r Physiologie des Menschen und der Säugethiere von Professor Dr. Ren6 du Bois-Reymond, Abtlieilungs -Vorsteher am Physiologischen lnstitiit~Trcr Universität /.n Berlin. Mit 122 Textfiguren. Berlin 1908. Verlag von August Hirschwald, NW. Unter den Linden 68, Alle Rechte vorbehalten. *t.»r»i. • AT« Meinem verehrten Lehrer Hermann Mun in Dankbarkeit gewidmet. Digitized by the Internet Archive in 2015 https://archive.org/details/b24756507 Verehrter Herr Geheimrath! „Für die vergriffene letzte Auflage des Lehrbuches von Immanuel Münk einen Ersatz zu schaffen, und zwar nicht nur in Form einer Bearbeitung, sondern als ein neues Ganzes", ist die Aufgabe, die mir die Hirschwald'sche Buchhandlung gestellt hat. Wie die erste Ausgabe des alten, so sollte auch das neue Buch den Inhalt eines Collegs über die gesammte Physiologie darstellen, und als Muster wurde mir Ihre Vorlesung bezeichnet. Wenn ich an Kürze und Einheitlichkeit weder dies Muster noch die ursprüng- liche Form des alten Werkes habe orreichen können, so möge mir als Entschuldigung dienen, dass zwischen einem Buch und einer Vorlesung ein sehr grosser Unterschied ist, und dass sich Gredanken- gang und Anschauungsweise einem gegebenen Vorbilde nicht immer völlig anpassen. Ich habe mich vor allem bemüht, der Weisung so treu wie möglich zu folgen, die Sie mir beim Beginn der Arbeit ertheilten. „An Büchern", so sagten Sie, „aus denen der an- gehende Physiologe sich über die Thatsachen seiner Wissenschaft unterrichten kann, ist heutzutage kein Mangel. Versuchen Sie aber eins zu schreiben, das den Leser in den Anschauungskreis der physiologischen Wissenschaft einführt und ihn auf den Zu- sammenhang der physiologischen Vorgänge hinweist. Gelingt Ihnen das, so brauchen Sie sich nicht zu grämen, wenn in Ihrem Buche Angaben fehlen sollten, die in anderen enthalten sind". Der alte Brauch der Widmung ist also in diesem Fall keine leere VI Widmung. Form, und es wird mir zur grösstcn Freude gereichen, wenn meine Arbeit zu Ihrer Zufriedenheit ausgefallen ist. Ausser den Angaben aus Ihrer Vorlesung und aus dem Lehr- buche von Immanuel Münk hat mir als Hülfsmittel vor allem Ellenberger's Vergleichende Physiologie gedient. Ich darf auch nicht unerwähnt lassen, dass mehrere Fachgenossen mich mit grösster Zuvorkommenheit bei der Bearbeitung einzelner Abschnitte unterstützt haben, und dass ich ihnen, sowie dem Herrn Verleger, zu grösstem Danke verpflichtet bin. Berlin, im October 1907. Rene du Bois-Reymoiid. Inhaltsverzeichniss. Erster Theil. Der Stoffwechsel. Seite Bedeutung des Stoffwechsels im Allgemeinen. Vermittlung des Stoff- wechsels durch den Blutkreislauf 1— 5 1. Das Blut. Farbe des Blutes. Grösse der rothen Kürperchen. Ihre Form. Ihre Zahl. Blutmenge. Weisse Blutkörperchen. Blutplättchen. Chemie der rothen Blutkörperchen. Eiweisskörper. Farbreactionen. Eintheilung. Häraomctcr. Blutmcngc. Bestandtheile der rothen Körperchen. Blutplasma. Reaction des Blutes. Concentration.' Gefrierpunkt. Gerinnung. Cytolyse und Präcipitinreaction. Quellung und Schrumpfung. Cytolyse. Präcipitinreaction. Immunität 5 — 34 2. Der Blutkreislauf. Einfacher und doppelter Kreislauf • 34—36 Das Herz. Das Herz als Pumpwerk. Sein Bau. Formänderung. Klappen. Segelklappen. Taschenklappen. Herzstoss. Graphische Methode. Cardiographic. Herztöne. Rhythmus. Herzpause. Schlag- volum. Frequenz. Ilerzarbeit 36 — 53 Die Bewegung des Blutes. Gefässsystem. "Wasserdruck. Ausströmungs- vorgang. Strömung in Röhren. Capillaren. Beziehungen zwischen Druck, Widerstand und Geschwindigkeit in starren Röhren. Elastische Röhren. Windkessel. Dehnung der Arterien. Undulatorische Bewe- gung. Pulswelle. Pulsschlag. Sphygmographie. Venenpuls. Blutdruck. Manometer. Druckcurve. I)ruck an verschiedenen Stellen des Gefäss- systems. Einiluss der Arterienwand. Druck in Capillaren und Venen. Stromgeschwindigkeit. Messung der Geschwindigkeit. Stromgeschwindigkeit in Capillaren. Axenfaden. Kreislaufzeit. Herzarbeit. Vasomotoren. Plethysmograph. Kreislauf in einzelnen Organen. Wundernetze 54 — 82 3. Die Athmung. Die clieniisclien Vorgänge. Gaswechsel. Zusammensetzung der Luft. Luftfeuchtigkeit. Ausathmungsluft. Athmungsapparate. Grösse des Gaswechscls. Einfluss von Muskelarbeit, Respiratorischer Quotient. Blutgase. Gasabsorption. Bestimmung der Blutgase. vm Inhalts verzoichniss. Seite- Art der Bindung. Gaswechsel in den Lungen. Gaswechsel im Gewebe. Athmung unter besonderen Bedingungen 82 — 115 Mechanik der Atlininiig. Zweck der Atlimung. Einsaugen der Luft. Widerstand der Luftwege. Lungengewebe. Lungenelasticität. Pleura. Atelectase. Künstliche Athmung. Atherabewegungen. Zwerchfell. Bauchpresse. Rippenbewegung. Athemgeräusche. Accessorische Athembewegungen. Athemmuskeln. Druck in der Lunge. Pneumatometer 115 — 130 Wirkung der Athmung auf den Kreislauf. Aspiration des Venen- blutes. Athemwellen der Blutdruckcurve. Lungenkreislaut. Ge- sammtkreislauf 130 — 133 Zahl und Grösse der Athemzüge. Athemfrequenz. Athemcurve. Spirometer. Athemgrösse 133 — 137 4. Die Verdauung. Hungerzustand und StofFersatz. Begriff und Wesen der Ernährung. Folgen des Mangels an Nahrung. Nahrungsstoffe. Mineral- stoffe. Gewebsbildner. Kohlehydrate. Fette. Vertretbarkeit untereinander. Milch 137—155 Verdauung. Begriff der Verdauung. Verdauungsdrüsen. Fermente. Ihre Wirkungsweise. Profermente. Verdauungscanal .... 156 — 165 Mundverdauung. Trinken. Beissen und Kauen. Speichel. Ptyalin. Menge des Speichels. Schlingact 165—171 Magenverdauung. Verrichtung des Magens. Magenfistel. Magensaft. Säurebildung. Selbstverdauung. Mechanische Thätigkeit des Ma- gens. Erbrechen. Magen des Kaninchens, des Pferdes, der Wiederkäuer 171 — 189 Darmverdauung. Galle. Pankreas. Diastase. Trypsin. Steapsin. Wirkung des Bauchspeichels. Darmsaft. Thiry'sche Fistel. Darrasatt. Wirkimg des Saftes 189—204 Mechanische Thätigkeit des Darmes. Bewegung des Dünndarms, des Dickdarms . 204-207 Gesanimtvorgang der Darniverdauung. Wechselwirkung der Ver- dauungssäfte. Fäulnissvorgänge. Reaction des Darminhalts. Dauer der Verdauung 207—213 Darmverdauung der Thiere. Grösse des Darmes. Verdauung bei Carnivoren und Herbivoren 213 -17 Ausscheidung aus dem Darm. Dcfäcation. Ausnutzung der Nahrung. _ Beschaffenheit des Kothcs 217—221 5. Die Resorption. Die hei der Resorption Avirksamen Kräfte. Hydrodiffusion. Mcm- brandilTusion. Osmotischer Druck. Grösse des osmotischen Druckes. Moleculare Concentration. Gefrierpunktserniedrigung. Dissociation in Lösungen. GolloVde. Dialyse. Quelluug und Imbibition. Os- motische Arbeit. Filtration. Transsudation. Ucbertragung der rcsorbirten Stoße in den Körper. Kohlehydrate. Eiweisskorper. Fette. Salze. Wasser 221—246 6. Interstitielle Resorption. Lymphbildung. Darmresorption, Hautrosorption, interstitielle Resorption. Gewebs- lückcn. Gewebsflüssigkeit. Lvmphe. Lymphstrom. Lymphdrusen. Resorption durch die Lymphbahn. Resorption durch die Blutbahn. Ursache der Resorption. Filtrationstheoric. Secretionstheoric. Hautresorption Inhaltsverzeichniss. LX Seite 7. Das Blut als Vermittler des inneren Stoffwechsels. Erneucrun- des Blutes. Untergang der rothen Korpei-chen. Neu- \mam der rothen Körperchen. Höhenklima. Untergang der w isscn Körperchen. Ersatz der weissen Körperchen Veränderung Je Blutls durch Drüsen. Innere Secretion. Schilddruse. Organ- SrSie Hypophysis. Nebennieren. Pankreas. Geschlechts- drüsen. Castration Verriclitaiizeii der Leber. Kreislauf der Leber. Glycogenbereitung. TucSildung. Harnstollbereitung. Entgiftende Wirkung. Zu- saramcnfassung 8. Die Excretion. 279—280 Ausscheidung im Allgemeinen • Der Harn. Abhängigkeit vom Stoffwechsel. Harn des Menschen, der Carnivoren, der Herbivoren. Harnsedimente .öu .vji Die Verrichtung der Nieren. Bau der Niere. Filtration, Eück- resorption, Secretion , ' " ' Önc ono Sclnveissabsonderung. Schweissdrüsen. Die Stickstoffabsonderung . S0b-60S Talgabsondernng -ml^iH Hautdrüsen. Epidermoidalabschuppung oiu 010 Milchsecretion. Die Milchdrüse. Eigenschaften und Bestandthcile der Milch. Kuhmilch und Frauenmilch, Colostrum. Abhängigkeit vom Gesaramtstoffwechsel. Verhalten der Milchkühe ölö ö^i 9. Der Haushalt des Thierkörpers. Ausgaben und Einnahmen. Zusammensetzung des Körpers. Bestimmung der Stoövcrluste. Stoffersatz. Kostmaass. Mästung. Rolle des Wassers, der Mincralstoffe öil—ööö 10. Die Nahrungsmittel. Nahrungstofl"c und Nahrungsmittel. Milch. Fleisch. Fleischbrühe. Eier. Vegetabilien. Ccrealien. Leguminosen. Gcnussmittel. Futtermittel. Zweckmässige Ernährung 333—344 11. Gesammtstoffwechsel und Kreislauf der Stoffe 344—346 Zweiter Theil. Die Leistungen des thierisclien Organismus. 1. Die thierische Wärme. Stofl'wcchsel und Kraftwechsel 347—350 Thermonietrie. Homoiotherme und Poikilotherme. Ablesung des Ther- mometers. Temperaturtopographie. Temperaturcurve. Temperatur verschiedener Thiere 350 353 Calorinietrie. Begriff" der Calorimctrie. Calorimetcr. Grösse der Wärmeabgabe 353 — 357 Wärmchaushalt. Einnahme und Ausgabe. 'Würmeverlust durch Con- vection 357 361 X Inhallsverzeichniss. Seite Wärmeregiilirung. Wärraegleicbgewicht. Vermehrte Wärmebildung, verminderte Wärmebildung. Vorminderte Wärmeabgabe, ver- mehrte Wärmeabgabe. Grenzen der Wärmeregulirung. Wirkung von Bädern. Reaction auf Kältereiz. Fieber. Postmortale Tem- ratursteigerung. Winterschlaf 361—368 2. Physiologie der Bewegung. Uebergang chemischer Spannkraft in mechanische Arbeit. Bewegungs- organe. Protoplasmabewegung. Flimmerbewegung 368 — 372 Allgemeine Mnskelpliysiologie. Form der Muskelbewegung. Bau der glatten Muskeln, der gestreiften Muskeln. Dehnbarkeit. Reizbar- keit. Erregungsgesetz. Elektrische Reizung. Constanter Strom. Inductorium. Zuckungscurve. Isotonie und Isometrie. Ermüdung. Belastung. Schwann'sches Gesetz. Arbeitsleistung. Summation. Teanus. Dehnung des thätigen Muskels. Quelle der Muskelkraft. Wärmeentwicklung. Absolute Kraft. Anatomischer und physio- logischer Querschnitt. Grüsse der Verkürzung, ünveränderlich- keit des Volums. Elektrische Erscheinungen. Zuckung ohne Me- talle. Galvanometer. Unpolarisirbare Elektroden. Ruhestrom. Alterationstheorie. Negative Schwankung. Theorie der Muskel- contraction. Elektrisches Organ der Zitterfische. Isolirte Reizung. Contraetionswelle. Einiluss der Temperatur. Ermüdung. Ver- schiedene Arten Muskel. Herzmuskel. Glatte Muskeln. Todten- starre , 372-420 Specielle MiLskelphysiologie. Verwendung der Muskeln im Körper 420 Ban der Knochen. Form und Function. Architektur der Spongiosa 420 — 423 Gelenklehre. Bewegung der Knochen durch Muskeln. Schräger Zug. Bewegung mehrerer Gelenke durch eingelenkige Muskeln. Muskelgruppen. Zweigelenkige Muskeln 423 — 436 Vom Stellen. Stehen des Menschen. Schwerpunkt. Statik der be- quemen Haltung. Stehen des Pferdes 436—443 Die Ortshewegnng. Gehen 'des Menschen. Laufen. Ortsbewegung des Pferdes 443—453 Stimme und Sprache. Schallbewegung. Zungenpfeifen. Der Kelil- kopf als mcmbranöse Zungenpfeife. Laryngoskopie. Höhe, Stärke und Klangfarbe des Tones. Stimralippen. Mechanik des Kehlkopfs. Phonation. Höhe und Umfang der Stimme. Register. Compcn- sation der Kräfte. Ansatzrohr. Sprache. Vocalc. Consonanten 454—465 3. Physiologie des Nervensystems. Functionen des Nervensystems. Bau der Nerven 465—469 Allgemeine Nervenphysiologie. Gesetz der isolirten Leitung. Reiz- barkeit. Erregungsgesetz. Sccundärc Zuckung. Secundäror Te- tanus. Leitung.sgeschwindigkeit. Doppelsinnige Leitung. Ruhe- strom. Negative Schwankung. Elektrotonus. Zuckungsgesetz. Erregungsvürgang. Elektrische Reizung von der Körperoberfläche aus 469 — 485 Specielle Nervenphysiologie. Nervöse Centraiorgane. Bau des Rückenmarks. BelTsches Gesetz. Verrichtungen des Rückenmarks 485—493 Die Reflexbewegungen. Begriff des Reflexes. Vcrtheilung der Neu- rone im Reflexbogen. Reflexzeit. Geordnete Rcllexe. Rücken- mark.ssecle. Ausbreitung der Reflexe. Reflexkrämpfe. Reflcx- centra. Rcflcxtonus 507 Verlängertes Mark. Sein Bau. Rcflcxccntra. Automatische Centra 507—512 (irosshirn. Graue und weisse Substanz. Motorisciic Leitung. Pyra- midcnbahu. Sensible Leitung. Bahnen des Grosshirns. Psy- Inhaltsverzoicliniss. XI Seite chische Functionen. Hemmung. Gros.shirnexstirpation. .Schlaf. Localisation der Grosslürnfunctioncn. Spracbcentrum. I! nden- cpilepsic. Sinnessphären. Zwischenhirn. Warmest.ch. Coord.- nation. Kleinhirn. Zwangsbewegung -^'^ Peripherisches Nervensystem. Hirnnerven. Spinalnerven. Syrapa- thisches Nervensystem ^ Innervation der Skelettnmskeln Innervation der Angenmnskeln --i Innervation des Herzens und der Gefässe o4b oo4 Innervation der Athninng --r_f^n Innervation der Ernäiirnngsorgane Tr , Ir- Innervation der Drüsen. Trophische Nerven 5fal-öbo 4. Die Lehre von den Sinnen. Be \ ohimen ,>ines IJhitkörpercliens zu 0,000 000 072 cmni, die Oberlläche zu 0 000 128 qmm gel'unden. während für den Frosch das Volumen O'OOO 000 629 cmm, die Öberiläclic 0,000 591 qram beträgt. ' Zahl der Blutkörperchen. Mit der Grösse der ßlutkurpcr- chen steht ihre relative Zahl im Zusammenhang, da nalürlicii m dei- oleichen Menge Blut: eine desto grössere Zahl emzelner Kurperciien vorhanden sein kann, je kleiner die einzelnen ßlulkörperclien smd. Die \nzahl der rothen Blutkörperchen, die auf emen Cubüimillimeter Blut' entfallen, lässt ebenfalls einen Scliluss auf die Grösse der lur den Sauerstoffwechsel verfügbaren Oberfläche zu. Die Zahl ist lur normales Blut annähernd constant, kann .sich aber unter besondei-en Bedingungen ändern, da zum Beispiel bei \erdünnung des Blutes durch reichliche Wasseranfnalime die Anzahl der Körperchen in dem gleichen Raumtheil vermindert erscheinen mnss, wahrend uni- o-ekehrt. nach Flüssigkeitsentziehung, im Zustande der sogenannten Findickung des Blutes die Zahl der Körperchen im g eichen Kautn- tiieil vermehrt gefunden wird. Ausserdem ist die Blutkorperchen- zahl bei manchen Krankheiten dauernd vermindert. Dahei- hat die Bestimmung der Zahl, abgesehen von ihrem physiologischen Inler.'sse. auch klinische Bedeutung. i-i,.,„ ,„„1 Im unverdünnten Blut liegen die Ivorperchen so dichi an- und aufeinander, dass es nicht gut möglich sem würde, eme gemessene Raummenge Blut durchzuzählen. Man muss also eine Blutprobt frst sehr^stark und in genau bestimmtem Mausse verdünnen um die in einem gemessenen Quantum entiialtenen korperchen abza^^^^ zu können. Zu diesem Zweck ist der ThoraaV.eiss'sche Zahlapp. ai erfunden worden. Die Blutprobe entnimmt mau einer nicht zu kiei itn Smmde auf einer vorher gesäuberten Hautstelle. Beim Menschen pflegt man die Fingerspitze oder .^^^^^f^ '""^ ^"^^^ wählen bei Thieren empfiehlt sich ein Finschmtt m den Kand du Ohimusche . In den vorquellenden Blutstropfen taucht man dann ssSette, eine spitz ^geschliffene CapillaiTÖhre, die mit .n^ Gummischlauch in Verbindung steht an dem ^^^^^ ^ Blut an eine auf der Röhn« angebraclite .Marke gestiegen i>t. Un S^c!; Ihre bis zu dieser Marke n.uss S--" und ist /u Vo oder 1 cmm bemessen. Olierhalb dei Maikt \k n et sid" e^e Frweiterung und daniber ^'^ennals eine Mai cc^^^^ zu der der üesammte Inhah. der Rohre gerade 100 cmm betnV S bdd minlas Blut bis zur ersten Marke angeso^n hat, ^d^> also die Capiliare genau 1 cmm Blut enthalt. ^^^^J^^^^ dem Blutstropfen Ibrt. wischt, wenn es '^''•>'r '«^^ ^f^^ , ^'^J^ , anhaltende Blut ab, laucl.t die Röhre f"^ l^J', ^ r er und saugt nun bis zur oberen Marke voll. In dei '^^^^^^^ Pipette liegt eine Glasperle, die man dann etwas "^f <^'^ ''\ ' Z eine gh^chiormige Mischung des InlwUts zu ^r^-;^^-.^^ ,.ine im Verhältnis 1:100 verdünnte Bluiprohe danstolH. Zahl der Blutkörperchen. 11 Tröpfchen dieser Blutmischimg wird nun m die sogenannte „Zahl- kammer" gebracht, das heisst, er wird auf einem Objecttrager ausgebreitet, über den auf einen genau abgeschldieneri Glasrmg von V,n mm l-Jöhe ein ebengeschliffenes Deckglas gebracht wird. Aul den Boden der hierdurch entstehenden Kammer ist ein Quadratnetz gravirt, dessen Striche je V20 mm Abstand haben. Es befindet sich also über jedem Quadrate von V400 qmm Bodenfläche eine ilussig- keitsschich't von i/,o m'" Höhe. Wären die Ivörperchcn in der Flüssigkeit ganz gleichmässig vcrtheilt, so brauchte man also nur im Milcroskop zu zäiilen, wie viele Körperchen auf einem Quadrate liegen um zu wissen, wie viel Körperchen in V4000 cmm der ßlutm'ischung enthalten waren. Im unverdünnten ßhitc würden natürlich iienau 100 mal soviel enthalten sein und demnach in einem Cubikmiliimeter unverdünnten Blutes 400 000 mal soviel wie iiber einem Quadrate der Mischung. Da aber in Wirklichkeit die Koi- perchen sich ungleich über den Boden der Zählkammer verstreuen, so muss man die Anzahl der Körperchen auf einer ganzen Menge einzelner Quadrate abzählen und daraus die Durchschnittszahl nehmen. Man kann leicht die Probe machen, wieviel einzelne Quadrate einen richtigen Durchschnitt geben, wenn man an mehre- ren Stellen des Gesichtsfeldes die gleiche Anzahl Quadrate durch- zählt und zusieht, ob die Durchschnittszahlen übereinstimmen. Sind sie verschieden, so muss eben eine grössere Anzahl Quadrate gezählt werden. Findet man beispielsweise beim Zählen einer Reihe von 10 Quadraten an einem Rande des Gesichtsfeldes als Durch- schnittszahl der Körperchen auf einem Quadrate 11, als Durch- schnittszahl für 10 Quadrate am andern Rande des Gesichtsfeldes 13, so muss man den Durchschnitt für je 20 Quadrate bestimmen, der dann wohl für alle Stellen gleichmässig das Mittel 12 ergeben wird. Es befinden sich dann also in V40C0 cmm der Blutraischung 12 Körperchen, in einem ganzen Cubikmiliimeter des unverdünnten Blutes 100 . 4000 = 400 000 mal so viel, also 4 800 000. Auf diese Weise kann man die Menge der Blutkörperchen mir. ziemlich grosser Genauigkeit feststellen und findet, dass sie für tlen Menschen 4—5 Millionen im Cubikmiliimeter Blut beträgt, und zwar beim Mann etwa V2 Million mehr als beim Weibe. Im Cubikmiliimeter Blut sind rothe Blutkörperchen enthalten: ,, , f männlich . . 5 Millionen .vlenscii < • 1 1 • i 1 1 wcibüch ... 4,0 Rind 5 Pferd 6,5—8 „ Hund 4—5 .. Schwein 5,5 „ Ziege 9—10 „ Zählt man zum Vergleich etwa die Blutkörperchen des Frosches, so findet man nicht ganz eine halbe Million, nämlich 440 000. Hieraus kann man weiter auf den Unterschied der für den Sauer- 12 Menge des Blutes. Die weissen Biutkürperclien. ^^toüubertritt in ciuein Cubikmillimeter Bkit dargebotoncn Ober- tläche schlicsseii. Aus den oben angegebenen Zaiilen lässt sicli leicht bereciinon, dass der Rauminhalt der in einem Cubikmillimeter Blut enthaltenen Körperchen beim Froscli und beim Menschen iiahe/u gleich ist. Die Summe der Oberflächen aber beträgt für den Menschen (540 qmm, für den Frosch nui- 220 tjmni. In diesem grossen Zahlenunterschied spricht sich die Thatsache aus, dass dei- Stoffwechsel bei den kaltblütigen Thieren langsamer verläuft als bei den Warmblütern. Menge des Blutes. Ein anderer Funkt, der mit dieser Be- rrachtung in Zusammenhang steht, und für die Entscheidung vieler Fragen Bedeutung hat, ist die Grösse der gesaramten Blutmenge im Thierkörper. ' Die Untersuchung dieser Frage kann hier noch nicht besprochen werden, da sie auf der I^enntniss eines bestimmten Bestandtheiles des Blutes beruht, desseu Eigenschaften erst weiter unten angegeben werden soUeru Ihr Ergebuiss ist, dass das Blut bei allen Säugethieren nahezu deuselben Bruchtheil des Gesamratgewichts, nämlich etwa Vis i/,6 ausmacht. Man . kann also, wenn man das Gevincht des Thieres kennt, mit grosser Wahrscheinlichkeit die Gesammtblutmenge schätzen. Die weissen Blutkörperchen. Betrachtet mau Blut unter dem Mikroskop, so wird man ausser den zahllosen ganz gleichen gellien Scheibchen vereinzelte etwas grössere knollige Körper gewahr, die farblos, oder durch Contrast gegen die gelbe Farbe der rothen Blutkörperchen bläulich erscheinen. Dies sind die sogenannten weissen Blutkörperchen oder Leuko- cyten. Da sie ausser im Blut auch noch in anderen Korper- Hüssigkeiteii vorkommen, beispielsweise im Eiter, dem sie die weisse Farbe geben, und da ihnen zahlreiche verschiedene Functionen zugeschrieben werden, so haben sie ausser dieser Benennung noch eine grosso Zahl anderer Bezeichnungen erhalten, die aul jeden besonderen Fall Beziehung haben. Nach ihrem Vorkommen ncnni man sie auch Lvmphkörperchen, Speichelkörperciien, Eiterkorper- r.hen. nach ihren Functionen Wanderzellen, Fresszellen (Phagocytcn) u. a.'m. Dieser Vielseitigkeit entsprechend ist auch der Bau der Leukocyten nicht ganz gleichartig. Schon bei ober ladilicher Be- trachtung erkennt man, dass sie theils kleiner t^eils erheblich grösser sind als die rothcn Blutkörperchen und dass die einen gröber, die anderen feiner gekörnt erscheinen. Iki genauerer Unter- suchung, insbesondere nach Anwendung geeigneter 1-arbemitte zeigt sich, dass sie in eine Anzahl verschiedener Arten cingctiieilt werden können, die sich theils dui^Ji ihr Vorhalton gegen die I arl,- stoffc, theils durch Zahl. Grö.sse und Gestalt der Zellkerne untei- scheiclen. Denn im Gegensatz zu den rothen Blutkörperchen er- scheinen die weissen, da sie aus Protoplasma und Korn bestellen, als i-anz selbstständige Organismen. Insbesondere l>'-'sf'<;a «'^ auch' die Fähigkeit, geradeso wie die freilebenden einzelligen 1 rotozoen Die weissen Blutkörperchen. ihre Gestalt beliebig zu änclein, durch selbstständige ]3ewegungen von einem Ort zum^mdern zu kriechen, und durch Umfassen und Umschliessen Fremdkörper iu sich aufzunehmen. An den Leukocyten von Warmblütern lässt sich dies nur unter besonders günstigen Bedingungen beobachten, da sie meist sehr schnell absterben. Die Lymphkörperchen vom Frosch dagegen halten sicli im mikro- skopischen Präparat stundenlang. Zwischen Haut und Muskulatur des Frosches finden sich fast auf der ganzen Körperoberfläche freie Räume, die mit einer klaren Flüssigkeit, der Lymphe, gefüllt sind, in der Leukocyten schwimmen. Durch Vergiftung mit Curare kann man eine gcwi.sse Schwellung des Frosches hervorrufen, und dadurch die Lymphmenge vermehren, sodass man nur eine Pravaz'sche Spritze durch die Haut einzustechen und vollzuziehen braucht, um eine Anzahl Objectträger mit Lymphe zu beschicken. Die Be- wegung der Lymphkörperchen, die man auf diese Weise unter das Mikroskop bringt, ist aber eine so langsame, dass sie bei dauernder Beobachtung nicht gut zu erkennen ist. Erst nach einigen Minuten wird man gewahr, dass die Form des beobachteten Körperchens, sich allmählich verändert hat. Fig. 3. Leukocyt vom l'roscli in vorschicdenen Bewogungszustiiiulon. n.ach Eiigelraaiin. Wenn man sich aber von einem bestimmten Körperchen eine Skizze macht, und dies etwa Jede Minute wiederholt, erhält man eine Reihe Bilder, die die Bewegung darstellen. Man kann auf diese Weise die ausserordentlich ausgiebigen Formänderungen nach- weisen, die in jeder Hinsicht denen der freilebenden einzelligen Protozoen (Amöben) gleichen. Die Befähigung der Leukocyten, sich selbstständig zu bewegen, zusammengehalten mit der Thatsache, dass man sie an allen mög- lichen verschiedenen Stellen des Körpers antrifft, legt die Vor- stellung nah, dass sie durch die Tntercellularräumc der Gewebe hindurchzuschlüpfen vermögen. Insbesondere ist durch Cohnheim. U Blutplättchen. Zusammensetzung der rothen Blutluirperchen. inch»ewicscii wofdcii. dass in entzündetem Gewebe die weissen lUutkörperchcn aus den Gefässen durcli deren Wand hindurch ni (his Gewebe auswandern. Man nennt diesen Vorgang „DiapedeseK Ferner hat man gesehen, wie Leukocyten nalirhafte oder andere Substanzen, und selbst lebende Microben mit iiiren Protoplasma- fortsätzen umspannten und in sich aufnahmen, und hat darauf die Anschauung gegründet, dass auf diese Weise die Leukocyten den Körper gegen das Eindringen von Krankheitskeimen schützen können. ' Die weissen Blutkörperchen dürfen also nicht wie die rothen 4ils ein blosser Bestandtheil des Blutes angesehen werden, sie smd y.war stets darin enthalten, aber in wechselnder Menge, da sie sich ia selbstständig etwa an bestimmten Stellen anhäufen oder gar ganz aus dem Gefässsystem entfernen können. Als norraale Zah der weissen Körperchen wird angegeben, dass auf je oOO bis lUUU rothe Körperclien ein weisses entfällt. n -w . , Blutplättchen. Endlich ist im Blute noch eine dritte^ An Körperchen enthalten, die sogenannten Blutplättchen. Sie sind nur «twa 2— 3 Tausendstel Millimeter gross, und zerfallen leicht m noch kleinere Körnchen, lieber ihre Bedeutung hat sich bisher nichts ermitteln lassen. n , n •• i,.,, l?« i«i Zusammensetzung der rothen Blutkörperchen Es ist "schon oben mit Bezug auf die Farbe des Blutes erwähnt worden, dass sich die rothen Blutkörperchen bei reichlichem Zusatz von Wasser auflösen. Wenn man diesen Vorgang unter dem Mikroskop verfolgt, so bemerkt man, dass von jedem Körperchen, dessen SubstanL in dem umgebenden Wasser verschwindet, ein zar er, schattenartiger Rest zurückbleibt, der em unloshches Gerüst, Strom? d Körperchens darstellt. Dies Stroma ist nur em verschwindend kleiner Theil des Blutkörperchens Woraus es be- Iteht ob es im Blutkörperchen vorgebildet ist oder erst beim Ent- weichen der übrigen Bestandtheile entstellt, ist streitig Dm. Haupt- mas e de Blutkörperchens ist jedenfalls der Blutfarbstoff, der in Sng geht denn der Blutfarbstoff allein macht etwas über 40 oCt alle festen Bestandteile zusammen nur gegen 42 pCt. des Gewichte de^^^ Blutkörperchen aus. Der Blutfarbstoff, oder, wie Ir nach seiner Herkunft aus den Blutkörperchen auch genannt v^-irc^ das H üi oglobin, ist also unstreitig der Hauptbestandteil der Än BluSjerchen Ist er durch irgend eines der oben er- wähnten VeS^^^^^ aus den Körperchen heraus in Losung gegangen, S^'k^:; er durch geeignete Bduiudlung da^ ^^1::'^^ sich aus der Lösung in Crystallen abzuscheiden r)K. f wichtiger, weil er seinen übrigen Eigenschaften nach /u den Liwe ss Sei^ Xrt deren ciiemischc Constitution unbekannt ist und trd ^en nm- 'wenige sich in Crystallfonn Harste cn bsj^i^ 1^^^ darf von allen Gruppen organischer Vcrbindun^^ n die der L^^^^^^^ Stoffe als die wichtigste bezeic met werden, w es l^emH Wesen ohne liiweissstoffe giebt. Da a^^lr .se.ts cl ^^^^^^^^ .uisserhalb dos hellenden Körpers nur unter iiesondeien Bcdm^^un^en Eigenschaften der Eiweisskörper. 15 imzersetzt bestehen bleiben, darf man geradezu sagen, dass das Vorkomraen von Eiweisskörpcrn die lebendige Welt von der todten unterscheidet. Eigenschaften der Eiweisskörper. Es mag hier eine kurze Besprechung der Eiweisskörper im allgemeinen emgeschaltet werden, um die Eigenschaften des llaemoglobins und dessen Ver- liältniss zu den übrigen Eiweisskörpcrn zu kennzeichnen. Die Gruppe der Eiweissstoffc im weitesten Sinne unterscheidet sich von den übrigen im Körper vorkommenden Substanzen schon dadurch, dass sie neben den übrigen in diesen vorhandenen drei lüementen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff auch noch Stick- stoff enthält. Ausserdem enthalten die Eiweisskörper noch Schwefel, neben dem. bei einigen Gruppen Phosphor auftritt. Diese Zusammen- setzung ■ ist allen Eiweissstoffen gemeinsam, doch hat man wedei- das Mengenverhältniss der Elemente, noch die cliemische Constitution bisher mit Sicherheit ermitteln können. In runden Zahlen lässt sich das Mengenverhältniss etwa wie folgt angeben: C ü N H S Die Eiweisskörper sind in ihrem natürlichen Zustande immer in Wasser entweder gelöst, oder sie enthaften Wasser in loser Bindung oder in ganz freiem Zustande. Die gelösten Eiweissstoffc stellen mit Ausnahme besonderer Gruppen colloidale oder unvoll- ständige Lösungen dar. Eine solche T^ösung ist opalisirend, und .selbst in hoher Verdünnung merklicli zähflüssig. Beim Dialysiren durch Pergamentpapier oder Blase geiit die gelöste Substanz nicht mit dem Wasser durch die Membran hindurch. Wiegen dieser Eigenschaften nennt man eben solche Lösungen colloidale oder unvollkommene. Die eigentlichen Eiweisskörper haben ferner die Eigenschaft der Gerinnbarkeit, dass heisst, sie gehen unter gewissen Bedin- gungen aus ihrem natürlichen Zustand in einen gallertigen, fest- weichen Zustand über, in dem sie unlösfich sind. Gelöste Eiweiss- körper fallen dabei als llockiger Niederschlag aus der Lösung aus. Die Gerinnung kann bei allen gerinnenden Eiweissstoffen durch Erhitzen herbeigeführt werden, bei vielen verschiedenen Gruppen durch eine Reihe anderer Einwirkungen. Die Gerinnung erfolgt bei den vcrsciiiedenen Eiweisskörpcrn bei verschiedener Temperatur, bei alfen aber bei unter 100°, sodass man aiso durch Kochen sicher die Gerinnung oder Fällung etwa vorhandenen Eiwcisses bewirken kann. Ferner gerinnt Eiwciss bei Zusatz von anorganischen Säuren und von Lösungen der Schwer- metalle, wovon die Aetzwirkung des Sublimates ein Beispiel giebt, 55 Gewichtsprocent 21 16 7 1 16 Farbi-eaclionen der Eiweisskörper. Aufzählung der Eiweisskorper. ferner bei Zusatz gewisser organischer Substanzen, wie AlcohoJ. Gerbsäure (Tannin). Weiter Icann man Eiweiss aus Lösungen füllen durch das sogenannte Aussalzen, nämlich reichlichen Zusatz gewisser Salze, unter denen Ammoniumsulfat alle Eiweissstoffe. Magnesiumsulfat, Kochsalz und andere nur bestimmte Eiweissstoffe aus ihren Lösungen austreiben. Das Auftreten der Gerinnung bei verschiedenen Temperaturen oder auf Anwendung dieser verschiedenen Substanzen ist eines der Hülfsmittel, durch die man die ver- schiedenen Elweisssubstanzen von einander unterscheiden und trennen kann. Farbreactionen der Eiweisskörper. Ferner zeigen die Eiweisskörper eine Reihe verschiedener Farbreactionen, die al; Erkennungsmittel für alle oder für einzelne Gruppen dienen. Unter diesen Reactionen seien erwähnt: 1. Die sogenannte Xanthoprotei'nprobe: Eiweisshaltige Flüssig- keit giebt bei Zusatz von concentrirter Salpetersäure einen hell- gelben Niederschlag, der bei Uebersättigen mit Ammoniak orange- gelbe Farbe annimmt. 2. Die sogenannte ßiuretprobe: Man setzt zu der Flüssigkeil Natronlauge und lässt einige Tropfen verdünnter Kupfcrsulfatlösung hineinfallen. Bei Gegenwart von Eiweiss tritt Violettfärbung auf. die beim Erhitzen in^othe Färbung übergeht. 3. Die Probe mit Millon's Reagens. Das Reagens, das man zum Zwecke dieser Probe vorräthig zu halten pflegt, besteht aus einer Lösung von salpetersavirem Quecksilber mit etwas salpetriger Säure. Zu einer eiweisshaltigen Lösung zugesetzt erzeugt es eine weisse Fällung, die beim Erwärmen alsbald rosenroth wird. Aufzählung der Eiweisskörper. Die durch diese Kenn- zeichen im Allgemeinen bestimmte Gruppe der Eiweisskörper kann man in einfache und zusammengetzte, in Proteine und Proieidc trennen. Zu den ersten gehören die Albumme, von denen die ganze Gruppe den Namen hat, und als deren Beispiel das Albnmm des Hühnerei wei.sses, Ovalbumin, genannt werden kann ihnen kommen alle oben erwähnten Eigenschaften zu, insbesondere sind sie in Wasser löslich in unvollkommener Losung. Zweitens ge- hören zu den Proteinen die Globuline, die den Albuminen m jeder Hinsicht ähnlich, aber in reinem Wasser nicht lösludi sind, sondern nur in Salzlösungen. Drittens gehören hierher die Nucicoa bumme, Eiweissstoffe der Zellkerne, die sich von den anderen 1 roleinen dadurch unterscheiden, dass sie Phosphor neben dem .sdnvefel ent- halten. Von diesen einfachen Eiweisskörpern oder Proteinen trennl man die zusammengesetzten h:iweissstofTe oder Proteide weil sie ans der Verbindung eines eigentlichen Eiweissbestandiheils mit an- derer Substanz bestehen. Eine der Gruppen dieser Art sind die Nucleoproteide, die aus einem EiweissstofT und ' zusammengesetzt sind. Ein Proteid ist ^^'-^^^/If das in einen EiweissstofT Globin und einen iarbstoff Hamat zerlegt werden kann. Weiter werden zu den Proteiden au. Ii Aufzählung der Eiweisskörper. Alburainoide. 17 der Schleinistoff, Mucin, und einige andere Substanzen gerechnet, die man als Verbindungen einer Eiweissssubstanz mit einer zucker- artigen Substanz auffasst. AJs in der Ziisaramenselzung der Eiweisskörper sehr ähnlich, aber in Eigenschal'ten und Reactioncn erheblich von ilmen ver- scliieden, s'ind nun noch eine Reihe von Stoffen zu nennen, die man als Albuminoide bezeichnet. Diese Stoffe sind vor Allem in den Gerüstsubstanzen des Körpers enthalten. Sie sind von ein- ander und von den anderen Eiweissstoffen zienihcii verschieden, vor Allem sind sie fast durchweg unlöslicii. Es, mögen hier ge- nannt werden das Collagen, die leiragebende Substanz, die den Hauptbestandtheil des Bindegewebes ausmacht, das Elastin, das aus den elastischen Fasern stammt, und das Keratin oder die Hornsubstanz. Die eigentlichen Eiweisskörper können, wie oben angedeutet, durch verschiedene Einwirkungen verändert werden, ohne dass geradezu eine neue Verbindung entsteht. Man nennt solche Um- wandlung, als deren Typus die Gerinnung der Albumine in der Hitze betrachtet werden kann, eine „Transformation". Bei der Gerinnung geht beispielsweise das natürliche Eier-Eiweiss, das eine durchsichtige zähflüssige Masse bildet, die in jedem Verhältniss mit Wasser verdünnt werden kann, in eine glänzend weisse fest- weiche Substanz über, die in Wasser völlig unlöslich ist. Dabei findet keine nachweisbare Aenderung des absoluten oder specilischen Gewichts, oder der chemischen Zusammensetzung statt. Nichts- destoweniger muss das so transformirte Eiweiss wegen seiner neuen Eigenschaften unter eine andere Art Eiweisskörper eingereiht werden: die coagulirten Proteine. Die coaguiirten Eiweissstoffe können nun durcli starke organische oder verdünnte anorganische Säuren, und ebenfalls durch verdünnte Lauge gelöst werden. Sie stellen dann wiederum eine neue Form der Eiweisssubstanz dar, denn sie sind nicht mehr geronnen und gerinnen auch in der Hitze nicht. Dagegen gerinnen sie beim Neutralisiren. Ganz denselben Zustand kann man herbeiführen, wenn man natürliches Eiweiss mit Säuren oder Alkalien kocht. Diese Art der Transformation nennt man Denaturirung, die so entstehende Gruppe der Eiweisskörper Albu- minate, und zwar je nachdem Alkali oder Säure angewendet worden ist, Alkalialbuminate oder Acidalbumine (Syntonine). Endlich sind alle coaguiirten oder natürlichen Eiweiss.stoffe noch einer Umwandlung fähig, die ihnen wiederum, ohne sie gänz- lich zu verändern, neue Eigenschaften ertheilt. Diese vollzieht sicli mit Hülfe gewisser Substanzen, sogenannter Fermente, die in den Verdauungsorganen gebildet werden. Ks entstehen durch Ein- wirkung dieser Stoffe, etwa bei der natürlichen Verdauung, aus den ur- sprünglichen Eiwcisskörpern verschiedene Spaltungsproducte, denen wesentliche iMerkmale der eigentlichen Eiweisskörper fehlen. Man bezeiclmet sie als Albumosen und Peptone. Es lässt sich nach- weisen, dass ihre Zusammensetzung von der des ursprünglichen H. i] 11 B 0 i s- Rey m 0 n il , IMiysiologi«. 9 18 Hämoglobin. Eiwcisses crliehlicli verschieden und nanicntlicli eiuladier isi. Die letztgenannte Gruppe der Peptone ist, dadurcii gekennzeiciinet, da.ss sie in Wasser echte Lösungen bilden, die durch ihierisclie Mem- branen durchgehen. , • i • i j- Das Hämoglobin. Die meisten der Jiiweissverbmdungcn, die zu diesen Gruppen gehören, lassen sicli schon aus dem Grunde schwel' im reinen Zustande darstellen, weil sie sich allzu leiclit zersetzen oder uml'ormen. Da sich nun das Hämoglobin verhältni.ss- leiciit in Form von einigerraaassen beständigen Crystallen lässt und da man annehmen nuiss, dass einem Stoff, d massig gewinnen mnai, in bestimmter Form crystallisirt, aucii er eine ganz bestimmte che- mische Constitution zukommt, erscheint es besonders geeignet, zur Erforschung des Baues der Eiweissstofle im AUgememen zu dienen. Geo-en diese üntersucliung ist indessen einzuwenden, dass man aus dei^ Beschaflenheit der Crvstalle, die sich unter gewissen Bedm- o-ungen bilden, nicht ohne AVeiteres auf die Beschaflenheit dos natiirlichen Hämoglobins schlicssen dürfe. Das Hämoglobin ver- Fig. 4. . , , 1 1, Moiisdien c von KntM und Huml. d TOiii Eicliliüi lu-lu n. H,l.no,M«lnnco-staU^o.^_.^.n^^^^^^^^^^^ schiedener Thierarien, obgleich es im Allgemeinen durchaus ^S gens' haften hat, er stallisirt in ganz verschiedene.! Formen und man muss daher auch gewisse Abslufungen in de Ait dei l^sammen^znng annehmen. " Aber auch /^^"äS:;^"" und derselben Art crystallisirt bei verschiedener l>el,andlung.s^^elSL in verschiedenen Formen. . . >i,i;„iw>n ll-inK.- So ist die gewöhnliche Form crystallisirien m.MischlulHU Hämo Ilämin. 19 o-lohiiis die inikroskopiscli leiriLM' riioui bischer Nadeln, es kann aber auch in Plall,cni'orm auftreten. Bei Ratte, Hund und Pferd kann man grob niakrijskopisch sichtbare, bis niehrei-e Centimetcr lange vienseitige Prismen erhalten. Das Hämoglobin des Meerschwein- chens crystallisirt in feinen rhombischen Tetraedern, das des Eich- liüniciiens in sechsseitigen Tafeln. Seiner chemischen Beschaffenheit nach uiuss das lüimoglobin zu den Proteiden gerechnet werden, das hei.sst. es ist kein ein- facher Eiweisskörper. sondern die Verbindung eines Eiweissstolfes mii einem anderen Stoff. Dies zeigt sich schon daran, dass es ausser den die Eiweissstoffe aufbauenden l']lemcnten C, (J, N. H, S, aucii Eisen. Fe, enthält. Beim Erwärmen, bei Zusatz von Alkohol, Säuren, Alkalien, .Metallsalzen, zerfällt es in seine beiden Bestandtheile. einen Eiweissstoff, Grlobin, der coagulirt wird, und einen Farbstoff Häniatin, der in Gestalt eines dunkelbraunen Pulvers ausfällt. Das Globin macht weitaus den grössten Theil des Hämo- globins aus. In dem Plämatin ist das gesammte Fiscn enthalten, (las von dem Hämoglobin gegen 0,4 pCt., vom Hämatin 10 pCt. ausmacht. Durch Ausglühen kann man das Eisen aus dem Hämatin als reines Fiseno.vyd darstellen. Hämin. Das Hämatin lässt sich leicht in eine salzsaure Verbindung, Haemin genannt, überführen, die an ihrer Crvstallform Fig. 5. Hliminciystalle (Vergrlisseriinj; IM). mit Sicherheit zu erkennen ist. Da sich dies auch mit ganz ge- i'ingen Mengen des in eingeti'ockneten lilutspureu enthaltenen Hä- matins ausführen lässt, wird dies Verfahren zum Nachweis von Blut zu gerichtlichen Zwecken allgemein angewendet. Einige Bröckel des auf Vorhandensein von Blut zu untersuchenden Materiales, etwa abgeschabter Staub von einem blutbefleckten Fussboden oder Fäden eines blutgetränkten Gewebes zusammen mit einigen Körnchen 2* 20 Oxyliämoglobin, Hämoglobin, Melbänioglobin. Kocilsalz werden auf einem Objcciträger in einem Trü[)fcn Eisessig zum Sieden erhitzt und dann unter dem Mikioskop bei starker Vergrösserung untersuclit. War Blut vorhanden, so bat sich aus dem Hämatin die salzsaure Verbindung Hämin gebildet, die in Form ganz feiner rhombischer Crystalle auftritt. Man nennt diese Probe nach dem Entdecker des^ Hämins die Teichmann'.sche Blutprobe. Oxyhämoglobin, Hämoglobin, MethäraogJobm. Das Hämoglobin, gleichviel ob in Lösung oder in seinem natürlichen Zustande innerhalb der rotlien Blutkörperclien hat nun die wichtige Eigenschaft, sich mit Sauerstofl' zu dem sogenannten Oxyliämo- globin zu verbinden. Diese Verbindung bleibt aber nur bestehen, solange sich freier Sauerstoff in der Umgebung befindet. Stellt man mit der Luftpumpe über einer oxyhämoglobinhaltigen Losung oder über Blut ein Vacuum her, so entweicht der Sauerstoff aus der Verbindung, und es bleibt reducirle Hämoglobinlösung zunick. Schüttelt man diese Lösung mit Luft, so nimmt das Hämog^obm wieder Sauerstoff auf, und verwandelt sich in Oxyhämoglobm. Diese Veränderung giebt sich schon bei flüchtiger Betrachtung durcli eine Aenderung der Farbe zu erkennen, denn das Oxyhämoglobm ver- leiht dem Blute oder der Lösung eine hellscharlachrothe larbung. während bei der Reduction eine dunklere kirschrothe larbe ent- steht Viel deutlicher lässt sich der Unterschied durch das Spectro- skop wahrnehmen. Lässt man Licht durch Hämoglobin osung gehen so werden Strahlen von bestimmten Wellenlängen absorbirt und wenn das Licht dann durch ein Prisma in sein Spectrum aufgelost wird, so erscheinen in dem Spectrum an den Stellen, wo die be- treffenden Strahlen sichtbar werden würden, wenn sie nicht vorher absorbirt worden wären, dunkle Lücken. Fig. 6. cyanhlaii Abs^rption^biinilcr di's 0\>liiiiiM .(ilohin-i fl) uml dos reduzierten llilinoglobinF (IT Je naclHleiu diese lai.^ken einen grösseren oder genngcu l u^ des Spectrums einnehmen, erscheinen sie als breitere "do- ^f^^^^^^^^^ schwarze i^änder zwischen den Spectral färben. ;^;<^ ^^'V'^^ /J,'''^^^^^^ auch kurzweg als „Absorptionsstreifen" oder Absorplionsb.mde. Das Hämometer. 21 bezeichnet. Zwischen dem Oxyhämoglobia und dem reducirtcn Hämoglobin besteht, nun der Unterschied, dass das reducirte Hämo- globin Strahlen von den Wellenlängen 540—575 fi;! absorbirt, so- dass es seinen Absorptioassfcreifen mitten im Gelb des Spectrums hervorruft, während das Oxyhämoglobin zwei kleinere Gruppen von Strahlen absorbirt, und in Folge dessen zwei schmälere Absorptions- streifen erzeugt, von denen der eine auf der Grenze von Gelb zu Orange, der andere auf der Grenze von Gelb zu Grün gelegen ist. In der Regel zeigt eine Lösung von Blut immer mehr oder weniger deutlich die beiden Absorptionsstreifen des Oxyhämoglobins, nur wenn man etwa durcli Zusatz von Ammoniumsulfat künstlich reducirtes Hämoglobin hervorruft, bekommt man den einfachen breiten Streifen mitten im Gelb zu sehen. Auch dann pflegt er aber beim Schütteln oder nach längerem Stehen alsbald wieder zu verschwinden, und es treten, da sich das Hämoglobin von neuem mit Sauerstoff verbunden hat, wiederum die beiden Oxyhämoglobin- streifen auf. Erst wenn das Blut in Fäulniss überzugehen beginnt, nimmt es ein für allemal die dunkelkirschrothe Farbe an, die das reducirte Hämoglobin kennzeichnet, und zeigt dann auch dauernd dessen Absorptionsstreifen. Auch mit einigen anderen Gasen geht das Hämoglobin, ähnlich wie mit Sauerstoff, Verbindungen ein, die sich aber nicht so leicht wieder lösen. Dies gilt insbesondere von dem Kohlenoxydgas, dessen Verbindung mit Plämoglobin dem Blute eine carmoisinrotlic Farbe giebt. Das Spectrura des Kohlenoxydhämoglobins ist dem des Oxyhämoglobins sehr ähnlich. lindlich ist das Oxyhämoglobin iiocii einer Transformation fähig, in der es den Sauerstoff viel fester gebunden hält, als in seinem ursprünglichen Zustand. Man nennt das so transformirtc Hämoglobin Methämoglobin. Die Transformation tritt gleich.sam als eine Vorstufe der Zersetzung beim Erhitzen, bei Zusatz von Säuren oder Alealien zum Blut und einer Reihe von anderen Ein- wirlvungen auf. Da das Methämogiobin den Sauerstoff festliält, wird das Blut, wenn ein grösserer Theil des Oxyhämoglobins in Methämogiobin übergegangen ist, unfähig, als Sauerstoffüberträger zu dienen. Das Hämometer. Da das Plämoglobin den grössten und in Bezug auf die Funktion wichtig,sten ßestandtheil der Blutkörperclien bildet, ist es praktisch wichtig, die Menge des Hämoglobins im Blute bestimmen zu können. Die hierzu angewendete Methode beruht darauf, dass das Hämo- globin, der Blutfarbstoff, wenn es gelöst wird, der Lösung eine um so tiefer rotiie Färbung ertheilt, in je grösserer Menge es darin entiialten ist. Vergleicht man also die Färbung der Lösung einer bestimmten Menge Blut in einer bestimmten Menge Wasser mit der Färbung einer Lösung von bekanntem Hämoglobingehalt, so kann man .sogleich sagen, ob in dem Blut mehr, weniger oder eben so viel Hämoglobin enthalten ist, als in der Lösung von be- •22 Das Ilänionieler. kannteiii Gehalt. Stellt, man eine ganze Rcilie von solchen Prol)C- lösiingen mit heUannIcm Ilämoglobingehalt her, so kaim man auf (liesc"Weisc (.liircli Voi'gleidnmg der Farbe den Mämoglobingehali beliebiger Blutproben ermitteln. 7\nstatt einer solchen Reihe von Probelösungen mit steigendem Ilämoglobingehalt, die wegen ihrer Unbeständigkeit zu dauerndem Gebrau(-Ii nicht geeignet: sein würden, kami man natürlich ebensogut eine entsprechende Reihe von Fari)en- stufen aus beliebigem anderen Material verwenden. In dem von Fleischl angegebenen, von Miescher modilicirten „1 lämonieter" ist dazu rothes Glas gewählt, dessen Farbe über einem weis.sen, mit Lampenlicht beleuchtetem Grunde betrachtet, ganz genau mit der Farbe von dünnen Blutlösungeu übereinsliunnl. Die Absuilnng des Färbungsgrades, die dem grösseren oder geringeren Ilämoglobin- gehalt der Probelösnngen entsprechen soll, wird dadurch crreirhi. dass das rothe Glas keilförmig zngeschliH'en isi. Die Färbung ist also an der Schneide des Keils, wegen der Dünne der Schichi rothen Glases, nur schwach bemerkbar, und wird mit zunehmender Dicke der Schicht gegen die Basis des Keils hin gleichnirimg immer stärker. Die Dicke des Glaskeils ist so bemessen, dass der Färbnngsgrad in der Mitte des Keils einer 1 cm dicken Schichr hundertfach 'verdünnten Blutes von normalem Hämoglobmgehah entspricht. Um nun die Färbung an jeder Stelle des Keils nni der einer zu untersuchenden Blutlösung unter müglichsi gleichen Bedingungen vergleichen zu können, ist über dem Keil em 1 cm hohes Gefäss mit Glasboden und Glasdeckel angebracht, das durcii eine senkrechie Scheidewand in zwei Behälter gethedt ist. Der eine Behälter, mit reinem Wasser gefüllt, befindet sicli über dem Keil, in den anderen wird eine hundertfach verdünnte 1 rohe des zu untersuchenden Blutes eingefüllt. Man blickt durch das Gelass hindurch von oben auf eine darunter befindliche beleuchte e Gips- platte, und sieht in der mit Wasser gelullten Hällte de.s Gefasses Ilenienigen Grad der Rothfärbung, der durch .^larunter behncl- liche Stelle des Keils bedingt isl, in der andern llaltte die arbung der zu untersuchenden Lösung. Ist die Probe norma cm B ut ent- nommen, und helindet sich gerade die Milte des Keiles unter dem Gelass, so wird es, nach dem, was oben über die "arbung de> Keiles gesagt ist, klar sein, dass die bi.den l allten ^'^^^ gleiche Färbung zeigen werden. Hat das I lut, dem d,e u. e entnommen war, höheren ud.-.' niedrigeren lla.m.gh.bingehalt . > normales Blut, so wird Gleichheit der lärbimg d;ulu.rl. '^'''J^;;;^'"; werden können. da.ss man eine dickere oder dünnere .Melle Keiles unter das Gofäss^ bringt. diesem /wecke ist de in einen mit Zahnradgetriebe verstellbaiTn Rahnum plasM an d^^ sich zugleich eine Scala befindet, die d,e Lm.stellung des oiles al)zulesen gestattet. Durch Bestimnumgen an ^^-^»^f^ ^S; kanntem ITämogiobingehaK ist nun in *1<^%'^'^S'^ V Anferlii^ii.m des Apparates, eine Tabelle aufgesetzt wmden. da Messung der Blulmenge. Weitere ßestaiultheile der rothen Kürpciclieii. •2:3 lur jede Stelle der Scala dca HäniogloltinMoliali einer J.i'.sim,!;- von "Ciuiii demselben Färbungsgrad angiebt. Um niil dem Jlämomeler eine lläinoglobinbestimmuug aus- zuführen, braucht man also nur eine Blutprobe, die auls Huiidert- fache verdünnt ist. in das Vcrgleichsgefäss einzulullen und aus- zuprobiren, l)ei welcher Einstellung des Keiles Färbungsgleichlieit besteht. Neben der Zahl, die auf der Scala die Einstellung des Keiles angiebt, findet man dann iinmitteli)ar den Hämoglobingelialt der untersuchten Probe angegeben. Um den Ci ehalt des unvei- dünnten Blutes zu erhalten, muss man natürlich noch mit der Ver- dünnungszalil nuiltipliciren. Die Verdünnung wird in der Misch pipette ganz ebenso wie bei der Zählung der Blutkörperchen hergestellt, nur dass statt der Salzlösung,' die die Blutkörperchen erhält, destill irtes Wasser ge- nommen wird, das die Blutkörperchen auflöst. Bei derartigen Bestimmungen findet man für normales Mensrlien- blut einen Hämoglobingehalt von 12—15 pCt. Messung der Blutmenge. Die Bestimmung der Gesammt- nienge des lilutes im Thierkörper, von der oben die Rede war, wird ebenfalls mit Hülfe der Färbungsvergleichung ausgeführt, und kann auch ohne weiteres auf Bestimmung des Hämogiobingehaltes zurückgeführt werden. Diejenige Menge Blui, die von selbst aus dem Gefässsystem abläuft.' kann zunächst unmittelbar gemessen werden, üm danji die Menge des zurückgehaltenen Blutes zu er- halten, wird der ganze Körper fein zerhackt, und mit gemessenen Mengen Wasser so lange ausgezogen, bis das Wasser sich nicht mehr färbt. Stellt man nun \'cA, wie viel Wasser man zu einer gegebenen Menge des zuerst abgelaufenen Blutes zusetzen muss, um denselben Färbungsgrad, das heisst die gleiche Verdünnung zu erhalten, der in der gesammten Spülwassermenge herrscht, so hat man dadurch diesen A^erdünnungsgrad und mithin die Menge des vom Spülwasser aufgenommenen Blutes bestimmt. Man kann auch mit dem Hämoglobinometer ilen llämogiobin- gehalt einer Probe des zuerst erhaltenen Blutes, und den Plämo- globingehalt der Spültlüssigkeit bestimmen, und danach den Ver- dünnungsgrad der Spülilüssigkeit berechnen. Weitere Bestandtheile der rothen Körperchen. Neben tiem Hämoglobin lassen sich, wie oben bemerkt, nur wenig andere feste Stoffe in den Blutkörperchen nachweisen, nämlicli etwas Lecithin und Cholesterin und geringe Mengen verschiedener Salze. Lecithin sowie Cholesterin sind Substanzen, die sich in Bezug auf Löslichkeit ähnlich wie Fett verhalten, .sodass man das x\uflösen der Körperchen durch Aetlier und Chloroform auf die Lösung dieser Bestandtheile zurückführen kann. Was die Salze betrillt, so ent- halten alle Bestandtheile des Oganismus Salze in grösseren oder kleineren Mengen, sodass deren Gegenwart in den Blutkörperchen nicht besonders auffallen darf. Sehr auffällig ist aber, dass gerade 24 Das Blutplasma. dasjenige Salz, das in den übrigen Körpergeweben am meisten ver- breitet "ist, das Kochsalz, in den IMulkörperchen der meisten Thiere fehlt. Bei Mensch, Hund und Rind ist es spurweise vorhanden, vorwiegend ist aber Kalium als Phosphat und Chlorid. Das Blutplasma. Die Blutllüssigkeit, in der die Körperchen schwimmen, wird Plasma genannt. Unter gewöhnlichen Bedingungen lässt sie sich von den Körperchen getrennt nicht gewinnen, weil bei der Gerinnung die gesaramte Masse des Blutes fest wird. Unter solchen Umständen aber, in denen die Gerinnung nicht oder nur sehr langsam eintritt, sinken die Blutkörperciien in dem .stehenden Blute allraählicli zu Boden, während an der Oberfläche reines Plasma als klare gelbe Flüssigkeit stehen bleibt. Dieser Vorgang beruht einfach darauf, dass das specifische Gewicht der Blutkörper- chen bei ihrem grösseren Geiialt an festen Stoffen etwas grösser ist als das des Plasmas. Für Wasser = 1000 kann das specifisclie Gewicht der Blut- llüssigkeit zu etwa 1030, das der Blutkörperchen zu 1090 ange- nommen werden. Beim Pferdeblut, in dem die Gerinnung beson- ders langsam vor sich zu gehen pflegt, lässt sich am besten auf diese Weise das Plasma rein darstellen, indem man die oben- stehende klare Flüssigkeit mit einer Pipette absaugt. Ueber die chemische Zusammensetzung des Plasmas lässt sich nun ohne weiteres sagen, dass es alle Stoffe, die für den Aufbau des Körpers von Bedeutung sind, enthalten muss. Denn das Blut dient eben der Ernährung der einzelnen Körpertheile, die nur auf diesem Wege Stoffe aufnehmen oder abgeben können. Da sich die Körperchen, wie oben angegeben, nur beim Gaswechsel betheihgen. so sind thatsächlich, wenn auch nicht alle einzelnen Verbindungen doch alle Stoffgruppen, die überhaupt im Körper vorkommen, im Plasma vertreten. Freilich sind die meisten dieser Substanzen nur in sehr geringer Menge im Blute selbst enthalten, weil sie eben nur beim üebergang zu und von den Geweben ins Blut ein- treten. Dabei bleibt die Zusammensetzung des Blutes sich im Allgemeinen völlig gleich, indem die Stoffe, die an einer Stelle in den Kreislauf eintreten, an anderen Stellen ebenso schnell aus dem Kreislauf ausgeschieden werden. Da also der Blutsti-om mit^ stets nahezu gleichen Sloffmengen beladen unablässig die Gewebe durch- fliesst. vermag er auf die Dauer sehr beträchtliche Substanzmengen, nämlich thatsächlich das ganze beim Stoffwechsel des (^esammt- Körpers betheiligte Aufbau- und Abbaumaterial zu- und abzu- führen, obschon in jedem Augenblick nur geringe Mengen von jeder einzelnen Substanz im Blut enthalten sind. Schon aus der Zähflüssigkeit des Plasma.s und dem Stehen- bleiben von Schaum kann man entnehmen, da.ss das 1 lasma hiweiss- stoffc enthält, die weiter durch die angegebenen Keartionen nach- gewiesen werden können. Diese l<:iweissstofle machen ungefa Ii 7 pCt. des Gesammtgcwichts aus, wozu noch etwa Proccnl andere feste Stoffe kommen, sodass etwas über M\ ptt. Das Blutplasma. 25 des Piasraas Wasser sind. Die Eiweissstofle des Plasmas sind verscliiedener Art und in den verschiedenen Blutarten in verschie- denen Mengen entlialten. Nach ihrem chemischen Verhalten, ins- besondere nach der Gerinnunüstemperatur, können sie emgetheill werden in Albumine und Globuline. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen ist, dass die Albumine in Wasser löslich sind, während die Globuline nur bei einem gewissen Salzgehalt in Losung bleiben Setzt man also dem Plasma grössere Mengen von Salz zu so lallen die Globuline als ein flockiger Niederschlag aus. Man kann dann die Flüssigkeit von dem Niederschlage abfiltriren und eriiält in dem salzhaltigen Filtrat das Albumin des Plasmas, das durch Zusatz von Säuren gelallt, durch Dialyse vom Salz getrennt und rein dargestellt werden kann. Beide Arten Eiweissstoßc sind wahrscheinlich nicht einheitliche Substanzen, son- dern Gemenge aus verschiedenen Eiweissarten von sehr compli- cirter Zusammensetzung, die bei verschiedenen Thierarten und auch bei demselben Thiere unter verschiedenen Bedingungen verschieden sein muss, da die Blutflüssigkeit eine Reihe specifischer Eigen- thümliehkeiten aufweist, die auf Verschiedenheiten in der Zu- sammensetzung des Bluteiweisses zurückgeführt werden. Hiervon soll noch weiter unten die Rede sein. Um weitere Eigenthümlichkeiten der Blutflüssigkeit, wie ihren Geruch, die Erscheinungen der Gerinnung und die chemischen Wir- kungen von Blut auf verschiedene Substanzen zu erklären, ist man genöthigt, noch eine Anzahl besonderer ciweissähnlicher Substanzen in der Blutflüssigkeit anzunehmen, die man als die Fermente des Blutes zusammenfassen kann. Von diesen Stoff'en sind einzelne chemisch nachweisbar, auf das Vorhandensein der übrigen schliesst man nur aus ihren Wirkungen. Ausser den Albuminen und Globulinen, die mit dem Eiweiss der lebenden Gewebe identisch oder doch nahe verwandt sind, und also als Auf baumaterial für die Gewebe betrachtet werden können, enthält das Plasma in geringen Mengen eine Reihe Verbindungen, die bei der Zersetzung des Eiweisses entstehen, zum Theil Oxy- dationsproducte darstellen, und deshalb als Ergebnisse des Stofl- verbrauclis in den Geweben anzusehen sind, nämlich Harnstoff, Harnsäure, Kreatinin u. a. m. Diese Anschauung wird dadurch bestätigt, dass sich die betrelTenden Substanzen in viel grösserer ( 'onceiitration in den Ausscheidungen des Körpers, vor allem im Harn linden, wohin sie aus der Blutbahn gelangen. Ferner enthält das Plasma spurweise andere Gruppen von Nährstoflen, nämlich Fette, fettartige Substanzen, wie Lecithin, Cholesterin und Zucker. Die gelbe Farbe rührt von einem be- sonderen Farbstoff', Lutein, her. Auch die anorganischen Salze fehlen nicht. Es sind im Gegen- satz zu den Blutkörperchen überwiegend Natriumsalze: vor allem Kochsalz, aber auch Natriumcarbonat, bei Fleischfressern auch Natriumphosphat, ferner phosphorsaures Magnesium. Von beson- '2(1 Die Reaclion des Blutes. Gesammtconcentralioii mul Gefrieipunlii. (lerer licdeuliiiig sind die IvalksaJze. nanicntlicli (.'alciunijjliospiial. Eine besonders wiclilige Rolle spielen, wie schon Ijemcrki . I»eini StofiVechsel die Gase, vor allem der Sauerstoff und die Itei der Oxydation in den Geweben entstehende Kolilensäure. Der Sauer- stoff ist nun zwar, wie oben angegeben, dei' Ifauplmenge nach an das Hämoglobin der Blutkörperchen gebunden, aber einerseits kann diese lose Bindung nur bestehen, solange die unigcl)eudf l'.hn- tliissigkeit liinreicliend mit Sauerstoff gesätligl isl. auderiTsi-ii.s können die Körperzellen den SauerslotT Jiicliv unmittelbar aus den rothen Blutkörperchen entnehmen, da sie Ja mit ihnen niehi in Berührung kommen, sondern sie erhallen ihn von dei' JjlutHüssig- keit, die stets eine gOAvisse, wenn auch geringe Menge Sauerstoff absorbirt enthält. Viel grösser ist die Menge der im Plasma ent- haltenen Kohlensäure, von der nur ein kleiner Theii einlach ab- sorbirt. eine viel grössere Menge an die Alkalien gebunden isi. Durch blosse Absorption enthält die lllultlüssigkeil ferner noch ge- ringe Mengen Stickstoff und Argon, die sich indiffereni verhalten. Die Reaction des Blutes. Bei diesen mannigfachen He- standtheilen ist es erklärlicJi. dass sich die Reaction des ßluies nicht ohne weiteres angeben lässt. Man findet beim Priifeji mit Lakmuspapier, oder besser mit in Lakmuslösimg getränkten Täfelchen aus porösem Thon, alkalische Reaction. und spriclii deshalb all- gemein von der Alkalinität des Blutes. Hiermit ist indessen nm- der Gehalt des Blutes an basischen Substanzen bezeichnet. Das Blut enthält aber auch saure Salze, deren Säurewirkune in gewissen Fällen hervortritt. Sobald das Blut zum Zweckender Untersuchung mit der Luft in Berührung gebracht wird, scheidet es Kohlensäure aus. und muss also schon dadurch stärker alkalisch erscheinen als es im natürlichen Zustande gewesen ist. Jeder Zusatz von Probeffüssigkeiten bedingt ebcnla l> Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes, die auf scheinungen gehört. Die Fähi'Wveit zu gerinnen ist aber eine pliysiologische liigenschalt des normalen Blutes. Diese Eigenschaft hat für den (iesamrat- körper die grosse Bedeutung, in allen Fällen von \ eiietzung den Blutverlust einzuschränken. Sobald uänilicli das Blut aus den ver- letzten Geweben austritt, wird es vermöge der Gerinnung fest, und verklebt auf diese Weise, falls die AVunde nicht zu gross war, sich selbst den Ausweg. Die Erscheinung der Gerinnung kann man unter dem Mikro- skop an einem Tröpfchen frischen Blutes beobachten. Man .sieht dann, wie sich die Blutkörperchen, die anfänglich im Plasma gleich- inässig vertheilt waren, zu Häufchen zusammenballen und sich endlich geldrollenartig dicht übereinander schieben. Zugleich scheiden sich in der Flüssigkeit faserartige Stränge festweicher Substanz ab, die als Faserstoff, Fibrin, bezeichnet werden. An grösseren, aus der Ader in ein Gefäss abgelassenen Blutmengen stellt sich der Vorgang so dar, dass etwa drei bis vier Minuten' nach dem Aderlass die bis dahin flüssige ßlutmenge zäh und gallertartiü wird. Die Gerinnung tritt nicht in allen Blutarten gleich schnell ein, am schnellsten beim Vogelblut, das fast un- mittelbar nach dem Ausfliessen erstarrt, besonders langsam beim Pferdeblut. Hier zeigt sich dann, wie oben erwähnt, dass vor dem Eintritt der Gerinnung die Blutkörperchen in der Flüssigkeit ab- sinken, und man kann in dem oben befindlichen klaren Pla,sma die .\bscheidung des Fibrins wahrnehmen, die über der zur Gallerte erstarrten rotlien Körperchenmasse eine weissliche Schicht bildet. Diese Schicht enthält auch zahlreiche weisse Blutkörperchen, weil diese sich langsamer zu Boden senken als die rothen. Ebenso verhält sich das Blut von fieberkranken Menschen, und man hat daher in früheren Zeiten, als sehr häufig zur Ader gelassen wurde, die Entstehung der Fibrinschicht, die man „Speckhaut" nannte, als diagnostisches Merkmal verwerthet. Lässt man die geronnene Blutmasse längere Zeit .stehen, so zieht sie sich immer mehr zu- sammen, indem aus dem Innern immer mehr von der ursprünglich darin enthaltenen Blutllü.ssigkeit nach aussen tritt. Man kann dann 28 Die Gerinnung des Blutes. an dem geronnenen Blute, je naclulera sicli eine Speckliaut gebildet hat oder niciit, zwei oder drei J3e.standtiieiie unterscheiden: Erstens die geronnene Gallerte, die die rothen Blutkörperchen enthält, die als I31utkuchen, Placenta sanguinis oder Crassamentum bezeiclinet wird, zweitens die darüber stehende Flüssigkeit und drittens die Speckhaut, die im wesentlichen aus weissen Blutkörperchen und Fibrin besteht. Die Flüssigkeit ist nun nicht etwa identiscii mit der normalen Blutflüssigkeit, dem Plasma, denn es iiat sich bei der Gerinnung aus dem Plasma der Faserstoff abgeschieden. Die Flüssigkeit ist also Plasma ohne die vorher darin entiialtene Fibrin- substanz, und wird deshalb zum Unterschiede vom Plasma als Blutserum bezeiclinet. Diese Unterscheidung ist für die Lehre von der Gerinnung wichtig, und sollte stets sorgfältig beachtet werden, es wird aber im wissenschaftlichen Sprachgebrauche nicht selten dagegen Verstössen, indem man die normale Blutflüssigkeit statt als Plasma als Serum bezeichnet. Der wesentliche Vorgang bei der Gerinnung besteht also darin, dass sich aus dem Plasma des normalen Blutes das Fibrin als festweiche Masse ausscheidet, und mehr oder weniger die ganze Blutraasse in Blutkuchen verwandelt, neben und in dem ein Theil der Flüssigkeit als Serum bestehen bleibt. Dieser Vorgang kann nun durch verschiedene Bedingungen in mannigfacher Weise verändert werden. Die Gerinnung wird ver- zögert durch Abkühlung, beschleunigt durch Erwärmen. Die Ge- rinnung tritt nicht oder nur spät ein, wenn das Blut innerhalb der Gefässe belassen wird. Wenn man also etwa ein mit Blut gefülltes Stück einer grossen Vene an beiden Seiten abbindet und senkrecht aufhängt, so sammeln sich, weil das Blut flüssig bleibt, die Körperchen alle in der unteren Hälfte des Gefässstückes, und oben bleibt reines Plasma stehen. Wenn dagegen irgend ein Fremd- körper, etwa eine Nadel, in ein normales Gefäss eingeführt wird, so bilden sich sogleich um den Fremdkörper Gerinnsel. Man hat hieraus auf eine" besondere gerinnungshemmende Eigenschaft der normalen Gefässwand schliessen wollen, es lässt sich aber zeigen, dass das Blut auch in Berührung mit Fremdkörpern oft lange flüssig bleibt, wenn nur die Oberfläche recht glatt und frei von Rauhigkeiten oder Verunreinigungen ist. Insbesondere kann die Gerinnung vermieden werden, indem man das Blut nur mit ein- gefetteten, also nicht benetzbaren Flächen in Berührung kommen iässt, und es auch vor der Einwirkung der Luft und etwa dann schwebender Staubtlieilchen durch Ueberschichten mit Oel schützt. Die Gerinnung kann ferner dadurch vollständig verhindert werden, dass man dem Blut den Fasorstofl' enizieht. Dies- lasst sich er- reichen, indem man das fri.sche Blut mit einem Bundolchon aus lluthen, einem Federwisch, oder auch mir mit einem «Jli>«sHil>/'"^ Zeit lang hdün umrührt und zu Schaum schlägt. Dabei Imdct durch die Berührung mit dem schaumschlagenden Instrument eine lebhafte .\usseheidniii; des Fibrins statt, dass sicli in (.estaii Die Gerinnung des Blutes. 29 flockiger Stränge zu einem losen Bündel um den schlagenden Stab formt', und in dieser Form ohne Weiteres aus dem Blute entfernt oder durch Filtration beseitigt werden kann. Man behält so eine Blutmenge von anscheinend unveränderter BeschalTenheit, die un- gerinnbar ist, weil sie an Stelle des Plasmas nur noch Serum enthält. Aehnlicli wie die Entziehung des Faserstoffs wirkt auch die Entziehung oder, was dasselbe bedeutet, die feste Bindung der im Blut enthaltenen Kalksalze. Man sieht hieraus, dass die Kalksalze im Blut bei der Gerinnung eine wesentliche Rolle spielen müssen. Setzt man zum Blut etwa ein Tausendstel des Gewichts Matriura- oxalat zu, das die Eigenschaft hat, sich mit Kalksalzen zu oxal- saurem Kalk umzusetzen, so wird dadurch die Gerinnung verhindert. Setzt man zu dem so behandelten Blut wieder eine ganz geringe Menge Calciumsalzlösung hinzu, so wird es sogleich wieder ge- rinnungsfähig. Dass es wirklich auf die Bindung der Kalksalze an- kommt, lässt sich daraus erkennen, dass Fluornatrium und Seifen, die ebenfalls Kalk zu binden vermögen, die gleiche Wirkung zeigen wie das Oxalat. Die specifische Bedeutung der Kalksalzc zeigt sich auch darin, da.ss, wenn man dem mit Oxalat behandelten Blut nur eine Spur zuviel Kalklösung zusetzt, die Gerinnungsfähigkeit nicht wiederkehrt, sondern dauernd aufgehoben ist. Von anderen Salzen muss man, um die Gerinnung zu hindern, dem Blut viel grössere Mengen zusetzen. So gerinnt Blut nicht, wenn es mit dem gleichen Volum zehnproccntiger Kochsalzlösung oder dem dritten Tlieil seines Volums gesättigter Magnesiumsulfatlösung ver- setzt wird. In so behandeltem Blute setzen sich die Körperchen wie in jedem nicht gerinnenden Blute allmählich ab, und man kann dann das mit der Salzlösung vermischte Plasma absaugen. Da.ss es nur der Ueberschuss an Salz ist, der in diesem Falle die Ge- rinnung hindert, ist daraus zu erkennen, dass die Plasmasalzlösung gerinnt, sobald man sie durch reichlichen "VVasserzusatz hinreichend verdünnt. l']s giebt nun noch eine ganze Reihe von Substanzen, die, wenn sie dem Blute zugesetzt werden, die Gerinnung aufhalten oder verllindern. Auf dem mehr oder minder grossen Gehalt an derartigen Substanzen dürften die Unterschiede in der Gerinnungs- fähigkeit des Blutes beruhen, das verschiedenen Körperstellen ent- nommen ist. So hat man gefunden, dass Pepton, Zuckerlösung, Malzdiastase und einige andere Stoffe die Gerinnbarkeit des Blutes aufheben, dass das Blut, wenn die Leber ans dem Kreislauf aus- geschaltet wird, seine Gerinnungsfähigkeit verliert, u. a. m. Be- sonders interessant ist, dass die Blutegel eine mit Alcohol extrahir- bare Substanz, Hirudin, enthalten, die schon in ausserordentlich geringen Mengen die Gerinnungsfähigkeit des Blutes völlig aufhebt. Hiervon wird in der Laboratorinmstechnik mitunter Gebrauch ge- macht. Der Nutzen, den die Absonderung dieses Stoffes für den Blutegel hat, liegt auf der Hand, denn wenn das von ihm auf- 30 Die Gerinnung des Blut^. gesogene Blul in seinem Darm zu einem ieslen Klumpen lierr.iinc wiirde er sicii kaum mein' bewegen, und die zähe Masse scliwerlic.ii verdauen können. . • , Aus allen diesen Beobachtungen gehl iiervor, dass, damii das Blut gerinnen könne, mehrere Bedingungen erfüllt sein müssen, die olfenbar nicht alle zusammentreffen, solange das Bhn unlcr nor- nuilcn Verhälinisscn im Körpei' kreisl. Erstens muss das Material vorhanden sein, aus dem die fe.st- werdende Masse, das Fibrin, entsteht. Das Fibrin ist ein Eiweiss- körper, der zu den coagulirten Eiweisskörpern zählt. Nun sind im Plasma, wie oben angegeben, eine ganze Reihe verschiedener J^iweisskörper enthalten, von denen insbesondere ein Globulin in seinen Eigenschaften so nahe mit dem Fibrin übereinstimmt, dass es als die Muttersubstanz des Fibrins angesprochen und als Fibrinogen" bezeichnet wird. Das Fibrinogen vermag aber natur- fich nicht ohne weiteres zu gerinnen und in Fibrin überzugehen, sonst würde dies jederzeit ebensowohl im normalen Dlute, als auch in anderen sogenannten serösen Flüssigkeiten eintreten müssen, die ebenso wie das Blutplasma Fibrinogen enthalten. Solche Flüssigkeiten gerinnen aber nur. wenn ihnen lUut oder Serum aus o-eronnenem Blut zugesetzt wird. Man kann sogar aus geronnenein Blut eine Substanz ausziehen, die die Eigenschaft hat fibnnogen- haltige Lösungen zur Fibringerinnung zu bringen. Diese Substanz bezeichnet man als Fibrinlerment oder Thrombin. Da aber die Gerinnung, wie oben angegeben, nur bei Gegenwail von Kali- salzen möglich ist und nach deren Fällung durch Oxalsäure au.^- bleibt, nimmt man an, dass sich zur Entstehung des Fibrinferments <^rst noch eine andere Substanz, die man als Prothrombm be- zeichnet, mit Kalksalz verbinden müsse. Dies Prothrombin hat man aus dem Blute abscheiden und als ein Nucleoproteid be- stimmen können. Die Bedingungen für das Zustandekommen der (Gerinnung würden demnach sein, dass durch Zusammentreten von Prothrombin und Kalksalzen Fibrinfermenl entstellt, das dann das N orhandene Fibrinogen in Fibrin umwandelt. Im normalen B ute .ind lösliche Kalksalze und Fibrinogen st,ets reichlich vorhanden, offenbar ist es also die Entstehung des Prothrombins, die zur Ge- rinnung führt. Nun zeigt sich, dass, um in librmogenhalt.gen aber librinfermentfreien Lösungen Gerinnung herbeizufuhren, von allen liestandthcilen des geronnenen Blutes die SpecklKUit am wirksam- 6l,en ist. Die Speckhaut zeichnet sich aber von den übrigen l.e- standth.'ilen dei geronnenen Blutes durch ihren Reichthum a weissen Blutkörperchen aus. Ferner hat man gefuniU^n, dass in geronnenem P.lute die Anzahl der weissen Blutkörperchen seh. er- heblich, etwa um die Hälfte, kleiner ist als ,n der N^n' • thierischc Flüssigkeiten, Lymphe, Harn, Speichel, Sperma, erzeugen, ins Blul von Versuchsthieren eingeführt, Praecipitine, die im Blutserum der- jenigen Thierart, von der die betreffende Flüssigkeit entnommen war, Fällung geben. Immunität. Auch die iMninipfung von Microben, die Ein- spritzung von Culturen oder abgetödteten Ciilturextracten sowie von manchen Giftstoffen erhöht die Fähigkeit des Blutes, den be- R. ilu B 0 i s - Re y m 0 n d , Physiologie. g I Einfacher und doppelter Blutkreislauf. treilciulcn ScJiäcligimgeu zu widerstehen. Mau luuinii an, dass analog der Bildung der Praecipitine, auch hier besondere Stofto im Blute gebildet werden, die man als Schutzstofl'e, Alexine, bezeichnet. Auf das Vorhandensein dieser StoRc führt man die Unem|)ianglich- keit gegen Ansteckungen oder Giftwirkungen zurück, die bekannt- lich in vielen Fällen nach der Einwirkimg von Krankheitskeimen oder Giften l)esteht, und die als „Immunität" bezeichnet wird. 2. Der Blutkreislauf. Einfacher und doppelter Kreislauf. Es ist srhon eiu- o-angs angegeben worden, dass das Blut, um seine Aufgabe als Vermittler des Stoffwechsels zu erfüllen, den Geweben zulliesseii und auch von ihnen fortfliessen muss. Diese Bewegung des Blutes findet innerhalb des vollständig geschlossenen Gefässsystems statt, sodass das Blut mit den Geweben nm- mittelbar in Berührung kommen kann. Die Wandung der Capillaren ist aber so dunn und ihre Gesammtoberfläche so gross, dass durch die Wand hindurch ein hinreichender Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebsilussig- keit möglich ist. Die Bedingungen für diesen Stoffwechsel werden dadurch annähernd gleichförmig unterhalten, dass das Blut im Gefässsystem fortwährend in derselben Richtung fortgetrieben wird, und indem es der geschlossenen Gefässbahn folgt, immer wieder von Neuem denselben Weg macht. Diese in sich selbst zurück- laufende Bewegung des Blutes wird der Kreislauf des Blutes ge- °^™Die Blutbahn stellt bei den niedrigsten Wirbelthieren, den Fischen, thatsächlich ein einziges in Gestalt der Capillaren un- Pig. 7. B>. Verion dui- laiiggestiokte» Leber und der Kreislauf des Fisclie.s, lialbsdieraatisoli. Aus ' " ."",/7;°''Keraeiiisame Kieincnarlerie Hauiiturleiie hervorgent. das in sich selbst zurück- Einlacher und doppellei- Kreislauf. 35 wieder zuströmen miiss. Diese Triebkrart wiixl durcii das Herz dargestellt, das genau wie eine Druckpumpe arbeilet. So treibt denn aucii das Herz der Fische das Blut durch ein^ einziges llauptgefäss zunächst in dielviemen, wo sich die ßiutbahn inCapillaren auflöst, und durch diese Capillaren iiindurcli in die aus ihrer Vcreini- üum;- entstehenden Körperarterien, die sich wiederum in Capillaren üieilen, aus denen dann die Körpervenen das Blut dem Herzen wieder zuführen. Auf dicseAVeise gelangt das Blut erst, naclidemes dielüeraen- capillaren durchströmt hat, zu den Geweben des Fischkörpers. Die Durchströmung der Gewebe kann auf dieser Entwiekhmgsstufe daiioi- nur zicmlicii langsam und träge voi- sich gehen, weil von der Triebkraft des Hei-zens ein grosser Theil schon für die Durch- blutung der Kiemen verbraucht M^orden ist. Bei den höher- enfwielelten Wirbelthieren, den Vögeln und Säugern, bei denen der Stoffwechsel lebhafter ist, werden an den Kreislauf höhere Anforderungen gestellt, und ihr Plerz ist zu einem doppelten Trieb- werk ausgebildet. Die Strömung, die in einer kreisförmig ge- scidossenen Leitung durch eine Pumpe hervorgerufen wird, kann nändicii offenbar dadurch beliebig beschleunigt werden, dass man irgendwo im Verlauf der Leitung weitere Pumpwerke einschaltet, die in gleichem Tempo wie das erstere arbeiten und so den An- trieb verstärken. Bei den Warmblütern ist die Kreislauf pumpe auf eben diese Weise verdoppelt. Die Bahn des Kreislaufs führt ein- mal durch das Capillarsystem der Lunge und dann durch das Capillarsystem des Körpers. Anstatt dass, wie bei den Fischen, für den ganzen Umlauf nur ein Triebwerk vorhanden wäre, ist für Jedes der beiden Gapillarsysteme ein besonderes Triebwerk ausge- bildet. Oertlich sind diese beiden Triebwerke im Herzen vereinigt, indem das Triebwerk für die Körpercapillaren von der linken, das für die Lungencapi Ilaren von der rechten Herzhälfte gebildet wird. Die Blutbahn stellt also, was ihren örtlichen Verlauf betrifft, zwei Kreisbahnen dar, indem das Blut erst von der rechten Herzhälfte aus durch die Lungenarterie in die Lungen und von da durch die Lungenvenen zum llerzen zurück und dann wieder von der linken Herzhälfte .durch die Aorta, die Körpercapillaren und die Körper- venen wieder zum Herzen zurück getrieben wird, üm von irgend einer Stelle des Körpers aus den Kreislauf durchzumachen und wieder an dieselbe Stelle zu gelangen muss also das Blut zweimal (hirch das Herz hindurchgehen und erhält einmal von der rechten und das andere Mal von der linken Hälfte neuen Antrieb. Der gesammte Blutumlauf lässt sich also als ein einziger in sich selbst zurückfüln-ender Kreislauf auffassen, der an zwei Stellen Trieb- werke enthält; man kann aber auch, da dieTriebwerke beide iniHerzen gelegen sind, den Weg des Blutes als eine doppelte lireisbahn aulfassen, die vom Herzen weg durch die Lungen und wieder zu- rück führt. Beide Auffassungen bestehen gleichwerthig neben- einander. Der ersten folgend spricht man schlechtweg von Umlauf, Kreislauf oder Circulation des Blutes im Allgemeinen, und daneben 3* 36 Einfaolier und doppelter Kreislauf. Das Herz. Ijczcieliiici iiuiii die Balm des Blules vom Herzen durch die J^ungeii und zurück als den kleinen Krei-slaul', die J3alin vom Herzen duVcli die Körpcrgefcässe und zurück als den grossen Kreislauf. Im Herzen findet der ITebergang aus dem kleinen in den grossen Kreislauf dadurch statt, dass die Hohlvenen das von der Lungeiikreisliiuf. Fig. 8. Körperkreislauf Schema des Kreislaufs. linken Herhälfte herkommende Blut des Körperkreislaufs der rechten Herzliälfte zuleiten, die es in den kleinen oder Lungenkreislauf treibt. Eben dadurch werden kleiner und gro.sser Krei.slauf zu dem Ringe des Gesammtkreislaufs aneinandergeschlossen. Das Blut, das den Körperkreislauf durchgemacht hat, wird durch die Lungen getrieben und kehrt dann in den Kreislauf zurück, sodass die Ge- webe des Körpers stets mit solchem Blut versorgt, werden, das eben durch die Lungen hindurchgegangen ist. Das Herz. Das Herz als Pumpwerk. Die Thätigkeil dos Herzens ist im Vorhergehenden als die eines Pumpwerkes bezeichnet worden. Genauer betrachtet besteht das Herz, wie oben ausgeführt, aus zwei einzelnen, durch die Längsscheidewand von einander getreiinton Pumpwerken. Jedes dieser Pumpwerke besteht im Wesentlichen aus einem von einer starken Wand aus :\luske]gcwebe gebildeten Hohlorgan, der Herzkammer (Ventriculus). Indem sich die ^Iuskel- fasern der Kammerwand zuzammenziehen, verkleinert sioli der Binnenrauni der Kammer, und das in ihr enthaltene Blut wird m die aus der Kammer entspringende Arterie gepressi. Lässi am n n- hanii- mit ihrer Function, da die rechte Kammer ''f /''"V.";;';; die ' kurze ßalin des Lungcnkreislaules zu treiben hat ^vah end k linke den Antrieb für den gesammten Körperkreislauf '^'^ ^ Die Muskulatur der Vorhöfe ist viel schwac-^.cr al^ die I Kammern, und in ähnlicher Weise angeoi'dne fahrend :n, -kn beiden Kammern, wie erwähnt, ein Thei .ler Käsern geiadezu , - nieinsam ist. und die übrigen in enger \ erbindung ; ^ Muskulatur der Vorhöfe von denen !^\^'^:''''" ^'^^^Jt^^ o-cfrennt. Nur an einer Stelle, an der Hmterseitc der L.ngsscheuk - wand geht ein Muskelbündel aus der Yorliofswand in die Kammer- Die Formveränderung des Herzens. wand über. Im Uebrigen ist die Verbindung diirdi Bindegewcbs- masscn und Faserknorpel hcrgesterit, die unter dem Namen der Faserringe lAnmdi librosi) als einheitliche anatomische (.Tebüde gewissermaassen als die Sehnen des Herzmuskels beschneben worden sind. Bei grossen Thieren, lieim Stier, Pferd und JUephant treten in tlen Faserringen Verknöcherungen auf. Die Formänderung des Herzens. Wenn sich die Gesammt- heit der Muskelfasern, die die Wand der Herzhöhlen bilden, zu- sammenzieht, verkleinert sich der Binnenraum bis fast zum \ er- schwinden. Dabei wird das im Zustande der Ruhe verhältniss- mässig weiche und schlaffe Herz prall und hart, und verändert seine Form und Lage. Man kann die Gestalt des Herzens im er- schlafften Zustande annähernd der eines abgeplatteten Kegels ver- gleichen, der mit einer seiner platteren Flächen der Zwerchlell- kuppe aufliegt, während die Spitze nach bauchwärts und fusswärts gerichtet ist. Die Basis des Herzens ist also einer Ellipse mit iransversal gerichtetem grössten Durchmesser zu vergleichen. Die Längsaxe des Herzens steht, wegen der Richtung der Herzspitze nach fusswärts, nicht senkrecht sondern geneigt gegen die Basis. Bei der Zusammenziehung verkleinert sich vornehmlich der Durch- messer der Herzbasis in transversaler Bichtung, sodass die Herz- basis annähernd kreisförmig wird. Zugleich nähert sich die Rich- tung der Längsaxe gegen die Basis, die im erschlafften Zustand gegen die Basis geneigt ist, der senkrechten Stellung. An Stelle des schiefen Kegels mit elliptischer Basis, mit dem die Gestalt des erschlafften Herzens verglichen wurde, darf also zur Beschrei- bung des zusammengezogenen Ilerzens annähernd der Vergleich mit einem regulären Kegel treten. Diese Aenderung der Gestalt entspricht dem allgemeinen Gesetze, dass ein elastischer Hohl- körper bei Verkleinerung einer Oberfläche diejenige Gestalt anzu- nehmen strebt, die bei kleinster Oberfläche den grössten Inhalt hat, denn für gleichen Inhalt hat der reguläre Kegel eine kleinere Ober- lläche als jeder schiefe oder abgeplattete Kegel. Ausserdem aber ergiebt .sich aus dieser Gestaltänderung eine einfache Erklärung für die Erscheinung des Herzstosses, von der weiter unten die Rede sein wird. Ausser dieser Gestaltveränderung findet bei dei- Zusammen- ziehung eine gewisse Drehung des Herzens um seine Längsaxe statt, die von der schrägen Richtung herrührt, in der sich die gro.ssen Gefässe bei der Austreibung des Blutes anspannen. Am blossgclegten Herzen wird der Eindruck, dass das Herz sich bei jedem Selilage rechtsum windet durch die A^erschiebung dei' äusser- sten Muskelfaserschichten des Wirbels an der Herzspitze verstärkt. Im Gegensatz zu der Muskellhätigkeit der Herzkammern, die man als eine gleichzeitige Verkürzung aller Fasern bezeichnen darf, lässt sich an den Vorhöfen deutlich wahrnehmen, das« die Verengung an der Einmündungssteile der Venen beginnt, und gegen die Herzkammer hin forischreitel. Die Znsammenziehung der Vor- 40 Die Herzklappen. Die Atriovenlriculavklappen. hüle stellt sich also geradezu als ein Auspressen des Inhalts in der Richtung nach der Herzkammer dar. Die Herzklappen. Damit durch die angegebenen Bewegungen des Herzmuskels das Blut thatsächlich in der beschriebenen Weise stets in derselben Richtung l'ortgetrieben werde, bedarf es nocli einer besonderen F.inrichtung, durch die die Aehnlichkeit zwischen dem Herzen und einer Druckpumpe vervollständigt wird. Ebenso wie der hin und iicr gehende Kolben im Stiefel einer Pumpe ertheilt auch die periodische Zusammenziehung und Er- schlaffung des Herzens der darin enthaltenen Flüssigkeit un- mittelbai-' nur eine abwechselnd aus- and einströmende Bewegung. Bei der Erschlaffung würde demnach das Blut aus Arterien und Venen zugleich ins Herz eintreten, bei der Zusammenziehung nach beiden Richtungen zugleich ausgetrieben werden, und es würde überhaupt keine Kreislauf bewegung zu Stande kommen. In jedem periodisch arbeitenden Pumpwerk bedarf es daher emer Vorrich- tung, die den Wechsel der Stromrichtung verhindert, nämlicli emes Ventils, das die Flüssigkeit nach einer Richtung durchlässt, sich aber gegen die Rückströmung schliesst. Indem bei der wechseln- den Thätigkeit der Pumpe das Ventil sich abwechselnd öffnet und schliesst, lässt es eine Flüssigkeitsmenge nach der andern durch, und erzwingt so eine Bewegung der ganzen Flüssigkeitsraenge in Einer bestimmten Richtung. Solcher Ventile sind nun an jedem Pumpwerk des Herzens, also in jeder Herzhälfte, zwei vorhanden in Gestalt lüiutiger Klappen, die in der Oeffnung zwischen \ orhol und Kammer (Atrioventricularklappen) und in der Oeffnung der Herzkammer in den ausführenden Arterienstamm (Semilunarklappeni angeheftet sind. .-im Die Atrioventricularklappcn. Die Atrioventricnlarklappe der linken Seite besteht aus zwei, die der rechten Seite aus drei Lappen oder Zipfeln, die in die Herzkammer hinabhängen. Die linke wird mit einer zweiziptligen Bischofsmütze, Milra, verglichen und heisst deshalb Valvula mitralis, die rechte heisst die droizipilige, Valvula tricuspidalis. Wenn sich der Vorhof zusammenzieht und das Blut gegen die Herzkammer zu treibt legen sich die Klappen ffach an die Wand der Herzkammer und lassen dem Blutslrom freie Bahn, wenn sich nun aber die Herzkammer zusammenzieh und das Blut aus ihi' in den Vorliof zurückzuströmen f ebt, liebt^ der Andrani^' des Blutes die Zipfel der klappen und Ire'bt se gegen die Oeffnung zusammen, sodass er sich selbst denAAcg vci- sperri:. Die Klappen an sich würden reil.ch keinen «icboren \e - schluss bewirken.' da sie aus ganz dünnen "achgiobigei Hauten bestehen, die ebenso leicht, wie sie dem Bluistrom m de. R ö - tung vo.n Vorhof zur Kammer nachgeben, in der ent^gegengesetzli.M Richtung nach dem N'orhof zu umgeschlagen ; die Händer und überhaupt die ganze Mache der Klappen sind mit Z Kammerwand durch 'feine Sehnenfäden. C ordae tendine^e ver- bunden, die ihnen nicht gestritten weder als bis zum völligen \e.- Die Ätiioventricularlclappen. 41 schluss der Atnoventriculai-öfTnung emporzusteigen. Die Klappen- haut wird also in der Schlussstellung durch die Sehnenfaden längs des Randes und auf ihrer Fläche in ähnlicher Weise gegen den Blutdruck der Kammer gehalten, wie die Segel eines Schitles durch Seile '^egen den Winddruck. Daher hezeichnet man diese Art Ventil \ls Segelventil und nennt die beiden Atrioventricularklappen au(di kurzweg die Segelklappen. Segelklainien offen geschlossen Die Länge der Sehnenfäden ist genau so bemessen, dass die Klappen sich zu einer die Oeffnung quer schliessenden Wand zu- sammenschlicssen können, während sich ihre Eänder noch in solcher Breite aneinander legen, dass sie selbst bei etwa eintretenden Un- regelmässigkeiten in der Ausbreitung der Klappen sicher schliessen. Di'e ganze Vorrichtung arbeitet selbst am todten ausgeschnittenen Jlerzen so sicher, dass, wenn man Wasser unter Druck in die Herzkammer treibt, nur wenige Tropfen entweichen ehe sich die Klappe schliesst, und dass man dauernd einen hohen Druck auf der Klappe stellen lassen kann, ohne dass die Flüssigkeit durch- dringt. Vollends im lebendigen Zustand hat man durch Unter- suchungsmethoden, die unten zu besprechen sein werden, festgestellt, dass die Klappen sich augenblicklich schHessen oder, wie der tech- nische Ausdruck heisst, sich augenblicklich „stellen", wenn die Zusammenziehung der Kammer beginnt, sodass sich keine Spur von Rückströmung nachweisen lässt. Hierzu trägt noch eine be- sondere Einrichtung bei, die von der wunderbar zweckmässigen Aus- bildung des Herzens als Pumpwerk das erstaunlichste Beispiel ge- währt. Die „Stellung" der Klappen hängt, wie oben angegeben, von der Länge der Sehnonfäden ab. Die Sehnenfäden sind an der Kammerwand befestigt. Bei der Zusammenziehung bleibt aber offenijar die Kamnierwand nicht in Ruhe, sondern durch die 4-2 Die Ailerienldappen. Voreiii^img der Kanuucr müssen die ljrspriirigs|)uiikl(' der SeliiiLMi- l'äden sich den Anhertungsstellen an den Kluppen nälierii. Wäre also die Länge der Sehnenfäden unveränderlich, so würden mit zunehmender Verengung der Kammern die Klappen immer weiter nacligeben können. Nun sind aber die Selmeiifäden , slail einfach an beliebigen Stellen der Kammerwaud selbst zu ent- springen, an ihr durch mehr oder weniger lange Muskelstränge, die Papiliavmuskeln, befestigt. Die Fasern dieser Muskeln gehen aus der Muskulatur der Herzwand hervor, und stellen so zu sagen blosse Ausläufer der Kammermusculatur dar. Sie ziehen sich infolgedessen natürlich auch gleichzeitig mit der Kamnierwandung zusammen und verkleinern dadurch die Gesammtlänge der Sehnen- fäden genau in dem Maasse, als sie durch die Zusammenziehung der Kammerwanfl vergrössert Averden würde. Auf diese Weise ist die Einstellung dei- Klappen unabhängig von der Grössenverände- rung des Herzens, üebrigens sind auch in den Klap|)en selbst, längs ihrer Anheftungsstel'le an der Wand, Muskelfasern vorhanden, die zur zweckmässigen Bewegung der Klappen beitragen können. Die Arterienklappen, die nur viel kleinere Oeffnungen zu ver- schliessen haben, sind von viel einfacherem Bau. Jede besteht aus drei halbkreisförmigen Häuten, die längs ihres Umfangs an der Arterienwand festsitzen, während iln- grader freier lland in die Lichtung des Arterienrohres vorragt. Jede dieser Häute bildet also eine Tasche an der Arterienwand, deren geschlossener Boden nach dem Herzen zu gerichtet ist, während die Oeffnung nach der Arterie zu liegt. Fig. n. Semilunarklapppii beim Mensclieii. 1i;ui1ik< r l Uiintii. Die ArterionwniHl ist aufgescl.niUo., und llacl. ausgebreitet. Diese sogenannten Taschenklappen arbeiten ganz ähnlirh wie .lie Scgelklappen. nur .lass sie, da sie kleiner sind und an eme verhäUnissmässig viel grössere Strecke hin an der Arterien ^a angeheftet sind, keiner' besonderen Versteifung durch ^^ehiieiihulu bedürfen. Wenn bei der Zusammenziehung der Herzkammei das Blut durch das Arterienrohr ausgetrieben wird, "^^f " r'l „ r,'. : Taschen gefallet an die Arterienwand an und lassen die '^a ^ Wird dagegen das iUut aus der Arterie in die l^f •^•l^"'"'""^ .T^t; getricbeiK so erfüllt es sogleich die drei raschen |,Ti gegen die Mitte hin vor. sodass sie anemandersin... „ unri alle < Die Arterienlilappcn. 4.3 mil ihren breit aneinandersehliessenden Eändern einen volJständig dichten Querabscliluss bilden. , .. . , In der Mittes des freien Randes jeder der Klappenhaute be- findet sich ein kleines Knötchen, Nodulus Arantii. Diese Knötchen Seinihinniklappeii geschlossen, in natürlicher Lage, von oben gesehen. o-reil'en beim Schluss der Klappen mit besonderen Vorsprüngen so in einander, dass die Kla|)pcnränder nicht von einander abgleiten können. Es bedarf hier vielleicht noch einer xVntwort auf die i*rage, warum nicht ein einziges Ventil für jede Herzhälfte hinreicht, da doch offenbar schon ein einziges Ventil der Strömung in einem geschlossenen Röhrensy.stem ihre bestimmte Richtung giebl. Dieser Punkt wird weiter unten, wo von der Bewegung des Blutes die Rede ist, au.sführlicher erörtert werden. Vorläufig sei hier an- gegeben, dass wegen der Nachgiebigkeit der Gefässwände das Gefässsystem sich nicht durchaus wie ein geschlossenes Röhren- sy.stem verhält. Wenn die Herzkammer ihren Inhalt in die Arterie ekleert, schiebt sie nicht unmittelbar die gcsaminte Blutmenge im Kreislauf ein Stück weiter, sondern sie dehnt zunächst nur die Wand des unmittelbar benachbarten Arterienstückes. In Folge der Elasticität der Arterienwand würde daher in dem Augenblick, in dem die Herzkammer erschlafft, der grösstc Theil des eben aus- getriebenen Blutes wieder zurücklaufen, wenn die Artcrienklappen dies nicht verhinderten. Umgekehrt könnte man nun fragen, warum, wenn bei der Zu- saniincnziehung der Kammer ein Ventil erforderiich ist, um das Zurückströmen des Blutes in den Vorhof zu verhindern, und l)ei der Erschlaffung der Kammer ein zweites A^entil da sein rauss, um das Zurückströmen des Blutes aus den Arterien zu verhüten, warum es dann keines Vcntiles bedarf, um zu hindern, dass bei der Zu- sammenziehung der Vorhöfe das Blut statt vorwärts in die Herz- kammern, vielmehr rückläufig in die Venen getrieben werde? Der Grund dieser Verschiedenheit i.st im Wesentlichen in dem Unter- schiede der Druckkräfte zu suchen, die in beiden Fällen im Spiele sind, und wird weiter unten bei der Erörterung des Blutdruckes verständlich werden. Inzwischen sei darauf hingewiesen, dass, wie oben angegeben, die Zusaiiimcnzieliung der Vorliöfe von den Venen 44 Aeussere Zeichen der Ilerzlhätigkeit. nach der Kammer zu l'ortschreitet, und dadurcli der Jiückslauuui; ■entgciicn arbeitet. Aeussere Zeichen der Herzthätigkeil. Von der Tiiätig- l;oit der ganzen, eben besciiriebenen Pumpmascbine, die unablässig im Körper arbeitet, ist äusserlich überraschend wenig wahrzunehmen. Nur wenn bei äusserster Anstrengung oder krankhafter Verstärkung •der Herzarbeit das sogenannte ,,HerzklO])fen" auftritt, \'erspürt man die heftigen Bewegungen des eigenen Herzens, und kann sie ■an anderen Menschen oder an Thieren an den Erschütterungen der Brustwand erkennen. Bei massigen oder mittleren Graden der Thätigkeit ist dagegen ohne besondere Untersuchung so wenig von der Bewegung des Herzens zu bemerken, dass der Anblick des lebenden Herzens, am Versuchsthier mit eröffneter Brusthöhle, oder ■am Menschen mit Hilfe der Röntgendurchleuchtung immer von Neuem überrascht. Für den Arzt, der die Thätigkeit des Herzens untersucht. Ijieten sich ausser der mittelbaren Wirkung auf den Puls vor- nehmlich zwei äussere Zeichen dar: der Spitzenstoss des Herzens xtnd die Herztöne. Den Herzstoss oder das Pochen des Herzens kann man ran dei- aufü-elegten Hand an der linken Brustseite, meistens am deut- lichsten" im fünften Intercostalraum etwas raedianwärts von der Mammillarlinie, fühlen. Dies ist die Stelle, wo die Herzspitze un- mittelbar der inneren Fläche der Brustwand anliegt. Obgleich man im Sprachgebrauch vom „Pochen« oder „Schlagen« des Herzens redet, und auch bei der Palpation die Empfindung hat, als schlage etwas von innen gegen die Brustwand, ist es doch unzweifelhalt, dass ein eigentliches Anschlagen der Herzspitze nicht stattfindet, sondern dass die Herzspitze dauernd gegen die l^rustwand an- .-■('drückt ist. Der Eindruck, als schlage das Herz gegen die Tirustwand. ensteht nur dadurch, dass die Herzspitze, wie oben angegeben,' bei der Zusammenziehung der Merzkammer plötzlich hart wird und sich emporhebt, sodass sie die bru.stwand vortreibt Beim Untersuchen mit der aufgelegten lland kann man am Herzstoss die mehr oder minder rasche Folge und die Stärke der Herztliätigkeit beurtheilen, oder die Verlagerungen des Herzens, die in pathologischen Fällen vorkommen ^ an der Ortsveränderung des Spitzenstosses erkennen. ^Auch Ijcim (.esunden ändert sich die Lage des Herzens, und damit die Stelle des Spitzen- stosses. indem sie ' mcrklicli nach rechts oder links rückt, wenn der Körper auf der rechten oder linken Seite liegt, und auch im Stehen ein wenig weiter fusswärts gefunden wird als beim Liegen. Um den Verlauf des Merzstosses und seine Beziehung zur Zusararaen- zielumg des Herzens genauer erforschen zu können, hat man \ or- richlungcn gobaul, die die Bewegung der Brusiwand in vergrossertem ^laassslabe aufzeichnen. „k.,„„. Rcgistrirapparate. Dies Verfahren wird zur Untersuchung von Bcvvegungsviiängen in Cstoss maassgebend. Diese Umstände genügen vollauf, den Rhythmus der Herzthätigkeit. 49 Unterschied zwischen den Tönen des blossgelegtcn und des im normalen Körper schlagenden Herzens zu erklären. Einfacher ist die Erklärung des zweiten Herztoncs, der in dem Augenblick erklingt, wenn die Herzkammer erschlafft, und die Semilunarklappen sich schliessen. Wird der Schluss dieser Klappen verhindert, so fällt der zweite Herzton fort. Der zweite Herzton entsteht also ausschliesslich durch die Erschütterungen, die mit dem Schluss der Semilunarklappen verbunden sind. Damit stimmt der scharfe, kurze Klang des zweiten Tones sowie der Umstand, dass er etwas höher ist als der erste, gut überein, denn die Semilunarklappen müssen infolge ihrer geringeren Grösse kürzere Schwingungen machen und daher einen höheren Ton geben als die Atrioventricularklappcn. Es versteht sich von selbst, dass, da beide 11 erzhälft en gleich- zeitig arbeiten, die beiden Semilunarklappen und die beiden Atrio- ventricularklappen sich gleichzeitig schliessen, und dass also jeder Herzton aus dem gemeinsamen Schall zweier Klappen hervorgeht. Der angegebenen Entstehungsweise der Herztöne entspricht tlie Thatsache, dass der erste Ton am stärksten über der Herz- spitze gehört wird, also da, wo die Kammern der Brustwand an- liegen, während der zweite Ton an den Stellen am deutlichsten zu vernehmen ist, die über den Ursprungsstellen der grossen Gefässe liegen. Man kann also auch den Ton jeder einzelnen Klappe für sich untersuchen, indem man das Ohr an diejenigen Stellen links und rechts vom Brustbein bringt, die der betreffenden Klappe am nächsten sind, sodass die von ihr ausgehenden Töne die der übrigen Klappen überschallen. Das Behorchen der Herztöne, Auscultation, lehrt einerseits, ob das Herz und insbesondere die Klappen in normalem Zustand sind, zweitens bietet sie ein Mittel dar, die einzelnen Phasen der Herz- thätigkeit bei der Untersuchung zu unterscheiden. Der erste Herzton beginnt mit der Zusammenziehung der Kammer. Der zweite Ton bezeichnet den Beginn der Erschlaffung des Herzens. Die Herz- pause folgt unmittelbar auf den zweiten Ton. Diese Verhält- nisse sind wiederholt genau festgestellt worden, nachdem es ge- lungen ist, mit Hülfe des Mikrophons und photographischer Schreib- vorrichtungen die Herztöne in das gleichzeitig aufgenommene Cardiogramm einzuzeichnen. Rhythmus der Herzthätigkeit. Mit Hülfe der graphischen .Methoden kann man nun die Vorgänge bei der Herzbewegung im Einzelnen genauer untersuchen. Zu diesem Zwecke werden bei Versuchsthieren am blossgelegtcn Herzen Vorrichtungen angebracht, die die Bewegung bestimmter Theile des Herzens auf Schreibstifte übertragen, oder es werden in die Herzhöhlen selbst Röhren ein- geführt, an deren Enden sich aufgeblasene Gummibeutel befinden (sondes enregistrateur.s), die bei der Verengung der Ilerzhöhlcn in ähnlicher Weise wie Marey'sche Trommeln die .Schreibvorrichtungen in Bewegung setzen. Insbesondere für die Untersuchungen am R. du Boi s-Rey in on (1 , Pliysiologio. i 50 Rhythmus der Herzthäügkeit. Die Herzpause. Froschherzen wird ferner die Eugelmann'sche Suspensionsmethode ano-ewendet, die darin besteht, das durch eine ganz feine Klemme an einem Faden unmittelbar an einem zweiarmigen Schreibhebel befestio-te Herz durch passende Belastung des Hebels soweit aus der Brusthöhle hervorzuziehen, dass jede Zusaramenziehung der Herzwand sich durch einen deutliclien Ausschlag des Hebels kund- thut Man erhcält durch alle diese Verfahren Aufzeichnungen der Herzthätigkeit in Form von Curven, an denen namenthch der zeit- liche Verlauf der einzelnen Vorgänge genau verfolgt werden kann. Man bezeichnet die einzelnen Abschnitte, die m der Bewegung zu unterscheiden sind, als Phasen der Herzthätigkeit die Zeitdauer, die von einer Phase an verstreicht bis sich dieselbe Phase wieder- holt als die Periode des Herzschlages oder eine Herzrevolution. In der Bewegung jedes Herztheiles sind zwei Hauptphasen zu unterscheiden, die der Zusammenziehung und die der Erschlaüung. Die Phasen der Vorhofsbewegung fallen, A\de oben schon angegeben worden ist, mit denen der Kammerbewegung nicht zusammen sind ihnen ^aelmehr gerade entgegengesetzt indem der \or^iof s.^^^ zu- sammenzieht, wenn die Kammer <^rschlaiTt ist, und easchlafft isL während die Kammer sich zusammenzieht. Die Pha^e der Zu se^uraenziehung der Kammer wird als Systole, die der Erschlaffung drSmer als Diastole des Herzens bezeichnet. Diese Ausdrucke .Vörden auch auf die Thätigkeit der Yorhöfe übertragen, sodass Tan Ttatt z sau menziehung'des Vorhofs auch Vorliofssvstole s^t Wo^'er von Systole oder Diastole schlechtweg die Rede ist, wird hie. die Zusammenzichung oder ErschlalTung der Herzkammer gemeint. , t r, i -u Die Herzpause. Bei genauerer Untersuchung des Zeitverhair- nisses z wischen Systole und Diastole stellt sich nun ein Umstand henrus, cleff i d e mec^^ "^^^-^S der Herzthätigkeit von der a Uer- g Lsl tdelng ist. Systole und Dh^tole ^^^^^^^^^ deich lang und theilcn also die Herzperiode in gleiche i eiR. Die Lsammenziehung der Vorhi.fe währt aber nur el,wa halb so w^ r rSchkiffung. Wenn man ««e Herzperiode in 6 Zei - theile Teriegt, nimmt die Vorliofssvstole etwa ^^^ei von diesen e. Se^ dn- 'nächsten vier sind die Yorhöfe erschlalTl. Die Systole Schlagvolum des Herzenz. 51 der Kammer foli;l unmittelbar auf die der Vorhüfc, und dauert Avährend der halben Periode, also nur durch drei der angenommenen Zeitabschnitte. Dann tritt ErsclüafVung der Kammer ein, wälircnd auch der Yorhof, dessen Diastole ja vier Zeittheiie einnimmt, noch erschlafft ist. Es giebt also eine Phase von etwa '/,.. der Herz- periode Dauer, während der sowohl Vorhof wie Herzkammer beide erschlafft sind. Diese Phase ist die sogenannte Herzpause. So unbedeutend diese ganz kurze Lücke in der ?Ierzbewcgung er- scheint, in Wirklichkeit ist sie für die Arbeitsleistung des Herzens so wichtig, dass sie in der oben gegebenen einfachen Darstellung des Herzens als Pumpe eine wesentliche Veränderung erfordert. Wenn nämlich, wie oben bei der Schilderung der Herzbewegung kurzweg gesagt worden ist, Vorhöfe und Kammern in ihrer Thätig- keit thatsächlich genau mit einander abwechselten, so würden durch jede Zusammenziehung der Kammern diese entleert, und durch die "nächstfolgende Zusammenziehung der Vorhöfe wiederum gefüllt, um sich abermals zu entleeren. Jede Kamraersystole Avürde also nur diejenige ßlutraenge austreiben, die dem Binncnraura der Kammern allein entspricht. Dadurch, dass die Erschlaffung des Vorhofes über die Dauer der Kammersj^stole hindurch fortbesteht, die Kammer also schon erschlafft ist, ehe der Vorhof sich zusammen- zuziehen beginnt, ist der wirkliche Vorgang ein ganz anderer. Es füllen sich nämlich während der Diastole der Vorhöfe nicht nur diese allein wieder, sondern, sobald die Herzkammer zu erschlaffen be- ginnt, also in der Herzpause, rückt auch schon das Blut aus dem Vorhof in die Herzkammer ein, während zugleich das aus den Venen zutliessende Blut den Vorhof gefüllt hält. Am Schlüsse der Herzpause, also in dem Augenblick, in dem die Zusammen- zichung der Vorhöfe beginnt, sind daher alle vier Herzhöhlen mit Hlul gefüllt. Die Zusammenziehung der Vorliöfe treibt das in ihnen enthaltene Blut nicht in eben entleerte, sondern in inzwischen schon voll gewordene Kammern, die sich, da sie im Zustande der Erschlaffung sind, ausdehnen, um die vermehrte Blutmenge zu fassen. Tiütt nun die Kammersystole ein, so wird das schon während der Herzpause in ihr enthaltene Blut zugleich mit dem durch die Vorhofssystole hineingetriebenen entleert. Jede einzelne Kammerzusammenziehung fördert also soviel Blut, wie .in Vorhöfen und Kammern zusammengenommen enthalten war. Es ist klar, dass durch diese Einrichtung die Leistung der Herzpumpe wesent- lich erhöht wird, zumal, wie weiter unten in der Allgemeinen Muskelphysiologie auseinandergesetzt werden wird, gedehnte Muskel- fasern eine grössere Arbeitsfälligkeit zeigen als ungedehntc. Schlag vol um des Herzens. Die Leistung des Herzens als Pumpe wird angegeben durch die Gesammtmenge der in der Zeit- einheit, beispielsweise in der Minute geförderten Blutmenge. Diese hängt ab von der Grösse der bei jedem einzelnen Schlage geför- derten Menge, dem sogenannten „Schlagvolumen" und der Zahl der Schläge in der Minute, der sogenannten „Herzfrequenz". Die Blut- 4* 52 Herzfrequenz. menge, die von dei- rechten Herzhäll'te gefördert wird, muss auf die Dauer genau gleich derjenigen sein, die von der linken ge- fördert wird, denn da beide Herzhälften im Gesammtkreishiuf liintereinander geschaltet sind, erhält jede Herzhälftc nur soviel Blut wie ihr die andere zuführt. Man pflegt deshalb als „Schlag- volumen des Herzens" die von einer Kammer allein geförderte Blul- menge anzugeben, aus der sicii die vom ganzen Herzen geförderte Menge durch Verdoppelung ergiebt. Infolge der eben erwähnten Dehn- barkeitderHerzwände kann die Blutmenge, die sie fassen und austreiben, in sehr weiten Grenzen scliwanken. Als Schlagvolum werden lur den ruhenden Menschen 60—100 ccm, für das ruhende Pferd 4o0 com ano-egeben. Man darf annehmen, dass bei verstärkter Herzthalig- keft das Schlagvolum auf das Drei- bis Viei-fache vermehrt wird. Bei angestrengter Muskelarbeit dehnt sich nämhch das Herz so stark aus, dass schon im Röntgenbild des lebenden Menschen die Zunahme des Herzdurchmessers in die Augen fallt. Bedenkt man, dass bei Verdoppelung des Herzdurchmessere unter sonst gleich- bleibenden Bedingungen der Rattminhalt des Herzens auf das Acht- fache wachsen würde, so wird man einsehen, dass eme \ ermelirung des Schlagvolums auf das Doppelte schon ohne merkliclie \ er- grösserung des Herzens zu Stande kommen kann Herzfreq uenz. Ebenso schwankend ist dieZahl derHerzsciilage in der Zeiteinheit. Man nennt diese Zahl, die man auf 1 Mmute zu be- rechnen pflegt, kurzweg die Herzfrequenz. Die Herzfrequenz ist nicht aUein bei verschiedenen Thierarten, sondern atich bei verschiedenen Individuen derselben Art einigermaassen verschieden und unterliegt auch an einem und demselben Individuum, abgesehen von äusseren Umständen, gewissen Schwankungen. Als normale Mittel a H g man für den Menschen 70 anzunehmen, ^'^J ß-^^^-j^-^V 9^ W geringere, die kleineren höhere Frequenz: Mephant 2o-2b 1 ferd l5_46 Rind 40-50. Scliwem, Schaf, Ziege < 0-80 Hund (0 b^ 120; Kaninchen 150-180, Katze 180-200. Dje Herzd^uig- keit der Vögel, Reptihen, Amphibien und Fische darf mit der de Sät c^er in dieser Beziehung nicht verglichen werden da bei diesen l'S-ten der Stoffwechsel und mithin die Grundbedingungen für c n Blutkreislauf zu grosse Verschiedenheit gegenüber dem d Säuger zeigt Dies spricht sich darin aus, dass die Vogel seh, Sf di^ kaltbUU gen Thiere sehr niedrige Herzfrequenz haben. ^IS inlhdb derselben Art besteht ein ^^^^^^^fZ Köroerirrösse und Herzfrequenz: grossere Menschen i abei in no L ■ fang ameren Herzschlag als kleinere. Das ^^esclilech inac t ebenfalls hier einen Unterschied. Weiber haben, auch bei Au. - viduen mit grosser, grosse Individuen imt kleiner I ulszahl. Bn Herzarbeit. 53 demselben Individuum ändert sich die Herzfrequenz in bestimmter Weise mit dem Lebensalter, indem sie anfänglicii sehr hoch ist, diiiin ziendich rasch abnimmt, wäiirend der Reifezeit gleich bleibt und im Alter wieder etwas ansteigt. So findet man beim neu- geborenen .Menschen 120— UO Herzschläge, im zehnten Lebens- jahre noch über 80, vom zwanzigsten bis sechzigsten 70 und "später einige, höchstens 5, Schläge mehr. Von praktischer Bedeutung ist eine zweite regelmässige Scliwankung der Herzfrequenz, die man als die Tagesschvvankung bezeichnet, weil sie sich in bestimmter Abhängigkeit von der Tagezeit wiederholt. Diese Aenderung beruht auf entsprechender Veränderung der gesammten Stoffwechselvorgänge im Körper, denn sie betrifft in ungefähr gleichei- AVeise die Körpertemperatur, die Atmung und andere mit dem Stoffwechsel zusammenhängende Funktionen. Die Herzfrequenz schwankt im Laufe der täglichen Periode um 10 bis 20 Schläge, sie ist Nachts, bei tiefem Schlaf am kleinsten, steigt nach dem Erwachen an und erreicht alsbald ein relatives Maxinnun, von dem sie langsam absinkt. Nach Mittagsmahlzeit erreicht sie ihren höchsten Werth, um von da an wieder abzusinken. \'iel grössere Aenderungen der Herzfrequenz können durch Einwirkung äusserer Bedingimgen, insbesondere durch angestrengte ^Muskelarbeit hervorgerufen werden. Hunger und Kälte verlang- samen. Wärme beschleunigt die Herzthätigkeit. Schon der gering- fügige Unterschied in der Anstrengung der Muskeln, der eintritt, wenn der Körper aus dem Liegen zum Sitzen oder gar zum Stehen aidgerichtet wird, ruft lü'höhung der PulslVc(pienz um etwa 5 und 10 Schläge hervor. Vollends bei schnellem Lauf oder irgend welcher gewaltsamen Anstrengung kann die Herzfrequenz bis zum Dreifai-hen der normalen Zahl gesteigert werden. Herzarbeit. Diese Steigerung der Frequenz darf nicht mit Steigerung der Leistung verwechselt werden. Die Leistung des Herzens, die, wie oben angegeben, durch die Menge des in der Zeiteinheit geförderten Blutes zu messen ist, hängt oben nicht allein von der Frequenz des Herzschlages, sondern auch von der Grösse tles Schhigvolums ab. In der Regel ist nun das Schlag- volum dann am grössten, wenn die Frequenz gering ist, da bei hoher Schlagzahl das Herz nicht lange genug erschlafft bleibt, um sich ausgiebig lullen zu können. Man darf also nicht berechnen wollen, dass, weil die Frequenz auf das Dreifache, das Schlagvolura auf das Vierfache des Ruhewerthes steigen kann, die Leistung des Herzens sich verzwölffachen könne. Immerhin ist am mässig arbeitenden Pferde gemessen worden, dass, während die Frequenz von 40 auf 55 stieg, das Schlagvolum von etwa 700 ccm auf gegen 1 1 zunahm, sodass die in einer Minute geförderte Blutmenge von 29 1 auf 53 1, also fast auf das Doppelte stieg. 54 Die Bewegung des Blutes. Das Gefässsystem als Strombalin. Die Bewegung des Blutes. Das Get'ässsy stein als Strom bahn. Die Ströniuugsljcwe- om\o- die das Blut in den Gefässen unter der Einwirkung der Pumparbeit des Herzens ausführt, richtet sicli im Allgemeinen nach denselben Gesetzen, die man auch an der Strömung von Ihis.sen oder in Wasserleitungen mit starren Wänden beobachten kann. Im Einzelnen ist aber die Blutbewegung wegen der besonderen Be- dingungen, die das Gefässsystem darbietet, in vielen Bezielumgen von der Strömung in einer geraden Röhrenleitung verschieden. Die wesentlichsten dieser Unterschiede sind folgende: _ Der Antrieb des Herzens erfolgt stossweise, die Gelasse sind elastisch, die Spannung ihrer Wand veränderlich, sie verlaufen viel- fach o-ekriimmt und sind unter verschiedenen Winkeln verzweigt, ihr Querschnitt ist wechselnd und im Falle der Capillaren so eng dass die Gesetze für Flüssigkeitsbewegung in weiteren Kohren aui diesen Fall nicht passen, endlich ist das Blut keine eigentliche Flüssigkeit, sondern wie oben angegeben, etwas zähflüssig und von den festweichen Blutkörperchen erfüllt. Die Ei nwiAung aller dieser Einzelheiten auf den Strömungsvorgang muss berücksichtigt werden, wenn man die Bewegung des Blutes physikalisch erklaren wii . Da selbst die ausführlicheren Lehrbücher der Physik diese Einzelheiten nicht so eingehend behandeln, dass einfach aul sie verwiesen werden könnte, mögen hier emige Hauptsatze l.etreffend die Strömung von Flüssigkeiten in Röhren in ihrer Beziehung zur Blutbewegung in Kürze dargestellt werden. Wasseldruck. Die physikalische Lehre von «ier Bewegung untersucht und die Hydrodynamik, die tue vvirKuug au d'e Bewegung von Flüssigkeiten und die Wirkung noch anderer be der BewegLg entstehender Kräfte behandelt. Der erste ; chdg te Sundsatz der Hydrostatik ist der, dass der Druck nn'i^lb einer Flüssigkeit nach allen ^^-I^^Xk!?^! ü?^' wirkt Versenkt man also beispielsweise eme hohle Kugel aut de Meei-^sgi-und, wo die Last der darüber stehenden asser.na>^e ; ren Sbiichon Druck auf die unteren Schichten "bt- s'-J f die Wand der Kugel, wenn sie etwa eine schwächere Stelle ha , g^ra^^rlerl^ leicht eingedrückt, weim ^ich ie SteHe unten a s wenn sie sicli oben belindet. Der Druck Mirkl eben in eiiiei Druck bewirkt nun, wo er keinen Widerstand findet, eine Ausströmungsvorgang. Strömung in Wasserröhren. o5 wegune der Flüssigkeitsiiienge nach derjenigen Richtung in der inen besonderen Widerstand. Wenn daher eine Zweigröhre aus einer aeraden durchströmten Röhre abgeht, nimmt sie einen um SU kleineren Theil des Stromes auf, je mehr ihre Richtung von der geraden Richtung des Stromes abweicht. Es sei hier nochmals ausdrücklich auf den Gegensatz auf- merksam gemacht, in den der hydrodynamische Vorgang zu dem hydrostatischen tritt: In einer ruhenden Flüssigkeit wirkt der auf sie an einer Stelle ausgeübte Druck nach allen Richtungen vollkommen gleichmässig, in der bewegten Flüssigkeit bedingt jede Aenderimg der Strumriclitung ein schnelleres Abnehmen des Druckes. Dies ist nur ein besonderer Fall der allgemeinen Erscheinung, dass in bewegten Flüssigkeiten überhaupt der Druck an verschiedenen St;ellen verschiedenen Werth annimmt. Den Strom aus seiner Rich- tung abzulenken erfordert Arbeit, und indem diese Arbeit vom Druck geleistet wird, vermindert er sich schneller, als bei gradeaus fliessonder Strömung. Innere Ungleichmässigkeit der Strömung. Der eben erwähnte Fall der Wirbelbildung innerhalb der Leitung weist darauf hin, dass die fliessende Wassermasse nicht als eine einheitliche Masse betrachtet werden darf, die sich wie ein fester Körper in den Röhren vorwärts schiebt, sondern dass sie in sich selbst be- liebiger innerer Verschiebungen und StröiTiungen fähig ist. Schon in einer ganz gleichförmigen graden Röhre rückt das Wasser nicht überall gleichmässig vor, sondern es fliesst in der Mitte am schnell- sten, an den Wänden bedeutend langsamer. Der üebergang zwischen den mittleren schnell strömenden und den äusseren träge strömen- den Schichten ist nicht gleichmässig abgestuft, sondern ziemlich un- veriuittelf, sodass man den annähernd gleichförmig und schnell fliessenden mittleren Theil als sogenannten „Axenfaden" von der üiirigcii wandständigen Wassermasse unterscheidet. Der Axenfaden bewegt sich unter Umständen mehr als doppelt so schnell wie die Raiidschichten. Capillaren. Daher treten ganz besondere Bedingungen ein, wenn die Leitung so beschaffen ist, dass der grösste Theil der Flüssigkeit sich längs der Wandung bewegen muss. Nimmt zum Beispiel die J^eitung an einer Stelle die Form eines engen Spaltes, oder zahlreicher sehr enger Röhren, Capillarröhren, an, so wird die 58 Druck, Widerstand und Slromgesch windigkeit in starren Itöhren. Strömung ausserordentlich stark behindert, selbst wenn die Quer- schnittsiläche des Spaltes oder der gesamraten Capillarröhren ebenso gross oder auch noch grösser ist als der der ursprünglichen Leitung. Während für die Strömungsgeschwindigkeit in gewöhnlichen weiten Köhren an erster Stelle die vorhandene Druckkraft maassgebend ist, wird, sobald der Durchmesser der Eöliren eine gewisse untere Grenze erreicht, die Enge der Röhren ausschlaggebend. Durcli Capillaren lässt sich das Wasser selbst bei sein- hohem Druck nur mit massiger Geschwindigkeit treiben. Umgekehrt ist selbst bei langsamer" Strömung in Capillaren der Druckverbrauch sehr gross. Vergegenwärtigt man sich den Einfluss, den die Einschaltung einer Anzlihl Capillaren, deren gemeinsame Querschnittstläche der der übrigen Leitung gleich ist, auf-<3ie Druckverhältnisse bei der Durch- strömung ausübt,' so ergiebt sich folgendes: Im ersten Theil der Leitung "oberhalb der Capillaren nimmt der Druck nur ganz wenig ab denn die Widerstände dieses Theils kommen gegenüber dem der Capillaren kaum in Betracht, und die Summe der noch zu überwindenden Widerstände bleibt also für diesen Abschnitr der Leitung nahezu gleich. In die Capillaren tritt daher das ^^as.ser unter fast dem vollen Anfangsdruck ein. \on hier an suikr der Druck sehr schnell, denn die zu überwindenden Widerslande nehmen mit jedem Theil der zurückgelegten Strecke merklich ab Im letzten Abschnitt der Leitung ist wiederum nur der A\ iderstami der weiten Röhre vorhanden, der Druck ist also sehr gering und lallt bei der sehr langsamen Strömung bis zur Ausströmungssrelle ganz allmählich auf Null. ^ i ic. Beziehungen zwischen Druck, W iderstand und Strum- geschwindigkeit in starren Röhren. Aus den Druck- und Widerstandsverhältnissen in der Leitung kann man nach dem Obieen auf die Geschwindigkeit der Strömung schliesscn. Hier sind für "die dauernde gleichmässlge Strömung durch eme feste Leitung zwei einfache Sätze maassgebend: Durch jeden Abschnitt der Leitung muss m der gleichen Zeit die gleiche Menge iiiessen. Wäre das nicht der Lall, so musste sich das Wasser innerhalb der Leitung stauen oder verdünnen können. Hat die Leitung überall gleichen Querschnitt so muss daher das Wasser überall die gleiche Geschwindigkeit haben, ist ein 1 hu der Leitung enger oder weiter, so muss sich dann das AVas.oi en SP echefd schneller oder langsamer bewegen, denn es kann eben nur soviel durch den weitesten Thed der Lenting hesseri^ ^ in der oioichen Zeit durch den engsten Theil der Leitung ilie.M. Uebrigen ist für ein gegebenes Röhrensystem die Strömungs- geschwindigkeit um so grösser, je Süsser der AnfangsdrucL " Anwendung auf die Strömung des 1 l»t _ .^'^ , fi-emeinen Gesetze, die die Beziehungen zwischen Druck Wi lu- S Zr^Z dasselbe ist Quei.chnilt, und St-.|^escliwm .g^^^ atisdrückcn, gelten auch für die Stromungsverhaltmsse beim Mu, kreislauf im Gros.sen und Ganzen. Windkessel. Elastische Deliming der Aiterienwände. od Die beiden Hauptunterschiede, die zwischen dem natürlichen Kreislaufsystem und dem beschriebenen \ ci-suchsapparat bestehen, s d die, lass die Bewegung des Blutes nicht durcl^ gleichförmigen Druck, ondern durch die einzelnen Stesse der Herzpumpe h - oerufen wird, und dass die Gefässe mcht starre K..hren, sondc.n Schläuche mit elastischer Wand smd. . Windkessel. Wenn einzelne Stösse auf die Mussigke, n einer starren Leitung wirken, so muss die gesammte 1< luss.gke> bei jedem Stoss in der Leitung em Stuck vorwärts rucken Dei Druck wird in allen Theilen der Leitung proportional dem zu überwindenden Widerstande gleichzeitig ansteigen und m den Bausen zwischen den Stössen auf Null abfallen. . Um unter diesen Umständen eine gegebene Menge Hussigkeit durch die Leitung zu treiben ist ein unverhältmssmässig hoher Arbeitsaufwand erforderlich. Denn bei jedem btosse muss mein nur der Druck aufgewendet werden, der hinreicht die Strömung der Flüssigkeit zu unterhalten, sondern es muss die ganze ruhende Flüssigkeitsmenge erst in Bewegung gesetzt werden, da sie nacli jedem Bumpenstoss sogleicli zum Stillstand kommt. Seit alter Zeit hat man daher an allen Druckpumpen, insbesondere an den Feuerspritzen, statt der vollständig starren Leitung unmittelbar hinter die Burape ein elastisches Stück eingeschaltet. Dies wird in Form eines Luftbehälters, „Windkessel" genannt, gebaut, der mit dem Anfangstheil des Leitungsrohres in offener Verbindung steht. Die im Windkessel enthaltene Luft dient dann gewisser- maassen als ein elastisches Kissen, das den Stoss des ANassers aufnimmt, und auf das in der weiteren Leitung befindliche A\ asser überträgt. Das Wasser in der Leitung braucht nun nicht mehr bei jedem Bumpenstoss plötzlich vorzurücken, sondern es tritt zu- nächst Wasser in den AVindkessel ein und drückt die dann ent- haltene Luft zusammen. Die Elasticität der zusammengepressten Luft wirkt nun als ein dauernder Druck auf das in der Leitung enthaltene Wasser, setzt es allmählich in Bewegung und unterhalt auch diese Bewegung beständig, wenn durch Wiederholung der Bumpenstösse dafür gesorgt wird, dass im Windkessel stets ein hinreichender Grad von Zusammendrückung der Luft l)estehen l)leii)t. Die Stosswirkung der Bumpe wird also dur(-h Einschaltung des Windkessels in eine dauernde Druckwirkung umgewandelt. Elastische Dehnung der Arterienwände. Ganz ähnlieh wie die Leitung mit Windkessel verhält sich nun eine Leitung aus elastischen Schläuchen, wie sie das natürliche Gefässsystem dar- stellt. Statt dass jede Systole des Herzens das Blut im ganzen Kreislauf erst inBew'egLing setzte und dann während jeder Diastole eine vollständige Stockung einträte, dehnt sich bei jedem Herzstoss die Wand der Arterien und nimmt die aus dem Herzen ausgetriebene Blutmenge auf. Die elastische Spannung der Arterienwände wärkt nun, grade wie die Elasticität der Luft im Windkessel, als ein dauernder Druck auf das in ihnen enthaltene Blut, und treibt es 6Ü Elastische Dehnung der Arleiienwände. durch den einzigen Ausweg, nämlich das Capiilarsysteni. Da nun die IJerzslösse so sclinell aufeinander folgen, dass sicli in der Zwischenzeit die Arterien des eingetriebenen Blutes niclit völlig entledigen können, so bleiben auch in der Diastole, die Arterien- wände stark genug gedehnt, um eine dauernde Strömung des Blutes durch das Capillarsystem zu unterhalten. Indem jeder folgende Herzschlag die Arterienwände von Neuem dehnt, erhöht er auch für den Augenblick den Druck in der Arterie, und beschleunigt die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes. Da aber die Arterien ihrer ganzen Länge nach elastisch sind, kann die Strömung an einer Stelle beschleunigt werden, ohne dass dies auf der ganzen Bahn stattfindet. Vielmehr können sich die einzelnen Stösse, indem sie sich durch die elastischen Gefässe fortpflanzen, allmählich aus- gleichen. Das Blut strömt im Anfangstheile seiner Baiin in ein-' zelnen Stössen, je weiter es vorrückt, desto gleichförmiger, docii sind die Stösse noch in den letzten Verzweigungen der Arterien be- merkbar und verschwinden erst, wenn sich die Blutbahn in Capil- laren auflöst. Alle diese Erscheinungen am Kreislaufsj^stem veranschaulicht sehr deutlich das sogenannte Weber'sche Kreislaufmodell. Es besteht aus einem mit Ein- und Auslaufventilen [b Fig. 15) versehenen starken Fig. 15. Sclioina des Kreislaiifs nucli E. K. Weber. (Tummii)eutel(^r). der, abwechselnd zusammengedrückt undwieder los- üelasscn. die Thätigkeit des Herzens nachahmt. An der Auslluss- öffnung ist ein weiter, dehnbarer Gummisclilauch von emigen Metern Länge angeschlossen, der in eine Röhre übergelit, die von einem Schwamm ((') lose erfüllt wird. Diese Röhre isl durch einen etwas weiteren Schlauch mit dünnen Wänden wieder mit der Ein- strömungsöffnung des Her/modells verbunden. Das ganze ist mit AVasser 'vollständig erfüllt. Der erste Schlauch stellt die Arterien die Röhre mit ilcni Schwamm die Capillaren, der zweite bchlaucli die Venen vor. Pumpt das Merz mit längeren Pausen, so kann Wellenbewegung. 61 Ii Ites man iedesmal deutlicli sehen, wie der Aniangstlieil des bchlauchcs .ich 'dehnt, wie dann die Bewegung des Wassers sich ausgleicht und der eingepumpte L^cberschuss aus dem Artenenschhiucii durch den Schwamm alhiiähiicli abzieht. \Vird das Herzmodeü in schnellerem Tacte getrieben, und folgt jeder Schlag aut den vor- ergehenden ehe sich der xVusgleich durch die cap' la';en Poren >es Schwammes vollzogen hat, so stellen sich am Model die oben geschriebenen Bedingungen des wirkhchen Kreislauls her: Der \rterienschlauch wird anfönglich immer mehr gedehnt, bis dann ein solcher Druck erreicht ist, dass er hinreicht, das \\asscr so schnell durch den Schwamm zu treiben, dass ebensoviel durch den Venenschlauch zurückkehrt wie vom Herzen aus eingepumpt wird. In diesem dauernd gespannten Zustand verbleibt der Arterienschlauch solange die Herzpumpe in gleicher AVeise fortarbeitet, und unter- hält auf diese Weise eine gleiclimässige Strömung durch den Schwamm und den Venenschlauch. Ausserdem veranschaulicht das Modell sehr schön die Entstehung von Sclilauchwellen, die der Er- scheinung des Arterienpulses zu Grunde liegt, von der weiter unten die Rede sein soll. Die undulatorische Bewegung. Die Herzschläge ertheilen aber dem Blute in den Gefässen ausser der bisher allein erwähnten periodischen Strömungsbeschleunigung noch eine andere Bewegung, die mit der Forttreibung des Blutes in den Gefässen nichts zu thun hat. Im Gegensatz zu der Strömungsbewegung des Blutes, die man als die „translatorische Bewegung" bezeichnet, Aveil dabei die einzelnen Massentlieilchen des Blutes weitergeführt Averden, nennt man die jetzt zu besprechende Bewegungsform die „undulatorische" oder Avellenlormige Bewegung. Die gespannte Arterienwand, die die Oberfläche des Gefässstammes bildet, hat nämlich, wie jedes elastische Gebilde, die Eigenschaft, wenn sie an einer Stelle aus ihrer Lage gebracht ist, in Schwingungen zu gerathen, oder, wie man es in diesem Fall nennt, Wellen zu bilden. Diese Wellenbewegung ist derjenigen durchaus vergleichbar, die auf einer freien, ruhenden Wasserfläche etwa durch Hinein- werfen eines Steines entsteht. Dadurch, dass die Flüssigkeit im Falle der Blutgefässe von einer gespannten Haut überzogen ist, wird der Vorgang nur seiner Form, nicht seinem Wesen nach geändert. Um' die Entstehung dieser Art Wasserwellen genauer beobachten zu können, bedient man sich zweckmässig eines langen und schmalen Troges, dessen eine Seite aus einer Glasscheibe ge- macht ist, sodass man die Bewegung der Wasserfläche von der Seite her betrachten kann. Schiebt man nun plötzlich einen Theil der Wassermasse vom einen Ende dieses Troges nach dem anderen zu, indem man von oben einen Klotz hineindrückt, der das Ende des Troges ausfüllt, so erhält man ein Bild von der Thätigkeit des Herzens bei der Systole, das ja auch seinen Inhalt in die Blutbalin hineinpresst. In dem Trog kann man nun sehen, wie sich die verdrängte Wassermasse gegen das ruhende Wasser staut und den. Wasserwellc. Wasserspiegel uniui(l(;ll)ar neben dem Klotz emportreibt. Dadurcli, dass die Tiefe des Wassers an dieser Stelle vermehri wird, ent- steht natürlich in den unteren Schichten eine Vermehrung des Druckes. Diesem Druck weicht die benachbarte Wasserraasse aus, indem sie sich ihrerseits gegen das noch ruhende Wasser anstaut, und über ihren anfänglichen Stand in die Höhe getrieben wird. Derselbe Vorgang wiederholt sich dann an der nächst benachbarten Stelle und durchläuft so die ganze Länge des Troges. Inzwischen hat. sobald die zweite Wassermenge sich in Bewegung setzte, das Wasser unmittelbar am Klotz sinken können. Sowohl die an der Oberfläche des sinkenden Wasserspiegels befindliche, als auch die ganze durch ihren Druck in Bewegung gesetzte Wassermasse be- harrt nun nach dem Trägheitsgesetz in der einmal angenommenen Bewegung, und in Folge dessen senkt sich der Spiegel tiefer als bei seinem ursprünglichen Stand. Auch dieser Vorgang setzt sich, auf den ersten unmittelbar folgend, durch die Länge des Troges fort. Es entsteht also beim Eindrücken des Klotzes zuerst durch die Anstauung des Wassers ein Wellenberg, der dem Trog entlang läuft, und unmittelbar darauf ein Wellenthal, das dem AVellenberge folgt! Der Entstehung des Wellenthals raüsste durch den entgegen- "■esetzten Vorgang alsbald wieder die Bildung eines neuen Wellen- bergs zweiter Ordnung folgen. Da aber die Bewegung der Wasser- raassen in Folge ihrer Reibung aneinander fortwährend Energie verbraucht, werden die Wellen sehr schnell kleiner, und man nimmt von dem weiteren Verlauf nur wahr, dass sich die Oberaache aus- glättet. .1,1 n T> Die sich in jeder neuen Wassermasse wiederholende bewegung hat wie man an' ins Wasser gestreuten Staubkörnchen wahrnehmen kann die Form einer kreisförmigen Bewegung jedes einzelnen Wassertheilchens, durch die es erst in der Richtung der fort- schreitenden Welle und nach oben geführt wird, und dann im Bogen zu seiner Anfangslage zurückkehrt. Indem die benachbarten Theilchen eines nach dem andern je eine kurze Zeit spater in die oleiche Kreisbewegung eintreten, bilden die, die gerade oben aut dem Kreise sind, den Gipfel der Welle, und indem sie absteigen, während die nächsten aufsteigen, schreitet die WeUe fort. Der ganze Vorgang der AVellenbewegung ist von einer eigent- lichen Fortbewegung des Wassers unabhängig, wie aus der obigen Darstellung deutlich hervorgeht. Denn die Wasserraasse, die zueist in Bewegung gekommen ist, rückt selbst nicht weiter vor, sondern ^c!^^äir^r ihre Bewegiing -f eine benachbarte Masse Von er r.esararatmenge des Wassers im Troge ist nur ein Bj-^fl'^f ^^li .f ' derienigen Menge, die durch den Klotz selbst verdrangt wiid, um oinf Weine Stm;ke, gleich der Dicke ^«s Klotzes^ .^^i^eschohn worden, die Wellenbewegung aber setzt sich durc i die g.m/^^^^^^^^^^^ des Troges fort. Um diesen Unterschied recht deutlich hcnoi- zuheben^it man eben die Wörter iranslatorische und undulator.sche J Jewegung eingeführt. Undulatorische Bewegung des Blutes. Pulswelle. 63 I-ine neue Nebenerscheinung tritt, ein, wenn die Welle da.s Ende des Troges erreicht. Hier wird sie durch die l^^ndwand gehemmt, und' prallt von ihr zurück, sodass eine rucklaufig-t. Wellenbewegung entsteht, die sich zu der ursprünglichen add.rt. Die Kinzellieiten dieses Vorganges können sich je nach den be- sonderen Bedingungen des Versuchs ziemlici mannigfach ge- stalten, es genügt hier, im Allgemeinen auf den Vorgang der Zurückwerfung oder Rellection der Wellen limzuweisen. üie undulatorische Bewegung des Blutes. In ganz äiinlirher Weise wie an der offenen Wasserfläche des iroges kann ,.ine Wellenbewegung zu Stande kommen, wenn die überflaclic von elastischen Haut überzogen ist. Bei der Stauung der J^lussig- keit' zunr miienbCT^^^^ dTnn ausser der Schwere der Flüssig- ' eir auch die zunehmende^Spannung der bedeckenden tlaut^ uber- naen weruen. isl uic j. i.uoo.5i-..v.i, ... — . ' ! j- Wollr.,iK;i<-liino- rlio Fnnn an. fla.SS Cll fiel wunden werden. Ist die Flüssigkeit in einen elastischen Schlauch o-efüllt so nimmt die AVellenbildung die Form an, dass die Schlauchwand nicht bloss nach oben, sondern nach allen Seiten zuo-leicli ausgedehnt wird. In der Form einer solchen sogenannten Schlauchwelle, nämlich einer allseitigen Erweiterung, die am Schlauche hinläuft, tritt die undulatorische Bewegung des Blutes in den (.Tcfässen auf.' Das Blut wird aus dem Herzen mit so grosser Geschwindigkeit ausgetrieben, dass es einer ungeheuren Kraft be- dürfen würde, die ganze Blutsäule im Gefässsystem m derselben Zeil um ein entsprechend grosses Stück vorwärts zu treiben. Die translatorische Bewegung des Blutes kann deshalb erst durch all- mähliche Beschleunigung zu Stande kommen. Indem also das aus dem Herzen kommende Blut sich gegen die träge Masse des in den Gefässen vorhandenen Blutes anstösst, dehnt es die Arterien- wand zunächst dem Herzen stark aus. Unter dem Einlluss der dadurch erhöhten Wandspannung setzt sich nun die benachbarte Blutmenge in Bewegung, staut sich aber ebenfalls noch an den weiterhin stehenden Blutinengen und dehnt in Folge dessen den nächstfolgenden Theil des Gefässstammes. So entsteht die am Ge- fässstamm entlang laufende Schlauchwelle, die man als den Puls der Gefässe bezeichnet. Zugleich mit der Ausdehnung des Gefässes im Querdurch- niesser erfolgt auch eine gewisse Dehnung in der Längsrichtung, die sich an gekrümmten freiliegenden Gefässen durch zunehmende Krümmung bemerkbar macht. üie Pulswelle. Nach dem Vorausgehenden ist klar, dass die Fortpflanzung der Pulswelle längs des Gefässstammes ein rein un- dulatorischer Vorgang ist, der zu der translatorischen Bewegung des Blutes nur mittelbar in Beziehung steht. Da das Herz bei jeder Systole nur etwa 80 ccm Blut in die Aorta treibt, fassen schon die ersten 10 bis 15 cm der Blutbahn die ganze neueintretende ßlutmenge, während die Pulsbewegung bei jedem Herzschlage bis zu den entferntesten Arterienästen hinabläuft. Die Geschwindigkeit, mit der die Pulswelle sich fortpflanzt. 64 Der Arterienpuls. ist demnacli auch viel grösser, als die Ströniungsgeschwindij;keit des Blutes. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Wellen auf einer olTenen Flüssigkeitsoberlläche fortpflanzen, ist für jede Art Flüssig- keit eine Constantc, die von dem specifischen Gewicht und der inneren Reibung abhängt. Die Geschwindigkeit einer Schlaucli- welle hängt zum Theil ganz ebenso von der im Schlauch enthal- tenen Flüssigkeit, ausserdem aber sehr wesentlich von der Span- nung des Schlauches ab. Es ist ja ohne Weiteres klar, dass bei starker Spannung grössere Kräfte dazu gehören eine Welle im Schlauch zu erzeugen. Diese grösseren Kräfte setzen auch die Flüssigkeitsraassen schneller in Bewegung, sodass die ganze Wellenbewegung bei stärker gespannter Schlauchwand sclineller abläuft als bei schlaffer Wand. Der Arterienpuls. Der Pulsschlag, der an sämmtlichen Arterien des Körpers abläuft und ihnen ihren deutschen Xamon Schlagadern gegeben hat, ist eine so auffällige Erscheinung, dass sie von der ältesten Zeit her bei medicinischen und physiologischen Untersuchungen beachtet worden ist. Einzelne Stellen des Ivörpers bieten besonders günstige Bedingungen für die Wahrnehmung des Pulses, vor Allem die Stelle, wo die Radialis am Handgelenk un- mittelbar unter die Haut tritt. Aber auch die Carotis am Halse, die Maxillaris am ünterkieferrand, die Feraoralis am Sehenkel werden zum Pulsfühlen benutzt, letztere vornehmlich an Versuchs- thieren im Laboratorium. Bei gleichzeitiger Cntersuchung des Pulses an verschiedenen Stellen, etwa an Carotis und Radialis, oder durch gleichzeitiges Fühlen des Spitzenstosses und des Pulses der Radialis oder Femoralis ist unmittelbar wahrzunehmen, dass die Pulswelle nicht gleichzeitig mit dem Herzstoss, und nicht an allen Stelleu der Blutbahn gleichzeitig auftritt, sondern dass sie eines merklichen Zeitraums bedarf, sich vom Herzen aus längs der Gelasse fortzupflanzen. In der Art. dorsalis pedis erscheint die Pulswelle um Secunde später als in der Art. maxillaris. Da der Fuss gegen 125 cm weiter vom Herzen entfernt i. st als der Unterkiefer, berechnet sich aus diesem Zeitunterschied die Ge- schwindigkeit der Pulswellc zu etwa 9 m. Für die Arterien des Hundes wird ein nur halb so grosser Werth angegeben, ^vas sich aus dem Unterschiede des Blutdrucks erklären lässt, da der Blut- druck die Wandspannung der Arterien bestimmt. Die Frequenz des Pulses bietet das nächstliegende Mittel, .sich über die Frequenz des Herzens zu unterrichten. Etwa iii patho- logischen Fällen vorkommende Unregelmässigkeiten in der folge der Herzschläge sind ebenfalls am Puls deutlich zu erkennen. Daneben aber belehrt der Puls den erfahrencii Intei-suelier zu- gleich über den Zustand der Arterienwand. Gleiche llerzthaiig- keit vorausgesetzt, wird die PulswcUe um so länger und grosser sein, je schlafTer die Arterienwand, um so kleiner und kurzer, je stärker sie gespannt ist. Die Spannung der Arterienwand ist un- mittelbar aus der Härte der Arterie zu erkennen. Wenn l^u Spliygmographie. 65 praller Spaniiunü' Irotzdem eine liolie Welle fühlbar ist, darl man Ulli- "ewaltsame Hcr/.thäti^keit scliliessen, umgekehrt, wenn trotz massig gespannter Arterie der Puls klein ist, aul Herzscliwadie. Die Lehre von den Eigenschaften der Pulswelle, deren jeder ihre besondere Benennung zukommt und von ihrer Bedeutung in patho- hjgischen Fällen ist zu einer förmlichen Disciplin der diagnostischen Wissenschaft ausgebildet. Spliygmographie. Bei dieser grossen Bedeutung des Pnlses hai man natürlich auch die graphische Methode, deren AVerth oben bei der Besprechung des Herzstosscs erwähnt worden ist, zur L'nrersuchung des Pulses angewendet. Man kann den Puls in ;:enau derselben Weise wie den Herzstoss mit Hülfe v(m Mai-ey- Fig. Iß. liHlillliinNiiiuwiiniiiiiiiliiniUliuiniupniw^ ScliPuiK lies SiiliygiuoKiiiplipii von Jhirey. scdien Kapseln aufnehmen, indessen ist diese üebertragungsweise Avenigstens für die Untersuchung des Radialispulses unnöthig, denn es ist einfacher, das Hebelwerk der Schreibvorrichtung mit einem liassend geformten Knöpfchen unmittelbar auf die pulsirende Stelle aufzulegen. Es sind verschiedene Apparate dieser Art, so- genannte Sphygmographen gebaut worden, die meist durch An- Fig. 17. .Spliygmogi'aiiiin. schnallen an den Arm am Handgelenk selbst befestigt werden, und das die Schrcibtafel treibende Uhrwerk, die Schreibtafel selbst, in Form eines bcrussten Papierstreifchens, und das die Bewegung vergrössert aufschreibende Hebelwerk in einem einzigen kleinen Mechanismus vereinigt enthalten. Die \ oni Sphygmographen ge- R. du 15 1) is-Rp y m 0 11 il . I'liysiologic. ^ (56 Ycnenpuls. scliricbene ('urve, Spliyginograiuni ocici- kurzweg Pulscurve. slelli ein stark vergrössertcs Abbild des Vorlaufes des Pulsstosses vor. da man anneiuneii darf, dass die zwischen dem aufgedrückieu Hebel des Spliygmograplicn und der Arterie gelegene Haut dii- Form der Pulswclle niclit verändert. Man kann daran mit Sicher- lieiL gewisse Einzelheiten erkennen, die man mit dem aufgelegten Finger nicht so leicht oder doch nur unter besonderen Bedingungen wahrnimmt. So sieht man, dass der Puls schnell ansteigt und viel langsamer abfällt, und dass auf die erste Erhebung stets mindestens eine mehr oder weniger deutliche zweite Hebung folgt. Bei weiten und schlaffen Gefässen, namentlich bei Fiebernden, fühlt man aucii mit dem Finger deutlich, dass Jeder Puls aus einem Doppelschlage besteht. Man nennt diese Erscheinung die „Dicrotie" des Pulses. Ueber die Ursache der üicrotie ist viel verhandelt worden. Am einfachsten scheint die Erklärung, dass die zweite Erhebung von einer Erschütterung stammt, die die Gefässwand in dem Augen- blicke erfährt, in "dem die Semilunarklappen sich schliessen, und die ebenso wie die eigentliche Pulswelle undulatorisch in der Gefäss- wand fortläuft. Ausser diesen gröbsten Zügen kann das Sphygmogranim natur- lich auch andere Eigenthümlichkciten des Pulses, wie die Höiie, die Steilheit und, wenn die Kraft, mit der der Apparat auf die Haut drückt, bekannt ist, auch die Härte des Pulses wiedergeben. In allen diesen Punkten ist jedoch die Deutung der Curve eine recht unsichere. Die geringste Verschiebung des Apparates genügt, um die Form der Gurve wesentlich zu ändern. Wird der Sphyg- mograpli zu fest aufgedrückt, so schreibt er eine zu hohe, oder wenn er den Pulsstoss geradezu unterdrückt, eine zu niedngv Curve Liegt er nur ganz leicht an, so kann das Hebelwerk namentlich bei der ältesten Form des Sphygmograplien. geschleudert werden, sodass die Wellen der Curve die Form ganz spitzer Zacken erhalten. Oft zeigt auch der absteigende Theil jeder Gurvenwello statt des einfachen Dicrotisraus eine ganze Reihe kiemer Zacken. Man hat auch diese auf bestimmte Vorgänge im Gefässsystem zurückführen wollen, doch liegt es näher, sie als Zitterbeweg:ungen des Schreibhebels zu erklären. Das Sphygmogramm darf eben nur dann als getreues Abbild der Pulswelle angenommen werden, wenn man die Bedingungen genau kennt, unter denen es ent- standen ist. , , • 1 !„,. Venenpuls Mit der zunehmenden Verzweigung und dei gleichzeitigen Verengung der einzelnen Gefässstämme sind für du« Fortpflanzung der Pulswelle Hindernisse gegeben, die sie zum ^ er- schwinden bringen. An CapiUaren und Venen ist daher im All- gemeinen kein Pulsstoss mehr z« bemerken. Dagegen lasst sich bei icdcm Herzschlage an den grossen Venenstämmen nahe am Herzen eine periodische, wellenförmig fortlaufende Erweiterung wahrnehmen, die man als Venenpuls bezeichnet. Obschon es sie . hierbei um genau denselben Vorgang an den Venenstammen handeli Blutdruck. Manometer oder Blutdruckmesser. 67 wie bei dem eigentlichen Puls an den Arterien, sind die beiden Vorgänge ihrer Ürsaclie nach durchaus verschieden und vollkommen unabhängig von einander. Der Venenpuls ist nicht etwa ein forl- geleiteter Arterienpuls, sondern er entsteht für sich, durch eine andere Triebkraft und zu einer anderen Zeit wie der Arterien- puls. Bei der Zusammenziehung der Vorhöfe wii'd nämlich der zuführende ßlutstrom in den Venen plötzlich aufgehalten, und es tritt deshalb eine Stauung ein, deren Druck die Venen ausdehnt. Diese Dehnung nimmt, ganz wie die Dehnung der Arterien durcli die Svstole der Kammern, die Form einer längs fler Venenstämme hinlaufenden Welle an, die sich ganz wie der Arterienpuls verhält, nur dass sie viel kleiner ist. Der Blutdruck. Für die translatorische Bewegung des Blutes in den Gefä.ssen sind vor allem die Druckverhältnisse maa,ss- gebend. Am Versuchsthier kann man den an beliebigen Stellen des Gefässsvstems herrschenden Druck messen, indem man das Gefäss eröffnet, und die Blutsäule unmittelbar auf einen Druckmessapparat, ein sogenanntes Manometer, wirken lässt. Man pflegt die Grösse von Drucken auf die Weise anzugeben, dass man sie mit der Grösse des Druckes vergleichl, den Flüssigkeitssäulen von bestimmter Höhe ausüben, und spricht daher von einem Druck von so und soviel Millimetern oder Centimetern Wasser oder ^)ueck- silber. Deshalb wäre auch die einfachste Art, die Druckhöhe im Gefässsvstem zu ermitteln, dass man das Blut selbst in einer jsenkrechten Steigröhre bis zur Höhe des vorhandenen Druckes aufsteigen liesse. Statt dessen ist es bequemer, die Höhe des Blutdrucks durch die einer Quecksilbersäule zu messen. Manometer oder Blutdruckmesser. Das Quecksilber- manometer ist eine U-förmig gebogene Röhre, die mit Quecksilber gefüllt ist, das unter gewöhnlichen Bedingungen in beiden Schenkeln der Röhre gleich hoch steht. Verbindet man nun den einen Schenkel mit dem zu untersuchenden Gefäss, sodass der Blutdruck von oben her auf das Quecksilber wirkt, so wird das Quecksilber im anderen Schenkel um soviel Millimeter über seinen Stand im ersten hinaufgetrieben, wie der Blutdruck in Millimetern Quecksilber- säule beträgt. Man kann also die Höhe des Blutdrucks einfach mit einem Maassstab abmessen, odei- man setzt anf die Queck- silberoberfläche einen kleinen Schwimmer, dessen Hebungen mit Hülfe eines Registrirapparates als Curve verzeichnet werden. Das Qiiecksilbermanometer hat indessen den Mangel, dass bei schnellen Aenderungen des Druckes die Quecksilbermasse in Schwung kommt, und über oder unter die eigentlich vorhandenen Druckwerthe hinau.sschiesst. Man bedient sich deshalb mitVortheil der sogenannten Federmanometer, in denen der Blutdruck auf eine elastische Membran aus Gummi, dünnem Stahlblech oder Celluloid wirkt, deren Durch- biegung durch einen vergrössernden Schreibhebe] in Curvenform aufgezeichnet wird. Um die Grösse des Blutdrucks in Millimetern Quecksilber angeben zu können, muss man dann freilich erst das Blutdruck. Mittlerer Druck. .Manometer aiclien, das heisst ausprobiren, wie liocli die Queck- silbersäule sein nuiss, deren Druck am Manometer Ausschläge von der Höhe der erhaltenen Curven liervorruft. Die Federmanonieter Averden so gebaut, dass sie bei möglichst geringer Bew^egung mögliclist leichter Bestandtheile eben hinreichend grosse Curven schreiben. Auf diese Weise wird der F.influss der Schwingungen des. Apparates selbst möglichst gering gemacht, und man erhält eine, treue Wiedergabe der wirklichen Druckschwankungen. Um die Gerinnung des Blutes bei der Berührung mit dem Apparat oder der Zuleitungsröhre zu hindern, lässt man das Blut nicht selbst in den Apparat eintreten, sondern füllt dessen Hohlraum mit gesättigter Salzlösujig, die gerinnungshemmend wirkt. Blutdruckcurve. Mittlerer Druck. Mit Hülfe dieser \ orrich- tungen findet man nun zunächst, dass der Blutdruck in den Arterien fortwährend im Tacte der Herzbewegung schwankt. Die Kuppe der Quecksilbersäule im Quecksilbermanometer tanzt auf und ab, der Schreibhebel des Federmanometers schreibt eine Zackenhnie, die der Pulscurve sehr ähnlich ist. Diese Schwankungen des Blut- dnicks entsprechen also olfenbar der undtilatorischen Bewegung des Blutes, man kann sie als den Ausdruck der wechselnden Spannung der Gefässwand aivsehen, und sie kommen für die Unter- suchung' der translatorischen Bewegung nur in zweiter Linie m Betracht. Denn es ist klar, dass die translatorische Bewegung der gesamraten Blutraenge schon wegen ihreS: Beharrungsvermögens und der Verzögerung durch Reibung ein viel gleichraässigerer \ or- o-an- sein muss. Man kaim nun leicht aus den wechselnden Werthen die die Curve des Blutdrucks darbietet, den maximalen und minimalen Druck bestimmen und daraus einen :\littelwerth berechnen. Mit Rücksicht darauf, dass der Druck m^mer nur aut Augenblicke seine höchsten AVerthe erreicht, und dem Mimraum längere Zeil hindurch nahe bleibt, ist es richtiger, den Hachen- inhalt der Druckcurve auszumessen, und durch eme wagerech te Linie zu. halbiren.' deren Höhe dann die Linie de.< mittleren Blut- drucks darstellt. Das so erhaltene Mittel wird etwas medriger sein als der Mittelwerth zwischen Maximum und Mmimum, doch wird der Unterschied kaum 'in Betracht kommen. Man kann auch experimentell den mittleren Druck linden, indem man die Rohren, um Manmneter führen,, so verengt, dass die Flus^s,gkelt dann sich nicht mehr schnell bewegen kann. Die Zacken derCurve werden dann so klein, dass die Curve als eine glatte Linie m dei H.>he des mittleren Blutdrucks erscheint. Ebensowenig wie die den einzelnen Pulsen -'-P-;^^-; - Zacken der Hlutdruckcurve kommt eine zweite An J^™sse er und llacherer Wellen dieser Curve für die allgemeine Eroiteiung er B ulb wegung in Betracht. Sie entstehen nämhch dureh t Atli^mbcA^gtmgen, heissen deshalb Athet.sch.^kur^en mu^ sollen weiter unten im Zusanmienliang mit der Athmung.s- rail'hanik besprochen werden. Kndlich ist noch eine dnue An. Blutdi-uck an verschiedenen Stellen des Gefässsystenis. 6'.» iiocli längerer und flaclierer Wellen, die .sogenannten Iraiibe- Heriiia"schen Wellen an der Blutdruckcurve bemerkbar, die eben- falls erst weiter unten in iln-eni besonderen /Aisamnienhang erörtert werden soll. i i • Der mittlere Blutdruck ist bei grösseren lineren hoher als bei kleineren. In der Carotis des Pferdes beträgt er 150—190, beim Hunde je nach der Grösse 120—170, bei Schaf und Kalb etwa 170. bei der Katze etwa 150, beim Kaninchen 90— 110 mm Queck- silber. Beim Menschen kann man den Blutdruck niclil auf die angeiiebene Weise messen, doch lässt sicli schätzen, dass der Druck in der Aorta gegen 180 mm Quecksilber betragen muss. Maximum und Minimum der Druckcurve liegen etwa um Je ein Sechstel des Werthes über und unter dem ]\littelwertli.