YÜXA Jt ' ^7 R75730 § % Digitized by the Internet Archive in 2015 https://archive.org/details/b21905319 Grundzüge der philosophischen Botanik. / 4 .. ' '■$! - i ■ •f- ■>- ■ G r u n d z ü g e I der philosophischen Botanik von Dr. F. T. Kützing, Professor der Naturwissenschaften zu Nordhausen. Erster Band. Historische Einleitung. Methode. Naturleben. Die Pflanzentheile. O 1Uit 18 Vafelti ßbbiltnmgfti • ’S Leipzig: F. A. B r o c k. h a u s. 18 5 1. „Was aber das Allersonderbarste ist: der Mensch, wenn er auch den Grund des Irrthums aufdeckt, wird den Irrthum desshalb doch nicht los.“ Goethe. (Zur Naturwissenschaft im Allgemeinen. Aelteres.) Dem Andenken L i n n e ’ s beim hundertjährigen Jubiläum der Erscheinung der „ Philosophia bolanica“ gewidmet / vom Verfasser. I •i ii- i, s J .1 ... Ii, I . '■ j, , •. . f. ■' ; i • > u ;'»n Vorrede. Mehr als zwanzig Jahre sind verflossen, seitdem ich, nach verschiedenen Seiten hin, in dem grossen Tempel der Natur gearbeitet habe. Bei dieser langen Arbeit ist mein Blick ebenso auf das Grössere, als auf das Kleinere gerichtet ge- wesen. Je mehr ich mich jedoch durch die Erforschung des Einzelnen, welche durch die Methode jedes gründlichen Stu- diums geboten ist, von dem grossen Ganzen abgezogen fühlen musste, um so lebhafter und dringender wuchs das Bedürf- nis, meine Erfahrungen in der Botanik zu einem harmoni- schen Ganzen zu vereinigen. Jedes geistige Bedürfniss, wenn es in seiner vollen Stärke sich geltend macht, ergreift die ganze Seele des Menschen. Daher kommt es, dass wissen- schaftliche Ueberzeugungen auch auf die religiösen einen un- mittelbaren Einfluss haben. Denn die einen werden durch die andern bedingt; daher kommt es, dass ich in den fol- genden Blättern eine Saite anschlage, die man in den Arbei- ten, welche nur Specialitäten aus der Naturwissenschaft brin- gen, nicht berührt. Jede geistige Betrachtung eines Objects von einem hohem Standpunkte aus führt uns ohne Weiteres in das Gebiet der Philosophie. Der Anfang und das Ende derselben ist aber wieder das religiöse Gefühl. Aus ihm schöpft der Philosoph seine Nahrung, und je tiefer es in dem Menschen liegt, um VIII Vorrede. so dauernder gibt es die Quelle für seine geistige Thätigkeit ab. Nichts ist indessen mehr geeignet dasselbe zu kräftigen oder zu erschüttern, als die innern Vorstellungen von den Erschei- nungen in der Natur. Darum haben die Naturwissenschaften, seitdem sie existiren, einen so grossen Einfluss auf unsere religiösen Verhältnisse ausgeübt und dieser Einfluss wächst mit ihren Fortschritten. Unsere Zeit ist durch und durch in grosser Bewegung begriffen. Es stellt sich immer entschiedener heraus, dass sich Grundsätze, die sich diametral gegenüber stehen, ebenso in der Wissenschaft, wie im socialen Leben, bekämpfen. Be- wusst oder unbewusst nimmt jeder Mensch daran Theil; denn es wird Jedermann, entweder innerlich oder äusserlich, davon berührt. Es handelt sich bei diesem Kampfe um nichts Gerin- geres, als um die Entscheidung der Frage: Soll das Natur- oder das Moralprincip als oberstes gelten? — Ich habe mich für das Moralprincip entschieden und zu zeigen gesucht, dass dasselbe in den Grundsätzen des Christenthums am reinsten ausgespro- chen sei und dass die heutige Naturwissenschaft aus ihm entsprungen; ich habe ferner gezeigt, dass das Naturprincip als herrschend dem Heidenthume angehöre, und endlich, dass die neuere Naturwissenschaft berufen sei, das Christenthum von allen anklebenden heidnischen Vorstellungen zu reinigen und dadurch zu fördern, nicht zu bekämpfen. So ist mein wissenschaftlicher Standpunkt zugleich mit dem religiösen ein und derselbe. Diese Grundsätze wurden von mir in einer kleinen Schrift: „Die Naturwissenschaften in den Schulen als Beförderer des christlichen Humanismus“ (Nordhausen, 1850) auseinander- gesetzt. Durch diese Arbeit wurde aber auch das Bedürf- nis, jene Grundsätze wenigstens in einer naturwissenschaft- lichen Disciplin dprchzy führen, auf das lebhafteste gesteigert. So sind die vorliegenden „ Grundzügeder philosophischen Bo- tanik“ entstanden. Die Arbeit wurde mir in so fern wesentlich erleichtert, Vorrede. ix als die Vertreter der Botanik in neuerer Zeit, theils bewusst, theils unbewusst, einen Weg eingeschlagen, der bei seiner weitern Verfolgung zu denselben Resultaten führen muss. Dennoch hielt bis jetzt der alte Aberglaube an die Existenz der „constanten Arten“ so wie überhaupt an die Auffindung scharfer Unterschiede die Naturwissenschaft gefangen, und obschon es Niemanden gelungen, auch nur eine „constante“ Art zu begründen, so hoffte man doch, dass es der „Zukunft“ gelingen werde. Mittlerweile aber hat der gesunde Sinn sich an die Er- scheinungen selbst gehalten und sich in der Betrachtung des Mannisfaltisjen und ewis Veränderlichen nicht stören lassen. Durch diese Praxis aber wurde mit jedem Tage der Wider- spruch gegen den alten Aberglauben grösser, und der völlige Bruch musste über kurz oder lang zu Tage kommen. Auf diese Weise nur wird es erklärlich, wenn das vor- liegende Buch in der Auffassung der Erscheinungen mit der neuern Botanik grösstentheils Hand in Hand gehl, während es in dem methodologischen Theile so vielen eingewurzelten und fix gewordenen irrigen Ideen entschieden gegenübertritt. Ich hoffe nicht, dass sich durch die Darlegung meiner Methode einzelne Personen, deren Verfahren hie und da als irrig bezeichnet wird, verletzt fühlen werden; denn nicht die Person, sondern die Sache ist dabei maassgebend gewesen, und der ruhige, besonnene Mann, welcher zwischen den Zei- len zu lesen versteht, wird finden, dass ich gegen eigene Verirrungen am wenigsten nachsichtig gewesen bin. Die Naturwissenschaft hat vor vielen andern Wissen- schaften die Lauterkeit ihrer Quellen voraus ; keine Gewalt ist im Stande diese zu verstopfen; werden sie aber durch unreine Hände getrübt, so kann das nur auf kurze Zeit ge- schehen. Dadurch dass diese Quellen sich selbst reinigen, dadurch dass sie ewig rein fliessen: dadurch wird die Natur- wissenschaft sich einen immer grossem Einfluss auf die Ge- schichte der Menschheit erringen und jeden Widerstand, den X Vorrede. sie von fanatischer Seite her erfahren sollte, besiegen. Das ist sicher, das ist gewiss! Darum täusche man sich nicht über ihre Gewalt. Jede Entdeckung, jede Erfindung ist ein Schritt, der unermessliche Folgen unaufhaltsam nach sich zieht. Ein Rückwärts ist unmöglich. So gewiss nun das Christenthum in der Naturwissen- schaft den kräftigsten geistigen Hebel für sein Verständniss bei den Völkern gewonnen hat, so gewiss wird es auch den Sieg über das classische Heidenthum vollenden, dessen gei- stige Hinterlassenschaft vermöge ihrer logischen und antik- ästhetischen Vollendung von grossem formalen Werthe, dage- gen aber auch theilweise durch seinen Inhalt um so gefähr- licher sich ausweist, als derselbe in der antikschönen Form mehr Sinnenreiz und zügellose Phantasien, als moralische innere Befriedigung — - d. i. christliche Gesinnung — erzeugt. Dieser moralische Nachtheil, den die alte klassische Literatur überall mehr oder weniger und unmerklich hervorruft, wurzelt einzig und allein in der fabelhaften Naturanschauung, welche ebensowol das Wesen des Griechen- als des Römerthums ausmacht. Wie sehr diese Anschauungsweise noch in vielen classisch erzogenen Köpfen der neuesten Zeit ihr Wesen treibt und die Menschen hindert, den Gottesgeist in der Natur zu erkennen, davon habe ich ein Beispiel in der oben erwähn- ten kleinen Schrift (S. 25 und 27) angeführt; dazu liefert ferner unsere belletristische Literatur und unser sociales Leben die traurigsten Beläge ! Nur die wahre Naturwissenschaft besiegt den antiken Aberglauben und führt uns aus dieser klassisch -fabelhaften Phantasiewelt zu den Ideen der ewigen Schönheit, welche der wahre, nicht der erdichtete Schmuck der Welt ist. Diese wahre Naturwissenschaft tritt aber auch mit Entschiedenheit jener modernen Naturphilosophie gegenüber, welche, ein Rudiment des Heidenthums im Chrislenthume und dem verknöcherten Aberglauben an die constanten Arten sich anschliessend, in ihrer Beschränktheit sich einbildet, „dass Vorrede. XI für Physiologie und Systematik Begriffe von ab- soluter Form gefunden werden können“.*) Die Anhänger dieser Philosophie scheinen noch nicht zu wissen, dass die absolute Grösse weder einer Vermehrung noch Verminderung fähig, überhaupt unveränderlich ist, und dass wir daher mit derselben gar Nichts anfangen können. Es wird sonach gar nicht schwer fallen, die Spielereien mit dem Formelkram der niedern Mathematik-, womit diese Schule, gestützt auf ihre „idealen Zeichnungen“, die Natur der Pflanze hat darstellen wollen, zu beseitigen. Dieses Werk hat es sich überhaupt zur Aufgabe ge- macht, dem verderblichen Schematismus, der in den letzten Jahren in der Botanik eingerissen ist und dahin geht, die wahre Natur durch ein eckiges verzerrtes Schema zu verun- stalten, entgegen zu treten. Endlich will es auch darauf aufmerksam machen, dass Viele mit der Firma der „wissen- schaftlichen Einheit“ gar ein verderbliches Spiel getrieben. Anstatt, wie es die Einheit erfordert, sich die Aufgabe zu stellen, die Fäden zu suchen, welche die Formenkreise mit einander verknüpfen, hat man die Einheit gesucht in der Aufstellung sogenannter „absoluter Unterschiede“! Durch absolute Trennungen entstehen nur Einheiten, aber keine natürliche Einheit; denn alle solche Trennungsversuche sind willkürliche Handlungen, die nie in der Natur begründet werden können. Daher kann auch die Aufsuchung der „ab- soluten Unterschiede“ nie befriedigen, und alle Anhänger die- ser Methode kommen zuletzt — wenn sie redlich sind — zu dem offenen Geständniss, dass sie sich eine Aufgabe ge- stellt, die sie, auch im kleinsten Theile, nicht lösen können; darum sie die Lösung immer „zukünftigen Geschlechtern“ auf bürden müssen, wodurch ein ewiges fruchtloses Fortwäl- zen von Generation zu Generation entsteht, an dem Niemand Freude erlebt. ) Naegeli, „Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik“, 2. Heft, S. 13(5. XII Vorrede. Anders ist es bei der entgegengesetzten Methode, welche in dem vorliegenden Buche zuerst in allgemeinere Anwendung, kommt. Sie erkennt in der physischen Welt nur relative — nicht absolute — Einheiten, und ihr Ziel ist die Auffindung der Fäden, welche die Erscheinungen in der Natur nach möglichst vielen Seiten hin ordnend mit einander verknüpfen. (Vergl. S. 94, §. 250.) Diese Fäden sind da, sie können erkannt und gefunden werden, und so schafft sich der Forscher mit jedem Schritte, den er selbständig vorwärts thut, in der Er- reichung seines Ziels die schönste geistige Befriedigung, den reinsten Genuss. NordhäUSeil, am Oslertage 4 854. Kützing. Inhalt. Sei!« I. Historische Einleitung 1 II. Methode 22 Grundsätze 23 Winke für den Lernenden 24 Hilfswissenschaften 26 Kritik des Begriffs der Pflanzen und Thiere 27 Die Totalanschauung und ihre Grenzen 30 Die Pflanzen und deren Aufbewahrung 32 Anforderungen an den Botaniker ' 55 Optische Hilfsmittel bei der Untersuchung 38 Mechanische Hilfsmittel 45 Chemische Hilfsmittel 48 Beobachtung und Begründung 54 Darstellung 65 Ziel der Botanik 83 III. D as Naturleben.. . 93 Anmerkungen 99 Grundzüge der philosophischen Botanik. Die Pflanzentheile. Erstes Buch. Die allgemeinen Grundformen des Pflanzenlebens als Vergleichungsmittel 108 Zweites Buch. Stoffformen des Pflanzenlebens 117 Verzeichniss der Grundstoffe 121 a) Aetherformen. Lichtformen 122 Electrische Strömungen 129 Wärmebewegungen 132 b) Substanzen. Kohlenstoff 134 Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff 135 XIV Inhalt. .Seile Chlor, Jodin 13^ Brom, Schwefel, Phosphor, Silicium 137 Eisenoxyd 139 Kohlensaurer Kalk 4 39 Oxalsaurer Kalk 140 Schwefelsaurer Kalk 142 Alkalien 142 Magnesia und Thonerde 143 Kupfer, Blei, Silber 144 Wasser 144 Ammoniak und Alkaloide 146 Salicin, Phlorrhizin 148 Glycyrrhizin, Zucker.,. 149 Mannit 150 Kautschuk, Wachs 151 Fette Oele 153 Aetherische Oele 155 Harze 157 Extractivstoffe 159 Flechtenstoffe 160 .! Gerbstoffe 161 Farbstoffe 163 Säuren . 173 Organstoffe 179 Pectinreihe 179 Cellulosereihe 182 Proteinkörper 214 Humus 217 Summa 221 Drittes Buch. Formen der Pflanzenorgane 225 a) Niedere Organe. Erstes Capitel. Das Molekulargewebe 225 Zellenbildungen 230 Bassorinzellen 251 Gelacinzellen 241 Eugelacinzellen 243 Gelinzellen 244 (Amylonformen) 261 Korkzellen 272 Ligninzellen 273 Faserzellen 273 Porose Zellen 278 Versteifte Zellen 279 (Gefässe|) 287 Amylzellen 290 Proteinzellen 290 Kieselzellen 292 Inhalt. xv Seil« Zellenbewegungen 294 Bewegungen der Spiralfasern 297 Zweites Capitel. Das Zellengewebe 297 Seine Bildungsweise 298 Intercellularsubstanz und Cuticula 302 Formen des Zellengewebes ... 308 Schlussbetrachtungen 317 b) Höhere oder abgeleitete Organe. Drittes Capitel. Das Phytom oder der Pflanzenkörper 32t Historisches und Allgemeines....^ 321 Das einzellige Phytom 323 Das mehrzellige Phytom 326 Anmerkungen und Zusätze 331 i 1 Erklärung der Abbildungen. Taf. 1. (Sämmtliche Figuren nacli 300maliger Vergrösserung.) Fig. 1. Zellengewebe aus den Schuppenblättern der Meerzwiebel mit Rha- phiden. S. 141. Fig. 2. Epidermiszellen mit einer Oelzelle (a.) und einem Haar (b.), wel- ches mit einer Schleimmasse mit Vacuolen, die aetherisches Oel enthalten, besetzt ist. 'S. 157. 330. Fig. 3. a. Krystalldrusen von oxalsaurem Kalk aus der Rhabarberwurzel. S. 140. — b. Einzelne Krystalle von weinsaurem Kalk (?) aus einer grossen Rosine. Fig. 4. Zellengewebe aus der Jalapenwurzel mit Harzgängen. S. 159. 31 G. Taf. 2. (Die Figuren, mit Ausnahme von 3. a., nach' 420maliger Vergrösserung. ) Fig. 1. und 2. Ulvinaarten. S. 229. Fig. 3. Mycocoelium rivulare. S. 258. Fig. 4. Bewegliche Hefezellen, welche sich in einer Zuckerlösung gebildet hatten, die mit coagulirtem Hühnereiweiss in Gährung gebracht war. Sie scheinen von Schleiden für Infusorien gehalten worden zu sein. (Dessen „Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik“, 3. Auflage, 1. Th., S. 206.) Fig. 5. Ruhende Hefezellen durch Urbildung in gährendem Weinbeerensafte entstanden. S. 232. Fig. G. Hefe aus Bier. S. 253. Fig. 7. Palmelia cruenta. S. 238. Fig. 8. und 9. Zellenbildung durch Vacuolen bei Stereonema. S. 254. Taf. 3. (Sämmtliche Figuren nach 300maliger Vergrösserung.) Fig. 1. Entstehung der Bassorinzellen beim Kirschgummi. S. 204 und 254. Fig. 2. Bassoragummi mit Schwefelsäure und Jodintinctur behandelt. Hier, wie in allen Gummiarten, kommen Pilzladen vor, welche aus Protcin- gliedern bestehen. (Vergl. Fig. 1. e. f. derselben Tafel.) Fig. 3. Zellen aus Tragacantha minor. S. 203. Fig. 4. Zellen aus Tragacantha major. S. 205. Erklärung der Abbildungen. XVII Taf. 4. (Vergrösserung 300mal.) Fig. 1. Zellen von dem Hymenium von Cantliarellus cibarius; a. b. Tetra- den von Sporenzellen. Fig. 2. Fasern aus dem Thallus von Ramalina fraxinea, in welchen die Zellen aus Vacuolen gebildet werden. S. 234. 281. Fig. 3. Entstehung der Uredo candida. S. 235. 236. Fig. 4. 5. und 6. a. a. a. Schleimzellen. S. 194. — Fig. 5. b. Eiweisszellen von Plantago Psyllium. S. 279. Taf. 5. (Vergrösserung 500mal.) Fig. 1. Entwickelungsgeschichte der Sporenzellen von Aschion nigrum. S. 236. Fig. 2. Sporenzelle von Lycopodium clavatum. Fig. 3. Entwickelungsgeschichte der Sporenzellen von Anthoceros laevis. S. 253. Fig. 4. Oberste Zellenlage des Thallus von Anthoceros laevis. S. 266. Fig. 5. Zellen aus der Beere von Symplioricarpus racemosa. S. 253. 255. Fig. a. im lebenden Zustande, man bemerkt den Cytoblasten mit den netzförmig verzweigten Radialströmchen ; Fig. b. die Wand- strömchen der Proteinsubstanz, wie sie nach der Behandlung mit Jodintinctur erscheinen ; Fig. c. dasselbe Netz von Wandströmchen nach der Behandlung mit concentrirter Schwefelsäure. Die Löcher und andere Erscheinungen, welche die äussere Zelle nach dieser Behandlung zeigt, sind hier absichtlich nicht mitgezeichnet worden. Taf. 6. (300malige Vergrösserung.) Fig. 1. Zellen aus einer Weinbeere. S. 232. 252. 254. — a. und b. Zwei Zellen nach ihrer Behandlung mit Schwefelsäure und Jodintinctur; bei a. kommt die Proteinzelle (der Primordialschlauch) heraus: c. c. Baslzellen; d. grosse saftreiche Parenchymzellen mit dem Cytoblasten, den von ihm ausgehenden radialen Strömchen und Schleimkörperchen (e. f.) welche Vacuolen zeigen. Fig. 2. Zelle aus dem Blattstiel einer Musa. S. 256. Fig. 3. Zellen aus dem Blattstiel von Beta vulgaris. S. 255. Fig. 4. Zellen aus einer Beere von Atropa Belladonna. S. 254. Tal. 7. (300malige Vergrösserung.) Fig. 1. Zellengewebe aus der Zittwerwurzel nach dem Auskochen mit Sal- petersäure; a. eine Oelzelle; b. Zellen welche das Netz von Protein- fasern zeigen, das die Stärkekörnchen einhüllt. S. 256. — c. Platt- geformtes Amylon aus der Galgantwurzel. S. 263. Fig. 2. Zellengewebe mit den Amylonkörpern aus den Samen von Ervum Lens; b. c. durchschnittene Stärkekörperchen; d. sehr kleine, welche aber schon die Vacuole zeigen. S. 262. Fig. 3. Zellengewebe mit dem Amylon aus einem Maiskorne; b. das Prote'ingewebe, welches nach dem Auskochen des Parenchyms mit Salpetersäure in den Gelinzellen zurückbleibt. S. 256. 262. 263. fig. 4. Zellengewebe aus der Altheewurzel nach dem Auskochen mit Salpetersäure; a. das netzförmige, die Stärkekörner einschliessende Prote'ingewebe innerhalb der Zellen; b. und c. das faserige Prolein- Kützino, Philosophische Botanik. 1. ** XVIII Erklärung der Abbildungen. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9 Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 1. Fig. 2 Fig. 3. Fig. 4 Fig. 5. Fig. 6. Fig. Fig. 1. gcwebe in den Zwischenzellenräumen; d. und e. Gelinzellen nach der Behandlung mit Jodintinclur und Schwefelsäure; e'. eine der- selben nach der Bearbeitung auf dem Objectträger (S. 275.); f. Amylonkörner. — S. 25G. 263. 277. Amylon vom Hafer. S. 263. 266. Amylon aus dem Bhizom der Iris florentina. S. 263. Amylon aus der Sassaparillawurzel. S. 263. Amylon aus der Ipecacuanhawurzel. S. 263. 266. Amylon aus der „Muskatnuss“. Taf. 8. (Meist 300mab‘ge Vergrösserung.) Zellen aus dem Samen von Cardamomum minus. S. 268. Zellen aus der Macis. S. 269. Zellen aus dem Thallus von Marchantia polymorpha. S. 275. Zellen aus einer Luftwurzel von Epidendron ensifolium. S. 274. Zellen aus einer Georginenknolle; b. stärker vergrössert. S. 275. Zellen aus einer Zuckerrübe mit Jodintinctur und Schwefelsäure behandelt. Fig. b. auf dem Objectträger bearbeitet. S. 275. 276. Zellen aus Halidris siliquosa. S. 277. Zellen aus einer Berberitzenbeere; a. im lebenden Zustande; b. und c. nach der Behandlung mit Jodintinctur. d. nach der Behandlung mit Jodintinctur und Schwefelsäure; e. ein Theil der- selben stärker vergrössert. S. 255. 277. Taf. 9. (300malige Vergrösserung.) Zellengewebe aus Hoya carnosa; a. und b. sein1 verdickte und mehrschichtige Milchzellen. S. 245 — 247. 270. — c. Runde Zellen, deren ringförmige Zeichnungen die Berülirungsstellen anzeigen. S. 315. Milchzellen im Hute von Agaricus vietus, S. 238. 245 — 247. Ein Theil der Epidermis des Stengels von Lavandula Spica ; a. Oel- zellen; b. Haar, welches eine schleimige Masse mit Oellröpfchen ausgeschwitzt hat. S. 157. 244. 279 — 281. Dasselbe von der Seite gesehen. 6. 7. Bastzellen. S. 270 — 281. Taf. 10. (300malige Vergrösserung.) Zellen aus Primula sinensis. a. Aus dem Blattstiel; lebendig; b. eine andere nach der Behandlung mit Jodintinctur und Schwefel- säure. c. d. Haare vom Blattstiel; Cytoblasten. e. Eine Zelle eines dritten Haares mit den innern Proteinströmchen. S. 257. 279. 329. Oedogonium tumidulum. S. 280. Oedogonium Landsborouglni. S. 280. Haare von Hcliotropium peruvianum. S. 280. Stück eines Haars von Cydonia vulgaris. Zellen von Stipa pennata. S. 280 und 281. Brennhaar der Urtica urens. S. 281. 330. Taf. 11. (SOOmalige Vergrösserung.) Cladophora fracta nach der Behandlung mit Jodintinctur und Schwe- felsäure. a. Cuticula, die sich in Fasern auf löst; b. die Gelin- zelle; c. die Protemzelle. Erklärung der Abbildungen. XIX Fig. 2. Zellengewebe aus der Steinnuss. S. 271. 280. Fig. 5. Steinzelle aus dem Stamm von Iloya carnosa. S. 280. Fig. 4. Verdickte Zellen der Dattelsamen. S. 270. 280. Fig. 5. Verdickte und verhärtete Zellen der Sleinhülle einer Pflaume. S. 270. 280. Fig. 6. a. Epidermis und Cuticula von Viscum album. S. 302. b. c. Holz- zellen. S. 283. 312. Fig. 7. Zellengewebe aus einer „Kaffeebohne“. S. 271. 283. Fig. 8. Zellengewebe vom Blatt des Dicranum scoparium. S. 270. Taf. 12. (300malige Vergrösserung.) Fig. 1. Holzzellen aus „Lignum Sassafras“. S. 283. 285. Fig. 2. Holzzellen aus einer Georginenknolle. S. 284. 285. 286. Fig. 3. Holzzellen aus Abies pectinata (Prosenchym) mit einem kleinen Harzgange in hy. S. 150. 286. 316. Fig. 4. Holzzellen aus der Linde. S. 286. Fig. 5. und 6. Holzzellen (Gefässe) aus dem Stuhlrohr. S. 287. Fig. 7. Spiralfaserzellen aus der Anthere von Lilium tigrinum. S. 282. 283. Fig. 8. Zellengewebe des Blattes von Sphagnum squarrosura. S. 250. 282. Taf. 13. (300malige Vergrösserung.) Fig. 1. Poröse Holzzellen aus dem Bockholze. S. 284. Fig. 2. Holzzelle (Treppengang) aus der Sassaparilhvurzel. S. 285. Fig. 3. Collenchymzellen aus dem Stengel von Beta vulgaris. S. 269. Fig. 4. Cuticula von Allium Porrum. \ Fig. 5. Cuticula von Brassica oleracea. [ S. 504. Fig. 6. Cuticula von Bromelia Ananas. ; Fig. 7. Zellen aus Tropaeolum majus. S. 284. Fig. 8. Querschnitte von Caulerpa Freycinetii; a. von der Blallspilze; b. vom Stengeitheile. c. Cuticula. S. 305. Taf. 14. (300malige Vergrösserung.) Fig. 1. Zygnema cruciatum. S. 258. Fig. 2. Spirogyra decimina. S. 257. Fig. 3. Cladophora flavescens. S. 258. Fig. 4. Ulothrix zonata. S. 251. und 304. d. sind Schwärmzellen, welche bei e. sich zu jungen Individuen entwickeln ; bei f. wachsen diese Zellen aus, ohne geschwärmt zu haben. S. 296. Fig. 5. Schizomeris dissiliens in den verschiedenen Entwickelungsstufen. Bei Fig. e. theilt sich die Prote'inzelle auf verschiedene Wqise. Vergl. S. 300. Fig. 6. Mougeotia genuflexa. S. 251. % Taf. 15. (SOOmalige Vergrösserung.) Fig. 1. Cladophora elongata. Man sieht hier die Anordnung des innern Prote'ingewebes noch schöner als bei CI. flavescens. Vergl. S. 258. Fig. 2. Dieselbe mit Schwärmzellen, welche bei a. noch in der Mutterzellc eingeschlossen sind, bei b. aber ausschwärmen. Die Figuren c. sind willkürlich vergrössert. S. 295. Fig. 3. Vaucheria clavata. S. 244. 245. XX Erklärung der Abbildungen. Taf. 16. (Meist 300malige Vergrösserung. ) Fig. 1. Zellengewebe aus dem Blattstiel von Alisma Plantago mit Lufthöblen (§. 520), lOOmal vergrössert. a. Sternförmige Zellen; b. Zellen, welche die Wände der Lufthöhlen c. bilden. S. 316. Fig. 2. Zellengewebe mit Lufthöhlen und Oelzellen (a.) aus der Blattscheide von Acorus Calamus. §. 520. S. 316. Fig. 5. a. Oberste Zellenlage (Epidermis) vom Stengel der Brassica olera- cea mit einer Spaltöffnung c. — b. Theil eines Querschnittes durch die Spaltöffnung. S. 313. 316. Fig. 4. Schwammiges Parenchym mit sternförmigen Zellen aus dem Stengel von Juncus effusus. In den sehr erweiterten Intercellulargängen (§. 520) sieht man die sehr zarten netzförmigen Intercellularström- chen. S. 316. 319. Fig. 5. Theil eines Querschnitts durch das Blatt eines Oleanders mit der - Einsenkung (a.), welche die Spaltöffnungen (c.) im Grunde enthält, b. Diachym. S. 303. 313. 317. Fig. 6. Schwammiges Parenchym aus dem Stengel von Scirpus palustris, a. Eigenthümlich geformte Zellen der Wände welche die Lufthöhlen bilden. S. 313. 316. Taf. 17. (300maüge Vergrösserung.) Fig. 1. Protococcus tectorum. Eine Pflanze in der einfachsten Zellenform. S. 323. Fig. 2. Gloeocapsa sanguinea. S. 310. Fig. 3. Gloeocapsa atrata. S. 301. Fig. 4. Zygogonium torulosum. S. 501. 307. Fig. 5. Zygonium hercynicum. S. 307. Fig. 6. Sirogonium notabile. ) Fig. 7. Zygnema cruciatum. | Vergl. S. 298. 299. Fig. 8. Mesocarpus scalaris. ’ Fig. 9. Dickieia ulvacea. a. Natürliche Grösse, b. Kieselzellengewebe. S. 309. Fig. 10. Zellengewebe aus Cystoclonium purpurascens. S. 250. 278. Fig. 11. Zellengewebe aus Gigartina pistillaris. S. 309. Taf. 18. (300malige Vergrösserung.) Fig. 1. Epidermiszellen von Polypodium Filix mas. S. 313. Fig. 2. Theil eines Querschnitts durch den Blattstiel. Man sieht das soge- nannte Gefässbündel, umgeben von weiten Prosencliymzellen; die hervorgehobenen Zellen in der Mitte des Gefässbündels sind „Spi- ralgefässe“. S. 315. Fig. 3. Ein Längenschnitt von demselben Ptlanzentheile. Vergl. S. 315. Fig. 4. Theil eines Querschnitts vom Blattstiel einer Musa. S. 315. Fig. 5. Theil eines Querschnitts vom Stengel einer Balsamine. S. 315. I. Historische Einleitung. §• *• Bei Allem was der Mensch beginnt, sucht er die Aussenwelt mit seiner Innenwelt in Einklang zu bringen. Es ist ihm diese Ar- beit ein angebornes Bedürfnis, und er fängt sie an mit dem ersten Schrei, mit dem ersten Blick in die Welt und endigt sie mit dem letzten Alhemzuge. §• 2. Der Zweck seines ganzen Daseins ist daher Erkenntniss; — Erkenntniss der Aussenwelt, Erkenntniss seiner selbst, Erkenntniss Gottes. §. 3. Er kann aber keine Erkenntniss erlangen ohne vorher Be- trachtungen anzustellen, bei denen er jedoch immer mit der stillschweigenden, gleichsam instinctmässigen Voraussetzung an- hebt, dass seine Innenwelt mit der Aussenwelt einig sei. Da aber der Mensch in der ersten Kindheit noch keine Erfahrung, also auch noch keinen Verstand, sondern nur Empfindung hat, so kann er auch den Zusammenhang der Mannigfaltigkeit in der Einheit nicht wiesen, nur ahnen, daher er seine ersten Betrachtungen rein gefühlsmässig beurtheilt. So kommt es, dass er in der Aussenwelt, ohne Unterschied, auch nur das Ge- fühl sucht, und da, wo er es nicht anziehend findet, abgestossen wird, oder das Object selbst von sich stösst. Es ist klar, dass das Erste und das Letzte, was der Mensch sucht und will — Mitgefühl = Liebe ist. §. 4. Und da er diese in seiner Umgebung nur bei dem Menschen finden kann, weil die Liebe ein Act des freien Willens ist, — die KC'tzino, Philosophische Botanik. I. \ 2 Historische Einleitung. Natur aber, als unfrei und willenlos, weder liebt noch hasst — so ist die Entzweiung mit der Natur die nothwendige Folge seiner ersten Berührungen mit ihr, und das Anschlüssen an den Menschen ihm eine Nöthwendigkeit. Daher kann sich der Mensch zunächst auch nur an dem Menschen heranbilden, weil die Natur, die nicht lieht, bei ihm Furcht erweckt. So Schliesst er sich ah, bis er es endlich wagt, unter dem Schutz des erfahrnen Menschen, oder auch allein, in ihren unermesslichen Räumen zu wandeln, zu betrachten, zu forschen. §. 5. Wie oft er aber auch anfangs bei seiner kindlichen Betrach- tungsweise sich von der Natur abgestossen glaubt, immer führt ihn die dunkele Ahnung seiner Einheit mit ihr zu ihr zurück, und je nachdem er Einsicht in dieselbe gewinnt, beherrscht er sie, oder lässt sich von ihr beherrschen. Die erste Einsicht ist auch die erste Wissenschaft von der Natur, denn sie ist Erfahrung. Die geistige (ideale) Verknüpfung der Erfahrung gewährt jedoch dem 1 Menschen allein Befriedigung. Die letzte und innigste Befriedi- gung aber ist dem Menschen zugleich das Heiligste, weil er sie immer nur in der Verbindung seines Ichs mit dem Höchsten fin- det und zu allen Zeiten gefunden hat. §. 6. Darum ist die Wissenschaft ihrem Ursprünge und ihrer Ten- denz nach religiös und es ist daher nicht gleichgültig, ob man das Höchste in das Bedingte oder in das Unbedingte — Abso- lute — setze. §• 7. Die Geschichte bringt uns schon aus grauer Vorzeit Kunde von zwei verschiedenen Geistesrichlungen, in die die Menschheit gespalten war; ich meine das Heidentum und Judenthum. Beide sind als herrschende Gewalten untergegangen und mahnen in ihren Trümmern ehemaliger Grösse das jüngste Geschlecht an die Irrthümer, denen sie ihren Verfall zu danken haben. §. 8. Während das Heidenthum in seiner höchsten Blüte bei den Griechen sich nur dadurch die ideale Einheit und Befriedigung schuf, dass es die Natur vermenschlichte und die Menschen- natur zu einer Götterwell emporhob, die an Mannigfaltigkeit mit der Natur wetteiferte, wurde zwar die ursprüngliche Entzweiung Griechen Ihutn . Aristotel es . 3 mit ihr in der Idee beseitigt; aber dadurch, dass der Mensch sich überall hinsetzte, wo er nicht hingehörte, und zu finden wähnte, wo er doch nicht war, stand sein Ideal auf trügerischem Boden. Dadurch war die Natur und die Götterwelt der Griechen, wie überhaupt im Heidenlhum, eine Fabehvelt, der nirgends Wahr- heit, sondern Erdichtungen zu Grunde lagen. §• 9- Naturwissenschaft, konnte sonach in dem lebendigen öffent- lichen Treiben, wie es uns durch die Geschichte überliefert wor- den, bei den Griechen nicht erwartet werden, weil dieselbe nur auf Erforschung der Wahrheit — nicht auf Erdichtungen — beruhet. Erst als der Glaube an die alten Götter zu wanken anfing, als die Weisen sich in ihren religiösen Ideen dem Mono- theismus näherten, wurde von ihnen der erste Grund zu einer wissenschaftlichen Naturbetrachlung gelegt. Aber sie konnten den Monotheismus nicht in seiner Reinheit erfassen. Daher war dem Zufall in den Erscheinungen mehr eingeräumt, als dem vernünfti- gen Gesetz. Sie konnten sich in ihren tiefsten Betrachtungen nicht von dem mit der Muttermilch eingesogenen und durch viele Jahrhunderte mit ihrer Geschichte verwachsenen Glauben an das unerbittliche Schicksal, dem selbst die Gottheit unterworfen war, trennen. Mit einem Worte — es fehlte ihnen die Idee der abso- luten Einheit. §. 10. Aber in der Methode der Naturforschung wurde dennoch durch den Stagirilen ein kräftiger Anfang gemacht. Während griechische Weisheit bisher Alles auf rein speculativem Wege zu ergründen wähnte, und sich daher die Natur nach ihrer mensch- lichen Unerfahrenheit — also phantastisch — rein subjectiv — conslruirte, entwand sich Aristoteles diesen zügellosen Phantasien, richtete den Blick nach den wirklichen Erscheinungen, fasste diese in allgemeinere Ideen zusammen und wurde so der Gründer der inductiven Methode. §. 11. Was er mit dieser Grosses ausgerichtet, beweist seine Thier- geschichte. Aber die Induction allein schafft nur Einheiten, keine Einheit. Sie ist darum nicht im Stande zum Absoluten zu führen, sondern kommt für sich immer in den Fall, die Dinge an und für sich als das Absolute anzusehen — also dieselben für unbedingt zu halten. Dieser Widerspruch erklärt, w'arnin 1 * 4 Theophrast. Judenthum . mit ihr der crasseste Aberglaube Hand in Hand ging. Die in- ductive Methode allein konnte nicht verhüten, dass Theophrast, ein Schüler des Aristoteles und nach dessen Tode das Haupt der peripatetischen Schule zu Athen, an das Märchen glaubte, es gebe eine Pllanze, weiche einen in den Baum geschlagenen Keil durch blosse Berührung heraustreibe; der übertriebenen Arznei- kräfte nicht zu gedenken, die man von jeher in den Pflanzen niedergelegt glaubte und deren Wirkung man von der Befolgung gewisser abergläubischer Ceremonien abhängig machte. §. 12. So kann demnach für die Pflanzenkunde von den Griechen, wie überhaupt aus dem Heidenthume, Nichts Erspriessliches zu uns gekommen sein, weil sie dessen selbst baar und bloss waren. §. 13. Dass das Judenthum in dieser Erkenntniss weiter gekommen . sei, ist nicht anzunehmen. Nur soviel ist gewiss, dass ihr reli- giöser Glaube an den einigen Gott auch ihren Blick in die Natur leitete und die Schönheit derselben nicht durch fabelhafte Bilder umschleierte, wie das Griechenthum. Das jüdische Volk war das erste, dem der Begriff1 von Gott als ein rein moralischer, nicht sinnlich erfassbarer, sondern rein geistiger gegeben war. — Dadurch war die ursprüngliche Scheidung des Geistes von dem Sinnlichen ausgesprochen; aber indem das Sinnliche von dem Geistigen bedingt wird, ist es mit ihm unzertrennlich verknüpft. So geht nach diesem Begriff die Sinnenwelt in Gott auf, während im Heidenthum sich die Gottheit in der Sinnenwelt verliert; da- her auch nur hier der Sinnengenuss als das höchste Gut gefeiert werden konnte, während der Monotheismus ihn in seine Schran- ken verweist. §. 14. Es ist klar, dass die unzeitliche und unräumliche Fassung Gottes, als moralische Idee, zunächst auch nur die Bildung des moralischen Menschen im Auge haben musste, weil die Vollen- dung desselben die erste Bedingung für die reine Weltanschauung ist. Aber wie absolut diese auch ursprünglich hingeslelll worden war, so haftete an ihr doch in der Ausführung mancher heidni- sche Anflug, von dem sich das Judenlhum niemals befreien konnte. Ihr Gott wrar nur ein Gott Israels und das „auserwählte Volk“ fürchtete ihn mehr, als es ihn liebte. Die Juden konn- Christenthum. Cuba. 5 len also desshalb noch nicht an eine reine wissenschaftliche Weltanschauung denken, weil sie ihre moralische Bildung — wie die Griechen — nicht vollendet, und diese Vollendung, als sie ihnen geboten wurde, von sich wiesen. §• 18. So kam es, dass das Christenthum, das die Juden ausge- stossen, Weltreligion wurde. Christus war der Erste, der wusste, dass das Erste und Letzte, was der Mensch sucht — Liebe ist, und er zeigte ihm wo er sie findet, in Gott. Jetzt erst konnte der Mensch in Gott seine höchste Befriedigung finden, die er bisher vergebens gesucht hatte. Wie ganz anders die Betrach- tungen über die Natur sein müssen, wenn man von christlichen, statt von aristotelischen Ideen ausgeht, ist leicht zu begreifen. § 16. Die langen und schweren Kämpfe, welche das Christenthum hat bestehen müssen, ehe es nur erst in seinem vollen morali- schen Werthe von den Menschen begriffen werden konnte, haben die wissenschaftliche Naturbetrachlung so zurückgedrängt, dass es eines Zeitraumes von 1500 Jahren bedurfte, ehe in der christ- lichen Welt damit ein Anfang gemacht werden konnte. Die ersten Spuren finden sich da, wo man die Schriften des alten Griechen- thums aus seinen Ruinen hervorsuchte. Man begnügte sich bei der Pflanzenkunde lange Zeit mit der Erklärung der Schriften des Theophrast , Dioskoricles und Plinius. Da erfuhr man denn nun freilich Nichts weiter, als unvollkommene und unverständliche Beschreibungen, viele Fabeln und Einiges über den Nutzen der Pflanzen. §. 17. Als man sich an diesem Wenigen gesättigt hatte, fühlten zuerst die Deutschen, dass man doch auch die Natur betrachten müsse, und so kam man denn am Ende des 15. Jahrhunderts — l also mit dem Untergange der scholastischen Philosophie — zuerst auf den Gedanken, sich auf seine eigenen Fiisse zu stellen. §. 18. Es ist charakteristisch, dass das erste selbständige Werk in der Botanik ein Bilderwerk ist. Wie schlecht auch der erste Versuch, den Cuba'), ein Augsburger Arzt, machte, aus- gefallen war, so war doch die Methode der Darstellung auf diese ß Scholastische Philosophie. Brunfels u. s. w. Weise so vervollkommnet, dass sie bald ihre wohlthätigen Früchte tragen musste. §. 19. Die Menschheit musste einen 400 Jahre langen geistigen Kampf mit der scholastischen Philosophie bestehen, um zu der Einsicht zu kommen, dass der Dogmatismus des Mittelalters, hervorgegangen aus dem nichtverstandenen Christenthum und der heidnischen Philosophie, die man unnatürlicher Weise mit einander verschmelzen wollte, eine der grössten Verirrungen des Menschengeschlechts war, und es zeugt eben von der Gött- lichkeit des Christenthums, dass es aus diesen Schrecknissen siegreich und immer reiner, geläuterter hervorging. §. 20. Das Christenvolk hatte in jener Zeit seinen Glauben an den Himmel verloren und dafür den Aberglauben eingelauscht. Es musste daher der Messias nochmals zum Menschen kommen, um ihm den Glauben wieder zu bringen und den rechten Weg zum ' Himmel zu zeigen. Er kam in der leuchtenden Flamme des heiligen Geistes • — und an ihr entzündete sich das Licht der christlichen Naturwissenschaft. §. 21. Im Jahre 1530 vollendete Copernicus sein Werk: „De orbium coelestium revolutionibus“, — und seitdem die Naturwissenschaft hiermit dem Menschen den Himmel wieder geöffnet, seitdem hat sie Glauben bei ihm gefunden, einen Glauben, mit welchem er Berge versetzt, das Meer beherrscht und die fernsten Weltlheile mit einander verbindet. §. 22. Wenden wir uns nun wieder zur Botanik, so ist merkwür- dig, dass in demselben Jahre als Copernicus sein Werk vollendete, auch das erste botanische Werk mit brauchbaren Abbildungen von Brunfels ') erschien. Es ist rührend, mit welcher Einfalt unsere Väter, von denen ich nur noch die Namen Hieronymus Bock (gewöhnlich Tragus genannt), Cordus , Ruellius, Dorstenius , Gesner, Fuchs, Mussa Brassavola. Mathiolus , Lonicerus, Dodonaeus, Lobei und Clusius nennen will, die Pflanzen behandeln. Man sieht es dem Texte ihrer Werke an, woran alle von ihnen mehr oder weniger Mangel leiden; — es ist der Mangel der Sprache, in welcher sie noch keinen Ausdruck für das fanden, was sie an Gesner. Brassavola. 7 der Pflanze sahen. Darum bei Allen das Bedürfnis sich fühlbar machte, dass sie ihre Werke mit Abbildungen versahen, ein Um- stand, wodurch sie einigen klassischen Werth erhielten, während der Text ebenso unbrauchbar und oft ebenso mit Märchen aus- geschmückt ist, als der ihrer antiken Vorgänger. §. 23. Von der Idee einer systematischen Verknüpfung der Pflan- zenformen war anfänglich ebenso wenig die Rede, als bei den Römern und Griechen. Man führte zum Theil die Pflanzen in alphabetischer Ordnung auf. Aber schon Bock suchte die Arten nach einer gewissen Aehnlichkeit zusammenzuslellen ; er ahnte zuerst den verwandtschaftlichen Zusammenhang der Pflanzen- formen. War dieser erste Versuch auch nur ein roher Anfang zu nennen, so reizte er doch schon den durch vielseitige Studien sich auszeichnenden Gesner, den man desshalb den deutschen Plinius nannte, so, dass er in seiner, durch meisterhafte Abbil- dungen ausgezeichneten, „Stirpium lüstoria“ die Pflanzen in Clas- sen, Gattungen und Arten eintheille, und schon die Nothwendig- keit einsah, die charakteristischen Merkmale der grossem Gruppen in der Blume und Frucht zu suchen, während man bisher bloss nach der äussern allgemeinen Tracht (habitus) oder nach der Aehnlichkeit der Blätter, des Stammes u. s. w. gegangen war. §• 24. Jetzt fing auch die Botanik, die bisher eine blosse Dienerin der Medicin gewesen, an, sich als selbständige Wissenschaft ab- zusondern und für sich auszubilden. Sie glich dem aufsprossen- den Jüngling, der sich im Vaterhause durch Fleiss und Anstren- gung Ersparnisse sammelt, um damit zu seiner Zeit einen eigenen Herd zu gründen. Die Hauptthäligkeit bestand daher im Sam- meln. Man legte Herbarien an und im Jahre 1540 entstand durch Brassavola in Padua der erste botanische Garten, dem bald die von Pisa und Bologna folgten. §• 25. Der ästhetische Genuss, den der Anblick der Pflanze in der mannigfaltigsten Entwickelung der reinsten natürlichen Schön- heit gewährt, wird durch die Conservation der „lieblichen Florens- kinder“ im Herbarium und durch ihre Erziehung und Zusammen- stellung im Garten erhöht. Es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn die meisten sogenannten Botaniker — alter wie neuer 8 Dilettantismus. Cesalpino. Zeit — meist nur den Liebhaber spielten, der sich in dem Umgänge mit der reizenden Schönheit ergötzt, sich aber wol hütet, die Schönheit zu zergliedern, um seine selbstgeschallenen Illusionen — die des Spielenden, Tändelnden und Schwärmenden Himmel sind — nicht zu zerstören. So erklärt es sich, wenn man grösstentheils — und jetzt noch — bloss der oberflächlichen niedern Aesthetik in der Bolahik nachgegangen ist, welche die Menschen verhinderte, die Pflanzen genauer anzusehen und wissen- schaftlich zu erforschen; — so erklärt es sich, wenn immer Hunderte von Dilettanten sich mit der Botanik beschäftigten und nur blutwenig wissenschaftliche Wahrheit zu Tage förderten; — wenn immer nur ungeheure Massen von Material aus allen Gegen- den der Erde zusammengetragen wurden, welche den wissen- schaftlichen Sinn zu ersticken drohten; — endlich, wenn der Botanik — in Folge des modernen Sinnen- und Götzendienstes — das wissenschaftliche Bewusstsein fehlte, das bereits andere natur- wissenschaftliche Disciplinen ergriffen hatte. §. 26. Der Sammler und Dilettant frägt zunächst nur nach dem Namen des Dinges, das ihn interessirt, seinen wissenschaftlichen Zusammenhang zu erfahren ist ihm kein Bedürfniss; darum tragen auch die ersten botanischen Schriften fast nur den Gliarakter von Gatalogen an sich. Die Namen wurden, wo sie vorhanden, aus der Muttersprache genommen und nicht selten nach Willkür mit denen der griechischen und lateinischen Autoren verkuppelt. Man glaubte, dass dieselben Pflanzen, welche in den Schriften des Dioskorides und anderer antiken Schriftsteller genannt waren, stets dieselben sein müssten, welche in Deutschland u. s. w. vorkämen, und trug daher jene Namen auf einheimische Pflanzen über. Man hatte noch keine Ahnung von den klimatischen Einflüssen, weiche die Formen der Pflanzenwelt bedingen. Dass auf diese Weise eine grosse Verwirrung in die jugendliche Botanik kommen musste, lässt sich gar nicht anders erwarten. Das ganze 16. und 17. Jahrhundert tragen die Zeichen dieser Verwirrung an sich. §. 27. Das einzige wissenschaftliche Streben, welches sich in die- sem Zeiträume kund gibt, ist auf die Gründung von Systemen gerichtet, von denen eines das andere verdrängt. Den Anfang macht Cesalpino (158o), Oberaufseher des botanischen Gartens in Pisa und Zeitgenosse von Galilei und Kepler; ihm folgten 9 Bauhin. Bo&rhaave. Tournefort. Linne. Morison, C. und J. Bauhin , Hermann, Knaut (d. ä.), Boerhaave, Buy, Bivin, Knaut (d. Sohn), Ludwig, Tournefort und noch einige Andere. Jeder gründete ein besonderes System, das von dem Nachfolger umgestossen oder verändert wurde. Am meisten Eingang fand das Tournefort’ sehe. Das System, das man schon jetzt als das Ziel der Botanik hinstellte, galt jedoch nur als ein blosses Fachwerk, das dazu diente, auf die leichteste und schnellste Weise die Pflanzenarten kennen zu lernen und dem Gedächtniss einzuprägen, wie sich der al Le Boerhaave ausdrückt. Etwas Weiteres ähnele und suchte man in der Botanik noch nicht. I §• 29. Wie sehr man indessen auch die vielen Versuche zur Er- richtung von Systemen bei den Alten getadelt hat, so ist doch der Vortheil daraus hervorgegangen, dass sie Veranlassung zur Entwickelung der botanischen Sprache wurden. Man ver- fuhr anfangs, wie noch jetzt das gemeine Volk, ziemlich will- kürlich in der Bezeichnung und Beschreibung der einzelnen Pllanzentheile ; aber nach und nach stellten sich doch gewisse Ausdrücke fest und wurden für die Wissenschaft bleibend. Die Versuche, die Pflanzen nach der Beschaffenheit der Blumen oder der Früchte, oder auch nach beiden zu gruppiren, schärften die Unlersuchungsmethoden und den Blick. Die wissenschaftliche Sprache hatte durch die Bemühungen Tournefort’ s nicht weniger, als die systematische Ordnung, gewonnen. Aber die Benennung der Species litt noch an dem grossen Mangel, dass sie aus dem Gattungsnamen mit einer nachfolgenden kürzern oder längern, die Species kurz charakterisirenden Phrase bestand. So liiess z. B. Corrigiola litoralis L. bei J. Bauhin: Poligonifolia s. Lini- folia per terram sparsa, höre scorpioidis. Wie lästig das bei der Bezeichnung der Species war, ist leicht begreiflich. Auch war man noch lange nicht über die Namen der Gattungen einig. §. 30. Da erschien das 18. Jahrhundert, zu dessen Anfang (1707) Linne in Smäland geboren wurde. In seinem 18. Jahre lernte er aus den Werken Tournefort’s zuerst die Idee einer systematischen Anordnung der Gewächse kennen, die sich bei ihm so stark und kräftig entwickelte, dass er als Systematiker einzig und unüber- 10 Linne. Terminologie. troffen dastehl. ;; Filum ariudnewn ßotanices est Systema, sine quo Chaos est Res hevbaria“ : diese Worte, welche seiner 1751 erschienenen ,,Philosophia botanica“ p. 98 entnommen sind, zeigen klar, was er erstrebte. Er reformirte nicht nur die Botanik, sondern überhaupt die Naturgeschichte der Organismen von Grund aus, und gab Gesetze, deren Wirkung so tief ergreifend war, dass sie lange als unantastbare Orakelsprüche gegolten haben und zum Theil noch gelten. § 31. Seine wesentlichen Veränderungen in der Botanik bestehen etwa in Folgendem: 1) Er führte eine scharfe Terminologie ein, und wurde so der Schöpfer der systematisch- botanischen Sprache. 2) Er schuf, statt der vielen Beinamen, womit man bisher die Species bezeichnet und das Gedächtniss überladen hatte, einen Trivialnamen für jede Species. Dadurch wurde es ihm möglich, mittelst 2000 generischen und 1000 specifischen Benen- nungen 30,000 kurze und bestimmte Pflanzennamen herzustellen. 3) War er mit seiner Terminologie und dem logischen Scharf- sinn, womit er seine Anordnungen traf, im Stande, auf kürze- stem Raume und höchst übersichtlich, die besten Diagnosen zu liefern und die Beschreibungen so zu vervollkommnen, dass die Abbildungen bei der Bestimmung der Pflanzen fast überflüssig schienen. §. 32. Es ist in der Thal höchst bezeichnend für den Beginn der Linne’schen Periode, dass die Bilderwerke in der Botanik, ohne die man bisher Nichts glaubte leisten zu können, immer seltener wurden. Man hatte freilich auch den Umstand zum Vortheil, dass man sich bei seinen Darlegungen auf die schon reichlich vorhandenen Abbildungen beziehen konnte. §. 33. Da seine Werke in lateinischer Sprache erschienen, so ist es Gebrauch geworden, dass man seitdem in allen Ländern die Pflanzen mit lateinischen Namen belegt und denselben die latei- nische Diagnose beifügt; was in ähnlicher Weise, ausser der Zoologie, in keinem Theile der Naturwissenschaft geschieht. §. 34. Die Sprache eines jeden Volkes zeigt in dem Besitz des I Linne 6 System. 11 : Artikels, in der Flexion des Adjectivs oder eines andern Wortes, i dass der Mensch überall in der Urzeit, wo er sich seine Sprache schuf und die Dinge benannte, geschlechtliche Differenzen an- ■ nehmen zu müssen glaubte. Die Phantasie sah überall Menschen- formen, hörte überall Menschenstimmen und so kam es, dass man Männchen und Weibchen nicht nur bei Pflanzen, sondern > auch bei leblosen Sachen, sogar in den Weltkörpern voraussetzte. — In der Botanik bildete sich jedoch nach und nach der anfangs unbestimmte Begriff des Pflanzengeschlechts immer schärfer aus, und namentlich seitdem Camerarius , Professor zu Tübingen, in seinen „Epistolae de sexu plantarum “ (1694) durch Versuche an Zea und Mercurialis nachwies, dass die Samen ohne Einwir- i kung der Staubfäden auf das Pistill nicht zur normalen Entwicke- lung kämen. Niemand war daher aufmerksamer auf diese Organe als Linne, welcher sie in einer Weise und in solcher Ausdehnung ; untersuchte, wie Keiner vor ihm. So kam es, dass er in diesen i Organen den Schlüssel zu einem neuen Systeme fand, das er selbst mit dem Namen des Sexualsystems bezeichnete, wie auch die Benennung seiner Classen und Ordnungen bewies, dass Idie wirkliche Existenz des Pflanzengeschlechts von ihm in seiner grössten Ausdehnung angenommen wurde. §• 35. Dieses System erfüllte, wfas man für jene Zeiten (1755) zu- nächst erstrebte, — Ordnung — in hohem Grade, und die Ein- ) fachheit, die es vor allen andern auszeichnete, machte seinen praktischen Gebrauch, beim Bestimmen der Pflanzen und bei der ' Anlegung von Sammlungen, ausserordentlich bequem. Darum erlangte es eine allgemeine Herrschaft in den Zeiten, wo man i namentlich die Kenntniss der Species als das Ziel der Botanik betrachtete, wo man das Wesen der Wissenschaft in der Anle- gung von Herbarien, dem Bestimmen der bekannten und der Entdeckung unbekannter Arten suchte. Bei den Sammlern, P Dilettanten und Speciesmachern hat es diese Autorität noch bis : auf den heutigen Tag behauptet. §• 36. Grosse Männer, mit solchem Riesengeiste wie Linne, wer- den von ihrer Zeit, und selbst oft lange nach ihrem Tode, nie vollständig begriffen. Linne hatte mit seinem Sexualsystem die wissenschaftliche Botanik gar nicht abschliessen wollen, er be- | trachtete es selbst nur als ein provisorisches Auskunftsmiltei, 1 12 Specialfloren. dessen man sich bedienen könne, bis die natürliche Methode, welche er als das Ziel der Wissenschaft mit den Worten: „Primum et ultimum, hoc in Botanicis desideratwn est“ empfahl, an seine Stelle treten könne. Hiernach hätten seine Anhänger und Nach- folger die Verpflichtung gehabt, zur Herstellung jener Methode, welche allein die natürliche Verknüpfung der zahlreichen Pflanzen- fonnen zu einer harmonischen Einheit in Aussicht stellt, alle ihre geistigen Kräfte aufzubieten. Aber die grosse Masse verstand ihn nicht; sie glaubte wirklich, dass nun die Botanik fertig sei, und man brauche Nichts weiter zu Ihun, als die Arten in Linne’s Species plcintarum in der Heimat aufzusuchen, ihnen die Lin- ne’ sehen Namen und Phrasen anzuhängen, höchstens noch ein Citat von Clusius, Bauhin u. s. w. hinzuzufügen und eine neue Species einzureihen, um eine Flora barbiensis oder halensis u. s. w. vom Stapel laufen lassen zu können. §. 37. Es war die Zeit der Specialfloren gekommen, wo die Spe- ciesmacherei auf die Spitze getrieben wurde. Grosse Herbarien wurden angelegt und erst, wenn man Alles so recht hübsch ge- trocknet, vorläufig bestimmt und in die betreffenden Packele eingereihet hatte, dann wurde genauer zugesehen, ob nicht eine neue Varietät, oder gar eine neue Species sich darunter fände. §. 38. So kam es, dass die neuen Species nicht nach der Beobach- tung draussen, sondern nach dem Herbarium, wo alles in Ord- nung war, gemacht wurden. Darum kam mancher Professor in die Verlegenheit, vor der Auslheilung seiner neuen Arten, an seine Schüler oder Freunde, die Exemplare zurecht zu zupfen, hier ein ungehöriges Blatt wegzuputzen , dort einen widerspensti- gen Ast zurecht zu biegen, mit einem Worte: die Natur zu ver- bessern3); darum klagte auch der ehrliche Ehrhardt (Beilr. I, 142): „Wenn es einmal wieder Mode wird, dass man auf freyem Felde botanisirl und die Kräuter nicht bloss aufgetrocknel und hinter dem warmen Ofen betrachtet, sondern wenn sie noch vom Thau des Himmels triefen, — dann, dann wird man noch viele Irr- thümer einsehen lernen, die jetzt einer dem andern nachbelel.“ §. 39. Indessen wuchs die Zahl der seil Linne entdeckten Pllanzen- arlen immer mehr zu einer kaum zu bewältigenden Masse an. Natürliche Methode. 13 Zahlreiche Reisende brachten neues Material aus allen Welttheilen zusammen und die Zahl der Species wurde bald so gross, dass ein Einziger nicht mehr im Stande war, sie zu beherrschen. Wo es ein Einzelner — wie zuletzt Kurt Sprengel — dennoch gewagt hat, da ist das Ergebniss sehr lückenhaft und oberflächlich ge- wesen. . So ist nun die specielle Botanik auf kleinere Kreise entweder der Erdoberfläche — auf Specialfloren — oder der Pflanzengruppen — Monographien verwiesen. §. 40. Unter den Männern der neuern Zeit, mit deren Auftreten der Werth des Sexualsystems und überhaupt der speciellen Bota- nik in gebührender Weise gewürdigt wird, ragt vor Allen hervor der Engländer Robert Brown , welcher im Jahre 1801 den Capitain Flinders nach Neuholland begleitete und von dieser Reise allein fast 4000 neue Pflanzenarten mitbrachte. Dieser merkwürdige Continent der südlichen Halbkugel lieferte dem grossen Reisenden eine Anzahl von Pflanzenformen, welche in dem Sexualsystem nicht vorgesehen waren. Das brachte ihn auf den Entschluss, die Pflanzen, die er in seinem „Prodromus florae novae Hollandiae “ beschrieb, nach der natürlichen Methode zu ordnen. §• 41. Es darf bei dieser Gelegenheit nicht unerwähnt bleiben, dass während der Herrschaft des Sexualsystems die natürliche Methode dennoch vereinzelt gepflegt worden war und ihre stillen Anhän- ger hatte. Schon fünf Jahre nach dem Erscheinen des Sexual- systems machte Rogen, Professor zu Leyden, seine natürliche Methode, welche sich auf die Beschaffenheit der Colyledonen, der Blumen und Früchte gründete, bekannt, und der grosse Haller folgte mit einer ähnlichen zwei Jahre darauf. Linne selbst gab in seiner ,, Philosophia botanica “ (1751), in seinen Fragmenten, sehr wichtige Beiträge dazu. Den eigentlichen Grund zu derselben legte jedoch Bernard de Jussieu. Er war (1758) zum Aufseher des königlichen Gartens zu Trianon ernannt worden, und hier war es, wo er die Pflanzen nach seiner Methode ordnete. Er selbst hat nichts Erhebliches geschrieben, selbst nicht einmal seine Methode bekannt gemacht, aber noch wenige Jahre vor seinem Tode liess sein Neffe, Antoine Laurent de Jussieu, dieselbe in den Memoiren der Pariser Akademie (1774) veröffentlichen. Nach dem l ode seines Oheims bearbeitete sie derselbe weiler, und im Jahre 1789 erschienen seine ,, Genera plantarum secun- 14 Jtissieu's System. dum ordines naturales disposita,“ wovon Voigt auch eine deutsche Ueberselzung (Leipz. 1806) bearbeitete. Diese Anordnung be- stand anfangs aus 14, später 15 Classen, wie folgt: I. Acotyledonen. 1) Acotyledonie. II. Monocotyledonen. 2) Monohypogynie. 3) Monoperigynie, 4) Monoepigynie. III. Dicotyledonen. Monoclinie. a) Apetale Blumen. 5) Epistaminie. 6) Peristaminie. 7) Hypostaminie. b) Monopetale Blumen. ^ 8) Hypocorollie. 9) Pericorollie. 10) Synantherie 11) Corysantherie Epicorollie. c) Polypetale Blumen. 12) Epipetalie. 13) Hypopetalie. 14) Peripetalie. 15) Diclinie. §. 42. Es liegt in der Natur dieser Methode, dass, so lange uns noch nicht alle wesentlichen Erscheinungen des Gewächsreiches in dem harmonischen Zusammenhänge sowol unter sich, als auch mit der ganzen übrigen Natur bekannt sind, an eine Vollendung und Abschliessung derselben nicht gedacht werden kann. Sie bildet daher den wahren Gegensatz zu dem Sexualsystem. Wäh- rend dieses in sich fertig und abgeschlossen, keiner Erweiterung oder Veränderung fähig, gleichsam absolut auflrilt, und mit dem Namen der Glasse auch ihren absoluten Charakter ausspricht, dem sich die Natur fügen muss, sie mag wollen oder nicht; — haben den Gründern der natürlichen Methode ursprünglich keine Clas- sen, keine Namen und keine Charaktere, sondern nur die man- Natürliche Systeme. 15 nigfaltigen Formen in ihrer natürlichen Verkettung und Ver- schlingung vorgeschwebt und man hat die Ketten und Schlingen, ! die man zunächst bemerkt, nur vorläufig mit Namen und Cha- rakteren belegt, um durch die Mannigfaltigkeit sich nicht ver- wirren zu lassen und überhaupt mit der Fixirung des ewig Beweglichen und Veränderlichen, aber doch ähnlich Wieder- kehrenden, einen Anfang zu machen. Darum ist keine Gruppe, kein Name, kein Charakter als etwas absolut Hingestelltes, son- dern nur als etwas relativ Erkanntes anzusehen , das man ändern und verbessern kann. §• 43. Aenderungen sind daher auch viele mit dieser Methode vor- genommen worden, aber nicht alle sind zugleich Verbesserungen gewesen. Der leidige Dilettantismus hat sich auch hieran ver- sucht; und seitdem sich einige berühmte Männer wie R. Brown, De Candolle, Link u. A. für dieselbe erklärt haben, ist es auch unter den kleinen systematischen Botanikern Mode geworden, sich derselben zuzuwenden. Der grösste Fehler, den alle neuern Systematiker begangen haben, besteht darin, dass sie das, was Linne richtiger Weise als „ Methodus naturalis “ bezeichnet hatte, als „Systema naturale“ behandelten, wodurch ursprünglich zwei ganz heterogene Auffassungsweisen, die Linnd absichtlich und weislich auseinandergehalten , verkuppelt wurden. Ehe wir jedoch die vorgenommenen Veränderungen näher besprechen können, müssen wir noch einen Rückblick in vergangene Jahrhunderte thun. §. 44. Die Fortschritte einer einzelnen Disciplin der Naturwissen- schaft sind immer mit abhängig von denen der andern. Ehe daher in der mechanischen Naturlehre die Brillen und Vergrösse- rungsgläser erfunden waren, war das menschliche Auge auf sich beschränkt; durch jene Erfindung aber wurde das Auge in Stand gesetzt, nicht nur die Welten im unermesslichen Raume sich näher zu rücken und zu betrachten, sondern auch die Or- ganismen bis in die kleinsten Räume zu verfolgen. Eine unend- liche, bisher unsichtbare Welt öffnete sich so dem erstaunten Blick, und wie vorher in der sichtbaren, suchte auch hier der Mensch die ihm anfangs als Chaos erscheinende, kleinste Welt in eine harmonische Ordnung und mit der sichtbaren in Ver- bindung zu bringen. 16 Mikroskopische Arbeiten. §• 45. Die ersten mikroskopischen Arbeiten, welche von Werth sind, rühren von Malpichi und Nehemias Grevo her. Jener schrieb ,, Anatome plantarum“, 3 Tlieile, welche 1675 — 1679 in London erschienen; Greta schrieb ,,The anatomy ofplants (1682)". Diese Arbeiten galten lange Zeit als die wichtigsten. Unter den Nach- folgern, welche zunächst grosse Bedeutung erlangten, ragen be- sonders Brisseau- Mirbel und Kurt Sprengel hervor. Beide bear- beiteten wieder die ganze mikroskopische Pllanzenanatomie von Grund aus. Aber es fanden sich grosse Differenzen in ihren Resultaten, welche Veranlassung zu vielen Streitigkeiten wurden. Bald nahmen auch J Bernhardt und Link an diesen Untersuchungen Theil. Da erschien im J. 1806 von der Göttinger Societät der Wissenschaften die Preisfrage, welche neue Untersuchungen über den Bau der Pflanzen verlangte. Es gingen drei Arbeiten ein, wovon die von Treviranus das Accessit erhielt, der Preis aber wurde den Schriften Rudolphi’s und Link’s zuerkannt. Treviranus und Link sind noch bis auf den heutigen Tag in diesen Unter- suchungen thätig gewesen und haben sehr Bedeutendes geleistet. Bald erschien eine neue Preisschrift über die Organisation der Pflanzen von Kieser , weiche (1812) von der Teyler’ sehen Gesell- schaft in Hartem gekrönt worden war, und so mehrte sich das Interesse an diesen Untersuchungen mit jedem Tage und wuchs besonders mit der Verbesserung der Instrumente. Unter den Männern der jüngsten Zeit, welche nicht nur wichtige Beiträge geliefert, sondern diesen Theil der Wissenschaft von Grund aus reformirt haben, stehen oben an: Mohl, Schleiden , Unger , Har- ting, Meyen. §• 46. Die mikroskopischen Untersuchungen bieten besonders darin grosse Schwierigkeiten dar, dass man grossem optischen Täuschun- gen unterworfen ist, als bei der Betrachtung grosser Objecte, die man greifen und fassen und dabei leicht in jede beliebige Stellung bringen kann. Darum konnte es auch nicht fehlen, dass viele Irrthümer in die ersten Darstellungen der Pflanzenanatomie kamen, Irrthümer, deren völlige Beseitigung wol kaum jemals gelingen möchte. Hand in Hand mit diesen anatomischen Unter- suchungen gingen die physiologischen und chemischen, bei welchen sich ausser den schon genannten Anatomen noch Haies, Du Hamei , Priestley, Sennebier, Ingenhouss, Theodor de Saussure, Aubert du Petit Tlxouars, Davy, und unter den Che- Physiologen. n mikern der Neuzeit besonders Pagen, Fremy, Mitscherlich und Midder hervorgelhan haben. §• 47- Da die Anatomie der Thiere der der Pflanzen weit voraus- geeilt war, so kam es, dass man bei den letztem die Organe der erstem auffinden zu müssen glaubte. Man knüpfte jede neue Entdeckung bei den Pflanzen an eine oder die andere bekannte Erscheinung des Thierlebens, und suchte aus diesem jenes zu erklären. Schon Malpichi machte den Anfang. Er hatte die Tracheen bei den Insecten entdeckt und als er die sogenann- ten Spiralgefässe bei den Pflanzen fand, welche einige Aehnlich- keit mit jenen Organen besitzen, so glaubte er auch die Tracheen bei den Pflanzen nachgewiesen zu haben; bald wurden die Blätter für die Lungen erklärt und Ad. Brongniart (Annal. sc. nat, 1850) erkannte in der äussern Zellenschicht der Wasserpflanzen sogar ! Kiemen. Hedwig entwickelte seine Befruchtungstheorie der kryp- togamischen Gewächse, bei denen er männliche und weibliche Geschlechtsorgane annahm, und welche er durch die gründlichsten Untersuchungen unterstützte; man sprach von lymphatischen und Lymphgefässen , ja La Hire, ein älterer Schriftsteller, meinte sogar, dass die Pflanzengefässe auch Klappen hätten, wie die Venen; Dutrochet wollte die Rudimente eines Muskel- und Nerven- systems erkannt haben; man sprach ferner von Irritabilität, Sen- sibilität und vitaler Contractililät. der Zellen, von peristaltischen Bewegungen der Saftgefässe, von einem Circulationssystem und sogar von Pflanzenexcrementen! — Um aber das Maass des Irr- thums voll zu machen, suchte man noch die Meinung zu ver- breiten , als könnten die Pflanzen die chemischen Elemente und unorganisch -chemische Verbindungen hervorbringen (Sprengel, Grundzüge der Wissenschaft!. Pflanzenkunde. Leipzig 1820, p. 296). Zum Glück sind solche phantastische Ansichten von dem Pflanzen1 leben durch die gründlichen Untersuchungen der Neuzeit bald i beseitigt worden. §. 48. Es konnte nicht fehlen, dass man die Resultate der Anato- mie auch auf die Fortbildung des nun sogenannten natürlichen Systems anzuwenden sich bemühete. Man trennte demnach die Hauplgruppen zunächst in Zellen- und Gefässpflanzen , und i letztere (nach der unrichtigen Theorie Desfontaines’ über das Wachsthum des Monocolyledonen- und Dicotyledonenstammes) in I Endogenae und Exogenae. De Candolle und Lindleg haben Kützing, Philosophische Rolanik. |. 2 18 Kryptogamen forscher. besonders zur Verbreitung dieser Ansichten beigetragen. Unter andern Versuchen, die man zur Verbesserung dieses Systems gemacht hat, verdient besonders der von Endlicher , welcher da- bei durch die anatomischen Untersuchungen Unger’s unterstützt wurde, hervorgehoben zu werden. §• 49- Am meisten haben indessen die mikroskopischen Unter- suchungen zur genauem Kenntniss der Kryptogamen (= Zellen- pflanzen) beigetragen. Die ersten wichtigen Untersuchungen dieser merkwürdigen Pflanzengruppe, deren Kenntniss wegen ihrer Kleinheit ohne Mikroskop nicht gefördert werden konnte, verdanken wir Micheli4') und Dillen. Ihre Arbeiten wurden noch von Lime benutzt. Die Untersuchung und Beobachtung der Kryptogamen ist um so wichtiger, als sich das Pflanzenleben bei ihnen in seiner grössten Einfachheit ausspricht und manche Frage nur durch die genauere Bekanntschaft mit ihnen gelöst werden kann. §. 50. Ihr Studium gehört zu dem schwierigem Theile der Botanik, weshalb die Zahl ihrer Bearbeiter geringer ist. Dennoch hat ihre Kenntniss seit Linne so an Umfang und Intensität gewonnen, dass sie mit jenen Zeiten gar nicht mehr verglichen werden kann. Obenan stehen: Hedwig , Weber , Mohr, Hooker , Greville, Bi- schoff, Link, Roth , Agardh, Gaillon, Lamouroux , Leiblein, Borg St. Vincent, Berkeley, Harvey , Nees von Esenbeck, Vau eher, Bonnemaison, Fries, De Candolle, Martins, Bertoloni, Wallroth, Kaulfuss, Kunze, A. Braun, Turner, Acliarius , Flörke, Persoon, Schaeffer , Bidliard, Desmazieres , Klotzsch, Montagne, Decaisne, De Brdbisson, Lenormand, Morgeot, Schic aegrichen , Hornschuch, Lindenberg , Gottsche, Bridel, Bruch, Schimper , R. Brown. Ich selbst habe mich viel mit diesen Pflanzen beschäftigt, hauptsäch- lich aus dem Grunde, weil hier die „Systematik“ mit Anatomie und Physiologie immer Hand in Hand geht, ein Vortheil, den die Kryptogamenkunde vor der Phanerogamenkunde voraus hat. §. 51. Zu beklagen ist, dass einige Zeit die Philosophie des Abso- luten eine Anzahl Männer von der Methode, welche durch ihren glänzenden Erfolg sich bei den grössten Forschern, wie z. B. Newton und Linne, bewährt gefunden, und die selbst nicht ohne Einfluss auf die Kant’sche Philosophie gewesen ist , abwendig Philosophie des Absoluten. Goethe. 19 gemacht halle. Schon Link war derselben (Natur und Philoso- phie, 1811) mit Entschiedenheit entgegengetrelen und halte manche Irrthümer derselben dargelhan; neuerlich ist Schleiden („Schelling’s und Hegels Verhältnis» zur Naturwissenschaft, 1844“) gegen ihre Anwendung in den Naturwissenschaften zu Felde ge- zogen, und zwar mit solcher Gründlichkeit, dass ein weiteres Ein- gehen in dieselbe hier überflüssig wird. Nur so viel will ich hier bemerken, dass auch ich in dieser Philosophie einen Rückschritt für die Naturwissenschaft erblicke. Ueber die neuesten Versuche, die Methode dieser Philosophie bei der Botanik in Anwendung zu bringen, werde ich unten (§. 231 u. f.) sprechen. §• 52. Um so erfreulicher ist es zu sehen, wie jetzt alle tüchtigen Forscher sich der inductiven Methode zugewandt haben und mit derselben täglich neue Erfahrungen zu Tage fördern. §• 53. ich kann diesen gedrängten historischen Abriss nicht schliessen, ohne noch auf eine besondere Richtung im Studium der Organismen, welche durch Goethe angeregt worden ist, aufmerksam zu machen, ln der systematischen Botanik ist es von jeher Sitte gewesen, dass man gewisse Formen, welche sich an der Pflanze bemerk- bar abtrennten und einen gewissen scheinbar abgeschlossenen Entwickelungskreis hatten,' oder auch nur eine gewisse Stellung einnahmen, als besondere Organe betrachtete und mit besondern Namen belegte. Diese Organe unter sich zu isoliren und so scharf wie möglich zu definiren, war besonders das Linne’sche Zeitalter und die niedere systematische Botanik bemüht; Linni selbst hatte in seiner Philosophie, botanica dieses scharfe Aus- einanderhalten der Organe angestrebt, dieselben definirt, und seine Worte galten als Gesetz. Als die Kenntniss der Species als das Ziel der Wissenschaft angesehen wurde, war jenes Zerstückeln des Organismus, jenes Auseinanderhallen seiner Organe, ja die Auf- findung neuer, nollnvendig damit verknüpft, denn es förderte die Theilung der Formen ungemein. Wer nun fremd an die Wissenschaft heranlrat, hatte sich erst durch das Lexicon einer monströs ange- schwollenen Terminologie durchzuarbeiten, welcher zwar eine künst- liche Ordnung, aber keine organische Verknüpfung zu Grunde lag. Diese Ungeheuern Specialien, die nun llieils in der Terminologie, theils in der systematischen Botanik zu überwinden waren, ehe man es nur einigermassen zu einem erquicklichen Standpunkte 2 * 20 Goethe. bringen konnte, schreckten manchen guten Kopf von derselben ah. Auch Goethe ging es so. In einem Gespräche mit Eckermann sagt er: „In die Botanik war ich auf empirischem Wege herein- gekommen. Nun weiss ich noch recht gut, dass mir bei der Bildung der Geschlechter die Lehre zu weitläufig wurde, als dass ich den Muth hatte, sie zu fassen. Das trieb mich an der Sache auf eigenem Wege nachzuspüren und dasjenige zu finden, was allen Pflanzen ohne Unterschied gemein wäre, und so entdeckte ich das Gesetz der Metamorphose“. Das wol nicht, aber etwas Anderes, was er gar nicht wusste, nämlich eine neue Methode der Botanik, welche der bisherigen „specifischen“ den ersten Schlag versetzte, indem er die Enlwickelungsgeschichte der Pflanzenorgane zuerst zur Sprache brachte. ..Werdend betrachte sie nun wie nach und nach sich die Pflanze, Stufenweise geführt, bildet zu Blüte und Frucht.“ §. 54. Dieses „Werdend betrachte sie nun“ ist gewichtiger, als alle Resultate, die er bei seiner Betrachtung fand, denn es änderte die bisherige Methode, welche die Pflanzen und ihre Theile als etwas Fertiges ansah und dadurch das Werdende als etwas Fertiges festhalten wollte. Das fühlte man, wrenn man auch die Wirkung jener Worte und ihre Tragweite noch nicht klar durchschauete. Wäre es nicht Goethe gewesen , man würde gar keine Notiz davon genommen haben; wie auch wirklich manche Systematiker die Goethe’sche Anschauung mit einer vor- nehmen lächelnden Miene eine poetische nannten. Ja, es war auch eine poetische, insofern man darunter die Empfindung der höchsten Schönheit, gepaart mit höchster Wahrheit, versteht. Darum fand auch der grosse Poet, der sich in seinen bessern Productionen immer nur von wahren, nie von überschwenglich krankhaften Empfindungen und von fabelhaften Einbildungen be- herrschen liess, so leicht den richtigen Ausdruck, als er, ohne den terminologischen Wust, in grösster schönster Einfachheit seine „Metamorphose der Pflanzen“ schrieb. §. 55. Prof. Voigt in Jena war einer der ersten, die sich zu Gun- sten dieser Lehre erklärten, und Willdenow sowol , wie Usteri hatten sich vortheilhaft über dieselbe geäusserl, wodurch sich Goethe sehr geschmeichelt fühlte. Sprengel schwärmte für Goethe, wenn er in seinen Vorlesungen der Stunden erwähnte, die er Metamorphosenlehre. Morphologie. 21 mit dem grossen Dichter im botanischen Garten und nn Zwie- gespräch über die Pflanzenmetamorphose verlebt hatte. §• 56. Dennoch aber hat wol erst De Candolle, nicht eigentlich von der Goethe’schen Lehre, sondern von der neuen Methode einigen wirklichen und nicht ganz erfolglosen Gebrauch gemacht, wovon seine „ Thdorie du Ddveloppement“ Zeugniss gibt. Ihre eigentliche Weihe empfing sie jedoch erst durch Robert Brown , als derselbe .zuerst den richtigen Bau der Euphorbien, der Orchideen und der Coniferen mittelst ihrer Anwendung lehrte. Seitdem ha- ben sich die kräftigsten Geister dieser Lehre, welche man mit dem Namen der Morphologie — zum Unterschiede von der frühem geistlosen Terminologie — belegt hat, zugewandt, un- ter denen Schleiden in Jena oben an steht. So hat sich schon jetzt die Morphologie der Pflanzen zu einem schönen harmoni- schen Gebäude zu entwickeln angefangen. Leider aber sieht man hieran wieder, dass alte versteifte und verknöcherte Gewohnheiten auch in der Wissenschaft nur sehr langsam ausgemerzt werden können. Die Anhänger der niedern systematischen Botanik, deren Ziel noch in einer sogenannten „guten Art“ besteht, haben nichts gelernt und nichts vergessen. Erst im vergangenen Jahre haben einige Floren den Beweis davon geliefert. Um so erfreu- licher dagegen ist es, wenn man die Arbeiten Düll’s (Rheini- sche Flora), Rüper’ s (Z. Flora Mecklenburgs. Rostock.) und einiger Andern betrachtet, in denen die systematische Botanik ihre richtige Würdigung gefunden hat. II. Methode. §. 