ÜBER DIE EINWIRKUNGEN

LEBENDER

FLANZEN-UND THIERZELLEN

AUF EINANDER.

EINE BIOLOGISCHE STUDIE

VON

TH. BILLROTH.

WIEN 1890

ALFRED HOLDER

K. U. K. HOF- UND UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLKR ROTHENTHUHMSTKASSE 15

A-lle K,eclite vorbe Ii alten.

Druck von Friodrloli Jasper in Wien.

Alle Aerzte, welche inneren Antheil an der mächtigen Entwich- ^^^yoio^der hing der medicinisch-chirurgischen Wissenschaft in unserer Zeit nahmen, Entzundungspro- freuen sich gewiss mit uns über die Klärung so vieler mystischer ^^«^^^^«^^^^^'^^^ Begriffe, welche wir, zumal über die Ursachen der Krankheiten, von unseren Vorfahren übernommen haben. Wer hätte noch vor zwei De- cennien an dem Genius epidemicus und endemicus, an der Verschieden- heit des Heiltriebes der Wunden bei diesem oder jenem Wetter, an der Entstehung der Pyämie durch Ausdünstung mit Eiterung behaf- teter Kranken, an der Entstehung der Pneumonien durch Verkühlung, an den individuellen Dispositionen für diese oder jene Krankheit u. s. w. gezweifelt? Und nun soll das Alles nicht mehr wahr sein. Nun heisst es überall: Mikrobien! Ursache der Eiterung überhaupt: Mikrobien! Ursache der Pyämie: 'Mikrobien! Ursache der Pneumonie: Mikrobien! Ursache der Tuberkelbildungen: Mikrobien!

1^ Ja die moderne allgemeine Pathologie stellt den Satz auf: Acute und chronische Entzündungen werden fast immer durch Mikrobien erzeugt. Nur einige Gifte können, wiederholt und lange Zeit hindurch dem Körper beigebracht, chronisch entzündhche Processe erzeugen, z. B. Alkohol (Lebercirrhose, chronische Gastritis), Phos- phor (Kiefer Ostitis). Einige Stoffe, wie Cantharidin, Senföl, Petroleum, Terpentinöl, Crotonöl, Ammoniak, soweit sie in Contact mit den Geweben kommen, rufen acute eitrige Entzündungen hervor, doch ohne je progrediente phlegmonöse Processe zu Stande zu bringen. Die Fälle von zufälliger Apphcation der letzterwähnten Stoffe sind so ungemein selten, dass sie für gewöhnhch ganz aus der Aetiologie der entzündlichen Processe ausfallen. Was uns in der ärztlichen und chirurgischen Praxis von Entzündungen und Eiterungen vorkommt, die gewöhnlichste Wundeiterung miteingeschlossen, ist Wirkung von Mikrobien.

Es ist eine ungeheure Zumuthung an die ältere und mittlere Generation der Aerzte, dass sie nun alle ihre früheren Anschauungen, an welchen ja auch ein enormer Zopf von Therapie hängt, als Ballast über Bord werfen sollen; sie müssen fürchten, dass ihr ärzthches Schiff zu leicht wird, und dass sie in ein unsicheres Hin- und Her-

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4 Ueber die Einwirkung lobender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

schwanken gerathen werden; denn die Aufnahme neuer Ladung lässt sich nicht immer leicht und rasch bcwerkstelhgen.

Ich weiss sehr wohl, wie auch mir, der ich doch von Anfang an mitten in der Bewegung stand, sie vielleicht ein bischen mit veran- lasst hatte, oft bange darüber wurde, dass man doch vielleicht gar zu schnell und einseitig vorgehe. Freilich hatte die Chirurgie in therapeutischer Beziehung bald den Löwenantheil davongetragen. Auch da bin ich sehr vorsichtig der Bewegung gefolgt, Schritt für Schritt prüfend, und Alles erwägend, bis ich endlich überzeugt, mit voller Begeiste- rung der neuen Richtung folgte. Was mich dabei anfangs peinlich berührte: der Mangel einer strengen naturwissenschaftlichen Begründung für das Vorgehen bei den antiseptischen Operations -Verfahren und Be- handlungen, und was ich vergeblich in meiner endlich gewaltsam ab- gebrochenen Arbeit über Coccobacteria septica anstrebte, ist in der Folge von Anderen in einer Weise durchgeführt, dass die anatomisch- physiologischen'Details dieser Untersuchungen, so wie die colossale ernste Arbeit und die geistvolle Durchführung derselben mich in bewundern- dem Erstaunen erhält.

Einheitliches Zu- Dass Eutzündung, Eitcrung und Gangrän in innigstem Zusam-

voTEn^zündTng mcnhange mit Wundfieber, Entzündungsfieber, Pjämic und Septämie und wundfleher gtehcn find gleichartige Processe in aufsteigender Reihe der Gefährlich- ^l'eifeT Wund-'' keit bilden, habe ich in meinen Arbeiten über Wundfieber und acci- krankheiten. ^enteile Wundkrankhcitcn zu einer Zeit dargelegt, als man das Wund- und Entzündimgsfieber für ein durch die Nerven vermitteltes sogenanntes Reizfieber, die Pyämie für eine davon unabhängige mias- matische Krankheit hielt, von welcher der Verletzte plötzlich befallen würde, wie etwa von einem Rheumatismus acutus, oder einer Pneu- monie oder von einem Typhus.

Das einheithche Zusammenfassen der genannten Wund- und Entzündungsfieber entsprach den thatsächlichen Verhältnissen weit mehr als die früheren Anschauungen und fasste rasch Wurzel. Was war natürhcher, als auch nach einer einheitlichen Ursache zu suchen, als welche sich die Umsetzung der Gewebssäfte in den verletzten und ent- zündeten Geweben am nächsten liegend bot. Hiebei wurde der Begriff »Umsetzung« im weitesten Sinne gefasst; ich dachte sie mir als eine Reihe, deren Anfang die kleinste durch eine leichte Continuitätstren- nung' bedingte Ernährungsstörung, deren Mitte die eitrige Einschmel- zung des Gewebes, deren Ende Gangrän und Fäulniss war. Dabei wurden nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Differenzen vorausgesetzt. Die Resorption der Umsetzungsproducte erzeugte die Allgemeinstörungen des Organismus, meist Fieber, doch auch gefiihrliche Intoxicationszustände ohne Fieber. So entstanden Bezeichnungen, wie:

lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

aseptisches Fieber bei reactionsloser Wundheilung, einfaches Wundfieber, Eiterfieber, septisches Fieber, Sepsis mit Collaps etc.

Man suchte nun auch nach einem einheitlichen Gift, dessen Re- sorption diese Zustände hervorrufen sollte, und brachte aus fauligen Stoffen ein solches zu Stande. (Panum's und Bergmann's Sepsin.)

Als dann die Ueberzeugung immer mehr um sich griffe, dassFäulniss ebenso wie Gährung nur durch lebendige kleinste Organismen ent- stehen und Pasteur durch seine wichtigen Arbeiten in dieser Richtung mit neuen Methoden neue Bahnen brach contra Liebig, dessen Autorität als Chemiker mir doch höher und näher stand als diejenige Pasteur's, konnte ich mich von dem Gedanken nicht lossagen und kann es heute noch nicht, dass jedes organische Gewebe, sobald das Leben in ihm erlischt oder wesentlich beeinträchtigt wird, einen neuen Modus von Stoffumsatz mit seinen jeweiligen Umgebungen eingehen muss, da es doch jedenfalls nicht in der Lage ist, sich unter ganz veränderten Verhältnissen unverändert zu erhalten ; es muss also, meiner Meinung nach, auch eine Transformation des absterbenden und abgestorbenen Gewebes geben ohne Einfluss von Mikrobien. Die Resorption solcher Zersetzungsproducte aus kranken respective abgestorbenen Geweben Avar nach meiner früheren Auffassung die alleinige Ursache des ersten Wund- und Entzündungsfiebers. Kam es dabei zum Absterben, zu Gangrän, dann siedelten sich die Mikrobien, die ich mir doch auch an den Wunden und in den Entzündungsherden in erster Linie als Saprophyten dachte, an und besorgten nun das, was man gewöhnlich die mit Gestankentwicklung verbundene Fäulniss nennt. Die Ueber- tragung solcher Mikrobien, die sich einmal an einen gewissen Stoff- wechsel in faulen Gewebsäften gewöhnt hatten, konnten dann, auf eiternde Wunden, auf Harn, Speichel übertragen, hier nun auch Gäh- rungs- und Fäulnissprocesse hervorrufen und so secundär pathogen werden.

Ich betrachtete die Mikrobien wie ich gerne gestehe, durch die Autorität meines Freundes Griesinger beeinflusst als zweifellose Träger von Contagien, doch den heute allgemein flüssigen Begriff «pathogener Bakterien» hatte ich nicht gefasst. Freilich waren damals schon die Milzbrandbacillen bekannt, doch über ihre Bedeutung wurde noch viel gestritten.

Wie waren nun diese Mikrobien beschaffen? Wie wirkten Coccobaoteria sie? wie verhielten sie sich bei derGährung? wie bei der Fäulniss?

, ran gekaUpflen

gab damals ein Chaos kleinster Lebewesen, die man «Infusionsthier- Hypothesen, chen» nannte. An diese musste man anknüpfen; die «Vibrionen» galten den Meisten noch als Thiere; der Begriff der Schwärmsporen der Pflan zen war noch kaum in die ärztlichen Kreise gedrungen. Mit wel- cher Mühe ich nach und nach die einzelnen Formen: Coccen und

6 lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

Bakterien sonderte, mir die Namen Coccus, Diplococcus, Streptococcus, Streptobakteria, Gliacoccus, Petalococcus, Ascococcus zusammenbaute, sie als aus Plasma und Hülle bestehend erkannte, ihre Wachsthumsver- hältnisse eruirte, endlich darüber klar wurde, dass sie zu den Algen gehörten, und dass sich Dauersporen und auch Vacuolen darin bildeten, dass sie blasigen Degenerationen unterliegen, dass ihre Membranen zu- weilen zu dicken Schleimhüllen anwachsen und wie man dies bis zu einem gewissen Grade durch den Nährboden erzwingen kann u. s. w., davon hat man heute, wo Alles so schön geordnet vor- liegt, kaum noch eine Vorstellung. Jede neu auftretende Form führte immer wieder auf Seitenbahnen zu neuen Studien über Algen und Pilze, um irgendwo einen morphologischen Anhalt zu gewinnen. Die ganze Arbeit war zu breit angelegt, sie überstieg nach der botanischen wie chemischen Seite meine Kräfte. Niemand konnte die Schwächen dieser Arbeit mehr fühlen als ich selbst. Man kann sie nur etwa ver- gleichen mit den Erlebnissen dilettantisch vorbereiteter Reisenden in ein noch ziemlich unbekanntes Land. Ich musste endlich, um nicht auch noch des wenige Gewonnene zu verlieren, ein Ende machen und construirte eine Grundform « Coccobacteria septica » von der ich die meisten von mir gesehenen Formen von Mikrobien ausgehend dachte. Der kaum entfaltete Darwinismus und die Autorität Naegeli's stützten mich dabei in meinen Speculationen. In ätiologischer Beziehung schloss ich mit folgender Hypothese ab: Die Producte der Entzündung (deren erste Entstehung für die meisten Fälle mir nach Wie vor unklar blieb), zumal ein von mir darin supponirtes Ferment, ein Zymoid, sind be- sonders günstige Nährböden für alle Abkömmlinge der Coccobacteria- Gruppe, welche in dieselben theils von aussen, theils vom Blut aus hineingelangen-, hier wuchern sie, steigern den entzündhcheu Process durch ihre Lebensthätigkeit, tragen wesentlich zu seiner Progression bei. Sie nehmen in jedem Entzündungsherd einen bestimmten Stoff- Avechsel an und übertragen, in ein anderes lebendes Gewebe gelangend, denselben auf das letzere.

Die normale, unverletzte Körperoberfläche ist vor dem Eindringen dieser Elemente geschützt. Die getrockneten Mikrobien wirken nur, wenn sie zu Dauersporen umgewandelt sind und in den Thierkörper gelangend,, dort genügend Wasser für ihre Quellung und Keimung finden, """rptoger"" Das Nächste, was mir auf diesem Gebiete imponirte, waren die auf die lebende J m p f u n g 6 n von Mikrobicu enthaltenden Faulflüssigkeiten auf die 1 e b e n d e ihTpoTeL." Die Cornea. Was mir bis dahin eine Hypothese war, dass nämlich die Coc- Sichersteiiung ^en auch in gesunde Gewebe hineinwuchern könnten, die Lebens- Zenl'irfr energie der Gewebszellen also überwinden, die letzteren abtödten, snnde lebende können wurdc Mcr zur Thatsache. Zugleich kam die sonderbare teTMi Jbier' Erscheinung z,;m Vorschein, dass die Wirkung auf die Hunde-Cornea.

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nur minimal, die auf die Kaninchen-Cornea oft in toto vernichtend war. Da die gleichen Bilder der sternförmigen Figur nach den Unter- suchungen von A. V. Frisch auch auf der todten Cornea zu Stande kamen," so konnten diese verimpften Coccen doch auch reine Saprophyten sein, die nur bei besonderer Vegetationsenergie m der lebenden Cornea das Terrain auf längere Zeit eroberten, wofür auch die bedeutenden Differenzen der reactiven Vorgänge in der lebenden Kaninchen-Cornea sprachen. Doch nun kamen die immer interessan- ter werdenden Resultate der Impfungen mit Milzbrandbakterien, dann, Alles vorläufig klärend, die neuen Methoden Koch's, Mikrobien auf festen Nährböden zu züchten, und bald stand der Begriff specifisch pa- thogen er Bakterien fest, fast wie die Minerva aus dem Haupte des Jupiter entsprungen. Freilich sagte ich mir: wir lernen dabei die Am- phibiennatur dieser Algen nur einseitig kennen das Verhalten derselben gegen Farbstoffe ist doch nur etwas Aeusserliches. Einem chemischen Körper, den man nur aus seinen Reactionen kennt, misstrauen die Chemiker sehr; sie verlangen die Elementaranalyse 5 wir müssen die ganze Entwicklung der Mikrobien übersehen, ehe wir sagen können, dass wir sie wirklich kennen. Was wir als specifisch pathogene Formen nach Färbungen heute unterscheiden, kann als Zeichen von Artenunter- schieden sehr trügerisch sein-, die Algen sind doch eigentlich Wasser- pflanzen; werden sich nicht viele von denen, die wir heute als Arten unterscheiden, als GHeder einer uns noch unbekannten Entwicklungs- reihe herausstellen? Man denke an den früher nicht geahnten Zusam- menhang zwischen Bandwurm, Cysticercus und Echinococcus, an die Geschichte des Penicillium, an so viele Pleomorphien, an die Parthe- nogenesis durch viele Generationen, an die vielfachen Larvenzustände der Insecten, der Seesterne etc. etc. Sind wir doch immer noch im Unklaren, ob wir die «Hefeformen» als gelegentHche Vegetationsformen von Pilzsporen in Flüssigkeiten oder als eine eigene Pflanzengattung betrachten sollen!

Doch alle diese Bedenken treten in den Hintergrund, wenn man die colossalen Fortschritte überdenkt, welche zumal in ätiologisch-pa- thologischer Beziehung durch die Methoden Koch's und seiner Nach- folger gemacht sind. Die Fülle der systematisch durchgeführten Beoabachungen ist erdrückend. Die Zusammenstellung derselben in dem classischen Buch B a u m g a r t e n's *) erhebt unsere Phantasie in die schönsten Gefilde einer klaren Aetiologie der Zukunft, zumal in Betreff der ent- zündhchen Processe und der zymotischen Krankheiten. Es ist ein Genuss, gleich einem höchsten künstlerischen Genuss, sich einem solchen Buch mit wärmstem Enthusiasmus hinzugeben ; denn es enthält die Summe von

*) Lehrbuch der pathologischen Mykologie. Braunschweig 1890.

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intensiver und extensiver Geistesarbeit der besten wissenschaftliche.! Talente unserer Zeit. Wo eine lebhafte Bewegung zum Fortschritt beginnt, das wittern die Talente, und mächtig von der Bewegung angezogen, anfangs mit ihr fortgerissen, treiben sie die Räder bald selbst mit der Kraft ihrer Arbeit. Das haben wir an der Histiologie der Entwicklungsgeschichte, der pathologischen Anatomie und Histio- logie, der Physiologie und der Chirurgie erlebt.

Wir kommen nun zu den Vorstellungen, welche sich in uns über das Verhältniss der «pathogenen Mikrobien»*) zu den Geweben des Thierkörpers bildeten.