^ Blutdruck an verschiedenen Stellen des Gefäss- systenis. Aus den Werthen, die man an verschiedenen Stellen des Arterienverlaufs findet, geht deutlich hervor, dass die Trieb- kraft der Ulutbewegung. die den Druck liefert, im Merzen gelegen sein muss, wo demnach der Punkt höchsten Drucks zu suchen ist. Man kann den Druck im Innern des Herzens selbst unmittelbar messen, wenn man in die Vena jugularis eine Röhre einführt, die durch die obere Hohlvene in den linken Vorhof oder noch weiter in die rechte Kammer vorgeschoben wird, und diese Röhre mit einem Manometer verbindet. Ebenso kann man von der Carotis aus eine Röhre in die linke Herzkammer einführen. Auf diese Weise sind die obenstehenden Curven gewonnen worden (Fig. 18). Man sieht, dass 70 Einlluss der Arteiienwand auf den Blutdruck. die Zusaninienzielinng des Vorhofs nur einen selir kleinen Aus- schlag a b an der Druckcurve des Vorhofs Ad hervorbringt, und dass die Drueksteigeruug in der rechten Kammer fy lange nicht so gross ist, wie die in der linken IcL Ferner bemerkt man, das.s die Ausdehnung der Kammer durch die Thätigkeit des Vorhofs sich durch eine geringe Drucksteigerung in der Kammer, bei e und i auf Curve Vd und Vs zu erkennen giebt. l'mgekehrt findet aucli im Vorhof während der Kammersystole eine Drucksteigerung statt, die durch den Zuiluss des Yenenblutes bei geschlossener Atrio- ventricularldappe bedingt ist. Endlich ist die Herzpause auf allen drei Curven zu erkennen. Vom Herzen an sinkt der Druck entsprechend den oben lur den Versuchsapparat angegebenen Grundsätzen in dem Maasse ab, als die Widerstände der Strombahn überwunden werden. In der l{adia,lis des Menschen wird er schon auf nur 100—1-20 mm t,)uecksilber geschätzt. An Carotis und Cruralis von Thieren ist ebenfalls ein der Entfernung vom Herzen entsprecli ender Unter- schied des Druckes nachgewiesen. In den kleinsten Arterien, in denen sich die Messung noch vornehmen liess, hat man den Druck im A'ergleich zum Aortendruck um ungefähr ein Viertel vermindert gefunden. Da der Druck stets dem noch zu überwindenden Wider- stande der Leitung gleich sein muss, ergiebt sich hieraus, dass di'ei volle Viertel des Gesammtwiderstandes der Blutbahn auf derjenigen Strecke gelegen sind, die noch unterhalb der Me.ssung.s- steilen liegen, also in den kleinen Arterienästen, dem Capillar- und Venensystem. Messuneen des Druckes im Venensystem ergeben sehr niedrige Werthe, ^die. nur etwa 'Ao-Vib des Aortendrucks betragen. Demnach werden fast drei Viertel des Gesammtdrucks in den kleinsten Arterien- und den Capillaren verbraucht. Es ent- spricht dies ganz dem, was oben über die Einschaltung von lapil- laren in die Versuchsleitung gesagt worden ist. , , . Alles oben über die Druckverhältnisse in den Arterien Ge- sagte gilt ebensowohl für den Kreislauf in den Lungen, wie für den Körperkreislauf. Da indessen die Widerstiinde des Lungen- kreislaufs bedeutend kleiner .sind als die im Körperkrcis auf. so ist natürlich auch der Druck wesentlich geringer Nach Schätzung und durch directe Me.ssung an durch die Brustwand m die Lungenarterie eingestossenen Köhren ergiebl sich der Druck zu etwa Vs des Aorlcndrucks. , , p , ,.i < i i. Uim- Einfluss der Arterienwand [auf den Blutdruck Hei ist einzuschalten, dass die obigen Angaben über fl'^ "^^'^f Blutdruckes als Mittelwerthe für den Ruhezusland '•"f>''»ff /J^fj Der Druck in den Arterien hängt nicht «'^m f'T- wiw Blut das Herz in sie hineintreibt und wieviel Blut gleichzeitig aus ihnen ablliesst. Diese beiden Umstände '^^^«1''^^?^^" " ZVJ sagen pflegt, den „FüUung.sgrad« der Arterien. \ om ' "^^^'^l^ ist die' elj^tische Spannung der Wände und von dieser l^nu k abhängia-. Nun ist aber die Arterienwand uirl.l mir passiv dehn- Blutdruck in Gapiüaven und Venen. 71 bar. soiulern sie kann sich vermöge der in ihr enthaltenen Muscu- hitur je nach dem Verkürzungszustand der Muskeirascrn in ver- schiedenem Maass clastiscii spannen. Dahei- kann die Wand- spanmmg bei starker Füllung gering und umgekehrt bei geringer Füllung noch beträchtlich hoch sein. Man kann also aus dem ^FüUungsgrade" nicht auf die Ilöhe des Druckes schliessen. Da- gegen liängt es eben von der Erschlaffung oder dem Zusammen- zieiiungsgrade der Gefässmusculatur ab, wieviel Blut durcli die Arterien" in das Capillarsystem abfliessen kann. Der Blutdruck hängt also bei gleichbleibender Herzthätigkeit im Wesentlichen vonr Spannungszustand der Gefässwände ab. Bei gleichbleibendem Zustande der^Gefässe ist dagegen der Druck abhängig von der Herzthätigkeit, und da diese, wie oben angegeben, sehr grosser \ erstärkung fällig ist, kann auch der Blutdruck unter Umständen sehr hoch über den Ruhewerth steigen. Blutdruck in den Gapillaren und Venen. Man hat nun auch den Druck in den Gapillaren unmittelbar gemessen, indem man Glasplättchen von bekannter Grösse auf die Haut aufdrückte und feststellte, bei welchem Druck sich eben eine Farbenänderimg in der gedrückten Haut.stelle einstellte. Hierbei wird angenommen, dass die Farbe der Haatstelle sich in dem Augenblick ändert, wenn der Druck gross genug geworden ist, die oberste Schicht von Gapillaren zusammenzupressen. Aus diesen Versuchen ergab sich, dass der Capillardruck nur etwa Vs des Aortendrucks beträgt, was mit den obigen Angaben gut vereinbar ist, wenn man bedenkt, dass die Methode mcht den Anfangsdruck, sondern etwa denjenigen Druck ergeben muss, der in der Mitte der capillarcn Kreislauf- strecke herrscht, wo schon ein grosser Theil des anfänglichen Druckes durch die Widerstände vernichtet worden ist. Bei den sehr geringen Druckkräften, die auf diese Weise für die Strömung des Blutes in den Venen übrig bleiben, ist leicht zu verstehen, dass die Schwere der in den Venen befindlichen Blut- säulen auf ihre Strömung einen merklichen Einfluss hat. Lässt man einen Arm oder ein Bein einige Zeit lang bewegungslos nach unten hängen, so findet man die Hautvenen dick angeschwollen, hält man die Extremitäten bewegungslos nach oben gerichtet, so verscliwindet das Blut aus den Venen, und die ganze Haut wird blass. In ähnlicher Weise folgt das Blut im ganzen Venensystem des Körpei-s dem l^influss der Schwere, sodass sich bei andauern- dem Stillstehen ein erheblicher Bruchtheil der gesammtcn Blut- niengo des Körpers in der unteren Körperhälfte ansammelt. Selbst l)ci kräftigen Menschen kann dies unter L'mständcn zu Ühnmachts- anfällen infolge von lUutleere im (iehirn führen. Wenn die Extremität oder der ganze Körper in lobhafter Be- wegung ist, treten die erwähnten Stauungserscheinungen niclit ein, weil durch die Bewegung die Strömung des Blutes in den Venen liefördert wird. Die grösseren Venenstämme enthalten bekanntlich zahlreiche Klappen, die ähnlich wie die Seniiliinarklappen des 72 Stromgeschwindigkeit des Blutes im Gefässsystem. l lcr/cns arbeiten und den Blutstnnn nur iu der Richtung nach dem Herzen zu durchlassen. Diese Klappen verhüten die allzu starke Rückstauung des Blutes in Folge der Scliwere und tragen zur Be- förderung der Strömung in der normalen Riciilung bei. Jedesmal nämlich,' wenn bei irgendwelcher Bewegung die Stauung nachlässt, oder durch einen cäusseren Druck die Vene leergedrückt wird, kann das Blut immer nur nach dem Herzen zu entweichen. Bei fort- gesetzter Bewegung entleeren sieh also die Venen mit Hülfe ihrer Klappen von selbst in der Riclitung nach dem Herzen zu. Noch ein anderer Umstand ist für die Druck- und Strömungs- verhcältnisse der Venen von ausschlaggebender Bedeutung. Bei jeder Einathmung wird ebenso wie die Luft auch das Venenblut in den Brustkorb eingesogen. Der Blutdruck in den Venen sinkt dabei unter den Atmosphärendruck, sodass nur der aussen wir- kende Luftdruck die Blutsäule vorwärts treibt. Auf diese AVeise wirkt die Athembewegung wesentlich als liülfskraft für den Kreis- lauf mit. In etwas geringerem Grade besteht, wie aus den weiter unten folgenden Angaben über die Mechanik der Athraung ver- ständlich werden wird, diese Saugwirkung von Seiten der Lungen auf den Venenstrom andauernd fort. Nur bei angestrengter Aus- athraung fällt sie fort, und es macht sich dann, wie aus dem tag- lichen Leben bekannt ist, alsbald eine Stauung in den \ enen be- merkbar, die sich im Roth- oder gar Blauwerden des Cxesichts äussert. ^, . n.. Stromgeschwindigkeit des Blutes im Lrefasss ystem. Die Geschwindigkeit der translatorischen Bewegung hangt erstens von der Grösse der Triebkraft, und da bei dauernder Strömung durch jeden Abschnitt der Leitung gleich viel Flüssigkeit hindurch- gehen " muss, zweitens vom Querschnitt der Strombahn ab. Der Querschnitt der grösseren Gefässe kann ohne Weiteres gemessen werden. Da zeigt sich, dass Jedesmal, wenn \erzweigung cintntt, der Gesammtquerschnitt der aus der Verzweigung hervorgehenden Gefässe grösir ist als der des Stammes vor der Verzweigung. Daraus f'lgt, dass die Bahn, die das Blut bei -'^^^J'^ theilung durch den Gefässbaum durchlauft, sich fortxva irerid ei- we^rt? Dieselbe Blutmenge, die im Anfangstheü der Aorta em- gepresst fortschoss, beginnt, indem sie sich auf die v'f *;" grossen Arterien vertheilt, schon "^'«der schnell zu fl.cssen^^^^ m^^ indem sie alle Körpergewebe in der unendlichen Zahl der CapüLuen erfüllt rückt sie nur noch ganz langsam vor. Die wenigen Tropf- chen lUut die in einer Sekunde Jede CapiUare durchsickern, i^u'ln sich aber, indem die Capillaren zu den Vene~ treten zu Blutmengen, für die die Gesammtheit der klemeien \ enen Sr;41iältnissm4ig enge Bahn bildet. Bei d^m Zusammen- treten der Venenstän^me gilt nämlich das ^^f , .^^ was oben um den Arterien gesagt .st. und ^'C "^'^•'•^ ^^^^^ sich daher immer mehr. Lnter dem steten Druck do> aus den Capillaren nacbdränaenden Blutes vorwärts getneben, nimmt das Messung der Schnelligkeit des Blutstiotns. 73 Veaenblul aiil' der immer enger wcrdeaden Bahn immer erl.öl.te GS'indigkeit an, und strömt ^^l-^^lf ' ^[rS't i-oH- in fh^ \ \pv7 ein die s ch zu der, mit der das J3lut rlurcn e t tirdarHerTv-Ä, umgekehrt ' wie der Gesammtquerschn,tt der beiden grossen Hohlvenen zu dem der Aorta verhalt Die geschilderte Abhängigkeit der Stromgeschw.ndigke.t voni Querschnitt der Strombahn ist eine absolute Pljp'kf ^^/f ^«^^^ wendigkeit. Denn die Stromgeschwmdigkeit und dei Q ue sdmitt an jeder Stelle der Blutbalm bestimmen zusammen die ßiutmenge, Sie in inem gegebenen Zeitraum die betreffende Stelle durchlau t. A^keiner ein&en Stelle kann mehr oder weniger Blut durcii- luessen als an allen anderen Stellen in derselben Zeit durch! l.ess . wenn es nicht zur Stauung oder Entleerung emzelner Abschnitt.' der Blutbahn kommen soll. Solche Unregelmässigkeiten können aber nur vorübergehend bestehen, sodass dadurch die a Igemeine Geltuno- des ausgesprochenen Gesetzes nicht beeinträchtigt wird Messung der Schnelligkeit des Blutstroms. Walirend die Geschwindigkeitsverhältnisse im Allgemeinen sich aus dem an- Fiff. 19. Lii(lwig"s Stroniulir. gewendeten Grundsatz und den Angaben der Anatomie mit viUliger Sicherheit ableiten lassen, ist man bei der l'\-age nach dem Maasse der Gescliwindigkeit auf die Beobachtung angewiesen. Die durcli 74 Messung der Schnelligkeit des Blutstronis. lieobachtiing und Versucli ge-\vonnenen Ergebnisse bestätigen durch- aus die obige Darstellung. Die Frage nacli der Ströniungsgesdnviudigkeii in der Aorta lallt zusammen mit der Frage nach dem Schlagvolumen des Herzens, da eben das Blnt in der Aorta iiiesst, das das Herz vcrlässt. Es sind zur Messung der JJlutgeschwindigkeit eine grosse Anzahl l.'ntersuchungen angestellt worden, die im Grossen und Ganzen auf drei verschiedene Arten vorgegangen sind. Einerseits hat man versucht, die ein Gefäss von gemessenem Querschnitt durch- ilicssende Blutmenge zu bestimmen. .Man kann hierher auch Volkm an n's Hämötachometer rechnen, obschon damit die Messung in einer langen Röhre vorgenommen wird, sodass die Mengen- bestimmung auf die Messung der Zeit hinausläuft, die zum Zurück- legen der Röhrenstrecke gebraucht wird. Zweckmässiger ist der Gebrauch der sogenannten Stromuhren, der von Ludwig eingeführt wurde (Fig. 19). Hier wird in die Blutbahn ein doppeltes Messgefäss K\ eingeschaltet, dessen einer Hohlraum vorher mit Oel, der andere mit Blut angefüllt ist. Das einströmende ]\)lut verdrängt das Oel aus dem ersten Raum in den zweiten, der das in ihm enthaltene Blut in die Blutbahn entleert. In dem Augenblick, in dem das erste Gefäss gefüllt ist, wird es durch eine Umdrehung des Gestelles an die Stelle des zweiten gebracht, das zugleich an die Stelle des ersten tritt. Der Blutstrom verdrängt nun wnederum, diesmal in der umgekehrten Richtung, das Oel aus dem zweiten Gefäss in das erste, wobei die vorbei- in das erste Gefäss eingetretene Blut- menge wieder in die Blutbahn weiter befördert wird. So kann die Messung längere Zeit fortgesetzt werden, ohne dass der normale Strömunesvorgang unterbrochen wird. Fin' anderes' Verfahren ist, in den Blutstrom ein bewegliches Hindernis einzuführen, das aus seiner Ruhelage um so stärker abgelenkt wird, je schneller die Strömung. Yolkmann's Härao- dromometer besteht aus einem Kästchen, durch das der Strom eines Blutgefässes geleitet wird, und in dem ein Pendel aufgehängt ist, dessen Ausschläge die Strömungsgeschwindigkeit messen. Aehnlich ist der Haemodromograph von Chauveau und Lortet: l*:in kurzes Metallrohr wird in den Lauf des zu untersuchenden Gefässes eingelugt. Ins Innere dieser Röhre ragt, durch emc Gummipiatie 'zugleich dicht abgeschlossen und elastisch beweglich, ein Metallstirt vor, der aussen durch Marey'sche Kapseln mit einer Schreibvorrichtung verbunden ist. Je schneller der Strom, um so mehr wird der Steift stromahgeneigt, und desto grössere Ausschlage verzeichnet er. Hierher kann man endlich auch die ^lethode der Bitot'schen Röhren rechnen. Diese beruiit auf dem oben vielfach angewendeten Satz, dass der Druck in einer Röhrenströmung von dem zu überwindenden AViderstande abhängig ist. Bei schnellerer Strömung ist der Widerstand derselben Röhre grosser als bei langsamer. Man braucht also nur oberliali) und unterhall) eines Messung der Schnell iglicit des Blutstroms. 75- nnveränderlichon Röl.renabsclmittes den Druck etwa dtircl. eine Steieröhre /n messen, so findet man emen mit der (.Tescliwmdig- keit der Strinmin«- wecliselnden Unterschied beider Drucke. \llc die erwähnten Vorriclitungen mnss man an btromiingen von bekannter (lesch windigkeit erproben, nm aus ihren Ausschlagen beim Versuch die Blutge.schwindigkeit ermitteln zu können. Die dritte Gruppe der Methoden besteht endlich darm, aus der Zusammensetzung des lilutes an verschiedenen Stellen des Kreishiufs auf die Menge des in der Zeit umlaufenden Llutes zu .schliessen Insbesondere lässt sich aus dem Geiialt von Blutproben •in Sauerstoff und Kolilensäure, wenn der Gesammtgasaustauscli des Körpers bekannt ist. die Menge des Blutes berechnen, die durch die Lungen getrieben worden ist. Auf diese Methoden kann iiier nicht näher eingegangen werden, weil das zu viele Angaben aus anderen Gebieten der Physiologie erfordern wurde. Es sei jedoch noch auf den Vorzug dieser ]\Iethoden hingewiesen, dass nämlich die normalen Kreislauf bedingungen verhällnissmässig wenig frestört werden. Die Ergebnisse, die mit diesen Methoden gewonnen worden sind, stimmen untereinander in befriedigender Weise überein, und zeigen zunächst, dass die Blutströmung in den grösseren Arterien noch sehr ungleichförmig ist, da das Blut bei jeder Systole schneller fortgetrieben wird als in der Diastole. In der Carotis des Hundes ist. die maximale gemessene Geschwindigkeit fast 0,3 m in der Secimde, die Minimalgeschwindigkeit in der Diastole etwa 0,2 ni. Da bei grösseren Thieren der Druck höher und die Gefässe weiter sind, ist hier eine grössere Geschwindigkeit anzunehmen. So i.st beim Pferde thatsächlich die systolische Stromgeschwindigkeit in der Carotis zu 0,52 m gefunden worden. Beim Menschen nimmt man auf Grund von verschiedenen Messungen und Berechnungen, die auch durch directc Bestimmungen nach Art der dritten der oben beschriebenen Gruppe von Methoden bestätigt sind, 0,5 m als systolische Geschwindigkeit des Blutes in der Aorta an. Durch Rechnung oder durcli Messung der in einem längeren Zeitraum durchtliessendcn Blutmenge erhält man den Werth der sogenannten mittleren Blutgeschwindigkeit, das heisst diejenige gleichförmige (iesch windigkeit, bei der ebensoviel Blut durch das betreffende (lefäss Iiiessen würde, wie bei der wirklich stattlindenden ungleich- förmigen Bewegung. Diese mittlere Geschwindigkeit i.st erheblich niedriger als die systolische, sie wird iieim Menschen in der Aorta, zu 0,3 m angenommen. Uci)rigens entsprechen die angeführten Zablen dem Zustande der Körperruhe, und sind also jedenfalls von der oberen Grenze der in Wirklichkeit vorkommenden Werthe sehr weit entfernt. Man schliesst aus Betrachtungen am Pferde, dass bei äusserster An- strengung des Herzens die Anfangsgeschwindigkeit des Blutstroms auf (las Fünffache des angegebenen Buhewerthcs steigt. 76 Stromgescliwindigkeit in den CapiUaren. Axenfaden. Einsprechend der Abnahme des Druckes und der Zunalinie des Querschnittes der iolutbahn findet man in den vom Herzen entfernteren Gefässen eine mcrklicii geringere Geschwindigkeit: Syst. Diast. Carotis des Hundes . 297 215 cm i. d. See. Cruralis „ „ .203 127 ,, Die Strömungsgeschwindigkeit: in den Venen ist im Allgemeinen geringer als die mittlere Strömungsgeschwindigkeit in den Arterien. Da jeder Arteric gewöhnlich zwei ungefähr eben so grosse Venen entsprechen, fliesst in diesen das Blut nur ungefähr halb so schnell. Eine Ausnahiiie hiervon findet beim Lungenkreislauf statt, denn der Gesammtquerschnitt der Lungenvenen ist kleiner als der der Luugenarterie. Mithin muss hier der Venenslroiu schneller fliessen als der arterielle. Stromgeschwindigkeit in. den CapiUaren. Was die Strömung in den CapiUaren betrifft, so kann man diese unmittel- bar unter dem Mikroskop beobachten und messen. Geeignete Objecte hierzu sind die Schwimtnhaut, das Mesenterium und die Lunge des Frosches und das Mesenterium der Warmblüter. Dies Untersuchungsverfahren veranschaulicht überhaupt auf die einfachste Weise sämratliche wichtige Eigenthümlichkeiten des Ivreislauts. Man sieht das Blut, in deiTi man die einzelnen Körperchen erkennt, in den kleinen Arterien stossweisc mit. grosser Geschwindigkeit strömen, sieht wie es sich in die CapiUaren vertheill imd in langsamem Strom durch sie hindurchwindet, um dann in den Venen mit be- schleunigter gleichmässiger Geschwindigkeit abzufliessen. ^^enu man im" Gesichtsfeld einen- Maassstab anbringt, kann man die Ge- schwindigkeit der Strömung, wo sie nicht zu gross ist, leicht messen, und mit Berücksichtigung der Vergrösserung durch das Mikroskop ihren wirklichen Werth berechnen. Man findet die Stromgeschwindigkeit in der Schwimmhaut des Frosches zu bis 0 5 cm', im Mesenterium des Hundes zu 0,8 cm in der Sccunde. Die Geschwindigkeit des ßlutstroms in den CapiUaren ist also wohl 500 mal geringer als die in der Aorta, woraus man schliessen kann, dass der Gesammtquerschnitt der gleichzeitig durchströmten CapiUaren 500 mal grösser sei als der der Aoria, und mithin etwa ein Viertel Quadratmeter betragen muss. Axenf aden. üebrigens tritt an dem ßlutstrom der kleinen Ge- fässe unter dem Mikro.skop der Unterschied zwischen dein mutleren ,AKenfaden" und der an der Wand tliessenden Schicht des Blutes sehr schön hervor. Es zeigt sich zugleich eine Eigenthumlichkeit der Blut- körperchen, die allen kleinen in Flüssigkeiten vertlieilten Körpern zukommt, nämlich die, sich in den am schnellsten stromenden Schichten zu halten, und von den langsamer lliessenden Schichten gewissermaassen abgestossen zu werden. Die b utk(U-perclien lassen die Randschichten in dem Gefässe frei unht hieraus. Einfluss der vasomotorischen Nerven auf die Gefässweite. 79 wie gross die Steigerung der llerzarbeil im äussersten Falle .sein kann. , ,. . ,t ^ i Die Arbeitsleistung des Herzens bedingt einen btollverbraucli, der einen merklichen Posten im Gesammtstoffweclisel ausmaeiit, und zu etwa 5 pCt. des Gesammtverbrauchs veranschlagt werden darf. Einfluss der vasomotorischen Nerven auf die Ge- fässweite. Es ist oben schon angedeutet worden, dass der Blut- druck im Gefässsystem nicht wie der Druck in einer todten Leitung einfach von der Triebkraft und den Reibungswiderständen abhängig ist. Vielmehr ist die Weite der Gefässe selbst veränderlich. Dies beruht darauf, dass in der Arterienwand eine Schicht von ring- förmig angeordneten Muskelfasern liegt, die durch ihre Zusaminen- ziehuni;- odei- ErschlalTung die Weite des Gefässes vermindern oder vero-rössern können. Es war oben schon davon die Rede, dass je nach dem Erweiterungszustand der Gefässe die gleiche in ihnen enthaltene Blutmenge unter hohem oder niedrigem Druck stehen Icönne. Auf die in Bewegung hefindliclie Blutmenge wirkt dieZusamnoenziehung derGefässestromverlangsaniend,dieErweiterung strombesclileunigend. Nun kann aber Verengerung und Erweiterung in jedem einzelnen Ge- fä.ssüebiet für sich, also örtlich begrenzt, auftreten und demnacii der^Blutstrom in jedem einzelnen Gefässgebiet beschleunigt oder verlangsamt werden. Auf diese Weise ist die Zufuhr und Abfuiir zu den einzelnen Kiu-pertheilen geregelt, ganz wie die Wasser- führung in einer Bewässerungsanlage durch Schleusen geregelt wirfl. Die Muskelfasern der Gefässwand stehen nämlich unter dem Ein- fluss des Nervensystems, dessen Thätigkeit sich verschiedenen inneren und äusseren Bedingungen in weiter unten zu beschreiben- der Weise anzupassen vermag. Durch Vermittlung des Nerveii- .systems Avird der Blutstrom in jedem Gefässgebiet in jedem Augenblick mehr oder weniger nach dem Bedarf der betreffenden Körpertheile eingestellt. Es ist klar^ dass durch diese Einrichtung die Strömung des Blutes unabhängig von den oben aufgestellten allgemeinen hydro- niechanisclien Gesetzen verändert wird. Der Satz, dass bei Erhöhung der Triebkraft die Strömungs- ji^csch windigkeit zunimmt, ist für physikalische Vorgänge allgemein gültig und wird im Allgemeinen auch auf die Verhältnisse des Blutkreislaufs angewendet werden dürfen. Treten aber Bedingungen ein. die das Nervensystem veranlassen die Gefässmusculatur in Thätigkeit zu setzen, so kann der Blutstrom trotz erhöhter Triel)- kraft des Herzens verlangsamt sein. Die durch die Gefässmuscu- latur bedingten Veränderungen des Kreislaufs gehören also streng genommen nicht in das in diesem Abschnitte behandelte Gebiet der Hydromechanik des Kreislaufs, sondern sie greifen auf die Gebiete Wesentliche beim Vorgang' der Athmung muss dcslialb die Ein- fiilining frischer Luft, die Erneuerung der Luft in den Lungen be- trachtet werden. Nacli längerem Aufenthalte in dem geschlossenen Haume bedeutet eben die Einatlmiung keine Erneuerung der Lungeu- hift mehr, weil durch die vorhergegangenen Athemzüge Aussenlufr und Lungenluft gleichförmig gemischt sind. Wenn aber für die wirksame Athmung immerfort neue Lull nüthig ist, so ist es klar, dass die Luft durch die Athmung ver- ändert wird. . Die Veränderung betrifft, wie unten auslührlicher gezeigt werden soll, die Zusammensetzung der Luft, und bestellt im wesentlichen darin dass ihr Sauerstoff entzogen und Kohlensäure zugefugt wird. Da das Blut, wie im ersten Abschnitt angegeben, gerade zu diesen beiden Gasen ein ganz besonderes Verhalten zeigt, und sie m "■rossen Mengen aufzunehmen vermag, leuchtet sogleich ein, dass der bei der Athmung aus der Luft verschwindende Sauerstoff in das die Lungen durchlliessende Blut übergegangen sein muss und dass die von den Lungen abgegebene Kohlensaure ebenfalls aiis dem Blute stammt. Es findet in den Lungen zwischen den im Blute enthaltenen Gasen und der eingeathmeten Luft ein Austauscli statt indem die Luft sauerstoffarmer und kohlensäurereicher, das Blut' sauerstoffreicher und kohlensäureärmer wird. Dadurch mussre in kurzer Zeit das Blut mit Sauerstoff überladen und voUig kohlen- säurefrei werden, wenn nicht an irgend einer anderen Stelle lort- während der entgegengesetzte Tausch vor sich ginge Die \ ei- änderung der Atheraluft geht unter gleichen allgemeinen bedingungen dauernd in ungefähr gleichförmigem Maasse vor sich. Mithin muss auch das Blut, das in die Lungen eintritt ste s ungefähr die gleiche Aufnahmefähigkeit für Sauerstoff und den gleichen \orrath abzugebender Kohlen.säure haben. Das aus den Lungen abfliessende Blut hat aber Sauerstoff aufgenommen und Kohlensaure abgegeben. und es muss also, ehe es auf der Kreislauf bahn zu den Lungen zurückkehrt, den eben aufgenommenen Sauerstoff losgeworden sein, und an Kohlensäuregehalt zugenommen haben. Diese dem Gas- au,stausch in den Lungen entgegengesetzte Veränderung vo l e t sich thatsächlich während das Blut den grossen Kreislaut duu-h- slrömt, denn das Blut in den Körpervenen ist kohlensaurereicher %^''^:Zen^ut unterscheidet sich deshalb au.1. vom KörperSterienblut durch dunklere Farbe, weil das sauet.t.ffr^^^^^^^^^^ Blu die hellrothe Oxvhämoglobiiifarbe annimmt. Da da> Blut a is I n l L^^^^^^ dui-ch die rechte Herzhälfto »"mittelbar m d o L^gt^Jterie übergeht, ist in de,- l-^g-^-^-'-^ll-^^llti;^ ^ Blut in den Lungen sauerstofTreicher wird, in de^i Lungen\enu arte^^-ielles Blut vorhanden. Die Alten nannten denn auch die Lungenarterie Vena arteriosa. i>i cnlhd wilnviid Man könnte daran denken, dass m dem Mute selb.sl, ^\almn(l Nachweis des Gaswechsels. 85 es den grossen Kreislaiil' durchslrönit, ein Vorgang stattfände, bei dem der Sauerstofl: aulgezehrt und dafür Kolilensäurc gebildet würde. Ein solclier A'organg würde als eine Oxydation, eine Ver- brennung zu bezeichnen sein. Er könnte im einfachsten Fall darin l)estchen, dass reine Kohle durch Verbindung mit dem Sauerstoff zu Kohlcnsiiure ox_ydirt würde. Solclie Oxydationen sind aber im Blute nicht naciizuweisen. Der Ort, an dem der Sauerstolf verschwindet, die Kolilensäurc entstellt, inuss also ausserhalb der ßlutbahn, in den umgebenden Geweben gelegen sein. Zwischen diesen, oder genauer gesprochen, der sie umspülenden Gewebsflüssigkeit und dem Blute niuss ein Gasaustausch stattfinden, geradeso wie in den Lungen, nur im entgegengesetzton Sinne. Seist es denn auch thatsächlicli: Uas Blut gicibt beim Durchstnimen der Kürpercapillaren SauerstolT an die Gewebsflüssigkeit ab und nimmt aus ihr Kohlensäure auf. Dieser Austausch kann dauernd vor sicii gehen und geht auch ihatsäcidich (hvueriid vor sich, weil zwar nicht in der Gewebs- flüssigkeit, wohl aber in den Geweben selbst naciiweisbar, fort- wälirend Oxydalionen staitlinden, die Sauerstoff binden und freie Kohlensäure entwickeln. Auf diese Weise wird das stete ßedürfniss nach frischer Luft, die Jiedeutung der Lungenthätigkeit für das Leben und zugleich die besondere Stellung der .Lungen im Kreislauf verständlich. Nur durch Vermittlung des Blutes können die Gewebszellen den für die in ihnen ablaufenden Oxydationen nötliigen Sauerstoff erhalten, nur in lut dauernd durch die Lungen hindurch und von da zu den Geweben strömen. Damit das gesamrate Blut, das dem Körper zulliesst, vorher durch die Lungen gehen könne, ist die Trennung des Lungenkreislaufs vom Körperkreislauf, die Tlieilung des Gesamintkreislaufs in grossen und kleinen Kreislauf iiotli- wendig. S'acliweis des GaswechseLs. Um den Austausch, der in den J^ungen zwischen der eingeathnieten Luft und den Blutgasen stattfindet, nachzuweisen und genauer messend zu verfolgen, sind enomraenen zu den abgegebenen Stoffen untersuchen, so muss vielmehr die Beobachtung sich über eine so lange Zeit erstrecken dass zufällige Schwankungen ausgeschlossen sind, und dass auch die etwa im Körper selbst vorräthigen oder zurückgehaltenen Stofle keinen merklichen Einfluss auf das Ergebniss haben können. Lra derartige Untersuchungen an der Athemluft mehrere Stunden hindurch fortsetzen zu können, sind verschiedene Verfahren an- gewandt worden. Für kleinere Versuclisthiere eignet sich das Verfahren von Regnault und Reiset, das darauf beruht, einen Luftraum, in dem das Thier abgeschlossen ist, dauernd soweit wie möglich kohlensäurefrei zu halten, während der Sauerstoll, den das Thier verbraucht, ersetzt wird (Fig. -21). Zu diesem Zweck wird eine Glasglocke A mit zwei Schläuchen Je h', von denen sich einer oben, einer unten in der Glocke belindet, an zwei Flaschen c c' angeschlossen, die halb mit Kalilauge gefüllt sind und an einer Wippe hängen, die dauernd in Bewegung gehalten wird. Die beiden Flaschen sind durch einen von den Böden der Flaschen ausgehenden Sciilauch verbunden. Durch das Spiel der Wippe wird nun abwechselnd die eine Flasche gesenkt, während die andere sich liebt und umgekehrt. Senkt sich die eine Flasche, so strömt die Kalilauge aus der anderen in sie ein und verdrängt die Luft aus der Flasche in die Glasglocke. Zugleich wird dieselbe Menge Luft aus der Glasglocke in die sich hebende Flasche eingesogen, weil aus dieser ja die Lauge abtliesst. So werden immerzu neue Mengen der in der Glocke befindlichen Luft mit der Kalilauge in Berührung gebracht, die daraus die Kohlensäure absorbirt. Gleichzeitig steht die Glocke mit Sauerstoff'behältcrn N in Verbindung, die den Sauerstoff unter ganz geringem Uebcrdruck in die Glocke eintreten lassen. In dem Maasse, in dem die Kohlensäure aus der Luft in der Glasglocke entfernt wird, tritt also Sauerstoff an iiire Stelle. Auf diese Weise bleibt die Zusammensetzung der Luft in der Glocke stets dieselbe, so viel Sauerstoff das Thier auch verbrauchen und so viel Kohlen- 92 Respii'ationsappavat von Regnanlt und lleisel. Verfahren zur Untersuchung der Athmungsluft. säure CS ausscheiden möge. Die Menge der ausgesciiiedenen Koiilen- säure und des aufgenoninienen Sauerstoffs werden jede lur sicli bestimmt. Damit aucii die Temperatur während des Versuclis gleichförmig b]eil)t, wird die Glasglocke mit einem weiteren Gefäss B umgeben und dies mit Wasser gefüllt, das durch Zufluss und Ab- lluss auf gleicher Temperatur gehalten wird. Hierdurcli wird zu- gleich eine sichere Abdichtung der Glocke erreicht. Gegen die Verwendung dieses Apparates ist der Einwand erhoben Avorden, dass die Luft in der Glasglocke wälirend der Dauer des Versuchs nicht blos durch die Athmung, sondern auch durch die Haut- ausdünstungen, die Excremente und Darmgase des Versuchsthieres verunreinigt wird, die natürlicii nicht, wie der Kohlensäureüberschuss, durch den Kalilaugenapparat entfernt werden. Deshalb müsse gegen Ende der Versuchsdauer das Tliier sich unter abnormen Bedingungen befinden. Allzu gross darf in Folge dessen die Versuchsdauer nicht Ijemessen werden. Diesen üebelstand sicher auszusciialten, ist ein Hauptvorzug in der Anordnung des Pettenkofer'schen Apparates (Fig. 22). Hier ist der Luftraum A so gross, dass ein oder mehrere Menschen, ja auch ein Pferd oder ein anderes grosses Thier sich bequem darin auf- halten können. Der Raum ist ferner nach aussen gar nicht luft- dicht geschlossen, sondern er wird im Gegentlieil durch eine grosse Luftpumpe ventilirt. die dauernd einen starken Liiftstrom aus dem Räume absaugt. Die ;Luft tritt von allen Seiten durcli die zufälligen Fugen der Wände ein und der Ventilationsstrom muss so stark .sein, dass die Zeit, während der sich die Luft des Raumes erneut, gegenüber der Dauer des Versuchs nicht in Betracht kommt. DieMenge der auf diese Weise durch dieRöhre abströmenden Luft wird durch eine grosse Gasuhr j5 genau bestimmt. Von der abge- sogenen Luft wird ferner durch ein dünnes Zweigrohr a eine gewisse kleinere Luftmenge entnommen und durch Flaschen hindurch getrieben, in denen der Wasserdampf und dicKohlensäure zurückgehalten werden. Die xMeuge der so untersuchten Probeluft wird ebenfalls durch eine Gasuln- bestimmt, ländlich wird ganz ebenso eine gewisse JAift- menge aus der Umgebung auf Wasser und Kohlensäure geprüft und gemessen. Da dem Vcrsuclisraum einfach die umgebende Luft zuströmt, ist durch die letzterwähnte Bestimmung die Einathmungs- luft nach ihrem Gehalt an Wasser und Kohlensäure bekannt. Die Ausathmung.sluft muss sich, mit der Luft des Versuchsrauraes ge- misclit, in dem Ventilationsstrome wiederfinden. Die zweiterwähnte Bestimmung giebt über den Gehalt dieses abgesaugten Luft- gemisches Ausschluss. Aus dem Mengenverhältniss der an der grossen Gasuhr abgelesenen Gesammtmenge der abgesaugten Luft und der an der zweiten Gasuhr abgelesenen Grösse der unter- suchten Probe ist der Gesammtgeliaft der abgesaugten Luft an Wasser und Kohlensäure, und durch den Vergleich mit der üm- gebungsluft auch die Gesammtausschcidung von Wasser und Kohlen- säure zu berechnen. Der Sauerstoffverbrauch wird bei dieser Methode 94 Pettenkofer's llcspiralionsappaiat. Verfahren zur Untersuchung der Athmungsluft. 95 nicht bestimmt, kann aber aus tlcm Gewi eilt des rineres, wenn der Stoa'weciisel im übrigen bekannt ist, aucli nocli berccimet werden. Dadurch und durcii den Umstand, dass die Bestimmung an einem verliältnissmässig kleinen Bruciitheii der Gesammtausscheidung ge- macht wird, sind beim Gebraucli der Pettenkofer'sclien Metliodc, wenn nicht sehr sorgfältig gearbeitet wird, üngenauigkeitcn zu be- fürchten. , ,r , , , Als eine Vereinigung dieser beiden .Metlioden kann in gewissem Sinne" die Zuntz-Geppert'sclie Methode angesehen werden. Hier ist die Versuchsperson oder das Versuch.sthier völlig frei und atlimet durch einen Luftschlaucli, der entweder durch ein Mund- stück oder eine dicht sehliessende Maske oder, was ira Fall der Versuchsthiere das zweckmässigste ist, durch eine in die Trachea eingeführte Canülc angesclilossen ist. Der Lut'tschlauch hat eine Seitenöfl'nung, die durch ein einwärts schlagendes Ventil gegen den Ausatimningsstrom geschlossen ist, so dass die Ausathmungsluft durch den Schlauch'^ in eine Gasuhr treten muss, die iiire Menge angicbt. Bei der Einathinung schliesst sich der Schlauch ebenfalls durcli ein Ventil und die Aussenluft tritt durch die Seitenöffnung und das erste Ventil ein. Von der Ausathmungsluft wird nun, indem sie durch die Gasuhr strömt, eine Probemenge abgesogen, die dann auf ihren Kohlensäure- und Sauerstoffgehalt in einem eigens hergericliteten Apparat zur Analyse der Athmungsluft unter- sucht wird. Da die Einathmungsluft als normale atmosphärische Luft angenommen, oder nöthigenfalls auch auf iiire Zusammen- setzung genau geprüft werden kann, lässt sich aus diesen Be- stimmungen sowohl Sauerste flVerbrauch wie Kohlensäureabscheidung ermitteln. Wesentlich für die Anwendbarkeit dieser Methode sind eine Reihe von Kunstgriffen und Correcturen, durch die die einzelnen Fehlermöglichkeiten ausgeschlossen oder die Bestimmungen genauer gemacht werden. Vor allem ist die Art der Probenahme beachtens- wertli, die es ermöglicht, aus einer einzigen für die Luftanalyse hinreichenden Probemenge die Durchschnitts-Zusammensetzung der Ausathmungsluft während einer längeren Vcrsuchsperiodc zu er- mitteln. Js^ähme man einfach während des Versuchs zu beliebiger Zeit eine beliebige Probemenge, so könnte man nicht wissen, ob nicht im Laufe des Versuchs die Verhältnisse sich wesentlich ver- ändert hätten. Nähme man wiederholt in kurzen Abständen Proben, s(i würde man die Verschiedenheiten in der Zusammensetzung der Ausathmungsluft während der Versuchsdauer erkennen und daraus etwa einen Durchscimitt nehmen können. Dieser Durchschnitt würde aber den wirklichen Verhältnissen offenbar nur dann ent- sprechen, wenn während jedes Zeitabschnittes, für den eine Probe genommen worden war, auch die gleichen Luftmengen geathmet worden sind. Damit die Probe nach Menge und Zusammensetzung ein genaues Abbild der während der Versuchsdauer ausgeathmeten Luft giebt, wird folgendermaassen verfahren: Das Gefäss, in das die Prnbehift eingesogen werden soll, ist eine oben und unten 96 Grösse des Gaswechsels. ofl'ene Glasrölirc, die durcli einen oben angesetzten Sciihiucli niii dem Athniungsschlaucli verbunden wird. Die Glasröhre ist mir angesäuertem Wasser gefüllt, das durch die untere Oefl'nung ab- zuiliessen strebt. An der unteren Oeffnung ist ebenfalls ein Schlauch angeschlossen, dessen Mündung so hoch liegt, dass das Fülluugs- wasser oder, wie man es nennt, die Sperrllüssigkeit nicht abfliessen kann. In dem Maasse, in dem die Mündung dieses Schlauches unter die obere Oeffnung der Glasröhre gesenkt wird, fliesst nun die Sperrllüssigkeit aus und saugt dadurch Luft aus der Athem- leitung ab. Die Mündung des Schlauches wird durch einen Faden hochgehalten, der um die Achse der Messtrommel iu der Gasuhr o-eschlungen ist. Je schneller die Gasuhr geht, desto schneller senkt sich die Mündung und desto mehr Luft tritt in die Proben- röhre. Athmet das Versuchsthier langsamer, so dreht sich die Gasuhr langsamer und desto weniger Luft gelangt in die Proben- röhre. So ergiebt sich eine Probe, die genau den Durchschnni aus der genannten geathraeten Luftmenge darstellt. In ähnlicher Weise ist das Verfahren nach jeder Richtung, insbesondere auch in Bezug auf die bei der chemischen Analyse der Luftproben an- zuwendende Methode aufs Sorgfältigste durchgebildet worden so dass es zugleich als die handlichste und zuverlässigste Methode, bezeichnet werden darf. , , , Grösse des Gaswechsels. Mit Hülfe der besprochenen Methoden kann nun also die während längerer Zeit ein- und aus- geathmete Luft genau untersucht und ihre chemische Veränderung l)is auf Bruchtheile eines Procents genau bestimmt werden.^ Da- durch ist zunächst die Grösse des Sauerstoffverbrauchs im Ganzeii ..■egeben. Dabei zeigt sich, dass die absolute Menge Sauerstofl. deren ein Mensch oder Thier bedarf, vor allem von dei- Grosse des Thieres abhängt. Der Mensch nimmt in 24 Stunden min- destens 750 g Sauerstoff auf und scheidet etwa 900 g Kohlensaure aus Der Rauminhalt dieser Gasmengen beträgt etwa je emen halben Cubikraeter. Von der Bedeutung dieses Au.stausches für den Gesammtstoffwechsel erhält man einen anschaulichen Begriff wenn man sich vergegenwärtigt, dass in ^^00 g/^^^J^f"^^^"'^;, j],- ^ 950 g Kohle enthalten sind, die in Form von Holzkohle ein buick so gross wie ein halber Backstein darstellen wurden. Die Tagesmengen des Gaswechsels beim Pferde sind .ungefähr nach dem Verhältniss des Körpergewichts höher, nämlich enva ßmal so gross. Wollte man daraus aber ableiten, dass der Gas- ;4hsel überhaupt der Grösse des Thieres \>rovorUon^^^ ^ würde man zu falschen Ergebnissen kommen. Dies zeigt sich am e cl sL, wenn man den Einlluss des absoluten Korpergewich t> a sSaltet.' indem man veranschlagt, wieviel f-^'^J und Kohlonsäureausscheidung bei verschiedenen Ihie en aul t^^^^ Kilooramni KiM-pergewicht zu rechnen ist. Dabei zeigt sich gleich. hS'die leine'ren Thiere einen lebhafteren Gaswechse haben al^ e Jls n.n. Hier mag an die Bemerkung erinnert sein, die oben Grösse des Gasweclisels. 97 über die Grösse der Blutkörperchen bei den vorscluedcnen llncren -emacht worden ist. Die feinere Vertheiking des Häraoglobins bei den kleineren Thieren entspricht olTenbar dem BcdürCniss nach schnellerem Gasaustausch. Worauf -dies in letzter J.inie beruht, wird unten bei der Betrachtung der thierischen Wärme ersichtlich worden. . . Selbstverständlich dürfen in dieser Beziehung nur iJuere von anncähernd gleicliem Bau und gleicher Lebensweise verglichen werden. Schon die verschiedenen Ordnungen und gar die Classen fügen sich nicht in die angegebene Regel. So haben die Wieder- käuer ein unverhältnissmässig stärkeres x\thembedürfnis als die übrigen Säugethiere, die kaltl)liitigen Thiere dagegen ein viel schwächeres. Diese Angaben werden durch die nachfolgende Zahlenübersiciil bestätigt. Körper- .Sauers toff- Kohlensäure- Sauerstofif- In 24 Stunden gewicht aufnahnie ausscheidung aufnahme in kg in g in g in 1 Ochs 600 7 950 10 900 5 550 Pferd 450 3 900 5 200 2 6.50 75 7.50 900 525 70 840 1 010 .590 Hund 15 430 460 300 Katze •2,5 60 64 42 Kaninchen .... 2 44 56 31 Huhn 1 29 31 21 0,03 0,05 0,045 0,085 Das Ergebniss des Vergleichs tritt noch viel deutlicher hervor, wenn die geathmeten Luftmengen auf das gleiche Körpergewicht berechnet w^erden. Dies veranschaulicht die folgende Zahlenreihe: Iis nehmen auf Sauerstoff in g pro kg und Stunde Ochs 0,55 Pferd 0,35 Mensch 0.42 Schaf OM) Hund 1,19 Katze 1,01 Kaninchen 0,92 Iluhn 1,19 Frosch ...... 0,07. liinfluss der Muskelarbeit, Verdauung und anderer Bedingungen. Die . hier angeführten Zahlen sind Durchschnitts- zahlen aus Versuchen an ruhenden Thieren. Ebenso wie die Vorgänge beim Kreislauf des Blutes können sich nämlich auch die der Athmung unter verschiedenen Bedin- R. ilu Ho i s -Re y 111 0 n (1 , Pliy.siolosio. 7 98 Einlluss der Muskelarbeit, Verdauung und anderer Bedingungen. guiigcn sehr vcräiiflorn. Insbesondere wirkt jegliclie Muskelarbeit stark auf die Athniung ein. Schon beim Stehen ist ebenso wie an der erhöliten Pulszalil auch an der Athmung der Einfluss der MuskeJanstrengung nachzuweisen, indem Sauerstoffverbrauch und Kohlcnsäureauschcidung auJ' bis zu 120 pCt. des Ruhewerthes steigen. Ist die Muskelarbeit auch nur massig anstrengend, so kann man an sich selbst und an anderen Menschen oder Thieren ohne weitere Ilülfsmittel wahrnehmen, wie die Athembewegungen sich verstärken. Der Sprachgebrauch nennt das „ausser Athem kommen." Den stärkeren Athembewegungen entspricht auch ein grösserer Gasaustausch, dei- im äussersten Fall, liei sehr schwerer Arbeit auf das 8— 9 fache des Ruhewerthes steigen kann. Da die Arbeit des Herzens ebenfalls eine Muskelleistung dar- stellt, so kann sie nicht ohne Einlluss auf die Athmung bleiben, sondern gehört zu den wichtigsten der während der Körperruhe auf die Athmung einwirkenden Bedingungen. Ebenso wirkt die Thätigkeit des Verdauungsapparates verstärkend auf die Athmung ein. Daher zeigt die Athmung, sofern nicht andere Umstände Störungen hervorrufen, eine der Herzthätigkeit gleichlaufende Curve, die durch die Zeit der Nahrungsaufnahme mit beeinilusst wird. Im Schlafe, als im Zustande der grösstcn möglichen Ruhe des ganzen Körpers, geht auch die Athmung auf ihren kleinsten Umfang zurück. Dies scheint den Beobachtungen aus dem tag- lichen Leben zu widersprechen, da Jeder von „den tiefen Athem- Zügen des Schlafenden" hat sprechen hören. Aber die Grosse de,s Luftwechseis und noch mehr die Grösse des eigentlichen Sauerstofi- umsatzes, der das Wesen der Athmung ausmacht, ist von der Tiefe des einzelneu Athemzuges unabhängig. Die Athemzuge des Schlafenden sind tief, aber selten, und die Luft wird dabei eben nur zur Grenze des Ruhewerthes von Sauerstoflfverbrauch und Kohlensäureausscheidung ausgenutzt. Ebenso wie diese wechselnden Bedingungen wirken nalurlicli auch alkemeine körperliche Verschiedenheiten, wie das Lebensalter das Geschlecht und die Constitution verschiedener Individuen aut deren Athmung ein. Auch liier tritt die Aehnlichken mit den \ cr- hältnissen des Blutkreislaufs hervor. Kinder haben, auch wenn der Unterschied der Körpergrösse abgerechnet wird, in ^oige Huts lebhafteren Stoffwechsels eine höhere Pulsfrequenz und ein stär- keres Athembedürfniss. Dagegen haben Weiber höhere l ulsfrequenz als Männer, während Männer einen stärkeren Gaswechsel zeigen. Dies ist auf die stärkere Entwicklung der Muskeln beim Manne zurückzuführen, deren Stoffwechsel, wie weiter unten gezeigt werden wird, auch im sogenannten Ruhezustand die Athmung beherr.schr Aus demselben Grunde haben kräftige Individuen eine leldiaft( u Athmung als schwächliche. ■ j-„ r,.;\c^o ,h>-< Aus allem diesen geht deutlich hervor, dass die Stoffumsatzes bei der Athmung zu mannigfachen, zum ' _ feinen Verschiedenheiten der Lebensbedingungen m he/u hun^di Respiratorischer Quotient. 99 stein. Die Untersuchung der Athinung kiinii dalici' umgekehrt be- nutzt werden, um auf alle diese Bedingungen im Einzelnen zurück- zuschliessen, wenn es gelingt, sie hinreichend zu sondern. Ins- besondere kann die Grösse der mechanischen Arbeitsleistung des Körpers aus der Grösse des SauerstoflVerbrauchs und der Kohlen- säureausscheidung erschlossen und daraus beispielsweise wiederum abgeleitet werden, wieviel die Futterrationen eines Arbeitspferdes betragen müssen, wenn es bestimmte Lasten bestimmte Zeit hin- durch ziehen soll. Auf den Zusammenhang diesei- Dinge wird weiter unten bei der Besprechung der chemischen Vorgänge im Muskel zurückzukommen sein. Respiratorischer Quotient. Hier soll nur eine, besonders wichtige Beziehung der Athmung zu den Stofl'wcchscl Vorgängen erörtert werden. Bei der genaueren, längere Zeit hindurch fort- gesetzten Untersuchung der Athmungsluft tritt nämlich ein bisher nur angedeuteter Umstand hervor, der durch kurzdauernde Be- obachtung nicht mit Sicherheit zu erweisen ist — , dass das Volum der ein- und ausgeathmeten Luft nicht gleich ist. Die auis- geathraete Menge ist, sobald sie ihre Wärme abgegeben hat und auf die gleiche Temperatur wie die Einathmungsluft gekommen ist, um etwas geringer als die eingeathmete. Dies erklärt sich nicht ans der Verschiedenheit in der Zusammensetzung der Ein- athmungs- und Ausathmungsluft. In der Einathmungsluft ist der SauerstofT frei und beträgt gegen 20 pCt. des Gcsammtvolums, dagegen ist fast gar keine Kohlensäure vorhanden. In der Aus- athmungsluft ist nur etwa 16 pCt. freier Sauerstoff, dafür tritt aber Sauerstoff an Kohle gebunden als Kohlensäure auf. Eine ge- gebene Menge Sauerstoff nimmt nun bekanntlich den gleichen Raum •ein, gleichviel ob sie in Verbindung mit Kohle als Kohlensäure oder frei vorhanden ist. Wenn also der eingeathmete Sauerstoff zur Oxydation von Kohlenstoff verwendet und als Kohlensäure aus- geathmet wird, muss die ausgeathmete Luft genau dasselbe Volum haben wie die eingeathmete Luft. Bei den Versuchen im Respi- rationsapparat zeigt sich nun aber, dass dies in der Regel nicht der Fall i.st, dass vielmehr die ausgeathmete Luft in der Regel ein geringeres Volum hat als die eingeathmete, und endlich dass dies darauf beruht, dass weniger Kohlensäure ausgeathmet wird als nach der Menge des aus der Einathmungsluft entnommenen Sauerstoffs zu erwarten wäre. Mau findet beispielsweise, da.ss bei der Athmung eines Menschen während einer Stunde 22 1 gleich 15,5 g Sauerstoff aus der Luft verschwinden, während dafür nur 19 I Kohlensäure erscheinen. Es sind also 3 1 gleich 2,1 g Sauer- stoff im Körper zurückgeblieben. Dieser Unterschied in der Menge des aufgenommenen und ausgeathmeten Sauerstoffs, so klein er an sich ist und so un- bedeutend er im Vergleich zu den Gesammtmengen erscheint, ist für die Lelire von der Athmung von der grössten Bedeutung. Man pllcgt deshalb diejenige Zahl, die das Volum vcrhältniss 7* IQO Respiratorischer Quotient. zwischen aulgcnonimenera Sauerstoff und ausgeatlmieter Kolilen- säurc angiebt, mit einem besonderen Kunstausdriick, den ..Respira- lorischen Quotienten", zu benennen. Man reclmet diese Zalil als einen echten Bruch, also die Sauerstoffzalü als Nenner, die Kohlen- säurezahl als Zähler, und bezeichnet den Bruch 'q', den man bei /ahlenaneaben als Decimalbruch schreibt, auch mit den Abkürzungs- CO huchslaben R. Q. Also R. Q. = lieisst: Der respiratorische (,)uotient ist gleich der Raumzahl der ausgeathraeten Kohlensäure, dividirt durch die Raumzahl des aufgenommenen Sauerstoffs. Um die Bedeutuna- dieser Zahl verstehen zu können, muss man allerdings wissen, dass Kohlensäure aus dem Körper Jist aus- schliesslich auf dem Wege der Athmung abgeschieden wn-d. Wenn also die Menge der ausgeathmeten Kohlensäure germger ist als die des aufgenommenen Sauerstoffs, so bedeutet das, dass aus dem Körper liberhaupt nicht so viel Kohlensäure ausgeschieden wird als dem aufgenommenen Sauerstoff entspricht. AVenn aber bei o-leichbleibendem Körpergewicht dauernd mehr Sauerstoff m den Körper aufgenommen wird als Kohlensäure ausgeschieden wird, so folgt nothwendig, dass der nicht ausgeathmete Sauerstoff sich nicht mit Kohlenstoff zu Kohlensäure, sondern mit anderen Stoffen ver- bindet. Das Mengenverhältniss zwischen Kohlensaure und Sauer- stoff, also der respiratorische Quotient, giebt demnach a^, ; elchei Bruchtheil des aufgenommenen Sauerstoffs sich ™t Kohlenstoff Sunden hat. B^de sich aller Sauerstoff Ko lens off, so würde die entstehende Kohlensäure den Rauminliall des auf- genommenen Sauerstoffs haben und es wäre R. Q. = -^^ = ^ — ■ Wird dagegen R. Q. 0,75 gefunden, so ist daraus zu ersehen, CO. _ 0,75 j,^^^ ^j-ei Viertel des Sauerstoffs sich an Kohlenstoff gebunden haben. Daraus dass immer bei eitern der arösste .Theil des Sauerstoffs als Kohlensaure wje.- ^2^1t, folgt, dass der Sauerstoff fast von kohlenstoffreichen Vorbindungen verwendet wird. Die oigani!>c' en Stoffe cnltiL^^ an oxvdirbarer Substanz ausser dem Kohlenstoff Saue,-s,,ofl- bilden. U»it ;*e - stolf enthalten wäre, der zur Ox>d.ition une Rospiratorischei- Quotient. 101 des gesainintcn Wasserstofls Jiinreicht. Zwischen den Haiiptgruppon der Stoffe, die im Körper oxydirt werden können, bestehen aber in der Zusammensetzung so grosse Unterschiede, dass man im iVllgemeinen doch aus der Grösse des respiratorischen Quotienten ersehen kann, welclicr Gruppe die oxydirten Stoffe angehören. Der Zusammenhang zwischen der Grösse des respiratorisciicn Quotienten und der Zusammensetzung der im Körper oxydirten Stoffe zeigt sicli sehr deutlich, wenn man den respiratorischen Quotienten bei verschiedenen Thierarten bestimmt, die von möglichst verschiedener Nahrung leben. Da der Körper eines ausgewachsenen Thiercs im Allgemeinen ziemlich genau auf seinem Bestände bleibt, können natürlich auf die Dauer nur solche Stoffe der Oxydation und Zersetzung im Thierkörper verfallen, die mittelbar oder un- mittelbar aus der Nahi-ung herstammen. Die Pflanzenfresser nehmen vorwiegend Kohlehydrate zu sich, das heisst Verbindungen von Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, in denen Wasserstolf und Sauerstoff in dem Verhältniss vertreten sind, in dem sie Wasser bilden. Es ist also hier säramtlicher Sauerstoff, der zur Oxydation des Wasserstoffs erforderlich ist, schon in der zu oxy- direnden Substanz enthalten, und der hinzutretende Sauerstoff kann nur an den Kohlenstoff gebunden werden. Man findet denn auch bei Pflanzenfressern den re.spiratorischen Quotienten zu 0,9 — 1,0. Die Nahrung der Fleischfresser, die aus Fleisch und Fett be- steht, ist weniger einfach zusammengesetzt,. Setzt man abei- den Fall reiner Fettnahrung und nimmt als Vertreter der Fette die Zusammensetzung der Stearinsäure (CigHggO,), so sieht man, dass hier nur ein kleiner Theil des vorhandenen Wasserstoffs durch den in dei- Verbindung enthaltenen Sauerstoff oxydirt werden kann, und dass also verliältnissmässig viel von dem zutretenden Sauer- stoff sich an Wasserstoff wird binden müssen. Man lindel bei Fleischfressern, die ausschliesslich mit Fett genährt werden, that- sächlich den respiratorischen Quotienten so niedrig, wie er nur sein kann, nämlich zu 0,71. Aehnlich steht es bei Fleischkost, docli steigt hier der Quotient auf 0,75 — 0,8. Bei gemischter Kost, wie sie der Mensch meist geniesst, hat auch der respiratorische Quotient einen mittleren AVerth, so beim Menschen durchschnittlich 0,82. Wird ein Mensch oder ein oranivores Thier auf ausschliess- liche Fleisch- oder Pflanzenkost gesetzt, so ändert sich auch der respiratorische Quotient. Besonders interessant ist die Thatsache, dass selbst ausschliesslich auf pflanzliche Nahrung angewiesene Thiere, wie, um das ausgeprägteste Beispiel zu wählen, die Wieder- käuer, im Säuglingsalter und im f lungerzustand einen ganz niedrigen respiratorischen Quotienten haben. Unter diesen Bedingungen näm- lich sind sie Fleischfresser, das heisst, sie leben von animalischen Stollen, im einen Fall von der Muttermilch, im andern Fall von dem Fettbestande ihres eigenen Körpers. Es sei noch erwähnt, dass der respiratorische Quotient numch- mq,l auch höher als 1 gefunden werden kann, dass also unter Um- 102 Die Blulgaso. ständen nielir Kohlensäure ausgeathmet als SauerstolV eingcathmet wird. Dies ist aber, wie aus dem Gesagten klar sein wird, immer nur ein vorübergehender Zustand, der darauf beruht, aus dass Stoffen, die Kohlenstoff' und Sauerstoff enthalten, Kohlensäure abgespalten und ausgeschieden wird, ohne dass genug Sauerstoff aufgenommen worden ist, die Reste der betreffenden Verbindung zu oxydiren. In diesen Fällen handelt es sich also um eine Retention unoxydirter Stoffe, vor allem von Wasserstoff, die auf die Dauer durch nach- lYilo-en'de Erhöhung der Sauerstoffaufnahme ausgeglichen wird. Die Gase im Blute. Der in den Lungen stattfindende Ga.s- austausch zwischen l^uft und Blut ist natürlich auch durch Unter- suchung des Blutes nachzuweisen. Um dem Gang dieser Unter- suchung folgen zu können, muss man die physikalischen Bedin- o-ungen kennen, unter denen die Gase in's Blut aufgenommen werden, und da in diesen Bedingungen zugleich die Ursache des Austausches überhaupt, sowie die Erklärung für sehr viele andere physiologische Vorgänge gelegen ist, sollen sie ausfuhrlich be- sprochen werden. j i » Chemische Bindung. Die Aufnahme von Gasen durch teste Körper wie durch Flüssigkeiten wird ganz allgemein als Absorption der Gase bezeichnet. Man hat daher verschiedene Arten dei- Ab- sorption zu unterscheiden, je nachdem es sich um feste Korper oder Flüssigkeiten unter verschiedenen Umständen handelt. Die ^\bsorption von Gasen durch Flüssigkeiten, die hier betrachtet werden soll, kommt auf drei verschiedene Arten zu Stande, zwischen denen eine strenge Unterscheidung allerdings nicht mög- lich ist Erstens können die chemischen Eigenschaften des Gases und der Flüssigkeit solche sein, dass sie mit einander eine dauernde chemische Verbindung eingehen. Wenn beispielsweise Kohlensatire mit Kalilauge in Berührung kommt, so verbindet sich das Kalium- hvdrat mit der Kohlensäure zu Kaliuracarbonat. Dadurch wnd die Kohlensäure in der Flüssigkeit dauernd chemisch gebunden, und man w rd den Vorga,ng, wenn man ihn dem Wesen nach escht;eiben will S, als Absorption lieber als chemische Bindung bezeichnen, mme htn Mit er unter den Gesammtbegriff der Absorption, da ja (Ks Gas in die Flüssigkeit eintritt, und er wird auch im \MSsen- cl afüt h n S rachgebntuch in all' den Fällen Absorption genannt, in enen eben das Eintreten des Gases in die Flussigkei hervor- gehtenwden soll, wie beispielsweise bei ^er ^e^.iKhn^^^^^^ Kalilauge in den Schütl:elllaschen des Regnault-Reiset sehen Apparates^ sich in diesem Fall um eiiien^xMU chemischen Vorgang U^umI Idluch die Mengenverhältnisse constanl und durch die fhp.riisohe Formel des Vorganges ausdruckbar. ockeie Bindung. Die zweite Art der Absorption isl der ..rste. 'ehr äh 1 h, nur dass neben den chemischen Ivraf en den ;^:LSdien Bedingungen ein viel ^^sser^ Em luss^ ziikonin^^ Man bezeichnet daher diese Vorgänge ihrem \\e>en nach als unt Lockere Bindung. Physikalische Absorption. lOS lockere clieraisclio \'orbiiidung, woiiiil ausgedrückt wird, dass die Kraft der cheini.sclien Verwandt schaft, die die Bestandtlicilc des Gases an die der Flüssigkeit bindet, nur unter günstigen physi- kalischen Bedingungen im Stande ist, die Verbindung zu erhalten. Bei Erwärmung oder Verminderung des Druckes wird sogleich ein Theil des gebundenen Gases wieder frei. Im Allgemeinen kann also bei dieser Art der Absorption von einem bestimmten 31cngen- v erluiltniss nicht die Rede sein, es besteht nur Cür jeden Druck und jede Temperatur eine bestimmte obere Grenze der ßindungs- mogliclikeit. die man als Sättigungsgrcnze der Flüssigkeit für das betreffende Gas bezeichnet. Die Zersetzung der lockeren Verbindung, ihirch die das Gas frei wird, nennt man Dissociation und sagt daher auch statt h)ckere Bindung dissociable Verbindung. Die Dissociation unter- scheidet sich von der Trennung der festen chemischen Verbindungen dadurch, dass ein ganz allmählicher Uebergang von der Sättigungs- grenze an bis zum Zustande vollkommener Dissociation möglich ist. Physikalische Absorption. Endlich die dritte Art der Absorption wird als physikalische Absorption unterschieden, weil dabei keine chemischen Kräfte mitwirken, sondern Gas und Flüssigkeit sich chemisch völlig indifferent verhalten. Die Menge eines bestimmten Gases, die die Flüssigkeit zu absorbiren vermag, hängt von Temperatur und Druck ab und hat also für jede Temperatur und jeden Druck einen bestimmten Werth, den man als die zur Sättigung der Flüssigkeit erforderliche Menge bezeichnet. Bei gleichem Druck und gleicher Temperatur sind zur Sättigung einer Flüssigkeit von verschiedenen Gasen verscbiedene Mengen erforderlich. Die physikalische Absorption stellt zugleich den ein- fachsten und den allg(>meinsten Absorptions Vorgang dar und ist etwa folgendermaassen aufzufassen: Alle Gase haben bekanntlich das Bestreben, den ihnen dargebotenen Raum völlig einzunehmen und üben daher auf die Wände des sie begrenzenden Raumes einen gewissen Druck aus. Dieser Druck Avird nach der kinetischen Gas- iheorie aus der Bewegung der Gasmoleküle erklärt. Grenzt ein Gas an eine Flüssigkeitsoberlläche, so treten Moleküle des Gases in die Flüssigkeit ein und dies geschieht so lange, bis so viel Moleküle in der Flüssigkeit angesammelt sind, dass ihr Druck dem des Gases das Gleichgewiclit hält. Aehnlich wie bei der Verdunstung ist also auch hier der Ausdruck „Sättigung" nur ein Bild, das ausschliesslich von der Betrachtung des Mengenverhältnisses hergenommen ist. Wird der Druck, unter (ioai das Gas .steht, erhöht, so muss natürlich eine entsprechend grössere Anzahl Moleküle in die Flüssig- keit eintreten, ehe ihr Druck dem erhöhten Drucke gleich ist, das heisst, die absorbirte Meng;e wächst proportional dem Druck. Dies ist nur ein anderer Ausdruck für das ITenry'sche Gesetz, dass •■ine Flüssigkeitsmenge bei gleich(>r Temperatur bei jedem Druck 104 Piutialdvuck. das gleiclie, Yoliim eines Gases absorbirt, denn bei Jiöherein Druck ist eben im gleichen Voluin mehr Gas enthalten. Wird der Druck des Gases vermindert, so ünden die in der Flüssio-keit befindlichen Moleküle an der Oberfläche nicht mehr den ilu'eni Druck entsprechenden Widerstand und treten daher aus der Flüssigkeit aus. „ Das Verhalten des absorbirten Gases zu der Flüssigkeit isi also durchaus mit dem oben in der Darstellung der \ erdunsiung geschilderten Verhalten des Wasserdampfes zu vergleichen. Ebenso wie man das Verdunstungsbestreben des Wassers als dessen Darapl- spannung bezeichnet, spricht man von . der Gasspannung der Ab- sorptionsflüssigkeit. ' . Ebenso wie die Dampfspannung des Wassers, nimmt auch die Gasspannung der Flüssigkeit mit der Temperatur nach einem be- sonderen Gesetze zu. Bei Erhöhung der Temperatur tritt al o ebenfalls Gas aus der Flüssigkeit aus Beim Sieden entweicht sämmtliches absorbirtes Gas, denn es bildet sich auf der Obeiflache des Wassers eine Dampfschicht, in der der Part.aldruck des Gases ^"^^ Betrachtet man den Vorgang der Absorption als Ausgleichung des Druckes oder, wie man in diesem Züsammenhange zu sa-gen fleg% der Spannung des Gases über der Oberfläche nnd der Gas- Cnnung der Flüssigkeit, die den Druck der in ihr enthaltenen MoleSe darstellt, so ist' für die Betrachtung der Absorption von Gasa-emischen eine sichere Grundlage gegeben. , Tenkt man sich beispielsweise bei bestimmter gleichbleibend^^^^^ Temperatur einen Liter Wasserstoffgas unter bestimmtem Diud. über eitler gegebenen Menge Wasser stehend, dessen Wasserstofi- spannung dem Drucke des darüber stehenden Wasserstoffgases g eidi ist Es möge nun zu dem Liter Wasserstoflgas noch ein Lite Sauerstoff in denselben Raum gepumpt werden. Dadiirch erhöht ärzwar er Gesammtdruck auf das Doppelt^, , und es treffen ^i hin doDPelt so viel Moleküle in der gleichen Zeit die Oberflache Z Flüss S aber die hinzugekommenen Moleküle sind Saner- imo e ü e unl treffen also nicht mehr W asserstoffmoleku e stoJlmoieivuie ui u t Poio-lich wird auch die absorbirie ts^Äng^ ei V mehr^^des Gesammtdruckes du^i d.i ^^"St geändert sondern es tritt em^. eme de^ Dnid.o des Sauerstoffs für sich entsprechende Absorption des ...auei Bestimmung der Blulgase. 105 dos Gesammtdruokes, weil die Gase zu gleichen Mengen gemischt waren Für jedes andere Mengenverhältmss wurde der 1 artial- druck , sich ebenfalls proportional den Gasniengen verhalten. Die Bedeutung des Partialdruckes für die Absorption wird dadurcii am anschauliclisten, dass man sich, wie in dem obigen Beispiel, zuerst nur einen der Bestandtheile des Gasgeraisciies allein einen Raum - theil über der Flüssigkeit erfüllend und dann die übrigen Gase in entsprechender Menge in den Raum hineingepumpt denkt. Dabei muss, wemi man genau sein will, der Raum so gross gewaiill werden dass die absorbirten Mengen gegenüber den Gasmengen in dem' Räume nicht in Betracht konimen, damit der Druck niciit durch die Absorption beeinilusst werden kann. Aus dem eben geschilderten Falle der Absorption von Wasser- stoff und Sauerstofl", " die zu gleichen Theilen gemischt sind, kann man das allgemeine Dal ton-Henry'sche Gesetz für die Absorption von Gasgemischen ableiten, dass nämlich aus einem Gasgeraiscli von jegficher Gasart diejenige Menge absorbirt wird, die dem Partialdruck des betreffenden Gases entspriclil. Es ist nun noch des Falles zu gedenken, dass die absorbirende Flüssigkeit nicht reines Wasser ist, sondern schon irgend welche feste Substanz aufgelöst enthält. Dies ist für die chemische Absorption in den meisten Fällen eine Grundbedingung, indem eben die gelüste Substanz es ist, die das Gas bindet, und dadurch der Absorption förderlich ist. Dagegen wird die physikalische Absorption durch im Wasser aufgelöste Stoffe gehindert, gesättigte Lösungen absorbiren überhaupt kein Gas. Endlich ist hinzuzufügen, dass die Absorption nicht wesent- lich geändert wird, wenn die Oberfläche der Flüssigkeit durch eine mit der Flüssigkeit getränkte Membran bedeckt ist. Bestimmung der Blutgase. Das sind also die Bedingungen, unter denen Gase von Flüssigkeiten absorbirt werden und unter denen absorbirte Gase aus Flüssigkeiten frei werden. Wenn man die vor und nach dem Durchgang durch die Lungen in dem Blute vorhandenen Gasniengen aus dem Blute freimacht, kann man durch unmittelbaren Augenschein erweisen, dass die an der Atheralufl nachgewiesenen Veränderungen auf einem Austausch mit dem Blute beruhen. Um dies auszuführen, fängt man das Blut unter Luftabschluss in ein Gefäss auf, dass mit einer Luftpumpe (Fig. 23) verbunden werden kann, in ' der ein Vacuum hergestellt ist. Zugleich wird das Gefäss r, erwärmt, sodass das Blut ins Sieden kommt. Unter diesen Umständen entweichen die Gase aus dem Blute in das Vacuum und können dann verdichtet und analysirt werden. Im Einzelnen sind hierzu viele technische Kunstgriffe nöthig, weil erstens das Blut, infolge seines Eiwcissgehaltes, so stark schäumt, dass der Schaum die Röhren erfüllen und ins Vacuum eindringen kann, ferner zugleich Wasserdampf aus dem Blute entweicht und anderes mehr. 106 Bestimmung der Blutgase. Sammelt man so die J31iitga.se ans Blutproben, die aus Venen und aus Arterien entnommen sind, so erhält man durch Ver- gleichung eine Anschauung von der in den Lungen vorgegangenen Fig. 23. Bestimmung der Blutgase. Art der Bindung. 107 Gasgehalt des Blutes von Arterien Venen N 1,8 Vol.-pCt. 1,8 Vol.-|:)Ct. 0 -n , 12 COo 37 45 „ Dies sind Mittolzahlen bei normalem Ruhezustand. Man sielil. au.s ihnen, dass unter diesen Umständen die Veränderung des Gas- i;clialtcs veriiältnissmässig unbedeutend ist. Man darf nicht etwa meinenj weil ungefähr aller durch die xVthmung aufgenommene Sauerstoff zu Kohlensäure oxydirt wird, müsse auch der gesammte SaucrstolT des arteriellen J31utes in den Venen als Kohlensäure auf- treten. Im Gegentheil zeigen die Zahlen, dass das 'Blut in den Geweben von seinem reichlichen Sauerstoffvorrath nur einen Bruch- iheil verliert, und dass es in den Lungen nur um ein Geringes kohlensäureärmer wird. Dies kann schon deshalb garnicht anders sein weil ja die Zahlen den mittleren Gasgehalt des Blutes an- iieben imd doch kein Zweifel ist, dass das Blut in einzelnen Or- ganen, zum Beispiel in den Muskeln des immer thätigen Herzens, viel mehr Sauerstoff abzugeben hat als in anderen. Es ist nicht (lenkbar, dass das (xesammtblut einen viel grösseren Bruchthoil seines Sauerstoffs verlieren könnte, ohne dass in einzelnen Gefäss- gebieten geradezu Mangel einträte. Nun ist oben bei der Be- sprechung des Kreislaufs und des Luftwechsels wiederholt erwähnt worden, dass das Sauerstoffbedürfniss unter verschiedenen Bedin- gungen, namentlich bei Muskelarbeit, sehr stark steigen kann. Da- gegen ist festgestellt, dass das Blut, selbst wenn es mit reinem Sauerstoff geschüttelt wird, nicht wesentlich mehr Sauerstoff auf- nimmt als 21 Volumprocente. Das arterielle Blut ist also schon bei ruhiger Atlimung mit Sauerstoff fast vollständig gesättigt. Eine merkliche Steigerung der Sauerstolfaufnahme ins Blut ist also aus- geschlossen. Soll den Geweben mehr Sauerstoff zugeführt werden, so kann dies nur durch Beschleunigung des Kreislaufs geschehen. Die obere Grenze dos Sauerstoffgehaltes im Arterienblut fällt also annähernd mit dem normalen Euhewerth zusammen. Die untere (rrenze wird wegen der eben angegebenen Unterschiede im Bedarf der verschiedenen Gewebe nur bei völliger Erstickung erreicht, in- dem aller Sauerstoff verbraucht wird. Der Kohlensäuregelialt steigt l)ei der Erstickung bis zu 55 Volumprocent imd kann bei lebhafter Ai Innung bis auf 25 Volumprocent sinken. lindlich zeigt die Zahlenreihe, übereinstimmend mit dem, was oben in Bezug auf die Athcmluft gesagt ist, dass der Stickstoff sich gänzlich indifferent verhält. Art der Bindung. Vergleicht man die Menge der drei ver- s(;hiedcnen Gase, so fällt sogleich auf, dass der Stickstoff eine ganz andere Stelle einnimmt, wie Sauerstoff und Kohlensäure. Iis entsteht die Frage nach der Ursache dieses Unterschiedes und nach der Art, wie die verhältnissmässig grossen Mengen der beiden an- 108 Gaswechsel in den Lungen. (lern Gase au das Blut gebunden sind. Der Unlerschied bestelii darin, dass der Stickstoff einfacli in der Blutliüssigkeit physikalisch absorbirt ist. Daher ist auch im Blut nicht mehr, sondern weniger Stickstoff enthalten, als in derselben Menge Wassers enthalten sein würde. Dagegen treten in reines Wasser nur 4 V'oluniprocenlo Sauerstoff ein^ und im Blute finden sich 21 Volumprocent. Hier handelt es sich um Absorption nach der oben an zweiter Stelle beschriebenen Art. Es ist schon bei der Besprechung der Blut- körperchen angegeben worden, dass das Hämoglobin sich mit Sauerstoff in lockerer Bindung zu Oxyhcämoglobin vereinigt. Das Mengenverhältniss dieser Verbindung steht zwar nicht genau fest, aber sie enthält sicher soviel Sauerstoff', dass dadurch die grosse Absorptionsfähigkeit des Blutes für Sauerstoff erklärt ist. Dagegen ist die noch stärkere Absorption von Kohlensäure durch das Blut schwerer zu verstehen, weil kein einzelner Stoff im Blut in grösserer Menge vorhanden ist, an den die Kohlensäure gebunden werden könnte. Freilich wird die Kohlensäure schon von Wasser in viel grösserer Menge absorbirt wie Sauerstoff und kann also auch vom Plasma einfach physikalisch in grösseren Mengen absorbirt werden. Ferner ist im Plasma einfach kohlen- saures Natrium enthalten, das durch Aufnahme von Kohlensäure in doppeltkohlensaures Natrium übergehen kann. Diese Verbin- dung ist eine lockere, sodass aus ihr die Kohlensäure auch wieder abgeschieden werden kann. Das kohlensaure Natrium könnte also für die Kohlensäure des Blutes dieselbe Rolle spielen, wie das Hämoglobin für den Sauerstoff. Aber die Menge des kohlensauren Natriums ist so gering, dass auf diese Weise nur ein kiemer Theil der thatsächlich absorbirten Kohlensäuremenge gebunden sem kann. Endlich hat man gefunden, dass das Gesammtblut mehr l^ohlen- säure absorbirt. als seinem Gehalt an Plasma entspricht, und dass also die Kohlensäure auch an die Blutkörperchen gebunden sein muss. Ausserdem haben die Blutkörperchen noch einen bemei-kens- werthen Einffuss auf die Bindung der Kohlensaure. Aus Blut das die Körperchen enthält, lässt sich unter der Luftpumpe alle Kohlen- säure absaugen, während beim Auspumpen von reinem Plasma ein ziemlich grosser Antheil als chemisch lest gebunden zurück- bleibt, und nur durch Zusatz stärkerer Säuren ausgetrieben werden kann Es lässt sich also über die Art der Absorption der Kohlen- säure im Blut nur im Allgemeinen sagen, dass die Kolilnisaure zum kleinsten Theile rein physikalisch im Plasma absorbirt in grösserer Menge chemisch, theils locker und tlieils fest gebunden fst und dass bei Gegenwart der Blutkörperchen aus unl)ekannten Gründen auch die letzte Art der Bindung sich wie eine lockere '"tfs^'thlel in den Lungen. Die An der Hiiduiig der Blutgasc giebt zugleich die Art und Weise an, wie der Austausch d rGa.e^zu Stande kommt. Es ist hier nur an das zu ennne • was oben über die Abgabe von Wasser.lampl aus Wasser und ubu Gasweclisel in den Lungen. 109 \boabo absorbirter Gase gesagt worden ist. In l^olge seines (ielialts an absorbirtcn Gasen hat das P,lut eine gewisse Gas. Spannung, das heisst. die darin befindlichen Gase bedurlen eines ■.'ewissen Gegendrucks durch die gleiclie Gasart wenn sie nicht aus dem Blute entweichen sollen. Man kann (he Grosse dieser (^asspaniuini:- im Bhito messen, indem man eine bestimmte Menge lilul mit einer bestimmten Menge Luft von genau bekann er Zu- sammensetzung .schüttelt. Das Blut nimmt dann aus der be- ireffenden Luftmcnge soviel von jedem Bestandtheil aut oder giebt soviel davon ab, dass sich der Unterschied zwischen der Gas- spannung des Blutes für die einzelnen Gase und den Part^ialdrucken der einzelnen Ga.se ausgleicht. Der dadurch veränderten /usammen- setzun"- der gegebenen Luftmenge entsprechen Partialdrucke, die den Gasspannungen, die im IMute berrschten, gleich sein müssen. Die.se Art der Bestimmung wird allerdings lelilerhaft, wenn bei dem Ausgleich allzu gro.sse ' Veränderungen in der Vertheilung der Gase statilinden. Wenn beispielsweise das Blut bei dieser Prüfung seinen halben Sauerstofl' abgeben muss ehe derjenige Sauerstofl- gehalt in der gegebenen Luftmenge erreicht ist, bei dem der Partialdruck der Sauerston'spannung des Blutes gleich wird, so lindet man natürlich die Gasspannung nur halb so gross, als .sie ursprünglich war. Diesen Fehler kann man aber dadurch ein- schränken, dass man möglichst geringe Luftmengen anwendet und ihre Zusammensetzung so ausprobirt, dass sie von Anfang an dem Gasspaniumgsverhältniss des Blutes möglichst nahe kommt. Man kann durch dies Verfahren die Gasspannung im Arterien- und Venenblut vergleichen, und findet sie im Arterienblut für SauerstofF höher und für Kohlensäure niedriger als im Venenblut. Kommt das Blut irgendwo mit Luft in Berührung, in der ein iieringerer Partialdruck für Sauerstoff besteht, als der Sauerstoff- spannung des Blutes entspricht, so wird Sauerstoff aus dem Blute entweichen. Ganz ebenso ist es, wenn lUut mit einer anderen Flüssigkeit in Berührung tritt, deren Sauerstolfspannung niedriger ist als die des Blutes. Umgekehrt wird aus Luft oder Flüssigkeit, die einen höheren Partialdruck oder eine höhere Spannung für Sauerstoif als das Blut aufweist, Sauerstoff in das Blut übertreten müssen. Die Ursache des Austausches der Gase zwischen Blut und Luft in den Lungen und zwischen Blut und Gewebsllüssigkeit im Capillargebiet ist durch die allgemeinen Gesetze über die Ab- sorption gegeben. In der Lungenluft bestelil ein höherer Partial- druck für Sauerstoff und ein niedrigerer für Kohlensäure als den Sauerstoff- und Kohlen;^äurespannungen des Vcnenblutes das Gleich- gewicht halten würde. Es geht also in den Lungen Sauerstoif aus der Luft in das Blut über, und es tritt Kohlensäure aus dem Blut in die Luft ein. In der Gcwebsllüs.sigkeit herrscht eine höher© Kohlensäurespannung und eine niedrigere Sauenstoffspannung als- im iUut und es lindet liier der umgekehrle Vorgang statt. 110 Alveolailuft. Dabei ist es, wie gesagt, unwesentlicJi. dass das J31ui iiiciii unmittelbar, sondern nur durch Vermittlung der Ga|)illarenwände mit der Umgebung in Berührung kommt. Dagegen ist liervorzu- heben, dass die Blutkörperchen, da sie rings vom Plasma umgeben sind, nur mit dem Plasma, nicht mit der Lungeulufl und der Ge- websflüssigkeit selbst in Austauscli treten können. Die Stufen der Sauerstoffsp.mnung, durch die der Sauerstoff genöthigt Avird, schrittweise von der Aussenluft bis in die Ivörper- gewebe einzudringen, ordnen sich demnach wie folgt: Aussenluft > Lungenluft > Blutllüssigkeit > Blutkörperchen > Blutflüssigkeit > Gewebsflüssigkeit > Gewebe. Aehulich stellt sich die umgekehrte Reilienfolge der Kolilen- säurespannung dar: Gewebe > Gewebsllüssigkeit > Blui > i.ungenhifi > Aussenluft. Um die Erklärung des Gasaustausches nach den Absorptions- gesetzen streng zu erweisen, müsste man die Grösse der Partial- , drucke auf allen diesen Stufen messen und vor allem wenigstens die Partialdrucke der Lungenluft und der Gewebsflüssigkeit mit den Gasspannungen des Blutes vergleichen können. Alveolarluft. Was die Partialdrucke des Sauerstoffs und der Kohlensäure in den Lungen betrifft, so könnte man annehmen, dass sie denen in der Aussenluft gleich sein raüssten. da ja durch die Ein- athniung fortwährend neue Luft in die Lungen eingeführt, wird. Das wäre aber eine ganz falsche Vorstellung. Wie im nächsten Abschnitt ausführlicher anzugeben sein wird, wird durch die Ein- und Aus- athmung nur etwa der siebente Theil der ganzen in der Lunge befindlichen Luft herein- und hinausbefördert. Es wird also nach der Einathmung nur die frisch aufgenommene Luft mit etwa der sechsfachen Menge noch in den Lungen zurückgebhebener Luft ge- mischt. Diese Mischung ist dadurch erschwert, dass die Lungen nicht einen grossen Hohlraum, sondern ein vielfach verzweigtes Röliren- system' darstellen. Die eingeathmete Luft kann sich also nicht beliebig frei mit der in den Lungen enthaltenen Luft mischen, sondern sie erfüllt nur die Eingänge der Röhren, in denen die alte Luft steht. Nun ist allerdings mechanisches \ ermischeu und Durcheinanderrühren nicht nöthig, damit sich verschiedene Gas- raischungen gegeneinander ausgleichen. Im Gegentheil vermischen sich die Gase vermöge der oben beschriebenen Gasdiffusion von selbst. Aber diese i3eweguug erfordert Zeit, namentlich in so engen Röhren wie die klein.sten Bronchien der Lungen. Die Luft in den Luniienalveoien kann sich also nur langsam durch Diffusion gegen die frisch in die Bronchien oingetrelene Lull erneuern, dagegen strömt unablässig venöses Blut durch die Liingen- capiUaren und^ gleicht seine Gasspannung gegen den 1 artialdruclv erührung ist, ohne unmittelbar mit dem Blute in Berührung zu kommen, in der Regel ihren Sauerstoff völlig verliert und dagegen reich an Kohlensäure wird. Ferner spricht schon die allgemeine Thatsache, dass in den Geweben .stets Oxydationen vorgehen, durch die Sauerstoff ge- bunden und Kohlensäure entwickelt wird, dafür, dass die Gewebs- flüssigkeit eine sehr niedrige Sauerstoffspannung und dagegen eine hohe Kohlcnsäurespannung haben muss. Man darf also auch diesen Theil des Gaswechsels nach den allgemeinen Gesetzen über das Verhalten absorbirter Gase erklären. Da in beiden Fällen die Unterschiede zwischen den Gasdrucken und Gasspannungen nicht sehr gross sind, könnte gegen diese Er- klä rung das Bedenken erhoben werden, dass die Zeiträume, während deren sich der vVusglcich vollziehen muss, bei einer so geringen 112 AUiinung unter besoiideion Bedingungen. Triebkraft unzureichend sein wüitlen. lu-wügt man, dass nacii den im vorigen Abschnitt angestellten Uebcrschlägen in weniger als einer Minute das gesamrate Blut des Körpers seinen Gasgehalt oeoen den der Alveolenluft und in derselben Zeit gegen den des Kch-pers a,bgeglichen haben muss, so kann es fraglich erscheinen ob dies auf rein physikalische Weise zu erklären ist. Diese Zweifel verschwinden, sobald man die übrigen Bedingungen des Gas- austausches näher ins Auge fasst. Die Unterschiede der Gas- spannungen sind allerdings klein und die Blutstroraung so schnell, dass sich der (iaswechsel so zu sagen im Fluge muss vollziehen können es ist aber dafür dennoch ausreichende Gelegenheit ge- oeben. \veil das Capillarnetz sowohl in den Lungen wie in den äweben eine überius grosse Oberfläche darstellt. D'e -nere Oberfläche der Lungen des Menschen wird aul 90 qm geschätzt Da die Menge der in der Minute aufgenommenen und abgegebenen Gase etwa 400 ccin beträgt, brauclien durch jeden Quadratcenti- meter Lungenoberfläche in der Minute nicht ennnal ganz 0,4 cmm gS hindurchzugehen. Obschon mm nicht die f-ze Lungen^ fläche als Berührungsfläche zwischen Blut und Luit zu beti achten sT macht diese Rechnung doch klar, dass selbst ein sehr schwacher GaswSseJ an ieder einzelnen GapiUaroberfläclie genügt mn den bei der Ges^^iintatl.mung beobachteten Gaswechsel zu Stande zu '"''"^lüimung unter besonderen Bedingungen. Di^.K«*^ der Vorgänge t.ei der normalen Athmung wird vervollständigt und S-änzi 'Surch Untersuchung der Athmnng unter besonderen ab- """We^tmi:;^iel gleich zu Beginn der Betrachtung die sticku^ig -BrVersuJhsthieres unter der Glasglocke erw.dint^ wurd . so entsteht die Frage, ob der Sauerstoffverbrauch oder die Kohlen- sn-ure uss he d^^ die Hauptursache der Erstickung bildet und bis ,,er Luft entfernt f '-'l.f ^,^f ^ ^ '^^^slu^^^^^ und jedem Liter gewohnlu- hm l^"' r'V, auf die Hälfte ver- 790 ccm Stickstofl enthahen. ^"^K^^ :rl,.^,iJmd cll schliesst bekanntlich die Brusthöhle von unten her gegen die Bauchhöiile ab, indem es kuppeiförmig in die Brusthöhle hineinragt. Die Mitte, der Gipfel der Kuppe, wird durch eine Sehnenhaut, Centrum tendineum, der Rand ringsum durch strahlenförmig angeordnete Muskelfasern gebildet. Die Zu- sammenziehung dieser Muskeln zieht das Centrura tendineum tiefer und flacht zugleich die Kuppelwölbung erheblich ab. AVährend der muskulöse Theil des Zwerchfells, wenn er erschlafft ist, mit seinem ürsprungstheil ganz dicht an der Brustwand anliegt und erst oben nach dem Centrum tendineum zur Kuppelwölbung abbiegt, spannt sich die Muskelhaut Ijei der Thätigkeit von ihrem Ursprung an zu einer gleichmässig kugel förmig gewölbten Fläche, deren Gipfel etwas niedriger liegt, als bei der Erschlaffung der (lipfcl der Zwerchfell- kuppel. Durch diese Veränderung wird bei der Thätigkeit der Zwerchfellmuskeln auf zwei verschiedene Weisen der Raum der Brusthöhle erweitert. Erstens tritt die Kuppel selbst etwas tiefer, die Länge des Brusthöhlenraums nimmt also zu. Zweitens werden ringsum, wo vorher die Randtlieile des Zwerchfells der Brustwand ^•22 Bewegung des Zwerchfells. anlagen, breite Spallräume fi-ei, iiulem die EaiicItlKiilc des Zwercli- tells^sicli von ilircm Ursprung aus mehr in grader Linie nach dem Gipfel zu spamien. Dieser zweite Umstand bedingt bei Weitem die o-rössere Raumzimahmo der Brusthöhle. AVenn man beispiels- weise beim Kaninchen in den unteren Zwischenrippenraumen die IMeura freilegt, kann man durch die Pleura hindurch die unteren Känder der Lungen bei jeder Zusammenzichung des ZwercMells m den sicli ößnenden Zwischenraum zwischen Brustwand und Zwercii- l'ellrauin hineingleiten sehen. Zwerchfellstelluiig liei Ex- und Insiii.ation (scbeiuaüscli). c t Centrum tendineum. willkürlich verändert werden. Aln«l.pl Die Athemmnskeln. Die Frage, durch welche Muske - thätigkeit die beschriebenen Bewegungen ^^^^'^^J^f'V^' o-Phört ei-entlich ins Gebiet der Bewegungslehre. i)a aber clies lewe uS ausschliesslich der Athemthätigkeir dient ist es üblich .Znrä^n sie bei der Lehre von der Athmung zu besprechen. Es fn l ht be ner F le zu unterscheiden, nämlich Einathmung und TusaJhmSng in der Ruhe, Einathmung und Ausathmung bei an- gestrengter Athtnung.^^^^^ . . 17« kt nicht ohne Weiteres einzusehen, dass ilie /Aisamiutu Iis leuchtet dann sogleich ein, ^er DiaÄnaU Die Allienimuskeln. 127 der Diagonale das ganze ParallelogTanini schief zielien wird. Dies wird durch das Ri|)penmodoli von llam berger veranschaulicht, in dem ein hewegliciies Gestell von J lol/.stäben durch eine schräg ge- spannte Spiralfeder nach aufwärts geschnellt wird. Man kann diese Bewegung auch so erklären, dass man sich den schrägen Zug zwischen den Punkten e und / in je zwei Kräfte zerlegt denkt, von denen je eine in die Richtung der Holzstäbe eg und /A fällt, sodass sie "durch die Festigkeit der Stäbe und der Gelenke in a und b aufgehoben wird, während die andere Kraft eh und fg senkrecht auf die Richtung der Stäbe, also rein drehend wirkt. Diese beiden Kräfte sind zwar gleich gross, aber e h wirkl an d(Mii kurzen Hebelarm ae, fg dagegen an dem langen Hebelarm b f, und daher ist die emporhebende Wirkung der Kraft fg viel stärker als die niederdrückende von eh. und im Ganzen rniiss eine gemein- same Hebung dei- beiden Kippen a c imd bd erfolgen. Diese Be- Fig. 25. iraciitimgen gelten nur für den Fall, dass die beiden Rippen als Seiten eines beweglichen Parallelogramms betrachtet werden dürfen. In Wirklichkeit sind die freien Enden der Rippen durch die sclmiiegsamen Knorpel mit dem Brustbein verbunden, und es besteht also keine eigeniliclie Parallelluhrung. Um die Betrachtung auf den Brustkorb anwenden zu können, muss daher noch erklärt werden, dass die Vereinigung der Gesammtzahl aller Rippen untereinander ungefähr dieselbe Wirkung hat, als würden sie durch eine Quer- stütze mit festen Gelenken parallel gehalten. Dies ist leicht zu verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass an jeder Rippe, während sie von oben emporgezogen wird, von unten die nächste Reihe von Intercostalmuskeln abwärts zieht, dass von diesen wiederum die nächste Rippe emporgezogen wird und so fort. Man sieht dann d(!utlich. dass unmöglich an einer einzelnen Stelle zwei aid'cinanderfolgendc Rippen gegeneinander gezogen werden können, weil dadurch die benachbarten Intercostalräume verbreitert werden müssten. Daher ist eben nur eine gleichmässige Parallelbewegung aller Rippen möglicli. Die Musculi intercostales interni. die von ventral oral nach dorsal caudal verlaufen, wirken auf die gleiche Weise aber entgegen- 128 Die Athemmuskeln. »esetzl auf die Uippeii, und müssen dalier den yanzcn Brustkorb verengen, indem sie die Rippen senken. Mechanisch ebenso wirken die Intercartilaginei, die die Rippenknorpcl senken, dadurch aber zui' Erweiterung des l^rustkorbes beitragen. 2. Bei der Ausatlimung in der Ruhe sind vor allem die Muskeln der Bauchwand thätig, die das Zwerchfell in die Exspi- rationsstellung hinauftreiben. Der Brustkorb wird durcli semc Elasticität, durcli den Zug des gespannten Lungengewebes und durch die Thätigkeit der Intercostales interni verengt. 3. Bei angestrengter Einaihraung arbeitet das Zwerchfell m derselben AV eise" wie bei ruhigei- Athmuug, nur in stärkerem Maasse. Die Bewegung der Rippen wird dagegen durch die Thätigkeit einer grossen Anzahl Muskeln verstärkt, die sieh in der Ruhe an der \thmung garnicht betheiligen. Ebenso werden, wie erwähnt, bei angestrengter Atlimung sämratliche accessorischen Atherabewegungen bemerkbar. ■ i • i • Die Muskeln, die die Rippenathmung verstärken, sind in drei Gruppen zu theilen: Solehe. die unmittelbar hebend auf die Rippen wirken, solche, die den Druck des Schultergürtels, der auf dem Ikustkorb lastet, vermindern, und solche, die vom Schulter- o-ürtel aus auf die Rippen einwirken. Zur ersten Uruppe gehören die Scaleni, der Sternocleidoraastoideus, der Serratus posticus superior Mau hat früher auch die Levatores costarum irrthura- licher Weise hierher gezählt, nimmt aber jetzt an, dass sie nur der Bewegung der Wirbelsäule dienen. Zur zweiten Gruppe gehören Trapezius. Levator anguli scapulae, Rhomboidei. ^\ enn durch die Thätigkeit der zweiten Gruppe der Schultergürtei hxirt ist, ist die dritte Gruppe im Stande unmittelbar die Rippen zu heben. Diese besteht aus Pectoralis major und minor und Serratus aoiticus major. Die Wirkung dieser mächtigen Muskeln kann sieh beim Menschen erst dann xo\[ entfalten, wenn der Schultergürtei ausser durch die Muskeln der zweiten Gruppe, auch von den f ^^^^f unterstützt wird. Daher beobachtet man, ^l^f^IY f'^.n ll- n in schwerer Athemnoth befinden, auisitzen und sich mit den Hän- den aufstützen. Diesen Zustand nennt man Orthopnoe Es ist beachtenswerth, dass die vierfüssigen Thiere, bei ff^^^^^f ' Jj/^ " körper dauernd auf den vorderen l'Atremitaten ruh , &<^^ f^'" ma.Len durch die beiden Serrati antici J^'^'^'^J^ hängt ist. dadurch jederzeit im Stande sind, diro Aihmung ^o^- mittelst der grossen Brustmuskeln zu verstärken. t l5i^ angestrengte Ausathmung wird in -s^-" 1-"' ruhige Athmnn.- durch die Bauchmuskeln bewirkt. Daneben loimnen alle diejenigen äusseren Kump muskeln J" «^^.^^ zur Verengung der Brusthöhle beitragen können, namentlich Seriatus iifKstir'im inferior und Latissimus dorsi. ' nz^hen Muskeln, die den accessorischen Athembewegvmgei. dienen, werden erst bei der Besprechung der Innervation dn Athom- bcwesrungen erwähnt werden. Die Drucliverhältnisse in der l-unge. Pneumatometer. 12!) Die Driickverliält;iii,sse in der JiUni^o. Indem sicli die; ünistliölilc diircli die erwähnten Bewegungen erweitert und die LungeM()l)er(läche den auseinandcrweiciienden ßrustwändcn aniuil'tel, erweitern sicli auch die J3innenräume der ljunge, und es entstellt dadurch eine Luftverdiinnung, die alsbald dui'ch hiinstrümen der Aussenluft durch die Luftröhre ausgeglichen wird. Da dieser Aus- gleich wegen der Widerstände, die die Luft auf ihrer engen Hahn lindet, niclit augenblicklich eintreten kann, herrscht während der l'jnathuuüig in den J^ungen Luftverdünnung und herabgesetzter Luftdruck. Man kann dies auch so beschreiben, dass man sagt, während der Ijewegung der Brustwände tragen .sie einen Theil des äussei-en Luftdrucks, und" da der aussen herrsciiende Druck sich nicht sofort durch die Luftwege ausgleicht, herrscht in den J.nngen ein niedrigere)- Druck. Je nachdem die Luftwege weiter oder engei" sind und die Lungen langsamer oder schneller erweitert werden, muss dieser Druckunterschied kleiner oder grösser sein. In der Luftröhre hat man bei Thieren gemessen, dass während der Lin- athmung der Luftdruck um 1 mm Quecksilber vermindert war. In den Lungen selbst dürfte der Unterschiinl viel grösser sein. Bei der Verengung der ürusthöhle lindet umgekehrt ein Zusammen- pressen der in den Jjungen enthaltenen Luft statt, indem die Lungen sich durch ihre eigene LIasticität um so viel zusammenziehen, als ihnen die Jiewegung der J^rustwand gestattet. Hierbei erhöht sich also der Druck der Luft im Innern der Lunge, und. noch beim Ausströmen der Luft durch die Luftröhre findet man, dass sie nm 3 mm Quecksilber höheren Druck aufweist als die umgebende Luft. Je stärker die Athembewegungen au.sgei'ührt werden, desto stärker müssen auch die Druckänderungen in der Lunge sein. Am stärksten müssen sie werden, wenn der Ausweg aus den ]jungen vollständig verschlossen wird. Dann wird die ganze Kraft der Athemmuskeln ■ nur zusammenpressend oder ausdehnend auf die in den Lungen entJialtene Luft wirken. Unter diesen Um-ständen kann man geradezu die Kraft der Inspirationsmuskeln und der Ivvspirations- luuskeln an der Grösse des Druckes oder der Saugkraft messen, die sie hervorbringen. Pneumatometer. Das von Waldenbui'g für diesen Zweck angegebene ..Pneumatometer'- ist ein gewöhnliches Quecksilbci-- luanometer, das durch einen verzweigten Gimimischlauch mit zwei Hartgummi-Oliven an die Nasenlöcher angeschlossen wird. Die \ ersuchsperson bring! dann den gi-össten möglichen Ausathmungs- • Iruck oder die grösste mögliche Saugwirkung hervor und man liest den Betrag, der etwa 12 — 15 cm Quecksilberhöhe erreicht, un- niitl ell)ai- ab. Das Pneumatometer muss mit der Nase und nicht mit dem Munde verbunden werden, weil mit Hülfe der Muskeln der Zunge und der Mundhöhlenwände im Munde, der durch das 'ianmensegel von den Lungen abgesperrt ist, sehr viel höhere Drucke hervorgerufen wei-den können, und ungeübte Versuchs- personen e.s selbst bei bestem Willen nicht vermeiden können, die R. ilii Bois- Ho j m 0 n (1 , l'hysiolujjio. n 130 Aspiration des Venenblutes bei der Einathtnung. Tliätiiikcil der Alheiuimiskelii im iilascn oder Saugen dureli die der Mundhöhle zu ergänzen. Um beim Thiere dieselben Wcrtiie zu bestimmen, kann man sicli des KunstgrKfs bedienen, das Älanometer mit der kuftröl)re durch eine Canüie mit einem N'entil zu verbinden, das entweder nur Einathmung oder nur Ausathmung gestattet. Das Thier wird dann, um überhaupt athmen zu können, immer stärker und stärker ein- oder ausatlimen und dabei bald den liöclisten möglichen Druck erreichen. Die Wirkung der Athmung auf den Kreislauf. Aspiration des Vencnbiutes bei der Einatlimung. Diese Versuche sind vor allem wichtig durch die Beziehungen, die zwischen dem Druck in den Lungen und dem Druck im Herzen und den grossen Gefässen bestehen. Es ist oben angegeben worden, dass die Lungen vermöge ihrer elastischen Spannung dauernd einen Zug an der Pleura ausüben, der der Saugwirkung emer hängenden Quecksilbersäule von 20—30 mm Höhe gleiclikommi. Die gleiche Zugkraft übt das Lungengewebe natüiiicii auf seiner o-anzen Oberfläche und folglich auch an denjenigen Stellen, an denen sie vom Herzen und von den grösseren Gefässen begrenzt isr. AVenn das Herz sich zusammenzieht, muss es nicht nur den Driiclc des Blutes in seinen Höhlen überwinden, sondern gleichzeitig den Zug des Lungengewebes, der es auszudehnen strebt. Denn um so viel das Herz sich verkleinert, um so viel müssen die Lungen sich vererössern. wenn nicht ein leerer Raum in der Brusthöhle ent- stehen soll. Dabei wird olfenbar nicht allein das Lungengewebe ausgedehnt werden, sondern auch die in den Lungen enthaltene Luft Zwar kann sich die Menge der Luft der A eränderung des Raumes anpassen, indem sie durch die Luftröhre ein- oder ausströmt, aber wie oben gezeigt worden ist, geschieht dle^ m Foke der vorhandenen Widerstände immer erst dann wenn im Innern des Lungenraumes eine gewisse Verdichtung oder A erdunnung stattgefunden hat. . , n ■ , „. Während einer tiefen Einathmung wird der Lungenraum u- heblich vermehrt und, da nicht augenblicldich Luft dtn-ch die Luftröhre eintritt, die Luft in den Lm.gen ^^"^ das Lungengewebe stärker als vorher gespannt Das Herz da> in der Brusthöhle eingeschlossen ist, nebst dem in ihm enthaltene Blut befindet sich also während der Inspiration, wie man zu sagen fl gi unter negativem Drtu.k, das heisst, es lastet^ auf ihm ein geSngerer Druck als der Almosphärendruclc Au diegesamn e Körpfroberfläche und mittelbar auf alle Pf ^•M^'^^^^'^'^^jV^; ,^ ! ^^'^ 1^^^^^ Körpers wirkt selbstverständlich der volle äussere Luftdiuck ein Das' i3lut ist also während der Inspiration inner kU . der Bnis hoU einem geringeren Drucke ausgesetzt als ausserhalb, es muss als rX Brustiiöhle hineingedrückt oder, wie man es auszudrucken Stauung ci. Veneiiblules bei Ausathmung. Athemwellen d. ßlutdruckcurve. 131 pllcgt. von (Ici- IJrustliölilo wälirend der liispiratiori angesogen, aspirirl werden. Stauung des Venenblut.es bei Ausathmung. Ganz die- selben Verhältnisse ivommen für die Zeit während der Exspiration im entgegengesetzten Sinne in Betracht, ßei einer starken Exspi- ration kann die Luft nicht so schnell aus der Luftröhre entweiciien, dass nicht eine bedeutende Stauung in den Lungen auftrete. Es tritt also eine Verdieiitung der Lungenluft ein, die mehr als ge- nügend ist, die Spannung des Lungengewebes aufzuheben, und daher übt die Lunge wälirend starken Ausathmens nicht nur keinen Zug mehr auf die Uberfläche des Herzens aus, sondern im Gegentheil einen Druck. Dieser Druck muss auf den Ilüssigen Inhalt des Herzens wirken unrl ihn in die peripherischen Gefässe hinauszu- ireilien sircben. Alliemwellen der ßlutdruckcurve. Die Druckschwan- kungen in der Lunge während der Athmung werden also auf das im Herzen befindliche Blut wie eine abwechselnde Ansaugung und Auspressung wirken. Es entsteht die Frage, wie dadurch der Kreislauf des Blutes beeinllusst wird? Der gegebenen Darstellung nach muss sich sowohl die Ansaugung wie die Auspressung ebenso an den Arterien wie an den Venen äussern. Bei der Inspiration muss der Zufluss des Blutes in den Venen erleichtert, der Abfluss durch die Arterien erschwert sein, bei der Exspiration muss der Blut- zufluss . erschwert, der Blutabfluss erleichtert sein. Auf die Be- wegung des Blutes in den Arterien, in denen tlie Tliätigkeit des Herzens an sich schon einen hohen Druck unterhält, haben indessen die Athenisch wankungen verhältnissmässig wenig Einfluss. Dagegen wirken sie sclir merklich auf den Biutstrom der Venen ein. in denen der Druck, wie oben angegeben, sehr niedrig ist. Während der Inspiration wird das Venenblut in die Brusthöhle eingesogen, während der Inspiration komm! es fast zum Stocken. Da nun (las Herz nicht mehr Blut fördern kann, als ihm durch die Venen zulliesst, so kommt die Wirkung der Luftdruckschwankungen auf den Venenzufluss auch in der Menge des vom Herzen geförderten Blutes zum Ausdruck. Da während der Inspiration mehr Blut dem Herzen zuHiesst, wird auch mehr ausgetrieben und in Folge dessen das Artcriensystcm stärker gefüllt. Dies giebt sich dadurch zu erkennen, dass während der Einathmung der Blutdruck steigt. Um- gekehrt hemmt die lirhöhung des Luftdruckes in den Lungen während der Ausathmung den Zuduss des Blutes zum Herzen, in Folge dessen wird weniger Blut gefördert, und es fällt der Blut- druck. Wenn man eine ßlutdruckcurve aufnimmt, so sieht man daher oft, dass sie ausser den Pulsschwankungen, die von der Iferzcontraction herrühren, noch regelmässige grössere Wellen auf- weist, indem sie mit der Einathmung steigt, mit der Ausathmung fällt. Man bezeichnet diese Schwankungen der Blutdruckcurv(^ kurzweg als die Athemwellen. Gewöhnlich kommen 4 — (5 Puls- wcllen auf eine Athemwellc. Ausserdem weist die Blutdruckcurve 132 Lungenkreislauf. Wirkung der Atlimung auf den Gesammlkreislauf. noch eine dritte Art viel langsamer verlaufender regelmässiger Wellen auf, von denen erst in dem i\bschnitt über den EinHuss der Nerven auf das Gefässsystem ausführlicher die Rede sein soll, die man als Traube-Heriiig'sche Wellen unter.scheidet. Athmung und Lungenkreislauf. Aus.ser der beschriebenen Wirkung der Druckänderung auf den Kreislauf spielt noch der Um- stand eine wichtige Rolle," dass der ganze Lungenkreislauf sich innerhalb der Jkusthölile vollzieht. Der Lungenkreislauf bildet die \'erbindung zwischen dem Zuflussstrom in den Kih-pervenen und dem Abtlussstrom in den Arterien. Die gesammten Gefässe des Lungenkreislaufs sind nun den Druckschwankungen im Brustkorb ausg^esetzt, und müssen also bei der Einathmung erweitert, bei der Ausathmung verengt werden. Dadurch wird also die Jjahn, auf der das r>lut aus den Körpervenen in die Körperarterien übergeht, bei der Einathmung weiter, bei der Ausathmung enger, und es muss die angegebene Wirkung auf den arteriellen Blutdruck verstärkt werden. "Dass dieser Umstand bei der Entstehung der Athem- wellen in der Blutdruckcurve sehr wesentlich mitwirkt, kann man daraus sehen, dass bei einem Thiere, bei dem der Brustkasten er- öffnet worden ist, sodass also von einer Aspu'ätion oder vom Druck der Lungen auf das Herz keine Rede sein kann, sehr deuthche -Vthemwellen in der Blutdruckcurve auftreten, wenn durch Eniblasung von Luft in die Lungen künstliche Athmung gemacht wird. Frei- lich sind hierbei die Druckverhältnisse umgekehrt wie bei der natürlichen Athmung, und es entspriclit daher auch derAufb asung das Herabsteigen, der Ausathmung das Hinaufsteigen der turve, aber man sieht doch, dass der Druck in den Lungen, abgesehen von der Wirkung auf die Körpervenen, auch auf den Widerstand im kleinen Kreislauf Einfluss hat. ■ , n Wirkung der Athmung auf den G esammtkreislaul. Die Aspiration des Venenblutes durch die Athmimg liegt noch mehreren wichtigen Erscheinungen zu Grunde, bie ist lur die Blut- bewegung in der Leber von ganz wesentlicher Bedeutung. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Widerstande, die dem Kreislauf durch die zweite GapiUarenbildung der \ena portae in der Leber erwachsen, sehr gross sind. De.shalb is es an dieser Stelle besonders vortheilhaft, dass der Kreislauf durch die Athem- bewegungcn unterstützt werde, imd es sind dafür besonders gun- stige Bedingungen gegeben, indem bei der Inspiration das \ enenb u nicht nur in die Brusthöhle eingesogen, sondern gleichzeitig aud, diirch das Absteigen des Zwerchfells aus der ]3auchhohle ausge- ■'''''Sertrder blich kann die Aspiration bei Verletzung grösserer Venen in der Nähe des Brustkorbes werden. gleich mit dem Blut der Vene auch Luit durch f. ' das Gefässsvstem gesogen werden, und indem sie sich n G ta h feiner Bläschen in den Gapillaren verfangt, zu sdnsoren .Schädi- gungen oder gar zum Tode luhren. Athemfrequenz und Athenicurve. 133 Die Stauung des Venenblutes durch den erhi3hten Lungendruck bei Ausatlimung l'iilirt dazu, dass bei gcwallsainer Ausathmung, zum i3eispiel bei angestrengtem Blasen oder Schreien, an der Hals- vene deutlich eine Pulsbewegung wahrgenommen werden kann. AVenn bei verschlossenen Luftwegen sehr anhaltend starke Aus- athniungsanstrengungen gemacht werden, kann dadurcii der ßlut- zulhiss zum Herzen soweit behindert werden, dass die Herzthätig- keil unterdrückt wird, und der ganze Kreislauf ins Stocken kommt. Zahl und Grösse der Athemzüge. Athemfrc([uenz und Athemcurve. Da die Athemzüge sich pcriodiscli wiederholen, liegt es nahe, ilire Frequenz feststellen zu wollen. Die Atiiemmuskeln sind der Herrscliaft des Willens unter- worfen, und daher kann auch die Athemfrequenz willkürlich verändert werden. Ausserdem ist die Athemfrequenz, ebenso wie die Tiefe der Athemzüge, von der Grösse des Athembedürfnisses abhängig. Um vergleichbare Zahlen zu erhalten, muss man also die Frequenz der Athemzüge in der Ruiie bestimmen. Man pHegt diese für den normalen Menschen zu 20 in der Minute anzunehmen. Sie steht in gewisser Beziehung zur Pulszahl, indem man mit einiger Be- stimmtheit einen Athemzug auf je 4 Pulsscidäge rechnen kann, und die meisten der Bedingungen, die bei der Besprechung der Puiszald angeführt worden sind, auch auf die Athemfrequenz in demseli)en Sinne wirken wie auf die Pulszahl. Vor allem zeigt sich deutlich der Einlluss der Körpergrösse. Grössere Menschen haben langsameren Puls und geringere xA.therafrequenz als kleinere. Dasselbe gilt auch allgemein von grossen und kleinen Säugethieren, aueli wenn sie nicht von derselben Art sind. Bei jüngeren Thieren ist die Athmung schneller als bei älteren. Diese Vergleiche lassen sich an folgenden Zahlenangaben bestätigen: Mensch, neugeboren . 44 Athemzüge in der Minute «jährig . . 26 ,, ,, „ ,, '^0 jährig . . 20 „ „ „ „ 40 Jährig . . 16 „ „ « „ 60 Jährig . . 22 „ . „ „ „ „ „ „ 1°'"^" 10-13 „ „ „ „ 5'"^' 10-15 „ „ „ „ Kalb 18—20 „ „ „ „ Schaf und Ziege . . 12—20 „ „ „ Ji7^ 15-28 ; „ „ „ ^^^''^ ■ 20-30 „ „ „ „ Kaninchen .... 50—60 „ n n n Meerschwein und liatle 100—150 „ „ „ Walfisch 4-5 ; : : : 134 Atliemcui've. Die AUieiiil)cwegmiüen folgen einander ununicrhroclien. so class immer eine Einatliraung beginnt, wenn die AiisalJimung beendet ist Man kann sie aufzeichnen, indem man den Brustkorb mit einem elastisclien mit LuIX erfüllten Schlauch umgiebt, der mit einer Alarev'schen Schreibkapsel in Verbindung steht. Bei jeder Erweiterung' der Brust wird Luft aus dem Schlauch m die Kapsel Fig. 26. /vwwiyvvwvwwv o-ctrieben, und der Schreibhebel verzeichnet so die .\tliembewegung. \ns der so entstehenden Curve ist zu ersehen dass die tin- athmung ganz langsam beginnt, so dass manche Lntersucher eme Athempause nach beendeter Ausathmung angenommen liaben. Die \usathmung dauert etwas länger als die Einathmung. Genauer kann man diese Verhältnisse untersuchen indem man die ein- und ausgeathmete Luft m dem sogenannten Athemvolum- schreiber auffängt, der die Veränderung des Lungenvolnins m jedem Augenblick als Curve verzeichnet. . Spirometer. Die Betrachtung der Mengenverhältnisse der Athemluft führt auf die Fragen, wieviel Duft überhaupt in die Lungen aufgenommen werden kann, wieviel ur .ge^-'hn^^ ruhiger Athmung aufgenommen wird und wieviel bei staiLstci Aus- 1 ming T^^^ Lungen zurückbleibt. Zur Beantwoitung dieser ^T^^-zizrÄ itifenÄtrir^ ^ statt der gewöhnlichen Ausathmung^ vShIn idlich ^ r^öfi.ni;;f 'Ini. \iieser äussersten .Mis- Un^ Li. mcht alle Luft aus den Lungen ausgetrieben. Es Spirometer. 135 ist ja oben aiisgerührt worden, dass die Jeinsen in ihrer normalen Ucfcstiiinniisweise im Brustkorb ausgespannt; sind, und dass sie bei J->üfrnung der Pleura collabircn. Sic cntliallcn also selbst nach iiusserster Ausathmung noch einen vierten Posten Luft, der Residual- hift oder rückständige Luit genannt wird. In runden Zahlen darf man für den .Menschen annehmen, da,ss jeder dieser Posten, mit Au.snahme der Athmungsluft, etwa 1500 ccm ausmacht. Die Athmungsluft wird gewöhnlich zu 500 ccm an- gegeben. Der Gesammtinhalt der Lungen würde auf diese Weise zu 5 1 zu berechnen sein. Fig. 27. Spirometer. Diese l'lintheilung der in die Lungen aufgenommenen J^uft iiat; nach verschiedenen Seiten Bedeutung. Die ersten drei Posten: Die Ergänzungsluft, die .Athmungsluft und die Vorrath.sluft zu- sammen stellen den Unterschied zwischen der nach stärkster Aus- 136 Spirometer. atliinuiig und iiacli stärkster Einatlinumg in den J^ungcn cnthaitencn Jjuftincngc dar. Die Grösse dieser Gesaranitmenge bildet also ein Maass für die Leistungsfähigkeit oder wenigstens für das ,\ufnahmc- yerniögen der Atimiungsorgane, und man hat deshalb für diese Jjuftmeoge die Bezeichnung „ Vitalcapacität" eingeführt. In früheren Zeiten, ehe die neueren Uiitersuclmngsmechoden der Auscultation. Percussion und Bakteriologie bekannt waren, diente die Messung der VitaJcapacität dazu, festzustellen, ob die Lungen in ihrer Leistungsfähigkeit durch Krankheit geschädigt seien oder nicht. Man hatte zu diesem Zweck die Vitalcapacität für normale Menschen von verschiedener Grösse und Constitution gemessen und danach Tafeln aufgestellt, mit denen der Befund bei einem zu unter- suchenden Individuum verglichen wurde. Zur Messung der Vital- capacität bedient man sich noch licute meist des sogenannten Spirometers von Hutchinson, das nach Art eines Gasometers gebaut ist (Fig. 27). In ein mit Wasser gefülltes Gefäss taucht eine möghchst leichte blecherne Glocke, deren Gewicht vermittelst über Rollen laufender Fäden mit Gewichten nahezu aufgewogen ist. liine Röhre führt von aussen dui'ch das Wasser bis dicht unter den Scheitel der Glocke. Wird in die Röhre Luft ein- gebiasen, so sammelt sie sich in der Cilocke und treibt diese aus dem Wasser hervoi'. An einem Maassstabe, der neben der Glocke anaebraclit ist, kann man unmittelbar die Grösse der eingeblaser.en Luftmenaen abmessen. Die" erwähnten Luftmengen verhalten sich zu einander wie es auf folgendem Schema angegeben ist: 5000 ccm Ergänzungsliift = 1500 ccm Athemluft = 500 „ Yorrathsluft = 1500 „ Rückständige Luit = 1500 ^ 1500 500 •, Vitalcapacität = 3500 ccn> 1500 1500 Zu dem letzten Posten ist noch folgendes zu bemerken : Nach äusserster Exspiration ist in den Lungen nur die rückständige l.u t enthalten, deren Menge, wie oben angegeben, auf gegen 1^ ' » geschätzt werden kann. Es sind eine ganze Anzahl vei-sch.ede e Verfahren ersonnen worden, um die Menge dieser Luit zu D. - Ailiemgrössc. 187 stimmen, doch sind die Llnlerscliiede in den l-lruebnissen so gross, dass sich keine zuverlässigen Schlüsse daraus zielien lassen. Ivs ist schon darauf hingewiesen, dass jedenfalls eine ziemlicii grosse Menge Luft dauernd in den Lungen enthalten sein nuiss, weil selbst nach dem Collabiren viel Luft darin bleibt. Athemgrösse. Mit dem Spirometer kann man immer nur einen oder eine beschränkte Zalil von Athemzügen messen. Wenn man sich aber über die Grösse der Atiiemtliätigkeit im Ganzen unterrichten will, ist es erforderlich die sogenannte Athem- grösse oder Ventilationsgrösse während iängei-er Zeiträume zu messen. Dazu dient am besten eine gewöhnliche Gasuhr, die auf die oben bei der Zuntz-Geppert'schen Methode beschriebene Weise mit dem Versuchstliier oder der Versuchsperson verbunden wird. Bei solclien Versuchen zeigt sich, dass die oben angegebene Menge der Atiiemlufl, 500 ccm, für absolute Körperruhe zu hoch gegriffen ist. Man findet vielmehr, dass ein Mensch bei möglichsl vollkommener Ruhe nur gegen 200 ccm bei jedem Athemzuge ein und ausathmet. Dies macht bei einer Frequenz von 1-5 — 20 in der Minute 3 — 4 1 Luft in der Minute. Bei jeder noch so geringen Thätigkeit wird sogleich die Athmung vertieft, und zwar indem so- wohl die Frequenz wie die Tiefe der Athmung zunimmt. Da ganz vollkoimnene Körperruhe nur selten zu erreichen ist, findet man als Ruhevverth für den Menschen gewöhnlich eine iiöliere Zahl, nämlich 5 — 7 I in der Minute. Beim Stehen ist auch diese um 20 pCt. erhöht, bei be(|uemem Gang um 100 pCt. Bei stärkster .\rbeit kann sie auf melir als das Sechsfache steigen, indem bei gegen 40 Athemzügen in der Minute 35 — ^45 1 Luft geathmet werden. Für das Pferd, dessen Athmung vielfach untersucht worden ist, werden folgende Werthe angegeben: Der Gesammtinhall der Lungen bei äusscrster Füllung beträgt 40 — 50 1, wovon im Mittel 12 1 auf die rückständige Luft kommen, sodass die Vital- capacität zu 25 — 30 1 anzunehmen ist. In der Ruhe werden in der Minute 30 — 35 1 Luft in etwa 10 Athemzügen geathmet, sodass jeder Athemzug gegen 3,5 1 umfasst. Ganz wie beim Menschen wird auch hier die Athmung bei Bewegung verstärkt. Schon bei ruhigem Schritt steigt die Athemgrösse auf 100 I in der Minute, i)ei schwerer Arbeit kann sie auf 500 1 steigen. Obschon die angeführten Zahlen zeigen, dass die Grösse der Athmung mit der Grösse der Körperarbeit wächst, darf man nicht glauben, dass die Athmung nur in dem Maasse steigt, in dem thatsächlich der Sauerstoffverbrauch zunimmt. Ln Gegentheil geht meist die Steigerung der Athemgrösse weit ül)cr das thatsächlich c Bedürfniss hinaus, so dass etwa das Doppelte oder Dreifache der Luftmenge den Lungen zugeführt wird, die genügen würde, den durch die Arbeitsleistung entstchcnflen Sauerstoffbedarf zu decken. Auf diesen Punkt wird in dem Abschnitt über die Inner- vation der Athmung noch zurückzukommen sein. 138 ßegvilV imd Wesen der Ernährung. 4. Die Verdauung. Hungerzustand und Stoffersatz. BegriiT und AVescn dei- l'lniäliruug. Der Gascuisiauscli durch die Athmung ist nur ein Theii des Gesainnitsloffweelisels, der, wie gleicli zuerst bemerkt worden ist, ein Hauptmerkmal alles Lebens bildet. Aus der Untersuchung der Athmung selbst Sieht schon hervor, dass in der Ausathmungsluft eine grosse Menge IColüenstolf ausgeschieden wird, die in der Einathraungsluft nicht \orhanden war, und dass ferner die Menge des Wasserdampfs in der Ausathmungsluft grösser ist als in der Einathmungsluft. Ferner ist gezeigt worden, dass die eingeathmete Luft mehr Sauerstoff enthält als die ausgeathmete Kohlensäure, dass also ein Theil des Sauerstoffs nicht durch die Athmung, sondern auf anderem AVege, nämlich im Harn, Koth und Schweiss, ausgeschieden wird. Endlich weist die Verbindung des Sauerstoffs mit Kohlenstoff zu Kohlen- säure darauf hin, dass kohlenstoffhaltige Verbindungen im Körper zersetzt werden, und dass die übrigbleibenden Bestandtheile dieser Verbindungen, wenn sie sich nicht im Körper anhäufen sollen, ebenfalls auf den erwähnten AVegen ausgeschieden werden müssen. Durch diese fortwährende Stoffausscheidung raüsste der Korper in kui-zer Zeit einen grossen Theil seines Bestandes einbüssen, wenn er nicht neue Stoffe zum Ersatz der ausgeschiedenen aufnähme. Diese Stoffaufnahme ist die Ernährung. _ Die Grundthatsache. auf der alle Betrachtungen über Stoll- wechsel und Ernährung beruhen, ist die, dass der Körper seinen Bestand im Grossen und Ganzen dauernd unverändert bewahrt Die Genauigkeit, mit der beispielsweise ein erwachsener Mensch von 70 kg Gewicht bei annähernd gleichmässiger Lebensweise und Ernährung iahraus jahrein dasselbe Körpergewicht behält, erscheint gradezu wunderbar, wenn man bedenkt, wie gross die in dieser Zeit umgesetzten Stoffmengen sind. Aber auch während des Wachs- rhums oder wenn, wie es meist der Fall ist, periodische Schwan- kungen des Körpergewichts bestehen, sind diese \ eränderungen des Besrandes im Vergleich zur Grösse des Umsatzes als se ir gering zu bezeichnen. Man ist also berechtigt, im Allgcmcmen a s Grund- satz der Stoffwechselphvsiologie festzuhalten, dass die Menge dei aufgenommenen Stoffe der der ausgeschiedenen gleich sein mnss. ■ Nach diesem Grundsatz kann man über die Grosse der notii- wendigen Stolfaufnahme im Ganzen dadurch Aufschluss erhallten dass man die Grösse der StolTverluste untersucht, die der Koip , bei fortgesetzter Stoffausfuhr erleidet, wenn keine Ersatzstoffe zu- .^eführt werden. Die Athmung bleibt von dieser Untersuchung aus- gSlossen, weil sie nur so" kurze Zeit hindurch ontbehi. werden kann, dass der Tod schon eintritt, wenn oben erst an den blntg'^^cn nuSiche Verluste nachweisbar sind. Dies ist der wesentliche Folgen des Mangels an Nalining. I ntcrschied zwischen Atlmmng und l'rnälivuni;-, der durc i den 'ediiigungen gehalten werden, bei denen die Nahrungsaufnahme, wenn überhaupt möglich, jedenfalls sehr beschränkt ist. Die kleinsten Säugethiere, wie Ratten und Meerschweinchen, hallen nur wenige Tage ohne Nahrung aus, grössere, wie Katze, Hund, Kaninchen, eine bis mehrere" Wochen. So werden für Hund und Pferd 6 Wochen, für den Menschen 4 Wochen als die längste Lebensdauer bei gänz- licher Enthaltung von Nahrung angegeben. Da ein sehr grosser Theil der Gesammtausscheidung aus Wasserdampf und Wasser be- steht, so kann durch Wasseraufnahrae der Gesamiiitverlust sehr eingeschränkt werden. Menschen und Thiere, die nur Wasser auf- nehmen, können dabei zweiraal so lange am Leben bleiben, als sie ganz ohne Ernährung aushalten wü-rxlen. Die Lebensdauer hängt aber ausserdem sehr wesentlich von den äusseren Bedingungen ab, unter denen sich die hungernden Thiere befinden. Zieht man dies in Betracht, so tritt recht deut- lich hervor, dass aus dem höchst einfachen Experiment, die Lebens- vorgänge unter Ausschluss der Ernährung zu beobachten, die Grundzüge der ganzen Lehre vom Stoffwechsel abzuleiten smd. Der Stoffwechsel des lebenden Organismus besteht darin, dass Verbindungen von höherer chemischer Spannkraft iu solche von niedrigerer Spannkraft umgesetzt werden, wobei Wärme und mechanische Energie frei wird, die der Organismus für seme Lebensthätigkeiten verwenden kann. Je stärkere Anforderungen nun in dieser Beziehung an den Organismus gestellt werden desto erösser muss die Leistung des Stoffumsatzes sein. AYenn also em Thier das keine Nahrung aufnehmen kann, sondern auf die in seinein eigenen Körper enthaltenen Stoffvorräthe angewiesen ist, fortwährend Wärme nach aussen abgeben oder äussere mechanische Arbeit leisten soll, müssen die Vorräthe schneller erschöpft werden. Am hungernden Thiere zeigt sich nun thatsächlich, dass das Leben viel eher erlischt, wenn das Thier sich in kalter I mgebung be- lindet, als wenn es in einem auf seine Körpertemperatur erwärmten Raum gehalten wird. Ebenso kann man beobachten, dass em hungerndes Thier, wenn es zu fortwährender Muskelarbeit gezwungen ist schneller an Gewicht abnimmt, als wenn es in vollkommener Ruhe bleibt. Man sieht hieraus deutlich, dass die Erzeugung von Wärme tmd Energie im Thierkörper von der Erna irung abhangt, oder umgekehrt, dass die chemischen Spannkräfte der Nahrung m. T'hierkörper als Wärme und meehanis.die Arbeit zum A orschen. kommen. Diesen Grundvorgang durch alle seine einzelnen Stuten zu verfolg.m. ist die Aufgabe der Stolfwechselphysiologie. Die Nahrungsstoffe. Im Vorhergehenden sind die Folgen des vollständigen Mangels an Nahrung besprochen wonlen. l ntoi NahningsslolTe. 141 i:L'\völuili(;licii Verli;ilLni.s.scn nilirt der Niiliruiigsmangel im Körper /um Nahningsbodürfni.ss, das sich subjcctiv als Hungcrgefiilil äussori. und \len Organismus zur Nalirungsaufnalime veranlasst. Die Fragen, wie das Hungergefühl entsteht, tmd in welcher Weise CS die Thätigkcit der Nahrungsaufnahme veiiirsaeht, werden in den späteren Abschnitten, die das Nervensystem behandeln, zu erörtern sein. Ehe die Nahrungsaufnahme selbst besprochen wird, mögen hier zuerst die Stoll'e, die zur Ernährung dienen, näher bezeichnet werden. Die Thicre entnehmen die Nahrung aus ihrer Umgebung in derjenigen Form und Zusammensetzung, in der sie sich ihnen grade darbietet, der Mensch verändert in vielen Fällen die natürliche liescliairenheit der Stoll'e, von denen er sich nährt, durch Zu- bereitung, doch ist auch die Zusammensetzung der so entstehenden künstlichen Nahrungsmittel nieist von der der verwendeten natür- lichen Substanz abhängig. Die Nahrungsmittel enthalten daher neben solchen Stollen, die zur Ernährung brauchbar sind, zum Theil auch solche, die keinen Werth für die Ernährung haben. Ausserdem sind diejenigen Stoffe, die für die Ernährung brauchbar sind, in den Nahrungsmitteln in ganz verschiedenem Mengenverhältniss vor- handen. Man rauss deshalb streng unterscheiden zwischen den In'grinen des „Nahrungsmittels^' und der „Nahrungsstoll'e". Diese l'nters(;heidung wird zwar im gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht iiemacht, ist aber für die wissenschaftliche Betrachtung der J.ehre \on dei- Ernährung sehr nützlich. Das Wort Nahrungsmittel soll ausschliesslich den concretcn ßegrilf der Stoffe, wie sie thatsächlich aus der Natur oder aus der Küche hervorgehen, bezeichnen, das Wort Nahrungsstoffe dagegen den abstracten Begriff der ver- schiedenen cliemischcn Verbindungen, die aus den Nahrungsmitteln in den Körper aidgenommen werden können. Zum Beispiel eine llii'iie oder ein Kuchen sind Nahrungsmittel, der Zucker, der in ilmen enthalten ist, ist ein Nahrungsstoff. Da im Körper eine grosse Anzahl verschiedener Stoffe ver- lirauclit werden, bedarf es auch einer Reihe verschiedener Nahrungs- siolfc, um den Verlust auszugleichen. Man darf hier nicht so rechnen, dass einfach die bestimmten Mengen von jedem chemischen l'ilcment, die aus dem Körper ausgeschieden werden, auch in der Nahrung enthalten sein müssen, damit der Körper seine Verluste ergänzen kann, sondern die Nahrungsstoffe müssen die betreffenden l'jfementr auch in einer für die Aufnahme in den Körper geeigneten \erbindung entlialten. Um diejenigen Verbindungen, die im Körper verbraucht werden, zu ersetzen, müssen dieselben oder wenigstens ähnliche Verbindungen eingeführt werden. Die Gesammtheit der Stoffe, die hierzu dienen können, lässt sich unter 5 oder, wenn man den Jiegriff der Ernährung im weitesten Sinne fassen und die Aihmung mit einschlicsscn will, unter (! (iruppen Inningen. Dies- sind folgende: 142 Das Wasser. 1. Wasser; 2. anorganisclie Salze; 3. l^iweissstolfc; 4. Kolilc- hvclrate: 5. Feite: (i. Sauerste llgas. Diese Gruppen lassen sich nach ihrer Bedeutung für den Stoll- wechsel in drei Reihen theilen: Das Wasser und die anorganischen Salze sind allerdings für den Aufbau und J3estand des Körpei-s ebenso unentbehrlich wie die übrigen Nahrungsstolfe, sie tragen aber nicht zu dem Energievorrath des Körpers bei, da sie in der- selben Form den Körper verlassen, in der sie in ihn eintreten. Sie sind also gewisserniaassen nur Ersatz- und Gebrauchsstoffe, nicht ■eigentliche Verbrauchsstotfe, urid werden deshalb auch bei engerer Fassung des Begriffs der Nalirungsstoffe ausgeschlossen. Dasselbe kann man vom Sauerstoff sagen, der an sich dem Körper keine Energie zuführt, sondern nur zur Entwicklung der in den eigent- lichen Nahrungsstoffen enthaltenen Spannkraft beiträgt. Es bleiben also als Nahrungsstofle im engsten Sinne nur drei Gruppen übrig: Eiweiss. Fett, Kohlehydrate. Von diesen unterscheiden sich die Eiweisskörper' wesentlich von den beiden anderen dadurch, dass sie ausser den Elementen C, ü und H auch noch Stickstoff, N, ent- halten Allein aus ihnen kann also der Körper seinen Bedarf an stickstolfhaltigcn Verbindungen bestreiten, das heisst. seinen eigenen Bestand an Eiweisskörpern ergänzen. Die Eiweis.skorper sind aber, wie oben ausgeführt worden ist, der wesentlichste Bestandtheil aller lebendigen Gewebe. Deshalb bilden unter den Nahrungsstollen die Eiweisskörper eine Hauptgruppe für sich, die als die der stickstoll- haltigen Nahrungsstoffe, oder der „gewebebildenden- oder „histo- o-enen" Nahrungsstoffe bezeichnet wird. Dagegen kommen ivohle- hvdrate und Fette als stickstofffreie Nahrungsstolle" in eine ge- meinsame Hauptgruppe. Nach dieser Eintheilung gesta tet sich .rster Stelle die leimgebende Subsfanz, das Colhigen oder dessen rmwandlungsproduct, das Glutin zu nennen Das G utin is die- jenige Substaiz. die im täglichen Leben als Tischlerleim bekannt ist, und in reichlicher Menge aus Bindegewebe Knorpel und Knochen durch Auskochen gewonnen werden kann. Das Gin ni zeigt wenn OS von anderen EiweLsssubstanzen freigemacht isl. die l.iuret- und Xanthoproteinreacfion. .lagegen nichl alle die 1< ällung>;reactionon der eigentlichen Kiweisskin-per. Es feh en in «j^^Jl^^f— setzung einige der Stoffgruppen, die in diesem enlhallei sind, m l lairVermaJ es dem Kiirper nicht alle diejenigen Stofle .larzubieten, denen .^^entliche l'iweisskörpor aufgebaut werden. Aus diesem G unde können die Knochen und das Bindegewebe, die son.st wegen Die Kohlehydrate. 145 ilires Stickstüffreiclithums ein vortreiriicli ziii' (iewebsbildung gc- cigTietes Nahningsraittcl darstcllon würden, nur dazu dienen, die Zersetzung von Körpereiwoiss zu ersparen, nicht aber neues Eiweiss zuzuführen. Die Koiilehydrate. Die sticivstofffreien Nahrungsstoll'e, die in die beiden Gruppen der Kolileiiydrate und der Fette zerlallen, untersclieiden sich nicht nach ihrer elementaren Zusammensetzung, da beide aus Koiilenstoff, Wasserstoff und SauerstofT bestehen, wohl aber sehr stark durch ilire physikaliscJien und physiologischen Eigenschaften. Dieser Unterschied ist am einfachsten und anschau- lichsten zu erkennen, wenn man sich als Beispiele von Fetten etwa Stearinkerzen oder Olivenöl, als Beispiele von Kohlehydraten l^ohr- zucker oder Holz vor Augen stellt. Auf einen physiologisch wich- tigen Unterschied ist schon oben hei der Erwähnung des respi- ratorischen Quotienten hingewiesen worden. In den Kohlehydraten sind, wie schon der Name andeutet, Wasserstoff und Sauerstoff in demselben Verhältniss wie im Wasser enthalten, und können sich, ohne neuen Sauerstoff aufzunehmen, zu Wasser vereinigen. In den Fetten besteht dagegen ein grosser Ueberschuss von Wasser- stoff über Sauerstoff. AlsKohlehydrate bezeichnete man früher nur solche Verbindungen, die eine oder mehrere Gruppen von 6 Kohlenstoff'atomen enthalten und in denen das Verhältniss von Wasserstoff zu Sauerstoff dasselbe ist wie im Wasser. In neuerer Zeit fasst man den Begriff viel weiter, indem man die Kohlehydrate ihrer Constitution nach als Abkömmlinge von Alkoholen erklärt. Da die Alkohole eine be- liebige Zahl Kohlenstoffatome enthalten können, kommt eine grosse Zahl von Verbindungen zu den der obigen Beschreibung entsprechen- den Kohlehydraten hinzu. Durch die Ableitung der Kohlenhydrate aus den Alkoholen erklärt sich eine wichtige Eigenschaft einiger Stoffe aus dieser Gruppe, nämlich die, .Metalloxyde zu reduciren. Die Kohlehydrate nämlich erscheinen ihrer Constitution nach als .Mdehyde oder Kctone, und es ist eine allgemeine Eigenschaft dieser Stoffe, die eine Uebergangsstufe von den Alkoholen zu den Säuren l)ildcn, leicht oxydirbar zu sein. Daher ist es verständlich, dass unter geeigneten Bedingungen Kohlehydrate den Metalloxyden Sauer- stoff entziehen. Die als Nalirungsstoffe in Betracht kommenden Kohlehydrate cnlsprechen sämmtlich der oben zuerst gegebenen Beschreibung der Kohlehydrate. Man unterscheidet zunächst diejenigen, die sechs Kohlenstolfatomc enthalten, als Monosacharide von denen, die zwei und mehr solche Gruppen enthalten, die Disacliaride und Polysacharide genannt werden. Traubenzucker. Von den Monosacliariden ist am wichtigsten der Traubenzucker, auch Glykose oder nach seinem sogleich zu erwähnenden Verhalten gegen polarisirtes Licht Dextrose genannt. Traubenzucker kommt in der Natur in Fruchtsäften, aus denen er l)eim J"]introcknen in Substanz aussciieidet, und im Honig vor. H. du Boi s-Rc y m 0 II (1 , l'liysiologio. ./^ 14() Zuckerproben. \<]v stellt eine weisslicliL' körai,t?krvstullinisclie Substanz vor. dif in Wasser leicht löslicii ist, und in der Lösung durch folgende Proben nachgewiesen werden kaini : 1. Mit Bierhefe versetzt, vergähren Traubenzuckerlösungeii. indem der Tranbenzucker in Alkohol und Kohlensäure zerfällt, nach der Formel: CßHiaUß = SGolleO + 2C0o. Aus der Menge der entstandenen Kohlensäure kann man dio IMenge des Zuckers in der Lösung berechnen. Auf den Gährungs- vorgang wird weiter unten bei der lirwähnung der Fermente und der Gährungen im Darm zurückzukommen sein. Die Spaltung in Alkohol und Kohlensäure ist übrigens niciii die einzige, deren der Traubenzucker fähig ist, vielmehr kann auch eine andere Art Gährung, die Milchsäuregährung, auftreten. Diese wird in ähnlicher Weise wie die Alkoholgährung durch den Hefe- pilz durch Mikroorganismen hervorgerufen, die man als Milrhsäure- bacillen bezeichnet, und verläuft nach folgender Formel: C,l\,.ß, = 2(CH3-CHOH-COOH) Traubenzucker Milchsäure. Die Milchsäure ist: eine farblose dickliche Flüssigkeit. 2. Die Lösung von Traubenzucker ist optisch activ, sie wirKt rechtsdrehend auf die Polarisationsebene des durch sie hindurchgehenden polarisirteu Lichtes. Dies ist folgenderraaassen zu verstehen: Die Strahlung des Lichtes wird als eine Bewegung des Aethers ange- sehen die in Schwingungen der einzelnen Theilchen quer zur Kicli- tung des Strahles besteht. In gewöhnlichem Licht linden Quer- schwingungen nach allen Seiten statt. Bei Reflection des Lichtes unter einem Einfallswinkel von ungefähr 55°, oder beim Hin- durchgehen des Lichtes in bestimmter Richtung durch gewisse Krvstalle werden die Aetherschwingungen so beemliusst, dass sie alle in Einer Ebene stattlinden. Diese heisst die Schwingungsebeiie des polarisirteu Lichtes. Durch die Polarisation werden also alle Schwingungen nach seitlich von der Polarisationsebene gelegenen Eichtungen gleichsam unterdrückt und in die Schwingungsebene ab- gelenkt Nimmt man nun mit einem Strahl solchen polansirten Lichtes eine zweite Polarisation vor, durch die die Schwmgungen eben in der Richtung ihrer Ebene unterdrückt und auf die daraul senkrechte Ebene abgelenkt werden, so werden durch diese zwei- fache Einschränkung die Schwingungen überhaupt imterdrucld. un.l der Strahl ausgelösclit. Dies tritt wie gesagt ein, wenn die hbene der zweiten Polarisation auf der der ersten senkrecht steht. Lasst man aber den Strahl nach der ersten Polarisation durch die Lo- sung eines optisch activen Körpers gehen, so findet man daj^s nun die Lbcne der zweiten Polarisation unter einem anderen ^^ inktl al.^ dem Hechten eingestellt werden muss, um die Schwingungen völlig zu unterdrücken. Man sieht hieraus, dass die optisch actne Ln- Rohrzucker. 147 süiiii die ursprüngliche Lage der Scliwingungsebeno verändert, näni- licir offenbar um so viel gedreht hat, wie der Unterscliied in der Kinstellung der zweiten Poiarisationsebene beträgt. Diese Drehung kann nun bei Lösungen verschiedener Stoffe entweder nach rechts oder links stattfinden, und man theilt danach die optiscli activen Körper in rechts- und linksdrehende. Aus der Grösse der Drehung kann man auf die Stärke der Lösung schliessen. Diese Methode der sogenannten optischen Zuckerbestimmung wird in technischen Betrieben angewendet. 3. Der Traubenzucker reducirt in erwärmter alkalischer Lösung Kupferowd /u Kupferoxydul. Dies ist die sogenannte Tromm er 'sehe Zuckerprobe. Man setzt zu einer Probe der auf Zucker zu unter- suchenden Lösung Natronlauge und einige Tropfen Kupfersulfal- lösung. Erwärmt man die blaue Lösung über der Flamrae, so scheidet: sich gelbes Kupferoxydulhydrat oder rothes Kupferoxydul ab. Diese Probe wird allgemein zur Untersuchung des Harns auf Zucker angewendet. Es gicbi noch eine ganze Reihe anderer Keactionen auf Zucker, die indessen hier übergangen werden können, indem auf die Lehr- bücher der Chemie verwiesen wird. Die genannten Keactionen kommen übrigens nicht dem Traubenzucker allein, sondern auch den übrigen Monosachariden und Disachariden mit gewissen Ausnahmen zu. Rohrzucker. Diese Ausnahmen betreffen grade die Zuckerart. die aus dem täglichen Leben am meisten bekannt ist, und die man deshalb als das naheliegendste Beispiel des Zuckers über- haupt anzusehen geneigt ist, nämlich den Rohrzucker oder Rüben- zucker. Der Rohrzucker ist schon deshalb nicht als eigent- licher Vertreter seiner Verwandtschaft zu betrachten, weil er zu den Disachariden, also nicht zu den einfachen, sondern den zu- sammengesetzten Zuckern gehört. Aber selbst unter diesen hal der Rohrzucker eine Ausnahmestellung. Es fehlt ihm nämlich die P^igenschaft Metalloxyde zu reduciren, und er lässt sich daher durch die Trommer'sche Probe nicht nachweisen. Ferner ist er auch in seinem ursprünglichen Zustande nicht gährungs- l'ähig. So liat er von den erwähnten Eigenschaften des Trauben- zuckers nur die mit ihm geraeinsam, die Schwingungsebene des polarisirten Lichtes zu drehen, und zwar ebenfalls nach rechts. Die Eigenthümlichkeitcn des Rolirzuckers verschwinden aber, sobald er, durch Kochen mit verdünnter Säure oder durch besondere Fermentstoffe, gespalten worden ist. Er zerfällt dann unter AVasser- aufnahme in zwei Monosacharide nach der Formel GioHooOa + HoO = CßHioOß + CßHioOe Rohrzucker Wasser Dextrose Lävulose. (Traubenzucker) Das eine der entstehenden Monosacharide ist der vorher be- sprochene Traubenzucker, das andere eine ähnliche Zuckerart, nach 10* 148 Milchzucker. Maltose. ilii-ein Vorkommen in Früchten Fruchtzucker genannt, die sicli hauptsächlich darin von dem Traidjciizucker unterscheidet, dass sie die Sclmingungsebene des poJarisirten Lichtes naci) links statt uacli rechts drelit, wovon sie auch den Namen J^ävulose hat. J3aher erkennt man auch die mit dem Rohrzucker vorgegangene Veränderung daran, dass die Lösung, die. so lange sie bloss Rohr- zucker enthält, rechts drehte, in dem Maasse wie die Spaltung vor sich geht, immer schwächer rechtsdrehend und schliesslich stark linksdrehend wird. Obgleich nämlich Dextrose und Lävulose im Rohrzucker zu gleiclien Theilen vorhanden sind, wie aus der Formel zu sehen ist, überwiegt die Linksdrehung, weil die Lävulose optisch stärker ist. Davon dass, sich bei der Spaltung des Rohrzuckers die Drehungsiichtung umkehrt, hat man dem ganzen Spaltungs- vorgang den Namen der Inversion gegeben, man spricht von invertirenden Fermenten, und nennt das durch die Inversion ent- stehende Gemisch von Dextrose und Lävulose „Invertzucker''. Der Invertzucker hat nun die Fähigkeit Metalloxyde zu redu- ciren und er vergährt auch ohne weiteres bei Hefezusatz. Üebrigens kann' auch Rohrzucker mit Hefe vergähren, nur geht dann der Gährung die Inversion voraus. Es ist nämlich in der Hefe neben dem Gährungsferment auch ein besonderes invertirendes Ferment vorhanden. . „ , . , Milchzucker. Von Disachariden ist lerner der Milchzucker. Lactose. wichtig, der als ein ßestandtheil der Milch in der Natur vorkommt Er lässt sich wie der Rohrzucker in zwei Monosacharide, Traubenzucker und Galactose, spalten. Von den anderen Zuckern unterscheidet er sicli vor allem dadurch, dass er nicht durch die ge- wöhnlicheBierhefe, sondern nur mitHülfe besonderer and er er Hefearten zur alkoholischen Gährung gebracht werden kann. Dagegen veria It der Milchzucker unter der I]inwirkung der MilchsäurebaciUen leich der Milchsäuregähruug, indem er Wasser aufnimmt, nach der Kirrael r,JL,0,, + H,0 = 4(CH3-0H0H-C00H) Mircbzncker Wasser Milchsaure. Auf diesem Vorgang beruht das bekannte Sauerwerden der Milch ln> Uebrieen verhält sich der Milchzucker ungefähr wie Traubenzucker, ev dreht die Schwingungsebene des poians.rten Lichtes nach rechts und giebt die Tromm er sehe Irobe Maltose. Neben dem Milchzucker ist zu nennen Malzzucker Mallose der sich von Milclizuckcr dadurch untersclieidet dass or 'ä^ ungsiahig ist und sich nicht wie Milchzucker in Glytose und Slli^Joi, sondern in Glykose und Glykose zerspalüjn as^. Dieser Zucker i.st deshalb wichtig, weil er bei der Vcidauung als cm Spaltungsproducl aus dem l'olysacharid Starke entsteht. 'oTvsacl.ari.le. Unter den Polysachariden sind ani wich- tigsten die Stärke, Amylum, und die sogenannte ^f;;;-; j;;^^^' G?vko'-cn Die chemische Zusammensetzung der Poivsac handc ist mir smveit bekannt, dass man weiss, dass sie aus emer giussen Polysacharide. Slärlse. U!) Anzahl von Monosacharidgnippen zusaraniougesetzt sind: wieviel solche Gruppen aber zu den verschiedenen Polysacharidcn zusammen- treten, hat man noch nicht feststellen können. Man kann deshalb nur die allgemeine Formel (CeHioOs)x angeben, in der das x besagt, dass die Zahl der Gruppen unbestimmt ist. Die Polysacharide sind im Gegensatz zu den Zuckerarten unlöslich oder sie bilden unechte, opalisirende Lösungen, aus denen sie durch Pergament oder thierische Membranen nicht in Wasser dialysiren können. Diese Lösungen sind wie die Zuckerlösungen optisch activ und drehen die Schwingungsebene des polarisirten Lichtes nach rechts. Im Uebrigen aber geben die Polysacharide keine der Reactionen der Zucker, wie etwa die Tromm er 'sehe, noch sind sie unmittelbar der Gährung zugänglich. Ihre nahe A^erwandtschaft zum Zucker zeigt sich aber darin, dass sie, ebenso wie die Disacharide, beim Kochen mit verdünnter Säure oder unter dem Einfluss von Fermenten Wasser aufnehmen und sich in Traubenzucker verwandeln. Den Polysacharidcn kommt eine beachtenswerthe Reaction zu, die benutzt wird, sie nachzuweisen. Ihre Lösungen färben sich auf Zusatz von Jod dunkelblau, braun oder roth, und diese Färbung versciuvindet beim Erwärmen, um bei Abkühlung wieder aufzutreten. Stärke, Amylum. Die Stärke bildet einen selir grossen Theil fast aller pflanzlichen Nahrungsmittel. Beispielsweise die Kartoffeln bestehen nur aus einem feinen Zellgerüst, das ganz und gar mit Stärke angefüllt ist, so dass, wenn man ein Stückchen durch- schnittener Kartoffel in einen Tropfen Wasser auf einem Objectträger taucht, unmittelbar eine schon dem blossen Auge siciitbare Wolke von ausgespülten Stärkekörnchen in den Wassei'tropfen übergehl. Die natürlichen Stärkekörnchen haben, wie man im Mikroskop erkennt, conccntrisch geschichteten Bau. In dieser ihrer natürlichen Form ist die Stärke unlöslich, doch lässt sie sich durch Kochen mil Wasser in eine unechte Lösung, den sogenannten Stärkekleister über- führen. Erst in dieser Form, wenn die natürliche Structur der Stärke- körnchen zerstört ist, wird die Stärke der Einwirkung von Fermenten zugänglich. Die Stärke färbt sich mit Jod dunkelschwarzblau. Die Spaltung der Stärke in Monosacharide lässt sich folgender- maassen zeigen. Man kocht etwas Stärke in Wasser, so dass man einen flüssigen Kleister erhält. Diesei- giebt mit Jod nach dem Abkühlen sehr deutlich die blaue Jodstärke färbe. Setzt man zu dem Kleister verdünnte Schwefelsäure zu und erwärmt einige Zeit lang, so erhält, man auf Zusatz von Jod nicht mehr die blaue, sondern allenfalls, wie gleich unten erklärt werden wird, eine rothe Färbung. Setzt man das Erwärmen fort, so geht die Spaltung weiter, so dass keine Reaction auf Jod mehr eintritt. Dagegen kann man nun durch die Tromm er'sche Probe die Gegenwart von Zucker nachweisen. Diesem Vorgang entspricht folgende Formel: SCßHioOs + H,0 = 2G,E,,0, + G,E,,6, Stärke Traubenzucker Stärke (Dextrin). 150 Glyltogen. Cellulose. Beim Erhitzen und bei der Zersetzung in Monosaciiuridc iiiaclit die Stärkemannigl'ache Umwandlungsstiifen durcli, die als besondere Stolle untcrscliieden werden können. Unter diesen ist die oben tM'Wcähnte Maltose und das De.N:trin zu nennen, da.s sicli durch seine Löslichkeit von der Stärke unterscheidet und mit Jod rothe Farbe annimmt. Dies ist die Ursache der Rothfärbung, die bei dem eben beschriebenen Versuch eintreten kann. Aehnlich der Stärke verhalten sich noch eme Anzahl anderer l'olvsacharide aus dem Pflanzen- und Thierreich, von denen als Beispiele das aus dem täglichen Leben bekannte arabische Gummi und die in der Pharmakopoe angewendeten Pllanzenschleime ge- nannt werden mögen. „ , , • , i r^i Glykogen Als thierische Stärke bezeichnet man das Giy- kooen ein Polysacharid, das in der Leber, in den ^luskeln und in änderen Geweben des Thierkörpers vorkommt Es giebt, wie -ekochte Stärke, nur eine unechte Lösung, die stark rechts- drehend i«t Die chemische Aehnlichkeit mit der .Süirke wird dadurch vervollständigt, dass es als Polysacharid aus einer grossen Anzahl Monosacharidgruppen zusammengesetzt ist und aul Jod reagirt, und zwar mit rothbrauner Farbe. Die Beze.ciinuug thie- rische Stärke bezieht sich aber nicht nur aul die chemischen Eigenschaften sondern ebensowohl auf die Rolle, die das Glykogen im Körperhaushalt spielt, die mit der der eigentbchen Starke in den Pflanzen verglichen wird. i • -d^i Cellulose. Ein Stoff ganz anderer Art, aber auch ein Poly- sacharid ist die Cellulose, der Holzfaserstoff, der einen grossen Theil aier Pflanzenkörper aufbaut und deshalb auch in .ifer pflanzlichen Nahrung enthalten ist. Holz, BaumwoUe, also aticli Watte Hanf. p;pier,\sbesondere das aschefreie Filh-iiTap>er ^er thet.^^^^^^^^^^^ steht fast ausschliesslich aus remer Cellulose. Die Ce UuIosl ist. vollkommen unlöslich und verhält sich gegen die meisten chemischen ESungen indifferent. Durch starke Schwefelsäui^ wird sie in rH ze gespalten und dadurch theils in Dextrin, thei s in Trauben- ucke übeJ^^^^^^^ Der Holzstoff, den so viele Pflanzen m un- Seu en Mengen enthalten, kann also im Laboratorium in ein n s :Svollen Naiirungsstoff, wie der Traubenzuckei- es ist^^^^u^^^^ rpwandelt werden. Für die praktische Herstellung von .Nahrungs ^3n kaiT dLer Umstand' vorläufig nicht benutzt werden we, la VerüZ^ viel zu umständlich und kostspiebg ist. Aehnhch t e m der Verwerthung der Cellulose bei der thien.sdien \ e - Hohe Substanz, Pectose, ^^"S^"«'"'}'^' S und in der Gewebe durch Fermente zur Losung gebracht Die Fetlo. löl dieser Form als Pcetin bezeicluict wird. Das Pectin hiklel die tiallerte, die bei der Entslehung der übstgelees bemerkbar wird. Die Fette. Wie die Kohlehydrate bestehen aiioli die Fette nur aus Kolilenstofl', Wasserstod' und Sauerst,oli; aber, wie oben mehrfach erwähnt, in ganz anderem Mengenvcrhältniss und ganz anderer Anordnung. Dem entsprechend sind auch die physikalischen Eigenschaften der Fette von denen der Kohlehydrate durchaus ver- schieden. Die in der Natur vorkommenden Fette sind keine ein- heitlichen Stoffe, sondern Gemenge aus verschiedenen Fettarten. Jede einzelne Fettart ist eine Verbindung von Glycerin mit einer der zahlreichen Fettsäuren. Von diesen kommen in den natürlichen Fetten meist nur drei in grösserer Menge vor. Alle anderen Fett- säuren sind darin in so geringer Menge enthalten, dass sie für die Zusammensetzung im Grossen und Ganzen nicht in Betracht kommen. Die drei wesentlich am Aufbau der Fette betheiligten Fettsäuren sind: die Stearinsäure C'igHgeOa , die Palmitinsäure CißH3202 und die Oelsäure C18H34O2, von denen die ersten beiden der normalen Fettsäurereihe von der allgemeinen Form Cnll9„U2 angehören, die letzte der i^eihe der Fettsäuren mit doppelter Bindung, deren allgemeine Formel C'„H2„-)0a ist. Das Glycerin, ein dreiwerthiger Alkohol, hat die Formel C3H3(0H)3. Die Verbindung von Glycerin und Fettsäure geschieht so, dass die drei Wasserstoflatome der Hydroxylgruppen des Gly- cerins durch drei Molecüle der Fettsäure ersetzt werden, die ihrer- seits je ein Atom Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff abgeben, sodass die drei aus den Hydroxylgruppen frei gewordenen Wasser- stoffatome sicli mit den von den drei Fettsäuren gelieferten Atomen zu Wasser verbinden können. Die entstehende Verbindung ist, da sie keine freie Fettsäure enthält, ein neutrales Fett. Die Entstehung der neutralen Fette der oben genannten drei Fettsäuren stellt sich also nach folgenden Foi-meln dar: 1. C3H5(0H)s 4- 3(Ci8H3602) Olycerin StoarinsSui'O ■2. C3H5(0H)3 + SCCißHaoOa) Glycerin Palniitiiisüure 3. C3H6(ÜH)3 + 3(Ci8H3,0,) Glycerin Oelsäure = CgllsüaCCieHgsO)« + SHoO neutrales Fett der Stearin- Wasser säure (Tristearin) = CyigÜgCCieHsiO)« + 3H,0 neutrales Fett der Palinitin- Wasser sSure (Tripalraitin) =: C3H50,(Ci,H330)3 + SH.I ) neutrales Fett der Oelsäure Wasser (TrioleVn) Wegen der drei Moleküle, die in jedem Neutralfett an das Glycerin gebunden sind, bezeichnet man es mit dem Namen der lietreflenden Säure und der Vorsilbe Tri, also Tristearin, Tri- palmiiiii, Triolein. Die natürlichen Fette sind Gemische aus diesen drei Fetten, denen in geringen Mengen die Fette der übrigen Fett- 152 Emulsion. Vevscifiing. säuren beigesellt sein köiuicn. Je naclideni in dem (.iemisdie einer oder der andere Beslandtlieil vorwiegt, zeigt das natürliche Feil verschiedene Eigenschaften. Die verschiedenen Fette unterscheiden sich vor allem durch ihren Schmelzpunkt. Tristearin und Tripahnitin sind bei gewöhnlicher Temperatur fest, Triolein llüs.sig. Daiier ist ein natürliches Fett um so weicher und leichter schmelzbai-, je mehr Triolein und je wenigei' Tristearin oder Tripahnitin es enthäli. Die reinen Fette oder Fettgeraische sind weiss, geruch- und ge- schmacklos, in Wasser ganz unlöslich, in heissem Alkohol, und ausserdem in Aether, Benzol, Cliloroform, Schwefelkohlenstolif lös- lich. Ferner können ilüssige Fette die festen lösen. Emulsion. Da die Fette leichter sind als Wasser und sich nicht darin lösen, schwimmen sie. Avenn sie in Wasser gethan werden, an der ObertUichc. Sciiüttelt man aber eine Mischung von flüssigem Fett und Wasser, so wird das Fett in feine Tröpfchen zertheilt, die wegen ilirer verhältnissmässig grossen Oberflcäche sich nicht scimell genug im Wasser bewegen können, um sich sogleich an der Oberfläche zu sammeln. Sie bleiben daher einige Zeit lang in ihrem fein vertheilten Zustand in der Flüssigkeit stehen, sie sind, wie man es nennt, in der Flüssig- keit suspendirt. Ist die Flüssigkeit etwa durch Zusatz von Ei- weiss, Gummilösung, Stärkekleister oder einen ähnlichen Zusatz zähflüssig coUoid gemacht, so werden die Widerstände im Vergleicii zum Auftrieb der Fetttröpfchen so gross, dass die beim Schütteln entstandene feine Vertheilung dauernd bestehen bleibt. Man nennt den ganzen Vorgang Emulsion eines Fettes, das Schütteln wird als Emuigiren, das fein vertheilte Fett als emidgirtes Fett bezeichnet. Die Flüssigkeit selbst wird eine Fettemulsion genannt, wobei man zwischen momentaner und permanenter Emulsion unterscheidet. Durch die Emulsion tritt aus den optischen Gränden, die bei der Besprechung der Farbe des Blutes im ersten Abschnitte erörterv worden sind, stets eine weissliche Farbe ein. Klares Wasser und gelbes Olivenöl geben zum Beispiel eine vollkommen undurchsichtig«^ weisse Emulsion, die genau wie Milch aussieht. Dieser Vergleicii rauss zutreffen, weil die Milch, wie weiter unten auszufüliren sein wd, selbst nichts Anderes ist, als eine permanente Emulsion von gelbem Fett in klarer Eiweisslösung. Verseif ung. Von den chemisciicn Eigenscliaften der boit- säuren muss hier noch die Fähigkeit erwähnt werden, sicli mii Alkalien zu Seifen zu verbinden. Ebenso wie nach der oben an- gegebenen Formel Glycerin und Fettsäure unter .Xussclieidung von Wasser zu Fett verbunden werden, kann auch umgekehrt das Fett unter Aufnahme von Wasser in Glycerin und Fettsäure ge- spalten werden. Dies geschieht, wenn man Feite mit Natron- oder Kalilauüc siedet, und die dadurch entstehende freie Jett saure vor- bindet sicii unter Aufiialime von Wasser mit dem Alkali zu ^>eilc. Seife ist also Alkalisalz der Fettsäuren. Seife ist m ANasser l.js- lich. und die Verseifung der Fette gewährt daher ein Mittel, dir Vertretbarkeit der NahrungsstofTe untereinander. 