GENERELLE MORPHOLOGIE DER ORGANISMEN. ALLGEMEfflE GEBSDZÜGE DER ORGANISCHEN FORMEN-WISSENSCHAFT, MECHANISCH BEGRÜNDET DURCH DIE VON CHARLES DARWIN . REFORMIRTE DESCENDENZ-THEOßlE, VON ERNST HAECKEL. BESTER BAND : ALLGEMEINE ANATOMIE DER ORGANISMEN. „E PÜR Sl MÜOVE!« MIT ZWEI PROMOEPHOLOGISCHEN TAFELN. BERLIN. DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER. 1866. ALLGEMEINE ANATOMIE DER OEGMISMEN. KRITISCHE GRMDZÜGE DER MECHAOTSCHEN WISSENSCHAFT VON DEN ENTWICKELTEN FORMEN DER ORGANISMEN, BEGRÜNDET DURCH DIE DESCENDENZ- THEORIE, VON ERNST HAEGEEL, DOCTOK DEE PHILOSOPHIE UND MEDICIN, OBDENTLICHEM PROFESSOK DER ZOOLOGIE UND DIKECTOB DE8 ZOOLOGISCHEN INSTITUTES UND DES ZOOLOGISCHEN MUSEUMS AN DER ÜNIVERSITÄET JENA. PUR Sl MUOVE!« MIT ZWEI PROMORPHOLOGISCUEN TAFELN. BERLIN. DRUCK UKD VERLAG VON GEORG REIMER. 1866. „Die Natur schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie; was war, kommt nicht wieder: Alles ist neu, und doch immer das Alte. „Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr. Sie verwandelt sich ewig, und ist kein Moment Stillstehen in ihr. Für's Bleiben hat sie keinen Begriff, und ihren Fluch hat sie an's Stillstehen gehängt. Sie ist fest: ihr Tritt ist gemessen, ihre Gesetze unwandelbar. Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern äls Natur. Jedem erscheint sie in einer eigenen Gestalt. Sie verbirgt sich in tausend Namen und Tern\,en, und ist immer dieselbe. „Die Natur hat mich hereingestellt, sie wird mich auch heraus- führen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten; sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr; nein, was wahr ist und was falsch ist, Alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, Alles ist ihr Verdienst." Goethe. SEINEM THEÜREN FREUNDE UND COLLEGEN CARL GEGENBAUR WIDMET DIESE GRÜNDZÜGE DER ALLGEMEINEN ANATOMIE IN TREUER DANKBARKEIT DER VERFASSER. An Carl Gegenbaur. Indem ich den ersten Band der generellen Morpho- logie Dir, mein theurer Freund, den zweiten Band den drei Begründern der Descendenz- Theorie widme, will ich damit nicht sowohl die besondere Beziehung ausdrücken, welche Du als hervorragender Förderer der Anatomie, jene als Re- formatoren der Entwickelungsgeschichte zu den beiden Zwei- gen der organischen Morphologie einnehmen, als vielmehr meiner dankbaren Verehrung gegen Dich und gegen Jene gleichmässigen Ausdruck geben. Denn wie es mü' einerseits als einePjäicht der Dankbarkeit erschien, durch Dedication der „allgemeinen Entwickelungsgeschichte" an Oharies Darwin, Wolfgang Goethe und Jean Lamarck das causale Fun- dament zu bezeichnen, auf welchem ich meine organische Mor- phologie errichtet habe, so empfand ich andererseits nicht minder lebhaft das Bedürfniss, durch Widmung der „allge- meinen Anatomie" an Dich, mein treuer Grenosse, die Ver- dienste dankbar anzuerkennen, welche Du um die Förderung meines Unternehmens besitzest. Um diese Beziehungen in das rechte Licht zu stellen, müsste ich' freilich eigentlich eine Geschichte unseres brüder- hchen Freundschafts-Bündnisses schreiben, von dem Tage an, als ich Dich 1853 n'ach Deiner Rückkehr von Messina im Gutenberger Walde bei Wüi'zburg zum ersten Male sah, und Du in mir die Sehnsucht nach den hesperischen Gestaden SiciUens wecktest, die mir sieben Jahre später in den Ra- diolarien so reiche Früchte tragen sollte. Seit jenem Tage hat ein seltener Parallelismus der Schicksale zwischen uns fester und fester die unauflöslichen Bande geknüpft, welche schon frühzeitig gleiche EmpfängUchkeit für den Naturgenuss, gleiche Begeisterung für die Naturwissenschaft, gleiche Liebe für die Naturwahrh.eit in unseren gleichstrebenden Gemüthern vorbereitet hatte. Du warst es, der mich vor sechs Jahren veranlasste, meine akademische Lehrthätigkeit in unserem geliebten Jena zu beginnen, an der Thüringer Universität im Herzen Deutschlands, welche seit drei Jahrhunderten als das pulsirende Herz deutscher Geistes -Freiheit und deut- sehen Geistes - Kampfes nach allen Richtungen ihre lebendi- gen Schwingungen fortgepflanzt hat. An dieser Pflanzschule deutscher Philosophie und deutscher Naturwissenschaft, unter dem Schutze eines freien Staatswesens, dessen fürstliche Re- genten jederzeit dem freien Worte eine Zufluchtsstätte ge- währt, und ihren Namen mit der Reforriiations- Bewegung, wie mit der Blüthezeit der deutschen Poesie untrennbar ver- flochten haben, konnte ich mit Dir vereint wirken. Hier ha- ben wir in der glücklichsten Arbeitstheilung unser gemein- sames Wissenschafts-Gebiet bebaut, treu mit einander gelehrt und gelernt, und in denselben Räumen, in welchen Goethe vor einem halben Jahrhundert seine Untersuchungen „ zm* Morphologie der Organismen" begann, zum Theil noch mit denselben wissenschaftlichen Hülfsmitteln, die von ihm aus- gestreuten Keime der vergleichenden und denkenden Natur- forschung gepflegt. Wie wir in dem harten Kampfe des Le- bens Glück und Unglück brüderlich mit einander getheilt, so haben sich auch unsere wissenschafthchen Bestrebungen in so inniger und beständiger Wechselwirkung entwickelt und befestigt, in täglicher Mittheilung und Besprechung so ge- genseitig durchdrangen und geläutert, dass es uns wohl Bei- den unmögüch sein würde, den speciellen Antheil eines Jeden an unserer geistigen Gütergemeinschaft zu bestimmen. Nur im Allgemeinen kann ich sagen, dass das Wenige, was meine rasche und rastlose Jugend hie und da Dir bieten konnte, nicht in Verhältniss steht zu dem- Vielen, was ich von Dir, dem acht Jahre älteren, erfahrneren und reiferen Manne empfangen habe. So ist denn Vieles, was in dem vorhegenden Werke als meine Leistung erschemt, von Du^ geweckt und genährt. Vieles^ von dem ich Förderung unserer Wissenschaft hoffe, ist die gemeinsame Frucht des Ideen -Austausches, der mis ebenso daheim in unserer stillen Werkstätte erfreute, wie er uns draussen auf unseren erfrischenden Wanderungen durch die felsigen Schluchten und über die waldigen Höhen des reizenden Saalthaies begleitete. Manches düi-fte selbst das Product des erhebenden gemeinsamen Naturgenusses sein, welchen uns die malerischen Formen der Jenenser Muschelkalk- Berge bereiteten, wenn sie im letzten Abendsonnenstrahl uns dm-ch die Farben -Harmonie ihrer purpur-goldigen Felsen- flanken und violett -blauen Schlagschatten die entschwundenen Zauberbilder der calabrischen Gebirgskette wieder vor Augen führten. Es dürfte befremdend erscheinen, einer „mechanischen Morphologie" solche Erinnerungen voranzuschicken. Und dennoch geschieht es mit Fug und Recht. Denn wie jeder Organismus, wie jede Form und jede Function des Organis- mus, so -ist auch das vorhegende Werk weiter Nichts, als das nothwendige Product aus der Wechselwirkung zweier Factoren, der Vererbung und der Anpassung. Wenn dasselbe,- wie ich zu hoffen wage, zur weiteren Entwickelung unserer Wissenschaft beitragen sollte, so bin ich weit entfernt, mir dies als mein freies Verdienst anzurechnen. Denn die per- sönlichen Eigenschaften, welche mir die grosse und schwierige Aufgabe zu erfassen und durchzuführen erlaubten, habe ich zum grössten Theile durch Vererbung von meinen trefflichen Eltern erhalten. Unter den vielen Anpassungs- Bedingungen aber, welche in Wechselwirkung mit jenen erbUchen Func- tionen das Werk zur Reife brachten, nehmen die angeführ- ten Verhältnisse die erste Stelle .ein. In diesem Sinne, mein theurer Freund, als mein Gesin- nungs- Genosse und mein Schicksals -Bruder, als liiein aka- demischer College imd mein W^an der -Gefährte, nimm die Widmung dieser Zeilen freundlich auf, und lass uns auch fernerhin treu und fest zusammenstehen in dem grossen Kampfe, in welchen uns die Pflicht unseres Berufes treibt, und in welchen das vorHegende Werk entschlossen ein- greift — in dem heiligen Kampfe um die Freiheit der Wis- senschaft und um die Erkenntniss der Wahi-heit in der Natur. Vorwort "Von allen Hauptzweigen der Naturwissenschaft ist die Morphologie der Oi'ganismen bisher am meisten zurückge- blieben. Der ausserordentlich schnelle und reiche, quantita- tive Zuwachs an empirischen Kenntnissen , welcher in den letzten Jahrzehnten alle Zweige der Anatomie und Entwicke- lungsgeschichte zu einer vielbewunderten Höhe getrieben hat, ist in der That nicht mit einer entsprechenden qualitativen Vervollkommnung dieser Wissenschaften gepaart gewesen. Während ihre nicht minder rasch entwickelte Zwillings- schwester, die Physiologie, in den letzten Decennien mit ihrer dualistischen Vergangenheit völhg gebrochen und sich auf den mechanisch- cäusalen Standpunkt der anorganischen Na- turwissenschaften erhoben hat, ist die Morphologie der Or- ganismen noch weit davon entfernt, diesen Standpunkt als den einzig richtigen allgemein anerkannt, geschweige denn erreicht zu haben. Die Frage nach den bewirkenden Ursachen der Erscheinungen, und das Streben nach der Erkenntniss des Gesetzes in denselben, welche dort allgemein die Rieht- xrv Vorwort. t schnür aller Untersuchungen bilden, sind hier noch den Mei- : sten unbekannt. Die alten teleologischen und vitalistischen Dogmen, welche aus der Physiologie und Anorganologie jetzt gänzlich verbannt sind, finden wir in der organischen Mor- | phologie nicht allein geduldet, sondern sogar noch herr- schend, und allgemein zu Erklärungen benutzt, die in der ■ That keine Erklärungen sind. Die meisten Morphologen be- i gnügen sich sogar mit der blossen Kenntniss der Formen, j ohne überhaupt nach üu^er Erklärung zu streben und nach \ I ihren Bildungsgesetzen zu fragen. So bietet uns denn der gegenwärtige Zustand unserer ' wissenschaftlichen Bildung das seltsame Schauspiel von zwei völlig getrennten Ai'ten der Naturwissenschaft dar: auf dör einen Seite die gesammte Wissenschaft von der anorganischen Natur (Abiologie), und neben üir die Physiologie der Or- ganismen, auf der anderen Seite allein die Morphologie der Organismen, Entwickelungsgeschichte und Anatomie — jene monistisch, diese dualistisch; jene nach wahren bewirkenden Ursachen, diese nach zweckthätigen Scheingründen suchend; jene mechanisch, diese vitalistisch erklärend. Während die Physiologen in richtiger kiitischer Erkenntniss den Organis- mus als eine nach mechanischen Gesetzen gebaute und wir- kende Maschine ansehen und untersuchen, betrachten ihn die Morphologen nach Darwin' s treffendem Vergleiche immer noch ebenso, wie die Wilden ein Linienschiff. Die vorliegenden Grundzüge der „generellen Morpho- logie der Organismen" unternehmen zum ersten Male den Versuch, diesen heillosen und grundverkehrten Duahsmus aus allen Gebietsth eilen der Anatomie und Entwickelungsgeschichte völUg zu verdrängen, und die gesammte Wissenschaft von den entwickelten und von den entstehenden Formen der Or- Vorwort. XV ganismen diu*ch mechanisch -causale Begründung auf' dieselbe feste Höhe des Monismus zu erheben , in welcher alle übri- gen Naturwissenschaften seit längerer oder küi^zerer Zeit ihr unerschütterliches Fundament gefunden haben. • Der grossen Schwierigkeiten und der vielen Gefahren dieses Unternehmens bin ich mu* vollkommen bewusst. Noch stehen alle allge- meinen morphologischen Anschauungen in Zoologie und Bo- tanik unter der Herrschaft eines gelehrten Zunftwesens, wel- ches nur in der scholastischen Gelehrsamkeit des Mittelalters seines Gleichen findet. Dogma und Autorität, wechselseitig zur Unterdrückung jedes freien Gedankens und jeder un- mittelbaren Naturerkenntniss verschworen, haben eine dop- P pelte und dreifache chinesische Mauer von Vorurth eilen aller Ai't rings um die Festung der organischen Morphologie auf- geführt, in welche sich der allerorts verdi'ängte Wunder- ^ glaube jetzt als in seine letzte Oitadelle zurückgezogen hat. Dennoch gehen wir siegesgewiss und fm-chtlos in diesen (Kampf. Der Ausgang desselben kann nicht mehr zweifelhaft sein, nachdem Charles Darwin vor sieben Jahren den Schlüssel zu jener Festung gefunden, und durch seine be- wundrungswürdige Selections- Theorie die von Wolfgang Goethe und Jean Lamarck aufgestellte Descendenz-Theorie ^ zur siegreichen Eroberungs- Waffe gestaltet hat. Ein Werk, welches eine so umfassende und schwierige Aufgabe unternimmt, ist nicht das flüchtige Product vorüber- gehender Gedanken -Bewegungen, sondern das langsam ge- reifte Resultat langjähriger und inniger Erkenntniss -Mühen, und ich darf wohl sagen , dass viele der hier dargelegten Ansichten mich beschäftigt haben, seit ich überhaupt mit kritischem Bewusstsein in das Wundergebiet der organischen Formen-Welt einzudi-ingen versuchte. Die allgemeinste Streit- •jj'yjjj V 0 r w 0 r t, sammtgebiet der Zoologie erstreckten, war ich in die glück- liche Lage versetzt, die in dem vorliegenden Werke begrün- deten Anschauungen schon seit längerer Zeit zu einem be- stimmten Ausdruck vorbereitet und durch vielfache Betrach- tung von allen Seiten mir selbst zu voller Klarheit gebracht zu haben. Gleichzeitig war ich bemüht, durch fortgesetzte specielle Detail -Untersuchungen mir den festen empirischen Boden zu erhalten, ohne welchen jeder generelle Gedanken- Bau nur zu leicht zum speculativenLuftschloss wird. Während so die einzelnen Haupttheile der allgemeinen Anatomie und Entwickelungsgeschichte allmählig und langsam einer gewissen Reife entgegen gingen, wurde dagegen der wagnissvolle Plan, sie zu einem umfassenden, systematisch construirten Lehrgebäude der generellen Morphologie zusammenzufassen, erst vor ver- hältnissmässig kurzer Zeit in mir zum bestimmten Entschlüsse. Innere 'und äussere Gründe verschiedener Art zwangen mich, die Ausarbeitung des Ganzen schneller und in viel kür- zerer Zeit zu vollenden, als ich ursprünglich gewünscht und beabsichtigt hatte. Ein grosser Theil des ersten Bandes war bereits gedruckt, ehe der zweite zum Abschluss gelangte. Ausserdem griffen schm-ferzliche Schicksale vielfach störend in die Arbeit eui. Diese und andere, hier nicht weiter zu erörternde Hindernisse mögen die mancherlei Nachlässigkei- ten in der Form des Ganzen, kleine Ungenauigkeiten im Ein- zelnen , und mannichfache Wiederholungen entschuldigen, welche der kritische Leser leicht herausfinden wird. So gern ich auch in dieser Beziehung die Arbeit wesentlich verbes- sert und formell einheitlicher abgerundet hätte, so wollte ich doch deshalb die Herausgabe des Ganzen nicht um Jahre verzögern. Bis dat, qui cito dat! Auch lege ich jenen Män- geln insofern nur untergeordnete Bedeutmig bei, als sie Vorwort. Xix der luiifassendeii Erkeuntniss des grossen Ganzen der orga- nischen Formenwelt, welche das Werk erstrebt, dem allge- meiuen IJeberblick über die grossen Bildungsgesetze jenes herrlichen und gewaltigen Gestaltenreichs keinen Eintrag thun. Was die Form des ganzen Werkes betrilFt, so erschien es mir unerlässlich, bei der völligen Zerfahrenheit und Zer- rissenheit, dem gänzlichen Mangel an Zusammenhang und Einheit, die auf allen Gebietstheilen der Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte herrschen, die strenge Form eines syste- matisch geordneten Lehrgebäudes zu wählen. Vorläufig kann allerdijigs dieser erste Versuch eines solchen weiter Nichts sein, als ein nach einem bestimmten Plan und auf festem Fundament angelegtes Gerüst, ein Fachwerk von Balken, welches statt geschlossener Wände und bewohnbarer Zimmer grösstentheils nm- durchbrochenes Zimmerwerk und leere Räume enthält. Mögen andere Naturforscher dieselben aus- füllen und das Ganze zu einem wohnlichen Gebäude gestal- ten. Mir schien schon viel gewonnen zu sein, wenn nur erst jenes feste Gerüst aufgerichtet, und der Raum zur geordne- ten und übersichthchen Aufstellung der massenhaft angehäuf- ten empirischen Schätze gewonnen wäre. Natürlich musste auch die Behandlung und Ausführung der einzelnen Theile sehr ungleich ausfallen , entsprechend dem höchst ungleich- massig ent^^^ckelten Zustande unserer Wissenschaft selbst, von welcher viele der wichtigsten und interessantesten Theile, wie namenthch die Genealogie, noch fast unangebaut dahe- geu. Einzelne Capitel, in denen ich speciellere Studien ge- macht hatt.e, sind eingehender ausgeführt; andere, in denen nür weniger eigenes Material zu Gebote stand, flüchtiger skizzirt. Das siebente und achte Buch düi-fen bloss als aphoristische Anhänge gelten, die ich bei. der hohen Wichtigkeit der darin b* XX Vorwort. kurz berührten Fragen nicht weglassen mochte, deren specielle Ausführung aber, ebenso wie die des sechsten Buches, ich mir für eine andere Arbeit verspare. Dasselbe gilt von der „genealogischen Uebersicht des natürlichen Systems der Or- ganismen", welche ich als „systematische Einleitung in die allgemeine Entwickelungsgeschichte" dem zweiten Bande vor- angeschickt habe. Da dieselbe eine kurze Uebersicht der speciellen Phylogenie giebt, gehört sie eigentlich nicht in die „ generelle Morphologie " der Organismen oder könnfe hier nur als specielle Erläuterung des vierundzwanzigsten Capitels ihre Stelle finden. Da jedoch die meisten Zoolo- gen und Botaniker der Gegenwart überhaupt nur ein gerin- ges oder gar kein Interesse für allgemeine und umfassende Fragen haben, sondern lediglich den Cultus des Einzelnen und Speciellen betreiben, so werden dieselben wohl gerade auf diese specielle Anwendung der Descendenz- Theorie das grösste Gewicht legen, und desshalb schien es mir passend, sie dem zweiten Bande voran zu stellen. Sie dient zugleich zur Erläuterung der angehängten genealogischen Tafeln, dem ersten Versuche dieser Art, der hoffentlich bald viele und bessere Nachfolger finden wird. Der Entwrf der organi- schen Stammbäume, obwohl gegenwärtig noch äusserst schwierig und bedenklich , wird meines Erachtens die wich- tigste und interessanteste Aufgabe für die Morphologie der Zukunft bilden. Besonderer Nachsicht bedarf der botanische Theil meiner Morphologie. Bei der ausserordentlich weit vorgeschrittenen Arbeitstheilung der neuesten Zeit ist die völlige Decentrali- sation aller biologischen Wissenschaftsgebiete zu dem Grade gediehen, dass es überhaupt nur noch sehr wenige Zoologen und Botaniker im vollen Sinne des Wortes giebt, und statt Vorwort. XXI dessen auf der einen Seite Mastozoologen, Ornithologen, Ma- lakozoologen, Entomologen, Mycetologen, Phycologen etc., auf der anderen Seite Histoiogen, Organologen, Embryologen, Palaeontologen etc. Unter diesen Umständen werden alle diese scholastischen, meist mit sehr langen Zöpfen versehenen Zunftgelehrten es für' eine überhebliche Anmaassung erklären, dass „ein Einzelner" es noch wagt, das Ganze der organi- schen Formenw'-elt mit einem Blick umfassen zu wollen. Namentlich aber werden die „eigentlichen" Botaniker ent- rüstet sein, dass ein Zoologe sich einen Einfall in ihr abge- gränztes Gebiet erlaubt. Dass ich dieses Wagniss dennoch unternehme, hat seinen zwiefachen Grund. Einerseits zeigt mir die kühle oder ganz negative Haltimg des bei weitem grössten Theiles der Botaniker gegenüber Darwin' s Selec- tions-Theorie — diesem wahren Prüfstein aller echten, d. h. denkenden Naturforschung — dass die Pflanzenkunde noch weit mehr als die Thierkunde unter der gedankenlosen Spe- cialkrämerei gehtten hat, welche man als „exacte Empirie" zu verherrhchen Hebt und dass man dort noch weit mehr als hier die grossen und erhabenen Ziele des Wissenschafts- Ganzen, das Bewusstsein ihrer Einheit und Zusammengehörig- keit verloren hat. Andererseits aber ist nach meiner festesten Ueberzeugung für alle fundamentalen Fragen der generellen Morphologie (wie überhaupt der gesammten Biologie), für alle tectologischen und promorphologischen, ontogenetischen und phylogenetischen Probleme, die gegenseitige Ergänzung der Zoologie und Botanik so äusserst werthvoll, ihre innigste Wechselwu'kung so unbedingt noth wendig, dass ich durch blosse Beschränkung auf mein zoologisches Fachgebiet mir selbst die beste Quelle des Verständnisses verstopft hätte. Wenn ich in vielen allgemeinen Fragen einen guten Schritt XXII Vorwort. weiter gekommen bin, so verdanke ich dies wesentlich der Vergleichnng der thierischen und pflanzlichen Formen. Zwei- felsohne mirde der botanische Theil meiner Arbeit viel reich- haltiger und besser ausgefallen sein, wenn mir das Glück der Unterstützung eines Botanikers zu Theil geworden wäre, dessen offenes Auge auf das grosse Ganze der pflanzlichen Formenwelt und ihren genealogischen Causalnexus gerichtet ist. Da es mir aber nur dann und wann auf kurze Stunden ge- gönnt war, aus dem jugendfrischen und gedankenreichen Wissensquell meines hochverehrten Lehrers, Alexander Braun in Berlin, Belehrung und Rath zu erholen, so bheb ich grösstentheils auf die mangelhafte empirische Grundlage beschränkt, welche ich mir durch leidenschaftliche Zuneigung zm- ScienMa amabilis in früherer Zeit erworben hatte, ehe ich dui'ch den überwiegenden Einfluss von Johannes Müller zur vergleichenden Anatomie der Thiere herübergezogen wiu'de. Bei dem höchst unvollkommenen und niedrigen Entwicke- lungs -Zustande, auf welchem sich die allgemeine Anatomie und Entwickelungsgeschichte noch gegenwärtig befindet, musste der vorliegende Versuch, sie als einheitliches Ganzes zusammenzufassen, mehr eine Sammlung von bestimmt for- mulirten Problemen, als von bereits gelösten Aufgaben werden. Unter diesen Umständen schien es mu* eines der drin- gendsten BedMnisse, besondere Aufmerksamkeit der schar- fen Bestimmung und Umschi^eibung der morphologischen Be- griffe zuzuwenden. In Folge der allgemeinen Vernachlässi- gung der unentbehrlichen philosophischen Grundlagen ist in der gesammten Zoologie und Botanik eine so weitgehende Unklarheit und eine so babylonische SprachverwiiTung einge- rissen, dass es oft unmöglich ist, sich ohne weitläufige Um- Vorwort. xxm Schreibungen über die allgemeinsten Grundbegriffe zu ver- ständigen. Ueberall in der Anatomie und Entwickelungs- geschichte ist Ueberfluss an unnützen und Mangel an den unentbehrlichsten Bezeichnungen. Viele der wichtigsten und alltäglich gebrauchten Begriffe wie z. B. Zelle, Organ, regulär, symmetrisch, Embryo, Metamorphose, Speeles, Verwandt- schaft u. s. w. haben gar keine bestimmte Bedeutung mehr, da fast jeder Morphologe, falls er sich überhaupt dabei etwas Bestimmtes denkt, etwas Anderes darunter versteht. In der Botanik und Zoologie, und ebenso in den einzelnen Zweigen dieser Wissenschaften, werden dieselben Objecte mit ver- schiedenen Namen, und ganz verschiedene Objecte mit den- selben Namen bezeichnet. Unter diesen Umständen war es imvermeidlich, eine ziemliche Anzahl von neuen Wörtern (dem internationalen Herkommen gemäss aus dem Griechi- schen gebildet) einzuführen, welche bestimmte und klare Be- griffe fest und ausschliesslich bezeichnen sollen. Die dunkeln Schattenseiten der herrschenden organischen Morphologie habe ich mir erlaubt scharf zu beleuchten und ihre Irrthümer rücksichtslos aufzudecken. Möge man in meiner offenen Sprache nicht eitle Selbstüberhebung oder Verkennung der wirklichen Verdienste Anderer erblicken, sondern lediglich den Ausdruck der festen Ueberzeugung, dass nur durch unumwundene W ah rh ei t der Fortschritt in der Wissenschaft gefördert werden kann. Wenn ich auch alle meine Kräfte aufgeboten habe, um die- sem ersten systematisch geordneten Versuche einer allgemeinen Anatomie und Entwickelungsgeschichte ein möglichst annehm- bares Gewand zu geben, so bin ich mir doch wohl bewusst, dass das Erreichte weit, sehr weit hinter dem Erstrebten zurück geblieben ist. Das Werk soll aber auch nichts Fer- XXIV Vorwort. tiges, sondern nur Werdendes bieten. Handelt es sich ja doch noch um definitive Sicherstelhmg des festen Gerüstes jenes erhabenen Lehrgebäudes, welches die organische ' Morpho- logie der Zukunft ausführen soll. Meine Anstrengungen wer- den hinlänglich belohnt sein, wenn sie frische Kräfte zur Ver- besserung des Gegebenen anregen, und wenn dadurch mehr und mehr der Grundgedanke zur Geltung kommt, welchen ich für die erste und nothwendigste Vorbedingung jedes wirk- lichen Fortschritts auf unserm Wissenschafts -Gebiete halte: der Gedanke von der Einheit der gesammten organischen und anorganischen Natur, der Gedanke von der allgemeinen Wirksamkeit mechanischer Ursachen in allen erkennbaren Er- scheinungen, der Gedanke, dass die entstehenden und die entwickelten Formen der Organismen nichts Anderes sind, als das nothwendige Product ausnahmsloser und ewiger Naturgesetze. Jena, am 14*6" September 1866. Ernst Heinrich Haeckel. Inhaltsverzeichniss des ersten Bandes der generellen Morphologie. Seite. An Carl Gegenbaur VII Vorwort XIII Erstes Buch. Kritische und methodologische Einleitung in die generelle Mor- phologie der Organismen 1 Erstes Capitel: Begriff und Aufgabe der Morphologie der Orga- nismen 3 Zweites Capitel: Verhältuiss der Morphologie zu den anderen Na- turwissenschaften. • • !. 8 I. Morphologie und Biologie 8 II. Morphologie und Physik (Statik und Dynamik) 10 in. Morphologie und Chemie 12 rV. Morphologie und Physiologie 17 Drittes Capitel: Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften 22 I. Eintheilung der Morphologie in Anatomie und Morphogenie. ... 22 II. Eintheilung der Anatomie und Morphogenie in vier Wissenschaften. 24 III. Anatomie und Systematik 31 IV. Organologie und Histologie 42 V. Tectologie und Promorphologie , 46 VI. Morphogenie oder Entwickelungsgeschichte 50 VII. Entwickelungsgeschichte der Individuen 53 Vin. Entwickelungsgeschichte der Stämme 57 IX. Generelle und specielle Morphologie 60 XXVIII Inhalt. Seite C. Plasma -Producte 279 I). Plasma und Nucleus als active Zellsubstanz .... 287 II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe oder Werk- stücke 289 II, 1. Morphologischer Begriff des Orgaus 291 II, 2. Eintheilung der Organe in verschiedene Ordnungen 291 A. Organe erster Ordnung: Zellfusionen 296 JB. Organe zweiter Ordnung: Einfache oder homoplastische Organe. 298 C. Organe dritter Oi'dnung: Zusammengesetzte oder hetero- plastische Organe. 299 D. Organe vierter Ordnung: Organ- Systeme 301 E. Organe fünfter Ordnung: Organ - Apparate 302 III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren oder Ge- genstücke 303 IV. Morphologische Individuen vierter Ordnung: Metameren oder Folge- stücke 312 V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen oder Prosopen. 318 VI. Morphologische Individuen sechster Ordnung: Stöcke oder Cormen. 326 Zehntes fnpUel: Physiologische Individualität der Organismen. . 332 I. Die Piastiden als Bionten. (Physiologische Individuen erster Ordnung.) 332 I, A. Die Piastiden als actuelle Bionten 33g I, B. Die Piastiden als vii-tuelle Bionten 333 I, C. Die Piastiden als partielle Bionten . 339 II. Die Organe als Bionten. i Physiologische Individuen zweiter Ordnung.) 340 II, A. Die Organe als actuelle Bionten . 343 II, B. Die Organe als virtuelle Bionten 343 II, C. Die Organe als partielle Bionten • . . . 345 III. Die Antimeren als Bionten. (Physiologische Individuen dritter Ordn.). 347 III, A. Die Antimeren als actuelle Bionten 347 III, B. Die Antimeren als virtuelle Bionten 348 III, C. Die Antimeren als partielle Biont n 351 IV. Die Metameren als Bionten. (Physiologische Individuen vierter Ordn.). 351 IV, A. Die Metameren als actuelle Bionten 352 IV, B. Die Metameren als virtuelle Bionten 355 IV, V. Die Metameren als partielle Bionten 356 V. Die Personen als Bionten. (Physiologische Individuen fünfter Ordn.). 357 V, A. Die Personen als actuelle Bionten 357 V, B. Die Personen als virtuelle Bionten 359 V, C. Die Personen als partielle Bionten 359 VI. Die Stöcke als Bionten. (Physiologische Individuen sechster Ordn.)- 360 VI, A. Die Stöcke als actuelle Bionten 361 VI, B. Die Stöcke als virtuelle Bionten 363 VI, C. Die Stöcke als partielle Bionten 363 Elftes Capltel: Tecto logische Thesen 364 I. Thesen von der Fundamental -Structur der Organismen 364 n. Thesen von der organischen Individualität 366 Inhalt. XXIX Seite III. Thesen von den einfachen organischen Individuen 368 IV. Thesen von den zusammengesetijten organischen Individuen. . . . 368 V. Thesen von der physiologischen Individualität 369 VI. Thesen von der tectologischen Dififerenzirung und Centralisation. . 370 YII. Thesen von der Vollkommenheit der verschiedenen Individualitäten. 372 Viertes Buch. Zweiter Theil der allgemeinen Anatomie. Generelle Promorphologie oder allgemeine Grundfor- menlehre der Organismen 375 Zwölftes Capitel: Begriff und Aufgabe der Promorphologie. ... 377 1. Die Promorphologie als Lehre von den organischen Grundformen. . 377 II. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen 379 ni. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen. . . . 381 IV." Die Promorphologie als organische Stereometrie 387 V. Grundformen aller Individualitäten, i 390 VI. Promorphologische Bedeutung der Antimereu 392 VII. Systematische Bedeutung der Grundformen ■ • 394 VIII. Promorphologie und Orismologie 396 Dreizehntes Capitel: System der organischen Grundformen 400 Erste Hauptabtheilung der organischen Grundformen: Lipostaura. Organische Grundformen ohne Kreuz- axen und ohne Medianebene (Sagittalebeue). I. Axenlose. Anitxonin. Spougilla-Porm 400 II. Axenfeste. Axonin 402 II, 1. Gleichaxige. Homnxovia. Kugeln. Sphaerozoum -Form 404 II, 2. Ungleichaxige. Heteraxonia 405 2, A. Vielaxige. Polynxonin. Endosphärische Polyeder 406 Aa. Irreguläre Vielaxige. Polyaxonin arrhythma 407 rt, I. Ungleichvieleckige. AUopolygonn. Rhizosphaera- Form. . . 408 n, II. Gleichvieleckige. Isopolygonn. Ethmosphaera-Form. . . . 409 Ab. Reguläre Vielaxige. Polynxonin rhythmica 410 I. Icosnedrn. Aulosphaera-icosaedra-Form 411 h, IL Dodccnedrn. Pollen -Form von Bucholzia maritima. . ■ • 412 b, III. Octaedrn. Antheridien-Form von Ohara 412 b, IV. Hexnedrn. Hexaedromma-Form (Actinomma drymodes). • . 413 b, V. Tetrnedrn. Polleu -Form von Corydalis sempervirens. ... 415 2, B. Hauptaxige. Protnxonin 416 ßn. Einaxige. Monaxonin 420 o, I. Gleichpolige Einaxige. Ilnplopoln 422 I, 1. Sphaeroide. Hnplopoln nnepipedn. Coccodiscus-Porm. . . 423 1,2. Oylinder. HnplopoJn nmpliepipeda. Pyrosoma-Form. . . . 424 xx:x I u ü a 1 t. fi, II. Ungleichpolige Einaxige. Diplopola 426 II, 1. Eier. Diplopola nvepipedn. Ovaliua 426 II, 2. Kegel. Diplopola monepipettn. Couulina. • 428 II, 3. Kegelstumpfe. Uiplopola amphepipcän 429 ßh. Kreuzaxige. Stam-axouia 430 Zweite Hauptabtheilung der organischen Grundformen: Stauraxonia (mit Ausschluss der Zeugiten.) Organische Grundformen mit Kreuzaxen und ohne Me- dianebene (Sagittalebeue) : Doppel-Pyramiden oder Pyramiden (mit Ausschluss der Allopolen). (Strahlige oder reguläre For- men der meisten Autoren 430 I. Gleichpolige Kreuzaxige. Homopoln. Doppelpyramideu 436 I, 1. Gleichpolige Gleichkreuzaxige. Isoslaum. Reguläre Doppelpyramiden. 437 1, ^. Vielseitige reguläre Doppelpyramiden. Isoslmira polypleurn. He- liodiscus-Porm 433 1, Ii. Quadrat -Octaeder. Isoslaura ocloplcura. Acanthostaurus -Form. 440 1,2. Gleichpolige Ungleichki-euzaxige. Allostaura Amphithecte Doppel - Pyramiden 445 1, A. Vielseitige amphithecte Doppelpyramiden. Allosinura polyplcura. Amphilonche - Form 447 1, H. Rhomben - Octaeder. Allostaura octoph'ura. Stephanastrum -Form. 450 II. Ungleichpolige Kreuzaxige. Heteropola. Pyramiden 452 II, 1. Ungleichpolige Kreuzaxige. - Homoslanra. Reguläre Pyi-amiden. . . 459 1, A. Geradzahlige reguläre Pyramiden. Isopola 465 An. Geradzalilige Vielstrahlcr. Mi/riactinota. Aequorea-Form. . . 466 All. Zehnstrahler. Dccactinota. Aegineta-globosa-Form 467 Ac. Achtstrahler. Octnclinota. Alcyonium-Form 468 Ad. Sechsstrahler. Hemictivotn. Carmarina-Form 469 Ae. Vierstraliler. Tctractinota. Aurelia -Form 469 1, B. Uugeradzahlige reguläre Pyramiden. Amsopola 47I Ha. Ungeradzahlige Vielstrahler. Pohjaclinota. Brisiuga-Form. . . 471 Rh. Neunstrahler. Enncactinotn. Euneactis-Form 472 Jiv. Siebenstrahler. Heptadinola. Trientalis-Form 472 Bd. Füufstrahler. Pciitactivola. Ophiura-Form 473 Be. Dreistrahler. Triactinota. Iris -Form 474 n, 2. Ungleichpolige Ungleichkreuzaxige. Heferostnura. Irreguläre Py- ramiden 475 2, A. Amphithecte Pyramiden. Au1oj7ola 479 An. Vielseitige amphithecte Pyramiden: Oxystnurn 481 n, I. Achtreifige. Octophrni/ma. Eucharis-Form 482 n, II. Sechsreifige. Hcxnpliragma. Flabellum-Form 485 Ah. Rhomben -Pyramiden. Orthostama 488 b, I. Vierreifige. Telrnphragma. Saphenia-Form 489 h, II. Zweireifige. Diphragma. Petalospyris -Form 492 2, B. Halbe amphithecte Pyramiden. AUopoln (Zeugita) 495 Dritte Hauptabtheilung der organischen Grundformen: Zeugita (Allopola). Organische Grundformen mit Kreuzaxen und mit einer Median ebene (Sagittalebeue). (Bilaterale oder symmetrische Forme nder meisten Autoren.) . 495 Inhalt. XXXI Seile I. öchienige Gruudformen. AmphipJeura. (Hälften einer amphitbecten Pyramide von 4+2n Seiten.) 500 [, 1. Siebenachienige. HepinvipMpleurn. Disandra-Form 501 i, 2. Seciisschieuige. Ucaramphiplcum Oculina-Form 501 1,3. Fiiufschienige. Penlmnphipleiirn. Spataugus - Form 502 I, 4. Dreischienige. TrinmpJiipleum. Orchis-Form 505 II. Jochpaarige Grundformen: Zi/ifopfeurn (Halbe Ehombeu -Pyramiden oder gleichschenkelige Pyramiden.) . . , 507 II, 1. Zweipaarige. Tetrapleurn. Doppelt- gleichschenkelige Pyramiden. . 511 1, .-1. Gleichhälftige Zweipaarige. Eutetrapleum 513 All. Euletrnpleurn rndifiHn: mit drei Antiraeren-Formeu. Praya-Form. 513 Ab. Eutetrapleum interradialia: mit zwei Antimeron-Formen. Nereis- Form 515 1, R. üngleiclihälftige Zweipaarige. Dyslelrnplenra. Abyla-Porm. 518 II, 2. Eiupaarige. Dipleurn. Einfach -gleichschenkelige Pyramiden. . . 519 2, A. Gleichhälftige Einpaarige: Eudipleuru. Homo -Form. .... 521 2, B. Ungleichhälftige Biapaarige: Dysdiplcura . Pleuronectes-Form. . 524 Vierzehntes Capitel: Grundformen der sechs Ind ividualitäts-Ord- uungen 528 I. Grundformen der Piastiden 528 II. Grundformen der Organe 531 III. Grundformen der Antimeren 533 IT. Grundformen der Metameren 535 V. Grundformen der Personen 537 VI. Grundformen der Stöcke 538 Fünfzehntes Capitel: Promorphologische Thesen 540 I. Thesen von der Fundamentalform der Organismen 540 IT. Thesen von dem Verhältniss der organischen zu den anorganischen Grundformen. . . . ' 541 lU. Thesen von der Constitution der individuellen Gruudformen. . . . 543 IV. Thesen von den Mitten -Differenzen der Gruudformen 544 V. Thesen von den lipostauren Grundformen 545 VI. Thesen von den stauraxonien Grundformen . 547 vn. Thesen von den zeugiten Gruudformen 548 VIII. Thesen von der Vollkommenheit der organischen Grundformen. . . 550 IX. Thesen von der Hemiedrie der organischen Grundformen 551 X. Thesen von der Krystallform organischer Individuen 552 XI. Thesen von den Gruudformen der sechs Individualitäts - Orduuugen. 552 XXXII Inhalt. Anhang zum vierten Buche. Seile I. Das promorpliologisclie System als generelles Forraensystera. . . . 554 II. Uebersicht der wichtigsten stereometrischeu Grundformen nach ihrem 555 verschiedeneu Verhalten zur Körperraitte III. Tabelle zur Bestimmung der Grundformen 556 IV. Uebersicht der realen Typen der Grundformen 557 V, Tabelle über die promorphologischen Kategorieen 558 Erklärung der Tafeln 559 Berichtigungen: Seite 45, Zeile 14 von oben, lies: Zellfusioneu — statt: Zellenstöcke. ,, 50, „ 10 von oben, lies: Entwick elnngsg e schichte — statt: Mor- phogenesis. „ 53, „ 15 von unten, lies: Buche — statt: Abschnitt. „ 57, „ 1 von oben, lies: fünften — statt: dritten. „ 57, „ 3 und 6 von oben, lies : Zeugungskreise — statt: Eiproducte. „ 59, „ 2 vor. unten, lies: Bionten — statt: Personen. ,, 60, „ 4 von oben, lies: Genealogie statt: Phylogeuesis. ,, 137, ,, 19 von unten, setze: unmittelbar — vor: zugänglich. „ 266, ,, 7 von unten, streiche: Salpenketten. ,, 411, ,, 17 von unten, lies: zwölf — statt: zwanzig. ,, 413, ,, 10 von unten, lies: Pyramide — statt: Octaeder. ,, 413, 9 von unten, setze: ungleichpolige — vor: Hauptaxe. Erstes Buch. Kritische und methodologische Einleitung in generelle Morphologie der Organismen. Ha ecke), Generelle Morplmlogie. 1 „Wenn wir Naturgegenstände, besonders aber die lebendigen, dergestalt gewahr werden, dass wir uns eine Einsicht in den Zusammenhang ihres Wesens und Wir- kens zu verschaflFen wünschen, so glauben wir zu einer solchen Kenntniss am besten durch Trennung der Theile. gelangen zu können; wie denn auch wirklich dieser Weg uns sehr weit zu führen geeignet ist. Was Chemie und Anatomie zur Ein- und Uebersicht der Natur beigetragen haben, dürfen wir nur mit wenig Worten den Freunden des Wissens in's Gedächtniss zurückrufen. ,,Aber diese trennenden Bemühungen, immer und immer fortgesetzt, bringen auch manchen Nachtheil hervor Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber man kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben. Dieses gilt schon von vielen anorganischen, geschweige von organischen Körpern. ijEs bat sich daher auch in dem wissenschaftlichen Menschen zu allen Zeiten ein Trieb hervorgethan, die lebendigen Bildungen als solche zu erkennen, ihre äusse- ren sichtbaren greiflichen Theile im Zusammenhange zu erfassen, sie als Andeutun- gen des Inneren aufzunehmen, und so das Ganze in der Anschauung gewissermaassen zu beherrschen. Wie nahe dieses wissenschaftliche Verlangen mit dem Kunst- und Nachahmungstriebe zusammenhänge , braucht wohl nicht umständlich ausgeführt zu werden. „Man findet daher in dem Gange der Kunst, des Wissens und der Wissenschaft mehrere Versuche, eine Lehre zu gründen und auszubilden, welche wir die Mor- phologie nennen möchten." Goethe (Jena, 1807). Erstes Capitel. Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen. „Weil ich für mich und Andere einen freieren Spielraum in der Naturwissenschaft, als man uns bisher gegönnt, zu erringen wünsche, so darf man mir und den Gleichgesinnten keineswegs verargen, wenn wir dasjenige, was unseren rechtmässigen For- derungen entgegensteht, scharf bezeichnen und uns nicht mehr gefallen lassen, was man seit so vielen Jahren herkömmlich gegen uns verübte." Goethe. Die Morphologie oder Formenlelire der Organismen ist die gesammte Wissenschaft von den inneren und äusseren Formenverhältnissen der belebten Naturkörper, der Thiere und Pflanzen, im weitesten Sinne des Wortes. Die Aufgabe der organischen Morphologie ist mithin die Erkenntniss und die Erklärung dieser Formenverhältnisse, d. h. die Zurückfuhr uug ihrer Erscheinung auf bestimmte Naturgesetze. Wenn die Morphologie ihre eigentliche Aufgabe erkennt und eine Wissenschaft sein will, so darf sie sich nicht begnügen mit der Kennt- niss der Formen, sondern sie muss ihre Erkenntniss und ihre Er- klärung erstreben, sie muss nach den Gesetzen suchen, nach denen die Formen gebildet sind. Es muss diese hohe Aufgabe unserer Wis- senschaft desshalb hier gleich beim Eintritt in dieselbe ausdrücklich hervorgehoben werden, weil eine entgegengesetzte irrige Ansicht von derselben weit verbreitet, ^ selbst heutzutage noch die bei weitem vorherrschende ist. Die grosse Mehrzahl der Naturforscher, welche sich mit den Formen der Organismen beschäftigen, Zoologen sowohl, als Botaniker, begnügt sich mit der blossen Kenntuiss derselben; sie sucht die unendlich mannichfaltigen Formen, die äusseren und iu- neren Gestaltungs- Verhältnisse der thierischen und pflanzlichen Kch-per auf und ergötzt sich an ihrer Schönheit, bewundert ihre Mannichfaltig- keit und erstauut über ihre Zweckmässigkeit; sie beschreibt und unter- 1* 4 Begriff und Aufgabe der IVforphologie der Organismen. scheidet alle einzelnen Formen, belegt jede mit einem besonderen Namen und findet m deren systematischer Anordnung ihr höchstes Ziel. ^ Diese Kenntniss der organischen Formen gilt leider noch heute m den weitesten Kreisen als wissenschaftliche Morphologie der Orga- nismen. Man verachtet und verspottet zwar die früher fast ausschliess- lich herrschende oberflächliche Systematik, welche sich mit der blossen Kenntniss der äusseren Formenverhältnisse der Thiere und Pflanzen und mit deren systematischer Classiflcation begnügte. Man vergisst dabei aber ganz, dass die gegenwärtig die meisten Zoologen und Bo- taniker beschäftigende Kenntniss der inneren Formenverhältnisse an sich betrachtet nicht um ein Haar höher steht, und ebenso wenig an und flir sich auf den Rang einer erkennenden Wissenschaft Anspruch macheu kann. Die anatomischen und histologischen Darstellungen einzelnerTheile von Thieren und Pflanzen, sowie die anatomisch-histologischen Mono- graphieen einzelner Formen, welche sich in unseren zoologischen und botanischen Zeitschriften von Jahr zu Jahr immer massenhafter anhäu- fen und in deren Productiou von den Meisten das eigentliche Ziel der morphologischen Wissenschaft gesucht wird, sind fiir diese von ebenso untergeordnetem Werthc, als die im vorigen Jahrhundert vorherrschenden Beschreibungen und Classiflcationen der äusseren Species-Forraeu. Die Zootoinie und die Phytotomie sind an sich so Avenig wirkliche Wissen- schaften, als die von ihnen so verachtete, sogenannte Systematik; sie haben, wie diese, bloss den Rang einer unterhaltenden Gemüths-'und Augen-Ergötzung. Alle Kennüiisse, die wii' auf diesem Wege erlangen sind nichts als Bausteine, aus deren Verbindung das Gebäude unserer Wissenschaft erst aufgerichtet werden soll. Indem sich nun die grosse Mehrzahl der sogenannten Zoologe]"] und Botaniker mit dem Aufsuchen, Ausgraben und Herbeischleppe] dieser Bausteine begnügt, und in dem Wahne lebt, dass diese Kunst die eigentliche Wissenschaft sei, indem sie das Kennen . mit dem Er- kennen verwechselt, kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn der Bau unseres wissenschaftlichen Lehrgebäudes selbst noch unendlich hinter den bescheidensten Anforderungen unserer heutigen Bildung zu- rück ist. Der denkenden Baumeister sind nur wenige, und diese we- nigen stehen so vereinzelt, dass sie unter der Masse der Handlanger verschwinden und nicht von den letztere^veistanden werden. So gleicht denn leider die wissenschaftliche Morphologie der Or- ganismen heutzutage mehr einem grossen wüsten Steinhaufen, als einem bewohnbaren Gebäude. Und dieser Steinhaufen wird niemals dadurch em Gebäude, dass man alle einzelnen Steine inwendig und auswendig untersucht und mikroskopirt, beschreibt und abbildet, benennt und dann wieder hinwirft. Wir kennen zwar die üblichen Phrasen von den riesenhaften Fortschritten der organischen Naturwissenschaften, und BegTiflPund Aufgabe der Morphologie der Organismen. 5 der Morphologie insbesondere; die Sclbstbewimderung , mit der man die quantitative Vermelirung unserer zoologischen und botanischen Kenntnisse alljährlich anstaunt. Wo aber, fragen wir, bleibt die den- kende und erkennende Verwerthuug dieser Kenntnisse? Wo bleibt der qualitative Fortschritt in der Erkenntniss? Wo bleibt das erklä- rende Licht in dem dunklen Chaos der Gestalten? Wo bleiben die morphologischen Naturgesetze? Wir müssen oJffen gestehen, in diesem rein quantitativen Zuwachs mehr Ballast, als Nutzen zu sehen. Der Steinhaufen wird nicht dadurch zum Gebäude, dass er alle Jahr um so und so viel höher wird. Im Gegentheil, es wird nur schwie- riger, sich in demselben zurechtzufinden, und die Ausführung des Baues wird dadurch nur in immer weitere Ferne gerückt. Nicht mit Unrecht erhebt die heutige Physiologie stolz ihr Haupt Uber ihre Schwester, die armselige Morphologie. So lange die letztere nicht nach der Erklärung der Formen, nach der Erkenntniss ihrer Bildungsgesetze sti-ebt, ist sie dieser Verachtung werth. Zwai' möchte sie dann wenigstens auf den Kang einer descriptiven Wissenschaft An- spruch machen. Indessen ist diese Bezeichnung selbst ihr nicht zu gewähren. Denn eine bloss beschreibende Wissenschaft ist eine Con- tradictio in adjecto. Nur dadurch, dass der gesetzmässige Zusam- menhang in der Fülle der einzelnen Erscheinungen gefunden wird, nur dadurch erhebt sich die Kunst der Formbeschreibung zur Wissenschaft der Formerkenntniss. Wenn wir nun nach den Gründen fragen, warum die wissenschaft- liche Morphologie noch so unendlich zurück ist, warum noch kaum die ersten Grundlinien dieses grossen und herrlichen Gebäudes gelegt sind, warum der grosse Steinhaufen noch roh und ungeordnet ausserhalb dieser Grundlinien liegt, so finden wir freilich die rechtfertigende Ant- wort theilweis in der ausserordentlichen SchAvierigkeit der Aufgabe. Denn die wissenschaftliche Morphologie der Organismen ist vielleicht von allen Naturwissenschaften die schwierigste und unzugänglichste. Wohl in keiner andern Naturwissenschaft steht die reiche Fülle der Erscheinungen in einem solchen Missverhältnisse zu unseren dürftigen Mitteln, sie zu erklären, ihre Gesetzmässigkeit zu erkennen und zu be- gründen. Das Zusammenwirken der verschiedensten Zweige der Natur- wissenschaft, welches z. B. die Physiologie in dem letzten Decennium auf eine so ansehnliche Höhe erhoben hat, kommt der Morphologie nur in äusserst geringem Maasse zu statten. Und die untrügliche mathematische Sicherheit der messenden und rechnenden Methode, welche die Morphologie der anorganischen Naturkörper, die Krystallo- grapliie, auf einen so hohen Grad der Vollendung erhoben hat, ist in der Mori)hologie der Organismen fast nirgends anwendbar. Zum grossen Theil aber liegt der höchst unvollkommene Zustand G Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen. unserer heutigen Morpliologie der Organismen auch an dem unwissen- schaftlichen Verfahren der Morphologen, welches wir in den obigen Sätzen bei weitem noch nicht so scharf gerügt haben, wie es gerügt zu werden verdiente. Vor Allem ist es die übermässige Vernachlässi- gung strenger Denkthätigkeit, der fast allgemeine Mangel an wirklich vergleichender und denkender Naturbetrachtung, dem wir hier den grössten Theil der Schuld beimessen müssen. Freilich ist es un- endlich viel bequemer, irgend eine der unzähligen Thier- und Pflan- zen-Formen herzunehmen, sie mit den ausgebildeten anatomischen und mikroskopischen Hülfsmitteln der Neuzeit eingehend zu untersuchen, und die gefundenen Formenverhältnisse ausführlich zu beschreiben und abzubilden; freilich ist es unendlich viel bequemer und wohlfeiler solche sogenannte „Entdeckungen" zu machen, als durch methodische Ver- gleichung, durch angestrengtes Denken das Verständniss der beob- achteten Form zu gewinnen und die Gesetzmässigkeit der Form- Erscheinung nachzuweisen. Insbesondere in den letzten acht Jahren, seit dem allzufrühen und nicht genug zu beklagenden Tode von Jo- hannes Müller (1858), dessen gewaltige Autorität bei seinen Lebzeiten noch einigermaassen strenge Ordnjmg auf dem weiten Gebiete der or- ganischen Morphologie aufrecht zu erhalten wusste, ist eine fortschrei- tende Verwilderung und allgemeine Anarchie auf demselben eingerissen, so dass jede strenge Vergleichung der quantitativ so bedeutend wach- senden jährlichen Leistungen einen eben so jährlich beschleunigten qua- litativen Kückschritt nachweist. In der That nimmt die denkende Betrachtung der organischen Formen heutzutage in demselben Verhält- nisse alljährlich ab, als die gedankenlose Production des Rohmaterials zunimmt. Sehr richtig sprach in dieser Beziehung schon Victor Carus vor nunmehr 13 Jahren die freilich wenig beherzigten Worte: „Wie es für unsere Zeit charakteristisch ist, dass fast alle Wissenschaften sich in endlose Specialitäten verlieren und nur selten zu dem rothen Faden ihrer Entwickelung zurückkommen, so scheut man sich auch in der Biologie (und ganz vorzüglich in der Morphologie!) vor An- wendung selbst der ungefährlichsten Denkprocesse." Neben der fast allgemein herrschenden Deukträgheit ist es freilich auch sehr oft die höchst mangelhafte allgemeine Bildung, der Mangel an philosophischer Vorbildung und an Ueberblick der gesamm- ten Naturwissenschaft, welcher den Morphologen unserer Tage den Ge- sichtskreis so verengt, dass sie das Ziel ihrer eigenen Wissenschaft nicht mehr sehen können. Die grosse Mehrzahl der heutigen Mor- phologen, und zwar sowohl der sogenannten „Systematiker," welche die äusseren Formen, als der sogenannten „vergleichenden Anatomen," welche den inneren Bau der Organismen beschreiben (ohne ihn zu vergleichen, und ohne über den Gegenstand überhaupt ernstlich nach- Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen, 7 zudenken!) hat das hohe und so weit entfernte Ziel unserer Wissen- schaft völlig aus den Augen verloren. Sie begnügen sich damit, die organischen Formen (gleichgültig ob die äussere Gestalt oder den inneren Bau) ohne sich bestimmte Fragen vorzulegen, oberflächlich zu unter- suchen und in dicken papierreichen und gedankenleeren Büchern weit- läufig zu beschreiben und abzubilden. Wenn dieser ganz unnütze Bal- last in den Jahrbüchern der Morphologie aufgeführt und bewundert Avird, haben sie ihr Ziel erreicht. Wir erlauben uns diesen traurigen Zustand hier rücksichtslos und scharf hervorzuheben, weil wir von der Ueberzeugung durchdrungen sind, dass nur durch die Erkenntniss desselben und durch die offene Be- leuchtung des dunkeln Chaos, welches die sogenannte Morphologie gegenwärtig darstellt, eine bessere Behandlung derselben, eine wirk- lich fördernde Erkenntniss der Gestalten angebahnt werden kann. Erst wenn man allgemein danach streben wird, den gesetzmässigen Zusam- menhang in den endlosen Reihen der einzelneu Gestalt-Erscheinungen aufzufinden, wird es möglich werden, an das grosse und gewaltige Gebäude der Morphologie selbst construirend heranzuti-eten. Erst wenn die Kenntniss der Formen sich zur Erkenntniss, wenn die Betrachtung der Gestalten sich zur Erklärung erheben wird, erst wenn aus dem bunten Chaos der Gestalten sich die Gesetze ihrer Bildung entwickeln werden, erst dann wird die niedere Kunst der Mor- phographie sich in die erhabene Wissenschaft der Morpholo- gie verwandeln können. Man wird uns von vielen Seiten entgegnen, dass die Zeit dafhr noch nicht gekommen, dass unsere empirische Basis hierzu noch nicht ge- nug breit, unsere Naturanschauung noch nicht genug reif, unsere Kennt- niss der organischen Gestalten noch viel zu unvollkommen sei. Dieser selbst von hervorragenden Morphologen getheilten Anschauung müssen wir auf das Entschiedenste entgegenti-eten. Niemals wird ein so hohes und fernes Ziel, wie [das der wissenschaftlichen Morphologie ist, er- reicht werden, wenn man dasselbe nicht stets im Auge behält. Will man mit der Construction des Gebäudes, mit der Aufsuchung von all- gemeinen Gestaltungs-Gesetzen warten, bis Avir alle existirenden For- men kennen, so werden wir niemals damit fertig werden; ja wir wer- den niemals auch nur zum Fundament einer wissenschaftlichen Formen- lehre gelangen. Des Ausbaues und der Verbesserung bedürftig wird das Gebäude ewig bleiben; das hindert aber nicht, dass wir uns wohn- lich darin einrichten, und dass wir uns der Gesetzmässigkeit der Ge- stalten erfreuen, auch wenn wir wissen, dass unsere Erkenntniss der- selben eine beschränkte ist. Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften. Zweites Capitel. Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwiss en schaften . „Eine höchst wichtige Betrachtung in der Geschichte der Wis- senschaft ist die, dass sich aus den ersten Anfängen einer Ent- deckung Manches in den Gang des Wissens heran- und durch- zieht, weiches den Fortschritt hindert, sogar öfters lähmt. So hat auch jeder Weg, durch den wir zu einer neuen Entdeckung gelangen, Einfluss auf Ansicht und Theorie. Was würden wir von einem Ärchitecten sagen, der durch eine Seitenthüre in einen Palast gekommen wäre, und nun, hei Beschreihung und Darstel- lung eines solchen Gebäudes, Alles auf diese erste untergeordnete Seite beziehen wollte? Und doch geschieht dies in den Wissen- schaften jeden Tag." Goethe. I. Morphologie und Biologie. Den Begriff der Morphologie der Organismen haben wir im ersten Capitel dahin bestimmt, dass dieselbe die gesammte Wissenschaft von den inneren und äusseren Formenverhältnissen der belebten Naturkör- per ist; wir haben ihr die Aufgabe gesteckt, diese Formen- Verhältnisse zu erklären und auf bestimmte Naturgesetze zurückzuführen. Wir ha- ben nun zunächst den Umfang und Inhalt jenes Begriffs noch näher zu erläutern, indem wir das Verhältniss der Morphologie zu den an- deren Naturwissenschaften ins Auge fassen. Indem die Morphologie der Organismen die Bilduugs-Gesetze der thierischen und pflanzlichen Formen untersucht, bildet sie einen Theil der Biologie oder Lebenswissenschaft, wenn wir unter diesem Namen, Avie es neuerdings geschieht, die gesammte Wissenschaft von den Organismen oder belebten Naturkörpern unseres Erdballs zusammen- fassen. ') Gewöhnlich wird die Morphologie als der eine der beiden ') Indem wir den Begriff der Biologie auf diesen umfassendsten und wei- testen Umfang ausdehnen, schliessen wir den engen und beschränkten Sinn aus. in welchem mau häufig (insbesondere in der Entomologie) die Biologie mit der Oecologie verwechselt, mit der Wissenschaft von der Oeconomie, von der Lebens- weise, von den äusseren Lebensbeziehungen der Organismen zu einander etc. I. Morphologie und Biologie. 9 Haupttheile der Biologie betrachtet und ihr als zweiter Haupttheil der letzteren die Physiologie als die Wissenschaft von den Leistungen der Organismen gegenüber gestellt. Morphologie und Physiologie sind demnach als zwei coordinirte Discipliuen der allumfassenden Biologie untergeordnet. Da jedoch in dieser Beziehung sich sehr verschiedene Auffassungen geltend machen; und da sowohl das Verhältniss der Mor- phologie zur Biologie als dasjenige zur Physiologie vielfach verkannt wird, so erscheint es nothwendig dieses Verhältniss in nähere Erwä- gung zu ziehen und namentlich den Gebietsumfang der beiden coordi- nirten Wissenschaften scharf von einander abzugrenzen. Wir schicken voraus, dass dieser Versuch, wie jede ähnliche sy- stematisirende Bestimmung, nur einen bedingten Werth hat, indem es niemals möglich ist, die einzelnen Wissensgebiete vollkommen scharf von einander abzugrenzen. Vielmehr greifen dieselben, der Natur der Dinge gemäss, überall so vielfältig in einander über, dass die Grenz- bestimmung der einzelnen Lehrgebiete immer mehr oder weniger dem subjectiven Gutdünken des philosophischen Naturforschers überlassen bleiben muss. Ferner bedingt der beständige Fortschritt aller Wissen- schaften, die ungleich schnelle Entwickelung und ungleich hohe Aus- bildung der einzelnen Discipliuen, der jeweilige Grad des herrschenden Interesses für die eine oder die andere, dass der Umfang der einzel- nen Wissensgebiete ebenso wie ihr Inhalt einer beständigen Verände- rung unterworfen ist. Auch sind ja die Gesichtspunkte der einzelnen Zeiten ebenso wie diejenigen der einzelnen Philosophen verschieden, und mit der fortschreitenden Erkenutniss, mit der sich entwickelnden Denkweise ändert sich zugleich die Sprache und ändern sich deren Begriffe. Wir würden daher diese schwierigen allgemeinen Fragen gerne umgehen, wenn es nicht für eine klare Auffassung unserer eigenen Aufgabe nothwendig erschiene, den Umfang unseres morphologischen Forschungs-Gebiets scharf abzugrenzen und die grosse Verwirrung der Begriffe, welche hier herrscht, zu lichten. Schon die ganz verschiedene Bedeutung, welche selbst den Begriffen der Morphologie, Physiologie und Biologie zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Seiten der Jetztzeit (z. B. von den sehr verschiedenen Richtungen und Schulen in der Zoologie und Botanik) beigelegt worden ist, zwingt uns zu die- ser Erörterung. Wollen wir zu einer festen Begriffsbestimmung dieser Wissenschaften gelangen, so ist es aber nöthig, von den allgemeinsten Kategorieen der naturwissenschaftlichen Discipliuen auszugehen. Zu- nächst ist hier das Verhältniss der Biologie zur Anorganologie, dem- nächst das Verhältniss der gesammten Morphologie zur Physik und Chemie besonders zu berücksichtigen, und der Begriff dieser Wissen- schaften seinem Umfang und Inhalt nach festzustellen. Denn wir müssen 10 Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften. gleichzeitig die Morphologie der unorganischen und der organischen Naturlcörper vergleichend ins Auge fassen, um die Stellung zu bestim- men, welche die Morphologie der Organismen unter, neben und über den benachbarten Naturwissenschaften einnimmt. n. Morphologie und Physik. (Statik und Dj'^uamik.) Wenn wir als Eintheilungsprincip der gesammten Naturwissen- schaft die Anwesenheit oder den Mangel derjenigen eigenthUmlichen Bewegungserscheinungen eines Theils der Naturkörper anwenden, welche man unter dem Begriffe des „Lebens" zusammenfasst, so müssen wir die Gesammtwissenschaft von den Naturkörpern unserer Erde einthei- len in die beiden Hauptzweige der Biologie und der Abiologie. Die Biologie oder Organismen-Lehre ist die Gesammtwissenschaft von den Organismen, oder den sogenannten „belebten" Naturkörpern, Thie- ren, Protisten und Pflanzen. Die Abiologie oder Anorganologie, die Anorganen-Lehre, ist die Gesammtwissenschaft von den Anorganismen (Abien) oder den sogenannten „leblosen" Naturkörpern, Mineralien, Wasser, atmosphärischer Luft etc.') Wie diese beiden Hauptzweige der irdischen Naturwissenschaft,'') welche ihren gesammten Inhalt bil- den, Biologie und Abiologie, sich coordinirt gegenüber stehen, so wer- den wir auch zwischen den ihnen subordinirten Disciplinen eine Pa- rallele herstellen können, welche uns für die Werthschätzung und Kangordnung der einzelnen Zweige einen schätzenswerthen Maassstab liefert. Wenn wir dagegen von den charaktistischen Lebenserscheinungen, welche die Organismen auszeichnen und von den Anorganen unter- scheiden, zunächst absehen, so können wir an jedem Naturkörper drei verschiedene Qualitäten unterscheiden, nämlich 1, den Stoff oder die Materie; 2, die Form oder die Morphe; 3, die Kraft oder die Func- tion. Hieraus würden sich als die drei Hauptzweige der Natur\vissen- schaft folgende drei Disciplinen ergeben: 1, die Stolfflehre oder Che- mie; 2, die Formlehre oder Morphologie (im Aveitesten Sinne des Worts); 3, die Kraftlehre oder Physik. Die gesammte Natur, organische, und anorganische, erkennen wir ') Gewöhnlich wird der Biologie als coordinirter anderer Hauptzweig der Naturwissenschaft die Mineralogie gegenübergestellt, welche jedoch nur die Wis- senschaft von den festen (nicht von den tropfbar flüssigen und gasförmigen) leb- losen Naturkörpern umfasst. Von der Kosmologie, der Wissenschaft von den gesammten Weltkörpern, sehen wir hier ganz ab und beschränken uns auf die Betrachtung der irdischen Naturkörper. II. Morphologie und Pliysik. 11 als ein System von bewegenden Kräften, welche devMaterie inhäriren und von dieser nicht trennbar sind. Wir kennen keine Kraft ohne Materie, ohne materielles Substrat, und keine Materie ohne Kraft, ohne Function. Die Gesammtheit der Functionen eines Tlieils der Materie oder eines Naturkörpers ist nichts Anderes, als die Ge- sammtheit der Bewegungs-Erscheinungen, welche an demselben als Re- sultanten auftreten aus seinen eigenen Kräften und den Kräften derje- nigen anderen Naturkörper oder Theile der Materie, welche mit ihm in AVechselwirkung treten. Da die gesammte Natur nichts Anderes als ein System von be- wegenden Kräften ist, so folgt hieraus, dass wirkliche Ruhe nirgends existirt und dass da, wo scheinbare Ruhe in einem Theile der Materie vorhanden ist, diese bloss die Resultante aus der Wechselwirkung der verschiedeneu bewegenden Kräfte ist , die in diesem Theile der Materie zusammentreffen und sich das Gleichgewicht halten. Sobald das Gleichgewicht aufhört, sobald eine der bewegenden Kräfte über die Andern das Uebergewicht gewinnt, tritt die Bewegung als solche wieder in die Erscheinung. Man kann demgeraäss jeden Naturkörper entweder im Zustande des Gleichgewichts der bewegenden Kräfte, d.h. im Momente der Ruhe, oder im Zustande der Bewegung, d. h. im Momente des Uebergewichts einer oder mehrerer der bewegenden Kräfte untersuchen. Hierauf beruht die Eintheilung der gesammten Naturwissenschaft in eine statische und in eine dynamische. Die Statik oder Gleichgewichtslehre will die Gesetze erkennen, unter de- nen das Gleichgewicht der Bewegungen zu Stande kommt und untersucht das Resultat dieses Gleichgewichts. Die Dynamik oder Bewegungslehre dagegen untersucht die Gesetze der Bewegungen, welche in die Erscheinung treten, sobald das Gleichgewicht aller der Materie inhärirenden Kräfte durch das Uebergewicht einer oder mehrerer derselben vernichtet wird, und sucht das Resultat dieses Ueber- gewichts zu erklären. Setzen wir nun die Materie der Naturkörper als das ursprünglich Gegebene voraus und suchen das Verhältniss der Form der Materie zu den beständig in ihr thätigen bewegenden Kräften mit Rücksicht auf die eben gegebenen Erläuterungen näher zu bestimmen, so wird uns sofort klar, dass die jeweilige Form der Materie nichts Anderes ist, als das in die Erscheinung tretende Resultat des Gleichgewichts aller bewegenden Kräfte in einem bestinmiten Momente. Die Formen- lehre oder Morphologie der Naturkörper im weitesten Sinne des Wortes ist mithin die Statik der Materie. Wenn nun nach dieser Ableitung die Form als die Materie im Zustande des Gleichgewichts ihrer bewegenden Kräfte u\ definiren ist, so erscheint sie streng genommen selbst schon als das 12 Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften. Resultat einer Function der Materie. Wir müssen daher, wollen wir die übliche Antithese von Form und Function festhalten, die Leistung, Kraft oder Function bestimmen als die Materie im Zustande der Be- wegung, welche durch das UebergcAvicht einer oder mehrerer ihrer bewegenden Kräfte über die anderen entsteht. Die Wissenschaft von den Leistungen oder Functionen, welche wir oben als Kraftlehre oder Physik bezeichnet haben, würde dann wesentlich die Dynamik der Materie sein. Wenn wir von diesem Gesichtspunkte aus die Gesammtwissenschaft von den irdischen Naturkörpern eintheilen, wenn wir also von den eigenthümlichen „Lebenserscheinungeu" ganz absehen und als Einthei- lungsprincip lediglich die Anwesenheit oder den Mangel des Gleich- gewichts der der Materie inhärirenden Kräfte betrachten, so spaltet sich die gesammte Naturwissenschaft in die beiden coordinirten Haupt-- zweige der Formenlehre oder Gleichgewichtsichre (Morphologie, Statik) und der Functionslehre oder Bewegungslehre (Physik, Dynamik). III. Morphologie und Chemie. Von der so eben begründeten Anschauungsweise wird die Materie selbst als gegeben und bekannt vorausgesetzt, und es wird mithin die Chemie oder StoflFlehre, welche wir oben als die erste von den drei Fundamental -Wissenschaften aufgeführt haben, nicht mit in Betracht gezogen. Es entsteht nun aber die Frage, welche Stellung die Che- mie den beiden coordinirten Zweigen der Statik oder Morphologie und der Dynamik oder Physik gegenüber eigentlich einnimmt. Die Beant- wortung dieser Frage ist für uns desshalb von grosser Wichtigkeit, weil auch ein Theil der Chemie als zur Morphologie der Organismen gehörig beansprucht worden ist. Offenbar liegen hier drei Möglich- keiten vor: Entweder ist die Chemie der beiden coordinirten Discipli- nen, der Dynamik (Physik) und der Statik (Morphologie) übergeordnet, oder sie ist ihnen als dritter gleich werthiger Zweig beigeordnet, oder sie ist ihnen beiden oder einer von ihnen untergeordnet. Jede dieser drei möglichen Auffassungen lässt sich von ihrem eigenthümlichen und besonderen Standpunkte aus rechtfertigen. I. Im ersten Falle, wenn man, wie es von mehreren Seiten, namentlich von manchen Physiologen geschieht, Statik und Dynamik als die beiden coordinirten Hauptzweige der Naturwissenschaft auffasst, welche der Stoffiehre untergeordnet sind und ihren Inhalt bilden, er- scheint die Chemie im allgemeinsten Sinne, als die allumfassende Na- turwissenschaft selbst, als die einzige Fundameutalwissenschaft, welche alle übrigen in sich begreift. Diese Auffassung lässt sich damit recht- fertigen, dass die Kenntniss des Stoffs der Untersuchung aller Formen, aller Bewegungserscheinungen vorausgehen muss, dass in der That alle III. Morphologie und Chemie. 13 Formen nur Erscheinungsweisen, Functionen des Stoffs, und zwar Gleichgewichtszustände der Materie sind, und dass andererseits alle die Functionen oder Kräfte, welche als Bewegungen in die Erscheinung treten, ebenso unmittelbar durch die Materie selbst bedingt sind, und von der Materie ausgehen. Da Avir es hier nur mit Naturkörpern zu thun haben, welche den Raum erfüllen, und nicht mit den stofflosen l\örpern der Mathematik, und da wir Naturkörper ohne Materie nicht kennen, so muss die Materie dieser Körper als gegeben voraus gesetzt werden, wenn wir ihre Formen und ihre Kräfte oder Leistungen unter- suchen wollen. Von diesem Standpunkte aus (dem „materialistischen" im strengsten Sinne) ist die Chemie die allumfassende Naturwissen- schaft, und Morphologie und Physik sind ihre -beiden nächstuntergeord- neten Hauptzweige. II. Im zweiten Falle, wenn man, wie es gewöhnlich geschieht, Chemie, Physik (Dynamik) und Morphologie (Statik) als die drei coor- dinirten Hauptzweige der Naturwissenschaft auffasst, erscheint keiner der drei Begriffe hinsichtlich seines Umfangs vor den anderen beiden bevorzugt, und ihnen übergeordnet. Diese Anschauungsweise l^sst sich damit begründen, dass, wie wir oben bereits gezeigt haben, zunächst bei der einfachsten Betrachtung jedes Naturkörpers Stoff', Form und Kraft als die drei allgemeinsten Grund-Eigenschaften desselben uns entgegentreten, welche gleichen Anspruch auf eine gesonderte und un- abhängige wissenschaftliche Behandlung machen können. Dieser For- derung entspricht z. B. die gewöhnliche IJntersuchungsweise und Ver- theilung des Lehrstoffs in der Abiologie, indem meistens die Natur- ■wissenschaft von den Anorganen in die drei coordinirten Lehrzweige der (anorganischen) Chemie, der Physik (im engeren Sinne) und der Mineralogie (im weitesten Sinne) gespalten wird. Wollte man dieselbe Eintheilung auch in der Biologie scharf durchführen (was aber niemals geschieht), so würde man als drei coordinirte Zweige derselben erhal- ten: 1, die Chemie der Organismen (organische Chemie im weitesten Sinne); 2, die (rein physikalische) Physiologie (Dynamik der Organis- men); 3, die Morphologie der Organismen. Doch lässt sich die gegen- seitige Abgrenzung der Gebiete der Chemie, Physik und Morphologie als drei coordinirter Disciplinen weder in dem Bereiche der organischen, noch der unorganischen Naturwissenschaft so scharf thatsächlich durch- führen, als diese Begriffsbestimmung es erfordert. ni. Im dritten Falle, wenn man, wie es von Seiten -vaeler Bio- logen geschieht, die Chemie als eine Hülfswissenschaft betrachtet, und ihr einen Platz weder über, noch neben den beiden anderen Disciplinen der Statik und Dynamik gönnt, muss die Chemie den letzteren unter- geordnet erscheinen, und es fragt sich dann nur, ob sie Beiden, oder 14 Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften. ob sie einer von Beiden, — und im letzteren Falle, welcher von Bei den sie subordinirt ist. Thatsäehlich machen sich hier nun sehr verschiedenartige Auffas sungen geltend. In der Biologie wird gewöhnlich, ja fast immer, die Chemie der Organismen als ein Theil der organischen Functions lehre, der Physiologie betrachtet; und die übliche Definition der Ph} siologie bestimmt sie als die ,;Physik und Chemie der Organismen.^ In physiologischen Lehrbüchern und Lehrvorträgen spielt die Chemi( eine eben so hervorragende Rolle, als die Physik. Dagegen wird die organische Chemie von der Morphologie nur selten, oder nur ganz beiläufig als eine innerhalb ihres Umfanges stehende flülfswissenschali in Anspruch genommen. Ganz anders gestaltet sich dagegen die Stel- lung der Chemie in der Abiologie, indem hier, wie erwähnt, gewöhn- lich Chemie, Physik und Morphologie (Krystallographie etc.) als coor- dinirte Disciplinen auftreten. Freilich lässt sich hier auch die Che- mie als ein Inhaltstheil der Physik betrachten, indem man dieselbe als eine „Physik der Atome" auffasst. Die Beurtheilung dieses Verhäh- nisses wird verschieden ausfallen, je nachdem man den herrschenden atoinistischen oder den entgegengesetzten dynamischen Ansichten von der fundamentalen Constitution der Materie huldigt. Nach unserer Auffassung darf die Chemie, wenn man sie, wie dies in der Biologie thatsäehlich geschieht, weder als übergeordnet noch als coordinirt der Statik und Dynamik anerkennen will, nicht aus- schliesslich einer von diesen beiden Disciplinen untergeordnet werden. Vielmehr müssen wir dann die Chemie ebenfalls in einen statischen und in einen dynamischen Zweig spalten , von denen jener der Mor- phologie, dieser der Physik zufallt. Die statische Chemie, welche sich dann der Morphologie unterordnet, ist die Chemie der Sub- strate, und begnügt sich mit der analytischen Erkenntnis s der chemischen Zusammensetzung des Naturkörpers, dessen Form Object der Betrachtung ist. Auf dem anorganischen Wissenschaftsge- biete gehört hierher z. B. der chemische Theil der Mineralogie, fer- ner die Lehre von der chemischen Zusammensetzung des Wassers, der atmosphärischen Luft etc. Auf dem organischen Wissenschaftsgebiete dagegen ist diese statische Chemie derjenige Theil der „organischen'^ (fälschlich „physiologisch" genannten) Chemie, welcher häufig als „de- scriptive Chemie" bezeichnet und als „Chemie der Substrate" von der Physiologie, vollkommen mit Unrecht, in Anspruch genommen wird. Denn es ist klar, dass dieser statische Theil der Chemie entschieden zur Morphologie gerechnet werden muss; thatsäehlich wird derselbe auch vielfältig von der Morphologie als wesentlicher Inhaltstheil benutzt, sel- ten aber ausdrücklich als solcher in Anspruch genommen. Victor Carus, dessen Behandlung der Morphologie sich so hoch über die allgemein III. Morphologie und Chemie. 15 übliche erhebt, sagt in dieser Beziehung mit Recht, „dass die Kenntniss der chemischen Natur des lebensfähigen Substrates einen integri- renden Theil der statischen Biologie ausmacht, insofern die während des Lebens aufü-etenden chemischen Vorgänge, (welche das Object der Physiologie bilden) nicht verstanden werden können ohne das Ver- ständniss der chemischen Mittel, die das Substrat mit sich bringt." Freilich wird gewöhnlich auch dieser Theil der Chemie von der Phy- siologie beansprucht; so sehr aber auch praktische Gründe diese An- nexion rechtfertigen (so vor Allem der Mangel an chemischen Kennt- nissen bei den meisten Morphologen), so kann doch theoretisch die- selbe nicht zugestanden werden; vielmehr müssen wir die Chemie der Substrate von unserem Standpunkt aus als rein statisch der Mor- phologie zuweisen. So ist sie von Schleiden in seinen ausgezeich- neten GrundzUgen der wissenschaftlichen Botanik als ,, vegetabilische oder botanische Stofflehre" der Lehre von der Pflanzenzelle und der Morphologie vorausgeschickt worden. Ebenso sollte auch die „thie- rische Stofflehre" als erstes Capitel der thierischen Morphologie vor- ausgehen. Indess fügen wir dieser theoretisch berechtigten Forderung zugleich die Entschuldigung bei, dass der unvollkommene Zustand dieses Theils der Wissenschaft, und vor Allem unsere höchst mangel- hafte Kenntniss von dem Causal-Zusammenhang zwischen Stoff und Form allerdings zunächst eine Ausscheidung der statischen Chemie aus dem Arbeitsgebiet der Morphologie rechtfertigen, und dass wir selbst aus diesen Gründen auf eine allgemeine Darstellung der che- mischen Substrate der Organismen in unserer generellen Morphologie gi'össtentheils verzichten werden. • Die dynamische Chemie, welche sich der Physik unterordnet, ist die Chemie der Processe und strebt nach der Erkenntniss der chemischen Veränderungen, des Stoffwechsels in den Natur- körpern, deren Function Object der Betrachtung ist. Auf dem Ge- biete der Abiologie würde hierher der chemische Theil der Meteoro- logie und der Geologie gehören, die Lehre von den in der anorga- nischen Natur auftretenden Zersetzungsprocessen der Mineralien, des Wassers, der atmosphärischen Luft etc. Auf dem Gebiete der Biologie dagegen würden wir hierher die eigentliche „physiologische Chemie" im wahren Sinne des Worts rechnen müssen, d. h. die Lehre von den chemischen Processen der lebenden Naturkörper, die Lehre von den Veränderungen in ihrer chemischen Zusammensetzung, welche mit den Bewegungs-Erscheiuungen , die wir Leben nennen, wesentlich verbun- den sind. Dieser Theil der „Zoochemie" und „Phytochemie" ist es, welcher einen integrirenden und höchst wesentlichen Bestandtheil der Physiologie bildet, sobald wir die Chemie als der Statik und Dynamik suburdinirt betrachten. Iß Verliältuiss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften. So gut wir nun auch nach dieser Erörterung- im Stande sind, die beiden Hauptzweige der Chemie, den statischen und dynamischen, den beiden selbstständigen Naturwissenschaften der Statik und Dyna- mik unterzuordnen, und so sehr sich einerseits die Vereinigung der Morphologie mit der Chemie der Substi-ate und andererseits die Ver- schmelzung der Physik mit der Chemie der Processe rechtfertigen lässt, so können wir doch nicht umhin, auch die beiden anderen, vor- her angeführten Auffassungsweisen als ebenfalls in ihrer Weise berech- tigt anzuerkennen. Es zeigt sieh hierin wieder der innige Zusammen- hang, indem alle diese einzelnen naturwissenschaftlichen Disciplineu unter einander stehen; und es zeigt sich zugleich, dass alle unsere künstlichen Eintheilungs- Versuche subjectiver Natur sind und der be- schränkten Stellung entspringen, welche das menschliche Erkenntniss- Vermögen dem inneren Wesen der Naturkörper gegenüber einnimmt. Mögen wir nun die Chemie als die oberste und umfassendste Na- turwissenschaft betrachten, der die beiden gleichwerthigen Disciplinen der Statik (Morphologie) und Dynamik (Phj^sik) untergeordnet sind — oder mögen wir Chemie, Physik und Morphologie, entsprechend den drei Grundeigenschaften der Naturkörper, Stoff, Kraft und Form, als drei 6oordimrte Hauptlehren der Gesammtnaturwissenschaft ansehen — oder mögen wir endlich nur die Statik und Dynamik als solche be- trachten, und die Chemie der Substrate mit der Morphologie, die Che- mie der Processe mit der Physik als untergeordnete Disciplin vereini- gen, stets wird uns überall das innige Wechselverhältniss dieser ver- schiedenen Hauptzweige der Naturwissenschaft entgegentreten. Diese Beziehungeu sind so innig, wie das Verhältniss, welches zwischen Stoff, Form und Kraft der Naturkörper selbst überall stattfindet. Wir sind als Menschen nicht vermögend, uns eine Materie ohne Kraft und ohne Form (sei letztere auch nur aus Aggregatszustand und Kaum zusam- mengesetzt) vorzustellen; ebenso wenig können wir eine Kraft begrei- fen, welche ausserhalb der Materie steht und nie als Form in die Erscheinung tritt; ebenso wenig endlich können wir uns einen Natur- körper (keinen mathematischen Körper!) denken, welcher bloss als Form und nicht zugleich als Stoff und Kraft uns entgegentritt. Auf dem organischen, wie auf dem anorganischen Gebiete müssen stets Stoff, Form und Kraft zusammenwirken, um uns den Naturkörper zur vollständigen Anschauung zu bringen. Ohne die innigen Wechselbeziehungen zwischen den eben behan- delten Wissenschaften zu verkennen, erscheint doch behufs klaren Ver- ständnisses eine scharfe Begriffsbestimmung und Abgrenzung ihres Ge- biets sehr wünschenswerth. Vielleicht dürfte es sich nun in dieser Beziehung empfehlen, die Morphologie der Naturkörper im weitesten Sinne (mit Einbegriff der Chemie der Substrate) ausschliesslich mit IV". Morphologie uud Physiologie. 17 dem Namen der Statik od,er der Morphouomie zu bezeichnen, und den Begrift" der Morphologie (im engeren Sinne) auf die Formenlehre nach Ausschluss der statischen Chemie zu beschränken. Dann würde dem entsprechend der Begriff der Physik auf die Functionslehre im engeren Sinne (nach Ausschluss der dynamischen Chemie) zu beschränken sein, während wir unter Dynamik oder Phoronomie die Physik im weitesten Sinne (mit Einbegriff der Chemie der Processe) verstehen würden. Die gegenseitigen Beziehungen dieser verschiedenen Disciplinen wür- den durch folgendes Schema übersichtlich dargestellt werden können: Nachdem wir das Verhältnis der Morphologie im Allgemeinen zur Physik und zur Chemie bestimmt haben, ohne auf den Unterschied der organischen und anorganischen Naturkörper Pucksicht zu nehmen, kehren Avir zurück zur Betrachtung des Verhältnisses, welches dieser Unterschied in den genannten Wissenschaften bedingt. Hierbei er- scheint es sehr lehrreich," die entsprechenden Wissenschaftsgebiete des organischen und des anorganischen Körperreichs vergleichend in Pa- rallele zu stellen, weil die einfacheren Verhältnisse der Anorgaue uns viele Beziehungen klar enthüllen, welche durch die complicirteren Be- schaffenheiten der Organismen vielfach verdeckt werden. Die Abiolo- gie kann hier, wie in vielen anderen Fällen, der Biologie als Leuchte auf ihrem dunkelen und schwierigen Pfade dienen. Wie wir die Gesammtwissenschaft von den Naturkörpern der Erde in die drei Hauptzweige der Chemie, Statik (Morphologie) und Dynamik (Physik) gespalten haben, so ist diese Eintheilung auch auf die vom Ge- sichtspunkte des „Lebens" aus unterschiedeneu beiden Disciplinen der Biologie (Organismenlehre) und Abiologie (Anorganenlehre) anwendbar. Es werden sich die so entstehenden kleineren Zweige in beiden Wissen- schaften vollkommen coordinirt gegenüberstehen. Wenn wir nun, gemäss dem unter No. H. im letzten Abschnitt entwickelten Standpunkt, Chemie, Morphologie und Physik als drei coordinirte Hauptwissenschafteu betrach- llaeckfcl, Generelle Morphologie. O Gksammtwissenschaft VON DEN LEBLOSEN UND BELEBTEN NaTURKÖRPERN DER Erde. I C h e lii i e | Morphonomie Phoronomie oder Statik oder Dynamik (Morphologie im weiteren Sinne) (Physik im weiteren Sinne) IV. Morphologie und Physiologie. 18 Verhältuiss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften. teu, so erhalten wir durch ihre Spaltung in einen biologischen und in einen abiologisehen Zweig folgendes Verhältniss von sechs coordinirten Disciplinen. 1, Die Chemie, und zwar die vereinigte Chemie der Substrate und der Processe, zerfällt in die beiden Aeste der anorganischen und organischen Stofflehre. Da diese Begriffe in mehrfach verschiedenem und unbestimmtem Sinne gebraucht werden, so wird die anorganische Chemie besser als abiologische oder als Chemie der Anorgane be- zeichnet, die organische richtiger als biologische oder Chemie der Organismen. 2, Die Physik oder D^'namik spaltet sich in die beiden Aeste der anorganischen (Abiodynamik) und der organischen Kraftlehre (Biodynamik). Die anorganische oder abiologische Physik, Avelche die Leistungen der Anorgane untersucht, wird gewöhnlich als Physik im engsten Sinne bezeichnet. Dagegen ist für die organische oder bio- logische Physik (Biodynamik), welche die Functionen der Organis- men erforscht, allgemein die Bezeichnung der Physiologie gebräuch- lich. In dem beschränkten Sinne, in welchem letztere jetzt meistens aufgefasst wird, ist sie in der That lediglich eine „Dynamik der Or- ganismen" und entspricht mithin vollkommen der Dynamik oder Phy- sik der Anorgane. Es ist also der Begriff' der heutigen Physiologie von beträchtlich geringerem Umfang und entsprechend grösserem In- halt, als der Begriff der früheren Physiologie, welche nicht bloss die Function, sondern zugleich die Gestaltung der Prganismen unter- suchte und mit unserer heutigen Biologie identisch ist. So ist z. B. Johannes MUller's klassisches und unübertroffenes Werk, welches den bescheidenen Titel eines „Handbuchs der Physiologie des Men- schen" führt, vielmehr eine umfassende allgemeine vergleichende Bio- logie der Thiere (und bis zu gewissem Grade selbst der Organismen, insofern auch die Biologie der Pflanzen darin vielfach vergleichend berücksichtigt wird). 3, Die Morphologie oder Statik endlich theilt sich in die beiden' Aeste der anorganischen und organischen Formenlehre. Die anorga- nische oder abiologische Formenlehre (Abiostatik), umfasst die Krystallographie , die Lehre von der Form der tropfbaren und elasti- schen Flüssigkeiten im Gleichgewicht (Hydrostatik, Aerostatik etc.). Ihr steht coordinirt und parallel gegeuübej- die Morphologie der Orga- nismen, die organische oder biologische Formenlehre (Bioslatik), deren allgemeine Darstellung Gegenstand des vorliegenden Werkes ist. Dass die sechs Wissenschaften, welche wir durch diese Eintheilung der Gesammtwissenschaft von den irdischen Naturkörpern erhalten, von dem oben sub II. erörterten Gesichtspunkte aus ilirem Range nach • beigeordnet sind und neben einander stehen, liegt auf der Hand. Die IV. Morphologie und Physiologie. 19 biologische und die abiologische Chemie, die Physiologie und die Phy- sik der Anorgane, die Morphologie der Organismen und der Anorgane, können in der That als sechs vollkommen coordinirte Naturwissen- schaften angesehen werden. Dieses Kesultat ist für uns insofern von grosser Bedeutung, als dadurch die coordinirte Stellung der organischen Morphologie gegenüber und neben der Physiologie fest bestimmt wird. Die- ses nebeugeordnete Verhältniss der beiden gl eich werthigen biologischen Disciplinen ist gerade in neuerer Zeit sehr oft völlig- verkannt worden. Indem nämlich die Physiologie sich in den beiden letzten Decennien als exacte „Physik der Organismen'' oder als (unpassend) sogenannte „physikalische Physiologie" ungemein rasch und vielseitig zu einer ganz selbstständigen Disciplin entwickelt hat, während sie vorher in scheinbar untergeordnetem Verhältnisse auf das Engste mit der Mor- phologie verbunden war, ist ihr Selbstbewusstsein . dadurch so über- mässig gestiegen, dass ^sie nunmehr auf die überwundene Morphologie stolz herabsieht und diese lediglich als ihre Dienerin, als eine unter- geordnete Hülfswissenschaft betrachtet. Insbesondere nimmt die Phy- siologie sehr häutig für sich den höheren Rang einer erklärenden Naturwissenschaft in Anspruch, während sie der Morphologie bloss den niederen Rang einer beschreibenden Disciplin zugesteht. Leider ist freilich diese Selbstüberhebung der Physiologie durch den traurigen Zustand und den zwar nicht extensiven, wohl aber intensiven Rück- schritt der Morphologie nur zu sehr gerechtfertigt und begünstigt. Wäh- rend die Physiologie auf streng naturwissenschaftlicher Basis Schritt für Schritt vordringt und ihr Ziel fest und klar im Auge behält, ver- liert die verwildernde Morphologie das Ihrige immer mehr aus dem Auge, und hat sich ebenso von einer denkenden Behandlung ihres Gegenstandes, wie von einer strengen Methode stets mehr und mehr entfernt. Während sie quantitativ immer mächtiger zu wachsen scheint, schreitet sie qualitativ immer weiter zurück. Aus jeglichem Mangel an denkender Erforschung und an fester Begriffsbestimmung dienen die meisten morphologischen Arbeiten mehr dazu, den Bal- last der Wissenschaft zu häufen, statt ihren wirklichen Fortschritt zu fördern. Dieser traurige augenblickliche Zustand unserer morphologischen Wissenschaft kann ihren Werth zwar zeitweise in den Augen der heu- tigen Physiologie tief herabdrücken; er vermag aber doch nicht, den coordiuirten Rang, welcher der Morphologie neben der Physiologie gebührt, auf die Dauer verkennen zu lassen. Vielmehr müssen wir ausdrücklich behaupten, dass auch die Morphologie der Organismen, so gut wie ihre coordinirte Schwester, die Physiologie, nicht bloss eine beschreibende, sondern zugleich eine erklärende Wissenschaft ist, - 2* 20 Yerliältniss der Morphologie in den andereu Naturwissenschaften. oder doch wenigstens sein soll. Beide verfolgen die hohe Aufgabe, die beobachteten Thatsachen zu erklären, d. h. auf allgemeine Natur- gesetze zurllckzuflihren. Die Physiologie oder Biodynamik be- schreibt und erklärt die Leistungen (Functionen, Bewegungen, Kräfte) der Organismen.') Die Morphologie beschreibt und er- klärt die Formen (äussere Gestalt und innere formelle Zusammen- setzung) der Organismen. Das Ziel wenigstens liegt klar vor ihr, und wenn sie es zeitweise aus den Augen zu verlieren scheint, so ist es die Schuld ihrer jeweiligen Vertreter. Morphologie und Physio- logie sind demnach vollkommen coordiuirte Wissenschaften, in gleichem Maasse und auf gleicher Stufe der Biologie untergeordnet, deren Inhalt sie bilden. Dieses beigeordnete schwesterliche Verhältniss der Morphologie zur Physiologie wird auch durchaus nicht geändert, wenn wir die Chemie nicht (wie. es so eben geschah) als coordinirt der Physik und Morphologie betrachten, sondern sie diesen beiden Disciplinen unter- ordnen, wie es in der vorhergehenden Betrachtung (p. 13 sub III) ge- schehen ist. Es ergiebt sich dann nämlich, wenn wir die biologische Chemie oder die Chemie der Organismen in die beiden Aeste der statischen und dynamischen Chemie spalten, dass wir die statische ') Wenn wir hier einerseits der Phj'siologie der Neuzeit zugestanden haben, dass sie die organische Morphologie an bewusster Erkenntniss ihres Zieles und an klarem Verstäudniss der allein richtigen Methode weit überflügelt hat, so müssen wir doch andererseits darauf aufmerksam machen, dass sie in anderen Beziehungen weit hinter der Morphologie zurück ist. Insbesondere ist hier der thierischen Physiologie sowohl die allgemeine Vernachlässigung der Ent- stehungs- Verhältnisse der Functionen (embryonale Entwickelung und Dilferenzirung der Lebeus-Erscheiuungeu) als der noch auffallendere Mangel an vergleichender Betrachtung der Functionen (Ableitung der com- plicirten Lebens-Erscheinuugen höherer aus den einfacheren Functionen der ver- wandten niederen Organismen) zum Vorwurfe zu machen. Von einer genetischen Physiologie kann heutzutage noch ebenso wenig, als von einer vergleichenden Physiologie die Rede sein; mindestens befinden sich Beide noch in der ersten Kindheit. Und doch ist die genetische sowohl als die vergleichende Methode für die Physiologie ebenso unentbehrlich, als für die Morphologie, wo dies längst; anerkannt ist. In keinem Gebiete der Physiologie wird sich diese Wahrheit schlagender zeigen, als in demjenigen Theile der Physiologie des Cen- trai-Nervensystems, welchen man gewöhnlich als „Psychologie" den nipht phy- siologisch gebildeten sogenannten „Philosophen" überlassen hat. Sobald man sich entschliessen Avird, hier die genetische und die vergleichende Untersuchuugs- niethode in der weitesten Ausdehnung anzuwenden, wird dieses gänzlich unculti- virte und wüste Gebiet die reichsten und überraschendsten Früchte zur Reife bringen. Niemals aber wird man z. B. zu einer Psychologie des reifen Menschen gelangen , wenn man dieselbe nicht aus der genetischen Psychologie des Kin- des, und aus der vergleichenden Psychologie der Wirbelthiere ableitet. IV. Morphologie und Physiologie. 21 Organochemie oder die Chemie der organischen Substrate nothwendig mit der Morphologie, sowie andererseits die dynamische Organochemie oder die Chemie der organischen Processe mit der Physiologie ver- binden müssen. Es ergiebt sich dies klar und unzweifelhaft, wenn wir das. oben (p. 17) begründete Schema von dem Verhältniss der Mor- phologie und Physik zur Chemie, gemäss der Unterscheidung der Or- ganismen und Anorgane, in die folgenden beiden vollkommen paralle- len Schemata spalten: I. Abiologie oder Anorganologie. (Gesammtwissenschaft von den leblosen oder anorganischen Naturkörpern der Erde.) (A. Mineralogie. B. Hydrologie. C. Meteorologie). I Abiologische Chemie. I (Chemie der Anorgane.) Abiostatik oder anorganische Morphonomie (Anorganische Morphologie im weiteren Sinne.) Abiodynamik oder anorganische Phoronomie. (Anorganische Physik im weiteren Sinne.) AnorgamschoMorpho-p Chemie der "l T Chemie der H Anorganische Physik ogie im engeren Sinne, unorganischen anorganischen , ™ f ^'''"^ (Krysta lographie Hy- gubstrate. Processe. ("^^7^%'. ^ engsten drostatik, Aerostatik, L J L J Sinne.) Petrographie etc.) II. Biologie oder Lebenskunde. (Gesammtwissenschaft von den belebten oder organisirteu Naturkörpern der Erde.) (A. Zoologie. B. Protistologie. C. Botanik). Biologische Chemie. (Chemie der Organismen.) Biostatik oder organische Morphonomie. (Organische Morphologie im weiteren Sinne.) Biodynamik oder organische Phoronomie. (Physiologie im weiteren Sinne.) Chemie der Morphologie der \ organischen 1 | organischen ( Phvsioloeie Organismen l Substrate ; ( Processe. ) /. „ „„£ °a- Organismen (im engeren Sinne). [ Chemie der \ organischen i / Substrate 1 (Organische [ Stolf lehre). , Chemie.) ) 22 Bintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften. Drittes Capitel. Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften. „Indem sich jeder einzelne Wirkungskreis absondert, so ver- einzelt, zersplittert sich auch iu jedem Kreise die Behandlung. Nur ein Hauch von Theorie erregt schon Furcht; denn seit möhr als einem Jahrhundert hat man sie wie ein Gespenst geflohen und, hei einer fragmentarischen Erfahrung, sich doch zuletzt den gemeinsten Vorstellungen in die Arme geworfen. Niemand will gestehen, dass eine Idee, ein Begriff der Beobachtung zum Grunde liegen, die Erfahrung befördern, ja das Finden und Erfinden he- I günstigen könne.« Goethe (1819). I. Eintheilung der Morphologie in Anatomie und Morphogenie. Nachdem wir den Begriff und die Aufgabe der Morphologie fest- gestellt und das Verhältniss betrachtet haben, welches dieselbe gegen- über anderen, thcils beigeordneten, theils übergeordneten Naturwissen- schaften einnimmt, werden wir nun zunächst die verschiedenen unter- geordneten wissenschaftlichen Disciplinen zu betrachten haben, in welche die Morphologie der Organismen selbst einzutheilen ist. Auch diese Auseinandersetzung wird uns nicht weniger Schwieriglieiten als die vorhergehende bereiten. Denn es Aviederholt sich hier, und sogar in noch höherem Grade, als bei der vorhergelienden Erörterung, die merk- würdige Erscheinung, dass durchaus keine festen, klaren und unzwei- deutigen Begriffe über Inhalt und Umfang der einzelnen Wissenschafts- zweige existireU; und dass, während Tausende von Arbeitern in allen diesen Disciplinen unaufhörlich thätig sind, kaum Einer von Hunderten sich über die eigentlichen Aufgaben und das letzte Ziel seiner Wissen- schaft klar zu werden sucht. hidem wir die Begriffe der einzelnen untergeordneten Wissenschaf- ten nach Inhalt und Umfang zu bestimmen suchen, aus denen sich die Morphologie der Organismen zusammensetzt, werden wir diese letztere Wissenschaft, ebenso wie bei allen folgenden Untersuchungen, in dem so eben näher bestimmten engeren Sinne fassen, in welchem die sta- tische Organochemie oder die Chemie der organischen Substrate von der Morphologie ausgeschlossen wird. Es bleibt uns dann also als I. Eintheiluug der Morphologie in Anatomie und Morphogenie. 23 Aufgabe lediglich die erklärende Betrachtung der organischen Formen an sich, ohne jede Rücksicht auf die ihnen zu Grunde liegenden che- mischen Substrate und auf ihre stoffliche Zusammensetzung. Da unsere Aufgabe nun dahin geht, die verschiedenen Formen der Organismen nicht allein kennen zu lernen und zu beschreiben, sondern dieselben auch vergleichend zu untersuchen und ihre Bildung auf allgemeine Gesetze zurlickzuftihren, so würde sich als nächste Ein- theiluug der Morphologie vielleicht die Spaltung in eine beschrei- bende und in eine erklärende Formenlehre darbieten. Diese Unter- scheidung ist in der That theoretisch gemacht und häufig auch prak- tisch durchgeführt worden. Auf ihr beruht z. B. die Differenz zwischen der ,,Zootomie" und der „vergleichenden Anatomie," von denen sich die erstere auf die Beschreibung aller einzelnen thierischen Or- ganisations- Verhältnisse beschränkt, während die letztere dieselben zu erklären, d. h. auf allgemeine Gesetze zurückzuführen strebt. Wäh- rend die Zootomie in dem Labyrinthe der zahllosen Einzelformen und in der unendlichen Mannichfaltigkeit der einzelnen Organisation s wei- sen sich verliert und es bloss zu einer einfachen Aneinanderreihung der beobachteten Thatsachen bringt, weiss die vergleichende Anatomie den leitenden Ariadne-Faden durch alle verwickelten Windungen des Labyrinthes hindurch festzuhalten und schwingt sich dadurch zum be- herrschenden Ueberblick des Ganzen empor. So wesentlich dieser Unterschied zwischen beiden Disciplin^n aber auch ist, so ist er doch im Grunde nur ein Unterschied in der Methode und in der Intentisät der Erkenntniss. Die Zootomie verfährt analytisch und begnügt sich mit der Kenntniss, die vergleichende Anatomie verfährt synthetisch und strebt nach der Erklärung der Erscheinungen; da- her können wir eigentlich nur die letztere als wirklich wissenschaft- liche Morphologie bezeichnen, welcher die erstere als untergeordnete HUlfswissenschaft nur das Material liefert. Die Spaltung der Morpho- logie in eine beschreibende (descriptive) und eine erklärende (philoso- phische) Formenlehre als zwei coordinirte Hauptzweige ist demnach zu verwerfen. Weit wichtiger ist für uns der Unterschied zwischen der werden- den und der vollendeten Form der Organismen. Jedes Sein wird nur durch sein Werden erkannt. Dieser wichtige Grundsatz ist in der wissenschaftlichen Morphologie längst thatsächlich vielfach berück- sichtigt und darauf hin die Entwickelungsgeschichte der organischen Formen als einer der wichtigsten Zweige der letzteren anerkannt wor- den. Wir th eilen diese Anerkennung so sehr, dass wir der Wissen- schaft von der werdenden und sich entwickelnden Form des Organis- mus den gleichen Werth, wie der Wissenschaft von der vollendeten Form zugestehen, und darauf hin die gesammte Morphologie in die 24 Eintheilung der Jklorphologie in untergeordnete Wissenschaften. beiden coordinirten Zweige der Anatomie und der Morphogenie oder Entwickelungsg-eschiehte spalten. II. Eintheilung der Anatomie und Morphogenie in vier Wissenschaften. Grössere Schwierigkeiten als die Unterscheidung bietet uns die weitere Eintheilung der genannten beiden Hauptzweige der Morpholo- gie dar. Die Anatomie wird gewöhnlich in die beiden Zweige der gröberen Anatomie oder Organologie und der feineren (mikroskopi- schen) Anatomie oder Histologie gespalten; der ersteren wird die Untersuchung der Zusammensetzung des Körpers aus seinen ver- schiedenen Organen zugewiesen, der letzteren die Erforschung der Zusammensetzung seiner Gewebe aus den Elementartheilen. Indess beruht diese Unterscheidung auf unvollständiger Basis der Erkenntniss und kann, wie wir unten zeigen Averden, nicht in dieser Weise beibe- halten Vierden. Um zu einer weiteren Eintheilung der Anatomie und der Morpho- genie in untergeordnete "Wissenschaftszweige zu gelangen, erscheint es nothwendig, die verschiedenen Qualitäten der organischen For- men, welche das Object jener Disciplinen bilden, eingehender zu be- trachten. Diese stellen sich am deutlichsten und klarsten heraus, wenn man die anorganischen und organischen Formen mit einander ver- gleicht. Alle Naturkörper der Erde, Organismen und Anorgane, haben das mit einander gemein, dass sie uns entweder als bestimmt abgeschlossene räumliche Einheiten, als Individuen, unmittelbar entgegentreten, oder dass sie sich in mehrere derartige concrete Kaumeinheiten oder In- dividuen zerlegen lassen. Diese Individuen, deren Form des Morpho- logen concretes und nächstes Object ist, sind nun bei Organismen und Anorganen von wesentlich verschiedener Qualität. Die anorganischen Individuen, wie z. B. die einzelnen Kry- stalle, die einzelnen amorphen Körner unkrystallinischer Verbindungen, die einzelnen Wassertropfen etc., zeigen sich fast stets durch und durch homogen, in sich gleichartig , aus Molekülen einer und der- selben Art zusammengesetzt. Da sie im Inneren nicht aus ungleich- artigen Theilen zusammengesetzt sind, so können wir, wenigstens im gröberen Sinne, keine Organe an denselben unterscheiden; und die ganze Morphologie dieser Körper wird sich daher wesentlich auf eine Untersuchung ihrer äusserenForm beschränken. Von einer Organo- logie kann bei den Anorganen eben so wenig, als von einer Zusam- mensetzung des Körpers aus Individuen verschiedener Ordnung die Rede sein. ^) ') Wir stellen hier absichtlich die wesentlichen Formunterschiede zwischen Organismen und Anorganen so scharf und durchgreifend gegenüber, wie dies II. Eintheilung der Anatomie und Morphogenie in vier Wissenschaften. 25 Ganz anders zeigen sich schon auf den ersten oberflächlichen Blick die organischen Individuen, wie z. B. die einzelnen Wirbelthiere. Diese Körper sind durch und durch heterogen, in sich ungleichartig, aus Molekülen nicht nur, sondern auch aus gröberen Theilen von ganz ver- schiedener Art zusammengesetzt. Die ungleichartigen Theile, welche ihren Körper zusammensetzen, können wir, entweder in gröberem oder in feinerem Sinne, Organe nennen. Diese Zusammensetzung des organischen Körpers aus verschiedenen Organen ist es, welche in der gewöhnlichen Anschauung den Organismus macht. Die Morphologie dieser Körper kann sich mithin unmöglich auf die Untersuchung ihrer äusseren Form beschränken, sondern sie muss neben dieser nothwendig ebenso auch die innere Form berücksichtigen, d. h. den Bau (die Structiir) des Organismus, oder seine Zusammensetzung aus verschie- denen gleichartigen und ungleichartigen Theilen; sowie dann weiter- hin die Form dieser Theile selbst, ihr gegenseitiges Lagerungs- und Verbindungs-Verhältniss, und endlich ihre eventuelle weitere Zusam- mensetzung aus verschiedenartigen Formtheilen, Gegenstand der or- ganischen Morphologie sein wird. In diesem Sinne könnte man die Morphologie der Organismen auch als Organologie im weitesten Sinne bezeichnen, oder besser noch als Merologie, als Lehre von den Theilen, oder als Tectologie, als Lehre von der Zusam- mensetzung des Körpers aus ungleichartigen Theilen. Gegen diesen wichtigsten Theil der Morphologie der Organismen tritt die Be- ti-achtung ihrer äusseren Form ganz zurück, oder erscheint vielmehr nur als ein secundäres Resultat der ersteren. Von anderem Gesichts- punkte aus könnten wir diesen wichtigsten Theil unserer Wissenschaft auch als Lehre von den Individuen bezeichnen, da nämlich, wie das dritte Buch zeigen wird, die constituirenden Theile der Indi- viduen, die wir so eben als Organe verschiedener Ordnung unter- schieden haben, selbst wieder im gewissen Sinne Individuen sind, so dass wir den ganzen individuellen Organismus als ein System von einheitlich verbundenen Individuen verschiedener Ordnung betrachten können. Ein zweiter wesentlicher Unterschied in der Form zwischen den organischen und anorganischen Individuen beruht darauf, dass die Form der anorganischen Individuen (wenn es nicht vollkommen un- regelmässig gestaltete, ganz amorphe Körper sind) einer vollkommen exacten mathematischen Betrachtung ohne Weiteres zugänglich ist, und fast von allen Naturforschern geschieht. Im zweiten und sechsten Buche wer- den wir dagegen zeigen, dass diese Unterschiede keineswegs so absoluter Natur sind und dass auch hier wahre Uebergangsbildungen und Zwischenstufen vorkommen. 26 Bintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften. dass mit der stereometrischen Ausmessung derselben die Aufgabe ihrer morphologischen Erkenntnis« völlig gelöst ist. Die anorganischen Individuen sind fast immer von ebenen Flächen, geraden Linien und bestimmten messbaren Winkeln begrenzt. Die Hauptaufgabe der Kry- stallographie, welche den grössten Theil der abiologischen Morphologie ausmacht, ist daher die Ausmessung und Berechnung dieser relativ einfachen geometrischen Form-Verhältnisse. In vollem Gegensatz hierzu sind organische Individuen, deren Form einer stereometrischen Behandlung zugänglich ist, seltene Ausnahmen. Fast immer ist ihr Körper von gekrümmten Flächen, ge- bogenen Linien und unmessbaren sphärischen Winkeln begrenzt. ' Die Cui-ven, welche hier sich finden, sind so zusammengesetzter und dabei meist scheinbar so unbestimmter Natur, dass ihre Ausmessung und Berechnung als- ein unlösbares Problem erscheint. Zwar wird die stereometrische Behandlung der organischen Formen sehr häufig als Ziel einer späteren vollendeteren, exact-mathematischen Methode ihrer Untersuchung hingestellt. Indessen müssen wir unseres Theils diese weit verbreitete Ansicht als eine irrige bezeichnen. Es wird nämlich durch die unbegrenzte Variabilität aller organischen Formen, welche im sechsten Buche erläutert werden wird, bereits die Möglich- keit einer exacten geometrischen Behandlung, wie sie die &ystallo- graphie durchführt, von vornherein ausgeschlossen. Da nämlich factisch schon nächstverwandte Individuen einer und derselben Speeles, z. B. verschiedene Geschwister die von einem und demselben Elternpaar ab- stammen, in Beziehung auf äussere und innere Form unendlich viele, gröbere und feinere individuelle Verschiedenheiten zeigen, da niemals bei allen IndiAiduen einer und derselben organischen Speeles sämmt- liche gekrümmte Flächen, Linien und Winkel des Körpers und seiner einzelnen Theile absolut identisch, sondern stets nur annähernd gleich oder ähnlich sind, so ist eine derartige absolute mathematische Betrachtungsweise der organischen Form, wie sie gewöhnlich gefordert wird, gar nicht möglich; und wenn man selbst die compli- cirten Curven etc. bei allen einzelnen Individuen berechnen und dann vergleichen könnte, so hätte eine solche mühsame Arbeit nicht das mindeste Interesse und die Arbeit selbst wäre eine wahre Danaiden- Arbeit. Dagegen ist eine anderweitige mathematische Beti'achtungs- weise der organischen Formen, welche der krystallographischen Methode ähnlich, aber doch wesentlich verschieden ist, allerdings möglich. Es lassen sich nämlich, wie das vierte Buch unseres Werkes zeigen wird, gewisse einfache stereometrische Grundformen der Organismen auffinden, welche unter den scheinbar ganz unzugänglichen Curven- sjstemen der unberechenbar complicirten Formen der organischen In- dividuen versteckt liegen. Diese neue Lehre von den Grund- II. Eintheilung der Anatomie und Morphogenie in vier Wissenschaften. 27 formen (Promorphen ^) oder Promorphologie werden wir als einen besonderen und höchst wesentlichen Theil der Morphologie der Organis- men auszubauen haben. Er wird uns das Acquivalent einer organischen Kr^'stallographie sein. Die Betrachtung der Form der einzelnen In- dividuen verschiedener Ordnung, welche den Organismus zusammen- setzen, wird sich stets an diese Betrachtung der geometrischen Grund- formen als an ihr festes und sicheres Skelet anlehnen müssen. Wie dies zu verstehen -ist; wird das vierte Buch zeigen. Während die beiden wesentlichen eben hervorgehobenen Unter- schiede in der Formbildung der Organismen und der Anorgane die vollendete Form betreffen, so tinden wir zwei andere nicht minder bedeutende Differenzen zwischen beiden Hauptreihen von Naturkörpern in der Entstehung der Formen. Die Formen der anorganischen Individuen entstehen dadurch, dass sich die gleichartigen Moleküle der homogenen Materie, aus der sie bestehen, nach bestimmten physi- kalischen Gesetzen um einen bestimmten Mittelpunkt herum ansammeln. Die Form des Individuums (z. B, des Krystalls) ist hier zu jeder Zeit seiner Existenz dieselbe; sobald der Krystall überhaupt in bestimm- ter Form gebildet ist, bleibt diese mathematisch bestimmbare Form, 80 lange er besteht, dieselbe, mag das Individuum nachher noch so sehr an Grösse zunehmen. Jedes Wachsthum der Anorgane beruht bloss auf Apposition neuer Moleküle von aussen her. Weder die innere Gleichartigkeit der Substanz, noch die äussere charakteristische Form wird durch dieses Wachsthum irgendwie verändert. Das anorganische Individuum entwickelt sich nicht. Grundverschieden von dieser Wachsthums-Art der Anorgane durch äussere Apposition ist das Wachsthum der Organismen, welches durch innere Intussusceptiori geschieht und welches nicht bloss eine Veränderung der Grösse, sondern auch der Form des organischen Individuums herbeiführt. Das organische Individuum entwickelt sich. Es durchläuft während seines Lebens eine Reihe von ver- schiedenen Formen. Wir können daher niemals die Form des con- creten organischen Individuums aus einem einzigen gegebenen Form- zustand wahrhaft erkennen, sondern müssen zu diesem Zwecke die ganze Kette von auf einander folgenden Formen untersuchen und ver- gleichen, welche das organische Individuum während der ganzen Zeit seines Lebens von Anfang bis zu Ende durchläuft. Diese Aufgabe löst die Entwicklungsgeschichte oder die Embryologie, welche passender Ontogenie heissen würde (siehe unten). Die allgemeinen GrundzUge dieser Wissenschaft werden wir im fünften Buche festzu- ') n()o^io(Jn>ri, i), die Grundform, Vorform, ürforra. 28 Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften. stellen haben. Die Ontogenie wird immer einen wesentlichen und nicht zu entbehrenden Bestandtheil der wissenschaftlichen Morphologie ausmachen. Durch sie wird die letztere mit der Physiologie auf das engste verbunden. Ein vierter und letzter sehr wesentlicher Unterschied zwischen den Formen der anorganischen und der organischen Individuen betrifft nicht die Beschaffenheit oder Entstehung der Form der concreten ein- zelnen Individuen, sondern diejenige der abstracten Einheiten, welche man Arten nennt. Unter dem Namen der Art oder Speeles fasst man gewöhnlich oberflächlich alle diejenigen Individuen zusammen, welche einander gleich oder ähnlich sind, d. h. welche in allen soge- nannten wesentlichen Characteren übereinstimmen. Alle unorgani- schen Individuen, welche zu einer und derselben Art gehören, z. B. zu einer bestimmten Krystall-Art, haben vollkommen dieselbe Form (feste Krystallform) und dieselbe chemische Zusammensetzung. Die einzelnen Individuen jeder anorganischen Speeles unterscheiden sich lediglich durch ihre Grösse. Andererseits gehören alle anorganischen Individuen, welche entweder durch ihr chemisches Subsü-at oder durch ihre Form (Krystallform etc.) verschieden sind, verschiedenen Arten an. Die Form jeder anorganischen Art ist aber unveränderlich, und die Kochsalzkrystalle, welche zu allererst auf unserer Erde entstanden sind, werden in keiner Beziehung verschieden von denjenigen gewesen sein, die heutzutage sich bilden. Eine ganz andere Bedeutung hat der Begriff der Art oder Spe- cies für die Form der organischen Individuen. Hier ist das Kriterium der Speeles nicht die Gleichheit der Form aller Individuen, auch nicht einmal die Aehulichkeit derselben. Denn in vielen Fällen sind Larven und Erwachsene, Männchen und Weibchen derselben Art so gänzlich verschiedene Formen, dass sie in keinem einzigen speciellen Form- character übereinstimmen, und dass man sie nur in eine einzige Speeles zusammenstellt, weil sie von einem und demselben gemeinsamen Stamm- vater abstammen. Nun sind aber diese „Arten" oder Speeles, welche der Inbegriff" aller Descendenten einer einzigen Stammform sind, kei- neswegs unveränderlich. Es erzeugt nicht Gleiches nur Gleiches, wie gewöhnlich falsch gesagt wird, sondern Aehnliches erzeugt Aehnliches, und nach Verlauf eines gewissen Zeitraums gehen die organischen SpQcies unter, während neue sich aus ihnen entwickeln. ~ Die Form jeder organischen Species ist also durchaus veränderlich, und die Species selbst mithin keine abgeschlossene Einheit. Wohl aber ist eine solche reale und vollkommen abgeschlossene Einheit die Summe aller Species, welche aus einer und derselben gemeinschaft- lichen Stammform allmählig sich entwickelt haben, wie z. B. II. Eintheiluug der Anatomie und Morpbogenie in vier Wissenschaften. 29 alle Wirbelthiere. Diese Summe nemieii wir Stamm (Phylon). Die Untersuchung- der Entwicklung dieser Stämme und die Feststellung der genealogischen Verwandtschaft aller Speeles, die zu einem Stamm gehören, halten wir für die höchste und letzte besondere Aufgabe der organischen Morphologie. Im sechsten Buche werden wir die Grund- zlige dieser Phylogenie oder Entwicklungsgeschichte der or- ganischen Stämme (Kreise oder „Typen") festzustellen haben. Das Material zu dieser bisher gänzlich vernachlässigten Wissenschaft liefert uns vor Allem die Palaeontologie, die Erkenn tniss der ausge- storbenen Lebensformen, welche die Stamnieltern und Blutsverwandten der jetzt lebenden Organismen sind. Die ganze Disciplin könnte aber auch als organische Verwandtschaftslehre oder Genealogie bezeich- net werden, wie wir deren Bedeutung im sechsten Buche feststellen werden. Aus den vorausgehenden Erörterungen über die charakteristischen Qualitäten der organischen Formen haben sich uns nun bereits von selbst die speciellen einzelnen Aufgaben entwickelt, welche die Morpho- logie der Organismen als die erklärende organische Formenlehre zu lösen haben wird. Es wird jede der vier angeführten Qualitäten der organischen Form ihre gesonderte Behandlung verlangen, und es Avird diese Aufgabe vier gesonderten Disciplinen zufallen. Wir werden zunächst als die beiden Hauptzweige, in welche sich die Morphologie der Organismen (nacli Ausschluss der statischen Or- ganochemie) spaltet, zu unterscheiden haben: I) die Wissenschaft von der vollendeten organischen Form oder die Anatomie^ und II) die Wissenschaft von der werdenden organischen Form oder die Ent- wickelungsgeschicbte, Morphogenie. Die Anatomie (im weitesten Sinne) oder die gesammte For- menlehre des vollendeten Organismus, wird auch häufig als Organologie oder als Morphologie bezeichnet, und von Anderen wieder als ein Theil der Systematik betrachtet. Die verschiedenen hierüber herrschenden Ansichten, sowie die verschiedenen Eintheilungen der Anatomie in untergeordnete Disciplinen, werden wir sogleich einer ge- sonderten Betrachtung unterwerfen. Nach unserer Anschauung, die wir so eben entwickelt haben, spaltet sich die Anatomie zunächst in zwei verschiedene Disciplinen: 1) die Lehre von der Zusammensetzung des Organismus aus gleichartigen und ungleichartigen Theilen, welche man passend entweder Zusammensetzungslehre oder Baulehre (Tecto- logie) oder Lehre von den Theilen (Merologie) nennen könnte (drittes Buch), und II) die Lehre von den Formen der einzelnen Theile oder der einzelnen Individuen verschiedener Ordnung und insbesondere von ') chneller im dritten näherte sie sich ihrem jähen Untergange, theils durch eigene Verblendung und Ausartung, theils durch Mangel an Verständniss bei der Mehrzahl der Zeitgenossen, theils durch das rasche und glänzende -Bmporbllihen der empirischen Richtung, welche in Cu vier einen neuen und gewaltigen Reformator fapd. Gegenüber der willkührlichen und verkehrten Phantasterei, in welche die Naturphilosophie bald sowohl in Frankreich als in Deutschland damals ausartete, war es dem exacten, strengen und auf der breitesten empirischen Basis stehenden Cuvier ein Leichtes, die ver- wilderten und undisciplinirten Gegner aus dem Felde zu schlagen. Bekannt- lich war es der 22. Februar 1830, an welchem der Conflict zwischen den beiden entgegengesetzten Richtungen in der Pariser Akademie zum öffent- lichen Austrage kam, und damit definitiv geendigt zu sein schien, dass Cuvier seinen Hauptgegner E. Geoffroy S. Hilaire mit Hülfe seiner überwiegenden empirischen Beweismittel in den Augen der grossen Mehr- heit vollständig besiegte. Dieser merkwürdige öffentliche Conflict, durch welchen die Niederlage der älteren Naturphilosophie besiegelt wurde, ist in mehrfacher Beziehung vom höchsten Interesse, vorzüglich auch desshalb, weil er von Goethe in der meisterhaftesten Form in einem kritischen Auf- sätze dargestellt wurde, welchen derselbe wenige Tage vor seinem Tode (im März 1832) vollendete. Dieser höchst lesenswerthe Aufsatz, das letzte schriftliche Vermächtuiss, welches der deutsche Dichterfürst uns hinterlassen, enthält nicht allein eine vortreifliche Characteristik von Cuvier und Geoffroy S. Hilaire, sondern auch eine ausgezeichnete Darstellung der beiden entgegengesetzten von ihnen vertretenen Richtungen, „des immer- währenden Conflictes zwischen den Denkweisen, in die sich die wissen- chaftliche Welt schon lange trennt; zwei Denkweisen, welche sich in dem menschlichen Geschlechte meistens getrennt und dergestalt vertheilt finden, dass sie, wie überall, so auch im Wissenschaftlichen, schwer zusammen ver- bunden angetroü'en werden, uud wie sie getrennt smd, sich nicht wohl 70 Methodik der Morphologie der Organismen, vereinigen mögen. Haben wir die Geschichte der Wissenschaften un'i eine eigene lange Erfahrung vor Augen, so möchte man befürchten, di. menschliche Natur werde sich von diesem Zwiespalt kaum jemals rette können." Die Niederlage der älteren Naturphilosophie, welche Cuvier als do Heerführer der neu erstehenden „exacten Empirie" herbeigeführt und ii jenem Conflict offenbar gemacht hatte, war so vollständig, dass in dci folgenden drei Decennien, von 1830—1860, unter der nun allgemein sici ausbreitenden empirischen Schule von Philosophie gar keine Rede meli war. Mit den Träumereien und Phantasiespielen jener ausgearteten Natur- phantasterei wurden auch die wahren und grossen Verdienste der alten Na turphilosophie vergessen, aus der jene hervorgegangen war, und man 'ge wöhnte sich sehr allgemein an die Vorstellung, dass Naturwissenschaft uu( Philosophie in einem unversöhnlichen Gegensatze zu einander ständen Dieser Irrthum wurde dadurch insbesondere begünstigt, dass die verbesser- ten Instrumente und Beobachtungs- Methoden der Neuzeit, und vor Allem die sehr verbesserten Mikroskope, der empirischen Naturbeobachtung ein unendlich weites Feld der Forschung eröffneten, auf welchem es ein Leichtes war, mit wenig Mühe und ohne grosse Gedanken-Anstrengung, Entdeckungen neuer Formverhältnisse in Hülle und Fülle zu machen. Während die Be- obachtungen der ersten empirischen Periode, welche sich aus Linn6's Schule entwickelte, vorzugsweise nur auf die äusseren Formenverhältnisse der Organismen gerichtet gewesen waren, wandte sich nun die zweite empirische Periode, welche aus Cuvier' s Schule hervorging, vorwiegend der Beobachtung des inneren Baues der Thiere und Pflanzen zu. Und in der That gab es hier, nachdem Cuvier durch Begründung der vergleichen- den Anatomie und der Palaeontologie ein weites neues Feld der Beobachtung geöffnet, nachdem Bär durch Reformation der Entwickelungsgeschichte und Sch wann durch Begründung der Gewebelehre auf dem thierischen, Schleiden auf dem pflanzlichen Gebiete neue und grosse Ziele gesteckt, nachdem Johannes Müller die gesammte Biologie mit gewaltiger Hand in die neu geöffneten Bahnen der exacten Beobachtung hineingewiesen hatte, überall so unendlich Viel zu beobachten und zu beschreiben, es wurde so leicht, mit nur wenig Geduld, Fleiss und Beobachtungsgabe neue That- sachen zu entdecken, dass wir uns nicht wundern können, wenn darüber die leitenden Principien der Naturforschung gänzlich vernachlässigt und die erklärende Gedanken- Arbeit von den meisten völlig vergessen wurde. Da noch im gegenwärtigen Augenblick diese „r^in empirische" Richtung die allgemein überwiegende ist, da die Bezeichnung der Naturphilosophie noch in den weitesten naturwissenschaftlichen Kreisen nur als Schimpfwort gilt und selbst von den hervorragendsten Biologen nur in diesem Sinne ge- braucht wird, so haben wir nicht nöthig, die grenzenlose Einseitigkeit dieser Richtung noch näher zu erläutern, und werden nur noch insofern näher darauf eingehen, als wir gezwungen sind, unseren Zeitgenossen ihr „exact- empirisches ," d. h. gedankenloses und beschränktes Spiegelbild vorzuhalten. Theilweise ist dies schon im vorigen Capitel geschehen. Wiederholt wollen wir hier nur nochmals auf die seltsame Selbsttäuschung hinweisen, in welcher, 1. Empirie und Philosophie. 71 die neuere Biologie befangen ist, wenn sie die nackte gedankenlose Be. ^chreibuug innerer und leinerer, insbesondere mikroskopischer Form- verhältnisse als „wissenschaftliche Zoologie" und „wissenschaft- liche Botanik" preist und mit nicht geringem Stolze der früher aus- schliesslich herrschenden reinen Beschreibung der äusseren und gröberen Formverhältnisse gegenülierstellt, welche die sogenannten „Systematiker" beschäftigt. Sobald bei diesen beiden Richtungen, die sich so scharf gegen- über zu stellen belieben, die Beschreibung an sich das Ziel ist (— gleich- viel ob der inneren oder äusseren, der feineren oder gröberen Formen — ), so ist die eine genau so viel werth, als die andere. Beide werden erst zur Wissenschaft, wenn sie die Form zu erklären und auf Gesetze zurückzu- führen streben. Nach unserer eigenen innigsten üeberzeugung ist der Rückschlag, der gegen diese ganz einseitige und daher beschränkte Empirie nothwendig frü- her oder später erfolgen musste, bereits thatsächlich erfolgt, wenn auch zu- nächst nur in wenigen engen Kreisen. Die 1859 von Charles Darwin veröfl'entlichte Entdeckung der natürlichen Zuchtwahl im Kampfe ums Da- sein, eine der grössten Entdeckungen des menschlichen Forschungstriebes, hat mit einem Male ein so gewaltiges und klärendes Licht in das dunkle Chaos der haufenweis gesammelten biologischen Thatsachen geworfen, dass es auch den crassesten Empirikern fernerhin, wenn sie überhaupt mit der Wissenschaft fortschreiten wollen, nicht mehr möglich sein wü-d, sich der daraus emporwachsenden neuen Naturphilosophie zu entziehen. Indem die von Darwin neu begründete Descendenz-Theorie die ganze gewaltige Fülle der seither empirisch angehäuften Thatsachen-Massen durch einen einzigen . genialen Gedanken erleuchtet, die schwierigsten Probleme der Biologie aus ' dem emen obersten Gesetze der „wirkenden Ursachen" vollständig erklärt, die unzusammenhängende Masse aller biologischen Erscheinungen auf die- ses eine einfache grosse Naturgesetz zurückführt, hat sie bereits thatsäch- lich die bisher ausschliesslich herrschende Empirie völlig überflügelt und einer neuen und gesunden Philosophie die weiteste und fruchtbarste Bahn geöffnet. Es ist eine Hauptaufgabe des vorliegenden Werkes, zu zeigen, wie die wichtigsten Erscheinungsreihen der Morphologie sich mit Hülfe der- selben vollständig erklären und auf grosse und allgemeine Naturgesetze zurückführen lassen. Wenn wir das Resultat dieses flüchtigen Ueberblickes über den inneren Entwickelungsgang der Morphologie in wenigen Worten zusammenfassen, so können wir füglich von Beginn des achtzehnten Jahrhunderts an bis jetzt vier, abwechselnd empirische und philosophische Perioden der Morphologie unterscheiden, welche durch die Namen von Linne, Lamarck, Cuvier, Darwin bezeichnet sind, nämlich: I.Periode: Linn6 (geb. 1707). Erste empirische Periode (Achtzehntes Jahrhundert). Herrschaft der empiri- schen äusseren Morphologie (Systematik). II. Periode: Lamarck (geb. 1744) und Goethe (geb. 1749')- Erste philosophische Periode. (Erstes ') Wir nennen hier absichtlich Lamarck und Goethe als die geistvollsten Repräsentanten der älteren Naturphilosophie, wenngleich sie sich entfernt nicht 72 Methodik der Morphologie der Organismen. Drittel des neunzehnten Jahrhunderts). Herrschaft der phantastisch-philo- Bophischen Morphologie (Aeltere Naturphilosophie). III. Periode: Cuvier (geb. 1769).') Zweite empirische Periode. (Zweites Drittel des neun- zehnten Jahrhunderts). Herrschaft der empirischen inneren Morphologie (Anatomie). IV. Periode : Darwin (geb. 1808). Zweite philosophische Periode. Begonnen 1859. Herrschaft der empirisch-philosophischen Mor- phologie (Neuere Naturphilosophie). Indem wir die beiden Richtungen der organischen Morphologie, die empirische und philosophische, so schroff einander gegenüberstellen, müssen wir ausdrücklich bemerken, dass nur die grosse Masse der beschränkteren und gröber organisirten Naturforscher es war, welche diesen Gegensatz in seiner ganzen Schärfe ausbildete und entweder die eine oder die andere Methode als die allein seligmachende pries und für die „eigentliche'' Na- turwissenschaft hielt. Die umfassenderen und feiner organisirten Naturfor- forscher, und vor Allen die grossen Coryphaeen, deren Namen wir an die Spitze der von ihnen beherrschten Perioden gestellt haben, waren stets mehr oder minder überzeugt, dass nur eine innige Verbindung von Beob- achtung und Theorie, von Empirie und Philosophie, den Portschritt der Na- turwissenschaft wahrhaft fördern könnte. Man pflegt gewöhnlich Cuvier als den strengsten und exclusivsten Empiriker, als den abgesagtesten Feind jeder Naturphilosophie hinzustellen. Und sind nicht seine besten Arbeiten, vseine werthvollsten Entdeckungen, wie z. B. die Aufstellung der 4 thieri- schen Typen (Stämme), die Begründung des Gesetzes von der Correlation der Theile, von den Ganses finales, Ausflüsse der reinsten Naturphilosophie? Ist nicht die von ihm neu begründete „vergleichende Anatomie" ihrem gan- zen Wesen nach eine rein philosophische Wissensehaft, welche das empirische Material der Zootomie bloss als Basis braucht? Ist es nicht lediglich der Gedanke, die Theorie, welche auf der rein empirischen Zootomie als nothwendiger Grundlage das philosophische Lehrgebäude der vergleichenden Anatomie errichten? Und wenn Cuvier aus einem einzigen Zahne oder Knochen eines fossilen Thieres die ganze Natur und systematische Stellung desselben mit Sicherheit erkannte, war dies Beobachtung oder war es Re- flexion? Betrachten wir andererseits den Stifter der älteren Naturphilo- sophie, Lamarck, so brauchen wir, um den Vorwurf der Einseitigkeit zu widerlegen, bloss darauf hinzuweisen, dass dieser eminente Mann seinen Ruf als grosser Naturforscher grösstentheils einem vorwiegend descriptiven Werke, der berühmten „Histoire naturelle des animaux sans vertebres" ver- dankte. Seine „Philosophie zoologique," welche die Descendenz-Lehre zum desselben Einflusses und derselben Anerkennung zu erfreuen hatten, wie Btienne Geoffroy S. Hilaire (geb. 1771) und Lorenz Oken (geb. 1779), die gewöhn- lich als die Coryphaeen dieser Richtung vorangestellt werden. ') Als hervorragende Coryphaeen dieser Periode würden wir hier noch Jo- hannesMüller, Schleiden und einige Andere hervorzuheben haben, wenn nicht gerade diese bedeutendsten Manner, als wahrhaft philosophische Naturforscher, sich von der grossen Einseitigkeit frei gehalten hätten, welche Cuvier's Schule und der grosse Tross der Zeitgenossen zum extremsten Empirismus ausbildete. I. Empirie und Philosophie. 73 ersten Male als vollkommen abgerundete Theorie aufstellte, eilte mit ihrem prophetischen Gedankenfluge seiner Zeit so voraus, dass sie von seinen Zeitgenossen gar nicht verstanden und ein volles halbes Jahrundert hin- durch (1809—1859) todtgeschwiegen wurde. Johannes Müller, den wir Deutschen mit gerechtem Stolz als den grössten Biologen der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts unser eigen nennen, und der in den Augen der meisten jetzt lebenden Biologen als der strengste Empiriker und Geg- ner der Naturphilosophie gilt, verdankt die Fülle seiner zahlreichen und grossen Entdeckungen viel weniger seinem ausgezeichneten sinnlichen Be- obachtungstalent, als seinem combinirenden Gedankenreichthum und der natürlichen Philosophie seiner wahrhaft denkenden Beobachtungsmethode. Charles Darwin, der grösste aller jetzt lebenden Naturforscher, über- ragt uns Alle nicht allein durch Ideenreichthum und Gedankenfülle seines die ganze organische Natur umfassenden Geistes, sondern eben so sehr durch die intensiv und extensiv gleich bedeutende und fruchtbare Methode seiner empirischen Naturbeobachtung. Nach unserer festesten TJeberzeugung können nur diejenigen Natur- forscher wahrhaft fördernd und schaffend in den Gang der Wissenschaft eingreifen, welche, bewusst oder unbewusst, eben so scharfe Denker, als sorgfältige Beobachter sind. Niemals kann die blosse Entdeckung, einer nackten Thatsache, und wäre sie noch so merkwürdig, einen wahrhaften Fortschi-itt in der Naturwissenschaft herbeiführen, sondern stets nur der Gedanke, die Theorie, welche diese Thatsache erklärt, sie mit den ver- wandten Thatsachen vergleichend verbindet, und daraus ein Gesetz ab- leitet. Betrachten wir die grössten Naturforscher, welche zu allen Zeiten auf dem biologischen Gebiete thätig gewesen sind, von Aristoteles an, Linne und Cuvier, Lamarck und Goethe, Bär und J ohannes Müller und wie die Reihe der glänzenden Sterne erster Grösse, bis auf Charles Darwin herab, weiter heisst • — sie alle sind ebenso grosse Denker, als Beobachter gewesen, und sie alle verdanken ihren unsterblichen Rnhm nicht der Summe der einzelnen von ihnen entdeckten Thatsachen, sondern ihrem denkenden Geiste, der diese Thatsachen in Zusammenhang zu bringen und daraus Gesetze abzuleiten verstand. Die rein empirischen Naturforscher, welche nur durch Entdeckung neuer Thatsachen die Wissenschaft zu för- dern glauben, können in derselben ebenso wenig etwas leisten, als die rein speculativen Philosophen, welche der Thatsachen entbehren zu können glauben und die Natur aus ihren Gedanken construiren wollen. Diese wei*- den zu phantastischen Träumern, jene im besten Falle zu genauen Copir- maschinen der Natur. Im Grunde freilich gestaltet sich das thatsächliche Verhältniss überall so, dass die reinen Empiriker sich mit einer unvollstän- digen und unklaren, ihnen selbst nicht bewussten Philosophie, die reinen Phi- losophen dagegen mit einer»eben solchen, unreinen und mangelhaften Empirie begnügen. Das Ziel der Naturwissenschaft ist die Herstellung eines vollkom- men architectonisch geordneten Lehrgebäudes. Der reine Empiriker bringt statt dessen einen ungeordneten Steinhaufen zusammen; der reine Philosoph auf der andern Seite baut Luftschlösser, welche der erste empirische Wind- stüss über den Haufen wirft. Jener begnügt sich Ddit dem Rohmaterial, 74 Methodik der Morphologie der Organismen. dieser mit dem Plan des Gebäudes. Aber nur durch die innigsto Wechselwirkung von empirischer Beobachtung und philosophi- scher Theorie kann das Lehrgebäude der Naturwissenschafi wirklich zu Stande kommen. Wir schliessen diesen Abschnitt, wie wir ihn begonnen, mit einem Aus- spruch von Johannes Müller: „Die Phantasie ist ein unentbehrliches Gut; denn sie ist es, durch welche neue Combinationen zur Veranlassung wich- tiger Entdeckungen gemacht werden. Die Kraft der Unterscheidung des isolirenden Verstandes sowohl, als der erweiternden und zum Allgemeinen strebenden Phantasie sind dem Naturforscher in einem harmonischen Wechsel wirken nothwendig. Durch Stö- rung dieses Gleichgewichts wird der Naturforscher von der Phantasie zu Träumereien hingerissen, während diese Gabe den talentvollen Naturfor- scher von hinreichender Verstandes stärke zu den wichtigsten Entdeckungen führt. ') n. Analyse und Synthese. „Ein Jahrhundert, das sich bloss auf die Analyse verlegt, und sich vor der Synthese gleichsam fürchtet, ist nicht auf dem rechten Wege; denn nur beide zusammen, vne Aus- und Einathmen, machen das Le- ben der Wissenschaft. — Die Hauptsache, woran man bei ausschliess- licher Auwendung der Analyse nicht zu denken scheint, ist, dass jede Analyse eine Synthese voraussetzt. — Sondern und Verknüpfen sind zwei unzertrennliche Lebensacte. Vielleicht ist es besser gesagt, dass es unerlässlich ist, man möge wollen oder nicht, aus dem Ganzen ins Einzelne, aus dem Einzelnen ins Ganze zu gehen; und je lebendiger diese Functionen des Geistes, wie Aus- und Einathmen, sich zusammen verhalten, desto besser wird für die Wissenschaften und ihre Freunde gesorgt sein." Die vorstehenden Worte von Goethe bezeichnen das nothweudige Wechselverhältniss zwischen der sondernden Analyse und der ver- knüpfenden Synthese so treffend, dass wir mit keinen besseren Wor- ten die folgende !^)etrachtung einleiten konnten. Wenn wir hier diese wichtigen gegenseitigen Beziehungen zwischen der analytischen und synthetischen, der auflösenden und zusammensetzenden Naturforschung kurz einer gesonderten Betrachtung unterziehen, so geschieht es haupt- sächlich, weil wir die vielfach verkannte nothweudige Wechselwrkung zwischen diesen wichtigen Methoden für die Morphologie besonders eindringlich hervorzuheben wünschen, und weil gerade im gegenwär- tigen Zeitpunkte eine klare Beleuchtung dieses Verhältnisses von be- sonderer Wichtigkeit erscheint. Da die analytische oder sondernde Johannes Müller, Archiv für Anatomie etc. I. Jahrgg. 1834. p. 4. II. Analyse und Synthese. 75 Methode vorzugsweise von der empirischen Naturbeobachtung, die syn- thetische oder verkulipfeude Methode vorzugsweise von der philoso- phischen Naturbetrachtuug angewendet wird, so schliessen sich die folgenden Bemerkungen darüber unmittelbar an das im vorigen Ab- schnitt Gesagte an. Hiervon ausgehend werden wir schon im Voraus sagen können, dass ein Grundfehler der gegenwärtig in der Biologie herrschenden Kichtung in der einseitigen Ausbildung der Aualyse, und in der übermässigen Vernachlässigung der Syuthese liegen wird. Und so verhält es sich auch in der That. Auf allen Gebieten der organi- scKen Morphologie, in der Organologie und in der Histologie, in der Entwickelungsgeschichte der Individuen und in derjenigen der Stämme^ ist man seit langer Zeit fast ausschliesslich analytisch verfahren und hat die synthetische Betrachtung eigentlich nur selten, und in so ge- ringer Ausdehnung, mit so übertriebener Scheu angewendet, dass man sich ihrer Fruchtbarkeit, ja ihrer Unentbehrlichkeit gar nicht bewusst geworden ist. Und doch ist es die Synthese, durch welche die Analyse erst ihi-en wahren Werth erhält, und durch welche wir zu einem wirk- lichen Verständniss des durch die Analyse uns bekannt gewordenen Organismus gelangen. Bei einem Rückblicke auf die beiden empirischen Perioden der Morphologie, die wir im vorigen Abschnitt charakterisirt haben, fin- den wir, dass zwar Beide, im Gegensatz zu der dazwischen liegenden, vorzugsweis der Synthese zugewandten Periode der Naturphilosophie, vorwiegend die Analyse cultivirten, dass aber die zweite empirische Periode, seit Cuvier, in dieser Beziehung sich noch viel einseitiger entwickelte, als die erste empirische Periode, seit Linne. Denn die von der letzteren fast ausschliesslich betriebene Unterscheidung und Be- schreibung der äusseren Körperformen führte immer zuletzt zur Sy- stematik hin, welche an sich schon einen gewissen Grad von synthe- tischer Thätigkeit erfordert, wogegen die analytische Untersuchung und Darstellung der inneren Körperformen, die „Anatomie" im enge- ren Sinne, welche Cuvier's Nachfolger vorzugsweise beschäftigte, der Synthese in weit höherem Maasse entbehren konnte. Zwar hatte Cu- vier der letzteren das hohe Ziel gesteckt, durch Vergleichung (und das ist ja eben auch Synthese) sich zur vergleichenden Anatomie zu erheben; indess wurde eine wahrhaft philosophische Vergleichung, wie Cuvier selbst und Johannes Müller sie so fruchtbar und so viel- fach geübt hatten, von der Mehrzahl ihrer Nachfolger so selten ange- wandt, dass die meisten Arbeiten, welche sich „vergleichend anatomisch" nennen, diesen Namen nicht verdienen. Diese einseitige Ausbildung der Analyse, welche sich mit der Keuntniss der einzelnen Theile des Organismus begnügt, ohne die Erkenntniss des Ganzen im Auge zu behalten, hat sich in den letzten drei Decenuien jährlich in zunehmen- 76 Methodik der Morphologie der Organismen. der Progression gesteigert, insbesondere seitdem Jedermann mit dem Mikroskop anfing „Entdeckungen'' zu machen. Eine möglichst voll- ständige histologische Analyse des Körpers wurde bald allgemein das höchste Ziel; und über der Beschreibung und Abbildung der einzelnen Zellenformen vergass man völlig den ganzen Organismus, welchen die- selben zusammensetzen. Nun ist zwar nach unserer Ansicht durch Darwin, welcher die Synthese wieder im grossartigsten Maassstabe aufgenommen und mit dem überwältigendsten Erfolge in der gesammten organischen Mor- phologie angewandt hat, deren hohe Bedeutung so sehr zu Tage ge- treten, dass die bisherige einseitige Analyse sich in ihrer exclusiven Kichtung nicht fürder wird behaupten können. Indess halten wir es doch nicht für überflüssig, die äusserst wichtige Wechselbeziehung zwischen der analytischen Untersuchung des Einzelnen und und der synthetischen Betrachtung des Ganzen hier nochmals ausdrücklich zu betonen. Allerdings muss die erstere der letzteren vorausgehen, aber nur als die erste Stufe der Erkenntniss, welche erst mit der letzteren ihren wahren Abschluss erreicht. Bleibt die Natur- forschung, wie es nur zu häufig geschieht, bei dem Resultate der reinen Analyse stehen, so kommt bei ihr der Spruch von Goethe') zur An- wendung : ,,Wer will was Lebendig's erkennen und beschi'eiben, Sucht erst den Geist herauszutreiben; Dann hat er die Theile in seiner Hand, Fehlt leider nur das geistige Band." Der grosse Nachtheil, den die einseitige Ausbildung der Analysfe und die Vernachlässigung der Synthese unserer Wissenschaft gebracht hat, zeigt sich vielleicht nirgends in so aufi'allendem Maassstabe, als in den Folgen, welche für die Morphologie das eben so verderbliche als seltsame Dogma von der Constanz und von der absoluten Individualität der Speeles gehabt hat. Wer die Geschichte unserer Wissenschaft seit Linne, der sich durch Aufstellung des Speeles -Begriffs ein grosses Verdienst um die formelle Ausbildung derselben erwarb, kennt, der weiss, dass dieses ') Eine vorzügliche Schilderung des Gegensatzes der Analyse und Synthese, an den hervorragenden Persönlichkeiten von Cuvier und Geoffroy S. Hi. laire durchgeführt, hat Goethe in seiner merkwürdigen oben erwähnten Kritik der „Philosophie zoologique" gegeben. Bs heisst darin unter Anderem : „Cuvier arbeitet unermüdlich als Unterscheidender, das Vorliegende genau Besckreiben- der, und gewinnt sich eine Herrschaft über eine unermessliche Breite. Geoffroy S aint-Hilaire hingegen ist im Stillen um die Analogieen der Geschöpfe und ihre geheimnissvollen Verwandtschaften bemüht; jener geht aus dem Einzelnen in ein Ganzes, welches zwar vorausgesetzt, aber als nie erkennbar betrachtet wird; dieser hegt das Ganze im inneren Sinne, und lebt in der Ueberzeugung fort, das Einzelne könne daraus nach und nach entwickelt werden." II. Analyse und Synthese. 77 Dogma .seitdem fast allgemein geherrscht hat, und dass nur in der ersten naturphilosophischen Periode Lamarck und eine Anzahl anderer bedeu- tender Naturforscher die allgemeine Vorstellung von der Wesenheit und Beständigkeit der organischen „Ai-t" zu verwerfen wagten, während in den beiden empirischen Perioden selbst die bedeutendsten Coryphaeen der Bio- logie sich dem harten Joche dieses wunderlichen Dogma beugten. Kein ^ anderer Irrthum hat sich so allgemeine Geltung erworben, hat so sehr ge- schadet als dieser, und auf keinen ist in höherem Grade der bekannte Spruch von Goethe anwendbar: „Immerfort wiederholte Phrasen verknöchern sich zuletzt zur Ueberzeugung, und verstumpfen völlig die Organe des Anschauens." Das Dogma von der Constanz der Speeles behauptet bekanntlieh, dass alle organischen Formen sieh in den Begriff der Speeles einpferchen lassen, d. h. in einen geschlossenen und selbstständigen Formenkreis, innerhalb dessen zwar der Speeles oder Art ein gewisser Grad der Variation zu- gestanden wird, dessen scharf bestimmte Grenzen aber die Art niemals überschreiten soll. Jede Speeles ist für sich, unabhängig von den anderen, erschaffen worden, keine ist durch Abänderung aus einer andern hervorge- gangen. Als das morphologische Kriterium der Art wird dabei ge- wöhnlich die Constanz aller „wesentlichen" Merkmale (und die Variabilität der „unwesentlichen" Charaktere) augeführt; als das physiologische Kriterium dagegen die Fähigkeit aller Varietäten einer Speeles, unter sich fruchtbare Bastarde zu erzeugen (und die Unfähigkeit jeder Speeles, mit irgend einer anderen Art vermischt fruchtbare Bastarde zu erzeugen). Obgleich nun diese Kriterien der Speeles, gleich allen anderen die man aufzustellen versucht hat, sich leicht und sicher als vollkommen unhalt- bare und wlllkührliche Voraussetzungen ausweisen lassen (wie im dritten Buche gezeigt werden soll), obgleich die Gesammtheit aller allgemeinen organischen Erscheinungs-Beihen auf das Entschiedenste dagegen spricht, obgleich nicht zwei Naturforscher in allen Fällen über die Begrenzung der Speeles einig sind, so hat dennoch dieses Dogma von der Specles- Constanz die gesammte Biologie bis aufDarwlu fast allgemein beherrscht. Erst Darwin' s gewaltige Argumente vermochten eine Bresche in diese Zwingburg des Wunderglaubens zu schiessen, eine entscheidende Bresche, welche den unüberwindlichen Gedanken des comblnlrenden synthetischen V^erstandes den Weg in dieses innerste Asyl vltalistlscher Thorhelten öffnete. Ohne uns hier weiter auf eine eingehende Widerlegung des Species- Dogma einlassen zu wollen, die späteren Oaplteln vorbehalten bleibt, führen wir dasselbe hier nur an, um zu zeigen, welchen verderblichen Einfluss eine ausschliesslich analytische Methode in den Naturwissenschaften ausüben kann. Denn durch keinen Umstand ist das Species -Dogma so sehr ge- stützt, so allgemein in Geltung und Ansehen erhalten worden, als durch die allgemein vorherrschende analytische Beobachtung einzelner Individuen, und durch den Mangel an synthetischer und vergleichender Betrachtung der Individuen-Summe, welche die Species erst zusammensetzt. Indem man seit Linn 6 fast allgemein und ausschliesslich bemüht war, möglichst viele neue Formen von Organismen als sogenannte Speeles einzeln aufzustellen, 78 Methodik der Morpholoi^ie der Organismen. und diese durch präcise Uuterschiede von einander möglichst scharf zu un- terscheiden, verlor man gänzlich den Blick für die grosse und allgemeine Uebereinstimmung, welche alle verwandten Species auf das Innigste ver- bindet. Man wandte bei Vergleichung derselben seine ganze Aufmerksam- keit auf die Unterscheidung und Hervorhebung der unbedeutenden äusser- lichen Formunterschiede , welche dieser oder jener Theil des thierischen und pflanzlichen Körpers darbot, und man vergass dabei gänzlich die völlige oder doch grosse Uebereinstimmung, welche in allen übrigen wesentlichen Theilen, und insbesonders fast in allen einzelnen Verhältnissen des innern Baues, die verwandten Species zeigen. Ueber einem einzigen unterscheiden- den Charakter zweier Formen übersah man völlig die hunderttausend Charaktere, welche beiden gemein sind, und um beide als Species unter- scheiden zu können, hob man den ersteren ganz allein hervor, während man von den übrigen völlig schwieg. Im weiteren Gange der sich entwickelnden Systematik trat nun bald allgemein diese kleinliche Analyse so sehr in den Vordergrund, dass die Unterscheidung der einzelnen Formen, welche ursprünglich nur Mittel zui- systematischen Anordnung und Benennung gewesen war, nunmehr selbst Zweck wurde, und dass die Synthese, welche stets mit der Analyse Hand in Hand gehen sollte, nur ganz zuletzt in Auwendung kam, wenn aus den einzelnen isolirten Bausteinen der Species das System aufgebaut werden sollte, in welchem dieselben sich scharf und glatt von einander absetzen mussten. Da nun bei diesem Geschäfte den Systematikern nichts hinderlicher war, als die zahlreichen Mittelformen und Uebergangsstufen, welche die ver- wandten Arten verbinden, so wiirden diese fast allgemein gänzlich vernach- lässigt, und statt diesen wichtigsten Wegweisern der natürlichen Verwandt- schaft eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, wandte man sich mei- stens von ihnen mit Widerwillen ab. Nur durch dieses verkehrte Verfahren, durch diese gänzliche Verkennung des natürlichen Zusammenhanges der Arten, und durch diese gegenseitige Zuschärfung der analytischen Unter- suchungsmethode und der Species-Dogmatik, war es möglich, das Ansehen der letzteren so allgemein und so lange zu erhalten, und sich der Erkennt- niss von der genealogischen Verwandtschaft der Speeles zu verschliessen, auf welche alle allgemeinen Erscheinungsreihen der organischen Natur mit zwingender Gewalt hindeuten. Hieraua ergiebt sich nun von selbst, dass wir, um einen neuen Auf- schwung der Morphologie herbeizufühz-en, vor Allem die vergessene und verlassene Synthese wieder in ihre alten Rechte einzusetzen haben. Viele Zweifel gegen die Descendenz-Theorie, viele eingerostete Vorurtheile gegen die Veränderlichkeit der Species werden von selbst fortfallen, sobald man die bereits bekannten Thatsachen-Reihen der Biologie, statt wie bisher sondernd vom analytischen, nun auch einmal verknüpfend vom synthetischen Standpunkte aus betrachtet. In der That genügt in vielen Fällen die ein- fache Zusammenstellung und Vergleichung einer Reihe von einzelnen That- sachen, um zu einem ganz entgegengesetzten allgemeinen Schlüsse zu ge- langen, als dieselben vorher einzeln und für sich betrachtet, ziehen Hessen. Nur durch Synthese ist es möglich, zu den wichtigsten allge- III. Inductioa und üeduction. 79 meinen Naturgesetzen zu gelangen, zu denen die ausgedehnteste Analyse niemals hinführt. "Wenn man bedenkt, wie höchst einseitig von der gesammten Biologie, insbesondere in den letzten 30 Jahren, die empirische Analyse betrieben worden ist, wie man stets nur bedacht war, das Ganze in seine Theile zu zerlegen, die isolirten Theile zu untersuchen, und sich nicht weiter um den Zusammenhang derselben zu kümmern, so wird man über den Widerstand, den die Desceudenz -Theorie bei den meisten Biologen noch heute findet, nicht erstaunt seiu. Denn es ist ohne Weiteres klar, dass diese Theorie, wie alle ähnlichen grossen und umfassenden Theorieen, wesentlich auf der ausgedehntesten philosophischen Synthese beruht, und dass nur durch die den- kende Verknüpfung der zahllosen, von der beobachtenden Analyse gewon- nenen Einzelheiten die allgemeinen Gesetze gewonnen werden können, zu de- nen uns jene Theorie hinführt. Aus diesen Gründen erwarten wir zunächst von einer durchgreifenden und allgemeinen Synthese auf dem gesammten Ge- biete der organischen Morphologie den grössten Portschritt, und sind fest überzeugt, dass durch diese allein schon unsere ganze Wissenschaft ein verjüngtes Ansehen gewinnen wird. Vergessen wir dabei aber niemals, dass empirische Analyse und philosophische Synthese sich gegenseitig be- dingen, ergänzen und durchdringen müssen; denn „nur Beide zusammen, wie Ein- und Aus-Athmen, machen das Leben der Wissenschaft." III. Induction und Deduction. ..Die allein richtige Methode m den Naturwissenschaften ist die inductive. Ihre wesentliche Eigeuthümlichkeit, worin eben die Sicher- heit der durch sie gewonnenen Resultate begründet ist, besteht darin, dass man mit Verwerfung jeder Hypothese ohne alle Ausnahme (z. B.' der Hypothese einer besonderen Lebenskraft) von dem unmittelbar Gewissen der Wahrnehmung ausgeht, durch dieselbe sich zur Erfahrung erhebt, indem man die einzelne Wahrnehmung mit dem anderweit schon Festgestellten in Verbindung setzt, aus Vergleich ung verwandter Erfahrungen durch Induction bestimmt, ob sie unter einem (besetze, und unter welchem sie stehen und so fort, indem man mit den so gefundenen Gesetzen ebenso verfährt, rückwärts fortschreitet, bis man bei sich selbst genügenden, mathematischen Axiomen ange- iiommen ist." Schleiden (Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik §. '6. Methodik). ') ') „Von den Thatsachen werden wir weiter geführt zur Theorie hauptsäch- lich durch Induction, Hypothese und Analogie. Alle drei sind blosse Wahrscheinlichkelts Schlüsse imd können also für sich nie logische Ge- wissheit geben. Wenn man sie daher richtig gebrauchen will, so musa mau sehr genau über das Verhiiltniss derselben zum Ganzen unserer Erkenntnissthätigkeit oneuti'rt sein; denn so wi5 sie richtig gebraucht die einzigen Förderungsmittel 80 Methodik der Morphologie der Organismen. „Die Methode der Untersuchung, Avelche uns wegen der Unan- wendbarkeit der directen Methoden der Beobachtung und des Experi- mentirens als die Hauptquelle unserer Kenntnisse, die wir in Beziehung auf die Bedingungen und Gesetze der Wiederkehr der verwiekelteren Naturerscheinungen besitzen oder erlangen können, übrig bleibt, wird in dem allgemeinsten Ausdruck die deductive Methode genannt. — Dieser deductiven Methode verdankt der menschliche Geist seine rühm- lichsten Triumphe in der Erforschung der Natur. Ihr verdanken wir alle Theorieen, durch welche ausgedehnte und verwickelte Naturer- scheinungen in wenigen Gesetzen umfasst werden, und die, als Gesetze dieser grossen Erscheinungen betrachtet, durch directes Studium nie hätten entdeckt werden können. ') aller Erfahrungswissenschaft sind, so werden sie, fehlerhaft oder leichtfertig au- gewendet, auch die Quelle aller Verkehrtheiten und Phantasieen, die beständig in der Geschichte der Wissenschaft auftauchen, dieselbe verwirren und in ihrem Fortschritt hemmen. Alle drei, luductiou, Hypothese und Analogie, sind unvollständige di- visive Schlüsse, die Induction unter kategorischer Form, indem ich von vielen Fällen (statt von allen) auf die Gültigkeit einer allgemeinen Regel, die Hypothese unter hypothetischer Form, indem ich von einigen Folgen (statt von allen) auf die Einheit des Grundes schliesse, endlich die Analogie, welche eigentlich nur der durch Induction gefundenen Regel unterordnet, wo es also allein auf die Gültigkeit der Induction ankommt. Dass wir einem sol- chen unvollständigen Schlüsse, bei dem bloss logisch gar keine Schlusskraft vorhanden ist, vollen Glauben beimessen, liegt in der Natur der erkennenden Vernunft, welclie überall Einheit und Zusammenklang in ihren Erkenntnissen for- dert. Die Schlussfornien gelten aber desshalb auch nur im Einklang mit der ganzen Erkenntnisskraft nnd den daraus abzuleitenden Principien." Schleiden (1. c.) § 4. Von der Induction insbesondere. ') „Die deductive Methode ist bei dem gegenwärtigen Stande der Wissen- schaft unwiderruflich bestimmt, den Gang der wissenschaftlichen Untersuchung von nun an zu beherrschen. Friedlich und allmählig geht in der Wissenschaft eine Revolution vor sich, das Gegentheil von der, an welche Bacou seinen Na- men knüpfte. Dieser grosse Mann verwandelte die deductive Methode der Wis- senschaften in eine experimentelle, die sich nun wieder in die deductive umkehrt. Aber die Deductioneu, welche Bacon verbannte, waren aus voreilig erhaschten oder willkührlich angenommenen Prämissen abgeleitet. Die Principien waren weder durch die gesetzmässigen Regeln der experimentellen Forschung festge- setzt, noch waren die Resultate durch jenes unentbehrliche Element einer ratio- nellen deductiven Methode, die Bestätigung durch die specifische Erfahrung ge- prüft. „Unter den unseren Fähigkeiten zugänglichen Gegenständen sind diejenigen, welche noch in einem Zustande von Düsterheit und Ungewissheit verweilen (indem das Aufeinanderfolgen ihrer Erscheinungen noch nicht unter feste und erkennbare Gesetze gebracht worden ist), meistens von einer verwickelten Natur, solche in denen viele Agentien thätig sind, deren Wirkungen sich fortwährend aufheben oder vermischen. Die Entwirrung dieses «Knäuels ist eine Aufgabe, III. luductioD und Deduction. 81 Die deductive Methode besteht aus drei Operationen: die erste ist eine directe Induction, die zweite eine Folgerung, die dritte eine Bestätigung. Ich nenne den ersten Schritt in dem Verfahren eine inductive Operation, weil eine directe Induction als die Basis des Ganzen vorhanden sein muss, obgleich in vielen besonderen Untersuchungen die Induction von einer früheren Deduction vertreten werden kann; die Prämissen dieser früheren Deduction müssen aber von einer Induction abgeleitet sein. — Die Gesetze einer jeden be- sonderen Ursache, die Antheil an der Erzeugung der Wirkung nimmt, zu ermitteln, ist daher das erste Erforderniss (das erste Stadium) der deductiven Methode; — der zAveite Theil (das zweite Stadium) der- selben ist die Bestimmung aus den Gesetzen der Ursachen, welche Wirkung eine gegebene Combinatiou dieser Ursachen hervorbringen wird. Dies ist ein Process der Berechnung in dem Aveitesten Sinne des Wortes, und schliesst häufig eine Berechnung in dem engeren Sinne ein. — Den dritten wesentlichen Bestandtheil (das dritte Sta- dium) der deductiven Methode, und ohne welchen alle Resultate, die sie gewähren kann, keinen anderen Werth haben, als den einer Ver- muthung, bildet die Bestätigung (Verification) oder Probe der Folgerung. Um das Verti-auen auf die durch Deduction erhaltenen allgemeinen Schlüsse zu rechtfertigen, müssen diese Schlüsse bei einer sorgfältigen Vergleichung mit den Resultaten der directen Beobachtung, wo man sie immer haben kann, übereinstimmend befunden werden, " John Stuart Mill (die inductive Logik. Braunschweig, 1849; p. 180, 181, 187, 190). An die Spitze dieses Abschnittes, welcher die höchst wichtige und nothwendige Wechselwirkung der inductiven und der deductiven Methode erläutern soll, stellen wir die Aussprüche zweier ausgezeichneter Männer, von denen der eine als „Naturforscher", der andere als „Philosoph" die grössten Verdienste hat. Auf den ersten Blick scheinen sich vielleicht beide geradezu zu widersprechen. Schlei- den preist die inductive, Mill die deductive Methode, welche diameti-al von der ersteren verschieden zu sein scheint, als die „allein richtige" und ausschliesslich zu befolgende Methode der -Naturwissenschaft. In- dessen ergiebt eine genauere Betrachtung ihrer Erklärungen alsbald, dass dieser Gegensatz nur ein theilweiser, nur insofern vorhanden ist, welche vou Schwierigkeiten begleitet ist, die, wie bereits gezeigt wurde, nur durch die Deduction allein gelöst werden können. Deduction heisst das grosse wissenschaftliche Werk unserer und der zukiin fti gen Zeiten. Der Theil, welcher fortan der specifischen Erfahrung bei der Vervollkommnung der Wissenschaft bewahrt ist, besteht hauptsächlich darin, dass sie dem deducti- ven Forscher Winke giebt, die er zu verfolgen hat, und in der Bestätigung oder Einschränkung seiner Schlüsse." John Stuart Mill (1. c.) p. 223, 224. Haeckel, Generelle Morphologie. f> 82 Methodik der Morphologie der Organismen. als Schleiden für die philosophische Naturwissenschaft eine engere, Mill eine weitere Grenze der Schlussfolgerung aus der Beobachtung zieht. Allerdings will der erstere zunächst nur die Induction gelten lassen und schliesst die Deduction ganz aus, während der letztere die Induction ausdrticklich nur als eine Voraussetzung, als das noth- wendige „erste Stadium" der Deduction gelten lässt. Nach Schleiden wtirde die Erfahrung nur vom Einzelnen aus in das Ganze, vom Be- sonderen aus in das Allgemeine gehen und nur von der Wirkuag aus auf die Ursache, von der Thatsache aus auf das Gesetz schliessen dürfen. Nach Mill dagegen darf die Naturwissenschaft nicht auf die- ser Stufe stehen bleiben, sondern sie darf und muss auch den umge- kehrten Weg der Schlussfolgerung gehen; sie darf und muss yon dem Ganzen auf das Einzelne, von dem Allgemeinen auf das Besonder^ schliessen; sie darf und muss aus der Ursache die Wirkung, aus dem Gesetze die Thatsache folgern können. Die hier olien zu Tage tretende thatsächliche Differenz Uber die wichtigste Methode der Naturforschung zwischen zwei scharfsinnigen Männern, die beide mit tiefem philosophischen Blick die Geistesopera- tionen der naturwissenschaftlichen Schlussfolgerungen untersucht haben, ist desshalb ftir uns von hohem Interesse, weil sie uns auf zwei ver- schiedene Denkweisen unter den biologischen Naturforschern hinweist, die gerade jetzt im Begriffe sind, sich mit mehr oder weniger klarem Bewusstsein von einander zu trennen und einseitig sich gegenüber zu treten. Es kann nämlich keinem Zweifel unterliegen, dass die von Schleiden als die allein richtige Methode gepriesene Induction, welche damals allerdings, den phantastischen Träumereien und den unreifen Deductionen der früheren Naturphilosophen gegenüber, vollkommen am Platze war, durch ihre ausschliessliche Geltung sehr viel zu der ein- seitigen „ exact-empirischen " Richtung beigetragen hat, die in den letz- ten Decennien mehr und mehr die herrschende geworden ist. Indem man hier immer allgemeiner nur die Induction allein als die „ eigentliche" Methode der Naturforschung gelten Hess und die Deduction völlig ausschloss, beraubte man sich selbst des fruchtbarsten Denk. processes, der gerade in den biologischen Disciplinen zu den grössten Entdeckungen führt. Zum Wenigsten wollte man Nichts von dem- selben wissen, wenn gleich man unbewusst sich desselben häufig und mit dem grössten Erfolge bediente. Denn es ist nicht schwer nachzu- weisen, dass die wichtigsten Entdeckungen, welche in dem letztver- flossenen Zeitraum gemacht wurden, und insbesondere die allgemeineren biologischen Gesetze, zu denen man gelangte, zwar durch vorhergehende und höchst wesentliche, aber nicht durch ausschliessliche Hülfe der In- duction gemacht wurden, dass vielmehr fast immer die der Induction III. Induction und Deduction. 83 nachfolgende, meist unbewusste Deduction die allgemeine und sichere Geltung der Erfahrung erst begründete. Wenn die Induction ausschliesslich in dem strengsten Sinne, wie Schleiden will, die Methode der naturwissenschaftlichen Untersuchung und Schlussfolgerung sein und bleiben sollte, so würde der Fortschritt unserer Erkenntnisse und ganz besonders der Fortschritt in der Fest- stellung allgemeiner Gesetze nur ein äusserst langsamer und allmähliger sein; ja, wir würden sogar zur Aufstellung der allgemeinsten und wichtigsten Naturgesetze niemals gelangen, und den allgemeinen Zu- sammenhang der grössten und umfassendsten Erscheinungsreihen nie- mals erkennen. Zu diesen können wir immer nur durch deductive Verstandes- Operationen gelangen, und zwar nur durch reichliche und häufige, allerdings aber auch nur durch richtige und sehr vorsichtige Anwendung der Deduction. Induction und Deduction stehen nach unserer Ansicht in der innigsten und nothwendigsten Wechselwirkung, in ähnlicher Weise, wie es Goethe von der Analyse und Synthese ausspricht: „Nur Beide zusammen, me Aus- und Ein-Athmen, machen das Leben der Wissen- schaft." Mi 11 ist sicher im vollkommensten Eechte, wenn er der De- duction die grösste Zukunft prophezeit, und die Induction vorzüglich nur als die erste Stufe, als das erste Stadium der Deduction gelten lässt. Diese Vorbedingung ist für eine richtige Deduction aber auch unerlässlich. Entweder muss eine directe Induction die Basis der gan- zen deductiven Operation bilden, oder es muss statt jener directen Induction eine andere Deduction zu Grunde liegen, die selbst wieder direct oder indirect durch eine Induction sicher begründet ist. Es muss also in allen Fällen, — und dies hervorzuheben ist sehr wichtig — eine Induction die Basis, den ersten Schritt des ganzen Schlussver- fahrens bilden, und erst auf dieser Basis kann sich dann die Deduction sicher aufbauen. Es wird also dadurch, dass man die deductive Methode als die wichtigste, fruchtbarste und bedeutendste der naturwissenschaftlichen Forschung hinstellt, die Bedeutung der inductiven Methode keineswegs geschmälert, sondern vielmehr nur insofern modificirt, als sie die noth- wendige Basis, die unentbehrliche Einleitung der ersteren sein muss. Wir können mithin allgemein aussprechen, dass die Induction die erste, unentbehrlichste und allgemeinste Methode der Naturforschung sein muss, dass aber die letztere, wenn sie zu allgemeinen Gesetzen ge- langen, diese mit Sicherheit beweisen und den fundamentalen und all- gemeinen Zusammenhang der Erscheinungen erkennen will, nicht bei der Induction stehen bleiben darf, sondern sich zur Deduction wenden muss. Die Induction gelangt durch vergleichende Zusammenstellung vieler einzelner verwandter specieller Erfahrungen zur Aufstellung 6* 84 Methodik der Morphologie der Organismen. eines allg-eineinen Gesetzes. Die Deduction folgert aus diesem generellen Gesetze eine einzelne specielle Tliatsacbe. Wird diese letztere nun nachher durch die Erfahrung als wirklich erwiesen, so war die de- ductive Folgerung richtig, und durch die Probe oder Verification, welche diese nachträgliche Erfahrung liefert, ist das Gesetz bestätigt, ist die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes mit weit grösserer Sicher- heit festgestellt, als es durch die Induction jemals hätte geschehen können. Eine klare und vollständige Erkenntniss von dem Wesen dieser beiden wichtigsten Verstandes -Operationen, eine vollkommene Ueber- zeugung von der Nothwendigkeit ihrer präcisen Anwendung, und eine richtige Auffassung des innigen gegenseitigen Wechselverhältnisses, in welchem Induction und Deduction zu einander stehen, halten wir für äusserst wichtig, und für einen jeden Naturforscher, der die Mittel zur Lösung seiner Aufgabe klar erkennen und sein Ziel mit Bewusstsein verfolgen will, ganz unerlässlich. Wenn die meisten Naturforscher gegenwärtig von diesen Methoden, sowie überhaupt von einer streng philosophischen Behandlung ihrer Aufgabe, Nichts wissen und leidei auch meist Nichts wissen wollen , so ist es ihr eigener schlimmer Nachtheil. Denn tbatsächlich können sie diese beiden wichtigsten Geistesoperationen des Naturforschers nirgends entbehren, und tbat- sächlich bedienen sie sich derselben fortwährend, Avenn auch ganz un- bewusst, und daher meist unvollständig. Inductive und deductive Methode sind keineswegs, wie Viele meinen, besondere Erfindungen der Philosophen, sondern es sind natürliche Operationen des mensch- lichen Geistes, welche wir überall und allgemein, wenn auch meist unklar, unvollständig und unbewusst anwenden. Wenn aber die wis- senschaftliche Anwendung der Induction und Deduction mit Bewusst- sein erfolgt, wenn sich der Naturforscher der Bedeutung und des Nutzens, der Tragweite und der Gefahren dieser Methoden bewusst ist, so kann er sich derselben mit weit grösserem Erfolge und mit weit vollkommnerer Sicherheit bedienen, als wenn er sie unklar, unbe- wusst und dTiher unvollständig und unvorsichtig anw'endet. Jeder Wanderer, der auf verwickelten Wegen, durch Wald und Feld, über Berg und Thal, sein Wanderziel verfolgt, erreicht dasselbe rascher und sicherer, mit weniger Gefahr des Irrthums und mit geringerem Zeit- aufwand, wenn er die W^ege kennt, als wenn sie ihm unbekannt sind. Methoden, und zwar ganz vorzüglich die philosophischen Methoden der Naturwissenschaft, sind aber nichts Anderes, als Wege der Forschung, und wer diese Wege genau kennt und mit sicherem Bewusstsein ver- folgt, wird sein wissenschaftliches Ziel ohne Zweifel immer besser und schneller erreichen, als derjenige, dem diese Kenntniss der richti- gen Wege fehlt. III. luductioa und Deduction. 