Man muss sich dabei vor Allem darüber klar sein, dass nur ein wachsender und sich vermehrender Organismus den ge- sunden thierischen lebenden Geweben schädlich werden kann, und zwar nur dann, wenn seine Assimilationsenergie energischer ist, als diejenige der Gewebszellen. Die in die Gewebe einge- drungenen Coccen und Bakterien müssen in den betreffenden Gewebs- säften nicht nur leben, fortexistiren können, sondern sie müssen durch die Aufnahme derselben zu einer energischen Wachsthums- Thätigkeit, zu lebhafter Reproduction angeregt werden. Man könnte schon hier sagen: Die Stoffwechselpr oducte der thieri- schen Gewebszellen geben den formativen Reiz für die Pflanzenzellen (die Mikrobien) her, umgekehrt bei der Gallen- bildung, wovon später.

Was die Mikrobien an den ihnen etwa adhärirenden Giften mit sich bringen, wird wohl kaum von Bedeutung sein. Ihre Wachsthums- wirkung kann zunächst eine rein mechanische sein. Ich will diese Wirkung für Gewebe wie die Cornea nicht unterschätzen; das Aus- einandertreiben der Lamellen kann gewiss eine nicht unerhebUche Störung der Ernährung nach sich ziehen. Doch diese Wirkung ist eine rein locale und kommt bei anderen Geweben gar nicht in Betracht. Die chemischen Wirkungen sind von viel grösserer Bedeutung. Wir denken sie uns folgendermassen :

1. Die Mikrobien entziehen den Geweben einen grossen Theil der ihnen zukommenden Ernährungssäfte. Die Gewebe werden ausge- hungert, atrophiren. Reiner Parasitismus. Ein bei den thierischen Geweben gewiss selten vorkommender Fall, weil das Wachsthum der Mikrobien, ohne dass ihr dabei in Betracht kommender Stoffwechsel von Einfluss auf das Gewebe bliebe, kaum denkbar ist.

*) Ich möchte, dass man das Wort «Mikrobien» als Sammelname immer allgemeiner brauchte. Dass der Sammelname «Bakterien» auch die Coccen einschliessen soll, will mir nun einmal nicht eingehen. Eine Kugel mit dem griechischen Namen Stab «ßaxrr]pta» zu bezeichnen und die lateinische Uebersetzung «bacillus> als Unter- abtheilung von «Bakterien» zu verwenden, erscheint mir nun einmal widersinnig.

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2. Die Mikrobien entziehen den Gewebssäften gewisse Stofife, die sie für sich bedürfen; was den Geweben bleibt, ist entweder absolut un- genügend für ihre Existenz oder versetzt sie in abnorme Zustände, z. B. der Erweichung oder Gerinnung.

3. Die Mikrobien produciren AusscheidungsstofFe, welche die Ge- webe in einen abnormen Zustand versetzen, sie eventuell direct abtödten,

4. Die Producte dieser Umsetzung (Ptomaine, Brieger) gelangen ins Blut und wirken als Gifte z. B. aufs Nervensystem, oder sie ver- anlassen geradezu Decompositionen des Blutes, die sich nur langsam oder gar nicht ausgleichen. Mit der Arbeit der Mikrobien an der erkrankten Stelle hören auch die Wirkungen aufs Blut auf.

5. Die Mikrobien gelangen ins Blut, setzen sich in den Capillaren da und dort fest, erzeugen hier neue Erkrankungsherde, von denen aus die gleichen Effecte aufs Blut eintreten, wie von den primären Her- den. Metastasen.

6. Die Mikrobien gelangen ins Blut, leben und vermehren sich im kreisenden Blute, und wirken aushungernd oder vergiftend oder zersetzend auf dasselbe.

Ich will nicht behaupten, dass damit alle Möglichkeiten der Mikro- bienwirkungen, wie wir sie uns bis vor Kurzem doch immer nur als destruirende vorgestellt haben, erschöpft sind, doch dürften die Hauptmomente unserer Vorstellungen damit angedeutet sein, die sich natürlich mannigfach mit einander combiniren können.

Nun kamen die Mittheilungen über die Leprabacillen (Klebs), über

^ V j^lg formative

die Sklerombacillen (A.v. Frisch) als Erreger von Bindegewebswuche- Reize im Allge- rungen. Dies musste sofort unsere bisherigen Vorstellungen von der rein memen. destruirenden Wirkung der Mikrobien über den Haufen werfen. Wir standen mit einem Male vor der Thatsache, dass Pflanzenzellen einen rein formativen Reiz auf die Zellen thierischer Gewebe ausüben können. Jetzt folgten die neuesten Beobachtungen über die Bildung der Tuberkeln und der Rotzknötchen durch die Thätigkcit von Bacillen, welche zunächst einen formativen Reiz auf die fixen Bindegewebskörperchen ausüben, dann eine Gefässentwicklung, even- tuell Eiterung in der Umgebung erzeugen, endlich eine Nekrose der primären Neubildung hervorrufen. Also eine Combination von Hyper- plasie mit Entzündung und Nekrose. Diese Art der Einwirkung von wachsenden Pflanzenzellen auf thierische Zellen ist eine höchst merkwürdige Erscheinung, der wir in Folgendem etwas näher zu treten versuchen werden.

Zuvor sei uns jedoch gestattet auf einige Erscheinungen einzu- i^'e Mikrobien als gehen, welche die neuesten Forschungen in Betreff der Aetiologie der iSche?Entzün- Entzündung zu Tage gefördert haben. Die Veränderungen, welche bei düngen, den acuten Entzündungen in den Geweben eintreten, sind uns wohl

Die Mikrobien

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SO ziemlich geläufig. Wir kennen die Flächenentzündungen als acute Katarrhe, als Blennorrhöen, wobei die weissen Blutkörperchen in Massen aus den Gefässen auswandern, die Epithclien sich schneller abstossen, die Gefässe sich erweitern, die Drüsen der Schleimhäute reichlicher secerniren. Wir kennen die croupösen Entzündungen, bei welchen sich Faserstoff auf der Oberfläche der Häute bildet. Wir kennen die diphtheritischen Entzündungen, bei welchen sich zu der Bildung oberflächlicher Faserstoffmembranen eine Coagulation der Gewebssäfte hinzugesellt, die sich theilweise wieder löst, doch auch zu Nekrose des ganzen afficirten Gewebes führen kann. Wir kennen die phleg- monösen Processe in den Geweben, die sich selten ohne Eiterung auslösen, oft mit Coagulation der Gewebssäfte, partieller Nekrose des Zellgewebes, mit Abscessbildung, zuweilen auch mit Hautgangrän endigen, und nach deren Stillstand ein Regenerationsprocess erfolgt, der endlich mit Narbenbildung endigt.

Früher waren uns die Ursachen dieser Processe so gut wie un- bekannt. Heute wissen wir, dass sie immer durch Mikrobien und zwar fast ausschliesslich durch Coccen veranlasst werden, die entweder von aussen einwandern (die Diphtherie-Coccen auch durch die Haarbälge bei unverletzter Haut) oder vom Blut aus (wo sie in minimalen Mengen vorhanden sein können), zuweilen in vorher verletzte oder kranke Ge- webe, oder auch wohl in ganz gesunde Gewebe (spontane Osteomyelitis) eindi'ingen.

Doch was mir ganz besonders merkwürdig erscheint, ist, dass diese Vorgänge, welche wir doch meist nur als verchiedene Grade eines und desselben Processes angesehen haben, durch ganz verschiedene Coccen, wenn auch aus morphologisch verwandten Arten, bedingt werden. Da haben wir Blennorrhöe- (Gonorrhöe-) Coccen, welche nur den Austritt von Leukocyten mit etwas Hyperämie veranlassen, doch nie zu parenchymatösen Processen führen. Da haben wir Pneumonie- und Diphtherie-Coccen, welche Entzündungen mit Faserstoffbildung er- zeugen. Da haben wir den so häufigen Staphylococcus pyogenes aureus, der die meisten Phlegmonen und Abscesse, sowie die Endocarditis erzeugt. Da haben wir den Staphylococcus pyogenes albus, welcher unter Bildung eines milchweissen Breies die Gewebe zerfrisst, Streptococcus pyogenes, der mehr in Höhlen-Eiterungen vorkommt und wahrscheinlich identisch ist mit dem Erysipelcoccus u. s.w., u. s. w. Kurz für jede Form von Ent- zündungen besondere Formen von Coccen, die wiederum nach ihrer Vegetations-Energie mehr oder weniger gefährlich werden. Unsere ganze antiseptische Kunst besteht darin, diese ubiquären Mikrobien, die nicht nur im thierischen Organismus, sondern auch ausserhalb desselben vegetiren, (zugleich saprophytär und pathogen sind), von den Wunden fern zu halten. Gelingt dies, so gibt es keine Eiterung selbst bei den

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grössten Substanzverlusten; es gibt nur Regenerationsprocesse, die un- abhängig von Mikrobien sind. Und nun die merkwürdigen Erschei- nungen der rmmunität oder Refraction der einzelnen Thierarten diesen Mikrobien gegenüber. Bei keinem Thier vegetiren die Eitercoccen so gut wie beim Menschen; beim Hund z. B. äusserst schwer. WahrHch! jede neue Erkenntniss auf diesem Gebiete gibt uns neue Räthsel auf. Immerhin sind diese Erfahrungen über die ausgesuchteste Besonder- heit der Pflanzenzellen Wirkungen auf die Gewebe der verschiedenen Thiere im höchsten Grade merkwürdig und interessant und eröffnen uns einen Blick auf immer neue Mysterien des Zellenlebens, denen unsere chemischen Kenntnisse hilflos gegenüberstehen.

In manchen Fällen hat es den Anschein, als würden die thierischen Zellen durch die Wachsthumssecrete der Pflanzenzelle direct getödtet, vergiftet. In anderen Fällen, z. B. bei den blennorrhöischen Processen scheint der Zusammenhang der Capillarwandungen gelockert zu werden, so dass die Leukocyten besonders leicht austreten können. Oder werden diese etwa gar durch die Capillarwandungen hindurch von den Blennor- rhöe-Coccen angezogen ? Andere Coccen lockern wiederum die Capillarwan- dungen derart, dass sie besonders die rothen Blutkörperchen leichter durchtreten lassen, auch wohl leicht zerreissen, kurz den Erkrankungs- processen einen hämorrhagischen Charakter aufprägen. Wieder andere Mikrobien bringen an der Oberfläche der Gewebe, wieder andere in deren Interstitien die Flüssigkeiten zur Gerinnung; wieder andere machen das geronnene Blut in den Gefässen der Thromben schleimig oder zu puriformem Brei erweichen; wieder andere versetzen nach und nach das Bindegewebe in einen weichen, gallertigen, sulzigen Zustand (eine Art Peptonisirung), der mit und ohne Ueberschwemmung mit Leu- kocyten verlaufen kann. Also für jede Form, fast für jede Phase der Entzündung, Eiterung und Nekrose bestimmte Coccenformen, oder mindestens verschiedene Vegetationsenergien derselben.

Und nun wie und warum endet denn ein solcher Mikrobien- Ursachen des Er- wucherungs-Process? Mancherlei Vermuthungen sind darüber aufgestellt. l'J^ndHchel^'^Pro^ Man kennt schon lange die Art und Weise, wie die Amöben mit ihrem cesse. Plasma kleine Körper und ihre Umgebung umfliessen, dieselben in sich aufnehmen, sie zuweilen verdauen, auch wieder auswerfen. Man weiss, dass sich die Leukocyten, auch wenn sie nach ihrer Auswanderung durch die Kleeblattfurchung ihrer Körner zu Eiterkörperchen geworden sind, sich genau so verhalten wie die Amöben. Zumal hat man sie oft behufs specieller Untersuchungen mit feinsten Carmin- oder Zinnoberkörn- chen gefüttert, wodurch ihr Leben nicht beeinträchtigt wird. So hat man auch beobachtet, dass die Leukocyten unter Anderem auch pflanzhche Mikrobien, Coccen und Bakterien in sich aufnehmen und entweder von

Ueber die Einwirkung: lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

diesen vergiftet werden, oder dieselben tödten und verdauen. Metscli- nikoff hat diese Vorgänge besonders genau studirt und die Zellen, welche die Mikrobien fressen, «Phagocyten» getauft. Dass diese Todesart dei- Mikrobien, die übrigens auch nicht allzu verbreitet scheint, ein sehr wesentliches Moment für das Aufhören von Processen bildet, die durch Mikrobieuvegetationen bedingt sind, wird zumal von Bau mgarten sehr energisch bekämpft, bezweifelt. Ein anderes Moment dürfte von grösserer Bedeutung sein. Es ist ein durchgreifendes Gesetz für die organisirten Wesen, dass sie in den Endproducten ihres Stoffwechsel.^ nicht leben können. Die Hefezelle stirbt im Alkohol, den sie aus dem Zucker gebildet hat; die Fäulnissbakterien sterben in den fauligen Zcr- setzungsproducten, in welche sie die Eiweisskörper zerlegt haben. Der ]\Iensch stirbt in der Kohlensäure, die er ausathmet, wenn ihm nicht neuer Sauerstoff zugeführt wird.

Die Gährungspilze werden in den Producten ihres Stoffwechsels nach und nach immer träger in ihrer chemischen Arbeit: sie fallen zu Boden und ihre Vegetation höi t auf, noch ehe aller Zucker in Alkohol und Kohlensäure umgesetzt ist, noch ehe der ihnen ebenfalls nöthige Stick- stoff aufgebraucht ist. Ihre Vegetations-Erschöpfung hat nun zur Folge, dass sich in der Alkohollösung andere Pilze ansiedeln, welche den Al- kohol in Essigsäure umsetzen. Meist geht bei den sogenannten wilden Gährungen die Essiggährung bald neben der Alkoholgährung einher. Aehnlich ist es mit dem Uebergang der Milchsäuregährung in Butter- säuregährung etc. Uebertragen wir diese Vorstellungen etwa auf einen durch Staphylococcus aureus veranlassten phlegmonösen Process, so können wir uns denken, dass die Coccenvegetation, welche in den gesunden Gewebssäften sehr energisch vor sich ging und sich rapid in den Gewebsinterstitien ausbreitete, durch die Producte ihres Stoffwechsels früher oder später theils stirbt, theils in ihrer Vegetationsenergie der- art beeinträchtigt wird, dass sie sich immer langsamer in neues ge- sundes Gewebe vorschiebt. Anfangs war der Sieg ausschliesslich auf Seite der Mikrobien; nach und nach aber wird ihre Kraft schwächer, und nun können die Gewebszellen und Leukocyten sich auch wieder mit Erfolg an dem Kampfe um das Ernährungmaterial betheiligen, welches die Mikrobien in ihrem Erschöpfungszustande kaum noch we- sentlich zu verändern vermögen. An dem Flüssigkeitsinhalt metastatisch entzündeter Gelenke, die ich wiederholt punctirte, habe ich Folgendes beobachtet. In der ersten, noch leidlich klaren Punktionsflüssigkeit i eine grosse Menge von Streptococcen, wenig Eiterzellen. Einige Tage j später war die Flüssigkeit schon dünneitrig: Streptococcen in geringer Menge, Eiterzellen vorwiegend. Wieder etwas später war in dem ent- leerten reinen, schon etwas dicklichen Eiter kaum noch Streptococcus zu finden. Die Eiterzellen hatten also endhch das Terrain ganz erobert;

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- nnd Thierzellen aufeinander. iO

Streptococcus ging zu Grunde in den chemischen und morphologischen Producten seiner Wachsthumsarbeit.

Die künstUchen Culturversuche haben noch ein anderes wichtiges Resultat ergeben : sie zeigen, dass die Mikrobien auf dem gleichen Nähr- boden, auf welchem sie anfangs sehr üppig gediehen, nach und nach zu Grunde gehen, auch wenn man die neuen Generationen immer wieder auf neuen gleichen Nährboden verpflanzt. Bevor ihre Vegetation ffanz aufhört, wird sie schwächer und schwächer, wächst langsamer, die Formen kommen nicht mehr zur vollständigen Entwicklung und ihre Elemente haben bei Impfversuchen eine bis zum Ende abnehmende Virulenz, Es scheint also, dass diese kleinen einfachsten Pflänzchen ebensowenig wie grössere complicirter gebaute Pflanzen dazu geschaffen sind, fort und fort gleichmässig zu vegetiren, sondern dass sie von Zeit zu Zeit der Ruhe bedürfen, die ihnen in der Natur durch die Verschiedenheiten der Temperatur und des Wassergehaltes von Luft und Boden geboten werden; auch bedürfen sie vielleicht eines häufigen Wechsels des Nährbodens, um nicht zu degeneriren. Von der Spiro- chäte, welche die Febris recurrens verursacht, muss man nach allen Erscheinungen annehmen, dass sie im Blute des Menschen ein Vegeta- tionsleben von nur wenigen Tagen hat, dann in einen ruhenden (Sporen-) Zustand geräth, der erst wieder nach einigen Tagen zu einer neuen Vegetation führt. Aehnliche Verhältnisse dürften die Ursache auch mancher anderer streng typischer, zymotischer Krankheiten sein. Die Gärtner behaupten, dass alte Samenkörner unter ganz gleichen Ver- hältnissen viel später keimen als junge. Aehnliches könnte auch bei den Dauersporen der Mikrobien der Fall sein. Kurz die Bedingungen des pflanzHchen Lebens, ihres energischen und schwächlichen Wachs- thums (womit die Virulenz wesentlich zusammenhängt), ihrer Degene- ration und ihres Absterbens sind so mannigfaltig, an so vielerlei Bedingungen geknüpft, dass wir noch lange mit dem Studium der- selben zu thun haben werden. So kolossal die Fortschritte auch sind, die wir über die Mikrobien nach der pathogenen Seite hin gemacht haben, zu ihrer vollen Erkenntniss werden wir doch erst kommen, wenn wir nach der botanisch-anatomisch-physiologischen Seite hin noch weitere Aufschlüsse gewonnen haben werden. Dann erst wird sich auch wohl noch manches Dunkel, welches jetzt noch über der unbedingten und relativen Immunität einzelner Thierarten, einzelner Varietäten und ein- zelner Individuen hegt, erhellen.

