Embryologie und Infections-Krankheits-Üebertragnng sowie die Blutserum-Therapie. Von Dr, Heinrich Janke. Alle Rechte vorbehalten. BERLIN W. NEUWIED OberwalUtr. 14-16. 1894. am Rhein, HEUSER'^ VERLAG (LOUIS HEUSER). Inhalt. Einführung » » I. Die Anfänge der Lebewesen. Vorbetrachtimg n 10 1. Die Zelle • « H 2. Die Amöben » 17 3. Die Amöboiden — Leukocyten „ 19 4. Haben die llikro-Organismen eine Seele? . . . . „ 22 II. Die Entwicklungsgeschiclite der Anfänge des Menschen „ 26 1. Der weiblicben Eizelle n 28 2. Der männlichen Samenzellen „ 33 3. Der Befruchtung „ 39 4. Der Vererbung „ 50 III. Die Krankheits-Uebertragung. 1. Der Vorgang der Krankheits-Uebertragung . . . . „ 62 2. Die Herleitung des Uebergangs des Krankheitskeims . „ 70 3. Die Infektions-Krankheits-Ursachen »78 4. Die neue Blutserum-Heilmethode » 86 Schluss „99 I ! . Vorwort. Es ist ein oft von den Vertretern der wissenscliaft- lichen 'Forschung aufg-estellter Ausspruch, unmöglicli sei es, eine Geschichte der Gegenwart zu schreiben. Dies Wort hat auch in der That eine grosse Berechtigung. Denn wer eine Darstellung der Jetztzeit und des neusten Standes eines Zweiges der Wissenschaft zu geben- unternimmt, in der er mitten inne lebt, der befindet sich gleichsam in der Lage eines Meiischen mitten in einem Volksgedi'änge, dessen Gesichtsla-eis ringsherum von den Köpfen der ihn Um- gebenden umschlossen ist, so dass er von dem, was schon in seiner nächsten Nähe vorgeht, nichts zu gewahren, geschweige denn einen Ueberblick über das, was geschieht, und über den Verlauf der Bewegung zu gewinnen vermag, welche das Ge- dränge hervorrief. Dazu kommt, dass er selbst, in der Be- wegung mitten inne stehend, von den Anschauungen seiner gegenwärtigen Zeit unbewusst beeinflusst und geleitet wird, wie es deshalb denn auch erfahrungsmässig nur wenige besonders bevorzugte Geister zu geben pflegt, die sich von der Zeit- strömung unberührt zu erhalten und sie mit unbefangenen Augen zu überschauen im Stande sind. Und gleichwohl macht sich in Zeiten besonderer Be- wegung auf irgend welchem Gebiete der Wissenschaft gerade bei ihr wie von selbst das Bedürfniss geltend, gleichsam einen ßuhepunkt vorübergeliend zu finden und das bisher in den speziellen modernen Bestrebungen bereits Erreichte im J .111 k c, Embryologie. \ 2 Gesammtübei-blicke zu betrachten, was danacli den Anlass zu energischem Weiterstreben hervorruft. Einen solchen Gesanimtüberblick über das bisher er- zielte Kesultat der Forschungen scheint auch die neuere Medizin wünschenswerth zu machen. Denn gerade bei ihi* befindet sich die neuste Gegenwart, speziell auf den Zweigen der biologischen und physiologischen Forschung, in einer Periode zunehmend fortschreitender Erkenntniss, wie kauiu jemals ein gleicher Zeitabschnitt erlebt worden ist. Die stetig wachsende Vervollkommnung der technischen Hülfs- mittel, namentlich der Mikroskopie und der physikalischen Üntersuchungs-Methoden, im Verein mit dem lebhaften Ver- langen der Vertreter dieses Zweiges der medizinischen Wissen- schaft den bisher verhüllt gebliebenen Schleier der Natur- geheimnisse je länger je höher zu lüften und den Gang der schaffenden Kraft, welche die Lebewesen auf unserer Erde fort und fort entstehen lässt und in ihrer überkommenen Sondergestaltung weiterführt, durch seine einzelnen Stadien von Anfang an zu verfolgen, haben gerade in jüngster Neu- zeit Erfahrungen festzustellen ermöglicht und Aufklärung über die wichtigsten hierauf bezüglichen Fragen gewinnen lassen, die vielleicht nicht zu Unrecht eine Neugestaltung der ganzen Heilkunde in nahe Aussicht stellen. Wenn ferner das Streben nach Erhaltung seines irdischen Daseins und nach Fortführung des ohnedies zeitlich verhältnissmässig nur kurz bemessenen individuellen Erdenlebens in möglichst voller Kraft und bei fester Gesundheit bis zur denkbar äussersten Daseinsgi-enze den stärksten der dem Menschen innewohnenden Triebe darstellt, dann ist füi* die Heilkunde unläugbar das nützlichste Ziel dasjenige, was sie sich denn auch von jeher und so in gleicher Weise die moderne Forschung auf dem Gebiete der Pathologie vorgesteckt hat, den tieferen Ursachen der Erkrankungen des menschlichen Körpersystems auf den Grund zu gehen, und nachdem diese herauserkannt Avorden, dann möglichst auf demselben Wege, der zur Erlangung dieser Erkenntniss beschritten wai-, und möglichst mit Anwendung 3 der g-leichen Methoden die Gesunderhaltung und bezüglich die Wiedergenesung des Körpers herbeizuführen. Zur Zeit ist aber die wissenschaftliche Bestrebung darauf gerichtet dieses Problem vermittelst der mikroskopischen Forschung sowie der Vervvertliung der gewonnenen Resultate durch Ei'probung an Thieren zu erlangen. Es ist das unvergängliche Vei-dienst Eobert Koch's, dass er, als einfacher praktischer Arzt in einer mittleren Pi-ovinzialstadt, zuerst auf eine mikroskopische Bakterie, den Kommabacillus — so genannt von der dem Komma gleichen Gestalt, — als Krankheits-Erreger bei der asiatischen Cholera -Epidemie hinwies, und seitdem ist es durch alle daraufhin gemachten Versuche als eine feststehende Thatsache bestcätigt, dass überall, wo in den Entleerungen eines Erkrankten dieser Kommabacillus vorgefunden wird, auch die asiatische Cholera-Erkrankung ausnahmslos vorliegt. Danach gelang es ihm, im weiteren Verlauf seiner Forschungen, für die verheerende Tuberkulose einen Gonococcus-Bacillen in der gleichen Weise als den Krankheits-Erreger zu ermitteln. In regster Nacheiferung wurde sodann aber diese neue Er- fahrung, dass also jene mikroskopisch kleinen Bakterien die eigentlichen Krankheitserreger darstellen, sobald sie im ani- malischen Blute Eingang gefunden und sich darin vermehrt haben, von den Vertretern der medizinischen Wissenschaft aufgenommen und weiter verfolgt. Und so ist es denn in Folge dessen in neuster Zeit gelungen für mehrere Ansteckungs- krankheiten derartige Bakterien als die Veranlassung der- selben nachzuweisen, wobei die Richtigkeit der gemachten Beobachtung im einzelnen Falle durch Ansteckungsversuche an Thieren regelmässig ihre Bestätigung fand. Ueberhaupt lässt sich mit Genugthuung die hoch- erfreuliche Thatsache konstatiren, dass die gesammte Medizin sich mit ungemeiner Thatkraft in die Breite und in die Tiefe in unserer Jetztzeit entwickelt, und dass sie dabei die Bakteriologie, die Hygiene und Antisepsis sowie die Elektro- und Mechanotherapie in besonderen Methoden zur Vervoll- kommnung gebracht hat. Ja sie bat heutzutage bereits einen 1* 4 Umfang gewoiiiien, wie er vor noch nicht so langer Zeit garnicht geahnt woi-den war. In Folge der vielseitigen Mit- werbung hat sich feiner eine grosse Fülle neuer Thatsachen, Beobachtungen und Untersuchungen angesammelt, und dies in solchem Maasse, dass das gesammte Gebiet der Medizin gegenwärtig kaum noch von dem einzelnen Arzte beherrscht werden kann, was denn folgerecht eine Spaltung in deren einzelne Fächer, und zwar selbst auf dem Gebiete der inneren Medizin, zur unvermeidlichen Notliwendigkeit gemacht hat. Erwägt man dazu noch die Vermehrung und Vertiefung der Untersuchungsmethoden und die Ausbildung neuer Heil- methoden, so lässt solche Ueberschau ein ungefähres Bild von dem erweiterten Felde der heutigen Medizin gewinnen. Und gleichwohl besteht, trotz der beträchtlichen Anzahl der Spezialfächer, die sich von der grossen Gesaniuituiedizin nach und nach zu selbständiger und unabhängiger Entwicklung abgelöst haben, bei aller Verschiedenheit der Disciplinen für die weitere Forschung doch eine ihnen allen gemeinschaft- liche Aufgabe, die Aufgabe nämlich, den Kernpunkt immerdai- festzuhalten, um den sich thatsächlich Alles bewegt, dass neben dem erkrankten Organe stets auch der kranke Mensch als solcher, das heisst, das erkrankte Einzelwesen, zu be- handeln bleibt. Gerade diese allgemeine und individuelle Behandlung des erkrankten Menschen, wie sie auch für jede Spezialität in Betracht kommt, ist übrigens in Wahi-heit von Alters her das eigentliche Feld der inneren Medizin geblieben. Denn läugnen lässt sich doch nicht, dass in jenem Kampfe um das irdische Dasein, den man als lü'ankheit bezeichnet, die genaue Kenntniss und spezielle Beobachtung des Einzel- menschen ^-anz ebenso wichtig erscheint wie die Behandlung der Krankheit selbst, und stets wird deshalb auch in jedem einzelnen Falle die genaue Abwägung der Kräfte des einen und die Intensität des anderen für den wissenschaftlich ge- bildeten Heilkundigen die Grundlage seiner Beurtheilung und seines ärztlichen Vorgehens bilden müssen, was sonach mit voller Begründung sich als die gemeinsame- 5 Aufgabe für die ärztliclie Thätigkeit in allen Spezialf äcliern darstellt. Wenn ferner zwar die sichere und exakte — ana- tomische — Diagnose auch heute noch der Prüfstein füi- den wissenschaftlich durchbildeten Ai-zt bleibt, so ist andererseits doch die Heilung stets der Punkt, auf den Alles entscheidend in der medizinischen Wissenschaft ankommt, und gerade diese hat in der jüngsten Zeit einen solchen Aufschwung genommen, dass erfahrene und fernblickende Lehrer der Medizin bereits darauf hinzuweisen für nöthig erachten, man habe immier daran festzuhalten, dass diese medizinische Wissenschaft jederzeit die G-rundlage füi- die reellen Fortschritte auch der praktischen Medizin ausmachen muss. Bedarf doch gerade die praktische Medizin mit unerlässlicher NothAvendigkeit der von alther begründeten Erfahrung, um die Sicherheit des Handelns füi' den ausübenden Ai-zt zu gewinnen. Nicht weniger bedarf sie freilich aber auch neuer Ideen und neuer Methoden, mn nicht in die Gefahr zu gerathen, zu stagniren. Und wirklich schreitet denn auch die ärztliche Heilkunst gegenwärtig in stetem Wechsel, anschliessend an die Fortschritte der Kultur und an die das jeweilige Zeitalter bewegenden Ideen, zum Heile der Menschengeschlechter nachhaltig fördernd vor. 6 Kinführung. Z--eschichte des Menscheu und der Wkbelthiere." Jena 1888. gr. 8», 28 ein mikroskopisch kleines Ei und vom männlichen die Samen- körperchen durch die besonderen von der Natur zu diesem Zwecke vorgeschriebenen Wege zur Vereinigung gelangen und mit einander verschmelzen. Das weibliche Ei sowohl wie die männlichen Samenfäden sind dabei als einfache Elementargebilde oder Zellen erkannt, welche in den ge- sonderten drüsigen Organen, den Eizellen in den weiblichen Eierstöcken und den Samenzellen in den männlichen Hoden, zui" Entwicklung gelangen. Mit dem Beginn der beider- seitigen Geschlechtsreife lösen sich jedesmal die weiblichen Ei'chen sowie die männlichen Samenfäden zu bestimmten, bald kürzeren, bald längeren Perioden in den Geschlechtsorganen aus dem Verbände mit den übrigen Körperzellen los, sie werden aus dem elterlichen Organismus ausgeschieden, und sobald danach die Bedingungen zu ihrer Vereinigung erfüllt sind, bilden sie in ihrer Verschmelzung die Anfänge zu einem neuen Lebewesen. 1. Die weibliche Eizelle. Das weibliche Ei'chen ist nach Stra ssburger ' s Be- griffsbestimmung ein Klümpchen Protoplasma, was die Be- fähigung besitzt, nach Vereinigung mit einem anderen, dem männlichen Protoplasmatheilchen , den ganzen elterlichen Organismus in seinem komplizirten Bau zu wiederholen, weshalb auch in ihm vorwiegend ein der Fortpflanzung be- sonders angepasster Protoplasmatheil enthalten ist. Das weibliche Ei ist ferner die bei weitem grösste Zelle im thierischen Körper. Man hat dann seine Bestandtheile in früherer Zeit, wo seine Zellennatur noch nicht herauserkanni worden war, mit besonderen Namen bezeichnet, die noch heutzutage im Gebrauch sind. Der Inhalt wm-de Eidotter oder Vitellus genannt, der Zellkern aber als Keimbläs'chen, vesicula germinativa, dessen Entdeckung dui-ch Purkinje erfolgte, und endlich die Kernkörperchen als Keimflecke, 29 nucleoli, bezeichnet. Galen nannte die Eierstöcke weibliche Hoden — testes muliebres — und erst Steno von Amsterdam führte die Benennung „Ovarien" für sie ein. Der holländische Gelehrte de Graaf lässt sich dann weiter wohl als der- jenige Forscher bezeichnen, der es zuerst mit grosser Be- stimmtheit aussprach, dass Ei'chen in jedem Thierkörper und besonders auch in den Geschlechtstheilen der weiblichen Säugethiere gefunden würden, da die schon früher von ihm aufgefundenen Follikel Ei'chen seien, und dass überdies die gelben Körper von der Entleerung dieser Ei'chen herrühren, dass die Follikel aber neben dem Ei noch diejenige Substanz enthielten, aus denen die gelben Körper sich bilden.*) Allmälig zeitigte sich sodann die Auffassung heraus, es bilde die Leibesfrucht, der Embryo, sich im Eier- stocke und jene gelben Körper seien deren Nest. Erst von Baer**) fand endlich heraus, dass die Eier innerhalb der Follikel des Eierstocks vorhanden sind. Bis zu dem Jahre 1827 hatte man nämlich jene relativ grossen Gebilde in dem mütterlichen Keimorgane, die man nach ihrem vor- genannten Entdecker die Graafschen Bläs'chen nannte, für die menschlichen Ei'chen angesehen, als der zuletzt ge- nannte von Baer die grundlegende Entdeckung machte, dass das wahre Ovulum, der mütterliche Keim und das menschliche Ei, in diesem Graafschen Follikel eingebettet enthalten ist und während seiner Bildung und Reife von der Hülle dieses letzteren geschützt wird. Dieses Ei'chen ist denn also der Gegenstand der nachfolgenden Darstellung. Die Entwicklungsgeschichte der iveiblichen Eizelle lehrt nun zunächst, dass die Anlage der inneren Gesclilechts- vverkzeuge im Allgemeinen eine grosse Gleichheit aufweist. Bei den Embryonen der Wirbelthiere findet sich, dass in *) Reg-ner de Graaf : ,,De mulierum orgaiüs geiieratioiii inservientibus." Lugd. Batav. 1672, p. 181. **) K. E. V. Baer : „de ovi iiiamalium et hominis genesi epistolae." Leipzig 1827. 30 der Leibeshöhle neben den Platten des Mesenteriums-Netzes - die Epithelzellen stärker entwickelt sind als an der übrigen Fläche des Peritonäums-Bauchfells -. Diese Epithelzellen erweisen sich aber als K e i m e p i t h e 1. Denn bald gestalten sie sich so um, dass sie unverkennbar Eiern ähnlich sehen, und man hat denn auch bei den Weibchen in der That gefunden, dass diese eiförmig gewordenen Zellen zu Eiern sich gestalten.*) Bei den Säugethieren ferner zeigen sich gleiche typische Bildungen. Zunächst schreitet nämlich jene Umgestaltung der Zellen zu eiförmigen Bildungen fort, und gleichzeitig vermehren sich die Epithel zellen von gewöhn- licher Form. Die eiförmig gewordenen Zellen bezeichnet man als „Ureier", worunter man jetzt sehr verschiedene Stufen versteht. In den Sexualzellen, die eine runde Ge- stalt und ziemlich grosse Kerne besitzen, finden sich noch keine Dotterkörnchen vor. Sie verändern sich überhaupt nicht wieder, so lange sie Bestandtheile des Epithels bleiben. Bald aber bildet sich die Sexualdrüse aus, in deren Inneres sie gelangen. Die Bindesubstanz der Keimflecken dringt nämlich zwischen die Anhäufung der Epithelien hinein, und beide Theile durchwachsen sich geg-enseitig so sehr, dass bald ein kompakter Körper, die Keimdrüse, daraus gestaltet Avii'd. Behufs Ausbildung definitiver Eier, nach Bildung des Eier- stocks, kommt es dann bei allen Wirbelthieren zui- Ent- wicklung abgeschlossener Follikel. Die einzelnen Geschlechtszellen werden sodann von einander durch die Grundsubstanz der Drüse geschieden und liegen darauf, von einer Schicht kleinei- Epitlielzellen um- geben, in ihrem definitiven Bette. Nachdem so die Eier rings umschlossen worden sind, beginnen sie sich zu ver- grössern und zugleich vermehren sich die Epithelien. Bald scheidet sich darauf eine Hülle um das Ei ab, die, nach innen scharf begrenzt und nach aussen als Abgnss der *) U. Waldeyer' Eierstock iiiui Ei. Leipzig- 1870. 31 Epitlielieii erscheint, ein wenig körnig ist und als Aus- sclieidnng dieser betrachtet wird. Im Innern des Eies, jedoch unabhängig vom Kern, bihlet sich indess ein mehr oder Aveniger umschriebener Dotterkern aus, und zwar eine Stelle, wo grössere Dotter- körner entstehen, die sich dann später mehr vertheilen. Ausserdem ist der Dotter an der Peripherie stärker körnig, mit Ausnahme einer hellen, „Zonoidschicht" benannten Schicht, welche letztere sich nach Gegenbauer später in die eigentliche Dotterhaut umwandelt. Von dieser Beschaffenheit aus Avächst hierauf das Ei'chen heran, doch bleibt es immer von den Epithelzellen des Follikels dicht umschlossen. Auch' bildet sich eine Follikelflüssigkeit nur bei Säugethieren aus. Waldeyer und Stricker haben alsdann den Ein- tritt gewisser Formelemente aus den Granulosazellen in den Dottel- des Eies beobachtet, welche Formelemente sich nächstdem im Dotter selbständig gestalten. Daraus ist man zu der Schlussfolgerung hingeführt worden, es sei das Ei ein mehrzelliger Körper, wie denn schon früher auf Grund der grossen Aehnlichkeit, welche die weissen Dotterkugeln mit Zellen zeigen, die Ansicht vertreten wurde, der Dotter des Vogeleies sei vielzellig. His, der in diesen Elementen ebenfalls Zellen sieht und sie von einer Einwanderung aus dem mütterlichen Gewebe ab- leitet, hat alsdann die Folgerung aufgestellt, sie seien nichts anderes als ein von der Befruchtung nicht mit betrolfeuer Parablast und gehen in den Aufbau des Embryo in be- sonderer Weise ein. Dies würde selbstredend für die Ver- ei-bung von höchster Bedeutung sein. Was sodann speziell den Kern der Ei'chen in den Bläs'chen betrifft, so zeichnet sich dieser wohl stets durch eine besondere Grösse und durch eine, namentlich in frischem Zustande, klare Beschaffenheit aus. Er hat eine ziemlich dicke Wandung, an der bei Fischen, Amphibien und Reptilien nach Innen hügelig vorspringende Verdickungen vorkommen, 32 die man als Kernkörper auffasst. Das Keimbläs'clieii wurde, wie schon erwähnt, von Purkinje, das Körperchen oder der Keimfleck von E. Wagner zuerst entdeckt, daher denn auch diese Bildungen häufig nach jenen beiden Autoren benannt werden. Bei der Reife des Eies endlich entzieht sich der Kern dem Auge, offenbar, weil er sich sehr stark ver- ändert. Namentlich die Dunkelheit des Dotters erschwert hierbei die Beobachtung dermassen, dass unser Wissen über die betreffenden Vorgänge, welche in der Bildung der Richtungs- und Polkörperchen enden, stückweise aus Beob- achtungen der verschiedensten Thiere, bis zu den wirbel- losen hin, in der mannigfaltigsten Ai't zusammengetragen ist. Schon früher wurde alsdann erkannt, dass das Keim- bläs'chen beim Huhn aus der Mitte des Dotters im Laufe der Entwicklung nach der Peripherie hin aufsteigt, hier dann sich erweicht und schliesslich sich löst, also verschwindet. 0 eil acher wies aber danach später dm-ch sorgfältige Beobachtung nach, dass das Keimbläs'chen ganz aus dem Dotter herausgedrängt, dui'ch Protoplasma-Zusammenziehung auf einen Hügel des Keims emporgehoben und seines Inhaltes entleert wurde. Und dieser Inhalt wird hierauf zu Richtungs- körpern gestaltet. Fr. Müller ferner, der diese zellen- ähnliclien Körper zuerst beobachtet hätte und sie als ent- scheidend für die Lage der ersten Furchungsrinne im Ei bezeichnete, gab ihnen daher diesen Namen. Indess man ei-kannte nachträglich doch wieder heraus, dass sie zum Untergang bestimmt sind, wie sie denn beispielsweise bei den Säugetliieren schon im Ei, also unabhängig von der Befruchtung, auftreten sowie auch später verschwinden. Seitdem ist die Entstehungsweise der Riclitungskörper viel- fach untersucht worden, in Betreff deren indess wahrscheinlicli wohl eine Zellentlieilung vorliegen dürfte. Zum Schlüsse möge doch noch die interessante Be- obachtung erwähnt werden, dass merkwürdiger Weise im 33 Eierstock eine starke Kückb ildung' der Eier mit der Entwickelung anderer Eier Hand in Hand geht, eine Rückbildung-, welche sowohl junge, noch nicht von der Follikelflüssigkeit umspülte Ei'chen als auch jene Eier in anderen Stadien trifft.