85 Obwohl ludiiction und Deduction zweifelsohne die wichtigsten psychi- schen Functionen des erkennenden Menschen, und vor Allem des am tief- ten und gründlichsten erkennenden Menschen, d. h. des Naturforschers iud, so mangelt es dennoch gänzlich an einer gründlichen psychologischen Erläuterung derselben. Freilich geht es hier diesen beiden Methoden nicht viel schlechter, als vielen anderen wichtigen Denkprocessen. Auf eine wahrhaft natürliche, d. h. genetische Erklärung derselben werden wir erst dann hoöen können, wenn ein naturwissenschaftlich und namentlich biologisch gebildeter Philosoph, d. h. ein an klares strenges Denken gewöhnter Naturfor- scher (eine seltene. Erscheinung!) endlich einmal eine vergleichende Psycho- logie schaffen wird, d. h. eine Seelenlehre, welche die gesammten psychi- schen Functionen durch die ganze Thierreihe und namentlich durch die Stufenleiter des Wirbelthier-Stammes hindurch verfolgt und die allmählige Differenzirung derselben bis zu ihrer höchsten Blüthö im Menschen nach- weist. Da diejenigen Functionen des Centrainervensystems, welche man unter dem Namen des „Seelenlebens" zusammenfasst, durchaus nach den- selben Gesetzen entstehen und sich entwickeln, durchaus in gleicher Weise an die sich differenzirenden Organe gebunden sind, wie die übrigen soma- tischen Functionen, so können wir zu einer richtigen Erkenntniss derselben (die einen Theil der Physiologie bildet) auch nur auf dem gleichen Wege wie bei den letzteren gelangen, d. h. auf dem vergleichenden und dem genetischen Wege. Nur allein die Vergleichung der verschiedenen Ent- wickelungsstufen des Seelenlebens bei unseren Verwandten, den übrigen Wii'belthieren, das Studium der allmähligen Entwickelung desselben von frühester Jugend an bei allen Vei-tebraten , und die Herstellung der voll- ständigen Stufenleiter von allmähligen Uebergangsformen, welche das Seelen- leben von den niederen zu den höheren Wii'belthieren, und insbesondere von den niedersten Säugethieren an bis zu den höchsten, von den Beutel- thiereu durch die Reihe der Halbaffen und Affen hindurch bis zum Men- schen darstellt — nur allein diese auf dem vergleichenden und genetischen Wege erlangten psychologischen Erkenntnisse werden uns das volle Ver- ständniss unseres eigenen Seelenlebens eröffnen und uns die bewunderns- würdig weit gehende Differenzirung der psychischen Functionen erkennen lassen, welche uns vor allen andern Wirbelthieren auszeichnet.') ') Wenn wir hier die Differenzirung und Entwickelung der menschlichen Psyche im Ganzen genommen über diejenige aller anderen Wirbelthiere stel- len, so wird vielleicht die vergleichende und genetische Psychologie diese An- sicht künftig insofern einschränken, als sie darthuu , wird dass einzelne See- lenerscheinungeu, welche den drei Functionsgruppen des Ei-kennens (Denkens), Wollens und Empfindens untergeordnet sind, bei einzelnen Wirbelthieren hö- her als beim Menschen entwickelt sind. Gegenwärtig lässt sich über diesen iiisserst wichtigen und interessanten Gegenstand fast noch Nichts aussagen, da erst sehr wenige ernste Versuche zu einer wissenschaftlichen, d.h. ver- gleichenden und genetischen Psychologie der Wirbelthiere ge- macht sind. Der gänzlich nichtssagende Ausdruck „Instinkt," mit welchem man das gesammte Seelenleben der Thiere, gegenüber dem des Menschen zu bezeich- 86 Methodik der Morphologie der Organismen. Dass di(^inductive und deductive Geistesoperation bei den uns nächst- verwandteu Wirbelthieren überall nach denselben Gesetzen und in derselben Weise, wie bei uns selbst, zu Stande kommt und angewendet wird, und dass hier nur quantitative, keine qualitativen Differenzen sich finden lehrt jede nur einigermaassen unbefangene und sorgfältige Beobachtung,' z B schon bei den uns am meisten umgebenden Hausthieren. Auch hier ge- hören mductive und deductive Erkenntnisse zu den allgemeinsten und wich- tigsten psychischen Processen. Wenn z. B. Jagdhunde, wie bekannt, in die todthchste Angst gerathen, sobald der Jäger das Schiessgewehr aul sie anlegt, so ist diese Erregung die Folge eines vollständigen inductiven und deductiven Denkprocesses. Durch zahlreiche einzelne Erfahrungen haben sie die tödtliche Wirkung des Schiessgewehrs kennen gelernt. Sie schliessen daraus, dass diese Wirkung stets eintritt, sobald das Gewehi- auf ein lebendes WeSen gerichtet wird. Aus diesem als allgemein erkann- ten Gesetze folgern sie, dass in diesem specialen Falle dieselbe Wkkung eintreten werde, und wenn der Jäger nun wirklich auf sie schösse, so hät- ten sie den vollständigen Beweis von der Richtigkeit ihres deductiven Schlusses erhalten. Auf dieselben psychischen Operationen gründet sich auch die gesammte Erziehung der Hausthiere, wie der Menschenkinder, mittelst der gebräuchlichsten und allgemeinsten Erziehungsmittel, der Schläge' Ein Pferd z. B. macht in zahlreichen einzelnen Fällen die Erfahrung, dass mit einem bestimmten Zurufe des Kutschers Schläge verbunden sind die aufhören, so bald es sich in Trab setzt. Es folgert daraus durch In- duction das Gesetz (die Erziehungs-Maxime), dass diese Schläge constant und allgemein mit dem Zurufe verbunden sind, und setzt sich, um jene zu vermeiden, späterhin sofort von selbst in Trab, sobald der Zuruf ertönt. Das Pferd schliesst hier in jedem einzelnen Falle durch Deduction zurück, dass auf den Zuruf die Schläge erfolgen M^erden, und wenn sie wirklich erfolgen, so war die Verification seiner Deduction geliefert. Diese einfachen Verhältnisse der Induction und Deduction, welche ge- wissermassen eine in sich selbst zurücklaufende Kette von Ideen- Associa- tionen herstellen (indem von vielen Einzelnen auf das Allgemeine geschlos- sen und von diesem auf ein anderes Einzelnes zurück geschlossen wird), sind ganz ^dieselben, welche zur Erkenntniss der complicirtesten Ver- hältnisse und zur Entdeckung der wichtigsten Gesetze in der Naturwis- senschaft geführt haben. Vor Allen in den am meisten „exacten" Wissen- nen pflegt, ist nur ein trauriger Deckmantel für unsere bodenlose Unkenntniss. Wenn man freilich bedenkt, wie gänzlich verkehrt noch unser gesammter Jugend- untgrricht ist, wie wir von den Thieren, mit denen wir leben, und die unsere nächsten Verwandten sind, fast Nichts lernen, wie unsere sogenannten „gebilde- ten" Gesellschaftsklassen sich in der gröbsten Unkenntniss der Natur, die sie umgiebt, in der vollkommensten Unklarheit über ihre Beziehungen zu derselben befinden, so kann man sich nicht wundern, wenn gerade über diesen wichtigsten Punkt, über die qualitative Uebereinstimmung (und die nur quantitative Difie- renz) der menschlichen und thierischen Psyche die verkehrtesten Vorstellungen herrscheu. III. Induction und Deduction. 87 Schäften, in der Astronomie und Mechanik, in der Chemie und Physik, in der Geo'logie und Mineralogie wird von der inductiven und der ergänzen- den deductiven Methode allgemein der weiteste und fruchtbarste Gebrauch gemacht. Nur in den biologischen Wissenschaften, und ganz besonders in der Morphologie der Organismen, besteht noch allgemein eine solche Scheu vor Anwendung dieser wichtigsten Erkenntniss- Methoden, dass man sich lieber der rohesten und gedankenlosesten Empirie in die Arme wirft, als dass man zu ihnen seine Zuflucht nähme. Fragen wir nach den Gründen tlieser seltsamen Erscheinung, so finden wir sie auch hier wieder theils in der allgemeinen Abneigung der Biologen, und namentlich der Morphologen, gegen alle strengen philosophischen Methoden, theils in der Unkenntniss derselben, theils in der Furcht vor den Schwierigkeiten ihrer Anwendung und vor den Gefahren, welche dieselben mit sich bringen. Nun ist es allerdings richtig, dass diese Gefahren, welche in der na- türlichen UnVollständigkeit, in der nur annähernden Sicherheit der inductiven und deductiven Methode selt)st begründet sind, gerade auf dem Gebiete der organischen Morphologie grösser sind, als irgendwo. Denn nirgends so wie hier ist einer subjectiven und willkührlichen Erkenntniss Thür und Thor geöffnet; nirgends gelten so wenig feste unverbrüchliche Gesetze und Regeln als auf diesem Gebiete; und nirgends so wie hier, gehen factisch die Ansichten der verschiedenen Naturforseher über eine und dieselbe Sache auf das Weiteste' aus einander. Allein wenn auch der Weg hier besonders schlüpfrig und gefährlich, wenn der Irrthum und Fehltritt hier besonders leicht und nahe ist, so müssen wir dennoch diesen Weg betreten, als den einzig möglichen, auf dem wir überhaupt vorwärts kommen können. Auf allen Gebieten der organischen Morphologie, in der Tectologie wie in der Promorphologie, in der Ontogenie wie in der Phylogenie, überall werden wü- der Induction und der darauffolgenden Deduction, deren Yeri- Scation selbst erst die Induction sicher stellt, den weitesten Spielraum gönnen, die allgemeinste Anwendung geben müssen, wenn wü- überhaupt zu unserm Ziele, zur Erkenntniss allgemeiner Bildungsgesetze gelangen wollen. Kaum werden wir aber so oft und so allgemein irgendwo inductive und deductive Methode verbunden zur Anwendung bringen müssen, als in der Phylogenie, in der paläontologischen Entwickelungsge schichte und der genealogischen Verwandtschaftslehre der Organismen. Hier beruht ge- radezu jeder Fortschritt zu der Erkenntniss der allgemeinen Gesetze auf der weitesten und vollständigsten Anwendung der Deduction. Mit der In- duction allein würden wir hier keinen Schritt vorwärts kommen. Die In- duction fusst ausschliesslich auf der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung. Da wir nun vou keinem einzigen fossilen, ausgestorbeneu Organismus den ganzen Körper, sondern stets nur einzelne Theile desselben, meist sogar nur unbedeutende Fragmente kennen, so müssen wir nothwendig zur Er- gänzung derselben unsere Zuflucht zur Deduction nehmen. Wir haben aus der vergleichenden Anatomie der lebenden Verwandten des fossilen Or- ganismus, von dem wir nur ein kleines, aber charakteristisches Fragment be- sitzen, die allgemeinen Organisationsgesetze inductiv erschlossen, welche dieser ganzen Gruppe eigenthümlicb sind, und wir folgern daraus, dass auch 88 Methodik der Morphologie der Organismen. diese ausgestorbene Art dieselben Verhältnisse gezeigt haben werde Fin den wir nun nachträglieh noch vollständigere Reste derselben, welche die.e Folgerung bestätigen so ist unsere Deduction verificirt. Cuvier hatte durch die genausten vergleichend anatomischen Untersuchungen sich (auf in- ductivem Wege) eine vollständige Kenntniss vom Bau der Beutelthiere ge- bildet. Als Ihm eines Tages ein fossiler Unterkiefer gebracht wurde, schlo.^ er aus einer gewissen Formeigenthümlichkeit desselben sofort (auf deductivem Wege) dass derselbe einem Beutelthier angehöre, und die nachfolgend. Ausgrabung des ganzen Skelets verificirte diese Deduction vollständig- machte die Probe, die zu seiner Rechnung stimmte. " In äussei-st zahlreichen Fällen bilden wir uns auf vergleichend ana- tomischem und embryologischem Wege, durch Induction, bestimmte allge- meine ^ orstellungen von den natürlichen Verwandtschaftsverhältnissen (?an- zer Organismen-Gruppen. Diese drücken wir am kürzesten und anschau- lichsten dadurch aus, dass wir dieselben in Form eines Stammbaums, einer genealogischen Tabelle zusammenstellen. Niemals aber ist dieser Stamm- baum vollständig, indem immer zahlreiche (lebende oder fossile) Ueber gangsgheder zwischen den verwandten Formen fehlen. Durch Deduction schliessen wir auf die (jetzige oder frühere) Existenz dieser verbindenden Uebergangsglieder, und wenn dieselben (wie das schon oftmals geschehen ist) nachträglich wirklich entdeckt werden, so ist unsere Deduction durch die nachfolgende Verification auf das Glänzendste gerechtfertigt Viertes Capitel: Zweite Hälfte. Kritik der naturwissenschaftlichen Methoden, welche sich gegen- seitig NOTHWENDIG AUSSCHLIESSEN MÜSSEN, IV. Dogmatik und Kritik. „In aller Bearbeitung der Wissenschaften treten sich stets zwei Methoden als unmittelbare Gegensätze gegenüber. Einerseits ist es die dogmatische Behandlung, die schon Alles weiss, der mit ihrem augenblicklichen Standpunkt die Geschichte ein Ende erreicht hat, die ihre Weisheit wohl vertheilt und wohl geordnet vorträgt, und von ihren Schülern keinen andern Bestimmungsgrund zur Annahme des Gehörten fordert, als das aihog %a. Dieser in ihrem ganzen Wesen falschen Weise tritt nun die andere entgegen, die wir für die reine Philosophie die kritische, für die augewandte Philosophie und für die Naturwissenschaften die inductorische Methode nennen; die sich be- scheidet noch wenig zu wissen; die ihren Standpunkt von vornherein nur als eine Stufe in der Geschichte der Menschheit ansieht, über welche hinaus es noch viele folgende und höhere giebt, die aber frei- IV. Dogmatik und Kritik. 89 lieh nur als i h r folgende angesehen werden können ; und die ihre Schüler auffordert, sie zu begleiten und unter ihrer Anleitung im eige- nen Geist und in der Natur zu suchen und zu finden."') Schlei- den (Gruudzüge der vvissensch. Botanik, III. Aufl. p. 4). Obgleich es wohl uacli dem vorstehenden Ausspruche Schleidens, der den Gegensatz zwischen kritischer und dogmatischer Methode scharf characterisirt, scheinen könnte, als ob die kritische Methode mit der im vorigen Abschnitte erläuterten inductiven Methode identisch sei, so glauben wir doch, dass man riclitiger die letztere nur als einen Inhaltstheil der ersteren, als eine ihr subordinirte Methode auf- fasst. Der Umfang des Begriffs der „Kritik" ist weiter, als derjenige der „Induction", und nach unserer Ueberzeugmig muss auch die De- duction, welche doch von der Induction wesentlich verschieden und ihr gewissermaassen entgegengesetzt ist (indem sie umgekehrt verfährt), stets nicht minder „ kritisch " zu Werke gehen, als die Induction selbst. Wir halten es daher nicht für überflüssig, die Bedeutung der kritischen Forschungsmethode hier noch besonders zu erörtern; um so mehr, als einerseits wir im vorigen Abschnitt die Induction nur im Gegensatz zur Deduction (und nicht zur Dogmatik) besprochen haben, anderer- seits aber die nur allzuhäufige Vernachlässigung der kritischen Methode den biologischen Naturwissenschaften, und ganz besonders den ver- schiedenen Zweigen der organischen Morphologie offenbar gescha- det hat. Denn wenn man die vielen grundverschiedenen Ansichten tiber- blickt und vergleicht, welche von den verschiedenen Morphologen zur Erklärung sowohl zahlloser Einzel -Erscheinungen als auch grösserer Erscheinungsreihen auf dem botanischen und zoologischen Gebiete auf- gestellt worden sind, so erkennt man bald, dass nicht bloss die Schwierig- keit des höchst verwickelten Gegenstandes selbst, sondern mehr noch Mangel an allgemeinem üeberblick, und vor Allem Mangel an Kritik diese grellen und seltsamen Widersprüche bedingt. Statt umsichtiger ') „Freilich ist die dogmatische Methode in ihrer strengsten Consequenz eine an sich unmögliche, und jeder Einzelne, der ihr anhängt, muss immer mehr oder weniger eine Zeit lang der kritischen Methode gefolgt sein, um nur zur dogmatischen Behandlungsweise kommen zu können; und seine wissenschaftliche Thätigkeit wird daher sehr verschiedene Abstufungen darbieten, je nachdem er mehr oder weniger die allein richtige kritische Methode in Auwendung gebraciit und in seiner Darstellung durchscheinen lässt. Verfolgen wir nun von diesem Gesichtspunkte aus die Geschichte der Menschlieit, so sehen wir, wie aller Fort- schritt in den einzelnen Disciplinen immer nur an die Herrschaft der inductiven und kritischen Methoden geknüpft ist, und wie sich die einzelnen Methoden erst ganz allmählig eine nach der anderen das Bewusstsein der allein richtigen Me- thode erobern." Schleiden (1. c.) p. 5. 90 Methodik der Morphologie der Organismen. und auf breite inductive Basis wohl begründeter Theorieen, treffen wir viehnehr fast allenthalben höchst vage Hypothesen von durchaus dog- matischem Character an; ja bei aufrichtiger Prüfung des gegenwärtigen Zustandes unserer Wissenschaft müssen wir zu unserm Leidwesen ge- stehen, dass überall in derselben die dogmatische Richtung noch weit über die kritische überwiegt. Leider ist dieser höchst schädliche Mangel an Kritik so allge- mein und hat insbesondere in den letzten Decennien, gleichzeitig und in gleichem iSchritt mit dem extensiven Wachsthum und der da- mit verbundenen Vertlachuug der organischen Morphologie, so sehr zu- genommen, dass wir kein einzelnes Beispiel anzuführen und den un- parteiischen Leser bloss zu ersuchen brauchen, einen Blick in eine belie- bige Zeitschrift für „ wissenschaftliche" Zoologie oder Botanik zu werfen, um sich von dem dogmatischen und kritiklosen Character der meisten Arbeiten zu überzeugen. Nirgends aber tritt dieser Character so nackt und abschreckend zu Tage, als in der Mehrzahl deijenigen Schritten, welche die Species-Frage behandeln, und insbesondere in denjenigen, welche die Descendenz-Theorie zu bekämpfen suchen. Dass gerade in dieser hochwichtigen allgemeinen Frage die gänzlich dogmatische und kritiklose Richtung der organischen Morphologie in ihrer ganzen Blosse uud Schwäche auftritt, kann freilich Niemanden überraschen, der durch eigene systematische Studien sich einen Begriff von dem ausserordentlichen Gewicht dieser allgemeinen Frage gebildet und da- bei die Ueberzeugung gewonnen hat, dass hier ein einziges 'colossales Dogma die gesammte Wissenschaft nach Art des drückendsten Ab- solutismus beherrscht. Denn nur als ein colossales Dogma, welches ebenso durch hohes Alter geheiligt, und durch blin- den Autoritätenglauben mächtig, wie in seinen Praemissen haltlos und in seinen Consequenzen sinnlos ist, müssen wir hier offen die gegenwärtig immer noch herrschende An- sicht bezeichnen, dass die Speeles oder Art constant und eine für sich selbstständig erschaffene F'orm der Organi- sation ist. „Immerfort wiederholte Phrasen verknöchern sich zuletzt zur Ueber- zeugung und verstumpfen völlig die Organe des Anschauens." Dieses goldene Wort Goethe's findet nirgends in höherem Grade Geltung, als in dieser Frage. In der That, wenn man mit kritisclier Vorurtheils- losigkeit unbefangen alle Voraussetzungen erwägt, auf welche die An- hänger des Species-Dogma sich stützen, und die Folgerungen zieht, welche nothwendig aus demselben gezogen werden müssen, so begreift man nur durch Annahme „einer völligen Verstumpfuug der Organe des Anschaueus," wie dieses in sich hohle und widerspruchsvolle Dogma 130 Jahre hindurch fast unangefochten bestehen, und wie dasselbe nicht IV. Dogmatil? und Kritik. 91 allein die Masse der gedankenlosen Naturbeobachter, sondern auch die besten und denkendsten Köpfe der Wissenschaft beherrschen konnte. Seltsames Schauspiel ! Einem Götzen gleich steht allmächtig und all- beherrschend dieses paradoxe Dogma da, welches Nichts erklärt und Nichts nützt, und welches zu der Gesammtheit aller allgemeinen bio- logischen Erscheiuungsreihen sich im entschiedensten Widerspruche befindet. Während alle einzelnen grösseren und kleineren Thatsachen- Keihen, welche auf dem Gebiete der Biologie, und namentlich der Mor- .phologie, seit mehr als hundert Jahren sich so massenhaft angehäuft haben, übereinstimmend und gleichsam spontan zu dem grossen Re- sultate hinleiten, dass die unendliche Mannichfaltigkeit der Thier- und Pflanzen-Formen die reich dififerenzb'te Nachkommenschaft einiger we- niger einfacher gemeinsamer Stammformen sei, während alle anatomi- schen und embryologischen, alle paläontologischen und geologischen Data ebenso einfach als nothwendig auf dieses gewaltige Resultat hin- arbeiten, bleibt die entgegengesetzte, rein dogmatische und durch keine Thatsachen gestützte Ansicht Uber ein Jahrhundert lang allgemein heiT- schend! Credunt, quia absurdum est! In Wahrheit ist diese Betrachtung für die Geschichte der Wissen- schaft von hohem Interesse, und keine andere kann uns in so hohem Grade vor den Gefahren und Nachtheilen einer dogmatischen und le- diglich durch die Autorität gestützten Anschauungsweise warnen, und so nachdrücklich auf die Nothwendigkeit einer sti'engen kritischen Untersuchungsmethode himveisen. Wären die Morphologen nur mit etwas mehr Kritik verfahren und hätten sie die Autorität des Species- Dogma nur etwas weniger gefürchtet, so hätte dasselbe schon längst in sich zusammenstürzen müssen. Und wieviel weiter wären wir da- durch gekommen! So aber bewährt sich auch hier wieder der alte Spruch von Goethe: „Die Autorität verewigt im Einzelnen, was ein- zeln vorüber gehen sollte, lehnt ab und lässt vorüber gehen, was fest- ' gehalten werden sollte, und ist hauptsächlich Ursache, dass die Mensch- heit nicht vom Flecke kommt." Wenn wir näher nach den TJrsachen fragen, welche dem Dogmatismus auf dem biologischen Gebiete eine so ausgedehnte Herrschaft und eine so feste Geltung verschafft haben, so finden wir sie auch hier wieder vorzugs- weise in dem Mangel an allgemeiner philosophischer V orbilduug bei den meisten biologischen Naturforschern, und in der merkwürdigen Tin. klarheit, in welcher sich dieselben nicht allein über die eigentlichen Ziele ihrer Wissenschaft, sondern auch über die allein richtigen Wege, auf denen ie diese Ziele erreichen können, befinden. Der hochmüthige und thörichte Dünkel, mit welchem die meisten Biologen auf jede „Philosophie" herab- sehen, bestraft sich selbst zunächst durch den grossen Schaden, den ihnen diese • Verschmähung ihres besten und wichtigsten TJntersuchungs- Instru- ments unmittelbar bringt. Lieber wollen sie ihren schwierigen und an ver- 92 Methodik der Morphologie der Organismen. führenden Irr-Pfaden so reichen Weg allein und im Dunkeln gehen, als ge führt und erleachtet von dem sicheren Lichte einer wahrhaft philosophi- schen Untersuchungsmethode. Lieber werfen sie sich, an einem hohen Berge von unerklärten a'hatsachen augelangt, zur Umgehung desselben dem ersten besten Dogma in die Arme, als dass sie sich von einer streng kritischen und philosophischen Methode zur Entdeckung der in demselben verborge- nen Werth vollen Schätze, der Gesetze leiten Hessen. Freilich spielt auch hier wieder nicht allein der Mangel an philosophischer Einsicht, son- dern auch die schon früher gerügte Denkträgheit eine sehr schädliche Rolle. Die Anstrengung des erkennenden Geistes, welche eine streng denkende und kritische Natnrbetrachtung nothwendig verlangt, ist der Mehr- zahl der Biologen, und namentlich der Morphologen, viel zu unbequem; weit bequemer ist es, Thatsachen unmittelbar „exact" zu beobachten und zu beschreiben, und statt nach einer inductiven Erklärung zu suchen, sich dog- matisch dem ersten besten Einfalle zu überliefern. Dazu kommt, dass die Meisten keine Ahnung davon haben, wie ausserordentlich schädlich diese dogmatische Richtung der organischen Morphologie wirkt. Und doch geht dies so deutlich aus dem traurigen Zustande hervor, in dem sich der allge- meine Theil unserer Wissenschaft, trotz der zahllosen einzelnen und be- sonderen Arbeiten, immer noch befindet. Dem weitverbreiteten Mangel an Kritik müssen wir es wesentlich mit zuschreiben, dass es hier an allgemei- nen Bildungsgesetzen fast noch gänzlich fehlt, und dass wir nur so selten dazu gelangen können, aus einer grösseren Reihe von höchst speciellen Ar- beiten über einen und denselben Gegenstand uns eine sichere allgemeine Vorstellung über denselben zu . bilden. Eine mit dieser Denkträgheit eng verbundene weitere Ursache jener herrschenden dogmatischen Richtung und zugleich eine Ursache, welche derselben zur theilweiseu Entschuldigung dienen kann, liegt in dem starken conservativen Hange und in dem Autoritätenglauben, welche der mensch- lichen Natur so fest anhaften, und welche zwei ihrer nachtheiligsten und dunkelsten Schattenseiten bilden. Wohl auf keinem Gebiete der Naturfor- schung sind dieselben stets so einflussreich gewesen und bis auf den heu- tigen Tag so mächtig geblieben, als auf dem der Biologie, und vor Allem der Morphologie der Organismen. Hier mehr als irgendwo gilt ein Dogma schon desshalb für heilig und unantastbar, weil es sich eine gewisse Reihe von Jahren hindurch einer allgemeinen Geltung erfreut hat, und eine dog- matische Hypotliese schon desshalb für unangreifbar, weil eine bedeutende Autorität, ein Coryphaee der Wissenschaft sie aufgestellt hat. In dieser Beziehung sind die abiologischen Wissenschaften den biologischen weit voraus, und während in der Krystallographie, in der abiologischen Chemie und in der Physik von einer dogmatischen Richtung kaum noch die Rede ist, erscheint uns die organische Morphologie, die biologische Chemie und die Physiologie noch als ein weiter Tummelplatz der haltlosesten und ver- schiedenartigsten sich bekämpfenden Dogmen. Wie ausserordentlich schwierig es hier auch der bestgewaffneten Kritik wird, vorzudringen, weiss nur der- jenige, der selbst einmal den Kampf mit einem eingewurzelten Dograa auf- genommen hat. In dieser Beziehung gleicht die ganze organische Morpho- IV. Dügniatik und Kritik. 93 logie einem dichten und undurchdringlichen Urwald, in welchem parasitische Lianenstänirae die mächtigsten und gesundesten Bäume umschlingen und erdrücken, und in welchem das dichte Gewirr der Schlingpflanzen, das alle Zwischenräume ausfüllt, keinen Lichtstrahl in das unheimliche Dunkel fallen lässt. Was vermag solchem undurchdringlichen Gestrüpp gegenüber die kritische Axt eines Einzelneu, wenn sie auch noch so scharf geschliffen wäre? Allein deu kommenden Generationen der jungen Ansiedler, die hier Schritt für Schritt mit klarem kritischen Scharfblick und das bewusste Ziel fest im Auge vordringen, "wird es gelingen, diesen Urwald der dogmatischen Yor- urtheile zu lichten, und die kritische Axt an die faulen Stämme der alten Autoritäten zu legen. Verfolgt man eines der zahlreichen Dogmen, von denen es in der Morphologie wimmelt, näher bezüglich seiner Entstehung, so gewahrt man alsbald, dass dabei theils absolute Willkühr, theils aber auch unrichtige und unvollkommene Methode der Schlussfolgerung im Spiele ist. So ist es vor Allem mit dem allmächtigen und weitest verbreiteten Dogma von der Constanz uud Selbstständigkeit der Speeles. Bei diesem, wie bei den mei- sten anderen derartigen Dogmen ist es weniger die reine Willkühr eines Phantasiegebildes, welche demselben Dauer und Geltung verleiht, als viel- mehr die scheinbare Begründung des Dogma durch eine, allerdings mei- stens höchst unvollständige und unreine Induction. Wie Schleiden sehr richtig bemerkt, ist die dogmatische Methode in ihrer strengsten Consequenz eine an sich unmögliche, und man muss immer mehr oder weniger eine Zeit lang der kritischen Methode gefolgt sein, um nur zur dogmatischen Be- handlungsweise kommen zu können. Schlagend zeigt sich hier wieder der grosse Schaden, den die Vernachlässigung einer streng denkenden Unter- suchungsmethode und die Verachtung der nothwendigen philosophischen Vorbildung den Morphologen selbst zufügt. Freilich sind sie- beständig ge- zwungen, mit dem unentbehrlichen philosophischen Rüstzeug zu operireu; sie bilden aus den unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmungen durch Ab- straction die Begriffe, sie verbinden die Begriffe zu Urtheilen, und ziehen aus der Combination der Urtheile ihre inductiven Schlüsse. Statt aber diese wichtigsten Geistes-Operationen mit klarem Bewusstsein vorzunehmen, sich ihrer hohen Bedeutung bewusst zu werden, ziehen es die Meisten vor, sie ganz unverstanden zu gebrauchen; und da ist es denn nicht zu verwundern, dass die kritische Erkenntniss des rechten Weges und Zieles verloren geht, und dass sich der Verstand auf dogmatische Abwege verliert. Wie viele Thorheiten und Irrthümer wären der biologischen Naturwissenschaft erspart worden, wenn die richtige Erkenntniss dieses Verhältnisses eine allge- meinere gewesen wäre, wenn man sich den kritischen Weg, der allein zum Ziele führt, klar gemacht uud dadurch die nöthige Vorsicht gegen die vielen verführerischen Seitenpfade der dogmatischen Richtung gewonnen hätte, die nirgends so häufig und so gefährlich sind, als auf dem weiten und vielgestaltigen Boden der organischen Morphologie. Erfreuliche Re- sultate für diese können wir erst dann erwarten, wenn allgemein kritische Induction und Deductiou als ausschliessliche Methode angewandt, und die dogmatische Methode in den Baun' gethan wird. 94 Methodik der Morphologie der Organismen. V. Teleologie und Causalität. (Vitalismua und Mechanismus.) „Ein mechanisches Kunstwerk ist hervorg-ebracht nach einer dem Künstler vorschwebenden Idee, dem Zwecke seiner Wirkung. Eine Idee liegt auch jedem Organismus zu Grunde, und nach dieser Idee werden alle Organe zweckmässig organisirt; aber diese Idee ist ausser der Maschine, dagegen in dem Organismus, und hier schafft sie mit Nothwendigkeit und ohne Absicht. Denn die zweckmässig wir- kende wirksame Ursache der organischen Körper hat keinerlei Wahl, und die Verwirklichung eines einzigen Plans ist ihre Nothwendigkeit; vielmehr ist zweckmässig wirken und nothwendig wirken in dieser wirksamen Ursache ein und dasselbe. Man darf daher die organisirende Kraft nicht mit etwas dem Geistesbewusstsein Ana- logen, man darf ihre blinde nothwendige Thätigkeit mit keinem Begriff- bilden vergleichen. Organismus ist die factische Einheit von organi- scher Schöpfungskraft und organischer Materie." Johannes Müller (Handbuch der Physiologie des Menschen, I, p. 23; II, p. 505). Indem wir in die Untersuchung des äusserst wichtigen Gegen- satzes zwischen der teleologischen oder vitalistischen und der mecha- nischen oder causalistischen Naturbetrachtung eintreten, schicken Avir einen Ausspruch Johannes Mülle r's voraus, der fiir das Wesen die- ses Gegensatzes sehr characteristisch ist. Johannes Müller, den wir als den grössten Physiologen und Morphologen der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts verehren, war bekanntlich seiner innersten Ueber- zeuguug nach Vitalist, trotzdem er mehr als irgend ein anderer Phy- siolog vor ihm, fiir den Dm'chbruch der mechanischen Eichtung in der Physiologie gethan und in einer Reihe der glänzendsten und vorzüg- lichsten Arbeiten auf allen einzelnen physiologischen Gebietstheilen die alleinige Anwendbarkeit der mechanischen Methode bewiesen hatte. Es begegnete ihm nur bisweilen, wie auch anderen in diesem dualisti- schen Zwiespalt befangenen Naturforschern, dass er auch in seinen allgemeinen Aussprüchen, die doch eigentlich von vitalistischen Grund- lagen ausgingen, sich von der alleip richtigen mechanischen Beurthei- lungsweise auch der organischen Naturkörper fortreissen liess. Und als ein solcher Ausspruch ist die obige Stelle, durch welche er seine Be- trachtungen über das Seelenleben einleitet, von besonderem Interesse. ') Aehuliche innere Widersprüche lassen sich häufig und leicht bei vielen geistvollen Naturforschern nachweisen, welche, theils in Folge vieler von früher Jugend an tief eingesogener Vorurtheile, theils in Folge eines Ueberwiegens der Gemüths-Bedürfnisse über die Verstaudes-Erkeuntnisse, im Allgemeinen zwar einer teleologischen oder vitalistischen Richtung zugethan sind, im Einzelnen aber dennoch stets gezwungen sind, die mechanische oder causalistische Rieh- V. Teleologie uud Causalität. 95 Deun was ist eine in jedem Organismus liegende „Idee, welche mit Notbwendigkeit und ohne Absicht wirkt,'" anders, als die mit dem materiellen Substrate des Organismus unzertrennlich verbun- dene Kraft, welche „mit Nothweudigkeit und ohne Absicht" sämmtliche biologische Erscheinungen bedingt? Wenn, wie Müller sagt, zweck- mässig wirken und nothwendig wirken in dieser wirksamen Ursache im Organismus eines und dasselbe ist, so fällt die zweckthätige Causa finalis mit der mechanischen Causa efficiens zusammen, so giebt die erstere sich selbst auf, um sich der letzteren unterzuordnen, so ist die mechanische Auffassung der Organismen als die allein richtige anerkannt. Wir haben absichtlich das Beispiel Johannes Müllers ge- wählt, um diesen inneren Widerspruch der teleologischen Naturbe- trachtung zu zeigen, einerseits weil dieser unser grosser Meister, der so erhaben über der grossen Mehrzahl der heutigen Physiologen und Morphologen dasteht, von vielen schwächeren Geistern als Autorität zu Gunsten der Teleologie angerufen wird, andererseits weil an ihm sich dieser innere Widerspruch recht auffallend offenbart. Wer sein klassisches „Handbuch der Physiologie des Menschen'' studirt hat, wer seine bahnbrechenden, mechanischen Untersuchungen über die Physiologie der Stimme und Sprache, des Gesichtssinns und des Ner- vensystems etc. kennen gelernt hat, der wird von der allein möglichen Anwendung der causal- mechanischen Untersuchungs-Methode des Or- ganismus aufs tiefste durchdrungen sein; und er wird sich in dieser Ueberzeugung durch die vitalistisch -teleologischen Irrthümer, welche tung anzuerkenuen uud selbst zu befolgen. Und hie uud da gewinnt dann bei ihnen die letztere Ueberzeugung auch in weiterer Ausdehnung das Uebergewicht über die erstere. So sagen z.B. Bergmann und Leuckart in ihrer vortreff- lichen „anatomisch-physiologischen Uebersicht des Thierreichs," deren schwächste Seite in der vorwiegend teleologischen Beurtheilung der Organisations-Verhält- oisse liegt (p. 22) : „Dieselben Ursachen, welche es haben bewirken können, dass einst in so grosser Ausdehnung über der Erkenntniss des Zweckes die Frage nach der Causalität vergessen wurde, bewirken es nun auch heutigen Tages noch, dass diess gar häufig auf dem Gebiete des organischen Lebens geschieht. Der Coraplex bewirkender Ursachen, durch welchen das oi-ganische Wesen entsteht, ist so höchst verwickelt, dass uns hier noch immer die Analyse an vielen Punk- ten vollständig im Stiche lässt. Da ist es nun natürlich, dass die ferne liegende Hoffnung einer solchen Aufklärung gar leicht ganz in den Hintergrund tritt, um 80 mehr als die Frage nach dem Zwecke nicht nur mauuichfach leicht zu beantwor- ten ist, sondern in ihrem Interesse auch noch durch den Egoismus erhöht wird." Selbst Kant, der die Teleologie für die einzig mögliche Beurtheilungs- weise der Organismen erklärt, bemerkt einmal: ,,Die Zweckmässigkeit ist erst vom reflectirenden Verstände in die Welt gebracht, der demnach ein Wunder anstaunt, das er selbst erst geschaffen hat." 96 Methodik der Morphologie der Organismen. mit Müller's allgemeinen biologischen Bemerkungen verwebt sind, und welche bei schärferer Beta-achtuug zu unlösbaren Widersprüchen führen, nicht irre raachen lassen. Wie du Bois-Reymond treffend bemerkt, „tritt bei Johannes Müller dieser Irrthum aus dem Nebel vitalistischer Trcäumereien klar und scharf hervor, mit Hand und Fuss, Fleisch und Bein zum Angriff bietend. Muss, wie aus Müllers Be- trachtungen folgt, die Lebenskraft gedacht werden als ohne bestimm- ten Sitz, als theilbar in unendlich y\e\e dem Ganzen gleichwerthige Bruchtheile, als im Tode oder Scheintode ohne Wirkung verschwin- dend, als mit Bewusstsein und im Besitze phj^sikalischer und chemi- scher Kenntnisse nach einem Plane handelnd, so ist es so gut als ob man sagte: es giebt keine Lebenskraft; der apogogische Beweis für die andere Behauptung ist geführt." ') Es könnte wohl Manchem überflüssig erscheinen, hier die absolute Verwerflichkeit der vitalistisch-teleologischen Naturbetrachtung, und die alleinige Anwendbarkeit der mechanisch-causalistischen überhaupt noch hervorzuheben. Denn in den allermeisten naturwissenschaftlichen Dis- ciplinen, vor Allem in der gesammten Phj'^sik und Chemie, ferner auch in der Morphologie der Anorgane (Krystallographie etc.), wie über- haupt in der gesammten Abiologie ist in Folge der enormen Erkennt- niss-Fortschritte unseres Jahrhunderts jede teleologische und vitalistische Betrachtungsweise so vollständig verdrängt worden, dass sie sich mit Ehren nicht mehr sehen lassen kann. Dasselbe gilt von der Physio- logie, in welcher jetzt die mechanisch-causale Methode die Alleinherr- schaft gewonnen hat; nur derjenige, gänzlich uncultivirte Theil der Physiologie des Centralnerveusystems, welcher das Seelenleben behan- delt, und künftig einmal als empirische Psychologie die Grundlage der gesammten „reinen Philosophie" werden wird, liegt noch gänzlich aus- serhalb dieses Fortschrittes und ist noch gegenwärtig ein Tummelplatz der willktihrlichsten vitalistischen und teleologischen Träumereien. Leider müssen wir nun dasselbe, was von der Physiologie der Psyche gilt, auch von der gesammten Morphologie der Organismen und vor Allen der Thiere sagen. Immer spukt hier noch am hellen Tage das Gespenst der „Lebenskraft" oder der „zweckmässig wirkenden Idee im Organismus", und wenn auch die wenigsten Morphologeu mit klarem Bewusstsein demselben folgen und daran glauben, so beherrscht das- selbe desto mehr unbewusst die meisten Versuche, welche zu einer Erklärung der organischen Gestaltungsprocesse gemacht werden. Die noch allgemein in der vergleichenden Anatomie üblichen Ausdrücke des „Plans, Bauplans, der allgemeinen Idee", welche diese oder jene ') Emil du Bois-Reymoud, Gedächtnissrede auf Jobannes Müller. Berlin 1860, p. 89. V. Teleologie und Causalität. 97 Formverhältuisse bedingen, die vielgebrauchte Wendung der „ Absicht, " des „Zwecks," welchen die „schöpferische" Natur durch diese oder jene „Einrichtung" erreichen will, endlich die neuerdings vielfach be- liebte Phrase von dem „Gedanken", welchen der „Schöpfer" in diesem oder jenem Organismus „verkörpert" hat, bezeugen hinlänglich, wie I tief hier die alte Irrlehre Wurzel geschlagen hat, und zwingen uns zu I einer kurzen Widerlegung derselben. Zunächst ist hier hervorzuheben, dass man die „vitalistische" und „teleologische" Beurtheilungsweise der Organismen, wie wir bereits : gethan haben, als identisch annehmen, und der „mechanischen" Me- ! thode, welche ihrerseits mit der „causalistischen" zusammenfällt, ge- . genlibersetzen kann. Denn es ist in der That vollkommen für die : Sache gleichgültig, unter welchem Namen sich die erstere verbirgt, , und ob sich das von der Materie verschiedene organisirende Princip, I welches das „ Leben " und den „ Organismus " erzeugt und erhält, .„Lebenskraft" nennt, oder „ Vitalprincip „organische Kraft" oder „Schöpferkraft", „systematischer Grundcharakter" (Reichert) „zweck- 1 massiger Bauplan des Organismus", „Schöpfungsgedanke" (Agassiz), oder „ ideale Ursache ", „Endzweck" oder „zweckthätige Ursache (End- I Ursache, Causa finalis)". Alle diese scheinbar so verschiedenen Aus- drücke sind im Grunde doch nur äusserlich verschiedene Bezeich- mungen für eine und dieselbe irrige Vorstellung. Das Wesentliche in dieser Vorstellung bleibt immer, dass diese „Kraft" eine ganz be- ■ sondere, von den chemischen und physikalischen Kräften verschiedene und nicht an die Materie gebunden ist, welche sie organisirt. Da- dm-ch steht dieses Dogma von der Lebenskraft oder den Endursachen in einem scharfen und unversöhnlichen Gegensätze zu der „mechani- schen" oder „causalen" Auffassung, nach welcher das Leben eine Be- < Wegungserscheinung ist, die sich nur durch ihre complicirtere Zusam- mensetzung von den einfacheren physikalisch- chemischen „Kräften" der Auorgane (Mineralien, Wasser, Atmosphäre) unterscheidet, und welche ebenso unzertrennlich mit den zusammengesetzteren Materien des Or- ganismus verbunden ist, wie die physikalischen und chemischen Eigen- > Schäften der Auorgane mit ihrem materiellen Substrate. Diese Ver- ibindung ist eine absolut nothwendige. Die gesammten complicirten r „Lebenserscheinungen der Oi%anismen " sind ebenso durch eine abso- llute Nothwendigkeit bedingt, wie die einfacheren „Functionen" oder „Kräfte" der anorganischen Naturkörper. Hier wie dort sind es allein I mechanische Ursachen (Causae efficientes), welche der Materie i mhäriren, und welche unter gleichen Bedingungen stets mit Nothwen- digkeit die gleiche Wirkung äussern. Hier tritt uns nun das einfache Causal-Gesetz, das Gesetz ides nothwendigen Zusammenhanges von Ursache und Wirkung, als H a e c k e I , GenernUe iilorpiiologie. n 98 Methodik der Morphologie der Organismen. das erste und oberste aller Naturgesetze entgegen, welches die y.^ sanirate Natur, lebendige wie leblose, mit absoluter Notbwendigkeit h berrsebt. Dieses wichtigste Naturgesetz, in welchem unsere gesamm- Naturerkenntniss gipfelt, sagt zunächst aus, dass jede Wirkung ihi bestimmte Avirkende Ursache (causa efticiens), sowie jede Ui Sache ihre nothwendige Wirkung (effectus) hat. Aus diese nothwendigen und unlösbaren Zusammenhange von Ursache und Wi kung, welcher die Grundlage unserer ganzen Erkenntniss, unserer g< sammten Verstandesthätigkeit ist, folgt dann weiter, dass verschiedei Wirkungen auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden müsse) sowie umgekehrt aus verschiedenen Ursachen stets verschiedene Wi kungen abzuleiten sind; und ebenso folgt daraus, dass gleiche Wi- kungeu den gleichen Ursachen zuzuschreiben sind, sowie auch umgi kehrt gleiche Ursachen stets nothwendig gleiche Wirkungen habe, müssen. ik Nach diesem ersten und höchsten aller Naturgesetze ist Alles, wasjj in der Natur existirt, entsteht und vergeht, das nothwendige ResultalJ| aus eiuer Anzahl vorhergehender Factoren, und dieses Resultat isH selbst wieder ein Factor, der zur Hervorbringung anderer Resultate!« mit absoluter Notbwendigkeit mitwirkt. Diese absolute Nothwendig-i| keit des unmittelbaren Zusammenhanges von Ursache und Wirkungll beherrscht die gesammte Natur ohne Ausnahrae, da ja die gesammte ' Natur, lebendige und leblose, nichts Anderes ist, als ein Wechselspiel < von Kräften, welche der gegebenen Summe von Materie inhäriren. \ Wenn man dem entgegen in der organischen Natur, in den belebtenil Naturkörpern, eine Wirkung ohne Ursache, eine Kraft ohne Stoff an-1 genommen hat, welche mithin dem Causalgesetz nicht untemorfenjfll wäre, so ist dieser Irrthum lediglich durch die weit grössere Compli-H cation der hier auftretenden Bewegungs-Erscheinungen hervorgerufenen worden, durch die weit grössere Anzahl der verschiedenen Factoren, welche auf dem Lebensgebiete zur Hervorbringuug jedes Resultats zu- sammenwirken, und durch die weit zusammengesetztere Natur dieser Factoren selbst. Da wir im zweiten und sechsten Buche auf dieses Verhältniss noch näher zurückkommen müssen, so möge diese Bemer- kung gentigen, und die ausdrückliche Hinweisuug auf die Thatsache, dass in der ganzen Natur dieselben Kräfte wirksam sind, dass die or- ? ganische Natur sich aus der anorganischen erst historisch entwickelt I hat, und dass nur eine gänzliche Verkennung dieses Umstandes und ; die Uebertreibung des Unterschiedes der leblosen und belebten Natur- ! körper zu den gänzlich unbegründeten teleologischen und vitalistischeu Dogmen hat verführen können. Alles was uns in der lebendigen Na- I tur als das vorbedachte Resultat einer freien zweckthätigen Ursache,} einer causa finalis erscheint, welche die physikalisch -chemischen V. Teleologie und Causalität. 99 Ursachen beheiTScht und von ihnen unabhängig ist, Alles das ist in der That weiter nichts, als die nothweudige Folge der Wechselwir- kung zwischen den existireuden mechanischen Ursachen (den „existing causes" oder den physikalisch-chemischen Ursachen), ist nichts, als die nothwendige Wirkung mehrerer Causae efficientes. ') Dass in der That freie zweckthätige Ursachen oder Causae finales in der gesammten Natur nicht existiren, dass vielmehr überall nur nothwendige mechanische Ursachen thätig sind, wird durch die Ge- sammtheit aller Erscheinungen in der organischen und anorganischen Natur auf das Unwiderleglichste bewiesen. Unter allen biologischen Erscheinungsreihen ist aber in dieser Beziehung keine von so ausser- ordentlicher Wichtigkeit, und dabei bisher so gänzlich fast von allen Philosophen und Naturforschern vernachlässigt, als die Wissen- schaft von den rudimentären Organen, welche wir geradezu die ') Die hochwichtige Brkenntniss von der allgemeinen Gültigkeit des einfachen Causalgesetzes in der gesammten Natur, von der nothwendigen Consequenz der causae efficientes in den Organismen , wie in den Anorganen , ist durch Nichts so sehr hintertrieben und umgangen worden, als durch die aprioristischen Spe- culationen der nicht empirisch gebildeten Philosophen, welche von vollkommen iwillkührlich aufgestellten Praemissen und von ganz unzureichenden Erfahrungen ausgehend, in der gesammten organischen Natur überall „Zwecke" entdecken wollten, und dabei in der Regel von der Vergleichung des Organismus mit einer vom Menschen künstlich construirten Maschine ausgingen. Die Harmonie der Theile, das Wechselverhältniss derselben zum Ganzen, welches bei der künstlich construirten Maschine durch die bewusste Zweckthätigkeit menschlichen Verstan- des und Willens erzielt wird, das sollte in den durch ,, natürliche Zweckmässig- keit" entstehenden Organismen von einem der letzteren anolog wirkenden zweck- ithätigen Principe bewirkt werden. Sobald man dieses Princip, die Lebenskraft etc, in seiner Wirksamkeit näher zu bestimmen suchte, musste man natürlich immer tiefer in den groben Anthropomorphismus hineinsinken, auf dem dieser ganze Vergleich beruht. Ausserdem wurde aber eine grundfalsche Folgerung in denselben noch dadurch hineingebracht, dass man von der gänzlich unberechtig- ten und durch keine Erfahrung bewiesenen Annahme eines freien Willens beim Men- schen ausging. Und doch musste jede einigermaassen aufrichtige und tiefer gehende Selbstprüfung zeigen, dass ein freier Wille nicht existirt, und dass jede scheinbar freie Willenshandlung, auch die einfachste, das absolut noth- wendige Resultat aus der höchst complicirten Zusammenwirkung zahlreicher verschiedener Factoren ist. Jeder dieser Factoren ist abermals ein absolut I nothwendiges Resultat aus dem complicirten Zusammenwirken vieler anderer Fac- toren (wirkender Ursachen) u. s. w. Wenn wir die unabsehbare Kette dieser mechanischen, mit Nothwendigkeit wirkenden Ursachen bis auf ihren ersten Ur- sprung zu verfolgen suchen, so gelangen wir endlich zu zweierlei verschiedenen Grundursachen, nämlich einmal den erblichen, d.h. den eigenen, der Materie des Organismus ursprünglich inhärenten, und sodann zu den fremden, welche der Organismus durch Anpassung, durch Wechselwirkung mit seiner Umgebung, er- worben hat. Vergl. V. Buch.) 7* 100 Methodik der Morphologie der Organismen. Unzweckmässigkeitslehre, Dysteleologie nennen könnten. Jederhrjho und entwickeltere Organismus, und wahrscheinlich die grosse Mehrzahl (i Organismen überhaupt, ist im Besitz von Organen, welche keine Function ■ haben, welche zu keiner Zeit des Lebens jemals thätig sind, und welc im besten Falle dem Organismus gleichgültig, häufig ihm aber gerade, nachtheilig sind. Diese rudimentären Organe, welche zu aller Zeit d grösste Kreuz der Teleologie waren, sind in der That für dieselbe d untibersteiglichste Hinderniss, und diese sowohl, als die zahlreichen ;i deren un zweckmässigen und unvollkommenen, oft sogar Ii den Organismus selbst höchst nachtheiligen und scha. liehen Einrichtungen, welche bei zahlreichen Organismen vorkoi raen, lassen sich lediglich aus den mechanischen wirkenden Ursache und durchaus nicht aus zweckthätigen Endursachen erklären.') Die Erklärung ist nun zuerst von Darwin gegeben worden. Seine gros^. Entdeckung der natürlichen Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein eij klärt alle diese Verhältnisse ganz vollkommen, wie im fünften um sechsten Buche gezeigt werden wird. Da wir dort diese Verhältnisse noch ausführlich zu erörtern habenll so genügt hier der Hinweis auf das ganz besondere Verdienst, welche Darwin um die definitive Lösung dieser äusserst wichtigen Funda mental-Fragen hat. Wir erblicken in Darwins Entdeckung dei natürlichen Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein den schla gendsten Beweis für die ausschliessliche Gültigkeit dei mechanisch wirkenden Ursachen auf dem gesammten Ge- biete der Biologie, wir erblicken darin den definitiven Toc aller teleologischen und vitalistisclien Beurtheilung dei Organismen.^) ') Dass wirklich im Thier- und Pflanzenreich äusserst zahlreiche höchst un- vollkommene und unpraktische, unnütze und schädliche Organisations- Verhält- 1 nisse existiren, welche die Existenz der betreffenden Organismen selbst in mehr oder minder hohem Grade gefährden, und sehr häufig ihren Untergang herbei-il führen, ist eine bisher zwar wenig hervorgehobene, aber äusserst wichtige That-ffl Sache, welche jedem Botaniker und Zoologen, der einen weiteren Ueberblickjl über sein Gebiet besitzt, bekannt ist. Den schlagendsten Beweis dafür liefern H die complicirten Verhältnisse des Kampfes um das Dasein, in welchem in jedemJj Augenblick Tausende von Organismen zu Grunde gehen, um den vollkommenerenJJ und weniger unzweckmässig organisirteu Formen von derselben „Art" Platz znl machen. Die gesammte Palaeontologie bildet hierfür eine fortlaufende Beweis- t kette, und schon in dieser Beziehung allein den glänzendsten Beweis für die Wahrheit der genialen Lehre Darwin's. ^) Von der gänzlichen Verkennung und dem vollständigen Missverständniss. welche Darwin's Begründung der Desceudenz-Theorie nicht allein bei vielen : Laien, sondern auch bei zahlreichen, und selbst bei sehr berühmten Naturfor- schern gefunden hat, legt vielleicht kein Umstand schlagenderes Zeugniss ab, ' als die wahrhaft komische Thatsache, dass man Darwin's Lehre alles Ernstes V, Teleologie und Causalität. 101 Die unschätzbaren Entdeckungen Darwins haben das Gesammtgebiet i der organischen IS atur plötzlich durch einen so hellen Lichtstrahl erleuchtet, jdass wir fürderhin keine Thatsache auf demselben mehr als unerklärbar .werden anzusehen haben. Wir sagen: „unerklärbar", nicht: „unerklärt". L Denn erklärt ist auf diesem ganzen vasteu Gebiet immer noch im Ganzen s ausserordentlich wenig. Freilich hatte die strenge physikalisch- chemische ! Richtung in der Physiologie die Lebensfunctionen der bestehenden Organis- ! men schon seit mehreren Decennien in so hohem Maasse aufgeklärt, und so . viele, wenn auch zunächst nur beschränkte Gesetze gefunden, dass an einer «vollständigen Erklärung aller Erscheinungen auf diesen Gebieten mittelst rrein mechanisch wirkender Ursachen schon vor dem Erscheinen von Dar- hwius epochemachendem Werk (1859) nicht gezweifelt werden konnte. Ganz lA anders aber sah es bis dahin auf dem Gebiete der Anatomie und der Entwickelungsgeschichte aus. Die Entstehung der organischen Formen, die |1 Entwickelungsgeschichte der Organismen galten fast allgemein für Erschei- [2 nungsreihen, welche jeder mechanischen Causal-Brklärung vollständig unzu- l^gänglich seien, und auf welche nur durch teleologisch -vitalistische Be- trachtungen ein erklärendes Licht geworfen werden könne Diesen Irr- den Vorwurf einer teleologischen Naturbetrachtung gemacht hat! So sagt :i«Kölliker, einer der an Kenntnissen (aber nicht an Erkenntnissen!) reichsten L\Mikroskopiker: „Mit Bezug auf Darwin' s Grundanschauungen ist erstens her- (rvorzuheben, dass Darwin im vollsten Sinne des Worts Teleolog ist" (II) (Zeitschr. f. wiss. Zool. XIV). Kölliker stellt dann statt des Princips der natürlichen .Züchtung, welches er durchaus als teleologisch verwirft, den ,, Grundgedanken" ;.auf, „dass der Entstehung der gesammten organisirten Welt ein grosser Ent- kwickelungsplan zu Grunde liegt" (!). Mit anderen Worten, Kölliker setzt laan die Stelle des von D arwin entdeckten, höchst wichtigen thatsächlichen i\ Verhältnisses , welches jede Teleologie ausschliesst, ein leeres und nichts- Lsagendes Wort. Denn dieser „grosse Sntwickelungsplan" ist entweder gar >Nichts oder eine durchaus teleologische Vorstellung, welche Nichts erklärt, bßichtiger hat Oskar Schmidt die Vernichtung, welche Darwin über die ge- äisammte Teleologie verhängt, beurtheilt, indem er ihr als „wesentlichstes aprio- • ristisches Bedenken entgegen hält, dass sie den Zufall zum Weltprincip macht." ich schon von anderen Teleologen ist dieser Einwand als der wesentlichste ueivorgehoben worden. Nach unserer Aufi'assnng zerfällt derselbe mit der gan- i zen Teleologie in Nichts. Denn es giebt einen „Zufall" so wenig, als einen I „Zweck" in der Natur, so wenig als einen sogenannten „freien Willen." Viel- •hr ist jede Wirkung nothwendig durch vorausgehende Ursachen bedingt, und j jile Ursache hat nothwendig Wirkungen in ihrem Gefolge. In unserer An- ^ schauung tritt an die Stelle des ,, Zufalls" in der Natur, ebenso wie an die Stelle Zweckes und des freien Willens, die absolute Nothwendigkeit, die (ivclyy.rj. ') Dass in der That der beschränkte teleologisch-vitalistische Standpunkt, inur in den verschiedensten Nüancen der Oonsequenz abgestuft, lund mit den verschiedensten Graden des Bewusstseins verfolgt, '1 der gesammten Morphologie der Organismen vor Darwin der allgemein herr- hende gewesen sei (einzelne ehrenvolle Ausnahmen natürlich abgerechnet), konnte vielleicht Diesem oder Jenem, und besonders dem längst der Teleologie 102 Methodik der Morphologie der Organismen. thum hat Darwin vollständig und mit einem Schlage vernichtet. Darwin hat evident bewiesen, wie es die einfachsten mechanischen Causal- Verhält- nisse sind welche diese anscheinend so complicirten und für so ganz uner- klärlich gehaltenen Lebens -Erscheinungen, die Formbildung und die Ent- wickelung regeln und beherrschen. Da wii- dies im fünften und sechsten Buche auseinander zu setzen haben, so können wir hier darauf verweisen JSur ein Umstand möge hier noch besonders hervorgehoben werden namhch, dass durch die von Darwin thatsächlich erklärte Entstehung der complicirtesten organischen Formen bereits factisch die Hauptstütze der ieleologie vernichtet und zertrümmert ist. Alle einer teleologischen Be- trachtung der organischen Naturerscheinungen geneigten Philosophen, und vor Allen Kant, dessen Einfluss auf die Entwickelung der Naturwissenschaft in unserem Jahrhundert (wegen seiner breiteren empirischen Grundlage) grösser geworden ist, als derjenige irgend eines anderen speculativen Philosophen, hatte ausdrücklich für die Nothwendigkeit einer teleologischen Beurtheilung' der organischen Natur hervorgehoben, dass deren Processe vollkommen un- erklärlich, dem Erkenntniss- Vermögen des Menschen nicht zugänglich, und dass insbesondere die Entstehung der complicirteren Organismen durch bloss , mechanische Ursachen vollkommen unbegreiflich sei. Die Befugnis s der mechanischen Ursachen zur Erklärung dieser Erscheinungen wurde von Kant ausdrücklich zugestanden, aber das Vermögen der Erklärung ihnen ab- gesprochen. Daher wollte er auch die „natürliche Zweckmässigkeit" der Teleologie nur als Maxime der Beurtheilung, nicht als Erkenntnissprincip zulassen. Ausdrücklich sagte er desshalb, dass die lebendige Natur nicht Gegenstand der Erkenntniss, sondern bloss der Betrachtung sein könne, weil eben die bewegenden Kräfte der Materie nicht zur Erklärung der Organisation ausreichten. So gerieth denn auch Kant in die unauf- lösliche Antinomie zwischen Mechanismus und Teleologie. Während er in seinen „metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" bewiesen hatte, dass Alles in der materiellen Natur mechanisch entstehe und aus be- wegenden Kräften als mechanischen Ursachen erklärt werden müsse, war er nun in der „Analytik der teleologischen Urtheilskraft" gezwungen zu erklä- ren, dass Einiges in der materiellen Natur, nämlich das Organische, das entwöhnten Physiologen und Abiologen, eine übertriebene Behauptung erscheinen. Indess liefert fast die gesammte morphologische Literatur hierfür die schlagend- sten Beweise. Selten freilich ist dieser kurzsichtige Standpunkt mit solchem Bewusstsein und solcher Consequenz festgehalten worden, wie dies z.B. von Eeichert geschehen ist. Wer die ganze Beschi-änktheit, die wahrhaft komi- schen Widersprüche, und den gänzlichen Mangel an Ueberblick der Gesammtnatur und an Einblick in ihr causales Wesen kennen lernen will, die gewöhnlich mit der extremen Consequenz des Vitalismus verbunden sind, dem empfehlen wir zur ebenso belehrenden als erheiternden Lectiire die höchst seltsamen und an phUo- sophischer Verworrenheit das Maximum leistenden Aufsätze von Reichert in Müller' s Archiv f. An. u. Ph. etc. 1855 p. 1 (über atoraistische und systematische Naturauffassung) und 1856 p. 1 (die Morphologie auf dem Standpunkt der syste- matischen Naturauffaseung). V. Teleologie und Causalität. 103 1 Leben, nicht mechanisch entstehen und nicht aus bewegenden Kräften als • rein mechanischen Ursachen erklärt werden könne. Hier ist die Achilles-Ferse der Kantischeu Philosophie. Während Kant in allen seineu Erklärungen , der anorganischen Natur, vor Allem in seiner Naturgeschichte des Himmels, . ein bewunderungswürdiges Muster der exactesten denkenden naturwissen- schaftlichen Forschung, der besten Naturphilosophie geliefert hatte, verliess . er auf dem Gebiete der Biologie die allein mögliche Bahn der empirischen Philosophie gänzlich und warf sich der verführerischen Teleologie in die Arme, die ihn nun von Irrthum zu Irrthum weiter führte. Wenn dieser grosse Irrthum einen so hervorragenden und kritischen Denker, wie Kant war, vollkommen gefangen halten und zu so starken ' dogmatischen Fehlern weiter verleiten konnte, so dürfen wir uns nicht wun- dern, dass zahlreiche unbedeutendere Philosophen demselben blindlings folg- ten, und dass das ganze Heer der Biologen, welche froh waren, nun nicht weiter denken zu brauchen, dem aufgepflanzten Banner mit grosser Genug- thuung folgte. In der That war es so ausserordentlich bequem uud leicht, mit irgend einer teleologischen Betrachtung jeden Versuch einer mechani- schen Erklärung der organischen Natur abzuschneiden, dass die Teleologie bald zum allgemeinen Feldgesehrei der Biologie wurde. Niemand war fro- her darüber, als die grosse Mehrzahl der Morphologen, welche nun unge- stört der Beobachtung, Beschreibung und Abbildung aller möglichen or- ganischen Formen sich hingeben konnten, ohne durch irgend einen un- bequemen kritischen Gedanken über die mögliche Bedeutung dieser Formen, über ihre mechanischen Ursachen und über den causalen Zusammenhang der Formbildungsreihen beunruhigt zu werden. Da die meisten Morphologen, sowohl die „Systematiker" als die „Anatomen« in diesem behaglichen und idyllischen Formgenusse vollkommene Befriedigung fanden, und da sie in diesem wissenschaftlichen Halbschlafe oder doch wenigstens' in diesem ge- dankenarmen Traumleben von der eigentlichen Aufgabe ihrer Wissenschaft, von der Erklärung der organischen Formverhältnisse, keine Ahnung hatten, so erscheint uns schon hieraus die tiefe Entrüsthng vollkommen erklärlich, als plötzlich Darwin's lauter Weckruf ertönte, und diesem behaglichen teleologischen Stillleben mit einem Male ein jähes und grausames Ende be- reitete. Aus behaglichem Mittagsschlummer durch einen kritischen Stoss aufgeschreckt zu werden ist immer höchst unangenehm, und besonders wenn dieser sanfte Schlummerzustand habituell, fast zur anderen Natur geworden ist, wie bei unserer heutigen Morphologie. Was Kant betrifft, so zweifeln wir nicht, dass wenn er heut' erstände, sein ganzes kritisches Lehrgebäude eine vollkommen andere Form erhalten würde, und dass er die von Darwin entdeckte mechanische Erklärung der Entstehung der Organismen und die von der neueren Physiologie festge- stellte mechanische Erklärung ihrer Lebeus-Erscheinungen, nach denen er so lange und so vergeblich gestrebt, acceptiren würde. Der biologische Theil der Kantischen Philosophie würde dann, mit Ausschluss aller Teleologie, die Erklärung der organischen Natur eben so vollkommen auf rein mecha- nische „wirkende Ursachen" begründen, wie es der abiologische Theil schon .damals in so vollendetem Maasse gethan hat. 104 Methodik der Morphologie der Organismen. Dadurch dass wir die Teleologie Kant's für einen überwundenen Standpunkt erklaren, wollen wir demselben natürlich in keiner Weise einen Vorwurf raachen und es vermindert unsere Verehrung dieses grossen Phi- losophen und unsere Hochachtung vor seinen ausserordentlichen Verdiensten auf dem Gebiete der Abiologie nicht im Geringsten, wenn wir demselben die gleichen Verdienste auf dem biologischen Gebiete absprechen, und seine Kritik der teleologischen Urtheilskraft für ein von der Basis an irrthüm- iches Lehrgebäude halten. Wenn man bedenkt, auf welcher ausserordent- lich medngen Stufe zu Kant's Zeit die gesammte empirische Biologie stand wie die Physiologie, die Entwickelungsgeschichte, die Morphologie der Or- ganismen, als selbstständige Wissenschaften damals noch gar nicht anerkannt waren, so finden wir hierin, und in den vitalistischen Vorurtheilen die das ganze Zeitalter gefangen hielten, Grund genug dafür, dass Kant an der Moghchkeit einer wissenschaftlichen Biologie geradezu verzweifeln und die Erklärung der lebendigen Natur für etwas Unmögüches halten konnte Mit anderen Worten heisst das nichts Anderes, als dass die gesammten Biolo- gen gleiche Thoren sind, wie die vielen Träumer, welche den Stein der Weisen suchten. Wenn die gesammte organische Natur, wie Kaut behaup- tet, in ihrem innersten Wesen unbegreiflich und unerkennbar ist, wenn deren Erscheinungen nicht aus mechanisch wirkenden Ursachen erklärt wer- den können, so sind alle Naturforscher, welche nach einer solchen Erklä- rung streben und suchen, kindische Thoren. In dieser nothwendigen Con- sequenz zeigt sich die ganze Unhaltbarkeit der Teleologie und des davon nicht trennbaren Vitalismus. Die Teleologie als wissenschaftliche Methode ist in der That unmöglich; sie verneint sich selbst. Wenn wir bedenken, dass eine Anzahl von Erscheinungen der organi- schen Natur schon wirklich erklärt, dass die Gesetze für eine wenn auch relativ noch kleine Zahl von biologischen Thatsachen bereits wirklich ge- funden sind, und dass diesen Gesetzen dieselbe absolute Geltung zuge- standen werden muss, wie jedem physikalisch - chemischen Gesetze, wenn wir bedenken, dass eine wissenschaftliche Physiologie überhaupt nur durch die strengste Ausschliessung jeder Teleologie möglich ist, so werden wir die letztere auch aus dem Gebiete der organischen Morphologie vollständig verbannen dürfen. Und am wenigsten werden wir, wenn wir diese Lehre als wirkliche Wissenschaft ansehen, mit der heuchlerischen Miene, die viele Morphologen lieben, erklären dürfen, dass wir uns demüthig mit der blossen erbaulichen Betrachtung der Organismen begnügen und ja keinen iudiscre- ten Blick in das uns verschlossene Geheimniss ihrer „inneren Natur«, ihres causalen Wesens thun wollen. Einen Punkt müssen wir hierbei schliesslich noch offen berühi-en. Die meisten Morphologen der Neuzeit lieben es, die unversöhnliche Gegnerschaft zwischen teleologischer und mechanischer Biologie durch ein versöhnliches Mäntelchen zu verdecken und einen Compromiss zwischen den beiden ent- gegen gesetzten Extremen zu erstreben. Bis zu einer gewissen Grenze soll die organische Natur erkennbar sein, und von da an soll die Erkennbarkeit aufhören. Eine Reihe von biologischen Erscheinungen soll sich auf dem me- chanischen Wege aus wirkenden Ursachen erklären lassen, der übrige Rest VI. Dualismus und Monismus. 105 aber nicht. Dies ist allerdings insofern richtig, als unser menschliches Erkenntniss vermögen beschränkt ist, und als wir die letzten Gründe nicht von einer einzigen Erscheinung wahrhaft erkennen können. Dies gilt aber in ganz gleichem Maasse von der organischen und anorganischen Natur. Die Entstehung jedes Krystalls bleibt für uns in ihren letzten Gründen eben so räthselhaft, wie die Entstehung jedes Organismus. Die letzten Gründe sind uns hier nirgends zugänglich. Jenseits der Grenze des Erkenntnissvermögens können wir uns beliebige, ohne inductive Grundlage gebildete Yorstellungen, zu unserer persönlichen Gemüths-BeMedigung schaffen, niemals aber dürfen wir versuchen, diese rein dogmatischen Vorstellungen des Glaubens in die Wissenschaft einzu- führen. Und ein solches Glaubens-Dogma ist jeder teleologische und vita- listische Erklärungs-Yersuch. Von allen denkenden Menschen fordern wir in erster Linie, dass sie consequent sind, und von allen Naturforschern, welche die Teleologie und den Vitalismus in der Biologie für unentbehrlich halten, fordern wir, dass sie diese Methode in strengster Consequenz für die Betrachtung aller Er- scheinungen der organischen Natur ohne Ausnahme, für die gesammte Physiolo- gie, Entwickelungsgeschichte und Morphologie, durchführen. Unseres Wissens liegt niu' ein einziger derartiger Versuch im 'grössten Style aus der neueren Zeit voi\ Das ist der äusserst merkwürdige „Essay on Classification" von Louis Agassiz, der fast gleichzeitig mit seinem vernichtenden Todfeinde, mit Darwin' s Theorie, das Licht der Welt erblickte. Jedem Biologen, welcher sich nicht entschliessen kann zur absoluten Verwerfung der teleo- logischen und zur unbedingten Annahme der mechanischen Methode, em- pfehlen wir dieses höchst interessante Buch, welches trotz des grössten Auf- wandes von Geist in jedem Capitel sich selbst vernichtet und negirt, zur aufmerksamen Leetüre. Und wenn er dann noch an dem Vitalismus oder der Teleologie festhalten kann, empfehlen wir ihm dieselbe dualistische Con- sequenz, wie Louis Agassiz. VI. Dualismus und Monismus. „Die Eichtung des Denkens der Neuzeit läuft unverkennbar auf Monismus hinaus. Der Dualismus, fasse man ihn nun als Gegensatz von Geist und Natur, Inhalt und Form, Wesen und Erscheinung, oder wie man ihn sonst bezeichnen mag, ist für die naturwissenschaftliche Anschauung unserer Tage ein vollkommen überwundener Standpunkt. Flir diese giebt es keine Materie ohne Geist (ohne die sie bestimmende Nothwendigkeit) , aber ebenso wenig auch Geist ohne Materie. Oder vielmehr es giebt weder Geist noch Materie im gewöhnlichen Sinne, sondern nur Eins, das Beides zugleich ist. Diese auf Beobachtung be- ruhende Ansicht des Materialismus zu beschuldigen, ist eben so verkehrt, als wollte man sie des Spiritualismus zeihen." August Schleicher. ') ') August Schleicher, die Darwinsche Theorie und die Sprachwissen- schaft. Weimar, 1863, p. 8. Indem ich meinem lieben Freunde und (Jollegen 106 Methodik der Morphologie der Organismen. Diese Worte des berühmten comparativeu Linguisten, der die na- turwissenschaftliche Untersuchung-smethode in der vergleichenden Sprachforschung durchgeführt, und als der Erste von allen Sprach- forschern die Theorie Darwins mit eben so viel Geist als Erfolg auf diesen Theil der vergleichenden Physiologie angewandt hat, be- zeichnen mit ti-effender Wahrheit den unversöhnlichen Gegensatz zwi- schen Dualismus und Monismus, der unsere gesammte Naturwissen- schaft, wie die ganze Denkthätigkeit unserer Zeit in zwei feindliche Heerlager trennt. Wir können nicht umhin, hier am Schlüsse unserer kritisch -methodologischen Einleitung noch kurz bei einer Betrachtung dieses Gegensatzes zu verweilen, obschon die vorhergehenden Ab- schnitte zur Genüge gezeigt haben werden, dass wir den Monismus in aller Schärfe und in seinem vollen Umfange für die einzig richtige Weltanschauung und folglich auch für die einzig richtige Methode in der gesammten Naturwissenschaft halten, und dass wir jede dualistische Erkenntniss-Methode unbedingt verwerfen. Die thatsächliche Vereinigung und vollkommene Versöhnung, welche in dem Monismus solche scheinbare Gegensätze finden, wie es Kraft und Stoff, Geist und Körper, Freiheit und Natur, Wesen und Erscheinung sind, ist auf keinem Gebiete des Erkennens mehr hervor- zuheben, als auf demjenigen der Biologie, und vor Allem auf dem der organischen Morphologie. Denn, wie schon im Vorhergehenden viel- fach gezeigt worden ist, hat Nichts so sehr einer gesunden und na- türlichen Entwickelung unserer Wissenschaft geschadet, als der künst- lich erzeugte Dualismus, durch welchen man bei jeder Beurtheilung eines Organismus seiner materiellen körperlichen Erscheinung eine davon unabhängige Idee oder einen „Lebenszweck" entgegensetzte, ein Dualismus, welcher sich in der naturwissenschaftlichen Untersuchungs- Methode als Gegensatz von Philosophie und Naturwissenschaft, von Schleicher, der diese kleine Schrift in Form eines öffentlichen Sendschrei- bens an mich publicirte, hierfür bei dieser Gelegenheit öffentlich meinen herz- lichsten Dank abstatte, erlaube ich mir zugleich die Naturforscher, welche sich für die weitere Begründung der Descendenz-Theorie interessiren (und alle Biolo- gen sollten dies thun!) auf die schlagende und überraschende Beweisführung hinzuweisen, welche Schleicher dort zu Gunsten derselben mit seinem lingui- stischen Materiale liefert. In der That treten viele Verhältnisse der natürlichen Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein bei den Sprachen in viel klarerer und einfacherer Weise hervor, als es bei anderen Functionen des Thierleibes der Fall ist. Wenn die vergleichende Sprachforschung erst ihren natürlichen Platz als empirisch-philosophische Naturwissenschaft in der Physiologie des Menschen« gefunden haben wird, so wird zweifelsohne dieses wichtige und interessante Ver- hältniss eine gerechtere und allgemeinere Würdigung finden, als es bisher der Fall gewesen ist. VI. Dualismus und Monismus. 107 Deiiken und Erfahren überall zum grössten Schaden einer natürlichen Erkenntniss entwickelt hat. Wie unendlich viel weiter würde unsere Wissenschaft jetzt sein, wenn man sich dieses künstlich erzeugten ZAviespalts bewusst geworden wäre, und wenn man mit klarem Be- wusstsein die monistische Beurtheilungsweise als die einzig mögliche Methode einer wirklichen Natur-Erkenntniss befolgt hätte. Indem der Monismus als philosophisches System nichts Anderes, als das reinste und allgemeinste Resultat unserer allgemeinen wissenschaft- lichen Weltanschauung, unserer gesammten Natur-Erkenntniss ist, bildet seine unterste und festeste Grundlage das allgemeine Causal-Ge- setz: „Jede Ursache, jede Kraft, hat ihre nothwendige Wirkung, und jede Wirkung, jede Erscheinung, hat ihre nothwendige Ursache." Schon hieraus ergiebt sich, dass derselbe jede Teleologie und jeden Vitalis- mus, welche Form dieser auch annehmen mag, absolut verneint, und insofern ist die monistische Methode in der Biologie zugleich die mechanische, die causale, deren alleinige Berechtigung der vorige Abschnitt dargethan hat. Da nun die vielbestrittene Geltung des mechanischen Causal-Gesetzes in der organischen Natur durch Nichts so sehr gefördert und so bestimmt begründet worden ist, als durch Darwins Theorie, so können wir auch diese Lehre als eine rein monistische bezeichnen. Und in der That beruht dieses ganze wun- dervolle Lehrgebäude, wie alle einzelnen Theile desselben, vollkommen auf reinen monistischen Anschauungen. Wenn wir dereinst mit Hülfe der Descendenz -Theorie die gesammte Morphologie der Organismen auf die allein sichere Grundlage der mechanischen Naturgesetze be- gründet, die Erscheinungen der organischen Morphologie mechanisch- causal, aus ihren wirkenden Ursachen werden erklärt haben, so wird das darauf gegründete System der Morphologie der Organismen ein absolut monistisches Lehrgebäude sein, wie es freilich jede wahre Wissenschaft, insofern sie Naturwissenschaft sein will und muss, mit Nothwendigkeit erstreben muss. Da der Ausdruck Monismus in unzweideutiger Weise diejenige kritische Auffassung der gesammten (organischen und anorganischen) Natur, und diejenige kritische Methode ihrer Erkenntniss, welche wir auf den vorhergehenden Seiten als die allein mögliche und durchführ- bare dargethan haben, bezeichnet, so werden wir uns dieses kurzen und bequemen Ausdrucks stets bedienen, wo es darauf ankommt, an die von uns ausschliesslich befolgte Methode zu erinnern; andererseits werden wir als Dualismus stets kurz diejenigen verschiedenen, der unserigen entgegengesetzten Auffassung« weisen der Natur und Metho- den ihrer Erkenntniss bezeichnen, welche als „teleologische-' und „vi- talistische," als „systematische" und „ speculative Dogmen für die Be- urtheilung und Erkenntniss der organischen Natur andere Methoden 108 Methodik der Morphologie der Organismen. fordern, als für die Beurtlieilung und Erkenntniss der anorganischen Natur allgemein anerkannt sind. Von allen Gegensätzen, welche der Duahsmus künstlich erzeugt und auf- stellt, und welche der Monismus versöhnt und aufhebt, ist keiner für die gesammte Wissenschaft wichtiger, als der auch jetzt noch meist so all- gemein festgehaltene Gegensatz von Kraft und Stoff, von Geist und Mate- rie, und der auf diese künstliche Antinomie gegründete Gegensatz von Er- fahrung und Denken, von empirischer Naturwissenschaft und speeulativer Philosophie. Wir haben oben im Eingange unserer methodologischen Er- örterungen die absolute Nothwendigkeit einer Vereinigung dieser Richtungen nachzuweisen versucht, und wir müssen hier am Ende nochmals kurz darauf zurückkommen, da nach unserer festesten Ueberzeugung die versöhnende Auf- hebung dieses Gegensatzes den Anfang und das Ende, das A und das 0 aller wirklichen „Wissenschaft" bildet. Leider wird ja immer noch von so vielen Sei- ten der durchaus künstliehe Gegensatz, durch welchen man Empirie und Philo- sophie zu trennen sucht, und welcher vorzüglich einer höchst einseitigen Ver- folgung jeder der beiden Richtungen entsprungen ist, so starr festgehalten, dass nicht genug auf die Nothwendigkeit ihrer Versöhnung durch den Mo- nismus hingewiesen werden kann. Die vollendete Philosophie der Zukunft, welche wir oben als das reife Resultat der nothwendigen und vollkommenen gegenseitigen Durchdringung von Empirie und Philosophie bezeichnet haben, wird in der That nichts weiter sein, als ein vollendetes System des Monismus. Freilich wird zur Erreichung dieses hohen Zieles vor Allem die erste Vorbedingung zu er- füllen sein, dass die Naturforscher Philosophen werden und dass sich die Philosophen in Naturforscher umwandeln, oder dass sich, mit anderen Wor- ten, dieser durchaus künstliche und höchst schädliche Zwiespalt aufhebt. In der That ist, wenn wir an Beide die Anforderung einer vollständig reifen Ausbildung auf ihrem Gebiete stellen, nicht ein Unterschied — wir sagen, nicht ein Unterschied — zwischen Naturforschern und Philo- sophen, zwischen Natur- Wissenschaft und Natur - Philosophie ausfindig zu machen. Beide sind vielmehr stets und überall ein und dasselbe. - Die höher entwickelte Zukunft wird diesen künstlich erzeugten Dualismus nicht mehr kennen. Ihre monistische Weltanschauung wird Naturwissenschaft und Philosophie zu dem grossen Ganzen einer einzigen allumfassenden Wissenschaft verschmelzen. Von dieser absoluten Wahrheit des Monismus unerschütterlich durch- drungen, schliessen wir diese kritische und methodologische Einleitung, wie wir sie begonnen, mit einem Ausspruche unseres unvergleichlichen Goethe: „Weil die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existirt und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, so- wie sich's der Geist nicht nehmen lässt, anzuziehen und abzustossen; wie derjenige nur allein zu denken vermag, der genugsam getrennt hat, um zu verbinden, genugsam verbunden hat um wieder trennen zu mögen." Zweites Buch. Allgemeine Untersuchungen über die Natur und erste Entstellung der Organismen, ihr Verhältniss zu den Anorganen, und ihre Eintheilung in Thiere und Pflanzen. „In's Innre der Natur — " O Du Philister! — „Dringt kein er Schaffner Geist." Mich und Geschwister Mögt ihr an solches Wort Nur nicht erinnern ; Wir denken: Ort für Ort Sind wir im Innern. „Glückselig! wem sie nur „Die äussre Schale weist!" Das hör' ich sechzig Jahre wiederholen, Ich fluche drauf, aber verstohlen; Sage mir tausend tausendmale: Alles gieht sie reichlich und gern; Natur hat weder Kern noch Schale, Alles ist sie mit einem Male; Dich prüfe Du nur allermeist, Ob Du Kern oder Schale seist. Goethe. I. Organische und anorganische Stoffe. III Fünftes Capitel. Organismen und Anorgane. „Der Geist übt sich an dem würdigsten Gegen- stande, indem er das Lebendige nach seinem inner- sten Werth zu kennen und zu zergliedern sucht." Goethe. I. Organische und anorganische Stoffe. I) 1. Differentielle Bedeutung der organischen und anorganischen Materien. Bevor wir an unsere eigentliche Aufgabe gehen, und nach den im ersten Buche festgestellten Methoden und Principien die Grundzüge der generellen Morphologie der Organismen zu entwerfen versuchen, scheint es uns unerlässlich, den Begriff des Organismus selbst, sowie sein Verhältniss zur anorganischen Natur, und die übliche Eiutheiluug der Organismen in Thiere und Pflanzen, einer allgemeinen kritischen Untersuchung zu unterwerfen. Indem wir diese wichtigen Grundbe- griffe feststellen, gewinnen wir den festen Boden, auf welchem wir nachher sicher weiter bauen können, während die gewöhnliche Ver- nachlässigung der unentbehrlichen Fundamente zu der chaotischen Begriffs- Verwiri-ung führt, von welcher gegenwärtig unsere Wissen- schaft ein so trauriges Bild liefert. Um zu einer klaren Einsicht in „ den innersten Werth des Leben- digen," in den wesentlichen Character der Organismen, der Thiere und Pflanzen, zu gelangen, erscheint es uns am zweckmässigsten, den- selben die leblosen Naturkörper, die Anorgane, gegenüber zu stellen, und beide Hauptgruppen von Naturkörpern, lebendige und leblose, hin- sichtlich aller allgemeinen Eigenschaften (in chemischer, morphologi- scher und physikalischer Beziehung) zu vergleichen. Indem wir hier- bei sowohl synthetisch die Uebereinstimmungen, als analytisch die Un- terschiede beider Körpergruppen hervorheben, werden wir zu einer tieferen Einsicht in die innerste Natur und die gegenseitigen Be- 112 Organismen und Anorgane. Ziehungen derselben gelangen, als es durch eine blosse Definition der Begriffe möglich ist. Der Begriff des Organismus ruht ursprünglich auf morpho- logischer Basis und bezeichnet einen Naturkörper, welcher aus „Or- \ ganen" zusammengesetzt ist, d. h. aus Werkzeugen oder ungleicharti- gen Theilen, welche zum Z^vecke des Ganzen vereinigt zusammenwir- ken. Gegenwärtig haben wir nun zahlreiche „Organismen ohne Or- gane" kennen gelernt, vor Allen die vollkommen homogenen und structurlosen Plasmakörper oder Moneren (Protogenes, Protamoeha etc.), feraer viele nächstverwandte einfache Plasmaklumpen, deren einziges discretes Organ eine einfache Schale oder eine coutractile Blase ist (z. B. viele Rhizopoden und Protoplasten), sodann viele einzellige Organismen, deren einziges discretes Organ der im Plasma eingeschlossene Zellenkern, und bisweilen noch eine äussere Um- hüllungshaut ist (viele Protisten und einzellige Pflanzen etc.) Da Vie- len dieser einfachsten Organismen bestimmte morphologische Charactere ganz fehlen, und dieselben zum Theil gar keine, zum Theil nui- solche differente geformte Theile besitzen, die kaum den Namen von „Organen" verdienen, so können wir den Begriff des Organismus nur auf physio- logischer Basis begründen, und nennen demgemäss Organismen alle jene Naturkörper, welche die eigenthümlichen Bewegungs- erscheinungen des „Lebens", und namentlich ganz allge- mein diejenigen der Ernährung zeigen'). Anorgane dagegen nennen wir alle diejenigen Naturkörper, welche niemals die Function der Ernährung, und auch keine der anderen specifischen „Lebens- thätigkeiteu" (Fortpflanzung, willkührliche Bewegung, Empfindung) ausüben. Da nun die Ernährungsthätigkeit der Organismen, gleich allen an- deren Lebensfunctionen , ebenso eine unmittelbare Wirkung ihrer ma- teriellen Zusammensetzung ist, wie jede physikalische Eigenschaft eines Anorganes unmittelbar in dessen Materie begründet ist, da über- haupt jede Eigenschaft, Kraft oder Function eines Körpers die un- mittelbare Folge seiner materiellen Zusammensetzung und seiner Wech- selwirkung mit der umgebenden Materie ist, so werden wir die nach- folgende Vergleichung der Organismen und Anorgane zunächst mit der vergleichenden Betrachtung ihres materiellen Substrates beginnen ') Gewöhulich werden als die allgemeinen Lebensthätigkeiten , welche allen Organismen zukommen, die drei Functionen der Ernährung, des Wachsthums und der Fortpflanzung bezeichnet. Das Wachsthum haben wir hier nicht aufge- führt, weil dasselbe auch gleicherweise den anorganischen Individuen zukommt, und die Fortpflanzung nicht, weil dieselbe vielen (geschlechtslosen) organischen Individuen abgeht. I. Organische und anorganische Stoffe. 113 mllssen. Denn lediglich aus den Verschiedenheiten, welche sich in der feineren und gröberen Zusammensetzung der Materie zwischen Or- ganismen und Anorganen zeigen, können wir uns die davon unmittelbar abhängigen Verschiedenheiten in den Formen und Kräften (Functionen) beider Gruppen von Naturkörpern erklären. Da die Aufgabe des vorliegenden Werkes nur die generelle Morpho- logie der Organismen ist, so könnte es unnöthig erscheinen, auch die An- organe hier noch besonders in Betracht zu ziehen und eine Vergleichung zwischen Beiden anzustellen. Indessen hoffen wir, durch diese Vergleichung selbst von dem Gegentheil zu überzeugen. Denn nach unserem Dafürhal- ten ist gerade die Verkennung der innigen Beziehungen, welche zwischen den leblosen und belebten Naturkörpern überall existiren, vorzugsweise Schuld an der grundfalschen ßeurtheilung, welche das Wesen der letzteren gewöhnlich erfahren hat, und an dem teleologisch-vitalistischen Standpunkt, welchen die Mehrzahl der Naturforscher den Organismen gegenüber ein- genommen hat. Wie bei den meisten biologischen Untersuchungen, so hat man auch bei Vergleichung der Organismen und Anorgane fast immer von einseitig analytischem Standpunkte aus nur die trennenden Unterschiede beider Gruppen -von materiellen Körpern hervorgehoben, und dagegen die verknüpfende Synthese, welche beide Gruppen durch Hervorhebung ihrer übereinstimmenden Charaktere als ein einheitUches grosses materielles Natur- ganzes darstellt, fast gänzlich vernachlässigt. Wir sind aber zur allseitigen Vergleichung der Organismen und Anorgane hier um so mehr aufgefordert, als die im folgenden Capitel zu besprechende Autogonie nur durch vorur- theilsfreie Würdigung aller Seiten dieses Verhältnisses erklärt werden kann. Von allen Grenzlinien, durch welche wir bei unseren systematischen Emtheilungs- Versuchen die Naturkörper in natürliche Gruppen zu trennen streben, erscheint keine einzige so scharf, so deutlich, so unübersteiglich, als diejenige, welche wir zwischen den belebten und den leblosen Natur- körpern zu ziehen gewohnt sind. Während die beiden „Reiche" der Thiere und Pflanzen ganz allmählig in einander überzugehen und durch zahlreiche Zwischenformen unmittelbar verbunden zu sein scheinen, während jede ein- zelne grössere und kleinere Abtheilung des Thier- und Pflanzen -Reiches mit einer oder mehreren anderen Abtheilungen ebenfalls durch Zwischen- formen so verknüpft ist, dass jede scharfe Grenzlinie hier mehr oder weniger gezwungen und künstlich erscheint, so sind dagegen Organismen und An- organe im allgemeinen Bewusstsein der Menschen so vollkommen von ein- ander geschieden, durch eine so unübersteigliche Kluft von einander ge- trennt, dass Niemand jemals im concreteu Falle darüber in Zweifel sein zu können glaubt, ob der vorliegende Naturkörper als belebter oder als leb- loser zu betrachten sei. Dieser herrschenden Vorstellung gegenüber, welcher es schon über- flüssig erscheinen dürfte, den „absoluten" Unterschied zwischen Organismen und Anorganen überhaupt nur in Frage zu ziehen, erscheint es doppelt noth- wendig, hier ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass auch diese Unterschei- dung nur bis zu einer gewissen Grenze gültig ist. Denn die beiden Gruppen IIa «ekel, Generelle Morphologie. Q 114 Organismen und Anorgane. der leblosen und belebten Naturkörper sind durch keine absolut unausfüll- bare Kluft von einander getrennt, und gehören nicht zwei verschiedeneu "Welten an; die ersten Organismen sind unmittelbar aus Anorgauen entstan- den. Diese Behauptung lässt sich schon als eine absolut nothwendige Folgerung aus der allgemein angenommenen Kant-Lapl ace'schen Theorie über die Entstehung der Himmelskörper und der Erde insbesondere ablei ten. Denn was sagt diese Theorie Anderes, als dass das Leben auf unserer Erde zn einer bestimmten Zeit zum ersten Male auftrat? Und wenn wir diese erste Entstehung des Lebens auf der Erde nicht der herrschen- den Vorstellung gemäss als einen „Schöpfungsakt" ansehen wollen, d. h. als ein „Wunder", welches sich als solches jeder naturwissenschaftlichen Betrachtung entzieht, so müssen wir nothwendig annehmen, dass in jenem Zeitpunkte anorganische Naturkörper zu organischen Verbindungen zusam- mentraten, dass die „leblose Materie" sich belebte, dass Organismen aus Anorganen sich hervorbildeten. Ein Drittes giebt es nicht. Wenn nun schon lediglich diese Erwägung uns zu der Behauptung be- j rechtigt, dass der Uebergang aus anorganischen in organische und in wirk- lich „lebende" Körper thatsächlich zu irgend einer Zeit erfolgt sein muss, so knüpft sich daran weiter die Frage, wie derselbe zu Stande kam, und zugleich die Aufgabe, die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen J von Naturkörpern scharf zn untersuchen. Diese Forderung erscheint um so mehr berechtigt, als offenbar jene trennenden Unterschiede bisher meist all- zusehr betont, und dagegen die verknüpfenden gleichen Grundeigeuschaften, welche Organismen und Anorgane innig verbinden, gewöhnlich nicht be- rücksichtigt wurden. Indem wir nun hier nicht bloss analytisch das Unter- seheidende, sondern auch synthetisch das Gemeinsame der lebenden und der leblosen Naturkörper hervorheben, so werden wir dadurch alsbald nicht allein den Vortheil haben, den jede allseitige Vergleichung zweier Objecte bietet, dass wir nämlich den Character jedes einzelnen richtiger und voll- ständiger beurtheilen; sondern wir werden auch zu der äusserst wichtigen Anschauung gelangen, dass lebendige und leblose Natur in ebenso innigem und nothwendigem Zusammenhange stehen, als alle Theile der Natur über- haupt, und dass die gesammte Natur, organische und anorganische, zu- sammen ein einziges grosses zusammenhängendes Ganzes bildet, welches allenthalben und zu jeder Zeit von denselben einfachen, grossen und ewigen Gesetzen regiert wird. Da diese nothwendige Vergleichung der Organismen und der Anorgane nur dann von Nutzen sein kann, wenn wir sämmtliche Seiten ihrer körper- lichen Erscheinung vergleichend ins Auge fassen, so werden wir uns hier nicht bloss auf die Betrachtung der Form beschränken können, welche schon oben (p. 24) mit Vortheil verglichen wurde, sondern wir werden eben so auch den Stoff, welcher der Form zu Grunde liegt, und die Function, welche derselbe leistet, mit in Betracht ziehen müssen; wir werden uns also aus dem engeren Gebiete der Morphologie einen Ausflug auf das wei- tere Feld der allgemeinen Biologie und Abiologie (Chemie und Physik mit eingeschlossen) , erlauben müssen (vergl. oben p. 21). In erster Linie wer- den wir dabei die organische und anorganische Materie zu vergleichen I. Organische und anorganische StoflFe. II5 haben, da wir ja die Formen sowohl als die Functionen der Naturkörper lediglich als die unmittelbaren Folgen ihrer eigenen materiellen Zusammen- setzung und ihrer Wechselwirkung mit der umgebenden Materie betrachten müssen. Sowohl die elementare Constitution der Materie, als ihre weitere Zusammensetzung durch Verbindung der Elemente, als endlich auch ihr Aggregatzustand sind dabei zu berücksichtigen. Erst wenn wir in allen diesen Beziehungen die Unterschiede sowohl als die Uebereinstimmungen der Materie zwischen den Organismen und Anorganen vorurtheilsfrei ge- prüft haben, werden wir im Stande sein, die Unterschiede und die Ueber- einstünmungen der Formen und Functionen zwischen den Organismen und Anorganen als die nothwendige Wirkung jener materiellen Ursachen zu er- kennen, und die differentielle Bedeutung der organischen und anorganischen Materien richtig zu würdigen. I) 2. Atomistische Zusammensetzung der organischen und anorganischen Materien. Alle Organismen und alle Anorgane welche unserer wissenschaft- lichen Erkenntniss zugänglich sind, zeigen ganz tibereinstimmend eine gewisse Summe von ursprünglichen allgemeinen Eigenschaften, welche aller Materie nothwendig inhäriren. Diese generellen Qualitäten der Naturkörper, welche in ganz gleicher Weise sämmtlichen belebten, wie sämmtlichen leblosen Körpern zukommen, sind: Ausdehnung, Un- dm-chdringlichkeit, Theilbarkeit, Ausdehnbarkeit, Zusammendrückbar- keit, Elasticität, Porosität, Trägheit, Schwere etc. Da wir diese allge- meinen Grund-Eigenschaften sämmtlicher Naturkörper als aus der Physik bekannte und allgemein anerkannte Thatsachen voraussetzen müssen so haben wir nicht nöthig, hier näher darauf einzugehen, und wollen nur, was so oft vergessen wird, ausdrücklich constatiren, dass in allen diesen Beziehungen, in allen allgemeinen Grund-Eigenschaften der Materie nicht der geringste Unterschied zwischen den Organismen und den Anorganen existirt. Aus diesen allgemeinsten Resultaten der Physik, haben sich die Naturforscher Ubereinstimmend eine allgemeine Grundauschauung Uber die primitive Constitution der Materie (organischer und anorganischer) gebildet, welche unter dem Namen der atomistischen Theorie von allen Physikern und Chemikern angenommen ist. Danach besteht die gesammte Materie aus Atomen, d. h. aus kleinsten, discreteu, nicht weiter theilbaren Masseutheilchen, welche der allgemeinen Massen- anziehung, der Schwere unterworfen, sich gegenseitig durch diese Attractions-Kraft oder Cohäsion anziehen. Die allgemeinen Er- scheinungen der Wärrae, des Aggregatzustandes etc. zwingen ferner zu der Annahme, dass diese letzten unzerlegbaren Masseutheilchen durch eine allgemein verbreitete indifferente Materie von nicht wahrnehm- barem Gewichte, den Aether, getrennt sind. Auf den Schwingungen aieses Aethers beruhen die Erscheinungen der Wärme und des Lichtes. 8* 116 Organismen und Anorgane. Dieser die Atome rings umgebende und von einander trennende Aether bestellt selbst wieder, gleich der Materie, aus disereten Theilchen, welche von den Atomen angezogen werden, sich selbst aber unter ein- ander durch ihre eigene Abstossungskraft oder Repulsivkraft (Expan- sion) abstossen. Diese atomistische Theorie erklärt in ganz gleicher Weise die allgemejinen Grundeigenschaften der Or- ganismen und der Anorgane. Die fundamentale Constitution der Materie, ihre Zusammensetzung aus Atomen, ist also in sämmtlichen Naturköi-pern, leblosen und belebten, dieselbe'). Die mannichfaltigen Unterschiede in der Erscheinung und im We- sen der verschiedenen Naturkörper beruhen theils auf der ununter- brochenen Thätigkeit der allgemeinen Molekularkräfte (der Cohäsion der disereten Atome und der Expansion der disereten, die Atome um- hüllenden und trennenden Aethertheilchen) , theils auf der qualitativen Verschiedenheit der Atome. Diese letztere anzunehmen werden wir durch die allgemeinsten Resultate der Chemie gezwungen. Indem nämlich die Chemie in ihrem Besti-eben, die Materie in ihre einfachsten Bestandtheile zu zerlegen, schliesslich überall eine geringe Zahl von unzerlegbaren, qualitativ verschiedenen Ur st offen oder chemischen Ele- menten als allgemeine Grundlage der gesammten Materie nachweist, führt sie in Verbindung mit jenen allgemeinsten Resultaten der Physik zu der Annahme, dass die qualitativen Verschiedenheiten der chemisch nicht weiter zerlegbaren Materien bedingt sind durch eine qualitative Verschiedenheit der Atome, welche diese Materien constituiren. Es würden also eben so viele verschiedene Atom- Arten, als chemische Elemente existiren*). Da sich die chemischen Elemente in bestimm- 1) Dieser jetzt allgemein von den Naturforschern angenommenen atomistischen Theorie, welche bis jetzt allein die sämmtlichen allgemeinen Erscheinungen der Körperwelt zu erklären im Stande ist, haben zwar viele speculative Philosophen unter dem Namen der dynamischen Theorie eine (übrigens mehrfach modificirte) andere Ansicht von der fundamentalen -Constitution der Materie entgegengesetzt,^ wonach dieselbe nur aus widerstrebenden Kräften zusammengesetzt ist. Doch hat diese nicht zu einer allgemeinen Anerkennung gelangen können, weil sie eine grössere Anzahl von Thatsachen nicht erklärt, und anderen unmittelbar wider- spricht. • 1 üi 2) Die Hypothese, dass die qualitative Verschiedenheit der chemischen Ele- mente, der durch die chemische Analyse nicht weiter zerlegbaren Grundstoffe, bedingt sei durch eine qualitative Verschiedenheit der Massen- Atome , welche die Elemente constituiren, ist von den Chemikern jetzt fast allgemein angenom- men. Dieser Hypothese steht eine zweite, bisher noch wenig beachtete, un- seres Brachtens aber richtigere Hypothese gegenüber, welche behauptet, dass es nur zweierlei Arten von Atomen giebt, Massen- Atome und Aether- Atome , und dass die Verschiedenheit der chemischen Elemente bedingt ist durch die ver- schiedenartige Zahl der gleichartigen Massen-Atome, welche zu verschiedenen Gruppen zusammentreten. Danach wäre also j e d e s s o g e n a u n t e A t o m e ni e s 1. Organische und anorganische StofiFe. 117 ten Gewichtsverhältnissen mit einander verbinden, so rauss das Gewicht der verschiedenen Atom-Arten ein verscliiedenes sein. Da nun diese qualitative Differenz der Atom-Arten und der aus ihnen zusammenge- setzten chemischen Elemente die ganze Mannichfaltigkeit in den Natur- körpern bedingt, so drängt sich hier zunächst die Frage auf, ob in den Organismen andere Atom-Arten, d. h. andere chemische Elemente vor- kommen, als in den Anorgauen. Als negative Antwort hierauf haben wir hier zunächst das hochwichtige Gesetz hervorzuheben, dass alle chemischen Elemente, welche den Körper der Organismen zu- sammensetzen, auch in der anorganischen Natur vorkom- men. Es giebt keinen unzerlegbaren Grundstoff in irgend einem Or- ganismus, welcher nicht auch ausserhalb desselben als lebloser Natur- körper, als Anorgan, oder als Bestandtheil eines solchen auftritt. Diese Thatsache ist zwar allbekannt, wird aber in ihrer ganzen Tragweite insofern meist nicht gehörig gewürdigt, als man daraus ge- Elementes nichts Anderes, als eine Summe von Massen- Atomen, welche, jedes von einer Aether-HüUe (wie von einer Atmosphäre) umgeben, in bestimmter Zahl und zu einer bestimmten Gruppe verbunden sind. Für jedes Element wäre die Zahl, in welcher sich die Atome zu einer Gruppe verbinden, characteristisch und unveränderlich. Wenn gleiche Atom-Gruppen mit gleichen AetherhüUen zusammentreten, so bilden sie einen Gruppenbau, den wir einen einfachen chemischen Körper (Element) nennen. „So viele verschiedene Gruppen es also giebt, so viele verschiedene Elemente, und der ursprünglich einzige Unterschied der Elemente besteht in der verschiedenen Anzahl der Mas- senatome in ihren Gruppen. Es giebt demnach in der Natur (als Körper- welt) zwei Materien, welche aus Atomen bestehen; diese Materien heissenMasse undAether. Jedes Atom der Masse zieht alle übrigen Atome an; jedes Atom des Aethers stösst alle übrigen Atome ab. Anziehung und Abstossung erfolgen nach dem Newton'schen Ge- setze". Es wächst also sowohl die Anziehung der Massen-Atome, als die Ab- stossung der Aether- Atome, in demselben Verhältnisse, in welchem die Anzahl der Atome zunimmt, und in welchem das Quadrat der Entfernung abnimmt. Die Aether-Atome und die Massen-Atome sind wahrscheinlich gleich grosse Kugeln, von sehr geringer Grösse. Die Zahl der Atome beider Materien ist unendlich gross, wie der Weltraum, welchen sie erfüllen. Die nähere Begründung dieser wichtigen Hypothese ist nachzusehen in der geistvollen kleinen Schrift von H. Wiechmann: Ueber den Bau der einfachen Körper. Eine Hypothese zur Erklärung der wichtigsten Naturerscheinungen. Oldenburg 1864; und in der dort citirten Schrift von 0. Hullmann: das Grundgesetz der Materie. Oldenburg 1863. Es ist klar, dass diese Hypothese dem einfachen monistischen Grundcharacter der ganzen Natur weit besser entspricht, als die gegenwärtig herrschende Hypo- these von der ursprünglich verschiedenen Qualität der Massen -Atome in den verschiedenen Elementen. Wir glauben , dass in derselben die erste Grundlage des monistischen kosmologischen Systems zu finden ist. Uebrigens ist sie zu- nächst für die uns hier vorliegende Frage gleichgültig, weil ja die Identität der Elemente in den Organismen und Anorganen (mögen nun die Elemente aus ein- fachen oder zusammengesetzten Atomen bestehen) empirisch bewiesen ist, 118 Organismen und Anorgane. wöhnlich nicht den sich unmittelbar ergebenden Schluss zieht, dass bei der qualitativen Identität der Elementarstoffe, welche die Anorgane und die Orgamsmen zusammensetzen, auch die fundamentalen Kräfte oder Functionen in beiden Klassen von Naturkörpern nicht qualitativ verschieden sein werden. Aus der Nichtexistenz eines beson- deren Lebensstoffes wird daher der Monismus schon die Nicht- existenz einer besonderen Lebenskraft folgern müssen. Wie man nun in Folge unserer vorgeschrittenen chemischen Kenntnisse die frtihere Annahme, dass besondere den Organismen eigenthtimliche und ausserhalb derselben nicht vorkommende chemische Elemente, beson- dere „Lebensstoflfe", die organischen Körper zusammensetzen und deren Lebenserscheinungen zu Grunde liegen, jetzt allgemein verlassen hat, so wird man ebenso nothwendig die auf gleich unvollständige Erkennt- mss gegründete Hypothese fallen lassen müssen, dass es besondere „Lebenskräfte" sind, welche die Formen, wie die Functionen der Or- ganismen bedingen. Von den unzerlegbaren chemischen Elementen, welche bis jetzt auf unserer Erde gefunden worden sind, und deren Zahl sich bereits auf mehr als sechzig beläuft, ist nur ungefähr der di-itte Theü im Körper der Organismen aufgefunden. Und von diesen ungefähr zwan- zig chemischen Elementarstoffen ist es wiederum nur etwa die Hälfte, welche allgemein verbreitet und in grösserer Menge in den organischen Körpern vorkommt. Bekanntlich sind es vor Allen die vier Elemente : Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff, die vorzugsweise die sogenannten organischen Verbindungen im engeren Sinne zusammen- setzen, und die man desshalb auch als „Organogene" besonders her- vorgehoben hat. An der Spitze derselben steht der Kohlenstoff, dessen merkwürdige physikalische und chemische Eigenthümlichkeiten wir als die letzte Ursache aller der eigenthümlichen Functionen und Formen zu betrachten haben, welche die Organismen vor den An- organen auszeichnen. An diese vier organogenen Elemente schliesst sich dann zunächst Schwefel und Phosphor au. Von den übrigen Elementen sind Chlor, Kalium, Natrium, Calcium und demnächst Eisen und Kiesel am weitesten verbreitet. Viel seltener und meist nur in sehr kleineu Quantitäten kommen Jod, Brom, Fluor, Magnium, Alu- minium, Manganium, Strontium, Lithium und einige andere seltene Ur- stoffe in den Organismen vor. I) 3. Verbindungen der Elemente zu organischen und anorganischen Materien. Nachdem die Chemie nachgewiesen hatte, dass alle chemischen Grundstoffe oder Elemente, welche den Körper der Organismen zu- sammensetzen, sich auch ausserhalb desselben, in der anorganischen Natur vorfinden, dass mithin kein besonderes „organisches Element" I. Organische uud anorganische Stofife. 119 existirt glaubte man in der Art und Weise des Zusammentritts der Elemente zu zusannuengesetzten Verbindungen einen absoluten Unte - schied zwischen Organismen und Anorganen aufstellen zu können. Be- sondere Gesetze des „Lebens" sollten die Vereinigung Elemen e innerhalb des Organismus regeln, und die mystische vLebenskiaft sollte die Elemente zum Eingehen von Verbindungen zwingen welche ausserhalb des lebendigen Körpers nie sollten - St-de kommen können. Diese irrthUmliche Vorstellung, welche vorzüglich durch die Autoritäten von Berzelius und Johannes Müller in der Bio ogie zu sehr allgemeinem Ansehen gelangte, hat solchen Emfluss auf die allgemeine Beurtheilung der Organismen gewonnen und behauptet denselben theilweis noch heute, dass wir dieselbe hier ausdrücklich als einen Irrthum bezeichnen müssen, der durch die neuere Chemie definitiv widerlegt ist. _ m v i, t?^,. Vollkommen richtig ist es, dass diejenigen eigenthümlichen Foi- men und Functionen, welche die Organismen von den Anorganen un- terscheiden, einzig und allein die nothwendige Wirkung sind von den eigenthümlichen Verbindungen, welche die Elemente im Korper der Organismen eingehen, und welche man allgemein als „orgamsche Materien zusammenfasst. Vollkommen falsch aber ist es, wenn man diese eigenthümlichen „organischen Verbindungen" von etwas Anderem ableitet, als von der chemischen Wahlverwandtschaft der Elemente, . welche 'in allen Fällen, selbstständig, vermöge der ihren Atomen un- zertrennlich innewohnenden Kräfte, diese Verbindungen activ schaüen Es existirt also auch in dieser Beziehung durchaus kein Unterschied zwischen den leblosen und den belebten Naturkörpern. Wie wir m der leblosen Natiir die gewöhnlich einfacheren, sogenannten „anorgani- - sehen Verbindungen" lediglich durch die ureigenen Kräfte der Ele- mente, nach den unabänderlichen und ewigen Gesetzen der chemischen Wahlverwandtschaft, entstehen sehen, so erkennen wir eben so be- stimmt, dass innerhalb der lebendigen Körper die gewöhnlich ver- wickeiteren, sogenannten „organischen Verbindungen" ledighch nach denselben Gesetzen der chemischen Affinität, mit absoluter Nothwen- digkeit, entstehen und vergehen. Der einzige Unterschied, welcher in der chemischen Zusammen- setzung der Organismen und Anorgane gefunden werden kann, be- steht darin, dass in allen Organismen neben den einfacheren Ver- bindungen der Elemente, die allenthalben auch in der leblosen Natur vorkommen (Wasser, Kohlensäure etc.), eine Anzahl von verwickeiteren Verbindungen des Kohlenstoffs (und namentlich allgemein gewisse Ei- weisskörper) sich finden, welche gewöhnlich in der anorganischen Natur sich nicht zu bilden scheinen. Diese Verbindungen verdanken aber ihre Existenz nicht einer besonderen Lebenskraft, sondern den 120 Organismen und Anorgane. eigenthümlichen und äusserst verwickelten Verwandtschaftsbeziehungen des Kohlenstoffs zu den meisten übrigen ElemeDteu. Vielleicht mit allen anderen Elementen, vorzüglich aber mit den drei Elementen: Wasser- stoff, Sauerstoff und Stickstoff, vermag der Kohlenstoff eine endlose Keihe von äusserst verwickelten Verbindungen einzugehen, welche zum grössten Theil durchaus ohne Analogon unter den kohlenstofflosen Verbmdungen dastehen. Wir müssen also die chemische und physi- kalische Natur des Kohlenstoffs und vor Allem seine in ihrer Art einzige Fähigkeit, mit anderen Elementen höchst coraplioirte Ver- bindungen einzugehen, als die erste und letzte, als die einzige Ursache aller derjenigen Eigenthümlichkeiten ansehen, welche die sogenannten organischen Verbindungen von den anorganischen unter- scheiden. Es würde desshalb richtiger sein die „organischen Verbindungen" concreter als „Kohlenstoff- Verbindungen" zu bezeichnen, wie man die „organische Chemie" neuerdings richtiger die „Chemie der Kohlen- stoff-Verbindungen" genannt hat. Nur darf dabei nicht vergessen wer- den, dass, wie der reine Kohlenstoff selbst (als Diamant, Graphit), so auch einfachere Kohlenstoff- Verbindungen in der anorganisclien Natur, ausserhalb der Organismen, weit verbreitet vorkommen, wie vor Allem die Kohlensäure, das Kohlenoxyd, einzelne Kohlenwasserstoffe ^u. s. w. Andererseits darf ebenso wenig vergessen werden, dass in allen Or- ganismen ohne Ausnahme neben jenen „organischen", d. h. ver- wickeiteren Kohlenstoff- Verbindungen, auch noch einfachere Kohlen- stoff-Verbindungen und nicht kohlenstoffhaltige Verbindungen der Ele- mente, also sogenannte „ anorganische " Verbindungen vorkommen (Was- ser, Kohlensäure, Kochsalz etc.) Die wesentlichsten Unterschiede in der Zusammensetzung der organischen und anorganischen Verbindungen glaubte man früher darin zu finden, dass in der anorganischen Natur sich nur „binäre" Verbindungen bilden, indem zunächst immer nur zwei Elemente zusammentreten, z. B. Kohlenstoff und Sauerstoff zur Kohlensäure, oder Wasserstoff und Stickstoff zum Ammoniak; eine solche einfache binäre Verbindung kann sich dann weiter mit einer anderen einfachen binären Verbindung zu einer zusammengesetzten binären Verbindung vereinigen, z. B. Kohlensäure und Ammoniak zum kohlensauren Ammoniak u. s. w. Dagegen sollten sogenannte „ternäre und quaternäre" Verbindungen, in welchen drei oder vier Elemente unmittelbar zu einer complexeren Verbindung zusammentreten, (z. B. Kohlenstoff", Sauerstoff, Was- serstoff und Stickstoff zu dem quaternären Harnstoff) ausschliesslich nur unter dem Einflüsse des Lebens zu Stande kommen und niemals in der anorganischen Natur sich bilden. Als weiterer wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Verbinduugsgruppen wurde dann ferner gewöhnUch noch angeführt, dass die Mischungsgewichte in den ternären und quaternären „organischen" Verbindungen im Allgemeinen weit höhere und ihre Zahleu- I. Organische und anorganische Stoffe. 121 Verhältnisse meist complicirtere sind, als dies in den binären „anorganischen" Verbindungen gewöhnlich der Fall ist. So wesentlich nun gewiss diese gradweise, relative Differenz in der atomistisehen Constitution vieler organischen und anorganischen Yerbindungen für die Erklärung ihrer functionellen Differenzen ist, so hat man doch auch diesen Unterschied einseitig übertrieben. Zunächst ist hier erstens als sehr wesentlich hervorzuheben, dass kein Organismus lediglich aus den compli- cirteren „ternären und quaternären" Kohlenstoff-Verbindungen (Eiweiss, Fett etc.) besteht, dass vielmehr stets auch neben diesen noch einfache „binäre" Verbindungen vorhanden sind, Wasser, Kohlensäure, gewisse Salze etc. Jeder Organismus ohne Ausnahme erscheint in dieser Beziehung als ein Complex von einfachen (binären) „anorganischen" und complicirten (ternären oder quaternären) „organischen" Verbindungen. Die wesentlichsten Eigenthümlichkeiten der letzteren sind aber im Grunde nur abhängig von der ausgezeichneten Fähigkeit des Kohlenstoffes (des „organischen" Elements xui' t^oyJi''), sich in den verschiedensten Verhältnissen mit anderen Elementen zu verbinden. Diese in ihrer Art einzige Eigenschaft des Kohlen- stoffes müssen wir als die Grundlage aller Eigenthümlichkeiten der soge- nannten organischen Verbindungen bezeichnen. Grosses Gewicht legte man früher darauf, dass diese characteristischen Kohlenstoff-Verbindungen sich ausschliesslich nur in den Organismen „unter dem Einfluss des Lebens" bilden könnten und dass niemals dergleichen durch Combination binärer Verbindungen künstlich in unseren Laboratorien herzustellen seien. Zuerst wurde dieses Dogma 1828 von Wohl er widerlegt, welcher auf rein künstlichem Wege Harnstoff (statt cyansauren Ammoniaks) aus den „anorganischen" Elementen (aus Cyan- und Ammoniak- Verbindungen) herstellte. In neuester Zeit hat man jedoch in dieser Beziehung so weite Fortschritte gemacht, und so viele „rein organische" complicirte Kohlenstoff- Verbindungen, Alkohol, Essigsäure, Ameisensäure etc. auf „rein anorgani- schem" Wege künstlich hergestellt, dass bald nur noch die höchststehende und complicirteste Gruppe der Eiweisskörper dieser künstlichen Synthese Schwierigkeiten in den Weg legen wird, Schwierigkeiten, welche die weiteren Fortschritte der Chemie zweifelsohne überwinden werden. Schon heute dürfen wir also sagen, dass ein sehr grosser Theil der complicirteren Kohlenstoff- Verbindungen, der „ternären und quaternären"' Atomcomplexe, nicht ausschliesslich nur im Organismus entsteht, sondern ebenso auch künstlich, mit Ausschluss jeder Lebensthätigkeit, in unseren Laboratorien dargestellt werden kann, gleich den einfachsten („binären") anorganischen Verbindungen. Dieses Resultat ist aber desshalb für uns von äusserster Wichtigkeit, weil daraus hervorgeht, dass auch in der Natur, unter ähnlichen Bedingungen, wie wir sie in unseren Laboratorien künstlich herstellen, unbelebte anorganische Materien zur Bildung lebensfähiger organischer Stoffe, „binäre" Verbindungen und einfache Elemente zur Bildung „ternärer und quaternärer" Verbindungen zusammentreten können, eine Möglichkeit, welche für die Theorie von der Autogonie, einer Form der Generatio spon- tanea, die unentbehrliche Gnindlage ist. Als sehr wesentlicher Unterschied zwischen den anorganischen und den 122 Organismen und Anorgane. organischen Materien wurde früherhin oftmals hervorgehoben, dass die letzteren, dem Einflüsse des Lebens entzogen, alsbald „faulen", sich „spon- tan zersetzen", während die ersteren dieses nicht thun. Allerdings ist es richtig, dass die meisten verwickeiteren Kohlenstoff-Verbindungen längere oder kürzere Zeit nach dem Tode des Organismus „verfaulen", sich unter Faulniss zersetzen und in die einfacheren binären Verbindungen auflösen' Indess gilt dies erstens nicht von allen, und zweitens sagt diese Thatsache weiter nichts aus, als dass diese faulenden organischen Substanzen, ihrer natürlichen Wahlverwandtschaft gemäss, Zersetzungsprocesse und Verbin- dungen mit den umgebenden Medien (Sauerstoff der atmosphärischen Luft, des Wassers etc.) eingehen, an deren Eintritt sie während des Lebens durch die stärkeren anderweitigen Wahlverwandtschaften gehindert wurden, welche die eingeführten Nahrungsmittel ausübten. Ganz ebenso wie die meisten organischen Verbindungen zersetzen sich an der Luft oder im Wasser auch viele anorganische Verbindungen, welche „verwittern", wie z. B. viele Salze. Fassen wir die allgemeinsten und wichtigsten Resultate, welche uns diese Vergleichung der organischen und anorganischen Verbindungen liefert, kurz zusammen, so kommen wir zu folgenden, wichtigen Resultaten: Sämmt- liche in den Organismen vorkommende chemische Elemente kommen auch ausserhalb in der anorganischen Natur vor. In sämmtlichen Organismen kommen sowohl einfache (binäre) Verbindungen dieser Elemente vor, wie in den Anorganen, als auch daneben zusammengesetztere Kohlenstoff'- Ver- bindungen (ternäre und quaternäre Verbindungen), welche der Kohlenstoff gewöhnlich in der anorganischen Natur nicht zu bilden scheint. Dass die- selben jedoch sich hier ebenfalls, ohne jeden Einfluss des „Lebens", bilden können, geht daraus hervor, dass wir dieselben rein künstlich aus einfacheren Verbindungen und Elementen zusammensetzen können. Die Päulniss der Organismen ist ein einfacher Zersetzungsprocess und erfolgt nach den Ge- setzen der chemischen Wahlverwandtschaft, welche die gesammte organische und anorganische Materie gleicherweise unbedingt beherrschen. I) 4. Aggregatzustände der organisclien und anorganischen Materien. Unter Ag-g-regatzustand der Naturkörper verstehen wir den Grad der Entfernung und der dadurch bedingten relativen Beweglichkeit ihrer Massen- Atome. Die Differenzen der Aggre- gatzustände beruhen lediglich auf der Verschiedenheit der Entfer- nungen der Atome von einander, welche durch die Wechselwirkung zwischen der Cohäsions- Kraft der Atome und der Expansions -Kraft der Aethertheilchen modificirt werden. Bei den anorganischen Natur- körpern ist bekanntKch eine dreifache Differenz in dieser Beziehung möglich, und man unterscheidet demgemäss bei diesen drei Aggregat- zustände, den festen, tropfbaren und gasförmigen. Der feste Aggregatzustand kommt allen geformten Anorganen ohne Ausnahme zu. Hier liegen die Atome in solcher Nähe bei einander» I. Organische und anorganische Stoffe. 123 dass die Cohäsion der Massen-Atome über die Expansion der Aether- theilchen überwiegt. Folge davon ist, dass die gegenseitige Lagerung der U Atome stets dieselbe bleibt und dass sie nur bis zu einer gewissen Grenze !- sich von einander entfernen können (z. B. bei Ausdehnung durch Erwär- mung) ohne den festen Aggregatzustand zu verlassen. Die Atome haben hier ein stabiles Gleichgewicht. Der Character der festen Körper liegt also darin, dass ihr Volum nur innerhalb enger Grenzen veränderlich ist und Idass sie eine selbstständige bleibende Gestalt haben. Beim tropfbaren oder flüssigen (tropfbar -flüssigen) Aggregat- t zu st and liegen die Atome in solcher Entfernung von einander, dass die L Cohäsion und Expansion sich das Gleichgewicht halten. Die Atome haben Idaher hier ein labiles Gleichgewicht, und können bei jeder Störung des- - selben ihre gegenseitige Lagerung nach allen Richtungen hin frei verändern. (Der Chai-acter der tropfbar- flüssigen Körper liegt also darin, dass ihr Wolum ebenfalls nui- innerhalb enger Grenzen veränderlich ist, dass sie aber ikeine selbstständige Gestalt haben. In ein Gefäss eingeschlossen, nehmen Idie Flüssigkeiten die Form dieses Gefässes an, und wenn sie dieses nicht .ganz erfüllen, bildet ihre Oberfläche eine horizontale Ebene. Dagegen •^oimmt jede Flüssigkeit, eingeschlossen in eine andere, damit nicht misch- bare Flüssigkeit vom gleichen specifischen Gewicht, z. B. Oel in einem .'gleich schweren Gemenge von Weingeist und Wasser, selbstständig und «bleibend die Kugelform an. Der gasförmige oder luftförmige (elastisch-flüssige) Aggregat- zustand endlich ist dadurch ausgezeichnet, dass in Folge grösserer Ent- fernung der Atome von einander die Expansion über die Cohäsion über- rwlegt. Die Aethertheilchen sind stärker als die Atome, und da sie sich gegenseitig abstossen, strebt die Materie, sich ins Unendliche auszudehnen. IDurch diese Expansionskraft der . Gase ist deren Character bedingt, sich 'joweit auszudehnen, als es die Begrenzung durch benachbarte feste oder ilüssige Körper erlaubt. Die Atome können sich hier ohne Grenze von isinander entfernen. Das Volum der Gase ist daher in den weitesten Frenzen veränderlich und eine selbstständige Form niemals vorhanden. Da die Wärme eine Bewegung des Aethers ist, so erklärt es sich, wie ■die Anorgane unter verschiedenen Wärme - Graden alle drei Aggregat- izustände annehmen können. Ist die Wärme-Bewegung des Aethers so gering, dass sie die Atome nicht von einander zu entfernen vermag, so ist der Körper fest. Wenn jene Bewegung 'stärker wird, so dass sie die Atome bis zu einer bestimmten Grenze, welche den Wirkungskreis der »gegenseitigen Anziehung der Atome nicht überschreitet, auseinander zu ■a-eiben vermag, so wu-d der Körper flüssig. Wird endlich die Bewegung •ier Aethertheilchen, die wir Wärme nennen, so stark, dass die Atome über ■ ene Grenze hinaus von einander entfernt und nun ins Unendliche aus- lainander gestossen werden, so wird der Körper gasförmig. Vergleichen wii- mit diesen drei bestimmten und stets leicht er- psennbaren Aggregatzuständen der Anorgane diejenigen der Organis- 'oaen, so haben wir zunächst zu constatiren, dass alle drei Aggregat- 124 Organismen und Anorgane. zustände in Theilen des Körpers vieler Organismen eben so rein, wie in den Anorg-anen vorkommen, und dass einer davon, nämlich der flüssige, in allen lebenden Organismen ohne Ausnahme allgemein ver- breitet ist. Die eigenthümlichen Bewegungs-Erscheinungen, welche wiiij unter dem Collectivnamen des Lebens zusammenfassen, können nurl durch Mitwirkung dieses Aggregatzustandes zu Stande kommen und 1 wir können daher den tropfbar flüssigen Zustand mindestens eine^ ' Theils der Materie als ein für alle Organismen nothwendiges Er ^ forderniss bezeichnen. Die Hohlräume, welche diese für den Trans- port der Theilchen beim Stoflivechsel unentbehrlichen Flüssigkeiten: einschliessen, sind theils (bei den höheren Thieren) besondere Gefässe; (Blutgefässe, Wassergefässe , Le'ibeshöhle etc., theils wandungslosef Hohlräume zwischen den Elementartheilen und im Inneren derselbe; (Vacuolen in den Piastiden etc.). Ausser dem rein tropfbaren komii^ nun femer auch der feste und der gasförmige Aggregatzustand voll kommen rein im Körper vieler (nicht aller!) Organismen vor. Zu deu absolut festen Theilen der Organismen können wir z. B. die Otolithen ; im Gehörorgan, ferner die reinen Kieselskelete und die iSkelete aus kohlensaurem Kalke rechnen, welche bei vielen wirbellosen Thieren, sowie die Krystalle, welche sich in vielen Pflanzen vorfinden. Ebensojl kommen Gase in elastisch-flüssiger Form (nicht aufgelöst) im Körperjl vieler Organismen vor, entweder mit der Aussenwelt unmittelbar com-Ä municirend (z. B. in den Lungen, Luftröhren, in den pneumatischen 1 Knochenhöhlen der Vögel etc.) oder in besonderen Bäumen abge-.jj schlössen (z. B. in der Luftblase der öiphonophoren, der Schwimm-i blase vieler Fische, den Gefässeu derPflanzen etc.) Ausser diesen drei Aggregatzuständen, welche also in belebten, i wie in leblosen Naturkörpern gleicherweise vorkommen, zeichnen sich : nun aber die Organismen noch durch einen vierten Aggregatzustand i aus, welcher einem Theile der Kohlenstoff- Verbindungen ausschliess- j lieh eigenthümlich ist und in den Anorganen nicht vorkommt, und ;( welchen wir als festflüssigen oder gequollenen Aggregatzu- stand bezeichnen können. Es bildet dieser Zustand, wie schon der Name sagt, eine eigenthümliche Mittelbilduug zwischen dem festen und flüssigen Zustand und ist in der That aus einer Verbindung beider hervorgegangen. Er kömmt dadurch zu Stande, dass Flüssigkeit in bestimmter (innerhalb gewisser Grenzen eingeschlossener) Quantität zwischen die Moleküle eines festen Körpers (einer Kohlenstoff-Verbin- dung) eindringt und dessen Intermolekularräume erfüllt. Diese Zwi- schenräume sind in denjenigen organischen Materien, welche einer sol- chen Flüssigkeitsaufnahme (Quellung oder Imbibition) fähig sind, off'en- ; bar von anderer Beschaffenheit, als bei denjenigen einfacheren organi- schen Verbindungen, welche, gleich allen anorganischen Verbindungen, I. Organische und anorganische Stoffe. 125 nicht Flüssigkeit zwischen ihre Moleküle aufnehmen können, ohne selbst ) flüssig zu werden. Wahrscheinlich steht diese Fähigkeit im engsten Causal-Zusammeuhang mit der complicirten Gruppirung der Atome in ;den betrettenden Kohlenstoff-Verbindungen. Denn gerade diejenigen organischen Materien, welche in diesen Beziehungen sich am weite- ,.sten von den Anorganen entfernen, sind es, welche den festflüssigen ^ Aggregatzustand in der grössten Ausdehnung annehmen können. Ge- rrade diese höchst complicirt und locker zusammengesetzten, leicht zer- jsetzbaren Kohlenstoff- Verbindungen , vor Allen die Eiweissstoffe und j deren Derivate, sind es aber auch, welche die complicirtesten Lebens- K erscheinungen vermitteln, und da diese Kohlenstoff- Verbindungen, als adie eigentlichen activen, organogenen Stoffe in keinem Organismus ftfehlen, so finden wir auch den für sie charakteristischen gequollenen •Aggregatzustaud in allen Organismen ohne Ausnahme vor. Die allgemeinen physikalischen Eigenschaften, welche lidie organische Materie durch die Quellung oder Imbibition eerhält, sind für die Erklärung der Lebens- Erscheinungen »von äusserster Wichtigkeit. Indem nämlich die festflüssigen oder '-gequollenen Materien gewisse Eigenthümlichkeiten des festen und des ir.flUssigen Aggregatzustandes in sich vereinigen, indem sie Festigkeit fiirait einem bedeutenderen Grade von Formveränderlichkeit, Härte mit (t einem eigenthümlichen Grade von Weichheit verbinden, wird schon jli hieraus klar, warum die Functionen der organischen Materien weit Iddifferenzirter und complicirter sein können, als dies bei dem einfachen Aggregatzustand der Auorgane jemals der Fall sein kann. Die wichtigsten aller sogenannten Lebenserscheinungen, und ge- rrade diejenigen Functionen der organischen Körper, welche man ge- V wohnlich als die characteristischen Leistungen des Lebens zu bezeich- \ ineu pflegt, sind nur möglich dadurch, dass die Materie, von welcher ssie ausgehen, sich wenigstens theilweis im vierten, im festflüssigen . Aggregatzustande befindet. Die sogenannten „animalen" Kräfte der l Empfindung und Bewegung, welche von der Nerven- und Muskel-Sub- ^ stanz ausgehen, wie die sogenannten „vegetativen" Kräfte der Er- c-nährung und Fortpflanzung, welche den verschiedensten Substanzen der i Organismen inhäriren, sind ohne den festflüssigen Aggregatzustand I ihres materiellen Substrates gar nicht denkbar. Gerade die eigen- tthtimliche Verbindung von Festigkeit und Flüssigkeit, von Härte und \ Weiche, von Starrheit und Beweglichkeit, welche durch die Imbibition i gegeben wird, bedingt und ermöglicht die complicirteren Molecularbe^ »»wegungen, welche den angeführten organischen Processen zu Grunde liegen. Aus diesen Gründen können wir den Quellungszustand der 'lebenden Materien gar nicht hoch genug anschlagen, und werden be- ifügt .sein, in diesem festflUssigcn Aggregatzustande der meisten Kohlen- 126 Organismen und Anorgane. Stoff-Verbindungen, gleichwie in ihrer complicirteren Zusammensetzung aus verwickelten Atomgruppen (welche wahrscheinlich eng mit der Quellungsfähigkeit zusammenhängt) eine der wichtigsten Grundursachen des Lebens zu finden. Es wird daher zur Begründung unserer monisti- schen Lebens-Beurtheilung hier gestattet sein, bei dem Fundamental- Phaenomen der Imbibition noch etwas zu verweilen, zumal auch für die Form der Organismen dieser vierte Aggregatzustand von der grössten Bedeutung ist. Da eine eigentliche Quellung oder Imbibition bei den Anorganen nie- mals vorkommt, so entsteht die Frage, ob hier ähnliche Modificationen der ersten drei Aggregatzustände vorkommen, welche der Imbibition in einigen Beziehungen gleichen. Hier tritt uns nun einerseits das Phaenomen der Tränkung oder Durchfeuchtung (Humidation) , andererseits die Er- scheinung der Lösung oder Auflösung (Solution) entgegen. Bei der Durchfeuchtung oder Humidation sehen wir Flüssigkeit in die Poren fester Körper eindringen, ohne dass eine wirkliche Imbibition und Quellung der- selben stattfindet. Das ist z. B. der Fall bei Steinen (und zwar nicht nur bei auffallend „porösen", sondern auch bei den scheinbar dichtesten und festesten Gesteinarteu), welche längere Zeit auf dem Grunde des Meeres gelegen haben. So wenig diese Durchfeuchtung den festen Aggregatzu- stand der Anorgane und damit ihr Volum zu ändern vermag, so wenig werden diese geändert, wenn die beträchtliche Menge der eingedrungenen Flüssigkeit durch Austrocknen wieder entfernt wird. Niemals kann daher auch die vollständigste Durchfeuchtung eine solche Beweglichkeit der Moleküle und damit eine solche Formveränderiichkeit der festen Körper herbeiführen, wie sie durch die Quelluug gegeben wird. Andererseits aber ist hervorzuheben, dass bei den organischen Körpertheilen zwischen den höchsten Graden der Durchfeuchtung und den niedersten Graden der Quel- lung ein ganz allmähliger und unmerklicher Uebergang stattfindet, und wir können diesen Uebergang oft au einem und demselben Theile eines Or- ganismus in continuo verfolgen. Insbesondere ist in dieser Beziehung eine Vergleichuug contiuuirlich zusammenhängender Skelettheile von Interesse, und zwar gilt dies sowohl von den inneren, der Biudegewebsgruppe ange- hörigen Skelettheilen der Wirbelthiere, als von den äusseren, zu den Chitin- ausscheidungen zu rechnenden Skelettheilen der Gliederthiere. Der Aggre- gatzustand eines Knochens, (und zwar speciell der Intercellular- oder Grund- substanz des Knochens, die hier zunächst in Frage kommt) ist an sich, als solcher, (abgesehen natürlich von den ferneren Structurdifferenzen), nicht zu unterscheiden von dem festen Aggregatzustande vollkommen durchfeuchteter Mineralien, (z. B. Sandstein, Kalkstein), die lange in Wasser gelegen ha- ben. Und dennoch geht dieser unzweifelhaft „feste" Aggregatzustand eines Knochens durch eine Reihenfolge der feinsten Uebergangsstufen ganz all- mählig in den unzweifelhaft „festflüssigen", d. h. gequollenen Zustand des Knorpels, der Sehne u. s. w. über. In gleicher Weise sind die unzweifel- haft „festen" und bloss durchfeuchteten Chitindecken z. B. der Abdominal- segmente von Inseeten durch eine ganz allmählige Stufenfolge der unmerk- I. Organische und anorganische Stoffe. 127 liebsten Uebergänge des Aggregatzustandes mit den unzweifelhaft „fest- flüssigen" oder imbibirteu weicheren intersegmentalen Chitindecken verbun- den, welche jene Segmente unter einander verbinden. Hieraus ergiebt sich also das wichtige Gesetz, dass der festflüssige Aggregatzustand or- ganischer Körpertheile ganz untrennbar in den festen über- geht. Wie nun auf der einen Seite organische Körpertheile mit dem gering- sten Grade der Quellungsfähigkeit nicht von den vollkommen durchfeuch- teten festen Anorganen zu trennen sind, so finden wir es auf der anderen Seite nicht möglieh, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen den flüssigen Lösungen der festen Anorgane und den organischen Körpertheilen mit dem höchsten Grade der Imbibitionsfähigkeit. Bei der Lösung oder Solution der festen Anorgane sehen wir, wie bei der Humidation, Flüssigkeit in die Poren des festen Körpers eindringen; nur ist die relative Quantität der Flüssig- keit eine sehr viel grössere und sogar eine unbegrenzte. Es wird nämlich bei der Solution so viel Fluidum in die Poren aufgenommen, und es werden dadurch die Moleküle soweit von einander entfernt, dass das Uebergewicht der Cohäsion über die Expansion überwunden wird, und dass der feste Aggregatzustand vernichtet und in den flüssigen selbst übergeführt wird. Der wesentliche Unterschied zwischen der Lösung und den höchsten Graden der Imbibition lässt sich dahin bestimmen, dass jeder quellungsfähige Kör- per ein Quellungsmaximum hat, eine Grenze, über welche hinaus kein Wasser mehr in die Poren aufgenommen wird. Die Verdünnungsfähigkeit der Lösungen dagegen ist unbegrenzt. Da nun die festen und lösliehen An- organe kein Imbibitions - Maximum besitzen, so nehmen sie immer so lange Wasser auf, bis sie in den flüssigen Zustand übergegangen sind. Anderer- seits aber ist hervorzuheben, dass bei den organischen Körpertheilen wiederum ein ganz allmähliger und unmerklicher Uebergang sich findet zwischen den höchsten Graden der Quellung und den niedersten Graden der Tropfbarkeit einer concentrirten und zähflüssigen Solution. Schon die äusserst verschiedenen Consistenz- Grade des eiweissartigen Plasma in den verschiedenen Zellen liefern hierfür den Beweis. In grossem Maassstabe ist dasselbe am auffallendsten zu beobachten an dem sogenannten „Gallert- Gewebe" der Coelenteraten, sowohl bei vielen Hydromedusen, als insbeson- dere bei den Ctenophoren. Bei einigen der letzteren geht die Imbibitions- fähigkeit des äusserst weichen und wasserreichen Gewebes (und zwar spe- ciell der Zwisehensubstanz des gallertigen Bindegewebes) so weit, dass dasselbe in der That tropfbar flüssig wird, während dasselbe Gallertgewebe andererseits durch zahlreiche Zwischenstufen mit der viel weniger stark imbibirteu Zwischensubstanz des festeren (oft knorpelharteu) Bindegewebes continuirlich zusammenhängt. Sehr instructiv sind für diese Vergleichung ferner die eigenthümlichen, pathologisch beim Menschen (z. B. bei Cysten- bildung im Eierstock) so oft vorkommenden Colloidsubstanzen oder Gallert- massen, deren albumiuöse Substanz die verschiedensten Grade der Flüssig- keitsaufnahme zeigt. Während im einen Falle die Colloidsubstanz dieser pathologischen Producte eine ziemlich consistente Gallertmasse darstellt, welche auch isolirt ihre selbstständige Form behält und unzweifelhaft als 128 Organismen und Anorgane. ein mehr oder minder stark gequollener fester Körper angesehen werden muss, stellt dieselbe im anderen Falle eine vollkommen dünne tropfbare Flüssigkeit dar, welche alle Charactere einer vollständigen Lösung trägt. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich alle möglichen, fein abgestuften Uebergänge, und bisweilen findet man in den zahlreichen Fächern einer solchen vielfächerigen Gallertgeschwulst alle diese verschiedenen Consistenz- grade des festflüssigen Körpers neben einander vor. Es ist hier ganz unmöglich, bei den consistenten, zähen, fadenziehenden Flüssigkeiten zu sagen, wo der eigentliche Imbibitionszustand der festen organischen Materie aufhört und wo die eigentliche ■ Lösung derselben beginnt. Aehnlich ver- halten sich auch viele andere organische Substanzen, insbesondere der Traganth, viele Schleira-Formen, Gummi etc., die sich nicht unmittelbar in der Flüssigkeit auflösen, sondern langsam und allmählig eine unbestimmte Quantität derselben imbibiren, dann aber in der Quellung keine Grenze zu finden scheinen und unendlich verdünnt werden können. Auch hier ist es ganz unmöglich, schliesslich zu unterscheiden, ob nur ein sehr hoher Grad von Quellung oder ob eine wirkliche Lösung der organischen Materie statt- gefunden hat. Diese Erscheinungen zeigen deutlich, dass auch zwischen Lösung und Imbibition keine bestimmte Grenze existirt, und dass der festflüssige Aggregatzustand organischer Körpertheile ganz untrennbar in den flüssigen übergeht. Zusammengehalten mit den vorhergehenden Resultaten erhalten wir also das Gesetz, dass der festflüssige oder gequollene Aggregatzustand, in welchen viele organische Körpertheile eintreten können, und welcher für das Zustandekommen der Lebenserscheinungen aller Organismen unent- behrlich ist, keineswegs absolut vom festen und vom flüssigen Aggregat- zustande verschieden ist, sondern vielmehr durch eine continuirliche Reihe der feinsten üebergangszustände mit Beiden unmittelbar verbunden ist. So äusserst wichtig also auch dieser Imbibitionszustand für die Orga- nismen ist, so werden wir doch in ihm keine Function derselben zu sehen haben, die ganz ausserhalb der Reihe der anorganischen Functionen liegt. Yielmehr stimmt er sowohl mit dem festen, aber durchfeuchteten, als mit dem flüssigen Aggregatzustand der Anorgane darin überein, dass Flüssigkeit zwischen die Moleküle der Materie eindringt und die Intermolekularräume erfüllt. Bei der Imbibition eines organischen Körpers ist das Maass dieser eindringenden Flüssigkeit für jede Materie bestimmt, wie bei der Humi- dation, während bei der Solution dieses Maass unbeschränkt ist. Anderer- seits wird durch die Imbibition Yolum und Form des Flüssigkeit aufnehmen- den festen Körpers verändert, wie bei der Solution, während dieselben von der Huraidation nicht verändert werden. Bei der Quellung werden die In- terinolecular- Räume des festen Körpers nur bis zu einer gewissen, durch die Cohäsion der Moleküle bestimmten Grenze erweitert, während bei der Lösung diese Erweiterung in das Unbegrenzte fortgehen kann; bei der Durchfeuchtung dagegen findet gar keine solche Erweiterung der feinen Intermolecular- Räume statt;, die Flüssigkeit dringt hierbei wahrscheinlich gar nicht in diese, sondern in gröbere Substanzlücken (Poren) zwischen grösseren Gruppen von Molekülen ein und tritt hier an die Stelle der darin 1. Organische und anorganische StofiFe. 129 V vertheilten Luft. Indem wir so die Quellung als eine physikalische Lei- stung der organischen Materie nachweisen, welche zwischen der Durch- feuchtung und der Lösung in der Mitte steht, entkleiden wir dieselbe des - specifischen, vitalistischen Characters, welchen ihr viele Biologen beigelegt 1 haben und constatiren, dass diese, für die Lebensbewegungen äusserst wich- ; tige Function der organischen Materie nur relativ, nicht absolut von den verwandten Leistungen der anorganischen Materie (Lösung und Durch- : feuchtung) verschieden ist. Während wir nun einerseits den festflüssigen' Aggregatzustand der 1 Kohlenstoff-Verbindungen als eine der wichtigsten Grundursachen der ILebenserscheinuugen betrachten, ist es doch andererseits von grosser ^Wichtigkeit darauf hinzuweisen, dass die Quellungsfähigkeit, welche : allen Anorganen abgeht, ebenso auch nur einer beschränkten Anzahl ^von organischen Verbindungen zukommt, anderen dagegen gänzlich" I fehlt. So kommen viele Fette, organische Säuren, Alkaloide, Zucker etc. t entweder nur in festem (krystallinischen) oder in flüssigem (geschmolze- men oder gelösten) Zustande im Körper der Organismen vor und sind »durchaus keiner Imbibition fähig. Endlich ist im Auschluss hieran das wichtige excluslve Verhält- niss hei*vorzuheben, welches zwischen der Imbibitionsfähigkeit und der j Krystallisationsfahigkeit existirt und welches schon von Schwann lin seiner grossen Bedeutung für die organische Morphologie gewürdigt 'worden ist. Diese beiden Functionen der Materie schliessen sich ge- ; genseitig aus. *) Krystallisirbare Materien können nicht auf- < quellen und quellungsfähige Stoffe können nicht krystalli- isiren, so lange ihre Molekularstructur sich nicht ändert. Dieses Gesetz ist äusserst wichtig für die allgemeine Verschiedenheit ') Eine Ausnahme von diesem Gesetze glaubte Reichert (Müllers Archiv, 1849, p. 197) in Eiweisskrystallen gefunden zu haben, welche sich in dem Uterus eines trächtigen Meerschweinchens vorfanden, und welche mit der Krystallsub- stanz des Blutes identisch sind, jeuer in den rothen Blutkörperchen der Wirbel- thiere vorkommenden krystallisirbaren Biweiss - Verbindung. Die Quellungs- phänomene, welche Eeichert von jenen Eiweisskrystallen schildert, zeigen sich nur an solchen Krystalleu, welche durch die Einwirkung von Alkohol oder an- deren Reagentien geronnen und in den unlöslichen, imbibitionsfähigen Zustand übergeführt sind. Sie behalten dann als Afterkrystalle die frühere Srystallform bei. So lange diese Eiweiss-Modificatiou löslich und kiystallisirbar ist, kann sie keine Flüssigkeit durch Imbibition aufnehmen. Eine andere Ausnahme scheinen die besonders von Nägeli untersuchten ,,KrystaIloide" zu bilden, welche in den Reservestofifbehältern (Samen etc.) vieler Pflanzen vorkommen. Diese kry- stallähnlichen Gebilde, welche constant Eiweissverbindungen nebst verschiedenen Beimengungen enthalten, können durch Einwirkung von Essigsäure, Ammoniak u. 8. w. bis um das Doppelte aufquellen. Indess ist es wohl auch hier wahr- scheinlich, dass durch die Einwirkung dieser Reagentien zugleich die krystallinische Molekularstructur vernichtet wird. Ilaeckel, Generelle Morphologie. 9 130 Orgauisnien und Anorgaue. der inneren und äusseren Formenverliältuisse, welche zwischen den Organismen und Anorg-anen existirt. Da nun gerade die imbibitious- fähigen, nicht krj^stallisirbaren organischen Materien beim Zustande- kommen der Lebensbewegungen die grösste Rolle spielen, so erklärt sich hieraus, warum krystallinische Formen, die in der anorganischen Natur als die höchst entwickelten Formzustände der Materie auftreten, in den Organismen nur eine verhältiiissmässig geringe Bedeutung be- sitzen. Zwar kommen Krystalle in zahlreichen Organismen vor, meist aber nur als Ablagerungen nicht mehr gebrauchter Substanz, seltener als functiouirende Bcstandtheile von Organismen, wie z. B. die krystallinischen Otolithen vieler Thiere, die Krystalle in der silber- glänzenden Haut vieler Fische etc. Krystalli sirbare Materien in Lö- sung dagegen sind in den Organismen sehr weit und allgemein ver- breitet. Nachdem wir nun gezeigt haben, dass in allen elementaren Leistungen, in allen fundamentalen Functionen, in allen Grnudkräften der Materie zwischen Organismen und Anorgauen keine absoluten, sondern nur relative Unterschiede sich vorfinden, dass nur die complicirtere Verbiuduugsweise der Atome zu verwickelter zusammengesetzten Molekülen, und die daraus resnltirenden höheren, mehr dilferenzirten Molekularfunctioneü , und ins- besondere die wahrscheinlich damit zusarameuhängende Imbibitionsfähigkeit, der festflüssige Aggregatzustaud, die Organismen vor den Anorgauen aus- zeichnet, hätten wir die Frage zu beantworten, ob denn auch diejenigen Bewegungen der Materie, welche man als Lebenserscheinungen der Orga- nismen im engeren Sinne bezeichnet, Empfindung und Willensbewegung, Ernährung und Stoii'wechsel, Wachsthum und Fortpflanzung, lediglich als die uothwendigen Wirkungen jener complicirteren Ursachen aufgefasst wer- den können, und ob dieselben der complicirter gebauten und zusammen- gesetzten organischen Materie ebenso mit Nothwendigkeit inhäriren, wie die einfacheren physikalischen „Kräfte" den Anorgauen. Bevor wir diese Frage beantworten, müssen wir die Form der Organismen und Anorgaue kurz einer vergleichenden Betrachtung unterziehen, da dieselbe für das Zu- standekommen jener, complicirteren Bewegungserscheinungen nicht weniger wesentlich und nothwendig ist, als die verwickeitere Zusammensetzungsweise der organischen Materie selbst. II. Organische und anorganische Formen. II) 1. Individualität der organischen und anorganischen Gestalten. So wenig zwischen den Organismen und Anorgauen ein absoluter, allgemein durchgreifender Unterschied in der fundamentalen atomisti- schen Zusammensetzung der Materie, sowie in den fundamentalen Kräften, welche derselben inhäriren, zu finden ist, so wenig existirt ein solcher absoluter Unterschied zwischen beiden Gruppen von Na- turkörperu auch in der Form, in der inneren Zusammensetzung und Tl. Organische und anorganische Formen. 131 in der äusseren Gestalt. Die sehr auffallenden Differenzen, welche in . allen diesen Beziehungen zwischen leblosen und belebten Körpern . existiren, sind immer nur relativer Natur, indem sie sich allmählig- ab- > stufen, und indem die complicirtere Zusammensetzungsweise und die Im- ; bibitionsfähigkeit der organischen Kohlenstoffverbindungen nothwendig i eine complicirtere Function und eine complicirtere Form mit sich bringt. Allein auf der untersten Stufe der so reich differenzirten Organismen- ^Welt finden wir einfachste Formen, welche in Bezug auf Einfachheit : der Zusammensetzung und Form nicht hinter den Anorganen zurück- 1 bleiben. Wir haben bereits oben (p. 24 ff.) eine allgemeine Vergleichung (der Organismen und Anorgane bezüglich der Zusammensetzung und I Entstehung ihrer Formen angestellt, um die verschiedenen Seiten der IFormbetrachtungj-mit welchen wir uns beschäftigen werden, klar und scharf hervortreten zu lassen. Wir haben dort absichtlich, wie be- merkt (p. 24), „die Avesentlichen Formunterschiede zwischen Organis- hmeu und Anorganen so scharf und durchgreifend gegenübergestellt, wie idies fast von allen Naturforschern geschieht." Nun haben wir aber i gerechterweise auch die gewöhnlich ganz vernachlässigte Kehrseite j jener Betrachtung hervorzuheben, und zu untersuchen, ob die dort 1 hervorgehobenen Differenzen wirklich absolut dwchgreifende sind.; An der Spitze unserer vergleichenden Betrachtung der organi- ,^ sehen und anorganischen Form haben wir oben hervorgehoben, dass jl beiderlei Formen uns gewöhnlich als bestimmt abgeschlossene räum- lliche Einheiten, als Individuen entgegentreten. Hier ist nun zu- 1 nächst hervorzuheben, dass dies bei den Anorganen keineswegs cou- ^ staut der Fall ist. Vielmehr tritt uns die leblose Materie sehr häufig ■ nicht in individueller Form entgegen. Dies gilt zunächst von allen • Gasen oder elastischen Flüssigkeiten. Dasselbe könnte ferner auch von allen tropfbaren Flüssigkeiten behauptet werden, falls man hier nicht 'die einzelnen Tropfen, welche, innerhalb einer nicht mit ihrem Stoff I mischbaren Flüssigkeit, vermöge der Cohäsion ihrer Moleküle eine be- istimmte Form (in einer Flüssigkeit vom gleichen specifischen Gewichte •eine Kugelform) annehmen, als Individuen gelten lassen will. Auch 'lic festen Anorgane treten sehr oft in einer nicht individualisirten iForm auf, als „amorphe" unregelmässigc Stücke u. s. w. Als eigentliche ausgebildete anorganische Individuen können wir nur die Kry stalle gelten lassen, welche auch schon von anderen Na- turforschern (vorzüglich von Schwann) in dieser Beziehung unter- sacht und mit den organischen Individuen verglichen worden sind. Doch müssen wir auch hier die Uebergangsbilduugen hervorbeben, ^welche zwischen vollkommen amorphen und rein krystallinischen ^Körpern vorkommen, und welche man allgemein mit dem Namen der 9* 132 Organismen und Anorgane. krystalloidischen Bildungen belegen kann.') Während bei den vollkommen amorphen Anorganen die Atome oder Moleküle einfach aggregirt; ohne jedes bestimmte Gesetz an einander gelagert sind, fin- den wir bei den Krystalloiden eine bestimmte gesetzmässige Anlage- rung und Verbindungsweise der Moleküle (z. B. in einer gewissen „strahligen" oder „blätterigen" inneren Structur) ausgesprochen, ohne dass dieselbe, aber, wie es bei den echten Krystallen der Fall sein muss, zur Bildung einer symmetrischen oder regulären prismoiden Form führt, zu einer Form, welchfe von ebenen Flächen, geraden Linien und bestimmten unveränderlichen Winkeln und Ecken begrenzt ist. Indem wir nun die Krystalle als die höchst entwickelten anorgani- schen IndiAiduen den organischen Individuen oben vergleichend gegeur über gestellt haben, bemerkten wir zunächst, dass die ersteren durch und durch homogen, in sich gleichartig, aus Molekülen einer und der- selben Art zusammengesetzt seien, während die letzteren im Inneren heterogen, in sich ungleichartig, und aus Molekülen nicht nur, sondern auch aus gröberen Theilen von ganz verschiedener Art zusammenge- setzt seien. Auf diese Zusammensetzung des Organismus aus differen- ten Theilen, aus Organen, oder aus Individuen verschiedener Ordnung begründen wir im dritten Buche die ötructurlehre oder Tectologie. So wesentlich nun dieser Unterschied im Grossen und Ganzen ist, so haben wir hier doch zweierlei gegen seine allgemeine Gültigkeit einzuwenden. Erstens nämlich sind die Krystalle in ihrem Inneren durchaus nicht, Avie man oft hervorhebt, vollkommen homogen. Wenn auch die chemische Natur ihrer Moleküle, die Zusammensetzung der- selben aus Atomen, gleichartig ist, so gilt dies keineswegs von deren Lagerung und Verbinduugsweise. Diese ist vielmehr, entsprechend den verschiedenen Axen des Krystalls, nach verschiedenen Richtungen hin verschieden, und gerade diese innere Ungleichartigkeit, die un- gleiche Cohäsion der Moleküle in verschiedenen Richtungen, ist für die äussere Form des Krystalls sogar bedingend. ^) Zugleich bedingt dieselbe die blätterige Structur im Innern des Krystalls. seine Zusam- 1) Vergl. Scliumacher, die Krystallisation des Eises. Leipzig 18M, p. 27. ff. Vielleicht sind diesen anorganischen Krystalloiden auch die oben er- wähnten Krystalloide von pflanzlichen Biweiss-Verbindungeu auzuschliessen. Die teleologische oder dualistische Auffassung der Organismen, welche die Complicatiou der organischen Form nicht aus der nothwendigen Wechsel- wirkung ihrer constituirendeu Theile, sondern aus einer vorbedachten zweckmäs- sigen „inneren Idee," einem ,, Bauplan" ableitet, müsste consequenter Weise ganz ebenso auch für jede einzelne Krystallform eine solche „innere Idee" postuliren. und in der gesetzmässigen inneren und äusseren Gestaltung des Krystalls eine ,, zweckmässige Einrichtung" für sein Bestehen, sowie für das Zustaudekommeu seiner physikalischen Eigenschaften erblicken. 11. Organische und anorgauisclie Formeu. 133 uiensetzung aus über einander liegenden Scliicbten von verschiedenen ^ Cohäsiüus-Graden, die Blätterdurchgänge, welche nach verschiedenen i Rieiituugen hin sich kreuzen und durchschneiden. Hierdurch ist dann » wieder der verschiedene Widerstand bedingt, den der Krystall nach . verschiedenen Richtungen hin dem Durchgange des Lichts, der Wärme, der Electricität etc. entgegensetzt. Kurz, wir sehen, dass der Kry- stall durchaus kein homogener, in sich gleichartiger Körper ist, wie ein amorphes Anorgan, sondern vielmehr eine innere ötructur besitzt, wie der Organismus; und den Theil der Krystallographie, welcher von (dieser inneren Structur handelt, könnte man die Anatomie derKry- stalle, oder besser noch die Tectologie der Kry stalle nennen. Wie wir nun so einerseits sehen, dass die „innere Structur", die . Zusammensetzung aus bestimmt angeordneten Theilen, durchaus keine ; ausschliessliche Eigenschaft des Organismus ist, so müssen wir zwei- ; tens andererseits hervorheben, dass es auch vollkommen homogene ■Organismen giebt, solche nämlich, welche, für unsere Hilfsmittel wenigstens, als durchaus homogene und structurlose Körper erschei- nen. Dahin gehören mehrere, schon seit längerer Zeit bekannte, so- genannte „Amoeben", nämlich diejenigen einfachsten Amoeben-Formen, welche, ohne Kern und ohne contractile Blase, bloss einen structur- losen contractilen Eiweissklumpen darstellen. Insofern diese durchaus homogenen Amoeben, die sich durch Diosmose ernähren und durch Theilung fortpflanzen, selbstständige „Speeles" darstellen, wollen wir dieselben als „ Protamoeba ", von den eigentlichen, mit Kern und contractiler Blase versehenen Amoeben unterscheiden. Ferner ge- ') Nachdem ich bei dem Protogen es primordinlis , einem vollkommen homogenen Plasmaklumpen, den ich im Frühjahr 1864 im Mittelmeere bei Villa- franca unweit Nizza beobachtet, die einfache Fortpflanzung durch Theilung nach- gewiesen hatte, gelang es mir auch bei einem kleinen amoebenförmigen Wesen ohne Kern und ohne contractile Blase, welches ich schon früher in einem kleinen Tümpel bei Jena beobachtet hatte, denselben Vorgang festzustellen. Dieser lebende, vollkommen structurlose Plasmaklumpen, welcher Frola m o e h n p rim i - tiva heissen mag, von ungefähr 0,03— 0,05 Mm. Durchmesser, gleicht im Habitus und äusserer Form ziemlich der von Auerbach (Zeitschr. für wissensch. Zool. 1856. Vol. Vn. Tab. XXII., Fig. 11—16) beschriebenen und abgebildeten AiiiDfbii limnx. Kern und contractile Blase, welche letztere besitzt, fehlen aber vollständig. Auch bei der stärksten Vergrösserung war ich bei allen be- obachteten Individuen nicht im Stande, in dem vollkommen homogenen Plasma etwas Anderes zu entdecken als bei vielen Individuen (aber nicht bei allen !) eine grössere oder kleinere Anzahl fettglänzender, in Essigsäure nicht löslicher Körnchen, welche entweder zufällig oder als Nahrung aus dem umgebenden fei- nen Schlamme, der viele zersetzte organische Stoffe enthielt, aufgenommen waren. Die structurlose Substanz der contractilen formlosen Körperchen war 8ehr blass, zart contourirt, schwach lichtbrechend. Die Bewegungen waren sehr 134 Organismen und Anorgane. hören dahin die merkwürdigen „Protogenes welche ehenfalls voll- kommen homog-ene lebende Eiweissklumpen (Cytoden) darstellen sich aber durch sehr bedeutende Grösse auszeichnen und durch Anastomose der dllnnflüssigeren (weicheren, weniger consistenten) formwechseluden Körperfortsätze von den dickflüssigeren (festeren) Protamoebeu (ohne Anastomose der Pseudopodien) unterscheiden.') In allen diesen äusserst merkwürdigen und wichtigen Organismen der niedrigsten Stufe, welche sich übrigens unmittelbar einerseits an die mit einer Schale versehenen Ehizopoden, andererseits an die Jugendzustände der Myxomyceten an- schliessen, besteht der gesammte Organismus aus einem vollkommen homogenen lebenden Eiweissklumpen (Plasmaklumpen, Cytoden) wel- cher, offenbar lediglich vermöge seiner atomistischen Constitution als ein leicht zersetzbarer und imbibitionsfähiger Eiweissstoff, sämmtliche „Lebens "-Functionen zu vollziehen im Stande ist. Die Bewegung äussern diese primitiven Urwesen mittelst der formlosen und beständig wechselnden Fortsätze, welche sie von der Oberfläche ausstrecken und welche das Resultat der gegenseitigen Lageveränderung der Moleküle in der festflüssigen Eiweisssubstanz sind. Die Eeizbarkeit oder Erreg- barkeit äussern sie als Reflexbewegung durch bestimmte ßeactionen, durch Modification der Bewegungen, z. B. Zurückziehen der Pseudo- podien, bei Berührung mit einem reizausübenden fremden Körper, einer in Essigsäure getauchten Nadel etc. Die Ernährung voll- ziehen sie entweder dadurch, dass sie die in dem umgebenden Was- ser gelösten einfacheren Verbindungen: Kohlensäure, Ammoniak etc. schwach und langsam. Die rundlichen Protamoeben dehnten sich zu eiförmigen oder länglich runden Platten aus, welche bald nur einen, bald 3— 4 kurze, stumpf abgerundete Portsätze ausschickten, die allmählig wieder zurückgezogen wurden. Unmittelbar die Nahrungsaufnahme durch .'diese Pseudopodien zu beobachten ge- lang nicht. Dagegen hatten viele der kleinen Körperchen, einige Stunden nach- dem ich ein wenig sehr fein zertheilten Indigo der umgebenden Flüssigkeit zu- gesetzt, einzelne Körnchen davon in ihr Inneres aufgenommen. Mehrere Prota- moeben zeigten in der Mitte eine flachere oder tiefere Einschnürung, Avie in Selbsttheilung begriffen, und bei zwei von diesen gelang es mir, durch lange an- haltende Beobachtung, die völlige Trennung der beiden Hälften wirklich zu con- statiren. Jede Hälfte rundete sich alsbald zu einem Kügelchen ab, welches die langsamen Formveränderungen des elterlichen Individuums bald wieder fortsetzte, Der gesammte Körper dieser einfachsten aller Organismen, welcher die gewöhn- lichen Eiweiss-Reactionen des Protoplasma zeigte, Hess bei keiner mikrochemi- schen Behandlung eine Zusammensetzung aus heterogenen Theilen erkennen. ') Ueber Prot ofjenes p r imor diti I is vergl. Zeitschr. für wissenschaftl. Zool. XY, 1865, p. 342, 360, Taf. XXVI, Fig. 1, 2. Im ruhigen Zustande 'bildet dieses grosse Moner (welches sich von Max Schultz es Amoebn porrccia wesentlich nur durch viel bedeutendere Körpergrösse und Zahl der Pseudopodien unterscheidet, eine vollkommen kugelige homogene Eiweissmasse , von welcher nach allen Seiten sehr zahlreiche und feine Fäden ausstrahlen. II. Organische und unorganische Formen. 135 unmittelbar zu vevNvickelten Kohlenstoflf- Verbindungen , zur Eiweiss- ^ Substanz des Protoplasma, combiniren; oder sie ernähren sich durch mechanische Aufnahme fester Stoffe mittelst der Pseudopodien, aus . denen sie dann die brauchbaren Substanzen durch Zersetzung aus- : ziehen und assimiliren. Die Fortpflanzung endlich geschieht durch i einfache Selbsttheilung. Und doch haben diese Organismen keine Organe"! Sie sind so vollkommen homogen als die Krystalle, mor- iphologisch aber insofern noch unvollkommener, als ihre constituif enden ihMolekiile nach allen Richtungen frei verschiebbar sind, und das ganze 'Individuum keine feste bleibende Form besitzt. Um diese einfachsten und unvollkommensten aller Organismen, Ibei denen wir weder mit dem Mikroskop noch mit den chemischen IReagentien irgend eine DiflPerenzirung des homogenen Plasmäkörpers ji nachzuweisen vermögen, von allen übrigen, aus ungleichartigen Theilen |2 zusammengesetzten Organismen bestimmt zu unterscheiden, wollen wir sie ein fiir allemal mit dem Namen der Einfachen oder Moneren') l)elegen. Gewiss dürfen wir auf diese höchst interessanten, bisher aber last ganz vernachlässigten Organismen besonders die Aufmerksamkeit (I hinlenken, und auf ihre äusserst einfache Formbeschaflfenheit bei völli- Lger Ausübung aller wesentlichen Lebensfunctionen das grösste Gewicht !l legen, wenn es gilt, das Leben zu erklären, es aus der fälschlich j> sogenannten „todten" Materie abzuleiten, und die übertriebene Kluft '/zwischen Organismen und Anorganen auszugleichen. Indem bei die- sen homogenen belebten Naturkörpern von differenten Formbestand- t theilen, von „Organen" noch keine Spur zu entdecken ist, vielmehr jsalle Moleküle der structurlosen Kohlenstoffverbindung, des lebendigen flEiweisses, in gleichem Maasse fähig erscheinen, sämmtliche Lebens- tfunctionen zu vollziehen, liefern sie klar den Beweis, dass der Begriff it des Organismus nur dynamisch oder physiologisch aus den Lebens- Ibewegungen, nicht aber statisch oder morphologisch aus der Zusam- I mensetzung des Körpers aus „ Organen" abgeleitet werden kann. So paradox und wunderbar übrigens auch zuerst die Ausübung ( der verschiedensten Lebensfunctionen durch diese Moneren, durch voll- 1 kommen organlose und formlose, in sich ganz gleichartige Eiweiss- t klumpen erscheinen mag, so verliert doch diese Tliatsache alles ^ Wunderbare (d. h. Seltene und Ausserordentliche), wenn wir daran i denken, dass gleiche individualisirte homogene Plasmaklumpeu als iCytodeu, und andere, nur durch einen differenten Kern ausgezeich- ii nete Plasmaklumpen als Zellen in allen übrigen Organismen eben- lls als mehr oder minder selbstständige Lebenseinheiten auftreten. Die Moneren sind, von diesem Standpunkte aus betrachtet, nichts als ') ,"w^(,"jf, einfach. 