Wir hatten uns nun so ziemlich daran gewöhnt, die Mikrobien als zerstörende Feinde der thierischen Zellen und ihrer De- rivate, der Gewebe, anzusehen und ihre eigenthümhchen ver- schiedenen pathogenen Wirkungen in dieser Richtung anzuerkennen. Doch, wie schon früher bemerkt, es ist in letzter Zeit ein ganz neues

nur

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Moment liinzugekommen, nämlich dass die Mikrobien nicht destruirend, sondern auch als formative Reize auf die thierischen Zellen wirken können. Derfonnative Formativcr Rciz Und formative Reizbarkeit! Diese Beerifi',.

Reiz und seine j ^ tt- i -»-»^^^iiii'

Wirkungen, wurdcu zucrst vou Virchow m seinem geistvollen Aufsatze »Reizung und Reizbarkeit« (Arch. f. path. Anat. Bd. XIV., 1858) ausgebildet. Unsere Generation kann sich keine Vorstellung von dem Eindruck machen, welchen diese wne so viele ähnlichen zusammenfassenden, kriti- schen Abhandlungen Virchow's seinerzeit auf die mit- und nacharbei- tende Jugend machten. Alles überhastet sich jetzt; unsere Zeit leidet an einem Heisshunger nach immer neuen oder scheinbar neuen That- sachen, die womöglich einen sensationellen Erfolg haben sollen. Aid' den wissenschaftlichen Bahnen sich von Zeit zu Zeit betrachtend aus- zuruhen und sich zu überlegen : wo sind wir jetzt? was haben wir hinter uns, was vor uns? lohnt es hier oder dort weiter zu gehen? was haben wir durch unsere Detailarbeit für das Ganze an Erkenntniss gewonnen? dazu hat man jetzt keine Zeit. »Reizung und Reizbarkeit«, einst die Schlagworte, A und ß einer ganzen medicinischen Schule! Wir können dieser Begriffe nicht entbehren, wenn wir uns mit der organisirten Natur beschäftigen. Darumkann auch Virchow's Klarlegun? in dieser Richtung nie veralten; sie ist vielmehr noch heute die Basis dessen, was wir mit diesen Ausdrücken bezeichnen können und wollen, so sehr es uns auch befremden mag, dengrossenReformatorgegen Anschau- ungen im Kampfe zu sehen, die für die jetzige Generation nur noch mitHilfe delailhrter historischer Studien verständlich erscheinen; daran erlvennen wir freilich am besten den fundamentirenden Einfluss, den Virchow von der pathologischen Anatomie aus auf die gesammte Auffassung der Vorgänge in den lebenden Organismen ausgeübt hat. Virchow^ brachte es zuerst zur klaren Darstellung, dass nicht nur Nerven und Muskeln reizbar sind, sondern dass der Substanz jeder einzelnen Zelle Reizbar- keit zukommt und dass diese sich in Aenderungen der Function, der Nutrition und Formation äusgern kann; die Reize können nur so gedacht werden, dass sie specifische chemische und physikalische Ver- änderungen in dem Stoffwechsel der lebenden Materien vorübergehend anregen oder dauernd ausüben. Wenn auch die Grenzen der functio- nellen, nutritiven und formativen Reizbarkeit ebensowenig immer haarscharf von einander zu trennen sind, wie die der functionel- len, nutritiven und formativen Reize, so liegt doch in dieser Trennung eine reiche Quelle des Verständnisses und Interesses an Vor- gängen in den Geweben, welche in ihrer continuirlichen Weiterentwick- lung die merkwürdigsten normalen und pathologischen Producte zur Folge haben. Virchow hat sich in der erwähnten Abhandlung vor- wiegend mit der formativen Reizbarkeit beschäftigt. Es sei uns in

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

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Folgendem gestattet, diejenigen Einflüsse auf die lebenden Organismen kurz Revue passiren zu lassen, die man als formative Reize auf die lebenden Gewebe anzusehen hat. Dass ein formativer Reiz ^ nur Folgen haben kann, wenn zugleich die nutritiven Vorgänge gesteigert werden, ist wohl selbstverständlich. Eine gesteigerte Nutrition hat aber keineswegs immer eine Formation d. h. eine Vermehrung der Gewebs- elemente zur Folge, ebensowenig eine gesteigerte Function. Es muss also dem formativen Reiz eine gewisse Eigenartigkeit zu- gesprochen werden.

Dies wird wohl liir die Veränderungen, welche im fertigen Or- ganismus auftreten, keine Anfechtung erfahren. Wohl aber fliessen im wachsenden Organismus Nutrition und Formation so ineinander, dass sie selbst für kurze Momente nicht getrennt gedacht werden können. Als höchste Potenz eines specifischen, formativen Reizes und einer specifi- formatives Reiz- schen, formativen Reizbarkeit erscheint mir die Wirkung des Sperma- moment. tozoids auf das Ei. Unterziehen wir die betreffenden Vorgänge einer raschen summarischen Betrachtung! Eine Reihe von niedersten Algen, zu denen auch die uns besonders interessirenden sogenannten Spalt- und Sprosspilze (Bakterien, Coccen, Hefe) gehören, vermehrt sich nur durch fortdauernde Zelltheilungen; günstige (flüssige oder weiche) Boden- verhältnisse genügen, die in ihnen liegende formative Reizbarkeit für lange Zeit zu unterhalten; doch ist sie für die aus einer bestimmten Generation entstandene Vegetation auf gleichem Nährboden endlich erschöpfbar. Hier fallen Nutrition und Formation ganz zu- sammen-, das Wesentliche im Leben dieser Organismen ist eben ihre Vermehrung; man kann von diesen Organismen sagen, dass wir ihr Leben nur an und in ihrer Vermehrung erkennen können.

Das Erste, was man in Beziehung zur Conjugation bringen kann, ist das Auftreten von Ruhe- oder Dauer sporen, wie sie auch bei so niederen Algen, wie es die Bakterien sind, vorkommen, (An den Coccen kennt man bisher noch keine Dauersporen). Hier zieht sich der Zellinhalt, der bis dahin sich fortdauernd theilte, zu einer festen Kugel zusammen, welche fortan eine Zeit lang in Ruhe verharrt, ganz austrocknen kann gleich einem Samenkorn, dann aber, unter günstige Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnisse gebracht, auskeimt und je nach dem in der Folge zugeführten, für sie assimilirbaren Nährstoffe, mehr oder weniger üppig wachsend, die gleiche Alge erzeugt, von welcher die Spore stammte.

Etwas anders gestaltet sich der Vorgang bei den Mucorineen (zu den Schimmelpilzen gehörig). Die Spitzen zweier Fäden der gleichen Pflanze legen sich fest zusammen, die Zwischenwand zwischen den anein- ander liegenden Endzellen schwindet, der Inhalt beider Zellen fliesst ineinander, zieht sich zu einer derben, umkapselten Kugel zusammen.

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- mul Thierzellen auf einand

Das ist die Dauerspore, die Zygospore dieser Pilze, welche die gleichen Eigenschaften wie die eben erwähnten, aus dem Inhalte einer Zelle entstehenden Dauersporen besitzt.

Ebenso verhält es sich bei der Conjugation von Schwärmsporen, wie sie bei den Algenarten der Pandorineen, Hydrodictyen, Ulothricheen in den verschiedensten Variationen vorkommen, wo auch wohl 3 und 4 Zellen zur Bildung einer Zygospore zusammentreten. Ob die Ver- schmelzung derMyxomyceten, zu denen auch die den Leukocyten und Eiterzellen so überaus ähnlichen Amöben gehören, zu Plasmodien auch als Conjugation aufgefasst werden kann, ist zweifelhaft.

Man sieht, dass bei diesen Pflanzen noch keine Trennung von Geschlechtern existirt, oder doch nicht erkennbar ist, um eine Zelle zu erzeugen, in welcher gleichwie in dem Samenkorn potentiell schon eine ganze Generation von neuen Pflanzen enthalten ist. Man kann hier also nicht sägen, dass eine der bei der Conjugation betheihgten Zellen einen, wenn auch vorläufig localen formativen Reiz auf die andere ausübt.

Dies tritt erst bei den Üogonien und Antheridien (Meeralge, Fucus) deutlich hervor in der Bildung verschieden gestalteter Elemente, von denen man die beweglichen, mit Wimpern versehenen, meist kleinen Zellen als männliche (Spermatozoiden), die ruhenden, mehr grösseren als weibliche (Eizellen) bezeichnet.

Dabei nehmen wir an, dass das Spermatozoid, indem sein Plasma mit dem der Eizelle zusammenfliesst, den specifischen, formativen Reiz auf die specifische Reizbarkeit der Eizelle ausübt. Ich sage absichtlich den «specifischen formativen Reiz», weil die fertigen unbefruchteten Eizellen doch wahrscheinlich auch für rein nutritive Reize und wohl auch für andersartige Reize empfänglich sein werden. Es ist freilich nur eine Hypothese, wenn wir annehmen, dass die Eizellen und auch die Epi- thelzellen der Hodencanälchen sich an der Bildung von Tumoren, zumal Teratomen betheiligen, wobei wir freilich das formative Reizmoraent ebensowenig kennen, als den Vorgang selbst; doch widerspricht die Annahme eines solchen Processes unseren sonstigen Anschauungen über die Vorgänge in den zelligen Elementen, soviel ich es zu übersehen vermag, nicht.

Ein auifallender Unterschied zwischen den höchst entwickelten Pflanzen, den Riesenbäumen der Urwälder, und den höchst entwickelten Thieren besteht darin, dass der Anstoss zur formativen Fortbildung bei ersteren fast ohne Ende zu sein scheint, und dass an ihren wachsenden Theilen die formative Reizbarkeit fortbesteht, indem aus jedem jungen Zweige wieder ein junger Baum gezogen werden kann, während bei den höchst entwickelten Thieren das Wachsthum an einer bestimmten Grenze aufhört, und von einer Vermehrung aus einzelnen Theilen (mit Ausnahme des befruchteten Eies), von einer reinen Vegetations-Ver-

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Tliierzellen auf einander.

mehrung keine Rede ist. Wenn ein Baum immer unter gleichen Ver- hültuisscn der Ernährung, der Feuchtigkeit, des Klimas bleibt, nicht ,1 krankt, nicht verletzt wird, so könnten wir uns vorstellen, dass er \v'ig lebt und wächst. Ja sägen wir ihn an der Wurzel ab, so treten wischen Holz und Rinde oder aus den Wurzeln neue Keime hervor, die wieder zu Zweigen auswachsen; die Zweige treiben nach unten wieder neue Wurzeln, und während der Stumpf und die meisten Wurzeln des früheren Riesenbaumes noch kaum vermodert sind, haben sich aus ihnen bereits mehrere junge Bäumchen entwickelt; der kräf- tigste unter ihnen, der am schnellsten wachsende unterdrückt die an- deren, schafft sich selbst Luft und Licht, und nach tausend Jahren steht an Stelle des alten ein neuer Riesenbaum. So ist diese Pflanze, wenn man sie nicht mit Stumpf und Wurzel ausrottet, nicht zu ver- nichten; sie bedarf zur Erzeugung vieler Grenerationen der Fructifica- tionsorgane nicht; sie existirt bis in unendliche Zeiten hin durch die formative Kraft, welche ihr inhärirt. Nutrition und Formation sind hier eins; der Ernährungssaft, die Temperatur, die Feuchtigkeitsverhältnisse sind nutritiver und formativer Reiz zugleich. Der Baum ist in den meisten seiner Theile (mit Ausnahme des Holzes) ewig wachsend, ewig jung, ewig fähig, aus sich selbst ohne den Zeugungsvorgang neue Individuen hervorzubringen.

Wenn man sich in die Vorstellung von dieser colossalen forma- tiven Vegetations-Energie und -Ausdauer vertieft hat und dann auf das so bescheidene Mass von Vegetation und die doch immereinem gewissen Zufalle der Begegnung unterliegende Nothwendigkeit der Verbindung zweier Geschlechter behufs Production neuer Individuen, und auf das so rasch ins Stocken gerathene Wachsthum selbst bei den höchst ent- wickelten Thieren blickt, so erscheint die Bildung der Thiere nicht als das Resultat einer potenzirten, sondern eher einer schon depotenzirten schöpferischen Kraft.

Nachdem man das fortdauernde Wachsen, die ungehemmte For- mation als wichtigste Lebensäusserung, als eigentliches Wesen des Lebens bei den höchst entwickelten Pflanzen aufgefasst hat, fragt man sich: was hemmt z. B. den Menschen bei einem gewissen Masse still zu stehen? Warum ist ihm überhaupt nur eine Wachsthumsperiode beschieden? Wir haben uns an das Wunder des Wachsthums ge- wöhnen müssen; wir werden uns auch in das Wunder der Wachs- thumshemmung finden müssen. Diese Geschehnisse liegen, eben weil sie uns als Wunder erscheinen, vorläufig ausser dem Bereiche der Naturwissenschaft. Ihre Natur ist so unfassbar für unsere bisher so dürftigen Forschungsmethoden, dass sie uns kein neues Wissen schaff'en.*)

*) Die Versuche, welche bisher gemacht wurden, das Ende des Wachsthums durch mechanische Verhältnisse bedingt zu erklären oder zu verstehen, haben mich wenig Samml. Medic. Schriften. X. 2

18 Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

Kommen wir mm zu den Erscheinungen, welche wir an fertigen Organismen als Resultate formativer Reiz Wirkungen auffassen können.

befriedigt. Auf dem Gebiete der pathologischen Histiologie war es zuerst Thiersch welcher freilich in unendlich vorsichtiger und bescheidener Weise hervorhob dass im Alter (Thiersch ging von der Untersuchung der Gesichtshaut alter Männer aus) das liindegewebe schwinde, dadurch lax würde und dass in Folge dessen die epithelialen Elemente, zumal auch die Drüsen und Ilaarbälge, von demDruck des straffen Bindegewebe^ entlastet, leicht zu extravaganten Neuformationen verleitet werden könnten Hier-u, schloss sich consequent die Idee, dass bei Abschluss des Wachsthums epitheliale un,i bindegewebige Elemente in dasjenige gegenseitige Druckverhältniss gelangt sind welches für die stabile normale Function dieser Gewebe nothwendig ist Leider ent sprechen die Thatsachen dieser Hypothese nicht: z. B. die Beobachtung jener traurigen Falle, in welchen sich bei ganz jungen kräftigen Männern die fürchterlichsten Epi- thelialcarcinome im Rectum entwickeln. Wenn wirklich die Wachsthumsbewegung, durch welche Kern von Kern und Zelle von Zelle auseinanderrückt, beim ausgebildete. Gewebe latent, also gewissermassen zur Spannkraft wird, so dürfte dies schwerlich von dem Drucke der Gewebe auf einander abhängig sein; denn selbst unter dem Druck einer so derben Membran, wie z. B. die Tunica albuginea des Hodens es ist, entwickelt sich ja manchmal aus ganz unbekannten Gründen, nicht gar selten nach einer Contusion eine colossal üppig wuchernde Sarkommasse. Der Druck solcher Gewebe auf einander ist weder im Stande, das Wachsthum, noch den Secretionsdruck z. B. einer Cyste zu hemmen; wie könnten denn sonst so viele derbwandige continuirliche Eierstockcysten entstehen! Die andere Hypothese, dass jeder Zelle und jedem Zellencomplex nur eine bestimmte Zeit von Stoffwechselleben und damit eine Begren- zung von Vermehrungsfähigkeit gegeben sei, oder mit anderen Worten, dass aucli die formativen Leistungen der Zellen erschöpfbar sind, ist, wie wir schon früher in Betreff der Mikrobien erwähnten, doch nur eine Umschreibung des Beobachteten keine Erklärung. Es ist nichts Anderes, als wenn wir sagen, es waltet ein Fatum auch über diese Dinge; es ist der Standpunkt der Eesignation, auf dem wir wol vor- läufigstehenbleiben müssen, ohne uns von dem Dubois'schen Anathema: Ignorabimus ! von weiteren Untersuchungen und Combinationen unserer sinnlichen Wahrnehmungen abschrecken zu lassen. Vielleicht gereicht es Manchem zum Trost, dass dem Fatum, welches über die Dauer und das Ende unseres W^achsthums waltet, auch zuweilen ein Streich gespielt wird; von Wem, weiss man freilich auch nicht; doch hat man sich einen guten Ormuzd hergerichtet, so ist auch der schlimme Ahriman gleich bei der Hand. In der Wiener pathologisch -anatomischen Sammlung befindet sich ein wohl- gebildetes Skelet, an welchem noch alle Epiphysenknorpel bestehen und welches seiner Grösse und der Gracilität der Knochen nach einem Individuum von 12 Jahren entspricht. Es gehört aber einem Zwerg an, der als Hausierer in Wien vegetirte und in seinem 39. Jahre starb. Ueber die Grösse seiner Eltern ist nichts bekannt. Wir haben in diesem Falle also eine Stabilität in einem kindlichen Stadium. Warum das Wachsthum in diesem Falle plötzlich aiif hörte und die Epiphysenknorpel dennoch nicht zu der ihnen vom Fatum bestimmten Verknöcherung kamen, wird man weder aus mechanischen noch sonstigen Processen verstehen oder erklären können.