*) 2. Die mäimlicheii S.iuieiizelleii. Wenn von den weiblichen Ei'chen gesagt werden konnte, sie seien die grössten Zellen des animalen Körpers, so müssen im Gegensatz zu ihnen die Samenfäden oder Samen- zellen, auch Spermatozoiden genannt, als dessen kleinste Elementartheile bezeichnet werden. Es finden sich dieselben in übergrosser Anzahl in dem männlichen Zeugungsstoffe vor, doch vermögen sie nur bei stärkeren Vergrösserungen heraus- erkannt zu werden, wo sie sich zumeist als feine, schnell bcAvegliche Fädchen zeigen, die beim Menschen einen das Vorderende bezeichnenden kürzeren aber dickeren Abschnitt als Kopf, einen langen, dünnen, fadenförmigen Anhang als Schwanz und zwischen diesen beiden noch ein sogenanntes Mittelstück unterscheiden lassen. Zuerst war es nun der Holländer Hammen, welcher im Jahre 1671 die Samenfäden entdeckte und diese Ent- deckung seinem berühmten Lehrer Leeuwenhoek mit- theilte, der dieselbe sodann physiologisch verwerthete und in seinen Vorlesungen demonstrirte. Dann erklärte sie in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts E. v. Baer für Entozoen des männlichen Zeugungsstoffs. Im Jahre 1837 Avies weiter Wagner nach, dass es kein zeugungsfähiges männliches Thier ohne diese kleinen Körperclien in seinem Zeugungsstoffe gebe, und er konstatirte dazu später, dass *) Ansführliclies darüber in Hermann's „Handbuch der Physiologie", Bd. VT, TIi. II., V. Hensen's „Physiologie der Zeugung", Leipzig 1884, Seite 5, und Ilänle's „Hnudljiich der systematischen Anatomie des Menschen", Braunschweig 1866. J .T n k e, Embryologie. 3 34 sie bei unfruchtbaren Vogelbastarden nicht sicli ermitteln lassen, v. Siebold hatte sie ferner seitdem bei vielen niederen Thieren nachgewiesen, und KöUiker endlich wies aus ihrem Bau nach, dass sie als selbständige Thiere nicht aufgefasst werden dürfen, und stellte sodann ihre Entstehung aus den zelligen Theilen des Hodens fest. Bis in die Mitte der sechziger Jahre unseres Jahr- hunderts herrschte aber über die Entstehung und Bildung des männlichen Zeugungsstoffs und den Bau des Samen- kanälchen-Inhalts eine grosse Uebereinstimmimg. Man wusste, dass die spezifische Absonderung des männlichen Hodens, als des Sitzes der Sexualstoö'-Bereitung, erst in dem Ausfülirungs- gange der unter dem Namen „des Samenleiters" bezeichneten Drüse vollständig ausgebildet ist, ferner, dass sie aus einer sehr sparsamen Grundflüssigkeit und den sogenannten Samen- fäden, an welchen man, wie erwähnt, einen dicken Körper und einen langen dünnen Faden unterscheidet, sich zusammen- setzt, und endlich, dass das entleerte Zeugungsprodukt be- trächtliche, nach Menge und Beschaffenheit aber nicht näher gekannte Beimischungen aus der Vorsteherdrüse sowie gleich- zeitig aus den Samenbläs'chen und den Cowper'schen Drüsen mit sich führt, dass es nahezu farblos ist, schwach alkalisch reagirt, spezifisch viel schwerer als Wasser sich darstellt, dabei einen spezifischen Geruch hat und ziemlich zähflüssig erscheint, sowie endlich, dass die Samenfäden sogar nach dem Einäschern noch ihre charakteristischen Formen bei- behalten zeigen. Was im Besonderen dann die Saraenbildung anlangt, so wiu'de dabei hervorgehoben, wie bei keiner anderen Absonderungs- flüssigkeit die Betheiligung der sogenannten Epithel- Oberhaut- Zellen, welche die Grundmembran der Drüsenkanäle auskleiden, so auffallend zu Tage tritt, als hier bei der Zeuguugsstoff- bereitung der Fall ist. Es zeigen sich nämlich die Samen- kanälchen des Hodens von zahlreichen, kernhaltigen Zellen erfüllt, den Vorläufern der Samenfäden. Der Zellenkern 35 treibt an einem Ende einen faden törmig-en Ausläufer hervor, während e\ selbst sich streckt und zum Körper des Samen- fadens sich umbildet. Die Zellmembran dagegen geht nach- träglich zu Grunde, so dass schon im Nebenhoden, namentlich aber im x^usführungsgange — vas deferens — die Samen- fäden ganz frei sind.*) Im Uebrigen hatten die Physiologen bis zu jener Zeit alle niu- eine Art runder Zellen in den Kanälchen des Hodens gefunden und dazu nur beobachtet, dass die Samenzellen aus diesen runden Zellen herstammen. Erst seit der -Mitte der sechziger Jahre erweiterten sich die Forschungen auf diesem G-ebiet. Zunächst fand im Jahre 1865 der Italiener Sertoli in den Samenkanälchen ausser den runden Zellen noch gewisse eigenthtimliche Elemente vor, die mit breiter Grund- lage der Kanälcheuwand aufsitzend und durch die Schicht von runden Elementen hindurchgehend in das Kanälchen- lumen gelangen, wo sie oft verzweigt erscheinen. Andere Forscher bestätigten darauf das Vorhandensein dieser Elemente, die Sertoli wegen ihres möglichen secretorischen Werthes cylindiischer Drüsenepithelien als „epitheliale, ver- zweigte Elemente", Merkel und Henle dagegen, wegen der von ihnen denselben zugeschriebenen Aufgabe jene runden Samenkanälchen zu stützen, als „Stützzellen" bezeichneten. Während dann aber die hergebrachten Anschauungen über die Entwicklung der Samenfäden sich, unberührt durch diese neuen Erfahrungen, noch weiter forterhielten, war es im Jahre 1871 Ebner, der eine völlige Umwälzung der- selben durch seine überraschende Entdeckung hervorbrachte, dass die Samenfäden nicht aus jenen vorbeschriebenen runden Zellen sondern vielmehr direkt von eben jenen S er toi i'schen Elementen entstammen, die er aus dem Grunde „Spermato- blasten" benannte, weil diese Elemente für die Samenfäden- bildung bedeutsam seien, wogegen die anderen, runden *) So Dr. Karl Vieronlt'H „(irniulriss der Pliysiolo£>ie des Menschen". Tübingen 1861, S. 372 i. 8* 36 Elemente, obschon sie den grösseren Tbeil des Samenkanälchen- Inlialts bilden, doch augenscheinlicli nur eine nebensäcliliclie Rolle hierbei spielen, indem sie durch Umwandlung und Auf- lösung die Zusatzflüssigkeit darstellen, deren Zweck es augenscheinlich ist die spätere Ausstossung der Samenfäden zu erleichtern. Diese Samenfäden ferner stammen nach ihm von dem nackten Protoplasma des zentralen Endes der Spermatoblasten her. Man sieht hier nämlich einen runden Kern, den Kopf, erscheinen und bald darauf die Verästelung in Lappen, von denen das Mittelstück und der Schwanz der Samenfäden herstammen. Diese neue Ebner' sehe Theorie rief darauf zahlreiche neuere Hypothesen hervor, die jedoch in ihren Ergebnissen weit aus einander gehen. Hervorzuheben möchte in Bezug hierauf namentlich die Erfahrung Wiedersperg's*) sein, der die Entwicklung der Samenkörper eingehend verfolgt hat. Auch er hat, als das Ergebniss seiner Forschungen auf diesem Gebiete, die Thatsache bestätigt gefunden, dass der Kern der runden Samenzellen zum Kopf der Samenfäden wird, sowie ferner, dass diese Zellen die Ableitungen einer foi'tgesetzten Theilung der Randzellen der Hodenkanälchen sind. Er fand dabei die Samenzellen selbst in dem mittleren Räume der Samenkanälchen neben einander liegend und von mehr oder minder zahlreichen Zellen umgeben vor, die ihre Theilung erst noch gewärtigen. Alsdann enthalten gewisse Längsabschnitte der Kanälchen immer gleiche Entwicklungs- stufen der Samenfäden, so dass diese in der Längsi-ichtung und an Längsschnitten, nicht also in der Quei-richtung, an einander gereiht erscheinen. Im entleerten Zeugungsstoffe bestätigte er endlich noch das Vorhandensein an den Samenfäden anhaftender Zellhaut- reste sowie vielfach runder Zellen mit Anfangsstadien der Samenkoptbildung und anderer mit deutlichen von ihnen umschlossenen Fäden, auch schliesslich noch bewegliche *) (t. V. Wiedersiierg's „Beiträge zur Entwickluugsffesdiiclite der Samenkörper", Archiv f. niikroskop. Anatomie, Bd. XXV, S. 113. 37 Hodeiizelleu mit deutlichen, denjenigen der Amöben gleichenden Bewegungen sowie ebenso wirkliche amöboide Zellen mit Entwicklungsstadien der Zoospermien in ihrem Innern. Einen weiteren Fortschritt für die Kenntniss der Ent- wicklung der Samenfäden haben sodann die Erfahrungen Biondi's*) ergeben. Dieser Forscher hat in jedem Kanal- qnerschnitt gleichzeitig fast alle Entwicklungsstadien der Sajuenfädenbildung in sä ulen artiger Anordnung vorgefunden. Ganz darin mit W i e d e r s p e r g übereinstimmend sieht auch er die runden Zellen als die Ursprungsstätte für diese Bilduug an, die einzige Art Zellen, die man überhaupt in den Samen- kanälchen noch nicht geschlechtsreifer wie geschlechtsreifer Individuen antriift. Biondi ist ferner dabei aber zu Ergebnissen gelangt, die mit allen bisherigen Ansichten in Widerspruch stehen. Denn er hat in den Saraenkanälchen aller von ihm untersuchter Thiere immer nui- eine Art Zellen, nämlich Samenzellen oder runde Zellen, vorgefunden. Die Ebner 'sehen Spermatoblasten, die S er to Ii 'sehen Epithelialzellen und die Merkel 'sehen und He nie 'sehen Stützzellen erklärt er, im Gegensatz zu ihnen, nui" für Kunst- produkte, weil sie erst nachträglich, sobald die runden Zellen in Samenfäden umgewandelt sind, aus dem zurückbleibenden Protoplasma entstehen. Er ermittelte sodann weiter, dass alle runden Zellen von einer Stammzelle ihren Ursprung nehmen, die eine Gen^gration von Elementen giebt, welche sänlenartig in radiärer Linie angeordnet sind, und es sind ferner dabei in solcher Säule ausser der basalen Stammzelle eine zweite Eeihe Mutterzellen imd, in dritter Reihe darauf- folgend, die Tochterzellen mittelst des Mikroskops unter- scheidbar. Sobald aber in jedem einzelnen Falle eine Generationsreihe abgeschlossen ist, geht in jeder Säule die Umwandlung der runden Elemente in Samenfäden vor sich, nidem der Kern einer Tochterzelle am peripherischen Pole derj)etreifenden Zelle mit seiner einen Hälfte den Kopf *) A. Biondi: „Die Entwicklung dcv Sperniatozoiden", Archiv fiir mikroslfui). Anatomie, XXV, ö. 594, Jahrg. 1884. 38 bildet, während dei- andere das Mittelstück und den Schwanz abgiebt, und dieser Vorgang wiederholt sich in allen Elementen je einer Säule, indem sich auf solche Weise eine jede Zellen- säule in ein Samenfädenbündel verwandelt, nachdem sie während dieses Umwandlungsprozesses in Samenfäden acht distiukte Phasen durchlaufen hat. An die Stelle einer jeden Zellensäule tritt dann schliesslich nach vollendeter Um- wandlung regelmässig wieder eine neue Generation, die je aus der Stammzelle von einer Nachbarsäule hervorgeht. Durch die Aufdeckung dieses Herganges ist also von Biondi der Bau der Samenkanälchen auf die natürliche Einfachheit zui'ückgeführt worden. Einen wohl beachten swerthen Zusatz zu dieser modernen Erforschung der Morphologie der Samenentwicklung hat dann noch Benda*) gegeben. Er bestätigt zunächst in Bezug auf die Entstehung der Samenfäden, dass dieselben sich aus runden Kernen gewisser Zellen der Hodenkanälchen ent- wickeln, Avobei sowohl der Kopf wie das Mittelstück und der Schwanz des Samenkörperchens aus dem Kerne entstehen. Jene runden Zellen aber, die sonach die Erzeuger der Samen- fäden sind, werden wieder auf Umwegen durch Kerntheilung aus den Epithelien der Hodenkanälchen hervorgebildet. Dies geschieht nach seiner Beobachtung bei den Säugethieren in der Weise, dass im Innern eines solchen Kanälchens, und zwar in den nächstinneren Reihen, ^lemal bereits die für die folgende Umwandlungsperiode in den Sameukörperchen bestimmten Tochterzellen fertig geordnet daliegen, und dass diese Umwandlung sich nicht gliederweise sondern in ge- wissen Gruppirungen vollzieht, welche letztere sich an eigenthtimlich „verzweigte" Zellen des Kanälchen-Inhalts anschliessen. Benda hat sodann noch weiter gefunden, wie sich die Differenzirung in jeder Saraenbildungs-reriode in der Weise vollzieht, dass in der Stammesschicht zuerst die *) C. Benda. Berliner mediz. Gesellschaft. Sitzung v. 31. März 1886, in „Deutsche Mediziual-Zeitung'.' Nr. 30, 1886, S. 330. 39 Stiitzzelleii durch Vergrösserung der Kerne, dann durch die Aufrichtung der Zellen und durcli die Aussendung einer Garbe äusserst feiner Fortsätze in das Innere der Hoden- kanälchen und deren Verbindung je einer von ihnen mit einer runden Zelle umwandeln, bis schliesslich sich die Stützzellen mit ihren Ausläufern und den daran haftenden Samenzellen gegen die Wandung hin zurückziehen, wodurch danach wieder die Samenzellen an die Ausläufergarbe angedi'ängt werden und den Ausbuchtungen des zusammengeflossenen Fortsatzes eingelagert erscheinen. Ben da erklärt diese Kopulafion oder Konjugation für die Einleitung der eigentlichen Samen- erzeugung, wie denn der Kopulationspunkt der richtung- gebende Pol füi" die Anlage und Entwicklung des einzelnen Samenfadens in der Samenzelle wird. Beim Menschen speziell geht übrigens diese Umwandlung in Samenfäden nui* fleckweise und in kleinen Gruppen oder mitunter auch ganz vereinzelt vor sich. Was endlich die physiologischen Bedingungen anbetrifft, unter denen die Samenerzeugung zu Stande kommt, so ist in Bezug hierauf ermittelt worden, dass dieselbe noch nicht im embryonalen Hoden erfolgt. Vielmehr beginnt sie regel- mässig erst zur Zeit der Mannbarlceit des Individuums, jedoch mit Brunstperioden und Funktionspausen, welche letztere speziell bei den Säugethieren sowohl darin bestehen können, dass die Samenfäden nicht umgebildet werden, als anderer- seits auch darin, dass die Zellenbildung ganz aufhört. Die Erforschung der Beeinflussung der Samenfäden-Entwicklung durch die Zirkulation und Innervation bleibt zur Zeit noch weiterer Untersuchung vorbehalten. 3. Die Befruchtung. Die Vereinigung der weiblichen Eizelle mit der männ- lichen Samenzelle stellt d e n B e f r u c h t u n g s h e r g a n g dar. Man unterscheidet hierbei die äussere und die innere Befruchtung. Die äussere ist die ursprünglichere und 40 einfachere. Sie kommt hauptsächlich bei vielen der im Wasser lebenden wirbellosen Tliiere sowie als Regel bei Fischen und Amphibien vor und verläuft in der Weise, dass die meistentheils in grosser Menge vorhandenen Geschlechts- zellen von den Weibchen wie Männchen, die während dieser Zeitperiode nahe bei einander zu bleiben pflegen, direkt in das Wasser hinein entleert werden. Dort geht dann die Befruchtung vor sich, welche somit ausserhalb des mütter- lichen Leibes Statt hat. Die innere Befruchtung da- gegen vollzieht sich innerhalb des weiblichen Organismus. Sie findet bei fast allen Wirbelthieren Statt, und zwar. spielt sich dieselbe so ab, dass das aus dem Eierstock abgestossene reife weibliche Ei mit dem männlichen Samenfaden, wie die herrschende Annahme voraussetzt, im Anfangstheile der Ei- leiter, zusammentrifft. , Das ist wenigstens die Eegel bei den Menschen und den Säugethieren. Es liegt auf der Hand, dass für diese innere Befruchtung die Klarstellung eine höchst schwierige ist und der Hypothese einen weiten Spielraum lässt. Der Hergang der geschlechtlichen Fortpflanzung ist deshalb auch durch lange Jahrhunderte niu' immer hypothetisch, als Vermuthung, erklärt worden, indem der anatomische und mikroskopische Nachweis des sich bei der Befruchtung ab- spielenden Vorgangs verschlossen blieb. Erst als das weib- liche Ei im weiblichen Eiei'stock herauserkannt worden war und man das Vorhandensein der Samenfäden im männlichen Geschlechtsprodukte aufgefunden hatte, eine Entdeckung, die, wie an anderer Stelle bereits erwähnt ist, Hammen im Jahre 1677 gemacht und dann sein grosser Lehrer L eeuwen- hoek physiologisch verwerthet hatte, erst seit dieser Zeit gewinnen die Beschreibungen des Befruchtungshergangs eine greifbare Gestalt. Folgendes ist, in kiu-zen Zügen, der Gang, den die Erklärungen des Befruchtungshergangs bis in die jüngste Neuzeit genommen haben. Zunächst stellten Leeuwenhoek, Harstäcker, BoerhaAve, Kiel, Lieutand und Andere diesen Hergang so dar, dass die Samenfäden in das weibliche Ei eindi-ingen 41 und hier den Embryo in Miniaturgestalt entwickeln, während Bory de Saint- Vincent die Samenfäden nur als einfache Vermittler betrachtet wissen wollte, denen die Bestimmung obliege die männliche Zeugungsflüssigkeit mit dem weib- lichen Ei in Berührung zu bringen, eine Ansicht, die auch noch von anderen älteren Physiologen getheilt wm-de, indem sie dabei von der Auffassung ausgingen, es liege das be- fruchtende Element des männlichen Zeugungsstoffs lediglich in seiner flüssigen Substanz, nicht aber in jenen belebten Organismen, die sich in ihm bewegen. Erst Spallanzani erwarb sich dann das Verdienst als der Erste die wichtige ßoUe nachzuweisen, die grade den Samenfäden für die Be- fruchtung zugetheilt wird. Er filtrirte nämlich zu diesem Zwecke den Zeugungsstoff des Frosches wiederholt ab und gewann aus den Befruchtuugsversuchen mit diesen Eiltraten als Endergebniss die Erfahrung, dass die ihrer Samenfäden beraubte Geschlechtsflüssigkeit keine befruchtende Einwirkung mehr auf die weiblichen Eier auszuüben vermochte. Nach ihm führten dann die fi-anzösischen Forscher Prevost und Dumas den weiteren Nachweis, dass die männliche Zeugungsflüssigkeit nur so lange befruchtend auf die weiblichen Ei'chen einwirkt, als sie belebte und beweg- liche Samenfäden enthält. Es gelang ihnen überdies auch das Eindringen solcher Samenfäden in die gallertartige Um- hüllung zu beobachten, die das Frosch-Ei umgiebt. Demnächst war es Bischoff, der die Samenfäden auch bei den Säugethieren in das weibliche Ei eindringen und sich zwischen der Eihülle und dem Dottel- noch fortbewegen sah. Er bestritt dagegen ihr Eindringen bis in den Eidotter hinein und behauptete seinerseits, es stelle die Einwirkung der Samenfäden auf den Eidotter sich lediglich als eine auflösende dar. Nachdem aber Newport, Meissner, Nelson, Keber und Andere gezeigt hatten, wie bei den Würmern und Mollusken die Samenfäden bis in den Dotter hinein ein- dringen und dort verschwinden, wurde das gänzliche Auf- 42 j^elieii des mänuliclieii Zeugung'selements im weiblichen Ei bis in die letzten Jahrzehnte hin als eine feststehende That- sache allgemein angenommen. Die jüngsten, namentlicli durch die Vervollkommnung der Mikroskopie begünstigten Forschungen auf diesem Gebiete haben indessen weiter herausgestellt, dass die Befruchtung doch in der That ein verwickelterer Vorgang ist, als man ihn bisher vorauszusetzen gewohnt war, und dass insbesondere der männliche Samenfaden nach seinem Eintreten in den Eidotter keineswegs dort vollständig verschwindet sondern im Gregentheil dort allemal noch eine Zeit lang seine Selb- ständigkeit beibehält. Andererseits hat man aber Avieder herauserkannt, dass das weibliche Ei im Reifezustande der Sitz für- gewisse bedeutungsvolle Umwandlungen wird, deren wahre Natur bisher den Beobachtern entgangen geblieben war. Es sei gestattet, hier in kurzer Skizze die Darstellung wiederzugeben, wie in jüngster Zeit Wal de 3'^ er*) den physiologischen Hei'gang der Befruchtung sowie der Karyo- kinese, das heisst, des Auftretens jener fadenartigen Gebilde an den Kernen der sich theilenden Zellen, nach den neusten hierbei gemachten Beobachtungen zusammengestellt hat. Danach ist aber der geschichtliche Entwicklungsgang folgender. Die zutreffende Aufklärung des bei der Befruchtung sich abspielenden Vorgangs ist erst in unserer Neuzeit ge- lungen. In den jüngsten vierziger Jahren hatte der englische Forscher Barry die thatsächliche Vermischung des männ- lichen Zeugungsstoffs mit dem weiblichen Ei'chen heraus- erkannt, indem er bei Kaninchen das Eindringen des Samen- fadens in die Eizelle wahrnahm, und in der Naturforscher- Versammlung zu Breslau im Jahre 1874 zeigte dann Auerbach Nematoden-Eier-Präparate vor, die nach der erfolgten Be- *) Skamper's Referat tther Prof. Waldeyer's Vortrag im \'ere.iii für innere Medizin zu J3erliu, Sitzung vom 27. Juni 1887, in „Deutsche Medizinal-Zeitung" 1887 Nr. 63, Seite 600, und ferner der Vortrag in „Deutsohe Medizin. VVochenschr.", 1887, Nr. 43 f. 4:^ friiclitung in jedem Eie zwei Kerne sichtbar machten, welclie danach anf einander zuwanderten und verschmolzen, van Beneden i. J. 1875 und die Gebrüder Oskar imd Richard Hertwig*) bestätigten danach die gleichen Vorgänge in den Eiern des Seeigels. Die Befruchtung erscheint somit als die „Ver- schmelzung" — Kopulation — des Kopfes des in das weib- liche Ei eingedrungenen Samenfadens mit dem in eigenthüm- licher Weise reduzirten Kern der reifen Eizelle. Doch wui-de dies nicht so ohne Weiteres hei-auserkannt. Zunächst setzten hierbei nämlich bereits Purkyne, vonBaei',Oellacher, Götte, Reichert, Kleinenberg, Loven und Andere voraus, dass das Keimbläs'chen vor der Befruchtung zu- gleich mit dem Keimflecke dahinschwinde, indess erkannten sie das Wesen des Befruchtungshergangs als einer morpho- logischen Verschmelzung des Samenkörpers und Keim- bläs'chens noch nicht heraus. Demnächst fanden dann Johannes Müller, Leydig, Gegenbauer und nament- lich E. van Beneden (1870), dass das Keimbläs'chen des weiblichen Eies erhalten bleibt, und Fol beschrieb die der Befruchtung vorhergehenden Veränderungen ausführlich. Die Forscher Derbes, v. Baer, Leydig, Bischof f und Fol sahen ferner in verschiedenen Fällen zwar das Keimbläs'chen zu Grunde gehen, den Keimfleck dagegen fortbestehen. 