136 Organismen und Anorgane. einzelne, isolirt lebende Cytoden. Die Moneren behalten diesen Charakter zeitlebens, während derselbe in den Jugendzuständen der Myxomyceten ßhizopoden und anderer Protisten nur vorübergehend auftritt. Wen wir die Zusammensetzung des Körpers aus verschiedenartigen Theile als Haupt-Character der Organismen heiTorheben wollten, so würde die Kluft zwischen jenen einfachen, lebenden Plasmaklumpen und den höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zusammengesetzten Or ganismen, viel grösser erscheinen, als die Kluft zwischen den ersten einerseits und den Krystallen andererseits. Die Moneren stehen dieser Beziehung wirklich auf der Grenze zwischen leblosen und leben- den Naturkörpern. Sie leben, aber ohne Organe des Lebens; alle Lebenserscheinungen, Ernährung und Fortpflanzung, Bewegung und Reizbarkeit, erscheinen hier lediglich als unmittelbare Ausflüsse der formlosen organischen Materie, einer Eiweiss- Verbindung. Wir können demnach weder die Zusammensetzung des Körpers aus ungleichartigen Theilen (Organen etc.), noch auch nur die Zu- sammensetzung des Lidividuums aus mehreren gleichartigen Individuen niederer Ordnung, wie bisher geschehen, als allgemeinen Character der Organismen festhalten. Wir werden dies in Zukunft um so weni- ger können, als höchst wahrscheinlich eine vielseitigere Untersuchung der Anorgane nachweisen wird, dass auch hier bisweilen eine Zusam- mensetzung des Individuums aus mehreren Individuen niederer Ordnung vorkommt. Wir meinen hier die zusammengesetzten, theils rein kry- stallinischen, theils krystalloiden Bildungen, welche insbesondere das krystallisirende AVasser so leicht hervorbringt. Offenbar sind diese sehr mannichfaltigen , und oft äusserst zusammengesetzten Gestalten, welche wir als Eisblumen, Eisbäume etc. im Winter an unseren Fen- sterscheiben bewundern, und durch deren Namen schon das Volk gleichsam instinctiv ihre morphologische Aehnlichkeit mit Organismen andeutet, derartige „höhere, vollkommenere" Anorgane, bei welchen die complicirte Gestalt des Ganzen aus einer gesetzmässigen Ver- einigung untergeordneter Theile resultirt. Offenbar sind diese Eis- blunien, Eisblätter etc. nach bestimmten Gesetzen gebildet; es sind Aggregate von zahlreichen einzelnen Krystallen, von vielen Individuen niederer Ordnung, welche zur Bildung des höheren Ganzen sich ver- einigt haben. Eine bestimmte Summe von centralen Krystall-Indivi- duen bildet die Axe, um welche sich die peripherischen Individuen, bestimmten Anziehungs- und Abstossungs- Verhältnissen jener Axe ge- horchend, ansetzen. Bei den complicirteren Eisbäumen, welche den zusammengesetzteren Fiederblättern z. B. von Farmen gleichen, scheint jede Fieder, jeder Seitenzweig der Hauptaxe selbst wieder die An- satzlinie lür eine neue Keihe noch mehr untergeordneter Individuen werden zu können etc. Auch vielfach sonst flnden wir solche ein- II. Organische und anorganische Formen, 137 fächere und zusammengesetztere Krystall-Ag-gregate (z. B. in vielen sogenannten Krystalldi-usen) vor, welclie ganz offenbar nicht gesetzlos zusammengeworfene Krystall- Haufen sind, sondern durch bestimmte Anziehungs- und Abstossungs- Verhältnisse geregelte, gesetzmässige Bil- dungen, in denen nothwendig die complicirte Form des Ganzen aus der complicii'ten Zusammenordnung der einzelnen Theile resultirt. Wenn diese merkwürdigen Bildungen erst näher untersucht sein wer- den, ist zu hoffen, dass auch bei diesen „ Krystall-Stöcken " , wie man sie nennen könnte, bestimmte Gesetze gefunden werden, welche den Zusammentritt der Individuen verschiedener Ordnung zum höheren Ganzen bestimmen. Die Feststellung dieser Gesetze würde für die Anorgane dieselbe Aufgabe sein, wie sie die Tectologie für die Or- ganismen verfolgt. II) 2. Grundformen der organischen und anorganischen Gestalten. Als einen weiteren wesentlichen Unterschied der organischen und anorganischen Individuen haben wir oben (p. 25 ff.) die Verschieden- heit der äusseren Gestalt selbst bezeichnet. Bei den ausgebildeten anorganischen Individuen, den Krystallen, „ist die Form einer voll- kommen exacten mathematischen Betrachtung ohne Weiteres zugänglich, imd mit der stereometrischen Ausmessung derselben ist die Aufgabe ihrer morphologischen Erkenntniss wesentlich gelöst. Die anorganischen Individuen sind fast immer von ebenen Flächen, geraden Linien und bestimmten messbaren Winkeln begrenzt. Die organischen Individuen hingegen, deren Form einer stereometrischen Behandlung zugänglich ist, sind seltene Ausnahmen. Fast immer ist ihr Körper von gekrümm- ten Flächen, gebogenen Linien und unmessbaren sphärischen Winkeln begrenzt." Auch dieser Unterschied, den wir absichtlich oben so schroff hin- gestellt haben, wie dies gewöhnlich geschieht, ist keineswegs so ab- solut und durchgreifend, wie man glaubt. Vielmehr kommen auch in dieser Beziehung, wie überall, Zwischenformen und Uebergangs- bildungen vor. Zunächst ist hier hervorzuheben, dass auch vollkommen reine anorganische Krystalle sich finden, welche nicht, gleich den meisten anderen, von ebenen Flächen begrenzt sind, die in gradlinigen Kanten zusammenstossen. Am wichtigsten sind in dieser Beziehung die von gekrümmten Flächen eingeschlossenen Diamantkrystalle, welche um 80 bemerkenswerther sind, als der Kohlenstoff, der hier in reinster Form sphärische Krystallfiächen hervorbringt, zugleich dasjenige che- mische Element ist, welches an der Hpitze der Organogene steht, und die wichtigste KoUe in der Bildung der organischen Verbindungen spielt. Dasselbe gilt auch vom Wasser, welches nicht minder unent- behrlich für das Zustandekommen und den Bestand der organischen 138 Organismen und Anorgane. Formen ist. Die unendlich manniclifaltigen Krystallformen des Schnees und Eises, und vor Allem die sehr complicirten, eben hervorgehobenen „höheren und vollkommeneren" Krystallformen (Eisblumen, Eis- blätter etc.), welche aus Krystall- Individuen niederer Ordnung sich zusammensetzen, zeigen äusserst häufig höchst complicirte, einer stereometrischen Betrachtung gar nicht mehr zugängliche, gekrümmte Linien und Flächen. Während so einerseits der Fall nicht selten ist, dass auch reine und vollkommen geformte anorganische Individuen, gleich den orga- nischen, nur gekrümmte Begrenzungsflächen und krumme Kantenlinien I zeigen, die in unniessbaren Ecken zusammeustossen, so kommt ande- rerseits noch häufiger der Fall vor, dass auch organische Individuen, gleich den meisten anorganischen Krystallen, vollkommen ebene Be- grenzungsflächeu darbieten, welche sich in geraden Linien schneiden und in messbaren Raumecken zusammenstossen. Wir meinen hier nicht die Krystalle organischer Kohlenstoff- Verbindungen (z. B. Zucker, organische Säuren, Fette etc.), da wir diese nicht als wirkliche orga- nische, d. h. physiologische Individuen, als Lebenseinheiten, ansehen können; wir meinen vielmehr die bisher auffallend vernachlässigten, äusserst interessanten Organismen aus dem Rhizopoden-Stamme, welche besonders in der Radiolarien-Klasse einen so ausserordentlichen Formen- reichthum entwickeln und hier zum Theil vollständig, in ihrer ge- sammten Körperform, und vor Allem in ihi-er Skeletbildung, die rein- sten und regelmässigsten Krystallformen (Tetraeder, reguläre Octaeder, Quadrat- Octaeder, Rhomben-Octaeder, dreiseitige Prismen etc.) dar- stellen. Da wir diese höchst wichtige und bisher fast ganz vernach- lässigte Erscheinung im vierten Buche ausftihrlich zu behandeln haben, so wollen wir hier nur darauf hinweisen, dass sämmtliche stereo- me tri sc he Formen, welche als Grundformen der verschiedenen Krystallsysteme auftreten, auch in Form selbstständiger Organismen vorkommen. Die Radiolarien liefern hierfür die zahlreichsten und schlagendsten Beispiele. Im Ganzen genommen ist freilich die Zahl dieser Organismen in Krystallform gering, und es muss ausdrücklich hinzugefügt werden, dass es immer nur ein Theil des Körpers ist (wenn auch oft der grösste, und häufig der einzige feste und geformte Theil), wel- cher die einfache Krystallform annimmt. Denn zu diesem (meist aus Kieselsäure gebildeten) lüystall-Skelet kommt stets noch zum Min- desten die amorphe Sarcode, das lebende Protoplasma, hinzu. Diese letztere kann allein die Lebensbewegungen vermitteln, denen auch jener Skelet-Krystall seine Entstehung verdankt. Bei der Mehrzahl der Organismen ist die Krystallform gewöhnlich schon deshalb ganz oder grösstentheils ausgeschlossen, weil der ganze II. Organische und anorganische Formen. 139 Körper, oder doch der grösste Theil desselben, aus imbibitionsfähiger Materie besteht. Xrystallisation und Imbibition schliessen sich aber, wie oben bemerkt, aus. Wir haben daher gewiss in der für das Leben unentbehrlichen Quellungsfähigkeit der organischen Materien die nächste Ursache für die nicht krystallinische Form der meisten Organismen zu suchen. Nächst der Imbibitionsf ahigkeit , und in der nächsten Beziehung und Verbindung mit ihr^ ist es dann ferner die unbegrenzte Varia- bilität der Organismen, welche, wie oben bemerkt (p, 26), eine stereometi-ische Betrachtung, Ausmessung und Berechnung der meisten organischen Formen in gleicher Weise, wie sie die Krystallographie für die Anorgäne giebt, illusorisch macht. Die Individuen der orga- nischen „Arten" (Speeles) sind nicht, wie die Individuen der anorga- nischen Arten, einander (innerhalb des Species-Begrififes) gleich, oder auch nm* in allen wesentlichen Stücken ähnlich. Vielmehr haben wir die allgemeine Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit aller Orga- nismen als eine äusserst wesentliche Grundeigenschaft derselben zu constatiren. Indem alle Individuen unter einander ungleich sind, und daher auch eine gemeinsame stereometrische Grundform nur für eine bestimmte Summe von Individuen, vrelche innerhalb eines beschränkten Zeitraums (z. B. einige geologische Perioden hindurch) existiren, auf- gestellt werden kann, so würde die genaueste stereometrische Aus- messung und Berechnung der Organismen-Formen, ihrer complicirten gekrümmten Begrenzungsflächen, Linien etc., auch wenn sie möglich wäre, nur ein ganz untergeordnetes Interesse haben. Dagegen ist eine allgemeine Betrachtung der stereometrischen Grundformen, welche den Organismen -Formen zu Grunde liegen, allerdings möglich, und wie das vierte Buch zeigen wird, innerhalb gewisser Schranken ausführbar. In gewissem Sinne entspricht diese Promorphologie der Krystallographie, ist das Aequivalent einer „ Krystallographie der Organismen", und man kann diesen Vergleich noch durch die Erwägung näher begründen, dass auch bei den reinen anorganischen Krystallen die vollkommene stereometiische Grundform äusserst selten (oder nie) in der Natur realisirt vorkommt, und daher stets mehr oder minder eine (durch Er- gänzung vieler einzelner verglichener concreter Krystall - Individuen erhaltene) ideale Abstraction darstellt. Die ünvollkommenbeiten der allermeisten realen Krystall-Iudividuen sind durch Anpassung ihrer Form an die Umgebung bestimmt, welche während ihrer Entstehung wirksam war.') In gleicher Weise, nur in viel höherem Grade, wirkt ') Ganz besonders merkwürdig erscheinen durch die imeudlichü Mauuich- faltigkeit der individuellen Formen die complicirten Krystalle des Schuee's, welche zugleich desshalb von besonderem Interesse sind, weil hier die Anpassungs-Be- dingungen verhältoissmässig einfache sind. 140 Organismen und Anorgane. die Anpassuug an die umgebenden Existenz-Bedingungen auf die wer- denden Organismen ein, wesshalb hier die individuelle Verscbiedenheit so sehr viel beträchtlicher ist, und, indem sie viele Generationen hin- durch vererbt, und durch Vererbung in Verbindung mit fortdauernder Abänderung gehäuft wird, schliesslich zur Entstehung ganz neuer For- men fuhrt. III. Organische und anorganische Kräfte. III) 1. L eb ens erscheinungen der Organismen und physikalische Kräfte der Anorgaue. Durch die vorhergehenden Untersuchungen glauben wir gezeigt zu haben, dass sowohl in der elementaren Constitution und in der chemischen Zusammensetzung der Materie, als auch in der Form, in welcher sich dieselbe individualisirt, durchaus keine so wesentlichen und absoluten Unterschiede zwischen Organismen und Anorganen existiren, wie dies gewöhnlich angenommen wird. Die wirklich vor- handenen Unterschiede erklären sich aus der complicirteren Art und Weise, in welcher die Atome der Elemente in den organischen Kör- pern zu verwickeiteren Atomgruppeu (Molekülen) zusammentreten, und ganz besonders aus der ausserordentlichen Fähigkeit des Kohlenstoffs, mit mehreren verschiedenen Atomarten sich in sehr verwickelter Weise zu verbinden. Es ist lediglich diese verwickeitere atomistische Con- stitution der Kohlenstoff'-Verbindungen und die damit zusammenhängende leichte Zersetzbarkeit derselben, die ungewöhnliche Neigung und Fähigkeit der Atome, ihre gegenseitige Lagerung und Gruppirung zu ändern, welche den organischen Materien zum Theil besondere physi- kalische Eigenschaften verleiht. Von diesen ist die wichtigste der festflüssige Aggregatzustand, die Quellungsfähigkeit. Nun entsteht aber die Frage, ob denn auch alle die verwickeiteren Bewegungs- Erschei- nungen der Materie, welche man unter dem Collectiv-Begriff des „Lebens" zusammenfasst, sich lediglich aus dieser complicirteren Con- stitution der organischen Materie und der dadurch bedingten imbibi- tionsfähigen Form erklären lassen. Wir haben den Beweis zu führen, dass dies in der That der Fall ist, und dass sämmtliche Lebens- erscheinungen der Organismen ohne Ausnahme ebenso unmittelbare und nothwendige Wirkungen der geformten organischen Materie sind, als die phj'sikalischen Eigenschaften jedes Krystalles unmittelbare und nothwendige Folgen seiner Form und stoff'lichen Qualität sind. Bereits oben (p. 100) ist mit aller Schärfe hervorgehoben worden, dass wir die teleologische und vitalistisehe Betrachtungsweise der Organismen durchaus verwerfen, und dass wir als die einzig mögliche wissen- schaftliche Erkenntnissmethode derselben die mechanische uud causale anerkennen müssen. Da wir uns hier im vollsten Eiuklauge mit IIT. Organische und anorganische Kräfte. 141 deu wesentliclisten Grundanschauuugen der gesaramten neueren Physiologie befinden, dürfte es überflüssig erscheinen, hier über diesen ersten und wich- tigsten aller biologischen Grundsätze noch ein Wort zu verlieren. Wir sind aber zu dieser Erörterung gezwungen durch die allgemeine Verbrei- tung der verkehrtesten Vorstellungen, welche in dieser Beziehung noch heutzutage sowohl die ■ organische Morphologie, als die speculative Philo- sophie zum grössten Theil beherrschen. Selten freilich begegnen wir diesen vitalistischen Irrthümern in einem so offenen und auffallenden Gegensatz zu der gesammten übrigen Naturwissenschaft, wie es in den consequent durch- geführten Ansichten von L. Agassiz der Fall ist, welcher sämmtliehe I,ebenserscheiuungen als unmittelbare Gedanken- Ausflüsse des persönlichen Schöpfers ansieht, selten setzen sie sich zu jeder vernunftgemässen und harmonisch-denkenden Natur betrachtung in einen so erklärten Widerspruch, wie in den gänzlich unklaren und verworrenen Theorieen von Reichert, der alle Lebenserscheiuungen aus dem „systematischen Grundcharacter" der organischen Schöpfung ableitet. Vielmehr verstecken sich, da die Ausdrücke der „Lebenskraft", des Lebensprincips u. s. w. doch allmählig in ziemlich allgemeinen Misscredit gekommen sind, die meisten dualistischen Irrthümer der jetzigen organischen Morphologie unter unschuldigeren teleologischen Ausdrücken, als da sind: Bauplan der Organismen, innere Idee, zweck- mässige Organisation, Endzweck der Organismen u. s. w. Alle diese Aus- drücke, welche mehr oder minder sich bemühen, den inneren Widerspruch der dualistischen Weltansicht unter dem Bilde eines teleologischen Gleich- nisses zu verbergen, sind eben so absolut zu verwerfen, als die früher herrschenden Vorstellungen, dass jedes organische Individuum zur Erfüllung eines individuellen Lebenszweckes vom Schöpfer zweckmässig mit einer besonderen „Lebenskraft" ausgerüstet sei. Wir müssen als erste und un- umgängliche Vorbedingung einer jeden wissenschaftlichen Erkenntniss der belebten Natur den monistischen Pundamentalsatz von dem nothwendigen Zusammenhange zwischen Ursache und Wirkung aufstellen, und aus diesem Causal- Gesetze wird sich dann für die gegenwärtige Betrachtung das Ee- sultat ergeben, dass alle Lebenserscheinungen ohne Ausnahme, von den einfachsten Ernährungserscheinungen der Amoebe, bis zu deu höchst com- plicirten psychischen Functionen des Menschen hinauf, eben so unmittelbare und nothwendige Folgen der complicirteren Zusammensetzung' und Form der organischen Materie sind, als die physikalischen Eigenschaften jedes Krystalls aus der chemischen Natur seines Stoffes und der davon abhängigen prismoiden Form unmittelbar resultiren. In dieser Beziehung ist eine allgemeine Vergleichung der''sogenannten „Lebenserscheinungen oder vitalen Functionen" der Organismen mit den vollkommen gleichwerthigen physika- lischen und chemischen „Kräften" der Anorgane, und insbesondere der höchst individualisirten Anorgane, der Krystalle, besonders lehrreich und interessant. III) 2. Wachslhuni der organischen und anorganischen Individuen. Der Ausdruck „Leben" ist, wie bemerkt, nichts Anderes, als eine Collectivbezeichnung fUr eine Summe von complicirteren Bewegungs-- 142 Organismen und Anorgane. Erscheinungen der Materie, welche nur den Organismen eigen sind, und den Anorganen allgemein fehlen. Es entsteht aber hier zunächst die Frage, ob denn wirklich alle sogenannten Lebens-Erscheinungen durchaus ohne Analogon in der leblosen Natur sind. Wenn wir nun in dieser Beziehung die molekularen Lebensbewegungen der organischen Individuen mit den molekularen Bewegungen, welche wir bei anorga- nischen Individuen, insbesondere bei Krystallen, wahrnehmen, ver- gleichen, so tritt uns als verwandte Erscheinung zunächst diejenige des Wachsthums entgegen. Die Erscheinungen des Wachsthums in den anorganischen und organischen Individuen sind schon vielfach und mit Recht verglichen worden; ') und zweifelsohne ist hier der Punkt, von welchem unsere Vergleichung am besten ausgehen kann. Bei allen Naturkörpern be- steht die Erscheinung des Wachsthums darin, dass die räumliche Aus- dehnung und die Masse des Individuums allmählig zunimmt, indem dasselbe durch eigene Thätigkeit fremde, ausserhalb befindliche Massentheilchen anzieht. Bei den Krystall-Indivi duen wird so- wohl ihr Wachsthum, als auch ihre erste Entstehung allgemein und ohne Widerspruch zurückgeführt auf elementare Gesetze der Anziehung und Abstossung der Moleküle einer homogenen Materie. Für die Wirksamkeit dieser Gesetze ist der flüssige Aggregatzustand (entweder als Lösung oder als Schmelzung) unbedingt erforderlich. Zunächst ist hier die erste Entstehung des Krystalls aus der Flüssig- keit (Mutterlauge) zu verfolgen. Eine bestimmte Verbindung (z. B. Koch- salz), oder ein chemisches Element (z. B. Schwefel) befindet sich durch Lösung oder durch Schmelzung im flüssigen Aggregatzustande, in welchem die Cühäsion der Moleküle der Expansion der intermolekularen Aether- Atome das Gleichgewicht hält. Damit derselbe nun in den festen Aggregat- zustaud übergehe, oder damit der Körper krystallisire , ist entweder eine Uebersättigung der Lösung (Mutterlauge) oder eine Abkühlung der ge- schmolzenen Masse erforderlich. Dadurch entstehen einer oder mehrere Punkte in der Flüssigkeit, an denen die Cohäsion der benachbarten Mole- küle über die Expansion der sie trennenden Aether-Atome das TJeber- gewicht gewinnt, und folglich ein fester Körper entsteht. Die Form dieses ersten, äusserst kleinen, festen Körpers, der als Krystallkern nun weiter auf die umgebende Flüssigkeit wirkt, ist bereits eine gesetzmässig be- stimmte, ist bereits die Grundform des Kry^allsystems , in welchem die betreliende Materie unter den gegebenen Umständen (Temperatur, Electri- cität etc.) krystallisirt. Es treten also bereits bei der ersten Entstehung des Krystalls, im ersten Momente des Festwerdens, die benachbarten Mole- ') Schon Linne stellte die Wachsthums-Ersclieinungen der Organismen mid Anorgane in Parallele, in der bekannten Diagnose der drei Reiche: Lapides cres- cunt, Plantae creacunt et vivuut, Animalia crescuut et vivunt et sentiunt • IIT. Organisclio nud anorfjauiache Kräfte. '143 kiile nach eiuein bestimmten Gesetze zusammen, welches lediglich in den (ünfachen Anzichungs- und Abstossuugs -Verhältnissen der Moleküle dieser bestimmten Materie begründet ist. Diese Gesetze sind uns vollkommen eben so unbekannt und ihrem innersten Wesen nach eben so räthselhaft, wie die Gesetze der ersten Entstehung lebender Materie aus lebloser. Die „spontane" Entstehung eines einfachsten Organismus, wie es die structurlosen Plasmaldumpen, die Moneren sind, in einer leblosen oder anorganischen Flüssigkeit, welche die Elemente seiner Materie gelöst ent- hält, ist eine bestimmte Eorm der Generatio aequivoca, welche wir als Autogonie im nächsten Capitel noch besonders betrachten werden. Hier wollen wir vorläufig hervorheben, dass dieser Process uns seinem innersten Wesen nach in der That nicht minder, aber auch nicht mehr, unerklär- lich und räthselhaft ist, als die „spontane" (d. h. scheinbar freiwillige, in der That aber nothwendige, gesetzlich bedingte!) Entstehung eines anorga- nischen Kry Stalls in einer anorganischen Flüssigkeit. Wir wissen nicht warum dieselbe anorganische Flüssigkeit unter scheinbar gleichen (in der That aber stets ungleichen) Umständen Krystalle liefert, welche au Zahl, Grösse, secundärer Form etc. oft sehr bedeutend von einander ab- weichen. Aber wir zweifeln niemals, dass es bestimmte ursächliche Ver- hältnisse der eigenen und der umgebenden Materie, bestimmte, uns unbe- kannte Bedingungen in den Anziehungs- und Abstossungs-Verhältnissen dieser Materie sind, welche in jedem Falle die bestimmte individuelle Form des entstehenden Krystalles regeln und bedingen. Ganz genau ebenso verhält sieh in dieser Beziehung die erste Entstehung der einfachsten, homogenen Organismen, die Autogonie eines Moneres in einer Flüssigkeit, welche die Elemente seiner Materie in anderen Verbindungen, z. ß. als Kohlensäure und Ammoniak, gelöst enthält, und welche die für die Auto- gonie nothwendigeu Bedingungen bietet. Wir Avisseu nicht, warum hier eine bestimmte Anzahl von Atomen des Kohlenstoffs, des Sauerstoffs, des Was- .serstofifs und des Stickstoffs in bestimmter Quantität zusammentritt, um eine plastische Materie, einen Eiweisskörper zu bilden, dessen Moleküle dann unter scheinbar gleichen (in der That aber stets ungleichen) Umständen sieh zur Bildung von Moneren vereinigen, primitiven homogenen Organismen, welche an Entwickelungsfähigkeit so sehr von einander abweichen, und von denen das eine einer pflanzlichen, das andere einer thierischen Entwicke- lungsreihe den Ursprung giebt. Aber wir können und dürfen nicht zwei- f€ln, dass es bestimmte ursächliche Verhältnisse der eigenen und der um- gebenden Materie sind, bestimmte uns unbekannte Bedingungen, Modifica- tionen in den Anziehungs- und Abstossungs-Verhältnissen dieser Materie, welche in jedem Falle die bestimmte (in bestimmter Richtung entwickelungs- fähigo) Qualität des entstehenden Urorganismus oder Moneres regeln und bedingen. Offenbar sind es dieselben grossen und einfachen Gesetze der Massonanzieliung und der cheniisclien Walilverwandtscliaft, welche die Autogonie verschiedener Moneren, d. h. die spontane Entstehung von homogenen structurlosen Urorganisnien in einer anorganischen Flüssig- 144 Organismen und Anorgane. keit, und welche die gesonderte Entstehung der verschiedenen Krystalle in einer gemischten Mutterlauge bedingen. Hier wie dort erfolgt die Bildung der festen Körper aus der Flüssigkeit mit Nothwendigkeit, durch die ureigene Kraft der Materie, ohne Zuthun einer davon ver- schiedenen, zweckmässig wirkenden Kraft. Dieselbe fundamentale Uebereinstimmung zeigt sich nun auch weiterhin in dem Wachs th um der „spontan" entstandenen Formen. Das Wachsthum beruht in allen Fällen darauf, dass der vorhandene feste Körper als Attractionscenti-um, als Anziehungsmittelpunkt wirksam ist, und dass die Anziehungskraft, welche die in demselben inniger verbundenen, sich näher liegenden Moleküle auf ihre Umgebung ausüben, die schwächere Cohäsion der in der umgebenden Flüssigkeit gelösten Moleküle überwiegt. Indem die letzteren Aveiter von einandei abstehen, sich weniger stark in ihrer gegenseitigen Lage zu erhalten vermögen, folgen sie der stärkeren Anziehung, welche von dem bereits gebildeten festen Körper ausgeht, und gehen nun ihrerseits ebenfalls in den festen Aggregatzustand Uber. Nun ist aber hier sogleich hervorzuheben, dass zwar die Gruud- erscheinung des Wachsthums bei den Krystallen und den Urorganismen dieselbe ist, und dass sowohl hier als dort lediglich die einfachsten Attractions -Verhältnisse der materiellen Moleküle es sind, welche dem zuerst entstandenen lesten Centraikörper immer neue festwerdende Materie von aussen, aus der umgebenden Flüssigkeit her zuführen; dass aber andererseits die Verschiedenheit des Aggregatzustandes in den anorganischen und den organischen Individuen von vornherein Verschiedenheiten in der Wachsthumsweise bedingt, welche uns voll- kommen die weiter auftretenden Differenzen der beiden Fälle erklären. Dieser wichtigste Unterschied zwischen den in der Mutterflüssigkeit spontan entstehenden Krystalleu und Moneren zeigt sich von vornherein darin, dass bei der ersten Anlage des Krystalls (des Kernkrystalls) die organische Materie sogleich unmittelbar aus dem vollkommen flüssigen in den vollkommen festen Aggregatzustand übergeführt wird, während bei der ersten Anlage des Moneres die organische Materie nicht unmittelbar aus dem vollkommen flüssigen in den vollkommen festen, sondern in den festflüssigen Aggregatzustand übergeht. Wenn bei der Krystallisation , wie es sehr häufig geschieht, aus der umge- benden Mutterlauge Wasser (Krystallwasser) in den entstehenden festen Körper mit übergeführt wird, so erscheint dieses an denselben chemisch gebunden und thut dem vollkommen festen Aggregatzustand nicht den mindesten Eintrag. Wenn dagegen bei der Autogonie ein Moner aus der Mutterflüssigkeit entsteht, wobei stets Wasser in den entstehenden festflüssigen Körper mit aufgenommen wird, so wird dieses Wasser nicht fest, wie es bei dem chemisch gebundenen Krystallwasser ge- III. Organische und anorganische Kräfte. 145 schiebt, sondern es bleibt flüssig, und bedingt durch seine eigenthtira- liche Verbindung mit der fest gewordenen organischen Materie den Imbibitionszustand des structurlosen Urwesens, und dadurch die blei- bende Beweglichkeit seiner inneren Bestandtheile , welche für alle weiteren Entwickelungs-Beweguugen desselben die erste Bedingung ist. Sehen wir nun aber von diesen wichtigen Grundunterschieden im Aggregatzustande der Organismen und der Anorgane zunächst ab, so finden wir andererseits in dem Wesen der Wachsthums-Bewegung§n, welche bei der Bildung der Krystalle und der einfachsten organischen Individuen, der Moneren, sich zeigen, die wichtigste Uebereinstimmung. Besonders ist hier als ein sehr wichtiger allgemeiner Character des Wachsthums hervorzuheben, dass in allen Fällen die Aneignung der zum Wachsthum dienenden Stoffe aus der umgebenden Mutterfltissigkeit mit einer gewissen Auswahl erfolgt. Sowohl der wachsende Krystall, als das wachsende Moner zieht, wie jede andere Cytode und wie jede Zelle, aus der umgebenden Eruährungsflüssigkeit nur diejenigen Substanzen an, welche es zu seinem individuellen Wachsthum braucht, und ti-iflft daher, wenn viele verschiedene ernährende Substanzen unter einander in der Flüssigkeit gelöst sind, zwischen diesen eine bestimmte Auswahl. Bei der Krystallisation der Anorgane zeigt sich dieses Phä- nomen ganz einfach darin, dass, wenn in einer Mutterlauge viele ver- schiedene Salzlösungen unter einander gemischt sich befinden, beim Abdampfen derselben alle einzelnen Salze gesondert heraus krystalli- siren, indem das Gleiche stets das Gleiche anzieht. Beim Wachsthum aller Organismen zeig-t sich 'dasselbe Grundgesetz in dem Phänomen der Assimilation, indem z. B. in einem Teiche, in welchem viele ein- zellige Algen und Protisten unter einander leben, jede nur diejenigen bestimmten Salze, diejenigen Quantitäten der organischen Verbindungs- Elemente in sich aufnimmt, welche zur Bildung von organischer Sub- stanz Ihresgleichen dienen. Offenbar beruht diese wichtige Erscheinung, welche die Gleichartigkeit der chemischen Substanz ganz ebenso in dem structurlosen Monere, wie in dem Krystalle bedingt, auf denselben Gesetzen der molekularen Anziehung und Abstossung. Dieselben Ge- setze der chemischen Wahlverwandtschaft und der physikalischen Massenanziehung bewirken zusammen in gleicher Weise das Wachs- thum der Organismen und der Anorgane. Wenn wir uns nun von den structurlosen Moneren zu den höheren Organismen wenden, deren Leib aus einem Complex von diflferenzirten Zellen besteht, so finden wir auch hier dieselben einfachen und grossen Gesetze wirksam, und nur dadurch häufig sehr versteckt, dass die unendlich verwickeitere Zusammensetzung der höheren organischen Individuen aus sehr verschiedenartigen Theilen auch immer unendlich verwickeitere Bedingung des Wachsthums und der Stotfauswahl setzt. Uaeckel, Generelle Morphologie. 10 146 Organismen und Anorgane. So z. B. zieht bei den höheren Thieren aus der gemeinsamen Ernäh- rungsflUssigkeit, dem höchst zusammengesetzten Blute, jede einzelne Zelle, jedes einzelne Organ, nur diejenigen bestimmten Bestandtheile an sich, welche seines G-leichen sind, welche es zu seiner individuellen Vergrösserung braucht, und verschmäht die übrigen. Aber selbst für diesen complicirteren organischen Waclisthumsprocess giebt es Analoga in der anorganischen Natur. Dahin gehört das bekannte Experiment, welches schon von Reil 171)0 in seiner klassischen Abhandlung „von der Lebenskraft" benutzt wurde, um zu zeigen, dass die „Assimilation'-, die Ernährung und das Wachsthum der Thiere nichts weiter seien, als eine „thierische Krystallisation", d. h. „eine Anziehung thierischer Materie nach Gesetzen einer chemischen Wahlverwandtschaft". Wenn man nämlich in eine Auflösung von Salpeter und Glaubersalz einen Salpeterkrystall hiueinleg-t, so krystallisirt nur der Salpeter heraus und das Glaubersalz bleibt gelöst; wenn man dagegen umgekehrt in die- selbe gemischte Autlösung einen Glaubersalzkrystall hineinlegt, so krystallysirt nur das Glaubersalz heraus, und der Salpeter bleibt geliist. ') Diese wichtige Erscheinung, welche uns die Gleichheit der ein- fachen Grundursachen im Wachsthum der Organismen und Anorgane beweist, führt uns unmittelbar zu einem weiteren wichtigen Grundgesetz des Wachsthums, das sich ebenfalis auf bestimmte Verhältnisse dei- Massenanziehung gründet. Es folgt nämlich aus jenem iustructiveu Versuche unmittelbar, dass ein bereits gebildeter fester Körper in seiner Mutterlauge (d. h. in einer Flüssigkeit, welche die ihn zusammen- setzenden eigenen Stoffe gelöst enthält) ' eine stärkere Anziehung auf die umgebenden in der Flüssigkeit gelösten Moleküle ausübt, als. diese unter sich auszuüben vermögen. Ist daher einmal in einer solchen Bildungsflüssigkeit ein fester Körper vorhanden, so wirkt dieser als Anziehungsmittelpunkt, und vermag nun gleichartige Materie, welche in der Flüssigkeit gelöst ist, aus dem flüssigen in den festen Aggregat- zustand überzufuhren, und zwar unter Umständen, unter denen dieser Uebergang, das Festwerden, ohne Anwesenheit des festen Körpers nicht erfolgt wäre.*) Auch dieses wichtige Gesetz wird sicher in ganz ') Die quantitativen Mischungs- Verhältnisse der Lösung, welche zur Au- steilung dieses Experiments erforderlich sind, findet man von Reil näher ange- geben in seinem Archiv für Physiologie, I. Vol. 1796, p. 77 Anm. 1. -) Gewiss werden wir berechtigt sein, diese allgemeine wichtige Erscheiuuug bei Beurtheilung der ersten Entstehung und des weiteren Wachsthums jedes in- dividuellen Naturkörpers zu berücksichtigen, ganz besonderen Werth aber darauf zu legen, wenn es sich darum handelt, die Analogie zwischen anorganischer Kry- stallisation und organischer Autogonie nachzmveisen. Hieraufhat schon Schwann in seinem berühmten Werk aufmerksam gemacht, indem er sagt (p. 252): ,,Bei Entwickelung der plastischen Erscheinungen an den Zellen stellt sich das Ge- setz heraus, dass zur ersten Bildung einer Zelle eine concentrirtere Lösung er- III. Organische und anorganische Kräfte. 147 gleicher Weise für die Organismen wie für die Anorgane gelten und wird namentlich dann zu berücksichtigen sein, wenn es sich um die Autogonie der Moneren handelt; welche offenbar ein der primitiven Krystallbildung in der Mutterlauge ganz analoger Process ist. Wenn wir nach diesen Ausführungen nochmals die wesentlichen Vor- gänge, welche das Wachsthum der Naturkörper bedingen, vergleichend überblicken, so gelangen wir zu dem Resultate, dass dieselben überall, in der anorganischen wie in der organischen Natur, auf denselben einfachen und grossen Gesetzen beruhen, vor Allem auf den Gesetzen der gleichartigen Massen-Anziehung und der chemischen Wahlverwandtschaft. Jede Wachs- thumserscheinung des lebenden Individuums, wie des leblosen Krystalls, beruht darauf, dass ein bereits vorhandener fester Körper gleichartige Materie anzieht, und sie nöthigt, aus dem flüssigen in den festflüssigen oder in den festen Aggregatzustand überzugehen, und dabei zugleich sich mit ihm zu verbinden. Die auffallenden Unterschiede, welche sich weiterhin im Wachsthum der Organismen und der Anorgane zeigen, lassen sich alle auf die Verschiedenheit des materiellen Substrats reduciren, nämlich auf den festflüssigen Aggregatzustand, welcher den Organismen allein eigenthüm- Hch ist, und welcher seinerseits wieder bedingt ist durch die verwickelten Verbindungen, welche der Kohlenstoff, als das vorzugsweise organogene Element, mit den verschiedenen anderen Atom- Arten eingehen kann. .Wir müssen annehmen, dass allein aus diesen wichtigen Differenzen in der ehemischen Zusammensetzung und dem Aggregatzustande die Hauptver- schiedenheiten im Wachsthum der Organismen und Anorgane abzuleiten sind. Der feste Aggregatzustand der anorganischen Individuen, und zunächst der Krystalle, erlaubt nur ein Wachsthum durch Apposition von aussen^ wäh- rend der festflüssige Aggregatzustand der organischen Individuen (und zu- nächst der einfachsten Urorganismen, der Moneren, weiterhin der Zellen etc.) ein inneres Waehsthum durch Intussusceptiou gestattet. Offenbar ist in dieser Beziehung die innigere und festere Verbindung der Krystall- Mole- küle, gegenüber der mehr lockeren und flüssigen Verbindung der Moneren- Moleküle von der grössten Bedeutung. In den Krystallen liegen die Mole- küle der festen Materie und des daran chemisch gebundenen festen Was- sers (des Krystallwassers) so nahe bei einander, dass sie nicht ihre gegen- ^.eitige Lage und Entfernung verändern können, ohne die Existenz des an- forderlich ist, als zum Wachsthum einer schon gebildeten Zelle. Bei der ge- wöhnlichen Krystallisation muss die Auflösung mehr als gesättigt» sein, wenn die Kryatallisation beginnen soll. Ist aber die Krystallisation vor sich gegangen, 80 bleibt eine Mutterlange übrig, die nicht mehr bei dieser Temperatur gesättigt ist. Dies ist ganz dasselbe Phaenomen, wie bei den Zellen; es zeigt, dass zum Anfang der Krystallisation eine concentrirtere Auflösung erforderlich ist, als zum Wachsthum der schon gebildeten Krystalle." Offenbar stehen wir hier vor einem, übrigens noch wenig beachteten und nicht gehörig formulirteu Grundgesetz der Materie, welches bei jeder Formbildung, bei jedem Uebergang flüssiger, form- loser Materie in feste oder festflüssige geformte Materie, von der grössten Be- deutung ist. 10* 148 Organismen und An Organe. organischen Individuums zu zerstören. Es können daher die neuen, fest werdenden Moleküle, welche aus der Mutterlauge von dem Krystall ange- zogen und in den festen Zustand übergeführt werden, sich nur aussen auf der äusseren Oberfläche des Krystalls ablagern. In den einfachsten Or- ganismen dagegen (Moneren und anderen Cytoden) ist der Abstand der Mole- küle von einander ein weiterer und sie müssen sogar nothwendig ihre gegen- seitige Lage und Entfernung verändern, um die Existenz des organischen Individuums zu erhalten. Dies ist aber nur möglich mittelst des festflüssigen Aggregat - Zustandes, in welchem die Moleküle der Flüssigkeit mit den Molekülen der festen organischen Substanz in der eigenthümlichen Weise verbunden sind, und in der eigenthümlichen Art ihre Intermolekularräume ausfüllen, welche eben das Wesen der Imbibition ausmacht. Daher wird die Anziehungskraft, welche der festflüssige Ur- Organismus auf die um- gebende Mutterlauge (Blastema) ausübt, nicht dabei stehen bleiben, die be- nachbarten, in der Flüssigkeit gelösten Theile der organischen Substanz aus dem flüssigen in den festflüssigen Aggregatzustand überzuführen, und sie auf der äusseren Oberfläche (durch Apposition) abzulagern, oder anzu- setzen, sondern sie wird, weiter wirkend, dieselben dem Centrum immer mehr zu nähern, in das Innere des organischen Individuums hineinzuziehen streben, und indem der festflüssige Zustand desselben jenem starken an- ziehenden Einflüsse des Centrums und der entsprechenden Wechselwirkung (der Centripetalkraft) der von aussen eindringenden Moleküle keinen hin- reichenden Widerstand entgegensetzt, wird der Eintritt der neuen Mole- küle in das Innere des Moneres thatsächlich erfolgen, d. h. der Organis- mus wächst durch Intussusception. Die primitive und die wichtigste Difterenz in der spontanen Entstehung und im weiteren Wachsthum der Organismen und der Anorgane liegt also in der Thatsache, dass die anorganischen Individuen, die Krystalle^ ver- möge ihres festen Aggregatzustandes, nur durch Apposition von aussen entstehen und wachsen können, während die organischen Individuen, ver- möge ihres festflüssigen Aggregatzustandes, nur durch Intussusception nach innen entstehen und wachsen können und müssen. Wenn wir von dieser fundamentalen und äusserst wichtigen Thatsache ausgehen, und wenn wir dabei zugleich die nothwendigen Wechselbeziehungen ins Auge fassen, in denen sich jeder Naturkörper zu sämmtlichen ihn unmittelbar umgebenden Naturkörpern befindet, so wird sich aus der Diff'erenz, welche diese Wech- selbeziehungen bei den festen Krystallen und den festflüssigen Organismen zeigen, ohne Weiteres die Aussicht auf eine monistische, rein mechanische Er- klärung der sämmtlichen Lebenserscheinungen eröfi'nen. Denn aus jener fundamentalen Diff'erenz im Aggregatzustande ergiebt sich unmittelbar, dass jene molekularen Bewegungen, welche im Inneren des festflüssigeu Organis- mus stattfinden, und welche das Wesen des „Lebens" ausmachen, im In- neren des festen „leblosen" Krystalls nicht stattfinden können. Wenn wir die einzelnen Lebenserscheiimngen von diesem Gesichtspunkte aus betrach- ten, so werden wir ohne Weiteres einsehen, dass dieselben in dem fest- flüssigen Organismus allein möglich sind, nicht aber in dem festen Anorgan. III. Organische und anorganische Kräfte. 149 III) 3. Selbsterhaltung der organischen und anorganischen Individuen. Gleich der Kraft des Wachsthums ist auch die Kraft der Selbst- erhaltung eine allgemeine Function der Naturkörper. Jedes organische und jedes anorganische IndiAiduum erhält sich einen beschränkten Zeitraum hindurch selbst, so lange nämlich, als es die IVechselwirkung seiner eigenen Materie mit derjenigen seiner Umgebung gestattet. Die Thätigkeit der Selbsterhaltung ist nun zwar allen Naturkörpern gemeinsam, äussert sich aber doch bei den organischen und anorgani- schen Individuen in sehr verschiedenen Erscheinungen. Bei den Orga- nismen ruft dieselbe die verwickelten Bewegungserscheinungen der Ernährung oder des Stoffwechsels hervor. Diese Functionen sind für den Bestand des organischen Individuums ebenso wie für seine sämmtlichen übrigen Lebenserscheinungen die nothweudige Unterlage. Denn alle anderen Functionen, Willensbewegung und Empfindung, Siunesthätigkeit und Fortpflanzung, beruhen auf molekularen Bewegungs- Erscheinungen, welche erst durch den Stoffwechsel und die Ernährung möglich werden. Alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf, dass durch Bildung chemischer Verbindungen gewisse bewegende Kräfte frei werden, welche in den unverbundenen Materien gebunden waren, darauf also, dass gebundene oder Spann-Kräfte in leben- dige Kräfte übergehen.') Der Vorrath an Spannkraft, welcher bei dem Uebergang in lebendige Kraft verbraucht wurde, muss ersetzt werden, wenn das organische Individuum weiter existiren soll, und dieser nothwendige Ersatz wird durch die Ernährung geliefert. Die Ernährung beruht nun wieder, wie das Wachsthum der Organismen, darauf, dass die neu erworbenen, assimilirten Moleküle in das Innere des Körpers hineingeführt werden und hier die Stelle derjenigen Mole- küle einnehmen, welche bei der Arbeitsleistung des Organismus ver- braucht wurden. Diese Einführung neuer Substanz und ihre Assimi- lation, welche das Wesen der Ernährung ausmacht, ist wieder nur möglich mittelst des festflüssigen Aggregatzustandes, und es erklärt sich hieraus, warum die anorganischen Individuen der Ernährung nicht fähig sind. Sie sind ihrer aber auch nicht bedürftig. Sämmtliche be- lebte Naturkörper existiren nur, sie können ihre Existenz nur behaupten, indem sie sich beständig, wenn auch langsam zersetzen; alle sind sie eingeschlossen in ein Medium (Luft, Wasser, Inneres eines anderen Or- ganismus), in welchem sie sich nothwendig zersetzen müssen. Denn die Bildung der Verbindungen, durch welche die lebendigen Kräfte frei ') Ueber das äusserst wichtige Verhältniss der gebundenen oder potentieüen (Spaan-)Kräfte zu den lebendigen oder actuellen (Bewegungs-)Kräften, auf welchem der Kraftwechsel in der gesammten Natur beruht, vergl, H. Helmholtz : Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte. Königsberg. 1854. 150 Organismen und Anorgane. werden ist verbunden mit einer Zersetzung der vorhandenen Materie. Die gebundenen Spannkräfte, welche eben bei dieser Zersetzung frei und zu lebendigen Kräften werden, veranlassen durch ihre Be- wegungen die nothwendigen Lebens-Erscheinungen. Der dabei be- standig wirksamen Gefahr des Unterganges, des Todes, entziehen sich die organischen Individuen durch die Ernährung, welche jener Zer- setzung entgegenwirkt. Sie müssen daher, um ihre Existenz zu fristen um zu „leben", sich in beständigem Stoffwechsel befinden, sich be- standig zersetzen und ernähren, und dies ist nur mittelst der Imbibition möglich. Wenn diese Wechselwirkung zwischen der Zersetzung und der Ernährung der festfilissigen Materie aufhört, tritt der Tod ein bammthche anorganische Individuen dagegen können sich niemals zersetzen, ohne dadurch ihre Existenz als solche aufzugeben. Weil sie nicht imbibitionsfähig sind, können sie sich nicht ernähren und wenn sie sich zersetzen, so ist dies ihr Tod. So wenig aber die Kiy- stalle sich zersetzen können, ohne ihre individuelle Form und damit ihren individuellen Charakter aufzugeben, so wenig bedürfen sie der Zersetzung, um sich zu erhalten. Und hierin liegt gleichfalls ein we- sentlicher Unterschied zwischen den organischen und anorganischen Individuen, der sich ebenfalls auf ihren verschiedenen Aggregatzustand zurückführen lässt. Denn der feste Aggregatzustand der ^Kiystalle, welcher die inneren Bewegungs-Erscheinuugen ausschliesst, die für das' Leben des festfltissigen Organismus unentbehrlich sind, verleiht den- selben zugleich die Fähigkeit der Selbsterhaltung, ohne dass Stoff- wechsel für die Conservation erforderlich ist. Gleichwie nun die Ernährung und der Stoffwechsel den Organismen vermöge ihres festfiüssigen Aggregatzustandes allein eigenthümlich uud nothwendig sind, und den Auorganen völlig fehlen, so können natürlich auch bei den letzteren alle die complicirteren Molekular-Bewegungen der organischen Materie nicht zu Stande kommen, welche wir als Empfindung, willkiihrliche Bewegung, als Sinnesthätigkeit, Fortpflanzung u. s. w. bezeich- nen. Da dieselben die Ernährung als nothwendige Grundlage voraussetzen, so brauchen wir hier den nothwendigen Mangel derselben in den anorgani- schen Individuen nicht weiter zu beweisen, um so weniger, als viele dieser Functionen, und vorzüglich die höchsten und eomplicirtesten (wie die soge- nannten Seelenthätigkeiten), nur einer gewissen Anzahl von Organismen, nämlich den höheren Thieren, eigenthümlich sind. Nur eine einzige Func- tion müssen wir hier noch hervorheben, welche allen Anorganen ohne Aus- nahme abgeht, und das ist die mit der Ernährung innig verbundene Func- tion der Fortpflanzung. Die Fortpflanzung der organischen Individuen ist eine ebenso allgemeine und fundamentale Function der Organismen, als die Ernährung und das Wachsthum, mit denen sie unmittelbar zusammenhängt. Ohne auf die complicü-teren Formen der Fortpflanzung hier einzugehen, werfen wir III. Organische und anorganische Kräfte. 151 blos einen Blick auf ihre einfachsten Formen, wie sie bei den unvollkommen- . steu und niedrigst stehenden Organismen, die noch keine Sexual - Organe besitzen, als Selbsttheilung und als Knospenbildung auftreten. Die einfachsten aller Organismen, die homogenen Moneren (Protogeues,Protamoeba etc.), deren ganzer Körper einen formlosen contractilen Plasmaklumpen darstellt, pflanzen sich fort durch Selbsttheilung, indem ihr Körper sich in der Mitte , einschnürt und in zwei Stücke zerfällt. Die gleiche einfache Vermehrungs- , weise treffen wir bei sehr vielen niederen Thieren und Pflanzen, zum Theil . selbst bei solchen mit complicirter Organ -Differenzirung an. Bei anderen ; tritt statt der Theilung oder neben derselben Knospenbildung auf, indem aus der Oberfläche des organischen Individuums ein zweites hervorwächst, • welches sich abschnürt und selbstständig weiter lebt. Endlich sehen wir bei vielen niederen Organismen, dass das Individuum, sobald es durch Wachsthum eine bestimmte Grösse erreicht hat, in eine Anzahl innerer Keime zerfällt, deren jeder sich alsbald wieder zu einem jungen Individuum . entwickelt. Aus dieser inneren Keimbildung hat sich zweifelsohne im Laufe der Zeit die geschlechtliche Zeugung, und zwar zunächst die Zwitterbildung, viel später erst die Trennung der Geschlechter, entwickelt. Fragen wir nun nach dem Wesen dieser einfachsten Portpflanzimgs- proeesse, der Selbsttheilung, der äusseren Knospenbildung, der inneren Keim- bildung, so werden wir uns in allen Fällen als die nächste Ursache dersel- ben eine Ernährung des Organismus über das individuelle Maass hinaus vorstellen können. Sobald der primitive einfache Ur- Organismus durch Imbibition mehr Nahrung aufnimmt, als er in individueller Form aufspeichern kann, so wird das eine Individuum in zwei oder mehrere zerfallen, entweder durch Selbsttheilung, oder durch äussere Knospen- bildung, oder durch innere Keimbildung. Auch diesen Yorgang können wir uns vollkommen mechanisch erklären. So lange das Individuum eines Mo- neres wächst, ohne sich zy vermehren, so lange bleibt das Centrum des individuellen Körpers der einzige Anziehungsmittelpunkt, welcher die assi- milirbare und die assimilirte Materie rings um sich anhäuft. Sobald aber diese Anhäufung ein bestimmtes Maass überschreitet, welches durch die Cohäsion der Moleküle des betreffenden Eiweiss-Körpers (Plasma) bedingt wird, so verliert das einzige Attractions- Centrum die absolute Hen-schaft über das Ganze, und zerfällt entweder in zwei getrennte Anziehungs- Mittelpuukte, die sich nun gegenseitig abstossen und von einander isolirt die übrigen Moleküle anzuziehen suchen, oder es entstehen neben dem alten einfachen Cohäsions- Heerde mehrere neue, so dass das Ganze in mehrere individuelle Theile zerfällt. Diese werden nun ihrerseits wieder bis zu einer gewissen Grenze hinauf assimilirbare Stoffe aufnehmen und wachsen, bis durch abermalige Ueber schreitung dieser Grenze jedes Individuum wiederum in eine Anzahl von neuen Einzelwesen zerfällt u. s. w. Da die neuen In- dividuen Theilstücke der alten sind, die sich selbstständig ergänzen müssen, 80 wird uns hierdurch zugleich ein erklärender Blick auf die beiden wich- tigsten Grnnderscheinungen der Formbildung, auf die Erblichkeit und die Anpassung eröffnet. Von diesen äusserst wichtigen Phänomenen, welche wir Düten noch genauer zu betrachten haben, beruht die Vererbung auf dem unmittel- 152 Organismen und Anorgane, baren materiellen Zusammenhange zwischen dem elterlichen und dem neu entstandenen Organismus. Indem der letztere stets einen Theil des ersteren beibehält, musser nothwendig durch die gleiche Materie, die ihm bleibt auch die gleichen Functionen äussern. Hierauf beruht die Erblichkeit' ver- möge welcher jeder Organismus seinem elterlichen ähnlich ist Der abso luten Gleichheit zwischen Beiden wirkt nun aber der andere Umstand ent- gegen, dass der jugendliche Organismus, der nur einen Theil des elterlichen bildet, gezwungen ist, sich durch Wachsthum selbstständig bis zu einer gewissen Grenze hinauf zu ergänzen. Indem nun diese selbstständige Er- nährung des organischen Individuums, welche auf den einfachsten Massen- Anziehungen der umgebenden ernährenden Substanz beruht, durch die um- gebenden Existenz-Bedingungen (Temperatur, Ausdehnung und Oberfläche der festen Körper in der Umgebung etc.) beeinflusst wird, indem z. B das Quantum des Wassers in dem imbibitionsfähigen Organismus und das Quantum der neu aufnehmbaren festen Substanz durch bestimmte einfache Massen-Anziehungen der umgebenden festen Körper geregelt wird, entsteht em gewisser Grad von Variabilität, von Veränderlichkeit in dem Quantum der assimilirbareu Stoffe, die in das imbibitionsfähige Plasma eindringen und das Wachsthum des Individuums vollenden. Auf dieser individuellen Va- riabilität beruht die Fähigkeit der Anpassung an die umgebenden Existenz- Bedingungen, welche der absoluten und allgemeinen Erblichkeit entgegen wirkt, und in Wechselwirkung mit dieser die ganze Mannichfaltigkeit der Organismen- Welt nach den von Darwin entwickelten Gesetzen erzeugt. Indem wir die weitere Betrachtung dieses wichtigen Wechselspiels zwischen den beiden wichtigsten formbildenden Factoren der organischen Welt, Erblichkeit und Anpassung der organischen Individuen, dem fünften und sechsten Buche aufsparen, wollen wir uns hier auf eine Betrachtung der analogen Wechselwirkung zweier entgegengesetzter formbildender Po- tenzen beschränken, welche gleicherweise bei den anorganischen Individuen, den Krystallen, die individuellen Form-Eigenthümlichkeiten zu bestimmen im Stande ist. Allerdings kann von Fortpflanzung und also auch von Erblichkeit bei den anorganischen Individuen nicht die Rede sein. Der Mangel an Imbibitionsfähigkeit verhindert die molekularen Bewegungen im Innern des Körpers, welche zur Fortpflanzung gleicherweise wie zur Ernäh- rung nothwendig sind. Dagegen findet beim Wachsthum und bei der Ent- stehung der anorganischen Individuen, bei der Krystallisation, eine Function der Materie statt, welche wir wohl als Anpassung bezeichnen können, und welche auf die Anpassung der werdenden Organismen ein bedeutendes Licht wirft. m. 4. Anpassung- der organischen und anorganischen Individuen. Die Anpassung oder Adaptation ist diejenige formbildende Function der Naturkörper, welche die unendlich manuichfaltigen individuellen Charactere bedingt, durch welche sich alle Individuen einer und der- selben Ai-t von einander unterscheiden. Wir haben oben (p. 28), wo wir absichtlich die Differenzen in der TU. Organische und anorganische Kräfte. 153 Form und Entstehung der organischen und anorganischen Individuen möglichst schroff gegenüber stellten, einen der wichtigsten Unter- schiede darin gefunden, dass alle anorganischen Individuen, die einer und derselben Art angehören und dieselbe chemische Zusammen- setzung haben, auch vollkommen dieselbe wesentliche Form zeigen und sich nur durch ihre absolute Grösse unterscheiden. Die Krystalle einer anorganischen Speeles zeigen nicht die durch die Variabilität be- dingten individuellen Verschiedenheiten, welche alle verschiedenen In- dividuen einer und derselben organischen Species auszeichnen, und es bleibt daher auch die anorganische Art im Laufe der Zeit vollkommen unveränderlich, constant, während die organischen Species durch fort- schreitende Divergenz ihrer variablen Individuen eine endlose Eeihe ganz verschiedener Formen erzeugen. Da den Anorganen die Fort- pflanzung fehlt, so fehlt ihnen auch die Fähigkeit der erblichen Ueb er- tragung von solchen Characteren, die durch Anpassung erworben sind. Dennoch bedarf unsere obige Bemerkung einer bedeutenden Ein- schränkung. Individuelle Verschiedenheiten finden sich auch unter den anorganischen Individuen ganz allgemein vor, und zwar sind sie die Folge der Anpassung an die Verhältnisse, unter denen das Kry- stall-Individuum sich bildete. Bei Untersuchung dieses wichtigen Ver- hältnisses muss man vor Allem immer im Auge behalten, dass bei der Entstehung aller individualisirten Naturkörper, bei der Bildung jedes Kry Stalls, wie bei der Bildung jedes Organismus, stets zwei verschie- .dene Principien oder gestaltende Mächte einander entgegenwirken. Das eine Princip ist beim Krystall wie beim Organismus die Summe der specifischen physikalischen und chemischen Eigenschaften, welche seiner Materie inhäriren. Beim Organismus, der sich nicht selbst er- zeugt, sondern von anderen Individuen seines Gleichen durch Fort- pflanzung erzeugt wird, sehen wir diese Erscheinung als die nothwen- dige Wirkung der Erblichkeit an, welche alle wesentlichen Eigen- schaften des Organismus auf seine Nachkommen überträgt. Beim Kjystall dagegen betrachten wir diese Erscheinung als den unmittel- baren Ausfluss seiner materiellen Constitution, d. h, der specifisch bestimmten Art und Weise, in welcher sich gesetzmässig eine be- stimmte Anzahl von Atomen zu bestimmten Molekülen zusammensetzt. Durch einfache Attraction dieser Moleküle entsteht die characteristische Form des Ki-ystalls. Eine schärfere Vergleichung ergiebt nun alsbald, dass auch in dieser Beziehung kein wesentlicher Unterschied zwischen den Organismen und Anorganen existirt. Denn auch die Erblichkeit beruht auf der materiellen Continuität des elterlichen und des von ihm erzeugten Organismus, und wir können die fundamentale Erscheinung der Erblichkeit, der erblichen Uebertragung biologischer Functionen, durch nichts Anderes erklären, als durch die Ueberü-agung der speci- 154 Organismen und Anorgane. fisch constituirten Materie selbst. Die Erblichkeit der Organismen wirkt vollkommen aequivaleut der atomistischen Constitution der An- organe; hier wie dort ist es die Materie, welche sämmtliche allgemei- nen Functionen (die Lebenserscheinungen der Organismen, die physi- kalischen und chemischen Kräfte der Anorgane) unmittelbar als Causa efficiens mit absoluter Nothwendigkeit bedingt. Diesem mächtigen gestaltenden Princip, welches der Materie des sich bildenden Individuums (gleicherweise des Krystalls wie des Or- ganismus) unmittelbar inhärirt, und welches wir demgemäss allgemein als die innere Gestaltungskraft oder den inneren Bildungstrieb bezeichnen werden, wirkt nun beständig und überall entgegen die zweite formbildende Macht, welche die zahllosen Eigenthümlichkeiten der individuellen Bildungen bedingt, dui-ch die sich alle Einzelwesen jeder Art von einander unterscheiden. Diese nicht minder wichtige Function des werdenden, des sich gestaltenden Individuums können wir allgemein als Anpassung (Adaptatio, Accommodatio) bezeichnen, oder, im Gegensatz zu ihrem Antagonisten, als äussere Gestaltungs- kraft oder äusseren Bildungstrieb. Die allgemeine Existenz und Wirksamkeit dieser formbildenden Potenz wird einfach durch die That- sache bedingt, dass kein einziger Naturkörper isolirt im Räume sich bildet und existirt, dass vielmehr sämmtliche Naturkörper sich bilden und existiren in Wechselwirkung mit den anderen Naturkörpern, welche sie unmittelbar von allen Öeiten umgeben. Die allgemeine Wech- selwirkung der gesammten Materie tritt uns hier als eines der obersten und wichtigsten Naturgesetze gegenüber, welches unmittelbar mit dem allgemeinen Causalgesetze zusammenhängt. Die innere Ge- staltungskraft jedes Theils der Materie, der innere Bildungstrieb jedes einzelnen Naturkörpers, als die aus ihrer atomistischen Constitution unmittelbar entspringende Kraftsumme kann niemals rein und unge- stört die individuelle Bildung vollenden. Denn beständig wird sie ge- stört von der entgegenwirkenden äusseren Gestaltungskraft der um- schliessenden Materie, von dem äusseren Bildungsti-iebe aller einzelnen Naturkörper, welche sie unmittelbar oder mittelbar umgeben. Da nun die Summe dieser von aussen einwirkenden Kräfte überall eine ver- schiedenartige, überall aus verschiedenen Componenten zusammenge- setzt ist, so muss auch ihre Wirkung auf ein und dieselbe Materie in jedem individuellen Falle verschieden sein, und lediglich diese Wechsel- wirkung jedes Individuums mit seiner gesammten Umgebung ist es, welche als Anpassung seine besonderen individuellen Charactere bedingt. Versuchen wir diese äusserst wichtigen Fundamental-Verhältnisse der gesammten Körperwelt, welche für die anorganische und die or- ganische Natur ganz gleiche Geltung haben, als allgemeines Gesetz zu formuliren, so Hesse sich dieses etwa in folgenden Worten aus- III. Organische und anorganische Kräfte. 155 p sprechen: Jeder Theil der aus Atomen zusammengesetzten Materie ■ wirkt auf jeden anderen Theil der Materie, entweder anziehend (durch Attraction) oder abstossend (durch Repulsion). Diese Wirkung erzeugt in erster Linie Bewegungen der auf einander wirkenden Atome, ■welche sich zu bestimmten Atomgruppen oder Molekülen gesetzmässig, in bestimmten Zahleuverhältnissen verbinden. Diese Moleküle wirken ; nun ebenso wieder auf einander, entweder anziehend oder abstossend, and diese Wirkung erzeugt in zweiter Linie Bewegungen der aufeinan- i.der wirkenden Moleküle, welche aus dem flüssigen in den festflüssigen "Oder festen Aggregatzustand übertretend, sich zu bestimmten indivi- dduellen Formen gesetzmässig, in bestimmten Richtungen, verbinden (amorphe Körner, krystalloide Körner, Krystalle, Moneren, Zellen, iimehrzellige Organismen). Bei der Bildung jedes individuellen Natur- skörpers treten zwei formbildende Kräfte in Wechselwirkung, der ! innere Bildungs trieb, die unmittelbare Wirkung der existir enden ^Materie des Individuums selbst (die Summe der bewegenden Kräfte ;' aller Moleküle, welche das Individuum zusammensetzen), und ihm ge- .genüber der ausser e Bildungstrieb, die unmittelbare Wirkung der } Materie, welche ausserhalb des Individuums existirt und dasselbe um- igiebt, die Summe der bewegenden Kräfte aller Moleküle, welche ausser- I halb des Individuums existiren und auf dasselbe von aussen bewegend [ (anziehend oder abstossend) einwirken. Der innere Bildungsti'ieb oder (die innere Gestaltungskraft äussert sich bei Bildung der anor- i. ganischen Individuen entweder als Aggregation (amorpher Körner) ( oder als Krystallisation (unvollkommener Krystalloide oder vollkomme- iner Krystalle), bei Bildung der organischen Individuen entweder als . AggTegation (bei der Autogonie der spontan entstehenden Moneren- ( Organismen) oder als Erblichkeit (bei der Fortpflanzung elterlich er- i/zeugter Organismen). Der äussere Bildungstiieb oder die äussere II Gestaltungskraft äussert sich allgemein als Anpassung, bei Bildung |: der anorganischen Individuen, indem sie die verschiedene Grösse und • die untergeordneten Eigenthümlichkeiten der äusseren Form bedingt, ■ durch welche sich die einzelnen Krystall-Individuen derselben Art un- P terscheiden, bei Bildung der organischen Individuen dagegen, indem sie t die individuellen Charactere, die verschiedene Grösse und die unendlich k mannichfaltigen untergeordneten Eigenthümlichkeitender inneren undäus- h seren Form bedingt, durch welche sich die einzelnen Organismen derselben 'Art unterscheiden und welche nach Darwin's Divergenz-Lehre zur Bildung der verschiedenen Arten, Gattungen, Fandlien, Klassen u. s. W. i fahren. Die Anpassung der organischen und anorganischen Individuen unterscheidet sich nur insofern, als ihr verschiedener Aggregatzustand iund ihre verschiedene atomistische Constitution hier bedingend wirken. Der festflüsöige Aggregatzustand der Kohlenstoff- Verbindungen in den 156 Orgaaismen und Anorgane. Org-anismen, welche im Inneren des schon gebildeten Individuums eine fortwährende Bewegung der Moleküle, und eine Ersetzung der ver- brauchten Stofftheile durch neue nicht allein erlaubt sondern auch be- dingt, gestattet und verursacht durch diese beständigen inneren Ver- änderungen auch innere Anpassungen. Der feste Aggregatzustand der anorganischen IndiAnduen dagegen, welcher keine Bewegung im Inneren des einmal gebildeten Individuums gestattet, ohne dessen in- dividuelles Wesen zu vernichten, erlaubt dadurch zugleich auch keine innere Anpassung, sondern nur gewisse Anpassungen der von aussen neu sich ansetzenden Schichten^ die wir im Gegensatz zu jenen äus- sere Anpassungen nennen können. Die Anpassung der anorganischeu Individuen, der Krystalle, ist für die Vergleichung derselben mit den Organismen äusserst wichtig, und da diese Yerhältnisse bisher vou den Biologen iu dieser Beziehung sehr wenig ge- würdigt sind, erlauben wir uns hier, ihi-e hohe Bedeutung besonders her- vorzuheben. Die äusseren Bedingungen, denen sich die Krystalle bei ihrer Ent- stehung anpassen (die äusseren Gestaltungskräfte) liegen theils in dem ab- soluten Grade der Temperatur, theils iu dem relativen Zeitmaasse der, Temperatur -Veränderung, bei welcher die Krystallisation stattfindet, theils! in der Beimischung anderer Lösungen zu der Mutterlauge, aus welcher der Krystall entsteht, theils in der Mischung und Form der umgebenden festen Körper etc. Doch ist uns das Nähere über die gesetzliche Wirksamkeit dieser Anpassungs -Bedingungen zur Zeit noch grösstentheils unbekannt. Schon sehr feine Unterschiede in der Temperatur, in der Ruhe, in der Bei- mischung fremder Lösungen zu der Flüssigkeit, in der Form und Mischung ; des die Flüssigkeit umschliessenden Gefässes etc. vermögen in Grösse und Form der einzelnen Ki-ystall-Individuen sehr beträchtliche Verschiedenheiten ' zu bedingen. Aber selten können wir ein bestimmtes gesetzliches Verhält- ' niss zwischen der unmerklichen Ursache und der auffallenden Wirkung nachweisen. Im Ganzen genommen sind uns diese Gesetze und die bei der Bildung der Krystalle auftretenden Causalbeziehungen nicht besser bekannt, ihrem innersten Wesen nach aber sind sie uns vollkommen eben so räthsel- haft, als die Causal- Gesetze, welche bei Entstehung der Organismen die verschiedenen individuellen Formen aus einfacher gemeinsamer Grundlage hervorgehen lassen.^) ') Von deu verhältuissmässig wenigen Fällen, in denen wir die wirkenden Ursachen kennen, welche die abgeleiteten Krystallformen bedingen, hat Bronn in seinen morphologischen Studien (p. 36, 37) eine Keihe (grösstentheüs von F.rankenheim, Mits cherlich, Lavalle und ßeudant beobachtete Er- scheinungen) zusammengestellt. Als Hauptursachen für die Entstehung bestimm- ter abgeleiteter Krystall-Formen (eines und desselben Systems) werden dort an- geführt. I. Die Anwesenheit stellvertretender und ausserwesentlicher Gemisch- theile in dem Minerale oder in der Flüssigkeit, woraus sich dasselbe bildet, und II. Die Beschafienheit der krystallinischen Unterlage, a) Keiner Kalkspath be- III. Organische und anorganische Kräfte. 157 Viel wichtiger aber, als die Thatsache, class selbst sehr geringfügige ^ äussere Einflüsse („Anpassuugs -Bedingungen") genügen, um sehr beträcht- liche Difterenzen in Grösse und Form-Complication der anschiessenden hKry stalle hervorzurufen, welche in einer und derselben Flüssigkeit nach einem und demselben Krystall -Systeme sich bilden, ist der Umstand, dass solche äussere Ursachen selbst auf die Wahl des Krystall- Systems von t Einfluss sind, welches der auschiessende Krystall annimmt, und dass geringe \ Veränderungen der äusseren Einflüsse genügen, um den Krystall im einen 'Falle nach diesem, im anderen nach jenem System sieh bilden zu lassen, r Hierher gehören die zahlreichen Fälle vom Polymorphismus (meistens ; Dimorphismus, selten Trimorphismus etc.) der Krystalle, bei denen man !i allerdings nur selten die Ursache kennt, warum derselbe chemische Körper lidas eine Mal dieses, das andere Mal jenes Krystall -System sich auswählt. Den grössten Einfluss scheint in dieser Beziehung wieder der Tempe- rraturgrad zu haben, bei welchem die Krystalle sich bilden, sowie der Un- tterschied, ob der krystallisirende Körper aus einer eoncentrirten Lösung >sich absetzt, oder ob er aus dem geschmolzenen Aggregatzustand ■ durch . Abkühlung in den festen übergeht. So z. B. können lediglich Temperatur- i Unterschiede den kohlensauren Kalk bestimmen, bald als Kalkspath im Lhexagonalen, bald als Arragonit im rhombischen Systeme zu krystallisireu. l Geschmolzener Schwefel schiesst beim langsamen Erkalten in klinorhom- ! bischen Säulen an, während derselbe Schwefel aus einem tropfbar-flüssigen )Medium, in welchem er gelöst ist, bei dessen Verdunstung oder langsamer ^Abkühlung in Rhomben-Oktaedern krystallisii't. Noch viel merkwürdiger aber ist es, dass schon der Contact mit einem f fremden heterogenen Krystalle genügt, den gelösten Körper zum Aufgeben »seiner eigenen und zur Annahme dieser fremden Krystallform zu bewegen j'So erscheint der Kali-Salpeter, welcher dem rhombischen Krystall-Systeme Ib angehört, in rhomoboedrischen, dem Kalkspath isomorphen Krystallen des 1 hexagonalen Systems, wenn er sich auf einem Minerale dieses Krystall- • Systems als Unterlage bildet. • sitzt eine viel grössere Anzahl abgeleiteter Flächen , als der mit isomorphen : Salzen gemischte, b) Im Inneren ' einer reinen Auflösung krystallisirt das Mineral : gewöhnlich in seiner reinen Kernform, während die Beschaffenheit der umschlies- • senden Gefässwände oder fremde Beimischungen in der Flüssigkeit Modificationen der Kernform veranlassen. So z. B. krystallisirt Kochsalz iu Würfeln, bei an- »■wesender Borsäure in Kubo-Octaederu, bei anwesendem Harnstoff in Octaedern t etc. c) Blei-Azotat krystallisirt aus saurer Flüssigkeit als entecktes Octaeder, aus neutraler als vollkommenes Octaeder. d) Jodkalium, welches sonst als • Würfel krystallisirt, erscheint auf Glimmer in Octaeder-Forra. o) Selbst die 1 Lage des Krystalls ist bei langsamer Bildung von Einfluss; wenn derselbe locker ' anf dem Boden des Gefässes liegt, wird die aufliegende Fläche grösser, und ent- ^ sprechend auch die gegenüberliegende, f) Die Winkel isomorpher Krystalle, 'Welche bei 0' nur unbedeutend von einander verschieden sind, nehmen mit zu- nehmender Temperatur theils zu, theils ab, aber in verschiedenen Graden. 158 Organismen und Anorgane. ni) 5. Correlation der Theile in den organischen und anorganischen Individuen. Von besonderer Bedeutung für die Analogie zwischen den orga nischen und anorganischen Individuen scheint uns endlich die Con-e- lation oder Wechselbeziehung der Theile zu sein, welche gewöhn- lich als eine besondere und charakteristische Eigenthlimlichkeit der Organismen hingestellt wird, während sie doch in ganz ähnlicher Weise auch den Kiystallen zukommt. In ähnlicher Weise, wie im Organismus alle einzelnen Theile unter einander und zum Ganzen in bestimmten, durch die Form des Organismus ausgedrückten Beziehungen stehen, so finden wir auch beim Krystalle, dass alle einzelnen Theile unter einander und zum Ganzen in bestimmten, durch die gesetzmässige Ver- schiedenheit der Cohäsion in bestimmten Richtungen (Axen) geregelten Beziehungen stehen. Diese nothweudige Wechselwirkung der Theile unter einander und auf das Ganze ist ganz ebenso im Organismus, wie im Krystall, durch die physikalischen Functionen und die che- mische Zusammensetzung seiner Materie mit Nothwendigkeit bedingt. Als Auödrnck dieser auorgauischeu Correlation der Theile betrachten wir zunächst das Symmetrie-Gesetz der Krystalle, wonach alle ab- geleiteten Kvystallformeu , die als individuelle Variationen der Krystall- Gruudforiueu auftreten, stets mehr oder minder symmetrisch modificii't auf- treten. Alle gleichartigen Theile einer Krystallform erleiden bei Verände- rung eines einzigen Theiles von ihnen dieser entsprechende Veränderungen. Wenn also eine Kante oder Ecke eines Octaeders durch eine bestimmte Fläche ersetzt wird, so müssen auch alle entsprechenden Kanten und Ecken desselben durch eine Fläche von gleicher Beschaffenheit ersetzt werden. Beim Quadrat- Octaeder, bei welchem die obere und untere Ecke von den vier unter sich gleichen (Quadrat-) Ecken des mittleren Umfangs verschie- den sind, können zweierlei Ecken -Veränderungen (z. B. Abstumpfungen durch eine Fläche) eintreten, indem die eine Veränderung die eorrespon- direude obere und untere Ecke, die andere Veränderung die vier anderen Ecken trifft. Beim Rhomben-Octaeder, wo alle sechs Ecken paarweis gleich, die drei Paare aber ungleich sind, können die sechs Ecken von drei ver- schiedenen Modificationen getroffen werden, indem jede Modification nur zwei gegenüberliegende Ecken trifft u. s. w. Die Krystallographie weisst nach, welche grosse Menge individuell verschiedener Krystallformen ans einer und derselben Grundform auf diese Weise, durch gleiche Modification entsprechender Ecken, Kanten und Flächen hervorgehen können. Die Betrachtung dieser Verschiedenheiten im Einzelnen berührt uns hier nicht, um so mehr aber das allgemeine Symmetrie-Gesetz, welches daraus hervor- geht, und welches zeigt, dass correspondireude (gleichartige oder gegen- überliegende) Theile des Krystalls in einer ebenso innigen Wechselbeziehung zu einander stehen, wie verschiedene correspondireude Theile eines Orga nismus. Vor allem sind es die Antimeren oder homotypischen TheiU ni. Organische und anorganische Kräfte. 159 (aber auch die Metameren oder homodynamen Theile), welche im Organismus |i in einer ganz ähnlichen Wechselbeziehung zu einander stehen, wie die ent- sprechenden symmetrischen (wir könnten fast sagen homotypischen) Theile des Krystalles. Der einzige wesentliche Unterschied, welchen die Correlation der Theile in den organischen und anorganischen Individuen zeigt, besteht darin, dass I dieselbe bei den Organismen, deren Substanz zeitlebens in innerer Bewegung und Umänderung bleibt, auch ihr ganzes Leben hindurch wirksam ist, wäh- rend dieselbe bei den Krystallen sieh nur während der Zeit ihrer Bildung , äussern kann, in dem einmal gebildeten Krystalle aber, bei welchem keine i innere Bewegung ohne Zerstörung mehr stattfindet, nicht mehr als lebeu- : dige Kraft bildend wirksam sein kann. Aeusserst lehrreich ist in dieser Beziehung ein Experiment von Lavalle. Dieser zeigte, dass, wenn man . einem in der Bildung begriffenen Octaeder eine Kante wegschneidet und so . eine künstliche Fläche bildet, eine ähnliche Fläche sich von selbst an der . correspondirenden gegenüber liegenden Kante bildet, während die übrigen ! sich scharf ausbilden. Alle diese Erscheinungen der symmetrischen Krystallbildung beweisen iiuns evident, dass die innere Structur und die äussere Form der Krystalle • ebenso unmittelbar zusammenhängen, und dass der ganze Krystall ebenso t ein organisches Ganzes ist, wie der Organismus. Alle einzelneu, den Körper, .zusammensetzenden Theile haben in dem einzelnen Krystalle ebenso eine 1 innere Beziehung zu einander und zu der Totalität des ganzen Individuums, ■ wie in dem einzelnen Organismus. Wir können in beiden Fällen, sowohl I bei dem sich entwickelnden organischen Individuum, als bei dem in Bildung • begriffenen anorganischen Individuum, dem Krystalle, keinen Theil verletzen 1 oder durch Einwirkung bestimmter Bedingungen (Anpassung) modificiren, .ohne zugleich dadurch auf andere, nicht unmittelbar betroffene Theile mit 1 einzuwii-ken, und so das Ganze zu alteriren. Es besteht also ein innerer I nothwendiger Zusammenhang, eine Wechselwirkung der Theile ebenso im ] Krystalle, wie im Organismus. III) 6. Zellenbildung und Krystallbildung. Bei der Vergleichimg, welche wir im Vorhergeheudeu zwischen ' Organismen und Anorganen anstellten, haben wir als Typus der voll- kommensten anorganischen Individuen die Krystalle und als Typus der einfachsten und unvollkommensten Organismen die Moneren (Pro- itogenes, Protamoeba) hingestellt. In letzteren konnten wir durch- • aus keine ditterenten Theile unterscheiden, fanden vielmehr ihren ge- sammten Körper aus einer vollkommen homogenen, formlosen Eiweiss- 1 masse gebildet. Dieser in sich völlig gleichartige Plasmaklumpen ist ' ein selbstständiges organisches Individuum , begabt mit den beiden ' wichtigsten Lebensfunctionen, der Ernährung und Fortpflanzung (durch Tbeilung). Aehnliche structurlose Primitiv -Organismen, wie sie hier als Mo- neren isolirt lebend auftreten, kommen auch häuflg als mehr oder 160 Organismen und Anorgane. minder selbststäiidige Elementartheile im Körperverbande anderer nie- derer Organismen (Protisten und niederer Pflanzen) vor, und versehen hier die Stelle der Zellen, welche in den meisten höheren Organismen fast allein die constituireuden Elementartheile (Individuen erster Ord- nung) bilden. Der Begritf der organischen Zelle (Cellula, Cytos) ist, wie wir im dritten Buche begründen werden, auf diejenigen Elementar- theile zu beschränken, welche aus zwei wesentlichen (und nie fehlen- den!) Bestandtheilen bestehen, nämlich dem eiweissartigen festflUssigen Plasma (Protoplasma, Sarcode, Zellstoif) und dem vom jPlasma ein- geschlossenen Nucleus (Cjtoblastus, Kern, Zellkern). Häutig, aber nicht immer, ist dieser kernhaltige Plasmakörper von einer (sehr ver- schieden gestalteten) vollständigen oder unvollständigen Membran eingeschlossen (Membrana cellulae, Zellhaut) und nach deren Mangel oder Anwesenheit können wir nackte Zellen oder Urz eilen (Gymno- cyta) und membranöse Zellen oder Hautzellen (Lepocyta) unter- scheiden. Diesen echten, kernhaltigen Zellen, welche jetzt gewöhnlich allein als die eigentlichen Elementartheile der Organismen angesehen zu werden pflegen, stehen als wesentlich verschiedene, weil einfachere und unvollkommenere Elementarth eile die von uns oben untersuchten 'homogenen Plasmaklurapen ohne Kern gegenliber, welche Avir allgemein mit dem Namen der Piasraaklumpen oder Cytoden (zellenähnliche Elementar-Organismen) bezeichnen wollen. Solche fi-ei lebende einfache Cytoden sind die Moneren (Pr oto genes , Pr o ta- rn o eh a) und zahlreiche Protisten aus den Stämmen der Rhizopoden, Protoplasten etc. Mau ist gewöhnt, diese einfachsten Organismen ge- wöhnlich als „einzellige'' Wesen anzusehen; indessen stehen sie noch tiefer als die wirklich einzelligen Organismen, da ihr eiweissartiger Körper völlig homogen ist, und sich noch nicht in Plasma und Kern difl'erenzirt hat. Auch diese Cytoden können, gleich den Zellen, ent- weder ganz nackt (Gymnocytoda) oder von einer Haut umschlossen sein (Lepocytoda). Die Cytoden und die Zellen zusammen, welche wir im dritten Buche als morphologische Individuen erster Ordnung näher untersuchen werden, vereinigen wir unter dem Namen der Piastiden. Da man die Cytoden, welche als vollkommen homogene Plasma- körper die einfachsten selbstständigen Elementar-Organismen sind, bis- her gänzlich vernachlässigt und fast ausschliesslich die Zellen, welche durch die Differenzirung von Plasma und Nucleus schon eine höhere Organisationsstufe darstellen, als die einfachsten selbstständigen Ele- mentar-Orgauismen betrachtet hat, so ist auch die unmittelbare Ueber- gangsbildung, welche die homogenen Cytoden (als einfachste organische Individuen) von den niederen einzelligen Organismen zu den höchsten individualisirten Anorganen, den Krystallen, herstellen, bisher noch Organische und anorganische Kräfte. 161 . gar nicht gewürdigt worden. Es liegt aber zu Tage, dass sie wirklich von der grössten Bedeutung für die monistische Biologie sind, indem >sie die von den Meisten für unüberwindlich gehaltene Kluft zwischen i'den Zellen und den Krystallen, mindestens in vielen Beziehungen, 3 austüllen. Ein allgemeiner Vergleich der Zellen mit den Krystallen und der Versuch, die Zellbildung in ähnlicher Weise wie die Krystall- ; bilduug auf einfache Molekular- Bewegungen der Materie zurückzufUh- rreu, stösst bereits auf sehr viel grössere Schwierigkeiten, weil wir in fder Zelle schon mindestens zwei verschiedene Form-Elemente zu einem i individuellen Ganzen verbunden haben, was bei den homogenen Cyto- i den noch nicht der Fall ist und bei den Krj^stallen niemals vorkommt. lUm so wichtiger und interessanter ist es, dass wir bereits seit langer /Zeit einen solchen Vergleich besitzen, der noch jetzt von hohem Werthe iist. Theodor Schwann nämlich hat in den epochemachenden .„mikroskopischen Untersuchungen", durch welche er 1839 die G-ewe- 1 belehre als besondere Wissenschaft neu begründete, den sehr aner- Ikeunenswerthen Versuch gemacht, in monistischem Sinne die Zellen »als die eigentlichen Elementar -Organismen nachzuweisen, welche den IKörper der höheren Organismen durch Aggregation zusammensetzen, vuud hat dabei die Zellen als die eigentlichen organischen Individuen imit den Kri stallen als den anorganischen Individuen in Parallele ge- s-stellt. In der berühmten „Theorie der Zellen", welche den letzten ITheil im dritten Abschnitte jenes Werkes bildet (p. 220 — 257) hat ^Schwann diesen Vergleich der Zellen mit den Krystallen durchzufüh- rren versucht, und hat unseres Erachtens mit bewundernswürdiger Schärfe ( den schlagenden, wenn auch nicht vollständigen Beweis für die Theorie igeführt, „dass die Bildung der Elementartheile der Organismen nichts : als eine Krystallisation imbibitionsfähiger Substanz, der Organismus nichts als ein Aggregat solcher imbibitionsfähiger Krystalle ist."') ') Für den vollständigen Beweis der Richtigkeit dieses Satzes hält Schwann : noch den Nachweis zweier Punkte für nothwendig, nämlich: ^,1) dass die meta- • boiisehen Erscheinungen der Zellen ebenfalls wie die plastischen Erscheinungen uothwendige Folge der Imbibitionsfähigkeit , oder irgend einer anderen Eigen- i thümlichkeit der Zelleusubstanz sind; II) dass, wenn sich eine Menge imbibitions- ' fähiger Krystalle bilden , diese sich nach gewissen Gesetzen zusammenfügen müssen, so dass sie ein, einem Organismus ähnliches, systematisches Ganze bil- den." Was nun den ersten Punkt betriü't, so glaubt Schwann den Grund für ■ die metabolischen Erscheinungen der Zellen „wahrscheinlicher in einer bestimm- ' II Luge der Moleküle, die wahrscheinlich bei allen Zellen wesentlich dieselbe I, als in der chemischen Zusammensetzung der Moleküle, die bei den verschie- deneu Zellen sehr verschieden ist," üuden zu müssen. Doch dürften wohl diese beiden Momente hier wirksam sein, und würde in letzterer Beziehung wohl vor Allem die complicirte chemische Zusammensetzung und die äusserst leichte Zer- Jlueukel, Gmieielle JJorpliologie. 21 162 Organismen und Anorgane, Es würde uns zu weit führen, wollten wir auf die Parallele zwischen der Krystallbildung und der Zellenbildung, welche Schwann so geistreich und scharfsinnig durchgeführt hat, hier näher eingehen. Wir können hiei darauf um so eher verzichten, als die Membran der Piastiden (sowohl der kernhaltigen Zellen, als der kernlosen Cytoden, die Schwann nicht von den Zellen unterschied) 'in unseren Augen nicht mehr den hohen morpholo- gischen und physiologischen Werth besitzt, den Schwann ihr beilegte; in der That fehlt sie ja häufig genug, und an den jugendlichen Plastideu fast immer. Nur darauf wollen wir noch besonders aufmerksam machen, wie einfach und klar derselbe den wesentlichen Unterschied im Wachsthum der Zellen und der Krystalle aus. der Imbibitionsfähigkeit der ersteren erklärt. Der Krystall kann in Folge seines festen Aggregatzustandes nur durch schichtweise Apposition von aussen wachsen, und die einmal gebil-. deten Theile des Krystalls bleiben ganz unverändert, während die Zelle vermöge ihres festflüssigen Quellungszustandes durch Intussusception nach innen hinein neue Theile aufnehmen und durch nachträgliche Einwirkung derselben auch im Innern bereits gebildete Theile verändern kann.') Aber setzbarkeit der Eiweisskörper, welche stets das Plasma, die eigentliche active (plastisclie) „Lebensinaterie" bilden, zu berücksichtigen sein, ferner die leiclite und schnelle Zersetzuugsfähigkeit dieser Eiweissverbindungeu, und ihre Neigung, die eigenen Zersetzungsbewegungen auf die umgebenden Stoffe zu übertragen, wodurch sie dieselben schon zur Assimilation vorbereiten. Was dann den zwei- ten von Schwann berührten Punkt angeht, so finden wir dessen Erklärung in Darwiu's Theorie der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein, welche auf die einzelnen Plastideu (Zellen und Cytoden) , ebenso allgemein angewandt werden kann und muss, wie auf die einzelnen Organismen. Es ist also nicht ein vorbedachter zweckmässiger Plan, welcher die einzelnen Cytoden und - Zellen (,,die imbibitiousfähigen Krystalle") zu dem ,, systematischen Ganzen" des Or- ganismus zusammenfügt, sondern diese scheinbar zweckmässige Combinatiou er- folgt durch die gegenseitige nothwendige Wechselwirkung, welche die aggregirten Zellen auf einander ausüben, nach»den Gesetzen der Differenzirung und Diver- genz des Characters, der Erblichkeit und Anpassung. ') Eine allgemeine und höchst wichtige Structur-Eigenthümlichkeit der Kry- stalle ist ihre Schichtung, ihre innere Zusammensetzung aus Blättern, welche gewissen Flächen parallel laufen. „Die Existenz dieser Schichtung setzt eine doppelte Art der Apposition der Moleküle in den Krystallen voraus: in jeder Schicht nämlich verschmelzen die neu sich ansetzenden Moleküle mit den schon vorhandenen dieser Schichte zu einem Continuum; diejenigen Moleküle aber, welche die einander berührenden Flächen- zweier Schichten bilden, verschmelzen nicht mit einander. Die mit einander verschmelzenden Moleküle lagern sich mit- hin mehr der Fläche nach neben einander, als der Dicke nach über einander ab, so dass jede Schicht auch nur eine bestimmte Dicke erreichen kann." Nimmt man nun mit Schwann an, dass dieses Grundgesetz der Krystallbildung auch für die Zellen gilt, und dass die Zellen „imbibitionsfähige Krystalle" sind, so muss bei ihnen die Schichtenbilduug ebenso wie bei den anorganischen Kry- stallen eintreten. Auch hier wird nur in den einzelneu Schichten (nicht zwischen denselben) eine möglichst innige Verbindung der Moleküle stattfinden. Wegen III. Organische und anorganische Kräfte. 163 nicht allein das Wachsthum der Zellen, sondern auch ihre erste spontane Entstehung (bei der „freien" Zellbildung in einem Cytoblastem), die Diffe- renzirung von Kern und Kerukörperchen, Plasma und Membran, lassen sich nach Schwann in der einfachsten Weise aus gleichen molekularen Bewe- gungsvorgängen (Anziehung und Abstossung der Moleküle in gewissen Richtungen) ableiten, wie dies bei Erklärung der Krystallbildung möglich ist. Die Theorie der organischen Zellenbildung auf diesem rein mechanischen Wege hat nach Schwann's geistreichem Versuche nicht mehr Schwierigkeit, als die Theorie der anorganischen Krystallbildung. Wir müssen diesen Versuch um so mehr bewundern, als zu jener Zeit (vor 21 Jahren) fast nur die höheren und vollkommeneren Zellformen bekannt waren, als damals noch drei oder vier Bestandtheile, (Kernkörperchen, Kern, Inhalt und Mem- bran) für integrirende Zellbestandtheile galten und als man von den unent- wickelteren Piastiden, den membranlosen Zellen und den kernlosen Cytoden noch keine sicheren Kenntnisse hatte. Durch die Erkenntniss der letzteren, welche (insbesondere die homogenen Gymnocytoden) gewissermaassen un- mittelbare Uebergangsformen von den aus heterogenen Theilen zusammen- gesetzten Zellen zu den homogenen Krystallen bilden, hat die Vergleichung derselben mit „imbibitiousfähigen Krystallen" noch bedeutend an Sicherheit gewonnen. Wii' zweifeln mit Schwann nicht daran, dass es lediglich der Unterschied der complicirteren atomistischen Zusammensetzung der orga- nischen Kohlenstoff-Verbindungen und besonders ihr festflüssiger Aggregat- zustand, ihre Imbibitionsfähigkeit ist, welche die organischen Individuen erster Ordnung in Form von Piastiden (Cytoden und Zellen) auftreten lässt, während die binär zusammengesetzte und nicht quellungsfähige anor- ganische Materie ihren individuellen Bildungen die Krystallform giebt. Damit ist aber auch der mechanische Ursprung der Lebenserscheinungeu ihrer Imbibitionsfähigkeit ist aber „eine viel innigere Vereinigung derselben möglich, indem hier die neuen Moleküle sich durch Intussusception zwischen die vorhandenen ablagern können." Die Zahl der Moleküle, welche sich in jeder Schicht ablagern können, ist nun hier bei den Zellen nicht bestimmt beschränkt, wie bei den Krystallen. Wenn nun die Ablagerung der Moleküle neben einan- der in einer Schichte, und damit das Wachsthum der Schichte fortdauert, ohne dass sich eine neue Schichte bildet, „so wird die wachsende Schichte zunächst mehr condensirt; d. h. sie nimmt in denselben Raum mehr feste Substanz auf; dann aber wird sie sich ausdehnen und von dem fertigen Theü des Krystalls trennen, so dass zwischen ihr und dem Krystall ein hohler Zwischenraum ent- steht, der sich durch Imbibition mit Flüssigkeit füllt. So erhalten wir also bei imbibitionsfähigen Körpern, statt einer neuen Schichte, die sich an die früher ge- bildeten Theile des Krystalls ansetzt, ein hohles Bläschen," welches durch Im- bibition sehr bald eine rundliche Gestalt annehmen muss- (falls es vorher, einem Krystallmantel entsprechend, eckig war). „Allein der früher gebildete Theil des Krystalles besteht ebenfalls aus imbibitionsfähiger Substanz, und es ist dess- halb noch sehr zweifelhaft, ob er überhaupt eine eckige Form haben muss," gleich den meisten anorganischen nicht imbibitionsfähigen Krystallen. Die scharf- smnige weitere Ausführung dieses sehr wichtigen Vergleiches ist bei Schwann selbst nachzusehen (p. 241—251). 11* 164 Organismen und Anorgane. dargethan. Sowie sämmtliche physikalische Functionen des Krystalls aus seiner chemischen Mischung und der dadurch bedingten Form, so gehen auch sämmtliche Lebenserscheiuungen der Flastide (und somit jedes Orga- nismus) aus ihrer chemischen Mischung und der dadurch bedingten Form als uothwendige Wirkungen hervor. lY. Einheit der organischen und anorganischen Natur. Wir haben in den drei vorhergehenden Abschnitten die Ueberein- stimuningen und die Unterschiede zu schätzen und zu messen versucht, welche die beiden grossen Hauptgrup^ien der irdischen Katurkörper, Organismen und Anorgane, hinsichtlich ihres Stoffes, ihrer Form und ihrer Function zeigen. Als das allgemeine Kesultat dieser Vergleichuug können wir nun schliesslich folgenden Satz aufstellen: „Alle uns be- kannten Naturkörper der Erde, belebte und leblose, stimmen überein in allen wesentlichen Grundeigenschafteu der Materie, in ihrer Zusam- mensetzung aus Massen-Atomen und darin, dass ihre Formen und ihre Functionen die unmittelbaren und nothwendigen Wirkungen dieser Ma- terie sind. Die Unterschiede, welche zwischen beiden Hauptgruppen von Naturkörpern hinsichtlich ihrer Formen und Functionen existireu, sind lediglich die unmittelbare und notliwendige Folge der materiellen Unterschiede, welche zwischen Beiden durch die verschiedenartige chemische Verbiudungs-Weise der in sie eintretenden Elemente bedingt werden. Die eigenthlimlicben Bewegungs-Erscheiuuugeu, welche man unter dem Namen des „Lebens" zusammenfasst, und welche die eigen- thilmlichen Formen der Organismen bedingen, sind nicht der Austiuss einer besonderen (innerhalb oder ausserhalb des Organismus befind- lichen) Kraft (Lebenskraft, Bauplan, wirkende Idee etc.), sondern lediglich die unmittelbaren oder mittelbaren Leistungen der Eiweiss- körper und anderer complicirter Verbindungen des Kohlenstoffs." Eine eingehendere Untersuchung und Vergleichuug der individuellen Organismen und Anorgane hinsichtUch ihrer materiellen Zusammensetzung und der daraus unmittelbar resultirenden Form und Function wird leicht noch zahlreichere und schlagendere Beweise für die obigen Sätze sammeln können, als uns hier auf dem beschränkten Raum möglich war. Wir müssen uns daher begnügen, einige der wichtigsten Punkte hier besonders hervor- gehoben zu haben, und müssen das Weitere einer künftigen synthetischen Untersuchung auheimgeben. Für uns kam es hier vor Allem darauf an, der bisher ganz einseitig ausgebildeten analytischen Unterscheidung der beiderlei Körper nun auch einmal ihre synthetische Vergleichuug gegen- überzustellen und das weitverbreitete Dogma zu beseitigen, dass das „Leben" etwas ganz Besonderes, absolut von der leblosen Natur Verschie- deues und von ihr Unabhängiges sei. Dass dies keineswegs der Fall sei, und dass nur relative Differenzen die leblosen und belebten Naturkörper trennen, glauben wir hinsichtlich aller drei Erscheiuungs-Iieihen, der stoff- IV. Eiuheit der organischen und anorganischen Natur. 165 lichon Zusammensetzung und der daraus resultirenden körperlichen Form und ümcfcionellen Leistung gezeigt zu haben. Wir fassen die wichtigsten Vero-leichungspunkte hier kurz zusammen. I) Die chemischen Urstolie oder unzerlegbaren Elemente, welche die lebendigen und die leblosen Naturkörper zusammensetzen, sind dieselben Es o-iebt kein Element, welches nur in den Organismen vorkäme. Dagegen ist ein Element, der Kohlenstoff, welches auch in der leblosen Natur als Krystall-Individuum auftritt (als Diamant, als Graphit), dasjenige, welches in keinem Ora'anismus fehlt, und welches durch seine ausserordentliche, keinem anderen Elemente eigene, Neigung zu verwiekelteren Verbindungen mit den anderen Elementen, diejenige unendliche Mannichfaltigkeit der oro-anischen Stoffe" erzeugt, welche die unendliche Mannichfaltigkeit der oro-anischen Formen und Lebenserscheinungen hervorbringen. Eine der wiehtio-sten Eigenschaften vieler dieser Kohlenstoff -Verbindungen ist ihre Fähigkeit, den festflüssigen Aggregatzustand anzunehmen, welcher in den Anorganen niemals vorkommt. Auf dieser Imbibitionsfähigkeit der organi- schen Materie, auf ihrer verwickelten atomistischen Zusammensetzung und a.uf ihrer leichten Zersetzbarkeit beruhen die sämmtlichen eigenthiimlichen Bewegungs-Vorgänge, welche wir als die charakteristischen Erscheinungen des Lebens ansehen. , II) Die Organismen treten sämmtlich, die Anorgane theilweise in Form von räumlich abgeschlossenen Eiuzelkörpern oder Individuen auf. Die un- vollkommensten organischen Individuen, die Moneren oder structurlosen Plasma-Individuen, stimmen mit den vollkommensten anorganischen Indivi- duen durch die homogene Beschaffenheit ihres structurlosen Körpers mehr iiberein, als mit den höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zu- > ammengesetzten Organismen. Diese Zusammensetzung des Individuums aus ungleichartigen Theilen ist allerdings den meisten, aber nicht allen Organismen eigenthümlich, und desshalb kein absolut unterscheidender Character von den Krystallen, welche ihrerseits ebenfalls bisweilen in ^dehrzahl zur Bildung von Individuen höherer Ordnung zusammentreten (Krystallstöcken). In gleicher Weise wie die Organismen besitzen auch die Krystalle eine innere Structur, und zeigen gesetzmässige Beziehungen der einzelnen Theile unter einander und zum Ganzen. Die äussere gesetzmässige Form ist hier wie dort der Ausdruck und das Resultat der inneren Struc- ■ tnr, und hier wie dort durch die Wechselwirkung zweier formbildender Triebe oder Kräfte bedingt, des inneren Bildungstriebes (der materiellen Zusammensetzung) und dps äusseren Bildungstriebes (der Anpassung). So- wohl den organischen als den anorganischen Individuen liegt meistens eine bestimmte stereometrische Grundform zu Grunde, welche bei den Krystallen meistens prismoid ist. Doch ist die prismoide Grundform der Krystalle (von ebenen Flächen, geraden I^inien und messbaren Ecken begrenzt) nicht ausschliesslich für die anorganischen Individuen charakteristisch, da dieselbe sowohl bei vielen niederen Organismen (Radiolarien) vorkommt, als auch bei anderen anorganischen Individuen (Diamant-Krystallen und anderen krumm- flächigen Krystallen) fehlt. Wir können also so wenig in der individuellen Bildung, als in der formellen Zusammensetzung der Individuen, ebensowenig 166 Organismen und Anorgane. m der äusseren Form, als in der inneren Structur, ebensowenig in der stereometrisch^n Grundform, als in deren vielfältiger äusserlicher Modifica tion kurz, wir können in keiner Beziehung irgend einen absoluten, in allen Fallen durchgreifenden formellen Unterschied zwischen Organismen und Anorganen auffinden. III) Die Functionen, Leistungen oder Kräfte der Naturkörper sind entweder femere oder gröbere Bewegungen ihrer materiellen Theilchen der Atome und der aus ihnen zusammengesetzten Moleküle. Sie sind also un- mittelbare Ausflüsse der materiellen chemischen Zusammensetzung den Naturkörpers. Weil diese Leistungen bei den Organismen sehr viel mannich- faltiger und zusammengesetzter sind, als bei den Anorganen, bezeichnen wir sie als „Lebens-Erscheinungen". Die einfachen, elementaren Functionen der Materie kommen sämmtlich, und die verwickeiteren Functionen zum grossen Theil den Organismen und Anorganen in gleicher Weise zu; zum Theil aber (Lebensthätigkeiten im engeren Sinne) kommen die letzteren den Organismen ausschliesslich zu. Eine der wichtigsten und allgemeinsten körperlichen Functionen, welche allen leblosen und belebten individuellen Naturkörpern gemeinsam zukömmt, ist das Wachsthum der Individuen. Die Verschiedenheiten, welche sich im Wachsthum der organischen und anorganischen Individuen finden, sind in der verwickeiteren chemischen Zusammensetzung und der Imbibitionsfähigkeit vieler Kohlenstoflf -Verbin- dungen begründet. Aus diesen Verschiedenheiten des Wachsthums resul- tiren dann aber mit Nothwendigkeit für die Organismen die weiteren speci- fischen Lebens -Erscheinungen der Ernährung und Fortpflanzung, denen sich bei den höhereu Organismen noch die complicirtesten Functionen der Ortsbewegung und Empfindung anschliessen. Wir sehen also im Ganzen, erstens, dass die anorganischen und organischen Individuen eine gewisse Summe von Leistungen in gleicher Weise ausüben, und zweitens, dass die- jenigen zusammengesetzteren Leistungen, welche als Lebenserscheinungen im engeren Sinne den Organismen eigenthümlich sind (allgemein Ernäh- rung und Fortpflanzung), lediglich in der verwickeiteren chemischen Zu- sammensetzung der Kohlenstoff-Verbindungen und in den daraus resultii-enden physikalischen Eigenthümlichkeiten (vor Allem der Imbibitionsfähigkeit) ihren - unmittelbaren materiellen Grund haben. Alle bekannten Erfahrungen zusammengenommen zwingen uns also zu der Ueberzeugung, dass die Differenzen zwischen den Organismen und An- organen nur relativ, lediglich in der verwickeiteren chemischen Zusammen- setzung der Kohlenstoff- Verbmdungen begründet sind, und dass die Ma- terie hier wie dort denselben Gesetzen der Naturnothwendigkeit unterworfen ist. Diese feste Ueberzeugung ist von der grössten Wichtigkeit, sowohl allgemein für die allein richtige monistische Beurtheilung der Gesammt-Na- tur, als auch besonders für die richtige Beantwortung einer der schwierig- sten biologischen Fragen, derjenigen von der Entstehung der ersten Or- ganismen. Indem wir diese Frage im Folgenden zu beantworten versuchen, stützen wir uns unmittelbar auf jene feste Ueberzeugung von der Einheit der organischen und anorganischen Natur. I. Entstehung der ersten Organismen. 167 Sechstes Capitel. Schöpfung und Selbstzeugung. „Was wär' ein Gott, der nur von aussen stiesse, Im Kreis das All am Finger laufen liessei Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen, Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen. So dass was in Ihm lebt und webt und ist. Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermisst." Goethe. I. Entstehung der ersten Organismen. Alle grossen Erscheinungsreihen der organischen Natur, alle all- gemeinen Resultate der zoologischen und botanischen, morphologischen und physiologischen Forschungen, führen uns übereinstimmend mit zwingender Gewalt zu dem gesetzlichen Schlüsse, dass sämmtliche Organismen, welche heutzutage die Erde beleben, und welche sie zu irgend einer Zeit belebt haben, durch allmählige Umgestaltung und langsame Vervollkommnung sich aus einer verhältnissmässig geringen Anzahl von höchst einfachen Urwesen (Protorganismen) entwickelt haben. Diese Entwickelung geschah und geschieht auf dem Wege der materiellen Fortpflanzung, der elterlichen Zeugung, nach den Gesetzen der Erblichkeit und der die Erblichkeit modificirenden Variabilität und 'Anpassung. Alle, auch die höchsten und complicirtesten Organismen können nur auf diesem Wege, durch allmählige Differenzirung und - Transmutation von einfachsten und niedrigsten Lebewesen enstan- den sein. Dieses äusserst wichtige Entwickelungs- Gesetz bildet den Kern derjenigen Theorie, welche wir ein für alle Mal kurz als die Ab- stammungslehre oder Descendenz-Theorie bezeichnen wollen und deren Begründung wir vor Allen Lamarck, Goethe und Dar- win verdanken. Sie zeigt uns, in Uebereinstimmung mit allen fest- 168 Schöpfung und Selbstzeugung. Stehenden Eifahrungen, wie aus den einfachsten und unvollkommensten Urwesen sich die höchsten und vollkomn.ensten Organisn.en allmähliK durch Divei;g-enz nach verschiedenen Kichtung-en haben hervorbilden können. Diese Entvvickelungstheorie lässt aber eine grosse und zu- nächst sich daran anknüpfende Frage unbeantwortet, nämlich- Wie entstanden jene ersten und einfachsten Lebewesen," aus denen sich alle übrigen, vollkommeneren Organismen all- mählich entwickelten?" Die BeantAvortung dieser äusserst wichtigen Frage von der ersten Entstehung des Lebens auf der Erde wird von den meisten Menschen und selbst von sehr vielen Biologen, als eine ausserhalb aller exacten Naturtorschung liegende, oder selbst als eine der Competenz unserer menschlichen Erkenntniss entzogene Frage bezeichnet. Wir können keiner von diesen Ansichten beipflichten, und müssen den, fi-eilich sehr gewagten Versuch, die Frage hypothetisch zu beantworten, ebenso als unser gutes Kecht, wie als unsere nothwendige Pflicht bezeichnen wenn wir überhaupt die Erscheinungen der organischen Natur mo- nistisch, d. h. causal erklären wollen. Nichts zeigt wohl so sehr die äusserst niedrige Stufe der Entwickelung auf der sich die gesammte Biologie, sowohl Morphologie als Physiologie' noch gegenwärtig befindet, als der Umstand, dass wir zunächst die Be- rechtigung dieser Frage, die doch jedem denkenden Menschen selbst- verständlich erscheinen sollte, ausdrücklich hervorheben müssen. Denn so weit ist noch die herrschende Betrachtungsweise der Organismen vermöge ihres grundverkehrten Dualismus von der allein wissenschaftlichen Erkennt- niss d. h. dem monistischen Verständniss der organischen Naturerscheinungen entfernt, dass nicht nur die meisten Laien, sondern selbst die meisten Natur- forscher die Berechtigung jener Frage bestreiten, und sie als eine solche bezeichnen, in deren wissenschaftlichen Erörterung wir weder befugt, noch befähigt seien. Die Frage nach dem ersten Ursprung des Lebens auf der Erde , nach der Entstehung jener ersten, einfachsten Organismen, aus denen alle übrigen durch allmählige Umbildung sich entwickelten, ist nach unserer Ansicht voll- kommen ebenso berechtigt, und muss von der Naturwissenschaft ebenso nothwendig gestellt werden, wie die Frage nach der Entstehung der Erde selbst, die Frage nach der Entstehung der anorganischen Naturkörper. Wie wir bei den letzteren sowohl die Thatsachen ihres allmähligen Werdens, als auch die Ursachen desselben in den Kreis unserer Forschung zu ziehen haben, so verhält es sich auch mit den Organismen. Wir werden also in diesem Capitel ebensowohl uns eine Theorie über die erste Entstehung der Organismen, wie über die Ursachen derselben zu bilden haben. Und wir sind hier um so mehr dazu verpflichtet, als Darwin in seinem classi- schen Werke gerade hier eine sehr empfindliche Lücke gelassen und erklärt hat, dass er „Nichts mit dem Ursprung der geistigen Grundkräfte, noch I. Entstehung der ersten Organismen. 169 mit dem des Lebens selbst zu schafien habe".') Selbst viele von denjenigen . Naturforschern und Philosophen, welche geneigt sind, die säiuratlichen Er- • scheiuungen des bestehenden Lebens gleich allen anderen Naturerschei- I nungen als nothwendige Folgen mechanisch wirkender Ursachen, also mo- nistisch zu erklären, nehmen für die erste Entstehung der lebenden Wesen zu der dualistischen Annahme einer freien Schöpfung ihre Zuflucht. ; Sie verzichten auf die rein causale, d. h. mechanische Erklärung der Ent- • stehung des ersten Lebens, theils weil sie dadurch mit einigen der ältesten i und stärksten von unseren allgemein herrschenden grossen Vorurtheilen zu «eollidii-en fürchten, theils weil sie die Möglichkeit einer solchen Erklärung I nicht einsehen. In letzterer Beziehung sei nun zunächst hier hervorgehoben, dass selbst IKant, der für die gesammte organische Natur die dualistisch-teleologische, tfür die gesammte anorganische Natur aber die monistisch-mechanische Be- t trachtungsmethode und Erklärungs weise consequent durchführte, der letzte- iren zugestand, dass sie auch zur Erklärung der organischen Naturerschei- imingen vollkommen berechtigt, und nur nicht dazu befähigt sei. Wir ^würden also, selbst nach Kant, wenn wir die Möglichkeit einer mecha- Imischen Erklärung für die Entstehung des Lebens nachweisen, des Gesuches lum Berechtigung hierzu gewiss überhoben sein. Doch ist das entgegen- ^ stehende Vorurtheil, welches sich durch die vererbten Irrthümer von Jahr- ttausenden ausserordentlich befestigt hat, so mächtig, dass wir nicht umhin Ikönnen, hier die Unmöglichkeit einer sogenannten Schöpfung darzuthun und I die Nothwendigkeit der Annahme einer Autogonie, d. h. einer mechanischen ilEntstehungsweise der ersten Lebensformen auf der Erde zu beweisen. ') Aus dieser und aus verschiedenen Stellen seines epochemachenden Wer- kkes, an denen man ein Eingehen auf die vorliegende Frage erwarten sollte, geht hhervor, dass Darwin dieselbe absichtlich nicht berührt, und vollständig auf tideren wissenschaftliche Beantwortung verzichtet, indem er annimmt, dass jenen ^einfachsten Urformen (gleichviel ob einer oder mehreren) „das Leben zuerst Ifvom Schöpfer eingehaucht worden sei." Ich habe bereits 1862 in meiner Mono- phie der Radiolarien (p. 232), in welcher ich mich entschieden für Darwins iiieorie ausgesprochen habe, bemerkt, dass der grösste Mangel derselben darin liege, dass sie für die Entstehung der Urorganismeu, aus denen alle anderen sich all- !mählig hervorgebildet haben, gar keine Anhaltspunkte liefert, und dass man für diese ersten Speeles keinen besonderen Schöpfungs-Akt annehmen dürfe. In der l'liiit erscheint mir (wie dies auch von Gegnern Darwins hervorgehoben worden die Annahme einer „Schöpfung" jener Urformen im gewöhnlichen Sinne als em so widerspruchsvoller Dualismus und so unvereinbar mit dem sonst durch- las monistischen Geiste und Werke des grossen englischen Naturforschers, dass mr annehmen müssen, er sei absichtlich dieser allerdiugs gefährlichen und zu fielen Gouflicten Anlass gebenden Schwierigkeit aus dem Wege gegangen. Wir •ionnen uns hier uni so weniger entschliessen, auf die Beantwortung dieser Frage • M verzichten, als der ganze causale Zusammenhang der Descendenz-Theorie die- äelbe durchaus erfordert, und erst dadurch die letzte Lücke in dem vollendeten wsmologischen Systeme des Monismus ausgefüllt wird. 170 Schöpfung und Selbstzeugung. n. Schöpf\ing. Wenn wir alle die unendlich verschiedenen und mannichfaltigen Ansichten vergleichend in Erwähnung ziehen, welche von denkenden Menschen aller Zeiten über die erste Entstehung des Lebens auf der Erde aufgestellt worden sind, so können wir sie allesammt in zwei schroff gegenüberstehende Gruppen bringen, deren Losungswort Schöpfung und Urzeugung ist. Bei weitem die grössere Mehrzahl aller jener Ansichten ist dualistisch und glaubt an eine Schöpfung? d. h. an eine Entstehung der ersten lebendigen Wesen durch eine ausserhalb der Materie befindliche, zweckmässig wirkende Kraft. Nur verhältnissmässig wenige Ansichten sind monistisch und nehmen eine Urzeugung an, d. h. eine erste Entstehung lebendiger Körper durch die ureigenen, der Materie inne wohnenden, mit absoluter Nothwen- digkeit gesetzlich wirkenden Kräfte. Die vielen verschiedenartigen Schöpfungs-Theorieen weichen hauptsächlich darin von einander ab, dass die einen einen individuellen Schöpfungsakt für jeden einzelnen Organismus, die anderen einen be- sonderen Schöpfungsakt für jede „Speeles" (aus der sich -ihre Nach- kommen durch natürliche Fortpflanzung entwickeln), die dritten endlich eine Schöpfung nur für jene einfachsten Urorganismen fordern, aus denen sich alle übrigen „Speeles", gemäss der Descendenz-Theorie, allmählig entwickelt haben. Von diesen drei verschiedenen Ansichten brauchen wir blos die letzte hier zu discutiren. Denn die erste An- nahme, dass jeder individuelle Organismus (z. B. jeder einzelne Tannenbaum, jede einzelne Diatomee, jede einzelne Stubenfliege, jeder einzelne Mensch) flir sich vom Schöpfer besonders erschaffen sei, ist zwar unter den Menschenkindern (auch den sogenannten „Gebildeten") noch sehr weit verbreitet, widerspricht aber so sehr den einfachsten und allgemeinsten naturwissenschaftlichen Erfahrungen, dass sie von keinem einzigen wahren Naturforscher mehr vertheidigt wird. Nicht so ist es mit der zweiten oben angefühi-ten, übrigens nicht minder un- Avissenschaftlichen Ansicht, dass jede sogenannte „Speeles oder Art" einem besonderen Schöpfungsakt ihre Entstehung verdanke, dass also von jeder Speeles einmal eines oder mehrere Individuen geschaffen worden sind, von denen alle übrigen auf dem Wege natüriicher Fort- pflanzung erzeugt worden sind. Diese auch unter den Naturforscheni noch weit verbreitete und gewöhnlich mit dem absurden Species-Dogma verkettete Ansicht bedarf hier ebenfalls keiner Widerlegung, da ^vir unten die Species selbst als eine ganz willkührliche und künstliche Abstraction, und die Vorstellung ihrer absoluten Constauz als ganz unhaltbar nachweisen werden. Wir haben also nur noch die letzte (auch von Darwin getheilte) Schöpfungs -Hypothese zu widerlegen. II. Schöpfung. 171 welche annimmt, dass die wenigen einfachsten Stammfonnen, aus wel- : eben alle übrigen durch allmählige Differenzirung sich entwickelt haben, unmittelbar „ erschatfen" worden sind. Da wir diese Annahme dadurch widerlegen mlissen, dass'wir die Schöpfung überhaupt als undenkbar 1 nachweisen, so werden dadurch zugleich sämmtliche übrige Schöpfungs- Annahmen widerlegt. Der Begriff der Schöpfung ist entweder überhaupt undenkbar oder doch mit jeder reinen, auf empirische Basis gegründeten Natur- .anschauung vollkommen unverträglich. In der Abiologie ist auch nir- . gends mehr von einer Schöpfung die Rede, und nui- in der Biologie ist i man noch vielfach von diesem Irrthum befangen. Vollkommen undenk- tbar ist der Begriff der Schöpfung, wenn man darunter „ein Entstehen won Etwas aus Nichts" versteht. Diese Annahme ist ganz unvereinbar rmit einem der ersten und obersten Naturgesetze, welches auch allge- imein anerkannt ist, dem gi'ossen Gesetze nämlich, das alle Materie tewig ist, und dass nicht ein einziges Atom aus der Körperwelt ver- sschwinden, so wenig als ein einziges neues hinzukommen kann. Der t einzige denkbare Sinn, welcher daher für den Begriff der Schöpfung i übrig bleibt, ist die Vorstellung, dass durch eine ausserhalb der Ma- tterie stehende Kraft Bewegungserscheinungen der Materie hervorgerufen ^werden und dass diese zui- Bildung bestimmter Formen führen; ge- wöhnlich versteht man darunter speciell die Bildung individueller, worzüglich organischer Formen, und in unserem speciellen Falle die IBildung jeuer einfachsten organischen Urformen. Die Annahme einer I jeden solchen Schöpfung ist nun deshalb durchaus unstatthaft, weil ^'wir in der ganzen Körperwelt, welche unserer natui-wissenschaftlichen tErkenntniss zugänglich ist, nicht ein einziges Beispiel von einer ausser ider Materie stehenden Kraft empirisch kennen. Alle Kräfte, die wir ikennen, von den einfachen „physikalischen" Kräften (z. B. der Licht- )brechung, Wärmeleitung) anorganischer Krystalle, bis zu den höchsten Lebenserscheinungen der Organismen (bis zu der BlUthenbildung der Bäume, bis zu dem Fluge der Insekten, bis zu den philosophischen ^rehirn- Operationen des Menschen) sind mit absoluter Nothv^^endigkeit lan die Materie gebunden, und ebenso ist jede Materie (organische und lanorganische) nothwendig mit einer gewissen Summe von Kräften be- ::?abt. Einerseits also haben wir nicht einen einzigen, auch nur wahr- •jcheinlichen Erfahrungsbeweis für die Existenz eiuer solchen, die Ma- i:erie vou aussen beherrschenden und „schaffenden" Kraft (mag man iieselbe nun Lebenskraft, Schöpferkraft, oder wie immer nennen); andererseits aber gehört nur ein wenig tieferes Nachdenken dazu, um i'^u der festen Ueberzeugung zu gelangen, dass eine solche Kraft ganz tindenkbar ist. Wie sollen wir uns eine Ki-aft ausserhalb der Materie nur irgend vorstellen, eine Kraft, der jeder Angriffspunkt, welchen 172 Schöpfung und Selbstzeugung. die Materie bietet, als solcher unaugreiftar ist? Eine Kraft, welche \ materielle Bewegungserscheinimgen- hervorruft, ohne selbst materiell zu sein? Eine Kraft, die eine Bewegung ohne Anziehung und ohne Abstossung, mithin eine Wirkung ohne Ursache hervorrufen würde? Wir gestehen offen, dass wir persönlich vollkommen unfähig sind, uns irgend eine denkbare Vorstellung von einer solchen immateriellen Kraft zu machen, und dass wir unter den zahllosen Definitionen und Darstellungen, welche von solchen immateriellen Kräften unter den verschiedensten Namen gegeben werden, nicht eine einzige gefunden haben, die nicht vollständig mit den allgemeinsten und unmittelbarsten sinnlichen Erfahrungen, sowie mit den wichtigsten und obersten Grund- gesetzen der Naturwissenschaft (und vor Allem mit dem Causal-Gesetze) unvereinbar wäre.') ^) Den Physikern und Chemikern, sowie den Physiologen dürfte es über- flüssig erscheinen, über diese ersten Grundsätze der Naturforschung noch ein Wort zu verlieren: kein Physiker, kein Chemiker, kein Physiolog — so lange er consequent und rücksichtslos denkt — kennt eine Kraft ohne Stoff oder glaubt au eine ausser der Materie stehende Kraft. Nur unter den Morphologen sind diese falschen Vorstellungen noch so verbreitet, dass wir sie hier nothwen- dig widerlegen müssen, und in einem Punkte, nämlich gerade in der hier vor- liegenden Frage von der ersten Entstehung der Organismen, sind die alten ein- gerosteten dualistischen Vorurtheile sehr ailgemeiu verbreitet, und werden selbst von vielen treö'lichen, im Uebrigen vollkommen monistischen Naturforschern ge- theilt. Sobald man übrigens die verschiedenen immateriellen Kräfte, welche als „Geist, Seele, Lebenskraft, Schöpferla-aft" etc. ein eben so verbreitetes als un- verdientes Ansehen geuiessen, ' eingehender untersucht, so ergiebt sich, dass diese sogenannten reinen, nicht materiellen Kräfte durchaus materiell vorgestellt werden, nämlich entweder als gasförmige Materien oder als feinere (schwerelose oder unwägbare) Materien, gleich dem Wärme-Aether etc. In der bewunderns- würdigen Widerlegung der Lebenskraft, welche schon vor 70 Jahren Reil im ersten Bande seines Archivs für Physiologie (1796) gegeben hat, findet sich hier- über folgende treffliche Analyse: „Anfangs fielen wohl nur die groben und trägen Massen den Menschen auf, und in der Folge beobachteten sie erst die Erschei- nungen der feinen Stofle in der Natur. Sie empfanden in der Luft und im Winde Wirkungen eines Wesens, das sie mit den Augen nicht wahrnahmen, und welches sich vorzüglich durch seine Beweglichkeit vor den trägen und gro- ben Massen auszeichnete. Diese Beobachtung brachte sie nach und nach auf die Meinung, dass Bewegung und Leben von einem solchen feinen und unsicht- baren Wesen abhänge. Durch die Eigenschaften der feinen Stofle wurden sie auf die Idee von Geistern geleitet, und sie characterisirten dieselben durch die vorzüglichsten Merkmale der Luft, durch Unsichtb arkeit und Beweglichkeit. Man legte sogar dem Geiste überhaupt in der hebräi- schen lind fast in allen alten Sprachen die Namen Luft oder Wind (Spiritus) bei." (1. c. p. 11, 12). „Mit eben dem Rechte, mit welchem wir den Thieren (und also auch den Menschen) eine Seele beilegen, um ihre thierischen Wir- kungen daraus zu erklären, können wir auch für die Schwere und Cohärenz eigene Geister annehmen, die erst der Materie die Eigenschaft, als schwere und zusam- menhaftende Materie zu wirken, mittheilen." (l. c. p. 14). I II. Schöpfung. 173 Ist nun schon an ^icli der Begriff einer solchen immateriellen, «ausserhalb der Materie befindlichen, von ihr unabhängigen, und deu- moch auf sie wirkenden Kraft vollkommen unzulässig und undenkbar, jiso wird es in unserem Falle hier die schöpferische Kraft in um so i höherem Maasse, als mit deren Vorstellung sich die unhaltbarsten r teleologischen Vorstellungen und die handgreiflichsten Anthropomor- iphismen verbinden. Denn es ist klar, dass jenes schöpferische im- ! materielle Princip, welches bald als Lebenskraft, bald als Schöpfer- lkraft, bald als persönlicher Schöpfer die Organismen „schaffen" soll, i hierbei durchaus in analoger Weise zu Werke gehen soll, wie der : Mensch oder andere Thiere bei „Schöpfung" irgend eines Kunstwerks, twie z. B. eine Wespe beim Bau ihres kunstvollen Nestes, oder wie (der Schneidervogel beim Zusammennähen der Blätter, oder wie der : Mensch beim Bauen eines Hauses, beim Modelliren einer Statue. Wie ;alle diese Tliiere hierbei nach einem vorhergehenden Entwürfe ihren !Bau consti-uiren, so soll auch die Schöpferkraft oder der persönliche ^Schöpfer nach einem bestimmten Bauplan die Organismen zweckmässig (construiren, und wenn seine Schöpfungsthätigkeit sich auf die Er- ^ Schaffung jener wenigen einfachsten Urwesen beschränkt, aus denen tsich die anderen hervorgebildet haben, so hat er jedem dieser Urwesen (die bestimmten Bewegungserscheinungeu verliehen, welche mau als >8ein „Leben" bezeichnet. In allen diesen teleologischen Vorstellungen, !und gleicherweise in säuimtlichen Schöpfungsgeschichten, welche die (dichterische Phantasie der Menschen producirt hat, liegt der grobe Anthropomorphismus ') so auf der Hand, dass wir der Einsicht jedes ') Wie durchgreifend diesen, Schöpfungs- Ansichten überall die Vorstellung > des thierischen und insbesondere des menschlichen freiwilligen Handelns nach t einem bestimmten (natürlich causal bedingten) Willens-Impulse zu Grunde liegt, beweisen schon die allgemein gebräuchlichen Ausdrücke ,,de8 Bauplans, der zweck- mässigen Einrichtung, des künstlichen Baues u. s. w." Offenbar wird hier stets das zu schaffende oder erschaffene „Geschöpf" als das Product eines vorbe- ■ dachten Planes betrachtet, welchen der „Schöpfer" in ganz gleicher Weise ent- worfen, modificirt und ausgeführt hat, wie der Mensch bei Oonstruction seiner f z-weckmässigen Mascliiuen und andere Wirbelthiere bei Ausführung ihrer oft . äusserst künstlichen und zweckmässigen-Nester, Bauten etc. thuen. Der Authropo- I morphismus oder, allgemeiner gesagt: Zoomorphismus , welcher hier zur Vor- f Stellung des persönlichen oder individuellen Schöpfers führt, ist um so selt- samer und auffallender, als dieser Schöpfer dabei zugleich als immaterielles Wesen oder Geist gedacht wird, also im Grunde, wie Reil in der so eben ci- ' tirteu Stelle treffend ausführt, als ein gasförmiger oder elastisch-flüssiger Jvörper, ' oder als ein Individuum, welches aus der feineren Materie des schwerelosen oder unwägbaren Aetiiers (dem Wärmestoö" zwischen den Atomen und Molekülen der ^Materie) besteht. Einerseits also wird der die Materie modelnde und formende ' Schöpfer nach Art des Menschen oder eines anderen höheren Wirbeltlüeres 'denkend und plauausführend , mithin als ein willkührlich bewegliches und mit 174 Schöpfung und Selbstzeugung. f 1 Überhaupt denkenden und nicht allzusehr in traditionellen Vorurtheilen k befangenen Lesers die Vernichtung dieser Schöpfungs- Vorstellung selbst |i überlassen können. Denjenigen Morphologen aber, welche nicht durch eigenes Nachdenken zu dieser Erkenntniss gelangen können, empfehlen wir zu aufmerksamer Leetüre den merkwürdigen „Essay on Classifica- tion" des geistvollen Agassiz, in welchem dieser berühmte Natur- forscher die teleologische Vorstellung des Schöpfers und der Schöpfuugs- Akte dadurch in glänzendster Weise widerlegt, dass er sie bis auf ? ihre extremen Consequenzen verfolgt und ihre unlöslichen Widersprüche '< Uberall lichtvoll au den Tag fördert. Eine Schöpfung der Organismen ist mithin theils ganz undenkbar, : j theils aller empirisch erworbenen Naturkenntuiss so vollständig zuwider ! laufend, dass wir uns zu dieser Hypothese auf keinen Fall entschliessen ) dürfen. Es bleibt mithin nichts übrig, als eine spontane Entstehung j der einfachsten Organismen, aus denen sich alle vollkomraneren durch j allmählige Umbildung entwickelten, anzunehmen, eine Selbstformuug | oder Selbstgestaltung der Materie zum Organismus, welche gewöhnlich I Urzeugung oder Generatio spontauea (aequivoca) genannt wird. I III. Urzeugung oder Generatio spontanea. 4 Die ursprüngliche mechanische Entstehung oder die elternlose I Zeugung der einfachsten structurloseu Organismen, welche wir im j| folgenden Abschnitt als Selbstzeugung oder Autogonie näher betrachten | werden, ist nicht oder nur theilweis identisch mit den verschiedenen Arten der freiwilligen oder Urzeugung, welche unter dem Namen der Jjj Oeneratio spontanea, aequivoca, heterogenea, originaria, automatica, jj primitiva, primigenia, primaria etc. seit so langer Zeit und mit so viel j Interesse discutirt worden sind. Die Vorstellungen der verschiedeneu Naturforscher über jene Urzeugung sind im Allgemeinen sehr ver- ;»(• schieden, stimmen aber doch alle darin überein, dass durch jenen ( Process lebendige Wesen aus der nicht belebten (sogenannten „todten") j! Materie, durch deren innewohnende, ureigene Kraft, ohne Dazwischen- treten einer ausserhalb der Materie stehenden Schöpferkraft, hervor- ( i ■ > Organen handelndes Wirbelthier, vorgestellt, andererseits als ein gasförmiger, , , also organloser Körper (daher auch die Ausdrücke: Spiritus, Fneuma, Hauch ^ des Schöpfers, Blasen und Wehen seines Odems etc.). Wir gelangen somit zu $ der paradoxen Vorstellung eines gasförmigen Wirbelthieres, einer Oontradictio in f adjecto. Im Ganzen gilt von diesen wie von den meisten ähnlichen authropo- t morpheu Vorstellungen der schöpferischen Persönlichkeit das Umgekehrte von | dem, was die Priester sagen: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde." ' Es müsste vielmehr heissen: ,,Der Mensch schafft Gott nach seinem Bilde;" oder p wie es der Dichter in dem bekannten Spruche ausdrückt: „In seinen Göttern malet sich der Mensch!" III. Urzeugung oder Generatio spontauea. 175 geheu sollen. In diesem Sinne also können wir alle diese verschiede- nen Vorstellungen zusammen als Hjqjotlieseu von der Urzeugung (Geueratio spontauea) den so eben widerlegten Hypothesen von der Schöpfung (Creatio) gegenliberstellen. Wie nun alle die mannichfaltigen Schöpfung» -Hj^pothesen sich in drei verschiedene Gruppen bringen Hessen, die sich mehr oder weniger von der wissenschaftlichen Erkenntniss entfernen, so können wir auch die Adelfältigen IJrzeugungs- Hypothesen in drei verschiedene Gruppen bringen, welche sich mehr oder weniger der wissenschaftlichen Er- kenntniss nähern, und von denen wir nur eine einzige als die für uns unentbehrliche Hypothese auswählen können. Nach der einen Gruppe der Hypothesen sind von jeder Organismen- Art oder Speeles zu einer gewissen Zeit oder zu verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte eines oder mehrere Individuen spontan entstanden, als deren durch unmittelbare Fortpflanzung entstandene Nachkommen wir alle übrigen Individuen derselben „Speeles" anzusehen hätten, welche zu irgend einer Zeit der Erdgeschichte gelebt haben oder welche noch jetzt leben. Danach wären also z. B. alle einzelnen In- dividuen des Weinstocks, des Sperlings, des Menschen, welche jemals existirt haben, die unmittelbaren Nachkommen eines einzigen oder einer gewissen Zahl von Individuen des Weinstocks, des Sperlings, des Men- schen, welche entweder einmal (zu einer bestimmten Zeit) oder zu wiederholten Malen spontan entstanden sind. Diese Hypothesen-Gruppe (bei der es uns hier gleichgültig ist, ob diese Entstehung nur einmal stattfand oder sich mehrmals wiederholte, ob dabei nur ein oder zwei oder mehrere Individuen entstanden, ob diese ersten Individuen als Eier oder als Erwachsene entstanden etc.) schliesst sich am nächsten an die vorher erwähnte, am weitesten verbreitete Schöpf ungs- Vorstel- lung an, nach welcher von jeder Art ein Stammvater oder mehrere Ureltern geschaffen wurden; sie unterscheidet sich von jener Hypothese nur dadurch, dass an die Stelle des schöpferischen Planes oder Wil- lens die blinde Kraft der „todten" Materie tritt. Sie bedarf, wie jene, schon desshalb keiner Widerlegung, weil sie auf dem grundfalschen Dogma von der Constanz der Speeles fusst. Aber auch abgesehen hiervon, widerspricht die Vorstellung, dass so hoch organisirte und so ver- wickelt gebaute Organismen, wie es die höheren Thiere und Pflanzen sind, blos durch die Kraft nicht orgauisirter Materie unmittelbar ent- stehen können, so sehr den einfachsten Erkenntnissen und den be- kanntesten Thatsachen, dass sich diese Hypothese niemals eine allge- meüiere Anerkennung hat erringen können. Die zweite Gruppe der Urzeugungs-Hypothesen behauptet, dass aus vorhandener organischer Substanz, lediglich durch die organisirende Kraft derselben, niedere Organismen, Thier- und Pflanzen-Formen von 176 Schöpfung und Selbstzeugung. sehr einfacher Organisation, entstehen können. Hierher gehört die grosse Mehrzahl aller Vorstellungen, welche sich die Naturforscher der verschiedensten Zeiten über die Urzeugung gebildet haben. Schon Aristoteles behauptete, dass aus warmem Schlamme oder faulenden vegetabilischen Substanzen niedere Thiere (Würmer, Insecten etc.) ent- stünden. Als man später mit dem Mikroskop die Fülle von kleinen, dem blossen Auge unsichtbaren Organismen entdeckte, welche alle Ge- wässer bevölkern, nahm man für einen grossen Theil dieser kleineu Pflanzen und Thiere eine selbstständige Entstehung aus der zersetz- ten organischen Substanz an, welche von abgestorbenen Organismen geliefert wird und in allen Gewässern verbreitet ist. Diese Vorstellung von der Generatio aequivoca wurde um so mehr befestigt und ver- breitet, als man bald entdeckte, dass in allen Flüssigkeiten, welche durch Uebergiessung (Infusion) organischer Substanzen mit Wasser bereitet werden^ derartige niedere Thiere und Pflanzen gleichzeitig mit deren Zersetzung massenhaft entstehen (Infusorien, Rotatorien, An- guillulen, Pilze, Algen, vielerlei Pi'otisten). Vorzüglich wurde diese Generatio aequivoca für die Eingeweidewürmer und andere Organis- men angenommen, deren Entstehung an ihrem abgeschlossenen Wohn- orte auf dem Wege der gewöhulichen Zeugung man sich nicht erklären konnte. Als nun später die verwickelten und oft unter Wanderungen u. dgl. so versteckten Fortpflanzungsverhältnisse dieser Organismen entdeckt wurden, trat ein allgemeiner Rückschlag ein, indem man nun hieraus die homogene Fortpflanzung für alle Organismen deducirte und die Urzeugung für alle Organismen ohne Ausnahme bestritt. Die- ser Satz wurde so dogmatisch verallgemeinert, dass der „Glaube an die Generatio aequivoca" in den letzten Decennien fast allgemein für ein Kriterium einer unwissenschaftlichen biologischen Richtung galt. Wie einseitig dieser Rückschlag sich entwickelte, zeigen am deutlich- sten die lebhaften Streitigkeiten, welche in den letzten Jahren wiederum im Schoosse der französischen Akademie geführt wurden, und in denen Pouch et für, Pasteur gegen die Generatio aequivoca eintrat. Für die uns hier beschäftigende Frage yon der ersten Entstehung der organischen Wesen hat diese Form der sogenannten Generatio aequivoca, bei welcher sich gewisse niedere Organismen aus vorhan- dener organischer Substanz entwickeln, die von zersetzten Organis- men herrührt, gar kein Interesse oder doch nur einen ganz unterge- ordneten Werth.') Denn das Vorhandensein dieser organischen Sub- ') Als unsere rein subjective Ueberzeugung in dieser Frage wollen wir nur iiussprecheu, dass die Urzeugung oder Generatio aequivoca in diesem Sinne, wie sie von den allermeisten Naturforsclieru verstanden wird, uns durch alle bis- herigen Untersuchungen, durch alle die zahlreichen Beobachtungen und Experi- mente, keinesfalls widerlegt, aber auch noch nicht bewiesen erscheint. Wir III. Urzeugung oder Geueratio spontanea. 177 : stanzen , aus denen sich spontan Organismen entwickeln sollen , setzt ' bereits die Existenz anderer (abgestorbener) Organismen voraus und t erklärt uns also nicht die erste spontane Entstehung lebender Wesen. Abgesehen hiervon aber ist die Art und Weise, in welcher diese Frage ' von den meisten Autoren , sowohl Gegnern als Anhängern der Ur- zeugung discutirt worden ist, eine so unwissenschaftliche, dass wir hier . ganz darüber hinweg gehen können. Wenn wir noch beiläufig einen flüchtigen Blick auf die Art und Weise ' werfen, in welcher diese Generatio aequivoca von zahlreichen Naturforschern 1 untersucht und discutirt worden ist, so tritt uns hier, wie immer am deut- 1 liebsten in solchen allgemeinen Fragen, äusserst auffallend der grosse Mangel ( einer streng philosophischeu Methode entgegen, welchen wir oben eingehend ! gerügt haben. Der Mangel an allgemeiner üebersicht des Naturganzen uud . an philosophischer Erfassung desselben, die daraus hervorgehende Plan- Ilosigkeit und verkehrte Fragestellung an die Natur, die Inconsequenz der "1 TJntersuchungsmethoden und die. Fehlerhaftigkeit der Schlüsse — alle diese 1 Grundfehler einer falschen oder doch einer unvollkommenen Methode der . Naturerkenntniss treten hier, nur oberflächlich verdeckt durch eine scheiu- i bar vollkommen „exacte" Experimentalmethode, in so auffallendem Maasse I hervor, dass es uns nicht Wunder nimmt, wenn hier noch gar kein Resultat, I keine positive und keine negative Entscheidung, erreicht ist. Was die experimentelle Begründung oder Widerlegung dieser Generatio ! aequivoca betriff't, auf welche die „exacte" Schule der Neuzeit so grossen Werth legt, so müssen wir in erster Linie hervorheben, dass eine positive Widerlegung dieser Frage dadurch bisher nicht herbeigeführt, aber auch >gar nicht möglich ist. Denn was beweisen alle diese vielfachen und • wegen ihrer raffinirten Complication zum Theil so bewunderten Experimente I (z. B. von Pasteur und seinen Genossen) Anderes, als dass unter diesen ' oder jenen, äusserst complicirteu, künstlichen und unnatürlichen Bedingungen •eine mit Flüssigkeit infuudirte organische Substanz keine Organismen ge- : liefert hat? Kann dies irgend etwas Anderes beweisen, und was Ist mit diesem Beweise erreicht? Unserer Ansicht nach gar Nichts! Und wenn man diese künstlichen Experimente vertausendfachte^, wenn man wirklich Bedingungen herstellte, die den in der freien Natur vorkommenden ähnlicher wären, und wenn hier bei Anwendung aller Vorsichtsmassregeln niemals ' Organismen in der Infusion entständen, so würde damit eben immer nur ' der Beweis geliefert sein, dass unter diesen oder jenen ganz bestimmten Bedingungen keine Organismen in einer solchen Infusion entstehen. Nie- ( halten dieselbe als noch jetzt existirend für möglich und wahrscheinlich, jedoch ■ nur in dem ganz beschränkten Sinne, dass aus solcher nicht organisirten und homogenen organischen Substanz (die aus Zersetzung anderer Organismen her- vorgegangen ist) sich zunächst nur ganz einfache homogene Organismen oder iMoneren (Vibrionen, Protamoeben etc.) bilden können. Es würde diese Form der Urzeugung sich schon unmittelbar au diejenige arischliessen , welche wir als Autogonie sogleich besprechen werden. Haeckel, Generelle Morphologie. 178 Schöpfung und Selbstzeugiiug. mals aber wird dadurch der Beweis geliefert werden, dass eine solche Ge- neratio aequivoca unter keinen Bedingungen in der freien Natur möglich sei. Niemals wird sich dieselbe in dieser Weise- experimentell widerlegen lassen. Auf der anderen Seite müssen wir bemerken, dass uns durch die bis- herigen Experimente allerdings auch der positive Beweis f ü r diese Art der Urzeugung nicht geliefert zu sein scheint, und dass dieser überhaupt sehr schwer zu liefern sein wird. Denn es wird sehr schwer sein, diese Experi- mente so vollkommen rein anzustellen, als es die positive Beantwortung dieser Frage erfordern würde. Wir wissen positiv, dass überall Keime or- ganischer Wesen zerstreut sind (theils eingetrocknete Leiber entwickelter Individuen, z. B. von Infusorien, Räderthierclien, vielen Protisten und nie- deren Algen und Pilzen, theils Eier und Embryonen solcher Organismen), die, in Berührung mit Flüssigkeit gebracht, alsbald wieder zum Leben erwachen; wir wissen, dass jeder Windstoss Tausende solcher leichter Keime aus den austrocknenden Gewässern aufhebt, und überall mit sich herumführt; wir wissen, dass der Schmutz unserer Strassen, der Staub unserer Zimmer massenhaft solche Keime einschliesst und eiuschliessen muss, wir wissen, dass viele dieser Keime sowohl hohen Temperaturgraden, als auch zersetzenden Flüssigkeiten sehr lauge Widerstand leisten, ohne ihre Lebensfähigkeit zu verlieren, und es wird äusserst schwer sein, auch bei sorgfältigster Handhabung der Instrumente, jedwede Verunreiniguug mit diesen äusserst leichteu, feinen und mikroskopisch kleinen Keimen voll- ständig auszuschliessen, so vollständig, dass bei einem positiven Erfolge des Experiments jeder Zweifel an der absoluten Reinheit der Bedingungen verstummen muss. Weiterhin werden gewöhnlich als solche Organismen, welche in der- gleichen Infusionen entstehen, ganz kritiklos unter einander sehr einfache und sehr complicirt gebaute Organismen genannt, z. B. Vibrionen, Monaden, Rhizopodeu, Diatomeen, einzellige Algen, niedere Pilze, höhere Algen und Pilze, Würmer, Räderthierchen etc. Nun ist es aber klar, dass nur die Entstehung höchst einfacher und nicht hoch dififereuzirter Organismen auf diesem Wege denkbar ist und dass nur die geringe, mikroskopische Grösse, welche allen diesen, sonst so verschieden diflerenzirten „Infusions^-Organis- meu gemein ist, zu einer collectiven Zusammenfassung derselben verleitet hat. Wollte mau hier scharf und klar sehen, so müsste man die einzelnen Organismen aus so verschiedeneu Klassen und Organisationshöhen, welche auf diese Weise entstehen, alle einzeln hinsichtlich ihrer Existenz- uud Entstehungs-Bedingungen untersuchen, und würde dann finden, dass nur von den allerniedrigsten und einfachsten Organismen, entweder von den ganz homogenen und structurlosen Monea'en (Vibrionen, Protamoeben etc.) oder doch höchstens von solchen, deren Körper noch nicht die Höhe einer diflerenzirten Zelle erreicht hat, eine solche spontane Entstehung zu erwar- ten ist. Endlich aber, und dies ist hier vor Allem hervorzuheben, ist mit Con-^ statiruug der Thatsache wenig gewonnen, dass sich uiedere Organismen aus solchen organischen Substanzen entwickeln, welche von anderen, schon III. Urzeugung oder Generatio spontanea. 179 i dagewesenen Organismen herrühren. Hierdurch kann niemals die erste 1 Entstehung des Lebens auf der Erde erklärt werden. Die erste spontane I Entstehung jeuer einfachsten, homogenen Urwesen, aus denen sich alle übrigen durch Difl'erenzirung und natürliche Züchtung allmählig entwickelt i haben, lässt sich vielmehr einzig und allein durch eine dritte und letzte 1 XJrzeugungshvpothese erklären, welche den unmittelbaren Uebergang anorga- ii nischer Substanz in individualisirte organische Substanz behauptet, ein Pro- cess, der der Krystallisatiou der Anorgane durchaus analog ist. Diese Ur- i Zeugung, welche also von der gewöhnlich angenommenen Generatio aequi- 1 voca wesentlich verschieden ist, wollen wir als Selbstzeugung oder Autogonie ;]hier besonders in Erwägung ziehen. IV. Selbstzeugung oder Autogonie. Die Hypothese der Selbstzeugung oder Autogonie fordert, dass (die äusserst einfachen und vollkommen homogenen, sti-ucturlosen Or- iganismen (Moneren), Vielehe wir als die Stammformen aller übrigen, • durch Dififerenzirung daraus hervorgegangenen zu betrachten haben, I unmittelbar aus dem Zusammentritt von Stoffen der anorganischen Na- itur in ähnlicher Weise sich in einer Flüssigkeit gebildet haben, wie es 'bei der Bildimg von Krjstallen in der Mutterlauge der Fall ist. Von den so eben betrachteten Formen der Urzeugung oder • Generatio aequivoca (spontanea etc.) wie sie gewöhnlich vorgestellt lund besprochen werden, unterscheidet sich unsere Selbstzeugung oder .Autogonie wesentlich dadurch, dass dort organische Materien (compli- icirtere Kohlenstoff -Verbindungen), welche von zersetzten Organismen 'herrühren, hier dagegen nur sogenannte anorganische Materien (d. h. einfachere Verbindungen) vorausgesetzt werden, aus denen sich zu- machst verwickeitere Kohlenstoff-Verbindungen, und hieraus unmittel- Ibar organische Individuen einfachster Art (Moneren) hervorbildeten. Uns erscheint diese Annahme für das Verständniss der gesammten organischen Natur vollkommen unentbehrlich, weil sie die einzige grosse Lücke ausfüllt, welche bisher in der gesammten Entwickelungs- geschichte der Erde und ihrer Bewohner bisher noch bestanden hat. Wir müssen diese Hypothese als die unmittelbare Consequenz und als ' die noth wendigste Ergänzung der allgemein angenommenen Erdbil- ' duugs-Theorie von Kaut und Laplace hinstellen, und finden hierzu in ' der Gesammtheit der Naturerscheinungen eine so zwingende logische Noth wendigkeit, dass wir desshalb diese Deduction, die Vielen sehr - gewagt erscheinen wird, als unabweisbar bezeichnen müssen. Bekanntlich behauptet die Erdbildungs- Theorie, welche zuerst Kaut m seiner „allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" auf- stellte, und welche später (unabhängig von Kant) Laplace in seiner „Exposition du systöme du monde« ausführlich begründete, dass unser ge- 12* 180 Schöpfung und Selbstzeugung. saramter Erdkörper in früherer Zeit vermöge eines sehr hohen Hitzegrade sich in gasförmigem Aggregatzustande befunden habe, und dass dann diebu ungeheure Gasball, in Folge allmähliger Abkühlung, in den feurig-flüssige; Zustand übergegangen sei. Durch weitere Abgabe beträchtlicher Wärme massen an den kalten Weltraum erkaltete der feurig-flüssige Ball, welch* durch beständige Rotation um seine Axe die Sphaeroid-Form annahn: immer mehr und es ging zuletzt die Rinde desselben aus dem flüssigen i den festen Aggregatzustand über, während der von dieser Rinde umschlu- sene Kern in geschmolzenem Zustande im Innern zurückblieb. Erst nach- dem die Rinde der Erde sich bis zu einem solchen Grade abgekühlt hatte, dass der in der Atmosphäre ringsum suspendirte Wasserdarapf sich in tropfbar-flüssiger Form niederschlagen konnte, wurde die Erdrinde bewohn bar, wurde es möglich, dass belebte JN^aturkörper auf derselben auftraten, wurde es möglieh, dass Leben entstand. Diese Theorie der Erdbildung, welche von Kant und Laplace auf die einfachsten Gesetze der Anziehung und Abstossung der Materie zurück- geführt und dadurch- ebenso fest als einfach causal begründet wurde, stimmt mit allen unseren empirischen Kenntnissen, allen Erfahrungen vom Bau und von der Entwickelung der Erde so vollständig überein, dass sie von allen Naturforschern ausnahmslos angenommen ist. Nun folgt aber hieraus un- mittelbar als die erste, uothwendigste und für uns wichtigste Consequenz, dass das Leben auf der Erde zu irgend einer Zeit einen Anfang hatte, oder dass, mit anderen Worten, in irgend einem Zeitpunkt zum ersten Male anorganische Substanz in organische überging und sich zugleich in Form von Organismen individnalisirte. Diese Folgerung, welche wir hier als die unentbehrliche Hypothese von der Autogonie oder Selbst- zeugung näher fonnuliren und begründen wollen, erscheint uns so unab- weisbar noth wendig, dass wir dieselbe unbedingt annehmen müssen und uns zunächst nur zu verständigen haben werden über die mögliche Art und Weise dieses Processes und über die Natur der daraus hervorgegange- nen Organismen, über welche directe Erfahrungskenntnisse uns nicht zu Gebote stehen. Hier kommen wir nun zurück auf die wichtigen allgemeinen Resultate des vorhergehenden Kapitels, in welchem wir zu zeigen versucht haben, dass die Difl'erenz zwischen den Organismen und den Anorgauen nicht so gross, und vor Allem nicht so absolut ist, wie dies gewöhnlich hingestellt wird. Wie dort nachgewiesen wurde, unterscheiden sich die vollkommensten anorganischen Individuen, die Krystalle, von den unvollkommensten orga- nischen Individuen, den Moneren, wesentlich hinsichtlich ihrer stoft'lichen Zusammensetzung dadurch, dass die Atome der Elemente dort vorwiegend zu einfacheren („binären"), hier dagegen durch Einwirkung des Kohlen- stoffs zu sehr complicirfcen und leicht zersetzbaren Verbindungen vereinigt auftreten; und dass der Aggregatzustand der Materie dort ein fester, hier ein festflüssiger ist. Hieraus folgt dann unmittelbar, dass der Krystall nur durch Apposition von aussen wachsen, und also auch nur äusserlich sich anpassen und verändern kann, während das Moner durch Intnssuseeption nach innen hinein wachsen, und also auch innerlich sich anpassen und ver- IV. Selbstzengung oder Autogouie. 181 >;ändern kann. Zugleich folgt aus der complicirteren atomistischen Zusam- „imensetzung und der Inibibitionsfähigkeit auch der einfachsten organischen I Individuen, dass ihre Theilcheu beständig ihre gegenseitige Lage ändern .. können, was bei dem festen Krystall nicht möglich ist, nnd dass, wenn das organische Individuum über ein bestimmtes individuelles Maass hinaus ge- 1. wachsen ist, es sich in zwei Individuen theilcn, sich fortpflanzen kann, was i-bei dem festen Krystall ebenfalls nicht möglich ist. Zweifels ohne haben M'ir uns also den Akt" der Autogonie, der ersten -spontanen Entstehung einfachster Organismen ganz ähnlich zu denken, wie liden Akt der Krystallisation. In einer Flüssigkeit, welche die den Organis- nmus zusammensetzenden chemischen Elemente gelöst enthält, bilden sich in kYolge bestimmter Bewegungen der verschiedenen Moleküle gegen einander bestimmte Anziehungsmittelpunkte, in denen Atome der organogenen Ele- rmente (Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff) in so innige Berüh- rrung mit einander treten, dass sie sich zur Bildung complexer, „ternärer aund quaternärer" Moleküle vereinigen. Diese erste organische Atomgruppe, Tvielleicht ein Eiweiss-Molekül, wirkt nun, gleich dern^ analogen Kernkrystall, ^anziehend auf die gleichartigen Atome, welche in der umgebenden Mutter- I lauge gelöst sind, und welche nun gleichfalls zur Bildung gleii;her Moleküle Ezusammentreten. Hierdurch wächst das Eiweisskörnchen, und gestaltet sich izu einem homogenen organischen Individuum, einem structurlosen Moner roder Plasmaklumpen (einem isolirten Gymnocytoden) , gleich einer Protu- \moeba etc. Dieses Moner neigt, vermöge der leichten Zersetzbarkeit sei- jner Substanz, beständig zur Auflösung seiner eben erst consolidirten Indi- ividualität hin, vermag aber, indem die beständig überwiegende Aufnahme meuer Substanz vermöge der Imbibition (Ernährung) das Uebergewicht über idlc Zersetzungsneigung gewinnt, durch Stoffwechsel sieh am Leben zu er- ihalten. Das homogene organische Individuum oder Moner wächst nur so slange durch Intussusception, bis die Attractionskraft des Centrums nicht jmehr ausreicht, die ganze Masse zusammen zu halten. Es bilden sich, in IFolge der überwiegenden Divergenzbewegungen der Moleküle nach ver- -schiedenen Richtungen hin, nun in dem homogenen Plasma zwei oder meh- •rere neue Anziehungsmittelpuucte, die nun ihrerseits anziehend auf die in- dividuelle Substanz des einfachen Moneres wirken, und dadurch seine Thei- luug, seinen Zerfall in zwei oder mehrere Stücke herbeiführen (Fortpflanzung). 'Jedes Theilstück rundet sich alsbald wieder zu einem selbstständigeu Eiweissindividuura oder Plasmaklumpen ab und es beginnt nun das ewige "Spiel der Anziehung und Abstossung der Moleküle von Neuem, welches idie Erscheinungen des Stoffwechsels oder der Ernährung und der Fort- pflanzung vermittelt. Wir haben hier absichtlich den denkbar einfachsten Fall der Autogonie ■ eines Moneres hingestellt, welcher der Krystallisation eines Anorganes ofl'en- bar am nächsten steht; denn in beiden Fällen führen zur Bildung des in sich homogenen individuellen Naturkörpers molekulare Bewegungen inner- halb einer Flüssigkeit (organisches „Cytoblastem", anorganische y,Mutter- lauge"), welche die zur Bildung des Individuums unentbehrlichen Stofl"e gelöst enthält. In beiden Fällen entsteht, in Folge des Ueberwiegens bestimmter 182 Schöpfung und Selbstzeugang. Molekularbewegungen (Anziehungen und Abstossungen) über die anderen in der Bildungsflüssigkeifc ein Anzieliungsmittelpunkt (erstes Plasmaklümp- ehen, erster Krysfcallkern), welcher nun einfach anziehend auf die in der umgebenden Flüssigkeit gelösten gleichartigen Stoffe wirkt, und dieselben sowohl nöthigt, zu den complexen Molekülen zusammenzutreten , als auch ! den flüssigen Aggregatzustand zu verlassen. Hier nun tritt erst die Diffe- \ renz des organischen und des anorganischen Individuums hervor, indem das f erstere blos in den festflüssigen Ztstand übergeht, und dadurch die Imbi- bitionsfähigkeit und die damit verbundene Beweglichkeit der Moleküle erhält welche die Erscheinungen der Ernährung und Fortpflanzung ermöglicht' wogegen das anorganische Individuum in den festen Zustand übergeht, und nunmehr blos noch äusserlich sich verändern, durch Apposition von aussen wachsen kann. Fragen wir nun, wie wohl die ersten und denkbar einfachsten Orga- nismen beschaffen gewesen sein mögen, welche zuerst auf unserer erkalteten Erdrinde in dem eben erst aus der heissen Dampf - Atmosphäre durch die fortschreitende Abkühlung niedergeschlagenen TJrmeere sich gebildet haben, so können wir uns keine einfacheren organischen Individuen denken, als es die eben beschriebenen Moneren sind, vollkommen homogene Plasmaklum- pen, welche noch keine bestimmte Form besitzen, deren ganzer Körper nach allen Richtungen hin, vermöge der Bewegungen seiner leicht verschieb- baren Moleküle, seine äusseren Umrisse wechseln und formlose Fortsätze (Pseudopodien) ausstrecken kann, welche seine Ortsbewegung und Theilung vermitteln. Die Annahme der ersten spontanen Entstehung eines Organismus iu einer Bildungsflüssigkeit konnte früherhin nur so lange als undenkbar oder doch nur sehr schwer denkbar bezeichnet werden, als man solche einfache structurlose Organismen oder Moneren, wie die eben geschilderten sind, nicht kannte. Gegenwärtig kennen wir die Existenz dieser vollkommen homogenen und structurlosen Organismen, einfacher individualisirter Eiweiss- klumpeu, durch die Beobachtung. Wir kennen die durchaus homogene Protainoiiba, einen formlosen gleichartigen Plasmaklumpen ohne alle Ditterenzirung, welcher kurze, stumpfe, nicht verschmelzende Fortsätze (Pseudopodien) aus seiner eiw eissartigen Körpermasse vorstreckt und sich damit bewegt, und welcher sich, wenn er eine bestimmte Grösse durch Wachs- thujn erreicht hat, durch Theilung vermehrt. Wir kennen den viel grösseren Protoyenes priin ordialis und den Protogenes porrectns {Amoeba porrecta, Schnitze), rhizopodenartige formlose Organismen, deren ganz er Körper ebenfalls eine durchaus homogene Eiweissmasse repräsentirt, deren Peripherie in zahlreiche feine verschmelzende Fäden ausstrahlt, und die sich ebenfalls durch Theilung vermehren. Wir kennen ferner den äusser.^t wichtigen Rhizopoden-Stamm, die Klassen der Acj^ttarien und Radiolarieu, bei denen ein gleicher, einfacher, vollkommen structurloser Körper im Stande ist, durch Ausscheidung von kohlensaurem Kalk und von Kieselerde die mannichfaltigsten, complicirtesten und zierlichsten Skeletbildungen zu Stande zu bringen. Wir kennen endlich die Amoeben, einfache Protoplasten, welche sich nur durch den Besitz eines Kernes und einer coutractilen Blase IV. Selbstzeugung oder Antogonie. 183 yon den ganz homogenen Protaraooben unterscheiden ; und in den Arcelhden haben wir Anioeben, welelie trotz dieser Einlacliheit im Stande sind, sich eine complicirte Schale zu bilden. Sobald in diesen homogenen Plasma- klurapen, wie sie als Moneren isolirt leben, ein Kern auftritt, so ist aus der Cytode eine Zelle geworden, und wir werden dadurch in das weite Gebiet der zahlreichen einzelligen Organismen hinübergeführt, von denen aus nun die Entwickelung der complicirteren mehrzelligen Organismen auf dem Wege der Differenzirung und der natürlichen Züchtung keine Schwierigkeit mehr hat. Nach unserer Ansicht muss noth wendig der erste Ursprung, die spontan entstandene Stammform aller Organismen, welche jemals die Erde belebt haben und welche sie noch jetzt beleben, in solchen ein- fachsten Moneren gesucht werden, formlosen lebenden Eiweissklumpen von durchaus gleichartiger, homogener Beschaffenheit, gleich den Prot- amoeben und Protogeniden, aus denen sich erst später Zellen durch Difterenzirung von innerem Kern und äusserem Plasma entwickelt haben. Wie wir uns aus einem solchen ganz einfachen imbibi- tionsfähigen Eiweissklümpchen durch Differenzirung von Kern und Plasma und späterhin auch von Membran zunächst eine Urzelle, dann eine Hautzelle hervorgehend denken können, hat bereits Schwann so trefflich gezeigt, dass wir hier einfach auf seine allbekannte Theorie von der spontanen Zellenbildung innerhalb des Cytoblastems verweisen können. Wir nehmen also an, dass die ältesten, spontan entstandenen Or- ganismen, aus denen sich alle übrigen im Laufe der Zeit durch Diffe- renzirung und natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein ent- wickelt haben (gleich viel, ob es eins oder mehrere oder viele waren), solche vollkommen homogene, structurlose, formlose Eiweissklumpen oder Moneren, gleich einer Protamoeba waren, welche aus dem Urmeere durch Zusammenwirken rein physikalischer und chemischer Bedingungen, durch molekulare Bewegungen der Materie in ganz gleicher Weise entstanden, wie der Krystall in seiner Mutterlauge ent- steht. Rein physikalisch-chemische Ursachen mussten die Bildung einer quaternären Kohlenstoffverbindung, durch den Zusammentiitt von Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff (vielleicht auch noch Schwefel) bewirken, und diese Verbindung (welche wir aller Analogie nach als einen Eiweisskörper betrachten müssen) musste sich individua- lisiren, indem die Cohäsion ihrer imbibitionsfähigen Substanz nur bis zu einer gewissen Grenze das Wachsthum durch Assimilation gleicher Substanz (Ernährung) gestattete; sobald diese Grenze überschritten wurde, bildeten sich in dem durch ein Attractionscentrum zusammen gehaltenen Individuum zwei oder mehrere Attractionsceutra, welche nun die Ursache zum Zerfall des einen Individuums in mehrere, zu- Fortpflanzung wurden. Indem der Erblichkeit des Wesens, welche 184 Schöpfung und Selbstzeugung. durch diese unmittelbare Continuität der Materie von elterlichem und kindhchem Urorganismus bedingt wurde, andererseits die Einwirkung der äusseren Umgebung als Anpassung entgegen wirkte, indem das Moner im Laufe von Generationen sich demgemäss wirklich anpasste und differenzirte (z. B. eine festere Hülle ausschied, im Innern sich als Kern consolidirte etc.), wurde es entwickelungsfähig. Nachdem erst einmal durch Differenzirung von Plasma und Kern aus dem Moner aus dem homogenen Cytoden, eine Zelle geworden, war damit zugleich die Moghchkeit der organischen Entwickelung zu den unendlich mannichfaltigen Formen gegeben, von denen uns die empirische Beob- achtung noch jetzt handgreiflich zeigt, wie sie aus dem einzelligen Anfangszustande der allermeisten organischen Individuen im Laufe ihrer embryologischen Entwickelung in verhältnissmässig kurzer Zeit hervorgehen. Wir nehmen mithin ferner an, dass zellige Organismen, sowohl einzellige als mehrzellige, nicht spontan, durch Autogonie, entstanden, sondern vielmehr erst später, durch Differenzirung von Plasma und Kern, aus den wirklich autogonen Moneren sich hervorbildeten, aus den individualisirten formlosen Klumpen einer Eiweissverbindung, deren structurloser Körper noch keine Differenz des äusseren wasser- reicheren Plasma und des inneren festeren Kerns zeigte. Viele Ge- nerationen von Moneren, gleich den Protamoeben, mögen Jahrtausende lang das Urmeer, welches unsere abgekühlten Erdball (wahrscheinlich als eine vollständige Wasserhülle) umschloss, bevölkert haben, ehe die Differenzirung der äusseren Lebensbedingungen, denen sich diese homo- genen Urwesen anpassten, auch eine Differenzirung ihres eigenen gleichartigen Eiweiss-Leibes herbeifiihrte. Wahrscheinlich bildeten sich zunächst aus den einzelnen Moneren, indem das dichtere Centrum als Kern sich von der weniger dichten Peripherie des dünnflüssigeren Plasma trennte, zunächst nur einzellige Individuen. Vermuthlich erst viel später gingen aus diesen einzelligen Lebensformen mehrzellige hervor, indem die Theilung, durch welche sich die einzelligen Urwesen (Protisten) fortpflanzten, bisweilen unvollständig erfolgte, so dass die beiden oder mehreren Theilproducte des Individuums zusammenblie- ben, und somit einen ersten Individuenstook (Zellenstock) oder ein ein- fachstes Individuum zweiter Ordnung bildeten. Indem dann die ein- zelnen gleichartigen Zellen oder Individuen erster Ordnung, die in einem solchen Stock vereinigt waren (in ähnlicher Weise, wie bei sehr vielen niederen Algen) sich differenzirteu , und im Kampfe um das Dasein durch natürliche Züchtung vervollkommnet wurden, entwickel- ten sich daraus differente Zellenstöcke oder Individuen höherer Ordnung, welche nun ihrerseits wieder zur Bildung von Individuen nach höherer Ordnung zusammentreten konnten. Wie dieser Vorgang sich allmählig IV. Selbstzeupung oder Autogonie. 185 , gestaltet haben mag, werden wir weiter unten zu erklären versuchen. Theilweis zeigt es uns die Embryologie. Wir nehmen endlich an, dass alle jetzt lebenden Organismen- I Formen und alle, welche jemals die Erde bewohnt haben, die Nacb- i kommen einer geringen Anzahl A^erschiedener Moneren sind, und dass sjede der Hauptgruppen der Organismen -Welt, welche wir unter dem ; Namen Stamm oder Phylon als eine zusammengehörige genealogische ! Einheit aufstellen, einer besonderen Moneren-Art ihre Entstehung ver- . dankt. Wir nehmen also z. B. eine bestimmte Moneren-Art als die i gemeinsame Stammform aller Wirbelthiere an, eine andere als die ge- 1 meinsame Stammform aller Coelenteraten, eine andere als die gemein- ^same Stammform aller Diatomeen etc. Nach unserer Ansicht ist es idas Wahrscheinlichste, dass jeder dieser Hauptstämme oder Phylen • des Thier- und Pflanzenreichs sich aus einer eigenen Moneren-Stamm- iform entwickelt habe, (wofür unten die Gründe angeführt werden t sollen), wodurch wir jedoch keineswegs die Möglichkeit ausschliessen \ wollen, dass alle diese verschiedenen Moneren ihre Verschiedenheit t erst durch Differenzii-ung aus einer einzigen gemeinsamen Ur-Moneren- iform erlangt haben. Fragen wir nach der Verschiedenheit der ver- tschiedenen Moneren, so kann diese, da wir uns alle Moneren als (durchaus homogene und formlose Eiweiss-Individueu (Plasma-Klumpen) worstellen, nur gefunden werden in leichten Differenzen der chemischen ; Zusammensetzung, an denen ja gerade die Eiweisskörper, die allen ; analytischen Bemühungen der Chemiker so standhaft Trotz bieten, so f ausserordentlich reich sind. Vielleicht waren es ganz geringe Differenzen iiin den Mischungsverhältnissen der zusammensetzenden Grundstoffe, und Ii besonders des Kohlenstoffs, vielleicht unbedeutende Beimischungen von .^Schwefel oder von Phosphor, oder von verschiedenen Salzen (wie wir j^sie in so räthselhafter und unbestimmter Weise bei so vielen Eiweiss- Ikörpern vorfinden), welche die physiologischen Differenzen der ver- •schiedenen Moneren, und damit die Verschiedenheit der aus ihnen sich (entwickelnden Stämme bedingten, welche nachher als Stockpflanzen, |l Diatomeen, Rhizopoden, Coelenteraten, Wirbelthiere etc. so weit aus I'. einandergingen. Indem wir hier zum ersten Male den gewagten Versuch unternehmen, »eine Hypothese der Autogonie in ihren allgemeinsten Grundzügen aufzu- ■ stellen, sind wir uns der damit verbundenen Gefahren wohl bewusst, und i vermeiden es absichtlich, auf diesem noch gänzlich uubetretenen Gebiete der Naturerkenntniss unsere subjectiven Vorstellungen näher zu präeisiren. ^Wir sind aber zu diesem Versuche ebenso berechtigt als verpflichtet durch die mit unserem Erkenntnissvermögen unzertrennlich verbundene und be- ständig tief empfundene Nothwendigkeit, die weit klaffende Lücke, welche zwischen der allgemein angenommenen Erdbilduugs-Theorie von Kant und 186 Schöpfung und Selbstzeugung. Laplace und der ebenso sicher begründeten Entwickelungstheorie der Organismen von Lamarck und Darwin besteht, durch eine Hypothese auszufüllen, welche wenigstens den ersten Versuch macht, das uns bis jetzt bekannte werthvolle empiiische Material in dieser Richtung zu verwerthen. Vor Allem legen wir hier das grösste Gewicht auf die richtige Ver- werthung der einfachen niederen Organismen des Protisteu-Reiches, welche noch nicht einmal den Werth einer Zelle erreicht haben, und welche uns in der That entweder , . wie Protogenes und Protamoeba das noch jetzt existirende Bild eines vollkommen homogenen und structurlosen, nicht diflerenzirten Organismus vor Augen führen, oder, wie die Rhizopoden, das Bild eines Organismus, bei dem entweder der ganze Körper oder doch der grösste Theil desselben aus einem vollkommen homogenen Plasma besteht, und bei welchem trotzdem diese nicht differenzirte Eiweissmasse die Fähig- keit besitzt, die complicirtesten und regelmässigst geformten Skeletbildungen von Kalk- oder Kiesel-Erde auszuscheiden. Offenbar hat uns die Erkennt- niss dieser einfachsten Organismen, welche den letzten Decennien angehört, einen ungeheuer grossen Schritt weiter geführt in dem biologischen Ver- ständuiss des Natur -Ganzen und speciell in der causal- mechanischen Auf- fassung derjenigen Vorgänge, welche sich bisher am meisten dieser Auf- fassung entzogen, der Vorgänge der Selbstzeugung und Entwickelung. Für unsere subjective Auffassung hat die Annahme, dass sich in einem mit Kohlenstoff; Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff in verschiedeneu Verbindungen (z. B. als kohlensaures Ammoniak) geschwängerten und noch dazu mit Auflösungen verschiedener wichtiger (namentlich schwefelsaurer und salpetersaurer) Salze versetzten Wasser, durch Zusammentreten dieser Verbindungen zu Eiweissmolekülen spontan solche homogene Organismen, wie die Moneren, bilden können, keine Schwierigkeit. Doch wird sich diese Auffassung erst allgemeinere Geltung erwerben, wenn man anfangen wii-d, sich allgemeiner und eingehender mit diesen einfachsten und unvollkommen- sten Lebensformen zu beschäftigen, die in so auffallender Weise von allen diff'erenzirten Organismen abweichen und sich in mehrfacher Beziehung mehr den anorganischen Individuen nähern. Wir sind aber bisher immer so aus- schliesslich gewöhnt gewesen, nur den höheren und stark differenzirten Or- ganismen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, dass vor Allem eine allge- meinere und intensivere Erforschung dieser niedersten Lebenskreise, der verschiedenen Protisten- Gruppen etc. erfolgen muss, ehe sich die richtige Auffassung von der nothwendigen allmähligen Entwickelung der Organismen und der Entstehung ihrer Anfänge aus anorganischer Materie Bahn brechen wird. Jede irgendwie ins Einzelne eingehende Darstellung der Autogonie ist vorläufig schon deshalb gänzlich unstatthaft, weil wir uns durchaus keiue irgendwie befriedigende Vorstellung von dem ganz eigenthümlichen Zustande machen können, den unsere Erdoberfläche zur Zeit der ersten Entstehung der Organismen darbot, vielmehr alle sicheren Anhaltspunkte hierfür fehlen. Wahrscheinlich war die Erdoberfläche unseres Erdballes zu der Zeit, als sie soweit erkaltet war, dass sich Organismen auf ihr bilden konnten, ringsum von einem zusammenhängenden uferlosen Meere umgeben, Zonen- IV. Selbstzenguug oder Autogonie. 187 unterschiede noch nicht vorhanden. Von der Beschafifenheit jenes Urmeeres und der heissen, darüber ausgebreiteten, mit Kohlensäure und Wasser- dämpfen gesättigten Atmosphäre können wir uns aber gar keine bestimmte Vorstellung machen, wenn wir bedenken, dass die ungeheuren Mengen von Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff" und Stickstoff", die von der Steiukohlen- zeit an bis zur Gegenwart und wahrscheinlich schon lange vor der Stein- kohlenzeit an den Körper zahlloser Organismen gebunden waren, in jener Urzeit in ganz anderen, einfacheren Verbindungen neben einander existirten, oder ganz frei und ungebunden auf einander wirkten. Die ungeheuren Massen von Kohlensäure, von verschiedenen Kohlenwasserstoffen und von zahllosen anderen Kohlenstoff"-Verbiudungen, die damals zur Zeit der ersten Entstehung des Lebens theils gasförmig in der Atmosphäre verbreitet, theils in dem Urmeere aufgelöst oder auf dessen Boden niedergeschlagen gewesen sein müssen, gestatten uns durchaus keine sichere hypothetische Vorstellung von den Existenzbedingungen, unter denen sich die ersten ein- fachsten Organismen in jenem Urmeere bildeten. Nur so viel können wir mit Bestimmtheit sagen, dass die Beschaffenheit des Urmeeres und der Ur- atmosphäre zu jener Zeit sehr bedeutend verschieden von der jetzigen ge- wesen sein muss. Jedenfalls war die ganze , überall von dem Urmeere wie von einer zu- sammenhängenden Wasserhülle umgebene Erdrinde damals in jeder Be- ziehung (hinsichtlich der Erhebungen des Meeresbodens, der Temperatur etc.) noch äusserst einförmig beschaffen, und da somit die Existenzbedingungen in den verschiedenen Theilen des Meeres sehr wenig von einander werden verschieden gewesen sein, so ist zu vermuthen, dass, als die Temperatur so weit gesunken war, dass zum ersten Male lebensfähige Kohlenstoff- Ver- bindungen sich bilden konnten, diese sich auf der ganzen Erde in wenig ab- weichender Weise bildeten. Zahllose, nicht oder nur wenig verschiedene Moneren, gleich der Prot am o eh a, mögen damals gleichzeitig entstanden sein; und erst allmähüg, als die Lebensbedingungen sich differenzirten, als die Hebungen und Senkungen des Bodens an verschiedenen Stellen des Meeres locale Differenzen höheren Grades eintreten Hessen, werden sich mit den Lebensbedingungen auch die einfachsten spontan entstandenen Uj.'