Nicht viel mehr Bedeutung als das Heranziehen des Fatum hat der Vergleich des Aufbaues des Organismus aus Zellen mit dem Aufbau eines Hauses; letzterer setzt einen Baumeister voraus, der nach einem bestimmten Plane baut. Da wir nun von einem solchen Baumeister und einem Plane bei dem Aufbau eines Organismus, der dem Vergleich nach ja auch einmal seinen bestimmten Abschluss haben müsste, uiciirs wissen, da die moderne Psychologie vielmehr behauptet, dass jedes Partikelchen Proto-

lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

Nächst der Befruchtung kennen wir als einen der sicherst wir- ^g^^^g^^^lgc^ kenden formativen Reize die Trennung des Zusammenhangs der au formativc» Gewebe (wobei wir die flüssigen Gewebe: Blut, Lymphe, Eiter aus- ««»z'"''™«"'- schliessen, bei denen man kaum von einer Zusammenhangstrennung sprechen kann).

Mögen die Gewebe von aussen her mit der Haut durchtrenut, mögen sie subcutan irgend wie in ihrem Zusammenhange unterbrochen werden, immer erfolgt der merkwürdige Vorgang, dass dieselben an den Grenzen der Trennungsstellen durch Kern- und Zellentheilung ihrer specifischen Gewebselemente bis auf eine gewisse, wenn auch meist geringe Ausdehnung hin, gewissermassen in den fötalen Zustand ge- rathen, und sich eine, in der Regel freilich nur auf wenige Tage beschränkte, neue Wachsthumsperiode entwickelt. *)

pl.asma Baumeister und Material zugleich ist, so hinkt auch dieser Vergleich und fördert uns nicht.

Dass ich zu den Menschen gehöre, welche an dem Gedankenspiel mit den Vorstellungen, welche wir aus unseren Beobachtungen der Natur entnehmen, eine grosse Freude haben, geht wohl daraus hervor, dass ich es nicht lassen konnte, diesen kleinen Essay niederzuschreiben und drucken zu lassen, um diese Gedanken endlich los zu werden. Ich habe dabei freilich die Empfindung, dass solche Betrachtungen uns und vielleicht auch Anderen mehr subjectives künstlerisches Vergnügen bereiten als uns wissenschaftlich objectiv fördern und dass unsere Phantasie dabei mehr thätig ist als unsere Intelligenz. Doch wo sind da die Grenzen? Schon oft habe ich mir die Frage vorgelegt, ob bei der Schöpfung der neunten Symphonie die Phantasie, die Empfindung oder der Verstand Beethoven's mehr gewirkt hat, bin jedoch zu keinem Eesultat gekommen. Ich glaube, dass auch unsere diesmaligen Betrachtungen in einer Quelle wurzeln, welche vor der Sonderung unserer Psyche in dis Keimblätter des Verstandes, des Gefühles und der Phantasie als Einheit bestand.

*) Gegen diesen Ausdruck und diese Auffassung'protestirte Eabl bei Gelegenheit einer Discussion über seinen interessanten Vor trag: <Ueber die Principien der Histologie» (Ver- handlungen der anatomischen Gesellschaft, 1889, pag. 62), indem er sagt: «Die Zellen sind Elementarorganismen und unterliegen als solche denselben Gesetzen, denen auch die Orga- nismen höherer Ordnung, die Personen und Stücke, unterworfen sind. Gerade so wenig aber, wie ein höherer Organismus jemals, mag er noch so sehr degeneriren, wieder auf den embryonalen Zustand zurückzukehren im Stande ist, so kann auch ein bereits ausgebildetes Gewebe nicht wieder zu einem embryonalen werden.» Mir scheint, das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Es hat wohl Niemand daran gedacht, das Wort »embryonal» in der pathologischen Histiologie so zu nehmen, als seien die Zellen, welche behufs der Eegeneration von Geweben aus Elementen der letzteren entstehen, etwa den Furchungskugelu des Eies gleichwerthig. Man will hier mit dem Ansdn^ck «embryonal» oder «fötal» doch nur ausdrücken, dass die bereits zu einem Wachsthumabschluss gelangten Gewehe wieder in einen wachsenden, also jungen Zustand zurückkehren. Wir brauchen den Ausdruck «zurückkehren», weil wir bei den meisten thierischen Geweben mit der Beendigung des Wachsthums einen fertigen Grenzzustand annehmen, von welchem aus es ein «vorwärts» nicht mehr gibt; Eabl spricht doch auch von «ausgebildeten» Geweben. Unsere Auffassung von die'sen Processen der Eegeneration der Gewebe beim Menschen (den Entzündungsprocess lassen wir dabei ganz bei Seite) ist kurz folgender: Der Mensch hat eine Anzahl von Ge-

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20 lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzelleu auf einander.

Gelingt es jeden andern Reiz, zumal alle Mikrobien, fern zu halten, so dauert dieses Waclisthum bei aneinander liegenden Wund- flächen etwa 6 8 Tage; dann sind die erweichten Wundränder gf- wissermassen in einander geflossen; das fötale Wachs thum mit reichliche)- Zellenbildung hört auf; es bildet sich aus dem fötalen Bindegewebe das Narbenbindegewebe; die Wucherung der Muskelzellen, Nerven und Gefässzellen hört dann auf. Liegen die verschiedenen Gewebe genau aneinander, so fliessen Muskeln in Muskelgewebe, Nerven in Nerven- gewebe, Gefässe mit ihren Mündungen zusammen, und es ist nacli einiger Zeit kaum möglich die Narbe zu erkennen.

Wie beim Fötus wird auch hier Alles anfangs überreichlicli gebildet, zumal die Gefässanlage. Wie das ganze fötale Capillarnet/. des Glaskörpers verschwindet, so verschwinden auch in der Narbe di('

weben, die nur aus Zellen und Flüssigkeit bestehen, wie die Epithelien, das Blut, die Lymphe. Die mehrschichtigen Epithelienlagen kommen selbst beim Greise in den tieferen Schichten nie zu einem «ausgebildeten > Zustand; sie bilden, wachsen ohne Weiteres so lange als der Gesammtorganismus lebt. Von den Vermehrungs- und Re- generationsvorgängen der rothen Blutzellen im ausgewachsenen Organismus wissen wir so viel wie nichts. Von den Lymphzellen vermuthen wir, dass sie durch Theilunir oder Knospung aus Elementen der Lymphdrüsen, der Milz, des Knochenmarks hervorgehen. Von dem Cornea - Epithel wissen wir, dass Defecte nicht aus der Tiefe, nicht aus den Cornea-Elementen, sondern durch seitliche Sprossung der den Defect umgebenden Epithelialzellen ersetzt werden; ob dabei eine Veränderunp in der Zellsubstanz vorgeht, oder ob das Corona- Epithel nie «ausgebildet», sondern etwa den Zellen des Rete Malpighii gleichzusetzen ist, will ich, dahingestellt sein lassen. Was die einfachen Fasergewebe anlangt, zu denen ich Bindegewebe, Muskeln. Nerven rechne, so nehmen wir wohl allgemein an, daps sie, wenn nicht besondere formative Reize einwirken, «ausgebildet» sind, sowie das Wachsthura des gesammten Organismus beendet ist. Es ist dann bis auf minimalste Reste alles körnige Proto- plasma um die Kerne zu Fasergewebe umgewandelt; dies betrachten wir als den vom Fatum dem betreffenden Thierkörper bestimmten Endzustand, in welchem er nun kürzere oder längere Zeit verharrt. Wenn wir nun z. B. an einer durchtrennten Muskelfaser sehen, dass in dem Stumpf eine Karyokinese beginnt, dass zugleich körniges Protoplasma um die neuen Kerne entsteht und dass dieser Process einige Tage fortdauert, so dass das Ende des Muskelfaserstumpfes nun ganz aus Kernen und körnigem Protoplasma besteht; wenn wir dann ferner sehen, wie sich dies Protoplasma sondert, sich an die einzelnen Kerne anlegt, sich in quergestreifte MuskelfibriUen umbildet und nun die jungen Muskelfasern aus der Scheide der alten gewissermassen herauswachsen so nennen wir diesen Process ein «Jungwerden» des Muskelgewebes, dessen amputirte Fasern und Fibrillen nicht ohne Weiteres vorwachsen konnten, sondern an und zwischen denen erst wieder neues körniges Protoplasma entstehen musste, so dass die neuen jungen Muskelfasern ebenso entstanden, wie wir ihre Entwicklung im Embryo beob- achten. Es ist nicht meine Absicht, hier auf die nach und nach complicirter werdenden Regenerationsvorgänge in anderen Geweben einzugehen, bei denen im Wesentlichen die gleichen Vorgänge beobachtet sind. Bis diese Beobachtungen als falsche oder die Deutungen des Beobachteten als unsinnige nachgewiesen sind, lasse man uns den Aus- druck und die Vorstellung des «Erabryonalwerdens» der Gewebe bei den Regenera- tionsvorgängen.

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

für die spätere Gewebseniährung mit ihren regelmässigen Saftströmun- gen unnöthig vielen Gefässe; die anfangs dicke, rothe Narbe wird dünn, weiss. Es kommt zu einem definitiven Abschlüsse; zu einem stabilen Zustand. Warum? Ja das wissen wir ebensowenig, wie wir wissen, warum überhaupt das Wachsthum aufhört und anfängt. Wir müssen uns hier mit dem Begriffe «erbliche Anlage» trösten, was ungefähr ebensoviel und ebensowenig bedeutet wie: »Kismet!«

Wir kennen einige Momente, welche die formative Reiz- barkeit nach Verletzungen zu steigern im Stande sind.

Fremde Körper

Zunächst fremde Körper, z. B. geronnenes Blut zwischen „„^ Dmck ais den Wundrändern, oder zwischen getrennten Geweben überhaupt. Das formative Keiz- bei der Gerinnung ausgepresste Serum wird resorbirt; das Gerinsel bleibt vorläufig. Dass die frühere Anschauung, wonach das geronnene Blut sich in lebendiges Gewebe verwandeln könne, irrig ist, wissen wir jetzt. Es unterhält vielmehr die formativen Reizeffecte; die fötal gewordenen Gewebe der Umgebung waclisen in das Gerinsel hinein, verarbeiten, verflüssigen es und treten an ihre Stelle; hinter ihnen bildet sich bereits das neue, stabile Gewebe aus. Muskeln und Nerven stehen bald wohl still in ihrem Wachsthum, doch das junge Binde- gewebe mit den Gefässen (Granulationsgewebe) wuchert in das Blut- coagulum hinein und kommt erst zur Ruhe, wenn es von beiden Seiten her in einander gewachsen ist.

Inzwischen ist alles Coagulum verflüssigt und mit Ausnahme von einigen Pigmentresten resorbirt; an seine Stelle ist die junge (ent- zündliche) Neubildung, das Granulationsgewebe, getreten, welches nun endlich, nachdem es in einander geflossen ist, auch zur Ruhe kommt, in den stabilen Zustand der Narbe übergeht. So ist auf einem Umwege, der freilich mit Zeitverlust verbunden war, das gleiche Ziel erreicht, als sei kein fremder Körper zwischen den Wundflächen gelegen. Dieser Vorgang kann an der Grösse des Extravasats oder an einer mangel- haften formativen Thätigkeit der eindringenden jungen Gewebe scheitern. Die Wachsthumsenergie des Granulationsgewebes kann sich früher oder später erschöpfen, lange bevor es das Blutcoagulum durchwachsen hat. Das Granulationsgewebe steht in seiner Bildung still, wandelt sich in ein gefässreiches Narbengewebe um und gibt nun auch etwas Trans- sudat her, durch welches das Coagulum wieder Flüssigkeits-reicher wird (wenn es nicht vielleicht schon von Anfang an nicht ganz zur Gerin- nung kam); so erfolgt die Einkapselung des extravasirten Bl utes, welches wie länger bestehende Exsudate und Secrete immer eiweissreicher oder mucinhältiger wird, so dass es überhaupt nicht mehr oder nur ungemein langsam resorbirt werden kann. Nun haben wir ein «Hämatom», eine «abgekapselte Blutcyste» vor uns.

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen aufeinander.

Wenn ein nicht resorbirbarer Fremdkörper im Gewebo liegt (Glas, Porcellan, Eisen, Blei, Holz etc.), so wirkt er in erste- Linie durch die Continuitätstrennung als formativer Reiz. Nehmen wir den besten Fall, nämlich dass der Fremdkörper ganz frei von Eitercoccen war, auch keine solchen Elemente bei seinem Eindringen i mit in die Gewebe hineingerissen hat, so ist die formative Reizun- desselben sehr gering. Doch sie hört in den meisten Fällen bald ganz auf. Das fötale Binde- und Gefässgewebe, welches sich um ihn entwickeii, steht bald in seinem Wachsthum still; es bildet sich zu Narbengeweb- lim. Der fremde Körper wird eingekapselt. Hier kommen nun nach den Untersuchungen Salzer's folgende Modificationen vor, Doi- fremde Körper drückt durch seine Schwere auf die Gewebe; er senkt sich (Blei, Eisen), macht dabei fortdauernd, wenn auch ganz langsam, neue leichte Continuitätstrennungen, die immer wieder neue kleine for- mative Reizungen hervorrufen; hinter ihm schHesst sich das Gewebe mit minimaler Narbenbildung; vor ihm entsteht immer neues jungf. Gewebe, wenn auch in minimalster Menge. Auch die mechanische Reizung durch spitze Kanten (Glas) kommt in Betracht ; sie unterhalten eine längere und intensivere formative Reizung; die Kapselo, welche sich um solche Körper bilden, werden dick, schwielig; ihre Innenfläche bekommt eine stabile Organisation; sie fängt an, Serum nach innen zu trans- sudiren; es bildet sich eine Cyste um den Fremdkörper. Die Bildungen neuer Schleimbeutel unter Schwielen, welche auf Druckwirkung- zurückgeführt werden, kann man wohl auch als den Effect häufig wieder holter kleiner Continuitätsunterbrechungen der Gewebe, in welche man sich die einzelnen Druckwirkungen zerlegt denken kann, auffassen. Oder man müsste auch die continuirlichen, die Gewebe und Circulation nicht erheblich störenden Druckwirkungen als formative Reize auffassen. E^ wäre dies auch ein neues formatives Reizmoment, gegen dessen Annahme wohl nichts einzuwenden wäre.

Wir können das Problem über den formativen Reiz, welchen Fremd- körper ausüben, nicht verlassen, ohne einer Erscheinung zu gedenken, bei welcher dieser Reiz vielleicht in höchster Potenz wirkt, wir meinen nämlich die Wirkung eines grossen, in eine Knochenkapsel einge- schlossenen Sequesters auf die immer zunehmende, wenn auch nicht unbegrenzte Verdickung dieser Knochenkapsel, so lange der Sequester in ihr enthalten ist. Circumscripte Eiteransammlungen im Mark (Knochenabs- cesse) und grosse gelbe Tuberkel können wohl auch einen formativen Reiz auf die Cambiumschicht an der Oberfläche des Knochens ausüben: zuweilen führt ein solcher Reiz wohl auch an tuberkulös erkrankten Gelenkenden zu umfangreichen stalaktitischen Osteophytenbildungen. Doch eine solche Constanz der Knochenneubildung, wie sie um einen Sequester erfolgt, findet man doch unter gar keinen anderen Verhält-

Ueber die Eiavvirkuug lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

nissen. Dass es wirklich vorwiegend der mechanische Reiz ist der chemi- sche Reiz ist hier wohl von untergeordneter Bedeutung welcher vom ab- gestorbenen Knochen ausgeht, ergibt sich daraus, dass nach Entfernung des Sequesters jede weitere Verdickung der Knochenlade sistirt, dass die Ausfüllung der nach Entfernung des Sequesters zurückbleibenden leeren Höhle sogar recht langsam zu erfolgen pflegt und schon sehr bald nach der Sequestrotomie eine partielle Resorption der neugebildeten Knochenmassen mit Sklerosirung des restirenden Theiles zu erfolgen pflegt. Ich beobachtete eine in Folge von acuter Osteomyelitis entstandene Ne- krose der ganzen Tibia-Diaphyse mit eitriger Einschmelzung beider Epiphysenknorpel; da der Sequester natürlich sehr bald gelöst war, extrahirte ich ihn, um die Eiterung zu verringern. Es war nur eben das etwas verdickte Periost schwach verknöchert; auch diese geringe Knoehenbildung schwand nach Entfernung des Sequesters uud es blieb eine unheilbare Pseudarthrose zurück, da sich von den zurückgeblie- benen Gelenkenden aus nur wenig Knochen bildete; die Knochenbildung blieb im grössten Theile der Diaphyse vollständig aus.