0. Hertwig und E. van Beneden wiesen danach im Jahi-e 1875 die erwähnte wichtige Thatsache der Ver- schmelzung des eingedrungenen Samenfadens mit dem sei es vollständig oder nur rudimentär erhaltenen Kerne nach, nachdem vor ihnen schon War neck, Bütschli und Auer- bach das Auftreten zweier kernähnlicher Gebilde sowie deren Vereinigung unmittelbar nach dem Zutritt der Samen- fäden zum Ei oder vor dessen beginnender Furchung beob- achtet hatten. Die alsbald nach der Befruchtung Statt flndende Verschmelzung zweier unabhängig von einander entstandener Kerne zu einem Kerne, der sich im Eidotter *) Prf)f. 0. Hertwig-Jena uml Prof. R. Hertwig -Berlin, iu „Untersuch, zur Morpliol. und Pliysiol. der Zelle", Heft 5, Jena 1887, gr. 8". 44 wieder auflöst, hat, nächst Warneck, im Jahre 1874 erst Auerbach, und es hat ferner im Jahre 1875 nach ilim Bütschli dann auch den Vei'schmelzungsprozess lieraus- erkannt. 0. Hertwig wies darauf weiter im Jahre 1875 die Herkunft des einen — oder mehrerer — dieser. Kerne von den Samenfäden, wie des anderen von den Keimbläs'chen des Eies und demnächst den Hergang der Eireifung und der Befruchtung in der Weise nach, dass das Keimbläs'chen durch Zusammenziehungen des Ei-Protoplasmas an die Dotter- obei'üäche getrieben wird, wobei seine Membran sich auflöst, der Inhalt zerfällt und vom Dotter aufgesogen wird, dass der Keimfleck dagegen sich nicht verändert, vielmehr zum bleibenden Kerne des nunmehr befruchtungsfähigen Eies sich gestaltet. Den bereits von Auerbach und Bütschli wahrgenommenen zweiten Kern erkannte 0. Hertwig dabei als den Kopf eines eingedi'ungenen Samenfadens heraus. Er konstatirte dazu, dass beide Kerne sich zu einander hin- bewegen, sich dicht an einander anlegen und beide, nämlich der Eikern und der Samenfadenkern, miteinander ver- schmelzen und so den „Furchungskern" entstehen lassen, der dann bei der bald danach eintretenden Befruchtung und Eifiu'chung sich theilt und zum Stammkern für die sämmt- lichen Kerne des sich entwickelnden neuen Organismus wird. Alsdann war es Fol, der im Jahre 1877 die Gleichheit des 0. Hertwig 'sehen Spermakerns mit dem Kopfe des eingedrungenen Samenfadens und den Akt des Eindringens dieses letzteren selbst herauserkannte, daher es denn gegen- wärtig als feststehend gilt, dass nicht nui' jener Spermakern morphologisch auf den Kopf als Kernbestandtheil eines Samen- körpers zurückzuführen ist, sondern auch dass bei niederen Thieren ein Samenfaden zur Befruchtung genügt. Bei diesem Befruchtungshergange wurden nun aber kleine rundliche Gebilde beobachtet, die von den völlig ausgebildeten Eizellen, in der Regel schon vor der Befruchtung und unabhängig von dem Eintreten der Samenfäden in das Ei'chen, ausgestossen werden. Und weil ihre Austrittsstelle mit dem 45 Punkte, wo später die erste Furchimg des Eies einzuschneiden beginnt, eng zusammenhängt, so nennt man sie nach Fr. Müller die Eichtungskörperchen — globes polaires Robin's. — Jetzt hat sich herausgestellt, dass diese Körperchen unter- gehen, auch dass sie nicht durch den Befruchtungsakt selbst zum Ausstossen gelangen, vielmehr ihr Ausstossen wesentlich zur vollendeten Ausbildung der Eizelle, unberücksichtigt deren späterei- Befruchtung, gehört. Ihre Entwicklung geht in folgender Weise von Statten. Zunächst erkannte 0. Schnitze, dass sich schon vor der Befruchtung der grösste Theil des Keimbläs'chens nebst dessen Keimfleck und der Membran im i:idotter vertheilt und im Kernsaft oder im Protoplasma auflöst, dass sich jedoch ein kleiner Theil davon morphologisch noch forterhält, welcher nach dem Verschwinden des Haupt- theils aus einer farblosen Spindelfigur mit zur Spindel ge- lagerten färbbaren Fäden oder rundlichen Köi-nern besteht. Nunmehr geht eine einfache fadenbildende — karyo- kinetische — Theilung dieser nach Bütschli so genannten Richtungsspindel vor sich, und während hierbei der eine Theilkern in der Eizelle zmiickbleibt, wird der andere zugleich mit einem kleinen Theile des Eidotters als erstes Eicht ungkör per chen ausgestossen. Bald darauf ver- wandelt sich auch der im Ei zurückgebliebene Kern wieder in eine Eichtungsspindel, und er wird gleichfalls als zweites Eichtungskörperchen ausgestossen. Ja, auch aus einem Theile der Kernsubstanz und aus der Kernmembran werden nach van Beneden Spindelfäden hervorgebildet. Es setzt sich sonach jene chromatische Figur aus zwei Gruppen von je vier Chromatinkügelchen zusammen, aus denen weiter acht Kügelchen aus dem Keimfleck — dem corps germinatif van Beneden's — hervorgehen, worauf fernei' dann vier dieser Kügelchen das erste Eichtungskörperchen und bald darnach auch das zweite, ebenso mit zwei Gruppen solcher Kügelchen, in die Erscheinung treten lassen. Letztere theilen sich demnächst wieder so, dass die eine Hälfte der Kügelchen einer jeden Gruppe in das zweite Eichtungskörperchen, die 46 zweite in den im Ei zurückbleibenden weiblichen Vorkeni — den Eikern 0. Hertwig's ~ übergeht. Diese Bildung der Richtungskörperchen stellt sich aber als ein nothwendiges Grlied in der Kette der gesainmten Befruchtungsvorgänge dar, wie denn nach van Beneden ihre Ausstossung immer erst dann vor sich geht, wenn der betreifende Samenfaden bereits in den Eidotter eingedrungen ist, auch stets die Ver- einigung erst nach der Ausstossung beider Richtungskörperchen Statt findet. Den Vorgang der Kern- und Zell-Theilung im Besonderen anlangend, so beginnt alsbald nach der Bildung der beiden vorerwähnten Vorkerne aus dem Samenfaden- und Eikern-Reste jener eigentliche Befruchtungsakt als die Ver- schmelzung der beiden Vorkerne zum Furcliungskerne nach van Beneden in der Weise, dass der warzenförmige Chromatinfaden beider inzwischen dicht an einander gelegter Vorkerne sich ohne zu verschmelzen quer in zwei gleich lange Stücke theilt, die jedes eine spitze Schlinge, mithin zwei weibliche und zwei männliche, bilden, worauf sich jede Schlinge wieder längsweis in zwei Schwesterfäden spaltet und schliesslich eine aus nach zwei entgegengesetzten Polen zusammenlaufenden Fäden sich zusammensetzende Spindelfigur zum Vorschein kommt, zwischen deren beiden Polen in der Mitte die nunmehr dm'ch jene Längsspaltung auf die Zahl acht gebrachten chromatischen Fäden — vier männliche und vier weibliche — liegen. Jetzt rücken als- dann die beiden Schwesterfäden nach den Polen der Spindel- figur derart aus einander, dass je zwei männliche und je zwei weibliche Fäden zu jedem Pole hingelangen, und es entsteht ans diesen Fäden danach wieder die chromatische Substanz je eines Tochterkerns. Es folgt ebenso zwischen den beiden Tochterkernen die Theilung der Eizelle, und damit sind denn die beiden ei-sten Furchungskugeln gegeben, deren jede gleichviel männliche wie weibliche Kernelemente enthält, van Ben e den stellte dann weiter klar, dass das „Eindringen" des Samenfadens in das Ei noch nicht schon den Befruchtungsakt 47 iiivolvirt, class dieser letztere sich vielmehr erst durch die Versclnnelznng der beiden Vorkerne vollzieht, daher denn auch die Vorkernbildung der Befruchtung vorausgeht. Jenes Eindringen geht aber stets an einer ganz bestimmten Stelle vor sich, indem das vordere protoplasmatische und nicht von der Membran umhüllte Ende des Samenfadens sich durch diese, eine Miki-opyle darstellende Oeffnung fest an den Befruchtungspfropf ansetzt, sich mit ihm verbindet und schliesslich durch dessen Zurückziehung danach in das Innere des Eies hineingezogen wird. Hierbei verschmilzt aber die Membran des Samenkörpers, während dem, dass dessen zuge- spitztes hinteres Ende durch die Miki-opyle hindurchgeht, mit der Ei-Membi-an, sie zieht sich vom Samenkörper ab und so wird die Mikropyle verschlossen und das Eindringen weiterer Samenfäden verhindert. Die Veränderungen ferner, welche das männ- liche Element dabei bis zum Vereinigungsakte erfährt, bestehen in der Trennung des Protoplasmas des Samenfadens und des glänzenden Körpers — (der Samen- körper wird nämlich vom Momente seiner Anheftung am Befruchtungspfropf ab stärker lichtbrechend und färbbar) — von dem chromatophilen Körper und dessen hellen Hofe und danach in deren Vermischung mit dem Eiprotoplasma, worauf die von ihm übrig gebliebenen Theile, nämlich das Chromatin- körperchen und dessen umgebende helle Substanz sich in den männlichen Vorkern umwandeln. Ganz in der gleichen Weise bildet sich dann aber auch, nach der Abstossung der Richtungskörperchen, aus dem Kernreste des Eies der weib- liche Vor kern hervor. Auch wächst, ebenso wie beim männlichen Vorkern, die Substanz dieses Aveiblichen Vor- kei-ns während seiner Ausbildung weiter. Nach solcher Hervorbildung der beiden Vorkerne be- ginnt dann, wie schon angedeutet, der eigentliche Befruchtungsakt mit der Verschmelzung ihrer beider zum Für chungskern, van Beneden definirt hiernach schliesslich die Befruchtung als „den Ei'satz gewisser 48 der Eizelle nach Abstossung der Riclitungskörperchen und jener Hüllen verloren gegangener Tlieile durc-li Tlieile der männlichen Samenzelle, — nach Abstossung eines Theils derei- Elemente". Er erklärt dabei diese Vorgänge, ganz so wie Nussbaum, als höchst wichtig für die Vererbungsthatsachen, indem danach eine jede Zelle unseres Körpers männliche und weibliche Elemente enthält, also hermaphroditisch ist. In den Richtungskörpercheu erblickt er dagegen bestimmte von der hermaphroditischen — mit männlichen Elementen ver- sehenen Eizelle vor ihrer Befruchtung, (zu dem Zwecke, um eine neue weibliche Zelle zu werden,) — ausgestossene Elemente, gleichwie auch bei der Bildung der Samenfäden Richtungskörpercheu ausgestossen werden. Diese überraschenden Behauptungen van Beneden 's, speziell, dass es sich bei der Befruchtung nicht um eine Verschmelzung sondern vielmehr um eine Vertheilung der achromatischen Kernsubstanz handle, sowie sein daran' geknüpfter Hermaphroditismus der Zellen und die Bedeutung der Richtungskörpercheu sind indess lebhaft bekämpft worden. Namentlich sind die Gebrüder 0. und R. Hertwag (1887) dabei verblieben, dass Samenfaden und Eikern sich ganz „durchdringen" müssen, und dass selbst im Falle beide nicht zur. Vereinigung kommen, sie gleichwohl sich in fadenfcirmigen Gebilden — kai-yokinetisch — zu differenziren vernuigen, sobald sie nur im Eiplasma liegen. Sie folgern hieraus, es müsse die Plasmasubstanz der Eizelle sowie die Substanz des Samenfadens mit eigenartigen Kräften ausgerüstet sein, die auf einander wirken, sobald beide Theile in Berührung kommen. Waldeyer seinerseits hält ferner die Frage nach den intimeren Vorgängen der Befruchtung und dem Hermaphrodi- tismus der Zellen erst dann für lösbar, wenn die Absonderung der männlichen von den weiblichen Kleingebilden durch irgend ein Reagenz ermöglicht werde. Weil es sich aber bei den Kopulationsvorgängen augen- fällig um Kerngebilde handelt, so lag es nahe den Ver- 49 erbnng-svorgaug in die Kerne zu verlegen. Und wirklicli haben dann auch Hertwig'sund vanBeneden's \'ersuche den Anhxss daxu gegeben die Kerne füi- die alleinigen Träger der Vererbungssubstrate zu erklären. In neuster Zeit ist man indess bestrebt dafür einen anderen Elementar- Organisinus als die Zelle zu finden. Dies sind nämlich jene von Balbieri und Pfitzuer in den chromatischen Fäden nachgewiesenen Kleingebilde, nach Haust ein „Mikro- somen" genannt, die für die Karyokinese, also für jene Fadengebilde an den Zellkernen, die grösste Wichtigkeit erlangt haben. G-egenwärtig hat nun Weismann*) eine ganz neue Auffassung über die Richtungskörper aufgestellt. Zwei ver- schiedene Arten lebendiger Substanz-Plasma sind es, so er- läutert er, die den Zellenleib und den Kern zusammensetzen. Die eine ist die zeugende, formende und vererbende Substanz, das sogenannte „Kernplasma", — Nägeli's Idioplasma, — die andere die geformte, assimilirende, mechanisch wirksame Substanz. Die erstei-e, das Kernplasma, ist im Kerne, die andere im Zellenleibe zu suchen. Die erstere besorgt das ganze Werden, die letztere, das Ernälirungsplasma, die Auf- nahme neuen Materials zum Unterhalt und Wachsthum der Zellen. Das Kernpiasraa ist ferner in der Eizelle über- wiegend und geht stetig wachsend mit in jede Körperzelle über. Es zeigt dabei zwei Modifikationen, deren eine als die Urform des Kernplasmas nur der Zeugung vorsteht, die zweite aber, die aus der ersten Art hervorgeht, danach die Theilung, das Wachsthum und die Formgebung der einzelnen Körper- zellen und auch der Geschlechtszellen, das heisst, der Ei- und Samenzellen, mithin histogene — gewebsentwickelnde — Eigenschaften besitzt, wogegen die Urform des Kernplasmas geschleclitliche Eigenschaften hat und die Vererbmigs- erscheinungen vollführt. Indem sonach die Ei- und Samen- zellen diese beiden Arten des Kernplasmas enthalten, wird *) Prof. Weisniami: „Ueber die Zalil der RichtungskiJrper und ihre BedeutuDg für die Vererbung". Jena 1887/88. Janke, Embryologie. 4 50 dann bei der Befruchtung das histogene Plasma der Eizelle als erstes Riclitungskörperclien ausgestossen, und zwar auch bei den parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern, die darum auch mindestens ein Eichtungskörperchen zeigen. Hinsichtlich des zweiten Richtungskürperchens führt Weis- mann dann weiter aus, dass bei den geschlechtlich sich entwickelnden Eiern der zur Eizelle gelangende Samenfaden ihin auch einen Theil Keimplasma hinzubringt, was nun eben- falls in die G-eschlechtszellen — Ei- und Samenzellen — der nächstfolgenden Generation mit übergeht. Durch solche von anderen Eltern stammende Ei- und Samenzellen müssen diese letzteren aber für unser heutiges Menschengeschlecht eine geradezu unabsehbare Komplikation in der Zusammensetzung ihres Keimplasmas, in Folge der verschiedenen Keimplasma- Vennischungen von Gleschlecht zu Geschlecht, besitzen. Die Abhülfe gegen solche iibergrosse Anhäufung von Ahnenplasma gewährt jedoch die Ausstossung des zweiten Richtungs- körperchens, durch die jedesmal soviel Ahnenplasma aus- geschieden wird, als dm-ch die einzelne Befruchtung hinzu- kommt. Parthenogenetische Eier, die ja kein Ahnenplasma besitzen, stossen darum auch nur ein Richtungskörperchen aus. Den Lehren M i n o t ' s , B a 1 f o u r ' s und van B e n e d e n's stellt Weis mann schliesslich noch die thatsächliche Ver- erbung der männlichen Ahnen-Eigenschaften des mütterlichen Gross Vaters durch die Mutter entgegen, die von ihnen deshalb geläugnet wird, weil nach ihnen ja die Mutter aus ihren Ei- zellen alle vaterseits überkonnnenen männlichen Bestandtheile in den Richtungskörperchen ausscheiden müsse. Aus dieser Darstellung geht hervor, dass jene anfänglich kaum beachteten Richtungskörperchen sich als sehr wichtige Faktoren für die Befiaiclitung und Vererbung herausgestellt haben. 4. Die Veierbuuff. Schon seit den ältesten Ueberlieferungen hat das Räthsel der Uebertragung der äusseren Gestalt im Thier- und Pflanzen- 51 reich, gleichwie beim Menschen, bei letzterem auch der Fertigkeiten und geistigen Eigenschaften, fort und fort, von Geschlecht zu Geschlecht in immer der gleichen Wesenheit, unausgesetzt die menschliche Forschung beschäftigt, und es hat dieselbe daher gerade auf diesem Gebiete eine Fülle theoretischer Aufstellungen darüber hervorgerufen, die freilich indess ihi- Ziel verfehlen mussten, weil ihnen die Grundlage der Darlegung aus der objektiven Natur noch unzugänglich geblieben war. Dies hat sich in neuerer Zeit geändert. Man hat in der mikroskopischen Erforschung und Beobachtung heutzutage es bereits zu grosser Gewandtheit und Erfahrung gebracht, und es sind deshalb in jetziger Gegenwart die theoretischen Erklärungen auf diesem Gebiete der Vererbung in mannigfacher Beziehung nunmehr ihrer Prüfung durch die physiologische und morphologische Beobachtung zugänglich geworden, obschon trotz alledem die Vererbungsfrage noch heilte ein Problem bleibt, was seiner definitiven Lösung erst gewärtig ist, da die Hypothese bei ihi- noch fortfährt eine grosse Rolle zu spielen. Den allerneusten Stand dieser Frage hat der Schweizer Physiologe Weis mann*) in einem umfangreichen Werke veröffentlicht, worin er insbesondere eine von ihm selbst aufgestellte Vererbungstheorie auf den stofflichen Grundlagen der Vererbungs-Ersclieinungen vorführt und, den neuen An- schauungen in dieser Lehre entsprechend, auf dem Keimplasma und seinem Bau begründet hat. Das Buch ist so eigenartig geschrieben und zugleich so voll von gedankenreichen Schluss- folgerungen, dass es wohl der Mühe verlohnt seinen Inhalt in kurzen Zügen, soweit er mit der vorhabenden Aufgabe in Zusammenhang steht, hier wiederzugeben, zumal seine An- schauung speziell auf den im Vorhergehenden vorgeführten mikroskopischen Beobachtungen basirt. Schon Spencer und Darwin, jene berühmten eng- lischen Gelehrten, haben für die üebertragung der Lebewelt *) A. Weismanii : „Das Keimplasma". Eine Tlieorie der Vererbiuig' Jena 1892. 4* 52 kleinste lebende Theilchen angenommen, die sicli durcli Theilnng- zu vermehren vermögend sind. Gegenwärtig liat im Einklänge damit die mikroskopische Forschung mit Evidenz herausgestellt, dass es das Keimplasma ist, welches die vererbende Substanz darstellt. Dasselbe ist in den Keimzellen enthalten, auch kann es nie neu gebildet werden, vielmehr überträgt es sich immer nm- von der Keimzelle, aus der ein Lebenstheilchen, ein „Bion", entsteht, in direkter Aufeinander- folge auf die Keimzellen der nachgebildeten Gesclilechter. Weismann bezeichnet daher auch das von Naegeli*) auf- gestellte „Id ioplasma", was er „Anlegeplasma" benannt, für einen wichtigen Fortschritt, weil dieses Idioplasma, obwohl es in Bezug auf Masse dem übi'igen lebenden Körper- plasma, nämlich dem Ernährungsplasma, weit nachsteht, dennoch für den Bau des letzteren bis in seine feinsten Einzelheiten der bestimmende Faktor bleibt. Inzwischen stellte die fortgesetzte Forschung heraus, dass die Vererbungssubstanz in dem Zellkern und zwar speziell in dessen C h r o m o s o m e n enthalten ist. Jetzt wusste man also, dass die Vererbungs-Erscheinungen bei den höheren Lebewesen an eine greifbare und ersichtliche Substanz ge- bunden sind, und wo diese heutzutage ihren Sitz hat. Danach war es weiter Weismann,**) der das Keim- plasma in den Clu'omosomen der Kernsubstanz der Keimzelle gegeben sah, und der ferner herauserkannte, dass dui-ch das Mittel der Kern- und Zell-Theilung das Idioplasma von einer Zellgeneration auf die andere übertragen wurde. Bei jeder Befruchtung erscheint aber das Keimplasma aus gleichen j\[engen väterlichen und mütterlichen Ahnenplasmas zusammen- gesetzt. Und weil mit den Geschlechtsfolgen eine TJeberhäufung desselben entstehen würde, so findet bei jeder neuen Bildmig eine Vermindei-ung jedesmal auf die Hälfte seiner Masse und der Zahl seiner Ahnenplasmen Statt. Weismann stellt *) Naegeli: „Mechanisch-pliysiologische Theorie der Abstaimmings- lelu-e". 1884. **) A. Weismann: „lieber die Zahl der Richtungskörper". Jena 1887. 