57. Das ganze Streben der Wissenschaft geht nach Einheit. Nun ist aber bisher der (historische) Grund hiervon ein ver- schiedener gewesen, nämlich hier ein idealer, dort ein realer. Wir wollen jenen, um ihn noch näher zu bezeichnen, das Moral- princip, diesen das Naturprincip nennen. Es handelt sich jetzt darum, welches Princip als das oberste, welches als das untergeordnete zu betrachten ist. Es ist diese Untersuchung die wichtigste, weil von ihr die ganze Methode für die Wissenschaft abhängig ist. §. 58. Sie beantwortet zugleich die Frage: beruht der Glaube auf dem Wissen oder das Wissen auf dem Glauben? Da zeigt sich denn sofort, dass die Wissenschaft, so wie sie in die Erschei- nung treten will, den Glauben schon jedesmal voraussetzt, näm- lich den Glauben , dass der veränderlichen objectiven Erscheinung, welche sie untersucht oder untersuchen will, etwas Wahres zu Grunde liege. §. 59. Daher ist der Glaube an die Wahrheit die Grundlage jeder wissenschaftlichen Forschung. Dieser Glaube ist aber durch- aus sittlicher, moralischer Natur, daher auch das Moralprincip als das oberste in der Wissenschaft zu betrachten ist. Soll nun aber die sittliche Gewalt des Glaubens eine durchaus unbedingte sein, so kann derselbe nicht in den, erst durch die Forschung erkannten und bedingten Wahrheiten wurzeln, sondern er muss seinen Ursprung von der unbedingten ewigen Wahrheit herleiten, welche zugleich die Wahrheit der Schönheit, die ewige Liebe ist, Gott — Gott über der Welt — Gott vor der Welt — Gott als Ursache der Welt. Methodologische Grundsätze. 23 §• 60. Und so fussen wir nun auf dem reinen Christenthume , des- sen Glaube, wie wir gesehen haben, ursprünglich kein physikali- scher, sondern ein rein moralischer Begriff ist, der über allen andern Begriffen steht und dem daher auch alle andern unter- geordnet werden müssen. §. 61. Wir mussten diesen Grund erst suchen, weit alles Folgende erst seine Festigkeit dadurch bekommt. Allen grossen Forschern ist derselbe Bedürfnis gewesen, und Keiner hat ohne denselben in der Naturwissenschaft etwas Grosses ausgerichtet0). Aus ihm aber folgt unwiderruflich: 1) Es gibt nur Eine Absolutheit, nicht mehrere. 2) Alle Dinge sind dieser Absolutheit unterworfen, stehen also nur durch Unterordnung, nicht durch Bei-, noch weniger durch Ueberordnung mit derselben in Verbindung. 3) Das Verhältniss der Dinge unter sich ist, eben weil die Dinge bedingt sind, nur ein relatives. 4) Daher kann auch unsere Erkenntniss und unser Wissen von den Dingen nur ein bedingtes sein. 5) Ist das, so muss jede wissenschaftliche Darstellung dem Zweifel unterliegen. 6) Der Zweifel beunruhigt, in ihm ist kein Verharren , darum fordert er eine weitere, tiefergehende Untersuchung und Prü- fung, bis die moralische Gewissheit — das mit meinem Innern im Einklang stehende Wissen — erreicht ist. 7) Diese moralische Gewissheit ist das Ziel, was jedem Men- schen vorschwebt, jedem Menschen erreichbar ist, jedem Men- schen völlige innere Befriedigung gewährt6). 8) In dem Zweifel an unserer Erkenntniss und unserm Wissen ist der Fortschritt der Wissenschaft und der Mensch- heit — die Annäherung zur Vollkommenheit begründet; in dem Zweifel an Gott aber ruht der Fluch des Stillstands, der Unwahrheit, des Untergangs der Völker. So hätten wir die Grundlinien gezeichnet, welche der weitern Entwickelung der Methode als leitende Principien dienen sollen. §.62. Die Naturwissenschaft geht auf Erkenntniss der Natur aus, diese Erkenntniss gründet sich auf die unmittelbare An- schauung der wirklichen Erscheinungen. Es kann daher diese 24 Methode Erkenntniss nicht aus Büchern gewonnen werden, denn die Bücher können 1) nur den Weg angeben, welchen der Erkenntniss Suchende gehen soll; 2) Beispiele angeben, wie von Andern diese Erkenntnisse gewonnen wurden; 3) die gewonnenen Er- kenntnisse als Erfahrungen Anderer mittheilen. §• 03. Um jedoch nicht allen Umwegen und Irrthümern wieder aus- gesetzt zu sein, die die Wissenschaft erfahren und durch er- leuchtete Männer in derselben schon beseitigt sind, hat der Lernende sich zunächst mit dem Standpunkte der Wissenschaft bekannt zu machen und sich dazu der mündlichen oder schrift- lichen Belehrung zu bedienen. Die mündliche führt, wenn sie mit zweckmässiger unmittelbarer Demonstration verknüpft ist, schneller zum Ziele, die schriftliche langsamer, aber sie ist bei nöthiger Ausdauer gründlicher, weil man, nach Bedürfniss, länger bei dem Gegenstände verweilen kann und dieselbe in der Regel auch eine grössere Anstrengung veranlasst. Bei der Belehrung ist die Benutzung von Sammlungen und Abbildungen unerlässlich, sie sind aber auch bei weiterer Forschung unentbehrlich. §. 64. Nicht minder ist es nöthig, dass sich der Lernende die hin- reichende Geschicklichkeit im Präpariren und Experimentiren an- eigne. Ich muss gleich von vornherein erklären, dass es nur Eine Naturwissenschaft gibt, und dass, wenn man dennoch eine Trennung derselben in die verschiedenen Disciplinen vorgenom- men hat, dies nur darum geschehen ist, um so die Massen von Einzeinheiten , deren Darlegung und vollständige Bewältigung jeder gründlichen Erkenntniss eines Ganzen vorangehen muss, leichter, schneller und sicherer zu überwinden. Aber es greift die eine Disciplin in die andere über und nur der wird von irgend einem Gegenstände sich gründlich unterrichten können, welchem sein allgemein wissenschaftlicher Standpunkt gestattet, ihn von allen nur möglichen Seiten zu betrachten 7). §. 65. Ich habe oben gesagt, dass die ganze Naturwissenschaft auf der Anschauung beruhe. Es leuchtet ein, dass hier nur von einer zunächst physischen (= wirklichen) Anschauung des Ob- jects mittelst des physischen Auges die Rede sein kann und dass dieses Auge dann auch nur das Physische an dem Object , d. i. 25 für den Lernenden. seine wirkliche Erscheinung, also nicht seine Idee, sein Wesen, erblicken kann. Aber das physische Auge trägt die Erscheinung über auf das psychische Auge, durch welches dieselbe dem Geiste zum Bewusstsein kommt. Dieses erste Wissen von dem Object ist noch ein isolirtes und wird als Wahrnehmung bezeichnet, ein schönes, passendes Wort, denn das geistige Auge nimmt das für wahr hin, was ihm das leibliche bringt. §. 66. Aber die blosse vereinzelte Wahrnehmung befriedigt nicht', sie ist an sich für den Geist werlhlos; denn nur im Verknüpfen der Wahrnehmungen, also im Schaffen besteht sein eigentliches Wesen. So werden nun die Wahrnehmungen zu Erfahrungen und nur diese sind mittheilbar, während jene unmittelbar erwor- ben werden müssen. Wir müssen diesen Unterschied nothwendig festhallen, weil aus ihm nur der Werth einer erworbenen Er- kenntnis beurtheilt werden kann. Wahrnehmungserkenntnisse sind reinere Erkenntnisse als (mittelbare) Erfahrungserkenntnisse, weil sie durch unmittelbare Anschauung erworben werden, also nicht erst ein Mittel vorhanden ist, wodurch die Erscheinung ge- schwächt oder verändert wird. Das letztere ist bei mittelbaren Erfahrungserkenntnissen immer der Fall. Aber die letztem haben den Vortheil für sich, dass sie schon geordnet und verbunden sind, wodurch sie vom Geiste leichter aufgenommen werden können. Darum sind sie dem Lernenden zu empfehlen, weil er durch sie allein in den schnellen Besitz der historischen Wissen- schaft kommen kann. §. 67. Die Wissenschaft ist das vom Geiste geschaffene Wissen. Es leuchtet ein, dass, wer nicht ein blosser Lehrling bleiben, wer sich von der Wahrheit des durch die Wissenschaft Erfahrenen überzeugen , wer selbst an dem weitern Fortbau der Wissenschaff thätig sein will, seine Erkenntniss aus unmittelbaren Anschauun- gen schöpfen muss. Sie sind die einzigen Quellen des Natur- forschers, nicht die Bücher, und es liegt ein grosser Vortheil für ihn darin, dass diese Quellen überall für ihn vorhanden, und rein und wahr sind. §. 68. Dreierlei ist es, was wir an der Natur bemerken: I) Gestalt; an dieser sind zur nähern Bestimmung die 26 Hilfswissenschaften. Form - und Grössenverhällnisse in Betracht zu ziehen , welche ihre genauere Begründung durch die Anwendung der reinen Formen- und Grössenlehre = Mathematik finden. 2) Bewegung; sie wird erläutert durch die reine Bewegungs- lehre (Mechanik, Dynamik). 5) Stoff; seine Verschiedenheiten werden erkannt mit llilfe der Chemie8). §. 69. Wir sehen hieraus, dass die Darstellung der Naturwissenschaft die wissenschaftliche Bewältigung der Form und Grösse, der Bewegung und des Stoffes voraussetzt. Aber unsere Kennl- niss vom Stoff ist> vermöge des unvollkommenen Zustandes der organischen Chemie, nur eine mangelhafte, und dasselbe ist auch der Fall mit der Dynamik, welche nicht eher den Namen einer vollständigen Wissenschaft verdient, bis man sich des Ur- sprungs und Zusammenhangs aller noch in der Physik gellenden verschiedenen Grundkräfte und ihrer Wirkungen aus einer einzi- gen Urkraft klar bewusst ist, §. 70. Anders ist es mit der reinen (psychischen) Anschauungs- und Bewegungslehre, welche von den sinnlichen Erscheinungen ganz unabhängig ist. liier können daher Gesetze gefunden und mittelst derselben Eigenschaften und Verhältnisse von Thal- sachen (doch auch nur bis zu einer gewissen Grenze) construirt werden; in der physischen Welt dagegen finden wir statt der Gesetze nur Regeln. Eine Regel schliesst die Ausnahme ein, das Gesetz nie. Mittelst dieser Begeln sind wir nun im Stande, unsere durch unmittelbare Anschauung gewonnenen Erfahrungen in eine wissenschaftliche Verbindung zu bringen. Es leuchtet ein, dass es hiernach keine reine Naturwissenschaft geben kann; auch sind alle Versuche, dieselbe auf rein idealem Wege zu begründen, nutzlos gewesen. §. 71. Wir kommen nun zur nähern Bezeichnung der Botanik. Der Mensch hat schon frühzeitig als Beslandlheile unsers Erdkörpers lebendige und leblose, oder mit andern Worten: organische und unorganische Körper unterschieden, ferner die organischen in Pflanzen und Thiere. So entstanden die sogenannten drei Natur- reiche: das Thierreich, Pflanzenreich und Mineralreich, welches letztere die unorganischen Körper enthielt. Linnes Charakteristik der Naturkörper. 27 §. 72. Linne charakterisirte die Nalurkörper nun folgen dermassen: minerälia crescunt; vegetabilia crescunt et vivunt; animalia crescunt , vivunt et sentiimt. Aber Linne verstand unter den Mineralien bloss „lapides“ also nur die starren unorganischen Körper unserer Erde, nicht zugleich die flüssigen, wie z. B. Luft und Wasser, die auch unorganische Körper sind, wie die Steine. Da ist es aber mit dem „Wachsen“ der unorganischen Stoffe eine missliche Sache, wenn es auf die Luft und das Wasser Anwen- dung finden soll. Auch dürfen wir bei solchen allgemeinen Be- stimmungen, selbst wenn wir bei den starren Anorganismen stehen bleiben wollten, uns nicht an einzelne hervorragende Erscheinun- gen halten, sondern müssen alle mit zu Balhe ziehen. Da kommt aber ein eigentliches Wachsen, d. i. ein normales Vergrössern eines Einzelwesens, nur beim Ivrystall vor. Alles Uebrige, Form- lose, Zusammengeflossene, Nichlindividualisirle, wenn auch starr, müsste daher von dem Begriff des unorganischen Körpers oder wenigstens des Minerals ausgeschlossen sein, was aber noch Niemand gethan hat. Denn die formlosen9) Körper sind ja auch Körper und man müsste für sie ein besonderes Reich gründen, wenn man sie nicht unbeachtet lassen will. §. 73. Das Wachsen kann also nicht der allgemeine Charakter der Anorganismen sein, weil es nur da stattfmdet, wo vorher die Individualisirung eingetreten ist. Da jedoch diese bei der Pflanze und noch mehr beim Thiere sich immer entschiedener heraus- stellt, so gehört diese Erscheinung allerdings mit zu den wesent- lichen dieser Körper. §• n. Die Pflanzen und Thiere leben. Das was wir Leben nen- nen, hat gewöhnlich eine sehr verschiedene Bedeutung; hier im Lmne’schen Sinne heisst es das Körperleben im engern Sinne, oder das organische Leben. Dieses organische Leben besteht aber ebensowol in der Bildung und Umbildung des Stoffs als der Form, und da zeigt sich in Bezug auf den ersten, dass derselbe in einer geringen Anzahl chemischer Elemente be- steht, während zur Bildung der Anorganismen alle Elemente beitragen. Was nun die Form der Organismen betrifft, so ergibt sich, dass sich dieselbe auf einer gewissen Stufe nie offen bildet, wie der Krystall, sondern immer innerhalb einer Hülle, und dass die Form, wenn sie zu Tage treten soll, nur durch den Act der 28 Kritik des Begriffs Enthüllung, den wir auch Entwickelungsprocess nennen, slatl- findet, Dieser Process ist die Geschichte des Organismus; und da er vom Anfang bis zum Ende verfolgt sein will, wenn er verstanden werden soll, so sind dazu eine vollständige Reihe von Wahrnehmungen nöthig. Diese Wahrnehmungsweisen werden unter dem Ausdruck Beobachtung verstanden, und es geht aus der Natur der Organismen selbst hervor, dass sie nur durch die Beobachtung richtig erkannt werden können, §• 75. Die Thiere empfinden. Die Empfindung ist eine rein sub- jective Erscheinung, die wir an andern Dingen ausser uns gar nicht unmittelbar beobachten können , sondern wir schliessen nur aus Analogie , dass dieser oder jener Körper Empfindung haben müsse. So schliessen wir z. B. auf die Empfindung eines Thieres, wenn dasselbe in Folge eines angewandten Reiz- mittels gewisse Bewegungen macht. Man kann allerdings sagen, dass alle wahren Thiere die Empfindung des Hungers haben müssen, weil sie darauf angewiesen sind, sich die Nahrung zu suchen, also einen Act ihres eignen Willens vollziehen. Aber es gibt ja auch Empfindungen, welche willenlose Bewegungen bei den Thieren veranlassen und darum nicht weniger thierische sind. Es hält schwer, ja es ist unmöglich, hierbei ins Klare zu kom- men. Denn wollte man aus jeder ungewöhnlichen Bewegung, welche ein organischer Körper in Folge eines Reizmittels ausübl, auf Empfindung schliessen, so müsste man diese dann auch den Pflanzen zusprechen, die sich nach dem. Lichte hinbewegen; man müsste sie insbesondere den Mimosen beilegen, die bei der Berührung die Blätter Zusammenlegen. Sie könnte dann viel- leicht als ein Eigenthum der ganzen organischen Welt beansprucht werden und zwar um so mehr, als dieselbe von der niedersten Pflanze bis zum Menschen gegen die Temperatur empfindlich ist. Dass diese Empfindlichkeit bei uns wahres Gefühl ist, wissen wir, aber wir wissen es keineswegs, ob dieselbe bei einer Hydra oder Musa mit der unsrigen oder mit der des Thermometers zu vergleichen ist. Darum können auch Charaktere, wie der eben erörterte, nicht unbedingt zu Begriffsbestimmungen in der Natur- wissenschaft dienen. §. 76. Auch die willkürliche Bewegung kann nicht zur Bestimmung des Thieres dienen, weil auch diese nicht an allen Thieren beobachtet werden kann, so wenig, wie die Empfindung. 29 der Pflanzen und Tliiere. ,77. Man hat ferner die Anwesenheit eines Verdaunngsorgans — Magen — als Bedingung des Thierlebens festgestellt, und in den allermeisten Fällen kann das genannte Organ auch als ein sicheres Kriterium dienen, aber nicht in allen, nämlich bei sehr kleinen Thieren, wo man selbst durch die sogenannte Fütterung mittelst der Farbesloffe 10) nicht weiss, ob dieselben verschluckt, oder durch mechanische Anziehung in irgend eine Höhlung des fragli- chen Organismus gekommen sind. §. 78. Man hat endlich die chemische Zusammensetzung bei der Unterscheidung der Tliiere und Pflanzen zu Rathe gezogen und glaubte gefunden zu haben, dass die Pflanzen aus C, II und 0, die Tliiere dagegen aus C, IT, 0 und N bestünden. Abgesehen von den anorganischen Bestandtheilen , die sich bei den Orga- nismen oft als nothwendiger Bestandlheil vorlinden, ergibt sich allerdings, dass die Hauptmasse des Pflanzenkörpers aus stick- stofffreier Substanz gebildet ist, während bei der des Thier- körpers die stickstoffhaltige Substanz vorwiegt; aber es gibt viel- leicht keine einzige Pflanze, welche ganz ohne einen stickstoff- haltigen, und kein Thier, welches ohne einen stickstofffreien Be- standtheil wäre. Sonach stellt sich auch hierbei heraus, dass dieser Unterschied in keinem entschiedenen Gegensätze , sondern nur in einem Mehr oder Weniger besteht. §. 79. Das könnte uns aber zu der Frage berechtigen, ob denn überhaupt ein Unterschied zwischen Thier und Pflanze in der Natur vorhanden, oder ob er nur eingebildet sei? Wir kön- nen allerdings den Unterschied nicht eher als wirklich vor- handen ansehen, bis derselbe auch richtig begründet ist. Es ist dies eine unabweisliche Forderung der inductiven Methode, der einzigen, welche uns bei der Naturforschung Sicherheit gewährt, der einzigen, welche uns gegen eingebildete Kenntniss schützt. Aber daraus, dass irgend Etwas noch nicht I wissenschaftlich begründet werden kann, folgt noch nicht, dass eine Begründung überhaupt nicht möglich wäre. Der Mensch hat auch hier, wie überall, anfangs den Unterschied bloss her- ausgefühlt, ohne dass ihm dabei ein klares Bewusstsein zur Seite gestanden hat. Aber dieses Gefühl, das seinen Grund in dem unmittelbaren sinnlichen Eindruck hat, wird gestärkt und 30 Die Totalanschauung verfeinert durch Wiederholung, durch Uebung. Wir werden auch von ihm geleitet, ohne dass wir es merken, weil es durch den unmittelbaren Rapport mit der Sache geweckt wird. Dieses Ge- fühl ist daher nichts Eingebildetes, sondern etwas Wirkliches und es kommt namentlich beim ächten Naturforscher am höchsten entwickelt vor. Es ist dasselbe, was man in der systematischen Pllanzenkunde den „botanischen Blick“ nennt. Nach diesem, durch den unmittelbaren Eindruck geweckten Gefühle hat Jussieu sein System gegründet, hat Linne seine Gattungen gemacht, nach denen er erst den Charakter entwarf, wenn sie schon von ihm bestimmt waren. Darum sagt er auch: „scias characterem non constitnere genus , sed genus characterem “ . §• 8Ö- Und woher kommt es, dass dieses reine Gefühl so sicher leitet? — Es ist der Totaleindruck, den man von dem Object beim ersten Anblick erhält, in welchem noch Ehvas enthalten ist, was die Analyse nie vollständig herausbringt — die Idee, das Wesen des Dinges, das ich sofort als etwas in mir Vorhande- nes, aber noch nicht Gewusstes ahne, mit Gewissheit ahne, also glaube, ehe ich es begriffen habe. Und diese Ahnung, die immer durch jede wiederholte Betrachtung von neuem auftaucht und verstärkt wird, leitet mich immer wieder auf die Idee zurück. §. 81. Wenn es uns vergönnt wäre, den Totaleindruck — die Idee — aussprechen zu können, so "würden wir allerdings bald die vollendete Wissenschaft haben, vollendet und gut, wie die Dinge, aus der Hand Gottes hervorgegangen. Aber wir stehen da, versenken unsern Blick in die Schönheit, in die Vollkommen- heit der Natur, erkennen in ihr die Güte des Schöpfers, werden durch das unmittelbare Ergriffenwerden der Idee begeistert; aber sie wirkt in ihrer Fülle so gewaltig auf uns, dass sie uns wieder erdrückt, wir finden keine Worte, keine Sprache für sie, — wir erkennen vielmehr, dass sie unaussprechlich ist. Das ist aber das tiefste (religiöse) Gefühl, was der Mensch haben kann, weil keins, als dieses, seine Schwäche, seine Ohnmacht, seine Ab- hängigkeit von Gott so sehr bezeugt, als die Unaussprechlichkeit der Natur in der Totalität. §. 82. Darum bleibt ihm nichts weiter ührig , als die Dinge zu und ihre Grenzen. 31 zergliedern und sich von der unendlichen Fülle und Grösse in das Kleine, Einzelne, Beschränkte, seinem Vermögen Angemes- sene zu begeben, weil er nur dies umfassen und begreifen kann. Darum ist auch sein Wissen zerstiickt, beschränkt, wie unendlich auch seine Ideen sind, mittelst denen er fähig wird, seinen Gott zu glauben. §. 83. Die Welt ist für den Menschen unendliche Vielheit und er kann sie nur begreifen, wenn er sie in endliche Einheiten fasst. Er kann aber die grössten Welteinbeilen nur überschauen , wenn sie in gewisser Ferne, also verkleinert, vor ihm sind, wie die Sterne, und die kleinsten, wenn er sie seinem feinsten und schärfsten Tastsinne — dem Auge — in die gehörige Nähe bringen kann, also vergrössert, wie die Moleküle. Sein Begreifen mittelst der Sinne ist daher von der Grösse der Dinge abhängig, die seiner eigenen Grösse angemessen sein muss, und er beherrscht als- dann dieselben um so mehr, je mehr Mittel er entdeckt, jenes beschränkte Verhältniss, welches seine eigene, nackte physische Natur darbielet, zu erweitern und sich von ihr möglichst unab- hängig zu machen. Beim Begreifen des Gegenstandes sucht er zunächst eine Schranke, die denselben von dem nächslliegenden Gegenstände trennt, weil er ohne diese Schranke denselben nicht fassen kann. Jetzt hat er den ersten beschränkten Begriff des Dinges. Dieser genügt aber nicht, weil er ein einzelner und oberflächlicher ist und desshalb keinen wissenschaftlichen Werth hat. Bei einer genauen zweiten Betrachtung findet er, dass derselbe Gegenstand nicht mehr der gleiche ist, und eben so ist es bei der 3ten, 4ten bis nten Betrachtung. Er findet also bei näherer Vergleichung, dass er es mit einem veränderlichen Gegenstände — einem Differentiale — zu thun hat, und dass er bei vereinzelten Betrachtungen auch nur vereinzelte Zustände desselben finden könne. Dadurch stellt sich nothwendig heraus, dass ein veränderlicher Gegenstand nur richtig erkannt und be- urtheilt werden kann, wenn man ihn von seinem Anfang bis zu seinem Ende beobachtet, d. h. seine Bildungsgeschichte studirt ; so nur bekommt er ihn als Ganzes — als Integral. §. 84. Wenn der Anfang des Gegenstandes zugänglich wäre, so müsste auch sein Unterschied erkannt werden. Weil das aber nicht ist, so bleibt derselbe problematisch. Es kann 32 Auswahl der Pßanzen und daher liier nur von dem bemerkbaren Anfänge die Rede sein. Er ist in der Wirklichkeit da, wo der wahrnehmbare relative Unterschied anhebt. §• 85. Der Anfangsgrund liegt für uns um so tiefer verborgen, je umlassender der Begriff ist, den wir suchen wollen, er liegt um so offener, oberflächlicher da, je specieller er ist. Daher sind auch solche, bloss die Kenntniss der Species betreffende Studien nur oberflächliche, die an und für sich auch nur einen niedern ästhetischen Werth haben. §. 86. Und so kommt es, dass gerade die Feststellung des relativen Unterschiedes zwischen Pflanze und Thier eine der schwierigsten Aufgaben der Naturwissenschaft ist. Wir lassen sie daher auch jetzt auf sich beruhen, weil wir noch öfters darauf zurückkom- men müssen. Vor der Hand aber setze ich voraus, dass der Leser den Anblick von verschiedenen Pflanzen und verschiedenen Thieren gehabt habe und also wisse, was man im Allgemeinen darunter verstehe. Mehr bedarf es zunächst nicht, denn der möglichst deutliche und klare Begriff der Pflanze soll ja erst durch das ganze Buch dargestellt werden, wesshalb ich daher auf den Abschluss desselben vertrösten muss. Es genügt, dass der Ver- fasser sich seines Gegenstandes möglichst klar bewusst ist. §. 87. Der Gegenstand des botanischen Studiums ist die Pflanze in ihrem ganzen Umfange. Also nicht diese und jene, son- dern alle möglichen Pflanzen, aus allen Zonen und Regionen unsers Erdballs, aus dem Wasser, der Erde und der Luft. Es leuchtet ein, dass die Erforschung aller eine Unmöglichkeit ist. Daher ist es nöthig beim Studium eine Auswahl zu treffen. Man geht dabei so zu Werke, dass man von den verschiedenen Formen- gruppen gewisse Repräsentanten derselben zur genauem Unter- suchung und Beobachtung wählt. Da man aber hierbei, in Folge des jetzigen Standpunktes der Wissenschaft, auf gut Glück wählt, so kommt es, dass man nicht immer das Beste von vornherein trifft. Demnach muss auf diese Weise die Erkenntniss eine lücken- hafte bleiben. Sie würde selbst bei dem gründlichsten Studium keine Einsicht von der Verknüpfung specieller Formen geben; desshalb ist es nothwendig, dass jeder Botaniker vom Fach auch auf diesem Felde sich Erfahrungen gesammelt habe. Diese können deren Aufbewahrung. 33 aber nur dann von Belang sein, wenn sie sich weder auf einen zu engen Formenkreis noch auf eine Gegend beschränken, die keine oder nur unbedeutende klimatische Abwechselung darbielet. i| Namentlich aber darf weder das Studium der niedern, noch das der höhern Gewächsformen isolirt dastehen , sondern beide müs- sen miteinander verknüpft werden. §• 88. Dennoch können hierüber nur Winke, keine Vorschriften ge- geben werden, weil das Studium der speciellen Botanik sehr von äussern Umständen abhängt, so dass jeder Botaniker von Pro- fession neben seinen starken Seiten immer seine schwachen be- sitzt. Es hat eben Jeder von ihnen seine „Linde“ oder seinen „Apfelbaum“ vor der Thür11). §. 89. Um nun diesem Uebelstande einigermassen abzuhelfen, wer- den Sammlungen von getrockneten (Herbarien) oder lebenden Pflanzen (botanische Gärten) angelegt. Wie sehr man auch den Werth der Sammlungen von den verschiedenen Seiten verkennt, so sind sie doch für den Botaniker unentbehrlich. Sie unter- stützen das Studium auf eine sehr fruchtbare Weise und können durch kein anderes Mittel ersetzt werden. Den Totalanblick von 1 wissenschaftlich geordneten Gruppen kann man nur durch Samm- lungen gewinnen. Aber ich muss dabei aufmerksam machen, dass die meisten Anfänger, durch das niedere oder oberflächliche ästhetische Gefühl verführt, oft die natürliche Lage der Theile beim Trocknen verzerren und verbiegen, auch die Presse so ge- waltig wirken lassen, dass man nach dem Trocknen die Pflanze nur selten noch zur Untersuchung gebrauchen kann. §• 90. Solche Theile, wie viele Früchte, welche durch die Presse verdorben werden, muss man freiliegend trocknen und in Glä- sern, Kästchen oder Schachteln aufbewahren. Saftige und zarte Gegenstände, welche durchs Trocknen unkenntlich werden, be- wahrt man am besten in schwachem Weingeist von 50 — 62% auf. Man kann solche selbst zu mikroskopischen Untersuchungen be- • nutzen. Manche schleimige weiche Pflanzen, z. B. Algen und Pilze, kann man ausser in Weingeist auch auf Papier oder Glim- mer (ungepresst) auftrocknen lassen 12 ). Kützinq , Philosophische Botanik. I, 5 34 Pflanzenzucht im Zimmer. Anforderungen §.91. Zarte fädige Formen, welche im Wasser gewachsen sind, breitet man in einer flachen Schüssel auf Papier unter Wasser aus, zieht dieselben mit dem Papier vorsichtig heraus, lässt sie von dem grössten Theile des Wassers abtrocknen, belegt sie mit einem mit Stearin getränkten feinen Papier (damit sie nicht auf der obcrn Seite ankleben), bringt sie dann zwischen Fliesspapier unter eine Presse und wechselt das letztere, bis sie trocken sind. Flechten und die dauerhaftem Pilze werden am besten in Käst- chen — wie die Mineralien — aufbewahrl. Ebenso Hölzer zu mi- kroskopischen u. a. Untersuchungen. Aber man darf nie ver- gessen, dass eine Sammlung nur zum Nolhbehelf dient. Zur genauem Untersuchung muss durchaus die lebende Pflanze gewählt werden und da ist ein Garten, wenn auch noch so klein, von grossem Werth. §• 92. Viele Gegenstände kann man sich auch im Zimmer ziehen. Ich habe schon seit vielen Jahren neben verschiedenen Farrn- kräutern und Moosen in Töpfen -unter Glasglocken auch Algen in Wassergläsern gezogen. Besonders eignen sich dazu grosse Medicingläser, in welche man die Algen mit gewöhnlichem Was- ser aus dem Fluss oder dem Brunnen bringt. Diese Gläser werden durch einen Papierdeckel vor Staub geschützt, und sie gewähren vor andern Gläsern mit weiter Oeftnung den Vortheil, dass das Wasser nur sehr unbedeutend verdunstet. Ein solches Glas habe ich nun mit seinem Inhalt bereits seit 12 Jahren ste- hen, ohne eine andere Mühe davon gehabt zu haben als viel- leicht ein- bis zweimal des Jahres das verdunstete Wasser durch frisches zu ersetzen. §. 93. Da ein Einziger nie das ganze Material, selbst wenn er dar- über nach Willkür verfügen könnte, zu bearbeiten fähig ist, so muss er' schon die Arbeiten Anderer benutzen. Aus den Erfah- rungen sämmllicher urteilsfähiger Forscher kann erst die Wissen- schaft aufgebaut werden. §. 94. Als unfähige Forscher müssen diejenigen betrachtet werden: 1) Welche sich wegen allgemeiner Geistesschwäche nicht auf den Standpunkt der höhern Wissenschaft emporschwingen können. Solche finden meist nur Gefallen an der äussern cd i den Botaniker. 35 Form, den bunten Farben, begnügen sich mit dem Namen des Dinges, merken sich höchstens einige Synonyme dazu, streiten sich über Arten und Varietäten, jagen gern Selten- heiten nach, wissen von einzelnen Sachen artige Anekdötchen zu erzählen, haben oft sehr schöne Sammlungen, machen bei ihren Bekanntmachungen gern lange historische Einleitungen , und sind nie zu belehren. 2) Welche nicht wahr und redlich sind. Als warnendes Beispiel für unsere Jugend führe ich den verunglückten Corda an, von dem selbst seine intimsten Freunde sagten, dass ihn seine reiche Phantasie von dem richtigen Wege abgebracht hätte; — mit einem Worte: er war unwahr. Er hat viele Arbeiten hinterlassen, von denen man keine ohne Misstrauen betrachten kann. Sie sind daher für die Wissenschaft verloren. 5) Welche keine gesunden Augen haben. Ein gesundes scharfes Auge ist erstes, nothwendigsies Bedürfniss für jeden Naturforscher. Wer aber daran Mangel leidet, möge sich hüten, mehr leisten zu wollen, als sein eigenes Bedürfniss verlangt. Es gibt Personen, welche die eine oder die andere Grundfarbe mit ihrem physischen Auge nicht erkennen. Wer daher kein Blau sieht, sieht auch kein Grün, kein Violet und keine von den Far- bennuancen, wo die genannten Farben Vorkommen. Ist derselbe ehrlich genug und gesteht diesen Mangel, wie F. A. Römer in der Vorrede zu seinen „Algen Deutschlands“, ein, so kann man sich danach richten und vor den Urtheilen solcher Schriftsteller über Farben sich dadurch sicher stellen, dass man keinen Werth darauf legt13); ist aber das nicht der Fall, so kann durch solche Personen viel Unwahres in die Wissenschaft kommen. In andern Fällen liegt der Mangel in natürlicher Schwäche oder Trägheit des Auges, wegen Mangel an Uebung. Letzteres ist namentlich bei mi- kroskopischen Untersuchungen der Fall. Slaubtheilchen, Luftblasen und andere Zufälligkeiten werden von Ungeübten oft für interes- sante und wichtige Sachen genommen, während der Geübte gar nicht von ihnen incommodirt wird. Das Schlimmste aber ist, dass solche Personen über scharfe und gewissenhafte Beobach- tungen Anderer gewöhnlich misstrauisch und absprechend urlhei- len, die sie gar nicht zu machen im Stande sind, und dadurch den grossen Haufen an der Wahrheit irre machen. Mir ist es in meiner Correspondenz mit solchen „Botanikern“ oft vorgekom- men, dass sie mich über meine publicirlen Arbeiten durch ihre besondern Erfahrungen belehren wollten, während aus ihren Dar- legungen hervorging, dass sie entweder den eigentlichen Gegenstand 3« Anforderungen und weitere Winke ganz unrichtig verstanden, oder statt dessen einen ganz andern aufgefassl hatten. 4) Welchen die nöthige Geschicklichkeit mangelt zum Untersuchen, Präpariren und Experimentiren. Es kann Jemand mit dem besten Sehapparat eingerichtet sein und sieht doch Nichts genau und richtig. Das kommt daher, dass er den Gegenstand nicht zu behandeln versteht. Es gehört auch hierzu ein angebornes Talent. Eine unsichere, schwere, zitternde Hand kann nie etwas Ordentliches zu Tage fördern. Der Unter- suchende muss volle Gewalt über seine leisesten Bewegungen haben. Es steht fest, dass die gründlichem Untersuchungen durchaus von der Untersuchungsmethode und von der Geschick- lichkeit des Untersuchenden abhängen, nur durch diese bekommt er den Gegenstand in seine volle Gewalt. 5) Welchen die nöthige Geduld, Buhe und Ausdauer fehlt. Die Natur lässt sich Nichts abzwingen. Nur wer sie ver- ständig behandelt, dem zeigt sie sich und dem steht sie Rede. Ein Ungeduldiger, der Berge einreissen will, richtet gar Nichts aus. Der mag wegbleiben. An dieser Ungeduld ist schon Mancher verunglückt. §. 95/ Man kann nie sagen, dass man diese oder jene Entdeckung machen wolle. Wer mit diesem Vorsatz an die Naturbetrachlung geht, sieht Alles, nur das Rechte nicht. Er wird von seiner Phantasie, nicht von der Wahrheit beherrscht. Geduld über- windet Alles, auch hier. Wie die Ungeduld die innere Ruhe stört und den Beobachter aus der nöthigen geistigen Fassung bringt, so stört sie auch die äussere Ruhe. Dem Ungeduldigen fehlt immer das ruhige Blut. Das ist aber durchaus nölhig zu einer sichern Hand bei der Untersuchung. Wallendes Blut macht die Hand zittern. Aber auch auf das Auge wirkt die Unruhe nachtheilig. Bei bewegter Stimmung ist kein ruhiger, fester, sicherer und scharfer Blick möglich. Feine zarte Objecte ver- schwimmen vor dem Auge, es fehlt die Klarheit, die Reinheit des Blickes. §. 96. Darum kann man auch auf Excursionen und Reisen , wo man in beständiger Bewegung ist, nie so ruhige und sichere Beobach- tungen machen, als im Studirzimmer , und darum ist es eben auch hierbei von grossem Vortheil, dass man bei feinem Unter- suchungen sich den zu beobachtenden Gegenstand in unmittelbare Nähe bringt. für den Botaniker. 37 §• 97. Der Naturforscher darf durch Nichts weiter bewegt oder be- stimmt werden als von seinem Gegenstände; alles Dazwischen- liegende, alles ihn davon Abziehende muss er entfernen. Dann kann er sich so ganz in denselben versenken, kann sich in ihn hineinfühlen, hineindenken, er kann ganz in ihm leben und aus ihm heraussprechen. So wird er selbst mit dem Gegenstände Eins, so wird die Forschung ein unaussprechlicher Genuss, nur so gewährt sie eine hohe Befriedigung. §. 98. Wer aber mit vorgefassten, vielleicht unsaubern Absichten kommt, wem vielleicht immer nur seine Carriere, sein Ruhm, seine Eitelkeit vorschwebt, wer im Dienste eines Andern ar- beitet und sich nach dessen Ideen richtel, der findet jene Be- friedigung nicht; ihm fehlt der Genuss, den der Reichthum der Natur gewährt, er muss in sich selbst gerechtes Misstrauen setzen, er fühlt seine eigene Armulh und muss sich daher nach einer äussern Stütze für seine Darlegungen umsehen, damit sie ge- glaubt werden. §• 99. Darum wendet sich so Mancher mit seiner Arbeit an eine Akademie, um ihr Anerkennung zu verschaffen und sich ein testi- monium paupertatis ausstellen zu lassen. Mit diesem tritt er nyn auf den Schauplatz , denn er meint nun eine Stellung ge- wonnen zu haben. Aber bei den Akademien können nicht immer die stärksten Seiten vertreten sein, es wird mit der Zeit jede Kraft durch die Reibung geschwächt, und so kommt es bisweilen, dass Arbeiten Anerkennung finden', die sie nicht verdienen, und andere in ihrem Werthe nicht erkannt und desshalb ungerecht herabgesetzt werden, ln solche Verlegenheiten kommt der wahre Forscher nicht; ihm ist nicht das Uriheil der Menge, sondern die Wahrheit massgebend. Darum findet sich auch nur bei ihm die Ausdauer im Forschen, während der von Aeusserlichkeilen Abhängende seine Untersuchungen quittirt, wenn er seine Car- riere gemacht hat. Es ist aber ein bewährter Grundsatz : Eine gute Arbeit führt sich selbst ein und findet bei Verständigen immer Anerkennung. §. 100 Nach diesen Erörterungen über die Anforderungen, welche 38 Optische Hilfsmittel. die Wissenschaft an die Person dos Forschers macht, gehen wir zu der Betrachtung der Mittel und Apparate und ihres Gebrauchs über, welche der Botaniker zur Untersuchung der Bilanzen nöthig hat. Sic zerfallen zunächst in dreierlei, nämlich 1) in optische, welche sein Auge unterstützen; 2) in mechanische, welche zur Analyse der Pflanzenorgane; 3) chemische, welche zur Erkennung der Pflanzenstoffe dienen. Optische Hilfsmittel. §. 101. Wir haben oben gesehen, dass die Pflanze nur genau aus ihrer Bildungsgeschichte erforscht werden kann. Wir haben also den Anfang ihrer Bildung zu beachten und denselben zu verfol- gen, bis wir am Lebensende derselben angekomrnen sind. Aber der wirkliche Anfang ist für uns mit einem undurchdringlichen Schleier bedeckt, wir können es daher nur mit einem für uns bemerkbaren Anfänge zu thun haben, und nur von diesem kann hier die Rede sein. Das blosse Auge ist mit seinem Er- forschen des Anfangs bald am Ende und wir würden ohne eine kräftige Unterstützung desselben vielleicht noch in derselben Un- wissenheit über die Bildung der Pflanze aus ihren Elementar- organen schweben, als unsere Väter vor mehrern hundert Jahren. Diese kräftige Unterstützung hat das Mikroskop gewährt, und man kann dasselbe als ein zweites, für die unsichtbaren Erschei- nungen der Natur geschaffenes Organ ansehen, das der Beobach- ter nach Belieben anlegen oder ablegen kann. §. 1 02. Es liegt in dem Wesen der Natur, dass sie sich vervoll- kommnet. So weit es nöthig war, hat die Natur selbst unmittel- bar für den Menschen gesorgt. Als sie ihn aber als selbständiges Wesen aus sich hatte hervorgehen lassen, überliess sie die Ver- vollkommnung seiner Mängel ihm selbst. Und er hat diese Auf- gabe in den Naturwissenschaften so vortrefflich auszuführen be- gonnen , dass er jetzt weit über den ursprünglichen Menschen hinaus ist. Die Naturwissenschaft ist die Fortsetzung seiner or- ganischen Entwickelung. Viele Mittel, die er für sich in Bewe- gung setzt, sind, obschon natürliche, doch ursprünglich über- menschliche. Ein solches ist auch das Mikroskop. Mikroskope. 39 §. 103. Es ist die Aufgabe der Physik, die Gesetze, nach denen das- selbe construirt wird, darzulegen. Ich muss diese Kenntniss hier voraussetzen, oder auf ein physikalisches Lehrbuch verweisen. Aber über die Auswahl eines solchen Apparates und seinen Ge- brauch hei Pflanzenuntersuchungen will ich hier sprechen, weil ohne diese Kenntniss grosse Täuschungen Vorkommen können. Die Täuschungen sind hier um so leichter möglich, als wir das mikroskopische Auge nicht so, wie das blosse, durch die andern Sinne, z. B. den Tastsinn, controliren können. Wie durch ein fehlerhaftes Auge subjective, also äusserlich gar nicht [vorhandene, Erscheinungen vorgeführt werden können, so durch das Mikroskop mikroskopisch-subjective. Das muss der Beobach- ter wissen, und darum hat er sich vor allen Dingen mit dem besten — wenn auch nicht immer mit dem theuersten — In- strumente zu versehen. §. 104. Der Botaniker ist dabei durchaus von dem Künstler abhän- gig. In Deutschland haben bisher die Instrumente aus den Werk- stätten von Schieb in Berlin und Plössl in Wien den Vorzug behauptet und ich kann diesen Vorzug aus eigner Anschauung bestätigen ; ausserdem sind aber auch die Instrumente von Nobert in Greifswalde sehr empfohlen worden, die ich aber nicht kenne. In Frankreich sind die besten Mikroskope durch Chevalier und Oberhaeuser in Paris geliefert worden. Die Vortrefflichkeit der Oberhaeuser’schen Instrumente kann ich ebenfalls aus eigner Kenntniss bestätigen. Unter den italienischen Instrumenten sind die Amid' sehen ausgezeichnet. Es hält schwer zu sagen, wessen Instrumente die besten sind, zu einer Zeit sind es diese, zur andern wieder jene, weil gewöhnlich jeder der Künstler sich die Verbesserungen des andern aneignet und die eignen damit in Verbindung bringt“). Muss man mit einem Instrumente aus einer andern Werkstatt sich begnügen, so hat man vor allen Dingen auf achromatische Gläser zu sehen. §. 105. Das einfache Mikroskop (Loupe u. s. w.)j dient zur Unter- suchung mässig kleiner Gegenstände, die man entweder bei durch- gehendem oder zurückgeworfenem Lichte betrachtet. Im ersten falle ist es am zweckmässigsten, wenn das Object zwischen zwei Glasplatten von einer Flüssigkeit umgeben ist. Im zweiten Falle 40 Das Mikroskop und muss es eine möglichst trockne Oberfläche haben, damit durch die obenauf haftende Flüssigkeit keine Spiegelung hervorgerufen werde, die die genaue Betrachtung des Objects hindert. Man hat auch Linsen, hei denen die sphärische Abweichung beseitigt ist — applanatische Linsen — die allen übrigen vorzuziehen sind. Wo man starke Yergrösserungen braucht, bedient man sich des §. 106. Zusammengesetzten Mikroskops. Man hat hierbei die Aus- wahl zwischen kleinen, miltlern und grossen, wohlfeilem und theuren, mit einfacher und complicirter Zurichtung. Auf Reisen ist ein kleines sehr bequem, in der Studirstube ist dagegen ein grosses zu empfehlen, ein mittleres wählt man, wenn man sich nicht zwei Instrumente anschaffen will. Es ist auch ausreichend zu allen Untersuchungen. Die Zurüslung muss einfach sein, alle Spielerei und unnützer Plunder, der oft das Instrument ver- theuert, muss wegfallen. Sonnenmikroskope und Hydrooxygengas- Mikroskope sind für das gaffende Publikum, das sich am Bun- ten und am Schattenspiel einmal ergötzen will, aber nicht zu wissenschaftlichen Untersuchungen zu gebrauchen, weil den Ver- grösserungen die nöthige Deutlichkeit und Schärfe mangelt. §. 107. Die Güte eines Mikroskops hängt nicht davon ab, wie stark es vergrössert, wie viel Objectivlinsen und wie viel Oculare es hat, ob der Tisch gross oder klein, beweglich oder fest, ob das Aeussere elegant u. s. w. ist, sondern, dass es ein möglichst klares, deutliches, scharfes und ungefärbtes Bild gebe. Das Ge- sichtsbild soll nicht bloss in der Mitte, sondern auch bis an die Peripherie rein und farblos sein. Doch leisten das auch die besten Instrumente nicht vollkommen; ein schwachblauer Um- kreis zeigt sich bei allen. Bei den gewöhnlichen Mikroskopen mit chromatischen Linsen schillert jedoch das Object mit aller- hand prismatischen Farben, was für den Dilettanten zwar sehr ergötzlich, für den Forscher aber sehr lästig und widerwärtig ist. Ein solid gearbeiteter Fuss ist nöthig, damit es nicht so leicht umgeworfen werden könne. Vereinigt es gewisse Bequem- lichkeiten, so sind diese als dankbar mitzunehmen; sie dürfen aber nie bei der Wahl den Ausschlag geben, weil man sich an jedes Instrument bei öfterm Gebrauch gewöhnt und gewisse Un- bequemlichkeiten dann nicht mehr fühlbar sind. sein Gebrauch. 41 §. 108. Bei den meisten Untersuchungen ist eine lOOmalige Ver- gi’össerung ausreichend, bei den kleinsten genügt eine 500 — 400malige. Jede Vergrösserung wird nur auf Kosten der Deut- lichkeit und Schärfe gewonnen. Bei 600 — lOOOmaliger Ver- grösserung sieht man nicht mehr als hei den vorigen. Diese starken Vergrösserungen sind auch unbequem, weil das Object weniger deutlich, bei der geringsten Erschütterung leicht zu ver- schieben und das Gesichtsfeld sehr beschränkt ist. Ich habe sie nur angewandt, um sehr kleine Objecte danach zu zeichnen oder zu messen. Diejenigen Instrumente, denen ein applanatisches Ocular beigegeben ist, sind besonders zu empfehlen, sie werden aber dadurch freilich auch sehr verlheuert. Uebrigens wird bei guten Instrumenten die sphärische Abweichung dadurch ziemlich aufgehoben, dass man 2 — 5 Objective mit einander verbindet und die Convexseite der Ocularlinse nach unten bringt, die Plan- seite (oben) aber mit einer breiten Fassung, etwa bis zur Hälfte, deckt. §. 109. Zur Prüfung seiner Güte benutzt man die Schuppen der Flügel von Hipparchia Ianira, [deren Rippen sich in deutliche Querstreifen auflösen müssen. Ausserdem schlage ich noch die Parenchymzellen der Kartoffeln vor, bei welchen man mit einem guten Mikroskop die spiralig -faserige Structur und die Löcher dazwischen sehen kann, ohne Anwendung von Jodin- tinclur u. s. w. §. 110. In der Regel besieht man mit dem Mikroskop nur durchsichtige Objecte und zwar werden diese gewöhnlich mit Wasser, bisweilen auch mit Zuckerlösung, Gummilösung, Weingeist, Aether, Oelen u. s. w. umgeben. Manche fossile Gegenstände, wie Bacilla- rien u. s. w., werden auch mit venetianischem Terpentin, cana- dischem Balsam oder Copaivabalsam eingeschmolzen. §. 111. Mikroskopische Präparate bewahrt man entweder trocken, zwischen zwei Glas- oder Glimmerblättchen, oder zwischen einer nicht aus trocknenden Flüssigkeit auf. Man vereinigt die Gläser oder Blättchen durch Zusammenkleben mittelst einer Harzauflö- sung in Alkohol oder Terpentinöl. Zur Flüssigkeit, in welcher man das Präparat eintaucht, eignet sich vor allen der Oelzucker I 42 Mikroskopische Objecle und oder Glycerin, weil derselbe nicht in Gührung übergeht wie eine andere Zuckerlösung, ferner nicht trocknet und nicht nach- theilig auf das Präparat wirkt. Man haL auch Cldorcalcium- auflösung empfohlen, die ich jedoch nicht so zweckmässig linde, obschon sie der Billigkeit wegen sich empfiehlt. Zu Deckgläsern muss man sich entweder eines sehr dünnen Glas- oder Glirnmer- blältchens bedienen. Wendet man bloss Glimmer an, so braucht man denselben nur an einer Seite aufzuspalten und das Präparat in die Spalte zu legen. Die trocknen Präparate werden jedes- mal mit Wasser benetzt, bevor sie unter dem Mikroskop besich- tigt werden. Auch Coüodium habe ich zum Bedecken der Präparate zweckmässig gefunden. Man giesst nämlich die flüssige Collodiummasse auf eine Glasfläche und lässt sie trocknen, wor- auf man sie als ein zartes, klares, äusserst durchsichtiges Häutchen abziehen kann. Diese kann man auch durch llüssige Collodium- masse leicht verbinden. §. 112. Hat man es beim Mikroskop mit einem opaken Körper zu thun, so muss auch hier zunächst dafür gesorgt werden, dass seine Oberfläche trocken ist. Die Beleuchtung geschieht aber von oben durch eine Linse oder ein Prisma. §. 113. Die Beleuchtung geschieht bei durchsichtigen Körpern und bei durchgehendem Lichte von unten mittelst eines Plan- oder Convexspiegels; gewöhnlich sind beide vorhanden. Zu genauen Untersuchungen benutzt man das Tageslicht, welches weder zu blendend, noch zu matt sein darf. Unter dem Objectivtisch be- findet sieb gewöhnlich eine bewegliche Scheibe mit Oelfnungen in verschiedener Grösse, wodurch man das Licht vermehren oder vermindern, auch in verschiedenen schiefen Winkeln auf das Ob- ject fallen lassen kann; dasselbe erreicht man oft schon durch die verschiedene Stellung des Spiegels. Man kann aber auch das Lampenlicht zu Untersuchungen gebrauchen, wenn dabei die ge- naue Bestimmung der Farben nicht erfordert wird. Doch ist das Tageslicht immer vorzuziehen. §. 114. • Die verschiedenen Vergrösserungen eines Mikroskops sind mit den entsprechenden Combinationen der Linsen bei jedem Instrumente angegeben. Sie sind gewöhnlich nach der Linie be^ deren Messung. 43 rechnet, und diese Angaben sind auch bei wissenschaftlichen Darstellungen nur üblich. Charlatane und Taschenspieler geben jedoch die wahre Yergrösserung ihrer Instrumente in der dritten Potenz an, wodurch ungeheure Zahlen entstehen, die das un- wissende Publicum täuschen. §. 115. Von besonderer Wichtigkeit ist nun die Bestimmung der Grösse des Objects. Es muss dabei eine Messung vorgenommen werden, die auf verschiedene Weise stattfinden kann. Die ein- fachste Art besteht darin, dass man den scheinbaren Durchmes- ser des vergrösserten Gegenstandes taxirl, indem man mit dem linken Auge in das Instrument und mit dem rechten Auge auf ein Täfelchen blickt, auf welchem ein Maassslab verzeichnet ist und so die entsprechenden, wo möglich genau sich deckenden Grössen mit einander vergleicht. Diese gefundene Grösse (z. B. dividirt mit der Vergrösserung (lOOmal) gibt die wahre Grösse des Objects {'/m") an. Bei einer 400maligen Yergrösserung muss daher dasselbe Object einen scheinbaren Durchmesser von Y" haben. §. 116. Besser und genauer sind jedoch die Messungen mittelst eines Glasmikrometers, welcher den kleinern Instrumenten oft bei- gegeben wird und den man auch von jedem tüchtigen Mecha- nikus bekommen kann. Auf einer Glasplatte ist eine genaue Theilung einer Linie oder eines Millimeters mit dem Diamant eingeschnitlen. Auf diese Theilung wird der zu messende Gegen- stand ins Wasser gelegt und seine Grösse mit dem Maassstab, den die Theilungsstriche angeben, verglichen. Aber man kann diesen Mikrometer nur etwa bis zu 100- höchstens bis zu 200ma- liger Yergrösserung gebrauchen, weil man bei einer slärkern Vergrösserung das Object und die Theilungsstriche nicht zugleich iin Focus haben kann, wodurch die Messung sehr kleiner Ob- jecte sehr erschwert und unsicher wird. Man kann sich aber einigermaassen dadurch helfen, dass man sich die scheinbare Entfernung der Linien des Mikrometers, zu jeder Vergrösserung des Mikroskops, möglichst genau — etwa mittelst der Camera lucida — auf ein Täfelchen verzeichnet und danach den Maass- stab selbst noch beliebig weiter theilt, wodurch man auch für die kleinsten Gegenstände ein möglichst directes Maass bekommt, wenn man sie damit vergleicht. Es ist diese Methode zu messen sehr bequem und am wenigsten Zeit raubend. 44 Der Schraubenmikrometer §• 'M7. Genauer sind aber wohl die Messungen mit leist des von dem berühmten Fraunhofer erfundenen Schraubenmikrometers, wel- cher meist den grossem Mikroskopen beigegeben wird. Man kann mittelst desselben den Durchmesser eines Objects bis auf '/i ooooo Zoll finden. Das Messen geschieht auf folgende Art: Wenn man von dem Ocular des Mikroskops die obere Linse abnimmt und in seine Röhre hineinsieht, so erblickt man in der- selben eine in der Mitte geöffnete und geschwärzte Messingscheibe, welche das Diaphragma genannt wird. In diesem Diaphragma ist ein feiner Spinnwebfaden, wie eine durch den Mittelpunkt des Kreises gezogene Sehne angebracht, oft wird derselbe noch von einem zweiten Faden in normaler Richtung durchschnitten. Dadurch entsteht das „Mikrometerkreuz“, welches man sieht, wenn man mit aufgesetztem Ocular durch das Mikroskop blickt. Der Schraubenmikrometer ist an dem Objectivtisch angebracht. Eine Messingplatte, der „Schlitten“, steht mit der Mikrometer- schraube, die gewöhnlich auf einen Zoll 100 Umgänge hat, in Verbindung. Dadurch wird nun der Schlitten bei einer Um- drehung um ’/ioo" fortbewegt, bei einer Viertelumdrehung ’/joo" u. s. w. Um nun den Grad der Umdrehung genau bestimmen und messen zu können, ist an dem einen Ende der Schraube eine in 100 Grade getheilte Scheibe angebracht neben einem feststehenden Zeiger, an welchem man die Grade ablesen kann; zur Bestim- mung kleinerer Theile als eines Grades dient aber ein Nonius, mit dessen Hilfe man noch '/i0 Grad, also im Ganzen ’/iooooo Zoll be- stimmen kann. Beim Messen wird nun zunächst ein Faden des Mikrometerkreuzes durch Drehung des Oculars so gestellt, dass er normal auf der Axe der Mikromeierschraube steht. Der zu messende Gegenstand wird nun in eine solche Lage auf den Mikro- meterschlitten gebracht, dass er mit dem einen Ende den Faden im Diaphragma genau berührt. Jetzt merkt man sich den Stand der graduirten Scheibe, und bewegt die Schraube behutsam so weit und in der angemessenen Richtung, bis der Gegenstand mit dem entgegengesetzten Ende den Faden berührt. Die ge- messene Grösse wird nun an der Scheibe abgelesen. Es gehört aber grosse Uebung dazu, das Object in die ordentliche Lage zu bringen. Auch hat man sich zu hüten, dass man nicht bestän- dig mit denselben Schraubengängen misst, weil sie mit der Zeit abgenutzt und dann ungenau werden. Man wechselt daher die Schraubengänge. Auch ist zu beachten, dass die Entfernungen und sein Gebrauch. Die Messer. 45 der Schraubengänge keine absolute Genauigkeit haben können, also Differenzen Vorkommen müssen, je nachdem man mit diesem oder jenem Umgänge die Messung vorgenommen. Darum ist es, wenn es auf sehr grosse Genauigkeit ankommt, nothwendig, das Object mit verschiedenen Stellen der Schraube zu messen und dann das Mittel aus den Resultaten zu nehmen. Aber selbst bei dem genauesten Messapparat ist es nicht immer möglich eine scharfe Messung zu gewinnen. Sie ist sogar bei Objecten, welche kleiner als '/soo'" sind, absolut unmöglich, so dass ein Gegen- stand, dessen Grösse zu /W" angegeben wird, in der Wirklich- keit auch '/soo'" — ’/mo'" gross sein kann. Die Schwierigkeit liegt zum Theil mit darin, dass die Objecte oft selbst keine scharfen Umrisse haben und die Bestimmung derselben zum Theil der Willkür des Beobachters anheim fallen. Die Regulirung des Lichts mit Hilfe des Spiegels oder der durchlöcherten Scheibe ist dabei durchaus nöthig, weil ohne dieselbe Täuschungen unvermeidlich sind. i Mechanische Mittel. §. 118. Die mechanischen Hilfsmittel zur Herstellung guter mikrosko- pischer Präparate sind , neben einer ruhigen und sichern Hand, gute scharfe Messer, feine gefasste Stahlnadeln, feine Spatel von Horn, Elfenbein oder Metall und verschiedene Glasplatten. §. 119. Die Messer. Man kann sich eben so gut feiner Feder- messer, als auch besonderer anatomischer und chirurgischer Messer und der Barbiermesser bedienen. Ich ziehe die letztem vor, weil sie nicht so leicht sind und desshalb sicherer und fester gehandhabt werden können. Die Schnitte, die man auszuführen hat, müssen der Grösse des zu betrachtenden mikroskopischen Gegenstandes angemessen sein. Es kommt daher vor, dass man sehr dünne und zarte Abschnitte, von yW" — y3oo,,/ Dicke, und noch dünnere ausführen muss. Es leuchtet ein, dass dabei die Messer sehr scharf sein müssen. Die feinsten Schnitte erhält man, wenn man das Messer auf der, vorher durch einen frisch gemachten Schnitt geebneten, Fläche so allmälich wie möglich ausgehen lässL. An dieser Ausgangsstelle sind die durchschnit- tenen Membranen und Theilchen am deutlichsten zu erkennen. 46 Anfertigung §. 120. Isl das Objeqt, von welchem ein Schnitt genommen werden soll, gross und fest genug, dass man es bequem mil den Fin- gern ballen kann, so kann man die gewünschten Schnitte mit Leichtigkeit ausführen; aber sehr kleine, nicht fassbare, zarte, weiche Gegenstände machen grosse Schwierigkeiten, namentlich wenn ihre Zartheit so gross ist, dass sie auch dem schärfsten Messer nicht den nöthigen Widerstand zum Durchschneiden ge- währen. Man muss sich dann, je nachdem der Gegenstand isl, auf verschiedene Weise zu helfen suchen. Ist z. B. die Sub- stanz zu weich ( gallertartig) , dass sie eben so wenig sicher ge- fasst noch durchschnitten werden kann, so kann man sie ent- weder zwischen zwei Plättchen durch Druck flach ausbreiten, oder man legt sie auf kurze Zeit in Weingeist, welcher ihr einen Theil des Wassers entzieht und sie dadurch so verdichtet und verhärtet, dass man sie sicher mit den Fingern fassen und mit dem Messer in beliebigen Richtungen in Plättchen zerschneiden kann. Diese Abschnitte werden dann auf dem Ohjeclträger in etwas Wasser gethan, worauf sie sehr schnell und meist voll- ständig wieder in ihren Normalzustand zurückgehen. Auch kann man solche im Leben gallertartigen Gegenstände trocken werden lassen, von den getrockneten feine Abschnitte machen und diese in Wasser legen, worauf ebenfalls sehr häufig ein vollständiges Wiederaufquellen stattfindet. Dieses Verfahren ist namentlich hei den Flechten durchgängig, bei den Algen, saftigen Früchten u. s. w. meist anwendbar. §. 121. Will man feine Querabschnitte von dünnen aber langen Fa- sern haben, so bindet man eine Anzahl derselben fest in Bündel zusammen, dass sie gefasst werden können, und durchschneidet sie wie jeden andern grossem Gegenstand. Sehr dünnhäutige Objecte legt man in grösserer Anzahl übereinander und hält sie auf einer Unterlage von reinem Kork mit dem Finger fest. Sind jedoch die genannten Gegenstände nicht in solcher Menge vorhanden, als zur Bildung eines grossem Bündels oder Lagers erforderlich ist, so fasst man sie zwischen zwei Korkplatten und schneidet sie mit diesen durch, bringt auch die sämmtlichen Abschnitte unter das Mikroskop, wo sich ergeben wird, welche dem Kork und welche dem andern Gegenstände angehören. Als Unterlage zum Durchschneiden feinerer Objecte kann man auch die kork- der mikroskopischen Präparate. 47 artige Substanz mancher Polyporus- Arten nehmen. Sie stumpfen das Messer noch weniger ah als der Kork. §. 122. Sind aber die Objecte so klein, dass man sie auch nicht zwischen den Korkplättchen fassen kann, so muss man das Durchschneiden derselben entweder aufgeben , oder man muss sie zwischen zwei Glasplatten zerdrücken. Kann man sie jedoch in grösserer Menge erhalten , so mengt man sie in steifen Gummi- schleim, lässt sie mit diesem in Weingeist etwas erhärlcn und schneidet dann die feinsten Plättchen ab. Werden diese in den Wasserlropfen des Objectivlrägers gelegt, so löst sich das Gummi auf und der andere Gegenstand bleibt allein zurück. §. 123. Will man sehr schöne reine Präparate darstellen, welche namentlich bei Demonstrationen für Schüler, denen das Sehen durch das Mikroskop mancherlei Schwierigkeiten macht, von Wichtigkeit sind, so bedient man sich eines sogenannten Mi- krotoms. Die besten werden von Oschatz in Berlin verfertigt. Es besteht aus verschiedenen Theilen, wovon der eine dazu dient das Object zu halten und dasselbe mittelst einer Mikrometer- schraube gegen das Messer vorzuschieben. Dieses Messer wird von einer in der Milte geöffneten Metallscheibe geführt, durch deren Oeffnung das Object vorgeschoben wird. Der Vorlheil die- ses Instruments besteht darin, dass man gleichförmige Abschnitte erhalten kann, welche namentlich bei Sammlungen zweckmässig sind. Später hat Oschatz die obengenannte Metallscheibe durch eine geschliffene Glasplatte ersetzt und noch mehrere andere Ver- besserungen angebracht. Die Präparate, welche mit diesem Mi- krotom erzielt werden, sind sehr schön. Dennoch halte ich die- sen Apparat für entbehrlich 15). §. 124. Da der Phylolom sich seine Messer auch selbst schärfen muss, so halle ich die Bemerkung nicht für überflüssig, dass Oschatz sich, statt der ebenen Schleifsteine, mall geschliffener Glasplatten von verschiedener Feinheit bedient, auf den gröbern Schmirgel, auf den feinem aber Zinnasche in Oel als Schleif- mittel gleichmässig vertheilt. 48 Nadeln. Spatel. Chemische Reagentien. §• 4 25. Die Stahlnadelll benutzt man zum Zertheilen und Zerreissen des Zellengevvebes auf Glasplatten unter Wasser. §. 126. Der kleinen Spatel bedient man sich, um eine Zellen- masse u. s. w. zu zerdrücken, besonders wenn einzelne Zellen isolirt werden sollen. Dass man das letztere, übrigens auch mit einer Messerklinge bewerkstelligen kann, leuchtet von selbst ein. §. 127. Das Zerreissen und Zerdrücken muss oft an so kleinen Ge- genständen vorgenommen werden , welche man kaum mit blossem Auge wahrnimmt. In diesem Falle präpari rt man auch den Ge- genstand unter dem Mikroskop mit einer schwachen Yergrösse- rung. Hierzu aber gehört viel Uebung, tlieils wegen der Klein- heit des Gegenstandes, theils aber auch weil das Mikroskop den- selben in verkehrter Lage zeigt. Die letzte Schwierigkeit kann man aber auch dadurch umgehen, dass man sich eines einfachen Mikroskops bedient. Bei sehr kleinen Sachen gelingt mir die Trennung der Theiichen meist, wenn ich sie mit Glimmer be- decke und von oben auf die bestimmte Stelle mit einem Hölz- chen oder Hornsliel drücke. Chemische Mittel. §. 128. Die Anwendung chemischer Hilfsmittel bei der mikroskopi- schen Untersuchung der Pflanzen steigert sich von Tage zu Tage. Der Botaniker muss diese Mittel kennen und ihre Benutzung ver- stehen, weil er sonst rathlos bei vielen seiner Untersuchungen daslehen würde, indem viele Chemiker, Liebig an der Spitze, nicht fähig sind, einen Gegenstand unter dem Mikroskope zu beurtheilen. Die wenigen Chemiker, welche davon eine rühm- liche Ausnahme machen, werden wir in der Folge näher kennen lernen. Die chemischen Mittel dienen theils dazu, die verschie- denen Stoffe von einander zu trennen, theils die einzelnen durch gewisse Reactionen deutlicher erkennbar zu machen, als es ohne dieselben möglich wäre. Da jedenfalls in der Folge noch mehr Stoffe als bisher unterschieden werden müssen, und von ihrer chemischen Verschiedenheit höchst wahrscheinlich gewisse Formen- Rengentien. 49 reihen und Formverhältnisse abhängig sind, so werden die mi- kroskopischen Reagcnlien für die Folge immer wichtiger werden. Ich nenne unter den nölhigslen chemischen Mitteln folgende: §. 129. Aether. Man wendet ihn an bei der Prüfung des Milch- saftes auf Kautschuk oder ähnliche Stoffe, ebenso zur Auflösung von Wachs (welches die Oberfläche der Pflanzen überzieht) und Harzen. §. 130. Alkohol in verschiedener Stärke. Der schwächere Wein- geist dient zur Aufbewahrung mancher Pflanzen oder Pflanzen- theile. Weil derselbe verschiedene Farbestoffe auflösl, so kommt es, dass sich solche Stoffe unter dem Mikroskope oft besser untersuchen lassen, als im lebenden frischen Zustande, auch wer- den die leeren Zellen und Höhlen, in welchen sich bei der lebenden Pflanze Luft befindet, von derselben befreit, wodurch die Betrachtung des eigentlichen Gewebes weniger gestört wird. Der stärkere Weingeist (60 — 84 procentiger) wird zur Auflösung des Harzes mancher Pflanzen (z. B. der Coniferen) benutzt, weil man ohne die Entfernung desselben die Structur unter Wasser nicht überall genau erkennen kann. Es gehört aber bisweilen ein mehrtägiges Ausziehen dazu. Ferner wird der Alkohol be- nutzt, um das Proteingewebe in den Zellen sowol, als manches Schleimgewebe durch Contraclion sichtbar zu machen, welche sich ohne dieses Mittel der Betrachtung entziehen. §. 131. Aetherische Oele (rectificirtes Terpentinöl) dienen ebenfalls zur Auflösung der Harze; sie können aber füglich entbehrt wer- den, weil sie der Alkohol und Aether vollkommen ersetzen, und ausserdem doch noch durch einen dieser beiden Stoffe wieder ausgewaschen werden müssen. Nur wo man mittelst ihrer Durch- dringung ein Präparat durchsichtig machen will, können sie durch jene Flüssigkeiten nicht ersetzt werden. Die Durchsichtigkeit opaker Gegenstände wird aber auch noch hervorgerufen durch §. 132. Fette Oele und Balsame (Mandelöl, weisses Olivenöl, Beenöl, Gopaivabalsam , canadischer Balsam, venetianischer Terpentin); namentlich wendet man letztere an, um fossile Gegenstände damit zu tränken, was am besten geschieht, wenn man den Balsam Kützino, Philosophische Botanik. I- 4 50 Reagenlien. oder das Oel vorher in einem Probirgläschcn über der Wein- geisllampe erhitzt und die heisse Flüssigkeit auf die zu präpari- rende Probe tröpfelt. §. 133. Glycerin, Zuckerlösung, Gummilösung und Eiweiss werden statt des Wassers benutzt, um manche Präparate zu umschlies- sen , wenn nämlich durch das letztere in Folge der Endosmose Veränderungen in den Zellen hervorgerufen werden. §. 134. Seewasser oder Salzwasser wird aus demselben Grunde bei der Untersuchung lebender Seealgen (z. B. der Rytiphlaea tincto- ria) angewandt. §. 135. Verdünnte Jodinauflösung in Weingeist (Jodintinctur) dient zur Erkennung des Stärkemehls, Inulins, der Cellulose u. s. w.; auch werden manche schleimige oder proteinhallige Molekular- formen durch dieselbe sichtbar gemacht. Die Reaclion derselben wird jedoch durch Uebergiessen mit Alkohol oder Aether sofort wieder entfernt. Wird dieselbe in nicht sehr verdünntem Zu- stande zu einer im Wasser liegenden Probe gegossen, so scheidet sich das Jodin in zahlreichen pyramidalen opaken Kreuzkrystallen aus, welche oft die genaue Betrachtung des Objects verhindern. Desshalb muss man entweder eine wässerige Auflösung des Jodins anwenden, welche jedoch immer nur schwach ausfallt und auch nur schwach reagirt, oder man muss das Object vorher mit et- was schwachem Weingeist tränken. In Weingeist aufbewahrte Gegenstände zeigen jenes Ausscheiden des Jodins nicht, selbst wenn man sie mit ein wenig Wasser angefeuchtet hat. So wie man das Jodin mit Weingeist und Aether wieder aus dem Object entfernen kann, so verflüchtigt es sich auch schon von selbst, wenn man dasselbe nur mit Wasser befeuchtet liegen lässt, noch schneller aber, wenn man die Probe etwas erwärmt oder mit Alkohol auswäscht. §• 136. Concentrirte Schwefelsäure. Man wendet sie an, theils um die organische Substanz in eine andere umzuwandeln, theils ganz zu zerstören. Im erstem Falle kann man sie auch wie Hartig (Beiträge zur Enlwickelungsgeschichte der Pflanzen S. 4) Vor- schläge mit etwas Wasser (5 Gewichlsth. SO,, 2 Gwlli. Wasser) verdünnen. Ich habe aber vorgezogen, sie immer conoentrirt Reagcntien. 51 anzuwenden, weil die Reaction viel schneller geschieht und man dabei auch das Verdünnen nach der erfolgten Wirkung ganz in seiner Gewalt hat. Ich verfahre dabei wie folgt: Die feuchte Probe wird mit Jodinlinctur getränkt, dann die Schwefelsäure mit dem Glasstöpsel oder einem Glasstäbchen drauf gebracht, in gewissen Fällen auch darauf getröpfelt. Bei jungem Zellengewebe erfolgt sogleich eine sehr bedeutende Anschwellung der Zellen- wände und die Cellulosesubstanz färbt sich blau. Ist dieser Zeit- punkt eingetrelen, so muss die Probe sofort mittelst eines in Wassel getauchten Glassläbchens mit Wasser benetzt und aus- gewaschen werden, indem man den Objecthalter schief hält und das immer neu hinzufügende Wasser ablaufen lässt. Jetzt be- trachtet man die Zellen unter dem Mikroskop, deren Zusammen- hang so sehr gelockert ist, dass man sie mittelst eines der oben- genannten kleinen Spatel durch Druck separiren, oder auch mittelst der Nadeln leicht trennen kann, um jede allein zu haben. Man kann auch die Schwefelsäure verdünnt einwirken lassen, wenn man die Probe vorher mit Wasser benetzt. Will man die Zellen bloss aufquellen lassen, so lässt man die Behandlung der Probe mittelst Jodinauflösung w.eg und feuchtet sie vorher mit Wasser an. Bei ältern Zellen (Holzzellen) muss man die Schwefel- säure etwas länger einwirken lassen, auch wol erneuern, ehe die gewünschte Wirkung erfolgt. Hartig lässt die mit Jodinauflösung getränkten Objecte erst wieder auslrocknen und behandelt sie dann mit Schwefelsäure, was aber unnöthige Weitläufigkeit ist. Lässt man die Schwefelsäure auch dann noch einwirken, wenn die blaue Färbung der Zellen erfolgt ist, so verschwindet die Farbe wieder, das organische Gewebe verliert seinen Halt und zerlliesst. Die Cellulose ist dann in Gummi und Zucker verwan- delt, die sich in dem umgebenden Wasser auflösen. So kann man die meisten Elementarorgane zerstören und auflösen. Sind dieselben, wie z. B. beim Schachtelhalm und den Gräsern, mit Kieselsäure überzogen, so bleibt die letztere in Form der Zellen als Zellenpanzer zurück. §- 137. Chlorwasserstoffsälire (Salzsäure). Auch diese wird am besten im concentrirlen Zustande angewandt, weil man nur so jeden Verdünnungsgrad, welcher bei der Untersuchung nöthig ist, in seiner Gewalt hat. Man gebraucht sie meist um den kohlen*, sauren Kalk aufzulösen, welcher sich in Körnern, Krystallgruppen oder auch als Incrustalion auf und zwischen den Zellen findet. 4* 52 Reagcnlicn Er hat sich gewöhnlich aus dem Wasser abgesetzt und liegt als rauhe Rinde oben auf. Um sie zu entfernen, macht man in einem Uhrschälchen oder andern passenden Gelass etwas Was- ser mittelst einiger Tropfen concentrirter Salzsäure sauer und legt das Object hinein. Die aufsteigenden Luftblasen zeigen das Entweichen der Kohlensäure an und die Kalkrinde ist bald ver- schwunden. Ausserdem kann man die Salzsäure noch zur Entdeckung der Gelacinsubstanz u. s. w. anwenden, welche darin sehr aufquillt und eine schön grüne Farbe annimmt, wodurch sie sich von andern organischen Stoffen unterscheidet. Endlich kann man diese Säure noch zum Anschwellen anderer Zellenhäute und zur Trennung des Zellengewebes benutzen. §. 138. Salpetersäure. Sie wird verschiedenartig angewandt und zwar, wegen ihrer Eigenschaft die stickstoffhaltigen organischen Stoffe gelb zu färben, zur Entdeckung der Proteinverbindungen. Sie bildet durch ihre Einwirkung auf Albumin, Legumin, Kleber die Xanthoproteinsäure, welche in Wasser und Alkohol unlöslich ist (überhaupt die Form behält, welche die genannten Stoffe vorder Behandlung mit Salpetersäure besitzen), sich durch gelbe Farbe auszeichnet und durch Zusatz von Aetzammoniak orangegelb wird. §. 139. Ferner: Werden Holz th eile mit Salpetersäure gekocht, so kann man die Zellen leicht von einander mittelst der Nadeln trennen. Noch vollständiger gelingt die Trennung der Holzzellen nach Schulz, wenn man die Holzstückchen in einem Gemenge von Salpetersäure und chlorsaurem Kali kocht. Einige Minuten sind hinreichend die äussern Zellenschichten so aufzulockern, dass sich ihre Elemente leicht trennen lassen. Doch müssen sie nach der Maceration mit Alkohol und Wasser ausgewaschen werden. §. 140. Essigsäure (concentrirte) wird angewandt, um die jungen Cambiumzellen , deren Structur durch ihren trüben körnigen In- halt versteckt wird, deutlicher sichtbar zu machen, indem die Säure einige der trübenden Substanzen auflöst. §. 141. Aetzkalilauge dient theils zur Anschwellung der Zellenhäute, und andere chemische Hilfsmittel. 53 theifs zur Auflösung der Proteinkörper, welche den Zelleninhalt bilden. Man kann daher die Zellen durch Maceration in dieser Flüssigkeit von jenen Stoffen befreien, aber man muss hierauf die Probe mit Wasser auswaschen. §. 1 42. Salpetersaures und salpetrigsaures Quecksilberoxydul. Man stellt sieb eine Auflösung dieses Salzes dar, wenn man Queck- silber mit dem gleichen Gewichte gewöhnlichen Scheidewassers (dem 2te" Hydrat der Salpetersäure) übergiesst und kalt stehen lässt, bis die Gasentwickelung aufgehört hat; wenn das Queck- silber noch nicht aufgelöst ist, so befördert man die Auflösung durch Wärme, bis sie vollendet ist; dann vermischt man die Flüssigkeit mit 2 Volumen Wasser. Es bildet sich ein kryslal- linischer Niederschlag, von welchem die überstehende Flüssigkeit abgegossen wird. Sie ist das oben bezeichnete Reagenz. Es wird ebenfalls zur Erkennung der Proteinverbindungen angewandt, welche dadurch roth gefärbt werden, selbst wenn sie in alkali- schen Flüssigkeiten oder in Schwefelsäure gelöst sind. Gellulose, Amylon und Gummi färben sich davon rosa ,6). Noch deutlicher wird die Wirkung dieses Reagenz, wenn die Probe erhitzt wird. Man hält dann dieselbe auf dem gläsernen Objectträger — oder besser auf Glimmer — über die Spiritusflamme. §. 