreise entstehen. Die Zerstreuungs- kreise in den Superpositionsaugen läßt er auf verschiedene Weise zustande kommen : i . dadurch, daß in den Facettengliedern die distal vom Rhabdom gelegenen dünnen Abschnitte der Sehzellen (vgl. Fig. 28) durch die sie passie- renden konvergierenden Strahlen (vgl. Fig. 27) erregt werden (S. 93 f.); 2. dadurch, daß diese auf dem distalen Ende des Rhabdoms zur Vereinigung kommenden Strah- len in ihrer Verlängerung dieNach- ban-habdome treffen (S. 182 ff.). Die erste Annahme wird dadurch hinfällig, daß in den distalen dünnen Abschnitten der Sehzellen in den Superpositionsaugen rezi- pierende Elemente nicht nach- weisbar sind. Die zweite An- nahme beschränkt Exner selbst durch seine Bemerkung, daß „die Rhabdome das gefangene Licht festhalten", d. h. daß sie es durch totale Reflexion hindern, wieder aus ihnen herauszutreten. Ich möchte noch hinzufügen, daß die Rhabdome gegen seitlich ein- dringendes Licht, das nicht von ihrem Ende her in sie gelangt, sehr häufig durch Pigment, in

Fig. 29.

Facettenauge eines Tiefseeschizopoden (Stylochciron mastigophorum), nach Chun. fa Froi\tauge; sa Seiten- auge; cl Cornealinse; kk Kristallkegel; rh Rhabdom.

vielen Fällen auch durch umgebende Tracheenbündel geschützt sind, so in den in Fig. 28 abgebildeten Faceltengliedern von Eulen, z. B. Plusia gamma. Aber auch bei Appositions- augen nimmt Exner Zerstreuungskreise an (S. 186 ff.): er meint sie, neben gewissen Be- obachtungen an abgekappten Augen, auch aus der Annahme ableiten zu müssen, daß sich

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die Sehfelder benachbarter Facettenglieder nichi cr.no ,