Jetzt müssen wir auf die Verhältnisse kommen, unter denen sich die formative Reizung an einer defecten Hautfläche aus s er t. Die Entfernung der Haut durch Abreissen, Verkohlen, Erfrieren, Excision etc. hat zur Folge, dass das Granulationsgewebe an der Oberfläche liegt, ohne Aussicht, sich mit einem gegenüberliegenden Gewebe zu vereinigen. Wie soll es zum Abschluss, wie zu einem stabilen Narbengewebe kommen? Was wird aus dem Gewebe, wenn der formative Reiz der Continuitäts- trennung aufgehört hat, zu wirken? Jeder Arzt weiss, dass dieser Vorgang durch den Epidermis - Ueberzug beendet wird, der von der Peripherie des Substanzverlustes sich über die Granulationsfläche herüberschiebt. Schon ältere Beobachtungen von Heilungen oberfläch- licher Wunden unter einem Schorf zeigten, dass die Granulationsbildung unter dem Schorf in sehr mässigen Schranken bleibt, dass die Epidermis- bildung unter besonderen Verhältnissen sich auch unter dem Schorf fortsetzt und nach Abfall desselben eine fertige Narbe vorliegt. In neuerer Zeit hat man solche Vorgänge auch bei grösseren Substanz- verlusten beobachtet, sie durch Hintanhaltung von Eitercoccen- Vegeta- tionen, d. h. durch vollkommen gelungene antiseptische Behandlung erreicht.

Combiniren wir aber ältere und neuere Beobachtungen miteinander, so wissen wir doch, dass unter gewissen Verhältnissen das Granulationsgewebe sich ganz besonders üppig entwickelt, dass mit anderen Worten der formative Reiz der Continuitätstrennung zuweilen fortbesteht. Wir wissen, dass die Umwandlung der Granulationen in Narben-Bindegewebe nur dann in regulärer Weise vor sich geht, wenn die Granulationsfläche sich auf Geweben etablirt hat, die verschiebbar, zusammenziehbar sind; die Con- densation des Granulationsgewebes, die auch in gewissem Grade eine

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

Zusammonziehung und eventuelle Obliteration der übermässig ausgebil- deten Gefässe nach sich zieht, befördert die Entwicklung der Epidermis auf den Granulationsflächen. Man kann also sagen, dass die Un- fähigkeit der Zusammenziehung des Granulationsbodens (Knochen und Fascien) gewissermassen als passiver Reiz formativ auf die Ueppigkeit der Granulationsentwicklung wirkt, indem er sie hemmt, ihrem natüi- lichen Schicksal der Umbildung in Narbengewebe zu verfallen. Di.; praktische Chirurgie hat das lange erkannt und eine Reihe von Mass- nahmen ersonnen, um die Condensation der Granulationen unter diesen Verhältnissen zu fördern.

Da die massenhafte Eiterabsonderung (freilich oft nur eine Ai t schleimiger Absonderung) bei diesen «fungös» Averdenden Granulationen jedenfalls von der Ansiedlung von Eiter- oder Blennorrhöecoccen in diesen Granulationen abhängig ist, so könnte man ihnen als den Unter- haltern der Eiterabsonderungen vielleicht auch einen gewissen Grad formativer Reizung zusprechen. Wir erwähnen das hier nur in Rück- sicht auf spätere Erfahrungen, nach denen manche Bakterien (Tuberkel- bacillen) zugleich formative Reizung der fixen Gewebseleraente, Aus- wanderung von Leukocyten, Gefässentwicklung und Bildung von Granulationsgeweben nach sich ziehen.*)

*) Wir dürfen uns nicht verhehlen, dass bei dem heutigen Standpunkte unserei Kenntnisse eine ganz scharfe Trennung zwischen rein phlogogenen, pyogeneu und formativen Eeizen und somit auch eine absolute Trennung zwischen Entzündung, Eiterung und Eegeneration kaum durchführbar ist, ohne den beobachteten Erschei- nungen Zwang anzuthun. Es können wohl alle drei Vorgänge fast ganz allein für sich vorkommen; doch ihre Combination, wenn auch mit Vorwiegen des einen oder anderen, ist das weitaus häufigere Vorkommen. Ich habe mir darüber folgende Vor- stellungen gebildet. 1. Die Gewebs- (besonders Gefässwand-) Erweichung bei der Ent- zündung, eine Art Peptonisirung, müssen wir wohl als den unmittelbaren Effect des Wachsthums phlogogener Mikrobien ansehen. Dieser Effect kann sehr gering und vorübergehend sein, so dass die Gewebselemente bald wieder, ohne formative Verän- derungen erlitten zu haben, in ihren normalen physiologischen Zustand zurückkehren: die Gefässwandungen haben eine Anzahl Leukocyten austreten lassen, welche wieder in die Gefässe zurückwandern ^ und kehren zur Norm zurück. 2. Der Reiz wirkt länger und langsamer; er trifft auch die fixen Gewebselemente, zumal die Bindegewebs- und Gefässzellen, und wirkt auf diese formativ; zugleich erfolgt Leukocyten-Emigration in massiger Menge; vielleicht bildet sich da und dort auch fibrinöses Exsudat. Diese Vorgänge dürften bei subacuten und chronischen Entzündungen statthaben; sie können in hypertrophische Verdickungen ausgehen, die sich vollständig zurückbilden können. 3. Das phlogogene Ptomain tödtet früher oder später das Gewebe mit oder ohne Co- agulation. Dadurch kommt ein Substanzverlust zu Stande, eine Continuitätstrennung. die an sich als formativer Eeiz wirkt und zur Narbe, zur Kegeneration führt.

Diesen letzteren Fall als den alleinig vorkommenden theoretisch anzusehen und den chemischen Wachsthumsproducten von Staphylo- und Streptococcus etc. jede formative Reizwirkung absprechen zu wollen, scheint mir kaum durchführbar, zumal in Rücksicht darauf, dass doch auch bei den meisten Blennorrhüen die Gefässe nicht nur

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Tliierzellen auf einander.

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Es dcarf endlich nicht unervvcähnt bleiben, dass wir gewisse medi- ^^^^^ camentüse Stoffe kennen, welche zweifellos als formative Reize zu tiveReizmomente. betrachten sind. Nachdem wir wohl Alle zugeben, dass die Leuko- cyten, so viel auch darüber experiraentirt und discutirt wurde, doch nicht fähig sind, Grranulations- und Bindegewebe zu bilden, müssen wir annehmen, dass das Granulationsgewebe mit seinen Gefässen doch nur ans fixen Gewebselementen hervorgehen kann, wenn mir auch directe Beobachtungen in dieser Richtung nicht bekannt sind. Das Granulationsgewebe ist doch immer das Resultat eines formativen Reizes; und eigentliche Gewebsformationen geben immer nur von den fixen Gewebselementen aus. Ich möchte a priori behaupten, dass das Granu- lationsgewebe seiner Hauptsache nach aus den Gefässwandzellen her- vorgeht. Die älteren Chirurgen verwandten eine Menge von Mitteln, um die Granulationsbildung zu fördern. Feuchte Wärme in Form von Kataplasmen und continuirlichen warmen Localbädern, ünguentum ba- silicium, Ünguentum argenti nitrici, ünguentum sabinae, ünguentum tartari stibiati hatten den wohlbegründeten Ruf, die Granulationsbildung zu fördern. Vom Jodoform wissen wir, dass es continuirlich angewendet eine besonders gefässreiche Granulationsbildung bis zum üebermass hervorruft. Aehnlich wirkt Gljcerin und steigert zumal die Dila- tation der Gefässe bis zum Aeussersten. Carbolsäure-Lösungen üben einen dauernd formativen Reiz aus, indem dadurch gefässreiche, dicke, keloide Narben erzeugt werden; Aehnliches kennt man von Aetznarben der Schwefel- und Salpetersäure, von Verbrennungsnarben -durch flam- mendes Feuer etc.

Es ist durch solche Beobachtungen entschieden, dass die forma- tive Reizung also auch auf chemischem Wege gesteigert werden kann, wie früher durch Beobachtungen nachgewiesen wurde, dass sie auf mechanischem Wege hervorgerufen werden kann.

Manchen unserer Leser wird es vielleicht verwundert haben^ Uebeischwem- dass wir nicht schon längst der üeberschwemmung und Anstau- Tü°sigke!t u?d ung von Ernährungsflüssigkeit in einem gewissen Körperbezirke ^"nctionssteige- als formativen Reizes Erwähnung gethan haben. Ich glaube, dass 'Tr s!ch keine" dieses Moment sehr überschätzt wird. Es ist ja eine sehr verbreitete Reiz- zunftgemässe Anschauung, dass die Entwicklung von Varicositäten

mechanisch erweitert werden, sondern auch vielfach geschlängelt und gewunden werden letzteres setzt aber immer ein Längswachsthum der Gefässe voraus; und ein wirkliches Wachsthum ist Uberhaupt ohne Vermehrung von Gewebselementen nicht denkbar denn die Vergrösserung der Elemente allein könnte das Zustandekommen der vielen Win- dungen und Schlängelungen der Gefässe in entzündeten Geweben nicht zu Stande bringen. Ich kann Baumgarten nur beipflichten, wenn er sagt: «Man wird jetzt eine entzündliche Proliferation der fixen Gewebszellen neben der regenerativen und rein hyperplastischen (geschwulstbildenden) gelten lassen müsseu.>

db Uebor die Eiiiwiikung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

nicht nur rein hypertrophische, sondern auch hyperplastische Vorgänge in der Haut, dem Unterhautzellgewebe, ja selbst am und im Knochen erzeugt. Doch selbst wenn das Räthsel gelost würde, warum die Va- ricen diese Zustände nur zuweilen hervorrufen, zuweilen nicht, so würde- ich doch noch immer anstehen, für die Fälle elephantiasischer Hyper- plasien die Anstauung des Venenblutes und der Lymphe allein so ohn.- Weiteres verantwortlich zu machen. Die elephantiasischen, sporadisch bei uns vorkommenden Unterschenkel sind oft mit weit geringeren Varicositäten verbunden, als sie sich an Frauenbeinen mit zartestei- normaler Haut finden. Ich vermuthe, dass die genannten Hyperplasien die gleichen Ursachen haben wie andere chronische Entzündungen, nämhch von schwach formativ reizenden Mikrobien ausgehen, dass sie also immer ein Accidens zu den Varicen sind. Man darf nicht ver- gessen, dass die Varicenbildung im Wesentlichen auf einem enormen unzeitgemässen Längswachsthum gewisser Venen beruht, das doch nicht ohne Hyperplasie der Gefässwandzellen denkbar ist; wenn der gestei- gerte intravasculäre Druck dabei überhaupt eine Rolle spielt (es wird ihm ja meist die Hauptrolle in der Aetiologie der Varicen zugesprochen}, so dürfte die Wirkung wohl jedenfalls eine sehr langsame sein; man könnte darüber wohl Experimente anstellen. Nach meiner Erfahrung ist auch hier wieder die Erblichkeit, das Fatum, die Hauptsache; es wird die Neigung zur Hyperplasie der Venenwandungen durch den Act der Zeugung mit übertragen; sie erfolgt auch ohne Gelegenheits- ursachen. Erst vor Kurzem sah ich einen jungen kräftigen Mann von einigen zwanzig Jahren, dessen Unterschenkel ganz mit dicken Varicen ohne Hautverdickung bedeckt war. Alle Erforschung von Gelegenheits- ursachen war resultatlos. Seine Mutter hatte schon als ganz junge Frau Varicen gehabt.

Ob die gesteigerte Function als zu den formativen Reizen gehörig betrachtet werden kann, ist nicht ganz klar. Die Meisten, welche über diesen Gegenstand gearbeitet haben, zumal auch Nothnagel in seinen interessanten Abhandlungen «Ueber Anpassungen und Aus- gleichungen bei pathologischen Zuständen» neigen sich zu der Annahme, dass die gesteigerte Function vorwiegend als « nutritiver > Reiz wirkt, d. h. dass die Massenzunahme bei gesteigerter Leistung der Muskeln und Drüsen vorwiegend auf Vergrösserung der functionirenden Gewebs- elemente (Hypertrophie), kaum nachweisbar auf Vermehrung derselben (Hyperplasie) beruht. Hiervon machen scheinbar die mittleren Arterien eine Ausnahme, welche sich zur Herstellung des collateralen Kreislaufes mächtig verdicken und verlängern. Diese interstitielle Gefässwand- Hyperplasie ist aber nicht eine unmittelbare Folge der vermehrten muskulären Action oberhalb der Ligaturstelle; sie tritt nicht an den unterbundenen Arterien selbst oberhalb der Ligatur ein und ist daher

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Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

rom.

nicht mit einer Hypertrophie des linken Veotrikel in Folge von Aorta- stenose vergleichbar; sondern sie tritt an den Arterien auf, welche oberhalb der Ligatur abgehend den collateralen Kreislauf vermitteln. Ob die Hypo- theseNothnagel's, dass die gesteigerte Stromgeschwindigkeit in diesen kleinen Arterien ohne Vasa vasorum die Ernährung und da- durch die Hypertrophie und Hyperplasie der Gefässwandelemen te bedingt die richtige ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Jeden- falls passt das nicht dazu, dass man bei den Venen die verminderte Stromgeschwindigkeit und den vermehrten Druck als formativen Reiz, als Ursache der Varicen-Entwicklung ansieht, eine Anschauung, die ich, wie oben erwähnt, auch nicht theile, ohne etwas Greifbares an ihre Stelle setzen zu können.*)

Wir kommen nun endlich auf die formativen Reizungen, welche Bacillen ais tor- durch wachsende Pflanzenzellen auf Zellen des thierischen Orga- Lepra, Rhinoskie- nismus ausgeübt werden. Ueber Lepra habe ich keine Erfahrungen. Doch die Mikulicz'sche Arbeit über Rhinosklerom ist unter meinen Augen entstanden, zu einer Zeit, wo man die bakterielle, erst später durch V. Frisch aufgedeckte Aetiologie noch gar nicht ahnte.

Es entsteht eine Art derben Granulationsgewebes, von dem wir heute wissen, dass es aus den fixen Bindegewebselementen hervor- gegangen sein muss durch Bildung von Zellen mit epithelialem (besser wohl endothelialem) Charakter. Das neue in das alte eingeschaltete junge Bindegewebe ist im Gegensatze zu dem eigentlichen Granulations- gewebe wenig vascularisirt; es geht bald in ein derbes, narbenartiges, keloides Gewebe über, das immer straffer wird, endUch sogar ver- knöchern kann. Zur Eiterung kommt es nur durch von aussen ein- wirkende Zufälligkeiten. Nachdem wir nun wissen, dass der ganze Process durch Bacillen angeregt ist, müssen wir sagen: Die Bacillen üben in erster Linie einen formativen Reiz auf die fixen Bindegewebs-, vielleicht auch Muskel- und Nervenzellen aus; doch ist ihre formative Reizwirkung sehr kurz. Zu störender Leukocyten- Auswanderung und Gefäss Wucherung kommt es kaum; die Bacillen Wirkung bleibt nur eine formative und erlischt bald; so erfolgt die Umbildung des neuen Ge- webes zur Narbe relativ schnell ohne irgend welche Störung. Der Vor- gang hat viele Aehnlichkeit mit der Bildung der fibrösen Tuberkel, wovon später.

*) Von ganz eminentem Interesse sind die neuesten Versuche Ponfick's über die colossale Eegenerationsfähigkeit der Leber nach Abtragung selbst sehr grosser Abschnitte derselben ; der Vorgang ist ein so gewaltiger, dass er wohl nur auf einer wahren «Hyperplasie» beruhen kann. Es ist die grossartigste Regeneration, die bisher bei Warmblütern bekannt ist.

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Ueber die Einwirkung lebender Püanzen- und Thierzellen auf einander.

Viel complicirter ist die Wirkung der Tuberkelbacillen auf die cellulären Elemente des Thierkörpers. Hier äussert sich nach Baumgarten die Wirkung der mit massiger Vegetationsenergie wach- senden Bacillen zunächst dadurch, dass in den fixen Bindegewebs- elementcn eine mehr oder weniger rasche Kerntheilung nach verschie- denen Typen der sogenannten «Karyokinese» erfolgt, durch welche grosse, flache, mit ovalem Kern versehene Zellen entstehen, die sich zu einem festen Gcwebskorn, dem eigentlichen primären Tuberkel, umwandeln. Dabei kommt es dann auch unter gewissen Bedingungen mehr oder weniger häufig zur Bildung von vielkernigen Zellen, den sogenannten Tuberkel-Eiesenzellen mit wandständigen Kernen und cen- tralem Zerfall.