1 43. Die Weingeistlainpe wird überhaupt manchmal angewandt, um die Gegenstände, während man sie unter dem Mikroskop beobachtet, zu erwärmen. Man bedient sich dazu möglichst dünner und sehr gut abgekühlter Glasplatten als Objectträger, die fang genug sind um über den Objectivlisch hinwegzuragen und hier durch die darunter befindliche Lampe erwärmt zu wer- den. Besser noch ist die von Schleiden vorgeschlagene Methode, wonach man sich einer messingenen Unterlage bedient, die an der- selben Stelle eine Oeffnung hat, auf welche man die Probe mittelst eines Glimmerblättchens oder dünnen Hohlgläschens legt, welches letztere man sich aus einem bauchigen Medicinglase, aus einer kleinen Retorte u. s. w. sprengen kann. Hier wird die messingene Unterlage erwärmt. Die Probe muss bedeckt sein, weil durch die entweichenden Dämpfe die Objectivlinse getrübt wird. §. 144. Ueberhaupt hat man sich zu hüten die Objeclivlinsen , welche 54 Reöfra'chtüruj bei achromatischen Instrumenten aus Flintglas gemacht sind, nicht zu viel und anhaltend den Dämpfen der Säuren auszusetzen, weil das Flintglas leicht von diesen Stoffen angegriffen wird. Aehn- liche Vorsicht hat man beim Jodin anzuwenden. Bei anhaltenden derartigen Untersuchungen muss man desshalb die Probe jedes- mal mit Glimmer oder Glas bedecken und die Objectivlinse nach dem Gebrauch mit deslillirtem Wasser oder Alkohol abwaschen, wobei man sich eines weichen leinenen Läppchens bedient, sich aber wohl hütet, dass durch etwaige Sandkörnchen oder andere Staubtheilchen Risse in die Linse gemacht werden. Zum Reinigen der Linsen von Staubtheilchen, welches jedesmal vor dem Ge- brauch des Mikroskops geschehen muss, bedient man sich eines dicken Pinsels von feinen Caslorhaaren. Beobachtung und Begründung. §. 1 45. So vorbereitet kann nun der Forscher getrosten Muthes an die Arbeit gehen. Zwar ist Vieles nicht erwähnt, was sich noch während einer Untersuchung zeigt; dieses zu beseitigen, muss der eigenen Thätigkeit des Arbeiters überlassen bleiben; auch lässt sich Vieles gar nicht mittheilen, sondern muss unmittelbar durch den praktischen Gebrauch erlernt werden. Ueberhaupt kann ein Beobachter nur dann erst recht fruchtbringend arbei- ten, wenn er die zu den Untersuchungen und Beobachtungen nöthige mechanische Fertigkeit so weit überwunden hat, dass das Mechanische bei der Arbeit ihn nicht mehr stört. Er muss namentlich bei mikroskopischen Untersuchungen so wenig durch den Apparat genirt werden, als wenn er mit demselben ver- wachsen wäre. Benutzen wir doch beständig unsere Sinne, ohne an diese dabei zu denken und uns ihres Gebrauchs bewusst zu werden. Ganz so muss es sein mit dem Mikroskop, unserm ver- stärkten Auge. Aber das ist nicht so leicht. Es gehört dazu lange anhaltende beständige Uebung. Denn es ist etwas Anderes mit seinen blossen Augen zu sehen, als mit dem Mikroskop. Es kann vielleicht Jemand ausgezeichnet untersuchen und sehen in der Welt der gewöhnlichen Augen, aber er ist ein völliger Neu- ling • — ein wahres Kind — in der mikroskopischen Welt. Jedes Luftbläschen, jedes Stäubchen, jeden Streifen und Sprung des Objectträgers staunt er eben so an, wie das eigentliche Object, weil ihm in dieser Welt Eins so fremd ist wie das Andere. Es und Begründung. 55 muss daher jeder Forscher seine Kinderjahre in der unsichtbaren Welt erst durchmachen, ehe er mündig und stimmfähig sein kann. Erst wenn er hier viel angeschauet, geordnet, geprüft, verworfen, ausgewählt und so wiederholt geprüft hat, weiss er auch Etwas von diesen Sachen und kann nun wissend dieselben ferner prüfen und beurtheilen. §. I 46. Aber Uriheile von unwissenden, unmündigen Mikroskopisten sind eben so werthlos, als Kinderurtheile draussen in der grossen Welt. Wer nun vollends meint, dass der Blick eines Nichtken- ners und Nichtwissers durch das Mikroskop unbefangener, ge- nauer und richtiger sei, der irrt sich sehr. Unbefangen ist über- haupt Niemand beim Sehen. Jeder bringt schon seine Erfahrung, seine Gedanken dabei mit. Und die Gedanken eines Unerfahre- nen sind doch gewiss befangener, als die des Erfahrenen. Ich frage hier: Wo kommen die meisten Gesichtstäuschungen vor, beim Kinde, oder beim Manne? Wo die meisten falschen Vor- stellungen, beim Naturkundigen oder Unkundigen? §. 1 47. Jeder Blick wird, sobald er seinen Ausdruck findet, zum Urlheil. Ein wissenschaftliches Urtheil muss auch wissenschaft- lich begründet werden. Es gibt aber in der Botanik eine dop- pelte wissenschaftliche Begründung, nämlich: 1) die literar- historische und 2) die nalurhis torische. Beide setzen das Wis- sen des Dinges voraus; jene in Bezug auf die Vorstellung des Dinges von Seiten Anderer, diese in Bezug auf meine eigene Vorstellung, die ich theils durch die Literatur, tlieils durch Autopsie gewonnen habe. Die Autopsie läutert die vorgefasste Vorstellung und macht sicher in der Beurtheilung. Wiederholte Prüfung durch Autopsie macht die Fassung genauer und schärfer. §. 148. Dadurch entsteht ein beständiges Berichtigen bei dem ge- wissenhaften Beobachter. Wer sich nicht berichtigen kann, wer von dem Aberglauben gefangen gehalten wird, welcher meint, dass man eine einmal gewonnene Ansicht festhalten müsse, weil es inconsequent sei, dieselbe durch eine andere zu vertauschen, der ist unbrauchbar in der Wissenschaft. Unveränderlich und un- erschütterlich dürfen nur die Grundsätze sein, welche die Ver- nunft als ewige Wahrheit, als ewige Notlnvendigkeit erkannt hat. 50 Werth der Autoritäten. Aber die Ansicht der Dinge ist veränderlich, wie diese selbst. Es ist daher durchaus unwissenschaftlich gehandelt, wenn Jemand sich nicht berichtigen kann, es ist aber unredlich und zeugt von einer eben so grossen Bornirtheit als Eitelkeit, wenn Jemand sich nicht berichtigen will. §. 149. Diese Betrachtung führt mich nun auf den Standpunkt, von welchem aus die sogenannten Autoritäten in der Botanik zu be- urtheilen sind. Die Wissenschaft bat hier sehr streng zu unter- scheiden, welche Autorität als acht oder unächt zu nehmen ist. Die Autorität ist durchaus an die Person geknüpft; der Werth dieser ist der Werth jener. Die Person hat aber hierbei eine doppelte Bedeutung, nämlich eine moralische und eine wissen- schaftliche. Bei dem grossen Haufen kommt endlich noch eine dritte Bedeutung hinzu, welche hier auch oft den Ausschlag gibt, nämlich die äussere Stellung. S §. 150. Die moralische Bedeutung der Person muss bei Beurtheilung einer Autorität oben an stehen. Wenn es schon wahr ist, dass die Wissenschaft die Person nur nach ihrem wissenschaftlichen Werthe beurtheilen soll, so lässt sich doch nicht leugnen, dass gewisse wissenschaftliche Leistungen mancher Personen erst ihre Erklärung finden, wenn man die moralischen Motive dieser Lei- stungen, die doch die Grundlage aller menschlichen Handlungen sind, genau kennt. Es ist sogar sehr nothwrendig, dass die Wis- senschaft über- die moralischen Motive aufgeklärt werde, eben weil das Moralprincip das erste ist, worauf die Wissenschaft fussl, obschon es ihr nicht gestattet ist, das Richleramt behufs einer Strafvollstreckung auszuüben. Sie hat das auch nicht nöthig; denn wer die ersten Grundsätze der Wissenschaft nicht aner- kennt, scldiessl sich selbst von ihrem Heiligthum aus. Aber dann ist es für den Novizen nöthig, die Ausgeschlossenen ken- nen zu lernen, damit er von ihnen nicht getäuscht werde' Wie nöLliig die genaue persönliche Bekanntschaft einer Autorität zur vollständigen Aufklärung ihrer Autorität ist, beweist auch nament- lich der Umstand, dass Biographien berfSimler Männer für die historische Entwickelung der Wissenschaft wahres Bedürfniss sind, weil man nur aus dor Bekanntschaft mit dem ganzen Menschen seine wissenschaftlichen Leistungen gonügend beurtheilen kann. Werth der Autoritäten. 57 §• 151. Ich gestehe hierbei gern, dass mich die lichtvolle, ruhige, redliche, besonnene, sich stets berichtigende Weise, womit Hugo von Mohl seine Arbeiten publicirt, eben so anzieht, als die Demonstrationen der Cyclose- Sänger mich abstossen, von denen Schultz- Schultzenstein, unter russenden düstern Fackeln, sich an seinem Geburtstage die Huldigungen der Scheinwissenschaft darhringen lässt 17 ). Diese Praxis darf nie die Praxis der Wissen- schaft werden, wenn diese nicht in den Fall kommen soll, dass Unerfahrenheit und jugendlicher Uebermuth durch Majoritäts- beschluss ihr die leitenden Maximen dictire. Dass unter so be- wandten Umständen die Autorität v. Mohl’s eine gewichtigere ist, als die Schultz- Schultzenstein’ s , selbst wenn dieser sich die Anerkennung noch von allen europäischen, asiatischen, afrikani- schen u. s. av. Akademien zu verschaffen wüsste, leuchtet ein. §. 152. Zur Erkennung des wissenschaftlichen Werthes einer Person kommt man nur durch die eigene Prüfung ihrer wissenschaftli- chen Arbeiten. Es ist der erste Grundsatz der inductiven Me- thode, dass, sobald sie die Prüfung einer wissenschaftlichen Leistung — und das ist jede selbständige Beobachtung — vor- nimmt, sie dieselbe, wenn nicht in Zweifel, so doch in Frage stellt. Auf diesem ,,in Frage stellen“ beruht die weitere Ent- wickelung der Wissenschaft. Diese Entwickelung ist aber nichts mehr und nichts weniger, als die Abstreifung der alten Hülle von ihrem Inhalt und die Entstehung und Entfaltung der neuen. Die Wissenschaft muss daher eben so auf ihre Form und Gestaltung bedacht sein, als auf ihren Inhalt. Naturgemäss entsteht immer die Form zugleich mit ihrem Inhalt. Ein neuer Inhalt aber und eine veraltete Form können wol künstlich zusammengekuppell, aber nie organisch vereinigt Averden. Denn entweder ist die alle Form zu enge — und dann erstickt sie den Inhalt, oder sie wird von ihm geAvaltsam gesprengt — oder sic ist auf eine andere Weise unpassend — dann verunziert sie. §. 153. Es ist nun die sonderbare Zumulhung von manchen Seiten ausgesprochen worden, dass man sich zur Bezeichnung einer neuen Anschauungsweise des Lexicons der allen Anschauungs- weise bedienen solle. Das geht nicht, Avenigstens nicht durch- gängig, ohne mit der alten Bezeichnung auch die alle Vorstellung Werth der Autoritäten. ' 58 wieder zu wecken, oder wenigstens eine Sprachverwirrung durch die verschiedenartige Bedeutung eines Wortes hervorzurufen 1S). Daher kommt es, dass manche Schriftsteller sich an den her- gebrachten Schulbrauch nicht kehren, sondern da, wo sie den Inhalt neu geschaffen haben, der neuen Schöpfung auch ein neues Kleid geben. Man kann aber darin zu weit gehen, namentlich, wenn man in der Manier der Linne’schen Terminologie verfahrt, so dass man zuletzt das Ende solcher terminologischen Bezeich- nungen nicht absehen kann. §. 154-. Leider hat nun aber, durch das sogenannte Prioritätsrecht, auch ein ebenso betrübender Gegensatz dadurch sich heraus- gestellt, dass man geradezu unrichtige Benennungen für bestimmte Organe und Formen durchaus conserviren will, und so eine der ersten Bedingungen aller Wissenschaft, welche darin besteht, für die Sache den passendsten, richtigsten und besten Ausdruck zu wählen, unerfüllt lässt. Es ist also jede Autorität ebensowol auf ihren Inhalt, wie auf ihre Darstellung zu prüfen. §. 155. Was nun die Autorität betrifft, welche die äussere Stellung gibt, so versLeht sich von selbst, dass sie an sich ganz werthlos ist, wenn dieselbe nicht durch wissenschaftliche Leistungen erst Werth bekommt. §. 156. So wie beim grossen Haufen oft die äussere Stellung den Werth der Autorität entscheidet, eben so kann derselbe leicht durch die äussere Form einer Darlegung bestochen werden. Eine kecke sichere Sprache, äussere Ordnung, schönes Papier, schö- ner gefälliger Druck, schöne feine Abbildungen, angenehmes oder imponirendes Format u. s. w. sind es, welche oft allein den Werth eines Buches ausmachen. §. 157. Auf die literar- historische Begründung eines Unheils folgt die naturhistorische. Die naturhistorische Begründung eines Ur- theils in der Botanik zerfällt in drei Theile : 1) In die Selbsluntersuchung und Selbstbeobachtung der vegetabilischen Erscheinungen. . 2) In die Ordnung derselben unter sich und der Verbindung mit dem Ganzen nach den oben entwickelten leitenden Principien. 3) In die Darstellung der gewonnenen Resultate. 59 Gang dei' Untersuchung. §. 158. Seildem man angefangen hat, die Pflanze „werdend“ zu be- trachten, hat sich der Gang der Untersuchung sehr geändert. Genügte es früher nur einen bestimmten Zustand aufzufassen, so reicht das nicht mehr aus, sondern es wird jetzt zur wissen- schaftlichen Charakteristik die Entwickelungsgeschichte verlangt. In vielen Fällen, wo man nur über ein einziges, oder nur wenig lebende Exemplare verfügen kann, muss man daher wirklich an denselben sich die Veränderungen von Anfang bis zu Ende verzeichnen. Aber die wichtigsten Anknüpfungspunkte sind nicht immer die offen daliegenden, sondern sie müssen im Innern des Organismus oft sehr mühsam aufgesucht werden, wodurch eine oder mehrere Sectionen durchaus nöthig sind. Daraus folgt, dass es nie an der hinreichenden Anzahl der Exemplare fehlen darf, wenn man genaue und vollständig ausgeführte Beobachtungen haben will. Am genauesten und vollständigsten kann indessen, besonders bei den kleinern und niedern Gewächsen, die Ent- wickelungsgeschichte studirt werden, wenn man dieselben so zieht, dass man sie in allen Entwickelungsstufen gleichzeitig vor sich hat. Man kann dann die auf einander folgenden Formen be- ständig vergleichen, kann sie im frischen Gedächtniss mit einan- der verknüpfen und bekommt so ein viel lebendigeres und nicht selten auch vollständigeres Urtheil von der Sache. Bei niedern Gewächsformen bietet die Natur sehr häufig alle möglichen Ent- wickelungsstufen unter und neben einander dar und man hat nur nöthig unmittelbar die Untersuchung vorzunehmen. §. 159. Die Entwickelungsgcschichte fängt bei allen Pflanzen — ohne Ausnahme — mit dem kleinsten, dem blossen Auge Unerreich- baren an. Daraus folgt, dass das Mikroskop bei Erforschung derselben unentbehrlich ist. Darum müssen wir noch einige Punkte berühren, welche den Unerfahrenen zu Unrichtigkeiten in der Beobachtung verleiten können. §. 160. Ich habe schon oben erwähnt, dass beim mikroskopischen Sehen das Auge nicht durch die andern Sinne unterstützt werden kann; dazu kommt aber noch, dass, während wir durch das ge- wöhnliche Sehen im Stande sind, die Gegenstände in verschiede- ner Entfernung mit einem Blick zu überschauen und so ihre GO Gang bei mikroskopischen Anordnung nach fern und nahe zu bemerken, zeigt uns das Mi- kroskop bei durchsichtigen Körpern nur diejenigen Objecte oder Theilc eines Objects, welche gerade im Focus — also in einer Ebene — beisammcnliegen, und es besteht darin gerade die Vor- trefllichkeit eines Instruments, dass es Nichts über und unter dieser Ebene zeigt. Durch das Hinauf- und Ilinabrücken des Focus kommt in jedem Momente eine andere, normal auf der Axe der Sehlinie stehende Ebene zum Vorschein. Theils hieraus, llieils durch Seitenansichten, die man mittelst senkrechter Ab- schnitte von den vorgenannten Ebenen erhält, muss sich der Beobachter die wirkliche Gestalt zwar ideal, aber gegründet auf jene empirische Anschauung, zusammensetzen. Das ist schwer, und für solche Personen, welche aus Mangel an Phantasie nicht fähig sind, sich eine richtige Vorstellung von einem Dinge durch blosse Combinalion der vereinzelten Eindrücke zu machen, rein unmöglich. Wo aber die Phantasie wieder zu rege ist, dass sie nicht durch die gewonnene empirische Ansicht gezügelt werden kann, da entstehen falsche Combinationen und Darstellungen. Es gibt nur einen Weg, sich gegen falsche Beurtheilung eines mi- kroskopischen Objects zu sichern, nämlich sich seine Ansicht von allen möglichen Seiten, von oben und unten, hinten und vorne, rechts und links, zu verschaffen und diese zu fixiren; und wenn schon es in mancher Hinsicht ein Uebelstand des Mikro- skops ist, dass es von einem Dinge immer nur bestimmte, in einer Ebene liegende, Punkte auf einmal zeigt, so bietet auch diese Eigenschaft wieder den grossen Vortheil, dass man durch sie genau erfahren kann, was oben und was unten liegt. §. \ 61. Eine andere Schwierigkeit ist die, dass man in gewissen Fällen zweifelhaft sein kann, ob man den Gegenstand in der Bildebene hat oder nicht. Es lässt sich das schwer angeben, namentlich, wenn wir den Körper auch richtig körperlich beur- theilen wollen. Bei Gegenständen von sehr geringer Dicke oder Höhe gilt allerdings der Salz, dass der richtige Focalabstand gefunden ist, wenn das Bild am kleinsten erscheint. Bei Beur- theilung kegelförmiger Erhöhungen auf einer Membran, so wie horizontal liegender Cylinder ist derselbe jedoch nicht mehr richtig und wir müssen hier durch das allmälige Einslellen aller Theile in die Bildebene uns den Begriff zu bilden suchen; um aber die richtige Dicke des Cylinders zu finden, müssen wir die grösste Durchschnittsebene desselben in der Bildebene haben. Untersuchungen. 61 §. 162. Mit der Entfernung eines Objects über oder unter der Bild- ebene verliert sich die Schärfe und Deutlichkeit, auch nimmt die Grösse zu. Gleichzeitig erscheinen aber auch, oft selbst bei richtiger Bildweite, unter gewissen Verhältnissen, verschiedene Farbenränder oder andere Lichtbilder, welche nicht dem Gegen- stände wirklich angehören, sondern theils durch Beugung, llieils durch Schwächung der durchgehenden Lichtstrahlen durch ein getrübtes Mittel hervorgerufen werden. §. 163. Die durch Beugung hervorgerufenen Farben entstehen, wenn durchsichtige Mittel von verschiedener Dichtigkeit und verschie- denem Brechungsvermögen neben und über einander stehen. Solche Fälle treten namentlich ein, wenn eine Zelle mit einem ätherischen Oele, oder mit Luft gefüllt ist. Die Lufthöhlen zwi- schen und in Zellen sind überhaupt eine häufige und lästige Er- scheinung. Sie bilden immer sehr dunkele Partien. Wo Luft und Wasser sich begrenzen, ist immer ein breiter, doppelter, dunkler Rand zu sehen, durch dessen Mitte eine mit der Grenze parallele helle Linie geht; bei genauerer Betrachtung sieht man auch in den dunkeln Theilen des Randes noch sehr feine paral- lele Streifen. Bei Luftblasen scheint der äussere wie der innere Rand unter Umständen mehr oder weniger gefärbt. Ebenso sieht man seine Oeffnungen in diesen Zellenhäuten bisweilen gefärbt. Es tritt hier derselbe Fall ein, wenn wir ein Loch mit einer Nadel in ein Kartenblalt siechen und hindurch sehen. In einer gewissen Entfernung vom Auge sehen wir die Oeffnung mit einem gelben Rande eingefasst und bei noch weiterer Entfernung fiiessl derselbe in ein gelbes Bild zusammen. Auch kleine dunklere Moleküle auf einem hellem Grunde werden von zarten Farben- rändern umgeben, die nicht immer verschwinden, wenn man sie genau in den Focus bringt; ebenso erscheinen diese an der Spitze sehr zarter Spiralfasern, wenn sie sich bei einem Quer- schnitt mit einem Ende von der Wandung ablösen. Die letztem Erscheinungen mögen auch wol von der nicht vollständig besei- tigten chromatischen Abweichung der Gläser herrühren. §. 164. Ich habe oben gesagt, dass auch durch getrübte Mittel Farbenerscheinungen hervorgerufen werden können. Sie kom- men z. B. vor, wenn die Abschnitte zu dick gemacht werden, 62 Täuschungen bei wo dann eine Trübung durch Vermehrung der Masse hervor- gerufen wird; ferner wenn man gefärbte Flüssigkeiten, z. B. Jodin- tinctur, zur umgebenden Flüssigkeit bringt. Es erscheint dann bisweilen eine bläuliche, mitunter auch grünliche Färbung der Zellenhäule, die mit der bekannten chemischen Reaclion dieses Mittels auf Amylon nicht verwechselt werden darf. §. 1 65. Alle diese Erscheinungen muss der Beobachter kennen und wissen, damit er sie als unwesentlich von der Beobachtung trenne, denn diese Farben hängen dem Gegenstände in der Wirklichkeit ebensowenig an, als die Abend- und Morgenröthe der Luft, als das dunstige Blau den fernen Bergen. §. 1 66. Nicht minder muss der Mikroskopist wissen, welche andere Erscheinungen die Beobachtung stören und zu falschen Deutungen Anlass geben können. Dahin gehören 1) alle fremdartigen Staubtheilchen, die theils in der Luft schweben und sich sogar während der Beobachtung auf das Object legen können; 2) alle Bewegungen, welche dem Dinge selbst nicht ange- hören, doch aber auffallend genug sind, um den Neuling zu stören, oder von der richtigen Bahn abzulenken. §. 167. Was die erstem betrifft, so ist es nöthig, geradezu Staub auf seine verschiedenen Formen zu untersuchen, um mit ihnen bekannt zu werden. Namentlich ist es gut die Struclur der Haare mancher Säugethiere zu kennen, weil diese sehr oft unter den Staubtheilchen — von Kleidungsstücken herrührend — sind und bisweilen in ihrer Struclur manchen niedern Pflanzenbildun- gen ähneln. So hat z. B. Meneghini die Haare irgend eines Nage- thieres als Bangia biseriata (Giorn. Toscan. med. fxs. I. No. 2. p. 5.) beschrieben. §. 168. Die Bewegungen, welche sich bei Untersuchungen von Pflan- zenstoffen zeigen, aber denselben entweder gar nicht angehören, oder doch so unwesentlich sind, dass sic bei der Beurlheilung der Beobachtung unberücksichtigt bleiben können, sind verschie- dener Art: 1) Kommen mitunter in dem Wasser, womit man das Object mikroskopischen Untersuchungen. 63 umgibt, Infusionsthierchen vor. Sie sind durch längere Ucbung im Untersuchen bald zu erkennen und incommodiren den geüb- ten Beobachter nicht mehr. 2) Entstehen Bewegungen von Körperchen durch Strömun- gen der Flüssigkeit, welche theils durch Verdunstung derselben, tlieils durch Capillarilät, theils auch durch Vermischen verschie- dener Flüssigkeiten z. B. Alkohol und Jodintinctur mit Wasser u. s. w. hervorgerufen werden. 5) Sieht man in den Milchgefässen der Blätter von Chelido- nium majus Strömungen , welche, wie v. i Wohl nachgewiesen, durch Druck und Biegungen der Blätter beliebig hervorgerufen werden können, aber lange Zeit den Herrn Schultz- Schult zenstein ge- täuscht haben und vielleicht noch täuschen. Wir werden später wieder darauf zurückkommen. 4) Alle Stoffe, mineralische wie organische, zeigen im Was- ser, wrenn sie sehr fein zerlheilt demselben beigemengt werden, eine eigenthümliche zitternde Bewegung, bei welcher sie jedoch nur wenig von ihrem Orte rücken. Mit Pnanzenstoffen kann man sie leicht hervorrufen, wenn man dieselben mit Wasser zwi- schen zwei Glasplatten zerdrückt und zerreibt. Sie muss von jedem Beobachter gekannt sein, damit er sie nicht für etwas Besonderes hält, wenn sie ihm einmal innerhalb einer Pflanzen- zelle an proteinartigen oder andern Molekülen Vorkommen sollte. Sie wurde von Robert Broicn zuerst wahrgenommen und derselbe äussert sich (in seinen „Vermischten botani- schen Schriften“ IV. 503) darüber wie folgt: „Aeusserst kleine Theilchen einer starren (nicht flüssigen) Materie, sie sei nun organischen oder unorganischen Ursprungs, zeigen, wenn sie in reinem Wasser oder in irgend einer wässrigen Flüssigkeit schwebend erhalten werden, Bewegungen, deren Grund ich nicht angeben kann, und die in ihrer Unregelmässig- keit und scheinbaren Unabhängigkeit den trägem Bewegungen einiger der kleinsten Infusorien im hohen Masse gleichen. Die kleinsten sich bewegenden Theilchen, die ich beobachtete, und welche ich „Active Moleküle“ genannt habe, scheinen sphärisch oder fast sphärisch zu sein, und zwischen yaoooo und ]/30ooo eines Zolls im Durchmesser zu haben. Es kommen aber auch be- trächtlich grössere Theilchen von verschiedenem Umfang und entweder von ähnlicher oder von sehr abweichender Gestalt vor, welche unter gleichen Umständen sich auf ähnliche Weise be- wegen.“ Man bezeichnet diese Bewegung jetzt allgemein mit dem Ausdruck Molekularbewegung. Mir kommt die ganze Bewegung ß4 Verknüpfung der Thalsachcn. nicht wie eine infusorienartige vor, sondern es scheint mir, als wenn alle Moleküle sich abwechselnd anzögen und dann wieder absliessen, wodurch ein leichles Gewimmel entsteht, welches viel- leicht in electrischen Ladungen und Entladungen seinen Grund hat, was auch Schleiden (Grundzüge. 3. Ausg. I. 114) vermuthel. §. 169. Nun erst gelangen wir wieder zu der Sache selbst. Und was ist es, was wir weiter von derselben aufzufassen haben? Punkte, Linien und Flächen. Das ist Alles, denn aus ihnen müssen wir das Object begreifen, indem wir es in dieselben zer- legen, und zu fassen suchen, indem wir die erst auseinander- gelegten Theile wieder vereinigen. Diese ganze Anschauung, Be- trachtung und Beobachtung eines Dinges erzeugt daher eine fort- währende Kette von mathematischen Urtheilen, für welche zuletzt die allgemeine Formel gesucht werden soll. Durch diese allge- meine Formel bezeichnen wir den Charakter des Dinges, nicht aber sein Wesen, was für uns überhaupt nicht erkennbar ist. Aber wir unterscheiden dennoch wesentliche und unwesentliche Merkmale, und verstehen unter jenen diejenigen, welche unver- ändert sind, während diese veränderlich sein können. Da aber, streng genommen, unter den sinnlichen Merkmalen es kein einziges gibt, welches unverändert wäre, so haben wir in Wirk- lichkeit nur die Wahl zwischen mehr oder weniger veränderlichen. Das mahnt uns, wo möglich kein einziges Merkmal unbeachtet zu lassen, kurz, den Gegenstand so scharf und genau bis in seine kleinsten Theile zu verfolgen und keinen derselben zu vernach- lässigen. Denn was heute für ein sogenanntes constanles Merk- mal gegolten, ist es vielleicht morgen nicht mehr. Durch eine einzige besondere Ansicht wird nicht selten der Werth eines bis- her verkannten Merkmals erkannt und dadurch zur Geltung ge- bracht. §. 170. In allen Fällen, wo die Beobachtung noch nicht geschlossen und daher die logische Verknüpfung mit dem Ganzen unsicher ist, muss die kahle nackte Anführung der Thatsachen genügen. Das ist immer besser, als eine unrichtige Verbindung. §. 171. Zu tadeln isL aber das Verfahren, wonach eine Definition an die Spitze gestellt wird, der man nachher die willkürlich heraus- gesuchlen Beweise — oft auch gehörig zugerichtet — anhängt, Darstellung. 65 die Gegenbeweise aber, die oft in noch grösserer Menge vor- handen sind, ignorirt, als wären sie gar nicht da 19). Der Bo- taniker muss daher seine ehrliche und wahre Gesinnung nicht bloss darin an den Tag legen, dass er nur Wahres darstellt, sondern auch darin, dass er andere Wahrheiten, die mit seiner Ansicht nicht stimmen, nicht absichtlich verschweigt. Nur das- jenige darf er verschweigen, was er nicht entziffern kann. §• 172. Ich habe schon oben (§. 70) gezeigt, dass nur die reine Wissenschaft Gesetze kennt, und dass dieselben in der Sinnen- welt zwar herrschen, aber von uns nicht zu erkennen sind, so dass wir uns mit Regeln helfen müssen. Es kann sich das kein selbständiger Forscher genugsam Vorhalten, dass nur die An- näherung an das Gesetz der Pflanzenwelt möglich ist. Die ganze Naturwissenschaft ist immer nur eine Combinalion von den durch Untersuchung und Beobachtung gefundenen Thatsachen gewesen. Jede neue Entdeckung befestigt oder vernichtet eine solche Com- bination und erzeugt in dem letztem Falle eine andere. Eine jede solche Vernichtung zeigt, dass immer die Schuld der Un- baltbarkeit einer Combination entweder in dem Mangel an hin- reichenden Thatsachen, oder an einer mangelhaften Fassung ge- legen hat, bei welcher gewöhnlich der Werth der dabei betheilig- ten Merkmale nicht gehörig erkannt wurde. § 173. Wer nun seinen Combinationen keine ephemere Dauer geben will, der sorgt schon von selbst dafür, dass er sich in den Be- sitz eines hinreichenden Vorralhs von Thatsachen setze und sich die genaueste Kenntniss über den relativen Werth der einzelnen Merkmale verschaffe. Die Darstellung. §. 174. So sind wir nun da angelangt, wo wir diejenigen Mittel be- trachten, womit der Botaniker sein Wissen beschliesst. Die Darstellung des Wissens ist die Vollendung der Wissen- schaft. Jede Darstellung des Wissens ist ein Schaffen desselben, sie zeugt daher nicht bloss von dem Wissen des Menschen, son- dern auch von dem Können und tritt so in das Gebiet der Kunst. Kützinq, Philosophische Botanik. I. 5 66 Darstellung des botanischen Wissens Die Darlegung des Wissens ist daher immer eine künstliche Hand- lung. Eine solche ist aber keine beengte naturgesetzliche, sondern eine menschlich -freie, die jedesmal durch das Subject ihre Be- stimmung erhält. Schon die Anschauung der Dinge ist ein sub- jectiver Act, und so geht es fort, bis die Darstellung gegeben ist. Dadurch bekommt jedes Object in der Darstellung eine in- dividuelle Beimischung, deren Entfernung ein widersinniges Ver- langen wäre. §. 175. Aber das Verlangen soll und muss an das darstellende Sub- ject gestellt werden, dass es sich den hohem Standpunkt der Subjectivität, den die Wissenschaft gewährt, eigen gemacht habe. §. 176. In der Kunst streben wir nun immer nach der Darstellung des Schönen, und die Pflanzenwelt ist nicht eine von den letzten Schönheiten der Natur. Sie legt ihre Schönheit in der unend- lichen Mannigfaltigkeit ihrer Formen und der Pracht ihrer Farben mit grösserer Offenheit dem Menschen dar, als irgend ein ande- res Naturreich. Darum hat auch die Poesie sich am meisten mit an ihr versucht. Aber die gewöhnliche niedere Poesie kennt nur die oberflächliche Schönheit der Pflanzenwelt; ja, sie erlaubt sich sogar sie zu schminken , indem sie sie mit Illusionen geistesarmer und unwissender Subjecte bemalt. So entsteht oft ein Zerrbild, an dem nur der Gefallen finden kann, der auf gleicher niederer Stufe geistiger Cultur steht20). §. 177. Man kann daher die Botanik die höhere Poesie von der Pflanzenwelt nennen, indem sie danach strebt — nicht die Illu- sionen des Menschen — sondern die Wahrheit der Pflanzenwelt, die ihre höchste (nicht geschminkte) Schönheit ist, darzustellen. Diese höchste Poesie ist erreicht, sobald wir immer für den er- haltenen Eindruck auch den richtigen Ausdruck gewinnen. Ja, man kann sagen, dass, wenn die Pflanze der Ausdruck eines Gesetzes ist, so müssen wir auch dieses Gesetz darstellen, sobald wir den wahren Ausdruck für die Pflanze gewonnen haben. §. 178. Darauf kommt Alles an. Und da wir nun die Pflanze erst genauer aus ihrer Zergliederung finden, so wäre unsere nächste Sorge, auch den Ausdruck für diese Glieder zu finden. Jede durch Sinnbilder. 6T Pflanze lässt sich einer mathematischen Betrachtung unterwerfen, weil sie eine Grösse ist. Aber sie ist eine continuirliche und zugleich variable Grösse, und desshalb incommensurabel. Das ist nicht nur beim ganzen Pflanzenreich so, sondern auch bei jeder einzelnen Pflanze und ihren Gliedern. Jedes einzelne Glied ist daher eine Summe von Differentialen, also ein In- tegral. Es leuchtet ein, dass, wenn wir den mathematischen Ausdruck der Pflanzenformen aus der niedern Mathematik neh- men wollten, dies ein vergebliches Bemühen sein würde, weil diese es nur mit constanten Grössen zu thun hat. Es muss hier ein anderer Weg eingeschlagen werden, und dieser besteht darin, für jedes einzelne Integral ein entsprechendes Sinnbild zu substituiren und es dadurch ausdrücken zu lassen. §. 179. So reproducirt der Mensch die Pflanze — wie überhaupt die Natur — welche er nur sinnbildlich auffasst, durch ein selbst- geschaffenes Sinnbild, das ihm als der adäquate Ausdruck der Pflanze seinerseits erscheint. Darum ist der wahrste, höchste, reinste und schönste Ausdruck, den er für die Pflanze, wie für die ganze Natur gewinnen kann, ein Gemälde. Ein Gemälde, welches nicht nur Totalansichten, sondern auch Lebenserschei- nungen bis in die innersten Tiefen, zu denen der menschliche Geist sich hinabzusenken vermag, wiedergibt. §. 180. Jeder sinnliche Eindruck, der uns in der Pflanzenwelt durch seine Neuheit, seine Schönheit überrascht, bringt zunächst eine stille Verwunderung21), eine stumme Verehrung hervor. Die stille Ueberraschung ist daher die zauberische Gewalt, die die Natur der Pflanze auf alle Menschen mehr oder weniger ausübt, sie in ihren Zauberkreis fesselt, und verstummen macht, wenn die Sprache, in der sie zu ihm spricht, von ihm nicht verstanden wird. Darum ist auch das erste Bild, was er von ihr empfängt, kein lautes (keine Klangfigur), sondern ein stummes, und dieses stumme Bild ist es, was er zunächst zu reproduciren sucht. §. 181.' Jeder Mensch, der sich nicht mit der Lautsprache helfen kann, nimmt zum Gestus seine Zuflucht, den er, wenn es nöthig, mit allen seinen Körpertheilen, am meisten aber durch Hand- bewegungen, ausführt. Der Gestus ist das Zeichnen des Gegen- 5* 68 Werth der Abbildungen. slandes in der Luft. Das gibt aber nur ein vorübergehendes Bild. Um es bleibend zu machen, ist der Gestus mit dem Griffel aus- zu führen. §. 1 82. Ich habe nicht ohne Absicht in der historischen Einleitung dieses Buches gesagt: „Es ist charakteristisch, dass das erste selbständige Werk in der Botanik ein Bilderwerk ist.“ Daraus, und aus der ganzen Geschichte der Botanik erhellt, dass die Pflanzenwelt mehr zu dem Auge, als zu dem Ohre spricht, da- her durch sie auch mehr die Augensprache als die Ohrensprache geweckt wird, daher auch die Augensprache für die Botanik eine gewichtigere, als die Ohrensprache ist, daher auch das Erkennen der Pflanzenwelt mittelst der Ohrensprache allein (d. i. die Er- lernung der Botanik aus Büchern) eine Unmöglichkeit ist. §. 183. Aber die Augensprache spricht der Mensch nicht mit der Zunge, sondern mit der Hand, indem er das Bild durch ähnliche Linien zu begrenzen, und ähnliche Farbenlichter in die fixirten Grenzen einzutragen sucht, wie er in der Natur gefunden hat. So ahmt er die Natur nach und sucht von ihr ein Abbild dar- zustellen. §. 184. Dieses Abbild ist zwar nicht das gleiche, aber doch das ähnlichste, was der Mensch von der Pflanze darzustellen vermag. Es gewährt, wenn es mit möglichster Genauigkeit ausgeführt ist, die richtigste und genaueste Vorstellung von der Pflanze, sowol in der Totalansicht, als auch im Einzelnen. Es gewährt ausser- dem den Vortheil, dass es in einem leicht zu übersehenden Raume gefasst werden kann, ohne das Detail so vernachlässigen zu müssen, als es bei gleicher Uebersichtlichkeil in der Laut- sprache der Fall ist. §. 185. Es ist daher für jeden Forscher, welcher die wissenschaft- liche Darstellung der Pflanzenwelt sich zur Aufgabe gemacht hat, eben so nolhwendig, dass er zeichnen, als sprechen und schrei- ben könne. §. 186. Das Zeichnen hat, ausser dem Vortheil der genauem Dar- stellung einzelner Momente des Pflanzenlebens, auch noch das Gute, dass man bei demselben genöthigt wird, sich die Sache Werth der Abbildungen. 69 viel genauer und öfter anzusehen, als beim Schreiben, weil man keinen Strich an der Zeichnung thun kann, ohne ihn vorher in seiner gehörigen Lage und Grösse mit allen übrigen Verhältnissen verglichen zu haben. Ohne diese Genauigkeit und Schärfe bei der vergleichenden Betrachtung kommt kein richtiges Bild in Stand, und ob eine Darstellung richtig ist, sieht man bei der Verglei- chung des Bildes mit dem Original viel leichter, als bei der schriftlichen Darstellung. §. 187. Daher kommt es auch, dass Abbildungen, wenn sie gut sind, einen bleibenden, classischen Werth haben, während schriftliche Darstellungen oft sehr schnell veralten und unbrauchbar werden. Das Abbild gewährt auch den Vortheil, dass ich in ihm oft Sachen ausdrücken kann, wofür die Lautsprache gar keinen Ausdruck besitzt, und endlich, dass ich bei der Abbildung am wenigsten von der objectiven Auffassung abweichen kann. Endlich prägt sich das Bild beim Abbilden stärker und bleibender dem Gedächtniss ein , so dass man es leicht und zu jeder Zeit für die innere An- schauung wieder wecken und dadurch sicherer für spätere Fälle wieder benutzen kann. . §. 188. Das Alles mahnt den Botaniker, dass er sich bei Anfertigung der Abbildungen nicht auf den Künstler verlassen kann und darf, sondern dass er seine Zeichnungen selbst ausführen, ja wo mög- lich auf dem Stein oder dem Metall ausführen müsse, wenn er befriedigende Darstellungen erhalten will. Die Wahrheit dieser Worte wird Jeder zugeben, der weiss, wie selbst der aufmerk- samste, genaueste und gewissenhafteste Forscher bei seinen Un- tersuchungen immer schärfer unterscheiden lernt und später auch da Heterogenes deutlich gewahr wird, wo er früher nur Homo- genes zu erblicken geglaubt halte. §. 189. Ganz besonders wichtig aber ist die Abbildung mikroskopi- scher Gegenstände, welche man gleichsam der unsichtbaren Welt entrückt und in die sichtbare versetzt. Die Vergleichung mi- kroskopischer Objecte ist ausserordentlich schwierig, weil man sie meist nur nach einander, nicht neben einander haben kann, wie die Blumen im Garten und die grossem Pflanzen im Herba- rium. Man hat also keinen unmittelbaren Tolalanblick ihrer 70 Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Gruppen. Da ist nun die Abbildung des vergrösserlen Objects etwas Unentbehrliches, weil sie allein die mikroskopische Well in der sichtbaren bleibend macht. §. 190. Der gewöhnliche Zeichner sieht auch die Dinge nur mit ge- wöhnlichen ( unwissenden ), nicht mit wissenden Augen an. Daher kommt es, dass deren Abbildungen nie wissenschaftliche Genauig- keit und Schärfe haben, namentlich wenn sie nicht durch wissen- schaftlichen Beirath unterstützt werden. Ja selbst der Lithograph oder Kupferstecher ist oft genölhigt, sich das Object im Original zu besehen, wenn er die Zeichnung von einem Naturforscher richtig wiedergeben soll. §. 191. Der gewöhnliche Zeichner gibt uns die Pflanzenwelt nur in derjenigen Aesthetik, wie sie das unwissende Publicum empfin- det, nämlich ganz oberflächlich, weil diese Aesthetik durch das wissenschaftliche Detail gestört wird. Dieses Letztere ist auch für das profane Publicum in der That nicht vorhanden. Darum geht diese Malerei mehr darauf hinaus, das Detail zu verstecken, um so mehr den Gesammteffect festzuhalten; ja sie findet es sogar verdienstlich, hie und da „Verbesserungen“ anzubringen, also das Bild noch mit ihren subjectiven Schönheitsbegriffen zu schmücken. §. 192. Das Alles muss bei wissenschaftlichen Zeichnungen wegfallen und darum taugt ein gewöhnlicher Künstler nicht für wissen- schaftliche Darstellungen. §. 193. Aber es darf jetzt auch nicht übersehen werden, dass der wissenschaftliche Pflanzenzeichner ebenfalls nicht geringen Gefah- ren ausgesetzt ist, wenn er sich bei der Zeichnung mehr von seiner subjectiven theoretischen Ansicht, als von dem Object leiten lässt, wenn er seine Idee, als das Massgebende betrachtet, dem er nur das verkümmerte Abbild als Beweismittel beizufügen habe; in Summa: Wenn man es den Abbildungen gleich ansieht, dass sie nach dem Texte gemacht sind und dass die Natur höch- stens von Ferne darauf influirt habe. Man mag solche Darstel- lungen für sich oder Andere als Schemata aufstellen und sie als eine vorherrschend subjective Auffassung ausgeben; als treue und und wissenschaftlichen Zeichnen. TI wahre Abbildungen dürfen sie nicht ausgegeben werden, ohne ein wissentliches Falsurn zu begehen. §. 194. Ich kann hier nicht unterlassen zu bemerken, dass das Höchste in der schematischen Darstellung von subjectiven Pflan- zenbildern von Karl Naegeli geleistet worden ist. Namentlich geben die Tafeln zu seinem Buche „Die neuern Algensysteme und Versuch zur Begründung eines eignen Systems der Algen und Florideen“ Zeugniss davon. Als Abbildungen von wirk- lichen Pflanzentheilen haben solche schematischen Figuren gar keinen Werth. Die Naegeli’ sehen Figuren zeigen nur, wie die Algen sein würden, wenn sie nach Naegeli’ s Theorie gebildet wären. Das ist nun zwar in so fern gut, dass man gleich von vorn herein weiss, wie man mit dem Verfasser dran ist; aber daran liegt nur dem Forscher nicht viel, sondern die ob- jectiven Thatsachen sind ihm wichtiger. Wenn er nun diese in solcher verstümmelten, zurecht gezirkelten und geometrisch abge- messenen Weise vorgeführt findet, so kann er nur beklagen, dass der grosse Werth einer getreuen Abbildung so ganz verkannt wird. §. 195. Die Zeichnungen der mikroskopischen Bilder haben, wenn man sie frei ausführen will, ihre grossen Schwierigkeiten. Sie erfordern eine ziemliche Fertigkeit im Treffen, die nur durch beständige Uebung erreicht werden kann. Es gibt aber Vorrich- tungen, womit man das mikroskopische Bild — mittelst der Camera lucida — unmittelbar auf das Papier fallen lassen kann, so dass man nur nöthig hat, dasselbe mit dem Bleistift zu um- ziehen. Das Abbild wird dadurch ungemein treu und wahr. Hat man so die Hauptumrisse und die Lage der einzelnen Theile ge- wonnen, dann kann man leicht die künstlerische Vollendung an demselben anbringen. §. 196. Zur Vervielfältigung der Abbildungen dienen ziemlich alle Arten von Kupferstich, Stahlstich und Lithographie. Bei mi- kroskopischen Objecten müssen jedoch die Lithographien ent- weder mit der Nadel, oder mit der Feder, verbunden mit dem Crayon, ausgeführt werden. Meine Zeichnungen zur Phycologia generalis und den spätem Werken, auch zu diesem, sind mit der Diamanlnadel in Stein gravirt. Auch die Zeichnungen vieler 72 Die Abbildungen bekommen einen Tafeln, welche Henry und Cohen zu den NovaAcla der Leopoldinisch- Karolinischcn Akademie, zu Nees von Esenbeck’s Genera planta- rum und andern Werken geliefert haben, sind in dieser Weise gefertigt. Dagegen sind die Tafeln in der Linnaea, der botani- schen Zeitung und der Linid sehen Werke , welche von C. F. Schmidt herrühren, mit der Feder und dem Crayon dargestellt. Will sich Jemand diese Fertigkeiten aneignen, so ralhe ich zur Lithographie, weil sie am leichtesten auszuführen ist, wenn man im Zeichnen schon hinreichende Uebung hat. Ich ralhe dann aber auch noch, sich nur in einer Manier zu üben und in derselben zu vervoll- kommnen, als bald diese, bald jene in Anwendung zu bringen, indem man so in keiner recht fest wird. §. 197. Ein grosser Uebelstand herrscht noch — namentlich in den Lehr- und „populären“ Büchern der Botanik — darin, dass ge- wisse Abbildungen die Runde durch die Bücherwelt machen, in- dem sie ein Compilalor von dem andern copirt. Weil nun in der Regel jeder Copist. das Ding etwas verändert, so sieht das letzte dem Original gar nicht mehr ähnlich. Demohngeachlet wird das unwissende Publicum von den gewissenlosen Bücber- fabrikanten immer weiter betrogen. Das mahnt uns, dass wir nur <^a eine Abbildung entnehmen dürfen, wo wir nicht im Stande sind, eine Originalabbildung anzuferligen und die feste moralische Ueberzeugung haben, dass die Abbildung genau ist. §. 198. Wie genau aber auch eine Abbildung ist, Eins fehlt ihr, und gerade etwas sehr Wesentliches , das Leben. Die Abbildung kann nämlich immer nur einen Moment ausdrücken; diesen Moment hält sie bleibend fest — wie die getrocknete lodte Pflanze im Herbarium — und dadurch lieferl sie nur die Pflanze in ihrer Erstarrung. Selbst wenn wir noch so viele Entwickelungsstufen in der Abbildung geben, so sind dies doch nur einzelne, abge- rissene, erstarrte Momente, welche sämmtlich durch scharfe will- kürliche Einschnitte von einander getrennt sind. Darum reicht die Abbildung nicht aus, wenn man das Leben — die nach ewigen Gesetzen geregelte Bewegung — der Pflanze wiederge- ben, wenn' man ihre Lebcnsgeschichlc nicht in willkürlich abge- rissenen Bruchstücken, sondern im Zusammenhänge und in seiner so mannigfaltigen Verschlingung kennen lernen will. hohem Werth durch die Lautsprache. 73 §. 199. Da tritt nun die Ohrensprache, welche das geistig Aufgc- fassle durch den articulirten Laut versinnlicht, an die Augen- sprache heran, um dieselbe zu unterstützen, indem sie die er- kannten Vorgänge sinnbildend wiedergibt, die vorher mit dem stummen Auge verfolgt wurden. Durch die Lautsprache wird daher für den Menschen die Natur — wie überhaupt seine Um- gebung — höher belebt, indem er durch sie sein geistiges Ver- hältniss mit ihr fester knüpft. Denn die Lautsprache ist nur sein Eigenthum, sein Wesen, und er kann daher sich ohne die- selbe auch nicht genügend bezeichnen. Sie dient ihm überall, bei allem seinen Thun und als nolhwendige Vermittlerin mit seines Gleichen, also auch mit sich selbst. Denn er selbst wird sich erst klar und findet in sich seine volle Befriedigung, wenn er das, was ihn geistig bewegt, in Worte fassen kann. §. 200. Das Wort ist daher der nothwendige Begleiter des Abbilds; es dient ihm als Erläuterung und erzeugt und verbreitet so erst die Wissenschaft, indem es dem Bilde seinen (des Wortes) In- halt und seine Form anpasst. Die Form wird hier ganz aus Sinnbildern, gleichsam mosaikartig, gewoben, aus Sinnbildern, deren natürliche Bedeutung nie eine gleichmässig scharfe Begren- zung zulässt, und daher immer mehr oder weniger willkürlich gefasst werden können und wirklich gefasst werden. Darum ist in jedem Texte immer die Individualität des Darstellers in viel höhe- rem Grade niedergelegt, darum zeigt sich aber auch im Texte die Differenz der Anschauungen, Erfahrungen und Verknüpfungen viel grösser, als in dem Abbild. §. 201. Die nächste Wirkung einer solchen Differenz ist immer eine Störung des moralischen Verhältnisses zwischen den Personen. Diese Störung ist um so heftiger und anhaltender, wenn sich in dieses Verhältniss Anmassung, Dünkel, Bechlhaberci, Unredlich- keit u. s. w. mischt; kurz, wenn die streitenden Parteien ver- gessen , dass die Wissenschaft ihrer Person voransteht. Je mehr ich mit der Wissenschaft bekannt geworden bin, um so mehr habe ich mich überzeugt, dass Polemik gar nichts mit ihr zu thun hat. Denn aus der Meinungen Streit geht siegend die Wahr- heit niemals hervor. Jeder Streit ist ein gewaltthätiger, rein sub- jecliver Act, hei welchem der Eine dem Andern Etwas aufzwin- 74 Kritik. Literatur. gen will, was er entweder nicht haben mag, oder nicht haben kann. §. 202. Selbst die Wahrheit kann Niemanden aufgezwungeu werden; denn wo Einsicht herrscht, zwingt sie sich von selbst auf und da weist sie Niemand zurück. Wo Mangel an Einsicht herrscht, da ist nur eine Verständigung möglich. §. 203. Wo aber eine offenbare Lüge, ein Betrug oder Irrthum vor- liegt, da decke man Alles sine ira et sludio auf; wo hingegen Thorheilen und Narrheiten ins Spiel kommen, da hilft auch keine Polemik. Einen Andern aber zu verletzen , weil er anders denkt, dazu hat Niemand ein Recht. §. 204. Nur die Kritik werde unnachsichtig geübt; wer diese nicht vertragen kann, taugt nicht für die Wissenschaft. Jede polemi- sche Kritik aber, oder Antikritik verdient keine Beachtung. Die Kritik ohne Bitterkeit ist die schärfste Waffe zur Ausrottung ge- wisser Missbrauche. Kritiklose Recensionen aber von Leuten oder Schwachköpfen, die der Sache, die sie beurlheilen wollen, ganz und gar nicht gewachsen sind, bringen vielen Schaden und ha- ben auch die Kritik bei Manchem in Misscredit gebracht. Leider sind gewisse Zeitschriften zu ordentlichen Recensirmaschinen herabgesunken, wo man die Worte mit dem Zollstocke misst, oder wo ein Mitarbeiter über Alles aburtheilen muss, wenn er es auch nicht versteht. Eine Unart muss ich dabei noch zur Sprache bringen, welche darin besteht, dass manche sogenannte Recensenten den Verfasser für das tadeln, was er nicht gebracht und auch gar nicht hat bringen wollen. Auch Nichtrecensenten, ,, welche weniger bei dem verweilen, was ein Buch enthält, als bei dem, was nach ihrer individuellen Ansicht darin gefunden werden sollte“22), sprechen häufig ungegründelen Tadel aus, während sie wieder sich in Lobhudeleien ergehen, wo die schärfste Kritik am rechten Platze gewesen wäre. Mil solchen Menschen muss man viel Geduld haben. §. 205. Dass die Literatur nicht vernachlässigt w-erden darf, und dass der Verfasser bei der Darlegung wichtiger Thatsachen, die Andere gefunden haben, sich nicht den Anschein geben darf, als rührten I Stil. Logische Ordnung. 75 dieselben von ihm her, versteht sich von selbst, obschon ich nicht für nöthig halte, dieses Verlangen so weit auszudehnen, dass bei jeder Kleinigkeit der erste Entdecker nachgewiesen wer- den müsse. Denn das Meiste hat der tüchtige Schriftsteller doch selbst gesehen, ganz unabhängig vom ersten Entdecker, und er hat daher auch in diesem Fall das Recht, es als sein Eigenthum darzustellen. Mit einem grossen literarischen Nachweis zu prun- ken, wie wol früher es oft geschah, oder jeden Gedanken, den man ausspricht, noch durch eine Menge Citate zu belegen — um den Beweis zu liefern, dass man nichts Kluges und Dummes sagen könne, was die „Vorwelt“ nicht auch gedacht habe — ist hei einem naturwissenschaftlichen Buche, was nicht gerade die Literatur zu seinem Vorwurfe hat, gar nicht angebracht. Es ge- nügt hier eine Auswahl des Besten. Die Botanik hat hierin gerade am meisten gefehlt, weil sie sich aus dem Mittelalter her- schreibt, wo die Citate in höherm Ansehen standen, als die Beobachtungen. Die Physik und Chemie haben diesen Miss- brauch längst abgeschafft: §. 206. Es versteht sich ebenfalls von selbst, dass der Darsteller sich eines klaren deutlichen Stils befleissige ; kann derselbe zugleich schön sein, so ist das desto besser. Denn das rechte Schöne ist auch jedesmal geordnet, ebenmässig und wahr, und alles dies ist der Naturwissenschaft, die das Schönste darzustellen hat,' an- gemessen. §. 207. Vor Allem aber ist logische Anordnung des Stoffs zu em- pfehlen, ohne deren strenge Befolgung man dem Verständniss der Sache schadet. Die Linne’ sehen Werke sämmtlich, nament- lich die Philosophia botunica, können darin als Muster dienen. Alle übrigen botanischen Schriftsteller, selbst unsere besten neuesten, können sich nicht mit ihm messen. Zum Beweis führe ich Schleiden an, weil er gerade von Allen am meisten — und das mit Recht — auf eine philosophische Durchbildung und nament- lich logische Durchdringung des Gegenslandes-hält. Dieser spricht in seinen Grundzügen zuerst von den verschiedenen Formen des Stärkmehls; im ersten Capilel des zweiten Buches von der Formenlehre der Pflanzenzelle; im ersten Capilel des dritten Bu- ches von der allgemeinen Morphologie (Formenlehre), und im zweiten Capitei von der speciellen Morphologie. Verstösse gegen die Logik kommen aber in allen Büchern vor, selbst in solchen, 76 Auswahl des Stußs. welche Logik lehren wollen, und ein Logiker weiss immer des andern Fehler aufzudecken, ohne fähig zu sein, die seinigen ganz zu vermeiden. §. 208. Das kommt daher, dass eines Jeden geistiges und physisches Auge seine individuellen Stärken und Schwächen hat. Jene setzen ihn in den Stand die Schwächen Anderer — die nicht gerade die seinigen sind — zu erkennen, diese hindern ihn die eignen Feh- ler zu vermeiden. §. 209. Es ist daher sehr nöthig, dass Jeder seine individuellen Schwächen zunächst kennen lerne, bevor er Andere beurtheilt, oder gar tadeln will; denn es kommt dann nicht selten vor , dass ein solcher seine Schwächen als Massstab anlegt, Etwas zu ver- bessern meint, in der Wahrheit aber die Sache nur verbalhornt. Zwischen manchen Schriftstellern besteht daher auch die löbliche und allgemein sehr empfehlenswerthe Sitte, dass sie sich ihre Manuscripte zu gegenseitiger Correctur vor dem Druck zusenden. §. 210. Hieraus geht hervor, wie nöthig öffentliche Beurtheilungen von Schriften — aber nur von tüchtigen Kennern, nicht von Solchen, die sich unfähig gezeigt haben, selbst etwas Ordentli- ches zu leisten — sind, wenn keine absichtlich verletzenden Ab- sichten gegen den Verfasser dabei im Spiele sind. §. 211. Ferner trägt zu einer guten Darstellung noch bei, dass der Verfasser keinen Stoff mit hineinziehe, den er nicht vollkommen beherrsche. Ein Jeder beherrscht eigentlich nur das, was er kennt. Es gibt aber Schriftsteller, die gern mit einer Fülle von Material kokettiren, um damit ihre ausgedehnten Kenntnisse zu zeigen. Es ist allerdings nöthig, einen Begriff deutlich zu machen, und die induclive Methode bringt es mit sich, dass ein Begriff um so deutlicher wird, je mehr Einzelheiten ihn gebildet haben, darum sind diese von Wichtigkeit, wenn derselbe festgestellt wer- den soll. Ist das letztere aber geschehen und handelt es sich in einer Arbeit darum, mehr allgemeine als specielle Wahrheiten darzulegcn, dann ist es in der Tliat sehr lästig für den Leser und für die Wissenschaft überflüssig, wenn der Verfasser mehr Einzelnheit'en anführt, als zum Beleg nöthig sind. Man sollte I Der Vortrag. 77 doch immer allgemeiner einsehen lernen, dass die eignen wissen- schaftlichen Untersuchungen einen Jeden mit der Zeit so in An- spruch nehmen, dass er sie nicht bei unnöthig ausgedehnten und weitläufigen Darstellungen, namentlich wenn sie mit vielem leeren Geschwätz gemischt, oder auch mit ewigen Zänkereien und Rau- fereien unterbrochen werden, vergeuden darf. Es ist in der That Mancher selbst Schuld daran, wenn seine Arbeiten nicht so gründ- lich angesehen und mit solchem Eifer gelesen werden, wie sie es ihres wissenschaftlichen Inhalts wegen verdienen. Summa: Man hüte sich, seine Darstellung eben so mit Stoff, als mit un- schönen Redensarten zu überladen 23). §. 212. Ich komme nun zu dem Ton oder Vortrag, in welchem eine Darstellung gefasst wird. Die Botanik, wie jede besondere Wis- senschaft, macht einen Unterschied, wenn sie zu einem Publicum spricht, bei dem es eine allgemein sprachliche und encyclopä- disch - wissenschaftliche Bildung voraussetzt, oder zum Volke. Darum unterscheidet man den populären und den wissenschaft- lichen Vortrag. §. 213. Wenn man das Volk in der Wissenschaft unterweisen will, so hat man die Absicht, die wissenschaftliche Anschauungsweise unter demselben zu verbreiten und durch dieselbe die bisherige volksthümliche, welche mit allerhand Aberglauben und Fabeleien vermengt ist, zu verdrängen, nicht aber beide Anschauungsweisen zu vermengen, wodurch nur die Confusion vermehrt wird. §. 214. Das ist löblich und gut, auch ganz in dem Wesen der Wis- senschaft begründet. Da kommt es nun darauf an, sich des Volkslexicons in Betreff der Ausdrucksweise zu vergewissern , und die in der Wissenschaft gebräuchliche Terminologie in dasselbe zu übersetzen; aber, wohl gemerkt, behutsam, damit man nicht einen Terminus durch ein solches Volkswort ersetzt, wodurch die bisherige falsche Anschauungsweise festgehalten , also der gute, löbliche Zweck ganz verfehlt würde. In solchen Fällen und in allen denen, wo die Volkssprache den Ausdruck des Dinges gar nicht besitzt, muss der wissenschaftliche Ausdruck — wenn man die Wahl hat, der am leichtesten verständliche — gebraucht werden. Das ist populäre Methode ; und nur so wird sie segen- 78 Der Volkston. und heilbringend. Sie klärt auf, reinigt und erweitert die Volks- sprache, macht das Volk gesittet und durch die Gesittung frei. §. 215. Aber das Volk hat auch seine Methode. Es ist der Volkston. „Me schwezt, wie eim der Schnabel gwachse isch. Gern chönti’s besser, aber’s will nit goh. (Ilebel.) Dieser Volkston hat unter dem Volke seine volle Berechti- gung und seine tiefe Bedeutung; aber er hat sie nicht in der Wissenschaft, weil er sie herabzieht. §. 216. Dennoch gibt es — so viel ich weiss — keinen einzigen populären Schriftsteller, welcher sich das so recht klar gemacht hätte. Vielmehr meinen gerade die Meisten, man müsse mit dem Volke auch im Volkstone aus der Wissenschaft (ein wrahrer Wider- spruch) sprechen und in dieser Befangenheit glauben sie dann das höchste Ziel erreicht zu haben, wenn sie ihren Text mit volkstümlichen oder kindischen Redensarten beginnen, dann all- mälig in den Gegenstand als solchen eingehen und hierauf den Avissenschaftlichen Theil des Textes etwa in folgender Weise mit dem Volkston vermischen: „Bei vielen Arten, wie eben beim Kannenkraut (Equisetum arvense), sind Stengel, Aeste und Zweige — Blätter gibt es nicht an ihnen (!) — sehr scharf gerieft und rauh, welches daher rührt, dass sich in dem Gewebe derselben eine Menge feiner (!) Kieselerde mit vorfindet, wmdurch das Kraut so scharf wird, als wenn der Schleifer den Polirstein mit Smirgel, auch eine Kieselerde (!), bestrichen hätte. Das könnt ihr der Köchin in meinem Namen sagen und ein Compliment dazu“, u. s. w. §. 217. Solcher Ton gehört in keine „Naturgeschichte“, auch nicht in eine „für Kinder“. Wenn man die Kinder lieb hat und es nun einmal nicht lassen kann, für sie eine „Naturgeschichte“ zu schreiben, so hat man darauf zu sehen, den Kindern wissen- schaftlichen Sinn und nicht umgekehrt, der Wissenschaft kindi- schen Sinn einzupflanzen, um beide für einander zu gewinnen. Für einen Schriftsteller aber, der in einem solchen Buche öfters sich selbst das Prädicat eines „Naturforschers“ beilegt, geziemt sich solcher Ton desshalb nicht, weil er weder zum populären noch wissenschaftlichen, sondern zum trivialen Vortrag gehört, Der wissenschaftliche Vortrag. 79 welcher darin besteht, das „Erhabene in den Staub zu ziehen.“ Dieser triviale Yortrag wird auch nur von Halbwissern oder un- wissenden „Literaten“, „Belletristen“ u. s. w. befolgt, denen bloss daran gelegen ist, sich beim niedern Publicum beliebt zu machen, um einen guten „Absatz“ zu erzielen. Diese Schrift- steller halle Goethe im Sinne, als er den Mephistopheles fra- gen liess: „So sagt mir doch, verfluchte Puppen! - Was quirlt ihr in dem Brei herum?“ Worauf die Antwort:. „„Wir kochen breite Bettelsuppen.““ „Da habt ihr ein gross Publicum.“ §. 218. So hätten wir nun noch den wissenschaftlichen Vortrag zu erörtern. Sein Zweck ist, das Höchste zu erstreben, was zu erreichen der Lautsprache möglich ist. Er setzt demnach die völlige Bewältigung der Sprachen durch die Sprache voraus. Ich kann mich nicht mit denen einverstanden erkären, welche in der Ereiferung gegen philologische Verkehrtheiten das Kind mit dem Bade ausschütten und in der Erlernung der Sprachen nur eine Quälerei erblicken. Die Sprache ist das einzige Mittel, welches die Wissenschaft möglich macht, und darum ist sie auch die erste und nothwendigste Grundlage. Je mehr Sprachen Jemand versteht, einen desto grossem Reichthum an Vorstellungen und Ausdrücken hat er sich auch eigen gemacht. §. 219. Nur die Augensprache ist allgemeine Menschensprache, in so fern sich ihrer eben so die niedrigste, wie die höchste Cultur bedient. Der gemeine Gestus ist aber so niederer Art, dass sogar das Thier Anwendung davon macht. Dagegen ist die Lautsprache (zwar auch das Resultat der Gesten des Sprachorgans, und die Schriftsprache wieder der der Hand) immer nur der Ausdruck für die Anschauungsweise eines bestimmten Volkes, sie ist immer national und durch diese Nationalität beschränkt. §. 220. Nur wenn eine Nation die ganze Menschheit wäre, könnte sie sich rühmen, dass ihre Sprache die andern Sprachen über- flüssig mache. So verschieden nun die umgebende Natur der Nationen ist, 80 Die Sprachen. so verschieden isl ihre Anschauungs- und Ausdrucksweise. Es hat daher jede Nation ihre Grundbezeichnungen für die National- dinge, ihre Grundworle, welche gewissen Dingen unmittelbar an- geboren und dadurch unveränderlich sind, weil sie eben die ersten verleiblichten Vorstellungen, die noch kein Vergleich trübt, sind. Jede Vermehrung der Vorstellungen hat aber die nothvvendige Vergleichung mit den vorhergehenden zur Folge und so kommt es, dass die erst später erkannten Vorstellungen nicht mehr durch Grundworle, sondern durch abgeleitete bezeichnet werden. §. 224. Die Wissenschaft duldet indessen keine nationale Beschrän- kung, sie strebt über die Nationalität hinaus und ist rein kosmo- politisch. Aber diejenige Nation, weiche die Wissenschaft zur höchsten und reinsten Blüte bringt, wird auch den grössten Reichthum an Vorstellungen und Ausdrücken besitzen. §. 222. Das Bestreben der Wissenschaft, welche keine Nationalität anerkennt und auch nicht anerkennen darf, wenn sie ihr eigenstes Wesen, also sich selbst, nicht aufgeben will, geht unzweifelhaft dahin aus, eben so die Nationen, wie ihre Sprachen zu verwi- schen und eine Nation, eine Sprache zu bilden; und diejenige Nation und Sprache wird die eine , die durch den Geist — nicht durch rohe Gewalt — herrschende werden, welche die univer- salste Richtung am unverrücktesten im Auge behält und die grösste Fähigkeit besitzt, die Sprachen der andern Nationen in sich organisch aufzunehmen und so zum leiblichen Eigenthum zu machen. §. 223. Dass man da nicht mit der Sprache der Gallas oder der Guaranier anfängt, leuchtet ein, und es ist ein ganz natürlicher, in der Entwickelung der Nationen und Sprachen begründeter Act, dass diejenigen sich zunächst gegenseitig anziehen und assimiii- ren, welche vermöge ihrer philosophischen Ausbildung und hohem Entwickelung die meiste Verwandtschaft zu einander haben. Und die Gewalt des Geistes in der Sprache ist so gross, dass sie noch lange, lange fortwirkt, wenn der Leib, der sie erzeugte, auch todt ist. Sie lebt fort, indem sie sich eines neuen frischen leiblichen Trägers bemächtigt. §.' 224. So ist es gekommen, dass Griechen, Römer und andere Botanische Terminologie. 81 alte, geistig hervorragende Völker durch die Hinterlassenschaft ihres Geistes in der Sprache viel weiter geherrscht haben, als durch den rohen Glanz ihrer Waffen, und gerade da am meisten, wo ihre Waffen besiegt wurden , oder auch nicht hinreichten. Ihre und andere rohe Waffen haben dagegen durch die gewalt- same Vermischung der Völker nur Zwittersprachen geschaffen. Und so ist es weiter gekommen, dass sie, die, nächst dem Christenthum, die grösste geistige Bewegung unter den cultur- fahigen Völkern hervorriefen, und bei ihnen namentlich den ersten Grund zur Wissenschaft legten, diesen Grund behauptet haben und auch ferner behaupten werden; denn ein Kind kann sich nun einmal seines Vaters nicht erwehren, wenn es auch längst mannbar stark geworden und der Vater mit greiser kindischer Altersschwäche kämpft. Wir haben schon in der geschichtlichen Einleitung gesehen, wie durch die alten Classiker die beiden alten Sprachen in der Botanik zur Anwendung gekommen sind. Wir wissen auch, wie durch Linne eine bestimmte Nomenclatur und Terminologie fest- gestellt wurde. Sie reichte lange aus und hat viel Gutes gewirkt. Aber sie war Nichts Vollendetes, weil viele Benennungen und Bezeichnungen auf mangelhafter Anschauung beruhten. Die na- türliche Folge davon war, dass die botanische Sprache sich mit der Wissenschaft verändern und fortbilden musste. Linnd hatte hierzu Gesetze gegeben, welche vorzüglich waren, wenn sie mit Um- sicht und nicht einseitig befolgt wurden. Aber viele seiner Nach- folger verstanden ihn nicht, oder nur halb. Daher kam es, dass unrichtige und schlechte Namen und Termini gebildet wurden, welche der eine oder der andere Nachfolger zu verbessern für nöthig fand. Wieder Andere führten eine vorherrschend aus der griechischen Sprache genommene Terminologie ein, beson- ders in der Kryptogamenkunde, weiche die meisten Veränderun- gen und Erweiterungen erlitt, weil die Linn&sche Hinterlassen- schaft hier gar nicht zu gebrauchen war. Es lässt sich nicht leugnen, dass gerade zur Bildung neuer Namen, welche zugleich einen gewissen Charakter der Pflanze, oder eines Organs ausdrücken sollen, die griechische Sprache die fügsamste ist. Das hat auch wol die meisten Botaniker veranlasst, . 227. Kützing, Philosophische Botanik. I. G 82 Terminologie. griechische Namen und Termini zu bilden. Selbst diejenigen haben sich ihrer bedient, die bei Andern, welche freilich etwas freigebig damit gewesen , ein Aergerniss daran gefunden haben. Im Ganzen lässt sich aber doch sagen, dass Namen und Bezeichnungen, welche sprachlich und wissenschaftlich richtig gebildet waren, immer auch ihren Werth behalten haben, wäh- rend andere, die diesen Anforderungen nicht genügen, auch nicht zur Conservirung berechtigt sind. Sie übergeben sich schon selbst der Vergessenheit! Am stabilsten haben sich übrigens un- richtige Namen und Termini in der sogenannten systematischen Botanik erhallen, weil man hier am meisten dem conservativen Grundsätze huldigt, dass der ältere Name vor dem spätem (nicht der richtigere) den Vorzug habe; und die meisten Autoren, die einmal ihren werthesten Namen hinter einem Pllanzennamen ge- druckt gelesen haben, sind so eifersüchtig auf dieses „Recht“ (sie nennen es jus priorilatis und machen es wie die Kinder, die bei der Vertheilung von Leckereien oder Esswaaren, sich eins vor dem andern vordrängen, mit der Behauptung: „Ich habe es zuerst gesagt!“), dass sie jedes neue Buch, das ihnen unter die Hand kommt, erst nach dieser Eigenschaft hin untersuchen, um dann, wenn der Verfasser als ein „Dissenter“ befunden wird, gegen ihn den Bannstrahl, mit den gewohnten und zum Ueber- druss hergeleierten „systematischen“ Gründen der unsystemati- schen Botanik, zu schleudern. Der Verständige kehrt sich nicht daran. Er sieht darin nur eine jämmerliche und weitläufige Noth- wendigkeit, wenn er seinen Namen, der der Wissenschaft an sich ganz' gleichgültig ist, bis in späteste Zeilen in den Namenregistern mit fortschleppen sieht und den Schreiber, Setzer und Drucker u. s. w. belästigt. So lange noch solche eitle Sachen in der Wissenschaft grossen Werth haben, wird sie sich nimmer er- mannen. §. 228. • Die physiologische Botanik hat sich glücklicher Weise freier in der Sprache gestaltet. Es haben an ihr nicht so viel Dilet- tanten herumgepfuscht, als an der systematischen. Hier ist es daher Grundsatz geworden, dass der richtigste Ausdruck für das Ding der beste ist. Die Sprache bewegt sich auch hier freier, sie darf hier sogar schön werden, während dort Alles uniform, soldatisch ist, ohne mathematische Schärfe und Sicherheit zu gewähren. Darum passt sich auch die lateinische acht soldatische Sprache so herrlich dazu; darum wird auch die systematische Ziel der Botanik. 83 Botanik meist von Kindern und den kleinen Geistern geliebt, die immer einen Gefallen am Soldatenspielen finden. Die getrockne- ten Pflanzen im Herbarium sind für Viele wahre Bleisoldaten Daher ist die ganze Poesie dieser Botanik eine ächte Parade. §. 229. Es leuchtet ein, dass diese systematische Sprache nreht die Sprache der Botanik xa-c’ sein kann. Denn die Aufgabe der Botanik ist, die Pflanzenwelt in ihrer höchsten Schönheit und Wahrheit darzustellen. Die systematische, in unveränderliche Termini eingezwängte Sprache für eine variable Grösse, ist nur die abgemessene, nicht die angemessene Form. Sie kann daher in der lebendigen Wissenschaft nur willkürlich bestimmte Punkte bezeichnen, etwa wie man auf einer Landkarte das geographische Netz gebraucht, um die Lage eines Ortes auf derselben bestim- men zu können, oder wie man auch das Fahrwasser im Meer durch feststehende Marken bezeichnet. §. 230. Die eigentliche, wahre botanische Sprache aber ist, wie die Wissenschaft, im Werden; sie soll sich erst noch durch Ent- wickelung zur schönen Blüte gestalten. Darum braucht sie Nah- rung durch die Aufnahme aller wuchtigen und nolhwendigen fremden Sprachelemente. Diese wahre botanische Sprache wird sich frei entwickeln, wie der Organismus; sie bedarf dazu keines äussern Schutzes, noch weniger drakonischer Gesetze, die gar nichts ausrichlen würden. Das Ziel der Botanik. §. 231. Und so wäre ich nun da angekommen, wo ich mich noch genau und bestimmt über den Endzweck und das letzte erreich- bare Ziel der Botanik auszusprechen hätte. Um aber dem Leser dasselbe um so eindringlicher vorführen zu können, muss ich bemerken, dass meine Darlegungen im entschiedensten Gegensatz zu den Grundlehren eines philosophischen „Systems“ stehen, welches die Dinge an sich für absolut erklärt, in der Pflanzen- welt absolute Arten, Gattungen und Familien a priori annimml und dergleichen mehr. Diese Absolutheiten stehen für sie fest, 6 * 84 Das Ziel der Botanik nach den und nach den Anhängern dieser Philosophie besteht die Aufgabe der Botanik darin, jene a priori ausgesprochenen Axiome in der Natur aufzusuchen , und das Gefundene als Beweismittel der Lehre festzuhallen. Man sieht, die Sache ist eigentlich von vorn herein schon fertig, sie ist abgelhan; was kann an allen Specialitälen, denen man nachspürt, weiter liegen? Sie können nur den grossen Gedanken der absoluten Philosophie bestätigen! — So meinen jene Philosophen. §. 232. Der Leser fühlt sogleich den Gegensatz dieser Lehre mit der meinigen schwer und tief; er wird sich daher auch nicht wun- dern, wenn ich in jener Philosophie keine Wissenschaft, sondern nur einen mit Hilfe der scheinwissenschaftlichen Taktik verfeiner- ten Fetischdienst erblicke. §. 233. Denn wenn die Dinge an sich das Absolute sind, also jedes an sich eine absolute Grösse ist, so sind die Dinge nicht mehr bedingt, sondern unbedingt, was ein Widerspruch ist; ferner ist nach dieser Lehre das Absolute in den Dingen aufgegangen, was dieselbe polytheistische Weltanschauung ist, wie sie dem Fetisch- thum zu Grunde liegt; während die christliche Weltanschauung die Dinge in Gotl aufgehen lässt und annimmt, dass der Geist Gottes in ihnen enthalten sei, weil er sie nach seinem Gesetze geschaffen. (Naturalia composita arte divina. Linni.) §. 234. Wie nun ein Kunstwerk den Geist de3 Künstlers an sich trägt, aber der Künstler nicht selbst ist, so trägt nach christli- cher Weltanschauung auch die Natur den Geist Gottes an sich — welchen wir als das absolute Wesen des Dinges bezeichnen — ohne aber Gott selbst (das Absolute) zu sein. §. 235. Jene Philosophie lehrt nun ferner, dass das Absolute — die Welt — im Menschen erst zum Bewusstsein komme; und so wird die Menschheit zur obersten Gottheit in der Natur. Die Vergötterung und Verherrlichung der Natur, des Menschen und alles Menschlichen (also ein modernes humanistisches Heiden- thum) ist die nolhwendige Folge davon. Weil aber jeder die Ver- herrlichung für sich (und nach dieser Lehre mit Recht) in An- Grundsätzen der Philosophie des Absoluten. 