sondern sich n.t ihren Randpartien\,ec 0; ^^ aVL^'" ^""'^^ ""'^

der Fall sein. Wenn aber i. Superposit^onfauge ^ B ecTe "'"r^" ^^'-^"--ß-

genau abgestinimt ist, daß ein derartig scharf s Nei h f . f KrisUllkegel so

es im MiUrophotogram. festgehalten ha so t e 1 1 ^ - ^'''"'^ '^'^

Appositionsaugen durch AbsL.ung Kri „ke. ^-hentwicKelten

harten Einzelsehfelder eintritt _ ^nstallkegel e„,e genaue Ergänzung der benach-

Bewegungssehen nicht direkt begünsd^en "ond^ Zerstreungsk-reise das

absetzung des Sehvermögens das Tori n "e'h , f ^'^

M'egungen. Das Auftreten von ZerT r ''^^ ^^^^ ^e-

Aufe bedingen ge e 1 leJ lZT^l"^ '^^"^'^ ^"^^^

sie sind höchste.' 'ein not^ dls ü e ' da ^'V'"""^ '^'"^ =

anderer Vorteile, z. B. grörerTLh^^L "^^"^ ^^^^

Unsere Aufmerksamkeit nehmen schlieiälich noch jene Fälle in Anspruch, wo Sehorgane von verschiedener Einrichtung und I eistung nebeneinander bei dem gleichen Tiere vorkommen. Wir haben da .wischen zwei Möglichkeiten zu unterscheiden, die übrigens nicht scharf gegensätzlich sind : dies Nebeneinander kann entweder historisch oder funktionell begründet sein. Historisch begründet nenne ich es dann, wenn ein Sehorgan von geringerer Leistungsfähigkeit, das den Vorfahren diente und vielleicht auch bei der Larve noch von Wichtig- keit ist, beim fertigen Tier neben einem neu erworbenen vollkommneren Sehorgan fortbesteht. Es ist noch vorhanden, weil es einst da war; natüriich ist es phylogenetisch stets das ältere der beideriei Sehorgane. Bei vielen Krebsen, und zwar nicht bloß bei niedrig organisierten, sondern selbst bei Schizopoden, Stomatopoden und Dekapoden, besteht neben dem Facettenauge noch der Komplex von drei Stirnozellen fort, den die Naupliuslarve besitzt und der bei den Copepoden auch für das fertige Tier das einzige Sehorgan bleibt. Oder bei Branchiovima und den verwandten Kiemenwürmern existieren neben den zahlreichen Kiemenocellen (vgl. oben S. 15) auch noch ein paar Grubenocelle am Kopf, wie sie bei anderen Röhrenwürmern {Chaetopterus u. a.) als einziges Sehorgan vorhanden sind. Eine gewisse Hilfsleistung des älteren Sehorgans mag auch hier bestehen i); sie ist aber wahrschein- lich verschwindend gering neben dem Hauptsehorgan.

I) Es ist z. B. wohl anzunehmen, daß die Kopfocelle von Hratuliiomma stellver- tretend eintreten müssen, wenn die Kiemenkrone und damit die daraufstehenden Ocellc in

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Anders dort, wo das Nebeneinander von verschiedenartigen Seh- organen sich funktionell erklärt. Dann sind diese Sehorgane von gleicher Wichtigkeit für das Tier. Sie ergänzen sich in ihren Leistungen, etwa derart, daß das Sehfeld der einen eine Lücke in dem der anderen ausfüllt, oder daß die einen Sehorgane dem Nahe-, die anderen dem Fernsehen dienen, oder die einen für Sehen bei geringer, die anderen bei starker Beleuchtung eingerichtet sind. Eine Ergänzung des Seh- feldes wird z. B. bei manchen Wirbeltieren durch das Parietalauge bewirkt, das, nach neueren Untersuchungen, bei Neunaugen und manchen Reptilien als völlig funktionsfähig anzusehen ist. Von den acht Augen der Spinnen sind zwei so gebaut, daß die Hchtrezipierenden Elemente von der Linse weiter abliegen als bei den anderen; sie scheinen für die Nähe eingestellt, während die übrigen sechs dem Sehen ferner Objekte- dienen dürften.

Bei vielen Insekten sind neben den Facettenaugen noch drei Stirnocelle (Stemmata) vorhanden. Sie sind wahrscheinlich mit den drei Stirnocellen der Krebse, dem sog. Naupliusauge, vergleichbar und von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt. Denn sie entstehen durch Auswanderung der Sehzellen aus der Epidermis, wie wir es für jene ebenfalls annehmen müssen. Bei den niedrigsten Insekten, den Collembola, liegen die Sehzellen der Stirnocelle zeitlebens im Parenchym unter der Epidermis, wie bei den Krebsocellen ; erst bei den höheren Insekten vollzieht sich die pseudoepitheliale Anordnung der Sehzellen in den Ocellen. So erscheint ihr Vorhandensein also historisch begründet. Sehr strittig ist aber die Frage, ob die Stirn- ocelle neben den Facettenaugen eine funktionelle Bedeutung haben, und welcher Art diese sein könnte. Von mancher Seite ist ihnen überhaupt jegliche Funktion abgesprochen, von anderen ist diese als sehr gering hingestellt. Wer den Bau der Stirnocelle kennt, der kann sie unmöglich für rudimentäre Organe ansehen; denn sie zeigen eine so überaus große Mannigfaltigkeit in ihren Einrichtungen, daß

Verlust geraten sind. Diese ist den Angriffen mancher Fische, wie Blennhis, ausgesetzt, und besitzt eine große Regenerationsfähigkeit. Die Regeneration der Kiemenocelle geht, wie mir Versuche an Branchtom ma gezeigt haben, auch dann in jeder Beziehung vollkommen vor sich, wenn man den dieser Organe beraubten Wurm in völliger Dunkelheit hält.