- organismen differenzirt und damit ein Kampf um das Dasein zwischen diesen Moneren entwickelt haben. Da wii- uns von der eigenthümlichen Beschaffenheit der jedenfalls von allen jetzt bestehenden sehr verschiedenen Lebensbedingungen, unter denen jene ersten Moneren im Urmeere spontan entstanden, durchaus keine sichere Vorstellung machen können, so lässt sich auch die Frage vorläufig nicht befriedigend erörtern, ob ähnliche Bedingungen auch später noch, bei weiterer Entwickelung der Erdrinde, an gewissen Stellen derselben fort- dauern konnten, und ob sie noch heute fortdauern. Wir können also auch nicht auf die Erage antworten, ob eine solche Autogonie, wie sie damals, unter jenen Bedingungen, mit absoluter Nothw endigkeit stattgefunden haben muss, sich lange Zeit fortsetzte und sich später wiederholte, ob sie vielleicht continuirlich fortdauerte und auch jetzt noch stattfindet. Expe- rimente sind in dieser Beziehung noch nicht angestellt, und durch die bis- 188 Schöpfung und Selbstzeugung. herigen Beobachtungen ist noch nichts bisher darüber erwiesen. Aus der Thatsache, dass solche einfachste, structurlose, homogene Organismen oder Moneren, vom morphologischen Werthe der einfachsten Gymnocytoden, auch jetzt noch lebend vorkommen, dass Massen von äusserst einfach gebildeten Protisten, die jenen am nächsten stehen (Protoplasten, Rhizopoden etc.) unsere Meere bevölkern, könnte man vielleicht schliessen, dass dieselben' auch jetzt noch entstehen, oder vielleicht periodisch, unter Eintritt bestimm- ter Bedingungen, sich autogon erzeugen. Dagegen lässt sich andererseits auch behaupten, dass diese noch lebenden Moneren und die anderen ein- fachsten Protisten die noch lebenden und wenig oder nicht veränderten Nachkommen einfacher Urwesen sind, die vor sehr langer Zeit sich durch Autogonie gebildet haben. Dass es immer stille einfache Stellen im Na- turhaushalte geben rauss, in denen auch solche einfachste Lebensfoi'men sich sehr lange Zeit unverändert fortpflanzen können, hat bereits Darwin nach- gewiesen.. Da wir nicht in der Lage sind, in dieser Beziehung irgend welche sichere Beweisgründe für oder gegen die Frage beizubringen, ob die Autogonie jetzt noch fortdauert und wie lange sie bestanden haben mag, so lassen wir diese Frage, die ohnehin für uns nur ein untergeordnetes Interesse hat, hier fallen, uud begnügen uns mit Constatirung der Noth- wendigkeit, dass der Beginn des Lebens auf der Erde, eine Autogonie von Moneren, aus denen erst später Zellen sich entwickelten, irgend einmal stattgefunden haben muss. Die Anhänger der Generatio aequivoca pflegen gewöhnlich, wenn sie die Natur der elternlos entstehenden Organismen erörtern, zu behaupten, dass dies einzellige Wesen sein müssten. Dagegen halten wir es für viel wahrscheinlicher, dass die einzelligen Wesen sich erst durch Differenzirung von innerem Kern uud äusserem Plasma aus den structurlosen Moneren hervorgebildet haben, und dass diese die wirklichen Autogonen sind. Die Gründe hierfür liegen in der Vergleiehung, welche wir oben zwischen diesen Moneren und den Kry stallen ausgeführt haben, und in welcher wir zu zeigen versuchten, wie die spontane Entstehung solcher homogenen, imbibitions- fähigen Eiweisskörper ganz analog der spontanen Entstehung von Krystallen in. der Mutterlauge zu denken sei. Nach unserer Hypothese sind demnach zuerst ausschliesslich vollkommen structurlose und homogene Plasmaklumpen, gleich den Protamoeben, im ürmeere entstanden; in diesen hat sich erst später eine Differenz von festerem Kern und weicherer Hülle gebildet, und noch später erst sind diese einfachen kernhaltigen Zellen zur Bildung mehr- zelliger Organismen zusammengetreten, aus denen sich dann alle höheren allmählig durch natürliche Zuchtwahl entwickelt haben. Die grösste Schwierigkeit in unserer Hypothese der Autogonie liegt darin, dass wir uns von den eigenthümlichen Existenzbedingungen, unter welchen im Urmeere die ersten Moneren entstanden, keine befriedigende Vorstellung machen können, und dass wir die damals stattgehabte spontane, freie Bildung von den zusammengesetzteren Kohlenstoß' -Yerbindungen uud insbesondere von den Eiweisskörpern, welche doch gegenwärtig als die activen Träger der eigentlichen „Lebensthätigkeiten" im engeren Sinne auf- treten, noch nicht beobachtet haben. Alle Eiweisskörper, sowie die meisten IV. Selbstzeugung oder Autogonie. 189 auderen verwickeltereu Kohlenstoff -Verbiuduugeu sind wir gewohnt, als innerhalb bestehender Organismen entstanden zu betrachten. Doch ist zu erwarten, dass sich unsere Anschauungen in diesem Punkte gewaltig ändern werden. Noch nicht lauge ist es her, dass man allgemein behauptete, dass sämmtliche sogenannte „organische" Verbindungen ausschliesslich innerhalb der Organismen (vermittelst der mystischen „Lebenskraft") erzeugt würden, und dass wir gänzlich unvermögeud seien, dergleichen Kohlenstoff- Verbiii- duijgen in unseren Laboratorien künstlich herzustellen. Als dann später (1828) Wöhler dieses Dogma zuerst widerlegte und aus cyansaurem Am- moniak zum ersten Male Harnstoff darstellte, galt dies lange Zeit für die einzige Ausnahme. Jetzt kemit man solche Ausnahmen in Masse, und man stellt nicht allein einfachere „organische" oder Kohlenstofi'-Verbindungen, sondern auch complicirtere, Alkohol, Ameisensäure etc., in unseren Labo- ratorien nach Belieben aus den Elementen auf rem „anorganischem" Wege her.') ') Wir heben das Schicksal dieses Dogma, welches so lange und allgemein im höchsten Ansehen stand, und die ganze Chemie beherrschte, und welches in Folge der neueren Erfahrungen allgemein verlassen ist, desshalb hier besonders hervor, weil wir dem Dogma von der Unmöglichkeit der Generatio spontanea (von welcher unsere Autogonie nur eine bestimmte Modification ist) mit Sicher- heit denselben letalen Ausgang prognosticiren- können. Bs wird hier die schon öfter beobachtete Erscheinung eintreten, dass mit dem definitiven Falle des einen Dogma zugleich eine ganze Eeihe von anderen zusammenstürzen, die mehr oder minder unlösbar mit ihm verkettet sind. Eine solche Kette von solidarisch ver- bundenen Dogmen bildeten im vierten und fünften Decennium unseres Jahrhun- ' dertsdie Lehren von der ausschliesslichen Erzeugung organischer Substanzen inner- halb des Organismus, die Lehre von der Lebenskraft, die Lehre von der Constanzder Speeles, die Lehre von der Unmöglichkeit der Partheuogenesis, die Lehre von der Unmöglichkeit der Urzeugung vmd viele Andere von mehr oder minder allgemeiner Be- tdeutung. Die meisten dieser Dogmen sind schon jetzt entweder völlig umgestossen, oder derart in ihren Fundamenten erschüttert, dass sie über Kurz oder Lang noth- wendig zusammenstürzen müssen. Ich persönlich bin ein um so entschiedenerer Feind dieser Dogmen und darf mich um so rücksichtsloser dagegen aussprechen, als ich selbst früher in denselben blind befangen war. Als treuer Schüler und aufrichtiger Bewunderer von Johannes Müller war ich von den Lehren meines . grossen Meisters so sehr eingenommen, dass ich auch der Macht seiner vitalisti- schen Vorurtheile mich nicht entziehen konnte, und die damit verbundenen ; Dogmen von der Constanz der Speeles , von der Nichtexistenz der Generatio aequivoca, von der zweckmässigen Wirksamkeit der gestaltenden Lebenskraft etc. vollständig theilte, ohne an ihrer Begründung zu zweifeln. In meiner Doctor- 1 Dissertation lautete die erste These , welche ich am 7. März 1857 gegen meinen 1 Freund E. OlaparJide öffentlich vertheidigte: „Formatio cellularum libera, et ; physiologica et pathologica, haud minus quam generatio animalium et plantarum spontanea rejicienda est." Um so eher wird man es mir verzeilion, wenn ich jetzt, in besserer kritischer Erkenntniss der Wahrheit, die mit jenen vitalistisch- teleologischen Dogmen verbundenen Vorurtheile als solche anerkenne, rücksichts- los bekämpfe und die monistische Naturerkenntniss als die einzig zum Ziele 190 Schöpfung und Selbstzeugung. Wenn die Chemie der KohleustoiT-Verbiudungen oder die sogenannte organische Chemie in demselben colossalen Maassstabe sich weiter ent- wickelt, wie dies in den letzten drei bis vier Decennien geschehen ist, dürfen wir hoffen, auch die complicirtesten Kohlenstoff- Verbindungen, und insbesondere die so labilen Eiweisskörper, in unseren Laboratorien auf rein anorganischem Wege künstlich herzustellen; und wenn es dann gelingen sollte, auch individualisirte Eiweissklumpen, gleich den Moneren, herzu- stellen, welche unter bestimmten Bedingungen sich (z. B. durch Aufnajime von Kohlensäure und Ammoniak) ernähren und sich durch Theilung fort- pflanzen können, so würde das Problem der Autogonie experimentell gelöst sein, und wir könnten dann weiter den Versuch machen, aus diesen künst- lich dargestellten Moneren durch künstliche Züchtung unter passenden Be- dingungen ebenso einzellige Organismen, und später vielleicht selbst mehr- zellige herzustellen, als sicher aus den ersten, im Urmeere spontan entstan- denen autogonen Moneren allmählig dui-ch natürliche Züchtung einzellige, und später aus diesen mehrzellige Organismen sich entwickelt haben müssen.^) führende mit aller Kraft vertheidige. Keine Irrthümer kann der nach Wahrheit strebende Mensch so stark und aufrichtig hassen, als diejenigen, in denen er selbst vorher befangen war; und man wird sich hieraus erklären, warum ich die in der organischen Morphologie noch herrschende dualistische Naturaufifassung, von welcher ich früher selbst geblendet war, jetzt als überwundenen Standpunkt auf das Entschiedenste bekämpfe. •) Da die monistischen Anschauungen, welche ich in diesem Oapitel zu ent- wickeln versucht habe, mit den hergebrachten dualistischen Vorstellungen über ,, spontane" organische Formbilduug nicht vereinbar sind und zunächst wenig Aussicht auf Beifall haben, so möchte ich zur Unterstützung derselben noch be- ' sonders auf die Anatomie und die Entwickelungsgeschichte derjenigen höchst einfachen und unvollkommenen Organismen verweisen, welche wir im nächsten Capitel als Protisten zusammenfassen werden, Eine der wichtigsten, aber am schwierigsten zu begreifenden Erscheinungen, auf welche wir immer wieder zu- rückkommen müssen, ist die Thatsache, dass ein formloser festflüssiger Eiweiss- klumpen, offenbar lediglich vermöge seiner specifischen atomistischen Constitution, die complicirtesten und regelmässigsten festen Formen hervorzubringen vermag; und doch können wir uns von dieser Thatsache au vielen Protisten, besonders den Khizöpoden, ganz bestimmt überzeugen. Die verwickelten und bestimmt ge- formten Kiesel- und Kalk-Skelete der Acyttarien und Radiolarien sind das un- mittelbare Product einer vollkommen formlosen Plasma-Masse, von deren fest- flüssigem Zustande uns das bekannte Phaenomen der Sarcode-Strömuug in jedem Augenblick den handgreiflichen Beweis liefert. Diese merkwürdigen Erschei- nungen werfen auf die formbildende Function des Plasma und der Piastiden überhaupt das bedeutendste Licht. Vergl. besonders den Abschnitt über das Wachsthum in meiner Monographie der Radiolarien. Berlin 1862. I. Ünterscheiduug von Thier und Pflanze. 191 Siebentes Capitel. Thiere und Pflanzen. „Wenn man Pflanzen und Thiere in ihrem unvollkommensten Zustande betrachtet, so sind sie kaum zu unterscheiden. So viel aber können wir sagen , dass die aus» einer kaum zu sondern- den Verwandtschaft als Pflanzen und Thiere nach und nach hervortretenden Geschöpfe nach zwei entgegengesetzten Seiten sich vervollkommnen, so dass die Pflanze sich zuletzt im Baume dauernd und starr, das Thier im Mensehen zur höchsten Beweglichkeit und Freiheit sich verherrlicht." Goethe (Jena, 1807). I. Unterscheidung von Thier und Pflanze. „Der wissenscliaftliclie Standpunkt unserer Anschauungen von der l)jrganisclien Natur hat sieh in keinem Verhältnisse jedesmal so treu \ ibgespiegelt; als da, wo es sich um Erörterung der Unterschiede han- llelt, welche zwischen Thier und Pflanze bestehen. Seit jener Zeit, als vor mehr denn hundert Jahren die Thiernatur der pflanzenartig- .estsitzenden, baumähnlich verästelten und blüthengleiche Individuen t ragenden Polypenstöcke kund ward, hat jede neue Forschung in diesem i Gebiete neue Theorieen zu Tage gebracht, von denen eine die andere verdrängte. " Diese Worte, mit denen Gegenbaur in seinen ausgezeichneten Ijrundztigen der vergleichenden Anatomie 1859 seine kritische Erörte- i-ung des Verhältnisses der Thiere zu den Pflanzen einleitete, bezeich- 'leu treffend den hohen Werth, den diese Erörterung sowohl in theo- cetischer als in praktischer Beziehung besitzt. Wir werden uns der- selben an diesem Orte um so weniger entziehen können, als die un- ichätzbare Erweiterung unseres biologischen Gesichtskreises, welche Oarwiu durch die causale Begründung der Descendenz- Theorie her- beigeführt hat, noch von keinem Biologen zur Lösung jener ebenso •ächwierigen als interessanten Frage benutzt worden ist. Wenn wir 194 Thiere uud Pflanzen. Willensbewegung) als bestimmend für die Natur der Gruppe naclizuweisen ; die Consequenzen dieser Anwendung für alle zweifelhaften Mittelformen wurden aber von ihnen nicht gezogen. Theils dieser mangelnden Conse- quenz, theils der ungenügenden Vergleicliung und unkritischen Wägung der unterscheidenden Charaetere, theils aber auch den im Gegenstaude selbst liegenden Hindernissen ist es zuzuschreiben, dass im gegenwärtigen Zeit- punkt eine Einigung über die Streitfrage nicht im Mindesten erzielt ist, dass vielmehr die Meinungen der einzelnen Systematiker über die Stellung der zweifelhaften Gruppen nicht weniger, als früher aus einander gehen. Nachdem die Unmöglichkeit, die gewöhnlieh in erster Linie benutzten physiologischen Kriterien der Empfindung und der willkührlichen Be- wegung zu einer absoluten Unterscheidung der Thiere und Pflanzen zu ver- werthen, hinreichend dargethan war, versuchte mau neuerdings die schärfer zu bestimmenden morphologischen Charaetere als entscheidende für die Definition der beiden Reiche zu benutzen. Insbesondere hob zuerst Gegen- baur hervor, dass in der feineren Structur des thierischen und pflanzlichen Lei- bes allgemeine Unterschiede zu finden seien, welche wenigstens eine scharfe Definition der beiden Reiche gestatten, und wir selbst haben späterhin diese Ansicht noch weiter entwickelt und durch neue Gründe zu stützen gesucht. Indess hat sich unsere Ansicht keine weitere Geltung erringen können, und man hat sie auch insofern missverstanden, als man glaubte, dass wir durch Aufstellung dieses Diflerentialcharacters eine absolute Differenz zwischen dem Thier- und Pflanzenreiche überhaupt zu begründen suchten, während wir doch nur eiue gleiche künstliche Definition der Gruppen zu geben wünschten, wie sie für jede grössere und kleinere Gruppe des Thier- und Pflanzenreichs zur praktischen Unterscheidung, und zur Begriffsbe- stimmuug unentbehrlich ist.') Für letzteren Zweck ist nun gewiss der vou uns besonders hervorgehobene Character sehr wichtig, dass bei den Pflanzen die Zelle allgemein eine weit grössere Selbstständigkeit behält, als bei den Thieren. Wir wollen indess auch auf diese Verhältnisse hier nicht weiter ein- gehen, da wir inzwischen zu der Ueberzeugung gelangt sind, dass sich die Frage nur von dem Standpunkte der Descendenz-Theorie aus naturgemäss beantworten lässt, und diese Beantwortung ist es, die wir hier zunächst versuchen wollen. Wir werden dabei zunächst die Bedeutung zu erwägen haben, welche die Eintheilung der Organismen in Thiere und Pflanzen, und die weitere Eintheilung derselben in Kreise, Klassen, Ordnungen uud an- dere untergeordnete Systemgruppen überhaupt besitzt. .') Sowohl Gegenb aar, als ich selbst, haben ausdrücklich erklärt, dass wir keine absolute Verschiedenheit zwischen Thier- und Pflauzen- Reich anerkennen, und dass wir den Versuch, ein morphologisches Unterschei- dungs-Merkmal aufzustellen, in demselben Sinne wie jede systematische Einthei- lung, d. h. als eme künstliche, aber praktisch unentbehrliche Greuzbestimmung ansehen und angesehen wissen wollen, so dass uns der mehrfach erhobene Vor- wurf nicht trifft, dogmatisch da eine absolute Grenze gesetzt zu haben, wo in der Natur keine vorhanden ist. II. Bedeutung der Systemgruppen. 195 II. Bedeutung der Systemgruppen. Die beiden Haiiptgruppeu oder „Reiche" der Organismen, Thiere und Pflanzen, pflegt man allgemein, wie im gewöhnlichen Leben so I auch in der biologischen Wissenschaft, als die beiden einzigen obersten, einander coordiuirten Hauptgruppen der Lebewesen zu betrachten, und diese Anschauung bat schon seit sehr langer Zeit ihren Ausdi-uck in dem allgemeinen wissenschaftlichen Bewusstsein dadurch gefunden, cüiss man Zoologie und Phytologie (Botanik) als die beiden coordiuir- ten Hauptzweige der Biologie betrachtet, sobald man als Eintheilungs- princip der letzteren die Verschiedenheit in der Organisation der Hauptgruppen benutzt. Es wird nun allgemein in den Systemen der classificirenden Bio- logen oder der Systematiker jedes der beiden Reiche wieder in Unterreiche oder Kreise (Subregna, Orbes, Typi) eingetheilt; diese zerfallen weiter in mehrere kleinere Abtheilungen, die Klassen; ebenso diese wieder in Ordnungen, die Ordnungen in Familien, die Familien in Gattungen; endlich setzen sich die Gattungen aus den einzelnen Arten (Speeles), Unterarten (Subspecies), Rassen, Varietäten oder Spiel- arten zusammen. Alle diese subordinirten Kategorieen des Systems sind künstliche Abstractionen, welche durch den Aehnlichkeitsgrad der verglichenen concreten organischen Individuen bestimmt werden. Mögen nun die künstlichen oder natürlichen Systeme noch so sehr von einander verschieden sein, und mag man in diesen Systemen viele oder wenige von solchen über einander geordneten Gruppen oder Kategorieen unterscheiden, immer stimmen sie doch alle darin Uberein, dass die allgemeinere und höhere Gruppenstufe oder Kategorie des Systems (z. B. die Klasse, Ordnung) einen entfernteren und weiteren Grad der Aehnlichkeit oder der „natürlichen Verwandtschaft" der dar- unter zusammengefassten Organismen bezeichnet, während die niedri- gere und beschränktere Gruppenstufe (z. B. Gattung, Art) einen näheren und engeren Grad der „natürlichen Verwandtschaft" ausdrücken soll. Was ist nun diese „natürliche Verwandtschaft" der Lebe- wesen? Sie ist nichts Anderes und kann nichts Anderes sein, als die wirkliche leibhaftige „ Blutsverwandtschaft der genealogische Zu- sammenhang der Organismen. Die Gesammtheit aller grossen Er- scheinungsreihen der organischen Natur weisst mit überwältigender Macht darauf hin, und die Descendenz-Theorie, welche dieselben zu- sammenfasst und aus dem genealogischen Gesichtspunkte einheitlich erklärt, liefert dafür den schlagenden Beweis, wie wir im sechsten Buche zeigen werden. Hier gehen wir von dieser bewiesenen Theorie aus und betrachten also allgemein den systematischen Divergenz- 13* 194 Thiere und Pflanzen. Willensbewegung) als bestimmend für die Natur der Gruppe nachzuweisen; die Consequenzen dieser Anwendung für alle zweifelhaften Mittelformen wurden aber von ihnen nicht gezogen. Theils dieser mangelnden Conse- queuz, theils der ungenügenden Yergleichung und unkritischen Wägung der unterscheidenden Charactere, theils aber auch den im Gegenstande selbst liegenden Hindernissen ist es zuzuschreiben, dass im gegenwärtigen Zeit- punkt eine Einigung über die Streitfrage nicht im Mindesten erzielt ist, dass vielmehr die Meinungen der einzelnen Systematiker über die Stellung der zweifelhaften Gruppen nicht weniger, als früher aus einander gehen. Nachdem die Unmöglichkeit, die gewöhnlich in erster Linie benutzten physiologischen Kriterien der Empfindung und der willkührlichen Be- wegung zu einer absoluten Unterscheidung der Thiere und Pflanzen zu ver- werthen, hinreichend dargethan war, versuchte man neuerdings die schärfer zu bestimmenden morphologischen Charactere als entscheidende für die Definition der beiden Reiche zu benutzen. Insbesondere hob zuerst Gegen- baur hervor, dass in der feineren Structur des thierischen und pflanzlichen Lei- bes allgemeine Unterschiede zu finden seien, welche wenigstens eine scharfe Definition der beiden Reiche gestatten, und wir selbst haben späterhin diese Ansicht noch weiter entwickelt und durch neue Gründe zu stützen gesucht. Indess hat sich unsere Ansicht keine weitere Geltung erringen können, und man hat sie auch insofern missverstanden, als mau glaubte, dass wir durch Aufstellung dieses Difi'erentialcharacters eine absolute Difierenz zwischen dem Thier- und Pflanzenreiche überhaupt zu begründen suchten, während wir doch nur eine gleiche künstliche Definition der Gruppen zu geben wünschten, wie sie für jede grössere und kleinere Gruppe des Thier- und Pflanzenreichs zur praktischen Unterscheidung, und zur Begriffsbe- stimmung unentbehrlich ist.') Für letzteren Zweck ist nun gewiss der von uns besonders hervorgehobene Character sehr wichtig, dass bei den Pflanzen die Zelle allgemein eine weit grössere Selbstständigkeit behält, als bei den Thieren. Wir wollen indess auch auf diese Verhältnisse hier nicht weiter ein- gehen, da wir inzwischen zu der Ueberzeugung gelangt sind, dass sich die Frage nur von dem Standpunkte der Descendenz-Theorie aus naturgemäss beantworten lässt, und diese Beantwortung ist es, die wir hier zunächst versuchen wollen. Wir werden dabei zunächst die Bedeutung zu erwägen haben, welche die Eintheilung der Organismen in Thiere und Pflanzen, und die weitere Eintheilung derselben in Kreise, Klassen, Ordnungen und an- dere untergeordnete Systeragruppen überhaupt besitzt. .') Sowohl Gegenbaur, als ich selbst, haben ausdrücklich erklärt, dass wir keine absolute Verschiedenheit zwischen Thier- und Pflauzen- Reich anerkennen, und dass wir den Versuch, ein morphologisches ünterschei- dungs-Merkmal aufzustellen, in demselben Sinne wie jede systematische Einthei- lung, d. h. als eine künstliche, aber praktisch unentbehrliche Greuzhestimmung ansehen und angesehen wissen wollen, so dass uns der mehrfach erhobeue Vor- wurf nicht trifft, dogmatisch da eine absolute Grenze gesetzt zu haben, wo in der Natur keine vorhanden ist. II. Bedeutung der Systemgi-uppen. 195 II. Bedeutung der Systemgruppen. Die beiden Hauptgvuppeu oder „Reiche" der Organismen, Thiere und Pflanzen, pflegt man allgemein, wie im gewöhnlichen Leben so auch in der biologischen Wissenschaft, als die beiden einzigen obersten, einander coordiuirten Hauptgruppen der Lebewesen zu betrachten, und diese Anschauung hat schon seit sehr langer Zeit ihren Ausdruck in dem allgemeinen wissenschaftlichen Bewusstsein dadurch gefunden, dass man Zoologie und Phytologie (Botanik) als die beiden coordiuir- ten Hauptzweige der Biologie beti-achtet, sobald man als Eintheilungs- princip der letzteren die Verschiedenheit in der Organisation der Hauptgruppen benutzt. Es wird nun allgemein in den Systemen der classificirenden Bio- logen oder der Systematik er jedes der beiden Reiche wieder in Unterreiche oder Kreise (Subregna, Orbes, Typi) eingetheilt; diese zerfallen weiter in mehrere kleinere Abtheilungen, die Klassen; ebenso diese wieder in Ordnungen, die Ordnungen in Familien, die Familien in Gattungen; endlich setzen sich die Gattungen aus den einzelnen Arten (Speeles), Unterarten (Subspecies), Rassen, Varietäten oder Spiel- arten zusammen. Alle diese subordinirten Kategorieen des Systems sind künstliche Abstractionen, welche durch den Aehnlichkeitsgrad der verglichenen concreten organischen Individuen bestimmt werden. Mögen nun die künstlichen oder natürlichen Systeme noch so sehr von einander verschieden sein, und mag man in diesen Systemen viele oder wenige von solchen über einander geordneten Gruppen oder Kategorieen unterscheiden, immer stimmen sie doch alle darin UbereiU; dass die allgemeinere und höhere Gruppenstufe oder Kategorie des Systems (z. B. die Klasse, Ordnung) einen entfernteren und weiteren Grad der Aehnlichkeit oder der „natürlichen Verwandtschaft" der dar- unter zusammengefassten Organismen bezeichnet, während die niedri- gere und beschränktere Gruppenstufe (z. B. Gattung, Art) einen näheren und engeren Grad der „natürlichen Verwandtschaft" ausdrücken soll. Was ist nun diese „natürliche Verwandtschaft" der Lebe- wesen? Sie ist nichts Anderes und kann nichts Anderes sein, als die wkliche leibhaftige „ Blutsverwandtschaft der genealogische Zu- sammenhang der Organismen. Die Gesammtheit aller grossen Er- scheinungsreihen der organischen Natur weisst mit überwältigender Macht darauf hin, und die Descendenz-Theorie, welche dieselben zu- saramenfasst und aus dem genealogischen Gesichtspunkte einheitlich erklärt, liefert dafür den schlagenden Beweis, wie wir im sechsten Buche zeigen werden. Hier gehen wir von dieser bewiesenen Theorie aus und betrachten also allgemein den systematischen Divergenz- 13* 196 Thiere und Pflanzen, grad zweier Organismen, d. Ii. den Grad des Abstands, den sie im System von einander liaben, als den Maassstab für iliren wirkliclieu genealogischen Divergenzgrad, d. h. den Grad des Abstandes, den sie von einander liinsielitlich ihrer gemeinsamen Abstammung von den gleichen Stammformen haben. Das natürliche System der Organismen ist für uns ihr natürlicher Stammbaum, ihre genealogische Verwandtschaftstafel. Zur Erkenntniss derselben gelangen wir, wie wir im fünften Buche zeigen werden, durch die Vergleichung der überaus wichtigen dreifachen parallelen Stufenfolge, welche uns überall die palaeontologische, die embryologische und die systematische Entwickelung der Organismen darbietet. Wie unten bewiesen werden wird, können wir auf diesem sicheren Wege die gemeinsame Entwickelung der divergentesten Organismen aus einer und derselben Stammform bis in die frühesten Zeiten hinauf verfolgen. Wir gelangen so z. B. zu dem äusserst wichtigen Resul- tate, dass alle Wirbelthicre , den Menschen nicht ausgeschlossen, von einer und derselben gemeinsamen Stammform entsprossen sind; das- selbe gilt von allen Coelenteraten , dasselbe von allen Echinodermen u. s. w. Kurz, wir gelangen auf dem bezeichneten Wege zu der Ueberzeugung, dass alle die unendlich mannichfaltigen organischen Formen, welche zu irgend einer Zeit auf der Erde gelebt haben, die äusserst differenzirte Nachkommenschaft von einer sehr geringen An- zahl von einfachen Stammformen sind; und aus den im vorigen Capitel angeführten Gründen können wir von der Natur dieser letzten ein- fachsten Urformen jedes Stammes aussagen, dass dieselben Organismen der allereinfachsten Art gewesen sein müssen, homogene, structurlose Urwesen, gleich der Protamoeba, und dem Protogenes^ Moneren, welche durch Autogonie entstanden waren. Dieselben stellten die organischen Individuen erster Ordnung (Piastiden) in der denkbar ein- fachsten Form dar, da ihr structurloser und formloser, in seiner ge- sararaten Eiweissmasse gleichartiger Plasmakörper noch keinerlei diffe- rente Theile besass. Erst ganz allraählig und langsam konnten sich aus diesen ersten Moneren, die sich durch Theilung fortpflanzten, diffe- renzirte, heterogene Formelemente entwickeln, welche sich bald durch Sonderung von festerer Hülle und weicherem Inhalt zu einer Lepo- cytode (gleich der kernlosen „Fadenzelle" eines Pilzes), bald durch Ditferenzirung von festerem Kern und weicherem Zellstoff zu einer Urzelle (gleich einer nackten Schwärmspore oder einer kernhaltigen Amoebe), bald durch Scheidung von Hülle, Kern und Plasma zu einer Hautzelle (gleich einer einzelligen Alge) gestalteten. Aus diesen ent- wickelte dann weiterhin die natürliche ZuchtAvahl im Kampfe um das Dasein die ganze reiche Mannichtaltigkeit der zahllosen Formen, die II. Bedeutung der Systemgruppon. 197 im Laufe von Milliarden von Jahren so äusserst divergenten Nach- kommen den Urspiting gegeben haben. Wenn diese Theorie wahr ist — und wir können nicht daran zweifeln — so wird nun zunächst mit Bezug auf die genetische Diffe- renz der Thiere und Pflanzen die wichtige Frage entstehen, ob alle Thicre und alle Pflanzen der Erde sich aus einem einzigen oder aus mehreren autogenen Moneren entwickelt haben, und wenn Letzteres der Fall ist, aus wie Vielen? Leider ist nun diese wichtige Frage nur mit einem sehr geringen Grade von Sicherheit hypothetisch zu beantworten. Auch die sorgfältigste Erwägung und Vergleichung aller bekannten Thatsachen liefert uns nur äusserst unvollständige Anhalts- punkte, und es ist überdies nicht die mindeste Hoffnung dazu vorhan- den, dass auch die wichtigsten palaeontologischen Entdeckungen, die uns noch vorbehalten sind, das tiefe Dunkel, welches über jener ältesten Periode des Moneren- Lebens auf der Erde schwebt, lichten und uns Uber dessen primitive . Entwickelung irgend etwas Sicheres verkünden werden. Denn es liegt in der äusserst einfachen Natur jener ersten autogonen Moneren, die wahrscheinlich gleich den noch jetzt lebenden Protamoeben mikroskopisch kleine und ganz weiche, höchst zerstörbare Plasmaklumpen gewesen sind, dass weder von ihnen selbst, noch von ihren nächsten Nachkommen irgend welche erkennbaren Spuren oder ßeste in dem sich ablagernden Schlamme des Urmeeres erhalten bleiben konnten. Erst nach Ablauf langer Zeiträume können sich aus ihnen allmählig vollkommenere und grössere Organismen mit härteren Theilen entwickelt haben, die im Stande waren, kenntliche Spuren im Sedimentgestein zu hinterlassen. Die einzigen positiven Erfahrungen, die uns in dieser Beziehung zu Hülfe kommen, sind die allgemeinen Resultate der embryologischen Entwickelung. Wir wissen, dass jeder Organismus während seiner Ontogenie eine Stufenfolge von niederen zu höheren Formen durch- läuft, welche der Phylogenie seines Stammes im Ganzen parallel läuft, und wir können also von den ersten Stadien der embryologischen auf die ersten Stadien der palaeontologischen Entwickelung durch Deduction zurückschliessen. Nun zeigt sich allerdings bei der Onto- genie der allermeisten Organismen als die erste Formstufe der indi- viduellen Entwickelung eine einzige einfache Plastide, gewöhnlich kernhaltig (als Zelle), seltener kernlos (als Cytode). *) Wir wissen ') Auch als die ersten Stammformen derjenigen (der meisten) Organismen, deren erste Embryonalstufe eine kernhaltige Plastide (Zelle) ist, können wir kernlose Plastiden ((jytoden) ansehen, da aller Wahrscheinlichkeit nach durch Autogonie keine Zellen, sondern bloss structurlose Moneren, also Cytoden ent- stehen können, aus denen erst später Zellen sich diEFerenziren. Die Erklärung dieser „Abkürzung der Entwickelung" siehe im fünften Buche. 198 Thiere und Pflanzen, auch, dass diese höchst einfachen Anfänge aller organischen Individuen ungleichartig sind, und dass äusserst geringe Differenzen in ihrer materiellen Zusammensetzung, in der Constitution ihrer Eiweiss-Ver- bindung genügen, um die folgenden Differenzen ihrer embryonalen Entwickelung zu bewirken. Denn sicher sind es nur äusserst geringe derartige Unterschiede, welche z. B. die erbliche Uebertraguug der individuellen väterlichen Eigenschaften durch die minimale Eiweiss- Quantität des Zoosperms auf die Nachkommen vermitteln. Aber auch bei der sorgfältigsten Untersuchung sind wir nicht im Staude, mit unseren äusserst rohen Hulfsmitteln 'die unendlich feinen Differenzen wirklich zu erkennen, um deren Constatirung es sich hier handelt. Wir können also schon hieraus schliessen, dass es uns, selbst wenn wir die Moneren, aus denen die verschiedenen Stämme des Thier-, und Pflanzen-Reiches entsprungen sind, neben einander vor uns hätten, ganz unmöglich sein würde, ihre primitiven Differenzen wahrzunehmen, und zu bestimmen, ob die einfachen Plasmaklumpen, welche den ver- schiedenen Stämmen des Thier- und Pflanzenreichs ihren Ursprung gegeben haben, ursprünglich gleich oder ungleich, ob sie alle autogou, oder ob sie bereits differenzirte, divergente Nachkommen einer einzigen autogonen Stammform gewesen sind. Im Ganzen scheint uns bei genauerer Erwägung diese Frage, welche wir nie sicher werden beantworten können, nicht von der grossen Wichtigkeit zu sein, welche sie im ersten Augenblick bean- spruchen möchte. Denn es ist unseres Erachtens für die wesentlichen Grundanschauungen der organischen Entwickelung ziemlich gleichgültig, ob in dem Urmeere zu der Zeit, als die erste Autogouie stattfand, an differenten Localitäten zahlreiche ursprünglich verschiedene Moneren oder aber viele gleichartige Moneren entstanden, welche sich erst nachträglich (durch geringe Veränderungen in der atomistischen Zu- sammensetzung des Eiweisses) differenzirten. Das Wichtigste ist und bleibt für uns die hypothetische Vorstellung, dass alle Organismen ihren ältesten Ursprung auf derartige einfachste, autogou entstandene Ur- wesen, auf homogene, structurlose Moneren zurückzuführen haben. HI. Ursprung des Thier- und Pflanzen -Reiches. Die vorstehend berührte hypothetische Frage nach der ursprüng- lichen Zahl der autogonen Moneren, welche niemals mit Sicherheit zu entscheiden sein wird, hat hier für uns nur insofern ein besonderes Interesse, als man daraus Schlüsse könnte ziehen wollen auf die ur- sprüngliche Differenz des Thier- und Pflanzenreichs. Es würde sich hier vielleicht zunächst die Auffassung bieten, dass ursprünglich zwei verschiedene Moneren- Arten durch Autogouie entstanden seien, von III. Urepruug des Thier- und Pflanzen-Reiches. 199 denen die eine als die älteste gemeinsame Stammform der Thiere, die andere als der gemeinsame Urstamm der Pflanzen zu betrachten ' sei. Wäre dieses der Fall, so würden Thier- und Pflanzenreich in der That zwei vollkommen selbstständige, von einander gesonderte Haupt- gruppen darstellen. Andererseits könnten wir uns denken, dass die ursprüngliche erste Autogonie nur eine einzige Moneren-Form producirt habe, aus welcher sich, wie aus einer gemeinsamen Wurzel, Thier- uud Pflanzenreich als zAvei verschiedene Stämme nach zwei divergiren- den Richtungen hin entwickelt haben. Endlich wäre daneben noch ; die dritte Möglichkeit übrig, dass mehr als zwei verschiedene autogene Moneren die ursprünglichen Stammformen aller Organismen seien, und in diesem Falle würde der Begriff des Thieres, oder der Pflanze, oder alle beide Begriffe, nicht der Ausdruck einer oder zweier continuirlich zusammenhängender Entwickelungsreihen , sondern ein Collectivbegriff für eine Summe von „ähnlichen" Stämmen sein; es entsteht dann auch - die Frage, ob wirklich alle Organismen sich unter einen dieser beiden ! .Begriffe subsumiren lassen, oder ob es daneben noch andere Lebe- wesen giebt, die wir weder Thiere noch Pflanzen nennen können. Wir müssen alle diese drei möglichen Fälle in Erwägung ziehen. Dabei bringen wir nochmals in Erinnerung, dass wir unter Moneren ausschliesslich die vollkommen homogenen und structurlosen Organis- men einfachster Art verstehen, formlose lebende Eiweissklumpen gleich den Protamoeben, welche sich ohne besondere Organe ernähren und durch Selbsttheilung fortpflanzen. Die verschiedenen „Arten" (Spe- eles) dieser Moneren können sich demgemäss selbstverständlich einzig und allein durch sehr geringe Difi"erenzen in der chemischen Consti- tution ihres Eiweisskörpers unterscheiden. Soviel verschiedene Moneren- Arten, soviel verschiedene Ei weiss -Verbindungen, als individuelle Ur- wesen lebend. Erster möglicher Fall: Es ist nur eine einzige Moneren- Art durch Autogonie entstanden. Alle Organismen ohne Aus- nahme sind die nach verschiedenen Richtungen hin entwickelten Nach- I kommen dieser einzigen Moneren-Art, sind Bestandtheile eines einzigen Phylon. In diesem Falle würde der Stammbaum aller Lebewesen sich unter dem Bilde eines einzigen grossen Baumes zusammenfassen lassen, aus dessen gemeinsamer Wurzel und Stammbasis zwei verschiedene Stämme oder Hauptzweige (Thier- und Pflanzenreich) nach zwei ver- schiedenen Richtungen ihre Krone getrieben haben, während die zwei- felhaften Zwischenformen den Wurzelschössliugen gleichen würden, welche tief unten aus dem gemeinsamen Stamme ihren Ursprung ge- nommen haben. Die übliche Eintheilung der Lebewesen in Thiere und Pflanzen würde dann eben so einen genealogischen Werth liaben, wie jede andere Gruppenbildung des natürlichen Systems; sie würde 200 Thicre und Pflanzen. den weitesten Di.vergenzg-ratl der BlutsverwandtBchaft bezeichnen. Dieser Fall ist nach unserer Ansicht nicht wahrscheinlich, da wir stärkere Veranlassung haben, eine Autogonie von mehr als einer ein- zigen Moneren -Art anzunehmen. Indessen ist er immer noch wahr- scheinlicher, als der folgende. Zweiter möglicher Fall: Es sind nur zwei verschiedene Moneren-Arten durch Autog oni e entstanden, eine vegetabi- lische und eine animalische. Alle Pflanzen ohne Ausnahme sind die nach verschiedenen Richtungen hin entwickelten Nachkommen der einen, der vegetabilischen, ebenso alle Thiere ohne Ausnahme die Nachkommen der anderen, der animalischen Moneren- Art. Hiernach wür- den alle Organismen entweder Thiere oder Pflanzen sein müssen, wie es der in der That herrschenden Anschauung am meisten entsprechen würde. Alle Lebewesen würden demnach Bestandtheile zweier voll- ) kommen selbstständiger Phyla'sein, und sich entweder dem einen oder dem andern unterordnen lassen. In diesem Falle würde die ) Stammtafel aller Organismen uns das Bild von zwei grossen, voll- kommen getrennten, und auch an der Wurzel nicht zusammenhängen- i den Bäumen darbieten, deren jeder sich aus seinem eigenen Samen- korn entwickelt und seine eigene Krone getrieben hat. Die niedrigen zweifelhaften Zwischenformen würden tief unten aus der Wurzel ent- weder des einen oder des anderen Baumes oder aber beider Bäume hervorgekommen sein. Die gewöhnliche Unterscheidung der Lebewesen in Thiere und Pflanzen würde in diesem Falle vollkommen der Natur \ entsprechen und die absolute Verschiedenheit der beiden Hauptgruppen richtig bezeichnen. Beide würden von Grund aus und durchweg ver- schieden sein. Dieser Fall entspricht zwar am meisten der gewöhn- lichen Naturauffassung, ist aber, wie wir glauben, der am meisten un- wahrscheinliche von allen drei Fällen. Dritter möglicher Fall: Es sind mehr als zwei verschie- dene Moneren-Arten durch Autogonie entstanden, welche mehr als zwei selbstständigen Organismen-Stämmen den Ursprung gegeben haben. Dieser Fall ist nach unserer Ansicht der bei weitem wahrscheinlichste von allen drei möglichen Fällen, und wir mlissen daher denselben einer besonders sorgfältigen Erwägung unterziehen. Wir glauben, dass für diesen Fall sowohl a posteriori die thatsächlich herrschenden Differenzen über die Abgrenzung des. Pflanzen- und Thier-Eeichs , und Uber die Stellung der zahlreichen zweifelhaften Mittelformen sprechen, als auch die Vorstellungen, welche wir uns auf Grund unserer geologischen Erkenntnisse a priori über die Vorgänge der Autogonie, über die Bedingungen, unter denen die ersten Organismen entstanden, machen können. Fassen wir alle diese Vorstellungen zusammen und vereinigen sie mit den allgemeinsten Resultaten der Morphogonie, so begünstigen sie weit mehr die An- III. Ursprung des Thier- und Pflanzen-Reiches. 201 nähme, dass eine g:vössere Anzahl von ursprlinglich (wenn auch nur wenig) verschiedenen Moneren-Arten durcli Autogonie entstanden sei, als die entgegengesetzte Hypothese, dass alle Organismen nur einer einzigen oder nur zwei ursprlinglich verschiedenen autogonen Moneren- Arten ihren Ursprung verdanken. Wenn wir uns, was allerdings ausserordentlich schwierig, unsicher und dunkel ist^ irgend eine Vorstellung über den Zustand unserer Erdrinde zu der Zeit zu bilden versuchen, als die erste Autogonie von Moneren stattfand, so werden doch wohl alle hierüber möglichen Vor- stellungen darin übereinstimmen, dass zu jener Zeit bereits an ver- schiedenen Orten verschiedene physikalisch - chemische Bedingungen tiir die Autogonie obwalteten, und dass mithin auch an ver- schiedenen Stellen in Folge dieser DilTerenzen verschiedene Moneren- Arten entstanden sein werden — Arten, welche, wie bemerkt, sich wahrscheinlich blos durch leichte Abweichungen in der chemischen Constitution ihres Plasmakörpers, ihrer individualisirien Eiweiss-Ver- bindung unterschieden haben werden. Auch wenn wir uns den ein- fachsten Zustand der erstarrten Erdrinde zu jener Zeit vorstellen, den Fall nämlich, dass die ganze Erdkugel ringsum gleichmässig von einer heissen Wasserhülle und darüber von einer dichten kohlensäurereichen Dampf hülle umgeben gewesen sei, so hat doch sicher schon die feste, allenthalben von dem Urmeere, wie von einer Wasserschale umgebene Eidi-inde in ihrer Oberflächenbildung keine absolute Gleichmässigkeit dargeboten. Die Risse und Sprünge, welche bei der Abkühlung der feurig-flüssigen Erdkugel in ihrer erstarrenden Rinde entstanden, haben vielmehr schon frühzeitig mannichfaltige Unebenheiten und Untiefen auf dem Boden des verschieden tiefen Urmeeres bedingt, Unebenheiten, welche durch das Hervorquellen neuer feurig-flüssiger Gesteinsmassen aus den Spalten der Rinde noch bedeutend vermehrt wurden, und, indem sie sich mehr und mehr steigerten, eine immer grössere Man- nichfaltigkeit in der physikalisch-chemischen Beschaffenheit verschiede- ner Stellen des Urmeeres hervorbrachten. Sehr frühzeitig und viel- leicht schon lange vor Eintritt der Autogonie wird die Tiefe des Urmeeres, seine Dichtigkeit, seine Temperatur, sein Salzgehalt, seine Schwängerung mit verschiedenen gelösten Substanzen an vielen Stellen eine sehr verschiedene gewesen sein, und es werden also vielfach ver- schiedene Bedingungen obgewaltet und auf die Autogonie eingewirkt haben. Wahrscheinlich sind also sehr zahlreiche, verschiedene Moneren- Arten autogon entstanden, alle darin übereinstimmend, dass sie die denkbar einfachste Organismenforra repräsentirten, nämlich vollkonnnen homogene, formlose und structurlose Eiweissklumpen, welche lebten (d. h. sich ernährten und durch Tiicilung fortpflanzten) und welche nur durch sehr geringe Diff"erenzen in der chemischen Constitution der Eiweiss-Vcrbindungen sich unterschieden. 202 Thiere und Pflanzen. Aber selbst in dem Falle, dass nur eine und dieselbe Moneren- Art, d. h. eine und dieselbe Eiweiss- Verbindung in individueller Form, an vielen Stellen des die Erdrinde umhüllenden Urmeeres gleichzeitig entstanden wäre, würden doch alsbald bei der Anpassungs - Fähigkeit der Moneren an die verschiedeneu Existenz- Bedingungen zahlreiche Differenzen bei den sich fortpflanzenden autogonen Moneren zu Stande gekommen sein, die zur Bildung vieler sehr verschiedener Moneren- „ Arten" geführt haben werden. Zudem ist es höchst wahrscheinlich, dass die Bedingungen, welche für den Eintritt der Autogonie nöthig waren, sehr lange Zeit hindurch ununterbrochen fortdauerten und dass demnach dieser Akt nicht nur einmal und an einer einzigen Stelle stattfand, sondern lange Perioden hindurch und an vielen Stellen des Urmeeres vor sich ging. Ist ja doch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die Autogonie seit ihrem ersten Eintritt ununterbrochen fortdauerte und auch gegenwärtig noch stattfindet. Wenigstens könnte dafür die fortdauernde Existenz von höchst einfachen Moneren (Protamoeba, Frotogenes) angeführt werden, die uns die denkbar einfachsten Formen jener Autogonen noch jetzt unmittelbar vor Augen führen. Alle diese Umstände und die darauf gegründeten Erwägungen bestimmen uns a priori zu der Annahme, dass zahlreiche, verschiedene Moneren-Arten unabhängig von einander im Urmeere entstanden sind, dass aber die meisten derselben im Kampfe um das Dasein nach den von DarAvin entwickelten Gesetzen wieder früher oder später unter- gegangen sein werden, während nur sehr wenige sich zu erhalten und zu formenreichen Phylen durch Differenzirung zu entwickeln ver- mocht haben. Es werden also jetzt nur noch verhältnissmässig wenige selbstständige, aus verschiedenen Moneren zu verschiedener Höhe ent- wickelte Stämme oder Phylen neben einander fortexistiren, während der bei weitem grösste Theil derselben schon wieder untergegangen ist. Nun stimmen in der That mit diesen a priori erlangten Annahmen die eigenthtimlichen Verhältnisse, welche uns a posteriori die Ver- gleichung der Thiere und Pflanzen und der zwischen ihnen mitten inne stehenden unbestimmten Organismen aufdeckt, ganz vortrefflich überein. Alle über diesen schwierigen Punkt geführten Streitigkeiten finden ihre Erledigung, sobald wir ■ annehmen, dass die zahlreichen Organismen, welche sich unmöglich ohne offenbaren Zwang entweder dem Thier- oder dem Pflanzenreiche einreihen lassen, mehreren selbst- ständigen Stämmen von Lebewesen angehören, die sich unabhängig von den Stämmen des Thier- und Pflanzeu-Keichs entwickelt haben. Wir finden in den bekannten Thatsachen durchaus keiue Nöthigung für die Annahme, dass alle Organismen-Stämme entweder Thiere oder Pflanzen sein müssen. Vielmehr müssen wir die bisher gültige exclu- sive Zweitheilung in Thier- und Pflanzenreich in dieser Beziehung für nicht begründet erachten. Es ist schon von verschiedenen Seiten dai-- III. Ursprung des Thier- und Pflanzen-Reiches. 203 auf aufmerksam geraaclit worden, dass es sowohl für die Zoologie als für die Botanik ein grosser Gewinn sein würde, wenn man die vielen zweifelhaften Lebewesen, die weder echte Thiere noch echte Pflanzen sind, in einem besonderen Mittelreiche oder Urwesenreiche vereinigen würde; doch hat unseres Wissens noch Niemand den Ver- such gemacht, ein solches neues Reich der ürwesen nach Inhalt und Umfang fest zu bestimmen, und seine Begrenzung wissenschaftlich zu begründen und zu rechtfertigen. Wir wagen hier diesen Versuch auf Grund der obigen Deductionen und schlagen vor, alle diejenigen selbstständigen Organismen -Stämme, welche weder dem Thier- noch dem Pflanzenreiche mit voller Sicherheit und ohne Widerspruch zuge- rechnet werden können, unter dem CoUectivnamen der P rotisten, ') Erstlinge oder Urwesen, zusammenzufassen. IV. Stämme der drei Reiche. Wenn unsere vorhergehenden Beti-achtungen richtig sind, und wenn wir mit Recht annehmen, dass die mannichfaltig entwickelten Gruppen der Organismenwelt mehr als zwei verschiedenen autogenen Mo- neren ihren Ursprung verdanken, und demnach mehr als zwei verschiedene Stämme oder Phylen darstellen; wenn wir ferner mit Recht diese ver- schiedenen, ganz von einander unabhängigen Phylen auf die drei Hauptgruppen oder Reiche der Thiere, Protisten und Pflanzen ver- theilen, so haben wir nun hier weiter die Frage zu beantworten, ob jede dieser drei Hauptgruppen aus einem oder aus mehreren, und im letzteren Falle aus wie vielen Stämmen oder Phylen sie besteht. Die Beti-achtungen, welche wir oben über die Bedingungen der Autogonie angestellt haben, im Verein mit einer allgemeinen Ver- gleichung der Verwandtschafts-Verhältnisse zwischen den sogenannten „Klassen" der organischen Reiche, scheinen uns zu der Annahme zu berechtigen, dass jedes der drei organischen Reiche aus mehre- ren Phylen zusammengesetzt ist. Am wenigsten zweifelhaft scheint uns dies für die Protisten zu sein. Dagegen Hesse sich einer- seits das Thierreich, andererseits das Pflanzenreich (namentlich das letztere) schon mit mehr Wahrscheinlichkeit als ein einziger Stamm auffassen, obwohl wir unsererseits mehr geneigt sind, auch hier mehrere selbstständige Stämme anzunehmen. Denn wenn wii' die palaeonto- logischen und embryologischen Entwickelungs-Reihen aller Organis- men vergleichend ins Auge fassen, uns einen umfassenden und all- seitigen Ueberblick über alle Organisations- Verhältnisse der drei Reiche zu gewinnen sti-eben, so werden Avir ebenso hinsichtlich des Thier- '■) TiQuinaioy, lo; das Allererste, Ursprüngliche. 204 Thiere und Pflanzen. reichs und des Pflanzenreichs, wie hinsichtlich des Protistenreiches zu der Ansicht hingeführt, dass jedes derselben eine Gruppe von mehreren, aus verschiedenen Moneren autogon entstandenen Stämmen darstelle. Offenbar ist diese Frage, obwohl bisher noch von Niemand in Angriff genommen, für die vergleichende Morphologie von der gröss- ten Wichtigkeit. Denn es handelt sich dabei um die endgültige Ent- scheidung, ob die auffallenden Aehnlichkeiten, welche wir zwischen den Stämmen jedes Reiches wahrnehmen (z. B. die Aehnlichkeiten zwischen den Wirbelthieren und Gliederthieren, oder zwischen den Nematophyten und Cormophyten), homologe, durch gemeinsame Ab- stammung erworbene, oder aber analoge, durch gleiche Anpassung entstanden sind. Wenn alle Organismen jedes der drei Reiche von einem und demselben autogonen Monere abstammen, wenn mithin je- des Reich einen einzigen Stannn darstellt, so können auch zwischen allen Gliedern des Stammes Homologieen existiren d. h. Aehnlichkeiten, welche auf der gemeinsamen Abstammung, auf der Vererbung von der gemeinsamen Stammibrm beruhen. Wenn dagegen jedes Reich aus mehreren Phylen besteht, die ganz unabhängig von einander aus verscliiedenen Moneren entstanden sind, so können auch alle Aehn- lichkeiten, welche sich etwa zwischen Gliedern verschiedener Stämme auffinden lassen, nur Anal ogieen sein, d. h. durch die ähnliche An- passung an ähnliche Existenzbedingungen erworben. Wenn z. B. alle Thiere Glieder eines einzigen Thier-Phylou sind und ihren gemeinsamen Ursprung auf eine einzige Moneren-Art zurückzuführen haben, so wird die Gliederung der Vertebraten und Articulaten, die Zusammensetzung ihres Rumpfes aus vielen hinter einander liegenden Metameren, auf Homologie beruhen; wenn dagegen das Thierreich aus mehreren Phylen besteht, und wenn Vertebraten und Articulaten zwei geti-ennte Phylen darstellen, so wird die ähnliche Gliederung ihres Rumpfes nur als Analogie aufzufassen sein. Offenbar ist aber dieser Unter- schied für die philosophische Morphologie von der äussersten Wich- tigkeit. Die Hülfsmittel, welche uns zur Lösung dieser eben so wichtigen als schwierigen Frage zu Gebote stehen, sind nun allerdings äusserst unvollkommen und unsicher. Wii- können dieselbe, "wie die vorher- gehenden Fragen, nur mit annähernder Wahrscheinlichkeit entschei- den, durch umsichtige Erwägung der vielfach verwickelten Bezie- hungen, welche uns die embryologische, palaeontologische und syste- matische Entwickelung und der lichtvolle Parallelismus dieser drei Entwickelungsreihen au die Hand giebt. Wenn wir nun, wie es im sechsten Buche eingehend geschehen wird, auf Grund dieser Er- wägungen möglichst sorgfältig und umsichtig Umfang und Zahl der IV. Stämme der drei Reiche. 205 Stämme zu bestimmen suchen, so kommen wir zu dem Resultate, dass jedes der drei Reiclie aus mehreren Stämmen besteht, deren jeder aus einer eigenthlimlichen Moneren- Art sich entwickelt hat. Zwar ist es möglich, dass diese verschiedenen Stämme doch noch an ihrer Wurzel zusammenhängen, d. h. dass die scheinbar selbstständigen Urformen der einzelnen Stämme durch Differenzirung einer einzigen autogonen Moneren-Art entstanden sind; allein wir besitzen keine hinreichenden Garantieen, um dies mit einiger Sicherheit bel>aupten zu können. Es scheint uns aber für unseren Gregenstand weit erspriesslicher, nur die genügend sicheren Pliylen als geschlossene Einheiten hinzustellen, als einen tieferen Zusammenhang derselben, und eine vielleicht nicht be- gründete Einheit ihrer Wurzel zu behaupten. So können wir also z. B. sämmtliche Wirbelthiere und ebenso sämmtliche Gliederthiere als Glieder eines einzigen Stammes mit aller Sicherheit hinstellen, und von einem Phylon der Vertebraten, einem Phylon der Articulaten spre- chen. Wir können aber nicht mit genügender Sicherheit von einem vereinten Phylon der Vertebraten und Articulaten sprechen, obwohl uns ihr primitiver Zusammenhang vielleicht wahrscheinlicli ist. Wir müssen daher bei Bestimmung desUmfangs und Inhalts der einzelnen Phylen in dieser Beziehung sehr vorsichtig sein, und ziehen es ent- schieden vor, lieber eine grössere Anzahl von Phylen anzunehmen, deren jeder uns sicher eine geschlossene Einheit von blutsverwandten Organismen darstellt, als eine geringere Anzahl von Stämmen, von denen vielleicht einer oder der andere selbst erst wieder aus mehreren ursprünglich getrennten Stämmen zusammengesetzt ist. Da wir im sechsten Buche unsere Auffassung und Begränzung der Organismen-Stämme ausführlich begründen werden, so begnügen wir uns hier mit einer einfachen Aufzählung derselben, und heben dazu nur Aviederholt und ausdrücklich folgenden wichtigen Grundsatz her- vor:. Jeder Stamm (Phylon) der Organismen-Welt umfasst sämmtliche jetzt noch existirende oder bereits ausgestor - bene Lebensformen, welche alle von einer und derselben autogonen Stammform ihre Herkunft ableiten. DieseStamm- form (autogones Urwesen) ist stets zu denken als ein voll- kommen structurloses und homogenes Moner, ein einfachstes organisches Individuum, ein lebender Klumpen einer Eiweissverbin- dung, der sich ernährte und durch Th eilung fortpflanzte, und aus welchem erst allmählig in vielen Fällen eine Zelle (durch Difteren- zirung von Kern und Plasma) und aus dieser (durcli Theilung) ein mehrzelliges Lebewesen sich entwickelt hat. Einige Phylen sind auf dem primitiven Urzustände des Moneres stehen geblieben, andere ha- ben sich zu einzelligen, andere zu mehrzelligen Organismen ent- wickelt. 206 Thiere und Pflanzen. Wenn wir nun von diesen festen Gresichtspunkten aus die Zahl der Stämme, die in jedem der drei organischen Reiche sich mit eini- ger Sicherheit unterscheiden lassen, bestimmen, so kommen wir zu folgendem System der Phylen: A. Thierreich: 1) Vertebrala (Pachycardia et Leptocardia). 2) Mollusca (Cephalota et Acephala). 3) Articiilata (Arthropoda, Vermes et Infusoria). 4) Echinodermata. iS) 'Coelenlerala. B. Protistenreich: 1) Spö?2g'iae (Porifera). 2) Nocti- lucae (Myxocystoda). • 3) Rhizopoda (Radiolaria, Actinosphaerida et Acyttaria). 4) Protoplasta (Arcellida, Amoebida et Gregarinae. 5) Mo- neres (Protamoebae, Protogenida et Vibriones). 6) Flagellaia. 7) Dia- toniea. 8. Myxomycetes (Mycetozoa). C. Pflanzenreich: 1) Phyco- phyta (Algae pro parte). 2) Characeae. 3) Nematophyta (Fungi et Lichenes). 4) Cormophißa (Phanerogamae omnes et Cryptogamae exclusis Nematophytis, Cbaraceis et Phycophytis). V. Characteristik der Stämme und Reiche. Da nach unserer Ausicht jedes der drei Organismen -Reiche aus mehreren Phylen besteht, so muss natürlich der systematische Werth, die classificatoriscbe Bedeutung der Reiche gänzlich von der der Stämme verschieden sein. Der Stamm ist eine natürliche Gruppe, eine concrete Einheit, das Reich dagegen eine künstliche Gruppe, eine abstracte Einheit. Alle Glieder und über einander geordneten Kate- o-orieen (Klasi>en, Ordnungen, Gattungen, Arten etc.) eines Stammes sind innerhalb desselben durch das continuirliche Band der gemein- samen Abstammung zu einem untrennbaren realen Ganzen verbunden, durch Homologie. Alle Stämme eines Reiches dagegen sind nur künst- lich durch gewisse Aehnlichkeiten zu einer idealen Einheit zusammen- o-estellt, durch Analogie. Daher hat denn auch der Versuch einer Characteristik oder dilTerentiellen Diagnostik einen ganz verschiedenen Werth bei den Reichen und bei den Stämmen. Wir werden leichter eine umfassende künstliche Diagnose der drei organischen Reiche, als eine erschöpfende natürliche Chai-acteristik der einzelnen Stämme geben können. Machen wir aber wirklich dazu den Versuch, so finden wir alsbald, dass sowohl jene als diese in absoluter Vollkommenheit nicht zu geben ist. Eine erschöpfende und alle Glieder (Kategorieen) des Stammes gleichmässig umfassende Characteristik eines Phylon ist ganz unmöglich. Zwar findet man in allen Lehrbüchern solche Definitionen oder Diagnosen der grossen Hauptpruppen, welche im Ganzen unseren Stämmen entsprechen, und diese Diagnosen haben oft den vollen Schein einer abgerundeten Definition. Auch ist es in der That nicht schwer, manche Phylen in dem Umfange, wie wir sie jetzt kennen, vortrefflich durch bestimmte und schai'f unter- V. Characteristik der Stämme und Reiche. 207 scheidende Merkuiale zu cLaracterisiren. So z. B. ist die Diagnose des Wirbelthier -Ötauimes, des Coelenterateu- Stammes etc. mit voller Schärfe und Sicherheit zu geben. Allein eine solche Diagnose ist nur möglich dadurch, dass man ausschliesslich die vollendeten Formen zusammenstellt und vergleicht, die werdenden und nicht entwickelten dagegen ausschliesst. Dies gilt ganz ebenso von der Definition der Stämme, wie von deijenigen der (xruppen innerhalb der Stänmie. Jeder wird uns dies zugeben, wenn er an die embryonale Entwickelung denkt. Es ist z. B. ganz unmöglich, die Embryonen von Vögeln und Keptilien bis zu einer gewissen Zeit ihrer Entwickelung zu unterschei- den, und doch setzt die Definition der vollendeten Formen beide Klas- sen scharf und vollständig von einander ab. Ebenso ist es ganz unmög- lich, die Eier und die ersten Entwickeluugszustände (z. B. die maul- beerförmigen Zellenhaufen, die aus der totalen Eifurchung hervorgehen) von Thieren verschiedener Klassen (z. B. Cephalophoren und Lamelli- branchien) zu unterscheiden; diese Unterscheidung ist selbst bei Ange- hörigen ganz verschiedener Stämme (z. B. Echinodermen und Mollus- ken) oft unmöglich. In noch viel höherem Maasse macht sich aber dieser Umstand geltend, wenn wir an die palaeontologische Entwicke- lung und an die continuirlich zusammenhängenden Stufenreihen von Formen denken, die aus einer und derselben gemeinsamen Wurzelform nach verschiedenen Eichtungen hin sich divergent entwickeln. Da hier liberall eine unendliche Menge verbindender Zwischenglieder ganz allmählig von einer Form in die andere hinüberleitet und da auch die höchst entwickelten und scharf ausgebildeten Endglieder der Ent- wickelungsreihen durch eine ununterbrochene Stufenfolge mit den nie- dersten und einfachsten Moneren,, den gemeinsamen autogonen Stamm- formen, continuirlich zusammenhängen, so ist es geradezu unmöglich, sowohl die einzelnen Glieder (Kategorieen) eines Stammes durch eine scharfe Definition zu unterscheiden, als auch den ganzen Stamm durch eine auf alle seine Glieder passende und auf kein Glied eines ande- ren Stammes passende Diagnose zu characterisiren. Wenn dies den- noch häufig möglich zu sein scheint, wenn wir z. B. die drei Klassen der Säuger, Vögel und Reptilien durch scharfe Diagnosen trennen, wenn wir den Stamm der Wirbelthiere scharf characterisiren, so ist dies blos dadurch möglich, dass wir ausschliesslich die höchst ent- wickelten und ausgebildeten Formen vergleichen und die zahllosen embryologischen und palaeontologischen Entwickeluugszustände gänz- lich vernachlässigen. So z. B. können wir die drei Ordnungen der Hufthiere (Pachydei-men, Pferde und Wiederkäuer) in der Jetztwelt sehr scharf von einander trennen; es ist dies aber ganz unmöglich, wenn wir ihre früheren Embryonal-Zustände, oder auch wenn wir nur ihre ausgestorbenen Blutsverwandten der Tertiärzeit mit in den Kreis 208 Thiere uud Pflanzen. der Betrachtung bin einziehen, welche theils die gemeinsamen Stamm- formen, theils die unmittelbaren Zwischenglieder zwischen denselben dar- stellen. Nur desshalb können wir scharf den Stamm der Wirbelthiere von den übrigen thierischen Phylen trennen, weil wir von ihnen nur die hoch entwickelten Formen der Fische, Amphibien und der allan- toiden Vertebraten kennen, während uns alle ihre einfacher gebauten Vorfahren und die zahllosen niedrigeren Vertebraten, von denen uns blos der einzige Ainphioxus eine Ahnung zu geben vermag, ganz un- bekannt sind. Und doch muss sich auch der Stamm der Wirbelthiere, ebenso wie der der Articulaten, aus einem autogonen, einer Prota- moeba ähnlichen Monere allmählig entwickelt haben, wie uns schon ihre gemeinsame embryonale Entwickelung aus einem einfachen Eie beweisst. Jeder Stamm muss sich aus einem solchen einfachsten Mo- nere allmählig stufenweis emporgehoben haben, muss also auch zahl- reiche, höchst unvollkommene „Speeles" innerhalb seines Formenkreises einschliessen, welche nur als einfachste Individuen erster Ordnung, als Piastiden (erst Cytodeu, später Zellen) existirt und sich längere Zeit hindurch auch als solche fortgepflanzt haben, ehe sich aus ihnen im Kampfe um das Dasein höhere Organismen entwickelten. Wir können also zu einer differentiellen Diagnose jedes Phylon, zu einer wirklich characteristischen Definition jedes Stammbegriffs nur dadurch künstlicii gelangen, dass wir die höchst entwickelten Formen allein berücksichtigen und die unvollkomnineren und indifferenten embryonalen und palacontologischcn Entwickelungsformen ausschliessen. Ganz ebenso unmöglich, als eine scharfe Unterscheidung und eine vollständige Characteristik der einzelnen Stämme, ist auch eine voll- kommen scharfe Diagnose und eine alle Glieder jedes Kelches um- fassende Delinition der drei Reiche, deren jedes wieder aus mehreren Stämmen besteht. Da jedoch der Begriff des Reiches nicht, wie der des Stammes, einer realen Einheit entspricht, sondern blos ein künst- licher Collectivbegriff ist, und sich auf eine Anzahl von Analogieen, von Aehnlichkeiten stützt, die mehrere selbstständige Stämme unter sich zeigen , so brauchen wir in der Diagnose der Reiche bloss diese, allen Stämmen eines Reiches und allen Stämmen der anderen Reiche abgehenden Eigenthümliclikeiten hervorzuheben, um sie von einander künstlich zu unterscheiden. Natürlich werden auch hier nur die aus- gebildeteren Formen berücksichtigt werden können, welche jene Unter- schiede deutlich zeigen, da wir keine Mittel besitzen, die niedersten und einfachsten Formen, die frühesten embryologischen und palacon- tologischcn Entwickelungsstufen (ebenso der einzelnen Reiche, Avie der einzelnen Stämme) von einander zu unterscheiden. Es wird also auch diese Diagnose der Reiche eine durchaus künsthche und mangelhafte sein, gleich allen anderen Diagnosen des Systems. Da wir aber diese V. Characteriatik der Stämme und Reiche. 209 Diagnosen nicht entbehren können, und da wir in der wissenschaft- lichen Praxis überall die einzelnen Gruppen (Klassen, Arten etc.) scharf trennen und durch Namen unterscheiden müssen, obwohl wir wissen, dass sie durch unmerkliche Zwischenformen zusammenhängen, so wollen wir auch hier den schwierigen und gefährlichen vorläufigen Versuch wagen, eine künstliche und möglichst (!) scharfe Characteristik der drei Reiche, unter vorwiegender Berücksichtigung der vollkomme- neren, am meisten ausgebildeten Formen aufzustellen. VI. Gharacter des Thierreiches. Fünf Siümme des niierreiclies : 1. Vertebrata (Pachycardia et Leptocardia). 2. Mollusca (Cephalota et Acephala). 3. Articulata (Arthropoda, Ver- mes et infusoria). 4. Echlnodermata. 5. Coelenterata. VI. A. Chemischer Character des Thierreiches. Aa. Character der chemischen Substrate der Thiere. Die wichtigsten Substanzen des Thierkörpers (vor Allen das Plasma oder Protoplasma der Piastiden) sind Eiweiss-Verbindungen (Albuminate), durch deren Thätigkeit die meisten anderen Verbin- dungen des Thierleibes mittelbar oder unmittelbar erzeugt werden. Die Eiweisskörper der Thiere treten in zahlreichen noch sehr unbe- kannten Modificationen auf, von denen die wichtigsten das Thiereiweiss (das beim Erhitzen in Flocken gerinnende Albuminat der Eier, des Blutserum, des Muskelsaftes), der Thierfaserstoff (Blutfibrin, Muskel- syntonin etc.) und der Thierkäsestoff (Casein der Milch etc.) sind. Aus den Eiweiss-Verbindungen der Thierkörper gehen stickstoffhaltige, meist sauerstoffreichere und kohlenstoffärmere Eiweiss-Derivate her- vor, welche besonders als Zellenausscheidungen, als Cuticularbildungen und als Intercellularsubstanzen, eine grosse Eolle spielen, und welche auch von vielen Protisten, dagegen von den Pflanzen sehr selten, viel- leicht nie erzeugt werden: Hornsubstanz (der Epithelialgewebe), leim- gebende Substanz (der Bindegewebe), elastische Substanz und die nah- verwandte Substanz der Membranen der meisten thierischen Zellen; ferner die vieleriei Modificationen des Chitins und der verwandten Substanzen (Fibroin, Conchiolin etc.). Ebenso sind die Thiere aus- gezeichnet durch die Erzeugung von stickstoffhaltigen Säuren (Harnsäure, Hippursäure, Inosinsäure etc.), welche den Pflanzen feh- len, wogegen die stickstofffreien Säuren hier eine sehr viel geringere Verbreitung und Bedeutung, als bei den Pflanzen haben. Die stick- stoffhaltigen Basen der Thiere (Harnstofl", Kreatin, Leucin etc.) sind schwach alkalisch und fast von constanter Zusammensetzung, Haeckel, Generelle Morphologie. -lA 210 Thiere und Pflanzen. umgekelirt wie bei den Pflanzen. Der wichtigste i Farbstoff der Pflan- zen, das Chlorophyll, kommt in den Thiereu nur sehr selten vor (z. B. bei Ste7itoi\ bei Hydra viridis, einigen Turbellarien, Bonellia etc.). Fette kommen in allen Thieren vor. Die stickstofffreien Verbindungen aus der Gruppe der Kohlenhydrate, welche bei den Pflanzen als Cellulose, Stärke, Gummi, Zucker etc. eine so hervorragende Rolle spielen, kommen in den Thieren nur selten vor (Cellulose im Mantel der Tunicaten); nur der Zucker (Milchzucker, Traubenzucker) ist häufig. Während diese Kohlenhydrate, vor Allen die Cellulose, im Pflanzen- körper die eigentlich skeletbildenden Substanzen sind, finden wir da- gegen im Körper der meisten Thiere Skelete aus anorganischen, d. h. nicht kohlenstoffhaltigen Verbindungen, gebildet, insbesondere aus Kalksalzen; bei den Wirbelthieren überwiegt der phosphorsaure, bei den Wirbellosen der kohlensaure Kalk, der oft den grössten Theil des Körpers bildet (Authozoen). Im Allgemeinen treten diese und andere Salze (insbesondere der Alkalien und alkalischen Erden, Kochsalz etc.) im Thierkörper in constanteren Mengenverhältnissen auf und können sich weniger substituiren, als dies bei den Pflanzen der Fall ist. Ab. Character der chemischen Processe der Thiere. Der wesentliche Character der chemischen Processe, welche im Thierkörper vor sich gehen, beruht auf Analyse und Oxydation zu- sammengesetzter Verbindungen, und lässt sich in den wenigen Worten zusammenfassen: Das Thier ist ein Oxydations-Organismus. Das Thierlebeu im Grossen und Ganzen ist ein Oxydations-Process. Die Thiere bilden aus den verwickelten „organischen" oder Kohlenstoff- Verbindungen (Albuminaten, Fetten etc.), welche sie aus den Pflanzen als Nahrung aufnehmen, durch Analyse und Oxydation die ein- facheren „anorganischen" Verbindungen (Kohlensäure, Wasser und Ammoniak), welche wiederum den Pflanzen zur Nahrung dienen. Doch kommen im Einzelnen daneben auch vielfach synthetische und Reduc- tious-Processe vor. VI. B. Morphologischer Character des Thierreiches. Ba. Character der thieriachen Individualitäten. Der wesentliche tectologische Character der Thiere liegt so- wohl in der verwickeiteren Zusammensetzung des Thierleibes aus weit differenzirten Individuen verschiedener Ordnung, als auch besonders m der verschiedenartigsten Ausbildung der Individuen zweiter Ordnung, der Organe, welche viel mannichfaltiger, als bei den Pflanzen und Protisten, differenzirt und polymorph sind. Die Piastiden, die Indi- viduen erster Ordnung, sind bei den Thieren allermeist Zel en, und zwar meistens Nacktzellen (ohne Membran), weniger Hautzellen (mit VI. Character des Tliie'rreiches. 211 Membran). Sehr häufig, und allgemein in den entwickelten Personen, vereinigen sich bei den Thieren mehrere Nacktzellen zur Bildung von Zellstöcken (Nervenfasern, Muskelfasern), was bei den Pflanzen nur bei der Bildung der Milchsaftgefässe und der Spiralgefässe geschieht. Daher verliert bei den Thieren stets wenigstens ein Theil der Zellen ihre individuelle Selbstständigkeit, während sie dieselbe in den Pflan- zen meist behalten. Ueberhaupt erreicht die Entwickelung der „Ge- webe" durch Difiterenzirung der Zellen bei den Thieren einen weit höhereu Grad, als bei den Protisten und Pflanzen. Bei allen ent- wickelten Thieren kann man vier Gruppen von Geweben unter- scheiden: I. Epithelialgewebe, II. Bindegewebe, III. Muskelgewebe, IV. Nervengewebe. Die Organe der Thiere sind, entsprechend ihren mannichfaltigen Functionen, äusserst mannichfaltig entwickelt. Es lassen sich bei allen entwickelten Thieren in morphologischer Hinsicht zahl- reiche verschiedene, und in physiologischer Hinsicht allgemein vier Gruppen von Organen unterscheiden: 1. Ernährungs-Organe (Werk- zeuge der Verdauung, Circulation, Respiration), IL Fortpflanzungs- Orgaue (Geschlechts-Werkzeuge), IH. Locomotions- oder Bewegungs- Organe (Muskeln), IV. Beziehungs- Organe oder Nerven (Organe der Sinnesempfindung, der Willensbewegung und des Denkens). Die In- dividualitäten sechster Ordnung, welche bei den Pflanzen als Stöcke (Cormi) so allgemein und hoch entwickelt sind, ti-eten als solche con- tinuirlich zusammenhängende Raumeinheiten nur bei den unvollkomme- neren Stämmen der Thiere auf, allermeist nur bei festsitzenden For- men des ThierreichS; da hiermit nicht die freie Bewegung der Indivi- duen fünfter Ordnung, der Personen, verträglich ist, welche bei den Thieren ganz vorwiegend entwickelt sind. Statt dessen finden wir bei den Thieren sehr allgemein Polymorphismus freier Personen, und die Bildung von Staaten (Heerden etc. ) , welche sich von den realen Ein- heiten der Stöcke dadurch unterscheiden, dass die einzelneu Personen nur ideal zur Einheit des Ganzen verbunden sind. Bb. Character der thierischen Grundformen. Die Thiere zeichnen sich sowohl vor den Protisten als vor den Pflanzen hinsichtlich ihrer Grundformen dadurch aus, dass bei ihnen allgemein die Zeugiten-Form, und zwar gewöhnlich die Eudi- pleuren-Form, die herrschende ist, die Grundform also der halben aniphithecten Pyramide (sogenannte „bilaterale Symmetrie"), welche bei den Pflanzen meist nur in den höheren Formen, bei den Protisten aber überhaupt selten vorkommt. Die physiologischen Individualitäten der Thiere, welche meist durch morphologische Individuen fünlter Ordnung oder Persouen repräsentirt werden, zeichnen sich meist durch sehr verwickelte äussere Formen aus, unter denen gewöhnlich 14* 212 Thiere und Pflanzen. die Eudipleuren-Form und andere Grundformen der höchsten, am meisten differenzirten Stufen sehr versteckt sind. Dagegen sind bei ihnen die niedriger stehenden Grundformen, besonders die vollkommen regulären Formen, die bei den Protisten so vorwiegen, im Ganzen selten. Die Grundform der regulären Pyramide, welche bei den Pflanzen (besonders in den Sexual -Individuen) so sehr verbreitet ist, erscheint bei den Thieren viel seltener, allgemeiner nur bei den soge- nannten „Strahlthieren", den beiden Stämmen der Echinodermen und Coelenteraten. Die letzteren sind zum grösseren Theil festsitzende Thiere. Bei den frei beweglichen Thieren musste die Eudipleureu- Form schon wegen des offenbaren Vorth eils, den sie für die freie Ortsbewegung bietet, im Kampfe um das Dasein den Vortheil über die unpractischere „regulär-radiäre'^ Form, die Grundform der regu- lären Pyramide, gewinnen. VI. C. Physiologischer Character des Thierreiches. Ca. Character der allgemeinen L ebeus er sc heinunge n bei. den Thieren. Die Ernährung der Thiere zeichnet sich vor deijenigen aller Pflanzen und der meisten Protisten dadurch aus, dass die allermeisten Thiere feste Nahrungsstoffe in besondere Höhlungen ihres Inneren (Darm) aufnehmen, in welchen dieselben verflüssigt (verdaut) und dann durch die Wandungen dieser Höhlen hindurch (mittelst Endosmose) aufgesaugt werden. Doch fehlen solche Höhlungen manchen schma- rotzenden Thieren (Cestoden, Acanthocephalen), welche gleich parasi- tischen Pflanzen bereits zubereitete flüssige Nährstoffe durch ihre Ober- fläche (Haut) imbibiren. Die Thiere nehmen allgemein Sauerstoff aus der Atmosphäre auf und ausserdem neben gewissen einfacheren Ver- bindungen (Wasser, Kochsalz und andere kohlenstofffreie Salze) auch noch sämmtlich als eigentliche Nahrungsstoff'e verwickeitere Kohlen- stoff-Verbindungen (Albuminate, Fette etc.), welche sie theils unmittel- bar aus den Pflanzen, theils aus den pflanzenfressenden Thieren be- ziehen. Indem sie diese oxydiren, bilden sie Kohlensäure und andere einfache Verbindungen. Daher athmen die Thiere sämmtlich Sauerstoff ein, Kohlensäure aus. Bei den allermeisten Thieren wird der durch die' Verdauung gewonnene Ernährungssaft (Chylus, Blut) durch be- sondere Systeme von communicirendeu Röhren (Chylusgefässen , Blut- gefässen) den verschiedenen Körpertheilen zugeleitet, und dessen Fort- bewegung in denselben entweder durch contractile Wimpern oder durch besondere contractile, rhythmisch pulsirende Behälter (Herzen) geiTgelt und beschleunigt. Die Fortpflanzung geschieht bei den Thieren allgemein auf geschlechtlichem Wege, und ausserdem bei den meisten niederen Thieren zugleich auf ungeschlechtlichem Wege (durch Thei- VI. Character des Thierreiches. 213 lung, Knospenbildung). Hier wechseln dann diese beiden Formen der Fortpflanzung nieist in der Weise mit einander ab, dass ein regel- mässiger Generationswechsel besteht. Dieser fehlt den allermeisten liöher entwickelten Thieren. Die beiderlei Geschlechter sind bei der grossen Mehrzahl der Thiere getrennt, nur bei vielen niederen Formen in einem Individuum fünfter, selten sechster Ordnung vereinigt. Bei allen Thieren finden wir diese allgemeinen Lebensthätigkeiten der Ernährung, des Wachsthums und der Fortpflanzung unzerti-ennlich verbunden mit gewissen molekularen Bewegungserscheinungen und Massebewegungen (mechanischen Leistungen), welche auch allen Pflan- zen und Protisten unentbehrlich sind. Auch hier sind es in erster Linie gegenseitige Lageveränderungen der Moleküle des Plasma, welche sich als „Contractionen", als Wachsthum und als Fortpflanzung (Thei- lung und Knospeubildung) der Piastiden äussern. Auch hier beruhen diese allgemeinen „organischen" Functionen (die man oft unpassend „vegetative" nennt) im Grunde darauf, dass (vielleicht immer unter Wärme -Entwickelung) Spannkräfte in lebendige Kräfte übergeführt werden. Cb. Character der besonderen thierischen Lebenserscheinungen. Ausser den oben genannten lebendigen Kräften entwickeln alle Thiere eine Summe von eigenthümlichen Bewegungserscheinungen, welche den Pflanzen grösstentheils abgehen und welche man desshalb wohl als „animale" Functionen im engeren Sinne bezeichnen kann. Diese thierischen Bewegungen beruhen wesentlich auf dem characte- ristischen Oxydations-Chemismus der Thiere. Indem die Hauptsumme der chemischen Processe in dem Thiere besonders darauf hinausläuft, die verwickelten und lockeren Kohlenstoff- Verbindungen durch Oxyda- tion in die einfachen und festen Verbindungen des Wassers, der Koh- lensäure, des Ammoniaks überzuführen, entwickeln sie eine grosse Menge lebendiger Kraft, welche als potentielle oder Spannkraft in jenen complicirten Verbindungen gebunden war. Die Thiere setzen vorzüglich Spannkräfte in lebendige Kräfte um. Die Bewe- gungen der befreiten lebendigen Kraft äussern sich theils als Wärme („thierische Wärme"), theils als Licht (Leuchten der Seethiere), vor- züglich aber als die eigenthümliche Bewegung gewisser, ausschliesslich thierischer Organe, der Muskeln und Nerven. Die Muskel bewe- gungen äussern sich in der Verrichtung gröberer mechanischer Arbeit durch besonders differenzirte contractile Zellen oder Zellenstöcke, •welche durch ihre Contractionen Ortsbewegungen einzelner Theile des Körpers gegen einander oder gegen die Aussenwelt bewirken. Die Nervenbewegungen, welche das Thier vor Allen characterisiren, sind, vom mechanischen Gesichtspunkt aus betrachtet, wesentlich 214 Thiere und Pflanzen. „Auslösungen", d. h. Bewegungen, welche eine gewisse Menge von Spannkraft in lebendige Kraft verwandeln. Das Nervensystem stellt einen zusammenhängenden ßegulationsapparat dar, der alle Theile des Körpers unter einander in Verbindung setzt. Es besteht aus einem Centraiapparat (Nervencentrum , Ganglienknoten), in welchem die verschiedensten Theile des Nervensystems in mittelbare oder un- mittelbare Wechselwirkung treten und in welchem ausserdem selbst- ständige Regulations-Centra existiren ; und aus einem Leitungsappa- rat (peripherisches Nervensystem^ Nervenfasern), welcher theils centri- fugal, theils centripetal den nervösen Centraiapparat mit den übrigen Körpertheilen in Wechsehvii'kung setzt. Die centripetalen Leitungs- fasem (sensible Nerven) sind Auslösungsketten, welche an ver- schiedenen Theilen des peripherischen Körpers (insbesondere in den Sinnesorganen) Eindrücke aufnehmen, und diese durch äussere Ein- flüsse (Licht, Schall, Wärme, Druck etc.) bewirkten Auslösungen auf das Centrum übertragen, wo sie entweder Vorstellungen (Empfindungen) erregen oder unmittelbar auf eine centrifugale Auslösungskette über- tragen werden (Reflexbewegungen). Die centrifugalen Leitungsfasern (motorische Nerven) sind dagegen Auslösungsketten, welche ent- weder unmittelbar (bei den eben erwähnten Reflexbewegungen) Aus- lösungsbewegungen, die sie von centripetalen Nerven erhalten haben, oder aber Auslösungen (Willens-Vorstellungen), die vom Nervencentrum bewirkt sind, auf die Muskeln übertragen und also mechanische Arbeit auslösen. Diejenigen Auslösungen des Nervensystems, welche vom Centrum aus als Willens -Vorstellungen auf die Muskeln übertragen, und diejenigen, welche von den Sinnes-Organen aus als Empfindungs- Vorstellungen auf das Centrum übertragen werden, sind die für das Thier am meisten characteristischen Bewegungs- Vorgänge. Doch sind dies Functionen, welche nur den höher entwickelten 'J'hieren zukom- men und vielen niedrigsten Thieren (ohne selbstständig entwickelte Nervencentra) fehlen. Bei diesen sind dann sämmtliche Nervenbewe- gungen nur Reflexbewegungen, indem jede centrifugale Auslösung erst durch eine centripetale hervorgerufen werden muss. Diese schliessen sich zunächst an die Protisten und an die höchsten Pflanzen an, bei denen ebenfalls (Mimosa, Dionaea, Centaurea) solche Reflex- bewegungen vorkommen. Die eigenthümlichen , im Centraiapparate ausgelösten Bewegungserscheinungen, welche vorzüghch die beiden Vorstellungen des Empfindens und Wollens bewirken, pflegt man unter dem Namen des Seelenlebens zusammenzufassen. Bei den höher entwickelten Thieren (aber nicht bei den niederen Thieren) diflferenzirt sich aus der Wechselwirkung dieser beiden Functionen noch eine dritte, die höchste und vollkommenste aller thierischen Functionen, das Den. ken. Die äusserst dunkeln und unvollkommen bekannten Molekular- VI. Oharacter des Thierreiches. 215 Bewegungen, welche den Denkproccss bewirken, erwarten, ebenso wie die Wechselwirkung der Seelenlhätigkeiten, ihre Erklärung von der Physiologie der Zukunft. Nur soviel steht fest, dass alle diese höchst complicirten Bewegungserscheinungen (Bildung der Begriffe, Urtheile, Schlüsse, Inductionen, Deductionen etc.) unmittelbare Wirkungen (Aus- lösungen) der Eiweiss -Moleküle in den Nervencentren sind, und dass diese höchsten Leistungen des Organismus also auch mit der Existenz der Molekularbewegungen in jenen höchst verwickelt zusammengesetz- ten und lockeren Kohlenstoff- Verbindungen stehen und fallen. Keine einzige dieser Bewegungen ist frei (d. h. ohne Ursache) wie gewöhn- lich von dem „freien Willen", dem „freien Denken" dichterisch be- hauptet wird, sondern alle erfolgen mit absoluter Nothwendigkeit aus den complicirten Summen vorhergehender BeAvegungen, welche jene Auslösungen (Vorstellungen) in den Nervencentren bewirken. Alle diese höchsten und am meisten characteristischen Leistungen der thie- rischen Organismen beruhen darauf, dass dieselben beständig Massen von gebundenen oder Spannkräften (durch Oxydation der complicirten Kohlenstoff- Verbindungen) in lebendige Kräfte überftlhren. VII. Character des Protistenreiches. Acht Stämme des Prolistenreiclies : 1. Spongiae (Porifera). 2. Noctilucae (Myxocystoda). 3. Rhizopoda (Radiolaria, Actiaosphaerida et Acyttaria). 4. Protoplasta (Arcellida, Amoebida et Gregarinae). 5. Moneres (Protamoebae, Protogenida et Vibriones). 6. Flagellata. 1. Diatomea. 8. Myxomycetes (Mycetozoa). Vn. A. Chemischer Character des Protistenreiches. Aa. Character der chemischen Substrate der Protisten. Die wichtigsten Substanzen des Protistenkörpers (vor Allen das Plasma oder Protoplasma der Piastiden) sind Eiweiss-Verbindungen ( Albuminate), durch deren Thätigkeit die meisten anderen Verbin- dungen des Protistenleibes mittelbar oder unmittelbar erzeugt werden. Die Eiweisskörper der Protisten treten in zahlreichen Modificationen auf, welche uns sämmtlich noch fast ganz unbekannt sind. Aus den Eiweiss-Verbindungen der Protistenkörper gehen bei Vielen stickstoff- haltige Eiweiss-Derivate hervor, welche den von den Thieren er- zeugten elastischen, leimgebenden und Hornsubstanzeu sehr nahe zu stehen scheinen und gleich diesen oft als Ausscheidungsmassen zwischen den Piastiden eine grosse Rolle spielen, so das Fasergewebe (Fibroin) der Spongien, die Kapseln vieler encystirter und Zellhäute vieler ein- zelliger und mehrzelliger Protisten. Das Verhalten der meisten dieser 216 Thiere und Pflanzen. Producte in den Protisten ist noch sehr unbekannt, ebenso das Ver- halten der stickstoffhaltigen und stickstofffreien Säuren, ebenso das Verhalten der stickstoffhaltigen Basen. Der wichtigste Pflanzenfarbstoff, das Chlorophyll, kommt auch in einzelnen Protisten verschiedener Abtheilungen vor (Spongillen, Euglenen und andere Flagellaten etc.). Fette scheinen in den meisten Protisten ebenso wie in allen Pflanzen und Thieren vorzukommen. Die stickstofffreien Verbindungen aus der Gruppe der Kohlenhydrate, welche die Pflanzen so auffallend von den Thieren unterscheiden, kommen auch bei manchen Protisten vor; Cellulose wird von vielen Protisten aus den Stämmen der Myxomyceten und Flagellaten ausgeschieden. Anorganische, d. h. nicht kohlenstoff- haltige Verbindungen, insbesondere Chlornatrium etc., kommen in den Protisten eben so allgemein als in den Thieren und Pflanzen vor. Viele Protisten zeichnen sich aber aus durch die ungewöhnliche Menge theils von Kieselsäure, theils von kohlensaurem Kalk, welche sie in Form von festen Skeletbildungen ausscheiden, und wodurch sie sich mehr an die Thiere, als an die Pflanzen anschliessen. Insbeson- dere sind in dieser Beziehung ausgezeichnet die Kieselschalen der Diatomeen, vieler Flagellaten CPeridinium) , die formell höchst ent- wickelten, theils aus Kieselsäure, theils aus kohlensaurem Kalk ge- bildeten Stacheln (Spicula) und Gehäuse der Spongien und ßhizopoden, vieler Protoplasten etc. Ab. Character der chemischen Processe der Protisten. Der wesentliche Character der chemischen Processe, welche im Protistenkörper vor sich gehen, ist uns noch fast ganz unbekannt. Die einen Protisten scheinen, gleich den Thieren, vorzugsweise Oxydations-Organismen zu sein und vorwiegend Sauerstoff aufzunehmen, Kohlensäure abzugeben (Spongien, Noctiluken, Rhizopoden, ein Theil der Protoplasten). Die anderen Protisten scheinen, gleich den Pflanzen, vorzugsweise Reductions-Organismen zu sein und vorwie- gend Kohlensäure aufzunehmen, Sauerstoff abzugeben (ein Theil der Protoplasten, die Moneren, Flagellaten, Diatomeen). Doch sind uns im Ganzen diese wichtigen Verhältnisse noch äusserst wenig bekannt. VII. B. Morphologischer Character des Protistenreiches. Ba. Character der protistischen Individualitäten. Der wesentliche te ctologische Character der Protisten liegt in der sehr unvollkommenen Ausbildung und Differeuzirung der Indi- vidualität tiberhaupt, insbesondere aber derjenigen zweiter Ordnung, der Organe. Sehr viele Protisten erheben sich niemals über den mor- phologischen Werth von Individuen erster Ordnung oder Piastiden. VIT. Oharacter des Protistenreiches. 217 Diese Piastiden, theils einzeln lebend, theils gesellig verbunden, blei- ben sehr häufig zeitlebens membranlos (Spongien, ßhizopoden, Proto- plasten, Vibrioniden); bei anderen umgeben sie sich zeitweilig oder bleibend mit einer Membran von Kieselerde (Diatomeen, einige Fla- gellaten), oder von Cellulose (Myxomyceten, einige Flagellaten), oder von einer stickstofiPhaltigen Substanz (einige Protoplasten und Flagella- ten). Die Piastiden sind sehr häufig kernlos (Cytoden), andere Male kernhaltig (Zellen). Sehr oft kommen Cytoden und Zellen in einem und demselben Protisten combinirt vor. Sehr häufig vereinigen sich die Piastiden der Protisten zu sehr lockeren Verbänden, die leicht wieder in die einzelnen Individuen auseinander fallen. Gewöhnlich erheben sich diese Verbände nicht über den Werth von Zellstöcken oder einfachsten Individuen zweiter Ordnung. Bisweilen gleichen die- selben äusserlich den echten Stöcken oder Individuen sechster Ordnung. Sehr selten sind bei den Protisten die Individuen höherer Ordnung ausge- bildet. Von besonderen Organen ist bei den Meisten keine Rede, da alle Functionen noch gleichzeitig von den nicht differenzirten Piastiden be- sorgt werden. Nur bei den Spongien, Radiolarien und Myxomyceten be- ginnen sich deutliche Organe zu differenziren. Indessen kann man als allgemeinen Character der Protisten den Mangel höherer Differen- zirung überhaupt, besonders aber den Mangel differenter Organe, sowie das Stehenbleiben auf der niedrigsten Stufe individueller Aus- bildung bezeichnen, welche bei den Thieren und Pflanzen meistens schnell vorübergeht. Daher finden wir das grosse Gesetz des Poly- morphismus oder der Arbeitstheilung, welches bei den höheren Thieren und Pflanzen so vollkommene Organismen hervorbringt, und bei den Individuen aller Ordnungen die Differenzirung bestimmt, bei den Pro- tisten nur in ganz untergeordnetem Grade wirksam. Bb. Character der protietischen Grundformen. Die Protisten zeichnen sich grösstentheils vor den Thieren und Pflanzen dadurch aus, dass ihre Grundformen, ebenso wie ihre Indi- vidualitäten, obwohl sehr mannichfaltig gebildet, dennoch meistens auf den niedersten Stufen stehen bleiben, und sich sehr selten zu den höheren Stufen erheben, welche bei jenen die herrschenden sind. Insbesondere finden sich unter den Protisten sehr häufig vollkommen formlose Gestalten mit durchaus unbestimmten und oft beständig wechselnden Umrissen, ohne feste geometrische Grundform. Daher ist auch ein Theil derselben als Amorphozoa bezeichnet worden (viele Protoplasten, Spongien, Myxomyceten). Auch in dieser, wie in vielen anderen Beziehungen gleichen viele derselben bleibend den ersten Embryonal -Zuständen von Thieren und Pflanzen. Nächst den voll- kommen amorphen Gestalten sind am häufigsten die vollkommen 218 Thiere und Pflanzen. regelmässigen: kugelige, ellipsoide, sphaeroide, cylindrische, regulär polyedrische, prismatische etc. Insbesondere kommt hier die reine Kugelform, der reine Cj^iuder sehr häufig vor. Die meisten Protisten, welche ein äusseres oder inneres starres Skelet besitzen (Diatomeen, Rhizopoden, viele Flagellaten und andere Protisten) lassen in dessen Bildung meist äusserst deutlich, und nicht selten mathematisch rein ausgeprägt, eine vollkommen regelmässige stereometrische Grundform erkennen, so zwar, dass in vielen Fällen die Gestalt krystallähnlich wird, und dass ebenso, wie bei den Krystallen, eine vollkommen exacte geometrische Ausmessung und Berechnung der organischen Gestalt möglich wird. In dieser Beziehung sind namentlich viele Radiolarien, ferner manche Protoplasten und Diatomeen sehr ausgezeichnet. Die Radiolarien allein schon zeigen eine grössere Anzahl von stereome- trischen Grundformen realisirt, als sonst im ganzen Thier- und Pflanzen- Reiche zusammengenommen vorkömmt. Mehr, als irgend sonst wo, kann man hier an eine krystallographische Untersuchung der Orga- nismus-Formen denken. Vn. C. Physiologischer Character des Protistenreiches. Ca. Charactor der allgemeinen Lebenserscheinungen bei den Protisten. Die Ernährung der Protisten ist uns zum grossen Theile noch ganz oder fast ganz unbekannt. Von sehr vielen derselben kennen wir weder die Natur ihrer Nahrungsstofife, noch den Process der Nahrungsaufnahme, noch die Vorgänge des Stoffwechsels. Viele Pro- tisten scheinen sich in diesen Beziehungen mehr den Pflanzen anzu- schliessen (Diatomeen, Flagellaten, Vibrioniden, Myxomyceten, ein Theil der Protoplasten), andere dagegen mehr den Thieren (ein ande- rer Theil der Protoplasten, Rhizopoden, Noctiluken, Spongien). Beson- dere Ernähruugscanäle, welche den Ernährungssaft aufsammeln und verschiedenen Körpertheilen zuleiten, finden sich blos bei den Spongien. Contractile, zum Theil rhythmisch pulsirende Hohlräume (Blasen, Va- cuolen) welche den Ernährungssaft abwechselnd aus dem Plasmakörper aufsaugen und in den letzteren hineinpressen, finden sich besonders bei Protoplasten, Myxomyceten und Flagellaten. Der Athmungsprocess ist bei den meisten Protisten unbekannt. Einige athmen, gleich den meisten Pflanzen, Kohlensäure ein, Sauerstoff aus; andere zeigen den umge- kehrten Respirations-Modus der Thiere. Die Fortpflanzung geschieht bei sehr vielen Protisten, wahrscheinlich bei der grossen Mehrzahl, ausschliesslich auf dem einfachsten ungeschlechtlichen Wege (durch Theilung, Knospenbildung). Nur bei verhältnissmässig wenigen Pro- tisten kommt neben der ungeschlechtlichen auch geschlechtliche Fort- Vli. Character des Protistenreiches. 219 Pflanzung vor, und es sind dann die beiderlei Geschlechter bald in einem Individuum vereinigt, bald getrennt (Spongien, ein Theil dei' Flagellaten). Wie bei allen Thieren und Pflanzen, so sind auch bei allen Pro- tisten diese allgemeinen „organischen" Functionen der Ernährung, des Wachsthums und der Fortijflanzung unmittelbar verbunden mit mole- kularen Bevvegungserscheinungen und Masse-Bewegungen (mechanischen Leistungen). Wir nehmen diese zum Theil wahr in gewissen Lage- veränderungen der Moleküle des Plasma, welche sich bei den Protisten namentlich sehr oft äussern als die charakteristischen „ Sarcode- strömung en" (Rhizopoden, Noctiluken, ein Theil der Protoplasten und Myxomyceten) oder „amoeboiden Bewegungen" (Spongien, ein Theil der Protoplasten, Flagellaten und Myxomyceten); ferner als Wachsthum und als Fortpflanzung (Theilung und Knospenbildung) der einzelnen Piastiden, welche hier gewöhnlich das physiologische Indi- viduum repräsentiren. Auch hier, wie bei den anderen Organismen, sind diese Bewegungen, welche zugleich zur Bildung neuer Formen führen, nur dadurch möglich, dass Kräfte, welche in den verwickelten Kohlenstoff-Verbindungen des Plasma als gebundene oder Spannkräfte vorhanden sind, in lebendige Kräfte übergeführt werden. Cb. Character der besonderen protistischen Lebenserscheinungen. Wie uns die G-rundlagen der allgemeinen Lebensthätigkeiten der Protisten, und insbesondere ihres Stoffwechsels, zur Zeit noch höchst mangelhaft bekannt sind, und wie wir von den meisten derselben nicht wissen, ob sie sich mehr den Thieren oder mehr den Pflanzen an- schliessen, so gilt dasselbe auch von dem Character und den Ursachen ihrer besonderen Lebensthätigkeiten. Nur so viel scheint sich zu er- geben, dass bei den verschiedenen Protisten in dieser Beziehung sehr wesentliche Verschiedenheiten vorkommen, indem die einen sich mehr den Thieren, die anderen mehr den Pflanzen anschliessen. Im Ganzen aber scheinen die Protisten auch in dieser Beziehung zwischen den Thieren und Pflanzen mitten inne zu stehen. In sämmtlichen Orga- nismen aller drei organischen Reiche kommen Reductionsprocesse, durch welche Wärme und andere lebendige Kräfte gebunden (zu Spannkräften) werden, und Oxydationsprocesse, durch welche gebun- dene Wärme und andere Spannkräfte frei und lebendig werden, neben einander vor. Bei den Thieren überwiegen die letzteren, bei den Pflanzen die erstcren; bei den Protisten scheinen sich Beide im Gan- zen das Gleichgewicht zu halten. Doch dürften die meisten Protisten sich mehr durch reichliche Entwickelung lebendiger Kräfte (mechani- scher Arbeit, Ortsbewegung der Piastiden) an die Thiere anschliessen, während sie sich von den Pflanzen durch geringe Neigung zur An- 220 Thiere und Pflanzen. häufung von Spannkräften mehr entfernen. Andererseits fehlen den Protisten allgemein diejenigen complicirteren Molekularbewegungen, welche bei den Thieren als die besonderen Leistungen der Muskeln und Nerven auftreten, und ebenso fehlen natürlich alle diejenigen höheren Functionen des Nervensystems, welche sich in dem Nerven- centrum der höheren Thiere zu Vorstellungen (Empfinden, Wollen, Denken) differenziren. Dagegen sind Bewegungen, welche den Re- flexbewegungen der Tliiere und der höheren Pflanzen (Mimosen etc.) vollkommen entsprechen, bei den Protisten sehr allgemein verbreitet, ohne an ditferenzirte Muskeln und Nerven -Organe geknüpft zu sein, und treten zum Theil in sehr eigenthümlicher Form auf (Spongien, Rhizopoden, Protoplasten etc.). Die meisten dieser mechanischen Arbeitsleistungen und die anderen besonderen Bewegungen der Protisten (z. B. die sehr eigenthtimlichen Bewegungen der Diatomeen, Vibrioniden, vieler Flagellaten, Protoplasten etc.) sind aber noch sehr wenig bekannt. Zwar ist von den meisten derselben anzunehmen, dass sie auf Freiwerden lebendiger Ki-äfte beruhen; doch könnte von einigen auch behauptet werden, dass sie umgekehrt die Wirkungen der Bin- dung von Spannkräften sind. In diesen, wie in vielen anderen physio- logischen und morphologischen Beziehungen haben wir eine befriedi- gende Erkenntniss der Protisten erst von ausgedehnteren zukünftigen Untersuchungen zu erwai'ten. YIII. Character des Pflanzenreiches. Vier Stämme das Pflunzenreiches : 1. Phycophyta (Algae pro pai"te). 2. Characeae. 3. Nematophyta (Pungi et Lichenes). 4. Cormophyta (Phaiierogamae omnes et Cryptogainae exclusis Nematophytis, Characeis et Phycophytis). VIII. A. Chemischer Character der Pflanzenreiches. A a. Character der chemischen Substrate der Pflanzen. Die wichtigsten Substanzen des Pflanzenkörpers (vor Allen das Plasma oder Protoplasma der Piastiden) sind Eiweiss-Verbindungen (Alb umin ate), durch deren Thätigkeit die meisten anderen Verbin- dungen des Pflanzenleibes mittelbar oder unmittelbar erzeugt werden. Die Eiweisskörper der Pflanzen treten in zahlreichen noch sehr unbe- kannten Modificationen auf, von denen die wichtigsten das Pflanzen- eiweiss (in sehr vielen Pflanzensäften gelöst), der Pflanzenfaserstoff (Fibrin, der in Alkohol unlösliche Theil des Geti-eideklebers etc.) und der Pflanzenkäsestoff (Casein der Leguminosenfrüchte, Legumin) sind. Aus den Eiweiss-Verbindungen der Pflanzenkörper gehen sehr selten, vielleicht nie, solche stickstoffhaltige Ei weiss -Derivate hervor, wie sie im Körper der Thiere und vieler Protisten als Zellhäute, Cuticular- Vni. Character des Pflanzenreiches. 221 bildungen und Intercellularsubstanzen, als Hornsubstanz, elastische, leimgebende, Chitin- Substanzen etc. eine sehr grosse Rolle spielen. Ebenso fehlen den Pflanzen die stickstoflfhaltigen Säuren (Harnsäure, Hippursäure, Inosinsäure etc.), während die stickstofffreien Säuren eine sehr viel grössere Verbreitung und Bedeutung als bei den Thieren haben. Die stickstoffhaltigen Basen der Pflanzen (Pflanzen- alkaloide: Strychnin, Morphin, Nicotin etc.) sind stark alkalisch und von äusserst mannichfaltiger Zusammensetzung, umgekehrt wie bei den Thieren, Der wichtigste Pflanzenfarbstofi" ist das Chlorophyll, welches jedoch bloss den Cormophyten fast allgemein zukommt, den meisten Nematophyten und Phycophyten dagegen fehlt. Fette kom- men in allen Pflanzen vor. Eine der wichtigsten chemischen Eigen- thümlichkeiten aller Pflanzen ist aber die massenhafte und allgemein verbreitete Bildung von stickstofi'freien Producten aus der Gruppe der sogenannten Kohlenhydrate, welche theils (Cellulose) von den Piastiden nach aussen abgeschieden werden (wie die Membranen und Intercellularsubstanzen, welche aus Cellulose und ihren Modificationen bestehen), theils als Ablagerungen im Innern der Piastiden abgesetzt werden (Stärke, Dextrin, Gummi, Zucker etc.). Anorganische, d. h. nicht kohlenstoffhaltige Verbindungen, insbesondere phosphorsaure Salze und Chlorverbindungen der Alkalien und alkalischen Erden, kommen allgemein in den Pflanzen vor, aber in viel wechselnderen Mengenverhältnissen, und viel häufiger sich gegenseitig substituirend, als in den Thieren. Kieselsäure und Kalksalze treten in den Pflanzen nur in geringer Menge und niemals so, wie in den Thieren und Protisten, als selbstständige geformte Massen, skeletbildend auf. Der Mangel dieser mineralischen Skelete wird den Pflanzen durch ihr Cellulose-Skelet ersetzt. Ab. Character der chemischen Processe der Pflanzen. Der wesentliche Character der chemischen Processe, welche im Pflanzenkörper vor sich gehen, beruht auf Reduction und Synthese einfacher Verbindungen, und lässt sich in den wenigen Worten zu- sammenfassen:" Die Pflanze ist ein Reductions-Organismus. Das Pflanzenleben im Grossen und Ganzen ist ein Reductions-Process. Die Pflanzen bilden aus den einfacheren „ anorganischen" Verbindungen, besonders Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, durch Synthese und Reduction die sehr zusammengesetzten „organischen" oder Kohlen- stoff-Verbindungen (Albuminate, Fette etc.), welche nachher dem Thier als Nahrung dienen. Doch kommen daneben allgemein in untergeord- netem Maasse (und auch vielfach im Einzelnen) analytische und Oxy- dations-Processe vor. 222 Thiere und Pflanzen. VIIL B. Morphologischer Character des Pflanzenreichs. Ba. Character der pflanzlichen Individualitäten. Der wesentliche tectologische Character der Pflanzen liegt in der vorwiegenden Ausbildung und Differenzirung der Individuen erster Ordnung, der Piastiden. Dieselben sind meistens von viel beträchtlicherer Grösse, als bei den Protisten und Thieren. Gewöhn- lich sind sie kernhaltig, also Zellen; sehr häufig jedoch auch kernlos, also Cytoden, und bei den Nematophyten und vielen Phycophyten ist der Körper entweder allein oder doch vorwiegend aus Cytoden zu- sammengesetzt. Die Piastiden der Pflanzen, sowohl die Cytoden als die Zeilen, scheiden allermeist schon in sehr ti-üher Zeit eine Membran aus und kapseln sich dadurch ab; selten bleiben sie längere Zeit hin- durch nackt (Schwärmsporen); gewöhnlich ist die schichtweise Ab- setzung der umhüllenden Membranen sehr mächtig; es bleiben aber, da dieselben meist innerhalb der primär abgeschiedenen Membran als innere Vcrdickungsschichten sich ablagern, die einzelnen Piastiden dabei isolirt und es verschmelzen weder die Individuen selbst zu Plastideu- stöcken (ausgenommen die „Gefässe" der Gefässpflanzen: Milchsaft- gefässe, Spiralgefässe), noch die Membranen zu gemeinsamen Inter- cellularmassen (wie bei den Bindegeweben der Thiere so häufig ge- schieht). Die Bildung von Zellstöcken (Milchsaftgefässen, Spiral- gefässen) ist weit beschränkter, als bei den Thieren. Diese „Gefässe" sind neben dem einfachen „Parenchym" die einzige besondere „Ge- websform" der Pflanzen. Die Individuen zweiter Ordnung, die Or- gane, sind bei den Pflanzen allgemein weit weniger difi'erenzirt, als bei den Thieren; bei den Phycophyten und Nematophyten sind die- selben sehr Avenig entwickelt; bei den Cormophyten sind sie zwar besser entwickelt, lassen sich aber vom morphologischen Gesichtspunkte aus sämmtlich als Modificationen von blos zwei Grundorganen nachweisen, Axorgan und Blatt organ. Vom physiologischen Ge- sichtspunkte aus betrachtet sind die Organe der Pflanzen ebenfalls weit weniger differenzirt als die der Thiere, meistens entweder Ernäh- rungs- oder Fortpflanzungs- Organe. Sehr allgemein und in höchster Ausbildung treffen wir bei den Pflanzen die Individuen sechster und letzter Ordnung an, die Stöcke (Corraen), was mit der festsitzenden Lebensweise und dem Mangel willkühi-licher Bewegung zusammenhängt. Daher fehlt den Pflanzen auch die für viele Thiere characteristische und hier die Stockbildung ersetzende Staatenbilduug. Gewöhnlich ist mit der Stockbildung der Pflanzen ein sehr ausgedehnter Polj^morphis- mus der Personen, eine weit gehende Arbeitstheilung der Individuen fünfter Ordnung (Sprosse) verbunden. VIII. Character des Pflanzenreiches. 223 Bb. Character der pflanzlichen Grundformen. Die Pflanzen stehen bezüglich der Ausbildung der stereometrischen Grundformen in der Mitte zwischen den Protisten und den Thieren. Die niederen Pflanzen, insbesondere viele Algen, schliessen sich mehr den ersteren, viele höhere Pflanzen, namentlich Dicotyledonen, mehr den letzteren an. Unter den Algen giebt es zahlreiche Formen, welche die ganz regulären, rein stereometrisch ausgeprägten Formen vieler Protisten theileu (Kugel, Cylinder, Sphäroid, reguläre Polyeder, Pris- men etc.). Auch die einzelnen Piastiden, welche bei den Pflanzen viel mehr als bei den Thieren den Rang von selbstständigeu Individuen erster Ordnung beibehalten, und welche zugleich durch frühzeitige Einschliessuug in eine starre Cellulose -Kapsel sehr bestimmte und scharf umschriebene Formen gewinnen, zeigen im Parenchym der meisten mehrzelligen Pflanzen ähnliche einfache stereometrische Formen sehr rein ausgepräg-t. Unter den pflanzlichen Individuen fünfter Ord- nung, den Sprossen, besonders den Blüthensprossen der Phanerogaraen, ist die reguläre Pyramidenform sehr allgemein herrschend. Doch geht dieselbe hier auch sehi' häufig in die Grundform der amphithec- ten Pyramide über. Dagegen tritt die Eudipleuren-Form („bila- terale Symmetrie" zum Theil) in den Pflanzen seltener in den Indivi- duen fünfter Ordnung (wo sie bei den höhereu Thieren so allgemein ist), als in den Individuen niederer Ordnung (Blättern z. B.) ganz rein auf. Im Ganzen sind die äusseren Formen der Pflanzen schon wegen ihrer starreu festen Zellenwände schärfer bestimmt und daher leichter und sicherer auf eine stereometrische Grundform zurückzu- führen, als bei den Thieren. Vin. C. Physiologischer Character des Pflanzenreiches. Ca. Character der allgemeinen L eb e nse rscheinuugen bei den Pflanzen. Die Ernährung der Pflanzen unterscheidet sich von derjenigen der allermeisten Thiere und vieler Protisten dadurch, dass die Pflanzen niemals feste Stoffe, wie die Thiere, in ihr Inneres aufnehmen, sondern ausschliesslich tropfbarflüssige und gasförmige Stoffe; diese dringen einfach auf endosmotischem Wege durch die Membranen der Piastiden hindurch in das Innere derselben ein. Es fehlen also den Pflanzen allge- mein die besonderen, zur Nahmngs-AufQahme und Verdauung dienenden Höhlen, welche den allermeisten Thieren zukommen. Die allermeisten Pflanzen nähren sich ausschliesslich von sehr einfachen Verbindungen (Wasser, Kohlensäure, Ammoniak, kohlenstofflose Salzlösungen), aus denen sie, wie bemerkt, durch Reduction zusammengesetzte Kohlenstoff- 224 Thiere und* Pflanzen. Verbindungen bilden. Daher athmen sie vorwiegend Kohlensäure ein, Sauerstoff aus. Doch giebt es auch viele Schmarotzer -Pflanzen (Pilze etc.), deren Athmungsprocess umgekehrt (thierisch) ist, und welche, gleich den Thieren, bereits vorgebildete „organische" Sub- stanzen (verwickelte Kohlenstoff- Verbindungen ) zu ihrer Ernährung brauchen. Besondere den Ernährungssaft führende Röhrensysterae (Blutgefässe, Chylusgefässe), sowie besondere conti-actile Behälter (Her- zen), welche dessen Bewegung in denselben regelmässig beschleunigen, fehlen den Pflanzen allgemein, während sie den meisten Thieren zu- kommen. Die Fortpflanzung geschieht bei den Pflanzen allgemein auf ungeschlechtlichem Wege (durch Theilung, Knospenbildung), ausser- dem bei den allermeisten zugleich auf geschlechtlichem Wege. Bei der grossen Mehrzahl aller Pflanzen wechseln diese beiden Formen der Fortpflanzung in der Weise mit einander ab, dass ein regelmässiger Generationswechsel besteht. Die beiderlei Geschlechter sind bei der grossen Mehrzahl der Pflanzen in einem Individuum fünfter oder sech- ster Ordnung vereinigt, nur bei einer geringen Zahl getrennt. Wenn wir die feineren Vorgänge, welche den genannten allge- meinen Lebensthätigkeiten der Pflanzen zu Grunde liegen, aufsuchen, so finden wir dieselben bei allen Pflanzen, wie bei allen Protisten und Thieren, mit einer Anzahl von molekularen Bewegungserscheinungen und einer Anzahl von Massebewegungen (mechanischen Leistungen) unmittelbar verbunden. Wir können diese Bewegungen zum Theil di- rekt wahrnehmen in den pflanzlichen Individuen erster Ordnung (den Piastiden) als gegenseitige Lageveränderungen der Moleküle des Plasma („Saftströmungen" oder „ Plasmacontractionen ") , als Wachsthum (Grössenzunahme) und als Fortpflanzung der Piastiden (Theilung, Knospenbildung der Cytoden und Zellen). Alle diese allgemeinen „organischen" Molekularbewegungen, welche schliesslich zur Gestaltung ungeformten Stoffes und zur Neubildung individueller Formen führen, und welche häufig (vielleicht immer) mit einer Entwickelung von Wärme verbunden sind, erfordern einen Verbrauch von Spannkräften. Denn alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf, dass Spann- kräfte in lebendige Kräfte Ubergehen. Cb. Character der besonderen pflanzlichen Lebenserscheinungen. Während bei den Thieren der bei weitem grösste und wichtigste Theil ihrer Lebensthätigkeit in einer Entwickelung lebendiger Kräfte besteht, die sich dort vorzüglich als Wärmebildung, Muskelbewegung und Nervenbewegung (Empfinden, Wollen, Denken) äussert, so bildet bei den Pflanzen jene Verwandlung der potentiellen in actuelle Kräfte nur einen sehr geringen Theil ihrer Lebenserscheinungen und der bei weitem grösste Theil ihrer Functionen erzielt gerade das entgegen- Vin. Character des Pflanzenreiches. 225 gesetzte Resultat, nämlich die Umsetzung von lebendigen Kräf- ten in Spannkräfte. Diese für die Pflanzen am meisten characte- ristischen Bewegungen, welche den Thieren grösstentheils abgehen, -kann man daher auch als „vegetative Functionen" im engeren Sinne bezeichnen. Dieselben beruhen wesentlich auf dem characteristischen Reductions-Process der Pflanzen. Indem die Hauptsumrae der chemi- schen Processe in den Pflanzen darauf hinausläuft, die einfachen und festen Verbindungen des Wassers, der Kohlensäure und des Ammo- niaks durch Zersetzung (Reduction) in die verwickelten und lockeren Kohlenstoff- Verbindungen (Eiweisskörper, Kohlenhydrate, Fette) über- zuführen, und indem diese Reduction nur unter Einwirkung des Sonnen- lichts (durch Bindung grosser Quantitäten Licht ünd Wärme) möglich ist, verwandeln sie eine grosse Menge freier oder bewegender Kräfte (Licht, Wärme) in gebundene oder Spannkräfte. Diese letzteren blei- ben gebunden in den verwickelten Kohlenstoff- Verbindungen , welche allenthalben in den Pflanzen angehäuft werden. Durch die Bindung von Wärme, welche für die Bildung der letzteren nothwendig ist, und welche theils dem Sonnenlichte, theils der Umgebung entzogen wird wirken die Pflanzen abkühlend. Sie entwickeln Kälte. In der massenhaften Bildung und Anhäufung dieser verwickelten Kohlenstoff- Verbindungen und der in ihnen locker gebundenen Spannkräfte haben wir den wesentlichsten Character der besonderen pflanzlichen Lebens- thätigkeit, des eigenthümlichen „Vegetationsprocesses" zu suchen Diese Aufspeicherung der Spannkräfte in den Pflanzen ermöglicht allem die besonderen Lebensbewegungen der Thiere, welche auf einer Befreiung derselben, auf ihrer Verwandelung in lebendige Kräfte be- . ruhen. Dadurch entwickeln die Thiere die lebendigen Kräfte, welche sie als thierische Wärme, als Muskelbewegung und Nervenbewegung äussern. Doch fehlen ähnliche Bewegungen, durch lebendige Kräfte hei-vorgebracht, auch in den Pflanzen nicht ganz. Vielmehr entwickeln auch diese stellenweise und zeitweise Wärme; und bei vielen höheren Pflanzen kommen sogar verwickelte Bewegungen zur Erscheinung welche der Muskel- und Nervenbewegung sich sehr nahe anschliessend Vor allen sind hier die ausgezeichneten Erscheinungen der „Reizbar- keit" an den Blättern der Mimosen oder „Sinnpflanzen" und der Dionaea muscipula, an den Staubfäden der Centaureen, Berberideen etc. hervorzuheben. Die mechanische Arbeit, welche hier gewisse Theile der Pflanze leisten, ist durchaus der Muskelcontraction analog, und wird sogar oft in gleicher Weise durch Ketten von „Auslösungen" hervorgerufen, wie es bei den Nervenbewegungen der Thiere der Fall 18t. In dieser Beziehung sind namentlich die bekannten Bewegungen der „reizbaren" Mimosen äusserst merkwürdig, indem sie durchaus den Reflexbewegungen der Thiere analog sind. Dagegen ist es II oeckcl, Generelle Morphologie. ^5 226 Thiere und Pflanzen. zweifelhaft, ob bei irgend einer dieser Pflanzen die Reflexbewegungen sich deutlich in die getrennten Functionen des Empfindens und Wol- lens differenziren , welche in einem Centraiorgane als Vorstellungen ausgelöst werden müssten. Wenn diese Ditferenzirung noch fehlt, so fehlt sie sicher auch vielen echten Thieren (vielen Würmera, Coelen- teraten, besonders Anthozoen und Anderen), welche sich auf ganz ähnliche Bewegungen, wie die Mimosen etc. beschränken. Indessen treten doch diese Leistungen mechanischer Arbeit, welche den Reflex- bewegungen der Thiere sich unmittelbar anzuschliessen scheinen, und wie diese mit einem Verbrauche von Spannkraft verbunden sind, nur bei wenigen (meist höheren) Pflanzen auf, und im Granzen bleibt die besondere Lebensthätigkeit der Pflanzen darauf beschränkt, dass sie (durch Reduction und Wärme-Bindung) Massen von lebendigen Kräften in Spannkräfte überführen. IX. Yergleichung der drei Reiche. Eine scharfe und vollkommen unterscheidende Characteristik der Organismen-Reiche ist, wie die vorhergehenden Abschnitte zeigen, nur dann möglich, wenn mau ausschliesslich die entwickelten und voll- kommenen Formen berücksichtigt und von den niederen und einfachen Formen absieht. So wenig wir im Stande sind, eine vollständig scharfe und erschöpfende Diagnose eines Phylon zu geben, welche alle embryologischen und palaeontologischen Entwickelungszustände desselben umfasst, so wenig ist dies von einem der drei organischen Reiche möglich, deren jedes aus mehreren Phylen zu bestehen scheint. Nur dann können wir eine solche diflferentielle Diagnose aufstellen, wenn wir die am meisten ausgebildeten und characteristischen Haupt- formen vorwiegend berücksichtigen und aus den typischen Characteren der Mehrzahl der Formen ein allgemeines Bild des Ganzen in grossen Zügen und skizzenhaften Umrissen entwerfen. Wenn wir nun ausdrücklich unter dieser Voraussetzung und unter dem besonderen Hinweis darauf, dass jedes Reich nur eine künstliche CoUectivgruppe von mehreren selbstständigen, aber analog entwickelten Phylen ist, eine allgemeine Characteristik der drei Reiche vorstehend versucht haben, so glauben wir, dass sich daraus die Vorzüge unserer Dreitheilung vor der bisher gültigen Zweitheilung ergeben haben wer- den. Die Dreitheilung hat besonders den grossen Vortheil, dass jedes der "beiden nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin entwickelten grossen Reiche sich weit schärfer, sicherer und vollständiger charac- terisiren lässt, als es bei der Zweitheilung möglich ist. Denn wir haben in den unzweifelhaften Pflanzen (Cormophyten, Nematophyten, Characeen, Algen; eine Summe von hervortretenden Eigenschaften verbun- IX. Vergleichnng der drei Reiche. 227 den, welche uns ein abgerundetes und deutliches Cbaracterbild der Pflanze im Allgemeinen vor Augen fühi-en. Andererseits finden wir ebenso in den unzweifelhaften Thieren (Verteb raten, Mollusken, Arti- culaten, Echinodermen, Coelenteraten) eine Summe von auszeichnenden Eigenschaften vereinigt, welche uns ein ebenso deutliches und scharfes Cbaracterbild des Thieres im Allgemeinen aufzustellen erlauben. Um den grossen Contrast in den entgegengesetzten GrundzUgen dieser beiden divergenten Characterbilder deutlich zu kennzeichnen, stellen wir sie hier nochmals vergleichend einander gegenliber: I. Pflanzencharacter: Die fast allgemein bleibende Selbstständigkeit der Individuen erster Ordnung oder Piastiden und die Abschliessung derselben durch eine starre Kapsel aus Kohlenhydraten (Zellmembran); die Differenzirung der Plasti- den-Aggregate in höchstens zwei Gewebsforraen: Pareuchym und Gefässe; die Beschränkung der Individuen zweiter Ordnung (Organe) auf zwei ver- schiedene Reihen: I. ßlattorgane und II. Axorgane; wegen mangelnder Orts- bewegung sehr allgemeine Bildung von Individuen sechster Ordnung (Stöcken), welche meistens das physiologische Individuum repräsentiren. Allgemeines Vorherrschen der niederen oder radiären Grundformen (vor- züglich der regulären Pyramiden). Die Lebensthätigkelt vorzugsweise auf Ueberführung von lebendigen Kräften in Spannkräfte, auf Bindung von Wärme, und auf Anhäufung von verwickelteu Kohlenstoff-Verbindungen ge- richtet, welche durch Reduction aus den einfachsten „anorganischen" Ver- bindungen gewonnen werden. II. T hiereharacter: Die allgemeine Verschmelzung eines Theiles der Individuen erster Ord- nung (Piastiden) zu complexeu Elementartheilen oder Zellstöcken (Muskel- fasern, Nervenfasern) unter Aufgabe ihrer ursprünglichen Selbstständigkeit, der sehr allgemeine Mangel einer festen Kapsel (Zellmembran) an ihrer Oberfläche; die Differenzirung der Piastiden- Aggregate in vier verschiedene Gewebs-Formen: Epitelial-, Binde-, Muskel- und Nerven- Gewebe; die Differenzirung der Individuen zweiter Ordnung (Organe) in vier verschie- dene Reihen: Organe I. der Ernährung, II. der Fortpflanzung, III. der mechanischen Arbeit oder Locomotion (Muskeln), IV. der Beziehungen, Centralisation und Regulation des Ganzen (Nerven); das physiologische Individuum meistens durch morphologische Individuen fünfter Ordnung (Personen), seltener vierter Ordnung (Metameren) repräsentirt; wegen sehr allgemeiner Ortsbowegung selten Bildung von Individuen sechster Ordnung (Stöcken), dagegen sehr allgemeine Bildung von Gemeinden und Staaten. Allgemeines Vorherrschen der höheren oder bilateralen Grundformen, (Zeugiten, und vorzüglich Eudipleuren). Die Lebensthätigkeit vorzugsweise auf Ueberführung von Spannkräften in lebendige Kräfte (Muskelbewegung, Nervenbewegung und Eutwickclung von Wärme), und auf Zersetzung von verwickelten Kohlenstoff-Verbindungen gerichtet, welche durch Oxydation in die einfachsten „auorganischeu" Verbindungen übergeführt werden. 15* 228 Thiere und Pflanzen. Kein so scharfes und vollständiges Bild vermögen wir von den positiven CLaracteren der Protisten zu entwerfen. Es ist mehr eine Summe von negativen EigenthUmlichkeiten, welche die verschie- denen Protisten-Stämme 7Ai einem Reiche vereinigt. Dies liegt theils an der unvollkommenen Entwickelungsstufe, welche die Protisten überhaupt erreichen, und wodurch sie den niedersten Entwickelungs- stufen des Thierreichs sowohl als des Pflanzenreichs zum Theil sehr nahe stehen; theils an der wirklichen Mischung von thierischen und pflanzlichen Characteren, welche viele Protisten in so auffallender Weise in sich vereinigen, dass es ganz unmöglich ist, sie entweder dem Thierreiche oder dem Pflanzenreiche zuzugesellen, ohne dessen Differential - Character wesentlich zu beeinträchtigen. Zum grossen Theil allerdings liegt die Unmöglichkeit, jetzt schon ein vollständiges Characterbild der Protisten zu entwerfen, an unseren noch ausser- ordentlich mangelhaften Kenntnissen, besonders ihrer Ernährungs- thätigkeit und ihres Stoffwechsels. Indessen ist es immerhin möglich, wenigstens einige gemeinsame Züge aller Protisten in ein skizzen- haftes Characterbild zusammenzufassen: III. Protistencharacter : Die allgemeine bleibende Selbstständigkeit der Individuen erster Ord- nung (Piastiden), welche sehr häufig einzeln, oder locker zu Piastiden- familien verbunden, allein das physiologische Individuum repräseutiren ; In- dividuen höherer Ordnung (Orgaue, Personen etc ) entweder gar nicht oder nur höchst unvollkommen eutwickelt; ebenso die Plastideustöcke, wenn vorhanden, meist sehr unvollständig ausgebildet, und nicht differenzirt (keine sogenannten „Gewebe"). Allgemeines Vorherrschen der niedrigsten Grundformen, entweder gar keine bestimmte Formen oder höchst einfache und regelmässige, oft stereometrisch reine und krystall ähnliche Formen (Kugel,^Cyliuder, reguläre Polyeder, krystallähnliehe Prismen etc.) Die Le- bensthätigkeit grösstentheils unbekannt; der Stoffwechsel, wie es scheint, bei einigen Protisten mehr dem der Pflanzen, bei anderen mehr dem der Thiere sich nähernd, bei noch anderen endlich zwischen Beiden die Mitte haltend. Wenn man die verschiedenen Protisten-Stämme mit den Stämmen einerseits des Thierreichs, andererseits des Pflanzenreichs vergleicht, so stellt sich allerdings bei den einen eine nähere Beziehung zu jenem, bei den anderen zu diesem heraus, und wenn man die übliche Zweitheilung der Organismen in Thiere und Pflanzen beibehalten will, so muss man jedenfalls das Protisten -Reich in zwei Theile spalten und die eine Hälfte jenem, die andere diesem anreihen. Die Reihe der pflanzenartigen Protisten würde durch die Myxomyceten, Diatomeen und Flagellaten, die Reihe der thierartigen Protisten durch die Spongien, Noctiluken und Rhizopoden gebildet. Aber bei den Protoplasten und den Moneren würden wir vollständig in Zweifel sein, IX. Vergleichung der drei Reiche. 229 wohin wir sie stellen sollten, und auch für einen Theil der Flagellaten würde dasselbe gelten. Auch würde sich bei allen übrigen Gruppen immer wieder der alte Streit, ob sie Thiere oder Pflanzen seien, erneuern, je nachdem man diese oder jene Seite des Characters für maassgebender hält, und es würden sich immer wieder Naturforscher finden, welche alle oder die meisten Protisten zu den Thieren, und andere, welche sie zu den Pflanzen stellen. So viel lässt sich vor- aussehen, dass dieser Streit, auch wenn wir die Protisten viel besser kennen würden, als es jetzt der Fall ist, immer fortleben würde, weil Viele von ihnen in zu ausgesprochener Weise thierische und pflanz- liche Charaktere vereinigen, und zwar in so verschiedenartiger und verwickelter Weise, dass eben jede scharfe Grenzbestimmung des Thier- und Pflanzen-Reichs verloren geht, wenn wü- diese Zweitheilung beibehalten. Die definitive Entscheidung in solchen schwierigen biologischen Fragen wird immer nur von der Entwickelungsgeschichte, und zwar in diesem Falle nur von der palaeontologischen , gegeben werden können. Leider lässt uns dieselbe aber gerade hier völlig im Stiche, und es bleibt nicht einmal die Hoffnung, dass wir durch eine zukünf- tige Ergänzung unserer äusserst unvollständigen palaeontologischen Kenntnisse diese empfindliche Lticke werden ausfüllen können. Nie- mals wird uns die Phylogenie die Entscheidung darüber bringen, ob die verschiedenen Protisten-Stämme (wie es uns das Wahrscheinlichste ist) sich aus eben so vielen oder vielleicht aus noch zahlreicheren autogonen Moneren -Arten hervorgebildet haben, oder ob sie einem gemeinsamen ursprünglichen Stamme angehören, oder ob sie theils mit den Thierstämmen, theils mit den Pflanzenstämmen sich aus gleicher Wurzel entwickelt haben. Die übliche Zweitheilung der Or- ganismen in Thiere und Pflanzen würde nur in dem einen Falle eine vollkommen natürliche sein, wenn beide Reiche, die Protisten mit eingeschlossen, sich aus zwei verschiedenen autogonen Moneren-Arten hervorgebildet hätten, wenn also die eine Moneren-Art allen Thieren und thierähnlichen Protisten, die andere allen Pflanzen und pflanzen- ähnlichen Protisten den Ursprung gegeben hätte. Indessen ist gerade dieser Fall, wie schon oben bemerkt, von allen möglichen der am wenigsten wahrscheinliche. Es ist also die Beibehaltung der gewöhn- lichen Zweitheilung weder real in der Descendenz begründet, noch von irgend welchem praktischen Nutzen. Wir glauben demgemäss, dass die von uns versuchte Dreitheilung nur praktische Vortheile und keinerlei wissenschaftliche Nachtheile bietet. Es wird dadurch möglich, die beiden divergenten Reiche, Thier- und Pflanzen- Reich, scharf zu trennen und den Begriff des Thieres und der Pflanze scharf zu fixiren. Es wird zugleich, hoffen 230 Thiere und Pflanzen. wir, die Hervorliebuiig des Protistenreiches als einer besonderen, den beiden anderen Reichen coordinirten , coUectiven Haiiptgruppe , dazu beiü-agen, die Aufmerksaml^eit und das Interesse der Naturforscher immer mehr auf diese äusserst interessante und bisher von den meisten sehr vernachlässigte Gruppe von Organismen hinzulenken, deren Studium für die allein richtige, d. h. die monistische Erkennt- niss, für das mechanisch - causale Verständniss der lebendigen Natur so ungemein lehrreich ist. X. Wechselwirkung der drei Reiche. Schon aus der vorhergehenden Characteristik und Vergleichung der drei Reiche wird die innige gegenseitige Wechselwirkung, welche zwischen denselben in vielen biologischen Beziehungen herrscht, klar geworden sein. Doch ist dieselbe von so hohem Interesse und von solcher Wichtigkeit für eine mechanische Erfassung des organischen Naturganzen, dass wir die wichtigsten Punkte dieses Verhältnisses hier nochmals kurz hervorheben wollen. Zwischen den Thieren und Pflanzen existirt, im Grossen und Ganzen betrachtet, der am meisten durchgreifende Gegensatz zunächst in der Qualität der wichtigsten und allgemeinsten organischen Func- tion, der Ernährung, indem der mit der Ernährung verbundene Stoffwechsel in beiden Reichen geradezu entgegengesetzt ist. Durch diesen „ Kreislauf der Stoffe " ist der beständige Gleichgewichtszustand bedingt, den die organische Natur im Grossen und Ganzen zeigt. Die Pflanzen als Reductions-Organismen produciren durch ihre progressive Stoffmetamorphose die zusammengesetzten Kohlenstoffverbindungen (Albuminate, Fette, Kohlenhydrate), welche die Thiere zu ihrer Er- nährung brauchen; und indem die Thiere als Oxydations-Organismen durch ihre regressive Stoffmetamorphose die einfacheren „anorgani- schen" Verbindungen herstellen (Wasser, Kohlensäure, Ammoniak), liefern sie wiederum das Nahrungsmaterial für die Pflanzen. Diesem Gegensatze im Stoffwechsel der beiden Reiche entspricht ein ähnlicher Gegensatz im Kraftwechsel derselben. Indem die Pflanzen durch Bindung von Licht und Wärme, die sie zu ihren Re- ductionsprocessen bedürfen, lebendige Kräfte in Spannkräfte überfüh- ren, liefern sie den Thieren in ihren verwickelten Kohlenstoff- Verbin- dungen diejenigen Mengen von Spannki-äften, welche die Thiere nöthig haben, um lebendige Kräfte entwickeln zu können. Doch ist dieser Kraftwechsel nicht, wie der Stoffwechsel, ein gegenseitiger, sondern nur ein einseitiger, da die lebendigen Kräfte, welche das Thier als thierische Wärme, mechanische Arbeit (Muskelbewegung) und Aus- lösungsthätigkeit (Nervenbewegung) producirt, nicht in der Form frei X. Wechselwirkung der drei Reiche. 231 werden, in welcher die Pflanze sie brauchen kann. Diese entnimmt vielmehr die für ihr Leben nöthige lebendige Kraft grösstentheils aus dem Sonnenlicht. Wie sich die Protisten hinsichtlich des Kraft- und Stoffwechsels verhalten, wissen wir von der Mehrzahl derselben nicht. Einige seheinen sich mehr den Pflanzen, andere mehr den Thieren anzu- schliessen. Doch ist es wahrscheinlich, dass sich im Ganzen bei den meisten Protisten Reducüon und Oxydation, progressive und regressive Metamorphose ihres Plasma-Körpers ziemlich das Gleichgewicht halten wird, da sie weder so beträchtliche Mengen von lebendiger Kraft, wie die Pflanzen, noch so beträchüiche Mengen von Spannkraft, wie die Thiere nöthig haben, um ihre Lebensfunctionen zu vollziehen. Sie halten sich wahrscheinlich auch in dieser Beziehung auf einem mehr indifferenten Standpunkte, und sind daher auch von der übrigen organischen Natm- weniger abhängig, als es bei den Thieren und Pflanzen der Fall ist. Stoffwechsel und Kraftwechsel der Organismen in früheren Pe- rioden der Erdgeschichte werden sich wesentlich verschieden von den jetzigen Verhältnissen, gestaltet haben. Denken wir an den Urzustand der Erde zurück, als sie zuerst von Organismen bevölkert wurde, so müssen schon allein die ungeheuren Kohlenstoffmassen, die jetzt im Körper der Organismen gebunden sind, und die damals vemuthlich grösstentheils als Kohlensäure, Kohlenwasserstoffe etc. Urmeer und üratmosphäre sättigten, gänzlich verschiedene Existenzbedingungen hervorgerufen haben. Es ist daher auch wahrscheinlich, dass zuerst ausschliesslich pflanzliche und protistische Moneren durch Auto- gonie entstanden sind, d. h. Eiweiss -Verbindungen in individueller Form, welche vorzugsweise oder fast ausschliesslich in progressivem Stoffwechsel ßeduction übten und Massen von disponiblen festen und einfachen Kohlenstoff-Verbindungen in die lockeren und verwickelten Kohlenstoff-Verbindungen des Eiweisses, Fettes, der Kohlenhydi-ate etc- überführten. Erst nach Verlauf langer Zeiträume, nachdem sich eine reiche Pflanzenwelt entwickelt und Massen von Kohlensäure etc. aus der Atmosphäre und dem Umieere fortgeschafft hatte, werden in dem nunmehr respirablen Medium durch Autogonie thierische Mone- ren entstanden sein, d. h. Eiweiss- Verbindungen in individueller Form, welche vorzugsweise in regressivem Stoffwechsel Oxydation übten, welche die in den Pflanzen aufgespeicherten Spannkräfte sich zu Mutze machten, und in allinähliger Weiterentwickelung das Wechsel- verhältniss einleiteten, das gegenwärtig zwischen den organischen Kelchen existirt. Die Differenzirung, welche in dieser oder ähnlicher Weise all- mählig stattgefunden hat, lässt sich jedoch auch in der Form denken, 232 Thiere und Pflanzen, dass alle autogonen Moneren pflanzlicher Natur und als Reductions- Organismen tliätig- waren, und dass aus diesen sich später, bei hin- reichender Abnahme der freien Kohlensäure, Piastiden hervorbildeten welche anfangs nur wenig, in späteren Generationen mehr und mehr, und zuletzt Uberwiegend als Oxydations-Organismen, als Thiere thätig waren. Wenn man eine Abstammung der ganzen Organismen -Weft von einer einzigen Moneren-Art annimmt, so muss man jedenfalls die Wurzel dieses einzigen organischen Stammbaumes, d. h. seine auto- gone Moneren-Form und zahllose älteste Reihen von Generationen als pflanzliche, als reducirende, ansehen, aus deren vielfach verzweigter Verwandtschaft sich erst weit später mehr neutrale Protisten und endlich die vorwiegend oxydirenden, thierischen Piastiden diff-eren- zirten, deren Nachkommenschaft das Thierreich ist. XI. Die Seele als Character der Thiere. Wenn man, wie es für die kurzen Definitionen des Thieres und der Pflanze in den Lehrbüchern erwünscht ist, die am meisten cha- racteristischen und durchgreifenden Unterschiede von Thier und Pflanze mit wenigen Worten ausdrücken will, so wird es immer am natürlichsten sein, die hervorgehobenen Gegensätze des Stoffwechsels und der Ernährung, und des daran geknüpften Kraftwechsels in erster Linie zu betonen, und man kann die drei Reiche dann ungefähr durch folgende Diagnose bezeichnen: 1) Die Pflanzen bild en vorwie- gend durch Reduction und Synthese aus ganz einfachen sehr zusammengesetzte Verbindungen, binden dabei Wärme und entwickeln wenig mechanische Arbeit. 2) Die Protisten sind vorwiegend indifferente Organismen, in denen sich Reduction und Oxydation das Gleichgewicht zu halten scheinen, welche bald Wärme binden, bald abgeben, und mehr mechanische Arbeit als die Pflanzen, weniger als die Thiere entwickeln. []) Die Thiere bilden vorwiegend durch Oxydation und Analyse aus sehr zusammengesetzten ganz einfache Verbindungen, entwickeln dabei Wärme und viel mechanische Arbeit. Jedenfalls ist diese Deflnition weit zuti-effen- der, als die gewöhnlich in den Lehrbüchern aufgeführte Behauptung, dass sich die Thiere vor den Pflanzen durch den Besitz einer „Seele", d. h. durch die Functionen der „willkührlichen Bewegung" und „Empiindung", auszeichnen. Da auf diesen falschen Satz immer noch so grosses Gewicht gelegt wird, so wollen wir demselben noch einige Worte der Widerlegung widmen. Unter Seele oder Seelenthätigkeit verstehen wir allgemein eine Summe von verschiedenen, hoch difl'erenzirten Functionen des Central- XI. Die Seele als Character der Thiere. 233 nerveusystems, unter denen der Wille und die Empfindung die wich- tigsten sind. Der Wille, welcher der willkührlichen Bewegung zu Grunde liegt, und die Empfindung sind Vorstellungen, welche nur in dem hoch entwickelten Centraluervensystem der höheren Thiere ausschliesslich zu Staude kommen und als complicirte M olekularbewegungeu iu den Ganglienzellen zu betrachten sind. Es erfordern diese sehr verwickelten Nervenbewegungen eine ent- sprechend complicirte Structur der Nervencentren , wie sie sich nur bei den vollkommeneren und entwickelteren Thieren vorfindet. Auch diese höchst feinen und zusammengesetzten Structur -Verhältnisse des „Seelen -Organs", sowie die von ihm ausgehende Seelen -Thätigkeit, haben sich, gleich allen höheren Organen und Functionen der voll- kommeneren Thiere, erst allmählig durch Diiferenzirung aus einfachen Verhältnissen hervorgebildet. Bei den niederen Thieren (z. B. bei zahlreichen niederen Entwickelungsstufen der Coelenteraten , Echino- dermen, Würmer, Mollusken) finden wir statt deren nur die viel ein- facheren Functionen, welche man mit dem Namen der „Reflex- bewegungen" belegt hat. Diese Reflex -Functionen der niederen Thiere finden sich auch bei den Protisten und den Pflanzen wieder, welche kein differenzirtes „Nervengewebe" besitzen; sie sind also nicht nothwendig an ein entwickeltes Nervensystem geknüpft, während der Wille und die Empfindung, ebenso wie das mit ihnen verbundene Bewusstsein, immer eines hoch entwickelten und com- plicirt gebauten Nervencentrums als unentbehrlichen Organes bedürfen. Wenn wir von den einfacheren und niederen Thierformen durch die Reihe der allmählig diiferenzirten Zwischenstufen zu den höchsten und vollkommensten Thieren (innerhalb eines und desselben Stammes) emporsteigen, und ebenso wenn wir von der Larve oder dem neuge- borenen Thiere (z. B. beim Menschen) zu dem reifen und erwachsenen Thiere aufsteigen, so sehen wir aus den Reflex-Functionen der niederen Entwickelungszustände sich allmählig und langsam Nervenbewegungen entwickeln, die sich in die drei getrennten Haupt- Functionen des Seelenlebens: Empfindung, Wille und Gedanken differenziren. Empfindung und Wille sind Vorstellungen, welche während der Leitung einer Nervenauslösung entstehen, und die unmittelbare Leitung der Reflexbewegungen unterbrechen, gewissermaassen in diese einge- schaltet werden. Wie wir oben (p. 214) gesehen haben, können wir uns die Reflexbewegung einfach vorstellen als eine geschlossene KBtte von Auslösungen, welche von der Peripherie des Körpers (vom Sinnesorgan) ausgeht, und zu derselben (zum Bewegungsorgan, dem Muskel) zurückkehrt. Unmittelbar hat hier die Auslösung der centri- petalen Nervenfaser diejenige der centrifugalen zur Folge. Die cen- trale Ganglienzelle oder die Gruppe von (Janglienzellen, welche die 234 Thiere und Pflanzen. Auslösung von der sensiblen (centvipetalen) zur motorischen (centri- fug-alen) hinüberleiten , erflülen diese Function, ohne dass in ihnen dadurch die eigenthümliche Molekularbewegung der „Vorstellung" entsteht. Erst wenn diese „Vorstellung" in den Eiweissmolekülen der Ganglienzellen erregt wird, können wir von einer „Seele" des Thieres sprechen, und wir bezeichnen dann diejenige Vorstellung, welche bei der Erregung der Ganglienzellen durch die centripetale Faser erzeugt wird, als Empfindung, diejenige Vorstellung dagegen, welche bei der Erregung der centrifugalen Faser durch die Ganglienzelle erzeugt wird, als Wille. Die am schwierigsten zu be- greifende, dunkelste und höchste Function der thierischen Seele ist die Gedankenbildung, welche in Vorstellungen besteht, die in den Ganglienzellen während der Leitung, wahrscheinlich aber immer durch eine höchst complicirte Wechselwirkung zahlreicher centrifugaler und centripetaler Erregungen, erzeugt werden. Mögen wir über diese Vorgänge noch so sehr im Dunkeln sein, so viel ist sicher, dass alle diese differenzirten Nervenbewegungen, welche man unter dem Namen des Seelenlebens zusammenfasst, sich erst allmählig bei den höheren Thieren difterenzirt und aus den einfacheren Keflexbewegungen her- vorgebildet haben, welche alle niederen Thiere mit den Protisten und Pflanzen theilen. XII. Zoologie, Protistik, Botanik. Wenn die von uns vorgeschlagene Dreitheilung der Organismen- Welt, die Aufstellung der drei coordinirten Hauptgruppen oder Reiche : Thiere, Protisten, Pflanzen, naturgemäss ist, wie wir glauben, so muss die Biologie, als die Gesammtwissenschaft von den Organismen, von diesem Gesichtspunkte der Classification aus in drei coordinirte Haupt- zweige zerfallen: Zoologie, Protistik, Botanik. Jede dieser drei Wis- senschaften hat ihr besonderes Object und hat zur Aufgabe die voll- ständige Erkenntniss dieses Objects, in allen den verschiedeneu Beziehungen, welche wir bereits oben (im zweiten Capitel) erläutert haben. Es muss also jede dieser drei Wissenschaften in die verschie- denen Zweige und Aeste zerfallen, welche oben (p. 21) als die Zweige und Aeste der gesammten Biologie hingestellt worden siud. Wir he- ben dies hier ausdrücklich hervor, weil Begriö" und Aufgabe der Zoo- logie von den allermeisten Zoologen, Begriff und Aufgabe der Bo- tanik von den allermeisten Botanikern nicht in diesem Sinne aufge- fasst werden, vielmehr fast immer nur einzelne grössere oder kleinere Bruchstücke ihres weiten und grossen Wissenschaftsgebiets als die „eigentliche" Zoologie und die „eigentliche" Botanik angesehen wer- den. Natürlich existirt in dieser Beziehung niclit die mindeste Ueber- XII. Zoologie, Protistik, Botanik. 235 einstimmung zwischen den verschiedenen Biologen, da in der Regel ein Jeder nur den kleinen abgerissenen Fetzen der Wissenschaft als „eigentliche" Thier- oder Pflanzen-Kunde preist, in welchem er spe- ciell bewandert ist. Da unter diesen Umständen gegenwärtig die grösste Verwirrung und die allgemeinste Unklarheit über die wahre Aufgabe uud das eigentliche Ziel der Zoologie und Botanik herrscht, so halten wir es keineswegs fiir überflüssig, hier nochmals ausdrück- lich hervorzuheben, dass Zoologie die Gesammtwissenschaft von den Thieren, Protistik oder Protistologie die Gesammtwissenschaft von den Protisten, Botanik oder Phytologie die Gesammtwissenschaft von den Pflanzen ist; und dass jede dieser drei Wissenschaften die voll- ständige uud allseitige Erkenntniss des ihr zugetheilten Organismen- Reiches zur Aufgabe hat. Jeder vernünftige und logisch denkende Mensch, der ausserhalb un- serer Wissenschaft steht, wird die vorstehenden Sätze so selbstverständlich und natürlich finden, dass es ihm sehr überflüssig erscheinen könnte, diesel- ben hier doppelt und dreifach hervorzuheben. Jeder unbefangene Natur- forscher aber, der mit der uuendlichen Divergenz der allgemeinen biologi- schen Ansichten vertraut ist, uud der eine grössere Anzahl von Biologen und von biologischen Schriften über die Aufgaben ihrer Wissenschaft be- fragt hat, wird umgekehrt die ausdrückliche Betonuug jener Sätze für eine fundamentale Nothwendigkeit halten. In der Tuat braucht man bloss ein paar Dutzend der gebräuchlichsten Lehr- und Hand-Bücher der Zoologie und Botanik in die Hand zu nehmen und zu vergleichen, um sich zu über- zeugen, dass die meisten Verfasser derselben thatsächlich nicht den ganzen Umfang und vollen Inaalt, und also auch nicht das letzte Ziel und die ganze Aufgabe der Wissenschaft, der sie ihr Leben gewidmet haben, ken- nen. Die einen halten die Systematik, die anderen die Anatomie, einige die Morphologie, andere die Physiologie für die „eigentliche" Zöologie oder die „eigentliche" Botanik. Die allermeisten sogenannten Zoologen und Bo- taniker beschäftigen sich vorwiegend oder ausschlie^-slich mit einzelnen Thei- len der Morphologie, die einen (Systematiker) mehr mit den äusseren, die anderen (Anatomen) mehr mit den inneren Formverhältnissen der Organis- men; jeder von beiden behauptet aber, dass er die „eigentliche" Zoologie oder Botanik treibe.') Die Physiologie wii-d von den Meisten als eine be- ') Sehr viele sogenannte Zoologen und Botaniker sind auch jetzt noch nicht über den Standpunkt des alten Boerhaave hinaus, der die Botanik mit fol- genden Worten definirte: ,,Botanica est scientiae naturalis pars, cujus ope feli- cissime et minimo negotio plantae cognoscuutur et in memoria retinentur." Das in Deutschland am meisten verbreitete „Handbuch der Zoologie" von Wieg- manu stellt noch in der neuesten, von Troschel umgearbeiteten Auflage (1864) der Zoologie folgende Aufgabe: „Sie hat die äusseren Formen der Thiere (!), das Wichtigste (!) ihres inneren Baues, ihre Lebensweise uud Heiraath kennen zu lehren; sie hat die in der Gesammtheit ihres Wesens übereinstimmenden Thierformen in Arten, Gattungen, Familien, Ordnungen und Klassen zusammen- zustellen, um 80 das Vielen Gemeinsame leichter hervorzuheben, und das Erken- 236 Thiere und Pflanzen. sondere, ganz verschiedene Wissenschaft angesehen, die mit der „eigent- lichen" Zoologie oder Botanik Nichts zu thun hat. Die Entvviekelungsge- schichte der Individuen (die Ontogenie oder sogenannte Embryologie) ist zwar neuerdings etwas mehr zu Ehren und Ansehen gekommen und wird wohl von den meisten Botanikern und einigen Zoologen als ein integriren- der und höchst wesentlicher Zweig der Biologie anerkannt. Die eoordinirte Phylogenie dagegen, die Entwickelungsgeschichte der Stämme, einer der interessantesten und wichtigsten biologischen Wissenschaftszweige, ist den meisten Zoologen und Botanikern, ebenso wie die Palaeontologie, welche ihr das empirische Material liefert, entweder gänzlich unbekannt oder wird doch als eine fremde, weitabliegende Wissenschaft, allenfalls als eine in- teressante Curiosität betrachtet. Wenn in dieser Weise, und es ist dies Thatsache, die „Versteinerungen," die unschätzbaren Reliquien der ausge- storbenen Thiere und Pflanzen, von den meisten Zoologen und Botanikern entweder gar nicht berücksichtigt, oder doch nicht richtig verstanden und gewürdigt werden, so hat dies gerade so viel Sinn, wie wenn die ver- gleichenden Sprachforscher sich ausschliesslich mit den lebenden Sprachen beschäftigen, und das Studium der ausgestorbenen für ein ganz fremdartiges Curiosum erklären wollten. Wir sind gewiss weit entfernt davon, den grossen Vortheil zu verken- nen, welchen die weit vorgeschrittene Arbeitstheilung den einzelnen Fächern der Biologie gebracht hat. Ihr allein oder doch vorzüglich verdanken wir die ausserordentliche Vermehrung des (freilich meist nicht ordentlich ver- wertheteu) empirischen Kenntniss-Materials, welche in den letzten Decennien eine ganze Reihe von selbstständigen Wissenschafts-Zweigen hervorgerufen hat. Und diese Arbeitstheilung wird und muss auch noch viel weiter gehen, wenn die Riesen- Masse der noch nicht unserer Kenntniss unterworfenen Thatsachen- Welt bewältigt werden soll. Allein wir können nicht umhin, auch auf die grossen Nachtheile aufmerksam zu machen, welche mit jeder solchen weitgehenden Arbeitstheilung verbunden sind, welche aber erst dann die Wissenschaft erheblich beschädigen, wenn man sich, wie es jetzt meist geschieht, ihrer Erkenntniss verschliesst. Hierher gehört vor Allen die blinde Einseitigkeit, mit der sich die meisten Biologen auf ein ganz klei- nes und beschränktes Wissenschaftsgebiet zurückziehen, ohne sich weiter um das Ganze der Wissenschaft zu bekümmern. Dadurch geht aber nicht nur der erhebende Blick für das wundervolle Ganze der Natur, sondern auch die Fähigkeit für die richtige Erkenntniss des Einzelnen verloren. Es reisst dadurch ferner eine Einseitigkeit in der Untersuchungsmethode und Darstellungsweise jedes einzelnen kleinen Gebietes ein, welche ein gegen- seitiges Verständniss erheblich erschwert und Verwirrung in die Literatur bringt. Endlich aber verlieren durch diese ausschliessliche Versenkung in das kleinste Detail die Naturforscher ganz den Blick für die Erkenntniss der Naturgesetze, welche doch das höchste und letzte Ziel der Wissensehaft ist. neu der einzelnen Arten zu erleichtern (!)." Von Physiologie und Entwicke- lungsgeschichte, von Palaeontologie etc. ist in diesem, wie in den meisten übrigen Handbüchern Nichts oder nur einzelne beiläufige Bemerkungen zu finden. XU. Zoologie, Protistik, Botanik. 237 Die allgemeine Begriffsverwirrung, welche in den meisten biologischen Disciplineu herrscht, und die merkwürdige ünklarkeit, in welcher sich die meisten Biologen über Inhalt und Umfang der Wissenschaftszweige be- finden, in denen sie speciell arbeiten, ist von uns bereits im zweiten und dritten Capitel eingehend gerügt worden. Um sich von der wirklichen Be- gründung dieser schweren Vorwürfe zu überzeugen, ersuchen wir den Le- ser, ein paar Dutzend der gebräuchlichsten zoologischen und botanischen Hand- und Lehr-Bücher neben einander zu legen und ihre einleitenden er- sten Capitel zu vergleichen. Man wird erstaunen über die unglaub- lichen Widersprüche und die ausserordentliche Divergenz der Ansichten bei den verschiedenen Autoren, welche sich nicht etwa auf untergeordnete Ge- genstände beziehen, sondern auf die wichtigsten Fundamente der Wissen- schaft, auf die Bestimmung des Inhalts und Umfangs der einzelnen Natur- wissenschaften, welche die einzelnen Zoologen und Botaniker als die Be- standthelle der „eigentlichen" (neuerdings „wissenschaftlichen") Zoologie und Botanik zu bezeichnen belieben. Wenn wir schon oben gezeigt haben, dass die Begriffe der Morphologie und Physiologie, der Anatomie und Systematik, der Organologle und Histologie u. s. w. von den verschiedenen Biologen in einem ganz verschiedenen und willkührlichen Sinne gebraucht werden, so gilt dasselbe in noch höherem Maasse von den Begriffen der Zoologie und Botanik. Es Ist daher keineswegs überflüssig, wenn wir hier nochmals ausdrücklich darauf hinweisen, dass jeder biologische Wissen- schaftszweig, welcher eine einzelne Organismen - Gruppe behandelt, aus allen denselben Disciplineu zusammengesetzt ist, welche wir oben (p. 21) als Integrirende Bestandtheile der gesammten Biologie hingestellt haben. Wenn wir also als die drei Hauptgruppen oder Reiche der Organis- men die Thlere, Protisten und Pflanzen betrachten, und wenn wir unter Zoologie, Protistik und Botanik die gesammte Wissenschaft dieser drei Gruppen verstehen, so muss jede dieser drei Wissenschaften, gleich der gesammten Biologie, zunächst in die drei coordlnlrten Dlsclpllnen der Morphologie, Chemie und Physiologie zerfallen, oder, wenn wir die statische Chemie mit der ersteren, die dynamische Chemie mit der letzteren vereini- gen, in die beiden Hauptfächer der Morphonomle (Morphologie im weiteren Sinne) und der Phoronomie (Physiologie Im weiteren Sinne). Die Morpho- logie spaltet sich wiederum in die beiden Hauptzweige der Anatomie und Entwlckelungsgeschichte (Morphogenle). Die Physiologie thellen wir eben- falls in zwei Dlsclpllnen: I. Die Physiologie der Conservatlon oder Selbst- erhaltung (a. Ernährung, b. Fortpflanzung), II. die Physiologie der Rela- tionen oder Beziehungen (a. Physiologie der Beziehungen der einzelnen Theile des Organismus zu einander (beim Thlere Physiologie der Nerven und Muskeln); b. Oecologie und Geographie des Organismus oder Physiologie der Beziehungen des Organismus zur Aussenwelt). Um die gegenseitigen Beziehungen dieser einzelnen Disciplineu klar zu übersehen, fügen wir als Beispiel die folgende Tabelle über die einzelnen Zweige der Zoologie bei, welche entsprechend auch für die Protistik und Botanik Geltung hat. 238 Thiere und Pflanzen. Cß hJ •s CD (y s= O o O CD he j... CD CD o CD O ^ "2 &i 3 O CD 2 B o ^ CD CD er cDoJRoöcrccccDi-! 3 acj p 2 ^ ö S cr£- o g K g^S P-oq PH" t=lo o — CJQ CD ^ 2; ^ p- B ^ c» CD 2 g Tqq «> CD H tS CO O CD C " P r- z—s CP tJ. gq? g o ^ g ^ S S'ts aq ^ . TO P- » o Li P Ji. ? S'^tS aq ^s^TO P-« o ■ p p 2 p 1 p^ CD CD CO P B B ^ 09 OQ CD P CO c:i i', 10, das concrete Lebewesen, das physiologische Individuum. 16* 244 Begrifi' und Aufgabe der Tectologie. Idee der Einheit als gemeinsames Band zu Grunde liegt. Wenn man von der einheitlichen Erscheinungsform der Individuen absieht, so bleibt für den Begriff des Individuums weiter Nichts übrig. Hieraus folgt bereits, dass der Begriff des Individuums kei- ner weiteren Definition fähig ist, dass er keine absolute, sondern nur eine relative Bedeutung besitzt. Streng genommen ist das Indivi- duum eigentlich gar kein Begriff, sondern nur die rein anschauliche Auffassung irgend eines gegebenen Begriffes als Einheit unter einer Vielheit von gleichen Begriffen. So hat schon Schleiden') das In- dividuum als „die rein anschauliche Auffassung irgend eines wirk- lichen Gegenstandes unter einem gegebenen Artbegriff" definirt. Erst die Beziehung zu diesem Artbegriff lässt das Individuum als solches erscheinen. Dasjenige, was im gewöhnlichen Leben am häufigsten als Individuum bezeichnet wird, der einzelne Mensch, oder die Person, ist ein Individuum unter dem Artbegriff seiner Nation; die Nation ist ein Individuum unter den übrigen Nationen ihrer Rasse; die Rassen sind Lvlividuen unter der Menschen- Art; die Men- schen-Art ist ein Individuum unter den verschiedenen Säugethier-Arten u. s. w. Erst wenn der Artbegriff vollkommen definirt ist, von dessen Individuen man spricht, erhält das Individuum eine bestimmte Bedeu- tung. Es tritt uns dann die Iiulividualität als eine einheitliche Er- scheinung entgegen, welche nicht getheilt werden kann, ohne ihren Character, ihr eigenstes Wesen zu zerstören. Ucber das gegenseitige Verhältniss der verschiedenartigen Indivi- dualitäten, die uns in den concreten Naturkörperu entgegentreten, über ihr coordinirtes und subordinirtes Verhältniss im Allgemeinen existiren noch keine zusammenhängenden Untersuchungen. Desto mehr hat man sich bemüht, bestimmte Erscheinungsformen der Natur- körper xat s^nxqv als „eigentliche" Individuen zu bestimmen. Unter den Anorganen Hess sich eine solche absolute Individualität leicht in den Krystallen finden. Unter den Organismen hat man bei den Thieren meistens keine Schwierigkeiten gefunden, indem man als typisches Individuum die sowohl physiologisch als morphologisch vollkommen abgeschlossene und einheitliche Erscheinung auffasste, in welcher de? einzelne Mensch und alle übrigen Wirbelthiere , wie die grosse Mehrzahl der höheren Thiere überhaupt, auftreten, und welche wir vorläufig als Person (Prosopon) bezeichnen wollen. Viel schwieriger erschien dagegen die Feststellung eines solchen absoluten Individuums im Pflanzenreiche, woher es sich erklärt, dass die Botaniker am meisten sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Als diejenige Einheitsform, ') Schleiden, Gruudzüge der wissensch. Botan. III. Aufl. 1850. II. p. II. Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen. 245 welche der thierischen Person aequivalent ist, haben die meisten Bo- taniker bei den höhereu Pflanzen den Spross oder die Knospe aner- kannt. Da jedoch neben dieser Anschauung noch eine Anzahl von anderen sehr verschiedenartigen Auffassungen der thierischen und pflanzlichen Individualität sich Geltung verschafft haben, so können wir eine allgemeine Uebersicht derselben hier nicht umgehen; und zwar wollen wir zunächst die verschiedenen Ansichten über das pflanz- liche, dann diejenigen über das thierische Individuum neben einander stellen. Es wd sich durch eine vergleichende Betrachtung dieser sich widersprechenden Auffassungen schon die Ansicht vorbereiten, zu der uns die eigene eingehende Untersuchung mit Nothwendigkeit hin- führt, dass wir nämlich auf die Aufstellung von absoluten organischen Individuen überhaupt verzichten müssen, und nur dadurch zum Ziele gelangen, dass wir verschiedene Ordnungen oder Kategorieen von relativen Individuen in den organischen Naturkörpern unter- scheiden. II. Verschiedene Auffassungen des pflanzlichen Individuums. Als pflanzliche Individuen in absolutem Sinne werden von der unmittelbaren und nicht in die Zusammensetzung der Pflanzenformen eindringenden Naturanschauung der Laien diejenigen für die ober- flächliche Betrachtung am meisten physiologisch und morphologisch abgeschlossenen Einheiten bezeichnet, welche die Botanik mit einem schärferen Ausdruck als Stock oder zusammengesetzte Pflanze (Cor- mus) bezeichnet. Der einzelne Baum, der einzelne Strauch, das ein- zelne Kraut mit seinem Stengel und seiner Wurzel, seinen Aesten und Zweigen, seinen Blättern und Bltithen, scheint auf den ersten Blick dasjenige zu sein, was am nächsten der individuellen Persönlichkeit der höhereu Thiere als geschlossene Einheit sich gegenüberstellt. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch bald, dass weder physiologisch noch morphologisch diese Einheit so absolut und selbststäudig ist, als sie zunächst erscheint. Benachbarte, scheinbar selbstständige Stöcke hängen unterirdisch durch ihre Wurzelausläufer zusammen, indem ent- weder, wie z. B. bei den Tannen eines Tannenwaldes, die Wurzel- fasern vieler ursprünglich selbstständiger Stöcke in coutiuuirliche Com- munication treten und zu einem Netze verwachsen; oder indem eine unterirdisch kriechende Axe nach oben viele Knospen absendet, welche über der Erde als scheinbar selbstständige Stöcke auftreten. Aber auch von den oberirdischen vollkommen isolirten Stöcken können die verschiedensten Arten der Sprosse (Aeste, Zweige, Brutkuospeu etc.) natürlich oder künstlich abgelöst werden und leben als selbststäudige Individuen weiter, indem sie sich alsbald wieder verästeln und neue selbststäudige Stöcke bilden. 24G Begriff uud Aufgabe der Tectologie. Aus diesem Grunde haben die Botaniker schon seit langer Zeit und mit ßecht den Cormus oder Stock als eine zusammengesetzte Pflanze, als ein Aggregat oder eine Colonie von Individuen betrachtet, und dagegen als eigentlich individuelle Pflanze den Öpross oder die Knospe (Gemma), den Trieb, aus welchem jeder einzelne Zweig hervorgeht, und welcher stets nur einer einzigen Axe entspricht. Diese Auffassung ist uralt und findet sich schon bei Aristoteles und Hippokrates angedeutet. Sie ist dann später von Linne/) Goethe, Erasmus Darwin (dem Grossvater des Eeformators der Descendenz- Theorie) und vielen Anderen mehr oder minder bestimmt ausgesprochen und zuletzt namentlich von Alexander Braun') ausführlich begrün- det worden. Für die Phanerogamen und die höheren Cryptogamen lässt sich die Richtigkeit dieser Behauptung gar nicht verkennen, sobald man ihre Vegetations- und Forti)flanzungs -Weise, die Art und Weise des Aufbaues ihrer Stöcke, mit den ganz übereinstimmenden Verhält- nissen der Stockbildung bei den Coelenteraten, und insbesondere den Hydromedusen, vergleicht. Dass die Sprossen oder Knospen bei den letzteren und bei den ersteren ganz dieselben Verhältnisse zu einander und zum Ganzen zeigen, bedarf keines Beweises ^ und da bei den Coelenteraten die Individuen -Natur der Sprosse, seien dieselben nun polypoide (hydroide) oder medusoide Formen, von den deutschen Naturforschern wenigstens, allgemein anerkannt ist, selbst bei den Siphonophoreu-Stöckeu, wo sich einzelne Individuen durch weit gehende Arbeitstheilung sehr weit von dem ausgeprägten Character der typischen Individuen entfernen, so darf man, hierauf gestützt, den Sprossen der Phanerogamen und der höheren Cryptogamen den morphologischen Werth und Rang der thierischen Personen unbedingt zugestehen. Schwierigkeiten entstehen für diese Auffassung erst bei den nie- deren Cryptogamen, Flechten, Pilzen und Algen, wo die individuelle Selbstständigkeit der Sprosse in vielen Fällen weder vom morphologi- schen noch vom physiologischen Standpunkte aus sich nachweisen lässt. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der Spross, eine Seitenaxe, nur als seitlicher Ausläufer einer einzigen Zelle auftritt, deren anderer Theil der Hauptaxe als integrirender Bestaudtheil angehört. Die Durchführung des Grundsatzes, dass jeder seitlichen Axe der Rang einer selbstständigen Individualität gebühre, scheint hier zu den selt- samsten Widersprüchen zu fühi'eu. Auch könnte man dann daran denken, ebenso jede kleinere seitlich von der Axe ausgehende Bil- dung, Blätter, Haare etc. als Individuen zu erklären, ebenso auch ') Linne, Philos, botan. ^ 132: „Gemmae totidem herbae." ^) Alexander Braun, Das Individuum der Pflanze in seinem Verliältniss zur Species. Abhandl. der Berl. Akad. 1853. m. Verschiedene AulTassungen des pflaazüchoa Individuums. 247 die einzelnen, oft unter bestimmten Winkeln gegen einander geneigten Glieder (Stengelglieder), in welche die einfache Axe bei vielen Pflan- zen abgetheilt ist u. s. w. Diese letztere Consequenz ist denn auch von vielen Botanikern gezogen worden, und von den beiderlei Organen, aus denen sich der Spross bei den höhereu Pflanzen allgemein zusammensetzt, von der Axe und dem Blatte, hat man Jedem die Individualität allein vindiciren Wüllen. Die Auffassung des Blattes, als des eigentlichen Pflanzen- Individuums, wurde namentlich durch die von Goethe begründete Lehre von der Pflanzen -Metamorphose begünstigt, welche die ver- schiedensten Pflanzen-Organe, Laubblätter, Blumenblätter, Staubgefässe, Fruchtblätter etc. als differenzirte , durch Arbeitstheilung entstandene Modificationeu eines und desselben Grundorganes, des Blattes, nach- weist, und wonach die ganze Pflanze lediglich eine Composition aus differenzirten Blättern, gewissermaassen ein Blätterstock ist. Nach dem cousequentesten Extrem dieser Auffassung erscheinen die Axengebilde bloss als Aggregate aus den vereinigten Basaltheilen der einzelnen Blätter. So ist nach Ernst Meyer das Stengelglied blos der untere Theil des Blattes. Ebenso wie das Blatt ist von Anderen das Stengelglied unter dem Namen Phyton (Gaudichaud) als das eigentliche Individuum der Pflanze hingestellt worden, so von Agardh, Engelmann, Steinheil und Anderen. Dann Vttrde der Spross als ein gegliederter Stock, eine Vielheit von Individuen (Stengelgliedern) erscheinen, die wie Stockwerke übereinander gebaut sind. Das Verhältniss des zu jedem Stengelgliede gehörigen Blattes oder Blattquirls hat man dabei so aufgefasst, dass das Blatt bloss der obere Theil des Stengel- gliedes sei. Mag man nun mit den letzteren Botanikern die Sprosse (Gemmae) der Phanerogamen und der höheren Cryptogamen als Colonieen von Stengelgliedern (Phyten) oder mit den ersteren als Stöcke von Blättern 'ansehen, so wird man in beiden Fällen als die eigentlichen Individuen Theile der Pflanze betrachten, welche nach den vorhergehenden Auf- fassungen blos als Organe gelten konnten. Man hat sich in beiden Phallen vorzugsweise auf physiologische Gründe gestützt, aul die Fähigkeit einzelner Blätter oder einzelner Stengelglieder, unter be- stimmten Verhältnissen die Art fortzupflanzen und neue Sprosse aus sich zu erzeugen. Allein abgesehen von anderen Widersprüchen, zu denen diese physiologische Argumentation führt, kann dieselbe schon darum nicht für ausreichend gelten, weil in vielen Fällen schon ein- zelne kleine Theile eines Blattes oder eines Stengelgliedes genügen, um einem oder mehreren neuen Sprossen den Ursprung zu geben. So wachsen z. B. bei Bryophyllum aus jedem Einschnitte des Blatt- 248 Begriff uud Aufgabe der Tectologie. randes Sprossen hervor. Die absterbenden Blätter mancher Zwiebel- gewächse erzeugen auf ihrer Oberfläche Brutknospen, aus denen neue Stöcke hervorwachsen. In diesen Fällen sind es kleine Zellengruppen von unbestimmter Umgrenzung (vielleicht selbst einzelne Zellen), Ana- phyten, wie sie Schultz-Schultzenstein genannt hat, welche das physiologische Individuum repräsentiren, „welche, von der Pflanze getrennt, selbstständig fortleben, keimen und sich weiter entwickeln können." Will man hier aber consequent und logisch verfahren und nicht ganz wiilkührlich die G renze der Individualität umschreiben, so muss man bis auf die Zellen als auf die eigentlichen und letzten morphologischen Elemente der Pflanze zurückgehen. Dieser letzte Schritt ist denn auch von bedeutenden Botanikern geschehen und die Zelle als das eigentliche organische Individuum betrachtet worden, aus dem sich durch Aggregation der zusammen- gesetzte Körper aufbaue. Schon Schleiden und Schwann, die Be- gründer der neueren Zeilenlehre, haben die Zelle in diesem Sinne aufgefasst, und nach ihnen viele Andere. Auch diese Ansicht hat ihre Berechtigung. Sowohl in physiologischer als in morphologischer Hin- sicht besitzen die Zellen, und zwar in viel höherem Maasse die pflanz- lichen als die thierischen Zellen, einen hohen Grad von Individualität, der ihnen eben ihren bestimmten Character verleiht, und sie als die eigentlichen Elementar- Organe oder auch Elementar -Organismen er- scheinen lässt. Als solche sind sie die activen Lebenseinheiten oder Bionten, deren Summe und Product erst der ganze Organismus mit allen seinen Leistungen ist. Allein so wichtige Gründe auch dafür sprechen mögen, die Zelle als das am meisten selbstständige und absolute Individuum hinzu- stellen, so begegnen wir doch auch hier unüberwindlichen Schwierig- keiten, die einer Verallgemeinerung dieser Auffassung sich entgegen- stellen. Zunächst giebt es eine grosse Anzahl von niederen Organis- men, auf welche sich diese Bestimmung der Individualität nicht an- wenden lässt, weil sie w-eder, gleich den höheren, aus Zellen zu- sammengesetzt sind, noch auch im Ganzen einer einzigen Zelle ent- sprechen. Zu diesen niedersten Organismen, welche überhaupt keine bestimmte Beziehung zur organischen Zelle erkennen lassen, und die wir desshalb unten als Cytoden den Zellen gegenüber stellen werden, gehören z. B. viele Khizopoden, gewisse (kernlose) Algen etc. Ferner kennen wir viele Beispiele, in denen auch einzelne Theile einer sogenannten Zelle sich einen hohen Grad von individueller Selbstständigkeit aneignen und neuen Zellen den Ursprung geben können. Unter den einzelligen Pflanzen aus der . Algengruppe der Siphoneen giebt es Arten (Bryopsis etc.), bei denen der einzellige Körper ein fast unbegrenztes Wachsthum zeigt, einen Stock mit vielen III. Verschiedene Auffassungen des pflauzlicben Individuums. 