53 aus diesen Eniiittlimgeii hierbei seinen Eifalirung-ssatz dahin auf, „eine Theorie der Vererbung sei nur durch Evolution, d. h. durch Keimübertragung zu gewinnen, eine epigenetische — sich stets neu bildende — Entwicklung gebe es aber nicht". Des Weiteren auf die Vererbung speziell übergehend giebt der Schweizer Eorscher deren Begriffsbestimmung. „Die Vererbung ist nach ihm die Erfahrungsthatsache, dass lebende Organismen ihres Gleichen wieder hervorzubringen vermögen, und dass diese Gleichheit von Kind und Eltern, wenn auch nie vollständig, sich doch bis in geringfügigsten Einzelheiten des körperlichen Baues und seiner Verrichtungen ei'strecken könne". Am verbreitetsten in dieser Hinsicht ist die geschlechtliche Vereinigung zweier Keim- Elemente, doch muss die einelterliclie Fortpflanzung stets die Wurzel zur z w e i e 1 1 e r 1 i c h e n sein. Erkannt muss ferner aber, so fährt Weismann fort, die Vererbung aus der Befruchtung werden als „der Ver- einigung zweier protoplasm atischer Substanzen", wobei indess jedenfalls nur ein kleiner Theil der weiblichen Ei-Substanz die eigentliche Vererbungssubstanz darstellen kann. Sodann weist er auch noch darauf hin, wie nach den Ergebnissen der neusten Forschung der Kern der Keimzelle als der Träger der Vererbungs Substanz füi- jede bezügliche Art erkannt sei, dass weiter aber die Kerne der männlichen und weiblichen Geschlechtszellen im Wesent- lichen gleich sind, das heisst, bei einer und derselben Art dieselbe Vererbungssubstanz der Spezies enthalten. Durch Beobachtungen im Ei des Pferde-Spulwurms — ascaris megalocephala — ist überdies herausgefunden worden, dass im Kerne es wieder die Chromosomen sind, welche als Körnchen, Stäbchen oder Schleifen durch ihre intensive Imbibitionsfähigkeit für Farbstofflösungen ausgezeichnet die Vererbungssubstanz repräsentiren. Denn an ihnen spielen sich stets die sehr verwickelten Theilungsvorgänge ab, die eine tüi- jede Art bestimmte Gesetzlichkeit erkennen lassen. 54 Roux*) war es ferner, der es zuerst ausspracli, es finde eine Tlieihmg der Kernsubstanz nicht der Masse nach sondern gemäss den in der Chromatinsubstanz anzunehmenden ver- schiedenen Qualitäten Statt, mit anderen Worten, es müsse die Vererbungssubstanz aus verschiedenen Qualitäten zusammen- gesetzt sein. Nun besitzt ferner das Chromatin augenscheinlich die Fähigkeit durch Wachsthum an Masse zuzunehmen, welche Fähigkeit nur aufhört, wenn keine neuen Zellen mehi", sei dies nun zur Bildung neuer Theile oder zum Ersatz für zu ö-runde gegangene, hervorgebracht werden, das heisst, — am Ende des individuellen Lebens. Sonach ist als das Ergebniss festzustellen, dass das Chromatin einmal den spezifischen Charakter der Zellen bestimmt, und sodann, dass es in jeder Art dieser letzteren verschieden sein muss. Es stellt sich mithin die Chromatin- substanz in einer Reihe von stufenweisen Qualitätsveränderungen der Kernsubstanz der Einzelzelle dar, und es beruht die erbgleiche Kerntheilung — Homoiokinesis — auf einer ganz gleichen Vertheilung der Anlagen auf beiden Stäbchen- hälften. Bei der ungleichen Theilung — Heterokinesis — dagegen wird das Wachsthum mit einer ungleichen Gruppiiamg der Anlagen verbunden sein. Hieraus erhellt nun aber, dass in dem Verlaufe der gesetzmässig auf einander folgenden ontogenetischen Ent- wicklungsstufen das vorerwähnte Idioplasma fortgesetzt entsprechende Qualitätsänderungen erfährt, welche W e i s m a n n „auf rein inneren, das heisst, in der physischen Natm- des Idioplasmas liegenden Ursachen beruhen lässt, so zwar, dass mit jeder Qualitätsänderung des Idioplasmas allemal auch eine Kerntheilung einhergeht, bei der dann verschieden geartete Qualitäten sich in die beiden Spalthälften der Chromatinstäbchen aus einander legen". Solche Idioplasma- Arten bezeichnet Weismann weiter als „ontogenetische Stufen des Idioplasmas, oder kurzweg als Onto-Id-Stufen" . *) Dr. Roux: „Ueber die Bedeutung der Kerntheihingsfigureu". Leipzig 1883. 5^5 Nach Allem ist die CliromatinsubstMiz der zur Theilung reifen Keimzellen — das Idioplasma der Keimzelle— die eigentliche Vererb ungs Substanz, weil sie die Gesammtheit der Anlagen füi- den künftigen Organismus in sich trägt. Sie ist zugleich die erste Onto- Id-Stufe und wird von Weis mann „Keimplasma" genannt, was somit die erste ontogenetische Id-Stufe des Idioplasmas einer Thier- oder Pflanzenart darstellt. — Damit schliesst der allgemeine Theil des Weismann'schen Werkes. In dem nunmehr folgenden besonderen Theile führt Weismann dann weiter aus, wie das Keimplasma sich aus elementaren Einheiten, den Biophoren — Lebensträgern — aufbaut, die, in bestimmter Anordnung zu Gruppen vereinigt, übergeordnete Einheiten, von ihm D eter m inant en oder Bestimmungs- stücke genannt, bilden. Er geht danach auf die nächst- liegende Frage über, wie nun diese Lebenseinheiten denn die Ontogenie, d. h. die Entstehung eines Lebewesens bewirken, oder anders ausgedrückt, auf welchem Wege denn aus dem Keimpiasraa die verschiedenen Idioplasraen der einzelnen Zellen und Zellkomplexe des fertigen Organismus hervorgehen? Zunächst nimmt Weis mann zur Beantwortung dieser Frage an, dass wenn das Keimplasma aus einer Vereinigung fest lokalisii"ter Determinanten zusammen- gesetzt erscheint, dann doch auch die Vorstellung von „Deter- minanten-Gruppen" naheliegt, die in ihi-er gesetzmässigen An- ordnung eine neue, den bisher festgestellten Elementen der Biophoren und Determinanten wieder über geordnete Lebens- einheit darstellen. Und dies sind gerade die von W e i s m a n n schon früher hervorgehobenen „Ahnenplasmen" oder, nach Naegeli, „Iden" , die also wachsen und sich durch Theilung vermehren. Das Keimplasma besteht ferner aber muth- masslich aus mehreren oder vielen „Iden", deren jede einzelne mit allen Elementen ausgestattet ist. Denn die ontogenische Entwicklung bedarf der Umbildungen der Iden des Keimplasmas 'in der Ontogenese. Ihre „gesetzmässige Zerlegimg" erblickt Weismann deshalb unter anderm in 5(i der historischen, also vererbten Struktui- (Ins Keim plasmas. Nach weiterer Annahme, so führt er seine Herleitung näher aus, sind die Chromosomen wohl nichts anderes als Vereinigungen von Iden, die deslmlb passend „Idanten" genannt werden können. Die „bisher als Mikrosomen bezeichneten Kügelchen" werden dabei wohl als die fraglichen „Iden" aufzufassen sein, und endlich wird der einzelne „Idant" wohl „eine der Art nachwachsende Anzahl Iden" enthalten. Wie die Beobachtung gelehrt hat, besteht die spätere Kerntheilung in einer dui'ch Längsspaltung der Idanten — Chromosomen — bewirkten Hai birung der Iden. Weismann unterscheidet dem entsprechend bei ihnen zwischen ihrer integrellen oder erbgleichen und differenziellen oder erb- ungleichen Theilung, so dass die gesammte Ontogenese nach ihm in einer zwar verwickelten aber gesetzmässigen Zerlegung der Determinanten beruht, die in den Iden des Keimplasmas enthalten sind. Auf diesem Vorgang basiren denn auch ausschliesslich die Vererbung der Eigenschaften allgemeinste!' Art, also des Bauplans eines Thieres, aber auch die die Klasse, Ordnung, Familie, Gattung kennzeichnenden Eigen- schaften. Einer jeden Embryonalzelle verleiht hierbei immer nur eine Art von Determinanten — aktiven oder inaktiven — ihren spezifischen Charakter, der auch die Theilung bestimmt. Die anderen, in Inactivität befindlichen Determinanten be- dingen dabei lediglich den Aufbau des „Id's", sie sind jedoch für die Qualität der Zelle ohne Bedeutung. Die „homologe" — ähnliche — Vererbungsform bewirkt sodann, dass die- se 1 b e]Bildung bei Eltern und Kind an gleicher Körperstelle entsteht, die „homochrome" — gleichzeitige — bedingt ferner das zeitliche Zusannnen ti eften in der Hervorbringung des- selben Theils in Eltern und Kind, und dies erklärt denn die ortsgleiche und zeitgleiche Vererbung. 57 Nach weiterer Erörterung der Regeneration und der Erscheinungen bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Theilung und Knospung geht Weis mann speziell auf die geschlechtliche Fortpflanzung über, — Seite 685 — als deren charakteristisches Merkmal er „die Vereinigung zweier Vererbungssubstanzen in der Anlage zu einem Individuum" bezeichnet. Es vollzieht sich dieselbe durch „Verschmelzung der beiden Cieschlechtszellen" innerhalb der mütterlichen Keimzelle und dei- beiderseitigen Zellkorper sammt ihren Theilungsapparaten, wie Weismann sagt, zu dem Zwecke, „die Vermischung zweier verschiedener Vererbungstendenzen zu ermöglichen". Es besteht nach ihm die Befruchtung somit ,,in der Vereinigung der Vererbungssubstanz oder des Keimpiasraas zweier Individuen". Alle die verwickelten und mannigfachen Erscheinungen der Differenzirung zweier Arten von Fortpflanzungszellen, die man als männliche und weibliche bezeichnet, haben dann auch nur diesen Grund. Vor der Fortpflanzung findet ferner, so lehrt Weis- mann weiter, „eine Eeduktionstheilung des Kernmaterials der Keimzellen" Statt, mittelst welcher die in der befruchteten Eizelle sonst verdoppelte „Id"ziffer auf die Hcälfte abgemindert wird. Für das weibliche Ei sind es die Richtungskörper- Theilungen, die speziell als solche Reduktions-Theilungen funktioniren. Bei den männlichen Samenzellen aber sind dies die letzten Theilungen der Samen-Mutterzellen. Die „Idanten" spalten sich überdies hier nicht der Länge nach, wie bei den gewöhnlichen Kei-ntheilungen, sondern so, dass die Hälfte der (-iesauuntzahl der Stäbchen in den einen, die andere Hälfte in den anderen Tochterkern hineinwandert. Diese Reduktion der ,Jde" auf die Hälfte trennt aber, so fährt Weis mann fort, nicht schon im Voraus bestimmte und immer die gleichen „Id"gruppen von einander sondern vielmehr wechselnde, bald diese, bald jene, so dass also „die Keimzelle desselben Lebewesens — Bion — ganz verschiedene Iden- zusanmienstellungen, mithin auch eine ganz verschiedene Mischung der im Kernplasma der Eltern dieses Lebewesens 68 enthaltenen Anlagen" darstellen. — Es folgt demnächst die Entwicklung — „der Kampf der Ide bei Leitung der Wesen- bildung" — Ontogenese, — dessen Ergebniss demgemäss den Bau und die Beschaffenheit des Tochteroi-ganismus vorstellt. Im vierten, letzten Buche bespricht Weis mann schliess- lich noch die Abänderung der Arten in ihrer idioplasniatischen Wurzel. Alle dauernden, das heisst, vererbbaren Abänderungen des Körpers gehen nach iljm von primären Veränderungen der Keimesanlagen aus. Er verwirft damit den sogenannten Lamarkismus, das heisst, den behaupteten Einfluss von Gebrauch und Nichtgebrauch der Theile auf die Umwandlung der Arten, welche letztere nach ihm vielmehr auf der Ab- änderung „einzelner, vieler, häufig wohl auch der meisten Determinanten" und damit der sich aus ihnen aufbauenden Ide beruht.*) Damit ist der Inhalt des umfangreichen Weisraann'schen Werks in seinem Gedankengange wiedergegeben. Es enthält, wie aus dem Vorgefühi-ten ersehen worden, eine auf der mikroskopischen Beobachtung begründete Schilderung der morphologischen und physiologischen Entwicklung der Ueber- tragungskeime der spezifischen Gattungs- und Ai'ten-Eigen- schaften von den Eltern auf die Nachkommen. Doch kann wohl der Gesammt-Eindruck kaum ein anderer sein als die Bestätigung der Thatsache, dass, so geschickt auch immerhin diese Weismann'sche Herleitung durchgeführt ist, sie schliesslich nur auf Vermuthungen hinausläuft. Es ist und bleibt nun einmal eine schwer zu lösende Aufgabe den dichten Schleier über einem physiologischen Vorgang zu lüften, den die Natur' so tief verhüllt hat, obschon es volle Anerkennung verdient die Klarlegung dieses schwierigen Problems in plausibler Weise unternommen zu haben. *) Ausführlich : Fr. v. Wagner-Strassburg : „Das Keimiihvsina von A. Weismanu«, im Biulog. Centr.-ßlatt, Jahrg. 1893, Nr. 6 und 7. 59 Noch möchte eine andere neuste Hypothese nicht unerwähnt zu hissen sein. Der Physiologe Haacke*) nämlich hat in allerjüngster Zeit eine e p i g e n e t i s c h e Lösung des Vererbungsproblems vom rein morphologischen Gesichtspunkte aus versucht. Es sei zuvor nochmals daran erinnert, dass fiii" das Vererbungsgeheimniss zwei Haupttheorien sich auf- gestellt finden, und zwar einmal die Theorie der Prä- formation, der zufolge in den Zeugungsstoflfen der sich Paarenden alle Theile des künftigen Lebewesens schon vorgebildet enthalten sind, und der Epigenesistheorie, wonach die Keime aus homogenem Plasma bestehen und erst allraälig auf dem Wege der Neubildung die verschiedenen Eigenschaften erhalten, dui'ch welche sich die Eltern aus- zeichneten. Dasjenige Plasma nun, welches die Prä- formationstheorie annimmt, wii^d, mit Haeckel, poli- miktes Plasma, dasjenige Plasma dagegen, welches die epigenetische Theorie voraussetzt, ein monotones Plasma genannt. Nach Haacke besteht nun aber das Plasma der Zellen aus untergeordneten Individualitäten von bestimmter Form, welche er Gemmarien nennt, und die er weiter aus 'kleinen Elementen, den Gemmen, zusammen- gesetzt sein lässt. Als Grundform, also als Form der Gemme, nimmt er sodann die gerade, rhombische Säule an, indem er nur aus dieser Form die Grundform-Verhältnisse des Thier- körpers erklärt. Innerhalb der Gemmarien bilden ferner die Gemmen ein Gleichgewichtssystem. Da sich nämlich die Gemmarien gegenseitig anziehen, so bilden auch die Gemmarien der Eizelle ein Gleichgewichtssystem. Und das Gleiche gilt ebenso für alle Zellen, die den Organismus zusammensetzen. Dies Gleichgewichtssystem, so führt er weiter aus, wird alsdann durch die Form der Gemmarien bedingt, die von einer Geschlechtsfolge auf die andere übertragen werden. So hinge sich nun in den äusseren Verhältnissen der be- treffenden^bstammungsreihe nichts ändert, bleibt eben das *) Dr. W. Haacke-Dfirnistadt: „Gestiiltmig und Vererbung, eine i^^ntwlcklungsmechanik der Orgauisineu." Leipzig 1893. 8". 60 Gleicligewichtssysteiii forterb alten. Wird aber der Orgauisnius durch irgend eine äussere Kraft beeinflusst, so nmss sich dem entsprechend auch die Form der Gemmarien ändern und in den von den äusseren Einflüssen getroffenen Zellen ein neues Gleichgewichtssystem bilden. Da ferner zwischen allen Zellen des Körpers plasmatische Verbindungen bestehen, muss weiter eine Veränderung des Gleichgewichts in einer einzigen Körperzelle auch das Gleichgewicht in allen andern Zellen ändern. Trennt sich alsdann später vom Körper eine Zelle als Keimzelle los, so muss sie, nach Haacke, das Gleichgewichtsverhältniss, das sie im Körper hatte, auch fernerweit bewahren und folgerecht auch dem aus ihi- ent- stehenden Organismus ihr Gleichgewichtssystem mitgeben. Je lockerer nun die Gemmen an einander gefügt sind, und je leichter die Veränderung des Gemmenverbandes durch äussere Einflüsse ist, desto eher werden schädigende Momente die Zerstöi'ung des Plasmas veranlassen. Die Individuen mit lockerem Gemraariengefüge gehen zu Grunde, die mit festerem überleben. Auf diese Weise kann somit eine individuelle Auslese erfolgen, indem sich das Gefüge allmälig befestigt und die Organismen in dieser Richtung verändert. Durch äussere Einflüsse, fährt Haacke weiter fort, wird nun nicht nur der morphologische Aufbau des Körpers erheblich verändert sondern auch dessen Chemismus, weil auch in Bezug auf den Stoffwechsel ein Gleichgewichts- verhältniss zwischen den einzelnen Zellen bestehen muss. Der geschlechtlichen Fortpflanzung schreibt Haacke dabei speziell die Aufgabe zu, derartige Lockerheiten im Gemmariengefüge auszugleichen. Die Ursache zu ihr findet er dann in der allgemeinen Eigenschaft, dass sich getrennte Theile des gleichen Stoffes zu vereinigen streben. Es ist dieselbe nach ihm eine Art Verjüngung, durch die das für die Lebenserscheinungen der betreffenden Art ge- eignete Gleichgewichtssystem des plasmatischen Gefüges hergestellt wird. 61 Mit Hülfe der Gemmarienlehre lässt sich aucli ziemlich piausibel die Vererbung erworbener Eigenschaften erklären, welche Weis mann fiü' unmöglich hält. Ei'worbene Eigen- schaften übertragen sich nämlich nach dieser Theorie durch eine Beeinflussung der Keimzellen, weil letztere mit den Körperzellen im Gleichgewichte stehen und sich deshalb die Veränderung des Gleichgewichts auch auf die Keimzellen überti'agen muss. Erworbene Eigenschaften müssen demnach nothweiidig die Gemniarien der Keimzellen verändern. Soweit diese Haacke'sche neue Lehre. Schade nur, dass er für seine Hypothese das reiche Kapitel der Krankheits- Vererbung unbenutzt liess, was dieser Lehre doch sicherlich manche wertlivolle Unterstützung an die Hand gegeben hätte. 62 III. Die Krankheits-Uebertrag'ung'. 1. Der Vor^siiig der Krankheits-Uebertraguiig:. In der vorangegangenen Darstellung ist der Mikro- kosmus, die Kleinwelt, eingehend geschildert worden, welche den Ausgangspunkt des Daseins bei allen Organismen bildet und auch das ganze Leben derselben unausgesetzt beeinflusst. Es war das Wesen der Zelle, als des Ursprungs alles organischen Seins, nach den durch die Vervollkommnung der technischen Hülfsquellen erlangten neusten Erfahrungen vorgeführt und die Entwicklung sowohl der Pflanzen wie auch der kleinsten der Thierwelt angehörigen oi'ganischen Elemente aus ihr nachgewiesen und schrittweise verfolgt worden, woran sich die weitere Betrachtung dann ganz natüi'lich anreihte, ob diesen uranfänglichen Organismen bereits eine Seele innewohnt? Mit der Klarlegung dieser Vorgänge in Bezug auf die allerersten Anfänge der belebten Welt war dann das Verständniss für die Entwicklung der ersten Keime des menschlichen Organismus erschlossen worden. Allein nicht darauf war die zum Vorwurf erwählte Aufgabe gerichtet gewesen, die m'orphologische Umgestaltung und das Herauswachsen der Leibesfrucht bis zur Ausscheidung aus dem mütterlichen Körper im einzelnen Detail zu be- schreiben, weil sich diese Embryologie bereits in zahlreichen Lehrbüchern umständlich geschildert findet. Es sollte vielmehr eine geschichtliche Durchführung hier zu geben versucht 63 werden, wie die fortschreitende mikroskopische Beobachtung die Hervorbildmig und Entwickhing der weiblichen Eizelle sowie dei- männlichen Samenzelle und daran anknüpfend der Befruchtung und ebenso der Vererbung der elterlichen Art auf die Nachkommen zunehmend erkannt und fortschreitend klar gelegt hat. Speziell an die zuletzt vorgeführte Vererbung knüpft sich dann weiter die. fiü- das animalische Dasein von so entscheidendem Einfluss sich erweisende Krankheit s- Uebert,ragung an. Denn schon von jeher hat die Er- scheinung das menschliche Nachdenken angeregt, wie die Mitangehörigen einer bestimmten Familie von Geschlecht zu Geschlecht von einer bestimmten Krankheit heimgesucht bezw. liinweggerafft werden, in der Art, dass nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters ein Mitglied solcher Familie meist regelmässig von der seiner Familie eigen- thümlichen Krankheit ergritfen wird. Der neuste Stand der Bakteriologie stellt folgerecht in Bezug auf diese Infections-Krankheitsübertragung die Annahme als eine unbedenklich zutreffende hin, dass dafür jedenfalls mikroskopisch-kleine Bazillen die eigentliche und und wahre Ursache sind. Und dass diese Annahme die richtige ist, das wird durch folgende Mittheilung im hohen Maasse wahrscheinlich gemacht. Aus seiner langjährigen körperlichen Untersuchung der Militärpflichtigen in Frankreich hat nämlich der dortige Militärarzt Jules Carret füi- den savoyischen Kanton von Aiguebelle die eigenthümliche Thatsache zu ermitteln Gelegenheit gehabt, der zufolge bei den in der Zeit von Neujahr bis etwa zum 23. Februar jeden Jahrgangs Geborenen die Körpergrösse jedesmal sich erhöht, wenn der Märzmonat des vorangegangenen Jalu-es, also zwischen zehn und elf Monaten vor der Geburt, warm gewesen war, und andererseits sich wieder verringert füi- die im Hochsommer Geborenen, wenn die Monate October und November im Jahre voi'her warm gewesen wai-en. , 64 Die tiefere Ursache zu dieser auffälligen Erscheinung erklärt dann dieser Arzt aus seinen Erriiittlungen über das Voi'- koninien des Kropfes in jenem Gebii-gslande. In jeder savoyischen Ortschaft ist nämlich die mittlere Körpergrösse der Bewohner um so kleiner, als der Kropf häufiger hervor- tritt. Und diese Thatsache hat wieder seine Ursache darin, weil in allen jenen Gemeinden die Bevölkerung aus nn'ndestens zwei Racen besteht, deren eine klein,, alt und akklimatisirt, daher auch dem Kröpfe mehr Widerstand leistend, die andere dagegen gi'oss, weniger alt und leichter vom Kröpfe heim- gesucht ist. In den Jahreszeiten nun, wo die den Kropf hervorrufende Ursache sich wirksam zeigt, haben die sich begattenden Eheleute im Allgemeinen die 'l'endenz Kinder zu erzeugen, deren Typus sich der akklimatisirten Race nähert, also dem Kröpfe widersteht. Dieser Kindertj-pus bestimmt sich aber nicht etwa erst nach der Geburt, auch nicht während der Schwangerschaft, sondern, wie gezeigt worden, lediglich nach der dem Kropfmikrobe je nachdem schädlichen oder förderlichen Temperatur der- jenigen anderthalb M onate, welche derEnipfäug- niss vorhergehen. Der Militärarzt Oarret spricht hierbei über die Entstehung des Kropfes seine Ueberzeugung dahin aus, dass dieselbe einzig und allein nur in einem Mi- kroben gefunden werden könne, der im Boden lebt, aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Trinkwasser in das Köiper- system der Eltern aufgenommen wird, und dessen Einwirkung je nachdem begünstigt oder geschmälert wird durch die Wandlungen der jeweiligen Temperatur und dem entsprechend sich gemäss jenen angedeuteten Modifikationen des mittleren Wuchses auf die Geburten überträgt.