Wir wollen diese so vielfach in neuerer Zeit besprochenen «Riesen- zellen» und die mannigfachen Hypothesen, die über ihre Entstehung entwickelt worden sind, hier ganz bei Seite stellen, da sie nicht von wesentlicher Bedeutung für die fundamentalen biologischen Vorgang.- sind, welche sich nun entfalten.

Das gewöhnliche Schicksal des Tuberkelkorns ist bekanntlich sein Zerfall zu einer trockenen käsigen Masse. Koch ehe es aber dazu kommt, erfolgt in der nächsten Umgebung eine Gefässdilatation mit Auswanderung von Leukocyten und dann die Bildung eines Mantels von lymphoidem oder Granulationsgewebe. Hiermit pflegt das centrale Wachsthum des Tuberkelkorns aufzuhören; sein Zerfall wird ein voll- ständiger; er wird (falls nicht Eitercoccen hinzukommen und den Tuberkel zu einem tuberculösen Abscess oder zu einem tuberculösen Geschwür umwandeln) wie ein fremder Körper eingekapselt, indem sich das Granulationsgewebe in Narbengewebe umwandelt.

Ich habe dem noch hinzuzusetzen, dass der Zerfall des Tuberkel korns keineswegs immer erfolgt. Es gibt (freilich seltenj Fälle, in welchen die endothelialen Zellen, wahrscheinlich bei sehr schwachem Reiz durch wenige vegetationsschwache Bacillen sich, ohne zu zer- fallen, direct in ein derbes Bindegewerbe umwandeln. Der so ent- stehende «fibröse Tuberkel», wie er sich zumal in den Hals- und Achsel- drüsen zuweilen vorfindet, enthält, wie ich mich noch jüngst überzeugt habe, keinen Detritus, ist nicht etwa eine derbe Kapsel um zerfallene Tuberkelkörner, sondern ist durch und durch rein fibrös. Ich bin jetzt überzeugt, dass die Formen von fibrösen malignen Lymphomen, welche V, Winiwarter aus meiner Klinik beschrieb und die so ganz anders gebaut sind als die weichen malignen Lymphome, welche theihveise den Arsenikcuren weichen, eine bacilläre, wahre Tuberkelkrankheit sind. Man muss diese Untersuchungenr von diesem neuen Gesichts- punkte aus wiederholen.

lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

Es stellt sich nun für die gewöhnliche Form des central zer- fallenden Tuberkels die Frage: Durch welchen Reiz wird das ihn umwuchernde Granulationsgewebe erzeugt? Man könnte hier zunächst daran denken, dass die Continuitätsstörung und der langsam zunehmende Druck des wachsenden Tuberkelkorns als formative Reize wirken. Wir wissen, dass sich um einen langsam wachsenden Cysticercus, um Trichinen, um Ecchinococcenblasen nach und nach ziemhch dichte Bindegewebsmembranen neu bilden; wir wissen, dass manche Cysten- wandungen durchaus neugebildete Membranen sind, dass sich um Hydrocelenflüssigkeit die Tunica vaginalis durch Bindegewebsneubildung oft mächtig verdickt, dass ziemlich dichte Membranen um in Talg- di'üsen eingeschlossenes Fett (Atherome) und ähnliche Membranen sich um zurückgehaltenen Schleimspeichel bei der Bildung der Ranula ent- wickeln. In allen diesen Fällen wirkt gewiss Druck und Continuitäts- störung, wenn auch langsam und schwach als formativer Reiz ohne irgendwelche besondere chemische Nebenwirkungen des eingeschlossenen flüssigen oder breiigen Inhaltes dieser Cysten. Die Expansion eines Tuberkelkorns ist aber eine so geringe und im Vergleiche mit den eben erwähnten Fällen eine relativ so kurzdauernde, dass hier doch noch andere weit wichtigere Momente mit ins Spiel kommen müssen. Was bedingt also die um das Tuberkelkorn entstehende Granulations- bildung? Ist es eine fortgesetzte directe Wirkung der Tuberkelbacillen oder eine Wirkung der durch die Bacillen primär erzeugten endothe- lialen Zellen, also eine indirecte Bacillenwirkung, gewissermassen in zweiter Generation? Die Beobachtungen Baumgarten's, dass in rasch entstehenden Mihartuberkeln die Zahl der Bacillen eine sehr grosse, der Zerfall der endothelialen Neubildung ein sehr rascher, die Ent- wicklung des umhüllenden lymphoiden Gewebes eine so rapide ist, dass dabei die Bildung des epithelialen Korns fast übersehen werden kann, spricht dafür, dass die Bacillen selbst den formativen Reiz auch für die Bildung des lymphoiden (Granulations-)Gewebes abgeben. Sie würden hienach zweierlei Gewebe nacheinander zu erzeugen im Stande sein: das endotheliale Korn und das Granulationsgewebe. Dass letzteres unseren heutigen Anschauungen zu Folge auch nur aus stabilem Gewebe, nicht aus Leukocyten hervorgehen kann, haben wir schon wiederholt betont. Man könnte die scheinbare Seltsamkeit dieser Erscheinung vielleicht so deuten, dass die Bacillen auch auf die Zellen der Capillaren einen forma- tiven Reiz ausüben. Man würde das Augenmerk auf etwaige karyo- kinetische Formen an den Kernen der Capillaren richten müssen. Finden sich solche vor, was nach den Beobachtungen von Riesen- zellen, die man mit den in den Pachionischen Granulationen enthaltenen : Gefässwandungen innig zusammenhängend findet (KöUiker's Osteo- iklasten), nicht unwahrscheinlich ist so dürfte man annehmen, dass die

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Capillaren mit ihren Adventitialzellen und zumal die Zellen an den Wandungen der sogenannten Uebergangsgefässe nicht nur zur Neu bildung von Gefässen, sondern überhaupt zur Entwicklung des Granu- lationsgewebes führen, dessen Entstehung aus Leukocyten nun ein- mal nicht mehr haltbar ist.

Jedenfalls ist die formative Reizwirkung der Tuberkelzellen j.- nach ihrer Menge und ihrer Vegetationsenergie (wir lassen hier di*^ relative Immunität einzelner Warmblüter, so wie auch die Frage über die Existenz individueller Immunität und Prädisposition ganz ausser Acht) eine ausserordentlich verschiedene. Als das eine Ende dei- Reihe dürfen wir wohl den acuten Miliartuberkel mit seiner raschen lymphoiden Umbildung, als das andere Ende der Reihe den fibrösen Tuberkel betrachten, bei welchem es kaum zu einer erheblichen Bildun'' lymphoiden Gewebes kommt.

Der formative Reiz des Tuberkeldetritus, des gelben Tuberkels, ist jedenfalls ein sehr geringer. Wir sehen wohl, dass sich z. B. im Knochen eine eburnirte Kapsel um ihn bildet, doch zu ausgedehnterer Sklerose und zu ausgedehnten Osteophytenbildungen auf weitere Strecken hin gibt er keine Veranlassung, es sei denn, dass es zur Bildung von Sequestern kommt, und dass Eitercoccen einwandern, die dann auch wieder eine neue Granulationsbildung um den Tuberkel herum anrege]^ und zur eitrigen Schmelzung des Tuberkels Veranlassung geben, ein Accidens, welches doch auch wieder dafür zu sprechen scheint, dass auch den Eitercoccen ein gewisses Mass von formativer Reizung zukommen dürfte. Dass die Tuberkelbacillen selbst unmittelbar den Eiterungs process in nenn enswerther Weise anzuregen im Stande sind, hat nach den bis- herigen Beobachtungen wenig Wahrscheinlichkeit, wenngleich mit einei- iormativen Reizung auf die Gefässwände und der Umbildung derselben in weiches Protoplasma immerhin die Gelegenheit für das Austreten von Leukocyten günstiger werden muss.

Noch Eines muss erwähnt werden. Ein reichliches rasches Auf- gehen einer Tuberkelsaat hat in den meisten Fällen die Entstehung eines flüssigen serofibrinösen Exsudates zur Folge. Es sind wirkliche Exsudate, nicht nur Transsudate, wie sie in Pleura- und Peritoneal- höhlen bei Entwicklung von Tumoren, zumal Carcinomen und Sarkomen vorkommen. Acute Tuberculose der Synovialmembran, der Pleura, der Meningen hat fast immer Exsudate im Gefolge, die sich von anderen bei acuten Entzündungen entstandenen nicht unter- scheiden. Die Tuberkelbacillen können also bei besonders intensiver Vegetationsenergie Ernährungsstörungen hervorrufen, welche den durch Staphylococcen und Streptococccen acut erzeugten Entzündungen völlig identisch scheinen. Es werden dabei auch pyrogene Stoffe ge-

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bildet, deren Resorption Fieber, ja selbst septisch-typhoide Allgemein- 1 rkrankung hervorruft.

Wenn wir freilich zugestehen müssen, dass die Tuberkelbacillen allein nicht alle acuten phlegmonösen Processe, Blennorrhöen und eiterige Exsudate hervorrufen" wenigstens nicht primär, so ist doch nach dem Gesagten die Mannigfaltigkeit ihrer Wirkungen auf die thierischen Gewebe bei ein und derselben Speeles immerhin eine so vielgestaltige, wie wir sie bei anderen Bacillen und Coccen nicht kennen. Das Missverhältniss zwischen der Grösse des primären Tuberkelkoras und der von ihm rundum erzeugten Granulationswucherung und Exsudation tritt dem Chirurgen ganz besonders bei den durch Knochentuberkel be- dingten sogenannten kalten Abscessen entgegen; diese enthalten nämhch ursprünglich immer nur ein dünnes klares, später ein trübes, zuweilen leicht blutig gefärbtes, auch wohl schleimiges Serum, hie und da mit Gerinseln vermengt, und ihre Kapsel ist mit schleimigen Granulationen ausgekleidet, in denen sich nur äusserst selten Tuberkelkörner mit Tu- berkelbacillen vorfinden, die sogar völlig verschwinden, wenn der Abscess aufbrach und Eitercoccen einwanderten, oder wenn letztere in seltenen Fällen aus dem Inneren des Körpers in die Abscesswandung gelangten, was sich durch erhöhte Schmerzhaftigkeit und Fieber kundzugeben pflegt. Es können sich kalte Abscesse mit einem Liter und mehr Inhalt bilden, welche von einem erbsengrossen Tuberkelkorn in einem Knochen ausgehen. Andererseits findet man bei der Caries sicca weder üppige Granulationswucherung, noch Eiterung, noch Exsudation, sondern ent- weder festere Granulationen, manchmal von fast knorpehger ConsistenZj welche in den Lacunen des erodirten Knochens liegen und oft viele Riesenzellen und wenige oder gar keine Bacillen enthalten (Analogie zum fibrösen Tuberkel der Weichtheile) oder man findet den cariösen Herd nur von gelbem Tuberkelbrei erfüllt und umgeben, ohne Spur von Granulationsbildung und Eiterung in der Umgebung; der Brei ist nur von einer mässig dicken Kapsel umschlossen. Erst durch das häufigere Oeffnen und das energische operative Eingreifen bei diesen Processen gelangt man zu einer grösseren Erfahrung über die Mannigfaltigkeit dieser Processe, welche der pathologische Anatom meist nur in seinen Endstadien zu Gesichte bekommt.

Es tritt nun bei diesen Beobachtungen die Frage an uns heran- Beruhen diese Difi^erenzen der Wirkung wirklich nur auf Difi-erenzen der Vegetationsenergie und auf der Menge der im Gewebe zufällig fest- gehaltenen Bacillen, oder gibt es verschiedene Varietäten von Tuberkelbacillen, die wir noch nicht von einander zu unter scheiden im Stande sind? Oder gibt es Vegetationsformen und Entwicklungsstadien dieser Bacillen, welche wir mit unseren bisherigen Methoden noch nicht zur Darstellung zu

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Rotz.

bringen vermögen? Man weiss, wie scliwankend die Anschauungei darüber sind, ob man die unter gewissen Verhältnissen auftretende) feinkörnigen üifferenzirungen in dem Plasma der Tuberkelbacillen so odei so zu deuten hat. Sind es Sporen, sind es Vaciiolen? Und wenn es Sporei sind, wo bleiben sie? Sie verseh winden und wir sind nicht im Stande, sie als solche aufzufinden; niemand hat sie keimen sehen. Könnten sie nicht in irgend einer Coccenform eine Zeit lang fortvegetiren und als solche andersartige Reize auf die Gewebe ausüben als die fertigen Bacillen? «Chi lo sa?»

Während die Tuberkelbacillen nur bedingt die Erscheinungen acuter Entzündungen, als solche niemals ausgiebige Eiterung erzeugen, wirken die Rotzbacillen zugleich formativ reizend auf die fixen Gewebs- zfjllen und pyogen.

Der Bildung kleiner Herde von endothelialen Zellen folgt schnell massenhafte Auswanderung von Leukocyten, dann auch Destruction. eitrige Einschmelzung des Gewebes. Die Rotzbacillen stehen also in ihren pathogenen Wirkungen gewissermassen in der Mitte zwischen Tuberkel- bacillen und Eitercoccen. Dadurch führen sie rasch zu eitrig ulcera- tiven Processen und bei acuter Entwicklung und grosser Vegatations- energie zu allgemeiner septo-pyämischer Vergiftung. Wiederum eine ganz besondere Form der Wirkung von Pflanzen- auf Thierzellen. Syphilis. Syphilisbacillus ist bisher noch nicht gefunden. Es hat eine

gewisse Wahrscheinlichkeit, dass er dem Tuberkel- und Rotzbacillus verwandt ist. Der weiche Schanker zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit Rotz, der harte Schanker theils mit dem langsam vegetirenden, zum Zerfall geneigten Tuberkel, in seinen späteren Formen mit dem fibrösen Tuberkel. Die Granulations Wucherung in und um die Syphilome ist eine sehr wechselnde; an den Knochen besteht die Neigung zu einer Caries necrotica in gleicher Weise beim Syphilom wie beim Tuberkel. Wie schwierig es oft ist, Tuberkulose, Syphilis, Rhinosklerom, Lepra (Carcinomatose) in ihren Producten auseinander zu kennen, weiss jeder erfahrene Arzt.

Gonorrhöe und Dass die Gonorrhöecocccn an sich keinen formativen Reiz aus-

spitzeKondyiome. „^^^ keiuc phlegmonösen Processe erzeugen, wird wohl allgemein angenommen. Dass oft nach lang dauerndem Tripper keine Stricturen und nach kurzdauernden doch zuweilen Stricturen, dann auch Eiterun- gen um die Harnröhre und Prostata, Perinealabscesse entstehen, deutet wohl darauf hin, dass diese Processe accidentell und durch gelegentliche Ein- wanderung von Eitercoccen bedingt sind. Wie verhält es sich aber mit den spitzen Kondylomen? Ihr Auftreten bei Gonorrhöe ist so variabel, dass man auch dabei wohl an ein Accidens denken muss. Hier kommt ein neues, bisher noch nicht in Betracht gezogenes Moment hinzu, nämlich die

lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Tliierzellen auf einander.

tis.

formativc Keizbarkeit der echten Epithelien und die Momente, welche diese in Thätigkeit versetzen. Da dies innig mit der Frage zusammen- hängt, ob etwa auch die Bildung der Carcinome von Mikrobieu abhängig gedacht werden kann, eine Frage, die wir erst am Schlüsse dieser Betrachtungen zu erörtern beabsichtigen, so gehen wir hier nicht darauf ein.

Noch Eines dürfen wir hier nicht unerwähnt lassen, nämlich die nl'Tairforratt^er Bildung sogenannter weicher breiter Kondylome an einer conti- Keiz anf die Cu- nuirlich von Urin überrieselten Haut. Wir beobachten das theils bei Blasenscheidenfisteln, theils bei Ectopie der Blase. Das continuirliche Baden der Perineal- und Schenkelhaut in Flüssigkeit allein kann die Ursache nicht sein. Wir wissen aus der Zeit, in welcher die Wunden mit continuirlicher Irrigation oder mit permanenten Bädern behandelt wurden, dass die Cutis enorm, doch in toto quillt, dass sich dabei aber keine Kondylome bilden. Dass die Harnsalze oder das Ammoniak des zer- setzten Harns diese Bildungen allein erzeugen, hat bei der circumscripten Form dieser Kondylome auch wenig Wahrscheinlichkeit, wenn auch das in alkahschem Urin enthaltene Ammoniak die Epidermis, ja selbst die oberfläch- hchen Capillaren der Cutis erweichen mag. Die erwähnten Harnkondylome entsprechen vielmehr Ansiedelungen von Streptococcus-Urinae-Colonien, die sich, an kleinen Unebenheiten der erweichten Epidermis zurück- gehalten, da und dort etabhren und zu einer mässigen Papillar-Hyper- plasie mit vermehrter Epidermisbildung führen. Wir müssen daher auch den Streptococcus Urinäe als ein wenn auch wenig intensives for- matives Reizmoment ansehen.