153 Fettsäuren in wassorlüsliclic Form zu bringen. An Stelle der Alkalien können, auch die alkalischen Erden (Kalk, Baryt, Magnesia) oder Metalloxyde treten, die, wie oben bei der Besprechung des Kalkgehaltes 'im Wasser angedeutet wurde, unlösliche Fettsäure- verbindungen bilden, die ebenfalls als Seifen bezeichnet werden. Verdünnte Seifenlösung hat alkalische Reaction, weil sich ein Theil der Alkalien durch Dissociation von den Fettsäui-en trennt, und wirkt daher wie schwache Ijange. Die Spaltung der Fette, wie sie bei der Verseifung durch die Alkalien herbeigeführt wird, kann nun auch durch Einwirkung von Fermenten hervorgerufen werden. Dabei zerfällt das Fett in (rlycerin und freie Fettsäuren. In Jedem Fett, das der Luft und insbesondere dem Lichte ausgesetzt ist. tritt ohne erkennbare Ur- sache dieselbe Spaltung ein. Man nennt diesen Vorgang im täg- lichen Leben „Ranzigwerden" der Fette. Bei weitergehender Zer- setzung entwickelt das ranzige n Fett den bekannten Übeln Geruch und Geschmack. Aber auch nicht merklich ranziges Fett enthält fast immer wenigstens Spuren freier Fettsäuren, sodass es kaum möglich ist. im Laboratorium Fett in neutralem Zustande aufzu- l)e\vahren. i3ringt man daher Fett mit verdünntnr Sodalösung zu- sammen, so tritt zwischen dem Alkali der Lösung und den freien Fettsäuren des Fettes eine Reaction ein, die zur Vertheilung des die Fettsäure einschliessenden Neutralfettes in der Sodalösung fühi't. Hieser Vorgang, der der Reinigung mit Fett beschmutzter Gegen- stände durch Waschen mit Lauge zu Grunde liegt, spielt auch bei der Verdauung eine Rolle. Für die Bedeutung des Fettes als Nahrungsstoff ist, wie schon mehrfach erwähnt, seine elementare Zusammensetzung massgebend. Aus der Formel des Tristearins 0311503(0, 8H350)3 geht hervor, (lass es auf 57 Atome Kohlenstoff und 110 Atome Wasserstoff nur <; Atome Sauerstoff enthält. Der in der Verbindung enthaltene Sauerstoff kann also nur 3 Atome Kohlenstoff oder 12 Atome Wasserstoff oxydiren, während der allergrösst.e Theil des Kohlen- sloffs und Wasserstoffs dem Organismus als ein Vorrath zur Er- zeugung von Wärme und Arbeit durch Oxydation zur Verfügung steht. Vertretbarkeit- der N'ahrungsstoffe untereinander. Die angeführten fünf Gruppen von Nahrungsstoff'en müssen, wie oben angedeutet, dem Körper sämmtlich zugeführt werden, um seine A'erluste auf zweckmässige Weise auszugleichen. Es ist von vorn- herein klar, dass eine vollkommen trockene Nahrung ohne Wasser bei den grossen Wasserverlusten des Körpers das Leben nicht er- halten kann. Ebenso ist einleuchtend, dass eine Nahrung ohne l'-iweis.sstoffe unzureichend sein muss, weil sie den Stickstoff bedarl' des Körpers nicht befriedigt. Auch dass der Körper von seinem Piestand an Salzen einbüsst, und dass die in ihnen enthaltenen Elemente durch Salzaufnahme ersetzt werden müssen, ist verständ- lich. Zweifelhaft bleibt nur, ob Kohlehydrate und Fette unentbehr- 154 Veiirelbarkeit der Nalirungsstoffe untereinander. licli sein iiiiisscn, da docli ihre Elemente auch im Kiwciss vor- huudcn sind. Es lässt sicli aber nachweisen, dass aucii sololie Stoö'e, deren Elemente schon in anderen NahningsstüHen enthalten sind, trotzdem naliczu ebenso unentbehrlich sein liünncn wie die- jenigen Stofl'e, die dem Körper besondere Elemente zuführen. Um seinen Bedarf an irgend einem Nahrungsstoff, beispielsweise Fett, aus einem anderen Nahrungsstoff, beispielsweise Eiweiss, zu be- streiten, niüsste nämlich der Körper diesen zweiten Stoff so weit zer- setzen, dass er daraus den ersten wieder aufbauen kann. Nun i.st schon in den einleitenden Betrachtungen des ersten Abschnittes darauf hingewiesen worden, dass der Stoffwechsel auf dem Ersatz zer- setzter Verbindungen durch zersetzungsfähige Verbindungen beruht. Nur dadurch ist es dem Körper möglich, die Lebensthätigkeiten zu unterhalten, die mit Erzeugung von AVärme und Arbeit verbunden sind. ]']s sind also nur die zersetzungsfähigen Stoffe eigentliche Nahrungsstolfe. Wenn nun ein Nahrungsstoff, beispielsweise Eiweiss. bis in seine einzelnen Elemente zerlegt werden muss, um daraus einen anderen Nahrungsstoff, beispielsweise Fett, aufzubauen, so hat er im Zustande der Zerlegung auch seinen ganzen Nahrungswerth eingebüsst. Um den neuen Nahrungsstofl', das Fett, aus den Elementen wieder aufzubauen, müsste der Körper genau so viel Energie aufwenden, als durch Wiederzersetzung des gebildeten Fette's in seine Elemente wieder gewonnen werden könnte. In Wirklichkeit braucht allerdings zur Herstellung des einen Nahrungsstoffes, beispielsweise des Fettes, der andere, bei- spielsweise das iMweiss, nicht ganz und gar in seine Urb.estand- theile zerlegt zu werden, sondern es ist sehr wohl denkbar, dass sich das Fett als ganzes Molekül aus dem Eiweissmolekül abspalten liesse. Dann könnte das Fett mit seinem vollen Nahrungswert h weiter zersetzt werden. Offenbar wird aber eine solche Abspaltung wegen der dabei entstehenden überllüssigen Ablalle für den Ivörper un- vortheihafter sein als die unmittelbare Aufnahme von Fetten und Kohlehydraten. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass normaler- weise in grösserem Umfange Fett oder Zucker aus Eiweiss gebddei wird. Dasselbe gilt in gewissem Grade von Fetten und Kohle- hydraten untereinander. Die Gründe, weshalb in einer zweckmässig zusammengesetzton Nahrung keine der fünf Gruppen von Nahrungsstoffen fehlen darf lassen sich also folgendermaassen zusammenfassen: .Mlze uml Jiiweissstode sind ofienbar unentbehrlich, weil sie die für den Be- stand des Körpers unentbehrlichen h:iemente emfuliren. \\ asser. Kohlehydrate und Fette sind deshalb unentbehrlich weil sie lüementc in gewissen Verbindungen einführen, die in dieser horm nicht aus den anderen Nahrungsstolfen abgespalten worden können, ohne dass die Gesammtcinfuhr und die Abscheidung (k^r >palium:s- i.roducte übermässig gross wird. . ■ i i Wenn damit auch als allgemeiner Satz hingestellt wird. da>> Mischung der NalirungsstofTe. Milch. 155 lunr (Iruppen Nalirungsstoirc jede einzeln unentbchrlicli sind, so bleibt doch die Mögiiclikeit offen, dass sie einander in gewissem Maasse vertreten können. Es wird weiterliin zu erörtern sein, iiv welchem Maasse und auf welche Weise dies geschehen kann. Mischung der ,N alirungsstoffe. Milch. Aus denselben (.resichtspunkten, aus denen eben abgeleitet worden ist, dass eine Nahrung, die den Körper dauernd erhalten soll, sämmtliche fünf N'ahrungsstoffe enthalten muss, geht ferner hervor, dass die Nahrung, um den T3ediirfnissen des Körpers angepasst zu sein, die Nahrungs- stoffe in einem ganz bestimmten Mengenverhältniss enthalten muss. Diese beiden Sätze sind von grosser praktischer Bedeutung. Denn die Walil der Nahrungsmittel hängt für Mensch und Haus- thiere auch von anderen als rein physiologischen Gesichtspunkten ab, und es liegt sogar sehr nahe, sich etwa mit Rücksicht auf den Preis der Nahrungsmittel einer beliebig einseitig zusammengesetzten Kost bedienen zu wollen. In der Lehre von den Nahrungsmitteln wird hierauf näher einzugehen sein. Es genügt hier, darauf hin- zuweisen, dass eine zweckmässige Nahrung nothwendig ein Gemisch der verschiedenen Nährstoffe in bestimmten Mengen darstellen muss. Um von diesem Mengenverhältniss eine Anschauung zu bekommen, kann man sich an die Zusammensetzung der Milch halten, als einer von der Natur selbst zubereiteten Nahrung, die nicht nur hinreicht, den Körper der säugenden Thiere am Leben zu halten, sondern ihn auch zu schnellem Wachsthuni und fortgesetzter Entwicklung l)efähigt. Bei der Zweckmässigkeit und Sparsamkeit, die sich in fast allen die Erhaltung des Individuums betreffenden physiologischen Verhältnissen zeigt, darf man auch annehmen, dass die Zusammen- setzung der Milch den Bedürfnissen des Säuglingskörpers auf's Genaueste angepasst ist. Die Zusammensetzung der Milch ist folgende: In lOü g Kuhmilch . . . Frauenmilch . . Wasser Eiweiss Fett 87,9 3,4 3,2 90,2 1,5 3,1 Zucker Salze 4,8 0,7 5,0 0,2 Im Mittel würden sich demnach die Mengen von Eiweiss, Fett und Kohlehydrat etwa wie 5:6:!) verhalten. Es ist aber zu bedenken, dass dies Verhältniss für das säugende, noch stark wachsende Thier passt, das, um immerfort neues Gewebe zu bilden, einer besonders grossen l*]iwoisszufuhr bedarf. Man sieht ja auch, dass der Eiweissgehalt der Kuhmilch sehr viel höher ist als der der Frauenmilch, was zu der schnellen Zunahme des Kalbes im Ver- gleich zum inenschlichen Säugling passt. Wie weiter unten gezeigt werden wird, liegt daher das günstigste Verhältniss der Nahrungs- stoff'e für den Erwachsenen etwas anders. 15(; Begriff der Verdauung. Die Verdauung. ßegrifl' der Verdauung. Die fünf Gruppen von Nalirungs- stoffen, ungefähr in dem Verhültniss gemischt, in deni sie in der Milch ent])alten sind, können also einen vollkominenen Er- satz für die Stoffvcrluste des Körpers bieten, wenn sie in den Körper aufgenommen werden und in dessen Bestand über- gehen. Bei den niedrigsten Urganisraen kann dies durch un- mittelbaren Austausch zwischen der umgebenden Flüssigkeit und dem Gewebe stattiindcn. i3ei den höher entwickelten Tiüeren sind besondere Organe für die Nahrungsaufnahme ausgebildet, die, indem sie zugleich zur A bscheidung der überflüssigen oder unbrauchbaren .Bestandtheile der Nahrung dienen, die Form einer den Körper durchsetzenden Röhre, des Darmcanals, annehmen, durch deren eines Ende, die Mundöil'nung, die Nahrung eingeführt wird, während die Abfallstoß'e durch das andere Ende, den After, ausgeschieden werden. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen beiden Formen der Nahrungsaufnahme besteht nicht, da die innere Fläche des Darmcanals in gewissem Sinne als zur äusseren Fläche des Körpers, das heisst als Abgrenzung des Körpers gegen die Aussenwelt, an- zusehen ist. Die in den Darracanal aufgenommene Nahrung kann also im Sinne der StoCfwechselphysiologie als noch ausserhalb des Körpers befindlich angesehen werden. Diese Unterscheidung ist keine blosse Spitzfindigkeit, weil ein grosser Theil der Nahrungsstofi'e in der Form, wie er in den Darmcanal eintritt, überhaupt nicht in den Körper übergehen kann. Wird zum Beispiel ein EiweissstofT. etwa Hühnereiweiss, in den Darm des Menschen eingeführt, so stehen dem Uebergang in den Körper verschiedene Umstände entgegen. Erstens ist Eiweiss ein Colloidstoff, es kann durch thierische Membranen nicht diffundiren. Die Darmwand ist aber eine solche Membran. Ferner ist schon am Schluss der Besprechung des Blutes davon die Rede gewesen, dass das Serum jeder einzelnen Thierart auf das Blut anderer Thierarten zersetzend wirkt, und dies trifft auch für alle anderen Fälle zu, in denen fremdes Eiweiss unmittel- bar in einen Organismus eingeführt wird. Es würde also das Hühnereiweiss, selbst wenn es die Darmwand a\if irgend welche Weise zu durchdringen vermöchte, auf die Körpergewebe nicht als Nahrungsstoff, sondern als Gift wirken. Denkt man sich ein Fett, etwa Rindstalg, in den Darmcanal eingeführt, so würde^ ihm als einem mit Wasser nicht einrnai mischbaren Klumpen der Zutritt zu den nahrungsbedürfligen Geweben ei)enso vollständig verschlossen sein, als wenn es noch ganz ausserhalb des Bereichs des Körpers wäre. Ebenso wäre in den Darm eingeführte Stärke bei ihrer Unlöslichkeit in kaltem Wasser, und der colloidalen Beschaffenheit ihrer Lösung an sich zur Aufnahme in den Körper ungeeignet. Nur von dem Wasser, den Salzen und den löslichen Kohlehydraten kann man annehmen, dass sie, sobald sie in den Darm gelangt Die Tliiitigkeit der Verdauungsdiüsen. 157 sind, nach den Gesetzen der Hydrodillusion in die Körpersäfte übergehen. Das Uebergehen derNahrungsstoffe durcli die Daruiwand in die körpcrgewebe ist eben nur dann verständlich, wenn diese Stoffe Ilüssig, oder in Wasser gelöst, oder mindestens so fein vertheilt sind, dass sie mikroskopisch feine Poren durciidringen können. Der grösste Theil der Nahrungsstolfe muss also, ehe er in den Körper übergehen kann, im Darm eine Uniwandlung erfahren, die ihn erst zum Jiintritt in den Körper tauglich macht. Diese Um- wandlung bewirkt der Organismus selbst, indem er in den Hohl- raum des Darmcanals Stoffe ausscheidet, deren chemische Wirkung die erforderlichen Veränderungen an den im Darmcanal belindlichen Nahrungsstoffen hervorbringt. Diese Aufbereitung der Nahrungs- stoffe nennt man „die Verdauung", den eigentlichen Vorgang des Uebergangs durch die Darmwand „die Resorption" der Nahrung. Die Verdauung wirkt durch vier verschiedene Mittel auf die Nahrung ein, erstens auf mechanischem Wege, durch Zerkleinern und Zer- mahlen und durch Fortführen und Vermischen des Darminhalts^ zweitens durch Auflösen in Wasser, drittens auf chemischem Wege durch Säuren, Alkalien und andere Reagentien, viertens durch Fermente. Die Lehre von der Verdauung kann danach eingetlieilt werden in Mechanik und Chemie der Verdauung. Die Thätigkeit der Verdauungsdrüsen. Die Absonderung der chemisch wirkenden Stoffe, der sogenannten Verdauungssäfte, beruht auf der Thätigkeit der Verdauungsdrüsen, die theils als. mikroskopisch kleine Gebilde in ungeheurer Zahl auf der ganzen Darmwand vertheilt sind, theils als besondere grössere Organe, Speicheldrüsen, Leber und Pankreas, dem Darm angelagert sind. Jede Drüse besteht aus einer Anhäufung von Zellen, die in der Regel in Röhren- oder Bläschenform um einen Hohlraum, den Ausführungsgang, angeordnet sind. Der Ausführungsgang mündet bei den kleinen Darradrüsen unmittelbar in die Darmhöhle, bei den- Crossen zusammengesetzten Drüsen schliessen sich die einzelnen Ausführungsgänge zu einer gemeinsamen Ausflussröhre zusammen. Die einzelnen Driisenzellen haben die Fähigkeit der Gewebsflüssig- keit oder den sie umgebenden Biutcapillaren Stofte zu entnehmen,^ und sie entweder unverändert oder in veränderter Form in den Ausführungsgang abzusondern, zu secerniren. Die in den Ver- dauungssäften wirksamen Stoffe entstehen also in den Drüsen durch die chemische Thätigkeit der Drüsenzellen. Es lässt sich durch eine Reihe von Thatsachen nachweisen, dass die Secretion eine ganz besondere Art der Lebensthätigkeit der Zellen darstellt, die^ sich von den bekannten physikalischen Vorgängen der Filtration, Difl'usion, oder Dialyse gelöster Substanzen durch poröse oder wassergetränkte Membranen untersclieidet. Durch Filtration be- wegt sich nämlich Flüssigkeil nur von Stellen höheren Druckes zu Stellen niedrigeren Druckes hin. Durch Diffusion und Dialyse gehen Sloffe immer nur aus stärker concentrirter Lösung in schwächere über. Die Secretion ist von diesen Bedingungen un- 158 Die Fermente. abhängig. Ebenso untersclieidet sich die chemisclie Thätigkeii der ü.uisenzeilcn in vielen der Fälle, in denen durcii die Drüsen neue Verbindungen erzeugt werden, von den bekannten chemischen Vor- gängen im Laboratorium. Denn es ist zwar mehrl'acl! gelungen, dieselben Stoffe, die in den Drüsen aus bestimmten im Blute ge- gebenen Stoffen aufgebaut werden, aus denselben Stoßen auch im Laboratorium durch künstliche Synthese herzustellen, aber die dazu verwendeten Mittel waren ganz andere, als die. die in den Zellen wirksam sein können, in denen weder hohe Temperaturen, noch starke Alkalien oder Säuren vorhanden sind. Endlich ist anzu- führen, dass die Thätigkeit der Drüsenzellen nachweislich unter dem Einfluss des Nervensystems steht. Man sieht ein und dieselbe Drüse verschiedene Secrete absondern, je nachdem ein oder ein anderer Nerv, der in der Drüse endet, gereizt wird. Man sieht ferner, dass die Drüsenzellen selbst ein ganz anderes mikrosko- pisches Bild darbieten. Je nachdem sie im thätigen oder unthätigen Zustande untersucht werden. In diesen Thatsachen liegt der stärkste Beweis, dass die Secretion ein Vorgang ist, der auf den Eigenschaften der lebenden Zellen beruht. Auf die letzterwähnten Punkte wird im zweiten Theile, wo von der Einwirkung der Nerven auf die Drüsen die Rede sein soll, ausführlicher zurückzu- kommen sein. Die Fermente. Von den rein chemischen Umsetzungen unter- scheiden sich die Wirkungen der sogenannten Fermente in mehreren Punkten, die schon wiederholt erwähnt worden sind. Während bei •der chemischen Umsetzung irgend ein Stoff sicii mit andern oder Bestandtheilen von andern in ganz bestimmtem Mengenverliältniss vereinigt, um einen neuen Stoff zu bilden, hat die Fermentwirkung die Eigenthümlichkeit, dass eine ganz kleine Menge des Ferment- stoffes genügt, in beliebigen sehr grossen ]\lcngen anderer Stoffe chemische Veränderungen hervorzurufen. Die oben mehrfach er- wähnte Gährung ist ein solcher Vorgang. Eine ganz geringe Menge Hefe in eine "sehr grosse Menge Zuckerliisung geworfen, iiewirkt die Spaltung in Kohlensäure und Alkohol. Die Gährung ist die am längsten bekannte Fermentwirkung, so dass in vielen Sprachen Fermentation schlechtweg Gährung bedeutet. Nun ist die Hefe, wie man unter dem Mikroskop erkennt, weiter niciits als eme An- häufung einzelliger Sprosspilze, die sich in den gälirungsfähigen Lösungen ansiedeln und durch Sprossung stark vermehren, ^^laii darf also das Mengenverliältniss des Fermentstoiles und der durcli ihn gespaltenen Stoffmengen nicht, einfach nach der Menge der zuerst hinzugefügten Hefe berechnen wollen. Aber auch wenn man die Vermehrung der Hefe in Rechnung bringt, hndet man. dass der Spaltungsvorgang von der Menge der Fermentsubstanz innerhall, weiter Grenzen unabhängig ist. Selbst bei starker Vermehrung der Hefe ist natürlich die Menge der eigentlich wirksamen termenl- substanz nur gering, denn man kann nicht annehmen, dass der c^anze Leib der Hefezelle ausschliesslich aus Ferment bestellt. Die Feiniente. 159 Cranz ähnlich wie bei der alkoholischen Gälining dos Zuckers mit Hefe verhält es sich bei der ebenfalls schon oben erwähnten \lilchsä«regährani>-. Hier ist es ein weit kleinerer Mikroorganismus, der Milchsäurebacillus, der den Spaltungsvorgang bewirkt. Die wenigen Keime, die aus dem Staube der Luft in etwa offen stehende Milch o-elangen. bewirken bei hinreichend hoher Temperatur eine M, schnelle Spaltung des Milchzuckers, dass bekanntlich bei warmem Wetter die Milch in beliebigen Mengen innerhalb weniger Stunden sauer wird. Das Missverhältniss zwischen der Gewichtsmenge des Fermentes und der des umgewandelten Milchzuckers ist hier noch viel deutlicher als bei der Befegährung. In diesen Beispielen hat man also zwei Fälle vor sich, in denen bestimmte Mikroorganismen in sehr geringer Menge eine ihnen eigenthümliche AVirkung auf be- liebige Men nach in zwei Theile theilt und daraus gewissermaassen zwei ^Mägen bildet, von denen nm- der eine, der Cardia und Pylorus umfasst. mit dem Darm in N'crbindung ist und daher wie ein unverletzter Magen der Ernährung des Thiercs dienen kann, während^ in dem anderen eine FistelölTnung angelegt wird. Dieser zweite Theil des Magens, der von dem E'rlindcr dieses Verfahrens, Pawlow. als Magensaft. 173 der .,kleine Magen" bczeiclinet wird, verhält sich dann, als ein 'rheil 'des ursprüngiichen Magens, genau so wie dieser und secernirl, also während der Fütterung normalen Magensaft. Da aber dei- kleine Älagen von dem eigentlichen Magen völlig getrennt ist, Iiiesst dieser Magensaft rein und ohne jede Beimischung aus der Fistel- öffnung. Eine einfachere Art, denselben Erfolg zu erzielen, besteht darin, bei einem Yersuchsthier eine Magenfistel anzulegen und dann, wie bei den oben erwähnten Versuchen über die Menge des Speichels, die Speiseröhre am Halse zu durclitrennen und mit dem oberen l-ndo in die Halswunde einzuheilen. AVird das Thier nun gefüttert, so fällt die Speise aus der Halswunde heraus. Es hat sich nun -gezeigt, dass eine solche ,,Scheinfütterung" auf die Magenthätigkeit i;anz so wie eine wirkliche Fütterung beim unversehrten Thier wirkt, das heisst, der jMagen secernirt während der Schein fütterung den- selben Saft, den er secerniren würde, wenn die Speisen in ihn hineingelangten. Da dies bei der Scheinfütterung nicht der Fall ist, bleibt auch der ^Magensaft rein und ist unvermischt aus der Fistel zu gewinnen. Die Untersuchungen, die mit Hülfe dieser neuen Methoden in Pawlow's Laboratorium ausgeführt worden sind, liaben die ganze Lehre von der Verdauung umgestaltet, insbesondere aber den Theil, der vom EinHuss des Nervensystems auf die Verdauung handelt. Es gellt aus ihnen hervor, dass die Menge und Zusammen- setzung des Magensaftes, ebenso wie die des Speichels, von der Art der dargereichten Nahrung abhängt. Man darf also streng genommen nur von dem Magensaft, der bei dieser oder jener Nahrung secernirt wird, reden, oder auch von einer mittleren oder durchschnittlichen Zusammensetzung des Magensaftes. Magensaft. Was zunächst die Menge des Saftes betrifft, so tiarf man nicht denken, weil es sich um das Secret der mikro- skopischen Schleimhautdrüsen handelt, wäre die Menge des Saftes nur gering. Vielmehr verschwindet die oben angeführte Menge des täglich abgesonderten Speichels, 800 g, gegenüber der Magen- secretion, die den Magen erfüllt und von grösseren Fistelhunden literweise gewonnen werden kann. Der reine Magensaft ist eine klare farblose Flüssigkeit von stark saurer Rcaction. die zu 97,5 pCt. aus Wasser besteht. Die 2.5 pCt. feste Stolle sind grösstentheils anorganische Salze, die denen des Blutserums entsprechen, und zwei Fermente, das Pep.sin und das Lab, deren Wirkung gleich besprochen werden soll. Die saui-e Reaction rührt von freier Salzsäure her, die im menschlichen .Magensaft bis 0,35 pCt., beim Hunde sogar das Doppelte betragen kaim. Die Salzsäure ist als einer der wichtigsten und jedenfalls als der merkwüi-digste Bestandtheil des Magensaftes anzusehen, denn an keiner anderen Stelle des Organismus kommt freie Mineral- säure vor, und es ist bekannt, dass im /Vllgemeinen Organismen und lebende Gewebe durch freie Salzsäure abgetödtet werden. Die Wirkung der Salz.säure muss mit der des Pepsins ge- 174 Pepsin. niciiisiuii Ijcsproclicii \VL'r(lcii, da weder die SaJüsäurc noeli das Pcpsiiirerment an sicli verdauend wirkt. Bei Gegenwart der Salzsäure hat das Pepsinferment die Fäliifi- keit Eiweissstofl'e, aucli wenn sie geronnen sind, in sogenannte Peptone zu verwandeln, nämlich in eine Art Eiweissstofl'e, die in Wasser vollkommen löslich sind, das heisst echte Lösungen bilden. Diese Verwandlung vollzieht sich ähnlicli wie die Umwandlung der .Stärke in Zucker, durch eine Reihe von üebergangsformen, die als Syntonin, Protalbumose, Deuteroalbumose u. a. unterschieden werden können. Die Peptone zeigen in einigen Punkten ihre Eigenschaft iils Ei Weissstoffe, beispielsweise geben sie die ßiuretreaction. Das wesentliche ünterscheidungsmerkraal ist die vollkommene Löslicli- keit, die sich erstens darin ausspricht, dass die Peptone dialysirbar sind, das heisst, d-ass ihre Lösungen durch Pergamentpapier oder thierische i\lerabranen dilTundiren, zweitens dadurch, dass sie auch durch Saizzusatz aus ihren Lösungen viel weniger leicht auszu- fällen sind als die unveränderten Eiweisskörper. Diese Eigenschaft benutzt man zur Darstellung der Peptone und auch des Pepsins selbst. Das Pepsin wird ausschliesslich von den im unteren Theile des Magens gelegenen Drüsen, den isogenannten Pylorusdrüsen abgesondert und ist also in der Schleimhaut dieses Theils des Magens enthalten. Wird diese Schleimhaut fein zerhackt und bei Gegenwart von verdünnter Salzsäure in der Wärme stehen gelassen, so entfaltet das in ihr enthaltene Pepsin seine Wirksamkeit, und verwandelt die in dem Schleimhautgewebe enthaltenen Eiweissstoffe in Peptone. Trägt man in den so entstandeneu Brei ein Salz, am besten Ammoniumsulfat, ein, so fallen alle noch vorhandenen unver- iinderten Eiweissstoffe und Albumosen aus. und es bleibt nur das ■entstandene Pepton in Lösung, sodass es abliltrirt werden kann. Das Pepsin als ein Fermentstoff verhält sich wie die Eiweiss- körper, bleibt also mit ihnen auf dem Filter zurück. Man setzt nun den Rückstand von Neuem mit Salzsäun; an und wiederholt isch- fressern ist gelbbraun, in dünnern Schichten hell goldgelb. Bei den Pllanzenfressern geht die Farbe von braun ins Grünliche über, beim Schaf ist die Galle rein grün. Beim Stehen an der Luit Die Gallenfarbstoffe. 191 wird die Farbe dunkler, bei der Galle der Pflanzenfresser dnnkel- v:vim. Diese Veränderung der Farbe beruht auf der Oxydation des Gallenfarbstolfs, ist also derselbe Vorgang, der der gleich zu er- wälinenden Gmclin'schen Farbenreaction zu Grunde liegt. Die Farbstoil'e und die sogenannten Gallensäuren, organische Säuren von coraplicirter Zusaramensetzung, kommen ausschliesslich in der Galle vor. Zusammen mit dem Cholesterin, einer fettähnlichen Substanz, und denjenigen anorganischen Salzen, die auch im Blut- plasma und den meisten anderen thierischen Flüssigkeiten vor- kommen, machen .sie 3 — 4 pCt. der frisch abgesonderten Galle des .Menschen aus, sodass in der Tagesmenge von etwa 600 — 1000 ccm. die ein ^lensch täglich absondert, etwa 20 — 30 g feste Stoffe enthalten sind. Ausserdem finden sich in der Galle noch eine Anzahl Stofl'e, die als Zersetzungsproducte des Eiweisses und anderer Körperbestand- theile anzusehen sind. Mensch Uund Rind Schwein In 100 Theilen Galle . Blasen- frische Blasen- frische Blascngalle galle Galle galle Galle Wasser 84,0 97,3 85,2 89,7 90,1 88.8 Feste Stoße 16,0 2,7 14,8 10,3 9,6 11,2 Gallensalze 8,7 1,0 12,6 8,6 7,3 Lecithin, Cholesterin, Fette, 1 8,0 2,4 0,3 1,3 0,9 2,2 Schleim und Farbstoff . . 4.4 0,6 0,3 0,2 0,3 0,6 0,5 0,8 0,6 0,6 1,3 1,1 Bei dieser Zusammensetzung der Galle entsteht die Frage, was für eine Bedeutung die Galle für die Verdauung haben kann, und ob sie überhaupt als Verdauungssaft betrachtet werden darf. Um diese Frage zu beantworten, müssen erst die Eigenschaften der be- rreff'enden Körper betrachtet werden. Die Gallenfarbstoffe. Die Gallenfarbstoffe sind in reinem Wasser unlöslich und werden in der Galle nur dadurch in Lösung gehalten, dass sie mit Alkalien verbunden sind. Mitunter kommen sie an Kalk gebunden vor und bilden dann zusammen mit einigen anderen Gallenbestandtheilen die sogenannten rothen Gallensteine. Aus diesen kann man die Farbstoffe nach Entfernung des bei- gemengten Cholesterins mit Aether und des Kalkes mit Salzsäure als amorphes Pulver gewinnen. Löst man dies mit Chloroform, so krystallisiren die Farbstoffe beim Verdunsten der Lösung aus. Uebrigens kann man auch aus frischer Galle, durch Schütteln mit Chloroform, den Gallenfarbstoff ausziehen, erhält aber dann nui- viel geringere Mengen. Stellt man so aus frischer Galle oder einem Gallenstein den Farbstoff dar, so erhält man Bilirubin, das der Galle die gelbbraune Färbung giebt. Lässt man die 192 Gallenfarbstoff. Lösimg an der Luft stehen, so geht damit dieselbe Umwandlung vor, wie in der Galle selbst, es findet Oxydation statt, durcii die sich der roth braune Farbstoff Bilirubin in den grünen Farb- stoff ßiliverdin verwandelt. Ausser diesen beiden Farbstoffen linden sich in den Gallensteinen eine Reiiie ähnliciier Körper, die als Bilifuscin, Biliprasin, Bilicyanin u. s. w. unterschieden werden. Die Reaction, durch die Gallenfarbstoffe, etwa im Harn, nacii- gewiesen werden, ist die Gmelin'sche Reaction auf Gallenfarbstoilc und beruht, wie oben erwähnt, auf den Farbenveränderungen, die durch Oxydation eintreten. Man giesst eine Probe der zu untersuchenden Lösung vorsichtig in ein Reagensgias, das etwa fingerbreit mit starker Salpetersäure, die etwas salpetrige Säure enthält, gefüllt ist. Die specifisch leichtere Lösung schichtet sich über der Säure, und es kann zuerst eine Wechselwirkung nur an der Berührungsfläche em- treten. Die unterste Scliicht der Lösung beginnt also sich zu oxydiren und färbt sich zunächst grün. Während nun die Oxydation weiter nach oben fortschreitet, geht in der untersten Schicht in Folge der immer stärkeren Oxydation eine weitere Veränderung der Farbe vor sich, die durch Blau, Violett, Roth endlich bis zu einer hellgelben Farbe führt, die der höchsten Oxydationsstufe des GaUenfarbstoffs entspricht. Inzwischen haben die höheren Schichten jede die der Stärke der Einwirkung entsprechende Farbe der obigen Reihenfolge angenommen. Diese verschiedene Färbung der über- einander liegenden Schichten ist das Kennzeichen der Galleiüarb- ^^°%anz dieselbe Reaction kann man von gewissen Umwandlungs- producten des Blutfarbstoffs erhalten. Auch die aus dem täglichen Leben bekannte Farbenänderung nach Blutaustritt ms Lnterhaut- gewebe bei Entstehung der sogenannten „blauen Flecke beruht auf den gleichen Vorgang wie die Gmelin'sche Reaction. Die Zusammensetzung von Krystallen aus Blutfarb.stoff, die man nach Blutergüssen im Körpergewebe findet, und die als Haematoidin- krvstalle" bezeichnet werden, ist dieselbe wie die des Büirubins. Aber es stimmen nicht bloss die Formeln und die chemischen Eigenschaften des Bilirubins und des Hämatoidins zusammen son- dern es lässt sich geradezu zeigen, dass thatsach ich in der Lebu aus Blutfarbstoff Gallenfarbstoff gemacht wird Wenn man namlicli Th eren reichliche Mengen Blutfarbstofflösung m die B^u bahn e^- spritzt so steigt die Menge des abgesonderten Gallenfarbstoff, an. ^ Die Gallensäuren. Die zweite Gruppe der der Galle eigen- thümlichen Stoffe bilden die Gallensäuren. Diese oder vielmel hre S^^^^^^^ kann man aus der Galle rein darstellen, indem man d^ e EVenschaft benutzt, in Alkohol löslich, in Aethcr unlos ich zu ..ein zSt man eingedampfte Galle mit AH-l-^ - f ^-- - gallensaurcn Salzen auch das Cho esterin ""f . , . \f ^h ^^^^^^^^^ Stoffe in Lösung. Entfärbt man die Hussigke t du.ch il"<^rkonit damDf ein und versetzt mit Aether, so fallen die gallensaurcn Sa ze au" erst in lorpher Form, die allmählich in krystallinische ubergeh,. Gallonsäuren. 193 Die reinen Gallensäuren verhalten sich ähnlich wie ihre Salze. Sie lassen sich unter Wasseraufnahme zerlegen in je eine stickstoft'- IVeie Säure und einen anderen stickstoffhaltigen Stoff. Da dieses Paar ungleicher Substanzen zusammen eine Säure bildet, nennt man diese eine „gepaarte" Säure und bezeichnet die Bestandtheile als „Paarlinge". Der eine stickstofffreie Paarling ist stets die Cholal- säure, der andere Paarling entweder Glycin oder Taurin. Je nach- dem Glycin oder Taurin mit der Cholalsäure gepaart ist, nennt man die betreffende Säure Glykocholsäure oder Taurocholsäure. Es ist also Glycin -|- Cholalsäure = Glykocholsäure, Taurin -j- Cholalsäure = Taurocholsäure. Nun hat man gefunden, dass nicht bei allen Thieren genau dieselbe Verbindung die Rolle der Cholalsäure spielt, und dass auch beim Menschen mehrere nahe verwandte Säuren nebeneinander vorhanden sind, und demnach giebt es auch genau genommen eine ganze Anzahl verschiedener gallensaurer Salze. Die Unterschiede sind aber so gering, dass sie die Eigenschaften der gallensauren Salze jiicht wesentlich beeinflussen, und man kann daher ohne grosse Ungenauigkeit die Cholalsäure als allgemeinen Bestandtheil der Gallensäuren bezeichnen. Die Cholalsäure und ebenso ihre ge- paarten Verbindungen und deren Salze sind an der Pettenko fer- schen Reaction zu erkennen, die darin besteht, dass ihre Lösungen, mit Rohrzuckerlösung und concentrirter Schwefelsäure versetzt, eine rothe Färbung geben. Dieselbe Reaction geben aber auch manche Eiweissstoffe, und die Probe muss daher, wenn sie ent- scheidend sein soll, durch spectroskopische Untersuchung ergänzt Averden. Die Taurocholsäure und Glykocholsäure linden sich bei verschiedenen Thieren in verschiedenen Mengen, ohne dass sich eine bestimmte Beziehung zur Ernährungsweise angeben liesse. Bei den l^leischfressern soll die Taurocholsäure vorherrschen, doch ist dies auch bei einigen Pflanzenfressern der Fall. In der Galle des Hundes findet sich ausschliesslich Taurocholsäure. Die Cholal- säure ist ihrer Constitution nach unbekannt, dagegen sind Glycin und Taurin, wie man schon aus ihrem Stickstoffgehalt ersehen kann, als Zersetzungsproducte des Eiweisses, und zwar als Aminosäuren anzusehen, das heisst als Säuren, in denen ein oder mehr Wasser- stoffatome durch die Araidgruppe NHa ersetzt ist. So ist das Glycin oder, wie es gewöhnlich genannt wird, das Glycocoll chemisch als Aminoessigsäure zu bezeichnen, es erhält die Constitutionsf'ormel NHa— CHa— COOH = C^tlBNOa. Seinen Namen Glycocoll hat es davon bekommen, dass es beim Kochen von Leim mit Schwefel- säure entsteht und süss schmeckt. Das Taurin enthält von den Elementen der Eiweisskörper neben dem Stickstoff auch noch den Schwefel, es ist als Aminoäthylsulfosäure NliaCHoCHaSOgOH = C2fl7NS03 bekannt. Die gallensauren Salze zeichnen sich durch eine beachtens- H. liu I! 0 i s-Il oy II) I) n <1 , Pliysiologio. lo 194 Cholesterin. wcrthe pliysikalisclie Eigenscluil't aus. llire Lösungen zeigen eine beträclitlicll niedrigere OberiUichenspannung als Wasser oder die meisten anderen Lösungen. Aus der einseitigen Anzielmng, der die an der Oberiläcbe von Flüssigkeitsraengen befindlichen Moleküle unterliegen, erklärt man das Bestreben aller Flüssigkeitsober- llächen, sich wie eine gespannte Membran stets auf das geringste unter den betreffenden Verhältnissen mögliche Maass zusammen- zuziehen, und einen dauernden Druck, den Oberilächendruck, in der Flüssigkeit zu unterhalten. Auf dieser Oberflächenspannung beruhen die Erscheinungen der Capillarität. Die Oberflächen- spannung einer Gallensalzlösung, selbst für Verdünnungen von 1 : 4000, ist nun beträchlich niedriger als die der meisten anderen Lösungen. Dies kann man nach Haycraft zu einer sehr an- schaulichen Probe auf die Gegenwart von Gallensalzen in einer Lösung, zum Beispiel in Harn, benutzen. Streut man feines Schwefel- pulver, ' sogenannte Schwefelblumen, auf AVasser oder auf normalen Harn, so bleibt das Pulver auf der Oberfläche liegen. Enthält aber die Flüssigkeit Gallensalze, so sinkt an einer Stelle der Oberfläche das Pulver ein, und alsbald folgt das übrige Pulver nach und fällt in gelbem Strom auf den Grund des Gefässes nieder. Dieser Versuch wirft Licht auf ältere, später als falsch erkannte Vorstellungen über die Bedeutung der Gallensalze für die Resorption der Fettstoffe, wovon weiter unten die Rede sein wird. Weitere Bestandtheile der Galle. Das Oholesterm, das in der Galle mitunter in reichlichen Mengen, bis zu 5 pOt., auftritt, ist in fast allen thierischen oder pflanzlichen Geweben sehr ver- breitet und wird als ein Abkömmling der Eiweissstoffe betrachtet, die ja in allen Geweben vorhanden sein müssen. Es ist in Wasser Fig. 29. Cliolesterinkrystalle. unlöslich, in Alkohol und in Aether löslich und kommt oft m tafel- förmigen Kristallen vor. Aehnlich wie Glycerin verbindet sich das Cholesterin mit Fettsäuren, und kommt in dieser Verlundmig im Hautfett mancher Thierc vor, zum Beispiel als das ^^oll^ett der Schafe, aus dem die bekannte Lanolinsalbe liergestellt wird. Neben dem Cholesterin findet sich auch Lecithin in der ball ^^7 Wirkung der Gallo. 195 ein ebenfalls in Organismen liäufig vorkommender Körper, der sicli (Inreli Phospliorgelialt auszeichnet. lindlicli die" anderen, oben erwähnten Stoffe, Harnstoff u. a. ni., die in der Galle und ebenfalls im Harn gefunden werden, sind schon dadurch als Zersetzungsproducte kenntlich, dass sie eben im Harn, einer Ausscheidung des Körpers, zu finden sind. Wirkung der Galle. Nach allem dem ist offenbar, dass in der Galle kein einziger Stoff vorhanden ist, der nicht als ein für den Stollwechsel werthloses Zersetzungsproduct anzusehen wäre. Jvs liegt also sehr nahe, die Galle überhaupt nicht als einen Ver- dauungssaft, sondern als eine Ausscheidungsllüssigkeit anzusehen, die nur in den Darm ergossen wird, um gemeinsam mit den un- brauchbaren Theilen der Nahrung im Kotlie ausgestossen zu werden. Dem stehen aber mehrere gewichtige Gründe entgegen. Es wäre schon sehr auffallend, dass eine nur zur Ausscheidung bestimmte Flüssigkeit unmittelbar linterhalb des Magens, grade in den An- fangstheil des Darmes, eingeführt würde, anstatt möglichst nahe am unteren Ende in den Mastdarm entleert zu werden. Man muss also annehmen, dass die Galle im Darm noch irgend einen Zweck zu erfüllen hat. Untersucht man die Wirkung der Galle auf die einzelnen Gruppen der Nahrungsstolfe ausserhalb des Körpers, so findet man, dass sie Eiweisskörper durchaus unverändert lässt, Kohlehydrate dagegen wie schwache Diastase, und Fette wie eine .schwache Lauge oder Seifenlösung beeinflusst. Verglichen mit der viel stärkeren Wirkung der anderen Verdauungssäfte sind aber diese Einflüsse der Galle viel zu unbedeutend, als dass man daraufhin die Galle als für die Verdauung förderlich erklären könnte. Unter- sucht man nun aber, wie die Verdauung im Thierkörper vor sich geht, wenn die Wirkung der Galle ausgeschlossen ist, so treten zwei wichtige Thatsaclien hervor. Wenn man einem Hunde eine Gallenfistel macht und alle Galle nach aussen ableitet, so ist an- fänglich die Secretion lebhaft, wird aber schon nach einigen Tagen schwächer. Dabei leckt das Thier, wenn es nicht daran gehindert ist. begierig die ausfliessende Galle auf, trotz ihres bekanntlich ekelhaft bitteren Geschmackes. Hieraus kann man schliessen, dass der Hund ein Bedürfniss nach Ersatz der ihm entzogenen Galle empfindet. Setzt man der Nahrung Galle oder die Gallenbestand- tlieile zu, so wird auch die Secretion wieder reichlich. Offenbar scheidet also das unversehrte Thier nicht alle Galle, die in den Darm ergo,ssen wird, aus, denn sonst würde zwischen den Be- dingungen des geschilderten Versuchs und denen des normalen Lebens kein Unterschied sein. Im Gegentheil muss im normalen Zu- stande des Thiercs ein grosser Theil der Gallenbestandtheile aus dem Darm wieder aufgenommen werden und zu neuerGallenbereitung dienen, ganz ebenso, wie es oben vom Wasser des Mundspeichels angegeben worden ist. Dies ist schon ein Zeichen, dass die Galle nicht als blosser Auswurfsstoff betrachtet werden kann. Entscheidend aber ist die zweite Beobachtung, die man an 13* 196 Wirkung der Galle. Tliicren mit Gallcnfistcl machen kann. Wenn keine Galle in den Darm ergossen wird, erscheint die Verdauung der Fettstoffe gestört. Es wird kaum die Hälfte der Fettmengen resorbirt, die unter normalen Bedingungen aufgenommen werden würden, und das über- schüssige Fett der Nahrung geht unverdaut in den Koth übei'. Die Galle ist also ein sehr wesentliches Förderungsmittel für die Fettverdauung, und muss demnach sogar als ein sehr wichtiger Verdauungssaft gelten. Die Frage, auf welche Weise die Galle diese Wirkung ausübt, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Man glaubte früher, dass die Gallensäuren die Eigenschaft hätten, poröse Körper für Fett durchdringlich zu machen, und stützte sicli auf Versuche an mit Gallenlösung befeuchteten Capillarröhren. Diese Versuche sind aber später als unzuverlässig erkannt worden. Die eben erwähnte Eigenschaft der Galle, auf Fette wie eine schwache Lauge oder Seife zu wirken, genügt nicht, um den grossen Unterschied in der Menge des resorbirten Fettes zu begründen. Ebensowenig kann die Angabe herangezogen werden, dass die Galle auf die Darmbewegungen anregend Avirke, denn Verminderung der Darmbewegungen kann nicht auf die Fettresorption allein hmdernd wirken. Auf die Wirkung der Galle als Verdauungssaft wird weiter unten noch näher einzugehen sein, wo von den chemischen Um- setzungen die Rede sein wird, die in dem Gemische der Verdauungs- säfte und der Nahrungsmittel im Darme vor sich gehen. Gelbsucht. Es mögen hier kurz noch die pathologischen Er- scheinungen erwähnt werden, die bei zufälligem oder künstlichem Ver- schluss der Gallenwege eintreten. Wie schon vom Gallenfarbstolf er- wähnt wurde, kann auch das Cholesterin leicht in Substanz aus der Gallenflüssigkeit ausscheiden und zur Bildung sogenannter Gallen,steine führen, die man nicht selten in der Gallenblase von Menschen und Thieren vorfindet. Solche Concremente können sich nun im Aus- führungsgang der Gallenblase einklemmen und ihn vorübergehend verschliessen. Es bestehen dann im Darm dieselben Bedingungen, wie sie oben für den Versuch mit Ableitung der Galle angegeben sind Da keine Galle in den Darm eintreten kann, wird die i^ett- verdauung herabgesetzt, und das unverdaute Fett erscheint un Koth Da gleichzeitig die Gallenfarbstoife im Darniinhalt Idilen, zeigt der Koth eine aschgraue oder gar weissliche Farbe. Dalur treten die GallenfarbstolTe, denen ihr normaler Abflussweg ver- schlossen ist, ins Blut über und färben einerseits alle Körpergewebe icelbgrünlich, andererseits gehen sie massenhaft in den Harn über, den sie dunkelbraun färben. Diese Erscheinungen, die Symptome der sogenannten Gelbsucht oder des I<;*'^7.'^' lieh wie ein eigens angestellter Versuch die A\ichtigkeit dei Galkn- abscheidung für den Körperliaushalt. Pankreassalt. 197 Darmverdauung. Pankreas. Absonderung des Pankreassaftes. So unbestimmt die ^Vit■kung■ der Galle auf die Verdauung nach den obigen Be- trachtungen erscheint, um so ausgesprochener ist die Wirkung des an derselben Stelle in den Darm eintretenden Pankreassaftes. Dieser enthjilt mehrere Fermente, die stark auf sämmtliche drei Gruppen von Nahrungsstoffen wirken und genügt dadurch an sich, um alle nachweislich für die Resorption der Nahrung erforderlichen liedingungcn herbeizuführen. Danach ist der Pankreassaft un- zweifelhaft als der wichtigste aller Verdauungssäfte anzusehen. Da das Pankreas einen Ausführungsgang hat, den Ductus Wirsungianus, kann man durch Einbinden einer Canüle bei er- öffneter Bauchhöhle den Saft gewinnen, doch ist der so erhaltene Saft mitunter unwirksam. Um über Verlauf und Menge der Secretion sichere Auskunft zu erhalten, muss man, ähnlich wie bei der Galle, eine Fistel anlegen, indem man entweder das Panki-eas selbst mit derjenigen Stelle, an der der Ductus Wirsungianus daraus hervortritt, oder das Stück der Dünndarmschleimhaut, das die Mündung des Ganges enthält, in die Bauchwand einheilt, so dass das Secret nach aussen abfliesst. Man beobachtet dann zunächst, dass die Secretion nicht wie bei der Galle eine fortwährende ist, sondern erst beginnt, wenn das Versuchsthier gefüttert wird. Dies gilt indessen nur für die Fleischfresser, denn bei den Pflanzenfressern, bei denen sich der Vorgang der Verdauung über viel grössere Zeiträume hinzieht, ist auch die Thätigkeit des Pankreas entsprechend verlängert, so dass sie zu einer dauernden wird. Wegen dieser Abhängigkeit der Secretion von der Nahrungsaufnahme lässt sich auch über die Menge des Saftes keine bestimmte Angabe machen. Man kann aber die durchschnittliche Menge nach den Mengen schätzen, die bei bestimmten Futterraengen abgesondert werden und findet, dass ein Hund bei mittleren Nahrungsmengen für jedes Kilogramm Körpergewicht in 24 Stunden gegen 20 ccra absondern muss. Nach älteren Angaben ist die Secretion beim Pferd und beim Rind ver- hältnissmässig geringer, da sie im Ganzen nur 200 — 300 ccm in der Stunde beträgt, und noch geringer beim Schwein, bei dem nur 12 — 15 ccm in der Stunde gewonnen wurden. Auch für den Menschen wird eine ziemlich niedrige Zahl, nämlich 150 — 200 ccm, als Tagesmenge angegeben. Zusammensetzung des Pankreassaftes. Der Pankreas- saft i.st wasserklar, zähflüssig und von deutlich alkalischer Reaction. Der Gehalt an festen Stoffen ist wechselnd, kann aber bei Fleisch- fressern bis über 10 pCt. betragen, während bei Pflanzenfressern der Pankreassaft viel dünner ist. Die Zähigkeit des Saftes kommt von Eiweissstoffen her, die beim Erhitzen ausfallen und die den grössten Theil der festen Stoffe ausmachen. Neben diesen echten Eiweissen finden sich geringe Mengen von Verbindungen, die als 198 Zusammensetzung des Pankreassaftes. aus Zersetzung von Eiweiss liervorgeliend bekannt sind, ferner Spuren von Seifen und Fetten und etwa 1 pCt. anorganisciior Salze. Unter diesen ist Natriumcarbonat hervorzuheben, das dem Pankreassaft eine alkalische Reaction giebt. Es kann bis zu 0,4 pCt. darin enthalten sein. Die wichtigsten Bestandtheile des Pankreassaftes, die Fermente, entziehen sich ' der chemischen Bestimmung und geben sich nur durch die Wirkung des Saftes zu erkennen. Hiernacli müssen wenigstens drei stark wirkende Fermentstoffe angenommen werden, die auf die drei Gruppen der Nahrungsstoft'e einwirken. Diese drei Fermente sind: 1. Die Pankreasdiastase, von der die Bezeichnung Bauch- speichel herrührt, weil sie ähnlich wie das Ptyalin des Speichels Stärke in Zucker umwandelt. 2. Das Trypsin, das, ähnlich wie das Pepsin des Magen- saftes, Eiweissstoffe in Peptone umwandelt. 3. Das fettspaltende Ferment, Steapsin, Pankreaslipase, das neutrales Fett in Glycerin und Fettsäuren zerlegt. Die Menge dieser Ferraentstoffe lässt sich wie gesagt nicht bestimmen, doch kann man aus dem Grade der Wirksamkeit des Pankreassaftes auf die verschiedenen Nahrungsstoffe sehen, dass sie stark wechselt, da mitunter eine oder die andere Wirkung über- haupt nicht nachzuweisen ist. Nach den neueren Untersuchungen von Pawlow ist die Menge der Fermente der Menge und Art der Nahrung in jedem einzelnen Fall genau angepasst. Hierauf wird in dem Abschnitt über die Einwirkung des Nervensystems auf die Verdauung zurückzukommen sein. Um die Wirkung der Pankreasfermente zu untersuchen, kann man sich statt des aus einer Fistel gewonnenen Bauchspeichels bequemer eines Auszuges aus der Drüse selbst bedienen. Hierl^ei zeio-t sich ebenso wie oben von der Magenschleimhaut angegeben worden ist, dass der Auszug aus der ganz frischen Druse sich unwirksam gegen Eiweisskörper und Fette erweist Man erklart dies durch die Annahme, dass die Fermente in der Druse noch nicht fertig vorgebildet, sondern erst als sogenannte Profermente enthalten sind, "die erst durch Berührung mit anderen Stollen, Jünasen", .,activirt" werden. Statt Trypsin soll demnach un Pankreas und in wirklich reinem Pankreassaft nur die A oTsiule Trypsinogen entlialten sein, die erst durch ein von den Darmdrusen abgesondertes Ferment „Enterokinase" in 1 rypsin verwände wird. Als Kinase für die Vorstufe des Steapsins wu-d die ^^^ J^^^ genommen, wodurch sich der oben besprochene^ Einlluss der Galk auf die Fettverdauung gut erklären lässt. Ob diese A»f l-:inzelnen zutreffen, dürfte noch als zweifelhaft erscheinen, siJu ist aber, dass die Fermente in Pankreasextracten wirk.samer sind, wenn die Drüse etwa 24 Stunden bei Zimmertemperatur gelegen hat, als wenn ganz frische Drüse verwende^ --'1'^" •«'i Als Extractionsflüssigkeit dient am besten Glycerin, Pankreasdiastase. Trypsin. 199 zurückliält, die sich sonst grade in dem alkalisch reagircnden Pankreasbrei besonders leicht einstellt und durch die dabei auf- tretenden Säuren die Fermente selbst schcädigt. Man muss deshalb auch, wenn man die Drüse mit AVasser extrahiren will, um die Fäulniss zu hindern. Stoffe wie Chloroform oder Thymol zusetzen, (ha Säuren oder Salze den Zweck des ganzen Verfahrens vereiteln würden. Pankreasdiastase. Die Pankreasdiastase ist als mit dem Ftyalin des Speichels identisch anzusehen. Im Allgemeinen wirkt der Pankreassaft zwar stärker als Speichel, doch kann dies einfach von der grösseren Menge des Fermentes herrühren. Das Ptyalin verwandelt die Polysacharide Stärke und Glykogen in Dextrin, Malzzucker und Traubenzucker. Das Dextrin ist nur eine Vorstufe weiterer Spaltung, die schliesslich Malzzucker und Traubenzucker ergiebt. Da indessen durch die Verdauung von Stärke mit Pankreas- saft als Endergebniss Traubenzucker entsteht, nimmt man noch be- sondere Hilfsfermente an, die den Malzzucker in Traubenzucker überführen und auch die Verwandlung des Milchzuckers in Trauben- zucker ermögliclien. Diese Spaltungsvorgänge werden im Darm durch die anderen gleichzeitig stattfindenden Vorgänge beeinflusst, die weiter unten in ihrem gemeinsamen Zusammenhang dargestellt werden sollen. Die Prüfung des Pankreassaftes oder des Auszuges auf das diastatische Ferment wird genau so angestellt wie die Untersuchung des Speichels auf Ptyalin. Man versetzt etwas Stärkekleister mit der ptyalinhaltigen Lösung, erwärmt und überzeugt sich dann durch die Jodreaction, dass die Stärke verschwunden ist, und durch die Trommer'sche Probe, dass Zucker gebildet worden ist. Das Trypsin. Das eiweisslösende Ferment des Pankreas- saftes, das Trypsin, unterscheidet sich dadurch sehr wesentlich vom Pepsin des Magensaftes, dass es eben in dem alkalisch reagirenden Pankreassaft, also ohne Mitwirkung freier Säure, die Eiweisskörper angreift. Auch ist die Spaltung, der die Eiweiss- köi-per unterliegen, nicht in beiden Fällen genau dieselbe, und man hat deshalb den durch die Einwirkung des Trypsins entstehenden Eiweisssubstanzen zum Unterschied von den Peptonen die Bezeich- nung Tryptone beigelegt. Im Ganzen sind aber die Eigenschaften der Tryptone und Peptone dieselben. Sie geben die Biuretreaction der Eiweisskörper, unterscheiden sich aber von den Eiweisskörpern dadurch, dass' sie echte Lösungen bilden, die hei der Dialyse mit tliierischer Membran oder Pergamentpapier die Membran zu durch- dringen vermögen. Man pflegt deshalb auch die Tryptone nur als eine Abart des Sammelbegriffs der Peptone zu betrachten und i)raucht das Wort Tryptone nur, wo die Entstehung durch Pankreas- ferment besonders hervorgehoben werden soll. Die Urnwandlung der Eiweis.skörper in Peptone vollzieht sich unter dem Einfluss des Trypsins ebenso wie bei der des Pepsins über eine Keihe von Vor- stufen, die als Albumosen bezeichnet werden. Die Albumosen 200 Trypsin. halten in ihren Eigenschaften die Mitte zwischen Eiweissstoffen und Peptonen. Ihr Haiiptunterschied gegenüber den Eiweisskörpern ist, dass sie in der Hitze niclit gerinnen. Die Lösungen der Eiweiss- körper dialysiren nicht, und lassen sich durch Aussalzen leicht lallen. Die Lösungen der Peptone dialysiren leicht, und sie sind durch Aussalzen nicht zu fällen. Es zeigt sich in dieser Reihen- folge die zunehmende Löslichkeit der Substanzen mit der weiter- gehenden Zerlegung des Eiweissmolecüls. Mit der Peptonisirung schliesst aber die Einwirkung des Trypsins nicht ab, sondern auch die Peptone w'erden weiter zerlegt, und es entstehen eine Reihe von Substanzen, die als Aminosäuren (oder Amidosäuren) und Diaminosäuren zusammengefasst werden. Diesen Stoffen kommt in der Physiologie eine doppelte Be- deutung zu. Erstens sind es dieselben Körper, die auch beim Abbau des Eiweisses innerhalb der Gewebe entstehen, und die deshalb als Bestandtheile der Gewebe, der Gewebsflüssigkeit, des Blutes und der Auswurfstoffe immer wieder unter den verschiedensten Bedin- gungen zu erwähnen sind. Zweitens aber bilden sie die natürlichen Gruppen derjenigen Atome, die im Gefüge des Eiweissmolecüls festeren Zusammenhang haben, und man hat schon mit Erfolg ver- sucht aus ihnen die einfacheren eiweissartigen Stoffe künstlich her- zustellen. Die Untersuchung der Eiweisszersetzung geht also über das Ziel, die Verdauungsvorgänge aufzuklären, weit hinaus, und dient vielmehr dazu, die Constitution der Eiweisskörper selbst ans Licht zu bringen. Die Eiweisskörper zerfallen bei langsamer Fäulniss in die- selben Körper, die bei der Trypsinverdauung entstehen, sodass sich beispielsweise an mangelhaft conservirtem anatomischen Material mitunter derselbe Stoff als schiramelähnlicher Niederschlag aus- scheidet, der hier als Endproduct der Trypsinverdauung zu nennen ist, nämlich das T}TOsin. Das Tyrosin ist seiner Constitution nach eine Phenyloxvaminopropionsäure CP.H4 — OH — CH, . CH(NH2) . COoH. Das Tyrcsin giebt Mi Hon 's Reaction und zeichnet sich dadurch aus. dass es in Wasser sehr schwer löslich ist, wie schon aus der obigen Bemerkung hervorgeht, dass es sich in fester Form niederschlägt. Weitere solche Körper, die bei der Trypsinverdauung entstehen, sind Leucin, Glutaminsäure, Asparaginsäure und andere mehr. Der Entstehung aller dieser Stoffe aus dem Eiweiss ist, wie allen Fermentwirkungen, die Aufnahme von Wasser gemeinsam, es sind also Hydratationen oder hydrolytische Umwandlungen der Ei- weisse und Peptone. Sie lässt sich ganz wie die Pepsinwrkung dadurch nachweisen, dass man in den Bauchspeichel oder tu den Pankrcasauszug einige Scheibchen gekochten Hühnereiwei.sses, oder einige Flocken von Fibringerinnsel wirft, und bei etwa 40° eme Zeit^ lang stehen lässt. Die Flüssigkeit wird dann von etwa übrig gebliebenem ungelösten Eiweiss durch Filtriron getrennt, und in ihr durch die Biuretreaction das entstandene Pepton nachgewiesen. Weder bei dem Versuch im Rcagensglas mit künsthcheni 1 ankrcas- Das lettspaltende Ferment. 201 extract noch bei der natürlichen Verdauung bleibt die Spaltung der Eiweisskörper auf dieser Stufe stehen, sondern es treten, unter den gewöhnlichen Bedingungen weitere Veränderungen ein, die als Fäulnisserscbcinungen zu betrachten sind. Von diesen wird bei der allgemeinen Betrachtung der Vorgänge im Darm weiter unten zu sprechen sein. Das fettspaltende Ferment. Das fettspaltende Ferment des Pankreas endlich, das Steapsin, kann insofern als das wichtigste bezeichnet werden, als das Trypsin und Ptyalin nur die Wirkungen des Speichels und Magensaftes zu ergänzen haben, während es nur ein Ferment im Verdauungscanal giebt, das auf Fett wirkt, nämlich rben das Steapsin. Die Fette sind, wie oben schon ausführlich besprochen worden ist, mit Wasser nicht mischbar, sie können also \on den wässerigen Verdauungsllüssigkeiten nur- durch ganz be- sondere Hülfsmittel angegriffen werden. Es können aber thatsäch- lich aus dem Darme eines Menschen oder eines grossen Hundes 100 — 200 g Fett in 24 Stunden in den Körper aufgenommen werden. Die Wirkung des im Pankreassaft enthaltenen Steapsins lässt sich nicht so augenscheinlich beweisen, wie die der anderen Fermente. Setzt man zu Milch oder zu einer Emulsion von neu- iralem Fett Pankreasextract, so kann man, nachdem das Ganze rinige Zeit in der Wärrae gestanden hat, durch Lakmuslösung oder auf andere Weise Säuerung nachweisen, die auf der Spaltung des Fettes in Glycerin und Fettsäuren beruht. Es wird zwar bei diesem Versuch immer nur sehr wenig Fett gespalten, schon die aller- geringste Spaltung genügt aber, um eine andere für die Resorbir- barkeit des Fettes möglicherweise sehr wesentlic]>e Erscheinung herbeizul'ühren, nämlich die Selbstemulgirung. Es ist oben schon von der künstlichen Emulgirung der Fette die Rede gewesen, die durch Schütteln wässriger Flüssigkeit mit Fett entsteht. Eine sehr feine Emulsion könnte wohl von den Epithelzellen der Darmschleim- liaut aufgenommen werden, zumal die Histologie lehrt, dass die freien Ränder dieser Zellen im mikroskopischen Bilde einen eigenthümlichen Saum aufweisen, dei- eine Reihe feiner Porencanäle zu enthalten scheint. Mit der Möglichkeit das Nahrungsfett in eine Fmulsion zu verwandeln, ist daher auch die Möglichkeit der Re- sorption gegeben. Im Allgemeinen muss zur Emulgirung eine recht beträchtliche Schüttelarbeit geleistet werden, und die Darm- bewegungen sind viel zu langsam, als dass ihnen eine solche Wir- kung zugeschrieben werden könnte. Es zeigt sich aber, dass unter gewissen Umständen auch ohne jede mechanische Vermengung eine sehr vollkommene Emulsion entstehen kann. Lässt man auf mit Natriumcarbonat ganz schwach alkalisch gemachtes Wasser einen Tropfen ranzigen Oeles fallen, so breitet er sicli im ersten Augen- blick kreisförmig aus. Im nächsten Augenblick aber wachsen aus dem Rande des runden Oeltropfens Fortsätze hervor, die immer länger werden, sich in Zweigarme tlieilen, die sich weiter verästeln, und schliesslich ringsum in ganz feine Tröpfchen zerfallen, die der 202 Wirkung des Pankrassaftes. Fliissiftkeitsobcrlläclic ein niilcliiiics Ariselien geben. Dieser aviiiicIi.t- schüiic Vcrsucli lindet seine Erliläning in dem Vorgang der Ver- seifung des Fettes, der oben schon besclirieben worden ist. Der Fetttropfen muss, damit der Versuch gelingt, ranzig sein, das heisst, er muss freie Fettsäure entlialten. AVo am Rande des Tropfens die Fettsäure mit der alkalischen Lösung in Berührung kommt, verbindet sie sicli mit ihm zu Seife. Auf der Seifenlüsung breitet sich der Fetttropfen leichter aus als auf der ursprünglichen Oberfläche, daher entstehen die ausgestreckten Arme, die dann immer neue Gelegenheiten zur Verbindung von Säure und Alkali geben. So erreicht unter günstigen Bedingungen der Vorgang erst ein Ende, wenn der Fetttropfen so fein vcrtheilt ist, dass alle freie Fett- säure hat verseift werden können. Wie man sieht, kann diese sogenannte Selbstemulgirung nur dann stattfinden, wenn ranziges Fett mit alkalischer Lösung zusammentrifft. Neutrales Fett verhält sich gegen alkalische Lösung völlig indifferent. Da nun aber der Pankreassaft durch sein Steapsinferment im Stande ist, auch von völlig neutralem Fett wenigstens einen kleinen Theil zu spalten, so stellt er diese Bedingung für die Selbstemul- girung her. Denn die freien Fettsäuren sind im Neutralfett lös- lich und durchdringen daher die ganze Fettmasse. Da zugleich der Pankreassaft alkalisch ist, reicht er allein hin, die Emulgirung herbeizuführen, und löst also die Aufgabe, neutrales Fett in resor- birbaren Zustand zu bringen. Die Frage, ob nun das Fett in diesem Zustande, nämlich als eine feine Emulsion von neutralem Fett, thatsächlich resorbirt wird, oder ob, wenn einmal die Emulgirung erfolgt ist und das Fett m (lestalt feinster Tröpfchen von allen Seiten der Einwirkung des Pankreassaftes und anderer im Darm vorhandenen Stoffe ausgesetzt ist, die Spaltung und Verseifung weiter geht, sodass das Fett als lösliche Seife resorbirt werden kann, muss vorläutig unentschieden bleiben. , . , , ... Wirkung des Pankreassaftes. Die obigen Angaben können weiter bestätigt werden, indem man die Störungen beobachtet, die eintreten, wenn der Pankreassaft gehindert ist in den Darm emzu- treten Es zeigt sich dann, dass die Fettverdauung bei i^leisch- fressern völlig stockt und alles Fett der Nahrung im Kotli erscheint Eine merkwürdige Au.snahme macht in dieser Beziehung das l^ett der Milch das vom Darm auch ohne Pankreassaft aufgenommen wird De'r Ausfall des Trvpsins und der Pankreasdiastase ist weniger merklich, weil Eiwbiss Ja auch im Magen verdaut und Stärke durch die Speichcldiastasc verzuckert wird. Obwohl Thiere. denen durch eine Pankrcaslistel der Baucli- spoichel entzogen wird, bei guter Ernährung lange Zeit leben können, sterben sie ausnahmslos im Laufe einiger Wochen, wenn das ganze Pankreas entfernt worden ist. Dies hängt aber nicht mit dem Einlluss des Pankreassaftes auf die Verdaung zu.sammen sondern es weist darauf hin. dass die Pankreasdrüse ausser der Bereitung Thiry'sohe Fistel. 203 des iiaiiclispcicliels noch andere x\ufgabcn im Körpcrluuislialt zu erfüllen hat. Es tritt näiulicli, wenn die ganze Drüse entfernt wird, eine Störung der Stoffwechselvorgänge ein, die sich darin äusserst, dass Zucker im Harn ausgeschieden wird. Dieser Zustand, der auch beim Menschen nicht selten als eine Krankheitsform, Zuckerharnruhr oder Diabetes, auftritt, führt unter allgemeiner Ent- kräftuns- zum Tode. Das Pankreas wird in dieser Beziehung weiter unten in dem Abschnitt über die Thätigkeit der Drüsen nochmals zu erwähnen sein. Darmverdauung. Darmsaft. Thiry'sohe Fistel. Der Darmsaft wird von unzähligen mikroskopischen Drüsen, den Lieberkühn'schen Drüsen, ab- gesondert, die über die ganze Fläche des Dünn- und Dickdarms vertheilt sind. Hierzu kommt noch das Secret der Bnmner'schen Drüsen, die sich nur im oberen Darmabschnitt finden und beim Menschen den Pylorusdrüsen des Magens entsprechen. Da der Darm stets von dem Gemenge der Nahrung und der aus dem Magen und den grossen Drüsen stammenden Verdauungssäfte erfüllt ist, muss man, um reinen Darmsaft zu erhalten, denselben Kunst- griff anwenden, den für den Magen Pawlow durch Herstellung des „kleinen Magens" ausgeführt hat. Am Darm ist diese Operation schon lange vorher von Ludwig angegeben worden, daher sie auch als Lud wig-Thiry 'sehe Fistelanlegung bekannt ist. Man nennt die Operation auch die Thiry -Vella'sche, weil Vella die ge- bräuchlichste Form der Operation angegeben hat. Sie besteht darin, dass aus dem Verlaufe des Darmrohres ein Stück ganz herausgeschnitten und mit einem oder beiden Enden in die Bauch- wand eingeheilt wird, so dass die Höhlung sich nach aussen öffnet. Ist nach Thiry nur ein Ende auf diese Weise nach aussen geführt, so muss das andere Ende unterbunden werden. Nach Vella werden beide Enden in die Hautwunde eingeheilt. Ausserdem muss der oberhalb gelegene Stumpf des Darmes mit dem unterhalb gelegenen durch eine sorgfältig ringsum geführte Naht so vereinigt werden, dass die Thätigkeit des Darmes ungestört fortdauern kann. Da (las ausgeschnittene Darrastück mit seinen Gefässen und Nerven im Zusammenhang bleibt, verhält es sich in Bezug auf die Ab- sonderungsthätigkeit wie normaler Darm, und man kann den ab- gesonderten Saft daraus frei von der Beimischung des übrigen Darminhaltes gewinnen, oder auch in der Höhlung des Darmstückes \'erdauungsversuche anstellen. Aehnliche Bedingungen entstehen unter Umständen auch am Darm des .Menschen und können zu Beobachtungen über die Darm- absonderung benutzt werden. So ist ein Fall mit zwei Darmfisteln beschrieben worden, bei dem sich der Darminhalt ausschliesslich durch die obere Fistel entleerte, so dass das zwischen beiden 204 Damsaft. Fisteln gelegene Darmstück sich wie ein nach Vella operirtes Darrastück verhielt. Der Darmsaft. Auf diese Weise lässt sich über die Zu- sammensetzung und Wirkung des Darrasai'tes Folgendes feststellen: Die Menge des Darrasaftes ist verschieden, weil die Absonderung, ähnlich wie die des Pankreas, von der Nahrungsaufnahme abhängig ist. In den unteren Abschnitten des Darms soll ein etwas reich- licherer dünnilüssiger Saft, in den oberen ein dickerer Saft erzeugt werden. Beim Menschen hat man an einem etwa 10 cm langen Darmstück die durchsclmittliche Saftmenge für 24 Stunden zu 27 ccm gefunden. Bei der Länge des Dünndarms von etwa 6 ra würde dies einer Gesammtabsonderung von gegen IY2 1 am Tage entsprechen. Der Darmsaft enthält nur wenig feste Stoffe, nämlich etwa 2Y2 pCt., wovon ein Theil, wie beim Pankreassaft, in der Hitze gerinnendes Albumin, ein grosser Theil Mucin, der Rest anorganisches Salz ist. Neben Kochsalz ist unter den Salzen Natriumcarbonat zu 0,4 pCt. vertreten, wodurch der Darmsafi alkalische Reaction erhält. Ferner sollen eine Reihe von Fermenten im Darmsaft nachzuweisen sein, von denen jedoch nur ein Zucker invertirendes Ferment erwähnt werden mag. Wirkung des Darmsaftes. Es ist oben bei der all- gemeinen Betrachtung der Nahrungsstoffe angegeben worden, dass der Rohrzucker als solcher sich wesentlich von den anderen Zuckerarten unterscheidet, und erst durch die sogenannte Inversion in Monosacharide zerlegt Avird. Es ist ferner hervorgehoben worden, dass als Endergebniss der Verdauung von Kohlehydraten Trauben- zucker in dem Verdauungsgemisch erscheint; es ist aber in keinem der Verdauungssäfte, ausser dem Darmsaft, ein invertirendes Fernient vorhanden, das aus Rohrzucker Traubenzucker abspaltet. Diese invertirende Wirkung des Darmsaftes dürfte aber, wie alsbald ersichtlich werden wird, für die Verdauung leicht zu entbehren sein. Gegenüber Fetten und Eiweissstoffen ist der Darmsaft ganz unwirksam. Seine Bedeutung muss also hauptsächlich darin gesehen werden, dass er eine reichliche Menge Alkali und Mucin dem Darm- inhalt zuführt. Die Gegenwart von Alkali ist, wie oben angegeben, eine Vorbedingung für die Emulgirung des Fettes durch den Pankreas- saft und ist auch wohl dadurch nützlich, dass sie die Säure des Magensaftes und die bei der Zersetzung der Nahrung auftretenden .Säuren neutralisirt. Das Mucin verleiht dem Darminhalt und der Darmwand die Schlüpfrigkeit, die für die mechanische Fortführung des Darrainhalts durch die Darmbewegungen erforderlich ist. Die mechanische Thätigkeit des Darmes. Bewegungsweise des Dünndarms. Die mechanische Thätig- keit des Diinndarms wird von der des Magens beherrscht, da dieser immer nur so viel von seinem Inhalt in den Darm übertreten lassl. als auf dem Wege bis zum Dickdarm vollständig ausgenutzt werden Darmbewegung. 205 kann. Wenigstens gilt dies von den Verhältnissen beim Menschen und beim Fleischfresser, bei denen der Dünndcarm nie voll gefunden wird. Bei den Pflanzenfressern, die nicht Wiederkäuer sind^^und nur einen verhältnissmässig kleinen Magen haben, muss ein Thcil der Nahrung schnell in den Dünndarm übergehen, damit eine aus- reichende Stoffmenge in den Magen aufgenommen werden kann, und der Dünndarm kann sich also zeitweilig anfüllen. Beim Fleischfresser findet man dagegen die Wände des Dünndarms stets schlaff aneinandergelegt, und im Innern nur einen zähen, gallig gefärbten Belag. Daher hat auch dieser Theil des Darmes den Namen Jejunum, Leerdarm. Die ganz geringe Menge Inhalt, die sich an jeder einzelnen Stelle findet, stellt natürlich im Ganzen eine im Verhältniss zum Rauminlialt des Magens doch ganz bedeutende Flüssigkeitsraasse dar. Offenbar aber wird die BewegungSAveise des Dünndarminhalts, der aus etwas schleimiger zäher Flüssigkeit besteht, anschaulicher mit dem Ausdruck beschrieben, dass er durch die Darmbewegimgen im Darm ausgebreitet und vertheilt wird, als dass man von Fortschieben oder gar Fortdrücken spricht. Die peristaltischen Bewegungen, die man an den blossgelegten Därmen wahrnimmt, gleichen eher einem sanften Ausstreichen des Inhalts als einem Ausdrücken oder Auspressen. Die Bewegung besteht jedenfalls in einer Zusaramenziehung der Ringmusculatur, die meist sehr langsam, mitunter aber auch ziemlich schnell, bis zu etwa Y2 der Secunde, fortrückt. Die Bewegung ist lebhafter, wenn der Darm nicht ganz leer ist. Insbesondere die Gasblasen, die gewöhnlich reichlich im Darm vorhanden sind, und wo sie sich sammeln, einzelne Stellen ziemlich stark auftreiben können, scheinen die Bewegung anzuregen. Untersucht man die Bewegungen genauer, indem man eine 'lummiblase in den Darm einführt und mit einer Marey'scheu Sclireibkapsel verbindet, die die Verengerung des Darmes auf- schreibt, so findet man, dass etwa 10 bis 20 Mal in der Minute in gleichförmigem Rhythmus Zusammenziehungen stattfinden. Diese Verengerungen schreiten nicht fort, oder wenigstens nicht regel- mässig, und bringen daher bei flüssigem Inhalt nur ein Hin- und Herschwanken der Flüssigkeit hervor, wovon sie die Bezeichnung „Pendelbewegungen" erhalten haben. IBeobachtet mandie Bewegung irgend eines im Darm beweglichen Körpers, so sieht man ihn unter dem Einfluss dieser Pendelbewegung bald nach dem Magen zu hinauf-, bald nach dem Dickdarm zu hinabschwanken. Stellenweise kann dadurch Darminhalt über beträchtliche Strecken des Darms lückläufig hinaufgetrieben werden. Im Allgemeinen ist aber die Bewegung abwärts die vorherrschende, weil ausser der Pendel- bewegung noch echte peristaltische Bewegung vorhanden ist. Diese geht immer nur in der Richtung von oben nach unten, sodass, wenn ein Stück des Darmes ausgeschnitten und verkehrt wieder eingeheilt wird, an der oberen Vereinigungsstelle unfehlbar eine tödtliclie Stauung eintritt. Dieser Versuch beweist zugleich, dass die cigent- 206 Bewegung des Dickdarms. liclie Fortbewegung des Darminlialts von der peristaltisclien . . wegiing abluingt. Die peristaltische Bewegung ist es, die man bei der Beobachtung des blossgelegten Darmes mit blossem Auge zu- nächst wahrnimmt, und die bei lebhafterer Bewegung sogar ein IJebcreinandcrkriechen der Darmschüngen verursacht. Die Ge- schwindigkeit der peristaltischen Einschnürungswelle ist für die (Geschwindigkeit des Inhalts nicht maassgebend, vielmehr ijleibt der Inhalt hinter dem Antrieb zurück und wird erst durch immer wiederholtes Darüberhinstreichen der AVelle ganz langsam forl- bewegt. Ausser diesen Bewegungen werden noch andauernde Zu- sammenziehungen längerer oder kürzerer Darmstrecken beobachtet, sosmotisd e Lo- sungen Verglichen mit irgend einer gegebenen Losung nennt man andere Lösungen, je nachdem sie höheren, gleichen oder geringeren osmotlsS Druck aufweisen, hypertonische, isotomsche oder hypo- "ös'rd^ osmotischen Druckes. Die Grösse des osmo- tischen Druckes einer Lösung lässt -^^.^V' '^^r'^" ehf d s" rechnen, wenn man von dem oben angeführten Satz ausgeht, dass Grösse des osmotischen Druckes. 229 der osniotisclic Druck gleich ist dem Druck, den die gelöste Stoff- raenge in Gasform in" dem gleichen Raum ausüben würde. Es handle sich zum Beispiel um einprocentige Zuckerlösung. Zucker kann zwar nicht in Gasform gebracht werden, weil er sicii in der Hitze zersetzt, dies hindert aber nicht, dass man zum Zweck der Rechnung annimmt, der Zucker könne gasförmig sein. Das Zucker- gas würde natürlich denselben Gesetzen folgen wie alle anderen Gase. Alle Gase enthalten bei gleichem Druck und gleicher Tem- peratur in gleichem Raum gleichviel Moleküle. Das Gewicht gleicher Rauiuniengen verschiedener Gase unter gleichen Bedin- gungen ist also proportional dem Molekulargewicht. Hierauf be- rulit die Bestimmung des Molekulargewichts aus der Dampfdichte. Folglich rauss auch der Raum, den gleiche Gewichtsmengen ver- schiedener Gase einnehmen, dem Molekulargewicht umgekehrt pro- portional sein, oder was da.sselbe ist: der Raum, den dem Mole- kulargewicht proportionale Mengen verschiedener Gase einnehmen, ist für alle Gase derselbe. Bei 0° und Atmosphärendruck nimmt 1 g Sauerstoifgas rund 700 ccm Raum ein. Ein Grammmolekül =• 32 g braucht also 32. 700, das ist rund 22 000 ccm. 1 g Zuckergas nimmt, da 32 das Moleculargewicht des Zuckers 324 ist, nur 700 . -^j^ ccm ein, da aber ein Grammniolekül Zucker 342 g sind, ist der Raum, den ein Grammmolekül Zucker einnimmt, wiederum gerade 32 . 700, das ist rund 22 000 ccm oder 22 1. Eine Zuckerlösung, die ein Grammmolekül auf den Liter ent- hält, soll nun den gleichen osmotischen Druck aufweisen, den der gelöste Zucker in Gasform in demselben Raum entwickeln würde. Da die gelöste Zuckermenge von 342 g in Gasform bei einer Atmosphäre Druck 22 1 einnimmt, bedarf es, um sie auf den Raum von 1 1 zusammenzubringen, des Druckes von 22 Atmosphären. Die Zuckerlösung von 1 Mol. auf den Liter übt also einen osmo- tischen Druck von 22 Atmosphären aus. Da äquimolekularen Lösungen verschiedener Stoffe gleicher osmotischer Druck zukommt, haben alle Lösungen, die ein Gramm- molekül des gelösten Stoffes auf den Liter enthalten, den gleichen osmotischen Druck von rund 22 Atmosphären. In der einprocentigen Zuckerlösung sind statt 342 g Zucker in dem Liter nur 10 pCt. Zucker enthalten. Deshalb entspricht ihr osmotischer Druck auch nur dem Druck von 10 g auf 1 1 zusamraengepressten Zuckergases. Diese würden bei Atmosphären- druck nur der 22 1 einnehmen, die das Grammmolekül von 342 g einnehmen würde, und entwickeln daher, wenn sie auf 1 1 zusammengedrängt sind, auch nur einen Druck von — der 34,2 22 Atmosphären, die für das Grammmolekül gefunden worden sind. 230 Gefrierpunktsei n iedrigung. J_ von 22 Atmosphären sind aber rund 0,65 Atmosphären, und 34,2 dies ist der gesuchte osmotische Druck einer einprocentigen Zucker- lösung. Durch unmittelbare Messung vermittelst einer halbdurchlässigen Membran, die durch Ferrocyankupferniederschlag in einer Thonzelle hergestellt Avar, ist der osmotische Druck einer einprocentigen Zuckerlösung bei 7" zu 0,664 Atmosphären gefunden worden. Bestimmung der molekularen Concentration aus der Gefrierpunktserniedrigung. Um die Grösse des osmotisciien Druckes einer Lösung auf obige Weise ableiten zu können, muss man die Stärke der Lösung in Grammmolekülen angeben können. Will man aber von einer beliebigen Lösung von unbekannter Stärke den osmotischen Druck ermitteln, so ergeben sich aus dem bisher Gesagten zwei Verfahren: Man könnte den Druck unmittelbar mit einer lialbdurchlässigen Membran zu messen versuchen, und man könnte erst die Menge der gelösten Stoffe bestimmen und daraus den Druck berechnen. Das erste Verfahren ist, wie oben schon angegeben wurde, so schwierig, dass es überhaupt erst in wenigen Fällen hat durchgeführt werden können. Das zweite Verfahren ist ebenfalls sehr umständlich und in manchen Fällen, wenn es sich zuiT) Beispiel um leicht zerstörbare Verbindungen handelt, über- haupt nicht anwendbar. Es giebt aber noch eine weitere verhältniss- mässig sehr bequeme und sichere Art, die sogenannte „molekulare Concentration" einer Lösung, das heisst, ihre Stärke m Gramm- molekülen zu bestimmen. Es ist bekannt, dass, im Gegensatz zu reinem Wasser, solches Wasser, in dem andere Stoffe gelost ent- halten sind, erst bei Temperaturen über 100° siedet und erst bei Temperaturen unter 0" gefriert. Man dräckt dies aus, indem man von der Siedepunktserhöhung und der Gefrierpunktserniedrigung einer Lösung spricht. Die Grösse des Unterschiedes gegenüber reinem Wasser ist, wie der osmotische Druck, der Zahl der ge- lösten Moleküle proportional. Aequiraolekulare Lösungen beliebiger Stoffe haben also gleiche Siedepunktserhöhung und Gefrierpunkts- eraiedrigung. Für alle wässerigen Lösungen, die ein Grammmoickul gelösten Stoffes auf 100 ccm enthalten, beträgt die Siedepunkts- erhöhung 5,2 0. die Gefrierpunktserniedrigung 18,7°. Die Geirier- punktserniedrigung ist im Allgemeinen leichter und sicherer zu bestimmen als die Siedepunktserhöhung, und man pflegt deshalb zur Ermittlung der Concentration in der Regel die Gefrierpunkls- erniedrigung zu beobachten. Fände man nun beispielsweise in irgend einer Lösung eine Gefrierpunktserniedrigung von 18 < , so wüsste man, dass sie 1 Molekül gelöste Substanz auf 100 ctm enthielte, oder wenigstens einer solchen Lö.sung isosmotiscli wäre, [st die Gefrierpunktserniedrigung kleiner, so kann die Losung nur den entsprechenden Bruchtheil eines Gnnmmmolcknls auf 100 tun enthalten Auf diese Weise eriiält man durch die Gefrierpunkts- Dissociation in Lösungen. 231 bestimmung Aiifschluss über die molekulare Concentration von Lösungen und damit auch über deren osmotischen Druck. Es ist klar, dass die angeführten allgemeinen Gesetze über den osmotischen Druck von Lösungen die Grundgesetze sind, die auch die freie Diffusion von gelösten Stoffen beherrschen, aber erst durch die Anwendung der halbdurchlässigen Membranen zur Anschauung gebracht werden können. Um nach diesen allgemeinen Gesetzen die Vorgänge im thierischen Körper prüfen zu können, müssen aber noch eine Anzahl besonderer Bedingungen berück- sichtigt werden, die in sehr vielen Fällen Abweichungen von den allgemeinen Sätzen hervorrufen. Dissociation in Lösungen. Alle die über die Beziehung zwischen osmotischem Druck und Molekularconcentration im Obigen angeführten Sätze gelten nur für solche Stoffe, deren Moleküle in der Lösung als solche bestehen bleiben. Nun hat sich aber ge- funden, dass sehr viele Stoffe, insbesondere alle diejenigen Salze, deren Lösungen elektrische Leiter sind, die sogenannten Elektrolyte, in ihren Lösvmgen einen höheren osmotischen Druck, eine grössere Siedepunktserhöhung und eine grössere Gefrierpunktserniedrigung zeigen, als nach ihrer molekularen Concentration anzunehmen wäre. Man führt dies darauf zurück, dass diese Stoffe in ihren Lösungen nicht als Moleküle enthalten sind, sondern dass ihre Moleküle zum Theil in kleinere Stofftheilchen, Ionen, zerfallen sind. Demnach wären in der Lösung eines Elektrolyten von bestimmter molekularer Concentration, etwa von 1 Molekül auf den Liter, eine Anzahl ganzer Moleküle und daneben eine Anzahl Moleküle enthalten, deren jedes sich in zwei Ionen gespalten hat. Die Ionen verhalten sich nun in Bezug auf den osmotischen Druck wie ganze Moleküle, und in Folge dessen muss der osmotische Druck in der Lösung eines Elektrolyten höher sein als in einer anderen Lösung, die die gleiche Zahl "Moleküle ohne Spaltung enthält. Der Unterschied zwischen dem aus der molekularen Concentration berechneten und dem in der Lösung von Elektrolyten wirklich vorhandenen osmotischen Druck muss natürlich um so grösser sein, ein je grösserer Theil der Moleküle in Ionen zerlegt ist. Der Zerfall in Ionen betrifit einen um so grösseren Bruchtheil der Moleküle, je schwächer die Lösung ist. Bei stark verdünnten Lösungen von Elektrolyten, die nur etwa Vioo Molekül im Liter enthalten, darf man annehmen, dass alle Moleküle in Ionen zerlegt sind, und der osmotische Druck solcher Lösungen erreicht das Doppelte von dem, der nacli ihrer molekularen Concentration zu erwarten wäre. Die Lehre von der Spaltung oder Dissociation der Salzmolcküle in ihre Ionen wird bestätigt durch die Uebereinslimmung, die man zwischen dem osmotischen Verhalten der Elektrolyte und ihrer Leitungsfähigkeit für den elektrischen Strom gefunden' hat. Die Leitung des elektrischen Stromes durch Salzlösungen, die übrigens mit sichtbarer Zersetzung einhergeht, wird nämlich darauf zurückgeführt, dass die mit Elcktricität beladenen Ionen ihre 232 Verhalten der CoUoide. Dialyse. Ladung von einem Pol auf den anderen übertragen. Mithin rauss zwischen der Zahl der freien Ionen und der Leitfähigkeit Proportionalität bestehen, die es gestattet, den Dissociationsgrad der Lösung aiicli durch Ermittlung der Leitfäiiigkeit zu bestimmen. Um von dem Dissociationsgrade, der in Lösungen von massiger Stärke besteht, eine Anschauung zu geben, seien hier noch einige Zahlenwerthe angegeben: In Lösungen, die den zehnten Theil eines Gramm moleküls auf den Liter enthalten, sind von je 100 Molekülen in Ionen zerlegt: NaCl 84, KCl 86, NagSO^ 69, MaSÖ^ 45, CuSO^ 39. Verhalten der CoUoide. Dialyse. Ausser den Elektrolyten verhalten sich auch diejenigen Stoffe in Bezug auf die Osmose un- regelmässig, die als CoUoide bezeichnet werden, also diejenigen Stoffe, die sogenannte unechte Lösungen bilden. Diese diffundiren schon bei freier Berührung mit Wasser äusserst langsam und un- endlich langsam, wenn sie vom Wasser durch Membranen, wie Schweinsblase oder Pergamentpapier getrennt sind. Schweinsblase oder Pergaraentpapier bilden also für unechte Lösungen schon serai- permeabie Membranen. Da sie aber für krystalloide Stoffe, bei- spielsweise Salze, durchlässig sind, kann man sie benutzen, um CoUoide von Salzen freizumachen. Dies ist die oben mehrfach er- wähnte Dialyse, die darin besteht, dass man ein Gemenge von ge- lösten krystalloiden Stoffen und unecht gelösten CoUoiden in einen Pergamentschlauch füllt, der von fliessendem Wasser umspült wird. Die krystaUoiden Stoffe diffundiren durch die Wand des Schlauches in das Wasser und werden fortgespült, während die coUoiden Stoffe in dem Schlauch zurückbleiben. Die thierischen coUoiden Stoffe, wie Stärkekleister, Leim, Mucin, Eiweiss und andere, haben meist eine sehr verwickelte Zusammensetzung und dementsprechend ein sehr hohes Molekulargewicht. Aus dem obigen Beispiel für die Berechnung der Höhe des osmotischen Druckes geht hervor, dass der osmotische Druck von Lösungen von gleichem Gewichtsgehalt um so niedriger sein muss, je höher das Molekulargewicht. Man findet denn auch, dass der osmotische Druck von coUoiden Lösungen sehr gering ist. Da aber das Molekulargewicht der betreffenden Verbindungen sich noch nicht mit Sicherheit hat feststeUen lassen, lässt sich nicht mit Sicherheit angeben, ob ihr osmotischer Druck dem Gesetze entspricht oder nicht. Quellung und Imbibition. Die Eigenschaft der CoUoide unechte Lösungen zu bilden lässt sich mit einer weiteren Erschei- nung an diesen Stoffen in Verbindung bringen, die jedenfalls im Organismus eine wichtige Rolle spielt und auch zur Erklärung der osmotischen Eigenschaften semipermeabler Membranen herangezogen werden kann. Eine unechte Lösung ist eine Lösung, in der der gelöste Stoff nicht vöüig flüssig wird, sondern die Lösungsflussig- keit zäh, fadenzieliend und dick macht. Ist von dem ge osten Stoff sehr viel, vom Lösungsmittel sehr wenig vorhanden, so ^behalt die Lösung fast ganz die Eigenschaften des bclrcffendcMi Stoffes, und der Vorgang der Lösung lässt sich am besten beschreiben, in- Qaellung und Imbibition. 233 dem man sagt, der Stoff habe Wasser aufgenommen. Es ist ja im Grunde genommen dasselbe, ob man eine Kochsalzlösung als Lösung von Salz in Wasser oder als Lösung von Wasser in Salz auffasst. Hat man es mit einem Stoff wie Eiweiss zu thun, das unechte Lösungen bildet, so liegt es schon näher, die Lösung als eine Lösung von Wasser in Eiweiss aufzufassen. Handelt es sich aber etwa um geronnenes Eiweiss, das sich in Wasser ganz unlös- lich zeigt, so ist der Vorgang, dass das Eiweiss Wasser aufnimmt, . am allereinfachsten als eine Lösung von Wasser in Eiweiss zu beschreiben. Dieser Vorgang liegt der Erscheinung zu Grunde, die man als „Quellung" unlöslicher Stoffe in Wasser bezeichnet, und der als solcher schon mehrfach erwähnt worden ist. Wie schon das Wort „Quellung" andeutet, hat man früher nur beachtet, dass der quellende Stoff Wasser aufnahm und dadurch an Volum zunahm. Fände thatsächlich nur ein Eindringen von Wasser in den quellenden Stoff statt, ohne dass das Wasser zu dem Stoff selbst in irgend welche neue cheraisclie oder physikalische Beziehungen träte, so wäre damit der Vorgang auch ausreichend bezeichnet, und es läge kein Grund vor, ihn von der Durchtränkung beliebiger poröser Körper mit Wasser zu unterscheiden. Thatsächlich ist aber zwischen der Quellung und der Durchtränkung oder Imbibition, genauer „Capillarimbibition", ein sehr grosser Unterschied. Die Lb- bibition ist im Wesentlichen auf capillare Anziehung des Wassers in die feinen Hohlräume poröser Stoffe zurückzuführen. So saugt sich trockener Sand oder unglasirter Thon, oder ßimstein, oder auch ein Haufen aufeinander geschichteter Deckgläschen voll Wasser, und kann dabei sogar beträchtlich aufschwellen. Bei der Imbibition von organischem Material, wie Holz, Fliesspapier, Badeschwamm, dürfte dagegen neben der reinen Imbibition auch eigentliche Quellung mitwirken. Das Aufsaugen von Wasser durch Sand, wobei jede chemische Einwirkung des festen Stoffes auf die Flüssigkeit ausge- schlossen ist, ist ein Beispiel der reinen Capillarimbibition. Das Wasser tritt hier nur infolge der Capillaranziehung mit verhält- nissmässig sehr geringer Kraft in die feinen Räume zwischen den Sandkörnchen ein. Ganz anders verhält sich das Wasser gegenüber quellungsfähigen Stoffen, wie pflanzliche und thierische Gewebe und deren Bestandtheile, Leim, Eiweiss, und andere mehr. Hier geht das Wasser beim Eintritt in den festen oder festweichen Stoff in einen anderen Zustand über, es löst sich in dem betreffenden Stofl'. Dies giebt sich dadurch zu erkennen, dass bei der Quellung eine Volumverminderung, eine sogenannte Lösungscontraction, statt- findet. Der gequollene Körper ist zwar viel grösser als er vor der Quellung war, aber nicht so gross, als er und die in ihn einge- tretene Gewichtsmenge Wasser vor der Quellung waren. Füllt man in eine Flasche mit engem Halse Wasser und wirft trockene Stücken gekochten Eiweisses hinein bis der Wasserstand eine be- stimmte Marke am Flaschenhals erreiclit hat, so findet man, dass nach der Quellung des Eiweisses der Wasserspiegel tiefer steht als 234 Quellnng und Irnbibilion. vorher. Es ist also nicht bloss Wasser in das Eiweiss über- gegangen, sondern das Wasser und das Eiweiss haben die Form einer Lösung angenommen, die weniger l'laum einnimmt, als das Wasser und das Eiweiss für sich eingenommen hatten. Die Volum- verminderung kann, auf die Raummenge der ins Eiweiss einge- drungenen Gewichtsmenge Wasser bezogen, mehr als 1 auf lOü betragen. Dieser Umstand allein genügt zum Beweis, dass es sich bei der Qellung um einen der Lösung vergleichbaren Vorgang han- delt. Daher dringt denn auch das Wasser in die quellbarcn Stofle mit derselben ausserordentlich grossen Gewalt ein, die der osmo- tische Druck in Lösungen hervorbringt, die mit halbdurchlässigen Membranen versehen sind. Ein quellbarer Stoff, der durch seine Unlöslichkcit gehindert ist sich im Wasser auszubreiten, wohl aber im Stande ist, mit aufgenommenen Wasser eine Lösung zu bilden, ist einer Zelle mit seraipermeabler Wand zu vergleichen, in die das Wasser eintritt, aus der aber der gelöste Stoff nicht austreten kann. Eine solche quellungsfähige Masse schwillt daher an, wenn sie sich in reinem Wasser befindet, kann aber zum Schrumpfen ge- bracht werden, wenn sie in so starke Lösungen gebracht wird, dass diese ihr das Wasser entziehen. Es besteht also zwischen dem Quellungszustand und der umgebenden Lösung ein bestimmtes Verhältniss, das dem zwischen einer semipenneablen Zelle und einer sie umgebenden Flüssigkeit vollkommen entspricht. Man nennt daher auch geradezu die Lösungen, die den Wassergehalt einer quellungsfähigen Substanz nicht ändern, isotonische, die, die ihn ändern, hypertonische und hypotonische Lösungen. Alle diese Bemerkungen treffen für das im ersten Abschnitt erwähnte Ver- halten der Blutkörperchen in Salzlösungen zu. Man kann den Unterschied zwischen Capillarimbibition tmd Quellung kurz und fasslich in dem Satze ausdrücken, dass bei der Imbibition das Wa,sser nur in mikroskopisch sichtbare Poren oder Gewebsinterstitien aufgenommen wird, während es bei der Quellung in den Stoff selbst, also in die Molekularinterstitien eintritt. Natürlich sind in allen Stoffen, die überhaupt Flüssigken aul- nehmen, beide Arten Eäume vorlianden. Weim ein Stoff quillt, so pflegt er sich zugleich zu durchtränken. Durchtränken können sich alle porösen Körper, quellen können aber nur solche, die in solcher chemischer Beziehung zu der Flüssigkeit stehen dass diese zwischen ihre Moleküle eintreten kann. So ist zum Beispiel vulcanisirtcr Gummi gegen Wasser völlig indifferent, aber in Benzol stark queil- bar, obschon er sich nicht darin löst. Man würde hier avK>h sagen können, vulcanisirtcr Gummi ist in Benzol nicht löslich, abei Benzol ist in vulcanisirtem Gummi löslich. Die meisten quellbarcn Körper nehmen nun au.sser dem eigent- lichen Quellungswasser, das in die molekularen Zwischenräume ein- tritt, auch noch in mikroskopisch sichtbare Lucken W asser a Dies wird durcli folgende Beobachtung bestätigt: Lasst man un Osmotische Arbeit. 235 Stück trockener Schweinsblase in Salzlösung quellen und presst nachher die eingedrungene Flüssigkeit aus, so erhält man zuerst bei geringem Druck eine Menge derselben Salzlösung, in der die Schweinsblase gequollen war, dann aber bei höherem Druck eine dünnere Lösung. Man darf annehmen, dass die erste Menge nur imbibirt, die zweite als Quellungsflüssigkeit in die Molekular- zwischenräume aufgenommen war. Das Verhalten der quellbaren Stoffe kann herangezogen werden, um die Eigenschaft der semiperraeabeln Membranen zu erklären, dass sie für gewisse Stofle undurchdringlich, für andere durchlässig sind. Eine Membran von vulcanisirtem Gummi ist in Alkohol nicht quellbar, wohl aber in Aether und stellt deshalb für Alkoholäther- lösung eine semipermeable Membran vor. Mit Wasser aufgequollene Schweinsblase ist für Aether, der sich in Wasser, wenn auch nur in kleiner Menge löst, durchdringlich für Benzol, das sich mit Wasser nicht mischt, undurchdringlich und bildet also für Aetherbenzol- lösung eine seraipermeable Membran. Osmotische Arbeit. Ein Grundzug aller der erwähnten Vorgänge, Diffusion, Osmose, Imbibition, Quellung, ist der, dass eine Flüssigkeitsraenge mit sehr grosser lü-aft in Bewegung gesetzt wird. Die osmotischen Vorgänge sind also solche, bei denen vor- liandene Spannkräfte in Arbeit umgesetzt werden. Bei dem Grund- versuch über Diffusion wird die specifisch schwerere Lösung von Kupfersulfat bis an den Wasserspiegel des grossen Gefässes ge- lioben, im Endosmometer wird das eindringende Wasser in die Steigröhre hinaufgetrieben. Dies sind Arbeitsleistungen, die die Spannkraft der gelösten Stoffe in ihrem, dem Zustande eines ' Omprimirten Gases vergleichbaren Lösungszu,stand verrichtet. Die Arbeitsleistung geht stets mit Verdünnung der concentrirten Lösung einher und hat immer die Richtung auf einen Zustandsausgleich. Will man umgekehrt aus einer gleichmässigen Lösung einerseits reines Wasser, andererseits concentrirtere Lösung herstellen, so bedarf das eines Energieaufwandes, der mindestens der Arbeit gleich ist, die durch den entgegengesetzten Diffusionsvorgang ge- leistet werden könnte. Man kann sich diese Verhältnisse, die für die Anwendung der Lehre von der Osmose auf die Vorgänge im Organismus von grosser Bedeutung sind, vielleicht am besten an folgendem Schema veranschaulichen: Man denke sich einen an einem Ende offenen Hohlcylinder, wie einen Dampfcylinder, zu einem kleinen Theil mit einer be- liebigen concentrirten Lösung gefüllt, über der ein semipermeabeler Kolben den Cylinder abschliesst. Auf den Kolben werde dann Wasser gegossen, bis der Cylinder gefüllt ist. In Folge des osmotischen Druckes der Lösung wird der Kolben alsbald in die Höhe getrieben werden, indem das Wasser durch den Kolben zu der Lösung übertritt. Man kann, da ja der osmotische Druck sich auf viele Atmosphären belaufen kann, den aufsteigenden Kolben stark belasten und auf diese Weise eine bedeutende 236 Filtration und Transsudation. Menge Arbeit durcli den osmotischen Druck verrichten lassen. Das Endergebniss ist, dass der ganze Cylinder mit einer gleich- massig verdünnten Lösung gefüllt ist, und der Kolben mit seiner Belastung oben steht. Man kann nun offenbar den ersten Zustand wieder herstellen, wenn man auf den Kolben einen Druck ausübt, der grösser ist als der osmotische Druck der Lösung, und ihn also durch die Lösung hindurch wieder in seine Anfangsstellung treibt. Der Kolben verhält sich dabei wie ein Molekülsieb, das ■ nur das reine Wasser durchlässt und den gelösten Stoff auf den Raum unter sich beschränkt. Es wird also unter dem Kolben wieder eine concentrirte Lösung, über dem Kolben reines Wasser stehen. Diese Betrachtung soll eine handgreifliche Anschauung von der Umkehrung eines osmotischen Vorganges geben, um klar zu machen, dass eine Arbeitsleistung erforderlich ist, wenn dem osmotischen Drucke entgegengewirkt werden soll. Es ist theoretisch dasselbe, ob die ursprünglich concentrirte Lösung durch die un- mittelbare Druckwirkung des semipermeablen Kolbens wieder her- gestellt wird oder etwa dadurch, dass man die erforderliche Menge Wasser aus der verdünnten Lösung abdestillirt. Die Wärraemenge, die beim Destilliren verbraucht wird, ist eben nur eine andere Form von Energieaufwand. Wenn also im Körper solche Vorgänge be- obachtet werden, die im Sinne eines Ausgleichs von concentrirteren Lösungen zu verdünnteren verlaufen, so kann die dafür erforder- liche Arbeit stets auf Rechnung des osmotischen Druckes geschrieben und die Diffusion als Ursache des Vorganges betrachtet werden. Sieht man aber umgekehrt einen vorher nicht vorhandenen Con- centrationsunterschied auftreten oder den Concentrationsunterschied zwischen zwei einander berührenden Lösungen grösser werden statt kleiner, so muss mit diesem Vorgang eine Arbeit verbunden sein, die gegen den osmotischen Druck und von anderen Kräften ge- leistet wird als diejenigen, die die Diffusionserscheinungen be- herrschen. Eine solche Arbeitsleistung gegen den osmotischen Druck kommt nun unter den Verrichtungen des thierischen Körpers nicht selten vor, und wird nach dem Sprachgebrauch als „osmotische Arbeit" der betreffenden Gewebe bezeichnet, obschon man eigentlich „osmosewidrige Arbeit" sagen raüsste. Filtration und Transsudation. Wenn in der letzten Be- trachtung gezeigt worden ist, dass durch Aufwendung mechanischen Druckes 'sogar der osmotische Druck überwunden werden kann, so braucht kaum erwähnt zu werden, dass in Fällen, wo kern osmotischer Widerstand vorliegt, wo es sich also um isosmotische Losungen oder um reines Wasser handelt, die Bewegung von Hüssigkeiten durch poröse Membranen vom äusseren Druck bestimmt werden kann. Man nennt diesen Vorgang Filtration, weil das Filtr.rcn einer Lösung durch ein Sieb oder durch Flicsspapier wohl das be- kannteste Beispiel davon bildet. Die treibende Kraft ist in diesem Fall gewöhnlich einfach die Scliwerc der oben auf das Inlter ge- gebenen Flüssigkeit. Durch Ansaugen von unten kann aucii der Transsudation. 237 Luftdruck zu dem Druck der Schwere hinzugefügt werden. Beim Filtriren pflegen die Lösungen unverändert durch die Poren der Membran liindurchzugehen. Durch queJlbare ]\lcmbranen, wie durch Schweinsblase, filtriren Lösungen sehr langsam und die hindurch- dringende Lösung, das Filtrat, ist weniger concentrirt als die ur- sprünglich auf das Filter gegebene Lösung. Dies stimmt mit dem Ergebniss der Auspressung der in Salzlösung gequollenen Blase überein, indem die in das Gewebe selbst aufgenommene Salzlösung verdünnter gefunden wurde als die ursprüngliche Lösung. Bei sehr hohem Druck sollen auch coUoide Lösungen durch thierische .Membranen hindurchdringen, wobei dann das Filtrat im Vergleich zur Anfangslösung sehr stark verdünnt ist. Dieser Unterschied soll bei längerdauernder Filtration noch zunehmen, so dass die Membran allmählich für Colloide selbst unter hohem Druck un- durchlässig wird. Man hat den im lebenden Körper sehr häutigen Fall, dass die Flüssigkeit nicht als stillstehende Masse auf die poröse Wand gedrückt wird, sondern im Vorbeifliessen unter Druck durch die Wände der Strombahn hindurchgetrieben wird, als Transsudation" von dem der einfachen Filtration unterschieden. Was das Verhalten der Flüssigkeit zum Filter und zum Filtrat betrifl't, so besteht kein Unterschied zwischen Filtration und Trans- sudation, denn es ist gleichgültig, ob ein Massentheilchen durch den Druck einer stehenden oder einer liiessenden Wassermasse durch das Filter gepresst wird. Dagegen ist der Begriff der Transsudation von Nutzen, wenn die Veränderung hervorgehoben werden soll, die mit einer Lösung vorgeht, wenn ein Theil der Lösung durch thierische Membranen abfütrirt wird. Bei der Filtration hat man es nur mit zwei Flüssigkeiten zu thun, derjenigen, die anfangs auf das Filter gegossen ist, und derjenigen, die unten ab- fliesst. Der Fall der Transsudation tritt dagegen ein, wenn in einer Röhre mit durchlässiger Wand eine Flüssigkeit unter Druck .strömt. Dabei treten drei verschiedene Flüssigkeiten auf, erstens die ursprüngliche oben in die Röhre eintretende, zweitens das nach aussen tretende Filtrat oder hier „Transsudat", drittens die Flüssig- keit, die am unteren Ende aus der Röhre abfliesst. Ist die ur- sprüngliche Flüssigkeit ein Lösungsgemisch von Colloi'den und Crystalloiden, so ist klar, dass das Transsudat fast nur Crystalloide, die ausfliessende Flüssigkeit entsprechend weniger Crystalloide, dagegen fast alle Colloide enthalten wird. Die Darraresorption. Es fragt sich nun, wie weit die an- geführten physikalischen Vorgänge mit denen übereinstimmen, die im thierischen Körper bei der Resorption von Nahrungsstofl'en stattfinden. Man könnte daran denken, dass die im Darm ent- haltenen Lösungen sich einfach durch Membrandiffusion in das Körpergewebe hinein begeben. Dies würde zum Beispiel für im l>arm befindliche Zuckerlösung ohne Weiteres verständlich sein, da in den Epithelzellen, im Blute und in den Geweben nur Spuren 238 Dartnresorplion. von Zucker enthalten sind. Ebenso liesse sich diese Anscliauung für Salzlösungen und Lösungen anderer Stoffe durchführen, sofern sie nur gegenüber den Gewebssäften hypertonisch wären. That- sächlich kann man auch am todten Darm beobachten, dass einge- führte Salz- oder Zuckermengen aus dem Darm in die benachbarten Oewebe übergehen. Hier ist offenbar nur einfache Merabran- diffusion im Spiele, aber der üebergang ist auch viel langsamer als im lebenden Darm. Dies weist schon darauf hin, dass die Resorption im lebenden Körper nicht durch einfache Diffusion vor sich geht. Wäre das der Fall, müsste, wenn der Darm mit einer der Gewebsflüssigkeit isotonischen Lösung gefüllt wäre, die Re- sorption stocken, wenn der Darm mit reinem Wasser gefüllt wäre, umgekehrt Stoff aus dem Körper in die Darmhöhle übertreten. Es lässt sich aber leicht zeigen, dass isotonische Lösungen und reines Wasser beide aus dem Darm schnell und leicht resorbirt werden. Um dies erklären zu können, hat man wiederum angenommen, dass die Zellen der Darmschleimhaut semipermeable Schichten be- " sässen, ohne zu bedenken, dass dieselbe Schicht, die das Kochsalz oder das Gewebseiweiss gegenüber einer Wassermenge im Darm zurückhält, den Salzen und dem Eiweiss der Nahrung den Emtriti aus dem Darm in den Körper gestatten muss. Aus diesem Grunde ist die Annahme einer wirklich semipermeabeln Membran, das heisst einer Membran, die nur Wasser durchlässt, an irgend einer Stelle des Organismus geradezu widersinnig. Es darf, wo von semi- permeabelen Membranen im Thierkörper die Rede ist, nnmer nur verstanden werden, dass es sich um Membranen handelt, die sich unter den gegebenen Verhältnissen gewissen Stoffen gegenüber ver- halten wie eine semipermeable Membran. Das Verhalten der Darmwand gegenüber den im Darramhalt •Gelösten Stoffen lässt sich also weder durch einfache Merabran- diffusion noch durch Annahme halbdurchlässiger Schichten erklaren. Es lässt sich überhaupt nicht einheitlich erklären, denn man hat festgestellt, dass die verschiedenen Abschnitte des Darmes sich ffegen ein und denselben Stoff verschieden verhalten. Wasser wd zum Beispiel im Magen nicht resorbirt, wohl aber im Darm. Die Resorption ist in den unteren Abschnitten des Darmes lebliatter als in den oberen. Die Darmwand wirkt also jedenfalls nicht wie eine einheitliche Schlauch wand, sondern die Resorption ist eine Verrichtung, die den einzelnen lebenden Zellen zukommt. Uamit soll nicht gesagt sein, dass die Resorption nicht nach den allge- meinen osmotischen Gesetzen vor sich gehe, sondern nur, dass der Zellinhalt, dessen Zusammensetzung und Auümu noch be- kannt ist sich bei dem Vorgang betheiligt. Der fnd dass die todte Darmwand sich anders wie die lebende verbal , beweist Sicht, dass die Gesetze der Osmose, die fiir die to te Darnnvand gelten, für die lebende ungültig sind, sondern <^'' 1^««* flleS viel grösserer Wahrscheinlichkeil dadurch erklären, dass die lebende Darmwand andere osmotische Bedingungen darbietet wie die todte. Uebergang der resorbirten StolTe in den Körper. 239 Dies versteht sich von selbst, sobald man bedenkt, dass in der lebenden Zelle ein dauernder Stoffwechsel vor sich geht, durch den beispielsweise ein Ausgleich des osmotischen Druckes, wie er zwischen todten gequollenen Membranen und umgebender Flüssig- keit stattlindet, dauernd verhindert werden kann. Daraus, dass die Icbciule Zelle Eiweiss, Salze und fettähnliche Stoffe in gewisser Menge enthält, darf man nicht schliessen, dass sie sich in osmo- tischer Beziehung genau wie eine gleichartige Lösung der betreffen- den Stoffe in dem betreffenden Mengenverhältniss verhalten muss, denn sie kann durch die chemischen Vorgänge in ihrem Innern in jedem Augenblick ganz verschiedene osmotische Eigenschaften an- nehmen. Welche osmotischen Erscheinungen auftreten, wenn zwei Wassermengen frei oder durch Vermittlung einer porösen Membran in Berührung kommen, deren jede mehrere Stoffe zugleich in Lösung hält, ist eine Frage, die bisher nur unter der Annahme zu lösen ist, dass sich die sämmtliclien in Betracht kommenden Stoffe unter- einander in keiner Weise beeinflussen. Diese Annahme trifft aber für die mannigfaltigen Stoffe, die im Darminhalt einerseits, im Zell- inhalt andererseits vorkommen, durchaus nicht zu. Alle diese Be- trachtungen drängen zu folgender Auffassung des Resorptions- vorganges: Die Zusammensetzung des Inhalts der lebenden Epithel- zellen ist entweder zeitweilig oder dauernd so beschaffen, dass die Nahrungsstoffe in sie hineindiffundiren müssen. Im Innern der Zelle unterliegen die Nahrungsstolfe wenigstens zum Theil einer Lmwandlung und werden in die benachbarten Zellen oder die Gewebsflüssigkeit ausgeschieden. Bei dem Diffusionsvorgang wirkt entweder die Membran oder die quell ungsfähige festweiche Masse des Zellinhalts selbst auf die verschiedenen Stoffe verschieden ein, .sodass auch von isosmotischen Lösungen eine leichter als die an- dere aufgenommen werden kann. Bei dieser Auffassung ist also die unmittelbare Ursache der Kesorptionsbewegung in osmotischen Kräften zu suchen, aber die Bedingungen für die osmotischen Vorgänge werden durch die un- bekannte Lebensthätigkeit der Zelle hergestellt. Hierauf wird bei der Lehre von der Secretion zurückzukoinraen sein. Uebergang der resorbirten Stoffe in den Körper. In die Zeilen des Darmepithels selbst kann natürlich immer nur eine sehr kleine Stoffmenge auf einmal aufgenommen werden. Daher ist mit dem Uebergang in die Zellen der Vorgang der Resorption nicht beendet, sondern es gehört dazu, dass der aufgenommene '^loff weiter in den Körper hinein befördert und dadurch zugleich die Zellen fähig gemacht werden, neue Stoffmengen aufzu- nehmen. Während der Dauer der Resorption müssen die von den Zellen ■lufgcnommenen Sloffe fortwährend aus den Zellen fortgeschafft und /.iigleich diejenigen Stoffe herbeigeschafft werden, deren die Zelle bedarf, um die Resorptionsarbeit zu leisten. Es muss also in den I^pithelzellen ein Stoffwechsel unterhalten werden, der sich freilich 240 Uebergang der resorbirten Stoffe in den Körper. von dem Stoffwechsel anderer Körperzellen dadurch unterscheidet, dass er nicht bloss die Bedürfnisse der betreffenden Zellen selbst, sondern das Bedürfniss des ganzen Körpers zu befriedigen hat. Der Stoffaustausch des Darmepithels verhält sich zu dem eines beliebigen Schleimhautepithels etwa wie die Ein- und Ausfuhr von Lebensmitteln in einer Markthalle zu der Ein- und Ausfuhr von Lebensmitteln in einem Wohnhaus. In das Wohnhaus werden nur diejenigen Lebensmittel gebracht, die zu unmittelbarem Verbrauch bestimmt sind, und es werden nur verbrauchte Abfallsstoffe daraus entfernt, in die Markthalle werden Lebensmittel für einen ganzen Stadttheil eingeführt und als noch unbenutzte Nahrungsmittel daraus ausgeführt. Ebenso wird aus den Zellen des Darmepitliels nicht der von ihnen verbrauchte Stoff, sondern der von ihnen aufge- nommene werthvolle Nahrungsstoff entfernt. Die Wege, die die Nahrungsstofle nehmen, sind dieselben, die für den Stoffwechsel im ganzen Körper dienen, nämlich die Blutbahn und die Lymph- gefässe. Aus der Besonderheit des Stoffwechsels der Darm- opithelien erldärt sich die besondere Stellung, die der Darm im Schema des Blutkreislaufs einnimmt, auf die schon oben liingev^nesen worden ist. Das aus dem Capillarnetz des Darmes abfliessende Blut ge- langt in die Pfortader, die es wiederum dem Capillarnetz der Leber zuführt. Diese zweimalige Vertheilung des Blutstromes ins Gewebe bedeutet, wie aus dem eben Gesagten ersichtlich ist, nicht etwa eine zweimalige Ausnutzung derselben Blutmenge, sondern im Capillarnetz des Darmes werden Stoffe aufgenommen, die in der Leber verarbeitet und zum Theil aufgespeichert werden. Das Blutgefässnetz der Darmschleimhaut ist sehr reich, und indem man das zufliessende und abfliessende Blut untersucht, kann man nachweisen, dass es thatsächlich Nährstoffe aufnimmt Sehr reich ist auch die Ausstattung der Darmwand mit Lymph- c^efässen Da die Lymphe bei Fettverdauung milchweiss ist, fallen dann die zahlreichen dicken Lyraphgefässstränge, die vom Darm durch das Mesenterium dem Brustlymphstamm zulaufen, bei Er- öffnung der Bauchhöhle sogleich ins Auge. Die fetthaltige Lymphe, die während der Verdauung in dem Lymphgefäss des Darmes fliesst, wird Chylus genannt. Mikroskopisch lässt sich der Ur- sprung dieser Lymphgefässe bis in die Zotten der Schleimhaut ver- fdgem deren jede in ihrem Innern einen kolbig erweiterten blmd- endigen Lymphgang enthält. In die Lymphgänge der Zotteii ntt offenbar durch Vermittlung des Darmepitliels bei der Fettverdauung das Fett ein, das der Darmlymphe das erwähnte milchwcisse A is- sehen giebt. Da die gesammte Lymphe des Darmes ^^f j^^^^ Brustlv.nphstamm entleert, kann man durch Eröffnung des Brust- ivmphstammes an seiner Eintrittsstelle in ^'^/f » -l"!" " 'f,Xn rialse den Chylus auffangen und au seinen f ^^f "^^^^^^^ untersuchen. Die Untersuchung lehrt, dass durch die 1^ 'mphbahn vor allem das Fett aus der Nahrung in den Korper übergeführt wird. Resorption der Kohlehydrate. 241 Nach reichlicher Fütterung mit Eiweiss oder Kohlehydraten weicht nämlich der Gehalt der Darmlyraphe an Eiweissstoß'cn oder Kohlehydraten nicht von dem bei nüchternem Zustand ab. Dagegen lässt sich die Zunahme von Eiweiss und Zucker im Pfortaderblut nachweisen. Nach Fettanfnahrae ist, wie gesagt, die Lymplie in milchweissen Chylus verwandelt, der indessen auch nur einen Theil des resorbirten Fettes enthält. Es muss auffallen, dass von den anscheinend vorhandenen zwei Wegen zur Einführung der Nahrungs- stoffe in den Körper die Blutbahn so sehr bevorzugt ist. Es ist aber zu bedenken, dass die Lymphe unmittelbar in die Blutbahn führt, und daSs die Zusammensetzung des Blutes sehr bedeutenden Schwankungen ausgesetzt sein würde, wenn ein grösserer Theil der Nahrungsstolfe durch den Lymphstamm unvermischt ins Blut einträte. Das Endergebniss der Eesorption ist demnach, dass die Nähr- siofi'e in die Blutbahn und die Lymphbalm gelangen, und es ent- steht nun die Frage, wie sich die einzelnen Nahrungsstoffe bei dem l^ebergang aus dem Darm in das Blut oder die Lymphe verhalten. Resorption der Kohlehydrate. Was zunächst die Auf- nahme der Kohlehydrate betrifft, so werden sie durch die Ver- dauung, wie oben beschrieben, schliesslich fast vollständig in wasserlösliche Form, im Wesentlichen in Traubenzucker übergeführt. Der Traubenzucker vermag in seiner Lösung thierische Membranen zu durchdringen, und es ist kein Zweifel, dass eine vollständige Resorption des Zuckers im Darm stattfinden würde, wenn auch nur einfache Merabrandiffusion bestände. Zwar geht die Resorption in der Leiche nur langsam vor sich, aber hier besteht der sehr grosse Unterschied, dass, wenn beim Lebenden der Zucker bis an die vom Blut durchströmten Capillarschlingen gelangt ist, der Blut- strom ihn mit grosser Schnelligkeit fortführt, während neues Blut naclLströmt, um neuen Zucker aufzunehmen, während in der Leiche ilie Ausbreitung des Zuckers, auch nachdem er in die Gewebe auf- genommen ist, nur durch Diffusion weitergehen kann. Die ein- fache Membrandiffusion würde also zur Erklärung der Resorption von Zuckerlösung genügen. Dass der Zucker nur in die Blutbahn und nicht zugleich auch in die Lymphe gelangt, ist kein Gegen- beweis, weil die Blutgefässe oberflächlich ^in den Schleimhautzotten -•'legen sind, das Lymphgcfäss in der Mitte. Es würde also die fliffundircnde Zuckerlösung, ehe sie an das Lymphgefäss gelangen kann, schon von den Blutgefässen aufgenonimen sein. Daraus, dass die Resorption von Zucker durch blosse Diffusionskräfte erklärt werden kann, darf man aber nicht schlicssen, dass in Wirklichkeit nur solche Kräfte im Spiele .sind. Die Diffusion nämlich müsste im Magen so gut wie im Darm, bei Salzlösungen so gut wie bei Zuckerlösungen in gesetzmässiger Weise vor sich gehen. Man findet aber, dass im Magen wenig, im Darm viel /ucker resorbirt wird, und dass sich osmotisch gleichwerthige Salz- lösungen dem Darmepithel gegenüber verschieden verhalten. Es H. du Bois-Royraond, Physiologie. 242 Resorption der Eiweisskörper. muss also auch für die Zuckerresorption angenommen werden, dass der Inhalt der Epithelzellen mit seinen unbekannten Eigenschaften die Bewegungen der Zuckerlösung bestimmt. Resorption der Eiweisskörper. Bei der Resorption der Eiweisskörper spielt die Einwirkung der Epithelzellen eine noch viel grössere Rolle. Der Umstand, dass die EiweissstolTe m Peptone, also in eine Form übergeführt werden, in der sie im Stande smd, durch thierische Membranen zu diffundiren, weist allerdings darauf hin dass vielleicht der erste Theil des Resorptionsvorganges, näm- lich der Uebertritt aus der Darmhöhle in die Epithelzellen, als em blosser Diffusionsvorgang anzusehen ist. Es könnte aber auch sein, dass diese Eigenschaft der Peptone unwesentlich wäre, und dass die Peptonisirung der Eiweissstoffe nur die schon oben angedeutete Bedeutunii- hat, dem Organismus das fremde Eiweiss fernzuhalten und ihm den Aufbau der eigenen Eiweissarten möglich zu raachen. Die blosse Aufnahme der Eiweissstoffe in die Epithelzellen isi iedenfalls der unwichtigere Theil des gesammten Resorptions- vorganges, weil die Eiweisskörper als Peptone aufgenommen wei-den, und die Peptone als solche für den Organismus keinen Werth haben Führt man nämlich Peptonlösungen unmittelbar m die Blutbahn ein, so werden sie sogleich wieder ausgeschieaen^ Uenn also die Epithelzellen die aufgenommenen Peptone an das Blui abgäben, würden sie nicht als Nahrungsstolf ver^^^rthet, sondern einfach ausgeschieden werden. Thatsächlich geben die EpithelzeUen auch kein Pepton ab, sondern sie verwandeln das aufgenommene Pep on in Eiweiss, ehe sie es in das Blut abscheiden. Man finde selbst bei reichlichster Eiweissfütterung in der Pfortader nie höheren Gehalt an Peptonen als in den anderen Arterien. Aucli wenn man Blut durch die Gefässe eines ausgeschnittenen Darni- Ss fliessen lässt, das mit Eiweisslösung gefüllt wird, findet man dass zwar die Eiweisslösung verschwindet, dass aber m dem Blut kein Pepton auftritt. Man muss also annehmen dass da> durch die Veldauung gebildete Pepton bei der Resorption wiede in E weiss zurückvemandelt wd und als Eiweiss in das Blut ISoergdit In den Chylus gelangt, wie mehrfach erwähnt, von dem ^^*r;Tp?onX'F:ne.%ie Resorption der Fette muss auf verschiedene^ Vorgänge zurückgeführt werden, je nachdem imn di 7crleo-t Die Resorption kann also darin bestehen ^J^s entN e^^^^ Fettresorption. 243 so zu sagen mit doppelter Siciierlieit arbeitet, da beispielsweise die Verzuckerung der Stärke durch den Speiciiel und durcli den Pankreas- saft, die Eiwcissspaltung durch Pepsin und Trj^psin hervorgerufen wird. Auch aus vielen anderen Verrichtungen des Körpers lässt sich die Anschauung ableiten, dass der Organismus auf über- schüssige Leistung eingericiitet ist. Von der Verseifung ist oben ausführlich gesprochen worden. Der Pankreassaft enthält ein fettspaltendes Ferment, das das Fett in Glycerin und Fettsäuren zerlegt. Die Fettsäuren ver- binden sich dann mit Alkalien zu Seifen. Seifen sind wasser- löslich, geben aber eine coUoi'de Lösung. Eine einfache Diffusion der Seifenlösung in die Epithelzellen ist also schon aus diesem Grunde nicht anzunehmen. Von den Seifen gilt ferner, ähnlich wie vom Pepton, dass sie als solche nicht in den Körper aufgenommen werden können. Seifenlösungen Irei ins Blut eingeführt, wirken vielmehr als heftiges Gift. Ebenso wie bei der Eiweissresorption, muss deshalb für die Resorption des verseiften Fettes angenommen werden, dass schon innerhalb der Epithelzellen die Seife wiederum in Fett zurückverwandelt wird. Dass die Epithelzellen hierzu im Stande sind, geht daraus hervor, dass ver- fütterte Seife im Chylus als Fett wiedererscheint. Selbst freie Fettsäuren, die verfüttert werden, treten im Chylus als Fette auf, es muss also beim üebergang aus dem Darm in die Lymphgefässe, das heisst im Darmepithel, unter Zutritt von GUycerin die Synthese bewerkstelligt worden sein. Auch in vitro soll das abgeschabte Darmcpithel ein Gemenge von Fettsäuren und Glycerin zum Theil in Fett überführen. Dur(;h die Versuclie über Verfütterung von Seifen und von Fettsäuren ist unzweifelhaft bewiesen, dass das verseifte Fett thatsächlich resorbirt wird. Ob dies aber die Art ist, wie das Nahrungsfett ausschliesslich oder auch nur der Haupt- menge nach resorbirt wird, ist fraglich. Es wird nämlich nicht einmal der fünfte Theil des Fettes im Dünndarm in gespaltenem Zustande gefunden, obschon Fett, wie oben angegeben, bis auf wenige Procente resorbirt wird. Ferner lässt sich zeigen, dass die schwerer schmelzbaren Fette, obgleich sie ebenso gut spaltbar sind wie die anderen, doch viel schlechter ausgenutzt werden. Auch kann nach Ausschaltung des Pankreassaftes und der Galle das Fett durch die Einwirkung der Mikroorganismen fast voll- ständig gespalten werden, wird aber doch nur zum kleinsten Theil resorbirt. Die blosse Spaltung scheint also nicht auszureichen, um die normale Ausnutzung des Fettes zu ermöglichen. Endlich ist nachgewiesen, dass Fett resorbirt und sogar im Körper abgelagert werden kann, ohne dass es seine eigenthümliche Zusammensetzung verliert. Hunde, die mit Hammeltalg ernährt werden, setzen Hammeltalg an, der durch seinen hohen Schmelzpunkt ohne weiteres vom Hundefett zu unterscheiden ist. Nimmt man an, dass das 1' ett verseift und in den Darraepithelien wieder in Fett umgewandelt worden ist, so ist es schwer zu verstehen, warum die Fettsäuren 16 244 PoUresorplion. o-rade wieder in dem für Hammeltalg geltenden Mengenverliültniss zusammengesetzt Averden müssen. Man sollte erwarten, dass bei diesem Vorgang der Hammeltalg zugleich in Hundefett verwandelt werden würde. Dagegen leuchtet ein, dass, wenn Hammeltalg in Form emulgirier Tröpfchen in die Epithelzellen aufgenommen wird, er auch unverändert in den Chylus und den Körper übergehen wird. Alle diese Beobachtungen machen es wahrscheinlicli, dass ausser der Verseifung auch noch die andere Art der Fettresorption, nämlich die Aufnahme des unveränderten Fettes m Gestalt der Emulsion in Betracht kommt. Dass durch die Verdauung eine Emulsion entsteht, ist oben schon ausgeführt worden. Die Aut- nahme der Fetttröpfchen muss natürlich als eme Verrichtung der Epithelzellen angesehen werden, die nur durch deren eigene be- wegungskräfte, nicht durch irgendwelche den osmotischen \ organgen vergleichbare Wirkungen hervorgerufen ist. Der sogenannte Stab- chensaum der Epithelzellen deutet auf die Mög ichkei einer .solchen Erscheinung hin. Wenn thatsächlich die Gewebsschicht der Epithel- zellen aus einer dichten Menge feiner Stäbchen gebildet wird, könnte man sich sehr wohl vorstellen, dass diese Stabchen aus- einander weichen, um wie die Protoplasmafortsätze einer Ämo.he die Fettröpfchen zu fassen und in das ZeUmnere zu befordern. Man hat auch daran gedacht, dass die Leukocj^en indem sie^aus der Darmwand in die Darmhöhle auswandern, sich dort imt iett- tröpfchen beladen und dann wieder durch das Epithel erwandern, die Resorption der Fettemulsion zu Stande brmgen konnten. Tl at- sächlich kann man auf mikroskopischen Präparaten dei Daim- c ile mhaut, die im Zustande der Fettverdauung gemacht und um da Fe t erkennbar zu machen, mit Osmiumsäure behandelt sind ahlieiche Leukocyten erkennen, deren ^^^r^'^J^J"^^^ anzeigt Aber die Mengen Fett, die innerhalb kurzer Zeit lesoi birt we'ckn können, sind doch wohl zu gross, als dass dieser Aorgang Ausschliesslich n Betracht kommen könnte. Dagegen is die ge- sSe Oberfläche der mit Stäbchensaum versehenen Epithelien so trosr dass man die Aufnahme der grös.sten Fettmengen durch Im ^loMe Bewegung des Stäbchensaumes kann Es sind aber auch gegen diese \orslellung Jj^denken er hoben worden. Man hat darauf hingewieseii, dass die Emuls.o nur in aTka scher Lösung besteht, während der Darminlialt meist sauer "f:! t^-er Lösung fliessen die m^^^^n-n^l^^ voHiSr^he/ k.n selbst -er. ^d. Resorption der Salze und des Wassers. 245 genommen würde, auch das Parafiin aus dem Darm verschwinden. Ausserdem liat sich gezeigt, dass Lanolin, das sich zwar leicht emulgiren aber schwer spalten lässt, nicht resorbirt werden kann. Da aber die Aufnahme der Emulsion in jedem Falle als eine Tliätigkeit der Zellen aul'gefasst werden rauss und auch alle frei- lebenden Zellen die Stoffe, die sie aufnehmen, auszuwählen ver- mögen, gewähren auch diese Versuche keine unbestreitbaren Gegen- gründe gegen die Resorption des eraulgirten Fettes. Endlich ist hervorzuheben, dass von einem einfachen Uebergang der im Darm enthaltenen Emulsion durch die Darrawand in die Lympiigefässe auf keinen Fall die Rede sein ka,nn. Der Chylus enthält nämlich das Fett in viel feinerer Vertheilung als selbst in der besten Emulsion jemals der Fall ist. Die einzelnen Fetttheilchen er- scheinen selbst unter dem Mikroskop nicht als Tröpfchen, sondern nur als feine Pünktchen. Man muss sich also die Aufnahrae der Fettemulsion jedenfalls so denken, dass die Fetttröpfchen zwar in der Form, in der sie im Darm enthalten sind, in die Zellen übergehen, dass aber innerhalb der Zellen doch eine Veränderung vor sich geht, durch die aus der gewöhnlichen verhältnissmässig groben Vertheilung die ganz feine „staubförmige" Emulsion des Chylus entsteht. Nach alledem lässt sich über die Art und Weise, in der das Fett resorbirt wird, Folgendes sagen: Die Resorption verseiften Fettes ist erwiesen, die Resorption eraulgirten Fettes ist wahr- scheinlich, und es liegt kein Grund vor, dass man nicht beide Vorgänge als nebeneinander bestehend und einander gegenseitig er- gänzend annehmen sollte. Resorption der Salze und des Wassers. Die Resorption der Mineralstolfe ist schon oben mehrfach als ein Beispiel dafür erwähnt worden, dass die Diffusionsvorgänge von den Resorptions- erscheinungen verschieden sind. Zwar hat man im Verhalten der Salze manche Uebereinstimraungen zwischen Resorption und Diffu- sion gefunden, aber auch wieder Ausnahraen, und als Hauptaus- nahme muss die Thatsache gelten, dass die im Körper enthaltenen Mineralstoffe nicht in den Darm hinaus dilfundiren. Ferner resor- birt der obere Abschnitt des Dünndarms stärker als der untere, obschon die Diffusionsbedingungen im Grossen und Ganzen dieselben sein müssen. Chlorkalium diffundirt schneller als Ciilornatrium, und doch wird aus isotonischen Lösungen Chlornatriura schneller resorbirt als Chlorkalium. Man muss also auch die Resorption der Salze als einen Vorgang anerkennen, bei dem nicht die Con- centration des Darminhalts einerseits und der Körpersäfte anderer- seits durch einfache Osmose gegeneinander ausgeglichen werden, sondern bei dem die unbekannten Eigenthümliciikeiten des Baues und der Zusammensetzung der Zellen den Ausschlag geben. Ganz dasselbe gilt endlieh von der Resorption des Wassers. Aus dem Magen wird wenig Wasser aufgenommen, im Darm, namentlich im Dickdarm, geht das Wasser isotonischer Lösungen 246 Darmresorption, Hautresorption, interstitielle Resorption. zusammen mit den gelösten Stoffen in den Körper üljcr. Aller- dings findet man, dass, wenn stärkere Salzlösungen im Darm sind, Wasser aus der Darmwand in die Höhlung abgesciiieden wird, was den Gesetzen der Diffusion entspricht. Dass es sich aber hierbei nicht um blosse Difi'usion des Wassers handelt, wird dadurcii deut- lich, dass die entstehende verdünnte Lösung nachher bis auf den letzten Tropfen resorbirt werden kann. Bei alledem soll, um es nochmals zu wiederholen, durchaus nicht behauptet werden, dass die Kräfte, die die Bewegung der Nahrungsmengen durch die Darmwand hindurch hervorrufen, nicht dieselben seien, die die osmotischen Vorgänge ausserhalb des Kor- pers bedingen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die osmotischen 13edingungen, die durch die Lebensthätigkeit der Zelle entstehen und zu den Erscheinungen der Resorption führen, andere sind, als die, die bestehen, wenn man sich das Darmrohr durcli irgend eine todte einheitliche Membran ersetzt denkt. Der Resorptions Vorgang, so wie er ist, ist eben nur unter den Bedingungen möglich, die im lebenden Körper bestehen; er ist von der Gegenwart lebender Zellen von ihrem Stoffwechsel, vom Bestehen des Blutkreislauls abhängig. Diesen Vorgang auf die bekannten allgemeinen Gesetze der Diffusion oder Osmose zurückzuführen, wird also erst möglich sein, wenn die Vorgänge des Stoffwechsels, den der Blutkreislauf in der lebenden ZeUe unterhält, genügend bekannt sind. 6. Interstitielle Resorption. Lymplitoildimg. Darmresorption, Hautresorption, interstitieUe Re- sorption. Die Resorption der Nahrungsstoffe aus dem Darm bestellt darin, dass die gelösten und zum Theil umgewandel en Stoffe von den Epithelien aufgenommen und theils m die Blut- gefässe theils in die Lyraphgefässe übergeführt werden. Dieser ?o gang der üeberführung von" Stoffen in die Blutbahn und in die L?mpTgefässe ist nun durchaus nicht auf die durch den Darm t fgenommenen Nahrungsstoffe beschränkt, sondern die Capillaren und Llph^efässe sämnitlicher Gewebe besitzen ebenso wie die des Darms cü Fähigkeit Stoffe aufzunehmen und fortzuführen. Durch diese FiUi^fgkeit allein ist der Blutkreislauf m Stande, die ver- bauchten Stoffe aus den Geweben fortzuführen. Resorption m cl esem weit ?en Sinne findet also fortwährend m allen Geweben s a t Sil ist nicht einmal auf das Innere der Gewebe beschrankt ondern tritt auch auf der Aussenfläche des Körpers uberall da au wo ( ie B lu - und Eymphgefässe von resorbirbaren btofTen nur durc i^rSchichten feucllien Gewebes getrennt sind, namlich an de S^lS.aut überzogenen Stellen uml P;\tl-1og^ch auc de 'Uisseren Haut, sobald sie der schützenden l'.pu erm .s.cliKht beiaubt Ts TvssV n n also den Vorgang der Resorption in seiner ganzen Ausdeimung tns Auge, so ist er ein.utheilen ,n Darmresorption, Gewebsinterstitien. Gewebsllüssigkeit. Lymphe. 247 innere oder interstitielle Resorption und Hautresorption. Diese drei Arten der Resorption unterscheiden sich hauptsiicldich durch die Art der Stoffe, die in den verschiedenen Gebieten aufgenommen werden. Der Unterschied zwischen der Resorption im Darm und der an anderen Stellen des Körpers ist der, dass im ersten Falle Stoffe aufgenommen und fortgeführt werden, die den gesammten Nahrungsbedarf des Körpers umfassen, während die an anderen Stellen vom Kreislauf aufgenommenen Stoffe keine solche allgemeine Bedeutung haben. Auch bei der Hautresorption werden von aussen kommende, also dem Körper fremde Stoffe aufgesogen, dagegen werden bei der inneren Resorption, wie schon der Name sagt, Stoffe aus dem Innern des Körpers resorbirt. Die Gewebsinterstitien. Mit der Benennung „interstitielle Resorption" wird nämlich ausgedrückt, dass es sich um die Auf- saugung derjenigen Flüssigkeit handelt, die die Interstitien der Gewebe erfüllt und die schon oben als Gewebsllüssigkeit bezeichnet worden ist. Die Räume, die als Interstitien der Gewebe zusammen- gefasst werden, sind ziemlich verschiedener Art, und auch die sie erfüllende Flüssigkeit kann durchaus nicht als einheitlich gelten. Man fasst zusammen: die Intercellularräume, die Saftlücken mancher Gewebe, die Scheidenräume, von denen mancherlei strangföniiige Gebilde des Körpers, insbesondere auch Bluteapi Ilaren umgeben sind, die von losem Bindegewebe durchzogenen Grenzspalten zwischen Fascien, und schliesslich sogar die grossen Spalträume der sogenannten serösen Höhlen, Brustfell, Herzbeutel, Bauch- fell u. s. f. Gewebsflüssigkeit. Lymphe. Die Flüssigkeit, die alle diese Rcäume erfüllt, zeigt, soweit sie überhaupt in genügenden Mengen zur Untersuchung gewonnen werden kann, annähernd gleiche Zusammensetzung, und zwar dieselbe wie das Blutplasma, nur dass ihr Eiweissgehalt geringer ist. Sie ist schwach gelblich gefärbt, leicht opalisirend und gerinnt wie das Blut, nur langsamer, weil sie weniger fibrinbildende Stoffe enthält. Bei Zusatz von etwas Blut geht daher auch die Gerinnung erheblich schneller vor sich. Diese allgemeinen Angaben dürften für die Gewebsflüssigkeit an allen Körperstellen zutreffen. Im Einzelnen würde man, wenn man ein Mittel besässe den Gewebssaft aus den Intercellularräumen der Gewebe rein zu gewinnen, natürlich allerhand Unterschiede finden. f]s liegt auf der Hand, dass zum Beispiel die Flüssigkeit in einem Muskel, der andauernd arbeitet und in Folge dessen in sehr leb- haftem Stoffwechsel begriffen ist, Zersetzungsproducte in Mengen enthalten muss, wie sie im ruhenden Muskel nicht vorhanden sind. Wenn man aber Durchschnittszahlen aufstellen will, so bietet sich dafür ein einfacher Weg, indem man die Zusammensetzung der Lymphe untersucht, die weiter nichts ist, als in die Lymphgefässe aufgenommene Gewebsflüssigkeit. Da die Lymphgefässe aus allen v;erschiedcnen Geweben zusammenkommen, so ist die Lymphe ein Gemisch aller verschiedenen Gewebsflüssigkeiten, üeber die Zu- 248 Zusammensetzung der Lymphe. Lymphslrom. sammensetzung der Lymphe giebt folgende Zahlenübersiclit Aus- kunft: 100 Tlicile Lymphe enthalten bei 100 Theile Blutplasma Mensch Pferd Esel Kuh vom Menschen enthalten "Wasser .... 95,2 95,8 96,5 96,4 90,1 Feste Stoffe . . 4,8 4,2 3,5 3,5 9,8 Fibrin . . . 0,1 0,1 0,1 0,1 0.8 Eiweiss . . . 3,5 2.9 2,7 2,8 7,4 0.3 Fett .... Spur Spur Spur Spui- • Extractivsioffe . 0,3 0,1 0,1 0,1 0,6 Salze .... 0,9 1,1 0,6 0,6 0.8 Ausserdem treten in die Lymphe, aus den Lymplifollikeln, von denen weiter unten die Rede sein wird, zahlreiche sogenannte Lymphkörperchen, Lvmphocyten, ein, die mit weissen Blutkörperchen identisch sind. Man kann also, bis auf den Unterschied im Eiweiss- gehalt, die Zusammensetzung der Lymphe mit der kurzen Angabe völlig ausreichend bezeichnen: Lymphe ist Blut ohne die rothen Blutkörperchen. Hier ist hinzuzufügen, dass auf der Höhe der Fettverdauung die Lymphgefässe des Darms so viel Fett führen, dass ihr Inhalt milchweiss erscheint. Diese fettbeladene Lymphe wird Chylus ge- 100 Theile Chylus enthalten Mensch ■ Hund Pferd Esel Feste Stoffe . • • Fibrin .... Albuminstoffc . ■ . Extractivstoffe . ■ 92,2 7,8 0,1 3,2 3,3 0,4 0,8 91.2 8.8 1,0 2,7 4,9 0.3 0,8 92,8 7,2 0,1 4,0 1.5 0,8 0,8 90,2 9,8 0,4 3.5 3.6 1.6 0,7 Der Chylus unterscheidet sich also nur aurcn beiucu r..c.v.. Fettgehalt von der Lymphe, deren Eigenschaften er im Ucbrigen beibehält. Der Chylus gerinnt daher auch, wenn er aus dem Korpei entnommen ist. Mikroskopisch erscheinen die Fe tkornchen in Chylus selbst bei stärkster Vergrösserung als emfeche 1 '"'^ ^'i ^ nel kleiner sind als die Fetttröpfchen der Milch oder kunst- sie v: lieber Emulsionen. . , , q- Lvmplistrom. Die Gewebsflü.ssigke.t wird nun durch die interstitielle Resorption auf zwei verscidedenen ^^^J^" ^'"'^^X^ auf-esogen, erstens, indem ihre Bestandtlieile durch die tapillai S hUurch in' die Blutbahn übergehen, imd z.^,tens, mde die Gesammtaüssigkeit selbst in die Lymphgefässe emiiitt, duuh Lymphstrotn. 249 die sie dem Blute zugeführt wird. Ganz wie bei der Darm- rcsorption entsteht nun die Frage, durch welche Kräfte die inter- stitielle Resorption vermittelt wird. Dies soll zunächst in Bezug auf den zweiten der erwähnten Eesorptionswege, nämlich die Lymph- l)alin erörtert werden. Die Thätigkeit des Lymplisystems ist von Bau und Anordnung seinerTlieile abliängig. DieLymphgefässe entspringen aus den feinsten Zwischenräumen der Gewebe, indem diese der eigenen Wand entbehren- den Lücken da, wo sie zusammenstosscn, etwas weitei-e Räume bilden, in denen dann, an das überall verbreitete Bindegewebe an- schliessend sich Endothelwände ausbilden, die die feinsten Wurzeln der Lympiigefässe bilden. Die Lymplibahnen, die aus den grösseren serösen Höhlen entspringen, entstehen aus offenen Löchern im Epithel- übcrzug der serösen Häute, den sogenannten Stomata, die unter Fig. 3L -St' Die EndoHielien und Stomata dos Zwerchfells. Silberbild. dem Mikroskop insbesondere nach Silbernitratbehandlung sichtbar gemacht werden können. Die Lymphgefä,sse der Darmschleimhaut entspringen aus den blind endigenden centralen Lymphschläuchen der einzelnen Zotten. Diese ersten Wurzeln des Lymphsystems vereinigen sich dann zu etwas festern Ilöhrchen, die bei grosser Sorgfalt auch an Lijectionspräparaten makroskopisch sichtbar ge- macht werden können und als ein überreiches Netz alle Gewebe durchziehen. Alle diese Stämme vereinigen sich zuletzt in dem B)rustlymphstamm, Ductus thoracicus (Fig. 32), der in die obere Hohlvene mündet. Auf diese Weise stellt das Lymphgefässsystem eine IJahn dar, auf der von jeder Gewebslücke aus die Gewebs- llüssigkcit bis in die Holilvene fortgefülirt werden kann. Diese ganze Bahn ist nun sehr reichlich mit Klappen ausgestattet (Fig. 33), die nur in der Richtung von der Peri|)lierie nach dem Brustlymph- suinini Strömung zula.ssen. Die Klappen sind so zahlreich imd diciir liintereinander angeordnet, dass die Lympiigefässe als aus lauter kleinen unmittelbar an einander anstossenden Kammern be- stehend beschrieben werden können. Rückströmung von Flüssig- keit, auch nur Rückstauung in einem längeren Gefässabschnitt ist durcli diese Einrichtung vollständig unmöglich gemacht. Nur bei 250 Lymphgefässe. niederen Thieren, wie zum Beispiel bei den Fröschen, sind einzelne Stellen des Lympligefässsystenis mit Muskelfasern ausgestattet, die durch rhythmische Zusammenziehung eine Strömung der Lymphe Fig. 32. Einmündung der Lymphgefässe in die Blutbahnen, a Aorta, b V. anonynia. unterhalten. Man nennt diese Stellen „Lymphherzen", wed sie für die Fortbewegung der Lymphe dieselbe Bedeutung haben wie das eigentliche Herz für die Bewegung des Blutes. Bei den höheren Thieren fehlt es an einer solchen besonderen Vorrichtung zur i^ort- bewegung in der Lymphe, die durch verschiedene andere Irieb- kräftc ersetzt wird. "Die wichtigste dieser Iriebkräfte ist der so- genannte Gewebsdruck, nämlich derjenige Druck unter ;dein sich die Flüssigkeit in den Geweben stets beiludet. \on der Ursache dieses Druckes soll weiter unten die Rede sein. Unter dem Lin- fluss des Gewebsdruckes muss die Flüssigkeit in die \\urzeln doi Lymphgefässe eintreten. Aus den Centralgefässen der Darmzotion Bewegung der Lymphe. 251 wird die Lymphe durch die Zusammenziehnng der Zottenmusculatiir ausgetrieben. Man hat angenommen, dass die darautrolgcnde elastische Wiederausdehnung der Zotten jedesmal eine Saugwirkung auf den Darminlialt ausübt, durch die sich das Lymphgefäss wieder fülh, docli dürfte dies auch ohne Ansaugung durch die oben ge- schilderte Resorptionsthätigkeit der Epithelzellen geschehen. In dem weiteren Verlaufe der Lymphgefässe fehlt nun anscheinend jede Triebkraft, und die nachschiebende Kraft des Gewebsdrucks erscheint keineswegs geügend, die ganze Masse der Lymphe weiter vorzuschieben. Hier tritt eine neue bewegende Ursache ein, die allerdings keine ganz regelmässige Strömung hervorbringen kann. Sie beruht darauf, dass jeder beliebige Druck, der an irgend einer Stelle auf das die Lymphgefässe umgebende Gewebe ausgeübt wird, die Lymphgefässe zusammenpressen und, weil die Klappen jeden Rückfluss hindern, vorwärts treiben muss. Lässt der betreffende Druck nach, so kann dann die Lymphe in die sich erweiternden Gefässe nachströmen und wird bei nächster Gelegenheit durch einen neuen von aussen wirkenden Druck weiter gepresst. Die Ver- anlassung zu solchem wechselnden Druck in den Geweben wird während des Lebens bei unzähligen Gelegenheiten, vor allem durch die Anspannung und Verdickung thätiger Muskeln gegeben. Man kann die Wirkung der Muskelbewegungen auf den Lymphstrom bei einem Versuchsthier leicht nachweisen, wenn man in das Ilaupt- lymphgefäss eines Gliedes oder auch in den Brustlymphstamm an seiner Einmündungsstelle in die Hohlvene eine Canüle einbindet und nun passive Bewegungen mit den Gliedmaassen ausführt. Bei jeder heftigen Bewegung nimmt die ausfliessende Menge Lymphe zu. Wenn man auf den Bauch des Versuchsthieres drückt, presst man die Lymphe in Mengen aus der Canüle hervor. Endlich ist noch ein Umstand zu erwähnen, der zur Fortbewegung der Lymphe in ihrer Bahn beiträgt, nämlich der, dass ähnlich wie der Blut- strom der Venen, auch der Lyraphstrom nach dem Brustlymph- stamm zu durch die Saugwirkung der Lungen bei der Einathmung unterstützt wird. Man kann dies sehr schön wahrnehmen, wenn l)ei einem mit Fett gefüttertem Hunde die Eintrittsstelle des Lymphstamms in die Hohlvene blossgelegt ist. Bei jeder Hebung der Brust tritt dann in die dunkelblaue Vene ein Strom von milch- weissem Chylus ein, der durch die dünne Gefässwand deutlich zu erkennen ist. Durch alle diese verschiedenen geringfügigen Trieb- kräfte wird im Ganzen eine so erhebliche Flüssigkeitsmenge durch die Lymphgefässe getrieben, dass sie für den Menschen auf über 4 1 in 24 Stunden geschätzt wird. Lymphdrüsen. Es bleibt noch zu bemerken, dass in die Lymphbahn überall da, wo die Gefässe eines grö.ssercn Gewebs- gebietes zusammentreten, um sich zu Stammgefässen zu vereinigen, sogenannte ]jymphdrüsen eingeschaltet sind. Man sollte diese, wie in der Lehre von den Drüsen ausgeführt werden wird, lieber als Lymphfollikel bezeichnen, weil sie das wesentliche Merkmal der 252 Resorption durch die Lymphbalmen. Drüsen, nämlich absondernde Zollen, nicht aufweisen. Diese Lympli- follikel bestehen aus einer derben Hülle, Albuginea, die ein Gerüst von Bindegewebe, Stroma, einschliesst, dessen Räume, Alveoli, von Lymphknötchen, Noduli lymphatici, erfüllt sind, die aus einem feinen Netzwerk, Eeticulum, bestehen, in dessen Maschen Lyinph- körperchen, Lymphocyten, angehäuft sind. Die Lymphknötchen sind jedes von einem Hohlraum, dem Sinus, umgeben, in den sich die Lymphe aus den in den Follikel eintretenden Gefässen, Vasa afferentia, frei ergiesst, um durch die ausführenden Gefässe, Vasa efferentia, wieder abzufliessen. Durch die Anordnung der Follikel ist die Lymphe, die aus einem Gewebsgebiet ausströmt, gezwungen, das Maschenwerk des Follikels zu durchsetzen, wodurch die an sich schon langsame Strömung in ähnlicher AVeise verlangsamt wird, wie wenn ein schnell fliessender Bach durch einen weiten schilf- durchwachsenen Teich geleitet wird. Aus den Lymphfollikeln stammen die Lymphkörperchen her, die sich in der in den grösseren Stämmen des Systems fliessenden Lymphe stets in grossen Mengen finden. Resorption durch die Lymphbahnen. Das ganze Lymph- gefässsystem stellt also einen grossen Aufsaugungsapparat dar, dessen "Thätigkeit sich über alle mit Lymphgefässen versehenen Theile des Körpers erstreckt und darin besteht, dass die Gewebs- flüssigkeit mit wechselnder Schnelligkeit, im Allgemeinen aber ganz langsam und allmählich den Hauptlymphstäiumen zu und endlich in das Venensystem getrieben wird. ' In diesen Weg sind die Drüsen eingeschaltet, die vermöge ihres eben beschriebenen Baues als eine Art Filter wirken, indem sie beispielsweise feste Körnchen, die von der Lymphe mitgeführt werden, zurückhalten. Von dieser Aufsaugungsthätigkeit des Lymphsystems kann man sich leicht durch Thierversuche oder auch durch Beobachtung gewisser pathologischer Vorgänge überzeugen. Spritzt man zum Beispiel einem Versuchsthiere eine leicht erkennbare Flüssigkeit, etwa eine Farbstofflösung, in eine der serösen Höhlen, etwa in ilie Pleura, ein und untersucht die aus dem eröffneten Brustlymphstamm ausfliessende Lymphe, so zeigt sich diese einige Zeit später deutlich gefärbt. Spritzt man einem Thiere Milch oder Blut m die Bauch- höhle ein, so findet man, wenn etwa eine Viertelstunde später die Bauchhöhle geöffnet wird, die Lymphgcfässc an der Unterfläche des Zwerchfells mit der Injectionsflüssigkeit angefüllt, so das^s sie als weisse oder rotlie Stränge grob sichtbar hervortreten, liine ahn- liche Wahrnehmunir kann man am Menschen bei der sogenannten Blutvergiftung" von Hautwunden aus machen, ^\enn an irgend einer Stelle durch die verletzte Haut Giftstoffe in den Körper ge- langen, so werden sie von den Lymphgefässen aufgenommen und fortgeführt. Indem sie auf ihrem ganzen Wege Lntzundung des benachbarten Gewebes hervorrufen, lässt sich da,nn der Verlauf der Lymphbahncn äusscriich in Gestalt gerötlietcr Stollen au der Haut verfolgen. Auch die Function der Lymphfollikel lasst sich an Resorption durch die Blutbahti. 253 diesem patliologischen Vorgang am besten nachweisen, da die Ent- zündung in der Regel auf das Gebiet unterhalb einer Follikelgruppe beschränkt bleibt. Ist die Infectionsstellc an der Hand gelegen, so beschränkt sich die Entzündung auf den Unlcrann, da schon in der Ellenbeuge ein Lymphfollikel vorhanden ist. Geht die Ent- zündung auch auf den Oberarm über, so wird sie doch durch die in der Achselhöhle liegenden zahlreichen LyniphroUikel aufgehalten. Bei Infcction durch die Geschlechtstheile' ist die Thätigkeit der Lymphi'ollikel in der Leistenbeuge an deren Schwellung erkennbar. In welcher AVeise die Lymphocyten in diesen krankhaften Zustanden und auch bei dem physiologischen Aufsauguugsgeschäft thätig sind, ist unbekannt. Dagegen steht fest, dass die Follikel im Ganzen eine rein mechanische Wirkung ausüben, die vollkommen mit der eines feinen Siebes zu vergleichen ist. Nicht selten findet man ncämlich bei Individuen, die sich zum Zweck des Tätowirens feine Farbpulver in Hautwunden eingerieben haben, die oberhalb von der Tätowirung gelegenen Lymphdrüsen von Ablagerungen des l'arbpulvers erfüllt, das offenbar von den Lymphgefässen fort- geführt und in den Follikeln abgesetzt Avorden sein muss. Da in vielen solchen Fällen Jahrzehnte seit der Einführung des Farb-stoffs verstrichen sein mögen, so ist oflenbar, dass das Follikelgewebe auch die feinsten Stäubchen dauernd zurückzuhalten im Stande ist. Für diesen Vorgang ist wesentlich, dass der Strom, indem die Lymphe den Follikel durchsetzt, wegen der grossen Verbreiterung der Bahn sehr stark verlangsamt ist. Es findet hier das oben gebrauchte Gleichniss eine neue Anwendung, indem auch Bäche und Ströme alle mitgeschwemmten Stoffe absetzen, sobald sie in einen Teich oder See eintreten. Ein noch viel verbreiteteres Beispiel von der Ablagerung pulverförmiger fremder Stoffe in den LymphfoUikeln gewähren die Bronchialfollikel, die bei älteren Individuen stets mit Euss beladen sind, der durch die Einafhmung von rauchiger Luft in die Lungen gelangt ist. Resorption durch die Blutbahn. Die Aufsaugung der Gewebsflüssigkeit durch das Lympligefässsystem geht wegen der geringfügigen Triebkräfte selbst unter den gün.stigsten Bedingungen nur langsam vor sich. Viel schneller findet die interstitielle Re- sorption durch die Blutgefässe statt. Wird beispielsweise zu dem (il)en erwähnten Versuch über die Resorption eingespritzter Flüssig- keit aus der Pleura ein Stoff gewählt, von dem man weiss, dass er durch die Nieren ausgeschieden wird, so kann man im Secret der Nieren, im Harn, den Stofi" schon wenige Minuten nach der Einspritzung nachweisen, lange ehe er in die grösseren Lymph- stämme übergegangen ist. In dieser Form liefert der Versuch zugleich den Beweis, dass ausser der interstitiellen Resorption durch die Lymphbahnen interstitielle Resorption durch die Blut- l)ahn stattfindet und dass diese viel schneller verläuft. Von der Thatsache, dass durch die interstitielle Resorption Flüssigkeiten, die in beliebige Gewebslückcn eingeführt worden sind, alsbald ins 254 Subcutane Injection. J3lLit übergehen und im ganzen Körper vertlieilt werden, macht bekanntlich die moderne Medicin ausgedehnten Gebrauch bei den sogenannten „subcutanen Injectionen". Da die Haut fast überall nur durch lockeres Bindegewebe mit den tiefer gelegenen Schichten verbunden ist, können in dies lose Unterhautgewebe, wie in eine geräumige Höhle, selbst grössere Mengen Flüssigkeit eingeführt werden, wenn man eine feine nadeltormige Röhre durch die Haut sticht und mit einer Spritze verbindet. Die eingespritzte Flüssig- keit veriiält sich dann wie Gewebsflüssigkeit, und unterliegt der interstitiellen Resorption sowohl durch die Lyra phgefässe wie durch die Blutgefässe. Diese Art, Heilmittel oder Gifte beizubringen, hat vor der inneren Verabreichung verschiedene Vortheile, und ihre liäuüge iVnwendung ist der beste Beweis, dass die interstitielle Resorption mindestens ebenso schnell und sicher vor sich geht wie die Darmresorption. Jede subcutane Injection eines beliebigen Mittels, beispielsweise die Morphiumeinspritzung, die ein Versuchs- hund zur Einleitung der Narkose erhält, ist gewissermaassen ein Experiment über interstitielle Resorption. Je nach der Stärke und Wirkungsweise des Mittels sind die Folgen der eingetretenen Resorption früher oder später wahrzunehmen. Das Morphium ruft bei den Hunden gewöhnlich schon innerhalb von 2—3 Minuten Brechbewegungen hervor, während sich die einschläfernde Wirkung erst etwa eine Viertelstunde später geltend macht. Dass ein unter die Rückenhaut eingespritztes Mittel in so kurzer Zeit auf die Thätigkeit des Magens wirkt, ist natürlich nur dadurch zu erklären, dass ^es sofort in den Blutstrom übergetreten und dadurch im ganzen Körper verbreitet worden ist. Der Blutstrom braucht in jedem Augenblick nur ganz geringe Mengen aufzunehmen, um in kurzer Zeit beträchtliche Massen zu resorbiren. Auf diese Weise können sogar so grosse Flüssigkeitsmengen aufgenommen werden, dass man versucht hat, den Nahrungs- oder Flüssigkeitsbedarf Kranker durch subcutane Injection von Nährilüssigkeiten oder dünner Kochsalzlösung zu decken. Der Erfolg dieser ßehandlungsweise lehrt, dass die inter- stitielle Resorption zeitweilig für die Darmresorption eintreten kann. Aus allen diesen Beobachtungen ist zu schliessen, dass aucli die normale Gewebsflüssigkeit iederzeit von den Blutgefässen auf- genommen und fortgeführt werden kann. Dies ist sogar, wie schon oben wiederholt erwähnt worden ist, eine Grundbedingung für die Vermittlung des Stoffwechsels überhaupt. Ursache der Resorption. Da somit als sicher hingestellt ist dass die Blutgefässe der interstitiellen Resorption dienen, so entsteht die Frage,' wodurch sie in den Stand gesetzt werdeir, ent- Äcsen dem Blutdruck, der in ihrem Innern herrscht, Sto 1 aul- zunehmen? Welche Kräfte sind es, die die l^cst^andthcile der Gewebsflüssigkeit in das Blut überführen? Bei der Darmrosorp lon ist dieselbe Frage mit Bezug auf die aus dem Darm in die Blut- gefässe ül)ergehcn(lcn Nahrungsstoffe erörtert worden. Dort ist. aber ein offenbar mit besonderen Fähigkeiten ausgestattetes Epithel Fillrationstheorie der Lymplibildung. 