249 Aesten und Zweigen bildet und in eine Masse von unbestimmt be- gi-enzten peripherischen Theilen sich auflöst, deren jeder wieder so- fort nach seiner Ti-ennung von der Zelle zu einem einzelligen Indi- viduum sich zu gestalten vermag. So ist es denn gekommen, dass einige Botaniker in ihrem analy- tischen Bestreben, die Pflanze als ein zusammengesetztes Aggregat von Indi^dduen nachzuweisen, auch nicht bei der Zelle stehen geblie- ben sind, sondern nach weiteren Elementen gesucht haben, aus denen die Zellen erst wieder zusammengesetzt seien, und welche die eigent- lichen und letzten selbstständigen Individuen der Pflanzen repräsen- tiren sollten. Schon Turpin sprach die Idee aus, dass diese eigent- lichen „Urindividuen" der Pflanze die Kügelchen des Zellinhalts seien, durch deren Aneinanderlegung die Zelle (als Individuum zweiter Ord- nung) gebildet werden solle. Ebenso fasst Kützing die Zelle nicht als Elementarform der Pflanze, sondern als eine complicirte Gestalt auf, zusammengesetzt aus einfacheren Körpern, die er als „Molekular- gewebe" zusammenfasst, und welche für sich allein gewisse Pflanzen niedersten Ranges bilden sollen. Unger hält zwar die Zelle für das eigentliche Elementar- Organ der Pflanze, unterscheidet aber in ihr als kleinste „individualisirte" Körper noch Bläschen, Fasern, Kör- ner etc. Ebenso erklärt auch Nägeli die Pflanzenzelle für einen cora- plicirten Organismus, der aus individuellen Theilen zusammengesetzt ist, z, B. aus Stärkekörnern u. dergl mehr.') Dass auch diese Auffassung ihre Begründung hat, ist nicht zu bezweifeln. Die Zelle selbst kann in der That als selbststäudiger Organismus angesehen werden, und erscheint als solcher wiederum aus Organen zusammengesetzt, aus verschiedenartigen Theilen, welche zum Bestehen des Ganzen zusammenwirken. Mindestens zwei ver- sciiiedenartige Theile sind an jeder echten Zelle zu irgend einer Zeit ihres Lebens nachzuweisen, nämlich der innere Kern und das äussere, diesen umschliesseude Protoplasma. Diese beiden Fundameutal-Organe der Zelle sind aber selbst wieder aus Theilchen zusammengesetzt, und diese letzteren könnten wir als die wirklichen elementaren Individuen der Pflanze bezeichnen. Suchen wir diese näher zu bestimmen, so können wir sie in Nichts Anderem finden, als in den physikalischen ') In der seltsamsten Form ist eine ähnliclie Idee von dem kürzlich ver- storbenen Anatomen Mayer in Bonn ausgesprochen worden, welcher in seinen „Supplementen zur Lehre vom Kreislauf'' (1837, p. 49) die kleinsten Körnchen des Zellinhalts (auf Grund ihrer Molccularbewegung) für thierisch-belebte Indivi- duen (Bioaphaeren) erklärt, welche die Pflanze als ihre Wohnung aufbauen. „Den Hamadryaden gleich bewohnen diese sinnigen Monaden die geheimen Hallen der llindenpaläste, welche wir Pflanzen nennen, und feiern hier in stiller Zucht ihre Tänze und ihre Orgien." 250 Begriff und Aufgabe der Tectologie. Molekülen, welche die Materie des Kerus und des Protoplasma zu- sammensetzen. Diese Moleküle selbst aber sind wieder aus den cliemischen Atomen zusammengesetzt. Somit wären wir denn wieder bei unserem Ausgangspunkt angelangt, nämlich der Identität von Atom und Individuum. Freilich ist hiermit, wie schon Alexander Braun ausgeführt hat, Nichts gewonnen. Denn wir besitzen nicht die Mittel, die supponirteu Moleküle und Atome durch die Beobachtung nachzu- weisen. Allerdings müssen wir, wenn wir theoretisch dem Wesen des Zellenlebens auf den Grund kommen wollen, annehmen, dass die Thätigkeit der Atome und der durch ihre verschiedenartige Gruppirung gebildeten Moleküle es ist, aus welcher Form und Function der Zelle resultirt. Aber für die uns vorliegende Frage ist durch die Aner- kennung der unsichtbaren Atome als Individuen Nichts erreicht. Noch weniger wird aber dadurch gewonnen, dass man die ganz verschieden- artigen festen Körper, welche als sogenannter Zelleninhalt in vielen Zellen sich finden, die Stärke-, Chlorophyll-, Fett-, Pigment-Körner etc. als Individuen betrachtet. Diese sind jedenfalls am wenigsten be- rechtigt, eine besondere Individualität in Anspruch zu nehmen. Auch sind sie unter sich so verschieden, dass kein anderer gemeinsamer Ausdruck für sie zu finden ist, als: „Geformte Inhaltstheile des Proto- plasma." In sehr vielen Zellen fehlen sie als besondere, erkennbare Theile völlig. Werfen wir nun auf die verschiedenen Theile der Pflanze, welche von den verschiedenen Forschern als die „eigentlichen-^ oder absoluten pflanzlichen Individuen proclamirt worden sind, einen vergleichenden KUckblick, so sehen wir bald, dass alle diese Theile subordinirte Stufen eines gegliederten Ganzen sind, dass sie verschiedenen Kate- gorieen oder Ordnungen angehören, von denen jede einzelne eine Vielheit von der darauf folgenden untergeordneten Einheit repräsentirt. Nicht weniger als fünf verschiedene Ordnungen oder über einander geordnete Kategorieen von pflanzlichen Individuen lassen sich gemäss den vorstehend angeführten verschiedenen Ansichten bei den höheren Pflanzen deutlich unterscheiden, nämlich: 1) der Stock (Cor- mus), 2) der Spross (Gemma), 3) das Stengelglied (Phyton), 4) das Blatt (ein Organ), 5) die Zelle. Jede dieser Individualitäten reprä- sentirt, für sich betrachtet, sowohl in Form als in Function eine selbst- ständige Einheit; jede ist aber zugleich eine Vielheit von der nächst niederen Kategorie und als solche kein Individuum mehr. Es folgt hieraus also, dass wir das Suchen nach einem absoluten Individuum aufgeben und uns damit begnügen müssen, die relative Individualität der über einander geordneten Pflanzentheile festzustellen. Diese Wahr- heit ist denn auch schon lange von hervorragenden Botanikern aner- in. VerscMedene Auffassungea des pfluuzlicheu Individuums. 251 kannt und darauf die Lehre von der relativen Individualität der Pfiauze begründet worden. Dieser Auffassung gemäss, nach weicher verschiedene Potenzen der individuellen Eutwickelung, verschiedene Grade oder Kategorieen (Ordnungen) von Individuen an der Pflanze unterschieden werden müssen, nimmt Decandolle deren fünf verschiedene an, nämlich: 1) die Zelle, 2) die Knospe, 3) der Ableger (nicht von der Knospe wesentlich verschieden, sondern ebenfalls ein iSpross), 4) der Stock, ö) der Embryo (Alles, was aus einem einzigen Keim, wenn auch zahlreich durch Th eilung vervielfältigt, hervorgeht). Sehl ei de n unter- scheidet drei verschiedene Ordnungen von Individuen: 1) die Zelle oder das Elementarorgan, 2) die Einzelpflanze oder Knospe (Planta Simplex), 3) der Stock oder die zusammengesetzte Pflanze (Planta com- posita). Weiter geht die Auffassung von Nägeli, welcher noch meh- rere andere Individualitäts- Kategorieen des Pflanzenreichs in seine Betrachtung hineinzieht, und deien sechs unterscheidet, nämlich: 1) die Moleküle der organischen vegetabilischen Substanz, 2) die Zelle, 3j das Organ, 4) die Knospe (das Individuum im engereu Sinne), 5) die Art, G) das Pflanzenreich. Wir glauben, dass allein diese Theorie von der relativen Individualität im Stande ist, uns die Tectologie der Pflanzen zu erklären und uns zu einer scharfen Begriffsbestimmung des pflanz- lichen Individuums zu verhelfen. Wir müssen, wie es von Decan- dolle, Schleiden, Naegeli und Anderen schon als nothweudig anerkannt ist, verschiedene subordinirte Kategorieen von pflanzlichen Individuen unterscheiden, von denen jede höhere als Einheit einen Complex von mehreren Einzelwesen niederer Stufe, jede niedere als Einheit einen Bestandtheil eines Einzelwesens höherer Stufe repräsen- tirt. Den oben bereits unterschiedenen fünf Stufen oder Ordnungen fügen wir noch eine sechste, bisher meist ganz vernachlässigte bei, das Gegenstück oder Antimer. Wir unterscheiden also au den höhe- ren, entwickelteren Pflanzen, von den niederen zu den höheren Stufen aufsteigend, allgemein folgende sechs Ordnungen: 1) die Zelle (Cellula), 2) das Organ (Blattorgan und Axorgan), 3) das Gegen- stück oder Antimer, 4) das Stengelglied oder Folgestück (Metamer)^ 5) den Spross (Gemma), G) den Stock (Cormus). IV. Verschiedene Auffassungen des protistischen Individuums. Der wichtigste und am meisten ausgesprochene morphologische Cliaracter der Protisten, wodurch sie sich vorzüglich von den Thiereu und Pflanzen unterscheiden, besteht in der höchst unvollkommenen Ausbildung ihrer Individualität und in dem vorherrschenden Stehen- 252 Begriff und Aufgabe der Tectologie. bleiben auf den niedersten Stufen derselben, welche von den Thieren und Pflanzen in ihren ersten Eutwickelungs-Stadien rasch durchlaufen werden. Bei sehr zahlreichen Protisten giebt die Unvollkommeuheit ihrer morphologischen Ausbildung, der Mangel einer eigentlichen organologischen Differenzirung und die trotzdem ausgebildete, wenn auch lockere Verbindung einfachster Individuen zu scheinbaren Colo- nieen Anlass zu vielfachen Zweifeln Uber den eigentlichen morpholo- gischen Werth ihrer Individualität. Daher sind denn auch in dem letzten Decennium, welches unsere Kenntniss der Protisten so ausser- ordentlich erweitert hat, vielfach verschiedene Ansichten über die eigentliche Individualität bei verschiedenen Protisten -Gruppen oder Stämmen laut geworden. Keinem Zweifel ist der Begriff der protistischen Individualität da unterworfen, wo dieselbe zeitlebens auf der niedrigsten Stufe einer einzelnen Plastide bestehen bleibt, sei dieselbe nun eine kernlose Cy- tode, wie bei den Moneren und vielen Rhizopoden etc., oder eine kernhaltige Zelle, wie bei den meisten Protoplasten und den einzeln lebenden (solitären) Flagellaten und Diatomeen. Hier fällt jedes Einzelwesen unter den Begriff eines physiologisch sowohl als morpho- logisch vollkommen abgeschlossenen Individuums. Erhebliche Zweifel und entschiedene Widersprüche über die Begrenzung der Individualität sind dagegen bei denjenigen Protisten laut geworden, deren Einzel- wesen eine Vielheit von lockerer oder enger verbundenen Piastiden repräsentiren. Insbesondere sind es hier die Stämme der Rhizopoden und Spongien, bei denen die Individualität von den verschiedenen Beobachtern sehr verschieden beurtheilt worden ist. Unter den Rhizopoden sind die Acyttarien, insbesondere die Polythalamien, am längsten Gegenstand der Untersuchung gewesen. Die älteren Beobachter sowohl, welche dieselben für Cephalopoden hielten, als die meisten Neueren, welche Dujardius richtige Auf- fassung ihrer Organisation theilten, namentlich auch Max Schultze, hielten die einzelnen vielkammcrigen, oft denen der Cephalopoden so ähnlichen Schalen der Polythalamien für Individuen. Ehrenberg dagegen erklärte sie für Colonieen, die den Bryozoen- Stöcken ganz nahe verwandt seien; und unter den Neueren hat der treffliche Mono- graph der Acyttarien, Carpenter,*) dieselben ebenfalls für Thier- stöcke erklärt. Jede einzelne Kammer der Schale mit ihrem Sarcode- Inhalt ist nach ihm ein Individuum, die ganze vielkammerigc Schale aber eine Colonie. Diese letztere Auffassung ist nun allerdings dann richtig, wenn man darunter nur Piastiden -Stöcke versteht, nicht aber, wie Carpenter und Ehrenberg, Colonieen, welche den ausgebilde- ') Carpenter, Introduction to the study of the Foraminifera. London 1862. IV. A^erschiedeiie Auffassungen des protistischen Individuums. 253 ten Thierstöcken anderer Stämme (z. B. Anthozoen) analog sind. Derartige echte Colouieen (Cormen) finden sich vor bei der höher entwickelten Rhizopodeu- Klasse der Radiolarien, welche theils aus solitären, einzeln lebenden, theils aus socialen, gesellig verbundenen Individuen besteht. Wie wir in unserer Monographie der Radiolarien *) gezeigt haben, sind die einzelnen „ Centralkapseln" oder „Nester" der letzteren (der Collozoen, Sphaerozoen und Collosphaeren) vom mor- phologischen Standpunkte aus mehr als Individuen einer socialen Colonie von Polyzoen, vom physiologischen Standpunkte aus dagegen mehr als Organe eines solitären Individuums, eines Polycyttariums aufzufassen (1. c. p. 122). Da nun diese einzelnen Centralkapseln (nebst zugehöriger Schale) die vollständigen morphologischen Aequi- valente der vielkammerigen Polythalamien sind, da z. B. die Tremato- disciden den Soritiden, die Stichocyriden den Nodosariden unter den Polythalamien vollständig entsprechen, so können die letzteren keine wirklichen Colonieen sein, wie wir schon in der dort angehängten Kritik der Carpenterschen Anschauung gezeigt haben (1. c. p. 568). Sehr merkwürdig und instructiv für die wichtige Frage von der organischen Indi^ddualität sind die Spongien, bei denen dieselbe in sehr vevschiedenem Grade entwickelt erscheint. Während die älteren Beobachter jeden zusammenhängenden, einfachen oder verästelten Schwammstock für ein Individuum hielten, waren diejenigen, welche bei den Pflanzen den Spross für das eigentliche Individuum ansahen, mehr geneigt, dieselbe Autfassung auch auf die verästelten Spongien anzuwenden und jeden Zweig, jede Seitenaxe für ein Individuum zu halten. Als man aber in neuerer Z^it die amoeboiden Urzellen kennen lernte, welche das ganze Skelet der Schwammstöcke überziehen und ihre Maschen ausfüllen, glaubte man in diesen Amoeboiden die eigent- lichen Individuen finden, und demgemäss die ganzen Schwämme für Colouieen von Rhizopoden halten zu müssen. Gregeuüber dieser be- sonders von Perty vertretenen Ansicht hielten die meisten Neueren, besonders Duj ardin, und derjenige Anatom, dem wir die trefflichsten Untersuchungen über die Entwickelung derPoriferen zu verdanken haben, Lieb er kühn, die Auffassung fest, dass der ganze (gleichviel ob einfache oder verästelte) Schwammstock ein einziges Individuum repräsentire.*) Eine vierte, und wohl die richtigste Ansicht von der unvollständig entwickelten Individualität der Schwämme, ist endlich von dem neuesten Monographen der Poriferen, Oscar Schmidt,') ausgesprochen worden, 1) E. Haeckel, die Organisation der Radiolarien-Colonieen (Polyzoen oder Polycyttarieu?) 1. c. p 116—127. ^) Lieberkühn in Müller's Archiv lur Anatomie und Phys. 185G p. 512. ^) Oscar Schmidt, Supplement zu den Spongien des udriatisclieu Meeres, 18G4, p. 17. 254 BegrifiF und Aufgabe der Tectologie. welcher die gesammten Spongien in einfache (solitäre) und in zu- sammengesetzte (sociale) eintheilt. Die Genera Sycon, Ute, Dunster- vülia, Teihya, Caminns etc., kurz alle „diejenigen Schwämme, welche regelmässig nur eine Ausströraungs - Oeffnung besitzen, sind Einzel- Individuen. Die Concentrirung der Lebenserscheinungen dieser Spon- gien spricht sich darin aus, dass das Wassergef asssystem , diese für den Spongientypus jedenfalls fundamental wichtige Einrichtung, ein einheitliches ist." Clathria, Halichondria , Spongilla dagegep, welche gleich den meisten anderen Schwämmen mehrere oder viele Aus- strömungs-Oeffnungen haben, sind Colonieen. „Jeder Theil des Stockes, an welchem sich ein einzelnes Osculum öffnet, vereinigt die Bedin- gungen und die Kennzeichen der Individualität in sich." Die einzelnen Bezirke der Individuen sind aber in keiner Weise scharf von einander ab- zugrenzen. Bios die Centra derselben, die Oscula, treten deutlich hervor. Bei vielen Protisten, wie auch bei niederen Pflanzen (Algen), wird die Individualitäts-Frage noch dadurch in eigenthümlicher Weise complicirt, dass häutig sogenannte Copulation oder Conjugation statt- findet, so namentlich bei den Protoplasten (Gregarinen, Amoeben etc.), bei vielen Flagellateu, einzelneu Rhizopoden (Actinosphaeriden etc.), und bei den Myxorayceten; unter den Algen bei den Conjugaten (Des- midiaceen und Zygneraen) etc. Es verschmelzen hier zwei oder mehrere bisher selbstständige Individuen mit einander vollständig (Co- pulation) oder theilweise (Conjugation), so dass sie nur noch ein ein- ziges Individuum darstellen. Die Stockbildungen oder Gesellschaften, welche unter den meisten Protisten -Stämmen so verbreitet sind, können wir nur zum Theil für echte Stöcke oder Cormen, analog denjenigen der Thiere und Pflanzen, halten, nämlich dann, wenn die Individuen, welche sie zusammen- ' setzen, selbst schon differenzirte Organismen sind, wie bei den Poly- cyttarien und bei den Spongien mit mehrfachen Osculis. Dagegen können wir den sogenannten Stöcken oder Colonieen vieler Diatomeen und Flagellateu (Volvocinen) blos den Werth von Piastidenstöcken, nicht von Cormen zugestehen, da sie blos locker verbundene und nicht differenzirte Aggregate von einfachsten Individuen niederster Ordnung (Piastiden) darstellen. Die verschiedenen Individualitätsstufen, welche wir bei den meisten Pflanzen als Organe, als Antimeren und Meta- meren, unterscheiden, sind bei den Protisten nui" selten entwickelt und daher auch die höhere Individualität des Ganzen nur sehr unvoll- ständig ausgebildet. Bei den allermeisten Protisten repräseutiren die Einzelwesen zeitlebens als Cytoden oder als Zellen nur Individualitäten niederster Stufe, und die lockeren Associationen, welche dieselben in vielen Fällen bilden, verdienen oft nicht den Namen von eigentlichen Personen und von echten Stöcken. V. Verschiedene Auffassungen des thierischen Individuums. 255 V. Verschiedene Auffassuogen des thierischen Individuums. Bei weitem weniger Schwierigkeiten, als den Botanikern, hat den Zoolog-en die Feststellung- der Individualität verursacht. Diese gingen allgemein aus von der Betrachtung der höheren Thiere, bei welchen durch den Einschluss aller Organe in das Innere eines räumlich S(;harf beo-ränzten Körpers und durch die ausgeprägte Einheit dieses selbst- ständigen Körpers in morphologischer und physiologischer Beziehung der individuelle Character sehr deutlich ausgesprochen ist. Daher hielt man in der Zoologie gewöhnlich eine besondere Diskussion über diesen Gegenstand für überflüssig. Erst als man in der neueren Zeit den niederen Thieren und thierähnlichen Protisten ein genaueres Studium zu widmen begann, musste sich denkenden Beobachtern bald die Thatsache aufdrängen, dass hier, je weiter wir hinabsteigen, die Selbst- ständigkeit und scharfe Umgränzung derjenigen Einheit, die bei den höheren Thieren als vollkommen abgeschlossene Persönlichkeit uns entgegentritt, sich immer mehr verliert. In der That sind hier, na- mentlich unter den Würmern und Coelenteraten, die Schwierigkeiten der Frage, was man denn eigentlich als Individuum im engeren Sinne (der menschlichen Person, dem pflanzlichen Spross entsprechend) auf- zufassen habe, mindestens ebenso gross, und oft noch grösser, als es bei den Pflanzen gewöhnlich der Fall ist. Ein weiterer Umstand, der das Verständniss der thierischen In- dividualität bedeutend beeinti-ächtigte, lag darin, dass man hier von Anfang an entweder ausschliesslich oder doch vorwiegend die physio- logische Seite der Frage berücksichtigte und die morphologische ganz oder fast ganz vernachlässigte, während die Botaniker beide Seiten gemischt ins Auge gefasst hatten. Dieser Umstand erklärt sich ganz natürlich aus der mehr äusserlichen Gliederung der Pflanzenform und den weit brauchbareren Angriffspunkten, welche die morphologische Untersuchung der Pflanze gegenüber der viel schwierigeren physio- logischen darbot. Auch kommt dabei wesentlich der Umstand mit in Betracht, dass die Centralisation bei dem thierischen Individuum weit grösser, als bei dem pflanzlichen ist, und dass insbesondere die durch das Nervensystem vermittelten innigen Beziehungen der einzelnen thierischen Körpertheile zu einander, welche sich bei den höheren Thieren namentlich in der einheitlichen „Seele" aussprechen, bei den Pflanzen viel weniger oder fast gar nicht entwickelt sind. Eine eingehende Besprechung der thierischen Individualität von physiologischem Gesichtspunkte aus findet sich in Johannes Müllers Handbuch der Physiologie des Menschen. Im ersten Bande, und zwar in dem zweiten Capitel der Prolegomena, \^ elches „Vom Organis- mus und vom Leben" handelt, wird die Bildung der Individuen als 256 Begriff uud Aufgabe der Tectologie. eine besonders characteristische Eigenthümlichkeit der organischen Materie, gegenüber der anorganischen, bezeichnet. Der Organismus ist ein untheilbares Ganzes, weil er aus integrirenden ungleichartigen Theilen nach einem zweckmässigen Plane zusammengesetzt ist. Diese „praestabilirte Harmonie der Organisation" unterscheidet die letztere wesentlich von der Krystallisation der Anorgane, welche bloss „Aus- druck der waltenden Kräfte ist." Im Krystalle, dem anorganischen Individuum, ist Nichts von der „Zweckmässigkeit der Gestaltung für die Thätigkeit des Ganzen" zu finden, welche den Organismus aus- zeichnet. Im zweiten Bande seines Handbuchs geht Johannes Müller ausführlicher auf diese Fragen ein, im ersten Abschnitte des siebenten Buches, welches „von der gleichartigen Fortpflanzung oder ungeschlechtlichen Zeugung" handelt. Hier wird als characteristische Eigenthümlichkeit aller organischen W esen, der Thiere, wie der Pflan- zen, die „Multiplication durch das Wachsthum" bezeichnet. Die in jedem organischen Keime enthaltene Kraft der Entwickelung zu einem Individuum wird durch das Wachsthum desselben multiplicirt, und derselbe organische Körper, welcher anfangs ein einziges Individuum war, repräsentirt späterhin eine Vielheit von solchen. „Die ent- wickelte Pflanze ist ein Multiplum der primitiven Pflanze, ein System von Individuen, die sich bis auf die Blätter reduciren lassen." Das- selbe Verhältniss findet sich bei den Thieren wieder, bald ganz so offenbar, wie in den Pflanzen (so bei den Hydren und anderen Poly- pen), bald versteckter, so jedoch, dass es „sich durch eine Kette von Schlüssen an den. Tag ziehen lässt." Die Gestaltungsfähigkeit ein- zelner Theile des Individuums zu neuen Individuen ist bei den ver- schiedenen Thieren sehr verschieden gross, am ausgedehntesten bei- den niedrigsten, die den Pflanzen am nächsten stehen, und nimmt nach oben hin, bei den höheren, stufenweis ab ; bei den meisten höhe- ren ist sie bloss auf die Eier beschränkt. In dieser ganzen Exposi- tion, welche, abgesehen von dem grösstentheils teleologisch - dualisti- schen Standpunkte, viele treffliche Bemerkungen enthält, wird von Johannes Müller last bloss die physiologische und insbesondere die psychologische Individualität berücksichtigt, und als Kri- terium des Individuums einerseits die Reproductionsfähigkeit des Thei- les zum Ganzen, andererseits die Einheit seiner psychischen Lei- stungen, Avie sie sich namentlich im einheitlichen Willen äussert, hin- gestellt. . Den sehr wichtigen Unterschied der physiologischen und morpho- logischen Individualität des Thieres zu erörtern, fand sich erst Ge- legenheit, als man diejenigen Gruppen niederer Thiere näher kennen lernte, bei denen man im Zweifel sein kann, ob man sie als einzelne Individuen oder als Gesellschaften von solchen, gleich den Pflanzen- V. Verschiedeno Auffassungen des thierischen Individuums. 257 Stöcken, auffassen soll. Das ist der Fall insbesondere bei den Cesto- den unter den Würmern, und bei den Siphonoplioren unter den Coe- lenterateu, Thiercolonieen, welche man fi-tiherhin allgemein ftir ein- zelne Individuen hielt, während man die individuellen Bestandtheile der Colouie als Organe ansah. Für die Siphonophoren wurde insbeson- dere durch Leuckart in seiner Abhandlung „über den Polymorphis- mus der Individuen oder die Erscheinung der Arbeitsth eilung in der Natur" (1851) der Beweis geführt, dass ihre schwimmenden, von einem einheitlichen Willen beseelten und mit den verschiedenartigsten An- hängen besetzten Köi-per keine Einzelthiere, sondern Stöcke seien; Colonieen von polymorphen Individuen, welche durch hoch entwickelte Arbeitstheilung in ihrer äusseren Form-Erscheinung weit aus einander gegangen seien. Während sich einerseits durch Vergleichung mit den einfachen polypoiden (hydroiden) und medusoiden Grundformen der Hydromedusen-Klasse leicht der Nachweis führen lässt, dass alle die verschiedenartigen Anhänge des Siphonophoren-Stockes, die Schwimm- glocken, Saugröhren, Tastkolben, Fangfäden u. s. w. den ersteren homolog, ihre morphologischen Aequivalente sind, wird doch anderer- seits die Selbstständigkeit dieser Individuen durch ihre weit gehende DifferenziruDg so sehr vernichtet, dass die physiologische Einheit des Organismus nur durch den ganzen Stock repräsentirt wird und dieser als das höhere Individuum erscheint. In dieser vortrefflichen Abhandlung Leuckarts war bereits der doppelte Hinweis darauf gegeben, erstens, dass man auch beim Thiere wie bei der Pflanze, wenn man die Individualität bestimmen wolle, Individuen verschiedener Ordnung: Stöcke, Individuen im engeren Sinne, Organe u. s. w. unterscheiden müsse, und zweitens dass man wohl zwischen morphologischer und physiologischer Individualität zu unterscheiden habe. Leider wurden diese leiten- den Gesichtspunkte gänzlich vernachlässigt in derjenigen umfangreichen Abhandlung, welche die Frage von der thierischen Individualität wohl am ausführlichsten, aber auch am verkehrtesten und verworrensten be- handelt hat, in Reicherts Schrift „über die monogene Fortpflanzung" (1852). Es würde uns zu viel Zeit und Raum kosten, aus dieser breiten, seltsamen Schrift hier auch nur einen oberflächlichen Auszug zu geben, da allein schon die Uebertragung der eigeuthümlichen Ansich- ten des Verfassers aus ihrem dunkeln mysteriös-philosophischen Ge- wände in klares, verständliches Deutsch und eine fassliche Explication der darin versteckten Gedanken einen allzugrossen Raum fortnehmen würde. Auch sind die allgemeinen Anschauungen, aus welchen Reichert seine Deductionen ableitet, so oberflächlich und beschränkt, so unklar und verworren, dass es nicht der Mühe lohnt, sie ernstlich »neckel, Generelle MorplioIoKio. 17 258 Bcgi-iff und Aufgiibe der Tectologie. zu widcvlcgen. ') Der maassgebeiule eigenthllmliche Standpunkt des Verfassers in der Individuen -Frage ist grösstcntheils ein ijliysiologi- schor und lässt sich kurz dahin resuniiren, dass er alle beliebigen Ge- wcbstheile von Thieren und Pflanzen für Individuen erklärt, aus denen unter Umständen Knospen sich entwickeln können, und Alles 1\U- „Individucnstöcke" ausgicht, was derartige Theile enthält. Aber auch jeder Körpertheil eines individuellen Organismus, der im Laufe der Entwickelung nicht durch Differenzirung einer primitiven Anlage entsteht, sondern durch Hervorwachsen über die äussere Oberfläche, wird für eine Knospe, ein Individuum erklärt, und der Körper aus dem er hervorwächst, demgemäss für einen „Individuen-Stock". Jedes derartige Hei-vorwachsen ist ein ungeschlechtlicher Zeuguugsprocess. In welche Verwirrung uud Widersprüche diese ganz willkührliehe Art der Naturbetrachtuug führt, mögen einige wenige Beispiele zeigen. Da bei der Hydra bekanntlich die Fähigkeit fast aller Körpertheile, sich abgelöst vom' Thiere sofort wieder zum Individuum zu gestalten, sehr gross ist, so werden „die Arme, die Darmhöhle, der Stiel der einfachen Hydra für untergeordnete Individuen-Stöcke eines Haupt- stoekes" erklärt. Aber auch die verwandten marinen Hydroidpolypen Averden wegen dieser ausserordentlichen Keproductionsfähigkeit der ihnen nahestehenden Hydra für complicirte Individuen-Stöcke ausge- geben, uud zwar nicht nur die ausgebildeten Eiuzelthiere, sondern so- gar ihre infusorienarligen Embryonen! Dasselbe wird dann weiter von den einzelnen Medusen behauptet! „Die Medusa auriia ist ein zusammengesetzter und complicirter Individuen-Stock, dessen einzelne Theile strahlenförmig um die centrale Darmhöhle gruppirt sind. Was man daher als Organe der Medusa auriia betrachtet, sind nicht die Organe eines einfachen Individuums; es sind -vielmehr Organe eines Haupt-Individuen-Stockes, die selbst wieder Individuen- Stöcke dar- stellen und sich, sogar in Haupt- und untergeordnete Theile Avürden eintheilen lassen." Dieselbe Behauptung wird dann auch von den Würmern, sowohl Turbellarieu als Anneliden aulgestellt, ferner sogar ') Wenn Jemand dieses Urtheil zu hart finden sollte, so ersuchen wir ihn sicli mit Aufopferung einer beträchtlichen Quantität von Zeit, Geduld und Mühe durch die ganze, 150 Quartseiten breite Schrift hindurchzuarbeiten. AVeun es gelungen ist, aus der dunklen und verworrenen Sprache Reicherts mit einiger Sicherheit zu errathen, was er eigentlich hat sagen wollen, und wenn man dann den ganzen Gedankengang verfolgt, so wird mau über die absurden und unbe- gründeten Willkülirlichkeiten, an denen die ganze Schrift reich ist, erstaunen. Man findet schliesslich, dass in dem anscheinend streng-philosophischen Gewände nur ein ganz hohler und unbrauchbarer, von echter Philosophie weit entfernter Inhalt verborgen liegt. V. Verschiedene Auffassungen des tliierisclieu Individuums. 259 von den einfachen Individuen der Tunicaten und von den Echinodermen. Von den letzteren sollen nicht allein die fiinfstrahligen Individuen, son- dern sogar die einzelnen Strahlen derselben coraplicirte Individuen- stöcke sein, durch ungeschlechtliche Knospenzeugung entstanden. Man würde vielleicht hinter diesem dunkeln Gewirre von ineinander laufen- den und vielfach widersprechenden Behauptungen dennoch den richtigen tectologischen Grundgedanken entdecken können, dass alle höheren Organismen verwickelte Aggregate von differenzirten Individuen ver- schiedener Ordnung seien, wenn nicht andererseits ein wesentlicher Un- terschied zwischen „Individuen" und „Organen" gemacht würde. Wäh- rend aber bei den Wirbellosen die ganze Zusammensetzung des Kör- pers auf durch Knospung entstandene Individuenstöcke zurückgeführt wird, ist bei den Wirbelthieren davon nicht mehr die Rede. Reiche rts Anschauungen würden sich noch einigermaassen rechtfertigen lassen, wenn er wenigstens so viel Consequenz besessen hätte, den Menschen und die übrigen Wirbelthiere, so gut als die Wirbellosen, für com- plicirte Individuenstöcke zu erklären. Nach seiner Auffassung mUsste schon der Rumpf des Wirbelthieres immer ein Individuehstock sein weil die einzelnen Abschnitte der Wirbelsäule durch ungeschlechtliche Zeugung oder Knospenbildung entstehen. Hier wird aber der In- dividuenstock plötzlich „Organstock" genannt, während die Wirbel- losen in den Augen Reich er ts keine „Organstöcke" zu besitzen scheinen. Weiter müsste dann, wenn derselbe seine Anschauungen consequent durchgeftihrt hätte, das Wirbelthier auch desshalb ein compli- cirter Individuenstock sein, weil vier untergeordnete Individueustöcke, die Extremitäten, an ihm hervorsprossen, und an jeder dieser letzteren müssten dann die fünf Zehen als die „eigentlichen" Individuen be- trachtet werden. Mit welcher Inconsequenz und Willktihr Reichert weiter verfährt, zeigt schon der Umstand, dass er die Fortpflanzung durch Theilung gänzlich leugnet. „Hauptsächlich ist es die künst- liche oder natürliche Ablösung von Individuen oder Individuen-Stöcken emes meist durch Knospenbildung per intussusceptionem gebildeten Hauptstockes gewesen, die zu der Theorie von der Zeugung durch Theilung Veranlassung gegeben hat." Mit diesem Schlussworte der seltsamen Schrift schliessen wir unser Urtheil über dieselbe. Einige ihrer hervorragendsten Behauptungen sind schon von Victor Carus in seiner Morphologie widerlegt; die übrigen widerlegen sich für den un- befangenen Leser selbst. Von weiteren Ansichten über die Bedeutung der thierischen In- dividualität haben wir nun nur noch zwei sehr verschiedene Auffassungen von V. Carus und von Huxley zu erwähnen. Victor Carus widmet den „thierischen Individuen und ihren verschiedenen Formen" ein be- sonderes Capitel, das sechste des zweiten Buches, in seinem „System 17* 260 BegriflP und Aufgabe der Tectologie, der thierischen Morphologie." Hier findet sieh zum ersten Male mit voller Bestimmtheit die wesentlich morphologische Bedeutung der gan- zen Frage betont, und deutlich die Ansicht ausgesprochen, „dass man unter dem Begriffe der thierischen Individuen nur materiell abge- schlossene morphologische Facta subsurairen darf," dass man also wohl von verschiedenen Formen der Individuen sprechen, aber nicht einzelne Formzustände eines Körpers als eben so viele Einzelin- dividuen unter einem die ganze Formenreihe begreifenden Gesammt- individuum begreifen darf, wie es Reichert that. Bestimmt man die Individualität eines Thieres, so ist dasselbe im Momente der Beurthei- lung als unveränderlich zu betrachten." Mit diesen Worten ist der allein durchführbare Standpunkt zur Beurtheilung der thierischen Indivi- dualität im engeren Sinne des gewöhnlichen Sprachgebrauchs voll- kommen richtig bezeichnet und der morphologische Character der In- dividualitäts-Anschauung gewahrt. Doch ist dieser richtige Gedanke in seinen Consequenzen nicht weiter ausgeführt, und auch die Defini- tion, die Carus von dem Individuum (im engeren Sinne!) giebt, will uns nicht erschöpfend erscheinen. Als verschiedene Formen der thierischen Individualität unterscheidet Carus 1. Vollständige Individuen, welche die drei Functionsgruppen (Erhaltung seiner selbst, Erhaltung der Art, Bezie- hung zur Aussenwelt) in sich vereinen und höchstens die Spaltung des Geschlechtsunterschiedes in zweierlei verschiedenen Geschlechts- Individuen zeigen. 2. Polymorphe selbstständige Individuen, wie die verschiedenen theils geschlechtlich entwickelten, theils nicht geschlecht- lich entwickelten Individuen der Insecten - Staaten , welche ohne ma- teriellen Zusammenhang in Gesellschaften beisammen leben, als Sol- daten, Arbeiter, Geschlechtsthiere u. s. w. differenzirt. 3. Polymorphe Individuen, gleich den vorigen, theils geschlechtlich entwickelt, theils nicht, sämmtlich aber materiell verbunden durch den Zusammenhang ihres 'verlängerten Nahrungscanais, (z. B. in den Hydroidencolonieen). 4. Polymorphe Individuen, gleich den vorigen an einem Stock zusam- men vereinigt, aber mit so weit entwickelter Arbeitstheilung, dass nicht nur die Function der geschlechtlichen Fortpflanzung, sondern auch die vegetativen und animalen Functionsgruppen auf verschie- dene Individuen übertragen sind (Siphonophoren). ») Unter Individuen verstehen wir die sich in ihrer entwickelten Form an den ihrer Gattung gehörigen morphologischen Typus eng anschliessenden ma- teriellen Einzelgrundlagen des Thierlebens, welche die drei Functionsgruppen des thierischen Lebens entweder einzeln vollständig erfüllen , oder welche sich, und zwar desto mehr je inniger ihre Verbindung zu einem Thierstocke ist, m die Uebernahme einzelner Verrichtungen theilen." V. Carus, System der thieri- schen Morphologie. 1853. p. 254. V. Verschiedene Auffassiiugeii des thierischen Individuums. 261 Eine eigentlittniliche, genetisclie und von der vorhergehenden sehr abweichende Auffassung der Frage von der thierischen Individualität, und die letzte, welche wir hier zu erwähnen haben, rührt von einem der hervorragendsten englischen Naturforscher, Th. Hu xley, her.') Der- selbe unterscheidet zunächst allgemein drei verschiedene Arten (kinds) der Indi>adualität ttberhaupt: 1. Das subjective oder arbiträre Individuum, lediglich die einheitliche Anschauung eines einzelnen Dinges von einer gegebenen Art bezeichnend, z. B. eine Landschaft, ein Jahrhundert. 2. Das Individuum als Einheit von Theilen, die durch ein Coexistenz- Gesetz verbunden sind, z. B. ein Krystall. 3. Das Individuum als eine Einheit von Zuständen, welche durch ein Successions-G-esetz ver- bunden sind, also ein Cyclus (z. B. eine Pendelschwingung). Jeder Organismus ist ein solches Individuum der letzteren Art, also eine Einheit von verschiedenen, auf einander folgenden Zuständen, von der Entstehung des Eies an bis zum Tode, so also der Mensch in seiner Entwickelungsreihe als Ei, Embryo, Kind, Mann und Greis. Allge- mein bezeichnet ist also das thierische Individuum die Summe der Erscheinungen, welche durch ein Einzelleben nach einander repräsen- th-t werden, oder mit andern Worten, die Summe aller einzelnen For- men, die aus einem einzigen Ei hervorgehen. Die sehr verschiedene Art und Weise, in der nach dieser Auf- fassung das Individuum in verschiedenen Abtheiluugen des Thierreiches repräsentirt wii-d, stellt Huxley in folgender Uebersicht zusammen: I. Darstellung des Individuums durch successiveinsepar ab le Formen. A. Formen wenig verschieden. Einfaches Wachsthum (z. B. Ascaris). B. Formen deutlich verschieden. Metamorphose (z. B. Triton). II. Darstellung des Individuums durch successive separable F ormen. 1) Frühere Formen nicht unabhängig von den späteren. A. Formen wenig verschieden. Wachsthum mitEcdysis oder Häutung (z. ß.Blatta). B. Formen deutlich verschieden. Wachsthum mit Metamorphose (z. B. Käfer). 2) Frühere Formen theilweis unabhängig vou den späteren (z. B. Seesterne). III. Darstellung des Individuums durch successive und coexistente separable Formen, a. Aeussere Knospung. } b. Innere Knospung. A. Formen wenig verschieden. Alle Formen produciren Eier. Hydra. Nais. | Gyrodactylus. B. Formen deutlich verschieden. Bloss die letzten Formen produciren Eier. Die letzten Formen nicht örtlich (General) erzeugt. Medusa | Distoma Die letzten Formen örtlich (Local) erzeugt. Salpa I Aphis. •) Th. Huxley, üpon animal individuality. Proceed. of the royal Institution. Nov. ser. Yol. I, 1855. p. 184 ff. 262 Begriff und Aufgabe der Tectologie. Das Individuum in Huxleys Sinne repräsentirt, wie man sieht keine anatomische, sondern eine genealogische Einheit. Die Ein- heit der EntWickelung, oder die Einheit der Abstammung von einem und demselben Keime, und zwar von einem geschlechtlichen Keime (Ei), ist ihm das Kriterium der Individualität, und mithin die geschlechtliche Zeugung die Grenzmarke der gleichen Individuen. Da nun hiernach nur der geschlechtlich erzeugte Keim das Individuum repräsentirt, und alle durch ungeschlechtliche Zeugung, sei es Knospen- bildung oder Theilung, entstandenen Formen lediglich Theilstücke jenes ersten sind, so kommen wir mit Huxley consequeuter Weise zu dem Schlüsse, dass nicht nur alle in einander geschachtelten Generationen von Gyrodactijlus, nicht nur alle durch Theilung oder Knospung aus einer einzigen geschlechtlich erzeugten Hydra oder Nais erzeugten Formen, sondern auch alle Hydroidpolypen und deren Stöcke, welche aus einem einzigen Medusen -Ei hervorgehen, ferner alle Salpen, die in einer einzigen Salpenkette vereinigt sind, ja sogar sämmtliche Blattläuse, welche von der ersten geschlechtlich erzeugten Amme durch ungeschlechtliche Zeugung in mehreren (9—11 und mehr) Gene- rationen im Laufe eines Sommers hervorgebracht sind (möglicherweise viele Millionen Blattläuse), alle zusammen nur ein einziges Individuum darstellen, dass sie alle zusammen nur eine Repräsentation des Indivi- duums durch successive und coexistirende separable Formen sind. Dieselbe genealogische Auffassung, welche Huxley hier von den thierischen Individuen darlegt, war schon vor längerer Zeit von Gallesio in seiner „Teoria della riproduzione vegetale" (1816) hin- sichtlich der Pflanzen aufgestellt worden. Auch Gallesio betrachtet sämmtliche durch ungeschlechtliche Zeugung (Knospung oder Theilung) entstandene Individuen, also alle Sprosse und Ableger der Pflanze (Knospen, Knollen, Zweige etc.) nur als Theilstücke eines einzigen Individuums, welches aus dem Ei (dem Samenkorn) hervorgegangen ist. Durch alle verschiedenen Formen der ungeschlechtlichen Zeugung soll das Individuum bloss fortgesetzt, kein neues Individuum erzeugt werden. So leicht es auch erscheinen muss, nach dieser Auflassung die Grenze der organischen Individualität zu bestimmen, so wenig geeignet erscheint dieselbe dennoch, eine allgemein befriedigende Vorstellung von derjenigen anschaulich leicht aufzufassenden Einheit zu geben, welche man allgemein als „Individuum im engeren Sinne" oder als „absolutes Individuum" bezeichnet. Bei den höheren Thieren aller- dings fällt der Begriff der Individualität stets zusammen mit dem Kriterium der geschlechtlichen Zeugung, der Entwickelung aus einem befruchteten Ei. Bei den niederen Thieren dagegen und bei den aller- meisten Pflanzen, wo geschlechtliche Generationen vielfach mit uuge- V. Verschiedeae Auffassungeu des thiorischeu Tudividuims. 263 schlechtlicheu wechseln, kommen wir durch consequente Auwendung dieses Kriteriums alsbald in grosse Verlegenheiten. In vielen Fällen können wir die geschlechtlich erzeugten Individuen absolut nicht von den ungeschlechtlich erzeugten unterscheiden, und jene führen eine eben so selbstständige Existenz, als diese. In manchen Fällen wissen wir positiv, dass zahllose vollkommen selbstständige Individuen oder ludividuenstöcke, z. B. alle Trauerweiden Europas, alle Blutbuchen, alle Kosskastanien mit gefüllter Blüthe, durch fortgesetzte ungeschlecht- liche Zeugung, Fortpflanzung durch Ableger, Knospen etc. aus einem einzigen Individuum hervorgegangen sind. Sollen wir desshalb alle diese einzelnen, über einen ganzen Erdtheil zerstreuten Bäume für Theilstücke eines einzigen Individuums halten? Sollen wir alle die Millionen von Blattläusen, die von einer einzigen geschlechtlich er- zeugten Blattlaus durch fortgesetzte innere Knospung entstanden sind, und die alle dieser letzteren, bis auf den Mangel gewisser Geschlechts- theile, vollkommen gleichen, für abgelöste Stücke derselben erklären? Es widerspricht dies zu sehr der natürlichen Forderung der räumlichen Einheit, welche wir nothwendig von dem Individuum, mögen wir dasselbe nun mehr vom physiologischen oder mehr vom morpholo- gischen Standpunkt aus betrachten, verlangen müssen. Auch kommen wir dadurch in grosse Verlegenheit bezüglich derjenigen niederen Organismen, bei denen eine geschlechtliche Fortpflanzung überhaupt noch nicht nachgewiesen ist, wie z. B. bei zahlreichen Organismen des Protistenreichs, bei den Moneren, Protoplasten, Ehizopoden, Noctiluken, Diatomeen etc. Da diese niedrig stehenden Organismen sich, wenig- stens zum grossen Theil, ausschliesslich auf ungeschlechtlichem Wege fortpflanzen, so würde das genealogische Individuum, wie es Gallesio für die Pflanze, Huxley für das Thier bestimmt hat, sich hier über- haupt nicht erkennen lassen. Es bliebe nichts übrig, als die ganze Art, welche sich zahllose Generationen hindurch immer in derselben Weise auf ungeschlechtlichem Wege fortpflanzt, oder vielmehr, da die Art veränderlich ist, den Stamm, welcher sich aus allen verwandten Arten zusammensetzt, als Individuum zu bezeichnen. Allerdings kön- nen wir auch diese Individualität als solche gelten lassen; ein solcher Eutwickelungs-Cyclus ist auch eine organische Einheit; allein er ent- spricht nicht dem Begriffe des individuellen Organismus, wie ihn die Tectologie als Theil der Anatomie zu bestimmen hat. Vielmehr fällt diese genealogische Individualität, als eine Entwickelungseinheit, der Entwickelungsgeschichte oder Ontogenie anheim und wir werden sie daher im fünften und sechsten Buche zu erläutern haben. Blicken wir nochmals vergleichend zurück auf die angeführten verschiedenen Versuche, welche zur Bestimmung der thicrischen Indi- vidualität gemacht worden sind, so finden wir deren Begriff weit Begriff und Aufgabe der Tectologie. weniger entwickelt und scharf bestimmt, als es bei der pflanzlichen Individualität der Fall ist. Insbesondere sind die verschiedenen Ord- nungen von IiKlmdualitäten, welche die Botaniker (Decandolle Schleiden, Nage Ii) in verschiedener Weise mehr oder minder scharf als Kategorieen verschiedenen Grades zu bestimmen versucht liaben, von den Zoologen bisher nicht erkannt oder doch nicht irgend präcis als solche bezeichnet worden, obwohl der Organismus der höheren Thiere ganz ebenso wie der der höheren Pflanzen, sich aus subordinirten Individualitäten verschiedener Ordnung zusammensetzt. Allerdings ist in neuerer Zeit mehr und mehr auch in der thierischen Biologie die Zelle als Elementar-Organismus und als Individualität erster Ord- nung anerkannt worden, und der ganze Organismus als eine organi- sirte Gesellschaft, als ein Staat von Zellen. Insbesondere hat das sorgfaltige histologische Studium des menschlichen Körpers mehr und mehr die Ansicht befestigt, dass die Zellen als die letzten selbststän- digen „Lebensheerde« den ganzen Organismus constituiren, und dass die Lebensthätigkeit des letzteren nichts Anderes ist, als die Summe der Lebensthätigkeiten der einzelnen Zellen. Namentlich haben Brücke u. A. die normalen, Virchow die pathologischen Functionen des menschlichen Organismus in dieser Weise als das Resultat der ge- sammteu Functionen der einzelneu Zellen oder „Elementar-Organismen" nachzuweisen versucht. Da jedoch im thierischen Organismus die ein- zelnen Zellen weniger selbstständig sind als im pflanzlichen, da ihre Wechselbeziehungen unter einander und zum Ganzen innigere sind, so ist diese richtige Auffassung nicht in der Weise wie bei den Pflan- zen, zu allgemeiner Geltung gelangt. Ebenso hat man die Individua- litäten höherer Ordnung, welche bei den Pflanzen theilweis schon er- kannt worden waren, beim Thiere fast nirgends berücksichtigt. Eine Ausnahme machen hier nui- die Individuen höchster Ordnung, die Stöcke (insbesondere die Colonieen der Würmer und Coelenterateu), deren pflanzenstockähuliche Zusammensetzung zu einer analogen Be- trachtung auffordert. Hier war es denn auch, wo der Unterschied zwischen physiologischer und morphologischer Individualität mit Recht besonders hervorgehoben und von den Zoologen (besonders Leuckart und- V. Carus) schärfer betont wurde, als es bei den Pflanzen ge- schehen war. Nach unserer Ansicht findet die Theorie von der relativen Indivi- dualität ebenso in der Tectologie der Thiere, wie der Pflanzen, allge- meine Anwendung, und wir können auch bei den Thieren allgemein mehrere über einander geordnete Kategorieen von Individuen unter- scheiden, von denen jede höhere zwar eine geschlossene Einheit, aber dennoch zugleich eine Vielheit von subordinirten Individuen niederer Stufe darstellt. Wir werden im Folgenden den Beweis zu führen ver- V. Verschiedene Auffassungen des thierischen Individuums. 265 suchen, dass diese verschiedenen Stufenfolgen bei den Thieren durch- aus analoge, wie bei den Pflanzen sind, und dass wir demgemäss auch hier folgende sechs Ordnungen zu unterscheiden haben: 1) die Zelle (Cellula), 2) das Organ (Rumpf-Organe und Extremitäten-Organe), 3) das Gegenstück oder Antinier, 4) das Rumpfglied (Segment) oder Folgestlick (Metamer), ö) die Person ('dem pflanzlichen Spross ent- sprechend), 6) den Stock (Cormus). VI. Morphologische und physiologische Individualität. Die vorhergehenden Betrachtungen über die verschiedenartige Entwickelung des Individualitäts-BegrifPes bei den Botaniliern und bei den Zoologen haben uns zu dem Resultate geführt, dass die ersteren in ihrer anatomischen Analyse des pflanzlichen Organismus sorgfältiger die Individualitäten verschiedener Ordnung unterschieden, die letzteren dagegen bei ihi-er biologischen Betrachtung des thierischen Organismus klarer die physiologische und morphologische Individualität aus ein- ander gehalten haben. Hieraus ergeben sich uns bereits die zwei ver- schiedenen Gesichtspunkte, von denen aus wir in unserer generellen Tectologie die Individualität der Organismen Uberhaupt werden zu be- trachten haben. Wir werden erstens genau und scharf zu unterscheiden haben zwischen der morphologischen und der physiologischen Indivi- dualität des Organismus und wir werden zweitens sorgfältig die Indi- vidualitäten verschiedener Kategorieen zu sondern haben, aus denen sich der ganze Organismus zusammensetzt. Morphologisches Individuum oder Foi-m - Individuum oder organische Formeiuheit nennen wir allgemein diejenige einheitliche Formerscheinung, vi^elche ein in sich abgeschlossenes und formell conti- nuirlich zusammenhängendes Ganzes bildet; ein Ganzes, von dessen constituii'enden Bestandtheilen man keinen hinwegnehmen, und das man Uberhaupt nicht in Theile auseinander legen kann, ohne das Wesen, den Character der ganzen Form zu vernichten. Das Form- iudividuum ist demnach eine einfache, zusammenhängende Raumgrösse, die wir im Momente der Beurtheilung als eine unveränderliche Gestalt anzusehen haben.') ") Passender würde man die morphologische Individualität des Organismus als das anatomische Individ uum zu bezeichnen haben, da ja auch das vor- her besprochene genealogische Individuum oder die Entwickelungseinhoit, welche wir als Keimproduct, als Art und als Stamm im fünften und sechsten Buche zu betrachten haben, unter den Begriff des morphologischen Individuums fällt. Da jedoch bereits die Bezeichnung des anatomischen Individuums als morphologi- schen (im Gegensatz zum physiologischen) eingebürgert ist, so wollen wir die- selbe ein für allumal beibehalten. 266 Begriff und Aufgabe der Tectologie. Physiologisches Individuum oder Leistungs- Individuum oder Lebenseinheit nennen wir diejenige einheitliche Formerscheinung, welche vollkommen selbstständig längere oder kürzere Zeit hindurch eine eigene Existenz zu führen vermag; eine Existenz, welche sich in allen Fällen in der Bethätigung der allgemeinsten organischen Func- tion äussert, in der Selbsterbaltung. Das Leistungs -Individuum ist demnach eine einfache, zusammenhängende Kaumgrösse, welche wir als solche längere oder kürzere Zeit hindurch leben, d. h. sich er. nähren sehen, und welche wir also im Momente der Beurtheilung als veränderlich ansehen. Sehr häufig vermag dieselbe ausserdem sich fortzupflanzen und auch andere Lebens-Functionen zu vollziehen. Der Kürze halber wollen wir die physiologischen Individuen ein für alle- mal mit dem Namen der Bionten oder Onten belegen.') Die morphologische Individualität zerfällt in sechs verschiedene, subordinirte Kategorieen oder . Ordnungen von Individuen, und jede dieser Ordnungen tritt in bestimmten Organismen als physiolo- gische Individualität auf. Für jede Art (Speeles) ist aber eine be- stimmte Ordnung als höchste characteristisch und repräsentirt hier ausnahmslos die eigentliche physiologische Individualität, wenigstens zur Zeit der vollkommenen Keife des Organismus. Die sechs Ord- nungen der organischen Individualität sind folgende: I. Plastideu (Cytodeu und Zellen) oder „Elemeutar-Organismen." II. Orgaue (Zelleustöcke oder Zellfusiouen, einfache oder homo- plastische Organe, zusammengesetzte oder heteroplastische Organe, Organ-Systeme, Organ-Apparate). III. Antimereu (Gegenstücke oder homotype Theile). „Strahlen" der Strahlthiere , „Hälften" der eudiplem-en (bilateral - symmetrischen) Thiere etc. IV. Metameren (Polgestücke oder homodyname Theile). „Stengel- giieder" der Phanerogamen, „Segmente", Ringe oder Zoniten der Gliederthiere und Wirbelthiere etc. V. Personen (Prosopen). Sprosse oder Gemmae der Pflanzen und Coelenteraten etc. „Individuen" im engsten Sinne bei den höheren Thieren. VI. Cormen (Stöcke oder Colonieen). Bäume, Sträucher etc. (Zu- sammengesetzte Pflanzen). Salpenketten, Polypcnstöcke etc. Jedes dieser sechs morphologischen Individuen verschiedener Ord- nung vermag als selbstständige Lebenseinheit aufzutreten und das physiologische Individuum zu repräsentiren. Auf der niedersten Stufe der Piastiden bleiben sehr viele Organismen zeitlebens stehen, z. B. ') ßCov, TO [ßloviii, Ttt) das physiologische Individuum als coucrete Lebens- einheit, als sclbstatiiudiges „Lebewesen." VT. Morphologische und physiologische ludividualität. 267 die meisten Protisten und viele Algen. Die zweite Kategorie des Form -Individuums, das Organ, erscheint als selbstständige Lebens- einheit bei vielen Protisten, Algen und Coelenteraten. Auf der dritten Stufe, dem An tinieren- Zustande, bleibt die Lebenseinheit stehen bei vielen Protisten und einzelnen niederen Pflanzen und Thieren. Die vierte Ordnung, das Metamer, erscheint als Lebenseinheit bei den meisten Mollusken, vielen niederen Würmern, Algen etc. Die fünfte Kategorie, die Person, repräsentirt das physiologische Individuum bei den meisten höheren Thieren, aber nur bei wenigen Pflanzen. End- lich die sechste Ordnung der morphologischen Individuen, der Stock, bildet die physiologische Individualität bei den meisten Pflanzen und Coelenteraten. Sehr wichtig ist nun die Erwägung, dass alle Organismen ohne Ausnahme, welche als ausgebildete, reife Lebenseinheiten durch mor- phologische Individuen höherer Ordnung repräsentirt werden, ursprüng- lich nur der niedersten Ordnung angehören und sich zu den höheren Stufen nur dadurch erheben können, dass sie die niederen alle oder grösstentheils durchlaufen. Der Mensch z. B. und ebenso jedes andere Wirbelthier, ist als Ei ursprünglich ein Form -Individuum erster Ord- nung. Es erreicht die zweite Stufe, indem aus der Eifurchung ein Zellenhaufen hervorgeht, der den morphologischen Werth eines Organs besitzt. Mit der Ausbildung der Embryonalanläge und mit dem Auf- treten des Primitivstreifes (der Axenplatte) scheidet es sich in zwei Individuen dritter Ordnung oder Antimeren. Mit dem Hervorknospen der Urwirbel beginnt die Gliederung des Kumpfes, der Zerfall in Me- tameren, und mit deren Difierenzirung ist die Ausbildung der Person, des Form -Individuums fünfter Ordnung, vollendet, welches nun als physiologisches Individuum persistirt. Ebenso durchläuft jede ge- schlechtlich erzeugte phanerogame Pflanze, indem sie aus der einfachen Zelle (dem Keimbläschen, dem eigentlichen Ei) zum Zellenhaufen (Organ) wird, der sich mit dem Auftreten einer Axe in zwei oder mehr Antimeren differenzirt, die drei ersten Stufen der Form -Indivi- dualität. Auf der vierten Stufe des Metamers bleibt sie bis zum Be- ginne der Gliederung der Axe. Aus den diöerenzirten Stengelgliedern setzt sich der Spross zusammen, der nun aus der fünften zur sechsten Stufe, dem Stocke, sich durch Bildung seitlicher Sprosse erhebt. Hieraus geht deutlich hervor, dass der eigentliche morphologische Werth der physiologischen Individualität für jede Organismen- Art nur nach erlangter vollständiger Reife, wenn sie „ausgewachsen" ist, be- stimmt werden kann. Man darf daher auch niemals als Kriterium der physiologischen Individualität, wie es viellach geschehen ist, die Ent- wickelungsfähigkeit zu einer selbstständigeu Lebenseinheit be- trachten. Diese haftet ursprünglich stets an den Form -Individuen 268 Begriff und Aufgabe der Tectologie. erster Ordnung, den Piastiden (Cytoden und Zellen), und erst durch die Differenzirung der Zellen, welche bei den höheren Organismen (besonders den Thieren) sehr weit geht, verlieren dieselben jene Fähigkeit, oder vielmehr es bleibt dieselbe auf einzelne bestimmte Piastiden (Eier) beschränkt. Ausnahmsweise (Hydra, viele Phanero- gameu) behalten auch noch bei höher differenzirten Organismen zahl- reiche Piastiden diese Entwickelungsfähigkeit bei. Ebenso wenig als letztere darf man die Eeproductionsfähigkeit, das Vermögen eines abgelösten Theils, sich zum Ganzen zu ergänzen (Würmer, Coe- lenteraten, viele Phanerogamen), als Kriterium der physiologischen Individualität anwenden, da auch hier das eigentlich Wirksame die ursprünglich allen Piastiden eigene Entwickelungsfähigkeit ist. Will man die physiologische Individualität der Organismen dadurch characteri- siren, so geht die Schärfe ihres Begriffes vollständig verloren. Diese ist nur dadurch zu erhalten, dass wir die Fähigkeit der Selbst- erhaltung als das eutscheidende Kriterium hinstellen, sowie es für die morphologische Individualität in der Unfähigkeit der T heil ung in der individuellen Untheilbarkeit liegt. Das Leistungs-Individuum' ist der einheitliche Lebensheerd, dessen Existenz mit der Function der Selbsterhaltuug erlischt; das Form -Individuum ist die einheitliche Lebcnsgestalt, deren Existenz mit ihrer Theilung erlischt. Die vielfach aufgeworfene Frage nach der absoluten Individualität der Organismen ist also dahin zu beantworten, dass dieselbe nicht existirt, und dass alle Organismen, als physiologische Individuen be- trachtet, entweder zeitlebens auf der ersten Stufe der morphologischen Individualität, der Plastide, stehen bleiben, oder aber, von dieser aus- gehend, sich secundär zu höheren Stufen erheben. Indem wir nun in den folgenden Capiteln das Verhältniss der verschiedenen Individualitäts- Grade zu einander, welches die eigent- liche Grundlage der gesammten Tectologie ist, näher zu bestimmen versuchen, wollen wir zunächst die Begriffe der sechs einzelnen Ord- nungen der morphologischen Individualität bestimmt feststellen, und dann nachweisen, wie jede dieser verschiedenen Ordnungen in ver- schiedenen Organismen die physiologische Individualität zu repräsen- tii-en vermag. I. Morphologische Iiidividuen erster Orduuug: Plastideii. 269 Neuntes Capitel. Morphologische Individualität der Organismen. „Die Pflanze erscheint fast nur einen Augen- blick als Individuum, und zwar da, wenn sie sich als Samenkorn von der Mutterpflanze los- löst. In dem Verfolg des Keimens erscheint sie schon als ein Vielfaches, an welchem nicht allein ein identischer Theil aus identischen Theilen entspringt, sondern auch diese Theile durch Suc- ecssion verschieden ausgebildet werden, so dass ein mannichfaltiges, scheinbar verbundenes Ganzes zuletzt vor unseren Augen dasteht. Allein dass dieses scheinbare Ganze aus sehr unabhängigen Theilen bestehe, giebt theils der Augenschein, theils die Erfahrung: denn Pflanzen, in viele Theile getrennt und zerrissen, werden wieder als eben so viele scheinbare Ganze aus der Erde hervorsprossen." Goethe. I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Piastiden oder Plasmastücke. I. 1. Unterscheidung von Oytoden und Zellen. Als morphologische Individuen erster und niedrigster Ordnung wurden wir, der gegenwärtig herrschenden Auffassung gemäss, nur eine einzige Art von Körpern, die Zellen (Cellulae) aufzuführen haben. Nach derjenigen Auffassung des thicrischen und pflanzlichen Organismus, welche der unsrigen am nächsten steht, ist derselbe ent- weder eine einzige einfache Zelle oder ein einlieitliches Aggregat von mehreren, entweder gleichartigen oder differenzirten Zellen. Die Zelle ist hiernach das allgemeine Form-Element oder das Elementar -Organ aller Organismen und wird als solches jetzt häufig als Elementar- 270 Morphologische Individualität der Organismen. Organismus bezeichnet. Die Zellen sind entweder selbst die ganzen Organismen (Eier der Pflanzen und Thiere, einzellige Pflanzen etc) oder sie sind die Individuen , durch deren Verbindung der ganze Or- ganismus, als Zellen-Gesellschaft oder Zellen-Staat, sich constituirt. Es ist diese Auffassung, welche von Schleiden und Schwann in die Wissenschaft eingeführt wurde, und welche man nach ihnen all- gemein als „Zellentheorie" bezeichnet, gegenwärtig in der gesammteu Biologie die herrschende Theorie. So richtig dieselbe ohne Zweifel im Grossen und Ganzen ist, und so sehr wir sie für die grosse Mehrzahl aller Organismen als die allein berechtigte anerkennen müssen, so ist es dennoch nicht möglich, sie auf alle Organismen ohne Ausnahme auszudehnen. Vielmehr kennen wir viele Organismen niedersten Ranges, z. B. Polythalamien und andere Bhizopoden, Protogeniden, etc., deren ganzer Körper noch nicht einmal den Werth einer einzi- gen Zelle besitzt, und einen individuell abgeschlossenen Form-Zustand der lebenden Materie repräseutirt, den wir durch den Namen der Cytode') oder des zellenähnlichen Körpers bezeichnen wollen. Um unsere Unterscheidung der Elementar-Organismen in Zellen und Cytoden zu begründen, ist es nöthig, auf die Geschichte der Zellentheorie einen flüchtigen Blick zu werfen. Schleiden, dem das Verdienst gebührt, zuerst auf dem Gebiete der Fflauzeukunde die Zellentheorie begründet und mit scharfer Consequenz durchgeführt zu haben, deünirt die Pflauzenzelle (cellula), als „das Elemen- tarorgan, welches vollständig entwickelt eine aus Zellstoff gebildete Wan- dung und eine halbflüssige stickstoflhaltige Auskleidung besitzt, und das einzige wesentliche Forraelement aller Pflanzen bildet, ohne welches eine Pflanze nicht besteht." Schwann, der Schleidens Zellentheorie auf die Zusammensetzung des thierischeii Körpers anwandte, und nachwies, dass der thierische Organismus nicht minder als der pflanzliche einzig und allein aus Zellen und Zellenderivaten, als letzten Elementartheilen, zusammenge- setzt sei, legte ein grösseres Gewicht auf den Zellenkern (Nucleus) und wies nach, dass der Kern in den allermeisten thierischen Zellen, und zu irgend einer Zeit ihres Lebens wahrscheinlich in allen Zellen aufzufinden sei. Nach Schleidens Auffassung ist demnach die Zelle aus zwei we- sentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt, ein Bläschen, welches in einer festen, ringsum geschlossenen Wandung oder Membran einen flüssigen oder halbflüssigen Inhalt besitzt. Nach Schwann dagegen sind zum Begriffe der Zelle drei wesentlich verschiedene Bestandtheile nothwendig, Mem- bran, Inhalt und Kern. Der letzte Bestaudtheil, der Kern, wurde bald so allgemein in den meisten animalen und vegetabilen Zellen, wenigstens in einer gewissen frühesten Periode ihrer Existenz nachgewiesen, dass die Trini- ') xmog, TO, cellula, Zelle; xvTWiirjg, cellularis, zellenähulich. I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Piastiden. 271 tätslehre der Zelle, wie sie von Sehwann aufgestellt war, allgemein herrschend wurde. So lauge man sich vorwiegend mit dem Studium der Pflauzenzellen be- schäftigte, die meistens schon in einer sehr frühen Zeit ihres Lebens und fast allgemein deutlich eine Membran erkennen lassen, und so lange man die von ihnen gewonnene Anschauung auf die Betrachtung der thierischen Zelleu übertrug, musste die Membran der Zelle als eiu eben so wichtiger Bestandtheil derselben wie Kern und Inhalt erscheinen und beinahe zwanzig Jahre hindurch blieb daher die Trinitätslohre der Zelle fast unangefochten. Erst als man die Zellen des thierischen Organismus allgemeiner und ein- gehender und unabhängig von den pflanzlichen zu betrachten begann, brach sich die Erkenntnis s Bahn, dass die Membran der Zelle in sehr vielen Fällen vollkommen fehlt und dass die Zellen dann blos aus zwei wesentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt sind, aus dem Kern und der Zellsubstanz oder dem Zellstoff. Mit dem letzteren Namen müssen wir den sogenannten ^Zell- Inhalt" bezeichnen, wenn eine Membran und damit der Gegensatz von Hülle und Inhalt fehlt. Diese sehr wichtige Reform der Zellenlehre wurde vouLeydig herbei- geführt, welcher in seinem „Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere" (185t) zuerst mit Bestimmtheit aussprach, dass „nicht alle Zellen blasiger Natur sind; nicht immer ist eine vom Inhalt ablösbare Membran zu unterscheiden." Leydig definirt die Zellen „als die kleinsten organischen Körper, welche eine wirksame Mitte besitzen, die alle Theile auf sich selber und ihr Bedürfniss bezieht. — Zum morphologischen Be- grifi" einer Zelle gehört eine mehr oder minder weiche Substanz, ur- spininglich der Kugelgestalt sich nähernd, die einen centralen Körper ein- schliesst, welcher Kern (Nueleus) heisst. Die Zellsubstanz erhärtet häufig zu einer mehr oder minder selbstständigen Grenzschicht oder Membran, und alsdann gliedert sich die. Zelle nach den Bezeichnungen der Schule in Membran, Inhalt und Kern." Dieselbe Lehre ist dann von Max Schultze') ausführlich begründet worden, indem derselbe auf den Mangel der Membran an sehr vielen, und gerade den wichtigsten Zellen (den Nervenzellen, Furchuugskugeln und ihren Abkömmlingen, den Embryonalzellen) aufmerksam machte. Max Schultze definirt die Zelle als „eiu Klümpchen Protoplasma, in dessen Innerem ein Kern liegt. Der Kern sowohl als das Protoplasma sind Theil- producte der gleichen Bestandtheile einer anderen Zelle. Die Zelle fühx-t eiu in sich abgeschlossenes Leben." Der entscheidende und unwiderlegliche Beweis, dass gewissen Zellen jede Spur einer Membran fehlt, und dass sie blos aus einem Klumpen halbflüssiger schleimartiger Zellsubstanz (Protoplasma) bestehen, welcher einen Kern umschliesst, ist zuerst von mir dadurch geliefert worden, dass ich das Eindringen fester Moleküle in das Innere des Protoplasma und ihre Anhäufung rings um den Kern beobachtete, und dass -ich durch ein ') Max Schultze, „Ueber Muskelkörpercheu und das, was man eine Zelle zu nenuen habe.'- Reiche rts uud Du Bois- Keymonds Archiv, 1861, p. 11. 272 Morphologische Individualität der Orgauismeu. einfaches Experiment die amoebenartigen Blutzelleu wirbelloser Thiere (Mollusken und Crustaceen) veranlasste, feste Pigamentiuoleküle mittelst ihrer amoebenartigen Bewegungen und Formveränderungen in ihr Inneres aufzunehmen.^) Diese Experimente sind von Recklinghausen, ^) Preyer^) und Anderen an den farblosen Blutzellen kaltblütiger und von Max Schultz e"*) neuerlichst, an den farblosen Blutzellen warmblütiger Wirbel- thiere, des Menschen selbst, mit dem gleichen Erfolge wiederholt worden. Es kann hiernach nicht mehr zweifelhaft sein, dass wirkliche echte Zellen, wofür die farblosen Blutzellen mit Recht allgemein gelten, keine Membran besitzen und bloss aus zwei wesentlichen Bestandtheilen, dem centralen festen Kern (Nucleus) und der peripherischen schleimartigen Zellsubstanz (Protoplasma) bestehen. Die nahe Verwandtschaft dieser Blutzellen mit anderen amoebenartigen Zellen (Embryonalzellen, Bindegewebszellcu, Knor- pelzellen und indiflercnten Zellen niederer Thiere), welche die gleiche Form und Structur und die gleichen Bewegungserscheinungen zeigen, macht es aber sehr wahrscheinlich, dass der Mangel der Membran sehr weit ver- breitet und in einer ersten Jugendperiode allen Zellen gemeinsam ist. Als wesentliche Bestandtheile aller echten Zellen müssen also zwei differente Theile betrachtet werden: I. der innere (centrale oder excentrische) Zellkern (Nucleus, Cytoblastus) , welcher entweder ein fester, homogener, oder selbst wieder ein zusammengesetzter (bläschen- förmiger) Körper ist; II. der äussere, den Kern umschliessende (peri- pherische) Zellstoff (Protoplasma, Plasma), welcher aus einem festflüssigen Eiweisskörper besteht. Als dritter, nicht constanter und in der ersten Jugend der Zelle stets oder doch meist fehlender Be- standtheil, kommt dazu in vielen Fällen eine äusserste, den Zellstoff- körper umschliessende Zellhaut (Membrana cellulae) welche entweder nur die verdichtete und als besondere Hautschicht differen- zirte äusserste Oberflächenlage des Protoplasma oder aber von diesem in flüssiger Form, als Secret, nach aussen abgeschieden, und in Form einer Cuticula über demselben erstarrt, erhärtet ist. Wir können demgemäss sämmtliche Zellen des Pflanzen-, Protisten- und Thierreichs in zwei Hauptgruppen bringen, Hautzellen und hautlose Zellen. Die nackten oder hautlosen Zellen oder Urzellen (Cel- lulae primordiales, Gymnocyta*), bestehen bloss aus innerem Kern und äusserem Protoplasma. Dahin gehören viele Eier, die Theil- producte derselben oder Furch ungskugeln, die Erabr jonalzellen , viele Nervenzellen, Bindegewebszellen, die ausgeschlüpften öchwärm- sporen vieler Algen etc. Bei den Hautzellen oder Schlauch- 1) Haeckel, Radiolarien, Berlin 1862, p. 104—106. *) RecklinghauBen, Virchow's Archiv Bd. XVIII, p. 184. 3) Frey er, Virchow's Archiv Bd. XXX, p. 420. ■•) Max Schultze, Archiv für mikrosk. Auat. Bd. I, p. 23. ^) yvfxrös nackt; xvtos (rö) Zelle. I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Piastiden. 273 Zellen (Cellulae membranosae, Lepocyta)') ist das den Kern iiraschliessende Protoplasma selbst wieder von einer äusseren Membran umgeben oder aber in Intercellularsubstanz eingeschlossen. Hierher gehören die meisten pflanzlichen und viele thierische Zellen. Die genannten zwei differenten Bestandtheile : Kern (Nucleus) uud Zellstoff (Plasma) müssen wir als die beiden integrirenden und zum Begriff nothwendigen Bestandtheile jeder Zelle festhalten; in jeder echten Zelle ist ein Kern innerhalb des Plasma zu irgend einer Zeit ihres Lebens, und zwar constaut in der frühesten Zeit, nach- zuweisen, wenn er auch späterhin verschwindet. Ein Plasmaklumpen ohne Kern ist keine Zelle mehr. Zwar sind einige Biologen, wie z. B. Brücke in seinem treif liehen Aufsatz über die Elementar-Organismen, noch weiter gegangen und haben auch den Kern für einen unwesent- lichen und oft fehlenden Bestandtheil der Zelle erklärt. Sie berufen sich darauf, dass ein Kern in sehr vielen Fällen nicht in der Zelle nachzuweisen ist. Allein entweder ist der Kern hier früher einmal vorhanden gewesen, und dann ist die kernlose Zelle nicht mehr voll- ständig, oder er ist nie vorhanden gewesen und dann ist der indivi- duelle organische Körper eben keine Zelle, sondern ein Plasmaklum- pen, welcher noch nicht in inneren Kern und äusseres Plasma sich differenzirt hat, eiue Cytode, wie wir es oben genannt haben. Wenn wir den Kern als integrirenden Bestandtheil des Zellenbegriffs aufge- ben, so behalten wir für letzteren nichts übrig, als das individualisirte Protoplasma, einen morphologisch nicht näher bestimmbaren homogenen EiAveisskörper. Die Zelle wird dann zum Lichtenbergischen Messer ohne Griff und Klinge. Andrei-seits müssen wir grosses Gewicht auf die von Brücke und Anderen hervorgehobene Thatsache legen, dass individuelle Elemen- tartheile, und zwar sowohl physiologisch als morphologisch abge- schlossene Einheiten, selbstständige Lebensheerde oder Elementar-Or- ganismen existiren, welche keine Zellen nach unserer Definition sind, indem der Kern ihnen fehlt. Diese kernlosen Elementarorganismen sind es, welche wir als Cytoden bestimmt von den echten (kernhal- tigen) Zellen unterscheiden müssen. Sie bestehen nur aus dem einen wesentlichen Bestandtheile der echten Zellen, aus einem Klumpen von Plasma oder Protoplasma, während der andere integrirende Bestand- theil der letzteren, der Kern, ihnen vollständig uud zu jeder Zeit ihrer iudividuellen Existenz abgeht. Es ist dies der Fall bei sehr vielen Organismen niederster Ordnung, welche weder bestimmte thierische noch deutliche pflanzliche Charactere besitzen, und denen wir desshalb in dem Mittelreiche der Protisten den natürlichsten Platz anzuweisen glauben. 'J A^'/zoi (t6) Kinde, Hülle, Schale; xinog (tö) Zelle. Ha ecke), Generelle Morpliologi«. 274 Morphologische Individualität der Organismen. Die Cytoden oder die kernlosen Plasmaklumpen zerfallen gleich den echten kernhaltigen Zellen in zwei Gruppen, je nachdem das weiche, festfllissige Plasma ihres Körpers aussen nackt und hüllenlos oder au der Oberfläche von einer Hülle oder Membran umgeben ist. Diese Haut kann, wie die Zellhaut, entweder die verdichtete, dilferen- zirte Oberflächenschicht des Plasmakörpers selbst, oder aber von der Oberfläche des Plasmakörpers nach aussen als flüssiges Secret abge- schieden und ausserhalb desselben zur Kapsel erhärtet sein. Diese Membran kann ferner entweder den ganzen Plasmakörper ringsum vollständig abschliessen, z. B. bei den Siphoneen und anderen soge- nannten einzelligen (aber kernlosen!) Algen; oder die Membran kann unvollständig geschlossen und von einem oder mehreren Löchern oder Oeflfnuugen durchbrochen sein, aus welchen das eingeschlossene Plasma theilweis hervortreten kann, z. B. bei den Polythalanden. Beide Arten von Cytoden sind wohl zu unterscheiden. Die nackten oder hautlosen Plasmaklumpen oder Urklumpen (Gymnocy- todae, Cytodae primordiales), haben als wesentlichen Bestandtheil bloss ein Stück Plasma. Dahin gehören alle, für unsere jetzigen Hülfsndttel nicht weiter zerlegbaren, homogenen Organismen niederster Ordnung, (Protogenes, Protanweba), viele sogenannte Monaden, Vibrio- nen etc. Die umhüllten oder häutigen Plasmaklumpen dagegen oder die Hautklumpen (Lepocy todae, Cytodae membranosae) be- stehen aus zwei Theilen, dem inneren Plasma und der dasselbe um- schliessenden äusseren schlaucharligen Membran, welche in chemi- scher oder doch in physikalischer Beziehung sich von dem Plasma unterscheidet, und oft mechanisch von demselben abgetrennt werden kann. Hierher gehören viele niederste Organismen von unbestimmter Stellung und zum Theil von sehr indifferenter Natur, die wii* in un- serem Zwischenreiche der Protisten untergebracht haben, z. B. viele Rhizopoden (Acyttaria); viele sogenannte einzellige Algen (Siphoneen); auch die Sporen („Sommereier") der Aphiden, Daphniden etc. Die Cytoden, welchen der Kern stets fehlt, und die echten Zellen, welche stets einen Kern zu irgend einer Zeit ihres Lebens besitzen, können unter dem Namen der Piastiden oder Bildnerinnen zu- sammeugefasst werden und stellen als solche die morphologischen In- dividuen erster Ordnung dar. Diese Bildnerinnen sind in der That die bildenden, plastischen Elemente, welche durch ihr Zusammenwir- ken die Form-Individuen höherer Ordnung aufbauen, und durch ihre Aggregation die Gewebe, die Organe etc. constituiren. Nach den vor- ausgehenden Erläuterungen können wir unter den Piastiden allge- mein vier Gruppen unterscheiden, welche sich in folgender Uebersicht auf zwei Hauptgruppen von Bildnerinnen Cnläandeg:) vertlieilen: I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Piastiden. 275 Uebersieht der verschiedenen morphologischen Individuen erster Ordnung: Plastides (Plasniastiicke oder Klumpen). I. Cytodae. (Cellinae.) Cytoden. Plasmaklumpen ohne Kern. I. 1. Gymnocytodae. Urklumpen oder nackte Klumpen. Kernlose Plasmaklumpen ohne Haut oder Schale. I. 2. Lepocytodae. Hautklumpeu oder Schläuche. Kernlose Plasma- klumpen mit Haut oder Schale, n. Celliilne. (Cyta.) Zellen. Plasmaklumpen mit Kern. TT. 1. Gymnocyta. Urz eilen oder nackte Zellen. Kernhaltige Plasma- klumpen ohne Haut oder Schale. IT. 2. Lepocyta. Hautzellen oder Kernschläuche. Kernhaltige Plasma- klumpen mit Haut oder Schale. IT. 2. Zusammensetzung der Piastiden (Oytoden und Zellen) aus verschiedenen Formbestandtheilen.- A. Plasma. (Protoplasma:) Zellstoff. Da wir durch die Eintheilimg der Piastiden in Cytoden und Zellen neue Begriffe in die Plastidologie oder die sogenannte Gewebelehre (Histologie) eingeführt haben, deren Gebiet bisher seit Schwann die Zellen als die einzigen und allmächtigen Elementar- Organismen be- herrschten, und da uns diese Unterscheidung der Cytoden und Zellen insbesondere für die Vorstellungen von der ersten Entstehung der Or- ganismen die grösste Wichtigkeit zu besitzen scheint, so müssen wir den verschiedenen Structurverhältnissen der Piastiden eine, wenngleich ganz allgemein gehaltene, doch eingehendere Betrachtung widmen, als es bei den ludi\aduen höherer Ordnung gestattet sein wird. Wir werden daher hier besonders die Zusammensetzung der Piastiden (Cy- toden und Zöllen) aus verschiedenen Formbestandtheilen und die we- sentlichen Eigenschaften dieser Formbestandtheile ins Auge zu fassen haben, und betrachten deragemäss zunächst das Plasma oder den Zellstoff, dann den Nucleus oder Zellkern und endlich die verschie- denen (äusseren und inneren) Plasma-Producte. Als Plasma oder Zellstoff, besser Bildungsstoff, bezeichnen wir nach dem Vorhergehenden alle diejenigen organischen Materien, Avelche als die wesentlichen und in keinem Falle fehlenden Träger der Lebensbewegung erscheinen, als das active materielle Sub- strat des Lebens, und welche also gewissermaassen als der „Le- bensstoff'" oder die „lebende Materie" im engeren Sinne bezeichnet werden könnten. Uebcrall, wo wir bisher im Thier-, Protisten- und Pflanzen-Reiche in der Lage waren, die chemische Natur dieses Kör- pers bestimmen zu können, hat sich derselbe als ein Ei weisskörper oder Albuminat (sogenannte Prolein-Verbiudung) herausgestellt. 18* 276 Morphologische Individualität der Organismen. Das Plasma ist mit mehreren verschiedenen Namen belegt worden: Protoplasma (Mohl), Cytoplusma (Kölliker), Surcotle (Dujardin), Keimsnhslanz oder „Germinal mutier" (Beale), Zellsiibslanz, liildunyssvb- stanz, ZeUsloff' u. s. w. Wir werden es der Kürze halber stets als Bil- dungsstoff, Zellstoff oder Plasma bezeichnen.') In einer jeden Plastide, sowohl in jeder Cytode als in jeder Zelle, tritt das Plasma als ein zusammenhängender festflüssiger Körper von äusserst verschiedenartiger Form auf, über welche sich im Allgemeinen Nichts aus- sagen lässt. Die Grösse ist sehr verschieden, von kaum messbarer Fein- heit bis zu einem Durchmesser von mehreren Linien, selten mehreren Zollen (z. B. bei Caulerpa und anderen Siphoneen). Während man früherhin meistens das Plasma, weil es in formeller und häufig auch bedeutend in quantitativer Beziehung hinter die übrigen Be- standtheile der Zelle zurücktritt, sehr vernachlässigte und namentlich bei den Pflanzenzellen vorwiegend die, zunächst allerdings am meisten ins Auge fallende Membran berücksichtigte, ist man neuerdings immer mehr und immer allgemeiner zu der Ueberzeugung gelangt, hi dem Plasma den eigentlichen Heerd aller activen Lebensbewegung suchen zu müssen. Seine Stellung unter den Eiweissstoffen ist daher von beson- derer Bedeutung. Die Gruppe der Eiweisskörper, Albuminate oder Proteinstoffe, zu welcher alle verschiedenen Modiücationen des activen, lebendigen Plasma ge- hören, ist bekanntlich in chemischer Beziehung vor allen anderen Stoffen durch zahlreiche und sehr wichtige Eigenthünilichkeiten ausgezeichnet. Durch ihre höchst complicirte Zusammensetzung aus 5 oder 6 Atomarten Kohlenstoff, Wasserstoff, Saner^toff, Stickstoff, Schwefel und häufig auch Phosphor) stellen sie sich über alle anderen organischen Verbindungen. Gewöhnlich sind die Eiweisskörper von Fetten, Alkalien und Kalksalzen begleitet, zum Theil in sehr eigenthümlicher Weise chemisch mit ihnen verbunden. Daher hat man sie in chemisch reinem Zustande bisher nur äusserst selten oder gar nicht darzustellen vermocht. Ferner zersetzen sie sich ausserordentlich leicht und vermögen die Zersetzungsbewegung kata- lytisch, als gähruugserregeiide Stofle, auf andere zersetzungsfähige Körper zu übertragen. Ihre ausserordentliche Neigung zu Umsetzungen erklärt sich vielleicht aus der ebenso lockerep als verwickelten atomistischen Zu- sammensetzung ihrer Moleküle. Schon der leiseste Anstoss vermag diesen complicirten Atomgruppen-Bau zu zerstören. Ihre quantitative Zusammen- setzung ist daher sehr schwierig zu bestimmen, ihre theoretische Constitution noch ganz unbekannt. Mit anderen' Verbindungen, Salzen, Säuren und Basen, treten sie in sehr wechselnden Verhältnissen zusammen. Die meisten Eiweisskörper stehen sich in vielen Beziehungen sehr nahe und sind oft sehr schwer zu unterscheiden. Dennoch verleiht ihnen schon der geringste Unterschied in ihrer atomistischen Constitution, der durch chemische Reac- ») TO nXüa/uH bedeutet eigentlich allerdings das Gebildete, Geformte, und richtiger würde demnach für unsere bildende Materie der Ausdruck Plassou i^Tü «A( Stellung übersichtlich werden: Erste Gruppe der Würmer: Ungegliederte Würmer: das actuelle Bion ist ein einziges Metamer, also eiu Form-Iudividuum vierter Ordnung: die ilaeckel, Generelle Morphologie. 09 354 Physiologiche Individxialität derf^Organ Ismen. solitären Bandwürmer: Caryophyllaeus, Echeneibotkrium, alle Trematoden und Turbellarien (nach Ausschluss der Nemertmen), alle Nematoden (?) und Gephyreen (?) Zweite Gruppe ;der Würmer: Gegliederte Würmer: das actuelle Bion ist eine Kette von Metameren, also ein Form-Individuum fünfter Ordnung, eine Person. Erste Abtheilung: die durch terminale Kuospung entstandenen Meta- meren bleiben innig verbunden und sind oft äusserlich nicht zu unterscheiden; Undeutlich gegliederte Würmer: Sociale Bandwürmer aus der Pseudo- phyllideen-Familie (Ligula, Triaenophorus) , Nemertinen, Acanthocephalen (?), Hirudineen, Sagitta (mit zwei Metameren). Zweite Abtheilung: die durch ter- minale Knospung entstandenen Metameren trennen sich schärfer von einander, und sind auch äusserlich deutlich zu unterscheiden: Deutlich gegliederte Würmer: Sociale Bandwürmer aus den Familien der Taeniaden und Tetraphylli- deen, einige Acanthocephalen [Echinorhynchwfagilis und E. moniliformis), die mei- sten Anneliden. Unzweifelhaft ist also bei den gegliederten Würmern das actuelle Bion, wie bei den Wirbelthieren und Arthropoden, eine Person, ein morphologisches Individuum fünfter Ordnung, bei den ungegliederten Würmern dagegen ein Metamer, ein Form-Individuum vierter Ordnung. Das letztere gilt nun auch von allen Mollusken, mit Ausnahme der socialen „stockbildenden" Tunicaten und Bryozoen. Ueberall fehlt hier gänzlich die Gliederung, die Zusammensetzung aus einer Kette hinter einander gelegener Metameren, und es bleibt also das soge- nannte Einzelthier, welches aus zwei Antimeren zusammengesetzt ist, stets auf der vierten Individualitätsstufe stehen, bildet selbst ein ein- ziges Metamer. Es wird dies sofort klar, wenn wir die Mollusken mit den ungegliederten Würmern vergleichen, an die sie sich unmittel- bar anreihen. Bekanntlich sind einige Schnecken (Gasteropoden) den niederen Würmern sehr nahe verwandt, und insbesondere schliessen sich die niedersten Opisthobranchieu unmittelbar an die Turbellarien an, von denen sie oft (Rhodope) kaum zu unterscheiden sind. Die Tectologie der actuellen Bionten ist hier wesentlich die gleiche, wie dort. Ganz so verhalten sieb aber auch in der Zusammensetzung des Körpers aus zwei Antimeren und dem gänzlichen Mangel jeder Glie- derung alle anderen, nicht „stockbildeuden" Mollusken, nämlich erstens alle Cephaloten oder kopftragenden Mollusken ( Cephalopoden, Cochleen) und zweitens alle „Einzelthiere" unter den kopflosen Mollusken oder Acephalen (alle Lamellibranchien und Brachiopoden, und unter den Tunicaten die Ascidiae simplices, die Appendicularien, Doliolum und die solitären Generationen der Salpen. Alle diese Mollusken baben als ausgebildete reife Speeles -Repräsentanten nur den morphologischen Rang eines Metameres. Dasselbe gilt endlich auch von allen actuellen Bionten unter den Coelenteraten, welche nicht aus Metameren zusammengesetzt sind, also von allen Ctenophoren, allen Medusen und allen denjenigen rV. Die Metameren als Bionten. 355 Polypen (Hydroidpolypen sowohl als Anthozoen), welche nicht ge- gliedert, d, h. nicht mit Böden oder Dissepimenten versehen, oder äusserlich wenigstens geringelt sind. Alle diese ungegliederten „Ein- zelthiere" der Coelenteraten, mögen sie nun aus vier Antiraeren be- stehen, wie die meisten Medusen, oder aus acht, wie alle Ctenophoren mnd Alcyonarien (Octactinien), oder aus sechs, wie die Zoantharien, haben als actuelle Bionten nur den morphologischen Werth eines ein- zigen Metameres, und sind also, gleich den Mollusken, Trematoden ;und Proglottiden, nicht „eigentliche Individuen" (d. h. Personen), woflir man sie gewöhnlich anzusehen pflegt. Unter den Pflanzen erreichen zahlreiche Cryptogamen als actuelle [Bionten nur den Metameren -Werth, nämlich alle diejenigen, welche 3nur aus mehreren Antimeren, nicht aus mehreren Metameren zusam- mengesetzt sind, wie das bei vielen Thallophyten der Fall ist. Selten idagegen findet sich dieser Fall bei den Phanerogamen, wo nur die .„einfachen Pflanzen ohne Stengelglieder" dahin gerechnet werden ^können, z. B. Lemna. Auch diese ist als actuelles Bion ein einfaches ^Metamer, falls man nicht wenigstens gewisse Formen derselben rich- ttiger als actuelle Antimeren betrachten muss. rV. B. Die Metameren als virtuelle Bionten. Nicht minder grosse Bedeutung als die actuelle, besitzt die vir- Ituelle Individualität der Metameren. Wir müssen nämlich nach den lobeu augeführten Grundsätzen alle Entwickelungszustände von Per- ^8onen oder Sprossen fiü' virtuelle Metameren halten, welche bereits laus zwei oder mehreren Antimeren, aber noch nicht aus Metameren /zusammengesetzt sind. Demgemäss ist z. B. der Wii'belthier-Embryo (ein virtuelles Bion in' Metameren-Form von dem Momente an, wo ' durch Auftreten des Primitivstreifens die Sonderung in zwei Antimeren -eintritt, bis zu dem Momente, wo durch Erscheinen der Urwirbel I die Sonderuug in eine Kette von mehreren Metameren geschieht. Ebenso ist der Arthropoden-Embryo so lange ein einfaches Metamer, ; als nicht die Gliederung oder Segmentirung erscheint. Der Band- ^wurm-Scolex aus den Familien der Taeniaden, Tetraphyllideen etc. iist 80 lange ein virtuelles Metamer, als er nicht Proglottiden • erzeugt. Gleicherweise ist der Phanerogamen - Embryo so lange (ein Metamer, als nicht durch Gliederung der Plumula die Anlage • einer Metameren - Kette gebildet wird. In allen diesen Fällen ist \ der vorübergehende Entwickelungszustand der Person ein virtuelles l'Bion vom morphologischen Werthe eines einfachen Metameres, von dem Momente an, wo das Bion aus zwei oder mehreren Antimeren zu- •> 8 ammengesetzt erscheint, bis zu dem Momente, wo dasselbe durch Knos- pung (Gliederung) zu einer Metamercn-Kette, d. h. zu einer Person wird. 23* 356 Physiologische Individualität der Organismen. Weiterhin müssen wir dann aber auch als virtuelle oder poten- tielle. Bionten alle diejenigen einzelnen Metameren, z. B. bei vielen Anneliden, betrachten, welche fähig sind, sich von der Kette des actuellen Bion abzulösen und selbstständig (durch terminale Knospung) zu einer Metameren-Kette (Person)^ zu ergänzen. IV. 0. Die Metameren äls partielle Bionten. Wie für die allgemeine Unterscheidung der actuellen und vir- tuellen, so liefern auch für das Verständniss der partiellen Bionten die Metameren als physiologische Individuen vierter Ordnung aus- gezeichnet klare und treffende Beispiele. Wir können diese eben so wichtigen, als schwierigen, und bisher gänzlich vernachlässigten Ver- hältnisse der physiologischen Individualität nicht besser erläutern, als durch wiederholten Hinweis auf den Articulateu-Stamm , und ins- besondere auf die Würmer, deren niedere Formen uns aufs klarste den Unterschied zwischen der actuellen, virtuellen und partiellen Er- scheinung der physiologischen Individualität zeigen. Wie wü* unter der Bandwürmer- Gruppe in dem ausgebildeten CaryophyUaeus und Echeneibothriiim die besten Beispiele für die actuelle, in dem Scolex der Taeniaden für die virtuelle, so finden wir daselbst in den fi-eien Proglottiden die klarsten Beispiele für die paiiielle Erscheinungsweise der physiologischen Individualität in der Form des Metameres. Die freien Proglottiden der Taenien, welche gewöhnlich irrtbümlich für „eigentliche Individuen", d. h. für Personen, gehalten werden, sind lediglich einzelne Metameren, welche bei vielen Cestoden-Arten (Taenia mediocanellaia etc.) in ausgezeichneter Weise als partielle Bionten eine selbstständige Existenz zu fristen vermögen. Als schein- bar selbstständige physiologische Individuen vermögen sich diese ab- gelösten Folgestücke der Strobila (des actuellen Bion) längere oder kürzere Zeit zu erhalten und umher zu bewegen, ohne doch der Ent- wickelung zum actuellen Bion fähig zu sein. Sie leisten hier als individualisirte Metameren dasselbe, wie die Hectocotylen als indivi- dualisirte Organe, wie die männlichen Vallisnerien als individualisirte Personen. Wir können kein besseres Beispiel für den Character des partiellen Bion überhaupt anführen. Weniger vollständig als bei den Cestoden ist die Individualisation der Metameren als partieller Biouten bei vielen anderen Würmern (z. B. Anneliden), bei denen ebenfalls einzelne Segmente (Metameren) sich ablösen und längere oder kürzere Zeit selbstständig fortleben können, ohne doch die Fähigkeit zu be- sitzen, sich durch terminale Knospung zu einer Metameren-Kette, d. h. einer Person, zu ergänzen. V. Die Personen als Bionten. 357 V. Die Personen als Bionten. Physiologisclie Individuen fünfter Ordnung. Die Person oder das Prosopon ist von allen morphologisclien jlividualitäten, wie wir oben gesehen haben, insofern die hervor- i-endste, als sie bei der grossen Mehrzahl aller Thiere und Pflanzen - physiologisches Individuum auftritt, und zwar bei den meisten liieren als actuelles, bei den meisten Pflanzen als virtuelles und als trtielles Bion. Da der Mensch,- gleich allen anderen Wirbelthieren, reifen Zustande (als actuelles Bion) den Formwerth eines morpho- ischen Individuums fünfter Ordnung hat, so wurde von ihm aus Begriff des „Individuums" auf die übrigen Organismen überü-agen, I somit in der oben schon erläuterten Weise der Grund zu der gemeinen Verwirrung gelegt, in welcher sich die Individualifätslehi-e her fand. Sobald wii' einerseits scharf unterscheiden zwischen nrphologischem und physiologischem Individuum, andererseits zwischen ;'D verschiedenen Ordnungen der morphologischen Individualität, so ■htet sich dieses verworrene Dunkel, und es zeigt sich, dass die eisou als Bion bei Weitem nicht die übermässige Bedeutung und •isdehnung besitzt, welche man, von der beschränkten subjectiven rrachtung des Menschen ausgehend, ihr allgemein zugeschrieben lt. Dadurch wird jedoch die hohe Bedeutung der Person, welche als die allgemeine Darstellungsform der physiologischen Indivi- lalität bei allen höheren Tbieren besitzt, keineswegs gemindert. Wir haben oben (p. 325) als zwei wesentlich verschiedene For- eu der Person die Ketten-Person (Prosopon catenatum) und die iisch-Person (Prosopon fruticosum) unterschieden, erstere durch ter- inale, letztere durch laterale Knospenbildung von Metameren ent- luden. Sowohl jene als diese können als actuelle, virtuelle und utielle Bionten zur Erscheinung kommen. V. A. Die Personen als actuelle Bionten. Die grösste Wichtigkeit als actuelle Bionten besitzen die Personen " Thierreiche, da die reife ausgebildete Kepräsentativform der Species der grossen Mehrzahl aller Thiere durch morphologische Indivi- II fünfter Ordnung gebildet wird. Es ist dies der Fall beim ■nschen und allen tibrigen Wirbelthieren, bei allen Arthropoden, len „gegliederten" Würmern (Anneliden, Nemertiuen, den meisten ' Steden etc.), ferner bei allen Echinodermen und allen denjenigen "lypen (sowohl Anthozoen als Hydroidpol}^)en), welche keine echten Stöcke" bilden, sondern als Eiuzelthiere leben, die durch horizontale uf der Längsaxe senkrechte) Scheidewände oder Böden (Tabulae, 358 Physiologische Individualität der Organismen. Dissepimenta), oder auch nur durch entsprechende ringförmige äussere Einschnürungen, in eine Reihe von über (hinter) einander liegenden Stockwerken oder Gliedern eingetheilt sind, z. B. viele Actinien, die unverästelten Personen einzelner Isidinen. Auch die Ketten der echten Salpen können hierher gerechnet werden. Bei allen diesen Thieren sind die actuellen Bionten ^entschiedene Ketten -Personen, d. h. aus einer Vielheit von Metameren zusammen- gesetzt, welche in einer einzigen Reihe in der Längsaxe des Körpers hinter einander liegen und durch terminale Knospung entstehen. Eben solche Prosopa catenata sind im Pflanzenreiche die meisten soge- nannten „einfachen Pflanzen" der Phanerogamen und Gefäss-Crypto- gamen, d. h. aus mehreren Stengelgliedern zusammengesetzte Sprosse, welche keine Zweige (Seitensprosse) und nur eine einzige, einfache terminale Blüthe tragen, also keine echten Stöcke bilden. Unter den Phanerogamen sind es nur sehi- wenige Speeles, deren actuelle Bionten constant als solche ganz einfache Personen auftreten, da die aller- meisten Speeles entweder verzweigte (aus secuudären geschlechtslosen Sprossen zusammengesetzte) Stöcke bilden, oder doch einen zusammen- gesetzten Blüthenstand (einen aus sexuellen Sprossen zusammengesetzten Stock) tragen. Dagegen kommen solche ganz einfache actuelle Per- sonen häufiger als Ausnahme bei solchen Speeles vor, die gewöhnlich Stöcke bilden (z. B. Radiola linoides, Erythraea pulchella, Saxifraga tridactylites etc.). Viel seltener, als diese gegliederten Ketten-Personen, welche man auch Personen im engeren Sinne nennen kann, treten die Personen der anderen Hauptform, die Busch -Personen (Prosopa fruticosa) als actuelle Bionten auf Es ist hier, wie wir oben sahen, jede ein- zelne Person aus einer Vielheit von Metameren zusammengesetzt, welche niemals in einer Reihe (in der Hauptaxe) hinter einander, sondern in verschiedenen Höhen oder in gleicher Höhe neben einander liegen, und durch laterale Knospung eines Metameres entstehen. Dies ist verhältnissmässig häufig bei niederen Pflanzen (Thallophyten), aber nur sehr selten bei höheren Pflanzen der Fall, nämlich bei verzweig- ten Phanerogamen ohne Sprossgliederung (z. B. Viscum). Viel häu- figer finden sich solche Busch-Personen als actuelle Bionten im Thier- reiche, besonders bei den Mollusken, wo die meisten Bryozoen und eine Anzahl Tunicaten (viele zusammengesetzte Ascidien) hierher ge- hören, auch die Ketten der Salpellen cSalpa pinnafa etc.) Ferner müssen wir als solche auch alle diejenigen falschen Coelenteraten- Stöcke betrachten, deren Hauptspross und deren Seitensprossen nicht gegliedert (geringelt oder tabulirt) sind, z. B. viele Coryniden unter den Hydroidpolypen und Perforaten unter den Anthozoen. V. Die Personen als Bionten. 359 V. B. Die Personen als virtuelle Bionten. Wie die morphologischen Individuen fünfter Ordnung bei den meisten Thieren als actuelle, so treten sie bei den meisten Pflanzen üs virtuelle Bionten auf. Wir nennen dieselben dann Sprosse oder Uasti. Bei den allermeisten Phanerogamen erseheint der Embryo, \ elcher die Eihüllen durchbricht, zunächst als eine einfache, gegliederte i'flanze, d. h. als eine Person, welche fähig ist, durch laterale Knos- pimg Seitensprosse (ebenfalls Personen) zu treiben, und so einen echten Stock (Cormus) zu bilden. Da also bei den meisten Phanero- gamen der Cormus das actuelle Bion ist, so kann die Person oder der Spross, aus deren Vielheit erstere besteht, nui- das virtuelle Bion sein, und also nicht das „eigentliche Individuum", wie oft behauptet wurde. Die virtuelle Individualität der Pflanzen -Sprosse zeigt sich auch darin, dass die geschlechtslosen Personen, d. h. die „Blattsprosse", fast immer die Fähigkeit besitzen, abgelöst vom Stocke, sich wiederum zu einem neuen Stocke zu entwickeln, indem sie dm-ch laterale Knos- pung neue gegliederte Sprosse treiben, die zu einem Cormus ver- einigt bleiben. Diese virtuelle Individualität der Sprosse ist für die künstliche Cultur der Pflanzen äusserst wichtig, weil auf derselben die so allgemein benutzte MögHchkeit beruht, die Pflanzen willkürüch auf ungeschlechtlichem Wege durch Ableger, Absenker etc. zu ver- mehren und durch Pfi-opfen, Oculiren etc. zu veredeln. Ganz in derselben Weise, wie bei den meisten Phanerogamen, treten die Personen als vii-tuelle Bionten bei sehr vielen Coelenteraten auf, nämlich bei fast allen denjenigen, welche echte Stöcke bilden, d. h. Colonieen von gegliederten Personen. Auch hier sind, wie bei den Pflanzen, gewöhnlich die einzelnen abgelösten Sprosse fähig, sich dm-ch Bildung von Seitensprossen alsbald wieder zu neuen Cormen zu entwickeln. In den allermeisten Fällen sind die Personen, welche als virtueUe Bionten aufti'eten, Ketten-Personen. Aber auch Buschpersonen können dieselbe Function übernehmen. Es ist dies z. B. bei vielen Tunicaten, Bryozoeu und diesen ähnlichen Coeienteraten-Colonieen der Fall, deren i'seudo-Cormen oder Buschpersonen sich zur Bildung echter Stöcke zu vervielfältigen vermögen, wie z. B. bei den Botrylliden. Bei diesen zusammengesetzten Ascidien vermag jede Buschperson („System von Einzelthieren") sich zu einem zusammengesetzten Stocke zu entwickeln. Auch bei Thallophyten kommt dieser Fall vor. V. 0. Die Personen als partielle Bionten. Weit geringere Bedeutung als die actuelle und virtuelle, hat für die Personen die pai-tielle Individualität. Die Fälle, dass Personen eines Stockes sich spontan von diesem ablösen und ihre selbstständige 360 Physiologische Individualität der Organismen. Existenz fortfliliren, ohne sich selbst wieder zu einem Stocke zu ent- wickeln, sind verhältnissmässig selten. Gewöhnlich finden wir viel- mehr, dass Personen (Sprosse), welche künstlich oder natürlich von einem Stocke abgelöst werden, virtuelle, und nicht bloss partielle Bionten sind. Ein ausgezeichnetes Beispiel von partieller Individua- lität bietet uns die merkwürdige Wasserpflanze Vallisneria spiralis, bei welcher die kurzgestielten männlichen Personen (Blüthensprosse) sich zur Blüthezeit vom Stocke trennen, um an die Oberfläche des Wassers zu gelangen und dort schAvimmend die langgestielten weib- lichen Personen zu befruchten. Dieser interessante Fall bietet die merkwürdigste Analogie mit den Medusen, den Proglottiden der Taenien und den Hectocotylen der Cephalopoden. In allen drei Fällen lösen sich geschlechtsreife Theile vom actuellen Bion ab, um als partielle Bionten selbstständig zu erscheinen. Bei Vallisneria sind es morpho- logische Individuen fünfter, bei den Medusen und den Proglottiden vierter, beim Hcctocotylus zweiter Ordnung, welche diese scheinbare Selbstständigkeit erlangen. Einen geringeren Grad partieller Indivi- dualität zeigen uns die reifen Früchte der Phanerogamen (während die darin eingeschlossenen Samen virtuelle Bionten sind). Selbst die abgerissenen Einzelblüthen der Phanerogamen (Geschlechts-Personen), welche, in Wasser gesteckt, fortblühen, können hier aufgeführt werden.' Dasselbe gilt auch von vielen Personen der Coelenteraten, welche abgelöst vom Stocke, noch eine Zeit lang fort vegetiren, ohne sich zu dem actuellen Bion des Stockes ergänzen zu können. VI. Die Stöcke als Bionten. Physiologische Individuen sechster Ordnung. Da die Stöcke oder Cormen die morphologischen Individuen der letzten und höchsten Ordnung sind, so könnte es zunächst scheinen, als ob in allen Fällen, wo echte, aus einem Complex von mehreren Personen bestehende Stöcke überhaupt vorkommen, dieselben gleich- zeitig auch physiologische Individuen sein müssten, und es ist dies in gewissem Sinne richtig. Denn da keine höhere morphologische Indi- vidualität über dem Stocke steht, so kann derselbe auch niemals als subordinirtes Form-Individuum einer solchen eingefügt sein. Indessen lässt sich doch bei den verschiedenen Cormus-Arten, und insbesondere bei den verschiedenen Formen der zusammengesetzten Stöcke insofern ein Unterschied hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur physiologischen ludi- vidualisation nachweisen, als nicht alle einfachen Stöcke, welche an jedem zusammengesetzten Cormus vereinigt sind, in gleichem Maasse als Bionten erscheinen können. Es wird dies sofort klar, sobald mau VI. Die Stöcke als Bionten. 361 sich erinnert, dass auch die Blüthenstände der Phanerogamen als be- sondere Stöcke (als sexuelle Cormen) aufgefasst und von den ge- schlechtslosen Cormen (verzweigten bltithenlosen Aesten) unterschieden werden müssen. In Beiden verhält sich die physiologische Individua- lität verschieden. Es sind nicht alle Stöcke in gleichem Maasse fähig, als actuelle, virtuelle und partielle Bionten aufzutreten. VI. A. Die Stöcke als actuelle Bionten. Bei allen Arten von Organismen, welche überhaupt zur Stock- bildung gelangen, wird die reife, ausgebildete und fortpflanzungsfähige Species-Form durch das morphologiscbe Individuum sechster Ordnung repräsentirt. Es ist also hier jedes entwickelte und vollkommen aus- gebildete Bion ein echter Stock (Cormus) in dem Sinne, wie wir diesen morphologischen Begriff oben festgestellt haben. Dies ist der Fall bei der grossen Mehrzahl aller Phanerogamen und bei sehr vielen Crypto- gamen, unter den Thieren aber nur bei einer grossen Anzahl von Coelenteraten (vielen Hydromedusen und Anthozoen) und bei einer geringen Anzahl von Mollusken (Botrylliden und gegliederten Bryozoen). Alle verschiedenen Formen der Stöcke, welche wir oben unterschieden haben, kommen hier vor. Die einfachen Stöcke (Cormi simplices) sind jedoch im Ganzen viel seltener, als die zusammengesetzten (Cormi compositi). Die grösste Mannichfaltigkeit in der Ausbildung der Cor- men als actueller Individuen wird einerseits durch das mehr oder minder bedeutende Uebergewicht des Hauptsprosses (Blastus primarius) über die . Nebensprosse (Blasti secundarii) bedingt, andererseits durch die ausserordentlich verschiedenartig entwickelte Arbeitstheilung unter den Sprossen, welche den Cormus zusammensetzen. Unter den thie- rischen Cormen schliessen sich den Phanerogamen in dieser Beziehung am engsten die Siphonophoren-Stöcke an. Der höchst complicirte Aufbau der zusammengesetzten Phanero- gamen-Stöcke aus zahlreichen über einander geordneten Generationen von einfachen Stöcken fühi*t zur Bildung der colossalsten und gewal- tigsten Bionten, welche die organische Natur hervorbringt. Dahin gehören die riesigen Coniferen, welche die grössteAusdehuung der or- ganischen Längsaxe unter allen Landbewohnern zeigen, und unter denen z. B. Pinns trigona, F. strobus, Araucaria excelsa etc. Slämme von gegen 300 Fuss Länge bilden; diese werden nur noch von den meerbe- wohnenden Algenriesen, der Macrocystis pijrifera etc. übertroffen, deren Hauptsprosse länger als 400 Fuss werden. Das Gewaltigste in der Entwickelung der Kreuzaxen leisten die imposanten Adansonien mit Stämmen von 30 Fuss Durchmesser. Als die Grossartigsten aller physiologischen Individuen müssen wir aber die Manglebäume (Rhizo- phoraj und die indischen Feigenbäume (Fw^is indica) betrachten, bei 362 Physiologische Individualität der Organismen. welchen durch bleibenden Zusammenhang zahlreicher zusammen- gesetzter Stöcke, die aus einem einzigen hervorgehen, diese alle zu- sammen ein einziges Bion darstellen, oft unter der Form eines ganzen Waldes. Die colossalen Stämme und Kronen dieser Riesenbäume lassen als höchst zusammengesetzte Stöcke an Volum und Masse Alles weit hinter sich, was je einzelne Personen (z. B. Walfische) leisten können. In dieser Beziehung zeigt sich die höhere physiologische Ausbildungsstufe, welche durch Zusammensetzung der Personen zu Cormen eiTcicht wird, sehr deutlich. Das Tbierreich bringt nur im niedersten Stamme, bei den Coelen- teraten, ausserdem nur noch 'bei einigen Mollusken (bei den Bo- trylliden und gegliederten Bryozoen), actuelle Bionteri von echter Cormus-Form hervor und steht also in dieser Beziehung eine Stufe tiefer, als das Pflauzem-eich. Doch übertreffen auch hier die echten stockbildendeu Formen durch colossale Massenentwickelung bei weitem alle einzelnen Personen, wie schon die Anthozoen- Stöcke der Siidsee zeigen, die ungeheuren inselbildenden Corallen-Eiöe. Der quantitative Nachtheil, den die physiologische Individualität der höheren Thiere durch mangelnde Stockbildung erleidet, wird aber aufgewogen, ja weit über- wogen durch den qualitativen Vortheil der freieren Beweglickkeit der Personen, welche bei allen höheren Thieren als actuelle Bionten fuugireu. Ausserdem tritt dann hier noch an die Stelle der gebundenen Stockbildung die freiere G-emeinden- und Staaten -Bildung. Die Arbeitstheilung entwickelt sich hier in nicht minderem Maasse als dort, und die nothwendige Wechselwirkung der thierischen Personen, die in Heerden, Familien, Gemeinden, Staaten beisammen leben, ist nicht weniger innig, als diejenige, welche zwischen Personen eines und desselben Stockes stattfinden muss. Der einzige Unterschied ist, dass hier ein materielles und continuirliches, dort ein ideelles und coutiguir- liches Band die Vielheit der Personen zur Einheit der Gemeinde zusammenhält. Wenn wir demgemäss auch die freien Staaten der Menschen und der anderen höheren Thiere niemals als morphologische Individualitäten auffassen können, so werden sie dennoch als actuelle Bionten in weiterem Sinne zu betrachten sein. Die mehr oder minder innigen Vereinigungen von vielen Personen, welche die actuelle physiologische Individualität der Gemeinde und des Staates bilden, sind bisher nicht näher von tectologischem Stand- puncte aus als ideelle Aequivalente der Cormen, der Form-Individuen sechster Ordnung, untersucht worden. Die Bildungs-Gesetze sind hier wie dort dieselben. Die Staaten der Menschen sind ebenso wie die- jenigen der anderen Thiere nach den Gesetzen der Aggregation und des Polymorphismus gebildet. Auch die verschiedenen Staatsformen wiederholen sich bei den verschiedensten Thiergruppen. Viele Thiere, VI. Die Stöcke als Bionten. 363 namentlich Arthropoden, und unter diesen besonders die Ameisen, ttberü'eflFen viele menschliche Staaten durch die reine Entwickelung der republicanischeu Staatsform, der höchsten und vollkommensten Synusie, welche grösste Freiheit mit vernünftigster Einheit verbindet. VI. B. Die Stöcke als virtuelle Bionten. Da alle selbstständigen echten Stöcke zur Zeit der vollständigen Reife eo ipso auch actuelle Bionten sind, so können wir als poten- tielle oder virtuelle Bionten alle jene Stöcke betrachten, welche noch nicht zur vollständigen Reife, die sie später erreichen, gelangt sindi also alle Pflanzenstöcke, welche noch nicht geblüht, alle Polypenstöcke' welche noch nicht Geschlechtsproducte erzeugt haben. Ueberhaupt können alle einfachen Stöcke, welche sich zu zusammengesetzten zu entwickeln vermögen, als potentielle Bionten gelten. Ausserdem wer- den wir aber auch alle einfachen geschlechtslosen Stöcke, welche sich im Verbände zusammengesetzter Stöcke vorfinden, z. B. alle verzweig- ten bltithenlosen Aeste als virtuelle Bionten betrachten können, insofern sie, losgelöst vom Ganzen, fähig sind, sich selbstständig wieder zu einem zusammengesetzten Stock zu entwickeln. Ausgeschlossen sind hieiTon die geschlechtlich differenzirten Stöcke (Inflorescentien oder Blüthenstände) der Phanerogamen , welche sich niemals zu einem zu- sammengesetzten Stocke als actuellem Bion ergänzen können. VI. C. Die Stöcke als partielle Bionten. Als scheinbare oder partielle Bionten können wir nur diej einigen Stöcke betrachten, welche, abgelöst von actuellen zusammengesetzten Stöcken, nicht, gleich den so eben erwähnten, fähig sind, sich wieder durch Wachsthum zu ergänzen und zu einem vollständigen zusammen- gesetzten Cormus zu entwickeln, sondern nur längere oder kürzere Zeit nach ihrer Ablösung noch eine selbstständige Existenz zu fristen vermögen. Es ist dies der Fall z. B. bei den einfachen Stöcken, welche die zusammengesetzten Cormen der Siphonophoren bilden. Erstere vermögen sich von letzteren abzulösen und als partielle (aber nicht virtuelle) Bionten weiter zu leben. Ferner gehören hierher die geschlechtlich differenzirten Stöcke oder die sogenannten Blüthenstände (Inflorescentien) der Phanerogamen, welche, künstlich oder zufällig abgelöst vom Hauptstock, ebenso wie Einzelblüthen (Personen) noch eine Zeit lang weiter blühen, aber nicht wieder zum actuellen Bionten sich ergänzen können. Dieselben stehen dadurch in einem bemerkens- werthen Gegensatze zu den geschlechtslosen Personen der Phaneroga- men (Blattsprossen), welche gerade umgekehrt die virtuelle Individua- lität in hohem Maasse und sehr allgemein besitzen. 364 Tectologische Thesen. Elftes Capitel. Tectologische Thesen. „Eine Erfahrung, die aua mehreren anderen besteht, ist offenbar von einer höheren Art. Auf solche Erfahrungen der höheren Art loszuarbeiten halte ich für höchste Pflicht des Naturforschers, und dahin weist uns das Exempel der vorzüg- lichsten Männer, die in diesem Fache gearbeitet haben." Goethe. I. Thesen von der Fundamental -Structur der Organismen. 1. Alle morphologischen Eigenschaften der Organismen, sowohl ihre anatomischen, als ihre Entwickelungs- Erscheinungen, und von den anatomischen Eigenschaften sowohl die tectologischen als die promorphologischen Verhältnisse, sind die nothwendigen Folgen mechanischer wirkender Ursachen.*) Indem wir am ScUnsse dieses dritten Buches und der folgenden drei Bücher eine Anzahl von allgemeinen Grundsätzen der organischen Morphologie in Form von ,, Thesen" aussprechen, wollen wir'damit nicht sowohl eine „Ge- setzsammlung der organischen Morphologie*' begründen, als vielmehr einen Anstoss und Fingerzeig zu einer solchen Begründung geben. Es liegt auf der Hand, dass wir gegenwärtig noch in keiner Weise befähigt sind, eine cou- tinuirliche Kette von morphologischen Gesetzen zu entwickeln, die nur einiger- maassen auf unbedingte mathematische Gültigkeit und Anerkennung rechneu und sich eine lange Lebensdauer versprechen könnte. Eine Wissenschaft, die noch so sehr in prirais cunabulis liegt wie die Morphologie der Organismen, muss noch bedeutende Metamorphosen durchmachen, ehe sie es wagen kann, für ihre allgemeinen Sätze den Rang von unbedingten ausnahmslos wirkenden Naturge- Tectologische Thesen. 365 2. Jeder Organismus oder belebte Naturkörper ist eine materielle Kaumgrösse (Masseneinheit), welche als solche aus einer Summe von Massen- Atomen und zwischen denselben befindlichen Aether -Atomen zusammengesetzt ist. 3. Die Massen- Atome, welche jeden Organismus zusammensetzen, gehören mindestens vier verschiedenen Atom-Arten (chemischen Ele- menten oder Urstoffen) an, welche zu sehr verwickelten Verbindungen in demselben vereinigt sind. 4. Die chemischen Verbindungen, aus welchen jeder Organismus zusammengesetzt ist, sind theils constante, welche allen Organismen gemeinsam zukommen, theils inconstante; welche einem Theile der Organismen besonders zukommen. 5. Die constauten, allen Organismen ohne Ausnahme zukommen- den chemischen Verbindungen sind Kohlenstoff- Verbindungen aus der Gruppe der Eiweisskörper (Albuminate, Protein-Verbindungen), welche alle mindestens aus vier verschiedenen Atom -Arten: Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff zusammengesetzt sind; meistens zugleich noch aus Schwefel und oft aus Phosphor. 6. Die incoustanten, nur einem Theile der Organismen zukom- menden chemischen Verbindungen sind theils organische (kohlenstoff- haltige) Verbindungen (Fette, Kohlenhydrate etc.), theils anorganische (kohlenstofffreie) Verbindungen (Alkali-Salze, Kalk-Salze, Kiesel- Ver- bindungen etc.). 7. Von den chemischen Verbindungen, welche das materielle Sub- strat jedes Organismus bilden, befindet sich immer wenigstens ein Theil (und zwar ausnahmslos ein Theil der constanten Eiweiss-Ver- bindungen) im festflUssigen Aggregatzustande (Imbibitions-Zustande). 8. Alle Eigenschaften der Organismen sind die unmittelbaren oder mittelbaren Wirkungen der chemischen Verbindungen, aus denen sie zusammengesetzt sind, und in letzter Linie der Massen -Atome und Aether- Atome, aus welchen jene chemischen Verbindungen zusammen- gesetzt sind. 9. Alle Eigenschaften der Organismen sind entweder physiologische setzen in Anspruch zu nehmen. Eine Anzahl solcher Gesetze glauben wh* allerdings gefunden und in dem vorliegenden Werke begründet zu haben. Wir sind aber nicht im Stande, mit der erforderlichen Sicherheit zu sagen, welche von den hier formulirten allgemeinen Wahrheiten wirkliche Gesetze, welche bloss Regeln sind, welche davon eine ganz allgemeine, welche eine beschränktere Gültigkeit haben. Statt daher das Schlusscapitel jedes unserer vier morpho- logischen Bücher mit dem mehr versprechenden als leistenden Titel: „ Theorieen und Gesetze" zu schmücken, ziehen wir es vor, die Primordieu derselben, gemischt mit einigen allgemeinen Kegeln, als ,, Thesen" zusammenzufassen, deren weitere Entwickclung zu Gesetzen wir von unsern Nachfolgern hoflFen. 366 Tectologische Thesen, (Bewegungs-Erscheinungen der Massen-Atome und der aus ihnen zu- sammengesetzten Moleküle) oder morphologische ( Lagerungs - Ver- hältnisse der Massen- Atome und der aus ihnen zusammengesetzten Moleküle). 10. Die Leistungen oder Functionen der Organismen (physiolo- gische Eigenschaften oder Lebenserscheinungen) sind als Bewegungen (Anziehungen und Abstossungen) der Atome und Moleküle nur in einer Reihe von Zeitmomenten erkennbar und als solche Object der Physiologie (Biodynamik). 11. Die Formen oder Morphen der Organismen (morphologische Eigenschaften oder Lebensbilduugen) sind als Euhezustände (Gleich- gewichtszustände) der Atome und Moleküle nur in einem einzigen Zeitmomente erkennbar und als solche Object der Morphologie (Biostatik). 12. Die Massen-Bewegungen (Anziehungen und Abstossungen der Atome und Moleküle in den organischen Verbindungen), welche wir Lebens- Erscheinungen nennen, erfolgen innerhalb jedes Organismus nach denselben ewigen und unabänderlichen Gesetzen der die ge- sammte Natur beherrschenden Nothwendigkeit, wie alle Bewegungs- Erscheinungen in der anorganischen Natur; alle sind mithin die noth- wendigen Folgen wirkender Ursachen (nach dem allgemeinen Causal- Gesetz). lo. Die liuhezustände (Gleichgewichts -Zustände) der Atome und Moleküle in den organischen Verbindungen, welche wir Lebens-Formen nennen, werden durch dieselben ewigen und unabänderlichen Gesetze der absoluten Nothwendigkeit bedingt, wie alle gesetzmässigen Formen in der anorganischen Natur (Krystalle); alle sind mithin die nothwen- digen Folgen wirkender Ursachen (nach dem allgemeinen Causal- Gesetz). 14. Die Masse-Bewegungen der organischen Atome und Moleküle, deren Endresultat die Lebens-Formen sind, gehen immer aus von den niemals fehlenden, sehr beweglichen und veränderlichen Eiweiss-Ver- bindungen, welche die „active" organische Materie oder den „Lebens- stoff" im engeren Sinne bilden. II. Thesen von der organischen Individualität. 15. Jeder einzelne Organismus als lebendige Masseneinheit er- scheint in der Form einer einheitlich abgeschlossenen und selbststän- digen Raumgrösse, welche ganz oder theilweise von festflüssiger orga- nischer Materie gebildet wird und eine einheitliche Summe von Leistungen (Lebens-Erscheinungen) ausführt. Tectologische Thesen. 367 16. Jeder einzelne Organismus, vom morphologischen Standpunkte aus beti-achtet und bloss hinsichtlich seiner formellen Individualität als Einheit untersucht, erscheint als ein morphologisches Individuum. 17. Jeder einzelne Organismus, vom physiologischen Standpunkte aus betrachtet und bloss hinsichtlich seiner tunctionellen Individualität als Lebens-Einheit untersucht, erscheint als physiologisches Individuum oder Bion.*) 18. Das Bion oder das physiologische Individuum als Lebens- einheit ist an ein materielles Substrat gebunden, welches entweder ein einziges einfaches morphologisches Individuum oder ein einheit- licher Complex (Synusie, Colonie) von zwei oder mehreren, innig ver- bundenen einfachen morphologischen Individuen ist. 19. Jeder einheitliche Complex (Synusie oder Colonie) von zwei oder mehreren, innig verbundenen einfachen morphologischen Indivi- duen, welcher ein natürliches Ganze, eine selbstständige Formeiuheit bildet, ist als ein morphologisches Individuum zweiter oder höherer Ordnung zu beti'achten. 20. Alle morphologischen Individuen, welche im Thierreiche, im Protistenreiche und im Pflanzenreiche als materielle Substrate der Bionten, als Träger der einheitlichen Lebens -Erscheinung auftreten, lassen sich in sechs subordinirte Stufen oder Ordnungen gruppiren, welche wir, von unten nach oben aufsteigend, mit folgenden morpho- logisch bestimmten Ausdrücken bezeichnen: 1) das Plasmastück (Plastis); 2) das Werkstück (Organon); S) das Gegenstück (Anti- meros); 4) das Folgestück (Metameros); 5) die Person (Prosopou); 6) der Stock (CormosJ. 21. Jede einzelne Form-Einheit höherer Ordnung ist eine Vielheit (Synusie oder Colonie) von mehreren vereinigten Formeinheiten der vorhergehenden niederen Ordnungen. 22. Nur die Plastide (entweder Cytode oder Zelle) als das mor- phologische Individuum erster und niederster Ordnung ist demnach ein wirklich einfaches Form-Individuum ; alle übrigen morphologischen Individuen (zweiter bis sechster Ordnung) sind stets zusammengesetzte Individuen oder Colonieen (Synusieen, Complexe). 1) Um den schleppenden und vielsylbigen Ausdruck des „physiologischen Individuums" zu vermeiden, haben wir denselben durch den kurzen und bezeich- nenden Ausdruck des Bion ersetzt, (ö ßios, t6 ov). Entsprechend würde sich das morphologische Individuum kurz alsMorphon bezeichnen lassen {rj f^0Q(fri, TÖ oj'). Wir haben indessen den Gebrauch dieser Bezeichnung hier vermieden, um nicht allzuviele neue Kunstausdrücke (deren wir ohnehin schon eine grosse Anzahl zur Bezeichnung neuer Begriffe bedürfen) in die organische Morphologie einzuführen. Da jede der sechs verschiedeneu morphologischen Individualitäten ihre eigene bestimmte Bezeichnung besitzt, so kommt der Ausdruck „morpho- logisches Individuum" überhaupt viel seltener zur Anwendung. 368 Tectologische Thesen. Hl. Thesen von den einfachen organischen Individuen. 23. Die Plastide oder das Plasmastück, als das einzige einfache organische Individuum, ist das allgemeine Form -Element aller Orga- nismen, die gemeinsame Grundlage aller Thiere, Protisten und Pflan- zen ohne Ausnahme. 24. Jede lebende Plastide ohne Ausnahme besteht aus einem zu- sammenhängenden Stücke einer festfltissigen Eiweiss - Verbindung (Plasma), welche den eigentlich activen Lebensstoff repräsentirt, in- dem sie in beständiger chemischer Umsetzung begriffen ist, und dadurch die Lebens-Bewegungen veranlasst. 25. Alle die endlos mannichfaltigen und verschiedenartigen mor- phologischen und physiologischen Eigenschaften der Organismen sind lediglich die unmittelbaren oder mittelbaren Wirkungen der endlos mannichfaltigen und verschiedenartigen atomistischen Zusammensetzung der Eiweiss- Verbindungen, welche als individuelle Plasmaklumpen das Plasma der Plastideu bilden. 26. In allen Piastiden ist das Plasma entweder der einzige active Bestandtheil (das „Lebenselement"), oder es hat sich im Innern des Plasma ein zweiter activer Bestandtheil aus demselben differenzirt, der Kern oder Nucleus, welcher aus einer von dem Plasma verschie- denen Eiweiss-Verbindung besteht. 27. Die Zellen, als Piastiden mit Plasma und Kern, sind demnach als eine höhere Entwickeluugsstufe, von den unvollkommeneren Cyto- den, den einfachen Plasmaklumpen ohne Kern zu unterscheiden, 28. Alle Formbestandtheile der Plasliden, und also der Organis- men überhaupt (als einfacher Piastiden oder Plastiden-Complexe), welche nicht actives Plasma oder activer Kern sind, werden als pas- sive oder secundäre von jenen activen oder primären Plastiden-Theilen gebildet, entvreder äusserlich (Zellenmembranen und Intercellular-Sub- stanzen) oder innerlich (innere Plasma-Producte). lY. Thesen von den zusammengesetzten organischen Individuen- 29. Alle morphologischen und physiologischen Eigenschaften der zusammengesetzten organischen Individuen (zweiter bis sechster Ord- nung) sind die nothwendige Wirkung der sie constituirenden einfachen Individuen (Piastiden) und zwar in letzter Instanz ihrer activen Be- standtheile (Plasma und Kern). 30. Die Composition der zusammengesetzten Iudi^^duen aus Aggregaten von einfachen Individuen erfolgt in den Organismen aller drei Keiche (Thleren, Protisten und Pflanzen) nach denselben ein- fachen Gesetzen. Tectologische Thesen. 369 31. Das Organ (in rein morphologischem Sinne, als das morpho- logische Individuum zweiter Ordnung) ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Piastiden (Cytoden oder Zellen). 32. Das Antiraer oder der homotype Stücktheil ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Organen. 33. Das Metamer oder der homodyname Stücktheil ist ein Com- plex von zwei oder mehreren vereinigten Antimeren. 34. Die Person oder das Prosopon ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Metameren. 35. Der Stock oder Cormus ist ein Complex von zwei oder meh- reren vereinigten Personen. Y. Thesen von der physiologischen Individualität. 36. Jede bestehende Art oder Species von Organismen ist aus allen physiologischen Individuen zusammengesetzt, welche unter nahezu gleichen Verhältnissen oder doch unter sehr ähnlichen Existenz-Be- dingungen eine nahezu gleiche oder doch sehr ähnliche Formenreihe während ihrer individuellen Entwickelung durchlaufen. 37. Für jede Art oder Species von Organismen ist die Stufe der moi-phologischen Individualität, welche das vollständig reife und aus- gebildete physiologische Individuum repräsentirt, eine constante, welche wir mit dem Ausdruck des actuellen Bion bezeichnen. 38. Wirklich einfache Organismen-Species können bloss die Mono- plastiden genannt werden, d. h. diejenigen Arten, bei welchen das actuelle Bion sowohl, als alle Entwickelungsstadien desselben, den Formen- Werth einer einzigen Plastide (entweder einer Cytode oder einer Zelle) besitzen.') 39. Alle Organismen-Arten, welche als actuelle Bionten aus zwei oder mehreren Piastiden zusammengesetzt sind, und demgemäss den Form -Werth eines morphologischen Individuums zweiter bis sechster Ordnung haben, können als zusammengesetzte Organismen-Species oder Polyplastiden bezeichnet werden. 40. Alle Organismen, welche als actuelle Bionten durch morpho- logische Individuen zweiter bis sechster Ordnung dargestellt werden (also alle zusammengesetzte Organismen-Species), durchlaufen während ihrer individuellen Entwickelung die vorhergehenden niederen Indivi- dualitätsstufen, von der ersten an. •) Monoplastidea sind also sowohl alle echt ,, einzelligen" (monocyten) Or- ganismen (z. B. die solitären Diatomeen) , als auch alle ,, kernlosen einzelligen" (also monocytoden) Organismen, z. B. Caulerpa und andere kernlose Siphoneen. Uaeckel, Generelle Morpliologie. 24 370 Tectobgische Thesen. 41. So lange das Bion sieh auf einer morphologischen Individua- litätsstufe befindet, welche niedriger ist, als diejenige, welche es später als actuelles Bion erreicht, muss dasselbe entweder als virtu- elles oder als partielles bezeichnet werden. ^ 42. Als virtuelles oder potentielles Bion muss das physiologische Individuum unterschieden werden, wenn dasselbe die Fähigkeit be- sitzt, sich zu der höheren morphologischen Individualitätsstufe zu ent- wickeln, welche dem actuellen Bion seiner Speeles eigeuthlimlich ist. 43. Als partielles oder scheinbares Bion dagegen muss das phy- siologische Individuum angesehen werden, wenn es zwar die Fähigkeit besitzt, als selbstständige Lebenseinheit längere oder kürzere Zeit zu existiren, nicht aber sich zu der morphologischen Individualitätsstufe zu entwickeln, welche dem actuellen Bion seiner Speeles eigenthüm- lich ist. 44. Sowohl die actuellen, als die virtuellen, als die partiellen Bionten können als materielles Substrat jede der sechs morphologischen Individualitäts-Ordnungen haben. 45. Alle phvsiologischen Individuen, gleichviel welche mori^holo- gische Individualitäts- Ordnung ihr materielles Substrat bildet, sind in allen ihren Leistungen und Form- Verhältnissen auf die morphologischen Individuen erster Ordnung, die Piastiden (Cytoden und Zellen) als „Elementar -Organismen" zurückzuführen, da jedes Bion entweder selbst eine einfache Plastide (Monoplastis) oder ein Aggregat (Synusie, Colonie, Complex) von mehreren Piastiden ist (Polyplastis). 46. Sämmtliche physiologische und morphologische Eigenschaften eines jeden polyplastiden Organismus erscheinen mithin als das noth- wendige Gesamratresultat aus den physiologischen und morphologischen Eigenschaften aller Piastiden, welche denselben zusammensetzen. VI. Thesen von der tectologischen Differenzirung und Gentralisation. 47. Die Structur oder der Bau (die innere Form) der Organismen ist das Verhältniss der einzelnen constituii-enden Bestandtlieile der Organismen zu einander und zum Ganzen. 48. Bei den monoplastiden Organismen, welche als actuelle Bion- ten stets auf der ersten morphologischen Individualitätsstufe stehen bleiben, ist demnach die Structur durch das Verhältniss der (activen) constituirenden Plasma-Moleküle und der von ihnen producirten ande- ren (passiven) Stoff-Moleküle zu einander und zum Ganzen bestimmt. 49. Bei den polyplastiden Organismen hingegen, welclie als actuelle Bionten die zweite oder eine noch höhere morphologische Individualitätsstufe erreichen, ist die Structur durch das Verhältniss bestimmt, welches die constituirenden morphologischen Individuen von Tectologische Thesen. 371 allen untergeordneten, und in letzter Instanz von der ersten Indivi- dualitäts-Stufe zu einander und zum Ganzen einnehmen. 50. Die verschiedenen Grade der morphologischen Vollkommen- heit, Avelche die verschiedenen Organismen- Arten zeigen, sind theils durch ihre tectologischen, theils durch ihre promorphologischen Eigen- schaften bedingt, also weder allein durch die Structur, noch allein durch die Grundform. ') 51. Die verschiedenen Grade der Vollkommenheit der Organismen sind, insofern sie unmittelbar auf den Structur- Verhältnissen beruhen, durch mehrere verschiedene tectologische Momente bestimmt, welche wesentlich auf dem gegenseitigen Verhältniss der aggregii'ten mor- phologischen Individuen verschiedener Ordnung zu einander und zum Ganzen beruhen. 52. Der Organismus ist um so vollkommener, je höher der morpho- logische Individualitäts-Grad ist, zu welchem er sich erhebt, je grösser also die Zahl der untergeordneten Individualitätsstufen ist, welche ihn zusammensetzen. 53. Der Organismus ist, falls er aus gleichartigen Piastiden zu- sammengesetzt ist, um so vollkommener, je grösser die Anzahl der constituirenden Piastiden ist. ') Wir haben es im Vorhergehenden vermieden, die verwickelte Frage von der „Vollkommenheit und Unvollkommenheit, der höheren und niederen Stellung, der zusammengesetzten und einfachen Natur" der verschiedenen Organismen-Arten speciell zu erörtern, deren Behandlung bei den verschiedenen Autoren das klarste Bild von der chaotischen Verwirrung und dem Mangel fester Begrififsbestim- mungen in der organischen Morphologie liefert. Nicht allein hat man fast all- gemein versäumt, die ganz verschiedene Art der Vollkommenheit oder Aus- bildungsstufe zu unterscheiden, welche durch die Dififerenzirung der Structur, und diejenige, welche durch die Differenzirung der Grundform bedingt ist; son- dern man hat oft selbst nicht zwischen physiologischer und morphologischer Ver- vollkommnung unterschieden. Ferner hat in dieser schwierigen Frage der Um- stand sehr verhängnissvoll die Verwirrung vermehrt, dass man nicht allein in jeder kleineren, sondern auch in den grösseren Organismen-Gruppen bestrebt war, alle existirenden Formen in einer einzigen aufsteigenden Stufenleiter der Vollkommenheit hinter einander zu ordnen. Diese Vorstellung ist aber grund- falsch, da wegen der allgemeinen ,, Divergenz der Charactere" überall die ver- wandten Formen und Formengruppen in das baumförmige Schema von coordinir- ten und subordinirten , niemals in das leiterförmige Schema von bloss subordi- nirten Ausbildungsstufen geordnet wei-den müssen. Allein schon aus diesem Umstände, der im sechsten Buche näher erläutert wird, ist es sehr wichtig, die verschiedenen Arten oder Modi der Vollkommenheit, des zusammengesetzteren und einfachen Baues, der höheren und niederen Stellung, scharf zu unterscheiden. Das Wichtigste ist hierbei zunächst die Trennung der wesentlich verschiedenen tectologischen und promorphologischen Differenzirung, des Ausbildungsgrades der Structur und der Grundform. 24* 372 Tectologische Thesen. 54. Der Organismus ist, falls er aus ungleichartigen Piastiden zusammengesetzt ist, um so vollkommener, je ungleichartiger die con- stituirenden Piastiden sind (Gesetz der Differenzirung der Piastiden). 55. Jede morphologische Individualität irgend einer Ordnung ist um so vollkommener, je ungleichartiger die in Mehrzahl vorhandenen Individuen der nächst tieferen Ordnung sind, welche sie constituiren, je grösser also deren Polymorphismus (Arbeitstheilung, Differen- zirung) ist. 56. Der Organismus ist um so vollkommener, je abhängiger die gleichartigen Individualitäten, welche ihn zusammensetzen, von einander und vom Ganzen sind, und je mehr also der ganze Organismus cen- tralisirt ist, und alle subordinirten Individualitäten beherrscht (Gesetz der Centralisation). 57. Jedes einzelne Form - Individuum irgend einer Ordnung ist dagegen um so vollkommener, je unabhängiger dasselbe von seinen coordinirten Genossen (den anderen Form-Individuen derselben Ordnung) und je unabhängiger es zugleich von dem übergeordneten Ganzen ist (Gesetz der individuellen Autonomie). 58. Der Organismus ist um so vollkommener, je höher zwischen allen untergeordneten Individualitäten, welche ihn zusammensetzen, der Grad der Arbeitstheilung und der Grad der Wechselwirkung ist, je grösser mithin die Differenzirung und die Centralisation des ganzen Organismus ist. VII. Thesen vou der Vollkommenheit der verschiedenen Individualitäten. 59. Die Form-Individuen erster Ordnung, die Piastiden (Cytoden und Zellen), sind allgemein um so vollkommener, je grösser die An- zahl der constituirenden Plasmamoleküle ist, je differenter ihre ato- mistische Zusammensetzung und folglich ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin dieselben von einander und von der ganzen Plastide sind, und je mehr die ganze Plastide centralisirt und von dem etwa übergeordneten Organe unabhängig ist. 60. Die Form-Individuen zweiter Ordnung, die Organe, sind all- gemein um so vollkommener, je grösser die Anzahl ihrer consti- tuirenden Piastiden ist, je differenter deren chemische Zusammen- setzung und folglich auch ihre physiologische Function ist, je abhän- giger mithin die Piastiden von einander und vom ganzen Organ sind, und je mehr das ganze Organ centralisirt und von dem etwa über- geordneten Antimer unabhängig ist. 61. Die Form -Individuen dritter Ordnung oder Antimeren sind allgemein um so vollkommener, je grösser die Anzahl der constituiren- den Organe, je differenter deren histologische Zusammensetzung, und Tectologische Thesen. 373 folglich auch ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin die Organe von einander und vom ganzen Antimer sind, und je mehr das ganze Antimer centralisirt und von dem etwa übergeordneten Metamer unabhängig ist. ') 02. Die Form -Individuen vierter Ordnung, die Metameren oder Folgestiicke, sind allgemein um so vollkommener, je differenzirter, je ungleichartiger ihre homotypische, organologische und histologische Zusammensetzung, und folglich auch je vielseitiger ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin die constituirenden Piastiden, Organe und Antimeren von einander und vom ganzen Metamer sind, und je mehr das ganze Metamer centralisii-t und von der etwa über- geordneten Person unabhängig ist. 63. Die Form-Individuen fünfter Ordnung, die Personen oder Prosopen, sind allgemein um so vollkommener, je differenzirter, je ungleichartiger ihre homodyname, homotypische, organologische und histologische Zusammensetzung, und folglich auch je vielseitiger ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin die constituirenden Piastiden, Organe, Antimeren und Metameren von einander und vom ganzen Prosopon sind, und je stärker die ganze Person centralisirt und von dem etwa übergeordneten Stocke unabhängig ist. >) Die vielfachen tectologischen Schwierigkeiten, welche bei den höheren Organismen dadurch entstehen, dass die verschiedenen morphologischen Indivi- dualitäten sich auf das Vielfältigste durch einander weben und oft in der ver- wickeltsten Weise verbinden, sind zum Theil von uns schon in den vorhergehen- den Capiteln besprochen worden. Besonders leicht können in dieser Hinsicht Täu- schungen durch die gegenseitige Durchflechtung der Metameren und Antimeren, sowie der Organe, welche als Epimeren und Parameren in ihrer gegenseitigen relativen Lagerung ähnliche Complicationen zeigen, hervorgerufen werden (vgl. p. 311, 316). Zum Theil liegt auch hierin der Grund, dass die homotypen und homodynamen Verhältnisse bisher überhaupt so wenig berücksichtigt und nicht gehörig aufgeklärt worden sind. Was das wichtige tectologische Verhältniss der Antimeren zu den Metameren betrifft, so wollen wir hier schliesslich noch aus- drücklich hervorheben, dass wir bei der Tectologie der Personen, insofern sie deren Zusammensetzung aus Antimeren betrifft, stets die Zahl der Antimeren, ebenso wie bei den Metameren, und unabhängig von der Anzahl der letzteren bestimmen, weil diese hierbei ohne Einfluss ist. Strenggenommen müssten wir einem Wirbelthier, welches aus vierzig Metameren besteht, achtzig Antimeren zu- schreiben, weil jedes Metamer aus zwei Antimeren besteht. Wir schreiben aber der ganzen Person hier nur zwei Antimeren zu, weil die gleiche homotype Zu- sammensetzung sich in allen homodynamen Abschnitten wiederholt. Ebenso schreiben wir eiüer fünfstrahligen Blüthe mit sechs fünfgliederigen Blattkreisen (Metameren) oder einem fünfarraigen Crinoid mit sechs Metameren nicht dreissig, sondern fünf Antimeren zu. Die Beachtung dieser Bestimmung ist besonders von grosser Bedeutung für die richtige Erkenntniss der Grundformen, 374 Tectologische Thesen. 64.^ Die Form-Individuen sechster Ordnung, die Stöcke oder Cor- men, sind allgemein um so vollkommener, je ditferenzirter, je un- gleichartiger ihre prosopologische, homodyname, homotypische, orga- nologische und histologische Zusammensetzung, und folglich auch je vielseitiger ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin die constituirenden Piastiden, Organe, Antimeren, Metameren und Perso- nen (Sprosse) von einander und vom ganzen Stocke sind, und je stärker also der ganze Stock centralisirt ist. Viertes Buch. Zweiter Theil der allgemeinen Anatomie. Generelle Promorphologie oder Allgemeine Grnndformenlehre der Organismen. (Stereometrie der Organismen.) „Freudig war seit vielen Jahren Eifrig so der Geist bestrebt, Zu erforschen, zu erfahren, Wie Natur im Schaffen lebt. Und es ist das ewig Eine, Das sich vielfach offenbart; Klein das Grosse, gross das Kleine, Alles nach der eignen Art, Immer wechselnd, fest sich haltend, Nah und fern, und fern und nah So gestaltend, umgestaltend — Zum Erstaunen bin ich da." Goethe. I. Die Promorphologie als Lehre von den organischen Grundformen. 377 Zwölftes Capitel. Begriff und Aufgabe der Promorphologie. „Was man an der Natur GeheimnissvoUes pries, Das wagen wir verständig zu probiren, Und was sie sonst organisiren Hess, Das lassen wir krystallisiren." Goethe. 1. Die Promorphologie als Lehre von den organischen Grundformen. Die Promorphologie oder Grundformenlelire der Or- ganismen ist die gesammte Wissenschaft von der äusseren Form der organischen Individuen, und von der stereo- metrischen Grundform, vs^elche derselben zu Grunde liegt, und auf deren Erkenntniss durch Abstraction sich jede wissenschaft- liche Darstellung einer organischen Form stützen muss. Die Auf- gabe der organischen Promorphologie ist mithin die Er- kenntniss und die Erklärung der organischen individuellen Gesammtform durch ihre stereometrische Grundform d. h. die Bestimmung der idealen Grundform durch Abstraction aus der realen organischen Form, und die Erkenntniss der bestimmten Natur- gesetze, nach denen die organische Materie die äussere Gesammtform der organischen Individuen bildet. Begriff und Aufgabe der organischen Promorphologie, wie wir sie hier feststellen und bereits oben (p. 30, 46, 49) im Allgemeinen er- örtert haben, sind bisher noch nicht Gegenstand von eingehenden morphologischen Untersuchungen gewesen. Die Vorwürfe, welche die 378 Begriff und Aufgabe der Promorphologie. meisten Zoolog-en und Botaniker hinsichtlich der allgemeinen Ver- nachlässigung der Tectologie verdienen, gelten in noch höherem Maasse hinsichtlich der Promorphologie. Nur sehr wenige Naturfor- scher haben versucht, in der scheinbar gesetzlosen und ganz unbe- rechenbaren Formenmannichfaltigkeit des Thier- und Pflanzenreichs nach der Erkenntniss allgemeiner Gesetze zu streben, nach denen diese Formen gebildet sind. Nur Einzelne haben den wenig berücksichtig- ten Versuch gemacht, mathematisch bestimmbare G-rundformen aufzu- finden, welche die nothwendige Gesetzlichkeit auch in den complicirte- sten Bildungen der organischen Naturkörper verrathen; aber auch diese sind meistens bald vor den grossen Schwierigkeiten zurückge- schreckt, welche einer mathematischen Erkenntniss der organischen Formen entgegenstehen, und welche bei jedem tieferen Eindiingen in das JRäthsel ihrer höchst complicirten_ Bildungen die erstere unmög- lich erscheinen lassen. Die anorganische Morphologie ist in dieser Beziehung der or- ganischen unendlich voraus. Derjenige Wissenschaftszweig, welcher dort der organischen Promorphologie entspricht, ist die Krystallo- graphie, und es ist bekannt, welchen hohen Grad wissenschaftlicher Vollendung, vorzüglich durch strenge Anwendung der rein mathemati- schen Methode, diese „Promorphologie der Anorgane" erlangt hat. Von der Krystallographie lernen wir, dass die Erkenntniss des Wesens der Form nicht durch die blosse Beschreibung der realen Form des Individuums, sondern durch die Construction seiner idealen Grundform gewonnen wird. Der wissenschaftlichen Mineralogie genügt nicht die genaueste äusserliche Beschreibung eines individuellen Krystalles, wenn nicht das Verhältniss seiner verschiedenen Axen und deren Pole zu einander erörtert und daraus die ideale stereometrische Grundform des Krystalles, sein „System" erkannt ist. Bei den Organismen da- gegen begnügt man sich fast allgemein mit der blossen Beschreibung entweder der äusseren Oberflächen oder der inneren Structur, und vernachlässigt die ideale stereometrische Grundform, welche auch hier unter der verwickelten individuellen Form verborgen liegt, entweder gänzlich, oder glaubt genug gethan zu haben, wenn man sie entweder als „bilateral-symmetrische" oder als „radial-reguläre" bezeichnet. Wir befinden uns also hier beim Eintritt in die Promorphologie in der seltsamen Lage, die Wissenschaft, deren Grundzüge wir dar- stellen wollen, nicht allein in den ersten embryonalen Anfängen schlummernd, sondern sogar nicht einmal als selbstständige indivi- duelle Disciplin anerkannt zu finden. Die Promorphologie der Or- ganismen, welche nach unserer Ueberzeugung ein so wichtiger Be- standtheil der organischen Morphologie ist, dass wir ihn sogar der Tectologie als anderen ebenbürtigen Hauptzweig der Anatomie gegen- I. Die Promorphologie als Lehre von den organischen Grundformen. 379 tiberstellen, ist in der That als solcher bisher noch von keinem Natur- forscher anerkannt, und selbst von den wenigen denkenden Männern, welche ihm ihre Aufmerksamkeit zuwandten, nicht in gehörigem Maasse cultivirt und hervorgehoben worden. Wenn wir daher im Folgenden die Fundamente der organischen Promorphologie für die gesammte Formenwelt der drei organischen Reiche festzustellen versuchen, so haben wir nicht allein mit der gros- sen Schwierigkeit des Gegenstandes an sich zu kämpfen, sondern in noch höherem Maasse mit den Vorurtheilen der Zeitgenossen, welche grösstentheils diesem ersten Versuche einer „organischen Stereometrie" in erhöhtem Maasse die Ungunst der Beurtheilung zuwenden werden, die unsere morphologischen Reformversuche überhaupt zu erwarten haben. Es erscheint desshalb nothwendig, ehe wir die bisher unter- nommenen promorphologischen Versuche überblicken, den Begriff der organischen Grundform selbst, wie er uns persönlich vorschwebt und im Folgenden speciell untersucht ist, in seiner allgemeinen Bedeutung kurz zu erörtern und festzustellen. H. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen. Unter organischer Grundform oder Promorphe verstehen wir all- gemein denjenigen raathematischen Körper, welcher der äusseren Form jedes organischen Individuums erster bis sechster Ordnung zu Grunde liegt, und welcher mit dieser letzteren in allen wesentlichen Verhält- nissen der formbestimmenden Körperaxen und ihrer beiden Pole über- einstimmt. Die ideale stereometrische Grundform sowohl als die reale Form des organischen Individuums, in welcher die erstere verkörpert ist, sind also lediglich durch ihre fest bestimmten Axen und deren beide Pole erkennbar und einer mathematischen Bestimmung fähig. Mithin sind nur diejenigen organischen Individuen von dieser stereo- metrischen Erkenntniss ausgeschlossen, bei denen wegen absoluten Mangels jeder bestimmten Axe auch eine stereometrische Grundform nicht ausgesprochen ist, nämlich die absolut unregelmässigen oder amorphen Gestalten, welche wir in der Formengruppe der Axenlosen (Anaxonia) zusammenfassen. Diese „axenlosen" organischen Indivi- duen verhalten sich zu der grossen Mehrzahl der „axenfesten" oder Axonien ebenso, wie die amorphen Anorgane zu den Krystallen. Doch lässt sich auch für die Anaxonien eine stereometrische Behand- lungsweise finden, wie im ersten Abschnitt des dreizehnten Capitels gezeigt werden wird. Die ideale stereometrische Grundform, welche wir in jedem realen organischen Form -Individuum erster bis sechster Ordnung verkörpert 380 Begriff und Aufgabe der Promorphologie. finden, ist eine absolut bestimmte, eine vollkommen constante und daher gesetzmässige. In dieser Constanz der idealen stereometri- scben Grundform, d. b. in ibrem nothwendigen causalen Zusammen- hange mit den formbildenden Ursachen der realen organischen Form, kurz in ihrer Gesetzmässigkeit, liegt der hohe Werth, den dieselbe für eine wissenschaftliche Erkenntniss und Darstellung der realen organi- schen Formen besitzt. Es wird nämlich dadurch möglich, alle wesent- lichen Form -Verhältnisse jedes organischen Körpers durch den ein- fachsten Ausdruck mit mathematischer Sicherheit zu bezeichnen. Die einfache Angabe der stereometrischen Grundform jedes morphologi- schen Individuums gentigt vollkommen, um alle characteristischen Form-Eigenschaften desselben mit einem einzigen Wort zu bezeichnen, an welches dann die Beschreibung der äusseren Einzelheiten sich ohne Mühe anschliessen lässt. In dieser Beziehung ist die Promorphologie der wahre mathematische Grundstein der mechanischen. Morphologie der Organismen im Allgemeinen und der descriptiven Morphographie im Besonderen. Die Form jedes Körpers, als die Summe aller äusseren Grenz- . flächen, Grenzlinien und Greuzwinkel desselben, ist im Allgemeinen nichts Anderes als das Lagerungsverhältniss der constituirenden Be- standtheile des Körpers, oder, genauer ausgedrückt, das Resultat aus der Zahl und Grösse, der gegenseitigen Lagerung und Verbindung, der Gleichheit oder Ungleichheit aller constituirenden Bestandtheile des Körpers. Wenn wir nun diese allgemeine Definition der Form je- des Körpers auf die ideale organische Grundform überti-agen, welche einem morphologischen Individuum bestimmter Ordnung zu Grunde liegt, so zeigt sich auch diese wesentlich als das nothwendige Resul- tat der Zahl und Grösse, Lagerung und Verbindung, Gleichheit oder Ungleichheit der constituirenden Formbestandtheile, d. h. zunächst der morphologischen Individuen der nächst niederen Ordnung. Schon hieraus ist klar, dass die stereometrische Grundform jedes morpho- logischen Individuums nicht bloss aus der Oberflächen - Betrachtung seines Aeusseren erkannt werden kann, dass vielmehr dazu eine vollständige Erkenntniss seiner inneren Zusammensetzung aus den subordinirten Formindividuen niederer Ordnung unentbehrlich ist. Ob- gleich also die Promorphologie wesentlich die Aufgabe hat, die äus- sere Form jedes gegebenen morphologischen Individuums geometrisch zu erklären, kann sie diese Aufgabe doch nur lösen durch die vor- hergegangene tectologische Erkenntniss seiner inneren Form, seiner Structur. Aus diesem Grunde muss also stets die^ tectologische Er- kenntniss jedes organischen Form- Individuums seiner promorphologi- schen vorausgehen/) ') Wie wichtig die tectologische Erkenntniss der inneren Structur für das II. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen. ggj Die organische Grundform ist also keineswegs eine willktihrliche Abstraction, welche wir durch beliebige Hervorhebung oder willkühr- liche Ergänzung einzelner Begrenzungs-Flächen, Linien oder Winkel des organischen Körpers erhaUen, sondern sie ist der nothwendige und unveränderliche Ausdruck des coustanten Lagerungs- Verhältnisses aller constituirenden Bestandtheile der organischen Form zu einander und zum Ganzen. Jedes organische Form -Individuum besitzt also in jedem gegebenen Zeitmomente nur eine einzige constante geometrische Grundform. III.. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen. Die allgemeine Existenz constanter stereometrischer Grundformen in allen realen morphologischen Individuen ist bisher nicht in dem Sinne, wie wir sie so eben bestimmt haben, anerkannt worden. Zwar haben einige wenige denkende Morphologen, unter denen namentlich Bronn, Johannes Müller, Burnieister, G. Jäger hervorzuheben sind, versucht, die verwickelten Thierformen auf einfache geometrische Grundformen zurückzuführen. Indessen galt es doch bei der Mehrzahl der organischen Morphologen, und zwar bei den Botanikern noch mehr, als bei den Zoologen, als feststehendes Dogma, dass eine solche Ke- duction entweder gar nicht oder nur in höchst beschränktem Maasse möglich sei. Vergleicht man in dieser Beziehung die einleitenden Bemerkungen, welche selbst die besseren zoologischen und botani- schen Lehrbücher über die allgemeine Form der Thiere und Pflan- zen geben, so wird man meistens weiter Nichts finden, als die kurze Angabe, dass der Körper der Organismen, sowohl der Thiere als der Pflanzen, von höchst cumplicirteu gekrümmten Flächen und krummen Linien begrenzt werde, während die reinen Formen der anorganischen Naturivörper, der Krystalle, sich durch ebene Flächen und grade Linien scharf unterscheiden sollen. Es wird sogar diese Differenz als eine der wesentlichsten aufgeführt, welche die beiden grossen Hauptab- theilungen der Naturkörper, organische und anorganische, trennen; auch wird oft noch hinzugefügt, dass eine mathematische Bestimmung der Form, eine Reductiou auf einfache geometrische Grundformen, wie •sie bei den Kr/stallen so leicht durchzuführen, und Aufgabe der promorphologische Veratäudniss der äusseren Form ist, mag das Beispiel der C'tenophoren zeigen. Vielfach wird als deren Grundform das Ei oder das iEllipsoid angegeben, welches aber nur die Grundform der Hautdecken ist; die Promorphe des Ganzen ist vielmehr die achtseitige amphithecte Pyramide. Ebenso ist bei den Oidariden (den regulären Seeigeln) die Grundform nicht die 'Kugel (diese ist bloss die Grundform der Schale 1), sondern die fünfseitige re- guläre Pyramide. 382 Begriff und Aufgabe der Promorphologie. Krystallograpliie sei, bei den Tliieren und Pflanzen auf unUberwind- > liehe Hindernisse stosse. Entweder sollen geometrisch reine Formen, wie die meisten Krystalle (aber auch nur annähernd!) darstellen, im Organismus gar nicht vorkommen, oder ihre Regelmässigkeit soll sich darauf beschränken, dass die eine Gruppe der Formen symmetrisch oder bilateral, d. h. aus zwei gleichen Hälften zusammengesetzt, die andere G-ruppe dagegen regulär oder radial, d. h. aus mehr als zwei gleichen Stücken zusammengesetzt sei. Dem entsprechend wer- den sämmtliche organische Formen von den meisten Morphologen in drei grosse Gruppen gebracht: I. absolut unregelmässige Formen (nicht halbirbar); H. regelmässige (oder strahlige) Formen (in zwei oder mehreren Richtungen halbirbar); HL symmetrische (oder zwei- seitige) Formen (nur in einer einzigen Richtung halbirbar). Am wenigsten hat bisher die Frage nach der stereometrischen Grundform des Organismus die Botaniker beschäftigt, obschou in vie- len Pflanzen dieselbe überraschend rein und scharf ausgesprochen ist, allerdings mehr in einzelnen Theilen (z. B. symmetrischen Blättern, pyramidalen Früchten, tetraedrischeu und dodecandrischen Pollen-Zellen), als in ganzen Pflanzen höherer Form-Ordnung. Schleiden sagt bloss: „Regelmässig nennt man bei der Pflanze solche Formen, die sich mit vielen Schnitten durch eine angenommene Axe in zwei gleiche Theile theilen lassen, symmetrisch dagegen solche, die nur durch einen einzigen Schnitt in zwei gleiche Theile, die sich dann wie rechte und linke Hand verhalten, getheilt werden können." E. Meyer nennt die ersteren (die regulären Formen) concentrische, die letz- teren ebenfalls symmetrische, und unterscheidet als eine dritte Form die diaphorisch en (unseren Dysdipleura entsprechend), bei welcher rechte und linke Hälfte einen organischen Gegensatz (durch ungleiches Wachsthum) bildet, durch welchen ihre Symmetrie theil- weis wieder aufgehoben wird. Auch Hugo von Mo hl hat in seiner Dissertation „über die Symmetrie der Pflanzen" (1836) nur diese drei verschiedenen Grundformen betrachtet und mit besonderer Rücksicht auf ihre Beziehungen zum Wachsthume und zur Differenzirung (besonders bei den niederen Pflanzen) erläutert, obwohl seine schönen Unter- suchungen über den Pollen (1834) ihn hätten veranlassen können, die Frage auch von einem weiteren Gesichtspunkte aus zu behandeln und namentlich die rein stereometrische Grundform vieler Zellen hervorzu- heben. Er behandelt aber nur die Symmetrie des Thallus, des Sten- gels und Blattes und die allmähligen Uebergänge der symmetrischen einerseits in die regulären („concentrischen") andererseits in die dia- phorischen (asymmetrischen, unsere dysdipleuren) Formen. Weit allgemeiner und eingehender, als die Botaniker, haben sich die Zoologen mit den organischen Grundformen hinsichtlich ihrer Ein- III. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen. 333 theilimg in irreguläre, reguläre und symmetrische beschäftigt. Hier ist sogar vielfach die Ansicht verbreitet, dass man symmetrische oder Bilateral-Thiere und reguläre oder Strahl-Tliiere als zwei Hauptgrund- formen des Thierreiches unterscheiden könne. Zu den bilateralen oder ; symmetrischen Thieren, bei denen der Körper aus zwei gleichen oder ähnlichen Theilhälften besteht, werden von den meisten Zoologen die 1 drei Stämme der Vertebraten , Articulaten und Mollusken gerechnet, : zu den regulären oder strahligen Thieren dagegen, bei denen der Körper aus drei oder mehr gleichen Theilen besteht, die beiden : Stämme der Echinodermen und Coelenteraten. Einige Autoren stellen zu den Sti-ahlthieren als einen dritten Stamm auch noch die bunte I Collectivgruppe der „Protozoen", während Andere die Gruppe der : Strahlthiere auf die Echinodermen und Coelenteraten beschränken und (die Protozoen als eine dritte, unregelmässige oder unsymmetrische • Gruppe des Thien-eiches aufstellen, bei welcher gleiche Theile über- haupt nicht zu unterscheiden seien. Eine weitere Unterscheidung von : thierischen Grundformen, als diese zwei oder drei, ist gewöhnlich nicht :zu finden, ebenso wenig eine ausführlichere Erörterung der wichtigen Unterschiede, welche diese Differenzen im ganzen Körperbau bedin- , gen. Von den meisten Zoologen wird diese Frage, welche die wich- ' tigsten Grundsätze der allgemeinen Morphologie berührt, und die ganze .Auffassung der organischen Form wissenschaftlich reguliren muss, 'Vielmehr als eine gleichgültige Nebensache vernachlässigt. Derjenige Naturforscher, welcher sich mit diesen morphologischen ■Grundfragen am eingeheudstep beschäftigt hat, ist Bronn, auf dessen 1 treffliche Arbeiten wir nachher zurückkommen. Ausserdem sind Bur- meister und G. Jäger unter den wenigen Zoologen hervorzuheben, wel- che auf diese Verhältnisse mehr Gewicht gelegt und darauf sogar eine Eintheilung des ganzen Thierreiches basirt haben. Die „Strahlform" der Radiaten hat neuerdings Agassiz besonders betont. Bur meiste r') theilt das ganze Thierreich nach der dreifach verschiedenen Grundform in drei verschiedene Hauptabtheüungen: I. Irreguläre, II. Reguläre, III. Symmetri- ^sche Thiere, und definii-t dieselben folgendermaassen: I. Irreguläre Thiere (1. Infusorien. 2. Rhizopoden). Nicht halbirbar. „Die Ober- fläche ist in ihrem Abstände vom Mittelpunkt ohne alles bestimmte Gesetz ; ' d. h. die verschiedenen Punkte der Überfläche verhalten sich in ihren Distan- . zen vom Mittelpunkt verscliieden, sie folgen absolut keiner angebbaren Regel." III. Reguläre Thiere (1. Polypina, 2. Medusina, 3. Radiata). Nach mehr ••■als einer einzigen Richtung halbirbar. „Die Oberfläche verhält sich zum Mittelpunkt gesetzlich, aber das Gesetz ist nicht für alle Punkte dasselbe, sondern nur für gewisse, nach endl ichem Zahlenwerthe bestimm- bare. Alle natürlichen Formen dieser Kategorie lassen sich nicht nach un- ') Burmeister, Zoonomische Briefe, 1856, 1. Bd., p. 26—36. 384 Begriff und Aufgabe der Promophologie. endlich vielen, sondern nur nach einer beschränkten Zahl von Riehtungen in zwei gleiche Hälften theilen, und die Zahl dieser Richtungen hängt ab von der Anzahl der gleichen Abstände ihrer äusseren Oberflächenbestand- theile vom Mittelpunkt." III. Symmetrische Thiere (1. Mollusca, 2. Arthrozoa. 3. Yertebrata.) Nur nach einer einzigen Richtung halbirbar. „Die erste und wichtigste Eigenthümlichkeit derselben besteht darin, dass sie keinen blossen Mittelpunkt haben, wonach die Distanzen der Oberfläche sich bestimmen, sondern statt des Punktes eine Linie, eine so- genannte Axe. Gegen diese Axe stellen sich die Oberflächenpunkte stets paarig weit ab, so dass sie von ihr nach entgegengesetzten Seiten hin in gleichen Entfernungen sich befinden. Beide Hälften der symmetrischen Körper verhalten sich wie die Hälften unseres Leibes, die linke und die rechte." Diesen Ansichten Burmeisters (1856) schliesst sich im Wesentlichen ein Aufsatz von Gustav Jäger „Ueber Symmetrie und Regularität als Eintheilungs-Principien des Thierreichs" an'), worin derselbe die Erschei- nungsweisen der „regulären" und „symmetrischen" Thiere näher zu erklären und zu definiren versucht. Jäger adoptirt Burmeisters Eintheilung des Thierreichs in drei grosse Hauptgruppen; die irregulären Thiere (Infu- sorien, Rhizopoden) nennt er axenlose, die regulären oder radiären (Polypen, Medusen, Echinodermen) einaxige, die symmetrischen oder bilateralen (Weich-, Glieder-, Wirbel- Thiere) zweiaxige Thiere. Diese Hervorhebung der Axen des Thierkörpers, auf welche zuerst Bronn hin- gewiesen hatte, ist von wesentlicher Bedeutung; doch ist die weitere daran geknüpfte Erörterung und die darauf gegründete Benennungsweise keine glückliche. Jäger unterscheidet drei Paare von Flächen am Thierkörper, entsprechend den drei Dimensionen des Raumes. Dicgleichen Flächen be- zeichnet er als parallele, die verschiedenen als polare. Demnach ist „ein symmetrischer Körper ein solcher, der zwei Polpaare und ein Parallelen- paar hat. Ein regulärer Körper ist ein solcher, der ein Polpaar und zwei Parallelenpaare hat." Das einaxige, reguläre oder radiäre Thier „hat nur ein unpaares sogenanntes Axen-Organ und alle anderen Organe sind in der Mehrzahl in einer zur Axe senkrechten Ebene." Bei dem zweiaxigen, symmetrischen oder bilateralen Thiere dagegen „sind alle Organe, die in der Axenebene liegen und alle aus einem solchen Organe in der Richtung der Axenebene sich secundär entwickelnden Organe unpaar. Dagegen muss die Zahl aller, nicht in der Axenebene liegenden Organe durch zwei dividirbar sein." Wenngleich manche fundamentale Unterschiede zwischen den radialen und bilateralen Thieren hiermit ganz richtig bezeichnet sind, so ist doch die weitere Erörterung derselben und namentlich ihre embryo- logische Begründung wenig glücklich, ebenso wenig die Behauptung, dass diese drei Hauptgruppen des Thierreiches in ihrer Grundform den drei Hauptabtheilungen des Pflanzenreiches entsprechen, indem die Cryptogamen ») Sitzungsberichte der mathematisch - naturwissenschaftlichen Klasse Wiener Akademie. 1857. Bd. XXIV, p. 338. in. Verschiedene Ansichten über die organischen Grandformen. 