Nachdem wir nun alle uns bekannten formativen Reizwirkungen verschiedener pflanzlicher Zellen auf thierische Gewebe haben Revue jpassiren lassen, wollen wir nun in Erwägung ziehen, ob denn thierische iZellen in ähnlicher Weise auch auf das Pflanzengewebe zu 'wirken im Stande sind.

Dass es nicht nur saprophytäre, sondern auch specifisch patho- '^^"'■•k^ng leben- gene Pilze gibt, welche Pflanzen complicirteren Baues attakiren und ztln anfiel eventuell vernichten, ist bekannt; ebenso, dass die Schimmelpilze und '^enzeiien nn<i höher entwickelten Algen wiederum von Mikrobien zerstört werden können, welche ihrerseits wieder in saprophytäre und pathogene fReihcn zu bringen sind. Ob es an den Pflanzen Processe gibt, welche ihrem Wesen nach mit den entzündhchen Processen in thierischen Geweben parallelisirt werden können, wollen wir dahingestellt sein lassen. Was die Pflanzenpathologen Frostbrand und Krebs der Bäume (Apfel- bäume, Buchen) nennen, gehört wohl zum Theil dahin. Es hat viel Wahrscheinlichkeit, dass diese Processe theils durch einen Pilz einen

■Samml. medic. Schriften. X.

O

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Pyromyceten (Nectria ditissima), theils durch die Blutlaus (Schizoneura lanigera, Hausra.) veranlasst werden. _j

LTcu der p'l.a«' . "'^^ l^^r nur mit Betrachtungen über die formativP

zenzeiien. Reizbarkeit der Pflanzenzellen beschäftigen. Was wir früher über die Copulation und Befruchtung als formativen Reiz gesagt haben, bezog sich ja schon auf Pflanzenzellen; wir brauchen es hier nicht zu wieder- holen.

Auch; bei den Pflanzen istdie Continuitätstrennung einmächtiger formativer Reiz. Es erfolgt darauf Gewebsneubildung, Benarbung, Ueber- wallung mit und ohne Nekrose; sie führt bei zwei gegenüberliegenden Wundflächen eventuell zur Verwachsung. Die Veredelung der Obst- bäume, der Rosen etc. durch Oculirung oder Pfropfung beruht darauf. Das Gewebe der sogenannten Ueberwallungen, wie sie sich z. B. naeh Abschneiden von Aesten bilden, ist sogenanntes Korkgewebe; es geht aus dem Parenchym der Rinde, des Cambium und des Markes hervor und ist etwa dem Granulationsgewebe bei Thieren vergleichbar.

Der formative Reiz der Continuitätstrennung wird unter gewissen Verhältnissen bei den Pflanzen ganz besonders gesteigert. Man kann aus Theilen von Pflanzen neue Pflanzenindividuen machen: Vermehrung durch Setzlinge. Es hat mir schon als Knabe ein besonderes Ver- gnügen gemacht, zu beobachten, wie ein von einer Monatsrose abgeschnit- tener Zweig, in eine Medicinflasche voll Wasser gesteckt, sich nach und nach an dem Schnittrande unten verdickt und endhch feine weisse Wurzeln austreibt (Wurzelknospen). Doch man kann bei vielen Pflanzen auch aus jedem Stückchen Zweig eine neue Pflanze machen und es bilden sich am oberen Theile des Zweiges zuweilen sogar neue, sogenannte Adventiv-Triebsporen. Die Blätter vieler Gesneriaceen ei-- zeugen an Stellen, wo ihr Blattstiel geknickt oder eingeschnitten wird, aus diesen an der verletzten Stelle Knospen, welche zum Ausgangspunkte neuer Blätter und Zweige werden. Also nach pathologischem Reiz Bildung neuer physiologischer Organe. (Dies erinnert an die von W. Roux beschriebene < Postregeneration» bei verletzten Froscheiem.) Den Ursachen dieser Vorgänge werden wir wohl noch lange niclit auf die Spur kommen, wenn wir den morphologischen Vorgang selbst auch noch viel genauer mit verbesserten Mikroskopen zu analysircii vermöchten, als wir es jetzt schon im Stande sind.

Im Allgemeinen dürfen wir annehmen, dass die formativen Reiz- effecte auch bei den höher organisirten Pflanzen nach aflen Richtungen weit ausgiebiger sind als bei den Thieren.

Da nach den vorliegenden Beobachtungen die durchtrennten Pflanzen- zellen immer absterben und erst die nächsten unverletzten Zellen in formative Thätigkeit gerathen, so könnte man daran denken, dass die beim Absterben der verletzten Zellen entstehenden Zersetzungsproducte

lieber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Nhierzelien auf einander.

Blatt-

c hemisch irritirend auf die nächsten Zellen wirken. Doch das sind Alles hyperkleinliche Motive in diesen ihrem Wesen und Erfolgen nach so grossartigen Vorgängen.

Was uns besonders interessirt, ist die Beobachtung, dass eine grosse Reihe pflanzlicher Gewebswucherungen an Knospen, Blättern, Stengeln, Wurzeln, die sogenannten Gallen oder Cecidien, durch Reize hervorgerufen werden, welche zweifellos von thierischen Zellen ausgehen. *)

Nur beiläufig wollen wir erwähnen, dass es «Mycocecidien» gibt, k^^°«p^°-' d. h. Gallen, welche ausschliesslich durch Pilzwucherungen erzeugt zeiigaiien. Myco werden. Dahin gehört der «Holzkropf» von Populus tremula, an dessen cecidien. Stämmen und Zweigen haselnuss- bis taubeneigrosse Knoten durch die Wucherung bestimmter Pilze (Pyrenomyceten) entstehen, dann Wurzel- anschwellungen bei den Papilionaceen und der Erle durch einen noch wenig gekannten Pilz (Schinzoa Leguminosarum) bedingt u. s. w. Morpho- logisch höchst interessant sind auch die mikroskopischen Gallen, welche an manchen Algen durch Chytridiaceen, zumal aus der Gattung Syn- chitrium, gebildet werden. Die Schwärmsporen dieser Pilze bohren sich in die Epidermis der Alge ein, und wenn sich aus ihnen ein Sorus, d. h. ein Haufen von Zellen, mit dem Charakter von Sporangien bildet, so wird derselbe durch Wucherung der Epidermiszellen eingekapselt. (Ein ganz gleicher Vorgang wird an Algen aus der Gattung Vaucheria auch durch Räderthierchen und ihre Brut erzeugt.) Immerhin ist die Zahl der Mycocecidien- Arten eine äusserst geringe im Vergleiche mit der so überaus reichen Formenwelt der durch Thiere veranlassten Gallen zoocecidien.

Die mannigfachsten und eigenthümlichsten Formen werden durch Milben (Pliytoptus) bedingt (Acaro- oder Phytoptocecidien). Sie erzeugen pathologische Haarbildungen auf der Oberfläche von Blättern (Erineum- bildungen auf Nuss-, Wein-, Linden-, Eichen-, Buchen-, Apfel-, Birken-, Pappelblättern u. s. w., auf vielen Kräutern); Beutel- oder Taschen- gallen (an Linden-, Pflaumen-, Ahorn-, Ulmen-, Weiden-, Buchen- blättern u. s. w.); eigenthümliche Rollungen und Faltungen mit Verdickung derBlätter (Linde, Buche, Weide, Rose, Waldrebe etc.), Knospenanschwellungen und Triebspitzen - Deformationen Pockenkrankheiten der Blätter (Birn-, Apfel-, Walnuss-, Rüstern- blätter).

Viele Halbflügler erzeugen Gallen; besonders zahlreich sind die Biattiausgaiien, der Blattläuse (Aphidiocecidien). Die Formen sind ähnlich wie bei der vorigen Kategorie und zerfallen wieder in Blattrollungen, Beutel- gallen, Triebspitzen-Deforraationen (Ananas-ähnliche Gallen) etc. Doch

*) Ich habe micli über diese höchst merkwürdigen Bildungen hauptsächlicli aus dem trefflichen Buche von A.B.Frank «Die Krankheiten der Pflanzen», Breslau, 1880, zu belehren getrachtet.

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Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

Fliegen- und Wespengallen.

kommen hier auch Wurzelgallen vor, wie sie durch Phylloxera vastatrix am Wein stocke hervorgerufen werden.

Eine grosse Reihe von höchst interessant geformten Gallen wird durch Larven von Fliegen und Wespen, nur in wenigen Fällen von Schmetterlingen und Käfern hervorgerufen. Auch in diesen Reihen sind alle erwähnten Formen vertreteo, zum Theile von ganz besonders üppigei- und interessanter Gestaltung, zu denen noch die Stengelanschwellungeri »Stengelgallen«, (z. B. Cecidomyca Salicis an Salix caprea, Lascoptera Rubi an Brombeeren) hinzukommen.

Am gekanntesten sind die Galläpfel (auch wieder von mannig- fachsten Formen, z. B. die auf Quercus pedunculata vorkommende Arti- schocken-förmige Galle) an den Eichenblättern und die Hosenäpfel (Bedeguare), erstere durch mehrere Arten von Wespen (meist Cynip.s- arten) erzeugt, letztere von moosbüschelartigem Aussehen, oft von üppigster und prächtiger Gestaltung, durch Rhodites Rosae, spinosissima, Eglantaria veranlasst.

Es hat einen eigenen Reiz, die Mannigfaltigkeit dieser Bildungen und ihren Entwicklungsgang zu studiren; sie bieten so interessante Parallelen zu den eigentlichen Geschwulstbildungen bei Thieren, dass man wohl versucht sein könnte, sie nach dem in ihnen vorwiegenden Gewebe und nach ihren Formen in ähnliche Gruppen zusammenzu- stellen wie die Geschwülste. Es wäre nicht schwer, Gruppen wie: Papillome, Polypen, Fibrome, Sarkome, Osteome etc. zusammenzu- stellen. Dass man auch von carcinomatösen Ulcerationen und Wuche- rungen bei Pflanzen spricht, haben wir bereits erwähnt.

Uns interessirt es hier jetzt nur, zu erfahren, ob man Näheres über den Entstehungsmodus dieser Gallenbildungen weiss, nachdem über die Ursache und das Wachs thum derselben im Allgemeinen keine Zweifel mehr herrschen. Entstehung der Eiucs darf man wohl als sicher annehmen, nämlich, dass die uu-

G'ällcTi der

Thierwirkungauf bedeutende mechanische Verletzung, welche von Thieren beim Ablegen das Pflanzenge- -^^^^j, -j^-g^. q^^j. Oberfläche der Pflanze erzeugt wird, niemals

allein Ursache von Gallenbildung ist, so hoch man auch die Continuitäts- trennung als formativen Reiz bei den Pflanzen anschlagen mag. Selbst die hypertrophischen Narbenüberwallungen, wie sie zumal bei Rinden- verletzungen vorkommen, haben weder in ihrer Structur, noch in ihrer Form Aehnlichkeit mit Gallen; sie bleiben immer an Form und Tiefe der Verletzung gebunden, wie wir Alle aus den Buchstaben wissen, welche in die Stämme junger Bäume eingeschnitten wurden, wo dann die vertieften ausgeschnittenen Theile nach Jahren durch kleinwarzige Wülste substituirt sind. Regcnerations- und Wachsthumszwang com- biniren sich hier, um eine nach Form und Gefüge pathologische Neu- bildung zu erzielen. Der Vergleich mit keloiden Narben liegt nahe,

Ueber die Einwirkung' lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander. O <

wenn auch bei letzteren die fatalistische Wachsthumsneubildung nicht mit in Frage kommt.

Schon der Umstand, dass doch immer nur bestimmte Thierarten an bestimmten Pflanzenarten specifisch geformte Gallen erzeugen, ist ein Fingerzeig, dass es sich dabei um besondere Dinge handeln muss. Eine Immunität gewisser Pflanzen gegen die Einwirkung be- stimmter Gallenerzeuger anzunehmen, wäre vielleicht voreilig. Warum legt der SchmetterHng, nachdem er sich weit, weit von seinem Geburts- orte verflogen hat, seine Eier doch wieder auf bestimmte Pflanzen? Weil sein Fatum, oder sein angeerbtes Gedächtniss, oder sein Unbe- wusstes ihm sagt, dass die aus seinen Eiern ausschlüpfenden Raupen eben nur von den Blättern bestimmter Pflanzenarten leben können- Ob die Rhodites -Arten, welche die schönen Moosgallen an den Rosen hervorrufen, nicht die gleichen Formen auch an anderen Pflanzen her- vorrufen können, das wissen wir nicht, weil diese Wespen ihre Eier eben nicht auf andere Pflanzen deponiren; die ausschlüpfenden Larven leben eben am besten oder nur von dem Marke der Rosen- gallen.

Zum Verständnisse der meisten Vorgänge in der Pflanzen- und Thierwelt können wir die teleologische Betrachtungsweise nicht wohl entbehren, ohne uns selbst eines hohen Genusses bei unseren Forschun- gen zu berauben. Ich halte die eine Zeit lang sehr verpönte teleologische Naturbetrachtung durchaus nicht für schädlich, wenn wir dabei immer zugleich das Bewusstsein haben, dass Vorgänge, wie die eben beschrie- benen, ebenso sehr Zwangswirkung der Materienkräfte sind, wie alle bewussten und unbewussten Willensacte überhaupt.

Muss die Wespe also ihre Eier auf oder in ein Eichenblatt hinein- legen, so wird sich aus demselben eine Schale bilden (gleich der Ei- schale um das Vogelei), welche es schützt, und dessen Inneres den jungen Maden zugleich als Nahrung dient. Wenn die gleiche Wespe ihre Eier z. B. in das Blatt einer Kastanie legte, würde vielleicht auch eine Galle entstehen, doch die ausschlüpfenden Maden würden durch den Genuss dieser GaUe vielleicht umkommen, vergiftet werden, oder sie würden sie vielleicht überhaupt nicht assimihren können, also ver- hungern. Das freilich vielfach Specifische der Gallenbildung berechtigt also, wie gesagt, nicht zur Annahme einer bei irgend einer Pflanze bestehenden Immunität, nicht zu einer formativen Reizlosigkeit gegen- über dem vom Thiere ausgehenden Reiz. Immerhin mag eine solche Immunität bestehen; es wäre gewiss von Interesse, experimentelle Studien darüber zu machen.

Wenn wir also nach dem Gesagten den mechanischen Verletzungs- reiz (es ist ausserdem bei vielen Gallbildungen die Existenz einer Ver- letzung gar nicht sicher zu constatiren) nicht als Ursache der Gall-

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bildung ansehen können, so scheint mir auch ein zweites Moment von zweifelhafter Bedeutung. Es wird nämhch vielfach behauptet, dass die Gallenbildung durch das Ansaugen der Säfte von Seite der Milben, Läuse und Larven (Maden) entstünde und zumal ihre Vergrösserung dadurch erfolge. Abgesehen davon, dass die Gallen sich oft schon entwickeln, noch ehe die Thierchen aus ihren Eiern ausgeschlüpft sind, und davon, dass z. B. die ganz abnormen, von den normalen Härchen der Blätter ganz verschiedenen Gallenhaarbildungen auf den Blättern schwerlich durch Ansaugen des Pflanzensaftes ent- stehen dürften, ist auch bei dieser Annahme das Zustandekommen von so specifisch gearteten Neubildungen, wie es die Gallen sind, absolut unverständlich. Wenn z. B, an Lindenblättern je nach der Einwirkung verschiedener Milben bald Haarbildungen, bald Beutelgallen, bald Rollungen vorkommen, wenn wir hören, dass z. B. von gewissen Arten von Schildläusen (Brachyscelis pileata, ovicola, duplex) auf Eucalyptus- Arten in Neuholland die Männchen röhren- oder trompetenartige Gallen mit einer Mündung an der Spitze, die Weibchen dicke, schlauchförmige, mit einem Deckel sich schliessende Gallen bilden, so ist das wohl kaum durch das Ansaugen der Säfte allein^ wenn überhaupt, zu verstehen.

Wollen wir noch einmal etwas näher auf das erwähnte mecha- nische Moment eingehen, so dürften wir allerdings zugeben müssen, dass eine gewisse Ueberschwemmung mit Nährmaterial als Reizmoment für die Hyperplasie der Pflanzenzellen höher anzuschlagen ist als für die Thierzellen, dass die Pflanzenzelle dazu überhaupt mehr ererbte Anlage hat. Doch man sollte meinen, es könne dadurch dann doch höchstens ein hypertrophischer und hyperplastischer Process nach Analogie der Ueberwallungen zu Stande kommen, welcher den Typus aller Neubildungen, welche sich nach Verletzungen an Pflanzen bilden, tragen müsste. Man mag sich den Saugapparat mit seinem Anbisse noch so verschiedenartig, die Saugerbewegung nach Intensität und Rhythmus noch so verschiedenartig vorstellen, so wäre es immer noch nicht zu verstehen, warum dadurch so viele verschiedene Gallenformen zu Stande kommen sollten. Dass bei der Bildung der <'Mycocecidien> die Saugwirkung gar nicht in Betracht kommt, will ich nur erwähnen.*) specifische Ein- Nach dem Gesagten wird es den Leser nicht überraschen, wenn Wachsthumspro- ich die Ausicht aussprcchc, dass ich die Wirkung der Gallen erzeugen- ducte thierischer ^ejj Inscctcn für ciuc gauz specifische, und zwar specifisch- Pflanzenzeiien. chemischc, Vorläufig freilich noch nicht fassbare halte.