85 spruch nimmt, so tritt das Recht und dadurch der Egoismus an die Stelle der Liebe, und die Menschenliebe, welche das Christenthum lehrt und die Liebe zu Gott schrumpft zur Eigenliebe, zur Liebe der Einzigen zusammen. Denn der Einzige ist er selbst, Jeder, der ist, und der Andere ist nur, als er ihn braucht. Darum wird der Einzige, der braucht, sogleich Tyrann, und der Einzige, der sich gebrauchen lässt, sogleich Sklave. Tyrannei und Sklaventhum haben auch nirgends in höchster Blüte gestanden, sind nirgends so systematisch entwickelt gewesen, als in dem Heidenthume, namentlich bei dem Volke, in dessen Literatur der sublimste Hu- manismus niedergelegt ist. Wie weit die Menschheit mit diesem Humanismus gekommen, lehrt der Untergang dieses humanen Alterthums. Es kann auch nicht anders kommen, denn diese Welt ist ja keine Einheit, kein Ganzes, dem das Einzelne dient, sondern sie besteht aus unendlich vielen absoluten Einheiten. Kein Band verknüpft sie, sondern absolute Klüfte trennen sie. §. 236. So wird die Menschheit zerrissen ; so ist die Welt in Stücke zerschlagen. Und wenn wir keine Zertrümmerung unseres Cul [Ur- zustandes wollen herbeiführen lassen, so ist es wol nöthig, dass wir solchen Lehren mit grösster Entschiedenheit cnlgegentreten. §. 237. Ich bin nun der Wissenschaft schuldig, zu zeigen, in welcher Weise sich ein Anhänger der genannten philosophischen Schule über meine Methode geäussert hat. In einem Buche, welches den Titel führt: „Die neuern Algensysteme und Versuch zur Be- gründung eines eignen Systems der Algen und Florideen von Carl Naegeli. Zürich. 1847 beurtheilt der Verfasser mein grösseres Werk über die Algen ( Phycologia generalis) und äusserl sich am Ende der Betrachtung des allgemeinen Theils wie folgt: „Kiitzing besitzt eine Menge eigner Untersuchungen und Beobachtungen, wie keiner der neuern Algologen. Er hat ferner, wie es vor ihm keiner versuchte, die anatomischen, physiologischen und syste- matischen Verhältnisse der Algen durchaus auf die Zelle zurück- geführt; er hat sich somit bestrebt, der Phycologie eine rein wissenschaftliche Grundlage zu geben. So sehr ich nun aber das Ziel, das sich der Verfasser gesetzt, als ein richtiges anerkenne, so wenig kann ich mit seiner Methode einverstanden sein. Die Methode Kützing's ist ein systematisches Aufheben jedes absolu- ten Unterschiedes. Er hat dieser Methode eine grossere An- 86 Die Methode wendung zu geben versucht, als es bis dahin geschehen ist. Kützing erkennt keinen absoluten Unterschied zwischen Thier und Pflanze an .... Kützing erkennt keine absoluten Unterschiede zwi- schen den einzelnen Arten, Gattungen, Familien, Ordnungen, Gas- sen des Pflanzenreichs an .... So wie Kützing in der Systematik den absoluten Unterschied nicht gelten lässt, so verwirft er ihn auch in der Physiologie und Anatomie .... Kützing unterscheidet zwar verschiedene Zellenarten, lässt sie aber in einander übergehen Dieses principielle Vernichten der absoluten Unterschiede hat denn die nothwendigo Folge, .dass nirgends bestimmte, feste und sichere Begriffe entwickelt werden. Der Verfasser, welcher die absoluten Begriffe aus Grundsatz verwirft, begnügt sich überall mit relativen Begriffen. Dadurch entsteht sowol in der Physio- logie und Organographie als in der Systematik eine schwankende Unbestimmtheit, welche das Verständniss und das Bestimmen sehr erschwert. Eine zweite ist die, dass dieselbe Pflanze in ver- schiedenen Entwickelungsstadien zuweilen mehrfach in verschie- denen Familien und Ordnungen aufgeführt wird. Eine dritte Folge ist ein unbegrenztes Vermehren von Gattungen und namentlich von Arten; es ist dies natürlich, denn ein relativer Begriff ist unendlich theilbar. • — Es kann hier nicht der Ort sein, die Me- thode Kützing’s zu widerlegen. Es lässt sich zwar, wie ich glaube, theoretisch zeigen, dass sie unrichtig ist, weil sie den Gesetzen der Logik widerstreitet, und weil ihre Consequenzen ad absurdum (!) führen. Aber ein theoretischer Beweis, und möchte er auch noch so mathematisch richtig sein, genügt mit Becht in unserer Zeit nicht mehr. Der Gegner würde sich im- mer der Einsprache bedienen: Die Thatsachen sind doch so. Die Kützing’sche Methode muss demnach durch Thatsachen und Begriffe widerlegt werden. Es muss nachgewieseu werden, dass die Beobachlungen, auf die sie sich stützt, theils ungenau sind, theils naturgemäss anders erklärt werden müssen. Es muss fer- ner nachgewiesen werden, dass es wirklich möglich ist, absolute Unterschiede aufzufinden, und denselben eine solche Form zu geben, dass die Annahme von Uebergängen und Verwandlungen von selbst unmöglich wird“ u. s. w. §. 238. Das hat denn auch Naegeli in seinem Werke versucht. Wie er aber die Form zu geben verstanden hat und wie er die ab- soluten Unterschiede nachweist, werde ich dem Leser sogleich mittheilen. Naegeli' s. 8? Während ich in meinem Werke (p, x) absichtlich anführe: „Die anatomischen Zeichnungen, welche ich in diesem Werke liefere, sind die Frucht achtjähriger, fast ununterbrochener Unter- suchungen; sie sind nach und nach entstanden und ich habe bei ihrer Anfertigung sorgfältig jede vorgefasste Meinung vermieden. Mir lag zunächst ob, das Material herbeizuschaflen , dasselbe ein- zeln, wie es sich mir gerade darbot , zu bearbeiten, um damit späterhin den Bau auszuführen, von dem ich in den folgenden Blättern den Grundriss gebe. Daher kommt es, dass die Abbil- dungen auf den Tafeln nicht so geordnet sind, wie sie dem Sy- steme nach auf einander folgen müssten; denn dieses ist erst entstanden, als die Tafeln bereits gezeichnet waren. Es bat daher auch an diesen nichts zu Gunsten des Systems angebracht werden können.“ Während ich dieses absichtlich erklärte, um voreiligen und unreifen Beurtheilungen auszuweichen, hätte doch nun Jeder- mann erwarten sollen, dass ein Anderer, der meine Methode (eigentlich mein Princip, aus welchem die Methode hervorgeht) widerlegen will, es mindestens so redlich meinen, und die Sa- chen, wenn er sie geprüft, nun auch naturgetreu und wahr als Belege vorführen würde. Aber das ist Naegeli einesteils viel zu beschwerlich gewesen, und anderntheils muss er doch tlie absoluten Unterschiede auch nirgends haben auflinden können, weil er den Beweis für die Form, die er den absoluten Un- terschieden gibt, und welche die Annahme von Uebergängen und Verwandlungen von selbst unmöglich machen sollen, in schematischen, willkürlich veränderten Abbildungen liefert. So hat er nun aber nicht nachgewiesen, wie es „möglich ist, abso- lute Unterschiede aufzulinden“, sondern wie es möglich ist, sie unlerzuschieben. §. 239. Wenn wir aber die Sache noch weiter untersuchen, um zu sehen, wie es wol komme, dass Naegeli solche Behauptungen mit einer, nur den Anhängern jener Philosophie eignen, Drei- stigkeit aufzustellen wage, so ergibt sich eine kolossale Confu- sion der Begriffe, welche darin besteht, dass Naegeli die Pflan- zenwelt, welche doch ein System von variabeln und unter sich verschlungenen Bewegungen ist, die wol häufig umselzen, aber nicht absetzen; also ein System von stets veränderlichen und beweglichen Curven, deren Gesammtform in jedem Momente eine andere ist — dass Naegeli diese in höchster Schönheit ver- schlungene Pflanzenwelt für ein niederes System von scharf abge- 88 Es gibt keine sehnitlenen stabilen Arten, — als erstarrten discreten Punkten — eine Parade von einem bleiernen Armeecorps, eingetheilt in Divi- sionen, Brigaden, Regimenter, Bataillone und Compagnien — hält. Daher legt er überall den Maassstab der niedern Mathe- matik an, um die Gesetze des hohem Pflanzenlebens zu begrün- den, und meint eine Kugel zu sehen, wo ein Sphäroid, einen Kegel, wo ein Conoid, einen Cylinder, wo ein Cylindroid u. s. w. vorhanden ist. Noch deutlicher tritt die grosse Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe bei Naegeli hervor, wenn man ver- sucht eine absolute Pflanzengrösse zu bestimmen. Abgesehen davon, dass, streng genommen, selbst die Mathematik, ausser der variabeln, nur conslante, keine absoluten, Grössen kennt, weil es nur eine Absolutheit — Gott — gibt, so ist bekannt, dass man unter den sogenannten absoluten Grössen nur diejeni- gen versteht, deren Einheiten entweder sämmtlich bekannt sind, oder durch Gleichung mit Hilfe der niedern Mathematik gefunden werden können. Um nun die absoluten Pflanzenarten durch die Gleichung finden zu können , müsste wenigstens eine derselben bekannt sein, denn mit lauter unbekannten Grössen lässt sich doch Nichts anfangen. Man müsste daher zunächst erst eine absolute Art zu bestimmen suchen. Das ginge aber nur auf die Weise, dass 1) alle Glieder derselben (die Individuen der Art), sowol die jetzt vorhandenen, in ihren verschiedensten, durch Boden und Klima hervorgerufenen Abweichungen, als auch die seit der Existenz der Art dagewesenen, untergegangenen und — da die Individuenreihe noch nicht beendigt ist, — alle zukünfti- gen, bis ans Ende der Welt, herbeigeschafft; 2) dieselben unter- sucht und verglichen würden. Die Untersuchung eines einzigen Individuums führt aber wieder auf secundäre,' tertiäre u. s. w. Gliederreihen, von denen keine einzige bis ans Ende verfolgt werden kann. — Ich dächte das wäre genug, um auch dem be- schränktesten Kopfe die absolute Unmöglichkeit der Erkennung oder Darstellung auch nur einer Art ad oculos zu führen. Es liebt der Mensch das Göttliche zu fassen Und das Erhabne in den Staub zu ziehn! §. 240. So bin ich nun da angelangt, wo sich aus den bisherigen Darlegungen von selbst ergibt, dass das Ziel der Botanik nicht in der Kennlniss der absoluten Art — • was ein Unding ist — und in der Aufstellung eines Systems von Arten — welches im Widerspruch mit der Natur der Pflanze ist — bestehen kann, absoluten Arten. 89 sondern in der Darstellung eines Systems der Bewegungen, welche die Pllanze bilden24). §. 241. Wie verkettet und verschlungen auch diese Bewegungen sein mögen, so ist ihre Darlegung doch von da an möglich, wo man sie in ihrem Ursprünge aufsuchen und zu dem Ende verfolgen kann, bis man gewiss ist, dass sie der Vegetation nicht mehr angehören. Sie allein geben die Lebensgeschichte der Pflanze ab, und nur diejenigen Ströme des Pflanzenlebens, welche sich zu besondern grossem, kleinern und kleinsten Systemen unter sich in dem ganzen grossen Systeme absondern, können als bestimmte Gruppen wieder anerkannt werden. §. 242. Daher erscheint in der Botanik die Kenntniss der Species, Gattung, Familie u. s. w. zunächst nur als eine vorläufige Auf- stellung und Yertheilung von Marken — eine Constellation — in den verschiedensten Theilen des Pflanzenreichs, um sich von ihnen aus in dem labyrinthischen Getriebe sicherer orientiren zu können 26). Das Artensystem, was immer mehr oder weniger will- kürlich ist, dient daher nur als Mittel zum Zweck. §. 243. Es muss endlich klar und bestimmt ausgesprochen werden, dass man sich, getäuscht durch eine scheinbare Abgeschlossen- heit der Arten in den höher entwickelten Pflanzen- und Thier- formen, nun bereits viele Jahrhunderte hindurch vergeblich be- müht hat, eine vorgefasste falsche Idee wahrzumachen; überhaupt eine beschränkte Idee in der Wissenschaft als eine allgemeine zu fixiren, ehe man die mikroskopischen Formen darum befragt hatte. §. 244. Und so verderblich es für die Entwickelung der Pflanzen- physiologie gewesen, dass man von vornherein den Maassstab des Thierreichs bei den Pflanzen anlegte, so verderblich ist es auch gewesen, dass man nur die Erscheinungen des hohem Pflanzenlebens zur Norm für die ganze Pflanzenwelt nahm, ehe man untersucht hatte, ob dieselbe auch unten anwendbar war. §. 245. Darum muss ich hier noch als unverbrüchlichen Grundsatz 90 Summa. bei allen nähern Bestimmungen des organischen Lebens anfüh- ren, dass man den Werth einer noch unbekannten Grösse nur durch Vergleichung mit bekannten ebenbürtigen und möglichst gleichwertigen Grössen richtig beurtheilen kann. Ist daher die unbekannte Grösse von der Art, dass wir keinen Maassstab da- für besitzen, so muss sie als etwas Eigenthümliches — Totales — betrachtet und beurlheilt werden. Hätte man die niedern Ge- wächse früher als die höhern gekannt, so würde man gar nicht auf die „fixe Idee“ von der conslanten Art und einem Arien- system, als Ziel der Wissenschaft, gekommen sein. §. 246. Die Summe unserer methodologischen Betrachtungen besteht nun darin: 1) Die Pflanzenwelt (wie überhaupt die ganze Natur) er- scheint uns zunächst als eine totale Grösse. Wir zerlegen das grosse Total in kleinere und kleinste durch Differentiiren und gelangen so zu den Differentialen, den Gliedern eines Integrals, welches wir durch Summirung und Anordnung der Differentiale erhalten. 2) Die Gleichungen geschehen hierbei mit solchen bekannten Grössen, welche ebenfalls Totale sind, deren absoluten Werth wir zwar nicht kennen, deren relativen Werth wir aber durch Erfahrung aus unmittelbarer Anschauung wissen. 3) Die Sprache drückt alle diese Grössen durch Sinnbilder aus, deren Verhällniss sie entweder mehr oder weniger willkür- lich oder nach der Natur, als Vorbild, festzuslellen sucht. 4) Im gewöhnlichen Leben haben alle jene Sinnbilder die Bedeutung von Totalen, in der Wissenschaft aber bedeuten sie oft — nicht immer — ein Integral. 5) Weil die Zerlegung keines einzigen Totalen bis auf das Aeusserste kommen kann, so ist auch jedes Integral nur in sei- nem relativen Werthe bekannt, und es unterscheidet sich daher von dem Totalen nur durch eine grössere, nicht durch eine ab- solute Schärfe. 6) Das Höchste, was wir mit einem Sinnbilde darstellen können, ist ein möglichst lebendiges und treues Naturgemälde. Das Gemälde mit Integralbildern ist genauer, richtiger und daher schöner, als mit Totalbildern. 7) Das Gemälde ist die einzige mathematische Formel für die Natur, aber ihre Glieder gehören nicht der niedern, sondern Letzter Zweck. 91 der höchsten Mathematik — der Poesie, die sinnbildend ver- gleicht — an. „Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern.“ §. 247. Darum fühlte auch der grosse A. von Humboldt, dass der Kosmos nur als ein grossartiges Naturgemälde sich darstellen lasse. §. 248. Und Wilhelm von Humboldt sagt: „Es mag wunderbar schei- nen, die Dichtung, die sich überall an Gestalt, Farbe und Man- nigfaltigkeit erfreut, gerade mit den einfachsten und abgezogen- sten Ideen verbinden zu wollen; aber es ist darum nicht weniger richtig. Dichtung, Wissenschaft, Philosophie, Thatenkunde sind nicht in sich und ihrem Wesen nach gespalten; sie sind eins, wo der Mensch auf seinem Bildungsgänge noch eins ist, oder sich durch wahrhaft dichterische Stimmung in jene Einheit zurück- versetzt“ (Kosmos, II. 107). Und ich füge hier noch hinzu: Sie bleiben immer Eins, wenn man sie in ihrer höchsten Rein- heit, gesäubert von allem Ungehörigen, Niedern, erfasst, wenn man den religiösen Glauben nicht verlässt, dem sie entsprungen, denjenigen Glauben, der die Welt in Liebe versöhnt^ nicht den, der aus geistiger Stumpfheit in ihr des Teufels Werk erblickt, und in wildem Fanatismus die Flamme des Scheiterhaufens ent- zündet; nicht den, der mit eherner kalter Faust die Welt in absolute Stücke zerschlägt, die Menschheit zerreisst und im po- litischen Fanatismus die blutige Fahne schwingt 2*). §. 249. Nichts hat mich, mehr von dem religiösen Grunde der Natur- wissenschaft überzeugt, als der Kosmos. Die schönen Sinnbilder des grossen Gemäldes sind so harmonisch verknüpft und in solche verhältnissmässige Ferne gestellt, dass man die einzelnen Mosaik- steinchen nicht bemerkt. Ich muss diese Darstellung des Kosmos als das schönste Vorbild für alle folgenden Darstellungen höherer Naturwahrheiten erklären. Es geht mir mit ihm wie mit den Mosaikgemälden in der Kuppel der Peterskirche zu Rom, wenn man sie von den Säulen des Hochaltars aus betrachtet. §. 250. So wäre denn der letzte Zweck der Botanik, wie überhaupt der Naturwissenschaft, ein religiöser, ein christlich -religiöser, 92 • Versöhnung durch das Leben. welcher nicht darin besteht die Welt zu entzweien, sondern zu versöhnen. Darum muss jetzt alle Untersuchung dahin gehen, die verbindenden Fäden — nicht absolute Arten, nicht scharfe Trennungen — in der Natur aufzusuchen, welche dieselbe mit dem Menschen und zuletzt diesen mit Gott verknüpfen. Diese Fäden liegen überall ausgespannt und wir haben bloss unsere Sinne auf sie zu richten, um sie gewahr zu werden. §• 251. In dieser Weise bietet die Naturforschung eine unendliche moralische Wirkung dar; denn nur dadurch, dass der Mensch weder in der Natur noch in dem Menschen einen Feind, ein Anderes-, sondern Sich Selbst erkennt, kann er die Worte Christi „Liebet Eure Feinde, segnet, die Euch fluchen, thut wohl denen, die Euch hassen und verfolgen“ erfüllen. Es ist also die höchste Objectivität, die der Mensch als Christ zu erreichen bestrebt sein muss, und zu dieser wird er zunächst durch die Natur, welche nie Leidenschaften entflammt, und welche sich nie verstellt, nie schminkt, geleitet. So wird der Dualismus, der die Welt zerreisst und zerstückt, schwinden, und so wird die Versöhnung erreicht werden, die durch den Apfel der Erkenntniss das Menschengeschlecht so lange entbehrt hat. §. 252. Bisher ist die Versöhnung des Menschen mit der Welt und mit Gott nur durch den Tod erreicht worden. Alle Religionen haben den Tod als Opfer geheiligt. Auch das Christenthum hat dieses Versöhnungsopfer gebracht. Aber indem es dem Christen zugleich die allgemeine Menschenliebe gebol und dieses Gebot („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“) als oberstes hinstellte, zeigte es, wie die Versöhnung durch das Leben möglich sei. III. Das Nat urieben. §. 253. Das Leben in seiner physischen Bedeutung ist die relative Bewegung im absoluten Baume, also im Unräumlichen. Dadurch werden relative Räume, relative Grössen, gebildet. Nur diese sind für. uns physisch vorhanden, die absolute Grösse ist daher das physische Nichts, aber eben darum das absolute All, aus welchem zeitweise, relative Räume belebt werden. Diese belebten Räume sind das Geschiedene vom Absoluten, die physische Tren- nung von Gott, aber nicht die geistige. Denn der Geist Gottes — ausserräumlich und ausserzeitlich — wirkt überall als das be- wegende Gesetz, als das belebende Wesen, als continuirliche Kraft. 8. 254. u I Das Gesetz der Bewegung ist die Beziehung der Zeit auf den Raum. Weil die Zeit continuirlich ist, wie der Raum, die verschwundene aber auf ewig vorüber ist und nie wiederkehrt, so muss das physische Leben, das an die Zeit gekettet ist, verän- derlich sein, wie die Zeit. Daher können wol ähnliche, aber nicht gleiche Bewegungen im Raume wiederkehren, weil die Zeit alle physischen Verhältnisse ändert. §. 255. Es ist also das ganze Naturleben ein System von continuir- lich veränderlichen Bewegungen, und diese Bewegungen sind nur gradweise von einander verschieden. Die continuirlich veränderlichen Bewegungen sind das einzige, wahre und absolute Gesetz der Natur. §. 256. Alle physischen Erscheinungen sind darin gleich, dass sie 94 Grunderscheinungen. einerlei Grundlage haben, welche als Materie bezeichnet wird. Dass die Materie das erste Resultat der Bewegung ist, können wir nur rückgehend erschliessen, nicht wissen, weil die Materie an sich für uns nicht wahrnehmbar ist. Da, wo die Materie, durch die Bewegungen in sich seihst, sich zu differentiiren beginnt, also aus dem Homogenen in das Heterogene übergeht, bilden sich materielle Differentiale, welche mit dem allgemeinen Namen der Grundstoffe, Elemente, belegt werden. Durch die Vereinigung der verschiedenen Grundstoffe nach bestimmten Verhältnissen werden die zusammengesetzten Stoffe, die chemischen Verbindungen, hervorgerufen. Durch die Vermehrung gleichartiger Stofftheilchen und deren maassloser Verbindung werden die Massen gebildet. Erst aus den Massentheilchen entstehen die für uns sinnlich wahrnehmbaren und tastbaren, concreten Körper. Die Massentheile werden auch Moleküle genannt. Ich werde jedoch unter der letzten Benennung vorzugsweise die kleinsten, aber mikroskopisch -sichtbaren Körperchen oder Körpertheilchen verstehen. §. 257. Ausser den jetzt bekannten 62 Grundstoffen, deren genauere Kenntniss die Chemie lehrt, wird noch allgemein ein Weltäther angenommen. Er ist vielleicht die Materie an sich, die Materie ohne fühlbare Masse. Daher tritt er auch nicht körperlich auf, wol aber wird er an seinen Bewegungen in den Körper erschlossen (§. 501). Man stellt ihn sich als die feinste, dünnste und beweglichste aller Flüssigkeiten dar, welche nicht nur den ganzen Weltenraum, son- dern auch alle Körper durchdringt. Die Bewegungs differentiale des Aethers zeigen sich als Licht, Wärme, Electricität und Magne- tismus. Wärmebewegungen gehen nach Umständen in Licht-, Electricitäts - und magnetische Bewegungen über; ebenso die Electricitätsbewegungen in Wärme-, Licht- und magnetische, und die magnetischen in Licht-, Wärme- und Electricitätsbewegungen. §. 258.' Die Differentiale der Materie oder die Stoffe bringen durch ihre verschiedenartigen Bewegungen die chemischen Verbindun- gen hervor. Wir können daher diese Art der Bewegung die chemische nennen. Alle Arten der Aetherbewegung haben auf die Richtung der chemischen Bewegung Einfluss, so dass durch dieselben ebensowol chemische Verbindungen als Trennungen Bewegungen. 95 (Zersetzungen) hervorgerufen werden können. Die Bewegungen 1 der Massentheilchen bringen die Massendifferentiale hervor, welche den Aggregationszusland der Stoffe bedingen. §. 259. Alle diese Bewegungen können von uns nicht unmittelbar beobachtet, sondern nur erschlossen werden. Unsern Schlüssen legen wir die Körperbewegungen zu Grunde, die einzigen, welche sinnlich wahrnehmbar sind, indem wir dabei voraussetzen, dass dieselben Regeln, welche in der fühlbaren Körperwelt herrschen, auch in den unfühlbaren Aelher-, Stoff- und Massentheilchen vorhanden sein müssen, weil die Körper das Resultat — die Besultirende — jener Urbewegungen sind. §. 260. Daher muss uns auch die ganze Well als der Ausdruck der lebendigen Gedanken Gottes erscheinen, deren Leben Bewegung ist. Daher in der Welt nirgends physische Ruhe, weil diese nur bei Gott — dem Beständigen, Unveränderlichen, Unzeitlichen, Unräumlichen, Ausserweltlichen — wirklich vorhanden ist. Ruhe kann daher in der Physik überall nur eine relative Bedeutung, w'ie „Kälte“ haben; sie ist nur ein geringer Grad der Geschwin- digkeit. §. 261. Sowol die Minima als-Maxima der Geschwindigkeiten sind auch bei Körpern für uns nicht messbar, wenigstens nicht mit der Genauigkeit, womit wir die mittlern uns zugänglichen Geschwin- digkeiten messen. Da nun alle Geschwindigkeiten zugleich variabel sind, so kann auch bei der genauesten Messung nur ein relatives Resultat erlangt werden. §. 262. Die Molekular- oder Körperbewegung ist am geschwindesten und gleichmässigsten, je liquider und homogener das Mittel ist, worin sie vor sich geht. §. 263. Die Geschwindigkeit und Gleichmässigkeit der Bewegung wächst noch mit der Differenz der Dichtigkeit, zwischen dem bewegten T heil und dem Mittel, vorausgesetzt, dass die grössere Dichtigkeit dem bewegten Körper — nicht dem Medium — zu- komml. 96 Gestaltungsprocess. Daher die grösste Geschwindigkeit und Gleichmfissigkeit der Bewegung der Körper im Aetherraume, wo man nur an dem Enke’ sehen Kometen, aber nicht an den Planeten, eine merkliche Retardation gefunden hat, woraus sich auf eine materielle, ob- schon nicht concrete körperliche Beschaffenheit des Aethers schliessen lässt. §. 264, ln körperlichen Flüssigkeiten kann ein solcher Grad der Be- wegung nicht stattfinden, darum herrscht hier aber auch nicht jene Einförmigkeit, sondern unendliche Mannigfaltigkeit. §. 265. Von der Bewegung der Körper- und Massentheilchen hängen die Gestaltungsprocesse auf unserm Planeten ab. Diese Gestallungs- processe sind zwar alle vorübergehend — weil variabel — aber während die einen so schnell vorübergehen, dass man sie selbst für Secunden nicht festhalten kann, gehen andere so langsam von Statten, dass man hinreichend Zeit findet, sich mit ihnen be- kannt zu machen. §. 266. Zu den ersten Gestaltungsprocessen gehören die Formen aller leicht beweglichen Flüssigkeiten, der Luft mit ihren Wolken-, Nebel- und Lichterscheinungen, des Wassers, von dem ruhigen See, dem langsam fliessenden Strom bis zu dem plätschernden Bach, dem schäumenden Wasserfall und dem sturmbewegten Meer. Mehr oder weniger plötzliche Erstarrung des bewegten Flüs- sigen macht gewisse Momente dieser Formen oft bleibend. Da- her erstarrte Ströme in den Laven, Basalten, Graniten, erstarrte Wellen und erstarrte Ebenen auf unserer Erdoberfläche — er- starrte mikroskopische Ströme in der Pflanzenzelle. Man kann alle diese Gestalten mit einem Ausdruck als massige Formen bezeichnen. §. 267. Alle massigen Formen sind sehr mannigfaltig krummlinig und krummflächig (polymorph), nicht formlos (amorph), wrie man ge- wöhnlich in physikalischen Lehrbüchern findet. Aber ihre Formen sind sehr schwer mathematisch (analytisch) zu bestimmen, weil sie sämmtlich der Analysis des Unendlichen anheimfallen, die selbst mit sich noch nicht fertig ist. Ihnen allen liegen die von den Mathematikern so genannten transcendenten und interscendenten Kry stalle. Organische Körper. 97 ;r H « $ Curyen zu Grunde. Man nimmt sie daher als Grunderscheinun- gen, sinnliche Grundformen an, wodurch sie zu Sinnbildern werden27). Daher rühren in der beschreibenden Naturgeschichte wie in der Poesie Ausdrücke wie wolkig, nebelig, schaumig, stürmisch, welche, wie viele andere Begriffe der Art, als an sich bekannt vorausgesetzt werden, indem sie der unmittelbaren An- schauung entnommen sind. Alle diese massigen Formen sind noch dadurch ausgezeichnet, dass sie sämmtlich in einander fliessen, so dass keine eigentliche Individualisalion sta Ltfindet , wie bei den folgenden Formen. Wo dieselbe bemerkt wird, wie z. B. bei den Wolken, ist sie nur scheinbar und selbst dieser Schein wird durch plötzliches Zu- sammenfliessen und Verdichten, oder durch allseiliges Verdünnen und Verschwinden schnell wieder aufgehoben. Es haben daher alle Massengebilde ein sehr vorherrschendes Gemeinleben. §. 268. Wenn gewisse Moleküle in einer Flüssigkeit erstarren, so verbinden sich diese häufig zu Körpern von bestimmter Gestalt und zwar an verschiedenen getrennten Punkten. Diese Körper sind daher im Anfang unter sich geschieden, wenn auch gleich- artig, und wachsen, indem sie gleichartigen Stoff aus der Flüssig- keit anziehen. Sie sind individualisirt. §. 269. Die eine Form dieser Körper zeigt sich immer von (physi- schen) Ebenen und geraden Linien begrenzt, man muss daher annehmen, dass die Bewegung der Moleküle bei ihrer Verbindung eine geradlinige, oder wenigstens eine solche gewesen, welche der geradlinigen nahe kommt. Man nennt diese Bildungen Krystalle 28 ). §. 270. Bei der Bildung der andern Form individualisirler Körper be- wegen sich die Moleküle in deutlichen transcendenten Curven. Den Beweis dazu liefert die sichtbare Bewegung der Körpertheilchen in dem flüssigen Medium, welche in vielen Fällen unmittelbar und in den andern mittelbar beobachtet oder wenigstens erschlos- sen werden kann. Daher haben diese Körper auch keine ebenen, sondern krumme Flächen. Sie heissen organische Körper. Man stellt ihnen die Kryslall- und einen Theil der Massen- gebilde auch als unorganische Körper entgegen. Kützing, Philosophische Botanik. I. 7 1)8 Bildungsstufen. §. 271. Die Unterscheidung der Organismen in Pflanzen und Thiere beruht theils auf uralter Tradition, theils auf unmittelbarer Total- anschauung der sichtbaren Organismen. Der Unterschied ist von Niemand begründet worden und kann auch nicht begründet wer- den. Wie weit die Begründung relativ jetzt möglich ist, werden wir in der Folge sehen; noch mehr aber und leichter kann man die Verbindung beider Reiche und die Verschlingung ihrer For- men bei der Elementar- und Molekular -Analyse, so wie bei der Beobachtung der Bildungsgeschichte nachweisen. Nur so viel lässt sich bei der Entstehung der organischen Körper jetzt sagen, dass die Pflanze bei ihrer Bildung die unorganischen Körper und das Thier bei seiner Bildung die Pflanzen voraussetzt. §. 272. Wir erhalten sonach, wenn wir zurückblicken, für das Natur- leben folgende Stufen: 1) Leben der Urmaterie (Aetherleben). 2) Leben der Stoffe (Elementarleben, chemisches Leben). 3) Leben der Massen (Allgemeines Körperleben). 4) Leben der Individuen (Besonderes Körperleben): a) der Krystalle (Erstarrung, dann geringster Grad der Geschwindigkeit) ; b) der Organismen (Starrflüssig, langsame Molekular- bewegung); a) der Pflanzen (Zellenbewegung); ß) der Thiere (Bewegung der hohem Organe). Jede höhere Bewegung beherrscht die vorhergehende niedere, aber jede niedere Bewegung kann störend in die höhere eingrei- fen, wodurch die Hemmungsbildungen oder auch gänzliche Zer- störungen der hohem Bewegungen und ihr Zerfallen in niedere stattfindet29) (Vergl. Anmerk. 24). A n m e r klingen. 1) Zu §. 18. S. 5. Die ältesten botanischen Schriften sind ohne Namen des Verfassers unter dem Titel „Herbarius“ erschienen. Eins derselben, was ich gesehen, trägt den Titel: „Herbarius Mogunlie impressus. 1484. Mogunt. Schöffer.“ Es sind die ersten Holzschnitte, welche Pflanzen dar- stellen. — Cuba hatte in Begleitung eines Malers Reisen nach Griechenland und dem Orient gemacht und bei dieser Gelegenheit besonders den Pflanzen seine Aufmerksamkeit gewidmet. Er schrieb den „Garten der Gesundheit“, welcher zuerst zu Mainz 1485 erschien. Die Abbildungen sind aber fast, unbrauchbar. 2) Zu §. 22. S. 6. Brunfels war zu Mainz geboren, ging zur lutheri- schen Lehre über und war dann Prediger und Lehrer daselbst. Neben seinen Aemtern studirte er Medicin und starb zu Bern 1584. Sein botani- sches Werk führt den Titel: „Herbarium vivae icones ad naturae imilationem effigiatae.“ Es erschien 1530 zu Strassburg. Die deutsche Ausgabe erschien 1552 — 1537 unter dem Titel: „Contrafayt Kräuterbuch.“ Es enthält 258 Holzschnitte, welche die Pflanzen in den einfachsten, aber naturgetreuen Umrissen darstellen , so dass man dieselben grösstentheils gut erkennen kann. Ich kann nicht umhin hier zu erwähnen, dass ich die Bekanntschaft mit der alten botanischen Literatur meinem Freunde Wallroth verdanke, in dessen ausgezeichneter Bibliothek man nur wenige dieser Werke vermisst. Wallrotli ist auch wol der Einzige der noch lebenden Botaniker, welche die alten Schriftsteller wirklich studirt haben, woher es auch kommt, dass er allein ihren Werth genau kennt und daher mehr Gewicht auf dieselben legt, als irgend ein anderer Botaniker. 3) Zu §. 58. S. 12. Von dem verstorbenen Schräder, welcher Professor und Director deb botanischen Gartens zu Güttingen war und seiner Zeit zu den berühmtesten Botanikern gehörte, erzählt man sich, dass er auf Excursionen mit seinen Zuhörern die Pflanzen öfters erst zugerichtet, indem er die Blätter u. s. w., welche nicht zur Diagnose gepasst, abgezupft, und dann die Pflanze mit den Worten übergeben habe: „Hier ist ein instruclives Exemplar, das können Sie einlegen.“ 4) Zu §. 49. S. 18. Micheli war Aufseher des grossherzoglichen Gartens zu Florenz. Er bemühete sich, besonders die Geschlechtslheile der niedern Gewächse aufzusuchen und gab „Nova plantarum genera“ 1729 heraus. Wenige Jahre darauf (1741) erschien von Dillen, welcher anfangs Professor in Giessen und zuletzt zu Oxford war, die „Historia muscorum“. 7 * 100 Anmerkungen. S. 23 — 24. 5) Zu §. 61. S. 23. Es kann nicht genug darauf hingewiesen werden, dass die grössten Naturforscher durchaus auf christlich -religiösem Boden standen, nicht auf dieser oder jener Philosophie, welche Gott als blosse „Weltseele“ ansieht. Besonders muss ich in dieser Beziehung Newton und Linnö anführen, deren Werke Zeugniss von dem Gesagten geben. So gilt Linnd die Natur als „lex immutabilis Dei“ und Gott selbst ist nach ihm „opifex rerum“. — Weiter äussert er sich über die Welt und die Bestim- mung des Menschen: „Sic totus Mundus gloria divina plenus est, dum omnia creata opera Deum glorillcant per hominem.“ (Syst. Nalurae. Ed. XII. Tom. I. p. 11. 12.) 6) Zu §. 61. S. 23. Die berührten Punkte sind so einfache Wahrheiten, dass sie sich ganz von selbst verstehen, wenn wir nicht damit umgehen, unsern christlichen Standpunkt, worauf unsere Cultur theils schon beruhet, theils vollendet werden soll, zu verrücken oder zu vernichten. Nur eine Verkennung der Wohlthaten , welche das Christenthum den Völkern erwiesen, kann die Ursache sein, dass man meint, unsere modernen philosophi- schen Systeme seien berufen, die Cultur zu vollenden; dass man meint den religiösen Grund zu wissenschaftlichen Studien entbehren zu können. Wissenschaft und Religion müssen sich gegenseitig stützen. Indem die Religion dazu dient, das moralische Fundament zu gründen, was jede Wis- senschaft voraussetzt, strebt die letztere dahin den Glauben zu läutern und zu befestigen. Dasjenige missverstandene Christenthum, welches die wahre Wissenschaft verachtet, ist nicht minder in Irrthum, denn es wird mit der Ausweisung der Wissenschaft auch den Glauben aus seinen Hallen verjagen, und es täuscht keinen Rechtschaffenen , wenn es auch noch so oft und noch so kräftig und noch so feierlich vor der Welt ausspricht , dass es wirklich den Glauben besitze; es täuscht sich aber selbst, wenn es meint, den Glauben besitzen zu können, ohne den Aberglauben durch die Wissenschaft zu besiegen. Das Christenthum unter den Völkern ist noch nicht vollendet, sondern in der Entwickelung begriffen, wie die Menschheit. Die -Entwicke- lung kann nicht ohne Bewegung stattfinden; „die Bewegung aber ist ein Kampf, ein Kampf gegen die Ungewissheit, welche in der Zeit den Namen Zukunft trägt. Siegreich und vollendet kann er nur aus dem Glauben ge- führt werden, welcher weder in Furcht sich lähmt, noch in Aberglauben sich verkeimt, sondern die Waffe anlegt, welche die Gewissheit des Geistes in die Hand gibt. Diese Waffe ist die Wissenschaft. Sie ringt, ein echtes Kind des Glaubens, in der Gewissheit des Geistes nie wankend, niemals zitternd im Kampfe und zweifelnd an dem Siege, mit jedem Schritte vor- wärts in die Zeit der Ungewissheit einen Schritt breit Landes ab, um ihn dem Reiche der Wahrheit einzuverleiben, und thut im Namen des Glaubens, der sie sendet, in der Besiegung der sinnlichen Mächte die Zeichen und Wunder, welche um der Schwachen willen gethan werden müssen, da- mit sie an die Gewissheit des Geistes glauben, den Aberglauben an irgend noch eine andere Zukunft vor dem Ungewissen, das sie fürchten, abtlmn und Gott anbeten lernen im Geist und in der Wahrheit.“ Graffunder, Ein- leitende Grundzüge zu einer geschichtlichen Betrachtung des Aberglaubens. Erfurt, 1850. S. 19 und 20. 7) Zu §. 64. S. 24. Was die philosophische Grundlage betrifft, welche ich von dem Zögling der Botanik verlange, so schliesse ich mich hierin Anmerkungen. S. 26 — 57. lül den von Schleiden in seinen ,, Grundzügen der wissenschaftlichen Botanik 3. Auf!. S. 29 u. f. entwickelten Grundsätzen im Princip grösstentheils an. Ich finde namentlich, dass die Kant’ sehen Lehren noch lange nicht hinrei- chend für die Naturwissenschaft benutzt und noch weniger erschöpft sind, so dass noch eine Fülle von Gedanken zur weitern Benutzung in ihnen vor- handen ist. Kant steht durchaus auf christlichem Grund und Boden und Keiner hat, wie er, die Methode Ncwton’s und anderer grosser Naturfor- scher für die Philosophie zu benutzen verstanden. Namentlich muss ich auf die erste Ausgabe der „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphy- sik u. s. w.“ aufmerksam machen. 8) Zu §. 68. S. 26. Ich muss hierbei erwähnen, dass die drei Er- scheinungen, welche ich so eben angeführt habe, im Grunde sich auf eine, nämlich auf „Bewegung“ zurückführen lassen. Nur ist uns noch nicht überall ihre Verknüpfung klar geworden. Diese Verknüpfung zu suchen ist die Aufgabe der gesammten Naturwissenschaft. 9) Zu §. 72. S. 27. Formlose Körper gibt es eigentlich nicht, aber es ist Sprachgebrauch, diejenigen Erscheinungen als formlos zu bezeichnen, bei denen die Form entweder im höchsten Grade veränderlich ist, wie bei der Luft und beim Wasser, oder sich nicht auf eine einfach verständliche Weise bestimmen lässt. Vergl. §. 266 u. 267. 10) Zu §. 77. S. 29. So hat bekanntlich Ehrenberg in Folge eines Ex- periments, wodurch blaue Flecken um! Punkte im Innern einer Kieselzelle bei einigen Diatomeen entstanden, als er diese in eine blaue Flüssigkeit gebracht hatte, auf die Anwesenheit mehrerer Magensäcke bei den Diatomeen geschlossen und diese daher zu seinen vielmagigen Infusorien gestellt. Aber das Experiment beweist für die Anwesenheit von Magensäcken bei den Dia- tomeen eben so wenig, als ein ähnliches bei den andern Pflanzenzelten, durch deren sichtbare Poren die verschiedensten Flüssigkeiten mittelst der Haarröhrchenkraft (die hier mit der Endosmose gleichbedeutend ist) auf- genommen werden. 11) Zu §. 88. S. 33. Vergl. Schleiden, „Grundzüge der wissenschaftli- chen Botanik“ (1. Ausgabe) S. 70. 12) Zu §. 90. S. 33. Ich muss liierbei bemerken, dass auch „ein- gemachte Früchte“, wie sie in der Küche gebraucht werden, sich oft noch ganz vortrefflich zu mikroskopischen Untersuchungen eignen. 13) Zu §. 94. 3) S. 35. Sehr interessant ist, was Goethe in seiner Farbenlehre (Pathologische Farben. Anhang. §. 103 u. f.) über Akyano- blepsie sagt. 14) Zu §. 104. S. 39. Man vergleiche hier auch Schleiden, „Grund- züge u. s. w.“ (3. Aufl.) S. 91 u. f. 15) Zu §. 123. S. 47. Weiteres kann man über das Mikrotom des Dr. Oschalz nachlesen in v. Mohl’s und v. Schlechlendal' s Botanischer Zei- tung, 1843. Sp. 400, 733 und 1844. Sp. 865. 16) Zu §. 142. S...53. Vergleiche E. Millon, „Ueber ein Reagenz auf Protein“ in Erdmann's und Marchand’s Journal der Chemie, 1849. Aug. 350. 17) Zu §. 151. S. 57. Vergleiche: Botanische Zeitung, 1847. Personal- Notizen, Sp. 592. 102 Anmerkungen. S. 58 — G7. 18) Zu §. 153. S. 58. Ich denke, es wird die Zeit nicht mehr fern sein, wo man über alle die alten Zöpfe, welche die Botanik versteift haben und immer noch versteifen, den Stab brechen wird. Es hat sich auch kein tüchtiger Forscher an die „Zöpfe“ gekehrt, selbst diejenigen nicht, welche auf Andere, wegen Bildung neuer Termini, ärgerlich gewesen sind. Als Beispiel führe ich nur Schleiden an, welcher in seiner „Entwicke- lungsgeschichte des vegetabilischen Organismus u. s. w.“ (Beiträge zur Botanik, S. 103) sagt: „Die Worte testa und membrana interna, so wie die andern vom reifen Samen hergenommenen und nirgend passenden Ausdrücke musste ich aufgeben, da sie wegen der vielen, historisch ihnen ankleben- den Irrlhümer nur dazu dienen konnten, die Begriffe zu verwirren.“ 19) Zu §. 171. S. 65. So führt z. B. Naegcli (Die neuern Algensysteme, S. 123 u. f.) nur das von den Palmellaceen , Pleurococcus vulgaris u. s. w. an, was Zu seinem Dogma passt, während er alles Andere dreist weg- leugnet, was Meneghini und ich noch angegeben haben. 20) Zu §. 176. S. 66. „Es gehört in die Leiden der Gegenwart, dass ein unseliger Hang zu inhaltloser poetischer Prosa, zu der Leere sogenann- ter gemüthücher Ergüsse, gleichzeitig in vielen Ländern, verdienstvolle Reisende und naturhistorische Schriftsteller ergriffen hat.“ „Kosmos“, II. S. 73. 21) Zu §. 180. S. 67. Die Zeit der „Wunder“ ist keineswegs vorüber, denn jede neue und unerklärte Erscheinung ist ein solches. Die Natur ist voll davon. Nur muss berücksichtigt werden, dass der Unwissende das Wunder ganz wo anders findet, als der Wissende. Der Wissende, der die Natur zu seinem wie zu Anderer Vortheil auf die glücklichste Weise zu benutzen versteht, ist für den Unwissenden im Grunde ein eben so grosser Wundermann (Prophet), als Moses den Kindern Israel war. Jedes Experi- ment in der Chemie und Physik kann daher als ein Wunder genommen werden, denn es dient uns eben so zum Beweismittel (Zeichen) unserer Lehren, wie die Zeichen und Wunder der Propheten und aller ältern Religionslehrer. Dieses Wunder zwingt auch in der That zum Glauben , weil es durch seine unmittelbare Anschauungsfähigkeit sich jedem Sehenden ge- waltsam aufdringt. Die Priester der alten Völker hatten daher auch, weil sie allein es waren, welche die Wissenschaft besassen und das Experimen- tiren verstanden, die furchtbarste Gewalt in Händen, der sich nicht nur das Volk, sondern auch die Könige beugen mussten. Durch die Priesterschaft wurde aber mit der Wissenschaft der grösste Missbrauch getrieben, indem sie dieselbe als Sklavenketten für das Volk gebrauchten und so für sich eine unbeschränkte Herrschaft begründeten. Gleichzeitig wurde aber nicht der Glaube, sondern der Aberglaube geflissentlich ins Volk getragen, ge- nährt und methodisch befestigt. Dass sich dadurch die Wissenschaft vor dem Volke verstecken musste und alles Wissen nach Aussen hin zugleich ein Geheimniss war, ist erklärlich. Aber so konnte die Wissenschaft auch nicht gedeihen; denn ihr war in den Mysterien Luft und Licht genommen. Erst mit der Eröffnung der griechischen Philosophenschulen trat die Wissen- schaft ins offene Leben ein, aber nur theihveise, denn die esoterischen Lehren blieben für immer ein Geheimniss. Das Christenthum vollendete nun, was das Heidenthum nicht ausführen konnte. „Unleugbar ist es, dass die ersten griechischen Philosophenschulen den Resten vorhistorischer Naturwissenschaft ihre Entstehung verdanken, und namentlich Thaies und Anmerkungen. S. 74 — 77. 103 Pythagoras, so wie Plierecydes, Xenophanes, Parmenides, Empedokles, Demokrit vorzugsweise als Physiker zu betrachten sind. Und eben so ist es unleugbare Thatsache, dass dieselben griechischen Philosophenschulen, in- dem sie den Sinn für eigne Forschung erweckten, zum Umsturz des Heiden- thums wirkten und dadurch Bahn machten dem Christenthum. Umgekehrt wird sich nachweisen lassen, .... dass der Aufschwung neuerer Natur- wissenschaft zusammenhängt mit dem herrlichen Triumphe des Christen- thums, der Abschaffung des alten Sklavenwesens. Eben dadurch nämlich gingen die technischen Geschäfte, z. B. der Bergbau, nach und nach in die Hände freier Menschen über, und an die Stelle der selbst von einem Plato in seiner Republik , weil gewisse knechtische Arbeiten schlechterdings gethan sein wollen, für unentbehrlich gehaltenen Sklaven traten unsere Maschinen“ — gleichsam neue, vom Menschen geschaffene Organismen — „welche Tag und Nacht eben so pünktlich als unermüdlich fortarbeitend, jene unentbehr- lichen Sklavendienste besorgen.“ Schweigger, „Einleitung in die Mythologie auf dem Standpunkte der Naturwissenschaft“. Halle, 1836, S. 28. So trat nun die Wissenschaft aus der Priesterkaste heraus ins Volk, und die Wunder werden seitdem nicht mehr in den steinernen Tempeln, sondern in den Laboratorien der Schulen und in den Werkstätten der Techniker verrichtet, und will ja hie und da noch ein Unwissender sich in alter Weise als geheimnissvoller Wundermacher zeigen, so sind die Augen der Polizei schon hinreichend, ihn als Betrüger zu entlarven. Darum ist aber auch der Glaube an die neue Naturwissenschaft gross; darum ist die Gewalt der Schule gross; darum darf aber auch die neue Naturwissenschaft niemals vergessen, dass sie eine Tochter des Christenthums ist und den Beruf hat, dasselbe zu kräftigen und weiter zu entwickeln, eingedenk des letzten Zweckes desselben, welcher in dem Spruche enthalten ist: „Ihr sollt ein pries terliches Volk sein.“ Das ist das letzte grosse Wunder, was die Ge- sammtwissenschaft auf christlichem Standpunkte auszuführen hat. 22) Zu §. 204. S. 74. A. v. Humboldt, „Kosmos“, H, 145. — Ich muss bei dieser Gelegenheit noch Etwas erwähnen, womit mich selbst meine besten Freunde immer ennuyirt haben. Ich habe nicht einmal, sondern wiederholt in meinen Schriften erklärt, dass ich keine absoluten Arten , Gattungen u. s. w. anerkenne und dass ich den von mir gegründeten neuen Gattungen und Arten selbst von Haus aus nur relativen Werth beilege. Demungeachtet schrieb mir Dieser und Jener: Ihre Gattung x und die Art y werden sich nicht halten, ich besitze Uebergänge zu m und n. Solche „Uebergänge“ waren mir aber gewöhnlich schon viel früher und besser bekannt, als meinem verehrlichen Correspondenten. 23) Zu §. 211. S. 77. Viele Artikel in unsern botanischen Zeitschriften leiden besonders häufig an einer ganz unnöthigen Breite. Es ist, als ob es haupt- sächlich nur darauf abgesehen wäre, so und so viel Seilen und Spalten zu liefern. Reicht der Stoff nicht aus, so werden eine Menge unnöthiger Nebensachen, wässeriger Redensarten oder überflüssiger Citate aus allerhand Schriftstellern darunter gemengt, um die „breite Bettelsuppe" als Gericht auftischen zu können. Unsere Zeitschriften würden alle ein gesunderes und kräftigeres Ansehen haben, wenn ihre Gründer und Herausgeber nicht den Inhalt vor- her nach der Elle bestimmt hätten, sondern nach seinem VVerthe. Wozu müssen denn jährlich gerade so und so viel Bogen ausgegeben werden? 104 Anmerkungen. S. 89 — 97. Man würde gern denselben Preis für die Hälfte der Druckbogen zahlen, wenn man dabei den Vorlheil gewänne, den bessern Inhalt nicht durch viel leeres und wässeriges Gewäsch homöopathisch verdünnt zu erhalten und durch das Lesen kürzerer inhaltvoller Arbeiten viel kostbare Zeit zu sparen. 24) Zu §. 240. S. 89. Erst jetzt habe ich den letzten Faden durch- schnitten, der mich noch — obschon nur schwach — mit der herrschen- den Ansicht verknüpfte, welche die Auffindung der sogenannten absoluten Unterschiede als das Ziel der Botanik erstreben zu müssen glaubte. Es wird mir dadurch so recht wohl ums Herz, denn ich fühle, dass meine mühsa- men, ins Einzelne gehenden Untersuchungen, denen ich die schönste Zeit meines Lebens gewidmet, die mir aber auch so manchen schönen geistigen Genuss bereitet haben, nicht vergeblich gewesen sind. Die speciellen Stu- dien sind das einzige Mittel, welches die Fäden zur Verknüpfung des Ein- zelnen zur Einheit liefert. Ihr Zweck ist also: der Einheit, dem Ganzen zu dienen, nicht sich selbst. 25) Zu §. 242. S. 89. Wenn etwa Jemand auf den Gedanken kommen sollte, die von mir dargelegte Methode als eine neue zu bezeichnen, den muss ich wiederholt darauf aufmerksam machen, dass sie schon von Linne und allen den ältern Forschern angebahnt wurde, welche nicht das „System“ oder die „Art“, sondern die „natürliche Methode“ als „primutn et ultimum in Botanicis “ erkannten. Ich lege auch besonders darauf Gewicht, dass Linnd nicht von einem „Systema naturale“ wie De Candolle und seine Nachfolger, spricht, sondern von einem „Methodus naturalis“. Das ist um so wichtiger, als Jedermann weiss, wie Linne seine Worte abwog. Das „System“ selbst aber galt ihm nur als ein Mittel zur Orientirung, wesshalb er es auch sehr treffend mit dem Faden der Ariadne verglich. Dass er ferner weit entfernt war, zu glauben, dass man absolute Arten be- gründen könne, geht aus der Aeusserung „Nullus character infallibilis esl“ hervor. Vergleiche §. 43. 26) Zu §. 248. S. 91. Ich mache, in Bezug auf die hier und an an- dern Stellen ausgesprochenen Ideen, noch auf eine von mir vor Kurzem erschienene kleine Schrift: „Die Naturwissenschaften in den Schulen als Be- förderer des christlichen Humanismus. Nordhausen, 1850.“ aufmerksam. 27) Zu §. 267. S. 97. Nur ein Theil dieser Linien ist mathematisch entwickelt. Die mathematische Behandlung ist aber hier bei der Darstellung des Lebendigen von wenig Nutzen, weil man sich bei der Untersuchung immer nur mit einzelnen Merkmalen befassen kann. Darüber geht aber die Anschauung des ganzen Bildes verloren. Und doch soll dieses dargestellt werden. Man bedenke, dass zur vollständigen Entzifferung des mathema- tischen Grundes nur einiger weniger transcendenten Curven ganze Bände von Formeln und Rechnungen nöthig sind. Man versuche es nur die Curven einer einzigen kleinen auf das Papier gezeichneten Wolke vollständig in eine mathematische Formel zu bringen und man wird sehen, wie weit man da- mit kommt. Und, wenn man damit fertig ist, so ist immer nur erst ein willkürlich herausgenommenes und sehr unvollständiges Moment dargestellt worden. 28) Zu §. 269. S. 97. Die Moleküle, woraus die Krystalle sich bilden, sind auch unter dem Mikroskope nicht sichtbar. Aber wol kann man die Anmerkungen. S. 98. 105 Bewegung der kleinen Krystallkörperchen beobachten, welche sich zu den zusammengesetzten krystallinischen Gebilden (Krystallvegetationen , Dendri- ten u. s. w.) vereinigen. Ebenso kann man das Wachsen der Krystalle in geradliniger Richtung beobachten. Besonders leicht ist das beim geschmol- zenen Schwefel zu sehen , wenn man ihn wieder so weit hat erkalten lassen, dass er hellgelb und dünnflüssig erscheint und ihn so durch Neigen des Glasgefässes an die innere Wancl dünn ausbreitet. Es entstehen nach ein- ander an den verschiedenen Stellen , jedenfalls entsprechend der verschiede- nen Abkühlung, Krystallisationscentra, von wo aus die Weiterbildung sich nach allen Seiten strahlig und geradlinig ausbreitet, bis diese Bildungen sich berühren und dadurch gegenseitig begrenzen. Dasselbe oder Aehnliches bemerkt man auch bei dem plötzlichen Anschiessen verschiedener Salzlösun- gen unter dem Hydro -Oxygengas- Mikroskop. Giesst man eine ammoniak- haltige schwefelsaure Kupferoxydlösung auf ein flaches Glas und bringt da- neben vorsichtig Alkohol, so entsteht zunächst zwischen beiden Flüssigkeiten eine Membran, welche aus Molekülen von schwefelsaurem Kupferoxydammo- niak besteht, und endlich wachsen von dieser Membran aus, nach beiden Flüssigkeiten zu, lange spiessige Krystalle desselben Salzes. 29) Zu §. 272. S. 98. Zu diesen Hemmungsbildungen und Störungen gehören: 1) Bei den Thieren: die Pilzbildungen, Harnsteine, Bezoare, Eiterun- gen u. s. w. 2) Bei den Pflanzen: die übermässige Ansammlung von kohlensaurein Kalk, das Zerfliessen und Zersetzen der Zellenmembran u. s. w. 3) Bei den Krystallen: das freiwillige Zerilicssen und Zerfallen. 4) Bei den Massen: das Zersetzen, Verwittern, in Folge chemischer Einwirkung u. s. w. 5) Bei Allen aber die Veränderungen, welche Licht, Wärme u. s. w. hervorrufen. Aus allen diesen und den noch folgenden Darlegungen wird der Leser finden, dass ich ausser dem Aberglauben von der absoluten Art, auch noch den Aberglauben von der Lebenskraft, der Anziehungs- und Abstossungs- kraft, der Coliäsionskraft und wie das übrige Heer der Kräfte noch heisst, völlig abgestreift habe. Ihre Existenz ist wirklich nicht vorhanden, wofür der triftigste Beweis der ist, dass wir sie gar nicht nötliig haben, um Auf- schluss über die Erscheinungen zu erhalten. Der Unsinn, den man mit der Lebenskraft getrieben hat, ist auch wirklich so gross gewesen, dass sich jeder selbständige Forscher jetzt schämt, mit ihr Arm in Arm, wie sonst, über die Strasse zu gehen. Den Naturforschern ist es bisher mit der Er- klärung der Natur gegangen wie den Kindern mit dem Spiegelbilde. Es war ihnen das nicht genug, was sie vorn sehen und begreifen konnten, es sollte durchaus immer noch Etwas dahinter stecken. Und weil sie doch nun bei aller Mühe nichts dahinter bemerken konnten, so wurde ein Name, Kraft, als Gespenst dahinter versteckt. Um diesen Popanz aber ja nicht zu verlieren, wenn er in seiner beschränkten Fassung nicht ausreichen wollte, halte man immer noch eine Anzahl kleiner Popanzchen, wie Katalyse, Me- tabolie, Bildungstrieb und noch andere allerliebste Namen in Reserve, und bildete sich ein oder auch nicht ein, dass man, wenn auch nicht wirklich, so doch unwirklich, nun dahinter gekommen wäre. Sollte daher irgendwo 106 Anmerkungen. in diesem Buche der Ausdruck „Kraft“ in einer andern, als §. 253 dar- gelegten Weise Vorkommen, so bitte ich den verehrlichen Leser denselben als ein Versehen von mir, aus alter Gewohnheit, anzusehen und dafür immer „Bewegung" oder „Geschwindigkeit“ zu setzen. Und so wünsche ich, dass noch recht viele Naturforscher auf diesen alten Scharwenzel nicht mehr bloss raisonniren, sondern ihn bei Seite hegen lassen, denn man ist ohne diesen „Alp“, der uns zu ersticken drohete, oder wie ein bleierner „Kobold“ unsere Schritte lähmte, viel leichter, viel sicherer, viel froher und lebens- muthiger bei der Arbeit. „Ob’s Hansen oder Kunzen recht ist, darauf kommt Nichts an.“ Grundzüge der philosophischen Botanik. (Die Pflanzentheile.) §. 273. Der Zweck der folgenden Arbeit ist die Darstellung des Pflanzen- lebens in seinen Grundzügen. Unter diesen Grundzügen verstehe ich gewisse Hauplmomente der vegetabilischen Bewegung, gleich- sam Hauptströme, welchen alle übrigen untergeordnet sind. Diese Hauptströme sollen nicht isolirt, sondern so viel als thunlich in ihrer Berührung und Verschlingung dargelegt werden, selbst mit möglichster Bücksicht auf kleinere untergeordnete Bewegungs- gruppen. Diese Hauptströme sollen in folgenden acht Büchern abgehandelt werden. Im ersten Bande werden ausser den allgemeinen Formen die Pflanzentheile erörtert und zwar: I. Buch. Die allgemeinen Grundformen des Pflanzenlebens als Vergleichungsmittel. II. Buch. Stoffformen des Pflanzenlebens. III. Buch. Organische Formen des Pflanzenlebens. Der zweite Band handelt von dem Pflanz enindividu um Organismus und zwar: a) Die Pflanzen unter und zu sich selbst. Von den Olfenkeimern oder Kryptogamen. Von den Hüllkeimern oder Phanerogamen. als IV. Buch. V. Buch. VI. Buch. b) Die Pfl VII. B u c h. b) Die Pflanze in Beziehung zur übrigen Natur. Von dem Einfluss der äussern Natur auf die Pflanze. VIII. Buch. Von dem Einlluss der Pflanze bendo Natur. auf die umgc- 108 i Allgemeine Grundformen §. 274. Wo Bewegung ist, da entsteht eine Cfi’össe, jede Grösse aber ist zugleich eine Form. Formen-, Grössen- und Bewegungslehre ist daher im Grunde dasselbe. Um nun die Darstellung der Pflanzenformen durch annähernde Gleichung möglich machen zu können, müssen zunächst Grundformen bestimmt werden, welche als das Gegebene zu betrachten sind, mit dessen Hilfe die Dar- stellung der unbekannten Pflanzengrösse gesucht und gefunden werden soll. Erstes Buch. Die allgemeinen Grundformen des Pflanzenlebens als Vergleichungsmittel. §. 275. Diese Grundformen werden theils der reinen (innern, psy- chischen), theils der sinnlichen (äussern, physischen) Anschauung entnommen. Zu jenen gehören alle die, welche der niedern und höhern Mathematik entnommen sind. Aber weder die mathema- tischen noch die physischen Grundformen sind ausreichend durch ihre Verbindung eine vollkommene Darstellung (Gleichung) zu ge- währen, sondern nur eine der Wahrheit sich nähernde. Wir können also nur etwas dem Wahren Aehniiches , nicht Gleiches darstellen. §. 276. Der Grund davon liegt im Folgenden. Die Natur in ihrer für uns absolut unbegreiflichen Grösse bewegt sich in einer unendlichen Formendiflerenz , sie ist in beständiger Verwandlung begriffen, macht nie Halt, ist nie constant, bringt auch nie wieder Gleiches, sondern nur Aehniiches hervor. §. 277. Wenn wir daher einen Maassstab aus der niedern Mathematik hervorsuchen, welche nur mit conslanlen Grössen zu thun hat, so ist damit immer das stille Bekennlniss verknüpft, dass' dieser Maassslab hierbei nicht in seiner sogenannten absoluten oder constanlen Bedeutung zu nehmen ist. Wir meinen also, wenn als Vergleichungsmittel. 109 wir einen Pllanzenthcil als kuglig oder sphärisch bezeichnen, dass derselbe der Kugel nur ähnlich, also eigentlich sphäroidisch sei; wir meinen mit dem der Mathematik entlehnten Ausdruck nicht den mathematischen, sondern den physischen Körper, wir meinen also nicht die mathematische genaue Kugel, nicht den mathematischen Würfel oder Kegel, sondern die physische Kugel, den physischen Würfel und Kegel. Aber alle diese physischen Körper sind ungenau, und die andern, der blossen sinnlichen Anschauung entnommenen Grundformen sind noch ungenauer, weil die Veränderlichkeit zu ihrem Wesen gehört. §. 278. Aber gerade dadurch, dass sie veränderlich sind, und in dieser Eigenschaft mit den Pflanzenformen übereinstimmen, sind sie die passendsten, die niedern mathematischen Grundformen in ihrer wahren Bedeutung aber die unpassendsten. §. 279. Ich habe schon früher erwähnt, dass die mathematische Methode oder Analysis des Unendlichen in der Naturgeschichte der Organismen nicht anwendbar ist, weil diese Methode immer nur wenige specielle und sehr beschränkte Fälle anschaulich machen kann. Aber grosse Massen zu bewältigen, w'ie sie die Naturgeschichte erfordert, dessen ist sie auf diese Weise gar nicht fähig, weil sie alle grossem Massen der Anschauung immer mehr entrückt, je gründlicher sie verfährt. Die grossem Massen können eben nur wieder mit ebenbürtigen Massen bewältigt wer- den, nicht durch unendlich kleine Differentiale. §. 280. Darum ist es absurd, wenn man von wissenschaftlichen Dar- stellungen des Pflanzenlebens mathematische Genauigkeit verlangt, und pedantisch, wenn man ferner verlangt, dass alle wissen- schaftlich botanischen Darstellungen uniform sein müssten. (Ver- gleiche Naegeli, Die neuern Algensysteme, S. 98, 99.) §. 281. Wir bedienen uns demnach der, der Mathematik entlehnten, Grundformen nur in der oben (§. 277) angegebenen Bedeutung und es gehören hierher Ausdrücke wie: kugelförmig (globularis, globosus, sphaericus), halbkugelförmig (hemisphaericus), elliptisch (ellipticus), kreisförmig (orbicularis), parabolisch (parabolicus), 110 Gesichts formen. kegelförmig (conicus), spindelförmig (fusiformis), walzenförmig (cylindricus), würfelförmig (cubicus), säulenförmig (prismaticus), pyramidenförmig (pyramidalis), keilförmig (cuneiformis) u. s. w., deren Kenntniss wir übrigens, als der Schulbildung angehörig, voraussetzen müssen. §. 282. Die übrigen Grundformen, welche wir hier zu erwähnen und nöthigenfalls zu erörtern haben, sind theils Körperformen, theils Sloffformen. Die Körperformen theilen wir nach ihrer sinnlichen Beschaf- fenheit ein in 1) Gesichtsformen, 2) Gehörformen, 3) Geruchs- formen, 4) Geschmacksformen, 5) Tastformen. §. 283. Die Körperformen sind theils wieder den Körpermassen, theils den Individuen entnommen. Zu den massigen Formen gehören alle auf Zusammenhang und Aggregation, Dichtigkeit (specifische Schwere) und Härte be- züglichen, als: flüssig (liquidus), starr (rigidus), fest (solidus), zäh (tenax), biegsam ( flexilis ) , elastisch (elasticus), spröde, zer- brechlich (fragilis) u. s. w.; ferner als besondere Massenformen: saftig (succulentus), wässerig (aquosus), ölig (oleosus), schlei- mig (mucosus), gallertartig (gelatinosus), klebrig (viscosus), teigig, mussig (pulposus), fleischig (carnosus), korkig (suberosus), schwammig (spongiosus), harzig (resinosus), knöchern (osseus), knorpelig (cartilagineus), hornig (corneus), steinern (lapideus), glasig (vitreus), wolkig (nubilus), mehlig (farinosus), staubig (pulverulentus), körnig (granulosus) u. s. w. §. 284. Zu den begrenzten Gesichtsformen gehören eine sehr grosse Anzahl, weil dieselben ungemein und willkürlich vermehrt werden können. Ich erwähne nur folgende als die gebräuchlichsten: eiförmig (ovatus), herzförmig (cordatus), linsenförmig (lenticula- ris), nierenförmig (reniformis), pfriemenförmig (subulalus), bor- stenförmig (setaceus), haarförmig (capillaris), schwertförmig (ensiformis), ringförmig (annularis), radförmig (rotatus), röhren- förmig (tubulosus), glockenförmig (campanulatus), urnenförmig (urceolalus) , becherförmig (cyalhiformis), trichterförmig (infun- dibuliformis), tellerförmig (hypocrateriformis), kahnförmig (cymbi- formis), blätterig (wie ein Buch) (iamellosus), blatlartig (folia- ceus), geschwollen (tumidus), verdickt (incrassatus), verdünnt Gesichtsformen. 111 (attenuatus), keulenförmig (clavatus), spatelförmig (spatulalus), lanzettförmig (lanceolatus), spiessförmig (hastatus), pfeilförmig (sagittatus), bimförmig ( pyriformis ) , knotig (nodosus) u. s. w. §. 285. Man unterscheidet bei jedem Körpertheile die Basis oder den Grund, Fuss (basis), und die Spitze, das Ende (apex). Beide Enden können stumpf (obtusus) oder spitz (acutus), zugespitzt (mit verlängerter oder vorgezogener Spitze, acuminalus), abge- stutzt (truncatus), ausgerandet (emarginatus), zugerundet (ro- tundatus), stachelspitzig (mucronalus) oder begrannl (aristatus) — im letztem Falle hat die Spitze Aehnlichkeit mit einem Gran- nenhaar — u. s. \v. sein. §. 286. Speciellere Bestimmungen sind noch folgende, und zwar: a) Bei vorherrschend in die Länge (Linie) entwickelten For- men, welche nach der Figur des Querschnitts bezeichnet werden : drehrund (teres), eckig (angulosus), drei-, vier-, fünf- bis viel- eckig u. s. w. , zusammengedrückt (compressus), zweischneidig (anceps), flach (complanatus) u. s. w. ß) Bei Flächenformen ist sowol der Band (margo) als die eingeschlossene Fläche, die Scheibe, Spreite (discus) zu beachten. §. 2$ 7. Der Band ist entweder ganz (inlegerrimus) oder eingeschnit- ten (incisus). Gehen die Einschnitte nicht bis zur Hälfte , so heissen sie flach (margo leviter incisus); gehen sie bis zur Hälfte, so heisst der Band gespalten (fissus), etwas über die Hälfte aber geschützt (laciniatus) , noch tiefer (fast bis auf den Grund) gelheilt (p^rti- tus). Bei den flachen Einschnitten unterscheidet man noch einige Nebenformen, z. B. gesägt (serratus, mit spitzen Buchten und ungleichschenkeligen und spitzen Vorsprüngen), gezähnt (denta- tus, mit gleichschenkeügen Buchten und Vorsprüngen), gekerbt (crenatus, mit spitzen Buchten und kleinen rundlichen Vorsprün- gen), gelappt (lobatus, mit eckigen Buchten und grossem rund- lichen Vorsprüngen), ausgeschweift (repandus, mit grossem runden Buchten und kleinen eckigen Vorsprüngen; also der Gegensatz von gelappt), ausgeschweift- gezähnt (repando-dentatus, der Gegensatz von crenatus), buchtig (sinuatus, mit runden Buchten und Vor- sprüngen), kammförmig gezähnt (pectinatus, mit langen sehr 112 Gesichtsformen. spitzen Zähnen [Vorsprüngen] und Buchten), schrotsägeförmig ( sehr ungleich ausgeschweift und gezähnt), ausgefressen (erosus, der Rand ungleich gelappt und die Lappen wieder fein gezähnt und ausgeschweift), gefranzt (fimbrialus). Ausserdem noch dop- pelt gezähnt, doppelt gesägt u. s. w. §. 288. Die eingeschlossene Fläche kann mehr nach dem Rande, oder mehr nach innen oder überhaupt betrachtet werden. Sie ist ent- weder eben (planus) oder uneben, und im letztem Falle ist sie wellig (undulatus) oder kraus (crispus, beim Blaukohl), ausge- höhlt (concavus), gewölbt (convexus), blasig (bullaLus), gefaltet (plicatus), zurückgeschlagen (reflexus), eingeschlagen (inflexus), zusammengerolll (convolulus) , tuten- oder kappenförmig (cucul- latus), zusammengelegt (conduplicalus); ferner: gestreift (stria- tus), gefurcht (sulcatus), rinnenförmig (canaliculatus), genervt (nervosus), geadert (venosus), gerippl (costatus), runzelig (ru- gosus), beulig (tuberculalus ) , warzig (verrucosus, papillatus), stachelwarzig (muricalus), stachelig (aculeatus), dornig (spino- sus) u. s. w. §. 289 In Bezug auf die Bekleidung der Fläche unterscheidet man sie als beschuppt (squamatus), bereift (pruinosus) , mit Spitzchen bedeckt (apiculosus), haarig (pilosus), steifhaarig (hispidus), borstig (setosus), bewimpert (ciliatus), zottig (villosus), xveich- haarig (pubescens), seidenhaarig (sericeus), wollig (lanatus), fdzig (tomentosus), spinnenwebenartig (arachnoideus) , unbehaart (glaber) u. s. w. Zu bemerken ist hier noch, dass ein Haar nur dann Wimper (cilium) genannt wird, wenn es am Rande steht. §. 290. Endlich sind die Körperformen noch in Hinsicht auf ihre Zusammensetzung zu bestimmen, z. B. reihen sich mehrere For- men an einander, so heisst der Hauptkörper gegliedert (arlicu- latus); sind diese Glieder rundlich oder eiförmig, so heisst der Körper rosenkranzförmig oder perlschnurartig (moniliformis). Die Mittellinie, an welcher man diese Glieder sich aufgereiht denkt, heisst Axe, Spindel (axis, rhachis). Diese Axe ist in- dessen in der Regel wirklich als ein verlängerter Körper vorhan- den, an welchem dann die dazu gehörigen Theile in grösserer oder geringerer Zahl, und in einer gewissen Ordnung befestigl sind. Die Axe selbst kann einfach (simplex) oder verzweigt Gesichts formen. 113 (ramosus) sein. Im letztem Falle sind die Zweige als Seitenaxen anzusehen und man unterscheidet daher Axen lter, 2ter, 3ter u. s. w. Ordnung. Trägt die Axe1 an ihrer Spitze 2 Axen11, jede dieser 2 Axen" wieder 2 Axen111, jede dieser 4 Axen1" 2 AxenIV u. s. f., so nennt man diese Verzweigung oder Spaltung dichotomisch (dichotomus); geschieht diese Spaltung immer mit je drei Axen, so heisst sie trichotomisch (trichotomus), mit noch mehreren polychotomisch (polychotomus); bei blaltartigen Theilen sagt man dagegen vielspaltig (multifidus) , oder auch mehrfach und vielfach zusammengesetzt (decompositus, supradecompositus). Axen, welche an ihrer Spitze einen andern Pflanzentheil tragen, heissen auch Stiele. Stehen mehrere so gestielte Theile an dem Endpunkte einer Axe höherer Ordnung, so bilden sie eine Dolde (umbella, partes umbellatae), sind dagegen die genannten Theile ungestielt an dem Endpunkte einer Axe, so bilden sie ein Köpfchen (capi- tulum, partes capitatae); ungestielte Theile nennt man überhaupt sitzend (sessiles); liegen etwas verlängerte Theile in einer Fläche und an dem Endpunkte eines Stieles neben einander, so nennt man sie fingerförmig (p. digitatae). Sind die Nebentheile unter der Spitze einer Axe in Mehrzahl ringsum (in gleicher Höhe) ge- stellt, so bilden sie einen Quirl oder Wirtel (verticillus, p. ver- licillatae); sind dieselben aber in ungleicher Höhe vertheilt, so heissen sie zerstreut (p. sparsae) und sie zeigen dann immer eine mehr oder weniger deutliche Ordnung in Spiralen (spiraliter dispositae) oder in Längsreil^en, Zeilen, daher sie denn auch im letztem Falle als zweizeilig (partes distichae), drei — vielzeilig (p. tri — polystichae s. trifariam — multifariam dispositae) noch unterschieden werden; das Slellungsverhältniss der einzelnen Theile zu einander nennt man hier ausweichend oder abwechselnd (p. alternae) im Gegensatz von gegenüberslehend (p. oppositae), was nur zwischen zwei auf gleicher Höhe befindlichen Theilen stattfinden kann. Ein Theil heisst gefiedert (p. pinnata), wenn die Nebentheile zweizeilig an der Axe entlang stehen; ist die Axe selbst gefiedert und tragen die Axen" zweizeilige Seitentheile, so heisst der Haupttheil doppelt gefiedert (p. bipinnata) u. s. w. Stehen und entspringen die Theile nur an einer geraden Linie der Axe entlang, so heissen sie einseitig (p. unilaterales); stehen sie aber zerstreut und biegen sich nur nach einer Seite, so heissen . sie einseitswendig (p. secundae). Stehen knopfförmige Theile, Blumen, Früchte (nicht Blätter) an einer Axe entlang ohne Stiele, so bilden sie eine Aehre (spica), mit einfachen Stielen eine Traube (racemus), mit verästelten Stielen eine Bispe (panicula), Kützino, Philosophische Botanik. J. 8 114 Gesichtsformen. Sind bei der Traube die untern Stiele so viel länger, als die obern, dass alle Enden fast in gleicher Höhe liegen, so heisst sie Doldenlraube oder Traubendolde (corymbus), ist dasselbe bei der Rispe der Fall, Rispendolde, Trugdolde (cyma); andere Aeste heissen in beiden letzten Fällen gleichhoch (rami fastigati). Zu- sammengesetzte Stellungen kommen vor bei der Aehre der Ge- treidearten (spica composila), der Dolde der Umbelliferen (um- bella composita), der Grasrispen (panicula spicifera), der Dolden- ähre (spica umbellifera) u. s. w. §. 291 . Die Biegungen, welche verlängerte Theile (Fasern, Fäden, Stiele, Stengel, Rippen, Adern, Furchen, Haare u. s.w.) machen, werden wie die verschiedenen Arten der Linien in der Mathe- matik benannt, z. B. gerade (rectus), gekrümmt (curvatus), bo- gig (arcualus), zurückgekrümmt (recurvatus) , zusammengerollt (convolutus), zurückgerollt (revolutus), lockig (circinalis), schlan- genförmig (serpenlinus) , hin- und hergebogen (flexuosus), ge- dreht, wie ein Seil (tortus), ineinander gedreht (contortus), verworren (intricatus) , schrauben- oder schneckenförmig (spi- ralis), hakig (uncinatus, hamatus), gebrochen (fractus), winkelig (angulosus), zickzackig (fulminatus); ferner aufsteigend (adscen- dens), niedergebogen (declinatus) , zurückgebogen (reclinalus), überhängend (cernuus), nickend (nutans) u. s. w. Die bekann- ten krummen Linien der höhern Mathematik sind ausser der Spirale bisher noch nicht weiter als Grundformen in Anwendung gekommen, obschon eine von ihnen, die Cissois, vom Epheu- blatt (xtffffoc) entlehnt ist; sie sind übrigens um so mehr zu entbehren, als ihre Benennung zum Theil selbst erst der un- mittelbaren Anschauung bekannter Körper, wie z. B. Glockenlinie, Cardioide, Lemniscate (Schleifenlinie), Scyphois (Becherlinie) u. s. w. entnommen ist. Man sieht daraus, dass die Mathematik sich des- selben Mittels, wie die Botanik, bedienen muss, wenn sie Total- verhältnisse kurz und mit einem Male ausdrücken will. ' §. 292. Bei der Bildung und Zusammensetzung der Pflanzentheile kann man oft keine sichere Regel oder Ordnung erkennen; diese werden daher als unregelmässig (partes irreguläres) bezeichnet; ausserdem aber unterscheidet man noch symmetrische Organe (p. symmetrice formalae), welche sich durch eine Linie in zwei gleiche Hälften (z. B. ein Epheublatt) theilen lassen, und regel- Gehörformen. 