*) Diese eben mitgetheilte Beobachtung erscheint für die Lösung des Geheimnisses der Ki-ankheitsübertragung doch *) Dr. H. Janke : „Die willkttrliclie Hervorbriuguiig des Geschlechts bei Mensch und Haiisthieren", kleine Ausgabe, 3. Aufl., Seite XXXII. Stuttgart 1889. A. Zimnier's Verlag. 65 sogleicli auf den ersten Blick von Ausschlag gebender Be- deutung. Denn es wird durch dieselbe die Thatsache kon- statirifdass die Geburten in. jener savoyischen Gemeinde eine Körperbildung von verschiedener Grösse entwickelt werden lassen, je nachdem die Temperatur in den letzten der jedesmaligen Erapfängniss vorhergehenden 6 Wochen eine warme oder kühle war, und es ist hierbei dem dies berichtenden französischen Arzte unbedenklich darin Eecht zu geben, dass die tiefere Ursache für diese ungewöhnliche Erscheinung in dem Mikroben zu finden ist, der in jener Gebirgsgegend den Kropf hervorruft. Wii'd diese Erscheinung aber als zutreffende Thatsache einmal hingestellt, so knüpft sich daran ganz natur- gemäss die weitere Frage an, welches hiernach der normale Hergang sein muss, mittelst dessen sich diese Uebertragung auf die einzelnen Geburten vollzieht? Dieser Hergang muss dann aber nothwendig folgender sein. Zuucächst die Mutter anlangend, so nimmt diese, nach der wohl richtigen Annahme, im Trinkwasser jene den Kropf entwickelnden Bakterien in sich auf, worauf dieselben danach von ihrem Magen aus in das Blutsystem der Frau übergehen und vermittelst der Blutzirkulation durch alle Theile ihres inneren Körpei'systems geleitet werden und dabei auch in ihre Geschleclitssphäre und speziell in den Eierstock gelangen. Dort ist sodann das für die nächste Abstossung fällig werdende Ei'chen gerade in seinem Graafschen Follikel im Zustande seiner Eeif werdung begriffen, und ihm wird deshalb in den Substanzen, die ihm aus dem Körpersystem zu seiner Eeifung zugehen, dann zugleich mit von jenen Kropfbakterientheilchen zugeführt, was alsdann eine Infektion dieses demnächst zur Reife gelangenden und zur Abstossung bereiten Ei'chens zur Folge hat. Inzwischen hat sich aber auch in dem Köi-per des Mannes der gleiche Vorgang abgespielt. Auch in seinem Körper haben Kropf-entwickelnde Bakterien Eingang gefunden, die danach in sein Blutsystem eingedrungen und gleichfalls in seinem Geschlechtssysteme den Hoden zugefühi't sind, dort in den sameubildenden Drüsen zugleich mit den übrigen Janke, Embryologie. 5 66 dahin strömenden Bilduiigs-Elementen sich vertheilen und die darin zur Entwicklung gelangenden Samenfaden in gleicher Weise durchseuchen. Bei der alsdann erfolgenden Vereinigung der gereiften, abgestossenen weiblichen Eizelle mit dem männ- lichen Samenfaden, welche die Enipfängniss der Frau herbei- führt, hat die beschriebene Infektion dieser beiden Zeugungs- eleraente danach zur Folge, dass das verschmolzene Produkt aus ihnen beiden jenes Kropf-entwickelnde Element mit über- kommen enthält, was alsdann an der Ausbildung solches Embryo's und dessen zunehmendem Wachsthum einen so be- deutenden Einfluss ausübt, dass danach der Körper des Sprösslings die von dem französischen Arzte herausgefundene Abwandlung erfährt. Für die Erklärung der Krankheitsübertragung ist aber diese eben mitgetheilte Erfahrung des Major's Carret doch von entscheidender Wichtigkeit. Denn sie beweist hand- greiflich den naturgemässen Weg, den solche Uebertragung des Ki-ankheitskeims von den Eltern aus auf die lüuder verfolgt. Die Eltern nehmen den Keim lange Wochen vor der Empfängniss in ihr Körpersysteni auf. Dort verbreitet sich derselbe in Folge der ununterbrochen im Köi-per vor sich gehenden Stolfprodnktion in alle einzelnen Körpertheile und findet so unter anderen auch in dem Geschlechtssysteme Eingang, in welchem bei der Frau die periodisch von Monat zu Monat sich abspielende Eireifung und ebenso bei dem Manne die fortgesetzte Samenfädenbildung ununterbrochen vor sich gehen, und hier infizirt dieses Kropf-entwickelnde Element sowohl das fällige, in seiner Eeifung begriffene weibliche Ei'chen als auch die sich bildenden männlichen Samenfäden. Mit der Begattung erfolgt durch die Vereinigung beider die Befruchtung und damit die Uebertragung des Kropf krankheits - Keimes auf den Sprössling ganz von selbst. Wolff,*) der die Uebertragung des Milzbrandes von der Mutter auf den Fötus zum Gegenstand seiner besonderen *) Jlax Wolff: „Ueber Vererbung vun Infektioiiskraukbeiteu". luterji. Beitr. z. wisseiisch. Medizin. 1893. 67 Beobaclitimg erwählt liat, und welcher den Erfahrungssatz bestätigt, dem zufolge das Freibleiben des Fötus vom Milzbrand zum mindesten der gewöhnliche Fall ist, hat neuerdings er- mittelt, dass jedesmal Veränderungen des Mutterkuchen- Gewebes im einzelnen Falle fiü- den Uebertritt der Bazillen erforderlich sind, und dass insbesondere Blutungen in dasselbe begünstigend auf die Bakterien-Entwicklung einwirken. Er fand ferner, dass je später nach der Infektion der Versuchskeimchen die Geburt der J ung en er folgte, desto wahrscheinlicher der Uebergang der Mi- kroben auf den Fötus Statt fand. Füi- die Tuber- kulose ist er indess zur Ueberzeugung gelangt, dass die Vererbung bei ihr nur eine untergeordnete Rolle spielt. Diese hervorgehobene Beobachtung bestätigt aber auf- fallend die eben besprochene Erfahrung jenes französischen Militärarztes. Zur Erläuterung muss hierbei zunächst darauf hingewiesen werden, dass die Wo Iff sehen Versuche in Bezug auf die Vererbung von Ansteckungskrankheiten an lebenden Thieren regelmässig in eigner Weise durchgeführt werden, indem das Blut der bereits tragenden Mutter künstlich inflzirt und nun beobachtet wird, ob auf das im Mutterleibe sich ent- wickelnde Junge der Krankheitsstoff sich überträgt. Die Wolf f sehe Wahrnehmung aber, dass der Uebergang der Miki'oben auf den Sprossen um so wahrscheinlicher ist, je später nach der Infektion der Mutter die Geburt erfolgte, je weiter also die Infektion der Zeit ' nach von der Geburt entfernt ist, weist eminent darauf hin, dass die normale Uebertragungs- weise des Krankheitsstoffs auf das Kind die ist, der zufolge schon einige Wochen vor der Empfängniss indem elterlichen Körper der betreffende Infektionskeim sich ent- wickeln muss und hierauf bei der danach Statt findenden Befruchtung mit auf die Leibesfrucht übergeht. Es dürfte diese Erfahrung über allen Zweifel hinaus ihre Bestätigung finden, sofern die Thierversuche dem entsprechend in der Weise durchgeführt werden möchten, dass das Mutterthier schon ein Paar Wochen vor seiner Paarung infizirt wird. 5* 68 Dann entwickelt sich nämlich der Krankheitsstolf im Mutter- körper, infizirt damit zugleich auch die zur Reifung im Eier- stocke sich ausbildenden Ei'chen, worauf danach die Krankheits- übertragung in der vorbeschriebenen Weise vor sich geht. Bei diesem Vorgange darf es aber nicht als eine unge- Avühnliche Erscheinung angesehen werden, dass die Ueber- tragung des Krankheitskeims ihren Weg dui-ch den Geschlechts- akt nimmt, und dass ferner gerade die Geschlechtssphäre, Avie es scheint, mit einer gewissen Vorliebe von den Bakterien zum Sitze ihres Aufenthaltes im animalen Körper erwählt wird. Wenigstens möchte dies unbedenklich für die Tuberkel- bazillen zugelassen werden können. So spricht zunächst der französische Arzt Fernst*) seine Erfahrung dahin aus, es könne die Tuberkulose durch den Begattungsakt übertragen Averden. Denn der Beischlaf mit Schwindsüchtigen gebe den Anlass zu tuberkulösen Aifektionen des gesunden Partners, die sich zwar oftmals nur auf die Geschlechtsorgane beschi-änken, unter gewissen Verhältnissen indessen auf andere Organe tibergehen und alsdann zuerst die Inguinaldrüsen und das Bauchfell beftillen. Beim Manne befällt nach ihm die Tuberkulose nach solchem Umgange zunächst die Schleimhaut der Harnröhre (Blennorrhoe), die Nebenhoden und die Samen- bläs'chen, bei der Frau die Anhänge der Gebärmutter und das Bauchfell und nur selten den Mutterkanal und den Gebärmutterhals. Ferne t erachtet deshalb auch den fort- gesetzten Umgang bei Ehegatten, deren einer tuberkulös ist, für gefährlich, weil so die Tuberkulose zur Quelle einer sekundären Allgemein-Erkrankung Averden könne. Und in gleichem Sinne hat sich neuerdings auch Hegar**) dahin ausgesprochen, dass die primäre 'l'uberkulose unter anderem ebenfalls durch Ansteckung von aussen her, besonders durch Begattung, tibertragen werde, und dass alsdann die *) Süciete iiiedic ale des liöiiitaux de Paris. Session de 26. decbre 1884. Allgein. medic. CeiilTal-Zeituug- Nr. 7 de 188.5, S. 106. Hegar : „Die EuLsteliung-, Diagnose und chirurgische Behandlung der Genitaltuberkniose des Weibes. Stuttgart 1886, 8». 69 Weiterfillinmg- des iibertrageneu Giftstoffs entweder durch fortkriechende Erkrankung der Gewebstheile oder auch von der Schleimhaut deS' Mutterkanals aus durch das Bindegewebe, die Lymphgefässe und die Serosa sich verbreite. Entsprechend diesem Befunde im Geschlechtssystera der Frau hat bei männlichen Schwindsüchtigen Weigei't*) beobachtet, dass häufig der charakteristische Tuberkelbazillus bei ihnen in den Hoden, und zwar bei sonst intakten Geschlechtstheilen, sich vorgefunden habe. Die physiologische Bestätigung dieser Erscheinnng haben sodann aber Sirena und Pernice**) dadiu-ch erbracht, dass sie, im Anschluss an die Arbeiten von Laudon und Martin***), in anscheinend gesunden Hoden und Eierstöcken an Tuberkulose gestorbener Männer nnd Frauen zwar keine Tuberkulose haben mikro- skopisch nachweisen können, dass es ihnen jedoch gelungen ist durch intraabdominale Einspritzung einer Aufschwemmung von Eierstock-Inhalt oder Zeugungsstolf der bezeichneten Art drei Meerschweinchen zu infiziren, die danach im Verlaufe von drei bis fünf Monaten an allgemeiner Tuberkulose zu Grunde gingen. Beachtenswerth ist endlich auch die von Busch, wie Levyf) anführt, bei dreiundvierzig an Lungenschwindsucht Verstorbenen gemachte Befund, das bei zwanzig von ihnen nur einige wenige, bei vierzehn aber gar keine Samenfäden in ihrem Zeugungsstoffe aufgefunden wei-den konnten, letzteres ein wohl sicherer Beweis für den auf die Samenfäden zer- störend wirkenden Einfluss der Tuberkelbazillen. Hiernach scheint festzustehen, dass die üebertragung des Infektionskeims auf den Embryo diuxh die Ansteckung der Eltern schon vor dessen Empfängniss bedingt wii-d. *) Deutsche Naturforscher-Vorsanimlmig in Freiburg- i. B., Sept. 1883. **) Gazzetta degli ospitali Nr. 72 p. 1884, Nr. 10 p. 188.5. ***) „Allgein. medic. Ceutr.-Ztg." Nr. 23, p. 1884. t) Dr. Levy: Die männliche Sterilitcät iu „Der Frauenarzt", IV. Jahrg., 1889, Juni-Heft S. 324. 70 2. Die Herleitung der Uebertrsig^ung des Kraiikheitskeims. Wenn man die im voiigeu Abschnitt erörterte That- sache als zutreifend anerkennt, wonach also der Krankheits- keim von den Eltern schon mehrere Wochen vor der Era- pfängniss des zukünftigen Sprossen in ihr Kijrpersystem aufgenommen wird und vermöge der ununterbrochen vor sich gehenden inneren Blutzirkulation auch dem Geschlechtssysteme der beiden Eltern sich zugeführt findet, wo es dann ihre für den befruchtenden Begattungsakt reifen G-esclilechtsprodukte und damit zugleich den Keim des zu zeugenden neuen Lebe- wesens infizirt, so wii'd, zur Bestätigung der Richtigkeit dieses Hergangs, der physiologische Nachweis zu geben ver- sucht werden müssen, in welcher Weise denn sich diese Ueber- tragung des Krankheitskeims von den Eltern auf die Kinder vollzieht. In dieser Beziehung ist nun aber von vornherein auf den für die Vererbung der elterlichen Eigenschaften auf die Nachkommen allgemein gemachten Unterschied hinzuweisen nöthig, der hierbei besteht. Die Wissenschaft unterscheidet nämlich die Gattungs- und Familien-Eigenschaften, welche der bestimmten Gattung ihren Charakter verleihen, auch bei der Familie ihre ihr eigenthümliche Besonderheit darstellen, und, im Gegensatze zu dieser, dann wieder solche Eigen- schaften, die von den zeugenden Eltern im Laufe ihres der befruchtenden Begattung vorangegangenen Vorlebens er- worben worden sind. Während aber die Vererbung der ersteren als naturgemäss gilt, sind dagegen bezüglich der letzteren die Fachgelehrten auf den Grund beständiger Be- stätigung zu der üeberzeugung gelaugt, dass die im Einzel- leben eines Menschen von ihm diu'ch den Verlauf der Lebens- ereignisse erworbenen pathologischen Eigenschaften nicht auf die Nachkommen sich vererben, sondern dass vielmehr erb- liche, in der einzelnen Familie sich übertragende körperliche Missbildungen oder Krankheiten lediglich auf Abwandlungen des Entstellungskeimes jenes Individuums zurückzufühi'eu sind. 71 Der Physiologe Ziegl er,"'=) der den Uebergang des Krank- lieitskeims beschreibt, leitet speziell bezüglich dieser letzteren Erfahrimg ihre Entstehung durch folgende Ausführung her. Zunächst schickt er voraus, wie dabei stets daran festzuhalten sei, dass die Entwicklung des neuen Einzelwesens in dem Zeitpunkte ihren Anfang nimmt, in welchem ein männlicher Samenfaden sich mit einem zur Befruchtung gereiften weib- lichen Ei'chen vereinigt. In dem Augenblicke aber, wo sich diese Vereinigung vollzogen hat, ist allemal auch schon die Individualität des demnächst sich entwickelnden Einzelwesens bestimmt, und es ist damit zugleich die vererbliche üeber- tragung der Individualität beider zeugender Eltern auf den Keim ebenfalls vollzogen. Nach den neueren Untersuchungen ist es ferner der Zellenkern, der in den einzelnen Zellen des Körpersystems und somit auch in dessen Geschlechtszellen die erblichen Familieneigenschaften von Geschlechtsfolge zu Geschlechtsfolge überträgt, wogegen dem Keimprotoplasma die Aufgabe obliegt die Beziehung zur Aussenwelt zu regeln, Nalu'ung aufzunehmen und Gewebe zu bilden. Es ist dem- nächst, so folgert er fortfahrend, durch miki'oskopische Forschung ermittelt worden, dass der Kopf des Samenfadens eine Kernsubstanz seiner Wesenheit nach darstellt, wogegen das Schwänzchen desselben als ein umgewandeltes Protoplasma herauserkannt worden ist. Dringt nun ein solcher Samen- faden in ein zur Befruchtung reifes Ei'chen hinein, so geht sein Bewegungsorgan, eben jenes Schwänzchen, durch Auf- lösung zu Grunde, während der Samenfadenkopf sich mit dem Kerne der Eizelle vereinigt. (Dies ist die Wiederholung der hier voi-angeführten Ermittlungen.) Die beiden Substanzen also, führt er weiter aus, die als die Träger der Vererbung betrachtet werden, und in deren molekularer Struktur sonach nicht niu- die allgemeinen sondern auch die individuellen Charaktere begründet enthalten *) Prof. Dr. Ernst Ziegier-Tübing-eu : „Können erworbene pathologische Eigenschaften vererbt werden?" Jena 1886/87. 72 sind, die demnächst in der Leibesfruclit zur Entwicklung gelangen, kommen danach in bereits organisirter Form zur Vereinigung, sie geben aber auch diese ihre Organisation zu keiner Zeit auf, mit anderen Worten, sie lösen sich nicht, wie man dies früher annahm, nachträglich auf. Aus ihrer Vereinigung entsteht sodann erfahrungsmässig der Kern des Keims für das neue Lebewesen. Indem aber die Kerne aller nachfolgender Zellengenerationen bei der darauf vor sich gehenden Entwicklung der Leibesfrucht in ununterbrochener, stetiger Reihenfolge aus diesem Keimkerne hervorgehen, haben sie auch alle gemeinsamen Theil au der im Keimkerne vereinigten Erbschaft, und es kommen deshalb in den von ihnen demnächst gebildeten Geweben sowohl väterliche wie mütterliche Eigenschaften zur Entwicklung. Nach diesem Hergange ist also der individuelle Charakter eines jeden Menschen in erster Linie von der Beschaffenheit seines Keim- kerns abhängig. Erbliche in mütterlichen odei- väterlichen Keimkern- Antheilen überkommene Krankheitskeime wei'deu mithin auf diese Weise in den Nachkommen zm- Fortentwicklung über- tragen. Dass auf den Keimkern jedoch während der Lebens- zeit des einzelnen Zeugers „erworbene" Veränderungen irgend eines Körpergewebes im Organismus eines der beiden Eltern auf das Kind übergehen, — eine Wirkimg, die doch nur vermittelst der die G-eschlechtszellen oder -Kerne ernährenden Körperzellen herbeiführbar wäre, — erscheint seiner ganzen Wesenheit nach als höchst unwahrscheinlich. Denn, Avie eine beständige Beobachtung dies bestätigt hat, moditiziren die meisten Einwirkungen, sofern sie überhaupt einen Erfolg herbeiführen, nur die Körperzellen. Kommt es dabei dann zu zweckmässigen Abwandlungen eines Körpertheils oder des ganzen Organismus, so wird dies als eine Anpassung des jungen Körpers an die neuen Bedingungen der ihn umgebenden Einflüsse betrachtet, wogegen, wenn es nur zu vorüber- gehenden oder selbst zu dauei'nden Störungen kommt, dies als eine Krankheit oder als ein Leiden bezeichnet wird, 73 was keinen bleibenden Eindrnck zu bewirken vermag. Indessen weder jene Anpassungen noch solche Krankheiten oder Leiden übertragen sich auf die Nachkommenschaft. Soweit diese Herleitung Ziegler's über die Ueber- tragung des Krankheitskeims. Eigenartig ist dagegen, wie Virchow*) die üebertragung der elterlichen Eigenschaften erklärt. Er stellt nämlich in Bezug auf die Vererbung pathologischer Eigenschaften der Eltern die Ansicht auf, dass bei der geschlechtlichen oder, wie Haeckel sie nennt, amphigonen Befruchtung die weibliche Eizelle durch die männlichen Geschlechtsprodukte ganz wie durch eine äussere Veranlassung, eine causa externa, lediglich beeinflusst wird. Ihre besondere P rä disp os ition oder Anlage hat auch nach ihm die Eizelle stets schon vor der Befruchtung. Und diese ihr bereits anhaftende Veran- lagung ist dann allemal auch die innere bildende Ursache für eine Menge Besonderheiten bei der späteren Organisation des jungen Lebewesens, die sonach nicht erst durch den männlichen Samenfaden hervorgebracht, sondern von ihm nur in Bewegung gesetzt werden. Daher werde denn auch die Erscheinung bei der Erzeugung mehrerer Sprossen erklärlich, dass der Zeugungsstolf desselben Mannes auf die verschiedenen Eizellen der Frau scheinbar verschieden wirke, in sofern eben die verschiedene Vor Veranlagung jeder einzelnen Eizelle der beginnenden Bewegung besondere Richtungen vorzeichnet. Immerhin bleibe aber die Befruchtung eine „äussere Ein- wirkung", und sie könne im strengeren Sinne selbst als eine „erworbene" Eigenschaft der weiblichen Eizelle bezeichnet werden. Jedenfalls gebe sonach die Vererbung von der Mutter her die innere Veranlassung, die causa interna, und im Gegensatze zu ihr die Üebertragung vom Vater her die äussere Veranlassung, die causa externa, für die spätei-e Entwicklung des erzeugten Sprossen ab. *) Prof. Dr. Riulolpli Virchow: „Desceiuleiiz und Patliologie". Virchow's Archiv 103, Bd. 4, Heft 1—3, 1886. 