255 vorhanden, auf dessen Thätigkeit dann auch der Vorgang zum grossen Theil zurückgeführt werden niuss. Bei der Frage nacli dem Eintritt der Gewebsflüssigkeit in das J31ut kommt aber kein dem Darmcpithei vergleichbares Vcrmittlungsglied in Betracht, denn die Capillaren werden von einer einfachen Lage äusserst dünner Endothelzellen gebildet und sind aussen unmittelbar von der Gewebs- llüssigkeit umgeben. Die Frage nach den Kräften, die unter diesen Umständen zur Aufnahme von Flüssigkeit in die Capillaren führen können, ist nicht zu trennen von der Frage nach den Kräften, die bei dem Austritt von Flüssigkeit aus den Capillaren thätig sind. Diese zweite Frage ist gleichbedeutend mit der viel umstrittenen Frage nach dem Ursprung der Gewebsflüssigkeit oder, wie man es ge- wöhnlich ausdrückt, nach der Entstehung der Lymphe. Wenn nämlich, wie oben beschrieben, das Lymphgefässsystem dauernd Gewebsflüssigkeit aufnimmt und wenn, wie oben gezeigt worden ist, auch der Blutstrom der Gewebsllüssigkeit dauernd Bestand- theile entzieht, so wird man sich natürlich fragen, woher denn diese Stoffmenge kommt und auf welche Weise sie dauernd ersetzt wird. Die Gewebsllüssigkeit muss offenbar ursprünglich aus dem Blute herstammen, und sie muss ebenso offenbar aus dem Blute wieder ersetzt werden, wenn sie durch die Lymphgefässe oder das Venen- system abgeflossen ist. Da die Menge der Gewebsflüssigkeit in irgend einem Organ oder in irgend einem Körpertheil sich im All- gemeinen ungefähr gleichbleibt, so muss bei diesem Ersatz ungefähr ebenso viel Stoff aus dem Blutgefässsystem austreten, wie durch Lymphgefässe und Venen fortgeführt wird. Es handelt sich also um einen Austausch zwi.schen Gewebsllüssigkeit und Blut, und die Frage nach den Kräften, die bei der interstitiellen Resorption der Gewebsflüssigkeit im Blute thätig sind, i.st nicht zu trennen von der Frage nach den Kräften, die bei dem Ersatz der Gewebs- flüssigkeit, bei der Abgabe von Stoffen aus dem Blute an das Gewebe thätig sind. Filtrationstheorie der Lyraph bild ung. Zwischen beiden Vorgängen ist allerdings der Unterschied, dass für die Resorption der Gewebsflüssigkeit ausser den Blutgefässen auch noch die Lymph- bahnen vorhanden sind. Man hat deren Thätigkeit mitunter so sehr in den Vordergrund gestellt, dass man die Stoffabfuhr durch die Venen völlig ausser Acht liess, und einfach die Blutbahn als den Weg der Zufuhr, die Lymphbalm als den Weg der Abfuhr von den Geweben betrachtete. Unter dieser Annahme vereinfacht sich allerdings die Betrachtung insofern, als nur der Austritt von Flüssig- keit aus dem Blute zu erklären ist, während die Rückresorption ausschliesslich dem Lymphgefässsystem zugeschrieben wird. Unter dieser Voraussetzung sind eine Reihe von Untersuchungen angestellt worden, um zu entscheiden, ob der Austritt der für die Erhaltung der Gewebe nothwendigen Stoffe aus den Blutgefässen durch ein- fache Filtration von Blut durch die Capillarwände zu erklären wäre 256 Secretionstheorie. oder nicht. Da in den Capillaren noch ein Tlieil des arteriellen Blutdruckes besteht, so ist allerdings die Möglichkeit gegeben, dass Bluttlüssigkeit durch die sehr dünnen Capillarwände hindurch in die Gewebe hineinsickern könnte. Man hat in Folge dessen zu- nächst angenommen, dass die Gewebsflüssigkeit einfach dadurch entstände, dass Blutflüssigkeit durch Transsudation die Capillar- wände durchsetzte und in die Gewebslücken einträte. J}ie Gewebs- zellen sollen aus dieser Flüssigkeit die für ihren Stoffwechsel nöthigen Bcstandtheile entnehmen, und die übrige Flüssigkeit durch die Lymphbahnen dem Blutkreislauf wieder zugeführt werden. Indessen ist klar, dass unter den Bedingungen wie sie der Capillar- kreislauf durch die Gewebe darbietet, die Membrandiffusion zwischen Blut und Gewebsflüssigkeit eine viel grössere Rolle spielen muss als die blosse Filtration. Ofienbar darf also die Bezeichnung Filtration in diesem Zusammenhange nur so verstanden werden, dass der Blutdruck die Diffusionsvorgänge im Sinne des Flüssigkeits- austrittes beschleunigt. Da indessen in den Capillaren nur ein geringer Druck herrscht, dem von aussen noch der Gewebsdruck entgegensteht, so kann diese rein mechanische Druckwirkung nur unbedeutend sein. Es hat sich denn auch bei Versuchen gezeigt, dass die Menge der aus einem Gefässbezirk abfliessenden Lymphe, die als Maassstab für die Menge der aus den Blutgefässen aus- getretenen Flüssigkeit betrachtet werden kann, von der Höhe des arteriellen Blutdruckes unabhängig ist. Wenn die Venen abgesperrt werden, tritt allerdings zugleich mit Erhöhung des Blutdruckes vermehrter Äbfluss von Lymphe auf, wenn aber der arrerielle Blutdruck auch noch so sehr gesteigert wird, findet kerne \er- mehrung der Lymphe statt. Es muss also die Stauung m den Venen auf andere Weise als durch blosse Druckerhöhung auf die Lymphbildung einwirken. . Secretionstheorie. Wenn demnach die blosse Filtration oder Transsudation von Blutflüssigkeit in die Gewebe nicht als wesent- lich für die Entstehung der Gewebsflüssigkeit angesehen werden kann, so spricht das noch nicht gegen die sogenannte „Filtrations- thcorie" im weiteren Sinne, weil diese die A^ irkungen der 1 rans- sudation und die der Diffusion zusammenfasst. Ihr steht gegenüber die „Secretionstheorie", die der CapiUarwand in Bezug aul die Ausscheidung der für die Erhaltung der Gewebe nothwendigen Stoffe aus dem Blut eine ähnliche Rolle zuschreibt, wie sie das Darmepithel bei der Resorption der Nahrung au.s dem Darm spielt. Die Secretionstheorie nimmt also an, dass jede der Endothelzellen, die die Capillarwände bilden, durch besondere chemi.sche Kraf e diejenigen Stoffe aus dem Blut aufnimmt, deren das benachbarte Gewebe gerade bedarf, und diese wiederum durch eine besondere Ausscheidungsthätigkcit in die Gewebslliissigkeit abgiebt. Inn diese An.sicht ist geltend gemacht worden, dass die /^'f '/"-^.^X^^.^; webe verschiedener Stoffe bedürfen, und dass deshalb bei de Ai s- scheidunff von Blutbestandtlieilen aus den Gcfässen eine bestimmte Secretionstheorie. 257 Auswahl stattfinden nniss, damit jedes Gewebe den ihm eigen- thümiichen JJodarf zugewiesen bekäme. Diese Aufgabe sollten die Capillarcndothelzellen erfüllen, indem sie ebenso wie die Darm- cpithelien die Nahrungsstotre aus dem Darrainhalt auswählen, die in jedem Falle erforderlichen Bestandtheile aus dem Dlute auswählten und in die Gewebsflüssigkeit hineinbeförderten. Hier- gegen ist einzuwenden, dass Form und Bau der Capillarwände keine genügenden Anhaltspunkte bieten, ihnen eine so schwierige Verrichtung zuzuschreiben. Ueberdies müssten die Gefässzellen der verschiedenen Gewebe dann auch je nach den Stoffen, deren das betrellende Gewebe bedarf, verschiedene chemische Arbeit leisten. Es ist kein Zweifel, dass die verschiedenen Gewebe verschie- dener Zufuhr bedürfen und dass also eine Kegelung der Zufuhr auf irgend eine Weise stattfinden muss. Es ist aber durchaus nicht erwiesen, dass hierzu nicht allein die allgemeinen phJ^sikalischen Kräfte der Osmose genügend sein sollten. Gerade die Auswahl derjenigen Stoffe, für die im Gewebe der grösste Bedarf ist, ist aus den Gesetzen der Diffusion auf's Einleuchtendste zu erklären. Denkt man sich beispielsweise ein unthätiges Gewebe von Blut durchströmt, so ist klar, dass zwischen der Gewebsflüssigkeit und dem in den Capillaren enthaltenen Blute ein Gleichgewichtszustand eintreten wird, nachdem aus dem Blute eine gewisse Menge von seinen ßestandtheilen in die Gewebsflüssigkeit hinüberdiffundirt ist. Sobald n>m durch die Thätigkeit des Gewebes ein Theil der in der Gewebsflüssigkeit enthaltenen Stoffe verbraucht worden ist, werden gerade von diesem Stoffe neue Mengen aus dem Blute in die Ge- websflüssigkeit hinüber diffundiren. Der Stoffaustausch zwischen Blut und Geweben wird also, genau so gut wie der oben im Ab- schnitt über die Athmung besprochene Gasaustausch, durch ein- fache Dilfusion vor sich gehen können. Für diese Auffassung spricht vor allem der Umstand, dass nach Einführung von fremden Stoffen, wie Farblösungen, Nähr- lösungen und selbst Giften in die Gewebe bei der interstitiellen T^esorption niemals eine bestimmte Auswahl unter den in die Blut- liahn übergehenden Stoffen stattfindet. Wenn aber die Capillar- wände sicli bei der Resorption völlig unthäiig verhalten, kann wohl nicht angenommen werden, dass die Ausscheidung durch eine besondere Tiiätigkeit der Capillarwände bedingt ist. Die Entscheidung, ob der Austausch zwischen Blut und Gewebe ein rein osmotischer Vorgang i.st oder nicht, wird erst dann gefällt werden können, wenn man die Zusammensetzung des Blutes und der Gewebsflüssigkeit in der unmittelbaren Umgebung der Gefässe genau kennt. Es ist aber bisher noch kein Verfahren ermittelt worden, durch das es mög- lich wäre, die Gewebsflüssigkeit des lebenden Körpers auf ihre Bestandtheile zu untersuchen. Die Zusammensetzung der aus dem Gewebe abströmenden Lymphe, die in vielen Untersuchungen über diese Frage als mit der Gewebsflüssigkeit identisch aufgcf'asst worden ist, kann für die beim Austausch wirkenden Kräfte deshalb R. du Bois-Reyin 0 n (I , Physiologie. , 2.58 Entstehung der Gewebsflüssigkeit. nicht niaassgcbcnd .sein, weil sie ollenbar das Endergebniss des schon vollzogenen AusLaiisehes darstellt. Gleichviel ob die Gefäss- aiissigkeit von den Gei'ässwänden mit besonderer Rücksicht auf den Bedarf der Gewebe ausgescliieden wird, oder ob eben der Bedarf der Gewebe durch rein physikalische Diffusionskräfte be- stimmte Stoffe aus der Blutbahn herauszieiit, werden die ausge- schiedenen Stoffe zunächst den Gewebszellen zu gute kommen, und die ablliessende Lymphe wird eine andere Zusammensetzung zeigen müssen, als die ' ursprünglich aus dem Blut austretende neue Gewebsflüssigkeit. Die Zusammensetzung der Lymphe ist also nur maassgebend für die Zusammensetzung der Gewebsflüssigkeit nach dem Austausch mit den Gewebszellen und nicht für die Zusammen- setzung derjenigen Flüssigkeit, die unmittelbar mit dem Blute m ]3erührung steht. Dieser Unterschied kann, namentlich wenn sich das Gewebe in uuthätigem Zustande befindet, sehr gering sem, er darf aber nicht vernachlässigt werden, denn die geringste \ er- schiedenheit in der Concentration kann für die Bewegung grosser Flüssigkeitsmengen entscheidend sein. Zusammenfassung. Ohne zwischen „Secretionstheorie und Filtrations"- oder besser „Diffusionstheorie" zu entscheiden, kann man demnach den Vorgang der Entstehung der Gewebsflussigkeif wie folgt auffassen: Zwischen dem Blute und den Geweben findet durch Vermittlung der Gewebsflüssigkeit ein Austausch statt. Die aus dem Blute austretenden Stoffe sind nach Art und Menge dem Bedarf der betreffenden Gewebe angepasst. Ob, nach der becretions- theorie, die CapiUarwände den unmittelbaren Antrieb zur Aus- scheidiing der betreffenden Stoffe geben, oder ob der Stoff.nangel der Gewebszellen durch die Gefässwand hindurch wirkt indem er das Diffusionsbestreben des Blutes erhöht, entscheidend für den Austritt der Stoffe ist in beiden Fällen der relative Stoflmangel nn Gewebe Die Secretionstheorie nimmt an, dass die Endothclzellen der CapiUarwände je nach der Art der Gewebe versclnedene ^.toffe aus dem Blute auswählen, dass sie also von der Beschaffenheit der Gewebszellen abhängig seien. Die Diffusionstheorie ninnnt an, dass dei Zustand der Gewebszellen unmittelbar auf die Diffusion des ß utereinwirkt. Stofle, die im Blute im ^f^^-^^^^^^^}^^ sind, müssen ins Gewebe übertreten; Stoffe, die durch die That g- kek des Gewebes in der Gewebsflüssigkeit entstehen oder künstlich efn^efill rt werden, gehen in die ßhitbahn über. Ausserdem wn-d be^fän lio I rch die Lymphgefässe Gewebsflüssigkeit au gesogen un S Blutkreislauf wiLler zugeführt. ^^"^ .'^^ ISZ wird ein gewisser Gleichgewichtszustand zw.scheii Zufuh. duich da^ Blut und Abfuhr durch Blut- und Lymphgefässe aufrecht ei- ^'"^'''liautresorption. An den mit Schleimhaut bedeckten Stellen der I ö^peiXrlläche bestehen für die Resorption ungelalir diese ben lidin 'uneen wie auf den serösen Häuten, die die Korperhohlen au k elS eT^^ sich leicht nachweisen, dass Lösungen, die Hautresorption. 259 mit. Sclileimluiiiten in J3eriilirung gebraclit werden, in den Körper übergehen. Hiervon wird in der Augenheilkunde l)ekanntlich liäufige Anwendung gemacht, indem mau Lösungen von Mitteln, die auf die inneren Theile des Auges wirken sollen, wie Atropin oder Eserin, in den Bindehautsack einträufelt. Dagegen zeigt sich die normale äussere Haut des Menschen und der Säugethiere im Allgemeinen undurchlässig für äusserlich aufgetragene Lösungen. Dies beruht zunächst darauf, dass durch die Thätigkeit der Talgdrüsen die Epidermis in der Regel leicht eingefettet ist. sodass sie von wässerigen Lösungen anfänglich überhaupt nicht benetzt wird. Bei längerem Eintauchen in Wasser wird der schützende Einfluss der Fettigkeit alimählich überwunden, und die obere, verhornte, trockene Epidermisschicht quillt im Wasser an. Dies macht sich namentlich an den dicken Schwielen der Hand- und Fusssohlen bemerkbar. Selbst dann aber tritt das Wasser nur in die obersten Epidermisschichten ein, und so findet kein Austausch etwa im Wasser gelöster Stoffe mit dem Inhalt der Hautgefässe statt. Es geht also von Mitteln, die etwa dem Wasser eines Bades zugesetzt werden, selbst bei stundenlangem Verweilen im Bade nichts in den Körper über, bis auf diejenige Menge, die etwa von den unter- getauchten Schleimhäuten aufgenommen wird. Für Stoffe, die Fett lösen, scheint dagegen die Haut nicht so undurchdrmglich zu sein, denn dieselben Mittel, die, in wässriger Lösung aufgetragen, unwirksam sind, erweisen sich wirksam, wenn sie m ätherischer Lösung, oder in Chloroform oder Terpentinöl aufgetragen werden. Eine sehr lebhafte Resorption findet, wie oben erwähnt, statt, sobald man Stoffe durch die Haut hindurch in das Unterhautgewebe eingeführt hat. Ebenso werden Stoffe vom Blute und von den Lymphgefässen aufgenommen, wenn sie auf solche Hautstellen ge- bracht werden, an denen die Epidermis, etwa durch ein Blasen- pllaster, entfernt worden ist. Auch durch die unversehrte Haut kann man sehr leicht Stoffe in den Körper überführen, wenn man sie durch Reiben und Drücken in die Ausführungsgänge der Schweissdrusen und in die Haarbälge hineintreibt. Hierauf beruht die Anwendung von Heilmitteln, die als Salbe zum Einreiben be- nutzt werden. Die Ausführungsgänge der Schweissdrüsen sowie die Haarbalge durchsetzen bekanntlich die ganze Epidermisschicht und stellen daher zwar enge, aber doch ganz offene Verbindungswege zwischen der blutführenden Lederhaut und der Aussenfläche dar Es bedarf nur der mechanischen Einwirkung des Reibens, um die .'^albenstode durch diese engen Bahnen hindurch zu treiben so verhalten sie sich ebenso, als wenn sie auf eine von der Epidermis entblosste Hautstelle aufgestrichen wären. Eine eigentliche Resorptionsthätigkeit der unversehrten äusseren Haut ist weder beim Menschen noch beim Säugethier anzunehmen 17* 260 Untergang der rothon Blutkörperchen. 7. Das Blut als Vermittler des inneren Stoff- wechsels. Erneuerung des Blutes. Im Vorhergehenden ist bescliricben Avorden, wie der Blutstroni durch Darmresorption NahrungsstolTe und du'rcli interstitielle Resorption die Abfallstofle aus den Geweben aufnimmt. Die Nahrungsstoffe gehen, wie ebenfalls schon be- schrieben worden ist, aus den Capillaren in die Gewebsflüssigkeit über so dass das Blut davon entlastet wird. Die Abfallstoffe werden durch besondere Organe, die Ausscheidungsdrüsen, von denen erst unten die Rede sein soll, ebenfalls aus dem Kreislauf entiernt. Man könnte durch diese Betrachtung zu der Auffassung gefuhrt werden als sei die Masse des Blutes in zwei Posten einzutheilen, von denen der eine die wechselnde Einfuhr und Ausfuhr, der andere einen dauernden Bestand darstellt. Das trifft aber nicht zu denn es giebt überhaupt keinen Blutbestandtheil, der dauernd dem Blute angehörte. Selbst die Blutkörperchen, die doch lebendige ZeUen sind und sich am Stoffwechsel nur als Vermittler betheüigen, haben nur kurze Zeit Bestand und werden dauernd durch neu- o-ebildete Blutkörperchen ersetzt. Man kann zwar diesen ^Vechsel nicht unmittelbar mit dem Auge verfolgen, aber man hat eme P-anze Reihe von Beobachtungen gemacht, aus denen klar hervor- geht, dass im Körper einerseits Blutkörperchen zerstört werden, und 'andererseits neu entstehen. Untergang der rothen Körperchen. Was zunächst den Untergang der rothen Blutkörperchen betnfft, so ist oben darauf hingewiesen worden, dass die Gallen farbstoffe dem Blmfarbs off herstammen. Da nun ein Theil der Gallenfarbstoffe im Koth und eine weitere Farbstoffmenge im Harn dauernd aus dem korper ausscheidet, und mithin zum Ersatz fortwährend ne^ef G^ll^^" farbstoff und Harnfarbstoff gebildet werden muss, so folgt mit Bestimmtheit, dass fortwährend Blutkörperchen zur Erzeugung on Farbstoff ve braucht werden. Als Anzeichen dieses \erbrauches^ sieht man die Körnchen und Schollen an, d,e sich im Blute neben den no malen Körperclien finden, und die gewissermaassen als Trümmer oder Ueberreste zerstörter Körperchen anzusehen sind. Ferner hat man in der Milz Zellen gefunden, die ganze rotheB ut- kö Se ch^ oder kleinere blutfarbstoff haltige Trümmer ent nelten n7hat aus diesem Befund darauf geschlossen, dass den Leukocy s Jnizgewebes die Aufgabe zufällt, rot he :^^-^^n-rcUon ^ zulösen. Diese Annahme stützt sich auf eine Reihe on 13eob • rhtun^en In der Milz finden sich /eilen. 11 il , Plijsii)li)(;io. 290 Anorganische Bestandtheile des Harns. Nalirung in den Körper aufgenommen und werden ausgeschieden, ohne dass mit ihnen irgend welche Veränderungen vorgegangen sind. Kochsalz, das ja auch im Blut von allen Salzen am reich- lichsten vorhanden ist", erscheint im Harn zu ungefähr 10 pCt. des Gesammtgewichts, also etwa 10—15 g am Tage. Die Ausscheidung ist von der Aufnahme abhängig. Die übrigen anorganischen Verbindungen kommen in viel ge- ringeren Mengen vor. Es sind im Anschluss an das, was oben über die Ausscheidung des Schwefels und des Phosphors der Eiweissstoffe gesagt worden ist, vor allem zu nennen phosphorsaure und schwefelsaure Salze. Phosphorsäure Avird in so grossen Mengen ausgeschieden, dass bei Untersuchung des Harns der Phosphor 1669 von Brand entdeckt wurde, und später der Harn zur Dar- stellung des Phosphors benutzt werden konnte. Die tägliche Aus- scheidung beträgt ungefähr 3 g Phosphorsäure. Die Säure ist zum grössten Theil an Kalium, ausserdem an Calcium und Magnesium gebunden. Die Verbindung mit dem Kalium ist das einfach phos- phorsaure Salz, Monokaliumphosphat oder saures phosphorsaures Kali. Dieser Verbindung sowie dem sauren harnsauren Kali ver- dankt der Harn seine saure Reaction. Die Harnsäure hat nämlich die Eigenschaft, einfach kohlensaure oder einfach phosphorsaure Salze in zweifach saure zu verwandeln, indem sie selbst einen Theil des Alkalis als sa,ures harnsaures Salz bindet, nach der Formel: C5H,N,03 + KoHPO, = CsHsKN.O« + KH,PO, Harnsäure Einfach phosphor- Saures harnsaures Zweifach phosphor- saures Kalium Kalium saures Kalium. In dieser Form ist die Phosphorsäure zu etwa 2/3 im Harn enthalten, das letzte Drittel ist an Calcium und Magnesium ge- bunden, als CaHPO^ und MgHPO,. Diese Erdphosphate bleiben, wie der oxalsaure Kalk, nur bei sauerer Reaction des Harns in Lösung Die Menge der Phosphate ist sehr von der Art der Er- nährung abhängig, da sie hauptsächlich von den phosphorsauren Salzen der aufgenommenen Fleischnahrung herstammen Die Schwefelsäure, die aus dem Eiweisszerfall im Korper ent- steht, erreicht ebenfalls eine Tagesmenge von 2 g. Em kleiner iheil wird in der oben angegebenen Weise als Aetherschwefelsaure ab- geschieden, ein grösserer Theil findet sich als Ammoniumsulfat im Harn. ZAisamraenfassung. Von der gesammten Zusammensetzung des Harns in ihrer Abhängigkeit von der Ernährung geben Ana- lysen von Runge ein Bild, die sich auf die 24stundKge Au.sschci- dtmg eines gesunden Mam'ies bei ausschliesslicher Fleichnalirun, Sratenes Fleisch, Kochsalz, Wasser) und bei Pflanzennahrung (Weizenbrod, Kochsalz, Butter, Wasser) beziehen: Wasser. Carnivorenliain. 291 Fleischkost Brodkost 1 G72 cctn 1920 cciu Harnstofl .... b l,^ g 9f» f; er llarnsäuie .... V),£0 g Kreatinin .... f) in er Kali 3,31g 1,31g N;il,!'on 3,99 g 3 92 o- Kalk 0,33 g 0,34 g Magnesia .... 0,29 g 0,14 g ■Chlor 3,82 g 5,0 g SO3 4,ß7 g 1-27 g PoOs 3,44 g 1,66 g Endlieh ist zu erwähnen, dass der Harn, wie alle Körper- flüssigkeiten, eine gewisse Menge Gase absorbirt enthält, vur allem Kohlensäure zu etwa 5 Voluuiprocent. Das Wasser. Was den Hauptbestandtheil desHarns, das Wasser, betrifft, so spielt es erstens die Rolle des Lösungsmittels, mit Hülfe dessen der Körper sich der übrigen ßestandtheilc des Harnes entledigt, zweitens aber bildet die Wasserausscheidung durch den Harn eins der wichtigsten Regulirungsmittel für den Wasserbestand des ganzen Körpers. Die Wasserausgaben des Körpers theilen sich in drei verschiedene Posten, die Ausgabe durch die Lungen, von der im Abschnitt über die Athmung die Rede gewesen ist, die Ausgabe durch die Nieren, also im Ilarn, und die Ausgabe durch die Haut. Diese drei Arten der Wasserabgabe stellen in einer gewissen Wechselwirkung zu einander und sollen deshalb erst bei den Be- trachtungen über die Bilanz des Stoffwechsels gemeinschaftlich be- sprochen werden. Schweineharn. Der Harn des Schweines, das zu den Omnivoren zählt, unterscheidet sich bei gemischter Fütterung nicht wesentlich von dem des Mensclien, nähert sich aber bei Pflanzen- kost dem der Herbivoren, indem er dann insbesondere auch kohlen- saure Salze enthält. Harn der Fleischfresser. Der Carnivorcnharn entspricht im Ganzen dem des Menschen bei Fleischkost, ist aber viel con- centrirter, was sich durch dunkle Färbung und hohes specifisches Gewicht (1025-1055 für Wasser — 1000) zu erkennen giebt. Der Harnstoffgchalt beträgt durchschnittlich 4 — 6, zuweilen selbst 8 — 10 pCt. des Gcsammtgewichts. Daher verhält sich Ifundeharn ungefähr wie eingedampfter Menscheniiarn, und man kann einfach durch Zu.satz von Salpetersäure die ganze Masse zu einem Brei von Krystallen salpetersauren Harnstoffs erstarren sehen. Harn- säure enthält der Hundeliarn wenig und nur bei Fleischkost, da- .gegen kommt eine andere dem Hundeharn eigenthümliche Verbin- 19* 292 Herbivorenharn. dung „Kynurensänre" in geringer Menge (etwa 0,1 pCt.) darin vor, und zwar bei reicliiicher Fleischkost am meisten, im Hungerzustand weniger. Der Harn der Katzen, der sicli auch durch einen eigenthüm- lichen Geruch vom Ilundeharn unterscheidet, soll ebenfalls einen ihm eigenthümlichen Bestandtheil enthalten, aus dem sich auf Zu- satz von starken Säuren zum Harn Schwefel in Substanz ab- scheidet. Her bi VC renharn. Im Gegensatz zum Harn der Omnivoren und Carnivoren ist der Harn der Herbivoren trübe und reagirt alkalisch gegen Lakmus. In der Zusammensetzung ist der wesent- lichste Unterschied, dass der Herbivoreuharn weniger Harnstoff, fast gar keine Harnsäure, dagegen viel Hippursäure enthält, und dass unter den anorganischen Salzen reichlich Carbonate, dagegen nur wenig Phosphate auftreten. Die "alkalische Reaction des Herbivorenharns im Gegensatz zu der sauren des Carnivorenharns ist darauf zurückzuführen, dass die Herbivoren in ihrer pflanzlichen Nahrung grosse Mengen an organische Säuren, Pflanzeusäureii, gebundene xVlkalien aufnehmen. Die 'organischen Säuren werden aber im Thierkörper zerstört und oxydirt, und die dadurch freiwerdenden Alkalien bilden Car- bonate. TT I • Im Einzelnen bestehen zwischen den verschiedenen Herbivoren in Bezug auf die Beschaffenheit des Harns so grosse Unterschiede, dass sie einzeln betrachtet werden müssen. Ein Pferd von 500 kg Gewicht, das mit 4 kg Heu, 4 kg Hafer und 2 kg Häcksel gefüttert wird, und 20 1 Trinkwasser aufnimmt, scheidet in 24 Stunden gegen 4,5 1 Harn aus. Der Harn ist meist alkalisch, kann jedoch bei ausschliesslicher.Haferfutterung sauer reagiren. Das specifische Gewicht ist hoch, ini Mittel 1045 für Wasser = 1000, die Farbe ist dunkelgelb und dunkelt bei längerem Stehen von der Oberfläche aus nach. Eine Eigen- thümliciikeit des Pferdeharns ist, dass er schleimig, fadenziehend erscheinen kann. Dies ist auf Verunreinigung des Pferdeharns mit Schleim aus den Harnwegen zurückzuführen. Er enthalt 3---4 ptt. Harnstofi", dagegen sehr wenig Harnsäure. Dafür tritt die Hippur- säure in Tagesmengeu von über 100 g oder über 2 pCt. des ge- samraten Harngewichts auf. Die Hippursäure krystallisirt, almlicii wie Harnstoff, ^ in vierseitigen Prismen oder Nadeln, sie ist wie Harnstofl- in Wasser und Alkohol leicht löslich. Die Hippursäure ist im Harn nicht frei, sondern an Kalium und Caicium gebunden als hippursaures Salz vorhanden. Um sie aus dem Harn dar- zustellen, setzt man dem eingedampften und darauf abgekühlten Pferdeharn concentrirle Salzsäure zu, die die Hippursäure aus ihren Verbindungen austreibt. Nach einiger Zeit bilden sich dann in der Flüssigkeit Krystalle von Hippursäure. Zum Nachweis der Hippursäure kann man sie mit staikei Salpetersäure eindampfen, wobei Benzoesäure entsieht, die in Nitro- llerbivorenharn. 293 bcnzol übergeht und dabei an dem Geruch des Bittermandelöls kenntlich wird. Durch Kochen mit Alkalien oder starken Säuren, ebenso bei der Gährung des Pferdeharns, zerfällt nämlich die Hippursäure. unter AVasseraufnahme in Benzoesäure und GlycocoU nach der Formol : CnlloNOa + HoO = C.HßO, + C2H5NO0 llippufslUire Wasser Beii/.o(!sliiire GlycocoU. Dies ist die IJmkehrung des Vorganges, auf den man, wie schon oben erwähnt, die Entstehung der Hippursäure im Organismus zurückführt. Dass die dort angeführten Beobachtungen auch für das Pferd mit seiner reicliliclicn Mippursäurebildung gelten, geht daraus hervor, dass bei eben demjenigen Futter, das Benzoesäure und die verwandten Pflanzensäuren am reichlichsten enthält, näm- lich Wiesenheu, die reichlichste Hippursäurebildung beobachtet wird. Bei Fütterung mit Stoffen wie Rüben, oder geschälte Kartolfeln, sinkt der Hippursäuregehalt des Harnes auf 0,3 pCt. In Folge der im Abschnitt über die Verdauung erwähnten Fäulnissvorgänge im Dickdarm des Pferdes sind die Erzeugnisse der EiwcissfäulnLss, die aromatischen Stoffe Phenol. Kresol, Indoxyl, im Pferdeharn reichlich vertreten. Zu diesen kommt, als be- zeichnend für den Pferdeharn, noch ein yVbkömmling des Benzols, ilas Brenzkatechin, das die Eigenschaft hat, durch Sauerstoff- mifnahme durch Grün und Braun zu schwarzer Farbe überzugehen. Hierauf beruht das oben erwähnte Nachdunkeln des Pferdeharns bei längerem Stehen. Das Indoxyl kommt im Pferdeharn so reichlich vor, dass man diesen gewöhnlich zur Demonstration dieses Stolfes im Harn benutzt. Wie oben angegeben, sind die aromatischen Stoffe im Harn in iTestalt atherschwefclsaurer Salze vorhanden. Das indoxylschwefel- saure Kalium, an dem der Pferdeharn besonders reich ist, hat den Namen Harnindican. Um es nachzuweisen, versetzt man die Harn- probe mit rauchender Salzsäure, die aus dem indoxylschwefelsauren Kalium, das ursprünglich im Harn vorhanden ist, das Indoxyl ab- spaltet Dies geht durch Oxydation in Indigblau über, wenn man •einige Iropfen Chlorkalklösung, oder besser etwas Eisenchlorid- losung zusetzt. War nur wenig Indican vorhanden, so zeigt sich im Harn nur eine grünliche Färbung, doch kann man die blaue Indigolarbe zur Anschauung bringen, indem man die grünliche iMussigkeit mit Chloroform schüttelt, das den reinen blauen Farb- sto 1 aulnimmt. In der Tagesmenge können bis zu 2 s' Indiüo enthalten sein. ° Was die Salze des Pferdeharns betrifft, so entsprechen sie jiem, was oben vom llerbivorenharn überhaupt gesagt ist Es linc en s,ch wenig Phosphate, au,sgenommcn bei vorwiegender liafer- intl^crung, bei der auch der Harn sauer sein kann. Dagegen ist •n ■ breit, und für jede Niere zu etwa 500 an der Zahl angegeben, was einem gemeinsamen Querschnitt von etwa 20 qrara entsprechen würde. Durch diesen Querschnitt fliessen in 24 Stunden etwa 800 ccm Harn. Das giebt eine Strömungs- geschwindigkeit von ungefähr 0,5 mm in der Secunde oder 3 cm in der Minute. Da der gemeinsame Querschnitt aller derjenigen Harncanäle, die zusammen einen Ductus papillaris bilden, erheblich grösser ist als der des Ausführungsganges, dürfte die Geschwindig- keit der Strömung in den oberen Theilen der Canälchen mindestens um das Drei- bis Vierfache kleiner anzunehmen sein. Von einem Harnstrom in den Canälchen kann also nur bildlich gesprochen werden, in Wirklichkeit handelt es sich um ein unmerkliches Durchsickern der Flüssigkeit. Bemerkenswerth ist, dass die Absonderung mit verhältniss- mässig geringem Druck vor sich geht. Während andere Drüsen ihr Secret unter einem Druck auszustossen vermögen, der be- deutend höher sein kann als der gleichzeitig herrschende Blut- druck in der Aorta, findet man meist, dass der Druck im Ureter nur wenig über 10 mm Quecksilberhöhe erreicht. Der in den Nieren gebildete Harn wird durch die üreteren der Blase zugeleitet und in längeren oder kürzeren Zeiträumen nach aussen entleert. Von diesen Vorgängen wird im zweiten Theile bei der Besprechung der Nerventhätigkeit die Rede sein. Die Schweissabsonderung. Anordnung der Schweissdrüsen, Nächst den Nieren sind als Drüsen, die ausschliesslich der Ausscheidung dienen, die Schweissdrüsen zu nennen. Dies sind tubulöse Drüsen, die einzeln in sehr grosser Zahl in der Haut liegen und ihr Secret, den Schwciss, nach der Aussenfläche des Körpers abgeben. Der Drüsen- schlauch ist in der Tiefe der Lederhaut knäuelförmig zusammen- gerollt und geht in einen Ausführungsgang über, der die Oberhaut mit korkzieherförmigen Windungen durchsetzt. Die Schweissdrüsen sind an verschiedenen Stellen der menschlichen Körperoberiläche in sehr wechselnden Mengen verthcilt. An der Linenlläche der Hand sind sie in regelmässigen Reihen längs der Hautlcisten an- geordnet, und unter Umständen werden ihre feinen Oeffnungen an dieser Stelle dem blossen Auge bemerkbar. Die Schweissdrüsen der Achselhöhle sind erheblich grösser, und der Bau ihrer Epithel- zellen unterscheidet sich von dem der andern Schweissdrüsenzellen durch einen „Borstensaum" an der inneren Oberfläche. An mehreren R. du Bois-Reymond, Physiologie. an 306 Schweiss. Stellen, wie am Augenlid, in der Umgebung des Afters und der Mamillen befinden sich ebenfalls Drüsen, die sich von den Schweiss- drüsen der anderen Hautstellen in Einzelheiten unterscheiden. Man hat daher den umfassenderen Namen „Rnäueldrüsen" für die Ge- sammtheit der schweissabsondernden Hautdrüsen eingeführt, der aber wiederum dem Thatbestand nicht genau entspricht, weil unter den betreffenden Drüsenarten sich auch solche finden, deren Form sich der acinöser Drüsen nähert. Die Hautstellen, die beim Menschen die grösste Zahl von Schweissdrüsen enthalten und die stärkste Schweissabsonderung aufweisen, sind die Beugeseite von Hand, Fuss und Rumpf, nächst- dem die Stirn. Dies geht aus folgenden Zählungen hervor: 1 cjcm Haut enthält Schweissdrüsen an: Stirn 140 Wange 60 Brust, Bauch, Vorderarm . 225 Nacken, Rücken, Gesäss . 50 Bein 60 , ( Fläche 310 S^^^ \ Rücken .... 170 ( Sohle ..... 300 ^^^^ I Rücken . . , . 100 Bei den Thieren ist Menge, Vertheilung und Ausbildung der Schweissdrüsen sehr verschieden, worauf schon die gew'ohnhche Er- fahrung hinweist, dass man nicht selten schweisstriefende Pferde, niemals aber eiaen schwitzenden Hund zu sehen bekommt. Bei Hunden ebenso wie bei Katzen fehlen in der behaarten Haut die Schweissdrüsen. Bei diesen Thieren beschräjikt sich die Schweiss- absonderung auf die unbehaarte Haut der Sohlenballen. Bei Rm- dern sind die Drüsen weniger ausgebildet, nämhch nur gewunden und nicht knäuelförmig, und nicht im Stande merkliche Schweiss- mengen abzusondern. Beim Pferd und ebenfalls beun Schaf kommt starkes Schwitzen vor. Ziegen und Nager sollen garnich schwitzen können. Bei Schweinen und Rindern, bei denen die Korperobe - fläche im Allgemeinen wenig Schweiss absondert, ünden sich in den uubSiaarten Hautstellen am Maul besondere Drüsen die Flotz- tuldr"o von manchen Forschern als Schweissdru^en^^^^^^^ anderen aber als Schleimdrüsen aufgefasst werden Die Absondc rung dieser Drüsen kann, was die Wasseraussche.dung betrifft, a s Ersatz für die mangelnde Schweissdrüsensecretion betracMe wei^ Die Zusamraensetzung des Schweisses l^ie U«ter suchung des Schweisses hat mit der grossen Schwierigkeit zu Snfen dass das Secret nicht in grösserer Menge in reinen Zu- ^ y^^on ist. Wie die Alltagserfahrung leint, ist d^^^ Schweiss eine wässrige klare Flüssigkei von salzigem nd e schon das Sprichwort sagt, sauerem Geschmack, langt man den Stickstoff des Schweisses. 307 Sch weiss in grösseren Mengen auf, so bestätigt die Untersuchung, dass der Schweiss nur etwa 1— V2 P^t. feste Stoffe enthält, und dementsprechend auch nur das specifische Gewicht 1003 — 1005, für Wasser — 1000, erreicht. Die Reaction ist raeist sauer, doch pflegen bei anhaltendem Schwitzen die später aufgefangenen Mengen neutral oder alkalisch zu reagircn. Der Schweiss des Pferdes ist stets dauernd alkalisch. Man nimmt dehalb an, dass die anfänglich saure Reaction auf Verunreinigung des Schweisses mit Fettsäuren aus dem Secrete der Talgdrüsen beruht. Ferner bemerkt man bei reichlichem Schwitzen gewöhn- lich einen Geruch des Schweisses, der an den ranziger Butter erinnert. Dieser .Geruch des Schweisses ist bei verschie- denen Individuen und auch beim gleichen Individuum unter ver- schiedenen Umständen verschieden stark. Es ist bekannt, dass die Neger durch den Geruch ihrer Hautabsonderung unangenehm auf- fallen. Auch in pathologischen Fällen kann derGeruch des Schweisses verstärkt sein. Diese Eigenthümlichkeiten des Schweisses erklären sich aus seiner Zusammensetzung. Von den IY2 pCt. festen Stoffen sind etwa zwei Drittel anorganische Salze, unter denen, wie bei allen thierischen Flüssigkeiten, das Kochsalz vorwiegt. Daneben finden sich phosphorsaure Erd- Alkalien und Eisenoxyd. Die organischen Bestandtheile des Schweisses sind ausschliesslich solche, die auch im Harn vorkommen, also vor allem Harnstoff, neben dem aber auch Kreatinin, Phenol und andere mehr nachgewiesen worden sind. Ausserdem findet man im Schweiss flüchtige Fett- säuren, auf die der Geruch des Schweisses zurückzuführen ist, Cholesterin und Fett. Eine interessante Angabe ist die, dass bei sehr reichlicher Schweissabsonderung die gesammelte Flüssigkeit in einigen Fällen bläulicli gefärbt erschienen sein soll. Diese Beobachtung wird durch die Gegenwart von Indican im Schweiss erklärt und bestätigt das Beiwort „caeruleus", das bei classischen Dichtern dem Schweiss zugetheilt wird. Der Art nach kann demnach die Zusammensetzung des Schweisses in zwei Worten bezeichnet werden als die eines ver- dünnten Harns. Die Stickstoffausscheidung. Krause hat die Zahl der Schweissdrüsen im ganzen menschlichen Körper auf gegen 2Y3 Millionen angegeben und ihren Rauminhalt auf ungefähr den gleichen Rauminhalt berechnet, der einer Niere zukommt. Er fasst die Bedeutung der Schweissdrüsen für den StolTwechsel dahin zu- sammen, dass er sie in ihrer Gesamratheit „die dritte Niere" des Menschen nennt. Thatsächlich ist zwischen der Thätigkeit der Nieren und der der Schweissdrüsen eine gegenseitige Beziehung wahrzunehmen, die diese Bezeichnung rechtfertigt. Wenn die Schweissabsonderung sehr lebhaft ist, nimmt die Harnabsonderung entsprechend ab. Dies gilt vor allem von der Wasserabscheidung, die ja bei Weitem den grössten Theil der Schweissabsonderung 20* 308 Talgabsonderung. ausmacht. Die Ausscheidung der festen Stoffe im Scliweiss ist für gewöhnlich so gering, dass man sie bei Stoffwechselbestiramungen ganz ausser Betracht zu lassen pflegt. Doch haben neuere Unter- suchungen gezeigt, dass dadurch ganz beträchtliche Fehler im Betrage von lOpCt. der gesammten Harnstofiausscheidung und darüber ent- stehen können. An Versuchspersonen, die mit eigens hergerichtetem Unterzeug bekleidet, anstrengende Märsche ausführten, hat man beim Auswaschen des Unterzeuges über 2 g Stickstoff gefunden, entsprechend fast 5 g Harnstoff. Ebenso wie die Thätigkeit der Nieren wird auch die Thätig- keit der Schweissdrüsen durch reichliche Wasserzul'uhr zum Blute angeregt. Trotzdem darf man behaupten, dass die eigentliche Be- deutung der Schweissabsonderung für den Organismus nicht auf der Abscheidung von Auswurfstoffen, sondern vielmehr darauf be- ruht, dass die vermehrte Wasserverdunstung dazu dient, den Körper, wenn es erforderlich ist abzukühlen und dadurch bei einem nor- malen WärmegTade zu halten. Von diesem Vorgange wird im Ab- schnitt über die thierische Wärme ausführlicher die Rede sein. Es genügt hier auf diesen Zusammenhang hinzuweisen, um zu er- klären, warum alle Umstände, die die Körpertemperatur zu erhöhen geeignet sind, auch auf die Schweissabsonderung wirken. Hierzu gehört vor allem hohe Temperatur der Umgebung, Muskelarbeit, aber auch jede Einwirkung, die die Durchblutung der Haut fordert und dadurch die Temperatur der Haut erhöht. Die Warme wirkt nicht unmittelbar als Reiz auf die Schweissdrüsen, sondern durch Vermittlung des Nervensystems. Die Einwirkung der Nerven aut die Schweissabsonderung ist auch daran zu erkennen, dass psy- chische Zustände, wie Angst, Zorn, Spannung zur Schweisssecretion führen können. Die Talgabsonderung. Ausser den Schweissdrüsen sind in der Haut noch die so- genannten Talgdrüsen zu erwähnen, die richtiger als TalgfoUikei bezeichnet werden müssten. Sie sondern nämlich mcht, wie die eigentlichen Drüsen, ein Secret ab, sondern ihi^ Zel en jerden iin Ganzen abgestossen, nachdem sie sich nnt Fett beladen habeiu Die TalgfoUikei sind also genau genommen nur ^\ucherungsstatten für eine bestimmte Art Epithelzellen, die nach ihrem Untergang als Träger des sogenannten Hauttalgs ausgestossen werden. Indem immer neue Zellen an Stelle der ausgestossenen Zellen nachwachse findet eine dauernde Ausfuhr von Hauttalg statt, ^le ungefahi au dasselbe hinausläuft, als wenn die Zellen in der Druse festsassen und nur der Hauttalg ausgestossen wurde^ T-i.nttiljrs In gewissem Gegensatz zu dieser Enislehung des "aut a gs steht der Umstand, dass er offenbar einem mcht !>";;:;;';t'^/' Zwecke dient, nämlich die Hautoberflache und bei T^J^«^;« Haarkleid durch Einfettung geschmeidig zu eriia ten. Dei Haultalg ist daher als Secrct, nicht als Excret zu betrachten. Hauttalg. 309 Der Bau der Talgfollikel entspricht so völlig dem einer acinösen Drüse, dass die Bezeichnung Talgdrüse ganz allgemein üblich ist, und auch der Hauttalg ganz allgemein unter die Secrote gerechnet wird, statt unter die Zersetzungsproducte der abgestossenen Körperzellen. An allen noch so fein behaarten Hautstellen liegen die Talg- drüsen seitlich den Ilaarbälgen an, so dass ihre Ausführungsgänge in den Haarbalg einmünden. Vom Grunde des Haarbalges ziehen bekanntlich schräg nach der Oberfläche der Haut zu Bündel glatter Muskelfasern, die Arrectores pili. Die Talgdrüsen liegen nun in dem Winkel, der vom Haarbalg und je einem oder mehreren Haar- balgrauskeln gebildet wird. Bei der Zusammenziehung der Muskeln muss daher auf die Drüse ein Druck ausgeübt werden, der die Ausstossung des Drüseninhalts befördert. Die Epitholzellen der Talgdrüsen sind anfänglich von denen anderer Drüsen nicht ver- schieden, sie nehmen aber im Laufe ihrer Thätigkeit immer mehr Fett auf, bis schliesslich von der Zelle nur eine dünne Membran, mit Fett erfüllt, übrig ist. Der Kern wird abgeplattet au die Wand gedrängt. In diesem Zustande zerfällt die Zelle und der halb- flüssige Inhalt dringt durch den scheidenförmigen Raum des Haar- balgs auf die Aussenfläche der Haut. An den Hautstellen, wo die Behaarung gänzlich fehlt, kommen auch Talgdrüsen mit selbst- ständiger Mündung vor. An manchen Stellen, zum Beispiel in der Hohlhand des Menschen, fehlen die Talgdrüsen gänzlich. Die beschriebenen Umstände machen es unmöglich, grössere Mengen Hauttalg auf einmal zum Zwecke chemischer Untersuchung zu erhalten. In den Fällen, in denen unter pathologischen oder normalen Bedingungen Ansammlungen von Hautsecret vorkommen, ist durch Eindickung und Zersetzungsvorgänge die ursprüngliche Zusammensetzung verändert. Es lässt sich daher nur angeben, dass die Absonderung der Talgdrüsen grossentheils aus Fett be- steht, das zum Theil noch von Zellwänden umgeben ist. Ausserdem findet man geringe Mengen Eiweiss und Cholesterin, das zum Theil aus dem Keratin zerfallener Hautzellen herrühren soll. Ueber die Menge der Absonderung lässt sich ebenfalls nichts Bestnnmtcs sagen, ausser dass sie sich unter normalen Verhältnissen auf ein so geringes Maass beschränkt, dass sie im Verhältniss zu den übrigen Stoffausgaben verschwindet. Jedenfalls ist die Ab- sonderungsgrösse bei verschiedenen Individuen sehr verschieden, was sich schon an dem verschiedenen Aussehen und Anfühlen der Haut zeigt. Bei den Negern sollen die Talgdrüsen überaus stark entwickelt und dementsprechend die Haut stets ölig glänzend sein. Diese Angaben gelten ebenso sehr für die Säugethiere, bei denen sich ebenfalls beträchtliche Unterschiede in Bezug auf Glanz und Geschmeidigkeit des Haarkleides zeigen. Wie wichtig die Ein- fettung der Haut für das Wohlbefinden des Körpers ist, zeigt sich an solchen Fällen, wo sie durch Störung der Hautthätigkeit oder auch nur durch übermässiges Waschen, namentlich mit Laugen 310 Verschiedene Hautdrüsen. Schleimdrüsen. ausgeschaltet ist. Es entsteht ein unangenehmes Gefühl von Trockenheit der Haut und Empfindlichkeit gegen Kälte, was darauf hindeutet, dass die Abdunstung des Wassers aus den tieferen Schichten der Haut erleichtert ist. Die Oberhaut verliert auch einen grossen Theil ihrer mechanischen Widerstandsfähigkeit und wird spröde und rissig. Es ist eine bemerkenswerthe Thatsache, dass auf Polarexpeditionen auch an Reinlichkeit gewöhnte Menschen davon abkommen sich zu waschen, selbst wenn ihnen für die Waschung warme Räume zur Verfügung stehen. Bei Thieren mit Haarkleid ist die Bedeutung des Fettuberzuges noch höher anzuschlagen. Das Fett hält die Haare geschmeidig und verhindert das Eindringen von Wasser, das sonst den Beiz durchnässen und die ganze Körperoberfläche stark abkühlen wurde. Andere Hautdrüsen. Verschiedene Hautdrüsen. Am Körper des Menschen linden sich an verschiedenen Stellen Gruppen von Drüsen, die den Talgdrüsen gleich sind oder sich sehr wenig von ihnen unter- scheiden, trotzdem aber wegen ihrer besonderen Stellung oder wegen geringer Unterschiede ihrer Absonderungen besondere ^amen erhalten haben. So bezeichnet man als besondere Gruppe die Präputialdrüsen, deren Absonderung, das Smegma, sich nur durch Beimengung von Harnbestandtheilen und Zersetzungsproducten von dem Hauttalg unterscheidet. Die Meibom'schen Drüsen des Augen- lides bilden eine besondere Gruppe nur durch ihre Anordnung. Ihre Absonderung ist als Hauttalg anzusehen der die Bestimmung hat die Thränenflüssigkeit von dem Augenlidrand zurückzuhalten. Etwas grössere Unterschiede bieten die Drüsen des äusseren Gehor- ganges dar, die das sogenannte Ohrenschmalz, Cerumen, absondern. Dies unterscheidet sich deutlich von den Absonderungen anderer Talgdrüsen durch seine gelbe Farbe und seinen bitteren Gesciimack. Die Stoffe, die dem Cerumen diese auffälligen Eigenschaften \er- leihen, sind noch nicht bekannt. , . , . ^ , Schleimdrüsen. In den Schleimhäuten nehmen die^S^^^^^^^ der Takfollikel die ähnlich gebauten Schleimdrüsen ein Dei voi- fang der Absonderung bildet^iier eine Mittelstufe z..schen^^w^^ Secretion und der Zellausstossung der i Strusen, ind m die Schleimdrüsenzellen zwar erhalten bleiben, jh'"«'; ^esta t on Schleimtropfen angehäuften Inhalt aber dadurch °' i^'^^^^^^^^^^^^^ Deckelmernbran zerreisst. Der Schleim überzieht die übertta<;lie alLr Slleimhäute mit einer bald dickeren, bald Er stellt eine meist klare, mitunter durch feste B^s ^ndt eile trübte zähe, wasserklare oder gelbliche Flüssigkeit dai. Der se tlicie BesTandlheil dieser Flüssigkeit ist das M«cin, daneben Tu etwas Albumin und eine Reihe von -or^"-^^!;-^?„^ 3 Z allem Kochsalz, darin enthalten sein D ^^^^^•^'»^j^^^^ g^. schwankend. Die Reaction ist stets alkalisch. Die testen dl Epiderinoidalabschuppung. 311 standthcilc sind grösstenthcils Trüninier der Schleimzellenwandung oder auch losgelöste Schlcimdrüsenzellen, daneben aber Leukocyten, die hier als „Schleimkörperchen" bezeichnet werden. In physio- logisclier Beziehung ist der Schleim dem Hauttalg insofern zu vergleichen, als er offenbar als Schutzmittel für die Schleimhäute dient. Dies tritt besonders deutlich in der Schutzwirkung des Schleimes der Magenschleimhaut hervor. Zu den Hautdrüsen ist schliesslich auch die Thränendrüse zu rechnen, die indessen wegen ihrer Beziehung zum Auge erst in dem Abschnitt über den Gesichts- sinn besprochen werden soll. Bei verschiedenen Thieren finden sich nun . noch eine grosse Anzahl verschiedener A harten der genannten Drüsen und ausserdem noch Hautdrüsen besonderer Art, die mannigfachen Zwecken dienen. Die Talgabsonderung zeigt besondere Eigenthümlichkeiten beim Schaf, bei dem sie das dicke Wollfiiess durchsetzt. Sie bildet hier zusammen mit den üeberresten von der Schweissverdunstung einen feinen üeberzug, der die einzelnen Haare einhüllt und ihre Ver- einigung zu dem sogenannten „Stapel" begünstigt. In normaler Menge und Beschaffenheit bezeichnet man sie als den „Fettschweiss" des Schafes, der der rohen WoUe bi.s zur Hälfte ihres Gesammt- gewichts anhaftet. In dem Fettschweiss findet sich fettsaures Kalium, Cholesterin an Oel- und Stearinsäure gebunden, und Benzoe- säure. Man nimmt an, dass die Verbindung der Fettsäuren mit Kalium dadurch entsteht, dass Kaliumcarbonat aus dem Schweiss das Fett des Hauttalgs verseift. Aus dem Wollfett wird durch Ausziehen der Fettstoffe, die dann mit etwa dem gleichen Gewicht Wasser verknetet werden, das sogenannte Lanolin hergestellt, das sich als Grundlage für Salben besonders bewährt, weil es sich in Folge seines Ursprungs aus thierischen Hautdrüsen und seines Wasser- gehalts besonders leicht in die Haut einreiben lässt. Die Praeputialsecrete des Bibers und des Moschusthiers, Castoreum und Moschus, enthalten neben den Bestandtheilen des ge- wöhnlichen Hauttalgs Zersetzungsproducte, die ihnen ihren starken Geruch verleihen. Bei den Vögeln fehlen die Talgdrüsen der Haut, und ihre Leistung wird durch die der sogenannten Bürzcldrüse ersetzt, deren fettige Absonderung von dem Vogel beim „Glätten des Gefieders" mit dem Schnabel über das Gefieder vertheilt wird. Ausser den erwähnten könnten noch sehr viele andere Bei- spiele besonders ausgebildeter Hautdrüsen bei verschiedenen Thieren aufgeführt werden, so die Analdrüsen des Stinkthiers, die Suborbital- drüsen vieler Mufthicre u. a. m. Epidermoidalabschuppung. Ebenso wie bei der Abson- derung des Hauttalgs die Drüsenzellen ganz abgestossen werden, gehen von der Oberfläche der Haut fortwährend ancli Epidermis- zellcn ab. Ausserdem werden die Ilornanhängo der Haut, Haare und Nägel, bei Thieren Hufe und Hörner, dauernd abgenutzt und abgestossen. Diese Verluste werden durcli dauerndes Wachsthum 312 Epidermoidalabschuppung. wieder ersetzt, und bilden dalier einen Posten in der Stofl'weclisel- reclinung, der allerdings meist verschwindend klein i.st. Den grössten Theil des Stoffes, der auf diese Weise aus- scheidet, bildet Hornsubstanz, Keratin. Das Keratin ist schon im ersten Abschnitt unter den Alburainoiden aufgeführt. Es ist, wie schon der Name Hornsubstanz sagt, der Stoff, aus dem Hörner, Haare. Nägel, Vogelfedern und überhaupt die Hautgebilde der Wirbelthiere vornehmlich bestehen. Das Keratin ist in Wasser, Alkohol, Aether und Säuren unlöslich, in heissem Wasser, in schwachen Säuren und alkalischen Lösungen weicht es auf, nur in concentrirter Kalilauge ist es löslich. Beim Neutralisiren dieser Lösung entweicht Schwefelwasserstoff, der durch Schwärzung eines in Bleiacetat getauchten Papiers nachgewiesen werden kann. Beim Kochen mit starken Säuren wird das Keratin zersetzt und es ent- steht Ammoniak. Dies entspricht der Angabe, dass das Keratin ein Albuminoid ist und mithin C. 0, N, H und S enthalten muss. Der Schwefelgehalt ist grösser als bei anderen Stoffen dieser Gruppe. Vornehmlich wegen des Stickstoffgehalts ist die Abscheidung des Hornstoffs aus dem Körper wichtig, weil der Stickstoff in or- ganischer Verbindung, wie mehrfach erwähnt, nur durch die stick- stoffhaltigen Eiweissstoffe in der Nahrung ersetzt werden kann. Die Grösse des Stickstoffverlustes, die auf diese Weise entsteht, ist aber unbedeutend, da sie nicht einmal den zehnten Theil der ab- gestossenen Keratinraenge ausmacht. Die Grösse des Gesammtverlustes an Hautbestandtheilen muss ie nach den Umständen stark schwanken. Der Verlust aii Haar und Nägeln wird für den Menschen auf 40 mg täglich an Haaren, und 5—9 mg täglich an Nägeln geschätzt. Interessant und mit- unter diagnostisch wichtig sind die Störungen des Nagelwaijhsthums, die durch Beschädigung des Nagelbettes oder durch AUgemem- erkrankung hervorgerufen werden. Kurzdauernde heftige Erkran- kungen, oder, um im physiologischen Gebiete zu bleiben, das Wochenbett, können auf das Wachsthum der Inngernägel so ein- wirken, dass die Krankheitsperiode sich durch eine deutliche Quer- furche auf dem Nagel verzeichnet, und dies Zeichen bleibt natur- lich siclitbar, bis es sich über die ganze Länge des Nagelbettes hinausgeschoben hat, wozu 5-6 Wochen erforderlich sind. Bei langdauernden Erkrankungen, oder wenn der Arm dauernd in dei Binde oder gar in einem Verband gehalten wird, erhalt die Über- haut ein eigenthümliches glasiges Aussehen. Bei Thieren sind die Verluste am Haarkleid wesentlich höhere. Bei einem Hunde von 30 kg ist der tägliclie Verlust d^r^b Jaul- und Haarabschuppung zu 1-2 g bestimmt worden, bemi Herde zu 5-6 g, beim Rinde 2-20 g. Bei Schafen, die ja zum Zwecke der Erzeugung der Wolle gehalten werden, kann der Jahresertrag Milclmßcrotiofi, ;ui n-itKW VV'dhr Iii« luii I l»<;l.ra«':(). DUf S<;\\wM\(lkiü\., iriil flor (li/,<)l)il(l(! wa 3 c3 1— N VI b3 CO CO Wasser . . . 87,4 87.3 84,0 92,5 90,0 82,4 90,2 Feste Stoffe . . 12,6 12,7 16,0 7,5 10,0 17,6 9,8 Eiweiss . . . 3,4 3,5 5,3 1,7 1,9 6,1 1,5 Fett .... 3,7 3,9 5,4 0,4 1,1 6,4 3,1 Zucker .... 4,8 4,4 4,1 5,0 6,7 4,0 5,0 .Salze .... 0,7 0,8 0,7 0,4 0,3 1,^ 0,2 Salze der Mi Ich. .5 o 1000 Thcile a o '« nd zunimmt, beweist, dass die Milch alle Nährstoffe in aus- reichender Menge enthält, um allein den Stoff bedarf des Körpers zu befriedigen. Sie stellt also ein sogenanntes „vollkommenes Nahrungsmittel" dar, das zur Ernährung vollkommen ausreicht. Nach dem oben aufgestellten Kostmaass für den Erwachsenen lässt sich leicht berechnen, dass ein Erwachsener mit ungefähr 4 1 Milch am Tage ausreichend ernährt sein würde. Es ergäbe sich dabei gegenüber dem für den Erwachsenen passenden Mengenverhältniss allerdings ein Ueberschuss von Eiweiss und Fett gegenüber einem Mangel an Kohlehydraten. Daher muss eine verhältnissmässig sehr grosse Gesammtmenge aufgenommen werden, sodass die Ernährung mit Milch allein für den Erwachsenen nicht als zweckmässig er- scheint. Neben der natürlichen Milch werden hekanntlich deren ein- zelne ßestandtheile in verschiedenen Formen aus der Milch abge- schieden als Nahrungsmittel verwendet. Das Milchfett für sich wird als Butter genossen, der etwa folgende Zusammensetzung zukommt: Von der Bereitung der Butter bleibt die sogenannte Butter- milch zurück, die das Eiweiss, den Zucker und die Salze der ur- sprünglichen Milch enthält, und daher ein werthvoller Zusatz zu «iweissarraem Futter ist. , , •, j Die Eiwei.ssstoffe der Milch bilden den Hauptbestandtheil des Käses, der aber je nach der Herstellungsart auch einen Theil des Milchfettes einsclilicsst, und doshalb geeignet ist, eine kohlehydrat- reiche Nahrung zu einer vollkommenen zu ergänzen. Kuhmilch 1000 g ( Wasser Eiweiss Fett Zucker Salze ^ ] 875 35 37 48 7 Fett Zucker Salze 85 1 1,3 Fleisch. 335 Als Zusammensetzung des Käses kann etwa folgendes Zalileu- verliältniss angegeben werden: 100 g Käse, [ Wasser Ei weiss Fette Zucker Salze fetter magerer / 36 44 29 45 30,5 ^ 6 — 4,5 5 i'jidlich ist noch der Rückstand zu crw;ii)nen, der übrig bleibt, wenn Butterfett und Casein abgeschieden worden sind, nämlich der ]\lo]kcn, der noch einen Theil des Milchzuckers und der Salze ent- hält. Im saueren Molken ist der grösste Theil des Milchzuckers durch Milchsäuregährung in Milchsäure übergegangen. Aus dem süssen Molken, der bei der Labgerinnung entsteht, wird der Milch- zucker bereitet, der, wie oben erwähnt, zur Kuhmilch zugesetzt werden muss, wenn sie in verdünntem Zustand zum Ersatz von Muttermilch gebraucht wird. Auch therapeutisch wird der Molken zu den sogenannten Molkenkuren angewendet, die theils auf der leicht abfülirenden Wirkung des Milchzuckers, theils auf der Zu- führung der Milchsalze, namentlich der Phosphate beruhen sollen. Das Fleiscli. Ein weiteres von der Natur unmittelbar dar- gebotenes Nahrungsmittel ist das Fleisch. Im eigentlichen Sinne des Wortes bezeichnet Fleisch nur die Muskeln der Schlachtthiere, und die Analyse des Fleisches ist daher gleichbedeutend mit der Analyse des Muskelgewebes. Vom praktischen Standpunkt aus aber rechnet man auch die essbaren AVeichtheile, Leber, Milz, Nieren, Lunge mit zum Fleisch. Da die Muskulatur der Säugethiere etwa die Hälfte des Körpergewichts beträgt, kann man auch bei Schlacht- thieren etwa die Hälfte des Lebendgewichtes als Fleisch rechnen, durch Mästung lässt sich aber ein bedeutend höherer Procentsatz, durch.schnittlich 70 pCt. erreichen. Die Zusammensetzung des Fleisches ist je nach Art und Ernährungszustand des Thieres ver- schieden. Insbesondere kann es viel oder wenig Fett enthalten. Wasser Eiweiss II. filiitin Fett Kohle- hydrate Salze 76,7 20,0 1,5 0,6 1,2 lös, 19,4 2,9 0,8 1,3 7-2.6 19,9 6,2 0,6 1,1 42,8 10,5 45,5 0,3 0,8 70,8 22,7 4,1 1,3 1,1 79,3 7,0 0,9 0,8 100 Theilc Fleisch von Rind Kalb Schwein \ sehr fett Huhn Hecht Bei diesen Zahlen ist zunäclist der Wassergehalt des Fleisches zu beachten, der rund ^/^ des Gesammtgewichts ausmaclit. Mit- unter findet man nämlich, insbesondere in Reclameschriften für künstlich dargestellte Nährmittel, den Eiweissgehalt des natürlichen Fleisches mit dem trockener Nährpräparate verglichen. Trotz 336 Fleischbrühe. dieses liolien Wassergehalts enthält das Fleisch sehr viel Eiwciss in sehr gut verdauliclier Form. Unter allen Nahrungsmitteln ist es neben dem Käse dasjenige, das bei der Zusammenstellung einer vollkommenen Nahrung am geeignetsten ist, den Eiweissbedarf zu decken. Für sich allein kann das Fleisch dagegen kaum als eine vollkommene Nahrung angesehen werden, weil es zu arm an Kohlehydraten ist. Um den Bedarf an Kohlehydraten durch Fleisch zu decken, müssen sehr grosse Mengen Fleisch aufgenommen werden. Für den Menschen dürfte daher eine reine Fleischkost auf die Dauer nicht ausreichen, und wo davon die Rede ist, dass Menschen bei Fleischkost längere Zeit leben und gedeihen, ist stets eine aus Fleisch und Fett gemischte Kost zu verstehen. Das Fleisch wird gewöhnlich in besonders zubereiteter Form genossen, obschon rohes Fleisch für leichter verdaulich gilt. Das rohe Fleisch muss aber, um dem Magensaft zugänglich zu sein, fein gehackt gegessen werden. Die Zubereitung des Fleisches hat zunächst den einen grossen Vorzug, dass die etwa im Fleisch be- findlichen Parasiten, Bandwurmfinnen und Trichinen, abgetödtet werden. Ferner wird das Bjindegewebe gelöst und so der Zerfall des Fleisches und das Eindringen der Verdauungssäfte erleichtert. Die Vorgänge beim Kochen des Fleisches sind etwas verschieden, je nachdem man das Fleisch mit kaltem Wasser ansetzt oder in kochendes Wasser wirft. Noch anders gestaltet sich die Verände- rung des Fleisches durch Braten. Im kalten oder langsam er- wärmten Wasser lösen sich die Salze, das lösliche Eiweiss und die andern löslichen Bestandtheile des Fleisches im Wasser, sodass das Kochfleisch an diesen Bestandtheilen etwas ärmer wird. Das im Wasser gelöste Eiweiss gerinnt in der Hitze zu flockigem Schaum, den man abzuschöpfen und wegzuwerfen pflegt, dies nennt man „Abschäumen" der Fleischbrühe. Das gekochte Fleisch hat gegen lo pCt. seines Gewichts verloren, wovon aber nur 3—5 pCt. auf den Verlust an festen Bestandtheilen kommen. Selbst das mit kaltem Wasser angesetzte Fleisch enthält also noch Vs seines Ei- weissgehaltes. In kochendes Wasser geworfenes Fleisch erleidet einen etwas geringeren Verlust an Eiweiss, da die Oberfläche so- crleich fest gerinnt und das Austreten der löslichen Bestandtheile erschwert. Beim Braten bleibt dem Fleisch sein Bestand an Ei- weiss und Salzen vollständig erhalten. Der Gewichtsverlust der etwas grösser ist als beim Kochen, bezieht sich ausschliessbch aul den Verlust an Wasser. Ausserdem entstehen an der gebraunten Oberfläche des Bratens gewisse angenehm riechende und schmeckende Stofl"e, die als Würzen oder Genussmittel in Betracht kommen und unten noch zu erAvähnen sein werden. . , . , Die Fleischbrühe. Beim Kochen des ledarf an anorganischen Stoffen zu decken. Ausserdem wirkt ihr Gehalt an unverdaulichen Stoffen, Cellulose und Poetin, vortheilhaft auf die Zusammensetzung des Speisebreis im Darm ein, indem er die mechanische Arbeit des Darms er leichtert. Von dieser vortheilhaften Wirkung unverdauliclier Stoffe Obst. Genussmittel. 341 100 Theile enthalten Wasser Eiweiss Fett Kohle- hydrate Salze Cellulose Gemüse . . Obst . . . 80—92 85 1-2 0,5 2—4 10 0,4—1 0,5 1—1'/, 4 auf die Ernährung giebt folgender Versuch eine handgreifliche An- schauung: Kaninchen, die mit einem cellulosefreien, im Uebrigen völlig ausreichenden Nahrungsgemisch gefüttert werden, gehen zu Grunde, weil sich ihr Darm allmählich mit einer festen zähen Masse „v^on glaserkittäimlicher Beschalfenheit" ausfüllt, die er nicht fortbewegen kann. Werden der Nahrung Horns pähne beigemischt, die von den Verdauungssäften garnicht angegriffen werden, so bleiben die Kaninchen bei derselben Kost am Leben und gedeihen vortrefflich. Genussmittel. Unter den Nahrungsmitteln sind endlich auch die Würzstoffe und Genussraittel zu erwähnen, weil sie zum Theil, wie mehrfach erwähnt wurde , in den Nahrungsmitteln enthalten sind und weil sie wie die Nahrung und mit der Nahrung aufgenommen werden. Sie gehören aber eigentlich nicht zu den Nahrungsmitteln, weil sie sehr wenig oder garnicht zum Stoffersatz oder zur Energiezufuhr beitragen. Ihre Wirkung beruht vielmehr darauf, denjenigen Theil des Nervensystems zu erregen, der die Thätigkeit der Verdauungs- organe beherrscht. Es wird deslialb bei der Besprechung des Nervensystems auf die Wirkung der Genussraittel zurückzukommen sein. Hier soll nur eine Uebersicht über die verschiedenen Stoffe gegeben werden, die als Würzen und Genussmittel verwendet werden. 1. Anorganische Genussmittel. Es ist oben schon erwähnt worden, dass die Kohlensäure dem Wasser die Frische und die Schmackhaftigkeit giebt, die gutes Trinkwasser von „abgestandenem" unterscheidet. Ferner ist ebenfalls schon erwähnt, dass das Koch- salz, das künstlich zur Nahrung zugesetzt wird, nur in seltenen Fällen dazu dient, den Bedarf an Salz zu decken, sondern meist ausschliesslich zur Verbesserung des Geschmacks als Würze zu- gesetzt wird. Der Salze und Würzstoffe in der Fleischbrühe ist schon oben gedacht worden. 2. Organische Genussmittel. Eine sehr grosse Zahl von Würzen wird dem Pflanzenreich entnommen, wie Pfeffer, Senf, die verschiedenen als „Gewürze" bekannten Pflanzenstoffe. Als Gcnuss- mittel wirken ferner die organischen Säuren, die theils in Nahrungs- mitteln enthalten sind, theils, wie beispielsweise Essigsäure, be- sonders zugesetzt werden. Andere Würzstoffc entstehen, wie er- wälint worden ist, bei der Zubereitung der Nahrungsmittel. Hierzu gehören die wohlschmeckenden Stoffe der Bratenrind c und der Brotkruste, und die Stoffe, die dem Käse, namentlich den scharfen 342 Alkohol. Futtermittel. Käsesorten, ihren Geschmack geben. Endlich sind zu nennen zwei Gruppen von Stoffen, die als Genussmittel im eigentlichsten Sinne zu bezeichnen sind, nämlich die Alkaloide, die die wirksamen Be- standtheile in Thee, Kaffee und Chokolade bilden, und die alko- holischen Getränke. Es ist viel darüber gestritten worden, ob der Alkohol als ein Nahrungsmittel oder als ein Genussmittel zu be- trachten sei, und man hat sich vielfach für das erste entschieden, weil sich nachweisen lässt, dass der Alkohol thatsächlich wie ein Nahrungsmittel im Körper oxydirt wird, und dadurch zur Erzeugung von Wärme undd Arbeit beiträgt. Dies ist aber kein ausreichen- der Grund, den Alkohol den Nahrungsmitteln zuzuzählen. Yielmela- ist es bei unbefangener Beurtheilung ganz klar, dass der Alkohol überall nur als Genussmittel, nicht als Nahrungsmittel verwendet wird Denn nach seinem Nahrungswerthe lässt sich der Alkohol durch andere Nahrungsmittel ersetzen, und wenn er nur als Nahrungsmittel diente, müsste dies ebensowenig empfunden werden, als wenn etwa Fleischnahrung durch Eierspeisen oder Brod durch Leguminosen ersetzt wird. Nun ist der Preis des Alkohols meist sehr Yiel höher, als der einer entsprechenden Menge anderer Nahrungsmittel, und wenn man dennoch alkoholische Getränke den anderen viel billigeren Nahrungsmitteln vorzieht, so geschieht es offenbar nicht ihres Nahrungswerthes wegen, sondern weil man die besonderen Wirkungen des Alkohols auf das Nervensystem ge- messen will. Die nähere Betrachtung dieser Wirkungen gehört in die Pharmakologie. . Um das Verhältniss der Genussraittelwirkung zu den eigent- lichen Ernährungsvorgängen anschaulich zu machen, sei hier nodi an den Tabak^enuss erinnert, hei dem die Stoffmengen, die that- sächlich in den Körper aufgenommen werden, so ausserordenthch eerine sind, dass von ihrem Nahrungswerth gar keine Rede sein kann Trotzdem kann der Tabak in gewisser Weise wie ein Nahrungsmittel wirken, indem er das Gefühl des Hungers ab- stumpft Man könnte daher den Tabak ebensogut zu den Nahrungs- mitteln zählen wollen wie den Alkohol. Futtermittel. Zur Fütterung der Thiere dienen ausser den aufgeführten Nahrungsmitteln noch f ^^^t^'^^^^^^;^' /'f .^oh'! Grifnfutter (Gras, Klee, Lupinen) und Rauhfutter (Heu und bhoh) Ihre Zusammensetzung ist aus der Zahlenübersicht auf der folgenden Seite zu ersehen. ^ , ,, ^ i, i i„ B^m Rauhfutter ist der sehr hohe Gehalt an CeUulose zu b - •ichten der wie oben erwähnt, von den Wiederkauern und Ein- hufern'zwar zum Theil verdaut werden kann, aber einen grossen Anfw-ind an Kauarbeit und Verdauungsarbeit erlordcrt. Au ser diesen natürlichen Futtermitteln sind noch eine Reihe künstlicher Futtermittel im Gebrauch, die als Ruckstande bei n^.- schiedenen industriellen Betrieben gewonnen werden. Diese Stoffe xei hnen ich durch ihren hohen Eiweissgehalt aus, sodass sie al Satz zu iw issarmem Futter besonders für Jungvieh geeignet Zweckmässige Nahrung. 343 100 Theile enthalten Wasser Eiweiss Fett Kohle- hydrate Salze Cellulose 1. i- /gewöhnliches Roggenstroh 11^^^^ 75,0 78.0 85,0 13,0 18,6 13,8 3,0 3,5 3,1 9,5 1.5 3,9 8,0 0,8 0,4 3,1 1,5 1.0 13,1 8,0 5,7 40,9 32,4 34,7 2,1 1,7 0,7 6,8 3,0 6,5 6,0 8,0 5,1 26,7 43,0 40,1 sind. Es sind zu nennen: Die schon erwähnte Kleie mit 83 pCt. Cellulose, 14 pCt. Eiweiss, 3,1 pCt. Fett. Oelkuchen, die Rück- stände von der Oelgewinnung aus Rübsamen, Erdnüssen, Lein- samen, mit 30—40 pCt. Eiweiss, 8—14 Fett und 20—30 Kohle- liydraten. Schlempe, der Rückstand von der Spiritusbereitung aus Kartoffeln, oder vom Bierbrauen aus Gerste, mit etwa 20 pCt. Ei- weiss und 90 pCt. Wasser. Ferner die Rückstände von der Milch- wirthschaft und von der Fleischwaarenfabrication. Zweckmässige Nahrung. Für die Entscheidung der prak- tischen Frage, auf welche Weise die in den vorhergehenden Ab- schnitten erwähnten Stoffbedürfnisse des Organismus mit den im Vorstehenden besprochenen Lebensmitteln am besten gedeckt werden können, geben die angeführten Zahlen eine gewisse Grundlage. Es kommen aber in fast allen Fällen eine Reihe von besonderen Um- ständen in Betracht, die zum Theil dem physiologischen Gebiete völlig fern liegen. Daher kann über die Zweckmässigkeit einer gegebenen Ernährung schliesslich nur die praktische Erfahrung ent- scheiden. Es genügt nicht, nachdem nian das Stoffbedürfniss etwa nach einem der oben angegebenen Kostmaasse festgestellt hat, nun nach den soeben mitgetheilten Zahlenübersichten diejenigen Mengen von Nahrungsmitteln zusammenzustellen, die dem betreffenden Kostraaass entsprechen, sondern man muss in Rechnung ziehen, dass die Nahrungsmittel nicht vollkommen ausgenutzt werden. Die dargebotene Nahrung muss also das Kostmaass stets um diejenige Menge übersteigen, die unausgenutzt im Koth wieder abgeht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Nahrungsaufnahme selbst einen gewissen Arbeitsaufwand bedingt, der durch eine weitere Zu- lage bestritten werden muss. Unter Umständen kann dieser Auf- wand so bedeutend sein, dass er den ganzen Nutzwerth der Nah- rung überwiegt. So hat man berechnet, dass ein Pferd bei reiner Stroh fütterung an Kauarbeit und Energieverbrauch durch die Ver- dauung.sthätigkeit mehr zusetzt, als es aus dem schwer verdau- lichen und nährstoffarmen Futter überhaupt gewinnen kann. Die- selben iM-wägungen gelten für die Frage, wieviel an Nahrung mehr aufgenommen werden soll, wenn von dem Organismus bestimmte Arbeitsleistungen gefordert werden. Schliesslich hängt die Wahl der zweckmässigsten Ernährung noch von technischen Gesichts- 344 Gesammtstoffwechsel und Kreislauf der Stoffe. punkten, wie die Haltbarkeit von Vorräthen und dergleichen mehr, und nicht im kleinsten Maass vom Preise, der Nahrungsmittel ab. Aus allen diesen Gründen ist der praktischen Erfahrung bei der Zusammenstellung des Kostmasses aus den einzelnen Nahrungs- mitteln der grösste Werth beizulegen. Betrachtet man die lange vor der pliysiologischen Erforschung der Ernährungsvorgänge gebräuchlichen Zusammenstellungen von Nahrungsmitteln, so findet man, dass sie durchaus den oben ent- wickelten Anforderungen an physiologische Zweckmässigkeit ent- sprechen. Trockenes Brot gilt von jeher als unzureichende Nah- rung, man ergänzt es zu einer vollkommenen Nahrung durch Be- streichen mit Butter oder Schmalz. Dieser Zusammenstellung kann mit Vortheil noch Eiweiss zugefügt werden, wie es durch Auflegen, von Fleisch oder Käse allgemein üblich ist. Dem Fleisch, auch wenn es von Natur ausreichenden Fettgehalt hat, fehlt es, wie oben gesagt, um eine vollkommene Nahrung zu sein, an Kohle- hydraten, daher benutzt man das Fleisch als Ergänzung zur ßrot- kost, oder man setzt kohlehydratreiche Pilanzenstotfe, Kartoffeln, dazu. Zu den Leguminosen giebt man vor allem Fett, und es er- giebt sich die gebräuchliche Zusammenstellung von Erben und Speck, die sich in der haltbaren and handlichen Form der Erbswurst als Feldkost im Kriege besonders bewährt hat. Zu den billigen kohle- hydratreichen, aber eiweissarmen Nahrungsmitteln, wie Schwarz- brot, Reis, vor allem Kartoffeln, gehört eine eiweiss- und fett- reiche Zuthat, die durch Milch oder Käse gegeben werden kann. Da diese aber theuer sind, behilft man sich mit einer Fleischzuthat, die billig zu haben ist, nämlich Hering. Zugleich regt die Schärfe des Herings die Verdauungsorgane zur Thätigkeit an. Solche Beispiele Hessen sich noch viele anführen, um zu be- weisen, dass die praktische Erfahrung mit Sicherheit die erst viel später wissenschaftlich festgestellten Bedürfnisse des Organismus erkannt und ihnen zu begegnen gewusst hat. 10. Oesamiiitstoffweclisel und Kreislauf der Stoffe. Ueberblickt man die im Vorstehenden besprochenen chemischen Umsetzungen in ihrer Gesammtheit, so ergicbt sich, dass man es grösstentheils mit Spaltungen und Oxydationen zu thun hat, während nur in viel geringerem Maasse Synthesen und Reductionen vor- kommen. Durch die Spaltungen iind Oxydationen wird im Thier- körper die Energie erzeugt, deren er zur Leistung seiner mecha- nischen Bewegungsarbeit und zur Erhaltung der Körperwärme^ be- darf. Daher ist er auf dauernde Zufuhr zersetzungsfähigen Nähr- materiales angewiesen. Iis ist nun interessant, der Quelle nach- zugehen, aus der in letzter ]>inie die Energie herstammt, die der Thierkörper verausgabt. In dem Falle der Haubthiere, die sich von anderen Thieren ernähren, ist die Frage nur hinausgeschoben, denn Gesammtstoffwechsel und Jü-eislauf der Stoffe. 345 es versteht sich von selbst, dass die Thiero niciit auf die Dauer gegenseitig von einander leben können. Der eigentliche Vorrath an Nährniaterial, von dem die Thicrwelt zehrt, ist vielmehr durch die Pflanzenwelt gegeben. Denn ganz im Gegensatz zu den che- mischen Vorgängen im Tliierkörper vollziehen sich in den Pflanzen vornehmlich Synthesen und Rcductionen. Die Pflanze, die selbst nur eines geringen Energieaufwandes bedarf, vermag anorganisches Material unter dem Einflüsse des Sonnenlichtes zu organischen Ver- bindungen aufzubauen. Der Stoffwechsel derjenigen Pflanzen, die kein Chlorophyll entlialten, oder der Wirkung des Lichtes entzogen sind, verläuft ähnlich wie der der Thiere, indem sie organische Nährstoffe ver- brauchen. Diese Pflanzen nehmen zur Oxydation des organischen Materiales, ebenso wie Thiere, Sauerstoff aus der Luft auf und geben Kohlensäure ab. Ganz anders verhält sich die grosse Menge aller derjenigen Pflanzen, die Chlorophyll enthalten. Das Chlorophyll giebt ihnen die Fähiglvcit, mit Hülfe der Sonnenstrahlen die Kohlensäure der Luft zu reduciren und aus dem Kohlenstofl' organische Verbin- dungen aufzubauen. Der freiwerdende Sauerstoff wird wieder an die Luft abgegeben. Auf diese Weise ist der Gaswechsel der grünen Pflanzen das vollkommene Gegenstück zu dem der Thiere: Die Thiere nehmen Sauerstoff aus der Luft auf und athmen Kohlen- säure aus, die Pflanzen nehmen Kohlensäure auf und scheiden Sauerstoü' aus. Man kann dies sehr anscliaulich durch den Ver- such beweisen, indem man Thiere und Pflanzen, etwa Infusorien und grössere Algen, in Wasser unter Luftabschluss hält. Der vor- handene Sauerstoffvorrath genügt dann, um die Lebensvorgänge beliebige Zeit hindurch zu erhalten, indem er abwechselnd von den Thieren aufgenommen und als Kohlensäure ausgeschieden, von den Pflanzen als Kohlensäure aufgenommen und als freier Sauerstoff wieder ausgeschieden wird. Ebenso wie die Pflanzen mit Hülfe des Chlorophylls die Kohlensäure der Luft zu Kohle reduciren und diese zum Aufbau ihres Körpers verwenden können, vermögen sie auch andere an- organische Verbindungen, die für die Thiere unbrauchbar sind, wie Ammoniak- und salpetersaure Salze synthetisch in organische Ver- bindungen überzuführen. Die Pflanze stellt also aus Wasser und aus der Kohlensäure der Luft Kohlehydrate und Fette, aus stickstoff- haltigem anorganischem Material Eiwcisskörper her. Ganz ähnlich, wie es eben für den Gaswechsel der Pflanzen und Thiere beschrieben worden ist, besteht also auch für den Stofl- wechsel überhaupt eine Art gegenseitiger Ergänzung der Lebens- thätigkeit von Pflanzen und Thieren, indem die Thiere pflanzliche Nahrung aufnehmen und zersetzen und die Pflanzen das zersetzte anorganische Material von Neuem in organische Verbindung über- führen. Man nennt dies den Kreislau f der Stoffe in der organischen Natur. Ein solcher Kreislauf kann natürlich nicht aus sich selbst 34fi Gesammtstoffweohsel und Kreislauf der Stoffe. heraus ohne Energiezufuhr bestehen, insbesondere, da die Lebcns- tiuätigkeit der Thiere einen fortwährenden Energieverbrauch bedeutet. Die vom Thier ausgegebene Energie entstammt in erster Linie den Energie vorräthen, die in den Pflanzenstoffen aufgespeichert sind. Da die Pflanzen nur durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen zu ihrer aufbauenden Thätigkeit befähigt werden, so ist in letzter Linie die Energiequelle, die den Kreislauf der Stoffe unterhält und den gesammten Energieaufwand der organischen Natur bestreitet, die Sonnenwärme. Eine besondere Stellung nimmt im Kreislauf der Stoffe der Stickstoff' ein, weil er nur unter ganz besonderen Bedingungen aus dem freien Zustande oder aus anorganischer Quelle in die orga- nischen Verbindungen des Pflanzenkörpers eintritt. Der Stickstoff der Pflanzen stammt somit grösstentheils aus organischer Quelle. Während die Kohlehydrate des Pflanzenleibes aus Kohlensäure ge- bildet werden können, die aus kohlensauren Quellen oder von vul- kanischen Eruptionen her in die Atmosphäre gelangt ist, sind die Pflanzen, was ihren Stickstoffbedarf betrifft, für gewöhnlich auf den schon in organischen Verbindungen enthaltenen Stickstoff an- gewiesen, der bei der Zersetzung von thierischen oder pflanzlichen Stoffen in den Boden gelangt. Man darf demnach behaupten, dass es eine ganz bestimmte Menge in organischer Verbindung verfüg- baren Stickstoffs giebt, der sich in stetem Kreislauf durch die Leiber von Thieren und Pflanzen befindet. Vermehrt kann diese Stickstoff- raenge nur dadurch werden, dass einzelne Pflanzenarten mit Hülfe bestimmter an ihren Wurzeln angesiedelter Mikrobenarten den Stickstoff der Bodenluft in organische Verbindung überführen, oder dass auf anorganischem Wege, bei Oxydationen oder bei elektrischen Entladungen, Luftstickstoff gebunden wird. Zweiter Theil. Die Leistungen des thierisehen Organismus. 1. Die thierische Wärme. Stoffwechsel und Kraftwechsel. Der Stoffwechsel der lebenden Organismen lässt sich von zwei verschiedenen Seiten be- trachten, insofern es sich um die rein chemischen Vorgänge han- delt, durch die die eingeführten StolTe an die Stelle der ausge- schiedenen eintreten, und insofern die eingeführten Stolfe als Energiequelle aufzufassen sind, aus der der Körper die für seine l.ebensthätigkeiten und die damit verbundene äussere Arbeit er- forderlichen Kräfte bezieht. Man kann die erste Art der Betrachtung als die rein chemische, die zweite als die „energetische" bezeichnen oder man kann die erste als „Lehre vom Stolfwechsel" der zweiten als Lehre vom „Kraftwechsel " gegenüberstellen. Vom Standpunkt der Energetik erscheint die eingeführte Nahrung nicht als Stoff- ersatz, sondern als Träger von Spannkräften, die sich in der .Arbeitsleistung des lebenden Körpers äussern. Während im ersten Theilo dieses Buches die stofflichen Ver- änderungen erörtert worden sind, durch die die Nahrung die ver- brauchten Theile des Körperbestandes ersetzt, sollen in dem nun folicenden zweiten Theil die Leistungen des Thierkörpers und die sie" beherrschende Thätigkeit des Nervensystems besprochen werden. Diese Eintheilung ist selbsl,verständlich eine blosse Sache der Form, da die Vorgänge des Kraftwechsels durchaus von denen des Stoffwechsels abhängen. Die Erörterung des Stoffumsatzes ist un- vollständig, wenn sie nicht durch den Nachweis ergänzt wird, dass die dabei freiwerdende Energie im Körper als "Wärrae und mecha- nische Arbeit wiedererscheint, und die Erörterung des Kraftwechsels erfordert, dass man auf den Stoffwechsel als Quelle der l'rciwerden- den Energie zurückgeht. Um den Zusammenhang zwischen Kraftwechsel und Stoff- 348 Chemische Spannliraft. Wechsel darzuslellen, muss vor allem gezeigt werden, in welclie'- Weise der StolF zur Quelle von Kräften werden kann. Hierfür giebt die Explosion des Schiesspulvers in einer i3iichse im Vergleicli zu der Schnellkraft einer Armbrust ein handgreifliches Beispiel. Beim Schiessen mit der Armbru.st muss der Schütze selbst die Energie, die das Geschoss fortschleudert, durch die Arbeit auf- Avenden, die er beim Spannen des Bogens verrichtet. Das Schiess- pulver in der Büchse dagegen liefert die Energie für den Schuss aus der ihm innewohnenden sogenannten „chemischen Spannkraft". Unter der Spannkraft einer chemischen Verbindung versteht man ihre Fcähigkeit, sich in sich selbst oder mit anderen Stoffen umzu- setzen und dabei Wcärme und Bewegung hervorzurufen. Die Be- wegung kann verschiedene Formen annehmen, wie auch schon in dem gewählten Beispiel die Verbrennung des Pulvers zugleich mit der Bewegung des Geschosses den Lichtblitz der Pulverflamme und den Knall des Schusses hervorbringt. Daher bedient man sich, um alle verschiedenen Formen der Bewegung einschliesslich der Wärme zu umfassen, des Wortes „Energie". Das Gesetz von der Erhaltung der Energie lehrt, dass die Menge der in der Natur vor- handenen Energie, ebenso wie die des Stoffes, unveränderlich ist, dass sich also nur die Form der Energie ändei'n kann. Wenn ein Schmied seinem geschwungenen Hammer eine gewisse kinetische Energie ertheilt hat und der Hammer plötzlich auf den Ambos trifl't, so wird die kinetische Energie zwar scheinbar verniclitet, es besteht aber genau dieselbe Energiemenge in veränderter Gestalt fort, indem Schall und Wärme erzeugt wird. In ähnlicher Weise kann sich Energie jeder Art, Wärme, Licht, Elek- tricität, Massenbewegung in jede andere Art Energie umwandeln. So könnte in dem eben angeführten Beispiel die Erwärmung des Ambosses durch Vermittlung einer thermoelektrischen Säule in Elektricität verwandelt Averden und der elektrische Strom, als Funken überspringend, Licht erzeugen. Wenn nun eine Energiemenge von beliebiger Art vollständig in eine der anderen Arten übergeführt Avird, muss ZAvischen der Maasszahl, die für die eine Art Energie gilt, und der, die für die anderen Arten gilt, ein ganz bestimmtes Zahlen- verhältniss herrschen. Wenn beispielsweise die kinetische Energie, die in dem obigen Beispiel dem Hammer ertheilt Avurde. nach Kilogrammmetern gemessen Avird, und die Erwärnnmg des Ambcsses nach Graden, und der Einfachheit wegen vom Schall abgesehen werden soll, so muss einer bestimmten Energie des Hammersclilages auch eine bestimmte lirwärmung entspreclien. Diese Beziehung der verschiedenen Energieformen untereinander, die es gestailct, Energiemengen von verschiedener Form mit ein- ander zu vergleichen, lässt sich vielleicht am anschaulichsten durch die Beschreibung eines derjenigen Versuche darstellen, durch die sie zuerst von Joule nachgewiesen wurde. Durch ein in einen Schacht hinabsinkendes (icwiclil wurde eine Bohrmaschine ange- Mechanisches Wärmeäquivalent. 349 trieben, die einen Kanonenlauf auszubohren luittc. Das Metall des Kanonenlaufs war von einem Gefäss mit Wasser umgeben, dessen Temperatur gemessen werden konnte. Die Energiemenge, die frei wurde, indem das bekannte Gewicht um eine bestimmte Strecke sank, war eben durch diese beiden Grössen unmittelbar in Meter- kilogrammen gegeben. Diese Energiemenge musste zum aller- grössten Theil in Wärme übergehen, die den Kanonenlauf und das umgebende Wasser erwärmte. Es fand sich, dass die Energie- menge, die frei wird, wenn 425 kg um Im herabsinken, also die Arbeit 425 Jleterkilogramm, soviel Wärme liefert, wie erforderlich ist, um 1 1 Wasser von 0" auf 1° zu erwärmen. Diese Wärme- menge, die als eine Calorie 1 C, auch als eine grosse oder Kilo'gramra-Calorie bezeichnet wird, wird bekanntlich allgemein als Maasseinheit für Wärmemengen gebraucht. Die eben angeführte Zahl 425 mk, die angiebt, wieviel mechanische Arbeit aufgewendet werden muss, um 1 Calorie Wärme zu erzeugen, heisst das „Mechanische Wärmeäquivalent." Durch diese Beziehung zwischen Wärme und Arbeil ist es möglicli mechanische Energie in AVärme und umgekehrt Wärrae in Energie umzurechnen. Die Frage, auf welche Weise der Stoff zur Quelle von Kräften werden kann, lässt sich nun beantworten, indem man die AVärme- raenge bestimmt, die durch chemische Umsetzungen des Stoffes entstehen kann. Diese Wärmemenge in Galerien mit 425 multi- plicirt, stellt in Kilogrammmetern die Arheitsmenge dar, die als chemische Spannkraft in dem betreffenden Stoff enthalten ist. Diese allgemeine Betrachtung lässt sich leicht auf den Fall der Krafterzeugung durch chemische Umsetzungen im thierisehen Körper übertragen, weil für die Menge der freiwerdenden Energie nur das Endergebniss, nicht aber die Zwischenstufen des chemischen Vorganges maassgebend sind. Diese Thatsache wird durch das Gesetz von Hess ausgesprochen, das besagt: Die Wärmentwick- lung bei dem Ucbcrgang einer chemischen Verbindung in eine oder mehrere andere, ist unabhängig von den Zwischenstufen. Es macht also beispielsweise^ für die Gesammt- uienge der entstehenden Wärme keinen ünt(>rschied, ob (un Stück Holz etwa im Ofen zu Kohlensäure und Wasser verbrennt, oder ob (^s durch langsames Verfauhm an d(!r Luft in dieselben Endproducte übergeht. In beiden Fällen entsteht dieselb(> Wärmemenge, die nur deshalb im ersten Falle viel stärk(;r bemerkbar ist, W(m1 sie in viel kürzerer Zeit entwickelt wird. Ebenso wird die Nahrung, di(^ ein Thier zu sich nimmt, wenn sie im Körper vollständig zu Kohlensäuni und Wasser oxydirt wird, dem Körper genau die gleiche En(;rgi(!menge zufühnm, die in Form von Wärme (erscheinen würde, v/enn die Nahrung ausserhalb des Körpers durch beliebige Mittel vollständig oxydirt würde. Die Menge von Energie oder Spannkraft, die in einer beistimmten Menge von Nahrungsmitteln •Mithalten ist, lässt sich also messen durch die AYärmemenge, die bei d{;r Verbrennung der betreffenden Nahrungsniifü^l entsteht. 350 Homoiotherme und Poikilotherme. Diese Wärmemenge, geraessen in Calorien, nennt man den „Brenn- ■werth" oder „\Vi"irmew(>rtli" der Nahrung. Um den Wärmewerth eines beliebigen Nahrungsmitteis zu be- stimmen, pllegt man eine gewogene Proberaenge zu trocknen, in Pastiilenforra zu pressen und in der sogenannten ßerthclot'schcn Bombe, die reinen Sau(>rstoff unter hohem Druck entliält, zu ver- brennen. Die Verbrennung wird dadurcli eingeleitet, dass ein Stück auf elelctrischem Wege entzünd(>ten Eisendrahtes auf di(> Pastille fällt, und g(>ht bei dem hohen Sauerstofi'druck mit Sicherheit voll- ständig vor sich. Die bei der Verbrennung freiwerdende Wärme theilt sich der Bombe und einem umgebenden W'assergefä.ss mit, dessen Temperatur abgelesen wird. Um aus der Temperatur die Wärmemenge bestimmen zu können, muss man vorher ermittelt haben, wie vieler Galerien es bedarf, um die Bombe und das um- gebende W^asser um eine bestimmte Anzahl Grade zu erwärmen. Man kann auch den Brennwerth eines Nahrungsmittels an- nähernd aus den Brennwerthen seiner Bestandtheile berechnen, wenn diese vorher bestimmt worden sind. Die Energie, die bei der chemischen Umsetzung der Nahrung frei wird, tritt nun im Thierkörper als Wärme und als Bewegung in ihren verschiedenen Formen auf. Thermometrie. Homoiotherme und P o i k i 1 o t h e r m e. Dass im Thierkörper Wärme frei wird, ist zunächst daran zu erkennen, dass die mit dem Thermometer gemessene Temperatur des Thierkörpers in den meisten Fällen höher ist als die der Umgebung. Hier tritt ein auffälliger Unterschied hervor zwischen den beiden Gruppen von Thieren, die gewöhnlich als „Warmblüter" und „Kaltblüter" be- zeichnet werden. Warmblüter sind ausschliesslich die Säuger und Vögel, Kaltblüter die übrigen Thiere. Vergleicht man bei der- selben Aussentemperatur von beispielsweise 15 Grad die Körper- wärme von Warmblütern und Kaltblütern, so findet man, dass der Warmblüter etwa 37», der Kaltblüter dagegen nur etwa 15,o0 warm ist Noch grösser ist der Unterschied, wenn man den Ver- gleich bei kalter Umgebung, etwa 0", anstellt. Der ^Varmb uter hat wiederum 37«, der Kaltblüter aber nur 0,50. Dagegen kann bei hohen Temperaturen der Unterschied vollständig versehenden. Bei einer Aussentemperatur von 37 <> hat der AVarmbluter immer noch 37 0, während der Kaltblüter nun ebenfalls 37 o oder etwas darüber zeigt. Dieser Fall, in dem das Blut des Kaltbluters mcht mehr kalt ist, darf nicht als blosse künstliche Versuchsbedingung angesehen werden, sondern entspricht thatsächlich den natürlichen Verhältnissen, wie sie etwa für eine Eidechse, einen Irosch oder eine Schlange bestehen, die sich in der Sommerwärme, oder wohl gar in der Tropenhitze sonnt. Der wahre Unterschied zwischen Warmblütern und Kaltblutern darf also nicht darin gesucht werden, dass die «nncn warm, die Ablesung des Thermometers. 351 anderen kalt sind, sondern darin, dass die Warmblüter stets die gleiche Temperatur von etwa, ST" behaupten, während die Wärme der Kaltblüter von der Temperatur der Umgebung abhängt. Man bat deshalb auch die altherg<" brachten Bezeichnungen Warmblüter und Kaltblüter als nicht zutreffend beseitigen und durch „Homoio- therme und Poik-ilothtn-me", „Gleichwarme und W(;chselwarme" er- setzen wollen. , . . , „r Ablesung des Thermometers. Die thierische Wärme wird meist mit Quecksilberthermometern geraessen. Das Thermo- meter zeigt bekanntlich die Temperatur seiner Umgebung dadurcli an. dass sich das in ihm enthaltene Quecksilber bei der Erwärmung ausdehnt. Dazu ist nothwendig, dass aus der Umgebung Wärme in das Thermometer übergeht. Je grösser die Quecksilbermasse, desto mehr Wärme rauss übergehen, damit das Thermometer die Tem- peratur der Umgebung annimmt. Je kleiner die Obertläche, mit der das Thermometer an die Umgebung grenzt, desto weniger Gelegenheit hat die Wärm(> in das Quecksilber überzugehen und desto langsamer erwärmt sich das Quecksilber. Man spricht von der grösseren oder geringeren Empfindlichkeit des Thermometers, je nachdem es in längerer oder kürzerer Zeit die Temperatur der "Umgebung erreicht. Ein Thermometer wird um so empfindlicher sein, je kleiner die Gesaramtmenge des darin (>nthalt(men Queck- silbers, und je grösser die Oberfläche, die es der Umgebung dar- bietet. Daher pflegt man die zur Messung der thierisciien Wärme bestimmten Thermometer statt mit einem grossen kugt'lförmigen Quecksilbergefäss mit einem klein(m langgc^streckten Quecksilber- gefäss auszustatten. Selbst das empfindlichste Thermometer kann aber nicht in einem Augenblick die Temperatur seiner Umgebung annehmen, sondern es verstreicht eine gewisse Zeit während es sich erwärmt. Beim Gebrauch des Thermometers zur Messung der Körperwärme ist es allgemein üblich, diese Zeit ein- für alle- mal auszuprobiren oder eine reichliche Schätzung anzunehmen, und den Stand des Thermometers nach dem angenommenen Zeitraum als maassgebend zu betrachten. Dies Verfahren ist deshalb fehler- haft, weil die Schnelligkeit, mit der sich das Thermometer er- wärmt, von verschiedenen Bedingungen abhängt, die nicht in allen Fällen gleich sind. Wenn man also in allen Fällen einen gleiciien Zeitraum abwartet, wird man entweder in den meisten Fällen un- nützerweise zu lange warten müssen, oder man wird Gefahr laufen, in einzelnen Fällen die Gradzahl abzulesen, ehe das Thermometer die richtige Temperatur zeigt. Die einzig zuverlässige Art das Thermomet(>r zu benutzen ist deshalb die, dass man mehrere Male nach einander abliest. Solange die gefundenen Temperaturen im Zunehmen sind, hat offenbar das Thermometer noch nicht die Temperatur der Umgebung. Sobald man in mehreren aufeinander folgenden Ablesungen die gleiche Temperatur findet, hat das Thermometer sicher seinen höchsten Stand , nämlich den der Um- gebungstemperatur entsprechenden, erreicht. 352 Tetuperaturtopographie. Temperaturto pographie. Bestimmt man auf diese Weise die Temperatur verschiedener St(dlen der Körperoberfläche beim Warmblüter, beispielsweise beim Menschen, so findet man erheb- liche Unterschiede. An den Stellen, die der Abkühlung am meisten ausgesetzt sind, wie Nasenspitze, Ohren, Finger und Zehen erreicht die Temperatur mir etwa 25*^, an der Hautoberfläche überhaupt nur etwa 30 — 33 o. Wenn aber das Thermometer zwischen zwei Hautflächen eingeschoben wird, die einander gegenseitig erwärmen, wie in der Achselhöhh^ oder in eine Höhle, wie Mundhöhle, oder Mastdarm, oder Scheide, eingeführt wird, so nimmt es die Tempe- ratur des Körperinnern an, und steigt auf 36,5 — 37°. In der Regel findet man bei der Messung im Mastdarm oder in der Scheide die Temperatur etwas höher als in der Achselhöhle. Die Mundhöhle eignet sich nicht sehr zur Messung, weil, sobald durch den Mund geathraet oder das eingelegte Thermometer nur wenig verschoben wird, starke Teraperaturverschiedenheiten auf- treten können. Eine sichere und einfache Art, die Temperatur des Körperinnern festzustellen, besteht darin, das Thermometer vom Harnstrahl bespülen zu lassen, bis es constanten Stand ange- nommen hat. An Versuchsthieren hat man auch die Temperaturen verschie- dener Stellen des Körperinneren bestimmt und gefunden, dass sie noch etwas höher liegt als die des Mastdarmes. Die höchsten Temperaturen findet man in der Lebervene, in der beim Hunde, dessen Temperatur sich nicht wesentlich von der des Menschen unterscheidet, 40" angenommen werden können. Im rechten Ven- trikel hat man die Temperatur um drei Zehntel Grade höher ge- funden als im linken, ofl"enbar weil sich das Blut beim Kreislauf durch die Lungen abkühlt. Die angegebenen Temperaturunterschiede im Innern des Kör- pers sind viel weniger beträchtlich, als die zwischen dem Innern und der Oberfläche. Nach dem, was im Abschnitt über den Kreis- lauf von der Geschwindigkeit des Blutstromes gesagt ist, leuchtet ein, dass das Blut die Temperatur, die im Innern herrscht, überall wo es hinkommt, gleichförmig verbreiten würde, wenn nicht an der Oberfläche die Abkühlung von aussen zu mächtig wäre. Man hat durch Messung mit nadeiförmigen thermoclektrischen Elementen am lebenden Menschen nacligewiesen, dass der Einfluss der Ab- kühlung sich nicht weiter als höchstens 1,5 cm tief unter der Hautoberfläche bemerkbar macht. Danach unterscheidet man am Körper die der Abkühlung zugängliche Oberflächenschiclit, der auch ganze Körpertheile, wie zum Beispiel die Hände angehören, von dem wirklich „homoiotlierraen" Körperinnern, das den sogenannten „Wärmekern" des Körpers bildet. Temperaturcurve. Misst man auf die oben angegebene Weise wiederholt die Temperatur desselben Menschen an denselben Stelle, so findet man, dass sie täglich wiederkehrenden Schwan- kungen unterliegt. Früh am Morgen ist sie in der Regel am fiel- Temperatarcurvo. 353 sten, steigt dann in unregelmässiger Weise an und eiTcichl am Nachmittag oder Abend ihren höchsten Stand, um während der kaclit wieder abzusinken. Die Scliwankungen umfassen etwas über 10. sodass, wenn die Morgentemperatur zu 36" gefunden wird, als Abcndteraperatur 37 " zu erwarten sind. Von manchen Beobaclitern wird angenommen, dass die tägliche Curve der Temperatur zwei Erlicbungen zeigt, eine am Vormittag, auf die wieder eine Senkung folgt, und die grösste am Abend. Es liegt nahe, die Verschiedenheiten der Temperatur an den verschiedenen Tageszeiten durch die Lebensweise erklären zu wollen. Es hat sich aber gezeigt, dass die regelmässige Steige- rung während des Nachmittages bestehen bleibt, auch wenn Jahre lang der Tag- zur Ruhe und die Nacht zur Thätigkeit benutzt wird. Die* Schwankung (indet sich bei Thiercn wie beim Menschen, und ist selbst für Nachtthiere nachgewiesen. Ausser der Tagesschwankung zeigt die Temperatur auch noch eine Acndcrung mit dem Lebensalter. Neugeborene Menschen und Thiere zeigen in den ersten Tagen eine besonders hohe Temperatur, (Mensch 37,9», Fohlen 39,3°), dann sinkt die Temperatur ein wenig, um sich während des grössten Theils der Lebenszeit fast genau gleich zu halten und schliesslich im hohen Alter noch etwas abzu- nehmen. Vorübergehend kann die Temperatur durch eine Reihe von Bedingungen vermindert oder erhöht werden, die weiter unten zu erwähnen sein werden. Temperatur bei verschiedenen Thieren. Vergleicht man die Temperaturen verschiedener warmblütiger Thiere, so er- geben sich gewisse Unterschiede je nach der Art, die indessen nicht immer in genau gleichem (^rade auftreten, wie die nach- folgende Zahlenübersicht zeigt, die die Grenzwcrthc aus sehr vielen Messungen enthält. Pferd . . . 36,1-38,6° 1 Schwein. . . 38,7—39,3" Rind . . . 3.5,5-40,3 0 I Kaninchen . . 37,0-40,30 Schaf . . . 39,6—41,00 Meerschwein . 36,0-40,2» Hund . . . 37,15-39,9» ' Ratte . . . 37,0-38,90 Katze . . . 37,9-40,80 Maus . . . 36,1-39,7» Calorimetrie. Begriff der Calorimetrie. Im Vorhergehenden ist nur von der Körpertemperatur die Rede gewesen, die durch das Thermo- meter gemessen wird. Uiesc Untersuchung ergicbt vor allem, dass die Warmblüter eine bestimmte Temperatur dauernd bewahren, die unter gewöhnlichen Bedingungen höher ist als die der Umgebung. Da unter diesen Bedingungen der Thierkörper dauernd Wärme an seine Umgebung abgeben muss, kann er seine Temperatur nur da- durch l)ewahren, dass ei' fortwähi-end neue Wärmemengen erzeugt. Je kälter die Umgebung, desto mehr Wärme wird der Körper nach H. du Bo i s-Rey ra o II cl , Physiolugio. 93 354 Calorimetrie. aussen abgeben, und desto, mehr muss von innen erzeugt werden, wenn er sich auf der gleichen Temperatur erhalten soll. Es ent- steht die Frage, wie gross die Wärmemengen sind, die ein be- stimmter Thierkörper unter bestimmten äusseren Bedingungen ent- wickeln muss. Das Thermometer giebt liierüber keinen Aufschluss, da es ja, wie oben ausgeführt worden ist, beim AVarmblüter immer nahezu dieselbe Temperatur angiebt, gleichviel ob die Umgebung kalt oder warm ist. Um die Wärmemengen zu messen, die der AVarmblüter erzeugt und abgiebt, muss man sich eines ganz anderen Hülfsmittels bedienen, nämlich des Calorimeters. Die Calorimetrie, die Messung von Wärraemengen steht also der Thermometrie, der Messung von Wärmegraden, als ein völlig getrenntes Untersuchungs- feld gegenüber. Dies spriclit sich darin deutlich aus, dass das Ergebniss der thermoraetrischen Beobachtung eine in Graden Cel- sius ausgedrückte Teraperaturbestimmung, das Ergebniss der calo- rimetrischen Beobachtung eine in Calorien ausgedrückte Bestimmung von Wärmemengen ist. Calorimetrie am thierischen Körper. Da der Warm- blüter seine Temperatur nahezu gleicliförraig bewahrt, so muss im Allgemeinen die in dem Körper erzeugte Wärmemenge der nach aussen abgegebenen Wärmemenge gleich sein. Wenn man also die vom Warmblüter während eines längeren Zeit- raums nach aussen abgegebene AA'^ärmemenge feststellt, bestimmt man damit zugleich die im Körper erzeugte AYärraemenge, denn wenn mehr oder weniger AVärrae im Körper frei wird, als nach aussen abgegeben wird, müsste nach einiger Zeit die Tempe- ratur des Körpers merklich liöher oder niedriger werden. Das Calorimeter. Das Calorimeter dient zur Bestimmung der vom Thierkörper abgegebenen Wärmemenge. Zu diesem Zwecke muss das Thier in einen ringsum geschlossenen Raum gebracht w^erden, der gegen Temperatureinflüsse von aussen geschützt ist. Man stellt dann fest, um wie viel derLuftraum und dieAVände beim Auf- enthalt des Thieres erwärmt werden, und berechnet die hierzu er- forderliche Wärmemenge in Calorien. Im Einzelnen sind eine grosse Zahl verschiedener Anordnungen im Gebrauch, von denen einige erwähnt werden mögen. In dem AVassercalorimeter von Dulong (Fig. 38) wird das Thier in einen Blechkasten gesetzt, der wasserdicht geschlossen und in einen zweiten grösseren Kasten versenkt ist, der dann mit AVasser gefüllt, wird. Der äussere Kasten ist zum Schutz gegen Erwärmung von aussen mit einem Filzmantol umgeben. Damit das Thier in dem geschlossenen Raum athmen kann, wird Luft durcli l^lechröhrcn zugeführt und abgeführt. Auf diese Weise ist das Thier in dem Kasten auf allen Seiten von AA^asser umgeben und seine gesammte AVärmeal)gabc wird von dem AVasser aufgenommen. Damit auch die AVärme, die das Thier der ab- strömenden Duft ertheilt, in das Wasser übergeht, ist die abfuhrende Rölire mit so vielen Biegungen durch das AVasser geführt, dass Das Calorimeter. 355 sich aul' dem Wege die Temperatur der Luft gegen die des Wassers völlig ausgleicht. Enthält nun beispielsweise der Kasten zu Beginn des Versuchs 20 1 Wasser von 0" und es ist Luft von Oo zuge- Fig. 38. liVassercalcrimeter, führt worden, und nach Verlauf einer Stunde zeigt das Wasser 0,35", so hat das Versuchsthier 7 grosse Calorien abgegeben. Diese Zahlen könnten etwa für den Versuch an einem grossen Ka- ninchen zutreffen. In der Handhabung ist Rosenthal's Luftcalorimeter (Fig. 39) einfacher. Hier ist der Raum, in den das Thier eingeschlossen wird, von einer dreifachen Blechschicht umgeben, sodass die Linen- luft von zwei zwischen ßlcchwänden eingeschlossenen stehenden Luftschichten umgeben ist. Die äussere dieser beiden Schichten, auf der Figur schraflirt, dient nur als Isolirraittel gegen äussere Teniperaturschwankungen und entspricht dem Filzmantel des Dulong'schen (Kalorimeters. Die innere Luftschicht nimmt, ebenso wie im Wassercalorimeter das Wasser, die Wärme auf, die das Thier abgicbt. Die Grösse der Erwärmung kann nun unmittelbar durcli die Ausdehnung bestimmt werden, die die Luft der inneren Schicht erfährt. Es hat sich als zweckmässig gezeigt, das Luft- calorimeter als sogenanntes „Differentialcalorimeter" anzuwenden, indem man zwei Apparate, wie der beschriebene, nebeneinander- stellt, und die beiden inneren Luflscliichten durch ein „Differential- •23* 356 Luftcalorimeter. manometer" {b der Fig.) verbindet. Das Diffcrentialmanometer ist eine U- förmige Röhre, in die eine leichte Flüssigkeit, etwa Olivenöl, gefüllt und deren beide Enden an die beiden Mantel-Luftschichten angeschlossen sind. Bringt man in den Innenraura des einen Apparates ein Versuchsthier, sodass sich die Luft in der doppelten Wand erwärmt, so treibt ihre Ausdehnung das Oel im Manometer in die Höhe. In den andern Raum kann man eine bekannte Wärmequelle bringen, und je nachdem sie das Manometer mehr oder weniger vollständig auf seine Ruhestellung zurückbringt, die Wärraeabgabe des Thieres mit der der bekannten AVärmequeUe vergleichen. Als Wärmequelle dient am besten eine regulirbare Was s er s 1 0 ffflam m e . Fig. 39. Luftoaloriraeter mit Differentialmanometer. In neuerer Zeit sind von verschiedenen Forschern Caloriraeter gebaut worden, in denen Messungen an Menschen und grosseren Thieren ausgeführt werden können. Bei einem dieser Calorimeter befindet sich in dem Luftraum eine bestimmte Menge Eis, und die entwickelte Wärrae wird aus der Menge des Schmelzwassers be- stirarat. Die anderen sind entweder Wasser- oder Luftcalorimeter. Sehr grosse Schwierigkeiten entstehen, me bei allen calorimetrischen Versuchen an Thieren insbesondere bei diesen grossen Apparaten dadurch, dass es mit der wachsenden Ausdehnung des Apparates immer schwieriger wird, Ungleicliförmigkeitcn der Temperatur und Wärraeverluste zu vermeiden. Es kann daher hier nicht aul die vielen einzelnen Vorrichtungen eingegangen werden, durch die diese Schwierigkeiten überwunden worden sind. . , n -j^n.. Die Versuche im Caloriraeter lehren, dass ein l^>ektodetei Mensch ira Ruhezustand bei einer Luftteraperatur von 20 etwa 100 Calorien in der Stunde an Wärrae abgiebt Bei Thieren findet raan die abgegebenen Warmemengen natur- Wärmehaushalt. 357 lieh je nach der Grösse des Thieres verschieden. Wenn man sie, um sie untereinander zu vergleichen, auf die Gewichtseinheit be- rechnet, findet man, wie die folgende Zahlenreihe ergiebt, dass die kleineren Thiere eine verhältnissmässig viel grössere Wärmemenge abgeben. . . Die stündliche Wärraeabgabe auf das Kilogramm Kori)ergewicht berechnet, beträgt bei: Pferd . . . Mensch . Kind (7 kg) . Hund (30 kg) „ ( 3 „) Kaninchen 1,3 Ca. Meerschweinchen . 7,5 Ca. 1,5 „ 6,0 „ 3,2 „ Taube .... 10,0 „ 1," „ Ratte .... 11,3 „ 3,8 „ Maus .... 19,0 „ 5,6 „ Sperling. 35,0 „ erklärt sich leicht daraus. dass bei d cn kleinereu Thiercn im Verhältniss zur Masse des Körpers die Ober- iläche, die mit der kalten Umgebung in Berührung steht, viel grösser ist. Es ist schon mit Bezug auf die Blutkörperchen der allgemeine geometrische Satz angeführt worden, dass bei Körpern von gleicher Form die Oberfläche im Verhältniss zum Inhalt um so grösser ist, je kleiner der Körper. Dies gilt annähernd auch für Körper, die nicht ganz gleiche Form haben, wie die Körper verschiedener Thiere. üebrigens leuchtet sowohl der Satz als auch seine Anwendung auf die Wärmeabgabe von selbst ein, wenn man etwa den Körper eines Menschen mit dem einer Maus vergleicht, und sich den Körper eines Menschen nach Grösse und Gewicht aus lauter mausgrossen Stücken zusammengesetzt denkt. Es wird dann klar, dass alle innen gelegenen Stücken einander gegenseitig warm halten, während nur die Oberfläche abgekühlt wird. Umge- kehrt wird durch diese Vorstellung sehr deutlich, wieviel stärker die Abkühlung durch die Aussenluft auf einen kleineren Körper wirkt, so dass die 15 fache Wärmeabgabe der Maus im Vergleich zum Pferd, die in der obigen Zahlenreihe angegeben ist, selbst- verständlich erscheint. Diese Verhältnisse sind deswegen wichtig, weil sie die Grundlage der wiederholt erwähnten Unterschiede zwischen grossen und kleinen Thieren in Bezug auf Kreislauf, Athmung u. a. m. bilden, und weil sie auch die Verminderung der Wärmeabgabe durch Verminderung der Körperoberfläche erklären, die bei der Regulirung der Körperwärme eine Rolle spielt Wärmehaushalt. Man kann mm auf Grund des im Anfang dieses Abschnittes ausgeführten Verhältnisses zwischen den chemischen Spannkräften der Nahrung und dem Energieverbrauch des Körpers den Ursprung der gefundenen Wärmemengen aus dem in der Nahrung enthaltenen Energievorrath verfolgen, und gewissermaassen eine Einnahme- und Ausgaberechnung für den Wärmehaushalt des Körpers auf- 358 Wärmehaushalt. stellen. Hierzu bedari' es nur noch in (änigcn Punkten genauerer lirklärung. Die Wärmemenge, die der ruhende Körper abgiebt, darf der aus der Nahrung entstammenden Energiezufulir gleichgesetzt werden, wenn man einen längeren Zeitraum ins Auge fasst, und annimmt, dass der Bestand des Körpers unverändert erhalten bleibt. Denn es ist klar, dass, wenn der Körper mehr oder weniger Wärme abgiebt, als in Form chemischin- Spannkraft in der Nahrung enthalten war, der Bestand des Körpers angegriffen oder bereichert werden muss. Die in der Nahrung enthaltene Spannkraft ist aus der Calorien- zahl des Bronnwerthes der Nahrung nach dem oben erwähnten Verfahren in der Berthelot'schen Bombe zu bestimmen. An- nähernd kann man sie auch aus der Zusammensetzung der Nahrung berechnen. Es mag zum Beispiel das im ersten Theil angegebene Kost- raaass für die Ernährung während 24 Stunden zu Grunde gelegt werden, so enthält die Nahrung 100 g Eiwciss 60 g Fett 400 g Kohlehj^drate. Die Brennwerthe dieser Stoffe sind durch Versuche bekannt. Sie betragen für die vollkommene Verbrennung von je 1 g Eiweiss 5.8 Galerien, Fett 9,5 Galerien, Kohlehydrate (Zucker) 4,1 Galerien. Von den Kohlehydraten und Fetten der Nahrung weiss man, dass sie im Körper zu Wasser und Kohlensäure oxydirt werden, und man kann also ohne Weiteres den angeführten ßrennwerth an- nehmen. Dagegen muss für das Eiweiss eine Gorrectur eingeführt werden, denn bekanntlich wird ein Theil des Kohlenstoffs und fast der ganze Stickstoff des Eiweisses aus dem Körper in Form von Harnstoff ausgeschieden. Die Zersetzung des Eiweisses un Korper ist also eine unvoUkommene, und sie kann infolgedessen auch nur eine geringere Galorienzahl erzeugen, als für die vollkommene Ver- brennung angegeben worden ist. Der für die Zersetzung «es Ei- weisses im Körper anzunehmende Brennwerth ist daher tatsach ich erheblich niedriger als der für vollkommene Verbrennung, namlich statt 5 8 nur 4,1. Nach diesen Angaben gestaltet sich die Be- rechnung der dem Körper in dem 24 stündigen Kostmaass zuge- lührten Energiemenge wie folgt: 100 g Eiweiss = 100 . 4,1 = 410 Calorien 60 g Fett = 60 . 9,5 = 570 „ 400 g Kohlehydrate = 400 . 4,1 - 1640 „ 2620 Gaiorien. Diese dem Körper zugeführte Energiemenge dient nun zur Unterhaltung aller für das Leben notlnvendigen Vernchtungen wie Athembewegungen, Kreislauf und alle die im ersten Iheil be- sprochenen chemischen Leistungen der KorperzeJlen. Bei dem grö.ssten Theile der chemischen Umsetzungen ^^ud Wärme frei, die unmittelbar die Temperatur des Körpermnern er- Wärmehaushalt. 359 höht und den \Värnicv-orla.st: an der Kür|)croberlläclic ausgieiclit. Ein viel kleinerer Thcil der cliemischen Tliätigkeit, der im Auf- bauen von Verbindungen aus einfacheren Stofi'en besteht, kann allerdings nur unter Energiezufuhr stattfinden. So bedarf es bei- spielsweise zur Harnstolfbildung einer gewissen Energiemenge, die daher auch von dem vollen Brennwerth des EiAveisses abgercclinet worden ist. Im Uebrigen braucht dieser Theil der chemischen Vorgänge bei der Betraclitung des Wärmehaushalts im Grossen und Ganzen deswegen nicht weiter berücksichtigt zu werden, weil die synthetischen Processe eben dazu dienen, im Körper Voi-i'ätlie zer- setzungsl'ähigen Materiales herzustellen, die schliesslich doch nach ihrem vollen Energiewertli verbraucht werden und als AVäi-mc wiedererscheinen. Ganz dasselbe gilt von demjenigen Theil der eingeführten Energie, die im Körper zunächst als Bewegung auf- tritt, wie die Energie, die zur Pumparbeit des Herzens erforderlich ist. Die Kreislauf bewegung des Jilutes, die durch diese Energie- menge unterhalten wird, stellt eine mechanische Arbeit vor, die ganz und gar innerhalb des Körpers abläuft. Scheinbar verschwindet hier der ganze Arbeitsaufwand des Herzens ohne ein anderes Er- gebniss, als dass die Blutsäule in der Kreislauf bahn fortgeschoben wird. Soviel Blut vom Herzen ausgeht, kehrt wieder ins Herz zu- rück, und es ist also mechanisch kein Arbeitserfolg zu verzeichnen. Dieses Verschwinden von Energie ist aber nur scheinbar, ebenso wie das Verschwinden der kinetischen Energie des Schmiedehammers beim Auftreffen auf den Amboss. Die Arbeit des Herzens bringt allerdings keine mechanische Zustandsänderung hervor, aber sie überwindet die AViderstände, die sich der Bewegung des Blutes entgegenstellen, nämlich die lleibung des Blutes an den Gefäss- wänden, die innere Reibung des Blutes bei Wirbelbildungen und andere mehr. Durch diese Reibung, so gering sie scheinen mag, wird offenbar genau die Wärmemenge entstehen, die nach dem mechanischen VVärmeä([uivalent der Arbeit des Herzens entspricht. Ganz ebenso muss jegliche mechanische Arbeit, die im Innern des Körpers verrichtet wird, schliesslich in Wärme übergehen. Auch die Energie, die sich im Körper in Form elektrischer Ströme äussert, muss die als Leiter dienenden Gewebe erwärmen, und so- mit zu der allgemeinen Wärmerzeugung beisteuern. Man darf daher im Allgemeinen sagen, dass bei Körperruhe die gesammte zuge- führte Energie in Wärme übergeht. Dieser Wärmeeinnahme steht als Ausgabe vor Allem der Wärmeverlust gegenüber, den der Körper durch Ausstrahlung der Wärme von seiner Oberfläche in die kältere Umgebung erleidet. Daneben kommen aber andere zum Theil nicht unwesentliche Quellen des Verlustes in Betracht. Es ist im Abschnitt über die Athmung angegeben worden, dass die Einathmungsluft in den Eungon erwärmt wird und dass eine lebhafte Verdmistung von der inneren Fläche der Lungen in die relativ trockene Einathmungsluft stattfindet. Die Verdunstung ist bekanntlich mit grossem Verlust 360 Convection. an Wärme verbunden. Forner erleidet der Körper auch noch da- durch Wcärmeverluste, dass er die .Speisen und Getränke, die er aufnimmt, soweit sie nicht schon vorgewärmt sind, erwärmen muss. So zerfällt die Gesammtausgabe an Wärme in eine Anzahl einzelner Posten, die etwa, wie folgt, zu schätzen sind: Wärraeverlust an die Nahrung .... 50 Cal. „ an die Athemluft .... 70 „ „ durch Verdunstung .... 400 „ „ von der Körperoberfläche . 2100 „ 2620 Cal. Die Summe der Ausgaben ist gleich der oben berechneten Summe der Einnahmen und der Körper befindet sich also im Temperaturgleichgewicht. Die angegebenen Zahlen sind etwas höher als die oben als Ergebniss der calorimetrischen Messung an- gegebene Wärmeabgabe von 100 Calorien, vfeil sie sich nicht auf vollkommene Ruhe in warmer Umgebung, sondern auf einen an- nähernd ruhigen Zustand bei Zimmertemperatur beziehen. In derselben Weise lässt sich der Wärmehaushalt für beliebige Versuchsthiere bestimmen. Beispielsweise für das ruhende Pferd hat man einen Energieumsatz von 12 000 Calorien in 24 Stunden berechnet, und diese Angabe ist durch caloriraetrische Messungen bestätigt worden. Die Berechnung aus der Nahrung ist in diesem Falle schwieriger, weil die Verdauung der cellulosereichen Pflanzen- stoffe und die Form der Ausscheidungen besondere Correcturen nöthig macht. Bedingungen der Wärmeabgabe. Die Grösse der Wärme- abgabe des thierischen Körpers hängt im Wesentlichen von den- selben Grundbedingungen ab, wie die Grösse der Wärmeabgabe jedes anderen erwärmten Körpers. In erster Linie ist die Grösse der Oberfläche maassgebend, wovon schon oben die Rede war. Zweitens gilt das allgemeine Gesetz, dass Wärme nur von wärmeren zu kälteren Körpern übergehen kann, und dass dies in um so stärkerem Maasse geschieht, je grösser der Temperaturunterschied ist. Im Uebrigen hängt die Grösse der übergehenden Wärmemenge von dem specifischen Wärmeieitungsvermögen der betreffend(Mi Stoffe ab. In dieser Beziehung bestehen sehr grosse Unterschiede, da zum Beispiel einer der besten Wärmeleiter, das Kupfer, fast hundertmal mehr AVärme unter gleichen Bedingungen ableitet als Wasser, und Luft noch 30 mal weniger als Wasser. Convection. Bei flüssigen oder luftförmigen Stofl'en spielt neben der eigfmtlichen Leitung eine andere Art Wärmeübertragung eine grosse Rolle, die man als „Convection" bezeichnet. Wenn sich nämlich Flüssigkeiten oder Gase an einem warmen Körper er- wärmen, dehnen sie sich aus, werden dadurcli speeilisch leiehler. und steigen, wenn sie nicht durch besondere Bedingungen daran verhindert werden, in dem umgehenden kälteren und daher dichteren Mittel empor. Natürlich dringen von unten die umgebenden Convection. 361 Massen nacli, und es bildet sich ein sogenannter Convectionsstrom, durch den der wanne Körper dauernd mit frischen Mengen des iini"ebenden Mittels in Berührung kommt und viel stärker abge- kühlt wird, als bei ruhender Umgebung der Fall sem wurde Denn nach dem oben schon angeführten Satz ist die Wärme- menge, die von einem warmen Körper auf einen kälteren in der Zeiteinheit übergeht, um so grösser, je grösser der Temperatur- unterschied und es ist klar, dass der Temperaturunterschied zwischen dem warmen Körper und frisch zutretenden Mengen des umgebenden Mittels grösser ist, als zwischen demselben Körper und deif durch ihn schon erwärmten Mengen. Die abkühlende Wirkung der Convectionsströme ist aus dem täglichen Leben so wohl bekannt, dass schon jedes Kind, dem die Suppe zu heiss ist, die Convection durch Blasen künstlich erliöht. Diesem allbekannten Vorgang liegt aber, wie nochmals hervor- gehoben sein mag, das Gesetz zu Grunde, dass desto mehr Warme fn der Zeiteinheit von einem wärmeren auf einen kälteren Körper übergeht, je grösser der Temperaturunterschied ist. Dieser Satz zusammen" mit dem, was oben über das Verhältniss der Oberfläche zur Masse gesagt worden ist, giebt die Bedingungen an, die für die Grösse der Wärmeabgabe entscheidend sind. Wärmeregulirung. Wärmegleichgewicht. Die gleichraäs.sige Wärme des Warm- blüterkörpers beruht auf dem Gleichgewicht zwischen der im Kör- per entstehenden und der gleichzeitig vom Körper abgegebenen Wärme- menge. Dies Gleichgewicht kann gestört werden, wenn aus irgend welchen Ursachen die Wärmeerzeugung oder die Wärmeabgabe ver- ändert wird. AVenn das Thier zum Beispiel mehr Nahrung auf- nimmt, so wird der Stoffumsatz und dadurch die \Värraeerzeugung erliöht, wenn es weniger Nahrung aufnimmt, wird die Wärme- erzeugung herabgesetzt. Wird die Umgebung des Thieres kälter, so wird die Wärmeabgabe steigen, w\rd die Umgebung bis nahe an die Körpertemperatur erwärmt, so wird die Wärmeabgabe ver- mindert sein. Solchen wechselnden Bedingungen ist der I{örper des Warmblüters fortwährend ausgesetzt und trotzdem bewahrt er, wie oben angegeben, dauernd fast genau den gleichen Wärmegrad. Offenbar bedarf es hierzu einer fortwährenden Kegulirung des Wärmeliaushalts, die je nach den Umständen sowohl die Wärme- erzeugung wie die Wärmeabgabe auf dasjenige Maass bringt, das zur l']rhaltung der gleichmässigen Körperwärme erforderlich ist. Hierbei gilt es entweder die Körpertemperatur am Steigen oder am Fallen zu verhindern. Da aber die Körpertemperatur zugleich von der Wärmeerzeugung und von der Wärmeabgabe abhängt, können bei der Regulirung vier verschiedene Vorgänge unterschieden werden, indem die Wärmeerzeugung oder die Wärmeabgabc erhöht oder vermindert werden kann, fm Allgemeinen werden Wärme- erzeugung und Wärmcabgal)e l)eide zugleich verändert, aber d\irch- 362 Wärmeregulirung. aus nicht immer in demselben Sinne. Es kann zum Beispiel die Wärmeerzeugung erliölit sein, sodass die Wärmeabgabe ebenfalls vermelirt werden muss, damit die Körperwärme nicht steigt; es ivann aber auch bei kalter Umgebung trotz erhöhter Wärmeerzeugung die Wärmeabgabe eingeschränkt werden müssen, um die Körper- wärme auf ihrer Höhe zu halten. Zum Zwecke der näheren Er- örterung empfiehlt es sich die vier verschiedenen Möglichkeiten der Regulirung jede für sich zu betrachten. 1. Vermehrte Wännebildung. DieWärmebildung desKörpers kann nur vermehrt werden, indem gleichzeitig der Stoffumsatz, der ja die Wärmequelle für den Körper bildet, erhöht wird. Eine solche Steigerung des Stoffumsatzes findet vor Allem bei der Muskelthätigkeit statt, denn wie in dem naclifolgenden Abschnitt über die Vorgänge im Muskel genauer auszuführen sein wird, er-, scheint von den für die Arbeitsleistung eines Muskels aufgewendeten cliemischen Spannkräften nur etwa der dritte Tlieil als mecha- nische Arbeit, während zwei Drittel in Form von Wärme dem Körper zu gute kommen. Der Körper verhält sich in dieser Be- ziehung etwa wie ein Fabrikgebäude, das durch d(>n Abdampf seiner Maschinenanlage geheizt würde. Wenn es in dem Gebäude zu kalt wird, muss man die Maschine gehen lassen, damit die Heizröhren Dampf kriegen. Die Wärmeregulirung durch Muskelthätigkeit tritt in verschiedenen Formen auf, nämlich als willkürliche Bewegung, die der Mensch sogar absichtlich, „um sich zu erwärmen", aus- führt, oder als unwillkürliches „Zittern vor Frost". Bei Pferden, die in zu kalten Ställen gehalten werden, hat man eine Vermehrung des Stoffumsatzes nachgewiesen, die auf die regulatorische Thätig- keit der Musculatur zurückgeführt wird. Auf die Dauer kann natürlich die Wärmeerzeugung nicht auf diese AVeise vermehrt werden, ohne dass auch die Nahrungszufuln- entsprechend erhöht wird. Daher ist dann auch bei kalter Um- gebung das Nahrungsbedürfniss erhöht und richtet sieh in eigen- thümlicher Weise auf solche Stoffe, die zur AVärraeerzeugung am geeignetsten sind. Aus der, obigen Berechnung des Brennwerihes der Nahrung ist zu ersehen, dass von den drei Hauptnahrungs- stoffen das Fett bei Weitem den grössten Wärmewerth liat. Es ist bekannt, dass die Bewohn(M' der kältesten Länder Fettm(>n£ren zu sich nehmen, die den Bewohnern gemässigter Zonen widerstelien würden. 2. Verminderte Wärmebildung. Herabgesetzt kann die Wärmeentstehung im Körper nur insofern werden, als die btuden eben angeführten Mittel zur lirhöhung auf das geringste Maass einge- schränkt: werden. Bei mässiger Nalirungszufuln* und mögliehst vollkommener Körperrulie ist der Stoffumsatz und die Wärme- erzeugung am geringsten. 3. Verminderte Wärmeabgabe. Die Verminderung der Wärmeabgabe zum Zweck (h-r Regulirung (indet selbstverständlich nur dann statt, wenn die Umgebung kälter ist als der Kör])er. Dann Verminderte Wärmeabgabe. 363 kann nach dem Obigen di(> Wärmemenge, die in der Zcitemhcit aus dem Körper abgeleitet wird, dadurch hcrabges*'tzt werden, class der Temperaturunt(T.schied zwischen Körp(>r und Umgebung ver- mindert wird, das lieisst, indem die Temperatiir der Kurperober- tläche der der Umgebung angopasst wird. Die Temperatur der Hautobertläche kann nun innerhalb weiter C.renzen verändert werden, ie nachdem melir oder weniger Blut in die Hautg(;lasse eintritt. "Wird die Haut reichlich durchblutet, so brmgt das Nut die hohe Temperatur des Körperinnern nach aussen mit, die iem- peratur der Uberlläche steigt, und es wird viel Wärme al)gegeben. Strömt dagegen wenig Blut durch die Hautgefässe, so kühlt es siel» an der Oberfläche ab, die Hauttemperatur sinkt und passt sich der der Umgebung an, sodass nur wenig Wärme von ihr an die Umgebung übergeht. • i i r Um die Wärmeabgabe zu vermindern, müssen sich also die Hautgefässe zusammenziehen, die Haut wird blass oder gar durch stellenweise eintretende Blutstockung blau. An dieser Zusammenziehung der Hautgefässe betheiligen sich auch diejenigen Hautmuskeln, die nicht eigentliche Gefässmuskeln sind, vor Allem die Haarbalgmuskeln, Arrectores pilorum. Diese erstrecken sich von der Hautoberfläche schräg unter den Talg- drüsen jedes Haarbalgs fort und setzen sich am Boden des Haar- balgs an. Wenn sie sich zusammenziehen, richten sich die Haare steil auf, und es entsteht um jedes Haar ein kleiner Höcker auf der Haut. Dieser Zustand wird als „Gänsehaut", „Cutis anserina", bezeichnet. Obschon bei den meisten Menschen in kalter Umgebung die Gänsehaut deutlich zu b(Mnerken ist, ist ihr Zweck nur aus den entsprechenden Erscheinungen an Thi(>ren zu erkennen. Nament- lich bei Vögeln hat man oft Gelegenheit zu sehen, dass sie, wenn sie bei ei'össerer Kälte ruhig sitzen, ihr Federkleid sträuben. Das Federkleid gewährt ihnen Schutz vor Kälte, indem es eine ziemlich dicke Schicht erwärmter Luft in sich eingeschlossen hält, sodass der Tcmp(>raturunterschied zwischen dem Leibe des Vogels und der kalten Umgebung ganz allmählich vermittelt wird. Diese Schutz- wirkung wird verstärkt, wenn durch Sträuben der Federn die von ihnen eingeschlossene und vor Convectionsströmung geschützt(> Luft- schicht verdickt wird. Die Thätigkeit des Arrectores pili beim .Menschen hat offenbar genau dieselbe Bedeutung, nur dass die Be- haarung der menschlichen Haut nicht ausreicht eine merkliche Wir- kung auszuüben. Ein willkürlich oder absichtlich anzuwendendes Mittel die AVärmeabgabe herabzusetz(>n besteht darin, dass die der Kälte dar- gebotene Oberfläche des Körpers auf das kleinste mögliche Maass be- schränkt wird. In der aufrechten Stellung ist fast die gesammte Obor- ilächc des menschlichenKörpers derAussenluft ausgesetzt, in hockender Stellung, die Arme um die Knie geschlungen, sind fast nur die Rückseite des Körpers, die Streckseite der Arme und die Füss(> der Kälte preisgegeben, die übrigen Hautflächen halten einander 364 Vermehrte Wärmeabgabe. gegonseitig wann. D\o, zusammengerollte Stellung, in der viole Thiere schlafen, dient auf dieselbe Weise der Verminderung des Wärmrverlusts. Endlieh ist des künstlichen VVärmeschutzes durch Kleidung zu g-edenken, der genau auf dieselbe Weise wirkt, wie es eben vom Federkleid der Vögel angegeben worden ist. Während der Mensch sich künstliche wärmere oder leichtere Kleidung schafft, entsteht bekanntlich bei vielen Thieren von Natur in der kalten Jahreszeit ein wärmeres Haarkleid. 4. Vermehrte Wärmeabgabe. Da die Mittel die AVärme- erzeugung herabzusetzen, wie oben gesagt worden ist, nur eine ganz beschränkte Wirkung haben, ist für die Wärmeregulirung die Vermehrung der Wärraeabgabe von höchster Wichtigkeit. Im An- schluss an das, was oben über die Verminderung der Abgabe ge- sagt ist, mag hier zuerst der umgekehrte Vorgang angeführt werden, dass nämlich durch reichliche Blutzufuhr zur Haut die Temperatur der Körperoberfläche möglichst erhöht wird, sodass ein möglichst grosser Unterschied zwischen Ilauttemperatur und Umgebungs- temperatur besteht. In warmer Umgebung sielit man alsbald die Haut roth und prall werden. Zugleich mit der A^erraehrung der Wärmeabgabe durch Er- höhung der Hauttemperatur wird bei diesem Vorgang die Flüssig- keitsverdunstung von der Hautoberfläche aus erhäht. Bei der Besprechung des Wärmehaushalts ist schon die Ver- dunstung in den Lungen als eine Quelle des Wärmeverlusts erwähnt worden. Die Wasserverdunstung von der Hautoberfläche dürfte unter Umständen eine mindestens ebenso wichtige EoUe spielen. Die eigentliche Verdunstung durch die Hautoberfläclie ist aber nicht zu trennen von der Verdunstung des auf die Hautoberfläche aus- tretenden Schweisses. Es ist schon im Abschnitt über die Schweiss- secretion hervorgehoben worden, dass die eigentliche Bedeutung des Schweisses auf dem Gebiete der Wärmeregulirung liegt. Die Absonde- rung des Schweisses ist bei weitem das wirksamste Mittel, das dem Orga- nismus zur Vermehrung der Wärmeabgabe und zur Regulirung der Körperwärme überhaupt zur Verfügung steht. Dies Mittel wirkt oft schon, ohne dass es zum eigentlichen Schwitzen, das heisst zu sichtbarer Ansammlung von Feuchtigkeit auf der Haut kommt, wenn nämlich der Schweiss ebenso schnell verdunstet, als er abgeschieden wird. Da die Schweissabsonderung für die Wärmeregulirung so sehr grosse Bedeutung hat, und zwischen den verschiedenen Thieren in Bezug auf die Leistungsfähigkeit der Schweissdrüsen, wie im Ab- schnitt über die Schweissabsonderung schon erwähnt worden i.st, sehr grosse Unterscliiedc bestehen, verhalten sich die Thiere in Bezug auf AViderstandsfähigkeit gegen Hitze sehr verschieden. Es ist bekannt, dass vor AHem die Hunde höhere Grade von Hitze schlecht vertragen. Beim Hunde und in geringerem Grade aucli bei anderen Thieren tritt in der Wärme noch ein besonderer Regulirungsvorgang Grenzen der Wävmeregulirung. 365 ein der darin besteht, dass die Atherabewegungen vermehrt und b schleunigt werden. Dadurch wird ^ Wasserverdunstung von den Lungen aus befördert und die Wärmeabgabe erhöht. Die Hnnde lassen dabei die Zunge weit zum Maule heraushangen, und athmen auch bei voUständiger Körperruhe so schnell, dass ein Ge- räusch entsteht, das man als „Hache n" bezeichnet. Es sind nun noch die Mittel zur Vermehrung der Wärmeabgabe zu nennen, die absichtlich oder künstlich angewendet werden können Es gilt betreffend die Körperoberliache natur ich hier das Geeentheil von dem. was bei der verminderten Wärmeabgabe g-esagt ist Der Körper külilt sich um so leichter ab, je grösser die über- lläche die er der Aussenluft darbietet. Die künsthche Reguhrung durch' Wahl der Kleidung hat nicht so sehr darauf zu sehen, dass die Kleidung dünn und leicht sei, als vielmehr, dass sie die Un- vectionsströmung der Luft und namentlich die AVasserverdunstung nicht zu sehr einschränkt. Bei noch so dünner aber undurchlässiger Kleidung wird die dem Körper benachbarte Luftschicht so leucht, dass die Schweissverdunstung eingeschränkt und dadurch die Wärraeabgabe herabgesetzt wird. -r^ , i- r. j. Grenzen der Wärm eregulirung. Durch die Gesammt- wirkung der im Vorstehenden besprochenen Vorgänge kann che Körpertemperatur unter den verschiedensten Bedingungen fast voll- kommen gleichgehalten werden. Eine bestimmte Grenze der Aussen- temperatur, über die hinaus die Regulirung nicht mehr möglich ist, lässt sich nicht angeben, da die individuellen Unterschiede viel zu zu ''ross sind. Die Feuerländer leben nackt in einem Klima, dessen Winter etwa dem im Norden Englands entspricht. Die Beduinen er- trao-en in ihren wollenen Gewändern ohne Erhöhung der Korper- wärme oft mehrere Tage und Nächte hintereinander Aussenterape- raturen von 36—40". Dagegen sind die Grenzen sicher zu be- stimmen, innerhalb deren die Körpertemperatur regulirt werden rauss, damit das Leben erhalten bleibe. An Versuchsthieren nnd an Menschen, die im Zustande der Trunkenheit längere Zeit der Kälte ausgesetzt gewesen waren, hat man übereinstnnmend fest- gestellt, dass die Körperwärme nicht unter 24° sinken kann, ohne dass das Lehen erlischt. Ebenso hat sich mit grosser Bestimmt- heit ergeben, dass die obere Grenze der mit dem Leben verein- baren Temperaturerhöhung bei 45" liegt. Dieser Werth stimmt mit der Gerinnungstemperatur gewisser in den Muskeln vorkommen- der Eiweissstoffe überein. Innerhalb dieser Grenzen kann die Eigent(«mperatur des Warm- blüters schwanken, ohne dass das Leben gefährdet ist. Die Re- gulirung ist keineswegs so vollkommen, dass nicht Schwankungen von mehreren Graden häufig vorkommen können, ohne dass man es gerade gewahr wird. So zeigen durch Krankheit geschwächte Individuen bei mangelhafter Ernährung nicht selten abnorm tiefe Temperaturen. Andrerseits kann bei normalen Individuen durch angestrengte Muskelarbeit die Temperatur leicht über di(i Norm ge- 366 WiiKung von Bädern. steigert werden. Da von der in den Muskeln entwickelten Energie, wie unten weiter auszuführen sein wird, nur ein Drittel als mecha- nische Arbeit, zwei Driltel als Wärme frei werden, muss für jeschei- nung ist dem Sinn der AVärmeregulirung gerade entgegengesetzt, Fieber. Winterschlaf. 367 und wird bei der Besprechung der vasomotoriscJien Nerven aus- fiihrliclier zu betrcachten sein. Patholoiiische Störung der AViirnieregulirung. Bei vielen Erkrankungen bestellt ausser anderen Störungen „Fieber", dessen Kennzeichen erhöhte Körperwärme ist. Auf welche Weise das Fieber entsteht, ist noch nioJit aufgeklärt; es dürfte aber so- wohl Wärmeerzeugung wie Wärmeabgabe verändert sein.^ Wichtig ist in dieser Beziehung die Thatsache, dass die Haut Fieberndei' trotz der hohen Temperatur stets trocken ist und dass sich das Fieber mit dem Ausbruch von Schweiss löst. Wird durch künst- liche Mittel, etwa ein kaltes Bad, die Fiebertemperatur lierabgesetzt, so stellt sie sich nachher nicht wie sonst, auf die normale, sondern auf die erhöhte Fiebertemperatur wieder ein. Eine andere pathologische Störung der AVärmeregulirung hat man zufällig entdeckt, als zum Zwecke einer Schaustellung in Rom Kinder am ganzen Leibe mit Vergoldung überzogen wurden, und in Folge dieser Behandlung starben. Zur Aufklärung dieser Er- scheinung sind eine ganze Reihe von Untersuchungen an Thieren und Menschen vorgenommen worden, die ergeben haben, dass der Tod durch dauernde Erhöhung der Wärmeabgabe hervorgerufen wird. Aehnliches beobachtet man bei au.sgedehnten oberilächlichen Verbrennungen. Postmortale Temperatursteigerung. Wenn man die Temperaturuntersuchungen über den Tod hinaus fortsetzt, findet man mitunter nach dem Tode eine beträchtliche Temperatursteige- rung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Vorgänge, auf denen die Wärmeerzeugung beruht, zum Theil noch nach dem Tode fort- dauern, während der Blutkreislauf, der die Wärme des Körper- innern ausgleicht und die Wärmeabgabe nach aussen fördert, mit dem Tode aufgehört hat. Insbesondere wenn heftige Muskelthätig- keit dem Tode vorausgeht, wie es bei Krampfanfällen der Fall ist, hat man nach dem Tode Temperatursteigerung sogar auf 45° be- obachtet. Temperatur bei Poikilotherracn. Winterschlaf. Die verschiedenen Umstände, von denen die Temperatur der Warmblüter abhängt, sind natürlich auch bei den Kaltblütern wirksam, nur in geringerem Grade. So findet man, dass auch bei Kaltblütern die Wärmeerzeugung und Wärmeabgabe bei Muskelarbeit steigt, dass die Wärraeabgabe hauptsächlich von der Grösse der Ver- dunstung an der Hautoberiläche abhängt und so fort. Die in vielen Lehrbüchern immer wiederholte Angabe, dass die Temperatur einiM' „brütenden"-' Riesenschlange volle 20" über der Umgebungstempe- ratur gefunden worden sei, beruht allerdings auf einen groben BeobachtungsCehler. Dagegen steht fest, dass die Temperatur der Bienenstöcke durch die Eigenwärme der Bewohner in wenigen Minuten um 15° und darüber erwärmt werden kann. Eine Anzahl Warmblüter haben die Eigenthümlichkeit, während der kalten Jahreszeit zu Kaltblütern zu werden, indem sie in den 368 Physiologie der Bewegung. sogenannten „Winterschlaf" verfallen. Als solche „Winterschläfer" werden angeführt: Murmeltliier, Fledenriaus, Igel, Siebenschläfer, Ilaraster, Ziesel, Dachs, brauner Bär, doch dürfte der Vorgang nicht bei allen in gleichem Maasse ausgebildet sein, da zum Bei- spiel der Hamster bekanntlich AVintervorräthe anhäuft. Im Winter- schlaf sind alle Stoffwechselvorgänge auf ein äusserst geringes j\Iaass eingeschränkt. Beim Murraelthier sinkt die Alhemfrequenz auf 2 — 4, die Herzfrequenz auf 14 — 30, die Körperwärrae sinkt so tief, dass sich die inneren Körpertheile eiskalt, wie die von Leichen anfühlen. Bei diesera sehr verlangsaraten Stoifwechsel genügen die Fettraengen, die das Thier im Sommer angesetzt hat, um den Winter hindurch das Leben zu erhalten. In warme Umgebung ge- bracht, erwachen die Thiere aus ihrem todtenähnlichen Schlaf- zustand und verhalten sich nach einigen Stunden wieder als voU- komraene Warrablüter. Auf welche AVeise diese raerkwürdige Umwandlung vor sich geht und was die eigentliche Ursache des Schlafzustandes und der Stoffwechselverlangsamung sei, ist noch nicht befriedigend erklärt worden. 2. Physiologie der Bewegung. Uebergang chemischer Spannkräfte in mechanische Arbeit. Die Energie, die in Form chemischer Spannkraft der Nahrungsmittel dera Körper zugeführt wird, geht, wie in dem vorigen Abschnitt geschildert wurde, als Wärmeabgabe des Körpers der Aussenwelt wieder zu, wenn der Körper in Ruhe verharrt. Wenn aber der Körper äussere Arbeit verrichtet, etwa eine Last oder auch nur sein eigenes Gewicht bergauf trägt, wird ein Theil der im Körper frei werdenden Energie für diese Arbeitsleistung verwendet. Es ist ferner schon angedeutet worden, dass auch ein Theil der Wärraeabgabe nicht unmittelbar aus den chemischen Um- setzungen hervorgeht, sondern erst mittelbar 'dadurch hervorgerufen wird, dass innere mechanische Arbeit des Körpers, die durch_ ]\ei- bung, Stoss u. s. f. im Innern des Körpers verbraucht ist, in Wärme übergeht. Neben der Wärmeabgabe nimmt also auch die Arbeitsleistung einen hervorragenden Platz im Kraftwechsel des Körpers ein, ob- gleich sie immer nur einen geringen Bruchtheil des gesammtcn Energieurasatzes ausmacht. Im Folgenden sollen die Vorgänge bei der Arbeitsleistung des Körpers besprochen worden. Arbeit im physikalischen Sinne wird geleistet, wenn blassen in Bewegung ge- setzt werden, oder die Bewegung von blassen geändert, oder end- lich die Bewegung Widerständen entgegen unterhalten wird. Die Lehre von der Arbeitsleistung des Organismus ist mithin dasselbe wie die Lehre von den Bewegungserschcinungon im Organismus. Bewegungs Organe. In der ganzen organischen Natur sind CS nur drei Gruppen von Organen, in denen man Bewegung auf- Protoplasmabewegung. 369 treten sieht, nämlich erstens das Protoplasma im Innern gewisser Zellen, zweitens die Flimmerhaare, Cilien und Geissein der so- genannten Flimmerzellen, drittens die am höchsten ausgebildete Form der Bewegungsorgane, die Muskeln. Protoplasraabewegung. Die Bewegung des Protoplasmas im Innern der Zellen zeigt sich in verschiedenen Pflanzenzellen, die grüne Chlorophyllkörnor enthalten, in Form einer dauern- den in sich selbst zurücklaufenden Kreisströraung, die auch als „Rotationsbewegung" des Protoplasmas bezeichnet wird. An Schnitten von den grasähnhchen Blättern der Wasserpflanze Yallis- neria, an den Zellen, die die Härchen der Brennessel bilden, an den Staubfädenzellen der Tradescantia sieht man bei mässiger Ver- grösscrung diese Form der Protoplasraabewegung sehr deutlich. Von Thieren sind es vor Allem die Protozoen, die Protoplasma- bewegung erkennen lassen. Die schon zu Anfang des ersten Theils erwähnte Amoebc (s. Fig. 1), die sich im Schlamm stehender Pfützen vorfindet, eignet sich besonders, um die bei den Thieren häufigste Form der Bewegung des Protoplasmas zu studiren. Man sucht die Amoeben auf, indem man sich von geeignet scheinenden Stellen grössere Mengen Schlamm in Gefässe schöpft, und diese abstehen lässt. Wenn sich der Schlamm gesetzt hat, entwickelt sich auf seiner Oberfläche ein reiches Thierleben, und man kann, indem man kleinere Proben entnimmt und bei schwacher Vergrösserung mustert, schliesslich einzelne mikroskopische Organismen auf den Object- träger bringen. Die Amoeben entwickeln sich nicht immer und nicht in jedem der aufgestellten Gefässe. Am häufigsten findet man eine verhältnissraässig sehr grosseAmoebe, die Amoebenart Pelo- myxa, die schon mit blossem Auge als stecknadelkopfgrosse weisse .Masse sichtbar ist. Sie zeigt nur träge Srömungen im Innern ihres durchscheinenden, mit feinkörnigen Massen erfüllten Körpers- und langsame Gestaltsveränderungen. Als kaum sichtbar kleines, kugelrundes weisses Pünktchen kann man mit dem blossen Auge die Amoeba lucida erkennen, die sich aber nur selten, in einzelnen der ursprünglich dem Fundort entnommenen Schlammproben, ent- wickelt. Bei starker Vergrösserung gewährt sie das in Fig. 1 wiedergegebene Bild einer kugelförmigen Masse, aus der sich ringsum zahlreiche krystallklarc Fortsätze ausstrecken, die in mehr oder weniger lebhafter Bewegung begriffen sind. Man bezeichnet die beweglichen Fortsätze, die auch wieder im Zellleib ver- schwinden können, als Pseudopodien. Mit Hülfe dieser Bewegungen vermag auch das ganze Thier von Ort zu Ort zu kriechen, indem CS sich mit einem seiner Pseudopodien an einer Stelle festhält und den übrigen Körper nachzieht. Ferner können melirere Pseudo- podien einen Fremdkörper umfassen oder da sie halbflüssig sind und mit einander verschmelzen können, gcwissermaassen umflicssen, sodass er ins Innere des Körpers aufgenommen wird. Auf diese VVeisff erfassen die Amoeben auch die Stofl'e , aus denen sie ihre -Nahrung entnehmen. 11. du nois-Reymoiul, Physiologie. n. 370 Protoplasraabewegung. Ganz dieselbe Form der I3cwegung nimmt man, wie oben be- schrieben, an den weissen J31utkörpei-chen des Menschen und der Thiere walir. Insbesondere das Erfassen, Umschliesscn und Aui- ■saugen von Fremdicorpcrn ist oft beobaclitet worden und iiat zur Bezeichnung „Piiagocyten", Fresszelien, geführt. Fragt raan, auf welclieWeise die Protoplasmabewegung zu Stande kommt, so lässt sich darauf keine bestimmte Antwort geben. Man «rkennt vor Allem an dem körnigen Protoplasma, dass die Be- wegung sich auf Strömungen des zähflüssigen Stoffes zurückführen lässt : die Ursache dieser Strömungen ist noch unbekannt. In der anor- ganischen Welt sind eine Reihe von Vorgängen beobachtet worden, die mit der Protoplasmabewegung viel Aehnlichkeit haben. Es sei hier nur an die ira ersten Theile bei der Besprechung der Fettverdauung erwähnte Selbstemulgirung von Fetttröpfchen erinnert. Man hat darauf hin geglaubt, auch die Protoplasmabewegung als einen nur von den physikalischen Bedingungen der Umgebung, im Wesentlichen also von Oberflächenspannung abhängigen Vorgang zu erklären. Thatsächlich lassen sich an todtera anorganischen Stoff ebenso wie an lebendigem Zellprotoplasraa durch bestimmte chemische Bedingungen bestimmte Bewegungserscheinungen, etwa Ausstrecken von Pseudopodien, hervorrufen. Aus dieser Aehnlich- keit lässt sich aber nicht schlicssen, dass bei dem lebenden Proto- plasma die Ursache der Bewegung dieselbe sei wie bei dem leb- losen Stoff, denn das lebende Protoplasma folgt in seinen Be- wegungen durchaus nicht immer bekannten physikalischen Einflüssen. Man bezeichnet den physiologischen Vorgang der Bewegung, di^e sich nach bestimmten äusseren Bedingungen richtet, als „Taxis", oder wenn es sich um eine blosse Drehung des Orgamsmus han- delt' als ,Tropisraus". Je nachdem die Bewegung durch chemi- schen thermischen, elektrischen Einfluss, durch Einwirkung der Schwere, des Lichtes u. s. f. hervorgerufen ist, spricht man von Chemotaxis, Thermotaxis, Rheotaxis, Geotaxis, Phototaxis u. s. f., oder von Chemotropismus u. s. w. , , ■ , Mitunter ist die Protoplasmabcwegung auch eme rhythmische. Man findet im Zellleibe der Protozoen sogenannte Vacuolcn, mit Flüssigkeit erfüllte Hohlräume, die sich in regelmässigen Zwischen- räumen erweitern und zusammenziehen. Von diesen sogenannten nulsirenden" Vacuolen nimmt man an, dass sie, wie die J.ungen öder das Herz der höher entwickelten Tliiere dem NofTwechsel dienen, indem sie die Flüssigkeit, die den ZelUoib durchtrankt, in Bewegung erhalten. Dass auch die Protoplasmabcwegung unter Umständen regelmässigen Rhythmus zeigt, ist deshalb wichtig, weil man auch bei der Thätigkeit der höchstentwickelten Bcwogungs- organe, der Muskeln, einen eigenen Rhythmus nach^aMsen kann_^ Flimmerbcwegung. Die zweite der oben aufgezahlten Be- wesungsformen findet sich theils bei freilebenden einzelligen Orga- nismen theils an den sogenannten Flimmcrepithelien der hoher entw ekel t n Thiere. Sie besteht in einer lebhaften Bewegung der Flimmerbewegung. 371 liärclicii-. Wimpern- oder geisselförmigea Anhänge der sogenannten Flimnierzellen. Wenn man ein Stückchen Flimmerepithel, etwa von der Gaumenhaut des Frosches oder vom Kiemenrande einer Muschel Uliler das Mikroskop bringt, so erkennt man bei stärkeren Vergrösserungen, dass die Oberfläche mit unzähligen feinen Wim- pern besetzt ist. Die Härchen sind alle in einer Richtung sclu-äg geneigt und leicht gekrümmt und führen, solange das Präparat frisch ist, dauernd eine schlagende Bewegung aus, sodass für das Auge der Eindruck des Flimmerns entsteht, der der ganzen Er- scheinung iliren Namen gegeben hat. Man vergleicht den Anblick des flimmernden Epithels auch sehr treffend mit dem eines im Winde wogenden Kornl'cldes, denn die Bewegung jedes einzelnen Flimmerhaares ist von der der anderen nicht unabliängig, sondern fügt sich der der benachbarten so ein, dass regelmässig nach ein- ander ablaufende Wellen entstehen, deren jede eine ganze Anzahl Flimmerhaarc umfasst. Am mikroskopischen Präparat kann man «ehr deutlich sehen, wie die dauernd in einer Richtung ablaufenden Flimmerwellen in der umgebenden Flüssigkeit Strömungen und Wirbel verursachen, und selbst grössere schwimmende Körper in lebhafte Bewegung versetzen. Streut man auf die Gaumenhaut des Frosches in situ feines Kohlenpulver, so sieht man, wie es durch die Flimmerbewegung nach dem Rachen zu bewegt wird. Auch die Abhängigkeit der Bewegung einer Wirapergruppe von der der übrigen lässt sich bei diesem Versuche veranschaulichen, wenn man '='<«'='="«*''- ^'^^ ^ Seite, (I von der Fliiclie gesehen. Lässt man nämlich Muskelfasern längere Zeit hindurch in Flüssigkeiten li(>gen, in denen zwar kt-ine 'äulmss auftreten kann wohl aber das Bindegewebe qu-'Hon. imd sich losen k^^^^^^^ Salicvlsäurelösung oder der Ranvicr sehe Dri telalkohol. so zei- c ' Muskeli^lser beim Zerzupfen des Sarkol emnj. ,n unz^jhhgc fein.- Längsfasern. Di.-s ist der Grund, dass man die Muskelfaser :Primiti.^ündel" bo.eidmet ^ Die ^nen Fä^^^^^^^ Fibrillen, auch wohl „Primitivfibrillen" genannt. Bau der quergestreiften Muskeln. 375 durch eine Zwisclicnsiibstaaz vereinigt, die man ;ils „Sarkoplasma" bezeichnet. Jede einzelne Primitivfibrille ist deutlich quergestreift, sodass man sielit, dass die Querstreifung der ganzen Muskelfaser auf der Querstreifung der Fibrillen beruht. Dass die Querstreifung nicht etwa bloss eine äussorliche Fär- bung, sondern im Bau der Fibrillen begründet ist, geht daraus her- vor, dass nach Einwirkung verdünnter Salzsäure die Muskelfaser nicht in Längslibrillen, sondern in Querscheiben zerfällt, die den Abschnitten zwischen je zwei Querstreifen entsprechen. Diese Präparation der Muskelfaser gelingt nicht immer gleich leicht. Am besten sollen sich dazu Eidechsenmuskcln eignen, nächstdem Säuge- thiermuskeln, Froschmuskeln am wenigsten. Ausserdem kommt es darauf an, dass die Säure in geeigneter Concentration genau die richtige Zeit hindurch einwirke. Man kann stärkere Lösungen, etwa 1 : 100, auf kürzere Zeit, — 1 Stunde, oder schwache Lö- sung 1 — 2 Tage lang anwenden und verstärken. Wenn die Säure zu stark wirkt, quillt Heisch zu glasigen Massen an ohne zu zerfallen. In günstigen Fällen schreitet die Wirkung vom Ende der Fasern aus nach der die Wirkung durch Brutwärrae das Muskel- In Mitte vor, und Fig. 42. R z )e in einem mittleren Bereich zerfällt die Faser wie eine Geldrolle in ihre einzelnen Querscheiben. Die Querscheiben werden auch nach dem Ausdruck, den ihr Entdecker, der Engländer ßowman, zuerst gebrauchte, „Discs" (Scheiben) genannt. Da demnach die ^luskelfaser je nach der Behand- lung entweder der Länge nach oder der Quere nach in einzelne Bestandtheilc zerfällt, miiss man annehmen, dass ihre eigentlichen Elementarbestand- theile diejenigen Stücke sind, in die sie durch gleich- zeitige Quer- und Längstheilung zerfallen würde. Diese nannte ßowman „Sarcous elements". Späti^re Forscher bezeichnen sie als „Muskelkästchen" oder ". Jedes einzelne Muskel- wie genau(>re mikroskopische Unter- aus mehreren Schichten verschiedener Substanzen, die der Reihe nach ails Zwischenscheibe, \cbenscheii)e, Querscheibe, Mittelscheibc, Querseheib(>, Nebenscheibe, Zwischenscheibe auf einander folgen. Wichtig für die Theorie der Muskelzusammen- ziehung ist der Umstand, dass sich Mitt(>lscheiben und Querscheiben bei der Untersuchung in polari- schlechtweg „Muskelelemente n (dement besteht, suchunir lehrt. a N Z sirteni J^icht als doppelbrechend erweisen, worauf weiter unten zurückzukommen sein wird. Die Verkürzung. Aus dem geschilderten iJau der Muskelfaser ist klar, dass die Verkürzung der ganzen 1 ascrau feiner VerändorungdcrMuskelclcmcntc beruhen niuss. Die Formveränderung der einzelnen Elemente muss eine ent- sprochende Formveränderung der ganzen Faser, und die Formverän- derung der einzelnen Fasern eine entsprech<'ndc Formveränderung des Ein Muskolelemont. (' cinriU'Jihrecliotid. (/ (ioppelbrechenil. 