115 massige (p. reguläres), welche sich durch mehrere Linien in ver- schiedener Richtung gleichmässig theilen lassen. Endlich wird auch ein zusammengesetzter Körper, z. B. ein Baum, wieder nach seiner Gesammlform , dem Umrisse (ambitus) nach, bestimmt, und den Gesammteindruck, den derselbe macht, nennt man seine Tracht (habitus). Der Habitus ist das Erste, was man von einer Pflanze oder einem Pflanzenlheile kennen lernen muss; er beruht auf unmittelbarer Anschauung und ist durchaus nothwendig. Aber man darf sich nie von ihm allein leiten lassen, weil er ein oberflächliches Merkmal ist und dess- halb leicht zu Irrthümern Veranlassung gibt. §. 293. Gellörformen. Diese Formen, welche beim Thierreiche so deutlich und je höher hinauf immer bedeutender, entschiedener und bestimmter auftreten, so dass beim Menschen zuletzt die Sprache als die höchste Gehörform erscheint, sind bei den Pflan- zen als ein Ergebniss des Lebens gar nicht vorhanden, wenn man das Geräusch, welches manche Früchte bei ihrem Aufsprin- gen machen, nicht hierher rechnen will. Am auffallendsten ist diese Erscheinung bei Hura crepilans, deren büchsenartige Frucht bei völliger Reife mit einem bedeutenden Knalle zerspringt und den Samen von sich schleudert. Von einheimischen Gewächsen zeichnet sich besonders Dictamnus albus in dieser Beziehung aus, so dass die Samen 4 — 10 Fuss weil geworfen werden. Ausserdem aber hat man das Geräusch, welches manche blattartige Organe (Strohblumen, die Hüllblätter der Centaureen u. s. w.) beim Anfühlen verursachen, mit in die Diagnosen aufge- nommen und bezeichnet dasselbe mit raschelnd (scariosus). Hier- her gehört aber auch noch das Geräusch, welches das wogende Schilf macht, und das verschiedenartige Rauschen der Baumwipfel in den Nadel- und Laubwäldern u. s. w. , wenn der Wind durch dieselben weht. §. 294. Geruchsfonnen. Sie sind eben so überwiegend im Pflanzen- reiche, als die vorhergehenden fehlen. Man hat indessen nur geringen Gebrauch von ihnen gemacht, so dass sie in streng systematischen Werken gar nicht mit aufgenommen sind. Auch ist die Bezeichnung für viele Geruchsdifferenzen noch sehr unbestimmt. Im Gebrauch sind folgende. 8 * 116 G eruchsf ormen . Geschma cks formen . Allgemeine Geruchsformen: schwach (mitis), stark (gra- veolens), heftig (fragrans), betäubend (narcoticus), heissend (vel- licans), ekelhaft (nauseosus), erstickend (suffocans), dumpfig (virosus), stinkend (foetidus), wohlriechend (odoralus), lieblich (suavis, gralus). Besondere Geruchsformen: gewürzhaft (aromaticus), am- brosisch (ambrosiacus) , bisamartig (moschatus), kampherarlig (camphoratus) , terpentinartig (terebinthinaceus), sauer (acidus), weinartig (vinosus), veilchenartig (violaceus), rosig (rosaceus), schimmelig (mucidus), bockig (hircinus), harnartig (urinosus), wanzenartig (cimicinus), knoblaucharlig (alliaceus) u. s. w. Die letztem lassen sich noch sehr bedeutend vermehren und bei deren Gebrauch ist Niemanden eine Schranke gesetzt. Alle Geruchs- formen sind luftförmig, also massig. §. 295. Geschmacksformen. Auch von den Geschmacksformen wird nur ein sehr untergeordneter Gebrauch für die Wissenschaft gemacht. Alle Geschmacksformen sind tropfbarflüssig; starre und luftförmige Körper schmecken wir nur in so fern, als sie auflös- lich sind. Indessen kommen manche Geschmacksformen mit den gleichnamigen Geruchsformen überein und beide Formarten werden dann gleichartig empfunden, wie z. B. knoblauch- artig, ekelig, wanzenartig, gewürzhaft, faulig (putridus), kraut- artig (herbaceus) u. s. w. Ausserdem aber unterscheidet man folgende Geschmacksformen: wässerig (aquosus), salzig (salinus), sauer (acidus), alkalisch (alcalinus), bitter (amarus), süss (dul- cis), herb (austerus), zusammenziehend (adstringens), scharf (acris), wärmend (calescens), kältend (refrigerans), ätzend (cor- rosivus), durchdringend (penetrans), schleimig (mucilaginosus), ölig (oleosus), mild (mitis), dauernd (perdurans), verschwindend (evanescens) u. s. w. §. 296. Gefühlsformen, Tastformen. Bei sehr entwickeltem Tast- vermögen kann es der Mensch allerdings dahin bringen, dass er Körperformen, welche dem Tastsinne zugänglich sind, ziemlich genau unterscheiden lerne. Ja, es gibt sogar gewisse Formen, welche man mit den Fingerspitzen leichter und verständlicher wahrnimmt, als mit dem blossen Auge. Solche Formen sind es nun auch, welche in die wissenschaftliche Sprache der Botanik eingeführt worden sind, wie z. B. Aveich (mollis), hart (durus), sammetartig (holosericeus) , rauh (hirtus), scharf (asper), ste- Zahl - und Stoff formen. m chend (spinescens) , schneidendscharf (aculus) z. B. bei Carex acula, kleberig (viscidus) und andere, welche schon oben er- wähnt sind. §. 297. Einschaltend erwähne ich hier noch die Z&hlformeil. Wie die geometrischen, so haben auch die Zahlformen in der Botanik nur einen relativen Werth. Dennoch ist es überraschend, dass manche Pflanzengruppen sich durch eine bei ihnen vorwaltende — nicht absolut herrschende Grundzahl auszeichnen, so die Vierzahl (numerus quaternarius) bei der Zellenbildung (Protococcus, Telra- spora, Flechtensporen, Pilzsporen, die Vierlingsfrüchte der Tange, die Zähne der Moose u. s. w.), die Dreizahl (n. ternarius) in den Stengelecken und den Blumentheilen der Monocotvledonen , die Fünfzahl (n. quinarius), bei sehr vielen Dicotyledonen. Noch wichtiger aber, wie hier in den Körperformen, ist der Einfluss der Zahl bei den Stoflformen, die man sogar durch die blosse Zahl, welche das relative Misehungsverhältniss der Stoffe — das Aequivalent — bedeutet, auszudrücken gewohnt ist, und da- durch ein scharfes Unterscheidungszeichen gewonnen hat. Der Grund liegt darin, dass, je unkörperlicher die bewegten Theil- chen und je gleichartiger das Medium der Bewegung ist, um so weniger Störungen bei den Bildungen Vorkommen (§. 262). Ge- nauere Auskunft über diese Verhältnisse gibt die Stöchiometrie, welche den mathematischen Theil der Chemie bildet. Zweites Buch. Stoffformen des Pflanzenlebens. §. 298. Diese Formen werden theils von der Physik, theils von der Chemie gelehrt. Wir haben dieselben nur hier zu erwähnen, in wie fern sie Einfluss auf das Pllanzenleben haben und in wie fern daher von denselben etwa besondere Seiten in Betracht kommen, welche von der Chemie in ihrer jetzigen Gestalt nicht genügend berücksichtigt worden sind. Alle Stoffformen sind an sich nicht wahrnehmbar; wir be- kommen von ihrer Erscheinung erst Notiz, wenn sie sich zu 118 Die Sloffformen Massen formen und verkörpern. Es ist daher absurd von orga- nischen oder unorganischen Stoffen zu reden , wenn mit dieser Benennung der Sinn verbunden wird, welcher organischen und unorganischen Körpern zukomml. Denn der Stoff ist an sich weder organisch noch unorganisch. Man kann demnach nur in so fern von einem organischen Stoffe reden, als man darunter einen solchen versteht, welcher der Organisation fähig, d. i. zur Bildung eines Organismus verwandt werden kann. Der Stoff hat also dadurch, dass man ihn organisch oder unorganisch nennt, durchaus an sich weder organische noch unorganische Bedeutung und es ist in solchem Falle ein ähnliches Verhältnis, wie mit den Benennungen „Kartoffelwagen, Rübenwagen, Töpferwagen, Heu- wagen, Oelmühle, Glashütte“ u. s. w. Alle diese Benennungen sind dadurch doppelsinnig geworden, dass ihnen der Brauch eine andere Bedeutung gegeben, als sie ursprünglich nach deffi Sprach- genies haben. Es\ ist aber ganz dasselbe, wie wenn Jemand sich „Lederner Handschuhmacher“ oder „Grüner Seifenfabrikant“ nennt, oder wenn Emil du Bois- Reymond von „anorganischen Naturforschern“ spricht, was unser Sprachgefühl beleidigt, wäh- rend wir in demselben Augenblicke uns nicht bedenken von Wasservögeln, Kalkpflanzen, Heupferden, Wasserstiefeln, Schnee- hühnern u. s. w. zu reden. Ich habe aber nicht bloss gegen den Gebrauch der Ausdrücke „organischer“ oder „unorganischer Stoff“, sondern auch gegen die falsche Deutung, die man jenen bisher gegeben (ich nehme mich dabei selbst nicht aus), mich aussprechen wollen. Denn jede doppelsinnige Bedeutung eines Wortes ist als eine logische Unvollkommenheit der Sprache zu bezeichnen, und ich glaubte darauf aufmerksam machen zu müs- sen, dass es gerade Sache der Wissenschaft ist, Fehler, welche die Gewöhnung und der Yolksgebrauch gutheisst, von sich fern zu hallen. Aus diesem Grunde werde ich mich auch jener gerügten Ausdrücke enthalten. §. 299. Ich habe schon mehrmals gesagt, dass die Stoffformen an sich nicht sinnlich wahrnehmbar sind. Wir würden daher gar keine Kenntniss von ihnen haben, wenn diejenigen Bewegungen, welche den Stoffformen eigentümlich zukommen, nicht eine grössere Ausdehnung hätten und zwar eine solche, welche in die sichtbare Körperbewegung hinübergreift. Erst aus den Differen- zen, welche die Stoffe in der Körperbewegung hervorbringen, lernen wir sie kennen und unterscheiden. Alle unsere Kenntniss im Allgemeinen. 119 der Stoffe ist daher nur eine abgeleitete, eine mittelbare, nicht unmittelbare, und der Chemiker geht jedesmal bei seinen Unter- suchungen stillschweigend (unbewusst) von der Prämisse aus, dass die Differenz der Stoffbewegung an sich auch eine Differenz in der Körperbewegung hervorrufe, welche die Resultirendc von jener sei, daher die Differenz der Stoffe nie anders festgestellt wird, auch nicht anders festgestellt werden kann, als durch eine rückgehende Schlussfolge, welche von der Körperveränderung hergeleitet wird, und der Chemiker hat sich an dieses Verfahren so gewöhnt, als wenn es sich von selbst verstünde. Weil es aber bisher Niemanden eingefallen ist, an die oben genannte Prämisse wirklich zu denken, vielmehr dieselbe immer unbewusst einer amphibolischen Behandlung unterworfen wurde, indem man sie einmal als Etwas ansah, das sich von selbst verstehe, das andere Mal aber, als wäre es gar nicht da, so ist es erklärlich, dass man so allgemein mit einer solchen Sicherheit von „organischen“ und „unorganischen Stoffen“, so wie von „organischer“ und „un- organischer“ Chemie redet, ja, dass man sogar angefangen hat, die Chemiker selbst in „organische“ und „unorganische Chemi- ker“ einzutheilen. Solche Absurditäten rühren nur von der Ver- mengung der Stoffform mit der sinnlich wahrnehmbaren Körper- form her. Die Kritik des bisherigen Verfahrens in einzelnen Fällen wird die Nothwendigkeit der Anerkennung dieses Unterschiedes, auf den auch Schleiden („Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik“. 3. Aufl. I, S. 61) grossen Werth legt, noch deutlicher heraus- steilen. Man findet es ganz in der Ordnung, Carbon, Oxygen, Nitrogen und Hydrogen als verschiedene Stoffe zu betrachten, nicht weil man sie als Stoffe kennen gelernt hat, sondern weil die Körpermassen, in welchen man sie als allein darin anwesend annimmt, von einander differiren. In demselben Augenblicke aber, in welchem man diesen Schluss von dem Körper auf den Stoff macht, vergisst man schon wieder, dass man ihn gemacht hat, hält daher Körper und Stoff für einerlei und verwechselt sie da- durch beständig mit einander. Man betrachtet den Körper und meint, dass dieser der Stoff selbst, den man kurz vorher er- schlossen hat, sei. Daher kommt es, dass man bei der Einlhei- lung der Elemente in gasförmige, tropfbare und starre es ebenso vergisst, dass man Körperformen und keine Stoffformen einge- theilt habe, dass man vergisst, dass der Diamant und Graphit Mineralformen, aber keine Stoffformen sind, und dass Niemand an den Widerspruch denkt, wenn man von der Dimorphie des Kohlen- 120 Stoffformen im Allgemeinen. Stoffs spricht. Während man aber hier von einer Dimorphie spricht, findet man es wieder ganz in der Ordnung, dass der Kohlenstoff in der Kohlensäure gasförmig erscheint, und so wenig man ihm dadurch eine Dreigestalt beilegt, so wenig legt man dem Sauerstoff eine Zweigestalt bei, wenn derselbe, der bis- herigen Meinung nach, seine Gasform durch Verbindung mit einem Metalle in eine starre Form umänderl. Ueberall begegnet man solchen logischen Widersprüchen in der Chemie. Es war daher sehr nölhig, wiederholt darauf aufmerksam zu machen und durch sie daran zu erinnern, dass die Stoffformen (wenn sie überhaupt für uns erschliessbar sind) nur aus den Körperformen erschlossen werden können, dass aber darum die Körperformen nicht für die Stoffiformen selbst genommen werden dürfen, was zu Absurditäten führt, daher man auch von einer „Dimorphie des Kohlenstoffs“ so wenig reden darf, als von „organisirter Kieselsäure“, ,, organisirtem Zellenstoff“ u. s. w. Auch den Bergkrystall als „krystallisirte Kieselsäure“ zu bezeichnen, ist unrichtig, weil Kieselsäure der Name des Stoffes, und keines Körpers, ist, die Krystallform aber Körpern und nicht Stoffen zukomml. Ist aber von Krystallen, Kieselhäuten, Kieselzellen, Stärkezellen u. s. w. die Rede, so sind damit Körperformen ge- meint, welchen jene Stoffformen zu Grunde liegen. Ich bitte daher meine Leser bei Erörterungen über die Stoffverhältnisse stets daran zu denken, dass dieselben an Körperformen vorge- nommen werden. Dass man, streng genommen, die Sloffformen auch Körperformen nennen kann, weil sie Grössen sind, denen man eine Ausdehnung nach den drei Dimensionen beilegen muss, leuchtet ein; daher muss ich auch hier noch besonders erklären, dass ich unter Körperformen, gegenüber den Stoffformen, die- jenigen Körpergrössen meine, deren sinnliche Wahrnehmung möglich ist. Diese Vorstellungsweise von der Körperform geht auch schon aus den im §. 256 enthaltenen Erörterungen hervor. Auch darf nicht übersehen werden, dass in einer naturhistori- schen Arbeit nur solche Körper in Betracht kommen können, welche in einem gewissen Umfange schon bestimmt sind , oder bestimmt werden. Sollte ich aber irgendwo bei der Darlegung der Stoffformen mich aus alter Gewohnheit eines Ausdrucks bedienen, welcher der oben begründeten Vorstellung gemäss nicht richtig wäre, so bitte ich den Leser denselben zu verbessern. 121 Verzeichniss der Grundstoffe. §. 300. Carbon oder Kohlenstoff [= C.), Wasserstoff (= II.), Sauer- stoff (= 0.), Stickstoff (= N.), Chlor (= CI.), Brom (=Br.), Jodin (= J.), Schwefel (= S.), Phosphor (= P.), Kiesel oder Silicium (= Si.), Kalium (= K. ), Natrium (= Na.), Calcium (= Ca.), Magnium (= Mg.), Aluminium (=A1.), Eisen (= Fe.), Mangan (= Mn.), Kupfer (= Cu.), Blei (= Pb.), Silber (= Ag.) ; endlich der Aether (ohne Symbol). Diese genannten Stoffe kommen unter sehr verschiedenen Verhältnissen in den Pflanzen vor und ihre Bewegungen bilden die Erscheinungen des Pflanzenkörpers. Wir unterscheiden diese Erscheinungen in 1 ) substanzielle und 2) substanzlose. Die erstem sind an sich wahrnehmbar (wägbar, tastbar, hörbar, riechbar) , die substanzlosen dagegen treten für uns nur an den Substanzen in die Erscheinung, nicht an sich selbst, sie sind daher nicht tastbar, hörbar, riechbar; sie werden durch die Aetherbewegungen hervorgerufen, während die substanziellen Erscheinungen durch Bewegungen der andern (chemischen) Grundstoffe erzeugt werden. Dagegen sind Sub- stanzen nicht unmittelbar sichtbar, sondern sie werden es erst durch Vermittelung der Aetherschwingungen. Weil nun kein einziges sinnliches Lebenszeichen in der Pflanzenwelt ohne Licht, Wärme, Eleclricität — und vielleicht auch ohne Magnetismus — existirt, weil ferner alle übrige Stoff-, Massen- und Körperbildung stets von denselben untastbaren Er- scheinungen begleitet wird, so nehme ich die Aetherbewegungen (§. 257) als diejenigen, welche alle übrigen Stoff-, Massen- und Körperbildungen erst erzeugen; ich betrachte sie als diejenigen, weiche die Pflanzenbewegungen (= Pflanzenformen) anregen und beherrschen, und mache darum mit ihnen den Anfang. a) Aether formen. §. 301. Unter den Aethererscheinungen treten besonders die des Lichtes in grösster Mannigfaltigkeit auf und sie sind es auch na- mentlich, welche den körperlichen Formen ihren grössten Schmuck, ihre wahre Schönheit verleihen. Man beraube die Pflanzenwelt 122 Lichlformen. ihres Farbenliehles und Niemand wird sie noch schön nennen i können; Jedermann legt daher auch bei Betrachtung einer nicht colorirten Abbildung durch die Phantasie die mangelnden Farben hinzu. Nichts ist hässlicher, als ein schlecht oder unsauber colorirtes Pflanzenbild; daher schwarze Bilder vor solchen immer noch den Vorzug haben. §. 302. Aus diesen Betrachtungen folgt, dass die vorherrschende und die Schönheit der Pflanze bedingende Form ein Lichtkleid, ein Aetherkleid ist, nicht bloss äusserlich angethan, sondern ge- woben um alle Theilchen des Pflanzenkörpers. §. 303. Die Pflanzenfarben sind die Differentiale des Lichlkleides, hervorgerufen durch die Textur der substanziell -verkörperten Pflanzenstoffe. Diese letztem stimmen darin überein, dass sie alles Licht nur mit einem gemässigten, dem Auge wohlthuenden, nicht dasselbe blendenden Glanze ausstrahlen. §. 304. So hätte also jede Pflanze einen doppelten Körper, einen concret-schweren, von substanziellem Stoffe gebildeten — Massen- körper — und einen leichten, gewichtlosen, aus dem Himmels- äther gewebten — Lichtkörper. Dieser Lichtkörper ist es eigent- lich, mit dem wir es vorzugsweise zu thun haben, wenn wir die Pflanzen mit den Augen — und nicht zugleich mit den Fingern — betasten oder betrachten. Dieser Lichtkörper abgezogen, er- scheint in der That wie die Seele der Pflanze, welche nach innen wie nach aussen hin thätig ist; nach innen, indem sie die sub- stanzielle Erscheinung der Pflanze bildet und beherrscht; nach aussen, indem sie das Pflanzenbild mit den andern Bildern ver- webt und verknüpft. Denn einen Lichtkörper hat jeder sichtbare Körper, weil er ohne denselben nicht sichtbar wäre, also auch der Mensch. Dieser Lichtkörper ist nichts Eingebildetes, kein Phantasma, sondern etwas wirklich Existirendes , etwas Wahr- nehmbares. §. 305. Wenn nun der Lichtkörper, den wir oben mit Pflanzenseele bezeichnet haben, seine Richtigkeit hat, so folgt aber daraus noch nicht, dass die Pflanzen-, Thier- und Menschenseelen gleich wären. Es sind so wenig zwei Pflanzenseelen und zwei Men- Lichtformen. 123 schenseelen sich gleich, als ihre concrete Körpergestalt, der sie angehören. Aber um auf einen wichtigen Umstand nochmals auf- merksam zu machen, weise ich zurück auf §. 272, wo ich gesagt habe, dass jede höhere Form die niedere in sich auf- nimmt. Ich will das nicht in beschränkter, sondern in ausge- dehntester Weise verstanden wissen. §. 306. Dann folgt aber daraus, dass der Mensch, als das höchste Resultat der Schöpfung, alle niedern Schöpfungsformen in sich vereinigt, dadurch aber auch in unmittelbarem Besitz derselben ist. Diese eigenthümliche natürliche Bildungsstufe setzt ihn in Stand nach aussen zu wirken und in dieser Thätigkeit auf Dinge zu stossen, welche ihm alle darum verständlich sind, weil er ein Aequivalent, ein Vergleichungsmittel für sie in sich selbst besitzt. Die Aetherbewegungen , weiche im Innern der Pflanze nur die einfache Richtung haben, von welcher die Bildung der sub- stanziellen Tastform resultin, erheben sich im Menschen zu einem obersten System der abgezogensten Formen, welche die Resul- tirende seines höchst entwickelten substanziellen Tastkörpers — des Mikrokosmos — und seines Aetherkörpers ist. In diesen abgezogensten Formen ist sogar die Aethermalerie abgestreift, weil selbst diese noch zu schwer für diese reinen Bewegungen ist. Diese reinen Bewegungen, die Resultirende des gesammten Menschenlebens, sind des Menschen immaterieller geistiger Leib, seine Gedanken, welche ihn eben so fest mit seinem Gott ver- knüpfen, wie seinen Aetherleib mit der Welt. §. 307. So hat der Mensch noch eine Gedankenseele neben seiner Lichtseele: Und während ihn diese durch ihre leichten Aether- schwingen mit den entferntesten Welten verbindet, und dadurch an Zeit und Raum bindet, kennt die Gedankenseele keine zeitlich- räumliche Fessel, so dass sie in ihrem Fluge stets über der Licht- und substanziellen Welt schwebt. §. 308. So sind es die Aetherschwingen , welche den Lichtkörper des Menschen mit den übrigen Lichlkörpern in Verbindung brin- gen, und so ist es seine Lichtseele, welche seiner Gedanken- seele den Stoff zur geistigen Behandlung überlrügt, damit diese sich durch Belhäligung entwickele, dadurch von sich selbst er- 124 Licht formen. fahre, wisse, und der Mensch sich und die Welt denken lerne; denn diese äussern Lichtkörper sind es wieder, welche das Welt- gefühl, das Weltbewusstsein in ihm anregen, kräftigen und be- festigen. Dadurch dass er sich weiss, ist er erst in seinem Besitz und somit im Besitz der Welt, er fühlt und weiss sich nun als Mikrokosmos. Ein Mensch, dem die Sinne verschlossen sind, kann auch keinen Gedanken entwickeln. §. 309. Kehren wir nun nach diesen ausschweifenden, aber zum rich- tigen Verständniss manches Vorausgesandlen und noch Folgenden nothwendigen Erörterungen der wichtigsten Vorgänge zwischen dem Menschen und der Natur zurück, so folgt, dass, wenn die Pflanze wirklich ein Lichtkleid hat — was zu bestreiten auch wol Nie- manden beikommen möchte — , unter diesem Lichtkleide nicht bloss die farbigen, sondern auch die geometrischen Lichtformen mit abzuhandeln wären. Da diese letztem aber der genaueste Ueberzug der concreten Körperform sind, so stimmen sie mit den schon oben (§. 281 — 292) abgehandelten vollkommen überein. Nur darüber könnte Zweifel sein, ob jene Formen nicht bes- ser hier abzuhandeln gewesen wären, als dort, zumal da sie dort als Gesichtsformen aufgeführt werden. Aber da wir es dort mit dem concreten Körper, von dem der Lichtkörper erst die Resul- tirende ist, zu thun hatten, so rechtfertigt sich die Auflührung der genannten Formen an jener Stelle, und ihre Bezeichnung als Gesichtsformen hat dort nur den Werth eines systematischen Namens, der an jener Stelle durch den Eintheilungsgrund gebo- ten war. §. 310. Darum will ich hier nur noch einige vergleichende Betrach- tungen über den abgezogenen Lichtkörper der Pflanzen im All- gemeinen, und zuletzt noch Einiges über die Farben insbesondere folgen lassen. Ich habe oben den Lichtkörper der Pflanzen als Pflanzenseele bezeichnet. Darum war ich aber genöthigt, bei dem Menschen eine Licht- und eine Gedankenseele zu unterscheiden. §. 311. Es ist klar, dass sonach jedem concreten Dinge eine Licht- seele zukommt, mittelst welcher es nur in die Lichlerscheinung treten kann. Dass diese Lichtseele etw'as wirklich Existirendes ist, dass sie selbst abgezogen vom concreten Gegenstände für sich noch Lichtformen. 125 eine Zeitlang vorhanden ist und durch die Aetherschwingen in dem Auge in ununterbrochener Schwebe gehalten wird, be- weist das Abklingen lebhafter Bilder in unsern Augen, wenn wir dieselben plötzlich schliessen. §. 312. „Wer auf ein Fensterkreuz, das einen dämmernden Himmel zum Hintergründe hat, Morgens beim Erwachen, wenn das Auge besonders empfänglich ist, scharf hinblickt und sodann die Augen schliesst, oder gegen einen ganz dunklen Ort hinsieht, wird ein schwarzes Kreuz auf hellem Grunde noch eine Weile vor sich sehen“. (Goethe.) — Geht man im Walde, wo alles grün ist, oder hat man lange Zeit das Grün einer Wiese angeblickt und man wendet das Auge auf den grauen Fahr- oder Fussweg, so erscheint derselbe roth; — blickt man durch ein grünes Glas einige Zeit auf ein Schneefeld, so wird man dasselbe ohne Glas nachher rosenroth gefärbt finden; ein rolhes Glas ruft dagegen die grüne Farbe hervor u. s. w. Die Sache ist nämlich die, dass die Thätigkeit einer objectiven Farbe im Auge die subjeclive Farbe, welche jedesmal der Gegensatz der vorigen ist, hervor- ruft, wenn das Object entfernt wird, welches, vorausgesetzt, dass die Lehre von der Zusammensetzung des reinen Lichts aus den drei Grundfarben (Blau, Roth, Gelb) richtig ist, auf folgende Weise eine Erklärung fände: Im Auge ist das Licht in seiner Reinheit, also keine Farbe überwiegend, anzunehmen. Das Augenlicht wird aber beim Sehen in doppelter Weise bewegt, einmal für die geometrische Form — das ganze neutrale Licht — , für welche daher sämmtliche Farben in Schwingungen gerathen, und das andere Mal für die Farbe, wofür nur diejenigen in Anspruch genommen werden, die mit der Farbe des Objects übereinstimmen. Ist nun das Object grün, so ist das blaue und gelbe Augenlicht in doppelter Thätigkeit gewesen, während das rothe nur einfach (für die geometrische Form) geschäftig war, daher jene Lichter beim Wegblicken bald ermatten, erblassen, während dieses (rothe) noch einige Zeit nachschwingt. Dieses Nachschwingen des Lichtbildes im Auge ist dasselbe wie das Nachklingen eines Tones im Ohr, daher auch Goethe die Erscheinung der subjectiven Lichtbilder als Abklänge der objectiven bezeichnet. §. 313. Vor Goethe hielt man diese Erscheinungen für krankhafte 126 Lichtformen. Erzeugnisse des Auges, daher nannte sie nürnberger „ vitia fugi- tiva“, Darwin dagegen „ocular-spectra“. Wenn ein Ausdruck wie Spectrum, die Erscheinung an sich, das Gespenst, eine wirkliche Bedeutung haben soll, so kann es nur die sein, dass man das abgezogene Lichtbild oder, wenn man will, die Lichtseele eines concreten Objects damit be- zeichnet. Demnach sind Gespenstererscheinungen von allen con- creten Körpern, Menschen, Thieren, Pllanzen, Mineralien u. s. w., nicht nur etwas Mögliches, sondern etwas sehr Natürliches. Nur darf man diese Gespensterseherei nicht in Geislerseherei verkeh- ren wollen, was absurd ist. §. 314. Ebenso müssen wir uns hüten, diese subjectiven Lichtbilder für objective zu halten, d. i. ein Gespenst für eine ausser uns befindliche physikalische Erscheinung anzusehen, wie das der Fall bei Mexjen gewesen ist, welcher das sogenannte „blitzähnliche Leuchten“ gewisser (meist feuerrother) Blumen im Sommer bei Abendzeit als ein „Product des intensivsten Lebensprocesses“ bezeichnet. Link hat ganz recht, wenn er sagt: „Keiner hat es gesehen, der nicht Gespenster sieht“ („Grundlehren der Kräuter- kunde“, II, 345). Denn wenn man genau Zusehen will, da ist die ■ Erscheinung jedesmal fort, §. 315. Goethe hat schon 1799 die Erklärung dieser Erscheinungen gegeben. In seiner Farbenlehre („Physiologische Farben“, §. 54) berichtet er: „Am 19. Juni 1799, als ich zu später Abendzeit, bei der in eine klare Nacht übergehenden Dämmerung, mit einem Freunde im Garten auf- und abging, bemerkten wir sehr deut- lich an den Blumen des orientalischen Mohnes, die vor allen andern eine sehr mächtig rothe Farbe haben, etwas Flammen- ähnliches, das sich in ihrer Nähe zeigte. Wir stellten uns vor die Pflanzen hin, sahen aufmerksam darauf, konnten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich, bei abermaligem Hin- und Wiedergehen, gelang, indem wir seitwärts darauf blickten (schiel- ten), die Erscheinung so oft zu wiederholen, als uns beliebte. Es zeigte sich, dass es ein physiologisches Farbenphänomen, und der scheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume, in der geforderten blaugrünen Farbe sei.“ Seitdem ich mit dieser Goethe' sehen Darstellung bekannt bin, stellt sich mir beim Besuch der Gärten unter den angegebenen Umständen das Phänomen so Licht formen. 127 häufig und unwillkürlich dar, dass es mir schon lästig geworden ist, während ich früher, wo ich nicht darauf achtete, Nichts da- von gewahr wurde. §• 316. Nach dieser gründlichen Goethe’schen Darstellung wird man mir wol gestatten, dass ich absichtlich die Aussagen und die Zeugnisse eines erschrockenen Mädchens und anderer ungründ- licher Gespensterseher, die sich bandwurmartig durch die bota- nischen Schriften ziehen und dieselben verunzieren, übergehe. §. 317. Ich muss aber auch noch bemerken, dass es mir mit dem Leuchten des faulen Holzes ähnlich geht; denn ich sehe den hel- len Schein desselben nur an der Weissfäule, wenn ich längere Zeit in einer mässigen Dunkelheit gegangen bin, dabei fortwäh- rend dunklere Gegenstände vor mir gehabt habe und dann mehr blinzelnd und schielend auf das weisse faule Holz blicke. Sehe ich dagegen das letztere in der Nähe genauer an, so ist’s jedes- mal mit dem sogenannten „Leuchten“ aus. Wie uns am Tage stark beleuchtete helle Gegenstände anblilzen und blenden, wenn wir aus mässig hellen Localen treten, so blitzt oder leuchtet uns ein weisser Gegenstand, also auch weissfaules Holz im Dunkeln entgegen. Das Leuchlen des weissfaulen Holzes ist also ebenso eine subjective als objective Erscheinung. Wenn das Leuchten einen besondern objecliv-physikalischen Grund hätte, wie beim Johanniswürmchen, den Leuchtinfusorien u. s. w. , wenn, wie Schleiden (Grundzüge, II, S. 559) vermu thet, ein chemischer Process, eine langsame Verbrennung, die unmittelbare Ursache des Leuchtens wäre, dann sehe ich nicht ein, warum es nicht auch bei der Dunkelfäule des Holzes, wo doch der Zersetzungs- process jedenfalls energischer vor sich geht, Vorkommen sollte. Aber bei dunkelfaulem Holze hat noch Niemand das „Leuchten“ bemerkt. §. 318. Auf faulem Holze wachsen aber auch Symploca lucifuga (vergl. meine „Tabulae phycologicae“, I. Tab. 75), Symphyo- siphon Hofmanni und andere Oscillarineen , die sämmtlich nicht leuchten, aber durch ihren Standort auf faulem weissen Holze jedenfalls Veranlassung zu dem Märchen von leuchtenden Oscil- latorien gegeben haben. Ob das Leuchten der weisslichen Spitzen des Thallus von 128 Lichl formen. Rhizomorpha sublerranea, welches A. v. Humboldt zuerst beobach- tete, ebenfalls hieher gehört, weiss ich nicht, §. 319. Um künftigen Täuschungen andererseits vorzubeugen, theile ich noch eine Selbstbeobachtung mit. Bei meinem Aufenthalte in Spalatro (Dalmatien) hatte ich in meinem Schlafzimmer eine ziemliche Quantität von Chaelomorpha dalmalica, die ich einige Stunden vorher aus dem Meere gezogen, zum Trocknen frei auf- gehangen. Als ich beim Niederlegen und nach dem Verlöschen des Lichtes zufällig nach jener Alge hinblickte, sah ich an ihrer Stelle eine grosse Anzahl beweglicher stark leuchtender Punkte, die mich in das höchste Erstaunen setzten. Immer mehr kamen deren aber zum Vorschein, als ich die Alge in die Hand nahm und hin und her wandte. Eine genauere mikroskopische Unter- suchung, die ich noch hei Lichte vornahm, überzeugte mich, dass kleine Leuchtthierchen die Ursache waren, welche zwischen den Fäden der Alge verborgen waren. §. 320. So hätte ich mich nur noch über die nähere Bestimmung und den Werth der verschiedenen Farbenlichter in der Botanik auszusprechen. Alle nähern Farbenbestimmungen, welche im gewöhnlichen Verkehr Vorkommen und hier zum Theil ziemlich genau sind, werden auch bei wissenschaftlichen Darstellungen benutzt. Ich kann daher die Kenntniss der gebräuchlichsten Grund- und Nebenbezeichnungen der Farben voraussetzen. Ihr Verstehen ist noch mehr als das anderer Grundformen an die unmittelbare An- schauung geknüpft; denn wer keine Gewürznelke, keine Kastanie und keinen gebrannten Kaffee gesehen hat, kennt auch den Unter- schied nicht zwischen Nelkenbraun, Kastanienbraun und Kaffee- braun u. s. w. §. 321. Bei der Farbenbezeichnung der Pflanzentheile verhält es sich ähnlich, denn auch hier hat das gesellige Lehen der Menschen eine solche Anzahl von Formen bestimmt, dass wir nur aus ihnen zu wählen haben, z. B. fleckig (maculosus), scheckig (variegatus), getüpfelt (punctalus), blatterfleckig (pustulatus), getigert (pictus), marmorirt (marmoralus) u. s. w., deren Bedeutung sogar von Personen gekannt ist, die weder Marmor, noch einen Tiger u. s. w. gesehen haben. Electrisch e Strümu ngen . 129 Diese Thatsache , dass das gesellige Leben hinreichend Ge- legenheit gibt, sich über die Farbenbilder zu unterrichten, wird sogar von neuern Schriftstellern (Schleiden, Endlicher und Unger, Link in Phil, bol.) als etwas so Bekanntes vorausgesetzt, dass ihrer bei der Darstellung des Pflanzenlebens gar nicht, oder kaum einmal (bei Link, 1. c., I, p. 13) gedacht wird. Dass übrigens die Farbe (der Lichtkörper) eines Dinges leichter aufzufassen ist, als die geometrische Form desselben, beweist der Umstand, dass Kinder und alle Personen, welche sich nicht über räumliche Verhältnisse geläufig ausdrücken können, bei der Beschreibung eines Objects mit der Farbe anfangen und aufhören. Wer sich über diese und noch viele andere, in der syste- matischen Botanik gebräuchliche, Vergleichungsformen besonders unterrichten will, dem empfehle ich 1) Illiger’s „Versuch einer systematischen vollständigen Terminologie für das Thier- und Pflanzenreich“. Helmslädt, 1800. 2) „Handbuch der botanischen Terminologie und Systemkunde von Gottlieb Wilhelm Bischof “. Nürnberg, 1850. Oder auch dessen „Lehrbuch der Botanik“. Stuttgart, 1839. Mit Abbildungen. §. 322. Electrische Strömlingen in den Pflanzen, als solche, wirklich nachzuweisen, hat seine sehr grossen Schwierigkeiten. Dass sie Vorkommen müssen, geht allerdings daraus hervor, dass Bewe- gungen in den Pflanzen vorhanden sind, welche sowol die chemi- schen als organischen Verbindungen erzeugen. Aber die Bewe- gungen finden nur in kleinen, unter sich nur schwach verbun- denen Kreisen Statt, daher die, selbst einem grossen Organismus angehörende, electrische Gesammlbewegung nicht so bedeutend sein kann, dass sie mit unsern bisherigen Apparaten leicht nach- weisbar wäre. Wo man sie aber bisher nachgewiesen hat, ist nicht die Gewissheit vorhanden, ob dieselbe auch wirklich dem besondern Pflanzenleben oder dem allgemeinen Naturleben an- gehöre. Dazu kommt aber auch, dass man bis jetzt sich nur wenig mit der Untersuchung der ElecLricität der Pflanzen be- fasst hat, und selbst die wenigen Versuche, welche einige Physi- ker angestellt haben, sind unter den Botanikern bisher noch gar nicht bekannt geworden. Ich entlehne die hierher gehörigen Thatsachen der ausge- zeichneten und schönen Arbeit Emil du Bois-Reymond’s „Ueber Kützino, Philosophische Botanik. I. 9 130 Electrische Strömungen Ihierische Eleclricität“ (Berlin 1848), weil mir die Original- abhandlungen der betreffenden Physiker nicht zur Hand sind. §. 323. Alexander Donnd bat eine electrische Strömung bei Aepfeln, Birnen, Plirsichen, Aprikosen und^Pflaumen in der Richtung der Axe der Früchte beim Anlegen gleichartiger metallischer Multi- plicalorenden nachgewiesen und seine Angaben werden durch Emil du Bois-Rexjmond’s Versuche grösslentheils bestätigt. Wenn die Multiplicalorenden an zwei Punkten des Aequalors der Früchte oder eines Parallelkreises angelegt werden, so findet keine Strömung Statt. (Also werden dieselben an den Meridian- punkten, am besten vielleicht an den Polen, der Basis und der Spitze, angelegt werden müssen, was nicht ausdrücklich von du B. R. angegeben wird.) Bei den Birnen und Aepfeln findet eine Strömung von der „Knospe“ (soll wol heissen vom Reich- ende, oder der Spitze) zum Stiel (der Basis) in der Frucht, bei den Steinfrüchten aber in entgegengesetzter Richtung Statt. Die chemische Ungleichheit, welche vielleicht Anlass zu diesen Strö- mungen gibt, hat durch die Analyse nicht nachgewiesen werden können. Schneidet man eine Pflaume quer in der Mitte durch und presst den Saft beider Hälften aus, so ergibt ein neuer Versuch, dass diese Strömungen zwischen den ausgepressten Saftmengen in der nämlichen Richtung fortbestehen; sie fehlen aber, wenn die Halbirung der Pflaume in die Länge ausgeführt wird. Ebenso erhält man nach Donnd einen Strom in einem Zweige, wenn man das eine Ende des Multiplicalors unter der Rinde, das andere an dem Marke anbringt. (Annal. des sc. nah, 2. Serie, t. I. 1834. Zoologie, p. 125. — Ann. de Chimie et de Phvs., t. LVn, p. 398.) §. 324. James Blake berichtet, dass er durch den Vegetationsproccss eines Blattes einen electrischen Strom hervorgebracht habe. Das Blatt wurde mit seiner Lamina unter Wasser getaucht, der Stiel befand sich dagegen über dem Wasser und in ihm war das eine Platinaende des Multiplicators eingesenkt, während das andere Ende die obere Blattfläche unter dem Wasser berührte. Der Strom ging im Mulliplicalordrahl vom Stiel zur Lamina, war bei Tage stärker als bei Nacht, übrigens aber vom Licht unab- hängig (?). 131 bei der Vegetation. §. 325. Beim Gähren der Bierwürze erhielt derselbe Physiker eben- falls einen Strom. Er brachte eine Platinplatte mit der auf dem Boden befindlichen Hefeschichl in Berührung, während eine zweite Platte die Oberfläche der Flüssigkeit berührte und verband beide durch einen Multiplicalor. So lange die Hefe am Boden lag, ging der Strom von unten nach oben, nahm anfangs zu, später- hin aber ab, und als die Hefe in Folge der Gährung oben auf- slieg, kehrte derselbe sich um. Mit beendigter Gährung war auch der Strom vorüber. („The Philosophical Magazine.“ New Series. 1858, vol. XII, p. 559 — 541.) §. 326. Pouillet fand im J. 1825, dass die Kohle während des Ver- brennens negativ electrisch wird, während die entweichende Kohlensäure positive Electricität hat. Diese Erscheinung glaubte derselbe auch bei dem Vegetationsprocess der Pflanzen wahr- zunehmen. Er halle nämlich allerhand Samen in mit Erde ge- füllten Glasgefässen ausgesäet, deren Rand mit Schellack über- zogen war. Während nun die Samen keimten, waren die Glas- gefasse mit negativer Electricität geladen, welche sich durch den Condensator wahrnehmen liess. Daraus schloss P., dass positiv electrisirte Kohlensäure entwichen sei, welcher ausserdem derselbe noch einen beträchtlichen Antheil an der Gewilterbildung zu- schreibt. Aber P. hat hierbei nicht an den Umstand gedacht, dass humusreicher Erdboden durch allmälige Zersetzung und Ein- wirkung des Sauerstoffs der atmosphärischen Luft auch Kohlen- säure entwickelt , und dass ferner grüne Pflanzentheile im Sonnen- lichte mehr Sauerstoff als Kohlensäure aushauchen; auch ent- wickelt schon das blosse Verdunsten der Feuchtigkeit eines Blumentopfes Electricität; Erscheinungen, welche sämmllich Be- rücksichtigung finden müssen, wenn solchen Versuchen einiger Werth beigelegt werden soll. Indessen geht doch aus diesen Versuchen so viel hervor, dass durch die verschiedenen Ver- dunstungs-, Verdichtungs- und Zerselzungsprocesse in und ausser der Pflanze diese auch überall, innerlich wie äusserlich, von eleclrischen Strömen umgeben ist und umgeben sein muss. Auch kann hierbei nicht sehr in Betracht kommen, ob die Electricität durch die chemische oder vegetabilisch -organische Bewegung in der Pflanze hervorgerufen werde, denn bei der Kleinheit der vegetabilischen Eiemenlarorgane wird es uns nie gelingen die 9* 132 Wärmeerscheinungen eine Bewegung von der andern zu trennen oder eine jede zu isoliren , weil beide sich gegenseitig bedingen und daher zu ein- ander gehören; und selbst wenn sie getrennt werden könnten, so dürfte nicht vergessen werden, dass ja eben auch die chemi- schen Zersetzungen und Verbindungen in und an der Pflanze dem Pflanzenleben selbst unmittelbar angehören. Aber darauf müsste wol bei künftigen Versuchen Rücksicht genommen werden, ob der electrische Strom in den verschiede- nen Zellengruppen auch ein verschiedener sei, ob er sich spalte wo die Hoizbündel sich spalten und trennen, wie sein Verhält- nis sei zu den Gliederungen und Verästelungen des Stammes, der Blätter u. s. w. Man sieht, dass hier noch viel Arbeit vor- liegl, eine Arbeit, die sich in ihrer Grösse erst zeigen wird, wenn wir in diesen Forschungen etwas tiefer eingedrungen sind. §• 327. Die Wärinebewepilgen in den Pflanzen sind öfter der Ge- genstand der Untersuchung verschiedener Naturforscher gewesen. So viel aber nur ist gewiss, dass in einzelnen Fällen die Menge der entwickelten Wärme sehr bedeutend, in den meisten Fällen aber verschwindend klein ist. Die Ursache ist auch hier wol die chemische Bewegung, welche jeden Vegetationsact immer unmit- telbar begleitet und von demselben unzertrennlich ist. §. 328. Die Fälle, wo entschieden eine höhere Temperatur beobach- tet wird, sind folgende: 1) Bei der Hefcbildllllg' während der Gährung. Die Tempe- ratur einer gährenden Zuckerlösung steigt mit der innern Thätig- keit derselben. Die Erhöhung der Temperatur durch die Gährung ist leicht bei der Maische, dem Biere u. s. w. zu beobachten. Die innere Thätigkeit einer gährenden Flüssigkeit besteht nun eines Theils in dem Zerfallen des Zuckers in Alkohol und Kohlen- säure und in der Bildung von Hefe. In andern Fällen erklärt man sich die Bildung der Kohlensäure bei der Vegetation durch die langsame Verbrennung des Kohlenstoffs oder kohlenstoffhalti- ger Verbindung im Sauerstoff der atmosphärischen Luft. Diese Erklärung kann hier keine Anwendung finden, weil, wie genaue Untersuchungen ergeben haben, die Kohlensäure bei der Gährung nicht auf diese Weise gebildet wird. Ob bei der Zersetzung des Zuckers Wärmeentwicklung stattfindet , ist wahrscheinlich, aber ebenso wahrscheinlich ist es auch, dass dabei die Hefebildung in den Pflanzen. 133 ihren Anlheil hat. Es lässt sich nun einmal bei der Gährung der Lebensprocess der Hefe nicht von der Alkoholbildung trennen. 2) Oscillaricn, welche sehr schnell vegetiren und in grossen ausgebreiteten Massen auf dem Wasser schwimmend Vorkommen, entwickeln ebenfalls eine eigene Wärme, so dass ihre Tempera- tur bisweilen 1 — 4 Grad höher ist, als die des umgebenden Wassers. In andern Fällen, namentlich bei trübem Wetter, wird eine solche Temperaturerhöhung nicht wahrgenommen. Auch bei schnell vegetirenden oben aufschwimmenden Conferven, Cladophoren und Zygnemen kommt eine geringe Temperatur- erhöhung vor. 3) Es ist bekannt, dass keimende Gerste (beim Malzen) und vielleicht alle Phanerogamensamen , wenn sie beim Keimen in grösserer Menge beisammenliegen , eine beträchtliche Wärme- menge entwickeln. Dass hier die eigene Wärme nur bemerkt wird, wenn die vegetirenden Organismen in grosser Anzahl und dicht über einander liegen, während sie bei dem einzelnen Indi- viduum so geringfügig ist, dass sie nicht zu messen ist, beweist, dass die geringe Menge der Eigenwärme der Individuen in der Vereinzelung zerstreut und der Umgebung sofort mitgetheilt wird. 4) Die Bäume zeigen in unserm Klima auch einen Wechsel der Temperatur, der mit dem der atmosphärischen Luft zwar in Verhältniss steht, doch so, dass die Temperaturdifferenzen viel geringer sind, wesshalb auch die Sommertemperaiur der Bäume in ihrem Innern niedriger, die Wintertemperatur dagegen höher ist, als die der umgebenden Luft. Schleiden („Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik“, II. 3. Aufl., p. 535) gibt als wahr- scheinlichen Grund dieser Erscheinung den Gang der Erdwärme in der Tiefe, in welcher sich die Wurzeln ausbreiten, an, von wo aus die Wärme theils durch den aufsteigenden Saft, theils durch die besondere Leitungsfahigkeit des Holzes der Länge nach in die obern Theile des Baumes verbreitet würde. Dass sie nicht wieder zerstreut werde, daran hindere theils die schlechte Lei- tungsfähigkeit des Holzes in die Quere , theils die Rinde des Holzes, welche ebenfalls ein schlechter Wärmeleiter sei. Ich gebe zu, dass die angeführten Thatsachen, welche S. zum Theil aus den Untersuchungen De la Rive’s und Alph. De Candolle’s über die Wärmeleitungsfähigkeit des Holzes (Pog- gendorß'’s Ann., XIV, 590) geschöpft hat, in Betracht kommen müssen, ohne jedoch der organischen Bewegung im Innern des Baumes jeden Einfluss dabei abzusprechen. 5) Lamarck fand zuerst (1778, Flore franc. Tom III), dass 13+ Chemische Arum maculatum und A. italicum beim blühen eine Wärme ent- wickele, welche die Temperatur der umgebenden atmosphärischen Luft bedeutend übersteige. Man kann wol annehmen , dass diese Erscheinung bei allen Aroideen, überhaupt bei allen denjenigen Pflanzen vorkommt, bei welchen die Blumen in grosser Anzahl dicht beisammen stehen und eine umhüllende Scheide die Wärme- zerslreuung verhindert, wie der Bienenstock bei den Bienen. Sichere Beobachtungen hierüber sind an Arum dracunculus, A. cordifolium, Caladium pinnatifidum , Colocasia odora gemacht worden, welche wir besonders Saussure , Göppert (, ,Ueber Wärme- entwickelung in den Pflanzen“. Wien 1832), Mulder, Vrolik und De Vriese (Wiegm. Arch. 1836, II, p. 95) verdanken. Nach den Untersuchungen der letztem hat die Temperatur einen tägli- chen regelmässigen Gang und erreicht des Nachmittags zwischen 2 — 5 Uhr den höchsten Grad. Der Wärmeunterschied zwischen dem Kolben und der äussern Luft soll bis auf 20 — 30° R. steigen. Nach Sprengel („Grundzüge der wissenschaftlichen Pflanzenkunde“, 1820, p. 515) soll auch Pandanus in der Blüte eine „bedeutende Hitze“ erzeugen. b) Chemische Stoffformen (Substanzen). §. 329. Wir betrachten hierbei nicht eigentlich die Stoffe oder Ele- mente, weil deren Betrachtung an sich nicht zugänglich ist, son- dern diejenigen Körperformen, in welchen die Stoffe am reinsten verkörpert sind. Alle folgenden Erörterungen sind daher von Elementarkörpern und von Stoffverbindungen in ihrer Verkörpe- rung hergenommen. Die einzige streng wissenschaftliche Formel, welche dem Ausdruck des wahren Wesens des Stoffs am näch- sten kommt, ist die Zahl, welche das relative Mischungsgewicht angibt. Diese Zahl wird auch durch das Symbol vertreten, wo- mit jedes einzelne Element in der Chemie bezeichnet wird. Der Ausdruck Substanz, welcher öfter Vorkommen wird, bezeichnet die substanzielle Stoffform mit Inbegriff der Körperform. 1, Der Kohlenstoff. Er ist das wichtigste chemische Element im Pflanzenleben, weil keine Pflanze ohne denselben existirl Wenn man irgend eine Pflanze glühet bei Abschluss der atmo- sphärischen Luft, so bleibt der grösste Tlieil des Kohlenstoffs in einer schwarzen metallisch -glänzenden Substanz (Kohle) zurück, welche ihrer physikalischen Beschaffenheit nach zum Graphit ge- hört. Ist die Pflanzensubstanz weich, gallertartig oder schleimig, Substanzen. 135 so bildet die zuriickblcibende Kohle eine geflossene blasige Masse, bei der alle frühere organische Structur verloren gegangen ist. Ist die Pflanzensubstanz aber hart (holzig, steinig), so bat die zurückbleibende Kohle noch ganz die Form des verkohlten Kör- pers und man kann mit dem Mikroskope selbst noch die zeitige Structur erkennen. — Bei der Braun- und Steinkohle, so wie auch beim Torf bat sich die Kohle durch freiwillige Zersetzung ausgeschieden; auch kann man, mit Ausnahme der Steinkohle, die Substanz noch auf ihre Structur mikroskopisch untersuchen. Der Kohlenstoff bildet mit Sauerstoff die Kleesäure (C2 03) und Kohlensäure (C02), welche beide in den Pflanzen Vorkommen. Letztere wird meist ausgehaucht, besonders von Pilzen und reifen Früchten (Aepfeln, Birnen). §. 330. 2. Wasserstoff ist ebenfalls in allen Pflanzen enthalten und er geht beim Verkohlen und Zersetzen derselben theils als Kohlen- wasserstoffverbindung, tlieils mit Sauerstoff vereinigt als Wasser fort. Die Pilze sollen Wasserstoff aushauchen. §. 331. 3. Der Sauerstoff. Er ist der drille allgemeine Stoff, welcher zur Bildung der Pflanzensubstanz unumgänglich nothwendig ist und macht daher einen wesentlichen Bestandteil derselben aus. Er kommt durch Zersetzung gewisser Verbindungen auch frei in Gasform in den Pflanzen vor; namentlich entwickeln die Pflan- zen viel Sauerstoffgas, wenn das Sonnenlicht auf dieselben ein- wirkt, und es scheidet sich tlieils an der Aussenseite derselben aus, theils sammelt es sich in besondern Luftbehältern, Zellen, Blasen u. s. w. , worin es aber gewöhnlich noch mit Sticksloffgas oder mit Kohlensäuregas gemischt ist. §. 332. 4. Der Stickstoff ist das letzte Element, welches allgemeinen Anteil am Pflanzenleben hat. Ich kenne indessen einige Fälle, z. B. beim Tragant, wo in einer entschiedenen Pflanzenbildung kein Stickstoff vorhanden ist. Ob er in Gasform wirklich von den Pilzen ausgeströmt wird, wie man in vielen botanischen Lehr- büchern angegeben findet, darüber müssten wol neuere Versuche entscheiden. §. 333. Die folgenden Elemente kommen nicht in allen Pflanzen vor. 136 Chemische Manche von ihnen sind an gewisse Pflanzen gewiesen, hei denen sie auch einen constanten und zum Leben nolhwendigen Bestand- theil ausmachen, andere dagegen sind meist nur als zufa/lige Beslandlheile zu betrachten. 5. Das Chlor ist nicht frei in den Pflanzen enthalten, son- dern in Verbindung mit Metallen. Mit Natrium verbunden ist es in allen Meeresgewächsen, Seestrandspflanzen, den Pflanzen der Salzsteppen und allen auf salzigem Boden vorkommenden Gewäch- sen enthalten. Als Chlorkalium kommt es auch in sehr vielen andern Gewächsen des Binnenlandes vor. §. 334. 6. Das Jüdin ist ebenfalls an Natrium und noch andere Leichtmetalle gebunden in den Pflanzen enthalten und man kann es wie das Brom als einen fast beständigen Begleiter des Chlors ansehen. Am reichhaltigsten sind die Algen des Mittelmeeres mit Jodin versehen, weniger die der Nordsee, die dagegen Brom ent- halten. Früher glaubte man überhaupt, dass das Jodin nur in Meeresgewächsen oder sogenannten Salzpflanzen enthalten sei, aber Van der Marek wies es im J. 1848 in Jungermannia albicans nach, welche einen eigentlichen jodartigen Geruch besitzt (Journ. de Chim. med., 1848, Juin, 310. — Erdm. Journ., 1848, No. 12, 244). Schon früher hatte es Müller auch in der Brunnenkresse (Nastur- tium officinale) nachgewiesen, was vor Kurzem nicht nur von Cliatin bestätigt worden, sondern derselbe Chemiker hat es auch noch in grösserer oder geringerer Quantität in vielen Süsswasser- gewächsen und. Sumpfpflanzen aufgefunden, wie z. B. in Calha palustris, Carex paludosa, C. cespitosa, Villarsia Nymphoides, Nelumbium luteum (aus Nordamerika), Nelumbium speciosum (Asien), Nymphaea Lotos (Aegypten), Myriophyllum verticillatum, Ceratophyllum submersum und demersum, Potamogeton crispus und pectinatus, Nymphaea alba und lutea, Phragmiles communis, Scirpus lacustris, Typha angustifolia und minima, Litorella lacu- stris, Ranunculus lluviatilis und aquatilis, Sagiltaria sagittifolia, Chara foetida, Gonferva, Lemna minor, Callitriche, Glyceria flui- tans, Fontinalis antipyrelica, Iris pseud- Acorus, Gratiola Me- nyanthes, Stratiotes, Veronica Beccabunga, Phellandrium aqua- ticum , Scrophularia aquatica und mehrern anderen. — Von Land- pflanzen, welche Jodin enthalten, werden folgende genannt: Rumex conglomeratus , crispus, Osmunda regalis, Potentilla anserina, Inula Helenium, Valeriana dioeca, officinalis, Cardamine pratensis. Alle waren jedoch auch an sumpfigen Stellen gewachsen. Andere Substanzen. 131 Exemplare, welche von hochliegenden Wiesen oder andern nicht sumpfigen Stellen gesammelt waren, enthielten dagegen keine Spur von Jodin. Nach Bussy kommt auch das Jodin in den Destillations- producten der Steinkohle vor (Erdm. Journ., 1850, No. 13, 14. p. 273 — 285), und nach Ch. Lamy in den Runkelrüben, beson- ders in der aus den Rückständen gewonnenen Pottasche. (Eben- daselbst, No. 19, p. 187.) §. 335. 7. Das Brom ist noch nicht in der Ausdehnung in den Pflanzen nachgewiesen worden, als das Jodin. Das Vorkommen des Fluors ist noch in keiner Pflanze erwiesen. §. 336. 8. Der Schwefel und 9, der Phosphor sind insofern allge- meine Bestandtheile der Pflanzen, als sie entweder gemeinschaft- lich oder einer von ihnen die Proteinverbindungen bilden helfen. Ausserdem finden sie sich aber auch in den Pflanzen als Schwe- fel- und Phosphorsäure, zum Theil mit Kalk und andern Basen verbunden. Phosphorsäure wird als häufiger Bestandtheil in den Samenhüllen der Gräser, ferner im Zwiebelsafte, der Paeonien- wurzel und andern angegeben. §. 337. 10. Das Silicium kommt ziemlich allgemein mit Sauerstoff verbunden in Form der Kieselsäure vor. Diese wird bei man- chen Pflanzen in solcher Menge angetroffen, dass sie nach Ab- zug des Wassers oft 95 — 97 Procent der ganzen Substanz aus- macht. Zu diesen Pflanzen gehören die Schachtelhalme, die grossem rohrarligen Gräser, die rohrartigen Palmen und nament- lich die Bacillarien. Bambusa arundinacea enthält 71,4; Arundo phragmites 48,1; Roggenstroh (Secale cereale) 6,5 Procent. Ge- ringere Mengen von Kieselsäure kommen fast in jeder Pflanzen- asche vor. So viel mir bekannt, ist hier die Kieselsäure nie in krystallinischer, sondern vielleicht stets in organischer, vegetabi- lischer Form enthalten. Bei jenen grossem Pflanzen (Equisetum, Gramineae) bildet sie immer den Ueberzug der einzelnen Zellen des Zellengewebes, und füllt auch wol bisweilen die Inlercellular- gänge aus, ihre Menge nimmt aber nach aussen hin zu, so dass die äussersten Zellen am dicksten damit inkrustirt sind. In die- sem Falle bildet sie daher eine eigenthümliche Verdickungsschichl 138 Silicium. der Zellen, an deren innerer Seile die Fläche der eingeschlos- senen Zelle gleichsam abgedruckt ist. Glühet oder verbrennt man Schachtelhalme, Stroh, Spanisches Rohr, so bleibt die Kieselsäure in der Asche zurück, in welcher man öfters die Kieselstückchen mit ihrer vegetabilischen Form erkennen kann; der grösste Theil ist jedoch in Folge der Hitze und des gegenwärtigen Alkalis zu einer glasigen Masse zusammen- geschmolzen. Will man die Kieselzellen und Kieselhäute bei den genannten Pflanzen in ihrer Verbindung mit einander und in ihrer reinen organischen Form darslellen, so muss man einige kleine Stückchen jener oben genannten Pflanzen mit concenlrir- ler Schwefelsäure kochen , welche die weichen organischen Zellen- häufe nebst Inhalt zerstört, auflöst und die harten, glasartigen und durchsichtigen klaren Kieselzellen mit ihrer vegetabilischen Structur zurücklässt. Wenn man unter dem Rückstände die Kieselsäure auch in Form von Nadeln, Spindeln, Blättchen, Räd- chen oder Scheibchen findet, so rühren diese Formen haupt- sächlich von zerbrochenen Zellen her, und die Nadeln und Spin- deln sind meist Ausfüllungen der Zwischenzellenräume. Da die Kieselsäure nicht durch Fäulniss zerstört wird, so bleiben ihre eben erwähnten vegetabilischen Formen nach der Fäulniss der Pflanzen unversehrt zurück und sind alsdann im Humus anzu- treffen. Diese im Humus vorkommenden Formen sind von Ehren- berg zum Theil systematisch geordnet und mit Gattungs- und Speciesnamen versehen worden. („Verbreitung und Einfluss des mikroskopischen Lebens in Süd- und Nordamerika“, Berlin 1845.) Noch entschiedener aber nimmt die Kieselsäure an der Bil- dung der organischen Form Theil bei den Bacillarien. Denn wenn sie bei den Schachtelhalmen und Gräsern nur als ein die Zellen inkruslirender Stoff auftritt , welcher dieselben nach aussen verdickt, wie andere Stoffe nach innen, so fällt das bei den Ba- cillarien weg, weil man hier von einer weichen organischen Zellen- membran, welcher die harte Kieselmembran als Ueberzug dient, Nichts bemerkt. Daher liefern auch eigentlich erst die Bacillarien- zellen den sichern Beweis, dass die Kieselsäure unmittelbar zur Bildung organischer Formen beiträgt. Sie tritt übrigens hier sehr rein auf und ist weder mit Cellulose, noch mit Protein, noch mit andern derartigen Stoffen chemisch verbunden. Wegen dieser Eigenschaft der Bacillarienzellen sind dieselben wichtig geworden für die geognoslischen Verhältnisse unserer Erdrinde, in welcher die Kiesclzcllen der Bacillarien oft grosse Lager von gewaltiger Mächtigkeit bilden. Metalle. 139 Dass die Zellenformen der Bacillarien aus Kieselerde beste- hen, wurde zuerst von mir (1834) nachgewiesen. Ein Jahr darauf wurden von Dr. Struve („De Silicia in plantis nonnullis“, Berol. 1835) die Kieselhäule mehrerer Schachtelhalme und des Stuhlrohrs untersucht und abgebildet. Im Jahr 1836 entdeckte C. Fischer die Kieselzellen der Navicula viridis und anderer Ba- cillarien im Franzensbader Kieselguhr und wies damit zuerst deren fossiles Vorkommen nach. (Vergl. „Die kieselschaligen Bacillarien von F. T. Kützing“. Nordhausen 1844.) §. 338. 11. Die Metalle kommen bei den Pflanzen nur als Oxyde, oder als solche mit Säuren verbunden vor. Es ist keine organi- sche Form bekannt, welche aus einem reinen Metalloxyde gebildet wäre. Bei einer Conferveengattung (Psichohormium inaequale und verrucosum), weiche in eisenhaltigen Wassern wächst, sind orga- nische Moleküle und Eisenoxydpartikel so mit einander vereinigt, dass sie eine eigenthümliche Inkrustation des Fadens bilden. Ebenso ist es wahrscheinlich, dass bei Gloeotila ferruginea das Eisenoxyd entweder die Zellenmembran durchdringt oder im Innern derselben als Verdickungsschicht auftritt, denn nach dem Glühen derselben bleibt das Eisenoxyd in Form der genannten Alge zurück; behandelt man jedoch die letztere im Leben mit verdünnter Salzsäure, so löst diese (kalt) alles Eisenoxyd(hydrat) auf und lässt die übrige weiche und vollständig verbrennliche Zellensubstanz zurück. Auch bei Leptothrix ochracea verhält es sich ähnlich. §. 339. 12. Wie das Eisenoxyd bei Psichohormium inaequale und verrucosum, so tritt der kolilensaurc Kalk mit organischen Mole- külen bei Psichohormium antliarium und cinereum in Verbindung. Ob derselbe hier, wie auch bei den sehr kalkhaltigen Aigen Co- rallina, Halimeda, Melobesia, Spongites, Acetabularia und andere, in der unorganischen kryslallinischen , oder in unkrystallinischer Form, wie die Kieselsäure, als organische Kruste erscheint, ist noch nicht festgestellt. In diesen letztgenannten Algen tritt jedoch die Kalkmasse gegen die weichen organischen Zellen in so überwiegender Menge auf, dass dieselben wahren Versteine- rungen gleichen und man nicht im Stande ist, eine genaue mi- kroskopische Untersuchung vorzunehmen, ohne vorher den Kalk durch Salzsäure entfernt zu haben. Eine zweite Art des Vorkommens des kohlensauren Kalks ist 140 Kleesaurer Kalk. die in ungeregelten Blfitlchen, welche rindenartig die Charen über- ziehen, bei Saxifraga Aizoon und ähnlichen Arten so wie hei Lathraea die Blätter bedecken und bei letzterer nach Schleiden auch in den Lufthöhlen Vorkommen; endlich eine dritte Art in Kalkspathrhomboedern, welche sich theils isolirt, theils zu Drusen vereinigt, bei einigen Algen mit weicher gallertartiger Substanz in den Intercellularräumen (z. B. Hydrurus, Chaetophora, Rivularia u. s. w.), sodann im Zellensafte vieler Gacleen, hei My- riophyllum und andern phanerogamischen Pflanzen vorfinden. §. 340. 18. Nach dem kohlensauren Kalk kommt der oxalsaure Kalk am häufigsten, vielleicht noch häufiger als der vorige, in den Pflanzen vor. Scheele wies ihn schon in der Rhabarberwurzel nach und bei den Flechten macht er zum Theil einen so bedeu- tenden Bestandtheil aus, dass man sie zur Gewinnung der Klee- säure benutzen kann. Bei der Rhabarberwurzel bildet er kugelige oder eiförmige Krystallhäufchen mit nach aussen stehenden strahligen Spitzen. Die einzelnen Spitzen selbst sind nicht regelmässig krvstallinisch entwickelt, sondern oft unregelmässig gespalten, so dass es nicht möglich ist die Krystallform zu bestimmen. Diese Krystalldrusen sind von Gelinzellen eingeschlossen. Sie sind übrigens sehr häufig auch in einheimischen Pflanzen anzutreften. (Taf. 1. Fig. 3.) Unter den Flechten habe ich Lecanora lentigera genauer darauf untersucht. Ein senkrechter Abschnitt des weissen Thallus zeigt die verästelten und aus cylindrischen und verdickten Zellen bestehenden Fasern, welche sich filzartig durchwehen und aussen mit opaken rundlichen und körnigen Bröckchen besetzt sind. Zerdrückt man ein solches Bröckchen, so zerfällt es in krystalli- nische sehr unregelmässige Bruchstücke , welche durchsichtig sind und noch andere helle Moleküle zwischen sich erkennen lassen. Behandelt man die Probe mit Salz- oder Salpetersäure, so wird der kleesaure Kalk ohne Aufbrausen gelöst und es bleiben von den ebengenannlen Brocken organische Moleküle zurück, welche grösstentheils aus Proteinkörnchen, umgeben von Basserinschleim, bestehen, zwischen welchen man ausserdem noch die Lücken bemerkt, in welchen der kleesaure Kalk gelegen hat. Es ist durchaus falsch, wenn in den chemischen Handbüchern (Liebig, Org. Chem., p. 13) behauptet wird, dass der kleesaure Kalk in den Flechten „das harte feste Skelet“ bilde, denn erstens ist gar kein hartes Skelet da, und zweitens bildet jenes Salz mit Rap hi den. 141 den genannten Molekülen nur pulverartige und sehr leicht zer- reibliche Massen. Bei Scilla maritima (Taf. 1. Fig. 1. a. b. c.) findet man in den unterirdischen Schuppenblällern folgende Formen von Kry- stallen, welche sämmtlich aus kleesaurem Kalk bestehen: 1) Sogenannte Rhaphiden. Sie wurden zuerst von Link in der Wurzel von Oenolhera biennis entdeckt, finden sich sehr häufig fast in allen saftreichen Pflanzen (Cactus, Crassula, Sedum, Aloe, Rheum u. s. w.) und bestehen aus einer grossem Anzahl gerader nadelförmiger, an beiden Enden zugespitzter Krystalle, welche sämmtlich von gleicher Grösse, dicht parallel neben ein- ander gepackt sind und jedesmal von einer Zelle umschlossen werden , die ihrer Grösse entspricht. Wird eine solche Zelle durchschnitten, so werden auch gewöhnlich die Krystallnadeln aus einander gerissen und sie liegen dann mehr oder weniger zerstreut auf den übrigen Zellen herum. Die Grösse dieser Na- deln ist sehr verschieden, man findet sie in der Scilla maritima von einer kaum messbaren Dicke bis zu einem Querdurchmesser von l/iba", und in einer Länge von ‘/w — 1"'. Ich habe sie noch bei keiner Pflanze in solchen Grössenverschiedenheiten gesehen. Die „Rhaphiden“ kommen übrigens sehr häufig in saftigen Pflan- zen vor. 2) Kleine Kügelchen mit feinen haarähnlichen Strahlen besetzt. Den Kügelchen scheint ein Cytoblast zu Grunde zu liegen und zwischen den krystallinischen Strahlen kommen auch noch Strah- len, welche aus proteinarligem Stoffe gebildet zu sein scheinen, vor. (Taf. 1. Fig. 1. d. e. f.) Endlich sind noch einzelne grössere Krystalle dieses Salzes zu erwähnen, welche nach Schleiden in dem Parenchym alter Tralescantiastengel so wie zwischen dem Pollen vieler Caladieen Vorkommen, und so deutlich und schön entwickelt sind, dass an ihnen als die Grundform das quadratische Octaeder erkannt werden kann, dessen Endflächen in andern Fällen sehr scharfe Zuspitzungen, von langen und schmalen quadratischen Säulen bilden. §. 341 . Die meisten dieser Krystalle wurden früher für phosphor- sauren Kalk gehalten, wahrscheinlich desshalb, weil sich dieser immer in der Asche der Vegetabilien vorfindet. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass der grösste Theil des phosphorsauren Kalks (und vielleicht auch ein Theil des schwefelsauren Kalks, so wie 142 Gips. Alkalien. noch andere Schwefel-, phosphor- und kohlensaure Salze, welche die Asche enthüll) erst durch das Verbrennen der Proleinsub- stanzen gebildet wird. De Candolle gibt übrigens sauren phos- phorsauren Kalk u. s. w. als in den Blättern von Aconitum Na- pellus, der Wurzel von Paeonia oflicinalis, dem Rhizom von Nymphaea alba, der Wurzel von Polygala Senega, Glycyrrhiza glabra und echinala u. m. a. enthalten an. Wie weit diese und andere Angaben wirklich begründet sind, müssten sorgfältigere neue Untersuchungen entscheiden. §. 342. 14. Der schwefelsaure Kalk wird in fast allen Pflanzenaschen gefunden; er ist aber als solcher in der lebenden Pflanze bisher noch wenig nachgewiesen, und in diesem letztem Falle erscheint er in Kryslallen. Die sind entweder dünne spitze Pyramiden, welche kreuzweise, slrahlig oder büschelig beisammenliegen, wie bei einigen Zygnema- Arten, oder er bildet schmale sechsseitige Säulen oder hemitropische Zwillinge in den Musaceen und Scv- lamineen (Schleiden, 1. c., p. 170) §. 343. 15. Von besonderer Wichtigkeit für die Vegetation der Pflan- zen sind die Alkalien. Von diesen kommen das Kali und Natron nur in Betracht und es scheint, als könne in einzelnen Fällen das eine durch das andere vertreten werden. Obschon die im Meere und am Meeresstrande gewachsenen Pflanzen meist mehr Natron und die Pflanzen des Binnenlandes (mit Ausnahme der auf Salz- boden gewachsenen) meist mehr Kali als jene enthalten, so sind doch viele Fälle bekannt, welche beweisen, dass der Kaligehalt selbst bei Landpflanzen, und bei ein und derselben Art, sehr schwankend ist. Die Pottaschenanalysen haben namentlich dar- gethan, dass die Güte der Pottasche durchaus vom Standorte bedingt wird. Während amerikanische Pottasche nicht unbeträcht- liche Mengen Natron aufzuweisen hat, finden sich nach Hermann in der von Kasan 4,14 Procent, in andern russischen und polnischen Sorten nach Wittstock bisweilen nur Spuren und in der illyri- schen nach Bley gar keins. In einer im vorigen Jahr erschienenen Abhandlung von C. Bischof, welche besonders über diesen Gegen- stand handelt (Erdm. Journ., 1849, No. 12, p. 194 fg.), werden nicht nur neue Untersuchungen hierüber mitgetheilt, sondern auch alle bis jetzt darüber bekannt gewordenen Analysen zusammengestellt. Hiernach scheint allerdings die Annahme einer Vertretung des Magnesia. Thonerde. 143 Kali durch Natron nicht gerechtfertigt, sondern es geht vielmehr daraus hervor, dass die Pflanzen ohne Ausnahme das Kali vor dem Natron bevorzugen. Den auffallendsten Beweis dazu liefern mehrere Algen (Laminaria latifolia, Ecklonia buccinalis, Iridaea edulis und Polysiphonia elongala), welche im Meerwasser ge- wachsen sind, und doch in ihrer Asche mehr Kali als Natron geben. Diese beiden Basen sind in der Pflanze wahrscheinlich mit den verschiedenartigsten Säuren verbunden und im aufgelösten Zustande im Zellensafte enthalten, wofür der Umstand spricht, dass die frischen grünen und saftigen Pflanzentheile (bei den Bäumen die Blätter, Blumen, Früchte und jungen Zweige) mehr Kali oder Natron, als die alten harten Hölzer, so wie einjährige saftige Kräuter mehr, als Holzpflanzen geben. (Ihre Wichtigkeit für das Pflanzenleben erhellt besonders aus den im §. 579 gege- benen Erörterungen.) §. 344. 16. Die Magnesia (Magniumoxyd) ist weniger häufig, als die Alkalien und der Kalk in den Pflanzen vorhanden. Im Stroh und in den Samen der Getreidearten soll sie mit Kohlensäure verbun- den Vorkommen, ebenso in Salsola Soda. Mit Schwefelsäure ver- bunden hat man sie in grosser Menge in Fucus vesiculosus, mit Phosphorsäure in der Badix bryoniae, im Schierlingskraut (Co- nium maculatum), als Chlormagnium in der Canella alba und der Radix Caryophyllatae (Geum urbanum) u. s. w. gefunden (De Candolle). §. 345. 17. Die Thonerde (Aluminiumoxyd) ist in noch geringerer Menge in den Pflanzen gefunden worden. Rein (?) gibt sie Schräder in den Gersten- und Haferkörnern, so wie im Roggen- stroh an; ausserdem hat man sie noch im Milchsäfte der Papa- veraceen, in der Altheewurzel , im Stinkasant, in Lycopodium complanatum, Juniperus communis, Ilelleborus niger (Salm- Horstmar) u. s. w. gefunden. Bei den Bacillarien bildet sie mit Eisenoxyd in sehr geringer Menge gestreifte Inkrustationen der innern Kieselzelle. Ihr Vorkommen scheint daher für das eigent- liche Pflanzenleben von keiner Bedeutung zu sein. Nadeln von Pinus silvestris, welche auf gutem Sandboden gewachsen, gaben keine Spur (Salm -Horstmar). §. 34G. 18. Dasselbe ist der Fall mit den übrigen Schwcrniclallen , 144 Schwcrmelalle. Wasser. welche sich auch nur in sehr geringer Menge in den Pflanzen- aschen finden. Doch soll nach John (Chem. Schriften, VI, S. 50) das Mangan bei Lycopodium complanatum mit einer Pflanzen- säure verbunden sein. Wichtiger ist das Vorkommen des Kupfers, welches man in sehr vielen Land- und Wassergewächsen, sowol kryptogamischen als phanerogamischen, gefunden hat. Auch im Kaffee und Weizen ist es enthalten und obschon es in beiden letztem nur in sehr geringer Menge vorhanden ist, so hat man doch berechnet, dass in Frankreich mit dem Brode 5650 Kilogramm Kupfer jährlich gegessen werden und dass das in Europa jährlich verbrauchte Kafleequantum 500 Kilogramm Kupfer enthält (Roeper, in DC. Pflanzenphysiol. I, 586). Neueste Untersuchungen von Malaguti, Durocher und Sarzeaud beweisen auch das Vorkommen des Ku- pfers sowol, als des Bleis und Silbers in dem Meerwasser und in den Tangen. (Erdm. Journ., 1850, No. 7.) §. 347. Wir haben nun noch Stoffe zu betrachten, welche aus den 4 Elementen C. H. 0. und N. zusammengesetzt sind. Diese Ver- bindungen sind entweder solche, welche in der Erstarrung oder Ausscheidung in krystallinische oder organische Formen über- gehen, oder (unter Umständen) übergehen können. Wir betrachten jene zuerst. §. 348. 19. Das AVasser. Das Wasser ist die erste Bedingung alles organischen Lebens, weil es das Medium ist, in welchem die organischen Bewegungen stattfinden. Es ist dies zwrar auch zum Theil mit bei der Krystallbildung der Fall, aber nicht ausschliess- lich, denn hier kann jeder flüssige Zustand eines Körpers das Medium der Bewegung bilden, wie wir das an den geschmolzenen Metallen, dem Schwefel u. s. w. sehen, auch können hier Alkohol, Oele, Aelher und alle andern Flüssigkeiten als Mittel dienen, selbst Gase. In allen bilden sich Krystalle. Nicht so die orga- nischen Bildungen. Diese sind durchaus von dem Wasser, als Mittel der Bewegung, abhängig. Daher auch die grosse Wichtig- keit des Wassers bei der Vegetation. Der Wassermangel ver- nichtet jede Vegetation, die Anwesenheit des Wassers ruft sie überall hervor. Aber das Wasser dient nicht nur als Mittel der Bewegung organischer Moleküle, sondern es geht auch mit die- sen selbst in Verbindung, so dass es wesentlich mit bei den Wasser. T/iautropfen. 