74 In solchem Sinne ist denn also auch nach Virchow die Uebertragung des Kranklieitskeims auf den letzteren zu erklären. AVie sich jedoch diese theoretische Herleitung zu den Erscheinungen des praktischen alltäglichen Lebens stellt, und ob sie durch dieselben ihre Bewahrheitung findet, das möchte zur Zeit wohl noch unaufgeklärt bleiben. Wenigstens scheint ihr die Erfahrung entgegenzustehen, dass gleichwie beim Begattungsakte der geschlechtlich kräftigere und passionirtere Ehegatte das dem seinigen entgegengesetzte Geschlecht des Sprossen hervorruft,*) so auch der Krankheits- stolf vom Vater auf die Tochter und von der Mutter auf die Söhne sich zu vererben pflegt, eine Erscheinung, die doch auf den gleichen Ei nfluss beider elterlicher Keime hinzudeuten scheint. Es hat nun gerade über diesen Einfluss der Vererbung bei der Krankheitsübertragung der öster- reichische Arzt Voigt**) kürzlich seine langjährigen Beo- bachtungen mitgetheilt, welche diese Thatsache der gekreuzten Uebertragung bestätigen. Schon im Beginne seiner ärztlichen Thätigkeit, so führt er dies aus, ist ihm die Thatsache auf- gefallen, dass insbesondere in Familien, wo Tuberkulose nui- bei einem Theile der Eltern vorkommt, die erbliche Belastung bei Knaben und Mädchen aus solcher Ehe sehr verschieden in die Erscheinung tritt. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle habe er gefunden, dass Knaben bei weitem mehr nach der Mutter, und Mädchen vorzugsweise nach dem Vater arten, dergestalt, dass wenn z. B. die Mutter der kranke Theil ist, sich bei Knaben die erbliche Belastung viel stärker aus- spricht als bei Mädchen, und umgekehrt, wenn der Vater der kranke Theil ist, bei den Töchtern stärker als bei den Söhnen. Diese Erscheinung ist aber auch in gleicher Weise in jenen Ehen hervorgetreten, wo beide Ehegatten sonst voll- *) Dr. Heinrich Janke: „Die willkürliche Hervorbringuiig des Geschlechts", Stuttgart 1889, 3. Aufl. **) Dr. (!. Voigt, K. K. Bezirksarzt in Schüttenhofen, in „Prager medizin. Wocheuschr." Nr. 28, 1893, S. 341. 75 kommen gesund sind und nur in physischer oder psychischer Weise auffallend von einander abweichen, so dass also von einei- kräftigen, gesunden Mutter insbesondere kräftige und gesunde Knaben, und umgekehrt, von einem kräftigen, gesunden Vater wieder la-äf tige, gesunde Mädchen hervorgehen . Voigt glaubt nun in der fast regelmässigen Bestätigung dieser Thatsache ein Naturgesetz sehen zu müssen, bestimmt zur Erhaltung und Vervollkounnnung der Arten. Schon die Geschichte lehrt, so fährt er weiter fort, dass die körperlich und geistig grössten und tüchtigsten Männer auch ähnliche Mütter hatten. Besonders das Thierreich be- stätigt aber dies Naturgesetz, was Voigt diu'Qh zahlreiche Beispiele demnächst des Weiteren belegt. Auf die erbliche Belastung, insbesondere bei der Tuber- kulose, zurückkommend, weist Voigt alsdann darauf hin, wie die Vererbung hier gerade die allergrösste Eolle spielt. Wenn auch die Frage ausser Betracht gelassen bleiben mag, ob nur der für das Gedeihen der Tuberkelbazillen speziell disponii-te, geschwächte Organismus vererbt wird, oder ob schon Tuberkel- keime bei der Zeugung, bezüglich bei der Entwicklung der Leibesfrucht übertragen werden, so erscheint es doch immer- hin auffallend, dass Gehirntuberkulosen in zur Tuberkulose veranlagten Familien schon im zartesten Alter vorkommen, dass dann Knochen-, Gelenks- und Drüsen-Tuberkulose nach- folgen, und dass endlich später schwere Bleichsucht, Nervosität und Lungentuberkulosen sich anschliessen. Stirbt in einer tuberkulösen Familie der tuberkulöse Theil, und der gesunde Theil heirathet wieder eine gesunde Ehehälfte, so haben die Kinder aus dieser späteren Ehe, wie Voigt dies beobachtet hat, nicht mehr den tuberkulösen Habitus wie die Kinder der früheren Ehe. Seiner Ueber- zeugung nach bleibt die erbliche Belastung stets die Haupt Ursache der so häufigen Verbreitung^ der Tuber- kulose. Nur ist die Schwere der Belastung bei den ver- schiedenen Kindern auch verschieden, was aber theils von dem Gesundheitsverhältniss der Eltern zui' Zeit der Em- 76 pfängniss der einzelnen Kinder abhängt, theils aber wieder damit zusammenhängt, dass die Knaben mehr nach der Mutter, die Mädchen mehr nach dem Vater arten. Das Gleiche gilt auch von anderen erblichen Krankheiten, zumal von den Psychosen und Neurosen. Bei der Erhebung der Vererbungsverhältnisse findet man ferner, so fährt er fort, noch eine Eigenthümlichkeit, die nämlich, dass die Eltern scheinbar ganz gesund erscheinen, die Kinder aber mehr oder weniger tuberkulöse oder andere vererbliche krankhafte Zustände zeigen. Hier findet man, nach Vo igt's Erfahrung, bei ein- gehender Forschung die Anhaltspunkte für die Uebertraguug in den grosselterlichen Familien, bei Knaben der mütterlichen, bei Mädchen der väterlichen Seite in genügender Fülle vor. Voigt schliesst au diese Ausführung danach noch einen sanitären Rath mit dem Hinweise darauf an, dass eine ver- nünftige Abhärtung und Gewöhnung an die rauhere Aussen- welt auch bei schwächlichen und erblich belasteten Naturen die günstigsten Ergebnisse in der Kräftigung der Gesundheit und in der Abschwächung von Krankheitsanlagen habe er- zielen lassen, wie denn die Tuberkulose und Nervenki-ank- heiten bei der Landbevölkerung viel weniger vorkommen. Diese Beobachtung eines praktischen Arztes, dass sich die Tuberkulose vom davon befallenen Vater auf die Töchter und von der schwindsüchtigen Mutter auf die Söhne in der Ehe überträgt, bei welcher ein Gatte gesund, der andere Gatte aber tuberkulös ist, erscheint in der That von hoher Bedeutung für diese Frage der Krankheitskeim-Uebertragung zu sein. Und doch möchte davor zu warnen sein diese Er- fahrung etwa verallgemeinern und auf alle Krankheiten aus- dehnen zu wollen. Denn ihr entgegen steht zu allererst die füi- die Geisteskranken aus zahlreichen Fällen hergeleitete und schon seit mehr denn hundert Jahren bekannte Wahrnehmung, wonach Geisteskrankheiten sich nicht in Ivreuzung vom Vater auf die Töchter oder von der Mutter auf die Söhne zu vererben sondern vom Vater auf die männlichen Sprossen und von der 77 Mutter auf die weiblichen Naclikommen übertragen zu werden pflegen. Für diese beiden Erscheinungen der Krankheits- übertragung, einmal in gekreuzter Weise und das andere Mal in geradem Uebergange auf die Descendenz aber eine physio- logische Herleitung zu finden, das scheint doch die ganze Krankheits-Uebertragungsfrage in der vollen Schwierigkeit ihrer Lösung zu veranschaulichen. Vielleicht böte hierzu die schon mehrfach und so in jüngerer Zeit von dem verstorbenen Hamburger Arzte Cohen vorgeführte Vererbungstheorie den Schlüssel, der zufolge vom männlichen Erzeuger das Hirnsystem, von der weiblichen Erzeugerin dagegen das Gangliensystem der Sprossen ent- scheidend beeinflusst wird. Cohen*) führt dies durch die Begründung aus, dass gleichwie das Gesammtieben des er- wachsenen Organismus durch die Einwirkung der beiden Nervencentren, nämlich des cerebrospinalen und des Ganglien- systems, bedingt werde, genau so auch die Bedingung der Befruchtung stets die körperliche Vereinigung und das gegenseitige Durchdringen zweier für sich allein nicht ent- wicklungsfähiger KeiiVizellen, nämlich des weiblichen Ei'chens und des männlichen Samenfadens sei, von denen die eine Keim- zelle, das Ei'chen, die Kräfte und Stofte der sympathischen, die andre, das Spermatozoid, die Kräfte und Stofte der (cerebrospinalen Sphäre des Nervensystems enthält, so dass die Befruchtung selbst, als die Verschmelzung des Ei'chens mit dem Spermatozoid, die Vereinigung je einer von sym- pathischen und einer von cerebrospinalen Kräften beherrschten Zelle darstellt, mit der die wechselseitige Beeinflussung der beiden Nervencentren, der vegetativen und der animalen Lebenskräfte beginnt, deren Wirkungen danach das gesamuite künftige animalische Leben dei- jungen Leibesfrucht be- herrschen. Aus dieser gegenseitigen Beeinflaissung jener beiden Kräfte geht aber, so folgert Cohen weiter, die *) Dr. II. M. Cohen : „Das Gesetz der Befrucht.nno- „lul Ver- erbung", Nördliiigeil 1875, 8", 8. 6 f. 78 Lebensfähigkeit des befrucliteten Eies hervor, jedoch in der Weise, dass der niäunliche Samenfaden alleraal die Ui-saclie dei- activen Lebensbewegungen desselben wird und sofort, nachdem er mit dem weiblichen Keime verschmolzen ist, auch diejenige Eolle spielt, die in der Folge dem cerebrospinalen Systeme zufällt. Das Eindringen des Samenfadens in die Mikropyle des weiblichen Ei'chens schreibt er dabei noch der verschiedenartigen Elektrizität der weiblichen Ei- zelle und der männlichen Samenzelle zu, indem jene negativ, diese positiv elektrisch erscheinen. Die geistigen Eigen- schaften, also die Kopfbildung sowie die Ausbildung aller Sinne, werden nach dieser Darstellung vom Manne, die Ernährungs- und Entwicklungsorgane sowie die Drüsen dagegen von der Frau auf die Sprösslinge übertragen. Allein diese eben vorgeführte Vererbungstheorie be- friedigt offenbar wohl nicht, und keineswegs vermag sie das ßäthsel der gekreuzten und dann wieder der ungekreuzten Uebertragung des Krankheitskeims auf den Nachwuchs ge- nügend aufzuklären. Es bleibt dies vielmehr ein Pi'oblem, dessen Lösung wohl erst für eine viel spätere Zeit einer weiter vorgeschrittenen Wissenschaft gelingen dürfte. 3. Die Infektions- Krankheits-ürsaelieii. Soviel ist aus der vorangegangenen Darstellung wohl als zutreffend festzuhalten, dass Virchow das Richtige getroffen hat, wenn er den Satz aufstellt, ihre besondere Prädisposition oder Anlage habe die Eizelle stets bereits vor der Befruchtung, ein Satz, der, wie gezeigt worden, seine praktische Bestätigung durch die ausführlich besprochene Beobachtung jenes französischen Militärarztes Carret ge- funden hat. Es führt diese Erfahrung aber zu der nahe liegenden weiteren Betrachtung nach dem Entstehen der Infektions- Krankheiten, zuvor jedoch nach den allgemeinen Ursachen, 79 die der Erkrankung- des menscli liehen Kürpersystems zu Grunde liegen, jener Kardinalfrage der ganzen Wissenschaft der Medizin, die deshalb auch von jeher den Gegenstand ein- gehendei' Forschung von den ältesten Zeiten her bis in die neuste (Gegenwart hin gebildet hat. Für die vorliegende Dar- stellung, welche die mikroskopischen, das menschliche Dasein unausgesetzt beeinflussenden Gebilde zu erforschen die Auf- gabe hat, nuiss es genügen sich, nach kurzer allgemeiner Vorbetrachtung, mit den Ursachen der Infektionskrank- heiten zu beschäftigen. Schon gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts war die medizinische Forschung dahin angelangt das Wesen der Krankheiten von den Krankheits- „Reizen" zu trennen und in den spezifischen Beschaffenheiten der letzteren den Grund für die Unterschiede der Krankheiten zu vermuthen. Man leitete dies in folgender Weise her. Auf einen für den Organismus, bezüglich für die Zelle äusseren AnstoSs, den ,,Reiz", tritt in dem davon getroffenen Gebilde, je nach der Einrichtung desselben, die kurzweg als ,, Irritabilität" bezeichnet wird, eine Bewegung ein, welche sich für die äussere Wahrnehmung als eine Thätigkeit — actio, reactio — äussert, und diese Veränderung führt dann eine neue Lage, den ,,ßeizzustand", herbei. Geht dieser Reiz jedoch über ein gewisses Mass hinaus als das, -worauf das Gebilde dui'ch Vererbung und An- passung ursprünglich eingestellt ist, so verwandelt sich nun- mehr der äussere Reiz zu einer Krankheitsursache, das Ge- bilde leidet, und je nach dem Grade der Eimvirkung erfolgt eine Störung, Lähmung und als letztes der Tod. Es ergab sich nun aber aus der ärztlichen Praxis des alltäglichen Lebens, dass der gleiche Reiz auf verschiedene Organe je nach deren Veranlagung verschiedenartig einwirkte, was dann folgerecht aus solchem verschiedenen Verhalten auf Verschiedenheiten in den inneren Zuständen der vom jedesmal vorliegenden Reize getroffenen Gebilde schliessen Hess. Und das führte danach weiter zu dem Begriffe dei- physiologischen und pathologischen Krankheitsanlage, der 80 krankhaften Scliwäclie, und im entgegengesetzten Falle wieder zu dem Begriffe der Immunität oder Festigkeit gegen Seuchen, die, gegenüber den äusseren Reizen, innere Krankheitsursachen waren. In der wissenschaftlichen Patlio- logie hielt man dann ferner unter dem speziellen Einflüsse der Theorie der Parasiten, als der eigentlichen Krankheits- erreger, fortgesetzt diese mikroskopisch kleinen Parasiten füi- die wahren Ursachen der Krankheiten, indem man sie als das „Wesen" der Ansteckungskrankheiten ansah. Die moderne Zellularpathologie betrachtet dem entsprechend noch heute die kranke Zelle als das Wesen der Krankheit. Danach war es weiter Virchow, welcher schon im Jahre 1848 darauf hinwies, man müsse hierbei unterscheiden zwischen der immanenten Ursache, welche die bestimmte Organisation jedesmal angiebt, und den Bedingungen, unter denen sie diese in bestimmter Richtung angelegte Organisation wirklich zur Erscheinung zu bringen vermag. Sobald ein Erreger, seien dies nun der männliche Zeugungsstolf oder sonst ein An- steckungsstoff oder auch Miasmen, mit einer erregungsfähigen Substanz zusammenkommt und die Bedingungen für das Zustandekommen und für die fernerweite Unterhaltung der Erregung günstig sind, so leitet sich dann auch allemal eine stets gleichartige Bewegung ein, die erst dann ihr Ende erreicht, wenn alle erregungsfähige Substanz die Bew^egung durchgemacht hat oder der Erreger selbst quantitativ erschöpft ist. Henle begründete alsdann von Neuem die parasitäre Theorie der Ansteckungskrankheiten mit der Ausführung, dass diese Lebewesen lediglich durch ihr Leben und Wirken die Krankheit verm-sachen, dass demnach der spezifische Parasit allemal der Ansteckungsstotf oder das Contagium dieser ansteckenden oder contagiösen Ki-ankheit sei. Er fasste ferner auch zuerst die Gewebe als den „Boden" auf, in dem solche Parasiten wuchern kihuien, und er stellte weiter, als Erster, die Behauptung auf, die Ansteckungsstoffe seien für ihn nicht „Kenne" oder „Samen der Krankheit" sondern 81 vieliiielir die Krankheitsursache. Seit Pasteur's Erneuerung- der biologischen Theorie der Grährungen aber fasste man in letzter Zeit die Mikroben schlechthin als „Ursache" der Gährungen und Krankheiten auf. Vir che w indess stellte dagegen die Ansicht auf, dass die Bakterien nicht mechanisch sondern vielmehr durch von ihnen gebildete spezifische Gifte zm- Wirkung gelangen. Nach ihm ist die krankeZelle das Wesen der Krankheit. Er beseitigte ferner die falsche Vorstellung, dass die Krankheiten als solche ,, Spezies" sind, nachdem mit der Entdeckung spezifischer Ansteckungs- und Gährungs-Erreger man diese als ,, Spezies" und das ,, Wesen" der Erkrankung in der Anwesenheit solcher spe- zifischer Erreger ansah. Erfahrungsmässi^ steht dann weiter die Bildung des spezi- fischen Protoplasmas oder der spezifischen Encyane — Gährungs- stoffe — und Gifte mit der Ernährung im engsten Zusammenhange. Die firnährungsfähigkeit einer Substanz hängt aber wieder von ihrer chemischen Konstitution ab. Und damit ist der Schwerpunkt angedeutet, um den sich, die jüngste Bewegung in heutiger Gegenwart bei diesem speziellen Zweige der medizinisch-wissenschaftlichen Forschung bewegt.*) Wenn nach Allem hiernach die Auffassung Vir chow's als die zutreffende angenommen wii-d, dass die Bakterien durch von ihnen gebildete spezifische Gifte im menschlichen Körper ihre Einwirkung geltend machen, so liegt dann für die Heilkunst die Aufgabe nahe entsprechende Gegengifte aufzufinden, welche der zerstörenden Wirkung der Baktei-ien- gifte entgegentreten und ihren zerstörenden Einfluss paralysiren. Das Suchen nach solchen spezifischen Gegengiften — Antitoxinen — geht sonach von der Annahme aus, dass die krankheitserregenden Mikroorganismen durch ihre Giftwirkung dem lebenden Üi'ganismus gefährlich wei'den. Und in der That ist diese Annahme durch zahlreich wiederholte Versuche genügend gestützt, und zwar vornehmlich bei der Diphtherie, *) Prof. Feril. Hueppe-Pnig, in „ Wieuer mediz. Blätter« Nr. 40/44, 1893. J a n k e , Embryologie. p 82 dem StaiTkrampf, dem Unterleibstyphus, der Cholera, der , Stäbchenpiieumonie, dem Eotz, dem Eauschbrand sowie, nach Behring, selbst für Streptokokkenki-ankheiten. Auch bei Krankheiten, bei denen die Parasiten zur Zeit noch nicht gefunden sind, wie bei der Hunds wutli, kenneu wir ein spezifisches Gift. Wie man also früher nach parasit-tödtenden Giftmitteln forschte, so sucht man jetzt nach giftwidrigen, nach anti- toxischen Mitteln. Durch Anwendung von ihnen Averden die krankmachenden Kleingebilde speziell in der Wäsche, den Kleidern, an chirurgischen Instrumenten, besonders aber auch in den Abfallstoffen des menschlichen Haushalts ihi*er Ver- mehrungsfähigkeit beraubt. Im lebenden Organismus ist man ihnen jedoch bis jetzt noch nicht beigekomraen. Hier hat der menschliche Scharfsinn noch ein tveites Feld. Man hat ferner heraus erkannt, dass ein Giftschutz zugleich für die das Gift erzeugenden Kleingebilde regelmässig durch eine Unempf indlichkeit der betheiligten Organe dem Gift gegenüber bedingt wird, und dass diese besondere Unempfindlichkeit vererbbar ist. Solche haben z. B. weisse Mäuse zum Diplitheriegift, auch Hühner zum Starrkrampfgift, Ausserdem besteht dann noch ein erworbener Giftschutz, wie ja vom Könige Mithridates überliefert ist, dass er, um sich gegen Vergiftung zu schützen, sich an den regelmässigen Genuss von Giften gewöhnt hatte, der ihm also nicht schadete. Wirft man aber zur besseren Erkenntniss der modernen medizinischen Wissenschaft einen kurzen Blick zurück auf den Verlauf, den die Heilkunst in Bezug hierauf geschicht- lich genommen hat, so hatte man, wie schon an früherer Stelle erwähnt, seit den ältesten Zeiten für jede Krankheit ein spezifisches Heihnittel zu finden gesucht, und es waren zuerst die Pflanzen, von denen man Erfolg hoffte. Alsdann ward es, im Gegensatze dazu, der Grundsatz: „die Natur heile Alles, der Arzt dagegen nichts", und es dürfe eine richtige Heilkunst nur in der Anwendung von die Krankheit selbst treffenden Heilmitteln bestehen, wie beispielsweise von Chinin 83 beim WecLselfieber. Heute ist es nun die Bakteriologie, welche die Heilkunst tonangebend beschäftigt. Indem man aber hierbei die Lebenseigenschaften der die Krankheit hervorrufenden Organismen erforschte, suchte man auch ihre verwundbaren Stellen herauszufinden. Nicht allein die Pocken- impfung, auch die Hunds wuthimpfung belebt diese Hoffnungen. Mit Eifer ist man danach in der bakteriologischen Forschung vorgeschritten. Schon sehr bald gelangte man hierbei alsdann zu der Einsicht, dass diegiftzer stör ende Eigenschaft des Bluts zui* Erklärung der Unempf äng- lichkeit nicht hinreicht. Bei künstlich immunisirten Individuen aber erkannte maii weiter den Erfahrungssatz heraus, dass lebende Theile des Organismus, die vorher giftempfindlich waren, jetzt unempfind- lich geworden sind, und dass somit dies e Art des Giftschutzes sich als die gleiche darstellt, wie sie die von Natur gift unempfindlichen Individuen besitzen. Doch ist bei der Antitoxin-Ün empf äng- lichkeit, die Ehrlich als die „passive" benennt, nur eine vorübergehende, bei der G eweb simm unit ät dagegen, bei einem natürlichen Vorkommen, ein dauernder G i f t s c h u t z vorhanden. Die wichtige sich aus diesen Erfahrungen darbietende Aufgabe war also für die weitere Forschung gegeben, auf Grund derselben die angedeutete Richtung weiter zu ver- folgen. Und in Bezug hierauf hat sich in neuster Zeit der Stabsarzt Behring*) ein namhaftes Verdienst ei'worben, der sich die Ergründung des Wesens der „infectiösen" und „ansteckenden" Krankheiten zur besonderen Aufgabe ge- macht hat. Die Abtrennung einer gesonderten Gruppe der Allgemein- erkrankungen unter dem Namen „Infectionskrankheiten", so führt er dies aus, rührt erst von Virchow her. Denn es *) Stabsarzt Prof. Dr. Behring-, in „Deutsche mediz. Wochenschrift" Nr. 24 ff., 1893, und in zahlreichen Sclirifteu. 