376 Dehnbarkeit des Muskels. ganzen Muskels hervorrufen. Man kann also den Vorgang der Muskel- verkürzung auf zweierlei Weise untersuchen, erstens, indem man die Veränderungen der einzelnen Muskelelemente ins Auge fasst, zweitens, indem man den Muskel als Ganzes beobachtet. Beide Verfahren er- gänzen einander, doch hat das zweite den Vorzug, dass die Vorgänge am ganzen Muskel wegen seiner Grösse leichter zu erkennen und zu messen sind, und überdies die Wirkungsweise der ganzen Muskeln im Organismus zur Anschauung bringen. Es mag daher im Fol- genden zunächst auf die Untersuchung der Vorgänge bei der Zu- sammenziehung des ganzen Muskels eingegangen werden. Diese Untersuchungen sind zum grössten Theile an ausgeschnittenen Froschmuskeln ausgeführt worden, die sich, wie vergleichende Ver- suche beweisen, in allen wesentlichen Punkten ebenso wie die Muskeln lebender Säugcthiere verhalten. Für alle nachfolgenden Angaben gilt die Betraclitung, dass ein Muskel nur als eine grosse Anzahl hinter- und nebeneinander ge- schalteter Muskclelemente anzusehen ist. Viele Muskeln, ins- besondere der gewöhnlich benutzte Wadenmuskel des Frosches ent- sprechen allerdings nicht vollkommen dieser Vorstellung, weil ihre Fasern im Innern,des Muskels in verschiedenen Richtungen verlaufen. In allen Fällen, in denen dieser Umstand auf das Ergebniss der Beobachtung einwirken kann, pflegt man deshalb nur parallelfaserige Muskeln, meistens den Sartorius des Frosches, zu benutzen. Dehnbarkeit des Muskels. Die Leistung der Muskeln be- ruht, wie oben schon hervorgehoben, auf der Zugkraft, die sie bei ihrer Verkürzung ausüben. Hierbei tritt eine wichtige Eigenschaft der Muskeln hervor, nämlich ihre elastische Dehnbarkeit. Unter Elasticität im Allgemeinen versteht man die Eigenschaft eines Körpers, nachdem er durch äussere Kräfte eine Formänderung erlitten hat, wieder in seine ursprüngliche Form zurückzukehren. Als elastisch werden vor allem solche Körper bezeichnet, die auch nach sehr grossen Formänderungen ihre ursprüngliche Gestalt wieder annehmen. Das Wort Elasticität wird aber auch gebraucht, um die Kraft zu bezeichnen, mit der ein elastischer Körper zu seiner ursprünglichen Gestalt zurückstrebt. Die Erscheinung der Elasticität lässt sich eben von zwei S(Mten betrachten, je nachdem die Formänderung oder die durch sie hervorgerufene W'iderstands- kraft ins Auge gefasst wird. Je grösser die Formänderung, di(> ein Körper unter gegebenen Bedingungen erfäin-t, um so geringer ist offenbar seine Widerstandskraft. Daher bedienen sich die Phy- siker, um die elastischen l^igvnschaften der Körper zu beschreiben, zweier v(M-schied(mer Zahlen, die „Ehisticitätscoefficieut" und „Elasticitätsmoduhis" heissen. Die Bedeutung dieser Zahlen ist folgende: Für Länge und Dicke der zu untersuchenden Körper und für die Grösse der eihwii-kenden Jvraft werden ein für alle Mal bestimmte Einheitsmaasse angenommen und zwar für die Ver- glcichung von Deiinungs(>lasticität gewöhnlich 1 m, 1 qmm, und die Zugkraft von 1 kg. Der lilasticitätscoeflicienl giebt dann die \ er- Dehnbarkeit des Muskels. 377 längcrung an, die die verschiedenen Körper erleiden, er misst also die Grösse der Formänderung. Der Elasticität.smodiilus ist einfach der reciproke AVerth des Elasticitätscoefficicnten, er ist um so grösser, je kleiner die Fornu'indcrung und misst demnach die Grösse des elastischen Widerstandes. Will man auf diese Weise die Elasticität eines Muskels etwa mit der eines Stalildrahtes vergleichen, so muss man allerdings die am Muskel gefundene Bestimmung auf die unnatürlichen Verhall - nisse eines Muskelstranges von 1 m Länge und 1 (|mm Querschnili umrechnen. Hat man gefunden, dass ein Muskel durch Anhängen von 4 g auf den qram (Querschnitt um Vioo seiner Länge gedehnt wird, so ist daraus zu berechnen, dass er durch Anhängen von 1 kg um das 250 fache gedehnt werden würde. Ein Stahldrahi wird aber bei einer Belastung von 1 kg auf den Quadratmillimeter nur um 0,00006 seiner Länge gedehnt. Der Elasticitätscoeflicient des ^luskels ist also um mehr als 4000 mal grösser als der des Stahldrahtes; der Muskel ist im Verhältniss zum Stahldraht ausser- ordentlich leicht dehnbar. Abgesehen von diesem quantitativen Unterschied weicht die Dehnbarkeit des 3Iuskels dadurch von der der anorganischen Körper ab, dass sie mit zunehmender Dehnung immer geringer wird. Die Dehnbarkeit anorganischer Körper, etwa eines Stahldrahtes oder auch einer stählernen Spiralfeder, ist nach dem Elasticitätsgesetz von Hooke und S'Gravesande innerhalb weiter Grenzen durch- aus gleichförmig. Eine Spiralfeder, die durch 10 g um 1 cm ver- längert wird, wird durch 20 g um 2 cm, durch 30 g um 3 cm verlängert und so fort; die Dehnung ist also der Belastung voll- kommen proportional. Dies gilt innerhalb der sogenannten Elasti- citätsgrenze, das heisst, bis zu solchen Belastungen, die das erste Anzeichen des Zerreissens, nämlich eine bleibende Gestaltveränderung, eine Verbiegung der Spiralfeder, hervorrufen. Ganz anders verhalten sich die Muskeln. So leicht sie, wie oben angegeben, anfänglich über ihre Ruhelänge gedehnt werden können, so schnell nimmt auch ihre Dehnbarkeit ab und sehr bald kommt man bei zunehmender Belastung an eine Grenze, wo keine merkliche Ausdehnung mehr, sondern nur noch Zerreissen mög- lich ist. Um diese Erscheinung genauer verfolgen zu können, bedient man sich des „Myographions", in dem der Muskel mit Hülfe einer Klemme befestigt und mit einem Schreibhebel veri)unden wird, der die Verlängerungen in vergrössertem Maassstabe auf eine berusste SchreibHäche verzeichnet. An dem Schreibhebel ist eine AVaage- schale angebracht, auf die man die Gewichte setzt, die den Muskel dehnen sollen. Bei einem solchen Versuche findet man beispielsweise bei Belastung mit 50 100 150 200 250 300 350 400 g eine Dehnung um 3,2 6 8 9,5 10 10,3 10,4 10,4 mm 378 Delinungsrückstand. das lieisst also bei Zunahme der I5elastung um Je 50 g- eine immer geringer werdende Zunahme der Dehnung, näraiicli: 3,2 2,8 2,0 1,5 0,5 0,3 0,1 0,0 mm. Diese abnehmende Dehnbarkeit ist aber, wie bemerkt werden muss, nicht eine Eigenscliaft des ]\luskelgewebes aliein, sondern sie kommt auch anderen thicrischen Geweben, Haut, Sehnen und Nerven zu. Bei diesem Versuche bemerkt man noch einige Eigonlliiimlich- keiten, durch die sicli die elastischen Erscheinungen am .Muskel von denen an anorganischem Material unterscheiden. Wenn man ein und dasselbe Gewicht längere Zeit auf der Wageschale stehen lässt, so sieht man, dass der Muskel sich mit der Zeit immer mehr und mehr verlängert. Die elastische Kraft des Muskels kommt also nicht, wie die einer Spiralfeder, bei einem bestimmten Dehnungsgrade mit der Belastung ins Gleichgewicht, sondern die elastische Kraft des Muskels wird bei dauernder Einwirkung der gleichen Last immer geringer, sodass eine immer grössere Dehnung eintritt. Man nennt dies die Nachdehnung des Muskels. AVenn man den Muskel, nachdem er gedehnt worden ist, wieder frei lässt, zieht er sich ferner nicht, wie etwa eine Spiralfeder, sogleich auf seine ursprüngliche Länge zusammen, sondern er verkürzt sich an- fänglich nur um einen Thcil der Strecke, um die er gedehnt worden war, es bleibt also eine gewisse Verlängerung, als soge- nannter „Dehnungsrückstand" bestehen. Diese Erscheinung hat mit der bleibenden Verlängerung einer über die Elasticitätsgrcnze beanspruchten Feder zwar grosse Aehnlichkeit, aber ein sehr wich- tiger Unterschied ist der, dass die Feder wirklich dauernd ver- ändert ist, während der üehnungsrückstand des Muskels im Laufe einiger Minuten vollkommen verschwindet, sodass der Muskel seinen Anfangszustand wieder vollkommen erreicht Eeizbarkeit und Erregung. Ehe näher auf die Thärigkeir der Muskeln eingegangen werden kann, muss ihre Fähigkeit in Thätigkeit zu gerathen, als eine zweite besondere Eigenschaft der Muskeln besprochen werden. Man lindet diese Fähigkeit auch schon am Protoplasma, das nicht überall dauernd- thätig ist, son- dern, wie oben angedeutet, mitunter auf bestimmte Reize hin be- stimmte Bewegungen ausfüin-t. Der Muskel, als ein für den Zweck der Bewegung' eig'ens ausgebildetes Protoplasma, zeigt diese Eigen- schaft in hohem Grade. Man bczeiclinet sie gewöhnlich mit den Worten „Reizbarkeit" oder „Erregbarkeit", die mitunter in ganz gleichem Sinn gebraucht werden, obgleich das erste eigentlich nur in Beziehung auf den inneren Vorgang gebraucht werden sollte. Der Muskel kann auf mannigfache Art gereizt werden und wird dabei stets auf ein und dieselbe Weise erregt, denn er reagm auf alle verschiedenen Reize stets auf dieselbe Wci.se, nämlich in- dem er sich zusammenzieht. Man kann sagen, dass jede plötzliche Zustandsäiiderung, die einen Theil des Muskels betrifft, als Reiz Eri'egungsgesetz. 379 wirkt Der Muskel zuckt zusammen, wenn man ihn schlägt, kneift, schneidet oder sticht, wenn man ihn mit einem heissen Draht be- rührt wenn man iiin mit Lauge oder Säure ätzt und wenn man einen elektrischen Strom hindurchschickt. Im Körper selbst wird endlich, wie im nächsten Abschnitt ausführlicher dargestellt werden soll der Muskel durch Vermittlung der Nerven auf eme noch un- bekannte Art gereizt. Man unterscheidet die verschiedenen Reize als mechanische, thermische, chemische, elektrische und bezeichnet den normalen oder natürlichen Reiz durch Vermittlung der Nerven als „den adaequaten Reiz'- für die Muskeln. Da man auch den aus- geschnittenen Nerven künstlich reizen, und dadurch den Muskel in Thätigkeit setzen kann und hiervon bei der Untersuchung des Muskels sehr häulig Gebrauch gemacht wird, hat man für diesen Fall die kurze Bezeichnung- „indirecte Reizung" des Muskels em- gcführt. Unter allen den angeführten Reizarten hat die elektrische Reizung die grossen Vorzüge, dass sie sich genau abstufen lässt, und ohne den Muskel zu schädigen, beliebig oft wiederholt werden kann. Erregungsgesetz. Indem man den Muskel mit verschieden abgestuften elektrischen Reizen erregt, kann man ermitteln, welche Form des Reizes die wirksamste ist, und daraus auf das Wesen des Erregungsvorganges schliessen. Wie weiter unten gezeigt werden soll, verhalten sich die Nerven in dieser Beziehung ebenso wie die Muskeln, und das Ergebniss der Untersuchungen wird daher als das ..allgemeine Gesetz der Erregung von Nerv und Muskel" oder kurzweg als das „Erregungsgesetz" bezeichnet. Das Erregungsgesetz besagt, dass für den Grad der Wirksam- keit eines Reizes 'nicht die Stärke des Reizes allein maassgebend ist, sondern vielmehr die Stärke der Zustandsänderung, die beim liciz entsteht. Ein ganz schwacher Reiz, der plötzlich eintritt, er- regt stärker als ein noch so starker Reiz, den man ganz allmählich anwachsen lässt. :\Ian kann also die Wirksamkeit von Reizen nicht vergleichen, indem man nur ihre Stärke misst, sondern man muss zugleich den Zeilraum berücksichtigen, innerhalb dessen sich die Reizung voll- zieht. Dies Gesetz drückt offenbar eine Eigenthümlichkeit der Erregbarkeit im Allgemeinen aus; es lässt sich aber nur mit Hülfe der elektrischen Reizung streng nachweisen, und ist daher von seinem Entdecker E. du Bois-Reymond aucli nur mit Beziehung auf die elektrische Reizung ausgesprochen worden. Wenn man für die Stärke des elektrischen Stromes und für die Zeit Maasszahlen cinfülirt, kann man beide Grössen in einer mathematischen Formel zusammenfassen, die die Wirkungsstärke jedes beliebigen elek- trischen Reizes ausdrücken soll. Schon E. du Bois-Reymond hat eine solclic Formel aufgestellt, doch sind in neuerer Zeit Be- denken geltend gemacht worden, ob in ihr für die Beziehungen der 380 Eleldrische Reizung. Constanter Strom. Maasszahlen unter einander der richtige Ausdruck gewählt worden sei, und mehrere Forscher haben neue Formeln angegeben. Der wesentliche Punkt bleibt indessen bestehen, dass nämlich ' der zeitliche Verlauf der Reizung für die Stärke der Erregung in i Betracht kommt. Auf das Erreguugsgesetz wird bei der Besprechung der elektrischen Reizung noch weiter einzugehen sein. Elektrische Reizung. Constanter Strom. Da man sich, ; um die Erscheinungen bei der Reizung von Muskeln untersuchen i zu können, vorzugsweise der elektrischen Reizung bedient, weil ' diese am sichersten abgemessen werden kann und den Muskel ' am wenigsten schädigt, und da die Elektricität in einer ganzen Reihe ■ von Formen sich als wirksamer Reiz erweist, sind verschiedene j Verfahren zur elektrischen Reizung im Gebrauch. Die Eigenschaft der Elektricität, als Reiz wirken zu können, ist schon in sehr alter Zeit bekannt gewesen, da man Muskelzuckungen an Fischen beob- j achtet hatte, die neben elektrischen Fischen lagen, und an Frosch- | rauskein, die mit einer Eiektrisirmaschine in Berührung standen. I Als Galvani über diese Erscheinung Versuche anstellte, entdeckte er zufällig die Reizung durch den galvanischen Strom, der bis dahin unbekannt gewesen war. Fortan wurde vorzugsweise diese ; Art der Reizung verwendet, zu der man anfänglich den Strom der 1 Volta'schen Säule, später den der verschiedenen galvanischen Ele- 1 mente entnahm. Zur Prüfung auf Erregbarkeit bedient man sich auch heutigen Tages noch mit Vortheil des sogenannten Zink-Kupferbogens, eines aus einem Zinkdraht und einem Kupfer- oder Platindraht zusammen- gclötheten Bügels. Mit beiden freien Enden an das zu prüfende Gewebe angelegt, bildet dieser Bügel ein Element einer Volta'schen . Säule: Zink, Kupfer, Feuchtigkeit, das zugleich in sich zu einem l Stromkreise geschlossen ist, und es wird daher das Gewebe in der j Richtung vom Zink zum Kupfer oder Platin von einem Strom durchflössen. , Bei den Versuchen über die Peizwirkung des Stromes stellte sich alsbald die Grundthatsache heraus, dass der Strom als solcher nicht erregend wirkt, sondern dass der Muskel nur in dem Augen- blick erregt wird, wenn der Strom geschlossen wird, und wieder in dem Augenblick, wenn der Strom unterbrochen wird. Auf diese Beobachtung vor allem stützt sich das allgemeine Erregungs- gesetz. Der Versuch lässt sich nämlich in der Weise erweitern, dass man den einen Muskel durchfliessenden Strom nur verstärkt oder abschwächt, und es zeigt sich, dass auch solche Schwan- kungen in der Stromstärke als Reize wirken. Ferner kann man j zeigen, dass eine Veränderung der Stromstärke von bestimmter ; Grö,sse nur dann als Reiz wirkt, Avenn sie sich innerhalb eines bc- ■ stimmten Zeitraumes vollzieht. Lässt man einen ganz langsam ' wachsenden Strom, wie man zu sagen pflegt, „sich in den Muskel ein- schleichen", so entsteht keine Erregung. VÄno viel geringere Ver- .stärkung des Stromes wirkt aber als Beiz, wenn sie plötzlich ein- - Unterbrechungsrad. 381 tritt. Ganz ebenso wie Verstärkung des Stroms wirkt jVbschwächung. Man sieht -also, dass die Erscheinungen der Reizung mit constanteni Strom auf das Errogungsgcsetz in der oben gegebenen Form hin- führen, dass nämlich die erregende Wirkung eines Reizes von der (irösse der durch ihn bedingten Zustandscänderung in der Zeiteinheit abhängt. Unterbrechungsrad. Da nun der galvanische Strom nur, während er sich ändert, als Reiz wirkt, ist er in allen solchen {■'ällen, in denen man den Muskel dauernd im Zustande der Er- reguns- halten will, ein sehr unbequemes Reizmittel. Wenn man den sVom schliesst, wird der Muskel erregt, die Erregung hört aber sogleich wieder auf. Wenn man den Strom unterbricht, er- hält man eine neue, ebenso schnell vorübergehende Erregung. Um den Muskel mit dem galvanischen Strom fortwährend zu erregen, nniss man also den Strom immerzu öffnen und wieder schliessen. Hierzu kanii man sich eines sogenannten Unterbrechungsrades. I)edienen, das heisst, eines metallenen Zahnrades, dessen einer Zahn eine gegenüberstehende Metallfeder berührt und dadurch den Strom- kreis schliesst, während bei der Drehung des Rades jede Zahnlücke i'ine Unterbrechung des Stromes hervorruft. Dadurch kann man leicht die einzelnen Reize so schnell aufeinander folgen lassen, dass der Muskel dauernd in Erregung bleibt. Diese Vorrichtung wird aber nur selten zu ganz besonderen Zwecken angewendet, weil für Fig. 4.3. Sehlitteniniiuctorium von E. du B o i s - Re y ni o n d. A Primilrc Rolle, Ii Socundllro Rolle, /C Z D 0 .1 Wagner'sclier Hammer, K Z Klemmen zum Aii- scliliessen der Batteriedrlllite au die primilro Rolle. // dasselbe bei Ausschliessung des Wngner- solieu Haramors, ./ Elektromagnet, 0 Anker, M Pole der sonundnren Rolle. oft wiederholte Reizung die Anwendung des Schlitteninductoriums von E. du Bois-Reymond sich viel vortheilhafter erwiesen hat. Inductorium. Als Elektricitätsquelle dient beim Gebrauch des Schlitteninductoriums eine galvanische Kette oder ein Accunui- lator, der einen gewöhnlichen constanten Strom liefert. Das Wesen des Apparates besteht darin, dass nicht dieser primäre Strom, son- 382 Inductoriuni. (lern erst secundär durch ihn liervorgerufenc Inductionsströme zur Reizung benutzt werden. Der primäre Strom wird nämlich durcli einen in zahlreichen Windungen auf einer Spule, der primären Spi- rale, aufgewickelten Draht geleitet. Die.se Drahtrolle .steckt in einer zweiten, weiteren Rolle, deren Draht mit dem der ersten Rolle nirgends in Verbindung steht, sondern einen Stromkreis für sich, den secundären Stromkreis, bildet. In diesen .secundären Stromkreis wird der zu reizende Muskel eingeschaltet, indem man die beiden Enden des Drahtes der secundären Rolle mit dem Muskel in Berührung bringt. Der vom Element gelieferte primäre Strom ist, wie eben erwähnt, mit dem secundären durchaus nicht in Verbindung, da er aber in der ganzen Länge der primären Spule in gleicher Richtung in unmittelbarer Nähe des secundären Strom- kreises lliesst, kann er in dem secundären Stromkreise Induction.s- strörae hervorbringen. Wenn nämlich durch eine von zwei benach- barten Leitungen ein Strom geschickt wird, so entsteht durch die sogenannte Induction im Augenblick des Stromschlusses in der anderen ein Strorastoss in entgegengesetzter Richtung. Umgekehrt entsteht, wenn der Strom, der den einen Leiter durchfliesst, auf- hört, im andern ein gleichgerichteter Stromstoss. Im Inductoriuni ist diese inducirende Wirkung der beiden Leiter auf einander da- durch begünstigt, dass die beiden Spulen zwei sehr lange dicht benachbarte und völlig parallellaufende Leiter darstellen Dcnki man sich den primären Strom etwa durcli einen Unterbrechungsrad in rascher Folge gcüllnet und geschlo.ssen, so ist es klar, dass in Wagner'scher Hammer. 383 der .secuiidärcn Spule eine entsprechende Folge von Stromstössen entstehen muss, deren Richtung der des unterbrochenen Stromes in der primären Spirale abwechselnd entgegengesetzt und gleich- gerichtet ist. Diese secuudären Stromstösse werden zur Reizung benutzt. Zur Unterbrechung des primären Stromes bedient man sich nun nicht etwa eines Unterbrechungsrades, das durch Menschen- hand oder Motor bewegt werden muss, sondern man benutzt den Elektromagnetismus, um den primären Strom sicii selbst unter- brechen zu lassen. Die Vorrichtung, die hierzu dient, heisst der Neef sehe oder Wagner'sche Hammer (Fig. 44) und ist folgender- maassen eingerichtet: Der Strom wird vom Element aus in ein Messingsäulchcn D geleitet, von dem aus er in eine wagerecht ab- stehende schwache stählerne Feder E übergeht. Die Oberseite dieser Feder trägt ein Platinplättchen, das gegen einen darüber be- findlichen Platinstift A anliegt. Der Strom geht durch diesen Contact und durchläuft dann erstens die primäre Spule und zweitens die Wickelung eines hufeisenförmigen Elektromagneten J", der so unter der erwähnten Stahlfeder angebracht ist, dass eine am Ende der Feder befestigte Eisenplatte 0 unmittelbar über den beiden Polen des Magneten steht. Von der Wickelung des Magneten geht der Strom dem Element wieder zu, sodass unter den beschriebenen Bedin- gungen der primäre Strom zum Kreise geschlossen ist. Diese Be- dingungen können aber nur einen Augenblick bestehen bleiben, denn sobald der Strom geschlossen ist und mithin die Wickelung des EIckti-omagneten durchfliesst, zieht der Magnet seinen Anker an, biegt die stählerne Feder und entfernt dadurch die Platin- schi'ii)e von ihrem Contactstift. Dadurch wird d(M- Strom untei- brochen, der Elektromagnet wird unwirksam, die Feder schnellt empor, schliesst wieder den Contact und stellt die zuerst geschil- derten Bedingungen wieder her. Der Strom ist also von Neuem geschlossen, der Elektromagnet wird von Neuem wirksam, unter- bricht wi(;der den Contact und der ganze Vorgang wiederholt sich selbstthätig, solange das Element Strom liefert. Durch diesen selbstthätigen Stromuntei'brecher erhält man also einen immerfort unterbrochenen primären Strom, der in der secun- dären Spule eine stete Folge von secundären Strömen in abwechselnd entgegengesetzter und gleicher Richtung hervorruft. Da man natür- lich den Wagner 'sehen Hammer auch zur selbstthätigen Unter- Itrechung eines constanten Stromes benutzen könnte, so folgt aus dem bis jetzt Gesagten noch kein besonderer Vorzug der Reizung mit Inductionsströmen vor der mit dem constanten Strom. Es kommen aber zwei Umstände in Betracht, durch die das Schlitten- inductorium sich ganz b(\sonders für die Reizung eignet. Erstens hab(>n die Inductionsströme, die in dem secundären Stromkreis entstehen, eine verhältnissmässig sehr hohe Spannung, die sich schon dadurch zu erkennen giebt, dass sie in Form von Funken überspringen, wenn man die mit der secundären Spirale verbundenen Drähte mit den Enden an (>inander reibt. Man nennt 384 Vorzüge des Inductoriums. daher auch die kurzen Inductionsströrne, indem man sie den Ent- ladungen von Leydener Flaschen vergleicht, Inductionsschlägc Der Strom eines DanicU'schen Elementes, das zur StromqueUe für den primären Stromkreis liinreicht, hat so niedrige Spannung, dass er keine Funken bildet. Der im secundären Kreis inducirte Strom stellt zwar nur einen Theil der Energie des pri7näron dar, aber seine Spannung ist sehr hoch. Man pflegt daher auch, wenn man das Inductorium gerade zur Umwandlung eines primären Stromes von niedriger Spannung in hochgespannte Ströme benutzt, statt Inductorium „Transformator" zu sagen. Diese hohe Spannung nung ist nun für die physiologischen Versuche besonders zweck- mässig, weil nämlich die thierischen Gewebe, die Mu.skeln oder Nerven, die man elektrisch reizen will, ausserordentlich schlechte Leiter sind. Ausserdem ist auch der Verlauf der Inductionsströme ausser- ordentlich kurz, das heisst, die Spannung steigt in einem Augen- blick sehr hoch an und fällt ebenso schnell wieder ab. Nach dem oben angeführten Erregungsgesetz ist eben diese Form der Ströme im höchsten Maass geeignet Erregungen der Gewebe hervorzubringen, weil die Zustandsänderung in jedem Zeittheilcheu sehr gross ist. Zweitens endlich gewährt das Schlitteninductorium den grossen Vortheil, die Stärke der Ströme, mit denen man reizen will, ein- fach und sicher dadurch abzustufen, dass man die secundäre Rolle von der primären entfernt. Zu diesem Zwecke ist die secundäre Rolle eben auf dem „Schlitten" beweglich angebracht, der dem Apparat seinen Namen gegeben hat. Man pflegt den Abstand beider Rollen einfach nach Centimetern, die man an einem an der Schlittenführung angebrachten Maassstab abliest, zu bezeichnen. Es ist aber zu beachten, dass die Reizstärke durchaus nicht in einfachem Verhältniss zur Entfernung abnimmt. Die Stärke der Induction nimmt im Verhältniss der Quadrate der Entfernungen ab. Schon wegen der Grösse der beiden Rollen ist aber dieses allge- meine Gesetz auf den praktischen Fall nicht streng anwendbar. Eben darum begnügt man sich meist mit der blossen Angabe der Entfernung ohne Rücksicht auf die eigentliche Aenderung der Reiz- stärke. Will man diese genau kennen, so muss man sie für jede Entfernung der secundären Rolle erst besonders messen. Kro- necker hat Schlitteninductoricn mit einem nach der Reizsiärke eingetheilten Maassstabe eingeführt, der unter dem Namen der „Kronecker'schen Scala" bekannt ist. Schliessungs- und Oef fnungsschlag. l^-im Gebrauch des Inductoriums ist noch ein Punkt zu beachten, der für die Ver- wendung des Inductoriums sehr wichtig ist. Die Inductionsströme entstehen bei der Schliessung und bei der Ocffnung des primären Stromes. Um die Inductionswirknng zu versiärken ist der primäre Strom durch die zahlreichen parallelen Windungen der primären Spule geleitet. Er indiicirt deshalb Ströme in den iiarallelen ^\m- dung(>n der secundären Spule. Nun ist leicht einzusehen, dass lur Flelmholtz'sche Anordnung. 385 jede Windung der primären Spule alle anderen Windungen der- selben Spule ebensogut wie die der secundären, parallele und gleichgerichtete Leiter darstellen, in denen mithin beim Schliessen des prim.ären Stromes ein entgegengesetzter, beim Ocdnen ein gleichgerichteter Stromstoss, der sogenannte „Extrastrorn", inducirt wird. Durch diese sogenannte „Selbstinduction" in der priniären Spule wird der Strom bei seiner Entstehung zum Theil aufgehoben, und erreicht daher erst allmählich seine volle Stärke. Durch diese \'erzögerung wird auch die Inductionswii'kung auf den secundären Stromkreis beeinllusst, und der Inductionsstrom, der durcli die Schliessung des primären Stromes entsteht, der sogenannte „Schliessungsschlag" hat eine verhältnissmässig geringe Spannung, und eine verhältnissmässig lange Dauer. Die OelTnung des pri- mären Stromes schneidet ihn dagegen mit einem Sehlage völlig ab, und dementsprechend findet eine viel heftigere Inductionswirkung auf die secundäre Spule statt, die den sehr schnell verlaufenden, sehr hoch gespannten „Oeffnungsschlag" zur Folge hat. Nach diesen Angaben ist klar, dass die physiologische Wir- kung des Oeffnungsschlages die des Schliessungsschlages bei weitem übertreffen muss, und dass gerade der Oeffnungsschlag noch bei der geringsten Stärke am leichtesten eine wirksame Reizung ausübt. Fig. 45. 1 ^ l r UiigleichB Wirkung des Scliliessungs- (a »,) und Oeffnungsinductionsscliliiges (h b,) auf den Muskel. Oben Zuckungscurven, unten Reizscbeiben im primilren Kreis. Helmholtz'sche Anordnung. Um diese Verschiedenheiten zwischen Oeffnungs- und Schli(;ssungsschlägen auszugleichen, hat Helmholtz eine Vorrichtung angegeben, die unter dem Namen der „Helmholtz'schen Anordnung" an den meisten Schlittenapparaten angebracht ist. Sie beruht darauf, dass die Feder des Wagner- schen Hammers, statt den primären Strom dadurch zu unterbrechen, dass sie einen Contact verlässt, vielmehr dem primären Strom einen andern Weg ausserhalb der Spirale eröffnet, in dem sie einen Con- tact schliesst. Indem ein Theil des primären Stromes in diesen „Nebenschluss" eintritt, bleibt in der primären Spule und in dem Magneten des Wagner'schen Hammers nur ein Theil von ihm be- stehen, und diese Abschwäcbung des Stromes wirkt auf die secun- däre Holle ganz ähnlich wie eine Stromunterbrechung. Weil aber der primäre Stromkreis nicht wirklich unterbrochen ist, kann sich hier ebensogut wie sonst bei der Schliessung, der Extrastrom ent- E. du Bois-Reyinoud, Physiologie. 386 Ohm'sches Gesetz. wickeln, und es bestellen mithin für Oeffnungs- und Schliessungs- inductionsschlag gleiche Bedingungen. Vorreiberschlüssel. Will man etwa nur mit Schliessungs- schlägen reizen, so ist es sehr störend, dass man immer nur ab- wechselnd schliessen und öffnen kann und also zwischen je zwei Schliessungsschlägen immer einen, obenein viel stärker wirksamen, Oetfnungsschlag im secundären Stromkreis erhält. Um dies zu ver- meiden, wird allgemein eine zuerst von E. du ßois-Reymond in bestimmter Form eingeführte Vorrichtung gebraucht, die als Vor- reiberschlüssel oder kurzweg als du Bois-Reymond'scher Schlüssel bezeichnet wird, obschon sie eigentlich keinen Schlüssel in dem Sinne darstellt, in dem das Wort sonst von Schlüsseln für elektrische Ströme gebraucht wird. Der Vorreiberschlüssel (Fig. 46) be- steht aus zwei isolierten Metallklötzen (/? und c),die so in den Stromkreis eingeschaltet werden, dass der Strom vom Inductorium in den einen Klotz und von da zum Präparat geht, dann wieder vom Präparat durch den andern Klotz und zum Inductorium zurück. Zu diesem Zweck sind die Klötze mit je zwei Löchern mit Klemmschrauben für die Zuführung von Drähten versehen. An einem der beiden Fig. 46. du B 0 i s - R e y m 0 n d ' scher Schlllssel. Abblenden des Stroms. 387 llicili sich der Strom in verzweigten ßalincii mich dein umgekehrten Voriiäitniss der Widerstünde. Folglich wird durcli den Nebcnschiiiss (k^s Schlüssels der .•Ulcrgrösste Tlicil des Siromes und nur etw.a der millionslc Theii durcli das Präparat gehen. Man kann also mil dem Vorreiberschliissel den Strom, oder genau gesprochen, fast den ganzen Strom, vom Präparat zurückhalten, oder wie man zu saijen pflegt „abblenden''. Aus dem Gesagten geht hervor, dass eben, wenn der „Schlüssel" geschlossen ist, das Präparat ohne, oder genau gcsproclien, fast ohne Strom ist, während, wenn der Schlüssel „ollen" ist, das Präparat den ganzen Strom erhält. Der Schlüssel ist also eigentlich kein Schlüssel, sondern vielmehr eine „Nei)enscliliessung" ein „Kurzschluss". In seiner ursprünglichen Form war der Vorreiberschlüssel gewöhnlich auf einer hölzernen Schraubzwinge befestigt, um ihn bequem am Tisclirand anschrauben YAi können. An den neueren Inductorien pflegt unmittelbar an den End klemmen der secundären Spule eine Vorrichtung zum Kurz- schliessen angebracht zu sein, die den Vorreiberschlüssel ersetzt. Das „Abblonden" des Stromes vermittelst des Vorreiber- schlüssels wird natürlich auch abgesehen von dem oben angegebenen Fall des Abblendens der Oell'nungsschläge bei vielen anderen Oclegenheiten angewendet. Wenn man beispielsweise fortdauernde Reizung mit Inductionsströmen anwenden will, lässt man den Wagner'schen Hammer dauernd gehen, blendet aber die Inductions- ströme ab, und hat es dann in der Hand, sobald man reizen will, durch Oelfnen des Vorreibers die Ströme durch das Präparat gehen 7,u lassen. Muskeltelegrapli. Reizschwelle. Mit Hülfe der be- ficliriebenen Vorrichtungen kann man den Muskel ohne ihn zu schädigen sehr oft und in abstuf barer Stärke reizen. Auf jeden Einzelreiz, etwa durch einen OeH'nungsschlag, zieht sich der Muskel ganz scimell zusammen und erschlafft dann wieder. Dies nennt man eine Zuckung. Um die Zuckung des Muskels deutlicher er- kennen zu können, und namentlich, um sie bei Vorlesungsvcrsuchen weithin sichtbar zu machen, dient der sogenannte „Muskeltelegraph", ein Gestell, in dem der Muskel ausgespa^nnt wird, und bei jeder Zuckung einen Plebel mit einer papierenen Signalscheibe in Be- wegung setzt. Wenn man nun einen Muskel im Muskeltelegraplien anbringt und den Oeffnungsschlag eines Inductoriums zunächst bei sehr weit von einander entfernten Rollen durch den Muskel hin- durch schickt, so kann die Inductionswirkung soweit abgeschwächt sein, dass überhaupt keine Reizung eintritt. Man nennt das eine „unwirksame Reizung", besser eine „unterminimale" oder „unter- ^^chwellige" Reizung. Je mehr man dann einander die Rollen nähert, desto stärker werden die Inductionsströme bei der IJnter- l)rechung des primären Stromes, und man findet so einen Rollen- abstand, bei dem der Reiz eine merkliche Wirkung hat. Diese Reizstärke, die ein Maass für die l^rregbarkeit des Muskels giebt, nennt man die Reizschwelle. Ein halbtodter, schwach erregbarer 25» 388 Myographien. Muskel hat eine „höhere Reizschwelle", das heisst, er wird erst bei stärkeren Reizen, also bei geringerem Rollenab.stand erregt, ^lan nennt die schwächsten Reize, die überhaupt eine merkliche Wirkung hervorbringen auch „Minimalreize". Natürlich kann auch mit Bezug auf mechanische, chemische, thermische Reize von einer Reizschwelle und von unterminimalen und minimalen Reizen gesprochen werden, doch ist es in diesen Fällen so schwierig die Reizstärke genau abzustufen, dass diese Ausdrücke fast ausschliesslich mit Bezug auf die elektrische Reizung lind insbesondere mit Bezug auf den Rollenabstand des Schlitteninductoriums gebraucht werden. Myographien. Der Muskeltelegraph zeigt die Zuckung des Muskels an, aber er lässt nicht erkennen, ob sie schneller oder langsamer, stärker oder schwächere ist. Um diese Einzelheiten untersuchen zu können, benutzt man, gerade wie bei der Unter- suchung des Pulsstosses, die graphische Methode, das heisst. man lässt den Muskel seine Zusaramenziehung in vergrössertem Maass- stabe auf eine bewegte Schreibtafel oder eine rotirende Trommel Fig. 47. =0 Muskel (»0 im Myogiaphion am Schrcibliebel (c d c) befestigt. (AiiordnunK fllr isotonisclio Miiskelziickung.) verzeichnen. Man nennt die hierzu bestimmte Vorrichtung das Mvographion". Es besteht aus einem Gestell, an dem eine sturke klemme über einem leichten, um eine feste Achse drehbaren Hebel eingestellt werden kann. Der Muskel wird mir einem Ende in der Klemme befestigt, das andere mit einem Haken an den Hebe be- festigt Nahe am Drehpunkt des Hebels pflegt man eine ^\ag- Zuckungscurve. 389 schale aiifzuhängen, um den Hebel in verschiedenem Grade be- lasten zu können. Das freie Ende des Hebels läuft in eine Schreib- spitze aus, die auf der berussten Fläche einer Schreibtrommel schreibt. Zuckungscurve: Lässt man nun die Trommel schnell laufen, und reizt den Mu.skel, so verzeichnet der Schreibstift, indem sich die Schreibdäche unter ihm fortbewegt, Wcähreiid ei' sich hebt, eine aufsteigende Linie, und indem er sich senkt, wieder eine absteigende Linie. Diese Linie ist die sogenannte Zuckungscurve, und sie giebt an, wie gross die Verkürzung in jedem Augenblicke während der Zuckung gewesen ist. Aus der Form dieser Curve kann man auf die Zustands- änderungen, die während der Zuckung im Muskel stattfinden müssen, zurückschliessen, und die Deutung solcher, vom Froschmuskel unter verschiedenen Bedingungen geschriebenen Curven ist ein so wichtiges Hülfsmittel zur Erforschung der mechanischen Eigen- schaften des Muskels, dass sie förmlich zu einer besonderen Wissen- schaft ausgebildet worden ist. Abhängigkeit der Zuckungshöhe von der Reizstärke. Uebermaximale Reize. Die Höhe der Curve giebt die Grösse der Verkürzung an. Der ungereizte Muskel, der ohne zu zucken, im Myographien hängt, schreibt, wenn die Trommel gedreht wird, eine M-agerechte gerade Linie. Reizt man nun den Muskel zunächst mit unterminiraaler Reizstärke, so ändert sich nichts: verstärkt man den Reiz bis zur Reizschwelle, so hebt der Muskel den Schreibstift bei jeder Reizung um ein eben merkliches Stückchen an. Ver- stärkt man den Reiz weiter, so verzeichnet er bei jedem stärkeren Reiz eine etwas höhere Welle. Die Zuckungshöhe, die die Grösse der Verkürzung misst, steigt also mit der zunehmenden Reiz- stärke an. Verstärk! man nun die Reizung noch mehr, so erreicht die Curve eine bestimmte Höhe, über die sie auch bei beliebig weiter getriebener Verstärkung des Reizes nicht hinausgeht, und die des- halb als die „maximale Zuckungshöhe für Einzelrcizc" bezeichnet wird. Reize, die eine Zuckung von dieser maximalen Höhe hervor- rufen, werden als maximale oder übermaximale Reize bezeichnet. In allen Fällen, in denen man die Grösse der Verkürzung unter verschiedenen Bedingungen vergleichen will, pflegt man über- maximale Reize anzuwenden, da diese, auch wenn sie unter sich einigermaassen verschieden sein sollten, doch jedesmal die gleiche maximale Erregung im Muskel erzeugen. Der Unterschied zwischen maximaler und untermaximaler Zuckung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass erst bei maxi- maler Zuckung wirklich alle Elemente des Aluskels erregt werden. Zeitlicher Verlauf der Zuckungscurve. Die Zuckungs- curve lässt genau erkennen, wie gross die Verkürzung des Muskels "1 jedem Augenblick während der Zuckung gewesen is(. Die Höhe der Curve über ihrer Grundlinie giebt die Grösse der Verkürzung 390 Zuckungscurve. für jeden Augenblick an, die Länge der Curve bis zu jedem ein- zelnen Punkte, auf der Grundlinie gemessen, ist von der Um- drehungsgeschwindigkeit der Trommel abhängig und giebt, wenn man diese kennt, die Zeit an, die von Beginn der Curve bis zu jedem ihrer Punkte verstrichen ist. So kann man aus der Curve ablesen, das.s die gesammte Zuckung etwas weniger als ein Zehntel Secunde dauert, und dass davon etwa ein Drittel auf die Ver- kürzung, das „Stadium der steigenden Energie", den „aufsteigenden Fig. 48. c . ... Einfache Muskelzuckuiig. d Zuckungscurve, u Rei-izeiclien. unten Zeitsclireibung in O.Ol See. Schenkel der Curve« entfällt (&c), während die Wiederausdehnung, die den „absteigenden Schenkel der Curve" bildet, „das Stadmm der sinkenden Energie", etwa doppelt so lange dauert (cd). Man sieht ferner, dass beide Schenkel der Curve conv«x sind, dass also die Verkürzung erst schnell, dann immer langsamer zunimmt, während die Wiederausdehnung langsam beginnt und dann immer schneUer wird. Die Betrachtung dieser Einzelheiten dient geraein- sam mit anderen Beobachtungen dazu, Schlüsse auf das Wesen derjenigen Vorgänge ziehen zu können, die die Kraftentwicklung im Muskel bedingen. Beispielsweise kann man aus dem verlialt- nissmässig langsamen Abfall der Curve erkennen, dass die \ er- kürzungskraft nicht plötzlich aufhört, sondern langsam nachlasst, denn sonst würde der zweite Schenkel der Curve der Curve des freien Falles entsprechen. Um solchen Erwägungen eine moghchsi sichere Grundlage zu geben, müssen alle zufälligen Nebenurastande, die auf die Form der Curve einwirken kimnen, möglichst beseitigt werden, damit die Curve ein möglichst treues Bild der \organge in jedem einzelnen Muskelelement gebe. Daher muss man vor Allem ganz leichte Schreibhebel anwenden, deren Bewegung schon durch die ganz geringe Reibung an der Schreiblläclie so gedampft wird, dass der Muskel sie nicht höher „schleudern- kann, als er sich thatsächlich verkürzt. Wenn eine Belastung /'^^'^'^l;'"?^: bracht wird, muss diese möglichst nahe am Drehpunkt des Hebe l.s be?SügrwJrden, damit sie nur eine verluUtnissmässig hmg^^^^ „nd kleine 13ewegung aufwärts zu machen braucht und nicht ge- schleudert werden kann. ir„„,„r liat Lsotonische und isometrische Zuckung, terner hat man erwogen, dass der Muskel selbst bei seiner freien \e.- kürzung eine ' Formänderung erfährt, die vielleicht einen merk- Isometrische Zuckung. 391 liehen Einfluss auf die inneren Vorgjinge haben könnte. Wenn man annimmt, dass im Muskelgewebe eine beträchtliche „Quer- elasticität" besteht, so muss diese der Verdickung des Muskels einen Widerstand entgegensetzen, der einen Theil der Verkürzungs- kraft verbraucht, und die Form der Verkürzungscurve beeinflussen könnte. Man hat deshalb die Zuckung des Muskels auch unter der Bedingung untersucht, dass er sich nur um ein verschwindend kleines Stück wirklich verkürzen kann, und dass diese verschwin- dend kleine Bewegung in sehr stark vergrössertem Maasse aufge- zeichnet wird. Fig. 49. Anordnungen fUr isometrische Zuckungen. Zu diesem Zwecke (Fig. 49) Lässt man den Muskel an einem sehr kurzen Flebelarm {cd) auf einen langen Schreibhebel wirken, der durch eine vcrhältnissmässig starke Feder (/') festgehalten wird. Die Verkürzung des Muskels bedingt dann eine zunehmende Span- nung der Feder. Unter diesen Bedingungen ist die Curve, die man erhält, nicht als Verkürzungscurve des Muskels, sondern vielmehr als ein Maass der Spannung aufzufassen, die der Muskel an seinen Befestigungspunkten ausgeübt hat. Da hierbei die Länge des Muskels sich so gut wie garnicht ändert, nennt man dies die „isometrische Anordnung", und bezeichnet die gewöhnliche freie Verkürzung, bei der sich die Länge des Muskels ändert, seine Spannung, die nur durch das Gewicht des Hebels bedingt ist, aber gleich bleibt, als die „isotonische" Zuckung (vgl. Fig. 47). Die Hauptunterschiede zwischen isometrischer und isotonischt5r 392 Latente Reizung. Curve bestehen darin, dass, wie ;:leicli unten eri zu bj /f]. "2 >'• f. Dies Verhalten der Dehnungscurve des tliätigen Muskels be- stätigt das oben angeführte Schwann'sclie Gesetz und giebt damit zugleich einen Anhaltspunkt zu Schlüssen über die Vorgänge, die die Zusammenziehunir hervorrufen. Die Gravitationskraft und die TTiagnetisclie Anziehungskraft verhalten sich umgekehrt dem Qua- drat der Entfernung: Wenn also solche Kräfte bei der Zusanimen- ziehung der Muskeln im Spiele wären, müsste die Kraft des Muskcfzuges mit zunehmender Verkürzung wachsen. Quelle der Muskelkraft. Die Zusammcnziehung. des Muskels kann als eine Kraftäusscrnng angesehen werden, denn sie vermag Arbeit zu leist(>n. Es ist bei der Besprechung des Sto f- wechsels wiederholt darauf hingewiesen worden, dass die Quelle, Quelle der Muskelkraft. 399 ;uis der der Körper seine Ausgaben an Wärme und Arbeit bestreitet, in der chemischen Spannkraft der in iiim vorliandenen zersetzungs- l'äliigen Verbindungen liegt. Wenn inan nun das Wesen des Vor- ganges, der die Zusammenzielumg des Muskels bedingt, erforschen will, so liegt es nahe, zu fragen, welche Stoffe es sind, durch die der Muskel seine Energieausgaben bestreitet. Muskel und Fleisch sind, wie oben erwähnt, dasselbe. Aus dem, was oben über Zu- sammensetzung des Fleisches gesagt worden ist, geht hervor, dass das Fleisch fast ausschliesslich aus Eiweiss besteht. Man sollte also denken, dass in erster Linie das Eiweiss an den Zersetzungen im Muskol betheiligt sein würde. Diese Vorstellung ist aber von Fick und Wislicenus durch einen grundlegenden Versuch als irrig erwiesen worden. Der Versuch besteht einfach darin, zu prüfen, ob bei einer grossen Muskelanstrengung die Eiweiss- zersetzung im Körper entsprechend gesteigert wird oder nicht. Fick und AVislicenus bestiegen das Faulhorn vom ßrienzer See aus, 2000 m Höhe, und rechneten als geleistete Arbeit nur die Hebung des Körpergewichtes. Aus der Menge des während und nach dem Aufstieg ausgeschiedenen Harnstoffs berechneten sie dann die Menge des während der Zeit zersetzten Eiweisses, und fanden, dass der Brennwerth dieser Eiweissmenge nicht hinreichte, den Energieaufwand der geleisteten Arbeit zu decken. Da nun in Wirklichkeit beim Bergsteigen eine viel grössere Arbeit geleistet werden muss, als dazu gehört, bloss das Körpergewicht auf die erreichte Höhe zu heben, da ja bei jedem Schritt der Körper ge- hoben und wieder gesenkt wird, da das Gleichgewicht bewahrt werden muss und so fort, so bewies der Versuch, dass jedenfalls nicht Eiweiss allein bei der Muskelarbeit verbraucht wird. Durch zahlreiche spätere Versuche ist diese Lehre bestätigt worden, und insbesondere hat sich ergeben, dass Sauerstoffverbrauch und Kohlensäureausscheidung des Körpers zu der Grösse der geleisteten Muskelarbeit in gesetzmä.ssiger Beziehung stehen. Daraus darf mit Bestimmtheit geschlossen werden, dass es Körper von der Constitution der Kohlehydrat;e sind, die in erster Linie als Energie- quelle für den Muskel in ]3etracht kommen. Diese Tat.sache ist für die Lehre von der Ernährung von grosser Bedeutung, denn sie zeigt, dass eine ausschliesslich oder vorwiegend aus Eiweissstoffen bestehende Kost offenbar nicht die zweckmässigste Nahrung für dauernd schwer arbeitende Menschen oder Thiere darstellt. In neuerer Zeit besteht daher eher eine Neigung, in der einseitigen Ernährung mit Kohlehydraten zu weit zu gehen. Es ist zu beachten, dass die Kohlehydrate eben nur dem Brennmaterial der thierischen Maschine zu vergleichen sind, und dass mindestens überall da, wo die Maschine nicht nur ar- beiten, sondern zugleich im Stand gehalten oder sogar ausgebaut werden soll, auch Baumaterial, nämlich Eiweiss, reichlich zugeführt werden muss. Chemische Vorgänge im Muskel. Wenn nun durch die 400 Wärmeentwicklung. erwähnten Versuche auch die Art der Stoffe, die im Muskel ver- braucht werden, festgestellt ist, sind doch die chemischen Vorgänge im Einzelnen noch unbekannt. Der tiiätige .Muskel zeigt dem un- thätigen gegenüber den bcmerkenswerthen Unterschied, dass er deutlich sauer reagirt, während der unthätige neutral ist. Man glaubt diese Aenderung der Reaction auf die Gegenwart von Milch- säure zurückführen zu können, und nimmt an, dass das Glvcogen, das sich, wie im ersten Theile mehrfach erwähnt worden ist, in den Muskeln findet, in Milchsäure gespalten und diese dann weiter zu Kohlensäure und Wasser oxydirt werde. Thatsächlich lässt sich nachweisen, dass auch ein einzelner Muskel bei seiner Thätigkeit Sauerstoff bindet, und einen Theil davon als Kohlensäure wieder abgiebt. Bei der Spaltung sowohl wie bei der Oxydation werden che- mische Spannkräfte in lebendige Kräfte umgesetzt, die sich ent- weder als Wärme oder als Massenbewegung äussern müssen. Man darf also annehmen, dass die erwähnten Vorgänge die Energie zur Zusammenziehung liefern, wenn man auch nicht weiss, auf welche Weise der Energie gerade diese Form ertheilt wird. Wärmeentwicklung. Es ist ein allgemeines Gesetz, dass Wärme oder chemische Energie niemals ihrem vollen Werthe nach in mechanische Arbeit umgesetzt werden kann, sondern dass stets ein Theil der Energie Wärme bleibt. Demnach rauss auch im Muskel, wenn die Zusammenziehung durch chemische Energie be- wirkt wird, Erwärmung stattfinden. Dies geschieht thatsächlich und kann auf verschiedene Weise nachgewiesen werden. Zu den empfindlichsten Vorrichtungen zur Wärmemessung gehört die thermoelektrische Säule. Sind mehrere Metalle zu einem Strom- kreis geschlossen, so herrscht an jeder ßerührungsstelle verschie- dener Metalle ein elektrischer Spannungsunterschied, dessen Grösse von der Art der Metalle und der Höhe der Temperatur abhängt. Wählt man geeignete Metalle, etwa Antimon und Wismuth, oder Eisen und Neusilber, oder Eisen und Constantan, bei denen diese Spannungsunterschiede besonders stark sind, und vereinigt sie so zu einem Stromkreise, dass eine ganze Anzahl von Verbindungs- stellen nebeneinander liegen, in denen die beiden ]\Ietalle, ni der Richtung des entstehenden Stromes nach, innner m derselben Reihen- folge stehen, so erhält man ein thermoelcktrisches Element, das schon bei sehr geringen Wärmeunterschieden verhältnissmassig starke Ströme giebt. Da ferner die Stärke der Ströme durch das Galvanometer sehr genau gemessen werden kann, kann dieWarme- messung bis auf ein Tausendstel Grad genau gemacht werden. Hier- bei kommt sehr viel darauf an, dass die Temperatur aller anderen Verbindungsstellen des Stromkreises vollkommen unverändert bleibt, denn da, um den Stromkreis zu schliessen die Metallstucke an ihren anderen Enden in der umgekehrten Reihenfolge verbunden sein müssen, heben bei Temperalnrändorungen des ganzen Strom- "Wärmeentwicklung. 401 kreises die entstehenden elektrisclien Spannungen einander auf. Daher entsteht ein Strom nur, wenn ein Theil des Kreises andere Temperatur hat als der übrige Kreis, und die Genauigkeit der Messung hängt davon ab, dass ein solclier Temperaturunterschied nur durch die zu messende Wärrae entstellen könne. Solche Thermoelemente können in Form von feinen Nadeln hergestellt werden, die in den Muskel eingestochen oder zwischen iirössere Massen von Muskeln eingeschoben werden. Man kann auch durch eine von Fick angegebene Aufhängung eine Thermo- säule so auf einen unverletzten Muskel lagern, dass sie bei der Zusammenziehung seiner Bewegung folgt. Von der Feinheit der Messung gewährt es einen deutlichen Begriff, dass dies genaue folgen deswegen nöthig ist, weil sonst die Reibung des Muskels an der Säule schon eine messbare Wärmemenge erzeugen Avürde. Bei solchen Versuchen hat sich ergeben, dass in einem ein- zelnen freihängenden Froschmuskel bei einer einzigen Zusamraen- ziehung die Temperatur um bis zu 5 Tausendstel Grad ansteigen kann. Natürlich rauss die Erwärmung grösser sein, wenn grössere Muskelmassen längere Zeit in Thätigkeit sind, weil mehr Wärme erzeugt wird, und die Wärme sich nicht so schnell nach aussen abgiekhen kann. Dies tritt deutlich hervor, wenn man die Tem- peratui'stcigerung bestimmt, die das Blut beim Durchfliessen thätiger Muskeln erfährt. Man findet die Temperatur des Venenblutes, das aus Muskeln, die tetanisch gereizt wurden, fliesst, um mehr als einen halben Grad höher als die des Blutes der betreffenden Arterien. Besonders wichtig ist, dass man auch den Nachweis hat führen können, dass sich ein Muskel, der so zwischen festen AVider- ständen ausgespannt ist, dass er keine Arbeit leisten kann, stärker erwärmt, als ein Muskel, der äussere Arbeit verrichtet. Vergleicht man die unter diesen Umständen erhaltene Wärmemenge, die offen- bar, da keine Energie nach aussen abgegeben worden ist, ein Maass des gesammten Energieaufwandes bei der Thätigkeit ist, mit der- jenigen Wärmemenge, die der im günstigsten Fall vom Muskel ge- leisteten äusseren Arbeit entsprechen würde, so findet man un- gefähr das Verhältniss von 4:1. Dies Verhältniss ist bei Versuchen am lebenden Menschen und Thieren, in denen der Gesammtumsatz an Energie aus der Grösse des Gesammtverbrauches von Sauerstoff bestimmt wurde, noch etwas günstiger, nämlich wie 3 : 1 gefunden worden. Betrachtet man den Muskel als ein Organ, das nur dazu bestimmt ist, mechanische Arbeit zu leisten, so scheint es, dass er seine Auf- gabe nur mangelhaft erfüllt, indem er für jedes Meterkilogramm Arbeit die doppelte Energiemenge in Form von Wärme vergeudet luid also im Ganzen dreimal so viel Energie braucht, als er in Form von Arbeit abgiebt. Aber es ist erstens zu bemerken, dass beim Warmblüter die Muskeln eben auch als Wärmeerzeuger eine nützliche Rolle spielen, und zweitens, dass es, wie oben bemerkt, R- du Bois-Reymi)nd, I'lijsiologie. 26 402 Wirkungsgrad, ein allgemeines Gesetz ist, dass Wärme oder chemische Energie Ii; nie ihrem vollem Werthe nach in mechanische Arbeit mngesetzt \- werden kann. Die von Menschenhand gebauten Kraftmaschinen ; haben zum allergrössten Thcil ein nocli viel ungünstigeres Ver- ' hältniss von Gesammtenergieaufwand zur geleisteten Arbeit. Fest- stehende Dampfmaschinen nutzen etw'a 15 pOt. der in den Kohlen vorhandenen Spannkraft zur Arbeit aus, die anderen 85 pCt. gehen i als Wärme im Schornstein, an den Kesseln, Röhren und Cyündern, als i: Reibungswärme und zur Erwärmung des Spülwassers verloren. Die m Locomotiven, die unter besonders ungünstigen Bedingungen arbeiten, m nutzen sogar nur 2 pCt. der ihnen zugeführten Energie aus. Man ■ bezeichnet die von einer Maschine oder einem Muskel geleistete K äussere Arbeit im Gegensatz zu der gleichzeitig gelieferten Wärme fi als nutzbare Arbeit und nennt das Verhältniss des Gesaramt- ^ Verbrauchs an Energie zu der Grösse der nutzbaren Arbeit den „Wirkungsgrad" der Maschine. So hat der Muskel den Wirkungs- yl grad 0,33, die Locomotive 0,02. 'i Absolute Muskelkraft. Der Muskel als Arbeitsmaschine ' ist auch darin den von Menschenhand gebauten Motoren überlegen. dass er im Verhältniss zu seiner Grösse und seinem Gewicht .; ausserordentlich viel Arbeit leisten und verhältnissraässig sehr grosse Kraft ausüben kann. Die Grösse der Contractionskraft ist Sj eine der Eigenschaften des Muskels, deren Messung unmittelbar ^ einen Schluss auf das Wesen des Contractionsvorganges zulässt. | Nimmt man zum Beispiel an, dass die Zusammenziehung durch ; elektrische Anzieliungskräfte zu Stande kommt, und dass die Theil- chen, die einander anziehen, eine bestimmte Grösse und Entfernung > von einander haben sollen, so lässt sich berechnen, wie gross die j Ladungen der betreffenden Thcilchen sein müssen, um eine Kraft ? zu erreichen, die so gross ist wie die Kraft, die man am Muskel | selbst beobachtet. Bei dieser Rechnung findet sich, dass der Ab- | stand der Theilchen so klein oder die Ladung so hoch angenommen k werden muss, dass die Annahme sehr unwahrscheinlich wird. Man 1 wird also diese Annahme fallen lassen und eine Anschauung zu 1 gewinnen suchen, die sich besser mit der thatsächlich vorhandenen | Kraftwirkung vereinigen lässt. Man misst die Kraft eines gegebenen Muskels einfach durch j die Grösse des Gewichtes, das er eben noch zu heben vermag. ^ Um diese Bestimmung an Froschmuskeln auszuführen, benutzt man | einen Apparat, der als\,Froschuntcrbrccher" bezeichnet wird (Fig. 54V i Der Muskel ist mit einem Ende in einer starken Klemme / befestigt 1 und hebt durch seine Zusammenzichung einen Hebel h, der eine Waag- t schale trägt. Der Hebel ruht mit einer Platinspitze po auf emor f Platinfläche und taucht zugleich mit einer eiserneu Spitze in ein Näpfchen mit Quecksilber. Der Stand des Quecksilbers kann durch eine Schraube, die von unten in das Quecksilber hinein- getrieben wird, so gehoben und gesenkt werden, dass sich das i Quecksilber in Fonn eines ausgezogenen Fadens an die Eisen- | Absolute Muskelkraft. 403 spilze anliängt. Durcli die beiden Beriiiirungsstellen, nämlich die riatinlläclie und das Qiujclcsilberf^nindg'), wird ein Stromgeieitct, dessen Unterbreciiung zum Zeichen dient, dass der Hebel gehoben worden ist. Um dieses Zeichen dauernd und untrüglich zu machen, ist Fig. 54. I rosohunterbrochor. (Die am unteren Kand clor Figur e einen von einem galvanischen Element oder von einem Accumulator I Unpolarisirbare Elektroden. 407 iiusgehendeu Strom durch einen Galvanonicicr anzeigen und messen kann. Hier sind zwei grosse Schwierigkeiten zu überwinden. Erstens muss man einen Galvanometer liaben, der empfindlich genug ist, so schwache Ströme anzuzeigen, wie die des Muskels sind. Ilekaimtlich zeigt der Galvanometer die Ablenkung der Magnet- nadel durch den elektrischen Strom an. Durch eine grosse An- zahl verschiedener KiinstgriHc hat man diese AVirkung des Stromes möglichst stark gemacht, die richtende Kraft des Erdmagnetismus auf die Magnetnadel aufgehoben und endlich die Beobachtung der Ausschläge der Nadel aufs Höchste verfeinert. üebrigens pflegt man in neuerer Zeit den Grundgedanken des Apparates umgekehrt anzuwenden, indem man statt eine Magnet- nadel durch, einen feststehenden Stromkreis bewegen zu lassen, einen feststehenden Magneten benutzt, und den zu messenden Strom durch eine beweglich aufgehängte Drahtrolle schickt. Auf diese Weise erhält der Galvoraeter ausreichende Em- pfindlichkeit, um sogar viel schwächere Ströme anzuzeigen als die Muskelströme sind. Unpolarisirbare Elektroden. Es besteht aber noch eine zweite grosse Schwierigkeit: Die Elektricität wird im Galvanometer (kirch Kupferdrähte geleitet, und um die Muskelströme zu messen, müssen diese Kupferdrähte auf irgend welche Weise leitend mit dem Muskel verbunden werden. Sobald aber zwischen Metallen und feuchten Körpern eine leitende Verbindung hergestellt wird, treten, wie Volta bewiesen hat, ebenso wie bei jedem elektrischen Element, das ja auch aus der Verbindung von Metallen und Flüssig- keit besteht, in dem Kreise Ströme auf. Diese Ströme würden natürlich den Galvanometer durchfliessen, und es wäre nicht raög- Hch sie mit Sicherheit von den Eigenströraen des Muskels zu unter- scheiden. Diese sehr grosse Schwierigkeit, die alle genaueren l'ntersuchungen über die Muskelelektricität hinderte, hat E. du ßois- Ueymond durch die Erfindung der nach ihm benannten „unpolari- sirbarcn Elektroden" überwunden. Man hatte bemerkt, dass mit tiUiecksilber überzogenes Zink, das in gesättigte Zinksulfatlösung laucht, eine leitende Verbindung von Metall und Flüssigkeit giebt, die fast vollkommen stromlos ist. Nach unzähligen Proben fand E. du Bois-Re ymond, dass man verschiedene Flüssigkeiten mit einander in leitende Berührung bringen kann, ohne merkliche Ströme zu erhalten, wenn man den Austausch zwischen den Flüssig- keiten dadurch hindert, dass man sie nicht frei, sondern mitTöpl'er- thon verknetet benutzt. Um also thieri.sches Gewebe an eine metallene f^eitung anzuschliessen, ohne dass durch die Berührung eine neue Stromquelle entsteht, giebt es folgendes Mittel: Man verbindet den Kupferdraht mit einem Stück venjuickten Zinkes, das man in ge- sättigte Zinksulfatlösung taucht. Die Zinksulfatlösung steht mit euieiii durch sie getränkten Thonklumpen in Herülirung, an den ein zweiter mit Kochsalzlösung getränkter Klumpen geklebt ist, und dieser stösst an das thierischc Gewebe. Alle diese einzelnen 408 Unpolarisivbare Elektroden. Leitungsstücke sind zu der kleinen handlichen Vorrichtung zu- sammengestellt, die in Figur 55 dargestellt ist und als „unpolari- sirbare Elektrode" bezeichnet wird, weil die Entstehung elektrischer Spannungen an Uebergangsstcllen von einem Leiter zum andern als „Polarisation" bezeichnet wird. Bei dem allmählichen üebergang vom Gewebe zum Kochsalzthon, von da zum Zinkthon, von da Fig. 55. Unpolaiisirbare Elektrode. A, h, i Stativ, u isolirender Arm, e Kugelgelenk, a Gllischen, b verquicktes Zink, c Thon.stieM zur Zinklösung, von da zum Zink und endlich zur Leitung, ist nirgends eine Stelle, die zur Entstehung elektrischer Spannungen Anlass giebt. Dies kann man beweisen, indem man an die vom baivano- meter kommenden Drähte zwei unpolarisirbare Elektroden an- schliesst und ihre Kochsalzthonspitzen mit einander in Berührung brinot Dann ist der Stromkreis des Galvanometers geschlossen, und wenn an irgend einer Stelle der Elektroden Polarisation be- steht, muss der Galvanometer ihn anzeigen. Bei sauber zugench- teten Elektroden bleibt der Galvanometer in Ruhe. Man pflegt auf diese Weise die Elektroden vor jedem \ ersuche auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen. . Der Ruhestrom des Muskels. Mit Hülfe der unp^olausii- baren Elektroden kann man also den Muskel imt dem Galvano- meter in Verbindung bringen, ohne dass Polarisationsstrome ent- stehen. Man findet dann, dass vom Muskel selbst Strome ausgehen, d e sich in Bezug auf Richtung und Stärke in gesetzmassiger Weise ie nach den Stellen des Muskels unterscheiden von denen man den Strom ableitet. Diese Gesetzmässigkeit^ lass sich am deutlichsten beschreiben, wenn man sich den Muskel als ei llndrisches Easerbündd vorstellt, dass -^l^ff",;"/- aLeschnitten ist, als einen sogenannten „Muskelcylindei . Ls vS i!r daun jeder Punkt an den Endflächen gegen ^c^e,. Punkt an der Mantellläche des Cyl'"ders wie in ^'^^ ^ sehen Element das Zink gegen das Kupfer. ^i Dia^^^^^^ der Zink und Kupfer verbindet, geht der Stroin vom l^yP^^«-^' T .2'"^^':"^^^ man nennt daher das Kuiifer den positiven, das Zink den nega Ruhestrom. 409 tiven Pol des Elementes. Innerhalb des Elements rauss aber der Strom, der ja stets einen geschlossenen Kreis durchLäuft, vom Zink zum Kupfer übergehen. Ebenso mnss, wenn vom Muskelcylinder durch den Galvanometerkreis der Strom vom Mantel zur Eadiläche geht, im Muskel offenbar der Strom von der Endfläche zum Mantel gehen. Die Richtung des Stromes ist für alle Muskeln und für j'edes Stück von beliebiger Form, das aus einem grösseren Muskel herausgeschnitten wird, dieselbe. Statt von der Mantellläche und und den Endflächen des Muskelcylinders spricht man daher auch einfach vom Längsschnitt und Querschnitt des Muskels und drückt das Gesetz über die Richtung des Ruhestroms aus , indem man sagt: „Im ruhenden Muskel geht ein Strom vom Querschnitt zum Längsschnitt, in dem an den Muskel angeschlossenen Leitungsbogen also vom Längsschnitt zum Querschnitt". Die Stärke des Stromes ist um so grösser, je näher an der Mitte von (^lersclmitt oder Längsschnilt die Punkte gewählt werden, von denen man den Strom ableitet. Zwischen zwei Punkten des Längsschnittes geht der Strom im Muskel von dem Fig. 58. 1 ströme des Muskelcylindors. dem Querschnitt näheren zu dem der Mitte des Längsschnittes näheren Punkt, im augelegten Leitungsbogen natürlich entgegen- gesetzt. Entsprechend verhalten sich je zwei Punkte auf dem Quer- schnitt. Die Spannung des Muskclstromes kann etwa 0,08 Volt, also ungefähr den zehnten Theil der Spannung eines Daniell- schen Elementes betragen. Alterationstheorie und Praeexistenzfrage. Die all- gemeine Gültigkeit dessen, was oben über die Muskelströme gesagt worden ist, leidet eine wichtige Ausnahme. Es kommt nämlich vor, dass Muskeln, die besonders sorgfältig und ohne jede Ver- letzung präparirt worden sind, sich stromlos, also elektrisch un- wirksam erweisen. Erst durch eine Verletzung, besonders durch Anätzen oder durch Eintauchen eines Endes in heisscs Wasser wird der Muskelstrom in voller Stärke hervorgerufen. Durch diese 410 Negative Schwankung des Muskelstromes. Beobachtung ist es zweifelhaft geworden, ob die elektrischen Unter- schiede, die die unmittelbare Ursache der Muskelströme sind, während des Lebens in den unverletzten Muskeln sclion bestehen oder nicht. Vielfach Avird angenommen, die Ströme des ruhenden Muskels überhaupt seien nur eine gewissermaassen zufällige Folge der Veränderungen, die durch die Präparation hervorgerufen würden. Es "wird in diesem Sinne der Ruhestrom geradezu als ,, Alterations- strom" oder gar ,,Demarcationsstrom" bezeichnet. Gegen diese Anschauung spricht aber die oben hervorgehobene Regelraässigkeit der Muskelströme, die beweist, dass der innere Bau des Muskels zum mindesten auf die angebliche „Alteration" bestimmenden Ein- iiuss übt. Ausserdem ist nachgewiesen worden, dass von dem Augenblick, in dem das Ende des Muskels verletzt wird, bis zum Eintreten des Muskelstroms nur eine verschwindend kurze Zeit vergeht, während anzunehmen ist, dass zum Entstehen der ,, Alte- ration", die man sich als eine chemische Veränderung des verletzten Theiles vorstellt, eine gewisse Zeitdauer erforderlich sein Avürde. Wenn man hieraus schliessen möchte, dass die elektrischen Spannungsunterschiede schon im lebenden unverletzten Muskel be- stehen, so würde mandann wieder besondere Annahmenmachen müssen, um zu erklären, warum sie erst nach einer Verletzung erkennbar werden. Es stösst also die „Praeexistenztheorie" ebenso wie die „Alterationstheorie" auf Schwierigkeiten. Eine sichere Entscheidung lässt sich vorläufig nicht treffen, weil beide Lehren auf dieselben Thatsachen aufgebaut sind. Negative. Schwankung des Muskelstromes. Beobachtet man den Muskelstrom, während der Muskel sich zusammenzieht, so sieht man, dass der Strom bedeutend schwächer wird. Man be- zeichnet diese Erscheinung, da sie eine Veränderung, eine Schwan- kung der Stromstärke im Sinne der Verminderung darstellt, als „die negative Schwankung des Muskelstroraes." Man kann indessen die Schwankung auch auffassen als einen Strom in der der Rich- tung des Ruhestroms entgegengesetzten Richtung, denn bekanntlich Summiren sich entgegengesetzte Ströme in derselben Leitung so, dass der schwächere einfach einen entsprechenden Theil des stär- keren aufhebt. Nach dieser Auffassung entsteht im Muskel, den man sich in der Ruhe stromlos denkt, bei der Thätigkeit em Strom, der demnach auch als „Actionsstrom" bezeichnet wird. „Actionsstrom" und „Negative Schwankung" sind also nur ver- schiedene Namen für denselben Vorgang, von denen der erste nn Sinne der Alterationstheorie, der zweite im Sinne der Praeexistcnz- lehre gebraucht wird. Dieser elektrische Vorgang ist mit Sicher- heit auch im lebenden unverletzten Muskel nachgewiesen, beine Entstellung ist darauf zurückzuführen, dass die erregten Stellen zu den unerregten sich so verhalten wie Zink zu Kupfer. Daraus er- giebt sich, dass, wenn der Längsschnitt (MTCgt ist, der Strom zwischen Längsschnitt und Querschnitt abnehmen muss. Die negative Schwankung des Muskelstromes bei einer ein- Theorie der Muskelcontraction. 411 zclnen Zuckung folgt J'ast unmittelbar auf die Reizung und dauert nur sehr kurze Zeit, sodass sie schon vorüber ist, wenn die Be- wegung des Muskels beginnt. Theorie der Muskelcontraction. Nach der Entdeckung der Mu.skelelektricität hoffte man in ihr zugleich die Ursache des Verkürzungsvorganges aufgedeckt zu haben. Trotz aller Anstren- gungen in dieser Richtung haben sieh aber keine weiteren Anhalts- punkte für eine elektrische Erklärung der Muskelthätigkeit finden lassen. Die Alteralionstheorie stellt vollends die elektrischen Er- scheinungen als ein ganz nebensächliches Ergebniss der chemischen Vorgänge im Muskel hin. Man darf nicht vergessen, dass alle physikalischen Vorgänge in gewissem Grade mit elektrischen Ver- änderungen verbunden sind. Die Frage nach den Kräften, die die Formveränderung der Muskclcmente bei der Verkürzung hervorbringen, bleibt nach wie vor ungelöst. Um aber wenigstens von den ]\Iöglichkeiten zur Beantwortung dieser Frage eine Anschauung zu geben, mögen zwei verschiedene Theorien hier kurz besprochen werden. Die eine, die auch wohl als ,,Oberllä(',lienspannungstheorie" bezeichnet wird, ist in neuerer Zeit von Bernstein durchgearbeitet worden. Sie beruht auf der Thatsache, dass die Berührungsflächen flüssiger oder festweicher Stofic, je nach deren Eigenschaften, ver- schiedene Formen annehmen. Das bekannteste Beispiel hiervon bietet die Formänderung eines Quecksilbertropfens, der mit ver- dünnter Schwefelsäure in Berührung steht. J^eitct man einen elektrischen Strom durch das Quecksilber in die Schwefelsäure, so erschlafl't der Tropfen und wird breit und platt. Kehrt man den Strom lim, so zieht sich der Tropfen kugelförmig zusammen. Diese Beobachtung ist von Lippraann zur Herstellung des so- genannten Capillarelektrometers benutzt worden. Man kann sicii nun vorstellen, da.ss im Muskel Tröpfchen festweicher Masse vorhanden wären, die im Ruhezustand in die Länge gezogen wären, und durch die Veränderungen, die bei der Erregung des Muskels stattfinden, Kugelgestalt anzunehmen strebten, gerade wie Quecksilbertropfen in Schwefelsäure es unter dem Ein- fluss des Stromes thun. Diese Theorie könnte gestützt werden, wenn es gelänge nachzuweisen, dass an Stoffen von solcher Art, wie sie im Muskel vorkommen, Aenderungen der Oberflächen- spannung von solcher Grösse und Energie möglich sind, dass sie für die Leistungen des Muskels ausreichend wären. Die Theorie könnte sogar als bewiesen gelten, wenn sich weiter nachweisen Hesse, dass die angenommenen Tröpfchen ihrer Grösse und Form nach in den aus den mikroskopischen Untersuchungen bekannten Bauplan der Muskelfasern passten. Wenn man diese Nachweise zu führen versucht, wie es Bernstein gethan hat, so ergiebt sich, dass man entweder die Kraft und Grösse der Formänderung der einzelnen Tröpfchen über- mässig hoch ansetzen muss, oder ihre Grösse so klein annehmen 412 Elektrische Fische. muss, dass sie gegenüber den im Mikroskop erkennbaren Einzel- heiten des Miiskelbaus verschwinden müsste. DieOberllüchenspannungs- theorie passt also nur schleclit zu den bekannten Eigenschai'ten des Muskels. Eine andere Theorie, die von Engelraann herrührt, i.st auf die Tbatsache gegründet, dass viele Körper, die an sich einfach lichtbrechend sind, im Zustande der Spannung doppeltbrechend werden und dann die Eigenschaft zeigen, sich bei Erwärmung in der Richtung ihrer optischen Axe zu verkürzen. Der Muskel ent- hält nun in jedem Element eine Schicht doppeltbrechender Sub- stanz, die die Mittelscheibe und die beiden Querscheiben umfasst, und es ist also anzunehmen, dass diese Substanz sich bei Er- wärmung verkürzen und verbreitern wird. Die Erwärmung müsste bei der Thätigkeit des Muskels durch die chemischen Umsetzungen hervorgebracht werden. Auch quellbare gespannte Körper, wie etwa i3armseiten, haben die Eigenschaft sich bei Erwärmung zu verkürzen, und auf Quellungserscheinungen im Muskel weist der Umstand hin, dass in der thätigen Faser die doppeltbrechende Sub- stanz auf Kosten der einfach brechenden vermehrt erscheint. Die Verkürzungen, die auf diese Weise entstehen, treffen in einem Hauptpunkte mit der des Muskels überein, dass sie nämlich ver- hältnissraässig sehr grosse Kraft entwickeln. Oijschon also diese Theorie keine eigentliche Erklärung für die mechanische Ursache der Verkürzung giebt, eröffnet sie doch die Möglichkeit, die Vor- gänge im Muskel auf allgemeinere physikalische Gesetze zurück- zuführen. Elektrisches Organ der Zitterfische. Im Anschluss an das, was oben über die elektromotorische Wirkung der Muskeln und ihre Bedeutung für die Theorie der Muskelcontraction gesagt worden ist, müssen hier noch die Beobachtungen an den so- genannten elektrischen Fischen erwähnt werden. Es sind drei Arten Fische, der Zitterrochen (Torpedo), der im Meere, der Zitterwels (Malapterurus), der im Nil, und der Zitteraal (Gymnotus), der in den Flüssen Venezuela's vorkommt, die die Fähigkeit haben, so starke elektrische Schläge abzugeben, dass sie Menschen und Thiere dadurch vorübergehend lähmen können. Am stärksten ist die elektromotorische Leistung der Gymnoten, die bis zu anderthalb Meter lang werden. Diese Fähigkeit verdanken sie den sogenannten „Elektrischen Organen", die einen grossen 1 leil ihres Körpers erfüllen und oberflächlich betrachtet Fettmassen ahn- lich sehen. Die Organe bestehen aus einer grossen Anzahl feiner prismatischer Säulchen, die jede aus einer Reihe aneinanderliegender Plättchen gall(!rtig(>r Substanz zusammengesetzt sind. Vom Rücken- mark treten Ni>rv(m zum Organ, beim Zitterwels nur eine einzige aus ein(>r einzigen sehr grossen Nervenzelle entspringende l^aser, die Aestchcn an jede einzelne Platte abgelieii. Auf Reizung des Nerven erfolgt vom Organ ein eloklri.scher Schlag, indem je eine Seite jedes Plättchens gegen die andere po.sitiv elektrisch wird, Isolirte Reizung. 413 und die elektromotorisclicn Kräfte sich suramiren, genau wie es bei der Volta'schen Zink-Kupferplattensäule geschieht. Je nach der Anordnung der Säuh-n im Organ ist die Richtung des Ent- ladungsstromes in der Umgebung des Fisches beim Torpedo von der Bauchseite zur Rückenseite, beim Gymnotus von vorn nach liinten, beim Wels von hinten nach vorn. Die Stärke des Schlages erreicht bei 10 cm Säulcniänge beim Zitteraal über 100 Volt. Diese Erscheinung, bei so wenigen und doch so verschiedenen Fiscliarten ausgebildet, ist an sich äusserst merkwürdig und bietet der Naturforschung eine ganze Reihe bisher ungelöster Räthsel dar. Erstens ist die Entstehung eines solchen Organes räthselhaft, weil es offenbar erst bei einer bestimmten ziemlich hohen Leistungsfähigkeit für den Fisch von Nutzen sein kann. Man sieht also nicht ein, wie hier eine Entwicklung durch Zuchtwahl möglich sein soll. Freilich giebt es Fische mit „pseudoelektrischen Or- ganen", die keine Schläge geben, doch bieten diese nutzlosen Organe statt der Aufklärung nur ein weiteres Räthsel. Zweitens wäre zu erwarten, dass der elektrische Schlag des Organs den Fisch selbst in demselben Maasse schädigen werde wie seine Beute. Die elektrischen Fische sind aber immun gegen ihren eigenen und in gewissem Grade auch gegen künstliche Schläge. Endlich sind die inneren Vorgänge, auf denen die Elektri- citätsentwicklung beruht, völlig dunkel. In dieserllinsichthatdie Unter- suchung der Zitterfische diel allergrösste Bedeutung für die allgemeine Physiologie der Muskeln. Die Wirkung des Organs ist nämlich in fast allen Punkten mit der elektromotorischen Wirkung der Muskeln zu vergleichen. Man kann den elektrischen Schlag der Zitterlische als eine besonders stark entwickelte negative Schwankung einer für diesen Zweck umgebildeten Muskelmasse ansehen. Diese An- schauung erhält eine wesentliche Stütze dadurch, dass auch die Entwicklungsgeschichte die elektrischen Organe als Iloraologon der Musculatur erkennt. Man kann also hoffen, wenn es gelingt die viel stärkeren Wirkungen des elektrischen Organes auf ihre inneren Ursachen zurückzuführen, damit zugleich die elektrischen Vorgänge im Mu.skel aufzuklären. Jedenfalls spricht die Ausbildung des elektrischen Organs aus dem Muskel, die als feststehendem That- sachc betrachtet werden darf, dafür, dass die elektrisch(! Wirksam- keit eine Grundeigenschaft, nicht eine Nebenerscheinung der Muskel- z u s annn en z i ( 'h u n g darstellt. Isolirte Reizung. Erregungswello. Contractionswelle. Nachdem im Vorstehenden von der Erregung und der Zusammen- ziehung im Allgemeinen die Rede gewesen, sind jetzt noch einige Erscheinungen zu besprechen, die als Begleiterscheinungen der Er- regung und der Contraction ganzer Muskeln auftreten. Wenn man einen langen i\Iuskel nur an einer kleinen Stelle mit zwei dicht nebeneinandcrliegenden Elektroden schwach reizt, so ziehen sich nur die unmittelbar benachbarten Mu,skelfascrn zu- sammen. Dies lässt sich am einfachsten an dem Sartorius des 414 Eiufluss der Temperatur. Frosches nachweisen, d(;r ein 3 — 4 cm langes, etwa 5— fi mm breites Band aus pai'allelen MuskelfaserQ darstellt. Hängt man den ausgeschnittenen Muskel an einer Klemme senkrecht auf, und reizt ihn, indem man oben nahe der Klemme die Ueizdrähte an dem linken Raad des Muskels anlegt, so schlägt das herabhängendi; Ende nach links aus, logt man die Reizdrälite rechts an, nach rechts. Dies ist ein augenscheinlicher Beweis, dass sich nur die linken oder rechten Randfasern zusammengezogen haben, denn wenn alle Fasern zusammenwirkten, müsste der Muskel gerade in die Höhe gezogen werden. Die Erregung tritt also zunächst an der Reizstelle auf und breitet sich nur dann weiter aus, wenn sie eine gewisse Stärke erlangt hat. Ebenso kann man an einem Muskel, der von einem Constanten Strom durchflössen wird und mit zwei Schreibhebeln in Verbindung steht, von denen der eine nahe an der Anode, der andere nalie an der Kathode angebracht ist, zeigen, dass die Er- regung beim Stroraschluss von der Kathode, bei Stromunterbrechung von der Anode ihren Ursprung nimmt. Wenn auch für gewöhn- lich die Ausbreitung der Erregung und die nachfolgende Zu- sammenziehung so schnell aufeinander folgen, dass sie den ganzen Muskel in kaum wahrnehmbarer Zeit durchlaufen, so kann man mit geeigneten Hülfsmitteln doch nachweisen, dass nach einander die Erregung und die Contraction vom Reizpunkt aus den ^luskel durch- laufen, und kann auch die Geschwindigkeit messen, die für den FroschiTiuskcI 3—4, für den Warmblüter 10—13 m in der Se- cunde beträgt. Bei untermaximaiem Reiz sind daher sicher nie- mals alle Pasern zugleich auf dem Gipfel der Thätigkeit, sondern bei denen, die zuerst erregt werden, wird dieser Zeitpunkt erreicht, während die später erregten Theile des Muskels noch in der Ver- kürzung begriffen sind. Durch diese Betrachtung stellt sich die Thätigkeit des Gesammtmuskels als abhängig von einer ganzen Reihe veränderlicher Eigenschaften der einzelnen Elemente dar. Einfluss der Temperatur. Ermüdung. Diese Ver- wicklungen werden noch vermehrt, wenn man die liinHüsse ver- schiedener äusserer Bedingungen auf den Muskel ins Gebiet der Betrachtung zieht. So hat die Temperatur des ]\IuskeLs einen merklichen Einfluss auf die Geschwindigkeit, mit der die Erregimg und die Contraction abläuft, und somit auch auf die Stärke der Gesammtcontraction. Bei iiöherer Temperatur, bis zu etwa 36", fällt die Zuckung höher aus, bei noch höherer und tieferer Temperatur ist sie geringer, und zugleich dauert die Zuckung bei tieferer Temperatur erheblich länger. Vollends ei-sch(Mnt diu- Muskel als (un selbslständiger Organismus, wenn man den Emlluss der Er- müdung auf seine Leistung untersucht. Zwar dass ein Organ er- müdet und allmählich aufhört, auf Reize mit der ursprünglichen Stärke zu reagiren, ist nicht gcrad(> auffallend und lasst sich oime Weiteres dadurch erklären, dass die Kraftvorräthe, aus denen es Ermüdung. 415 seine Leistung scliöpft, verbraucht sind. Aber der Vorgang der Ermüdung beim Muskel stellt sich lange nicht so einfach dar. Wenn man einen ausgesclmittenen Froschmuskel in gleichen Zeit- abständen und mit gleicher Eeizstärke immer wiederholt reizt, so beobachtet man zuerst, dass die Zuckungshöhe zunimmt. Die Curven, wenn man sie verzeichnet, steigen treppenstufenartig, (dne immer höher als die vorhergehende, an, und daher hat aucli dies erste Stadium des Ermüdungsverlaufes den Namen der „Muskel- treppe" oder des „Treppenphänomens" erhalten. Nach einer wecliselnden Zahl von Zuckungen erreicht dies Stadium sein Ende, und nun sinkt die Leistung im geraden Verhältniss zur zunehmen- den Zahl der Zuckungen bis auf Null ab. Die Gipfel der Curven liegen alle auf einer geradlinig absteigenden Linie. Soweit wäre der Erfolg des Versuches wohl einfach vorauszusagen. Wenn man nun aber kurze Zeit wartet, und dann die regelmässige Rcizfolge wieder beginnen lässt, hat der Muskel sich inzwischen „erholt"; er zuckt wieder ebenso stark wie zu - Anfang und der ganze Unterschied zwischen der ersten und zweiten Gruppe von Curven ist der, dass die zweite etwas steiler abfällt und daher schneller zu Ende ist. Dies kann man eine ganze Reihe von Malen wieder- holen, bis endlich der Muskel auf die Dauer erschöpft ist. Untersucht man während eines Ermüdungsversuches die Form der Zuckungscurve, so findet man, dass ihr Verlauf (Fig. 50) etwas an Höhe und sehr viel an Steilheit, besonders im absteigenden Ast, verliert. Die ganze Zuckung, insbesondere die Wiederverlängerung des Muskels verläuft eben in der Ermüdung seiir viel langsamer als beim frischen Muskel. Es sind sehr viele abweichende Formen der Versuchsanordnung angegeben, die sich namentlich in der Schnelligkeit der Reizfolge und in der Dauer der Erholungspausen unterscheiden. Die Er- klärung, die man für die geschilderten Vorgänge geben kann, sind zum Theil nicht ganz sicher. Namentlich über das Treppen- phänomen herrscht Meinungsverschiedenheit. Man nimmt an, dass die Zcrsetzungsproducte, die sich im Muskel anhäufen, insbesondere Milch.säure und Kohlensäure, erst als Reiz auf den Muskel wirken und seine Erregbarkeit erhöhen, dann aber, indem ihre Menge zu- nimmt, die Thätigkeit des Muskels hemmen. Daraus, dass der Muskel sich in einer kurzen Ruhepause erholt, ist mit Sicherheit zu schliessen, dass von einer Erschöpfung des Kraftvorraths nicht die Rede sein kann. Die Erholung lässt sicli dagegen recht gut durch die Annahme erklären, dass die Ermüdungsstolfe in der Erholungs- pause aus dem Muskel oder Avenigstens aus den thätigen Elementen ausgeschieden worden sind. Zur Stütze dieser Anschauungen dienen Versuche, in denen Thiere durch Einspritzung des Blutes er- müdeter Thiere, das mit den Zersetzungsproducten der l\luskeln gesättigt war, ohne dass sie irgend wi-lchc Arbeit geleistet hätten, in den Zustand völliger Ermattung versetzt werden konnten. Man hat auch am durchbluteten Muskel, der in seinei- natür- 416 Ergograph. liehen Lage im Körper belassen war, und selbst an Muskeln des lebenden Menschen viele Erraüdungsversuche angestellt. Zu letz- terem Zweck wird vor allem der „Ergograph" von Mosso benutzt, in dem der Unterarm einer Versuchsperson so befe.stigt wird, dass der Mittelfinger allein, vermittelst einer an ihm befestigten Hülse mit einer Schnur, ein Gewicht hebt, dessen Hebung ein Schreib- apparat verzeichnet. Man kann auf diese Weise mit sehr grosser Bestimmtheit die Muskelleistung der Mittelfingerbeuger messen, und den Einfluss verschiedener Bedingungen auf die Muskelarbeit unter- suchen. Was die Erscheinungen der Ermüdung betrifft, so ist das Ergebniss am durchbluteten Muskel ungefähr dasselbe wie beim ausgeschnittenen Froschmuskel, nur dass der ganze Versuch eine sehr viel grössere Arbeitsleistung umfasst. Es leuchtet ein, dass ein durch den Kreislauf dauernd ern.ährter, und von Ermüdungs- stoffen entlasteter Muskel sehr viel langsamer ermüden muss, als ein ausgeschnittener. Verschiedene Arten Muskelfasern. Da soviel von den allgemeinen Eigenschaften der quergestreiften Muskehr die Rede gewesen ist und diese fast ausschliesslich an Froschrau.skeln, als an einem allgemein gültigen Beispiel geschildert worden sind, muss ausdrücklich bemerkt werden, dass die quergestreiften Muskeln ein- ander nicht alle vollkommen gleich sind. Die Muskeln von Frosch und Kröte weisen schon beträchtliche Unterschiede in der Dauer der Zuckung auf. Die Warmblüterrauskeln unterscheiden sich von den Froschmuskeln durch noch schnellere Zuckung und grössere Kraft. Aber auch bei einem und demselben Thier sind die Muskeln nicht immer alle gleichartig, sondern es bestehen histologische und physio- logische Unterschiede, die offenbar zu den Verrichtungen der be- treffenden Muskeln in Beziehung stehen. Schon bei der blossen Betrachtung der Musculatur mancher Thiere fällt auf, dass ein Theil der Muskeln blass und fest, der andere roth und grobfaserig erscheint Bei dem Geflügel, wie es auf die Tafel kommt, ist der Unterschied zwischen weissem und dunklem Fleisch besonders auo-enfällig. Dieser Unterschied im Aussehen beruht darauf, dass, wie man im Mikroskop erkennt, die einzelnen Fasern der weissen Muskeln heller und dünner, ihre Querstreifung dichter ist als bei den rothen. Auf ihre Leistung untersucht ist das Laienzstadium und die Zuckungsdauer der blassen Muskeln sehr vie kurzer ihre Erregbarkeit höher als die der rothen. Die blassen Muskeln finden sich denn auch an solchen Stellen des Körpers, wo vor allem schnelle Bewegung nöthig ist. ^ , , , , , i v Derselbe Un?ersclned in geringerem Grade besteht aueh unter den Muskeln des Frosches, indem sich die Extcnsoren der Beine merklich schneller zusammenziehen als die llexoren. Herzmuskel. Eine besondere Stellung nimmt untei den Muskeln der Säugrtliiere der Herzmuskel ein, ^'•^J^^, "ij^ eie(-n.chaften der quergestreiften Muskeln mit einer Anzahl Eigen- schaften vereinigt, die'sonst nur den glatten Muskeln zukommen. Herzmuskel. 417 Die ]\luskelfasora des Herzens liabcn kein Sarcolemm und gehen durch Abzweigungen vielfach in einander über. Die Zellkerne silzen nicht, wie bei Skelettrauskeln, aussen in unregcliuüssigen Abstanden, sondern in der Mitte in gleichraässigen Entfernungen, sodass jedem Kern ein eigenes Gebiet zukommt. Die Querlinien, die diese Gebiete scheiden und früher als Zollgrenzen angesehen wurden, werden heute als „Kittstreifen" angesehen, die die Fibrillen zusammenhalten. Die Querstreifung der lierzmuskelfascrn ist dichter als bei den andern ijuergestreiften Muskeln. Diesen histologischen Eigenthümlichkeiten entsprechen auch m der Verrichtung des Herzrau.skels wesentliche Unterschiede gegen- über den andern ([uergestreiften Muskeln. Man findet hier nicht, dass die Stärke der Erregung von der Stärke des Reizes abhängt, sondern jeder überhaupt wirksame Reiz ruft eine maximale Zu- saramenzi'ehung hervor. Diese Eigenschaft des Herzmuskels wird als das Bowditch 'sehe „Alles oder Nichts" -Gesetz bezeichnet. "Während der Herzmuskel sich verkürzt, ist er gegen Reizung völlig unempfindlich. Lässt man auf ein Froschherz während der Systole einen Reiz einwirken, so bleibt er völlig wirkungslos. Man nennt diesen Abschnitt der Herzthätigkeit daher „die rcfractäre Periode" des Herzens. Trifft unmittelbar nach der refractären Periode, also 1111 Beginn der Erschlaffung ein Reiz ein, so zieht sich der Muskel zwar wieder zusammen, weil aber nach dem „Alles oder Nichts"- gcsetz schon die erste Zusammenziehung maximal war, kann keine Summation stattfinden, sondern die zweite Zusammenziehung er- reicht nur dieselbe PJöhe wie sie die erste hatte. Daher kann denn auch unter gewöhnlichen Bedingungen der Herzmuskel nicht in Tetanus gerathen, weil jede folgende Reizung erst zur Geltung kommen kann, nachdem die vorhergehende abgelaufen ist. Schnell wiederholte Reizungen bringen vielmehr eine ganz andere Erschei- nung am Herzen hervor, nämlich das sogenannte „Flimmern". Das Flimmern des Herzens besteht in einer ungeordneten rh}'th- mischcn Thätigkcit der einzelnen Muskelbündel. Während bei der normalen Zusammenziehung die ganze Muskelmasse in bestimmter Ordnung zusammenwirkt und dadurch die systolische Zusammen- ziehung der Herzkammern hervorbringt, können die einzelnen Muskelbündel, wenn sie sich regellos in schneller Folge verkürzen, keine gemeinsame Wirkung hervorrufen, sondern das Herz verhält sich wie in der Diastole, nur dass man auf der ganzen Oberfläche die schnell wechselnden Zuckungen der einzeken Muskel bündel als eine flimmernde" Bewegung Avahrnimmt. Eine Zwischenstufe zwischen der normalen Thätigkeit des Herzens und dem Flimmern bildet das sogenannte ,,Wülüen und Wogen" des Herzens, wobei grössere Theile der ]\Iuskelmasse in ungeordneter Thätigkeit be- griffen sind. Auf einige andere Besonderheiten der Herzmusculatur wird erst im Zusammenhang mit der Besprechung der ITerzinnervation zurückzukommen sein. R. du Bois-Beyraond, Physiologie. 27 418 Glatte Muskeln. Die glatten Maskeln. Die glatten Muskeln bilden, wie oben erwähnt, bei den Säugethieren eine von den quergestreiften scharf getrennte besondere Art contractilen Gewebes. Dieser ' Unterscliied tritt schon darin hervor, dass die glatten Muskeln aus- : schliesslich unbewussten Bewegungen namentlich der inneren Or- 1 gane dienen, weshalb sie auch als „organische Muskeln" den .,will- | kürlichen" gegenübergestellt worden sind. In der Thierreihe finden ( sich allerdings zahlreiche Zwischenformen, doch bestätigt sich auch hier der Unterschied insofern, als die untersten Thierkreise aus- schliesslich glatte Muskeln aufweisen, während quergestreifte Muskeln nur bei Wirbeltliicren und Arthropoden ausgebildet sind. Die glatten Muskeln sind ebenso wie die quergestreiften i mechanisch, chemisch, thermisch und elektrisch reizbar, ja es ' kommt noch Reizbarkeit durch Licht hinzu, die wenig,stens für die glatten Muskeln der Iris erwiesen ist. Im Bezug auf die Erreg- barkeit bestehen indessen grosse Unterschiede. Schon geringe Teraperaturänderungen bilden nämlich für die glatten l'lluskeln wirksame Reize, sodass, wenn ein Organ, wie etwa die Blase, durcli Eröffnen der Bauchhöhle der Abkühlung durch die äussere Luft ausgesetzt wird, es sich in der Regel stark zusammenzieht. Ebenso ; zielit sich die glatte Musculatur von Kaltblütern, die in kalten ' Räumen gehalten worden sind, zusammen, wenn sie in einem j warmen Zimmer präparirt wird. Gegen elektrische Reize sind da- ] gegen die glatten Muskeln viel unempfindlicher als die quer- j gestreiften, sodass man viel stärkere Ströme anwenden muss, um ] sie zu erregen. \ Der wesentlichste Unterschied zwischen glatten und quer- ■ gestreiften Muskeln betrifft die Zeitdauer des Erregungsvorganges. ' Im Gegensatz zur Zuckung der gestreiften Muskeln sieht man an den glatten immer nur eine verliältnissmässig sehr langsame nach- haltige Zusammenziehung. Auch die Latenzperiode dauert so lange, dass man den Zeitraum zwischen Reizung und Zusammenziehung ! an der Uhr messen kann. Freilich besteht in dieser Hinsicht zwischen den verschiedenen Arten glatter Muskeln grosse Ver- schiedenheit. Für den Retractor penis von Säugethieren wird an- m gegeben, dass die Latenzzeit 0,8 Secunden dauert, das Sta- | dium der Verkürzung etwa 20 Secunden, das Stadium der Ver- ^ längerung etwa anderthalb Minuten, sodass die Gesanimtzuckung «j rund 2 Minuten dauern kann. Etwas kürzere Zeit ist für die 1 Membrana nictitans im Auge der Säugethiere gefunden worden. J Man kann also sagen, dass der Zuckungsvorgang im glatten | Muskel mehr als hundertmal langsamer ist als beim gestreiften. | Im Bezug auf die Dehnbarkeit, die Verkürzungsgrösse und k Verkürzungskraft verhält sich der glatte Muskel ähnlich we der 1 gestreifte. ^ ' Ein sehr grosser Unterschied bestellt aber darin, dass der Er- regungsvorgang sich niemals auf eine einzelne Stelle beschränkt, .. sondern sich unter allen Umständen auf die benachbarten Fasern Todtenstarre. 419 fortsetzt, sodass stets die ganze Masse des Muskels thätig wird, üie Fortpflanzung der Zusammenzioliung geschieht allerdings sehr langsam, mit etwa 25 mm in der Secunde, sodass man das Vor- s(;hreiten der Contractionswelle mit dem Auge verfolgen kann. In \iclen Fällen steht eine solche fortschreitende Contraction der glatten Muskeln zu der Function des betreffenden Organs in Be- ziehung, so im Darm, im Ureter, wo der Inhalt durch die „peri- staltische" Bewegung weiter befördert wird. Diese Bewegung steht jrdoch unter dem Einfluss des Nervensystems, und ist deshalb von den l']rscheinungen im Muskel selbst zu untersclieiden. Mitunter wird den glatten Muskeln die Eigenschaft zu- ijoschrieben, ohne äusseren Eeiz periodisch oder rhythmisch so- j^enannte „spontane Contractionen" auszuführen, doch dürften auch diese^ in allen Fällen auf die Nerventhätigkeit zurückzuführen sein. Todtenstarre. Es ist endlich noch eines Vorganges zu ge- denken, der zwar streng genommen nicht in den Bereich der Physiologie gehört, der aber zu dem physiologischen Contractions- vorgang in Beziehung gebracht worden ist, nämlich der Todten- starre der Muskeln. Unmittelbar nach dem Tode eines Thieres verhalten sich die Muskeln noch ganz wie lebende, und man nennt sie in diesem Zustand „üeberlebende" Muskeln. Eine gewisse Zeit nachher geht jedoch eine Aenderung mit den Muskeln vor. Statt • liirchsichtig glänzend beginnen sie trübe auszusehen, statt weich und delmbar fühlen sie sich fest und starr an. Zugleich wird die Keaction der in ihnen enthaltenen Flüssigkeit ausgesprochen sauer. Der Zustand der Starre kann mehrere Tage lang andauern, dann werden die Muskeln wieder weich und schlaff, zugleich pflegt Fäulmss aufzutreten, und die Reaction wird durch Entwicklung von Ammoniakverbindungen alkalisch. Die Erscheinung der Starre beruht auf der Gerinnung des llussigen Musk(!lprotoplasmas. Wenn man Muskeln in heisses V\ asser wirft, sodass die Eiweissstoffe gerinnen, gerathen sie in einen ganz ähnlichen Zustand wie bei der Todtenstarre, den man als VV armestarre bezeichnet. Ein wesentlicher Unterschied ist allerdings, dass bei der Wärmestarre der Muskol nicht sauer ist. Der Zustand der Starre hat mit dem der Contraction eine ausserliche Aehnliclikeit, weil in beiden Fällen der Muskel hart M'ird und sauer reagirt. Man hat deshalb die beiden Zustände ein- ander gleichsetzen und die Contraction als eine schnell vorüber- gehende Gerinnung des Muskelinhaltes auffassen wollen. Für diese Auifassung spricht anscheinend auch noch die Beobachtung, dass ^\enn m einem frischen Muskel etwa durch heisses Wasser Ge- mnung hervorgebracht wird, der Muskel sich stark verkürzt. Diese .ßcstatigung ist aber nur scheinbar, denn es ist nicht die Gerinnung, aie zur Verkürzung führt, sondern vielmehr der Wärmeroiz bringt aen noch frischen Muskel zur Zusammenziehung ehe die Gerinnung ß Ol nl r Pf ^^'T' ^^''^^ l'^S*^ ^^"'•^h unzählige licobachtungen lestgestellten Thatsache, dass beim Eintritt der 27* 420 Verwendung der Muslseln im Körper. Bau der Knochen. natürlichen Todtenstarre durchaus keine Verkürzung der Muskeln |: stattfindet. Beim Absterben erschlaffen zunächst alle Muskeln, und j der Körper nimmt in Folge dessen die Stellung an, die durch die i elastische Spannung der Muskeb und Bänder, durch seine eigene || Schwere und durch die zufälligen Unterslützungspunkte der Um- ' gebung bedingt ist. Wenn dann die Gerinnung des Muskeleiweisses beginnt, worden die Muskeln starr, ohne dass sie sich im geringsten verkürzen, denn in sehr vielen Fällen würde jede Yerhürzung eine , Bewegung irgend eines Körpertheiles hervorrufen, und es ist nie j beobachtet worden, dass Leichen beim Eintritt der Starre ihre .j Stellung änderten. Es ist vielmehr bezeichnend für das "Wesen der ( Starre, dass sie bei jeder beliebigen Dehnungsstufe eines Muskels \ auftritt, ohne dass sie seine Spannung ändert. Das Eintreten der Starre wird durch vorausgegangene heftige Muskelthätigkeit be- ; schleunigt. Bei gehetztem Wild sollen die Muskeln schon eine : Viertelstunde nach dem Tode starr werden. Unter gewöhnlichen I Bedingungen befällt die Todtenstarre die Muskeln in einer be- ; ■ stimmten Reihenfolge, die als die Nysten'sche Reihe bekannt ist. ; Zuerst werden die Kaumuskeln und Gesichtsmuskeln und dann in j absteigender Folge Nacken, Rumpf obere und untere Extremitäten ' starr. Bei Kaltblütern \-ergeht längere Zeit bis zum Eintritt der \ Starre, und sie hält auch länger an als beim Säugethier, bei dem I sie meist nur einige Stunden dauert. , Specielle Muskelphysiologie oder Bewegungslehre. Verwendung der Muskeln im Körper. Es ist oben .schon angedeutet worden, dass zwischen den glatten und quergestreiften Muskeln in dieser Beziehung insofern ein Unterschied besteht, als die datten Muskeln sich ausschliesslich in den Organen vertheilt finden Ihre Wirkung, die sich vorwiegend in der Zusammenziehung der Wände von Hohlräumen äussert, soll erst im Zusammenhang mit der Einwirkung des Nervensystems auf die Organe besprochen werden. , Im Gegensatz zu den glatten dienen die quergestreiiten i Muskeln vorwiegend der Bewegung des Knochengerüstes und werden i deshalb auch oft als „Skelettmuskeln" zusammengefasst Da der ganze Körper seine Gestalt im Wesentlichen durch i das Knochengerüst erhält, so ist die Bewegung des Knochen- • gerüstes im Allgemeinen gleichbedeutend mit der Bewegung des ganzen Körpers. Bau der Knochen. Beziehung zwischen Form und Function der Knochen. Der Bau des Knochengerüstes ist in so hohem Grade dem Zweck der Bewegungen angepasst, dass wiederholt die Ansicht ausge- sprochen woKlen ist die Form der Knochen werde ausschhesshch dS ihre Function bestimmt. I m die Unrichtigkeit dieses batzes Innerer Bau der Knochen. 421 nachzuweisen, braucht nur liervorgehoben zu worden, dass das Knochengerüst aller Säugethiere, trotz der grossen Unterschiede m der Bewceungsweise der verschiedenen Arten, den Grundzugen nach dasselbe ist. So haben die Giraffen mit ihrem fast 2 Meter langen Halse, und die Delphine, bei denen Kopf und Rumpf in Eins verschmolzen erscheinen, die gleiche Zahl Halswirbel wie alle anderen Säugethiere, nämlich sieben. Das Grundgesetz für die Entwicklung der Kuochenform ist also offenbar die Anlehnung an eine allgemeine Stammform, die zwar umgewandelt und verändert, nie aber ganz verlassen werden kann. So können, wie in der Mittelhand der Hufthiere, einzelne Knochen, die bei anderen Thieren vorhanden sind, ganz verschwinden, andere mit einander zu einem Stück verschmelzen. In vielen solchen Fällen ist der Einfluss der Urform unzweifelhaft nachzuweisen. Diese Veränderungen, durch die sich die Knochenformen in jedem Falle an ihre besonderen Ver- richtungen anpassen, beeinflussen aber erst in zweiter Linie die Ent- stehung der Knochenformen. Innerer Bau der Knochen. Die Anpassung betrifft nicht nur die äussere Gestalt, sondern sie ist sogar am allerdeutlichsten im inncrn Bau der Knochensubstanz ausgesprochen. Die Knochen dienen dem Körper theils als Stütze theils als Schutz. In beiden Fällen erfüllen sie ihre Aufgabe in um so vollkommenerem Maasse je grössere Festigkeit sie zeigen. Es ist aber niciit für jeden Knochen, und für die einzelnen Knochen nicht in jeder Richtung und in allen Theilcn die gleiche Festigkeit erforderlich. Dem- entsprechend findet man, dass einzelne Tlicile der Knochen ganz und gar aus geschlossenem Knochengewebe bestehen, während andere nur aus einem schwammähnlichen Gerüst von Knochenbälk- chen, der sogenannten Substantia spongiosa bestehen. Man kann also sagen, dass der innere Bau der Knochen durchaus der An- forderung entspricht, mit einer möglichst geringen Menge Knochen- substanz die grösste Festigkeit in den Riciitungen der grössten Beanspruchung herzustellen. Dies zeigt sich vor Allem darin, dass in den langen Knochen der Gliedmaassen, die auf Biegung bean- sprucht werden, die Knociienmasse aussciilicsslich auf die Wände vertheilt ist, sodass im Innern die Markiiöhle frei bleibt. Bekannt- lich werden die langen Knochen auch als „Röhrenknochen" be- zeichnete. Ein Röhre ist, bei gleicher Querschnittstläche, stärker als ein voller Stab aus demselben Stoff, die Röhrenform gewährt also bei geringstem Stoffaufwand grössere Festigkeit. Da, wo die Knochen nicht nur gegen Biegung, sondern gegen Druck und Zug in allerlei verschiedenen Richtungen Widerstand leisten müssen, wie in den Enden der Rührenknociien, in den Wirbeln, in den kurzen Knochen der Hand- und Fusswurzel und so fort, nimmt die Knochen- masse dagegen die Form der Spongiosa an. Aber auch das scheinbar regellose Gefüge der Spongiosa richtet sich streng nach der Form der Beanspruchung, der der Knochen Widerstand zu leisten hat. Diese Thatsache ist zuerst an der Spongiosa des 422 Zug- und Druckcurven. oberen Endes des menschlichen Oberschenkels nachgewiesen worden. Da auf dem Gelenkkopf des Oberschenkels das Körpergewicht lastet, und der Hals winklig an dein Schaft ansetzt, werden Scliaft imd Hals einseitig auf Biegung beansprucht. Die Knoclienbälkchen in der Spongiosa des Oberschenkels sind nun nicht gleichförmig und auch nicht regellos vertheilt, sondern sie vereinigen sich zu bestimmten deutlich ausgesprochenen Linienzügen, die zu der Grösse und Form der Beanspruchung eine unverkennbare Be- ziehung haben. Wenn ein fester Körper unter dem Einflu.ss einer Last seine Form ändert, so geschieht das, indem er an einigen Stellen zusammengedrückt, an anderen ausgedehnt wird. Wenn zum Beispiel ein an beiden Enden aufliegender Balken in der Mitte belastet wird, und sich nach unten biegt, entsteht die Bie- gung eben dadurch, dass die oberen Schichten sich verkürzen, während die unteren sich verlängern. Nur eine einzige in der Mitte liegende Schicht des Balkens behält ihre Länge bei, man nennt sie „die neutrale Zone". In ähnlicher Weise wird, jeder nachgiebige Körper von beliebiger Gestalt durch in beliebiger Eichtung auf ihn einwirkende Kräfte seine Form verändern. Um sich diese Formveränderungen genau vor Augen stellen zu können, kann man sich den ganzen Körper als aus kleinen elastischen Kugeln zusaimnengeleirat denken, dann wird im Allgemeinen bei jeder Formveränderung jede der Kugeln sich in ein EUipsoid ver- wandeln, indem sie in einer Richtung in die Länge gezogen, und in Folge dessen in den beiden darauf senkrechten Richtungen ab- geplattet wird. Die Richtungen der grössten Längsausdehnung und die der grössten Abplattung bilden nun in dem ganzen Körper be- stimmte Linienzüge, die man die „Curven des grössten Zuges" und die „Curven des grössten Druckes'-, oder schlechthin ,,Zug- und Druckcurven" nennt. Die Zug- und Druckcurven, die bei einem nachgiebigen Körper aus der Formveränderung zu erkennen sind, stellen für einen festen Körper, der durch die Last nicht verbogen wird, die Curven der Beanspruchung vor. Wenn man nun die Curven der Beanspruchung auf Zug und Druck in einen Körper von der Form des menschlichen Oberschenkels hineinzeichnet und dabei die absolute Grösse des an verschiedenen Stellen herrschen- den Zuges und Druckes dadurch andeutet, dass die Zahl der auf gleiche Räume fallenden Linien zunimmt, so erhält man ein System von Curven, das ganz genau mit dem System der Balkenzügo in der natürlichen Spongiosa zusammenfällt. Der Mathematiker Cui- raan soll diese Uebercinstimmung bewiesen haben, indem er seinen Schülern, ohne ihnen von dem Zusammenliange etwas zu sagen, die Aufgabe stellte, die Zug- und Druckcurven für einen Körper auf- zuzeichnen, dessen Gestalt und Belastungsweise d(>n Verhältm,ssen des menschlichen Oberschenkels entsprach. Als man nachher die Zeichnung neben einen Frontalschniü des Oberschenkels legte, stimmten die Richtungen der Curven mit denen der Knoclien- bälkchen völlig überein. Knochen Verbindungen. 423 Wenn am Oberschenkelkopf s'craclc durch die Einseitigkeit der Beanspruchung- die Spongiijsabälkchcn eine besonders auffällige Anordnung zeigen, so ist die Anpassung der Knochenforra an die Beanspruchung doch nicht weniger vollkommen in all den Fällen, Fig. 57o Architektur der Siioiigiosa des Oberschenkels nach J. Wolff. in denen es sich um gleich Förmige i3clastungen handelt. Schon die neutrale Zone des Überschenkelkopfes, die einen gekrümmten sagi alen Schnitt darstellt, zeigt ein ganz gleichmässiges Netzwerk koplfiisswärts und sagittal laufender Bälkchen. Das untei-e Ende des Femur die beiden Enden der Tibia, die säulenartig zu tragen laben, sind aus einem gleichförmigen Gerüst von lothrechten und wagerechten i>älkchen gebaut. Das Fersenbein zeigt fächerförmig ausstrahlende ßalkchenzüge, die die Belastung durch das Sprun«-- öem auf die untere Fläche vertheilen. Qelenklehre. "ntvvi5l?'''''"''^'l'u-*^r^'"- ß'"2el"en anatomisch und C 1 f l^Tr ''^'''^ X" unterscheidenden Knochen sind theils iik 1 1 f Knochennaht, Synchondrose, Symphyse at die'Ä-T''TT-^f ß^w^g-gsle'hre'komS ^ui die beweglichen Verbindungen in Betracht. Diese sind ein- 424 Synarlhrose. Diarthrose. Amphiarthrose. zutheileii in die Bandverbindung, Synarthrosis, und die Gelenk- verbindung, Diarthrosis im Vi^eiteren Sinn. Synarlhrose. Die Bandverbindung besteht in der \er- einigung zweier Knochen durcii Bänder, Syndesmosis und Sym- physe, oder durch Knorpel, Synchondrosis. In beiden Fällen ist die Beweglichkeit um so grösser, je schmäler und länger die Ver- bindung. Wenn die Bandmassen eine grössere Ausdehnung er- reichen, und bei der Knorpelverbindung überhaupt, ist die Beweg- lichkeit nicht nur eingescliränkt, sondern es kann Bewegung nur gegen den elastischen Widerstand der Bänder oder des Knorpels stattfinden. Die so verbundenen Knochen haben also eine ganz bestimmte Ruhelage gegeneinander, aus der sie nur unter der Einwirkung grösserer Kräfte abgelenkt werden. Beispiele liier- für bilden die Knorpelverbindungen der Rippen mit dem Brustbein, deren Elasticität bei den Athembewegungen in Betracht komnit,r und die Bandscheiben zwischen den Wirbelkörpern. Diarthrose. In den eigentlichen Gelenken stossen die Knochen mit überknorpelten Flächen aneinander. Die Berührungs- steUe ist durch die sogenannte Gelenkkapsel abgeschlossen, die" mit einer schlüpfrigen Flüssigkeit, Gelenkschmiere, S}Tiovia, erfüllt ist, und die Knochen sind in der Regel an einzelnen Stellen durch Gelenkbänder mit einander verbunden. Es besteht also eine Be- weglichkeit, die durch die Gestalt der Gelenkflächen und die Form der Bandverbindung beschränkt, aber innerhalb der dadurch ge-- gebenen Grenzen völlig frei ist, das heisst, die Knochen können innerhalb der betreffenden Grenzen jede Lage eimiehmen, auch ohne dass irgend welche äusseren Kräfte auf sie einwirken. Im Allgemeinen reiclit die Verbindung durch ein Gelenk an sich nicht aus, zwei Knochen in festem Zusammenhang zu lialien. Der feste Schluss der Gelenkflächen aufeinander wird \äelmehr er^* durch den Zug der Muskeln hervorgebracht, die die Knochen gege|J einander drücken. , Die Gebrüder AVeber glaubten den Zusammenhang der Knochen in den Gelenken auf die Wirkung des Luftdruckes zurück- führen zu müssen, weil sie nachweisen konnten, dass der Ober- schenkelkopf in seiner Pfanne haftet, auch wenn alle AVeichlheil- verbindungen durchschnitten sind, und dass er leicht hmausgleiiet, wenn die Pfanne angebohrt ist, sodass Luft in die Geleukspalte treten kann. Normalerweise kann jedoch diese Wirkung des Aift- drucks nicht zur Geltung kommen, weil der Obcrschcnkelkopf nicht aus der Pfanne zu rücken strebt, sondern vielmehr dauernd an die Pfanne angedrückt wird. Verschiedene Form der Gelenke. Lnter der \ oraus- setzung, dass zwei Knochen mit ihren Gelcnkflächen dauernd geg^en- einander geprcsst werden, ist die Beweglichkeit der beiden Ivnoch gegen einander von der Form der Gelenkflächen abhangig. Amphiarthrose. Stossen zwei Knochen mit ebenen I lachen gegeneinander, so können sie gleitend aufeinander verschöbe Scharniergelenk. Kugelgelenk. 425 werden, können aber keine Winkelbewegung gegeneinander machen, ohne dass die Flächen auseinander klafifen. Sind die Flachen nicht eben, sondern unregelmässig gewölbt und passen genau an- einander, so ist weder Gleiten noch Winkelbewegung möglich ohne dass die Flächen klaffen. Es giebt nun eine grosse Zahl Gelenke, die eine solche Flächenforra zeigen und bei denen der Zusammen- hang der Knochen noch durch allseitige straffe Bandyerbmdung verstärkt ist. Bewegung ist in diesen Gelenken nur dadurch mög- lich dass die Knorpelflcächen ihre Gestalt ändern, und die Bander sich' elastisch dehnen. Man bezeichnet daher auch diese Gelenke als Gelenke mit unbestimmter Bewegungsform" oder „\\acke - o-elenke", Amphiarthrosen. Die Amphiarthrosen sind vom Stand- punkte der Bewegungslehre den Synarthrosen völlig gleichzustellen. Insbesondere haben die durch Wackelgelenke verbundenen Knochen ebenso vne die durch Knorpel oder Bänder verbundenen eine be- stimmte Ruhelage. Auch anatomisch ist die Unterscheidung zwischen Amphiartlirosen und Synarthrosen, die sich daran! gründet, dass die Amphiarthrosen eine Gelenkspalte aufweisen, in vielen Fällen nicht streng durchzuführen, da die Gelenkspalte wahrend der Entwicklung bestehen und im Alter verschwinden kann. Scharniergelenk. Hat von den Gelenkflächen die eine die Form eines Cylinders, die andere die eines Mohlcylinders, so können die Flächen in der Richtung der Axe des Cylinders und m der Querrichtung aufeinander gleiten. Hat die Cylinderfläche eine ringsuralaufende Furche, „Leitfurche", in die ein _ entsprechender Vorsprung der Hohlcylinderfläche eingreift, so ist die Langs- verschiebung ausgeschlossen, und die beiden Flächen können sich nur in der Richtung cpier zur Axe des Cylinders, also längs der Leitfurche aufeinander verschieben. Zwei Knochen, die mit so ge- stellten Flächen gegeneinander stossen, können also nur um die Axe des Cylinders gegeneinander Winkclbewegungen machen. Das Gelenk stellt ein Scharnier dar, das Bewegungen um Eine feste Axe in der darauf senkrechten Ebene gestattet. Wesentlich ist für diese Form des Gelenks, dass an beiden Endflächen des Cy- linders starke Seitenbänder vorhanden sind, die ein seitliches Wackeln der Knochen gegeneinander verhindern. Kugelgelenk. Hat der öine Knochen die Gestalt einer Kugel, die von einer genau entsprechenden Höhlung des andern Knochens umschlossen wird, so kann er sich um den Mittelpunkt der Kugel, der seine Lage beibehält, in allen Richtungen drehen. Diese allseitige Beweglichkeit kann man, um die Bewegungen im Einzelnen genauer zu verfolgen, in Bewegungen um drei aufein- ander senkrechte Axen auflösen. Zwischen den drei Axen, die bei dieser Betrachtung angenommen werden, und der Einen Drchungs- axe des Cylindergeienks besteht der üntersciiied, dass die Lage der Einen Axe durch die Flächenform gegeben ist, während beim Kugelgelenk die Lage der Axen ganz nach Belieben angenommen werden kann. Man püegt eine der Axen in die Längsrichtung des 426 Drehgelenk. Schraubongolenk. Eigelenk. SuUelgelenk. Spiialgelenk. Knochens zu legen, und die Drehung um diese Axe als Rollung Kotation, zu unterscheiden. ' Drehgelenk. Schraubengelenk. Scharniergelenk und Kugel- gelenk zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Flächenfonn zu der Be- wegung in bestimmter Beziehung steht, und sich gewissermaa.ssen rein geometrisch daraus ableiten lässt. Es giebt nun noch eine Eeilie anderer Gelenkformen, bei denen der Zusammenhang zwischen Bewegung und Flächenform nicht so einfach ist und die zum Thcil überhaupt nicht nach der Flächenform, sondern nach anderen Merk- malen unterschieden werden. So pflegt man Gelenke mit cylin- drischer Fläche, wenn die Axe des Cylinders nicht quer auf der Längsaxe des bewegten Knochens steht, sondern in die Richtung des Knochens fällt, als „Drehgelenke" oder „Zapfengelenke" zu bezeichnen. Ein ausgeprägtes Drehgelenk ist die Verbindung des Radiusköpfchens mit ülna und Humerus. Aus dem Cylindergelenk oder dem Drehgelenk entsteht, wenn eine schrägverlaufende Leitfurche vorhanden ist, das „Schrauben- gelenk". Hiervon bieten das Talocruralgelenk und das Atlanto- epistrophealgelenk der Hufthiere schöne Beispiele. Eigelenk. Sattelgelenk. Ein Mittelglied zwischen Kugel- gelenk und Cylindergelenk bildet das „Eigelenk-', das durch einen länglichrunden Kopf in einer entsprechenden Pfanne gebildet wird. Bei dieser Gelenkform versagt die streng geometrische Betrach- tung, denn ein länglich runder Körper kann in dem entsprechen- den Hohlkörper nur um seine Längsaxe gedreht werden, das Ei- gelenk ist aber allseitig beweglich. Die Beweglichkeit beruht hier eben darauf, dass ein aus nachgiebigem Knorpel geformtes Ge- lenk sich nicht genau nach den geometrischen Eigenschaften seiner Flächenform zu richten braucht. Aehnlich ist es beim „Sattelgelenk", dessen Flächenform etwa der Berührungsstelle zweier in einander hängender Kettenringe zu vergleichen ist, sodass bei ungenauem Schluss der beiden Flächen allseitige Beweglichkeit besteht. Spiralgelenk. Als eine besondere Gruppe können die- jenigen Gelenkformen betrachtet werden, bei denen neben der Form der Flächen die Bänder auf die Bewegungsform bestimmend einwirken. Es sei hier zunächst darauf hingewiesen, dass ein Cy- linder mit Leitfurche die Form einer Sattelfläche darstellt, und dass also Sattelgelenk und Scharniergelenk nach der Flächenform nicht unterschieden werden können. Maassgebend für den Unter- schied sind die Seitenbänder des Scharniergelenks, die seitliche Be- wegung ausschliessen. Das sogenannte „Spiralgelenk" wird beschrieben als eine Ab- art des Cylindergelenks, bei dem die Cylindcrform so verändert ist, dass sie auf dem Querschnitt nicht eine gleichförmige Kreis- krümmung, sondern viehnehr eine Spirallinie zeigt, das lieisst, dass sie sich von der angenommenen Cylinderaxe an ihrem Ende weiter entfernt als an ihrem Anfang. Die Gondylen des menschlichen Wechselgelenk. Ginglymarthrodie. 427 Fcniiir bilden in ihrem hinteren Theile Abschnitte einer Cylinder- Jläche, die nach vorn mit abnehmender Krümmung, also spiralig, in die Enddäche des Femur übergeht. Die Seitenbänder des Knies sind nun am Femur etwa an der Stelle angehei'tijt, die der Cylinder- axc entspricht und folglich müssen sie, Je mehr das ßcin gestreckt wird, desto stärker angespannt werden, w^eil der vordere Theil der Gelcnkflächen, in Folge ihrer Spiralform, weiter von der Axg ab- liegt. Wechselgelenk. Aehnlich wie hier die Spiralforra der Flächenkrümmung wirkt die Schraubenform des Atlantoepistropheal- i^clenks bei den IJul'thieren. Wenn der Kopf aus der seitlich nach rechts oder links gewendeten Stellung in die Mittellage gebracht wird, .gleitet der Atlas auf der Schraubenfläche des Epistropheus in die Höhe, und das Band zwischen Zahnfortsatz und Flinterhauptbein wird angespannt. Daher schnappt das Ge- lenk, sobald es losgelassen wird, in die seitlich verdrehte Stellung zurück. Man nennt diese Art Gelenke, die aus einer Stellung federnd in eine andere Stellung schnellen, „Wechsel- gelenke". Aehnlich aber etwas verschieden verhalten sich Ellenbogen- imd Fussgelenk beim Pferde. Die Flächenforra ist in beiden Fällen die eines Cylinder- oder genauer gesprochen Schrauben- gelenks, aber die Form der Bandverbindung macht auch diese Ge- lenke zu ausgesprochenen Wechselgelenken. Die Bänder sind nämlich so angeheftet, dass sie sich bei einer mittleren Beuge- slellung der Gelenke an.spannen und von da ab nur durch eine gewisse Kraftanwendung weiter gebeugt werden können. Sie schnellen daher, sobald sie bis auf einen gewissen Grad der Beugung gebracht sind, durch die Federkraft der gespannten Bänder selbstthätig in die volle Beugcstellung. Ebenso können die Gelenke aus der mittleren Beugestellung in die Streckstellung schnellen. Ginglymarthrodie. Aehnlich verhält es sich mit der so- genannten Ginglymarthrodie, einer Gelenkform, die an der Basis der Finger des Menschen vorkommt. Die Form der Gelenkiläche wn-d als die einer Kugel beschrieben, die palmarwärts in eine Cylinderiläche übergehen soll, wovon auch die Bezeichnung Ginglymarthrodie herrührt. In Wirklichkeit ist aber die Flächen- form cin(> rein sphärische, und das Gelenk erhält seine eigen- thümliche Bewegungsweise hauptsächlich durch die excentrische Anheftung der Seitenbänder. Diese spannen sich in der Beuge- stellung des Gelenks an und verhindern dann die seitliche Be- wegung, während sie in gestreckter Stellung möglich ist. Plier wie beim Sattel- und Eigelenk ist auch Hotation ' möglich, aber es sind keine Muskeln vorhanden, die eine Rotationsbewegung hervorrufen können. Doppelgelenk. Endlich sind noch die „Doppelgelenke" zu nennen , nämlich solche Gelenke, in denen zwischen die beiden mit ein- 428 Gelenkhemmung. ander verbiindcn(m Knochen eine Knorpelsclieibe eingcsclialtet ist. Di<; Beweglichkeit der (iehinke wird dadurch erheblich vergrössert, da sich einerseits der Knorpel auf der Gelenkpl'annc, und zweitens der Gelenkkopf auf dorn Knorpel verschieben kann. Man kann auch solche Gelenkverbindungen als Doppelgelcnke auffassen, bei denen ein kurzes Knochenstück zwischen zwei längere Glied- abschnitte eingeschaltet ist, sofern zu dem betreffenden Zwischen- stück nicht Muskelsehnen hinziehen, die ihm eine eigene Beweg- lichkeit, unabhcängig von seiner Rolle als Zwischenstück zwischen zwei Gelenken ertheilen. In diesem Sinne können die Gelenke an Hand- und Fusswurzel als Doppelgelenk betrachtet werden. Combinirtes und zusammengesetztes Gelenk. Als combinirtc Gelenke" bezeichnet man solche Gelenkverbindungen, die sich an verschiedenen Stellen eines und desselben Knochens befinden und deshalb geraeinsam bewegt werden. Bezeichnende Beispiele hierfür bilden die Verbindungen zwischen Radius und Ulna am Ellenbogen und am Handgelenk des Menschen, die bei der Pronation und Supination stets beide zugleich m Thätig- keit sind. ^ , , ■ i Der Begriff des „zusammengesetzten Gelenks'- , m dem zwei ver'^chiedene Bewegungsmechanismen innerhalb derselben Gelenk- kapsel liegen, hat nur anatomische Bedeutung. Für die Bewegungs- lehre ist es gleichgültig, ob die Bewegung in anatomisch getrennten oder in zusammengesetzten Gelenken vor sich geht. Umfang und Hemmung der Gelenkbewegung. Uie vorstehenden Angaben über die verschiedenen von den Ana- tomen unterschiedenen Gelenkformen gestatten nur einen ober- flächlichen Einblick in die Gelenkmechanik. An fast jedem ein- zelnen Gelenk fmden sich besondere Abweichungen von den ange- führten Formen, sodass auch fast jedem Gelenk eine besondere Bewegungsweise eigen ist. ,■ i j , Ausser der blossen Form der Gelenkbewegung, die nach dem Vorstehenden in vielen Fällen von der Fläcliengestalt abhangt, ist bei der Bewegung jedes Gelenks noch der „Umfang ' der Bewegung zu beachten, das heisst, die Winkeigrössen innerhalb dere^ die betreffenden Bewegungen möglich sind. Der Umfang der Bewe- gungen hängt ab von den Hemmungen, die der Ge enkbeAvegung ffn Ziel setzen, und deren man drei Arten als Knochen-, Bande - und Muskelhemmung unterscheidet. Die Knochenhemmung beuht darauf, dass Knochentheile aufeinander treffen ""^.^ ^^^'^:^V wegung durch ihr Zusammenstossen Imidern. Als Beispiel kann gen— werden das Zusanunenstossen der Zahnreihen 1- -'f l | des ünt.-rkiefers, das Anschlagen der Ferse an die Tubera ischn bei der Beugung der Kniee und andere mehr. Die I3änderhemmung dürfte im lebenden Körper eine v, ge- ringere Rolle spielen als ihr nach den Untersuchungen an Prapa zugeschrieben wird und zwar des^^^gen, ^^cd sie st ts d m .ix Muskelhemmung unterstützt wird. Beispiele smd die Hemmun« Bewegung der Knochen durch Muskeln. 429 des Knies und des EUenbogengclenks, durch die die Ucberstreckung (Icrliindcrt wird. Endlieh die Muskelliemmung besteht dann, dass die normalen Grenzen der Beweglichkeit durch die Gewöhnung der Musculatur bestimmt werden. AVenn eine Bewegung, für die keine bestimmte Knochen- oder Bänderhemmung besteht, wie etwa die Bieo-un- der Wirbelsäule, eine gewisse Grenze erreicht hat spannen sich Muskeln an und hindern die weitere Biegung. Die Erklärung für diesen Vorgang wird in dem Abschnitt über die Beziehungen des Nervensystems zur Körpermusculatur gegeben werden. Der Beweis, dass die lebenden Muskeln auf diese Weise hemmend ein- wirken, beruht auf zwei Thatsachen: Erstens kann durch Uebung die Gelenkigkeit sehr beträchtlich erhöht werden, wolur die so- o-enannten Schlangenmenschen hervorragende Beispiele sind. Zweitens hisst sich zeigen, dass an der Leiche, bei der natürlich die Muskelhemmung wegfällt, stets eine abnorme Beweglichkeit besteht. Man sagt dass der berühmte Bildhauer Michel Angelo, indem er nach Studien an der Leiche modellirte, seinen Bildwerken Stellungen s^egeben habe, die beim Lebenden unerträgliche Muskelspannungen verursachen würden. Der Muskelhemmung kommt eine um so grossere Bedeutung zu, als sie ganz allgemein die Bänderhemmung unterstützt. Man darf sagen, dass die Muskelhemmung eben nur ein Fall der noch alkemeineren Thatsache ist, dass sämmtliche Gelenkbewegungen dauernd durch die Muskeln geregelt und beherrscht werden. Die Gelenke und Bänder reichen nicht entfernt hin, die Knochen zu einem festen Gerüst zusammenzuhalten, vielmehr wird nur durch die An- spannung der Sehneu, die über die Gelenke hinwegziehen. Schlottern oder gar Verrenkung verhindert. Daher können auch die Muskeln niemals vereinzelt thätig sein, sondern müssen stets in grösseren Gruppen gemeinsam arbeiten. Bewegung der Knochen durch Muskeln. Um die Wirkungsweise der Muskeln bei der Bewegung des Körpers kennen zu lernen, empfiehlt es sich, zunächst von vereinfachen- den Annahmen auszugehen. Man kann sich das Knochengerüst als ein festes Gestell denken, das dann einzelne Muskeln als Zugstränge in Bewegung setzen. Man muss sich dabei aber stets vor Augen halten, dass diese vereinfachende Betrach- tung von den wirklichen Verhältnissen in vielen Punkten ab- weicht. In Wirklichkeit sind die Gliedmaassen nur lose aneinander gehängt, die Gelenke haben unregelmässige Form, die Muskeln sind sehr zahlreich, ziehen grösstenthcils über mehrere Gelenke fort, greifen oi't mit breiten Sehnen nicht an der Längsaxe des Knochens, sondern an Vorsprüngen an und so fort. Durch alle diese Umstände wird die Muskelmechanik zu einem äusserst schwierigen Gebiet. Um zu richtigen Anschauungen zu gelangen, können die allgemeinen Lehrsätze der Mechanik nur als Richtschnur gelten, und es müssen in Jedem einzelnen Fall die besonderen anatomischen Bedingungen berücksichtigt werden. 430 Knochen als Hebel. Man kcann die vereinfachten Vcrliältnisse der Muskelbewegung besser an Modeilen als an i3eispielen aus der AVirkliclikeit dar- steilen. Die beiden folgenden Figuren zeigen, wie der Zug eines Ellenbogcnbeugers, unter der Voraussetzung, dass Eilen bogengeienk und Schultergeienk ihre Lage im Raum nicht ändern, auf den Unterarm als auf einen einarmigen Hebel wirkt. Fig. 58. Hebehvirkung eines Muskels am Knochen (scheraatisch). Man sieht, dass der Muskel an dem sehr kurzen Hebelarm BD angreift, um die an dem langen Hebelarm wirkende Last L zu heben. Diese Anordnung ist für die Muskeln der Gliedmaassen die Regel, die Muskeln müssen also, um an dem Ende der Glied- maassen eine bestimmte Kraftäusserung zu erreichen, auf ihren Ansatzpunlft, der einen viel kürzeren Hebelarm darstellt, eine viel grössere Kraft ausüben. Dies könnte unzweckmässig scheinen, doch ist zu bedenken, dass, was der Muskel an Kraft mehr auf- wenden muss, an Geschwindigkeit der Bewegung gewonnen wird, denn für jeden Millimeter, um den sich der Muskel verkürzt, muss in derselben Zeit die Hand den sechsfachen Weg machen. IJeber- dies würden die Muskelbäuche, wenn sie etwa am menschlichen Arme, um grössere Kraft zu erreichen, weiter unten in der Nähe des Handgelenks angriffen, den Arm zu einer unförmlichen und schwerfälligen Masse machen. Schräger Zug des Muskels. Ans dem Vergleich des Mu.skels mit einem an einem Hebel ziehenden Faden kann man weiter die Beziehungen zwischen der Richtung des Muskelzuges und der Grösse seiner AVirkung ableiten. Auf der Figur 59 ist der Zug des Fadens senkrecht zum Hebel dargestellt. Es leuchtet ein, dass, wenn der Hebel um etwa 450 abwärts gedreht würde, der Faden nunmelir in schräger Rich- tung am Hebel angreifen würde. Ebenso greift aucli der Muskel auf der Figur 58 in B schräg am Unterarm , yl7^ an. Solch Muslcelzug. 431 (Mn scliräger Zug, der in Wirklichkeit in den allermeisten Fällen besteht, lässt sich nach der Lehre vom Krärteparallelogramra als Resultante zweier Componenten auffassen, von denen die eine in die Richtung BD fällt, die andere in B senkrecht zu BD wirkt, und folglich die Last L zu heben strebt. Es kommt also bei schrägem Zuge nur ein Theil der ganzen Kraft des Muskels für Fiff. 59. Einarmiger Hebel. Der Hebelarm der Kraft bil, ist kurzer als der der Last (, IJ. die Bewegung der Last in Betracht, denn da die erstgenannte Componente in die Richtung BD fällt, ist ihre einzige Wirkung, den Unterarmknochen gegen das Ellenbogengelenk anzudrücken! Der Antheil des Muskelzuges, der auf diese Weise für die Be- wegung unwirksam wird, ist am so grösser, je spitzer der Winkel den die Richtung des Muskekuges mit dem Knochen bildet! Iheoretisch würde die Richtung des Muskelzuges bei völliffer Streckung rait der des Knochens übereinstimmen, und der Muskel wurde dann den Unterarm überhaupt nicht mehr zu beugen, son- dern ihn nur gegen den Ellenbogen zu drücken streben. Dagegen wirkt die Kraft des Muskels, wenn er im rechten Winkel an den Knochen angreift, in ihrer ganzen Grösse rein beugend, ohne dass irgend ein Theil als seitliche Componente fortfällt. Diese Betrachtung lässt sich auch auf den Fall ausdehnen, (lass ein Knochen durch Muskeln bewegt wird, die von Punkten herkommen, die nicht senkrecht über dem Knochen, sondern seit- lich im Räume neben der Bewegungsebene des Knochens gelegen sind. Ein solcher seitlicher Zug lässt sieh im Allgemeinen in drei auteinander senkrechte Componenten zerlegen, von denen zwei in der Bewegungsebene liegen, und sich wie die beiden oben be- sprochenen verhalten, während die dritte, senkrecht auf die Be- wegungsebene, den Knochen seitlich aus der Bewegungsebene iierauszudrchen strebt. Muskelzug im lebenden Körper. Die' vorstehenden öaize die lur die vereinfachten Bedingungen des Modells strencr zutrellen, gelten im Allgemeinen auch für den Muskel im 432 Bewegung mehrerer Gelenke. lebenden Körper. Thatsächlich ist die Zugkraft der Muskeln am grössten, wenn sie rechtwinklig an dem zu bewegenden Knochen angreift. In vielen Punkten weichen aber die Be- dingungen, unter denen die Zugkraft der Mu.skeln in Wirklichkeit thätig ist, von denen des Modelles ab. Der Zug des Muskels ent- spricht nicht dem eines gerade gespannten Fadens, sondern durch die Dicke des Muskelbauchcs und der Sehne, und durch Knochen- vorsprünge, über die die Sehne gleitet, wird die Richtung des Zuges verändert. Wenn der Arm völlig gestreckt ist, liegt bei- spielsweise die Sehne des Biceps in der Ellenbogenbeuge auf der EoUe des Oberarmknochens und geht steil in die Tiefe auf die Tuberositas radii zu, auf die sie fast in rechtem Winkel tnflt. Da auch für die übrigen Armbeuger cähnliche Verhaltnisse be- stehen, ist die Kraft, mit der sie auf den völlig gestreckten Arm wirken, durchaus nicht gleich Null, wie es beim Modell der Fall ist, sondern schon ungeiähr halb so gross wie die maximale Kraft, die sie bei rechtwinkliger Beugung erreichen. Üebrigens ist im Auge zu behalten, dass nach dem im vorigen Abschnitt angeführten Schwann'schen Gesetz die Contractions- kraft der Muskeln mit zunehmender Verkürzung geringer wird. Die Kraft des Muskelzuges ist also bei jeder Stellung des Knochens nicht nur von der Richtung des Zuges, sondern auch von dem Verkürzungsgrade des Muskels abhängig. Die Richtung des Zuges kann bei mfnchen Muskeln, die etwa, wie der Pectoralis ma^or einen breiten Raum einnehmen, garnicht bestimmt werden we einige Fasern sehr schräg, andere gleichzeitig senkrecht zu dem bewegten Knochen gerichtet sein können. Aus allen diesen Angaben geht ^^rvor, dass auch in d m einfachsten Fall, dass ein einzelnes um eme f^ste Gdenkaxe be- wegliches Glied durch einen einzigen Muskel bewegt wird, die i Wirklichkeit vorhandenen Bewegungsbedingungen so S dass die für vereinfachte Modelle gültigen Lehrsatze der Mechanik nur in gröbster Annäherung auf sie angewendet werden ^""""Tis nraktische Regel, die für die meisten Fälle zutrifft, kann festg^trwSl^,läs' die Kraft, - Muskd jtlaUet im Allgemeinen um so grösser ist, je starker der Muskel .1^ "^^ ^e'z^nclitung an d!m rechten Winkel, und je wemger der Muskel "'"Bewegunf-elH-erer Gelenke. Die grössten Schwierig- Bewegung mehrerer Gelenke zugleich. 433 .lass das Ellenbogecgelenk in Wirklichkeit nicht feststeht, sondern diircli die Beweglichkeit des Oberarmes in der - liultcr selbst beweglich ist. Die dadurch gegebene Beweglichkeit . tun man sich am besten vor Augen stellen, wenn man sich den Arm vom Körper völlig getrennt etwa auf Quecksilber schwimmend I denkt. Ziehen sich nun die Ellenbogenbeuger zusammen, so ist kklar, dass Oberarm und Unterarm sich zugleich bewegen, üie- > selbe Wirkung der EUenbogcnbeuger auf den Oberarm bleibt be- istellen, wenn der abgeschnittene Arm mit dem Oberarmkopf in einer Gelenkpfanne befestigt ist. Bei der Oontraction der EUen- I bogenbeuger dreht sich dann der Oberarm in seiner Pfanne rück- vwäVts, während der Unterarm im Ellenbogen sich vorwärts bewegt. I Ganz ebenso in entgegengesetzter Richtung bewegen sich beide ITheile des Armes bei Streckung des Ellenbogens. Diese Angaben führen zu zwei wichtigen Sätzen, die als I Grundlage der neueren physiologischen Mechanik festzuhalten -sind. 1. Der Zug eines Muskels wirkt immer in genau -gleicher Stärke in entgegengesetzter Richtung sowohl auf den l Ursprungspunkt Avie auf den Ansatzpunkt des Muskels. Die [Unterscheidung von Ursprung und Ansatz, wie sie in der Ana- 1 tomie hergebracht ist, ist rein formell und hat keinerlei that- - sächliche Bedeutung. 2. Die Muskeln bringen unmittelbar Be- vwegungen der Knochen hervor und können dadurch mittelbar I Gelenke bewegen, über die sie nicht hinwegziehen. Dieser >Satz gilt ganz allgemein, sodass nicht etwa bloss, wie oben angegeben, die Ellenbogenmuskeln die Schulter bewegen, sondern lauch die Schultermuskeln den Ellenbogen, die Hüftmuskcln das l'Knie, die Kniemuskeln die Hüftgelenke und so fort. Um dies anschaulich zu machen, seien als Beispiele einige Be- vwegungen angegeben, aus denen zugleich die Wichtigkcft der Sätze lihervorgeht. Wenn ein Mensch oder ein Alfe sich an den Händen etwa ;ian einem Ast emporzicht, so bewegt er dabei Ellenbogengelenk und Schultergelenk. Denn der Oberarm, der anfänglich emporgestreckt war, :'ist am Schluss der Rewegung nach fusswärts gerichtet. Denkt man sich sämmtliche .Muskeln, die vom Rumpf zum Oberarm gehen, entfernt, sodass nur die Ellenbogenbeuger bei der Bewegung thätig ^ sein können, so wird der Körper zwar nicht völlig emporgezogen ^'Werden können, es wird aber zur spitzwinkligen Beugung des ' Armes kommen, und dabei wird eine Bewegung im Schultergelenk • erfolgen, die durch die Ellenbogenmuskeln bewirkt ist. Denkt mian sich umgekehrt die Ellenbogenmuskeln entfernt, so ist klar, ■ dass die Schultermuskeln allein, indem sie den Oberarm aus der kkopfwärts emporgestreckten in die fusswärts gerichtete Lage über- i'füh ren, das ßllenbogengelenk aus der gestreckten in die spitzwinklig ^■gebeugte Stellung bringen werden. Ein weiteres Beispiel gewälirt das Aufstehen aus tiefer Knie- beuge. Diese Bewegung ist denkbar ohne Betheiligung der Hüft- I" niusculatur durch blosse Stnickung der Kniee vermittelst des Qua- R. du Bo i s -Ro y m 0 n d , Physiologie. gg 434 Muskelgruppen. driceps cruris, sie ist aber auch denkbar ohne Betheiligung des Knie- streckers durch eine Rückwärtsbewegung der Oberschenkel in den Hüftgelenken durch den Glutaeus maximus, Semiraembranosus und die anderen Obcrschenkelbeuger. Im ersten Falle würde der Knie- strecker das Hüftgelenk, im zweiten die Hüftmuskeln das Knie- gelenk in Bewegung gesetzt haben. In diesen beiden Beispielen handelt es sich um Bewegungen, durch die die Last des ganzen Körpers gehoben werden soll. Slan kann geradezu sagen, dass die Kraft der Ellcnbogenbeuger allein, und selbst die des Quadriceps allein, kaum hinreichen dürfte die Bewegung auszuführen. Nur indem die Beugung des Ellenbogens zum Theil durch die Schultermuskeln, die Streckung der Knie zum Theil durch die Hüftrauskeln hervorgebracht wird, ist es überhaupt möglich, dass der Körper sich so leicht, wie es thatsächlich ge- schieht, mit den Armen emporziehen, mit den Beinen vom Boden ab- stossen kann. Muskelgr Uppen. Schon unter den vereinfachenden Annahmen, dass man sich die Wirkung der Muskeln durch einzelne zwischen be- stimmten Knochenpunkten wirkende Zugkräfte ersetzt denkt, bietet die Muskelmechanik, wie aus dem Obigen hervorgeht, Schwierig- keiten genug. In Wirklichkeit werden die BcAvegungen niemals durch einzelne Muskeln ausgeführt, denn erstens sind an jedem Gelenke zahlreiche Muskeln vorhanden, zweitens ist die Bewegung jedes Körpertheils so sehr von der Bewegung anderer abhängig, dass fast immer viele Gelenke zugleich thätig sind. Die Muskeln ^virke[l also nicht einzeln, sondern in grossen Gruppen zusammen. Diese Gruppen lassen sich nicht ein für allemal nach der anatomischen Eintheilung bestimmen, indem man etwa „Beuger", „Strecker^-. „Rotatoren" und so fort zusammenstellt, sondern ein und derselbe Muskel kaim bei manchen Stellungen Beuger, bei anderen Strecker sein. Wenn zum Beispiel ein Turner an den Händen hängt und sich durch Bewegung der Arme eraporziehen will, wird diese Be- wegung durch den Pectoralis major wesentlich unterstützt, der Pectoralis major wirkt also hier als Ellenbogenbeuger. Wenn der- selbe Turner sich auf den gebeugten Arm stützt und sich durch Streckung des Ellenbogens heben will, so wird auch diese Bewegung durch den Pectoralis major wesentlich unterstützt, der Pectoralis major wirkt also hier als Ellenbogenstrecker. Die Muskeln wirken überdies sehr oft mit einem Theil ihrer Fasern bei einer, mit einem, , andern Theile bei einer anderen Bewegung. Das physiologische! Zusammenwirken der Muskeln ist also von ihrer anatomischen Em-' thcilung vollkommen unabhängig, die gesammte Musculatur ist vom| Standpunkte der Bewegungslehre als eine einheitliche .Alassc anzu-| sehen, von der bei einer Bewegung in jedem gegebenen Augenbhckej alle die Theile thätig werden, die der Bewegung förderlich sind.! Oft wird die bei einer bestimmten Bewegung thätige Muskelmasse' unter der Bezeichnung „Synergisten" zusammengcfasst, und d. : •Muskelmasse, die die entgegengesetzte Bewegung bewirkt, als „Anta- Zweigelenkige Muskeln. 435 gonisten" gegenübergestellt. Diese Bezeichnung ist für manche Be- trachtungen von Nutzen, darf aber nicht so aufgefasst werden, als könnte etwa das gesammte Muskelsystem ein für allemal in be- stimmte Synergisten- und Antagonistengruppen eingethcilt werden. Vielmehr dürften bei den meisten Bewegungen die Antagonisten in gewissem Grade mitthätig sein, um den Gelenken Halt zu geben und die Thätigkeit der Synergisten im Maass zu halten. Diese Art Muskelwirkung kommt sehr häufig vor. Sobald es gilt irgend einen Körpertheil fest in seiner Stellung zu halten, müssen die 31uskeln von beiden Seiten angespannt werden. Fast bei jeder Bewegung rauss ein Theil der Gelenke auf diese Weise festgehalten werden. So wird bei der Bewegung des Arms der Schultergürtel festgestellt, damit der Arm von da aus sicher bewegt werden könne. Daher ist der grösste Theil aller Muskeln während des Lebens mehr oder weniger angespannt, und die Bewegungskräfte entstehen nur durch das üeberwiegen der Spannung auf einer Seite. Dass diese Auffassung richtig ist, ergiebt sich daraus, dass selbst an der Leiche die Muskeln elastisch gespannt sind. Durchschneidet man an einer frischen Leiche einen Muskel, so ziehen sich die Stümpfe merklich auseinander, und es muss ein gewisser Zug aus- geübt werden, um sie wieder aneinander zu legen. Dasselbe gilt in erhöhtem Maasse von den Muskeln im lebenden Körper. Zweigelenkige ]\luske]n. Sehr viele Muskeln sind nun nicht von einem Knochen zu dem benachbarten, über nur Ein Ge- lenk hinweggezogen, sondern sie reichen über zwei oder mehr Ge- lenke hinaus an den zweiten, dritten oder einen weiterhin gelegenen Knochen. Solche Muskeln werden „zweigelenkige" und „mchr- gelenkige" genannt. Ein zweigelenkiger Muskel wirkt natürlich, wie Jeder andere Muskel, an seinen beiden Enden mit genau gleicher entgegengesetzter Zugkraft. Welche Bewegungen er hervor- bringt, hängt von den Stellungen der beiden Gelenke ab, denn je nach diesen Stellungen wird er an einem oder dem anderen Knochen mit mehr oder weniger schräger Zugrichtung angreifen und deshalb eine stärkere oder schwächere Wirkung entfalten. Da ferner die Stellung der Gelenke und zugleich die Zugrichtungen sich mit der Bewegung ändern, ist es überaus schwierig die Wirkungsweise der metirgelenkigen Muskeln zu beurtheilcn. Hervorzuheben ist eine leicht verständliche Eigenthümlichkeit dieser Muskeln, die als „relative Längeninsuflicienz" bekannt ist. Die Länge mancher mehrgclenkiger Muskeln ist unzureichend, um gleichzeitig in allen den Gelenken, über die sie hinwegziehen, volle Streckung zuzulassen. Wenn zum Beispiel die Kniec durchgedrückt sind, werden die Beuger des Unterschenkels an der Hinterseite des Oberschenkels dadurch an ihrem unteren Ende soweit angespannt, dass sie die äusserste Beugung des Beckens nach vorn, wie sie für tiefe Rumpf- bewegung vorwärts nöthig ist, im Allgemeinen nicht zulassen. 28* 436 Stehen des Menschen. Durch Uebung kann zwar die hierfür erforderliche Dehnbarkeit der Muskeln gewonnen werden, die „Längeninsufficienz" äussert sich dann aber noch in der hohen Spannung der Muskeln. Umgekehrt kann der Fall eintreten, dass bei äusserster Beu- gung aller betheiligten Gelenke ein Muskel sich nicht mehr soweit zu verkürzen vermag, dass er eine kräftige Zugwirkung ausübt. Wenn Ellenbogen- und Handgelenk aufs äusserstc gebeugt sind, können die Finger nicht mehr kräftig gebeugt werden, weil sie in dieser Stellung dem Ursprungspunkte der Flexores digitorum so nali gebracht sind, dass diese sich nicht mehr kräftig spannen können. Vom Stehen. Stehen des Menschen. Will man näher auf die "Wirkungs- weise der Muskeln bei den Bewegungen des Körpers eingehen, so bietet sich eine so grosse Mannigfaltigkeit der Bewegungsforraen dar, dass hier nur einige einzelne Fälle betrachtet werden können. Schon das Stehen in gewöhnlicher Ruhehaltung kommt nur durch die Thätigkeit zahlreicher Muskelgruppen zu Stande. Ins- besondere die aufrechte Stellung des Menschen stellt eine hohe Anforderung an das Zusammenwirken der verschiedenen Muskeln, da alle einzelnen Abschnitte des Körpers auf der kleineu ünter- stützungsfläche der Füsse im Gleichgewicht gehalten werden müssen. Die Muskeln können hierzu allerdings nichts weiter beitragen, als dass sie die einzelnen Theile des Körpers gegeneinander fest- stellen und dadurch den ganzen Körper zu einer nahezu starren Masse machen. Für diese starre Masse gelten dann, in Bezug auf das Stehen dieselben Bedingungen, wie für jeden beliebigen un- belebten Körper. Der menschliche Körper kann also nur in solchen Stellungen stehen, in denen auch ein unbelebter Körper von der gleichen Form und derselben Gewichtsvcrtheilung stehen kann. Für alle diese Stellungen gilt die einzige Bedingung, dass die Schwerlinie, das heisst, das vom Schwerpunkt aus gefällte Lotii innerhalb der ünterstützungslläche fällt, das heisst, innerhalb einer Fläche, die von den Verbindungslinien der am weitesten von der Schwerlinie entfernten Unterstützungspunkte des Körpers ein- geschlossen wird. Um zu beurtheilen, ob ein Körper in einer be- stimmten Lage stehen kann, muss man also die Lage seines Schwerpunktes und seiner Unterstützungspunkte kennen. Schwerpunkt. Der Schwerpunkt eines Körpers hat die Eigenschaft, dass man sich die Gesammtschwere, die in Wirklich- keit allen seinen einzelnen Theilcn zukommt, in diesem einzigen Punkte vereinigt denken kann, ohne dass dadurch die Wirkung der Schwere auf den ganzen Körper geändert wird. Liegt zum Beispiel ein Balken auf "einer scharfkantigen Querleiste im Gleich- gewicht und man denkt sich das Gcsammtgewicht des Balkens an einem Ende vereinigt, so ist es klar, dass die Wirkung der Schwere Schwerpunkt. 437 dadurch so verändert wird, dass das betreffende Ende herimter- fällt, während das andere in die Höhe schnellt. Dasselbe tritt ein, wenn man sich die Gesammtschwere in irgend einem andern Punkte des Balkens einwirkend denkt, mit Ausnahrae der Mitte des Balkens, die eben seinen Schwerpunkt darstellt. Aus diesem Beispiel wird auch einleuchten, dass der Schwer- punkt nur für Körper von regelmässiger Gestalt und gleichförmigem Ijau in der geometrischen Mitte gelegen ist. Denn wenn der Balken schon von selbst an einem Ende sehr viel dicker und schwerer ist als am anderen, so darf man sich das gesammte Ge- wicht an das dickere Ende verlegt denken, ohne dass eine wesent- liche Aenderung eintritt, das heisst, der Schwerpunkt liegt dann eben viel näher an dem dickeren Ende. Der menschliche Körper ist nun eine unregelmässig gestaltete Masse von ganz ungleichförmigem Bau. Knochen und Fleisch sind verhältnissmässig schwer, während Kopf und Rumpf wegen der in ihnen enthaltenen 'Lufträume leichter sind. Ausserdem aber verändern die Massen des Körpers bei jeder Bewegung ihre Lage zu einander, und damit muss sich auch die Lage des Schwer- punktes verschieben, sodass eine gegebene Lage des Schwer- punktes immer nur für eine ganz bestimmte Stellung des Kör- pers gilt. Wenn man die Schwere aller einzelnen Theile des Körpers kennt, kann man die Lage des Gesararatschwerpunktes für jede beliebige Stellimg berechnen. Für die gestreckte Stellung lässt sie sich annähernd durch den Borellius'schen Versuch bestimmen: Ein Brett wird auf einer Kante in's Gleichgewicht gebracht und der Körper in Rückenlage auf dem Brett verschoben, bis er ebenfalls genau im Gleichgewicht steht, dann muss sein Schwerpunkt genau über der Kante liegen. Durch genauere Bestimmungen hat man gefunden, dass in der gestreckten aufrechten Haltung der Schwerpunkt etwa 4,5 cm über der ge- meinsamen Axe der Hüftgelenke, also etwa 2 cm unter dem Pro- montorium im kleinen Becken gelegen ist. Mechanische Bedingungen des Stehens. Die ünter- stützungsfläche wird beim Stehen gegeben durch die Figur, die entsteht, wenn man sich die äussersten Stützpunkte der Sohlen durch gerade Linien verbunden denkt. Ais Stützpunkte können freilich die äussersten Sohlenränder nicht gelten, vielmehr liegt, wie sich durch Versuche ermitteln lässt, die Grenze der wirksamen Unterstützung 1 — 3 cm innerhalb der Sohlenränder. Durch diese Angaben ist die oben angeführte Grundbedingung für die Möglichkeit des Stehens genau bezeichnet: Ein l{örper kann in jeder Stellung stehen, bei der das vom Schwerpunkt gefällte Loth in die Unterstützungsfläche trifft. Unter dieser Bedingung ist nämlich der Schwerpunkt in senkrechter Richtung von unten unter- stützt und dadurch wird, wie aus dem Begriffe des Scliwer- punktes hervorgeht, die Wirkung der. Schwere auf den ganzen Körper, der hier als starre Masse betrachtet wird, ausgeglichen. 438 Aufbau des Körpergerüsts beim Stehen. AVas die Festigkeit des Stehens gegenüber seitlicl) wirkendein Zug oder Druck betrifTt, so gilt für den starr gelialtenen Körper des Mensclien, wie für alle anderen festen Körper der Satz, dass er um so fester steht, je grösser die Unterstützungsfläche und je näher der Schwerpunkt an der Unterstützungsfläclie liegt. Denn, wenn ein fester Körper seitlich umgeworfen werden soll, muss er über die Grenze der Unterstützungsfläche kippen, und dabei muss der Schwerpunkt um so höher gehoben werden, je schräger die Linie vom Schwerpunkt zu der Grenze der Unterstützungsfläche ist. Die Festigkeit des Stehens kann also, wie aus dem praktischen Leben bekannt ist, beträchtlich erhöht werden, wenn man die Füsse gespreizt stellt und den Körper zusammenduckt. Aufbau des Körpergerüsts beim Stehen. Im Vorher- gehenden ist angenommen worden, dass sich der Körper des Men- schen beim Stehen wie eine starre Masse verhalte. Es soll nun erörtert werden, durch welche Muskelthätigkeiten das bewegliche Gerüst des Körpers beim Stehen aufrecht erhalten wird. Diese Muskelthätigkeiten müssen natürlich je nach der Haltung gewisse Unterschiede aufweisen, es ist aber anzunehmen, dass die natür- liche ungezwungene Haltung beim Stehen bei allen Menschen wenigstens in den Hauptzügen dieselbe ist. Da der Körper auf beiden Füssen steht, ist er gegen seitliches Umfallen ohne weiteres gesichert, solange beide Beine ihn gleichförmig tragen. Dagegen kann er in allen Gelenken nach vorn oder hinten umkippen. Nur die beiden Füsse ruhen fest auf dem Boden, aber schon die Unter- schenkel stehen in den Fussgelenken nach vorn und hinten frei beweglich, ferner können die Kniee einknicken, der Rmnpf kann auf den ilüften schwanken, die Wirbelsäule kann sich .nach hinten oder vorn biegen, und der Kopf kann nach hinten oder vorn über sinken. Alle diese möglichen Bewegungen müssen verhindert werden, da- mit der Körper in aufrechter Lage stehen bleibt. Man kann schon daraus, dass es unmöglich ist, einen Cadaver in aufrechter Haltung ins Gleichgewicht zu bringen, und daraus, dass beim Einschlafen im Sitzen Kopf und Rumpf herabsinken, schliessen, dass alle einzelnen Körpertheile beim Stehen durch Muskelthätigkeit unterstützt werden müssen. Die Bedingungen dieser Muskelthätigkeit werden am besten so dar- gestellt, dass man der Reihenfolge von oben nach unten folgt, weil die Last der oberen Körpertheile auf die unteren mitwirkt. Statik der „bequemen Haltung". Der Kopf kann zwar auf dem Atlas in annähernd natürlicher Haltung in vollkommenem Gleichgewicht stehen, für die Beweglichkeit des Kopfes kommt aber neben dem Atlanto-occipital-Gelenk die Beweglichkeit der ganzen Halswirbelsäule in Betracht. Die Axe, um die sich der Kopf benm Vorwärts- und Rückwärtsneigen dreht, liegt etwa in der Höhe des fünften Halswirbels. Der Schwerpunkt des Kopfes liegt etwas hinter der Sella turcica, in der Seitenansicht 2 cm über dem äusseren Gehörgang. Daher neigt der Kopf mit der Halswirbelsäule dazu Bequeme Haltung. 