385 mit den axenlosen IiTegulärthieren, die Monocotylen mit den einaxigen Re- gulärthieren und die Dicotylen mit den festsitzenden symmetrischen Thieren nnd namentlich mit den Brachiopoden zusammenstimmen sollen. Doch ist andererseits als ein Verdienst Jägers hervorzuheben, dass er, namentlich I den Behauptungen derjenigen Autoren gegenüber, welche alle Echino- . dermen und Polypen als bilateral - symmetrische Thiere betrachtet wissen wollten, die radial-reguläre Grundform dieser Thiere aufrecht erhält. Weit umfassender und eingehender als Burmeister und Jäger, und I mit weit tieferem Verständniss für die wirklichen maassgebenden Hauptun- iterschiede der Grundformen hat der verdienstvolle Bronn die vorliegen- den Fragen behandelt, und das Wichtigste darüber schon 15 Jahre früher (1841) festgestellt. Wie Bronn zu den wenigen Zoologen unserer Zeit ge- lhörte, welche über dem Einzelnen das Ganze nicht vergessen und neben idem Unterscheidenden auch das Gemeinsame der Naturgestalten zu er- ! kennen streben, so war er durch seine umfassenden allgemeinen Kenntnisse und durch seine denkende und vergleichende Betrachtungsweise der Natur vorzugsweise zur Lösung der vorliegenden Aufgaben befähigt. Doch ist er hierbei im Einzelnen, und namentlich in dem Versuche, einfache geometri- sche Grundformen für die verschiedenen Thiergestalten . aufzustellen, nicht :80 weit gekommen, als es der richtige Weg, den er einschlug, hätte ver- muthen lassen sollen. Die Grundzüge von Bronns allgemeinen morpho- logischen Anschauungen sind schon in seiner treiflichen „Geschichte der . Natur" (1841) ') niedergelegt, ausführlich erörtert dagegen in den „morpho- i logischen Studien"*) und mit besonderem Scharfsinn bezüglich der Strahl- : thiere weiter ausgeführt in dem zweiten Bande seiner Klassen und Ord- nungen des Thierreichs (Actinozoen, 1860), insbesondere in den „Rückblicken auf die neun Strahlthierklassen" (p. 413 — 423). B r o n n adoptirt zwar eben- ! falls die übliche Eintheilung der Thierformen in die oben genannten drei ] Hauptgruppen, welche er als Amorphozoen, Actinozoen und Hemisphenozoen ' bezeichnet, erörtert jedoch die wesentlichen Unterschiede und characteristi- schen Eigenschaften derselben weit eingehender, als es je von anderer Seite geschehen ist. Am wenigsten zutreffend erscheint die allgemeine Auffas- sung der Grundformen der Protozoen, oder der irregulären (axenlosen) Thiere, iTon denen er vier Klassen (1. Spongiae, 2. Polycystina, 3. Rhizopoda, •4. Infusoria) unterscheidet, und die er als formlose Thiere, Amorpho- izoa bezeichnet, ein Ausdruck, der nur in dem Sinne zugelassen werden kann, dass „deren Form sich auf keinen gemeinsamen Grundausdruck /zurückführen lässt." Vortrefflich dagegen sind Bronns Erörterungen über stallen der anorganischen Körperwelt, wie die Anaxonien oder Acen- itren der ersteren den Amorphen der letzteren vergleichbar sind. !Man hat daher auch wohl die anaxonien Organismen, welche auf den I niedersten Organisationsstufen sehr verbreitet sind, insbesondere bei i den Protisten (Protozoen) als „Gestaltlose" oder Amorphozoa bezeich- inet. Doch ist dieser an sich richtige Name desshalb schlecht verwend- ';bar, weil man darunter in der Regel nicht allein wirklich formlose «Organismen, wie die Amoeben und Halisarcen, sondern auch eine Menge bestimmt geformter Species begriffen hat. Gewöhnlich wird .ider Begriff Amorphozoa als gleichbedeutend mit Protozoa gebraucht lund umfasst als solcher die Spongien, Rhizopoden, Infusorien und 1 Protoplasten. Und doch enthalten gerade diese Thierklassen eine grössere Anzahl und Mannichfaltigkeit von geometrisch bestimmbaren " Grundformen, als alle übrigen Abtheilungen des Thierreichs zusammen (genommen. (Vergl. p. 395). Die organischen Grundformen, welche wir als wirklich echte Anaxonien oder Acentren. im eigentlichen Sinne des Wortes bezeich- nen müssen, sind im Ganzen viel seltener, als man gewöhnlich an- nimmt. Die Personen, Metameren und Antimeren, also die Form- Individuen fünfter, vierter und dritter Ordnung sind selten oder eigent- lich niemals wirklichi acentrisch oder anaxon, da schon durch ihre tectologische Qualität bestimmte Axen in ihnen ausgesprochen sind. Häutig sind dagegen vollkommen anaxonie Formen bei den Form- Individuen erster und zweiter Ordnung, den Piastiden und Organen, ferner bei denen sechster Ordnung, den Stöcken (z. B. vielen ' Corallenstöcken). Meist sind die anaxonien Piastiden und Organe integrirende Bestandtheile von Form -Individuen dritter und höherer ' Ordnung. Sehr viele Zellen und Cytoden im pflanzlichen und thieri- • sehen Parencliym sind ebenso vollkommen acentrisch, wie viele innere ' Organe der Thiere und äussere Organe der Pflanzen. Viel seltener ■ sind dagegen wirklich anaxonie Formen als materielles Substrat von aetuellen Bionten zu finden, so bei den erwähnten Stöcken, ausserdem Haeckel, Geiiercile Moi-pholugiu. 26 402 System der organischen Grundformen. fast nur im Protistenreiclie, bei denjenigen Stämmen der Organismen- weit, die aucli in anderer Beziehung auf der tiefsten Stufe der Orga- nisation stehen. Vor Allem sind hier die einfachsten Anfänge des Protistenreiches, Prologenes und Protamoeba zu nennen, die höchst Avichtigen und interessanten Moneren, welche als vollkommen structur- lose und homogene, nackte Plasmaklumpen jeder bestimmten Form entbehren, und vermöge der Fähigkeit der Moleküle ihres festfliissigeu Eiweisskörpers, nach allen Richtungen hin ihre gegenseitige Lage frei zu ändern, alle möglichen unbestimmbaren Formen zeitweise annehmen können (vergl. p. l.^a, l.-U). An diese vollkommen formlosen Mone- ren schliessen sich unmittelbar die echten Amoeben (mit Kern und contractiler Blase) an, deren stets sich verändernde Körperform eben- falls absolut unregelmässig ist, ferner einige nah verwandte Proto- plasten mit formlosem Panzer (CijpJiidium), einige Flagellaten und Myxomj^ceten und einige beschalte ßhizopoden niedersten Ranges, die Gattung Squumulina und Acermlina unter den kalkschaligen Polytha- lamien (wenigstens die typische Art derselben, A. acinosa). Die mannich faltigste Entwickelung der Anaxonform im Grossen findet sich in der Klasse der Spongien, die zum grössten 'Pheile dieser Grund- form angehören dürfte. Will man einen coneretcn Ausdruck für die acentre oder anaxonie Körperform haben, so mag man sie als Klumpen (Bolus) bezeich- nen. Eine Zerlegung derselben in correspondironde Theile, welche eine bestiniuite Beziehung auf eine gemeinsame Mitte haben, ist nie- mals möglich, da ja diese Mitte selbst fehlt, und Aveder ein Mittel- punkt, noch eine Mittellinie (Axe), noch eine Mittelebene jemals er- kennbar ist. Doch lässt sich eine streng geometrische Ausmessung auch dieser amorphen Formen, falls dieselbe erforderlich ist, leicht dadurch herbeiführen, dass man einen willkührlich im Innern des anaxonien Körpers angenommeneu Mittelpunkt durch gerade Linien mit allen Punkten der Oberfläche verbindet, Avelche ungefähr den Ecken von polygonalen Grenzflächen entsprechen. Dadurch zerfällt der ganze Körper in eine Anzahl von irregulären Pyramiden, welche sich geometrisch* untersuchen lassen. Zweite Klasse der orgauischeu Grundformen. Axeiifeste. Axoiiia. (^Ccntromorpha. Stereo mal risdi bcslhiinibara organiscbc Formen mit einer constanlen Mille.) Alle organischen Formen, Avelche nicht absolut unregelmässig sind, lassen stets eine feste Mitte, ein Centrum, erkennen, in wel- chem bestimmte Axen zusammentreffen oder dm'ch welches mindestens Axenfeste G-rundformen. Axonia. 403 eine bestimmte Axe geht. Wir nennen sie deshalb allgemein Axen- feste (Axonien) oder Mittenfeste (Centroinorphen). Sämmtliche Theile des Körpers nehmen gegen diese Mitte und gegen diese Axen eine bestimmte Lage ein, so dass die ganze Gestalt niemals absolut irregu- lär, sondern stets entweder regulär (eiuaxig, Jäger), oder symmetrisch (zweiaxig, Jäger) im weitesten Sinne des Wortes ist. Es kann also stets mindestens eine Halbirungs-Ebene durch den Körper gelegt werden, welche denselben in zwei congruente oder symmetrisch gleiche oder doch symmetrisch ähnliche Hälften theilt. Die Mitte, aufweiche sich alle Körpertheile beziehen, kann entweder ein Punkt (Stigma), oder eine Linie (Axou), oder eine Fläche (Epiphania) sein; letztere ist gewöhnlich eine Ebene (Epipedum). Nach diesem Verhalten kön- nen wir alle Axenforraen in drei wesentlich verschiedene Hauptgruppen zusammenstellen: L Centrost igma; die Mitte ist ein Punkt; alle Axen gehen durch diesen Mittelpunkt (Stigma centrale); dies ist der Fall bei allen Homaxonien und bei allen Polyaxonien. n. Centraxonia; die Mitte ist eine Linie, und zwar gewöhnlich eine gerade Linie; diese Linie ist die Hauptaxe (Axon principa- lis); alle übrigen Axen müssen durch diese Hauptaxe gehen; dies rindet statt bei allen Protaxonien, mit Ausnahme der Zeugiten oder allopolen Heterostauren; es gehören also hierher alle Monaxonieo, alle homopolen Stauraxonien und von den heteropolen Stauraxonien alle Homostauren und die autopolen Heterostauren. HL Centrepipeda; die Mitte ist eine Fläche und zwar gewöhnlich eine ebene Fläche oder Ebene. Diese Ebene ist die Medianebene (Superficies sagittalis) und in derselben liegt die Hauptaxe und eine der beiden darauf senkrechten Richtaxen, während die andere zugleich auf der Medianebene senkrecht steht. Es ist dies der Fall bei sämmtlichen Zeugiten oder allopolen Heterostauren, die man desshalb auch Centre- pipeda nennen kann; dahin gehören alle amphipleuren und zygopleuren Formen (bilateral-symmetrische im Sinne der meisten Autoren). Wenn wir diejenigen durch den Körper gelegten Ebenen, die denselben entweder in zwei congruente oder in zwei symmetrisch gleiche oder in zwei symmetrisch ähnliche Hälften zerlegen, Halbi- rungsebenen nennen, so ist bei den Centrepipeden nur eine ein- zige Halbirungsebene vorhanden und diese ist identisch mit der Medianebene. Der Körper besteht hier aus zwei symmetrisch gleichen oder zwei symmetrisch ähnlichen, aber niemals aus zwei congruenten Theilstltcken. Bei den Centraxonien sind mehrere, mindestens zwei Halbirungsebenen vorhanden, welche aber sämmtlich durch die Haupt- axe gehen müssen, und welche diese Mittellinie gemeinsam haben. Der Körper besteht hier stets entweder aus zwei congruenten Theil- Btücken oder aus mehr als zwei Theilatücken, von denen mindestens 26* 404 System der organischen Grundformen. zwei und zwei congruent sind. Bei den Centrostigra en endlich sind mehrere, mindestens drei Halbirungsebenen vorhanden, welche alle nur einen Punkt, den Mittelpunkt, gemeinsam haben, sonst aber in allen möglichen Eichtungen des Raumes liegen können. Der Kör- per besteht hier stets aus mehreren, mindestens aus vier congruenten oder doch nahezu congruenten, seltener bloss ähnlichen Theilstücken. Nach diesen fundamentalen und sehr wichtigen Unterschieden in den Beziehungen aller Körpertheile zu einer geraeinsamen Mitte zer- fallen also die sämmtlichen Centromorphen oder Axonien in die drei principalen Formengruppen der Centrostigmen, Centraxonien und Centrepipeden (Zeugiten). Wenn wir nun die weiteren Unterschiede der zahlreichen Grundformen, die hierher gehören, richtig erkennen und würdigen wollen, so müssen wir zunächst die Eigenschaften der Axen ihres Körpers und demnächst der Pole dieser Axen näher be- stimmen. In dieser Beziehung lassen sich nun sämmtliche Axonien oder Centromorphen in zwei Plauptgruppen vertheileu, in Gleichaxige (Homaxonia) und in Ungleichaxige (Heteraxonia). Bei den ersteren sind alle Axen, die sich durch die Mitte des Körpers legen lassen, absolut gleich, bei den letzteren dagegen ungleich. Die Zahl der gleichen Axen, die durch die Mitte gelegt werden können, ist zugleich bei ersteren unendlich gross, bei letzteren beschränkt. Die Homaxonform kann nur eine einzige sein, die Kugel, während die Heteraxonform äusserst mannichfaltig diflferenzirt ist. Die Homaxonien und die Heteraxonien, als die beiden ursprünglichsten und allgemein- sten Formarten der organisirten centromorphen Materie, entsprechen zugleich den beiden ursprünglichsten und allgemeinsten Gestaltungs- weisen, in welchen der nicht organisirte geformte Stoff im flüssigen und im festen Aggregatzustande auftreten kann, der Kugel und dem Krystall. Die Kugelform , welche das Auorgan im tropfbar flüssigen Aggregatzustande und im vollkommenen Gleichgewicht als Tropfen zeigt, ist dieselbe, welche der homaxonie Organismus insbesondere auf der ersten Formstufe als festflUssige Plastide so oft annimmt. Die Heteraxonform der Organismen lässt sich stets auf gewisse ein- fache geometrische Grundformen zurückführen, welche den Krystall- formen der festen Mineralien entsprechen und zum Theil sogar mit diesen identisch sind. Erste Unterklasse der Axonien oder Centromorphen. Gleichaxige. Iloiuaxoiiia' Stereo metrische Grundform: Kngel. Realer Typus: Sphaerozoum (oder Volvox). Die Eigenschaften der Kugel, welche die einzig mögliche Hom- axonform und zugleich der einzige absolut reguläre Körper ist, sind Gleichaxige Grundformen. Homaxonia. 405 SO bekannt, das8 dieselben hier niclit erörtert zu werden brauchen. Da alle Punkte der Oberfläche gleich weit vom Mittelpunkte entfernt sind, so ist eine Unterscheidung- bestimmter Axen nicht möglich. Die unendlich vielen Axen, welche sich durch den Mittelpunkt der Kugel legen lassen, sind sämmtlich absolut gleich. Die rein geometrische Kugelform ist in der Organismenwelt vielfach verkörpert, vorzüglich in den Form-Individuen erster Ordnung, den Piastiden (sowohl Cyto- den als Zellen). Bei sehr vielen Thieren, Protisten und Pflanzen ist diejenige Plastide, weiche als virtuelles Bion das ganze physiologische IndiAnduum poteutia repräsentirt, das Ei oder die Spore, eine voll- kommen reguläre Kugel. Aber auch im entwickelten Organismus behalten viele Zellen, als Individuen erster Ordnung, die. geometrische Kugelform bei, so z. B. viele Blut-Zellen, Pollen -Zellen etc. Ferner stellen viele Organe oder Form -Individuen zweiter Ordnung ^ die Kugelform ganz regelmässig dar, so z. B. die Centraikapseln vieler Eadiolarien, die Sporaugien vieler Cryptogamen etc. Selbst actuelle Bionten vom Formwerth eines Organs behalten bisweilen die reine Kugelform bei, so die Colouieen vieler frei im Wasser schwimmender oder schwebender Organismen, z. B. Sphaerozoum, Volvox, Fandorina etc. Sehr selten nur ist die reine Kugelform in Individuen vierter, fünfter und sechster Ordnung verkörpert. Unter den Eadiolarien ge- hören dahin die meisten CoUiden, namentlich die Thalassicolliden (Thalassicolla, ThalassolampeJ und die Thalassosphaeriden (Physema- tium, Thalassosphaera, Thalassoplancta) (Rad. Taf. I— III), ferner die kugeligen Individuen der meisten Eadiolarien- Colonieen, namentlich der Sphaerozoiden (Collozoum, Sphaerozoum, Rhaphidozoum), bei denen "überdies oft noch die Colonieen selbst, sowie alle einzelnen Form- elemente innerhalb der sphärischen Centraikapsel die Kugelform rein be- wahren (Ha e ekel, Monographie der Eadiolarien, Taf. XXXII— XXXV.) Die Sphaerozoiden dürften demgemäss am passendsten als die concreten Eepräsentanten der Homaxonform bezeichnet werden. Zweite Unterklasse der Axonien oder Centromorphen. Uiiglcichaxige. lleteiaxoiiia. Hetcraxonien oder ungleichaxige Centromorphen nennen wir alle diejenigen organischen Formen, welche eine endliche Anzahl von be- stimmten Axen unterscheiden lassen, die von allen übrigen, durch das Ceutrum gelegten Axen verschieden sind. Hierher gehören alle diejenigen Gestalten der organisirten Materie, die im Allgemeinen den Krystallformen des nicht organisirten Mineralstoffes vergleichbar und in der That zum Theil von ihnen nicht zu unterscheiden sind. Wie bei. den Krystallen geschieht, werden wir der Betrachtung der Ober- 406 System der organischen Grundformen. flächen und ihrer Beziehungen nur einen secundären Werth beilegen können und in erster Linie, um die Grundformen der verschiedenen Heteraxonien zu bestimmen, die Axen des Körpers und deren Pole aufsuchen und ihre Gleichheit oder Ungleichheit (Differenzirung) be- rücksichtigen müssen. In dieser Beziehung zerfällt nun die ganze Masse der ungleich- axigen Organismen abermals in zwei grosse Lager. Bei den Einen ist eine bestimmte Hauptaxe des Körpers erkennbar, welche von allen Axen bestimmte Verschiedenheiten zeigt; bei den Anderen dagegen sind alle bestimmbaren Axen von gleichem Werthe oder es° sind wenigstens mehrere (mindestens drei) Hauptaxen vorhanden, die vor den übrigen, unbedeutenderen Axen sich auszeichnen, unter sich aber nicht verschieden sind. Die letzteren, die Heteraxonien mit zwei oder mehi-eren Hauptaxen, nennen wir Vielaxige, Polyaxonia, wogegen die ersteren, die Uugleichaxigeu mit einer einzigen Hauptaxe, am passendsten als Hauptaxige, Protaxonia, bezeichnet werden. Bei den Polyaxonien ist, wie bei den Homaxonien, die Mitte des Körpers noch ein Punkt, während dieselbe bei den Protaxonien eine Linie, oder (bei den allopoleu Heterostauren) eine Ebene ist. Erste Ordnung der Heteraxonien: Vielaxige. Polyaxonia. Stereometrische Grundform: Endosphaerisches Polyeder. Die allgemeine Grundfonn der Polyaxonien ist ein endosphä- risches Polyeder, d. h. ein Polyeder, dessen Ecken sämmtlich eine einzige Kugelfläche berühren. Das Centrum dieser Kugel ist zugleich der Mittelpunkt des Polyeders, und die Axen des Polyeders erhalten wir dadurch, dass wir alle Ecken desselben mit dem Centrum durch gerade Linien verbinden. Keine einzelne von diesen Axen ist vor den übrigen so ausgezeichnet, dass sie als Hauptaxe bezeichnet werden könnte. Es schliesst sich diese vielaxige Grundform offenbar zunächst an die absolut regelmässige Kugelform an und unter den ßadiolarien giebt es eine Anzahl von Bionten, welche eben so gut den Einen wie den Anderen zugerechnet werden könnten. Unter den Piastiden zeigen insbesondere viele Pollen Körner diese Grundform sehr rein. Form -Individuen vierter Ordnuug bildet dieselbe sehr häufig in der ßadiolaricuklasse, und zwar bei actuellen Bionten. Ausserdem scheint die Polyaxon- Gestalt nur sehr selten als Grundform der Organismen aufzutreten. Wie in der Stereometrie die Polyeder in reguläre und irreguläre eingetheilt werden, so können wir diese Eintheiluug auch auf diejenigen Endosphaer-polyedrische Grundformen. Polyaxonia. 407 Organismen anwenden, in denen die Polyaxonform realisirt ist. Dabei halten wir für das reguläre Polyeder die g-eometrisclie Definition fest, dass sämratliclie dasselbe begrenzende Flächen reguläre und congruente Polygone sind. Bekanntlich beweist die Stereometrie, dass nur fünf Arten von absolut regulären Polyedern möglich sind, uämlicli: 1) das Tetraeder; 2) das Octaeder; 3) das Icosaeder; 4) das Hexaeder; .',) das Dodecaeder. Alle übrigen Polyeder sind als irreguläre zu be- zeichnen. Die uuregelmässigen endosphaerischen Polyeder oder die Polyaxonia arrhythma sind unter den Radiolarien-Bionten und unter den Pollen -Zellen weit zahlreicher verkörpert, als die regel- mässigen Polyeder oder die Polyaxonia rhythmica. Doch kom- men auch alle Arten der letzteren bisweilen in geometrisch reiner Form realisirt in organischen Individuen vor. Erste Unterordnung der Polyaxonien: Irreguläre Vielaxige. Polyaxonia arrhythma. Stereo metrische Grundform: Irreguläres endosphaerisches Polyeder. Zu den arrhythmen Polyaxonien müssen wir alle diejenigen endo- sphärischen Polyeder rechnen, deren Grenzflächen theilweis ungleich, nicht sämmtlich reguläre und congruente Polygone sind. Es gehören hier- her sehr zahlreiche Pollenköruer , aucb einige kugelige Sporen und Eier mit irregulär netzförmiger Oberfläche, ferner von den Kadiolarien die meisten Speeles aus den formenreichen Familien der Ethmosphae- riden, Aulosphaeriden, Cladococciden, Ommatiden, CoUosphaeriden, und viele einzelne Formen aus anderen Eadiolarien -Familien. Bei allen diesen polyaxonien Eadiolarien besteht der geformte Theil des Körpers aus einer Aveichen kugeligen Centralkapsel und aus einer kugeligen Kieselschale, welche die erstere concentrisch umschliesst und welche sich häufig als ein System von mehreren concentrischen, durch Radialstäbe verbundenen, kugeligen Kieselschalen innerhalb oder ausserhalb der Centralkapsel wiederholt. Da die Kugeln meistentheils ganz regelmässig gebildet, genau concentrisch um den gemeinsamen Mittelpunkt geordnet und durch regelmässige ßadialstäbe verbunden sind, so könnte man vielleicht geneigter sein, diese Formen noch den Homaxonien zuzuzählen. Doch sind die Kieselschalen stets von 'Gitterlöchern durchbrochen, die meistens sehr regelmässig vertheilt und von gleicher oder fast gleicher Grösse sind. Durch die Mittel- : punkte dieser Gitterlöcher und das^ Centrum der Kugel lassen sich Axen legen, die verschieden sind von denjenigen, welche durch das 'Centrum und durch die Knotenpunkte des Kieselnetzwerks zwischen den Gitterlöchern gelegt werden können. Auch sind sehr häufig diese letzteren Axen in Form radialer Ivieselstacheln verkörpert und oft 408 System der organischen Grundformen. sehr mächtig entwickelt. Man braucht bloss die Spitzen dieser Kiesel- radien durch Linien zu verbinden, und durch die benachbarten Linien Flächen zu legen, um ein endosphärisches Polyeder zu erhalten. Ausserdem ist oft schon durch die Form der Gitterlöcher oder durch die Verbindungsweise der sie begrenzenden Zwischenbalken, oft auch dui*ch besondere Sculptur der Gitterschale die Grundform des arrhyth- men endosphärischen Polyeders deutlich genug ausgesprochen. Die Zahl und Form seiner Grenzflächen ist so manuichfaltig und ver- schiedenartig, dass sich im Allgemeinen nichts Bestimmtes darüber sagen lässt. Die merkwttrdigste Formähnlichkeit mit diesen polyaxonien lla- diolarien zeigen zahlreiche Pollen-Körner von Phanerogamen, oft in einer so überraschenden Weise, dass man beide gänzlich verschiedene Objecte verwechseln könnte. Insbesondere ist es der Pollen von Malvaceen, welcher kaum von den Kieselschalen gewisser Ethmosphae- riden und Collosphaerideu zu unterscheiden ist. Die Pollenzellen von Sida abutUon und Plilux undnlaia besitzen genau dieselbe complicirte Sculptur, wie die Schale von Et/unosphaera, Heliosphaera etc. Die grosse Menge verschiedener, meist durch grosse Zierlichkeit und Schönheit der Architectur ausgezeichneter Formen, welche die arrhythraen polyaxonien Radiolarien aufzuweisen haben, können wir im Allgemeinen in zwei verschiedene Gruppen ordnen. Bei den Einen sind die polygonalen Grenzflächen des endosphärischen Polyeders alle von einerlei Art, d. h. alle von der gleichen Anzahl von Seiten und Winkeln begrenzt; bald sind alle Flächen des Polyeders dreieckig, bald sechseckig u. s. w. ; diese können daher Isopolygona heissen. Bei den Anderen sind dagegen die Grenzflächen des Polyeders sämmt- lich oder doch theilweis nicht von einerlei Art; die Zahl der Seiten und Winkel ist wenigstens bei einigen polygonalen Grenzflächen verschieden von der der andern. Diese im Allgemeinen unregel- mässigeren Formen können als Allopolygona bezeichnet werden. Erste Gattung der arrhythmen Polyaxonien. Viigleichvieleckjj^e. Allopolygona. Steraometrische Grundform: Irreguläres endosphaerisches Polyeder mit iingleichvieleckigen Seiten. Bealer Typus: Rhizosphaera (Taf. II, Fig. L5). Diejenigen endosphärischen Polyeder, deren Seitenflächen nicht alle ein und dieselbe Anzahl von Seiten und Winkeln haben, und welche wir hier als Allopolygone zusammenfassen, bilden die Grund- form der Bionten bei zahlreichen Radiolarien aus verschiedenen Fa- milien. Es gehören dahin die Gattungen Cyrtidosphaera und Arach- Endosphaer-polyedrische Grundformen. Polyaxonia. 409 nosphaera von den Ethmospliaeriden (Rad. Taf. X, Fig. 2, 3, Taf. XI, Fig. 2—4), ein Theil der Cladoeoccideu (Taf. XIII, XIV), Actin- elius von den Acanthouietriden, ferner viele Ommatiden, z. B. Haliomma capillaceum, H. erinaceus (Taf. XXTII, Fig. 2 — 4), ferner von den Sponguriden die Gattungen Rhizosphaera (Taf. XXV), Spon- godictijnm (Taf. XXVI, Fig. 4—6), dann die Polycyttarien- Gattung Collosphaera (Taf. XXXIV) und viele andere subsphärische Radiola- rien. Dieselbe Form, oft kaum zu unterscheiden, zeigen viele Zellen des pflanzlichen Pollens. Wo bei diesen Formen die endosphärische Polyeder-Form nicht schon in der Gitterbildung der Schale deutlich ausgesprochen ist, da wird sie sofort klar, sobald man die Spitzen der benachbarten Kadialstacheln durch Linien verbindet und durch je zwei benachbarte Linien eine Fläche legt. Zweite Gattung der arrhythmen Polyaxonien. Gleichvieleckige. Isopolygoiia. StereoineVrlsche Grundform: Irreguläres endospliuerisches Polyeder mit glcichvielechigen Seiten. Realer Typus: Ethmosphaera (Taf II, Fig. Iß). Noch deutlicher und bestimmter, als bei den Allopolygonen, tritt die endosphärische Polyeder-Form bei denjenigen Grundformen auf, die wir Isopolygone nennen, weil die Anzahl der Seiten und Winkel, welche ihre Seitenflächen begrenzen, bei allen Flächen dieselbe ist. Viele von diesen nähern sich schon sehr dem regulären Polyeder, indem die Mehrzahl ihrer Grenzflächen aus ganz ähnlichen oder theil- weis selbst congruenten (oder doch fast congruenten) regulären Poly- gonen gebildet wird, und nur die wenigen Grenzflächen, welche zwischen die congruenten zur Vervollständigung der Kugelform noth- wendig eingeschaltet werden müssen, um ein Weniges von jenen ver- schieden sind. Die Zahl der Seiten und Winkel ist in allen Polygonen stets die gleiche. Je nachdem die Polygone Dreiecke, Vierecke, Sechsecke u. s. w. sind, Hesse sich hier eine Anzahl von untergeord- neten Grundformen unterscheiden (trigonale, tetragonale, hexagonale Arten der Isopolygone). In höchst ausgezeichneter Weise tritt die Isopolygon- Form in vielen Pollen-Körnern und in den Kieselschalen vieler Radiolarien mit kugeliger Centralkapscl auf Unter den letzteren ist besonders die zierlicjie Aulosphaera hervorzuheben, die eine be- sondere, sehr merkwürdige Familie der Radiolarien bildet (Rad. Taf. X, Fig. 4, .5; Taf XI, Fig. ü). Die kugelige Gitterschale, von 1 — 2""" Durchmesser, ist hier aus lauter dreieckigen Maschen zu- sammengesetzt, di(; grösstontheils congruente gleichseitige Dreiecke 410 System der organischen Grundformen. sind; nur einzelne sind ein wenig grösser oder kleiner, als die übrigen. In jedem Knotenpunkt stellt ein radialer Stachel. Verbindet man die Spitzen aller Stacheln, die sämmtlich gleich lang sind, durch Linien und legt durch diese Linien Ebenen, so erhält man ein zweites grösseres endosphärisckes Polyeder, welches dem inneren kleineren concentrisch ist und dessen Maschen ebenfalls sämmtlich annähernd gleichseitige und congruente Dreiecke sind. Bisweilen scheint sich die Zahl der congruenten Dreiecke auf zwanzig zu beschränken und dann geht die Form in die des regulären Icosaeders über. Bei vielen Eadiolarien ist die isopolygone Gitterkugel aus einer grossen Anzahl von Sechsecken zusammengesetzt, die ebenfalls grösstentheils regulär und congruent oder doch wenigstens subregulär sind, so bei Elhmo- sphaera, Heliospkaera inet mis, H. tenuissima (Taf. IX, Fig. 1, 2; Taf. XI, Fig. 1), ferner bei vielen Cladococciden (Taf. XIU, XIV), vielen Ommatiden (Taf. XXIV, Fig. 1, 4, 5) etc. Ganz dieselbe ausgezeichnet zierliche und regelmässige Form findet sich bei vielen Pollenzellen, namentlich von Malvaceen. Besonders ist der Pollen von Phlox undu- lata und Sida abulUun durch seine merkwürdige Aehnlichkeit mit der Kieselschale von Ethmosphaera überrasc^iend. Ferner ist unter den Eadiolarien sehr ausgezeichnet die merkwürdige Diplosphaera gracilis, deren Kiesclskelet aus zwei concentrischen endosphaerischen Polyedern besteht, einem inneren mit subregulären sechseckigen und einem äusseren mit subregulären quadratischen und rechteckigen Grenz- flächen (Taf. X, Fig. 1). Doch muss diese, wie viele andere ähnliche arrhythme Polyaxonformen aus verschiedenen Eadiolarien - Familien, wegen der zwanzig nach Müller's Gesetz vertheilten radialen Haupt- stacheln vielmehr zu den Isostauren (homopolen Stauraxonieu) gerech- net werden, welche die Grundform des Quadrat-Octaeders haben. Zweite Unterordnung der Polyaxomeu. Reg^uläre Vielaxi^i^e. Polyaxoiiia rhythmica. Stercomeirisclw, Grundform : Reguläres endosphäriseluts Polyeder. Viel seltener als die arrhythmen oder irregulären sind die rhyth- mischen oder regulären Polyaxonien in organischen Individuen zu finden. Sie verdienen aber desshalb ein besonderes Interesse, weil sie nächst der Kugel die regelmässigsten aller Körper sind. Solche vollkommen regelmässige, in geometrischem Sinne reguläre Polyeder, die unter den Mineralformeu als Krystalle des regulären oder tesse- ralen Systems sehr häufig vorkommen, sind uns aus der Organismen- Welt nur bekannt von den Pollen-Körnern vieler Phanerogamen , von den Antheridien der Characeen und von den Kieselschalen einiger Eegulär-polyedrische Grundformen. Polyaxonia rbythmica. 411 ladiolarien. Unter letzteren finden sie sich ganz scliarf und klar usgebildet bloss in der Familie der Ommatiden, in einzelnen Arten r.er Gattungen Haliomma und Aclinomma, ferner bei Aulosphaera und :\ der Spicula einiger Sphaerozoiden. Alle fünf Arten von regulären 'olyederu, welche die Geometrie als die einzig möglichen absolut ogulären Polyeder nachweist, sind in gewissen organischen Formen äalisii-t, nämlich: 1) das Icosaeder; 2) das Dodecaeder; 3) das Oc- ideder; 4) das Hexaeder; 5) das Tetraeder. Erste Art der rhythmischen Polyaxonien. Regelmässige Zwaiizigflächiier. Icosaedra regularia. llereometrlsclie Grundform: Reguläres Polyeder mit zwanzig dreiechigen Seiten. Realer Typus: Aulosphaera icosaedra (Taf. II, Fig. 17). Das reguläre Icosaeder, dessen Grenzflächen zwanzig gleichseitige nnd congruente Dreiecke sind, ist von allen regulären Polyedern am ^3ltensten in organischen Formen verkörpert, nämlich, so viel uns eekannt, nur in einem einzigen Radiolar, in Aulosphaera icosaedra^) imd vielleicht auch in einigen Pollenkörnern, deren kugelige Schale on zwanzig kreisrunden Poren durchbohrt ist, welche die Mitte von Denso vielen gleichseitig dreieckigen Feldern bilden. Die zwanzig intimeren, welche das reguläre Icosaeder zusammensetzen, sind ^vanzig congruente gleichseitig dreieckige Pyramiden, deren Kanten ^ji Aulosphaera in sehr zierlicher Weise durch die feinen radialen krcodeladen angedeutet werden, welche von der Oberfläche der 11 Igeligen Centralkapsel nach den Knotenpunkten der Gitterschale p^hen und sich in die zwanzig radialen Stacheln hinein fortsetzen, iie Seiten der Basis sind von drei gleichen tangentialen Kieselröhren [^bildet. Wir haben Aulosphaera bereits vorher unter den Isopoly- onen aufgeführt, weil bei den beiden uns genauer bekannten Arten, . irigonopa und A. eleganüssima , die kugelige Gitterschale gewöhn- ;ih eine weit grössere Anzahl von subregulären congruenten Drei- l;ken zeigt, als zwanzig. Doch ist es wohl möglich, dass auch diese üden Arten im Jugendzustande vorübergehend die Icosaeder-Form it zwanzig Maschen zeigen, welche A. icosaedra vielleicht permanent ^^8itzt (vergl. Kad. p. :i57, Taf. X, Fig. 4, 5; Taf. XI, Fig. 5, 6). ') Die Form, welche ich hier als Aulosphaera icosaedra bezeichne, kann 1 leider nicht mit voller Sicherheit, als eine selbstatändige „gute Art" aufi'iihren, ■ ich nur ein vollständiges Exemplar derselben beobachtet habe. Abgesehen von r geringen Grösse nnd den zwanzig Netzmaschen war dieses zierliche Wesen 3ht von den gewöhnlichen Exemplaren der Aulosphaera fr ig onopa, die ■il zahlreichere Mascheu besitzen, verschieden, ist also vielleicht nur ein Ju- indzuataud deraelbcn. 412 System der organischen Grundformen. Zweite Art der rhythmischen Polyaxonien. Regelmässige Zwölf flächiier. Dodecaedra regularia. Stereometrisclie Grundform: Reguläres Polyeder mit zwölf fünfeckigen Seiten. Realer Typus: Pollenvon Bucholzia maritima, (Taf. II, Fig. 18). Das reguläre Dodecaeder oder das Pentagonal-Dodecaeder, dessen Grenzflächen zwölf gleichseitige und .congruente Fünfecke sind, findet sich in stereouietriscli reiner Form in den Pollenkörneru vieler Pha- neroganien verkörpert, so namentlich von Bucholzia maritima, Rivina hrasiliensis, Banisteria oersicplor, Fnmaria spicala, Polygonum amphi- bium etc. Die zwölf fünfeckigen Seiteuflächen sind bisweilen voll- kommen eben, nur von einem centralen kreisrunden Loche durchbohrt, und dann ist die reitie geometrische JForra so vollkommen in diesen zierlichen Zellen verkörpert, als man es nur erwarten kann. Die Kanten sind bisweilen durch einen erhöhten Rand ausgezeichnet. Das andere Mal ist die ganze Pollenzelle kugelig und das Pentagonal- Dodecaeder als Grundform nur durch eine sehr zarte und vollkommen regelmässige Linienzeichnung der Kugeloberfläche angedeutet. Bis- weilen entsteht dann ein reales Dodecaeder durch Einti-ocknen des Pollenkorns. Die idealen zwölf Parameren der dodecaedrischen Pla- stide sind 12 congruente fünfseitige reguläre Pyramiden, welche man dadurch erhält, dass man die Ecken mit dem gemeinsamen Mittelpunkt durch Linien verbindet. Das Pentagonal- Dodecaeder ist als organi- sche Grundform auch desshalb von Interesse, weil es zugleich, eine hemiedrische Form des tesseralen oder regulären Kristallsystems ist. Dritte Art der rhythmischen Polyaxonien. Regelmässige Achtflächner. Octaedia regularia. Slereometrische Grundform: Reguläres Polyeder mit acht dreieckigen Seiten. Realer Typus: Antheridien non Ohara (Taf. II, Fig. 19). Das reguläre Octaeder, dessen Grenzflächen acht gleichseitige und congruente Dreiecke sind, bildet viel seltener, als das Pentagoual- Dodecaeder, die Grundform organischer Gestalten; auch viel seltener, als die folgende Form, der Würfel, obgleich es mit diesem die gleichei. Axen -Verhältnisse theilt. Wir kennen das reguläre Octaeder al- stereometrische Grundform nur bei einigen wenigen pflanzlichen Pia stidcn, bei einzelnen Parenchymzellen, einigen Pollenkörnern, und am deutlichsten bei den Antheridien von Ohara, obwohl auch hier nicht so rein, als die vorige und die folgende Grundform. Von besonderem Interesse ist aber das reguläre Octaeder desshalb, weil es zugleich die Grundform des regelmässigsten und einfachsten Krystallsystems Regulär -polyedrische Grundformen. Polyaxouia rbythmica. 413 ist, des tesseralen oder reg-uläreii Systems, in welchem u. A, Kochsalz und Alaun krystallisiren. Sein wesentlicher Charakter wird bestimmt durch drei auf einander senkrechte Axen, welche alle drei gleich und gleichpolig sind, so dass keine von ihnen als lTau])taxe unterschieden werden kann; entsprechend können auch die sechs Pole nicht ver- schieden sein. Das reguläre Octaeder nähert sich am meisten von allen Lipostauren den Stauraxonien, indem wir bloss eine der drei Axen nach beiden Seiten gleichmässig zu verlängern oder zu verkür- zt n brauchen, um daraus das Quadrat- Octaeder (die Grundform der octopleuren Isostauren) zu erhalten. Wenn alle drei Axen des regu- lären Octaeders ungleich lang werden, aber gleichpolig bleiben, geht dasselbe in die G-rundform des Rhomben-Octaeders (der octopleuren Allostauren) über. Von dem regulären Würfel, mit welchem das reguläre Octaeder die gleichen Axenverhältnisse theilt, unterscheidet sich dasselbe als organische Grundform wesentlich dadurch, dass der erstere aus sechs, das letztere dagegen aus acht Antimeren oder Parameren zusammen- gesetzt ist. Diese acht congruenten Antimeren finden sich an den Antheridien von Chara auf die zierlichste Weise in acht gleichseitig dreieckigen platten tafelförmigen Zellen verkörpert, welche ganz gleich den acht Seitenflächen des regelmässigen Octaeders zusammengefügt isind. Ihre gezackten Piänder, welche nach Art einer Knochennaht, in 'einander greifen, bezeichnen die zwölf Kanten des Octaeders. Die (dreieckigen Seitenflächen sind so stark hervorgewölbt, dass das ganze 'Organ eine rothe Kugel bildet. Von dem Umkreis der am stärksten gewölbten Mitte jedes Dreiecks laufen äusserst zierliche Strahlen- furchen nach den drei gezackten Rändern hin. Uebrigens dürfen wir, ■streng genommen, au den Antheridien von Chara bloss der achtzelligen Schale die reguläre Octaeder- Form vindiciren; das ganze Organ, mit Rücksicht auf seinen Inhalt, ist als Quadrat- Octaeder zu betrachten, da eine Hauptaxe durch die Structur des Inhalts ausgesprochen ist. Yiei'te Art der rhythmischen Polyaxonien. Regelmässige Würfel. Ilexaedra regularia. '. Stffreomelrlsche Grundform. Beyiüiires Polyeder »ül sechs (piudraüschen SeHrit. Realer Typus: Aclinomma drymodes (Taf. II, Fig. 20). Das reguläre Hexaeder oder der Würfel (Cubus, Tessera), dessen 'Grenzflächen sechs congruente Quadrate sind, bildet die stereometrische 'Grundform von vielen freien Piastiden; er erscheint sehr rein z. B. bei vielen Pollen - Zellen (Basclla alba), aber auch bei zahlreichen 414 System der organischen Grundformen. Parenchymzellen (z. B. kubischen Epithelialzellen). Seltener ist der Würfel die Grundform von ganzen actuellen Bionten, welche den Formwerth von Metameren haben, nämlich von mehreren sechsstache- ligen Radiolarien aus der Ommatiden -Familie. Als geometrische Grundform von organischen Individuen ist der Würfel in mehrfacher Beziehung von besonderem Interesse, besonders auch desshalb, weil er zugleich die einfachste abgeleitete Form des regulären oder tesse- ralen Krystallsystems ist. Gleich der Grundform desselben, dem regulären Oetaeder, besitzt der Würfel drei auf einander senkrechte Axen, welche alle drei unter sich gleich und gleichpolig sind. Sie verbinden die Mittelpunkte je zweier gegenüber liegender Quadrat- flächen. Keine dieser drei maassgebenden Axen kann demnach als Hauptaxe (Längsaxe), Sagittalaxe (Dickenaxe) oder Lateralaxe (Breitenaxe) unterschieden werden. Ebenso sind ihre sechs Pole nicht verschieden. Die drei idealen Richtaxen oder Euthynen, welche den Grundcharacter der wichtigsten organischen Formengruppe, der Zeu- giten, bestimmen, erscheinen hier zum ersten Male angedeutet, aber noch nicht differenzirt. Obgleich das reguläre Oetaeder und das reguläre Hexaeder in allen Axen- Verhältnissen völlig übereinstimmen, so dass sie beide als Grundform des regulären Kristallsystems betrachtet werden können, müssen wir doch Beide in der organischen Promorphologie mindestens insofern als verschiedene Unterarten einer und derselben rhythmischen Polyaxonien-Art unterscheiden, als das Antimeren-Verhältniss in Beiden ein verschiedenes ist. Die organischen Individuen mit Würfelform erscheinen aus sechs tetractinoten Antimeren (oder Parameren) zusanmiengesetzt, deren jedes eine reguläre vierseitige Pyramide dar- stellt. (Bei den eubischen Radiolarien ist die Hauptaxe (Längsaxe) jedes teti-actinoten Autimeres durch einen starken radialen Kiesel- stachel verkörpert.) Dagegen erscheinen die organischen Individuen, welche das reguläre Oetaeder als Grundform haben, aus acht tri- actinoten Antimeren (oder Parameren) zusammengesetzt, deren jedes die Form einer regulären dreiseitigen Pyramide besitzt. Die- ser wichtige promorphologische Unterschied ist hinreichend, um alle regulär-polj^edrischen organischen Individuen, welche aus sechs te- tractinoten Antimeren (oder Parameren) bestehen, als hexaedrische von denjenigen, welche aus acht triactinoten Antimeren (oder Para- meren) bestehen, als o et aedri sehen, zu trennen. Ausser den rein eubischen Pollenzellen (z, B- von Basella alba ) und den rein eubischen Epithelialzellen finden Avir das reguläre Hexaeder besonders ausgezeichnet verkörpert in mehreren äusserst zierliehen Gitterpanzern von kieselschaligen Radiolarien aus der Ommatiden-Familie. Es gehören hierher zwei Arten der Gattung Eegulär-polyedrisclje Grundformen, Polyaxonia rhythmlca. 415 Actinomma (A. drynwdes, Rad. Taf. XXIV, Fig. 9 und A. asferacanihion, Ead. Taf. XXIII, Fig. 5, 6), ferner walirscheinlicli viele Arten der Gattung- Haliomma (mit Sicherheit jedoch nur //. hexacanthum bekannt, J. Müller, Abliandl. Taf IV, Fig. 5). Bei allen diesen Ommatiden besteht der ganze Körper aus mehreren concentri sehen regulären I Gitterkugeln, .welche durch sechs sehr starke und grosse Radial- I stacheln verbunden sind, die von der innersten Kugel ausgehen und über die Oberfläche der äussersten mindestens noch um die Länge ihres Radius vorragen. Diese sechs mächtigen, sehr regelmässig ge- bildeten und am Ende zugespitzten Kieselstacheln, welche unter ein- ander völlig gleich sind, liegen in drei auf einander senkrechten Kugeldurchmessern, welche den drei gleichen Axen des regulären Pctaeders oder den drei gleichen Flächenaxen des Würfels entsprechen. Verbindet man die Spitzen der sechs Stacheln durch gerade Linien und legt durch je zwei benachbarte Linien eine Ebene, so sind die 1 acht so entstehenden Ebenen gleichseitige und congruente Dreiecke und der ganze Körper ist ein reguläres Octaeder. Legt man dagegen durch die sechs Stachelspitzen Ebenen, auf denen die Radialstacheln senkrecht stehen, so sind die so entstehenden Ebenen congruente Quadrate und der ganze Körper ist ein Würfel. Durch die feinere :Sculptur des Kieselskelets wird diese absolut reguläre Grundform • ebenso wenig gestört, als durch die Form der Weichtheile; diese letzteren bestehen nur aus der kugeligen (den Kieselkugeln concen- ti-ischen) Cenü-alkapsel , welche unterhalb der äusseren Gitterkugel ; liegt, und aus der formlosen Schleimhülle der Sarcode, welche die I Centralkapsel umgiebt. . Mit Rücksicht auf die höchst ausgezeichnete iund vollkommen reguläre Grundform dieser merkwürdigen Radiolarien 'Wird man es vielleicht vorziehen, dieselben als besondere Gattung (Hexaedromma) von den übrigen Ommatiden abzutrennen. Fünfte Art der rhythmischen Polyaxouion. Regelmässige Vierflächiier. Teti aedia legulaiia. Stercomelr'isdxe Grundform: Reguläres Polyeder mll oier dreie klgen Seiten. Realer Typus: Pollen von Corydalis sempervirens. (Taf II, Fig. 21, 22). Das reguläre Tetraeder, dessen Grenzflächen vier gleichseitige iiund congruente Dreiecke sind, und welches die wichtigste hemiedrische IForm des tesseralen Krjstallsjstems ist, bildet zwar bei keinem uns bekannten Organismus die Grundform eines actuellen Bionten, gleich idem Würfel; dagegen erscheint das Tetraeder sehr häufig und stereo- -metrisch rein als Grundform einfacher Piastiden, besonders wieder bei vielen Pollen-Zellen. Als Beispiel kann der Pollen vieler Arten 416 System der organischen Grundformen. von Corydalis angeführt werden, namentlich C. sempervirens , (Taf. II, Fig. 21). Hier ist jedes einzelne Pollenkorn ein reguläres Tetraeder. Anderemale verbinden sich vier Pollen-Zellen zur geometrischen Tetrae- der-Form, z. B. bei Erica multißora, Drimys Wiuieri etc. Das Tetraeder ist stets aus vier congruenten Antimeren oder Parameren zusammen- gesetzt, deren jedes eine reguläre dreiseitige Pyramide bildet (Triacti- noten-Form). Die Hauptaxe (Längsaxe) jeder Pyramide ist zugleich eine Flächenaxe des Tetraeders. Diese vier Flächenaxen finden sich in höchst merkwürdiger Weise rein verkörpert in den anorganische Skeletbildungen einiger Protisten, den seltsamen Kiesel-Spicula näm lieh, welche als Hülle von schützenden Stacheln die Centralkapseln mehrerer Sphaerozoiden umgeben. Die Grundform des regulären Te- traeders ist hier schon von Johau nes Müller in den vierschenkeligen Nadeln mehrerer Sphaerozoeu erkannt worden (Abhandl. p. 54, Taf. VIII, Fig. 2, 3). Bei Rhaphidozoum acnferum fhidet sich zwischen den einfachen linearen Nadeln „eine zweite Art der Spicula, eine vier- schenkelige Nadel, deren Schenkel unter gleichen Winkeln in einem Punkt zusammentreffen, gleich den .Flächenaxen eines einzigen Te- traeders." (Rad. Taf. XXXII, Fig. 9—11). Bei Sphaerozoum pnnc- laUim und S. ovodimare ..bestehen die Spicula aus einem Mittelbalken, dessen entgegengesetzte Enden in drei divergii-ende Schenkel aus- laufen, welche sowie der Mittelbalken gleich den Flächenaxen eines Tetraeders gestellt sind. Stellt man sich zwei Tetraeder mit einer der Flächen vereinigt vor, so haben sie eine der Flächenaxen gemein- sam, die anderen Flächenaxen frei auslaufend. Genau so sind die Schenkel der Spicula gestellt. Die Spicula gleichen also den Flächen- axen zweier vereinigter Tetraeder.'- (Rad. Taf. XXXIII, Fig. 6, 7.) Man braucht in der That bei diesen Sphaerozoiden bloss die Spitzen der Spicula -Schenkel durch Linieu zu verbinden, und durch diese Linien Flächen zu legen, um das regulär Tetraeder zu erhalten. Es sind also hier beim Tetraeder, wie beim- Hexaeder von Actinonma, nicht die Grenzflächen oder Kanten, sondern die Axen des regulären Polyeder, welche als reguläre zusammengestellte Kieseluadeln die rhythmische Polyaxonform unverkennbar bezeichnen. (Vergl. Taf. II, Fig. 20 und 22). Zweite Ordnung der Heteraxonien : Hauptaxige. Protaxoiiia. Orcjanische Formen mit einer constanten Hmiptuxe. Der kleinen Gruppe der Polyaxonien steht als andere, ungleich mannichfaltigere und wichtigere Hauptabtheilung der Heteraxonien die grosse gestaltenreiche Gruppe der Protaxonien gegenüber, die sich durch die Differenziruiig einer einzigen irgendwie ausgczeichueten Hauptaxige Grundformen. Protaxoma. 417 Hauptaxe bestimmt von den Polyaxonien unterscheiden. Sämmtliche Polyaxonien, wie verschieden auch die Zahl und Gestalt der Grenz- flächen des Polyeders sein mag, stimmen doch darin überein, dass dies Polyeder ein endosphaerisches ist, dass also sämmtliche Ecken der Grenzflächen stets eine einzige Kugelfläche berühren, und dass das Centrum dieser Kugel die Mitte des Polyeders ist. Es sind daher auch alle Hauptaxen, deren mindestens drei vorhanden sein müssen, von gleicher Länge. Dadurch und durch die Eigenschaft, dass ihre Mitte ein Punkt ist, schliessen sich die Polyaxonien den Homaxo- nien unmittelbar an. Bei den Protaxonien dagegen kann die Grund- form niemals ein endosphaerisches Polyeder, ebenso, wenig als eine Kugel sein. Wenn die Grundform der Protaxonien ein reguläres oder irreguläres Polyeder ist, so liegen die Ecken desselben niemals in einer Kugelfläche; wenn die Grundform von einer gekrümmten Fläche begränzt wird, so ist diese niemals eine ganze Kugel, sondern nur ein Theil einer Kugel (Kugelsegment, Halbkugel), oder ein Sphaeroid (Ellipsoid, Linse), oder ein Ei u. s. w. Bei allen Protaxonien ist die Mitte des Körpers nicht mehr ein Punkt, sondern eine Linie oder (bei den allopolen Heterostaureu) eine Ebene. Diese Linie oder Ebene ist gänzlich verschieden von allen anderen Linien oder Ebenen, welche wir durch den Körper legen können; alle Theile des Körpers nehmen gegen diese Mittellinie oder Mittelebene eine bestimmte eharacteristische Lage ein, und alle Halbirungs- Ebenen des Körpers müssen durch diese mediane Linie oder Ebene hindurchgehen. Bei den Protaxonien mit Mittellinie (Centraxonia) sind mehrere, mindestens zwei Halbirungs -Ebenen des Körpers vorhanden; bei den Protaxonien mit Mittelebene (Ceutrepipeda oder Heterostaura ■ allopola) ist nur eine einzige Halbirungsebene vorhanden und diese fällt mit der Mittelebene zusammen. Die Hauptaxe (Axon principaHs), welche die Protaxonien als solche characterisirt und von allen bisher betrachteten Grundformen trennt, ist bei den Centraxonien mit der Mittellinie identisch und liegt bei den Centrepipeden in der Mittelebeue. Obgleich es schwer ist, die Hauptaxe für alle Protaxonien im Allgemeinen näher zu charac- iterisiren, da sie in den einzelnen Abtheilungen dieser Formenklasse .-sehr verschiedene Eigenschaften zeigt, so ist es doch in jedem einzel- inen Falle immer möglich, und meistens sehr leicht, dieselbe zu be- stimmen. Wo überhaupt nur eine einzige Körperaxe bestimmt aus- , geprägt ist, wie bei den Monaxien, da ist diese einzige Axe natürlich zugleich die Hauptaxe. Wo der Körper aus mehr als zwei congruen- tten Antimeren besteht, wie bei allen homopolen Stauraxonien und bei den homostauren Heteropolen, da ist die Hauptaxe stets diejenige Linie, welche allen Antimeren gemeinsam ist und in welcher sie sich Haeckel, Generelle Morphologie. 27 418 System der organischen Grundformen. berühren. Wo man durch den Körper drei verschiedene auf einander senkrechte ideale Kreuzaxen legen kann, wie bei den Heterostauren, da ist die Hauptaxe eine von diesen drei Axen, die den drei Dimen- sionen des Raumes entsprechen. In diesem letzteren Falle ist es stets die Längendimension, welche durch die Hauptaxe bestimmt wird und wir können sie daher auch Längsaxe (Axon longitudi- nalis) nennen. Meistens ist die Längsaxe länger, als alle anderen Axen, nicht selten aber auch bedeutend kürzer, so dass wir sie nicht allgemein als die längste aller Axen characterisiren dürfen. Auch die Beschaffenheit ihrer beiden Pole erlaubt keine allge- meine Bestimmung der Hauptaxe. Bei der grossen Mehrzahl aller Protaxonien unter den Thieren ist ein Kopf oder doch ein Kopfende vom Körper abgegliedert und der eine Pol der Hauptaxe liegt dann in diesem Kopfende. Bei der grossen Mehrzahl der übrigen, den kopflosen Protaxonien, ist am einen Ende des Körpers oder doch in dessen Nähe ein Mund vorhanden und dann liegt der eine Pol der Hauptaxe im Munde (bei den Homostauren im Mittelpunkt des Mun- des) oder doch in dessen Nähe. Auch bei vielen muudlosen Pro- taxonien, z. B. den meisten protaxonien Radiolarien, ist doch eine Mündung des Gehäuses vorhanden, welche in mehrfacher Beziehung die Stelle des Mundes vertritt. Diesem Pole entspricht bei den Blüthensprossen der Pflanzen die offene Mündung der ßlüthe, und also allgemein bei allen festsitzenden protaxonien Pflanzen-Individuen der freie, nicht angewachsene Theil. Kein anderes Organ geht so constaut, als die Mündung durch die ganze Protaxonien-Reihe hindurch und es ist desshalb das Passendste, den ersten Pol der Hauptaxe als Mundpol (Polus peristomius s. polus oralis) und die Körper- seite, in der er liegt, als Mundseite (Peristomium, Superficies oralis) zu bezeichnen. Für den entgegengesetzten zweiten Pol der Hauptaxe ist es weniger leicht, eine allgemein passende positive Be- zeichnung zu finden. Bei der grossen Mehrzahl der protaxonien Thiere liegt der After in demselben oder doch in dessen Nähe, und man könnte ihn danach Afterpol nennen. Da jedoch bei sehr Vielen der After ganz fehlt, oder weit vom zweiten Axenpol entfernt, oft näher dem Mundpol, liegt, da ferner bei den festsitzenden protaxonien Pflanzen -Individuen das dem Mundpole entgegengesetzte Ende das angewachsene, basale ist (beim Hauptspross die Wurzel), so dürfte der andere Pol der Hauptaxe am zweckmässigsten als Gegenmund- pol (Polus antistomius s. polus aboralis) und die Körperseite, in der erliegt, als Gegeumundseite (Antistomium, Superficies aboralis) bezeichnet werden. Die sehr zahlreichen und verschiedenartigen Grundformen, welche in der umfangreichen Gruppe der Protaxonien vereinigt sind, lassen Hanptaxige Grundformen. Protaxonia. 419 sich sämmtlicli in zwei grosse Hauptabtheilungen zusammenstellen, in einaxige und kreuzaxige Grundformen, Monaxonien und Staura- xonien. Wenn wir die auf derHauptaxe senkrechten Ebenen, welche wir durch den Körper aller Protaxonien legen können, als Quer- ebenen (Plana transversalia)und sämmtliche gerade Linien, welche in diesen Ebenen durch die Hauptaxe gelegt werden können, als Queraxen (Axones transversales) bezeichnen, so sind bei den Monaxonien sämmtliche Queraxen, die in einer und derselben Quer- ebene liegen, gleich, während bei den Stauraxonien (entweder in einigen oder in allen Querebenen) ein Theil der Queraxen von den übrigen, die mit ihnen in einer und derselben Ebene liegen, verschie- den ist. Vou diesen differenzirten Queraxen bezeichnen wir diejenigen, welche characteristisch ausgeprägt sind, und gegen welche die benach- barten ungleichen Queraxen eine bestimmte symmetrische Lage ein- nehmen, als Kreuz axen (Stauri). Bei den einaxigen Protaxonien sind sämmtliche Querebenen Kreise, während bei den kreuzaxigen mindestens ein Theil der Querebenen keine Kreise, sondern Vielecke oder Ellipsen oder noch complicirtere Formen sind. Wenn wir diejenigen Ebenen, die sich durch die Hauptaxe legen lassen, allge- mein als Meridianebenen (Plana meridiana) bezeichnen, so fin- den wir bei den Monaxonien alle Meridianebenen gleich, bei den Stauraxonien dagegen einen Theil der Meridianebenen von den übri- gen verschieden. Diejenigen Meridianebenen der Stauraxonien, welche durch die Kreuzaxen gehen und diesen entsprechend besonders aus- gezeichnet sind, nennen wir Kreuzebenen (Plana staurota). Bei den Stauraxonien ist der Körper stets aus einer bestimmten Anzahl von Antimeren oder Parameren zusammengesetzt, welche sich in der Hauptaxe berühren, während bei den Monaxonien deren Zahl unendlich ist. Die Zahl der Kreuzaxen bestimmt die Zahl der Antimeren, indem wir als Kreuzaxen sowohl diejenigen Queraxen be- zeichnen müssen, welche in den Medianebenen der einzelnen Anti- meren, als auch diejenigen, welche in den Grenzebenen je zweier be- nachbarter Antimeren liegen. ') ') Bei allen Stauraxonien nennen wir diejenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Medianebene eines Antimeres liegt, Strahl, Radius; diejenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Grenzebene zweier Antimeren liegt, Zwischen- strahl, Interradius. Diejenigen Meridiauebenen, in denen 2 Strahlen liegen, und welche mithin zugleich die Meridianebenen zweier Antimeren sind, werden mit Vortheil (z. B. bei der Anatomie der Coelenteraten etc.) als Strahlen, ebenen (Plana radialia) bezeichnet, diejenigen Meridianebenen dagegen, in welchen zwei Zwischenstrahlen liegen, und welche mithin zugleich die Grenz- flächen zweier Antimeren -Paare sind, als Zwischeustrahlenebenen (Plana mterradialia). Eine dritte Art der Meridiauebenen sind diejenigen, in denen 27* 420 System der organischen Grundformen. Erste Unterordnung der Protaxonien. Eiuaxige. üloiiaxoiiia. (Protaxonien ohne Kreiizaxen.) Die Unterordnung der eiuaxigen Protaxonien umfasst nur solche Grundformen, welche bei einer deutlich ausgeprägten graden Längs- axe oder Hauptaxe ohne jede Andeutung einer bestimmten Kreuzaxe sind, bei denen mithin alle Queraxen einer jeden Querebene gleich, und also alle Querebenen Kreise sind. Da nuu in solchen Körpern auch sämmtliche Meridianebenen gleich sein müssen, so kann mau sie sich aus unendlich vielen congruenten Antimeren zusammengesetzt denken, die alle nur eine grade Grenzlinie, die Hauptaxe, gemein haben. Die Grenzflächen der monaxonien Formen müssen entweder sämmtlich gekrümmte Flächen sein, oder es können nur diejenigen Grenzflächen, welche senkrecht auf der Hauptaxe stehen, und welche also den Querebenen parallel laufen. Ebenen sein. Da wir nur 2 Pole ein Strahl und ein Zwischenstrahl liegt, und welche Halb strahlen eb e u en (Plana semiradialia) heissen mögen. Die Kreuzaxen, welche in den Semira- dialebenen liegen, sind weder radial, noch interradial, sondern semiradial, indem die eine Hälfte der Kreuzaxe ein Strahl, die andere ein Zwischenstrahl bildet. Die Zahl der Antimeren muss nuu bei den Stauraxouien stets gleich der Zahl der Kreuzaxen oder der Kreuzebenen seih. Es gilt dies Gesetz für alle Stauraxouien, obwohl dasselbe als Resultat aus verschiedenen Factoren folgt, je nachdem die homotypische Grundzahl grade oder ungrade ist. Wenn die Antimeren-Zahl grade ist, (4, 6, 8 und allgemein = 2 n) , wie z. B. bei den Coe- lenteraten, so wird jede Kreuzaxe entweder von 2 Radien oder von 2 Interradien gebildet und es sind daher stets 2 Arten von Kreuzebenen vorhanden, welche regelmässig mit einander abwechseln, so dass zwischen je 2 radialen eine inter- radiale liegt. So haben wir z. B, bei den vierzähligen Dicotyledonen-Blüthen und ebenso bei den gewöhnlichen Medusen 2 auf einander senkrechte Radial- ebenen, welche bei letzteren durch die Mittellinien zweier benachbarter Radial- canäle, und 2 ebenfalls rechtwinkelig gekreuzte Interradialebenen , welche durch die in der Mitte zwischen jenen liegenden Interradiallinien bestimmt werden und welche die ersteren unter Winkeln von 45» kreuzen. Es sind also zusam- men 4 Kreuzebeneu vorhanden und dem entsprechend auch 4 Antimeren. Wenn dagegen die Antimeren-Zahl ungrade ist (3, 5 und allgemein == 2n-l), z. B. bei den Echinodermen, den füufzähligen Dicotyledonen-Blüthen, so wird jede Kreuz- axe zur Hälfte von einem Radius, zur Hälfte von einem Interradius gebildet, und es sind daher alle Kreuzebenen von einerlei Art, semiradial; jede einzelne ist halb radial, halb interradial. So fällt also z. B. bei den Echinodermen die Fünf- zahl der Kreuzebenen, deren jede zur Hälfte radial, zur Hälfte iuterradial ist, zusammen mit der Fünfzahl der Antimeren, aus denen der Körper zusammenge- setzt ist. Wir werden unten, bei der allgemeinen Betrachtung der Stauraxonieu- dieses VerLältniss noch näher erörtern. Einaxige Grundformen. Monaxonia. 421 der Hauptaxe haben, so können aucli nur 2 ebene Grenzflächen an den Monaxonien vorkommen. Diese Ebenen, welche Kreise sein müs- sen, kann man als Grundflächen oder Polebeneu bezeichnen (Plana polaria). Die eine polare Grenzfläche ist die orale oder Peristom- fläche; die andere die aborale oder Antistomfläche. Die zusammen- hängende gekrümmte Grenzfläche der Monaxonform bezeichnen wir allgemein als Mantel (Pallium). Es sind nun im Allgemeinen in Bezug auf die Flächenbegrenzung der Monaxonien nur 3 Fälle möglich. Es wird nämlich I, die ganze Oberfläche des Monaxons nur von dem Mantel begrenzt; es ist keine ebene Grenzfläche (Polebene) vorhanden. Dies ist der Fall bei den Sphaeroidformen ;Ellipsoid, Linse, Doppelkegel, Ei). II. Das Monaxon wird von dem Mantel und einer Polebene begrenzt; diese letztere entspricht stets dem ersten (oralen) Pol der Hauptaxe, ist also die Peristomfläche und wii'd allgemein als Basis bezeichnet; ihr gegen- über liegt am zweiten (aboralen) Pol der Hauptaxe der Scheitel oder die Spitze (Apex) des Monaxons. Zu dieser Monaxonform gehört das Hemisphäroid, sowie jedes durch eine Querebene geschnittene Sphaeroid (Ellipsoid , Linse) , ferner der Kegel und das abgestutzte Ei. III. Das Monaxon wird vom Mantel und von zwei Polebenen begrenzt; von diesen letzteren wird auch hier die am Oralpol ge- legene oder die Peristomfläche als Basis, die am Aboraipol gelegene od'er die Antistomfläche als abgestutzte Spitze (Apex) oder genauer als Apicalebene bezeichnet. Es gehört hierher vor Allem der Cy- linder, dann diejenigen Formen, welche aus den Monaxonformen der zweiten Gruppe durch Abstumpfung entstehen (dadurch, dass durch den Apex eine der Basis parallele Ebene gelegt wird), also der Kegel- stumpf (abgestumpfte, abgestutzte oder abgekürzte Kegel), das an bei- den Polen abgestumpfte Sphaeroid etc. Die organisirten Formen, welche zur Monaxonform gerechnet werden müssen, sind im Thier-, Protisten- und Pflanzenreiche^ weit ver- breitet als sphäroide (ellipsoide und linsenförmige), eiförmige, halb- kugelige, kegelförmige und doppelkegelförmige, ferner als abgestumpft kegelförmige und cylindrische Gestalten. Doch gehört die grosse Mehrzahl der so gebildeten Formen nicht zu den selbstständigen Bion- ten, sondern zu morphologischen Individuen niederer Ordnungen, welche einem Bion untergeordnet sind. Bei den höheren Thieren und Pflanzen, deren Bionten den Rang von Personen oder Stöcken haben, sind es vor/.ugsweisc Piastiden (Cytoden und Zellen) und demnächst Organe, welche das Monaxon zur Grundform haben. Niemals sind Antimeren aus der Monaxon-Form gebildet, verhältnissmässig selten nur Metameren und Personen. Dagegen giebt es viele Stöcke (z. B. Bäume und Corallenstöcke, welche sehr deutlich diese Grundform zei- 422 System der organischen Grundformen. gen. Als Grundform selbstständiger Bionten erscheint das Monaxon in den letztgenannten Fällen, eben so aber auch bei niederen Form -In- dividuen in einzelnen Klassen sehr häufig, so namentlich unter den Khizopoden, insbesondere kalkschaligen Monothalamien und Polytha- lamien und kieselschaligen Radiolarien (Cyrtiden, Disciden, Ommatiden) und bei vielen niederen Pflanzen (Algen und Pilzen). Wenn wir bei der Eintheilung der Monaxonien zunächst von dem schon erörterten dreifachen Verhältnisse der Oberflächen-Begrenzung absehen und uns in erster Linie wieder an die Axen und ihre Pole wen- den, so tritt uns als das einfachste und naturgemässeste Eintheilungs- Princip die Gleichheit oder Verschiedenheit der beiden Pole der Haupt- axen entgegen. Bei den Gleichpoligen oder Einfachpoligen (Mona- xonia haplopola) sind die beiden Pole der Hauptaxe und die ihnen entsprechenden Polflächen gleich, bei den Ungleichpoligen oder Zwei- «achpohgen (Monaxonia diplopola) verschieden. Zu den ersteren gehören die Sphaeroidformen (Ellipsoid, Linse), der Doppelkegel und der Cylinder, zu den letzteren die Hemisphaeroidformen und überhaupt die abgestutzten Sphaeroidformen, ferner der Kegel und das Ei. Von Wichtigkeit ist flir die Beti-achtung der Monaxonien diejenige Quer- ebene, welche durch den Halbirungspunkt der Hauptaxe geht, und welche wir allgemein als Aequatorialebene (Planum aequatoriale) bezeichnen; die Queraxen, welche in der Aequatorialebene liegen, heissen Aequatorialaxen. Durch die Aequatorialebene wird der Körper der haplopolen Monaxonien in 2 congruente, deijenige der diplopolen dagegen in 2 ungleiche Stücke zerlegt. Die einfachste stereometrische Grundform der Haplopolen ist der Cylinder, die- jenige der Diplopolen der Kegel. Erste Familie der Monaxonien. Gleichpolig^e Eiiiaxige. Haplopola. Stereometrische Grundformen: Sphaeroid, Doppelkegel, Cylinder. Die Formengruppe der gleichpoligen Einaxigen, oder der Haplo- polen, wie wir sie kurz nennen wollen, deren Körper dm-ch die Aequatorialebene und ebenso durch jede Meridianebene in 2 con- gruente Hälften getheilt wird, ist nur selten zu der Bildung von mor- phologischen Individuen höherer, sehr häufig dagegen zur Bildung von Individuen niederer Ordnung (Piastiden und Organen verschiedener Stufen) verwendet. Als untergeordnete Modificationen dieser Grund- form können wir 2 Formengruppen unterscheiden, je nachdem die Oberfläche des Körpers bloss von einer gekrümmten Fläche (Mantel) oder zugleich von 2 gleichen Ebenen (Grundflächen) begrenzt wird. Formen mit nur einer Ebene als Grenzfläche können hier nicht vor- Gleichpolige einaxige Grundformen. Haplopola. 423 ikommen, da hierdurch allein schon die Verschiedenheit der beiden Pole bedingt ist; diese gehören alle zu den Diplopolen. Die Haplo- mol-Formen ohne ebene Grenzfläche (Anepipeda) werden durch die .verschiedenen Arten des Sphaeroids (Ellipsoid, Linse etc.) und durch ,den basalen Doppelkegel vertreten. Die Homopolformen mit 2 ebenen • Grenzflächen ( Amphepipeda) werden durch den graden Cylinder lund die davon abgeleiteten Formen, den apicalen Doppelkegel u. s.w. repräsentirt. Erste Unterfamilie der haplopolen Monaxonien: Gleichpolige Einaxige ohne Grenzebene. Haplopola anepipeda. Stereometrische Grundform: Sphaeroid. Realer Typus: Coccodiscus. Die anepipeden Haplopolen treten in 2 verschiedenen Hauptformen auf, nämlich in der einfacheren Form des basalen geraden Doppel- kegels und in der complicirteren Form des Sphaeroids. Unter gera- dem basalemDoppelkegel verstehen wir diejenige stereometrische Form, welche aus 2 congruenten mit ihrer Basis vereinigten geraden Kegeln zusammengesetzt ist. Jede Meridianebene dieses Körpers ist ein Rhombus. Von der Grundform des basalen geraden Doppelkegels können, wie von der des einfachen geraden Kegels, 3 verschiedene Arten unterschieden werden, je nachdem die Hauptaxe eben so lang, länger oder kürzer, als die Aequatorialaxe ist. Bei den rechtwin- keligen geraden basalen Doppelkegeln ist die Hauptaxe ebenso lang, bei den spitzwinkeligen länger und bei den stumpfwinkeligen kürzer als die Aequatorialaxe. Daher ist beim Diploconus rectus ba- salis orthogonius jede Meridianebene ein Quadrat, beim oxygonius ein Rhombus mit spitzen, und beim amblygonius ein Rhombus mit stumpfen Apicalwinkeln oder Polarwinkeln. Die Grundform des geraden basalen Doppelkegels findet sich nur selten in organischen Formen realisirt vor, und tritt selbst bei den Form -Individuen niederster Ordnungen (Piastiden und Organen) nur in wenigen Fällen deutlich erkennbar hervor. Um so häufiger findet sich die andere Hauptform der anepipeden Homopolen, das Sphaeroid, im Organismus verkörpert. Die Sphaeroid -Form gehört zu den ein- fachsten organischen Grundformen und ist am nächsten der Homaxon- form der Kugel verwandt, aus der wir sie dadurch ableiten, dass wir eine einzige Axe der Kugel sich nach beiden Polen hin gleichmässig verlängern oder verkürzen lassen, so dass beide Pole dieser Hauptaxe gleich weit vom Mittelpunkt entfernt bleiben, und dass die Aequatonal- ebene den ganzen Körper in zwei congruente Hemisphaeroide 424 System der organischen Grundformen. theilt Wenn die Hauptaxe des Sphaeroids länger ist als die Aequa- tonalaxe so nennen wir dasselbe Ellipsoid, wenn sie kürzer ist Linse. Wenn der abgerundete Aequatorialrand der Linse sich zu- schärft, so wird dadurch der Uebergang zur Form des basalen gra- den Doppelkegels bedingt. Die Meridianebene des Sphäroids ist eine Ellipse. _ Die Verwendung der Sphaeroidform zur Bildung von morpho- logischen Individuen erster und zweiter Ordnung, Piastiden und Or- ganen, ist so allgemein verbreitet und mannichfaltig, dass es nicht nothig ist, besondere Beispiele anzuftihren. Auch die virtuellen Bion- ten höherer Organismen, z. B. die Jugendzustände der Personen, tre- ten häufig als ellipsoide oder linsenförmige Embryonen auf. Selten dagegen ist die reiue Sphaeroidform in erwachsenen Individuen (actuellen ßionten) verkörpert, am meisten wiederum bei den Eadio- larien, und namentlich unter den Ommatiden, Disciden und Sponguri- den; so als Ellipsoid z. B. bei Haliomma omtum, bei Haliommaiidium Müllen und H. fenestralum (wenn man von den 20 radialen Stacheln absieht), ferner in Perichlamydlum, Chilomma Saturnus (?), Coccodis- cus Darwinii (Rad. Taf XXVIII. Fig. H.) Zweite Unterfamilie der haplopolen Monaxonien. Gleichpolige £iiia\lge mit zwei Gieiizebeiieii. llaplopoia aiiiphepipeda. Stereometrische Grundform: Cylinder. Realer Typus: Pyrosoma. Die gleichpoligen Einaxigen mit zwei Grenzebenen sind entweder in der einfachen stereometrischen Grundform des geraden Cylinders oder in complicirteren , durch gleichpolige Modification des Cylinders entstehenden Formen verkörpert. Der gerade Cylinder der Geometrie, dessen Meridianebene ein Rechteck ist, und dessen Axe (Hauptaxe) senkrecht im Mittelpunkt der beiden congruenten und parallelen kreisrunden Grundflächen steht, ist äusserst häufig in ganz reiner Form im Organismus realisii't, selten allerdings als das materielle Substrat von actuellen Bionten, um so häufiger dagegen von Individuen niederer Kategorieen, welche ein höheres actuelles Bion zusammensetzen, besonders Piastiden und Or- ganen. Unter den Cytoden und Zellen finden wir die reine Cylinder- form bei sehr vielen langgestreckten Protisten (Diatomeen), einzelligen Algen und den einzelnen Fadenzellen der Nematophyten; ebenso auch vielfältig im Parenchym höherer Organismen. Unter den Zellfusionen ist die Cylinderform besonders häufig, so bei den Nervenprimitivröhren und Capillarröhren der Thiere, den Spiralgefässen der Pflanzen. Von Gleichpolige einaxige Grundformen. Haplopola. 425 den Organen sind es besonders die einfachen, selten die zusammenge- setzten Organe (z. B. Tentakeln und Extremitäten), die mehr oder minder rein die Cylinderform zeigen. Auch bei höheren Thieren er- scheint bisweilen der gesammte Körper, genauer ausgedrückt, die Hautbedeckung, cylindrisch geformt, so z. B. unter vielen Tunicateu (Salpen und am reinsten in Doliolum), in den Doliolum ähnlichen Ge- häusen der Phronima etc. Ferner sind ganze Colonieen bisweilen mehr oder minder cylindrisch, z. B. von einigen Pyrosomen. Sehr allgemein ist der reine Cyliuder die Grundform der Metameren, z. B. bei den Stengelgliedern der Phanerogamen und Anthozoen. Unter den Ehizopoden findet sich auch die reine Cylinderform in actuellen Bion- ten nicht selten verkörpert, z. B. unter den kalkschaligen Polythalamien in vielen Soritidcn CCyclolina, Orhitulites, Sorites, -Amphisorus), unter den kieselsehaligen Eadiolarien in vielen Disciden und Sponguriden z. B. Trematodiscus, Spongodiscus, Spongocyclia cycloides etc. (Rad. Taf. XII, Fig. 14, 15; Taf. XXIX, Fig, 1—3). Will man der bequemeren Be- zeichnung halber verschiedene Arten von graden Cyliudern unter- scheiden, so wird man als Maassstab das Längen - Verhältniss der Hauptaxe zur Aequatorialaxe (die hier dem Durchmesser der Grund- flächen gleich ist) benutzen müssen und wird im Allgemeinen di*ei Arten unterscheiden können: 1. Quadratcylinder, deren Hauptaxe der Aequatorialaxe gleich und deren Meridianebene folglich ein Qua- drat ist; 2. Verlängerte Cylinder, deren Hauptaxe länger, und 3. Verkürzte Cylinder, deren Hauptaxe kürzer als die Aequatorial- axe ist. Modificirte gerade Cylinder, an denen die beiden sich polar entsprechenden Hälften in gleicher Weise verändert sind, am häufig- sten durch Krümmungen der Mantelfläche, Einschnürungen beiderseits der Aequatorialebene u. s. w. finden sich im Organismus und nament- lich unter den Individuen erster Ordnung, den Zellen, noch ungleich häufiger vor, als die geometrisch reinen geraden Cylinder, Es ge- hören dahin alle unter den anepipeden Haplopolen aufgeführten For- men, sobald man ihre beiden Spitzen (Apicalpole) durch zwei gleiche Querebenen abstumpft, die gleich weit von der Aequatorialebene ent- fernt sind. Die meisten hierher gehörigen Formen, deren Mannich- faltigkeit unendlich gross ist, dürften der genaueren geometrischen Bestimmung sehr grosse und zum Theil unüberwindliche Schwierig- keiten entgegensetzen. Als eine der einfachsten hierher gehörigen Formen, wollen wir hier nur den geraden apicalen Doppelkegel anführen, welcher sich von dem vorhin erläuterten basalen dadurch unterscheidet, dass die beiden congruenten geraden Kegel nicht mit ihrer Basis, sondern mit ihren Spitzen vereinigt sind; die Axen bei 426 System der organischen Grundformen. der Kegel liegen in einer Geraden. In fast geometrisch reiner Form ist der gerade apicale Doppelkegel in manchen Fischwirbeln, ferner im Kieselmantel von Diploconns fasces verkörpert (Rad. Taf. XX, Fig. 7). Wie verschieden auch die Ki'timmungen der Mantelflächen hei dem „modificirten geraden Cylinder" sich gestalten mögen, so stimmen doch alle hierher zu zählenden Formen darin mit dem geraden Cylinder tiberein, dass der Körper durch die Aequatorialebene in zwei con-^ gruente Hälften getheilt wird. Zweite Familie der Monaxonien. Ungleichpolige Einaxige: Diplopola. Stereometrische Gnmdfoimen: Halbhigel, Kegel, abgestumpfter Kegel. Die Formengruppe der Diplopolen oder der ungleichpoligen Eiu- axigen, deren einfachste geometrische Grundform der Kegel ist, findet sich häufiger, als diejenige der Haplopolen, zur Bildung höherer Form Individuen (Stöcke und Personen), ausserdem aber auch vor- zugsweise zur Bildung von Form -Individuen niederer Ordnung, Pla- stiden und Organen, verwendet. Da die beiden Pole der Hauptaxe hier stets verschieden sind, so wird der Körper durch die Aequato- rialebene niemals in zwei congruente Hälften getheilt, und es lassen sich die beiden Polflächen, die bei den Homopolen noch congruent waren, zum ersten Male unterscheiden: Der Mundpol ist der Mittel- punkt des Peristoms oder der Area oralis, der Gegenmundpol das Centrum des Antistoms oder der Area aboralis. Die verschiede- nen Formen der heteropolen Monaxonien lassen sich in drei Gruppen bringen, je nachdem der Körper bloss von der gekrUmmten Mantel- fläche, oder zugleich noch von einer oder von zwei ebenen Flächen (Grundflächen, Polebenen) begrenzt wird. Die einfachste Grundform der Gestalten ohne ebene Grenzfläche (Anepipeda) ist das Ei, die- jenige der Monepipeden (mit einer Polebene) der einfache gerade Kegel, diejenige der Amphepipeden endlich (mit zwei Grenz- ebenen) der gerade abgestumpfte Kegel. Erste Unterfamilie der diplopolen Monaxonien. ViigleichpoligeEiiiaxige ohne Grenzebene. Diplopola anepipeda. Stereomelrische Grundform: Ei. Realer Typus. Ovulina. Der einfachste regelmässige Körper, welcher nur von einer ein- zigen gekrümmten Fläche umschlossen ist und eine einzige Axe mit zwei diflfereuten Polen besitzt, ist das Ei. Der Grad der Krümmung des Mantels kann ein höchst verschiedener sein; immer aber ist der- selbe dadurch beschränkt, dass jede Querebene des Körpers ein Kreis Ungleichpolige einaxige Grundformen. Diplopola. 427 ^bleiben muss; daher müssen auch stets alle Meridian-Ebenen des Eies congruent sein. Die Individuen niederster Ordnung, die Zellen und iCytoden, stellen so häufig die reine Eiform dar, dass wir von einer >speciellen Anführung von Beispielen absehen können. Ebenso sind jauch Organe und Colonieen sehr häufig eiförmig. In actuellen Bion- tten ist die Eiform sehr häufig unter den Rhizopoden verkörpert; in (ider Klasse der kalkschaligen Acyttarien sind es die artenreichen (Gattungen Omliiia, Phialina, Amphorina unter den Monothalamien, die (Gattung Glandulina und andere Nodosariden unter den Polythalamien, welche mannichfaltige Eiformen repräsentiren; in der Klasse der kiesel- -schaligcn Radiolarien gilt dasselbe von der den letzteren entsprechenden IFamilie der Cjrtiden, namentlich den Monocyrtiden (Carpocanium etc.); iim Protoplasten - Stamme wiederholt sie sich in Difßugia proteiformis, ID. ohlonga u. A. Sehr wichtig ist die Eiform ferner als die Promorphe Nsehr vieler Pflanzenstöcke, aller derjenigen nämlich, bei welchen die 2Zweige eines stai'ken Hauptsprosses so ungleichmässig um denselben therumstehen, dass daraus keine Pyramidenform sich ableiten lässt. )Mau kann sich die Eiform dadurch entstanden denken, dass auf beiden bäeiten einer Kreisebene (Aequatorialebene) unendlich viele Kreisebenen, welche der ersteren concentrisch und parallel, aber von ungleicher (Grösse sind, über einander gelegt werden. Die Linie, welche die ^äämmtlichen Mittelpunkte verbindet, giebt die Hauptaxe, deren beide IPole gleich weit von der Aequatorialebene entfernt sind. Bei der rreinen regulären Eifom nimmt der Durchmesser (die Queraxe) der ^äinzelnen parallelen Kreisebenen nach jedem der beiden Pole hin billmählig ab und wird in demselben gleich Null. Die Abnahme des tDurchmessers ist aber nach den verschiedenen Polen hin verschieden und wächst in verschiedenem Grade beiderseits einer Querebene, welche Her Aequatorialebene parallel auf einer Seite derselben liegt. Die abgeleiteten Eiformen oder die M o dific ationen der Eiform, i'ivelche in den Organismen ebenfalls sehr häufig verkörpert sind, unter- !3cheiden sich von der reinen geometrischen Eiform dadurch, dass die Abnahme des Durchmessers der parallelen Kreisebenen nach jedem Pole hin nicht gleichmässig, sondern ungleichmässig erfolgt. Es tiönnen daher hier auf der äusseren Oberfläche des Eies abwechselnde nugförmige Einschnürungen und Wülste aultreten. Will man verschiedene Arten der Eiform unterscheiden, so wird man als drei Hauptgruppen von Eiern aufstellen können: 1) Sphae- '•oide Eier, deren Hauptaxe gleich der Aequatorialaxe ist; 2) Ver- iängerte Eier, deren Hauptaxe länger, und -j) Verkürzte Eier, 'leren Hauptaxe kürzer, als die Aequatorialaxe ist. Alle drei Eiformen tommen in Piastiden und Organen sehr häufig vor, am häufigsten !iber das verlängerte Ei. 428 System der orgauischen Grundformen. Zweite Unterfamilie der diplopolen Monaxonien: Uiigleichpolige Eiiiaxige mit einer Grenzebeue. Diplopola iiioiiepipeda. Stereometrische Grundform : Kegel, Halbkugel. Realer Typus: Conulina. Eine derjenigen Grundformen, welche am häufigsten zur Bildung von Piastiden und Organen, aber auch von Stöcken verwendet wird, ist diejenige reguläre Diplopolen -Form, deren Oberfläche von einer gekrümmten und von einer ebenen Fläche begrenzt wird. Als ein- fachste geometrische Form dieser Gruppe kann man entweder den geraden Kegel oder die Halbkugel bezeichnen. Bei beiden ist die Ebene, welche dem Mundpol entspricht, und welche wir daher Area oralis nennen, ein Kreis. Die Meridianebene des geraden Kegels ist das gleichsch enkelige Dreieck, diejenige der Halbkugel der Halbkreis. Der gerade Kegel (Conus) ist als Grundform von Piastiden und Organen äusserst häufig. Auch echte Stöcke zeigen die Kegel- form oft mehr oder minder rein, wie dieselbe z. B. in einem sehr grossen Theil der phanerogamen Pflanzenstöcke (sehr rein in vielen Coniferen) nicht zu verkennen ist. Im letzteren Falle ist die Kegel- form das materielle Substrat des actuellen Bion, ebenso auch bei vielen Rhizopoden, namentlich bei den Nodosaiiden (Conulina u. m. a.) unter den Polythalamien, bei den Cyrtiden (Cornutella, Eucecryphalus u. A.) unter den Radiolarien. Die äussere Körperform, bedingt durch die Bildung des Mantels (der Hautdecke), spiegelt die gerade Kegel- form auch da sehr häufig vor (z. B. bei vielen Coelenteraten und Echinodermeu), wo durch die innere Zusammensetzung des Körpers (aus einer bestimmten Zahl congruenter Antimeren) die homostaure Stauraxouform (reguläre Pyramide) angezeigt wird. Alle verschiedenen Formen, die in die Gruppe des geraden Kegels gehören, lassen sich auf eine der drei Arten des geraden Kegels zurückführen, die auch in der Geometrie nach dem Längenverhältniss der Höhe des Kegels zum Durchmesser der Grundfläche bestimmt werden. Diese drei Arten sind: 1. der rechtwinkelige gerade Kegel (Conus orthogonius), dessen Axe (Hauptaxe) gleich dem Durch- messer der Grundfläche (Area oralis) ist; H. der spitzwinkelige (Conus oxygonius), dessen Axe länger, und UI. der stumpfwinkelige gerade Kegel (Conus amblygonius), dessen Axe kürzer als der Durch- messer der Grundfläche ist. Die Halbkugel (Hemisphaera) ist weniger häufig als der Kegel in rein geometrischer Form verkörpert. Um so häufiger ist die Ungleichpolige einaxige Grundformen. Diplopola. 429 ir'orm des Hemisphaeroids, wenn wir darunter einestheils alle ]-Kugelsegraente verstehen, die kleiner oder grösser als eine Halbkugel ssind, andererseits alle Formen, welche wir aus dem Sphaeroid (Ellip- ssoid, Linse) oder aus dem Ei dadurch erhalten, dass wir dasselbe »-durch eine Querebene (eine der Aequatorialebene parallele Ebene) >schneiden. Die äussere Gestalt des Mantels der meisten Hydromedusen rund Ctenophoren (abgesehen von der pyramidalen Grundform, die ideni ganzen Bion vermöge seiner radialen Zusammensetzung aus An- ttimeren zukommt) dürfte auf solche höchst mannichfaltige Hemisphae- rroid-Bildungen, zum Theil auch auf reine Hemisphären, zurückzuführen tsein. Wenn man verschiedene Arten des Hemisphaeroids (den Aus- idruck im allgemeinsten Sinne genommen) unterscheiden will, so (dürften folgende aufzuführen sein: 1) das hohe Kugelsegment (grösser sals die Halbkugel); 2) das flache Kugelsegment (kleiner als die Halb- kugel); 3) das Hemiellipsoid (das Ellipsoid halbirt); 4) das abge- >stimipfte Ellipsoid (das Ellipsoid durch eine der Aequatorialebene iparallele Ebene (Querebene) geschnitten); 5) die halbe Linse (Hemi- iphacoid); 6) die abgestumpfte Linse (die Linse durch eine Querebene igeschnitteu, welche der Aequatorialebene parallel läuft); 7) das Halbei (oder Hemiooid (das Ei durch die Aequatorialebene halbirt); 8) das aabgestumpfte Ei (das Ei durch eine Querebeue geschnitten, welche ider Aequatorialebene parallel läuft). Dritte Unterfamilie der diplopolen Monaxonlen. Uugleichpolige Einaxige mit zwei Orenzebenen. Diplopola aiuphepipeda. Stereometrische Grundform: Kegelslumpf. Realer Typus: Nodosaria. Die am höchsten differenzirte Monaxonform wird von denjenigen Iheteropolen Monaxonien dargestellt, die ausser der gekrümmten Fläche ((Mantel) von zwei verschiedenen ebenen Flächen (Grundflächen) um- B3chlossen sind. Die einfachste geometrische Grundform dieser amphe- ipipeden Diplopolen ist der gerade Kegelstumpf oder der abge- 'Stumpfte gerade Kegel, also ein gerader Kegel, dessen Spitze durch leine der Grundfläche (Area oralis) parallele Ebene (Area aboralis) ^abgeschnitten ist. Die Schuittebene oder Antistomfläche ist bei den imeisten hierher gehörigen Formen ein kleinerer Ki'eis, als die ihr iparallele Basalebene oder Peristomfläche. Ausser dem geraden abgestumpiten Kegel und den Formen, ^welche man durch Vertiefung oder Hervorwölbung seiner Mantelfläche lidavon ableiten kann, sind hierher auch diejenigen doppelt abge- 430 System der organischen Grundformen. stumpften Sphaeroidformen zu rechnen, welche man dadurch erhält, dass man die verschiedenen Modificationen des Sphaeroids (Ellipsoid, Phacoid), ebenso auch das Ei gegen beide Pole hin durch zwei Ebenen schneidet (abstumpft), welche ungleichen Abstand von der ihnen parallelen Aeqüatorialebene haben. Auch diese Formen sind ebenso wie der gerade Kegelstumpf in den Gestalten der Form- Individuen erster, zweiter und sechster Ordnung, bei den Piastiden, Organen und Stöcken (namentlich Anthozoen- Stöcken und Pflanzen- Stöcken) sehr häufig nachzuweisen. Wie bei den letzteren, so bilden sie die Grundform von actuellen Bionten auch einigen Arten von Nodosaria und Difflugia, vielen Flagellaten und anderen Protisten. Eine nähere Betrachtung ihrer unendlich vielen Modificationen hat kein besonderes Interesse. Zweite Unterordaung der Protaxonien: KriMizaxi^e. Stauraxuiiin. Stereomelrisdn; G rund formen : Doppoliiyruinidcn oder Pyramiden. (Protaxonien mit Kreuzaxen.) Die kreuzaxigen Grundfonnen oder Stauraxonien, welche die andere Hauptabtheilung der Protaxonien bilden, sind ungleich wich- tiger und interessanter als die Monaxonien, schon durch die unend- liche Mannichfaltigkeit verschiedener Formen, welche den verschiede- nen Differenzirungsmöglichkeiten bestimmter Kreuzaxen ihren Ursprung verdanken. Der Gestalten-Reichtbum aller bisher untersuchten Grund- formen ist unbedeutend gegenüber den ausserordentlich mannicbfaltigen Thier- und Pflanzen-Formen, die der Stauraxonien-Gruppe angehören. Mit der zunehmenden Möglichkeit der Formbeugung in den verschie- densten Richtungen wächst freilich auch die Schwierigkeit der Er- kenntniss ihrer Grundform, woraus sich erklärt, dass bisher die geo- metrische Grundform, welche allen Stauraxonien zu Grunde liegt, nicht erkannt worden ist. Die Stauraxonien unterscheiden sich von den Monaxonien, wie wir schon oben bei der allgemeinen Characteristik der Protaxonien und ihrer beiden Hauptabtheilungen erörtert haben, vor Allem da- durch, dass neben der Hauptaxe, welche Beiden gemeinsam ist, aucli noch andere bestimmt differenzirte Körperaxen hervortreten, welche auf der ersteren senkrecht stehen und welche verschieden sind von den zwischen ihnen in derselben Querebene liegenden indifi'erenten Axen (Queraxen). Die Zahl dieser differenten Axen, welche wir Kreuzaxen (Stauri) genannt haben, ist stets gleich der Zahl der Pararaeren oder der Antimeren, die hier ein beschränktes Kreuzaxige Grundformen. Stauraxonia. 431 Maass hat, während sie bei den Monaxonien = oo war. Es ist oben auch bereits nachgewiesen worden, warum dieser Satz allgemeine Gültigkeit hat, obwohl die Kreuzaxen und die durch sie gelegten Meridian -Ebenen (Kreuzebenen) von zweierlei - oder eigentlich von dreierlei Art sind, je nachdem die Antim&renzahl gerade oder unge- rade ist. Bei der grossen Wichtigkeit, welche dieses bisher noch nicht beachtete Verhältniss tlir das Verständniss der Stauraxonform hat, müssen wir dasselbe ausführlich begründen. Wir halten uns dabei ausschliesslich an die Antimeren, welche als morphologische Individuen dritter Ordnung die Metameren und Personen zusammen- setzen. Dasselbe, was von den Antimeren, gilt aber auch von den Parameren, welche eine entsprechende Rolle bei den Form-Individuen zweiter und erster Ordnung (Organen und Piastiden) spielen. Die Kreuzaxen der Stauraxonien liegen entweder erstens in der Medianebene eines Antimeres (einer halben Kadialebene), oder zwei- tens in der Grenzebene zwischen zwei benachbarten Antimeren (einer halben Interradialebene), oder endlich drittens, halb in einer radialen, halb in einer interradialen Kreuzebene. Um das Verhältniss der Kreuzaxen zu den Antimeren näher zu bestimmen, ist es nöthig, die in sehr verschiedenem Sinn gebrauchten Begriffe des Radius und Interradius iestzustellen. (Vergl. Taf. I nebst Erklärung). Strahl (Radius) nennen wir diejenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Medianebene eines Antimeres liegt; Zwischenstrahl (Interradius) dagegen diejenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Grenzebene zweier Antimeren liegt. In jedem einzelnen Falle construirt man den Radius des Antimeres einfach dadurch, dass man in der Medianebene des Antimeres (in der Meridianebene, die man durch die Mittellinie des Antimeres und durch die Hauptaxe des Me- tameres oder der Person gelegt hat) ein Perpendikel auf dem Hal- birungspunkte der Hauptaxe errichtet, den Interradius dagegen da- durch, dass man auf demselben Punkte ein Perpendikel in der Grenzebene je zweier Antimeren errichtet. Die Medianebene jedes Antimeres ist daher die Hällte einer radialen, die Grenzebene zweier Antimeren dagegen die Hälfte einer interradialen Meridianebene, Es können nun die Kreuzaxen (Stauri) und die durch sie gelegten Meridianebenen, die wir Kreuzebenen (Plana cruciata 8. staurota) genannt haben, von dreierlei Art sein : I. die strahlige Kreuzaxe (Staurus radialis) oder die Strahlaxe ist aus zwei diametral gegenüberliegenden Radien gebildet; II. die zwischen - strahlige Kreuzaxe (Staurus interr adialis j oder die Zwischenstrahlaxe wird aus zwei diametral gegenüberliegenden Interradien gebildet; III. die halbstrahlige Kreuzaxe (Staurus semiradialis) oder die Halbstrahlaxe ist aus einem Radius und 432 System der organischen Grundformen. einem diametral gegenüberliegenden Interradius zusammengesetzt. Diesen drei Formen der Kreuzaxen entsprechend können wir auch die drei Arten von Kreuzebenen (Meridianebenen, die durch die Kreuzaxen gelegt werden können) unterscheiden: 1) die Strahlebene (strahlige oder radiale Kre'uzebeue), Planum radiale, ist aus den Medianebenen zweier diametral gegenüberliegender Antimeren zu- sammengesetzt; 2) die Z wischenstrahlebene (zwischenstrahlige oder interradiale Kreuzebene), Planum interradiale, besteht aus den diametral entgegengesetzten Grenzebenen zweier Antimeren-Paare ; 3) die Halbstrahl eb eue (halbstrahlige oder semiradiale Kreuz- ebene), Planum semiradiale, ist aus der Medianebene eines An- timeres und aus der diametral gegenüberliegenden Grenzebene eines Antimeren -Paares zusammengesetzt. (Vergl. Taf. I nebst Erklärung). Wenn wir diese wesentlichen Unterschiede der drei Arten von Kreuzaxen und der ihnen entsprechenden drei Arten von Kreuz- ebenen festhalten und nun die Zahl derselben mit der Zahl der Anti- meren vergleichen, so ergiebt sich ohne Weiteres in allen Fällen das allgemeine Gesetz: die Zahl der Antimeren (oder die homo- typische Grundzahl) ist gleich der Zahl der Kreuzaxen (oder der Kreuzebenen), gleichviel ob diese Zahl gerade (2n) oder ungerade (2n — 1) ist. Wenn die Antimeren-Zahl gerade ist (=2n), wie bei den meisten Coelenteraten , so sind die Kreuzaxen von zweierlei Art, und es ist die Hälfte der Kreuzaxen (und Kreuzebenen) radial, die Hälfte interradial, so dass strahlige und zwischenstrahlige alterniren. So sind z. B. bei den Carmariniden (den sechsstrahligen Geryoniden) drei radiale Kreuzebenen vorhanden, in denen die sechs Radialcanäle und die sechs radialen ßandbläschen liegen, und drei in- terradiale Kreuzebenen, in denen die sechs interradialen Randbläscheu und Mantelspangen liegen; zusammen also sechs Kreuzebeuen, gleich der Antimeren-Zahl. (Taf. I, Fig. 1). Ebenso finden wu- bei den hexactinoten Anthozoen drei radiale Kreuzebenen, in denen die sechs primären Fächer der perigastrischen Höhle, und drei iuter- radiale, in denen die sechs primären Septa der Leibeswand liegen,, die jene trennen. Wenn die homotypisehe Grundzahl dagegen unge- rade (2n — 1) ist, wie bei den meisten Echinodermen , so sind alle Kreuzebenen von einerlei Art, nämlich semiradial, und es ist die Hälfte je- der Kreuzaxe ein Radius, die Hälfte ein Interradius (Taf. I, Fig. 6). So sind z, B. bei allen Seesternen mit fünf Antimeren fünf Kreuz- ebenen vorhanden, deren jede zur Hälfte aus der Mediauebene eines Armes, zur Hälfte aus der Grenzebene zweier Arme gebildet wird. Als Zusatz müssen wir diesem wichtigen Gesetze hinzufügen, dass bei einem sehr kleinen Thcile der Stauraxonien , und zwar nur bei einem kleinen Theile der Centrepipeden oder der allopolen Hetero- Kreuzasige Grundformen. Stauraxonia. 433 «stauren, namentlich bei einem Theile der Pentamphipleuren (z. B. den lürregulären Echinodermeu (Spatangiden etc.) eine scheinbare Aus- imahme darin besteht, dass, streng genommen, die Zahl der Kreuz- :3benen doppelt so gross wird, als die Zahl der Antimeren, indem die [Radien nicht genan diametral den Interradien gegenüberstehen, son- lidern einen stumpfen Winkel mit ihnen bilden. Indessen scheint es ppassender, diese an sich unbedeutende Abweichung dadurch auszu- drücken, dass man sagt, es seien die Kreuzebenen in diesem Falle BUS zwei unter einem stumpfen Winkel zusammenstossenden Hälften zmsammeugesetzt, oder sie seien in einem Winkel geknickt. Für die aillgemeine Morphologie der Stauraxonien ist diese unbedeutende Aus- DQahme von keinem Werthe. Bei der Eintheilung der Stauraxonien in untergeordnete Formen- gjruppen muss die Gleichheit oder Verschiedenheit der Kreuzaxen und ilhrer Pole, sowie weiterhin die Zahl der Kreuzaxen, als maassgebende FRichtschnur benutzt werden. Wichtiger aber noch als diese Verhält- ßiisse ist die gleiche oder ungleiche Beschaffenheit beider Pole der Hauptaxe und wir können demgemäss bei den Stauraxonien zunächst, iwie bei den Monaxonien, zwei coordinirte Hauptgruppen von Formen b)ilden, homopole mit gleichen, und heteropole mit verschiedenen Polen iimd Polflächen der Hauptaxe. Bei den homopolen Stauraxonien, welche den haplopolen Monaxonien entsprechen, sind Peristom- und Vlntistomfläche gleich , bei den heteropolen (entsprechend den diplo- nolen) ungleich. Bei den ersteren wird der Körper durch die Aequa- lorialebene (die Querebene, welche senkrecht auf der Hauptaxe durch Heren Halbirungspunkt gelegt ist) in zwei congruente Hälften getheilt; »ei den heteropolen Stauraxonien dagegen in zwei ungleiche Stücke. Wenn wir nach dieser Erörterung der allgemeinen characteristischen Liigenschafteu ' der Stauraxonien uns im Gebiete der Stereometrie nach dem einfachsten Körper umsehen, der alle diese Eigenschaften be- itzt, 80 finden wir denselben in der geraden Pyramide und zwar müssen wii- • als die geometi-ische Grundform der heteropolen "Stauraxonien die einfache gerade Pyramide, als diejenige der uomopoten die gerade Doppelpyramide bezeichnen. Wir be- gegnen also auch hier demselben allgemeinen Formgesetze, wie bei ien Monaxonien, dass die weniger differenzirten homopolen und haplo- een Formen (Doppelkegel, Sphaeroid) zusammengesetzt erscheinen aus wei congruenten und mit einer Polebene vereinigten Individuen der entsprechenden heteropolen und diplopolen Form (Kegel, Hemisphae- 'oid). Die Hauptaxe der Stauraxonien ist identisch mit derjenigen ■linie, die in der Stereometrie kurzweg als Axe der geraden Pyramide oezeichnet wird; es ist dies das Perpendikel, welches von der Spitze Ha ecke I, Generelle Morphologie. 28 434 System der organischen Grundformen. der Pyramide auf die Grriindfläche gefällt yi^ird und welches in den Mittelpunkt der Grundfläche trift't. Die Grundfläche der meisten Stauraxonien ist entweder ein reguläres oder ein amphithectes Polygon. Unter regulärem Vieleck verstehen wir, wie in der Geometrie, ein solches, dessen Seiten sämmtlich gleich sind und gleiche Winkel mit einander bilden. Amphithectes') Po- lygon nennen wir ein Vieleck mit gerader Seitenzahl, welches durch zwei auf einander senkrechte ungleiche Durchmesser, die sich gegen- seitig halbiren, in vier congruente Polygone zerlegt wird, und in wel- chem daher je vier Seiten und ebenso je vier Winkel unter einander gleich sind. Alle Diagonalen des amphithecten Polygons kreuzen sich in dem Mittelpunkte desselben; die an beiden Enden jeder Diagonale gelegenen Seiten sind paarweise gleich und parallel, daher auch die beiden Winkel, deren Scheitel durch die Diagonale verbunden werden, gleich sind. Genau betrachtet sind von den vier congruenten Poly- gonen, aus denen jedes amphithecte Polygon besteht, nur je zwei gegenüberliegende absolut congruent, dagegen je zwei benachbarte symmetrisch congruent, d. h. sie müssen umgeklappt (Rechts in Links verwandelt) werden, um sich vollständig zu decken. Die beiden ungleichen, sich gegenseitig halbirenden und rechtwinkelig gekreuzten Durchmesser des amphithecten Polygons, welche dasselbe in congruente Polygone zerlegen, bezeichnen wir aus später zu erörternden Gründen als Richtdurchmesser, oder Richtaxen (Euthyni), oder ideale Kreuz axen desselben. Diese verbinden entweder die Halbirungs- punkte zweier Gegenseiten oder als Diagonalen die Scheitel zweier Gegenwinkel. (Vgl. Taf. I, Fig. 2, Fig. 8 nebst Erklärung). Diejenigen geraden Pyramiden, deren Grundflächen amphithecte Polygone sind, nennen wir amphithecte Pyramiden. Die Betrach- tung dieser Pyramiden ist von grosser Wichtigkeit, da diese Grund- form weit verbreitet ist. Eine achtseitige amphithecte Pyramide ist z. B. die Grundform der Ctenophoren (Fig. 8), eine sechsseitige die Grundform der Madreporen (Fig. 2). Die Hauptaxe dieser Stauraxonien ist diejenige Linie, die auch in der Stereometrie kurzweg als „Axe der Pyramide" bezeichnet wird, d. h. diejenige Linie, welche die Spitze mit dem Mittelpunkt der Grundfläche verbindet. Die Spitze der Pyramide ist ihr aboraler, die Grundfläche ihr oraler Pol. Die beiden, auf ein- ander senki-echten Meridianebenen, welche sich durch die Hauptaxe ») KjUffCOrjy.Tog, von zwei Seiten her geschärft, zweischneidig. Man könnte das amphithecte Polygon auch bilateral oder symmetrisch im weitesten Sinne des Wortes nennen, wenn nicht diese Begriffe in so verschiedenem Sinne ge- braucht würden, dass sie alle Bedeutung verloren haben. Kreuzaxige Grundformen. Stanraxonia. 435 Her amphithecten PjTamide und durch die beiden . Richtdurchmesser oder idealen Kreuzdurchmesser ihrer Basis legen lassen, nennen wir jiie Richtebenen (Plana euthyphora) oder idealen Kreuz- ??benen, im Gegensatze zu den realen Kreuzebenen, die durch Üie Kanten der Pyramide und durch die Hauptaxe gelegt werden uönuen. Die beiden rechtwinkelig gekreuzten Perpendikel, welche wir auf der Hauptaxe in deren Halbirungspunkten errichten können land welche in den beiden idealen Kreuzebenen der amphithecten [^Pyramide liegen, sind ihre beiden Richtaxen (Euthyni) oder i.dealeu Kreuzaxen, während die realen Kreuzaxen (oder hKreuzaxen im engeren Sinne) diejenigen im Halbirungspunkte der FBauptaxe auf derselben errichteten Perpendikel sind, die in den realen Kreuzebenen liegen und durch die Kanten der Pyramide gehen. Die [lirei verschiedenen, auf einander senkrechten Axen, von denen eine ^(die Hauptaxe) ungleichpolig, jede der beiden anderen (der idealen ^Kreuzaxen) gleichpolig ist, sind die drei Axen, welche den Character liier amphithecten Pyramide bestimmen. Dieselben entsprechen den ilirei Dimensionen des Raumes, und zwar betrachten wir die Hauptaxe e3in für allemal als Längsaxe, ihren Apicalpol als aboralen, ihren JBasalpol als oralen Pol, während wii- die beiden idealen Kreuzaxen tiils Dickenaxe (Dorsoventralaxe) und Breitenaxe (Lateralaxe) unter- l?cheiden. Durch die beiden idealen Kreuzebenen wird die amphithecte ^Pyramide in vier gleiche rechtwinkelige Pyramiden zerlegt, von denen h-e zwei gegenüberliegende congruent, je zwei benachbarte symmeti'isch l^leich sind (Vergl. Taf. I, Fig. 2, Fig. 8). Die reguläre Pyramide, die einem Theile der Slauraxonien ;!U Grunde liegt, ist, wie die Geometrie erklärt, eine Pyramide, deren 'Grundfläche ein reguläres Vieleck und deren Seitenflächen sämmtlich r^leichschenkelige und congruente Dreiecke sind. Die reguläre Py- •amide mit gerader Seitenzahl kann als eine amphithecte Pyramide Deti-achtet werden, deren beide ideale Kreuzaxen gleich geworden 5tauraxonien; die letztere können wir in allen Fällen betrachten als •3in Aggregat von zwei congruenten und mit ihren Grundflächen ver- iinigten geraden Pyramiden. Sowohl unter den einfachen (heteropolen) Iiis unter den doppelten (homopolen) geraden Pyrauiideu giebt es i-eguläre und amphithecte Formen, die ersteren mit gleichen, die •letzteren mit ungleichen idealen Kreuzaxen. 28* 436 System der organischen Grundformen. Erste Familie der Stauraxonieu : Gleichpolige Kreuzaxige. Iloiiiopola. Stereometrische Grundform: Doppelpyramide. Die gleichpoligen Kreuzaxigen bilden nur eine kleine Formengruppe gegenüber ■ der grossen Mehrzahl der heteropolen Stauraxouien, Es gehört hierher eine ziemlich grosse Anzahl von Protisten, insbesondere Diatomeen und Radiolarieu (viele Acanthometriden, Ommatiden und Disciden), die wegen der geometrisch reinen Ausprägung der Grund form und wegen ihrer Uebereinstimmung mit gewissen Krystallformen von besonderem Interesse sind. Die Grundform ist eine gerade, ent- weder reguläre oder amphitliecte Doppelpyramide, von sehr verschie- dener Seitenzahl. Demgemäss ist auch die Zahl der Antimeren sehr verschieden. Wenn diese Zahl Vier ist, so ist die Grundform ein Octaeder. Die Hauptaxe, deren beide Pole und Polarflächen stets gleich sind, ist bald grösser, bald kleiner als die Kreuzaxen. Die homopolen Stauraxonien zerfallen in zw^ei Gruppen, Isostaura und Allostaura, je nachdem die beiden idealen Kreuzaxen gleich oder ungleich sind. Die Grundform der Isostaufen (mit gleichen idealen Kreuzaxen) ist die reguläre Doppelpyramide, die Grundform der Allo- stauren dagegen (mit ungleichen idealen Kreuzaxen) die amphithecte Doppelpyramide. Die gemeinsame Grundfläche der beiden vereinigteu congruenten Pyramiden, aus denen der Körper der homopolen Staur- axonien zusammengesetzt wird, ist bei den ersteren ein reguläres, bei den letzteren ein araphithectes Polygon. Wenn wir von den realen Kreuzaxen und ' der ihnen entsprechen- den Antimeren -Zahl der homopolen Stauraxonien absehen und bloss ihre idealen Kreuzaxen ins Auge fassen, so werden wir überrascht durch die Uebereinstimmung ihrer Grundform mit derjenigen von ge- wissen Krystallen. Wir brauchen bloss die Pole der Hauptaxe und der beiden idealen Kreuzaxen durch Linien zu verbinden und durch je zwei benachbarte Verbindungslinien eine Fläche yai legen, um die Krystallform des Octaeders zu erhalten, welche durch drei auf ein- ander senkrechte und sich halbirende gleichpolige Axen bestimmt wird. Wenn alle drei Axen verschieden sind, wie bei den Allostauren, so ist die Aequatorialebene eiu Khombus und die Grundform das Rhomben-Octaeder des rhombischen Krystallsystems. Wenn die beiden idealen Kreuzaxen gleich sind, und bloss die Hauptaxe verschieden, wie bei den Isostauren, so ist die Aequatorialebene ein Quadrat und die Grundform das Quadrat-Octaeder des tetragonalen Krystallsystems. Wenn endlich alle drei Axen gleich sind, so ist die Grundform das reguläre Octaeder des tesseralen Systems; diese Form gehört aber Diplopyramidale Grundformen. Homopola. 437 Licht mehr hierher, da die Hauptaxe hier nicht differenzirt ist; wir haaben sie daher oben bei den rliythmischen Polyaxonien betrachtet; ?3ie soll hier nur nochmals erwähnt werden, um die nahe Berührung [iüeser verschiedenen Grundformen in ihren extremsten Ausläufern, iLiem absolut regulären Polyaxon und dem beinahe absolut regulären t^tauraxon, zu zeigen. Das Quadrat-Octaeder der homopolen Staur- mxouform könnten wir aus dem regulären Octaeder der rhythmischen fPolyaxonform ganz einfach dadurch entstehen lassen, dass wir eine liier drei gleichen Axen des letzteren nach beideu Polen hin gleich- iimässig ein wenig verlängern und dadurch zur Hauptaxe erheben. Wie wir bei den genannten Krystallsystemen ebensowohl wie ilias Octaeder, auch die gerade prismatische Säule als Grundform an- sehen dürfen, so kann dies auch bei den ihnen entsprechenden homo- polen Stauraxonformen geschehen. Es würde dann die Grundform der Isostauren, welche dem Teti-agonalsystem entspricht, die quadra- tdsche Säule sein, ein rechtwinkeliges Parallel-Epipedum mit quadra- tischer Basis. Die Grundform der Allostauren, welche dem rhombischen System entspricht, würde die rhombische Säule sein, ein gerades iParallel-Epipedum mit rhombischer Basis. In der That finden wir jiuch diese beiden prismatischen Formen in gewissen Radiolarien ivollkommen rein verkörpert. Während die heteropolen Stauraxonien bisher fast allein Object OTomorphologischer Beti'achtungen gewesen sind, 'hat man die homo- vpolen noch fast gar nicht berücksichtigt; und doch gehören sie aus lien angeführten Gründen zweifelsohne zu den merkwürdigsten und lehrreichsten organischen Grundformen. Erste Unterfamilie der homopolen Stauraxonien: Gleichpolige Gleichkreuzaxige. Isostaura. Stereometrisclie Grundform: Reguläre Doppelpyramide. Die homopolen Stauraxonien mit gleichen Kreuzaxen oder Iso- Btauren haben zur Grundform die reguläre Doppelpyramide, oder wenn man bloss die beiden idealen Kreuzaxen berücksichtigt Liund von den realen absieht, das Quadrat-Octaeder. Es entspricht ialso diese Formengruppe im Ganzen den Krystallformen des tetragonalen oder quadratischen Kry stallsystems, in wel- chem unter Anderen Zinnerz, Rutil, Blutlaugensalz, schwefelsaures ^Nickeloxyd u. s. w. krystallisiren. Wir können die Isostauren naturgemäss in zwei Gruppen bringen; •ie nachdem die homotypische Grundzahl Vier oder eine andere Zahl Hst. Bei den octopleuren Isostau ren oder den achtseitigen regu- 438 System der organischen Grundformen. lären Doppelpyramiden (mit vier Antimeren), die also das verkör- perte Quadrat -Octaeder sind, fallen die beiden gleichen radialen realen Kreuzaxen mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen und sehneiden sieh unter rechten Winkeln, wesshalb man sie auch Orth o- gonien nennen könnte. Bei den polypleuren Isostauren oder den vielseitigen regulären Doppelpyi-amiden (mit drei, fünf, sechs oder mehr Antimeren) schneiden sich die (drei, fünf, sechs oder mehr) radialen oder semiradialen realen Kreuzaxen unter spitzen Winkeln und es fällt daher wenigstens ein Theil von ihnen nicht mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen; sie könnten den Orthogonieu als Oxygonien gegenübergestellt werden. Erste Gattung der isostauren Stauraxonien : Vielseitige reguläre Doppelpyraniideu. Isostaura polypleiira. Stereometrische Grundform: Reguläre Doppdpyramide mil 6 oder S+2n Seiten. Realer Typus: Heliodiscus (Taf. ET, Fig. 23, 24). Die homopolen Stauraxonien, welche der Gruppe der polypleuren oder oxygonien Isostauren angehören, haben als Grundform eine regu- läre Doppelpyramide mit sechs, zehn, zwölf oder mehr (allgemein 8 + 2n) congruenten Seitenflächen. Die Autimeren-Zahl muss dem- nach drei, fünf, sechs oder mehr sein. Ebenso gross ist die Zahl der realen Kreuzaxen (3,5 oder 5 + n), welche entweder gar nicht oder nur zum Theil mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen- fallen und daher stets unter spitzen Winkeln sich kreuzen (Oxygonia). Es gehören hierher also alle regulären Doppelpyramiden mit Aus- schluss der achtseitigen. Ebenso gut als die reguläre Doppelpyramide könnten wir auch das reguläre Prisma als Grundform der poly- pleuren Isostauren beti-achten, also ein Prisma, dessen Seitenflächen Rechtecke und dessen Grundflächen reguläre Vielecke sind. Auch hier würde das vierseitige reguläre Prisma (die quadratische Säule), welches die Grundform der octopleuren Isostauren ist, auszuschliessen sein. Es würde also die Zahl der Seitenflächen des regulären Prisma mindestens drei, nächstdem fünf, sechs oder mehr betragen müssen. Als eine besonders merkwürdige Art der polypleuren Isostauren könnte die zwölfseitige reguläre Doppelpyramide oder das Hexago nal-Dodecaeder hervorgehoben werden, weil dieselbe zu gleich die Grundform des hexagonalen Krystallsystems ist, welches durch drei gleiche unter 60 ° sich schneidende Kreuzaxen characterisirt ist, die senkrecht auf dem Mittelpunkt der Hauptaxe stehen. Diese Form ist sehr rein in gewissen Pollen-Zellen verkörpert, z. B. von Passiflora angusüfolia, Helioiropium grandißorum etc. (Vgl. Taf. II, Fig. 23). Reguläre diplopyramidale Grundformen. Isoataura. 439 Von allen Organismen sind es wiederum vorzliglich die Radiola- rrien, dann die Diatomeen und selir viele PoUenliörner, welche die [ipolypleure Isostauren-Form rein ausgeprägt zeigen, bald als reguläre I Doppelpyramide, bald als reguläres Prisma; bald kann ebensogut die pdine als die andere Grundform daraus abgeleitet werden. Diejenigen IRadiolarien , bei denen die Doppelpyramide deutliclier hervortritt, ge- liiören meistens den Familien der Ommatiden, Disciden und Spongu- rriden an. Die radialen oder semiradialen Kreuzaxen, welche von itlem Halbirungspunkte der Hauptaxe zu den Ecken der vereinigten rregulär- polygonalen Grundflächen der beiden congruenten Pyi-amiden sgehen und die mithin in dieser Grundfläche (der Aequatorialebene) Selbst liegen, sind hier gewöhnlich in Form starker und langer radia- ller Kieselstacheln verkörpert, die sich im Centrum unter gleichen sspitzen Winkeln schneiden. Der Mittelkörper, von dessen Aequator »diese Eadien ausgehen, ist bald eine biconvexe Linse (Heliodiscus), Ibald ein verkörperter gerader Cylinder CStijlodictija, Stylospongia). lüm die reguläre DoppelpjTamide rein zu erhalten, braucht man bloss idie Spitzen der ßadialstacheln mit den beiden Polen der Hauptaxe (durch gerade Linien zu verbinden, welche den Mantel des cylindrischen loder sphaeroiden linsenförmigen Mittelkörpers berühren. Die regulären IDoppelpyramiden in der Form vieler Pollenkörner sind sehr leicht zu er- tvkennen und haben eine sehr- verschiedene Seitenzahl, z. B. 16 bei Collomia lograndiflora, 30 bei Monnina xalapensis, 32 bei Poligala chamaebuxus. Die Zahl der Stachelradien, welche die homotypische Grundzahl be- sstimmt und halb so gross ist, als die Zahl der congruenten Seitenflächen fder Doppelpyramide, scheint bei den meisten hierher gehörigen Radiolarien- ^Species constant zu sein. In der schönen Gattung Heliodiscus (zur Omma- ttiden - Familie gehörig) finden wir H. phacodiscus mit 12 Radien (Rad. 'Taf. XVII, Fig. 5—7), H. Humholdtii mit 18 Radien (Ehrenberg, Micro- igeol. Taf. XXXVI, Fig. 27); bei H. sol scheinen deren 24 und bei H. lamphidiscus 16 vorhanden zu sein. Stylospongia Huxleyi ist durch 10 Ra- .dien ausgezeichnet (Rad. Taf. XXVIII, Fig. 1). In anderen Fällen variirt 'die Antimeren-Zahl innerhalb der Speeles, oder nimmt mit dem Alter und ^Wachsthum des Thieres zu, so bei Slylodiciya miiUispina (Rad. Taf. XXIX, {Fig. 5), wo zwischen 24 und 40, gewöhnlich 28, und bei Stylodlclya aruchnia ({J. Müller, Abhandl. Taf. I, Fig. 8), wo zwischen 8 und 16, gewöhnlich 112 Radien und ebenso viele Antimeren vorhanden sind. Nächst den Radiolarien finden" wir die vielseitige reguläre Doppel- I Pyramide als Grundform vieler Diatomeen und Desmidiaceen, ferner sehr ^zahlreicher Follenitörner wieder. Unter letzteren ist besonders häufig die -sechsseitige (z. B. Pollen von Curyocur brasiliensu , Scorzonera pratensis). /Zehnseitig ist der Pollen vieler Violen, zwanzigseitig von Symphyttm. Als Radiolarien, in denen das reguläre Prisma rein verkörpert ist, ■sind hier vor Allen 3 höchst merkwürdige Formen zu nennen, und zwar 440 System der organischen Grundformen. ist bei allen drei das reguläre Prisma ein dreiseitiges, die Grundflächen also gleichseitige Dreiecke. Das zur Familie der Acanthodesmiden gehörige Prlsmu- üum tnpleurnm (Taf. II, Fig. 24) zeigt diese stereometrische Form so rein verkörpert, dass wir auf die von uns gegebene Beschreibung und Abbil- dung dieses seltsamen Protisten speciell verweisen müssen (Rad. p. 270, Taf. IV, Fig. 6). Das Kieselskelet desselben besteht lediglich aus 9 dün- nen Stäben, welche in ihrer Lagerung und Verbindung in der That voll- kommen den 9 Kanten des regulären dreiseitigen Prisma entsprechen. Weniger in die Augen fallend, aber eben so rein, tritt uns das reguläre dreiseitige Prisma in einigen Spouguriden und Disciden entgegen, nämlich ^ in Dictyocoryne eucUtoiüa (Rad. p. 468), und in mehreren, mit 3 gleichen Armen versehenen Arten von Euchitoina, so namentlich E. Leydigii und E. KölUheri (Rad. p. 510, 511; Taf. XXXI, Fig. 4—7). Für die erste oberflächliche Betrachtung scheinen die Kieselskelete dieser Thiere dünne gleichseitig-dreieckige Scheiben zu sein. Sobald man sie aber auch von dem schmalen Rande her betrachtet, erkennt man, dass es reguläre dreisei- tige Prismen mit sehr verkürzter Hauptaxe sind. Die radialen Mittellinien der 3 gleichen, unter gleichen Winkeln von dem cylindrischen Mittelkör- ' per abstehenden Arme, und die interradialen Verlängerungen dieser 3 Mit- tellinien, die sich unter Winkeln von 60" schneiden, sind die semiradialen Kreuzaxen des regulären dreiseitigen Prisma. Endlich scheint dieselbe | Grundform auch in dem höchst merkwürdigen Coelodendrnm erkennbar zu 1 sein, dessen Gestalt jedoch nicht hinlänglich genau bekannt ist (vergl. Rad. | p. 360—364, Taf. XIII, Fig. 1, 2, Taf. XXXII, Fig. 1). | Zweite Gattung der isostauren Stauraxonien. I Quadrat-Octaeder. Isostaura octopleura. | Stereometrische Grundform: Reguläre Doppelpyrumide mit 8 Seiten. 1 Realer Typus: Acanthostaurus (Taf. II, Fig. 25, 26). ■ Unter allen Arten der Doppelpyramiden ist es diejenige mit achtÄ gleichen Seitenflächen, welche die einfachsten Verhältnisse darbietet^ und sich unmittelbar an das reguläre Octaeder der rhythmischen« Polyaxonform anschliesst. Die Grundform dieser octopleuren IsostaurenÄ ißt das Quadrat-Octaeder des quadratischen oder tetrago-^B nalen Krystallsystems. Die beiden radialen realen Kreuzaxen^|| fallen mit den beiden gleichen idealen Kreuzaxen zusammen und schneiden sich unter rechten Winkeln, daher man diese Formen auch j Orthogonia nennen kann. Diese Kreuzaxen sind die Diagonalen J des Quadrates, welches die Aequatorialebeue des Octaeders bildet. Die Hauptaxe ist bei den hierher gehörigen Thierformeu sehr ver- schieden entwickelt, bald länger, bald bedeutend kürzer als die beiden unter einander gleichen radialen Kreuzaxen. Die Organismen, welche die Grundform des Quadrat-Octaeders Quadrat -octaedriscbe Grundformen. Isostaura octopleura. 441 deutlich ausgeprägt zeigen, und also unmittelbar an die Krystallformen des tetragonalen Systems sich anschliessen , gehören grösstentheils wieder der Radiolarien-Klasse an. Grewöhnlich ist bei denselben die reine stereometrische Krystallform des Organismus desshalb so klar ausgesprochen, weil sie radiale, sehr entwickelte Kieselstacheln be- sitzen, die durch ihre Lagerung vollkommen den Axen des Quadrat- Octaeders entsprechen, und die man geradezu als verkörperte Kiy- stallaxen ansehen darf. Auch unter den Diatomeen und Desmidiaceen (Taf. n, Fig. 25) ist das Quadrat- Octaeder sehr verbreitet (z. B. Staura- strum dilatatum), ferner bei vielen Pqllenkörnern (z. B, Annona tripetala, Phyllidrum lanuginosum). Vor Allen merkwürdig und höchst wichtig für die Frage von der Formenverwandtschaft der Krystalle und der Organismen sind hier aber diejenigen Radiolarien, welche zwanzig nach Müller's Gesetze symmetrisch v er th eilte Radial stäche In besitzen. (Taf. II, Fig. 26). Wir haben dieses höchst interessante Stellungs- gesetz, welches zuerst von Johannes Müller entdeckt wurde, und welches wir ihm zu Ehren benannt haben, in unserer Monographie der Radiolarien weitläufig erörtert und als ein in dieser Thierkiasse sehr weit verbreitetes nachgewiesen (1. c. p. 4(>— 45) und müssen hier auf die dort gegebenen ausführlichen Erläuterungen und zahlreichen Ab- bildungen verweisen (z. B. Taf. IX, X, XV— XXIV). Müller's Gesetz von der Stellung der 20 symmetrisch ver- theilten Radialstacheln der Radiolarien lässt sich am kürzesten folgendermaassen formuliren: „Zwischen 2 stachellosen Polen stehen 5 Gürtel von je 4 radialen Stacheln; die 4 Stacheln jedes Gürtels sind gleich weit von einander und auch gleich weit von demselben Pole entfernt, und alter- niren so mit denen der benachbarten Gürtel, dass alle 20 zusammen in 4 Meridian-Ebenen liegen." Zur Bezeichnung der einzelnen Stachelgürtel haben wir nach Müller's Vorgange das Bild des Erdglobus gewählt und die stachellose Axe der Erdaxe gleichgesetzt, die beiden stachellosen Pole dieser Hauptaxe den beiden Polen der Erdaxe. Es fällt dann der mittlere, unpaare von den 5 Stachelgürteln in die Aequatorialebene und demgemäss sind die 4 Stacheln, welche in dieser liegen und 2 rechtwinklig gekreuzte aequatoriale Durchmesser darstellen, als Aequatorialstacheln zu bezeichnen. In denselben beiden (auf einander senkrechten) Meridian- Ebenen, wie die 4 aequatorialen, liegen auch die 8 Radialstacheln, welche zu je Vieren die beiden Pole umgeben, und deren Spitzen in die Polar- kreise des fingirten Erdglobus fallen würden; sie heissen desshalb Polar- staeheln. Zwischen den beiden Zonen der 8 polaren und der unpaaren Zone der 4 aequatorialen Stacheln liegen die beiden mit ihnen alterniren- den Zonen der 8 Tropenstacheln, in zwei senkrecht gekreuzten (inter- radialeu) Meridianebenen, welche zwischen den beiden ersten (radialen) Meridianebenen in der Mitte liegen ; die Spitzen von je 4 Tropenstacheln lallen in einen Wendekreis. Um eine allgemein gültige Bezeichnung für die 20 nach diesem merkwürdigen Gesetz vertheilten Stacheln durchzu- 442 System der organischen Grundformen. führen, haben wir die 5 Gürtel mit folgenden Buchstaben bezeichnet: die 4 Stacheln des nördlichen Polarkreises mit a, die 4 Stacheln des südlichen mit e, die 4 aequatorialen Stacheln mit c, die 4 Stacheln des nördlichen Wendekreises mit b, die 4 Stacheln des südlichen mit d. Ferner haben wir die 4 Stacheln eines jeden Gürtels der Reihe nach (bei einem Umgang von Osten nach Westen) mit den Zahlen 1, 2, 3, 4 bezeichnet. Wenn wir diese allgemein gültigen Bezeichnungen festhalten, so lie- gen I. in der ersten Radialebene (ersten Meridianebene) al cl el e3 c3 a3; II. in der ersten Interradialebene (zweiten Meridianebene) bl dl d3 b3; III. in der zweiten Radialebene (dritten Meridianebene) a2 c2 e2 e4 c4 a4; IV. in der zweiten Interradialebene (vierten Meridianebene) b2 d2 d4 b4. Die zahlreichen weiteren merkwürdigen Modificationen der Körper- bilduDg, welche dieses Gesetz namentlich auch in der Architectur der git- terschaaligen Ommatiden nach sich zieht, haben wir in unserer Monographie der Radiolarien ausführlich erörtert und durch genaue Abbildungen er- läutert, namentlich an Acunthometra bulbosa, A. Mülluri, A. fragiUs {TBif.X.V , Fig. 2, 3, 4), Xiphacanlhu spinulosa (Taf. XVII, Fig. 4), Acanthostaurus hastutiis (Taf. XIX, Fig. 5), Doratuspis bipennis, 0. polyancistra (Taf. XXI, Fig. 1, 2) und vielen Anderen. Indem wir auf die Beschreibung dieser Arten verweisen, wollen wir hier nur dasjenige nachtragen, was auf die octaedrische Grundform Bezug hat und was dort nur beiläufig erwähnt wurde. (A^gl. auch Taf. II, Fig. 26 nebst Erklärung.) Es ist klar dass für unsere Frage vor Allen die 4 unter rechten Winkeln zusammenstossenden Aequatorialstacheln von Interesse sind, welche als Verkörperungen der Richtaxeu, der beiden auf einander senkrechten Durch- messer der Aequatorialebene (Diagonalen der quadratischen Grundfläche der Pyramiden) anzusehen sind und als solche die Orientirung des übrigen Körpers bestimmen. Da diese beiden Axen bei den einen Radiolarien gleich, bei den andern ungleich sind, so dürfen wir sie als ideale Kreuz- axen (Dicken- und Breiten-Durchmesser) ansehen, während die stachellose Hauptaxe, die constant von jenen Beiden verschieden ist, als Längsaxe oder eigentliche Hauptaxe zu betrachten ist. Bei allen Radiolarien, welche 20 nach Müller's Gesetze symmetrisch vertheilte Radialstacheln tragen, lässt sich die octaedrische Grundform ganz einfach und bestimmt dadurch nachweisen, dass man die Spitzen der be- nachbarten polaren und aequatorialen Stacheln durch Linien verbindet und durch diese Linien Flächen legt. Sind die beiden radialen Kreuzaxen (Aequa- torial-Stachel-Paare) gleich, so entsteht dadurch das Quadrat-Octaeder der Isostauren, die Grundform des tetragonalen Krystallsystems ; sind die bei- den radialen Kreuzaxen ungleich, so entsteht das rhombische Octaeder der Allostauren, die Grundform des rhombischen Krystallsystems. Im letzteren Falle haben wir von den beiden ungleichen Kreuzaxen (Aequatorial-Durch- messern) in unserer Monographie die längere und stärkere (oft auch durch besondere Bildung ausgezeichnete) als verticale (oder longitudinale), dage- gen die kürzere und schwächere als horizontale (oder transversale) be- zeichnet. Doch ziehen wir es jetzt vor, um üebereinstimmung mit der hier consequent durchgeführten Nomenclatur zu gewinnen, die eine, (und zwar Quadrat-octaedrische Grundformen. Isostaui-a octopleura. 443 die verticale) als Dickenaxe (Dorsoventral- Durchmesser), die andere (die horizontale) als Breiteuaxe (Lateral-Durchmesser) zu bezeichnen. Bestim- mend für diese Wahl ist insbesondere, dass bei einer merkwürdigen Acan- thostauride, der AwjMlonche anomala (Taf. XYI, Fig. 8), die beiden Pole der längeren oder Dickenaxe ungleich werden, so dass sich Rücken- und Bauchseite differenzirt, während die beiden Pole der schwächeren oder Brei- teuaxe (Rechts und Links) gleich bleiben. Das Quadrat - Octaeder des tetragonalen KrystaÜsystems ist als organische Grundform am weitesten verbreitet unter denjenigen Radiolarien, welche'iier umfangreichen Familie der Acanthometriden angehören. Hier ist dasselbe für die ganzen Unter- familien der Astrolithiden und Acanthostauriden (mit Ausnahme der Gattung Amphilonche), die bestimmende Grundform (Rad. Taf. XV — XX). Vor- züglich scharf tritt seine Grundform da hervor, wo die beiden gleichen Kreuzaxen besonders ausgezeichnet sind, wie bei den Gattungen Acantlw- staurus (Taf. XIX, Fig. 1 — 5), Lithoptera und StauroUthium (Taf. XX, Fig. 1, 6). Ebenso ist unter den Ommatiden die Grundform des Quadrat- Octaeders leicht nachzuweisen bei allen Arten von Dorutaspis (Taf. XXI, XXII, Fig. 1), bei Aspidomma kystrix und mehreren Arten von Haliommuti- rfium, von Haliomma und von Acltnomma. Dasselbe gilt endlich auch von vielen Radiolarien mit 20 nach Müller's Gesetz vertheilten Radialstacheln aus der Familie der Ethmosphaeriden, so z. B. von Dlpiosplmera gradlis (Taf. X, Fig. 1), Heliosphaem actinota, H. echinoules, U. eleguns (Taf. IX, Fig. 3—5) und vielen Anderen. Wir haben im Vorhergehenden den Beweis, dass das Quadrat- Octaeder die Grundform derjenigen Radiolarien sei, welche 20 nach Müller's Ge- setz vertheilte gleiche Raflialstacheln besitzen, einfach dadurch geführt, dass wir die Spitzen der 4 Aequatorialstacheln unter einander und mit der Spitze der (in den entsprechenden Meridianebenen liegenden) 8 Polarstacheln durch Linien verbanden und durch je 2 benachbarte Verbindungslinien eine Ebene legten. So entstand das reine Quadrat- Octaeder ohne jede Hülfs- construction. Wir haben aber dabei die 8 Tropenstacheln, welche in den beiden interradialen Meridianebenen liegen, vernachlässigt und über deren Bedeutung für die Grundform der Isostauren ist hier noch einiges nach- zutragen. Es muss hier unterschieden werden zwischen denjenigen Radiolarien mit 20 nach Müller's Gesetz vertheilten Radialstacheln, bei denen diese sämmtlich gleich, und denjenigen, bei denen entweder eines oder beide Paare der Aequatorialstacheln (Radialaxen) durch besondere Grösse oder Form ausgezeichnet ist. Diejenigen, bei denen jene Auszeichnung bloss das eine Paar (die verticaleh Stacheln der Dorsoventralaxe) trifft, während die übrigen 18 unter sich gleich sind, werden wir sogleich unter den Allostauren näher betrachten. Diejenigen Radiolarien dagegen, bei denen jene Auszeichnung beide Paare betriift, verdienen hier noch besondere Be- rücksichtigung. (Vergl. Taf. II, Fig. 26). Wir finden in diesem Falle 16 unter sich gleiche, kleinere Stacheln (8 Polar- und 8 Tropenstacheln), und 4 unter sich gleiche, grössere Stacheln (4 Aequatorialstacheln), die letzteren liegen in den beiden radialen Kreuz- 444 System der organischen Grundformen. axen, die mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen. Die Radio- larien, die sich durch diese Differenzirung der Aequatorialstacheln aus- zeichnen ^ gehören fast alle der gestaltenreichen Familie der Acanthometri- den an, und zwar den beiden Subfamilien der Acanthostauriden und Astro- lithiden. Bloss durch bedeutendere Grösse (Länge, Dicke und Breite) sind die 4 Aequatorialstacheln von den 16 übrigen verschieden bei den Gattungen Acanthostaurus (Rad. Taf. XIX, Fig. 1—4) und StavroUÜmtm (Rad. Taf. XIX, Fig. 6) ; dagegen zeichnen sie sich zugleich durch besondere Form vor den anderen 16 aus bei den Gattungen Lonchosluuriis (Taf. XIX, Fig. 5) und Lithopteru (Taf. XX, Fig. 1, 2). Bei allen diesen Acanthometriden ist die Hauptaxe des Quadrat-Octaeders kürzer als jede der beiden radialen Kreuz- axen und es erreicht die Spitze der Tropenstacheln nicht die Seitenflächen des Octaeders. Die Tropenstacheln sind kürzer, als die Flächenaxen des Octaeders (die Perpendikel , welche vom Mittelpunkt auf die Seitenflächen gefällt werden). Es kann demnach kein Zweifel sein, dass diese Formen als die reinsten Repräsentanten der Octopleuren zu betrachten sind. Anders verhält es sich, genau genommen, bei denjenigen Radiolarien, wo die 20 nach Müllers Gesetz vertheilten Radialstacheln sämmtlich gleich, weder durch Grösse noch durch Form verschieden sind. Es ist dies der Fall bei allen Arten von Acitnthometra (Rad. Taf. XV), Xipha- cuntha (Taf. XVII, Fig. 3, 4), Dorataspis (Taf. XXI), Asthrolitlüum (Taf. XX, Fig. 3 — 5) Halionunatldium , Aspidomma, bei vielen Arten von Halioruma und Actinomma aus der Familie der Ommatiden, von HeUusphaeru (Taf. IX, Fig. 3—5) und Dlplosphuem (Taf X, Fig. 1) aus der Familie der Ethmosphaeriden und bei vielen anderen Radiolarien. Hier ist die Hauptaxe des Quadrat-Octaeders länger als jede 'der beiden radialen Kreuz- axen und es ragt die Spitze der Tropenstacheln weit über die Seitenflächen des Octaeders hinaus. Die Tropenstacheln sind also länger, als die Flä- chenaxen des Octaeders oder die vom Mittelpunkt auf die Seitenflächen ge- fällten Perpendikel. Wenn wir nun hier, nachdem wir durch Verbindung der Spitzen der aequatorialen und polaren Stacheln das Quadrat - Octaeder construirt ha- ben, auch die Spitzen der Tropenstacheln mit den beiden Polen der Haupt- axe des Octaeders durch gerade Linien verbinden und durch diese Ver- bindungslinien und die benachbarten Octaeder-Kanten Ebenen legen, so er- halten wir eine sechzehnseitige Doppelpyramide, deren 16 Seitenflächen ungleichseitige Dreiecke sind! Von diesen 16 Dreiecken sind 8 unter sich absolut congruente und diese sind den übrigen 8, welche ebenfalls un- ter sich absolut congruent sind, symmetrisch gleich, d. h. man muss sie umklappen, Rechts und Links vertauschen, damit sie sich decken können. In jeder achtseitigen Hälfte der Doppelpyramide sind je 2 an- stossende Seitenflächen symmetrisch-gleich, je 2 alternirende und eben so je 2 gegenüber liegende dagegen congruent. Wir können diese Form als sechzehnseitige re gul är - amphithecte Doppelpyramide be- zeichnen, da sie in der That ein vollkommenes Mittelding zwischen der re- gulären und der amphithecten Doppelpyramide ist. Wenn wii- die -eine der beiden idealen Kreuzaxen (die mit den radialen realen Kreuzaxen zusam" Quadrat -octaedrische Grundformen. Isostaura octopleura. 445 menfallen) ein wenig verlängern oder verkürzen, so erhalten wir die reine amp hithecte, wenn wir dagegen die beiden interradialen Kreuzaxen den radialen Kreuzaxen gleich lang machen, die reine reguläre sechszehn- seitige Doppelpyramide. Die Aequatorialebene der regulär - amphithecten Doppel-Pyramide (die Grundfläche der Einzeln-Pyramide) ist das regulär- amphithecte Polygon, d.h. das (2 nseitige) Polygon, dessen sämmtliche Seiten gleich, dessen sämmtliche Winkel aber nur paarweise (alternirend) gleich, paarweise (je 2 benachbarte) ungleich sind. Vom regulären Poly- gon unterscheidet sieh das regulär-amphithecte Vieleck durch die Ungleich- heit der Winkel, vom amphithecten Polygon durch die Gleichheit der Seiten. Es entsteht nun die Frage: Ist die eigentliche Grundform der Radio- larien, welche 20 gleiche, nach Müllers Gesetz vertheilte Radialstacheln besitzen, das Quadrat -Octaeder, oder die sechszehnseitige regulär-amphi- thecte Doppelpyramide? Im ersteren Falle würde der Körper aus vier congruenten Antimeren, im letzteren aus acht Antimeren bestehen, von denen je zwei anstossende symmetrisch -gleich, je zwei alternirende con- gruent sind. Für beide Ansichten Hessen sich Beweise beibringen. Ver- gleicht man aber diese Formen mit den nächst verwandten, deren 4Aequatorial- staeheln sich durch besondere Entwickelung vor den 16 schwächeren Radial- stacheln auszeichnen {Aca)it1iostc(urus , Lilho])tera etc.) und erwägt man die übrigen die homotypische Grundzahl bestimmenden Gründe, so erscheint es bei weitem passender, das Quadrat-Octaeder als die eigentliche Grundform in allen diesen Fällen zu betrachten und als die Autimeren-Zahl Vier zu bestimmen. Es kann nur als ein Umstand von secundärer Bedeutung be- trachtet werden, dass die 4 Antimeren im einen Falle (bei JAihopteru, Lonchostaurus etc., mit 16 kleineren und 4 grösseren Stacheln) aus 2 con- gruenten, im anderen Falle dagegen (bei Acunlliometra , Doratasjiis etc., mit 20 gleichen Stacheln) aus 2 symmetrisch gleichen Hälften zusammenge- setzt sind. Die realen Kreuzaxen, welche durch die Meridianebenen der Tropenstaeheln gehen, können nur die Bedeutung von interradialen, nicht aber von radialen Kreuzaxen beanspruchen. Den octopleuren Isostauren mit 20 nach Müllers Gesetz vertheilten Radialstacheln, bei denen wir durch die einfachste geometrische Construction das Quadrat - Octaeder des tetragonaleu Krystallsystems als Grundform nachweisen können, schliessen sich noch einige andere, sehr merkwürdige Radiolarien an, bei denen dieselbe Grundform in einer anderen Modification oder einer abgeleiteten Form, insbesondere der quadratischen Säule, (dem regulären vierseitigen Prisma) ebenso unverkennbar ausgeprägt ist. Es ist dies der Fall bei dem von Ehrenberg beschriebenen Spouguriden Dictyo- coryne tetrus (Rad. p. 469) und bei dem schönen, von ihm abgebildeten Disciden Aslrommu Arislotelis (Microgeologie, Taf. XXXVI, Fig. 32.) Die aus kieseligem Schwammwerk gebildeten quadratischen Scheiben dieser Radiolarien sind in der That Nichts anderes, als vierseitige reguläre Pris- men mit sehr verkürzter Hauptaxe. Die beiden auf einander senkrechten Ebenen, welche man durch die verkürzte Hauptaxe und die Mittellinien der 4 rechtwinkelig gekreuzten Arme von Aslrommu Arisloldis legen kann, sind 446 System der organischen Grundformen. die beiden radialen Kreuzebenen, welche die quadratische Säule in 4 eon. gruente Antimeren (rechtwinkelige dreiseitige Prismen) zerlegen. Die Mittel- linien der 4 Arme selbst fallen mit den beiden idealen Kreuzaxen zusam- men. In Diclyocoryne teli'as ist ebenso das vierseitige, wie in D. euchitonia das dreiseitige reguläre Prisma unverkennbar. Dieselbe Grundform ist end- lich auch, wenngleich sehr versteckt, noch in dem merkwürdigen Zygoste- phanus Mülkri zu erkennen (Rad. Taf. XII, Fig. 2). Bei diesem kleinen Acanthodesmideu besteht das Kieselskelet aus 2 gleichen elliptischen Kie- selringen, die senkrecht auf einander stehen und sich in ihren beiden Be- rührungsstellen gegenseitig halbiren. Die längsten Durchmesser der beiden gleichen Ellipsen sind die beiden gleichen idealen (radialen) Kreuzaxen; der kürzeste Durchmesser, in dem die beiden gleichen Ellipsen sich schnei- den, und der also beiden gemeinsam ist, stellt die Hauptaxe dar. Auch hier also haben wir 3 aufeinander senkrechte gleichpolige Axen ausge- sprochen, von denen 2 gleich, die dritte ungleich ist, mithin die Grundform des quadratischen Krystallsystems- Endlich ist zu erwähnen, dass die quadratische Säule auch die Grund- form von zahlreichen einzelnen Piastiden bildet, insbesondere einzelner Des- midiaceeu (z. B. Stunrastntm (lilatalum Desmidiwn (ntudrungulare) und Dia- tomeen, sowie vieler Polleuzellen (sehr rein z. B. von Viola tricolor). Zweite Unterfamilie der homopolen Stauraxouien : Gleichpolige Uiigleichkreuzaxige. Allostaura. Slereometrische Gmmlfortii : AmphUhecte Doppelpyramide. Die homopolen Stauraxonien mit ungleichen Kreuzaxen, welche wir kurz Allostauren nennen wollen, haben als bestimmte Grundform die amphithecte Doppelpyramide, oder, wenn man bloss die beiden idealen Kreuzaxen berücksichtigt und von den realen absieht, das Rhomben- Octae der. Es entspricht mithin diese Gruppe von Organismen-Formen im Ganzen den Krystallformen des rhom- bischen Systems, in welchem unter Anderen Jod, Schwefel, Arra- gonit, Salpeter etc. krystallisiren. Die Allostauren zerfallen, je nachdem die homotypische Grund- zahl Vier oder eine andere Zahl ist, in zwei Gruppen, welche den beiden Abtheilungen der Isostauren vollkommen entsprechen. Bei den octo Pleuren Allostauren oder den achtseitigen amphitheeten Doppelpyramiden (mit 4 Antimeren), die also Rhomben-Octaeder sind, fallen die beiden ungleichen Strahlaxen (die beiden radialen realen Kreuzaxen) mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen und schnei- den sich Unter rechten Winkeln (daher sie auch Orthogonia heissen können). Bei den polypleuren Allostauren oder den vielseitigen amphitheeten Doppelpyramiden, die den letzteren als Oxygonien gegenüberstehen, schneiden sieb die Strahlenaxen (die radialen realen Kreuzaxen) unter spitzen Winkeln, da die Zahl derselben mindestens Amphithecte diplopyramidale Ginindformen. Allostaura. 447 drei beträgt und sie denig-emäss gar nicht oder nur zum Theil mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen können. Da die homo- typiscbe Crrundzalil hier stets eine gerade sein muss (2n), so ist die Hälfte der realen Kreuzaxen radial, die Hälfte interradial. Das Minimum der Antimeren-Zahl ist daher sechs, demnächst acht, zehn, zwölf u. s. w. (2n). Wie bei den Isostauren könneü wir auch bei den Allostauren die octopleuren als eine specielle Form der poly- pleuren auffassen und zwar als die einfachste und dem regulären Polyeder am nächsten stehende Form derselben. Erste Gattung der allostam'eu Stauraxonien. Vielseitige aiuphithecte Doppelpyi'aiuideii. Allostaura polypleiira. Slereowetrische Grundform: Amphithecte Ooppelpyramide mit 8 + 4« Seiten. Realer Typus: Amphilonche (Taf H, Fig. 27, 28). Die homopolen Stauraxonien, welche die Abtheilung der poly- pleuren (oder oxygonien) Allostauven repräsentiren, haben zur Grund- form die vielseitige amphithecte Doppelpyramide, deren allge- meine Eigenschaften wir oben bereits erläutert haben. Da die acht- seitige amphithecte Doppelpyramide oder das Rhomben-Octaeder als die specielle einfachste Form, welche die besondere Gruppe der octo- pleuren Allostauren bildet, ausgeschlossen ist, und da die Antimeren- zahl der amphithecten Doppelpyramide stets eine gerade sein muss, so muss dieselbe mindestens aus sechs, demnächst aus acht, zehn, zwölf und allgemein aus 4 -f- 2 n Antimereu zusammengesetzt sein. Die Zahl der Seitenflächen, doppelt so gross als die der Antiraeren, muss mindestens zwölf, demnächst sechszehn, zwanzig u. s. w., kurz im Allgemeinen 8+4n betragen. Da mindestens drei radiale Kreuzaxen vorhanden sein müssen, so können dieselben entweder gar nicht oder nur zum Theil mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen und müssen sich unter spitzen Winkeln schneiden (^Taf. H, Fig. 27, 28). Die polypleure Allostauren -Form ist unter allen homopolen Stauraxonien die seltenste und findet sich nur in wenigen Formen von Pollenkörnern und in wenigen Radiolarien deutlich verkörpert. Wahrscheinlich dürfte hierher der merkwürdige Diploconns fasces zu ziehen sein, unter dessen Doppelkegelform'), durch die Vertheilung ') Diploconus fasces , eines der seltsamsten und in promorphologischer Be- ziehung räthselhaftesten Radiolarien, welches in unserer Monographie (p. 404, Taf. XX, Fig. 7, 8) ausführlich erLäutert ist, haben wir zwar oben wegen der reinen apicalen üoppelkegelform seines Kieselmantels bei den amphepipeden homopolen Monaxonien erwähnt. Allein durch die symmetrische Vertheilung der radialen Stacheln wird doch die Grundform der amphithecten und zwar der 448 System der organischen Grundformen. der radialen Stacheln angedeutet, die Grundform der zwölfseitigen amphithecten Doppelpyraniide versteckt zu sein scheint. Viel deut- licher jedoch erscheint die Grundform der amphithecten Doppelpyi-a- mide', und zwar der sechzehnseitigen, bei denjenigen Radiolarien ausgeprägt, bei welchen zwanzig nach Müller's Gesetz symmetrisch vertheilte Radialstacheln vorhanden sind, und bei welchen achtzehn von diesen Stacheln gleich, zwei aber (die beiden gegenständigen Stacheln der einen Aequatorialaxe) durch viel bedeutendere Grösse (Amphilonche) und oft auch durch besondere Gestalt (Amphibelone) vor den übrigen achtzehn ausgezeichnet sind (Rad. Taf XVI). Es sind diese Radiolarien wesentlich verschieden von denjenigen oben unter den octopleuren Isostauren betrachteten Formen, welche ebenfalls zwanzig nach Müller's Gesetz vertheilte Stachelradien besitzen, bei denen aber alle zwanzig gleich sind, oder die vier Stacheln der beiden aequatorialen Kreuzaxen von den übrigen sechzehn verschieden, unter sich aber gleich sind. Bei diesen allen sind die beiden radialen Kreuzaxen, welche mit den beiden idealen zusammenfallen, gleich; dagegen sind sie bei Äniphilo7iche, Amphibelone und den anderen Radiolarien, die wir als ampliithecte Doppelpyramiden ansehen müssen, zwölfseitigeu Doppelpyramide (mit 6 Autimeren) bestimmt angedeutet. Wenn wir das gewaltige Staclielpaar, welches die verkörperte Axe des Doppelkegels bildet, als Hauptaxe auffassen, so wird die eine radiale reale Kreuzaxe, welche mit der einen idealen zusammenfällt, durch 2 gegenständige kurze radiale Cylin- derstäbe repräsentirt, welche senkrecht auf der Hauptaxe in deren Halbirungs- punkte stehen (in der vereinigten Spitze der beiden congruenten Kegel). Diese beiden Radialstäbe, welche die erste Kreuzaxe bilden, liegen mithin in der Aequa- torialebene. Die andere ideale Kreuzaxe, die auf der ersten senkrecht steht, ist stachellos. Beiderseits der Aequatorialebene sind 8 kurze cylindrische Ra- dialstäbe symmetrisch vertheilt, die iu 2 auf einander senkrechten Meridian- ebenen liegen, und zwar bilden diese 8 Radien jederseits der Aequatorialebene einen Gürtel von 4 Radialstäben, deren Enden gleich weit von einander und gleich weit von jedem Pole der Hauptaxe entfernt sind. Die beiden recht- winkelig gekreuzten Meridianebenen, in deren jeder 4 von diesen Radien liegen, sind als 2 radiale Kreuzebenen (zweite und dritte) zu betrachten, während die erste radiale Kreuzebene diejenige Meridianebene ist, welche durch die Hauptaxe und die erste Kreuzaxe gelegt wird. Diese erste Radialebene bildet mit jeder der beiden anderen einen Winkel von 45". Als zweite und dritte radiale (reale) Kreuzaxen sind die Durchschuittsliuien der zweiten und dritten Meridianebene mit der Aequatorialebene aufzufassen. Die zwölfseitige amphithecte Doppel- pyramide erhalten wir nun einfach dadurch, dass wir die beiden Pole der Haupt- axe mit den 6 Polen der 3 radialen Kreuzaxen durch grade Linien verbinden, und durch je zwei benachbarte Verbindungslinien eine Ebene legen. Diese Doppelpyramide wird durch die 3 radialen Kreuzebenen in 6 Antimeren zerlegt, deren jedes aus 2 gleichen, mit der Basis vereinigten dreiseitigen Pyramiden zusammengesetzt ist. Die Basis der beiden gegenständigen Doppelpyramideu, die Amphithecte diplopyramidale Grundformen. Allostaura. 449 ungleich. Diejenige Kreuzaxe, welche dureli die grösseren und oft (besonders geformten beiden Stachelradien besonders ausgezeichnet ist, wvii'A am besten als dorsoventrale oder Dickenaxe, die andere idarauf senkrechte Kreuzaxe, deren beide Stachelradien nicht von den ssechszehn übrigen verschieden sind, als laterale oder Breitenaxe ^angesehen. Die eigentliche Hauptaxe, um welche sich der ganze ^Stachelcomplex bilateral gruppirt, und welche die Axe der amphithec- tten Doppelpyramide darstellt, ist auch hier stachellos, und daher ^kUrzer als die beiden radialen Kreuzaxen. Ausser den genannten artenreichen Aeanthometriden-Gattungen (Amphi- ilonche und Amphihelone, Rad. Taf. XVI. gehören hierher auch einige nächst- vverwandte Ommatiden - Arten, namenttich Haliommulidium Mülleri und H. ifeiiesirulum (Rad. Taf. XXII, Fig. 10 — 12). Bei allen diesen Radiolarien cdurch die zweite (stachellose) ideale Kreuzaxe halbirt werden, ist ein gleich- sschenkeliges Dreieck, die Basis der 4 anderen ein ungleichseitiges Dreieck. Von I diesen 4 Doppelpyramiden, deren Basen von den 3 realen radialen Kreuzaxen tbegreuzt werden, sind je 2 anstossende symmetrisch gleich, je 2 gegenständige ccongruent. Die Aequatorialebene der zwölfseitigen amphithecten Doppelpyramide iist demgemäss ein Sechseck, in welchem je 2 Gegenseiten gleich und parallel tund von den 3 Diagonalen, welche die gleichen Gegenwinkel verbinden, 2 gleich, tdie dritte von diesen verschieden ist. Ausserdem sind die beiden anstossenden ."Seiten, welche den Winkel am Ende der ungleichen Diagonale einschliessen, tgleich, dagegen die beiden anstossenden Seiten, welche den Winkel am Ende j jeder gleichen Diagonale einschliessen, ungleich. In unserer Monographie der IRadiolarien haben wii- eine andere Deutung der merkwürdigen Gestalt des Wiploconus fasces versucht, indem wir bemüht waren, eine Homologie mit ge- » wissen Acanthometriden (namentlich Ämphilonche heteracantha) nachzuweisen und cdadurch die Verbindung mit den übrigen Radiolarien herzustellen, von denen tdieses seltsame Wesen sonst so bedeutend abweicht. Wir haben dort das grosse >Stachelpaar, welches die Axe des Doppelkegels bildet, nicht als Hauptaxe, son- dern als dorso-ventrale Kreuzaxe betrachtet und als Hauptaxe, wie bei Ämphi- lonche, die stachellose Axe, welche auf jener und auf der lateralen Kreuzaxe i-senkrecht steht. Als Aequatorialebene musste daher dort diejenige Ebene be- izeichnet werden, die wir hier als erste radiale Kreuzebene betrachtet haben. Es ^würde nach dieser Deutung als die eigentliche Grundform des Diploeonus fasces micht die zwölfseitige amphithecte Doppelpyi-amide mit 6 Antimeren, sondern odie sechszehnseitige mit 8 Antimeren, gleichwie bei Ämphilonche, anzusehen ■sein. Indess will uns jetzt jene frühere Deutung als die gezwungenere und die hhier gegebene als die natürliche erscheinen. ') Die stärkere dorsoventrale Kreuzaxe habe ich in meiner Monographie der IRadiolarien als verticale (oder longitudinale) Hauptax;e, die schwächere laterale 'Kreuzaxe als horizontale (oder transversale) Hauptaxe bezeichnet. Diese Be- zeichnungen können nicht mit Vortheil beibehalten werden. Als Longitu- dinalaxe können wir nur die stachellose Hauptaxe bezeichnen, obwohl dieselbe hier, wie auch sonst oft, bedeutend kürzer, als die beiden idealen Kreuz- ten ist. Haeckel, Generelle Morphologie. 29 450 System der organischen Grundformen. wii'd die Grundform des Körpers durch 3 auf einauder senkrechte ungleiche, aber gleichpolige Axen bestimmt, die stachellose Hauptaxe und die beiden mit verschiedeneu Stfchelradien versehenen radialen Kreuzaxen. Wenn wir die Pole dieser 3 ungleichen Axen, die sich alle gegenseitig unter rechten Winkeln halbiren, durch Linien verbinden und dann durch je 2 benach- barte Linien Ebenen lagen, so erhalten wir die stereometrisch reine Form des Rhomben- Octaeders, die Grundtorm des rhombischen Krystallsystems. Wenn wir aber die Pole jener 3 Axen nicht unter einander, sondern mit den Spitzen der nächstliegenden Tropenstacheln durch grade Linien ver- binden und durch je 2 benachbarte Yerbindungslinien Ebenen legen, so er- halten wir eine sechszehnseitige amphithecte Doppelpyramide (Taf. II, Fig. 27). Es könnte demnach auch hier wieder zweifelhaft erscheinen, ob wir als die eigentliche Grundform jener Radiolarien eine amphithecte Doppelpyra- mide mit 8 Antimeren und 16 Seitenflächen, oder eine solche mit 4 Anti- meren und 8 Seitenflächen (die specielle Art des Rhomben-Octaeders) zu be- trachten haben. Auch in diesem Falle (wie oben im analogen Falle der Isostaureii mit 20 Stachelradien), dürfte die letztere Auffassung mehr an- sprechen, sobald man den realen Kreuzaxen, welche durch die beiden Meri- dianebenen der Tropenstacheln gehen, nur die Bedeutung von interra- dialen, nicht von radialen Kreuzaxen zugesteht. Unter den wenigen PoUen- köruern, welche die polypleure Allostauren - Form besitzen, sind besonders diejenigen einiger Labiaten hervorzuheben, welche sehr deutlich die zwölf- seitige amphithecte Doppelpyramide ausgeprägt zeigen, z. B. von Sutureju rupestris, Sulviu glut'mosa (Fat II, Fig. 28). Zweite Gattung der allostauren Stauraxonien. Rhombeii-Octaeder. Allostaura octopleiira. Stereometrische Grundform: Amphithecte Doppelpyramide mit acht Seiten. Realer Typus: Stephanastrum (Taf . II, Fig. 29, 30). Die achtseitigen amphithecten Doppelpyramiden,, welche die spe- cielle Form des Rhomben-Octaeders repräsentiren, verhalten sieh zu den allgemeineren Formen, den polypleuren (mit mindestens zwölf und Überhaupt mit 8 +4 n Seitenflächen), ganz ebenso, wie die octopleureu Isostauren zu den polypleuren. In beiden Fällen, bei den Isostaureu, wie bei den Allostauren, liegt eine wesentliche Differenz der oeto- pleuren und der polypleuren Formen darin, dass bei den octopleureu nur zwei radiale Kreuzaxen vorhanden sind, die sich unter rechten Winkeln schneiden und mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen- fallen, während bei den polypleuren mehr als zwei radiale (oder semiradiale) Kreuzaxen existiren, die sich unter spitzen Winkeln schneiden. Wie die Organismen, welche zu den oetopleuren Isostauren ge- hören, in der Grundform nicht von den Krystallen des quadratischen ■Rhomben-octaedrische Grundformeu. Allostaura octopleura. 451 "Systems, so sind diejenigen, welche den octopleuren Allostauren zu- , zurechnen sind, nicht von den Krystallen des rhombischen Systems 1 verschieden. Es sind daher die Organismen, deren Grundform das lEhomben-Octaeder der letzteren ist, von besonderem Interesse. Wir : finden das Rhomben- Octaeder als organische Grundform vor Allen Ibei sehr zahlreichen Diatomeen, sodann bei vielen Pollen-Zellen (z. B. bei I dem Pollen von Beloperone oblongata, Barleria longifolid) und endlich Ibei sehr zahlreichen Desmidiaceen (z. B. Euastrum, Taf. II. Fig. 29). lln ausgezeichneter Weise finden wir das rhombische Krystallsystem 1 ferner bei mehreren ßadiolarien ausgebildet. Von diesen zeichnen •sieh die meisten hierher gehörigen Formen wiederum durch sehr ^ starke Verkürzung der Hauptaxe aus, so dass von den drei auf ein- ( einander senkrechten bestimmten Axen die Hauptaxe (Längsaxe) die 1 kürzeste, die dorsoventrale Kreuzaxe (Dickenaxe) die längste ist und (die laterale Kreuzaxe (Breitenaxe) zwischen Beiden in der Mitte steht. Von mehreren Aeanthometriden und einigen Ommatiden QHaliommatidntm MiiUeri, H. fennstratum) ist so eben bereits nachgewiesen worden, dass ihre 'Grundform, strenggenommen, nicht die sechszehnseitige, sondern die acht- seitige amphithecte Doppelpyramide ist. Die anderen Radiolarien, welche ■ die Grundform des rhombischen Krystallsystems sehr rein und deutlich ausgeprägt besitzen, und welche grösstentheils den Familien der Ommatiden, Disciden und Sponguriden angehören, zeigen dieselbe theils mehr als reines .Rhomben-Octaeder, theils als rhombische Säule (gerades Prisma mit rhom- bischen Grundflächen), theils als rectanguläre Säule (gerades Prisma mit : rechteckigen Grundflächen). Die rhombische Säule, ein vierseitiges Prisma, dessen Seiten- ' flächen 4 congruente Rechtecke, die Grundflächen Rhomben sind, ist in höchst ausgezeichneter Weise in dem merkwürdigen Steplianastrum rliomhus 'verkörpert, einem fossilen Discid aus dem Radiolarien -Mergel von Barba- dos, welches Ehrenberg in seiner Microgeologie (Taf. XXXVI, Fig. 33) abgebildet hat. In diesem zierlichen Organismus, einer der interessantesten Rhizopodengestalten, sind nicht allein die rectaugulären Seitenflächen der rhombischen Säule, sondern auch die rechtwinkelig gekreuzten ungleichen Diagonalen ihrer rhombischen Grundflächen und sogar die beiden, durch diese Diagonalen zu legenden Kreuzebenen (welche mit den idealen zusam- menfallen) durch schwammig-gekammerte Kieselbalken in stereometrisch rei- ner Form verkörpert. Die Aequatorialebene dieses Protisten liefert zugleich das geometrisch reine Bild der Aequatorialebene des Rhombeu- Octaeders ■ und ihrer Diagonalen (Vergl. Taf II, Fig. 30, nebst Erklärung). Die rectanguläre Säule, ein vierseitiges Prisma, dessen Seitenflächen ' ebenso wohl als die Grundflächen Rechtecke sind, also ein von 6 Recht- ecken begrenzter Körper , in welchem je 2 gegenüberstehende Rechtecke congruent, je 2 anstossende ungleich sind, findet sich ebenfalls unter den Radiolarien in geometrisch reiner Form verkörpert, so in der merkwürdigen Sj)ongocycUa orllwgomt (Rad. Taf XXVIII, Fig. 3). Auch die seltsame 29* 452 System der organisclieu Grundformen. TetmpyU oclacanlhu, eia Ominatid, welchem Johannes Müller eine ganze Tafel seiner Radiolarien - Abhandlung gewidmet hat (Taf. II, Fig. 12, 13; Taf. III) zeigt dieselbe Grundform. Ueber Spongocydla (tUiplicu (Rad. Taf. XXVIII, Fig. 2) kann ebenso wohl die rectanguläre, als die rhombi- sche Säule construirt werden. Endlich sind die drei ungleichen gleichpoligen Axen, welche sich ge- genseitig unter, rechten Winkeln halbircn und welche den Character des rhombischen Krystallsystems bestimmen, auch in einigen Radiolarien vor- handen, welche scheinbar sehr eigenthiimliche Formen bilden, so nament- lich in Didymooyrlis und Oinmulospyris (Rad. p. 439, p. 444; Taf. XXIi, Fig. 14-16). Zweite Familie der Stauraxonien. Uiigleiehpolige Krciiza.vime. lleteropola. Slereomelrlsche Grundform: Pyramide (Taf. I). Obgleich die iin vorigen Abschnitt betrachteten homopolen Staur- axonien von hohem niorphologiscliem Interesse sind wegen der un- zweifelhaften Identität ihrer Grundform mit derjenigen zweier Krjstall- systeme, so sind sie dennoch, gleich allen anderen im Vorhergehenden untersuchten Grundformen, bisher gar nicht oder doch fast gar nicht beachtet werden, weil sie gewöhnlicli nur bei morphologischen Indi- viduen niederster (erster und zweiter) Ordnung vorkommen, und weil sie als materielles Substrat von actuellen Bionten nur auf eine ver- hältnissmässig kleine Reihe von niederen Organismen, insbesondere Radiolarien, beschränkt sind. Die bisherigen Untersuchungen über die allgemeinen Grundformen der Organismen haben sich vielmehr ausschliesslich mit solchen Gestalten beschäftigt, welche der Formen- gruppe der heteropolen Stauraxonien augehören, die wir kurz die Heteropolen nennen wollen. Allerdings ist diese Formengruppe, zu deren Betrachtung wir jetzt übergehen, insofern von überwiegender Wichtigkeit, als sie die Grundformen für die actuellen Bionten aller höheren Thiere und Pflanzen liefert, und mithin auch die grössten und am meisten autfallenden Formen der ganzen Organismen- Welt. Indessen wird doch durch den Umstand , dass die Metamereu und Personen fast sämmtlicher Wirbelthierc , Arthropoden, Würmer, Mol- li^sken, Echinodermen und Coelenteraten, sowie fast aller Phaueroga- men und höheren Cryptogamen der lieteropolen Stauraxonform ange- hören, eine besondere Dignität dieser Grundform an sich noch keines- wegs bedingt. Vielmehr hoffen wir durch die voi hergehenden Unter- suchungen den Beweis geliefert zu haben, dass die bisher ganz ver- nachlässigten Grundformen der homopolen Stauraxonien, der Mon- axonien, Polyaxouien u. s. w. für die allgemeine Morphologie von Pyramidale Grundformen. Heteropola. 453 rmindestens eben so grosser Bedeutiui- sind, und es wird sich weiter- Ihin auch zeigen, dass eine intensive Untersuchung dieser niederen mnd einfacheren Formen hier, wie tiberall, das Verständniss der höheren lund complicirteren Verhältnisse wesentlich erleichtert und oft allein .eröflPnet. Gewiss dürfen wir die Thatsache nicht gering anschlagen, >dass die Grundformen der grossen Mehrzahl aller morphologischen 1 Individuen erster und zweiter Ordnung (Piastiden und Organe) den lim Vorhergehenden untersuchten niederen und einfacheren Promoi-phen- I Gruppen angehören. Sind ja doch alle Form-Individuen dritter und 1 höherer Ordnung erst aus jenen aufgebaut. Aber selbst insofern t müssen jene ein besonderes und ihnen bisher versagtes Interesse for- idern, als es unter allen vorstehend aufgeführten Promorphen nur sehr wenige, vielleicht keine einzige giebt, welche nicht bei gewissen (wenn auch oft nur wenigen) Organismen -Arten das materielle Sub- strat für das actuelle Bion bildet. Wenn wir in dieser Beziehung die Resultate unserer vorhergehen- den Untersuchungen mit den bisher über die Grundformen der niederen Organismen, und namentlich der Rhizopoden, herrschenden Ansichten vergleichen, so kommen wir zu dem Uberraschenden Resultat, dass die Natur fast alle möglichen regelmässigen Grundformen, welche durch die verschiedene Zahl und Dififerenzirung der möglichen Form-Axen und ihrer Pole entstehen können, in den actuellen Bionten bestimmter organischer Speeles verkörpert hat, und dass gerade diejenigen Pro- tisten-Gruppen die ausgesprochensten und regelmässigsten stereome- trischen Grundformen in eben so grosser Reinheit als Mannichfaltigkeit zeigen, welche bisher unter dem negativen CoUectivbegriff der ,,Ge- staltlosen" oder Amorphozoen zusammengefasst wurden. Dieser Collectivgruppe stellte man bisher allgemein nur zwei andere Grund- formgnippen gegenüber, die der regulären oder Strahlformen und die der symmetrischen oder Bilateralformen. Als Radiaten oder reguläre Thiere fassten die Zoologen gewöhnlich alle Coelenteraten und Echinodermen zusammen, als Bilateralien oder symmetrische Thiere dagegen die Würmer, Glieder-, Weich- und Wirbelthiere. Ebenso unterschieden die Botaniker allgemein nur „regelmässige (radiale) For- men, die sich mit vielen Schnitten durch eine angenommene Axe in zwei gleiche Theile theilcn lassen und symmetrische (bilaterale), die nur durch einen einzigen Schnitt in zwei gleiche Theile (die sich dann wie rechte und linke Hand verhalten) getheilt werden können" (Schleiden). Alle diese regulären und symmetrischen Formen zu- sammen, welche bisher fast allgemein für die beiden einzigen unter- scheidbaren Grundformen der Organismen gehalten wurden, bilden unsere Formengruppe der heteropolcn Stauraxonien. Der einzige Naturforscher, welcher neuerdings den ernstlichen 454 System der organischen Grundformen. Versuch gemacM hcat, die Thierformen auf geomeh-ische Gestalten zurückzuführen, Bronn, hat für die Grundform der regulären oder radialen Thiere und der meisten Pflanzen das Ei oder den Kegel (Ooid oder Conoid, auch Actinioid), also unsere diplopole Monaxon- form, erklärt, für die Grundform der symmetrischen oder bilateralen Thiere eine besondere Art des Keiles oder einen Halbkeil (Sphe- noid, Hemisphenoid). Wir werden im Folgenden den Nachweis liefern (und haben ihn zum Theil schon oben geliefert), dass die gemeinsame Grundform beider Hauptgruppen die einfache Pyramide ist, und zwar lässt sich als die Grundform der wirklich regulären Strahlformen die reguläre Pyramide, als die Grundform der irregulären Strahl- formen und der sämmtlichen bilateral -symmetrischen Formen theils die ganze, theils die halbe amphithecte Pyramide näher definiren. Die allgemeinen Eigenschaften der Pyramide sind aus der Stereometrie bekannt. Sie ist ein Polyeder, welches über einem Vieleck als Grundfläche (Basis) von lauter Dreiecken als Seitenflächen (Pleura) dergestalt umschlossen wird, dass dieselben in einem einzigen Punkte, der Spitze (Apex), zusammenlaufen. Für die nachfolgenden Betrachtungen ist es in mancher Hinsicht bequemer und anschaulicher, statt der ganzen Pyramide als die allgemeine Grundform der hetero- polen Stauraxonien die abgestumpfte Pyi-amide aufzustellen, d. h. eine Pyramide, deren Spitzenlheil durch eine Ebene abgeschnitten ist, die der Basis parallel läuft. Da jedoch durch die Pyramidenform wesent- lich nur die Difierenzirung mehrerer Kreuzaxen und die Verschiedenheit beider Pole der Hauptaxe des Körpers ausgedrückt werden soll, so ist es für die nachfolgenden Untersuchungen ganz gleichgültig, ob wir unter Apex oder Apicalfläche die wirkliche Spitze der ganzen Pyramide oder die Schnittfläche der abgestumpften Pyi-amide (die der Basis parallele Ebene des abstumpfenden Schnittes) verstehen. Wir werden diesen letzteren Theil, die Apicalfläche oder den Apex ein für allemal als die Gegeumundseite (Area aboralis, Antistomium), die Grundfläche oder Basis der Pyramide dagegen als die Mundseite (Area oralis, Peristomium) betrachten, und ferner die Axe der Pyramide oder das von der Spitze auf die Grundfläche gefällte Loth als die Hauptaxe oder Längsaxe (Axis lo ngitudinalis, Axou principalis) des Köi-pers ansehen. Die Zahl der Seitenflächen der Pyramide ist gleich der Zahl der Antimeren, aus denen der Körper der heteropolen Stauraxonien zusammengesetzt ist, und diese homotypische Grundzahl ist wieder gleich der Zahl der Kreuzaxen, welche sich in der Mitte begegnen. Wenn die homotypische Grundzahl gerade ist (2n), wie bei den Coelenteraten, bei den vier- zähligen BKithensprossen der Phanerogamen, so ist die Hälfte der Pyramidale Grundformen. Heteropola. 455 ^Kreuzaxen (n) radial, die Hälfte (n) iiiterradial. Wenn dagegen die Ihomotypische Grundzahl ungerade ist (2n-l), wie bei den Echino- rderraen, bei den dieizäbligen und flinfzähligen Blüthensprossen der IPliauerogamen, so sind sämmtliche Kreuzaxen (2n— 1) zur Hälfte rradial zur Hälfte interradial. Diesen drei Arten der Kreuzaxen ent- .sprecben die drei Arten der Meridianebenen, welche man durch die iKreuzaxen und die Hauptaxen legen kann; die radialen, interradialen mnd semiradialen Kreuzebenen, die wir bereits oben erläutert haben (p 432). Dort ist auch die Construction der Kreuzaxen bereits aus- :geführt- die Strahlaxe (Radius) erhalten wir einfach dadurch, dass ^wir in der Medianebene eines Antimeres, die Zwischenstrahlaxe i(Interradius) dadurch, dass wir in der Grenzebene zweier Antimeren • ein Perpendikel auf der Hauptaxe in deren Halbirungspunkt emchten. Die Halbstrahlaxe (Semiradius) wird aus einem Radius und dem gegenüber liegenden Interradius gebildet. Die Mittellinien der 'Antimeren sind bei den heteropolen Stauraxonien, wie bei den homopolen, scharf durch die Pyramidenkanten bezeichnet; die Grenzlinien der Antimeren dagegen liegen in den Seitenflächen der Pyramide. Als Strahlfläche (Area radialis) lässt sich bei vielen heteropolen Stauraxonien ein bestimmter Theil zweier zusammen- stossender Pyramidenseiten (beiderseits der Kante) bezeichnen (z. B. die Ambulacra petaloidea der Echinodermen , die Blumenblätter (Pe- tala) der polypetalen Phanerogamen). Ihr steht gegenüber die Zwischenstrahlf lache (Area interradialis ), welche den Raum zwischen je zwei Strahlflächen (in einer Pyramidenseite) ausfüllt (z. B. die Interambulacra der Echinodermen, die mit den Blumen- blättern alternirenden Kelchblätter (Sepala) und Staubblätter (Antheren) der polypetalen Phanerogamen). Wenn wir demnach bei der besonderen praktischen Wichtigkeit der heteropolen Stauraxonform sämmtliche allgemein unterscheidbaren Körpertheile ihrer stereometrischen Grundform, der Pyramide (und zwar am anschaulichsten der abgestumpften Pyramide) als solcher nochmals zusammenfassen und mit bestimmten Ausdrücken scharf be- zeichnen, so ergiebt sich folgende Uebersicht: I. Der Körper aller heteropolen Stauraxonien wird begrenzt von 4-l-n Flächen, welche den Flächen einer einfachen, geraden, abge- stumpften Pyramide entsprechen, nämlich: 1) der Oralfläche oder Peristomseite (Basis der Pyramide); 2) der Aboraifläche oder An- tistomseite (der Basis parallele Schnittfläche der abgestumpften Pyra- mide oder Apicalfläche) ; 3) 2+n Seitenflächen (Paralleltrapezen der ab- gestumpften Pyramide). An jeder Seitenfläche kann ein mittlerer interradialer und zwei seitliche radiale Theile unterschieden werden, n. Die Antimeren sind allgemein vierseitige (abgestutzte) Pyramiden, 456 System der organischen Grundformen. welche sämmtlich eine Kante (die Hauptaxe) gemein haben. Jedes der Antimeren wird begrenzt von sechs Flächen, nämlich- l) dem zwischen zwei Interradialebenen befindlichen Stück der Peristomseite; 2) dem entsprechenden Stück der Antistomseite; 3) und 4) einer Area radialis und zwei halben, die letztere beiderseits begrenzenden Areae interradiales (also einer Kante und den dieselbe einschliessenden zwei ha ben Seiten der ganzen Pyramide); 5) und 6) zwei benachbarten halben Interradialebenen. Die Medianebene des Antimeres ist die zwischen letzteren liegende halbe Radialebeue. HI. Im Inneren der Pyramide haben wir zur Orientirung folgende Linien; 1) die Haupt- axe_ (Längsaxe, Axon), welche die Mitte des Apex mit der Mitte der Basis verbindet; 2) den Basalpol derselben (Peristompol) ; 3) den Apicalpol derselben (Antistompol) ; 4) die realen Kreuzaxen (Stauri), welche vom Halbirungspunkt der Hauptaxe, auf der sie senkrecht stehen, ausgehen und entweder a) radial, oder b) interradial, oder c) semiradial sind, je nachdem entweder a) beide Pole der realen Kreuzaxe auf die Mittellinie eines Antimeres (Pyramidenkante), oder b) beide Pole auf die Grenzlinie zweier Antimeren (Pyramidenseite) treffen, oder endlich c) der eine Pol auf eine Mittellinie, der andere auf eine Grenzlinie trifft; 5) die (realen) Kreuzebenen, welche durch die Hauptaxe und jede der Kreuzaxen gelegt werden und demgemäss auch entweder a) radial, oder b) interradial, oder c) semiradial sind; 6) die Aequatorialebene, in welcher die sämmtlichen Kreuzaxen liegen und welche demgemäss die senkrecht auf ihr stehende Hauptaxe hal- birt. Sie läuft parallel der Basis und theilt den ganzen Körper in ein orales oder Peristomsttick und ein aborales oder Antistomstück. Der Zerfall der Pyramidenformen oder heteropolen Stauraxonien in zwei Hauptgruppen von Grundformen wird durch dasselbe maass- gebende Verhältniss, wie bei den Doppelpyi-amiden der homopolen Stauraxonien, bedingt, nämlich durch die Gleichheit oder Ungleichheit der radialen oder semiradialen Kreuzaxen. Bei den Homostauren sind sämmtliche radiale oder semiradiale Kreuzaxen gleich, während bei den Heterostauren entweder alle oder ein Theil derselben ver- schieden sind. Die Grundform der ersteren ist daher die reguläre Pyramide, diejenige der letzteren die irreguläre, und zwar meistens die amphithecte Pyram ide, bald die ganze, bald die halbe. Wie wir die heteropolen Stauraxonien aus den homopolen einfach dadurch ableiten können, dass wir die letzteren durch einen in der Aequatorialebene liegenden Schnitt halbiren, so gilt dasselbe auch von den entsprechen- den beiden Hauptabtheilungeu der beiden Gruppen. In der That sind die isostauren Homopolen (als reguläre Doppelpyramiden) nichts Anderes als zwei congruente, mit den Basen vereinigte homostaure Heteropolen (reguläre Pyramiden) und ebenso kann man die allostauren Homopolen Pyramidale Grundformen. Heteropola. 