6* 84 war dieselbe vorher nicht bekannt. Doch rechnete Vir chow die Hundswuth, den Milzbrand, den Rotz und die parasitären Krankheiten nicht dazu, so wenig wie die konstitutionellen und Organerkrankungen. Behring hat dafür die Bezeichnung : „ansteckende, parasitäre Krankheiten" erwählt. Eine parasitäre Krankheit kann zwar, sie muss aber nicht nothwendig ansteckend sein, wogegen ja die ansteckende — contagiüse — Krankheit, und das ist der Kernpunkt, auf belebte Krankheitsursachen zurückzuführen ist. Robert Koch war alsdann der Erste, welcher spezifische Krank- heitserreger als Ursache der In fectionen nachwies. Behring war es aber darauf nach ihm, der den U eber- gang von der Hygiene zur Krankenbehandlung anempfahl. Denn, führte er zu dessen Begründung aus, die Hygiene sucht im Wasser, in der Luft und im Boden, in den Nahrungsmitteln, in der Bekleidung, in den Berufsarten, im Verkehrswesen u.s. av. diejenigen Momente herauszufinden, die zum häufigeren Auftreten von Krankheiten in Beziehung stehen, so dass dadurch die Erkrankungs- und Sterblichkeits- ziff'ern erheblich beeinflusst werden. Auf Grund der hierbei gewonnenen Aufschlüsse über die Krankheitsursachen sucht sie dann Massregeln aufzufinden den allgemeinen Gesundheits- zustand zu verbessern. Behring erklärt demgemäss die neue Blutserum- therapie für eine spezifische Heilart, welche den Nachweis voraussetze, dass die spezifischen Krankheitsursachen bei den ansteckenden Krankheiten an Gifte gebunden sind, die ihrerseits von spezifischen Kleingebilden herstammen. Und in Beti'efi' der spezifischen Antitoxine wisse man, dass die Heilung einer spezifischen Krankheit mit der Erzeugung spezifisch giftwidriger — an ti toxischer — Agentien einher- geht, dass letztere ferner im Blute kreisen, überdies auch im extravasculären Blute des geheilten Einzelwesens dui'ch einen spezifischen Giftschutz für andei'e Individuen nach- weislich sind, dass sie endlich aber voraussetzen, es paralysire der durch die Einverleibung eines giftwidrigen Mittels — 85 Antitoxins — erzeugte Giftschutz gegen die krankmaeliende Wirkung desjenigen Parasiten, von dem das fragliclie Gift herstammt, und zwar nicht blos vor der Ansteckung mit dem Parasiten sondern auch nach ihr und bei schon b e s t e h e n d e r K r a li k Ii e i t . *) Der Grundsatz aber füi- diese Heilart ist der, dass durch eine Beeinflussung der Ki-ankheitsursachen für die Be- kcämpfung der Krankheiten mehr erreicht werde, als durch einen Eingriff auf die lebenden Zellen und Organe. Die Aufgabe demnach, die sich für diese neue Methode ergiebt, ist dem entsprechend, dass sie die Träger der krankmachenden Agentien, die Bakterien und Bakteriengifte, erforscht, um die Mittel zu finden ihnen entgegen zu wirken. Und hier gerade hat die neuste Forschung bereits Mittel und Wege entdeckt, um solche spezifisch wirkenden Bakterien und spezifischen Gifte dm-ch gleiche spezifische Gegenmittel unschädlich zu machen. Gerade dies zu erreichen hat die neue Blut- serumtherapie ermöglichen lassen. Ehe jedoch nunmehr auf diese übergegangen wird, er- scheint es zu besserem Verständniss zweckmässig sich über den Begriff klar zu machen, was denn unter Krankheits- anlage zu verstehen ist? Unter Disposition wird heute aber ganz allgemein diejenige Eigenschaft des Organismus verstanden, welche für krankheitserregende Ursachen eine erfolgreiche Wirkung gestattet. Der Begriff der Veranlagung ist hiernach dem der Unempfänglichkeit nicht entgegengesetzt, beide schliessen sich aber auch nicht aus, in sofern man unter Unempfänglichkeit nicht nur die völlige Unangreifbar- keit des Organismus begreift sondern auch solche Zustände darunter fasst, die als relative Immunität bezeichnet zu werden pflegen, weshalb man denn auch von absoluter und relativer Disposition reden düi-fte. Im Falle nun die jetzt herrschende Annahme die richtige ist, dass die Unempfänglich- keit auf der bakterientödtenden Eigenschaft des Blutserums *) So in „Deutsche mediz. Wocheuschrift" Nr. 27, 1893, S. 638. 86 beruht, so entstellt nach dieser Annahme eine Disposition nicht nur durch den Verhist dieser Eigenschaft, sondern sie kann auch unabhängig von ihr sich vorfinden. Es kann die Disposition überdies aber auch gleichzeitig neben der für die Mikroben ungünstigen Beschaffenheit des Bluts einhergehen und etwas füi' sich Auftretendes, Selbständiges sein. Die äussere Disposition ist sonach die, der zufolge den Klein- gebilden ermöglicht wird in den Organismus einzudringen, die innere dagegen eine solche, der gemäss sich dieselben in dessen Innerem zu entwickeln vermögen. Beide Arten können sowohl erworben als auch angeboren sein. Ausführlich hat die neueren Beobachtungen über die Krankheitsanlage in jüngster Zeit Ribbing*) besprochen. 4. Die neue Blutseruiii**)-Heilmethode. Wohl kein anderer Zweig der wissenschaftlichen Medizin ist in neuster Gegenwart durch die Verbesserung der Miki-o- skope und der mikroskopischen Technik, durch die Ausbildung der Färbemethoden, der Keimkulturen und allgemein diuxh die physikalischen Untersuchungsmethoden mehr gefördert worden als das Gebiet der Infektionskrankheiten im weitesten Sinne des Wortes. Die Entdeckungen nämlich, die durch die neue Forschungsweise erzielt worden sind, lenkten dabei *) Prof. Dr. Eibbiiig-Zürieli, iu „Deutsche mediziu. AVochenschrift" Nr. 1, Jahrg. 1893, S. 12 ff. **) Das Blut, das sich iu hestäudigem Kreislauf in einem viel- verzweigten Eöhrensystem bewegt, besteht aus der schwach gelblich gefärbten Blutflüssigkeit — Plasma — und den darin schwimmenden Blutkörperchen. Ein nur dem Plasma angehörender Bestandtheil ist sodaun der Faserstoff. Derselbe ist ausgezeichnet durch seine spontane Ausscheidung aus dem Blute, sobald es aus der Ader gelassen wird, worauf es in drei Stadien gerinnt. Alsdann aber wird es geschieden in den Blutkuchen und das schwachgelbliche B lutwass er — Serum. Das Blutserum ist demnach nichts anderes, als Blutplasma minus Faserstoff. 87 auf die bakteriologischen Beobachtungen nachhaltig hin, und sehr bald leuchtete es in immer weiteren Kreisen ein, dass nur auf diesem Wege eine tiefere Einsicht in das Wesen der Ansteckungskrankheiten gewonnen und daraus Schlussfolgerungen von AVichtigkeit für die Heilkunst abge- leitet werden konnten. Alsdann gelangten die Forscher bei tieferem Eingehen nach gerade zu der Einsicht, dass es so gai' leicht doch nicht sei einen neuen krankheit-erregenden Bacillus aufzufinden, und auch die bakteriologische Unter- suchungsmethode hat auf die Dauer die daran geknüpften Hoffnungen bei weitem nicht erfüllt. Zwar hat man die ver- schiedensten Arten kleinster Lebewesen kennen und unter- scheiden gelernt sowie ihre Daseinsbedingungen mit mehr oder weniger Erfolg ergründet. Auch die Sicherung der Diagnose und, was namentlich sich für die Cholera als über- aus wichtig erwiesen hat, die frühzeitige Erkennung der Krankheit, hat sich ermöglichen lassen. Die sonstigen Ver- suche indess, aus mikroskopischen oder bakteriologischen Befunden Eegeln für die ärztliche Behandlung herzuleiten, was doch den Schwerpunkt dabei ausmacht, sind bis jetzt noch negativ ausgefallen, wie ja beispielsweise Robert Koch's langen Bestrebungen, die Tuberkulose zu heilen, und die Versuche Adamkiew icz's, den Krebs dui-ch eine Vorbeugungsmethode zu beseitigen, zur Zeit noch zu keinem Erfolge geführt haben. Hat doch Buchner*) in einer längeren Ausarbeitung ausgeführt, dass die Wirkungen, welche die verschiedenen Bakterienprodukte gegenüber einer nach- folgenden Ansteckung zu Wege bringen, nur in einer Immuni- sirung bestehen, und dass es im strengen Sinne des Wortes überhaupt keine antitoxische — giftzerstörende — Wii'kung, kein Heilserum und keine künstliche Heilung gebe. Diese Immunisirung führt Buchner vielmehr auf die Wirkung des der plasmatischen Zellsubstanz angehörenden Antitoxins zu- *) Büchner: „Ueber Bakteriengifte und Gegengifte", in „Müucheuer med. Wocheuschr." Nr. 24, 1893. 88 rück, das er als einen vielleicht aus dem Toxalbumiii hervor- gegang'enen Körper betrachtet. Den Grund dazu gab ihm die Erfalirung, dass für eine bestimmte Ansteckungskrankheit die eine Thierspezies empfänglich sein kann, während sich eine andere Spezies dagegen unempfänglich, immun, erhielt. Nun kann es wohl kaum bezweifelt werden, dass dem menschlichen Körper die n a t ü r 1 i c h e F ä h i g k e i t innewohnt eine gewisse Menge eingedrungener Ansteckungskeime abzu- wehren, bezüglich ihre Ansiedelung im Körper und die dadui-ch hervorgerufenen, beziehungsweise damit verbimdenen Krank- heits-Erscheinungen zu verhindern. Doch erscheint es wohl kaum gerechtfertigt, wollte man diese natürliche Befähigung stets auf eine früher Statt gehabte Einführung des be- trelFenden Antitoxins zurückführen, vielmehr ist wohl ausser Frage, dass diese natürlichen Schutzeinrichtungen des Körpers auch auf anderem Wege sich entwickeln können, Avie denn bekanntlich das Ueberstehen der einen Ansteckungskrankheit den Menschen oft für eine ihr verwandte Ansteckungs- krankheit unempfänglich macht, wie beispielsweise füi- die Kuhpocken und die Variola-Röteln. In diesem Dilemma hat Rumpf dann die Einführung abgetödteter Mikroorganismen bei solchen Krankheiten vorzunehmen versucht, die mit der Krankheit des speziellen Leidenden in keinem ursächlichen Zusannuenhange stehen, und im speziellen Falle durch Unterhautspritzung einer Reinkultur vom Bacillus pyocyaneus eine Linderung im Verlaufe des typhösen Krankheitsprozesses erreicht, die eine prompte Wiedergenesung, ohne Unter- brechung, zm- Folge hatte.*) Zuerst war dieser günstige Erfolg, wie erwähnt werden muss, bei dem Wundstarrki-ampf erzielt worden, sodann wurde er aber bei der Diphtherie und bei der Hundswuth ebenfalls erreicht.**) Was nun im Einzelnen dabei die Immunität oder ünempfänglichkeit speziell betrifft, so hat man für die Hundswuth dieselbe als darin *) Prof. Dr. Tli. Rumpf, iu „Deutsche Medizin. Wochensclir." Nr. 41 vom 12. October 1893, S. 987. **) Dr. 0. Vulpius, ebenda S. 992. 89 bestehend herauserkannt, dass zuerst der nach und nach unter die Haut gebrachte Impfstoff sich verflüssigt und auflöst und darauf die in ihm enthaltene unempfänglich machende Sub- stanz sich im Blutkreislauf verbreitet. Dadurch erwirbt also das Blut die Kraft anderen Thieren die Unempfänglichkeit zu übertragen. Und dieses ist die S e r u m t h e r a p i e oder Heilung durch Einspritzung unempfindlich gemachten Blutes. Die Unempfindlichkeit für das Thier selbst fängt hierbei jedoch erst dann an einzutreten, nach- dem sich jene eingespritzte und im Blute umlaufende Substanz bleibend im Nervensystem befestigt hat, welches letztere, nämlich das Nervensystem, als gerade für die Hunds wuth spezifisch empfänglich erkannt worden ist. Fragt man dann aber weiter, woi-auf sich dieser Er- folg physiologisch begründet, so erklärt sich die Wirkungs- weise des in den unempfänglich zu machenden und zu heilenden Organismus eingeführten Serums wohl zutreffend auf indirekte Weise, das heisst, durch Vermittlung der Zellen. Es häuft sich nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach das Serum in den dafür empfänglichen Elementen an und macht sie unangreifbar für das Produkt der Ansteckung, welches nachher mit ihnen in Berührung kommt. Nach Anderen aber wird die Wirkung durch die Beschränkung des Uebels auf den örtlichen Punkt erklärt, wo es sich im kranken Körper befand, und von wo es seinen Anfang nahm. Dass aber gerade das Blutserum den Impf- stoff hergiebt, das stützt sich auf die Erfahrung, wonach die Säfte des normalen lebenden Körpers, und besonders das Blut, bakterien- vernichtende Eigenschaften besitzen. Letztere bewirken nun aber noch keine Unempfänglichkeit, vielmehr hat erst, wie Behring dies herausfand, das Blutserum künstlich unempfänglich gemachter Individuen die Eigenschaft den Zustand der Unempfänglich- keit auf ein für dieselbe Ansteckungskrankheit 90 empfängliches Tndividuum jedweder Gattung zu übertragen, eine in der Tliat Epoche machende Be- obachtung ! Behring hat hierzu dann auch noch weiter festgestellt, dass die in einem Organismus schon lange vorhandenen Ansteckungserreger ausserordentlich selten allein für sich eine Neuansteckuug bedingen. Vielmehr droht die Haupt- gefahr immer durch die von aussen stammenden, unter ganz besonderen Bedingungen hoch gifthaltig gezüchteten An- steckungserreger, die in diesem hochgiftigen Zustande in den einzelnen Organismus gelangen müssen, um danach die Erkrankung hervorzurufen. Wie man aus dem Vorstehenden ersieht, gehört die Blutserumtherapie der jüngsten Gegenwart an. Das Prinzip dieser neuen Heilmethode beruht also auf der von Behring entdeckten Thatsache, dass das Blutserum von Individuen, die gegen eine bestimmte An- steckungskrankheit küiKstlich unempfindlich ge- macht sind, in dem Körper eines anderen Indi- viduums unempfindlich machende oder auch heilende Eigenschaften gegen dieselbe An- steckungskrankheit zu entfalten im Stande ist. Um indess zuvörderst den geschichtlichen Entwicklungs- gang dieser Blutserumtherapie genügend zu übersehen, er- scheint es noth wendig vor allem Anderen die Hauptpunkte der Unempfindlichkeitslehre nochmals kurz zu skizziren. Erfahrungsmässig kann für eine bestimmte Ausleckungs- krankheit die eine Thierart empfänglich sein, wofür die andere Gattung unempfänglich bleibt. In der ersteren Art können sich aber wiedei- Einzelwesen befinden, die eine individuelle Unempfänglichkeit gegen dieselbe zeigen. Letzteres wird sodann speziell auch durch eine künstliche Schutz- impfung erworben. Von nachhaltiger Wii'kung ha' sich demnächst noch die Hitze dagegen bewährt. Derartige Ab- schwächungen des Giftes pflegen aber raeist dann zu erfolgen, 91 sofern giftige Bakterien in ihnen ungünstige Aussenverliältnisse versetzt werden. Im Jahre 1887 entdeckten darauf Salmon und Smith, dass es auch eine Unempfindlichmachung auf rein chemischem Wege, also ohne die Mitwirkung lebenden Bakterienmaterials, giebt, indem sie Tauben gegen die ameri- kanische Schweineseuche durch Einverleibung der bakterien- freien, gelösten Stoifwechselprodukte solcher Schweinseiiche- Kulturen unempfindlich machten. Diese Entdeckung war be- deutungsvoll. Denn dadurch wurde die ganze Frage der künst- lichen Unempfindlichmachung auf das chemische Gebiet hinübergeleitet, nachdem durch fortgesetzte Versuche eine chemische Veränderung der Säfte des Körpers nach der Unempfindlich machung eintritt, die ihn gegen die giftigen Bakterien widerstands- fähig macht. Alsdann war es F o d o r , welcher konstatirte, dass die Säfte des normalen lebenden Körpers, besonders aber das Blut, bakterien-vernichtende Eigen- schaften besitzen, indem in frisch aus der Ader entnommenes Blut eingebrachte Bakterien in erheblichem Masse abge- tödtet werden. Doch lässt diese Ki'aft des Bluts mit der Reihe der Stunden nach, und dann können sich die entwicklungs- fähig gebliebenen Bakterien immer wieder auf Kosten des todten Bluts vermehren. Buchner ermittelte demnächst hierzu weiter die wichtige Thatsache, dass für diese gleiche Eigenschaft, die auch dem Blutserum zukommt, die im zellenfreien Blutserum enthaltenen Eiweiss- körper die Träger seien. Die Entdeckung dieser letzterwähnten Thatsache, dass sich sonach in den Säften des normalen tliierischen Körpers Substanzen in gelöstem Stande vorfinden, die für Bakterien Gifte sind, für diesen aber nicht, hat andererseits wieder nach den Eesultateu der daraufhin angestellten Versuche die Erfahrung herausgestellt , dass bakterien-tödtende Eigen- schaften sich gleichwohl füi- die Erklärung der Unempfänglich- keit im Allgemeinen nicht füglich verwerthen lassen. Behring 92 koustatirte jedoch weiter, dass das Blut und auch das Blutserum künstlich unempfindlich gemachter Individuen dadurch die Fähigkeit erlangt hat den Zustand der Unempfcänglichkeit auf ein für dieselbe Ansteckungskrankheit empfängliches Individuum beliebiger Gattung zu übertragen, in dessen Organismus es eingebracht wird, — nach ihm be- nanntes B ehrin g'sches Gesetz, — und also nicht bloss gegen die Ansteckung sondern gegen die primäre GiftAvirkung schützt. Es hatte Behring mit Kitasato diese Erfahrungen speziell am Starrkrämpfe konstatirt.*) Letztei-e epoche- machenden Entdeckungen beim Starrkrämpfe haben danach weiter die Versuche darüber hervorgerufen, in wieweit das Blutserum künstlich unempfänglich gemachter Individuen für Heilzwecke verwendbar sei, und es hat sich wirklich auch in jedem Einzelfalle künstlicher Unempflndlichkeit das Blutserum als fähig erwiesen diese Unempfänglichkeit auf empfängliche Individuen zu übertragen, eine Fähigkeit, die stets freilich lediglich als eine spezifische, das heisst, nui- für diejenige Ki'ankheit durch Uebertragung geschaffene herauserkannt wurde, gegen welche das AusgangsindiAiduum unempfänglich gemacht worden war. Ueberdies hat sich andererseits durchgängig die weitere Thatsache bestätigt, dass von Natur gegen eine bestimmte Ansteckungskrankheit unempfängliche Individuen in ihrem Blutserum keine un- empfänglich machenden Substanzen haben, da diese Substanzen vielmehr immer erst durch künstliche Unempfäng- lichkeit sich ausbilden. Die spontane Heilung der Ansteckungskrankheiten aber scheint so zu erfolgen, dass sich in dem erkrankten Organismus, und zwar in seinem Blute, Körper entwickeln, welche auf die diese Krankheiten veranlassenden Schädlichkeiten lähmend einwirken. Nach überstandener Krankheit finden sich jene *) „Deutsche medizin. Wochenschrift" Nr. 49 v. 1890. 93 „Antikörper" dann im Blute weiterhin vor, was für die Pneumonie, Typhus, Cholera, Diphtherie beim Menschen er- wiesen worden ist. Diese Heilung einer bereits ausgebrochenen derartigen Krankheit wird mm die Bl utserumtherapie benannt, Avobei man die Maxime beobachtet, der zufolge in den Organisnms desto mehr „Heilserum" einzuführen nothwendig wird, je weiter vorgeschritten der zu bekämpfende Krank- heitsprozess bereits ist. Die grösste Schwierigkeit für die Bereitung des Heilserums macht dazu aber die primäre Unempfänglichmachung der Thiere, aus deren Blute das heilende Serum hergestellt werden soll, wobei man sich zu überzeugen hat, dass ohne die Anwendung voll gifthaltiger Kulturen bei der Unempfänglichmachung hohe Unempfäng- lichkeitsgrade nicht zu erreichen sind. üeber die chemische Natur der in diesem Heilserum vorhandenen wirksamen Substanzen ist bis jetzt sicheres noch nicht festgestellt worden. Was sodann hierbei noch von fachgelehrter Seite vermisst wird, ist nicht sowohl der allgemeine Zusammenhang zwischen Atomgewicht und giftiger Wirkung der Stoffe sondern vielmehr eine genaue Kenntniss der besonderen Beziehungen jeder Elementgruppe zu jedem Organe oder Gewebe des Körpers. Die Giftigkeit ver- schiedener, namentlich chemisch verwandter Stoffe lassen sich hierbei wohl nur in der Weise feststellen, dass man gleiche Aequivalente, nicht aber gleiche Gewichtsmengen derselben mit einander versteht.