439 nach vorn übei- zu fallen, und beide Avordcn durch die Nacken- nnisculatur aulVcehtgchaltcn. Der Rumpf hat zwar an sich eine gewisse Festigkeit, doch niiiss die Wirbelsäule, die obenein das Gewicht von Kopf und Armen zu tragen hat, durch die Anspannung der Kiickenmusculatur von hinten und den Druck der Bauchwände von vorne aufrecht erhallen werden. Der Oberkörper im Ganzen steht auf den Ge- lenkköpfen des Oberschenkels nahezu im Gleichgewicht. Das Loth von dem gemeinsamen Schwerpunkt von Rumpf, Kopf und Armen fällt nur wenige Millimeter hinter die gemeinsame Queraxe der beiden Hüftgelenke. Daraus folgt, dass eine geringe Spannung der vordem Oberschenkelmuskeln, vor allem des Iliopsoas, genügt, um den Rumpf gegen das Ilintenüberkippen zu sichern. Die Lage des Rumpfes und dcrOberschenkel gegen das Kniegelenk ist nun beim natürlichen Stehen so, dass die Oberschenkel vomKnie aus vornübergeneigt sind. Der Rumpf strebt zwar, Avie erwähnt, in den Plüftgclenken nach hinten überzukippen, aber da die Ober- schenkel schräg stehen, liegen die Kniegelenke erheblich weiter hinten als die Hüftgelenke, und die Gesammtmasse von Rumpf und Oberschenkeln hat daher das Bestreben nach vorn überzu- fallen. Dies ist aber nicht möglich, weil die Kniegelenke nicht nach vorn knicken. Die Kniegelenke werden also beim natür- lichen Stehen nur auf Streckung beansprucht, und sie brauchen daher nicht durch Muskelkraft gestreckt gehalten zu werden. Dies lässt sich leicht nachweisen, indem man bei einem in natürlicher Haltung stehenden Menschen die Kniescheibe anfasst und hin und her schiebt. Die Beweglichkeit der Kniescheibe be- weist, dass die Sehne des Quadriceps, des einzigen Kniestreckers, schlaff ist. Die Kniee bleiben also beim Stehen auch ohne Einwirkung von Äluskelthätigkeit gestreckt, und zwar deshalb, weil die Last von Rumpf und Oberschenkeln über die Kniee hinaus vorgeschoben ist. Die Thatsache, dass die Kniestrecker beim Stehen unthätig sind, war den älteren Beobachtern nicht entgangen, und man findet sie in älteren Darstellungen durch die Annahme erklärt, dass die Kniee „überstreckt" wären, sodass sie einen nach vorn offenen Winkel einschlössen. Dies dürfte nur in seltenen Fällen zutreffen, während normalerweise das Knie sogar nur bis etwa zu 175 Grad . gestreckt werden kann. Die Hüftgelenke, über "denen der Schwer- I punkt des Rumpfes liegt, stehen aber bei der gewöhnlichen Haltung trotzdem noch etwas weiter nach vorn als die Kniegelenke, sodass die Last des Rumpfes die Kniee nur weiter zu strecken, nicht aber einzuknicken strebt. Die Feststellung der Kniee ohne Muskelthätigkeit hat aller- dings zur Voraussetzung, dass das Fussgelenk festgestellt sei, und dies kann nur durch Anspannung der AVadenmuskeln geschehen. I Der Unterschenkel steht unter einem Winkel von etwa 5 Grad : nach vorn geneigt und wird durch den Wadenmuskel gehindert, ' weiter nach vornüber einzuknicken. So l)ilden Fuss und Unter- 440 Stehen des Pferdes. schenke! zusammen ein festes Gestell, auf dem der Rum))f samrat den Oberschenkeln ruht. Da nun Rumpf und Oberschenkel nach vorn überhängen, so werden die Kniee gestreckt gehalten. Liessen die Waden rauskeln nach, sodass der Unterschenkel frei nach vorn kippen könnte, so würden allerdings auch sogleich die Kniee einknicken und der Körper würde in die Kniee sinken. Da fast die ganze Last desKörpers auf dem obern Ende des Unter- schenkels ruht, und diese auf den Fussgelenken unter 5 Grad vorwärts geneigt sind, ist ein sehr erheblicher Zug nach hinten nöthig, um dem Druck der Körperlast das Gleichgewicht zu halten. Es lässt sich berechnen, dass die Wadenmuskeln, um diesen Zug auszuüben, eine Spannung erhalten müssen, die etwa dem anderthalbfachen Gewicht des Körpers gleichkommt. Die ganze Last des Körpers ruht schliesslich auf den beiden Füssen, kan hat früher den Knochenbau des Fusses einer Ge- wölbeconstruction verglichen und nahm an, dass der Fuss haupt- sächlich nur in drei Punkten den Boden berühre. In neuerer Zeit ist erkannt worden, dass das Gerüst des Fusses nur äusserlich einem Gewölbe gleicht, während ihm die Haupteigenschaft der Gewölbe, sich unter Druck fester zusammenzuschliessen, fehlt. Die Festigkeit des Fusses ist vielmehr durch die Bänder, Sehnen und Muskeln bedingt, die ihm zugleich Elasticität verleihen. Die Stütz- fläche umfasst den Fersentheil, den ganzen äusseren Fussrand und den ganzen Fussballen. Das Fettpolster der Sohlenhaut ermög- licht eine gleichmässigere Vertheilung des Druckes. Aus dieser Darstellung geht hervor, dass bei der Feststellung der Gelenke der Wirbelsäule und der Hüften die Muskeln nur eine geringe Arbeit zu leisten haben, um das Gleichge^vicht zu erhalten, und dass die Kniee ganz ohne Muskelthätigkeit gestreckt erhalten werden, während die Feststellung des Fussgelenks durch die Wadenmuskeln eine bedeutende Arbeitsleistung bildet. Das Stehen ist also keineswegs eine Ruhelage für den Körper. Ausserdem ist zu bemerken, dass der Körper auch niemals wirk- lich vollkommen still stehen kann. Die Spannung der Muskeln kann nicht dauernd auf vollkommen gleicher Höhe bleiben, und überdies ändert sich der Gleichgewichtszustand, den die Muskeln zu unterhalten haben mit den Athembewegungen und den Ver- schiebungen des Blutes. Daher schwankt der Körper während des Stehens fortwährend in gewissem Grade, und die Muskeln müssen fortwährend diesen Schwankungen entgegenarbeiten. Da die Art und Weise, wie dies geschieht, zu den Verneig tungen des Nervensystems gehört, wird hierauf in dem Abschni« über die Einwirkung des Nervensystems auf die Körpermusculatufl zurückzukommen sein. „ 1 Stehen des Pferdes. Für das Stehen der \ lerfusser gelten dieselben allgemeinen Sätze wie für das Stehen des Menschen. Da] die vier Füsse eine viel grössere ünterstützungsfläche einsehlicsscn,| und bei der wagerechten Lage des Rumpfes, die den \ lerlusser Stehen des Pferdes. 441 eigen ist, der Schwerpunkt verhältnissmässig niedrig liegt, stehen die Vierfüsser im Allgemeinen viel sicherer als der Mensch. üer Gesammtscliwerpunkt des Pferdes liegt bei gewöhnlicher Haltung näher am vorderen als am hinteren Ende des Rumpfes, weil zu dem Gewichte des vorderen Kämpfendes noch Hals und Kopf liinzukommen, und nälier an der Bauchlläche als am Rücken, weil die Massen der Beine nach unten vorragen. Genauer ange- geben fällt der Schwerpunkt zwischen mittleres und unterstes Drittel einer Linie, die man am Ende des Schwertfortsatzes senk- recht durch den Körper gezogen denkt. Beim Hunde soll der Schwerpunkt noch etwas weiter nach vorn liegen. Wichtiger als diese Angabe ist die Bestimmung der Gcwichts- vertheilung auf Vorder- und Hinterhand (Vorder- und Hinterbeine) des Pferdes. Ein Pferd von 384 kg Gewicht wurde mit Vorder- tmd Hinterhand auf je eine Brückenwaage gestellt, und es fand sich, dass es die vordere Waage mit 210, die hintere mit 174 kg belastete. Durch Vorneigen des Kopfes wurde die Last auf der vorderen Waage um 8 kg vermehrt, durch Zurückneigen um 10 kg vermindert. Diese Messung zeigt, dass durch „Hochnehmen" des Pferdes thatsächlich die auf der Vorderhand ruhende Last merklich vermindert, und dadurch die Gefahr des Vornübei-stürzens verringert werden kann. Noch interessanter ist in dieser Beziehung die AViederholung desselben Versuchs, wenn ein Reiter auf dem Pferde sitzt. Pferd und Reiter zusammen wogen 448 kg, auf der Vorder- hand lasteten 251, auf der Hinterhand nur 197 kg. Wenn sich der Reiter zurücklegte und den Zaum anzog, lasteten vorn nur noch 233 kg, hinten 215. Bei dieser schweren Belastung der Vorderhand ist es um so auffälliger, dass gerade beim Pferde das Stehen in viel höherem Grade als bei anderen Thieren eine Ruhelage zu sein scheint. Be- kanntlich stehen viele Pferde dauernd oime sich je niederzulegen, und wenn dies auch nicht als eine natürliche Eigenschaft der Pferde betrachtet werden kann, so giebt es doch auch kein anderes Haus- thier, das sich an dauerndes Stehen gewöhnt hat. Nach Möller findet diese Eigenthümlichkeit der Pferde ihren Grund im Bau der Gliedmaassen des Pferdes (Fig. 60). Der Rumpf des stehenden Pferdes ist zwischen den beiden Schulterblättern durch Vermittlung der Muskeln, insbesondere des Serratus anticus, gleichsam aufgehängt. Das Oberarmbein stösst in einem AVinkcl, der etwas grösser ist als ein rechter, an das Schulter- blatt. Vom Ellenbogengelenk an bildet das Vorderbein eine nahezu gerade senkrechte Stütze bis zum Fesselgelenk. Die Last des Rumpfes wird zunächst streben den W'inkel zwischen Schulterblatt und Oberarmbein kleiner zu machen, sodass das Ellenbogengelenk einknickt. Gegen diese Knickung wird aber das Schultergelenk dadurch festgestellt, dass sich der Biceps braciiii anspannt, der in seiner ganzen Länge einen starken sehnigen Strang entliält. Die Feststellung des Schultergelenks wird dadurch noch vollkommener, U2 Stehen des Pferdes. dass Vertiefungen in der Seime des Biceps sicli an Knochen- vorsprünge am Humeruskopfe anschliessen. Auf diese Weise werden Schulterblatt imd Oberarmbein gleichsam zu Einer, zwar winkligen, aber festen Stütze. Die Anheftung des Serratus an das Schulterblatt ist nun so vertheilt, dass die Last des Rumpfes genau über dem EUenbogengelenk am Schulterblatt angreift. Daher steheu Fig. 60. Vorder- und Hinterbein des Pferdes Ijeim Stehen, nach Möller. Schulterblatt und Oberarm, mit dem Rumpf belastet, auf dem Ellen- bogengelenk im Gleichgewicht. Vom Ellenbogen bis zum Fessel- geicnk bildet das Vorderbein, wie gesagt, eine nahezu gerade senk- rechte Stütze, Fesselbein, Kronbein und Huf bein bilden vorn offene Winkel. Die Last des Körpers strebt natürlich die Fcsselgclenke einknicken zu machen, doch ist dies Aviederum durch die Sehnen- stränge der Beugemuskcln für Kronbein und Hufbein verhindert. Da diese Sehnenstränge sich bis zum Oberarmbein hinauf als zu- sammenhängendes Band fortsetzen, und dort an einem weit vor- ragenden Fortsatz des Oberarmbeins entspringen, so übertragen sie die Spannung, die sie an ihrem unteren Ende erfahren, auf das Oberarmbein und helfen dadurch das Oberarmbein gegen den Druck Gehen des Menschen. 443 des Rumpfes im Scluiltergelenk empor zu halten. Durch diese eigenthümliche Mcclianik ist es möglich den Rumpf eines todten Pferdes auf den gestreckten Vorderbeinen aufrecht hinzustellen. Eine ganz ähnliche Anordnung ist an den Hinterbeinen zu finden. Die Last des Rumpfes wirkt auf den Gelenkkopf des Schenkclknochens und strebt das Kniegelenk zu beugen. Dieser jjeugung allein muss der Quadriceps cruris Widerstand leisten. Der übrige Theil des Beines ist dann dadurch festgestellt, dass der Schienbeinbeuger vorn und derGastrocnemius hinten, die beide mit Schienbein und Fersenbein als einem zweiarmigen Hebel verbunden sind, eine Bewegung des Sprunggelenkes nur bei gleichzeitiger Bewegung des Knies gestatten. Die Durchbiegung der Fesselgelenke spannt auch die Sehnenstränge der Beuger an und macht das Bein zur steifen Stütze, sofern nur die Anspannung des Quadriceps die Be- wegung des Knies verhindert. Ersetzt man am todten Pferde die Wirkung des Quadriceps durch die eines Nagels, der die Knie- scheibe an den Schenkelknochen heftet, so ist es thatsächlich mög- lich den Cadaver auf seinen vier Beinen aufrecht hinzustellen. Dieser Versuch beweist, dass beim Pferde das Stehen nur eine sehr geringfügige Muskelthätigkeit erfordert. Die Ortsbewegung. Gehen des Menschen. Unter den Bewegungen des Men- schen und der Thiere zeichnen sich diejenigen aus, durch die sich der Körper von Ort zu Ort bewegt, weil sie fortwährend unter an- nähernd gleichen Bedingungen wiederholt werden, und dadurch eine ganz bestimmte, für alle Individuen derselben Art nahezu gleiche. Form annehmen. Der Mensch nimmt auch hier durch seine Bewegung in völlig aufgerichteter Haltung eine besondere Stelle ein. Bei der Untersuchung der Gehbewegung tritt die grosse Schwierigkeit auf, dass die Bewegung in hohem Maasse von den Schwungkräften abhängt, die eben nur während schneller Bewegung vorhanden sind. Man kann daher die Beobachtung nicht an Men- schen machen, die langsam gehen, oder die Stellungen eines Gehen- den im Stehen nachzuahmen suchen, weil dadurch ganz veränderte Grundbedingungen auftreten. Die Schwierigkeit, einen so schnell wie die Gehbewegungen ablaufenden Vorgang richtig zu beobachten, hat alle älteren Üntersucher zu Irrthümern geführt, die erst durch das neue Hülfsraittel der Momentphotographie aufgeklärt worden sind. Die Momentbilder zeigen Menschen und Thiere häufig in Stellungen, die man nicht für möglich halten würde, und die auch thatsächlich unmöglich sein würden, wenn nicht während der Be- wegung die Kraft des Schwunges auf den Körper einwirkte. Das Fortschieben des Körpers. Fragt man zunächst nach den Kräften, durch die der Zweck des Gehens, nämlich die Bodenreibung. Fortbewegung des Körpers im Allgemeinen bewirkt wird, so ist zu antworten, dass der Körper bei jedem Schritt durch Streckung des hintenstehenden Beines fortgeschoben wird. Dies ist schon daraus zu erkennen, dass in dem Augenblick, wenn der Körper aus dem ruhigen Stehen beginnen soll zu gehen, eine merkliche Vorwärts- neigung eintritt. Erst wenn der Körper vorgeneigt ist, ist ein wirksames Vorschieben möglich. Das schiebende Bein drückt natiklich mit genau derselben Kraft rückwärts gegen den Boden, mit der es vorwärts auf den Körper wirkt. Die Gesammtkräfte, die beim Gehen wirksam sind, lassen sicli daher an ihren Gegen- wirkungen auf den Boden erkennen. Ein Mann von gegen 60 kg Gewicht übt bei schnellem Gehen bei jedem Schritt eine gerade rückwärts gerichtete Kraft auf den Boden aus, die dem Zuge von 12 kg gleichkommt. Diese Kraft wird durch die Reibung der Sohle am Boden aufgehoben. Gleichzeitig drückt natürlich das Bein auch mit einem Theile des Körpergewichts senkrecht auf den Boden, und schliesslich übt es auch, wegen der seitlichen Schwan- kungen des Körpers beim Gehen, Druckwirkungen quer zur Gang- richtung aus. In Folge der auf das Körpergewicht wirkenden Schwungkraft ist der senkrechte Druck, den die Füsse auf den Boden üben, durchaus nicht gleichmässig gleich dem Körpergewicht, sondern gerade während der Körper durch einen Fuss allein unter- stützt ist, lastet nicht einmal die Hälfte des Körpergewichtes auf diesem Fuss. Dafür wird in dem Augenblick, wo der Fuss den Körper vorzuschieben hat, der Boden mit einer Kraft beansprucht, die um etwa ein Drittel grösser ist, als das Körpergewicht. Noch merkwürdiger ist, dass in dem Augenblick, wo das eine Bein nach vorne gesetzt worden ist und den Körper zu tragen beginnt, ein Druck auf den Boden in der Richtung gerade nach vorn aus- geübt wird, der also zurücktreibend auf den Körper wirken muss, und nur gegenüber der vorhandenen Schwungkraft zu schwach ist, den Körper zum Stillstand zu bringen. Dass die Fortbewegung des Körpers in letzter Linie thatsäch- lich auf den am Boden erzeugten Reibungskräften beruht, ist daran zu erkennen, dass auf sehr glattem Boden, etwa auf Eis, schnelles Gehen unmöglich ist. Es ist zu beachten, dass der Körper nur vermöge seines Gewichtes hinreichend starke Reibungswderslände am Boden findet, um sich durch Gehen fortzubewegen. Steht man bis zum Halse im Wasser, sodass der grösste Theil .des Körper- gewichtes durch den Auftrieb des Wassers aufgehoben wird, so ist es unmöglich zu gehen, weil die schiebenden Beine den Körper heben statt ihn vorwärts zu treiben. Die Thätigkeit der Beine im Einzelnen. Um die Gang- bewegung im Einzelnen darzustellen, darf man nicht vom Still- stand ausgehen und den Anfang der Gangbewegung ins Auge fassen wollen, sondern man muss den Körper mitten in der Gaug- bewegung im gehenden Zustande betrachten. T)ckanntlich ist die Form der Gehbewegung eine periodisch abwechselnde, sodass nach Gangbewegung. 445 einem Doppelschritt der Körper wieder in dieselbe Stellung kommt, in der er vor dem Doppelschritt gewesen ist. Die Thätigkcit jedes Beines ist am besten in drei Perioden oinziitheilcn, in die des Schwingens, des Stiitzens und des Stemmens. Periode des Schwingens. Stellt man sich einen Menschen bei schnellem Gange in dem Augenblick vor, wo der rechte Fuss den Boden verlässt, so ist dies für den rechten Fuss der Beginn der Periode des Schwingens. Das Knie wird leicht gebeugt, der Fuss dorsal llcctirt, und das Bein wird an dem andern vorbei nach vorn geführt, indem es zugleich gestreckt wird. Während dieser Periode ist natürlich der Körper, von dem linken Bein unterstützt, ein Stück vorwärts gerückt, sodass das linke Bein stark vorwärts geneigt ist, und der Körper vorwärts zu fallen droht. Dies wird dadurch verhindert, dass die Periode des Schwingens für das rechte Bein ihr Ende erreicht, indem das Bein mit dorsalflectirtem Fuss mit dem Hacken auf die Erde gesetzt wird und nunmehr die Rolle des Stützbeins übernimmt. (Vgl. Fig. 63.) Periode des Stützens. In dem Augenblick, wo das Bein auf den Boden trifft, ist es weit vor dem Körper vorgestreckt; es steht also schräg nach rückwärts geneigt, und da der Körper im Augenblick zuvor nur von dem stark nach vorn geneigten linken Bein unterstützt war, liegt in diesem Augenblick der Kör- ])er überhaupt merklich tiefer als bei senkrechter Stellung der Beine. • Indem bei der weiteren Vorwärtsbewegung des Körpers das rechte Bein in die senkrechte Stellung übergeht, muss der Körper gleichsam über dem rechten Fuss als Mittelpunkt einen Kreisbogen beschreiben und sich dadurch auf die Höhe lieben, die er bei senkrechter Stellung des Beines hat. Diese Hebung wird indessen dadurch vermindert, dass das Stützbein, während der Körper den aufsteigenden Theil des Kreisbogens durchläuft, leicht gebeugt und nachdem der Körper den Höhepunkt des Kreisbogens überschritten hat und nach vorn absinkt, wiederum gestreckt wird. Daher betragen die thatsächlich eintretenden Hebungen und Senkungen des Körpers beim Gehen nur etwa 4 cm. \Vgl. Fig. 62.) Periode des Stemmens. Von dem Augenblick an, in dem das nunmehr stützende rechte Bein die senkrechte Stellung über- schritten hat, wirkt seine Streckung vorwärtsschiebend, und damit beginnt die Periode des Stemmens. Indem das stemmende Bein sich mit der fortschreitenden Bewegung immer weiter nach vorn neigt, muss es immer mehr gestreckt werden, um den Körper noch weiter schieben zu können. Es wird deshalb die Ferse vom Boden gehoben und mit der Fuss- spitze ein Nachschub gegeben. Nachdem der Fuss durch seine Streckung den Körper soweit wie möglich vorgeschoben hat, wird er wieder angezogen, das Knie wird gebeugt und die Periode des Schwingens beginnt von Neuem. 446 Zeitverhältnisse der Beinbewegung. Auf dem untenstehenden Schema (Fig. 61) i.st die zeitliche Aufeinanderfolge der beschricbcncnßewegungen, nach den ^lessungen von 0. Fischer, durch zwei Linien dargestellt, von denen die TauBendBtel Sekunden — » Fig. 61. — = Sohle steht fest auf. = Fuü schwingt. -wta = FuB berühij den Bodea. t = Bein eteht senkrecht. Rechts Rcchti ILinics 0 38 Eeohts: 1^5 300 ■^1 530 496 Periode des Schwingens 6§3 890 Periode des Stützens Periode des St«nun^ns Links: Periode dos Stützens Periode des Stemmens Periode des Schwingens si obere die Bevs'^egung des rechten, die untere die des linken Beines andeutet. Das Schema stellt einen massig schnellen Gang dar, Fig. 62. Fig. 63. StUUboin und nach Gebr. Wober und 0. Fischer. Hangbein Bewegung des lliimpfes und der Arme. 447 da die Versuchsperson, die 167 cm gross war und 87 cm Bein- länge hatte, 120 Schritte von je 78 cm in der Minute machte, also etwas über 100 ra in der Minute zurücklegte. Da das nach vorn auf die Erde gesetzte Bein zuerst mit dem Hacken den Boden berührt, sich dann mit der ganzen Sohle auf- legt und schliesslich mit der Fussspitze abstösst, so wird diese Thätigkeit des Fusses als ein „Abwickeln" der Sohle vom Boden bezeichnet. Auf Figur 62 sieht man die Stellungen des Beines Wcährend dieser Thätigkeit dargestellt, auf Figur 63 die Stellungen während der Periode des Schwingens. Bewegung des Rumpfes und der Arme. Die Bewegung der Beine beim Gehen ist von Bewegungen des Rumpfes und der Arme begleitet. Wie schon bei der Beschreibung der Beinthätig- keit angegeben wurde, schwankt der Rumpf bei jedem Schritte um etwa 4 cm auf und ab. Ausserdem macht er wegen der ab- wechselnden Thätigkeit der beiden Beine seitliche Schwankungen, indem er sich bei jedem Schritt nach der Seite des eben stützen- den Beines neigt. Ausser diesen von der Beinthätigkeit ab- hängigen Schwankungen macht der Rumpf beim gewöhnlichen Gehen in unmerklich geringem IMaasse dieselben Drehungen, die bei eiuem schlendernden oder stolzircnden Gange merklich hervor- treten. Die Hüfte wird bei jedem Vorschwingen des Beines etwas vorgeschoben, dagegen die Schulter zurückgenommen. Die Schwingung der Arme entspricht dieser Schulterbewegung, indem der linke Arm zugleich mit dem rechten Bein nach vorn schwingt. Die Bewegungen der Arme sind nicht rein passiv, son- dern sie werden durch Muskelbewegungen hervorgerufen, um die Schwankungen des Rumpfes zu hemmen. Dies macht sich in überzeugender Weise bemerkbar, wenn man mit ruhig gehaltenen Armen schnell zu gehen versucht, denn die Schwankungen des Rumpfes werden dann so stark, dass sich ein Gefühl mangelnden Gleichgewichts einstellt. Schnelles Gehen. Lauf. Die Zeitverhältnisse der be- schriebeneu Bewegungen können, je nachdem schneller oder lang- samer gegangen wird, sehr verschieden sein. Die Gebrüder AVeber bezeichnen als „gravitätischen Schritt" die Gangart, bei der beide Füsse gleichzeitig längere Zeit hindurch auf dem Boden stehen, als bei jedem Schritt der eine durch die Luft geführt wird. Bei schnellem Gange berühren dagegen die Füsse nur einen Augenblick gleichzeitig den Boden, denn indem der eine mit dem Hacken zur Erde kommt, stösst schon der andere mit der Fuss- spitze ab. Dies ist schon in dem oben gegebenen Schema zu er- kennen, bei dem die Zeit, während der die linke Fussspitze noch abstösst und die rechte Ferse schon den Boden berülirt, nur ein Fünftel von der übrigen Schrittdauer beträgt. Um schneller zu gehen, kann sowohl die Zaiil der Schritte in der gleichen Zeit er- höht, als auch die Schrittlänge vermehrt werden. Gewöhnlich ge- schieht beides zugleich. Da bei längeren Schritten die Beine M8 Lauf. weiter ausgreifen müssen und mithin schräger stehen, befindet sich dabei der Körper etwas niedriger über dem lioden als bei lang- samem Gehen. Da ferner die Stosswirlcung des abstossenden Beines kräftiger sein muss, Avird der Oberkörper et-was vornüber geneigt. Wenn nun bei schnellstem Gange der eine Fu.ss den Boden schon verlcässt, während der andere eben erst hingesetzt wird, so bildet dies einen anscheinend ganz glatten Uebergang dazu, dass der eine Fuss den Boden verlässt, ehe der andere auf den Boden kommt. So glatt sich dieser Uebergang in der Theorie vollzieht, so scharf ist praktisch der eine Fall vom andern zu scheiden. AVenn nämlich der eine Fuss sich hebt ehe der andere anf den Boden kommt, so sind eine Zeit lang beide Füsse in der Luft, und während dieser Zeit niuss die Wirkung der Schwere auf den Körper durch eine ihm vorher mitgetheilte Geschwindigkeit nach oben ausgeglichen werden. Die Zeit während der der Körper schweben soll mag nun nocli so kurz sein, so tritt hierdurch doch ein sehr merklicher Unterschied in Form und Stärke der Bewegung gegenüber der einfachen Gehbewegung ein. Dies lässt sich schon sprachlich sehr einfach ausdrücken: An Stelle des Schrittes tritt ein Sprung. Auf diesem Umstand beruht die Unterscheidung zwischen „Gehen" und „Laufen". Beim Gehen berührt immer wenigstens ein Fuss den Boden, beim Laufen schwebt, wenigstens einen Augenblick, der Körper frei in der Luft. Fig. 64. Pliototji-aiiliiselio Moineritbilder eines Lilufers. nach Marey. Die Geschwindigkeit, durch die der Körper in die Luft ge- schleudert wird, erliält er durch die Streckkraft des abstossenden Beines. Je schneller nun der Lauf sein soll, um so kürzere Zeit verweilt jeder Fuss am Boden, und um so grösser ist die Strecke, die der Körper lliegcnd zurücklegen muss. Während beispielsweise bei langsamem Lauf etwa 10 Schritte von je 1 m in 5 Secunden Ortsbewegung des Pferdes. 449 ausgeführt werden, können beim schnellsten Lauf in derselben Zeit gegen SOSchritte von je 2 m gemacht werden. Mit jedem einzelnen Ab- stoss rauss also bei schnellerem Lauf in kürzerer Zeit eine grössere Arbeit geleistet werden. Hieraus erklärt sich, dass die Anstrengung mit wachsender Geschwindigkeit des Laufes in ganz ausserordent- lich schnellem Maasse zunimmt. Um die überaus kräftigen Ab- stösse richtig aufzunehmen, muss der Körper bei raschem Laufe sehr weit vornübergeneigt gehalten werden. Muskelthätigkeit beim Gehen. Pendeltheorie. AVenn schon zum Stehen so viele Muskeln in bestimmter Weise zusammen- wirken müssen, dass es unmöglich erscheint, ihre Wirkung im Einzelnen nachzuweisen, so gilt dies in noch viel höherem Maasse vom Gehen. Auf den in Bewegung begrilfenen Beinen muss der schwankende Oberkörper immer wieder ins Gleichgewicht gebracht werden, während er durch die Stemm- und Stützarbeit der Beine stossweise vorwärts getrieben wird. Nur Ein Theil der Geh- bewegung erfolgt unter einfacheren Bedingungen, nämlich das Vor- schwingen des frei durch die Luft geführten Beines. Bis vor Kurzem wurde angenommen, dass diese Bewegung ohne jede Muskelthätigkeit als freie Pendelschwingung vor sich gehe. Die Gebrüder Weber hatten diese Anschauung gewonnen, und durch verschiedene Beobachtungen, vor Allem durch den Hinweis auf die grosse Gleichmässigkeit der Schrittdauer wahrscheinlich gemacht. Sie wird daher allgemein als die „Weber'sche Pendeltheorie des Ganges" bezeichnet. In neuester Zeit ist indessen nachgewiesen Avorden, dass die Form der Bewegung, die das Bein thatsächlich ausführt, nicht die Form einer Pendelschwingung hat, dass also ausser der Schwere auch noch Muskelkräfte auf das schwingende Bein einwirken müssen. Ortsbewegung des Pferdes. Bei den Vierfüssern ist die Mechanik der Bewegung insofern einfacher als beim Menschen, als das Gleichgewicht auf vier Stützpunkten sehr viel leichter zu er- lialten ist als auf zweien. Die Form der Bewegung ist aber natür- lich viel verwickelter, da es sich um die gleichzeitigen Orts- veränderungen von vier Extremitäten handelt. Indessen lässt sich diese Schwierigkeit zum Theil beseitigen, indem man die Bewegung des Vierfüssers wie die zweier hintereinander hergehender Zweifüsser l»e trachtet. Neben der Streckkraft des abstossenden Beines wirkt beim \ierfüsser schon das blosse Zurückschieben der Beine als ein wesentlicher Antrieb mit. In der Ruhe stehen alle vier Füsse senkrecht, und bilden mit der Längsaxe des Körpers rechte Winkel. Werden nun durch Muskelwirkung die Beine in schräge Stellung gebracht, das heisst, der vordere Winkel zwischen Beinen und Leib vergrössert, so muss dadurch der Körper nach vorn geschoben werden. Im Uebrigen gelten etwa dieselben Betrachtungen für die Be- wegung jedes ßeinpaares des Vierfüssers, wie für die Bewegung It. du Bois-Reymoiid, Physiologie. 450 Ortsbewegung des Pferdes. der Beine des Menschen. Insbesondere wird bei jedem Schritt, wie es die nebenstehenden Figuren (65 u. 66) vorfüliren, der Körper gehoben und gesenkt. Beim Vorschwingen des Beines wird Fig. 65. B Das stutzende und abstossende Hinterbein des Pferdes. Fig. 66. Ausschreitendes und stutzendes Vorderbein des Pferdes. die Beugung durcli die sclion oben im Abschnitt über die Gelenke erwähnte Einrichtung der Wechselgelenkc unterstutzt. Gangarten des Pferdes. 451 Ebenso wie beim Menschen Gehen und Laufen, unterscheidet man beim Vierfüsser drei Haaptgangarten: Scliritt, Trab, Galopp. Es soll im Folgenden nur vom Pferde die Rede sein. Gangarten des Pferdes. Die Bewegung der einzelnen Beine bei den verschiedenen Gangarten des Pferdes lässt sich durch folgende einfache Regeln mit annähernder Genauigkeit an- geben : Beim Schritt ist immer jedes Plinterbein dem Vorderbein der- selben Seite um einen Halbschritt voraus. Die beiden Vorderbeine und die beiden Plinterbeine weciiseln mit einander ab wie die Beine des gehenden Menschen. Beim Trab bewegen sich die diagonal gestellten Extremitäten zugleich. Beim Galopp hebt sich zuerst ein Hinterbein, dann das andere und zugleich das gegenseitige Vorderbein, zuletzt das andere Vorder- bein. Der Körper schwebt dann eine Zeit lang 'im Sprunge frei in der Luft, dann kommen die Beine in derselben Reihenfolge auf den Boden, in der sie sich gehoben hatten. Eine vierte Grundform ist der ,, Passgang", bei dem sich die gleichseitigen Beine gleichzeitig bewegen. Es wird mitunter noch eine fünfte Grundform angenommen, die nur beim allerschnellsten Lauf, insbesondere beim Durchgehen der Pferde angeschlagen werden soll. Sie soll aus einer Folge von Sprüngen von der Hinterhand auf die Vorderhand bestehen, wie sie die kleineren Thiere, Hasen, Hunde, Katzen bei schnellem Laufe machen. Durch diese Angaben sind indessen die Gangarten nur ihren Grundzügen nach gekennzeichnet. In Wirklichkeit treffen die an- gegebenen Zeitverhältnisse nicht vollkommen genau zu. So brauchen zum Beispiel beim Trab die diagonal gegenüberstehenden Beine sich nicht genau gleichzeitig zu bewegen, sondern es kann das Hinterbein dem gegenseitigen Vorderbein ein Wenig voraus sein, oder ein AVenig später bewegt werden. Ausserdem nehmen die Gangarten je nach der Geschwindigkeit sehr verschiedene Formen an, sodass ausser den genannten Gangarten noch eine ganze Reihe Abarten unterschieden werden können. Die A'erschiedene Bewegung der Beine bei Schritt, Trab und Galopp bedingt bestimmte Bewegungen des Gesammtkörpers. Ln Schritt sind immer zwei Beine auf dem Boden, und zwar der Reihe nach etwa zuerst die beiden Beine einer Seite, dann das eine Diagonalpaar, dann beide Beine der andern Seite, und dann das andere Diagonalpaar und wiederum wie vorher. Folgendes Schema stellt die angegebene Reihenfolge der Stützung vor Augen: 29* 452 Gangarten des Pferdes. Stützung des Pferdes im Schritt. I. II. III. IV. Linke Seite LH LH LV LV Gangrichtung Rechte Seite KH RY RV RH Y. f = I.) RH KV Während der Zeiträume, in der die Beine derselben Seite den Körper unterstützen, muss der Schwerpunkt nacli der betreffenden Seite hinüber verlegt werden, und der Körper sehwankt daher ab- wechselnd nach rechts und links. Beim Trab ist der Körper abwechselnd durch die Diagonal- beinpaare unterstützt und schwankt daher nicht merklich nach der Seite. Je schneller das Pferd trabt, desto kürzer ist die Zeit, Wcährend der die Füsse den Boden berühren im Vergleich zu der, während der sie in der Luft sind; bei sehr schnellem Trabe ist sie nur etwa halb so lang, und es folgt dann immer auf eine Periode, in der das eine Diagonalpaar auf dem Boden steht, eine ebenso lange Periode, während derer alle vier Beine schweben, dann eine, während deren das andere Diagonalpaar auf dem Boden Fig. 67. Die obere Reihe zeigt Kurzer Galopp nach Photogrnphieen von Anschlltz. den Absprung, die untere das Zurllckkoramen auf den Boden. An achte Bild schliesst sich wieder das erste. das Gangarten des Pferdes. 453 steht, dann wieder eine Periode des Schwebens und so fort. Der Trab ist demnach dem Lauf der Mcnsclien zu vergleichen. Die Bewegungen beim Galopp sind viel verwickelter als beim Schritt und Trab, weil nicht Vorderbein mit Vorderbein und Hinter- bein mit Hinterbein gleichmässig abwechselt, sondern erst ein Hinterbein, dann das andere und das gegenseitige Vorderbein, end- lich das zweite Vorderbein arbeitet. Die Bewegung beim Galopp wird dadurch unsymmetrisch, und man unterscheidet daher Links- galopp und Rechtsgalopp. Gewöhnlich wird der Rechts- und Links- galopp danach unterschieden, welches Vorderbein sich zuerst hebt. Hierbei darf man nicht auf das sogenannte „Angallopiren", das heisst den Anfang des Galopplaufs achten, weil dieser je nach der vorhergehenden Gangart verschieden sein kann, sondern man muss sich nach der Bewegung des im Galoppiren begriffenen Pferdes richten. Ein besseres Unterscheidungsmerkmal ist die Stellung des Pferdeleibes. Weil nämlich der Hauptantrieb durch den nahezu ■gleichzeitigen Abstoss eines Hinterbeines und eines Vorderbeines gegeben wird, stellt sich das Pferd in die Richtung dieses Bein- paares, also schrjig gegen die Richtung des Laufes ein. Daher be- steht eine der „Hülfen", durch die der Reiter das Pferd veran- lassen kann Links- oder Rechtsgalopp zu gehen, darin, dass er den Kopf des Pferdes nach links oder rechts herumnimmt. Das Pferd steht also beim Linksgalopp etwas nach links gewendet, die linke Schulter nach vorn gerichtet. Bei jedem einzelnen Galoppsprung hebt sich zuerst das linke Hinterbein, dann das rechte Hinterbein und linke Vorderbein zugleich, zuletzt das rechte Vorderbein. In derselben Reihenfolge kommen die Füsse wieder auf den Boden, also zuerst das eine Hinterbein, dann ein Diagonalpaar, dann das zweite Vorderbein. Daher hört man beim gewöhnlichen Galopp drei Schläge, bei schnellerem Galoppiren aber nähern sich die Zeitpunkte des Aufschlagens der beiden Hinterfüsse einander immer mehr, sodass man nur zwei Schläge wahrnimmt. Daher wird die schnellste Gangart auch als „Carriere" vom Galopp unter- schieden. Der Passgang kann von der kleinsten bis zur grössten Ge- schwmdigkeit in fast unveränderter Form beibehalten werden. Es ändert sich dabei nur das Verhältniss der Zeit, während der die Beine den Boden berühren zu der, während der sie in der Luit sind. Ob die fünfte erwähnte Bewegungsform, der Sprung von den Hinterbeinen auf die Vorderbeine, wirklich vorkommt, ist mindestens zweifelhaft, da nach Augenblicksbildern selbst die Rennpferde beim Wettrennen immer mit den Plinterbeinen zuerst auf den Boden kommen. Beim Sprung über Hindernisse kann das Pferd aller- dings von den Hinterbeinen abspringen und auf die Vorderbeine lierunterkommen. 454 Schallbewegung. Stimme und Sprache. Schallbewegung. Noch einen besonderen Gegenstand der Bewegungslehre bilden die Bewegungen des Kehlkopfs der Säugc- thiere und Vögel, die dazu dienen Töne hervorzubringen. Die Physik lehrt, dass der Schall nichts Anderes ist als eine schwin- gende Bewegung von Massen. An einer angeschlagenen gespannten Saite kann man die Bewegung in Form hin- und hergehender Schwingung unmittelbar wahrnehmen. Die Schallbewegung kann sich von einem schwingenden Körper aus auf andere und auch auf die Luft übertragen. Die Schallwellen der Luft be- stehen in abwechselnder Verdichtung und Verdünnung, die in der Richtung fortschreitet, in der sich der Schall ausbreitet. "Wenn zum Beispiel eine Saite tönt, so bewirkt sie, indem sie nach einer Richtung schwingt, eine Verdichtung, und indem sie zurückschwingt eine Verdünnung" der Luft. Sie zwingt dadurch die Lufttheilchen hin- und herzupendelu. Diese Bewegung theilt sich mit grosser Geschwindigkeit immer entfernteren Luftschichten mit, deren Theil- chen nun ebenfalls hin- und herschwingen. Da aber die entfernten Luftschichten später in Bewegung gesetzt wurden, so schwingen die Theilchen nicht alle gleichzeitig und ihre Entfernung von em- ander bleibt daher nicht gleich. So entsteht durch Hin- und Zurückschwingen jedes einzelnen Lufttheilchens an seinem Ort mi Ganzen der Zustand, dass immerfort abwechselnd Verdichtungs- schichten und Verdünnungsschichten von der Schallquelle aus nach allen Seiten in den Raum hinaus laufen. ]\Ian nennt diese Art der Wellenbewegung, bei der die Schwingungen in derselben Rich- tung vor sich gehen, in der die Bewegung fortschreitet, Longi- tudinalwellen. nix- z t Solche Luftwellen können nun nicht nur durch tonende teste Körper hervorgerufen werden, sondern auch dadurch, dass ein Luftstrom sich an passend geformten festen Körpern bricht. Auf diese Weise wird der Ton in den Instrumenten erzeugt, die man als „Lippenpfeifen" bezeichnet, zu denen die Orgelpfeifen, die Flöten und andere mehr gehören. j t Zungenpfeifen. Eine Zwischenstellung zwschen den In- strumenten, die den Schall durch Schwingungen fester Körper er- zeugen, und den Lippenpfeifen, bei denen die Schallwellen in der Luft selbst entstehen, nehmen die „Zungenpfeifen'' ein. _ Bei diesen streicht der Luftstrom durch eine Spalte, vor der eme schmale federnde Platte, „die Zunge", angebracht ist, die der Lufts rom in Schwinguniren versetzt. Diese Schwingungen würden an sicli kanm einen hörbaren Ton hervorrufen, sie dienen ^^elnlehr nur dazu den Spalt, durch den die Luft hindurchgeblasen wird abwecliselnd zu veren-cn und zu erweitern. Dadurch wird der Lultslrom m eine Reilic^inzelner sehr schnell auf einander folgender Stesse gethei t, sodass die ganze der Pfeife entströmende Luftsäule aus einer Reihe abwechselncf dichterer und dünnerer Luftschichten besteht, oder Lai-yngoslcopie. 455 mit anderen Worten, in Longitudinalschwingungen versetzt ist. Solche Zungenpfeifen sind die Pfeifen der Mundharmonika, die Kindertrompeten, die nur einen Ton haben, und unter den Orchester- instrumentcn die Khirinetten. Der Kehlkopf als membranöse Zungenpfeife. Dieser Art Pfeifen reiht sich der Kehlkopf der Thiere als tonerzeugendes Instrument an. Es ist zwar keine eigentliche „Zunge" vorhanden, aber da die Ränder der Stimmritze, durch die die Luft hindurch streicht, elastisch sind, können sie selbst in Schwingungen gerathen und übernehmen so die Rolle der ,, Zunge". Daher pflegt man den Kehlkopf nicht schlechtweg zu den Zungen- pfeifen zu rechnen, sondern ihm als „membranöse Zungenpfeife" eine besondere Stellung im System der musikalischen Instrumente einzuräumen. Künstliche membranöse Zungenpfeifen werden nur zu Versuchs- zwecken benutzt. Man stellt sie her, indem man über die Oeffnung einer Rölire zwei Stücke Gummiraembran so festbindet, dass ihre Ränder einen ganz schmalen Spalt zwischen sic]^ lassen. Zum Beweis dafür, dass der thierische Kehlkopf thatsächlich mit den künstlichen Instrumenten von Menschenhand verglichen werden darf, dient ein Versuch, der mitunter nach Johannes Müller schlechthin als der „MüUer'sclie Versuch am Kehlkopf" bezeichnet wird. Ein ausgeschnittener Kehlkopf wird mit dem Stumpfe der Luftröhre auf einer Röhre festgebunden. Die Giess- beckenknorpel werden durch einen quer hindurchgestossenen Pfriemen an einem feststehenden Stützbalken befestigt. Nun wird in den Winkel der Schildknorpel, dicht über der vorderen An- heftungsstelle der Stimmbänder ein Häkchen eingehakt, an dem vermittelst eines über eine Rolle laufenden Fadens ein Gewicht zieht. Durch den Zug des Gewichtes wird die natürliche Spannung der Stimmbänder nachgeahmt. Bläst man dann die Röhre kräftig an, so entsteht ein Ton und zugleich kann man mit dem blossen Auge deutlich sehen, wie die Stimm- bänder auseinander getrieben werden und in schwingende Bewegung gerathen. Laryngoskopie. Man kann sich ferner auch am lebenden Thier und sogar beim Menschen leicht überzeugen, dass die Ton- erzeugung im Kehlkopfe auf diese Weise vor sich geht. Bei Hund und Katze ist der Rachen so weit, und der Kehlkopf liegt so dicht an der Zungenwurzel, dass man dem Versuchsthier nur den Kopf in den Nacken zu beugen, die Zunge hervorzuziehen, und die Epiglottis mit einem eingeführten Instrumente an die Zungenwurzel zu drücken braucht, um ohne Weiteres in den Kehl- kopf hineinsehen zu können. Man sieht dann, wie vor jeder Stimmgebung die Stimmbänder so dicht aneinander gebi'acht werden, dass nur ein ganz schmaler Spalt offen bleibt, und wie sie während der Stimmgebung in zitternder Bewegung sind. 456 Kehlkopfspiegel. Beim Menschen und bei anderen Thieren kann man nicht so leicht in den Kehlkopf hineinsehen, und man bedient sich als Hülfsmittel des sogenannten Kehlkopfspiegels oder Laryngo- skops, eines Spiegclchens von 1 — 2 cm Durchmesser, das an einem Fig. 68. Fig. 69. a c 1) Kelilkopfbild beim Anlauten. Kelilkopf bild beim Einathmen. a walires, b falsches Stimmband, c Kehldeckel. Stiel von passender Länge bis an die Gaumenbögen oder gar bis an die hintere ^^achenwand vorgeschoben werden kann, sodass bei passender Winkelstellung darin das Bild der Stimmritze und selbst der Luftröhre bis zur Theilungsstelle hinab erscheint. Zur Beleuchtung des Kehlkopfinnern wird in derselben Richtung, in der der Beobachter auf das Spiegelchen blickt, der Lichtstrahl einer Lampe auf den Spiegel geworfen und von da in das Kehl- kopfinnere reflectirt. Damit das Licht in der Blickrichtung einfalle pEegt man einen durchbohrten Hohlspiegel an einem Stirnband vor das Auge zu nehmen, und die Lampe hinter der zu untersuchenden Person aufzustellen. Das Licht fällt dann auf das mit dem Hohl- spiegel versehene Auge des Beobachters, und wird von da auf den kleinen Spiegel im Schlünde der zu untersuchenden Person reflec- tirt. Zugleich sieht der Beobachter durch die Bohrung des Hohl- spiegels nach dem kleinen Spiegel und erblickt darin das be- leuchtete Bild des Kehlkopfinnern. Beim Pferde reicht diese Vorrichtung nicht aus, weil der Kehlkopfeingang sehr weit vom Maule entfernt liegt und sehr eng ist Man führt daher ein röhrenförmiges Laryngoskop, dessen vorderes Ende ein reflectirendes Prisraa enthält, durch die J^ase in den Rachenraum ein. Für manche Untersuchungen an 1 liieren kann man sich dadurch helfen, dass man unterhalb des Kehlkopts die Luftröhre öffnet und die Stimmbänder von unten her beob- achtet, m ■ T-„l 1 Nachdem nachgewiesen ist, dass die Tonerzeugung im Kehl- kopf im Allgemeinen wie in einer Zungenpfeife vor sicli geht, ist nun zu fragen, wie die Veränderungen de.s Tones entstehen, durch die die Stimme ihre Ausdrucksfcihigkeit ei- langt Diese Veränderungen betreffen erstens die Hohe des ent- stehenden Tones, zweitens seine Stärke, drittens die sogenannte Klanirfarbe. Klangfarbe. 457 Höhe, Stärke und Klangfarbe des Tones vonmembra- nösen Zungenpfeifen. Durch Versuche an künstlich hergestellten membranösen Zungenpfeifen kann man sich leicht überzeugen, dass die Tonhöhe in erster Linie von der Länge der schwingenden Ränder ab- hängt, in zweiter Linie von ihrer Spannung, und in dritter auch von der Stärke des Luftstroms, mit dem die Pfeife angeblasen wird. Ton- höhe ist gleichbedeutend mit Schwingungszahl, und es ist bekannt, dass längere Körper langsamer schwingen als kürzere. Ebenso ist klar, dass mit zunehmender Spannung der schwingenden Merabran- ränder die Schwingungszahl zunehmen muss, weil dabei die Kraft, die auf die schwingende Masse wirkt, grösser ist. Aus demselben Grunde hat auch die Stärke des Anblasens auf die Tonhöhe der membranösen Zungenpfeifen Einfluss, denn bei stärkerem An- blasen treibt der Luftstrom die Ränder der Membran vor, und er- theilt ihnen dadurch eine höhere Spannung. Im Uebrigen bedingt die Stärke des Anblasens auch die Grösse der Ausschläge der Membran und somit die Stärke des Tones. Was endlich die Klangfarbe betrifft, so führt man diese darauf zurück, dass in den meisten Klängen neben dem Grundton, der die Tonhöhe bestimmt, noch ein oder mehrere höhere Töne, sogenannte Obertöne mitklingen. Den Begriff des Grundtones und der Ober- töne kann man sich am einfachsten deutlich raachen, indem man an die Schwingungen einer nicht zu straff gespannten Saite denkt, die man leicht mit dem Auge wahrnehmen kann. Wird die Saite in der Mitte angerissen, so schwingt sie in ihrer ganzen Länge mit einer bestimmten Schwingungszahl und giebt den entsprechen- den Grundton. Reisst man sie aber in einem der Viertelpunkte an, so geräth jede Hälfte für sich in doppelt so schnelle Schwin- gungen; es entsteht in jeder Hälfte der Saite ein besonderer „Schwingungsbauch" während die Mitte der Saite als „Schwingungs- knoten" in Ruhe bleibt. In diesem Falle giebt die Saite einen Ton von der doppelten Schwingungszahl, ihren „ersten Oberton". In ähnlicher Weise können auch die Schwingungen der Zungen- pfeifen sich in Schwingungen von kürzerer Periode theilen, sodass Obertöne auftreten. Im Allgemeinen entstehen immer zugleich mit dem Grundton ein oder mehrere Obertöne, die dem Klang des be- treffenden Tones seine besonderen Eigenthümlichkeiten , eben die „Klangfarbe" verleihen. Die Stimmlippen. Ehe nun näher auf die Mechanik der Kehlkopf bewegungen eingegangen wird, durch die die erwähnten Eigenschaften der Stimme bestimmt werden, sei vorausgeschickt, dass die Stimmbänder keine eigentlichen Bänder sind und deshalb auch in neuerer Zeit mit dem richtigeren Namen „Stimmlippen" bezeichnet werden. Die Stimmlippen bilden zwei sagittal ver- laufende Leisten, die mit scharfer Kante in das Innere des Luft- weges vorspringen und diesen bis auf eine schmale Ritze, die Stimmritze, Glottis, verschliessen. Der dickere Aussentheil der 458 Mechanik des Kohlkopfs. Stimmlippen wird vom Musculus thyreoarytaenoideus internus ge- bildet. Die innere Kante besteht aus einem Streifen elastischen Gewebes, und das Ganze wird von der Kelilkopfsclileirahaut über- zogen, die an dieser Stelle Plattenepithel aufweist. Mechanik des Kehlkopfs. Die Spannung der Stimmlippen ist von" der Stelhing der Kehlkojjflcnorpel gegeneinander abhängig. Die Kehlkopfknorpel werden bekanntlich in der Anatomie als Ringknorpel, Scliildknorpel und Giessbeckenknorpel unterschieden. Man hat für diese nur von der äusseren Gestalt hergenommenen Namen die Bezeichnung Grundknorpel, Spannknorpel und Siell- knorpel einführen wollen, um die physiologische Bedeutung der einzelnen Theile des Kehlkopfgerüstes zu kennzeichnen. Es ist aber falsch, den Ringknorpel zum „Grundknorpel" den Schild- knorpel zum „Spannknorpel" naachen zu wollen, weil eben der Schildknorpel die eigentliche Grundlage des ganzen Gerüstes ab- giebt, während der Ringknorpel bewegt wird, um die Stimnilippen zu spannen. Der Schildkuorpel ist mit dem Ringknorpel durch seine unteren Fortsätze gelenkig verbunden und zwar so, dass der Ringknorpel um eine Queraxe, die durch die beiden Gelenke geht, gegen den Schildknorpel gedreht werden kann. Man kann die Be- wegung des Ringknorpels gegen den Schildknorpel anschaulich mit der Bewegung des Unterkiefers gegen den Oberkiefer vergleichen. Der Zwischenraum vorn zwischen Scliildknorpel und Ringknorpel entspricht bei diesem Vergleich der Mundsjialte. Die I^Iusculi cricothyreoidei, die den Ringknorpel gegen den Schildknorpel herauf- ziehen, würden etwa mit den Masseteren zu vergleichen sein. Nun sind die Stimmlippen vorn an der Innenseite des Winkels zwischen den beiden Schildknorpeln angeheftet, hinten an den Giessbecken- knorpeln, die auf der hochragenden Platte des Ringknorpels be- festigt sind. Wenn die Cricothyreoidei sich zusammenzielieu, und den vorderen Theil des Ringknorpels gegen den Schildknorpel emporziehen, so muss der obere Rand der RingknorpelplatTe und mit ihm das Giessbeckenknorpelpaar nach hinten rücken, und die Stimmlippen werden angespannt werden. Ausserdem sind aber auch die Giessbeckenknorpel auf der Platte des Ringknorpels beweglich. Die Gelenkflächen des Ring- knorjiels sind Abschnitte von Vollcylindern mit von oben medial hinten nach unten lateral vorn verlaufender Axe. Die Giessbecken- knorpel sind mit einer erheblich kleineren Hohlcylinderfläche durch eine weite schlaffe Gelenkkapsel an den Ringknorpel be- festigt. Sie können um die Cylindcraxe nach vorn innen oder iiinten aussen kippen, ausserdem seitlich verschoben und schliess- lich auch um ihre Längsaxe gedreht werden. Da die Stimm lippen am Ende des von den Giessbeckenknorpeln ziemlich weit vorstehenden Processus vocalis angeheftet sind, wird ihre Lage durch die Bewegung der Giessbeckcirknorpel stark verändert. Die Bewegung der Giessbeckenknorpel wird durch eine ganze Reihe Phonation. 459 kleiner Muskeln beherrsclit, deren Wirkungsweise noch nicht völlig aufgeklärt ist. Als sicher darf gelten, dass die Musculi crico- arytaenoidei laterales dre Giessbeckenlaiorpcl nach hinten über- ziehen und dadurch die Stimmlippen anspannen. Ebenso ist ge- wiss, dass die Cricoarytaenoidei postici die äusseren Kanten der (jriessbeckenknorpel nach hinten und innen ziehen und dadurch die Processus vocales nach aussen auseinander spreizen. Die Stimm- ritze erhält daher durch die Thätigkeit dieser Muskeln Eautenform, indem sich vorn zwischen den Stimmlippen ein dreieckiger Raum, die sogenannte Glottis vocalis, hinten ein ebenfalls dreiecldger Raum zwischen den Processus vocales, die Glottis respiratoria, öHnet. üeber die Thätigkeit der kleinen zwischen den Giessbecken- knorpeln verlaufenden Muskeln ist dagegen nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Wenn sie alle gemeinsam thätig sind, müssen sie jedenfalls die Knorpel eng an einander ziehen und zum Schluss der Glottis beitragen. Bewegung des Kehlkopfs bei der Phonation. Diese Angaben können durch Versuche am ausgeschnittenen Kehlkopfe bestätigt werden, indem man die einzelnen Muskeln elektrisch reizt und die entstehenden Bewegungen beobachtet. Der Einfluss der Muskeln auf die Tonerzeugung lässt sich am einfachsten durch den oben beschriebenen Müller'schen Versuch nachweisen, bei dem der Muskelzug durch den Zug eines Gewichtes ersetzt wird. Man kann sich leicht überzeugen, dass bei ungefähr gleichem Anblasen der entstehende Ton um so höher ist, je grösser das angewendete Gewicht. Bläst man bei gleichbleibendem Gewicht stärker an, so wird der Ton etwas höher, man kann ihn aber leicht wieder trotz des stärkeren Anblasens auf seine ursprüngliche Höhe bringen, indem man das die Stimmlippen spannende Gewicht verringert. Endlich kann man durch Beobachtung mit dem Kehlkopf- spiegel feststellen, dass beim Singen hoher Töne die Stimmlippen stärker gespannt werden, und dass dabei die Giessbeckenknorpei in derselben Weise nach hinten gezogen sind, wie es bei Reizung der Cricoarytaenoidei postici am ausgeschnittenen Kehlkopf der fall ist. Die Wirkung des Cricothyreoideus auf die Tonbildung lässt sich durch folgenden Versuch am Hunde darstellen: In die Luft- röhre wird unterhalb des Kehlkopfs eine weite Röhre eingebunden, durch die man den Kehlkopf, der in seiner natürlichen Lage ver- bleibt, anblasen kann, wie einen ausgeschnittenen Kehlkopf beim Müller'schen Versuch. Beim Anblasen entsteht im ruhenden Kehlkopf nur ein zischendes Geräusch. Reizt man nun die beiden Nn. recurrentes, die die zu den Giessbeckenknorpeln verlaufenden Muskeln erregen, so entsteht beim Anblasen ein ziemlich tiefer, in günstigen Fällen aber reiner und voller Ton. Reizt man gleicli- zeitig die beiden Laryngei superiores, die die Cricothyreoidei er- regen und mithin den Ringknorpel gegen den Scliildknor])el empor- ziehen, so ist der Ton beim Anblasen beträchtlich höher. Man 460 Höhe und Umfang der Stimme. sieht aus diesen Versuchen, dass die Kchlkopfmuskein auch im lebenden Körper thatsächlich die Wirkungen ausüben, die ihnen nach den Untersucliungcn am ausgeschnittenen Kehlkopf zuge- schrieben worden sind. Höhe und ümfang der Stimme. Auf die beschriebene AVeise beherrscht die Mechanik des Kehlkopfs die Tonhöhe der Stimme, innerhalb gewisser Grenzen, die vor allem durch die Grösse des Kehlkopfs gegeben sind. Die Schwingungszahl niem- branöser Zuiigenpfcifen und mithin auch des Kehlkopfs ist, wie oben angegeben, in erster Linie bestimmt durch die Länge der schwingenden Merabranränder. Grössere Thiere, deren Stimmlippen länger sind, haben daher im Allgemeinen tiefere Stimmen als kleinere. Auf der Länge der Stimmbänder beruht der Unterschied zwischen der männlichen und weiblichen Stimme. Die Länge der Stimmlip))en bei Männern verhält sich zu der bei Weibern etwa wie 3 zu 2. Dieser Unterschied, der natürlich viel grösser ist als der Unterschied der Körpergrösse im AJlgemeinen, entsteht erst beim Eintritt der Geschlechtsreife dadurch, dass der Kehlkopf bei männlichen Individuen unverhältnissraässig stark an Grösse zu- nimmt, während er bei weiblichen nur im Verhältniss zu den übrigen Körpertheilen wächst. Mit der Längenzunahme der Stimm- lippen stellt sich die männliche Bassstirame ein. Den Uebergang von der hohen Knabenstimme zur tiefen Männerstimme nennt man „Mutiren" der Stimme. Auch bei den Thieren, bei denen der Gebrauch der Stimme vielfach in unverkennbarer Beziehung zu der Geschleehtsthätigkeit steht, findet sich in vielen Fällen derselbe Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Stimme deutlich ausgebildet. Höhenlage und Umfang der menschlichen Stimme. Die Musiker theilen die menschlichen Stimmen, je nach ihrer durch die Länge der Stimmbänder bedingten Höhe in verschiedene Gruppen. Der Bass umfasst die tiefste „Stimmlage" mit Tönen von 80 Schwingungen in der Secunde bis zu 342, der Tenor die nächst höhere von 128 bis 512 Schwingungen. Die höheren Töne des jugendlichen und weiblichen Kehlkopfs werden in die Stimm- lagen Alt mit 171 bis zu 684 Schwingungen, und Sopran mit 256 bis zu 1024 Schwingungen eingetheilt. x\us den angeführten Zahlen ist zu ersehen, dass die Schwingungszahl des tiefsten Tones der Stimme sich zu der des höchsten annähernd wie 1 : 4 verhält. Bei zweimaliger Verdoppelung der Schwingungszahl des tiefsten Tones ergiebt sich also die des höchsten, oder wie die Musiker sagen, der höchste Ton liegt zwei Octaven über dem tiefsten. Dies •entspricht etwa dem normalen Umfang der Stimme. Von beson- ders begabten und geübten Sängern wird berichtet, dass sie einen Stimmumfang von 3Vo Octaven, 106—1152 Schwingungen, be- Compensation der Kräfte. 461 herrschten. Was dies bedeutet, wird erst klar, wenn man aus den- nbigen Angaben entnimmt, dass von dem tiefsten Ton der ^JFänner- stimme bis zum höchsten der Frauenstimme, der Gesammtumfang des menschlichen Tonregisters nur etwa 4 Octaven umfasst. üebrigens kann der Stimmumfang einzelner Menschen über die an- gegebenen Grenzen nach unten und oben beträchtlich hinausgehen, sodass man als tiefsten bekannten Ton menschlichen Gesanges einen Ton von 42 Schwingungen, als höchsten einen Ton von 2048 Schwingungen bezeichnen kann. Stimmregister. Die tieferen Töne des Stimmumfangs werden, ebenso wie die gewöhnlichen Stimmlaute der Sprache, des Schreiens und Rufens, mit der sogenannten „Bruststimme" hervor- iiebracht, die höchsten Töne können dagegen nicht mit der Brust- stimme gesungen werden, und man unterscheidet daher zwei „Stiramregister", von denen das eine die Töne der Bruststimme, das andere die der sogenannten „Kopfstimme" Fistel- oder Falset- stimme umfasst. Bei der Falsetstimme besteht stets ein Gefühl der Anstrengung und der Spannung im Kehlkopf, und sie ist immer viel schwächer und meist auch weniger klangvoll als die Bruststirame. Ueber die Art und Weise, wie die Fistelstimme zu Stande kommt, herrscht jetzt folgende Anschauung: Bei der Brust- stimme schwingen die Stimmlippen in ihrer ganzen Länge und Breite, bei der Fistelstimme dagegen nur die Ränder in mehreren, durch Schwingungsknoten getrennten Abschnitten. Einstellung des Kehlkopfs. Compensation der Kräfte. Innerhalb des ümfanges der Stimme kann jeder Ton durch die- Stellung des Kehlkopfs erzeugt und auch mit grosser Genauigkeit eingehalten und obenein schwächer oder stärker gesungen werden. Die besten Sänger sollen die Spannung ihrer Stimmlippen so genau einstellen, dass die Schwingungszahl nur um 0,3 pCt. zu gross oder zu klein ausfällt. Diese Leistung der Kehlkopfmuskeln kann als hervorragendes Beispiel für die Vollkommenheit gelten, mit der sich die Organe ihren Aufgaben anpassen, um so mehr, wenn man in Betracht zieht, dass die Schwingungszahl, wie oben erwähnt, nicht allein von der Spannung der Stimmlippen, sondern auch von der Stärke des Anblasens abhängig ist. Um den gleichen Ton zu halten oder zu treffen, muss deshalb die Muskelspannung bei stär- kerem Luftstrom etwas vermindert, bei schwächcrem etwas erhöht werden. Die Spannung der Stimmlippen wird im Wesentlichen von den Cricothyreoidei und Cricoarytaenoidei beherrscht, es kommt aber auch die Contraction des in der Stimmlippe selbst gelegenen Thyreoarytaenoideus internus oder Musculus vocalis in Betracht. Man nimmt an, dass eben dieser, indem er sich zusammenzieht, die Spannung der Stiramlippenränder vermindert und dadurch bei starker Stimmgebung den Einlluss des verstärkten Jjuftstroms auf die Tonhöhe aufhebt. Man nennt diesen Vorgang die „Compen- 462 Ansatzrohr. sation der Kräfte" am menschlichen Kehlkopf, weil die Spannung der Stimralippen und die Stärke der Ausathmung dadurcli in das beabsichtigte Verhältniss zu einander gebracht wei'dcn. üebrigens ist zu bemerken, dass, obschon hier immer nur von den eigentliclien Keldkopfmuskeln die Rede gewesen ist, auch die Schlund-, Gaumen- und Zungen bcinmusculatur auf die Stellung und Bewegung des Kehlkopfs Einfiuss haben kann. Wenn man beim Tongeben den Finger auf den Adarasapfel legt, fühlt man, dass der ganze Kehlkopf bei jedem Stimralaute aufwärts oder abwärts gleitet. Bei einer Reihe immer höJier werdender Töne pflegt der Kehlkopf immer höher hinaufzusteigen, bei tiefer werdender Ton- folge umgekehrt. Diese Bewegungen sind indessen bis zu einem gewissen Grade der Willkür unterworfen, da sich die Kunstsänger bei der Ausbildung auf die entgegengesetzte Bewegung einschulen können. Resonanz. Ansatzrohr. Bis hierher ist fast ausschliess- lich von der Höhe des im Kehlkopfe erzeugten Tones, also von der Schwingungszahl der Stimmlippen die Rede gewesen. Die Tonhöhe ist aber wie oben angedeutet, für den Klang der Stimme keineswegs allein maassgebend. Ebensowenig ist für die Erzeugung der Stimmlaute der Kehlkopf allein maassgebend. Vielmehr ist leicht nachzuweisen, dass bei jeder etwas stärkeren Tongebung der ganze Brustkorb mitschwingt. " Diese Erschütterung der Brustwände beim Tongeben ist als sogenannter Fremitus pectoralis oder vocalis ein wichtiges diagnostisches Merkmal bei mehreren krankliaften Zu- ständen der Lunge. Ebenso wie der unterhalb des Kehlkopfs gelegene Luftraum gewissermaassen als Resonanzboden für die erzeugten Töne dient, hat auch der oberhalb des Kehlkopfs gelegene Raum der Rachen-, Mund- und Nasenhöhle einen wesentlichen Einfiuss auf die Stimm- laute. Man kann auch bei künstlichen Zungenpfeifen den Ein- fiuss einer über die tonbildende Spalte fortgesetzten Röhre, des so- genannten „Ansatzrohres" auf die Klangbildung nachweisen, und man bezeichnet deshalb die oberhalb des Kehlkopfs gelegenen Luftwege vom Standpunkte der Stimmphysiologie schlechtweg als das „Ansatzrohr" des Kehlkopfs. Die Wirkung des Ansatz- rohres besteht darin, dass es seiner Form nach die Ent- • stehung von Luftschallwellen von bestimmter Länge und Schwm- gungszahl begünstigt, sodass, wenn bei der Tonbildung solche Wellen etwa als Obertöne in dem entstehenden Tongemisch i vorhanden sind, diese Töne im Vergleich zu den andern stärker . werden und in der Stimme vorklingen. Die Form des Ansatzrohres ^ kann nun durch verschiedene Stellung der es begrenzenden Theile, J insbesondere des weichen Gaumens, des Zungenrückens, und ebenso - des Kehlkopfes selbst, sehr erheblich verändert und dadurch der Stimme ganz verschiedener Klang ertheilt werden. ♦ Sprache. 463 Sprechen des Menschen. Auf solchen Veränderungen des Ansatzrohres beruht auch der Gebrauch der Stimme zum Sprechen. Es kommen freilich neben den eigentlichen Stimmlauten beim Sprechen auch eine Reihe von „Exspirationsgeräuschen" ohne Stinam- klang, zischende und hauchende Geräusche, vor. Die Sprache ist bekanntlich zum Zweck, sie durch Schriftzeichen lixiren zu können, in einzelne Sprachlaute getheilt. Diese Eintheilung entspricht aber nur theilweise dem wirklichen Lautbestande der Sprache, was man deutlich erkennt, sobald man sprachgetreu etwa eine Aeusserung im Dialect in Schriftzeichen darzustellen sucht. Die Darstellung der Sprache durch die Schrift beruht grösstentheils auf willkür- lich festgesetzter (Jebereinkunft und versagt deshalb, sobald der Lesende nicht weiss, welche Laute der Schreibende hat bezeichnen wollen. Die physiologische Betrachtung der Sprache pflegt sich dessenungeachtet an die hergebrachte Eintheilung der schrift- lichen Lautzeichen zu halten. Vocale. Bei der Untersuchung der Vocale handelt es sich vor allem um die P^'rage, wodurch der wesentliche Unterschied zwischen den verschiedenen Vocallauten entsteht. Die Tonhöhe kommt offenbar nicht in Betracht, denn jeder Vocal kann nach Belieben hoch oder tief gesungen werden. Man hat vielmehr ge- funden, dass bei jedem Vocal zu dem vom Kehlkopf angegebenen Ton bestimmte durch die Mundstellung, also durch die Form des Ansatzrohres, bedingte Nebentöne hinzukommen. Dies lässt sich künstlich nachahmen, indem man vor eine Stimmgabel, die nur Einen bestimmten Ton erzeugt, verschieden gestaltete Schallbecher, Resonatoren, bringt, die den Ton so umformen, dass er deutlichen Vocalklang annimmt. Der gleiche Stimmgabelton erklingt bei diesem Versuch mit Hülfe passender Resonatoren als A, 0, U oder als irgend ein anderer VocaUaut. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Vocalklängen ist also etwa derselbe wie zwischen Tönen von verschiedener Klang- farbe, nur dass es sich bei den Vocalen nicht um die blosse Bei- mischung von Obertönen handelt, sondern um Beimischung der durch die Resonanz im Ansatzrohr veränderten Obertöne. AVelcher Art die Veränderung ist und wie sie zu Stande kommt, ist noch nicht ganz genau festgestellt. Man hat die Frage da- durch zu entscheiden gesucht, dass man die Curven der Schwin- gungen, die beim Singen der Vocale in den Phonographen entstehen, in vergrössertem Maassstabe photographirt und auf mathematischem Wege in mehrere einfache Schwingungen zerlegt hat. Unter diesen Bestandtheilen treten dann bestimmte charakteristische Curven auf, von denen man annimmt, dass sie den durch das Ansatzrohr ver- änderten Obertönen entsprechen, und die man als „Formanten" des betreffenden Vocals bezeichnet. Es lässt sich durch Selbstbeobachtung leicht erkennen, dass 464 Consonanten. man, um irgend einen Vocal hervorzubringen, der Mundhöhle eine bestimmte Gestalt geben muss. So ist beim U der Raum der Mundhöhle hinten durch den Zungenrücken, vorn durch die Lippen massig verengt. Durch Erweiterung der vorderen Oeffnung entsteht i 0, durch gieiclimässige Erweiterung des ganzen Ansatzrohres A, durch Verengung des Raumes zwischen Zunge und Gaumen, wobei der mitschwingende Raum unmittelbar über den Kehlkopfe! ngang beschränkt wird, entstehen E und I. Durch Mittelstellungen entstehen die Zwischenvocale Ae, Oe, üe u. a. m. Die Diphthonge Ei, E, Au u. a. m. sollen durch den Uebergang von einem Vocal zum andern entstehen, und können daher auch nicht während eines längeren Zeitraumes aus- gehalten Averden. Consonanten. Die Entstehung der Consonanten ist dadurch zu erklären, dass an irgend einer Stelle des Ansatzrohres, der so- genannten „Articulationsstelle" für den betreffenden Consonanten eine Verengung herbeigeführt wird, sodass der hindurchtretende Luftstrom ein Geräusch hervorbringt. Das Geräusch kann auch durch völligen Verschluss und plötzliches Oeffnen der Articulations- stelle erzeugt werden. Die so entstehenden Laute heissen Reibungslaute und Verschlusslaute. Die letzten sind dadurch ge- kennzeichnet, dass sie nur im Augenblick der Oeffnung des Ver- schlusses entstehen und deshalb nicht gehalten werden können. Ausser den Reibungs- und Verschlusslauten werden zu den Consonanten noch die Laute gerechnet, die auch als Halbvocale bezeichnet werden, und die dadurch entstehen, dass die Stiram- gebung durch eine besondere Articulationsstellung verändert wird. So entstehen, indem bei Verschluss des Mundes die zur Stimm- gebung dienende Luft durch die Nase entweicht, die Nasallaute :M und N, je nachdem der Verschluss durch die Lippen oder die Zunge gebildet ist. Eine zweite Gruppe der Halbvocale bilden | die Zitterlaute, wobei an der Articulationsstelle in ähnlicher Weise 1 wie in einer Zungenpfeife Schwingungen entstehen. Diese Gruppe I wird ausschliesslich von den verschiedenen Arten R gebildet, das I mit dem weichen Gaumen, mit der Zunge, oder in der Sprache 1 gewisser Urvölker, mit den Lippen gesprochen wird. Eine Ueber- | sieht über diese Eintheilung der Consonanten giebt folgende Zu- | sammenstellung, in der nur wenige Laute fehlen. Dem Reibungs- laut Sch, obschon ihn unsere Schrift aus drei Zeichen zusamnien- setzt, gebührt in der physiologischen Darstellung der Platz eines einfachen Consonanten. Er wäre zwisclien die Gruppen I und iü der Reibungslaute einzuschieben, da für ihn die Articulationsstelle zwischen Zungenspitze und hartem Gaumen gelegen ist. End ich ist noch des Reibungslautes H zu gedenken, der auf die al Cr- einfachste Weise, nämlich als einfaches Hauchgeräusch ganz oiine Arliculation des Ansatzrohres entsteht. Punotionen des Nervensystems. 465 ' Articulations- stelle Ver- schluss- laute Reibungs- laute Halbvoc Zitter- laute ale glatte Laute Oberlippe mit Unterlippe und Seimeidezähnen ohne Stimme mit Stimme P B F W Lippen-R M Zungenspitze mit Alvcolarfortsatz der Schneidezähne ohne Stimme mit Stimme T D S (scharf) S (weich) Zungen-R N, L Zungenwurzel mit Gaumen ohne Stimme mit Stimme K G Ch ,1 Uvulär- oder Gaumen-R Ng 8. Physiologie des Nervensystems. Functionen des Nervensystems. Die Muskeln werden, wie oben mehrfach erwähnt worden ist, normalerweise durch die Thätigkeit der Muskelnerven erregt. In ähnlicher Weise be- herrschen Nerven auch die Thätigkeit der Drüsenzellen und in ge- wissem Grade auch der Gewebszellen überhaupt. Die Verrichtung des Nervensystems ist aber nicht auf die Erregung dieser Organe beschränkt, sondern sie umfasst auch die Vermittlung der Ein- wirkungen der rVussenwelt auf die gesammte physische und psy- chische Thätigkeit des Organismus, indem sie die Erregung der Sinnesorgane auf das Ccntralnervensystem überträgt. Man kann der Verrichtung nach das Nervensystem zunächst eintheilen in zwei Theile, das Centrainervensystem und die peri- pherischen Nervenstämme. Von den peripherischen Nerven sind zu unterscheiden derjenige Theil, der die Erregung der Sinnesorgane dem Centrum zuleitet, von demjenigen Theil, der die Erregungen vom Centrainervensystem aus zu den Organen ableitet. Diese Gruppen werden mit einer aus dem Sprachgebrauch der englischen Forscher entlehnten Ausdrucksweise jetzt häufig als „afferente", zuleitende, und „efferente", ableitende, Nerven unterschieden. Oft braucht man auch, nach den hervortretendsten Beispielen schlechtweg für die ganzen Gruppen die Bezeichnungen „sensible" und „motorische" Nerven. Das Centrainervensystem steht zu den beiden anderen E. du Bois-Reymond, Physiologie. ^f^ 466 Bau der Nerven. Theilen, die nur der Leitung der Erregung dienen, in einem ge- wissen Gegensatz. Seine Thätigkeit ist, insofern sie zu den psy- chischen Vorgängen, nämhch zum Willen und zur bewussten Wahr- nehmung in Beziehung steht, der naturwissenschaftlichen Forschungs- weise überhaupt unzugcänglich, doch besteht ein grosser Theil seiner Leistung im Grunde genommen auch in einer blossen Leitung von Erregungen, nur dass die Erregungen hier untereinander in mannig- fache Beziehungen treten. So kann eine sensible Erregung in dem Centraiorgan in motorische Erregungen umgesetzt werden. Von den Verrichtungen des Centralnervensysteras soll in einem unten folgenden Abschnitte ausführlicher die Rede sein. Der Unterschied zwischen centralem und peripherischem Nervensystem geht schon aus den anatomischen Verhältnissen deutlich hervor. Bau der Nerven. Das gesammte Nervensj'-stem ist aus gleichen Einzelstückeu zusammengesetzt, die man als Einheiten des Nervensystems, Neurone, bezeichnet. Jedes Neuron besteht aus einer Nervenzelle, Ganglienzelle, mit ihren Ausläufern. Der Aufbau des Nervensystems aus Neuronen entspricht also der Zusammen- setzung der Muskeln aus Muskelzellen, der Drüsen aus Secretions- zellen. Jeder Nervenzelle kommt dieser Auffassung entsprechend eine gewisse Selbstständigkeit zu. Die Nervenzelle enthält einen Kern mit Kernkörperchen und lässt in ihrem Innern ein feines Fibrillcnnetz erkennen, das von den Fasern der Ausläufer ausgeht, zu dem Kern aber keine Beziehungen aufweist. Ausserdem enthalten die Zellen schoUenförmige färbbare Massen, die Nissl'schen Körper, deren Menge und Gefüge je nach dem Ernährungszustande derZelle ver- schieden sein soll. Man schreibt den Nervenzellen, wie aUen andern lebenden Zellen Erregbarkeit zu, die sich durch die Ausläufer m gleich zu erörternder Weise anderen Zellen mittheilen kann. Die Aus- läufer sind von zweierlei Art. Die einen, die man als Dendriten bezeichnet, können als blosse Fortsetzung des ZelUeibes angesehen werden, und laufen in feine Verästelungen, „Endbäumchen" aus Die anderen, von denen jede Zelle gewöhnlich nur emen aufweist, bilden die Nervenfasern, die in den Nervenstämraen verlaufen und werden als Axencylinderfortsatz", oder kürzer „Axon", unterschieden. In den Nervenstämmen liegen die Axone der verschiedensten Neurone o-leichmässig in Bündeln nebeneinander, zusammengehalten durch Bindegewebe, Endoneurium, und von einer gemeinsamen Binde- gewebshüUe, Perineurium, umgeben. Nach älterem Gebrauch be- zeichnet man auch wohl die Axone in ihrem peripherischen \ er- lauf innerhalb der Nervenstämme als „PrimitiN-fasern" des Nerven oder schlechtweg als „Nervenfasern". (Fig. 70.) Jede solche Primitivfaser ist also ein Axon, das von einer Nervenzelle des Centrainervensystems ausgeht. Dem mikroskopischen Bau nach unterscheidet man raarkhaltige und raarklose Priraitiv- fasern Der wesentliche Bestandtheil jeder Nervenfaser ist der so- genannte Axencylinder, der unter dem Mikroskop als em glatter funder Strang erscheint, der die Mitte der Faser innehat. Der Nervenfaser. 467 Axcncylinder ist bei den niarklosen Fasern nur von dieser einfachen Hülle, der „Schwann'schen Scheide" oder dem „Neurilemm" um- geben, bei den markhaltigen liegt zwischen Axencylinder und Schwann'scher Scheide die sogenannte Markscheide. Das Mark, Fig. 70. Nerveufasern, u Markhaltige Nervenfasern, b c <; Myelingerinnung, e Myelinkugeln, f Nervenfaser vom Frosch in ■Collodium, ii S Ranv.er scher Sohnlirring, U Nervengewebe ans dem Sympathicus des Menschen mit Einer markhaltigen Faser, i h Lantermann'sche „Ofenrohrbildungen". Nervenmark, Myelin, ist ein fettähnlicher, stark lichtbrechender Stoir, der den markhaltigen Nerven aus denselben optischen Grün- den, die bei Besprechung der ßlutfarbe angeführt worden sind, ihr glänzend weisses Aussehen verleiht. Solche Nerven, die nur niark- lose Fasern enthalten, wie etwa der Sympathicus, sind dagegen blass grau und fast durchsichtig. Das Mark kann in ausgeschnittenen Nervenfasern gerinnen und giebt dann der ganzen Faser eine knollige unregelmässige Gestalt (Fig. 70 b, c). An mit Osmium gefärbten fasern erkennt man, dass die Markscheide aus einer Eeihe einzelner -an den Rändern übereinandergeschobener Röhrenstücke (Fig. 70 Je) besteht, die als Lantermann'sche „Ofenrohrbildungen" be- schrieben worden sind. In verschiedenen Abständen im Verlauf der Nervenfaser ist die Markscheide und die Schwann 'sehe Scheide wie durch eine Einschnürung unterbrochen, und nur der Axen- cylinder geht ununterbrochen weiter. Man nennt dies die Ran- Yier'schcn Einschnürungen. (Fig. 70 g, S.) 30* 468 Nervenfasern. Die Fasern, die sich in einem beliebigen Nervenstainm finden, haben alle denselben eben beschriebenen Bau, obschon sie den beiden weiter oben erwähnten verschiedenen physiologischen Ver- richtungen dienen. Die motorischen und sensibeln Fasern ver- laufen nämlich in den anatomisch einheitlichen Nervenstämmen gemeinsam ohne jeden Unterschied. Ebenso wie die Muskeln ist also der Nervenstamm eine anatomische, nicht eine physiologische Einheit. Daher pflegt man vom physiologischen wie auch schon vom anatomischen Standpunkt aus die gewöhnlichen Nerven- stämme als „gemischte" Nerven zu bezeichnen. Manche Nerven- stämme, insbesondere die Wurzeln der Spinalnerven fuhren indessen nur solche Nervenfasern, die ausschliesslich motorische oder aus- schliesslich sensible Erregungen vermitteln. Wähfend die sensibeln Nervenfasern im Centraiorgan zu Nervenzellen in Beziehung treten, wovon im Abschnitt über die Centraiorgane die Rede sein wird, führen die motorischen Fasern, wie erwähnt, zu Muskelfasern hin. Die Nervenfasern zeigen von Fig. 71. lieira Frosch Motorische Nervenendigung beim Sliugethier. der Stelle an, wo der Nervenstamm in den Muskel eintritt, gewisse Unterschiede gegenüber ihrem Verhalten im Nervenstamm. Die Markscheide der markhaltigen Fasern hört auf, und die Axen- cvlinder der marklosen Fortsetzung können sich tlieilen, .sodass ans einem Axencylindcr mehrere Nervenendigungen hervorgehen. Die e n e nen Endigungen verlaufen an die Muskelfasern, indem im Allgemeinen jeder Muskelfaser mindestens eine, '^^/^f "^«^ auch mehrere Nervenfasern zukommen. An der Stelle, wo d e Nervenfaser in die Muskelfaser eintritt, bildet sie die sogenannte Allgemeine Nervenphysiologie. 469 motorische Endplatte", die bei verschiedenen Thierarten ver- schiedenen Bau hat (Fig. 71). Der Vorgang, durcli den in der motorischen Endplatte die Erregung des Nerven in einen Reiz für die Muskelfaser umgesetzt wird, ist noch völh'g unbekannt. Allgemeine Nervenphysiologie. Begriff der allgemeinen Nervenphysiologie. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Verrichtung der peripherischen Nerven im Gegensatz zu der der nervösen Centraiorgane aus- schliesslich in der Leitung von Erregungen zu suchen ist. Die Lehre von dieser Verrichtung ist daiier ein ganz bestimmt be- grenztes Gebiet, das als das der „Allgemeinen Nervenphysiologie" oder, insofern es sich um phj^sikalische Erklärung des Vorganges der Erregung handelt, als das der „Nervenphysik" bezeichnet wird. Gesetz der isolirten Leitung. Es ist klar, dass die Fähigkeit der Nervenfasern, Erregungen zu leiten, eine wichtige Eigenschaft voraussetzt, nämlich die, dass die Erregung nicht von einer Faser auf die andere übergehe. Wie erwähnt, findet solcher Uebergang im Centraiorgan statt, in den Nervenstämmen aber, die Leitungsbahnen darstellen, bleibt die Erregung stets auf diejenigen Fasern beschränkt, denen sie ursprünglich mitgetheilt war. Nur unter dieser Voraussetzung ist überhaupt eine zweckmässige Leistung des Nervensystems im oben besprochenen Sinne möglich, denn wenn eine Erregung, die etwa durch den Nervus ischiadicus zu Muskeln des Fasses verlaufen soll, sich allen benachbarten Fasern auf dem Wege mittheilte, müsste eine allgemeine Zusamraenziehung aller ßeinmuskeln die Folge sein. Es ist übrigens leicht, sich durch künstliche Reizung etwa der einzelnen Aeste eines Plexus oder der einzelnen Theile eines künstlich längsgetlieilten Nerven zu überzeugen, dass die Erregung nur einen Theil der Muskeln erreicht, zu denen der betreffende Nervenstamra verläuft. Was die sensibeln Nerven betrifft, so ist hier durch die Erfahrung am eigenen Körper das Gesetz der isolirten Leitung in noch viel schärferer Form zu erweisen: Jede Berührung, jeder verschiedene Reiz wird im All- gemeinen getrennt für sich empfunden, was unmöglich wäre, wenn die Erregung nicht in den einzelnen Fasern streng isolirt verliefe. Dass die Leistung der Nerven thatsächlich darin besteht, die Erregung zu leiten, lässt sich durch folgenden Grundversuch nach- weisen: Wenn man einen Frosch am Fuss kneift oder auf andere Weise reizt, so führt er Flucht- oder Abwehrbewegungen mit beiden ßemen aus. Legt man den Nervus ischiadicus bloss, so bleibt dies \ erhalten unverändert. Durchschneidet man aber den Ischia- dicus oder zerquetscht ihn an einer Stelle durch ümschnürung mit einem Faden, so hört jede Bewegung unterhalb der betreffenden öteüe auf, und wenn man Reize auf das betreffende Bein ein- wirken lasst, so bleibt der Frosch in Ruhe. Das erste ist ein Be- weis, dass die Leitung der Erregung zu den Beinmuskeln unter- 470 Reizbarkeit des Nerven. brochcn ist, das zweite, dass die durch den Reiz hervorgerufene Erregung der Empfindungsorgane nicht zum Centrainervensystem gelangt. Der Versuch kann ferner dadurch bestätigt werden, dass man den peripherischen Tiieil des Nerven künstlich erregt und eine Zuckung des Beines beobachtet und den centralen Theil reizt, und den Frosch mit dem ganzen Körper Flucht- oder Abwehr bewegungen machen sieht. Im ersten Falle ist also die Erregung der todten Nerven zu den Muskeln, im zweiten Fall zu dem Centraiorgan ge- leitet worden. Allgemeine Methode zur Untersuchung von Nerven- functionen. Diese beiden Verfahren, die Durchschneidung und die künstliclie Reizung kehren bei fast allen Untersuchungen über die Function des Nervensystems wieder. Die Thätigkeit der Nerven an sich kann man nur durch ein ziemlich umständliches und schwieriges Verfahren nachweisen, von dem unten die Rede sein wird. Daher benutzt man gewöhnlich die Thätigkeit des Organes, zu dem ein Nerv verläuft, als Zeichen der Erregung des Nerven selbst. Um den Zusammenhang zwischen Nerv und Organ festzu- stellen, giebt es eben die zwei Wege: Man durchschneidet den Nerven und beobachtet Unthätigkeit, oder man reizt ihn und beobachtet Thätigkeit des Organs. Insbesondere sind die meisten Untersuchungen über den Nerven an dem sogenannten Nerv- muskelpräparat aus dem Nervus ischiadicus und Musculus gastro- cnemius des Frosches angestellt worden. Hierbei kommen nur die zu den Muskeln verlaufenden motorischen Fasern des Nerven in Betracht, auf deren Thätigkeit aus der Zuckung des Muskels geschlossen werden kann. Will man die Er- reguug sensibler Neryen feststellen, so muss man den Nerven mit dem Centrainervensystem in Verbindung lassen und kann den Erfolg der Reizung nur an solchen Bewegungen des Thieres er- kennen, die auf Erregung des Centrainervensystems schhessen lässcn Reizbarkeit des Nerven. Im Vorhergehenden ist schon von künstlicher Reizung die Rede gewesen, und es braucht daher kaum besonders angegeben zu werden, dass der Nerv mit dem Muskel die Eigenschaft geraein hat, reizbar z» sein, das heisst, auf verschiedene äussere Einwirkungen hm in Thätigkeit zu ge- rathen. Man findet wie beim Muskel, dass mechanische chemische, thermische, elektrische Reize wirksam sind ^ Sehr wichtig ist dabei der Umstand, dass mcht alle Keize, die den Muskel erregen, auch für den Nerven erregend wirken und umgekehrt. Bei den mechanischen und thermischen Reizen ist^ eine solche Unterscheidung nicht wohl durchzuführen, von den durch chemische Reizung wirksamen Stoffen ist aber f Ammoniak, der den Muskel reizt, den Nerven, /l^"« ' f " f regen, abtödtet, während umgekehrt Milchsäure Z«^" ^'"^J^«^^^ 1 Errcirunff lähmen, den Nerven aber reizen soll. in ße.z"g,.«"J, ^ Muskclreizung ist schon oben hervorgehoben worden, dass die elek- Reizbarkeit des Nerven. 471 (Tischen Eeize viel besser als alle anderen abgestuft und ohne Schädi- gung des Präparates wiederholt werden können. Das gilt ebenso auch von der Nervenreizung, und es lässt sich mit Hülfe der elektrischen Reizung zeigen, dass die Erregbarkeit der Nerven er- iicblich grösser ist als die des Muskels. Einzelne Inductionsschläge oder tetanische Reize, die, wenn sie auf einen Nerven wirken, den dazu gehörigen ^^fuskel zu maximaler Zuckung oder Zusamraen- ziehung bringen, lassen einen Muskel völlig unerregt. Man könnte nun leicht auf den Gedanken kommen, die elektrische Erregung wirke nur deshalb so viel leichter auf den Nerven, weil dieser'eine soviel geringere Masse habe, sodass, wenn gleich starke Ströme durch einen Muskel und durch einen Nerven geschickt werden, der Strom im Nerven eine viel grössere Dichtigkeit haben muss. Es würde demnach durch jedes gleichgrosse Stück des Muskels viel weniger Strom gehen als durch den Nerven. Um diesem Einwand zu begegnen, dient folgender Versuch: Auf einen 3Iuskel wird der Länge nach der zu einem zweiten Muskel gehörende Nerv aufgelegt. Dann wird der erste Muskel mit einem Inductorium in Verbindung gesetzt und mit allmählich verstärkten Inductions- schlägen oder tetanisirenden Inductionsströmen gereizt. Natürlich verthcilen sich die Ströme in dem Muskel nach den allgemeinen physikalischen Gesetzen der Stromvertheilung, und es wird, wenn der Muskel von einem Ende zum andern durchströmt wird, im all- gemeinen durch jeden gleichen Theil des Muskels die gleiche Strommenge gehen. Da nun der Leitungswiderstand des Nerven sich von dem des Muskels nicht wesentlich unterscheidet, wird auch durch den Nerven, der der Länge nach auf dem durch- strömten Muskel liegt, genau der gleiche Stroraantheil gehen, wie durch jeden entsprechend grossen Theil des Muskels. .Man beobachtet nun bei stufenweise verstärkter Reizung, dass der zum Nerven gehörige zweite Muskel schon zu zucken oder in Tetanus zu gerathen beginnt, während der erste, durch den der Strom geleitet wird, noch in Ruhe verharrt. Die Thätigkeit des /weiten Muskels ist das Zeichen, dass sein Nerv schon bei einer Stromstärke erregt worden ist, die den ersten Muskel noch nicht erregte. Von praktischer Bedeutung für die Technik der Versuche ist noch eine Beobachtung über das Verhalten der Reizbarkeit durch- schnittener Nerven. Nach dem sogenannten Ritter- Valli'schen Gesetz schwindet die Reizbarkeit eines absterbenden Nervenpräpa- rates unter gleichförmigen Bedingungen von der Schnittfläche aus bis zur peripherischen Endigung hin. Es geht aber an der Schnittstelle dem Absterben ein kurzer Zeitraum voraus, während- dessen die Erregbarkeit erhöht ist. Man kann also einen Nerven, dessen Reizbarkeit schon stark gesunken ist, dadurch wieder er- regbarer machen, dass man ihn dicht oberhalb der Reizstelle durch- schneidet. In der ersten Zeit nach dem Schnitt ist dann die Er- regbarkeit der Reizstelle erhöht. Auch die Stellen eines Nerven- 472 Enegungsgesetz. Secundäre Zuckung. Tetanus. Stammes, an denen abgehende Aeste abgeschnitten sind, zeigen mit- unter erhöhte Erregbarkeit. Im Uebrigen ist die Erregbarkeit an allen Stellen eines normalen Nervenstammes gleich. Erregurigsgesetz. Für die Erregung des Nerven gilt wie für die des Muskels das sogenannte „Allgemeine Gesetz der Er- regung von Nerv und Muskel", das besagt, die Stärke der Erregung sei abhängig von der Grösse der Zustandsänderung in der Zeiteinheit. Ein plötzlich ansteigender oder abfallender Strom von geringer Stärke wirkt stärker erregend als ein noch so starker Strom, den man sich ganz allmählich „in den Nerven einschleichen'-' lässt. Ein constanter Strom erregt nur im Augenblick der Schliessung und Oeffnung, wirkt also, während er gleichförmig be- steht, nicht als Reiz. Wiederholte Reize wirken jeder für sich auf den Nerven und bringen beim Nervmuskelpräparat eine tetanische Zusamraenziehung hervor. , , . , Secundäre Zuckung. Eine besondere Form der elektrischen Erregung des Nerven ist die sogenannte „Secundäre Zuckung". Es ist oben angegeben worden, dass in den Muskeln während der Thätigkeit eine Veränderung ihres elektrischen Verhaltens eintritt, die als Negative Schwankung des Ruhestroms bekannt ist. Legt mau auf einen Muskel während der Thätigkeit den Nerven eines Nervrauskelpräparates, so sieht man, dass, wenn der erste lAIuskel zuckt auch der des Nervmuskelpräparates mitzuckt. Der Nerv wird von dem Strome des Muskels, auf dem er liegt, durchflössen und wird deshalb durch jede Schwankung dieses Stromes erregt, und die Erregung des Nerven wird durch die secundäre Zuckung des zugehörigen Muskels angezeigt. „ , j Besonders schön lässt sich dieser Versuch am schlagenden Herzen eines Säugethieres zeigen, auf das man den Nerven eines Froschmuskelpräparates legt. Bei jedem Herzschlage macht dann der Froschmuskel eine secundäre Zuckung. Im Grunde genommen verhält sich bei diesem Versuch das Nervmuskelpraparat nur als physiologisches Galvanoskop", das heisst, es zeigt die Strome des Muskels an, auf den der Nerv gelegt worden ist Secundärer Tetanus. Mechanischer Tetanomotor. ^\R das physiologische Galvanoskop das bequemste und einfachste Mittel darstellt, um den Ruhestrom der Muske n nachzuweisen, ist es auch bei weitem das bequemste und einfachste Mittel, um die elektromotorische Wirkung des Muskels im Tetanus zu untersuchen Der Tetanus besteht, wie oben angegeben, aus der Summation oine Reihe von Einzelerrogungen, durch die der Muske in ^^^^^ anscheinend gleichförmiger Zusammenz.ehung gerath. ^If»^^^^^" ton weist schon darauf hin, dass trotzdem em dauernder ^ e.hse zwischen Thätii?keit und Ruhe stattiindet. Ecgt man nun auf den tanisirten Muskel den Nerven eines ^^^^^f^^"^^'^^ räth auch der Muskel des Präparates in letanus zun ZuUi n dass der Nerv von einer fortwährenden Reihe einzelner Stromstos.M> durchrtossen wird, und daher seinen Muskel dauernd in Erregung Mechanischer Tetanomotor. 473 hält. Man sieht also, dass der Muskelstrom des tetanisirten Mus- kels aus einer raschen Folge einzelner negativer Schwankungen besteht, und dies dient zur Bestätigung der Ansicht, dass der Tetanus keine gleichförmige, sondern eine fortwährend erneute Thätigkoit des Muskels ist. ' Dieser Versuch hatte früher besondere Wichtigkeit, weil man noch keine Instrumente besass, um eine so rasche Folge schwacher Ströme von einem dauernden Strom zu unterscheiden, wie das heut- zutage mit I-Iülfe des Capillarelektrometers oder des Saitengalvano- nieters möglich wäre. Mit Recht wurde deshalb Gewicht darauf gelegt, jeden Zweifel an dem Ergebniss des Versuches zu beseitigen. Zu diesem Zwecke erfand Heidenhain den „Mechanischen Tetano- motor", einen Apparat, der, obgleich er für seinen ursprünglichen Zweck überflüssig geworden ist, für ähnliche Untersuchungen seinen AVerth behalten hat. Gegen den Versuch über secundären Tetanus könnte nämlich eingewendet werden, ein Nerv, der an einen teta- nisierten Muskel gelegt wurde, würde nicht bloss von den Muskel- stössen, sondern auch von den tetanisirenden Reizströmen durch- flössen, und das, was den secundären Tetanus mache, sei deshalb nicht die rasche Folge negativer Schwankungen, sondern einfach ein Zweigstrom des zum Tetanisiren verwendeten Stroms. Dieser Einwand musste fallen, wenn zu dem Versuch überhaupt keine künstliche Elektricitätsquelle verwendet wurde. Dies erreichte Heidenhain, indem er den Nerven des zu tetanisirenden Muskels nicht elektrisch, sondern mechanisch reizte. Sein mechanischer Tetanomotor besteht aus einem Zahnrad mit I^andhabe, bei dessen Drehung ein Hämmerchen aus Knochen fortwährend leichte Schläge auf den darunter gelegten Nerven ausübt. Diese fortwährenden mechanischen Reize erzeugen in dem Muskel, der mit dem Nerven in Verbindung steht, einen ebenso vollkommenen Tetanus, wie die fortwährende elektrische Reizung durch das Inductorium. Legt man an den so tetanisirten Muskel den Nerven eines zweiten Nervmuskelpräparates und beobachtet daran den secundären Tetanus, so bleibt keine andere Erklärung, als dass der secundäre Tetanus durch die Muskelströme des mechanisch tetanisirten Mus- kels erzeugt sei. Leitungsgeschwindigkeit. Wenn ein Nerv gereizt wird, und sich die Erregung dem Endorgan des Nerven mittheilt, liegt die Frage nahe, wie schnell sich dieser Vorgang vollzieht. Die nächstliegende Vorstellung, die man aus der alltäglichen Erfahrung gewinnt, ist die, dass zwischen der Erregung, die etwa durch den Willen im Centraiorgan entsteht, und der Ausführung der Bewegung so gut wie gar keine Zeit verstreicht. Diese Vorstellung findet in dem sprichwörtlichen Vergleich, „schnell wie der Gedanke", Aus- druck. Thatsächlich hat man früher angenommen, dass die Ge- schwindigkeit, mit der sich die Erregung im Nerven fortpflanzt, ungefähr so gross sein müsste, wie die des Lichtes oder der Elek- tricität. Als aber der französische Physiker Pouillet das 474 Leitungsgeschwindigkeit. nach ihm benannte Vcrfaliren der „elektrisclien Zeitmessung" angegeben liatte, das erlaubte, die Geschwindigkeit einer FJinten- kiigel zu messen, wendete Hclmlioltz dies Verfahren auf die Be- stimmung der Leitungsgeschwindigkeit des Nerven an, und fand, dass sie viel kleiner sei, als man bisher angenommen hatte. ^ Die elektrische Zeitmessung beruht darauf, dass die Magnet- nadel im Galvanometer durch den elektrischen Strom allmählich in Bewegung kommt und dann über die Dauer der Stromwirkung hinaus weiterschwingt. Die Ausschläge, die die Nadel macht, sind dabei proportional der Stärke des Stromes und der Zeit, während der er eingewirkt hat, vorausgesetzt, dass es sich um Zeiträume handelt, die im Vergleich zur Schwingungsdauer der Magnetnadel sehr klein sind. Man braucht also nur den verhältnissmässig grossen Zeitraum zu messen, dessen ein bestimmter sehr schwacher Strom bedarf, um einen bestimmten Ausschlag zu geben, und weiss dann, dass ein hundertmal so starker Strom, der denselben Aus- schlag giebt, nur den hundertsten Theil der Zeit hindurch gewirkt haben kann. Richtet man es ein, dass im Augenbhck, in dem ein Nerv gereizt wird, ein Strom in den Galvanometer eintritt, und dass dieser Strom in dem Augenblick unterbrochen wird, wenn der zum Nerven gehörige Muskel zuckt, so ist die Dauer des Stromes gleich der Zeit, die vom Beginn der Erregung im Nerven bis zum Beginn der Verkürzung des Muskels gebraucht worden ist, das heisst gleich der Leitungszeit des Nerven. Die Dauer des Stromes ist dann leicht auf die angedeutete Weise zu be- stimmen. In neuerer Zeit ist die graphische Methode so weit ausgebildet w^orden, dass man die Geschwindigkeit der Nervenleitung auch un- mittelbar an den auf bewegte Schreibflächen verzeichneten Curven messen kann. Ln „Federkyraographion" von E. du Bois-Rey- mond wird eine Glasplatte durch eine stählerne Feder mit grosser Geschwindigkeit an dem Schreibstift vorbeigeschnellt. In dem „Schleuderkymographion" von Engelmann wird eine Schreibtrommel durch eine gespannte Spiralfeder in so schnelle Umdrehung versetzt, dass die Schreibfläche eine Geschwindigkeit von bis zu 2 m in der Sekunde erhält. Es ist schon bei der Besprechung des zeitlichen Verlaufes der Muskelzuckung angegeben worden, dass, wenn man den Augen- blick der Reizung und den Augenblick, in dem die Verkürzung des Muskels beginnt, auf der Trommel verzeichnet, diese stets einen Abstand aufweisen, der der Periode der latenten Reizung entspricht. Die Anordnung zur elektrischen Messung der Latenzzeit des Muskels ist auf Figur 54, Seite 403, dargestellt. Reizt man nicht den Muskel selbst, sondern den dazugehörigen Nerven, so erhält man eine etwas grössere Latenzperiode, weil erst die Leitungszeit des Nerven und dann noch die Latenzperiode des Muskeis vergehen muss, ehe die Verkürzung beginnt. Um die Leitungszeit des Nerven für sich zu bestimmen, maass nun Helm- Leitungsgeschwindigkeit. 475 holtz die gesamrate Latenzzeit zweimal, erstens, indem er den Nerven dicht am Muskel, zweitens, indem er ilin möglichst weit oberhalb, dicht am Rückenmark reizte. Bei Reizung von der oberen Stelle ergab sich eine merklich grössere Latenz, offenbar weil die Erregung eine soviel grössere Strecke des Nerven zu durchmessen hatte, um den Muskel zu erreichen. Die Differenz der beiden ge- fundenen Latenzzeiten ist offenbar der Zeitraum, den die Erregung braucht, um die Strecke zwischen oberer imd unterer Reizstelle im Nerven zu durchlaufen. Der äusserst wichtige Versuch, durch den auf diese Weise die Leitungsgeschwindigkeit des Nerven bestimmt werden kann, wird im einzelnen in etwa folgender Weise angeordnet: Ein Nerv- muskelpräparat wird in einem Stativ so angebracht, dass der Muskel eine Verkürzung vermittelst eines Schreibhebels auf der Trommel des Kyraographions verzeichnen kann. Der Nerv liegt an zwei Stellen, von denen eine möglichst nah am Muskel, die andere möglichst weit oberhalb davon gelegen ist, auf je zwei Platindrähten. Entweder das eine oder das andere Paar Platin- drähte ist an die secundäre Rolle eines Inductoriums angeschlossen, die der primären soweit genähert ist, dass bei der Oeffnung des primären Stroms ein übermaximaler Reizschlag im secundären Kreise entsteht. In den primären Stromkreis ist ein sogenannter Unterbrecher eingeschaltet, das heisst ein beweglicher Contact, der durch einen an der Trommel des Kymographions befestigten Stift bei der Umdrehung der Trommel geöffnet wird. Die Geschwindig- keit der Trommel Avird dadurch gemessen, dass eine Stimmgabel von bekannter Schwingungszahl ihre Schwingungen auf der Trommel verzeichnet. Die Trommel wird nun durch eine gespannte Spiral- feder in Bewegung gesetzt. In dem Augenblick, wenn der Stift den Unterbrecher erreicht, wird der primäre Stromkreis geöffnet, der Inductionsschlag des secundären Kreises, der mit der nah am Muskel gelegenen Reizvorrichtung verbunden sein möge, reizt den Nerven und dieser erregt den Muskel, der seine Zuckungscurve auf die Trommel schreibt. Stellt man die Trommel nun wiederum gerade so, dass der an ihr befestigte Stift eben den Unterbrecher berührt, so hat sie offenbar diejenige Stelhmg, die sie im Augen- blicke der Reizung hatte, und man sieht an der Curve, dass die Muskelzuckung nicht in diesem Augenblicke eingetreten ist, son- dern etwas später. An der Zahl der Schwingungen, die die Stimmgabel zwischen Reiz und Beginn der Muskelcurve ver- zeichnet hat, kann man die Länge dieser Zeit, das ist die Latenz- periode, messen. Macht man noch einmal denselben Versuch in genau derselben Weise, mit dem einzigen Unterschied, dass die obere Stelle des Nerven statt der unteren gereizt wird, so findet man die Latenz um einen gewissen Zeilraum vermehrt, der, wie oben ausgeführt, der Leitungszeit der Erregung im Nerven entspricht. Aus der Grösse 476 Leitungsgeschwiudigkeit. dieses Zeitraums und der Grösse des Abstandes zwischen beiden Reizstellen berechnet man die Leitiingsgeschwindii^keit Die so gemessene Geschwindiglceit der Erregung im .Muskel- nerven des Frosches beträgt etwa 24 m. Am Warmblüternerven sind beträchtlich höhere Werthc gefunden worden, so dass hier die Leitung als etwa doppelt so schnell angenommen werden darf. Die Messungen sind auch am lebenden Menschen ausgeführt worden, indem der N. medianus einmal an der Ellenbeuge, das andere Mal am Handgelenk durch auf die Haut aufgesetzte Elek- troden gereizt und die Zuckung der Muskeln des Daumenballens graphisch aufgenommen wurde. Auch auf die sensiblen Nerven des Menschen hat man das Verfahren in der Weise übertragen, dass die Versuchsperson angewiesen wird, im Augenblick, in dem sie eine bestimmte Reizung empfindet, auf einen Stromschlüssel zu drücken. Der Strom- schluss verzeichnet sich als Zeitmarke auf einer schnelllaufenden Trommel. Der Reiz wird nun einmal nah am Centraiorgan, etwa am Oberarm, das andere Mal weiter entfernt, etwa am Unterarm, angebracht. Bei diesem Verfahren ist die Zeit, die zwischen dem Reiz und der Aufzeichnung der Marke verstreicht, beträchtlich grösser als bei den Versuclien an motorischen Nerven, weil die Erregung erst den sensibeln Nerven, dann das Centrai- organ, dann den motorischen Nerven durchlaufen muss, ehe das Zeichen gegeben werden kann. Da aber der Zeitverlust im Centrai- organ und im motorischen Nerven bei Reizung an der näheren und an der entfernteren Stelle derselbe ist, so entspricht die Differenz der Zeiten, die bei Reizung an der näheren und der entfernteren Stelle gefunden werden, ganz so wie oben nur der Leitungs- zeit in der Nervenstrecke zwischen den beiden Reizstellen. Die Messungen, die nach diesem Verfahren gemacht werden, sind begreiflicherweise sehr unsicher und weichen untereinander beträchtlich ab. Wenn man aber aus einer grossen Reihe von Be- stimmungen Durchschnittszahlen nimmt, so erhält mau mit aus- reichender Genauigkeit das Ergebniss, dass sich die Leitungs- geschwindigkeit in den sensiblen Nerven nicht von der in den motorischen unterscheidet. Die Leitungsgeschwindigkeit in raarklosen Nerven ist da- gegen beträchtlich niedriger als die in den markhaltigen. Wenn nun auch durch den bescliriebenen Versuch bewiesen ist, dass die Geschwindigkeit, mit der die Erregung den Nerven durchläuft, keineswegs mit der des Lichtes oder der Elektrizitüt, ja nicht einmal mit der des Sclialles zu vergleichen ist, so darf man darüber nicht vergessen, dass die Geschwindigkeit von 50 bis 60 m, die für Warmblüternerven angenommen werden kann, bei den verhältnismässig kurzen Strecken, die in Betracht kommen, doch nur einen für fast alle praktischen Fälle verscliwindend kleinen Zeitraum braucht. Es wird hierauf in dem Abschnitt über Doppelsinnige Leitung. 477 die Einwirkung des Nervensystems auf die Muskulatur nocJi zurück- zukommen sein. Abhängigkeit der Leitungszeit von der Tom p erat ur. Die Geschwindigkeit der Erregungsieitung im Nerven ist bei höherer Temperatur merklich grösser als bei niedriger. In abgekühlten Froschnerven sinkt sie auf 15 — 18 ra, während sie in bis 30" er- M^ärmten bis auf '66 m und darüber steigen kann. Auch beim Mensoiien soll der oben beschriebene Versuch höhere Werthe für die Geschwindigkeit der Nervenleitung ergeben, wenn der Arm durch warme Umschläge auf liöherc Temperatur gebracht worden ist. Doppelsinnigkeit der Nervenleitung. Obschon während des Lebens die Erregung in jeder Nervenfaser nur in einer und derselben Richtung fortgeleitet zu werden braucht, nämlich in den sensiblen Nerven von der Peripherie zum Centrum, in den moto- rischen vom Centrum zu den Muskeln, lässt sich nachweisen, dass bei künstlicher Reizung mitten im Verlaufe eines Nerven die Er- regung sich nach beiden Seiten gleichmässig fortpflanzt. Dies würde sich bei solchen Nerven, die als gemischte Nerven sowohl sensible wie motorische Fasern enthalten, von selbst verstehen, es gilt aber auch von denjenigen Nerven, die nur eine Faserart ent- halten, also rein sensibel oder rein motorisch sind. In einer rein motorischen Faser also, die während des Leben.s- stets nur vom Centraiorgan erregt wird und die Erregung zu einer Muskelfaser leitet, verläuft, wenn das peripherische Ende gereizt wird, die Erregung von der Peripherie nach dem Centraiorgan zu. Als Beweis hierfür wird der „Zweizipfelversuch" von Kühne angesehen, der folgenderraaassen anzustellen ist. In den Musculus gracihs des Frosches tritt der Nerv etwa in der Mitte ein und theilt sich gabelförmig. Die Thcilung besteht nicht darin, dass ein Theil der Fasern in die obere, ein Theil in die untere Hälfte des Muskels geht, sondern die Achsencylinder der Nervenfasern selbst spalten sich in zwei Theile, die nach oben und unten im Muskel verlaufen. Zerschneidet man den Muskel so. dass der Zusammenhang zwischen den Muskelfasern des oberen und unteren Theiles aufgehoben ist, die Gabelungsstelle des Nerven aber erhalten bleibt, und reizt den einen Gabelast, so zucken auch die Muskelfasern, zu denen der andere Gabelast verläuft. Es hat sich . also die Erregung in der gereizten Nervenstrecke bis zur Gabelungsstelle centralwärts und von da wiederum peripheriewärts zu den Muskelfasern fortgepflanzt. Ein allgemeinerer und sicherer Beweis lässt sich mit Hülfe der elektrischen Untersuchung an den Spinalnervenwurzeln führen, die, wie schon oben erwähnt, entweder nur sensible oder nur motorische Fasern enthalten, und dennoch die Erregung nach beiden Richtungen leiten. Elektrische Erscheinungen an den Nerven. Ebenso wie die Muskeln erweisen sich auch die Nerven als selbständige Elek- tricitätsqucUen. Zwischen einem aus einem Nervcnstamm ausge- schnittenen Bündel Nervenfasern und ,dem oben besprochenen Muskel- 478 Negative Schwankung des Nervenstroms. cylindcr besteht in Beziehung auf iiire elektromotorische WirkuHiy; völlige üebcreinstimmung, nur dass die Elektricitätsmengen, die ein einzelner Nervenstamm liefert, natürlich \iel geringer sind, als die. die von einem ganzen Muskel lieiTÜliren. Demnach verhält sich im spanischen Stiergefecht bekannt. Die genauere Erklärung des Vorganges wurde erst durch Flourens gegeben, der eine bestimmte Stelle jederseits dicht über dem hinteren Ende des vierten Ventrikels als „den Lebensknoten", „Noeud vital" bezeichnete, dessen Zerstörung die Athembewegungen dauernd völlig unterbrechen sollte. Die Athembewegungen werden, wie wiederholt bemerkt worden ist, von sehr vielen verschiedenen Muskelgruppen in ganz verschiedenen Theilen des Körpers ausge- führt. Die motorischen Zellgruppen, von denen die Erregung dieser Muskeln unmittelbar ausgeht, liegen nachweislich in dem Central- nei'vensystem weit zerstreut. In d(?m Athemcentrum des verlängerten Markes "findet also offenbar eine Verknüpfung dieser einzelnen unter- geordneten Centra in der Weise statt, dass sie sich zu der gemein- .schaftlichen Thätigkeit zusararaenordnen. Ein eigentlich die Be- wegung beherrschendes Centrum, das heisst, eine anatomisch nach- weisbare Zellgruppe, die mit den Ursprüngen aller motorischen Athemnerven in Verbindung stände, scheint allerdings nicht vor- 510 Automatische Centra. banden zu sein. Daher gehen auch die Angaben über die Stelle, an der das Atheincentrum eigentlich liegt, beträclillich auseinander! Man darf sagen, dass eine ziemlich ausgedehnte Zerstörung erforder- lich ist, um wirklich alle Athembewegungen zum Stocken zu bringen. Je nachdem die Verletzung eine höher oder tiefer gelegene Stelle trifft, dauern die Athembewegungen im Rumpfe oder die acccsso- rischen Athembewegungen des Kopfes fort. Auch nachdem das ganze verlängerte Mark zerstört ist, treten mitunter noch einzelne tiefe Atherazüge ein, die offenbar auf selbständiger Tliätigkeit der moto- rischen Centra fijr Intercostalmuskeln und Zwerchfell beruhen. Da die Tliätigkeit des Athemcentrums sehr wesentlich von seinen Ver- bindungen mit peripherischen Nervenbahnen abhängt, so soll sie ausführlich erst im Abschnitt über die Innervation der Athem- organe besprochen werden. Als automatische Centra werden ferner zwei Centra angenommen, die beschleunigend und verlangsamend auf die .Herzthäligkeit ein- wirken. Durchschneidet man beim Frosch das Centralnervensysteni oberhalb des verlängerten Markes und reizt das verlängerte Mark durch Inductionsströme, so sieht man die Herzfrequenz abnehmen. Bei sehr starker Reizung bleibt das Herz in Diastole stehen. Die centrifugale Bahn, auf der diese Beeinflussung des Herzens ge- leitet wird, ist der Nervus vagus, denn nach Durchschneidung des Vagus erhält man bei Reizung seines peripherischen Stumpfes die- selbe Wirkung. Da der Vagus im verlängerten Mark seinen Ur- sprung hat, so ist anzunehmen, dass das lierzhemmungsceutrum immittelbar auf den benachbarten Vaguskern einwirkt, vielleicht sogar mit ihm identisch ist. Als automatisch ist das Herzhemmungs- centrura deswegen anzusehen, weil-mannach Durchschneidung beider Vagi stets eine Beschleunigung des Herzschlages beobachtet und daraus schliessen rauss, dass die Vagi normalerweise dauernd einen verlangsamenden Einffuss auf den Herzschlag ausüben, ohne den die Frequenz auf übernormale Höhe ansteigt. Man nennt diese dauernde Heramungsthätigkeit den „Vagustonus". Eine auf- fallende Erscheinung ist, dass die Thätigkeit des Herzhemmuugs- centrums und die Erregung des Vagus nicht wie sonst eine Thätig- keit, sondern vielmehr -eine Hemmung in dem peripherischen Organ bewirken. Hierauf soll erst unten, bei der Besprechung der Herz- innervation, näher eingegangen werden. Reizt man das verlängerte Mark, nachdem die Vagi durch- schnitten worden sind, sodass das Herzhemmungsccntrum nicht auf die Herzthäligkeit wirken kann, so erhält man statt der Verlang- samung eine Beschleunigung des Herzschlages. Die peripherisojien Bahnen, auf denen diese Einwirkung dem Herzen vermittelt wird, verlaufen in Aesten, die zum Gebiete des Plalssympathicus gehören und als Nervi accelerantes cordis bezeichnet werden. Man nimmt deshalb ein Hcrzbeschleunigungscentrum im verlängerten Mark an. Hierauf wird in den Abschnitten über den Sympalhicus und über die Regulirung der Herzthätigkeit zurückzukommen sein. Automatische Centra. 511 Ein weiteres automatisches Centrum des verlängerten Markes ist das vasomotorische Centnim. Die Gefässmuskiilatur wird zwar von motorischen Centren innervirt, die an vielen Stellen des Centrai- nervensystems verstreut sind, durch Reizung des verlängerten Markes erhält man aber Gefässverengung im ganzen Körper, und nimmt deswegen an, dass Iiier ein übergeordnetes Centrum zu suchen sei. Auch dieses Centrum befindet sich dauernd in Thätigkeit und unter- hält dadurch den Gefässtonus, das heisst die active Spannung der Gel'ässwände, durch die sie fortwährend eineu Druck auf das in ihnen enthaltene Blut ausüben. Die Höhe des Blutdruckes ist neben der Herzarbeit durcliaus von der Höhe des Gefässtonus ab- hängig. Reizung des Gefässcenti-ums erhöht daher den Blutdruck. AVenn beim Tode die Herzthätigkeit aufhört und das Blut in den Gefässcn stockt, so hört damit natürlich die Zufuhr von Sauerstoff zu allen Geweben und mithin auch zum vasomotorischen Centrum in dem verlängerten Mai-k auf. Dies wirkt als Reiz auf die Gang- lienzellen des Centruras und ruft eine allgemeine Gefässverengung hervor. Da die Venen nun bekanntlich viel nachgiebiger sind als die Arterien, so wird durch die Zusammenziehung das Blut aus den Arterienstämmen in die Venen hinübergetrieben, wo es schliesslich gerinnt. Die Gefässmuskeln bleiben meist bis ziemlich lange nach dem Tode erregbar, und wenn sie schliesslich abgestorben sind, füllen sich die erschlafften Arterien mit Gasen. Dieser an Leichen ganz ge- wöimliche Befund ist die Ursache, dass der alte Galen und seine Nachfolger bis auf William Harvey, den Entdecker des Blut- kreislaufs, die Arterien als luftführende Gefässe ansahen. Von der Thätigkeit des Gefässcentrums soll unten bei der Erörterung der Ge- fässinnervation weiter die Rede sein. In ähnlicher Weise wie die Gefässweite durch das vasomoto- rische Centrum, wird auch die Weite der Pupille durch ein be- ständig thätiges Centrum für den Dilatator pupillae geregelt. Dieses Centrum wird ebenso wie die andern durch Sauerstoffmangel im Blute gereizt, sodass Weitvverden der Pupillen, etwa in der Narkose, ^ ein Zeichen drohender Erstickungsgefahr bildet. Hierauf wird eben- falls weiter unten näher eingegangen werden. Das verlängerte Mark enthält ferner noch ein automatisches Cen- trum, das in ähnlicher Weise wie Athemcentrum und Gefässcentrum anderen im Centraiorgan verbreiteten Centren übergeordnet erscheint, nämlich das Centrum l'üi' die Erregung der Schwcissdrüsen. Man kann dies leicht bei Katzen nachweisen, bei denen die Haut der Fussballen Schwcissdrüsen enthält. Bei elektrischer Reizung des verlängerten Marks erscheinen an allen vier Pfoten Schweissperlen auf den Fussballen, die man wegwischen vmd durch erneute Reizung immer von neuem hervorrufen kann. Endlich muss dem verlängei'ten Mai'k noch ein besondere)" Einlluss auf gewisse Vorgänge des inneren Stoffwechsels zuge- schrieben werden, die im ersten Theile unter den Verrichtimgen der Leber und der Nieren besprochen sind. Die Leber regelt den Ö12 Vertheilung von grauer und weisser Substanz. Gehalt des Blutes an Zucker, indem sie jeden Ueberschuss der etwa aus der Nahrung in das Blut übergeht, als Glykogen in sich aulspeichert. Bestellt trotzdem ein Ueberschuss im" Blut, so wird er von den Nieren ausgeschieden. Claude ßernard hat nun ent- deckt, dass bei Kaninchen nacli einer bestimmten Verletzung des verlängerten Marks \ orübergeheud reichlich Zucker im Harn auf- tritt. Ma.n nennt die Operation, die diese eigenthüraliche Wirkung liervorruft, kurzweg die „Piqüre" oder den „Zuckerstich". Es ist dazu ein besonderes Werkzeug erforderlich, das man bei Kaninchen durch den Schädel und das Kleinhirn in das verlängerte Mark et- was oberhalb das Athemcentrums einstösst. Das Werkzeug hat die Gestalt eines schmalen Meisseis, der in das Mark in der Mitte quer einschneidet. Mitten in der Schneide springt eine feine Spitze einige Millimeter vor. Diese theilt die Vorde.rstränge ohne merk- liche Verletzung und stösst auf die Scliädelbasis auf, sodass die Schneide nur bis zu einer gewissen Tiefe in das Mark eindringt. Meist schon wenige Stunden nach der Operation ist Zucker im Harn nachzuweisen, und dieser Zustand bleibt etwa 24 Stunden lang be- stehen. Der Zucker stammt aus dem Glykogen der Leber, denn Thiere, deren Leber kein Glykogen enthält, scheiden auch nach dem Zuckerstich keinen Zucker aus. Diese Thatsache ist nicht bloss wegen ihrer Beziehung zur Zuckerkrankheit wichtig, .sondern vor allem deswegen, weil sie unzweideutig beweist, dass die Vorgänge des inneren Stoffwechsels unter tmmittelbarera Einfluss des Centrainervensystems stehen. Qrosshirn. Vertheilung von grauer und weisser Substanz. Ebenso wie das Rückenmark, wird auch das Grosshirn in graue und weisse Substanz geschieden, wobei es wiederum gilt, dass die graue Sub- stanz, die die Nervenzellen mit ihren vielverflochtenen Ausläufern enthält, das eigentliche Centraiorgan darstellt, während die weisse Substanz, die aus Strängen und Bündeln markhaltiger Nervenfasern besteht, eben nur der Erregungsleitung dient. Während aber im Rückenmark die graue Substanz das Innere des Organs einnimmt, und die weissen Stränge sich ihr von aussen anlagern, tritt ins Grosshirn die weisse Substanz der Leitungsbahnen von unten her in der Mitte ein, und die graue Substanz, die als „Hirnrinde" die Oberfläche des Organs bildet, schliesst gewissermaassi'n die ge- saramten Leitungsbahnen als Endpunkt ab. Freilich finden sich auch im Innern des Grossliirus Anhäufungen grauer Substanz, die ähnlich wie die grauen Kerne des verlängerten Marks zwisclien die weisse Substanz eingelagert sind. Von den Ver- bindungen dieser sogenannten Basalganglien .soll weiter unten die Rede sein. Im Allgemeinen nehmen die Leitungsbahnen aus den ticfergelegenen Theilen des Centralnervcnsysiems iliren Weg zwischen den Basalganglien hindurch, ohne mit ihnen in Verbindung zu treten, Kreuzung der Bahnen. 513 sodass im Oirossen und Ganzen die Hirnrinde als Ursprungs- oder Zielpunkt aller dieser Bahnen betrachtet werden kann. Folgt man nun dem Verlauf der Leitungsbahnen von der Hirn- rinde bis an ihre Endigungen in den verschiedenen Körpertheilen oder umgekehrt, von ihren Ursprungsstellen in den verschiedenen Körpertheilcn bis zur Hirnrinde hinauf, so wird man auf die erste und wichtigste Thatsaclie der Grossliirnphysiologie geführt, dass näm- lich die Nervenbahnen der rechten Körperhälfte mit der linken Grosshirnhälfte in Verbindung stehen, und umge- kehrt die Nervenbahnen der linken Körperhälfte mit der Rinde der rechten Ilirnhälfte. Man drückt dies kurz so aus, dass man sagt, alle zu oder von der Hirnrinde gehenden Bahnen \ erlaufen gekreuzt, das heisst, sie gehen von der einen Körperhälfte zur anderen über. Kreuzung der Bahnen. Von der Kreuzung der Pyramiden- bahn und der Schleifenkreuzung ist schon bei der Besprechung des verlängerten Marks die Rede gewesen. Diese Kreuzungen betreffen jedoch nur einen Theil der genannten Balmen, und es mag deshalb hier auf den gesammten Verlauf der Bahnen von und zum Gehirn etwas näher eingegangen werden, um die Vollständigkeit der Kreuzung nachzuweisen. Es handelt sich um zwei Arten Bahnen, solche, die Erregungen \ rin verschiedenen Körperstellen aus zur Hirnrinde leiten, also als M usible Bahnen zusammenzufassen sind, und solche, die Erregungen \ lu der Hirnrinde aus an die Organe des Körpers vermitteln, und als centrifugale oder, nach dem augenfälligsten Beispiel, schlecht- Aveg als motorische Bahnen zusammenzufassen sind. Motorische Leitung. Die wichtigste motorische Bahn, die die Hirnrinde mit den Ursprüngen der Muskelnerven verbindet, ist die sogenannte Pyramidenbahn. Um Missverständnisse zu ver- meiden, ist es vielleicht nützlich, über diese Benennung eine Be- merkung einzuschalten. Gerade für das Centralnervensystera sind die Bezeichn\mgen völlig willkürlich bald von der Form, die ein Theil in äusserer Ansicht darbietet, bald von der Form seines Querschnittes hergenommen, die wiederum entweder als ebene Figur oder als Bild eines Gegenstandes aufgefasst wird. So ist es mit der Bezeichnung „Hörner" für die Vorsprünge an der Säule grauer Substanz, so auch mit der Bezeichnung „Pyi-amide". Diese bezieht sich auf den dreieckigen Querschnitt der an der ventralen Fläche des verlängerten Marks \ orspringenden Pyramide und ist dann auf die gesamrate Pyramidenbahn übergegangen. Nun giebt es in der Hirnrinde Zellen, die thatsächlich die Foi-m von Pyramiden, oder wenigstens kegelförmige Form, haben und deswegen Pyramidenzellcn genannt werden. Die Pyramidenbahn nimmt auch aus diesen Zellen ihren Ursprung, aber die beiden Benennungen PjTaraidenbahn und Pyramidenzellen haben durchaus keinen Zu- sammenhang. U. du Bo i s- R oy 111 o 11 d , Pliysiiilogio. 33 514 Pyramidenbahn. Pyraraidenbahn. In der Hirnrinde entspringen die moto- rischen Bahnen von grossen, den Vorderhornzellen des Rückenmarks ähnlichen Nervenzellen der Hirnrinde, den „Pyraraidenzellen", deren Axeneylinder als sogenannte Stabkranzfaserung convergirend durch die ganze Masse des Grosshirns hinabziehen und zwischen Thalamus opticus und Nucleus lentiforrais in der sogenannten „inneren Kapsel" zu mehreren Strängen zusammentreten. Von diesen Strängen steigt jederseits einer, der als „Pyramidenbahn" bezeichnet wird, durch den Hirnstiel, Pedunculus cerebri, zur Brücke, Pons Yarolii, hinab, die er durchsetzt, um an die Vorderseite des verlängerten Markes heranzutreten. Bis hierher bleibt also der Verlauf der Pyramiden- bahn auf derselben Seite, auf der sie entspringt. Im untersten Theil des verlängerten Markes theilt sich der Pyramidenstrang, indem die grössere Zahl seiner Fasern schräg nach der Gegen- seite und hinten hinüberkreuzt und in den Seitenstrang der gegen- überliegenden Seite als Pyraraidenseitenstrangbahn eintritt. Eine kleinere Zahl der Fasern Läuft an der Vorderfläche des Rückenmarks geradeaus weiter und bildet jederseits den Pyramidenvorderstrang. In der Pyraraidenkreuzung tritt, wie gesagt, der grösste Theil der Pyramidenbahn in die entgegengesetzte Körperhälfte über, nur ein viel kleinerer Theil läuft als Pyramidenvorderstrang auf derselben Seite weiter. Man könnte daher glauben, dass die Fasern dieses Stranges ungekreuzt blieben, und eine Ausnahme von dem obenerwähnten Gesetz bildeten. Wenn man aber dem Verlauf der Pj^ramiden im Vorderstrang weiter folgt, so findet man, dass auf der ganzen Länge des Rückenmarks alle von ihnen abgehenden Pasern quer abbiegen und in der vorderen Commissur der weissen Substanz nach der gegenüberliegenden Seite des Rückenmarks gelangen. Hier treten sie mit den motorischen Zellen des Yorderhorns in Verbindung, die, wie oben angegeben, die Ursprungsstelle der peri- pherischen Bewegungsnerven sind. Auf diese Weise ist also in der Pyramidenbahn eine Verbindung zwischen der Hirnrinde jeder Seite und den Körpermuskeln der entgegengesetzten Seite auf folgenden Wegen hergestellt: Hirnrinde. g Stabkranzfaserung |. Innere Kapsel | Pedimculus 5^ Pons 9' Verlängertes Mark Pyramidenkreuzung Pyramiden- Vorderstrang Weisse Commissur des Rückenmarks — Vorderhornzellcn Vordere Wurzeln Nervenstämme Musculatur. Pvramidenseitenstrang Fig. 76. ^Kudeusfun.cuneaf/Burdach) "Nucleusfun-grac. (Göll) ■ ""» Sensibles (sensorisches) System. •■•■■■•■•■■■■■I Directe Kleinhirn-Seitenstmugbahn. System des Thalamus opticus. Grosshirn-Eleinhirn-BrUcksabahn. Schema der Iieitungsbahnen nach Flechsig. 33' Die Leitung der Sensibilität. Diejenigen motorischen Fasern, die in den Stämmen der Hirn- ncrven verlaufen, entspringen aus motorischen Zellen in den Ur- sprungskernen der betreffenden Nerven. Sie können daher von der Hirnrinde aus nicht auf demselben Wege erregt werden, wie die Spinalnervenfasern, sondern die Erregung verläuft durch besondere unterhalb des Pedunculus von der Pyramidenbahn medialwärts abgezweigte und nach der andern Seite hinüber kreuzende Fasern. Für die motorische Leitung innerhalb des Grosshirns darf demnach als feststehend angesehen werden, dass der motorische Antheil der Stabkranzfaserung, der von der Hirnrinde durch die innere Kapsel absteigt, die Gesammtheit aller motorischen Bahnen umfasst. Da dieser Verbindungsweg von der Hirnrinde bis zu den Vorderhornzellen als einzige ununterbrochene Leitungsbahn weisser Substanz nachzuweisen ist, hat man sie lange Zeit auch als die einzige Bahn angesehen, auf der die motorischen Erregungen von der Hirnrinde aus, also die willkürlichen Bewegungsimpulse über- haupt, der Musculatur übermittelt werden. In neuerer Zeit hat man aber gefunden, dass die Avillkürliche Innervation nach Zerstörung der Pyraraidenbahn unterhalb der Brücke keineswegs völlig aufge- hoben" wird. Offenbar giebt es also noch andere, aus mehreren Neuronen zusammengesetzte, motorische Leitungen, die von der Hirnrinde zu den A^orderhörnern führen. Vergleichende Versuche lehren, dass die Pyramidenbahn in der aufsteigenden Reihe der verschiedenen Thierarten eine immer grössere Bedeutung gewinnt. Die Leitung der Sensibilität. Noch verwickelter ist der Weg, auf dem die von den verschiedenen Stellen des Körpers ausgehenden sensiblen Erregungen die Hirnrinde erreichen. Die sensiblen Endorgane hängen durch die sensiblen Fasern der peripherischen Nerven mit den Zellen der Spinalganglien zu- sammen, die ihrerseits, wie oben angegeben, je einen Ausläufer durch die hintere Wurzel in das Rückenmark entsenden. Diese Ausläufer und ihre Seitenäste schlagen nun verschiedene Wege ein. Zum Theil endigen sie mit Verästelungen in den Hinterhörnern und werden durch Ausläufer der Hinterhornzellen fortgesetzt. Diese Fortsetzungen verlaufen nicht auf derselben Seite sondern kreuzen in der hinteren Commissur des Rücken- marks auf die Gegenseite hinüber. Zum andern Theil laufen die aus dem Spinalganglion stammenden Fasern in den Ihnter- strängen derselben Seite aufwärts, und treten in die Hmterstrang- kerne des verlängerten Markes, Nucleus fumculi cuneati und graciiis, ein. Von hier wird die Balm durch neue Neurone fort- gesetzt deren Zellen eben diese Kerne bilden. Ihre Axone durch- setzen'bogenförmig den oberen Theil des verlängerten Markes mul bilden oberhalb der Pyramidenkreuzung die sogenannte Schleilen- kreuzung, durch die sie auf die entgegengesetzi^e Seite gelangen. Ihre Fortsetzung verläuft als Schleifenbahn zum Thalamus opticus, Eintheilung der Leitungsbahnen. 517 von wo aus abermals neue Neurone die Leitung durch die Stab- kranzfasern zur Hirnrinde bilden. Ausserdem verläuft ein grosser Tlieil der von den Hinterhorn- zeilen ausgehenden sensiblen Fasern ungekreuzt in den Seiten- strängen und durch die hinteren Kleinhirnstiele ins Kleinhirn. Dies sind die Kleinhirnseitcnstrangbahnen. Das Kleinhirn steht durch die vorderen Kleinhirustiele wiederum mit dem Grosshirn in Ver- bindung, sodass auch auf diesem Wege eine sensible Leitung zwischen Peripherie und Hirnrinde hergestellt ist. Die Kreuzung vollzieht sich zwischen Kleinhirn und Hirnrinde. Ferner sind neben den eben beschriebenen Bahnen noch eine grosse Zahl anderer sensibler Leitungen in den mannigfaclien Verbin- dungen grauer Kerne untereinander anzunehmen. Diese mannigfache Bahn lässt sich im gedruckten Schema nur unvollkommen darstellen, wie folgt: Sensible Endorgane. Nervenstamm Spinalganglion Hintere Wurzel Hinterstrang Plinterhornzelle I Seitenstrang Hinterstrangkern Kleinhirn Schleifenkreuzung Schleife Brückenarm Thalamus opticus Stabkranzfaserung Hirnrinde Eintheilung der Leitungs bahnen. Die beschriebene Ver- bindung der Grosshirnrinde mit den Riickenmarkszellen umfasst nur den Theil der gesammtcn Leitungsbahnen des Grosshirns, die man unter dem Namen „Projectionsbahnen" zusaramenfasst. Man will damit ausdrücken, dass die Gesamratheit dieser Bahnen die Verbindung der Grosshirnrindc mit der Aussenwelt vermittelt. Alle sensiblen Eindrücke auf das peripherische Ncrvensj^stem, den die Rinde treffen können, und alle motorischen Erregungen, durch die sich die Hirnrinde nach aussen bethcätigen kann, verlaufen durch diese Bahnen, mithin spiegeln sich die gesammten Beziehungen der Hirnrinde zur Aussenwelt in der Thätigkeit dieser Bahnen wieder. Die Aussenwelt wird gewissermassen durch die Stabkranzfaserung auf die Hirnrinde projicirt. Die Projectionsfasern oder Radiär- lasern, wie man sie einfacher benennen kann, bilden also nur eines der Systeme von Leitungs bahnen im Grosshirn. Ein zweites ent- steht dadurch, dass die entsprechenden Theile beider Hirnhälften miteinander verbunden sind. Man bezeichnet die Gesammtheit der 518 Psychische Functionen. Fasern, die dieser A''erbindung dienen, als das System der Comrais- surenfasern. Von den eigentlichen Coraraissurenfasern sind die- jenigen Verbindnngsstränge zu untersclieiden, die irgend einen Theil der einen Hemisphäre mit einem beliebigen anderen Theile der anderen Hemisphäre, also nicht mit dem symmetrisch zugeordneten Hirntheil verbinden. Solche Faserziige sind vielmehr, obschon sie anatomisch auch durch die Commissuren verlaufen, dem dritten Leitungssystem, nämlich dem der Associationsbahnen zuzu- rechnen. Die Associationsbahnen verbinden nämlich beliebige Stellen der Hirnrinde mit anderen Stellen auf derselben oder der anderen Seite. Solche Bahnen machen ohne Zweifel einen grossen Theil der weissen Siibstanz des Gehirns aus, die noch nicht oder nur unvollkommen in anatomisch bestimmte Bahnen hat eingetheilt werden können. Functionen der Grosshirnrinde. Die Betrachtung der er- wähnten Bahnen führt ohne weiteres dazu, die Functionen der Hirn- rinde näher ins Auge zu fassen. Es geht schon aus der ana- tomischen Anlage hervor, dass vom Gehirn motorische Erregungen ausgehen, dass sensible Erregungen dorthin geleitet werden, und dass die Erregung nicht auf eine Stelle beschränkt bleibt, sondern sich verschiedenen Theilen der gesaramten Hirnrinde mittheilt. Ge- stützt auf Gründe, die theils schon oben angedeutet sind, Iheüs gleich unten näher mitgetheilt werden sollen, fasst man die Hirnrinde als den Ort auf, an dem die Einwirkung der Seele auf den Körper sich vollzieht. Die Grenze zwischen den sogenannten psychischen Functionen und den rein physiologischen ist im einzelnen praktischen Fall auf keine Weise mit Sicherheit zu ziehen, und lässt sich auch theoretisch nicht gut genau bestimmen. Psychische Functionen. Unter psychischen Functionen ver- steht man solche, bei denen neben den materiellen Vorgängen im Gehirn und im übrigen Körper auch Thätigkeiten der Seele, wie vor allem Wille und Empfindung, angenommen werden Ein bin- dender Nachweis für Thätigkeiten der Seele lässt sich nicht fuhren, und wenn man sie annimmt, liegt immer nur em Ruckschluss aus dem Yereleich mit der eigenen inneren Erfahrung vor. 3lan ist eben deswegen gezwungen Seelenthätigkciten anzunehmen, weil Wille und Empfindung für das eigene Ich unzweifelhaft feststehen. Man ist ferner gezwungen, zwischen der Seelenthätigkeit und den materiellen physiologischen Vorgängen einen Unterschied zu machen, weil die materiellen Vorgänge völlig genau bekannt sein konnten ohne dass die Begriffe von Willen oder Empfindung dadurch auch nur im mindesten verständlicher würden. Die wissenschaftliche physiologische Forschung kann in allerletzter Linie höchstens die Bewegungen der kleinsten Theile des Gehirns verfolgen und wurde, wenn sie dies Ziel erreicht hätte, ebensowemg nachweisen können, daTs dieser oder Jener Vorgang durch den W len henwWen oder von Empfindung begleitet ist, wie heut^zutage^ , J-Ll'ii lialb unzulässig, die Vorgänge im Gehirn und die Seelenthätigkeit Psychische Functionen. 519 i^eradezu für dasselbe erklären zu wollen, oder auch das Gehirn als „Sitz der Seele" zu bezeichnen. Denn die Seele ist nicht materiell und hat daher auch keinen örtlichen Sitz. Der liier zu machende Unterschied wird vielleicht durch folgende Betrachtung Ivlarcr: Eine AVaclisiigur mit einem Uhrwerk darin kann einem Alenschen täuschend ähnlich sehen, aber niemand wird im Ernst daran denken, ihr Wille und Empfindung zuzuschreiben. Nun kann man sich aber vorstellen, dass die Nachahmung bis zur absoluten materiellen Gleichheit im Bau der Figur imä des wirklichen Menschen getrieben würde. Eine solche Figur würde ohne Zweifel alle Reflexe, ja man darf sagen, auch alle anderen Thätigkeiten des Menschen genau wie ein echter Mensch ausführen, sie würde von einem Menschen thatsächlich nicht zu unterscheiden sein, und irotzdem würde man ebensowenig berechtigt sein, ihr Empfindung zuzuschreiben, wie der ersterwähnten Wachsfigur. Denn bei der fortschreitenden Annäherung an die materielle Gleichheit mit dem echten Menschen kommt an keiner Stelle eine Stufe, auf der noth- wendig Bewusstsein entstehen müsste. Die Seelenthätigkeit, das Bewusstsein, ist eben nicht auf blosse Bewegung von Materie zu- rückzuführen und folglich auch der Forschung, die nur Bewegung von Materie untersuchen kann, unzugänglich. Demnach muss auch der Zusammenhang zwischen Seelenthätigkeit und Vorgängen im (iehirn unverständlich bleiben und kann nur als erfahrungsgemäss festgestellt gelten. Man muss annehmen, dass gewisse Vorgänge im Gehira mit bestimmten, aus der Selbstbeobachtung bekannten Seelenzuständen verbunden sind. Ein solcher Seelenzustand ist der Wille, der, etwa im Falle einer willkürlichen Bewegung, \'on einer Erregung der flirnrinde begleitet ist, die sich aut den oben erwähnten Leitungs- bahnen dem Muskel mittheilt. Der Wille erscheint hier als erste Ursache, die Thätigkeit des Gehirns, mit der der physiologisch er- forschbare Vorgang beginnt, als zweites Glied in der Kette der Er- scheinungen. Andere solche Seelenzustände machen die Empfindungen aus, die sehr mannigfach sein können. Bei Reizung eines sensiblen Nerven lässt sich der Erregungsvorgang durch das Centralnerven- ^ystem bis zur Hirnrinde verfolgen. Mit der Erregung der Hirn- rinde ist bewusstes Empfinden verbunden, wenigstens weiss jeder Mensch, dass er eine bevvusste Empfindung hat, wenn dieselbe Reizung auf ihn einwirkt. Die Thätigkeit der Hirnrinde kann nun auch verwickelter sein, als sie bei einer blossen willkürliclien Muskelthätigkeit oder beim Empfinden eines Reizes erscheint. Denn es können gleichzeitig verschiedene Theile des Gehirns in Thätigkeit treten, zwischen denen eine Wechselwirkung besteht. Es kommt auf diese Weise zu den „associirten Bewegungen" und entsprechend zur Association von Empfindungen und Vorstellungen. In vielen dieser Fälle kann die Association, die auf anatomisch nachweisbarer Verknüpfung 520 Hemmung durch das Grosshirn. verschiedener Hirntheile beruht, iils ein rein materieller physio- logischer Vorgang aufgel'asst werden. Hierfür spricht, dass die associirten Bewegungen, für die die geraeinsame 13ewegung beider Augen das nächstliegende Beispiel ist, zwangsweise, unwillkürlich, miteinander verbunden sind. Der Association sehr ähnlich ist der Vorgang der Erinnerung, der als eine weitere Thätigkeit der Hirnrinde zu nennen ist. Unter Erinnerung pflegt man allerdings raeist eine geistige Thätigkeit zu verstehen, es ist aber kein Zweifel, das gerade die Fähigkeit, etwa Sinneseindrücke im GTedächtniss zu behalten, auf einer Thätigkeit der Hirnrinde beruht. Der Vorgang bei der Erinnerung ist dann etwa so aufzufassen, dass bei der Wiederholung desselben oder eines ähnlichen Eindruckes der vorher thätig gewesene Theil des Gehirnes bei der neuen Thätigkeit mitwirkt. Hierin liegt die Aehn- lichkeit mit der Association. Hierzu wäre noch zu bemerken, dass von der blossen Thätig- keit, Sinneseindrücke im Gedächtniss zu bewahren, bis zu der, Vor- stellungen von bestimmten Gegenständen und Begriffe von nach irgend- welchen Eigenschaften als Gruppe vereinigten Gegenständen zu bilden und schliesslich zu den höchsten Leistungen der Gedankenarbeit eine ganz gleichförmige Stufenleiter hinaufgeht. Ein recht grosser Theil dieser Art Thätigkeit, die man meist als eine „rein geistige" zu betrachten pflegt, iässt sich sogar als bloss materieller Vorgang erklären, geradeso, wie die geistige Leistung eines Gelehrten oder eines Verwalters zum grossen Theil auf raateriellen Hülfsraitteln in Form schriftlicher Aufzeichnungen zu beruhen pflegt. So kann das, was raan unter dem Gesammtbegriff „Bewusstsein" zusamraen- fasst, zum Theil auf einfache Association und Gedächlnissthätigkeit zurückgeführt werden. Hemmung durch das Grosshirn. Aus.ser den psychischen Functionen wird der Hirnrinde nun noch eine Thätigkeit zuge- schrieben, die zwar auch mit Bewusstsein ausgeübt werden kann, grossentheils aber unbewusst, unAvillkürlich, nach Art einer auto- matischen Thätigkeit oder eines dauernden Reflexes ausgeübt wird. Diese Thätigkeit besteht in einer heraraenden Einwirkung, die das Grosshirn auf die Reflexe ausüben soll. Es ist jedera aus Erfah- rung bekannt, dass man willkürlich Reflexe unterdrücken kann. Dazu ist nicht erforderlich, dass durch Muskelthätigkeit^die Reflex- bewegung aufgehalten wird, sondern es genügt der Einfluss des Willens, um "die Erregung des Reflexes zurückzuhalten, obschon der Reiz deutlich empfunden wird. Freilich gelingt dies nur, so- lange sich der Reiz innerhalb mässiger Grenzen hält. Jedenfalls ist aber hierzu eine merkliche Willensanstrengung erforderlich, und man kann daher den Vorgang so auffassen, als wcrde^ das Reflex- centrum von einer von der Hirnrinde ausgehenden Erregung be- troffen, die die Erregung von Seiten der sensiblen Reflexbahnen unterdrückt. Es ist ja oben schon angegeben, dass die Rellex- thätigkcit überhaupt durcli hinreichend starke Einwirkung anderer Quakversuch. 521 Reize unterdrückt werden kann. Vom Grosshirn geht aber noch eine andere, dauernd wirkende Art der Reflexhemmung aus, die nur daran erkennbar ist, dass nach Ausschaltung des Grosshirns die Rellexe in verstärktem Maasse auftreten. Das klassisclie Beispiel hierfür ist der sogenannte Qiiakver- such von Goltz. Männliche Frösche, insbesondere im Frühjahr, wenn man sie mit sanftem Druck von beiden Seiten mit Daumen und Zeigefinger hält, sodass man eben die Querfortsätze der Wirbel- säule durch die Weichtheile hindurch fühlt, pllegen mitunter andauernd in regelmässiger Folge zu quaken. Offenbar findet durch den Druck auf die Rückenhaut eine reßectorische Erregung statt, die das Quaken veranlasst. Dieser Reflex ist in den allermeisten Fällen so schwach, dass man ihn am normalen Frosch überhaupt nur selten zu beobachten Gelegenheit hat. Trägt man dagegen die Grosshirnhälften ab, so tritt mit raaschinenmässiger Bestimmtheit schon bei der leisesten Berührung der Rückenhaut über der Wirbel- säule Quaken ein. Der Versuch stellt dann zugleich ein vortreff- liches Beispiel für die Reflextliätigkeit im Ganzen dar, denn die Sicherheit, mit der eine so verwickelte, sonst nur als willkürliche Aeusserung des Wohlbehagens bekannte Function wie das Quaken, auf einen so geringfügigen Reiz, wie leises Streichen des Rückens mit der Fingerspitze, erfolgt, ist immer von neuem überraschend. Sieht man wie die Abtragung des Grosshirns den Frosch, der vor- her auf viel stärkere Reizung nicht quakte, in eine völlig sicher arbeitende Quakmaschine verwandelt, so ist dies ein schlagender Beweis, dass das Grosshirn die Reflexthätigkeit gehemmt hat. Man hat ferner nach einseitiger Störung der Grosshirnfunctionen an Thieren wie an Menschen Steigerung verschiedener Reflexthätigkeiten beobachtet. Die Hemmungsthätigkeit, die in jedem Augenblick einen zufällig auftretenden Reflex abschwächt oder verhindert, muss natürlich eine dauernde sein, und man spricht daher auch vom „Hemmungstonus" der Grosshirnrinde. Exstirpation des Grosshirns. Die obigen Angaben über die Functionen der Hirnrinde stützen sich auf Versuche und Beobachtungen, bei denen die Thätigkeit der Hirnrinde au.sgeschaltet ist. Am ein- fachsten und sichersten lässt sich dies bei niederen Thieren, etwa beim Frosch, dadurch bewerkstelligen, dass man, wie in dem eben er- wähnten Quakversuch, die Grosshirnlappen überhaupt entfernt, oder auch den ganzen Kopf an der hinteren Grosshirngrenze abschneidet. Es kommt nun darauf an, durch die Beobachtung festzustellen, welche Fähigkeiten dem der Hirnrinde beraubten Thiere fehlen. Beim ersten Blick unterscheidet sich der Versuchsl'rosch nicht von einem normalen. Man bemerkt nur, dass er sich nicht willkürlich bewegt. Da er, wenn man ihn durch Berührung zur Bewegung veranlasst oder in eine abnorme Stellung bringt, vollkommen sicher springt und sich sehr geschickt bewegt, so ist offenbar nur der Wille zur Bewegung ausgeschaltet. Der oben geschilderte Quak- reflex ist das einzige andere Ergebnis der Beobachtung. Nach 522 Grossliirnlose Taube. längerer Zeit sollen sich sogar anscheinend willkürliche Bewegungen in ausgedehntem Maasse wiederherstellen, indem der VersuchsCroscii ins Wasser und wieder herausgeht, sogar Fliegen langt und ver- zehrt und sich also, soweit die Beobachtung erkennen lässt, ganz wie ein normaler Frosch verhält. Aus diesen Beobachtungen ist zu schliessen, dass die Hirn- rinde bei den niederen Thieren eine sehr geringe Rolle spielt. Die rein willkürlichen Bewegungen treten gegenüber den durch äussere Reize hervorgerufenen Thätigkeiten ganz zurück, und es macht kaum einen Unterschied, wenn sie gänzlich fortfallen. Vollends ist es bei diesen Thieren unmöglich zu unterscheiden, ob bewusste Empfindung vorhanden ist oder nicht. Dass der Frosch bei Be- rührung fortspringt, dass er dabei Hindernissen ausweicht, kann ebensogut ohne Bewusstsein durch hochentwickelte Reflexthätigkeit zu Stande kommen. Von den höher entwickelten Thieren eignen sich vor Allem die Vögel zu Versuchen über Ausschaltung der Gro.s.shirnhemi- sphären, weil sie infolge der schnellen Gerinnung des Blutes den Eingriff leicht überstehen. Eine grosshirnlose Taube verhält sich geradeso wie eine schlafende Taube. Sie sitzt mit geschlossenen Augen, eingezogenem Kopf und aufgerichtetem Federkleid da, und rührt sich, wenn keine äusseren Reize einwirken, tagelang nicht vom Fleck. Dagegen ist die Fähigkeit zur Bewegung und die ge- sammte Reflexthätigkeit in vollem Umfange erhalten. Dies besagt, dass auch die Erregung sensibler Bahnen normal von statten geht, doch fehlt jedes Anzeichen, dass diese Erregungen auf ein Be- wusstsein wirken. Die enlhirnte Taube wird bei längerem Hungern unruhig und beginnt umherzulaufen, sie vermag aber ihr dargebotene Nahrung nicht zu erkennen. "Will man sie am Leben erhalten, so muss ihr die Nahrung bis zur Zungenwurzel in den Schnabel getrieben werden, worauf der Schlingreflex und die Verdauungsthätigkeit in normaler Weise erfolgt. Diese Versuche lassen also mit grosser Wahrscheinlichkeit schbessen, dass die bewussten Empfindungen vom Vorhandensein der Grosshirnrinde abhängen. Aehnlich, aber deutlicher zu erkennen sind die Ausfallser- scheinungen, die man an Säugethieren nach Abtragung der Gross- hirnhemisphären beobachtet hat. Hier ist indessen der Eingriff ein so schwerer, dass man die in den ersten Tagen gemachten Be- funde, bei denen noch störende Reizerscheinungen anzunehmen sind, aus den Versuchsergebnissen ausschliessen rau,ss. Bei einem gross- hirnlosen Hund, den Goltz während anderthalb Jahren beobachten konnte, trat ein aufffälliger Trieb zu zwecklosem Umherlaufen ein, der auf das Fehlen derllemnnmgen zurückgeführt werden kann. Ferner fehlten alle Aeusserungen, aus denen man auf psychische Vorgänge hätte schliessen können. Der Hund putzte sich nicht sauber, wie ein normaler Hund es thut, er kannte seine AVärter nicht, war unfähig, sich an irgend etwas zu gewöhnen, sondern sträubte sich jedesmal Schlaf. Localisation der Rindcnfunctionen. 523 von neuem, wenn er aus dem Käfig genommen \verden sollte, um "cmttert zu werden. So darf man diesen Versuch von Goltz als die überzeugendste Bestätigung der obigen Angaben über die Tliätig- keit der Hirnrinde ansehen. Es ist endlich noch anzuführen, dass die khnische Erfahrung am Menschen in zahreichen Fällen lehrt, dass selbst eine ganz ge- ringe Störung des Blutkreislaufs im Gehirn genügt, Bewusstsem und willkürliche Bewegung aufzuheben. Schlaf. In diesem Zusammenhange ist auch des Schlafes zu erwähnen, der als eine vorübergehende Unthätigkeit des Gross- hirns aufgefasst werden muss. Es lässt sich zur physiologischen Erklärung des Schlafes wenig mehr sagen, als schon die praktische Erfahrung lehrt, dass nämlich das Grosshirn normaler Weise nicht dauernd thätig sein kann, sondern periodisch ermüdet und sich während des Ruhezustandes im Schlafen erholt. Es sind eine ganze Reihe von Hypothesen aufgestellt worden, um die Entstehung des Schlafzustandes aufzuklären, die aber meist weit über das Ziel hinausschiessen, indem sie etwa eine Art Selbstvergiftung mit Er- müdungsstoffen oder andere Ursachen von ebenso grob wirkender Art annehmen. Träfen diese Anschauungen zu, so müsste der Schlaf mit viel dringenderer Nothwendigkcit eintreten, als es thatsäch- lich geschieht, und er müsste im ersten Augenblick am tiefsten sein. Dies ist aber nicht der Fall, sondern im Gegentheil pflegt der Schlaf selbst nach mehreren Stunden immer fester zu werden. Beachtenswerth erscheint der Umstand, dass der Schlaf desto leichter eintritt, je weniger Sinneseindrücke auf den Körper ein- wirken, und dass jeder stärkere Reiz, der die Sinnesorgane trifft, zum Erwachen führt. Dies deutet darauf, dass der Schlaf nicht als ein besonderer Zustand der Leistungsunfähigkeit des Gehirns aufzufassen ist, sondern vielmehr als blosse Unthätigkeit aus Mangel an Anregung. Das Schlaf bedürfniss wäre demnach ebensowohl auf Ermüdung der Sinnesorgane als auf Ermüdung des Ge- hirns selbst zurückzuführen, womit allerdings nur eine Ver- schiebung der Frage, nicht eine Beantwortung gegeben wäre. Die angedeutete Auffassung passt auch viel besser zu der Thatsache, dass das Schlafbedürfniss verschiedener Individuen ein sehr ver- schiedenes ist. Localisation der Rindenfunctionen. Indem man zu er- gründen sucht, wie die beschriebenen Verrichtungen der Hirnrinde zu Stande kommen, entsteht zunächst die Frage, ob die Hirnrinde im Ganzen als ein einheitliches Organ thätig ist, oder ob ihre ein- zelnen Theile besondere Verrichtungen haben. Die zweite Ansicht wurde zwar schon im klassischen Alterthum ausgesprochen, doch führte die Untersuchung immer wieder zur Anschauung von der Einheit der Gehirnfunctionen zurück. Auch die Lehre Gall's, der die Hirnrinde als Sitz der psychischen Verrichtungen in eine grosse Anzahl Einzelgebiete theilte, wurde von strengeren Forschern mit Recht verworfen. Es war nämlich ein buntes Gemisch von geistigen 524 Elektrische Reizung am Giosshirn. Eigenschaften und Fähigkeiten, von Charaktereigenthümlichkeiten und von Sinnestliütigkeiten, die Gall ganz ohne ausreichende Bo gründung an diese oder jene Stelle der Hirnobcrdäche verlegt liatte, Üebcrdies wurde Galls's Lehre durch die Annahme, dass die Eni- Avicklnng der verschiedenen Ilirntheile sicli an der äusseren Form des Kopfes kundgeben müsse, zu der berüchtigten „Schädellehre" umgebildet, die sich vermaass, nach Betasten des Kopfes über die geistigen Anlagen jedes Menschen, den Hang zu Verbrechen und anderes mehr, abzuurtheilen. Die neuere Forschung hat nun zwar thatsächlich gezeigt, dass die Hirnrinde in einzelne Gebiete mit verschiedenen Verrichtungen zerfällt. Es ist auch thatsächlich festgestellt, dass gewisse HirntheiLe auf die innere und sogar auch auf die äussere Form der Schädelkapsel Einfluss haben. Durch diese Erkenntnis sind aber die Lehren Gall's keine.swegs bestätigt, vielmehr deren Unhaltbarkeit erst mit Bestimmtheit er- wiesen worden. Zuerst bewies Broca, was Gall nur verrauthet hatte, .dass das Sprachverraögen verloren geht, wenn eine ganz bestimmte Stelle der Hirnrinde, nämlich die linke dritte Stirnwindung, verletzt wird. Weitere klinische Beobachtungen, die Jackson über die nach ihm benannte Form der Epilepsie machte, liessen als sehr wahrscheinlich voraussetzen, dass die Gebiete der Hirnrinde reit den Körpertheilen einzeln in Verbindung ständen. Der unzweifelhafte Beweis hierfür und die genauere Eintheilung der Rinde wurde aber erst möglich, als Fritsch und Hitzig fanden, dass man die Hirnrinde durch elektrische Reizung erregen könne. Der bis da,hin geltenden Auffassung, dass die Hirn- rinde unerregbar sei, gerade entgegen, gaben Fritsch und Hitzig an, dass man durch Reizung gewisser Hirnstellen bei Säugethieren Bewegungen der Augen, Ohren und Extremitäten hervorrufen könne. Es bedarf dazu beträchtlich stärkerer Ströme, als zur Reizung von Nerven oder Muskeln, und die Hirnrinde muss durchaus unverletzt bleiben. Eine kleine Verwundung beeinträchtigt oft die Erregbar- keit ganz weit entfernter Gebiete. Ferner darf das A^ersuchsthier zu der Zeit, in der die Reizung vorgenommen wird, nicht zu tief mit Chloroform oder Aether narkotisirt sein, da diese Stoffe in erster Linie auf das Grosshirn einwirken. Man pflegt in tiefer Narkose den Schädel zu öffnen, und dann einige Minuten zu warten, bis die Betäubung nachgelassen hat. Die Bewegungen, die man durch Reizung der Grosshirnriude erhält, sind von denen, die durch Reizung von Nerven oder Mu,s- keln hervorgerufen werden, von Grund aus verschieden. Es sind nicht Zuckungen einzelner Muskeln, sondern coordinirte Be- wegungen ganzer Muskclgruppen. Sie gleichen hierin den vom Rückenmark ausgehenden Reflexen oder auch der willkürlichen Be- wegung unverletzter Thiere. Die Reizung der Hirnrinde wirkt natürlich infolge der oben besprochenen Kreuzung der Leitungs- bahnen auf die entgegengesetzte Körperhälfte. Man pflegt ver- Localisation der Rindenfunctionen. 