457 als aniphithecte Doppelpyi'aniiden) ansehen als eine Zwillingsform \ on zwei congrueuten heterostauren Heteropoleu ; doch ist der letztere \ ergleich dahin näher zu bestimmen, dass bloss die Grundform der autopolen Heterostauren eine ganze, diejenige der allopolen da- iregen eine halbe amphithecte Pyramide ist; wir müssten daher die ersteren nochmals halbiren, um aus ihnen die Grundform der letzteren /.u erhalten. Der Parallelismus der beiden Hauptabtheilungen in beiden Formgruppen spricht sich weiterhin namentlich auch darin aus, lass bei den Heterostauren (Heteropolen) wie bei den Allostauren Ilomopolen) durch die Differenzirung der realen Kreuzaxen zugleich auch die beiden idealen Kreuzaxen (dorsoventrale und laterale), be- stimmt werden, während diese bei den Homostauren (Heteropolen) noch nicht dififerenzirt, und so wenig als bei den Isostam-en (Homo- polen) irgendwie zu bestimmen sind. Unsere Homostauren entsprechen den gewöhnlich sogenannten regulären Strahlthieren also absolut regulären Eadiaten mit con- uruenten Antimeren, z. B. den meisten Medusen, Anthozoen, Asteri- den etc. Dagegen umfassen unsere Heterostauren theils die Uber- wiegende Mehrheit der sogenannten „bilateral -symmetrischen" Thiere (mit Ausschluss der Allostauren), theils die sogenannten „ irregulären . oder symmetrischen Strahlthiere" (z. B. die Spatangiden, Zaphrentinen), theils endlich die sogenannten „zweistrahligen Thiere" (Ctenophoren und Verwandte). Wie im Thierreiche, so gehört auch im Pflanzenreiche die grosse Mehrzahl aller Form-Individuen dritter und fünfter Ordnung (Anti- imeren und Personen) der heteropolen Stauraxon-Form an. Die meisten Phanerogamen- Personen, sowohl die geschlechtlich differenzirten (Bltithensprosse) als die geschlechtslosen (Blattsprosse), ebenso die i meisten Thier-Personen lassen sich ohne Schwierigkeit auf die Grund- iform der Pyramide reduciren. Dasselbe gilt von den meisten Anti- imeren, welche diese Personen zusammensetzen. Dagegen ist die Iheteropole Stauraxonform weniger verbreitet unter den Form-Individuen 'Vierter und sechster, und am wenigsten unter denen erster und zwei- ter Ordnung. Daher ist sie auch unter den Protisten selten. Die Erkenntniss, dass in der That die Pyramide als die stereo- imetrische Grundform aller Heteropolen betrachtet Averden muss, und (dass demgcmäss die Überwiegende Mehrzahl aller thierischen und jpflanzlichen Personen und Antimeren sich auf eine Pyramide als f gemeinsame Promorphe zurückführen lässt, ist eben so wichtig, als »sie in vielen Fällen schwer zu gewinnen, und daher auch bis jetzt »allgemein nicht gewonnen ist. Verhältnissmässig am leichtesten und «sichersten gelangt man zu dieser werthvollen Ueberzeugung, welche fdie schwierigsten Formverhältnisse erklärt, durch die promorphologische 458 System der organischen Grundformen. Untersuchung der Strahlthier -Personen, sowohl der Echinodermen als der Coelenteraten. Und doch ist selbst hier den trefflichsten Moi-pho- logen die pyi'amidale Grundform verborgen geblieben. Nichts ist vielleicht in dieser Beziehung bezeichnender, als die kritische Betrachtung der andauernden Bemühungen des grossen Johannes Müller, die Grundformen und die Homologieen der Echino- dermen zu verstehen. Trotz seiner unüberti-offenen Kenntniss dieser ebenso interessanten als schwierigen Thiergruppe, trotz seiner exten- siv und intensiv bewundernswürdigen Ansti-engungen , das morpholo- gische Verständniss derselben zu begründen, und eine wahre „Philo- sophie der Echinodermen" zu gewinnen, gelang es ihm dennoch nicht, den Schlüssel zur Lösung des Eäthsels zu finden. Dieser Schlüssel liegt eben in der Erkenntniss, dass die G-rundform der regulären Echinodermen eine fünfseitige reguläre Pyramide, diejenige der „bilateral-symmetrischen" Echinodermen dagegen die Hälfte einer zehnseitigen amphithecten Pyramide ist. ') Sobald man von dieser Erkenntniss ausgeht, so lösen sich die schwierigen Homologieen der Echinodermen in einer ebenso klaren als überraschend einfachen Weise, wie wir an einem anderen Orte ausflihrlich zeigen Werden. Das Wichtigste und Erste muss auch hier, wie bei allen promor- phologischen Untersuchungen, die Erkenntniss der maassgebenden Axen und ihrer Pole sein, und dann die Untersuchung der Differen- zirungs-Verhältnisse zwischen den verschiedenen Axen und ihren Polen, woraus sich dann die Construction der Pyramiden- Seiten von selbst ergiebt. Nichts ist aber gefährlicher und weniger erspriesslich, als von der Oberflächen-Betrachtung auszugehen und diese, ohne Rücksicht auf die Axen und ihre Pole, zur Basis der promorpholo- gischen Reduction zu raachen. Sucht man die Grundform von Per- sonen oder Metameren (Form-Individuen fünfter oder vierter Ordnung) auf, so ist zunächst das Wichtigste die Erkenntniss ihrer Zusammen- setzung aus Antimeren, und dann deren Differenzirung. Ist dagegen ein Antimer selbst das promorphologische Object, so müssen zunächst die Epimeren und Parameren, welche dasselbe constituiren , erkannt werden. Das letztere gilt auch, wenn es sich um Form- Individuen zweiter und erster Ordnung (Organe und Piastiden) handelt. ») Johannes Müller stellte statt der funfseitigen regulären Pyramide, die er nicht erkannte, als Grundform der Echinodermen eine Kugel mit einer be- stimmten Axe auf, deren beide Pole (Mundpol und Apical-Pol) verschieden sind, und von deren Mundpol fünf Radien ausstrahlen, die als mehr oder minder voll- ständige Meridiane zum Apical-Pol verlaufen. Eine solche „Kugel" ist aber in der That nichts Anderes als eine fünfseitige reguläre Pyi-amide, und die fuuf „Meridiane" oder Oberflächen - Radien (Ambulacra) sind die fünf Kanten der Pyramide. Pyramidale Grundformen. Heteropola. 459 Ebenso klar und deutlich, wie bei den Personen der meisten lEchinodermen und Coelenteraten, ist die Pyramide als heteropole ;Stauraxon- Grundform bei den meisten Geschlechts-Personen (Blüthen- jSprossen) der Phanerogamen ausgeprägt, und durch die Zahl der .„Glieder der Bltithenblattkreise " (d. h. der Antimeren) leicht zu be- istimmen. Viel schwieriger ist dagegen diese Erkenntniss bei den i geschlechtslosen Personen der Phanerogamen, den Blattknospen. Wenn [hier der Stengel deutlich dreikantig oder vierkantig ist, oder wenn die Blätter deutlich in drei oder vier Meridianebenen (Kreuzebenen) iltber einander stehen, z. B. bei regelmässig gegenständigen, wechsel- t ständigen und kreuzständigen Blättern, so lässt sich auch hier leicht (die Zusammensetzung aus drei oder vier Antimeren nachweisen. Es iist dies aber sehr häufig nicht der Fall, indem die einzelnen Blatt- Ikreise an den verlängerten Stengelgliedern des Blattsprosses nicht, ^wie bei den Blüthensprossen mit verkürzten Stengelgliedern, so über (einander stehen, dass die entsprechenden Blätter in Meridianebenen fallen, sondern Anelmehr Spiralen bilden.') In diesen Fällen sind die Kreuzaxen, welche dort durch die einzelnen Blätter der geschlossenen Blattkreise bezeichnet werden, oft sehr schwer wahrzunehmen. Viel- 1 leicht werden dieselben in manchen Fällen durch die Zahl der Mark- strahlen und der mit ihnen alternirenden GefässbUndel des Stengels i bestimmt, welche bei vielen Phanerogamen den Stengel sehr regel- ! massig in Antimeren zu zerlegen scheinen; deren finden sich z. B. 'bei Clematis sechs, bei Sapindaceen fünf, bei Bignoniaceen vier vor. lEs würde also der Spross im ersten Falle als eine sechsseitige, im ; zweiten als eine fünfseitige, im dritten als eine vierseitige reguläre Pyramide zu beti'achten sein. Erste ünterfamilie der heteropolen Stauraxonien. Ungleichpolige Oleichkreuzaxige. Hoiuostaura. (Strahlformen, reguläre Formen der meisten Autoren.) Stereomelrische Grundform: Reguläre Pyramide (Taf. I, Fig. 1, 4, 6, 9). Die wichtige Formengruppe der homostauren heteropolen Staur- iaxonien, welche wir ein für alle Mal kurz die Ho mostauren nennen ^wollen, umfasst die überwiegende Mehrzahl der sogenannten „Strahl- •) Gewöhnlich wird für alle Blattstellungen der Phanerogamen die Spirale sals das Ursprüngliche angesehen und die geschlossenen Blattkreise als ringförmig /zusammengezogene einzelne Umläufe der Spirale. Indessen dürfte die Entwicke- lungsgeachichte vielleicht umgekehrt zeigen, dass die geschlossenen Blattkreise das primäre und die Spiralen das secundär daraus abgeleitete Verhältniss dar- - stellen, wie es bei sehr vielen Blüthensprossen deutlich zu sehen ist. 460 System der organischen Grundformen. formen oder regulären Formen" in dem Sinne wenigstens, in welchem die meisten Morphologen diesen vieldeutigen unh vielfach missbrauch- ten Ausdruck verstehen. Die reguläre einfache Pyramide, welche die stereometi-ische Grundform aller Homostauren ist, bildet mehr oder minder rein ausgesprochen die Promorphe vorzüglich in den Form- Individuen fünfter Ordnung, den Personen (Sprossen), bei der Mehr- zahl der sogenannten „ Strahlthiere" und der Phanerogamen. Es ge- hört hierher also die Majorität der Personen unter den sogenannten „ Strahlthieren " oder Radiaten, nämlich der bei weitem gi-össte Theil aller Coel enteraten, und ein sehr grosser Theil der Echinodermen. Jedoch können nur die streng „regulären" Strahlthiere hierher ge- rechnet werden. Daher sind ausgeschlossen und zu den Heterostauren zu stellen die sogenannten „irregulären" oder bilateral-symmetrischen Echinodermen, und von den Coelenteraten alle Ctenophoren, der grösste Theil der Siphonophoren und ein kleiner Theil der Anthozoeii und Hydromedusen. Aus dem Protistenreiche gehört hierher ein Theil der Strahlrhizopoden oder Radiolarien, sowie viele einzelne Formen aus anderen Stämmen. Aus dem Pflanzenreiche endlich müssen wir wohl die Mehrzahl der Sprosse ' (Personen) der Phanerogamen und viele Cryptogamen-Formen zu den Homostauren rechnen, obwohl hiei sehr häufig eine scheinbar homostaure Stauraxonform sich bei ge- nauerer Untersuchung als heterostaure ausweist. Die allgemeinen Eigenschaften der regulären Pyramide sind aus der Stereometrie so bekannt und auch zum Theil schon im Vorher- gehenden speciell erörtert, dass wir hier nur die wichtigsten Eigen- thUmlichkeiten dieser Grundform mit Bezug auf ihre Construction im Thier- und Pflanzen -Organismus kurz zu wiederholen brauchen und die Art ihrer Anwendung zu bestimmen haben. Als die Basis oder Grundfläche (Area basalis) der regulären Pyramide, welche hier stets ein reguläres Polygon bildet, haben wir bei den homo- stauren Thier-Formen die Mundseite oder Peristomfläch e des Körpers (Area oralis, Peristomium) zu betrachten, bei den regu- lären Echinodermen und Coelenteraten also diejenige Seite, in welcher sich der Mund, bei den homostauren Radiolarien (Cyrtiden) diejenige Seite, in welcher sich die Mündung des Kieselgehäuses befindet. Bei den Phanerogamen -Blüthen entspricht der Pyramiden-Basis eben- falls die Mündung der Blüthe, die meist glockenartig geöff'net ist, bei den Frucht-Individuen der Cryptogamen (z. B. Mooskapseln) die Mün- dung der Frucht, aus der die Sporen hervortreten. Bei den Sprossen (Personen) allei* Pflanzen überhaupt werden wir also stets den freien terminalen Pol (Vegetationsspitze), beim Stock mithin das der Wurzel entgegengesetzte Ende als basale oder orale Seite (Peristomium) zu betrachten haben. Als der Apex oder die Spitzen fläche (Areä Regulär -pyramidale Gruud formen. Homostaura. 461 uapicalis) dagegen, d. h. als die Spitze der ganzen oder die (der tBasis parallele) Schnittfläche der abgestumpften regulären Pyramide sstellt sich bei den houiostauren Thier-Formen die der Mundseite ent- c^egeugesetzte Körperseite dar, welche wir allgemein als Gegen- [imunds eite oder A ntistomfläche (Area aboralis, Antistomium) loezeichnet haben ; bei den homostauren Kadiolarien (Cyrtiden) ist dies ilie Spitze des Gehäuses, bei den Echinodermen der sogenannte ^Scheitel oder das Apicalfeld, in welchem häufig der After liegt; bei dien festsitzenden Coelenteraten ist es die angewachsene Körperfläche, b)ei den frei schwimmenden die fast immer nach oben gekehrte ge- twölbte Scheitelfläche, die in der Regel fälschlich Rücken genannt wird. Bei denjenigen Phauerogamen - BlUthen und Cryptogamen- S5porangien, welche die reguläre Pyramide zur Grundform haben, ist tis allgemein die angewachsene oder mittelst eines Stieles festsitzende freite, welche der Mündung gegenüber liegt und der Aboraifläche oder (Hem Apex entspricht. Bei den Sprossen (Personen) der Pflanzen überhaupt werden wir demnach stets den festsitzenden Pol des Axen- lorgans als apicale oder aborale Seite (Pyramidenspitze) zu betrachten hiaben, beim einfachen Spross und beim Hauptspross der Stöcke die HVurzel, bei den Seitensprossen das Ende, welches am Hauptspross bbefestigt ist. (Ueber die Pyramiden-Basis vergl. Taf. I, Fig. 1, 4, 6, 9). I Durch die Zahl der Seiten des regulären Polygons, welches die FBasis bildet, oder durch die gleiche Zahl der Seitenflächen der regu- liären Pyramide wird die homotypische Grundzahl der Homostauren [oestiramt, welche drei oder mehr sein kann. Die Seitenflächen sind •jämmtlich congruente gleichschenkelige Dreiecke. Die Kreuzaxen •sind entweder (bei ungerader Grundzahl) sämmtlich gleich (semi- ••adiale) oder^(bei gerader Grundzahl) alternirend gleich (radiale und nterradiale). Wenn wir als Grundform die abgestumpfte reguläre Pyramide annehmen, so ist die Hauptaxe (in der Geometrie einfach iiie „Axe" der regulären Pyramide genannt) die Linie, welche die ^Mittelpunkte der basalen und apicalen Ebene verbindet; wenn wir dagegen als Grundform die ganze reguläre Pyramide betrachten, so >8t die Hauptaxe das Perpendikel, welches von der Spitze aui die Grrundfläche gefällt wird und in deren Mittelpunkt trifft. Die Anti- meren sind im ersteren Falle abgestumpfte, im letzteren ganze vier- seitige Pyramiden, deren Basis ein Trapez ist, das durch jede der beiden Diagonalen in zwei ungleiche gleichschenkelige Dreiecke zer- ilegt wird. Die Kanten der regulären Pyramide sehen wir ein für iille Mal als die Mittellinien der Antimeren-Oberfläclie an, als welche iie in der That bei den meisten hierher gehörigen Thier- und Pflan- ;«euformen vorspringen. Die Grenzlinien der Antimeren- Oberfläche idagegen entsprechen den Mittellinien, welche die Seitenflächen der 462 System der organischen Grundformen, regulären Pyramide halbireu und in zwei congruente rechtwinkelige Dreiecke zerlegen. Die Formengruppe der Homostauren zerfällt in so viele Formen- Arten, als die Zahl der Pja-amiden-Seiten (und also die homotypische Grundzahl) betragen kann. Diese Zahl ist zwar a priori unbegränzt, in der That aber findet sich nur eine sehr geringe Menge von Grund- zahlen in der Natur verwirklicht vor. Bei der übergrossen Mehrzahl aller Homostauren, sowohl im Thier- als im Pflanzenreich, sind nur drei, vier, fünf oder ein niederes Multiplum, meist nur das Doppelte dieser Grundzahlen, namentlich sechs und acht, seltener zehn Anti- meren vorhanden. Weit seltener, und nur ausnahmsweise, ist eine andere Grundzahl nachweisbar, z. B. sieben bei einigen Phanerogamen (Trienialis, Septas), elf bei einigen Seesternen. In diesen Fällen ist aber meistens entweder die Grundzahl innerhalb der Speeles schwan- kend, wie bei einigen Seesternen, oder es lässt sich, wie bei einigen Phanerogamen, aus der Entwickelungsgeschichte oder der Verwandt- schaft mit nächststehenden BlUthen von anderer Grundzahl (meistens fünf) der Nachweis führen, dass die Siebenzahl oder die andere Zahl, welche nicht auf drei, y\gy oder fünf durch Division zurückftlhrbar ist, nicht die primitive Grundzahl, sondern erst secundär durch Varia- tion und Anpassung aus den letztgenannten entstanden ist. Wo scheinbar höhere Grundzahlen vorkommen, lassen sie sich entweder aus dem letztgenannten Verhältnisse, oder aus einer Multiplication von drei, vier oder fünf ableiten. Wir dürfen es daher als ein wichtiges Gesetz der allgemeinen Promorphologie aussprechen, dass die homo- typische Grundzahl oder die Antimeren-Zahl der Homo- stauren (die Seitenzahl der regulären Pyramide) stets drei, vier oder fünf, oder ein Multiplum (raeist nur das Duplum) von diesen drei Grundzahlen beträgt, und dass, wo andere Prim- zahlen als Grundzahlen vorkommen, wie die Sieben bei Septas, Trienialis etc. der Nachweis entweder der Inconstanz dieser Grund- zahl, oder aber ihrer secundären Entstehung durch Abortus aus einer jener drei Grundzahlen fast immer geführt werden kann. Bei sehr vielen Homostauren, wo die Antimeren-Zahl ein Mul- tiplum von drei, vier oder fünf zu sein scheint, lässt sich aus der Entwickelungsgeschichte oder aus der Zahl einzelner (namentlich innerer) Organe der Nachweis führen, dass doch die urspiiingliche Grundzahl, die einfache, drei, vier oder fünf ist, und dass erst später eine Multiplication derselben (meistens nur eine Duplicatiou) eingetreten ist. Dies ist z. B. der Fall bei sehr vielen Phanerogameu- Blüthen, wo häufig in einer und derselben Blüthe ein Blätterkreis die einfache Grundzahl zeigt, während andere Blätterkreise derselben ein verschiedenes Multiplum dieser Zahl repräsentiren. So sind z. B. Regulär-pyi-amidale Grundformen. Homostaura. 463 bei Butomus sechs Ki-onenblätter , sechs Griffel, sechs Fruchtkapseln, aber 9 Staubfäden und drei Kelchblätter vorhanden. Bei Paris finden sich vier Kelchblätter, vier Kroneublätter, vier Griffel, vier Frucht, knoten und acht Staubfäden. Ebenso lassen sich von homostauren Thieren viele ähnliche Fälle anfiihren. Bei vielen Medusen sind vier Radialcanäle, vier Muudlappen, acht Kandbläschen und zwölf oder vierundzwanzig, bisweilen auch achtzehn Tentakeln vorhanden. In allen diesen Fällen ist die niedrigste Zahl offenbar als Grundzahl und die Multipla derselben als secundäre Vervielfältigungen zu betrachten. Bei den sechszähligen polycyclischen Anthozoen lässt sich der Beweis dafür durch die Entwickelungsgeschichte führen, indem erst sechs, dann zwölf, vierundzwanzig u. s. w. Scheidewände und Leibesabthei- lungen nach einander auftreten. Wohl zu unterscheiden von diesen sind diejenigen Fälle, wo ein Multiplum von drei, vier oder fünf die ursprüngliche homo- typische Grundzahl bildet, die entweder zeitlebens einfach bleibt oder ebenfalls wieder multiplicirt werden kann. Auch dieser Fall ist im Thier- und Pflanzen-Reiche sehr häufig. Wahrscheinlich ist es aber stets nur das Duplura, niemals das Triplum oder ein höheres Multiplum von drei, vier oder fünf, welches als ursprüngliche primitive Antimeren-Zahl auftritt. Sechs Antimeren finden sich schon in ur- sprünglicher Anlage bei den Madreporarien, acht bei den Alcyonarien, zehn bei einigen Radiolarien und Phanerogamen-Blüthen. Da hier schon die erste Anlage des Körpers als ein Aggregat von sechs, acht, zehn Antimeren erscheint, so können wir als homotypische Grundzahl hier nicht drei, vier, fünf, sondern nur das Duplum der- selben ansehen. Die Erkenntniss der homotypischen Grundzahl bei den Homo- stauren wird in vielen Fällen dadurch mehr oder minder erschwert, dass diese Zahl in verschiedenen Metameren einer Person (z. B. in verschiedenen Blattkreisen eines Sprosses) eine verschiedene zu sein scheint. Aeusserst häufig ist dieser Fall bei den phanerogamen Blüthen, wo nur in seltenen Fällen alle Blattkreise der Blüthe die- selbe Grundzahl zeigen, und wo namentlich die weiblichen Genitalien in der Regel von einer grösseren oder geringeren Reduction betroffen werden. Solche Fälle, wo die Zahl der Kelchblätter, der Blumen- blätter, der Staubftiden, der Stengel, der Fruchtblätter ganz dieselbe ist, finden sich z. B. bei Triplaris, Lechea unter den dreizähligen, bei Hex, Potamogeton unter den vierzähligen, bei Linum, Crassula unter den fünfzähligen Blüthen. In der Regel zeigt die Zahl der Kronen- und der Kelchblätter die homotypische Grundzahl am sicher- sten an, während die Zahl der weiblichen Genitalien (Stempel, Frucht- blätter) meistens vermindert, die Zahl der männlichen (Staubfäden) 464 System der organischen Grundformen. dagegen umgekehrt multiplicirt ist. Ganz entgegengesetzt den liomo- stauren Pflanzen verhalten sich in dieser Beziehung die homostauren Thiere, bei denen in der Regel in sämmtlichen Organkreisen dieselbe Grundzahl oder ein Multiplum derselben ausgeprägt ist. Zahl-Reduc- tionen in einzelnen Kreisen sind hier seltene Ausnahmen und fast immer mit Uebergang der homostauren in die heterostaure Grundform verbunden. So finden sich z. B. bei den dreizähligen Cyrtiden ein- zelne, wo die Kieselschale aus drei, die Centraikapsel aus vier Anti- meren besteht, während in der Regel auch die letztere drei Antimeren zeigt. Es ist von hohem Interesse, dass es auch bei den Thieren vorzugsweise die Genitalien sind, die zuerst von der Reduction be- troffen werden, so dass sich z. B. unter den fünfzähligen Echinodermen bei den Holothurien nur ein einziges, bei vielen Seeigeln nur vier Geschlechtsorgane finden, während die übrigen Organkreise sämmtlich die Fünfzahl zeigen. Angesichts der im Vorhergehenden erörterten Verhältnisse werden wir die verschiedeneu Arten der Homostauren-Form, deren Anzahl durch die Anzahl der verschiedenen homotypischen Grundzahlen be- dingt und demnach a priori unbeschränkt ist, in Wirklichkeit auf einige wenige Fälle zurückführen können. Von den vielen möglichen Grundzahlen werden nur drei, vier, fünf, sechs, acht, zehn als wirk- lich angewandte übrig bleiben, und als seltene Ausnahmen sieben und neun. Die seltenen Fälle, wo eine höhere Grundzahl sls zehn auf- tritt, werden wir zusammenfassen können, da in diesen Fällen die Grundzahl innerhalb der Speeles selbst eine schwankende ist. Es lassen sich diese verschiedenen Arten der Homostauren -Form naturgemäss in zwei Formen-Gattungen gruppiren, solche nämlich mit mit gerader und solche mit ungerader Grundzahl. Es ist dieses Verhältniss, welches an sich unbedeutend erscheinen könnte, desshalb von grosser Bedeutung, weil mit der geraden oder ungeraden Anti- meren-Zahl gewisse sehr wichtige Unterschiede in den Axen -Verhält- nissen verbunden sind, die auf die Bildung der ganzen Gestalt den grössten Einfluss üben. Es mag hier vorläufig nur daran erinnert werden, dass die Homostauren mit ungerader Grundzahl, z. B. drei, fünf, weit häufiger und entschiedener in die Heterostauren-Form über- gehen und sich differenziren, als die Homostauren mit gerader Grund- zahl (z. B. vier, sechs). Unter den Thieren sind es die dreizähligen Radiolarien (Cyrtiden), die fünfzähligen Echinodermen (Psolus, Spa- tangus etc.) unter den Pflanzen die dreizähligen Gramineen und Or- chideen, die fünfzähligen Leguminosen, Umbelliferen, Labiaten, Viola- ceen und viele Andere, welche eine Reihe der merkwürdigsten Uebergänge von der reinsten Homostaurie (radialen Regularität) zur vollkommensten Heterostaurie (bilateralen Symmetrie) sehr deutlich ausgeprägt zeigen. Regulär- pyramidale Grundformen. Homostaura. 465 Die Homostaureu mit gerader Grundzahl (2n) nennen wir [Isopolen, weil bei ihnen die beiden Pole jeder Kreuzaxe gleich !sind; beide Pole treffen entweder auf die Mittellinie zweier gegen- über liegender Antimeren oder auf die G-renzlinie zweier gegenstän- idiger Antimeren- Paare. Daher sind hier, wie schon oben ausgeführt > wurde, zweierlei Kreuzaxen und Kreuzebenen vorhanden, die mit -einander regelmässig abwechseln, n radiale und n inteiTadiale. Jede ; radiale Kreuzebene ist die Medianebene zweier diametral gegenüber- ; stehender Antimeren, deren jedes durch sie in zwei symmetrisch : gleiche dreiseitige Pyramiden zerfällt. Jede interradiale Kreuzebene iist die Grenzebene von zwei congruenten Antimeren-Paaren. Am i häufigsten von den hierher gehörenden homotypischen Grundzahlen ist vier, demnächst sechs, dann acht, sehr selten zehn oder mehr i(10 + 2n). ' Die Homostauren mit ungerader Grundzahl (2n — 1) .können wir im Gegensatz zu den Isopolen passend als All o polen ii bezeichnen, weil bei ihnen die beiden Pole jeder Kreuzaxe ungleich ■sind; der eine Pol tiifft auf die Mittellinie eines Antimers, der andere ;auf die Grenzlinie des gegenüber liegenden Antimeren-Paares. Daher sind hier alle (2n — 1) Kreuzaxen und Kreuzebenen von einerlei Art, jede einzelne halb radial, halb interradial. Jede einzelne semiradiale Kreuzebene ist zur Hälfte die Medianebene eines Antimeres, zur Hälfte die Grenzebene des gegenüberliegenden Antimeren-Paares. Am häufigsten kommt hier als homotypische Grundzahl fünf vor, demnächst 'drei, sehr selten sieben, neun oder mehr (9 + 2n). Erste Gattung der homostauren Stauraxonien : Geradzahlige reguläre Pyramiden. Igopola. Stereometrische Grundform: Reguläre Pyramide mit 2 n Seiten. Die allgemeine Promorphe aller isopolen Homostauren ist die reguläre Pyramide mit gerader Seitenzahl, wie nach den vorausgehenden Erörterungen keines weiteren Beweises bedarf. Die characteristischen Axen-Verhältnisse dieser Forraengattung lassen sich kurz dahin recapitulu-en, dass wenn die homotypische Grundzahl = 2n ist, n unter sich gleiche radiale Kreuzaxen (und Kreuzebenen) mit n davon verschiedenen, aber unter sich ebenfalls gleichen, inter- radialen Kreuzaxen (und Kreuzebenen) alterniren. Jedes der 2 n An- timeren ist eine (ganze oder abgestumpfte) rechtwinkelige vierseitige Pyramide, deren Basis ein doppelt gleiclischenkeliges Trapez ist (ein Trapez, das durch die eine Diagonale in zwei gleichschenkelige ungleiche Dreiecke zerlegt wird). Von den vier Seitenflächen des Antimeres sind je zwei anstossende symmetrisch - congruent. Jede der vier iiaeckel, Generelle Morphologie. 30 466 System der organischen Grundformen. Seitenflächen enthält einen rechten Winkel. Die beiden äusseren Seitenflächen sind die Hälften zweier anstoseender Seiten der regulären Pyramide; die beiden inneren Seitenflächen sind die Hälften von zwei benachbarten interradialcn Kreuzebenen. Wir zerfallen die Formen- Gattung der isopolen Homostauren in fünf Formenspecies, je nachdem die Grundzahl vier, sechs, acht, zehn, oder mehr (I0 4-2n) beträgt. Je geringer die Grundzahl, desto vollkommener ist im Allgemeinen die Organisation, desto höher die Stellung des Organismus. Erste Art der isopolen Homostauren : Geradzahlige Vielstrahler. Myriactiiiota. Stereometrische Grundform: Reguläre Pyramide mit 10 + 2 nSeite«. Realer Typus: Aequorea. Wir fassen unter dem Namen der Myriactinoten alle diejenige» isopolen Homostauren zusammen, deren gerade Grundzahl mehr als zehn, also mindestens zwölf, vierzehn, sechszehn u. s. w., allgemein 10 + 2n, beträgt. Es rechtfertigt sich diese Zusammenstellung einer- seits dadurch, dass mehr als zehn Antinieren bei Homostauren über- haupt selten sind, und dass auch da, wo sie vorkommen, die homo- typische Grundzahl innerhalb der Speeles meistens schwankend und nur selten constant ist. Dazu kommt noch, dass in vielen dieser Fälle die einen Individuen der Speeles eine gerade, die anderen eine ungerade Antimeren-Zahl zeigen. Es findet also in der Myriactinoten- und Polyactinoten-Form eine unmittelbare Berührung der Isopolen- und Anisopolen-Form statt. Aus dem Pflanzenreiche sind uns sichere Beispiele myriactinoter Formen nicht bekannt. Dagegen flnden sich dieselben bei einer An- zahl von Seesterneu, von niederen Hydromedusen und von Radiolarien aus der Cyrtiden-Familie. Von den letzteren ist namentlich das merk- würdige Litharachnium ieniorium (Rad. Taf. IV, Fig. 7 — 10) mit zwanzig Antimereu zu nennen, welches die Grundform einer regulären zwauzigseitigen Pyramide mit ausgehöhlten Seitenflächen in zierlichster Ausführung zeigt. Unter den Seesternen findet sich die höchste An- timereu-Zahl bei Asteracanthion helianthus mit zwanzig bis dreissig- und selbst mit vierzig Strahlen; an ilin schliesst sich £cAma5/er -so/arw mit vierzehn bis zwanzig (bisweilen aber auch mit einundzwanzig' Armen. Zwölf bis vierzehn Antimeren (oft aber auch nur zehn bis elf) finden sieb bei Svlaster papposns, zwölf bei Asteracanthion aster. Viel häufiger ist die isopole Polyactinoten-Form bei den niederen Hydromedusen, wo nicht allein viele Hydroidpolypen, sondern auch viele craspedote Medusen, namentlicli aus den Familien der Aequo- Eegulär- pyramidale Grundformen. Homostaura. 467 irideu und Aeg-iniden, eine sehr hohe Antimerenzahl besitzen, die lireilich meist inconstant ist und häufig innerhalb der Species mit lungeraden Zahlen wechselt. Die meisten Aequoriden haben eine sehr I hohe Grundzahl (hundert oder einige hundert) ; bei Bhegmatodes tenuis rfinden sich dreissig, bei R. floridaniis sechszehn bis vierundzwanzig, teei Aequorea globosa di'eissig bis zweiunddreissig, bei A. mucilaginosa sstets vierundzwanzig Antimeren. Die autfallendsten Zahlenverhältnisse Ibietet die am niedrigsten organisirte Medusen-Familie der Aeginiden, wo nur bei wenigen Arten die Grundzahl eine niedere und constante (meist acht) ist. Es beti'ägt die Antimeren-Zahl dreissig bei Aegineta (Corona, achtzehn bei A. sol maris, sechszehn bei A. gemmifera, A. porolifera u. v. a., ebenso sechszehn bei Cunina rhododactyla, C. alhes- (cens (vierzehn bis sechszebn), C. complanata u. A. ; ferner vierzehn Ibei Aegineta flavescens, zwölf bei A. rosea, A. dodecagona und Ande- rren. Bei Cunina Köllikeri findet sich der merkwürdige Umstand, dass ddie eine Generation acht, die andere, welche im Magen der ersteren durch Knospung entsteht, zwölf Antimeren besitzt; ebenso hat Cunina rrubiginosa (Eurystoma rubiginosum) zehn, seine Knospenbrut (Steno- ygaster cotnplanatus) sechszehn Antimeren. Zweite Art der isopolen Homostauren: Zehiistrahler. Decactinota. StereomeWisclie Grundform: Zelinseitige reguläre Pyramide, Realer Typus: Aegineta globosa. Die zehnseitige reguläre Pyramide, als die Grundform der iso- I polen Homostauren mit zehn Antimeren, ist im Ganzen sehr selten, iiand noch weniger als die Polyactinoten-Form , im Organismus aus- ;geführt. Die wenigen Repräsentanten der Decactinoten-Form gehören I meistens der Hydromedusen-Klasse und namentlich der Aeginiden- tFamilie an, so die zuletzt erwähnte Cunina rubiginosa, ferner C. 'globosa, C. lativenlris (zehn bis zwölf), Aegineta globosa und einige ■Andere. Bisweilen kommen auch unter den Seesternen mit variabler ."Antimeren-Zahl einzelne Exemplare mit zehn Strahlen vor, so bei '^olaster papposus, S. endeca u. e. a. Unter den phanerogamen Blüthen und Früchten sind uns keine liunzweifelbaften Repräsentanten der Decactinoten-Form bekannt, da Jdie allermeisten, und vielleicht alle scheinbar zehnstrahligen Formen, in der That fUnfstrahlige sind, bei denen nur einer oder der andere ffllätterkreis (namentlich die Staubfäden, seltener, bei Phytolacca z. B., »auch die Staub wege) verdoppelt sind; dies gilt z. B. von den meisten Caryophyllinen und allen anderen Phanerogamen, welche Linn^'s (■Klasse der Decandria bilden. 30* 468 System der organischen Grundformen. Dritte Art der isopolen Homostauren: Achtstrahler. Octactiiiota. Stereometrische Grundform: Achtseilige reguläre Pyramide. Realer Typus: Alcyonium (oder Mimusops). Die Grundform der isopolen Homostauren mit acht Antimeren ist weit häufiger und constanter, als die Decactinoten-Form und ist namentlich als die gemeinsame Grundform aller Alcyouarien oder octactinien Polypen von Wichtigkeit. Diese formenreiche, von Bro-nn als Monocyclia octactinia bezeichnete Ordnung der Anthozoen, welche aus den drei grossen Familien der Alcyoniden, Gorgoniden und Pennatuliden zusammengesetzt ist, hat stets acht vollkommen gleiche Tentakeln, welche den Mund in einem einfachen regelmässigen Kreise umgeben, und acht denselben entsprechende Kammern der perigastrischen Höhle, welche durch acht gleiche und gleichweit von einander entfernte Septa getrennt sind. Hier ist also die Octactiuoten- Forra ganz rein Uberall ausgeprägt und nicht auf die Tetractinoten- Form zurlickfUhrbar. Alle acht Antimeren werden als solche getrennt angelegt, und ^ind von Anfang an einander gleich werthig. Dasselbe gilt auch von einigen wenigen Medusen aus der Aegiuiden-Familie, z. B. Aegiiiela hemisphaerica, Cunitia discoidalis, auch von einigen Seesternen mit variabler Antimeren -Zahl, unter denen achtsti-ahlige Exemplare nicht selten sind, so von Aüeriscus ausiralis, Solaster endeca (acht bis zehn) und Aster acaulhion temdspinus (sechs bis acht Strahlen). Dagegen lassen sich zahlreiche Hydromedusen , die auf den ersten Blick aus acht Antimeren zusammengesetzt zu sein scheinen, auf die Grundform der Tetractinoten zurückführen und durch •Duplication einzelner Organkreise aus diesen ableiten. Es geht dies schon daraus hervor, dass hier je zwei anstossende Antimeren nur symmetrisch -gleich und nur je zwei alternirende congrueut sind, wäh- rend bei den echten Octactinoten alle 8 Antimeren vollkommen con- ^ruent sein müssen. Diese Bemerkung gilt auch von den meisten, ■wenn nicht von allen phanerogamen Blüthen, die durch die Achtzahl .der Staubfäden (Octandria) zu den Octactinoten zu gehören scheinen. Die meisten derselben lassen als ursprüngliche Grundzahl vier oder d'ünf nachweisen. Nur Chlor a unter cfln Gentianeen, Mimnsops unter den Sapotaceen, und einige wenige Andere dürften wirklich aus acht Antimeren zusammengesetzt sein. Bei den meisten regulären Blüthen jnit acht Staubfäden sind nur vier Blumenblätter und vier Kelchblät- ter vorhanden, ursprünglich also offenbar nur vier Antimeren. Die scheinbaren acht Antimeren, durch den doppelten Antherenkreis au- gedeutet, sind in der That nur Parameren, von denen je zwei ein Antimer bilden. Regulär -pyramidale Grundformen. Homostaura. 469 Vierte Art der isopolen Homostauren: Sechsstiahler. llexactiiiota. Stereometrische Grundform: Sechsseitige reguläre Pyramide. Realer Typus: Carmarina Coder Achras:). Taf. I, Fig. 1. Die Grundform der regulären sechsseitigen Pyramide ist noch xviel weiter als die der achtseitigen verbreitet. Es ist diese Grund- iform allgemein nachzuweisen bei der grossen Mehrzahl der Anthozoen (PohiDeu) nämlich bei den Antipatharien oder Antipathiden (Bronn's 'Monocyclia hexactinia), bei den Malacodermen (mit Ausschluss der IParanemata oder Cereanthiden , also bei den Actiniden im weiteren > Sinne) endlich bei den allermeisten Sclerodermen (mit Ausschluss ,der Rugosen, also bei den Eporosen, Perforaten, Tubulosen und Ta- ^bulaten) Bei allen diesen Anthozoen ist die ursprünghcbe einfache Antimeren-Zahl sechs; in einem späteren Lebensstadium wird sie (mit Ausnahme der stets einfach bleibenden Antipatharien) oft scheinbar (!) • verdoppelt oder höher multiplicirt, indem zwischen die sechs primären Septa mehrere Systeme von secuudären, tertiären etc. Septis emge- . schaltet werden. Ausser den meisten Anthozoen ist die homotypische Sechszahl auch noch bei einigen anderen Coelenteraten ausgeprägt, nämlich bei den Carmariniden (Carmarina, Geryonia, Leuckarlia) aus der Familie der Rüsselquallen, bei Willia aus der Familie der Ocea- niden und bei einigen Aeginiden CAegineta paupercula). Endlich smd auch einige wenige Seestern-Arten (darimter mehrere, wie es scheint, constant) durch sechs Strahlen ausgezeichnet, so Asteracanthion gela- tinosus, A. polaris, Echinasler eridanella u. e. a. Von den phanerogamen Bliithen dürfte auf den ersteu Blick die grosse Mehrzahl der Hexandria Linnes und ein grosser Theil anderer Monocotyledonen zu den Hexactiuoten zu gehören scheinen. Indessen lehrt hier eine genauere Vergleichung, dass die eigentliche Antimeren- Zahl derselben drei ist. Nur einige wenige Dicotyledonen, namentlich Achras, Canarina, Loranthus (?), einige Arten von Lythrum und Sedum etc. dürfen als echte Hexactiuoten betrachtet werden, weil in allen Blattkreisen der Blüthe die Sechszahl wiederkehrt. Fünfte Art der isopolen Homostauren: Vierstrahler. Tetractiuota. Stereometrische Grundform : Vierseitige reguläre Pyramide oder Quadrat-Pyramide. Realer Typus: Aurelia (oder Paris). Taf. I, Fig. 9. Die Quadratpyramide oder das halbe gleichseitige Octaeder, die Grundform der isopolen Homostauren mit vier Antimeren, ist von allen Formarten der isopolen Homostauren die am meisten verbreitete. ^"^^ System der organischen Grundformen. Es ist dies die Grundform der grossen Hydrotnedusen-Klasse, nament- lich aller höheren Medusen (Acraspeden) und auch der meisten niede- ren (Craspedoten), von denen nur ein Theil der Siphonophoren-Ordnun^ sowie die im Vorhergehenden einzeln aufgeführten Medusen, nament- lich Aequoriden, Carmariniden und Aeginiden, ferner viele Hydroid- polypen, Ausnahmen bilden. Dann gehört auch noch ein anderer Iheil der Coelenteraten hierher, nämlich die gewöhnlich zur Anthozoen- Klasse gestellten Calycozoen (Lucernarien) und Rugosen (Cystiphylli- den, Stauriden, Cyathaxoniden und Cyathophylliden, letztere mit Aus- nahme der Zaphrentinen), endlich auch die meist zu den Malacoder- men-Polypen gestellten Paranemata (Cereanthiden). Als sehr wichtig ist hier aber besonders hervorzuheben, dass auch schon unter den Würmern einzelne Formen vorkommen, die ebenso aus vier absolut congruenten Antimeren zusammengesetzt 'sind wie die Medusen, und die desshalb streng genommen ebenfalls zu den Tetractinoten gerechnet werden müssen. Es sind dies diejenigen Bandwürmer, besonders aus der Gruppe der Tetraphyllideen (Phyllobothriden, Phyllacanthiden, Phyllorhjmchiden) und auch die Scolex-Metameren vieler anderer Cestoden, bei denen nicht nur die vier Saugnäpfe oder Hakenrüssel, die den Peristompol gleich vertheilt umgeben, congrueut sind, sondern auch der Excretionsapparat durch vier (oder acht) ganz gleiche Hauptstämme vertreten ist. Unter den phanerogamen Blüthen ist die Teü-actiuoten-Form ebenfalls sehr weit verbreitet und es dürfte wohl die Mehrzahl der Dicotyledonen mit vierspaltigem oder vierblättrigem Kelche und mit vierspaltiger oder vierblättriger Blumenkrone hierher zu rechnen sein, mag nun die Staubfädenzahl vier (Tetrandria) oder acht (Octandria) betragen. Als Beispiele von sehr reiner Ausbildung der Teti-actinoten- Form mögen hier Paris quadrifolia, Epünedium, Erica und verschie- dene andere Ericeen, und aus der (gewöhnlich dreizähligen) Monoco- tyledonen-Gruppe die streng vierzählige Äspidistra angefühi-t werden. Unter den Cryptogameu scheint die vierseitige reguläre Pyramide die Grundform von sehr vielen Früchten zu sein, so z. B. von den Vier- lingsfrüchten vieler Algen etc. Die Aequatorialebene dieser Grundform ist das Quadrat. Die durch die Diagonalen des Quadrats bestimmten beiden radialen Kreuz- ebenen, welche sich rechtwinkelig schneiden, können den beiden Richtebeneu der orthostauren Autopolen und insbesondere der Tetra- phragmen verglichen werden, mit welchen letzteren diese einfachste Form der isopolen Homostaui-en durch vielfache üebergänge allmählig verbunden ist. Sobald, wie es bei einigen Medusen (Saphenia, Slomo- tQca) geschieht, zwei 'gegenständige Antimeren sich durch Entwicke- lung irgend eines besonderen Orgaues vor den beiden mit ihnen Regulär -pyramidale Grundformen. Homostaura. 471 ilt^rnirenden auszeichnen, oder (wi6 bei den Cruciferen) durch män- lelhaftere Eutwickelung- hinter letzteren zAirlickbleiben, so ist der "Jebergang aus der Quadrat-Pyramide der Tetractinoten in die trhomben-Pyramide der Tetraphragmen bewerkstelligt. Zweite Gattung der homostauren Stauraxonien : Uligeradzahlige reguläre Pyramiden. Anisopola. Stereometnsche Grundform: Reguläre Pyramide mit 2n—l Seiten. Die Grundform der anisopolen Homostauren oder der heteropolen ^5tauraxonien mit ungerader Antimerenzahl ist die reguläre Pyra- mide mit ungerader Seitenzahl, wie schon oben erörtert worden sst. Die Axenverhältnisse dieser Formgattung sind dadurch characte- ■iisirt, dass, wenn die homotypische Grundzahl =2n— 1 ist, eben so riele' unter sich gleiche Kreuzaxen vorhanden sind, und dass jede von lliesen 2n— 1 Kreuzaxen zur Hälfte aus einem Radius, zur Hälfte uns einem Interradius besteht. Jedes der 2n— 1 Antimeren ist eine •ganze oder abgestumpfte) rechtwinkelige vierseitige Pyramide, deren BBasis ein doppelt - gleichschenkeliges Trapez ist (ein Trapez, dessen bieide Diagonalen senkrecht aufeinander stehen, und von denen die P3ine die andere halbirt, ohne von dieser selbst halbirt zu werden). \v^on den vier Seitenflächen jedes Antimeres, deren jede einen rechten Winkel enthält, sind je zwei anstossende symmetrisch- congruent. Die beiden äusseren Seitenflächen sind die Hälften zweier anstossenden ^ieiten der regulären Pyramide; die beiden inneren Seitenflächen sind Ilie inten-adialen Hälften von zwei benachbarten semiradialen Kreuz- "ibenen. Das Formen- Genus der allopolen Homostauren zerfällt in ("ünf Formen- Speeles, je nachdem die Grundzahl 9 4-2n oder neun, süeben, fünf, drei beträgt. Je niedriger die homotypische Grundzahl, liesto vollkommener ist die Grundform. Erste Art der anisopolen Homostauren: Uiigeradzahlige Vielstrahler. Polyactiiiota. Stereometrische Grundform: Reguläre Pyramide mit 9 + 2nSeiten. Realer Typus: Brisinga. In der Gruppe der Polyactinoten fassen wir alle diejenigen ani- '«opolen Homostauren zusammen, deren ungerade Grundzahl mehr als meun, also mindestens elf, dreizehn, fünfzehn u. s. w., allgemein '3-f 2n beträgt. Es sind diese Homostauren von den Myriactinoten ^.Qicht scharf zu trennen, da bei vielen hierher gehörigen Speeles die Grundzahl variabel, bald gerade, bald ungerade ist. Selten ist eine 472 • System der organischen Grundformen. höhere Grundzahl als neun bei allen Individuen einer Speeles constant. Ueberhaupt sind im Ganzen höhere ungerade Zahlen sehr selten, und noch seltener als höhere gerade Grundzahlen. Aus dem Pflanzenreiche sind uns solche nicht bekannt. Im Thierreiche finden sie sich bei denselben Strahlthiergruppen, die wir schon unter den isopolen Myri- actinoten hervorgehoben haben, einerseits bei einigen Seesternen andererseits bei einigen Medusen aus den Familien der Aeginiden und Aequoriden. Es sind hier dieselben Arten von Aequoriden und Aeginiden hervorzuheben, die überhaupt eine höhere und dabei variable Antimerenzahl besitzen und daher ebensowohl häufig eine gerade als eine ungerade Grundzahl zeigen. Abgesehen hiervon aber scheinen einzelne Speeles sich durch eine constante ungerade Grundzahl, die höher als neun ist, auszuzeichnen. So sollen mehrere Arten von Mesonema constant aus siebzehn Antimeren zusammengesetzt sein Phorcynia striata aus di'cizehn, Cunina lativentris aus elf (bisweilen jedoch auch aus zehn oder zwölf), C. viirea aus neun bis elf Strahl- stücken u. s. w. Unter den Seesternen zeichnet sich Asteriscus rosa- ceus durch die constante Zusammensetzung aus fünfzehn Antimeren aus. Ebenso ist die merkwürdige Brisinga endecacnemos , welche den Uebergang von den Asterien zu den Ophiuren bildet, durch den Constanten Besitz von elf Armen ausgezeichnet. Einundzwanzig Strahlen finden sich bisweilen bei Echinaster solaris, der meist vier- zehn bis zwanzig besitzt. Zweite Art der anisopolen Homostauren: JVeunstrahler. Eniieactiiiota. Stereometrisdie Grundform: Neunseitige reguläre Pyramide. Realer Typus: Luidia senegalensis. Von allen homotypischen Grundzahlen unter zwölf scheint neun am seltensten realisirt zu sein. Constant oder doch fast constant finden sich neun Antimeren bei einigen Seestern-Arten vor, so nament- lich bei Luidia senegalensis 31. Tr. und Luidia maculaia M. Tr. Ebenso finden sich bei Solaster endeca fast immer neun (selten acht oder zehn) Strahlenarme. Neun Strahlen kommen auch bei Asteriscus australis vor, welcher deren gewöhnlich acht hat. Drittö" Art der anisopolen Homostauren : Siebeiistraliler. lleptactiiiota. Stereometrische Grundform: Siehenseitige reguläre Pyramide Realer Typus: Trientalis (oder Luidia Savignyi). Wie schon oben bemerkt wurde, sind die Grundzahlen neun und sieben von allen niederen Zahlen am seltensten in organischen Formen ausgeprägt. Die siebenseitige reguläre Pyramide findet sich daher Regulär-pyramidale Grundformen. Homostaura. 473 lals Grundform von Personen sowohl im Thier- als im Pflanzenreiche onur selten deutlich ausgebildet vor. Von den Thieren ist uns nur ficht selten ist hier die geometrische Grundform sehr rein in der B3ildung des zierlichen Kieselgehäuses ausgesprochen, so bei vielen iVi'ten von Lithomelissa, Lithornithium, Rhopalocanium, Podocyrtis ; [»esonders regelmässige dreiseitige Pyramiden sind die Kieselschalen ivon Lychnocafdum lucerna, Dictyophimus gracilipes, Rhopalocanium wnatum und Dictyopodium trilohum. Unter den Phanerogamen-Pflanzen ist die Dreizahl ebenso charac- leeristisch für die BlUthensprosse bei der grossen Mehrzahl der Mono- ;-';otyledonen, wie die Fünfzahl (seltener die Vierzahl) füi- die Blüthen albe, selten die geviertheilte amphithecte Pyramide). 476 System der organischen Grundformen. Den Character und die allgemeinen Eigenschaften der amphithecten oder zweischneidigen Pyramide haben wir bereits oben bestimmt und er- läutert; es ist eine gerade Pyramide mit gerader Seitenzahl, deren Basis ein amphithectes (zweischneidiges) Polygon ist (p. 434). Die Seitenzahl kann sehr verschieden sein, muss aber stets gerade (2n) sein. Als Beispiel für die achtseitige amphithecte Pyi-amide mögen hier vorläufig die Ctenophoren, für die sechsseitige die Madreporen, für die vier- seitige die Zygocyrtiden (auch viele Siphonophoren, ferner die Cruci- feren-Blüthen, Circaea u. A.) hervorgehoben werden. Der hervor- stechendste und wichtigste Charaoterzug der zweischneidigen Pyra- mide besteht darin, dass sie durch zwei auf einander senkrechte Ebenen, deren Schnittlinie die Hauptaxe ist, in vier rechtwinkelige Pyramiden zerlegt wird, von denen je zwei benachbarte symmetrisch- gleich, je zwei gegenüberliegende aber congruent sind. Die beiden ungleichen, sich gegenseitig halbirenden Meridianebenen, welche auf diese Weise den Character der amphithecten Pyramide bestimmen, haben wir oben als Richtebenen (Plana euthyphora) oder ideale Kreuzebenen bezeichnet. Die beiden Queraxen, welche auf der Haupt- axe in deren Mittelpunkt senkrecht stehen, und in den beiden ßicht- ebenen liegen, sind die Rieh tax en (Euthyni) oder die idealen Kreuzaxen. Mindestens die eine und meistens auch die andere von diesen beiden Richtaxen fällt mit einer realen Kreuzaxe, enfr^veder einer radialen oder einer interradialen, nie mit einer semiradialen zusammen. Die eine der beiden Kichtebeuen, die wir die Lateral ebene oder Breitenebene nennen, theilt die amphithecte Pyramide in zwei con- grueute Hälften, welche der Rücken- und Bauchhälfte des Thieres entsprechen; die in der Lateralebene liegende Richtaxe ist die Late r alaxe oder Breitenaxe, deren beide Pole wir als rechten und linken unterscheiden. Die andere Richtebene, welche die amphithecte Pyra- mide ebenfalls in zwei congrueute Hälften, und zwar in eine rechte und linke Hälfte, theilt, ist die Längenebene oder Medianebene, und die in derselben liegende Richtaxe ist die Dorso ventral axe oder Dickenaxe, deren beide Pole wir als Rücken- und Bauch-Pol unterscheiden. Diejenige Ebene endlich, welche durch die beiden Richtaxen bestimmt ist, entspricht der Aequatorialebene der bisher betrachteten Protaxonien, und wird am besten als Dorso ventral ebene oder Dickenebene unterschieden. Durch sie wird die ganze amphithecte Pyramide in zwei ungleiche Stücke getheilt, ein Apical- stück und ein Basalstück. Vergl. Taf. L, Fig. 2, 8 nebst Erklä- rung. Wir haben demnach an der einfachen amphithecten Pyramide, ganz abgesehen von den realen Kreuzaxen und den durch ihre Zahl bestimmten Seiten, die allgemein 2n-|-2 ist, (bei den Ctenophoren acht. Irregulär- pyramidale Grundformen. Heterostaura. 477 i den Madreporen sechs, bei den Cruciferen vier), folgende allge- iiein bestimmende Punkte, Linien und Ebenen zu unterscheiden: I. Drei auf einander senkrechte und sich gegenseitig halbirende Axen, welche den drei Dimensionen des Raumes entsprechen und von lenen eine ungleichpolig ist, während die beiden anderen gleichpoUg ~ind. Diese drei Axen sind: 1) die ungleichpolige Hauptaxe oder i.ängsaxe (Axis principalis, longitudinalis). A. Erster Pol oder Mundpol (Po Ins oralis, Peristomiura, Basis der Pyramide). IB. Zweiter Pol oder G egenmundpol (Polus ab oralis, Antistomium, .Apex der Pyramide). 2) Die gleichpolige erste Richtaxe (Dicken- aaxe oder Rückenbauchaxe (Axis dorso ventralis, sagittalis). .-A. Erster Pol oder Rückenpol (Polus dorsalis). B. Zweiter Pol coder Bauchpol (Polus ventralis). 3) Die gleichpolige zweite Richt- aaxe, Breitenaxe oder Öeitenaxe (Axis lateralis, dextrosinistra). .-A. Erster oder rechter Pol (Polus dexter. B. Zweiter oder Hnker IPol (Polus sinister). II. Drei auf einander senkrechte Ebenen, welche durch je zwei won den eben bestimmten drei Axen gelegt werden können und von (denen die eine (die Medianebene) jede der beiden anderen halbirt. IDiese drei Ebenen sind: 1) die Medianebene, Sagittalebene oder ILängs-Dicken-Ebene (Planum medianum), durch die Hauptaxe mnd die Dorsoventralaxe bestimmt; 2) die Lateralebeue oder Längs- fBreiten-Ebene (Planum laterale), durch die Hauptaxe und die ILateralaxe gelegt; 3) die Aequatorialebeue oder Breiten-Dicken-Ebene (Planum aequatoriale s. dorsoventrale), durch die beiden Richt- saxen bestimmt. Die letztere ist ein ampliithectes Polygon von 2n-|-2 ^Seiten; die beiden ersteren sind gleichschenklige Dreiecke, oder, vwenn man die abgestumpfte amphithecte Pyramide betrachtet, ^gleichschenkelige Paralleltrapeze (Antiparallelogramme). III. DieKreuzaxen (Stauri), welche auf dem Mittelpunkte der IHauptaxe senkrecht stehen und durch sie halbirt werden, so wie die fKreuzebenen (Plana cruciata) oder die Meridiauebenen , welche idurch die Hauptaxe und jede der Kreuzaxen sich legen lassen, Ikönnen bei den ganzen amphithecten Pyramiden niemals semiradial i-sein, da die homotypische Grundzahl niemals eine ungerade sein kann. IDa die letztere stets 2n-|-2 ist, so müssen die Kreuzaxen und Kreuz- lebenen stets von zweierlei Art, abwechselnd radial und interradial ssein. Die Kreuzaxen und die durch sie und die Hauptaxe gelegten JKreuzebenen können ferner niemals alle gleich sein, da erst durch idie Ungleichheit derselben die Differenzirung der beiden ungleichen IRichtaxen und Richtebenen bedingt wird, welche den Charactcr der »amphithecten Pyramide bestimmt. Wie die meisten vorstehend angeführten Grundformen, so ist 478 System der organischen Grundformen. auch die ganze und halbe amphithecte Pyramide, welche die gemein- same Grundform der meisten Heterostauren ist, von den Morphologen bisher nicht erkannt worden, da man die bestimmenden Axen und deren Pole entweder gar nicht oder doch nicht gehörig berücksichtigt hat. Vielmehr hat man alle hierher gehörigen Formen als „Bilateral- Symmetrische" im weitesten Sinne des Wortes betrachtet. Der Einzige, der wenigstens den Unterschied der ganzen und halben amphithecten Pyramide, wenn auch nicht erkannt, so doch gefühlt und unbestimmt ausgedrückt hat, ist Bronn; er nennt diejenigen Heterostauren, welche der ganzen amphithecten Pyramide entsprechen, Sagittalformen oder Keile (Sphenoide), diejenigen, welche nur eine halbe repräsentiren, Halbkeile (Hemisphenoide). Die äusserst umfangreiche und vielgestaltige Formengruppe der Heterostauren zerfällt zunächst in zwei Hauptabtheilungen, autopole und allopole, je nachdem jede der beiden Richtaxen (oder idealen Kreuzaxen) gleichpolig ist, oder wenigstens die eine derselben (selten auch die andere) ungleichpolig ist. Die autopolen Heterostauren, bei denen die beiden Pole an jeder der beiden Richtaxen gleich sind, werden durch jede der beiden Richtebenen in zwei congruente Stücke zerlegt. Die allopolen Heterostauren, bei denen die beiden Pole der einen Richtaxe (selten auch die der anderen) ungleich sind, werden durch die eine Richtebene in zwei ungleiche, durch die andere in zwei symmetrisch -gleiche Stücke zerlegt (oder, wenn beide Richt- axen ungleichpolig sind, in zwei symmeti-isch -ähnliche). Zwischen diesen beiden Hauptabtheilungen besteht der sehr wichtige Unterschied, dass bei den Autopolen, wie bei allen bisher betrachteten Protaxo- nien, die Mitte des Körpers eine Linie ist, während dieselbe bei den Allopolen zur Ebene wird. Wenn man auf dieses, die Körperform in hohem Maasse bestimmende Verhältniss das Hauptgewicht legt, so muss man die Autopolen als die letzte und höchst differenzirte Ab- theilung der Centraxonien (Protaxonien, mit Ausschluss der Allo- polen) betrachten und diesen die Allopolen als Centrepipeden en' gegen stellen. Die geometrische Grundform der autopolen Heter Stauren ist die ganze, diejenige der allopolen die halbe amphithec Pyramide (selten, wenn nämlich beide Richtaxen ungleichpolig sin die geviertheilte). Bei den Autopolen ist rechte und linke Hälft eongruent, bei den Allopolen symmetrisch -gleich (selten bloss S}Tnm trisch - ähnlich); bei den ersteren ist Rücken- und Bauchhälfte eon- gruent, bei den letzteren ungleich. Die kleinere, aber morphologisch besonders interessante Abthei- lung der autopolen Heterostauren bildet die Grundform bei den Bion- ten der Ctenophoren und Madreporen, vieler Siphonophoren, einiger niederer Würmer, der Zygocyrtiden und mehrerer Dicotyledonen- Amphitliect- pyramidale Grundformen. Autopola. 479 1 Familien (Cruciferen u. a). Weit wictitigev uud umfaugreielißr ist die .Abtli eilung der allopolen Heterostauren , deren Grundform das mate- irielle Substrat der actuellen Bionten bei den meisten höheren und ivielon niederen Thieren uud Pflanzen bildet. Es gehören hierher 'Sämmtliche Wirbelthiere, Arthropoden und Mollusken, die meisten 'WUrnier, die irregulären Eohinodermen, die Zaphrentinen, viele ^Siphonophoren und eine kleine Anzahl von Rhizopoden, sowie von tden Mouocotyledonen die Gräser, Cyperaceen, Orchideen etc. und von iden Dicotyledonen die umfangreichen Familien der Compositen, Um- Ibelliferen, Leguminosen, Violarien und viele Andere. Erste Gattung der heterostauren Stauraxonien : Aiiiphithect-pyraniidale Gruiidformeii. Autopola. (Toxopleura. Sagittalia, Sphenoide, Bronn.) Stereometrische Grundform : Amphithecte Piiramide (Taf. I, Kg. 2, 8). Die Abtheilung der autopolen Heterostauren ist für die allge- 1 meine Morphologie von besonderem Interesse, wie schon daraus 1 hervorgeht, dass man bei einer hierher gehörigen Thierklasse^ den • Ctenophoren nämlich, im letzten Jahrzehnt schon mehrfach bemüht igewesen ist, die allgemeine Grundform zu erkennen. Da man bei (der Mehrzahl der Organismen diese Frage überhaupt noch nicht aufge- ^worfen oder doch nur in der oberflächlichsten Weise beantwortet hat, aso dürfen sich die Ctenophoren in dieser Beziehung schon eines be- ^8onderen Vorzuges rühmen. Freilich zeigt Nichts so deutlich, wie ^sehr dieser Theil der Morphologie die unentbehrliche Grundlage der >scharfen philosophischen Begriffsbestimmung vernachlässigt hat, als idie unklare und verworrene Weise, in der man die Frage von der • Grundform der Ctenophoren zu lösen versucht, und die zu den selt- ^8amsten Widersprüchen geführt hat. Während die einen Morphologen 'dieselben als „rein bilateral -symmetrische Thiere", die anderen als -„Uebergänge vom bilaterals-ymmetrischen zum radial-regulären Typus" deuteten, haben sie wieder andere als reine „Strahlthiere" aufgefasst !und zwar bald als „achtstrahlige", bald als „zweistrahlige" Thiere. lUnd doch ist die eigenthümliche Grundform der autopolen Heterostauren iin allen Ctenophoren so rein uud so ohne Uebergangsbildungen, weder /zur wirklichen „Bilateralsymmeüie", noch zur wirklichen „ßadial- rregularität" ausgesprochen, dass die einfachste Untersuchung der Axen lund ihrer Pole, sobald man einmal die Begriffe der Grundformen Ifestgestellt hat, sofort zum einzig möglichen Resultate führt. Von liden anderen Thieren, die neben den Ctenophoren eine Stellung in ider Gruppe der autopolen Heterostauren beanspruchen, sind die «echsstrahligen Madreporen noch gar nicht, die viertheiligen niederen 480 System der organischen Grundformen. Würmer nur von Bronn kurz beachtet worden. Auch in den hierher gehörigen Pflanzen, den Blüthensprosseu der Crueiferen nämlich und einiger anderer Phaueroganien, ist die stereometrische Grundform nicht erl^annt worden. Die Grundform der autopolen Heter ostaureu ist die amphithecte Pyramide, deren Character wir im Vorhergehenden (p. 434) genügend festgestellt und erörtert haben. Als das sicherste Kriterium derselben, welches sie in allen Fällen characterisirt und sie von allen üb rigen Pyramid en bestimmt unterscheidet, soll hier nur nochmals hervorgehoben werden, dass die amphithecte Pyramide durch zwei auf einander senkrechte ungleiche Ebenen (Kichtebenen), deren Schnittlinie die Pyramidenaxe (Haupt- axe) ist (und nur durch diese beiden Ebenen!) in vier recht- winkelige Pyramiden zerlegt wird, von denen je zwei an- stossende symmetrisch-gleich, je zwei gegenständige aber congruent sind. Diese Eigenschaft ist dadurch bedingt, dass die beiden, in jenen Richtebenen liegenden Richtaxen (Euthyneu oder idealen Kreuzaxen), welche sich gegenseitig und die ungleichpolige Hauptaxe unter rechten Winkeln halbiren, ungleich sind, während die beiden Pole (und Poltiächen) joder Richtaxe gleich sind. Die autopolen Heterostauren unterscheiden sich einerseits von allen bisher untersuchten heteropolen Stauraxonien, also von den Honiostauren, durch die ungleiche Länge und Beschaffenheit der radialen Kreuzaxen, während sie durch die gleiche Beschaffenheit der beiden Pole jeder Kreuzaxe mit denselben übereinstimmen. Anderer- seits sind sie von den allopolen Heterostauren, mit (Jenen sie die Ungleichheit der Kreuzaxen gemein haben, durch die Gleichheit ihrer Pole verschieden. Wie sie durch diese Eigenschaften zwischen den beiden genannten Gruppen in der Mitte stehen, so ist es auch der Fall mit Bezug auf die Körpermitte (Centi-um). Während diese bei den allopolen Heterostauren zur Ebene wird (Centrepipeden), so bleibt sie bei den autopolen noch eine Linie, wie bei den Horaostauren; allein durch die Differenziruug der beiden Richtebenen, die bei den letzteren stets gleich, also als solche eigentlich nicht vorhanden sind, tritt den- noch eine Annäherung der Autopolen an die Allopolen ein, indem gewissermaassen zwei Medianebenen durch die beiden Richtebenen gegeben sind. Da aber jede derselben durch die andere in zwei gleiche Hälften getheilt wird, so fehlt wiederum der wesentliche Cha- racter der allopolen Medianebeue, die Zusammensetzung aus zwei ungleichen Hälften, Rücken- und Bauch-Hälfte. Daher können wii an der Autopolen -Form an und für sich, ohne Vergleichung mit ver- wandten Allopolen, niemals bestimmen, welche der beiden ungleichen Richtaxen und Richtebenen die dorsoventrale, welche die laterale ist. Ampliitliect- pyramidale Grundformen. Autopola. 481 )Der Rucken ist vom Bauche ebenso wenig als das Rechts vom Links ,rerschieden. Nur die Hauptaxe ist ungieichpolig. Wie wir die autopole Heterostauren-Fonu aus der allostauren liioniopolen Stauraxon-Form einfach dadurch erhalten, dass wir die iiiniphithecte Doppelpyramide der letzteren mittelst eines durch die .V^iequatorialebene gelegten Schnittes halbiren, so können wir auch ziwei Unterabtheilungen der ersteren dadurch erhalten, dass wir sie auf gleiche Weise aus den beiden, oben geschilderten Formengruppen iiier letzteren ableiten. Wir werden so oxystaure Autopolen e3rhalten, bei denen mehr als zwei radiale Ki-euzaxen vorhanden sind, illie sich unter spitzen Winkeln schneiden, und orthostaure, bei illenen nur zwei radiale Kreuzaxen ausgebildet, die sich unter rechten Winkeln schneiden, und demgemäss mit den beiden idealen Kreuz- aixen oder Richtaxen zusammenfallen. Die orthostaureu Autopolen eentsprechen den orthogonien oder octopleuren Allostauren, deren IBälften sie darstellen, und sind gleich diesen aus vier Antimeren ^zusammengesetzt. Die oxystauren AUopolen dagegen können als l Hälften der oxygonien oder polypleuren Allostauren betrachtet wer- den und sind gleich diesen allgemein aus 4 + 2n Antimeren (min- lidestens aus sechs, acht, zehn u. s. w.) gebildet. Wie es oben bei (ider homopolen amphithecten Doppelpyramide geschah, so kann auch Ihier bei der heteropolen amphithecten Einzelpyramide die viertheilige, (orthostaure oder orthogonie Form (mit vier Antimeren) als eine be- sisondere Art und zwar als die einfachste und regelmässigste Art der wielth eiligen, oxystauren oder oxygonien Form (mit 4 + 2 n Antimeren) Ibetrachtet werden. Diese speciellste Form der letzteren ist das halbe IRhomben-Octaeder oder die rhombische Pyramide. Erste Untergattung der autopolen Heterostauren. Vielseitige aniphithecte Pyramiden. Oxystaura. Sterßomelrische Grundform: Amphithecte Pyramide mit 4-\-2tiSeiten. Als oxystaure Autopolen fassen wir hier alle diejenigen autopolen üieterostauren zusammen, welche aus sechs, acht und mehr (allgemein aaus 4 + 2n) Antimeren zusammengesetzt sind. Da also sechs das Minimum der Antimerenzahl bei allen hierher gehörigen Formen ist, mo muss die Zahl der radialen Kreuzaxen demgemäss mindestens drei tbetragen und diese können sich nur unter spitzen Winkeln schneiden (daher Oxystaura). Es fallen mithin mindestens zwei radiale und vzwei interradiale Kreuzebenen nicht mit den beiden Richtebenen zu- ssammen. Die stereonietrischc Grundform der Oxystauren ist eine ge- rrade Pyramide, deren Basis ein amphithectes Polygon von mindestens >»echs oder acht Seiten (allgemein von 4 + 2n Seiten) bildet. Von Uaeckel, Generelle Morphologie. 31 482 System der organischen GrundformeD. hierher gehörigen Formen sind uns nur zwei Arten bekannt, die achtseitige und die sechsseitige amphithecte Pyramide, von denen die erstere die Grundform der Ctenophoren, die letztere die der Madre- poren und einiger anderer sechszähliger Authozoeu bildet. Oxystaure Autopolen mit zehn, zwölf oder 12 + 2n Antimeren, die ebenfalls be- sondere Arten bilden würden, scheinen in rein ausgeprägter Forin nicht vorzukommen. Erste Art der oxystauren Autopolen: Achtreifige. Octoplirag^iiia. (Achtstrahlige gleichpolige Bilateralformen.) Slereometrische Grundform: Achlseilige umphilheclc Pyramide. Bealer Typus: Eucharis (Taf. I, Fig. 8). Die sehr characteristische Octophragmen-Form ist von besonderem Interesse als die allgemeine und ausschliessliche Grundform sämmt- licher Ctenophoren. Wie mannichfaltig auch durch die zierlichste Architectonik das Aeussere dieser schönen und gestaltenreichen Thier- klasse modificirt erscheinen mag, stets lässt es sich auf dieselbe ein- fache Grundform zurückführen. Die augenfälligen Abweichungen, welche die Grundform der Ctenophoren von der „regulären" Strahl thierform der nächstverwandten Hydromedusen und Anthozoen zeigt, haben, wie erwähnt, in neuerer Zeit zu lebhaften Erörterungen ge fllhrt, die jedoch, ohne ein positives Resultat zu haben, die klari Autfassung derselben eher noch mehr erschwert haben. Nachdem man früher die Ctenophoren bald als rein bilateral-symmetrische Thiere, bald als Uebergangsformen von der bilateralen Symmetrie zur radialen Regularität betrachtet hatte, während sie wieder von Anderen als echte Strahlthiere, und zwar bald als achtstrahlige, bald als vierstr ahlige angesehen wurden, erschien vor wenigen Jahren ein diese Frage ausführlicher behandelnder Aufsatz von Fritz Müller „über die angebliche Bilateralsymmetrie der Rippenquallen,"') worin dieser ausgezeichnete Naturforscher den Nachweis zu führen versuchte, dass die Ctenophoren „zweistrahlige Thiere" seien. Obgleich dieser Arbeit jedenfalls das Verdienst gebührt, die Irrthüraer und Widersprüche der früheren Betrachtungsweise schlagend nachgewiesen zu haben, so kann doch die versuchte Lösung der anscheinend si verwickelten Frage nicht als eine glückliche bezeichnet werden Vielmehr wird sich aus einer einfachen und unbefangenen Betracl; tung der Axenverhältnisse ergeben, dass die Ctenophoren die be stimmte eigenthtimliche Grundform der oetophragmen Oxystauren, die ') Archiv für Naturgeschichte, 1861, XXVII, 1; pag. 320-325. Achtreifige Grundformen. Octophragma. 483 mir zu den autopolen Heterostauren stellen müssen, besitzen und dass säie also ebenso weit vom echten radialen als vom echten symme- tti-ischen Typus entfernt sind. Der Körper aller Ctenophoren ist aus acht Autinaereu zusammenge- fsetzt, deren jedes einen Nerven, ein Chylusgefäss, eine Reihe von Wim- iperblättern und eine Doppelreihe von Geschlechtsorganen (eine männliche Lund eine weibliche Reihe) enthält. Es sind also die wesentlichen Orgaue ddes Körpers in Achtzahl vorhanden und in der Weise vollkommen regulär ;5auf 8 Strahlen vertheilt, dass an dem wirklich „achtstrahligen" Bau, d. h. ;«,n der wirklichen Zusammensetzung des Körpers aus acht radialen Anti- imeren nicht gezweifelt werden kann. Diejenigen Organe, welche nicht in .Achtzahl vorhanden sind, liegen entweder als einfache unpaare Organe in cider Hauptaxe des Körpers, wie Mund, Magen, Sinnesorgan, oder sie sind ipaarig vorhanden, und liegen dann entweder in der einen oder in der an- (deren von den beiden auf einander senkrechten Meridianebenen (Richtebe- men), welche man durch die Hauptaxe und durch die beiden idealen auf teinander senkrechten Kreuzaxen (Richtaxen) legen kann. Beide Richtebe- Imen sind interradiale Kreuzebenen; daher theilen sie den ganzen Körper iin 4 Stücke (Quadranten), deren jedes aus 2 ähnlichen Antimeren besteht. Je 2 benachbarte Quadranten sind symmetrisch -gleich, je 2 gegenständige icongruent; die beiden Antimeren jedes Quadranten aber sind weder con- ^gruent, noch symmetrisch-gleich, sondernbloss ähnlich. (Vgl. Taf. I, Fig. 8 nebst iErklärung.) Jede der beiden Richtebenen, die wir als die sagittale (ii is) iund laterale (ig i,) unterscheiden, ist durch den Besitz besonderer Or- igane, durch Grösse, Form u. s. w. von der anderen unterschieden. Da je- idoch sowohl die beiden Körperhälften, welche durch die Sagittalebene ^getrennt M'erden, unter sich congruent sind, als auch die beiden Körper- Ihälfteu, welche durch die Lateral-Ebene geschieden werden, so könnte es .zunächst willkührlich erscheinen, welche der beiden Richtebenen als Median-, iwelche als Breitgi-Ebene aufzufassen sei. Immerhin lassen mehrere Homo- ilogieen diejenige Deutung als die passendere erscheinen, welche die beiden ; stets nur paarig vorhandenen Tentakeln als laterale Organe aufifasst und danach das Rechts und Links bestimmt, so dass die beiden terminalen Gabeläste der Trichterhöhle nach Rücken- und Bauch- Seite gerichtet sein und die Median -Ebene bestimmen würden. Von den paarig vorhandenen Organen liegen dann in der Lateral-Ebene (Rechts und Links), die beiden Tentakeln (Fig. 8, is ir), die beiden Canäle, welche rechts und links an den breiten Magenseiten horablaulen (Magengefässe) und die beiden Haupt- stämme des Gastrovascularsystems (Ki, K^), welche von der Trichterhöhle seit- lich abgehen und durch deren wiederholte Bifurcation die 8 Radialcanäle entstehen. In der Sagittal - Ebene dagegen (auf der Rückeu- und auf der Bauchseite) liegen die beiden terminalen Gabeläste der Trichterhöhle, welche sich hinten nach aussen öffnen, and die beiden grossen Mundlappen (Ober- und Unterlippe, L„ LJ, welche bei den Calymmiden so entwickelt sind, ferner die colossalen bandförmigen Ausläufer, welche die Hauptmasse des Körpers von destvm bilden. Der sehr stark seitlich zu- 31* 484 System der orgaiÜ8chen|Qrundformen. sainmengedriickte Mageu ist ebenfalls in der Mediau-Ebeue ausgedehnt, so dass also sein längerer Kreuzdurchmesser und ebenso die Länge der schma- len Mundspalte von Oben nach Unten, vom Rücken zum Bauch verläuft. Nur ist nicht zu vergessen, dass bei allen Ctenophoren die Rücken- von der Bauch -Seite ebenso wenig verschieden ist, als die rechte von der linken. Da alle diejenigen Organe der Ctenophoren, welche unpaar vorhanden sind (Mund, Magen, Sinnesorgan) und ebenso alle diejenigen Organe, welche paarig vorhanden sind, in einer der beiden interradialen Richtebenen liegen, so ergiebt sich, dass alle 4 Quadranten genau dieselbe Anzahl von Or- ganen und Orgautheilen enthalten, und mithin vollkommen gleich sind, nur mit der Differenz, dass je 2 anstossende Quadranten symmetrisch-gleich, je 2 gegenständige congruent sind. Jeder Quadrant aber besteht aus zwei ungleichen Antimeren, von denen zwar jedes einen radialen Nerven, ein radiales Chylusgefäss, eine radiale Wimperrippe, eine radiale Doppelreihe von Genitalien besitzt, von denen aber das eine (laterale) durch einen hal- ben interradialen Senkfaden, ein halbes interradiales Magengefäss und Hauptstammgefäss u. s. w. an seiner lateralen (die Breiten-Richtebene bil- denden) Greuzebene ausgezeichnet ist, während das andere (dorsale oder ventrale) einen halben interradialen Mundlappen, ein halbes iuterradiales Trichtergefäss u. s. w. an seiner sagittaleu (die Median- Richtebene bilden- den) Grenzebene besitzt. Es zeigt sich also bei genauerer Betrachtung der Ctenophoren-Körper in der Weise aus 4 Antimeren- Paaren zusammengesetzt, dass sämmtliche Organe des Körpers in jedem Antimeren-Paare oder Quadranten entweder doppelt oder einfach oder halb oder geviertheilt vorhanden sind, während jedes einzelne Antimer, für sich betrachtet, unvollständig erscheint. Es könnte mithin die Frage aufgeworfen werden, ob wir die Ctenophoren . nicht vielmehr, gleich den Hydromedusen, als vierzählige Tliiere ansehen sollen, bei denen aber, wie es schon bei den Saphenien, Stomotoken etc. ange- deutet ist, durch Differenzirung der Kreuzaxen aus 4 congruenten Anti- meren 2 congruente Paare von je 2 symmetrisch -gleichen Antimeren ent- standen sind. Dem steht aber einerseits der Umstand entgegen, dass die Ctenophoren den achtstr ahligen Alcyonarien durch ihren Bau näher ver- wandt sind, als den vierötrahligen Hydromedusen, und andererseits die Differenz, dass bei den heterostauren Medusen {Suphenia , Stomotoca etc.) die beiden Richtebenen durch die beiden radialen, bei den Ctenophoren dagegen durch 2 interradiale Kreuzebenen gebildet werden. Wenigstens scheint der sicherste Anhaltpunkt dafür, dass die in den Richtebenen der Ctenophoren angebrachten paarigen oder unpaaren (centralen) Organe iu- terradial sind, in den zwischen ihnen liegenden Chyluscauälen und den sie begleitenden Organen, Nerven, Genitalien etc. gegeben zu sein, die wir all- gemein bei den Coeleuteraten als „radiale" anzusehen berechtigt sind. Wollte mau die Richtebenen der Ctenophoren als „radiale" Kreuzebenen auffassen, gleich denen der Hydromedusen, so müsste mau annehmen, dass die 4 Radialcanäle und die sie begleitenden Organe sich derart gabelspaltig getheilt hätten, dass die beiden Aeste jeder Gabel weit von der Mittel- Achtreifige Grundformen. Octophragma. 485 linie des Antimeres sich entfernt hätten, während die übrigen radialen Or- gane (die paarig vorhandenen) in der Mittelebcne des Antimeres zuruckge- ;>>Ueben seien und sich paarweis differenzirt hätten. Die Verästelung der IHauptgefässstämme und gewisse Homologieen werden diese Auffassung viel- leicht später als die richtige erscheinen lassen, und es werden dann die ptenophoren zu den Tetraphragmen gestellt werden müssen, weil jeder Quadrant (den wir hier als Antim eren-Paar betrachten) dann den \Werth eines einzelnen Antimeres erhalten würde. Mag man nun mit Rücksicht auf die Ungleichheit der paarweise zu PBinem Quadranten verbundenen Antimeren die Ctenophoren als Tetraphrag- men aus 4 Antimeren zusammengesetzt, betrachten, oder sie, wie es wohl .pausender ist, mit Rücksicht auf die Achtzahl der wichtigsten Organe, als (Octophragmen, mit 8 Antimeren, ansehen, so wird sich auf keinen Fall die won Fritz Müller aufgestellte und vertheidigte Ansicht rechtfertigen las- ssen, dass dieselben „zweistrahlige Thiere« (Diphragma) sind. Es wird cdies sofort klar, wenn man sie mit den wirklich diphragmen Autopolen, und ruiit denjenigen tetraphragmen zusammenhält, die aus den Tetractinoten durch jJDifferenzirung der Kreuzaxen entstanden sind. Zweite Art der oxystauren Autopolen: Sechsreifige. Hexaphragiwa. (Sechsstrahlige gleichpolige Bilateralformen). Stereomelrlsche Grundform: SeA:hsseinge amfhitliecte Pyramide. Realer Typus: Flabellum (Taf. I, Fig. 2). Die Hexaphragmen-Form findet sich niclit selten unter den aus • 6 Antimeren zusammengesetzten Anthozoen, bei den Polypen der 'Madreporarien-Gruppe, sowohl bei Perforaten, als bei Eporosen lund bei einigen anderen sechszähligen Anthozoen. Obwohl bei diesen „sechssü-ahligen" Polypen der characteristische Typus der autopolen iketerostauren mindestens ebenso auffallend, als bei den „achtsü-ahligen" Ctenophoren ausgeprägt ist, so ist dieses Verhältniss dennoch den Zoologen bisher gänzlich entgangen und es hat noch Niemand daran i gedacht, bei den ersteren so, wie bei den letzteren, von „bilateraler : Symmetrie" zu sprechen. Die oxystauren Anthozoen, .welche die Grundform der sechsseitigen amphithecten Pyramide sehr rein zeigen, gehfjren meistens der Ordnung der Madreporarien oder der Sclero- dermen-Zoantharien an und* scheinen in allen sechsstrahligen Haupt- abtheilungen derselben vorzukommen, am meisten ausgebildet jedoch in der Eporosen - Familie der Turbinoliden (als Flabellum, Spheno- trochus etc.), seltener der Astraeiden (Peplosmilia) , und in der Per- foraten-Familie der Madreporiden, {Madrepura selbst). Während die übrigen nächstverwandten Madreporarien die Hexactinoten-Form der 486 System der organischen Grundformen. regulären sechsseitigen Pyramide mehr oder minder rein ausgeprägt zeigen, indem alle 6 Antimeren gleichmässig stark entwickelt sind, finden wir bei den erstgenannten 2 gegenständige Antimeren viel schwächer, als die 4 übrigen (unter sich gleichen) entwickelt, so dass die ausgezeichnete Form der amphithecten Pyramide sofort in die Augen springt. Das primär bedingende Moment dieser Formdiffereuz liegt in einem überwiegenden Wachsthum der vier stärkeren Anti- meren und der beiden entgegengesetzten primären Sternleisten (Septa interradialia) welche jene trennen. (Fig. 2, a, , a,,.) Hinter letzteren bleiben die vier anderen primären Septa im Wachsthum bedeutend zurück und entsprechend auch die beiden entgegengesetzten Kelch wände, denen sie ansitzen. Dadurch wird denn weiterhin die ganze Kelchform zwei- schneidig zusammengedrückt (amphithect) und die runde MundöflFnung nimmt die Form eines länglichen schmalen Spaltes, der cylindrische Magenschlauch die Form einer platten Tasche an. Da wir bei den nächstverwandten Ctenophoren dieselbe Differeuzirung zweier Kreuz- axen zu Richtaxen antretfen und hier die längere Magendimension und die Längsrichtung des Mundspalts als dorsoventrale bezeichnet haben, so müssen wir auch bei den Madreporarien diese Bezeichnung beibehalten. Es ist demnach die kürzere (radiale) von den beiden Richtaxen als laterale, die längere (interradiale) dagegen, welche durch die beiden stärkeren Primär-Septa oder Hauptsepta bestimmt wird, als dorsoventrale zu bezeichnen. Je grösser die Differenz zwischen bei- den Richtaxen wird, desto auffallender tritt die Grundform der amphi- thecten sechsseitigen Pyramide hervor. Am deutlichsten und schärfsten ist die hexaphragme Oxystauren-Form bei den Turbinoliden, besonders Flabellum und Sphenotrochus ausgeprägt, wo der ganze Kelch fast blattförmig von zwei Seiten (von Rechts und Links) her zusammengedrückt erscheint. In diesem Falle hat der Durchschnitt des Kelches einen schmal lanzettförmigen Umriss. Elliptisch erscheint dieser dagegen bei PeplosmUiu unter den Astraeiden und bei Madrepora, bei der die beiden Hauptsepta völlig in der Mitte des Kelches zusammentreffen und verwachsen. In geringerem Grade, jedoch ebenfalls unverkennbar, findet sich die Difi'erenzirung zweier Richtaxen (einer radialen und einer interradialen) und dadurch der Uebergang der sechsseitigen regulären in die amphithecte Pyramide bei mehreren Arten von Dusmiu, üaryophylUa und anderen Eporosen aus der Turbinoliden - Familie, Lophosmllia aus der Astraeiden - Familie, ferner bei vielen Arten von Pocillopora, Seriatoporn und Anderen aus der Tabulaten-Gi-uppe, und bei manchen anderen Madre- porarien aus verschiedenen Familien. Oft ist dieselbe nur durch einen schmalen und langen spaltenförmigen Mund angedeutet, welcher den übri- gens regulären hexactinoteu Kelch in eine dorsale und ventrale Hälfte spaltet; so bei Fungia, auch bei vielen Malacodermen (Actinien etc). Sehr auffallend isr dieHexaphragmen-Form bei der elliptischen Fungia Ehrenbergli, t\echinata etc Sechsreifige Grundformen. Hexaphragma. 487 Bei allen oxystauren Madreporarien lässt die sechsseitige ainphi- thecte Pyramide Iblgeude characteristische Eigenschaften erkennen: Her Körper ist aus sechs Antimeren zusammengesetzt, von denen die bei- Uen am schwächsten entwickelten Antimeren (rechtes und linkes), welche m der Lateralebene liegen, congruent sind, während die 4 übngen, welche )„aarweise beiderseits der Sagittalebene liegen, paarweise (namhch 2 ge- ..enständige) congruent, paarweise (nämlich 2 benachbarte) «ymmetrisch- vHeich ^ind Die grössere von den beiden Richtebenen, die Medianebene WiK 2 hU) welche dem grössten Kelchdurchmesser und der Längsrichtung lies Mundspaltes entspricht, fällt mit einer interradialen Kreuzebene zusam- imen nämlich mit der Grenzebene der beiden stärkeren Antimerenpaare^ Die kleinere Richtebene oder die Lateralebene, welche dem kleinsten Durch- messer des Mundspaltes und des Kelches entspricht, fällt dagegen mit .■=^iner radialen Kreuzebene zusammen, nämlich mit der Medianebene der beeiden schwächeren Antimeren, des rechten (r.) und linken {v,). Wir hu- miden also, dass, wie es bei den sechsseitigen amphithecten Pyramiden stets ,^der Fall sein muss, die eine Richtebene (sagittale) mit einer interradialen, .tlie andere (laterale) mit einer radialen Kreuzebene identisch ist. Die 44 anderen realen Kreuzebenen, 2 radiale und 2 interradiale, schneiden sich mnd die ersteren unter spitzen Winkeln. Von den 4 Quadranten des Personen -Körpers der oxystauren Madre- fporarien, von denen je 2 anstossende symmetrisch- gleich, je 2 gegenstan- rdige congruent sind, ist jeder zusammengesetzt aus einem halben schwache- rren und einem ganzen stärkeren Antimer. Die Hälften der beiden schwache- rren Antimeren sind symmetrisch gleich, die Hälften jedes der 4 stärkeren Ant'meren dagegen symmetrisch ähnlich. Wenn wir in der Aequatorial- iebene oder an der Pyramiden -Basis (Taf. I, Fig. 2) einen Umgang um die IHauptaxe in der Richtung von Links nach Rechts halten, so treffen wir t folgende Reihenfolge der 6 Antimeren: I. Das linke Stück (erstes schwächeres Antimer, cisi-si«). II- Das linke Dorsalstück, cWi, (darauf den Dorsalpol , der Dickenaxe,i4). HL Das rechte Dorsalstück, ci4r8i3. IV- Das rechte Stück (zweites schwächeres Antimer, cUv.h). V. Das rechte Ventralstück ci^rii, (darauf den Ventralpol der Dickenaxe, i,). VI. Das linke Ventralstück ci,reie, welches wiederum an das erste (linke) Stück anstösst. Von diesen sechs Antimeren der Hexaphragmen gehören zwei (rechtes und linkes) der eudipleuren, die vier übrigen der dysdipleuren Grundform an. Rechtes und linkes Stück (I und IV) sind congruent. Die beiden dorsalen Stücke (II uud III) sind unter sich symmetrisch-gleich, ebenso die (beiden ventralen (V und VI). Dagegen ist das linke Rückenstück (II) dem rechten Bauchstück (V) congruent, und ebenso das rechte Rückenstuck i(III) dem linken Bauchstück (VI). Am deutlichsten ist die Hexaphragmen-Form bei denjenigen oben ge- nannten Madreporarien zu erkennen, bei welchen die sechs primären, inter- radialen Kelchsepta (Fig. 2, a^— a«) dauernd stärker bleiben, als die nach- folgenden secundären (Fig. 2,s,-Se), tertiären etc. Scheidewände. Doch ven-äth sie sich oft auch allein schon durch den elliptischen oder lanzett- förmigen Umriss des bilateral comprimirten Polypenkelches. 488 System der organischen Grundformen. Zweite Untergattung der autopolen Heterostauren. Rhomben . Pyramiden. Orthostaura. Stereometrische Grundform: AmpUthecte Pyramide mit 4 Seiten. Die geometrische Grundform der orthostauren oder tetrapleuren Autopolen ist die vierseitige amphitheete Pyramide, also eine gerade Pyramide, deren Basis das vierseitige amphitheete Polygon oder der Rhombus ist, und die wir demgemäss kurz als Rhomben- Pyramide bezeichnen können. Die Autimeren - Zahl ist hier be- schränkt, entweder Zwei oder Vier, und es können demnach nur eine oder zwei radiale Kreuzebenen vorhanden sein, die mit einer oder mit beiden Richtebenen zusammenfallen und . sich im letzteren Falle rechtwinkelig kreuzen müssen. Radiale Kreuzebeuen, welche sich un- ter spitzen Winkeln schneiden und nicht mit den Richtebenen zusam- menfallen, können bei dieser Abtheilung nicht vorkommen. Da die vierseitige Rhomben-Pyramide der orthostauren Allopolen nichts Anderes ist, als die einfachste und speciellste Form der amphi- thecten Pyramide, welche mit 4 + 2nSeiten die Grundform der oxy- stauren Autopolen darstellt, so verhält sich die erstere zui- letzteren ganz ebenso wie unter den homopolen Stauraxonien die specielle Form des Rhomben-Octaeders (orthogene oder octopleure Allostauren) zur allgemeinen Form der amphithecten Doppelpyramide (oxygone oder polypleure Allostauren). Wie wii- aus der letztgenannten die einfache amphitheete Pyramide der oxystauren Autopolen durch Hal- birung ableiteten, so können wir auch die Rhomben -Pyramide der orthostauren Autopolen durch Halbirung des Rhomben-Octaeders der octopleuren Allostauren erhalten. Die orthostauren Autopolen scheinen zunächst nur eine einzige Formengruppe zu bilden, da der Character der geraden rhombischen Pyi-amide, ihrer Grundform, stets derselbe bleiben muss. Wollte man verschiedene Arten derselben unterscheiden, so könnte man dazu allenfalls als Eintheilungs-Princip das wechselnde Längen- Verhältuiss der Hauptaxe zu den beiden Richtaxen benutzen und danach hohe und niedere Rhomben -Pyramiden u. s. w. unterscheiden. Doch sind diese Unterscheidungen von gar keinem Interesse. Viel wichtiger dagegen und von besonderem Werthe, freilich nicht fttr die Grundform an und für sich, aber wohl für die theoretische Auffassung derselben, ist der Umstand, dass bei den einen hierher ge- hörigen Formen der Körper aus vier, bei den anderen aus zwei Antimeren zusammengesetzt ist. Da die Form der Rhomben-Pyramide und ihre Axenverhältnisse in beiden Fällen ganz dieselben sind, so kann die Entscheidung darüber^ ob der eine oder andere Fall vor- Ehomben -pyramidale Grundformeu. Orthostaura. 489 liegt, nur aus untergeordneten Form -Verhältnissen oder aus dem Zu- sammenhange der betreffenden Thiere mit anderen nächstverwandten, die verschiedenen Grundformen angehören, entnommen werden. So werden wir also z. B. als Orthostaure mit vier Antiraeren, die wir Tetraphragmen nennen, die Saphenieu, die Proglottiden der Taenien, ferner viele Phanerogamen-Blüthen (z. B. der grossen Cruci- feren-Familie) aufzufassen haben, während als unzweifelhaft zwei- zählige, als Orthostauren mit zwei Antimeren oder Diphragmen die Zy"goc}Ttiden, Circaea u. A. aufzufassen sind. Der wichtige theoretische Unterschied der beiden Gruppen, der freilich von keiner practischen Bedeutung für die Bildung der Grund- form selbst ist, liegt darin, dass bei den Tetraphragmen zwei radiale Kreuzebenen vorhanden sind, die mit den beiden Richtebenen zusam- menfallen, während die zwei interradialen Kreuzebenen zwischen letzteren liegen. Bei den Diphragmen dagegen ist nur eine radiale und eine interradiale Kreuzebene vorhanden, die sich unter rechten Winkeln schneiden, und es muss demnach die eine (und zwar die laterale) Richtebene mit der radialen, die andere (sagittale) Richt- ebene mit der interradialen Kreuzebene zusammenfallen. Erste Art der orthostaurea Autopolen: Vierreiflge. Tetraphragnia. (Vierstrahlige gleichpolige Bilateralformen.) Stereometrische Grundform: Rliomhen- Pyramide mit vier Antimeren. Realer Typus: Saphenia (oder Draba) Taf. I, Fig. 10. Die rhombische Pyramide, welche aus vier Antimeren zu- sammengesetzt ist und bei der mithin jeder Quadrant ein ganzes Anti- mer ist, bildet die Grundform vieler Siphonophoren - Stücke , einiger Medusen, einiger Cestoden, und ebenso der Blüthen einiger Dicotyle- donen-Familien, namentlich der sehr umfangreichen Cruciferen-Familie. Bei den hierher gehörigen Siphonophoren und Medusen wird die Zu- sammensetzung der Rhomben - Pyramide aus vier Antimeren auf das Bestimmteste durch die Stufeureihe von allmähligen üebergängen dar- gethan, durch welche die betreffenden vierzähligen Medusoide einer- seits mit den unzweifelhaft vierzähligen regulären Medusen (regulären vierseitigen Pyramiden oder Tetractinoten), andererseits mit den tetra- pleuren (d. h. ganz in die Zygopleuren-Form übergegangenen) Siphono- phoren und Zaphrentiden verbunden sind. Bei den Cestoden wird dieser Beweis durch die 4 longitudinalen Gefässstämme und den Zu- sammenhang mit den tetractinoten Tetrarhynchen und den tetra- pleuren WUrmern geliefert; bei den Cruciferen -Blüthen dadurch, dass 490 System der organischen Grundformen. jeder Blattkreis der Blüthe (also jedes Metamer), mit einziger Aus- nahme des äusseren Staubfäden- und des Fruchtblatt-Kreises, aus vier Blättern besteht. Die rhombische Pyramide der Tetraphragmen entsteht aus der quadratischen Pyramide der Tetractinoten einfach dadurch, dass von den 4 ursprünglich gleichmässig angelegten und nicht zu unterschei- denden Antimeren im Laufe der Entwickelung zwei gegenständige sich von den beiden mit ihnen alternirenden Antimeren differenziren. Dies geschieht entweder dadurch, dass sie besondere Organe ent- wickeln, welche den anderen ganz fehlen (z. B. die beiden Haupt- tentakeln der Saphenien), oder dadurch, dass sie hinter den anderen in der Entwickelung zurückbleiben, und dieselben Organe schwächer ausbilden oder verlieren, die bei den anderen beiden stärker wer- den (z. B. die Staubfäden der Cruciferen, von denen 2 gegenständige des äusseren Kreises abortiren). Es werden also die beiden auf ein- ander senkrechten Radialebenen, welche bei den Tetractinoten gleich sind, bei den Tetraphragmen ungleich, und ditferenzii-en sich eben dadurcii zu den beiden Richtebenen, der medianen oder sagittalen und der lateralen Ebene. (Vgl. Taf. I, Fig. 10 nebst Erklärung). Die gestaltenreiche Klasse der Hy dr ome dusen, und unter ihnen vor- zugsweise die Ordnung der Hvdroiden und Siphonophoren, zeigen uns die characteristisehe Tetraphragmen -Form am deutlichsten entwickelt, und zwar sind hier immer zugleich einerseits alle möglichen Uebergänge zur Tetractinoten-Form zu finden, welche die Entstehung der rhombischen aus der quadratischen Pyramide erläutern, während andererseits durch Differen- zirung der Dickenaxen-Pole die autopole in die allopole Heterostauren-Form und zwar zunächst in die Eutetapleuren-, weiterhin auch in die Dysteitra- pleuren-Form übergeht. Unter den Craspedoten oder cryptocarpen Medusen sind es nur einzelne Gattungen, welche die Grundform der Rhomben-Pyramide deutlich zeigen. Es wird dieselbe hier dadurch bezeichnet, dass an 2 entgegenge- setzten Radien des vierstrahligen Glockenkörpers, und zwar an der Ein- mündungsstelle zweier gegenständiger Radialcanäle in den Ringcanal, sich zwei mächtige Tentakeln entwickeln, welche den beiden zwischenliegenden (dorso-ventralen) Radien fehlen. Bald sind diese beiden starken gegen- ständigen Randfäden (rechter und linker) die einzigen Tentakeln, bald sind ausser ihnen noch 4 schwächere vorhanden, die an allen 4 Radien gleich- mässig vertheilt sind. Yon der Familie der Cytaeiden ist die Gattung Cybogaster, von den Oceaniden Stomolocu {Suplumia Forbes), von den Geryou- opsiden Suphenia (Eschscholtz) oder Plancia (Forbes) durch einen rechten und linken Haupttentakel ausgezeichnet (Fig. 10). In der Familie der Geryoniden macht sich dasselbe Verhältuiss im Entwickelungscyclus der vierzähligen Liriopiden (Llriope, Glossocodon) dadurch geltend, dass alle Randorgane imd also auch die Tentakeln paarweise hervorsprossen, zuerst ein gegen- ständiges Paar, und dann erst später das andere, damit alternirende Paar. Vierreifige Grundformen. Totraphragma. 491 Unter den Siphonophoren ist die Tetraphragmen-Form besonders in der Familie der Physophoriden zu finden, so bei verschiedenen Arten der Gat- tungen Aguhna ] Agalmopsis , Steplmnomia, wo namentlich die Schwimm- glocken (Nectocalyces), seltener die Deckstücke (Hydrophyllia) die Rhom- ben-Pyramide deutlich erkennen lassen. Doch ist sie hier seltener als die Tetrapleuren-Form. Von ganz besonderem morphologischen Interesse scheint uns das Auf- treten der Tetraphragmen-Form bei den Metameren (Progiottiden) vieler Bandwürmer zu sein, weil durch dasselbe auf nahe morphologische Beziehungen derselben zu den Hydromedusen und dadurch auf einen möglichen Zusam- menhang des Würmer- und Coelenteraten-Stammes hingedeutet wird, der auch aus anderen Gründen nicht unwahrscheinlich ist (Vgl. das VI. Buch).') Wir finden bei den Cestoden - Progiottiden meistens 4 Längsgefässe des Excretionsapparates (ein dorsales, ein ventrales und zwei laterale), welche am hinteren (in der That. aber oralen I) Rande der Proglottide durch ein Ringgefäss zusammenhängen. Ijetzteres entspricht nach unserer Ansicht dem Ringgefäss (Cirkel-Canal) der Hydromedusen, erstere dagegen den Radialcanälen. Während nun die tetractinoten Scolices, den homostauren Medusen entsprechend, alle 4 Antimeren gleich stark entwickelt zeigen, wird bei den heterostauren Progiottiden, welche den Saphenien etc. ent- sprechen, die Orthostauren-Form durch die paarigen Genitalien (rechtes und linkes) bestimmt. Weit verbreiteter als im ThieiTeich ist die Tetraphragmen-Form im Pflanzenreich, wo namentlich die Blüthensprosse in der umfangreichen Fa- milie der Cruciferen (Linnes Klasse der Tetrudymmia) die Rhomben- Pyramide sehr ausgesprochen zeigen. Es ist hier die Blüthe ursprünglich vierzählig angelegt, mit 5 viergliederigen ßlattkreisen. Von diesen sind in der Regel vollzählig ausgebildet 4 Kelchblätter, 4 Blumenblätter und 4 Staubfäden des inneren Kreises. Dagegen sind von den 4 Staubfäden des äusseren Kreises und ebenso von den 4 Fruchtblättern fast immer nur 2 gegenständige (das laterale Paar) ausgebildet, die beiden mit ihnen alter- nirenden aber (das dorsoventrale Paar) fehlgeschlagen. Nur ausnahms- weise , wie bei Lepidium virg'micum , sind auch die beiden dorsoventralen Staubfäden des äusseren Kreises entwickelt (also 8 vorhanden) und bis- weilen, wie bei Lepidium riulerale, sind diese allein entwickelt, die 6 übrigen abortirt. Auch bei anderen Dicotyledonen geht die Blüthe, welche als Quadrat- Pyramide (Tetractinote) angelegt ist, dadui-ch in die Form der Rhomben -Pyramide (Tetraphragme) über, dass von je 4 Antimeren eines oder mehrerer Blattkreise 2 gegenständige (dorso-ventrale) verkümmern und die beiden damit alternirenden (lateralen) allein sich ausbilden. Am häufig- ') Wenn der von uns für wahrscheinlich gehaltene genealogische Zusammen, hang der Cestoden und Hydromedusen wirklich existirt, (wie er u. A. auch durch die vollkommene Homologie des Generationswechsels bei den Cestoden und Acraspeden (ötrobila!) wahrscheinlich gemacht wird, so könnte der „Excretions- apparat" der ersteren (oder das „Wassergefässsystera") dem Gastrovascularsystem der Coelenteraten homolog erscheinen. Doch ist dies sehr zweifelhaft. 492 System dar organischen Grundformen. sten trifft diese Reduction die weiblielien Genitalien (so z. B. bei Bnffoniu, Hamamelis, Hypecoum etc); bei Anderen zugleich die männlichen Ge- schlechtstheile (so bei Syringa, Oha, Plmllirea, Ligustnim und anderen Oleaceeu). Es ist also im ersten Falle der Breitendurchmesser durch die beiden Fruchtblätter ausgezeicliBet, welche der Dickenaxe fehlen, im letz- teren zugleich durch die beiden allein entwickelten Staubfäden. Zweite Art der orthostauren Autopolen: Zweireifige. Diphragiua. (Zweistrahlige gleichpolige Bilateralformen.) Stereometrische Grundform: Rliomhen - Pyramide mit zwei Antimeren. Realer Typus: Petalospyris (oder Circaea) Taf. I, Fig. 13. Die geometrisclie Grundform der Diphragmen ist, ebenso wie die der Tetraphragmen, die rhombische Pyramide. An und flir sich be- trachtet ist zwischen beiden Formen kein Unterschied vorhanden. Sobald man sie aber mit den nächsten Verwandten vergleicht, welche anderen Grundformen angehören, wird man gewahr, dass bei den Diphragmen der Körper bloss aus 2 congruenten Antimeren, bei den Tetraphragmen dagegen aus 4 kreuzweise stehenden Antimeren zu- sammengesetzt ist, von denen je 2 gegenständige congruent, je 2 be- nachbarte bloss ähnlich sind. Während ferner bei den Teti-aphragmen 2 Paare von Ki-euzebenen (2 radiale und 2 interradiale) ausgebildet sind, kann man bei den Diphragmen nur eine radiale und eine in- terradiale unterscheiden, von denen die erstere mit der lateralen, die letztere mit der sagittalen Richtebene zusammenfällt. Die beiden Antimeren mttssen natürlich stets congruent sein, da die Eticken- von der Bauchseite ebenso wenig zu unterscheiden ist, als die Eechte von der Linken. Die diphragme Orthostauren-Form findet sich als Grundform von morphologischen Individuen höherer Ordnung nur selten vor. Häufiger ist sie als Grundform von Organen, wie denn z. B. im Pflanzenreiche sehr viele „zweiklappige, zweifächerige" Früchte (Schoten oder Siliquae der Cruciferen etc.) hierher zu rechnen sind. Als Promorphe von Sprossen ist sie hier häufiger bei geschlechtslosen (zweizeilig be- blätterten) als bei Geschlechts -Sprossen (z. B. Blüthen von Circaea). Unter den Protisten erscheint sie in höchst ausgezeichneter Weise vor Allen bei den Zygocyrtiden (Petalospyris, Ead. Taf. XII, Fig. 7, Dictyospyris , Cladospyris etc.) einer characteristisch gebildeten Eadio- larien-Farailie, ferner auch bei einigen anderen Ehizopoden derselben Classe (z. B. Spyridobotrys unter den Polycyrtiden). iFerner findet sie sich bei einigen niederen Würmern (Acanthocephalen) und bei einigen Coelenteraten (Siphonophoren). Zweireifige Grundformen. Dipliragma. 493 Die Zygocyrtiden (welche den grössten Theil von Ehrenberg's „Spyridinen" enthalten) bilden eine besondere, sehr zierlich geformte Fa- milie der Cyrtiden oder Korb-Radiolarien. Bei allen Zygocyrtiden besteht das Kieselskelet aus 2 durch eine tiefe Strictur getrennten Hälften, die voll- kommen cougruent sind. Die Strictur ist longitudinal oder genauer „sagittal", d. h. sie wird durch eine Ebene (die Sagittalebene) gebildet, deren Mittel- linie die Längsaxe (Hauptaxe) ist, und in welcher die Dickenaxe (Dorso- ventralaxe) liegt. Da beide Pole der Dickenaxe gleich sind, so kann man die beiden Antimeren (rechtes und linkes) nicht unterscheiden. Oft sind die beiden Richtaxen durch besondere, in den Richtebenen liegende Anhänge („Stacheln") der Kieselschale noch besonders deutlich bezeichnet, so na- mentlich bei Pelalospyris (Rad. Taf. XII, Fig. 1 ; Ehrenberg, Mikro- geologie, Taf. XXXYI, Fig. 12, Fig. 25.) Au die Zygocyrtiden schlies- t:en sich dann noch einige andere Radiolarien aus der Cyrtiden-Familie an, und zwar aus der Subfamilie der Folycyrtiden, so namentlich Sfijridohutrys (Rad. Taf. XII, Fig. 8,9), wo ebenfalls die Schale aus 2 congruenten Antimeren besteht und durch jede der beiden Richtebenen (und allein durch diese 1) in 2 congruente Hälften zerlegt wird. Unter den Coelenter aten ist die Diphragmen - Form viel seltener, und erst aus der Tetraphragmen-Form durch vollständigen Abortus zweier gegenständigen Antimeren entstanden. Obgleich hier ursprünglich 4 Anti- meren angelegt sind, bleibt schliesslich der Körper bloss noch aus den bei- den lateralen Antimeren zusammengesetzt. Es ist dies der Fall bei den Schwimm glocken und namentlich bei den Deckstücken einzelner Siphono- phoren, besonders aus der Abtheilung der Physophoriden (bei einigen Arten von Agulma^ Agulmo])sis , Steplwnomia und Anderen). Jedoch können nur diejenigen Schwimmglocken (auch die Genitalgloeken einiger Arten) hier- hergestellt werden, bei denen in der That bloss 2 gegenständige Radial- canäle oder 2 gegenständige Ausstülpungen des Schwimmsackes gleich- massig ausgebildet sind und die beiden alternirenden fehlen oder ganz gleichmässig auf ein Minimum reducirt sind. Ebenso können von den Deck- stücken (Hydrophyllien) nur diejenigen hierher zählen, bei denen die Mittel- rippe des Deckblattes dasselbe in 2 völlig congruente Stücke theilt, deren jedes nur einem (aus 2 symmetrisch gleichen Hälften zusammengesetzten) Antimer entspricht. Wie bei den Coelenteraten, so ist auch bei den Würmern die Diphrag- men-Form seltener als die Tetraphragme, und wohl immer erst secundär aus letzterer hervorgebildet. Wir rechnen hierher eine Anzahl parasitischer -darmloser Würmer, Acanthocephalen und Cestoden. Man pflegt die sämmtlichen Würmer, gleich allen Gliederfüssern, Mollusken und Wirbel- thieren allgemein als „bilateral -symmetrische" zusammenzufassen. Es ist aber sehr bemerkenswerth, dass eine sehr grosse Anzahl von Würmern, und selbst höher stehende (Anneliden) sehr deutlich den Körper nicht aus zv/ei, sondern aus vier Antimeren zusammengesetzt zeigen. Ferner ist her- vorzuheben, dass die unvollkommensten Thiere dieser grossen Abtheilung sich durch die maugehide Difl'erenz der Rücken- und Bauchseite noch un- mittelbar den orthostaureu Hydromedusen anreihen und daher nicht den 494 System der organischen Grundformen. echten, allopolen Zygopleuren zugerechnet werden dürfen. Der einzige Zoologe, der dies Verhältniss bisher gewürdigt hat, ist Bronn, der in sei- nen naorphologischen Studien diese „mit einem Pfeile vergleichbaren" For- men zwar zu den Hemisphenoiden (Dipleuren) stellte, aber doch die ganzen Keile oder Pfeile (Spheuoide oder Sagittale) als eine besondere Modiü- cation von den Halbkeilen (Hemisphenoiden) unterschied. In der That ist es bei den Acanthocephalen und bei den meisten Cestoden ganz unmöglich, durch ein inneres oder äusseres Merkmal die Rückenseite von der Bauch- seite zu unterscheiden. Diese beiden, dui'ch die Lateralebene getrennten Hälften sind vielmehr ebenso absolut congruent, als die durch die Me- dianebene getrennte rechte und linke Hälfte. B6i den Acanthocephalen sind die Lateralflächen (Rechts und Links) durch das in der Lateralebene lie- gende Paar der Lenmisken und ausserdem auch öfter durch die paarigen Hoden und Samenleiter scharf bestimmt, bei den Cestoden durch den rechts und links symmetrisch vertheilten Genitalapparat, und vielleicht auch durch den paarigen lateralen Nervenstamm. Bei den meisten Cestoden kommt dazu noch die äussere unpaare Genital Öffnung, welche bei den einzelnen auf einander folgenden Proglottiden abwechselnd rechts und links liegt. Erst bei denjenigen Cestoden, wo die unpaare Genitalöffnung auf die Bauch- fläche rückt, wie bei Bolliriocephuhis , tritt eine Differenz zwischen Rücken- und Bauchfläche ein und es ist damit der Uebergang von der Diphragmen- zu der Eudipleureu-Form gegeben. Als echte Diphragmen können wir also nur diejenigen Bandwürmer auflassen, bei denen (wie bei Taeuia solium und T. mudiocuueUala) wegen der seitlichen Lage der Genitalöffnungen (bald rechts, bald links) noch keine Differenz von Rücken und Bauch (ebenso wenig als von Rechts und Links) gegeben ist, und bei denen nur zwei Längsgefässstämme vorhanden und mithin nur 2 Antimeren (das laterale Paar) vorhanden, die beiden anderen (dorsales und ventrales) verkümmert sind. Diese sind eben so unzweifelhaft zweizählig, wie alle Acanthoce- phalen. Dagegen müssen wir die orthostauren Cestoden mit 4 Längsge- fässstämmen zu den Tetraphragmen stellen, wie oben geschehen ist. Als reguläre (homostaure) Tetractinoten endlich sind jene Cestoden-Scolices zu betrachten, bei denen nicht allein die beiden Polhälften jeder Kreuzaxe un- ter sich congruent, sondern auch die beiden Kreuzaxen selbst gleich sind, so dass der ganze Körper in 4 congruente Stücke zerlegt werden kann: die meisten Tetraphyllideen, Phyllobothrideu (Eclieneihothritm) , Phyllacan- thiden (Acuntliobothrium) und Phyllorhynchiden {Tetrurhynchus). Bei die- sen und vielen anderen Bandwürmern ist der Scolex mit 4 gleichen Saug- näpfen oder Hakenrüsseln versehen, und die inneren Apparate, die zu je- dem Sauguapfe (oder Hakenrüssel) gehören, Muskeln, Nerven, Scheiden etc. sowie namentlich die 4 Längsstämme des Excretionsapparates sind als vier absolut gleiche Stücke vollkommen radial um die Längsaxe vertheilt. Die vollkommene Uebereinstimmung in der Grundform dieser rein tetractinoten Bandwürmer und der regulären vierstrahligen Hydromeduseu, auf welche wir schon oben aufmerksam machten, wird dann noch dadurch vervollstän- digt, dass in den Hakenkräuzeu der Scolices die einzelnen Haken ebenso Zeugite Grundformen. Allopola. 495 regulär als Radien in einen vollständigen Kreis gestellt sind, wie die (homologen '0 Tentakeln der Hydromedusen. Die mer Ii würdige Gruppe 'der Bandwürmer bietet so nicht nur ein be- souderes morphologisches Interesse hinsichtlich ihrer Tectologie (vergl. oben p. 353), sondern auch bezüglich ihrer Promorphologie. Sie deutet durch die reine „Strahlthier - Form" ihrer niedersten Stufen, die vou der .Tetraetinoten-Form der Hydromedusen promorphologisch nicht verschieden ist, auf die uaheu und vielleicht genealogischen Beziehungen der Wiirmer zu den Coelenteraten hin. Sie zeigt uns aber auch aufs Klarste die all- mählige Hervorbilduug höherer („symmetrischer") aus niederen („regulären") Grundformen. Ausgehend vou der regulären vierseitigen Pyramide der Tetractinoten {Tetrabolhrium, Tetrarhynchus , Scolex der Taeniaden) erhebt sie sich durch Differenzirung der beiden gleichen Kreuzaxeu zur Rhom- ben-Pyramide der tetraphragmen Orthostauren (Proglottiden mit vier Längsgefässeu), geht dann durch Reduction des einen (dorsoventralen) Anti- meren- Paares in die diphragme Orthostauren -Form über (Proglottiden mit zwei Längsgefässeu) und erhebt sich schliesslich durch Differenzirung von Rücken- und Bauchseite {Bothriocephulus) zur halben Rhomben-Pyramide "der Budipleuren, der höchsten Form der Zeugiten. Zweite Gattung der heterostauren Stauraxonien : Halb - aiuphithect - pyramidale Gruiidforiiieii : Allopola. Centrepipeda. Zeugita. Organische Grundformen mit Centraiebene. (Bilateral-symmetrische Formen der Autoren in der zweiten (weiteren) Bedeutung des Begriffes). (Halbkeile oder Hemisphenoide, Broun). Stereometrische Grundform: Halbe amphlthecte Pyramide. Die FonnengTuppe der Zeugiten oder allopolen Heterostauren ist die letzte und am meisten differenzirte, zugleich aber auch die wich- tigste und gestaltenreichste von allen Haupt-Formengruppen , die wir durch Untersuchung der Axen der organischen Formen und ihrer Pole ermittelt haben. Es gehören hierher aus dem Thierreiche die meisten sogenannten bilateral- symmetrischen Thiere im dritten Sinne dieses Ausdrucks, nämlich sämmtliche Wirbelthiere, Gliederfüsser Weichthiere und die meisten Wiirmer, ferner eine sehr grosse Anzahl von Echino- dermen (die sogenannten irregulären), viele Coelenteraten (z. B. die Zaphrentiden und viele Siphonophoren) und eine Anzalil von Rhizo- poden. Ebenso häufig ist diese Grundform im Pflanzenreiche, wo die meisten sogenannten „irregulären Blüthen", z. B. von den Gräsern, Orchideen, Leguminosen, ümbelliferen, Corapositen, Labiaten und viele andere hierher zu ziehen sind. Die grösste Wichtigkeit erlangt hier überall die allopole Heterostaureuform als die allgemeine Grund- 496 System der organischen Grundformen. form der meisten höber orgauisirten Personen und Metameren. Aber aucb der Form der Antimeren und Organe liegt sie sebr allgemein zu Grunde, seltener der Form der Piastiden und Cormen. So können wir denn wohl diese Grundform als die wichtigste und der grössten Anwendung fähige vor allen Grundformen auszeichnen. Der auszeichnende Character, der alle zu den allopolen Hetero- stauren gehörigen Formen auf den ersten Blick erkennen lässt, besteht darin, dass der Körper durch eine mittlere Theilungsebene (Centrai- ebene) und nur durch diese! in zwei symmetrisch gleiche Hälften zerlegt werden kann, von denen die eine das Spiegelbild der anderen ist. Es ist also Mundseite und Gegenmundseite (welche gewöhnlich dem Vorn und Hinten entsprechen) verschieden, ebenso Rückenseite und Bauchseite (die meistens dem Oben und Unten entsprechen) ver- schieden, die beiden Lateralseiten dagegen, Rechts und Links, sym- metrisch-gleich (oder ähnlich), aber nicht congruent. Während ^vir daher bei den autopolen Heterostauren den Körper noch durch zwei auf einander s&nkrechte Ebenen, nämlich durch jede der beiden Richtebenen, in zwei congruente Stücke zerlegen konnten, ist der Körper der allopolen überhaupt nicht in zwei congruente Stücke zer- legbar. Es beruht diese Eigenschaft darauf, dass die beiden Richt- ebenen, welche als zwei aufeinander senkrechte ungleiche Meri- dianebenen alle Heterostauren als solche auszeichnen (siehe oben p. 477), bei den autopolen sich gegenseitig halbiren, während bei den allopolen bloss die eine oder gar keine von der anderen halbirt wird. Wir drücken diesen Gegensatz kurz dadurch aus, dass wir sagen: „Bei den autopolen Heterostauren oder Toxomorphen (Sagittalien) sind die beiden Pole (Polflächeu oder Polstücke) jeder der beiden Richtaxen gleich, bei den allopolen dagegen sind die beiden Pole nur der einen Richtaxe (Lateralaxe), oder gar keiner von beiden, gleich. Die Centraiebene, welche die einzige Halbirungsebene der allopolen Heterostauren ist, fällt zusammen mit der allen Heterostauren gemeinsamen Median ebene, die durch die Hauptaxe und die eine Richtaxe (Dorsoventralaxe) gelegt wird. Bei den Auto- polen (Toxomorphen) theilt die Medianebene ihre Fähigkeit, den Körper zu halbiren, mit der Lateralebene und es sind also hier ge- wissermasseu zwei Centralebeuen vorhanden. Die eigentliche Körpermitte bleibt daher hier immer noch eine Linie, nämlich die Schnittlinie der beiden rechtwinkelig gekreuzten Cenü-alebenen oder die Hauptaxe. Bei den allopolen Heterostauren allein wird die Mitte des Körpers zur Ebene. Will man diese characteristische Eigenschaft der allopolen Heterostauren durch ihre Benennung aus- di'ücken, so kann man ihnen ganz passend den Namen der Ceutre- Zeugite Grundformen. Allopola. 497 ppipeda beilegen , im Gegensatz zu den bisher betrachteten Formen, Ibei denen die Mitte entweder durch eine gerade Linie (G entraxonia) oder durch einen Punkt ( Cent rostig ma) gegeben war. Für diesen h^ezeicbnenden Character der Centrepipeden, ihre Halbirbarkeit in nur einer einzigen Richtung, ist es gleichgültig, ob der Körper dieser irhiere aus zwei oder aus mehr als zwei Autimeren zusammengesetzt kst Schon hieraus ergiebt sich die Unrichtigkeit des Systems von IBurmeister, der zwar diesen Hauptcharacter der Bilateralthiere, sieiner symmetrischen Thiere, ganz richtig erfasste, aber ti'otzdem die 1 bilateralen Echinodermen, welche diesen Character so deutlich aus- igesprochen tragen, zu den regulären Strahlthieren stellte, in der That ailso die Zahl der Autimeren, und nicht die Symmetrie, als ^oberstes Eintheiluugs-Priucip gelten liess. Da die Ausdrücke „Gen- ttrepipeden " oder „allopole Heterostauren", obwohl sie den (Character der hierher gehörigen Formen vollkommen bezeichnen, doch tetwas schleppend sind, der Ausdruck „ Bilateral- Symmetrische" naber ganz ohne bestimmte Bedeutung ist, so wird es vielleicht am I passendsten erscheinen, alle hierher gehörigen Formen kurz als /Zeugiten') zu bezeichnen. Die allgemeinen morphologischen Eigenschaften der Zeugiten oder (Centrepipeden sind sehr bestimmte, so dass, wenn mau dieselben nur eeinigermaassen scharf ins Auge fasst, ihre Unterschiede von den auto- ipolen Heterostauren oder Toxomorphen, mit denen sie oft verwechselt ^worden sind, sehr deutlich hervortreten. Bei allen Zeugiten sind die Ibeiden Körperhälften, welche durch die Medianebene getrennt werden, ^symmetrisch - gleich oder ähnlich, aber niemals congruent. Die eine [Hälfte ist das Spiegelbild der anderen, kann sie aber niemals decken [oder ersetzen. Bei der grossen Mehrzahl aller Centrepipeden sind (iliese beiden Hälften, welche wir als Rechte und Linke zu unter- ^scheiden gewohnt sind, symmetrisch-gleich; es wiederholen sich lalso die sämmtlichen Theilchen jeder Körperhälfte in der gleichen /Zahl und Grösse und der gleichen relativen, aber der entgegengesetzten absoluten Lagerung ebenso auf der entgegengesetzten Körperhälfte; vvvesentlich ist nur der Unterschied, dass die gleiche Entfernung der ITheilchen von der geraeinsamen Medianebene in beiden Hälften nach (entgegengesetzten Richtungen erfolgt. Bei einem anderen Theile der (Centrepipeden dagegen, wie bei den Pleuronectiden, den Paguriden, iieu spiralig aufgerollten Gasteropoden etc. sind die beiden Körper- ibälften nur symmetrisch- ähnlich; insofern durch etwas stärkere einseitige Entwickelung die eine Hälfte das Ucbergewicht über die saudere erhält, und sie durch Grösse oder Theilchen-Zahl übertrifft, ') Cfvyljfs, das paarweiB Verbundene. Ilaeckel, Generelle Morphologie, 32 498 System der organischen Grundformen. Während doch dieselben wesentlichen Organe bei Beiden in derselben Zahl und Verbindung angelegt sind; die Linke wird also dann der Kechten nicht nur entgegengesetzt, sondern auch ungleich, bleibt ihr aber dennoch mehr oder weniger vollkommen ähnlich. Nach diesem wichtigen Unterschiede können wir unter den allopolen Heterostauren zwei Gruppen unterscheiden, indem wir die symme- trisch-gleichen Formen als Homopleura, die symmetrisch- ähnlichen, aber ungleichen, als Heteropleura bezeichnen. Die letzterwähnte Differenz lässt sich wiederum sehr einfach darauf zurückführen, dass bei der einen Abtheiluug, den Homopleuren, bloss die beiden Pole der einen (dorsoventralen) Richtaxe ungleich werden, während diejenigen der anderen (lateralen) Richtaxe gleich bleiben; bei den Heteropl euren dagegen werden die beiden Pole beider Richtaxen ungleich, oft in so hohem Grade, dass die Centre- pipedie dadurch stark gestört wird, wie bei den Pleuronectiden, den Spiral aufgerollten Gasteropoden, vielen Siphonophoren, Cyrtiden u. ,s. w. Die homopleuren Zeugiten oder die „streng bilateral-symmetrischen Thiere" unterscheiden sich demnach von allen anderen Heterostauren dadurch, dass von den drei aufeinander senkrechten ungleichen Euthynen eine (die Lateralaxe) gleichpolig, die beiden anderen (Dorso- ventral- und Hauptaxe) ungleichpolig sind, während bei den heteropleure u Zeugiten, bei denen auch Rechte und Linke sich differenziren, alle drei Richtaxen ungleichpolig sind. So wichtig die Unterscheidung der homopleuren und heteropleuren Zeugiten im Princip erscheinen könnte, so unwichtig und ohne tiefere Bedeutung Itlr das Wesen der Grundform stellt sie sich doch in der praktischen Morphologie heraus, indem die Differenzirung der rechten und linken Körperhälfte oder der beiden Pole der Lateralaxe niemals diejenige Bedeutung für die Form gewinnt, welche die Differenzirung der beiden Pole der Dorsoventralaxe und der Hauptaxe allgemein besitzt. Ganz streng genommen ist die Heteropleurie unter den Zeu- giten sehr weit verbreitet, indem nur selten rechte und linke Hälfte ganz genau bis in die kleinsten Einzelheiten der Form und Grösse übereinstimmen. Trotzdem werden diese feineren Differenzen mit Recht bei der gewöhnlichen allgemeinen Formbetrachtung nicht be- rücksichtigt und nur solche Formen als echte Heteropleuren betrachtet, bei denen die Ungleichheit der symmetrisch - ähnlichen rechten und linken Seitenhälfte augenfällig hervortritt, wie die Pleuronectiden, die spiralig aufgerollten Gasteropoden, die Pleuroconchen unter den Acephalen, die Abyliden unter den Siphonophoren u. s. w. Die Antimeren-Zahl hat bei der bisherigen Betrachtung der Zeu- giten, indem mau sie alle als bilateral-symmetrische Formen zusammen- fasset, gar keine Berücksichtigung gefunden, und doch ist es von der Zeugite Grundformen. Allopola. 499 igvössten Wichtigkeit fttr die Beurtheilung und Unterscheidung der 'verschiedenen Zeugiten-Fonnen, ob dieselben aus zwei Antimeren be- ■ stehen, wie bei den Wirbel-, Weich- und Gliederthieren, oder aus vier, wie bei den meisten Würmern; aus drei Antimeren, wie bei den Or- *chideen, oder aus fünf, wie bei den irregulären Echinodermen , den I Leguminosen und vielen Anderen. Wir werden auf Grund dieser "Verschiedenheiten zunächst die Formengruppe der allopolen Hetero- •stauren in zwei Abtheilungen zu zerfallen haben, die den beiden Ab- ith eilungen der autopolen entsprechen. Den orthostauren Auto- polen mit zwei oder vier Antimeren correspondiren die zygopleuren :Zeugiten mit zwei oder vier Antimeren, bei denen nur eine oder zwei radiale und eben so viele interradiale Kreuzebenen vorhanden sind; den oxystauren Autopolen mit sechs, acht oder mehr An- timeren entsprechen die amphipleuren Zeugiten mit drei, fünf oder mehr Antimeren, bei denen mindestens drei radiale oder semiradiale Kreuzebenen ausgesprochen sind. In jeder dieser Abtheilungen können homopleure und heteropleure Formen vorkommen. Jedoch sind die Heteropleuren unter den Amphipleuren sehr selten. Die geometrische Grundform der Zeugiten oder allopolen Heterostauren ist die halbe amphithecte Pyramide; wir erhalten sie also dadurch, dass wir die Grundform der autopolen Heterostauren mittelst eines Schnittes Halbiren, welcher durch eine der beiden Richt- ebenen geht. Dasselbe gilt auch von den beiden correspondirenden Abtheilungen der beiden Formengruppen; die allgemeine Grundform der Zygopleuren ist demnach die Hälfte einer amphithecten P}Ta- mide mit vier Seiten oder die halbe Rhomben-Pyramide. Die Grund- form der Amphipleuren ist die Hälfte einer amphithecten Pyi-amide von 4 4- 2 n Seiten. Doch gelten diese Gesetze, welche sich den oben berührten promorphologischen Heniiedrie-Gesetzen anschliessen, streng genommen nur für die Homopleuren in beiden Abtheilungen, da die Ungleichheit der beiden Seitenhälften, welche bei den Heteropleuren hervortritt, die scharfe Bestimmung einer allgemeinen geometrischen Grundform sehr erschwert. Zunächst scheinen sich diese höchst differenzirten Grundformen durch die so hervortretende Unregelmässig- keit unmittelbar wieder den am tiefsten stehenden, den Amorphen oder Anaxonien anzuschliessen. Zum Theil sind sie auch, gleich den letzteren, als vollkommen „irreguläre" oder „asymmetrische" Formen angesehen worden. Indessen ist nicht zu vergessen, dass trotz der starken Differenzirung der ungleichen Antimeren, und dadurch auch der Seitenhälften, doch die Pyramidalform durch die Zahl der Anti- meren und das Verhältniss der ungleichpoligen Hauptaxe zu den Krcuzaxen bestimmt bleibt. Die allgemeine Grundform der Hetero- pleuren ist demnach die irreguläre Pyramide. 32* 500 System der organischen Grundformen. Erste Untergattung der Zeugiten : Schieilige Gruiidformeii. Aiiiphipleura. (Heterostaura allopola amphipleura.) (Strahlige ungleichpolige Bilateralformen.) (Sogenannte „bilateral-symmetrische Strahlformen.") Stereo metrische Grundform: Halbe amphithecte Pyramide von 4 -f 2 n Seif«». Die Abtheilung der amphipleuren Zeugiten oder der Amphi- pleuren, wie wir sie kurzweg nennen wollen, steht zwar an Aus- dehnung weit hinter deijenigen der Zjgopleureu zurück, umfasst aber eine Reihe von höchst interessanten und wichtigen Grundformen, die den bisherigen Betrachtungs-Versuchen, welche bloss von der äusseren Form ausgingen und die Axen vernachlässigten, unUbersteigliche Hin- dernisse bereiteten. Die Grundform aller Amphipleuren ist die Hälfte einer amphitliecten Pyramide von 4-1- 2 n Seiten, und zwar muss die Seitenzahl dieser Pyramide stets doppelt so gross sein, als die Zahl der Antimeren. Es ist also die Grundform der dreizähligen Amphi- pleuren die Hälfte einer sechsseitigen, die Grundform der fünfzähligen Amphipleuren die Hälfte einer zehnseitigen amphithecten Pyramide u.s.w. Da die homotypische Grundzahl, welche bei den Amphipleuren demgemäss drei, fünf, sechs oder mehr (n) ist, stets der Zahl der radialen oder semiradialen Kreuzebenen gleich sein muss, so müssen sich hier mindestens drei semiradiale oder radiale Kreuzebenen finden, welche sich unter spitzen Winkeln schneiden. Von den zahlreichen Arten der Amphipleuren, die nach der ver- seliiedenen Antimereuzahl (drei, fünf, sechs oder mehr) möglich wären, finden sich, ebenso wie von den amphithecten Pyramiden, nur sehr vvenige in der Natur verkörpert, nämlich vier verschiedene Arten, siebenzählige, sechszählige, fünfzählige und dreizählige. Von diesen sind die beiden ersten Arten im Ganzen selten, die beiden letzten dagegen in selir grosser Ausdehnung und Mannichfaltigkeit entwickelt. Zu den dreizähligen oder Triamphipleuren gehören nur sehr wenige Protisten, nämlich eine Anzahl von Radiolarien aus der Cyrtiden-Familie, dagegen eine sehr grosse Zahl von Pflanzen-Blüthen, nämlich die meisten sogenannten un regelmässigen Monocotyledonen-Blüthen, von den Orchideen, Gramineen, Cyperaceen etc. Die fünfzähligen oder Pentamphipleuren sind im Thierreiche sehr zahlreich vertreten durch die sogenannten irregulären oder bilateral-symmetrischen Echinodermen, aber auch unter den Dicotyledonen im Pflanzenreiche äusserst zahlreich ; es gehören dahin die grossen P'amilien der Leguminosen, Compositen, Umbelliferen, Labiatifloreu und sehr viele Andere. Scbienige Grundformen. Amphipleura. 501 Erste Art der Amphipleuren: Siebeiischieiiige. Ileptaiiiphipleura. Siebenstrahlige un gleichpolige Bilateralformen. Slereometrische Grundform: Halbe vierzehnseiüge amphithecta Pyramide. Realer Typus: Disandra. Die siebenstrahlige Amphipleureuform ist, wie alle siebenzähligen 'Grundformen, sehr selten, findet sich jedoch sehr deutlich in den Blüthensprossen einiger dicotyledonen Phanerogameu ausgesprochen, namentlich in der Veroniceen-Gattung Disandra (Subgenus von Sib- Ihorpia, Familie der Scrophularineen). Die meisten Blüthentheile sind hier in Siebenzahl vorhanden, der Kelch siebenblättrig, die Krone ; siebentheilig, mit sieben Staubfäden. Die sieben Antimeren sind aber iin der Art ungleich und zweiseitig geordnet, dass die ganze Blüthe deutlict in zwei symmetrisch gleiche Seitenhälften zerfällt. Auch die Frucht ist zweifächerig (eudipleurisch). Weniger deutlich ausgesprochen findet sich die Heptamphipleurie bei einigen anderen Blüthen, z. B. einigen Arten der Rosskastanien (Aesculus). Die allgemeine Grund- form aller dieser bilateralen Siebenschienigen ist die Hälfte einer amphithecten Pyramide von vierzehn Seiten. Zweite Art der Amphipleuren: Sechsschieiiige. Ilexaiuphipleura. (Sechsstrahlige ungleichpolige Bilateralformen.) Stereometrische Grundform: Halbe zwölfseitige amphithecte Pyramide. Realer Typus: Oculina (Taf. I, Fig. 3). Zu den zahlreichen interessanten Grundformen, welche man bis- her noch gar nicht beachtet, sondern unter dem nichtssagenden Collectivbegriff der „Unregelmässigen" zusammengeworfen hat, gehört auch eine Anzahl von Corallenpolypen oder Anthozoen. Man pflegt allgemein die Glieder dieser Klasse sämmtlich als „reguläre Strahl- thiere" (also afs Homostauren) zu betrachten; mit demselben Rechte könnte man aber auch alle dicotyledonen Blüthen als solche erklären, wenn man nämlich die zahlreichen Ausnahmen nicht berücksichtigt. Allein schon in der Abtheilung der Sclerodermen kommen viele Aus- nahmen von der herrschenden Homostauren-Form vor. Wir werden solche aus der Rugosen -Gruppe in den Zaphrentiden kennen lernen (Eutetrapleuren), aus der Perforaten-Ordnung in den Madreporen (Hexaphragmen) ; in der Eporosen-Ordnung gehört dahin die Familie 502 System der organischen Grundformen. der Oculiniden. Dieselbe zerfällt in zwei Subfamilien, die Stylastera- ceen und Oculinaceen; erstere zeigen die reguläre Hexaetinoten-Form, letztere dagegen eine sehr ausgezeichnete Modification derselben, welche wir hier als Hexamphipleureu aufstellen müssen. Diese eigen- thUniliche sechsstrahlige Bilateralform findet sich auch bei einigen Phanerogamen -Blüthen, z. B. bei mehreren Lythraceen (Cuphea und gewissen Blüthen von Lythrum). Die Grundform derselben ist die Hälfte einer amphithecten Pyramide von zwölf Seiten. Es sind nämlich bei diesen Lythraceen ebenso wie bei den Oculinaceen die sechs Antimeren in der Art differenzirt, dass wir drei verschiedene Paare derselben unterscheiden können, ein dorsales, ein laterales und ein ventrales Antimeren -Paar (vergl. z. B. Oculina virginea, Lophelia prolifera, Amphelia oculata etc.). Die beiden Antimeren jedes Paares sind unter sich symmetrisch gleich, dagegen nicht zwei Antimeren congruent, wie es bei den Hexactinoten alle sechs sind. Die zwei dorsalen Antimeren sind am stärksten, die zwei venti'alen am schwächsten entwickelt; die zwei lateralen zeigen einen mittleren Entwickelungsgrad. Der ganze Kelch der Oculinaceen (oder der Einzelpolyp) zerfällt also durch eine Medianebeue in zwei symmetrisch gleiche Hälften, deren Riickentheil viel stärker ausgebildet ist, als der Bauchtheil (Taf. I, Fig. 3). Es zeig-t sich dies am ökelet meistens sehi* deutlich darin ausgesprochen, dass das uupaare mediane Septum dor- sale (a,), welches die beiden Klicken -Antimeren trennt, viel stärker, dagegen das unpaare mediane Septum ventrale (a, ), welches die bei- den Bauch -Antimeren trennt, viel schwächer entwickelt ist, als die vier übrigen, lateralen Septa. Unter den letzteren sind wiederum die beiden Septa dorso-lateralia (welche das dorsale und laterale Antimeren-Paar scheiden) oft stärker entwickelt, als die beiden Septa ventro-lateralia (welche das ventrale und laterale Antimeren-Paar scheiden). Bei vielen Oculinaceen ist ausserdem der Kelch sehr stark in der Richtung der Lateralaxe verkürzt (zusammengedrückt), in der Richtung der Dorsoventralaxe dagegen entsprechend verlängert. Dritte Art der Amphipleuren : Füiifschieiiige. Peiitaniphipleura. (Fünfstrablige ungleichpolige Bilateralformen.) Stercomctrisc/te Grundform : Halbe zehnseitige amphithecte Pyramide. Realer Typus: Spatangus (oder Viola) Taf. I, Fig. 7. Von allen organischen Grundformen hat vielleicht die Pentamphi- pleuren-Form die meisten Schwierigkeiten der Deutung veranlasst. Bei ihrer weiten Ausbreitung im Thierreiche, wo die sogenannten Schienige Grnndformen. Amphipleura. 503 bilateralen oder irregulären Echinodermen, und im Pflanzenreiche, wo die irregulären oder symmetrischen Blüthen der fünfzähligen Dicoty- ledonen nach dieser Grundform gebaut sind, ist sie schon vieKach Gegenstand der Untersuchung gewesen, aber wegen mangelnder oder uugenligeuder Berücksichtigung der Axen und ihrer Pole niemals in ihrem Wesen richtig erkannt worden. Und doch ist gerade das Ver- ständniss dieser Grundform, sobald man letztere gehörig berücksich- tigt und die Antimeren-Differenzirung ins Auge fasst, ebenso leicht als interessant. (Vergl. Taf. I, Fig. 7, nebst Erklärung). Die allgemeine stereometi-ische Grundform der fiinfstrahligen Amphipleuren ist die Hälfte einer zehnseitigen amphithecten Pyramide. Es ist diese Form stets aus fünf ungleichen Antimeren zusammengesetzt, die sich so beiderseits der Medianebene gruppiren, dass der Körper aus zwei symmetrisch gleichen Hälften zusammen- gesetzt erscheint. Die Antimeren vertheilen sich auf zwei hinter ein- ander liegende Paare und ein vor ihnen in der Mitte liegendes un- paares Stück. Wenn wir von der Betrachtung der Echinodermen ausgehen, so gewinnen wir feste Bezeichnungen für jedes der fünf .Antimeren, die wir dann auf die entsprechenden Stücke der Dicotyle- donen-Blüthen übertragen können.*) Dasjenige Antimer, welches den vier anderen paarigen als un- p aar es gegenübersteht, liegt bei den amphipleuren Echinodermen in der Mitte der Bauchseite und kann daher als ventrales bezeichnet werden (Fig.7,ci,r,i2). Die zunächst an dieses anstossenden beiden mittleren Antimeren (r^ und r.) werden dann passend als laterales Paar, und endlich die beiden folgenden, dem unpaaren gerade gegenüberstehenden als dorsales Paar bezeichnet (r^ und r^). An jedem der beiden Paare kann dann weiter ein rechtes und linkes Stück unterschieden werden. Die Summe des ventralen und der beiden lateralen Antime- ren wird bei den Echinodermen als Trivium, das dorsale Paar im Gegensatz dazu als Bivium bezeichnet. Das unpaare oder venti'ale Antimer ist, für sich allein betrachtet, eudipleurisch , während jedes der vier anderen in der Regel dysdi- pleurisch ist. Die beiden Stücke jedes Paares sind unter sich sym- metrisch gleich. Jedes Stück eines Paares ist ähnlich jedem des anderen und zwar positiv ähnlich dem auf derselben, negativ ähnlich dem auf der entgegengesetzten Seite liegenden Antimer des anderen Paares. Das ventrale Antimer ist meist sehr auffallend von den vier ') Ueber die Begründung der im Folgenden angewandten, hier als feetge- steUt vorausgesetzten Auffassung und anatomischen Deutung der Echinodermen- Theile, sowie über ihre allgemeine Topographie und Orismologie ist mein Auf- satz über die Grundformen der Echinodermen nachzusehen. 504 System der organischen Grundformen. anderen verschieden. Die Medianebene des ventralen Antimeres fällt mit der Medianebene des ganzen Körpers zusammen, während die Medianebenen der vier anderen Antimeren damit spitze Winkel bilden. Die Grenze des Bivium und Trivium in Fig. 7 ist ijCi^. Die meisten Pentaraphipleuren sind rein homopleurisch, mit symmetrisch gleicher rechter und linker Seitenhälfte; sehr selten sind letztere auffallend ungleich, so z. B. bei einigen het er oplenren Arten von Saxifraga (S. sarmentosa u. A.). Die vergleichende Morphologie der amphipleuren Echinodermeu ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden, da in den verschiedeneu Klassen dieses Stammes die verschiedensten Uebergäüge von der reinen fünfseitigen regu- lären Pyramide der Pentactinoten bis zur extremsten Ausbildung der halben zehnseitigen amphithecten Pyramide vorkommen. Unzweifelhafte und meist sehr ausgeprägte pentamphipleure Echiuodermen sind: 1) die amphipleuren oder sohligen Holothurien (Theknolu, PsoJus, Lepidopsolus etc.), 2) die mei- sten sogenannten exocyclischeu oder irregulären Seeigel, 3) ein kleiner Theil der Crinoiden, namentlich FJeutherocrinus von den Blastoideen nnd viele Gystideen. An diese schliesseu sich dann die „subregulären" Echinodermeu an, die bei oberflächlicher Betrachtung regulär (pentactinot) erscheinen, bei denen aber durch irgend ein untergeordnetes Merkmal, z. B. die excentri- sche Lage des Afters oder die besondere Ausbildung oder den Mangel eines der 5 Genitalporen das unpaare ventrale Antimer dennoch deutlich bezeichnet ist; dahin gehören 1) die sogenannten regulären oder „nicht söhligen" Holothurien; 2) die sogenannten regulären Echmiden; 3) die See- sterne mit excentrischem After; 4) die allermeisten Crinoiden. Nicht selten finden sich hier, namentlich unter den Spatangiden, Uebergänge zur Eutetra- pleuren-Form, indem das unpaare Antimer sehr reducirt wird. Unter den Dicotyledonen gehören zu den Pentamphipleuren die ' Ge- schlechtspersonen oder Blüthensprosse von vielen der vollkommensten, um- fangreichsten und mannichfaltigsten aller Pflanzenfamilien, so namentlich die Compositen, Umbelliferen , Labiaten, Leguminosen, Violaceen etc. Auch hier kommt es aber vor, dass zwischen der extremsten Amphipleurie und der reinsten Pentactinoten-Form alle Uebergänge, oft in einer und derselben Blüthen-Gesellschaft, existiren, so z. B. zwischen den centralen und peripheri- schen (Strahlen-)Blütheu der Compositen und Umbelliferen. Die Pentamphi- pleurie tritt bei Vielen dieser Blüthen nicht minder auffallend hervor, als bei den Spatangön. Besonders ausgezeichnet sind die Leguminosen (Fig. 7); das Blumenblatt des ventralen unpaaren Antimeres bildet hier die grosse Fahne (Vexillum); die Petala der beiden lateralen Antimeren sind die so- genannten Alae oder Flügel; die Blumenblätter der beiden dorsalen Anti- meren sind zu dem Kiel (Carina) verwachsen. Bei den strahlenden Um- belliferen-Blütheu und den Zungenblüthen der Compositen ist entweder bloss das Blumenblatt des ventralen unpaaren Antimeres, oder die 3 Petala des ganzen Trivium bedeutend stärker entwickelt, als das dorsale Bivium. Dies gilt auch von den Labiaten, bei denen die „Unterlippe" der Lippeu- blüthe aus dem unpaarcu v_entralen und dem Paar der lateralen Stücke, die Schienige Grundformea. Amphipleura. 505 Oberlippe" dagegen aus den beiden dorsalen Antinieren gebildet wird. Seltener sind die letzteren stärker, als die ersteren. Bisweilen geht das ventrale Antimer ganz oder fast ganz verloren, wie bei vielen Labiatiüoren; dann ist sowohl die Unterlippe als die Oberlippe zweilappig oder zweizähnig. Ausser diesen auffallend amphipleuren Blüthen sind, strenggenommen, auch noch sehr viele andere fünfzählige Blüthen zu den Pentamphipleuren zu ziehen, welche scheinbar pentactinot sind, aber dennoch , wie die subregu- lären Echinodermen, mehr oder minder deutliche Abweichungen von der vollkommen regulären füufseitigen Pyramide zeigen. Dahin gehören insbe- !^ondere viele Blüthen, bei denen durch Abortus einzelner Glieder eines oder mehrerer Blattkreise (Metameren) die Centraiebene der Zeugiten aus- geprägt wird. Hier ist dann zwar im Ganzen die „Blumenkroue regel- mässig", aber dennoch dadurch bilateral, dass ein oder mehrere Antiraeren in Bezug auf andere Blattkreise der Blüthe unvollständig sind, wie z. B. die 4 Nüsse der fünfzähligen Asperifolien, die 8 Staubfäden des fünfzähligen Ahorn, die 3 Griffel der fünfzähligen Staphyhiu u. s. w. Vierte Art der Amphipleuren: Dreischieiiige. Triaiiiphipleura. (Dreistrahlige ungleichpolige Bilateralformen.) Stereometrische Gntndforw: Halbe sechsseitige amjMthecle Pyrannde. Realer Typus: Orchis (oder Dictyophimus) Taf. I, Fig. 5. Die Triamphiplem-en-Form besitzt eine grosse Bedeutung für das Pflanzenreich, indem eine grosse Anzahl von Monocotyledonen-Blütlien hierher gehört. Dagegen kommt sie im Thierreiche nur selten vor , und ist im Protistenreiche auf einige Radiolarien beschränkt. Von den drei Antimeren der Triamphipleuren kann das unpaare, welches selbst gewöhnlich eudipleurisch ist, wie bei den Pentamphipleuren als ventrales bezeichnet werden, und die beiden paarigen, welche meist dysdipleurisch sind, können diesem dann, wie bei den ersteren, als dorsale gegenübergestellt werden. Bei den meisten Triamphipleu- ren ist der Körper streng homopleurisch und dann sind die beiden dorsalen Antiraeren unter einander symmetrisch gleich. Im Protistenreiche wird die Grundform der dreistrahligeu Amphi- pleuren durch eine Gruppe von morphologisch sehr interessanten, wenn auch nicht zahlreichen Radiolarien aus der Cp-tiden- Familie vertreten, welche den Subfamilien der Dicyrtiden und ötichocyrtiden angehören. Es schliessen sich diese Formen, welche zugleich drei- strahlig und zweiseitig symmetrisch sind, den Triactinoten (Homostaura anisopola triactinota) unmittelbar an, unterscheiden sich aber durch die Ungleichheit der drei Kreuzaxen, von denen entweder zwei gleich, die dritte ungleich, oder aber alle drei ungleich sind. Nur im ersteren Falle (Homopleura) tritt die bilaterale Symmetrie deutlich hervor und 506 System der organischen Grundformen. lässt sich eine Medianebene feststellen, welche den Körper in zwei symmetrisch gleiche Hälften trennt, so dass wir zwei paarige dorsale nnd einen nnpaaren ventralen Radius unterscheiden können und dass auf jede Körperhcälfte ein paariges und die Hälfte des unpaaren Antimeres kömmt. Rechte und linke Seite sind dann symmetrisch gleich, dorsale und ventrale verschieden. Sehr deutlich tritt dies Verhältniss bei Dictyophimns tripus (Rad. Taf. VI, Fig. 1) und bei Podocyrtis charybdea entgegen. Die Grundfläche der dreiseitigen rechtwinkeligen Pyramide, die wir uns dann aus den Axen con- struiren können, ist ein gleichschenkeliges Dreieck. Sind dagegen alle drei Kreuzaxen ungleich und alle drei Antimeren nur ähnlich, aber Aveder symmetrisch noch congruent, so wird die Grundfläche der Grundform ein ungleichseitiges Dreieck, und es tritt die heteropleure Trianiphii)leuren-Form hervor; dann sind ebenso rechte und linke, wie dorsale und v^entrale Seite verschieden, so bei Lithomelissa thoraciles, Eucyrtidium anomalum und Diclyoceras Virchowii (Rad. Taf. VI, Fig. 2—8; Taf. VII, Fig. 11—13; Taf. VHI, Fig. 1—5). Diese letzteren Formen, bei denen es oft sehr schwierig ist, das unpaare ventrale Antimer unter den drei ungleichen herauszufinden, würden streng genommen als Heteropleuren von den ersteren, rein symmetrischen als Homopleuren zu trennen sein. Im Pflanzenreiche ist die Triamphipleuren-Form ungleich verbrei- teter. Es gehört hierher wohl die grosse Mehrzahl der Monocotyle- donen-Blttthen, der Orchideen, Gramineen, Cyperaceen etc. Auch hier ist bald die homopleure, bald die heteropleure Form vorheiTschend. Bei den Orchideen, die meist die homopleure Triamphipleuren-Form sehr schön und rein zeigen, ist die Bltithenhlille (Periauthiura) der dreistrahligen Bllithe aus zwei Blattkreisen gebildet (Taf. I, Fig. 5). Die drei Blätter des äusseren Kreises sind meist gleich, und also dieses Metamer eigentlich triactinot. Von den drei Blättern des inneren Kreises dagegen ist das unpaare ventrale sehr auffallend ge- staltet und in die sogenannte Honiglippe (Labellum) umgewandelt; gewöhnlich ist diese bedeutend grösser, als die ihr gegenüberstehenden beiden Blätter der zwei dorsalen Antimeren. Die Medianebene geht mitten zwischen den beiden letzteren und durch die Mittellinie der Honiglippe hindurch. In der dreizähligen und bilateralen BlUthe der Gramineen ist gewöhnlich nur das Metamer, welches die drei Staub- blätter trägt, A'Ollständig entwickelt. Von den drei ursprünglich gleich- mässig angelegten Blättern der Blüthenhülle (Perianthium) bildet sich das eine (äussere Deckspelze oder Bauchblatt, Palea ventralis, inferior, externa) übermässig aus, während die beiden anderen zu der inneren, zweinervigen Deckspelze oder dem Rückenblatt verwachsen (Palea dorsalis, binervis, superior, interna). Von den drei Blättchen der Schieiiige Grundformen. Amphipleura. 507 Nebenkrone (Schüppchen oder Squanmlae), die ebenfalls ursprünglich gleichmässig angelegt sind, kommt die innere, die Squamula dorsalis, nicht zur Entwickelung, und auch die beiden äusseren, die Squamulae ventrales, bleiben meist sehr klein. Ebenso komfiat von den drei Grifleln der dorsale nicht zur Entwickelung. Die sagittale oder mediane Ebene (Centraiebene), welche -die dreistrahlige Gramineen- blüthe in zwei vollkommen symmetrische Seitenhälften theilt, geht also hier durch die Verwachsungslinie der beiden dorsalen Paleen, durch die Mittellinie der ventralen Palea und durch die fehlgeschla- gene dorsale Squamula hindurch. Bei den meisten Orchideen, Gramineen, Cyperaceen und über- haupt bei den meisten triamphipleuren Monocotyledonen-Blüthen sind die beiden Seitenhälften der dreistrahligen Blüthen symmetrisch gleich. Diesen homopleuren Blüthen stehen nur wenige heteropleure gegen- über, bei denen die beiden Seiteuhälften (rechte und linke) sich differenziren, und also alle drei Antimeren ungleich werden, so z. B. > unter den Orchideen Goodyera discolor, und in sehr ausgezeichneter Weise Canna, welche durch den Gonochorismus der Antimeren in /einem hermaphroditischen Metamere merkwürdig ist. Zweite Untergattung der Zeugiten: Jochpaarige Griiuclforiiieii. Zygopleura. (Heterostaura allopola zygopleura.) „Bilateral - Symmetrische" Formen der Autoren in der dritten (mittleren) Be- deutung des Begriffes. Slereometrische Grundform: Halbe Rhombenpyramide (Gkichschenhelige Pyramide) Die wichtige und umfangreiche Abtheilung der zygopleuren Zeu- giten, die wir kurz Zygopleuren nennen, verhält sich zu den amphi- pleuren ebenso, wie unter den Toxomorphen die Orthostauren zu den Oxystauren. Während bei den Amphipleuren, wie bei den Oxystauren, die Antimerenzahl drei, fünf, sechs oder mehr beträgt und also min- destens drei radiale oder semiradiale Kreuzebenen vorhanden sind, die sich demgemäss unter spitzen Winkeln schneiden müssen, so finden wir bei den Zygopleuren, wie bei den Orthostauren, nur zwei oder vier Antimeren und demgemäss entweder nur eine einzige oder nur zwei radiale Kreuzebenen. Doch besteht ein Unterschied zwischen den Zygopleuren und Orthostauren darin, dass die beiden radialen Kreuzebenen bei den letzteren sich stets rechtwinkelig kreuzen müssen, während dies bei den ersteren nicht der Fall zu sein braucht. Wie wir als Grundform der Amphipleuren die Hälfte einer amphi- thecten Pyramide von 4 + 2 n Seiten erkannt haben, so finden war. 508 System der organischen Grundformen. wenn wir die allgeraeine Grundform der Zygopleuren zu bestimmen suchen, diese in der Hälfte einer amphithecten Pyramide von vier Seiten, also in einer halben Rhomben-Pyramide. Demgemäss erhalten wir die Zygopleuren -Form ebenso durch Halbirung der Orthostauren, wie die Amphipleuren-Form durch Halbirung der Oxy- stauren. Die halbe Rhomben-Pyramide ist eine gerade Pyramide, deren Basis ein halber Rhombus, also ein gleichschenkeliges Dreieck ist. Dieser einfache stereometrische Körper besitzt alle wesentlichen Eigenschaften, welche den Character der Zygopleuren bestimmen. Die halbe Rhomben -Pyramide wird nur durch eine einzige Ebene in zwei symmetrisch gleiche Hälften zerlegt. Diese Halbii-ungsebene (Centraiebene) ist die Medianebene, welche durch die Hauptaxe (Pyramidenaxe) und durch die Mittellinie der Basis (das Loth von der Spitze des gleichschenkeligen Dreiecks auf die Grundlinie) gelegt werden kann. Von den drei Seitenflächen der gleichschenkeligen Pyramide, wie wir die halbe Rhomben-Pyramide nach Beschaffenheit ihrer Basis auch nennen können, sind zwei Seitenflächen congruente ungleichschenkelige Dreiecke, die sich in der Bauchkante berühren und in Bezug auf ihre entgegengesetzte Lage zu dieser als symme- trisch congruent bezeichnet werden müssen. Diese beiden Seiten ent- sprechen der rechten und linken Körperfläche der Zygopleuren. Die dritte Seitenfläche der gleichschenkeligen Pyramide ist ein dreischenke- liges Dreieck, welches die Grundlinie der Basis ebenfalls zur Grund- linie hat. Da diese der Bauchkante gegenüberliegt, so müssen wir sie als Rückenseite bezeichnen. Die Spitze der gleichschenkligen Pyramide betrachten wir, wie es bei allen heteropolen Stauraxonien geschehen ist, als Aboraiseite oder Antistomiura, die Basis als Oral- seite oder Peristomium. Wie wir bei den Orthostauren als zwei besondere Formen -Arten die Tetraphragmen mit vier, und die Diphragmen mit zwei Antimeren unterscheiden mussten, so müssen wir auch bei den Zygopleuren die- selben beiden Arten im Princip theoretisch von einander trennen, ob- wohl in Wirklichkeit die Grundform in beiden Fällen wesentlich, nämlich bezüglich der Verhältnisse der Axen und ihrer Pole nicht verschieden ist. Den vierzähligen Orthostauren oder Teti-aphragmeu entsprechen die aus vier Antimeren zusammengesetzten Zygopleuren, nämlich die Mehrzahl aller Würmer, die Zaphrentiden, einige Medusen (Steenstrupia, Euphysa), viele Siphonophoren und unter den Pflanzen z; B. die Blüthen von Iberis, Reseda, Betula u. s. w. Diese vier- zähligen Zygopleuren nennen wir Tetrazygopleura oder kurz Tetra pleura. Den zweizähligen Orthostauren oder Diphragmen correspondiren die aus zwei Antimeren zusammengesetzten Zygopleuren, Jochpaarige Grundformen. Zygopleura. 509 die Personen der Wirbelthiere , Arthropoden, Weich-Thiere und viele morphologiselie Individuen niederer Ordnung. Diese zv^'eizäliligen Zyg-opleuren können im Gegensatz zu den vierzähligen als Dizygo- pleura oder kurz als Dipleura bezeiclinet werden. Genau genommen können wir die gleichsch enkelige Pj^ra- niide oder die halbe Khomben-Pyramide nur als die Grundform der zweizähligen Zygopleuren, nicht als diejenige der vierzähligen betrachten, da sie nur aus zwei Antimeren zusammengesetzt ist. Wollten wir einen besonderen geometrischen Ausdruck für die Tetra- pleuren suchen, so würden wir ihn entweder in der halben acht- seitigen amphithecten Pyramide oder in einer doppelt gleich- sch enkeligen Pyramide finden, d. h. in einer Pyramide, welche aus zwei ungleichen gleichschenkeligen Pyramiden zusammengesetzt ist, deren congruente Rückenflächen zusammenfallen (d. h. also, deren Rtickenflächen congruent sind und die mit diesen congruenten Rticken- flächeu verwachsen sind). Die Basis dieser doppelt gleichschenkeligen Pyramide ist ein doppelt gleichschenkeliges Trapez, d. h. ein Trapez, welches aus zwei ungleichen gleichschenkeligen Dreiecken zusammengesetzt ist, die über derselben Grundlinie in entgegengesetzten Richtungen errichtet sind (die also mit dieser gleichen Grundlinie sich "berühren; vergl.Taf.I, Fig. 11, r^rjr^undr.^rjrj). VondenvierSeitenflächen der doppelt gleichschenkeligen Pyramide sind je zwei gegenüberliegende ungleich, dagegen die beiden in der Rückenkante zusammenstossenden dorsalen unter sich (symmetrisch) congruent und ebenso die beiden in der ßauchkante zusammentretenden ventralen unter sich (symme- ^ trisch) congruent. Die beiden rechten Seiten (dorsale und ventrale) sind unter sich ebenso verschieden, wie die beiden linken. Die Ebenen, welche man durch die Axe der doppelt gleichschenkeligen Pyramide (Hauptaxe) und jede der beiden rechtwinkelig gekreuzten Diagonalen ihrer Grundfläche legen kann, sind die beiden Richt- ebenen, von denen die eine die andere halbirt, ohne von ihr halbirt zu werden. Durch die (nicht halbirte) Sagittalebene wird der Körper in zwei symmetrisch gleiche, durch die (halbirte) Lateralebene (r^rj in zwei symmetrisch ähnliche oder ungleiche Stücke zerlegt. Von den vier Antimeren, in welche der Tetrazygopleuren- Körper durch die beiden Richtebenen zerfallt, sind die beiden dorsalen unter sich symmetrisch gleich, und ebenso die beiden ventralen. Dagegen sind die beiden linken Antimeren (dorsales und ventrales) unter sich nur positiv ähnlich und ebenso die beiden rechten. Das linke- ventrale ist dem rechten dorsalen negativ ähnlich und ebenso das rechte ven- trale dem linken dorsalen (Vergl. Taf. I, Fig. 11 und 12). Für die Verhältnisse der Kreuzaxen und der durch sie gelegten Kreuzebenen hat dieser Unterschied der Tetrapleuren und Dipleuren 510 System der organischen Grundformen. ebenfalls Bedeutung, indem bei den ersteren nur eine einzige radiale Kreuzebene vorhanden ist, die mit der Lateralebene zusammenfällt, während die entsprechende darauf senkrechte Inter- radialebene mit der Medianebene identisch ist. Bei den Teti-a- pleuren dagegen sind zwei radiale und zwei entsprechende inter- radiale Kreuzebenen vorhanden und es fallen hier entweder die beiden radialen oder die beiden inten-adialen Kreuzebenen mit den beiden idealen Richtebenen zusammen. Obgleich aus dieser Beti-achtung der doppelt-gleichschenkeligen Pyramide hervorgeht, dass diese die eigentliche Grundform der vier- zähligen Zygopleuren ist, so können wir dieselbe doch nur als eine untergeordnete Modification der einfachen gleichschenkeligen Pyramide betrachten, da die Verhältnisse der idealen Axen und ihrer Pole in beiden Fällen ganz dieselben sind. Bei der einen wie bei der anderen sind von den drei auf einander senkrechten ungleichen Euthynen des Heterostauren -Körpers zwei ungleichpolig (die Hauptaxe und die Dorsoventralaxe), die dritte gleichpolig (die Lateralaxe). Als gemein- same Grundform aller Zygopleuren können wir demnach die gleichschenkelige Pyramide festhalten und ein Gewicht auf die Unterscheidung der einfach- und der doppelt-gleichschenkeligen nur insofern legen, als durch die erstere die homotypische Zweizahl der Dipleuren, durch die letztere die homotypische Vierzahl der Tetra- pleuren bezeichnet wird. Wichtigere Modificationen der gemeinsamen Grundform, als durch die Antimeren-Zahl Zwei oder Vier, werden dadurch bedingt, dass unter den Zygopleuren weit häufiger, als unter den Amphipleuren die Heteropleurie aufti-itt, also Ungleichheit der beiden Pole der Lateralaxen, bedingt entweder durch ursprünglich ungleiche Anlage oder durch späteres ungleiches Wachsthum der beiden Seitenhälften, oder durch besondere Einflüsse, welche auf die Differenzirung der Rechten und Linken bedingend einwirken. Insbesondere unter den Dipleuren sind diese Heterozygopleuren- Formen sehr häufig und be- dingen dort z. B. die Spiraldrehung der Gasteropoden, die charac- teristische Form der Pleuronectideu u. s. w. Viel seltener sind die Heteropleuren unter den Tetrapleuren , z. B. Abyla. Eine bestimmte geometrische Grundform für alle Heterozygopleuren lässt sich kaum allgemein feststellen, da der augenfällige Character, welcher die Homozygopleuren auszeichnet, die symmetrische Gleichheit der beiden Seitenhälften, hier verloren geht. Ganz allgemein könnte man als Grundform der Heterozygopleuren allenfalls eine ungleich dreiseitige Pyramide aufstellen, oder genauer noch als Promorphe der hetero- pleuren Tetrapleuren eine ungleich vierseitige, als Promorphe der heteropleuren Dipleuren eine ungleich dreiseitige Pyramide. Da je- Jochpaarige Grundformen. Zygopleura. 511 doch die Heterozygopleureu ihre nahe Verwandtschaft mit den nächst- stehenden Honiozyg'opleuren niemals verleugnen und namentlich die Erkenntniss der drei ungleichen Euthynen, der Ftauptaxe und der beiden Kichtaxen, obwohl alle drei un gleichpolig sind, keinen Schwie- rigkeiten unterliegt, so können wir die einzelnen Seiten, Axen und Pole der Heteropleuren stets durch Vergleichung mit den nächst- verwandten Homopleuren bestimmen und benennen. Wir können also, indem wir auch hier von der Betrachtung der homopleuren Zygopleuren ausgehen müssen, allgemein als die Grruud- form der Zygopleuren die gleichschenkelig e Pyramide oder halbe Rhomben-Pyramide festhalten und deuten ein für allemal die einzelnen Theile derselben in folgender Weise: 1) die Basis der gleichschenkeligen Pyramide ist die Mundseite oder Peristomfiäche des Zygopleuren-Körpers; 2) die Spitze der Pyramide (Apex) und ihre Umgebung ist die Gegenmundseite oder Antistomfläche ; 3 und 4) die (paarigen) beiden symmetrisch -congruenten Seiten der Pyramide sind die rechte und linke Seite; 5) die (unpaare) gleichschenkelig drei- eckige Seite der Pyramide ist die Kückenfläche (Dorsum); G) die dem Borsum gegenüberliegende (unpaare) Kante der Pyramide, in welcher rechte und linke Seite zusammenstossen, ist die Bauchfläche (Venter) des Zygopleuren-Körpers (Vergl. Taf. T, Fig. 11, 12, 14). Erste Art der Zygopleuren: Zweipaai'ige. Tetrapleura. (Tetrazygopleura. Zygopleura tetramera.) Paarige Bilateralformen mit zwei Paar Antimeren. Slereometrlsche Grundform: Doppelt-gleichschenhelige Pyramide. (Halbe Rhnmhen-Pyramide mit vier Antimeren.) Taf. I, Fig. 11, 12. Die zahlreichen Thierformen, welche wir nach den vorhergehenden Untersuchungen zu den Tetrapleuren rechnen müssen, haben bisher noch nirgends Berücksichtigung gefunden, obschon dieselben ebenso sehr als die Ctenophoren, eine besondere Abtheilung in dem Aggregat der sogenannten bilateral-symmetrischen Thiere zu bilden beanspruchen. Es gehört hierher der grosse formenreiche Kreis der Würmer (zum grössten Theil ! ), ferner eine ziemliche Anzahl von Coelenteraten, und zwar sowohl Hydromedusen (namentlich Siphonophoren) als Anthozoen (die Zaphrentiden) ; endlich eine Reihe von vierzähligen Dicotylcdonen- BlUthen, welche diesen völlig entsprechen, z. B, von Iheris, Reseda, Betuta etc.). Der wesentliche Unterschied dieser vierzähligen Zygopleuren von den zweizäbligen (oder den „bilateral -symmetrischen" Formen im 512 System der orgauisclieu Grundformen. vierten Sinne des Wortes) beruht darin, dass ihr Körper aus vier, und nicht aus zwei Antimeren 'zusammengesetzt ist. Doch bleibt diese Differenz, wie schon im Vorhergehenden auseinandergesetzt wurde, insofern ohne wesentliche Bedeutung, als die Verhältnisse der drei idealen Axen und ihrer Pole in beiden Fällen dieselben sind; in beiden ist die Lateralaxe gleichpolig, die beiden anderen (Dorsoventralaxe und Hauptaxe) ungleichpolig. Dagegen äussert sich der Unterschied zwischen Beiden schärfer in den Verhältnissen der realen Kreuzaxen und der durch sie gelegten realen Kreuz- ebenen, indem bei den Dipleuren deren nur zwei, eine radiale und eine interradiale Kreuzebene, vorhanden sind, von denen die erstere mit der lateralen, die letztere mit der medianen Ebene zusammenfällt, während bei den Tetrapleuren deren vier, zwei radiale und zwei interradiale Kreuzebenen, vorhanden sind, von denen bald die beiden ersteren, bald die beiden letzteren, mit den beiden Richtebenen oder idealen Kreuzebenen (lateraler und medianer) zusammenfallen. Wenn wir die vier realen Kreuzaxen und die (durch sie und die Mauptaxen gelegten) vier realen Kreuzebenen der Tetrapleuren und ihr Verhältniss zu den beiden idealen (lateraler und medianer) noch einen Augenblick näher ins Auge fassen, und zwar bei denjenigen Tetrapleuren, welche wir im folgenden Abschnitt als interradiale Eutetrapleuren unterscheiden werden (wie z. ß. bei den Zaphrentiden), so ergiebt sich, dass bei diesen Formen nur die eme Interradialebene (die sagittale) mit der einen idealen Kreuzebene (der medianeu) stets zusammenfällt, während dagegen die andere Interradialebene, " welche sich aus rechtem und linkem Interradial-Septum zusammensetzt, oft nicht mit der anderen idealen Kreuzebene (der lateralen) zusammen- fällt. Vielmehr bilden die beiden Hälften der lateralen InteiTadialebene, das linke und rechte interradiale Septum, welche bei den Zaphren- tiden häutig als Scptalgruben ausgebildet sind, mit der idealen Lateral- ebene da, wo sie in der Hauptaxe mit ihr zusammenstossen, oft einen spitzen Winkel, der auf beiden Seiten gleich ist. Nur wenn dieser Winkel ein rechter wird, wie bei manchen Anneliden, fällt die reale und ideale Lateralebeue zusammen. Weitere Unterschiede in den Verhältnissen der realen zu den idealen Kreuzaxen veranlassen uns, die Gruppe der Eutetrapleuren in die beiden Abtheilungen der radialen und interradiulen Eutetrapleuren zu spalten (Taf I, Fig. 11 und 12). Die Heteropleurie, die Ungleichheit der rechten und linken Seitenhältte, ist bei . den Tetrapleuren weit seltener als bei den Di- pleuren, bildet jedoch da, wo sie vorkommt, wie bei den Siphonopho- ren, so' ausgezeichnete Formen, dass wir die Betrachtung der hetero- pleuren von derjenigen der homopleuren trennen müssen. Die ersteren nennen wir kurz Eutetrapleura, die letzteren Dystetrapleura. Zweipaarige Grundformeu. Tetrapleura. 513 Erste Unterart der Tetrapleuren : Gleichhülftige Zweipaarige. Eutetrapleura. (Tetrapleura homopleura.) ' Stereometrische Grundform: noppeltgleichschenkelige Pyramide mit zwei sym- metrisch-gleichen Seitenhälflen {oder Antipurallelogramm- Pyramide). Zu der Abtheilung der tetrapleuren Zygopleuren mit symmetrisch- . gleicher rechter und linlier Seitenhälfte rechnen wir erstens den igrössten Theil des umfangreichen Wlirmer-Ki'eises, und zweitens eine igrosse Anzahl von Coelenteraten, nämlich aus der Klasse der Hydro- imedusen viele Siphonophoren, und aus der Anthozoen-Klasse viele !Rugosen, insbesondere die Zaphrentiden. Von den Dicotyledoneu- IBltithen gehören dahin die Blüthen einiger Cruciferen (z. B. Iberis) lund Dipsaceen (z. B. Scabiosa), ferner von Reseda, Betula etc. Wir können unter den Euteti-apleuren zwei untergeordnete For- .mengruppen unterscheiden, solche nämlich, bei denen die Medianebene imit einer radialen und solche, bei denen sie mit einer interradialen Kreuzebene zusammenfällt. Die ersteren können wir radiale, die i letzteren interradiale nennen. Bei den radialen Eutetrapleuren (z. B. desto mehr geht die eutetrapleure in die eudipleure Form über; je weniger die beiden Antimeren jeder Seitenhälfte verschieden sind, desto mehr nähert sie sich der Tetrarithmen-Form, welche in den Proglottiden vieler Taenien sehr rein ausgebildet ist und in den „regulären" Scolices zur tetractinoten Grundform wird. Dieser schon oben (p. 494) hervorgehobene Zusammen- hang der verschiedenen tetrameren Grundformen erscheint uns von sehr grosser Bedeutung fiir die Vorstellung von der Entstehung derselben und insbesondere von der Entwickelung der höheren aus den niederen Formen. Besonders möchten wir dabei noch auf den möglichen genealogischen Zu- sammenhang der Wirbelthiere mit den Würmern hinweisen, wie er im sechs- ten Buche erläutert werden soll. Auch die niederen Wirbelthiere zeigen noch sehr deutlich ihre ursprüngliche tetrapleure Zusammensetzung aus •i Antimeren, so z. B. im Schwänze der Fische und Amphibien. Höchst wahrscheinlich ist auch hier die höhere dipleure Form, welche alle ausge- bildeten Wirbelthiere zeigen, erst secundär aus der tetrapleuren hervorge- gangen, wie dies bei den Arthropoden unzweifelhaft der Fall ist. Unter den Dicotyledonen-Blüthen finden wir die interradiale Eutetra- pleuren - Form in Iherls und einigen anderen Cruciferen mit sogenannten „strahlenden Blüthen" eben so rein und vollständig, als in den Würmern und den Zaphrentiden ausgesprochen. Die beiden grösseren („äusseren") von dem Hauptspross abgewandten Blumenblätter, welche symmetrisch -gleich sind, entsprechen dem ventralen Antimereu-Paar; die beiden kleineren („inneren") dem Hauptspross zugewandten Blumenblätter, welche eben- falls unter sich symmetrisch gleich sind, dem dorsalen Antimeren-Paar. Die beiden kleineren von den 6 Staubfäden (das entwickelte Paar des äusseren Kreises) liegen in der lateralen Richtebene, die beiden abortirten Staubfäden des äusseren Kreises (dorsaler und ventraler) in der Medianebene. Wir haben hier die interradiale Eutetrapleuren-Form nach der radialen aufgeführt, weil uns die erstere im Ganzen genommen die höhere und vollkommenere zu sein scheint Es geht dies namentlich daraus hervor, dass dieselbe sich unmittelbar an die Eudipleuren-Form anschliesst. Bei Beiden fällt die Medianebene mit einer inter- radialen Kreuzebene zusammen. Sobald sich die beiden Antimeren jeder Seitenhälfte einer interrädialen Euteti-apleuren-Form stark difife- renziren und eine straffere Centralisation aller vier Antimeren eintritt, geht dieselbe unmittelbar in die Eudipleuren-Form Uber (Arthropioden, Vertebraten). Auch stimmt die interradiale Eutetrapleuren-Form darin ^mit der Eudipleuren-Form überein, dass die Grundform jedes einzelnen Antimeres die dysdipleure ist (Vgl. Taf. I, Fig. 11 und 12). Andererseits müssen wir jedoch schliesslich hervorheben, dass die radiale Eutetrapleuren-Form uns in einer Beziehung wenigstens voll- 518 System der organischen Grundformen. komraener und höher als die interradiale erscheint. Es ist nämlich thatsächlich die radiale Eutetrapleuren-Form meist aus drei verschiedenen Arten von Antimeren zusammengesetzt, einer dorsalen, einer ventralen und einer lateralen Form (letztere die beiden seitlichen Gegenstttcke bildend). Dagegen finden wir die interradi ale Eutetrapleuren-Form stets aus zwei verschiedenen Arten von Antimeren zusammengesetzt, einer dorsalen und einer ventralen Form, von denen jede zwei seitliche Gegenstücke bildet. Zweite Unterart der T etrapl euren : Viigleichhälftige Zweipaarige. Dystetrapleura. (Tetrapleura heteropleura.) Stereomelrische Grundform: DoppeUgleichschenhelige Pyramide mit zwei un- gleichen Seitenhülften (oder ungleich -vierseitige Pyramide). Realer Typus: Abyla. Weit seltener als die Teti-apleuren mit symmetrisch-gleichen Seitenhälften oder die (honiopleureu) Euteferapleuren sind diejenigen mit ungleichen (oder negativ ähnlichen) Seitenhälften, die hetero- pleuren, welche wir als Dystetrapleuren bezeichnen wollen. Es ist diese Form in sehr ausgezeichneter Weise durch mehrere Sipho- nophoren repräsentirt. Bei den Dystetrapleuren finden wir, wie bei den Dysdipleuren ( Pleuronectiden , spiraligen Gasteropoden etc.), drei ungleiche und ungleichpolige auf einander senkrechte ideale Axen. Dem entsprechend sind auch die sämmtlichen realen Kreuzaxen, radiale sowohl als inter- radiale, ungleich und ungleichpolig. Die vier Antimeren, durch welche sich die Dystetrapleuren von den aus zwei Antimeren gebauten Dys- dipleuren unterscheiden, sind oft so sehr verschieden, dass es kaum noch möglich erscheint, sie als Antimeren zu erkennen, während sie andererseits oft so wenig verschieden sind, dass die Dystetrapleuren- Form siclr der Eutetrapleuren- oder selbst der Tetraphragmen- und Tetractinoten-Form nähert. Oft sind an einem einzigen Siphonophoren- Stock alle Uebergänge zwischen diesen verschiedenen Grundformen nachzuweisen. Die Siphonophoren- Individuen, in denen die Dystetra- pleuren-Form zur höchsten Entwickelung gelangt, sind meistens Schwimmglocken, namentlich aus den Familien der Physophoriden und Diphyiden. Die ausgezeichnetsten Formen der Art liefern die Abyliden, bei denen die vier Antimeren oft so ungleich werden, dass der Körper aus drei, fünf oder mehr Stücken zusammengesetzt er- scheint. Als typische Repräsentanten dieser am meisten differenzirten von allen tetrameren Formen mögen hier namentlich die hinteren Schwimmstücke von Abyla trigona und von Abyla pentagona hervor- gehoben werden. Binpaarige Grundformen. Dipleura. 