145 h n ii r s i Stoffveränderungen unmittelbar betheiligt ist, welche in den Pflan- zen Vorkommen. Das Wasser dient ferner als Auflösungsmiltel für die Stoffe, welche den Pflanzen aus der Erde als Nahrungsmittel zugeführt werden; als solches führt es aber auch solche mineralische Theile der Pflanze zu, welche nicht gerade für das Pflanzenlehen nolh- wendig und daher gleichsam als Ballast erscheinen. Da das meiste Wasser als Wassergas aus der Pflanze entweicht, so blei- ben jene fixen Bestandteile in derselben zurück und häufen sich mit der Zeit immer mehr darin an. Anders ist es in den Fällen, wo die Pflanzen das aufgenommene Wasser wieder tropfenweise absondern. Man muss eigentlich annehmen, dass wol in allen Fällen das Wasser nicht in Gasform aus den oberflächlichen Zel- len der Pflanzen, sondern in tropfbarer Form ausgeschieden wird. Geschieht dies an der offenen freien, der Sonne und der trock- nen umgebenden Luft unmittelbar ausgesetzten Oberfläche, so werden die aus tretenden Wassertheilchen gewiss um so leichter zu Gas verflüchtigt und von der umgebenden Luft aufgenommen, je kleiner sie sind. Geschieht dies aber in geschützten, mehr oder weniger geschlossenen hohlen Bäumen, wie z. B. in den Schläuchen von Nepenlhes und andern Gattungen, oder in den Rinnen und Röhren der Blumenhüllen , so kann sich das Wasser ansammeln und wird alsdann in kleinern oder grossem Quanti- täten angetroffen. Das austrelende Wasser ist dann auch nicht rein, sondern enthält verschiedene Beslandtheile des Zellensaftes mit aufgelöst, je nach den Zellen, welche das Wasser an die Aussenfläche abgeben. Dasselbe ist der Fall, wenn kräftig vege- tirende Pflanzen mit schnellem Wachslhum nach einem heissen Sommertage von kühler Nachlluft umgeben werden. Dann sam- meln sich die Wassertropfen auf der Aussenseite der Blätter und bilden in diesem Falle den sogenannten Thau. Solche Thau- tröpfchen werden auch zu anderer Zeit von den Zahnspitzen der Blätter der Balsamine, von den Stipeln der Sambucusarten ab- gesondert. Ausserdem aber zeichnen sich die Aroideen (Calla, Canna, Caladium, Colocasia, Sarracenia, Nepenlhes u. s. w.) be- sonders durch die wässrigen Ausscheidungen aus. In den meisten dieser Fälle hat das Wasser dieser Pflanzen nur wenig andere Beimischungen und wird daher gewöhnlich von den Physiologen als rein angenommen. So findet sich in den „Annals of Natural History (1848)“ eine Mittheilung von Williamson, wonach jedes ausgewachsene Blatt von Caladium deslillatorium während einer Nacht eine halbe Pinte Wasser abgesondert, welches nur sehr Kützing, Philosophische Botanik. I. 10 146 Blumenhonig. Alkaloide. geringe Mengen von „organischer“ Substanz enthält. Die neueste Analyse über die wässrige Flüssigkeit in den Schläuchen von Nepenthes ist von A. Voellcer (Erdm. Journ. 4849, No. 20, p. 245). Das Wasser schmeckt nicht sauer, aber rötliet das Lackmus- papier. Der Rückstand nach dem Verdampfen betrug in einem Falle 0,92 p. C. (in andern Fällen etwas weniger) und dieser ent- hielt in 100 Theilen: Aepfelsäure und etwas Citronensäure 58,61; Chlorkalium 50,42; Natron 6,36; Kalk 2,59; Talkerde 2,59. Das in den Blumenhüllen sich ausscheidende Wasser enthält, wie bekannt, meist Zucker aufgelöst. Die sogenannten Honig- gefässe der Blumen sind den Schläuchen der Nepenthes vergleich- bar. Solches „Zuckerwasser“ findet man aber auch an den Spitzen mancher Stipeln und auch mitunter an den drüsenartigen Zahnspitzen der Balsaminenblälter hängen. Als ungewöhnliche Erscheinung tritt es im Sommer nach kühlen Nächten an den Baumblättern, den Getreideähren u. s. w. auf, wo es den soge- nannten Honigthau bildet. Auch das Ausschwitzen der Manna an den Zweigen der Eschen gehört hierher. Das Geschichtliche dieser Erscheinungen findet man zusammengestellt und mit Beobachtungen erweitert in den Beiblättern zur Flora, 1842, No. 1. §. 349. 20. Ammoniak. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass das Ammoniak in vielen Pflanzen, meist aber an Säuren gebunden, vor- kommt. Im freien Zustande findet man es in dem frischen Safte der Rüben, des Waid, im Frühlingssafte der Bäume u. s. w. In vielen Pflanzen ist das Ammoniak mit Salpetersäure verbunden. Die eingedickten Säfte des Schierlings, Bilsenkrauts, Tabaks u. s. w. entwickeln mit Kali behandelt bedeutende Mengen Ammoniak. Die Lactucaarten liefern bei der Destillation ebenfalls ein ammo- niakalisches Wasser; als kohlensaures Ammoniak soll es in der Justicia purpurea Vorkommen (De Candolle). Es ist wol unzwei- felhaft, dass alles Ammoniak, welches man in den Pflanzen vor- findet, denselben von aussen her zugeführt, nicht erst in den- selben erzeugt wird. Es ist jedenfalls die Hauplquelle für die Bildung der Protein- und andern stickstoffhaltigen Sustanzen. §. 350. 21. Die Pflanzenalkaloide. Es ist bekannt, dass, Wenn Basen auf organische Substanzen einwirken, die Bestandlheile derselben genölhigt werden zu sauren Verbindungen oder doch wenigstens zu solchen zusammenzutreten , welche in Verbindung mit den Alkaloide. 147 Basen die Rolle einer Saure übernehmen, z. B. Wasser. Umge- kehrt bewirken aber auch Säuren Zersetzungen und die Bildung von Basen, wenn die Bedingungen dazu vorhanden sind. Was nun in dieser Beziehung täglich unter den Augen des Chemikers in dem chemischen Apparate offen vor sich geht, das scheint auch in der That versteckt und im Kleinen im ‘Zellengewebe der Pllanze stattzufmden, und die Entstehung der Pflanzenalkaloide wäre sonach aus der Einwirkung der Pflanzensäuren auf die stick- stoffhaltigen Bestandteile des Pflanzensaftes (Proteinsubstanzen) zu erklären. Da die Sättigungscapacilät der Alkaloide nach Liebig dem Slickstoflgehalte derselben entspricht, so liegt die Annahme nahe, dass in den Alkaloiden der Stickstoffgehalt durch die Ge- genwart des Ammoniaks hervorgerufen werde und dass also die- selben eine Verbindung dieses Alkalis mit einem aus C. H. und 0. bestehenden Körper (Huminsäure, Geinsäure, Quellsäure u. s. w.) seien. Mulder (Phys. Chemie. Nach dem Holland, von Kolbe, Braunschw. p. 872) macht zwar darauf aufmerksam, dass die Conslruction der Stoffe mittelst der Feder, durch Combination der Möglichkeiten, zwar die Entstehung der Stoffe aufzuklären scheine, dabei aber keine nöthige Gewissheit gewähre, wie sie die strenge Wissenschaft verlange. Dieser Mangel der völligen Ge- wissheit begleitet uns aber bei der Stoffbildung der Organismen fast überall. Ja, die ganze chemische Theorie gewährt nur eine hypothe- tische Sicherheit. Darum mag es auch hier nur noch gestattet sein, zu erwähnen, dass viele Erfahrungen, welche man bei der Gewin- nung der Alkaloide gewonnen hat, darauf hindeuten, dass dieselben sich in allen den Fällen vorzugsweise entwickeln, wo der Pflanze von aussen her keine oder nur geringe Mengen von fixen Alka- lien zugebracht werden. Es scheint demnach, als wenn in gewissen Fällen alkalische Basen überhaupt eine Bedingung des Pflanzen- lebens seien. So ist bei der Entwickelung der Kartoffelkeime bekannt, dass sie in der Erde, wo ihnen ein hinreichender Vor- ralh mineralischer Basen zu Gebote steht, nur sehr wenig oder gar kein Solanin erzeugen, während die jungen Luftkeime, denen jene Zufuhr aus der Erde fehlt, dasselbe in ziemlicher Menge • enthalten. Auch ist bekannt, dass andere Pflanzen, deren medi- cinische Wirksamkeit von der Anwesenheit eines Alkaloids her- rührt (z. B. llyoscyamus, Datura, Conium u. s. w.) bei weitem weniger von demselben enthalten, wenn sie auf gedüngtem Boden gewachsen sind, wo es nicht an fixen Alkalien, Kalk u. s. w. fehlt. Ebenso wechselt in allen Chinarinden der Gehalt an Chinin 10* 148 Alkaloide. Salicin. und Cinchonin mit Kalk und „man kann den Gehalt an den Al- kaloiden ziemlich genau nach der Menge von fixen Basen beur- teilen, die nach der Einäscherung Zurückbleiben. Einem Maxi- mum der erstem entspricht ein Minimum der andern, gerade so wie es in der That slatlfinden muss, wenn sie sich gegenseitig nach ihren Aequivalenlen vertreten“. (Liebig.) Als sicher bekannt können folgende Alkaloide angenommen werden : Aconitin (Aconitum), Ariein (aus einer Chinarinde, von wel- cher der Baum nicht bekannt ist), Atropin (Atropa Belladonna), Brucin (Slrychnos nux vomica), Chelerylhrin (Chelidonium majus), Chelidonin (in derselben Pflanze), Chinin, Cinchonin (beide in verschiedenen Cinchonaarten), Codein, Morphin, Narcein, Nar- cotin, Pseudomorphin (sämmtlich in den Papaveraceen und im Opium), Colchicin (Colchicum autumnale), Coniin (Conium raa- culatum), Corydalin (Corydalis), Curarin (in dem Curaragifte, womit die Indianer in Südamerika ihre Pfeile vergiften. Wahr- scheinlich von einer Strychnee abstammend.), Daturin (Datura Stramonium), Delphinin (Delphinium Staphisagria), Emetin (Ce- phaelis IpecaCuanha u. a.), Hyoscyamin (Hyoscyamus niger), Jervin (Yeratrum album), Nicotin (Nicotiana), Pelosin (Cissampe- los Pareira?), Sabadiilin und Veratrin (Yeratrum officinale u. a.), Solanin (Solanumarten), Strychnin (Slrychnos nux vomica). §. 351. Nach den Alkaloiden lassen wir nun eine Reihe von indiffe- renten und sauren Körpern folgen, welche mehr oder weniger, unmittelbar oder mittelbar bei der Bildung der vegetabilischen Form betheiligt sind und meist keinen Stickstoff enthalten. 22. Das Salicin ist in der Rinde aller bitterschmeckenden Weiden (Salix helix, fragilis, triandra, vilellina u. s. w. ), so wie auch mehrerer Pappeln (Populus ilalica, tremula, nigra, alba) enthalten und stellt ein weisses, mehlartiges krystallinisches Pul- ver dar von bitterm Geschmack , es löst sich in Wasser, Alkohol, Aether und fetten Oelen auf. (Vergl. §. 554 und S. 156.) §. 352. 23. Das Phlorrhizin ist in der frischen Rinde der Wurzeln der Aepfel-, Birn-, Kirsch- und Pflaumenbäume (vielleicht aller Drupaceen undPomaceen) enthalten und ist dem Salicin ähnlich. Seiner Zusammensetzung nach kann man es ansehen als Salicin plus 1 Aequivalenl Wasser. (Vergl. §. 354.) I Zucker. 149 I I§. 353. 24. Das Glycyrrhizi» ist in der Süssholzwurzel und zwar in den langgestreckten Zellen derselben enthalten. Es scheint saure Eigenschaften zu haben und in den Zellen an Ammoniak gebun- den zu sein, weil das letztere sich durch Zusatz von Aetzkalk reichlich entwickelt, auch färbt seine Auflösung in Wasser und Alkohol das Lackmuspapier rolh. Doch ist dadurch noch keines- wegs festgestellt, ob die saure Reaction zu seinen Eigenschaften mitgehört oder oh sie durch eine fremde Säure hervorgerufen wird. Das Glycyrrhizin besitzt eine bräunlich gelbliche Farbe und ist unkrystallinisch. Sein Geschmack ist süss, hintennach aber bitter und krallig. Es kann nicht in geistige Gährung ver- setzt werden. §. 354. • / 25. Der Zucker. Diese Substanz ist eine der verbreitetsten im Pflanzenreiche und ihr Vorkommen steht oft mit dem Vor- kommen des Stärkmehls (§. 390) in einem gewissen Verhältniss. Wenigstens steht so viel fest, dass die keimenden Samen des Getreides während dieses Actes zuckerhaltig werden und dabei ihren Stärkmehlgehalt verringern. Der Zucker ist daher auch reichlich in den jungen Stengeln der Gräser vorhanden, während sein Vorkommen mit der Ausbildung des Stärkmehls der Samen- körner wieder schwindet. Ebenso ist der Frühlingssaft der Bäume (Birken, Ahorne) sehr zuckerhaltig. Dieser Saft ist um so zucker- reicher, je weiter nach oben er abgezapft wird; aber mit der Ausbildung der übrigen Zellensubstanzen verschwindet er wieder. In vielen süssen Früchten steht seine Bildung mit den Pflanzen- säuren in einem gewissen Verhältniss. Hier nimmt jedoch seine Menge mit dem Wachsthum und der Ausbildung dieser Organe zu. Dasselbe ist der Fall bei den saftigen, süssen Wurzeln, z. B. den Runkelrüben, Mohrrüben, Paslinakwurzeln , Zuckerwurzeln u. s. w. Die Zuckerrüben enthalten 10 — 14 Procent Zucker. Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von Zucker, näm- lich Rohrzucker und Traubenzucker, welcher letztere ein Aequi- valent Wasser mehr enthält. Der Rohrzucker (C)2 H22 0,,) ist vorzüglich in den jungen Grasstengeln und den saftigen süssen Wurzeln enthalten, aus denen er gewonnen wird. Der Traubenzucker (C12 H21 012 in der Kochsalzverbindung; der krystallisirte = C12 Il24 012 + 2H2 0) ist besonders in den süssen Früchten enthalten, welche wegen ihres Gehaltes an 150 Zucker. Pflanzensäuren zugleich ausgezeichnet sind, wie z. ß. die Wein- beeren, Kirschen, Pflaumen, Feigen, Birnen u. s. w. Beide ge- nannte Zuckerarten sind krystallisirbar und der Beispiele sind mehrere bekannt, wo der Zucker in den Honigbehältern der Blumen durch freiwilliges Verdunsten des Wassers herauskryslal- lisirt ist (Rhododendron ponticum, Strelitzia Beginae, Frilillaria imperialis). Auch der Rohrzucker kann durch Bcrfdirung mit verdünnten Säuren in Traubenzucker umgewandelt werden. Ausserdem findet sich aber im Zellensafle neben dem kry- stallisirbar en noch ein unkrystallisirbarer Zucker, den man auch Schleim zucker, Glycose und Fruchtzucker genannt hat, übrigens aber wie der Rohrzucker zusammengesetzt ist. Der Schleimzucker bildet nach Piria einen Bestandteil des Salicins (§. 351), welches dieser Chemiker als eine Verbindung dieses Zuckers mit einem krystallisirbaren Körper, dem Saligenin, ansieht. Ebenso kann man das Phlorrhizin als eine Verbindung des Traubenzuckers mit einem ähnlichen Körper, dem Pldorelin, betrachten, denn digerirt man das Phlorrhizin mit verdünnter Schwefelsäure, so löst sich der Traubenzucker auf und das Phloretin bleibt zurück. (Mulder.) §. 353. 26. Oer Mannazucker oder Mannit scheint nicht immer im Zellensafte vorzukommen. Doch wird er als solcher im Sellerie (Apium graveolens), in der Wurzelrinde des Granatbaums (Punica granatum), in den Quecken (Trilicum repens), den Schwämmen (mehrere AgaricUsarten), im Zuckerlang (Laminaria saccharina) und andern Tangen angegeben. Ausserdem ist dieser Stoff in dem ausgeschwitzten Safte mancher Kirsch- und Aepfelbäume, so wie in dem sogenannten Honigthau enthalten, ganz besonders reich aber in der Manna, welche als eingetrockneter süsser, mehr oder weniger krystallisirter oder schmieriger Saft von einigen Eschenarten (Fraxinus excelsior und Ornus) in Calabrien, Sici- lien, Spanien und Amerika, so wie von Tamarix gallica, am Sinai, gesammelt wird. Merkwürdig ist dabei, dass diese letztem Pflanzen in kaltem Klimaten keine Manna liefern. Das Auslliessen des süssen Saftes soll durch den Stich von Insekten hervor- gerufen werden. Ausserdem liefern in Armenien und Persien noch andere Pflanzen Manna ( Alhagi maurorum, mehrere Eichen und eine Celastrusart) ; in den Alpen saiAmell man von den jungen Trieben des Lärchenbaumes (Pinus Larix) die sogenannte Brinn- coner Manna (manne de Briancon). Kautschuk. Wachs. 151 Alle Meinungen stimmen in neuerer Zeit darin überein, dass uas Mannit in der Manna und in ähnlichen ausgeschwitzten Pflanzensäften erst durch einen Gährungsprocess nach dem Aus- treten des Saftes durch Zersetzung des Traubenzuckers oder der Glycose hervorgerufen werde. Es wird auch nicht in allen Manna- sorlen gefunden, denn die von Tamarix gallica, am Sinai gesam- melte enthält nach Mitscherlich Traubenzucker. Es ist bekannt, dass sich bei der sogenannten Schleimgährung der Rohr- und Traubenzucker in Mannit, Milchzuckersäure und einen gummi- artigen Stoff umwandelt. Eine ähnliche Zersetzungsweise findet jedenfalls auch hier Statt. §. 356. 27. Das Kautschuk findet sich nur in den Milchsäften der Pflanzen, doch sind die Stoffe, welche man unter diesem Namen oft zusammenfasst, nicht immer gleich, so dass man in neuerer Zeit deren mehrere unterschieden hat, wie z. B. das Laclucon im Milchsäfte der Cichoraceen, das Asclepion aus Asclepias sy- riaca, Gutta gireck und Gutta pertcha aus dem Milchsäfte der Sapotaceen u. m. a. Diese Stoffe unterscheiden sich auch in ihrer chemischen Zusammensetzung, ähnlich den verschiedenen Zuckerarten. Alle sind in Aether löslich und unlöslich in Wasser und Alkohol. Das Asclepion krystallisirt in blumenkohlähnlichen Massen. Die Entstehung dieser Substanzen hängt jedenfalls mit denjenigen Erscheinungen des Pflanzenlebens zusammen, bei wel- chen durch Sauerstoffentwickelung aus der Zellensubstanz, dem Stärkmehl u. s. w. die kohlenstoffreichen aber sauerstoffarmen Verbindungen (z. B. die Fette, ätherischen Oele) gebildet werden. Nach Faraday ist die Zusammensetzung des Kautschuk — €6 H9. — Die Formel des Lactucon — C40 II32 03 ; des Asclepion = Gin H34 06 ( List). §. 357. 28. Das Wachs. Auch zum Wachs gehören eine Reihe ver- schiedener Körper, die man noch nicht hinlänglich untersucht hat und von denen man nur weiss, dass sie zu den sauerstoffarmen Verbindungen gehören. Bei der Bildung des Wachses steht so viel fest, dass sich dasselbe bei den Bienen in dem Wachsmagen aus reinem Zucker erzeugt ( Grundlach ). Es ist aber auch durch neuere Untersuchungen von Karsten dargethan, dass die Zellen- substanz in Wachs sich umwandelt; ebenso ist es sehr wahr- scheinlich, dass dieselbe Bildung aus dem Amylon und allen ver- wandten Stoffen hervorgehen kann. Das Wachs ist daher auch 152 Wachs. ein im Pflanzenreiche sehr verbreiteter Körper. In vielen Fällen schwitzt er an der Oberfläche der Blätter, jungen Zweige und Früchte aus und bildet einen sehr zarten pulverigen Ueberzug, welcher hindert, dass das Wasser an der Oberfläche adhärirt. Es schützt der Wachsüberzug die Pflanzenepidermis ebenso vor dem Eindringen des Wassers, als das Fett, womit die Wasser- vögel ihr Gefieder bestreichen. Man nennt diesen Ueberzug in der botanischen Kunstsprache pruina. In andern Fällen ist der- selbe schon so bedeutend, dass er abblätlert, z. B. bei den Blät- tern der Bromelia Ananas, Elymus arenarius, Encephalarctos, die Bracleen von Musa paradisiaca und Strelitzia farinosa. An den blauen Pflaumen lässt sich der zarte Wachshauch leicht ab- wischen, aber er erzeugt sich jedesmal wieder; bei den entwickel- ten Blättern ist das nicht der Fall. Am reichsten ist die Wachs- absonderung bei den Früchten der Wachsmyrte (Mvrica cerifera), des Croton sebiferum, Tomex sebifera und am Stamm der Kar- nauba- und Wachspalme (Ceroxylon Andicola). Es bildet hier eine besondere Rinde um die Organe. Das Ausschwitzen des Wachses beweist, dass dasselbe schon im Zellensafte gebildet wird. Man findet es auch in der That in den Zellensaftkügelchen enthalten, wo es den gewöhnlichen Trä- ger des Chlorophylls macht. Man kann es daher auch aus dem grünen Satzmehl und aus allen grünen Blättern durch Digestion mit Aether ausziehen und durch wiederholtes Auflösen in Alkohol und Auswaschen mit Wasser ganz weiss erhalten. Aus dem Stroh und dem Zuckerrohr kann man eine krystallisirbare Wachs- art darstellen. Ebenso kann man auch mit Alkohol aus der Rinde der Korkeiche ein besonderes Wachs ausziehen. Das Ga- lactin ist ein wachsartiger Körper, welchen Sollt aus der Milch des amerikanischen Kuhbaums (Galactodendron utile), einer Ur- ticea, erhalten hat. Die meisten Wachsarten sind Mischungen verschiedener che- mischer Substanzen, welche verschiedene Auflösungsfiihigkeit in Alkohol zeigen. Die bekanntesten davon sind das Myricin (= C20 H40 0) und Cerin (= C10 H20 0). Die Wachsart aus dem Zuckerrohr hat Arequin Cerosin (= C48 H100 0, = 48 (CH2) + 2 H2 0) genannt. Derselbe theilt die wichtige Erfahrung mit, dass das Zuckerrohr um so mehr von diesem Wachs enthalte, je weniger es selbst zuckerhaltig sei, woraus sich die Bildung desselben aus dem Zucker ableiten liesse. Das chinesische Wachs, von dem man bisher annahm, dass cs ein Pflanzemvachs sei und von Rlius succedaneum abstamme, Felle. 153 soll nach neuern Nachrichten das Product eines Insects (Coccus ceriferus) sein. Brodie hat es untersucht und durch Verseifung in zwei Körper geschieden, die er Cerotin (= C54 II56 OJ und Cerolinsäure (= C54 II54 04) nennt. Das Wachs selbst ist kry- stallinisch wie Wallrath. Die Analyse desselben ergab nach seiner Reinigung die Formel C108 Hlu8 04. (Erdm. Journ., 1849, No. 1.) §. 358. 29. Die fetten Gele. Die fetten Oele erscheinen in den Ptlanzentheilen meist da, wo in andern aber ähnlichen Fällen an ihrer Stelle Stärkmehlbildung stattfindet. Man kann daher wol annehmen, dass sich diese beiden Substanzen gegenseitig ver- treten. Sie kommen in den Zellen vor, sind tropfenweise ver- theilt und die Tropfen durch einen proteinhaltigen Stoff getrennt, der sie gleichsam zellenartig einhüllt. Durch Kochen wird diese Ordnung zerstört und sämmtliche Tropfen einer Zelle vereinigen sich in einen einzigen. In vielen Fällen sind sie mit Amylon in einer Zelle vermengt, in andern nicht; ihre Verbreitung ist aber von den niedersten Pflanzenformen bis zu den höchsten so all- gemein, dass sie kaum irgendwo (wenigstens in einer gewissen Periode) fehlen. Es ist kaum noch einem Zweifel unterworfen, dass viele dieser Oele aus Amylon entstehen, welches dabei den desoxydirenden Einflüssen des Pflanzenlebens unterliegt. Auch der fetten Oele gibt es sehr viele Arten, welche sämml- lich sich durch niedere Temperatur oder durch Alkohol in zwei verschiedene, Elain und Stearin, trennen lassen. Aber jeder dieser Körper ist bei den verschiedenen Oelen wieder verschieden. Durch Verseifen lassen sich die Oele zersetzen in Elain-, Stearin- und Margarinsäure und einen syrupartigen Körper, den man Oelzucker (Glycerin) genannt hat. Er war schon Scheele bekannt und man glaubte lange, dass derselbe die Base der Fette bilde, die man als fettsaures Glycerin betrachtete. Aber nach Berzelius wird dieser Körper erst während der Verseifung gebildet; er nahm zugleich ein anderes Radical in den Oelen an, das er Lipyl (= Gä H4) nannte. Das Glycerin (= C6 H14 06) ist nach ihm Lipyloxydhydrat (== 2 C, H4 0 F 5 H2 0 ) und das Stearin = stearinsaures Lipyloxyd u. s. w. Ausser den oben genannten Fettsäuren hat man aus den verschiedenen Oelen Cocostalgsäure (= C27 HM 03 + H2 0) aus der Gocosbutter, Myristicinsäure (= C.,8 IIft5 03 + II, 0) aus der Muskatbutler, Palmitinsäure (= G32 H64 0:i + H2 0) aus Palmöl, Laurostearinsäure (= G24 II4(5 OJ aus dem Laurin, abgeschieden. 154 Feite. In der Thierbuller kommen mehrere Säuren vor; eine von ihnen, die Bullersäure (= C8 H14 OJ, findel sich nach liedten- bacher auch als solche in dem sogenannten Johannisbrod, den Hülsen von Ceratonia Siliqua, wo sie den eigenthürnlichen Geruch nach alter Buller verbreitet. Dieselbe Säure wird auch bei ge- Avissen Gährungsprocessen gebildet. Sie ist flüchtig und ätzend. Das meiste fette Oel ist in den Früchten enthalten, und zwar entweder in den Samen oder der Fruchlhülle ; seilen kommt es in Wurzeln vor, wie z. B. in den Knollen der Erdmandel (Cy- perus esculentus), welche desshalb im südlichen Europa und Orient angebaut wird. Die meisten von diesen Gelen sind flüssig und schmierig (Lorbeeröl), mehrere starr und dann mit einer Neigung zur kri- stallinischen Structur (Palmöl, Cacaoöl, Muskatöl, Bassiaöl oder Butter von Galam). An den organischen Formen nehmen sie daher unmittelbar gar keinen Theil. Schübler und Bentsch haben in einer besondern Schrift „Ueber die fetten Oele“ (Tübingen 1828) den Oelgehalt ver- schiedener Samen bestimmt. Es liefern hiernach die Samen von Corylus Avellana 60 Procent. Lepidium sativum 56—58 » Juglans regia 50 » Papaver somniferum .... 47 — 50 » Amygdalus communis .... 46 )) Euphorbia Lathyris, durch Pressen 41 » durch Aelher. . 51 » ( Chevallier.) Brassica campestris oleifera .... 50 » Sinapis alba 56 )) Nicotiana Tabacum 52 — 56 » Prunus domestica 55 » Brassica napus oleifera. . . 55 » . praecox 50 )) Reseda luteola 50 )) Camelina sativa 28 )) Gannabis sativa 25 » Pinus silvestris 24 )) Linum usitalissimum .... 22 » Sinapis nigra 18 » Helianthus annuus 15 Fagus silvotica 12—16 » Vitis vinifera 5—18 » Olea curopaea 50 )) Aetherische Ode. 155 Bei der letztem geben die harten Fruchlhüllcn 41 und die fleischigen 27 Procent (Sieuve). Nach den Untersuchungen von Blondeau de Carolles soll die Oelbildung in den Oliven in einer Zersetzung der sogenannten Holzfaser und der Gerbsäure unter Abscheidung von Wasser und Kohlensäure beruhen. Beide ver- mindern sich in dem Verhältnis, als sich das Oel vermehrt. Er betrachtet das Olivenöl als eine rein chemische Verbindung, für welche er die Formel C!f, H36 04 festgestellt bat. Hält man nun mit diesen Tlnatsachen die Erfahrung zusammen, dass die ölrei- chen Samen beim Keimen dieselben Erscheinungen darbieten, wie die mehlreichen, so liegt die Annahme nahe, dass auch hierbei das Oel eine ähnliche Bolle wie das Amylon spielen müsse. Nur ist hier noch zu bestimmen, welche Veränderungen das Oel beim Keimen erleidet. §. 359. 30. Die ätherischen Oele. Sie sind von den fetten Oelen nicht nur chemisch, sondern auch in anderer Weise verschieden. Während ein Pflanzenfett sich durch milden Geschmack und Ge- ruchlosigkeit — im reinen Zustande — auszeichnet, besitzen die ätherischen Oele einen scharfen Geschmack und sehr starken Geruch, so dass von ihnen immer der eigenthümliche Geruch und oft auch allein der besondere Geschmack eines Pflanzen- theiles herrührt. Die ätherischen Oele werden durch den Vege- tationsprocess und zwar, wie man vermuthet, durch Desoxydation des Zuckers, Dextrins, Peclins, Amylons und ähnlicher Körper, deren Zusammensetzung sich aus der Grundformel C12 II18 0,4 ab- leiten lässt, gebildet (Mulder). Mehrere von ihnen sind bloss flüssiger Kohlenwasserstoff ohne allen Sauerstoff: Cilronenöl (=C]0HJ6), Pomeranzenöl (=C10H16), Kalmusöl (= C10 H16), Fenchelöl (=G15H24), Wachholderöl (— Ci5 H24), Gewürznelkenöl (=G20H32), Terpentinöl (==G20H32), Sadebaumöl (= C2U H32), Pfefferöl (= G20 H32 ) ; — andere sind als Oxyde eines Kohlenwas- serstoffs anzusehen: Poleiöl (=G10H)0O), Cajeputöl (=CJ0ITI3 0), Bautenöl (=C18 H55 03), Zimmlöl (= G20 H22 02) u. m. a.; — wieder andere sind Hydrate des Kohlenwasserstoffs oder eines Oxydes desselben, z. B. Kosmarinöl (= 9 G5 ITg -f- 2 H„ 0), Berga- moltöl (= 3 C10 II10 + 2 II 2 0), Spiräaöl (= C14 IIIU 0., + II2 0) u. s. w. Viele von diesen Körpern verändern sich in der Pflanze, woher es dann kommt, dass sic theils unter sich selbst, Ihcils auch in ein und derselben Pflanze verschiedene Eigenschaften 156 Aetherische besitzen. So sind in den Blumenköpfchen der Artemisia contra (dem sogenannten Semen Cinae der Apotheken) zwei Oele, welche bei ungleicher Temperatur sich verflüchtigen, ebenso lässt sich das ätherische Oel der Salbei durch Destillation bei verschiede- ner Temperatur ( -}- 130°, 140° und 150°) in drei verschiedene Oele trennen. Fast alle lassen sich in ein dünnflüssiges — Eläopten — und ein starres Oel — Stearopten — scheiden. Manche, wie der Kamphor, bestehen nur aus Stearopten. Andere, wie das Baldrianöl, bestehen aus einem sauren — der Baldriansäure — und einem indifferenten Oele, ohne Sauerstoff, dessen Formel = C10 H16. — Es gibt noch mehr solcher gemischten Oele, wo- von das eine besondere Neigung hat, sich mit Sauerstoff zu ver- binden. So beim Zimmtöl, bei welchem sich mit der Zeit, wenn es der Luft ausgesetzt wird, Krystalle ausscheiden, welche man Zimmtsäure genannt hat. Durch Einwirkung von Kali (auch auf andere ätherische Oele) bildet sich Benzoesäure. Diesen beiden, sowie dem ätherischen Bittermandelöl, dem Spiräaöl (von Spiräa Ulmaria) und dem Salicin liegt ein hypothetisches Radical zu Grunde, welches man Benzoyl (= C14 H10 02) genannt hat. Das Bittermandelöl ist Benzoylwasserstoff = C14 H10 Oa -R H2; Benzoylwasserstoff plus 2 At. Wasser bilden das Saligenin. Piria stellte durch Zersetzung des Salicins eine ölige Säure dar, welche er Salicylwasserstoflf nannte. Später ergab es sich, dass dieser Körper identisch sei mit einem andern, welchen Löwig als Spiroyl- Wasserstoff beschrieben und welcher in dem äetherischen Oele der Spiraea Ulmaria enthalten ist. Die Formel des Salicyls ist Cn °4- Beide, das Spiräaöl sowol, als das Bittermandelöl, sind nicht in den Pflanzen schon gebildet vorhanden, sie werden vielmehr erst durch die Destillation erzeugt. Durch Alkohol kann man einen krystallinischen Körper aus den bittern Mandeln ausziehen, den man Amygdalin genannt hat. Nach der Entfernung dieses Körpers liefern die bittern Mandeln durch Destillation mit Wasser kein ätherisches Oel. Bringt man jedoch das Amygdalin mit dem Emulsin (dem proteinhaltigen Körper der Mandeln) zusammen und befeuchtet beide mit Wasser, so nimmt man sogleich den Geruch nach bittern Mandeln wahr und zugleich die Bildung des ätherischen Oeles. Dieses Oel ist stickstoffhaltig. Aehnlich ver- hält es sich mit dem ätherischen Senföl, welches auch noch schwefelhaltig ist. Diese Thatsachen werfen wenigstens einiges Licht auf die Bildung der ätherischen Oele. Auch die trockne Destillation beweist, dass sich aus den verschiedenartigsten orga- Oele. Harze. 157 nischen Substanzen ätherische Oele (und Harze) bilden können. In ähnlicher Weise mögen Sonnenwärme und Sonnenlicht auf die immer in Bewegung begriffenen organischen Moleküle wirken, wodurch die Desoxydation derselben und ihre Bildung zu ätheri- schen Oelen bewirkt wird. Sonach w'äre aber auch die Aus- ' Scheidung von Sauerstoff mit der Erzeugung dieser Gebilde ver- bunden und die Entwickelung dieses Gases nicht von einer ein- 5 zelnen Thäligkeit abhängig. Viele Pflanzen bilden ihre ätherischen Oele nur in ihren I äussern dem Licht und der Wärme am meisten ausgesetzten Zellen, dunsten es sogleich aus und verbreiten dadurch einen Wohlgeruch um sich herum, z. B. die blühenden Bohnenfelder, Rübsenfelder, Veilchen, Narcissen, Rosen, Lilien, Levkoien u. s. w. Andere bergen es in ihrem Innern und dann verbreitet es sich entweder in mehr oder weniger erweiterten Intercellulargängen, wie das Terpentinöl, das Zimmtöl, die balsamischen Oele u. s. w. Wieder andere haben ihr ätherisches Oel von besondern Zellen umschlossen, welche sich zwischen den parenchymatischen Zellen oder auch äusserlich als sogenannte Oeldrüsen erscheinen. Hier- her gehört das Oel im Rhizom und den Blättern von Acorus Calamus, im Kraute der Labiaten (Mentha, Melissa, Salvia, Thy- mus), die Oeldrüsen bei Dictamnus albus, Ruta graveolens, Citrus u. a. Pflanzen. Endlich werden auch noch bei manchen die Oele an der Oberfläche und an den Haaren in sehr kleinen mikrosko- pischen Tröpfchen ausgeschwitzt und diese von einer unregel- mässigen Schleimmasse umgeben, wie bei Salvia officinalis. (Taf. 1. Fig. 2. a. b. Taf. 9. Fig. 3. 4. a. a. Taf. 16. Fig. 2.) §. 360. 31. Die Harze. Wenn die fetten Oele als Substanzen betrach- tet werden können, welche sich weiter an den organischen Be- wegungen des Pflanzenlebens betheiligen, so kann dasselbe von den ätherischen Oelen nicht mehr gesagt werden, sie müssen vielmehr als für die fernere Vegetation untaugliche Excrete be- trachtet werden. Als solche gehen dann aber auch Veränderun- gen mit ihnen vor, welche dem eigentlichen engern Pflanzenleben nicht angehören, sondern rein chemischer Natur sind. Denn die- selben Veränderungen gehen auch vor, wenn die Oele von der Pflanze getrennt sind und im isolirten Zustande gewissen Einwir- kungen ausgesetzt werden. Alle ätherischen Oele besitzen die Eigenschaft Sauerstoffgas aus (der atmosphärischen Luft (oft in sehr grosser Menge) zu absorbiren und sich dadurch Iheilweise 158 lhirzc und oder auch ganz in Harze zu verwandeln. Erfolgl diese Verände- rung nur Iheilweise, so entstehen dickflüssige Gemenge von Harz und Oel, welche aus den Pflanzen entweder freiwillig oder in Folge äusserer Verletzungen auslliessen und bei den Zapfenbäu- men Terpenline, hei andern Balsame genannt werden. Auch bei dem freiwilligen Verdunsten der ätherischen Oele an der Pflanze scheint die Zersetzung derselben durch den Sauerstoff der Luft statlzufmden. Wenigstens schreibt man die in den Blumenschei- den der Colocasia odora sich erzeugende Wärme dem Verbrennen der Dämpfe eines ätherischen Oeles zu. (Link, Phil, bot., 11,343.) Nach Heidt soll die Harzbildung auf folgende Weise statt- finden : 1) Durch Aufnahme von Sauerstoff werden bei dem äthe- rischen Oele eine gewisse Anzahl Wassers toflacpjivalente abge- schieden und durch gleiche Aequivalente Sauerstoff ersetzt. 2) Es findet dieselbe Veränderung statt, nur mit dem Unterschiede, dass das neue Product zugleich Wasser aufnimmt. 5) Dieselbe Veränderung wie bei 1, aber statt des Wassers nimmt das Pro- duct noch mehr Sauerstoff auf. 4) Das Product von 5 nimmt noch Wasser auf. 5) Entstehen auch Harze, wenn die ätheri- schen Oele bloss Wasser aufnehmen. Bei (allen?) diesen Veränderungen wird C02 entwickelt und zwar oft in grosser Menge. Es mag daher wol ein grosser Theil der CO„, welche die Pflanzen im Dunkeln entwickeln, durch die Zersetzung der ätherischen Oele herrühren und mit der Harz- bildung in Verbindung stehen. Die Harze sind demnach grössten theils Oxydalionsproducte der ätherischen Oele und in Folge davon besitzen auch diejenigen, welche nicht durch gleichzeitige Aufnahme von Wasser in einen neutralen Zustand versetzt worden sind, saure Eigenschaften. Diese verbinden sich mit Basen zu Salzen und ihre Auflösung in Weingeist röthet Lackmus. Ein solches Harz ist das Colophon, welches nach und nach aus dem Terpentinöl durch Einwirkung von Sauerstoff entsteht. Es ist aber keine einfache Substanz, sondern ein Gemeng mehrerer Harze mit sauren Eigenschaften, welche man Silvinsäure, Pininsäure, Colopholsäure u. s. w. ge- nannt hot. Die Bildung der Silvinsäure kann man sich auf fol- gende Art erklären: 2 Aequiv. Terpentinöl = C40 1IÖ4 nehmen G Aequiv. 0 auf, dadurch entstehen 1 Aequiv. Silvinsäure = C4(1 Hou 04 und 2 Aequiv. Wasser = ll4 02. Man sieht daraus, dass die dem Terpentinöl entzogenen H4 durch 04 ersetzt worden sind. Weiteres kann man hierüber nachlesen hei Mulder (I. c. , p. 802 fg.) und in Extractivstoffe. 159 den verschiedenen Artikeln von Liebig's Handwörterbuch der Chemie. Vielleicht alle natürlichen Harze sind Gemenge mehrerer Harze, von denen mehrere Krystallform annehmen. Sie sind im Wasser meist unlöslich, dagegen auf verschiedene Art löslich in Weingeist, Aelher, ätherischen oder fetten Oelen, oder auch in Alkalilösung. Durch die verschiedenen Lösungsmittel werden auch die verschiedenen Harze von einander getrennt. Wir haben schon erwähnt, dass viele Harze ausschwitzen und ausfliessen. In den Pflanzen sind diese meist in den erwei- terten Intercellulargängen oder auch in sogenannten ITarzgängen, z. B. bei Pinus (Taf. 12. Fig. 5. b.) enthalten. Bei der Jalappen- wurzel bricht es nicht hervor, sondern ist in mehr oder weniger verschmolzenen Tropfen in den Inlercellularräumen abgelagert (Taf. 1. Fig. 4.). Endlich kommt es auch in den Zellen vor (Aloe) und Midder vermuthet, dass es in diesen Fällen durch die Ein- wirkung des in den Pflanzen entwickelten Sauerstoffs auf ein ätherisches Oel sich bilde. Diese Ansicht scheint durch die Ilarz- bildung in der Curcuma (wo das gelbe Harz von Zellen cinge- schlossen ist) bestätigt zu werden. §. 361. 32. Extractivstoffe. Es gibt eine Anzahl Stoffe, welche weder Säuren noch Alkaloide, weder Fette noch Oele und Harze sind, kurz Stoffe, deren nähere Eigenschaften man noch weiter nicht kennt und die man, weil sie sich in den wässerigen Auszügen der Pflanzensubslanz finden, diese braun färben u. s. w., mit dem Namen Extractivstoffe belegt hat. Man kann aber diese Gruppe ebenso wenig genau bezeichnen, wie die andern Gruppen von Körpern, die wir schon betrachtet haben und noch betrachten werden, ein Beweis, dass die bisherige Einlheilung dieser Kör- per überhaupt sehr mangelhaft ist. Scheele’s „ materia saponacea“, welche in den Gitronen- und Pomeranzenschalen enthalten ist und bitter schmeckt, gehört hierher. Durch Schütteln der Auf- lösung in Wasser erzeugt sie Schaum, wie Seifenwasser. Alle Pllanzenextracte besitzen diese Eigenschaft mehr oder weniger. Man nimmt an, dass der sogenannte Extractivstoff in den Pflanzen farblos sei, dass aber durch äussere Einwirkungen derselbe viel- fach verändert werde. In Folge dieser Veränderungen unter- schied man früher einen gummiartigen, harzigen, färbenden, gerbenden , zusammenziehenden , kratzenden , scharfen , bit- tcrn, süssen, narkotischen, sauren, je nachdem er diese oder 160 Flechtenstoffe. jene chemische Eigenschaften, oder einen besondern Geschmack u. s. w. hesass. Aber die Anzahl dieser Arien 'wurde immer gerin- ger, seitdem man die verschiedenen Harze, Farben, die scharfen und billern Stoffe als besondere Säuren (Gerbsäure, Quellsäure, Huminsäure) oder Alkaloide, oder indifferente complexe Verbin- dungen, wie das Salicin u. s. w., kennen gelernt hatte, so dass die Arten des Extractivstoffes sich sehr verringert haben und der Ausdruck eigentlich nur noch auf nicht krystallinische noch ganz unbekannte Verbindungen sich erstreckt, welche vielleicht vorherrschend gummöser Natur sind und von denen vielleicht die folgenden Körper — Gerbsäure, Farbstoffe u. s. w. — Zersetzungs- producte sind. (Vergl. §. 393.) §. 362. 33. Erythrin, Orcin, Lccanorin, Flechtenbitter. In den Flechten findet man eine besondere Art von Körpern, welche die Eigentümlichkeit besitzen, durch Einwirkung des Ammoniaks und der atmosphärischen Luft eine rothe oder violette Farbe anzu- nehmen. Auch werden von diesen Körpern verschiedene Säuren (Erythrinsäure, Lecanorsäure, Orseillesäure, Everninsäure, Usnin- säure u. s. w.) abgeleitet, welche vielfachen Veränderungen theils beim Vegelationsprocess, theils beim Abscheidungsprocess unter- worfen sind, daher man ihre wahre Natur noch nicht kennt. Stenhouse, Heeren ; Kane, Schunk und Andere haben sich mit diesen Untersuchungen beschäftigt, aber ihre Arbeiten weichen mehr oder weniger von einander ab. Die oben genannten Kör- per sind an sich farblos und grösslentheils krystallisirbar , färben sich aber unter den oben angegebenen Umständen roth. Hierauf beruht die Benutzung der Flechten zu^Orseille und Lackmus. In der Flechte selbst durchdringen diese Substanzen die Zellen- substanz und können durch Wasser, Aether, Alkohol oder Alka- lien theilweise ausgezogen werden. Die Betrachtung des Lack- mus unter dem Mikroskope und die Behandlung desselben mit Säuren, Alkalien und verschiedenen Auflösungsmiltein bestätigt die eben ausgesprochene Ansicht. Es schiiessen sich übrigens die oben genannten Körper an das Phlorrhizin und Salicin (§. 351) an. Im Lackmus ist das Orcin in einen andern Körper, das Orcein, verwandelt. Aehnlich ist es mit dem Phlorrhizin, welches durch Einwirkung des Am- moniaks und des Sauerstoffs in einen schön blauen Körper — Phlorrhizein — verwandelt wird. Diese Thatsachen werfen gleich- zeitig einiges Licht auf die Entstehung der sogenannten Farbe- Gerbstoffe. 161 Stoffe in den Pflanzen. Ich vermuthe auch, dass die braune Färbung des Pflaumenholzes von einer Modification des Phlorrhizins herrühre. §. 363. 31. Gerbstoffe, Gerbsäuren. Unter diesem Namen werden eine Anzahl von Körpern verstanden, welche zum Theil unkry- stallinisch sind, zusammenziehend schmecken, Lackmuspapier schwach rötlien und mit Leim eine compacte im Wasser unlös- liche Masse bilden, die das Leder geschmeidig und wasserdicht macht. Diese Körper sind ziemlich allgemein verbreitet, aber in ihren Eigenschaften so veränderlich, dass es unmöglich ist, sie überall mit Genauigkeit bestimmen zu können. Eine der allge- meinsten Eigenschaften ist wol die noch, dass sie ursprünglich farblos und im Wasser löslich sind, in Berührung mit dem Sauer- stoff der Luft aber mehr oder weniger gefärbt erscheinen. Daher auch ein Theil von ihnen in diesem veränderten Zustande als Farbesloffe gelten und als solche vielfache praktische Anwendung finden. Dehnen wir den Begriff dieser Substanzen nach dieser letztem Eigenschaft aus, so können wir unter dieser Rubrik eine Anzahl sogenannter Farbesloffe mit behandeln, deren Entstehung sich an die Bildung der Flechlenfarben anschliesst. Aber dann besitzen nicht alle diese Körper die Eigenschaft das Leder zu gerben in einem besondern Grade. Die besondere Reaclion auf Eisensalze, welche früher fast allein zur Erkennung der Gerb- säuren diente, hat nur noch Werth zur Erkennung einzelner Arten desselben, nicht der Gattung. Darin stimmen jedoch alle diese Körper mit einander überein, dass sie im oxydirlen Zu- stande unlöslich im AYasser sind und ihre gerbenden und zusam- menziehenden Eigenschaften verlieren. Mehrere bilden in diesem Zustande bei den Extracten das sogenannte Apolhema oder oxy- dirten Extraclivstoff. Zu den Gemengen von Apothema und mehr oder weniger veränderten Gerbsäuren gehört auch das Kino und Catechu, welche als Farbe- und Arzneimittel Anwendung finden. Jenes hat eine dunkelrothe und dieses eine braune Farbe. Beide sind die eingetrockneten Säfte verschiedener Bäume. Das letzte kommt von Mimosa Catechu. Es scheinen die Gerbsäuren keineswegs das Resultat geringer Vitalitätserscheinungen zu sein, denn gerade im reinsten und unzerselzten Zustande, so wie am reinlichsten findet man sie nur im frischen Safte jugendlicher, kräftig vege- lirender saftiger Zellen, wovon die jungen saftigen (nicht die KCtzing, Philosophische Botanik. I. 11 162 Gerbstoffe. alten verholzten, oder schwammig lockern und trocknen) Gall- äpfel und die jüngsten Eichentriebe sowol, als auch die grünen saftigen Wallnusshüllen den unumstösslichen Beweis liefern. Die ältere Eichenrinde und die Gerbsäure führenden Hölzer enthalten die Gerbsäuren immer nur in einem schon veränderten Zustande. Die Zellen Wandungen aller dieser Hölzer, so wie die der grünen Wallnussschalen sind in der Jugend und oft auch heim frischen Holze ganz farblos. Aber sie werden erst bei nachlassender organischer Thätigkeit von der Gerbsäure durchdrungen und dann der Träger derselben. Daher kommt es, dass manche dieser Hölzer ihre anfangs helle Farbe durch längere Berührung mit der Luft in eine dunklere umändern, wie z. B. das Gelbholz, das Fernambukholz , das Eichenholz, das Wallnussholz, das Gedern- holz, das Mahagoniholz, das Sandelholz u. m. a. Bei allen diesen Hölzern ist die Zellensubstanz durch eine gerbsäureartige Substanz gefärbt. Bei dem Ebenholze beruht jedoch die Schwärzung auf der dunkeln Färbung der proteinhaltigen Innenzelle, ähnlich den Pigmentzellen bei der Froschlarve. Bei den Galläpfeln, Gysto- sireen und Polysiphonien ist es ähnlich. Die Zellenhäute der Galläpfel erscheinen anfangs ganz frei von Gerbsäure, benetzt man sie mit Eisenoxydlösung, so werden nicht die Zellenwände, sondern die Proteinsubstanzen in den Zellen geschwärzt, erst nach einigen Tagen stellt sich die dunkelblaue Färbung der Zellen- liäule dar; bei Gystosira ist die innere Proteinzelle in der leben- den Pflanze ganz hell, fast farblos, sie färbt sich aber, während man sie unter dem Mikroskop betrachtet, ganz dunkelbraun. Ich habe diese Substanz früher „Fucin“ genannt. Ich glaube aber jetzt, dass die Färbung der Gegenwart einer Art Gerbsäure zu- zuschreiben ist. Aehnlich verhält es sich mit dem Schwarzwerden der Polysiphonien nach dem Trocknen. Das Schwarzwerden vieler Pflanzen nach dem Trocknen (der Melampyrumarten im Herba- rium), so wie auch das Blauwerden (bei Mercurialis perennis) beruht sicher auf ähnlichem Grunde, beim schwarzen Thee ist es gewiss. Die Gerbsäuren nehmen durch Aufnahme von Sauer- stoff gar verschiedene Farben an. Die Moringerbsäure (Morus tinctoria), worüber erst vor Kurzem eine schöne Arbeit von R. Wagner (Erdm. Journ., 1850, No. 17 und 18) erschienen ist, steht mit dem Morin in nächster Beziehung. Jedenfalls ist das- selbe der Fall zwischen den Farbestoflen und Gerbsäuren der an- dern Farbehölzer. Aehnlich dem Morin, ist das Visetgelb, das Rumicin, Rhaponticin, Rhabarbarin und Luteolin. Ja ich möchte sogar hierzu noch die Farbekörper des Krapp und Indigo rechnen. Gcrbsto/J'e. Xanthin. 163 Beim Gelbholze (Morus tincloria) findet sich nach R. Wagner die Moringerbsäure neben dem von Cheuvreul entdeckten Morin. Dieses bildet im reinen Zustande ein weisses kryslallinisches Pul- ver, wie das Salicin, Phlorrhizin und die Erythrinsäure, es ist in den äussern Holzschichten des Stammes enthalten und hier an Kalk gebunden. An der Luft, nicht am Lichte, wird es gelb. Die Moringerbsäure bleibt in der Flüssigkeit zurück, aus welcher sich der Morinkalk abgeschieden hat. ,Sie bildet aber auch zum grössten Theil eine eigentümliche Ablagerung in der Mitte der Blöcke des Gelbholzes. Man kann diese Substanz aus den der Länge nach gespaltenen Stücken mit dem Meisel herausnehmen. Sie ist schmutzig gelb, an andern Stellen fleischroth, rothbraun, blätterig und krystallinisch. Alle diese Erscheinungen sind ge- wiss nur Modificationen desselben Körpers, wie die natürlichen Harze. Es mag mit dem Catechu und Kino dieselbe Bewandt- niss haben, wie mit der erwähnten Ablagerung der Möringerb- säure. Wie gross übrigens die Zahl der Gerbsäuren, die bis jetzt nur zum kleinsten Theil gekannt sind, sein müsse, beweist, dass nach Stenhouse’s Untersuchungen die Gerbsäure der Eichenrinde von der der Galläpfel verschieden und dass letztere neben der gewöhnlichen (Ellagsäure) noch die Gelbgerbsäure besitzen. Mehrere Gerbsäuren gehen in Gallussäure über. Die For- meln mehrer dieser Säuren sind nach Laurent folgende: Gallussäure = Cu H6 O10. Gerbsäure = C]4 H6 01U. Pyrogallussäure ....== C12 II6 Ob. Catechugerbsäure . . . = C18 H10 O,0. Moringerbsäure ....== C,B H8 Oin (Wagner). Brenzcatechin = C16 H10 06. Kaffeegerbsäure . . . . = C20 Hn 010. Ich erwähne übrigens noch, dass Kino, Catechu, Moringerb- säure, der Gerbstoff des Sandelholzes und andere harzige Eigen- schaften besitzen. Es gehen die harzigen Säuren in die gerben- den unmerklich über. §. 364. 35. Xanthin, Rubiaceensiiure und Alizarin. Der Durchschnitt einer frischen Krappwurzel sieht nicht roth, sondern gelb aus, am intensivsten nach aussen. Diese äussern Zellen sind mit Protein- und andern Körnchen gefüllt, welche gelb gefärbt sind. Diese Farbe wird aber an der Luft und bei der getrockneten 11 * 164 Itulitj. Wurzel dunkler, sie gehl ins Rothe und Bräunliche über. Die neuesten Untersuchungen von Schunk und James Iliggin (Erdm. Journ., 1849, No. 1) lassen keinen Zweifel übrig, dass die frische Krappwurzel nur Xanthin (den gelben FarbestofT) enthält; aber durch die sogenannte Gährung in den Fässern, welche vom drit- ten bis zum fünften Jahre ihren höchsten Punkt erreicht, ver- bessert er sich, d. h. das Xanthin verändert sich in Rubiaceen- säure, und diese in Alizarin. Diese Veränderungen werden namentlich beim holländischen Krapp bemerkt, welcher beson- ders reich an Xanthin ist. Die Umänderung des erstgenannten Körpers in die beiden folgenden beginnt auch schon beim ge- wöhnlichen Einweichen in Wasser. Auch das Schönen der schon gefärbten Zeuge beruht auf der Zerlegung jener Körper in Ali- zarin. Die Harze, welche Schunk im Krapp nachgewiesen, sollen nach Higgin ursprünglich nicht darin enthalten sein, sondern erst während der chemischen Behandlung der Wurzel erzeugt werden. §. 365. 36. Indig. Es gibt viele Pflanzen, welche in ihren Zellen einen farblosen Körper aufgelöst (?) enthalten, der sich aber verändert, sobald er mit der atmosphärischen Luft in Berührung kommt. Diese Veränderung besteht darin , dass er sich in Pulver- oder körniger Form ausscheidet und dabei eine blaue Farbe an- nimmt. Diesen blauen Farbenkörper hat man schon seit 2000 Jah- ren gekannt, denn römische Schriftsteller erwähnen ihn unter dem Namen Indicum und Color indicus, woraus Indigo und Indig ent- standen. Die Araber nennen ihn Anil (Blau). Er wird in Ostindien aus mehreren Indigoferaarten (I. tinctoriä, I. pseudo -tinctoria, I. disperma, I. argentea, I. hirsuta) gewonnen. Er ist aber auch in andern Pflanzen enthalten, z. B. Isalis tinctoria, welche bei uns desshalb cultivirt und zur Waidküpe benutzt wird, während die in Schweden cullivirten Pflanzen, nach dem Zeugniss von Berzelius, keinen Indig enthalten sollen; ferner Polygonum tin- ctorium, Nerium tinctorium, mehrere tropische Orchideen (Tan- kervillia cautonensis, Limodorum veratrifolium u. s. w.), Asclepias lingens, Marsdenia tinctoria, Spilanthus tinctorius u. m. a. Viel- leicht gehört auch das schon oben erwähnte Blauwerden der Mcr- curialis perennis und mehrerer Rhinantheen mit hierher. Der Indig ist ein Gemenge von mehreren Körpern. Er be- steht aus dem Indigblau, Indigroth (harzähnlich und von Alkohol ausziehbar), Indigbraun (durch Alkalien ausziehbar) und Indigleim. Indiy. Phi/kulcijan. 165 Das Indigblau besieht aus G16 I1J0 N2 02. Bei den Färbern wird durch eine eigentümliche Gährung, welche mit Waid, Krapp und Kleie (Waidküpe) angestellt wird, der Indig entfärbt. Er nimmt dabei lla auf, wodurch er nach der Ansicht Doebereiner’s und Chevreul’s in eine Wasserstoffsäure, die sie Isatinsäure nen- nen, verwandelt wird. Andere nennen diese Verbindung Indig- weiss. Sie besitzt die Eigenschaft, sich mit Basen zu verbinden, und besteht aus C16 IJ12 N2 02. Man glaubt, dass dieselbe ur- sprünglich im Zellensafte der oben genannten Pflanzen aufgelöst und an eine Base gebunden sei. Wenn man sie der Luft aus- setzt, so verliert sie Il2 und wird blau. So wie die Harzsäuren, die Flechtensäuren, die Gerbsäuren u. s. w. mit gewissen „Bitterstoffen“, z. B. Aloebitter, Picamar, Flechtenbitter, Rhabarberbitter, Eichenrindenbitter, correspondi- ren, so entspricht dem Indigblau das Weiter’ sehe Biller oder die Picrinsäure, welche man durch Einwirkung der Salpetersäure auf Indigblau erhält. Derselbe Körper bildet sich aber auch durch Einwirkung der Salpetersäure auf Salicin. §. 366. 37. PJiykokyail. Dieser Körper ist noch nicht genau er- forscht. Ich habe zuerst auf ihn aufmerksam gemacht („Phycol. generalis“, S. 20). Er ist nicht fertig gebildet in den Pflanzen enthalten, sondern erzeugt sich erst als blauer Körper in Berüh- rung der Pflanzen mit der Luft, in ähnlicher Weise, wie das Indigblau. Ich nehme daher an, dass er entfärbt und aufgelöst im Zellensafte enthalten sei. Er findet sich bei Lemania und Thorea. Diese Pflanzen sehen grün oder grünlich im Leben aus; getrocknet nehmen sie aber (jene oft, diese immer) eine schön blaue oder dunkel violete Färbung an. Das Mikroskop zeigt, dass besonders der Zelleninhall, die körnigen oder soliden Massen, diese Färbung angenommen haben. Die Zeilenwände selbst sind farblos. Lässt man die Pflanzen frisch und feucht auf einander liegen und einige Tage gähren, so sammelt sich unten im Gefässe eine blaue Auflösung. Diese bleibt klar, bis sie eintrocknet, und behält ihre blaue Farbe unverändert. Alkalien machen diese Farben sogleich verschwinden, während Säuren sie herslellen. Ist bei der eingelrockneten Masse noch ein Stich ins Rolhe vorhanden, so verschwindet dieser durch eine Säure und die Farbe erscheint rein Blau. Die blaue Farbe wird jedenfalls durch die in Folge der Gährung gebildete Säure 166 Tangrollt. hervorgerufen und der Stoff scheint, wie das Indigvveiss, im Zellensafte mit einer Base verbunden zu sein. Ich habe früher angenommen, dass derselbe blaue Farbstolf bei den Oscillarinen, Nostochinen und andern niedern Algen schon fertig gebildet vorhanden sei und dass er hier die eigenlhümli- chen blaugrünen und spangrünen schönen Färbungen des Zellen- inhaltes hervorrufe. Ich gründete diese Meinung darauf, dass die Oscillarien, wenn man sie übereinander liegen lässt, ihren Farbstoff aufgelöst ausfliessen lassen und das Papier blau, violet oder roth (0. rubescens) färben. Diese Färbung wird auf dem Papier durch Alkalien entfernt und entsteht wieder durch Säuren, wie beim Phykokyan. Aber der Umstand, dass manche frische und lebende Oscillarien mit Salzsäure ihre Farbe in ein schmutzi- ges Gelbbraun umändern, macht die Gegenwart des gefärbten Phykokvans in manchen Oscillarien etwas zweifelhaft. Bei den Euactis-, Schizosiphonarten und ihren Verwandten bleibt jedoch die blaugrüne Farbe durch Salz und Schwefelsäure unverändert. §. 367. 38. Das Phykoerythrin scheint sich zum Phykokyan wie das Flechtenroth zu dem Lackmusblau zu verhalten. Es ist statt des Phykokyans in einigen Oscillarien, z. B. 0. rubescens, Mou- geotii enthalten, und da, wo es mit diesem zugleich auflritt, bildet es den color amethysteus und chalybeus, der bei vielen Arten mit dem c. aerugineus wechselt. Dann kommt es aber auch fast allgemein in den rothen Meertangen (den Heterocarpeen) vor, wo es auf gleiche Weise wie das Phykokyan durch Gährung ausfliesst. Alkalien entfärben das Phykoerythrin und Säuren stel- len seine Farbe wieder her. Zieht man bei den rothen Tangen vorher das Chlorophyll mit Aether aus , so bleibt das Phykoery- thrin zurück. Es ist hier an die Zellenkügelchen (Protein) ge- bunden. Behandelt man jetzt den Tang mit Aetzammoniak, so wird die ganze Pflanze, wenn keine andern Farbekörper vor- handen, entfärbt und weiss. Säuren stellen die rothe Farbe wieder her. 39. Das Phykohämatill. Es ist von mir jetzt bloss in Ryti- phlaea tinctoria aufgefunden. Die Exemplare, welche ich einige Stunden nach ihrer Herausnahme aus dem Meere in Genua unter- suchte, zeigten ihre Zellenwände ganz von diesem Stoff durch- drungen. Er löst sich leicht vom Wasserausziehen und wird, wenn der Auszug durch Abdampfen concentrirt worden ist, durch Alkohol in rothen Flocken niedergeschlagen, welche getrocknet eine Rothe Harze. 167 dunkelblutrothe oder kirschrothe Masse bilden, mit einem Stich ins Bräunliche. Alkohol und Aether lassen diese Substanz un- gelöst und färben sieh gar nicht davon. Aetzammoniak löst sie auf mit Verschönerung der Farbe. Säuren verändern seine Farbe in hellrothes Orange. An der Luft bleicht die Farbe aus. Eine genauere Untersuchung dieses so wie der beiden vorigen Körper wäre dem Chemiker sehr zu empfehlen. §. 368. 40. Unter den harzigen rolhen Farbstoffen sind besonders das Draconin, im Drachenblute, das Santalin, im Sandelholze, die Anchusasäure, in den Rindenzellen der Wurzel von Anchusa lincto- ria, und das dunkelrothe Harz in den Drüsenzellen der Blumen- theile von Hypericum perforatum, montanum u. s. w. zu erwähnen. Das Sautaliu ist in den Holzzellen des Stammes von Ptero- carpus santalinus enthalten, die es ganz ausfüllt, in Form einer homogenen dunkelrothen Masse. Auch die Zellenwände sind roth, aber heller, gefärbt und ich vermulhe, dass diese Färbung mehr von einem den Gerbsäuren näher verwandten Körper herrühre. Das Anehusill oder die Anchusasäure ist in den Zellen auf den proteinhalligen Zellenkügelchen abgelagert. Sie umgibt dieselben wie eine Rindenschicht. Aether löst dieselbe vollständig auf, lässt die Kügelchen farblos zurück, während die rothe Aether- lösung sich auf dem Objectträger ausbreitel und die Anchusa- säure nach freiwilligem Verdampfen als ein schön dunkelrolhes unkrystallinisches Harz zurücklässt. Seine Formel ist: C35 IIJ0 08 (Bolley und Wydler ). Alkanuagrün. Wird die Alkannawurzel (Anchusa tinctoria) mit Alkohol ausgezogen und der Auszug eingetrocknel, so erhält man einen schwarzgrünen Rückstand, aus welchem das Wasser einen braungefärbten Körper auszieht. Wird der abermalige Rück- stand mit Wasser so lange behandelt , bis dieses farblos erscheint, so zieht Aether aus demselben eine schöne grün gefärbte Sub- stanz aus, welche nach dem Verdampfen des Aethers zurück- bleibt und von Bolley und Wydler Alkannagrün genannt worden ist. Seine Formel ist: C34 H44 08. Das Hypericumroth ist ein weiches Harz, welches aus den Blumen mit Alkohol ausgezogen werden kann. Man kann es aus den frischen Blüten schon zwischen den Fingern auspressen, welche dadurch eigenthümlich dunkelblutroth gefärbt werden. Es besitzt einen eigenthümlichen würzigen Geruch, welcher jedenfalls von einem ätherischen Oele herrührl. 168 Gelbe, rotlie und §. 369. 41. Das Saffrangclb oder Polychroit in den Narben des Cro- cns sativus ist in Wasser und Alkohol löslich. Es ist im Zellen- safte enthalten. Das Cartliamill kommt mit dem Saflorgelb als orangerolh gefärbter Saft in den Zellen der Blumen von Carthamus tincto- rius vor. Das Flechtcngclb (Parietill), aus Parmelia parietina und an- dern Flechten kann mit Alkohol ausgezogen werden, und kry- stallisirl nach dem Verdampfen desselben in langen glänzenden Blättchen oder in gelben Nadeln heraus. Es ist in der gonimi- schen Zellenschicht enthalten und in den runden Zellen an den Inhalt abgelagert, wie bei grünem Zelleninhalte das Chlorophyll. Durch längeres Kochen mit Wasser löst sich ein Theil auf, der nach dem Erkalten als eine rothe krystallinische Masse sich aus- scheidet. Dieser rothe Körper löst sich in Schwefelsäure, so wie in ätzenden und kohlensauren Alkalien mit rother Farbe auf. Das Parietin wird durch Ammoniak roth gefärbt. Thomson glaubt, dass das Parietin das (harzige) Oxyd eines (hypothetischen) Oeles sei, und ich vermuthe, dass dieses Oel wirklich in den Zellen des Chroolepus iolithus und seiner verwandten Arten vor- komme. Diese Vermuthung gründet sich theils auf den Veilchen- geruch, den die Chroolepusarlen zum Theil besitzen, theils auch darauf, dass man die Oeltröpfchen mit goldgelber Farbe in den Zellen zwischen Proteinsubstanzen liegen sieht, die mit Alkohol und Aelher ausgezogen werden können. Nach freiwilligem Ver- dunsten in einem Uhrgläschen bleibt eine ölig-harzige (balsam- artige) Substanz von orangerother Farbe zurück. Mit der Zeit bleicht die Farbe derselben aus. Diese kleinen wohlriechenden Pflänzchen überziehen fast alle Granit- und Gabbroblöcke des Brockenfeldes im Oberharze, der Alpen, Sudeten und anderer hoher Gebirge mit einer orangerothen Farbe, welche sich auch den Fingern mittheilt, wenn man mit der Hand darüber streicht. Eine genaue Untersuchung dieses Oeles wäre wol zu wünschen. Thomson glaubt nach den mit dem Parietin und dem Parielin- oxyd vorgenommenen Analysen, das Parietinöl durch die Formel C4Ü II16 ausdrücken zu können. Dieses besitzt folgende Oxydalions; stufen: Parietinsäure . . = C40 11, 6 012 (Rochleder und Ileldt). Parietin . . . . = C40 II16 Ou. Parietinoxyd . . = C4U H10 Ol6. grüne Farbstoffe. 169 §. 370. 42. Chlorophyll, Erythrophyll und Xanthophyll, oder Blatt- grün, Blattroth und Blattgelb. Diese drei Körper sind von den gefärbten die wichtigsten, weil von ihnen die Farben der Blätter und zum Theil auch der Früchte, überhaupt der meisten Pflanzen- theile, herrühren. Wenn man die Blätter und Fruchlhäute mi- kroskopisch untersucht, so bemerkt man, dass in den äussern, dem Lichte ausgesetzten Zellen gefärbte Zellenkügelchen enthal- ten sind. Diese hat man im Allgemeinen mit dem Namen Farb- mehl, Chromül, belegt. Die grünen oder rolhen Kügelchen sind nicht der Farbkörper selbst, sondern die Unterlage desselben, der Kern, ist entweder ein Protein- oder Stärkekörperchen, wel- ches mit einer dünnen Wachsschicht bekleidet ist, die zugleich den Träger der genannten Farbkörper bildet. „Chlorophyll- bläschen“, von denen Naegeli spricht, gibt es nicht. Uebergiesst man frische grüne Blätter mit Aether, so zieht derselbe das Chlorophyll mit dem Wachs aus. Wird diese Lö- sung verdampft und der Rückstand wiederholt mit Alkohol be- handelt, die letztere Lösung wieder verdunstet, der Rückstand mit heissem Alkohol gelöst, so scheidet sich beim Erkalten eine Menge Wachs aus, und die davon abfiltrirte grüne Lösung hinter- lässt nach dem Verdampfen eine Substanz, welche man in con- centrirter Salzsäure auflöst und daraus durch Wasser wieder fällt. Der Niederschlag färbt das Wasser beim Auswaschen gelb. Er ist in Alkohol und Aether schwierig löslich, die Auflösung ist schwarzgrün und undurchsichtig. Conccntrirte Kalilauge löst den grössten Theil mit einer schönen grasgrünen Farbe auf und hinterlässt eine schwarze Substanz. Wird die Lösung mit Essig- säure übersättigt, so fällt das Chlorophyll rein nieder. Beim Trocknen scheint dasselbe sich zu verändern und einen mehr hlauen Ton zu bekommen; wenigstens hat die Auflösung des ge- trockneten Chlorophylls in Alkohol eine blaugrüne Farbe. Mit Aether verhält es sich ebenso. Concentrirle Schwefelsäure löst das Chlorophyll mit einer schön grünen Farbe auf; durch Zusatz von Wasser lässt die Auflösung das Chlorophyll wieder fallen. Salzsäure verhält sich ähnlich , nur lässt diese bei der Auflösung eine geringe Menge einer blassgelben Substanz zurück, das Xanthophyll. Doch ist dieser letzte Körper nicht in dem aus .jungen frischen Blättern gewonnenen Chlorophyll enthalten, son- dern erst in dem aus Herbstblättern dargestellten. Das Chlor scheint das reine Chlorophyll in Wachs und einen 170 Chlorophyll. andern feilen Körper zu verwandeln und es wird daraus ersicht- lich, dass das Wachs der grünen Pflanzentheile zum Theil aus dem Blattgrün erzeugt werden kann. An der Luft und im Lichte bleicht das Chlorophyll in getrockneten Pflanzenlheilen aus. Es wird dabei jedenfalls in andere Stoffe zerlegt. Die Annahme, dass das Wachs zum Theil ein Product des Chlorophylls ist, wird durch die Thalsache unterstützt, dass bei den Blättern im Herbste, wenn sie gelb werden, der Wachsgehalt zunimmt. Wenn eine Auflösung des Blattgrüns dem Sonnenlichte aus- gesetzt wird, so färbt sie sich nach wenigen Stunden gelb. Auf dieselbe Weise scheint das Licht auf die grünen Früchte (Birnen u. s. w.) zu wirken, welche in der Beife gelb werden. Mit dem Gelbwerden soll die Wachsbildung aufhören. Das Gelbwerden der Blätter durch die herbstlichen Nachtfröste steht mit der Bil- dung desselben gelben Farbestoffs, des Xantophylls, in Verbindung. Manche Blätter (z. B. von Pyrus) werden durch die Nacht- fröste roth. Diese Veränderung steht mit der Bildung des Ery- throphylls in Verbindung, desselben Körpers, welcher sich aus dem Chlorophyll bei den rothbäckigen Aepfeln und Birnen durch Wärme und Sonnenlicht erzeugt. Dieselbe Substanz färbt auch die Kirschen, Johannis- und Stachelbeeren u. s. w. Das Blallrolh weicht von dem Roth der meisten Blumen ab, welches durch die Reaction der Säuren auf eine blaue Substanz erzeugt wird. Wenn man reines Blattgrün in Salzsäure auflöst und diese Lösung der Einwirkung von Wasserstoff in statu nascenti aus- setzt, indem man ein Stück Zink in die saure Flüssigkeit bringt und die atmosphärische Luft durch ein Gasleitungsrohr absperrt, so ändert sich die grüne Farbe in Gelb um. Wird die Flüssig- keit verdunstet, so wird sie wieder grün, doch nicht so intensiv wie vorher. Wärme verwandelt die grüne Substanz in eine rothe. Mulder, dem ich nächst Berzelias , das Meiste über diese Substanzen entnommen habe, glaubt, dass die gelbe Färbung vieler Pflanzentheile auf einer Desoxydation des Chlorophylls be- ruhe. Diese Umänderung kann gewiss auf ebenso verschiedene Weise bewirkt werden, als die Zuckerbildung aus Stärkmehl (mittelst Säuren, Diaslase, Frost u. s. w.). Ein Mittelding zwischen Blattgelb und Blaltroth scheint der nach Veilchen riechende, orangerothe, harzigölige Körper zu sein, welcher in kleinern oder grossem, zusammengeflossenen oder getrennten Tropfen in den Zellen des Chroolepus iolithus und der verwandten Arten vorkommt. Er lässt sich mit Alkohol aus- ziehen und die Auflösung hinterlässt nach freiwilligem Verdunsten [fii i \ Chlorophyll. 171 eine weiche Substanz, die an der Luft bald ausbleich 1. Wegen Mangels an Material habe ich dieselbe nicht genau untersuchen können. Sie scheint mir ein verharztes ätherisches Oel, eine Art Balsam, zu sein. Manche Chroolepusarten , welche denselben Stoff enthalten (z. B. Chroolepus velulinum und Chr. oleiferum), ändern nach dem Trocknen ihre orangcrothe Farbe in Grün um. (Yergl. §. 569.) Nach Decaisne („Recherches anatom. eL physiol. sur la Ga- rance“, 1837) soll das Xanthin in der Krappwurzel (Bubia tin- ctorum) sich aus Chlorophyll erzeugen. Es ist hiernach höchst wahrscheinlich, dass das Chlorophyll ein sehr veränderlicher Körper ist, der so verschieden ist, wie die Pflanze selbst, und wie die Harze und ätherischen Oele. Das Chlorophyll der Blätter von Populus TremuJa besteht nach Mulder aus C18 HJ8 N., 08. Es kommt also dem Indigblau nahe. Mulder glaubt auch, dass das entfärbte Chlorophyll ein Hydrür sei und sich zu dem gefärbten verhalte wie der weisse Indig zum blauen. Mulder erwähnt auch einer blauen Substanz, welche während der Zersetzung des Blattgrüns sich zeigte, als derselbe reines aus der salzsauren Lösung durch kohlensauren Kalk gefälltes Chlorophyll mit verdünnter Salzsäure auswusch. „Die schwach- saure Lösung enthielt nichts von einem grünen Farbstoff, son- dern war sehr schön indigblau gefärbt. Jener blieb auf dem Filter zurück“. Dass dieser blaue Körper seine Farbe nicht durch Säure ändert, erinnert an das Phykokyan (§. 366). Der Stickstoffgehalt des Chlorophylls, so wie auch der Um- stand, dass die proteinhailigen Körperchen in den Zellen die ge- wöhnlichen Träger des Chlorophylls sind, sprechen dafür, dass dasselbe ein Zersetzungsproduct der Proteinstoffe vornehmlich durch Licht sei. Selbst da, wo das Stärkmehl, wie z. B. bei den Cladophoren und andern grünen Algen, so wie bei den der Luft und dem Lichte während der Vegetationsperiode ausgesetzt ge- wesenen Kartoffeln, mit Chlorophyll überzogen ist, muss eine Umkleidung des Amylons mit Proteinstoffen stattfinden, wie wir später sehen werden. Auch ist bekannt, dass alle frischen Stärke- körnchen aus dem Weizen und den Kartoffeln mehr oder weniger mit einer dünnen Proteinschicht (Kleber) noch umkleidet sind, von der sie nur sehr schwierig (bei der Fabrikation der Weizen- stärke nur durch eine wochenlange Gährung) befreit werden können. Das etwas verschiedene Blattgrün der Flechten haben h'nop und Schnedermann Thallochlor genannt. 172 Farben der Blumen. §. 371. 43. Das Blumenblatt, ßlumcnroth und ßlumengclb sind von allen Farbekörpern diejenigen, welche ihre Farben am leichtesten verändern und am leichtesten durch das Licht oder die Luft aus- bleichen lassen. Ich erinnere an die Glockenblumen, Veilchen, Schwertlilien, Boragineen, Rosen und viele andere bekannte Fa- milien, deren Blumen daher auch oft mit weisser, rother und gelber Farbe abändern. Nur der blaue Farbstoff der Gentianen scheint ein anderer zu sein. Eine solche blaue Blume wird durch Säuren erst violet und dann roth; durch Alkalien erst grün , dann gelb. Die gelbe Farbe der Rosa bicolor wird durch Säuren schön roth; durch Alkalien gehl die rothe Farbe wieder durch Violet, Blau und Grün in Gelb über. Bei den Schwertlilien, Glockenblumen , Veilchen, Paeonien, Klatschrosen, Malven, Cactus, den blauen Heidelbeeren, Holun- derbeeren, dem Rothkohl und vielen Andern kommen dieselben Erscheinungen vor. Alle diese Farbekörper besitzen gewiss einen gemeinsamen Grundstoff, welcher durch die im Zellensafle vor- herrschend saure oder alkalische Reaction seine Farbe erhält. Es ist bekannt, dass man die Blumen der Hortensien am leben- den Stocke schön blau machen kann, wenn man Eisen in dem Wasser auflöst, womit man die Stöcke begiesst. Die Blumen vieler Boragineen sind beim Aufbrechen roth, dann violet und zuletzt blau. Myosotis versicolor hat zuerst gelbe, dann rothe und zuletzt blaue Kronen. Der färbende Slot! ist hier meist in der Zellenflüssigkeit gelöst und füllt die ganze Zelle aus. Er kann mit Wasser und Weingeist ausgezogen wer- den. Man hat ihn nicht in Krystallen erhalten und kennt auch seine Zusammensetzung nicht. Ueber seine Entstehung aus Chlorophyll könnte die Berei- tung des blauen Farbestoffs aus Crozophora tincloria einigen Aufschluss geben. Die meisten Blumenblätter enthalten in der Knospe Chlorophyllkörner und sind grün; man findet dann beim Aufbrechen der Blumen öfters noch grün und anders gefärbte Kügelchen in den Zellen, die aber zuletzt immer im Zellensafle zerfliessen und dann die Zelle mit farbiger Flüssigkeit erfüllen. Bei Crozophora tincloria scheint sich die blaue Substanz auch erst durch Einwirkung von Luft und Ammoniak auf Chlorophyll zu bilden (Liebig). Man bereitet aus dieser Fflanze im südlichen Frankreich die blauen Bczellen und Tournesol, indem man den Saft derselben dem Dunste faulenden mit Kalk vermischten Fruchtsäuren. 173 Urins und der Luft ausselzt, bis er die blaue Farbe ange- nommen. §. 372. 44. Die Fruchtsäliren. Diese Bezeichnung ist zwar für die Gruppe der hier in Betrachtung kommenden Säuren unzulänglich, sie ist aber einmal vielfach in Gebrauch und mag schon desshalb genügen, weil wir keine bessern in Vorschlag bringen können. Auch mag es gestattet sein, neben den eigentlich sogenannten Fruchtsäuren, noch andere mit in die Erörterung hinein zu ziehen. Wir haben es zunächst zu thun mit der Weinsäure und Traubensäure = C4 H4 0.. Aepfelsäure = C4 H, 04. Citronensäure = C12 HIn Oir Aconitsäure, Equisetsäure , Fumarsäure, Flechtensäure . = C4 H, Or Ameisensäure = C2 H2 03. Essigsäure = C4 H6 03. Alle diese Säuren kommen theils allein, theils mehr oder weniger mit einander vermengt in dem Zellensafte vor. §. 373. Die AYeinsäurc findet sich in den Weintrauben, Pflaumen, Tamarinden, Ananas, Pfeffer, Maulbeeren, im Sauerampfer, der Rhapontica (Rheum rhaponticum), Agave americana, den Quecken (Triticum repens), dem Löwenzahn, in der Krappwurzel, den Kartoffeln, und in Verbindung mit Kalk in den Knollen von Helianthus luberosus, den Früchten von Rhus typhinnm, der Krappwurzel, dem Quassiaholze und der Meerzwiebel. Auch in den zuerst genannten Pflanzen ist sie wol zum Theil mit Kali und andern Basen verbunden, doch aber meist frei, und verursacht dann den sauren oder säuerlichen Geschmack. Die Traubensäure ist wol nur in der Krystall- nicht in der Stoffform von der Weinsäure verschieden. Sie verhalten sich demnach zu ein- ander wie der Graphit und Diamant. ' §. 374. Die Aepfelsäure. Sie findet sich nicht bloss in den Aepfeln, sondern in vielen sauren und säuerlichen Früchten und andern Pfianzentheilen, aber nie allein, sondern gewöhnlich in Begleitung von Weinsäure und Citronensäure. Donavan’s acide sorbique, m Fruchtsäuren. welche in den Früchlen von Sorbus aucuparia enthalten ist, ge- hört auch zur Acpfelsäure. §. 