525 schiedene motorische und sensorielle Rindengebiete zu untersclieiden, doch sind diese Bezeichnungen nicht so zu verstellen, als ob die Möglichkeit der Bewegung und Euipiindung ausschliesslich an das Vorhandensein dieser Rindentheile gebunden wäre. Denn wenn man ein motorisches Rindenfekl entfernt, so wird der entsprechende Körpertheil dadurch keineswegs gelälirat, es fallen nur solche Be- wegungen fort, bei denen eine bewusste Willensthätigkeit voraus- gesetzt werden kann, und es treten Störungen auf, die eher auf einen Mangel der Empfindlichkeit als der Beweglichkeit deuten. AVenn zum Beispiel einem Hunde diejenige Stelle der rechten Hirn- rinde ausgeschnitten ist, bei dei'en Reizung Bewegungen des linken Vorderbeines eintreten, so benutzt der Hund die Pfote beim Gehen und Laufen fast wie ein normaler Hund. Dagegen vermag er nicht Fig. 77. Eintlieilung der Grossliirnrinde des Hundes nach H. Münk. A Sebphilre . n HUrspliilre, C—J KOrperfUliIspliilre , C Hinterlieinresion . D Vordeibeinregion E Kopfregion, F Augenregion, 0 Olirregion, 11 Nuclier.region, ./ Rumpfregion. niehi-, auf Kommando die linke Pfote zu geben, und ei- benutzt auch die linke Pfote nicht mehr zu besonderen Zwecken, wie etwa Festhalten eines Knocliens, den er benagt, und dergleichen mehr. Ferner hört man häufig beim Gehen die Klauen des betreffenden Beines auf dem Boden aufsti-eifen, und dei' Hund lässt zu, dass man iiim beim Stehen die Pfote umgeknickt, mit dem Fussriicken gegen den Boden, unterstellt, Wtährend ein normaler Hund in diesem Falle stets augenblicklich den Fuss hebt und wieder in normaler Stellung aufsetzt. Diese beiden Beobachtungen deuten auf eine 526 Spvachcentrum. Störung der Empfindungen. Auch der ßewegungsreflex auf ganz leise Berührungen fehlt dem geschädigten Bein. Um d iese Eigenthünilichkeiten der Beziehung zwischen moto- risclier Hirnrinde und Bewegungsorganen auszudrücken, Jiat II. Münk die Bezeichnung „Körperfühlsphäre" für die motorische Rinde eingeführt. Die Eintheilung der Hirnrinde des Hundes in die „Fühlsphären" der einzelnen Körpertheile ist im Grossen aus der Figur 77 zu ersehen. Die Fühlsphäre des Eumpl'es ist beim Hunde im vordersten Theil der Rinde, die des Nackens und der Glieder um den Sulcus cruciatus gelegen. Vor dem Sulcus ist die Reiz- stelle [ür Hals und Nacken, dann folgt Vorderbein und Hinter- bein. Diese Eintheilung lässt sich durch die Reihe der übrigen Thiere bis zu Affen und Menschen liinaul' mit gewissen Ver- schiebungen verfolgen. Beim Affen und Menschen entspricht die Centraifurche dem Sulcus cruciatus des Hundes, sodass im AVesent- lichen die beiden Centraiwindungen die motorische Zone, die Körpei'fühlsphäre, umfassen. Mit dei- iiöhei'en Entwicklung der Be- wegungsfähigkeit, wie sie sich zum Beispiel in den Leistungen der Hand und der einzelnen Finger beim Affen äussert, lassen sich auch die entsprechenden Gebiete der Hirnrinde weiter eintheilen. Sprachcentrura. Eine besondere Stelle nimmt in der Hirn- rinde des Menschen das sogenannte Sprachcentrum ein. AVie oben erwähnt, hat Broca entdeckt, dass Schädigung der linken dritten Stirnwindung den Verlust der Sprache nach sich zieht. Liegt die Störung im Innern, so können die zum Sprechen nothwendigen Bewegungen nicht mehr richtig ausgeführt werden. Man nennt dies „subcorticale motorische Aphasie". Bei dieser Art Aphasie ist selbst- verständlich auch das Nachsprechen gehörter "Worte und das Vor- lesen unmöglich, dagegen hat die schriftliche Verständigung keine Schwierigkeit. Wenn aber die Rinde mitverletzt ist, so ist damit die Fähigkeit der Wortvorstellungen gestört, sodass der Kranke auch nicht selbständig schreiben oder mit Verständniss lesen kann. Eine dritte Art Aphasie ist die „sensorische Aphasie", die bei Verletzung des linken Schläfenlappens, also der Hörsphäre auftritt. Hier ist die Fähigkeit zu sprechen, zu schreiben, zu lesen erhalten, aber €S fehlt das Verständnis für das gehörte Wort. Durch die Beob- achtung und Vergleichung solcher Kranklicitsbilder, die eine sehr grosse J\lannigfaltigkcit zeigen, und die durcli zahlreiche besondere Benennungen wie Agraphie, Alexie u. a. m. unterschieden werden, ist das normale Sprach vermögen in eine ganze Reihe Einzelthätig- keiten aufgelöst worden. Beim Ausspreclien irgend eines Wortes wirken niclit bloss alle die einzelnen Theile des Gehirns mit, die bei der Bildung des Begriffes thätig gewesen sind, sondern es kommen noch hinzu die Hirnstellen, die für die \ orstellung des AVortklanges und der zum Hervorbringen des Wortes erforder- Epilepsie. 527 liehen BcM'egung maassgebend sind, und schliesslich, beim Cultur- menschcn, auch^ die, die das Schriftbild oder die zum Schreiben nöthigen ßewegungsvorstellungcu vermitteln. Von diesen wird in der Regel eine oder die andere so sehr im Vordergrund stehen, dass die Thätigkeit der anderen daneben verschwindet: Fremdsprachige Worte werden zum Beispiel bei dem, der aus Büchern lernt, haupt- sächlich durch das Schriftbild, bei dem, der durch den Sprachge- brauch lernt, liauptsächlich durch das Klangbild vertreten sein. Besonders interessant ist an der Erscheinung der Aphasie, dass sie bei rechtshcändigen Menschen ausschliesslich an die Ver- letzung der linken, bei Linkshändern an die der rechten Hemisphäre gebunden ist. Es geht daraus hervor, dass die Bevorzugung der rechten Körperhälfte durchaus nicht eine blosse Sache der Ge- wöhnung ist, oder zum Mindesten, dass dann die Gewöhnung zur Rcchtsliändigkeit dem Gebrauch der Sprache vorangegangen sein muss. Denn die Thätigkeit der Sprachwerkzeuge ist eine doppel- seitige, und es kann daher nicht auf Gewöhnung beruhen, dass die linke Ilirnhälftc vorzugsweise der Sprachinnervation dient. Es muss also die linke Hirnhälfte entweder aus einem inneren Grunde von vornherein ein Uebergewicht über die rechte haben, oder wenn dies durch die bessere Einübung der rechten Hand verursacht ist, muss die Ausbildung zum Rechtshänder der Ausbildung im Sprechen \'orausgegangen sein. Bei jugendlichen Menschen kann nach linksseitiger Hirnverletzung die Aphasie dadurch beseitigt werden, dass sich ein rechtsseitiges Sprachcentrum ausbildet. Bei höherem Alter scheint ein solcher Wechsel nicht mehr möglich zu sein. Rindenepilepsie. Wird beim Versuch am Thier irgend eine Stelle des motorischen Gebietes der Hirnrinde allzu lange oder zu stark gereizt, so tritt mit der erwarteten Bewegung ein Krampf- anfall ein, der mit den Anfällen Epileptischer die grösste Aehn- lichkeit hat. Die Bewegung wird krampfhaft wiederholt und breitet sich über einen immer grösseren Theil des Körpers aus, indem erst die eine, dann auch die andere Körperhälfte in rhythmische Krämpfe verfällt. Dabei krümmen sich Ilals und Rumpfj gewaltsam, und das Maul klappt auf und zu, dass die Zähne knirschen. So kann sich das Thier minutenlang in den heftigsten Krämpfen winden, bis endlich der Anfall nachlässt und einem Zustand von Bewusstlosig- keit und Erschöpfung Platz macht. Man bezeichnet dies als „Rindenepilepsie". Beim Menschen beobachtet man, wenn die Hirnoberfläche durch Geschwulstbildungen oder Aehnliches gereizt wird, die sogenannte Jackson'sche Epilepsie, die der Rindenepilepsie vollständig gleich- zustellen ist. Aus Befunden in solchen Fällen hatte der englische Arzt Jackson schon lange vor Fritsch und Hitzig auf die Localisation der Rindenfunctionen geschlossen. Die Sinnessphären. Von einigen Stellen der Hirnrinde er- hält man bei elektrischer Reizung keine Bewegung oder doch nur 528 Die Sinnessphären. Bewegungen, die mit der Tiiätigkeit von Sinnesorganen zusammen- luingen, wie Wendung der Augen, Spitzen des Ohres. Entfernt man diese liindensLellen, so ist die Thätigkeit des betreffenden Sinnesorgans aus- geschaltet. Daraus ist zu schliessen, dass diese Theile der Hirn- rinde die Thätigkeit der Sinnesorgane vermitteln, und man be- zeichnet sie deshalb als Sinnessphären. Lage und Ausdehnung der Sinnessphären des Hundegehirns sind aus der obigen Figur (77) zu ersehen. Dieser Vertheilung entspricht auch ungefälir die beim Affen und Menschen. Demnach umfasst die Rinde des Occipitallappens die Seh- sphäre. Schneidet man beim Hunde oder Affen die Rinde des Occipitallappens möglichst fort, so erscheint das Thier völlig blind. Dieser Zustand, den man als „Rindenblindheit" bezeichnet, unter- scheidet sich in mehreren Punkten wesentlich von der gewöhn- lichen Blindheit, wie sie durch Verlust der Augen entsteht. Das rinden- blinde Thier hat nicht nur die Fähigkeit verloren Gesichtseindrücke aufzunehmen, sondern es hat auch die Gesichtsvorstellungen ver- loren, die ihm von früher her geläufig waren. Ein Hund, dem die Augen verbunden sind, vermag sich durch Geruch und Gefühl als- bald in der ihm durch die Erinnerung bekannten Umgebung zurecht- zufinden, der rindenblinde Hund hat mit den Gesichtseindrückeu auch das Orientirungsvermögen überhaupt zum grossen Theil ein- gebüsst. Dies spricht sich auch darin aus, dass ein rindenblindes Thier sich überhaupt nicht freiwillig von der Stelle bewegt, weil es Hindernisse nicht, zu A-ermeiden im Stande ist. Die näheren Beziehungen der Sehsphäre zum Auge sollen erst in den weiter unten folgenden Abschnitten über den Gesichtssinn besprochen werden. Es sei jedoch hervorgehoben, dass die Seh- phäre jeder Seite mit beiden Augen in Verbindung steht. Trägt man die Occipitalrinde auf einer . Seite ab, so entsteht halbseitige Blindheit beider Augen, Hemianopsie. Es handelt sich auch hier natürlich nicht um eigentliche Blindheit, sondern es ist nur die Wahrnehmung für die dem Auge dargebotenen Lichteindrücke aufge- hoben. Der doppelseitigen halben Blindheit nach einseitiger Abtragung der Sehphäre entsprechen die Ergebnisse, die man aus den Ver- suchen mit elektrischer Reizung des Occipitalhirns gewinnt. Auf Reizung der Sehsphäre erfolgen nämlich Bewegungen des Kopfes und der Augen, die man nicht als unmittelbare Folge der Reizung ansehen kann, weil erstens, wie oben angegeben, die motorischen Bezirke der Hirnrinde eine ganz bestimmte Anordnung darbieten, die die Bewegungen des Kopfes und der Augen schon enthält, und weil zweitens die Bewegung auf den Reiz erst in längerem Zwischen- raum folgt, als bei Reizung am Vorderhirn. Man darf also an- nehmen, dass die Reizung der Sehsphäre eine Gesichtswahrnehmung zur Folge hat, und dass erst die Gesichtswahrnehmung die Be- wegung nach sich zieht. Aus der Richtung, in der die Bewegungen bei Reizung verschiedener Stellen der Hirnrinde erfolgen, kann man Wärmestich. Pupillarreflex. 529 auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Theilen der Netzhaut und den einzelnen Theilen der Schsphäre schliesson. Aehnlich wie die Rinde des Hintcrhauptlappens zum Gesichts- sinn verhält sich die des Schläfenlappens zum Gehörsinn. Nach Entfernung- der Einde beider Schläfenlappen hört ein Ilund nicht mehr auf den Ruf seines Herrn, er spitzt bei Geräuschen nicht mehr die Ohren, kurz er erscheint völlig taub. Endlich Avird für den Geruchsinn der vordere Theil der unteren Fläche des Gehirns am Gyrus hippocampi als „Riechsphäre" an- genommen. Zwischen- und Mittelhirn. Es ist oben schon angegeben worden, dass das Grosshirn ausser der Rinde auch in seinem Innern .Massen grauer Substanz enthält. Nach ihren anatomischen Verbin- dungen sind diese Massen theils als End- oder Ursprungspunkte von eigenen Leitungsbahnen, theils als eingeschaltete Zwischenglieder an- zusehen. Welche Verrichtungen ihnen zugeschrieben werden müssen, geht aus den oben besprochenen Versuchen an Thieren hervor, denen die Grosshirnrinde entfernt worden ist. Diese Versuche sind oben von dem Standpunkte aus betrachtet worden, dass es festzustellen galt, welche Fähigkeiten durch Entfernung des Grosshirns verloren gehen. Umgekehrt kann man dieselben Versuche auch daraufhin mustern, welche Fähigkeiten über die Leistung des Rückenmarks hinaus noch bestehen bleiben, wenn die Hirnrinde entfernt ist. Alle diese Fähigkeiten müssen dann, soweit sie nicht schon im Rückenmark vorhanden sind, den subcorticalen Himcentren zuge- schrieben werden. Ausserdem sind durch besondere Untersuchungen einzelne Theile des Mittelhirns als Centra für gewisse Thätigkeiten nachgewiesen worden, die hier zunächst erwähnt werden mögen. Wärmestich. Bei Kaninchen hat man nach Verletzung des Corpus striatum eine Zunahme der Körperwärme beobachtet, die auf vermehrter Wärmeproduction beruht. Man kann den Versuch in der Weise anstellen, dass man eine feine Nadel durch das Grosshirn bis in das Corpus striatum einsticht, und nennt ihn des- wegen kurzweg den Wärmestich. Die Temperatursteigerung tritt nach einigen Stunden auf. Sie beruht auf einer Steigerung des Stoffwechsels, die bis zu 20 pCt. betragen kann. Pupillarreflex. Für einen wichtigen Reflex des Auges, nämlich die Verengerung der Pupille bei Lichteinfall, bilden die vorderen Vierhügel den Scheitelpunkt. Coordination. Die zum Theil sehr verwickelten Muskel- thätigkeiten, die man an Thieren nach Abtragung der Rinde noch wahrnimmt, lassen schliessen, dass das Mittelhirn eine hohe Stufe selbstständiger Fähigkeit zur Ordnung reflectorischer Bewegungs- antriebe besitzen muss. Der Frosch, dem die Grosshirnhemisphären vom Mittelhirn getrennt oder ganz abgetragen sind, sitzt aufrecht in normaler Stellung und sträubt sich geschickt, wenn man ihn in eine andere Stellung zu bringen sucht. Wird er gestossen oder gekniffen, so springt er fort und überklettert oder umgeht ihm R. du Bois-Ro y raon d, Physiologie. oa 530 Kleinhirn. entgegenstehende Hindernisse. Setzt man den grosshirnlosen Frosch auf ein Brett, das man allmälilich neigt, so rutscht er nicht passiv liinab, sondern drelit sich herum bis sein Kopl nach oben gerichtet ist, und kriecht auf dem Brette hinauf bis er die Kante erreicht. Drelit man das Brett immer weiter, so hält er sich auf der Kantf im Gleichgewicht und steigt bei fortgesetzter Drehung des Brettes wieder auf der anderen Seite weiter in die Höhe. Die Erhaltung des Gleichgewichts unter schwierigen Bedingungen, die Fähigkcii. so verwickelte Bewegungen wie den Uebergang aus der Rückenlage in die normale Hockstellung auszuführen, hat also der Frosch aucli ohne Hirnrinde vermöge des Mittelhirns allein. Ganz ähnlich stellen sieb die Leistungen des Mittelhirns bei der grosshirnlosen Taube dar. Sie hält sich auf einer Stange, auf die man sie setzt, im Gleichgewicht, auch wenn die Stange gedreht wird, indem sie mit den Füssen geschickt nachgreift und nöthigen- falls mit den Flügeln sclilägt. In die Luft geworfen, fliegt sie, aber nur in der Richtung nach abwärts und ohne Hindernisse zu vermeiden. Endlich der grosshirnlosc Hund bewegt sich ebenso wie Frosch und Taube ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Er vermag aber nicht wie der Frosch Hindernisse zu vermeiden. An besonderen Coordinationsleistungen ist zu erwähnen, dass Kaubewegung, auch Auflecken von Milcii, und Bellen beobachtet worden ist. Nach alledem darf die graue Substanz des Mittelhirus im Allgemeinen als die Stelle angesehen werden, an der die Enipfin- dungs- und Bewegungsbahnen mit einander zum Zwecke der ver- wickeiteren Coordinationsthäiigkeiten in Verbindung stehen, wie .sie etwa für Stehen, Gehen, Springen, Fliegen und zur Erhaltung des Gleichgewichts bei allen diesen Bewegungsarten nöthig sind. Kleinhirn. Eine ähnliche Rolle spielt das Kleinhirn, das durch seine drei Arme mit dem gesammten Centrainervensystem in Verbindung steht. Durch die unteren Arme werden ihm Er- regungen aus den sensiblen Bahnen des Rückenmarks zugeleitet, durch die mittleren erhält es Erregungen vom Gehirn her, und durch die oberen überträgt es die in seinen eigenen Centren gesammelten Erregungen auf Mittelhirn und Grosshirn. Nach doppelseitiger, vollkommener Entfernung des Kleinhirns sind Hunde zuerst unfällig zu stehen und zu gelien. Bei jedem Versuch kommen sie ins Schwanken und fallen hin. Nach einiger Zeit stellt sich die Fähigkeit, das Gleichgewicht zu erhalten, wieder her, und die Thiere erlernen auch das Gehen wieder, aber niclit in normaler Weise. Vielmehr behält die Bewegung etwas sprunghaftes, indem Vorderkörper und Hinterkörper abwechselnd ruckweise vorgeschoben werden Diese Form des Ganges ist nur ein Zeichen davon, dass die Coordination der Muskelthätigkeit im Allgemeinen geschädigt ist, sodass auch alle anderen Bewegungen unsiclicr und schwach ausgeführt werden. , ^ j Zwangsbewegungen. Nach einseitigen Verletzungen des Zwangsbewegungen. 531 Kleinhirns oder des Mittelhirns beobachtet man an Thieren und Menschen die „Zwangs bewegungen". Die Zwangsbewegung besteht darin, dass das Thier oder der Mensch, wenn er sich überhaupt bewegt, eine Drehung nach einer bestimmten Seite ausführt, Je nach dem Grade der Störung unterscheidet man die „Reitbahn- bewegung" (Manege-Bewegung), bei der das Versuchsthi'cr sich wie ein Plerd an dei- liOnge in weitem Kreise bewegt, von der „Zeiger- bewegimg", bei der die Wendung so sciiarf gemacht wird, dass das Hintertheil des Thieres auf derselben Stelle bleibt, sodass sich die Längsaxe des Körpers wie ein Uhrzeiger um das fest- stehende Hintertheil dreht. Die Uhr/.eigerbewegung kann endlich noch in die „Rollbewegung" übergehen, indem das Tiiier sich bei der Drehung überschlägt, sodass es sich fortwährend seillich um seine Längsaxe rollt. Der genauere Zusammenhang dieser Be- wegungsstörungen mit der Verletzung lässt sich nicht angeben. Die Drehung kann entweder durch zu starke Bewegungen der einen oder durch zu schwache Bewegungen der anderen Seite zu Stande kommen, die entweder durch Reizwirkung oder durch Lähmung im Gebiete der Verletzung bedingt sein können. Peripherisches Nervensystem. Eintheilung der peripherischen Nerven. Die periphe- rischen Nervenstämme stellen zwar, wie oben wiederholt hervorge- hoben ist, keine physiologisch einheitliciien Gebilde dar, sondern sie fassen Leitungsbalmen ganz verschiedener Art zusammen, man pflegt aber trotzdem die Leistungen der Nervenstämme nach ihrer anatomischen Anordnung darzustellen, weil es praktisch wichtig ist, zu wissen, welche Verrichtungen etwa bei der Beschädigung eines bestimmten Nervenstammes ausfallen. Zu diesem Zwecke wird eine kurze Uebersicht genügen. Die specielle Physiologie der peripherischen Nerven folgt der anatomischen Eintheilung in Hirnnerven, Spinalnerven, Sympathische Nerven. Hirnnerven. Von den 12 Paaren der Hirnnerven können drei, nämlich der Riechnerv, Sehnerv und Hörnerv hier übergangen werden, weil sie in der Lehre von den Sinnesorganen besprochen werden sollen. Das HI. Paar, der Ocuioraotorius, ist, wie sein Name sagt, Bewegungsnerv des Auges, er enthält aber auch sensible Fasern, die zum Trigeminus verlaufen. Er entstammt den vorderen Vierliügeln und verteilt sich an die vier geraden Augenmuskeln mit Ausnahme des Lateralis, an den Obliquus inferior und den Levator palpebrae. Ausserdem giebt er einen Zweig zum Ganglion ciliare ab, der mit den Ganglienzellen in Verbindung tritt, aus denen die kurzen Ciliarnerven zum Sphincter der Pupille hervorgehen. Bei den Thieren, bei denen noch eine zweite Gruppe gerader Muskeln, der sogenannte Retractor bulbi vorhanden ist, giebt 34* 532 Hirnnerven. der Oculomotorius auch Aeste für diese Muskeln, mit Ausnalime des lateralen, ab. Der Oculomotorius hat also drei wichtige Verrichtungen: Er bewegt den Augapfel nach oben, unten und innen, er hebt das Augenlid, und er verengt die Pupille. Nach Durchschneidung des Oculomotorhis beobachtet man Auswärtsstellung des Augapfels, weil von den Augenmuskeln nur der Lateralis noch wirksam ist, Ptosis, das heisst Herabhängen des oberen Lides, und Erweiterung der Pupille. Bemerkensw^erth ist, dass der Oculomotorius, obschon er nur eine so geringe Muskelmasse mit Fasern versie])t, nicht weniger als 1 5 000 einzelne Nervenfasern enthält. Dies wird mit der Thatsache in Zusammenhang gebracht, dass die Spannung der Augenmuskeln ausserordentlich genau geregelt sein muss, um die Blickrichtung so scharf einzustellen, wie es thatsächlich geschieht. Das IV. Paar, N. trochlearis, entspringt etwas weiter hinten, aus der gleichen Zellgruppe Avie der Oculomotorius, und verläuft ausschliesslicli zum oberen schiefen Augenmuskel. Dieser Muskel wendet den Augapfel nach unten und aussen. Nacli Durchschneidung des Trochlearis weicht daher die Blickrichtung nach oben und innen von der Normalstellung ab. Auch dem Troch- learis sind sensible Fasern beigemischt. Das VL Paar, N. abducens, mag hier des besseren Zusammen- hangs wegen vorausgenommen werden. Der Abducens entspringt von den Striae acusticae am Boden des vierten Ventrikels und tritt schon ziemlich weit hinten, neben dem Keilbeinkörper, in die Dura mater ein, um unter dem Sinus cavernosus hindurch zur Fissura orbitalis zu laufen und sich im Rectus lateralis zu verzweigen. Bei den Thieren erhält das äussere Bündel des Retractor einen Ast vom Abducens. Der Nerv dient ausschliesslich dazu, durch Inner- vation des äusseren Augenmuskels das Auge nach aussen zu wenden. Wird er durchschnitten, so weicht die Blickrichtung nach innen ab. Dieser Zustand wird beim Menschen als ein Symptom syphilitischer Erkrankung des Nerven oder der Hirnhäute nicht selten beobachtet. Das V. Paar, der Trigerainus, zerfällt in einen motorischen und einen sensiblen Theil. Der motorische Theil stammt aus einer unmittelbar oberhalb des Facialiskerns gelegenen Zellgruppe am Boden des vierten Ventrikels und verläuft zu den Kaumuskeln, dem Temporaiis, Masseter und den beiden Pterygoidei. Der Buccina.tor erhält Aeste vom Trigeminus und vom Facialis. Bei Kaninchen, denen ein Trigeminus durchschnitten ist, beobachtet man, dass m- folge der einseitigen Kaumuskellähmung die Nagezähne sich schief abschleifen, soda'ss die Spalte zwischen den Zähnen an der ge- lähmten Seite tiefer steht. Ausserdem giebt der motorische Ast des Trigeminus einen Zweig für den M. tensor tympani ab. Der sensible Theil des Trigeminus entliält die Empfindungs- nerven für Kopf- und Gesichtshaut der betreffenden Seite, für das Auge, für Nasen- und Mundhöhlonschleimhaut und für die Gehirn- Hirnnerven. 533 haut. Ferner führt der Trigeminus Fasern, die die specifischen Empfindungen der Geschmacksorgane des vorderen Theiles der Zunge vermitteln. Es verlaufen in dem dritten Aste des Trigeminus Fasern, die aus dem Facialis stammen und die Secretion der Maxillardrüse beherrschen, und eigene Fasern, die die Secretion der Nasenschleirahaiit und der Schweissdrüsen des Gesichtes, sowie die Orbitaldrüse der Thiere, nicht aber die Thränendrüse er- regen. Als Empfindungsnerv eines so ausgedehnten und wichtigen Gebietes stellt der Trigeminus die sensible Balm für viele wich- tige Eeflexe dar, von denen der Hornhautreflex und der Niesreflex schon oben erwähnt worden sind. Um diese Beziehungen des Tri- geminus nachzuweisen, ist es erforderlich, den ganzen Stamm inner- halb der Schädelhöhle durchschneiden zu können. Diese Operation hat zuerst Magendie am Kaninchen ausgeführt. Man bedient sich dazu eines eigenen, von Claude Bernard angegebenen Messers, das man mit flachgelegter Schneide vor dem knöchernen Gehörgang durch den Schädel einstösst, dann dreht, sodass die Schneide nach unten steht, und unter Druck auf der Schädelbasis zurückzieht, sodass es den Trigeminus durchtrennt. So operirte Thiere sind an der betrefl'enden Kopfhälfte vöUig empfindungslos. Der Horn- hautreflex fehlt, und wenn man nicht besondere Schutzmaassregeln anwendet, wird die Hornhaut des betreffenden Auges in kurzer Zeit trübe, vereitert, und das ganze Auge geht verloren. Man bezeichnet diese Erscheinung als „Trigeminuspanophthalmie". Das Vn. Paar, N. facialis, bildet gewissermaassen das Gegenstück zum Trigeminus, indem es die ganze Gesichtshälfte mit motorischen Nerven versieht. • Die Zellgruppe, aus der der Facialis entspringt, schliesst sich distal an den Ursprungskern des motorischen Thcils des Trigeminus am Boden des vierten Ventrikels an. Der grösste Theil des Facialis geht zu den soge- nannten mimischen Gesichtsmuskoln, dem Muskel der Stirnhaut, dem Schliessmuskel des Auges, den Muskeln der Nase, der Wange und Lippen, einschliesslich des Buccinator, und endlich noch zu einem Theile der vorderen ITalsmuskeln. Durch den vom Ganglion geniculi des Facialis abgehenden Petrosus superficialis major "ent- sendet der Facialis Fasern zum Ganglion sphenopalatinum, die von da durch den Nervus palatinus posterior zu den Muskeln des weichen Gaumens gelangen. Ferner giebt der Facialis unmittelbar unter dem Knie einen Ast zum M. stapedius des Gehörorgans ab. Ausser den motorischen Fasern enthält der Facialis diejenigen Fasern, durch die die Submaxillar- und Sublingual-Drüse zur Se- cretion angeregt werden. Diese gehen vom Stamm des Nerven in die Chorda tympani über, schliesscn sich dem N. lingualis vom dritten Ast des Trigeminus an und treten durch das Ganglion sub- maxillare zu den Drüsen. Ebenso gehen secretorische Fasern für die Thi-änendrüse vom 534 Hirnnervon. Facialis in den Trigcminus über und verlaufen im N. lacrymalis des ersten Astes zur Tliränendrüse. Endlich führt der Facialis auch vasomotorische Fasern. Obschon der Facialis demnach als rein centrifugale Balm er- scheint, ist die Durchschneidung unterhalb der Austrittsstelle doch schmerzhaft, weil sich sensible Fasern vom Trigeminus dem Facialis- stamm beimischen. Die Durchschneidung des Facialis hat Lähmung säramtlicher angeführten Muskeln zur Folge, sogenannte „Gesichts- lähmung". Dies ist ein nicht ganz seltener I{rankheitszustand, weil bei Erkrankungen und Operation am Gehörorgan der Facialis leicht beschädigt wird. Bei der Lähmung ist zuerst die Gesichtshaut nach der gesunden Seite hinübergezogen, weil die gelähmten Muskeln dem Zuge der ungeschwächen Muskßln nachgeben. Später schrumpft die ge- lähmte Muskulatur und verzieht das Gesicht nach der gelähmten Seite zu. Das IX. Paar, N. glossopharyngeus, entspringt einem seit- lich vom vierten Ventrikel gelegenen Gebiet unmittelbar ober- halb des Vaguskernes. Sein Hauptantheil dient der Leitung der specifischen Geschmacksempfindungen vom hinteren Theil der Zunge aus. Ausserdem enthält er secretorische Fasern für die Speichel- drüsen, die theils durch den N. Jacobsonii, Petrosus superficialis minor, Ganglion oticum, Ramus auriculo-temporalis Trigemini zur Parotis, theils durch die Portio intermedia Wrisbergii zur Chorda tympani und von da an die Submaxillaris und Sublingualis ge- langen. . Das XIL Paar, N. hypoglossus, mag als motorischer ^erv der Zunge ' hier gleich mit angeführt werden. Er entspringt wie die Spinalnerven mit zahlreichen Wurzelfäden längs der Furche zwischen Pyramidenvordersträngen und Oliven, aus einer langge- streckten Gruppe motorischer Zellen. Er vertheilt sich an sämmt- liche Muskeln der Zunge und steht durch die Ansa hypoglossi mit dem Cervicalgeflecht in Verbindung, aus dem er Fasern für Sterno- hyoideus, Sternothyreoideus und Omohyoideus entleiht. Der Hypoglossus beherrscht die Bewegungen der Zunge und ist deshalb für diejenigen Thierarten am wichtigsten die sich der Zunge zu besonders wichtigen Zwecken bedienen. Als solche sind zu nennen die Hunde, die, wie im ersten Theilc beschneben worden ist, die Zunge beim Trinken nach Art eines Löffels benutzen, und der Mensch, der der Zunge zur Articulation beim Sprechen bedarf. Bei einseitiger Lähmung des Hypoglossus beobachtet^ man die cigenthümliche Erscheinung, dass beim Herausstrecken_ die Zunge nach der gelähmten Seite abweicht. Dies macht den Eindruck, als werde die^Zunge von den gelähmten Muskeln herübergezogen, was natüriich nicht möglich ist. Der Sachveriialt ist '^^'h/''^^' ^'f Zungenspitze sich ausstreckt, wenn der Durchmesser der Zunge durch die Zusararaenzichung des Musculus traiisversus und vcrticalis linguae verkleinert wird. Kann wegen der einseitigen Lähmung dies nur auf der gesunden Seite geschehen, so streckt Vagus. 535 sich die Zunge cauE dieser Seite stärker und wird nach der ge- lähmten Seite hinüber geschoben. Das X. Paar, N. vagus, entspringt aus dem vorerwähnten Vaguskern, der in eine dorsale sensible und eine ventrale motorische Zellgruppe, Nucleus arabiguus, zerfällt. Er giebt zunächst sensible Fasern für den äusseren Gehörgang, den Schlund und den Kehlkopf ab, ferner motorische für Schlundmuskeln, Kehlkopf und Oeso- phagus. Weiter giebt er Aeste an die Lungen, das Herz und den Magen ab. Die Rolle der Kehlkopfäste des Vagus beim Hustenreflex ist schon oben besprochen worden. Die Endigungen des Vagus in der Lunge tragen dazu bei, die Athembcwegungen zu rcguliren, wovon in dem folgenden Ab- schnitte zu sprecken sein wird. Der Ast des Vagus, der zum Herzen geht, stellt den Plemmungs- nerven des Herzens dar, durch dessen Wirkung die Schlagfolgc des Herzens ihre normale Frequenz inneliält. Wird dieser Nerv gereizt, so verlangsamt sich der Herzschlag, und bei stärkerer Reizung bleibt das Herz in Diastole stehen. Auch die Wirkung des Vagus auf das Herz wird im nächsten Abschnitt ausführlicher zu erörtern sein. Endlich hat der Vagus Einfluss auf die Bewegungen von Magen und Darm, sowie auf deren Secretion und auf die Blutgefässe des Darmcanals. x\uch diese Verrichtungen des Vagus sollen erst unten besprochen werden. Die mannigfaltigen Wirkungen des Vagus lassen sicli zum Theil durch künstliche Reizung, zum Theil dadurch nachweisen, dass man den Vagus durchtrennt. Durchschneidet man den Vagusstamm am Halse, so werden sämmtliche Organe, mit denen der Vagus in Verbindung tritt, in ihrer Tliätigkeit gestört. Werden beide Vagi durchschnitten, so tritt meist schon innerhalb 24 Stunden der Tod ein. Bei der Ob- duction findet man als Todesursache Lungenentzündung. Im Schlund und in den Luftwegen lässt sich mitunter Mageninhalt nachweisen, dessen Eindringen in die Lunge die tödtliche Entzündung hervor- gerufen hat. Dieser als „Vaguspneumonie" bezeichnete Vorgang bildet in jeder Richtung ein Seitenstück zu der Trigeminus- panophthahnie. In dem Vagusstamme sind nämlich die Fasern des Laryngeus superior durchschnitten, der die sensiblen Erregungen von der KehlkopCschleimhaut zum Centraiorgan leitet. Daher ist der Hustenreflex, der den Kehikopfeingang schützt, aufgehoben, und dem Eindringen beliebiger schädlicher Stoffe in die Lungen der Weg geöffnet. Da zugleich auch die Leitung zum Laryngeus inferior oder Recurrens mit dem Vagusschnitt durchtrennt wird, kann der Kehlkopf beim Schluckact nicht mehr in der normalen Weise geschlossen werden, und die Gefahr wird dadurch noch be- trächtlich vermehrt. Endlich kommt in Betracht, dass auch Oeso- piiagus und Magen vom Vagus innervirt sind, und dass die aufge- 536 Vagustod. noramene Nahrung dalier niclit mehr in normaler Weise in den Magen befördert und dort zurückgehalten werden kann, sondern sich in der Speiseröhre staut und häufig wieder rückwärts ausge- trieben wird. Alle diese Umstände wirken zusammen, um nach doppelseitigem Vagusschnitt das oben geschilderte Ergebniss einer tödt'lichen Lungenentzündung mit fast unfehlbarer Sicherheit herbei- zuführen. Bei diesem Versuche tritt der Tod also nicht eigentlich in Folge der Vagusdurchschneidung ein, sondern erst mittelbar durch Schädigungen, die man als zufällige Zwischenfälle ansehen kann. Die Trigeminuspanopthalraie lässt sich durch einen Schutzverband über dem Auge beliebig lange hinausschieben. Man wird fragen: Was ist die Folge des Vagusschnittes, wenn der Kehlkopfeingang durch künstliche Maassregeln geschützt ist? Um dies zu unter- suchen, braucht man nur unterhalb des Kehlkopfs die Luftröhre zu eröffnen, eine Canüle einzubinden und deren Oeffnung gegen Eindringen von Staub durch darüber gebundene Watte zu ver- wahren. An so operirten Thieren kaim man dann die Folgen der Vagusdurchschneidung mit Ausschluss der Vaguspneumonie beob- achten. Bei jungen Versuchsthieren, oder, wenn es sich um Katzen oder Pferde handelt, auch bei älteren, Avirkt die Durchschneidung der Vagi tödtlich, gleichviel ob ihre Lungen vor dem Eintritt von Fremd- körpern geschützt sind oder nicht. Als Todesursache ist Er- stickung anzunehmen, denn das Blut der Lungen ist dunkel. Diese Form des „Vagustodes" erklärt sich daraus, dass der Kelilkopf motorisch gelähmt ist. Bei jedem Athemzuge werden die schlaffen Stimmlippen augesaugt und gegeneinander gedrängt, sodass sie die Luftzufuhr abschneiden. Dies tritt nur bei jungen Thieren oder bei bestimmten Thierarten ein, bei denen die Stimmritze eng ist. Bei anderen Thieren, oder wenn man den Vagus nicht am Halse, sondern dicht unter der Eintrittsstelle in den Brustkorb, also unter- halb des Abganges der Kehlkopfäste durchschneidet, erhält sich das Leben viel länger. Man beobachtet dann, dass die Thiere dauernd be- schleunigten tierzschlag und stark verlangsamte ganz unregel- mässige Athmung zeigen. Auch die Verrichtungen des Darmcanals sind gestört, die Thiere brechen oft und magern stark ab. Es ist nicht 'zu verwundern, dass bei so schweren Störungen der Orga- nismus früher oder später, längstens nach einigen AVochen zu Cxrunde geht Nach diesen Versuchen könnte es scheinen, als sei die Thätigkeit der Vagi zum Leben unentbehrlich, doch es ist gelungen, Hunde, denen erst der eine und dann nach längerer Zeit der andere Vagus durchschnitten worden war, bei sehr sorgia tiger Pflege beliebig lange am Leben zu erhalten. Auf dies Ergebniss wird im Zusammenhange mit der Hypothese von der „trophiselicn Function der Nerven" noch zurückzukommen sein. Endlich das XL Paar der Hirnnerven, N. accessorius vagi, verhält sich in jeder Beziehung wie der motorische Iheil emes 11 Spinalnerven. 537 Spinalnerven. Seine Fasern nelimen ihren Ursprung von den Vorder- liornzellen des obersten TIalsmarkes und verthcilen sich an den Sternocleidomastoideus und Trapezius. Man nimmt an, dass diese beiden Muskeln, die ausserdem auch Nerven vom Halsgeflecht er- halten, vom Accessorius nur in ihrer Eigenschaft als Hülfsmuskeln für die Athmung iunervirt werden, doch ist diese Angabe zu be- zweifeln Der Accessorius verbindet sicli mit dem Vagus, und es ist noch nicht ganz ausgemacht, wieviel von den motorischen Wir- kungen des Vagus auf Rechnung der dem Accessorius entlehnten Fasern zu setzen ist. . Spinalnerven. Die Spinalnerven enthalten vorwiegend motorische Fasern für die Körperrauskeln und sensible Fasern, die von den Sinnesorganen der Haut herrühren. Ihre Verrichtung geht demnach zur Genüge aus ihrem anatomischen Verlauf hervor, denn sie besteht einfach darin, die Sinnesempfindungen aus dem Plaut- c^ebiet, in dem sich der betreffende Nerv verbreitet, dem Central- orsan zuzuleiten, und den Muskeln, mit denen der betreffende Nerv in Verbindung steht, die motorischen Erregungen vom Centrai- organ zuzuleiten. Die Spinalnerven werden nach den Regionen, von denen sie ihren Ursprung nehmen, cingetheilt in Cervical-, Dorsal-, Lumbal- und Sacralnerven. Die usprünglichen Wurzelstämme, auf die sich diese Ein- theilung bezieht, bilden aber bekanntlich an mehreren Stellen un- mittelbar nach ihrem Austritt aus dem Wirbelcanal Gefleclite, in denen sich ihre Fasern vermischen, und in veränderter Anordnung zu neuen Stämmen zusammenfügen. Dies legt die Vermuthung nahe, als müssten die Fasern, die sich aus dem Geflecht zu Einem peripherischen Nervenstamm zusammenfinden, auch in ihrer Ver- richtuna; etwas Gemeinsames haben. Diese Vermuthung bestätigt sich bei näherer Untersuchung nicht. Stellt man die Muskelgruppen, die von den verschiedenen Aesten eines Geflechtes iunervirt werden, zusammen, so zeigt sich durchaus keine Andeutung gemeinsamer Thätigkcit. Man muss also annehmen, dass die Vertheilung der Nervenfasern auf die peripherischen Stämme auf rein anatomischen Verhältnissen beruht, und zu ihrer Verrichtung in keiner Be- ziehung steht. Da also zwischen der anatomischen Vertheilung der Spinal- nervenfasern und ihrer physiologisclien Wirksamkeit kein Zu- sammenhang bestellt, mag die Aufzählung der Muskeln und die Eintheilung der Hautgebiete zu und von denen die einzelnen Spinal- nerven verlaufen, unterbleiben, indem auf die anatomischen Lehr- bücher verwiesen wird. Sympathisches Nervensystem. Man pflegte^ früher den Grenzstrang des Sympathicus und die syrapathisclien Geflechte als „das sympatliische' Nervensystem" von dem übrigen Nervensystem zu trennen. Es hat sich aber gezeigt, dass kein grundlegender Unterscliied diese Trennung rechtfertigt. Beide Systeme sind 538 Sympathisches Nervensystem. aus Neuronen aufgebaut, die als \0llig gleichartig anzusehen sind. Das oft als allgemein hingestellte Merkmal, dass die sympathischen Nerven marklos seien, erleidet viele Ausnahmen, da beispielsweise die spinalen Muskelnerven beim Eintritt in den Muskel marklos werden, während umgekehrt aus unzweifelhaft sympathischen Ganglien markhaltige Nervenfasern hervorgehen können. Der ganze Unterschied zwischen beiden Systemen beschränkt sicli demnach auf die Anordnung der Neurone und auf ihre Verrichtung. Die sympathischen Neurone vertheilen sich nämlich nicht von ein- zelnen Hauptstäramen aus, sondern sie bilden Netzwerke, und sie vermitteln nicht, wie die Spinalnerven, bewusste Empfindung und willkürÜclie Muskelerregung, sondern sie beherrschen als „vegeta- tive" oder „viscerale" Nerven die Thätigkeit innerer Organe. Auf Grund dieser Merkmale müssen nun aber auch eine grosse Menge von Nervenfasern, die man früher als Bestandtheile der Hirnnerven oder Spinalnerven ansah, dem sympathischen System zugerechnet werden. Neben dem alten „sympathischen System" unterscheidet daher Langley, der Begründer dieser neueren Lehre, noch mehrere ähn- liche Fasersysterae, die er als selbstständige, „autonome", be- zeichnet. In allen diesen Systemen mit Einer Ausnahme soll sich über- all die gleiche Anordnung der Neurone finden. Es ist indessen zu bemerken, dass die Abgrenzung der Neurone bisher nur für einen Theil der autonomen Systeme und auch bei diesen nur für die- jenigen Bahnen bekannt ist, die der centrifugalen Leitung dienen. Die erwähnte Ausnahme betrifft das „intestinale autonome Svstem" das den Au erbach'schen und Meissner'schen Plexus in der Darmwand umfasst, der sich offenbar wesentlich von allen andern Theilen des Nervensystems unterscheidet. Als Beispiel für die Anordnung der Neurone in den centri- fugalen sympathischen Bahnen kann die im Gebiete des Grenz- stranges angeführt werden. Jede einzelne Leitungsbahn entspringt aus einer im Grau des Rückenmarks gelegenen Zelle, deren Axon durch die vordere Wurzel, den Spinalnerv und den Ramus com- raunicans in eins der Ganglien des Grenzstranges eintritt. Hier endet der Axon mit Verästelungen, die zu den Ausläufern einer der Zellen des Ganglions in Beziehung stehen. Es beginnt mit dieser Zelle das zweite Neuron der centrifugalen Bahn, dessen Axon sich in „sympathischen" oder „spinalen" Nervenstämmen bis zum Endorgan fortsetzt. So besteht die Leitung des autonomen Systems aus zwei Neuronen, dem ersten, das als „praecelluläres" oder „präganglionäres" unterschieden wird und seinen Zellkör]ier im Centrainervensystem hat, und dem zweiten „postcellulären" oder „postganglionären", das seinen Zellkörper in dem Ganglion hat. Diese Zweitheilung der Strecke vom Cenlrum zum Endorgan findet sich überall wieder. Sie kann aber in einigermaassen verschie- dener Form auftreten. So kann die praecelluläre Leitung, nach- Sympathisches Nervensystem. 539 (lern sie durch den Ramus coramunicans in das Ganglion gelangt t im Grenzstrang weiter verlaufen und sich erst ,n emem oder Ui'ch Abgeben von Acsten in mehreren folgenden Ganglien auf- t eilen Ferner braucht der Uebergang von emem Neuron zum ,ndcrn' nicht notlnvendigcr Weise in den Ganghen des Grenzstranges Stattzufinden, vielmehr können dafür auch andere Ganghen em- treten die man als „praevertebrale" zusammenfasst, beispielsweise das Gandion cervicale superius und das Ganglion coeliacum. Fasern mit dieser Anordnung der Neurone hnden sich nun in den Nervengebieten der verschiedensten Organe. Stets sind es dreierlei verschiedene Wirkungen, die von ihnen ausgehen, namlich Erregung von Drüsen, Erregung glatter Muskeln und Erregung der glatten Muskeln der Gefässe. Die Gesammthe.t der Nervenbahnen, auf die diese Merkmale passen, wird nach ihrem Lrsprungsort ge- , heilt in das autonome System des Mittelhirns, der Oblongata, des Grenzstranges, das sacrale und das intestinale System Zum ersten gehört das Ganglion ciliare, zum zweiten gehört das Ganglion sphenopalatinum, oticum, submaxillare und sublinguale, zum drit en neben den Ganglien des Grenzstranges auch die praevertebralen Ganglien, zum vierten der Plexus hypogastricus, zum fünften die Nervennetze der Darmwand. . .. , ■ a i Von der Rolle des Ganglion ciliare soll erst im nächsten Ab- schnitt die Rede sein. Das autonome System der Oblongata w'urde früher mit zu den Bestandtheilen der Hirnnerven gerechnet. Nach der eben gegebenen Darstellung ist der Sachverhalt so aulzu assen, dass in den Hirnnerven, vor allem im Faciahs, die praecellularen Fasern verlaufen, die in den verschiedenen Ganglien mit ihren nostcellulären Fortsetzungen in Verbindung treten, die dann ihrer- seits meist den Verzweigungen des Trigeminus folgen, um in ihre Endgebiete zu gelangen. Die Wirkungen der postcellularen End- fasern betreffen vorwiegend die Drüsen und Gefasse der Schleim- häute und sind oben bei der Besprechung der Hirnnerven schon ervväiint worden. Ferner sind diejenigen Fasern des Vagus, die zum Herzen und zum Verdauunescanal gehen, als praecelluläre Fasern des autonomen Systems der Oblongata anzusehen. Die Wirkung dieser Vagusfasern wird im Einzelnen im näclisten Abschnitt besprochen werden. Das autonome System des Grenzstranges ist so ausge- dehnt, dass seine Verrichtungen im Einzelnen besprochen werden müssen. Im Grossen und Ganzen bestehen sie in der Innervation der Hautmuskeln, der Hautgefässe und der Hautdrüsen. Halssympathicus. Die praecellularen Fasern für die sym- pathische Innervation des Kopfes verlaufen insgesammt im Hals- svmpatliicus zum Ganglion cervicale superius, von wo aus die post- cellularen Fasern sich weiter in ihre Einzelgebiete vertheilen. Dieser Verlauf bietet die günstigste Gelegenheit die Wirkung eines dem autonomen Svstem angehörenden Nervenstammes für sich allein zu untersuchen. Daher sind von allen Wirkungen sympathischer 540 Brust- und Bauclitlieil des Grenzstranges. Nervenfasern die des Halssyinpatliicus am längsten bekannt, und man benutzt auch fast ausschliesslich den Halssympathicus um die Wirkungen der sympatliischen Fasern zu deraonstriren. Diese Wirkungen sind, wie oben angegeben, von dreierlei Art: motorische, vasomotorisclie und secretnrische. Durchschneidet man beim Kaninchen den Halssyrapatiiicus einer Seite, so bemerkt man, dass die Pupille des betreffenden Auges enger ist als die der anderen Seite, und dass das soge- genannte dritte Lid, Membrana nictitans, sich vorschiebt. Reizt man nun das kopfwärts verlaufende Ende des Sympathicus, so erweitert sich die Pupille und die Membrana nictitans wird zurückgezogen. Dies ist die motorische Wirkung des Sympathicus auf den Dilatator iridis und den glatten Muskel des dritten Lides. Die vasomotorische Wirkung besteht in der Verengerung säramtlicher Gefcässe der betreffenden Kopfhälfte. Wird der Halssympathicus der anderen Seite durchschnitten, so tritt in der betreffenden Tiörperhälfte Gefässerweiterung ein. Dies lässt sich beim I^aninchen besonders deutlich an den Ohren nachweisen. Schon durch das Gefühl nimmt man eine merkliche Temperaturerhöhung in dem Ohr der operirten Seite wahr. Durch Vergleichung der beiden Ohren, besonders wenn man sie gegen das Licht hält, kann man auch deutlich sehen, dass die Gefässe auf der operirten Seite viel breiter und zahlreicher hervor- treten als auf der unverletzten Seite. Reizt man nun das Kopf- ende des Sympathicus, so tritt eine deutlich wahrnehmbare Ver- engerung aller Gefässe der betreffenden Kopfhälfte ein. Dies ist in günstigen Fällen an der Schleimhaut von Maul und Nase, am Auge, vor allem aber am Ohr zu beobachten. Mau sieht, dass die Gefässstärame schmäler werden, und dass in einzelnen Gefäss- gebieten, innerhalb deren man vorher zahlreiche kleine Gefässzweige bemerkte, alle diese kleineren Aestchen unsichtbar geworden sind. Infolge der Gefässverengerung wird auch alsbald die Temperatur des betreffenden Ohres niedriger als die des anderen. Die secretorischen Fasern des Halssjmapathicus verlaufen zu den Speicheldrüsen und verursachen, wie oben mehrfach erwähnt worden ist, Secretion eines spärlichen zähen Speichels. Hiervon wird im nächsten Abschnitt noch die Rede sein. Brust- und Bauchtheil des Grenzstranges. Die moto- rischen Wirkungen des Brust- und Bauchsympalhicus betreffen die Hautmusculatur. Die im Abschnitt über die thicrische Wärme be- sprochene Erscheinung der Gänsehaut, die auf Zusammenziehung der glatten Muskeln der Haut beruht, wird durch die Thätigkeit sympathischer Fasern hervorgebracht. Bei Thieren mit dichtem Haarkleid ist diese Wirkung des Sympathicus am Sträuben der Plaare deutlich wahrzunehmen. Diesen Umstand hat Langley be- nutzen können, um an der Katze die oben angedeutete Vertheilung der praecellulären Fasern nachzuweisen, da sich bei Reizung be- stimmter praecellulärer Bahnen nui- die Haare bestimmter Haut- Sensible Bahnen des Sympathicus. 541 abschnitte sträuben. Die Bahnen, auf denen die Erregung ver- läuft, sind natürlich die der spinalen Nerven Der vasomotorischen Wirkung kommt die grosste Bedeutung zu Ebenso wie motorische und secretorische sympathische Fasern sich den Spinalnerven anschliessen, verlaufen auch die vasomoto- rischen in den grossen Nervenstämmen für Rumpf und Extremitäten. Der Haupttheil der vasomotorischen Fasern des Grenzstranges ver- läuft aber im Splanchnicus zu den ßauehcingeweiden. Wie schon im ersten Theil erwähnt, sind die Gefässe der Baucheingeweide so umfangreich, dass sie einen sehr grossen Theil der gesammten Blutmeno-e des Körpers aufnehmen können. Wenn sich die Bauch- gefässe erweitern, sammelt sich soviel Blut in ümen an, dass die Blutmenge und zugleich der Blutdruck in den übrigen Gefass- crebieten beträchtlich abnimmt. Daher ist die Wirkung des Splanch- nicus, der den Contractiouszustand der Bauchgefässe beherrscht, entscheidend für die Höhe des Blutdrucks im ganzen Körper. Wenn man an einem Versuchsthier irgend ein Gefäss, etwa Carotis oder Femoralis, mit einem Schreibapparat verbindet, der die Höhe des Blutdrucks in Form einer Curve verzeichnet, und nun die Splanchnici durchschneidet, sieht man die Curve bis fast auf Null sinken. Reizt man dagegen das periphere Ende des Splanchnicus, so steigt der Druck wieder bis zur normalen Hohe oder darüber. , -r. ■ n Die secretorische Wirkung der sympathischen iasern im Ge- biete des Grenzstranges betrifft die Schweissdrüsen. der Haut. Da die Leitungsbahnen auf dem Wege der Spinalncrvenstämme ver-^ laufen, so kann man experimentell durch künstliche Reizung der Haupt'stämme, die zu den Gliedraaassen führen, örtlichen Schweiss- ausbruch hervorrufen. Zu diesem Versuch eignet sich besonders die Katze, bei der auf Reizung des Ischiadicus grosse Tropfen auf den Sohlenballen der betreffenden Pfote zum Vorschein kommen. Auch die Milchsecretion dürfte unter dem Einfluss des sympathischen Systems stehen, obgleich keine bestimmten Beweise dafür vorliegen. Zu dem autonomen System des Grenzstranges sind wie oben angegeben, auch die Bauchganglien mit ihren Geflechten zu zählen, über deren Verrichtungen jedoch ebenfalls keine sicheren Angaben gemacht werden können. Sacrales System. Die motorischen Fasern des sacralen Systems beherrschen die Thätigkeit der Blase, des Afters und der glatten Muskeln der äusseren Geschlechtsorgane. Die vasomo- torische und secretorische Wirkung betrifft die gleichen Gebiete. Intestinales System. Das intestinale System dient der motorischen Innervation des Darmes. Sensible Bahnen des Svmpathicus. Es ist bisher aus- schliesslich von der centrifugalcn Bethätigung des sympathischen Systems die Rede gewesen. Es ist aber anzunehmen, dass das sympathische Svstem auch centripetale Bahnen in grosser Menge enthält. Jeder" Ramus communicans enthält ausser einem Theil, 542 Sensible Bahnen des Sympathicns. der raarklialtige Fasern aus dem Centrainervensystem, praecelluläre Fasern führt, aucli ein graues Bündel inarkloscr Fasern, von dem man annehmen muss, dass es centripetal leitende Balmen vom sympathischen Nervensystem zu dem spinalen enthält. Durch mehrere Versuche und Beobachtungen lassen sich wenigstens in einigen Thcilen des sympathischen Systems sensible Balinen nachweisen. Hierher gehört der sogenannte „Klopfversuch" von Goltz. Wenn man einen in Rückenlage befestigten Frosch etwa mit einem Scalpellstiel auf den Bauch klopft, sielit man, dass das Herz langsamer schlägt oder gar ganz zum Stillstand kommt. Diese Herzheramung wird durch den Vagus vermittelt, denn nach Durchschneidung der Vagi bleibt sie aus. Ganz dieselbe AVirkung tritt aber ein, wenn man statt den Frosch auf den Bauch zu klopfen, den Splanchnicus elektrisch erregt. Hieraus ist zu schliessen, dass der sensible Reiz, der das Klopfen hervorruft, sensible Fasern des Splanchnicus erregt. Beim Säugethier erweist sich die elektrische Reizung des Splanchnicus als äusserst schmerzhaft, was als unmittelbarer Be- weis gelten kann, dass der Splanchnicus sensible Fasern enthält. Auch der Nervus depressor cordis, der dem sympathischen System angehört, und dessen Leistung im folgenden Abschnitt aus- führlich erörtert werden soll, ist unzweifelhaft ein centripetal leitender Nerv. Man darf aber diese centripetalen Bahnen des sympathischen Systems nicht als völlig gleichartig mit den sensiblen Bahnen des übrigen Nervensystems ansehen. Denn beispielsweise die Spinal- nerven leiten Empßndungen mannigfacher Art, die zum sehr grossen Theil zu bewusster Wahrnehmung führen, und stets an einen ganz bestimmten ürsprungsort gebunden sind. Dagegen besteht normaler- weise in den nur mit sympathischen Nerven versehenen Gebieten überhaupt keine Empfindung. So geht zum Beispiel die Bewegungs- und Gestaltveränderung des Darraes in der Bauchhöhle, soweit dadurch nicht etwa die Spannung der ßauchdecken fühlbar gemacht wird, vor sich, ohne dass man irgend etwas davon A^erspürt. Nur unter besonderen Bedingungen, wenn die Darmwände heftig gezerrt oder gedehnt werden, entsteht überhaupt eine Empfindung. Diese Empfindung ist stets ungefähr gleich, nur der Stärke nach verschieden. Ein harter Kothballen oder eine elastische Gasblase bewirken genau denselben, auch örtlich völlig unbestimmten „Leibschmerz". Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen der „sensiblen" Inner- vation durch den Sympathicns und der durch spinale Nerven. Da indessen in den angeführten Fällen sensible Leitungshahnen im sympathischen Nervensystem nachgewiesen sind, ist man be- rechtigt, diese auch in solchen Fällen vorauszusetzen, wo von nur mit sympathischen Nerven versehenen Organen aus Erregungen an das Centralncrvensystem übermittelt weixlen. Innervation der Skelettmuslteln. 543 Innervation der Skelettmuskeln. Nachdem die Verrichtungen der einzelnen Thcile des Nerven- systems näher ins Auge gefasst worden sind, kann die Einwiritung der Nerven auf die verschiedenen Organe im Zusammenhang er- örtert werden. Es mag mit der Besprechung der Innervation der Skelettmuskeln bei den Bewegungen des Körpers der Anfang ge- macht werden. In dem Abschnitt über die specielle Muskel- physioloeie ist gezeigt worden, dass zu Jeder Bewegung eine grosse Anzahl Muskeln in Thätigkeit versetzt werden rauss, um allen ein- zelnen Gelenken die richtige Stellung zu geben. Offenbar wird es nicht oder nur mit grosser Unsicherheit möglich sein diesen Zweck zu erreichen, wenn die Bewegung nicht durch Sinneswahrnehmungen überwacht wird. Die richtige Au.sführuug der Bewegungen wird also nicht allein vom motorischen Apparat, sondern auch von der Sensibilität abhängen. Die Sinneswahrnehmungen, auf die es. hier ankommt, können von den verschiedensten Sinnesorganen ausgehen, in erster Linie kommt im Allgemeinen der Gefühlssinn in Betracht. Nur wenn der Organismus durch den Gefühlssinn über die Lage seiner Glicdmaassen zur Umgebung unterrichtet wird, vermag er die seinen Absichten entsprechenden Bewegungen richtig auszuführen. Jede zweckmässige Haltung und Bewegung des Körpers beruht also auf einer gemeinsamen Thätigkeit der sensiblen und moto- rischen Centren "des Nervensystems, die mit der Rellexthätigkeit -rosse Aehnlichkeit hat. Sinnesempfindungen, die für die Ein- stellung der Muskelinnervation von Bedeutung sind, werden nun dauernd, selbst im sogenannten Ruhezustand zugeleitet, sodass während des Lebens wohl kein Muskel jemals völlig unthätig ist. Es ist hier an das zu erinnern, was oben über den allgemeinen Retlextonus gesagt ist. Ebenso ist nochmals zu erwähnen, dass der Umfang der Gelenkbewegungen grösstentheils durch „Muskel- hemmung" begrenzt ist. In jeder Stellung des Körpers müssen einige Muskeln thätig sein, um unbe(|uemcsllerabhängen, Zerrungen und Quetschungen der Gliedmaassen zu vermeiden. Daher wird man zur richtigen Auffassung der Thätigkeit des Nervensystems bei der Innervation der Skelettmuskoln am besten auf dem Wege gelangen, dass man sich das ganze Muskelsystem dauernd angespannt und die Bewegungen des Körpers nur aus einem vorübergehenden Ueberwiegen der Spannung gewisser Muskelgruppen hervorgehend denkt. Bei dieser Auffassung ergiebt sich von selbst ein Satz, der als Grundlage für die Lehre von der Innervation der Bewegungen gelten kann, dass nämlich zu jeder Bewegung alle die Muskelfasern innervirt werden, die die Bewegung fördern oder unterstützen können, gleichviel zu welchen anatomischen Muskeleinheiten sie zählen und durch welche Nervenstämrae die Erregung geleitet werden muss. Um von dem Gesagten eine etwas bestimmtere Anschauung 544 Nerventhätigkeit beim Stehen. zu geben, mag auf den besonderen Fall der Thätigkeit der Muskeln beim Stehen eingegangen werden. Es ist oben gezeigt worden, dass das Stellen auf der Thätigkeit bestimmter Muskelgruppen be- ruht. Nun ist zu beachten, dass der Körper nachweislich beim* Stehen schwankt, dass also fortwährende Veränderungen der Muskelspannungen vorgenommen werden müssen, um die Schwan- kungen auf ein bestimmtes Maass zu beschränken. Diese Aende- rungen müssen der Grösse und Richtung der Schwankungen ange- passt werden, sie müssen also durch Sinneswahniehmungen be- stimmt sein. Der Ausdruck Sinneswahrnehmung steht hier für sensible Erregung im Allgemeinen, ohne Beziehung auf das Be- wusstsein. Welche Sinne kommen nun für die Ausgleichung der Schwankungen beim Stehen in Betracht? Wenn man auf einem Bein steht, fühlt man jede Schwankung, die der Körper macht, sehr deutlich an der Zunahme des Druckes an der Seite der Sohle, nach der der Körper schwankt. Ferner macht sich die wechselnde Spannung der Muskeln im Beine deutlich bemerkbar. Diese beiden Arten sensibler Reize sind es hauptsächlich, die auch beim zwei- füssigen Stehen des normalen Menschen die motorische Innervation regeln. Neben ihnen wirkt in viel stärkerem Maasse als man meinen sollte, der Gesichtssinn mit. Die Erkrankung an Tabes ist schon in sehr frühen Stadien daran zu erkennen, dass die Sensi- bilität der unteren Extremitäten zu schwinden beginnt. Ein Kran- ker in diesem Zustande vermag noch wie ein Gesunder mit ge- schlossenen Füssen zu stehen, aber nur solange er die Augen offen hat. Verbindet man ihm die Augen, so kommt er alsbald ins Taumeln. Dies ist das sogenannte ßomberg'sche Symptom. Den Antheil, den der Gesichtssinn an der Sicherheit des Stehens Ge- sunder hat, kann man durch Versuche erweisen, bei denen die Gesichtseindrücke durch vorgehaltene Spiegel gefälscht werden. Alle diese von ganz verschiedenen Stellen ausgehenden sensiblen Reize müssen nun im Nervensystem gewissermaassen verarbeitet werden, um die entsprechenden motorischen Erregungen hervorrufen zu können. Es ist zu beachten, dass die Zeit, die zwischen dem Beginn des Schwankens und dem Beginn der Muskelcontraction verstreicht, sehr klein ist, denn sonst würden die Schwankungen viel grösseren Umfang annehmen. Da während dieser Zeit die sensible Erregung zum Gentraiorgan geleitet, dort die motorische Erregung erzeuge, und diese wieder zu den Muskeln geleitet wird, sieht man. dass die Leitungszeit und sogar die Reflexzeit so kurz ist, dass sie gegenüber den für die Ausführung von Bewegungen erforderlichen Zeiträumen verschwindet. Für die motorische Innervation einer reilectorischen Thätigkeit wie die des Stehens bestehen nun zwischen den motorischen Zellen der Centraiorgane Verknüpfungen in der Art, dass nicht nur die Zellgruppen, die zu den Fasern desselben Muskels gehören, sondern auch ganze Gruppen solcher Grupjicn gemeinsamer Erregung fähig Coordination der Skelettmuskeln. 545 sind. Diese Verknüpfungen sind theils auf die ererbte Anlage des Nervensystems, theils auf die durch stete Wiederholung gleicher oder ähnlicher Erregungen erworbene Ausbildung zurückzufüliren. Es leuchtet ein, dass was hier über die Thätigkeit des Nerven- systems beim Stehen gesagt ist, in ähnliclier Weise für jegliche Bewegung des Körpers gilt. So ist zum Beispiel der Umfang Jeder Gelenkbewegung refiectorisch regulirt: Es stellt sich in den Ge- weben, die durch die betreffende Gelenkbewegung gedehnt oder •requetscht werden, ein sensibler Heiz ein, der sich bis zu heftigem Schmerz steigern kann und refiectorisch zu kräftigen Muskelzusammen- ziehungen führt, die jede weitere Bewegung nach der betreffenden Richtung hindern. In ähnlicher, obschon weniger aulfälliger Weise M ird jede Bewegung durch die sie begleitenden sensiblen Erregungen beeinflusst, sodass eine wirklich Avillkürliche Bewegung überhaupt kaum vorkommt. Allerdings besteht ein grosser Unterschied zwischen rein reflectorischen Bewegungen und solchen, die mit be- wusster Ueberlegung ausgefülirt werden. Dieser Unterschied kann durch üebung aber verschwinden, indem eine anfänglich mit Be- wusstsein herbeigeführte Coordination zweier Bewegungen almählich refiectorisch wird. Zuerst muss jeder einzelne sensible Reiz, nach dem die Bewegung sich zu richten hat, erst zum Bewusstsein kommen, und es muss dann die betreffende Bewegung mit Bewusstsein aus- geführt werden. Später vereinigen sich die durch die sensiblen Reize hervorgerufeneu Erregungen mit der durch die Uebung er- worbenen coordinirten Thätigkeit olme Zuthun des Bewusstseins zu dem Gesammtergebniss einer zweckmässigen Innervation. H. Münk unterscheidet die Bewegungen reflectorischer Art, für die eine feste coordinirende Verknüpfung im Centrainerven- system schon ausgebildet ist, als „Principalbewegungen" von den- jenigen, die nur mit Hülfe bewusster Thätigkeit des Grosshirns ausgeführt werden, als den „Isolirten Bewegungen". Ein und die- selbe Handlung kann aus einer oder mehr Principalbewegungen und einer oder mehr isolirten Bewegungen zusammengesetzt sein. Wird zum Beispiel ein entfernter Gegenstand mit der Hand ergriffen, so ist das Ausstrecken des Armes eine PrincipalbeAvegimg. die An- ordnung der Finger zum Zweck des Greifens kann eine isolirte Be- wegung sein. Alle Versuche, die Coordination der Muskeln, wie sie bei den Bewegungen beobachtet wird, auf allgemeinere Gesetze, oder i;ar auf anatomisch bestimmte Verbindungen der einzelnen moto- rischen Centra untereinander zurückzuführen sind ergebnisslos ge- blieben. Selbst die von Pflüger aufgestellten Gesetze der Rcflex- zuckungen beim Frosch leiden häufige Ausnahmen. Verfolgt man die Anordnung der zu den einzelnen Muskeln gehörigen motorischen Zcllgruppen im Rückenmark, so kommt man nicht auf eine physio- logische, sondern auf eine rein morphologische Anordmmg, indem diejenigen Zcllgruppen, die auf gleicher Höhe nahe bei einander liegen, zu ents])rechend gelegenen Muskeln gehören. Auch in den K. du B 1) i s-R ey III 0 n d , Physiologie. 35 546 Mitbewegung. Nervenstäramen sind, wie wiederholt erwähnt, die motorischen Bahnen nicht nach physiologischen Gruppen, sondern anscheinend ganz zufällig zusaramengefasst. Demnach lässt sich über die Ver- bindung der motorischen Centra zum Zweck der Coordination nur etwa Folgendes sagen: Die Fähigkeit zu zweckmässiger Bewegung wird überhaupt erst durch üebung gewonnen. Neugeborene Kinder machen regellose Bewegungen und lassen erst allmählich die über- flüssigen Innervationen fort, um ihre Bewegung nach bestimmten Zwecken zu gestalten. In gewissem Grade bleibt indessen der Orga- nismi;s dauernd auf dem Standpunkt des Neugeborenen, und dalier kommt es, sobald eine neue noch ungewohnte Bewegungsform oder eine beliebige Bewegung mit sehr grosser Kraft ausgeführt werden soll, zu „Mitbewegungen". Die Mitbewegungen sind in gewissem Grade von den vorgebildeten Verbindungen der Muskelcentra unter einander ab- hängig. Die zweckmässige Innervation der Muskeln muss in aUen den Fällen, in denen ähnliche Bedingungen vorliegen, ähnliche Form annehmen. So entstehen gewisse Gesetzmässigkeiten, die man zum Theil mit besonderen Namen versehen hat. Wenn zum Beispiel ein Ge- lenk gebeugt werden soll, ist es in vielen Fällen zweckmässig, dass das nächsthöhere Gelenk gestreckt oder wenigstens fixirt werde, um der Beugebewegung Rückhalt zu geben. Zwischen der Inner- vation zur Beugebewegung im einen und der zur Streckbewegung im anderen Gelenk stellt sich dann eine dauernde Coordination her. Ein Beispiel hierfür bildet die Streckung des Handgelenks bei Beugung der Finger. Man hat diesen Fall als „pseudo- antagonistische Synergie" bezeichnet. In sehr vielen Fällen muss, wenn eine bestimmte Muskel- gruppe in Thätigkeit ist, und wenn eine Bewegung ausgeführt werden soll, die Thätigkeit der betreffenden Muskelgruppe aufgehoben werden, damit die Bewegung vor sich gehen kann. Ist zum Bei- spiel der Arm starr ausgestreckt, so muss, damit er gebeugt werden kann, erst die Thätigkeit der Strecker nachlassen. Um- gekehrt wird, wenn die Armbeuger angespannt sind, die Streckung erst möglich sein, wenn sie wieder erschlafft sind. Man hat hieraus ein „Gesetz der reciproken oder gekreuzten Innervation" ableiten wollen, indem man annahm, dass in jedem Falle mit der Erregung Einer Muskelgruppe die „Hemmung" einer anderen Muskelgrupjie verbunden wäre. Aus dem, was im Abschnitt über Specielle Muskelphysiologie von dem Begi'iffe des Muskelantagonismus gesagt ist, geht indessen hervor, dass ein solches Gesetz keinesfalls all- gemeine Geltung haben kann. Wie in diesem Falle wird auch in vielen anderen Fällen von einer ,, Hemmung" von Muskelthätigkeiten durch das Nervensystem gesprochen. Sofern unter Hemmung verstanden werden soll, dass die Erregung einer Nervenfaser in dem dazu gehörigen Muskel statt der Erregung vielmehr Erschlaffung herv orbringt, ist zu bemerken, dass diese Erscheinung an den Skelcttmuskeln von Wirbeltineren Innervation der Augenmuskeln. 547 nicht vorkommt. Der Hemmungsvorgang kann nur darin bestehen, dass die Thätigkeit der motorischen Nervenzellen durch die Erregung anderer Nervenzellen zum Aufhören gebracht wird. Es lassen sich vor allem an den Reflexbewegungen Hemmungen dieser Art nachweisen. Durch irgend einen starken sensiblen Reiz, besonders, wenn er un- gefähr an der Stelle ausgeübt wird, von der die Reflexthätigkeit ausgeht, kann eine Reflexbewegung gestört oder völlig aufgehoben werden. Der Niesreflex kann durch einen starken Druck auf die Nase gehemmt werden. Die ßerührungsreflexe der Beine und die Sehnenreflexe werden durch gleichzeitige Einwirkung sensibler Reize aufgehalten. Andererseits kann unter Umständen ein schwacher Reiz die Reflexthätigkeit verstärken. Exner hat für diese Erscheinung den Namen ,, Bahnung" eingeführt, indem er annahm, dass der sensible Reiz der reflectorischcn Erregung gewissermaassen den Weg bahne. Die ,, Bahnung" sowohl wie die Hemmung der Reflexe lässt sich aber vielleicht besser durch Veränderung der Erregbarkeit der sensiblen oder motorischen Zellen erklären. Innervation der Augenmuskeln. Eine besondere Beachtung verdient die Innervation der Augen- muskeln, weil sie die hervorragendsten Beispiele von gesetzmässiger Verknüpfung bestimmter Innervationen umfasst. Am Bewegungsapparat des Auges lassen sich drei Muskel- gruppen unterscheiden: Die des äusseren Schutzapparates, Lid- muskeln, die für die Bewegung des Augapfels, äussere Augen- muskeln, und die im Innern des Auges gelegenen glatten Muskeln der Iris und des Corpus ciliare. Vom Hornhautreflex und seiner Wirkung auf das Augenlid ist oben schon die Rede gewesen. Es ist hier nachzutragen, dass auch auf Lichteinfall das Auge reflec- torisch geschlossen wird. Man nennt dies den „Blendungsreflex". Die sen,sible Erregung verläuft hier im Opticus, nicht, wie früher angenommen wurde, im Trigeminus, und erregt die Thätigkeit des Facialis. Ferner wird das Auge bekanntlich geschlossen, wenn ihm plötzlich ein Gegenstand genähert wird. Dieser sogenannte ,, Bedrohungsreflex" gehört zu den erworbenen. ,,unbewusst willkür- lichen" Reflexen und beruht auf der Thätigkeit der Grosshirnrinde. Ein zweiter optischer Reflex, der schon durch verhältnissmässig geringere lielligkeitsunterschiede ausgelöst wird, ist die Verengerung und Erweiterung der Iris. Hier geht die Erregung vom Opticus auf den Oculomotorius, der die Pupille verengt, oder auf den Sym- pathicus über, der sie erweitert. Diese Bewegung der Iris ist ausserdem mit der Bewegung der Augen verknüpft, denn jedesmal, wenn die Augen nach innen gewendet werden, verengen sicii auch die Pupillen. Auf die Bedeutung dieser Verknüpfung wird im Abschnitt über den Gesichtssinn einzugehen sein. Ferner sind sämmtliche angeführte Bewegungen beim Menschen 35 ♦ 548 Conjugiite Bewegung. und bei allen den Thiercn, deren Augen beide nach vorn sehen, doppelseitige, das heisst sie finden stets auf beiden Seiten zugleich statt. Wenn auf Einer Seite die Hornhaut berührt wird, zucken die Lider beider Augen. AVenn Ein Auge abwecliselnd beliclitet und beschattet wird, während das andere gleichmässig erhellt bleibt, so beobachtet man auch an dem gleichmässig belichteten Auge Verengerung und Erweiterung der Pupille, die sogenannte „consen- suelle Pupillenreaction". Dies ist, wie gesagt, nur bei denThieren der Fall, bei denen die Augen annähernd in gleicher Richtung stehen, wie Mensch, Afi'e, Hund, Katze. Bei Pferd, Esel, Kanin- chen, deren Augenhöhlen sich seitlich öffnen, sind die erwähnten Reflexe auf eine Seite beschränkt. Für die optischen Reflexe kommt hierbei in Betracht, dass die Fasern des Opticus bei den erstgenannten Thieren im Chiasma nur zum Theil gekreuzt sind, dass also die Erregung eines Auges durch Licht sich beiden Hirn- hälften mittheilt. Endlich sind auch die Bewegungen der beiden Augäpfel mit einander in eigenthümlicher Weise verbunden, oder, wie man sagt, „conjugirt", nämlich so, dass im Allgemeinen die Augen stets beide auf denselben Punkt gerichtet werden. Auf die Bewegungen des Augapfels durch seine sechs Muskeln wird im Abschnitt über den Gesichtssinn genauer einzugehen sein. Hier soll nur hervor- gehoben werden, dass die Innervation die Muskulatur beider Augen gemeinschaftlich beherrscht. Dies ist um so auffälliger, weil für die Bewegung des Augapfels nach innen der Oculomotorius, für die Bewegung nach aussen der Abducens erregt werden muss. Bei einer Wendung des Blickes nach rechts wird aber das rechte Auge nach aussen, das linke Auge nach innen gewendet. Es müssen also rechter Abducenskern und linker Oculomotoriuskern gleich- zeitig thätig werden. Wird dagegen der Blick auf einen in der Mitte nahe vor den Augen befindlichen Gegenstand gerichtet, so wenden sich beide Augen nach innen, es müssen hierbei also beide Oculomotorii zusammen arbeiten. Eine dauernde feste Verbindung der Innervationscentren kann daher nicht bestehen, da jeder Oculo- motorius bald mit dem Abducens, bald mit dem Oculomotorius der entgegengesetzten Seite gemeinsam wirkt. Die Conjugation der Augenbewegungen lässt sich daher auch thatsächlich durch üebung aufheben, sodass jedes Auge für sich selbstständig bewegt werden kann. Innervation des Herzens und der Qefässe. Myogene und neurogene Theorie. Bei der Besprechung des Kreislaufs im ersten Theile dieses Buches ist^ die Thätigkeit des Herzens als gegeben vorausgesetzt worden. Weiter ist ange- geben worden, dass sie auf der rhYthmisch geordneten Verkürzung der Herzmuskel fasern berulit. Woiier erhalten aber die Herzimiskel- fasern den Antrieb zu ihrer periodischen Thätigkeit? Die Slceiett- muskeln werden vom Centraiorgan aus durch die motorischen Myogene Theorie. 549 Nerven erregt. Das Herz aber kann man von allen Nervenbahnen isoliren, ja es aus dem Körper ausschneiden, und es schlägt trotz- dem unter geeigneten Bedingungen stunden- und selbst tagelang in seinem normalen Rhythmus fort. Hierfür sind zwei verschiedene Erklcärungen gegeben worden, die als die „myogene" und „neuro- gene Theorie" der PIcrzthätigkeit bezeichnet werden. Die myogene Theorie nimmt an, dass der Herzmuskel an sich die Eigensciiaft hat i'hytlnnisch thätig zu sein. Sie stützt sich vor allem auf die Thatsache, dass die Herzanlage im Embryo schon schlägt, lange ehe irgend welche nervösen Elemente ausgebildet worden sind. Ebenso sind in der Herzspitze des Frosches keine nervösen Elemente nachweisbar, und dennoch kann man unter Um- ständen beobachten, dass die abgeschnittene Herzspitze für sich rhythmisch fortarbeitet. Endlich sind auch andere Organe be- kannt, insbesondere die Ureteren, in denen Muskelfasern ohne nach- weisbare Innervation thätig sind. Schliesslich lässt sich zeigen, dass die grossen Venenstämrae unmittelbar oberhalb der Vorhöfe sich vor der Vorhofscontraction zusammenziehen, die eigentliche Ursprungsstelle des Herzrhythmus ist also an die Grenze von A''enen und Vorhof zu verlegen, also ausserhalb des Bereiches der nervösen Elemente des Herzens.. Die neurogene Theorie ist die ältere und hält an der Auf- fassung fest, dass Muskelthätigkeit nur im Zusammenhang mit Er- regung durch Nerven denkbar sei. Demnach verlegt sie die Ur- sache der rhythmischen Zusammenziehungen in die Ganglienzellen, die man im Ilerzen findet. Nächst der Frage nach dem Ursprung der Erregungen ist die Frage nach der Ursache ihres regelmässigen und geordneten Ab- laufes zu untersuchen. Die myogene Theorie erklärt diese durch den Ablauf der Erregungswelle, die sich von der Eintrittsstelle der Venen durch den Vorhof und von da durch ein einziges Muskel- bündel zur Kammer fortpflanzt. Dies Bündel wird nach seinem Entdecker, dem jüngeren His, das His'sche Bündel, oder von dem englischen Zeitwort „to block", ,, verstopfen", „die Block- fascrn" genannt, womit angedeutet wird, dass an dieser Stelle die Leitung verlangsamt ist. Stannius'scher Versuch. Nach der neurogenen Theorie fällt die Coordination wie die Erregung den nervösen Elementen zu. Nach beiden Erklärungsweisen ist die Thätigkeit der Kammern von der der Vorhöfe abhängig. Diese Abhängigkeit der Ilerzth eile von einander ver- anschaulicht der Stannius'sche Versuch am Froschherzen. Man legt beim Frosch das Herz bloss, führt einen Faden unterhalb des Aorten- stammes quer über das Herz und schlägt dann die Herzspitze kopfwärts zurück, sodass Kammer und Vorhöfe kopfwärts vom Faden zu liegen kommen. Schlingt man nun die beiden Enden des Fadens in einen Knoten zusammen, so wird beim Zuziehen die Stelle des Veneneintrittes in die Vorhöfc, gewisserraaassen die Herzwurzel, abgeschnürt. j\lau findet, dass das Herz vom Augen- 550 Stannius'scher Versuch. blick des Zuschnürens an in Diastole stillsteht, während der Venen- sinus weiter pulsirt. Sclilingt man nun einen zweiten Faden an der Grenze zwischen Vorholen und Kammer um das Herz, so be- ginnt die Herzkammer im Augenblick des Zuschnürens wieder rhythmisch zu schlagen. Man darf wohl sagen, dass der Yersucli in dieser seiner ursprünglichen Form etwas Verwirrendes hat: Die erste Ligatur hemmt die Bewegung der Herzkammer, die zweite stellt sie wieder her. Nach H. Münk wird deshalb der Versuch besser so angestellt, dass man am ausgeschnittenen schlagenden Froschherzen zuerst die Vorhofssinusgrenze fortschneidet, wodurch die Kammer zum Stillstand kommt, und dann die Vorhofskammer- grenze durch einen Nadelstich reizt, worauf eine, oder, wenn die Reizung kräftig genug war, mehrere rhythmische Pulsationen der Fig. 78. 3 / .XJ V ' p 1 1 2 1 ■ z Wirkung eines Extrareizes r auf das Froschherz. Kammer erfolgen. Bei dieser Form des Versuchs ist von vornherein klar, dass durch den ersten Eingriff der Ursprungsort der Vorhofs- und Kammercontractionen gelähmt, durch den zweiten der Ursprungsort der Kammercontractionen gereizt wird. Dieselbe Bedeutung haben auch die Stannius 'sehen Ligaturen, nur dass dabei für Ausschaltung und Reizung beidemale dasselbe Mittel, nämlich üraschnurung, an- gewendet wird. Die Versuche lehren, dass die Kammer trotz dem in ihr enthaltenen „Bidder'schen Ganglienhaufen" nicht selbst- ständig schlägt, sondern durch äussern, oder, beun unversehrten Herz durch den vom Vorhof zugeleiteten Reiz dazu veranlasst werden muss. Der eigentliche Ursprungsort der Erregung ist also die obere Vorhofsgrenze. Nach der myogenen Theorie wird diese durch die fortgeleitete Contraction der Venenwände, nach der Compensaton'sche Pause. 551 neurogenen von den Ganglien des „Rem ak 'sehen Haufens" an- geregt. Corapensatorische Pause. Die Abhcängigkeit der Erregung der Kammer von der der Vorhöfe zeigt sich auch, wenn man die Thi'itigkeit der Kammer durch künstliche elektrische Reizung stört. Man bedient sich, um den Rhythmus der Herzbewegungen zu beob- achten, raeist der schon im ersten Theile beschriebenen „Suspen- sionsmethode". Lässt man nun, während Vorhof und Kammer ihre normale Curve schreiben (vgl. Fig. 14) auf die Kammer einen elektrischen Reiz wirken, so erfolgt, wenn der Kelz nicht in das „refractäre Stadium" fällt, eine Zusammenziehung der Kammer ausser der Reihe, eine „Extrasystole" der Kammer (e — c in Curve 2 und 3, nebenstehender Fig. 78). Man könnte nun erwarten, dass die Kammer von der Extra- systole an gerechnet, in ihrem gewohnten Rhythmus (vgl. Curve 1, Fig. 78) weiter arbeiten würde. Dies geschieht aber nicht, viel- mehr tritt nach der Extrasystole eine Pause ein, die solange dauert, bis die Kammer wieder im richtigen Zeitverhältniss zum Vorhof weiterschlagen kann. Nach der „compensatorischen Pause" fällt also die Kammer wieder genau in ihren alten Tact, als sei keine Störung dazwischen gekommen. Regulirung der Herzthätigkeit. Die selbstthätige Er- regung des ausgeschnittenen Herzens vermag sich sogar in ge- wissem Grade äusseren Bedingungen anzupassen. Lässt man ein ausgeschnittenes Froschherz verdünntes Kaninchenblut durch ein in die Aorta eingebundenes Rohr in einen Behälter treiben, aus dem es wieder in die Venen zurückgeleitet wird, sodass ein künst- licher Kreislauf hergestellt ist, so kann man beobachten, dass, wenn der Behälter gehoben und dadurch die Arbeit vermehrt wird, die das Herz zu leisten hat, die Schläge des Herzens langsamer und stärker werden, sodass sogar mehr Blut als vorher gefördert wird. Im lebenden Säugethiere können alle zum Herzen führenden Nervenverbindungen durchtrennt Averden, ohne dass die Herzthätig- keit unter gewöhnlichen Bedingungen dadurch gestört wird. Nach alledem ist kein Zweifel, dass das Herz, sei es nun, nach der myogenen Lehre, in der Selbständigkeit seiner Muskel- zellen, oder nach der neurogenen Auffassung, in seinem Ganglien- netz eine in sich selbst abgeschlossene Maschine darstellt, die keines äusseren Anstosses bedarf, um ihre regelmässige Arbeit zu leisten. Die Nervenbahnen, die das Herz mit dem Centraiorgan ver- binden, können also nur dazu dienen, den Gang des Herzens zu regeln und den Bedürfnissen des Organismus anzupassen. Diesem Zweck dient in erster Linie der Vagus. Seine zum Herzen gehenden Fasern sind, wie im Abschnitt über den Sympathicus angegeben ist, als autonome praecellulare Fasern anzusehen, die mit den Gang- lienzellen der Herzgeflechte in Verbindung stehen. Die Wirkung dieser Fasern ist, dauernd die Frequenz und Stärke der Herzthätigkeit 552 Herzrerven. zu beschränken. Im Anscliluss an das, was oben über die Hemmung von Skclotmuskeln gesagt worden ist, sei hervorgehoben, dass die Hemmung des Herzens durch den Vagus, das hervorragendste Bei- spiel der Hemmung überhaupt, sich eben durch den Umstand, dass die Fasern des Vagus praecellulare Fasern sind, als eine Hemmung innerhalb des Nervensystems darstellt. Dies gilt jedoch nur, in- sofern man die Ganglienzellen als Erreger der Herzthätigkeit an- sieht. Verlegt man nach der myogenen Theorie den Ursprung der Erregung in die Muskelfasern selbst, so muss aucli eine Hemmung der Muskeln unmittelbar durch die dazutretenden Nervenfasern an- genommen werden. Ferner verlaufen zum Herzen vom Ganglion stellare aus post- celluläre sympathische Fasern, deren Reizung die Wirkung hat, die Herzthätigkeit zu verstärken und zu beschleunigen. Beim Hunde verlaufen diese Fasern als besondere Stämme, Nervi accelerantes cordis, vom Ganglion stellatum zum Herzen. Der Ursprung dieser Bahnen liegt im Halsmark, von dem die praeceUularen Fasern durch die Rami communicantes der oberen Thoracalnerven zum Gang- lion stellare gelangen. Durch diese beiden Bahnen kann also das Centrainervensystem sowohl hemmend wie beschleunigend auf das Herz einwirken. Durch eine dritte Verbindung ist nun auch ermöglicht, dass vom Herzen aus zum Centralorgau Reize übermittelt werden können. Diese dritte Bahn ist der sogenannte „Nervus de- pressor cordis", der vom Herzen zum Vagus verläuft und in oder mit diesem aufsteigend ins Centraiorgan eintritt. Reizt man den zum Herzen gehenden Theil dieses Nerven, so erhält man gar keine Wirkung. Reizt man den oberen, mit dem Centraiorgan verbundenen Theil, so erfolgt eine Blutdrucksenkung und eine Verlangsamung und Verminderung der Herzthätigkeit. Die Verlangsamung des Herzschlages bei Reizung des Depressor bleibt aus, wenn vorher die Vagi durchschnitten worden sind. Hieraus ist zu schliessen, dass der Depressor mit dem Herzhemmungscentrum des verlängerten Markes in Verbindung steht, und durch Erregung der Vagi den Herzschlag verlangsamt. Die ßlutdrucksenkung ist auf eine allgemeine Gefässerweiterung, insbesondere im Gebiet des Splanchnicus zurückzuführen. Die Be- deutung des Depressor ist demnach klar. Er stellt den seltenen Fall einer centripetalen sympatiiischen Bahn dar, die offenbar dazu dient, das Herz vor allzustarker Beanspruchung zu schützen. Zwar ist über die Art und Weise, wie der Depressor im lebenden Körper erregt wird, niclits Näheres ermittelt, und dem Herzen fehlt es, wie man in einigen Fällen am lebenden Menschen hat feststellen können, an eigcnüiclier Sensibilität, es liegt aber nahe, anzunehmen, dass der De]iressor vom Herzen aus erregt wird, sobald das Herz nicht mehr im Stande ist, die Widerstände des Kreislaufs zu uber- winden. Indem der Depressor die Schlagfolge des Herzens herabsetzt und dieGefässe erweitert, wird dann die Arbeit des Herzens erleichtert. Vasomotorische Nerven. 553 Vasomotorische Nerven. Ebenso wie die Thätigkcit des Herzens, wird auch die Spannung der Gefässwände durch das Nervensystem geregelt und dem jeweiligen Bedürfnis des ganzen Körpers" oder einzelner Theile angepasst. Es ist schon bei der Be- trachtung des Kreislaufs angegeben worden, dass sich die Gefäss- wände in einem dauernden Zustande der Spannung befinden, die durch die Zusammenzichuiig ihrer glatten Muskeln erhöht, und durch deren Erschlaffung herabgesetzt werden kann. Die Spannung der Gefässwände beruht zum Theil, namentlich bei den grösseren Gefässen, einfach auf der Spannung des in ihnen enthaltenen elastischen Gewebes, zum Theil auch auf passiver Dehnung der Muskulatur. Ausserdem wird die Gefässmuskulatur von den im Centraiorgan enthaltenen vasomotorischen Centren aus durch Vermittlung der in den peripherischen Nerven verlaufenden vasomotorischen Fasern in einem dauernden Thätigkeitszustand, im Tonus gehalten. Durchschneidet man die zu einem Gliede oder zu einem Organ verlaufenden Nerven, so tritt eine allgemeine Ge- fässerweiterung ein, wie dies oben für den Halssympathicus ange- geben ist. Reizt man den peripherischen Stumpf des durch- schnittenen Nerven, so ziehen sich die Gefässwände zusammen. Wird die Reizung längere Zeit fortgesetzt, so beobachtet man, dass erst Verengerung, dann Erweiterung der Gefässe auftritt. Im ab- gekühlten Thier erfolgt von vornherein nur Gefässerweiterung auf Reizung des Nerven. Bei manchen Nerven, zum Beispiel beim Lingualis, der die Gefässe der Submaxillardrüse innervirt, beob- achtet man überhaupt nur Erweiterung auf Reiz. Diese Beob- achtungen lehren, dass es neben den Nervenfasern, deren Reizung die Gefässmuskeln zur Zusammenziehung bringt, also den „vaso- constrictorischen Fasern" auch solche geben muss, die die Gefässmus- keln erschlaffen machen, „vasodilatatorische Fasern". Die ange- führten Versuche zeigen, dass im Allgemeinen die Vasoconstrictoren Überwegen, sodass man, wo beide Arten vorhanden sind, die Wir- kung der Dilatatoren nur wahrnimmt, wenn die Constrictoren durch Ermüdung, durch Kälte u. a. m. ausgeschaltet worden sind. Die Erweiterung der Gefässe durch die Einwirkung der dilata- torischen Nerven wird allgemein als ein Beweis betrachtet, dass wenigstens die glatten Muskelfasern durch ihre Nerven nicht bloss erregt, sondern auch gehemmt werden können. Es muss zugegeben werden, dass die Erweiterung der Gefässe sicherlich nur durch Er- schlaffung der Wandmuskulatur zustande kommen kann, nicht etwa, wie mitunter angenommen wird, durch Zusammenziehung longitu- dinal verlaufender Muskelfasern oder auf ähnliche Weise. Ferner ist festgestellt, dass die Gefässe sich bei Reizung der Dilatatoren stärker erweitern, als wenn bloss die Constrictoren ausgeschaltet werden. Diese Tiiatsachen genügen aber noch nicht zum Beweise, dass die gefässerweiternden Nerven wirklich die Thätigkeit der Muskelzellen unmittelbar rückgängig machen. Ihre Wirkung kann sich vielmehr darauf beschränken, die Erregbarkeit der 554 Wirkung der Nerven auf den Kreislauf. Gefässwände zu vermindern, und so den normalen Tonus herab- zusetzen. Wirkung der Nerven auf den Kreislauf. Durch die beschriebenen Einwirkungen des Nervensystems auf Herz und Gefässe wird während des Lebens der Blutkreislauf fortwährend den wechselnden Bedürfnissen entsprecliend geregelt. iMan kann diesen Vorgang im Grossen und Ganzen als eine reflectorische Thätigkeit des Nervensystems ansehen, und spricht daher auch von Herzreliexen und vasomotorischen Reilexen. Die sensiblen Reize für diese reflectorische Thätigkeit sind sehr mannigfacher Art. Jede sensible Reizung hat im Allgemeinen auch Veränderungen der Herz- thätigkeit und der Gefässweite zur Folge. Unter den vasomotorisch wirkenden Reizen kommt der Temperatur eine besonders zu be- achtende Stellung zu, da, wie im Abschnitt über die thierische Wärme ausgeführt worden ist, die Blutvertheilung für die Regu- lirung der Gesammttemperatur des Körpers eine Hauptrolle spielt. Es sei ferner hervorgehoben, dass bei vielen Verrichtungen des Körpers, so bei der Verdauung, bei Muskelarbeit, durch die vaso- motorische Innervation die Blutzufuhr zu den thätigen Organen vermehrt wird. Endlich ist zu erwähnen, dass man, abgesehen von allen diesen durch äussere Ursachen bedingten Wirkungen des Nerven- systems auf den Kreislauf mitunter periodische Schwankungen des Blutdrucks, die sogenannten Traube-Hering'schen AVellen, beob- achtet, die auf periodische Thätigkeit der vasomotorischen Centra zurückgeführt werden. Die Ursache dieser periodischen Thätigkeit ist noch unbekannt. Innervation der Athmung. Ebenso wie oben für die Innervation der Körpermuskulatur im Allgemeinen angegeben ist, ist auch die Innervation der Athem- muskeln so aufzufassen, dass man sich Inspirationsmuskeln und Exspirationsmuskeln dauernd tonisch erregt und die Athembe- wegungen durch abwechselndes Ueberwiegen der Erregung einer der Gruppen zustande kommend denkt. Das Zwerchfell beispielsweise, obschon es nur bei Einathmung wirkt, ist bei Ausathmung nicht vöUig erschlafft, denn der intraabdominale Druck, der nur durch die Mitwirkung des Zwerchfells unterhalten werden kann, hört auch während der Ausathmung nicht völlig auf. Die dauernde Innervation sowohl wie ihre periodische ^ er- stärkung rührt von der Thätigkeit der motorischen Zellgruppen her, die in ihrer Gesaramtheit als „Athenicentrum" bezeichnet werden. Es ist oben schon angegeben worden, dass das Atheni- centrura aus einer grossen Anzahl einzelner Centra besteht, die man sich entweder als untereinander gleichwertig oder als in Gruppen von einem Centrum höherer Ordnung abhängig vorstellen kann. In beiden Fällen muss eine sehr genaue Verbindung zwischen Innervation der Athmung. 555 den einzelnen Centren angenommen werden, um die gememsame Thätio-keit der Atlicramuskeln zu ermöglichen. Was das besagen will, ^vird am besten ein Blick auf folgende Zusammenstellung lehren. Uebersicht über die Innervation der Athemmuskeln. Prae-inspiratorische Bewegungen . . Bauchathmung Brustathmung Accessorische Athemmuskeln Bauchathmung . Brustathmung . Accessorische Athemmuskeln Inspiration. Levator alae nasi Levator veii palatini Azygos uvulae Sternothyreoi'deus Sternohyoideus Cricoarytaenoi'deus posticus Zwerchfell Intercostales externi Serratus posticus sup. Scaleni Sternocleidomastoi'deus Trapezius Rhomboidei Levator anguli scapulac Pectoralis minor Serratus anticus Exspiration. Muskeln der Bauchwand Intercostales interni Triangularis sterni Serratus posticus inf. Latissisimus Facialis (Vago-accessorius) N. hypoglossus Phrenicus Intercostales PI. cervicalis Accessorius PI. cervicalis u. brachialis Lumbalnerven Intercostales dorsales PI. brachialis Dass die motorischen Centra dieser verschiedenen Muskelgruppen wenigstens zum Theil untereinander zum Zweck gemeinsamer Thätig- keit verbunden sind, dürfte schon daraus folgen, dass sich bei künstlicher Athmung die Thätigkeit des Kehlkopfs der passiven Be- wegung des Brustkorbes anpasst. Gleichviel aber ob die Centra nebeneinander oder in gemeinsamer Unterordnung unter ein einheit- liches Hauptcentrum thcätig sind, entsteht die Frage nach der Ur- sache ihrer rhythmischen Erregung. Hier ist zunächst an die oben erwähnte Thatsache zu erinnern, dass nach gründliclier Durchlüftung der Lungen, wenn das Blut von Kohlensäure soweit wie möglich befreit und dagegen mit Sauerstoff gesättigt ist, die Athembe- wegungen ausbleiben. Dagegen werden die Atliembewegungen ver- stärkt, wenn kohlensäurereiche oder sauerstoffarme Luft geathmet wird. Diese Beobachtungen lehren, dass der Zustand des durch das Athemcentrum strömenden Blutes als Reiz auf das Athemccntrum wirkt. Ausser dem Gasgehalt des Blutes kommen hierfür auch die schon oben bei Besprechung der Muskelermüdung erwähnten Stoffwechselproductc der Muskeln in Betracht. Es ist aus dem täglichen Leben bekannt, dass man schon die Empfindung hat, 556 Kauthäligkeit. „ausser Athcm zu kommen" und infolgedessen merklich tiefer atli- raet, wenn man auch erst wenige Secunden eine anstrengende Muskolarbeit geleistet hat. Es lässt sich zeigen, dass zu dieser Zeit von SauerstofTmangel und Kohlensäureüberschuss im gesaramten Blut nocli keine Rede sein kann. Die prompte Verstärkung der Athmung wird daher den „Ermüdungsstoffen" zugeschrieben, die in kleinsten Mengen schon nach den ersten Contractionen ins Blut überzugehen beginnen. Endlich ist hier zu erwähnen, dass auch die Zunalime der Bluttemperatur als Reiz auf das Athemcentrura wirkt. Die Rolle der Athmung im Wärraehaushalt des Körpers ist oben schon zur Geniige erörtert. Es leuchtet nun zwar ein, dass die erwähnten Ursachen das Atheracentrum erregen und zu verstärkter Thätigkeit antreiben können, es ist aber schwer sich vorzustellen, dass die regelmässige rhythmische Thätigkeit des Athraens allein auf solche Schwankungen in der Beschaffenheit des Blutes zurückzuführen sein soUte. Hier kommt nun die Wirkung der Lungenäste des Vagus in Betracht, die als die „Selbststeuerung" der Athmung bezeichnet wird. In- dem jede Verengerung der Lungen einen inspiratorischen, jede Er- weiterung einen exspiratorischen Reiz auf das Athemcentrum aus- übt, ist die regelmässige Folge der Athemzüge gesichert. Es be- darf also nur einer Regulirung, um die Athmung dem gesteigerten Bedarf in besonderen Fällen anzupassen. Ausser von diesen eigentlichen Atliemreizen wird das x\them- centrum auch von anderen sensiblen Reizen beeinflusst. Schwache sensible Reize beschleunigen in der Regel die Athmung, starke verlangsamen sie. Vollständig gehemmt wird die Athmung schon durch verhältnissmässig schwache Reizung der Nasenschleimhaut. Beim Einziehen von Amraoniakdämpfen in die Nase, die einen starken Reiz auf den Trigeminus ausüben, erfolgt eine krampfhafte Ausathmung mit andauerndem Athmungsstillstand in der Expirations- stellung. Auch heftige Erschütterung des Körpers, etwa bei einem Fall auf den Rücken oder einem Stoss gegen die Magengrube hat vorübergehenden Stillstand der Athmung zur Folge. Im Bezug auf die Thätigkeit des Atliemcentrums beim Ge- brauch der Stimme und Sprache ist auf das zurückzuverweisen, was in dem Abschnitte über das Centrainervensystem vom Sprach- centrum und im Abschnitte über Stimme und Sprache über die Mechanik der Stimmgebung gesagt ist. Innervation der Ernährungsorgane. Kauthätigkeit. Die Bewegungen des Beissens und Kauens können zwar willkürlich in mannigfacher AVeise abgeändert ausge- führt werden, im Allgemeinen ist aber ihre Thätigkeit, wie schon im ersten Thcil hervorgehoben wurde, eine maschinenartig regel- mässige, und es ist deshalb anzunehmen, dass im Centralnerven- Speichelabsonderung. 557 svstem zwischen den motorischen Zellgruppen, die die Kaumuskeln beherrschen, eine ausgebildete coordinalorische Vei'kniipfung be- steht Die betrefl'enden motorischen Gruppen sind der Ursprungs- kern des motorischen Astes des Trigeminus, der des Hypoglossus und, für die Bewegung der Lippen, der des Facialis. Man hat in der Grosshirnrinde, m der motorischen Zone für die Gesichts- muskeln eine Stelle gefunden, bei deren Reizung Kaube.wegungen und im Anschluss daran auch Schlingbewegungen eintreten. Diese Beobachtung ist deswegen besonders wichtig, weil es sich um doppelseitige Bewegungen bei Heizung einer Ilemisphäre handelt. Aber auch nach Exstir])ation der Kinde treten Kaubewegungen reflectorisch auf, wenn Nahrung zwischen die Zähne gebracht wird. Die Speichelabsonderung. Die Speicheldrüsen smd es, an denen die Abhängigkeit der Drüsenthätigkeit vom Einfluss der Nerven zuerst nachgewiesen wurde. Es ist oben schon er- wähnt, dass die Speicheldrüsen von je zwei Stellen aus, durch den Halssympathicus und durch Hirnnervenfasern innervirt werden, und dass bei Reizung des Syrapathicus spärlicher, zäher, stark schleimhaltiger Speichel, bei Reizung der liirnnerven wässeriger Speichel abgesondert wird. In neuerer Zeit hat Pawlow gezeigi, dass während des Lebens von diesen beiden Arten der Innervation je nach der Beschaffenheit der Nahrung eine oder die andere über- wiegt. Um Menge und Art des Speichels genau untersuchen zu können, legt man bei Versuchsthieren Speichelfisteln an, das heisst, man heilt den Ausführungsgang der Speicheldrüse in die äussere Wangenhaut ein, sodass der Speichel nach aussen in einen aufge- klebten Trichter abÜiesst. Bringt man nun dem Versuchsthier reizende Stoffe, wie etwa verdünnte Essigsäure ins Maul, so fliesst reichlich dünner Speichel, gibt man trockenes Brot, so wird zäher, schleimreicher Speichel abgesondert. Nicht immer ist die Beziehung der Art der Secretion zur Art der Nahrung so klar, wie in diesen beiden Fällen, in denen offen- bar die reichliche Speiclielung dazu dient, die Säure zu verdünnen, und die Absonderung schleimigen Speichels, das trockene Brot schlüpfrig zu raachen, denn auf Milch, die eigentlich keines Zusatzes bedarf, erfolgt sehr reichlicher Speichelfluss. Die Speichelsecretion erscheint demnach als ein verwickelter Reilcxvorgang, der mannigfacher Abstufung fähig ist. Die Speiclielsecretion tritt aber nicht nur reflectorisch bei Reizung sensibler Nerven durch die Speisen ein, sondern sie tritt auch durch rein psychisciie Vorgänge, durch blosse Gedankenver- bindung ein. Zeigt man einem Hund mit Speichelfistel von weitem Futter, so sieht man alsbald die Secretion beginnen, ja schon die Nähe der Person, die das Thier zu füttern pflegt, oder irgend ein Anzeichen der bevorstehenden Fütterung kann erregend wirken. Diese von Pawlow so genannte „psychische Secretion" ist ein Bei- spiel der Wirkung der Associationen im Grosshirn. Die bekannte 558 Schluckreflox. Redensart: „Das Wasser läuft einem im Munde zusammen", zeigt, dass diese Erscheinung auch beim Menschen zu beobachten ist. Schluckreflex. Die Thätigkeit der Sclilundrauskulatur, durch die die Speisen verscliluckt werden, ist ein reiner Reflex, der durch sensible Reizung der hinteren Zungen- und Mundhöhlenschleimhaut ausgelöst wird. Bei den verschiedenen Thierarten erweisen sich bestimmte Stellen der Schleimhaut als erregbarer als andere, und diese bilden also die eigentliche Ursprungsstelle des Schluckreizes. Als sensible Bahnen kommen in Betracht der Trigeminus, Glosso- pharyngeus und Laryngeus superior. Indem diese Nerven auf das Schluckcentrum im verlängerten Mark wirken, lösen sie die ganze Reihe von Muskelthätigkeiten aus, aus denen sich der Schluckact zusammensetzt. Der Zungenrücken hebt sich von der Spitze nach der Basis zu mit einer wellenförmigen Bewegung und wird zugleich durch die Muskeln des Mundbodens nach oben gedrückt. Der Kehlkopf wird nach oben und vorn unter die Zungenwurzel ge- zogen, die Stimmritze geschlossen. Der weiche Gaumen hebt sich und verschliesst den Nasenrachenraum. Ist der Bissen durch die Zunge in den so erweiterten Isthmus faucium gelangt, so zieht sich die Schlundmusculatur hinter ihm zusammen, und presst ihn in den Oesophagus, in dem er durch die fortlaufende Zusammenziehung der Oesophagusmusculatur bis zum Magen hinabgetrieben wird. Die Verkettung dieser einzelnen Muskelthätigkeiten ist auch im Be- reich des Oesophagus allein durch die Innervation gegeben. Wird die Muskelwand des Oesophagus in mehrere vStücke zerlegt, so läuft die peristaltische Zusammenziehung dennoch in regelmässiger Weise ab, wenn nur die Nerven geschont worden sind. Die Be- förderung des Bissens durch die Speiseröhre geht nicht ganz gleich- mässig, sondern in mehreren Schüben vor sich. Der unterste Theil des Oesophagus und die Cardia bildet einen Abschnitt für sieh, dessen Bewegungsweise mit der der tiefer gelegenen Darmtheile darin übereinstimmt, dass der Durchtritt des Inhalts geregelt und gewissermaassen in einzelne Portionen eingetheilt wird. Die Cardia öffnet sich nicht für jeden Schluck, sondern erst, wenn eine passende Nahrungsmenge sich angesammelt hat. Bei starken Reizen schliesst sie sich krampfhaft, sodass zum Beispiel ätzende Flüssigkeiten meist oberhalb der Cardia zurückgehalten werden. Magen- und Darmbewegung. Die motorische Innervation des Magens und des Darraes kann gemeinsam betrachtet werden. Es sind in der Wand des Darmcanals vom Ende des Oesophagus an bis zum Mastdarm eigene Nervengefleclite in Gestalt des Auerbach'schen und Meissner'schen Plexus enthalten. Von aussen her treten zum Darmcanal Fasern vom Vagus und Fasern vom Splanchnicus. Diese von aussen kommenden Fasern können durchschnitten werden, ohne dass die normale Bewegungsweise des Darmcanals merklicli gestört wird. Dagegen beobachtet man bei Reizung des Vagus Verstärkung, bei Reizung des Splanchnicus Abschwächung oder Hemmung der Bewegungen. Die Bewegungen Verdauungdrüsen. 559 des Darmes müssen als Reflexe betrachtet werden, die durch sensible Reizung durch den Inhalt ausgelöst werden. Hierfür kommt, wie die Wirkung der Abführmittel beweist, chemische Einwirkung auf die Schleimhaut, so gut wie mechanische Reizung und Spannung der Darmwände in Betracht. Der Verlauf der reflectorischen Er- regungen kann im Einzelnen nicht näher angegeben werden, man darf annehmen, dass sie durch den Auer bach'schen Plexus ver- mittelt werden. Die Thätigkeit der vom Centrainervensystem zum Darm ver- laufenden ßeschleunigungs- und Hemmungsfasern macht sich da- durch bemerkbar, dass starke sensible Reize und ebenso psychische Einflüsse die Darmbewegungen hemmen oder anregen können. Es ist allgemein bekannt, dass bei Angst und Furcht der Trieb zur Entleerung des Darras auftritt. Verdauungsdrüsen. Ebenso wie die Bewegung wird nach Pawlow's Entdeckung auch die Secretionsthätigkeit der Drüsen des Yerdauungscanales aufs Genaueste durch reflectorische Thätigkeit des Nervensystems geregelt. Während man früher annahm, dass nur der mechanische Reiz der in den Magen gelangenden Stoffe die Secretion eines in seiner Zusammensetzung stets gleichen Saftes verursacht, hat Pawlow mit Hülfe der im ersten Theile dieses Buches erwähnten Methodik nachgewiesen, dass die Secretion des Magensaftes ebenso wie die des Speichels schon durch die blosse Vorstellung der Speisen erregt werden kann. Man nennt dies die „psychische Secretion" des Magens. Auch die „Schein- fütterung", bei der die verschluckte Nahrung statt in den Magen zu gelangen, durch eine Oesophagusfistei entleert wird, regt die Magendrüsen zur Secretion an. Dagegen hat sich die rein mechanische Reizung als fast ganz unwirksam erwiesen. Wenn man einem Hunde mit Mageufistel Fleisch in den Magen stopft, ohne dass er es gewahr wird, bleibt es lange Zeit unverdaut im Magen liegen. " Es handelt sich also bei der Secretion des Magensaftes nicht um einen einfachen Berülirungsreflex der Magenwand, sondern bei der psychischen Secretion um einen „Vorstellungsrellex", bei der Secretion auf Scheinfütterung um einen zusammengesetzten Reflex, für den die Geschmacks- und Empfindungsnerven der Mundhöhle die sensible Bahn darstellen. Die motorische Bahn verläuft im Vagus, denn nach Durchschneidung der Vagi bleibt die Se- cretion aus. Ausser diesen beiden Ursachen wirkt aber noch eine dritte auf die Secretion ein. Der bei der Scheinfütterung oder auf psychischen Reiz abge- sonderte Saft, den Pawlow als „Appetitsaft" bezeichnet, ist immer annähernd gleich zusammengesetzt. Wenn man dagegen einen nach Pawlow's Methode des kleinen Magens operirten Hund etwa mit Brot oder Fleisch oder Milch wirklich füttert, und die Beschaffen- heit des abgesonderten Saftes an dem Secrete des „kleinen 560 Pancreas. Magens" prüft, so iindet man sehr wesentliche Unterschiede in der Zusammensetzung, sowie in dem zeitliclien A'erlauf der Drüsen- thätigkeit. Offenbar ist also die Secretion des Magensaftes ebenso wie die des Speichels von der besonderen Beschaffenheit der Nah- rung abliängig. Diese Erscheinung lässt sich auf die unmittelbare Einwirkung der löslichen Bestandtheile der Nahrung auf die Magen- wände zurückführen. Bestimmte Stoffe, A'or allem die Salze des Fleisches, rufen besonders reichliche Absonderung stark ferraent- und säurehaltigen Magensaftes hervor. Daher wirkt auch der Liebig'sche Fleischextract, obschon er an sich keine eigentlichen Nährstoffe enthält, mittelbar als ein Kräftigungsmittel, indem er die Ausnutzung der Nahrung verbessert. Auffällig ist, dass Eiweiss fast keine Secretion hervorruft, ob- schon gerade die Eiweissverdauung als Hauptzweck der Magen- secretion erscheint. Ob die Magendrüsen durch die erwähnten chemischen Ein- wirkungen unmittelbar, oder reflectorisch durch Vermittlung von Nerven, erregt werden, ist noch ungewiss. Pancreas. Die Thätigkeit des Pancreas beginnt schon vor der der Magendrüsen, und es lässt sich zeigen, dass sie reflec- torisch durch die mit dem Zerkauen der Nahrung verbundenen Eeize erregt wird. Zur Absonderung wirksamer Mengen kommt es aber erst, wenn der Mageninhalt in das Duodenum übertritt. Ins- besondere ist es die Magensäure, die den Eeiz für das Pancreas abgiebt, denn bei künstlicher Einführung von Säurelösungen ins Duodenum erweist sich die Menge des abgesonderten Pancreas- saftes als proportional dem Säuregrade der Lösung. Ausserdem erfolgt reichliche Secretion auch auf Einführung von Fetten oder Seifenlösungen. Die Zusammensetzung des Saftes ist nicht in beiden Fällen dieselbe, sondern der auf Säurereiz abgesonderte Saft enthält viel Alkalien und wenig Ferment, der auf Fett- einführung abgesonderte ist schwach alkalisch aber reich an orga- nischen Stoffen. Bei Fütterung mit verschiedenen Mitteln wie Brod, Fleisch, Milch, unterscheidet sich der zeitliche Verlauf der Secretion und der Gehalt des Secretes an den verschiedenen Fermenten. Diese Beeinflussung der Pancreassecretion von der Darm- schleimhaut aus kann nicht als eine reflectorische angesehen werden, denn sie bleibt auch bestehen, wenn säramtliche mit der Darm- schleimhaut in Verbindung stehende Nerven durchtrennt sind. Man nimmt deshalb an, dass die Reizwirkung zur Entstehung einer ge- wissen Substanz „Secretin" in der Darraschleimhaut führt, die dann in das Blut übergeht und auf diesem Wege mittelbar oder unmittelbar das Pancre'as erregt. Im Uebrigen ist festgestellt, dass, durch Reizung beliebiger sensibler Nerven die Thätigkeit des Pan- creas gehemmt werden kann, während sie durch Reizung der zum Pancreas führenden Vagusäste angeregt wird. Defäcation. Für den dauernden Verschluss und die pcrio- Innervation der Ilarnwege. 5G1 dische Entleerung des untersten Theiles des Uarmcanals besteht, wie oben schon angegeben, ein besonderes Centruni anospinale im unteren Lumbaimark. Wenn dieses Centrum zerstört wird, er- scheint anfänglich der Sphinctcr ani und das Eectum gelähmt, nach einiger Zeit aber stellt sich die normale Thätigkeit wieder her. Rectum und After werden durch die Nervi hypogastrici, die aus dem Ganglion niesentericum inferius hervorgehen, und durch die Nervi erigentes aus dem Plexus hypogastricus innervirt. Es ist anzunehmen, dass sensible Reize, die von dem angehäuften Darminhalt ausgehen, den Reflex zur Entleerung auslösen. Diese Erregungen verlaufen in beiden eben angeführten Bahnen, denn es müssen beide Bahnen durchtrennt werden, wenn der Reflex aufgehoben werden soll. Ebenso erhält man von beiden Bahnen bei künstlicher Reizung bald Contraction, bald Erschlaffung, nur ist beim Hypogastricus das zweite, beim Erigens das erste häufiger. Der Vorgang der Defäcation ist demnach als ein rein reflec- torischer aufzufassen, bei dem nur dadurch ein Anschein von AViükürlichkeit entsteht, dass der Reflex durch den Willen unter- drückt zu werden pflegt. Die Mitwirkung der der AYillkür unter- worfenen Bauchpresse ist zum Zustandekommen der Entleerung nicht unbedingt erforderlich. Innervation der Drüsen. Trophische Nerven. Drüsennerven. Von der fnnervation der Verdauungsdrüsen ist oben schon die Rede gewesen. Ebenso ist im Abschnitt über die svm- pathischen Nerven dieinnervation der Schweissdrüsen erwähnt worden. Hierzu mag nochmals angeführt Averden, dass die Schwitzcentra im Centrainervensystem auch durch psychische Eindrücke erregt werden können, wie schon der bekannte Ausdruck „ Angstschweiss" lehrt. Obgleich man nicht bei allen Drüsen die Einwirkung des Xervensystems unmittelbar nachweisen kann, ist doch anzunehmen, dass die Thätigkeit sämmtlichcr Drüsen vom Nervensystem ab- hängig ist. Dies ist in einigen Fällen an gewissen Störungen der Drüsenthätigkeit zu erkennen: Nach dem „Zuckerstich" ins ver- längerte jMark ändert sich der innere Stoff'wechsel, sodass Zucker im Harn auftritt. Nach Durchschncidung der Nerven, die zu den Drüsen führen, pflegt anfänglich die sogenannte „paralytische Secretion einzutreten, nämlich eine dauernde übermässige Secretion, dann tritt Atrophie der Drüsen ein. Innervation der Harnwege. Es ist hier auch der Ver- richtungen des Nervensystems bei der Ausscheidung des Harns zu gedenken. Ein PJinfluss auf die Secretionsthätigkeit der Niere ist nicht mit Bestimmtheit nachzuweisen. Der im Nierenbecken angesammelte Urin wird durch periodische im Ureter ablaufende Contractionswellen in die Blase befördert. Die Uretercontrac- tioncn laufen etwa alle Viertelminute mit einer Geschwindigkeit von 2 — 3 cm in der Secundc ab. Die glatten Muskeln der R. du Ii 0 is -Rey in 0 n d , Physiologie. on 562 Innervation der Ilarnwege. Ureterwand erhalten Nervenfasern von Ganglienzellen, die be- sonders am oberen und unteren Ende in der Ureterenwand ge- legen sind, und ihrerseits mit dem Splanchnicns in Verbindung stehen. Durch Reizung des Splanchnicus wird der Ureter in Contraction versetzt. Die normalen Contractionen werden aber nicht auf diesem Wege ausgelöst, denn sie treten auch am isolirten Ureter auf. Der einmal in die Blase entleerte Harn kann nicht in die Ureteren zurücktreten, weil die Mündung der Ureteren die ßlasen- wand schräg durchsetzt, sodass sie sich bei Druck von innen her verschliessen rauss. Um am Präparat die Blase aufzublähen, braucht man daher nur die HarnröhrenölTnung zu unterbinden und kann dann durch den Ureter Luft einblasen, die nicht wieder ent- weicht. Die Harnröhrenöffnung der Blase wird für gewöhnlich durch den Tonus der sie uraschliessenden glatten Muskelfasern, Sphincter vesicae internus, geschlossen gehalten. Bei lebenden männlichen Hunden kann die Blase mit über 100 cm AVasserdruck aufgetrieben werden, ehe der Verschluss des Sphinter nachgiebt. Beim todten Hunde läuft dagegen der Blaseninhalt schon bei einem Druck von wenig über 20 cm ab. Es ist undenkbar, dass bei der normalen Entleerung der Blase ein so grosser Druck hervor- gebracht werden kann, und mithin ist sicher, dass bei der Ent- leerung der Sphincter erschlaffen muss, während sich die übrige Musculatur der Blase, vor Allem der sogenannte Detrusor urinae, zusammenzieht. Der Tonus des Sphincter beruht, wie man aus Versuchen und aus klinischen Beobachtungen weiss, auf der Thätigkeit des Centrum vesicospinale im Lendenraark. Dieses Centrum ist durch eine zweifache Bahn auf dem Wege der Nervi hypogastrici und erigentes mit der Blasenmusculatar verbunden. Auf Reizung der Nervi erigentes zieht sich die Blase zusammen, auf Reizung der Hypogastrici erschlafft der Sphincter. Indem diese beiden Wirkungen reflectorisch hervorgerufen werden, wird die Blase entleert. Der sensible Reiz, der den Reflex ver- ursacht, entstellt durch die zunehmende Spannung der Blasen- wand. , , 1^- u •. Zu diesen Hauptzügen kommen noch eme Anzahl Einzelheiten hinzu, die den Gesaratvorgang als einen recht verwickelten er- scheinen lassen. Der sensible Reiz bei zunehmender Spannung erhöht nämlich zunächst den Tonus des Sphincters. Gleiclizeitig ruft er Zusammenziehungen des Detrusor hervor, die den Druck im Innern der Blase periodisch erhöhen und die Blasenwand so stark spannen, dass die sensible Reizung als „Harndrang« zum Bewusstscin kommt. Es kann dann entweder reflectorischc Ent- leerung eintreten oder, wenn der Reflex durch den Willen gehemmt wird, eine weitere Verstärkung des Sphinctertonus eintreten bclihess- lich kann auch noch die willkürliche Musculatur des Perineums zum Verschluss beitragen. In diesem letzten Fall wird schon die Innervation der Geschlechtsorgane. 563 willkürliche Erschlaffung der Perinealrauskcln die Entleerung ein- leiten. In allen anderen Fällen muss aber die Entleerung des Urins als ein rein rcflectorisclier Vorgang bezeichnet werden, auf den der Wille nur mittelbar einzuwirken vermag. Innervation der Geschlechtsorgane. Die Function der Geschlechtsorgane umfasst eine Anzahl Reflexe, deren Centra im unteren Lumbaimark gelegen sind. Die Schwellung der Corpora cavernosa bei beiden Geschlechtern kann durch psychische Einflüsse oder auch reflcctorisch durch sen- sible Reizung der äusseren Geschlechtsorgane hervorgerufen werden. Der Verlauf der sensiblen Bahn ist nicht genau nachgewiesen, es ist aber anzunehmen, dass sie mit der motorischen zusammen- fällt. Diese wird durch die Nervi erigentes und die Muskelnerven der äusseren Geschlechtsorgane dargestellt. Die Wirkung des N. erigens besteht darin, durch Erweiterung der Gefässe die Blut- zufuhr zu den Corpora cavernosa zu verstärken, sodass sie sich prall füllen, sich erheblich vergrössern und hart werden. Zugleich wird durch Anspannung der Perinealmuskeln der Abfluss des Blutes behindert, wodurch die Stauung und Schwellung noch ver- mehrt wird. Nach Zerstörung des Lendenmarks oder Durch- schneidung der Nervi erigentes bleibt die Schwellung der Corpora cavernosa aus. Bei vielen Thierarten, so bei Hund, Katze, Pferd, nicht bei Kaninchen, kommt ein besonderer glatter Muskel, Retractor penis, vor, der die Eigenthümlichkeit hat. mit zwei Nerven, Pudendus und Erigens, in Verbindung zu stehen, von denen der erste Zusammen- :ziehung, der zweite Erschlaffung des Muskels bewirkt. Die Ejaculation des Samens geschieht durch einen zweiten Reflex, der ebenfalls durch die sensible Reizung der äusseren Ge- schlechtsorgane hervorgerufen wird. Die motorische Bahn verläuft im N. hypogastricus, dessen Erregung die Samenleiter und Samen- blasen zur Contraction bringt. Wodurch das mit dem Vorgange der Ejaculation verbundene Wollustgefühl entsteht, auf welchen Bahnen es sich dem Centraiorgan mittheilt und welche Theile des Centralnervensystcms dabei thätig sind, ist unbekannt. Beim weiblichen Geschlecht ruft die Reizung desselben Nerven Contrac- tionen der glatten Muskeln des Uterus und der Vagina hervor. Auch die Contractionen des Uterus beim Geburtsact werden vom unteren Lumbalmark aus auf demselben Wege hervorgerufen. Innervation der Milchdrüsen. Endlich ist die Thätig- keit der Milchdrüsen in ihrer Beziehung zum Nervensystem zu betrachten. Es ist eine bekannte Thatsache, dass, wenn das Säugen oder Melken auf längere Zeit unterbrochen wird, die Milchabsonderung zurückgeht. Ferner ist bekannt, dass beim jedesmaligen Säugen der Milchfluss nicht im ersten Augen- blick am stärksten ist, sondern sich erst im Laufe einer kurzen Zeit ausbildet. Mit dem Eintreten des stärkeren Flusses ist eine Empfindung verbunden, die als das Gefühl des „Einschiessens" 36* 564 Trophiscbe Nerven. der Vilich in die Brust bezeichnet wird. Endiicli tritt die Papille beim Saugreiz merklich hervor und verhärtet sich durch die Thätig- keit ihrer glatten Musculatur. Alle diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass sensible Reize, die von der Haut der Pa- pille ausgehen, auf die Thätigkeit der Milchabsonderung Einfluss haben. Die Nerven der Milchdrüse verlaufen beim Menschen iji den Snpraclaviculares und im 2. — 6. Intercostalstaram, die Euterdrüse der Ziege wird vom Sperraaticus externus, die Haut des Eulers vom Ileoinguinalis innervirt. An der Ziege ist nachgewiesen, dass der Ileoinguinalis auch an die Papillarmuskeln und an die Ge- fässe Aeste abgiebt. Durchschneidet man den Ileoinguinalis und reizt das peripherische Ende, so wird die Papille aufgerichtet und die Gefässe erweitern sich. Reizt man das centrale Ende, so soll die Milchabsonderung zunehmen. Wie weit hierbei Veränderungen des Blutdrucks im Spiele sind, ist nicht genau festgestellt. Ein eigentlicher secretorischer Nerv für die Milchdrüse, dessen Reizung die Drüsenzellen unmittelbar in Thätigkeit setzt, ist nicht bekannt. Es liegt nahe, den offenbaren Zusammenhang zwischen der Thätigkeit der Milchdrüse und der eigentlichen Geschlechtsorgane ebenfalls durch nervöse Verbindungen erklären zu wollen. Dieser Annahme widerspricht aber der schon weiter oben erwähnte Versuch von Goltz, in dem an einer Hündin, der das ganze Rückenmark entfernt war, normale Lactation beobachtet wurde. Auch am Menschen ist ein solcher Fall bekannt. Ebenso haben eigens angestellte Versuche ergeben, dass man alle nervösen Verbindungen zwischen Geschlechtsorganen und Milchdrüse durchtrennen kann, ohne die Lactation zu beeinflussen. Man muss daher annelimen, dass die Geschlechtsorgane auf anderem Wege, wahrscheinlich durch Vermittlung des Blutes, auf die Brustdrüse einwirken. Beraerkens- werther Weise soll Castration keinen Avesentlichen Einfluss auf die Milchabsonderung haben. Die psychischen Einflüsse auf die Milchsecretion, deren oben gedacht worden ist, wirken möglicher AVeise aucli auf diesem Wege. Trophische Nerven. Vorstehende üebersicht zeigt, dass das Nervensystem fast alle Verrichtungen des Körpers be- herrscht. Man hat deshalb früher angenommen, dass die Nerven auch für das Bestehen des normalen Stofi"umsatzes innerhalb der einzelnen Gewebszellen notliwcndig wären. Diese Lehre stützte sich darauf, dass nach Durchschneid img gewisser Nerven mitunter ein ganz rascher Verfall der nicht mehr normal innervirten Gewebe zu beobachten ist. Die hervor- ragendsten Beispiele liierfür sind die Trigeminus]>anophthahnie und die Vaguspneumonie. Diese beiden Fälle sind aber, wie oben ausfülirlirh angegeben ist, unzweifelhaft auf ganz andere "Weise zu erklären. Dalier ist der Begriff „truphischer Nerven", deren Auf- Begriff der Sinnesorgane. 565 gäbe es sein soll, durch Rcgulirung des Slofi'wecbsels der Zellen den Bestand der Körpergewebe zu unterhalten, überhaupt zu ver- werfen. 4. Die Lehre von den Sinnen. Allgemeines über die Sinne. Begriff der Sinnesorgane. Die Nerven, die von den Gentraiorganen zu den peripherischen Organen verlaufen, die man kurzweg unter der Bezeichnung „motorische" zuzaramen- fassen kann, erhalten ihre Erregung von den centralen Nerven- zellen, von denen sie ausgehen. Die Erregung dieser Zellen kann, im Falle rein willkürlicher Bewegung, ohne erkennbare materielle Ursache entstehen. In den allermeisten Fällen entspringt sie aber aus der Erregung anderer Theile des Nervensystems, die von der Peripherie zu den Centraiorganen verlaufen, und die man kurzweg unter der Bezeichnung „sensible" zusammenfassen kann. Folgt die Erregung der motorischen Nerven auf die sensiblen mit unabänderlicher Regelmässigkeit, so handelt es sich um eine Reflex- bewegung. Aber auch die meisten anderen motorischen Erregungen werden durch sensible Erregungen mit bestimmt. Um zweckmässig zu sein, müssen die motorischen Innervationen den Bedingungen angepasst werden, unter denen sich der Organismus gerade befindet. In einigen Fällen wirken die betreffenden Bedingungen unmittelbar auf die betreffenden motorischen Centra ein. So wird das Athem- centrum unmittelbar durch zu hohen Kohlensäuregehalt des Blutes erregt. In anderen Fällen sind besondere Organe, die „Sinnes- organe" vorhanden, die durch die betreffenden Bedingungen erregt werden und durch Vermittlung von sensiblen Nerven ihre Erregung auf das Centrainervensystem übertragen, das dadurch so zu sagen über die äusseren Bedingungen unterrichtet wird. Die Bezeichnung „Sinnesorgane" besagt also nicht, dass mit der Erregung des be- treffenden Organs nothwendig eine bewusste Empfindung verbunden sein muss, obgleich dies der Fall sein kann. Man pflegt, um Miss- verständnisse in dieser Beziehung zu vermeiden, statt von Sinnes- organen von „receptorischen" Organen zu sprechen. Unter einem „Sinnesorgan" oder „receptorischen" Organ ist also ein Organ zu verstehen, dass äussere oder innere Reize aufnimmt und durch Vermittking „sensibler", centripetaler Nerven auf das Centraiorgan überträgt, gleichviel ob mit diesem Vorgang „Empfindung", das heisst bewusste Wahrnehmung, verbunden ist oder nicht. Eintheilung der Sinnesorgane. Schon in dem Punkte, dass Erregung der Sinnesorgane nicht gleichbedeutend mit Emp- findung ist, weicht die physiologische Auffassung des Wortes „Sinn" von dem allgemeinen Sprachgebrauch ab. Ebensowenig kann sich der Physiologe au die allgemein übliche Anschauung von „den fünf Sinnen" binden. Von den sogenannten fünf Sinnen sind vier den 566 Adaequater Reiz. betreffenden OrgancMi und den mit ilirer Erregung verbundenen Empfindungen nacli allerdings hinreichend scharf getrennt, um diese Eintheilung auch wissenschaftlich zu rechtfertigen. Für den fünften Sinn, den Gefüiilssinn, fehlt aber ein einheitliches Organ und aucli eine einheitliche Art der Empfindung. Um diesen Unterschied scharf bezeichnen zu können, ist es zweckmässig, von folgender Betrachtung auszugehen: Die Empfindungen, die durcli Erregung verschiedener Sinnesorgane entstehen, zum Beispiel Geschmacks- empfindung und Gesichtseindrücke haben nichts miteinander gemein, können nicht miteinander verglichen oder gegeneinander abgewogen werden. Man bezeichnet dies durch den Ausdruck „verschiedene Modalität der Empfindung^'. Die Empfindungen eines und desselben Sinnesorgans können ebenfalls verschieden sein, wie beispielsweise Tonempfindungen nach Höhe und Klangfarbe der Töne, aber sie pflegen im Ganzen gleichartig zu sein. Man nennt diese abstuf- baren Unterschiede „Qualitäten der Empfindung". Mit Hülfe dieser Unterscheidung ist es nun leicht einzusehen, dass die übliche Ein- theilung der Sinne in fünf verschiedene Modalitäten nicht ausreicht. Wenn man auch die verschiedenen Geschmackseindrücke, wie etwa salzig und süss, nur als Qualitäten ansehen will, so muss man unter den Gefühlseindrücken doch jedenfalls mehrere Modalitäten unterscheiden. Die Temperaturempfindungen sind jedenfalls nicht bloss der Qualität, sondern auch der Modalität nach von den Tast- empfindungen verschieden. Der folgende Abschnitt mag daher zw^ar die Sinneslehre nach der hergebrachten Weise in fünf Theilen behandeln, es muss aber in die Eintheilung als Unterscheidungsgrund die Art des Eeizes aufgenommen werden, wodurch der Gefühlssinn in mehrere Mo- dalitäten zerfällt. Die Empfindungen können ferner in zwei grosse Gruppen em- getheilt werden, in angenehme und unangenehme, oder in Lust- oder Unlustempfindungen, Diesen Unterschied nennt man , .Gefühls- ton". Obschon der Begriff der Lust und Unlust ins psychologische Gebiet fällt, muss der Gefühlston auch in der Physiologie beachtet werden, da er die Reactionen des Organismus auf die verschiedenen Empfindungen wesentlich beeinflusst. Adaequater Reiz. Man kann bei der Thätigkeit eines Sinnesorgans stets dreierlei Vorgänge unterscheiden: Erstens die Reizung des Sinnesorgans, zweitens die Leitung der Erregung zum Centraiorgan und drittens die Erregung des Central organs, die mit bcwusster Empfindung verbunden sein kann oder auch nicht. Der wesentlichste Bestandtheil jedes Sinnesorgans ist eine so- genannte „Sinneszelle", die mit den Ausläufern der sensiblen Nerven so in Verbindung steht, dass Erregung übertragen werden kann. Die Sinneszelle kann im allgemeinen wie jede andere Zelle durch verschiedene Reize erregt werden, sie ist aber stets für eine bestimmte Art des Reizes, die man den „adaequaten" Reiz nonnl. besonders empfänglich. Specifische Energie. 567 Specifische Energie. Hiervon ausgehend, hat man früher angenororaen, dass die Thätigkeit jedes Sinnesorgans im Ganzen je nacii der Art des Keizes, Tür die es empfänglich sei, eine ver- schiedene wäre, oder, wie es ausgedrückt wurde, dass jedem Sinnes- organ eine „specifische Energie" zukäme. Die Heizung der Sinnes- zcllen unterscheidet sich aber, so weit man es beurtheilen kann, in nichts von der Reizung irgend welcher anderer Zellen, und vollends die Leitung der sensiblen Nerven, die von den Sinnes- zellen erregt werden, verhält sich in jeder Beziehung genau wie die Leitung in allen anderen Nervenfasern. Dadurch wird der Unterschied zwischen den verschiedenen Sinnesorganen oder, um den gebräuchlichen Ausdruck beizubehalten, die Specificität iiirer Energieen auf die Art ihrer Verbindung mit dem Centraiorgan be- schränkt. Der Gehörsinn vermittelt deshalb Schallempfindung, weil der Hörnerv mit der Hörsphäre in Verbindung steht, der Gesichts- sinn vermittelt deshalb Lichtempfmdung, weil er mit der Sehsphäre des Gehirns verbunden ist. Man könnte hiergegen einwenden wollen, dass schon die Beschaffenheit des Ohres und des Auges es ver- hindern, dass der Gehörsinn durch andere Eeize als durch Schall, der Gesichtssinn durch andere Reize als durch Licht erregt werde. Dies ist aber nicht ganz richtig, denn beide Organe können auch durch mechanische Reize oder innere Ursachen, wie Kreislauf- störungen und anderes mehr, erregt werden, und auch in diesem Falle ruft die Reizung des Auges Lichtempiindung, die des Ohres Schallemphndungen hervor. Es ist kein Zweifel, dass wenn es möglich wäre, bei einer Versuchsperson den Sehnerv und den Hör- nerv zu durciischneiden und die Stümpfe übers Kreuz miteinander zu verheilen, dass dann die Versuchsperson bei Lichteinwirkung auf das Auge Schallempfindung und bei Schallwirkung auf das Ohr Lichtempfindung haben würde. An Stelle der veralteten Anschau- ung von einer „specifischen Energie der Sinnesnerven" muss also die Vorstellung treten, dass die specifischen Unterschiede in der Sinnesthätigkeit von der Erregung verschiedener Stellen des Centrai- organs abhängen. Psychophysisches Gesetz. Da durch die Sinnesorgane die physische und psychische Thätigkeit des Organismus zu den aus der Aussenwelt auf ihn wirkenden Reizen in Beziehung tritt, liegt es nahe, diese Beziehung durch irgend ein Maass ausdrücken zu wollen. Zunächst ergiebt sich, dass ein Reiz eine gewisse minimale Grösse haben muss, um ein Sinnesorgan überhaupt erregen zu können. Weiter wird offenbar mit zunehmender Reizgrösse auch die Erregung zunehmen. Ernst Heinrich Weber suchte nun die Beziehung zu ermitteln, die zwischen der Zunahme der Erregung und der Zunahme der Reizgrösse bestellt. Dem steht die Schwierigkeit im Wege, dass man die Grösse des Reizes wohl messen und abstufen kann, für die Stärke der Erregung aber nur den ganz unsicheren Maassstab der Empfindung hat, die sich nicht zahlenmässig ausdrücken lässt. 568 Weber'sches Gesetz. Um diese Schwierigkeit zu umgelien, stellte Weber die Frage nicht so: AVie stark ist bei gegebener Reizgrösse die Empfindung? sondern: Wie gross muss der Grössenunterschied zwischen zwei Reizen sein, damit der Unterschied der Empfindung eine bestimmte Grösse habe? Zwar kann man auch die Unterschiede in der Stärke der Empfin- dung im Allgemeinen nicht feststellen,, es giebt aber hier eine feste Grenze, bei der der Unterschied eben bemerkbar wird. Fragt man also: „Wie gross muss der Unterschied zwischen zwei Reizen sein, damit der Unterschied in der Erregung eben noch empfunden werde?" so lässt sich diese Frage durch den Versuch beantworten. Dabei zeigt sich, dass, je stärker ein Reiz ist, desto stärker auch seine Veränderung sein muss, damit ein Unterschied in der Stärke der Empfindung entsteht. Dies wird durch das Web er' sehe Gesetz folgend er raaassen ausgegrückt: Die Zunahme des Reizes, bei der eine eben wahr- nehmbare Zunahme der Empfindung entsteht, muss zur Grösse des Reizes immer in demselben Verhältniss stehen. In seiner prak- tischen Bedeutung ist dies Gesetz schon durch die Erfahrung des täglichen Lebens allgemein bekannt. Hebt man zwei Gewichte •von 50 und von 60 g, so wird man den Unterschied von 10 g leicht wahrnehmen. Hebt man dagegen zwei Gewichte von 500 und von 510 g, so wird der Unterschied von 10 g unmerklich sein. Der Gewichtsunterschied steht zur Grösse des Gewichts im ersten Falle im Verhältniss 1 : 5, und um im zweiten Falle ebenso deutlich erkennbar zu sein, müsste er nach dem Web er 'sehen Gesetz zu der Grösse des im zweiten Falle geprüften Gewichts in demselben Verhältniss 1 : 5 stehen, also, da das Ge- wicht 500 g beträgt, 100 g betragen. Um also eine Reihe gleichmässig zunehmender Erapfindungs- stärken zu erhalten, muss man jeden folgenden Reiz nicht um die gleiche Grösse, sondern um eine jedesmal im A^erhältniss zur Grösse des vorhergehenden Reizes vermehrte Grösse zunehmen lassen. Mit anderen Worten, damit die Stärke der Empfindung gleichförmig ansteige, muss die Stärke der Reize in der Weise zunehmen, wie ein Capital durch Zinseszins zunimmt. Zwischen Reizgrösse und Empfindungsstärke besteht dann dieselbe Proportion wie zwischen Numerus und natürlichem Logarithmus. Diese strenge Formulierung des Web er 'sehen Gesetzes hat Fe ebner aufgestellt, und indem er annahm, dass bei der Wahrnehmung eines minimalen Unter- schiedes stets die gleiche psychische Thätigkcit vorliege, als das „psychophysischc Gesetz" bezeichnet. Im Allgemeinen hat sich dies Gesetz bei der Prüfung durch Versuche bestätigt, aber nur innerhalb gewisser mittlerer Reizgrenzen. Die allerschwächsten Reize sind natürlich überhaupt unwirksam und jiassen daher nicht in das für grössere Reizstärken gültige Gesetz. Bei sehr starker Reizung erreicht die Empfindungsstärke ein Maximum^ das nicht übersciiritten werden kann, und auch da kann das Gesetz nicht angewendet werden. Excentvische Projectioii. 569 Exeentrische Projcction. Eine weitere allgemeine Eigen- schaft der Sinnesemplindungcn greift in das psychologische Gebiet über und kann zum Tlieil als Ergcbniss wiederlioltcr Wahrnehmungen der 2;esammten Sinnesorgane aufgefasst werden. Diese Eigenschaft der Sinnesorgane besteht darin, dass ihre Erregung nicht örtlich wahrgenommen, sondern auf eine in der Aussenwelt befindliche Ursache bezogen wird. Wenn in einem dunkeln Raum ein Licht- .strahl das Auge trifft, so fühlt man nicht eine Erregung im Auge, sondern man erkennt unmittelbar den Ursprung der Erregung in der Aussenwelt, und „sieht" also die Lichtquelle. Wenn ein Schall auf das Gehörorgan wirkt, so ist es nicht eine Erregung im Ohr, die zum Bewusstsein kommt, sondern es wird sogleich auf eine Schallquelle in der Aussenwelt geschlossen. Bei der Erregung des Tastsinnes wird zwar die Stelle der Erregung mitempfunden, zu- gleich entsteht aber der Eindruck einer Reizursache ausserhalb des Körpers. Da in allen diesen Fällen der Ursprung der Erregung nach aussen verlegt wird, fasst man die Gesammtheit der hierher ge- hörigen Erscheinungen in das sogenannte „Gesetz der excentrischen Projection der Sinnesempfmdungen" zusammen. Es könnte scheinen, als wenn es sich hier nur um Vorgänge handelte, die nicht gesetzmässig, sondern nur manchmal unter ge- eigneten Bedingungen aufträten. Derselbe Hautreiz könnte in einem Falle auf eine Mücke, im andern Fall auf eine innere Ursache be- zogen werden. Hierauf ist zu erwidern, dass dies Beispiel über das Ge- biet hinausgebt, auf das sich das Projectionsgesetz erstreckt. Wenn zum Beispiel dem Bewohner eines Culturstaates beim Hören eines entfernten Pfiffes gleich das Bild der pfeilenden Locomotive vor Augen steht, oder gar der Fachmann die betreffende Maschine herauserkennt, so wirken dabei natürlich tausenderlei verschiedene Ursachen zusammen, üebrigens widerspricht der Umstand, dass ein innerer Hautreiz als solclier erkannt wird, durchaus nicht der Lehre von der Projection, denn die Erregung findet in letzter Linie im Centraiorgan statt und wird also durch das Bewusstsein ebenso in die betreffende Hautstelle projicirt, wie in anderen Fällen Reiz- ursachen nach aussen projicirt werden. Die Gesetzmässigkeit der Projection ist vielleicht am deutlichsten bei den Gesichtseindrücken nachzuweisen. Man „sieht" einen Gegenstand stets in der geraden Richtung, in der die von ihm ausgehenden Strahlen ins Auge fallen. Die wirkliche Lage des Gegenstandes hat darauf gar keinen Einfiuss, denn wenn man den Gang der Lichtstrahlen durch einen Spiegel oder ein Prisma ablenkt, so erscheint der Gegenstand wiederum in der geraden Richtung der Strahlen, also nunmehr an einer ganz anderen Stelle als wo er sich wirklich befindet. Gerade dieses Beispiel lässt eine deutliche Unterscheidung zu zwischen dem bewussten Schluss auf die Lage des gesehenen Gegenstandes und der unmittelbaren Sinneswahrnehraung, die sich nach dem Ge- setz der Projection richtet. Man „sieht" den Gegenstand hinter 570 Umstimmung. dem Spiegel, aber man „weiss", dass er unter dem betreffenden Reflectionswinkel vor dem S|)icgel steht. In älinlicher Weise zwingend ist die Projection der Emplinduiig an eine falsche Stelle bei dem sogenannten „Erbsversuch des Aristoteles". Kreuzt man zwei Finger derselben Hand übereinander und legt sie mit der Kreuzungsstelle so an einen geeigneten Gegen- stand, etwa eine kleine Kugel oder eine Erbse, dass die bei der gewöhnlichen Stellung der Finger von einander abgewendeten Seiten beide den Gegenstand berühren, so erhält man das Gefühl, dass zwei Gegenstände vorhanden seien. Die Berührung findet an zwei Stellen statt, die normaler AVeise nicht von einem kleinen Gegen- stand zugleich berührt werden können, und da nach dem Projections- gesetz nicht die Erregung selbst, sondern ein ausserhalb des Kör- ])ers befindlicher Gegenstand empfunden wird, so empfindet man zwei Gegenstände, obschon nur einer vorhanden ist. Einen besonderen Fall stellt die Projection innerer Reize nach aussen dar. Die sogenannten „Hallucinationeu" bestehen darin, dass durch innere Reize im Centraiorgan ein Sinneseindruck entsteht, der dann nach dem Gesetz der Projection als von aussen kommend em- pfunden wird. Hierher gehören die subjectiven Empfindungen, die Amputirte an ihren nicht mehr vorhandenen Gliedraaassen wahr- zunehmen glauben, und die subjectiven Gesichtserscheinungen. In ähnlicher Weise werden Reizungen, die die sensiblen Leitungs- bahnen betreffen, wie die Quetschung von Nervenstämmen beim sogenannten „Einschlafen der Glieder", in dem Endgebiet der be- treffenden Nerven empfunden. Bei einem Stoss gegen den soge- nannten „Musikantenknochen" des Ellbogens, durch den der Ulnaris gequetscht wird, tritt eine brennende Empfindung im Hautgebiet des Ulnaris, vor allem im kleinen Finger, auf. Practisch wichtig ist, dass Reize an inneren Organen mit- unter an äusseren Stellen des Körpers empfunden werden. So soll die Reizung des Darraes durch Würmer sich am Al'tei-, Ent- zündung des inneren Theils der liaruröhre an der Fossa navicu- laris kundgeben. Umstimmung. Alle Sinnesorgane unterliegen ferner in Bezug auf ihre Erregbarkeit gesetzmässigen Veränderungen durch be- stimmte äussere Bedingungen. Wenn Reize von bestimmter Qualität längere Zeit auf ein Sinnesorgan gewirkt haben, so Avird das Organ für Reize dieser Art unempfindlich, und diese Ver- änderung kann auch die Wahrnehmung anderer Reize verändern. Wenn man zum Beispiel längere Zeit in ein Licht von bestimmter Farbe, etwa die rothe untergehende Sonne, gesehen hat, so ist das Auge für rothcs Licht unempfindlich geworden, und das brennendste Scharlach erscheint grau. Zugleich wird die Wahr- nehmung anderer Farben verändert. Man nennt dies „Umslimnning" der Sinnesorgane. Contrastwirkung. Eine ähnliche Erscheinung, die der Tastkörperchen. 571 ersten in gewisser Beziehung entgegengesetzt ist, ist die „Contrast- wirkuntr", bei der durcli die Einwirkung eines Reizes die Em- pfindliciikeit für einen Reiz entgegengesetzter Art erhöht ist. Endlich ist zu erwähnen, dass sich die Erregung der Sinnes- organe, besonders wenn sie stark ist, mitunter über das unmittel- bar betroffene Gebiet des Centrainervensystems hinaus ausbreitet. Ein heftiger Schmerz an einer noch so kleinen Hautstelle wird manchmal in einem grossen Umkreise empfunden. Diese Erschei- nung nennt man Ausstrahlen der Erregung, Irradiation. Gefühlssinn. End Organe. Die Organe des Gefühlssinns sind im Körper so weit verbreitet, dass nichtsensible Organe als Ausnahme er- scheinen. Es gelingt indessen nicht überall, wo Gefühlsempfindung oflenbar besteht, auch anatomisch die Endorgane aufzufinden. Fig. 79. .4 Hiuitpapille mit Tastkörperchen vom Menschen. ;< V a t e r- P ac i n i 's oh e s Körperohen von der Katze. II .Nervenfaser, I Tastkörperchen, Corti'sches Organ. 595 Paukenhöhlenwand mit dem runden Fenster geschlossen und heisst deshalb Scala tympani. Der einzige offene Weg vom Vorhof zum runden Fenster führt demnach durch die Scala vestibuli, den Windungen der Schnecke nach, durch das Helicotreraa in die Scala tympani und wiederum den 270 Windungen nach zur Schneckenbasis unterhalb der Lamina spiralis ans runde Fenster. Diese Verhältnisse sind in der beifolgenden Figur 82 ver- anschaulicht, in der der Schneckengang gradegestreckt, gewisser- maassen von der Schneckenspindel abgewickelt, dargestellt ist. Fig. 82. Längsebnitt durch die abgewickelte Sohneclie. Sl. Steigbügel. F.r. Rundes Fenster. II. Helicotreraa. In der Perilymphe des Vorhofs schwimmt nun so zu sagen der Sacculus des häutigen Schneckenorgans. Auch auf ihn und die in ihm enthaltene Endolymphe rauss die Steigbügelbewegung einwirken. Der Sacculus setzt sich in einen häutigen Canal, Ductus cochlearis fort, der in der Scala vestibuli verläuft! Schräg von der Lamina spiralis nach der äusseren Schnecken- wand ist in der Scala vestibuli ihrer ganzen Länge nach eine Membran, Membrana Reissneri, ausgespannt, die also einen Canal von dreieckigem Querschnitt von der eigentlichen Scala vestibuli abtrennt. Diesen Canal, der begrenzt wird unten von der Lamina spiralis, aussen von der knöchernen Schneckenwand, oben von der Membrana Reissueri, kleidet der Ductus cochlearis aus. Der Canal bildet die Fortsetzung des Sacculus, er ist mit Endolymphe erfüllt und endigt blind an der Schneckenspitze. ' Corti'sches Organ. In dem Ductus Cochleae ist das eigent- liche Gehörorgan, das Corti'sche Organ gelegen, in dem die Sinnes- zellen der Hörnerven enthalten sind. Der Theil der Lamina spiralis der den Boden des Ductus Cochleae bildet, wird als Lamina basi- laris bezeichnet. Er enthält eine Schicht radial zur Axe der Schnecke gespannter feiner Fasern, Saiten, Chordae genannt, die unter dem Mikroskop steif, durchsichtig, rund und glatt erscheinen wie Glasfäden, oder wie die Borsten aus einer Bürste. Auf je 4 bis 6 solcher Saiten sind, in den Ductus cochlearis hineinragend an zwei verschiedenen Stellen, die beiden „Pfeiler" eines „Corti'schen Bogens" aufgepflanzt. Man unterscheidet den inneren, der Schnecken- .spindel näheren, und den äusseren. Indem die beiden Pfeiler mit den Köijfen gegeneinander ruhen, bilden sie eine Art Thorwe"- 38* 596 Corti'sches Organ. oder Brückenjoch, den C ort i 'sehen Bogen. Da auf den benach- barten Gruppen von je 4 — 6 Saiten wiederum je ein Corti'scher Bogen steht, bilden diese in ihrer Gesammtheit eine Art fortlaufen- den Laubengang oder vielmehr einen ziemlich dicht geschlossenen, als „Tunnel" bezeichneten Hohlraum. Dicht an dem inneren Pfeiler liegt eine „liaarzelle", Hörzelle oder Sinneszelle, an dem äusseren stehen in gewissem Abstand mehrere solche Zellen. Diese Zellen sind gestützt durch die eigenthümlich geformten Deiters'schen Stützzellen, „Zangenbecher", und nach beiden Seiten f^on einem Wall aus Zellen verschiedener Gestalt, Hensen'sche und Claudius' sehe Zellen umgeben. Auf den Köpfen der Bögen und der Fläche dieses Zellwalles liegt eine feine Membran, Mem- brana reticulata oder fenestrata, mit Oeffnungen, durch die die Sinneszellen hindurchragen. Vom inneren Rande des Ductus cochlearis aus legt sich über das ganze Organ die dicke weiche Corti'sche Membran oder Membrana tectoria. Die Nervenlasern des Acusticus treten in feine Canäle in der knöchernen Schneckenspindel ein und vertheilen sich in regelmässigen Abständen an der Unterfiäche der Membrana spiralis, durch die sie in einzelnen feinen Fädchen an die einzelnen Sinneszellen ge- langen. Im Gegensatz zu den Gängen der Schnecke, die me bei emem gewöhnlichen Schneckenhaus an der Basis weit, an der Spitze eng sind, ist die Membrana basilaris im untersten Theil der Schnecke am schmälsten, die Saiten sind hier am kürzesten, 0,04 mm, an der Spitze am breitesten, beinahe 12 mal so breit me an der Basis, 0,49 mm. Ebenso werden die Corti' sehen Bögen nach der Schneckenspitze zu grösser. Man hat festgestellt, dass in der ganzen Basilarmembran, deren Länge im abgewickelten Zustand auf 3—5 cm angegeben wird, beim Menschen fast 24000 einzelne Saiten enthalten sind, während vergleichende Zählungen bei der Katze nur 15 000, beim Kaninchen 10 000 ergeben haben. Resonanztheorie. Alle diese Einzelheiten lassen sich em- fach und im besten Zusammenhang durch die Helmholtz'sche Resonanztheorie erklären. Die Stösse, die der Steigbügel auf die Perilymphe des Vorhofs ausübt, wirken zunächst auf die Perilymphe der Scala vestibuli ein, die, wie oben ausführlich gezeigt worden ist nur dadurch ausweichen kann, dass sie das runde Fenster vor- wölbt Da nun der Weg durch die ganze Scala vestibnb hinaul durch das Helicotrema und die Scala tympani hinab sehr lang und eng ist und der Flüssigkeitsbewegimg jedenfalls einen betracht- lichen Widerstand entgegensetzt, kann man annehmen dass die Stösse unmittelbar auf die Membrana Reissneri und die Basilar- membran drücken und sich auf diese Weise der Pen lymi)he in der Scala tympani mittheilen, ohne dass ein wesentlicher 1 heil der Flüssigkeit durcb ri-rliungs- Aphakisohes Auge. 611 vermögen des Wassers mit einer sphärischen Oberfläche von 5 mm Krümmungsradius setzen, deren Mittelpunkt in der Mitte zwischen den beiden „Knotenpunkten" des schematischen Auges liegt. Lage und Form dieser Fläche ist in der Figur durch die punktirte Linie 1 1, angedeutet. Dir Mittelpunkt {K der Figur) heisst der Knoten- punkt des xiuges und liegt 6,9 mm hinter dem Hornhautsclieitel oder 0,6 mm vor der hinteren Linsenfläche. Dieses aufs Aeusserste vereinfachte Schema des Auges nennt man „das Reducirte Auge". Die Brennweite des Reducirten Auges wie auch die des Sche- matischen Auges und des wirklichen Auges beträgt 15 mm. Hier ist an das zu erinnern, was oben über die Abbildung entfernter Gegenstände gesagt worden ist. Ein Gegenstand, der sich in doppelter Brennweite vor der Linse befindet, wird in ders&lben Ent- fernung hinter der Linse in natürlicher Grösse verkehrt abgebildet. Wenn er weiter entfernt ist, wird sein Bild kleiner und rückt näher an den Brennpunkt. Für alle Entfernungen, die wesentlich grösser sind als die doppelte Brennweite, liegt das Bild schon dicht am Brennpunkt und verschiebt sich also nicht mehr wesentlich, wenn der Gegenstand noch weiter entfernt wird. Da die Brennweite des Auges nur 15 mm beträgt, wird jeder Gegenstand, der wesentlich weiter als 30 mm von der Hornhaut entfernt ist, gleichviel ob er nur 3 m oder 30 m weit ist, an- nähernd in der Brennweite abgebildet. In der Brennweite des Auges befindet sich aber die Netzhaut. Aphakisohes Auge. Es mag hier eingeschaltet werden, dass die Reduction des Auges auf ein einziges brechendes Medium bei der Staaroperation thatsächlich praktisch ausgeführt wird. Bei dem Staai-operirten, dem die Linse aus dem Auge entfernt ist, sind von brechenden Medien nur Hornhaut, Karamerwasser und Glas- körper vorhanden, die alle annähernd gleiche Brechkraft haben. Das linsenlose „aphakis'che" Auge unterscheidet sich also nur durch Krümmungsradius und Lage seiner Vorderfläche, nämlich der Hornhaut, von dem reducirten Auge. Dieses Unterschiedes wegen ist die Brechkraft des staaroperirten Auges geringer als die des normalen und rauss durch eine Staarbrille in weiter unten zu be- ti-achtender Weise corrigirt werden. Randstrahlen. Blende. Die angeführten Sätze gelten nur für solche Strahlen, die annähernd senkrecht auf die Mitte der brechenden Fläche treifen. Die Strahlen, die auf die Randtheile der brechenden Fläche treffen, und solche Strahlenbündel, die zwar auf die Mitte der Fläche, aber in schräger Richtung trefl"en, werden stärker gebrochen und deshalb erheblich nähei' an der Fläche ver- einigt. Bei optischen Apparaten von Menschenhand wird deshalb allgemein der Kunstgriff angewendet, die Randstrahlen durch eine sogenannte Blende auszuschliessen, nämlich durch einen Schirm der nur vor der Mitte der Linse ein Loch hat. Der Umstand, dass schräg auf die Mitte der Linse treflcnde Strahlen näher an der l.inse veremigt werden, als senkreclit auffallende, wird dadurch 39* 612 Accommodation. umgangen, dass man iiniiicr nur den mittleren Tlieil der ganzen möglichen Abbildung ausnutzt, wo der Unterschied noch unmerk- lich ist. Den Fehler, der trotzdem der Abbildung anhaftet, nennt man die „sphärische Aberration". Das Auge hat in diesen Beziehungen wesentliche Vorzüge vor den künstlichen Apparaten. Gegen die Randstrahlen wird es durcli die Iris geschützt, die in optischer Beziehung als eine regulirbare Blende zu bezeichnen ist. Auf die Wirkung der Iris als Blende wird weiter unten näher einzugehen sein. Die schräg einfallenden Strahlen aber werden im Auge genau ebensogut wie die senkrechten ausgenutzt, weil der Augenhintergrund eine hohle Fläche bildet. Je weiter seitlich ein Objectpunkt vor dem Auge liegt, desto weiter seitlich und desto näher an der Vorderliäche des Auges wird er abgebildet. Die seitlichen Punkte der Netzhaut sind aber der VorderÜäche des Auges näher, und folglich fällt die Abbildung immer auf die Netzhaut. Abbildung im Reducirten Auge. Da die Form der Netz- haut so zu sagen der Lage der Yereinigungspunkte für parallele Strahlen verschiedener Richtung angepasst ist, kann man auf höchst einfache Weise den Bildpunkt im Auge für jeden Punkt der Aussenwelt linden: Jeder Punkt der Aussenwelt bildet sich in grader Verlängerung seiner Verbindungslinie mit dem Knotenpunkt des Auges auf der Netzhaut ab. Da der Knotenpunkt 15 mm von der Netzhaut gelegen ist, verhält sich die Grösse des Netzhautbildes zur Grösse des Gegenstandes wie die Entfernung des Gegenstandes zu 15 mm. Ein Kreis von 10 m Durchmesser in 150 m Entfernung vom Auge wird also als Kreis von 1 mm Durchimesser auf der Netzhaut abgebildet. Accommodation. Es ist bisher immer nur von der Abbildung entfernter Gegenstände die Rede gewesen, die nach den augeführten Gesetzen in die Brennweite des brechenden Systems fällt. Es ist aber angegeben worden, dass ein Gegenstand, der sich in der doppelten Brennweite vor der brechenden Fläche befindet, m der- selben Entfernung und in Naturgrösse dahinter abgebildet wird. Die Brennweite des Auges beträgt 15 mm. Das Bild eines Steck- nadelknopfs, der sich 30 mm vor dem Auge befindet, rauss also weit hinter die Netzhaut fallen, und auf der Netzhaut kann daher nur ein ganz unscharfes Bild davon entstehen. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass dies thatsächlich der Fall ist. Selbst Gegenstände in bis zu 5 m Entfernung vom Auge werden nach der oben angeführten Construction merklich hinter der Netzhaut alige- bildet. Da man aber bekanntlich auch Gegenstände, die viel weniger als 5 m vom Auge entfernt sind, deutlich sieht, muss offenbar das Auge im Stande sein, auch nahe gelegene Gegenstände aul der Netzhaut scharf abzubilden. Dies geschieht, indem die brechende Kraft des Auges verstärkt wird, so dass die Strahlen, die sonst erst hinter der Netzhaut vereinigt werden würden, nunmehr schon auf der Netzhaut zusanimentrefTcn. Weil sich das Auge durch Formverändenuig der Linse. 