519 Zweite Art der Zygopleurea: Eiiipaarige. Dipleura. (Dizygopleura. Zygopleura dimera.) Paarige Bilateralformen mit einem Paar Antimereu. („Bilateral -symmetrische" Formen der Autoren in der vierten (engeren) Bedeutung des BegriflPes.) Stereometrisühe Grumlform: FMach-gleicliscUnhelige Pyramide. {Halbe Rhomben -Pyramide mit zwei Anlimeren) Taf. I, Fig. 14. Wir sind nun im Laufe unserer promorphologischen Untersuchung endlich bei denjenigen Formen angelangt, auf welche die vieldeutige Bezeichnung der „bilateralen Symmetrie" am häufigsten angewandt wird weil die Mehrzahl der gewöhnlich sogenannten bilateral-symme- trischen Thiere hierher gehört, nämlich die meisten Wirbelthiere, Gliederfüsser und Weich-Thiere, nebst vielen niederen organischen Formen. Es sind dies diejenigen Formen, welche von Bronn als , reine Halbkeile oder Hemisphenoid-Formen" betrachtet wurden. Die allgemeinen Eigenschaften dieser zweizähligen Zygopleuren, die wir allgemein als Dizygopleuren oder kürzer als Dipleuren bezeichnen wollen, sind so bekannt und aus der Anschauung unseres eigenen Körpers Jedem so geläufig, dass wir nur das Wichtigste hier kurz hervorheben wollen (Vergl. Tat. I, Fig. 14). Der Körper aller Dipleuren besteht nur aus zwei Antimeren, einem rechten und einem linken, welche in der Mittelebene des Körpers (Planum medianum), die hier auch häufig als Sagittalebene ') bezeichnet wird, vereinigt sind. Diese Me-dianebene haben wir als die einzige Interradialebene des Dipleuren-Körpers aufzufassen, während die einzige Radialebene desselben durch die gemeinsame Medianebene der beiden Antimeren gegeben wird, die mit der La- teralebene des ganzen Körpers zusammenfällt. Wie unter den Tetrapleuren, so müssen wir auch unter den Di- pleuren zwei verschiedene G-rundformen als Unterarten unterscheiden, solche nämlich, wo die beiden Antimeren symmetrisch - gleich sind, und solche, wo die eine (rechte) Körperhälfte mehr oder weniger von der anderen (linken) verschieden (also ihr nur symmetrisch -ähn- lich) ist. Die Letzteren oder die heteropleuren Dipleuren nennen wir kurz Dysdipleura; die Ersteren oder die homopleuren Dipleuren können entsprechend Eu dipleura genannt werden. Streng genommen dürfte die grosse Mehrzahl von allen Dipleuren zu den Heteropleuren gerechnet werden müssen, da in der That nui- sehr selten die beiden Körperhältten vollkommen symmetrisch - gleich ') Die Beajeichnung der Medianebene oder Mittelebene als „Sagittalebene" wird insbesondere häufig von den Anthropotomen angewandt, abgeleitet von dem Verlaufe der Pfeilnaht (Sutura sagittalis) des menschlichen Schädels. System der organischen Grundformen. ^Z^'ZJ"' l'^'^t^K"^^.' ""^^'"^^^ hergebracht und mit Recht gebräuchlich, dass man nm- diejenigen Dipleuren als Asymme rische« d. h. als Dysdipleure auffasst, bei denen die Ungleichheit der beiden Antimeren mehr oder minder auffallend in der äusseren Körperbildung heiTortritt, wie bei den Pleuronectiden Spiralen Gasteropoden u. s. w. Wir schliessen also auch,. der herge- brachten Anschauung folgend, diejenigen Dipleuren von den hetero- pleuren aus, und betrachten sie als bomopleure, bei welchen zwar die inneren Organe („Eingeweide") stark asymmetrisch, dagegen die äusseren Organe und die Gesammtform symmetrisch entwickelt ist (z B die meisten Vertebraten. Die strengste Eudipleurie im Inneren und Aeusseren zeigen die Arthropoden. Bei allen Diplem-en sind nur zwei reale Kreuzaxen (resp Kreuz- ebenen) vorhanden und diese fallen mit den beiden idealen oder Richtaxen (resp. Richtebenen) zusammen. Die eine reale Kreuzebene ist die radiale, welche mit der Medianebene der beiden Antimeren oder der Lateralebene identisch ist. Die andere reale Ki-euzebene ist die interradiale, welche mit der Grenzebene der beiden Antimeren oder der Medianebene des Körpers zusammenfällt. Von den drei ungleichen idealen Körperaxen sind bei den Eudipleuren zwei (die Hauptaxe oder Längsaxe und die Dorsoventralaxe oder Dickenaxe) ungleichpolig, die dritte dagegen (die Lateralaxe oder Breitenaxe) gleichpolig, während bei den Dysdipleuren alle drei Axen ungleich- polig sind (Vergl. Taf. I, Fig. 14). Als die geometrische Grundform der Eudipleuren hahen wir bereits oben die halbe Rhomben-Pyramide oder die einfache gleichschenkelige Pyramide festgestellt, d. h. eine gerade drei- seitige Pyramide, deren Basis ein gleichschenkeliges Dreieck ist. Wir haben dort ein ftir allemal die Deutung ihrer einzelnen Theile dahin testgestellt, dass die Basis der oralen, die Spitze der aboralen Körperseite entspricht, während von den drei Seitenflächen die unpaare gleichschenkelig-di-eieckige als Dorsalseite, die beiden paarigen (welche zwei ungleichseitige unter einander symmetrisch - congruente Dreiecke sind) als rechte und linke Laterälfläche aufzufassen sind; die Mittel- linie der Bauchseite bildet dann diejenige Kante der Pyramide, welche der Dorsalfläche gegenüberliegt. Die Dysdipleuren, welche sämmtlich ursprünglich als Eudi- pleuren angelegt sind und erst durch Differenzirung der beiden Seitenhälften aus ihnen hervorgehen, lassen keine scharf bestimmte stereometrische Grundform mehr erkennen. Höchstens könnte man als solche, wie oben bereits bemerkt wurde, eine ungleich - dreiseitige Pyramide aufstellen, d. h. eine dreiseitige Pyramide, deren Basis ein ungleichseitiges Dreieck ist. Einpaarige Grundformen. Dipleara. 521 Erste Unterart der Dipleuren: Gleichhälftige Einpaarige. Eudipleura. (Dipleura homopleura.) (Bilateral-symmetrische Formen in der fünften (engsten) Bedeutung des Begriffes.) Stereometrische Grundform: Einfach -ghichschenhelige Pyramide (mit zwei symmetrisch- gleichen Seitenhälften). Realer Typus: Homo (oder Fumaria) Taf. I, Fig. 14. Die Eudipleuren oder die vollkommen symmeti'isch-gleichseitigen und zweizähligen Formen dürfen als die vollkommensten aller orga- nischen Formen angesehen M^erden. Offenbar sind mit der Zusammen- setzung des Körpers aus nur zwei Antimeren, die symmetrisch- gleich sind, eine Menge Vortheile verbunden, die jeder anderen Form ab- gehen. Diese Vortheile sind grösstentheils mechanischer Natur und kommen namentlich der freien und allseitigen Bewegung des Körpers sehr zu Statten. Sehen wir doch nicht allein, däss die meisten frei- beweglichen, vollkommeneren Organismen und namentlich alle höheren Thiere, welche sich auf dem Festlande bewegen, fast ohne Ausnahme nach der Eudipleuren-Form gebaut sind, (besonders die meisten Wirbel- thiere, Oliederflisser und Weichthiere) , sondern dass auch alle voll- kommeneren und selbst die unvollkommeneren Maschinen, welche der Mensch zum Zwecke der Ortsbewegung erfunden und gebaut hat, unbewusst nach demselben Princip consü'uirt sind. Alle unsere Be- wegungsmaschinen zu Wasser und zu Lande, die Locomotiven, Wagen und alle Art Fuhrwerke, die Schiffe, Nachen u. s. w., ebenso sehr viele andere mechanisch v?irkende Instrumente sind nach diesem Grundprincip gebaut. Vor Allem wird die Vorwärtsbewegung in einer bestimmten Richtung, mit einem constanten Körperende voran, durch keine andere mögliche Grundform so sicher bewerkstelligt, als durch die Eudipleuren-Form. Daher hat sich die Eudipleuren-Form in dem bei weitem grössten Theile aller Thier-Personen mehr oder minder vollkommen rein aus- gebildet, obwohl häufig einerseits in die dysdipleure, andererseits in die eutetrapleure und selbst in die tetrarithme Grundform übergehend (Cestoden!). Wenn wir von geringeren (besonders im inneren Bau hervortretenden) Differenzen der rechten und linken Seitenhälfte absehen, 80 finden wir die Eudipleuren-Form bei den Personen der allermei- sten Wirbelthiere, Arthropoden und Mollusken, bei den höchststehen- -den Würmern , einzelnen Echinodermen - Ammen und Coelenteraten (Siphonophoren). Ausgenommen sind von den Wirbelthieren die dys- dipleuren Pleuronectiden, von den Arthropoden einige schmarotzende oder an bestimmte Wohnorte angepasste Formen (PagurusJ, von den 522 System der organischen Grundformen. Weichthieren alle diejenigen, bei welchen durch ein ungleiches Wachs- thum beider Hälften die Hauptaxe eine spiralige Drehung erfahren hat (die meisten Gasteropoden), oder wo durch Anwachsen mit einer Seite diese besonders angepasst ist (Pleuroconchae). Unter den Siphono- phoren mlissen wir als Eudipleure solche betrachten, bei denen das dorsale und ventrale Antimer gänzlich verkümmert und bloss die bei- den lateralen übrig geblieben sind, wie namentlich in den Deckstücken und Fangfäden sehr vieler Physophoriden etc. Unter den Würmern, deren allgemein herrschende Grundform die eutetrapleure ist, gehen diejenigen in die eudipleure über, bei denen die beiden Antimeren jeder Seitenhälfte sich so stark differenziren und zugleich die ganze Person sich so centi'alisirt, dass man nur noch zwei laterale Anti- meren, ein rechtes und ein linkes, an derselben unterscheiden kann. Wir finden dies insbesondere bei den höchststehenden Chaetopoden (Aphroditeen), bei den meisten Himdineen und Gephyreen und vielen Platyelminthen. Ebenso geht bei vielen Echinodermen- Ammen die ursprüngliche eutetrapleure Grundform auf diese Weise in die eudi- pleure über. In sehr vielen Fällen der letzteren Art ist es, besonders bei den Würmern, sehr schwer, zu entscheiden, ob die Grundform eigentlich die eutetrapleure oder die eudipleure ist, weil man nicht mit Sicher- heit mehr sagen kann, ob jede Körperhälfte nur aus einem einzigen oder aus zwei Antimeren besteht. Dies gilt selbst für die niederen Wirbelthiere. So z. B. zeigt uns bei den- Fischen und selbst noch bei den geschwänzten x4.mphibien jeder Querschnitt des Schwanzes ganz o£fenbar die tetrapleure Form mit 4 Antimeren, dagegen jeder Querschnitt des vorderen Körpertheiles eben so deutlich die dipleure Form mit 2 Antimeren. Es bestätigt uns dies lediglich in unserer Ansicht, dass die Eudipleureu-Form bei den Wirbelthieren ebenso wie bei den Arthropoden erst eine secundär erworbene, und aus der ur- sprünglichen Eutetrapleuren-Form hervorgebildet ist; wahrscheinlich stammen die ersteren eben so wohl wie die letzteren von eutetra- pleui-en Würmern ab. Vergleichen wir den Querschnitt eines Fisch- schwanzes mit dem Querschnitt eines Anuelids (Nereis) Fig. 12, so finden wir in der That viel grössere promorphologische Uebereinstim- mung, als mit dem Querschnitt der vorderen Rumpf hälfte desselben Fisches (Fig. 14). Die vier grossen Seitenrurapfmuskeln C^Iusculi laterales) zeigen unzweifelhaft die ursprüngliche Zusammensetzung aus vier Antimeren an, ebenso wie die vier longitudinalen Muskelfelder der Würmer. Die beiden dorsalen Seitenmuskeln der Fische werden von den beiden ventralen durch eine sehnige Membran getrennt, welche in der interradialen Lateralebene des Körpers, senkrecht auf der Median- ebene liegt. Einpaarige Grundformen. Dipleiira. 523 Jedenfalls beweist uns deutlich die ganz vorwiegende Ausbil- dung der reinen Eudipleuren-Forni bei der grossen Mehrzahl der .aetuellen Personen in den beiden höchsten Thiergruppen, dass diese (Grundform die vollendetste von allen ist. Natürlich müssen hier überall lidie Metameren, welche die Person zusammensetzen, ebenso eudipleure fisein, wie die ganze Person, obwohl einzelne Metameren aus der gan- •zen Kette stark dysdipleure werden können. Aber nicht allein zur [Bildung von Metameren und Personen ist die Eudipleuren-Form im iThierreiche vor allen Anderen verwandt, sondern auch eine sehr Egrosse Menge von Antimeren und Organen ist nach demselben Prin- ccip gebaut, so z. B. die Antimeren aller sogenannten regulären Thiere, (homostaure Echinodermen und Coelenteraten) , ferner sehr viele Or- egano (in allen Thierklassen). Seltener ist diese Form im Thierreiche •,zur Bildung von morphologischen Individuen höchster und niedrigster (Ordnung (Stöcken und Piastiden) verwandt. Ein ausgezeichnet eudi- jpleurer Stock ist z. B. der von Pennatula. Umgekehrt wie bei den Thieren, bildet die Eudipleuren-Form bei (den Pflanzen nur sehr selten die Grundform höherer, dagegen sehr ; allgemein diejenige niederer Ordnungen der morphologischen Indivi- idualität. Echte eudipleure Personen sind uns aus dem Pflanzenreiche inur wenige bekannt, so z. B. die Blüthen von Corydalisi und Fumaria. •Sehr allgemein dagegen finden wir die Blatt- Organe nach der Eudi- , pleuren - Form gebildet , sowohl die Blüthenblätter als die Frucht- blätter, die Laubblätter und die Niederblätter. Auch hier geht die eudipleure oft in die dysdipleure Grundform über. Während so im Pflanzen- und Thierreiche die gleichschenkelige Pyramide als Grundform der Eudipleuren eine ausserordentliche Be- ideutung besitzt, finden wir dieselbe im Protistenreiche nur verhältniss- mässig selten realisirt, und auch hierin bekundet sich der niedere 1 Bildungsgrad dieses Reiches. Wenn man das vieldeutige Wort bilaterale Symmetrie" noch 'ferner gebrauchen will, so muss es auf die Eudipleuren-Form be- schränkt bleiben, welche in der That die bilateral-symmetrische Form im engsten Sinne des Wortes ist. Es sind also auszuscheiden die • 4 anderen weiteren Begriffe, die man mit diesem Ausdruck verbunden hat, indem man ihn zur Bezeichnung von 4 weiteren Formgruppen benutzte, nämlich den Dipleuren, Zygopleuren, Centrepipeden und He- ' terostauren. Wie wesentlich sich die Eudipleuren-Form von diesen weiteren Grundformen, von denen sie nur die speciellste Art darstellt, abhebt, ist im Vorhergehenden genugsam auseinandergesetzt, ebenso idass die allgemeine stereometrische Grundform der Eudipleuren 'die halbe Rhomben -Pyramide oder die einfach-gleichschenke- ilige Pyramide ist (Vergl. Taf. I, Fig. 14 nebst Erklärung). 524 System der organischen Grundformen. Zweite Unterart der Dipleuren: Ungleichhäirtige Einpaarig^e. Dysdipleura. (Dipleura heteropleura.) („Asymmetrische Formen" der meisten Autoren.) StereomePrische Grundform: Ungleich - dreiseiUge Pyramide. (Einfach-gleichschenhelige Pyramide nüt zwei symmetrisch- ülmlid^^^ Bealer Typus: Pleuronectes. Die Dysdipleuren oder die ungleichhälftigen zweizähligen Formen könnten im Priucip als die vollkommensten aller organischen Formen gelten, indem offenbar bei ihnen die Differenzirung der Axen und Pole am weitesten vorgeschritten ist. Nebst den Diarithmen und Eudipleuren sind die Dysdipleuren die einzigen Formen, die bloss aus zwei Antimeren zusammengesetzt sind. Diese drei Grundformen ha- ben ausser der homotypischen Zweizahl auch die Ungleichheit der drei idealen Axen (Hauptaxe und beide Richtaxen) und die Ungleich- heit beider Pole der Hauptaxe gemeinsam. Während sich nun die Eudipleuren weit dadurch über die Diarithmen erheben, dass bei ihnen auch die beiden Pole der einen (dorsoventralen) Richtaxe differenzirt werden, gehen die Dysdipleuren noch einen Schritt weiter, indem bei ihnen auch noch die beiden Pole der anderen (lateralen) Richtaxe sich differenziren. Die Dysdipleuren sind die einzigen zweizähligen For- men, die durch drei auf einander senkrechte ungleiche und ungleichpolige Idealaxen ausgezeichnet sind. Der orale Pol der Längenaxe ist ver- schieden vom aboralen; der dorsale Pol der Dickenaxe ist verschie- den vom ventralen; der linke Pol der Breitenaxe ist verschieden vom rechten Pole. Allein während so, im Princip betrachtet, die Dysdipleuren als die vollkommensten aller organischen Formen gelten könnten, sehen wir doch andererseits bald, dass mit der sie auszeichnenden Ungleich- heit der beiden Seitenhälften nothwendig der Verlust der grossen, na- mentlich für die freie und bestimmte Ortsbewegung höchst werthvollen Vortheile verbunden ist, welche die Eudipleuren-Form als die practisch vollkommenste von Allen erscheinen lassen. Daher finden wir sie denn auch nur in solchen Personen verkörpert' bei denen die eine Körperhälfte, entweder die rechte oder die linke, zu einer bestimmten Function dient, zu welcher die andere niemals benutzt wird, oder bei denen die heteroplcure Entwickelung der beiden Antimeren durch specielle Anpassungen bedingt und mit wesentlicher Beeinträchtigung der schnellen Bewegungsfähigkeit verbunden i^t. Dass die bestimmte stereometrische Grundform der gleichschenke- ligen Pyramide, welche den Eudipleuren zu Grunde liegt, nicht in mathematisch strengem Sinne in den Dysdipleuren nachgewiesen wer- Einpaarige Grundformen. Dipieura. 525 leu kann, haben wir schon oben gezeigt, und es könnte demnacli ^icheiuen, als ob eine stereometrische Grundform bei dieser letzten liiöchst diiferenzirten Formen- Gruppe überhaupt nicht zu finden wäre. W^ielniehr scheint sich dieselbe an den ersten und unvollkommensten \\usgangspunkt der ganzen organischen Formenreihe, an die Anaxo- iiien oder die absolut unregelmässigen Körper zunächst anzuschliessen. [Doch ist hier nochmals hervorzuheben, dass alle Dysdipleuren ur- uprttnglich eudipleurisch angelegt sind, und erst nachträglich beteropleurisch werden ; und dass sie daher die Grundform der halben Ißhombcn-Pyramide oder der gleichschenkeligen Pyramide während einer l)')estimmten (längeren oder kürzeren) Zeit ihres Lebens deutlich ausgeprägt tieigen. Die asymmetrische oder dysdipleure Bildung tritt immer erst secun- liiär hervor, sobald die Ungleichheit im Wachsthum der beiden Anti- imeren beginnt. Wir sind demnach wohl berechtigt, die gleich- ^chenkelige Pyramide als gemeinsame Grundform aller Dipleuren, auch il3er Dysdipleuren aufzustellen , und ihren Unterschied von der voll- kommen symmetrischen Eudipleuren-Form dadurch auszudrücken, dass wir ihre beiden Seitenhälften, rechte und linke, nicht als symmetrisch- t'jleich, sondern nur als symmetrisch -ähnlich bezeichnen. Wollte unan in streng mathematischem Sinne eine stereometrische Promorphe ti'ür die Dysdipleuren aufstellen, so würde man als solche nur die voll- kcoramen irreguläre dreiseitige Pyramide, oder das absolut irre- [;^-uläre Tetraeder bezeichnen können, als diejenige einfachste geo- ii.netrische Form, in welcher drei auf einander senkrechte ungleiche und ungleichpolige Axen a,u8gesprochen sind. Wir würden aber da- durch nicht die Zusammensetzung des Körpers aus zwei ähnlichen ^Vntimeren ausdrücken, dui-ch welche sich die Dysdipleuren wesentlich ivon den Anaxonien unterscheiden. Es ist schon oben hervorgehoben wordeu, das in streng mathe- matischem Sinne eigentlich wohl die grosse Mehrzahl der Dipleuren Hierher gezogen werden müsste, weil nur selten die beiden Antimeren lies Dipleuren - Körpers vollkonmien symmetrisch gleich sind. Es oraucht z. B. bloss an die Ungleichheit der beiden Gesichtshälften des ^Vlenschen erinnert zu werden, die hier deutlicher als an anderen Kör- »ertheilen in die Augen springt. Indessen sind solche geringe Ab- 'veichungen, wie sie namentlich in der Ungleichheit der beiden Schä- llelhälften (viel auftallender z. B. bei vielen Delphinen und Aflen), fer- ner bisweilen in der einseitigen Lage des Afters (bei Lepidosiren, \imphioxus), ferner in der einseitigen Ausbildung des Geruchsorgans \he[ Amphioxus u. s. w.) hervortreten, von keinem bestimmenden Ein- iluss auf die gesammte Grundform. Wir werden daher nm- solche Ilipleure Formen als entschieden dysdipleure beti-achten, bei welchen liusserlich die Ungleichheit der rechten und linken Körperhälfte in 526 System der orgauischen Grundformen. solcher Weise hervorh-itt, dass die Gesammtfor ra dadurch „un- symmetrisch" erscheiut. Wir sagen absichtlich „äusserlicli". denn im inneren Baue finden sich Differenzen) und oft sehr beträchtliche Differenzen!) zwischen rechter und linker Hälfte bei den allermeisten Eudipleuren vor. Insbesondere sind es bei den höheren Thieren, und namentlich bei den Wirbelthieren, die in inneren Höhlen eingeschlosse- < nen ., Eingeweide " , welche meistens in ihren uupaar vorhandenen i Tlieilen eine äusserst unsymmeti-ische Lagerung und Vertheilung auf beide Hälften zeigen, so namentlich Herz, Magen Leber, Milz und i Pancreas bei den Wirbelthieren, lüemen, Herz, Niere und Geschlechts- organe bei den Schnecken u. s. w. Nicht selten kommt auch von ursprünglich paarig angelegten Theilen der eine gar nicht zur Ent- wickelung, wie z. B. ^der rechte Eierstock der Vögel und des Orni- thorhynchus, die eine von den beiden Lungen der Schlangen etc. Da jedoch diese innere Asymmetrie auf die äussere Erscheinung der gesammten dipleuren Körperform gar keinen Einfluss ausübt, so kön- nen wir hier vollständig von derselben absehen. Wenn wir demnach als Dysdipleure im engeren Sinne nur solche dipleure organische Formen ansehen, bei welchen die Ungleichheit der beiden Körperhäl^fen in so auffallender Weise äusserlich hervor- tritt, dass dadurch die Gesammtform asymmetrisch wird, so finden wir dieselben fast überall nur als einzelne Ausnahmen in solchen Gruppen von Organismen vor, deren allgemeine Grundform die eudipleure ist. Von den Personen des Thierreichs sind hier vor Allen zu erwähnen unter den Wirbelthieren die merlwürdige Fisch-Familie der Pleuro- nectiden, bei denen der Rumpf zwar ganz eudipleurisch , der Kopf aber so schief entwickelt ist, dass beide Augen auf einer Seite, bald rechts, bald links liegen; ferner unter den Säugethieren der Narwal- Delphin ßlonodou monoceros), bei welchem nui- der linke Schneide- zahn zum mächtigen Stosszahn entwickelt, der rechte dagegen ganzver- kümmertist. Unter denGliederfüssern sindbeson ders^aele Crustaceen dys- dipleurisch, namentlich parasitische Formen, ferner die Eremiten-Krebse (Pagurus) deren weiches Abdomen sich dadurch unsymmetrisch ent- wickelt hat, dass sie sich angewöhnt haben, dasselbe in einer spiral gewundenen Schneokenschale zu verbergen; entsprechend sind auch die beiden Scheeren sehr augleich entwickelt (doch findet sich con- stant sehr ungleiche Grösse der beiden Scheeren auch bei anderen Decapoden, höchst auflallend bei Gelasimus). Am meisten zur Dys- dipleuren - Entwickelung ist von " allen Thiergruppen der Mollusken- Stamm geneigt; selbst unter den höchst entwickelten Cephalopoden spricht sie sich hier darin aus, dass inmier nur ein Arm einer Seite hectocotylisirt ist. Unter den Schnecken gehören hierher alle, welche ein spiralig gewundenes Gehäuse bilden ; bei den meisten ist die linke Einpaarige Grundformen. Dipleura. 527 Körperhälfte im Waclisthuin bevorzugt, und dem entsprechend das Ge- häuse links gewunden; seltener ist es umgekehrt rechts gewunden (Clausilia, Pliijsa). Unter den Laniellibranchieu zeigt sich die Dys- dipleurie höchst auffallend bei den meisten Muscheln, welche mit einer Öchalenklappe festgewachsen sind (Pleuroconchae) ; die angewachsene Schale ist meistens grösser und tieler, bei Oslrea meistens die linke, bei Spondyhis die rechte; am meisten ausgezeichnet sind durch gänz- lich verschiedene Ausbildung beider Hälften die Kudisten; doch spricht sich ein geringerer Grad von Differenz bei den meisten Muscheln in dem Unterschied der rechten und linken Schlosshälfte aus. Unter den Pflanzen sind es iiisbesondere die eudipleuren Orgaue, welche in sehr vielen Fällen in die dysdipleure Form mehr oder min- der auffallend übergehen. So finden wir namentlich unter den Blät- tern (Blumenblättern, Fruchtblättern, Laubblättern etc.) deren allge- meine Grundform die eudipleui-e ist, sehr häufig mehr oder weniger ausgezeichnete dysdipleure vor, so z. B. die Laubblätter von Ulmus und vor Allen von Begonia (dem „ Schiefblatt"), ferner die spiralig ge- di-ehten Blumenblätter vieler Orchideen, die asymmetrischen Carpelle vieler Früchte etc. Bei der allgemeinen Neigung zu spiraligem Wachs- thum in dem Pflanzenreiche müssen hier dysdipleure Formen überall da zu Staudt kommen, wo dasselbe eudipleurisch angelegte Theile betrifft Li allen diesen Fällen zeigt uns entweder die embryologische oder die palaeontologische Entwickelungsgeschichte , dass die beiden ungleichen Hälften des dysdipleuren Körpers ursprünglich eudipleurisch angelegt waren, und dass demnach die Dysdipleurie sich erst secun- där aus der reinen Eudipleurie hervorgebildet hat. Bald ist es die rechte, bald die linke Seite, welche (anfänglich der anderen Hälfte aequivalent) ein überwiegendes Wachsthum gewinnt und dadurch sich zu Ungunsten der anderen, schwächeren entwickelt. Daher kommen auch in allen Species, wo regelmässig die rechte Hälfte die stärkere ist, ausnahmsweise Fälle vor, m denen die linke tiberwiegt, und ebenso umgekehrt. So kennt man z. B. unter den spiralig gewundenen Schnecken mehr als fünfzig Species, welche gewöhnlich links, in ein- zelnen Fällen aber auch rechts gedreht sind {Helix, Fupa, Bulimus, Fusus etc.) Dass dies ganz vom Zufall, d. h. von verhältnissmässig unbedeutendem, mechanisch auf die Entwickeluug einwirkenden Ur- sachen (Anpassuugs - Bedingungen) abhängt, zeigen am deutlichsten die dysdipleuren Pleuronectiden , bei denen dieselbe Art, welche die Augen gewöhnlich rechts hat, sie bisweilen auch links trägt, und in seltenen Fällen sogar vollkommen symmetrisch vorkommt, z. B. Pleu- ro7iecles maximtis. 528 Grundformeu der sechs Individualitäts - Ordnungen, Vierzehntes Capitel. Grundformen der sechs Individualitäts- Ordnungen. „Wäre die Natur in ihren leblosen Anfängen nicht so gründlich stereometrisch, wie wollte sie zuletzt zum unberechenbaren und unermesslichen Leben gelangen?" Goethe. I. Grundformen der Piastiden. Promorpheu der morphologischen Individuen erster Ordnung. Die Plastideu oder Plasmastttcke bilden als die morphologischen Individuen erster Ordnung die Bausteine, aus deren Aggregation sich der Körper aller Organismen aufbaut, die nicht selbst zeitlebens den Formvverth einer einzigen Plastide beibehalten. Als solche sind sie von eben so grosser promorphologischer wie tectologischer Bedeutung. Die Grundformen aller Form-Individuen zweiter und höherer Ordnung resultiren in letzter Instanz ebenso aus der Grundform, Zahl, Lage- rungs- und Verbindungs- Weise der constituirenden Piastiden, wie deren Grundform selbst durch die Zahl, Lagerungs- und Verbindungs- Weise ihrer constituirenden Molektile bedingt ist. Entsprechend nun dem unerschöpflichen Fornienreichthum, der sieb hierbei offenbart, zeigen uns auch die Grundformen der Piastiden, sowohl der kernfreien Cyto- den, als der kernhaltigen Zellen^ die grösstmögliche Mannichfaltigkeit und es ist keine stereometrische Grundform denkbar, welche nicht in irgend einer organischen Plastide ihre reale Verkörperung finden könnte. Sowohl im Protistenreiche als im Pflanzenreiche und Thierreiche können wir hie und da fast jede einzelne der im vorigen Capitel aufgezählten Grundformen verkörpert finden; von den niedersten und einfachsten, den Anaxonien und Homaxonien, bis zu den höchsten und vollkommensten, T. Grundformen der Plaatiden. 529 den Amplnpleuren und Zygopleuren. Diese ausnehmende Mannich- faltigkeit der Grundform, welche die Form-Individuen erster Ordnung vor denen der Übrigen Ordnungen auszeichnet, ist vorzüglich durch zwei Umstände bedingt, erstens dadurch, dass die ersteren in weit höherem Maasse als die letzteren den allerverschiedensten und end- los mannichfaltigen Anpassungs- Verhältnissen sich fügen müssen, und zweitens dadurch, dass die meisten Piastiden, welche sich zu höherer Grundform erheben, während ihrer individuellen Entwickelung eine Reihe von niederen Grundformen durchlaufen müssen. Nächst der unbeschränkten Mannichfaltigkeit der Grundformen liegt ein zweiter promorphologischer Character der Piastiden, und ein sehr wichtiger, in dem allgemeinen Vorherrschen der niederen Grund- formen. Obschon auch alle höheren, ja selbst die höchsten und voll- kommensten Promorphen in gewissen Piastiden verkörpert sind, treten diese doch im Ganzen zurück gegen die vorwiegend ausgebildeten niederen und einfachen Formen, Nur diejenigen Cytoden und Zellen, welche als freie und isolirte Lebenseiuheiten das materielle Substrat von actuellen Bionten bilden, zeigen im Allgemeinen einen grösseren Keichthum von höheren Grundformen, während die grosse Mehi-zahl aller übrigen Piastiden, die in dem geselligen Verbände der Synusie Organe und überhaupt Form -Individuen höherer Ordnung constituiren, aller- meist niedere Promorphen beibehalten. Wenn man alle gegenwärtig existirenden Cytoden und Zellen ne- ben einander hinsichtlich ihrer Grundform vergleichen und statistisch ordnen könnte, so würde sich wahrscheinlich das Resultat ergeben, dass die Mehrzahl aller Piastiden entweder die vollkommen amorphe Grundform der Anaxonien besitzt, oder die absolut regelmässige Ge- stalt der Kugel und der sich an diese zunächst anschliessenden Monaxonien. Ferner würde sich dabei wahrscheinlich zeigen, dass die Kugelform bei denjenigen Piastiden überwiegt, welche ihi-e Gestalt, unbehindert von äusserem Druck frei nach allen Richtungen des Raumes entwickeln können, wie z. B. diejenigen, welche fi-ei in einer Flüssigkeit leben (Blutzellen), während dagegen die Monaxonform und die Anaxonform bei denjenigen Piastiden vorherrscht, welche sich in ihrem allseitigen Wachsthum den äusseren Beschränkungen ftigen müssen, die ihnen die Raumverhältnisse der umgebenden Plastideu auferlegen. Man hat aus diesem Grunde auch die Kugel als die ur- sprüngliche gemeinsame Grundform aller Zellen angesehen, und diese Anschauung könnte gerechtfertigt erscheinen, wenn wir au die Ver- hältnisse der Autogonie denken. Offenbar ist der denkbar einfachste und natürlichste Fall der Autogonie der, dass ein Plasmamoleküi, welches auf andere benachbarte Moleküle derselben Eiweissverbindung anziehend wirkt (wie ein Kernkrystall in der Mutterlauge) diese Mas- Haeckel, UenerRlIe Morphologie, 34 530 Grundformen der sechs Individualitäts- Ordnungen. senattraction nach allen Seiten g-leichmässig ausübt; und wenn ao eine einfache Plastide autogon entsteht, so wird dieselbe die reine Kug-elform besitzen müssen, deren vollständige Ausbildung obeneiu noch diu-ch den festflUssigen Aggregatzustand des Plasma begünstigt wird. Indessen darf hierbei doch,nicht vergessen werden, das» erst(3ns schon ursprüngliche Verschiedenheiten in der autogonen Grundform durch die verschiedene atomistische Zusammensetzung des Plasma be- dingt sein können (in ähnlicher Weise wie die bestimmten Grundformen der Krystalle durch die verschiedene chemische Constitution der kry- stallisirenden Materie gegeben sind). Zweitens aber werden sich die autogonen Piastiden, ebenso wie die sich selbst bildenden Krystalle niemals absolut frei bilden, d. h. niemals vollkommen unabhängig von störenden Einflüssen (Massen - Anziehungen) der umgebenden Natur- körper, und auch hierdurch kann die Kugelgestalt schon während ihrer Entstehung modificirt werden. Vollkommen rein finden wir die Kugelform ausgeprägt vorzüglich in denjenigen Ph.stiden, welche in Flüssigkeiten ganz unbehindert sich frei nach allen Kichtungen entwickeln können (Blutzellen, Eiterzelleu, Schleimzellen vieler Thiere) und dann besonders in denjenigen, welche als virtuelle oder partielle Bionten bei der Fortpflanzung der Organis- men thätig sind; unter den ersteren sind hier namentlich sehr zahl- reiche Eier und Sporen, unter den letzteren viele Pollenkörner her- vorzuheben. Als die regelmässigsten Grundformen, welche sich zunächst an die Kugel anschliessen, haben wir im vorigen Capitel die Polyaxonien hervorgehoben, die irregulären und regulären endosphärischen Polyeder. Auch diese finden sich sehr häufig in Piastiden rein verkörpert vor, insbesondere wieder in den letzterwähnten virtuellen und partiellen Bionten, deu Eiern und Sporen, und den Polleukörnern. Aus der grossen Formengruppe der Protaxonien sind es vor allen die Monaxonien, welche die Grundform sehr zahlreicher Zellen und Cytoden bilden, und zwar ebenso wohl die horaopolen als die hetero- polen. Unter den homopolen Monaxonien ist theils die auepipede Form des Sphäroids und Ellipsoids, theils die amphepipede Form des Cylinders in sehr zahlreichen Piastiden aller Organismen-Gruppen aus- gesprochen, sehr oft in stereometrisch reiner Form. Dasselbe gilt von den heteropolen Monaxonien, und zwar ebenso von der anepipeden Form des Eies, als von der monepipeden Form des Kegels und der Halbkugel, und von der amphepipeden Form des abgestumpften Kegels. Massenhafte Beispiele hierfür liefern die Epithelialzellen der Thiere, die jugendlichen Zellen des Pflauzen-Parenchyms, die wenig ausgebil- deten Piastiden vieler Protisten. Seltener als die reine Monaxon-Form, welche sich unmittelbar durch Tl. Gruudfonneu der Organe. 531 leiclite Modificatioueii aus der Homaxonform ableiten lässt, finden wir die Staiiraxonform in Piastiden verkörpert. Häufiger ist hier noch die homopole Form der Doppelpyramide, (z. B. in sehr vielen Pollen- zellen, Diatomeen und Desmidiaceen sehr rein), als die heteropole Form der einfachen Pyramide. Unter den letzteren bilden wieder die homostauren oder regulären Pyramiden viel häufiger die Grundform von isolirten, solitären, die heterostauren oder irregulären Pyramiden dagegen von gesellig verbundenen, socialen Piastiden. Die am mei- sten differenzirte Heterostaurenform, und zwar sowohl die autopole, ganze, als die allopole, halbe amphithecte Pyramide, ist zwar mit allen ihren verschiedenen Modificationen in einzelnen Cytoden und Zellen sehr rein ausgeprägt, tritt aber doch ganz zurück gegen die vorwiegenden einfachen und regulären Grundformen, so wie gegen die absolut irregulären Anaxonien, welche in den Form -Individuen erster Ordnung die herrschenden Promorphen sind. II. Grundformen der Organe. Promorphen der morphologischen Individuen zweiter Ordnung. Die Organe oder Werkstücke, in dem rein morphologischen Sinne, wie wir sie oben als Form -Individuen zweiter Ordnung näher be- stimmt haben (p. 289), schliessen sich in promorphologischer Beziehung unmittelbar an die Piastiden an, sowohl durch die unbeschränkte Man- nichfaltigkeit ihrer Formen, in welchen sich fast alle möglichen stereo- metrischen Grundformen realisirt nachweisen lassen, als durch das Vorherrschen der niederen und einfachen Promorphen, und vor allen der Anaxonien. Doch kommen daneben in den vollkommneren Or- ganen auch höhere Grundformen sehr allgemein verbreitet vor, wie denn z. B. die höchste von Allen, die Dipleuren-Form, als die allge- meine Grundform der pflanzlichen Blätter und der thierischen Extremi- täten bezeichnet werden kann. Die ausserordentliche Mannichfaltigkeit in der Bildung der Grund- form erklärt sich bei den Organen ebenso wie bei den Piastiden dar- aus, dass die Anpassungs- Verhältnisse dieser morphologischen Indivi- dualität absolut mannichfaltig sind, und dass keine Schranke die Aus- bildung des Organs wie der Plastide nach den verschiedensten Rich- tungen behindert. Dazu kommt noch, dass die verwickelte Zusam- mensetzung der höheren Organe aus Complexen von niederen, die höchst complicirte Verflechtung von Zellfusionen, einfachen Organen, zusammengesetzten Orgauen, Organ -Systemen und Organ -Apparaten, alle möglichen Grundformen zu verwirklichen im Stande ist. Die Mehrzahl der thierischen Organe gehört vielleicht, wie die 34* 532 Grundformen der sechs ludividualitäts- Ordnungen, Mehrzahl aller Piastiden, der amorphen Grundform der Anaxonien an; nächstdem sind die niederen Polyaxonien und vorzüglich die Monaxonien sehr weit verbreitet; sowohl die homopolen als die heteropolen Mona- xonien bilden die Grundform sehr zahlreicher Organe, und zwar in allen fünf Ordnungen von Organen, welche wir oben unterschieden haben. Aber auch die ötauraxonien, und zwar sowohl die homopolen Doppelpyi-amiden, als die heteropolen einfachen Pyramiden, finden sich in vielen Organen bei den verschiedenen Stämmen aller drei Reiche oft sehr deutlich ausgeprägt. Im Allgemeinen lässt sich von dem Vorherrschen bestimmter Grundformen in bestimmten Organen kaum et^vas sagen, da die Verschiedenheiten der Anpassungs- Verhältnisse und der dadurch modificirten Grundformen im Allgemeinen zu unend- lich mannichfaltig sind. Nur darauf kann aufmerksam gemacht wer- den, dass sich die lateralen zusammengesetzten Organe (die Blätter der Pflanzen, die Extremitäten der Thiere) im Allgemeinen durch Vor- herrschen der Dipleuren-Form auszeichnen, und dass bei den pflanz- lichen Blättern die -eudipleure, bei den thierischen Exti-emitäten die dysdipleure Grundform vorherrschend ist. Am wenigsten scheint eine bestimmte stereometrische Grundform bei denjenigen verwickelten Or- gan-Complexen erkennbar zu sein, welche wir oben (p. 301, 302) als Organ - Systeme und Organ- Apparate unterschieden haben; doch ist dieselbe hier oft durch die Promorphe des ganzen Körpers ausge- sprochen. Diejenigen Organe, welche sich frei auf Oberflächen des Körpers entwickeln, zeigen meistens ausgeprägte Monaxon -Formen, wie z. B. die meisten Plaare, Stacheln; oft jedoch auch entschiedene Eudipleuren- Form, wie die Federn, Schuppen. Die Organe, welche wir oben (p. 311) als Nebenstucke oder Parameren bezeichnet haben, und welche in ihrer Nebeneinander-Lageruug den Antimeren entsprechen, gleichen diesen auch stets in ihrer Grundform, welche in allen Fällen eine ein- fache Pyramide ist, und zwar meistens eine dreiseitige Pyramide. Ge- wöhnlich ist diese ungleichdreiseitig (dysdipleure), seltener gleich- schenkelig (eudipleure). Dysdipleure sind z. B. die beiden Parameren, aus denen jedes eudipleure Blatt, jede Wirbelthierzehe zusammengesetzt ist. Eudipleure dagegen sind die Parameren, welche als drei Klappen die dreiarmigen Pedicellarien oder Greif- Organe der Seeigel zusam- mensetzen. Wie die Parameren in Grundform und Lagerung den Antimeren entsprechen, so zeigen auch diejenigen Organe, welche wir oben (p. 316) als Keiheustticke oder Epimercn bezeichnet haben, und welche in ihrer Hintereinauder- Lagerung den Metameren entsprechen, gewöhnlich die Grundform der letzteren, nämlich meistens entweder die homostaure oder die heterostaure Promorphe (reguläre oder irre- guläre Pyramide). in. Grundformen der Antiraeren. 533 Hl. Grundformen der Antimeren. Promorphen der morphologischen Individuen dritter Ordnung. Die Antimeren oder Gegenstlicke, als die Form-Individuen dritter Ordnung, zeigen hinsichtlich ihrer Grundform einen sehr auffallenden (regensatz zu denjenigen erster und zweiter Ordnung. .Gegenüber der unbeschränkten promorphologischen Mannichfaltigkeit der Organe und Piastiden findet sich bei den Antimeren (und ebenso auch bei den Parameren) nur eine sehr geringe Anzahl von stereometrischen Grundformen realisirt. Dieser Umstand ist unmittelbar bedingt durch die bestimmten Beziehungen, welche die Form-Individuen dritter Ord- nung stets zu denjenigen vierter Ordnung, und ganz besonders zu ihres gleichen haben. Da der Körper aller höheren Fonn-Individuen (vierter und fünfter Ordnung) aus zwei oder mehr Antimeren zusammengesetzt ist, da die specifische Zahl derselben (die homotypische Grundzahl), und ebenso ihi-e Verbindung, in den einzelnen vSpecies eine sehr con- stante ist, und da durch diese Verbindung die • Grundform des Meta- meres und der Person bestimmt wird, so muss noth wendig auch die Grundform des Antimeres selbst eine sehr bestimmte und kann nur eine sehr einförmige sein. Alle Antimeren, welche ein Metamer oder eine Person zusammensetzen, müssen sich in bestimmten Ebenen berühren, und sie müssen ferner bestimmte gemeinsame Lagerungs-Beziehungen zu dem Centrum haben, welches ihnen allen gemeinsam ist. Je nach- dem dieses Centrum ein Punkt, eine Linie oder eine Ebene ist, wird die stereometrische Grundform der Antimeren wesentliche Verschieden- heiten darbieten und werden dem entsprechend allgemeine Differenzen der Grundform bei den Antimeren der Centrostigmen, Centraxonien und Centrepipeden sich vorfinden. Wegen der hervorragenden Bedeutung, welche die Antimeren als die wichtigsten Factoren der Grundformen der Individuen vierter und fünfter Ordnung besitzen, ist es von In- teresse, diese drei Fälle näher zu betrachten. (Vergl. Taf. I und II). A. Die Formengruppe der Centrostigmen, ausgezeichnet da- durch, dass die Mitte des Körpers ein Punkt ist, zerfällt in die beiden Abtheilungen der Homaxouien (Kugeln) und der Polyaxonien (endosphärische Polyeder). Da bei den Kugeln keine Antimeren zu unterscheiden sind, so kommen hier ausschliesslich die endosphaeri- schen Polyeder in Betracht. Bei diesen ist allgemein jedes Antimer ' eine Pyramide, und zwar bei den rhythmischen eine reguläre, bei den arrhythmen entweder eine reguläre oder eine irreguläre Pyramide. Wenn das Polygon der Polyeder -Oberfläche, welches die Basis des Antimeres bildet, ein Dreieck ist, so ist die Grundform des letzteren die dreiseitige Pyramide, wenn das Polygon vier oder fünf Seiten hat, eine vierseitige oder fünfseitige Pyramide u. s. w. Die Grundform 534 Grundformen der sechs Individualitäts- Ordnungen. aller Antimeren (und ebenso aller Paranieren) bei den Polyaxonien ist also die heteropole Stauraxonform, die einfache Pyramide. B. Die Formengruppe der Centraxonien, ausgezeichnet da- durch, dass die Mitte des Körpers eine Linie (entweder die ein- zige Axe oder die Hauptaxe, Längsaxe) ist, zerfällt in die vier Ab- theilungen der Monaxonien, homopolen Stauraxonien , homostauren Heteropolen und autopolen Heterostauren. Von diesen kommen nur die drei letzteren in Betracht, da bei den Monaxonien (ohne Kreuz- axen, bloss mit einer Hauptaxe) keine Antimeren zu unterscheiden sind. Die Grundform der homopolen Stauraxonien ist die Doppelpyra- mide. Alle diese Formen sind also zu betrachten als zusammengesetzt aus zwei congruenten Pyramiden, (zwei Metameren), und jede dieser letzteren ist aus mindestens drei Antimeren zusammengesetzt. Diese müssen selbst wieder Pyramiden sein, und zwar dreiseitige. Bei den Isostauren (regulären Doppelpyramiden) ist jedes Antimer eine gleich- schenkelige Pyramide (halbe Rhomben-Pyramide), bei den Allostauren dagegen (amphithecten Doppelpyramiden) entweder eine gleiehschen- kelige oder eine ungleichseitige dreikantige Pyramide. Bei den homo- stauren Heteropolen, deren Grundform die einfache reguläre Pyramide ist (z. B. allen sogenannten regulären Strahlthieren und wirklich regel- mässigen Blüthen), muss jedes einzelne Antimer eine gleichschenkelige Pyramide (halbe Rhomben-Pyramide) sein. Bei den autopolen Hetero- stauren endlich, der höchststehenden Formengruppe unter den Centra- xonien, deren Grundform die einfache amphitheote Pyramide ist (z. B. Ctenophoren und Madreporen), muss jedes einzelne Antimer entweder eine gleichschenkelige Pyramide sein (z. B. die beiden lateralen Anti- meren der Madreporen, rechtes und linkes), oder eine ungleichseitig- dreikantige Pyramide (z. B. die beiden dorsalen und die beiden ven- tralen Antimeren der Madreporen). Mithin ist bei allen Centraxonien ohne Ausnahme die allgemeine Promorphe der Antimeren (und ebenso der Parameren) die dreiseitige Pyramide, entweder die halbe Rhomben- Pyramide (Eudipleuren-Form) oder die ungleich - dreiseitige Pyramide (Dysdipleuren-Form). C. Die Formengruppe der Centrepipeden oder Zeugiten (allopolen Heterostauren), ausgezeichnet dadurch, dass die Mitte des Körpers eine Ebene (die Medianebene oder Sagittalebene) ist, zerfällt in die beiden Abtheilungen der Amphipleuren und Zygopleuren. Bei den ersteren besteht der Körper aus drei, fünf oder mehr, bei den letzteren aus zwei oder vier Antimeren. Bei den Amphipleuren ist die Grundform jedes Antimeres entweder die gleichschenkelige Pyra- mide (z. B. das ventrale Antimer der pentamphipleuren Echiuodermen) oder eine ungleichdreiseitige Pyramide (die vier übrigen Antimeren der letzteren). Bei den Zygopleuren sind die Antimeren fast immer uu- rv. Grundformen der Metamereu. 535 gleichdreiseitige Pyramiden; die einzige Ausnahme bildet das dorsale und das ventrale Antiraer bei den radialen Eutetrapleuren (z. B. die Rlttthen von Reseda, Betula, Scabiosa), welche beide gleichschenkelige Pyramiden sind. Bei der eudipleuren Grundform, der wichtigsten von allen Promoi-phen, besitzt jede der beiden symmetrisch-gleichen Kör- perhälften die dysdipleure Grundform. Es ist also auch bei allen Centrepipeden die Grundform der Antimeren (und ebenso der Para- meren) entweder die gleichschenkelige Pyramide (Eudipleuren- Form) oder die ungleichdreiseitige Pyramide (Dysdipleuren-Form). Wir erhalten somit das wichtige promorphologische Gesetz, dass die allgemeine stereometrische Grundform aller Antimeren ohne Aus- nahme (und ebenso aller Parameren) eine einfache Pyramide ist, und zwar allermeist die dreiseitige (Dipleuren-Form), selten (nur bei eini- gen Centrostigmen) die vielseitige Pyi-amide. Gewöhnlich ist die drei- seitige Pyramide ungleichseitig (dysdipleure), seltener gleichschenkelig (eudipleure Grundform); im ersteren Falle ist ihre Basis ein ungleich- seitiges, im letzteren ein gleich schenkeliges Dreieck. Niemals kann demnach ein Paramer oder ein Antimer fol- gende Grundformen besitzen: 1. Anaxonie (Amorphe). 2. Homaxome (Kugel). 3. Polyaxonie (endosphaerischef Polyeder). 4. Monaxome (mit einer einzigen Axe). 5. Homopole Stam-axonie (Doppelpyramide). IV. Grundformen der ffletameren. Promorphen der morphologischen Individuen vierter Ordnung. Die Metamereu oder Folgestücke zeigen ein ziemlich verschiede- nes morpbologisches Verhalten, je nachdem sie als actuelle Bionten sich isolirt entwickeln oder aber nur als morphologische Individuen vierter Ordnung subordinirte Theile einer Person bilden. Im ersteren Falle ist ihre Formen-Mannichfaltigkeit sehr gross, im letzteren mehr beschränkt. . . Wenn die Metamereu als actuelle Bionten auftreten, wie es bei allen höheren Mollusken, den niederen Würmern (Trematoden, Nema- toden, Gephyreen, Infusorien), sehr vielen Protisten und vielen Crypto- gamen der Fall ist, so können dieselben, je nach der Zahl und Ver- bindung der constituirenden Antimeren, entweder (wie bei allen ge- nannten Thiergruppen) vorwiegend die Eudipleuren -Form annehmen, oder aber zu den verschiedensten Grundformen sich ausbilden, wie es z. B. bei vielen Protisten (Radiolarien) der Fall ist. Ausgeschlossen sind hier nur (schon wegen der nothwendigen Zusammensetzung des Metamers aus zwei oder mehreren Antimeren) die Anaxonien, Homa- xonien und Monaxonien. In allen Fällen muss die Grundform der Metamereu zu den Heteraxonien gehören, und unter diesen ist nur die 536 Grundformen der sechs Individualitäts- Ordnungen. Monaxonforra und die liomopole Stauraxon-Form ausgeschlossen, weil diese (als Doppelpyramide) selbst stets aus zwei congruenten 'Meta- meren (Pyramiden) zusammengesetzt ist. Wenn dagegen die Metameren als subordinirte Bestandtheile eines Form-Individuums fünfter Ordnung, einer Person erscheinen, wie es bei allen Wirbelthieren, Arthropoden und Echinodermen, bei den mei- sten Würmern, Coelenteraten und Phanerogamen der Fall ist, so finden wir die Zahl der Grundformen, welche in ihnen realisirt sind, viel be- schränkter. Es ist dann meistens die Grundform des Metameres dieselbe, wie diejenige der Person, zu der sie gehört, also bei den gegliederten „regulären" Strahlthieren und den regelmässigen Phanero- gamen-Blüthen die Homostauren -Form (reguläre Pyramide), bei den „bilateral-symmetrischen" Thieren und Pflanzen-Sprossen im weiteren Sinne die Heterostauren-Form, (irreguläre Pyramide). Jedoch kommen auch oft Abweichungen von dieser Eegel vor, wie z. B. in den ver- schiedenen Metameren (.,Blattkreisen ") einer einzelnen Phanerogamen- Bltithe, deren Grundform häufig verschieden ist. So ist z. B. oft bei den fUnfzähligen „symmetrischen " Blüthen der Papiliouaceen, Labiaten etc. das Metamer des Kelches eine fünfseitige reguläre Pyramide (Homo- staure), die übrigen Metamgren der Blüthe dagegen halbe zehnseitige amphithecte Pyramiden (Pentamphipleuren). Ebenso sind bei vielen Anneliden die meisten Metameren Eutetrapleure, die vordersten da- gegen, und namentlich der Kopf, Eudipleure; bei Täenia ist umge- kehrt der Kopf tetractinot, die folgenden Metameren (Proglottiden) diphragmisch. In diesen Fällen, wo verschiedene Metameren einer und derselben Person verschiedene Grundformen haben, gilt immer die am höchsten differenzirte Grundform als diejenige der ganzen Person. Da die Grundform der Metameren, ebenso wie diejenige der Personen, zu verschiedenen Lebenszeiten oft eine verschiedene ist, so muss das betreffende Entwickelungs- Stadium bei der promorphologi- schen Bestimmung angegeben werden. Bei der grossen Mehrzahl aller Metameren, sowohl im Thierreich, als im Pflanzenreich, ist die Grundform die halbe amphithecte Pyra- mide (Zeugiten-Form) und zwar allermeisteus die gleichschenkelige Pyramide (Tetrapleura und Dipleura); nächstdem am häufigsten die halbe amphithecte Pyramide mit 3, 5 oder mehr Seiten (Amphipleura) und dann die reguläre Pyramide (Homostaura). Alles, was von der Grundform der Metameren gesagt ist, welche die Personen zusammensetzen, dasselbe gilt auch von der Grundform der Epimereu, welche in ähnlicher Weise (als hinter einander liegende Theile) Organe und Plastideu constituiren. Wie die Metameren ge- wöhnlich die Grundform der Personen, so theilen die Epimeren die- jenige der Organe und Piastiden, weiche sie zusammensetzen. V. Gruadformon der Personen. 537 V. Grundformen der Personen. Promorphen der morphologischen Individuen fünf ter Ordnung. Die Personen oder Sprossen, sowohl die solitären, welche isolirt als einzelne Bionten leben, als auch die socialen, welche als Form- Individuen fünfter Ordnung solche sechster Ordnung (Stöcke) zusam- mensetzen, stimmen in ihrer Grundform gewöhnlich mit den Meta- meren überein, aus denen sie aufgebaut sind, und zeigen eine weit grössere promorphologische Mannichfaltigkeit , als die Antimeren. In den verschiedenen Klassen und Stämmen der drei Reiche ist die Grundform der Personen eine äusserst verschiedenartige; wir können hier aber auf deren Aufzählung völlig verzichten, da wii- bei dem System der stereometrischen Grundformen, das wir im vorigen Capitel entwickelten, stets vorzugsweise die Person im Auge hatten, und fast bei allen einzelneu Grundformen Beispiele von Personen anführten. Nur im Allgemeinen mag also daran erinnert werden, dass bei allen höheren Thieren (allen Wirbelthieren, Arthropoden und höheren Würmern) die Zygopleuren-Form (die gleichscheukelige Pyramide) die allgemein maassgebende Grundform ist, und zwar bei den am meisten entwickelten die dipleure, bei den tiefer stehenden die tetrapleure. Bei den Strahlthieren dagegen (Echinodermen und Coelenteraten) wie bei den Phanerogamen, ist die Grundform der Amphipleuren, der autopolen Heterostaureu und der homostauren Heteropolen die vorherrschende. Die übrigen Grundformen, in denen die Person noch auftreten kann, finden sich grösstentheils bei Protisten und niederen Pflanzen verkörpert. Dass sehr oft die Grundform der verschiedenen Metameren bei einer und derselben Person eine verschiedene ist (z. B. bei den ver- schiedenen Blattkreisen einer Bltithe), wurde schon vorher erwähnt, und hinzugefügt, dass in diesen Fällen immer die vollkommenste, am mei- sten difPerenzirte Grundform als diejenige der Person angesehen wer- den muss. Hier ist nun noch zu bemerken, dass auch sehr oft die Grundform einer und derselben Person in verschiedenen Lebensaltern eine verschiedene sein kann, je nachdem das eine oder das andere Metamer mit seiner maassgebenden Grundform vorwiegend oder allem entwickelt ist. So hat namentlich die Phanerogamen - Blüthe (Ge- schlechts-Person) sehr häufig eine wesentlich andere Grundform, als die Frucht, welche sich daraus entwickelt. Bei den Cruciferen z. B. ist die Promorphe der Blüthe die Tetraphragme, der Frucht die Diphragme, bei den Papilionaceen die Form der Blüthe Pentamphipleure, die der Frucht Eudipleure. Hier muss dann, bestimmt das Entwickelungs-Sta- dium der Person angegeben werden, wenn ihre Promorphe bestimmt werden soll. 538 Grmadformen der sechs Iiidividualitäts- Ordnungen, VI. Grundformen der Stöcke. Promorphen der morphologischen Individuen sechster Ordnung. Die Stöcke oder Cormen, welche als Form -Individuen sechster Ordnung stets eine Vielheit von Personen (Sprossen) darstellen, wer- den in ihrer Grundform wesentlich durch die Anordnung bestimmt, in welcher die letzteren zusammentreten. Bei den regelmässig verästelten Pflanzenstöcken wird die Stellung der Sprossen, welche seitlich aus dem Hauptspross entspringen und den Cormus zusammensetzen, durch die verwickelten Gesetze der Blattstelluug bedingt, insofern die Spros- sen als Axillarknospen aus den Blattwinkeln hervortreten. Dieselbe stereometrische Grundform des Hauptsprosses, welche durch die Blatt- stellung bedingt wird, ist dann natürlich auch zugleich die Promorphe des Stockes. Bei den einfachen, seltener bei den zusammengesetzten Stöcken, ist dieselbe oft scharf zu bestimmen, und zeigt sich dann meistens deutlich als eine einfache Pyramide (heteropole Stauraxonie) und zwar bald als reguläre Pyramide (Homostaure), (z. B. bei den Cru- ciaten, vielen Nadelbäumen), bald als irreguläre Pyramide (Heterostaure). Unter den regulären Pyramiden als Grundform des Stockes scheint besonders die dreiseitige und vierseitige häufig zu sein. Sehr häufig sind aber auch an dem einfachen Stocke, wie es bei den meisten zu- sanmiengesetzten der Fall ist, die Kreuzaxen nicht scharf oder gar nicht zu bestimmen, und dann müssen wir als Grundform die diplo- pole Monaxonform betrachten, das Ei oder den Kegel oder den abge- stumpften Kegel. Als vollkommen unregelmässige oder anaxouie Stöcke, wie sie im Thierreich so verbreitet sind, können wir nur die- jenigen Pflanzenstöcke betrachten, bei denen gar keine Axe bestimmt ausgesprochen ist, indem z. B. der' Hauptspross sich nicht entwickelt und Seitensprosse nach allen Richtungen hin unregelmässig hervor- wachsen. Die grosse Melu-zahl der echten Thierstöcke (wohin wir nach den Erläuterungen des neunten Capitels nur die meisten Stöcke der Coe- lenteraten und eine Anzahl von Molluskenstöcken rechnen können), lassen ebenfalls, ^vie die meisten Pflanzenstöcke ihre stereometrisehe Grundform nur schwer erkennen, viele gar nicht deutlich. Sehr viele thierische Stöcke (Anthozoen, Hydroiden, Tunicaten, Bryozoen) er- scheinen vollständig unregelmässig und formlos (Anaxonia). Die mei- sten übrigen lassen gewöhnlich nur die heteropole Monaxon- Form deutlich erkennen (Ei, Kegel, abgestumpfter Kegel). Viel seltener sind heteropole Stauraxonformen (Pyramiden), und unter diesen am seltensten vollkommen reguläre Pyramiden, wie sie bei einigen Siphono- phoren deutlich vorkommen (Forpita, Athoryhia, Angela, Stephanomia, Forskaliä). Besonders bestimmend erscheint hier die Zahl und Lage- VI. Grundformen der Stöcke. 539 rung der Schwimmglocken oder die radiale Composition des Stammes. Die Zahl der radialen Personen, die in einer Ebene um das Centrum liegen (z. B. bei Athonjbia die Deckstücke), oder die Zahl der parallelen Längsreihen der Schwimmglocken entspricht der Zahl der Kanten der Pyramide. Ausnahmsweise kommen hier auch höhere Grundformen bei einzelnen Arten vor. So lässt sich z. B. die Grundform von Velella als Diphragme, von Physalia als Dysdipleure auffassen. Auch die Stöcke mit zweizeiligen Schwimmsäulen von mehreren Physophori- den (ApolemiaJ und Calycophoriden (Hippopodius) können als Diphragme betrachtet werden, wogegen die meisten Stöcke der Diphyiden Eudi- pleure oder Dysdipleure sind. Die Eudipleuren-Form als die höchste und vollkommenste Grund- form ist sonst bei den Cormen sehr selten, und namentlich selten so rein ausgebildet, wie es bei der federförmigen Pennatula und anderen Pennatuliden (der nierenförmigen ReMÜla, der zweizeiligen Virgularia) unter den Anthozoen der Fall ist. Offenbar ist auch hier wieder das Moment der freien Ortsbewegung, für welche immer die Eudipleuren- Form die passendste ist, maassgebend. Freilich kommen älmliche eudipleure Stöcke auch bei festsitzenden Hydroidpolypen nicht selten vor. Doch ist hier, besonders bei den Sertularien (bei Halecium, Plumularia etc.) viel häufiger und reiner die Diphragmen-Form. Im Ganzen genommen erscheinen jedoch diese Fälle von diphi-ag- men und eudipleuren Grundformen bei den thierischen Cormen, und ebenso von homostauren Heteropolen bei den Pflanzenstöcken, als seltene Ausnahmen gegenüber der grossen Mehrzahl deijenigen Cor- men, bei welchen entweder die diplopole Monaxonform oder aber gar keine bestimmte Grundform ausgeprägt ist, so dass wir sie zu den Anaxonien rechnen müssen. Es zeigen mithin die Stöcke, als die morphologischen Individuen sechster und höchster Ordnuug keines- wegs einen entsprechenden Reichthum verschiedener Promorphen oder auch nur ein Vorherrschen der höheren Formen; vielmehr stehen sie in beiden Beziehungen weit hinter den Form -Individuen fünfter und vierter Ordnung ziu'ück, und schliessen sich eher den niedersten In- dividualitäts-Formen an, den Piastiden. 540 Promorphologische Thesen. Fünfzehntes Capitel. Promorphologische Thesen. „Alles, was den Raum erfüllt, nimmt, insofern es solidescirt, sogleich eine Gestalt an ; diese regelt sich mehr oder weniger und hat gegen die Umgebung gleiche Be- züge mit anderen gleichgestalteten Wesen." Goethe. I. Thesen von der Fundamental -Form der Organismen. 1. Die äussere Form jedes Organismus ist ebenso wie seiue innere Structur der Ausdruck des Lagerungs - Verhältnisses der im Ruhestand (Gleichgewichtstand) befindlichen Massen -Atome und der aus ihnen zusammengesetzten Moleküle, welche seine Masse consti- tuiren. 2. Die äusseren Formen der Organisinen sind bedingt durch ihre innere Structur, und daher, gleich dieser selbst, als Euhezustände (Gleichgewichtszustände) der organischen Materie nur in einem einzi- gen Zeitmomente erkennbar. o. Die Ruhezustände (Gleichgewichtszustände) der Massen-Atome und der aus ihnen zusammengesetzten Moleküle, welche in der äusseren Form des Organismus sich ausdrücken, werden durch dieselben ewigen und unabänderlichen Gesetze der absoliiten Nothwendigkeit bedingt, wie alle äusseren Formen in der anorganischen Natur (Krystalle); alle sind mithin die nothwendigeu Folgen wirkender Ursachen (nach dem allgemeinen Causalgesetz). ') Ueber die „Thesen" vergl. p. 364, Anmerk. Promorphologische Theseu. 541 4. Die äussere Form jedes organischen Individuums ist mithin immer ebenso gesetzmässig-, wie diejenig-e jedes anorganischen In- dividuums und daher einer mathematischen Erkenntniss (Ausmessung und Berechnung) zugänglich; jedoch lassen sich in dieser Beziehung bei den organischen ebenso wie bei den anorganischen Individuen zwei Hauptgruppen von Formen unterscheiden, individuelle Formen nämlich ndt und ohne feste, stereometrisch bestimmte Grundform. 5. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine mathematisch bestimmbare Fundameutalform besitzen, können wir allgemein als Axenfeste (Axonia) bezeichnen, weil diese Fundamentalform, die Pro- morphe oder stereometrische Grundform, bestimmt wird durch das ge- setzmässige Verhältniss der einzelnen Körpertheile zu einer oder mehreren festen Axen und deren beiden Polen. 6. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine solche feste, mathematisch bestimmbare Fundamental -Form oder Promorphe nicht erkennen lassen, können im Gegensatz zu den Axenfesten als Axen- lose oder Anaxonien bezeichnet werden. 7. Die axenfesten Anorgane werden theils als Sphaeroide, theils als Krystalle bezeichnet, die axenfesten organischen Individuen dage- gen theils als symmetrische, theils als reguläre Formen; doch sind diese letzteren Ausdrücke von keiner constantcn Bedeutung. 8. Die axenlosen Individuen, sowohl die anorganischen als die organischen, werden als Amorphe oder Irreguläre bezeichnet; doch hat man auch viele reguläre und symmetrische Formen häufig als irre- guläre und asymmetrische („ Amorpbozoa" z. B.) bezeichnet. 9. Die Promorphe oder die stereometrische Grundform der Axen- festen ist nur sehr selten mathematisch rein in den axonien Individuen realisirt; gewöhnlich ist sie unter mehr oder weniger bedeutenden in- dividuellen Formeigenthümlichkeiten und insbesondere unter verschie- denen Anpassungs-Modificationen der Oberfläche versteckt. II. Thesen von dem Verhältniss der organischen zu den anorganischen Grundformen. 10. Die axenfesten oder axonien Formen der organischen Indivi- duen sind ebenso wie diejenigen der anorganischen Individuen das nothwendige Resultat der gesetzmässigen Lagerung entsprechender Köipertheile um eine bestimmte Mitte (^Centrura), durch welche eine oder mehrere Axen gehen. 11. Die Zahl der bestimmenden Axen sowie die Ditferenzirung dieser Axen und ihrer Pole ist bei den organischen Individuen (Mor- phonten) ungleich mannichfaltigcr als bei den anorganischen Individuen 542 Promorpbologische Thesen. (Kiystallen), daher auch die Zahl der verschiedeneu Grundformen bei ersteren beträchtlich grösser, als bei letzteren, 12. Die meisten (aber nicht alle!) organischen Individuen zeigen ihre stereometrische G-rundform nicht so unmittelbar deutlich und scharf, wie die meisten (aber nicht alle!) Krystalle, w&s theils durch den festflüssigen Aggregatzustand, theils durch die Variabilität, theils durch die zusammengesetzte Individualität der meisten Organismen be- dingt ist. 13. Durch den festflüssigen Aggregatzustand der organischen Ma- terie werden die gekrümmten Flächen, gebogenen Linien und unmess- baren Winkel bedingt, welche die meisten äusseren Formen der Organismen begrenzen, und welche nicht so unmittelbar einer stren- gen geometrischen Ausmessung und Berechnung zugänglich sind, wie die ebenen Flächen, geraden Linien und messbaren festen Winkel, welche die im festen Aggregatzustande befindlichen Krystalle be- grenzen. 14. Durch den festflüssigen Aggregatzustand der organischen Materie wird die Anpassungsfähigkeit und dadurch die Veränderlich- keit (Variabilität) bedingt, welche die geformten Organismen von den geformten Anorganen unterscheidet, und welche eine absolut strenge stereometrische Erkenntniss der specifischen organischen Formen schon wegen ihrer Inconstanz unmöglich macht. 15. Da die meisten organischen Individuen sich von den meisten anorganischen durch ihre zusammengesetzte Individualität unterschei- den, da der Körper bei den ersteren meist aus heterogenen, bei den letzteren meist aus homogenen Bestandtheilen zusammengesetzt ist, so wird auch hierdurch die Erkenntniss der stereometrischen Grundform bei den ersteren bedeutend erschwert und complicirt. 16. Da die meisten Organismen sich entwickeln, d. h. während ihrer individuellen Existenz als Bionteu eine Reihe von Form -Verän- derungen durchlaufen, so ist auch aus diesem Grunde eine absolute stereometrische Erkenntniss ihrer individuellen äusseren Form (wie bei den Krystallen) nicht möglich, 17. Obgleich aus den angeführten Gründen, insbesondere also wegen des festflüssigen Aggregatzustandes aller Organismen, wegen ihrer tectologischen Zusammensetzung, wegen ihrer unbegrenzten Fähig- keit zur Anpassung und Abänderung, und wegen des Formenwechsels im Laufe der individuellen Entwickelung, eine absolute stereometrische Erkenntniss der organischen Formen (wie sie die Krystallographie er • reicht) in den meisten Fällen nicht unmittelbar möglich ist, so ist den- noch eine ganz ähnliche mathematische Betrachtung derselben durch die Erkenntniss der idealen stereometrischeu Grundform möglich, welche denselben ebenso wie den Krystallen zu Grunde liegt. Proinorphologische Thesen. 543 18. In den organischen Individuen ebenso wie in den Krystallen spricht sich diese stereometrische Grundform unverkennbar mit mathe- matischer Bestimmtheit aus in den gegenseitigen Verhältnissen der Axen, nach welchen die constituirenden Bestandtheile des Individuums geordnet erscheinen, und der beiden Pole, welche an jeder Axe zu unterscheiden sind. 19. Durch die Zahl dieser idealen (und oft zugleich realen, kör- perlichen) Axen, sowie durch das Verbältniss der Gleichheit oder Un- gleichheit der Axen sowohl als ihrer beiden Pole, werden gewisse ein- fache stereometrische Grundformen mit mathematischer Sicherheit be- stimmt, auf welche sich die nicht direct uiessbaren und berechenbaren organischen Formen ebenso wie diejenigen der Krystall-Individuen zu- rückführen lassen. 20. Die stereometrische Grundform oder die Promorphe jedes or- ganischen Individuums drückt alle wesentlichen und die allgemeine Gestalt bestimmenden Lagerungs-Verhältnisse ihrer constituirenden Be- standtheile mit mathematischer Sicherheit ganz ebenso wie bei den individuellen Krystallen aus. 21. Jede wissenschaftliche Darstellung einer individuellen organi- schen Form hat zunächst die Aufgabe der Erkenntniss ihrer stereo- metrischen Grundform, an welche sich dann die detaillirte Beschrei- bung, Ausmessung und Berechnung, ebenso wie . dies bei den Krystall- Individuen geschieht, anzuschliessen hat. ') 22. Auf dieser sicheren promorphologischeu Grundlage ist eine mathematische Erkenntniss der organischen Individuen ganz ebenso wie bei den Krystallen möglich. III. Thesen von der Constitution der individuellen Grundformen. 23. Die Promorphe oder die stereometrische Grundform, welche jeder axenfesten organischen Form zu Grunde liegt, ist unmittelbar mit mathematischer Nothwendigkeit bedingt durch die Zahl und Grösse, die Lagerung und Verbindung, die Gleichheit oder Ungleichheit (Ditferenzirung) der constituirenden Form- Bestandtheile. 24. Bei den einfachen Organismen, d. h. denjenigen, welche ein einziges Individuum erster Ordnung, eine einzelne Plastide darstellen, ') In allen Fällen, in denen eine wissenschaftlich genaue Darstellung einer individuellen organischen Form gefordert wird, müssen demnach zunächst die bestimmenden Axen aufgesucht, unterschieden und gemessen werden. Daun ist der Abstand der einzelnen Theile von den Axen und von ihren beiden Polen zu messen, und erst an diese mathematisch sichere Grundlage kann sich die detail- lirte Beschreibung der besonderen Einzelheiten der Form, wie au ihr festes Skelet, aulehnen. Die eventuelle Ausmessung und Berechnung der Ober- flächen-Verhältnisse hat sich stets unmittelbar auf die Abstände der Oberflächeu- punkte von deu Axen und ihren Pulen zu buzielien. 544 Promorphologische Thesen. ist daher die Grundform unmittelbar bedingt durch die Zahl und Grösse, die Lagerung und Verbindung, die Gleichheit oder Ungleich- heit (Differenzirung) der constituirenden Moleküle, welche aus allen Massen-Atomen und Aether- Atomen des organischen Köi-pers zusam- mengesetzt sind. 25. Bei den zusammengesetzten Organismen dagegen, d, h. den- jenigen, welche ein Aggregat oder einen Complex von zwei oder mehre- ren Individuen erster Ordnung (eine Colonie oder Synusie von zwei oder mehr Plastidenl darstellen (mithin bei allen Individuen zweiter oder höherer Ordnung) ist die Grundform unmittelbar bedingt durch die Zahl, Lagerung und Verbindung der constituirenden Individuen der nächst niederen Individualitäts- Ordnung. 26. Die Grundform der Organe oder der Form-Individuen zwei- ter Ordnung ist daher bedingt durch die Zahl, Lagerung und Differen- zirung der constituirenden Piastiden (Cytoden und Zellen), und insbe- sondere durch die Zahl und Lagerung der Plastiden-Gruppen, welche als Parameren um eine gemeinsame Mitte herum liegen. 27. Die Grundform derAntimeren oder der Form-Individuen drit- ter Ordnung ist ebenso bedingt durch die Zahl, Lagerung und Differen- zirung der constituirenden Organe, besonders der Parameren. 28. Die Grundform der Metameren oder der Form - Individuen vierter Ordnung ist bedingt durch die Zahl, Lagerung und Differen- zirung der constituirenden Antimeren. 29. Die Grundform der Personen oder der Form-Individuen fünf- ter Ordnung ist bedingt durch die Zahl, Lagerung und Differenzirung der constituirenden Metameren (und dadurch natürlich zugleich der Antimeren). 30. Die Grundform der Stöcke (Cormen) oder der Form -Indivi- duen sechster Ordnung ist bedingt durch die Zahl, Lagerung und Differenzirung der constituirenden Sprosse (Personen). IV. Thesen von den Mitten -Differenzen der Grundformen. 3L Alle stereometrischen Grundformen der axenfesten organischen Individuen lassen sich bezüglich der Beschaffenheit ihrer natürlichen Mitte in drei Hauptgruppen bringen, welche wir Centrostigmen, Centra- xonien und Centrepipeden nennen. 32. Bei den Centi'ostigmen, den stereometi-ischen Grundformen mit einem Mittelpunkte, ist die natürliche Mitte der Form, d. h. der planimetrische Körper, gegen welchen alle übrigen Theile des Körpers eine bestimmte gesetzmässige Lagerung«-, (Entfcrnungs- und Richtungs-) Beziehung haben, ein Punkt; dies ist der Fall bei der Kugel und beim endosphärischen Polyeder. Promorphologische Theseu. 545 33. Bei den Ceutraxonieu, den stereometrisclieu Grundformen mit einer Mittellinie (Axe). ist die natiirliclie Mitte der Form eine Linie (Haiiptaxe oder Längsaxe); dies ist der Fall bei der Formengruppe der Monaxonien (Sphaeroid, Doppelicegel, Ellipsoid, Cylinder, Ei, Kegel, Hemisphaeroid, abgestumpfter Kegel); bei den Doppelpyramiden, den regulären Pyramiden und den ampliithecten Pyramiden. 34. Bei den Centrepipeden, den stereometrischen Grundformen mit einer Mittelebene, ist die natiirliclie Mitte der Form einer Ebene (Me- dianebene oder Sagittalebene). Dies ist der Fall bei der Formen- gruppe der Zeugiten oder allopolen Heterostauren , deren allgemeine Grundform die halbe amphithecte Pyramide ist. 35. Die Centrostigmen sind die niedersten und unvollkommensten, die Centrepipeden die höchsten und vollkommensten organischen Grundformen: zwischen Beiden in der Mitte stehen die Centraxonien. 36. Alle verschiedene Grundformen, welche als untergeordnete Formarten' dieser drei Hauptgruppen auftreten, lassen sich je nach der fortschreitenden Diflferenzirung ihrer Axen und deren Pole in eine aufsteigende Stufenleiter ordnen, deren Stufenordnung zugleich die stutenweis fortschreitende Vollkommenheit der Form bezeichnet. 37. Es existirt also ein promorphologischer Vollkommenheits- Grad jedes Organismus, welcher lediglich durch die Ditferenziruugs- stufe seiner Grundform bedingt, und zunächst unabhängig von seinem tectologischen Vollkommenheits-Grade ist. Y. Thesen von den lipostauren Grundformen. 38. In Bezug auf die allgemeinen Verhältnisse der Axen zerfallen alle organischen Grundformen in zwei grosse Gruppen, nämlich For- uien mit Kreuzaxen (Stauraxonia) und Formen ohne Kreuzaxen (Lipo- staura). 39. Die Lipostauren oder Grundformen ohne Kreuzaxen stehen im Allgemeinen weit niedriger als die Stauraxonien oder Grundformen mit Kreuzaxen. Erstere kommen vorzugsweise nur bei den niederen und unvollkommeneren, letztere bei den höheren und vollkommeneren organischen Individuen vor. 40. Die lipostauren Grundformen haben entweder gar keine be- stimmten Axen (Anaxonia) oder lauter gleiche Axen (Homaxonien, Kugeln) oder eine bestimmte Anzahl von constanten Axen, die aber alle gleich sind (Polyaxouien) oder endlich nur eine einzige constante Axe (Monaxonien); auf alle diese Formen ist weder die Bezeichnung regulär oder strahlig, noch die Bezeichnung bilateral oder symmetrisch nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche der organischen Morphologie Ilaeckel, Generelle Morpliologie. 35 546 Promorphologische Thesen. anwendbar; dalier sind diese Formen bisher auch nicht von derselben berücksichtigt worden. ') 41. Alle lipostauren Formen sind ausgezeichnet durch den Mangel einer bestimmten Anzahl von Meridian-Ebenen, welche sich in einer einzigen Hauptaxe schneiden, und durch Avelche der Körper in eine bestimmte Anzahl von gleichen oder ähnlichen Theilen getheilt wird. 42. Allen lipostauren Grundformen fehlen daher bestimmte Anti- meren (Parameren) und Metameren (Epimeren), wenn mau darunter in der strengeren Bedeutung des Begriffes nur diejenigen entsprechen- den Tlieile versteht, welche entweder neben einander, rings um die Hauptaxe, oder hinter einander, in der Hauptaxe selbst liegen. 43. Bei einem Theile- der Lipostauren, nämlich bei den Anaxonien (Klumpen), bei den Homaxonieu (Kugeln) und bei den Monaxouien (mit einer einzigen Axe) sind correspondirende Theile, welche den Antimeren und Metameren entsprechen, überhaupt nicht vorhanden, da hier die ganze Form eine uutheilbare Einheit darstellt.*) 44. Bei dem anderen Theile der Lipostauren, nämlich den Poly- axonien, ist zwar der Körper stets aus mehreren correspondirenden Theilen zusaunnengcsetzt, welche ein gleiches oder ähnliches Verhält- niss gegen den gemeinsamen Mittelpunkt zeigen; da hier aber alle Constanten Axen gleichwerthig sind, und keine derselben als Haupt- axe aufgefasst werden kann, so können die ents[)recheuden Theile eben so wohl als Antimeren (Parameren), wie als Metameren (Epi- meren) angesehen werden. 45. Unter Berücksichtigung der Form-Verhältnisse, welche die Anti- meren und Metameren im Allgemeinen bei den Ötauraxonien zeigen, scheint es am Angemessensten, die correspondirendeu (stets pyramidalen) Theile der Polyaxonieu ein für alleraal als Antimeren (oder Parameren) aufzufassen, (nicht als Metameren oder Epimeren) ; falls man dieselben nicht lieber mit dem neutralen Ausdruck „Perimeren" belegen will. ') In der That kann kein stäi'kerer Beweis für die bisherige allgemeine V"ernachlässigung der Promorphologie geliefert werden, als die Thatsache, dass man gewöhnlich die meisten Lipostauren, und überhaupt alle Formen, welche nicht entweder „radial" oder „bilateral" -waren, als „irreguläre" oder „amorphe" zusammengeworfen hat. Und doch sind gerade unter den Lipostauren vorwie- gend sehr regelmässige, ja sogar die regelmässigsten von allen Grundformen, die Homaxonien und rhythmischen Polyaxonieu. In der Botanik, welche überhaupt diese wichtigen Form - Verhältnisse bisher noch mehr als die Zoologie vernach- lässigt hat, werden nebst den Lipostauren auch noch die meisten Heterostauren als ,, irreguläre" bezeichnet. 2) Nur der Doppelkegel der Haplopolen könnte hier ausgenommen werden, wenn man denselben aus zwei Metameren oder Epimeren zusammengesetzt an- sehen will. Promorphologisclie Thesen. 547 VI. Thesen von den stauraxonien Grundformen. 46. Alle Stauraxonien oder Grundformen mit Kreuzaxen sind höhere und vollkonmienere Grundformen, als alle Lipostauren, weil durch die Anwesenheit bestimmter Kreuzaxen, die sich in der Haupt- axe schneiden, eine grössere Mannichfaltigkeit und Ditferenzirungs- Möglichkeit gegeben ist, als bei irgend einer lipostauren Grundform. 47. Die gemeinsame stereometrische Grundform aller Stauraxonien ist die Pyramide, und zwar entweder die Doppelpyi-amide (Homopolen) oder die einfache Pyramide (Heteropolen). 48. Fast alle Formen, welche bisher von den Botanikern und Zoo- logen als „reguläre oder radiale", und als „symmetrische oder bila- terale" unterschieden wurden, sind Stauraxonien. 49. Die Bezeichnung „reguläre oder strahlige Formen", falls die- selbe beibehalten werden sollte, ist zu beschränken auf die beiden Formengruppen der Isostauren (regulären Doppelpyramiden) und Homo- stauren (regulären Pyi'amiden). ') 50. Die Bezeichnung „symmetrische oder bilaterale Formen, " falls dieselbe beibehalten werden sollte, ist zu beschränken auf die Formen- gruppe der Zeugiten oder Centrepipeden (allopole Heterostauren). ^) 51. Alle Stauraxonien sind ausgezeichnet (und wesentlich von den Lipostauren verschieden) durch den Besitz einer bestimmten Anzahl von Meridianebenen, welche sich in einer einzigen Hauptaxe schnei- den, und durch welche der Körper in eine bestimmte Anzahl von gleichen oder ähnlichen Theilen getheilt wird. ') Am besten ist die Bezeichnung „regulär oder regelmässig" und die mei- stens damit identisch gebrauchte „radial oder strahlig", gänzlich aus der Pro- morphologie zu eliminiren, da die verschiedenen Autoren eine Menge von gänzlich verschiedenen Grundformen darunter verstehen. Ausser den regulären Pyramiden und Doppel-Pyramiden, auf welche wir diesen Begriff beschränken, hat mau auch alle Formen, welche aus mehr als zwei Antimeren oder Parameren zusammen- gesetzt sind, darunter verstanden, also von den Stauraxonien auch noch sämmt- liche Allostauren, Autopolen und Amphipleuren. Ebenso Hessen sich auch sämmtliche oder doch die meisten Lipostauren (nacli Ausschluss der Anaxonieu) so bezeichnen; und vor Allen verdienten von diesen die rhythmischen Poly- axonien regulär im engsten Sinne genannt zu werden. Auch die Bezeichnung „symmetrische oder hälftige" und die meistens als gleichbedeutend gebrauchte Bezeichnung „bilaterale oder zweiseitige" Formen ist am besten ganz aus der Promorphologie zu verbannen, da man ausser den Zeugiten, auf welche wir diesen Begriff beschränken, noch vier verschiedene an- dere Formgruppen, theils von weiterem, theils von engerem Umfang darunter begi-iffen hat, nämlich I. alle Heterostauren (autopole und allopole); II. die Zygopleuren (im Gegensatz zu den Amphipleuren) ; III. die Dipleureu, und end- lich IV. im engsten Sinne die Eudipleuren (im Gegensatz zu den „asymmetrischeu" Dyadipleureu). 35* 548 Promorpliologische Thesen. 52. Die correspoiidirenden Theilstücke des Staiiraxonieu-Köi-pers, welche durch ihre Anzahl, Lagerung und Differenzirung (Gleichheit oder Ungleichheit) die Grundform des stauraxonien Individuums näher bestimmen, sind entweder Parameren (bei den Form-Individueu erster bis dritter Ordnung) oder Aptimeren (bei den Metameren und deu Ketten-Personen), oder Metameren (bei den Rusch-Pcrsonen) oder Per- sonen (bei den Stöcken); die grösstc promorphologische Bedeutung haben im Allgemeinen die Antimeren, nächstdem die Parameren ; ihre Grundform ist stets pyramidal. 53. Alle Stauraxonien zerfallen in zwei Hauptgruppen, je nach- dem die Körpermitte entweder eine der Meridianebenen ist (Zeugiten) oder aber die Hauptaxe, in welcher sich alle Meridianebeneu schnei- den (centraxonie Stauraxonien). 54. Die centraxonien Stauraxonien, bei denen die Körpermitte eine Linie (die Hauptaxe) ist, sind entweder L reguläre Doppel-Pyra- miden (Isostauren); oder II. reguläre Pyramiden (Homostauren); oder III. amphithecte Doppelpyramiden (Allostauren) oder IV. amphithecte Pyramiden (Autopolen); bei allen diesen Formen sind die beiden Pole sänimtlicher Kreuzaxeu gleichpolig; es ist also niemals die rechte Seite von der linken verschieden, und ebenso niemals die Rücken- seite von der Bauchseite; jene sowohl als diese sind unter sich con- gruent. 55. Die centrepipeden Stauraxonien oder die Zeugiten, bei denen die Körpermitte eine Ebene (die Medianebene) ist, sind entweder I. halbe amphithecte Pyramiden, oder II. irreguläre Pyramiden (he- teropleure Zeugiten); hier ist stets mindestens eine Kreuzaxe ungleich- polig; es ist also stets die dorsale von der ventralen Seite ver- schieden, und die rechte von der . linken, welche hier niemals con- gruent sind. VII. Thesen von den zeugiten Grundformen. ' 56. Die Formengruppe der Zeugiten oder Centrepipeden (allopolen Heterostauren) oder der bilateral-symmetrischen Formen in der zwei- ten Bedeutung des Begriffes, bildet als halbe amphithecte Pyramide die höchste und am meisten dilferenzirtc Grundform der Organismen. .57. Die Zeugiten oder Centrepipeden sind vor allen übrigen or- ganischen Formen ausgezeichnet durch den Besitz von drei un- gleichen idealen Axen (Riehtaxen, Euthyni), von denen entweder zwei ungleiehpolig sind, die dritte gleichpolig, oder aber alle drei ungleichpolig. 58. Die drei Richtaxen der Zeugiten halbiren sich gegenseitig, stehen auf einander senkrecht und entsprechen den drei Dimensionen Promorphologische Thesen. 549 des Raumes; sie können dem entsprechend als Längenaxe (Axis longi- tudinalis), Dickenaxe (Axis sagittalis) und Breitenaxe (Axis lateialis) bezeiclinet werden. 59. Die beiden Pole der Längenaxe oder Hauptaxe sind allge- mein in der Promorphologie als Muudpol (Polus oralis) oder Peristom- pol und als Gegenmundpol (Polus aboralis) oder Antistompol zu be- zeichnen, gleichviel ob sie oben oder unten, vorn oder hinten liegen. 60. Die beiden Pole der Dickenaxe oder Dorsoventralaxe sind allgemein in der Promorphologie als RUckenpol (Polus dorsalis) und als Bauchpol (Polus ventralis) zu bezeichnen, gleichviel ob sie oben oder unten, vorn oder hinten liegen. 61. Die beiden Pole der Breitenaxe oder Lateralaxe sind allge- mein in der Promorphologie als rechter Pol (Polus dexter) und linker Pol (Polus sinister) zu bezeichnen, gleichviel ob sie beide einander gleich oder ungleich sind. 62. Durch die drei auf einander senkrechten und sich gegenseitig halbirenden idealen Axen, welche den drei Dimensionen des Raumes entsprechen, werden drei auf einander senkrechte Ebenen, die Richt- ebenen (Plana euthyphora) bestimmt, welche von der grössten pro- morphologischen Bedeutung sind. 63. Die erste Richtebene ist die Medianebene oder Hauptebene (Planum medianum, öagittalebene, Halbirungsebeue), welche den gan-/ zeu Körper der Ceutrepipeden oder Zeugiten in zwei symmetrisch-gleiche Stücke, rechte und Unke Hälfte theilt (pars dextra und pars sinistra) sie wird bestimmt durch die Längenaxe und die Dickenaxe. 64. Die zweite Richtebene ist die Lateralebene oder Breitenebene (Planum laterale) welche den ganzen Zeugitenkörper in zwei ungleiche Stücke theilt, Rücken- und Bauchhälfte (pars dorsalis und pars ven- tralis); sie wird bestimmt durch die Längenaxe und die Breitenaxe. 65. Die dritte Richtebene ist die Aequatorialebene oder Dicken- ebene (Planum aequatoriale) , welche den ganzen Zeugitenkörper in zwei ungleiche Stücke, orale und aborale Hälfte theilt (pars oralis und pars aboralis); sie wird bestimmt durch die Breitenaxe und die Dickenaxe. 66. Die physiologischen, von der Locomotion der frei beweghchen und von der Anheftung der festsitzenden Zeugiten und ihrer relativen Richtung gegen die Erdaxe und den Horizont entnommenen Bezeich- nungen: Vordere und hintere Seite, obere und untere Seite, hori- zontale und verticale Axe sind zu verbannen und durch die vorher bestimmten, rein morphologischen Bezeichnungen zu ersetzen. ') , ') Die vollständige Elimination der topographisch- physiologischen Bezeich- nungen Vorn und Hinten. Oben und Unten, Horizontal und Vertical - aus der 550 Promorphologische Thesen. VIII. Thesen von der Vollkommenheit der organischen Grundformen. 67.. Die Grundform der organischen Individuen ist um so voll- kommener, je ungleichartiger ihre constauten Axen sind. 68. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl der ungleichartigen Axen, je geringer die Zahl der gleichartigen Axen ist. 69. Die Grundform ist um so vollkommener, je ungleichartiger die beiden Pole ihrer Axen sind. 70. Die Grundform ist um so vollkommener, je grösser die Zahl der ungleichartigen Pole und je geringer cUe Zahl der gleichartigen Pole ihrer Axen ist. gesaramten Morphologie halten wir für sehr wichtig, weil sie hauptsächlich an der ausserordentlichen Verwirrung schuld ist, welche in der topographischen Be- zeichnung der Körperregionen bei Thieren und Pflanzen, oft bei nächstverwandten Arten, eingerissen ist. Alle drei Richtaxen können jede mögliche Lage gegen den Horizont haben, ebenso ihre Pole. DieHauptaxe oderLängsaxe (Axislongitudinalis) kann jede mög- liche Lage liaben. Sie steht entweder senkrecht (z. B. Mensch, Pinguin, kriechende Cephalopoden, allopole aufrechte Pflanzensprosse) oder wagerecht (die meisten kriechenden Thiere, die kriechenden Pflauzensprosse) oder unter irgend einem Winkel gegen den Horizont geneigt (die allopoleu Seitensprossen der Pflanzen und Coelenteraten- Stöcke. Der Mundpol oder erste Pol der Hauptaxe (Peri- stomium) ist bald oben (die meisten festsitzenden Thiere, z. B. Bryozoen, Antho- zoen, die aufrechten Pflanzensprosse) bald unten (z. B. Seesterne, Cidariden. Medusen, hängende und nickende Blüthensprosse) bald vorn (z. B. die meisten kriechenden Thiere und die kriechenden Pflanzensprosse), bald hinten (die rück- wärts kriechenden Thiere, z. B. Crustaceen); ebenso hat der entgegengesetzte zweite Pol der Hauptaxe oder Gegenmundpol (Antistomium) jede mögliche Lage, oben oder unten, vorn oder hinten. Die Dorsoventralaxe oder Dickenaxe (Axis sagittalis) kann ebenfalls jede mögliche Lage haben. Sie steht horizontal (Mensch, Pinguin, kriechende Cephalopodon) oder vertical (die meisten kriechenden Thiere) oder unter irgend einem Winkel gegen den Horizont geneigt (die zeugiten Pflanzen- sprosse als Aeste und Zweige^ der Stöcke etc.). Der Dorsalpol oder erste Pol der Dickenaxe befindet sich bald oben (die meisten kriechenden Thiere), bald unten (die Heteropoden und andere auf dem Rücken schwimmende Thiere), bald hinten (Mensch, Pinguin etc.), bald vorn (rückwärts kriechende Thiere mit verticaler Hauptaxe) ; ebenso hat der entgegengesetzte zweite Pol der Dickenaxe oder der Ventralpol jede mögliche Lage, unten oder oben, vorn oder hinten. Die Lateralaxe oder Breiteuaxe (Axis lateralis) liegt zwar bei den allermeisten Zeugiten horizontal; allein bei vielen festgewachsenen zeugiten Thieren, sowie bei den Pleuronectiden und anderen Dysdipleuren steht auch oft der eine (linke) Pol derselben unten, der andere (rechte) oben (oder umgekehrt), die Breitenaxe mithin vertical, oder unter irgend einem Winkel gegen den Hori- zont geneigt, z. B. bei den festgewachsenen Muscheln, Austern etc. Promorpliologische Thesen. 551 71. Der Vollkomraenlieits-Grad der Grundform (also auch der gauzeu äusseren Form) oder die promorpliologisclie Stufenhöhe ist im Allgemeinen (aber nicht durchgängig!) verbunden mit dem Vollkom- menheits-Grad der Structur (also der inneren Form) oder der tecto- logischen Stufenhöhe. 72. Indem der Organismus während seiner individuellen Ent- wickeluug im Allgemeinen (aber nicht durchgängig!) an tectologischer Vollkommenheit (DiflPerenzirung der inneren Structur) zunimmt, wächst derselbe zugleich im Allgemeinen (aber nicht durchgängig!) an pro- morphologischer Vollkommenheit (Differenzirung der äusseren Form und ihrer stereometrischen Grundform). IX. Thesen von der Hemiedrie der organischen Grundformen. 73. In der aufsteigenden Stufenleiter der Grundformen sind zahl- reiche höhere oder vollkommenere Formen die Hälften der nächstver- waudten niederen oder unvollkommeneren Formen und verhalten sich zu diesen ganz ähnlich, wie die hemiedri sehen Kry stalle zu den ho- loedrischen Krystallen. 74. Der Vervollkommnungs-Process, durch welchen hemiedrische organische Grundformen aus holoedrischen hervorgehen, ist wesent- lich eine Differenzirung beider Pole einer Axe. 75. Die Diplopol-Form (Kegel, Hemisphaeroid) ist die hemiedrische Diflferenzirungsform der Haplopol-Form (Doppelkegel, Sphäroid). 76. Die Heteropol-Form (Pyramide) ist die hemiedrische Differen- zirungs-Form der Homopol-Form (der Doppel-Pyramide). 77. Die Homostauren-Form (Keguläre Pyramide) ist die hemiedri- sche Differenzirungs-Form der Isostauren- Form (der regulären Doppel- pyramide). 78. Die Autopol en- Form (Amphithecte Pyramide) ist die hemie- drische Differenzirungs-Form der Allostauren-Form (der amphithecten Doppelpyramide). 79. Die Tetractinoten-Form (Reguläre vierseitige Pyramide oder Quadrat-Pyramide) ist die hemiedrische Differenzirungs-Form der octo- pleuren Isostauren -Form (des Quadrat-Octaeders). 80. Die Orthostauren - Form (Amphithecte vierseitige Pyramide oder Rhomben - Pyramide) ist die hemiediische üifferenzirungs - Form der octopleuren Allostauren - Form (des Rhomben- Octaeders). 81. Die Allopolen-Form oder Zeugiten-Form (halbe ampithecte Pyramide) ist die hemiedrische Differenzirungs-Form der Autopolen- Form (der amphithecten Pyramide). 552 Promorphologische Thesen. 4+2?' A^PJ^iple"i-en-Form (halbe amphithecte Pyramide, von •^-^ Seiten) ist die hemiedrisehe Differenzirungs-Form der Oxystauren- Forra (der amphithecteu Pyraniide von 4+2 n Seiten). 83. Die Zygopleuren-Form (Gleichscheukelige Pyramide) ist die hemiedrisehe Differenzirungs-Form der Orthostauren-Form (der Rhcm ben -Pyramide). 84. Die Dysdipleuren-Form (Ungleichdreiseitige Pyramide ist die bemiedrische Differenzirungs-Form der Eudipleuren-Form (der halben Rhomben-Pyramide). X. Thesen von der Krystallform organischer Individuen. 85. Alle einfachen und regelmässigen stereometrischen Körper welche als Grundformen der anorganischen Krystallsysteme vorkommen' finden sich eben so vollkommen auch in gewissen organischen Formen verkörpert. 86. Der Würfel und das Octaeder, die Grundformen des tesseralen oder regulären Krystallsystcms, finden sich in den organischen hexae- drischen und octaedrischen Formen der rhythmischen Polyaxonien realisirt. 87. Das Quadrat-Octaeder, die Grundform des tetragonalen oder quadratischen Krystallsystcms, findet sich in den organischen Formen der octopleuren Isostauren realisirt. 88. Das Rhomben-Octaeder, die Grundform des rhombischen Kry- stallsystcms, findet sich in den organischen Formen der octoplem-en Allostauren realisirt. 89. Das Hexagonal-Dodecaeder, die Grundform des hexagonalen Krystallsystcms, findet sich in den organischen Formen der hexapleuren Isostauren realisirt. IX. Thesen von den Grundformen der sechs Individualitäts- Ordnungen. 90. Die Form-Individuen erster Ordnung, die Piastiden (Cytoden und Zellen) können alle möglichen Grundformen haben, zeigen je- doch vorzugsweise die niederen Grundformen, insbesondere die mona- xonien (haplopolen und diplopolen). 91. Die Form -Individuen zweiter Ordnung, die Organe, können ebenfalls alle möglichen Grundformen haben, zeigen jedoch vorzugs- weise einerseits die niedersten (anaxonien, homaxonien, monaxoniem. andererseits die höchsten (eudipleuren und dysdipleuren). 92. Die Form-Individuen dritter Ordnung, die Antimeren, zeigen ausschliesslich die Heteropolen-Form (einfache Pyramide), und zwar Promorphologische Thesen. 553 -seltener die homostaure (reguläre Pja-amide), häufiger die heterostaure tForm (irreguläre Pyramide); die letztere ist am häufigsten die dysdi- jpleure, nächstdem die eudipleure Form. 93. Die Form-Iudividuen vierter Ordnung, die Metameren, besitzen 1 meistens, gleich den Antimeren und den Personen, die heteropole ( Grundform (einfache Pyramide) ; und zwar häufiger die Zeugiten-Form (halbe amphithecte Pyramide), seltener die Homostauren-Form (reguläre IPyramide). Unter der ersteren ist am häufigsten die eudipleure Form. 94. Die Form - Individuen fünfter Ordnung, die Personen, be- j sitzen ebenfalls vorwiegend die heteropole Grundform (einfache Pyra- imide) und zwar die sogenannten „regulären oder radialen" Personen (die homostaure, die sogenannten „symmetrischen oder bilateralen" IPersonen die allopole (Zeugiten-Form); die letztere ist entweder die :amphipleure oder die zygopleure Form. 95. Die Form -Individuen sechster Ordnung, die Stöcke, zeigen nur selten höhere, meisteutheils niedere Grundformen, entweder ana- xonie und homaxonie, oder monaxonie (haplopole und am meisten diplopole); die diplopole Monaxonform scheint hier die häufigste Grund- form zu sein. Anhang zum vierten Buche. L Das promorphologische System als generelles Formen- System. Das System der Grundformen, welches von uns im dreizehnten Capitel construirt und entwickelt worden ist, haben wir zunächst aufgestellt, um da- durch eine geordnete Uebersicht über die unendliche Fülle der gesetzmässig gebildeten organischen Formen zu gewinnen. Indem wir am Schlüsse des vierten Buches, in diesem Anhange, die wichtigsten Kategorieen jener or- ganischen Grundformen nochmals, nach verschiedenen Gesichtspunkten ge- ordnet, übersichtlich zusammenstellen, wollen wir nicht unterlassen, den Hinweis darauf vorauszuschicken, dass unser Formen - System auch noch einer weiteren Anwendung fähig ist. Wie wir bereits die Krystallformen und die characteristischen Formen gewisser menschlicher Kunst - Producte (p. 521) als ebenfalls innerhalb des Formenkreises unseres Systems fallend nachgewiesen haben, wie auch die Sphaeroid-Form der Weltkörper sich der (anepipeden) Haplopolen-Form unterordnet, so werden wir bei allgemeinerer Betrachtung desselben finden, dass überhaupt alle verschiedenen Körper- formen, welche in der Natur, und ebenso auch die verschiedenen Formen der Kunst -Producte, welche in der Sphäre menschlicher Kunstthätigkeit entstehen, sich demselben einordnen lassen. Die Erkenntniss der formbe- stimmenden Axen und ihrer Pole wird uns auch hier überall als erklärende Leuchte in dem unendlichen Chaos der realen Formen dienen. So erken- nen wir z. B. in den meisten Bewegungswerkzeugen zu Wasser und zu Lande die Eudipleureu-Form, in den meisten Waffen (Gewehren etc.) die Dysdipleuren-Form, in den meisten Vasen die Diphragmen - Form , in den meisten Bechern, Schüsseln, Glasgefässen, Luftballons etc. entweder die homostaure oder die diplopole Grundform wieder. Der innige mechanische Zusammenhang zwischen Form und Function ist hier ebenso wie bei den organischen Formen in der Natur unverkennbar. Es wird daher unser promorphologisches System nur weniger Ergänzungen bedürfen, um als er- klärender Führer bei der geordneten vergleichenden Betrachtung sämmt- licher Körperformen überhaupt gute Dienste leisten zu können. Wir hoffen, damit die Grundlage eines generellen Formen -Systems gegeben zu haben. II. Uebersicht der wichtigsten stereoniefcrischeu Gruadformen. 555 II. Uebersicht der wiclitigsteu stereometriscben Grundformen nach ihrem verschiedenen Verhalten zur Körperuiitte. l. Orgnnisclie tii'iindt'orineu ohne geometrische Mitte. Acentra. 1. Auaxonia. Sponi/illn-f'orm. Klumpen (Absolut irreguläre Form). II. Orgauisclie Gruudtormen mit einem Mittelpuiict. Ceutrostigma. 1. Horaaxonia. Sphncrozaum- Form. Kugel. 2. Allopolygona. Rizosphncra-Form. Bndosphärisches Polyeder mit ungleich- vieleckigen Seiten. 3. Isopolygona. Ethmosplinern _Form. Endosphärisches Polyeder mit gleich- vieleckigen Seiten. 4. Icosaedra. Aulosphiera-icosonedra-Form. Reguläres Icosaeder. 5. Dodecaedra. ßKcÄo/iim-Po^/t'n- Form (Bucholzia maritima etc.). Reguläres Dodecaeder. 6. Octaedra. Cham- Antheridien- Form. Reguläres Octaeder. 7. Hexaedra. Ueucnedrommn-Form (Actinomma drymodes). Reguläres Hexaeder. 8. Tetraedra. Corydalis- Pollen-Form (Oorydalis sempervirens etc.) Reguläres Taetraeder. III. Organische Gruudlormeu mit einer Mittellinie (Axe). Ceutraxonia. 1. Haplopola anepipeda. Coccodiscus- Form, Sphäroid. 2. Haplopola amphepipeda. Pyrosoma - Form. Oylinder. 3. Diplopola anepipeda. Üvulinn-Form. Ei. 4. Diplopola monepipeda. Conulina- Form. Kegel. 5. Diplopola amphepipeda. Nodostirin- Form. Kegelstumpf. 6. Isostaura polypleura. Heliodiscus-Form. Reguläre Doppelpyramide. 7. Isostaura octopleura. Acanthoslaarus-Form. Quadrat- Octaeder. 8. Allostaura polypleiu-a. Amphilom:he- Form. Amphithecte Doppel-Pramide. 9. Allostaura octopleura. Stephanastrum- Form. Rhomben - Octaeder. 10. Homostaura. Aequoren-Form. Reguläre Pyramide. 11. Tetractinota. Aurelin - Form. Quadrat- Pyramide. 12. Oxystaura. Eticharis - Form. Amphithecte Pyramide. 13. Orthostaura. Snphc7iin-Form. Rhomben -Pyramide. IV. Organische (innidlbrnien mit einer Mittelei)ene. Centrepipcda. 1. Amphipleura. SpnlnnijHS- Form. Halbe amphithecte Pyramide. 2. Eutetrapleura radialia. Pruya-Form. Doppeltgleichschenkelige Pyramide. 3. Eutetrapleura interradialia. Nereis-Form. Autiparallelogramui - Pyramide. 4. Dystetraplenra. Ahtjla- Form. Ungleichvierseitige P3n'amide. 5. Eudipleura. Homo- Form. Gleichscheukelige Pyramide. 6. Dysdipleura. Pleuronectes-Form. Uugleichdreiseitige Pyramide. 556 III. Tabelle zur Bestimmung der Grundformen I. Organische Grundfoimen ohne Kreuzaxen. Lipostaura. Keine constante Axe ( Alle Axen ungleich. Absolut Irreguläre (Alle Axen gleich. Absolut Reguläre Eine oder mehrere constante» (vor allen übrigen ausge- zeichnete) Axen; Mehrere (mehr als zwei) constante Axen Polynxonin Nicht alle Anti- meren congruent Polijaxonin nrrhythmn /Alle Antimeren congruent Polynxonin rhylhmica aber keine lEine einzige Axe gleichpolig Kreuzaxen. f konstante j Hnplopoln (Läng^Le) ungleichpolig Monaxonin I Diplopoln Grenzflächen un- gleichvielseitig Grenzflächen gleich- vielseitig 20 congruente Anti- meren 12 congruente Anti- meren 8 congruente Anti- meren 6 congruente Anti- meren 4 congi-uente Anti- meren Keine Grenzebene Zwei Grenzebenen Keine Grenzebene Eine Grenzebene Zwei Grenzebenen Ppomorphologische Knti'goriej 1. Annxonia 2. Hoinnxoiiin II. Organische Grnndfornien mit Kreuzaxen. Stauraxonia. Längsaxe l -^^^9 radialen_oder alle (3,5 oder ö-fn Anti- gleichpolig. Doppel- pyramiden. flomopoln Längs- axe oder Haupt- axe ungleich- polig. semiradialen Kreuzaxen gleich Isostaura. Nicht alle radialen oder serairadialeu Kreuzaxen gleich Allostaurn. meren Nur 4 Antimeren 4 -|- 2 n Antimeren Nur 4 Antimoren Alle radialen oder alle semiradialen Kreuzaxen unter ein- ander gleich Homostnurn Nicht 1 Dorso- alle ventralaxe i Pyra- miden. radialen \ oder alle . semira- gleichpolig 1 Autopoln Hetero- poln. dialen Kreuz- \ axen gleich j Dorso- ventr alaxe 1 ungleich- polig Hetero- \ slnura Zeugita (Centrepi- peda). . Allopoln Kreuzaxen gleichpolig, halb radial, halb inter- radial. isopol n Kreuzaxen ungleich- polig, alle semira- dial. Anisopoln, SoderS + n radiale Kreuzaxen. Oxyslnurn 2 oder eine radiale Kreuzaxe. \ Orthostnurn ;3 oder 5 oder; 5 + 0 Kreuz-) axen ) Amphipleurn 4Anti- 10 + 2 n Anti- meren 10 Antimeren 8 Antimeren 6 Antimeren 4 Antimeren 9 + 2n Anti- meren 9 Antimeren 7 Antimeren 5 Antimeren 3 Antimeren 8 Antimeren 6 Antimeren 4od.2 \ Kreuz- axen Zygo- 4 Antimeren 2 Antimeren 7 Antimeren 6 Antimeren 5 Antimeren 3 Antimeren iLateralaxe gleichpolig Lateralaxe f/tvuiii ungleichpol. 2Anti-, Lateralaxe meren j gleichjjolig. Di- } Lateralaxe pletira \plenra ^ ungleichpol. 3. Allopolygonn 4. Isopoiyi/orin 5. Icosnedrn 6. Dodecnetlrn 7. Octnedrn 8. Hexnedrn 9. Tcirncdrn 10. Hnplopoln nvepipaiii 11. Hnplopoln nmphepipeJi 12. Diplopoln nnepiped 13. Diplopoln monepipt h. 14. Diplopoln ninphcpiped^ 15. Isostnurn polypleur 16. Isostnurn octoplein 17. Allostnurn polyplc 18. Allostnurn ocfoplvn 19. Myrinctinotn 20. Decncliiiotn 21. Octnctinotn 22. Hexnctinotn 23. Tetrnctiiiotn 24. Polynctinotn 25. Ennenctinotn 26. Heptnctinotn 27. Pcntnctinotn 28. Trinctinotn 29. Oclophrngmn 30. Hexnphrngmn 31. Telrnphrngmn 32. Diphrngmn 33. Heptnmphiplenrn 34. Hexamphipleurn 35. Pentnmphipleurn 36. Trinmphipleurn 37. 1. Eutetrnpleurn rad] 37.11. Eutetrnpleurn jnfcl 38. Dystetrnplenrn 39. Eudipleurn 40. Dysdipleurn IV. Uebersicht der realen Typen der Grundformeü. 557 1. Lipostaure Gnmiiroiineii. Kenler Typus. Deutsche Bezeicliuung. illunipeu (Bolus^ 'jiuel (.Sphaera) SpovgiUn Klumpen Sphaerozoiim (Volvox) Kugelt'ormen ..uüosphaer. Polyeder mit uugleic-livieleckigeu Rhisosphnern Seiten iJndosphaer. Polyeder mit gieichvieleckigen Ethmosphnem Seiten Ueguläres Icosaeder Reguläres Dodecaeder Jieguläres Octaeder Ueguläres Hexaeder Ungleichvieleckige Gleichvieleckige Aulosphaera icvsnedrn Zwanziggleichfiächuer Bucholzin (Pollen) Zwölfgleichflächner Cham (Antlieridien). Achtgleichflächner Actinommn drymodes Würfel ^leguläres Tetraeder >5pliäroid (EUipsoid) i Jylinder tSi Kegel Siegelstumpf (Jorydalis (Polleu) Coccodiscus Hyi-osoma Ovulina Conulina Nodosttrin ; Diplopyramidale oder pyramidale (jlruiidfornien. Itieguläre Doppel-Pj'ramide mit 6, 10, 10+12n Heliodiscns \ . Seiten (..Quadrat - Octaeder Acanthostaurus Almphithecte Doppel-Pyramide mit8+4nSeiten Amphilonche fßhomben-Octaeder l^leguläre Pyi-amide mit 10 + 2n Seiten ZZehnseitige reguläre Pyramide .'Achtseitige reguläre Pyramide ^Sechsseitige reguläre Pyramide ^Vierseitige reguläi-e Pyramide Reguläre Pyramide mit 9 + 2u Seiten SSfeunseitige reguläre Pyramide 'äiebenseitige reguläre Pyramide IFünfseitige reguläre Pyramide Dreiseitige reguläre Pyramide Viergleichflächner Sphäroidformen Cylinderformen ' Eiformeu Kegelformen Kegelstumpfformen Reguläre diplopyra- midale Quadrat - octaedrische Amphithecte diplo- pyramidale Khomben-octaedrische Gradzahlige Viel- strahlige Zehustrahlige StepJiannstrum Aequorea Aegineta globosa Alcyonium (Mimusops Achtstrahlige Cnrmnrinn (Achras j Sechsstrahlige Aurelia (Paris) Vierstrahlige Brisinga Ungradzahlige Viel- strahlige Luidia senegalensis. Neuustrahlige Trientalis Siebenstrahlige Ophiura (Primula) Fünfstrahlige Iris (Ijychnocanium) Dreistrahlige .Achtseitige amphithecte Pyramide »sJechsseitige amphithecte Pyramide Euchnris Flahellum Achtreifige Sechsreifige \Viorstückige Rhomben - Pyramide IDüppelstückige Rhomben - Pyramide Halbe vierzehnseitige amphithecte Pyramide IHalbe zwölfseitige amphithecte Pyramide Halbe zehnseitige amphithecte Pyramide IHalbe sechsseitige amphithecte Pyramide I. Doppelt-gleichschenkelige Pyramide in. Antiparallelogramm - Pyramide üngleichvierseitige Pyramide iGleichschenkelige Pyramide 'Ungleichdreiseitige Pyramide Snphenia (Draba) Pclalospgris (Circaea) Disnndra OcuUna (Cuphea) Spatangus (Viola) Orchis (Dictyophimua) j 37, 1. Praya ( Reseda 137,11. Nereis (Iberis) Ahyln Homo (Fumaria) Pleuronecles Vierreifige Zweireifige Siebeuschienige Sechsschienige Fünfschienige Dreischienige ( Gleichhälftige I Zweipaarige Ungleichhälftige j Zweipaarige Gleichhälftige Bin- paarige Uugleichh. Eiupaarige 558 V. Tabelle über die promorpbologischen Kategorieen, V. Tabelle Uber die promorpliologischen Kategorieen. I. Aiinxonia. Axenlose Formen. Klumpen. Absolut irreguläre Formen. II. Axoiiia. Axenfeste Grundformen. II, 1. noninxoiiia. Kugeln. Absolut reguläre Formen. Alle Axen gleich. II, 2. Heternxonia. Grundformen mit einer oder melireren constanten Axen. 2, A. Polyaxonin. Grundformen mit mehreren constanten Axen (ohne Kreuzaxen !). A, a. Arrliythina. Irreguläre Polyeder. a, I. Allopolifgonn. Irreguläre Polyeder mit ungleichvieleckigen Seiten. a, II. Isopolygonn. Irreguläre Polyeder mit gleichvieleck. Seiten. A, b. Rhythinica. Reguläre Polyeder. b, I. Icosuedrn. Reguläre Icosaeder. b, II. üodecaedrn. Reguläre Dodecaeder. b, III. Oclnedrn. Reguläre Octaeder. b, IV. Hcmedrn. Reguläre Hexaeder, b, V. Teirnedrn. Reguläre Tetraeder. 2, B. Protoxonin. Grundformen mit einer constanten Axe oder Haupt- axe (mit oder ohne Kreuzaxen). B, a. Moiiaxoiiia. Grundformenmiteiuereinzigen Axe (ohneKreuzaxen). a, I. Hnplopola. Einaxige Grundformen mit gleichpoliger Axe. I, 1. fliiplopoln iniL'pepida. Sphäroide. 1, 2. Haplopoln mnplu'pipeda. Cylinder. a, II. D ipl opo In. Einaxige Grundformen mit ungleichpoliger Axe. II, 1. Diplopoln avepipcdn. Eier. II, 2. Diplopoln moncpipt'da. Kegel. II, 3. Diplopoln nmphepipcdn. Kegelstumpfe. B, b. Staiiraxouia. Doppel - Pyramiden oder Pyramiden (Grund- formen mit einer Hauptaxe und mit Kreuzaxen). b, I. Homopola. Doppel-Pyramiden. I, 1. I so st nur n. Reguläre Doppel -Pyramiden. 1, A. Isostnurn poh/pleurn. Reguläre Doppel-Pyramiden, von 6, 10, 10 -f 2 n Seiten. 1, B. Isostnurn octoplenra Quadrat- Octaeder. 1,2. Allostniirn. Amphithecte Doppel -Pyramiden. 2. A. AHostnurn polypleurn. Amphithecte Doppel-Pyra- miden von 8 -|-4n Seiten. 2, B. AHostnurn octoplenra. Rhomben- Octaeder. h, II. Heieropoln. Pyramiden. II. 1, Honiostnurn. Reguläre Pyramiden. 1, A. Isopola. Reguläre Pyramiden von 2 n Seiten. 1, B. Anisopoln. Reguläre Pyramiden von 2n — 1 Seiten. II, 2. H eterostnur n. Irreguläre Pyramiden. 2, A. Autopoln. Amphithecte Pyramiden. A, a. Owyslaurn Amph.Pyram. von 4 + 20 Seiten A, b. Orthostnurn. Rhomben -Pyramiden. 2, B. Allopoln. Halbe amphithecte Pyi'amiden. B, a. Amphiph'ura. H. a. P. von 4+2 n Seiten. B. b. Zygopleurn. Halbe Rhomben - Pyramiden. Erklärung der Tafeln. Taf. I. Ileteropole Gruiidformeii. (Basen von Pyramiden.) Tafel I stellt schematische Grundrisse verschiedener Arten von Stauraxonien oder kreuzaxigen organischen Grundformen dar, und zwar nur von Heteropoleu. Die Grundform aller heteropolen Stauraxonien ist die einfache gerade Pyramide. Sämmtliche Figuren stellen bloss die Basis der betreifenden Pyramiden- Arten dar. Um die ganze Pyramide zu erhalten, braucht man bloss in dem Mittel- punkte jeder Pyramiden -Basis, wo sich ihre Kreuzaxeu kreuzen, ein Perpen- dikel zu errichten und dessen Endpunkt mit den sämmtlicheu Ecken der poly- gonalen Basis zu verbinden. Die Tafel ist hauptsächlich bestimmt, um das Ver- hältniss der radialen, interradialeu und semiradialen Kreuzaxen zu einander zu erläutern, sowie die Zusammensetzung der Pyramiden aus einer bestimmten An- zahl pyramidaler Antimeren, und die Zusammensetzung jedes Antimers aus zwei Parameren. Um diese verwickelten Verhältnisse deutlich hervorzuheben, sind die Umrisse der stereometrischen Grundform (der Pyramiden-Basis) durch ein- fach punktirte Linien ( ) angedeutet, während die realen Umrisse der organischen Form durch einfache Linien angegeben sind. Durch einfach punktirte Linien sind ferner auch die radialen Kreuzaxen unterschieden, während die inter- radialen durch gestrichelte Linien ( • ) ausgezeichnet sind. Der Mittel- punkt ist allgemein mit c, die interradialen Kreuzaxeu mit ci, die radialen mit er bezeichnet. I. Pyramidale Grundformen mit sechs Antimeren oder Parameren. (Promorphae heteropolae hexarithmae). Fig. 1. Carmarina-Form, Typus der Hexactinoten, erläutert durch den Grundriss einer Cnrmnrinfi-Lu.vve (Oraspedote Meduse aus der Geryoniden- Familie). Sleri-innetrisclie Grundform: Sechsseitige reguläre Pyramide, (vgl. p.469). In der Mitte (c) ist der sechseckige Mund, von dem wulstigen Lippeu- rand umgeben, zugleich der Eingang in den Magen. Von diesem strahlen die sechs Radialcanäle aus, deren weiterer Verlauf bis zum Rande aussen durch das kreis- 560 Erklärung der Tafeln. runde Velum verdeckt wird. Das reguläre Sechseck, welches die Basis der Pyramide bildet, und dessen Ecken durch r,— rg bezeichnet sind, ist sehr deut- lich durch den sechseckigen Oirkelcanal ausgesprochen, dessen 6 Ecken sich in die radialen Larvententakeln (dj— dg) ausziehen. In der Mitte zwischen je zweien der letzteren sitzt ein interradialer (secundärer) Larvententakel, welcher auf den Rücken der Medusenglocke zurückgekrümmt ist (tj— tg). Die sechs congruenten Antimeren, welche den Medusenkörper zusammensetzen, sind doppelt -gleich- schenkelige (eutetrapleure) Pyramiden. Im hexagonalen Grundriss der Basis ist jedes Antimer durch ein Trapez augedeutet, welches aus 2 mit der Basis ver- einigten gleichschenkeligen ungleichen Dreiecken besteht (1, ci,r,i2— VI, ciergi,). Fig. 2. Flabellum-P orm, Typus der Hexaphragmen, erläutert durch den Grundriss einer jungen Mmlrepora. Slereomctrisdie Grundform: Sechs- seitige amphithecte Pyramide, (vergl. p. 485.) Es sind bloss die sechs primären interradialen Septa (ai) und die sechs mit ihnen alternirenden secun- dären radialen Septa (sr) angedeutet, durch welche der perigastrische Raum in 12 Kammern zerfällt. Alle sechs Kreuzaxen sind gleichpolig. Die interradiale Dorsoventralaxe (i, 14) ist bedeutend länger, als die beiden lateralen, unter sich gleichen interradialen Kreuzaxen (ij ig und ig ig). Entsprechend ist die radiale Lateralaxe bedeutend kürzer, als die beiden anderen radialen Kreuzaxen (r, r4 und rg rg). Durch jede der beiden Richtaxen, sowohl durch die dorsoventrale (i, i^) als durch die laterale {r^r^) zerfällt der Körper in 2 congruente Hälften, durch beide zusammen aber in 4 Quadranten, von denen je 2 benachbarte symmetrisch -gleich, je 2 gegenüberliegende congruent sind. Von den 6 Anti- meren des Körpers sind die beiden gegenständigen lateralen, das rechte Antir mer (cL^r/i^) und das linke Antimer (cig r^ !„) eudipleure und unter sich con- gruent; jedes der beiden ist aus 2 symmetrisch -gleichen Parameren zusammen- gesetzt. Von den 4 übrigen Antimeren sind je 2 entgegengesetzte congruent, je 2 benachbarte symmetrisch- gleich. Es ist also das rechte dorsale Antimer (cigraij) congruent dem linken ventralen (cigrgi,) und ebenso ist das linke dorsale Antimer (ci4 rj ij) congruent dem rechten ventralen (cijrj ia). Dagegen sind die beiden dorsalen Antimeren unter sich symmetrisch -gleich, nicht con- o-rueut und ebenso die beiden ventralen. Sowohl die beiden dorsalen als die beiden ventralen Antimeren sind dysdipleure; jedes ist aus zwei negativ ähnlichen Parameren zusammengesetzt. Das sechsseitige amphithecte Polygon, welches die Basis der Flabellum-Form bildet, erhalten wir bei unserer Madrepora dadurch, dass wir die freien Innenränder der secundären (radialen) Septa durch Linien verbinden (Si — Sg). Fig. 3. Oculina-Form, Typus der Hexamphipleuren, erläutert durch den Grundriss einer jungen Lophelia (vergl. p. 501). Sfereovietrische Grundform: Hälfte einer zwölfseitigen amphithecten Pyramide (m n deutet ihre Halbirungsebene an). Es sind bloss die sechs priniären interradialen Septa (a i) und die sechs mit ihnen alternirenden secundären radialen Septa (sr) angedeutet, durch welche der peri gastrische Raum in 12 Kammern zerfällt. Alle Kreuzaxen sind ungleichpolig. Die interradiale Dorsoventralaxe ist länger als die ideale Lateralaxe. Von allen Kreuzaxen ist nur immer je ein correspou- direndes Paar (rechte und linke) gleich. Durch keine Meridianebene zerfällt der Körper in 2 congruente Stücke und bloss durch die Sagittalebene in 2 symmetrisch gleiche Hälften. Die sechs Antimeren sind paarweise unter sich symmetrisch gleich, die 3 Antimeren jeder Seiteuhälfte (rechter und linker) aber unter sich ungleich, und bloss ähnlich. Alle 6 Antimeren sind dysdipleure, aus Erklärung der Tafeln. 561 zwei ungleichen (ähnlichen) Pararaeren zusammengesetzt. Das rechte ventrale Antimer (ciir, ij) ist symmetrisch-gleich den linken ventralen (ciirgig); das rechte laterale Antimer (cijrjig) ist symmetrisch -gleich dem linken lateralen (cijrjij); ebenso ist endlich das rechte dorsale Antimer (cijrjii) symmetrisch -gleich dem linken dorsalen {ci4r4ig). Von den 6 primären, interradialen Septen, welche den perigastrischen Raum zunächst in 6 Kammern theilen, ist das dorsale Septum (ij weit stärker entwickelt, als das ventrale (ii), und bedingt hierdurch die Amphipleui-ie der Oculinen -Form. Die Hälfte des zwölfseitigen amphithecten Polygons, welches die Basis derselben bildet, erhalten wir dadurch, dass wir die an die Kelchwand angewachsenen Aussenränder der secundären radialen Septa durch Linien verbinden. II. Pyramidale Grundformen mit drei Antimeren oder Parameren. (Promorphae heteropolae triarithmae.) Fig. 4. Iris-Form, Typus der Triactinoten, erläutert durch den Grundriss einer regulären hexaudrischen Monocotyledonen - Blüthe (z. B, einer Liliacee). Siereome Irische Grundform: Dreiseitige reguläre Pyramide (vergl. p. 474). Es sind die Blattorgane von fünf Metameren (Blattkreisen der Blüthe) dargestellt, deren jedes einem unentwickelten Stengelgliede mit drei con- gruenten Blättern entspricht. . In den interradialen Hälften der drei semiradialen Kreuzebenen (ci) liegen die Blätter von drei Metameren, nämlich I. zu innerst die drei Oarpelle, II. die drei Antheren des äusseren Staubfadenkreises, III. die drei äusseren Perigonblätter, entsprechend den Kelchblättern der Dichlamydeen (eil, cij, eis), in den radialen Hälften der drei semiradialen Kreuzebenen dage- gen liegen die Blätter von zwei mit jenen alternirenden Metameren, nämlich I. innen die drei Antheren des inneren Staubfadenkreises, und II. aussen die drei inneren Perigonblätter, entsprechend den Kronenblättern der Dichlamydeen (cr^ crj, crj). Die drei congruenten Antimeren, welche die homostaure Blüthe der dreizähligen Monocotyledonen mit „regulärer Blüthe" zusammensetzen^ sind gleich- ächenkelige Pyramiden (I. cij ri ij; H. cij rj is; IILcigraii). Jedes eudipleure Antimer ist aus zwei congruenten dysdipleuren Parameren zusammengesetzt. Das reguläre Dreieck, welches die Basis der Triactinoten - Form bildet, erhalten wir dadurch, dass wir die sechs Endpunkte entweder der radialen oder der inter- radialen Kreuzaxen durch Linien verbinden. Fig. 5. Orchis-Form, Typus der Triamphipleuren, erläutert durch den Grundriss einer dorsoventral zusammengelegten Orchideenblüthe. Stereo- metrische Grundforvt: Hälfte einer sechsseitigen amphithecten Pyra- mide (vergl. p. 505). Es sind bloss die Umrisse der sechs BlüthenhüUblätter und der Geschlechtssäule angegeben, und die Blüthe ist derart von der Rücken- seite nach der Bauchseite zusammengeklappt, dass die Spitze der halben amphi- thecten Pyramide noch an derselben Stelle steht, wie bei der ganzen, nicht halbirten, geraden Pyramide, m n ist die Halbirungsebene. Alle Kreuzaxen sind ungleichpolig. Die dorsoventrale semiradiale Kreuzaxe ist länger, als die beiden unter sich gleichen lateralen scmiradialen Kreuzaxen. In der Meridianebeue, entsprechend der unpaaren, längeren, dorsoventralen Kreuzaxe liegt I. die eudi- pleure Honiglippe oder das eigenthümlich differenzirte, ventrale Perigonblatt der Orchideenblüthe, das unpaare Blatt des inneren Blattkreises des Perigons, häufig durch besondere Grösse und Form ausgezeichnet, hier in drei Lappen Ha ecket, Generelle Morphologie. 36 562 Erklärung der Tafeln. gespalten (er,); II. das ihr entgegen gesetzte dorsale unpaare ^Blatt des äusseren Blüthenhüllblattkreises (eis); HI. zwischen diesen beiden in der Mitte die Ge- schlechtssäule (cg), gebildet aus dem öriffel, welcher mit dem einzigen entwickel- ten Staubgefässe verwachsen ist;' die beiden lateralen Staubgefässe sind ge- wöhnlich verkümmert.. In den radialen Hälften der beiden lateralen semiradialen Kreuzaxen liegen die beiden unter sich symmetrisch -gleichen lateral- dorsalen Blätter des inneren Perigoublattkreises (crjundcrg). In den interradialen Hälf- ten derselben liegen die beiden, unter sich symmetrisch-gleichen, lateral-ventralen Blätter des äusseren Blattkreises der BliithenhüUe (cij und cii). Es besteht also das äussere (untere) Metamer des Perigons aus drei interradialen, das iunere (obere) Metamer desselben aus drei radialen Blättern. Von den drei Antimeren, aus denen die Orchis-Blüthe besteht, ist das unpaare ventrale Antimer (ciiijund cr^ij) eudipleurisch, und besteht aus zwei symmetrisch-gleichen Parameren {ciii\ und er, ij). Dagegen sind die beiden dorsalen Antimeren dysdipleure, aus zwei negativ - ähnlichen Parameren zusammengesetzt. Das rechte dorsale Antimer (cijrjm) ist symmetrisch - gleich dem linken dorsalen Antimer (ci, rgn). Die Hälfte des sechsseitigen amphithecten Polygons, welches die Basis der Orchis- Form bildet, ist nr3r,r2m. Wir erhalten dieselbe sowohl an der zusammenge- klappten Orchideenblüthe (wie in der Figur) als an der geöffneten Blüthe da- durch, dass wir die Endpunkte der radialen Kreuzaxenhälften unter einander und mit den beiden Polen der idealen Laterälaxe (mn) durch Linien verbinden. III. Pyramidale Grundformen mit fünf Antimeren oder Parameren. (Promorphae heteropolae pentarithmae). Fig. 6. Ophiura-Form, Typus der Pentactinoten, erläutert durch den Grundriss einer regulären pentandrischen Dicotyledonen -Blüthe (z. B. einer Primulacee oder Silenee). Slereomefriaihe Grundform: Fünfseitige regu- läre Pyramide (vergl. p. 473\ Es sind die differeuzirten ißlattorgane von vier Metameren (Blattkreisen der Blüthe) dargestellt, deren jedes einem unentwickel- ten Stengelgliede mit füaf congruenten Blättern entspricht. In den interradialen Hälften der fünf semiradialen Kreuzebenen (ci) liegen die Blätter von zwei Metameren : nämlich I. aussen von den Kelchblättern, H. innen von den Frucht- blättern (cij— cig). In den radialen Hälften der semiradialen Kreuzebenen da- gegen (er) liegen die Blätter der beiden mit jenen alternirenden Metameren, nämlich I. aussen von den zweispaltigen Kronenblättern, und H. innen von den Staubblättern (er,— crj). Die 5 congruenten Antimeren, welche die homostaure Blüthe der fünfzähligen Dicotyledonen mit „regulärer Blüthe" zusammensetzen, sind gleichschenkelige Pyramiden (I. ciir,i2 — V. cigrsi,). Jedes eudipleure Antimer ist aus zwei congruenten dysdipleuren Parameren zusammengesetzt. Das reguläre Fünfeck, welches die Basis der Pentactinoten-Pyramide bildet, er- halten wir dadurch, dass wir die zehn Endpunkte entweder der radialen oder der interradialen Kreuzaxen durch Linien verbinden. Fig. 7. Spatangus-Form, Typus der Pentamphipleuren, erläutert durch den Grundriss eines Chjpcaster (obere Hälfte der Figur) und einer Schmet- terlingsblüthe (untere Hälfte der Figur). Stereomelrische Grundform: Hälfte einer zehnseitigen amphithecten Pyramide (vergl. p. 502}. Die beiden Grundformen sind so zusammengelegt, dass ihre Medianebenen zusammenfallen, und dass beide zusammen die Basis der ganzen zehnseitigen amphithecten Pyra- mide vor Augen stellen. Die Dorsoventralaxe derselben ist er,, die gemein- Erklärung der Tafeln. 563 schaftliche Halbirungsebene m n. Die entsprechenden, gegenständigen und con- gTuenten Ecken sind in beiden Hälften durch die gleichen Buchstaben (rj— rg) bezeichnet. In der unteren Hälfte der Figur ist die Legaminosen-Blüthe (wie die Orchideeublüthe iu Fig. 5) derartig dorsoventral zusammengedrückt, dass die Grundform noch die ursprüngliche Halbirungsform der zehnseitigen amphithecten Pyramide darstellt. Die Pyi-amidenspitze steht also hier noch senkrecht über der Mitte der Basis. In der oberen Hälfte der Figur dagegen ist die Olypeaster- Form ebenso dargestellt wie die Oculina-Form in Fig. 3, d. h. die ursprüngliche Spitze der halbii-ten zehnseitigen amphithecten Pyramide ist nach der Mitte der Pyramiden-Hälfte gerückt, so dass sie nicht mehr senkrecht über der Mitte der Basis steht. Die gegenseitigen Verhältnisse der Pole und Axen werden durch diese Fortbewegung der Pyi-amiden-Spitze und der Hauptaxe in der Medianebene nicht verändert, bleiben vielmehr in beiden Fällen dieselben, und gerade zur Er- läuterung dieses Verhältnisses soll die Figur dienen. Wii- können also an der halbirten amphithecten Pyramide die Hauptaxe (Längsaxe) in der Medianebene nach dem Rückenpole oder nach dem Bauchpole der Dorsoventralaxe (r,ij ver- schieben, ohne dass der bestimmende promorphologische Oharacter der Grund- form dadurch geändert wird. Die Leguminosenblüthe, welche in der untern Hälfte der Figur zusammengeklappt ist, würde auseinander gelegt dieselben Verhältnisse wie der Clypeaster in der ob ern Hälfte der Figur zeigen. In bei- den Fällen ist der pentamphipleure Körper aus fünf Antimeren zusammengesetzt, von denen das mittlere unpaare und ventrale (r^ii) eudipleurisch und aus zwei symmetrisch-gleichen dysdipleuren Parameren zusammengesetzt ist, während die beiden lateralen Antimeren - Paare dysdipleure sind, und unter sich paarweise symmetrisch -gleich. Das ventrale unpaare Blumenblatt der Papilionacee, welches gewöhnlich viel grösser ist, als die 4 anderen, wird hier die Fahne (vexillum) genannt, und entspricht dem ventralen (sogenannten „vorderen") Ambulacrum des Clypeaster (crj). Die beiden lateralen Blumenblätter der ersteren, (crjundcrg), welche den beiden seitlichen Ambulacren des letzteren entsprechen, heissen Flügel (alae). Endlich sind die beiden dorsalen Blumenblätter der Leguminose, welche den dorsalen (sogenannten hinteren) Ambulacren des Clypeaster correspon- diren, und welche hier seitlich auseinander gelegt sind (crj und crj gewöhnlich in der Mitte zu dem sogenannten Kiel oder Kahn (carina) verwachsen. In den fünf Interradien (cii— cig) liegen bei den Clypeastern und Spatangen die fünf Nähte zwischen den interambulacralen paarigen Plattenreih^n , bei den Blüthen der Leguminosen, Violaceen etc. dagegen die fünf Kelchblätter. Es ist mithin von den fünf Antimeren des pentamphipleuren Körpers bloss das unpaare ventrale eudipleurisch (ci^riia). Das rechte laterale Antimer (cijraia) ist symmetrisch- gleich dem linken (ciiTgig) und das rechte dorsale Antimer (cisrgii) ist gleich dem linken dorsalen (ci5r4i4. Die beiden letzteren stossen in der dorsalen Mit- tellinie zusammen {ci^). Nur durch die Medianebene wird der Körper in zwei symmetrisch -gleiche Hälften zerlegt. Dass die Grundform der Pentamphipleuren In der That die Hälfte der zehnseitigen amphithecten Pyramide ist, würde noch deutlicher hervortreten, wenn statt des Clypeaster in der oberen Hälfte der Figur die Leguminosen - Blüthe der unteren Hälfte wiederholt wäre. Dasselbe wird klar, wenn man zwei gleiche Clypeaster mit ihren dorsalen (und zugleich analen) Enden vereinigt. 36* 564 Erklärung der Tafeln. IV. Pyramidale Grundformen mit acht Antimeren oder Parameren. (Promorphae heteropolae octar ithmae.) Fig. 8. Bucharis-Form, Typus der Octaphragmen, erläutert durch den Grundriss einer Otenophore. Stercomeirische Grundform: Achtseitige amphithecte Pyramide (vergl, p. 482). Der ganze Körper besteht aus acht dysdipleuren Antimeren, von denen je 2 gegenüberstehende congruent sind. Alle acht Kreuzaxen sind gleichpolig, zur Hälfte radial, zur Hälfte interradial. Ebenso sind die beiden idealen Kreuzaxen oder Richtaxen gleichpolig, unter sich aber beide verschieden. Beide fallen bei den Ctenophoren allgemein mit 2 inter- radialen Kreuzebenen zusammen. In der interradialen Dorsoventralebene oder der Sagittalebene (iiis) liegt der lauge spaltenförmige Mund. In der inter- radialen Lateralebene (igh) liegen die beiden Tentakeln oder Senkfäden und die Taschen, in welche dieselben zurückgezogen werden können, ferner auch die beiden Hauptstämme des Gastrovascularsystems , welche sich alsbald jederseits in 4 Oanäle spalten, die zu den 8 VYimperrippeü oder Meridiaureiheu von Wim- perblättern gehen. Diese liegen in den 4 radialen Kreuzebenen. Wir können mithin allgemein die sehr characteristische und iustructive Topogi-aphie des Ctenophoren-Körpers folgendermaassen feststellen: I. der Mund, am Oralpol der Längsaxe gelegen, ist ein langer und schmaler, dorsoventraler Spalt, mit einem ventralen (ii) und einem dorsalen üs) Winkel, einer rechten und linken Wandfläche. Von den beiden Mundlappen oder Mundschirmeu ist der eine dor- sal (Lj), der andere ventral (Li\ II. Der Trichter, am Aboraipol der Längs- axe gelegen, ist ebenso wie der Mund lateral comprimirt; seine eine Ausmün- dungsöffming liegt auf der Bauchseite, seine andere auf der Rückenseite. HL Die beiden Hauptstänime des Gastrovascularsystems, ein rechter (Kj) und ein linker (Kj) verlaufen in der Lateralebene (iai^). IV. Die beiden Tentakeln oder Senk- fäden und ihre Taschen, ein rechter vxnd ein linker, verlaufen ebenfalls in der Lateralebeue; der eine Tentakel tritt am rechten (is', der andere am linken Pol hervor u^}. V. Die acht Radialcanäle und die acht Wimperrippeu, welche in den 4 radialen Kreuzebenen liegen, unterscheiden wir folgendermaassen: 1. der rechte Ventralcanal i,ci\\ 2. Der rechte Ventrolateralcanal (crj . 3. Der rechte Dorso- lateralcanal {cva). 4. Der rechte Dorsalcanal (cr4\ 5. Der linke Dorsalcaual (crg). 6. Der linke Dorsolateralcanal {sr^}. 7. Der linke Dorso ventralcanal yCVT^. 8. Der linke Ventralcanal {ci's). Von den acht Antimeren des octaphragmen Ctenophorenkörpers ist das rechte ventrale Antimer (ciiriij) congruent dem lin- ken dorsalen .cigrsig) und ebenso das linke ventrale (ciirgis- congruent dem rechten dorsalen (ci5r4i4). Die beiden ventralen Antimeren sind unter sich symmetrisch -gleich, und ebenso die beiden dorsalen. Das rechte yentrolaterale Antimer (cijr^ia) ist congruent dem linken dorsolateralen (cigrgiT), und ebenso das linke veutrolaterale (cigr^iT) congruent dem rechten dorsolateralen (ci4r8ia"). Die beiden lateralen Antimeren jeder Seite sind unter sich symmetrisch -gleich. V. Pyramidale Grundformen mit vier Antimeren oder Parameren. (Promorphae heteropolae^tetrarithmae ). Fig. 9. Aurelia-Form, Typus der Tetractinoten, erläutert durch den Grundriss einer acraspeden Meduse. (Ebenso verhalten sich auch die absolut re- gulären vierzähligen Blüthen, z.B. von Paria). Slereomeirische Gnmdforin: Vier- seitige reguläre Pyramide. (Vergl. p. 469). Am Rande des halbkugeligeu Medusenschirms, längs dessen der Ringcanal verläuft, liegen die acht Sinnes- Erklärung der Tafeln. 565 Organe in 8 Einschnitten des Randes, 4 radiale (r,-r,) und 4 interradiale (t,-t,). In den beiden radialen Kreuzebenen (r^rj und r^r^) liegen die vier Radialcanale und Radialnerven, welche von der Peripherie des centralen Magens ausgehen. Zwischen diesen liegen die 4 dreieckigen taschenförmigen Geschlechtsorgane, welche durch die beiden interradialen Kreuzebenen halbirt werden (iiia und i^ij. Die vier -con-ruenten Antimeren, welche die Tetractinoten-Porm der meisten Medusen zusammensetzen, sind gleichschenkelige Pyramiden (1. ciir^i, - IV. ci.r^ii). Je- des Antiraer ist aus zwei congruenten, dysdipleuren Parameren zusammengesetzt. Das Quadrat, welches die Basis der tetractinoten Pyramide bildet, erhalten wir, wenn wir- die 4 Endpunkte entweder der radialen oder der interradialen Kreuz- axen durch Linien verbinden. - . ^ a Fig 10 Saphenia-Form, Typus der Tetraphragmen, erläutert durch den Grundriss einer dinemen Meduse {Saphenia dinema, Sfomotoca dinema, Pinncia dinema etc.). Stereometrische Grundform: Rhomben - Pyramide mit vier Antimeren (Vergl. p. 489}. Dieselbe Grundform ist auch in der Gruci- feren-Blüthe ausgesprochen. Alle 4 Kreuzaxen sind gleichpolig. Die beiden radialen Kreuzaxen, in welchen die 4 Radialcanale verlaufen, sind in eine dorso- ventrale und eine laterale Richtaxe differenzirt, indem an den Polen der letzteren zwei lange Tentakeln, ein rechter (r,) und ein linker (r,) entwickelt sind welche dem ventralen Pole (r,) und dem dorsalen Pole (1-3) der «^S^ttalen Richtaxe fehlen Nur durch diese beiden Tentakeln (bei den Oruciferenbluthen durch die beiden allein entwickelten Staubfäden des äusseren Staubblattkreises und durch . die beiden Carpelle) wird die Tetraphragmen-Form bestimmt, welche im Uebri- ffen völlig tetractinot sein kann. Die 4 Genitalien liegen bei den craspedoten Medusen radial (bei der Oceanide Saphenia in den 4 Magenwänden (das Kreuz in der Mitte bildend), während sie bei den Acraspeden, (Fig. 9) interradial lie- fen Durch jede der beiden Richtebenen zerfällt der Tetraphragmen -Korper in zwei congruente Hälften. Die 4 Antimeren des Körpers sind eudipleure jedes aus 2 dysdipleuren Parameren zusammengesetzt. Das ventrale Antimer {cy,h) ist congruent dem dorsalen {cw,); ebenso ist das rechte Antimer {cv,i,) congruent dem linken (ci,r,i,). Die Basis der tetraphragmen Pyramide ist der ""'^tl^'p-ya-Form, Typus der radialen Eutetrap leur en er- läutert durch den Grundriss einer Rc.ed«-Blüthe. Stereomemsche Grundform: ^ Doppeltgleichschenkelige Pyramide (vergl. p. 513). Diese be Grundform ist in den genitalen Schwimmglocken von Praya ma.ima und S«^™- glocken anderer Diphyiden verkörpert. Die beiden Richtebenen o^er Jea en Kreuzebenen fallen mit zwei radialen Kreuzebenen zusammen (r^ra undr.rj. Nur d e laterale radiale Kreuzaxe (r.r,) ist gleichpolig. Die 3 -^7° f^^" axen sind ungleichpolig. In der Medianebene {v.v,) liegt I. das ventrale Blumen- uZ mL und zw'eispaltig (er, und II. ihr gegenüber das clorsale B umen^^^^^^^^^ gros^ und sechsspaltig (er,). Diese beiden sind «^^^P^^^''^ .^^J%';j^^j;j;,t ebene dagegen (r,r,) liegen die beiden dysdipleuren, 2 gleichen, dreispaltigen lateralen Blumenblätter, das / .'^^^^^^^^./^ (er ) In den beiden interradialen Kreuzebenen (i.is und i.i^^ legen die 4 Kelch bläL und die 4 Fruchtblätter. Von diesen sind die beiden kleinei-en ventralen untt s^^h symmetrisch-gleich, und ebenso die beiden grösseren orsale^ d^ gegen sind die beiden rechten unter sich bloss positiv ^^^^^'^f '/""l^f.'^'rj^^ befden linken. Das rechte dorsale (ci«) ist dem linken -nt^a^en Cci ) negativ ähnlich, und ebenso das linke dorsale (ci,) dem rechten ventralen (ci,). 566 Erklärung der Tafeln. den 4 Antimeren ist das ventrale (ci,r,i,) dem dorsalen (cw,) bloss ähnlich Dagegen ist das rechte Antimer (ci,r,i3)' dem linken (ci,r,ij symmetrisch-gl.ich Die Grundform der radialen Butetrapleuren ist die doppeltgleichschenkelige Pyramide d. h. eine vierseitige Pyramide, deren Basis (r,r,r3r,) aus zwei mit den (Grundlinien vereinigten ungleichen gleichschenkeligen Dreiecken zusammen gesetzt ist (r^r^raundrirsi-j). Wir erhalten dieselbe dadurch, dass wir die End punkte der beiden radialen Kreuzaxen durch Linien verbinden. Wenn wir da gegen die Endpunkte der beiden .interradialen Kreuzaxen durch Linien verbinden erhalten wir ein Antiparallelogramm (i^iM, die Basis der interradialen Eute' trapleuren-Form (ebenso auch durch die Construction von rjmnr^). Fig. 12. Nereis-Form, Typus der interradialen Butetrapleuren erläutert durch den Grundriss (Querschnitt) eines Annelids. Slfreometrisch'e Grundform: Antiparellelogramm-Pyramide (vgl. p. 515). Dieselbe Grund- form ist m den Blüthen von Iberis ausgesprochen. Die beiden Richtebenen oder idealen Kreuzebenen fallen mit zwei interradialen Kreuzebenen zusammen (iiigundi^i^). Von den vier Kreuzaxen sind drei ungleichpolig. Die Medianebene (i.i ) theilt den Körper in 2 symmetrisch -gleiche, die Lateralebene dagegen in 2 ungleiche Hälften. In der ersteren liegt bei den Anneliden ventral das Bauch- gefass, dorsal das Rückengefäss; in der letzteren liegen die beiden Seitenge- fasse (rechtes und linkes). Die Querschnitte dieser 4 longitudinalen Blut-efäss- stamme sind in der Figur durch vier kleine Rhomben angedeutet, welche un- mittelbar den vier interradialeu Längsfurcheu des centralen, weiten (auf dem (Querschnitt rundlichen) Darmcanals anliegen. Bei den Blüthen von Iheris liegen in den vier interradialen Ebenen die vier Kelchblätter. In jedem der vier Anti- meren wiederholen sich dieselben Theile, nämlich bei den Anneliden ein Fuss- stummel (pes, parapodium) nebst zugehörigen Tlieilen, einer Nadel und einem Borstenbundel und zwei Girren, ferner zwei Muskelgruppen und zwei halbe Ge- fasssegmente. Bei den Iberis- Blüthen kommt auf jedes Antimer ein Blumen- blatt und 1> Staubgefässe. Von den vier Antimeren sind die beiden ventralen unter sich symmetrisch -gleich, und ebenso die beiden dorsalen. Dagegen sind die beiden rechten unter sich bloss positiv ähnlich, und ebenso die beiden- lin- ken. Das rechte ventrale Antimer (ci^r^i,) ist negativ ähnlich dem linken dor- salen (ci3r3ij, und ebenso das linke ventrale Antimer (ci,r,i,) dem rechten dorsalen (ci.r^ig). Die Grundform der interradialen Eutetrapleureu ist die Anti- parallelogramm-Pyramide , d. h. eine vierseitige Pyramide, deren Basis eU, Antiparallelogramm ist {v,r,v,r,). Wir erhalten dieselbe dadui-ch, dass wir die Endpunkte der beiden radialen Kreuzaxen durch Linien verbinden. Wenn wir dagegen die Endpunkte der beiden interradialen Kreuzaxen durch Linien verbmden (hw,), erhalten wir ein doppelt-gleichschenkeliges Trapez, die Basis der radialen Eutetrapleuren-Form. VI. Pyramidale Grundformen mit zwei Antimeren oder Parameren. (Promorphae heteropolae diarithmae.) Fig. 13. Petalospyris-Form, Typus der Diphragmen, erläutert dm-ch den Grundriss der Blüthe von Circaea. Steroometrische Grundform: Rhomben- Pyramide mit zwei Antimeren. (Vergl. p. 492.) Dieselbe Grundform zeigen auch alle Zygocyrtiden unter den Radiolarien, z. B. Petalospyris. Obgleich die geometrische Grundform bei den Diphragmen eben so wie bei den Tetraphrag- Erklärung der Tafeln. 567 men die Rhomben-Pyramide ist, liegt doch ein wesentlicher Unterschied zwischen Beiden darin, dass der Körper bei den letzteren aus vier, bei den ersteren da- o-eo-eu nur, aus zwei Antimeren oder Parameren zusammengesetzt ist. Es sind daher bei den Diphragmen nur zwei Kreuzaxen vorhanden, eine interradiale (iiia) und eine radiale {vi rj, von denen die erstere mit der medianen, die letztere mit der lateralen Kreuzaxe zusammenfällt. Beide Kreuzaxen sind gleichpolig. Dess- halb ist nicht allein das rechte Autimer dem linken (ijrjij) congruent, sondern auch die ventrale Körperhälfte (rii^rj) der dorsalen {ti^v^). Sowohl die beiden lateralen Hälften (Antimeren), als auch die dorsale und ventrale Hälfte sind eudipleiire; jede Hälfte ist aus zwei symmetrisch - gleichen Parameren zu- sammengesetzt, deren Grundform eine rechtwinkelige dreiseitige Pyramide ist. Ferner ist das linke ventrale Paramer (ci, rj) congruent dem rechten dorsalen (cijri), und ebenso das rechte ventrale Paramer (ciiri) congruent dem linken dorsalen {ci^T^). Wir erhalten den Ehombus , welcher die Basis der diphragmen Rhomben - Pyramide bildet, einfach dadurch, dass wir den ventralen (ij) und dorsalen Pol (ij) der Dorsoventralaxe mit dem rechten und dem linken Pol (1-2) der Lateralaxe verbinden. l?'ig. 14. Homo-Form, Typus der Eudipleuren, erläutert durch den idealen Grundriss (Querschnitt) eines Wirbelthierrumpfes. Stereometrische Grund- form: Gleichschenkelige Pyramide. (Vgl.p.521.) Dieselbe Grundform findet sich bei den meisten Blättern der Pflanzen, einigen Blüthen {Fnmnria, Corydalis), den Körpern der Gliederthiere , vieler Mollusken etc. Der Körper besteht aus zwei Antimeren oder Parameren, welche aber nur symmetrisch-gleich sind , und nicht congruent, wie bei den Diphragmen. Von den beiden Kreuzaxen ist bloss die radiale (r^r^) gleichpolig, dagegen die interradiale {iyh) ungleichpolig. Die erstere fällt mit der lateralen, die letztere mit der dorsoventralen Richtaxe zu- sammen. Durch die Medianebene wird der Körper in zwei symmetrisch -gleiche Hälften zerlegt, ein rechtes Antimer (iimi^) und ein linkes Antimer (iiuij). An beiden sind die Ansätze der rechten (rJ und der linken [v^] Extremität ange- deutet. Durch die Lateralebene wird der Körper in zwei ungleiche Hälften zer- legt, eine Bauchhälfte (rji^ri) und eine Rückenhälfte (r^mnr^). Die Längsaxe (senkrecht in dem Kreuzungspunkt von rirzundijia stehend, ist ungleichpolig, wie die Dorsoventralaxe; ihr einer Pol (Basis der gleichschenkeligen Pyramide) ist der Mundpol, ihr anderer (Spitze der Pyramide oder Stumpffläche des f'yramidenstumpfes) der Gegenmuudpol. Im Ganzen wird also die gleichschen- kelige Pyramide durch drei auf einander senki-echte Axen bestimmt , von denen eine (die Lateralaxe ri r^) gleichpolig ist, die beiden anderen (Dorsoventralaxe 1,1^ und Hauptaxe) ungleichpolig sind. Strenggenommen gehört übrigens der Mensch, wie alle anderen Wirbelthiere und die meisten Mollusken, der Dysdipleuren- Form an, wegen der ungleichen Vertheilung der Eingeweide auf beide Hälften. Streng eudipleiire sind viele Arthropoden und die Blätter der meisten Phanero- gamen. Auch das Skelet der meisten Wirbelthiere zeigt die reine Eudipleuren- Form. Die Axe des Skelets ist in Fig. 14 durch den Wirbelkörper c ange- deutet, und den davon ausgehenden Wirbelbogen, welcher das Rückenmark s umschliesst. Durch Dj und sind die beiden dorsalen Seitenrumpfmuskeln, durch B, und Bj die rechte und linke Hälfte der Pleuroperitoneal - Höhle an- gedeutet. 568 Erklärung der Tafeln. Taf. n. Polyaxonie und honiopole Oruiidforiuen. (Bndosphaerische Polyeder und Doppel-Pyramiden). Tafel II. stellt Ansichten von polyaxonien Grundformen (endosphaerischen Polyedern) und von homopolen Grundformen (Doppel-Pyramiden) dar, theils im Grun-driss, theils in geometrischer Perspective. Die Tafel soll, wie die vorige hauptsächlich das Verhältniss der radialen, inteiTadialen und semiradialen Kreuz- axen zu einander und zu der dadurch bestimmten stereometrischen Grundform erläutern. Die maassgebenden Axen (Hauptaxe und Kreuzaxen) sind dm-ch ge- strichelte Linien angedeutet. A. Polyaxonie Grundformen. (Endosphär-polyedrische Promorphen.) . x^'^;^^;^,^^'^*''^^''''*"^^'"'' ^^P"' der Allopolygone, erläutert durch die Oberflachenansicht einer llhizosphaem (Monographie der Eadiolarien, Taf. XXV). Stereometrisvhe Grundform: Irreguläres endosphärisches Polyeder mit ungleichvieleckigen Seiten (vergl. p. 408). Es ist bloss die obere, dem Beobachter zugewandte Fläche der kieseligen Gitterkugel dargestellt. Die allopolygone arrhythme Polyaxon-Form der endosphaerischen Kieselschaale ist schon aus der irregulären BeschaflPenheit der ungleichen poly- gonalen Gittermascheu ersichtlich, tritt aber noch deutlicher hervor, wenn man die Spitzen der radialen, gleich langen Kieselstacheln durch Linien verbindet, und durch diese Linien Ebenen legt. Fig. 16. Bthmosphaera-Form, Typus der Isopolygone, erläutert durch die Oberflächen- Ansicht der Ethmosphaera siphonophora (Eadiolarien, Taf. XI. Flg. 1). Stereometrische Grundform: Irreguläres endosphärisches Polyeder Erklärung der Tafeln. 569 mit gleichvieleckigen Seiten (vergl. p. 409). Es ist bloss die obere, dem Beobachter zugewandte Fläche der kieseligen Gitterkugel dargestellt. Die iso- polygone arrhythme Polyaxon-Porm der endosphaerischeu Kieselschaale ist sehr rein ausgesprochen in dem regelmässigen zierlichen Netze von regulären oder subregulären, gleichen oder fast gleichen Sechsecken, welche durch die Grenz- linien der sich berührenden trichterförmigen (abgestutzt kegelförmigen) Mündungs- röbren gebildet werden, die die kreisrunden gleichen Löcher der Kieselschaale nmschliessen. Fig. 17. Aulosphaera-icosaedra-Form, Typus der regulären Ico- saeder, erläutert durch die Ansicht des Schaalengitters von Aulosphnera ico- saedra. Stereometrische Grundform: Reguläres Icosaeder (vergl. p. 411). Die obere Fläche der kieseligen Gitterkugel ist durch volle, die untere durch punktirte Linien angedeutet. Die zwölf gleich langen radialen Stacheln, welche von den zwölf Ecken oder Knotenpunkten der endosphaerischeu Kieselschaale ausgehen, sind weggelassen, und nur durch einfache Linien die dreissig gleich langen, kieseligen, cylindrischen Röhren angedeutet, welche, zu zwanzig gleichen und gleichseitigen Dreiecken verbunden, vollkommen den dreissig Kanten des regulären Icosaeders entsprechen. Fig. 18. Bucholzia-Pollen -F orm, Typus der regulären Dodecae- der, erläutert durch die Ansicht eines Pollen-Kornes von Bucholzia maritimn. Stereometrische Gr\^ndform: Reguläres Dodecaeder oder Pentagonal- Dodecaeder (vergl. p. 412). Diese Pollen-Zellen zeigen ebenso, wie diejenigen vieler anderer Phanerogamen, die stereometrische Form des Pentagonal-Dodecae- ders vollkommen rein verkörpert, indem die zwölf ebenen Grenzflächen der Zellen congruente und reguläre Fünfecke sind, welche in dreissig gleichen Kan- ten und zwanzig congruenten Ecken zusammenstossen. In der Mitte jeder Grenz- fläche befindet sich bei den Pollen-Zellen von Bucholzia maritima ein kreisrundes Loch, welches in der Figur weggelassen ist. Fig. 19. Ohara- Antheridien-F orm, Typus der regulären Octae- der, erläutert durch" die Ansicht der Schaale .eines Antheridium von Cham. Stereometrische Grundfortii: Reguläres Octaeder, die Grundform des regu- lären Krystallsystems (vergl. p. 412). Die reguläre Octaeder-Form ist klar aus- gesprochen durch die acht congruenten, gleichseitig - dreieckigen Tafelzellen, welche die rothe Hülle des kugeligen oder subsphaerischen Antheridiums bilden, und welche in zwölf gleichen Kanten und in sechs congruenten Ecken (a, b, d. e, f, g) zusammenstossen. Verbindet man je zwei Gegenecken durch eine gerade Linie, so erhält man drei gleiche, auf einander senkrechte Durchmesser oder Hauptaxen (ab = de = fg), welche sich in dem Mittelpunkte (c) des Octaeders gegenseitig halbiren. Legt man durch die paarweis gegenüberstehenden Kanten. Ebenen, so erhält man drei gleiche, auf einander senkrechte quadratische Ebe- nen (adbe = afbg=dfeg), welche durch die entsprechenden drei Haupt- axen halbirt werden und welche die ganze Schaale des Antheridium in acht con- gruente Antimeren theilen. Jedes Antimer ist eine reguläre dreiseitige Pyra- mide, deren drei congruente Seitftiflächen rechtwinkelige gleichschenkelige Drei- ecke sind (z. B. a c e ec f f c a). Strenggenommen ist übrigens das re- guläre Octaeder bloss die Grundform der Antheridien- Schaale. Die Grundform des ganzen Antheridiums ist das Quadrat - Octaeder , oder noch richtiger, die Quadrat - Pyramide , da durch den Inhalt desselben eine ungleichpolige Haupt- axe bestimmt ist. 570 Erklärung der Tafeln. Fig. 20. Actinomma-drymodes-Form, Typus der regulären Hex- aeder, erläutert durch die Ansicht der Kieselschaale von Actinomma dnjmodes oder A. asteracanthion (Ead. Taf. XXIV, Fig. 9, Taf. XXIII, Fig. 5, 6). Slereo- metriscJie Grundform: Eeguläres Hexaeder oder Würfel (vergl. p. 413) Von der kugeligen Kieselschaale, welche aus drei concentrischen, in einander ge- schachtelten und durch sechs radiale Stäbe verbundenen Gitterschaalen zusam- mengesetzt ist, zeigt die Figur bloss den Umriss der äusseren (Rinden-) Schaale. und die äusseren Verlängerungen der sechs Radialstäbe, welche in Form von sechs gleichen, sehr langen und starken Radialstacheln hervortreten. Diese lie- gen in drei gleichen, auf einander senkrechten Dvirchmessern oder Hauptaxen (a b = d e = f g) , welche vollkommen den drei Flächenaxen eines Würfels ent- sprechen und sich in dem Mittelpunkte (c) desselben gegenseitig halbiren. Legt man durch die Spitzen der sechs Radialstacheln Ebenen, welche senkrecht auf diesen stehen, so erhält man in den Linien, in welchen sich diese sechs Ebenen schneiden, die zwölf gleichen Kanten des Würfels, welche in acht congruenten Ecken zusammenßtossen (h, i, k, 1, m, n, o, p). Dm-ch die vier gleichen Diagonalen des Würfels (oder Eckenaxen), welche je zwei Gegeuecken verbinden (h p = im = kn = lo) und durch die vier gleichen rechteckigen Diagonal- Ebenen, welche man durch jene Diagonalen legen kann, wird der ganze Würfel-Körper in sechs congruente Antimeren zerlegt, deren jedes eine Quadrat-Pyramide bildet (z. B. ckl mp). Fig. 21. Corydalis-Pollen-Form, Typus, der regulären Tetraeder, erläutert durch die Ansicht eines Polleukorns von- Corydalis lutea. Stereo- metrische Grundform: Reguläres Tetraeder (vgl. p. 415). Die rundliche Pollenzelle ist durch sechs scharfe Falten eingeschnürt, welche vollkommen den sechs gleichen Kanten des regulären Tetraeders entsprechen, und welche in vier congruenten Ecken zusammenstossen. Wenn man die Halbirungspunkte der sechs Palten mit den gegenüber liegenden Berührungspunkten je dreier Falten verbindet, so erhält man vier gleiche Axen (ab = de = fg = cc), welche den vier Ecken- Axen des Tetraeders entsprechen (den Perpendikeln, die von jeder Ecke auf das Centrum der gegenständigen Fläche gefällt werden können). Die Figur zeigt die gleichseitig-dreieckige Fläche (dfb) des Tetraeders, welches hier- durch bestimmt wird Die vier congruenten Parameren, welche durch die sechs Falten äusserlich abgegränzt werden , und welche im Centrum (c) zusammen- stossen, sind reguläre dreiseitige Pyi'amiden. Fig. 22. Rhaphidozoum-Spicula-Form, ebenfalls der Grundform des regulären Tetraeders angehörig, erläutert durch die Ansicht einer vier- schenkeligen Kieselnadel von Rhaphidozoum nciiferum (Rad. Taf. XXXII, Fig. 9—11). (Vergl. p. 416). Die vier gleichen Schenkel, welche diese Kiesel- nadeln zusammensetzen (ca = cb=cd = ce), und welche in einem Punkte (c) unter gleichen Winkeln zusammenstossen, entsprechen vollständig den Flä- chenaxen des regulären Tetraeders (den Pei'pendikelu, die vom Mittelpunkt des Tetraeders auf das Centrum jeder Fläche gefüllt werden können). Wenn man durch die Spitzen der vier Kieselschenkel Eirenen legt, welche auf diesen senk- recht stehen, so entsprechen die sechs gleichen Linien, in denen sich diese Ebenen schneiden, den sechs gleichen Kanten des regulären Tetraeders (fg = fh = gh = gi = hi = if). Erklärung der Tafeln. 571 B. Uoiuopole (jruadformeii. (Diplo-pyramidale Promorphen. ) Fig. 23 — 26. Isoalaure Griindf orme n. (Eeguläre Doppel -Pyramiden). Fig. 23. Heliodiscns-Form, Typus der polypleuren Isostauren, erläutert durch die Ansicht eines Pollenkorns von einer Fnssiftorn. Stereo- metrische Grundform: Reguläre Doppelpyramide mit 6 oder 8 + 2nSeiten (vergl. p. 438). Die Pollenzelle von Passiflora zeigt die specielle Isostauren-Form der zwölfseitigen regulären Doppelpyramide. Das Pollenkorn ist ellipsoidisch- an den beiden Polen der gleichpoligen Hauptaxe (mn) nabeiförmig vertieft und von sechs gleichen, gleich weit von einander abstehenden Längsfurchen durch- zogen, welche wie Meridiane von einem Pol zum anderen ziehen. In der (aequa- torialen) Mitte jeder Längsfurche befindet sich ein grosses lanzettförmiges Operculum. Wenn man die Mittelpunkte der Opercula je zweier gegenüberlie- gender Furchen durch grade Linien verbindet, so erhält man drei gleiche, unter Winkeln von 60" im Oentrum des Pollenkorns (c) sich schneidende Kreuzaxen, welche sich gegenseitig \albiren und zugleich senkrecht auf dem Halbirungs- punkte der Hauptaxe stehen (d e = f g = h i). In Fig. 23 sind sowohl die drei gleichen Kreuzaxen als auch die Hauptaxe nach beiden Polen hin gleichmässig verlängert, der Deutlichkeit halber. Wenh man die benachbarten Pole der Kreuz- axen durch Linien verbindet, so erhält man ein reguläres Sechseck (^dfhegi), und wenn man dessen Ecken mit beiden Polen der Hauptaxe (ab) verbindet, er- hält man die zwölfseitige reguläre Doppelpyramide oder das Hexagonal-Do- decaeder, welches zugleich die Grundform des hexagonalen Krystall- systems ist (Isostaura dodecapleura). Fig. 24. Heliodiscus-Form, Typus der polypleuren Isostauren, erläutert durch die Ansicht des Kieselskelets von Prismatium tripleurnm (Rad. Taf. IV, Fig. 16). Stereometrische Grundform: Reguläre Doppelpyramide mitB oder 8-}-2nSeiten (vgl. p. 438). Dieses Eadiolar zeigt die specielle Isostau- ren-Form der sechsseitigen regulären Doppelpyramide, welche auch unter den Pollenzellen verbreitet ist. Die neun Kieselstäbe, welche das Skelet zusammen- setzen, sind so mit einander verbunden, dass sie den neun Kanten des dreisei- tigen regulären Prisma entsprechen. Von jeder der sechs Ecken desselben geht ein kurzer radialer Stachel aus. Wenn man die Halb irungs -Punkte der drei Prisma-Kanten durch Linien verbindet und durch diese eine Ebene legt, so ist diese Aequatorial- Ebene ein gleichseitiges Dreieck (dgh), gleich den beiden parallelen Grundflächen des Prisma. Die drei Kreuzaxen (d e, g f, h i) , welche sich im Mittelpunkt (c) unter Winkeln von 60" schneiden, gehen vom Mittelpunkt jeder Prismakante zum Centrum der Gegenseite. Wenn mau die Halbirungs- punkte der Prismakanten mit den beiden gleichen Polen der gleichmässig nach beiden Polen hin verlängerten Hauptaxe (a b) verbindet und durch diese Ver- bindungslinien Ebenen legt, erhält man die sechsseitige reguläre Doppel-Pyra- mide (Isostaura hexapleura). Fig. 25. Acanthostaurus - F orm, Typus der octopleureu Iso- stauren, erläutert durch den Grundriss von Desmidium (imdrnngulatum. Stereo- metrische Grundform: Quadrat-0 ctaeder (vergl. p. 440). Die Figur zeigt ein 572 Erklärung der Tafeln. einzelnes Individuum (Plastide) der Desmidium-Kette , von der Fläche gesehen. Diese Fläche ist auf beiden Seiten gleich, da die sehr verkürzte Hauptaxe gleichpolig ist. Sie entspricht zugleich der Ansicht der Aequatorialebene. Diese ist ein reguläres Quadrat (adbe). Die beiden gleichen und gleichpoligen Kreuzaxen (ab = de), welche sich im Oentrum (c) unter rechten Winkeln schnei- den, entsprechen den beiden Diagonalen des Quadrats. Da sie verschieden von der gleichpoligen Hauptaxe sind, ist die Grundform des Ganzen, das Quadrat- Octaeder, welches zugleich die Grundform des tetragonalen Krystallsystems ist. Fig. 26. Acanthostaurus - Form, Typus der octopleuren Iso- stauren, erläutert durch die schräge Ansicht des Kieselskelets von Acantho- staurus hnslatus (Rad. Taf. XIX, Fig. 5). StereomefriscTie Grundform: Quadrat- Octaeder (vergl. p. MO). Die dem Beobachter schräg zugekehrte Ecke des Quadrat-Octaeders ist der eine Pol der stachellosen Hauptaxe (mn). Die An- sicht geht schräg von oben und rechts nach unten und links. Die zwanzig ra- dialen Stacheln sind nach J. Müller's Stellungs-Gesetze vertheilt (vergl. p. 441— 445). Die vier Aequatorial-Stacheln sind mit c, die acht Tropenstacheln mit b und d (b die nördlichen, d die südlichen), die acht Polarstacheln mit a und e (a die nördlichen, e die südlichen) bezeichnet, m ist der nördliche, n der süd- liche Pol der stachellosen Hauptaxe, z deren Halbirungspunkt. Die vier star- ken Hauptstacheln (z c) entsprechen den beiden Diagonalen des Quadrats c, C2C3C4), welches die Aequatorialebene des Quadrat-Octaeders bildet; diese ist die gemeinsame Grundfläche der beiden congruenten Quadrat - Pyramiden, welche dasselbe zusammensetzen. Man braucht bloss die Spitzen der vier (äquatorialen) Hauptstacheln (c) mit den Spitzen der benachbarten Polarstacheln (a und e) zu verbinden und durch je zwei Verbindungslinien eine Ebene zu legen, um die reine Form des Quadrat-Octaeders zu erhalten. Die acht Tropen- stacheln (b und d; entsprechen den Flächenaxen desselben. Fig. 27— 29. Allostnure Grundformen. (Amphithecte Doppelpyramiden.) Fig. 27. Amphilonche-Porm, Typus der p olypleuren Allostaure n, erläutert durch die schräge Ansicht des Kieselskelets von Ampbilonche cnmplanata (Rad. Taf. XVI, Fig. 3). Stereometrischc Grundform: Amphithecte Doppel- pyramide mit sechs oder 8 + 2nSeiten (vergl. p. 447). Das Kieselskelet von Amphilonche zeigt die specielle Allostauren-Form der sechszehnseitigen amphithecten Doppelpyramide. Man erhält dieselbe einfach dadurch, dass man die Spitzen der zwanzig kieseligen Radialstacheln durch Linien mit einander verbindet und durch je zwei Verbindungslinien eine Ebene legt. Die acht Po- larstacheln, welche mit den vier äquatorialen Hauptstacheln in denselben beiden Meridian-Ebenen liegen, sind weggelassen, um die schwierigen Formverhältnisse der Figur nicht noch mehr zu compliciren. Die stachellose Hauptaxe (ab), um welche die zwanzig Radialstacheln nach J. Müller's Stellungsgesetze gruppirt sind, steht in der Figur fast vertical, doch so geneigt, dass die Ansicht schräg von oben und rechts nach unten und links geht. Die dem Beobachter schräg zugekehrte Ecke (f) ist der eine Pol der Lateralaxe (f g), welche durch den rech- ten (c f) und linken (c g) Aequatorialstachel bestimmt ist. Diese beiden Stacheln sind nicht von den sechszehn kleineren Stacheln verschieden. Dagegen ist die Sagittalaxe (d e) dur<;Ti zwei viel grössere und stärkere Stacheln ausge- Erklärung der Tafeln. 573 zeichnet, den dorsalen (c d) und den ventralen (ce). Diese sind oft auch durch ihre Form wesentlich von den 18 kleineren Stacheln verschieden. Das amphi- thecte Polygon, welches die gemeinsame Basis der beiden congruenten amphi- thecten Pyramiden bildet, ist achtseitig (dhfkeigl). Von den vier radialen (realen) Kreuzebenen fallen zwei mit den beiden idealen Kreuzebenen (.Richt- ebenen) zusammen. Die erste radiale Kreuzebene (a d b e), welche mit der Meri- dianebene oder der sagittalen Richtebene zusammenfällt, wird durch die stachel- lose Hauptaxe (ab) und die Dorsoventralaxe (de) bestimmt; die zweite radiale Kreuzebene (afbg), welche mit der lateralen Richtebeue zusammenfällt, durch die Hauptaxe (ab) und die Lateralaxe (gf). Die dritte radiale Kreuzebene (ahbi) wird durch die vier Tropenstacheln des rechten dorsalen (cn und cm) und linken ventralen (es und et) Körperquadranten bestimmt; die vierte radiale Kreuzebene (albk) durch die vier Tropenstacheln des linken dorsalen (er und c o) und rechten ventralen (c q und c p) Körperquadranten. Von den vier Quadranten des Körpers, welche durch die beiden auf einander senkrechten Richtaxen geschieden werden, ist de, rechte dorsale Quadrant (abfhd) con- gi-uent dem linken ventralen (ab eig), und ebenso ist der linke dorsale Quadrant (abdlg) congruent dem rechten ve'ntralen (abekf). Die beiden linken Qua- dranten sind unter sich symmetrisch-gleich und ebenso die beiden rechten. - Fig. 28. Amphilonche-Form, Typus d er polypleuren Allo stauren, erläutert durch die schräge Ansicht eines Polleukorns einer Labiate (Satureja). Stereometrische Grundform: Amphithecte Doppelpyramide mit sechs oder 8 + 2nSeiten'(vergl. p. 447). Das Pollenkorn der Satureja, wie vieler anderer Labiaten, zeigt die specielle Allostauren -Form der zwölfseitigen amphithecten Doppelpyramide. Dasselbe ist elliptisch, mit sechs Längsfurchen versehen, welche von einem Pole der Hauptaxe (a b) zum anderen herablaufen. Zugleich ist es von zwei entgegengesetzten Seiten her zusammengedrückt, so dass zwei ungleiche Richtaxen deutlich hervortreten. Mithin sind drei auf ein- ander senkrechte, ungleiche, aber gleichpolige Axen, leicht erkennbar. Die eine Richtebene (adbe) ist radial und fällt mit der ersten realen Kreuzebene zu- sammen. Die andere Richtebene dagegen ist interradial und fällt zwischen die beiden anderen realen Kreuzebenen (a f b g und a h b i) mitten hinein. Die bei- den realen radialen Kreuzaxen (f g und h i) welche durch die interradiale ideale Kreuzaxe geschieden werden, sind unter sich gleich, aber verschieden von der dritten realen radialen Kreuzaxe, (d e) welche mit der radialen idealen Kreuz- axe zusammenfällt. Das sechsseitige amphithecte Polygon, welches für die bei- den congraenten sechsseitigen amphithecten Pyramiden die gemeinschaftliche Basis bildet, fällt mit der Aequatorialebene des >Pollenkorns zusammen. Von den sechs Parameren der Pollenzellen sind die vier kleineren unter sich gleich, aber verschieden von den beiden grösseren, unter sich congruenten, welche durch die radiale Richtebene halbirt werden (adbif— aebhg). Fig. 29. Stephanastrum-Form, Typus der octopleuren Allostau- ren, erläutert durch den Grundriss eines Euaslrum. Stereometrische Grund- form: Rhomben-Octaeder (vergl. p. 450). Die Figur zeigt ein einfaches Euaslrum, von der Fläche gesehen. Diese Fläche ist auf beiden Seiten gleich, da die sehr verkürzte Hauptaxe gleichpolig ist. Sie entspricht zugleich der An- sicht der Aequatorialebene. Diese ist ein Rhombus (adbe). Die beiden Dia- gonalen des Rhombus (ab und de), welche sich im Cöntrumjc) unter rechten Winkeln schneiden, sind die beiden ungleichen, gleichpoligen Richtaxen. 574 Erklärung der Tafeln. Fig. 30. Stephanastrura - Form, Typus der octopleuren Allo- stauren, erläutert durch die schräge Ansicht von Stephnnastrum rhomhus (vgl. Haeckel, Monographie der ßadiolarien p. 502). Stereometrische Grundform: Rhomben-Octaeder (vgl. p. 451). Das Kieselskelet dieses ßadiolars, welches die Figur darstellt, besteht aus zwei rechtwinkelig gekreuzten, ungleich langen Stäben von kieseligem Schwammwerke (ab und de), welche sich gegenseitig hal- biren und den beiden Diagonalen eines Rhombus entsprechen. Die vier Seiten des Rhombus (ad = db = be = ea) sind durch vier ähnliche Stäbe dargestellt, welche die vier Spitzen jener verbinden. Wenn man die sehr verkürzte Haupt- axe fg) gleichmässig nach beiden Polen hin verlängert und ihre Pole mit denen der beiden Richtayen (a b und d e) verbindet, so erhält man das Rhomben-Octae- der, die Grundform des rhombischen Krystallsystems. ) s