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sie seien

man mit Notwendigkeit zu der Auffassung gedrängt wird, in jedem Fall an bestimmte Bedingungen angepaßt. Allerdings spricht schon die viel geringere Zahl der Sehzellen gegenüber den Facetten- augen dafür, daß sie in ihrer Bedeutung hinter diesen weit zurück- stehen.

Es gibt viele Insekten, denen Stirnocelle fehlen; aber gerade die Auswahl derer, bei denen sie vorkommen, spricht für ihre funktionelle Bedeutung. Wenn man von den Geradflüglern im engeren Sinne ab- sieht, sind es nur fliegende Insekten, denen Stirnocelle zukommen, wenn sie auch nicht bei allen Fliegern vorhanden sind. Daß ihr Vorkommnn wirklich mit der Flugbewegung in gewissem Zusammen- hang steht, ergibt sich deutlich daraus, daß sie innerhalb einer und derselben Art den fliegenden Individuen zukommen, den nichtfliegenden aber fehlen. So hat bei dem Feigeninsekt (Blastophaga grossorumj das geflügelte Weibchen drei Stirnocelle, dem ungeflügelten Männchen fehlen sie. Umgekehrt ist die Bienenameise (Miitilla) im weiblichen Geschlecht ungeflügelt und dementsprechend fehlen hier dem Weibchen die Stirnocelle, während das geflügelte Männchen sie hat. Unter den Ameisen besitzen die geflügelten Männchen und Weibchen Stirnocelle, die ungeflügelten Arbeiter dagegen haben, von ganz wenigen Aus- nahmen i) abgesehen, keine. Bei den Blattläusen, wo innerhalb der- selben Art ungeflügelte Generationen mit geflügelten abwechseln, sind die geflügelten Formen in beiden Geschlechtern mit Stirnocellen ver- sehen; den ungeflügelten fehlen sie. Neben diesen bindenden Be- weisen mag noch darauf hingewiesen werden, daß in vielen Insekten- familien und Ordnungen die fliegenden Aj-ten Stirnocelle besitzen, die ungeflügelten nicht; so bei den Psociden, Thysanopteren, Panorpiden. Allerdings gibt es andre Ordnungen, in denen die geflügelten Arten teils mit Stirnocellen versehen sind, teils solche vermissen lassen, wie Köcherfliegen und Fliegen.

Da die Stirnocelle höchst wahrscheinlich Erbstücke von den Vor- fahren der Insekten sind, so dürfen wir annehmen, daß sie da, wo

i) „Indessen sehen wir die Ocelle auftreten bei den Ameisenarbeitern mit deutlidierem Sehen, deren zusammgesetzte Augen besser ausgebildet sind wie bei Gigantiops, Polyfrgus, Pseudomyrma". Forel') 2"'e partie S. 28.

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sie fehlen, zurückgebildet sind. Sie haben sich außer bei den primi- tiveren Insektenformen, wie den Orthopteren im engeren Smne, nur dort erhalten, wo sie neben den Facettenaugen noch eine funktionelle Bedeutung beanspruchen konnten. Daß dies insbesondere bei fliegen- den Formen geschehen ist, kann nicht wundernehmen, da diese weit reichere Orientierungsmittel brauchen und auch die Facettenaugen bei ihnen im allgemeinen besser ausgebildet sind als bei den nicht fliegenden; hat doch z. B. das geflügelte Männchen des Leuchtkäfer- chens (Lampyris noctiluca) 2600, das ungeflügelte Weibchen dagegen nur 700 Facettenglieder [Leinemanni^)]. Aber auch hier konnten sie, beispielsweise durch starke Ausbildung des Riechvermögens, über- flüssig gemacht werden, wie bei fast allen Käfern und den meisten Schmetterhngen. Es braucht allerdings nicht in allen Fällen genau dieselbe Verrichtung zu sein, die den Ocellen obliegt; hier mag der eine, dort ein anderer Grund für ihre Erhaltung maßgebend ge- wesen sein.