375. Die (Zitronensäure. Die oben angegebene Formel ist nach der Säure bestimmt, wie sie im cilronensauren Silberoxyd ent- halten ist. Die Formel der hei 100" getrockneten Säure ist: Cl2 Hj0 On -f 3 Hs 0. — Wird, die Auflösung im Wasser in der Wärme abgedampft, so schiessen in der Kälte Ivrystalle an, welche aus Ci -f- 4 aq. bestehen; wird dagegen die Auflösung bei ge- wöhnlicher Temperatur (+ 16°) der freiwilligen Verdampfung überlassen, so schiessen Krystalle an, welche aus Ci + 5 aq. bestehen. Sie kommt, wie die vorigen, theils frei, theils an Basen gebunden im Zeilensafte vor und findet sich neben den- selben besonders reichlich in den Citronen- und Pomeranzen- früchten, den Stachel- und Johannisbeeren, den Kirschen, den Beeren von Vaccinium Myrtillus, Vitis idaea, Oxycoccos, den Hagebutten und Bosenäpfeln, den Früchten mehrerer Solanum- arten, Crataegusarten, den Erdbeeren, Brombeeren und Him- beeren, im spanischen Pfeffer (Capsicum annuum), in der Hasel- wurz (Asarum europaeum), den Zwiebeln, dem Waid, Aconitum Lycoctonum, Helianthus tuberosus u. v. a. Wenn eine verdünnte Auflösung der Citronensäure in Wasser längere Zeit hingestellt wird, so bildet sich Hygrocrocis acida [Kg. Sp. Alg., p. 150) und die Säure zersetzt sich in Essigsäure und andere nicht genau ermittelte Producte. Aehnlich verhalten sich auch die vorigen Säuren. Durch hohe Temperatur zerfällt die krystallisirte Säure unter Abgabe ihres Krystallwassers in 1 Aeq. Aconitsäure . . . . = C4 H4 04. 4 » Kohlenoxyd = C4 04. 1 » Aceton = C3 H6 0- 1 » Kohlensäure . . . . = C Or Wasserleere Citronensäure . = C,, H^ Oir §. 376. Die Säuren, welche man Aconitsäure, Equisetsäure , Fumar- säure, Flechtcnsäure genannt hat, sind ihrer Zusammensetzung nach ganz identische Säuren; auch die Maleinsäure und Para- Hialcinsäure gehören dazu. Dass durch Erhitzen die Aepfelsäure zersetzt wird, hatte schon Braconnot 1818 uachgewiesen. Er nannte das Zerselzungsproduct Brenzäpfelsäure. Erst in neuerer Fruchtsäuren. 175 Zeit wurde diese genauer untersucht und es ergab sich, dass dieselbe aus zwei Säuren bestehe, deren eine, welche sich ver- flüchtigt, von Pelouse Maleinsäure, die andere aber, welche zu- rückbleibt, Paramaleinsäure genannt wurde. Bald darauf aber zeigte Demargay , dass die letztere mit der Fumarsäure identisch sei und S choedler wies gleichfalls nach, dass die Flechten- oder Lichensäure, welche früher von Pfaff in der Cetraria islandica entdeckt worden war, hierher gehöre. Diese Säure ist im Erd- rauch (Fumaria officinalis) an Kalk gebunden, in der Cetraria islandica an Kalk und Kali; sie ist auch im Glaucium luteum reichlich enthalten. Aepfelsaure Salze werden durch Erhitzung in fumarsaure Salze verwandelt. Die wasserhaltige Fumarsäure krystallisirt in weichen glimmerartigen Blättchen oder in blumen- kohlartigen Gruppirungen. Sie schmeckt und reagirt stark sauer, wie alle vorgenannten Säuren. Die Equiselsäure, Aconitsäure und Maleinsäure sind mit der Fumarsäure isomer, sie scheinen in einem ähnlichen Verhältnis zu einander zu stehen, wie die Weinsäure zur Traubensäure. Die Equisetsäure ist in dem Safte der Schachtelhalme mit Kalk und Talkerde, im Safte von Aconitum Napellus (und wahr- scheinlich noch anderer Arten) meist an Kalk gebunden. Sie kann aber auch noch durch Erhitzen der Citronensäure erhalten werden, wie wir schon gezeigt haben. §. 377. Die Ameisensäure ist bisher nur in sehr geringer Menge in den Pflanzen aufgefunden worden. Sicher ist sie in den Hülsen der Ceralonia Siliqua neben der Buttersäure nachgewiesen; ihre Anwesenheit in den Brennhaaren der Urticeen ist nach den Un- tersuchungen von Gorup - Besanez sehr wahrscheinlich gemacht worden (Erdm. Journ., 1849, No. 18, 19). Sie kann durch Destil- lation des Zuckers, Amylons und anderer organischer Stoffe mit Schwefelsäure und Manganhyperoxyd dargestellt werden. Ihre Zusammensetzung C2 1I2 03 entspricht 2 CO + 1I2 0, in welche beide Körper sie auch zerfallt, wenn sie mit einem Ueberschuss von Schwefelsäure erwärmt wird. §. 378. Die Essigsäure ist vielleicht nicht so häufig in den Pflanzen verbreitet, als man früher anzunehmen geneigt war. In vielen Pflanzensäften, wo man sie nachgewiesen hatte, war sie erst nach dem Ausfliessen gebildet. Nach Becquerel ist sie bei der Ent- 176 Entstehung der Fruchtsäuren. Wickelung des Embryo vorhanden („Annal. d. Cliim.“, Mars 1855). Mil Kalk verbunden ist sie in der Betelnuss enthalten (De Candolle). §. 379. Ueber die Entstehung der ersten Säuren bat Liebig interes- sante Combinationen geliefert, welche ich hier zu erwähnen nicht unterlassen kann, obschon dieselben nur die Möglichkeit, nicht die Gewissheit über deren Bildung darthun. Liebig leitet ihre Entstehung von der Kohlensäure ab. Diese wrird den Pflanzen aus der Atmosphäre sowol, als aus dem Boden als Nahrungsmittel in Vereinigung mit Wasser u. s. w. zugeführt. Die Gegenwart von Basen und Licht kann aus Kohlensäure C02 Kleesäure C2 0, entstehen lassen. 12 Aeq. C02 verlieren dabei den vierten Theil ihres Sauer- stoffs, der in Gasform entweicht. c„ 0„ - 0. = C„ 0„ = 6 Cs 0,. Aber die wasserfreie Oxalsäure (C, OJ kann nicht existiren. Auf 1 Aeq. dieser Säure kommt daher noch 1 Aeq. Wasser. 1 Aeq. Kleesäurehydrat (C2 03 -f- H2 0) enthält aber so viel Sauer- stoff als 2 Aeq. Kohlensäure (2 C02). Daher kann man sich das Oxalsäurehydrat auch entstanden denken aus Kohlensäure, welche in ihre Zusammensetzung 2 Aeq. Wasserstoff aufgenommen hat. Wenn nun bei weitern chemischen Bewegungen aus der Oxalsäure neue Mengen Sauerstoff ausscheiden, so entstehen Weinsäure oder Aepfelsäure, z. B. 6 C2 03 + H2 0 oder C12 H12 024 — 09 = C12 H12 015 = 5 Aeq. Weinsäure. C,2 H12 024 — 012 = G12 H12 0)2 = 5 Aeq. Aepfelsäure. Gibt die letztere nur 1 Aeq. Wasser ab, so entsteht Cilronen- säure, gibt sie 3 Aeq. Wasser ab, so bildet sich Fumarsäure u. s. wr. C12 HIt 012 — H2 0 = C12 H10 On = 5 Aeq. Citronensäure. C12 H12 012 — 5 H2 0 = C12 H6 09 = 3 Aeq. Fumarsäure. Betrachtet man nun ferner die Weinsäure, Citronensäure und Aepfelsäure als Verbindungen der Oxalsäure mit Zucker, Cellulose u. s. w., oder deren Elementen, nämlich: Weinsäure Oxalsäure Traubenzucker 2 C12 HI2 0I5 = CJ2 0I8 + Clt H24 012 so leuchtet ein, dass hiernach bloss das Ilinzutreten von Wasser- stoff nötliig ist, um aus den genannten Säuren den Zucker, das Amylon, Pectin, Gelin, Bassorin u. s. w. entstehen zu lassen. Bei diesem Uebergang werden aber die Alkalien, die mit der Säure verbunden waren, wieder frei, wodurch sic in den Stand fV* i fc • Bernsteinsäure. m gesetzt werden, ihre Rolle zur Bildung der Fruchtsäuren aus CO., und C2 03 aufs Neue zu beginnen. Auf diese Weise könnte 1 Äeq. Alkali hinreichen 10 — 100 Aeq. Kohlenstoff in die Be- standtheile der Pflanze überzuführen und dasselbe wäre sonach der salpetrigen Säure hei der Bildung der Schwefelsäure einiger- maassen vergleichbar. Der chemische Process in der Pflanze bildet den Gegensatz zu dem gewöhnlichen. Hier gehen Oxalsäure, Weinsäure, Ci- tronensäure, Zucker, Stärke, Inulin u. s. w. durch Berührung mit Kali in höherer Temperatur in Kohlensäure über und zwar in Folge einer Abscheidung von Wasserstoff und der Bindung von Sauerstoff. Beim organisch- chemischen Processe des Pflanzenlebens wird die Kohlensäure in Oxalsäure, Weinsäure, Citronensäure, Zucker u. s. w. durch Berührung mit Kali in mittlerer Tempera- tur übergeführt, in Folge der Bindung von Wasserstoff und der Abscheidung von Sauerstoff. Weil die Wein- und Citronensäure sich bei Gegenwart eines Alkali ohne Gasentwickelung schon bei + 200" in Oxalsäure spal- tet, während die andern Elemente zu Essigsäure zusammentreten, welche im wasserfreien Zustande wenigstens sehr nahe die Ele- mente im Verhältnis der Zellenfaser enthält, so hat diese Vor- stellungsweise zu der Annahme fertig gebildeter Oxalsäure in der Weinsäure geführt; „jedenfalls sind ihre Elemente darin neben denen eines zweiten Körpers zugegen , welcher wie Zucker, Gummi und Holzfaser als eine Verbindung von Kohlenstoff mit Wasser betrachtet werden kann“ (Liebig). Dieser letzte Schluss Liebig’s ist jedenfalls etwas voreilig, denn die Annahme, dass die „Holzfaser“ eine Verbindung des Kohlenstoffs mit Wasser sei, kann durch gar Nichts gerechtfer- tigt, noch weniger aber bewiesen werden, sie ist rein willkürlich. §. 380. 45. Bernsteinsäure, Benzoesäure und Coumarin. Die Formel der Bernsteinsäure ist C4 H4 03 — S”. Ausserdem existiren von ihr zwei Hydrate 1) 2 S" + H2 O. 2) S~ -J- H2 0. Sie ist in den Harzen mehrerer Zapfenbäume fertig gebildet enthalten und kann auch künstlich durch Einwirkung der Salpetersäure auf Stearinsäure (Bromeis), Wachs (Bonald), und Kork (Mitscherlich) erzeugt werden. Nach Chevalier kommt sie auch in altem, sehr sauer reagirenden ätherischen Oele der Frucht von Cuminum Cyminum vor. Wird eine Auflösung des Asparagins , welches auch Kützing, Philosophische Botanik. I. 12 178 Coumarin. in den Wicken vorkommt, mit Wickensaft in Gährung versetzt, so verwandelt sich ersteres in bernsteinsaures Ammoniak, indem es 4 Acq. Wasserstoff und 2 Aeq. Sauerstoff aufnimmt. Durch Untersalpetersäure kann dagegen das Asparagin in Aepfelsäure verwandelt werden (Piria). Die Benzoesäure hat schon oben (§. 359) einmal Erwähnung gefunden. Hier soll nur noch bemerkt werden,, dass sie in den Pflanzen vielfach fertig gebildet angenommen wurde. Sie wird als ein häufiger Begleiter wohlriechender Harze, Balsame, ätheri- scher Oele und anderer Stoffe angegeben, z. B. in der Benzoe, dem Storax, Perubalsam, der Vanille, im chinesischen Firniss, in den Tonkabohnen (Dipterix odorata), im Steinklee (Melilolus officinalis , dentata u. a. A.) , Ruchgras (Anthoxandum odoratum), Holcus odoratus. Doch hat sich die Säure im Storax, Peru- balsam als Zimmtsäure erwiesen und den Körper, welchen Vogel aus Anlhoxanthum odoratum und Holcus odoratus erhielt und für Benzoesäure erklärte, erkannte Guibourt für einen eigentümli- chen Stoff, den er Coumarin (von Coumarouna Aubl. = Dipterix odorata Schreb.) nannte. Man kann diesen Stoff aus den Tonka- bohnen, den wohlriechenden Gräsern und den Blumentrauben des Steinklees durch Extraction mit Aether oder Alkohol, so wie auch durch Destillation erhalten. Er gehört zu den Kamphor- arten, bildet weisse glänzende Krystalle von angenehmem gewürz- haften Geruch und schmilzt bei -j- 50". Seine Formel ist C18 H14 04 (Delalande). Er ist auf der einen Seite ebenso mit der Cinnamyl-, als auf der andern mit der Benzoyl- und Salicylreihe verwandt; denn Cinnamyl = C18 H14 02. Zimmtsäure . . . . = C18 H)4 04. Coumarin = C]8 Hi4 04. Coumarinsäure . . = C18 H14 06. Durch Einwirkung des Kali auf Coumarin entsteht auf nassem Wege coumarinsaures und durch den Schmelzprocess salicylsau- res Kali. Die Salicylreihe ist folgende: Benzoyl — CI4 H10 02. Benzoesäure . . . — C14 HI0 0r Salicyl = Cr4 H10 04. Salicylsäure ....== C14 H10 0^. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Coumarin einen ziem- lich weit verbreiteten Bestandtheil der Futtergräser und einer Anzahl Futterkräuter ausmacht und dass damit die Bildung der 179 Organstoffe. Ilippursäure im Harn der kräuterfressenden Thiere im Zusammen- hänge sieht. Stoffformen, welche niemals in Krystallformen Vorkommen und nur bei einer Temperatur bis zu + 130° bestehen können. §. 381. Alle bisher genannten Stoffe zeigen mehr oder weniger Nei- gung, in Krystallformen einzugehen, so dass wir keine Gruppe be- trachtet haben, in welcher nicht wenigstens die eine oder andere besondere Art in Krystalfen erschiene. Bei den folgenden Ver- bindungen finden wir die Stoffe entweder in massigen oder orga- nischen Formen. Zu den massigen Formen gehören der Schleim, die Gallert und diejenigen, welche wir wegen ihrer besondern Härte hornartig, knöchern und steinern nennen. Alle diese Formen sind nicht Stoff- sondern Körperformen. Aber man hat das nicht bisher beachtet und den Pflanzenschleim und Pflanzen- gallert als Stoffe behandelt, wodurch eine grosse Verwirrung in die Bestimmung derselben gebracht worden ist. Es gibt bloss zwei Wege, die hierher gehörigen Stoffe genau von einander zu unterscheiden, nämlich 1) die Analyse zur Er- mittelung der chemischen Formel. 2) Die Reaction anderer Stoffe auf die in Rede stehenden. Auf irgend eine andere Weise kann kein Stoff sicher bestimmt werden. Es hat das aber weder ein Chemiker noch ein Physiolog bisher beachtet. Ueberall finden wir Stoffe als Schleim, Gallert, Stärkmehl u. s. w. in einer Weise behandelt, wie man nur die Körperformen behandeln darf. WTir bringen die hierher gehörigen Stoffformen in zwei Haupt- gruppen, in stickstofffreie und stickstoffhaltige (§. 411). a) Stickstofffreie Organstoffe. §. 382. Die hierher gehörigen Stoffe bestehen aus Kohlenstoff, Wasser- stoff und Sauerstoff und zerfallen wieder in die Pectinreihe und Cellulosereihe (§. 387). 46. Pectinreihe. Frdmy , dem wir die genauesten und besten Arbeiten über diese Gruppe verdanken, nimmt an, dass ihre 12 * 180 Pectinreihc. Glieder von einem Molekül abzuleiten sind, dessen Formel = C8 H10 07 ist. Die Glieder, welche Primy aufgestellt hat, sind folgende: 1. Pectose. 2. Pectin = Gfi4 II80 Oi6, 8 aq. ( Frdmy). 3. Parapeclin , . . = CB4 HBÜ 0BO, 8 aq. » 4. Metapeclin ....== C64 H8() Oi6, 8 aq. » 5. Pectosinsäure . = C32 H4U 028, 3 aq. » 6. Peclinsäure. . . = C32 H40 0 28, 2 aq. » 7. Parapectinsäure = C24 H30 021, 2 aq. » 8. Melapectinsäure = C8 H10 07, 2 aq. » Die Pectose ist ein neutraler Körper. Das Pectin eben- falls, aber No. 3 besitzt schon die Eigenschaften einer schwachen Säure. Noch mehr tritt der saure Charakter bei den folgenden Gliedern hervor und diese Eigenschaft nimmt zu, je mehr sie sich von dem Pectin entfernen. Das Para pectin ist zwar auch neuLral, aber es fallt neu- trales essigsaures Bleioxyd, welches beim Pectin nicht der Fall ist. Das Bleisalz enthält nur 10,6 p. C. Oxyd. Das Metapectin fängt an auf Lackmuspapier zu reagiren; das Bleisalz enthält 19,4 p. C. Oxyd. Die Pectosin- und Pectin säure reagiren auf Lackmus- papier wie Säuren und kommen in Galiertform vor; ihre Blei- salze enthalten 33,4 bis 35,8 p. C. Oxyd. Die Parapectinsäure ist löslich, sehr sauer und bildet ein Bleisalz mit 40,5 p. C. Oxyd. Die Metapectinsäure ist ebenso stark wie die oben ge- nannten Fruchtsäuren (Aepfel-, Wein-, Citronensäure u. s. w.); ihr Bleisalz enthält 67,2 p. C. Oxyd. §. 383. So stellt sich nun durch diese Mitlheilungen heraus, dass die Peclinreihe mit einem indifferenten Körper beginnt und mit einer starken Säure schliesst, ähnlich der Dextrinreihe, welche mit der Milchsäure endigt. Man sieht ferner, dass alle Glieder durch Verdoppelung der Grundform C8 H10 07 und durch Aufnahme von entsprechenden Wasseräquivalenten in dieselbe gebildet wer- den. Sie unterscheiden sich also nur durch den Wasser-, nicht Sauerstoflgehalt. Diese Ansicht wird durch den Versuch Fremy’s bestätigt, welcher Pectin mit Pectose in ein hermetisch verschlos- senes Gefäss brachte. Nach und nach gingen jene Körper durch alle Glieder von selbst in Metapectinsäure über, ohne andere Pectinreihe. 181 Producte dabei zu erzeugen. Wichtig ist dabei noch der Um- stand, dass die Sättigungscapacität dieser Körper zunimmt, je mehr sie sich vom Pectin entfernen. §. 384. Es geht aus allen diesen Versuchen und Beobachtungen her- vor, dass das Pectin, von welchem auch noch gar nicht darge- than ist, dass es durch Säuren oder auf andere Weise in Zucker übergeführt werden könne, nicht mit dem Gummi, Dextrin und der sogenannten Cellulose in dieselbe Reihe gestellt werden darf, und namentlich mit denselben gar nicht isomer ist, weil es we- niger Wasserstoff enthält. Dies wird nicht nur durch die Frd- my’sche Analyse dargethan, sondern auch durch die Analyse der Pectinsäure von Regnault (— C)2 Hu O]0 [im Silbersalz], oder C]2 H16 On [die getrocknete Säure]) und Mulder (= C12 Hl6 O10). Auch ist noch der wichtige Umstand zu beachten, dass das Pectin sich durch die schwächsten Agentien , wie der verdünnten Säu- ren und selbst des siedenden Wassers verändert, wobei die Cellulose unverändert bleibt. §. 385. Neben den oben genannten Körpern der Pectinreihe kommt aber noch einer vor, welchen Frdmy Pectase nennt. Wie die Diastase neben dem Amylon in der keimenden Gerste enthalten ist und die Verwandelung desselben veranlasst, so wird die Um- änderung des Pectins in den Pflanzenzellen durch die Pectase bewerkstelligt. Frdmy vergleicht diese Umänderungen mit der Milchsäuregährung. §. 386. Alle diese genannten Stoffe sind in den verschiedenen Früch- ten (Aepfeln, Birnen, Pflaumen, Kirschen u. s. w.) und saftigen Wurzeln (Mohrrüben, Runkelrüben) und vielleicht in allen sehr saftigen Zellen enthalten. Die Pectose ist besonders in den Parenchymzellen der un- reifen Früchte, der Möhren und Runkelrüben enthalten; sie soll nach Frdmy den unreifen Früchten ihre Härte ertheilen und sich während des Kochens oder des Reifens derselben in Pectin ver- wandeln. Dieses ist im reinen Zustande immer gummiartig und bildet bei seiner Auflösung in Wasser keine Gallert. So wie es die letztere Form annimmt, ist es in Parapectin umgewandelt. In unreifen Früchten soll kein Pectin enthalten sein; letzte- res und das Parapectin sind aber häufig in reifen Früchten ent- 182 Cellulosereibe. halten. Ist jedoch die Frucht überreif, wie z. B. die teigigen Birnen, so findet man häufig keine Spur mehr von Pectin, son- dern dasselbe ist in Metapeclinsäure verwandelt, welche mit Kali oder Kalk gesättigt ist. Die Metapectinsäure kommt auch in der Büben- und Rohrzuckermelasse vor; sie ist gallertartig oder schleimig, aber löslich in Wasser und durch Alkohol nicht daraus fällbar. Diese Verwandlung schreibt Fremy ebensowol den Frucht- säuren als der Pectase* in den Früchten u. s. w. zu. Diese letztere kommt in den Pflanzen in zwei Zuständen, einem lösli- chen und unlöslichen, vor und kann aus dem Zellensafte durch Alkohol ausgeschieden werden. Ausserdem können aber die verschiedenen Säuren dieser Reihe auch durch Einwirkung der Basen auf Pectin erzeugt wer- den ( Erdrn . Journ. d. Chemie, 1848, No. 23 und 24). Die. künstliche Pectinsäure von Sacc, welche derselbe durch Kochen des Fichtenholzes mit Säuren erhielt, gehört nicht hierher, sondern zum Bassorin (§. 406), was auch aus der Zu- sammensetzung (= C14H24 013) hervorgeht ( Erdm . Journ., 1849, No. 7). §. 387. Die Celllllosereihe wird durch eine Gruppe von Stoffen ver- treten, welche durch die Grundformel = Cü Ila 04 ausgedrückt werden können. Alle hierher gehörigen Körper nehmen grössere oder kleinere Mengen Wasser auf, das sie mehr oder weniger fest zurückhal- ten. Von diesem Wasser ist ein Theil chemisch gebunden und dieser Theil bewirkt den chemischen Unterschied der Körper. Ein anderer Theil ist nur lose damit vereinigt und lässt sich meist durch Trocknen bei -+- 130° entfernen. Sie quellen alle mehr oder weniger durch die Wasseraufnahme auf; viele werden dadurch weicher (knorpelig, gallertartig), manche lösen sich so- gar in Wasser auf und machen es schleimig. Einige bleiben aber auch fest und hart. Die vom Wasser aufgelösten Substanzen der Cellulosereihe gehen durch den Einfluss von Luft, Wärme und besonders der Proteinkörper in eine saure Gährung über, wobei Essigsäure und zuletzt Milchsäure gebildet wird. Werden die hierher gehörigen Substanzen mit verdünnter Schwefelsäure ge- kocht, so verwandeln sie sich wie der Rohrzucker in Trauben- zucker, indem sie noch eine Anzahl Wasseräquivalente chemisch binden. Diese Umwandelung kann zum Theil auch durch die Einwirkung der proteinhaltigen Stoffe bewirkt werden. Bei län- Amylgruppe. 183 gerer Einwirkung von Luft und Feuchtigkeit werden sie in Ulmin und Ilurain (§. 414) verwandelt. Durch Einwirkung der Salpeter- säure zerfallen sie in Oxalsäure und Wasser. Manche bilden erst Schleimsäure. Die Cellulosereihe zerfällt in zwei Gruppen: 1) Die Amylgruppe. 2) Die Inulingruppe. §. 388. 47. Die Amylgruppe (Dextringruppe) ist daran kenntlich, dass ihre Glieder durch Jodintinctur blau, violet oder amethystroth gefärbt werden. Diese Färbung entsteht entweder unmittelbar oder mit Hilfe der Schwefelsäure. Die Substanzen dieser Gruppe drehen (alle?) die Ebene des polarisirten Lichtes nach rechts. Ihre Glieder sind folgende: Amyl . = C12 HJ0 0,0 (Berzelius). Gelin . = C]2 H20 OI0 (Payen und Mitscherlich). §. 389. Amyl. Das Amyl erscheint in verschiedenen Körperformen, besonders in denen, welche man Amylon genannt hat. Die Betrachtung der verschiedenen Amylonformen folgt im III. Buche. Hier wollen wir nur untersuchen, wie der im Amylon enthaltene Stoff, den ich Amyl (Stärkestoff) nenne, sich gegen Reagentien verhält, lm kalten Wasser scheint es ganz unlöslich, im kochenden Wasser vertheilt es sich jedoch so, dass es darin aufgelöst zu sein scheint. Aber mit dem Erkalten scheidet es sich in Flocken aus, welche durch reines Wasser getrennt sind. Von dieser Thatsache kann man sich überzeugen, wenn man eine solche amylhaltige Flüssigkeit mit Jodintinctur versetzt, welche alle Amyltheilchen blau färbt, während die übrige Flüs- sigkeit farblos bleibt. Wird eine trockne Amylsubslanz mit Jodin- tinctur benetzt, so färbt sie sich ebenfalls blau. Ist die Tinclur sehr verdünnt, so ist die Färbung nur schwach blau, eine amyl- haltige Flüssigkeit ebenfalls, bisweilen geht diese Färbung ins Violette über. Concentrirle Jodinlösung färbt jedoch die Amyl- substanzen tief dunkelblau. Sie erscheinen in grossem Massen sogar schwarzblau. In Alkohol, Aether und allen Oelen ist das Amyl unlöslich und bleibt unveränderlich. Man hal die Wirkung des Jodins auf Amyl der Bildung einer chemischen Verbindung zugeschrieben, die man „Jodstärkmehl“ genannt. Wenn man Jodin auf Stärkmehl oder Amylon einwirken lässt, so behält das- 184 Amijl. selbe seine ganze Slructur. Dasselbe ist auch der Fall mit andern Amylkörperm Dieses Beibehalten der Körperform, während sich die StoflTorm verändert, ist bei unorganischen Körpern bisher wenig beobachtet worden, wesshalb Manche die Reaction des Jodins auf Amyl auch nicht als Folge einer Sloffveränderung wol- len gelten lassen. Dazu kommt noch, dass die Jodinverbindung nur vorübergehend, nicht constant ist, weil die sogenannte „Jod- stärke“ durch blosses Liegen1' in der Luft oder im Wasser das Jodin durch Verdunsten verliert und dadurch wieder farblos wird. Noch schneller entweicht das Jodin in der Wärme oder durch Kochen der wässerigen Jodamylflüssigkeit. Auch durch Alkohol und Aether kann dem Jodamyl alles Jodin entzogen werden, weil in beiden Flüssigkeiten das Jodin löslich, das Amyl aber un- löslich ist. Alle diese Erscheinungen haben manche Physiologen zu der Annahme geführt, dass das Jodin hierbei keine chemische Verbindung eingehe, sondern in die Zwischenräume des Stärke- gewebes nur mechanisch eindringe, wie die Tinte in die Haarröhr- chen des Löschpapieres. Dabei werde das Jodin sehr fein vertheilt und nehme die ihm eigentümlichen Farben an, welche es im fein verteilten Zustande besitze. Diese Annahme wird allerdings dadurch unterstützt, dass die Jodindämpfe, je nachdem man sie in dickem oder dünnem Massen besieht, mit violeter oder rother Farbe erscheinen. Sie wird ferner noch dadurch unterstützt, dass manche Stärkesorten (z. B. bei Furcellaria und andern Meeresalgen) nur amelhystroth, violet oder braunviolet gefärbt werden. Dieses Alles würde, wenn das Jodamyl keine chemische Verbindung wäre, dadurch seine Erklärung finden, dass die Körper- poren dieser Körper eine verschiedene Grösse hätten und man könnte aus der Farbendifferenz wieder auf eine verschiedene Structur des Amylgewebes (d. i. des Amylons) schliessen. Diese Ansicht hat allerdings viel für sich und wäre sie richtig, so wür- den jedenfalls alle Substanzen, welche wir hier unter der Cellu- losereihe zu betrachten haben, nur von einem und demselben Stoffe gebildet werden. Aber es ist dabei auch noch Folgendes zu bedenken. 1) Das Goldoxyd gibt seinen Sauerstoff in der Wärme und im Lichte ebenso schnell ab, als das Jodamyl sein Jodin. 2) Im Torfe, wo die organischen Körperformen bis in die kleinsten Theilc erhalten sind, ist mit Sicherheit die chemi- sche Veränderung der Zellen- und anderer Substanzen in Ulmin und Ilumin vor sich gegangen. Hier sowol als noch bei andern organischen Substanzen, z. B. Schiessbaumwolle, die gefärbten Zeuge u. s. w. , liegt der sicherste Beweis vor, dass organische / Amyl. 185 Formen ihren Stoff verändern können, ohne dass diese Aende- rung einen Einfluss auf die Körperform ausübt. Es ist dies eine sehr wichtige Thatsache, welche zum Theil den Unterschied der organischen Körper von den unorgani- schen mit bedingt ’). Diese Thatsachen beweisen daher nicht zu Gunsten der An- nahme, welche die Reaction des Jodins auf Amylon nur als Folge einer mechanischen, keiner chemischen, Verbindung ansehen will; auch kann man noch den Umstand mit in Anrechnung brin- gen, dass das Jodin bei feiner Vertheilung wol in violeler und rother, aber nicht in blauer Farbe erscheint. Endlich erlheilt ja das grüne Kupferoxyd den Kupferoxydsalzen auch eine grüne Farbe, ohne dass man hier diesen Umstand als einen Mangel an chemischer Durchdringung bezeichnet, und so noch in vielen andern Dingen. Dieses Alles gegen einander gehalten, hat mich bewogen, das Amyliodid als eine chemische Verbindung anzu- sehen und die Reaction des Jodins als ein Mittel, das Amyl in seinen Modificalionen ebenso zu erkennen, wie mehrere der ver- schiedenen Gerbsäuren durch Eisenoxydsalze unterschieden werden. §. 390. Die Zersetzungsproducte, welche das Amyl bildet, sind je nach den dabei ins Spiel kommenden andern Stoffen verschie- den. Wenn gewisse Amylsubstanzen, z. B. Stärkmehl mit Was- ser gekocht werden, so entsteht daraus eine schleimige und nach dem Erkalten mehr oder weniger gallertartige Masse, die als Kleister bekannt ist. Wenn der Kleister mehrere Tage lang mit Wasser gekocht wird, so erhält man eine gummihaltige bitter- schmeckende Auflösung und einen gallertartigen unlöslichen Rück- stand (Vogel). Dieser Vorgang beweist, dass das Amyl in einen bittern Stoff verwandelt werden kann. Es kann aber auch in einen süssen, den Traubenzucker ver- wandelt werden und zwar hauptsächlich durch Einwirkung protein- haltiger Substanzen. Die Amylsubstanzen , namentlich das Amylon sind von einem Proteingewebe häufig umgeben, dessen Bildung im dritten Buche genauer abgehandelt werden wird. Von dieser Umgebung ist das Amylon schwer zu trennen, wesshalb man an- nehmen kann, dass sie in dem Kleister, der von Stärkmehl ge- wonnen worden, wenn auch in sehr geringer Menge, vorhanden sind. Lässt man nun diesen Kleister in kleinen Portionen an der Luft liegen , so trocknet er zu einer harten etwas hornarli- 186 Annjl. gen Substanz ein. Lässt man aber eine grössere Quantität in einem Gelasse ruhig stehen, so wird er nach und nach dünn- flüssig, nimmt einen süssen Geschmack an, welcher von der Bildung des Traubenzuckers herrührt, und wird zuletzt sauer. Die Säure ist Essigsäure, zuletzt aber Milchsäure. Je mehr proteinhaltige Substanz der Kleister enthält, um so schneller zeigen sich diese Veränderungen. Sie kommen auch noch in saftigen amylonhalligen Pflanzenlhcilen vor, wenn dieselben (wie z. B. die Kartoffeln) dem Frost ausgeselzt werden. Es scheint eine organische (keine chemische) Verbindung des Amyls mit einem Proteinkörper vorhanden zu sein, welche man sich so vor- zustellen hat, dass der letztere den Amylkörper als eine äusserst feine, selbst durch die besten Mikroskope bisher noch nicht er- kannte Haut umgibt, welche sehr fest anschliesst, also mit dem Kern innig verwachsen ist. Diese Verwachsung wird jedenfalls ebenso durch den Frost, als durch hohe Temperatur, oder durch die Einwirkung von Säuren oder Alkalien , oder durch den Lebens- process der Pflanze, wie beim Keimen amylonhaltiger Samen (also mechanisch) aufgelöst. Mit dieser Auflösung wird aber auch das bisherige starre Verhältniss der beiden Stoffe in ein flüssiges umgewandelt und dieses wandelt das unlösliche Amylon zunächst in eine lösliche gummiartige Substanz, das Dextrin, und zuletzt in Zucker um. Man hat den Stoff, der in der Zellen- flüssigkeil während des Keimens der Samen, besonders in der Gerste, enthalten ist und die Fähigkeit besitzt, grosse Mengen Stärkmehl in Zucker zu verwandeln, Diastase genannt. Man erhält die Diastase aus dem frischen Gerstenmalz, wenn dasselbe V zerquetscht und ausgepresst wird. Aus dem Safte schlägt sich mit Alkohol eine schleimige Substanz nieder, welche „unreine Diastase“ genannt wird. Ich glaube aber, dass auch die „reine“ Diastase, wenn es welche gäbe und dieselbe darzustellen wäre, immer auch ein Gemenge von Dextrin mit Proteinsubstanz sein würde. Gerade in der natürlichen Mischung dieser beiden Stoffe suche ich die auffallende Wirkung der „Diastase“, welche sich dadurch auszeichnet, dass sie in sich eine kräftige Bewegung der Stofftheilchen bewahrt, die sie allen mit ihr in Berührung kom- menden Amylontheilchen mittheilen kann. Das Dextrin wäre so- nach die Resultirende der Amylbewegungen, angeregt durch Pro- teinstoff, der Zucker die Resultirende der Dextrinbewegungen, ebenfalls angeregt durch Protein. Wie leicht die Dextrin- und Zuckerbildung vor sich gehen kann, ist daraus ersichtlich, dass Amyl, Dextrin und Rohrzucker gleiche Zusammensetzung haben Amyl. 187 , und dass zur Bildung von Traubenzucker nur der Zutritt von . 2 Aeq. Wasser nöthig ist. Die Verwandelung des Amvls in Dextrin durch die l| Temperatur. Wenn das gewöhnliche Stärkmehl aus Kartoffeln i nur lufttrocken ist und man setzt es in einem verschlossenen y Gefüsse schnell einer Temperatur von -f- 200n aus, so verliert es j! seinen Zusammenhang und seine Struptur und die Amylkörperchen i zerfliessen in dem Wasser, was sie noch mechanisch in ihren Poren bergen. Dasselbe geschieht nur zum Theil , wenn die Er- hitzung bis + 200° in einem offenen Gelasse vorgenommen wird, weil ein Theil Wasser dabei verflüchtigt wird. Dabei nimmt aber die erhitzte Masse im letztem Falle eine bräunliche Farbe an; in beiden Fällen aber ist es im kalten Wasser auflöslich gewor- i den und besitzt die Eigenschaft, dasselbe schleimig zu machen. Es ist in Dextrin verwandelt. Wir sehen hieraus deutlich, dass die Umänderung zunächst nur von einem Flüssigwerden abhängig ist, dieses hat zuerst die Aufhebung der Körperform und dann auch der Stoffform zur Folge, denn das Dextrin wird nicht mehr von Jodin blau gefärbt. Die Veränderungen des Amyls durch Säuren. Wenn man käufliche Weizenstärke mit wenig Wasser zu einem sehr steifen Kleister kocht, dann etwas concentrirte Salzsäure zuselzt und mit dem Kochen fortfährt, so wird die Masse dünnflüssig. Lässt man das Gefäss jetzt ruhig stehen, so bilden sich in der hellen Flüssigkeit helle Flocken. Unter dem Mikroskop erschei- nen in der durch Schütteln gemischten Flüssigkeit 1) sehr feine, helle, klare und durchsichtige Moleküle, zwischen welchen 2) grös- sere oder kleinere Flocken schwimmen, die aus etwas grossem Kügelchen zusammengesetzt sind; auch kommen 3) noch einzelne unversehrte Stärkekörperchen darin vor. Mit schwacher Jodin- tinctur vermischt färben sich letztere blau und die Flocken (2) gelb. Die Moleküle (1) erscheinen deutlicher sichtbar, lassen aber wegen ihrer Kleinheit (ich schätze den Durchmesser auf %ooo"') keine Farbe erkennen. In kurzer Zeit zeigen sich aber folgende Veränderungen. Es treten nämlich die scheinbar farb- losen Moleküle ( 1) in kleine Flocken zusammen und diese zeigen eine sehr verdünnte blaue Färbung. Diese Färbung nimmt an Intensität zu und man bemerkt, dass sich die Moleküle immer dichter zusammendrängen. Lässt man die Probe auf dem Object- träger eintrocknen, so entsteht ein glänzender bräunlichgelber Ueberzug, dessen Glanz vom Dextrin und Zucker, dessen Farbe aber von der Jodinlinctur herrührt. Unter dem Mikroskop aber 188 Amyl. erscheinen in der eingetrockneten Dexlrinmasse die Amylflocken röthlich und schwach violet, während die gelben Flocken (2) un- verändert geblieben sind. Ein wenig Wasser macht jedoch die> Amylflocken wieder blau. Es scheinen demnach die Farben- t : Veränderungen auf Beugungsphänomenen zu beruhen, welche sich : wieder auf Hydratverhältnisse gründen , wie das so oft bei den |i Melallsalzen auch der Fall ist. Die aus den grossem Molekülen i[ bestehenden gelben Flocken (2) bestehen aus einer Protein- | Substanz (Gluten). Alle hängen noch mit Amylflocken zusammen. ; So zeigt also diese Untersuchung ein Yerwachsensein der Protein- i Substanz mit dem Amylonkörperchen an. Sie zeigt aber auch, dass das, was man gewöhnlich Amylon nennt, gar keine reine homogene und einfache Substanz ist. Kocht man die oben er- | wähnte Flüssigkeit noch einige Minuten lang, so werden alle Theilchen des Amylonkörpers bis auf die Proteinsubstanz zer- stört und in Dexlrin und theilweise in Zucker umgewandelt. Mit Kartoffelstärke ist es ähnlich, nur findet der Unterschied Statt, dass die Flüssigkeit weniger schleimig ist, weil sich hier das Amyl schneller in Zucker umwandelt, und dass von den Flocken zweierlei in der Flüssigkeit erscheinen, nämlich 1) grös- sere, die sich schon während des Kochens bilden und sich in der aufwallenden Flüssigkeit bewegen und hautartig zusammen- , hängen. Sie bestehen aus Pflanzeneiweiss. 2) Kleinere, sein- zarte, die sich erst beim Erkalten der scheinbar klaren und durch- sichtigen farblosen Flüssigkeit ausscheiden. Sie bestehen aus sehr kleinen Molekülen, welche sich durch Jodintinclur sein- schwach und kaum bemerkbar fleischroth färben und jedenfalls Stärketheilchen sind, die sich verändert, aber noch nicht in Dextrin verwandelt haben. Diese Flocken werden beim Auftrocknen farb- los und daher in der zurückbleibenden klebrigen Masse unsichtbar. Verdünnte Schwefelsäure verhält sich ähnlich wie die Salzsäure. Durch sehr concentrirte Salpetersäure entsteht eine Verbindung welche Braconnot entdeckt und Xyloidin genannt hat. Das Amyl gibt Wasser ab und nimmt dafür Salpetersäure auf. Es ist sehr leicht entzündlich und gab Veranlassung zur Entdeckung der Schiessbaumwolle. Seine Zusammensetzung ist nach Pelouze = C6 H8 0., + N2 06; nach Buijs Ballot = C]5 H24 N2 0I6. Wird Amylon mit einer Mischung von i Th. concentrirler Schwefelsäure und 2 Th. Wasser destillirt, so erhält man Ameisen- säure, ein ätherisches Oel und im Rückstände eine schwarze poröse im Wasser unlösliche Masse. Amyloid. 189 §. 391. Das Amyl welches die Sporenschläuche der Flechten, so wie die Zellen in der äussern Schicht des Laubes von Cetraria islan- dica bildet, scheint von dem in den vorigen §§. abgehandelten nicht verschieden zu sein. Ebenso dasjenige, welches in gewissen Zellenwänden des Leinsamens u. s. w. enthalten ist. Etwas anders zeigt sich das Amylon in den Meeresalgen, z. B. Furcellaria, Delesseria und andern. Dieses wird durch Jodin- tinctur niemals ordentlich blau, sondern violel oder vioJetroth gefärbt. Das Amyloid, welches Vogel und Sehleiden als eine neue Pflanzensubstanz eingeführt haben, scheint mir von dem Amyl nicht wesentlich verschieden zu sein. Wie beim Leinsamen und einigen gewissen Flechtenzellen, so werden die Zellenhäute beim Embryo von Schotia latifolia und speciosa, Hymenaea Cour- baril, Mucuna urens, Tamarindus indica und vielleicht noch von andern Leguminosen durch Jodintinctur blau gefärbt. Ein Theil dieser Zellensubstanz löst sich in Wasser auf und seine Gegen- wart wird durch die blaue Färbung angezeigt, die die Flüssigkeit durch Jodintinctur erhält. Durch Kochen mit Wasser löst sich ein Theil der Cotyledonarsubslanz in Wasser und bildet eine Art Kleister, der aber beim Abkühlen nicht gelatinirt. Am leichte- sten löst sich die Substanz bei Schotia, am schwersten bei Ta- marindus. Aber selbst nach 12slündigem Kochen bleibt schein- bar das ganze Zellengewebe zurück und wird durch Jodin blau gefärbt. Das klebrige Decoct wird durch wässrige Jodinlösung, nach Maassgabe der zugeführten Menge, blassgelb bis dunkel- goldgelb gefärbt. Durch weingeislige Jodintinctur wird sie dagegen als eine schöne blaue Gallerte niedergeschlagen. In destillirtem Wasser löst sich dieser blaue Niederschlag vollständig mit gold- gelber Farbe auf und wird daraus durch Schwefelsäure in braunen Flocken gefällt. (Schleiden.) Diese Erscheinungen kommen mit grossem oder kleinern Abweichungen auch bei den verschiedenen Arten von Amylon vor. Schleiden hat nun aus diesen und den von Kohl bekannt gemachten Untersuchungen über die Zellenmembran die Schlüsse gezogen : 1) ,,Dass es mit dem Jod als Reagens auf Stärkmehl nichts mehr ist“. 2) ,,Dass die blaue Färbung vegetabilischer Stoffe durch Jod keine eigentliche chemische Verbindung ist“. 190 Gclin. Uebcr jene Ansicht habe ich mich schon geäusserl; was i1 aber die letzte betrifft, so gibt es auch bis auf den heutigen Tag kein empfindlicheres und genaueres Reagens auf das Amylon I sowol, als auf alle vegetabilischen Bildungen, welche wie das i P n Amylon Amyl enthalten. Wir müssen nur die Sloffform von der Körperform trennen und nicht meinen, dass jeder Stärke- stoff nur die Körperformen der Kartoffel-, Weizen- und anderer Stärke bilden dürfe. Wir haben ja auch den Kohlenstoff in ver- schiedenen Körperformen, und so noch viele andere Stoffe. 392. W - Das Gelin. Ich habe diesen Namen für die Zellensubstanz der Algen seit acht Jahren gebraucht, weil ich glaubte, dass die- selbe von der anderer Pflanzen, namentlich der Cellulose derPhane- rogamen, verschieden sei. Ich wurde zu dieser Meinung beson- ders durch die oft sehr weiche und gallertartige Beschaffenheit der Zellensubstanz der niedern und höhern Algenformen verleitet. Jetzt habe ich mich überzeugt, dass in den Algen nicht nur keine andern Zellensubstanzen als bei den übrigen Pflanzen Vor- kommen, sondern dass auch die von mir als Gehn bezeichnete Substanz nicht überall dieselbe ist, vielmehr in allen ihren Eigen- schaften mit derjenigen übereinkommt, welche Payen und nach ihm andere Chemiker mit dem Namen Cellulose bezeichnet haben. Ich habe nun diesen letzten Namen für die ganze Reihe der Sub- stanzen beibehalten, welche überhaupt Zellen bilden und dabei keinen Stickstoff enthalten, den Namen Gehn aber werde ich auf die Substanz beschränken, die ich hier beschreibe. Das Gelin ist jedenfalls isomer mit dem Amyl. Mulder („Scheik. Onderz.“, III. Deel, 3 St. S. 336) hat zwar eine an- dere Formel (=C24H42 021) dafür angegeben, aber die neuesten und sehr schönen Untersuchungen Mitscherlich’ s („Bericht der Berl. Acad. d. W.“, März 1850) beweisen die Richtigkeit der ur- sprünglich von Payen festgestellten und von mir schon oben an- gegebenen Formel = C]2 H20 O10. Mitscherlich bemerkt dabei, dass durch die Natronlösung die Zellensubstanz ein wenig zer- setzt werde. Die Baumwollenfaser und Leinenfaser bestehen, wenn sie von dem äussern zarten Ueberzuge, welcher das Ein- dringen des Wassers verhindert, befreit sind, aus reiner Gelin- substanz, ebenso die gesunden Zellen der Kartoffeln, Mohrrüben, Zuckerrüben, des Kohlrabi u. s. w. Man erkennt sie leicht daran , dass sie mit Jodintinctur schön blau gefärbt wird, wenn man sie vorher mit Kalilauge oder mit Gelin. 191 hinreichend starker Schwefelsäure behandelt hat. Durch weitere Einwirkung der Schwefelsäure wird sie in Dextrin und zuletzt in Zucker verwandelt. §. 393. Wenn man Gelinsubstanz mit concenlrirter Salpetersäure be- handelt, so behält sie ihre Zusammensetzung, aber sie ist in eine gallertartige Substanz verwandelt, welche durch Jodin nicht mehr blau gefärbt wird. Sie hat ganz die Eigenschaften des Bassorin angenommen. Dieselbe Veränderung erleidet die Gelinsubstanz durch eine freiwillige Zersetzung, oder wenn man will durch einen Gährungs- oder Fäulnissprocess. Man kann diesen je nach den dabei gebildeten Producten, in die schleimige und in die trockene Weissfaule unterscheiden. Bei allen diesen Vorgängen wird das Gelin in Bassorin oder Inulin u. s. w. umgewandelt. Weitere Ausführungen werden bei der Betrachtung dieser Substanzen ge- geben werden. Xyloidin wird durch die Einwirkung der Salpetersäure auf Gelin nicht gebildet, aber wol erzeugt sich durch dauernde Ein- wirkung Oxalsäure. Wird bei dieser Einwirkung rauchende Sal- petersäure, oder noch besser ein Gemisch von concenlrirter Salpetersäure und Schwefelsäure angewandt, so entsteht das Pyroxylin, bekannt als Schiessbaumwolle. Dieses hat je nach seiner Darsteliungsweise eine verschiedene Zusammensetzung. Es gleicht aber dem Xyloidin darin, dass eine gewisse Anzahl Wasseräquivalente aus dem Gelin ausscheidet und dafür eine gleiche (?) Anzahl Aequivalente der Salpetersäure oder Unter- salpetersäure eintreten. Die Structur der dabei angewandten Faserzellen (Baumwolle, Leinen) wird durch die Einwirkung der beiden starken Säuren gar nicht verändert. So sehe ich bei den Leinenfaserzellen nicht nur den proteinartigen Zelleninhalt, der mit Jodintinctur sich gelb färbt, wie bei der lebendigen Zelle, sondern auch die feinsten zartesten Spiralfasern, welche das Ge- webe der Leinenzellen bilden. Die Pyroxylinzellen sind so fest und gegen gewisse ätzende Flüssigkeiten so unzerstörbar gewor- den , dass die stärksten Säuren und Alkalien wirkungslos auf die- selben sind. Ich habe sie, um zu versuchen, ob sie nicht durch irgend ein Verfahren in den Amylzustand, in welchem sie von Jodintinctur blau gefärbt werden, zurückgeführt werden könnten, abwechselnd mit starker Kalilauge, concenlrirter Salzsäure und Schwefelsäure behandelt (wobei ich die Fasern jedesmal wieder mit Wasser auswusch), aber ich habe in der Structur und Form 192 Gelin. derselben kaum eine andere bemerkbare Veränderung bervor- ij $ bringen können, als dass bei wenigen einzelnen Zellen die I f äusseren Lagen sich etwas in spiralige Falten zusammenzogen | t und dadurch auch eine Krümmung der innern Schichten bewirk- j ten. Im Pyroxylin ist die Substanz, oder eigentlich der Stoff, ein | durchaus anderer geworden. Durch die Entziehung von Wasser- | ; äquivalenten ist er dem Kautschouk in so fern nahe gebracht, v dass er sich in Aether löst (Collodium), im Uebrigen aber von |i den ätzenden Flüssigkeiten gar nicht angegriffen wird. Jodin- tinclur äussert auch nicht die geringste Wirkung darauf, er bleibt j dabei farblos. §. 394. Die Gelinsubstanz bildet nicht immer Zellen. Sie ist bald schleimig, bald weich gallertartig, bald fest in deutlichen Körnern, bald mehr oder weniger fest in Zellenform. Hiernach können wir vorläufig folgende verschiedene Formen ; von Gelinsubstanzen unterscheiden, die ich hier mit einigen Er- örterungen folgen lasse. §. 395. I. Schleimiges Gelin. Es kommt bei Ulvina myxophila (Kg. „Sp. Algarum“, p. 147. — „Phycol. germanica“, p. 120) vor. Diese , niedere Pfianzenbildung entsteht im Quittenschleime (Mucilago Sem. Cydoniorum der Apotheken) und mit seiner Entstehung ist jedesmal ein Sauerwerden des Schleimes verknüpft. Es scheidet sich dieselbe in farblosen dünnhäutigen Flocken aus, welche man mittelst Papierblättchen herausfischen kann. Auf Glas eingetrock- net und mit Jodintinctur und Schwefelsäure behandelt, zeigt sich die blaue Farbe in der die Matrix bildenden Substanz, welche homogen zu sein scheint; die in derselben liegenden Körnchen werden gelb und bestehen aus Proteinsubstanz. Der Zusammen- hang der Matrix ist so gering, dass man sie halbflüssig nennen kann. II. Gallertartiges Gelin. Es zeigt sich in der Essigmulter (Ulvina aceti und Ulvina rubi idaei, Kg. 1. c.). Die eine, U. aceti, bildet sich im gewöhnlichen Essig und zwar ebensowml in dem, welcher mit Weingeist, als in dem, welcher mit dextrinhaltigen Flüssigkeiten angeslelll wird. Am meisten bildet sie sich in Essig, welcher nach der ältern langsamen Methode gewannen wird. Aber ich habe sie auch in concentrirLer Essigsäure gefunden, welche aus Alkohol nach Doebereiner mittelst Platinmohr in der Nord- häuser Essigfabrik von Schreiber und Sohn dargestellt war. Die Gelin. 193 Bildung beginnt an den Wänden des Gefässes, dicht über der Flüssigkeit, wo Luft, Essigsäure und Gefässwand sich berühren. Es entstehen ungemein kleine schleimige Moleküle, welche sich hier ausscheiden, anhäufen, dann sich in den gewöhnlichen Essig- löpfen über die Oberfläche der Flüssigkeit verbreiten und in eine gallertartige Haut zusammenwachsen, welche mit der Zeit an Dicke zunimmt. Die auf Glas eingetrocknete Essigmutter gibt in ihrem gallertartigen Theile, der durchaus keine Zellenbildung er- kennen lässt, wol aber eine sehr grosse Anzahl Proteinkörper- chen enthält, sich gegen Jodintinctur und Schwefelsäure ganz wie Gehn zu erkennen. Nach Maassgabe der Dicke der eingetrockne- ten Masse ist die blaue Farbe heller oder dunkler. Auch hier kommt die Reaction bisweilen erst zum Vorschein, wenn zu der Schwefelsäure noch 1 — 2 Tropfen Wasser gesetzt werden. Die Einwirkung folgt weniger schnell als beim Gehn I, weil hier die Schwefelsäure zuerst das Cohäsionsverhältniss zu überwinden hat. Dass sich aus der Essigmutter durch Behandlung mit Schwefel- säure und Wasser Dextrin und Zucker bilden, davon habe ich mich überzeugt. Die Bildung des Gelins aus den Bestandtheilen des Essigs möchte kaum einem Zweifel unterliegen. Bei der Ulvina rubi idaei, welche im gährenden frischen Himbeersäfte sich schon nach 24 Stunden in ziemlicher Menge erzeugt, liegt es nahe, an die Bildung des Gelins aus den Substanzen der Pectinreihe zu denken; denn der Saft der Him- beeren verliert in gleichem Maasse die Eigenschaft, mit Zucker zu gelatiniren, als die Bildung der Ulvina stattfindel. Dass aber diese Bildung nicht zu den Pectinsubstanzen gehört, beweist die Reaction mit Jodin und Schwefelsäure, welche sich in Nichts von der bei dem Gelin vorkommenden unterscheidet. Bei beiden Ulvinaarten ist die Gelinsubstanz gallertartig und besitzt ziemli- chen Zusammenhang. §. 396. Die Gelinsubstanz III. Ich nenne sie Herpo gelin, weil sie in den Caulerpeen — ich habe bis jetzt Caulerpa Freycinetii, taxi- folia, Phyllerpa prolifera und flagelliformis, Chauvinia Selago, peltata und Lamourouxii darauf untersucht — vorkommt. Das Herpogelin bildet den Träger der grünen Körner, welche die, den innern Baum als lockeres Gewebe ausfüllenden weissen Bassorin- fäden in grossem oder kleinern, getrennten oder zusammen- fliessenden Häufchen besetzen. Die grüne Farbe scheint vom KCtzisg, Pliilosopliischo Botanik. F. 13 194 Gelin. Chlorophyll herzurühren und die Körner haben einige Aehnlich- keil mit kleinen Slärkekörnchen, aber sie sind mit einander ver- wachsen. Jodintinctur färbt diese Körner intensiv gelb, etwas ins Bräunliche ziehend, concentrirte Tinctur sogar dunkelbraun. Hinzugelugte Schwefelsäure, mit ein wenig Wasser vermischt, bringt nach und nach eine blaue Färbung der vorher grün ge- wesenen Körnermassen hervor. In einem Falle, wo mir die Fär- bung durch die Schwefelsäure nicht gelingen wollte, wurde die- selbe durch Kalilauge bewerkstelligt, welche ich nur kurze Zeit einwirken liess, dann durch Auswaschen mit Salzsäure und Was- ser entfernte. Die so behandelte Körnermasse wurde durch ver- dünnte Jodintinctur sehr schön blau. Die Ilerpogelinsubstanz ist ziemlich fest und geht nur durch anhaltendes längeres Einwirken von Schwefelsäure unter Mitwirkung von Wärme in Dextrin und Zucker über. Der Grund davon ist auch hier mehr in der grossem Festigkeit der Substanz als in der Beschaffenheit des Stoffverhältnisses zu suchen. §. 397. Die GelinSllbstailZ IV. Sie war bisher mit unter dem Aus- druck Cellulose und Membranenstoff begriffen. Sie ist von allen die verbreitetste, denn von ihr werden die meisten Zellen gebil- det. Sie kommt aber nicht vor in den Zellen der Pilze, der Flechten, der Baciliarien oder Diatomeen und einem grossen Theile der niedern Algen. Die Zellenformen des Gelins machen verschiedenartige Grade der Festigkeit durch, wonach sie unterschieden werden können. So bildet das Gelin I. Schleimzellen in der äussersten Lage beim Leinsamen, Quitlensamen und Flohsamen (Plantago Psyllium), Ferner die grossen Zellen in den Orchisknollen, die schleimigen Zellen in der Altheewurzel, in Symphylum officinale, dem Carragheen und vielen andern Pflanzen. Man hat bisher überall irrthümlich den Schleim, welchen man durch Auskochen aus diesen Pflanzen- theilen oder durch Schütteln derselben mit kaltem Wasser, wo- durch in beiden Fällen die Schleimmoleküle von der Aussen- seite der Zellenwand mechanisch abgerissen und ebenso in Wasser suspendirt werden, erhalten wird, mit Traganthschleim, Bassorin und arabischem Gummi, auch wol mit Dextrin und Pectin ver- wechselt, weil man sich nicht streng an die chemische, sondern mehr an die oberflächliche Erkennungsweise hielt, wobei die „schleimige“ oder „gallertartige“ Beschaffenheit den Ausschlag Gelin. 195 gab.. Aber die Schleim- und Gallertzellen aller oben genannten Pflanzen sind aus Gelinsubslanz gebildet, sie werden alle mit Jodinlinclur und Schwefelsäure blau. Selbst der durch Kochen oder durch Schütteln mit kaltem Wasser gewonnene Schleim ist durch aufgelöste (oder suspendirle) Gelinsubstanz schleimig. Aber man muss ihn, wenn man auf ihn reagiren will, erst eintrock- nen lassen. Nur beim Leinsamenschleim finde ich die Färbung sehr blassbiau; ich glaube daher, dass hier die Gelinsubstanz mit viel Bassorin gemischt ist. Ferner habe ich bisweilen bei den Sehleimzellen der Quittensamen gefunden, dass sie ohne Zusatz von Schwefelsäure durch Jodinlinclur blassblau wurden, was auf eine Vermischung mit Amylsubstanz hinweist. Mulder hat die Bleioxydverbindungen mehrerer dieser Scldeim- arten zweimal untersucht. Sie bestehen nach den zuletzt von ihm angeslellten Untersuchungen aus: (Quittenschleim) . . 46,44 G. 6/18 H. 47,58 0. (Leinsamenschleim) 45,82 C. 5,92 H. 48,26 0. Beide Schleimarten sind von Mulder im J. 1846 untersucht worden, als Folge der Untersuchungen von C. Schmidt („Scheik. Onderzoek.“, III. Deel, p. 17 — 30). Nach den frühem Unter- suchungen Mulder’ s („Nutnur-en Scheik. Arcliief“, 1837 und „Bulletin“, 1858, p. 55) besteht der Schleim aus Sphaerococcus crispus (Carragheen) aus 45,1 7 C. 4,88 H. 49,95 0. Allheewurzel 46,00 C. 4,96 H. 49,04 0. Obschon Midder als allgemeine Formel für den Schleim = c14 H38 o19 angibt, welche aber nur durch den (beim Trocknen sieb leichter zersetzenden) Quiltenschleim annähernd ausgedrückt wird, so gebt doch hieraus hervor, dass man nach den übrigen Ergebnissen auch ebenso gut die Formel = C12 H20 0JO anneh- men kann. Dass die genannten Schleimarten durch Digestion mit verdünnter Schwefelsäure in Zucker verwandelt werden, bat C. Schmidt („Annal. d. Chem. u. Pharm.“, Juli 1844) bewiesen. II. Die Gallert- und Knorpelzellen bei den Tangen und andern Pflanzen. Sie sind nur in der Festigkeit von den vorigen verschieden. III. Die weichen häutigen Zellen des gewöhnlichen Paren- chyms, Merenchyms und der verschiedenen Arten des Fleisch- und Markgewebes der Phanerogamen und der höhern Kryptogamen. Von diesen sind untersucht: Das Zellengewebe von Hollundermark, der Gurken, das Mark von Aeschynomene paludosa, die Zellen der Wurzelschwämmchen, die Samenknospen der Mandeln, der Aepfel und der Sonnenrose (Helianthus annnus) von Payen. („Annal. 13 * 196 Gelin. des sc. nat.“, Serie 2, T. II, Bot. 1839, p. 21.) — Ferner hat derselbe Chemiker das Zellengewebe der Blätter von Endivien, Ailanlhus glandulosa und Agave americana im folgenden Jahre untersucht (1. c. Aout. 1840, p. 73). An diese Untersuchungen schliessen sich die ArbeiLen von Fromberg („Scheik. Onderz.“, II. Deel, p. 36 — 61. — ,, Erdm . Journ.“, 1844, No. 11, 12, p. 198), welcher das Zellengewebe der Rüben, des weissen Kohls, der Endivien und der Charen analysirt hat; dann die Arbeiten Mulder’s („Scheik. Onderzoek.“, III. Deel, 3. St., p. 336), welche sich über Papierfaser, Flachs, Baumwolle, Bast von Agave americana und mehrere andere Gegenstände verbreiten; den Schluss bildet Mitscherlich („Bericht d. Berl. Academie d. W.“, 1850, März), welcher das Papier untersuchte, das in Schweden mit reinem Wasser dargestellt und in den Laboratorien zu Fillern gebraucht wird. Mitscherlich hat sich überzeugt, dass dieses Papier „reine Cellulose“ ist, während in der Flachszelle oft noch ein protein- halliger Inhalt zurückbleibt. Er nimmt an, dass die Zusammen- setzung des reinen Gelins = C12 H20 O10 sei, nicht C24 HJ2 031, wie Midder aus seinen Versuchen schliesst. IV. Das harte, holzige, hornartige und knöcherne Gelingewebe, welches in dem jungen Holze und in dem Albu- men der Samen vorkommt. Payen (1. c., Aoüt., 1840, p. 82) und Baumhauer („Scheik. Onderz.“, II. Deel, p. 62 — 75) haben die „Cellulose“ der Samen von Phytelephas macrocarpa, welche als „Steinnüsse“ oder „vegetabilisches Elfenbein“ in den Han- del kommen und von den Drechslern verarbeitet werden, analy- sirt und die Resultate beider liefern den Beweis, dass das Gelin dieser knochenharten Samen sich durch Nichts weiter von dem des Hollundermarks, der Baumwolle, der Leinenfaser u. s. w. unterscheidet, als durch den Aggregatzustand. Die Spiralgefässe von Musa sapientum und die harten und festen Holzzellen der verschiedenen Pflanzentheile bestehen alle in der Jugend aus Gelinsubslanz , welche sich im Alter nach' und nach verändert. Analysen davon haben Payen, Mulder und An- dere geliefert. Mehr davon bei der Inulingruppe §. 599 fg. §. 398. Eine dem Gehn nahe kommende, gleichsam zwischen ihm und dem Inulin stehende, vielleicht aber mit dem Dextrin iden- tische Substanz kommt in dem Gewebe der sogenannten Muskat- blumen vor. Wenn man diese letztere mit Aikokol oder Aether von dem Oele befreit , wodurch sie ihre gelbe Farbe bekommen, Inulinyruppe. 197 dann mit Wasser auswäscht , so färbt die Jodintinctur die Wände der runden Zellen braun. Behandelt man diese Zellen vorher mit concentrirter Salpetersäure, so werden sie durch Jodintinctur sehr schön amethystrolh gefärbt; dasselbe geschieht auch wenn man Schwefelsäure anwendet, oder die Zellen mit Kalilauge be- handelt und das Kali vorher mit Chlorwasserstoffsäure wieder abstumpft. Es hat also diese Substanz in dem veränderten Zu- stande grosse Aehnlichkeit mit dem Amyl der Tange, welches auch durch Jodin nicht blau, sondern amethystroth oder violet gefärbt wird. Man könnte sonach unter diesen Substanzen eine blaue und eine amethystrothe Amylgruppe unterscheiden. Das Dextrin, welches im Handel in reinen klaren Stückchen, wie Gummi arabicum, vorkommt, verhält sich gegen Jodin und Schwefel- säure genau wie die Substanz in den Macis, nur mit dem Unter- schiede, dass die letztere eine gewisse Structur und Festigkeit besitzt und unauflöslich in Wasser ist. §. 399. 48. Die Inulingruppe (Sinistringruppe). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Substanzen, die zu ihr gehören, durch Jodin orangegelb oder gelbbraun gefärbt werden, entweder un- mittelbar oder durch Einwirkung von Schwefelsäure. Die zur Inulingruppe gehörigen Substanzen sind bisher nicht genau unterschieden worden. Man hat sich durch die äussere Form der Körper, in welchen das Inulin vorkommt, verleiten lassen, einen andern Stoff darin zu suchen, als darin wirklich enthalten ist, weil man gewöhn L war, das Inulin nur in der Form eines feinen Pulvers zu erblicken. Daher kam es, dass man die „Cellulose“ bei den Pilzen und Flechten für dieselbe Substanz gehalten hat, als in der Baumwolle, der Leinenfaser und andern Gelinzellen. Das Inulin in seiner ausgedehntesten Bedeutung ist ein all- gemeiner Pflanzenstoff. Er ist entweder aufgelöst oder in kaum erkennbaren Molekülen im Zellensafte enthalten, oder er bildet Fasern, Zellen u. s. w., kurz ganz ähnliche oder gleiche Formen wie das Amyl und Gehn. Die Polarisationsebene drehen die zur Inulingruppe gehörenden Substanzen nach links. Wir unter- scheiden folgende Glieder: Inulin (im engern Sinne) = Cn H16 08 -f- 2 II2 0 (Mulder). Gummi (Bassorin) . . . . = C12 H10 08 + 2 H.2 0 (Midder). Lignin = Cn IIjr 08 (Gay-Lussac u. Thenard). 198 Iuitlin. 8. 400. Das Inulin im engern Sinne wird vorzüglich in den Wurzeln der Compositen (Cichorium Intybus, Taraxacum officinale, Geor- gina variabilis , Helianthus luberosus), ferner in Angelica Archan- gelica, Colchicum autumnale, Datisca cannabina und einigen Flechten angegeben, aber es macht gewiss einen so häufigen Bestandteil der Pflanzen aus, dass ich glaube es als einen all- gemeinen annehmen zu müssen. Dass das Inulin ein weisses Pulver darstelle, darüber sind alle Angaben gleich; aber nicht darin, in welcher Form es in den Zellen der oben genannten Pflanzen enthalten sei. Meijen und Link sagen, dass es im Zellen- safte aufgelöst sei, weil man es mit dem Mikroskope nicht, darin erkennen könne; dagegen bemerkt Schleiden , dass das Inulin in feinen Körnern in den Zellen vorhanden, es besitze aber die Eigenschaft, das kalte Wasser einzusaugen und dadurch unter dem Mikroskope zu verschwinden, weil seine „lichlbrechende Kraft“ der des Wassers gleich sei. Ich gebe das für einzelne Fälle zu, namentlich für diejenigen, wro man das Inulin aus ge- frorenen Georginenknollen untersucht. Aber es gibt gewiss mehr Fälle, wo es wirklich aufgelöst oder wenigstens so fein in einer Flüssigkeit suspendirt ist, dass man es für aufgelöst ansehen kann, als wo es sich deutlich körnig ausgeschieden hat. Denn obgleich es richtig ist, dass die Inulinkörnchen das Licht fast ebenso brechen, wie das Wasser, so müssten doch die Körnchen zum Vorschein kommen, wenn die Flüssigkeit mit Jodinlösung versetzt würde, wodurch die oben angegebene Reaetion eintritt, welche selbst bei einer sehr verdünnten Lösung noch hinreichend ist, die Körnchen sichtbar zu machen; aber wenn man Jodin- tinctur, die mit Alkohol bereitet und verdünnt ist, nimmt, so scheiden sich die Inulinkörnchen durch den Alkohol aus der Lö- sung ab, nimmt man aber eine wässerige Jodinlösung, so färbt sich zwar die inulinhaltige Flüssigkeit gelb , aber die Ausscheidung von Körnern findet nicht Statt. Ich habe überhaupt die Körnerbildung nur sehr mangelhaft beim Georginensaft bemerkt, der von gefrornen Knollen bereitet worden war und einige Tage gestanden halte. Es setzt sich dabei oben auf eine 0 eischicht, welche aus einer sehr grossen Anzahl Oeltropfen besteht. Diese Oellropfen können von Unkundigen leicht für Inulinkörner gehalten werden , wesshalb ich sie hier besonders erwähne. Sie sind im frischen Zellensafte ganz farblos und mit einer zarten Schleimhülle ( Inulinhülle F) um- geben, die bisweilen an der Aussenfläche mit sehr zarten Schleim- Inulin. 199 Mrchen besetzt ist. Durch Jodintinctur werden sie nach Maass- gabe dunkel- oder gelbbraun gefärbt, ein Umstand, welcher leicht dazu verleiten kann, sie für Inulinkörner zu halten ; drückt man sie aber zwischen zwei Glasplatten, so sieht man deutlich, dass es Oeltröpfchen sind. Lässt man den Saft aus den Georginen- knollen auf einer Glasplatte ein trocknen, so bleibt ein kreide- weisser zusammenhängender Rückstand, welcher, wenu man ihn trocken unter dem Mikroskope betrachtet, aus ungemein kleinen opaken Körnchen besieht, deren Durchmesser kaum '/sooo'" sein kann. Diese Körnchen liegen nicht locker neben einander wie die Stärkekörperchen, sondern sind aneinander geklebt und da wo Oeltröpfchen dazwischen gewesen sind, ist das Oel in die benachbarte trockene Umgebung eingedrungen und hat durch- sichtige Oelflecke erzeugt. Diese sehr feinen Körnchen sind das Inulin. Durch Benetzen mit Wasser lassen sie sich zwar viel schwieriger erkennen, aber man sieht sie doch, wenn man recht aufmerksam beobachtet. Noch leichter sieht man sie, wenn man sie mit Jodintinctur vorher benetzt hat. Das Inulin ist auch wirklich im kalten Wasser auflöslich, noch mehr aber im heissen. Ist die Auflösung in heissem Wasser concentrirt, so scheidet es sich nach dem Erkalten wieder als weisses Pulver aus. Man kann das Inulin aus dem Safte der oben gedachten Wurzeln abscheiden: 1) wenn man den Saft mit starkem Alkohol mischt; 2) wenn man den Saft einkocht und dann erkalten lässt. In beiden Fällen scheidet sich das Inulin in Flocken oder als weisses zartes Pulver aus. Je öfter man die Auflösung des Inulins in kochendem Wasser wiederholt, um so mehr bekommt es die Eigenschaft, sich in kaltem Wasser zu lösen. Das rührt daher, dass man durch längeres anhaltendes Kochen das Inulin in eine gummiartige und dann in eine zuckerartige Substanz (Schleimzucker) verwandeln kann. Trocknet man einige Tropfen vom Zellensafte der Georginenknolien auf einer Glasplatte’ bei einer Temperatur von + 60 — 80n ein, so sieht der Rückstand nicht kreideweiss und matt aus, sondern gelbbräunlich, durch- sichtig und glänzend, wie wenn man eine dextrinhaltige Flüssig- keit (z. B. Bier) hätte erntrocknen lassen. Benetzt man diesen Rückstand noch während des Erkallens mit ein wenig Wasser, mittelst eines Pinsels, so wird er undurchsichtig, malt und weiss, aber mit einem Stich ins Gelbbräunliche. Man kann auch das Inulin aus getrockneten Wurzeln durch blosses Kochen mit Wasser ausziehen und das Decoct durch Verdampfung concentriren, bis sich auf der Oberfläche eine Haut 200 Inulin. bildet. Nach dem Erkalten setzt sich das Inulin ab. Diese Haut bildet sich übrigens beim Verdampfen aller (?) Pflanzenextracle und aus der extracthaltigen Flüssigkeit setzt sich auch ein Nieder- schlag ab, den Berzelius Apothema genannt hat und den man früher oxydirten Extractivstoff nannte. Ich glaube, dass dieses Apothema in vielen Fällen mit dem Inulingehalte der Pflanzen zusammenhängt. Ausser durch Kochen mit Wasser kann das Inulin durch verdünnte Säuren noch viel leichter als das Amylon in Zucker übergeführt werden; auch mit Hefe zusammengebracht, wird es in seiner Auflösung in Zucker verwandelt und diese Zuckerlösung geht bald in geistige Gährung über. Der aus Inulin gebildete Zucker dreht, wie das Inulin und Arabin, die Polarisationsebene nach links; das Drehungsvermögen ist dabei nach Bouchardat’s Angaben dreimal so gross, als bei dem Traubenzucker, welcher durch Einwirkung der Säuren aus dem Rohrzucker erhalten wird. Durch concentrirte Salpetersäure wird das Inulin in Oxal- säure verwandelt, aber kein Xyloidin gebildet. Galläpfel- tinctur (Gerbsäure) schlägt das Inulin aus seiner wässrigen Auflösung nieder, aber der Niederschlag löst sich durch Kochen wieder auf. Nach Croockewit geben einige Metalloxyde unter gewissen Bedingungen ihren Sauerstoff an das Inulin ab , wodurch jene reducirt und aus dem Inulin verschiedene Producte, nament- lich Ameisensäure, gebildet werden. Wird das trockne Inulin bis etwas über + 100r' erhitzt, so verwandelt es sich in eine süssliche gummiartige Substanz, welche sich leicht in kaltem Wasser löst. Mit Basen zusammengebracht, zersetzt es sich theilweise, wobei Glucinsäure und Apoglucin- säure gebildet werden, welche sich mit der Base vereinigen; nebenbei aber entsteht auch noch ein Inulat, Midder zweifelt an der Existenz reiner Inulate, so wie auch an einem reinen Inulin, worin er Recht haben mag. Mit der Amylonform hat diese Inulinform Nichts gemein, wonach die An- gaben Meyen’s zu berichtigen sind. Wegen der Unbeständigkeit und leichten Zersetzbarkeit des Inulins kommt es, dass die Angaben (wie überhaupt bei den Substanzen der ganzen Cellulosereihe) über seine elementare Zusammensetzung differiren. Nach Partiell („ Erdm . Journ.“, XXVI, p. 140) hat das aus den Georginenknollen dargestellte Inulin die Formel = C24 Hw 021, während Midder für das aus Inula Helenium und Taraxacum dargestellte die Formel = C24 H10 0.,n gibt. Croockewit {„Lieb. Annal. d. Chem.“, XL, p. 184 fg.) bestätigt Inulin. 201 beide Angaben und erklärt die Differenz derselben dadurch, dass er annimrat, das Inulin besitze nach der verschiedenen Darslel- lungsweise und den verschiedenen Pflanzen, aus denen es ge- wonnen, auch verschiedene Zusammensetzung. Dieser Meinung scheinen auch die meisten Chemiker zugethan. Nur Woskressensky („Bullet, de St. Petersbourg“, Tom. V, No. 5) ist nicht dieser Meinung, indem er gefunden zu haben glaubte, dass das Inulin sich von einer constanten Zusammen- setzung darstellen lasse und dass es einen grossem Kohlen- und Wasserstoffgehalt besitze, als man bisher geglaubt habe. Er gibt ihm die Formel = C24 Hig 0I4. Sie weicht so sehr von der durch Midder und andere Chemiker gegebenen ab , dass das Inulin hiernach gar nicht zu den Gliedern der Cellulosereihe ge- rechnet werden könnte, sondern für sich aufgestellt werden müsste, wenn sie richtig wäre. Aber man hat Grund, an der Richtigkeit von Woskressensky’ s Angaben zu zweifeln, weil dio Darstellungsweise, nach welcher er sein Inulin erhält, keineswegs von der ArL ist, dass sie ein reineres Inulin, als das von Ande- ren untersuchte, erwarten lässt, und endlich hat auch Woskres- sensky keineswegs den Beweis geliefert, dass er ein Inulin von constanter Zusammensetzung dargestellt habe, vielmehr geht aus seinen fernem MilLheilungen hervor, dass sein Inulin aus Taraxa- cum bei weitem weniger Kohlenstoff enLhäit, so dass dessen Zu- sammensetzung sich sehr der Midder’ sehen Formel nähert. Ich halle daher die Versuche Woskressensky’ s zur Gewinnung eines reinen Inulins für verfehlt und glaube, dass wir uns hinsichtlich seiner Zusammensetzung an die von Mulder und Parnell gegebe- nen und von Croockewit bestätigten Formeln noch am sichersten halten können. Was nun die Entstehung des Inulins betrifft, so liegen Beobachtungen vor, welche sehr die Ansicht unterstützen, dass dasselbe auf verschiedene Weise, besonders aber durch Zersetzung der Pflanzensäure und des Zuckers, so wie auch des Gelins sich bilden könne. Ich werde eine hierher gehörige Beobachtung mittheilen. An einer sehr grossen Zuckerrübe, welche ich über zwei Mo- nate (von Mitte October bis Ende December) in meinem Zimmer liegen hatte, bemerkte ich, als ich das untere, zum Theii schwarz gewordene und durch Austrocknung eingeschrumpfte Ende ab- schnitt, einzelne Stellen, an welchen das Zellengewebe auseinan- der getreten war durch Ansammlung einer mehr als syrupdicken klaren gummiartigen , aber etwas süsslich schmeckenden, farblosen 202 Inulin. Gummi. Substanz, welche langsam hervorquoll, wie der Terpentin aus den Harzgängen der Tannenstämme. Mit der Messerklinge konnte man immer mehr davon herausnehmen und die Masse halte Ähnlich- keit mit einem dicken zähen Gummischleim. Auf Glas ausge- breitet, konnte man unter dem Mikroskope eine unendliche Menge kleiner Kügelchen, deren Durchmesser ich auf ungefähr l/3ooo'" schätzte, zwischen einer andern homogenen klaren Masse erken- nen. Diese Kügelchen hatten sehr bestimmte Umrisse, waren aber übrigens klar und farblos. Jodintinctur färbte sie gelb- bräunlich, während die Matrix, in der sie schwammen, und welche sich ganz wie ein Gemenge von Arabin mit ein wenig Zucker verhielt, kaum davon gefärbt wurde. Ein Wassertropfen löste die Matrix vollständig auf und liess die Kügelchen unangefochten. Um mich zu überzeugen , dass dieselben nicht einer Protein- substanz angehörten, behandelte ich sie zuerst mit Salpetersäure in gelinder Wärme und sättigte diese nachher mit Ammoniak, wobei sie farblos blieben; mit Schwefelsäure und ein wenig Was- ser behandelt, lösten sie sich auf. Ich glaube hieraus sicher schliessen zu können, dass diese Kügelchen Inulin waren und dass dieselben sich wie auch das Arabin (?) jedenfalls aus dem Zucker der Rübe gebildet hatten. Es ist auch bekannt, dass alle in der Zersetzung begriffene „angegangene“ Rüben weniger Zucker geben und ungern zur Fabrikation genommen werden, weil sie die Entstehung von Schleimzucker bei dem Sieden vermeh- ren. Auch dieser Theil der Rübe hatte fast seinen süssen Ge- schmack verloren, es musste eine Art „ Schleimgährung“ statt- gefunden haben. §. 401. Gummi. (Flechtenstärke, Fungin.) Alle zu dem Gummi ge- hörenden Substanzen kommen darin überein, dass sie von Jodiu- tinctur nicht unmittelbar, sondern erst mit Hülfe der Schwefel- säure braun gefärbt werden. Es sind sehr viele Gebilde, in welchen das Gummi vorkommt, namentlich sind die Gummi- substanzen sehr verschieden, je nach ihrem Zusammenhang und ihrer Auflöslichkeit in Wasser. Im Alkohol, Aether und Oelen ist das Gummi durchaus unlöslich. Diejenigen zum Gummi ge- hörenden Substanzen, welche nicht im Wasser auflöslich sind, scheinen diese Eigenschaft nur vermöge eines organischen (auf Texturfestigkeit beruhenden) Zusammenhanges zu besitzen, was aus den spätem Untersuchungen hervorgehen wird. Gudrin - Varry nennt das auflöslichc Gummi Arabin, das Gummi. 203 i unlösliche Basso rin. Beide und ihre Gemenge werden mit un- ter der Coilectivbenennung „Pflanzenschleim“ begriffen, wozu aber auch noch Gelinformen gehören. §. 402. Man hat bisher nur diejenigen Stoffe als Gummi betrachtet, welche freiwillig aus der Rinde mancher Stämme oder auch der Früchte als zähe Masse hervorbrechen, dann eintrocknen. Man unterscheidet von diesen: 1) Arabisches Gummi, welches in Arabien und den Nil- gegenden von verschiedenen Acaciaarten, wie Acacia tortilis, A. vera, A. Seyal, A. nilotica u. m. a. gesammelt wird. Es be- stellt fast aus reinem Arabin, in welchem das Mikroskop nur sehr vereinzelte, gegliederte und theilweise verzweigte Fäden eines kleinen Pilzes zeigt, dessen Zelleninhalt aus einem proteinartigen Stoffe besteht. 2) Senegal-Gummi. Es wird in den Gegenden nördlich vom Senegal gesammelt, von verschiedenen Acacien (A. Senegal, A. Adansonii), welche hier Wälder bilden. Es bestehL theils aus Arabin, theils aus Bassorin, welches als eine durchsichtige klare Gallert zurückbleibt, wenn das Arabin mit kaltem Wasser ausge- zogen wird. Auch in ihm, wie in allen folgenden Sorten, finden sich die oben genannten Pilzfäden. 3) Gedda-Gummi und barbarisches Gummi. Beide Sorten sind wenig bekannt, ähneln dem Senegal- Gummi , ent- halten aber mehr Bassorin und sollen von Acacia gummifera ab- stammen. 