*) Zu erwähnen bleibt endlich noch, dass Ehrlich nach- gewiesen liat, es werde die ünempfänglichkeit bezüglich der Giftfestigung regelmässig durch die Mutter, nicht aber durcli den Vater auf die Nachkommenschaft übertragen**), eine Beobachtung, welche füi- die im vorigen besprochene *) Dr. P. 0 r ü t, z n e r - Tübingeu, in „Deutsche inediziu. Wocheiiscbr.", Nr. .02, 1893, S. 1369. **) Dr. C. Günther: Die Blutsernnitherapie, in „Deutsche inediziu. Wochenschr.", Nr. 4(3, 1893, S. 1162 ff. 94 ki-euzweise Uebertragung- der Krankheitskeinie vom Vater auf die Töchter und von der Mutter auf die Söhne bedeutsam erscheint und ein näheres Eingehen auf diese kreuzweise Uebertragung der elterlichen Krankheitsanlagen auf die Sprossen sehr wohl rechtfertigen möchte. Nach den vorangeführten Ausfülirungen wird es sonach nicht schwer fallen sich einen richtigen Begriff von der Natur und dem Mechanismus der Serumheilkunde zu machen. Es ist also zunächst die Substanz, der das Seiiim seine Heilwirkung verdankt, mit grosser Wahrscheinlichkeit nichts anders als ein dü-ektes Produkt der Auflösung des unter die Haut eingebrachten Impfstoffes, das allmälig in den Blutlo'eislauf eindringt und sich darin anhäuft. Der erste Theil der Impfung, die hierbei durchgeführt wird, beabsichtigt alsdann das betreffende Thier, was das immuni- sirende Serum liefern soll, für sich selbst immun zu machen, und darauf, nachdem die Lebensgefahr für das zu impfende Thier beseitigt ist, müssen ihm, um ein kräftiges Serum zu erlangen, in kürzester Zeit enorme Mengen der Vaccinkultur eingeführt werden. Was danach weiter die Wirkungsweise des in den zu immunisirenden und zu heilenden Organismus eingeführten Serums betrifft, so hat die Erfahrung gelehrt, dass es in therapeutischem Sinne keine bakterien-tödtende und antitoxische Wirkung giebt, dass sich der Einfluss des Serums auf die Infection vielmehr auf indirekte Weise, das heisst durch Vermittlung der Zellen, erklärt. Es häuft sich dasselbe nämlich in den empfänglichen Elementen an und macht sie für das Produkt der Infektion unangreifbar, das nachher mit ihnen in Berührung kommt. Sofern sich aber letzteres Produkt schon vorher selbst mit diesen Elementen verbunden hat, kann die Schutzwirkung des immunisirenden Serums in solchem Falle nicht mehr Statt finden. Wird ferner die immunisirende Substanz nach der schon begonnenen Entwicklung der Krankheit angewendet, so bleibt in solchem Falle der Mechanismus ihrer heilenden Wirkung 95 zwar derselbe. Allein da die Affinität eines Theils der empfäng- lichen Elemente schon durch die Verbindung mit dem Giftstoff selbst gesättigt war, so bleibt der immunisirenden Substanz nur übrig in die noch verschont gebliebenen empfänglichen Elemente einzudringen, wodurch dann also dem Fortschreiten der Infektion ein Damm entgegengesetzt wird. Es liegt hiernach der Unterschied zwischen der Unempfänglichmachung zum Zweck des Schutzes oder der Heilung in der Stärke oder Schwäche der eingeführten Dosis, die in letzterem Falle eine erheblich verstärkte deshalb sein muss, weil es sich hier darum handelt gegen den Giftstoff selbst und gegen Elemente anzukämpfen, die erst spät von der Krankheit ergriffen wurden und daher auch eine geringere Affinität sowohl für den Giftstoff als auch für die unempfäng- lich machende Substanz besitzen. Die Erfahrungen der Heilkunst am kranken Menschen haben dann weiter bestätigt, dass sich die Wirkung des Antitoxins durch die Beschränkung des Uebels auf seinen Ausgangspunkt erklärt, sowie überdies herausgestellt, dass durch das unempfänglich machende Prinzip die Heilung selbst noch in einem weit vorgerückten Stadium der Krank- heit möglich ist. Um noch, hieran anknüpfend, eine Uebersicht über die therapeutische Bedeutung der Immunität und über die Art zu geben, wie dieselbe in der ärztlichen Praxis benutzt wird, verlohnt es wohl, einen Blick auf die historische Entwicklung der Art und Weise zu werfen, wie diese Anwendung in ver- schiedenen Epochen ausgeführt worden ist. In der ersten Periode nämlich geht die Bereitung des Impfstoffs, der zur Unempfänglichmachung des Giftstoffs ver- wendet Avei-den soll, ganz innerhalb des unempfänglich zu machenden Organismus und obenein mit virulentem Material vor sich, das seine volle Wirksamkeit besitzt. Dies sind die absichtlichen Infektionen, z. B. die Einimpfung des Pockengiftes — Variola. 96 In der zweiten Periode vollzieht sich die Bereitung des Impfstoffs zwar ebenfalls noch im Innern des unempfänglicli zu machenden Organismus, aber statt des vollkommen viru- lenten Materials wird jetzt eine Form des Giftstoifes benutzt, welche unter natürlichen Verhältnissen abgeschwächt Avorden ist, die Vaccination von Jenner, da das Vaccin gegen die Blattern lediglich die mittelst Durchgangs durch das Rind abgeschwächte Variola selbst ist. In der dritten Periode wird sodann das Gift durch künst- liche Mittel abgeschwächt. Und dies ist das Pasteur'sche Impfverfahren. Es geht jetzt bereits die Herstellung des Impfstoffs aus dem Virus ausserhalb des zu immunisirenden Organismus vor sich, der zu impfende Organismus trägt also nicht zu dessen Zubereitung bei und bekommt auch die Krankheit nicht. Die vierte Periode endlich ist die der Behring' sehen Serumheilmethode. In ihr findet sich die Pasteur'sche Vaccination auf zwei Thiere vertheilt, deren erstes die vaccinale Kultur des Giftstoffes erhält und deren unempfänglich machendes Prinzip in Umlauf setzt, das andere aber, das unempfänglich zu machende Thier, lediglich die immunisii-er.de Substanz danach in seinen Kreislauf aufnimmt, um sie danach auf seine für das Gift empfänglichen Elemente zu fixiren und auf solche Weise unempfänglich zu werden. Dm-ch diese Methode verläuft der längste und gefährlichste Theil jenes Vorgangs im Thierkörper. Der Mensch indess, der das Serum erhält, vermeidet auf diese Weise nicht nui' die Gefahr, sondern er erhält überdeni auch ein konzentrirtes Produkt, was zur unmittelbaren Wirkung geeignet gemacht ist. Bei der Behring 'sehen Methode wird nun aber die möglichst grosse Impfstoffmenge einzuführen benöthigt, weil man überdies einen Ueberschuss an unempfänglich machendem Produkte, das ziu* Transfusion dienen sollte, hier nothwendig haben musste. Die letzte Vervollkommnung der Serum- . therapie besteht endlich voraussichtlich darin, dass man die Mitthätigkeit des Thieres und die daraus folgende Verdünnung 97 und Zerstreuung des wirksamen Stoffes in der Masse der Kürperflüssigkeiten wegfallen lässt und vielmehr die un- empfänglich machende Substanz direkt aus dem Vaccin bereitet, indem man hierzu einfach die Wirkung der gewöhn- lichen chemischen Agentien benutzt, wie dies das chemische Vaccin gegen Hundswuth von Tizzoni darstellt.*) Um zum Schlüsse das bisher Vorgeführte in kurzen Sätzen zu resümiren, so werden bei der neuen Blutserum- therapie dem ki-anken Menschenkörper Stoffe einverleibt, welche ervviesenermassen die krankmachende Wirkung be- kannter Bakteriengifte aufzuheben die Eigenschaft besitzen. Es charakterisirt sich diese Art auf die Erki-ankungsursache zurückgehender Heilkunst sonach als eine giftzerstörende — antitoxische. Weil indessen jedes giftzerstörende Agens, das aus dem Blute unempfänglich gemachter Individuen genommen wird, immer nur ein einziges Grift unschädlich macht, so hat Behring die Blutserumtherapie als eine spezifisch- antitoxische Heilkunst bezeichnet. Im Gegensatze zu letzterer giebt es nun aber noch andere Agentien, durch welche eine ganze Eeihe von Giften unschädlich gemacht werden kann. Obenan steht, wie' er- wähnt, die Hitze, da die grosse Mehrzahl der Bakteriengifte durch dieselbe zerstört wird, z. B. die Schlangengifte. Des- halb ist denn auch von jeher das Glüheisen als ein vorzüg- liches Mittel angesehen worden, um ein syphilitisches Ge- schwür, einen diphtheritischen Schleimhautbelag, eine mit, Starrkrampf-, Schlangengift oder dm-ch Tollhundbiss infizirte Wunde zu zerstören. Freilich aber lassen sie so wie alle Aetzmittel die umgebenden Gewebe nicht intact. Ein weiteres Agens ist dann noch das Jodoform, dessen Einführung in die aseptische Wundbehandlung mit Recht als ein grundsätzlicher Fortschritt gerühmt wird, was indessen wiederum nur bei *) Ausführlich: Dr. Centnnni, in „Deutsche uiedizin. Wochen- schrift", Nr. 44/45 1893, S. 1061. Janke, Embryologie. n 98 ganz bestimmten Arten der Wundinfeotion seine Heilkraft erweist. Bei den durch Bakteriengift verursachten Krankheiten, bei denen ja das Gift nicht fertig in den Körper liinein- kommt sondern erst durcli die Bakterienvermehrung in den Kürperflüssigkeiten erzeugt wird, suclit man ferner eine ursächliche Heilung auf dreifachem Wege herbeizuführen, nämlich einmal durch Abtödtung der eingedrungenen Bakterien, sodann dadurch, dass man ihre Vermehrung verhindert, und endlich, dass man sie daran hindert krankmachende Gifte zu bilden, wobei als antibaktei'ielle Mittel ausser den chemischen Agentien neuerdings auch von Gerhardt die Kälte eingeführt worden ist. Nach Allem ist wohl voraus- zusehen, dass freilich noch sehr viele Jahre vergehen müssen, ehe die durch Eobert Koch bei seinen Studien über die Tuberkulose hervorgehobenen Thatsachen in ihrei- Tragweite vollständig verstanden und für die kranke Menschheit nutzbar gemacht sein werden.*) Wird doch von namhaften Gelehrten kein Hehl daraus gemacht, dass die einseitig cellulare Kraukheitslehi-e ihre ärztlich-medizinische Berechtigung noch erst darzuthun habe. Denn bis jetzt sei es noch nicht gelungen eine nachgewiesener- massen kranke Zelle durch willkürliche Beeinflussung gesund zu machen oder einer gesunden Zelle eine noch höhere Gesundheit zu verleihen. *) Prof. Dr. Bcliriiig: Die Gewiumiiig- der Blutaiititoxine, in „Deutsclie uiedizin. Wocliensdiv." Nr. 48, 1893, S. 1253. 99 Sehluss. Damit wäre die vorhabende Aufgabe, eine Darstellung der Anfänge alles Lebens und danach des menschlichen Daseins nach den neusten Forschungen, sowie das Räthsel der Krank- heitskeim-üebertragung vorzuführen, soweit dies bis jetzt zu er- klären gelungen ist, ihrem Abschlüsse zugeführt. Es möchte niu* noch erübrigen, zur vollständigen Kenntniss der neusten Blut- serum-Heilmethode, das Verfahren mit kurzen Zügen anzureihen, welches von den speziell daran Betheiligten eingeschlagen wird, um ein wirksames Heilserum zu erlangen. In dieser Beziehimg ist Robert Koch, der verdienstvolle Urheber dieser ganzen Bewegung, auch der tonangebende Meister, der durch Jahre lang fortgesetzte Versuche die verschiedenen Methoden zu dessen Gewinnung herausgefunden hat und fort und fort praktisch zur Anwendung bringt, und es ist deshalb wohl angemessen, wenn gerade zur Beschliessung dieser Darstellung sein Vortrag, den er jüngst über die vorliegende Frage gehalten hat, und in welchem er diese Methoden ausführlich bespricht, hier kurz angereiht wird. Der spezielle Gegenstand seines Vortrags betraf nur den augenblicklichen Stand der Cholera-Erkennung, welchen Robert Koch*) zum Ausgangspunkt erwählt hatte. Er beginnt mit dem stolzen Ausspruche, „es sei jetzt wohl als *) Prof. Dr. Kobert Koch, in „Zeitschrift für Hygiene und Infections- krankheiten", Bd. 14, Heft H. 100 feststellende Thatsaclie anzusehen, dass die Cholerabakterien stets die unzertrennlichen Begleiter der asiatischen Cholera sind, derart, dass deren Nachweis jederzeit das Vorhandensein dieser Krankheit mit unfehlbarer Sicherheit beweist". Alle Zweifel an der Richtigkeit dieser seiner Entdeckung wurden, wie er hervorhebt, durch die Thatsache widerlegt, dass die Bakterien ausnahmslos bei allen Cholera-Massenerki-ankungen nachzuweisen waren. Mit Nachdruck weist er sodann darauf hin, „dass sich künftig die Untersuchung in den Krankenhäusern nicht nur auf die bakteriologische Untersuchung der frisch Erkrankten beschränken dürfe, sondern dass dieselbe auch den xA.uswurf von den Wiedergenesenen berücksichtigen müsse, da dieselben noch längere Zeit nach dem Cholera- anfalle Kommabazillen fortbehalten können, und es doch nicht füglich angehe die Kranken früher zu entlassen, als bis sie frei von allen Cholerabakterien sind". Das eigentliche Feld der bakteriologischen Thätigkeit bilden aber ferner der Be- ginn und das Ende jeder Epidemie in einem Orte, zu einer Zeit also, wenn alles darauf ankommt jeden einzelnen Fall als Cholei'a-Erkrankung richtig zu erkennen und so schnell wie möglich durch geeignete Massregeln für die Umgebung ungefährlich zu machen". Von grösster Bedeutung, fährt Robert Koch fort, ist aber die sofortige Herauserkennung auch jener leichtesten Fälle für diese vorbeugenden Massnahmen, sobald dieselben sich durch die Anwesenheit von Cholerabakterien sicher als Cholera kennzeichnen, und die sicherlich nur solche Personen betreifen, welche der Ansteckung ausgesetzt waren. Gerade für diese leichtesten Erkrankungsfälle, wobei in den Ent- leerungen vei'schwindend geringe Mengen von Cholerakeimen enthalten waren, hat sich indessen das K o c h ' sehe Gelatine- platten- Verfahren zu der Entwicklung der Bakterien als unzureichend herausgestellt. Es sind deshalb in letzter Zeit wesentliche Verbesserungen von vielen Forschern erfunden worden, und es beschreibt Robert Koch darauf das in dem Institute für Ansteckungskrankheiten zur Zeit geübte 101 Verfahren. Dieses besteht nun in Kürze zunächst in der mikroskopischen Untersuchung, an der nur einsehr kundiger Bakteriologe es wagen dürfen wird allein sich ge- nügen zu lassen. Das nächste ist die sogenannte Pepton - kultur, bei deren Lösung wohl auch der Umstand als Vorzug angerechnet werden darf, dass sie von den Aerzten auf dem Lande, im Gegensätze zu der schwer darstellbaren Nähr- bouillon, leicht zu beschaffen ist. Das dritte ist die Gelatine- plattenkultur, die wieder darum nicht zu entbehren ist, weil das Aussehen der Cholerabakterien-Kolonie auf diesen Gelatineplatten überaus charakteristisch ist, daher sie denn zui- Ergänzung des Vorkulturverfahrens von entscheidender Bedeutung bleiben. Die vierte ist alsdann die Aga r platte n- kultur. Es werden hier gleichzeitig mit der Gelatineplatten- kultur auf Agar,*) das man in Doppelschalen ausgegossen hat, Strichkulturen, ganz wie bei den ersten Objectträger- kulturen, angelegt, die bei Blutwärme nach etwa zehn Stunden zu verhältnissmässig grossen Kolonien anwachsen. Dann schliesst sich als fünfte die sogenannte Indolreaction an, das Auftreten nämlich einer Rothfärbung, beim Versetzen einer Reinkultur von Cholerabakterien mit Schwefelsäure, die darum so wichtig bleibt, weil von den bisher bekannten gekrümmten Stäbchen keine andere Art dieselbe ergiebt. Das letzte Verfahren ist endlich der Thier versuch, dessen hoher Zweck darin liegt, dass durch ihn sich in verhältniss- mässig kurzer Zeit eine besondere Eigenschaft der Cholera- bazillen aufdecken lässt, die unter den gekrümmten Stäbchen nur ihnen zukommt, die Eigenschaft nämlich, Meerschweinchen schon mit einer Platinöse von der Oberfläche der Agarkultur zu tödten. Auf eine Sicherung der Cholera-Herauserkennung dui-ch die Kartoffel- oder Gelatinestichkultur verzichtet Robert Koch zur Zeit ganz* weil ihm dieselbe keine ii'gend befriedigenden Resultate ergiebt. Er beschreibt demnächst noch ausführlich den Gang, den regelmässig eine solche Unter- *) Agar ist ein Nährsubstrat zur Kultur der Bakterien. 102 suchung- auf Cholerabakterien in seinem Institute nimmt, und er schliesst mit der Mahnung, dass wenn die frülier übliche Choleradiagnose mit den G-elatineplatten, Stichkulturen u. s. w. für den Untersuchenden eine grössere Uebung und die voll- ständige Vertrautheit mit der bakteriologischen Technik erforderte, dies bei dem angegebenen Verfahren in noch erhöhtem Masse der Fall sei, weshalb er jedem Manne der ärztlichen Kunst den w^öhlgemeinten Rath ertheilt sich diese nöthige Uebung beizeiten anzueignen, wenn er sie aber nicht besitzt, die Untersuchung an die geeignetere Stelle abzugeben, sie selbst also lieber ganz zu unterlassen. Soweit die Mittheilung RobertKoch's. Zum Schlüsse wii'd es noch interessiren zu erfahren, dass gegenwärtig diese modernen Heilkörper bereits fabrikmässig hergestellt werden, nachdem die Bakteriologie in letzter Zeit in der Auffindung solcher Mittel planmässig vorgeht und bereits, wie gezeigt worden, spezifische Schutz- und Heilwirkungen kennengelernt hat. Zunächst findet das durch Eobert Koch eingeführte Tuberkulin seine ausgedehnteste Anwendung zur Erkennung der Tuberkulose des Rindviehs. Trotzdem dies Mittel zur Heilung der menschlichen Schwindsucht nui' noch in sehr- vereinzelten Fällen Verwendung findet, so ist doch von vielen praktischen Aerzten, die das Tuberkulin bei der Tuber- kulose des Menschen anwandten, die Robert Koch' sehe Erfahrung bestätigt worden, dass dies Mittel bloss beim Be- ginn der Krankheit, und so lange nur der Tuber kel- bazillus allein der Krankheitserreger ist, mit anderen Worten, so lange eine Zuwanderung anderer Keime, Entzimdungserreger u. s. w. noch nicht Statt gefunden hat, ein spezifisches Heilmittel darstellt. Nui- dadurch, lehrt Robert Koch, sei das Mittel in Misskredit gekommen, dass man bei der Auswahl der damit behandelten Kranken den von ihm hierfür aufgestellten Grundbedingungen nicht Rechnung trug, wie denn namentlich auch in jener ersten Zeit der Bekanntwerdung des Mittels die Anfaugsdosis, die 103 den Kranken verabreiclit wurde, zn lioch gegriffen worden war. Grossen Wertli hat ferner das Tuberkulin fortgesetzt als Heilnüttel bei Lupus — der fressenden Flechte. Zur Gewinnung spezifische!- Heilkörper gegen andere schwere Infektionskrankheiten, nameiitlich den Wundstarr- krampf mid die Diphtherie, wird dann ferner für die Infektions- und Unempfänglichmachungs- Versuche eine Diplitheriekultur verwendet, die, auf geeignetem Nähr- boden gezüchtet, seit Jahren einen hohen Giftigkeitsgrad sehr konstant bewahrt. Es hat sich nun bei der Darstell ungsweise und Prüfung des Gi'ades der Giftigkeit der Kulturen, um festzustellen, wie viel von der einzelnen Kultur erfordert werde, um inner- halb einer bestimmten Zeit ein Meerschweinchen zu tödten, für diese Menge der Ausdruck „Minini aldosis" als vSpracli- gebrauch eingeführt. Wird dann aber den Thieren, welchen diese Dosis beigebracht wurde, ein gewisses Quantuni Blut- flüssigkeit — Serum — solcher Thiere unter die Haut ge- spritzt, die vorher nach der Behring 'sehen Vorschrift be- handelt worden sind und dadurch einen hohen Grad von Widerstandskraft grade gegen die Diphtherie-Infektion er- langt hatten, so genasen diese Thiere, wogegen die nicht mit diesem Serum behandelten Kontrolthiere eingingen. Zur Gewinnung dieses speziellen Diphtherie-Heilserums verwendet man ferner vorzugSAveise Schafe, weil diese Thiere, die für die Krankheit selbst in hohem Grade empfänglich sind, be- trächtliche Immunisirungswerthe zu liefern vermögen, und es ist durch lange fortgesetzte Behandlung solcher Schafe mit inimunisirendei- Flüssigkeit bis jetzt gelungen den Immuni- sirungsgrad ihres Blutes derartig zu steigern, dass ein Gramm Serum zwanzig Kilo Thiergewicht vor der tödtlichen Infektion zu schützen oder den Ausbruch der Krankheit vollständig zu verhüten im Stande ist. Im Ganzen schätzt hierbei Behring' den Serumsertrag des einzelnen Schafs auf 2V4 Liter im Jahre, ohne dass das einzelne Thier dabei geschädigt wird. 104 In ziemlich den gleichen Bahnen bewegen sicli die Unempfänglichmachiings-Versuche und die Herstellung von Heilserum bei dem Wundstarrkrampf, nur dass man hier schon zu viel, höheren Immunisirungswerthen gelangt ist. Soviel steht aber nach Allem schon jetzt fest, dass, wenn die z ur Zeit an Ver suchst hieren gewonnenen Erfahrungen auch für die Menschen zutreffen, dann das Diphtherie-Heilserum in erster Linie a 1 s S c h u t z m i 1 1 e 1 s e g e nsr e i c h wi r k e n w i r d. Nament- lich in den Fällen, wo in Häusern oder Schulen die Diphtherie seuchenhaft auftritt, steht zu erwarten, dass dies Heilserum sich als ein wirksames Schutzmittel erweisen wird. — Möge denn diese Erwartung und allgemein die Hoffnung, die man auf die neue Blutserum-Heilmethode setzt, recht bald schon eine Gewissheit werden, zum Wohle der leidenden Menschheit ! 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