Das alles gibt uns aber zunächst nur den einen Anhahspunkt, daß Stirnocelle und Facettenaugen einander ergänzen, aber keine Auskunft darüber, wie beide nebeneinander arbeiten. An eine Er- gänzung der Sehfelder ist nicht zu denken; denn gerade nach der Stirnseite zu ist eine Lücke in den Sehfeldern der Facettenaugen meist nicht vorhanden, Forel^) hat mit Rücksicht auf die Verteilung der Ocehe angenommen, daß sie zum Sehen in schwachem Licht ge- braucht werden; seine Begründung erscheint mir nicht gerade stich- haltig; denn Ocelle kommen vielfach bei Insekten vor, die im Halb- dunkel'gar nicht zu sehen brauchen, wie Libellen oder FHegen. Doch eine andere Erwägung zwingt mich, ihm darin Recht zu geben, daß Ocelle für Sehen in schwachem Licht geeigneter sind als Facetten- augen, wenigstens soweit diese nicht für Superpositionsbilder einge- richtet sind: das ist ihre größere Lichtstärke. In den Ocellen werden durch die viel größere Linse auf eine Sehzelle weit zahlreichere Strahlen von einem leuchtenden Punkt vereinigt, als bei einem Ap- positionsauge durch die kleine Cornealinse zum Rhabdom des be- treffenden Facettengliedes gelangen.

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Dies ist aber keineswegs überall die besondere Aufgabe der Stirnocelle. Zuweilen sind sie an ganz besondere Einzelleistungen angepaßt, so an eine gewisse Art von Entfernungssehen, wie ich das oben (S. 23) für die Ocelle von Libellen und Fliegen [Helophüus) darzulegen suchte. Die häufigste Ansicht geht dahin, daß sie zum deutlichen Sehen naher Gegenstände dienen; dagegen möchte ich eher vermuten, und zwar gerade wegen ihrer größeren Lichtstärke daß sie besser als die Facettenaugen geeignet sind, Einzelheiten an entfernteren Gegenständen zu erkennen. Doch müßte, um eine solche Behauptung mit Sicherheit aufstellen zu können, zunächst einmal eine optische Auswertung der Linsen vorgenommen werden i).

Eine Nebenfunktion dürfte den Ocellen noch überall zukommen, wo sie bei fliegenden Insekten vorhanden sind: eine Beziehung zur Orientierung über die jeweilige Körperhaltung beim Fluge und damit zur Erhaltung des Gleichgewichts. Die Achsen der beiden seitlichen Ocelle sind schräg gegen den Himmel gerichtet, und bei Ver- änderung der Körperlage wird ihnen statt des hellen Himmels der

I) Reaumur (2r, Bd. V S. 363) schreibt über die Bedeutung der Stirnaugen bei den Bienen: „Ähnliche Versuche wie die, die ich an den Netzaugen gemacht habe, haben mir bewiesen, daß die kleinen Augen der Bienen, die glatten Augen, ihnen auch, dazu dienen, sich zurecht zu finden. Ich habe diese Augen oder, was dasselbe ist, die Hinter- seite des Kopfes bei mehr als 20 Bienen lackiert, die ich dann in P'reiheit gesetzt habe, drei bis vier Schritte von ihrem Stock; keine wußte ihn zu finden oder schien ihn zu suchen. Sie sind nach allen Seiten auf die Pflanzen geflogen und sind nicht weit geflogen. Auch schienen sie das Fliegen nicht schwer zu nehmen. Aber ich habe unter ihnen keine ge- sehen, die sich in die Luft erhoben hätte, wie es diejenigen tun, deren Netzaugen lackiert worden sind."