Die Untersuchungen der Botaniker über die allerersten Vorgänge bei den Gallenbildungen und die nächsten Ursachen derselben sind jungen

*) Durch das Saugen der Blutlaus mögen die Zustände hervorgerufen werden können, welche man als Krebs der Apfelbäume etc. bezeichnet; doch von diesen Bildungen bis zu der Organisation complicirter Gallen ist noch ein grosser Schritt.

Ueber die Eiuwirkuug lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

Datums und noch weit von einem Abschlüsse entfernt. A. B. Frank, der sich selbst intensiv mit dem Gegenstande befasst hat, gibt uns I inige Fingerzeige in dieser Richtung. Es sagt in einem Resume über die Gallenbildung: «Bedingungen sind erstens der noch in der Ent- wicklung begriffene Zustand des Pflanzentheils und zweitens die Action der Parasiten. Wir kennen nur das Aeussere der Er- scheinung; das Wesen des gallenerzeugenden Reizes bleibt uns dabei immer noch verschleiert.»

In den jüngsten Acarocecidien findet man, dass oft keine Milben darin vorhanden sind, sondern dass sie erst später von denselben be- zogen werden. Diese Beobachtung lässt vermuthen, dass die Milben diese Blätter anritzen und sogleich einen Stofi" in sie hineingeben, welcher nach Art eines Fermentes eine fortdauernde formative ßeiz- wirkung auf die Pflanzenzellen ausübt. Wenn sich dann die Zellen vergrössern, nachdem sie von den Milben bezogen worden sind, so müsste man annehmen, dass letztere den specifisch formativen Reiz durch ihre Secrete unterhalten; dieser Reiz setzt sich zuweilen von der einen Seite des Blattes auf die andere fort.

Von ganz besonderem Interesse sind die Filzkrankheiten der Blätter, die Haar-(Erineum-)Bildungen auf den Blättern; dabei erleidet das Blatt in seiner Form keine Veränderung; zwischen den Haaren sitzen die Milben und erzeugen dort ihre Brut. Diese Haare wurden früher für Pilzbildungen gehalten; ihre Farbe ist meist sehr lebhaft. Auf den Blättern der verschiedenen Pflanzen sind diese Haarbildungen verschieden geformt; auch nach den Pflanzentheilen kann ihre Form ver- schieden sein. Meist sind es einzellige Gebilde mit starker Membran, häufig mit gefärbtem Zellsafte. Sie entstehen durch Auswachsen der Epidermiszellen, die im normalen Zustande keine Haare bilden^ bald auf der Ober-, bald auf der Unterfläche der Blätter, noch ehe das Blatt seine normale Grösse erreicht hat. Ob schon die Eier oder erst die Milben diese Haarbildung erzeugen, ist vorläufig unbekannt.

In sehr interessanter und überzeugender Weise entwickelt Frank die Entstehungsweise der Beutelzellen und der Blättereinrollungen durch die vorwiegenden Hyperplasien der verschiedenen Blattzellen in ganz bestimmter Richtung, wodurch sich nicht nur die Entstehung der Beutelzellen mit ihren Oefiiiungen, sondern auch die Einrollungen ver- stehen lassen. (Diese Auff'assung der Entwicklungsmechanik hat mich lebhaft an die ersten Arbeiten von W. His über die mechanischen Ur- sachen der Faltenbildungen bei den Embryonen erinnert, die in der Folge sich als so überaus fruchtbar für die Formgestaltungen der Organismen erwiesen haben.) Abnorme Haarbildungen kommen in beiden Fällen vor. Ob schon die Eier bei ihrer Entwicklung oder erst

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die ausgekrochenen Milben diese Zellenentwicklung einleiten ist ua- bekannt. '

Da bei den Blattläusen eine Parthenogenesis durch viele Genera tionen hindurch beobachtet ist (die Parthenogenesis lässt sich in mancher Beziehung mit der Vegetationsvermehrung der Pflanzen vergleichen! 80 ist hier die formative Reizung der Eier und jungen Milbenkein,.' auseinander zu halten.

«Manche Blattläuse saugen sich einzeln an; die Folge ist da.ss diese engbegrenzten Stellen allein eine excessive Ausdehnung in der Richtung der Blattfläclie erleiden, wodurch sie sich an die gegenüber- hegenden Blattseiten ausstülpen und zu Beuteln oder Blasen heran- wachsen, welche auf der sonst unveränderten Blattseite aufsitzen und m ihrem Innern die Blattläuse und ihre Brut beherbergen.* (Frank.j

Aus den Untersuchungen der Gallen von Dipteren (Fliegen) geht hervor, dass die Bildung derselben in einzelnen Fällen schon bei der Eiablage (vielleicht durch ein Secret, welches dabei dem Blatte injicirt wurde, oder durch ein Wachsthums- und Entwicklungs- secret der Eier) angeregt wird. Man findet die BlattroUungen dabei selbst in jüngerem Zustande theilweise leer. «Man könnte das so deuten, dass der gallenerzeugende Einfluss nicht nothwendig mit der Eiablage verbunden sein muss.» (Frank.) Dann kann er also nur in einem chemischen, der Eiablage vorangehenden Effect bestehen.

Bei der durch Dipteren erzeugten Galläpfelbildung auf Weiden, Pappeln, Buchen, Erlen, Linden etc. ist es noch nicht entschieden, «o1^ das Ei in das innere Gewebe an Ort und Stelle abgelegt wird, odei- ob die junge Larve, nachdem sie sich aus dem auswendig abgelegten Ei rasch entwickelt hat, sich bis an den Ort der Gallenbildung ein- frisst». (Frank.)

Die Gallwespen legen ihre Eier in das Blatt, z. B. der Eichen. Da die aus den Eiern auskriechenden Maden doch schon Nahrune: vor- finden müssen, wenn sie ausgeschlüpft sind, so ist es höchst wahrschein- lich, dass das sieh entwickelnde Ei schon einen formativen Reiz auf die Blattzellen ausübt und der Gallapfel schon vor Ausschlüpfen der Maden formirt ist. Ein solcher Gallapfel besteht aus folgenden Schichten : 1. die Aussenschicht, aus Epidermis, die bisweilen durch eine Kork- schicht verstärkt ist, und aus einer darunter liegenden, mehr oder minder mächtigen Schicht wuchernder Parenchymzellen; 2. aus einer Hartschicht aus verholzten, dickwandigen, punctirten Sklerenchym- zellen 3. aus einer Innen- (Mark-) schiebt, aus zartwandigen kleinen, mit trübem Protoplasmainhalt erfüllten Parenchymzellen gebildet, welche den Maden als Nahrung dienen. ^Gauenbuduur Mitgctheiltcn ergibt sich, dass die Frage, ob die Gallen-

bildung durch eine Absonderung des Mutterthieres, ob durch ein

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Wachsthumssecret der Eier, ob durch besondere Stoflfwechselproducte der jungen Thiere angeregt und unterhalten wird, noch ziemlich fern von ihrer Lösung ist.

Als zweifellos dürfen Avir aber wohl betrachten, dass die Pro- ducte von thierischen Zellen in gleicher Weise einen beson- deren (specifischen) formativen Reiz auf die Pflanzenzellen auszuüben im Stande sind, wie die Pflanzenzellen (Coccen, Bakterien) auf thieris che Zellen. Es genügt mir, dies gewiss inter- essante Factum, welches die Thier- und Planzenwelt wieder um einen Schritt näher aneinander bringt, allen Freunden der Naturwissenschaften hiemit aufs neue in möglichst concentrirter Form ins Gedächtniss ge- rufen zu haben.

Zum Schlüsse sei es gestattet, noch einmal auf die pflanzhchen Formative Reiz-

Wirkungen von

Mikrobien als Erreger formativer (hyperplastischer) Processe besonderer Mikrobien auf thierischer Zellen, nämlich der thierischen Epithelialzellen, tierische Epi-

thelialzellen.

zurückzukommen.

Es war früher immer nur die Rede von formativen Reizwirkungen gewisser Mikrobien auf Bindegewebs- und Gefässzellen. Nun finden wir schon bei Baumgarten einige Andeutungen, dass durch Bacillen auch karyokinetische Formen in Epithelialzellen hervorgerufen werden können. So durch die Tuberkelbacillen in den Alveolarepithelien der Lunge, in den Haarcanälchenepithelien, in den Leberzellen durch Rotzbacillen u. s. w. Bollinger trat entschieden dafür ein, dass die fraglichen Körper, welche man beim Molluscum contagiosum des Menschen findet, nicht degenerirte Epithelzellen, sondern Gregarinenformen sind. «J. Pfeifer's gründliche Forschungen über die Aetiologie und Pathogenese des ansteckenden Epithelioms der Vögel lassen kaum einen Zweifel darüber, dass die Epitheliombildung durch Einwanderung der Keimlinge eines Protozoon aus der Classe der Sporozoen (Gregarine) in den Zellen des Rete Malpighii hervorgerufen wird. Während die von den Parasiten befallenen Zellen bis auf einen schmalen Randsaiim und den an den Rand gedrängten Kern aufgezehrt werden, stellt sich eine Proliferation der noch unversehrt gebliebenen Epithel- zellen in der Nähe des Invasionsbezirkes ein, deren Ab- kömmlinge dann gleichfalls successive von den Parasiten invadirt werden, bis der en Vermehrung aufhört und damit der Process der Heilung zustrebt.»*)

Ich gestehe offen, dass mir diese, wie es scheint wohlconstatirte, ist die Existenz Beobachtung ungemein imponirt. So lange sich die formative Reizung ^'"^^ Carcinom- nur auf die cellulären Elemente des Bindegewebes beschränkte, habe ich ' «lUnrch ?

*) Citat nach Baumgarten, Bd. II, pag. 941.

Ueber die Eiiiwiikung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einander.

die Existenz eines Carcinoramikrobion für im höchsten Grade unwahr- scheinlich gehalten. Durch die erwähnten Beobachtungen ist uns dieselbe aber doch wohl näher gerückt. Es gibt also Mikrobien, welche einen formativen Reiz auf thierische Epithelialzellen aus- üben. Dies Factum als feststehend angenommen, fallen uns natürUch eine Menge von Erscheinungen ein, durch welche die Carcinome und ihre Verbreitung anderen Mikrobienerkrankungen, zumal den Tuberkel- bildungen und deren Propagation, nahestehen. Da fällt uns zunächst das Auftreten der vielen miliaren Hautknötchen ein, wie sie nach Ex- stirpation von Mammacarcinomen so oft erscheinen. Da denken wir an die langsam verlaufenden oberflächlichen Epitheliome der Cutis, welche im Centrum ausheilen, um in der Peripherie langsam Aveiter zu wuchern ganz wie bei Lupus, Lepra, Psoriasis. Da denken wir an die vielen Knötchen im Peritoneum und auf der Pleura (oft genug auch mit Ex- sudaten verbunden), bei denen wir zuweilen zweifelhaft sind, ob wir es mit Tuberkel- oder Carcinomknötchen zu thun haben. Es fallen uns die Formen von Ausbreitung der Brustcarcinome ein, welche Erysipel- flammen gleichen, wenn sie sich auch langsamer über die ganze Thorax- haut verbreiten, und bei denen man zweifelhaft sein kann, ob die Hyperämie oder die Carcinombildung das Primäre ist. Da erinnern wir uns der Uebertragung von Carcinom auf Lymphdrüsen, welche allen Mikrobiengewebsei'krankungen in gleicher Weise zukommt, und wobei die Lymphdrüsen die Rolle bald mehr, bald weniger undurchgängiger Filter übernehmen.

Wir denken an die vielen Versuche directer Uebertragungcn von Carcinom von Menschen auf Thiere, und von einer Thierspecies auf die gleiche Thierspecies, die endlich Hanau bei Ratten gelungen ist. Könnten da nicht auch Lnmunitäten und Prädispositionen der verschiedenen Thierspecies eine grosse Rolle spielen, wie bei der Uebertragung von Tuberkelbacillen und anderen Mikrobien? Haben wir nicht bei Carcinom ganz dieselben Beziehungen der primären «epithelialen» Wucherung zur Bildung von Granulationsgeweben in der Umgebung, wie sie sich bei der Bildung des primären «endothehalen» Tuberkelkorns zur Entwicklung des lymphoiden (Granulations-)Gewebes finden? Besteht nicht eine gewisse Parallele zwischen der so sehr verschiedenen Acuität der Entwicklung von Carcinom- und Tuberkel-Propagation ?

Scheu erlen's Carcinombacillus soll ein sehr verbreiteter, harmloser, von der Epidermis herstammender Saprophyt sein. Seine sorgfältigen Unter- suchungen sind jedenfalls sehr verdienstvoll. Man darf diese Be- strebungen nicht aufgeben, sich nicht durch Misserfolge abschrecken lassen.

Wenn ein Carcinom-Mikrobion existirt, so ist es höchst wahr- scheinlich ein Bacillus oder ein Sporozoen (Gregarine, Amöbe, Plasmodie).

Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Thierzellen auf einan^

Man müsste bei den spitzen Kondylomen, den durch Contact sich aus- breitenden Warzen und breiten Kondylomen die Beobachtungen anzusetzen versuchen.

«Wer suchet, der findet!» Der Erfolg wäre glänzend, nicht nur in rein naturwissenschaftlicher Beziehung, sondern auch in Betreff der als moghch zu denkenden Erlösung des Menschengeschlechtes von einer seiner schlimmsten Geissein. Haben wir das Mikrobion, so ist auch die Möglichkeit, es zu tödten, ohne den Organismus zu tödten, nicht ausgeschlossen.

Wir vermögen die uns erst kürzlich bekannten Malaria-Plasmodien durch Chinin und Arsenik, die noch ganz unbekannten SyphiHsbacillen durch Quecksilber und Jod zu tödten, ohne dem Gesammtorganismus zu schaden. Wir werden auch Mittel finden, die Tuberkelbacillen und die noch nicht bekannten Carcinom-Mikrobien zu tödten, um den schon halb gestorbenen Körper vom Tode zu retten. Das sind die grossen Aufgaben, vor denen die folgenden Generationen stehen!

Begonnen in Abbazia am schönen Quarnero Weihnachten 1889, beendet auf den lichten Höhen des Semmering Fasching 1890.

Iiihalts-Uebersiclit.

Seite

Umgestaltung der Aetiologie der Entzündungsprocesse durch die Mikrobienlehre , . 3 Einheitliches Zusammenfassen von Entzündungs- und Wundfieber mit den acci-

dentellen Wundkrankheiten 4

Coccobacteria septica und die daran geknüpften Hypothesen o

Die ersten Coccen-Impfungen auf die lebende Hornhaut. Die Sicherstellung von «primär- pathogen» auf gesunde lebende thierische Gewebe wirkenden Mikrobien .... 6

Die Mikrobien als formative Kelze im Allgemeinen 9

Die Mikrobien als Erreger specifischer Entzündungen 9

Ursachen des Erlöschens der entzündlichen Processe 11

Der formative Reiz und seine Wirkungen 14

Conjugation und Copulation als formatives Eeizmoment 15

Trennung des Zusammenhanges als formatives Eeizmoment .... 19

Fremde Körper und Druck als formatives Reizmoment 21

Medicamentöse Stoffe als formative Reizmomente 25

Ueberschwemmung mit Nährflüssigkeit und Functionssteigerung sind an und für

sich keine formativen Reizraomente 25

Bacillen als formative Reize :

liepra, Rhinosklerom 27

Tuberkel 28

Rotz ^2

Syphilis ^2

Gonorrhöe 32

Streptococcus Urinae 33

Wirkung lebender thierischer Zellen auf Pflanzenzellen und Pflanzengewebe ... 33

Formative Reizbarkeit der Pflanzenzellen 34

Die Gallenbildung:

Knospen-, Blatt-, Stengel-, Wurzelgallen. Mycocecidien 35

Zoocecidien 35

Blattlausgallen 35

Fliegen- und Wespengallen 36

Entstehung der Gallen, Art der Thierwirkung auf das Pflanzengewebe ... 36 Specifische Einwirkung der Wachsthumsproducte thierischer Zellen auf die

Pflanzenzellen 38

Resume über die Gallenbildung 40

Formative Reizwirkungen von Mikrobien auf thierische Epithelialzellen 41

Ist die Existenz eines Carcinom-Mikrobions wahrscheinlich? 41