4) Bassora- und Kutira - Gummi. Diese sollen nach Wiggers ganz mit einander übereinstimmen und auch von einer Acacia abstammen. Legt man sie in Wasser, so quellen sie zu einer durchsichtigen Gallert auf, welche unter dem Mikroskop keine Structur zeigt. 5) Traganth- Gummi. Es bricht absatzweise aus Spalten verschiedener Astragulusarten hervor und bildet schuppig muschel- förmige Stücken. Man kann zwei Arten unterscheiden: a) Tragacanlha -minor, lutescens, vermicularis. (Taf. 3. Fig. 4.) b) Tragacantha major, albissima, lata. (Taf. 3. Fig. 4.) Beide sind auch in der Structur von einander verschieden. Der Traganth ist ein selbständiger Organismus, ein Pilz, der aus den Pflanzen hervorbricht, wie die Nemaspora crocea aus der Rinde der Buchenstämme. Wie diese Bildungen im Innern 20+ Gummi. der Pflanzen, aus denen sie hervorbrechen, entstehen, darüber wird die Entstehung des Kirsch- und Pflaumengummis Aufschluss geben, die ich nachher mittheilen werde. Macht man hei der trockenen Tragacantha major (bei welcher die Structur am deut- lichsten zu sehen ist) mit dem Messer einen feinen Schnitt und legt denselben auf den Objectträger in Wasser, so schwillt er auf, wie ein Schnitt von einer getrockneten gallertartigen Alge (z. B. Carraghen) und man sieht deutlich grosse neben einander liegende runde Zellen, welche wie im Merenchvm ziemlich lose vereinigt sind. Innerlich enthalten sie Amylonkörner, welche durch Jodinlinctur sich blau färben; das Uebrige bleibt unge- färbt; aber man sieht bisweilen noch zwischen den Zellen einzelne feine Fasern und kleine steife Spiralfasern liegen, welche jeden- falls von der Mutterpflanze herrühren. Die zeitige Structur wird überhaupt durch Jodintinctur deutlicher sichtbar. Ein Tropfen concentrirte Schwefelsäure macht die Zellenwände noch dicker, als sie sind, und wo sie hinreichend auf dieselben einwirkt, fär- ben sie sich gelb oder orange. Durch wiederholtes Aus- waschen mit Wasser und Behandeln mit Schwefelsäure verlieren diese dicken Bassorinzellen die Eigenschaft, durch Jodintinctur gefärbt zu werden, eine Erscheinung, die auch die gallertartige Substanz des Bassoragummi zeigt und bei den Bassorinzellen aller Pflanzen vorkommt, die ich bisher untersucht habe. Aber die dicken Traganthzellen zeigen noch eine innere Auskleidung von einer sehr zarten Zelle, welche aus Gelinsubstanz besteht und daher erst zum Vorschein kommt, wenn die Schwefelsäure einwirkt. Demnach besteht der Traganth aus drei Substanzen: 1) Basso rin, die äussere dicke Zellen- wand in mehreren Schichten bildend; 2) Gelin, die innere zarte Zelle bildend, welche 3) die Amylonkörner einschliesst. Bei Tragacantha minor sind die Amylonkörner um vieles kleiner, auch die Bassorinzellen sind kleiner und weniger deutlich sichtbar. 6) Das Pflaumen- oder Kirsch-Gummi (Taf. 3. Fig. I.) schwitzt aus den Stämmen, Aesten und Früchten der Drupaceen aus. Man findet es an den Kirsch-, Pflaumen-, Mandel- und Aprikosenbäumen. Ob es nach der verschiedenen Pflanzenart, welche es liefert, auch verschieden isL, muss erst noch eine ge- naue Untersuchung lehren. Ich habe seine Entstehung und Weiterbildung an den Früchten von Prunus domestica genau beobachtet. Das Pflaumengummi kommt nicht in Bändern oder wurmförmig verschlungenen Fäden vor, wie der Traganth, son- dern es dringt langsam aus den betreffenden Pflanzentheilen Gummi. 205 heraus und bildet dann zähe, dickflüssige, mehr oder weniger klare helle Tropfen, die an der Luft austrocknen und hart wer- den. Ihre bräunliche Farbe rührt von einer Beimischung einer ulmin- oder huminartigen Substanz her. Kaltes Wasser löst einen Theil einer dem Arabin ähnlichen Substanz auf, der Rückstand besteht aus Bassorin; weil er aber durch anhaltendes Kochen mit Wasser sich leichter in Arabin verwandeln lässt, als eine andere Bassorinsubstanz, so hatte Gudrin-Varry ihm den Namen Cerasin gegeben. Im gewöhnlichen Cerasin bemerkt man nur eine sehr undeutliche organische Structur, oder auch gar keine. Aber untersucht man die Stelle, womit das Gummi an der Mutter- pflanze gesessen, so bemerkt man sehr feine Moleküle, welche eine reihenweise Anordnung zeigen und wie durch eine Art Strö- mung sich gebildet zu haben scheinen. Bei den Pflaumen kann man nun leicht den Zusammenhang der ausgeflossenen Substanz mit der innern Beschaffenheit des Gewebes verfolgen. Das Zellen- gewebe, wo der Ausfluss stattgefunden, ist theils zerstört, theils in der Zersetzung begriffen und braun gefärbt. Das Mikroskop zeigt, dass die gesunden Zellen des saftigen Parenchyms noch aus reinem Gelin bestehen, die braungefärbten aber sind schon grössten theils in eine Substanz umgewandelt, welche sich wie Bassorin gegen Jodin und Schwefelsäure verhält. Wo die Um- bildung in Bassorin stattgefunden hat, da beginnt an den äusser- sten Stellen, welche der Luft am nächsten liegen, auch die Zellen- wand sich aufzulösen und zu zerfliessen (Fig. a. b.). Dieser Auflösung geht jedesmal erst eine bedeutende Verdickung und Auflockerung der Zellenwand voraus und eine recht genaue und scharfe Beobachtung unterstützt von Jodin und Schwefelsäure lässt zunächst in der Wand eine Streckung eines Systems ver- flochtener sehr zarter Schleimfasern erkennen, welche sich immer mehr entflechten und auflockern, wie das Ende eines Haar- geflechts. In weiterer Entfernung laufen dann auch die Schleim- fasern parallel neben einander her (b.) und an andern Stellen lösen sich dann die Fasern in punktförmige Moleküle auf (c.), die gewöhnlich noch in der Richtung der Fasern liegen. Weiter bemerkt man nun, dass diese Moleküle sich vergrössern, und allmälig zu Zellen werden, welche zuletzt, als Mutterzellen, wieder kleinere Tochterzellen ersten und zweiten, auch wol dritten Gra- des einschliessen (d.), übrigens aber durchaus nur aus Bassorin bestehen und keinen Protein- oder andere Körper einschliessen. Die ganze Masse ist klar und farblos. Je weiter aber nach aussen, desto mehr verwischen und zerfliessen diese Bildungen. 20« Gummi. So beweist diese Untersuchung ganz genau die Entstehung der Gummisubstanzen aus der Gelinsubslanz. Es steht indessen diese Erscheinung nicht isolirl da und ich werde in der Folge zeigen, dass viele Pilzbildungen mit der Umbildung der Gelin- substanz in Bassorin beginnen. Zunächst aber ist es nöthig, die weitern chemischen Eigenschaften des Gummi in Betracht zu ziehen. §. 403. Das aufgelöste Gummi (Arabin) besitzt die Eigenschaft, die Polarisationsebene des polarisirlen Lichtes nach links zu drehen, in hohem Grade. Wird aber die Auflösung mit Schwefelsäure versetzt und nach und nach erwärmt, so vermindert sich diese Drehung und wendet sich zuletzt nach rechts. Das Gummi ist dadurch in Dextrin verwandelt, Avelches durch weitere Behand- lung mit Schwefelsäure in gährungsfähigen Zucker übergeht. Aber dieses Gummi -Dextrin weicht von dem Amylondextrin dadurch ab, dass es mit Salpetersäure Scbleimsäure liefert und von Jodin- tinctur selbst mitlelsL Schwefelsäure gar nicht mehr gefärbt wird. (Yergl. Traganlhgummi.) Eine Gummilösung verändert sich durch Stehen an der Luft dadurch, dass sich feine Pilzfasern in Form gallertartiger Massen bilden, die zuletzt in Schimmelfäden aus- wachsen, während die übrige Flüssigkeit sauer wird. Es erzeugt sich anfangs Essigsäure, zuletzt Milchsäure. Diese Veränderung mag wol durch die Anwesenheit der Proteinfasern, welche sich in Folge der Auflösung der höhern Pflanzenzellen mit dem Gummi vermischt haben, angeregt und weiter geführt werden. Die Entstehung des Gummi macht es erklärlich, warum seine Zusammensetzung nicht von der des Gelins und Amyls verschie- den ist. Mit Basen verbindet sich das Gummi zu unkrystallini- schen Verbindungen, welche zum Theil in Wasser löslich sind. Das Gummi, wie überhaupt alle aufgelösten Substanzen der Gellulosegruppe und des Pectins besitzen die Eigentümlichkeit selbst krystallisirbare Körper, welche sich mit ihnen zugleich in Auflösung befinden, an dem Ilerauskrystallisiren zu hindern. Da- durch werden oft mineralische oder überhaupt unorganische Bil- dungen von diesen Substanzen eingeschlossen und diese folgen dann der Anordnung, welche durch die organischen Bewegungen bedingt wird. So tragen Verbindungen der Basen mit den Substanzen der Cellulosereihe dazu bei, dass manche organische Formen eine besondere Härte bekommen, gleichsam verknöchern, wie die steinigen Hüllen der Nüsse und Steinfrüchte. Bassorin. 207 §. 404. Bildung des Bassorin aus dem Gelin in allen altern Hölzern. Wenn das Holz bei den perennirenden Pflanzentheilen über ein Jahr alt ist, so verlieren die Holzzellen und Spiralfasern, welche in der Jugend immer und durchaus aus Gelinsubslanz be- stehen, ihre Eigenschaft durch und durch, von Jodin mit Hilfe der Schwefelsäure blau gefärbt zu werden. Vielmehr zeigt sich, dass die Zellen — die eine Art früher, die andere später — von der Aussenseite her in der Substanz derartig verändert werden, dass die äussern Schichten der einzelnen Zellen zuerst (gleich- sam durch eine Art Gährungsprocess) in Bassorinsubstanz sich umändern. Behandelt man einen Querschnitt von einer solchen llolzpartie mit Jodintinctur und Schwefelsäure, so erscheinen die Holzzellen alle mit einer oder mehreren innern Schichten, weiche blau gefärbt, und einer oder mehreren äussern Schichten, welche orange oder braun gefärbt sind. Dass diese äussern Schichten wirklich Bassorin sind, beweist der Umstand, dass sie durch weitere Behandlung mit Schwefelsäure in Gummidextrin über- gehen, wodurch sie die Fähigkeit verlieren, durch Jodin ferner gefärbt zu werden. Man kann dies bei allen Hölzern, besonders schön aber auch in dem hornartigen Zellengewebe der „Kaffee- bohnen“ beobachten. In den Holzzellen geht bei normalem Vegetationsacte diese Veränderung nur sehr langsam von statten, ohne dass dabei eine Erweichung oder Auflockerung der Zellen- wände stattfände, vielmehr werden diese bisweilen noch härter, fester. Auf diese Weise bildet sich zuletzt die ganze Gelinzelle in eine holzige Bassorinzelle um. Wo die beiden Substanzen noch in ziemlich gleicher Menge vorhanden sind, erscheinen die Zellenwände auf dem Längenschnitte Grün. Solcher Fälle hat Mulder („Versuch einer allgem. physiol. Chemie“. Braunschweig. Tab. III. Fig. 23. 27. b. 28.) mehrere abgebildet. §. 405. Bildung des Bassorins bei der Weissfäule des Hol- zes. Bei der Weissfäule treten dieselben Erscheinungen in der Zellensubstanz ein, wie im normalen Zustande, aber da diese Veränderung eine Folge grösserer Feuchtigkeit ist, welche gleich- sam in den fertigen Zellen, oder eigentlich in den Intercellular- räumen des Gewebes stagnirt, so finden die Veränderungen nicht nur schneller Stall, sondern greifen auch in so fern noch weiter, als die äussern Zellenschichten, wenn sie in Bassorin übergegangen sind, sich auflockern und allmälig auflösen, wodurch der feste 208 Bassorin. Zusammenhang der Zellen und Gefässe aufgehoben und das Holz in eine weiche schwammige weisse Masse verwandelt wird. Die Zellen lassen sich in diesem Falle oft ebenso schön untersuchen und trennen, als wenn das Holz mit Salpetersäure gekocht wird, wodurch übrigens immer zuletzt eine Umänderung in Gummi- dextrin erfolgt. Diese Umänderung ist von Sacc für künstliche Pectinsäure ausgegeben worden (§. 386). §. 406. Bildung des Bassorins bei der Fäulniss und Gäh- rung saftiger und anderer Pflanzen theile. Wenn Aepfel, Birnen, Pflaumen, Bettige, Mohrrüben und ähnliche Pflanzen- theile in Fäulniss übergehen, so ist diese immer mehr oder weniger mit der Umänderung der Gelinzellen in Bassorinzellen verbunden, wie bei der Weissfäule des Holzes. Die gewöhnliche Folge ist auch hier, dass die äussersten Zellenschichlen sich auf- lösen, wodurch die Zellen den Zusammenhang verlieren und dann lose neben einander liegbn. Die Bewegung beginnt an einem oder mehreren Punkten, gewöhnlich an verletzten Stellen, wo die Luft Zutritt hat, und verbreitet sich nach allen Seiten hin, je nach der Structur, mehr oder weniger' gleichmässig. Sie pflanzt sich fort, wenn man gesunde Theile mit faulenden in Berührung bringt, und wird namentlich durch Wärme und Feuchtigkeit sehr beschleunigt. Ich habe die Fäulniss von Rüben, Rettigen und andern saftigen Wurzeln im Wasser beobachtet. Eine Partie der- selben wurde zur Nahrung der Fische in einen Teich geworfen. Bei warmen Tagen entwickelten sich viele Luftblasen an der Aussenseite der schwimmenden Wurzeln. Diese Luftblasen bil- deten sich auch , wenn kleinere Stückchen der schon in Zer- setzung begriffenen Rüben in ein Glas mit Wasser hingestellt wurden. Es trat in dem ganzen Wasser eine Bewegung ein, wie bei der Schleimgährung und die aufsteigenden Luftblasen enthiel- ten Kohlensäure. Oben auf bildete sich theils eine Schleimhaut, theils eine schaumige Schleimmasse. Der Schleim zeigte durch Salpetersäure und Ammoniak die Gegenwart einer stickstoffhalti- gen Materie an. Die Rüben im Teiche waren äusserlich ganz mit diesem Schleim überzogen und aus diesem, der anfangs sehr feinkörnig erschien, bildeten sich später sogenannte Wasserpilze (Mycothamnion macrospermum Kg. ,,Phyc. germ.“, p. 126), deren feine dünne Zellenwände durchaus aus reiner Bassorinsubstanz bestehen. Die innere weiche Zellenmasse der Rüben ist zuletzt ebenfalls grossentheils in Bassorin umgeändert. Bassorin. 20!) Diejenige Karloffelkrankheit, welche als Zellenfäule bezeichnet wird, zeigt ganz dieselbe Erscheinung. Auch hier sind die kran- ken Zellen in Bassorinsubstanz umgewandelt. Damit stimmen auch zum Theil die Beobachtungen Mitscherlich’ s („Bericht d. Berl. Acad.“, März, 1850) überein. Er sagt: „Von ganz beson- derm Interesse und charakteristisch für die Cellulose (unsere Gelinsubstanz) ist ihre Verwandlung durch ein eigenes Ferment. Man verschafft sich dieses Gährungsmittel, wenn man zerschnit- tene, halbverfaulte Kartoffeln und zugleich Stücke von frischen in Wasser Jegt und so lange an einem nicht zu kalten Orte stehen lässt, bis die Zellen der frischen anfangen sich leicht abzulösen; es bildet sich gleichfalls, nur langsamer, wenn man zerschnittene frische Kartoffeln mit Wasser übergossen hinstellt. Die Flüssig- keit filtrirt man und setzt zu derselben frische, in Scheiben ge- schnittene Kartoffeln hinzu; sind diese zerlegt, so kann man einen Theil der Flüssigkeit mit Wasser versetzen und neue Kar- loffelscheiben zusetzen, die schnell zersetzt werden und auf diese Weise die wirksame Flüssigkeit vermehren; ganz also wie beider Gährung eines Malzauszuges das Ferment, der Gährungspilz (der übrigens, beiläufig gesagt, auch aus einer Bassorinzelle besteht), sich vermehrt, vermehrt sich auch dieses Ferment. Es wirkt nur auf die Cellulose (Gelin), welche ohne weitere Beimengung die Wände der mit Stärke gefüllten Kartoffelzellen bildet; zuerst trennen sich dadurch die Zellen von einander, so dass es kein bequemeres und vollständigeres Mittel gibt, die Zellen mit ihrem Inhalt getrennt von einander zu erhalten und beobachten zu kön- nen; nachher werden auch die Zellenwände gelöst und die Stärke- kügelchen fallen heraus; in 24 Stunden wird auf diese Weise eine Kartoffelscheibe bis auf zwei Linien lief so erweicht, dass man diesen Theil mit einem Pinsel wegnehmen kann; unter der erweichten Schicht liegt die harte Kartoffelmasse ; so dass succes- sive von Aussen nach Innen dieser Process vor sich geht; nicht so, dass die ganze Kartoffel sogleich bis ins Innerste von dem Ferment durchdrungen wird. In der wirksamen Flüssigkeit ist keine Spur eines Pilzes zu entdecken , dagegen ist sie ganz mit Vibrionen angefüllt, die auch hier das Wirksame sein mögen. Der Verfasser hofft, dass es ihm gelingen werde, noch aufzufin- den, in welche Substanz die Cellulose umgeänderl wird, bisher hat er sie noch nicht darstellen können. Ganz derselbe Process, den man so willkürlich hervorrufen kann, findet bei der Kar- toffelkrankheit Statt, die in den letzten Jahren so viel Schaden verursacht hat; auch bei dieser wird die Cellulose und nicht die Kützing, Philosophische Botanik. I. 14 210 Bassorin. Stärke zersetzt, und eine Flüssigkeit, die der Verfasser eine Zeit- lang mit einer solchen kranken Kartoffel hatte stehen lassen, bewirkt sogleich die Zersetzung einer gesunden.“ So weil Mit- scherlich. Ich habe die hier angegebenen Versuche mit den Kar- toffeln wiederholt und kann die Thatsachen grösstentheils bestä- tigen. Ich habe den Versuch jetzt im Winter bei Ofenwärme, die zwischen -J- 8 — 50° wechselte, gemacht. Statt der Vibrionen liegt in dem Glase auf der Wasserfläche eine Schleimhaut, welche stickstoffhaltig ist und an die kleberhaltige Haut erinnert, welche sich in den Gefässen bei der Stärkefabrikation bildet. Luftent- wickelung findet ziemlich lebhaft Statt, aber die Umbildung des Gelins in Bassorin geht nur sehr langsam von Statten, obschon ein Stück einer kranken Kartoffel mit beiliegt. Ich finde übri- gens die Annahme eines besondern Ferments bei diesen Umbil- dungen nicht nöthig, sondern da dieselbe nur in einer Verände- rung der Bewegung beruht, die durch, einmal in der Bassorin- bewegung begriffene, Moleküle sich auf alle mit ihnen in Berüh- rung kommende übertragen lässt, so könnte man sich unter dem „Ferment“ nur eine Bassorinsubstanz vorstellen, deren Moleküle nur in einer lebhaftem Bewegung, als gewöhnlich, wären. Dass bei diesen Veränderungen die Molekularbewegungen wirklich eine verschiedene Richtung haben müssen, beweisen die Einwirkungen, welche die Substanzen der Gellulosereihe auf den polarisirten Lichtstrahl ausüben. Es ist übrigens Nichts leichter, als die Ueberführung der Gelinsubstanz in Bassorin durch die Gährung oder Fäulniss zu beobachten. Jede geistige Gährung bietet sie dar, denn die Ilefe- zellen bestehen ganz aus Bassorin, das bei der Behandlung mit Schwefelsäure leicht die Eigenschaften des Gummidextrins an- nimmt. Jedes Stückchen Brod, das man angefeuchtet an einem passenden Orte — etwa in einer mit einer Glasplatte bedeckten Tasse — schimmeln lässt, bietet ganz ähnliche Erscheinun- gen dar. Bildung des Bassorins in dem ausgeflossenen Safte der Ulmenstämme. Wenn die Ulmen im Frühjahr zu stark beschnitten oder ihre Stämme einige Fuss über der Erde abge- sägt werden, so fliesst aus diesen frischen Wunden ein heller Saft, der sich theils auf der Schnittfläche sammelt, theils aber auch herabfliesst und antrocknet. Die angetrocknele Masse hat gewöhnlich eine kreideweisse Farbe und blättert sich mitunter ab. Wo jedoch die Ansammlung des auslretenden Saftes bedeu- tender ist, da verdunstet zwar auch ein Theil der Flüssigkeit. Bassorin. 211 ein anderer aber wird zurückgeballen und bildet eine »schleimige oder gallertartige -Substanz, die entweder auch eintrocknet » oder in Pilzbildung ubergeht. Eine solche Gallert liess in ihrer Masse, welche aus einer halbflüssigen und homogenen klaren Matrix be- stand, viele kleine Kügelchen erkennen, welche sehr an einige Cryptococcusarten erinnern. Die kleinen Kügelchen bestanden aus einer proteinartigen Substanz, aber die Matrix aus Bassorin. Der frische Schleim, den man durch Auskochen des innern Theils der Ulmenrinde erhält, verhält sich eingelrocknet wie Gelinschleim. Braconnot gibt in einem ähnlichen Falle ebenfalls Bassorin als Bestandteil an. („Annal. de Chim. et de Phys.“, III. Juill. 1846.) §. 407. Normales ursprüngliches Vorkommen des Bassorins. Ich habe es bis jetzt in allen Flechtenarten und allen Pilzen ge- funden, die ich darauf untersucht habe. Bei den Algen ist es verschiedenartig Verteilt, So besteht z. B. die Matrix bei Ulvina sambuci, die sich im des tili irten Fliederwasser bildet Und hier das Schleimigwerden desselben veranlasst, ganz daraus. Hier muss wol die Entstehung des Bassorins aus dem ätherischen Oele stattfinden. Ferner habe ich das Bassorin in der Matrix der Palmeila cruenla und botryoides gefunden; ebenso bei Tetraspora und Hydrurus. Bei Chaetophora bildet das Bassorin sehr dicke Schleimscheiden um die gegliederten Fäden, deren Zellenwände aus Gelinsubstanz gebildet sind. Bei Chara bestehen der Stamm, Aeste, Bracteen und alle grossem Zellen aus Gelinsubstanz, welche nur im Alter, namentlich bei untern Theilen, die im Schlamme versenkt gewesen sind, in Bassorin übergeht; die Zel- len der sogenannten gegliederten Pollenfäden aber bestehen aus Bassorin. Bei den Oscillarien bestehen die zarten Zellenwände so wie die Matrix, in welcher die Fäden liegen und welche bei Phormidium zu einer zusammenhängenden Haut erhärtet, aus Bassorin; ebenso alle weichen äussern Theile, Stiele, Fäden, ver- bindende Schleimmassen bei den kieselschaligen Bacillarien; bei Gaulerpa ist die ganze dicke Zellenwand mit ihren Schichten und den nach Innen gehenden krummen und verschlungenen Fäden daraus gebildet; auch die Zellen bei Ulothrix und Oedogonium bestehen daraus.- Bei Vaucheria bestehen die jüngern Theile aus Gelin, die altern aus Bassorin. C. Schmidt („Zur vergleich. Physiologie d. wirbellosen Thiere“. Braunschw., 1845, p. 66) hat die Bassorinsubstanz der Bacillarien analvsirt und in 100 Theilen 14* 212 Lignin. aschenfreier Substanz: C = 46,19. H = 6,65 gefunden. Er sagt dabei: „Das Resultat stimmt vollkommen mit den von Rochleder und Heidt als Mittel von sieben Bestimmungen C = 46,08 H — 6,67 für die Zellenmembran der Flechten erhaltenen überein“. Das darf uns jetzt, seitdem wir die Identität dieser Substanzen ken- nen, nicht mehr befremden! §. 408. Ligllill. Das Lignin ist noch eine unsichere Substanz. Es ist noch sehr die Frage ob sie von den bisherigen verschieden, oder ob sie zum Bassorin gehört. Gegen Jodin und Schwefel- säure verhält sie sich ziemlich ebenso wie das letztere, auch be- stehen die spätem Ligninzellen in der Jugend aus Gelinsubstanz. AVas mich bewog, diese Substanz hier besonders anzuführen, ist das Resultat der Analyse, welche bei den altern Hölzern und namentlich bei dem sehr harten steinigen Zellgewebe der Nuss- schalen und anderer immer einen grossem Kohlenstoffgehalt nach- weist, als bei der sogenannten Cellulose. Gay-Lussac und Thönard, so wie Prout haben aus ihren Resultaten die Formel = C12 Hl6 08 gefunden, welche dasselbe ist, als Amyl, Gelin, Gummi minus 2 Aeq. Wasser. Mulder und andere Chemiker wollen nun zwar aus spätem Untersuchungen schliessen, dass dieser Vorstellung ein Irrthum zu Grunde liege; aber diese Che- miker sind selbst hierbei im Irrthum, weil sie immerfort von einem besondern „incruslirenden Stoffe“ bei den Zellen sprechen, der gar nicht vorhanden ist, wie ich später im dritten Buche zeigen werde. Wir können also von dem Ergebniss der Analyse gar keinen „incrustirenden Stoff“ in Abzug bringen , sondern wir haben die reine Thatsache zu betrachten. Da ergibt sich aber, dass die Untersuchungen, welche Baumhauer und Fromberg über die harten Hölzer und Nussschalen angestellt haben, das Ergeb- niss der frühem Untersuchungen von Gay-Lussac und Thenard nur bestätigen; denn die Formel = C64 H88 039, welche jene Chemiker annehmen, ist der von uns angenommenen sehr nahe. Dass durch Behandlung dieser harten Zellenformen mit Natron ein anderes Resultat gewonnen wird, welches einen grossem Wassergehalt im Holzkörper angibt, kann nur die Annahme recht- fertigen, dass durch solche Einwirkung eine grössere Auflocke- rung statthat, welche die Substanz in einen hohem Hydrat- zustand versetzt, als sie ursprünglich besitzt. Dasselbe geschieht auch gewiss bei Einwirkung der Schwefelsäure, und darum die Gelucin. 213 Rückführung des Lignins in Bassonn , welche sich in der Reaction mit Jodin linclur kundgibt. i §. 409. a) Gelacill, Ich habe im Jahr 1845 in meiner „Phycologia generalis“, p. 37, das Gelacin zuerst als eine besondere Sub- I stanz aufgeführt. Ich hielt sie früher für eine Modificalion des Gelins. Aber sie zeigt durch Jodin und Schwefelsäure weder die Reaction des Gelins noch des Bassorins, sondern verhält sich gegen diese eher wie Gummidextrin. Aber eigenthümlich ist sein Verhalten gegen starke Säuren. Wenn man eine Gelacinzelle mit Wasser anfeuchtet, dann mit etwas concentrirter Salz- oder Schwefelsäure betupft, so schwillt die Substanz an und nimmt nach und nach eine immer intensiver werdende schöngrüne Farbe an. Ammoniak und andere Alkalien machen dieselbe wieder schwinden. Es kommt diese Substanz nur in einer Abtheilung der niedern Algenformen vor, besonders bei den Gattungen Euactis, Dasyactis, Ainactis, Geocyclus, Schizosiphon , Galothrix, Lyngbya, Sirosiphon, Arthrosiphon, Symphyosiphon, Scytonema, u. m. a Sie bildet hier die am Lichte sich bräunende Scheide und je brauner dieselbe erscheint, desto intensiver wird die grüne Farbe durch jene Säuren. Eine Analyse dieser Substanz ist noch nicht vorhanden. b) Eugelacill. Eine Anzahl Gloeocapsaarten , besonders No. 20 — 37, welche in meinen „Species Algarum“, p. 219 — 222 aufgeführt sind, bestehen aus Zellen, deren Substanz durch Säuren schön rolh und durch Alkalien blau gefärbt wird. Je nachdem diese Arten in der Natur in ihrem Zelleninhalte einen neutralen, sauren oder alkalischen Stoff enthalten, erscheinen sie farblos, roth, oder mehr oder weniger blau, oder violet. Ich habe nach diesen Farben, ehe ich den Grund davon erkannt hatte, mehrere Arten davon unterschieden, z. B. Gl. coracina, atrata, livida mit blauen, Gl. violacea, ianthina mit violeten, Gloeocapsa Magma, rupicola, opaca, sanguinolente, sanguinea, rosea, Shuttleworthiana u. s. w. mit rolhen Zellenhäuten. Ausserdem kommen mehrere Arten noch vor, wo die Farbe wechselt, z. B. Gloeocapsa versi- color und Gl. ambigua. Bei allen Arten kommen einzelne Zellen mit farbloser Haut vor. Alle Zellen werden ohne Ausnahme durch Säuren roth, die blassrothen dunkler. Wird zu diesen roth ge- färbten Zellen etwas Ammoniakllüssigkeit gebracht, so werden sie erst farblos und hierauf bei Ueberschuss des Ammoniaks blau. Alle diese Erscheinungen erinnern sehr an das Lackmus. Wie 214 Viscin. weit das Eugelacin mit demselben oder mit andern Bestandteilen der Flechten übereinstimml, müssen erst noch ausführliche che- mische Untersuchungen zeigen. 49. Viscin. Diese Substanz ist in den Beeren der Mistel enthalten \ sie ist wasserhell,, sehr klebrig und zäh und soll nach Schleiden („Grundzüge d., w. Botanik“, I, 3. Auf!., p. 200) durch Auflösung vorhandener Zellen sich bilden. Schleiden gibt die- selbe auch noch an im Fruchtboden von Atractylis gummifera, im Milchsäfte der grünen Zweige von. Ficus elastica, und meint, man müsse auch den eigentümlichen Stoff, der in der Proscolla bei den. Orchideen und als fadenartiges Gewebe zwischen dem Pollen derselben Pflanzen vorkomme, so wie die Flüssigkeit, welche die Drüsen am Stigma der A.sclepiadeen ausschwitzen, endlich das Product der Bimse® unter den Atttheren einiger Apo- cyneen, z. B. Nerium Oleander, hierher- rechnen;. Ich habe dar- über bis jetzt keine eignen Untersuchungen gemacht und kann daher nicht behaupten, ob diese, letzten Erscheinungen mit der in den Mistelbeeren, vorkommenden identisch sind. Ein junger Trieb von Viscm® album, den ich vor mir liegen habe, zeigt, in seinen Zellen Gelinsubstanz:, die aber sehr nach Bassorin hin- neigt. Dass jedoch das Viscin zu den bassorinarligen. Substanzen gehört, erscheint desshalh nicht wahrscheinlich, weil es nach einer Untersuchung von Macaire-Princep aus 75,6 C. 9,2 H. 15,2 0 (in 100 Theilen). besteht. Es ist daher poch kohlenstoffreicher als das Humin. Schleiden hat: es mit Kautschuk zusammengebracht. Sie bestehen aus Kohlenstoff, Wassers toff,. Stickstoff und Sauerstoff mit einer mehr oder weniger bestimmten Menge von Schwefel und Phosphor. Man hat die hierher gehörigen Sub- stanzen 50. Proteinkörper genannt, weit ihnen allen ein Stoff zu Grunde liegt, das. Protein, Die Formel des Proteins ist nach Mulder’s neuesten Bestimmungen („Scheik. Onderz.“, IV, p. 195 fg.) Verbindet sich dieses noch mit 1 — 5 Aeq. O., so entsteht Oxydprole'in. Der Schwefel sowot, als der Phosphor, ist nicht b). Stickstoffhaltig© Organstoffe;. Proteinkörper. 215 als solcher in den Proteinkörpern enthalten, sondern als Sulpha- mid-(= NH., -f- S) oder Phosphamid (= NIL, + P). Je nach- dem nun das Verhältniss des Proteins oder Oxydproteins zum Phosphamid oder Sulphamid ist, entstehen die verschiedenen Proteinkörper, welche ebenso wichtig für das Thier- als Pflanzen- reich sind. In den Pflanzen unterscheidet man folgende Arten von Proteinkörpern: Pflanzeneiweiss oder Albumin und Pflanzenleim. Der Schwe- felgehalt variirt zwischen 4 — 8 Procent. Durch diesen verschie- denen Schwefelgehalt unterscheidet sich das Pflanzeneiweiss von dem der Thiere. Es gibt lösliches und unlösliches Pflanzen- eiweiss. Beide sind weit verbreitet, aber immer mehr oder we- niger vereinigt mit Pflanzenleim. Die meisten Pflanzensäfte schei- den das aufgelöste Albumin in geronnenen Flocken aus, wobei es aber auch noch andere Bestandteile des Pflanzensaftes mit einhüllt. Man kann das lösliche Albumin aus frischen Kartoffeln mittelst Wasser ausziehen, das mit etwas Schwefelsäure schwach angesäuert ist. Auch in den Erbsen, dem Roggen und Weizen ist lösliches Albumin neben unlöslichem enthalten. Der Kleber (Beccaria’s Gluten), welcher im Rückstände erhalten wird, wenn man Weizenmehl in einem leinenen Säckchen unter kaltem Was- ser ausknetet, so lange als reines Wasser davon noch milchig wird, was von Stärkekörnchen herrührt, besteht nach Rühling aus „Cellulose“ (Bassorin), unlöslichem Pflanzeneiweiss und Pflanzenleim. Durch anhaltendes Auskochen mit Alkohol löst sich der Pflanzenleim auf, während das Eiweiss und Bassorin Zurückbleiben. Wird dieser Rückstand bei gewöhnlicher Tempe- ratur mit sehr verdünnter Kalilösung übergossen und einige Tage stehen gelassen, so löst sich das Albumin auf und das Bassorin bleibt allein zurück. Aus der alkalischen Lösung kann das Al- bumin mittelst Essigsäure abgeschieden werden. Der Pflanzenleim enthält 2 Proeent Sulphamid. Das Pflanzeneiweiss enthält noch in 100 Th. 0,4 Phosphamid (Mulder). Der Pflanzenleim ist auch Pflanz enfib rin genannt worden. Legumin. Es ist in den Hülsenfrüchten , den Mandeln und andern öligen Samen enthalten. Man hat es in letzter Zeit mit dem Casein verwechselt, von dem es sich aber dadurch unter- 1) Pflanzeneiweiss. 2) Pflanzenleim. 3) . Legumin. 216 Proteinkörper. scheidet, dass aus ihm kein Oxydprole'in darzustellen ist. Norton hat diesen Körper aus Mandelkleie, Erbsenmehl und aus Hafer dargestellt, indem er diese Substanzen mit kaltem Wasser auszog und die Lösung mit Essigsäure versetzte. Das Legumin schlägt sich dadurch nieder und gerinnt gleichsam wie das Casein der Milch. In Ammoniak löst sich der Niederschlag auf und er kann durch Essigsäure abermals und reiner gefällt werden. Das Erbsen- legumin enthält in 100 Th. 3,6 Phosphamid und 1,6 Sulphamid; das Mandellegumin 0,6 Sulphamid. Auf diese wenigen scheinen alle proteinhaltigen Pflanzen- sloffe zurückgeführt werden zu können, während man früher noch Emulsin, Zein und andere unterschied. In dem Pflanzenorganismus spielen diese Stoffe eine sehr bedeutende Rolle. Nach Rochleder und Umschalter sollen sie saure Eigenschaften besitzen, mit Alkalien und Erden, so wie mit phosphorsauren Salzen constante Verbindungen bilden. Ihre Gegenwart kann mittelst des Mikroskops nur mit Hilfe der Reagentien sicher erkannt werden. Die Jodintinctur färbt alle Proteinsubstanzen orange, mit und ohne Zusatz von Schwefel- säure. Darum können leicht Verwechselungen dieser mit dem Bassorin Vorkommen; aber die Proteinsubstanzen färben sich dunkler orange. Am sichersten ist ihre Erkennung mittelst der Salpetersäure. Werden die Proteinkörperchen mit letzterer er- wärmt, so färben sie sich schon schwach gelb; setzt man aber jetzt Ammoniak hinzu bis zum Ueberschuss, so wird das Gelb deutlicher und schöner. Kleinere Körperchen werden schön schwefelgelb oder ducatengelb, dickere Theile dunkel orange ge- färbt. Das geschieht bei Bassorinsubstanzen nicht. Ich habe schon oben beim Amyl und andern Stoffen, welche durch den Gährungs- oder einen ähnlichen Process verändert werden, öfters zu bemerken Gelegenheit gehabt, dass diese Pro- teinsubstanzen hierbei eine wichtige Rolle spielen. Wir werden uns auch ferner noch von der Richtigkeit dieser Bemerkung überzeugen. §. 413. Zwischen den Gliedern der Gellulosereihe und Proteinreihe kommen sehr häufig Verbindungen, gleichsam Verwachsungen der Moleküle der einen mit denen der andern Reihe vor. Diese sind entweder ursprünglich oder entstehen erst später durch Bildung des Prolelnstofls in der Gellulosesubstanz. Zu den erstem ursprünglichen Bildungen der Art gehört das Proteinkörper. 217 Pollenin, welches die äusserste Haut bildet über die Pollen- körner und Sporen bei vielen Kryptogamen. Zu den zweiten ge- hört das Suberin oder die Korksubstanz und die Cuticular- substanz. Beide letztem bestehen in ihrem Anfänge aus Gelin- substanz, die sich bald an der Luft in Bassorin umändert und dabei zugleich Proteinstoff aufnimmt. Solche Bildungen kommen auch in eigentümlichen Geweben in den gewöhnlichen Zellen vor, und sie zeichnen sich vor allen andern Substanzen durch eine ungemein grosse Festigkeit und Dauerhaftigkeit aus, welche ebenso den Einwirkungen der ätzenden Säuren, wie der Alkalien trotzt. Denn die Korkzellen werden erst nach einer langem Einwirkung der Schwefelsäure zerstört, und die Cuticula mancher Pflanzen so wie der Pollenkörner kann Tage lang in concenlrirter Schwefelsäure liegen, ohne verändert zu werden. Der Kork wird durch Salpetersäure in der Wärme zerstört. Zuerst schwellen die Zellen an, trennen sich dann von einander und durch längere Einwirkung bilden sich eine Reihe von Säuren, deren Endglieder Korksäure und Bernsteinsäure sind. Dasselbe geschieht mit der Cuticula von Aloe Lingua, welche viele Tage lang der Schwefelsäure widersteht. (Mitscherlich.) Die Korksubstanz besteht nach Mitscherlich in 100 Theilen bei Kartoffeln: bei der Korkeiche: 62,30 C. 65,73 C. 7,15 H. 8,33 II. 27,57 0. 24,54 0. 3,03 N. 1,50 N. Mulder hat bei Untersuchung der Cuticula folgende Resul- tate erhalten: Bei Phytolacca decandr a. C. 52,90. 52,70. 11. 6,79. 6,80. 0 + N. 40,31. 40,50. Bi ei Agave americana. C. 63,51. 63,28. H. 8,82. 8,89. 0 + N. 27,67. 27,83. §. 4 1 4. 51. Humus. Die in den §§. 381 — 413 abgehandelten Sub- stanzen, namentlich die in der Cellulose- und Proteinreihe er- leiden durch Einwirkung der Luft und des Wassers eine solche 218 Humus. Veränderung ihrer Stoffverhältnisse, dass sie, oft mit Beibehal- tung ihrer organischen Form, sich in einen dunkel- oder schwarz- braunen Körper verwandeln, welcher sehr reich an Kohlenstoff ist. Dieser Körper wird im Allgemeinen mit dem Namen Humus bezeichnet. Bei seiner Entstehung werden die Organstoffe in der Weise zersetzt, dass der Stickstoff derselben sich mit Wasser- stoff zu Ammoniak, der Sauerstoff der Luft aber mit einem an- dern Antheil Wasserstoff zu Wasser vereinigt, während eine kohlenreichere, Verbindung als Rückstand bleibt. Diese Zer- setzungen kommen schon häutig in alten Stämmen noch lebender Bäume vor und werden durch, eine mehr oder weniger dunkle Färbung der Holz- und anderer Zellgewebsmassen bezeichnet. Noch häufiger finden sie sich bei den Pflanzen, welche in Sumpf- gegenden wachsen, deren, untere Theile absterben, sich in Humus zersetzen, während die ob.ern fortwachsen. Dadurch wird der Torf erzeugt, bei dessen näherer mikroskopischer Untersuchung noch die ganze organische; Structur erkannt werden kann. Den dunkelsten schwarzen Humus nennt man auch Hu min, den braunen Ulmin. Beide sind von Haus aus, indifferent, aber sie werden in Berührung mit Basen in eine Reihe von Säuren verwandelt, die den Namen Huminsäure, Ulminsäure,. Geinsäure, Quellsäure, Quellsatzsäure, (Torfsäure, Ackersäure u. s. w.) er- halten haben. Die harzigen, öligen und mineralischen Bestandtheile der Pflanzen sind in dieser Umbildung so wenig mit begriffen, dass man sie nach einer Reihe von Jahren darin wiederfinden und na- mentlich die erstem mit Alkohol und. Aetlier zum Theii ausziehen kann. Das Ulmin und Humin sind beide ebenso unlöslich im Was- ser als in Alkalien , aber die aus ihnen gebildeten Säuren sind in Alkalien leicht und im Wasser mehr oder weniger löslich. Die Humussäure färbt die Wasser, die in Torf- und Moorboden quel- len bräunlich. Midder scheidet die genannten Stoffe in zwei Gruppen. Zur ersten Gruppe rechnet er die Quellsäure und Quellsatzsäure. Zur zweiten die Geinsäure, Humus und Humussäure, Ulmin und Ulminsäure. Wo die Zersetzung der Organstoffe in diese Substanzen beendigt ist, kommt niemals Stickstoff in ihrer Verbindung mit vor, weil dieser als Amidver- bindung die Profe'insubstanzen verlässt, das Amid aber durch Aufnahme von 2 Aeq. Wasserstoff Ammoniak bildet, welches mit den genannten Säuren sich vereinigt. Durch Alkalien können überhaupt die genannten Säuren aus dem Torfe und andern Humus. 219 humusreichen Substanzen ausgezogen und dann aus der fdtrirten Lösung durch andere Säuren -wieder niedergeschlagen werden. Bei der Umwandlung der Organstolfe entsteht zuerst Ulmin- säure (= C40 H28 012), daraus bildet sich Humussäure (== C40 H24 0n) und zuletzt Geinsäure (= C40 Il24 014). In der Flüssigkeit, aus welcher diese humusartigen Stoffe niedergeschlagen worden, be- finden sich noch Quellsäure (== C24 H24 0]6) und Quellsatzsäure (= C48 H24 024 ), welche durch essigsaures Kupferoxyd gefällt Averden können. §. 415. Wir haben schon mehrmals zu bemerken Gelegenheit gehabt, dass gleichartige Zersetzung der Substanzen durch verschiedene Mittel, überhaupt die Bildung der Organ- und anderer Stoffe auf verschiedenem Wege bewerkstelligt werden kann. So auch die Bildung der Humussubstanzen, Avelche man künstlich erzeugen kann, durch Einwirkung der Säuren auf Zucker, Cellulose- und Proteinsubstanzen. Midder gibt zur Erklärung dieser Vorgänge folgende Schemata. I. Bildung des Ulmins aus dem Zucker und den Substanzen der Cellulosereihe (Amyl, Gelin, Inulin, Gummi u. s. w.) durch Säuren, wobei zugleich Ameisensäure entsteht: C. H. 0. % von 7 Aeq. Zucker u. s. w.. 42 70 55 1 Aeq. Ulmin .... 40 32 14 1 Aeq. Ameisensäure . 2 2 5 18 Aeq. Wasser — 56 18 42 70 55. Eine ähnliche Veränderung muss bei der natürlichen Zer- Setzung der Cellulosesubstanzen in Ulmin stattfinden , nur mit dem Unterschiede, dass keine Ameisensäure, sondern (wenigstens neben dieser) durch Aufnahme von 2 Aeq. Sauerstoff Kohlensäure und Wasser entsteht (= C2 H2 0'3 + 2 0 = = 2 C.02 + H2 0). II. Bildung des Humins u. s. av; durch Säuren GL H. 0. ’/j von 7, Aeq; Zucker u. s. av. 42* 70 35, 1 Aeq. Ilumin 40 24 12 1 Aeq. Ameisensäure. . 2. 2 5 22 Aeq. Wasser 44 22 42 7 Oi 57. 220 Humus. Bei der natürlichen Zersetzung werden 4 Aeq. Sauerstoff aufgenommen und dadurch, statt der Ameisensäure, Kohlensäure und Wasser gebildet. III. Bildung der Geinsäure auf natürlichem Wege durch Aufnahme von Sauerstoff: C. H. 0. ’/a von 7 Aeq. Zucker -f- 6 0. = 42 70 41 2 Aeq. Kohlensäure 2 — 4 23 Aeq. Wasser — 46 23 1 Aeq. Geinsäure 40 24 14 42 70 41. Bei der Pectinreihe ist der Sauerstoffgehalt so, dass eine Aufnahme desselben von aussen überflüssig erscheint, um in Kohlensäure, Wasser und Humus zu zerfallen. IV. Die Humusbildung durch freiwillige Zersetzung des Pro- teins geschieht unter Aufnahme von 4 Aeq. Sauerstoff: C. H. N. 0. 1 Aeq. Protein -(- 4 0. = 40 62 10 16 1 Aeq. Humin 40 30 — 15 1 Aeq. Wasser — 2 — 1 5 Aeq. Ammoniak — 30 10 — 40 62 10 16. Es darf jedoch hierbei nicht übersehen werden, dass die hier in Anwendung gebrachte Formel des Proteins in neuester Zeit von Midder verändert worden ist. (Yergl. §. 411.) §. 416. Alle Humussubstanzen besitzen das Vermögen, Ammoniak aus der Luft aufzunehmen, in einem so hohen Grade, dass man im- mer dasselbe in ihnen (auch wenn sie aus stickstofffreien Kör- pern, wie Zucker, entstanden sind) vorfindet, wenn man den Zutritt der Luft nicht verhindert. Aus dieser Ammoniakbindung geht aber in ihnen selbst diejenige Veränderung wieder vor, wo- durch Quellsatzsäure und Quellsäure entstehen. Um 1 Aeq. Quell- satzsäure zu erzeugen, sind nach Midder 2 Aeq. Huminsäure, 1 Aeq. Ammoniumoxyd und 76 Aeq. Sauerstoff erforderlich = Humus. 221 C. H. N. 0. % 80 56 2 101 1 Aeq. Quellsatzsäure . . 48 24 — 24 1 Aeq. Ammoniak . . . . — 6 2 — 32 Aeq. Kohlensäure . . . 52 — — 64 13 Aeq. Wasser . — 26 — 13 80 56 2 101. Dass die Salpetersäure aus der Quellsatzsäure Quellsäure erzeugen könne, hat schon Berzelius beobachtet. Dass aber die Salpetersäure durch Oxydation des Ammoniaks entsteht, ist allge- mein bekannt. Umgekehrt entsteht die Quellsatzsäure aus der Quellsäure durch Aufnahme von Sauerstoff und Bildung von Was- ser. (Midder, „Phys. Chemie“, 169 fg.) So sehen wir aus diesen Umänderungen besonders die Bildung von Ammoniak, Kohlensäure und Wasser hervorgehen, drei Körper, welche die- jenigen Elemente enthalten, woraus das Heer der Stoffe erzeugt werden kann, welche die Bildung der organischen Körper be- dingen. Dadurch werden die Glieder der Humusgebilde, deren Auftreten immer mit der Zerstörung des organischen Lebens ver- knüpft ist, wiederum das Mittel zur Entstehung neuer Organ- stoffe, zur Entwickelung neuer Organismen. Summa. §. 417. Die Stoffe, welche die Substanz der Pflanzen bilden, lassen sich sämmtlich in drei Gruppen vereinigen, nämlich: Basen, Säuren und indifferente Stoffe, welche sich zwar mit Basen verbinden, aber eine so geringe Sättigungscapacität haben, dass man dadurch nicht genöthigt ist, sie als Säuren zu betrachten. Die Basen, welche zur Entwickelung der Vegetation nöthig sind, werden entweder aus mineralischen Substanzen geliefert, oder, wo Mangel an diesen ist, durch den chemischen Vegetationsact selbst, unter Aufnahme von Ammoniak, erzeugt (§. 350). Die grösste Mannigfaltigkeit bieten die Säuren und die in- differenten Stoffe dar. Letztere sind aber stets mit den erstem so innig verknüpft, dass sie mit ihnen gleiche Entwickelungsreihen bilden, wovon diese die Anfangs- glieder und jene die Endglieder einer Anzahl von Oxy- dationsstufen bilden. Es sind zwar diese Gliederungen und 222 Summa. Verkettungen in der chemischen Bewegungssphäre noch lange nicht vollständig bekannt; aber wo sie einigermaassen erschlos- sen sind, wie z. B. in der Salicyl, Benzoyl und Cinnamyl- gruppe, wie in der Pectin- und Cellulosereihe, da sehen wir, dass sie vorhanden sind und die verschiedenen Gruppen in ein- ander übergreifen. Demnach ist die Eintheilung der Stoffe nach ihrer öligen, harzigen, schleimigen, bittern, süssen, herben und farbigen Be- schaffenheit, chemisch betrachtet, eine sehr ungenügende und oberflächliche, weil sie nicht nach chemischen, sondern nach unmittelbar sinnlichen Eigenschaften begründet ist. Ich versuche es daher einen Theil dieser Stoffe vorläufig auf folgende Weise zu ordnen: 1) Die Cellulose- und Zuckerreihe — deren Endglieder Oxalsäure, Kohlensäure. (§. 587 fg. §. 572 — 578.) 2) Die Pectin reihe — deren Endglied die Metapeclin- säure. (§. 582.) 5) Die Reihe der Oele und Fettsäuren. (§. 557, 558.) 4) Die Salicylreihe (mit Benzoesäure, Zimmtsäure), welche einerseits ebenso nach den ätherischen Oelen und Harzen, wie nach den Farbestoffen übergreift. (§. 559, 560, 562, 580.) 5) Die Tannin reihe mit den verschiedenen Gerbsäuren, welche durch das Morin und andere Stoffe ebenfalls zu den Farbe- stoffen hinleitet. (§. 565.) 6) Die Protein reihe, welche einerseits zum Chlorophyll (§. 570), Indigo (§. 565) und Xanthin (§. 564) führt, wie an- dererseits mit der Cellulosereihe in die Huminsubstanzen und Ammoniak (§. 415, IV.) zerfällt und durch den letztem Umstand jedenfalls die Bildung der Pflanzenalkalien (§. 550) bewirkt, was von grosser Wichtigkeit ist. Die ganze Stoffbildung in den Pflanzen beruhet daher auf einem beständigen Wechsel von Oxydation und Desoxydation, doch so, dass die Amylreihe beim organischen Process mit der Des- oxydation der Kohlensäure beginnt (§. 579), zur Zucker- und Cellulosebildung fortschreitet, dann zur Bildung der Oel-, Salicyl- und Tanninreihe übergeht und hiermit ihren Kreislauf im leben- den Organismus endet. Die Prote'inreihe beginnt mil der Aufnahme des Ammoniaks (als Amid) in die Cellulosesubstanzen, was besonders bei dem Kork und der Cuticula, die als Cellulosebildungen anfangen und als proteinhallige Körper enden, zu beobachten ist, geht dann durch Aufnahme der Elemente des Wassers in Chlorophyll oder Summa. 223 ähnliche Substanzen über und endet damit seinen chemischen Kreislauf in der Pflanze. Der Quantität nach bilden, nächst dem Wasser, die Sub- stanzen der Cellulosereihe (und nach diesen bisweilen der Zucker und die fetten Oele) die Hauptmasse; ihre Entstehung beruht in einem beständigen Desoxydationsprocess, der ebenso durch ein gewisses Maass Wärme als durch Liebt auf das höchste belebt wird und darum nothwendig die Abscheidung nicht unbe- trächtlicher Mengen von Sauerstoff zur Folge haben muss, der auch wirklich von den Pflanzen im Lichte ausge- strömt wird. (Auch die Bildung des Pflanzenduftes, der ätheri- schen Oele, hängt hiermit zusammen.) Dann folgen die Protein- substanzen, die eine Modiflcation der Cellulosereihe durch Am- moniak sind, worauf der ganze grosse Process mit der Bildung der Harz- und Tanninsubstanzen, welche zugleich grösstentheils die Farbe geben, endet. Bei der Bildung der Harze und Farben wird kein Sauerstoff ausgeschieden, sondern verbraucht und zu- gleich Kohlensäure erzeugt, welche gasförmig entweicht. Dieser letzte Process hat besonders in der Nacht Statt, jener am Tage, daher von den Pflanzen im Sonnenlichte Sauerstoff, im Dunkeln aber Kohlensäure ausströmt. Ich muss am Schlüsse dieser Betrachtungen noch die Ansicht rechtfertigen, welche ich oben ausgesprochen, dass nämlich das Protein aus den Cellulosesubstanzen durch Aufnahme des Ammo- niaks entstehe. Wenn es wahr ist, dass das Protein bei freiwilliger Zer- setzung und unter Aufnahme von Sauerstoff in Humin, Wasser und Ammoniak zerfällt, so muss es sich auch bilden können, wenn das Ammoniak sich mit einem Stoffe vereinigt, der die Bestandtheile des Humins + Wasser besitzt. Dieser Stoff ent- steht immer, wenn die Cellulosesubstanzen (Gelin und Bassorin) mit Sauerstoff in Berührung treten , wodurch sie in kohlenreichere Stoffe verwandelt werden. Man sieht dies besonders an der Cuticula, wo oft nur die äussersten und ältesten Schichten auf Protein reagi- ren, während die jüngere Cuticula und die innern jüngern Schich- ten der ällern aus Cellulose (Gelin oder Bassorin) bestehen. Diese ältern Theile sind jedesmal kohlenreicher und desshalb auch oft bräunlich gefärbt. Die Färbung zeigt aber allemal die Gegenwart von Ulminbildung an. Dass aber nicht nur Ulmin Ammoniak aus der Luft eondensirt, sondern überhaupt jeder 224 Summa. porose Körper, ist hinlänglich bekannt. Die Cuticula ist aber durch ihre Textur poros, wie ich bei genauen Untersuchungen gefunden habe und im folgenden Buche näher erörtern werde, und so sind hiermit alle Bedingungen gegeben, wodurch die Gegenwart des Proteins in den Gelin- und Bassorinsubstanzen durch Urbildung in denselben möglich und erklärlich, ja sogar nothwendig wird. Aehnliche Einwirkungen mögen auch innerhalb der Zelle auf die Cellulosekörperchen in der Zelle durch den freiwerdenden Sauerstoff- und die Zuführung des Ammoniaks durch die Nahrungs- flüssigkeit stattfinden und die Protembildung daselbst veranlassen ; + der Umstand, dass die Proteinsubstanzen in der Zelle ebenfalls von Cellulosesubslanzen getragen werden (§. 412), weist ohne Wei- teres darauf hin. Alle diese Thalsachen nöthigen mich zu der Annahme, dass das Protein, dessen Gegenwart in den Zellenwänden und der Cuticula u. s. w. von Mulder und Harting zuerst nachgewiesen wurde, nicht durch ein mechanisches Eindringen oder Infiltriren dahin gelangt, sondern durch Umbildung der Cellulosesubstanzen unter Aufnahme von Ammoniak daselbst erzeugt wird. Wer hierbei etwas weiter sieht, wird finden, dass gerade von der Chemie aus dem alten Aberglauben „omne vivum ex ovo“ — ein Grundsatz, den ein älterer Physiologe, von dem höchst entwickelten Organismus ausgehend, aufstellte, der aber von einer gewissen, durch eine rein körperliche Anschauung be- schränkte Empirie, welche die Stoflfverhältnisse nicht zu berück- sichtigen verstand, auch auf die- niedrigsten Erscheinungen des organischen Lebens ausgedehnt wurde — der Hauptschlag ver- setzt wird. Organische Formen des Pflanzenlebens. Drittes Buch. Von den Formen der Pflanzenorgane, a) Niedere oder Grundorgane. Erstes Capitel. Das Molekulargewebe. §. 419. Unter Molekulargewebe verstehe ich die ersten, einfachsten For- men, in welchen sich die Moleküle zur organischen Ordnung vereinigt haben. . Jede Form entsteht aus der Bewegung. Die organische Be- wegung geschieht stets in der Richtung der transcendenten Cur- ven (§. 270). Die Ursache davon kann nur in dem Wesen des Mediums begründet sein, worin die Bewegung der sich zu Ge- stalten vereinigenden Massentheilchen stattfindet. Ein Haupt- bestandtheil dieses Mediums ist das Wasser, ein homogener flüs- siger Körper. Die andern Theile des Mediums sind in dem Wasser aufgelöst und dienen theils dazu das Medium selbst bil- den zu helfen, theils aber auch aus demselben — mehr oder weniger mit Wasser vereinigt — sich auszuscheiden. Jede Aus- scheidung beruht auf einer Differenz der Massentheilchen. Diese tritt jedesmal ein, sobald das Mischungsverhältniss sich ändert. Das Mischungsverhältniss ändert sich aber in dem gegebenen Falle 1) durch die Einwirkung der Wärme, welche schon das Cohäsionsverhältniss des Wassers in einer andern Weise modificirt, als das der in ihm aufgelösten Stoffe; 2) durch die Einwirkung des Lichts, welche vornehmlich in der Umgestal- KI tzino, Philosophische Botanik. [. 15 226 Grunderscheinungen lung des chemischen Verhältnisses bemerklich wird; 3) durch die Einwirkung der umgebenden Körpermassen, welche immer auf verschiedene Weise anziehend oder abstossend auf ver- schiedene Bestandlheile einer homogenen Flüssigkeit sich äussert. Alle diese Ursachen bewirken nicht nur Ausscheidungen, sondern auch eine beständige Veränderung der Dichtigkeit des Bewegungsmiltels. ln einem Bewegungsmittel von verschiedener und veränderlicher Dichtigkeit können aber auch nur veränder- liche Bewegungen statthaben. Die krummlinige Richtung der veränderlichen Bewegung in einem Mittel, woraus organische Bildungen hervorgehen, liegt in der Eigen thümlichkeit der darin aufgelösten Organstoffe (§. 382 fg.). Diese besitzen alle die Fähigkeit, in Vereinigung mit dem Wasser dasselbe zu verschleimen, d. h. seinen Flüssigkeitsgrad in einer Weise zu vermindern, dass die Bewegungen, welche darin slalt- finden, durch die Zähigkeit, womit in Folge der Verschleimung die Theilchen des flüssigen Schleimes Zusammenhalten, eine ver- hältnissmässig grössere Redartation erleiden, welche sie nach dem Grade der Dichtigkeit, bezüglich anderer nicht schleimiger Flüssigkeiten, erfahren würden. Hierin liegt sicher der Grund der Krümmung. Denn eine schleimige Flüssigkeit kann sich, im Verhältnis zu einer Salzlösung, in Folge ihrer Zähigkeit nur allmälig und langsam wieder in das Gleichgewicht versetzen, wel- ches durch die oben angegebenen und noch andere Ursachen auf- gehoben wurde. §. 420. Die Organstoffe bilden sich, wie jeder Stoff, auf chemischem Wege. Wo sie in hinreichender Masse auftreten, da ist die nolli- wendige Folge davon die Entstehung organischer Körperwarmen. Die Bildung derselben ist eben eine Eigenheit der genannten Stoffe, wie es auch eine Eigenheit des Kochsalzes ist, in Wür- feln zu krystallisiren. Aber während die Bewegung und die da- von abhängende Verdichtung oder Erstarrung und Kryslallbildung des Kochsalzes in der Salzlösung plötzlich eintrilt und schnell endet, so geschieht die Bewegung und folglich auch die Ver- dichtung und Erstarrung, so wie die weitere Gestaltung der Massen- teilchen der Organstoffe in der Schleimlösung nur allmälig und langsam. Daher dort plötzliches Auftreten der unorganischen und hier allmäliges Entwickeln organischer Gestalten. Es ist eine sehr oberflächliche Redeweise, wenn Jemand sagt: „wir sind in jedem Augenblicke im Stande, Krystalle zu machen“. Es hat noch des organischen Lebens. 227 Niemand einen Krystall gemacht. Oder, wenn man das „Machen“ nennt, wenn man eine Salzlösung sich verdunsten und aus der concentrirten Flüssigkeit die Krystalle sich bilden lässt, so kann der Gärtner auch Pflanzen und der Oekonom Kühe, Pferde, Schweine, Wiesen, der Forstmann Wälder u. s. w. machen. §. 424. Die organische Bewegung ist jedenfalls schon in der Flüssig- keit, welche die Organstoffe aufgelöst enthält, vorhanden. Ist das, so ist auch schon die Flüssigkeit organisirt. Aber eben weil diese organischen Formen flüssig sind, so fliessen sie wie- der zusammen und ihre Existenz geht mit ihrer Entstehung vor- über. Diese Formen sind daher auch der Wahrnehmung ganz entzogen, wenn sie wirklich vorhanden sind. Wird einer solchen Flüssigkeit schneller, als ihre organische Erstarrung es verlangt, das Wasser entzogen, so geht sie in eine homogene Masse über, welche weder organische noch krystallinische Structur zeigt. Dies ist der Fall mit dem schnell eingetrockneten Schleim, der noch keine feste organische Form ausgeschieden hat. Der Uebergang aus den zerfliessenden flüssigen organischen Formen in die mehr bleibenden, fester werdenden, ist so all- mälig, dass man ihn gar nicht merkt. Daher die erste Entste- hung des Organischen ganz unsern Blicken entrückt ist, §. 422. Eine Bildung ist organisch, welche aus Organstoffen ent- standen ist. Wir müssen davon das trennen, was die organische Bildung einschliesst und ausschliesst. Wir nehmen nur die er- starrte organische Form als solche an, weil nur diese der Be- trachtung zugänglich ist. Diese muss in ihrer einfachsten Er- scheinung eine krumme Linie sein und diese muss nach Umstän- den wieder Räume einschliessen, welche überhaupt durch krumme Linien eingeschlossen werden können. In diesem Raume kann ebenso gut dieser oder jener Stoff enthalten sein und sich darin weiter bilden, oder nicht. Das alles ist für die einschliessende organische Form gleichgültig, sobald ihre Entstehung oder Exi- stenz dadurch nicht gestört wird. Es leuchtet aber hierbei ein, dass nur die einfache organische Form mit Ausschluss des Ein- geschlossenen eine reine, mit Einschluss aber ihres Inhaltes eine gemischte Form ist. Alles, was wir Pflanzen- und Thierformen nennen, sind gemischte organische Formen, und es ist ein Gesetz derselben, dass das Einschliessende ebenso mit dem Eingeschlos- 15* 228 Ory“, 1843, Sp. 553 fg.) erhalten. Er hat viele Irrthü- mer in den Schnitze’ sehen Schriften aufgeldärt und überhaupt die genauesten Untersuchungen über den Milchsaft angestellt, deren Resultate ich, soweit ich sie geprüft habe, nur bestätigen kann. Was die von Schultz sogenannte „Autosyncrise“ und „Autodiacrise“ betrifft, so erklärt Mohl dieselben für reine Phantasiegebilde; die Strömungen des Saftes aber können beliebig hervorgerufen werden, sowol durch Verletzung des unter dem Mikroskop befindlichen Objectes, wodurch ein Ausfliessen des Saftes bewirkt wird, als auch durch Drücken des Objects zwischen zwei Glasplatten, wobei man es in seiner Gewalt hat, der Strömung eine gewisse Richtung zu geben. In unverletzten Milchzellen, welche sich in der Ruhe befinden und nicht ge- drückt werden, kommt auch keine solche Strömung des Saftes vor. Dass die Milchzellen mehr als verdickte Wände der Intercellularräume sind, beweisen diese Organe bei den Agaricusarten. 4) Zu §. 445. S. 254. Ueber die Entwickelung der Keimzellen bei An- thoceros laevis haben wir sehr schöne Untersuchungen von H. Mohl (in „Linnaea“ XIII) und von H. Schacht (in der „Bot. Zeitg.“, 1850, Sp. 457 fg.) erhalten, welche im Wesentlichen nicht von den uneinigen abweichen. 5) Zu §. 477. S. 278. Dass die Wände der jungen Zellen schon sein- früh mit durchgehenden Oeffnungen versehen sind, wurde in neuester Zeit von P. Harting (Scheikund. Onderz., III. Deel, S. 31 — 167) zur Sprache gebracht. Aber H. v. Mohl hat sich entschieden und wiederholt dagegen erklärt („Bot. Zeitg.“, 1846 und 1847, Sp. 337 fg.). .Mir bleibt nun Nichts weiter übrig, als die bestimmte Versicherung, dass ich alle von mir ange- gebenen Erscheinungen so genau dargestellt habe, als ich sie beobachtete. Um sich von der Anwesenheit der durchgehenden Löcher in der Membran junger und in kräftigster Vegetation stehender Zellen zu überzeugen, em- pfehle ich auch noch das Parenchym junger (frischer oder getrockneter) Galläpfel, von denen man ein sehr feines Präparat anfertigt, das man mit einer Auflösung von Eisenoxyd befeuchtet und stehen lässt, bis die Zellen- membran sich durch und durch blau gefärbt hat, wozu 8—12 Stunden ausreichen. Die Löcher sind ganz offen. Die verschliessende Membran fehlt bei jungen Zellen durchaus; nur bei ältern, leicht verholzenden Zellen sind die Poren nach aussen verschlossen. Ich mache darauf aufmerksam, dass zur Untersuchung dieser Thalsache diejenigen Parcnchymzellen (z. B. von saftigen Früchten, Wurzeln u. s. w.) sich am besten eignen, welche sich nicht verholzen. 6) Zu §. 489. S. 294. Ich habe absichtlich bei der Darstellung der Zellenbildung vermieden, dieselbe durch Einschaltung von historischen und kritischen Bemerkungen viel zu unterbrechen. Nur einigemale, wo ich es für nöthig hielt, ist cs geschehen. Jetzt halte ich es aber auch für Pflicht, Anmerkungen. 333 derjenigen Männer dankbar zu erwähnen, durch deren Thätigkeit unsere Kenntniss von der Zelle in neuerer Zeit besonders gefördert worden ist. Als die Pflanzenphysiologie noch in ihrer Kindheit war, Hessen sich ihre Pfleger durch manche auffallende äussere Verschiedenheit, Avelche die Zelle unter bestimmten Verhältnissen zeigt, so täuschen, dass sie glaubten, es mit mehreren Elementarorganen zu thun zu haben, und ältere Physiolo- gen der neuesten Zeit haben ausser den Zellen immer noch Fasern und Gefässe unterschieden. Zu den Fasern rechneten sie aber die sehr lang ge- streckten und an beiden Enden spitzen Zellen, während sie unter Gefässen nicht nur die sehr langen röhrenförmigen Zellen verstanden, die unbegrenz- tes Spitzenwachsthum zeigen und deren Wände in frühester Jugend aus Spiralfasern gebildet sind, sondern auch gewöhnliche Zellen ohne Spitzen- wachsthum, welche Spiralfasern, Löcher, Spalten u. s. w. in ihrer Wandung besitzen. Erst durch Mohl und Schleiden sind alle diese Verschiedenheiten auf die Zelle zurückgeführt worden, und während Mohl hauptsächlich das Verdienst sich erworben hat, dass er durch die Beobachtung der verschie- denen Alterszustände die Formen genauer unterschied, ihre Structur und ihren Zusammenhang ermittelte, suchte Schleiden besonders die Zelle in ihren Uranfängen zu beobachten, um über ihre Entstehung Auskunft zu er- halten. Er war es zuerst, der dem Zellenkern die wichtigste Bedeutung bei der Zellenbildung beilegte und er beging dabei nur den Fehler, dass er denselben in der beschränkten Form des ,, Cytoblasten“ allein auffasste. Mohl erklärte dagegen den „Primordialschlauch“ für die Grundlage der Zellenbildung. Beide Theorien standen so neben einander ohne Verbindung, jede hatte ihre Wahrheiten für sich und doch reichte keine aus, alle Er- scheinungen des Zellenlebens zu erklären. Endlich gab es noch eine dritte Erklärung über die Entstehung der Zellen, nämlich die von Mirbel. Dieser nahm an, dass die Zellen in einer sulzigen Masse, in einem Schleime (Cambium) entstehen, welcher sich verdicke, anfangs homogen sei, dann aber eine Menge Höhlen erhalte, welche die Zellen bilden. Daher haben nach Mirbel die Zellen, welche neben einander stehen, anfangs gemein- schaftliche Wände. Auch diese Ansicht hat in gewisser Beziehung ihre Richtigkeit, nur nicht so, wie sie Mirbel dargelegt hat. Da eine sorgfältige Besprechung dieser verschiedenen Ansichten hier mehr Raum einnehmen würde, als nach der Anlage des Werkes gestattet werden kann, so muss ich mich damit begnügen auf die Arbeiten dieser Naturforscher selbst hinzuweisen. Man vergleiche daher: Schleiden, „Grundzüge der wissenschaflUchen Botanik“, I, 3. Auflage, S. 204 fg. H. Mohl, 1) Einige Bemerkungen über den Bau der vegetabilischen Zelle. „Bot. Zeitg.“, 1844, Sp. 273. 2) Ueber das Wachsthum der Zellen- membran. „Bot. Zeitg.“, 1846, Sp. 337. — Die letzte Arbeit v. Mohl’s über die vegetabüische Zelle, welche in Braunschweig erschienen ist, habe ich noch nicht erhalten. Mirbel, Nouvellcs Notes sur le Cambium, lues ä l’academie des Sciences, dans la söance 29 Avril 1839. In Deutschland ist es besonders Unger, welcher hinsichtlich der Zellen- bildung sich den Mirbel' sehen Ansichten anschliesst. Vcrgl. „Ueber das 334 Anmerkungen. Wachsthum der lnternodien von anatomischer Seite betrachtet“. ,,Botan. Zeitg.“. 1844, Sp. 489 fg. Alle Differenzen lassen sich dadurch erklären, dass Mirbel die Zellen nur durch einen flüssigen, Schleiden nur durch einen festen, Muhl durch einen schlauchförmigen Zellenkern entstehen lässt. Jede Ansicht kann durch Bei- spiele bewiesen werden, aber jede passt auch nur auf eine bestimmte An- zahl von Fällen. Weitere Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Zellen haben noch geliefert : Naegeli. 1) „Ueber die Entwickelung des Pollens“, Zürich 1842. 2) „Ueber den Zellenkern, Zellenbildung und Zellenwachsthum u. s. w.“ in „ Schleiden und Naegeli, Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik“, Bd. I, Heft 1. 3. 4. 3) „Die neuern Algensysteme“, 1847. 4) „Gat- tungen einzelliger Algen“, 1849. Was die weitern Erscheinungen des Zellenlebens betrifft, so ist zu er- wähnen, dass in neuerer Zeit Meyen die Ansicht zu begründen suchte, dass die Zellenwände aus Fasern zusammengesetzt wären. (Dessen „Neues System der Pflanzenphysiologie“, 1, S. 45 fg.) Die Theorie, welche Hurtig über die Zellenbildung aufgestellt und zu- letzt gegen die Angriffe von Schleiden in einer besondern Schrift („Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Pflanzen“, 1843) vertheidigt hat, muss ich als unrichtig erklären. Eine ausführliche Beleuchtung derselben findet man auch in H. Mohl’s Aufsatze „Einige Bemerkungen über den Bau der vegetirenden Zelle“. „Bot. Zeitg.“, 1844, Sp. 307 fg. Endlich ist noch Karsten anzuführen, weicherden „Primordialschlauch“ Mohl’s, den ich schon einige Jahre vorher in den Algen als eine innerste Zelle in der gewöhnlichen erkannt hatte, ebenfalls als eine secundäre Zelle schon frühzeitig (1844) betrachtete. Die Darstellung des Vorgangs bei der Zellenbildung, wie ihn Karsten sich denkt, ist jedoch für mich nicht klar genug; er verwechselt die radialen Strömchen des Zellenkerns mit Scheide- wänden von Vacuolen und lässt die jungen Zellen innerhalb des Primordial- sclilauchs entstehen, welcher daher nach Karsten die eigentliche Mutterzelle ist. Diese Ansicht ist grundfalsch. Vergl. Karsten, „De cella vitali“, und „Die Vegetationsorgane der Palmen“, 1847. 7) Zu §. 493. S. 297. Ueber andere feine fadenförmige und gekrümmte Bildungen im Zellenkerne habe ich schon in meiner „Phycologia generalis“ gesprochen und dieselben bei Ectocarpus Taf. 12. III. abgebildet. Ich glaube, dass diese Fäden den beweglichen Spiralfäden analog sind, nur dass sie nicht schwärmen. 8) Zu §. 504. S. 308. Die Ansicht Hartig's und Anderer, welche die Cuticula „für die im Umfange des pflanzlichen Individuums fortwachsende Urzelle“ halten, hat nur eine sehr beschränkte Geltung, denn die Cuticula der jüngern Theile einer grossem Pflanze steht nur in so fern mit der „Urzelle“ in Verbindung, als sie von der Nachkommenschaft derselben ab- geleitet werden kann. Die neueste Untersuchung der Cuticula durch //. v. Mohl findet man in der „Bot. Zeitg.“, 1849, Sp. 593 fg. — Eine sehr fleissige Arbeit über die- sen Gegenstand hat auch Cohn geliefert. („De Cuticula.“ „Linnaea“, 1850, S. 337— 407.) Anmerkungen. 335 9) Zu §. 511. S. 310. Ich kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit auf die sehr unrichtigen Benennungen Meyen's für gewisse Zellengewebs- formen aufmerksam zu machen, durch welche ein den Zellen angehöriges Prädicat fälschlich auf das Gewebe derselben übergetragen wird. Dahin gehören z. B. „Würflichtes Parenchym" (weil die Zellen würfelförmig sind!), „säulenförmiges, sternförmiges, tafelförmiges Parenchym“.! u. s. w. Wer denkt dabei nicht abermals an den „ledernen Handschuhmacher" in Berlin? 10) Zu §. 532. S. 325. Es ist in gewissen Fällen allerdings leichter einen Charakter zu kritisiren, als einen bessern dafür aufzustellen. „Nullus character infallibilis est.“ Ein unfehlbarer Charakter ist ein Unding. In einem wissenschaftlichen Buche soll indessen der Charakter der vorkommenden Dinge gezeichnet werden, so weit es der wissenschaftliche Standpunkt zu- lässt. Das habe ich in dem obigen §. versucht. Schleiden hat vorgezogen, den allgemeinen Begriff von Wurzel gar nicht in Erörterung zu ziehen, son- dern spricht gleich von ächler Wurzel und Nebenwurzel. Was beiden ge- meinsam ist, darüber geht er hinweg. Die Moose sind nach ihm „wurzel- lose Agamen“. Das ist nicht richtig. Die Moose haben nur keine Wurzel wie die gamischen Pflanzen und die Farrne. Ihre Mooswurzel ist aber ebenso acht, wie die Wurzel der Phanerogamen. 11) Zu §. 533. S. 325. Man findet es sehr gewöhnlich, die Blätter als peripherische und den Stengel als Centraltheil der Pflanze anzusehen; diese Ansicht ist jedoch eine oberflächliche, denn die Stengel- und Wurzelspitzen gehören doch gewiss auch zur Peripherie der Pflanze. 12) Zu §. 538. S. 328. Wir haben über die Blaltstellung zwei Theorien erhalten, deren Schöpfer sich grosse und vergebliche Mühe gegeben haben, dieselben durch mathematische Genauigkeit zu begründen. Die eine, welche von Schimper herrührt und von A. Braun weiter verfolgt wurde, nimmt an, dass die Divergenzwinkel, bei einer grossen Anzahl von Pflanzen, aller- dings rationale Theile des Umfangs nach der Reihe '/2 , % , %, %, 5/13, %i . 13/3i (also = 180°, 120°, 144°, 135°) seien. Daraus folgt, dass nach einer bestimmten Zahl von Spiralwindungen (Wendeln) das letzte Blatt, wel- ches den Cyclus beschliesst, genau vertikal auf demjenigen stehen muss, wo er angefangen hat. Die Anzahl der Wendeln, innerhalb eines Cyclus, werden durch den Zähler, die Zahl der dazu gehörigen Blätter durch den Nenner ausgedrückt. Ausser dem oben angeführten Stellungsverhältniss gibt A. Braun auch noch Blattstellungen nach folgenden Reihen: Vs. % Vt y„. Vl 8 U. S. w. v*. Vt. % 7,4. 723 )) » )) Vs, %. 7n , 7,7. 7,8 » » )> %. y7. 7.3, 3Ao. 7,3 » » » Man findet diese Theorie am ausführlichsten dargestellt in der Schrift „Vergleichende Untersuchung über die Ordnung der Schuppen an den Tannen- zapfen, als Einleitung zur Untersuchung der Blattstellung überhaupt. Von Dr. A. Braun.“ 1830. Die andere Theorie wird durch die Gebrüder Bravais vertreten. Sie ist in einer Schrift niedergelegt, welche den Titel führt: „Mömoires sur la dis- position geomötrique des feuilles et des inflorescences etc.“ Paris 1838, wo- von 1839 eine von Walpers besorgte deutsche Uebersetzung in Breslau erschien. Während Schimper und Braun verschiedene Blattstellungsverhält- 336 Anmerkungen. nisse annehmen, welche durch rationale Grössen ausgedrückt werden kön- nen , suchen die Gebrüder Dravais die Blattstellung auf ein einfaches Gesetz zurückzuführen und nehmen als mittlern Divergenzwinkel 137° 30' 28” an, der aber in Beziehung auf den Umfang (360°) irrational ist. Sie unter- scheiden übrigens krummreihige und geradreihige Blätter. Die krummreihi- gen sind in der oben citirten Schrift abgehandelt, die geradreihigen aber in einer später (1840) erschienenen Schrift „Essai sur la disposition gönö- rale des feuilles recliseriöes Ausserdem ist noch zu erwähnen eine Arbeit Naumann’ s „Ueber den Quincunx als Grundgesetz der Blattstellung vieler Pflanzen“, Dresden 1845. Der Verfasser dieser Schrift geht einen ganz eignen Weg, indem er die bei der Blattstellung sich zeigende Spirallinie als eine secundäre — nicht, wie seine Vorgänger, als die wesentliche — Er- scheinung betrachtet. Der Grundtypus der Blatlstellung wird durch aufrechte, der Axe gleichlaufende Blattreihen bezeichnet. Die Spiralstellung kommt nur dadurch zum Vorschein, dass der Standpunkt der benachbarten Blätter in der Höhe wechselt; darum hat die Spiralstellung nur eine untergeordnete Bedeutung, selbst da, wo sie so auffallend sich ausprägt, dass die geraden Reihen durch sie versteckt werden. Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. Druckfehler. Seite 18 Zeile 30 muss es heissen: Mougeot « 28 « 6 « « « Wahrnehmungsreihen « 30 « 10 « « seine Methode gegründet « 94 l< 27 « « « Körpern « 116 M 19 « <( « als sie im Wasser auflöslich sind. (( 125 (( 34 « « « beschäftigt « 173 (( 8 « « « bessere (( 203 (( 37 « « « Fig. 3. (( 214 letzte Zeile und alle folgenden Male muss es heissen: Oxyprotein « 234 Zeile 39 muss es heissen: Fig. 2. « 236 « 5 « « « Fig. 3. « 237 tt 59 « « « Inhalt sich bräunt « 238 (( 35 « « « wobei die Zellen (( 254 <( 31 (( « « Fig. 4. « 255 (( 36 « <( « Fig. 3. b. « 278 (( 13 « « « Cystoclonium (( 293 (( 57 « « « Coscinodiscus. (( 313 « 22 « « « Taf. 18. Kützing, Philosophische Botanik. I. I . • : ' • • . 0 Jg 4 o Ö O Q^tKr?/) (((,' f t X, •xov ft f-t C'i ’ t . ... „0 o . 0 *° o o o o o o 0 (® 'f " « ° 0 ' 0 • 3 • Ö '.O J . 0 0 °r& 3 „ ® . ® •V • o °v° ~ Q 0 ^W5 . 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