Dem gegenüber geht die Auffassung neuerer Forscher, wie P'orel, v. Buttel u. n. dahin, dalä die Stirnocelle für das Wegfinden den Bienen entbehrlich sind. Ich konnte mich von der Richtigkeit dieser Ansicht durch Versuche überzeugen, die ich zusanmicn mit Herrn cand. rer. nat. E. Linck an dessen Bienenstöcken ausgeführt habe. AVir benutzten dabei Bienen, die mit Tracht an das verschlossene Flugloch des Stockes kamen, die also wahrscheinlich, auch wenn sie fortgenommen wurden, die Tendenz hatten, nach dem Stocke zu fliegen. Vier Schritte vom .Stock entfernt wurden sie losgelassen, nachdem ihnen zuvor die Stirnocelle verschmiert waren mit Damarharz, dem Kienruß beigemischt war. Sie flogen zunächst in anderer Richtung ab, fanden sich aber bald, spätestens nach einer Viertelstunde, am Flugloch ein. So kamen von sieben Bienen fünf an ihr Ziel; zwei davon wurden sogar zu wiederholten Malen fortgenommen. Da es ein Oktobernachniittag war, so ist wohl zu vermuten, daß die zwei fehlenden irgendwo in kühlen Schatten geraten und dort erstarrt waren. Von den Bienen aber, denen wir die Facettenaugen verstrichen, fand sich, soweit sie überhaupt zum Abflug zu bewegen waren, keine einzige zu ihrem Stock zurück.

dunkle Horizont erscheinen, so daß sie solche Veränderungen dem Tiere wirklich signalisieren könnten. Gerade die Verbreitung der Ocelle bei den fliegenden Insekten, deren un geflügelte Artgenossen sie vermissen lassen, findet allein durch diese Annahme einige Auf- klärung: eine Ameisenarbeiterin z. B. würde Sehorgane zum Sehen im Halbdunkel notwendiger brauchen als Männchen und Weibchen, weil sie sich im Bau weit mehr hin- und herbewegt; und die Weib- chen von Mutilla müssen zur Unterbringung ihrer Eier in dunkle Hummel- und Bienennester eindringen, nicht aber die mit Ocellen ausgestatteten geflügelten Männchen. Allerdings fehlen die Stirnocelle ja manchen Fliegern; aber sie sind wohl auch nicht die einzigen Sinnesorgane, die zur Gleichgewichtserhaltung Beziehungen haben. Bei Käfern außerdem können sie fehlen, da hier die ausgestreckten Flügeldecken den Flug stabiler machen; bei Nachtschmetterlingen sind sie wegen des Flugs in der Dunkelheit zu solcher Funktion vielleicht weniger geeignet.

Es sind nur wenige Prinzipien des Aufbaus und der Zusammen- ordnung, die uns bei den Sehorganen der Tiere immer wieder begegnen. Durch zwei Arten der optischen IsoUerung, mittelst Pigments und mittelst Linsen, wird die Lichtsonderung bewirkt, die es ermöglicht, mit den einfach hell-dunkel reizbaren Sehzellen ein Richtungs- und Entfernungssehen und als vollkommenste Leistung ein Bildsehen zu erreichen. Es ist behauptet worden, daß die Natur hier erschöpfend gearbeitet habe und daß alle nur denkbaren physikalischen Möglich- keiten . des Bildsehens in den tierischen Sehorganen auch ihre Ver- wirklichung gefunden hätten ; das ist nach unseren jetzigen Kenntnissen nicht zutreffend. Aber die Ausnutzung der gegebenen Möglichkeiten bis aufs äußerste, die endlose Variierung einzelner weniger Grund- pläne, das Hervortreten neuer und überraschender Leistungen durch leichtes Abändern schon vorhandener Einrichtungen, kurz die be- wunderungswürdige Vielseitigkeit bei aller Beschränkung, das ist es, was auch hier den denkenden Menschengeist überrascht und in be- geisterte Bewunderung versetzt, die mit jedem Fortschritt unserer Er- kenntnis immer noch vertieft wird.

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