613 diesen Vorgang dem Erforderniss des Nahesehens anpasst, nennt man ihn die „Aceonimodation". Man kann sich dm'ch einen ein- fachen Versuch überzeugen, dass die Brecliung im Auge beim Sehen in die Ferne und in die Nähe thatsächlich verschieden ist. Es ist oben gezeigt worden, dass ein weit entfernte]- Gegenstand auf der Netzhaut scharf abgebildet wird. Betrachtet man einen solchen Gegenstand und hält zugleich den Finger in etwa 1 5 cm Entfernung vor das Auge, so erscheint das Bild des Fingers undeutlich und verschwommen. Man kann, sobald man will, den Finger deutlich sehen, dann wird aber das Bild des entfernten Gegenstandes un- deutlich. Der Umstand, dass bei der Accommodation für die Nähe das Sehen in die Ferne undeutlich wird, beweist, dass die Brecliung im Auge verändert worden ist. Form Veränderung der Linse. Die Brechung in jedem optischen System hängt ab von der brechenden Kraft der Medien und vom Abstand und Form der Flächen. Die Augenmedien selbst können natürlich nicht zum Zweck der Accommodation verändert werden. Der Abstand der Flächen ändert sich bei der Accommo- dation nur bei gewissen Thierarten, zum Beispiel bei den Schild- kröten. Bei den Säugethieren und Vögeln besteht die Accommodation ausschliesslich in einer Veränderung der Form der Crystalllinse, deren Flächenkrümmung beim Nahesehen zunimmt. Die Thatsache, dass die Linsenkrümmung beim Nahesehen zunimmt, lässt sich durch folgende Beobachtung beweisen: Wie oben erwähnt, wird Licht vom Auge nicht nur an der Hornhaut, sondern auch an der vorderen und hinteren Linsenfläche gespiegelt. Von einer geeigneten Lichtquelle, etwa einer hellen Flamme oder einer Fensterfläche sieht man daher im Auge drei verschiedene Spiegelbilder, die sogenannten ,,S an son' sehen Bildchen". Das Fig. 87. a b c Pur kinjo-Sanson 'sehe Bildchen. Beim Fernsehen. Beim Nahesehen. eine, bei weitem heller wie die anderen, ist das stark verkleinerte aufrechte Bild, das die Hornhaut als Convexspiegel erzeugt. Das zweite ist ebenfalls aufrecht, aber etwas grösser und viel licht- schwächer als das erste, und rührt von der vorderen Linsi^nfläche her. Das dritte, das als Hohlsiiiegelbild an der hinteren Linsen- 614 Aufhängung der Linse. iläche entsteht, ist umgekehrt, und nur unter besonderen Versuchsbf- dingungen sichtbar. Es ist kleiner als die beiden ersten, ßeob- aclitet man nun das zweite Bildclicn in dem Auge einer Ver- suchsperson, während diese abwechselnd in die Ferne und auf einen ganz nahe gelegenen Punkt sieht, so sieht man es jedes- mal bei der Accommodation kleiner werden. Die Linse nimmt also 'bei der Accomodation auf die Nähe an Krümmung zu. Mit der Zunahme der Krümmung ist natürlich auch eine Dickenzunahrae verbunden. Ruheform der Linse. Die Formveränderung wird nun nicht et-wa durch active Bewegungskräfte der Linse hervorgerufen, sondern nach der Helmhoitz'schen Accommodationstheorie dadurch, dass die Linse sich zusammenzieht, sobald ihr Rand, der normalerweise nach allen Seiten gespannt ist, freigelassen wird. Die ausgeschnittene Linse zeigt eine stärkere Krümmung als die im Auge belassene Linse. Aufhängung der Linse. Die Linse ist längs ihres Randes dadurch befestigt, dass die hintere Wand der Linsenkapsel mit der Glashaut, Membrana hyaloidea, die den Glaskörper überzieht, ver- wachsen ist. An der Vorderfläche heftet sich längs einer wellen- förmig am Rande verlaufenden Linie ein zweites feines Häutchen, die Zonula Zinnii, an, das nach aussen bis an die Ora serrata der Netzhaut reicht. Man kann dies auch so auffassen, als spalte sich die Glashaat in zwei Schichten, von denen die eine an die Hinter- wand, die zweite an die erwähnte wellenförmjge Linie am vorderen Rand der Linse angeheftet wäre. , Zwischen beiden Schichten bleibt ein Spaltraum rings um den Rand der Linse frei, der als Canalis Petiti bezeichnet wird. Die Wellenform der Ansatzlinie der Zonula Zinnii bedingt eine Fältelung, die anschaulich mit der einer Hals- krause verglichen Avird, nur dass bei der Halskrause die ebene Be- grenzung am inneren Rande, die Faltenlinie aussen gelegen ist, während die Zonula umgekehrt an ihrem Aussenrande eben, an ihrem inneren Rande wellenförmig ist. Vor der Zonula liegt der Ciliarkörper, der den Winkel zAvischen Iris und Glaskörper rmgs um die Linse einnimmt, und ringsum durch etwa 70 Fortsätze in die Chorioidea übergeht. Eben diese Fortsätze bedingen die Fältelung der Zonula, da diese sich dem Ciliarkörper genau anschmiegt. Die Ciliarfortsätze stecken also in den Falten der Zonula Zinnu. Zwischen je zwei Ciliarfortsätzen ist der Canalis Petiti weit, hinter den Fortsätzen durch deren Vorspringen verengt. Accommodationsmuskel. Der Ciliarkörper enthalt nun ein System von Muskellasern, das als Ciliarmuskcl, M. tensor cho- rioideae, bezeichnet wird und aus kreisförmig verlaufenden tasern, MüUer'scher Muskel, und radiären oder meridionalcn tascrn, Brücke'scher Muskel, besteht. Die meridionalcn Fasern ent- springen von der Corneoskleralgrenzc und verlaufen zur Chorioidea. Wenn der Ciliarmuskcl sich contrahirt, muss er die gesammten Augenhäutc um den Glaskörper ein Wenig zusammenziehen, und Druck im Augeninnern. 615 dadurch die Zonula Zinnii erschlaffen machen. Dadurch erhält die Linse Freiheit sich in ihre Ruheforra zusammenzuziehen; sie ver- dickt sich und verstärkt dadurch die Strahlenbrecimng im Auge. Merkwürdig ist an diesem Vorgang, dass der Zweck der Bewegung, nämlich die Accomraodation, nicht durch die Muskel- thätigkeit selbst, sondern erst mittelbar durch die Elasticität der Linse erreicht wird. Im Ruhezustand, während der Unthätigkeit des Muskels, muss die Linse dauernd, gespannt sein. Man hat deshalb versucht die Wirkungsweise des Accomniodationsmuskels so zu deuten, als werde durch ihn der Linsenrand rückwärts ge- zogen und dadurch die Krümmung der vorderen Fläche der Linse vermehrt. Man hat auch gefunden, dass die Krümmung in der Mitte der Linsenfläche dadurch erhöht werden kann, dass vom Rande aus eine starke Spannung ausgeübt -wird. Indessen werden diese Theorieen durch verschiedene Beobachtungen widerlegt. Es lässt sich nämlich durch Beobachtung der S ans on 'sehen Bildchen zeigen, dass die Linse während der Accomraodation lose wird, denn sie sinkt merklich abwärts und geräth bei plötzlicher Bewegung des Auges in schlotternde Bewegung. Ausserdem ist nachgewiesen, dass der Druck im Innern des Auges sich bei der Accommodation nicht verändert. Druck im Augeninnern. Es liegt sehr nahe, den Druck im Innern des Auges zur Mechanik der Accommodation in Be- ziehung zu setzen. Helmholtz nahm an, dass durch ihn die Linse dauernd in ihrem Spannungszustand erhalten würde. Es ist schon im ersten Theile bei der Besprechung des Kreis- laufs darauf hingewiesen worden, dass im Innern des Augapfels, als einer allseitig geschlossenen Kapsel, für die ßlutbewegung ganz besondere Yerhältnisse entstehen. Jede Stauung in den Venen muss eine entsprechende Zunahme des Druckes im Augeninnern zur Folge haben. Der Augendruck schwankt zwar mit dem Blut- druck, muss aber noch von anderen Ursachen abhängen, durch die die Menge der ausserhalb der Blutgefässe im Augapfel vorhan- denen Flüssigkeit bestimmt wird. Entfernt man einen Theil des Kammerwassers oder des Glaskörpers durch Function, so wird die Flüssigkeit alsbald ersetzt. Allgemein bekannt ist, dass bei Gelb- sucht die weisse Augenhaut sich gelb färbt. Auch fremde Stoffe, die in den Körper eingeführt werden, gehen ins Auge über, verschwinden aber bald wieder. Man muss nach alledem ziemlich lebhaften Flüssigkeitswechsel annehmen. Um so auffälliger ist es, dass der Druck normaler Weise immer auf der gleichen Höhe bleibt. Für den Mechanismus der Accomraodation scheint indessen der Augendruck ganz ohne Bedeutung zu sein, denn man hat gefunden, dass bei elektrischer Reizung des Ciliar- muskels die Linse ihre Gestalt ändert, auch w^enn der Augapfel eröffnet ist, so dass kein Druck mehr darin herrscht. Accommodationsnerven. Der Accoramodationsmuskel wd •vom Oculomotorius aus durch dessen Zweig zum Ganglion ciliare «16 Rollo der Iiis bei Accommodation. innervirt. Durch Verletzung des Oculoniotorius und durch Ein- träufeln von Atropin ins Auge wird die Accommodation gelälimt, durcli Einträufeln von Physostigmin kann man einen Accoiumo- dationskrarapf hervorbringen. Rolle der Iris bei Accommodation. Zugleich und mit dem Accommodationsmuskel gemeinschaftlich zieht sich die in der Iris enthaltene vom Oculoniotorius innervirte Ringmusculatur, der Sphincter iridis, zusammen. Die Iris besteht aus einem Gerüst von verzweigten Binde- gewebsfasern, zwischen die reichlich Pigment eingelagert ist. Von der grösseren oder geringeren Menge dieses Pigments hängt die Farbe der Iris, die sogenannte Farbe des Auges, ab. Beim Neu- geborenen enthält die Iris noch kein Pigment, und erscheint als durchsichtiges Gebilde vor dem dunkeln Augenhintergrund blau, ebenso wie eine Rauchwolke oder Nebelschicht vor dunklem Hinter- grunde blau erscheint. Entwickelt sich nur wenig Pigment, so bleibt die blaue Farbe, entwickelt sich mehr, so sieht die Iris grau, braun, schwarz aus. In der Iris liegt der kreisförmige glatte Muskel, der als Sphincter pupillae bezeichnet wird, von dem aus sich Muskelfasern in radiärer Riclitung ausbreiten, die als Dilatator iridis bezeichnet werden. Durch die Thätigkeit dieser Muskeln kommt die Erweiterung und Verengerung der Pupille zu Stande, von der schon im vorigen Abschnitt die Rede gewesen ist. Die Erweiternng und Verengerung der Pupille hat für die optische Leistung des Auges eine doppelte Bedeutung. Erstens wird da- durch die gesammte ins Auge fallende Lichtmenge innerhalb ge- wisser Grenzen regulirt. Die Pupille ist bei mittlerer Beleuchtung etwa 3—5 mm weit und kann bei gTcliem Licht bis auf 1,5 mm weit verengt werden. Im Dunkeln erweitert sie sich sehr stark, bis auf 10mm Durch- messer. Zweitens aber wird die Sehschärfe durch die Weite der Pupille in genau derselben Weise beeinflusst, wie die Schärfe der Abbildung in einer Camera durch die Weite der vorgesetzten Blenden. Je grösser die Blende, desto mehr Randstrahlen fallen auf die Linse, die nicht genau mit den Gentraistrahlen vereinigt werden können. Je kleiner die Blende, desto mehr ist die Abbildung auf die Centrai- strahlen beschränkt, und desto genauer werden die von jedem Obiectpunkt ausgehenden Strahlen in einem Bildpunkt vereinigt. Man kann sich hiervon leicht überzeugen, wenn man einen Gegen- stand so nah an das Auge bringt, dass die von ihm ausgehenden Randstrahlen beträchtlich weit vor der Netzhaut veremigt ^^•crden, und ihn dann durch ein ganz kleines Loch in einem Stuck lapier betrachtet. Bringt man zum Beispiel eine Seite eines Buches Ins ;u,l- 3_4 cm h]ntrcrnung vor das Auge, so erscheint die ganze Schrift so unscharr und verwasclien, dass man keinen Buchstaben erkennt. Hält man nun ein Stück Papier, in das mit einer Nadel ein feines Loch gestochen ist, vor das Auge, so erkennt man deut- lich jeden Buchstaben. , , . "Es leuchtet ein, dass für die feine Unterscheidung sehr kleiner Scheiner'soher Versuch. 617 Gegenstände in der Nähe diese Wirkung der Pupillenverengung sehr nützlich ist. Nahepunkt. Natürlich hat die Vermehrung der Brechkraft des Auges daixh die Accommodation ihre Grenzen. Es ist oben angegeben worden, dass im normalen ruhenden Auge alle entfernteren Gegenstände nahezu auf der Netzhaut abgebildet werden. Je näher der Gegenstand rückt, desto weiter hinter der Netzhaut wird er abgebildet. Wenn ein Gegenstand aus 3 m Entfernung bis auf 1 m an das Auge herangebracht wird, rückt sein Bild um 0,25 mm nach hinten. Diese Verschiebung des Bildes kann noch leiclit durch die xVccomraodation beseitigt werden, indem die Brechung um so viel verstärkt wird, dass die Strahlen wiederum auf der Netzhaut zusammentreffen. Wird der Gegenstand immer näher an das Auge gerückt, so rauss, wenn er noch deutlich ge- sehen werden soll, immer stärker accommodirt werden und schliess- lich kommt, beim normalen Auge des Erwachsenen in etwa 15 cm Entfernung, ein Punkt, bei dem selbst die stärkste mögliche Accom- modation nicht mehr ausreicht, der sogenannte „Nahepunkt" des Auges. Befindet sich ein Gegenstand innerhalb des Nahepunktes, so wird er vom normalen Auge trotz der Accommodationsfähigkeit hinter der Netzhaut abgebildet und das Netzhautbild erscheint deshalb verschwommen. Scheiner'soher Versuch. Diese Verhältnisse werden durch einen Versuch veranschaulicht, den der Jesuitenpater Scheiner schon 1619 beschrieben hat. Er beruht darauf, dass man durch ein Kartenblatt, in das sehr nahe bei einander zwei ganz kleine Löcher gestochen sind, aus dem ganzen Bündel Strahlen, die von einem Objectpunkt, zum Beispiel von einem Stecknadelknopf aus, in die Pupille fallen würden, gewissermassen zwei einzelne Strahlen, Fig. 88. Das Aujje, durch die I.iiise' )) daraestellt, erhält, durch die Lücher im Kartenblatt s die heiden dünnen Strahlenhtlndel <■ und /. die jedes fllr sich ein Bild vom Stecknadelknopf a entwerfen. Lie(,'t « ini Kahepunkt und das AuKe ist auf diese Entfoniunt; accommodirt, so fallen beide Bilder auf der Netzhaut vi\. in C /.usammen. Liegt a näher oder ist das Auge nicht accommodirt, so fällt 0 hinter die Netzhaut. Dies ist durch die Linie vi m angedeutet. Es entstehen dann zwei unscharfe Bilder p und q. und u erscheint doppelt, in +f? und °r. Im kurzsichtigen Auge kann auch der Fall eintreten, der durch die Notzhautlage t l, angedeutet ist, wo ein entfernter Punkt a doppelt gesehen wird. 618 Pressbyopie. in AVii-klichkcit zwei sehr dünne Strahlonbündel, herausgreifen kann. Wegen der Kleiiilieit der Löcher erzeugt jedes dieser Bündel, seihst wenn sein Vereinigungspunkt nicht genau auf die Netzhaut fällt, ein leidlich scharfes ßild. Hält man das Kartenblatt vor das Auge, so dass beide Löchelclien vor der Pupille stehen, und be- trachtet den Stecknadelkopf, der sich näher am Auge befindet als der Nahepunkt, so fallen die beiden Bilder erst hinter der Netzhaut zusammen und man sieht das Bild verdoppelt. Ver- grössert man allmählich die Entfernung, so nähern sicii die beiden Bilder und fallen in eins zusammen, sobald der Nahepunkt erreicht ist. Lässt man dann die Accommodation erschlaffen, indem man auf einen dahinter liegenden entfernten Gegenstand blickt, so ent- steht von Neuem ein Doppelbild. Grenzen der Accommodation. Man bezeichnet die Strecke zwischen dem entferntesten und nächsten Punkte, in dem noch deutlich gesehen werden kann, als die „Accommodationshnie". Das normale Auge vereinigt in der Ruhe parallele Strahlen auf der Netzhaut, es sieht also Gegenstände deutlich noch in unend- licher Entfernung, aus der die Strahlen so gut wie parallel ins Auge fallen. Die Accommodationslinie des normalen Auges reicht also von unendlich bis zum Nahepunkt, und die Grösse der Accommo- dationskraft kann daran gemessen werden, wie nah der Nahepunkt dem Auge liegt. Man kann die Accommodation auch durch die Zunahme der Brechungskraft in Dioptrien ausdrücken. Eine Dioptrie ist die Brechkraft, die parallele Strahlen in 1 m Entfernung vereinigt. Die gesammte Brechkraft des Auges beträgt, entsprechend dessen Brennweite von 15 mm, etwa 70 Dioptrien. Die Vermehrung der Brechkraft durch die Accommodation beträgt für das erwachsene Alter etwa 10 Dioptrien. Man nennt dies die „Accommodations- breite" des Auges. Presbyopie. Mit zunehmendeni Alter nimmt die Elastizität der Linse ab, und sie nimmt selbst bei vöUigerEntspannung nicht mehr den Grad von Krümmung an, den sie bei jugendlichen Individuen er- reicht. Daher rückt mit zunehmendem Alter der Nahpunkt immer weiter hinaus und in der Regel liegt er bei einem Alter von 50- — 55 Jahren schon so weit, dass nicht mehr auf die Entfernung von 20 — 25 cm accommodirt werden kann. Da die Grösse der gewöhnlichen Druckschriften darauf berechnet ist, in dieser Ent- fernung gelesen zu werden, in grösserer Entfernung aber zu klein ist, wird dann zum Lesen künstliche Accommodation durch ein Brillenglas nöthig. Dasselbe gilt natürlich für alle feineren Ver- richtungen, wie etwa Nähen, Seciren u. a. m. Das Sehen in die Ferne wird, wie leicht verständlich, durch die mangelhafte Zusammenziehung der Linse garnicht beeinträchtigt. Daher nennt man die Veränderung des Auges im Alter „Fern- sichtigkeit" oder besser, zum Unterschiede von der angeborenen Fernsichtigkeit, „Alterssichtigkeit" oder „Presbyopie". Myopie. 619 Es sei hier nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass die Accomraodation auf der Elasticität der Linse und ihre Abnahme auf der Abnahme der Elasticität beruht. Der Accommodations- muskel könnte seine volle Kraft bis ins höchste Alter bewaliren, und trotzdem würde die Alterssichtigkeit zur gewöhnlichen Zeit eintreten. Die Erscheinung der Alterssichtigkeit ist ganz allgemein. Wenn von bestimmten Individuen als besonderer Vorzug gerühmt wird, dass sie selbst im höchsten Alter kein Glas gebrauchten, so ist das nicht auf eine besondere Vorzüglichkeit ihres Linsen- gewebes, sondern, wie unten gezeigt werden soll, auf ein geringes Maass von Kurzsichtigkeit zurückzuführen. Ref ractionsanomalien. Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit sind zwar eigentlich pathologische Zustände, doch pflegt man sie in den Kreis der physiologischen Betrachtung zu ziehen, weil gerade durch die Kenntniss der Abweichungen der normale Vorgang anschaulicher wird. „Kurzsichtigkeit", Myopie und „Weitsichtigkeit" oder „Ueber- sichtigkeit", „Hypermetropie", sind erworbene oder angeborene Fehler der Gestalt des Augapfels. Im Gegensatz zu diesen Be- zeichnungen nennt man den Zustand des normalen Auges „Normal- sichtigkeit" , „ Emm e tropie " . Myopie. Es mag zuerst der Fall der Kurzsichtigkeit betrachtet werden. Die brechenden Medien des kurzsichtigen Auges unterscheiden sich in nichts von denen des normalsichtigen, der Augapfel ist aber langgestreckt und daher liegt die Netzhaut hinter dem Brennpunkt des Auges. Ein sehr entfernter Gegenstand, von dem die Strahlen nahezu parallel ins Auge fallen, wird im Brennpunkte, also vor der Netzhaut abgebildet. Je näher nun der Gegenstand ans Auge gerückt wird, desto weiter rückt sein Bild hinter den Brennpunkt, und bei einer gewissen Entfernung fällt das Bild auch beim kurz- sichtigen xiuge auf die Netzhaut. Dieser Punkt, der die weiteste Entfernung bezeichnet, in der das kurzsichtige Auge deutlich sehen kann, wird als „Fernpunkt" des Auges bezeichnet. Man spricht auch vom „Fernpunkt" des normalen Auges, der aber keine reale Lage hat, sondern im Unendlichen angenommen werden muss, da ja das normale Auge parallele Strahlen auf der Netzhaut ver- einigt. Rückt der Gegenstand nun noch näher ans Auge, so vorhält sich das kurzsichtige Auge wie das normale; es accommodirt sich dem Nahesehen. Natürlich braucht aber die Accoramodation des kurzsichtigen Auges für gleiche Nähe des Gegenstandes nicht so stark zu sein, wie die des normalen Auges. Daher reicht denn auch die Accommodationsbreite des kurzsichtigen Auges für viel grössere Nähe aus als bei normalem Auge: Der Nahepunkt liegt für Kurzsichtige viel näher am Auge. Es kann nicht oft genug hervorgehoben werden, dass die Kurzsichtigkeit nicht auf einem Fehler der brechenden Medien oder einem Mangel der Accoramodationsvorrichtung beruht, sondern einzig 620 Myopio. und alJciri auf der Form des Augapfels. Es ist nämlich die irr- tiüimliche Vorstellung weit vcrijrcitet, dass die Kurzsichtigkeit durcli Uebung, namentlicii durch Sehen in die Ferne, vermindert oder beseitigt werden könne. Aus der obigen Darstellung erhellt, dass dies nur möglich ist, insofern es allenfalls auch möglich ist, aus einem Menschen von geringer Körperlänge durch Uebung einen Menschen von normalem Wuchs zu machen. In Bezug auf das Sehen in die Nähe hat der Kurzsichtige vor dem Normalsichtigen zwei Vortheile: Er kann in gleicher Nähe mit schwächerer Accomraodation, oder, was dasselbe ist, mit gleiciier Accommodation in grösserer Nähe deutlich sehen. Je näher ein Gegenstand ist, desto grösser bildet er sich auf der Netzhaut ab. Ein Kurzsichtiger kann also, indem er sein Auge näher an den Gegenstand heranbringt, Dinge erkennen, für die der Normal- sichtige eine Lupe braucht. Zweitens hat der Kurzsichtige den Vortheil, dass sein Nahepunkt, weil er von Anfang an so viel näher am Auge ist, auch im Alter nicht über eine gewisse Grenze hinausrückt. Der Kurzsichtige kann also in günstigen Fällen selbst im höchsten Alter ohne Glas lesen. Hierauf ist oben Bezug ge- nommen worden. Wie man sieht besteht der Nachtheil der Kurzsichtigkeit, ab- gesehen von den allerstärksten Graden, nur darin, dass die ent- fernteren Gegenstände nicht scharf abgebildet werden können, weil ihr Bild vor die Netzhaut fällt. Da dieser Fehler auf einem un- veränderlichen Umstand, nämlich auf der zu grossen Entfernung der Netzhaut beruht, kann er ein für allemal corrigirt werden, Fig. 89. Conection der Kurzsiolitickeit. indem man durch ein vorgesetztes Glas die Brechkraft des Auges soweit schwächt, dass sein Brennpunkt auf die Netzhaut fällt. Be- kanntlich haben biconcave Linsen die entgegengesetzte Wirkung wie biconvexe. Biconvexe Linsen vereinigendie hindurch gellenden Slraiilen, biconcave zerstreuen sie. Um einen Theil der vereinigenden Brech- kraft der convexen Flächen des Auges aufzuheben, muss man also vor das Auge eine biconcave Linse setzen, und wenn diese passend gewählt war, wird dadurch das kurzsichtige Auge in optischer Beziehung einem normalsichtigen völlig gleich. Hypermetropie. 621 Dies ist auf beifolgender Figur 89 dargestellt. Die ])arallelen Strahlen, die von einem Objectpunkt links in unendlicher Ferne ausgehen, und in einem normalen Auge auf der Netzhaut in h ver- einigt werden würden, werden in dem stark kurz.sichtigcn Auge schon weit vor der Netzhaut in a vereinigt. Auf der Netzhaut entsteht statt eines scharfen Punktes ein grosser Zerstreuungskreis. Das Concavglas m bricht nun die parallelen Strahlen so ausein- ander, als ob sie von seinem Brennpunkt a' herkämen, wie die punktirte Linie andeutet. Bei der so veränderten Richtung werden die Strahlen in b auf der Netzhaut vereinigt. Hypermetropie. Ganz ähnlich, aber umgekehrt verhält sich das fernsichtige oder hyperinetropische Auge. Hier ist der Aug- apfel zu kurz, der Brennpunkt des Auges liegt hinter der Netz- haut. Schon um entfernte Gegenstände deutlich zu sehen, muss der Hypermetrop accommodiren. Je näher der Gegenstand rückt, desto stärker wird die Anforderung an die Accommodation, und lange ehe der Nahepuukt des Normalsichtigen erreicht wird, ist die Ac- commodation beim fernsichtigen Auge schon erschöpft. Der in mässigera Grade Fernsichtige ist also ungefähr ebenso gestellt wie der Alterssichtige. Er kann nur in einer Entfernung alles deutlich sehen, in der kleine Gegenstände nicht mehr recht zu erkennen sind. Die Correction für die Fernsichtigkeit und Alterssichtigkeit ist daher dieselbe, obschon die Ursache im ersten Fall in der Form des Augapfels, im zweiten in verminderter Accommodations- fähigkeit liegt. In beiden Fällen reicht die Brechkraft des Auges nicht hin, die Bilder von nahen Gegenständen, die hinter den Brenn- punkt des Auges und somit hinter die Netzhaut fallen, schon auf der Netzhaut zur Vereinigung zu bringen. Es muss also die Brech- kraft des Auges durch ein vorgesetztes Convexglas vermehrt werden, um die normale Brechung zu erreichen. Die Correctur des hyperraetropischen Auges ist auf der folgen- den Figur entsprechend der vorigen dargestellt. Die von links Fig. 90. Coriection der Weitsichtigkeit. kommenden parallelen Strahlen werden hinter der Netzhaut des hypermetropischen Auges in «' vereinigt. Durch die Convexünse werden sie in die Richtung der punktirten Linien gelenkt, die auf der Netzhaut in «' zusammentreffen. 622 Astigmatismus. Astiginatisnuis. In ähnlicher Weise kann man auch einem andern Mangel abhelfen, wenn er in störendem Maasse hervortritt, nämlich dem Astigmatismus. Die Flächen des Auges zeigen gewisse normale und daneben häufig auch noch abnorme Abweichungen von der Kugelgestalt. Es liegt auf der Hand, dass eine Fläche, die in einer Richtung stärker als in der andern gekrümmt ist, ein Strahlenbüschel, das von einem Objectpunkt ausgeht, nicht auf Einen Punkt vereinigen kann, denn der Brennpunkt fällt für die Strahlen, die längs der schwächsten Krümmung auffallen, viel weiter hin als für die andei'en. Eine solche Fläche hat daher die Eigenschaft, statt eines Punktes eine längliche Figur, einen Strich abzubilden, und hiervon rührt auch die Bezeichnung Astigmatis- mus her. Fig. 91. Zur Beobachtung des Astigmatismus des Mensclienanges. Die meisten Augen zeigen im verticalen Meridian eine stärkere Hornhautkrümraung als im horizontalen. Wenn man die heifolgen- den Figuren betrachtet, so erscheinen daher, Avenn man auf die horizontalen Linien oder auf die rechts und links liegenden Qua- dranten accommodirt, die verticalen Linien oder die Quadranten oben und unten undeutlich, als verschwommen graue Fläche. Um den Astigmatismus nachzuweisen, hält man vor das zu untersuchende Auge eine Scheibe, die mit concentrischen Kreisringen bemalt ist. Das Spiegelbild dieser Kreise erscheint im astigmatischen Auge nach der Richtung der schwächsten Krümmung auseinandergezogen. Etwaige Unregelmässigkeiten der Oberfläche raachen sich sehr deutlich durch Ausbuchtungen der Kreise bemerkbar. Einfachen Astigmatismus kann man dadurcli vollkommen corrigiren, dass man ein nur in einer Richtung gekrümmtes Glas, eine Cylinderlinse, in der passenden Stellung vor das Auge bringt, so dass es die Ungleichheit der Hornhautkrünnnungcn aus- gleicht. FarbcnzcrsLreuung im Auge. Licht von verschiedener Wellenlänge wird um so stärker gebrochen, je kürzer die AVellen. Daher werden durch die Brechung die verschiedenen farbigen leichter getrennt, indem die rothen kurzwelligen Strahlen am wenigsten, Farbenzerstreuung im Auge. 623 die \noletten langwelligen Strahlen am stärivsten abgelenkt werden. Man nennt dies die Farbenzerstreuiing oder Dispersion. Ein optisches System, in dem Dispersion stattfindet, heisst ein chroma- tisches System. Es ist klar, dass durcli ein chromatisches System nur Strahlen von gleicher Wellenlänge, monochromatische Strahlen, in einem Punkte vereinigt wer'den können. Auf der beifolgenden Figur 92 ist der Fall dargestellt, dass paralleles weisses Licht durch eine chromatische Linse a h geht. Fig. 92. Cbromatische Abweichung. Die Brechung ist für die violetten Strahlen am sttirksten und vereinigt sie schon im Punkte /, während die rothen erst im Punkte -ß zusammentreffen. Wird das Strahlenbündel in der Ebene TO n auf einen Schirm abgefangen, so entsteht ein weisser Licht- fleck mit farbigem Saum, in dem die Spectralfarben von violett innen bis roth aussen aufeinanderfolgen. In der Ebene o p ergiebt sich die entgegengesetzte Reiiienfolge. In der Mitte erscheint da- gegen das Licht trotz, der Dispersion als zusammengesetztes weisses Licht, weil hier Strahlen von allen Wellenlängen zusammen auf- fallen. Aus demselben Grunde ist auch die Mitte heller, als der Saum, der nur von einem Theil aller Strahlen getroffen wird. Es ist möglich, achromatische Systeme herzustellen, indem man zum Beispiel hinter eine starkbrechende, scliwach zerstreuende Convexlinse eine schwach brechende aber verhältnissmässig stark zerstreuende Concavlinse setzt. Da die Concavlinse umgekehrt wie die Convexlinse wirkt, hebt sie die Zerstreuung ganz, die Brechung nur zum Theil auf, und das System beider Linsen ist ein achromatisches Sammelsystem. Bei den Augenmedien bestehen nun solche Unterschiede nicht, das Auge ist also ein chromatisches System. Die Farbenzerstreuung im Auge ist aber so schwach, dass die Farbensäume auf der Netz- haut nur unter besonderen Bedingungen bemerkbar werden. Auge der Säugethiere. Die Augen der Säugethiere unter- scheiden sich in Bezug auf die im Vorstehenden betrachteten all- gememen optischen Verhältnisse nicht wesentlich von denen des Menschen. Nur ist zu bemerken, dass bei fast allen Thieren das Auge normalerweise hypermetropisch ist. I 624 Tapetum. Am Auge des Pferdes, das sich diircli besondere Grösse aus- zeichnet, sind folgende Messungen ausgefülirt worden: Pferd Mensch Krümmungsradius der Ilornhaut . . . . 18,8 mm 7,8 mm der vorderen Linsenfläclic 17,3 10 der hinteren Linsenfläche. 11,3 „ 6 .. Abstand vom Hornhautscheitel der vorderen Linsenfläche 7 „ 3,7 der hinteren Linsenfläche. 20,2 „ 7,5 ^ der Netzhaut 44,1 „ 22,8 „ Wie es oben für das Menschenauge angegeben ist, hat man auch für das Pferdeauge die Umrechnung auf ein „reducirtes Auge" durchgeführt, das eine sphärische Fläche mit der Brechkraft des Wassers und einer Krümmung von 10 mm Radius darstellt, deren Mittelpunkt 17 mm hinter dem Hornhautscheitel, also 3,2 mm vor der hinteren Linsenfläche liegt. Die Augen kleinerer Thiere, wie Hund, Katze, Schwein, kommen dem des Menschen sehr nahe. Nur in der Pupillenform bestehen bemerkenswerthe Unterschiede. Bei Hund und Kaninchen ist sie, wie beim Menschen, rund, bei den grossen Pflanzenfressern queroval, bei den Katzenthieren bildet sie ein verticales Oval, dass bei sehr hellem Licht zu einer senkrechten Spalte zusammen ge- zogen wird. Tapetum. Bei vielen Thieren schiebt sich zwischen Netz- haut und Chorioidea in einem Theile des Augengrundes eine pig- mentlose Schicht, das Tapetum, ein, und der Chorioidea fehlt an dieser Stelle das Pigment. Dadurch erscheint das betreffende Ge- biet am aufgeschnittenen Auge nicht schwarz, wie der übrige Theil. sondern in verschiedenen Farben schillernd. Man unterscheidet eine bindegewebige fibröse Art des Tapetum, die den Pflanzenfressern, und eine aus mehreren Schichten polygonaler kernhaltiger Zellen bestehende Art, die den Raubthieren eigen ist. Diesem Unterschied entspricht auch die schimmernde Farbe des Tapetum, die bei den Pflanzenfressern mehr bläulich, bei den Raubthieren grünlich-goldig erscheint. Das Tapetum nimmt beim Hunde und Pferde ein dreieckiges, bei Katzen ein mehr halbmondförmiges Gebiet ein, das medialwärts breiter ist und sich transversal über der Eintrittsstelle des Sehnerven hinzieht. Ob das Tapetum irgend welchen Einfluss auf das Sehvermögen hat, ist unbekannt. Man hat angenommen, dass in den mit einem Tapetum versehenen Stellen das Licht nicht bloss beim Einfallen, sondern auch im Zurückstrahlen auf die Netzhaut wirken könnte, sodass dadurch die Lichtemplindlichkeit erhöht würde. Es giebt aber Naclitthiere, wie zum Beispiel die Eulen, die bei schwächster Beleuchtung sehr gut sehen, und dennoch kein Tapetum haben. Augenleu chlen. Weil nun bei den mit Taiietum versehenen Augen nicht der ganze Augengrund sciiwarz ist, wird von dem cin- i Augenleuchtcn. 625 fallenden Licliie ein Tlieil redectirt und verbreitet im Aui;eninnern eine dilTiise Helligkeit. Dies kcinn man bei Hunden und Katzen auch im hellen Zimmer ■wahrnehmen, besonders auffällig ist es aber, wenn man aus einem helleren Kaum in einen dunkleren, in di'm sich das Thier befindet, liineinblickt. Dann scheinen die Augen, ■da das einfallende Licht in derselben Richtung zuri^ickgeworfen wird, geradezu zu leuchten. Man nahm früher an, dass die Augen der Thiere thatsächlich selbstleuchtend wären, oder zum mindesten vor- her aufgenommenes Licht im Dunkeln wieder abgeben könnten. Dieser Irrthum wird aber durch den einfachen Versuch widerlegt, die angeblich leuchtenden Augen in einem wirklich vollkommen dunklen Kaüm zu untersuchen, wobei sich zeigt, dass sie keine Spur eigener Leuchtkraft haben. Die Untersuchung des Augenleuchtens hat zur J^ösung einer praktisch wichtigen Frage geführt, nämlich ob und auf welche Weise es möglich ist, von aussen her ins Innere des Auges liinein- üusehen? Augenspiegel. Da die Pupille ein ziemlich grosses Fenster in der Vorderwaud des iVugapfels darstellt und das Lmere des Auges vollkommen durchsichtig ist, könnte es scheinen, als niü.sste man ohne weiteres durch die Pupille den Augenhintergrund er- blicken. Bekanntlich erscheint aber das Augeninnere stets völlig dunkel, sodass man nichts vom Augenhintergrund sieht. Selbst wenn bei heller Beleuchtung noch soviel Licht ins Auge fällt, bleibt die Pupille vollkommen schwarz. Dies erklärt sich einfach aus der optischen Eigenschaft des Auges, jeden Punkt der Aussen- welt auf einem bestimmten Punkte der Netzhaut abzubilden. Aus diesem (irunde gelangen die Strahlen, die vom Auge des Beobachters ausgehen, immer nur auf die Stelle der Netzhaut des Beobachteten, auf der sich das Auge des Beschauers abbildet, und da sein Auge kein Ijicht abgiebt, kann der Beschauer immer nur eine dunkele Stelle der Netzhaut zu sehen bekommen. Bringt man eine Lampe vor das Auge, so vereinigen sich die Lichtstrahlen auf der Netzhaut im Bilde der Lampe. Um diese helle Stelle sehen zu können, müsstc sich das Auge des Beobachters eben an der Stelle befinden, die die Lampe einnimmt. Diese Schwierigkeit hat Helm- lioltz durch die Erfindung des Augenspiegels überwunden. iMan kann zwar Lampe und Auge nicht an dieselbe Stelle bringen, wohl aber kann man das Lampenlicht durch eine spiegelnde Glasscheibe in das zu untersuchende Auge werfen und gleichzeitig in derselben Richtung durch die Glasscheibe in das Auge sehen. Der Helmholtz'sche Augenspiegel beruhte also im Wesentlichen auf der Thatsache, dass auch eine durchsichtige Glasscheibe einen Theil des auf sie fallenden Lichtes wiederspiegelt. Eine einzelne Glas- scheibe lässt sehr viel mehr Licht tlurch als sie zurückwirft, daher wurden mehrere Glasscheiben hintereinander angewendet. AVie man -aus der folgenden Figur 93 ersirht, ist die Glasscheibe ,S' schräg von das zu untersuchende Auge C gestellt und wirft das Bild der R. du Bois-Rey 1110 11 li , Pliy.siologio. 626 Augenspiegel. .Flamme Ä in der üiclitung « C in das Auge C. Die Strahlen der Flamme fallen also so ins Auge C, als kämen sie von einer Flamme a her. Bringt nun der Beobachter sein Auge B hinter die Scheibe 8, Fig. 93. a Alt — I Scbema des Helralioltz'schen Augenspiegels. so sieht er in genau derselben Richtung in das Auge C, in der das Licht einfällt, und er sieht daher einen erleuchteten Theil des Augenhintergrundes. Der Augenspiegel ist später von Ruete in der Form ausge- führt worden, dass an Stelle der Glasscheibe ein gewöhnlicher Spiegel mit einem Loch in der Mitte tritt. Der Beobachter sieht dann durch das Loch auf die Mitte der vom Spiegel beleuchteten Fläche (vgl. Fig. 94). Auf diese Weise gelangt man dazu, den Augenhintergrund zu erleuchten. Dadurch allein ist es aber im Allgemeinen noch nicht möglich, ihn wirklich sehen, das heisst deutlich sehen zu können. Vielmehr sieht der Beobachter meist nur die Pupille von einem rothen Schein erfüllt, der von dem beleuchteten Augenhintergrund herrührt. Da nämlich die Strahlenbrechung im Auge des Beobachters und des Beobachteten im Allgemeinen nicht genau gleich ist, werden die Strahlen, die von einem Punkte der imtersuchten Netzhaut ausgehen, nicht auch vom Auge des Beobachters in einem Punkt vereinigt. Di(;s wird am einfachsten ersichtlich, wenn man einen der Ausnahmefälle betrachtet, in denen thatsächlich mit dem blossen durchbohrten Spiegel ein deutliches Bild des Augenhinter- grundes gesehen werden kann. Im normalen ruhenden Auge werden parallele Strahlen auf der Netzhaut in einem Punkt vereinigt. Umgekehrt müssen die Strahlen, di(^ von einem Punkte der Netzhaut eines .solchen Auges ausg(^hen, aus dem Auge als parallele Strahlen austreten. Sind sowolil das Auge des Beobachteten wie das des Beobachters genau normalsichtig und unaccommodirt, so gehen von jedem Punkte der Augenspiegel. 627 beleuchteten Netzhaut des Beobachteten Stralilen aus, die aus dem Auge als parallele Strahlen austreten und daher auch im Auge des Beobachters wieder auf einem Punkte der Netzhaut vereinigt werden können. In diesem Falle sieht also der Beobachter die Netzhaut des Beobachteten deutlich. Wenn aber, wie es meist unwillkürlich geschieht, der Beobachtete auf die Entfernung des vor seinem Auge befindlichen Spiegels accommodirt, so treten infolge der verstärkten Brechung die Strahlen aus seinem Auge nicht parallel, sondern convergent aus. Sie werden deshalb von dem normalen ruhenden Auge des Beobachters nicht auf, sondern vor der Netzhaut vereinigt, und der Beobachter sieht nur eine verwaschene Helligkeit. Ist das Auge des Beobachteten kurzsichtig, so bestehen auch ohne Ac- commodation dieselben Bedingungen. Ist er dagegen fernsichtig, so kann der Beobachter durch passende Accommodation seines Auges die in diesem Falle divergenten Strahlen auf seiner Netzhaut zur Vereinigung bringen. Ebenso kann ein fernsichtiger Beobachter den Augenhintergrund eines kurzsichtigen Auges deutlich sehen. Diese Bedingungen werden natürlich nur in vereinzelten Fällen zusammentreffen, dagegen kann man, genau so wie Fernsichtigkeit und Kurzsichtigkeit durch Brillengläser corrigirt werden, auch den Augenspiegel mit einer Correctionslinse versehen, durch die das Auge des Beobachters dem Auge des zu untersuchenden angepasst wd. In dem gewöhnlichen Falle, dass es sich um ei i accommodirtes oder kurzsichtiges Auge handelt, muss die Correctionslinse bi- concav sein. Da bei dieser Art; des Augenspiegelns der Beobachter den Augenhintergrund des Beobachteten wie einen beliebigen Gegenstand Fig. 94. Augenspiegel nach Eoete. Beobachtung im umgekehrten Bilde. der Aussenwelt vor sich stehend sieht, bezeichnet man sie als die „Beobachtung im aufrechten Bilde", im Gegensatz zu einem anderen Verfahren, bei dem das Bild umgekehrt wird. Dieses zweite Ver- fahren ist technisch schwieriger, hat aber den Vorzug, dass man einen grösseren Theil des untersuchten Auges zugleich übersieht. 40* 628 Augenspiegel. Es beruht darauf, dass oiiic starke Oonv-exliiisc, die vor das zu untt!r.suclicnd(> Auge gebracht wird, ein reelles umgekelirte.s ßild des zu untersucheadea Augenhintergrundes in der Luft vor dem Auge entwirft. Dieses Bild betrachtet man durch den Augenspiegel, mit dem man zugleich das zur Erzeugung des Bildes erforderliche Licht in das Auge wirft. Dieses Verfahren ist . in Figur 94 dar- gestellt. Der Hohlspiegel SS rcflcctirt das Licht der Lampe L auf die Linse 0', sodass die Umgebung des Netzhautpunktes im beobachteten Auge A beleuchtet wird. Die von a und den benach- barten Punten ausgehenden Strahlen werden durch die Linse C zu dem Bilde d vereinigt, das der Beobachter b durch das Loch im Spiegel betrachtet. Das Augenspiegelbild lässt den Augenhintergrund, der beim Menschen dunkelroth, bei den Thieren im Gebiete des Tapetums grüngoldig, im üebrigen auch dunkelroth erscheint, und die darauf Fig. 95. Fig. 96. Augenspiegelbild beim Mensch Pferd. a, b Papille, in Fovea, c Aiierien, d Venen, T Tapetum, ii nasal, ( temporal. verlaufenden Gefässe deutlich erkennen. Die Stelle des Sehnerven- eintritts, die sogenannte Papille, tritt als ein leuchtend weisser, runder Fleck hervor, von dem die Stämme der Gefässbäume aus- gehen. Die hellrothe Farbe der Arterien ist von der dunkleren der Venen zu unterscheiden. Mitunter sielit man deutlich das Pulsiren der Gefässe. Die Augenspiegelbilder der Thiere unterscheiden sich liaupl- sächlich durch das Tapetum und durch die Verschiedenheiten in der Gefässverzweigung, wovon die Figuren 95 und 96 ein Beispiel geben. Netzhaut. 629 Gesichtsempfindungen. Netzhaut. Im vorlicrgclicrulcn ist gezeigt worden, dass die Lichtvertheilung der Aussenwelt auf der Netzhaut des Auges in verkleinertem;, Maassstab wiedergegeben wird. Indem über die ganze Fläche der Netzhaut dicht nebeneinander Sinncszellen ge- lagert sind, aus denen Nervenleitungen zum Gehirn verlaufen, wird dem Centraiorgan und somit dem Bewusstsein die Kenntniss von der Lichtvertheilung in der Aussenwelt vermittelt. Die Schicht der Netzhaut, in der die eigentlichen Organe der Lichtempfinduiig, die sogenannten Stäbchen und Zapfen, liegen, ist eigenthümlicher Weise nicht nach dem Inneren des Augapfels den eintretenden Lichtstrahlen entgegen gewendet, sondern sie bildet die äusserste Schicht der Netzhaut, die unmittelbar an die Chorio- idea grenzt. An dieser Grenze sind die Stcäbchen und Zapfen in die dort liegende regelmässige Schicht sechseckiger pigmentirter Zellen eingesenkt, sodass man oft auch diese Pigmentscliicht statt zur Chorioidea zur Netzhaut rechnet. AVenu sich die Netzhaut ab- löst, bleibt indessen die Pigmentschicht an der Chorioidea haften. Die Stcäbchen und Zapfen sind wie gesagt die eigentlichen Sinneszellen des Sehorgans. Sie stellen längliche drehrunde durch- sichtige Gebilde dar, in denen man einen äusseren und inneren Abschnitt unterscheidet. Von der Form des äusseren Abschnittes haben die Stäbchen und Zapfen ihre Namen. Der innere Abschnitt ist körnig und etwas dicker. Die Schicht der Stäbchen und Zapfen ist nach innen durch eine Membran, Membrana limitans externa, gegen die übrigen Schichten der Netzhaut abgeschlossen, deren man, wie aus der untenstehenden Figur 97 ersichtlich, noch acht ver- schiedene unterscheidet. Diese Schichten haben ihre Namen nach dem Aussehen, das sie in dem mikroskopischen Querschnittsbilde darbieten. Der eigentliche Zusammenhang erhellt aus der daneben stehenden schematischen Zeichnung (Fig. 98) vom Verlauf der Nerven- leitung in der Netzhaut. Man sieht, dass zu jedem Stäbchen und jedem Zapfen ein Zellleib gehört, der ausserhalb der erwähnten Grenz- membran liegt. Von hier aus gehen Ausläufer zu einer mittleren Ganglienzellenschicht, die . unter sich durch zahlreiche Dendriten verbunden ist und Axone an eine dritte Ganglienzellenschicht ab- giebt, die abermals durch Dendriten vielfacli verknüpft ist, und deren Axone als Sehnervenfasern zum Gentraiorgan verlaufen. Man sieht, dass der Sehnerv nicht als ein einfacher sensibler Nerv be- trachtet werden kann, da seine Fasern nicht unmittelbar von der Sinneszelle zu einer centralen Ganglienzelle verlaufen. Dies Auf- treten besonderer Neurone, die untereinander in Verbindung treten, kennzeichnet vielmehr die Netzhaut, wie es a,uch die Entwickelungs- geschichte lehrt, als eine peri|)hcrische Ausbreitung des Central- nervensystems. Es sei nun nochmals auf den schon erwähnten Umstand hin- gewiesen, dass die Stäbchen und Zapfen, die, wie sich unzweifelhaft 630 Netzhaut. erweisen lässt, die eigentlich lichtempfindlichen Theile der Netzhaut darstellen, nach aussen, nach der Wand des Augapfels, zu stehen. Die ganze Dicke der Netzhaut und die ganzen Sehnervenfasern, die Fig. 97. Fig. 98. Nervöse und epitheliale Elemente der Bau der Retina nacli M. Schnitze. Netzhaut (nach Golgi). 1 Memhrana limitans interne, 2 Nervenfaserschicht. 3 Ganglienschicht, i innere B'-\°"''';*!^S^^^ 5 innere Kürperschicht, 6 Uussere granulirte Schicht, ' '>°>^f "^^^^^^^ Memhrana hm. tins externa, 9 Stäbchen und Zapfensohicht. 10 Pigraentschicht, sich radial über sie vertheilcn, liegen nach innen. Um zu den Stäbchen und Zapfen zu gelangen, rauss das Licht also erst die Ausbreitung der Sehnervenfasern und dann die ganze Netzhaut durchstrahlen, ehe es an die äussere lichtempfindliche Schicht ge- langt, und wenn es dort eine Erregung hervorgerufen hat, rauss diese wiederum rückwärts durch die Netzhautschichten hindurch bis in die innerste Schicht geleitet werden, um durch die Se ineryen- fasern hirnwärts zu verlaufen. Dieser Weg ist für die Lichtstrahlen nur dadurch möglich, dass die ganze Netzhaut durchsichtig und die ausstrahlenden Sehnervenfasern marklos sind. Der blinde Fleck. 631 Der blinde Fleck. Eine äusserst übeiTcaschcnde Beobachtung beweist mit der grösstcn Bestiraratlieit, dass das Sehvermögen an die äusseren und niciit an die innerste Schicht der Netzhaut ge- bunden ist. An der Stelle nämlich, wo der Sehnerv ins Auge ein- tritt, durchbrechen seine Fasern alle Häute des Augapfels und auch die Netzhaut, um in Gestalt der Papille ins Innere des Auges zu gelangen und sich nach allen Seiten auf der Netzhaut auszubreiten. An dieser Stelle besteht also eine Unterbrechung, eine Lücke, in allea Schichten der Netzhaut bis auf die innerste. Es lässt sich leicht zeigen, dass an dieser Stelle auch kein Sehvermögen besteht, dass in jedem normalen Auge an dieser Stelle ein grosser blinder Fleck ist, der nach seinem Entdecker der Mariotte'schc blinde Fleck genannt wird. Der Sehnerv tritt von hinten medialwärts ins Auge ein. Schliesst man das iinke Auge und heftet ävn Blick des Fig. 99. Minder Fleck. rechten auf das kleine Kreuz links auf der beifolgenden Figur und bringt dann das Auge in eine Entfernung von etwa 22 cm von der Figur, so fällt das Bild des weissen Fleckes rechts gerade auf den Sehnerveneintritt, und man wird gewahr werden, dass er völlig verschwindet. Selbstverständlich darf man nicht etwa den Blick hinwenden, um nachzusehen, ob der Fleck wirklich ver- schwunden ist. Um den Blick leichter an dem Kreuz festhalten zu können, empfielilt es sich, die einzelnen Ecken davon so scharf ins Auge zu fassen, als wollte man nachsehen, ob sie auch alle richtig ausgedruckt sind. Nähert man das Auge der Figur ein wenig, so tritt der rechte Rand, entfernt man esj der linke Rand der weissen Kreisfläche zuerst hervor. Während der Fleck verschwunden ist, scheint seine Stelle ganz gleichartig von der schwarzen Farbe der Umgebung eingenommen zu sein. Dass man eine so grosse Lücke in der Netzhaut überhaupt nicht gewahr wird, erklärt sich zum Theil daraus, dass die blinden 632 Piirhinje'scbe Gefässligur. Flecke der beiden Augen verschiedenen Stellen der Aussenwelt entsprechen, sodass beim Sehen mit beiden Augen keine Lijcke im Gesichtsfeld bleibt. Aber auch beim Sehen mit einem Auge stört der blinde Fleck nicht. Die Ursache hierfür wird sich aus später zu beti'achtenden Umständen ergeben. Purkinje'sche Gefässfigur. Es lässt sich ferner nachweisen, dass von allen Schichten der Netzhaut allein die äusserste die Ge- sichtsemplindungcn vermittelt. A'on der Eintrittsstelle des Sehnerven aus verbreiten .sich die Gefässstämme der Netzhaut noch innerhalb der Sehnervenausbreitung. Die Gefässe stellen sich also den Lichtstrahlen in den Weg ehe diese zur Netzhaut gelangen. Ganze Striche der Netzhaut, die von den Gelassen bedeckt oder beschattet werden, müssen dadurch nicht minder blind sein als der blinde Fleck. Dass man .dies nicht wahrnimmt, ist bei der Kleinheit der Gefässe weniger auCfallcnd, als dass man von dem blinden Fleck nichts merkt. Nur unter ganz bestimmten Bedingungen wird der Schatten der Gefässe auf der Netzhaut bemerkbar. Die Erscheinung, um die es sich handelt, ist unter dem Namen Purkinje'sche Aderfigur bekannt. Man stelle in einem dunkeln Zimmer eine Kerze auf und lasse mit Hülfe eines Brennglases einen möglichst hellen scharfen Lichtlleck auf die Sklera im äusseren Winkel eines Auges oder ganz schräg in die Pupille fallen. Dieser Lichtfleck muss durch eine zitternde Bewegung, die man mit dem Brennglas macht, fortwährend seine Stelle ein ganz klein wenig ändern. Starrt man nun mit dem so beleuchteten Auge gegen eine gleichmässig dunkle Fläche, so wird man alsbald ein Bild auftauchen sehen, das mit dem Augenspiegel- bild Aehnlichkeit hat. Auf dunkelrothem Grunde sieht man blau- schwarze feine Adern sich von oben und unten her an ein gefäss- loses Gebiet vertheilen. Hält man das Glas einige Secunden lang ruhig, so verblasst die Aderfigur und verschwindet. W'ährend der Bewegung des Lichtes befindet sich auch die Aderfigur in tanzender Bewegung. Die genauere Deutxmg dieser Erscheinung kann je nach den Bedingungen des Versuchs eine verschiedene sein. x\uf alle Fälle rührt aber der Gesichtseindruck davon her, dass das Schatten- bild der Gefässe auf die Netzhaut fällt, die den Unterschied zwischen Licht und Schatten empfindet. St;ellt man die Grösse der mit dem Lichtfleck ausgeführten Bewegungen und die Grösse der scheinbaren Bewegung der Aderfigur fest, so kann man auf Grund der bekannten optischen Verhältnisse des Auges die Ent- fernung der lichtempfindenden Schicht vom Knotenpunkt des Auges berechnen. Diese Rechnung führt auf die Stäbchen- und Zapfen- schicht und dient zum Beweis, dass die Stäbchen und Zapfen die lichtempfindenden Elemente des Auges sind. Unterscheidungsvermögen der Netzhaut. Wenn die Stäbchen und Zapfen die lichlempfindendcn Elemente sind, so muss das Unterscheidungsvermögen für verschiedene Bildpunktc mit der Grösse der Stäbchen und Zapfen im Zusammenhang stehen. t)(Ten- Netzhautgnibe. 633 bar werden zwei Punkte tler Aussciiwelt nur dann getrennt ge- sehen werden können, wenn ihre Bilder auf der Netzhaut auf verschie- dene Sehelementc fallen, und sie werden als eins empfunden werden, wenn sie so naii an einander sind, dass ilire Bilder im Auge beide auf Einen Zapfen oder Ein Stäbchen fallen. Man kann allerdings auch anneiunen. däss die beiden Punkte, um zwei getrennte Gesiehts- eindrücke hervorzurufen, so weit von einander liegen müssten, dass ein oder mehrere Sehelemente zwischen ihren Bildern auf der Netzhaut frei bleiben. Diese Betrachtung ist ähnlich der, die oben für das Tast- gel'ühl angestellt worden ist. Man spricht daher auch wie von den Tastkreisen der Haut von den „Emplindungskreisen" der Netzhaut. Es ist nun durch verschiedene Versuche festgestellt worden, dass zwei parallele Linien noch getrennt gesehen werden können, wenn ihr Abstand vom Auge aus einen Winkel von 50 Bogensccunden einschliesst. Hieraus berechnet sich, dass die Bilder der Linien auf dem Augenhintergrund in 0,0037 mm Abstand liegen. Die Dicke eines Zapfens beträgt nach verschiedenen Messungen etwa 2 — 3 Tausendstel Millimeter. Diese Uebercinstimmung bestätigt die Anschauung, dass das Netzhautbild durch die Erregung der Stäbchen imd Zapfen wahrgenommen wird. Netzhautgrube. In Bezug auf das ünterscheidungsvermögen verhalten sich die verschiedenen Stellen der Netzhaut sehr ver- schieden. Die Stäbchen und Zapfen stehen nach dem Rande der Netzhaut zu in immer grösseren Abständen von einander. Es ist also auch das Unterscheidungsvermögen der peripherischen Netzhaut- theile viel geringer als das der Mitte. Man hat zwar den Ein- druck, als sähe man alle Gegenstände, die sich im Gesichtsfeld belinden, gleich deutlich, das ist aber eine Selbsttäuschung. Richtet man den Blick geradeaus und versucht seitlich gehaltene Buchstaben oder Figurentafeln zu erkennen, so wird man alsbald gewahr, dass man sie nur höchst ungenau sieht. "Von allen Stellen der Netzhaut ist nun eine, die Netzhaut- grube, Fovea, oder, nach ihrer gelblichen Pigmentirung, gelber Fleck, Macula lutea, genannt, dadurch ausgezeichnet, dass auf ihr die Sehelemente ausserordentlich dicht zusammenstehen. Es sind hier nur Zapfen vorhanden, am Rande der Netzhaut dagegen nur Stäbchen, dazwischen nimmt die Zahl der Stäbchen im Verhältniss zu der der Zapfen zu, so dass am Rande des gelben Fleckes jeder Zapfen von einer einfachen Reihe Stäbchen umringt ist. Der Name Netzliautgrube kommt davon her, dass an dieser Stelle alle Schichten der Netzhaut mit Ausnahme der Zapfenschicht an Dicke abnehmen, so dass eine Einsenkung der inneren Fläche entsteht. Entsprechend der Dichtigkeit der Zapfen ist auch das Ünter- scheidungsvermögen der Netzhautgrube bei weitem feiner als das der übrigen Netzhaut. Man bezeichnet sie deshalb auch schlechthin als die Stelle des deutlichsten Sehens. Die Leistungsfähigkeit der Netzhautgrube in dieser Beziehung 634 Sehschärfe. überwiegt so sehr, dass man, sobald es deutlich zu sehen gilt, un- willkürlich das Auge so drel)t, dass sich der betrefi'ende Gegen- stand auf der Netzliautgrube abbildet. Man darf sagen, dass neben dem Sehen mit der Netzhautgrube die Gesichtseindrücke der übrigen Netzhauttheile nur nebenbei, so zu sagen ergänzend, in Betracht kommen. Hieraus erklärt sich auch, dass der blinde Fleck und die Netzhautgefässe die Gesichts- wahrnehmung nicht merklich beeinträchtigen. Sehschärfe. Das Uaterscheidungsvermögen des Auges im Ganzen, oder, wie man zu sagen pflegt, „die Güte des Auges" hängt von der optischen Beschaffenheit des Auges und vom Unter- scheidungsverraögen der Netzhaut ab. Je besser die optische Leistung des Auges, desto schärfer ist das Bild auf der Netzhaut und je schärfer das Unterscheidungsvermögen der Netzhaut, desto genauer können Einzelheiten des Bildes Avahrgenommen werden. Nach praktischen Gesichtspunkten hat man indessen unter der Be- zeichnung „Sehschärfe" einen ganz genau abgegrenzten Begriff ein- geführt, der diese Unterscheidung nicht berücksichtigt. Als „Seh- schärfe" im augenärztlichen Sinne bezeichnet man nämlich den- jenigen Grad des ünterscheidungsvermögens überhaupt, der be- stehen bleibt, nachdem die gröberen optischen Fehler des betreffen- den iVuges, wie Kurzsichtigkeit, oder Astigmatismus, mit Hülfe von Brillen beseitigt worden sind. Man prüft die Sehschärfe, indem man die Entfernung feststellt, in der Buchstaben von bestimmter Form und Grösse, die sogenannten Snellen'schen Sehproben, eben noch erkannt werden können. Als Maasseinheit hat man die Entfernung festgesetzt, in der die Höhe der Buchstaben dem Auge. .unter einem Winkel von 5 Bogenrainuten erscheint. Beträgt diese Entfernung für eine bestimmte Buchstaben- grösse, die auf den gebräuchlichen Tafeln gleich mit No. 6 be- zeichnet ist, 6 m, und vermag das untersuchte Auge die Buchstaben erst bei Annäherung bis auf 3 m zu erkennen, so ist seine Seh- schärfe = 7fi oder Ya- ^^^f *^liese Weise bestimmt, entspricht die Sehschärfe 1 ungefähr der Durchschnittsleistung und man spricht deshalb auch von „normaler ; Sehschärfe", obwohl viele Augen eine Sehschärfe zeigen, die das festgesetzte Norraalmaass weit über- trifft, und einem durchaus normalen Auge offenbar der höchste Grad erreichbarer Sehschärfe zukommen muss. Wirkungen des Lichtes auf die Netzhaut. Endlich ist die Betheiligung der Stäbchen und Zapfen beim Zustandekommen der Lichtempfindung unmittelbar dadurch zu erweisen, dass bei Lichteinfall an ihnen Veränderungen vorgehen. Ln mikroskopischen Bilde unterscheidet sich die Netzhaut eines im Dunkeln gehaltenen Thieres deutlich von der eines bei Tageslicht gehaltenen. In der belichteten Netzhaut liegen die Zapfen dicht an der Membrana limitans externa, durch einen weilen Zwischenraum von der Chorioidea getrennt. In der Netzhaut eines im Dunkein gehaltenen Thieres findet man dagegen die Aussen- Wirkungen des Lichtes auf die Netzhaut. 635 glieder der Zapfen fadenförmig verlängert, so dass die Zapfen selbst weit über die Membrana limitans externa hinaus bis an die Grenze zwischen Retina und Chorioidea vorgeschoben sind, wie es Fig. 97 darstellt. Zugleich ist ein noch viel auffälligerer Unterschied an den Pigmentzellen der Grenzschicht zwischen Chorioidea und Netz- haut wahrzunehmen. In der belichteten Netzhaut erstrecken sich zahlreiche Fortsätze der Pigmentzellen weit zwischen Stäbchen und Zapfen hinein, während in der unbelichteten die Pigmentzellen eine gleichförmige Schicht dicht an der Chorioidea bilden. Diese Unterschiede sind am besten bei Fröschen und Fischen, weniger deutlich auch an Säugethieren nachzuweisen. Bemerkens- . Werth ist, dass bei einem im Dunkeln gehaltenen Thier, dessen eines Auge dem Lichte ausgesetzt worden ist, beide Netzhäute das Bild des belichteten Zustandes geben. Durch Zerstörung des Gehirns wird dieser Zusammenhang unterbrochen. Betrachtet man die aus dem Auge eines im Dunkeln ge- haltenen Frosches entfernte Netzhaut bei Tageslicht, so sieht man, dass sie anfänglich carminroth gefärbt ist, im Laufe einiger Minuten aber bräunlichgelb und dann farblos wird. Diese Erscheinung lässt sich bei allen Wirbelthieren, den Lancettfisch ausgenommen, nachweisen. Sie beruht darauf, dass die Stäbchen einen eigen- thümlichen, im Licht ausbleichenden Farbstoff, den „Sehpurpur", enthalten. Durch Lösungen der Gallensäuren kann man den Seh- purpur aus der Netzhaut ausziehen, durch Alaun kann seine Färbung fixirt werden. Es ist klar, dass der Sehpurpur in der Netzhaut überall da, wo er vom Licht getroffen wird, ausbleicht und dass dadurch auf der Netzhaut eine Art photographischen Bildes und zwar ein Positivbild entstehen muss. Thatsäclilich hat man solche Bilder aus Froschaugen fixirt, auf denen die hellen Fensterflächen und die dunkelen Fensterkreuze des Laboratoriumsraumes zu sehen waren. Es lässt sich ferner nachweisen, dass sich der Sehpurpur, wenn die Netzhaut mit der Chorioidea im Zusammenhang belassen ist, nach dem Ausbleichen in kurzer Zeit wieder herstellt. Die Bleichung des Sehpurpurs ist ein sicheres Zeichen, dass das Licht in den Stäbchen chemische Wirkungen ausübt. Auf welche Weise diese Wirkung mit der Nervenerregung zusammen- hängt, die von den Stäbchen ausgeht, ist noch unbekannt. Die Thätigkeit der Netzhautelemente ist auch durch eine elektromotorische Wirkung nachzuweisen. Legt man den aus- gescimittcnen Augapfel eines im Dunkeln gehaltenen Frosches in einem dunkeln Raum zwischen zwei Elektroden, sodass die eine die Vorderfläche, die andere die Hinterfläche berührt, und A^erbindet die Elektroden mit einem Galvanometer, so findet man, dass ein Strom vom Augengrund zur Cornea besteht, den man als Ruhestrom bezeichnen kann. Lässt man nun Licht auf die Pupille fallen, so steigt der Strom im ersten Augenblick schnell an und fällt dann mit abnehmender Geschwindigkeit bis fast auf Null ab. Es lässt 636 Nachbild. sich (.liircli passende xU'nderung der Versuchsbedingiincen beweisen, dass diese Stromschwankung Üiatsächlicli durch die Tiiätigkeit der Netzhaut bedingt ist. Nachbild. Eine sehr wiclitige Eigenthümlichkeit des Auges, die oll'enbar mit der Art zusammenhängt, wie die Eregung in der Netzhaut entsteht, ist die Erscheinung der Nachbilder. Es ist be- kannt, dass, wenn man eine Zeit lang in die Sonne gesehen hat und dann ins Dunkele sieht, ein lieiler Fleck vor den Augen zu stehen scheint. Dieser Fleck ist das Nachbild der Sonne und zwar, solange er hell erscheint, das „positive Nachbild". Nacli einiger Zeit erscheint statt des hellen Fleckens ein dunkler, der als „negatives Nachbild" bezeichnet wird. Unter geeigneten Bedin- gungen kann man auch bei beliebigen schwächeren Gesichtsein- drücken eine Nachwirkung erkennen, man pflegt aber in diesen Fällen nicht die Bezeichnung Nachbild anzuwenden, sondern man spricht vom „Abklingen" des Gesichtseindruckes. Eine befriedigende Erklärung für die Erscheinung des Nach- bildes lässt sich nicht geben, sie ist aber deswegen wichtig, weil sie die Wahrnelimung äusserer Vorgänge wesentlich beeinflusst. Wird ein leuchtender Punkt im Dunkeln schnell am Auge vorbei bewegt, so fällt sein Bild, ehe das Bild an der Stelle der Netzhaut, wo er zuerst abgebildet wurde, geschwunden ist, infolge seiner schnellen Bewegung auf eine ganze Reihe anderer Netzhautstellen, und man sieht statt des bewegten Lichtpunktes einen längeren oder kürzeren zusammenhängenden Strich. Ebenso erklärt es sich, das ein schnell im Kreise geschwungener Gegenstand oder ein rollendes Rad in Form einer zusammen- hängenden Fläche gesehen wird, weil an jeder Stelle ein neuer Gesichtseindruck entsteht, ehe das Nachbild der ersten ge- schwunden ist. Durch das Nachbild wird auch verständlich, dass man bei einem ausserordentlich kurzen Lichteindruck, etwa bei der Be- leuchtung durch einen elektrischen Funken oder durch einen Bbtz, ganz umfassende Gesichtswahrnehraungen machen kann. Man .sieht eigentlicli nicht die auf nur etwa ein Millionstel Secunde beleuclitcte Umgebung selbst, sondern das durch sie hervorgebrachte Nachbild auf der Netzhaut, das viel längeren Bestand hat. Wie lange das Nachbild unter gewöhnliclien Bedingungen etwa anhält, kann man daraus entnehmen, dass ein Gegenstand nur etwa •20—25 mal in der Secunde sichtbar zu werden braucht, um als fortwährend vorhanden zu erscheinen. Die Zinken einer Stimmgabel, die 25 Schwingungen in der Secunde macht, erscheinen um ihre Schwingungsbreite verdickt. Stroboskop. Dies wird in dem .sogenannten Stmlioskop, in neuer Zeit auch im Kinemätographen dazu benutzt, durch eme Keihe einzelner feststehender Bilder eine Bewegung vorzutäuscheii. In seiner ältesten Form ist das Stroboskop auf Fig. 100 dargestellt. Auf einer rotirenden Scheibe sind im Umkreis Lücher eingeschnitten, Slroboskop. 637 die auf der Figur mit den Zahlen 1 — 12 bezeiclinel; sind. Unter jedem Loch ist auf der Scheibe ein Pendel in einer bestimmten Schwingungsphase gezeichnet, sodass auf die zwölf Löcher gerade eine Doppelschwingung entfällt. Stellt man sich mit dem Strobo- skop vor einen Spiegel und sieht durch die Löcher nach dem Fig. 100. stioboskopiscljo Scheibe. Spiegelbild des obersten Pendels, während die Scheibe zwei bis drei Umdrehungen in der Secunde macht, so entsteht auf der Netz- haut jedesmal, wenn ein Loch vor dem Auge vorbeikommt, also gegen 30 mal in der Secunde, das Bild des Pendels, jedesmal in einer etwas veränderten Stellung. Ist die Veränderung jedes fol- genden Bildes nicht zu gross, so verschmilzt es mit dem Nachbild des vorhergenden zu dem Eindruck einer zusammenhängenden Bewegung. Die kinematographis(;he Aufnalime zerlegt gewisser- massen eine zusammenhängende Bewegung in Einzelbilder, die sich bei der kinematographischen Vorführung genau wie die Bilder des Stroboskops wieder zu dem Eindruck einer zusammenhängenden ßew^egung vereinigen. Adaptation. Die Thätigkeit des Sehorgans ist fei-ner auf die Grenzen zu untersuchen, innerhalb deren Reizgrössen und Reiz- unterschiedc empfunden und unterschieden werden. Sehr starke Lichtreize rufen bekanntlich das unangenehme Gefühl der Blendung hervor. Schon hierbei ist zu bemerken, dass durchaus nicht immer dieselbe absolute Helligkeit erloi-derlich ist, um in gleich starkem Grade die Empfindung d^s Geblendetwerdens zu erzeugen. Wenn 638 Adaptation. man aus einem dunklen Raum ins Zimmer tritt, wird man von einer Lichtmenge geblendet, die einem wenige Minuten später als nur massige Helle erscheint. Die Liclitempfindung ist also ein höchst unsicherer Maassstab für die absolute Helligkeit. Dagegen ist die Unterscheidungsempfindlichkeit innerhalb ausser- ordentlich weiter Grenzen so fein ausgebildet, dass die Helligkeit eines grauen Feldes schon geändert erscheint, wenn sie nur um V200 vermehrt oder vermindert wird. Sucht man die absoluten Helligkeitsgrade festzustellen, die das Auge wahrnehmen kann, so stösst man auf dieselbe Unsicherheit, die eben in Bezug auf die Blendung erwähnt worden ist. Wenn man aus einem hellen in einen halbdunkeln Raum kommt, vermag man zuerst nichts zu sehen, die Reizschwelle für das Auge liegt also hoch, nach einiger Zeit aber erkennt man die Umgebung ganz deutlich. Man nennt diese Fähigkeit des Auges, seine Empfindlich- keit der herrschenden Beleuchtung anzupassen, die Adaptations- fähigkeit des Auges. Man könnte nach dem, was oben über die Regulirung des Lichteinfalls durch die Verengung der Pupille ge- sagt ist, daran denken, dass die Adaptation im wesentlichen auf der Aenderung der Pupillenweite beruhe. Da die Pupillenöifnung bei grösster Erweiterung etwa 10 mm, bei stärkster Verengerung etwa 1,5 mm mm Durchmesser hat, kann durch Erweiterung der Pupille die einfallende Lichtmenge im günstigsten Fall auf etwa das 40fache vermehrt werden. Es zeigt sich aber, dass die Emp- findlichkeit des Auges nach längerem Aufenthalte im Dunkeln viele tausendmal grösser ist, als nach Aufenthalt in hellem Licht. Dies wird durch folgenden Versuch festgestellt: In einem sonst völlig dunkeln Raum befindet sich ein Fenster, das von aussen mit einer genau abstuf baren Lichtmenge beleuchtet werden kann. Die Be- leuchtung rauss fast bis auf Null abgeschwächt werden können. Man lässt nun eine Versuchsperson, die unmittelbar aus möglichst hellem Licht in den Raum gegangen ist, den Beleuchtungsgrad feststellen, bei dem sich das Fenster eben von der dunkeln Um- gebung unterscheidet. Nachdem dann die Versuchsperson sich eine Stunde lang im Dunkeln aufgehalten hat, erkennt sie das Fenster schon bei einer 100 000 mal geringeren Helligkeit. Die Adaptation ist also eine Zustandsänderung der lichtempfin- denden Elemente selbst, die das hervorragendste Beispiel von der sogenannten „Umstiramung" der Sinnesorgane darbietet. Man liat nun gefunden, dass zugleich mit der Zunahme der Lichtempfind- lichkeit des dunkelada|)tirten Auges eine Reihe anderer Verände- rungen eintreten, die es wahrscheinlich machen, dass im hell- adaptirten und dunkeladaptirten Auge die Liclitemitfindung von verscliiedenen Netzliautelcmenten ausgeht. Diese Veränderungen l)etrolTen theils die örtliche Vertheilung der Lichfemplindlichkeit, thcils die Wahrnclimung der Farben bei schwacher Beleuchtung, und führen auf die Annahme, da,ss im helladaptirlen Auge Vorzugs- Die Farben. 639 weise die Zapfen, im diinkeladaptirten ausschliesslich die Stäbchen thätig sind. Die Farben. Im obigen ist nur von der Lichterapfindung im Allgemeinen, und von Unterschieden in der Quantität, das heisst in der Stärke des Lichts die Eede gewesen. Die Liclitempfindungen sind aber gerade dadurch besonders ausgezeichnet, dass sie ausser- ordentlich viele verschiedene Qualitäten, nämlich die Farbenunter- schiede, zeigen. Bekanntlich ist das sogenannte weisse Licht ein Gemisch von Licht verschiedener Wellenlängen, und die Lichter verschiedener Wellenlängen rufen im Sehorgan verschiedene Empfindungen hervor, die als Farbenempfindungen bekannt sind. Ln Spectrum sind die Lichter durch die obenerwähnte Farben- zerstreuung nach ihrer Wellenlänge geschieden. Da sich die Wellen- länge von einer Stelle des Spectruras zur nächsten nur wenig ändert, so darf man das Licht in jedem einzelnen nicht zu grossem Ab- schnitt des Spectrums als aus Strahlen gleicher Wellenlänge bestehen- des „monochromatisches" Licht ansehen. Die verschiedenen monochromatischen Lichter, die sich physi- kalisch durch ihre Wellenlänge unterscheiden, wirken physiologisch als verschiedene Farben. Farbenmischung. Die Farben können also vom physika- lischen Staudpunkt aus einfach als Lichter verschiedener Wellen- länge betrachtet werden. Dann bilden sie eine fortlaufende Reihe mit stetiger Veränderung der Wellenlänge. Sie können aber auch vom physiologischen Standpunkt aus, das heisst nach der Empfin- dungsqualität betrachtet werden, und bilden dann eine ganz andere unregelmässige Keihe, nämlich die der 7 Spectralfarben. Physiolo- gisch betrachtet, kommen den Spectralfarben noch besondere Eigen- schaften zu, für die die physikalische Beschaffenheit des Lichtes keine Erklärung giebt. Eine solche Eigenschaft der Farben ist die, dass die gesammten Spectralfarben, im zusammengesetzten Licht gemischt, die Empfindung Weiss geben, ebenso dass einzelne Farben, mit einander vermischt, als besondere neue Mischfarben erscheinen, und anderes mehr. Wenn in Folgendem schlechthin von Farben die Rede ist, so ist darunter immer das farbige Licht des Spectrums zu verstehen. Um Farben zu mischen giebt es verschiedene Verfahren. Man kann durch verschiedene Prismen mehrere Spectra erzeugen, und diese so gegeneinander anordnen, dass die Farben des einen mit andern Farben des andern zusammenfallen. Zu diesem Zwecke sind ver- schiedene, sogenannte Farbenmischapparate angegeben worden, die es zugleich gestatten, je zwei Mischfarben nebeneinander herzustellen, und mit einander zu vergleichen. Ein einfacheres Verfahren, das sich zugleich zur Demonstration eignet, besteht darin, dass man die Farbeneindrücke, die durch bunte Papiere hervorgerufen werden, mit Hülfe des Farbenkreisels zur Mischung bringt. Man befestigt auf dem Farbenkreisel zum 640 Farbenmischung. Beispiel ein rundes Blatt; weissen Pa|)icrs, das radial aufgesclinittf-n ist, und schiebt ein ebensolches Blatt schwarzen Papiers zur Iläilte darunter. Die Platte des ruhenden Kreisels erscheint dann ihrem Durclimesser nach in eine schwarze und eine weisse Hälfte ge- theilt. Setzt man nun den Kreisel in schnelle Dreiiung, so mischen sich in Folge der Nachbilder im Auge Schwarz und Weiss zu einem gleiclifürmigen Grau. Schiebt man das schwarze Papier um mehr als 180° unter das weisse, so erhält man eine Mischung, in der weniger Schwarz enthalten ist, also ein helleres Grau. So kann man mit zwei oder mehr Farbenpapieren Mischungen in jedem Verhältniss hervorrufen. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Versuche sind folgende: Die Miscliimg aller Spectralfarben in dem Verhältniss. in dem sie im S|)ectrum enthalten sind, ergiebt die Empfindung Weiss. Dies versteht sich von selbst, da ja die Spectralfarben nur aus der Zerlegung des weissen Lichtes hervorgegangen sind. Die Mischung von je zwei nahe aneinander gelegenen Farben ergiebt in der Regel eine Farbe, die im Spectrum zwischen den beiden Farben gelegen ist. Für die beiden Endfarben des Spectrums ist die Mischfarbe Purpur, das im Spectrum nicht vorkommt. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Gesichtsempfindung wesentlich von der Tonempfindung, denn zwei Töne von verschie- dener Höhe geben einen Zusammenklang, der von jedem mittleren Ton durchaus verschieden ist. Für jede Mischfarbe Lässt sich eine völlig gleiche Farbe durch Mischung weissen Lichtes mit einer passenden einfachen Spectral- farbe herstellen. Man bezeichnet das reine monochromatische Licht als gesättigt, und nennt solche Farben ungesättigt, die eine Bei- mischung von Weiss enthalten. Jede Mischfarbe ist also gleich einer bestimmten ungesättigten Spectralfarbe. Es kann also dieselbe Farbenerapfindung durch je zwei ver- schiedene Mischungen hervorgerufen werden. Diese Thatsache hat eine grosse praktische Bedeutung, denn sie gewährt ein Mittel, mit grosser Genauigkeit festzustellen, ob ein Individuum normale oder anomale Farbenempfindung hat. Die beiden Felder eines Farben- mischapparates werden nämlici) dem normalen Auge gena\i gleich erscheinen, wenn zum Beispiel das eine mit einer bestimmten Mischung von Roth und Grün, das andere mit einem ungesättigten Gelb beieuchtet ist. Für ein Individimm, dessen Farbenempfindungen für Roth und Grün nicht genau normal ist, sehen aber die beiden Felder ganz verschieden aus. Coraplementärfarben. Bestimmte Farbenpaare geben l»oi ihrer Mischuns nicht eine Mischfarbe, sondern reines Weiss, l'a die Gesammlheil der Spectralfarben gemisciit Weiss ergiebt. so ist klar, dass jede einzelne Farbe, gemischt mit derjenigen Farbe, die aus der Mischung aller anderen Farben entsteht, wieder Weiss geben muss. Dadiircii entsteht zwischen bestimmten Farbenpaaren ^ine eigenthümlichc Wechselbeziehung. Wenn man zum Heispiel Complenientärfarben. 641 aus dem Spectrum das Roth fortlässt, und die übrigen P'arben misclit, so erhält man als Mischfarbe ein Grün, das in ganz genau demselben Ton auch an einer bestimmten Stelle des Sj)ectrums als einfache Farbe vorhanden ist. Wenn man also dieses einfache Grün mit Roth mischt, muss sich die Mischung ebenso zu Weiss ergänzen, als hätte man das ganze Spectrum vermischt. AVas hier von Grün und Roth gesagt ist, gilt ebenso für die anderen Farben. Orange und Cyanblau, Gelb und Indigo, Grüngelb und Violett, Grün und Purpur geben gemischt AVeiss. Da je zwei solche Farben einander gewissermaassen zum ganzen Spectrum ergänzen, nennt man sie „Coraplementärfarben". Die Complenientärfarben zeichnen sich durch die auffällige Eigenschaft aus, scheinbar einander gegenseitig hervorzurufen. Legt man ein rothes und ein grünes Papier aneinander und quer über die Grenzlinie einen schmalen Streifen weissen Papiers imd bedeckt das Ganze mit durchscheinendem Pauspapier, so sieht die Hälfte des Streifens, die auf dem rothen Felde liegt, grün- lichgrau, die, die auf dem grünen liegt, röthlichgrau aus. Bei untergehender Sonne, wenn die Umgebung röthlich bestrahlt wird, er- scheinen die Schatten blau. Diese Erscheinungen sind durch die sogenannte Contrastwirkung zu erklären, auf die erst weiter unten eingegangen werden soll. Man bezeichnet sie auch als „Farbeninduction". Bei der Farbenwirkung von Gemälden, Decorationen und Be- kleidung spielt die Einwirkung der Corapleraentärfarben auf ein- ander eine grosse Rolle. Theorie der Farbenempfindung. Die Lehre von den Farbenmischungen bildet die Grundlage für das Verständniss der Farbenwahrnehmung überhaupt; Es ist oben angegeben Avorden, dass die Lichtvertheilung auf der Netzhaut der der Aussenwelt entspricht, und dass, indem jeder Punkt der Netzhaut dui'ch das auf ihn fallende Licht in bestimmtem Maasse erregt wird, die Lichtvertheilung der Aussenwelt sich dem Bewusstsein mit;theilt. Es wird aber nicht nur die Lichtvertheilung, sondern auch die Farbe für jeden Punkt der Aussenwelt wahrgenommen. Dies wäre einfach zu verstehen, wenn man annehmen dürfte, dass jeder Punkt der Netzhaut nicht nur nach dem Maasse des ihn treffenden Licht- leizes, sondern auch je nach der auf ihn treffenden Farbe in ver- schiedener Weise erregt würde. Da es aber zahllose Farbenab- slufimgen gicbt, die von derselben Stelle der Netzhaut aus wahr- genommen werden können, da ferner, wie bei der Besprechung der specifischen Energie der Sinnesnerven hervoi'gehoben AVOrden i.st, die lirregung der Nervenfasern nur dei- Stärke und nicht der Art nach verschieden ist, müsste man dann annehmen, dass von einem l\inkte dei' Netzhaut zahllose verschiedene Bahnen nach dem Cenlralorgan führten, die die verschiedenen Farbenempfindungen auslösen könnten. Diese Annahme ist selb.stverständlich unhaltbar. H. du liois-Reyniond, Physiologie. 642 Theorie der Farbenempfindung. Domgegeniibor lehrt die Young-Helniholtz'sche Theorie dci- Farbencniplindung, dass jedem farbencraplindcnden Punkt der Netz- haut nur drei verschiedene Grundempfindungen, das heisst drei Arten Erregung zukämen, aus denen die gesammte Stufenleiter ■der Farbenemplindungen zusammengesetzt werde. Jede dieser Gründern pfindungen wird durch Strahlen von allen verschiedenen Wellenlängen, also durch Licht von jeder Farbe des Spectrums in gewissem Masse erregt, am stärksten von einer bestimmten „Gi'und- farbe", schwächei' von den benachbarten Farben, am schwächsten von denen, die von der Grundfarbe am weitesten entfernt sind. Welche Farben als Grundfarben angenommen werden, ist für die Theorie gleichgültig, vorausgesetzt, dass sie alle drei zusammen- gemischt Weiss ergeben. Man pflegt nach dem Vorgange von Helraholtz die Endfarben des Spectrums Roth und Violett, und eine mittlere Farbe, Grün, als Grundfarben anzunehmen. Die Erregbarkeil jeder farbenempfindenden Netzhautstelle für alle Farben des Spectrunis ist nach dieser Auffassung in dem beifolgenden Schema dargestellt, auf dem die Erregbarkeit durch die Höhe von unmittelbar in das Spectrura eingezeichneten Curven angegeben ist. Fig. lül. R O 6 Gr. Bl. V. Soheraatisclie Darstellung der Erregbarkeit der Netzhaut durch die Grundfarben (nach Helmholtz). Die Grundempfindung Eoth wird fast ausschliesslich von den rothen, schwächer von den mittleren, nur ganz schwach von den blauen und violetten Strahlen erregt. Die Grundempfindung grün wird schwach von den Endstrahlen, am stärksten von den Mittel- strahlen des Spectrums erregt. Die Grundempfindung Violett ver- hält sich umgekehrt wie Roth. Triift nun Licht von irgend einer Farbe, zum Beispiel rotiies auf einen Netzhautpunkt, der mit diesen drei Arten Erregbarkeit ausgestattet ist, so ist klar, dass fast ausschliesslich die Rotli- erapfindung erregt werden wird. Ist die Farbe Orange, so wird die Rothempfindung schwächer sein, und es wird sich ihr ein ge- wisser Grad von Grünempfindung beimischen, nebst einem noch geringeren Grade von Blauempfindung. So entspricht jeder mög- lichen Mischfarbe auch eine ganz bestimmte Art der Erregung. Fällt weisses Licht ein, so werden alle drei Grundemplindungen in gleicliem Maasse erregt. Auf diese Weise lässt sich die Farbenempfindlichkeit für jeden Netzhautpunkt auf bloss drei Arten verschiedener Erregbarkeiten Farbenblindheit. 643 ziiriiekführen, die allerdings jede ihre besondere Entstehung und ihre besondere Leitung haben müssen. Eine ähnliche Vereinfachung des Vorganges der Farbenerapfin- esprechung der Innervaiion des Auges angegeben wurde, isl ilie Tliätigkeil der Augenmuskeln in der Weise conjugirt, dass die Augen sich zwangs- niässig miteinander bewegen. Wird ein Auge verdeckt, wälu-end das andere einem bewegten Gegenstand folgt, so macht es die Be- wegung mit, gleichviel in welcher Richtung. Die Bewegungen sind immer so, dass die Blickaxe des Auges hinter dem Scliirm auf den Gegenstand gerichtet bleibt. Wenn zum Beispiel das rechte Auge verdeckt ist und das linke einem Gegenstand folgt, der von links nach rechts vorbeigeht, so machl die rechte Blicklinie die Bewegung von links nacli rechts mit. Wird der Gegenstand in der Mittelebene zwischen beiden Augen auf die Nase zu bewegt, so macht das linke Auge abermals eine Bewegung von links nach rechts um dem nähcrkommendenGegenstand zu folgen, dabei aber macht das rechte Auge hinter seinem Schirm eine Bewegung von rechts nach links und bleibt also auf den näherkommenden Gegenstand gerichtet. Obschon also beide Augen zum Zwecke des gemeinsameiv Fixirens bald, gleiche, bald entgegengesetzte, Bewegimgen machen, sind ihre Bewegungen doch nie von einander unabhängig. Kie sieht man, dass eine Blicklinie gehoben und die andere gesenkt wird oder umgekehrt, und niemals findet eine Divergenz der Augcnaxen statt. Zu dieser zweckmässigen Verbindung der Augenmuskelinnei- vation kommt nun noch ein wichtiger Punkt hinzu, dass näjulich, da die Blicklinien immer nur dann merklich convergcnt sind, Avenn die Blicklinien beide auf einen nalien Punkt gerichtet sind, auch die Accommodation mit der Convergenz bis zu einem gewissen Grade zwangsmässig verknüpft ist. Man kann sich zwar einüben, mit beiden Augen nach innen zu schielen, ohne gleichzeitig zu accommo- diren, man kann auch, wie oben erwähnt wurde, die Accommodation unabhängig von den Augenbewegungen nach Belieben einstellen,^ aber von solchen ungewöhnlichen Fällen abgesehen, ist normalei-- weise Convergenzbewegung der Augen mit Accommodation und \'er- engerung der Pupillen associirt. Dieser ganze Slechanismus tritt beim Sehen unwillkürlich in Thätigkeit. Indem man irgend einen auffallenden Gegenstand im Ge- sichtsfeld wahrnimmt, werden beide Blickaxen sofort auf ihn gerichtet, und zugleich die erforderliche Accommodation angenommen. Aus dieser so fein ausgebildeten Einrichtung ist zu ersehen, wie sehr das Sehen mit der Netzhautgrube das Sehen mit seitlichen Netz- haut|nmkten an Bedeutung übertrifft. Man kann aucli daraus, dass vorzugsweise mit beiden Netzhautgruben gesehen wird, erklären, warum im allgemeinen keine Doppelbilder auftreten. Horopter. Es könnte zwar scheinen, als sei durch die be- schriebene Verknüpfung der Augenbewegungen schon die Gewähr Horopter. ijcgcbcn, dass derselbe Punkt immer auf correspondirenden Neiz- hauLpunkten abgebildet werde; es lässt sicli aber bei genauerer Betrachtung der Augenstellungen nachweisen, dass dies ^durchaus •niciit der Fall ist. Wenn man von den kleinen Unregelnicässigkeiten im Bau und Bewegung der Augen absieht, ist es eine rein geometrische Auf- gabe, festzustellen, welche Punkte bei einer beliebigen Stellung der Augen auf identischen Netzhautstellen abgebildet"^ werden. "Man nennt den geometrischen Ort aller dieser Punkte den „Horopter". Auf der Fig. 106 ist die Stellung der Augen dargestellt, bei ^ besteht also aus einer Kreislinie und einer senkrechten geraden Linie. Alle anderen Punkte des Raumes bilden sich nicht Fig. 106. R Horopterkreis des Mensolien. Stereoskop. 655 auf correspondirendon Punkten cab und miissten, wenn .sie deutlich walirgenommen würden, in Doppelbildern wahrgenommen werden. AVenn man diese geringe Ausdehnung des Iloropters mit der des ganzen Gesichtsfeldes vergleicht, erscheint es wunderbar, dass über- haupt eine. Vereinigung der beiden Netzhautbildcr zu einer körper- lichen AVahrnehmung möglich ist. Es lässt sich indessen zeigen, dass infolge der Gewöhnung ein förmlicher Zwang für das Seh- organ besteht, auch abweichende Doppelbilder, wenn sie nur einiger- maassen dazu geeignet sind, als von Einem körperlichen Gegen- stand herrührend aufzufassen. Stereoskop. Dies zeigt sich sehr deutlich an der Wirkung der stereoskopischen Bilder. Wird eine abgestumpfte Pyramide (Fig. 107), die mitten zwischen beiden Augen auf einem Tisch Fig. 107. Ansiclit iter Pyramide P fUr das rechte und linke Auge. steht, von oben her betrachtet, so sieht offenbar das linke Auge von seiner Stelle aus die Pyramide in der Form wie sie in der Mitte der Figur, mit L bezeichnet, dargestellt ist, und das rechte Auge sieht sie so wie sie rechts, mit B bezeichnet, dargestellt ist. Grade vermöge ihrer Verschiedenheit fallen die Bilder nahezu auf correspondirende Netzhautstellen, aber doch nicht A'oUkommen. Dass trotzdem eine völlige Vereinigung stattfindet, geht daraus Fig. 108. Slerooskop. hervor, dass man durch zwei künstlich licrgestcUte flächenhaflc liildcr wie L und R der Fig. 107 den zwingenden Eindruck eines körperlichen Gegenstandes liervorrufen kann, wenn man jede an der Stelle vor das betreffende Auge stellt, wo das Bild eines von beiden Augen gesehenen Körpers erscheinen müsste. Da nun ein solcher Körper nur eine kleine Stelle zwischen den beiden Augen einnehmen würde, die Abbildungen aber jede so gross sind wie der Körper, so bedarf es dazu eines optischen Hülfsmittels, des Stereoskops. Fig. 108 stellt die älteste Form des Stereoskops, das Wh eats tone 'sehe Spiegelstereoskop dar, in dem die beiden Bilder Ic und g durch zwei Spiegel a h und h c den Augen L und R so gezeigt werden, als kämen sie von dem gemeinsamen Punkt i. Heut zu Tage ist allgemein das Prismenstereoskop im Gebrauch, das in Fig. 109 dargestellt ist. Das Stereoskop wird meist nur des ästhetischen Genusses Fig. 109. r L n Prismenstereoskop. wegen angewendet, den die vollendete körperliche Darstellung von Landschaften und Kunstwerken gewährt. "Wenn aber die beiden Ansichten nach der Natur photograpliisch aufgenommen sind, so kann die durcli das Stereoskop gewonnene Tiefen Wahrnehmung ein zuverlässiges Hilfsmittel für die Forschung sein. So hat man die gegenseitige Lage von Knochen durch stereoskopische Röntgenbilder anschaulich gemacht. Bei der natürlichen Ansicht eines entfernten Körpers weichen die P.ilder in beiden Augen so wenig von einander ab, dass die Wettstreit der Sehfelder. 657 Ticrcnwahrnchniung unsicher wird. Bei der Aufnahme stcreosko- pischcr Bilder ist man au keine solche Grenze gebunden, man kann also Ansichten von zwei Punkton herstellen, die viel weiter auseinander liegen als die Augen. Wenn solche Bilder niitcinander vereinigt werden, so erscheinen die Tiefendimensionen übertrieben. Dieselbe Wirkung kann unmittelbar beim Sehen durch das Telc- stercosko|) von Hclmholtz erreicht werden, in dem durch passend gestellte Spiegel die Blickrichtung jedes Auges erst ein Stück nach aussen, und dann erst nach vorn gelenkt wird. Dies ist gleich- bedeutend mit einer künstlichen Vcrgrösserung des Augenabstandes, und hat die Wirkung, dass die Tiefenausdehnung aller gesehenen Gegenstände stark übertrieben erseheint. Bei bekannten Gegenständen, zum Beispiel beim Gesicht eines Menschen, wird dieser Eindruck durch die Erfahrung überwogen, streckt aber die betreffende Person die Hand aus, so erscheint der Arm übermässig lang. Der dem Telestereoskop zu Grunde liegende Gedanke ist in neuerer Zeit benutzt worden, um h]ntfernungsmcsser herzustellen. Wahrnehmung mit getrennten Sehfeldern. AVenn den beiden Augen ganz verschiedene Bilder dargeboten werden, so entsteht der sogenannte „Wettstreit der Sehfelder", indem sich die stärksten Lichteindrücke aus beiden Sehfeldern durcheinander mischen. Es kann auf diese Weise geradezu ein scheckiges aus den beiden verschiedenen Bildern zusammengesetztes Bild wahr- genommen werden. Ist eins der Bilder heller als das andere, so pflegt es zu überwiegen, wenn nicht die Aufmerksamkeit besonders auf das andere gelenkt wird. Bei den meisten Menschen besteht die Neigimg, das Bild eines der Augen vor dem des andern zu bevorzugen. Man gewöhnt sich zum Beispiel beim Mikroskopiren nur das mikroskopische Bild wahrzunehmen, obgleich das andere Auge offen ist, und alle Lichleindrücke der Umgebung aufnimmt. Sieht man mit einem Auge ins Mikroskop, mit dem andern auf ein daneben liegendes Blatt Papier, so entsteht Wettstreit der Sehfelder und man sieht die deutlichen Züge des mikroskopischen Bildes auf der Papierfläche. Man kann dann auch eine Bleistift- spitze, die man auf das Papier bringt, sehen, und mit ihr das scheinbar auf dem Papier liegende mikroskopische Bild nachzeichnen. Optische Täuschungen. Die Gesichtswahrnehmungen, die auf die beschricijcne Weise zu Stande kommen, können durch verschiedene Eigenthümlichkeiten des Sehorgans unabhängig von den äusseren Jiedingungen verändert werden. Die Unvollkommenheiten des Auges als optischen Apparats bringen solche Aenderung der (lesichtseindrücke hervor. K\n Fix- stern zum Beispiel müsste im Auge ebenso wie auf einer guten photographischen Aufnahme als kleiner scharfer Lichtpunkt er- scheinen. In AVirklichkeit sieht man stets einen undeutlichen Lichtfleck, der längere und kürzere Strahlen nach verschiedenen Seiten aussendet. Diese Erscheinung hat zu der allgemein üblichon R. ilu Bois-Reymond, Physiologie. 42 658 Contrastwirkung. seesternförmigen Darstellung der Sterne geführt. Sie erklärt sich daraus, dass selbst in den besten Augen ein gewisser Grad von Unregelmässigkeit der Brechung, ein unrcgelmässiger Astigma- tismus besteht, durch den das I3ild des Punktes verwaschen und nach einzelnen Richtungen ausstrahlend erscheint. In vielen Augen sind die Augenmedien an einzelnen Stellen merklich getrübt und obschon dies gewöhnlich ebenso wenig stört wie die Netzhautgefässe, die über die Netzhaut hinziehen, wird der Schatten solcher Trübungen unter bestimmten Beleuchtungs- bedingungen, insbesondere Avenn man eine gleichniässig schwach beleuchtete Fläche betrachtet, wahrgenommen. Die Ursache dieser Wahrnehmungen wird nach aussen verlegt und führt zu der Täuschung, als bewegten sich dunkle Flecken im Gesichtsfeld. Täuschungsfiguren. Auch in Fällen, in denen der Gesichts- eindruck vollkommen scharf und deutlich ist, kann die Wahr- nehmung dadurch gestört werden, dass sich mit dem Sinneseindruck eine falsche "Vorstellung verbindet, die zu Urtheilstäuschungen führt. Es sind eine grosse Anzahl solcher Täuschungen be- kannt, die bei allen Beobachtern auftreten und deshalb als all- gemeine physiologische Erscheinungen betrachtet w^erden müssen. Fig. 110. Fig. HO, die sogenannte Zöllner'sche Täuschungsfigur, giebt davon ein Beispiel. Die langen Linien sind einander genau parallel, scheinen aber gegeneinander schief zu stehen, weil das Urtheil durch die gleich- zeitig wahrgenommenen schiefen Linien beeinflusst wird. Contrastwirkung. Eine sehr wichtige Bedingung, die die Gesichtswahrnehmungen beeinflusst, bildet die Erscheinung des Contrastes. Vom Contrast ist schon oben bei der Besprechung der Sinne im Allgemeinen die Rede gewesen. Man bezeichnet als Contrastwirkung eine Veränderung, die in der Wahrnehmung einer Sinneserapfindung durch gleichzeitig oder vorhergegangene andere Empfindung bewirkt wird, und unterscheidet demnach zwischen Siraultancontrast und Successivcontrast. Sehr deutlich tritt die AVirkung des Successivcontrastes bei der Erscheinung der farbigen Nachbilder hervor. Sieht man lange starr auf ein weisses Gesichtsfeld mit einem rothen Fleck in der Mitte und richtet dann den Blick auf eine reine weisse Fläche, so Irradiation. Druckfigur. 659 erscheint auf dieser Fläche das Nachbild des rothen Fleckes, aber nicht roth, sondern blass bläulich grün. Ebenso rufen andere Farbeneindrücke Nachbilder von der dazu gehörigen Coraplementär- larbe hervor. Für diese Erscheinung lässt sich die einleuchtende Erklärung geben, dass die Stelle der Netzhaut, auf die längere Zeit hindurch eine bestimmte Farbe eingewirkt hat, für diese Farbe unempfindlicher geworden ist wie die Umgebung, und dass infolge- dessen bei der Nachwirkung des Gesichtseindruckes die Misch- empfindung aller übrigen Farbenerapfindungen, also die Compleraentär- farbe, wahrgenommen wird. Beim Simultancontrast, von dem bei der Besprechung der Coraplementärfarben ein Beispiel mitgetheilt worden ist, wirkt der Eindruck, der einen Theil der Netzhaut trifft, zugleich auf die anderen Theile. Man kann dies dadurch erklären, dass durch die starke Wirkung eines Eindrucks das ganze , Sehorgan eine Ura- stimmung erfährt, durch die es für den betreffenden Eindruck weniger, für andere Eindrücke also verhältnissmässig mehr empfänglich wird. Ein Contrast besteht auch zwischen weiss und schwarz, und bewirkt, dass ein und dasselbe Hellgrau, wenn es mit Schwarz um- rahmt ist, weiss, wenn es mit Weiss umrahmt ist, dunkelgrau erscheint. Irradiation. Ein Gegenstück zu den Contrasterscheinungen bildet die Irradiation, die darin besteht, dass die Grenzen zwischen hellen und dunkeln Theilen des Gesichtsfeldes zu Gunsten des hellen verschoben erscheinen. Es ist bekannt, dass eine schmale hellleuchtende Spalte von einem dunkeln Raum aus gesehen, breiter erscheint als sie wirklich ist. Legt man zwei genau gleich grosse Stücken schwarzen und weissen Papiers auf weissen und schwarzen Hintergrund, so erscheint das weisse Stück auf schwarzem Grund vergrössert, das schwarze auf weissem verkleinert. Hieraus erklärt sich die „schlankraachende" AVirkung schwarzer Kleidung. Diese physiologische „Irradiation" muss von den Vorgängen, die die Physiker als Irradiation bezeichnen, um so strenger getrennt werden, weil schwer zu unterscheiden ist, wieviel von der phy- siologischen Irradiation einfach physikalisch erklärt werden kann. An der Grenze heller und dunkler Felder tritt eine Zerstreuung des Lichtes ein, die sich zum Beispiel auf Photographien als so- genannter „Lichthof" oft nur allzu deutlich bemerkbar macht. Druckfigur. Endlich ist noch anzuführen, dass das Gesichts- organ ebenso wie die übrigen Sinnesorgane nicht allein durch seinen adaequaten Reiz, nämlich das Licht, sondern auch durch andere Reize erregt werden kann. Schon wenn man mit vollständig au.sgeruhtem Auge ins Dunkle starrt, nimmt man fortwährend allerlei flimmernde Lichterschei- nungen wahr, die als „Lichtnebel" bezeichnet werden. Man muss annehmen, dass diese durch ganz geringe zufällige Aenderungen im Erregungszustande der Netzhaut hervorgerufen werden, die durch die niemals völlig gleichen Bedingungen des Blutkreislaufs, des Gewebsdruckes und so fort bedingt sind. Uebt man bei ge- 42* 660 Sehen der Thiero. schlossenen Lidern einen leichten Druck mit dem Finger auf den Auga[)fcl, so erscheint sofort ein in den verschiedensten Farben leuchtender Flccl\, das „Druckphänoraen" vor dem Auge. Bei dauernder Einwirkung des Druckes ändern sich die Farben in be- stimmter Reihenfolge. Es ist bekannt, dass ein heftiger Schlag aufs Ange als ein heller Lichtblitz wahrgenommen wird. Dies ist nur ein besonderer Fall von der Anwendung des Gesetzes der speciüschen Sinnesenergie, nach dem alle Reize, die den Sehnerven erregen, als Licht empfunden werden müssen. Hallucination. Es ist schon bei der Besprechung der Hirn- rinde angegeben worden, dass die künstliche Reizung der Sehsphäre anscheinend ganz so wirkt, wie die normale phj'-siologische Er- regung vom Auge aus. Auf abnorme Erregung der Sehsphären, bei der das Auge gar nicht betheiligt ist, ist auch die pathologische Erscheinung der Gesichtshallucination zurückzuführen, bei der die Kranken beliebige nicht vorhandene Erscheinungen deutlich in der Aussenwelt zu sehen glauben. Clesichtswahrnehmungen der Thiere. Leber die Ge- sichtswahrnehmungen der Thiere liegen nur wenige zuverlässige Beobachtungen vor. Es muss indessen darauf hingewiesen werden, dass man ohne genauen Nachweis nicht ohne Weiteres annehmen darf, dass die Thiere schlechter als Menschen sähen, und ebenso- wenig auf Grund irgend welcher vereinzelter Beobachtungen annehmen darf, dass sie wesentlich besser sähen. Es wird mitunter die Be- hauptung aufgestellt, dass diejenigen Thiere, deren Sinne nach irgend einer anderen Richtung gut ausgebildet wären, dafür mangel- haftes Sehvermögen hätten. Thatsächlich verlässt sich ein Jagd- hund auf seine Spürnase, selbst wenn er das Wild in unmittelbarer Nähe vor Augen hat. Dies beweist aber nicht, dass der Hund schlecht sieht, sondern nur, dass er beim Spüren nicht zugleich Ausschau hält. Vom Pferde wird allgemein angegeben, dass es ein besonders gutes Sehvermögen habe. Hiermit ist in Zusammenhang zu bringen, dass in der Netzhaut des Pferdes zwei durch ihren Bau von den übrigen Theilen der Netzhaut ausgezeichnete Stellen gefunden w^orden sind, von denen die eine, aussen und hinten gelegen, der Netzhautgrube des Menschen entspricht, die andere sich quer über die ganze Netzhaut hinzieht und anscheinend auch eine Stelle deut- licheren Sehens bildet. Die Untersuchung der optischen Yerliält- nisse des Pferdeauges lässt nicht auf grosse Sehschärfe schliessen, weil in den meisten Fällen sehr starker Astigmatismus gefunden wird. Gerade aus diesem Umstände hat man irriger Weise schliessen wollen, dass das Pferd Bewegungen von Gegenständen in seinem Gesichtsfelde vergrössert wahrnähme. Um dies zu wider- legen, braucht nur angedeutet zu werden, dass, wenn der Astig- matismus die Bewegungen auf dem Netzhautbilde in einem Falle thatsächlich vergrössert," er in anderen Fällen die entgegengesetzt (> Wirkung hal)en muss. Im Uebrigen ist durch Messung im Mikro- skop festgestellt worden, dass die Sehelemenle des Pferdes that- sächlich die des Menschen an Feinheit übertreffen, wahrend das Urzeugung. 661 Netzhautbild fast die dojjpelte Grösse des meiiscli liehen Netzhaut- bildes erreicht. Genaue Beobachtungen an dem berühmten „klugen Hans" des Herrn v. Osten haben l'erner gezeigt, dass wenigstens dieses eine Pferd kleine Bewegungen ganz ausserordentlich scharf waiirzunehmen vermochte. Dies schliesst aber keineswegs aus, dass die Sehscliärfe im Uebrigen und die Gesichtswahrnehmungen überhaupt auch beim Pferde viel weniger ausgebildet sind als beim Menschen. Auch beim Menschen ist nämlich, wie oben erwähnt, die Seh- schärfe der peripherischen Netzhautgebiete sehr gering und dennoch das Unterscheidungsverraögen für Bewegungen sehr fein. Richtet man den Blick geradeaus und bringt eine Fingerspitze, die man ganz wenig hin und her bewegt, an den Rand des Gesichtsfeldes, so bemerkt man sofort sehr deutlich die Bewegung. Richtet man dann den Blick auf den Finger, der in genau derselben AVeise be- wegt wird, so erscheint nun, deutlich gesehen, die Bewegung viel weniger umfangreich als vorher. "Wenn schon über das Sehvermögen der Thiere im Allgemeinen wenig mit Bestimmtheit ausgesagt werden kann, und das Farben- erapfindungsvermögen verschiedener Menschen unter einander, wie oben angegeben, grosse Unterschiede aufweist, so darf man keinen- falls den Thieren ohne besondere Untersuchung einen dem mensch- lichen völlig gleichen Farbensinn zuschreiben. Verschiedene Ver- suche an Hunden haben zwar gezeigt, dass Hunde farbige Tafeln und farbige Gegenstände nach dem Gesichtseindruck von einander unterscheiden, doch Hessen dieselben Versuchsreihen erkennen, dass Unterschiede der Form verhältnissmässig mehr beachtet werden als Unterschiede der Farbe. Die Fortpflanzung*. Entwicklungsgeschichte und Physiologie. Die Lehre von der Fortpflanzung der Thiere und des Menschen durch Zeugung und Entwicklung, die ursprünglich einen Abschnitt der Physiologie bildete, ist allmählich zu einer besonderen Wissenschaft geworden, die sich nach Inhalt und Methode mehr an die Anatomie als an die Physiologie angeschlossen hat. Es sollen daher hier nur einzelne Punkte daraus hervorgehoben werden, die eine besondere Beziehung zur Physiologie des Gesammtkörpers haben. Urzeugung. Durch die Fortpflanzung bleibt das Leben er- halten, obschon das einzelne Lebewesen zu Grunde geht. Die Physiologie als Lehre vom Leben muss also in der Fortpflanzung die nächste unmittelbare Ursache des Lebens überhaupt sehen, und indem sie die Erscheinung des Lebens von Geschlecht zu Ge- schlecht zurück verfolgt, auf die Frage nach der ursprünglichen Entstehung des Lebens geführt werden. Es handelt sich hier nur darum, ob und wie sich aus vorhandenem todtem Stoff Lebewesen entwickeln können. Der Entstehung des Stoffes nachzugehen, aus dem die Lebewesen sich bilden, ist eine Aufgabe der Metaphysik. Man nahm früher an, dass sich fortwährend und zu jeder Zeit 662 Der Scbwann'sche Versuch. unbelebte Stoffe in lebende verwandelten. Das Erscheinen von Maden in abgestorbenem Fleisch, von Hei'epilzen in gälirungsfäliigen Flüssigkeiten, von Infusorien in Wasser, das man mit faulenden Pllanzenstoffen und dergleichen stehen Hess, insbesondere aber das Auftreten von Parasiten innerhalb anderer Organismen wurden als Beispiele dafür angesehen, weil man sich den Ursprung dieser Wesen nicht anders erklären konnte. So lange diese Anschauung bestand, war natürlich keine Ursache zu einem Zweifel, dass auch die ersten Lebewesen von selbst, gleichsam zufällig, aus dem Zusammentreffen geeigneter lebloser Stoffe hervorgegangen seien. Man bezeichnete diesen Vorgang als Urzeugung, Generatio spontanea oder aequivoca. Indem man die angeblich durch Urzeugung entstehenden Lebe- wesen näher kennen lernte, erwies sich aber für eines nach dem anderen, dass es ebenso wie andere Wesen nur durch Fortpflanzung auf die Welt käme. Für die Fleischmaden konnte schon die ein- fachste Beobachtung zeigen, dass sie nichts weiter als die Larven bestimmter Fliegenarten seien, die ihre Eier ins Fleisch ablegen. Bei den anderen erwähnten Thierarten, insbesondere bei den Para- siten, stiess dieser Nachweis dagegen auf viel grössere Schwierig- keiten, wie unten weiter ausgeführt werden soll. Der Scbwann'sche Versuch. Dagegen bot sich ein ein- facher Weg, die Frage in allgemein gültiger Weise zu lösen, näm- lich der, das Stoffgemisch, in dem angeblich Lebewesen durch Ur- zeugung entstehen sollten, vollkommen keimfrei zu machen und dann abzuwarten, ob sich Leben darin zeige oder nicht. Dieser Versuch wurde zuerst von Schwann, dem Begründer der Zellenlehre, in folgender Weise ausgeführt. Er Hess Aufgüsse auf Fleisch und Pflanzenstoffe, wie man sie zu den Versuchen über Urzeugung zu benutzen pflegte, längere Zeit in einer Flasche kochen, die durch einen Stopfen mit doppelter Rohrleitung verschlossen war. Nachdem auf diese Weise alle etwa in der Flüssigkeit vorhandenen lebenden Wesen oder Keime abgetödtet waren, Avurde die Flüssig- keit in der Flasche stehen gelassen. Um die günstigsten Be- dingungen für die Entwicklung von Lebewesen in der Flasche her- zustellen, wurde vermittelst der Rohrleitungen frische Luft durch die Flasche gesaugt, die Eintrittsröhre aber währenddessen zum Glühen erhitzt, um etwa mit dem Luftstrom eingesogene Kenne zu verbrennen. Es zeigte sich, dass die Flüssigkeit statt nach kurzer Zeit durch zahlreiche Colonien von allerhand Algen und Microben getrübt zu werden, beHebig lange klar und unverändert blieb, kurz, dass keine Spur von Leben darin entstand. Durch diesen Versuch wurde zum ersten Male erwiesen, dass ein der Fäulniss oder der Gährung fähiges Stoffgemisch auch bei Luftzutritt von Keiraentwicklung frcibleibt, wenn es nur anfänglich keimfreigemacht ist, und nachträglich keine Keime von aussen hineingelangen. Damit waren alle Iiis daliin zu Gunsten der Ge- neratio spontanea angeführten Versuchsergebnisse hinfällig geniadit, und der Satz, den Harvey mehr als zweihundert Jahre früher Ungeschlechtliche Fortpflanzung. 663 aufgestellt hatte: Oiime vivum ex ovo, bewiesen, wenigstens soweit es sich um thatsächliche Beobachtung handelt. Diese Einschränkung ist nicht bedeutungslos, denn das Er- gebniss des Schwann'schen Versuchs wird mitunter so aufgefasst, als sei dadurch bewiesen, dass Leben überhaupt nur durch Keime erzeugt werden könne, während er in Wirklichkeit nur zeigt, dass bei den früher üblichen Versuchsbedingungen das Leben aus Keimen entstanden war. Es darf ohne weiteres zugegeben werden, dass noch niemals die Entstehung von Lebewesen aus imbelebtem Stoff nachgewiesen worden ist. Dies beweist aber durchaus nicht, dass nicht unter geeigneten Bedingungen, zum Beispiel im Schlamme tropischer Sümpfe, auch heut zu Tage Urzeugung stattfinden könne, und noch weniger, dass nicht vor Urzeiten, vielleicht unter ganz anderen meteorologischen Bedingungen, Urzeugung möglich gewesensei. Auf diese letzte H}^50these ist man sogar schlechterdings angewiesen, wenn man nicht das Leben als von Anbeginn bestehend auffassen will. Die Vergleichung der verschiedenen jetzt lebenden Organismen, und vor allem die Thatsache, dass man als Elementarbestand- theil aller Organismen die Zelle erkennt, weisen darauf hin, dass die Urform des lebenden Organismus, also die Form, in der das Leben sich zuerst entwickelt hat, die Zelle gewesen ist. Man muss annehmen, dass in dem Augenblicke, in dem durch das Zusammen- treffen geeigneter anorganischer Stoffe Zusammensetzung und 13au des Protoplasmas entstand, auch die Vorbedingung zur weiteren Entwicklung aller Organismen gegeben v/ar. Denn dem lebenden Proto- plasma kommt, wie schon oben angeführt, die Fähigkeit zu, sich durch Stoffwechsel zu vermehren, und sich durch Theilung fortzupflanzen. Diese Art der Vermehrung bleibt den Zellen auch dann noch eigen, wenn sie zu einem grösseren Organismus vereinigt sind, und eine besondere Ausbildungsform angenommen haben. Oben ist von der Vermehrung der weissen Blutkörperchen durch Theilung die Rede ge- wesen, und ebenso vermehren sich die Zellen der übrigen thierischen Gewebe. Ungeschlechtliche Fortpflanzung. Die Fortpflanzung durch Theilung kann in ihrer einfachsten Form so vor sich gehen, dass sich die aus einer anscheinend gleichförmigen Protoplasma- masse bestehende Zelle einfach in zwei ebenfalls vollkommen gleichartige Massen theilt, die fortan jede für sich weiterleben. Selbst bei verhältnissmässighochentwickelten Organismen, wieHydroid- polypen, Würmern, und anderen mehr, behält, wenn man sie mit dem Messer zerschneidet, jedes Stück die Fähigkeit, die ihm fehlenden Theile zu ergänzen und selbstständig weiterzuleben. Man kann also künstlich bei diesen Thierarten Vermehrung durch Theilung erzielen. Selbst bei den einzelligen Organismen lassen sich aber eine ganze Reihe verschiedener Abstufungen in der Art des Theilungs- vorganges erkennen, bei denen namentlich der Zellkern sich in verschiedener AVeise betheiligt. Bei der sogenannten „directen Kerntheilung" nimmt man nur eine Einschnürung des Kernes und 664 Geschlechtliche Fortpflanzung. des Zellicibes wahr, die in AbsclinQrung und somit in Theilung übergeilt. Dem gegenüber zeigen sich bei der „mitotischen Korn- theilung" sehr verwickelte Vorgänge an den J3estandthcilen des Kernes, die schliesslich zu einer Theilung führen, auf die dann die völlige Trennung des Zellleibes in Mutter- und Tochterzelle folgt. Eine andere Art der Theilung ist die Knospung, bei der ein neuer Organismus aus dem vorher vorhandenen hervorwächst, sicli allmählich vollständig ausbildet, und sich zuletzt entweder ablöst, um selbstständig weiterzuleben, oder, an seiner Ursprungsstelle haftend, selbst neue Sprossen treibt, die dann zusammen mit den älteren einen „Thierstock", Cormus, bilden. Geschlechtliche Fortpflanzung. Bei den höher ent- wickelten Organismen sind, wie schon am Anfang dieses Buches er- wähnt wurde, die einzelnen Zellen zu verschiedenen Verriclitungen besonders ausgebildet. Wälirend im Allgemeinen die einzelnen Zellen des Orgaiiismus die Fähigkeit bewahrt haben durch Theilung neue ihnen gleiche ZcLLen hervorzubringen, haben gewisse Zellen die Fälligkeit erlangt, nicht bloss gleichartige Zellen, sondern durch fortgesetzte Theilung, nach bestimmten Entwicklungsgesetzen ganze neue Organismen zu bilden. Es kommt aber in den meisten Fällen hier noch ein wesent- licher Unterschied in Betracht. Die Eizelle vermag in der Kegel nicht aus sich allein den neuen Organismus zu erzeugen, sondern es bedarf dazu der Vermischung zweier Zellen verschiedener Art, der Eizelle einerseits und der Samenzelle andererseits. Daher ist diese Art der Fortpflanzung, die als „geschlechtliche Fortpflanzung", Amphigonie, bezeichnet wird, von der einfachen Vermehrung der Zellen durch Theilung und Knospung die man als „ungeschlechtliche Fortpflanzung", Monogonie, zusammenfasst, streng zu scheiden. Bei allen Wirbelthieren findet die Entwicklung der Eizellen und der Samenzellen stets in getrennten Individuen, den weiblichen und männlichen statt. Es ist schon oben im Abschnitt über die Drüsen- thätigkeit angegeben worden, dass sich bei den höher entwickelten Thieren die Geschlechter nicht allein dadurch unterscheideri, dass sie verschiedene Zeugungsstoffe bilden, sondern auch durch eine Eeihe anderer Verschiedenheiten, die als „secundäre Geschlechts cliaraktere" bezeichnet werden. Dass die weibliche und männliche Geschlechtszelle aus zwei verschiedenen Organismen stamme, ist für den Begriff der ge- schlechtlichen Fortpflanzung nicht erforderlich. Bei sehr vielen Thier- und Pflanzenarten bildet im Gegentheil jedes Individuum sowohl weibliche als männliche Geschlechtszellen. Auch bei den höhcrcntwickclten Thieren kommt dies als^ sogenannte Zwitter- bildung, Hermaphroditismus, in vereinzelten Fällen vor. Generationswechsel. Wie die ungeschlechtliche findet sich auch die geschlechtliche Fortpflanzung in der Thierroihc m emer ganzen Reihe verschiedener Formen ausgebildet. Bei vielen Thier- arten entsteht nämlich durch die Zeugung ein vom Elternpaar Generationswechsel. 665 durchaus verschiedener Organismus, der sich ungeschlechtlich fort- pflanzt nnd erst nach einer oder melireren Generationen wieder die ursprüngliche geschleclitlich zeugende Thierart hervorbringt. Man nennt dies Generationswechsel oder Metagenesis. Es leuchtet ein, dass Erforschung eines solchen Vorganges ausserordentlicii schwierig sein rauss. Die verscliiedenen Generationen einer und derselben Thierart können bei dieser Art der Fortpflanzung von einander so- weit verschieden sein, dass sie nicht nur in verschiedene Speeles, sondern in ganz verschiedene Ordnungen oder gar Classen zu ge- hören scheinen. Ein Beispiel hierfür bildet die Fortpflanzung der Bandwürmer, auf die schon oben hingewiesen wurde. Der Bandwurm besteht bekanntlich aus einer grossen Zahl einzelner Segmente oder Glieder, deren jedes als ein mehr oder weniger selbstständiger Organismus aufgefasst werden darf. Jedes Glied enthält Eierstock und Hoden. Die reifen Glieder werden abgestossen und gelangen mit dem Kothe'des vom Band- wurm bewohnten Thieres oder Menschen ins Freie. Die aus- schlüpfenden Larven oder die Eier selbst müssen in den Darm eines anderen Thieres gelangen, um sich weiter entwickeln zu können. Wenn zum Beispiel ein Schwein den Koth frisst, in dem sich reife Bandwurmglieder befinden, so schlüpfen die Eier im Darm aus, durchbohren die Darm wand und setzen sich als sogenannte Blasen- würraer, Finnen, Cysticercus cellulosae, im Muskelfleisch oder in anderen Organen fest. Beim Menschen kommt es vor, dass die Eier unmittelbar vom After ins Auge übertragen werden, sodass der Blasenwurm im Auge oder im Gehirn auftritt. Die Finne kann sich auch noch durch Knospung vermehren, wie beimCoenurus und Echinococcus. Gelangt das mit Finnen behaftete Fleisch abermals in den Darm eines neuen „Wirthes", so entwickelt sich die Finne zum Bandwurmkopf, Scolex, der wiederum Glieder erzeugt, und so fort. Es kann nicht Wunder nehmen, dass der Zusammenhang einer solchen Reihe verschiedener Generationen lange verborgen ge- blieben ist, und dass man die Finnen, die mitten im Innern eines anscheinend gesunden Thierkörpers angetroffen werden, als durch Urzeugung an Ort und Stelle entstanden ansah. Parthenogenesis. Aehnlich wie bei der eben betrachteten Fortpflanzung der Bandwürmer auf die geschlechtliche Zeugung der Finnen eine Vermehrung und Fortentwicklung durch Knospung folgen kann, an deren Stelle erst in einer späteren Generation wieder die geschlechtliche Zeugung tritt, wird auch in anderen Fällen die Reihe geschlechtlicher Zeugungen dadurch unterbrochen, dass eine oder mehrere eingeschleclitige, also rein weibliche Gene- rationen aufeinander folgen können. Man nennt dies Partheno- genesis, Jungfernzeugung. Ein Beispiel hierfür gewährt die Fort- pflanzung des schon am An l ang des ersten Theiles erwähnten „Wasserflohes", Daphnia (vgl. Fig. 2). Diese pflanzen sich in der Regel den ganzen Sommer über durcli Parthenogenesis fort, indem sie unbefruchtete dünnsclialige, sogenannte „Sommereier" hervor- 666 Concoption und Imprägnation. bringen, die sich zu neuen, weiblichen Individuen entwickeln, die sich ohne befruchtet zu sein auf dieselbe Weise weiter vermehren. Erst gegen Ende des Sommers, oder wenn sonst ungünstige Lebens- bedingungen eintreten, entstehen aus den Sommereiern auch männ- liche Individuen, und es werden befruchtete, dickschalige „Winter- eier" erzeugt. Das bekannteste Beispiel der Parthenogenese ist die Fortpflanzungsweise der Bienen. Die Parthenogenese bildet nur eine scheinbare Abweichung von der geschlechtlichen Zeugung, weil sie immer wieder durch .Generationen mit geschlechtlicher Zeugung unterbrochen wird. Dauernde Fortpflanzung durch Parthenogenesis ist nicht nachgewiesen. Conception und Imprägnation. Die Vereinigung von Ei- zelle uud Samenzelle, die darin besteht, dass ein Theil der Samen- zelle in die Eizelle übergeht, heisst die Befruchtung des Eies. Die Befruchtung findet bei vielen Thieren ausserhalb des Körpers statt, indem die Weibchen die Eier und das Männchen den Samen an derselben Stelle ablegen. Bei den höher entwickelten Thieren er- folgt die Befruchtung und Entwicklung des Eies im Körper des Mutterthieres, und der Samen muss daher zum Zwecke der Zeugung in den Geschlechtscanal des Weibchens gelangen. Dies geschieht durch die Einführung des Penis in die Vagina bei der Begattung. Die Befruchtung kann aber auch ohne eigentliche Begattung zu Stande kommen, wenn nur auf irgend eine Weise Eizelle und Samen zusammentreffen können, denn man hat sowohl auf künst- lichem Wege, durch Einspritzung wn Samenflüssigkeit Befruchtung erzielt, als auch Fälle beobachtet, wo, trotzdem die Vagina durch Missbildung fast vollkommen geschlossen war, dennoch Befruchtung stattgefunden hatte. Diese erklärt sich aus der Eigenbewegung der Spermatozoon, von der weiter unten die Rede sein wird. Man kann daher unterscheiden zwischen der Conception, das ist der Aufnahme des Samens in Vagina oder Uterus, und der Im- prägnation, das ist der Vereinigung von Eizelle und Samen. Absonderung der Zeugungsstoffe. Die auf die Befrucli- tung folgenden Entwicklungsvorgänge in der Eizelle stellen den Anfang des neuentstehenden Lebens dar, und sollen, wie gesagt, hier nicht näher beschrieben werden, da sie einer Wissenschaft für sich, der Entwickelungsgcschichte, angehören. Dagegen gehören die Vorgänge, bei der Absonderung der Zeugungsstofl'e, und die Beziehungen zwischen dem mütterlichen und dem neu entstehenden kindlichen Organismus unstreitig ins Gebiet der Physiologie. Es mag an erster Stelle die Absonderung des Samens besprochen werden. Sperma. Das Sperma des Menschen ist eine grauweisse trübe und undurciisichtigc fadenziehende Flüssigkeit von eigenthüm- iichem Geruch, die bald nach der Entleerung gerinnt, sich dann aber wieder verflüssigt und an der Luft zu hornarligcn Krusten eintrocknet. Sie enthält etwa 10—20 pCt. feste Stoffe, nämlicli Eiweiss, Albumosc und Salze. Ihre Reaction ist alkalisch oder Sperma. 667 neutral. Die Undurchsichtigkeit rührt davon her, dass in der Flüssigkeit geformte Bestandtheilc, die Sanienf.äden oder Samen- thierchen, Sperraatozoen, enthalten sind. Man kann diese aus dem mit Essigsäurelösung verdünnten Sperma durch Abfiltriren rein ge- winnen und für sich untersuchen. Die Sperraatozoen bestehen vor- wiegend aus Nuclein, daneben finden sich Fette, Lecithin, Chole- sterin und Salze, vor allem phosphorsaure Salze. Bei längerem Stehen scheiden sich in der Sperraaflüssigkeit Krystalle aus, die mit den von Charcot bei Leukämie im Blute aufgefundenen Krystallen identisch sein sollen. Die Eiweissstoffe des Sperraas geben ebenso wie die des Blutes specifische Präcipitinreactionen. Den wirksamen Bestandtheil des Spermas bilden allein die Sperraatozoen, die aus dera Hoden selbst stammen. Die Sperma- flüssigkeit rührt im Wesentlichen aus der Prostata her. Während der Ejaculation wird sie noch mit dem Secrete der Co wp er 'sehen Drüsen vermischt. Von der Gestalt der Sperraatozoen bei verschiedenen Thier- arten giebt Fig. III eine Anschauung. Fig. III. SamenkUrperclien und ihre Entwicklung. a Unreife, b reife Samenfüden vom Menschen, c Entwicklung der Spormatoioen beim Hunde d Sperraatozoen vom Stier, c Ton der Fledermaus. / von der Maus, g Tom Vogel, h vom Frosch. 668 Eizelle. Man scliätzt ihre Zahl im Sperma auf 60000 im Cuhikmillimeter und da die auf einmal ejaculirte Samenmenge zu durchschnittlich 5ccm veranschlagt wird, werden zur Befruchtung einer einzigen Eizelle seihst im günstigsten Falle Millionen von Sperraatozoen aufgewendet. Den Vorgang der Samenbildung, Spermatogenese, in allen seinen Einzelheiten zu verfolgen ist Aufgabe der Lehre von der Entwicklung der Gewebe, der Histogenese. Es ist oben bei der Besprechung der Drüsen schon auf den Hauptpunkt hingewiesen worden, dass nämlich die Samenbildung nicht eine eigentliche Se- cretion ist, eine Absonderung ungeformten Stoffes aus Driisenzellen, sondern vielmehr darin besteht, dass die Drüsenzellen, oder wie es dann richtiger heissen muss, die Follikelzellen, selbst in umge- wandelter Form abgestossen werden. Die Spermatozoen stellen daher nur Theile der ui'sprünglichen Samenzellen, Spermatogonien, dar, und zwar entspricht der Kopf der Spermatozoen der Kern- substanz, vermehrt durch den sogenannten Nebenkern, Idiozom, während der Schwanz aus dem Zcliprotoplasma hervorgeht. Lebende Spermatozoen zeigen eine dauernde zitternde oder schlängelnde Bewegung des Schwanzes, die als eine Abart der Flimmerbewegung zu betrachten ist. Durch diese Bewegung köimen sie sich in Plüssigkeiten mit dem Kopf voran mit beträchtlicher Geschwindigkeit von der Stelle bewegen. Die Geschwindigkeit soll bis zu Y2 i^i'"^! der Secunde betragen können. Wenn die Flüssigkeit strömt, so zeigen die Spermatozoen Rheotaxis, das heisst, sie wenden sich gegen den Strom. Dass es sich hierbei nicht etwa um eine passive Bewegung handelt, geht daraus hervor, dass die Bewegung sich unter dem Einiluss der Strömung verstärkt, und dass Spermatozoen, die von einer schnellen Strömung fort- gerissen werden, mit dem Kopf stromabwärts gerichtet treiben. Eizelle. Die Eizellen sind in den Primordialfollikeln des embryonalen Eierstocks schon enthalten und verändern sich aus Fig. 112. diesem Zustande nicht merklich, bis das geschlcchtsroife Alter er- reicht ist. Dann beginnt ein Pi-imordialfollikel nach dem anderen zu wachsen und sich umzubilden, wie man sagt, zu „reifen". Die Eizelle. 669 Eizelle selbst wächst, die FoUikelzellen. die sie umgeben, ver- dichten sich nach aussen zur Theka Folliculi, schliesslich tritt im Innern des Follikels dei- Liquoi- folliculi auf, der Follikel platzt und das Ei wird frei. Fig. 113. Bau des Eierstocks (schematisch). a Keimepithel, b Ovarialsohlauch. r, Ovarialeier. (( Follikelhöhle, e Eizelle, h Theka folliculi, i Keimlillgel, Ic Corpus luteum. Im Innern der Eizelle geht zugleich eine Erscheinung vor sich, die als Keifung des Eies bezeichnet wird. Unter Vorgängen, die der mitotischen Kerntheilung entsprechen, scheidet erst ein Theil der Kernsubstanz und darauf ein zweiter aus der Masse des Eies aus. Wenn diese beiden Massen, die man als „Richtiingskörper" oder „Polzellen" des Eies bezeichnet, entfernt sind, nimmt die Kernsubstanz ihr normales Verhalten wieder an, und sie wird nun, zum Unterschied vom Zustandes des Kernes vor der Reifung des Eies und nach der Befruchtung, als „weiblicher Vorkern" bezeichnet. Nunmehr ist erst das Ei zur Befruchtung reif. Fig. 114. Fis. 115. Fig. 116. Keifeerscheinungen des Eies. (In den Figuren ist nur der Eine Eipol, an dem die Erscheinungen sich abspielen, dargestellt.) xp Spindel, r\s Riehtungskörper, '* Eikern. Wenn ein reifes Ei durch Platzen seines Follikels frei wird, gelangt es, da die Oberfläche des Eierstocks frei in die Bauchhöhle 670 Befruchtungsvorgang. ragt, in das Serum der Bauchhöhle. Der Tubontrichter ist ab(T gegen das Ovariura, wie man aus der Untersuchung „in situ" er- kennen kann, so gelagert, dass das Ovulum durch die Wirbelströrae, die das Flimraerepithel der Tube und der Fimbrien hervorruft, in die Tube und von da in den Uterus geleitet werden kann. Eben diesen Wirbelströmen müssen die Spermatozoen, die in den weiblichen Genitalcanal gelangt sind, nach ihrer zuletzt er- wähnten Eigenschaft der Rheotaxis, entgegenschwimraen und sie müssen also der Eizelle im Uterus begegnen. Die Begegnung führt in gleich näher zu beschreibender Weise zur Befruchtung des Eies. Die Begegnung zwisclien Eizelle und Spermatozoen braucht nicht gerade im Uterus stattzufinden. Im Gegentheil ist es der häufigere Fall, dass die Spermatozoen bis in die Tuben \*orgedrungen sind, ehe sie auf die Eizelle treffen. Die Spermatozoen bleiben in der Flüssigkeit des weiblichen Genitalcanals, mit Ausnahme des oft sauer reagirenden Vaginalschleims, und in der Bauchhöhle nacli- weislich wochenlang befruchtungsfähig. Es kommt vor, dass ein aus dem Eierstock austretendes Ei nicht in den Tubentricliter ge- langt, sondern in irgend einer Falte des Bauchfelles liegen bleilit, und dort von eindringenden Spermatozoen befruchtet wird. Die Folge ist dann die Entwickelung eines Embryo an abnormer Stelle, eine „Bauchschwangerschaft" oder „Extrauterinschwangerschaft". Befruchtungsvorgang. Den eigentlichen Vorgang der Be- fruchtung kann man beim Säugethierei nicht beobachten, weil die Säugethiereier zu klein und zu empfindlich sind. Am leichtesten ist die Beobachtung bei den Eiern der Seesterne, bei denen die Fig. 117. Fig. 118. Vermischung von Sperma und Eiern schon normaler Weise im Meerwasser, ausserhalb des Körpers stattfindet. Unter dem Mikro- skop kann man sehen, wie die Eizelle von Spermatozoen um- schwärmt wird und wie endlich ein Spermatozoon mit seinem Kopfe in die Eizelle eindringt. Alsbald bildet sicli der Kopf zu einem rundlichen oder ovalen Körperchen aus, dem „männlichen Vorkern" Küustliche Parthenogenesis. 671 oder „Spermakern". Die Eizelle enthält in diesem Augenblick zwei Kerne, den weiblichen und männlichen Vorkern. Diese rücken an einander und verschmelzen zu einem Kern, von dem die weitere Entwickclung ausgeht. Man erklärt die eigenthümliclien Vorgänge bei der Spermato- genese und der Eireifung durch folgende Hypothese: Da die be- fruchtete Eizelle männliche und weibliche ZeugungsstolTe enthält und alle anderen Zellen des Körpers, einschliesslich der Hoden- zellen und Eierstockszellen, aus der befruchteten Eizelle entstammen, so enthalten diese Zellen in ihrem ursprünglichen Zustande männ- liche und weibliche Bestandtheile. Damit nun der männliche Zeugungsstoff zur Verbindung mit dem weiblichen, der weibliche zur Verbindung mit dem männlichen fähig werde, muss aus den Hoden- zeUen deren weiblicher Bestandtheil, aus dem unreifen Ei dessen männlicher Bestandtheil ausgestossen werden. Es bleiben dann im ausgebildeten Spermatozoon nur männliche, im reifen Ei nur weib- liche Bestandtheile zurück, und beide bilden bei ihrer Vereinigung eine vollständige, den Zellen der Elternorganismen gleichartige Zelle. Obwohl diese Hypothese sehr weit über die Grenzen dessen hin- ausgeht, was sich durch thatsächliche Beobachtung erweisen lässt, hat sie doch den grossen Nutzen, wenigstens eine mögliche Ursache dafür anzugeben, weshalb bei der Spermatogenese und bei der Ei- reifung Stoffe ausgestossen werden. Künstliche Parthenogenesis. In neuerer Zeit ist es ge- lungen, durch künstliche Eingriffe in die Entwickelungsbedingungen der Eizelle die Befruchtung mit Sperma in gewissem Grade nach- zuahmen. Man bezeichnet dies, da ohne Einwirkung des männ- lichen Zeugungsstoffes die Eier zur Entwickelung gebracht werden, als „künstliche Parthenogenesis". Diese Bezeichnung geht etwas zu weit, weil die unbefruchteten Eier durch die künstlichen Reiz- mittel nicht weiter als bis zu den ersten Stadien der Entwickelung gebracht werden können. Die grundlegenden Versuche in dieser Richtung sind wie die über den natürlichen Befruchtungsvorgang vorzugsweise an den Eiern von Seeigeln und Seesternen angestellt worden. Wenn solche Eier aus dem Seewasser auf kurze Zeit in etwas stärkere Salzlösungen gebracht worden sind, so entwickeln sie sich, wenn sie wieder ins Seewasser kommen, bis zum Larven- stadium. Die Larven verhalten sich nicht ganz wie auf normalem Wege erzeugte und sterben immer ab, ohne höhere Entwickelungs- stufen erreichen zu können. Man kann aus diesen Beobachtungen schliessen, dass wenigstens ein Theil der Einwirkung des Spermas auf die Eizelle rein chemischer Art ist. Corpus luteum. Merkwürdigerweise ist die Rolle, die der Eierstock bei der Fortpflanzung spielt, mit der Ausstossung des reifen Eies nicht zu Ende. Es entsteht um die Stelle, wo der Follikel geplatzt ist, und die zunächst durch einen Bluterguss aus- gefüllt worden ist, eine Schicht grosser gelben Farbstoff enthaltender Zellen, die das sogenannte Corpus luteum bilden. Man hat ge- Paarungszeit, Menstruation. J'iindcn, dass die Entstehung und allmähliche Rückbildung des Corpus luteum Anzeichen einer inneren Secretion des Ovariums sind, durch die das Verhalten des Uterus und sogar der Brust- drüsen bestimmt werden soll. Paarungszeit, Menstruation. Die Thätigkeit der Fort- pflanzung beeinflusst die Gesammtthätigkeit des Organismus bei Mensch und Thier in eigenthümlicher Weise. Bei den freilebenden Thieren bleiben die Geschlechter häufig fast das ganze Jahr hindurch getrennt, und werden nur zur „Paarungszeit" durch den Geschlechtstrieb zusammengeführt. Bei manchen Arten tritt der Geschlechtstrieb in kürzeren Perioden wiederholt auf. Mit dem Auftreten des Geschlechtstriebes, der sogenannten „Brunst", treten beim männlichen Geschlecht Ver- änderungen der primären und secundären Geschlechtscharaktere ein. Die Absonderung der Hoden ist verstärkt, die Hoden selbst treten bei einigen Thierarten nur zur Paai'ungszeit in das Scrotum hinab, in vielen Fällen werden Drüsen thätig, die riechende Stoffe absondern, es verändert sich die Färbung der Haut an gewissen Stellen u. a. m. Beim weiblichen Geschlechte macht sich die Brunst durch ähnliche Erscheinungen bemerkbar. Es findet ein Blutandrang gegen innere und äussere Geschlechtsorgane statt, der von einem in manchen Fällen reichlichen Blutaustritt aus der Uterusschleim- haut begleitet ist, und sich durch blutigen Ausfluss aus der Scheide zu erkennen giebt. Dieser Zustand dauert einige Tage an, und gegen das Ende der Brunst lässt das Weibchen das männliche Thier zu. Mit der Brunst ist die Ovulation, der Austritt der reifen Eier aus dem Eierstock, verbunden. Bei den mehrträchtigen Thieren lösen sich in mehreren Brunstperioden entsprechend, viele Eier. Schon bei den Hausthieren sind diese Erscheinungen weniger regelmässig als bei wilden Thieren. Vollends beim Menschen ist eine bestimmte Paarungszeit nicht nachzuweisen. Als ein der thierischen Brunst entsprechender Vorgang ist indessen ohne Zweifel die sogenannte Menstruation des Weibes anzusehen. Vom Eintritt der Geschlechtsreife, also etwa vom 15. Lebensjahre an, bis zum sogenannten Klimakterium etwa im 45. Lebensjahre stellt sich in einer Periode von durchschnittlich 28—30 Tagen ein BhitÜuss aus der Scheide ein, der aus der Schleimhaut des Uterus stammt. Die ^Menge des austretenden Blutes, der Grad von Congestion und Schwellung der inneren und äusseren Geschlechtsorgane ist bei verschiedenen Individuen sehr verschieden. Die Menstruation ist unzweifelhaft auch mit der Ovulation verbunden, doch nicht so, dass nothwendig inneriialb der Dauer des Ausllusscs, die in der ]\egel 3—5 Tage beträgt, eine Eilösung stattlinden müsste. Man theiit die Menstruation in drei Stadien, das zehnlägige Stadium der vorbereitenden Schwelhing, das viertägige der Blutung und ein vierzehntägiges Stadium der Regeneration. W'ährcnd die Nidation. Furchung. 673 Blutung unzweifelhaft die auR'älligste Erscheinung bei der Men- struation darstellt, ist, wie unten gezeigt werden soll, der eigentlich wesentliche Vorgang der des ersten Stadiums. Mit der Menstruation sind gewisse Yercänderungen des All- gemeinbefindens, geringe Erhöhung der Temperatur und der Puls- zahl und meist auch gewisse Beschwerden, wie Mattigkeit, Kreuz- schmerzen, Uebelkeit u. a. m. verbunden. Man hat aus diesen Erscheinungen ableiten wollen, dass die Lebensvorgänge im weiblichen Körper einem bestimmten Gesetz der Periodicität gehorchen sollten, durch das gleichzeitig die Ver- änderung des Allgemeinbefindens, die Periode der Ovulationen und die der Menstruationen bedingt sein sollte. Man hat auch für das männliche Geschlecht eine ähnliche, nur etwas kürzere „Wellen- bewegung des Lebens" angenommen, und man hat, da die Men- struationsperiode 28 Tage dauert, sogar an den Einfluss gedacht, den der Mond auf die Lebenserscheinungen ausüben könnte. Demgegenüber ist anzuführen, dass vor dem Eintritt der Ge- schlechtsreife, und nach dem Erlöschen der Geschlechtsthätigkeit keine Spur einer solchen Wellenbewegung nachzuweisen ist. Auch beseitigt die Castration zugleich mit der Ovulation die Menstruation mit allen ihren Begleiterscheinungen. Die Ovulation ist also offenbar als die primäre Ursache der periodischen Vorgänge anzusehen. Dass die Ovulation sich an be- stimmte Perioden bindet, ist wenigstens für die wildlebenden Thiere eine offenbare Nothwendigkeit, weil die Möglichkeit die Nach- kommenschaft grosszuziehen an bestimmte Jahreszeiten gebunden ist. Das Wesentliche am Menstruationsvorgang ist nicht der Blut- austritt, sondern vielmehr die vorhergehende Schwellung und Auf- lockerung der Schleimhaut, durch die sie zur Aufnahme eines etwa befruchteten Eies vorbereitet wird. Hat die Befruchtung statt- gefunden, so tritt keine Blutung ein, und das Ei entwickelt sich im Uterus weiter. Ist aber das Ei unbefruchtet, so blutet die auf- gelockerte Uterusschleimhaut aus, sie wird zum Theil abgestossen und der ganze Vorgang wiederholt sich in der nächsten Periode. Nidation. Furchung. Die Befruchtung findet wie oben an- gegeben in der Regel schon während der Durchwanderung der Tube statt, die mehrere Tage dauern soll. Gelangt das befruch- tete Ei in die üterushöhle, so erfolgt die sogenannte „Nidation", das Ei nistet sich gewissermaassen in die aufgelockerte Schleim- haut ein, und entwickelt sich zum Embryo. Die ersten Stufen dieser Entwicklung sind einfach Zell- theilungcn, die sich aber durch ihre Regelmässigkeit von den ge- wöhnlichen Zelltheilungen unterscheiden, und mit dem besonderen Namen der „Furchung der Eizelle" bezeichnet werden. Nachdem die eine Eizelle durch oft wiederholte Zweitheilung zu einer grossen Zahl einzelner Zellen geworden ist, tritt im Innern dieses Zellen- liaufens Flü.ssigkeit auf, durch die das Ei allmählich die Form einer Blase, Keim blase, annimmt. Durch Faltungen und durch K. du Bois-Reymond, Physiologie. ,5 G74 Placenta. verschiedene Umwandlung der einzelnen ZcUschichten entwickeli sich auf dieser Blase die Erabryoualanlage mit ihren drei Keim- blättern, aus denen sich allmählich der Embryo gestaltet. Fig. 120. Uterus einer träclitigen Kuh. Placenta. Während der Trächtigkcit oder Schwangorschaft ist die Blutzufuhr zum Uterus dauernd verstärkt, und es lindet ein der Zu- Placenta. 675 nähme der Frucht entspreclicncles Waclistliura des Organs statt. Schon die Nidation kommt im Wesentliclien dadurch zu Stande, dass die SchlcimJiaut das an ihr festsitzende Ei überwuchert und umwächst. Aus dieser AVucherung entsteht die Membrana decidua, von der ein Theil, zusammen mit dem Chorion die Placenta bildet. Fig. 121. Menschlicher Uterus mit Embryo. ■al Allaiituis, nb NabelblUschen. am Amnion, du, ds Decidua Vera und reflexa. ( Tube, e Cervix, 33' Chorionzotten, c/i Chorion. Bei den meisten Thieren entstehen statt einer einheitlichen Placenta viele kleine Placenten, die sogenannten Cotyledonen (Fig. 120 C). In die Placenta treten also die Uteringefösse des mütterlichen Organismus ein. Andererseits schliesst sich die aus dem unteren Theil der fötalen Darmhöhle hervorwachsende Allantois an das Chorion an und vermittelt den Eintritt der Gefässe des Fötus in die Placenta. Die Gefässe des mütterlichen und kindlichen Orga- nismus gehen zwar nicht ineinander über, aber die Capillarschlingen des fötalen Gefässsystems treten in Sinusbildungen der mütterlichen ■ Gefässe ein, sodass sie von dem mütterlichen Blute umspült werden. Durch die Capillarwände hindurch findet der Stoffaus- tausch und der Gaswechsel statt, durcli den der Fötus ernährt und mit Sauerstoff versorgt wird. Da die Verbindung des fötalen Kreislaufsy-stems mit der Placenta durch die Allantois hergestellt ist, deren Stiel zum Nabelstrang wird, so bilden die Nabelgefässe während des Fötallebens die einzige und deshalb wichtigste Bahn ■des Stoffaustausches. Fötaler Kreislauf. Mit der Geburt hört dieser Zustand plötz- lich auf, und es tritt an seine Stelle der im ersten Theil dieses Buches ■dargestellte Kreislauf des Erwachsenen, bei dem die Nahrungs- 43* 676 Fötaler Kreislauf. Fig. 122. Kreislauf des Ftltus. Veränderungon an Kreislauf und All'.nmng bei der Geburt. 677 Stoffe aus dem Darm, und der Sancrstod' aus den Lungen auf- genommen wird. Auf diesen Wechsel ist nun die Anlage des Gefässsystenis in folgender Weise eingerichtet: Die Nabelarterien entspringen aus den Arteriae iiypogastricae, und verlaufen gewisser- maassen als Arteria pulmonalis des Fötus zur Placenta. Von dort kommt die Nabelvene, die gleichzeitig als Lungenvene und Pfort- ader des Erwachsenen anzusehen ist, durch den Nabel zurüciv, und crgiesst sich theils tliatsächlich in die Pfortader, theils durch den Ductus venosus Arantü in die Vena cava inferior. Das in die Pfortader eintretende Blut gelangt natürlich durch die Lebervenen ebenfalls in die untere Hoiilvene, und so tritt das gcsammte Nabelvenen blut in den rechten Vorhof und durch das Foramen ovale zugleich in den linken Vorhof ein. Von hier wird das Blut in die Herzkannnern und in die Arterien getrieben. Da die I^ungen in atelectatischera Zustand sind, können ihre Gefässe nur eine sehr gei'inge Blutmenge aufnehmen. Die rechte Herzkammer würde sicli daher nicht entleeren können, wenn nicht durch den Ductus Botalli eine offene Verbindung zur Aorta bestünde. So tritt der grösste Theil des Blutes aus beiden Herzkammern in die Aorta ein, aus der es zum Theil in das Capillarsystem des Fötus, zum Theil aber durch die Nabelarterien zur Placenta zurückgetrieben wird. Auf diese Weise untcrhcält der fötale Kreislauf immer nur eine Mischung des in der Placenta bereicherten Blutes mit dem in seinen Geweben verbrauchten Blute. Die Abscheidung von Ver- brauchsstoffen durch die Niere, sowie die übrigen Verrichtungen der Drüsen vollziehen sich während des Fötallebens nicht anders wie beim ^Erwachsenen. Veränderungen an Kreislauf und Athmung bei der Ge- burt. Im Augenblick der Geburt wird diese Verbindung zwischen mütterlichem und kindlichem Kreislauf unterbrochen, indem sich die Placenta durch die heftigen Zusammenziehungen des Uterus von dessen Wand ablöst. In Folge dessen nuiss im Blute des Fötus, das sich nicht mehr gegen das Placentarblut ausgleichen kann, Sauerstoff- mangel und Kohlensäureüber.schuss entstehen. Dies wirkt als Reiz auf das Athemcentrum, und löst die Athembewegungen des Neu- geborenen aus. Indem bei der Inspiration die Lungen sich er- weitern, nimmt der Blutstrom durch die Pulmonalarterie zu, sodass der Druck in der rechten Herzkammer geringer und gleichzeitig im linken Vorhof grösser wird. Es ist nun also kein Grund mehr, dass Blut aus dem rechten Vorhof durch das Foramen ovale in den linken überzugehen brauclite. Durch die Zufuhr zum linken Vor- hof steigt auch der Druck in der linken Kammer, und die Durch- ströraung des Ductus Botalli von der Lungenarterie aus hört auf. Aus der Aorta tritt kein Blut in den Ductus Botalli ein, weil er von dieser Seite durch eine klappenartige Falte verschlossen ist. Mit dem Aufhören des Placentarkreislaufes, das durch die Unter- bindung und bei den Thieren meist durch Abbeissen der Nabel- schnur beschleunigt wird, stockt der Blutstrom in den Nabel- 678 Beziehung der Fortpflanzung zum Gesammtieben. i^efüsscn, und der i'ötalc Kreislauf geht endgültig in den Krei.slaui' des Erwachsenen über. Lieber die Auslösung des Geburtsvorganges nach vollendeter Reife der Frucht ist schon im Abschnitt über das Nervensystem soviel angedeutet worden, wie sich darüber sagen lässt. Es ist anzunehmen, dass es nicht nervöse, sondern unmittelbar von der Frucht ausgehende chemische Reize sind, durch die der mütterliche Organismus zur Austreibung angeregt wird. In Bezug auf den Ge- burtsvorgang selbst sei auf die Fachschriften verwiesen. Beziehung der Fortpflanzung zum Gesaramtieben. Die Thätigkeit der Fortpflanzung im Allgemeinen ist den Lebens- bedingungen der verschiedenen Thierarten in einer Weise an- gepasst, die sich deutlich in den Beziehungen zwischen den zeitlichen Verhältnissen der Fortpflanzung und der Lebensdauer zu erkennen giebt. Die grösseren Thiere haben im Allgemeinen eine grössere Lebensdauer, sie erreichen viel langsamer die Geschlechtsreife, sie gehen viel länger trächtig, und sie bringen nicht soviel Junge auf einmal zur Welt wie die kleineren. Bei der Betrachtung der Lebensdauer muss man unterscheiden zwischen der durchschnittlichen und der maximalen Lebensdauer. Als maximale Lebensdauer werden für verschiedene Thiere folgende Zahlen angegeben: Elephant 150 Jahre Hund 25 Jahre Mensch 100 )i Schaf ' 15 n Jl Pferd 50 ;i Fuchs 14 Rind 25 Hase 10 51 Wildschwein 25 Maus 6 51 Die Trächtigkeitsdauer bei denselben Thieren beträgt: Elephant 90 Wochen Schwein 17 Wochen Mensch 40 ., Hund 8—9 Pferd 48 „ Fuchs 8—9 ,, Rind 40 ., Hase 4—5 „ Schaf 20—23 ., Maus 3—4 „ Die Vermehrung der grossen Thiere ist also schon durch die Trächtigkeitsdauer viel geringer als die der kleinen, dazu kommt noch die sehr viel geringere Fruchtbarkeit, wie sie in folgender Uebersicht angegeben ist: Es erzeugt in günstigem Fall der Elephant in 3 Jahren 1 Junges „ Mensch 1 „ 1 5i das Pferd „ 2 1 ,i die Kuh ,, 1 ,, 1 das Schaf ,, V2 n ^ — ^ die Katze „ V2 v '^""^^ -i Kampf ums Dasein. 679 der Hund „ V2 4—10 Junee das Schwein :i V2 ;i 6—12 der Hase :i V 3 n 2—5 11 das Kaninchen ■nie ;■) 5—8 die Maus ;i ^/e ;i 4—10 V Kampf ums Dasein. Man sieht aus den angeführten Zahlen, dass selbst die Arten, die sich am langsamsten fort- pflanzen, wie zum Beispiel die Elephanten, sehr bald die ganze Erde Übervölkern würden, wenn jedes Individuum auch nur an- nähernd die maximale Lebensdauer und die normale Frucht- barkeit erreiclite. Der weibliche Elephant wird mit 16 Jahren fortpflanzungsfähig, und die Fruchtbarkeit erlischt erst etwa im 80. Jahre. Jedes einzelne Elephantenpaar kann also im Laufe seines Lebens mehr als zehn Nachkommen erzeugen, die sich schon in demselben Zeitraum ihrerseits vermehren. Aus diesem Beisjjiel leuchtet ein, dass die Zahl der gleichzeitig lebenden Thiere jeder Art nicht allein durch die physiologische Vermehrungsfähigkeit, sondern in viel stärkerem Maasse durch die äusseren Lebens- bedingungen bestimmt wird. Es ist ein allgemeines Gesetz der organischen Natur, dass jede Thierart viel mehr Nachkommenschaft erzeugen muss, als unter den herrschenden Bedingungen am Leben bleiben kann. Ein und derselbe Landstrich bietet unter natürlichen Verhält- nissen nur für eine gewisse Zahl von Individuen jeder Thierart Kaum und Unterhalt. Es mu.ss also die Zahl der in diesem Land- strich lebenden Thiere auf dieses gegebene Maass beschränkt bleiben. AVäre die Vermehrungsfähigkeit der Thiere dieser Bedingung so genau angepasst, dass eben nur diejenige Zahl von Individuen er- zeugt würde, die schon vorher vorhanden war, so würde jede voi- übergehende Verschlechterung der Lebensbedingungen den Bestand der Art dauernd verringern. Es ist also für die Erhaltung der Thierarten unbedingt nothwendig, dass sie sich stärker vermehi-en, als die gegebenen Ernährungsbedingungen zulassen, und dass der erzeugte üeberschuss zu Grunde geht. Man bezeichnet diese That- sache mit dem nicht ganz passenden Ausdruck „Kampf ums Da- sein", obschon im Allgemeinen an einen eigentlichen Kampf dabei ebenso wenig zu denken ist, wie beim Wettbewerb zivilisirter Menschen um die günstigste Lebensstellung. Der erzeugte üeber- schuss an Nachkommenschaft muss offenbar, um die Erhaltung der Art zu verbürgen, um so grösser sein, je näher die Gefahr liegt, dass die betreffende Thierart durch Feinde und Schädlichkeiten aller Art ausgerottet werden könne. Dies ist die Grundbedingung, der sich zugleich die Fortpflanzungsfähigkeit und die Lebensdauer der Thierarten angepasst haben. Wehrlose kleine Thiere, wie Kaninchen oder Mäuse, denen unzählige Feinde nachstellen, können im Naturzustande nur in seltenen Fällen ein hohes Alter erreichen, und daher hat auch ihr Organismus die Anlage dazu nicht ent- 680 Kampf ums Dasein. wickelt. Bei ihrer kurzen Lebensdauer wii-d die Erlialuing dev x\i-t nur dadurch gesiciiert, dass ihre Fruclitbarkeit entspi-echend gi-oss ist. Die Möglichkeit .solcher Anpassung erklärt sich nach Darwin aus dem Kampfe ums Dasein selbst. Von den unzähligen im Ueberschuss erzeugten Individuen werden zumeist diejenigen zu Grunde gehen, die den sie umgebenden schädlichen Gewalten am wenigsten gewachsen sind. Es findet also eine „natürliche Aus- lese" statt, durch die die zweckmässigsten Formen zu den vor- herrschenden werden müssen. Auf diese Weise sind die physiologischen Eigenschaften des Individuums, seine Fortpflanzungsfähigkeit und seine Lebensdauer von den Lebensbedingungen abhängig, denen die betreffende Thiei- art im Ganzen unterliegt. Betrachtet man die säramtlichen Indi- viduen einer Art oder die Gesammtheit der auf einem Erdtheil lebenden Wesen als einen gemeinsamen grossen Organismus, so ei- geben sich ganz bestimmte gesetzmässige Zahlenverhältnissc, die unter gleichbleibenden Bedingungen unveränderlich fortbestehen. Dies gilt nicht bloss für den Naturzustand, sondern ebensowohl für die vom Menschen unter künstlichen Bedingungen gehaltenen Thiere und für den Menschen selbst, nur dass hier die Lebens- bedingungen weniger gleichförmig zu sein pflegen. Eine höchst merkwürdige Erscheinung dieser Art ist die Thatsache, dass, ob- schou keinerlei das Geschlecht des entstehenden Keimes bestimmende Einflüsse erkennbar sind, im Grossen und Ganzen die Zahl der männlichen und weiblichen Neugeborenen nahezu dieselbe ist. Die Zahl der Geburten und der Todesfälle schwankt ebenfalls nur wenig. So ergeben sich für die „Bewegung der Bevölkerung" ganz bestimmte Gesetze, die gewissermaassen die Plij^siologie des Volkes als eines Gesammtorganismus darstellen. Register. A. Abbildung 605; im Auge Gl 2. Abblenden des Stromes 3S7; der Rand- strahlen 611. Abdominaldruck 554. Abdominale Athmung 126. Abducens 532, 54:8. Aberration, sphärische 612; chroma- tische 623. Abklingen 636. Abschuppung 311. Absolute Feuchtigkeit 88; Muskel- kraft 402. Absonderung s. Seeretion. Absorption des Lichtes 20: physika- lische 102, 103; der Blutgase 107. Absorptionsstreifen 20. -Absterben des Muskels 420; des Ner- ven 471. Abwickeln der Sohle 447. Accelerantes 510, 552. Accessorius 536. Accommodation des Ohres 592: des Auges 612. Accommodationsbreite 618. Accommodationsgefiihle 648. Accommodationslinie 618. Accomraodationsnerven 615. Accommodationstheorie 614. Achromatische Systeme 623. Aohsenband des Hammers 588. Achselhöhle, Temperatur der 352; Schweissdrüsen der 305. Acidalbumin 17. Actionsstrom 410; s. negative Schwan- kung. Activirung 163, 198. Acusticus 531, 596. Adäquate Reizung 379, 566, 574. Adaptation 637. Addison'sche Krankheit 269. Adenin 285, 286. Adrenalin 269. Aequatorialebene G46. Aequimoleculare Lösungen 229. Aerodiffusion 86. Aesthesiometer 575. Aetherschwefelsäure 287. Aethylsulfosäuren 287. After 217, 561. Aftercentrum 505. Albuminoide 17, 144, 210. Albumosen 17, 199. Alkalialbuminate 17. Alkohol 146, 342. Allantois 675. Alles- oder Nichts-Gesetz 417. Altcrationssti'om 410. Alterationstheorie 409. Alterssichtigkeit 618. Alveolarluft 110. Aminosäuren 200, 210. Ammoniak 276. Ammoniakgährung 276. 284. Ammoniakvergiftung 277. Ammoniumcarbonat, Umwandlung in Harnstofi 277. Amoeben, 3, 369. Amphiarthrosen 425. Amphigouie 664. Ampulle 601. Amylose 160. Amylum s. Stärke 149, 169, 199. Anämie des Gehirns 523. Analdrüsen des Stinkthieres 311. Aneicktrotonus 479. Angaloppiren 453. Angstschweiss 561. Anomale Trichromaten 644. Anosmie 585. Anpassung 680. Ansatzrohr des Kehlkopfs 462. Antagonismus 546. Aphakisches Auge 611. Aphasie 526. 682 Register. Appetitsaft 559. Aquaeductus Cochleae 594; vestibuli 594. Arbeitsleistung 368; des Herzens 53, 78: Wärme bei 362; des Muskels 395. Aromatische Stoll'e 209, 287. Arrectores pili 309, 363; Innervation 540. Arterien 35; Dehnung 59; gaserfüllt 511. Arterienunterbindung 301. Articulationsstelle 464. Aschehunger 332. Aspiration des Venenblutes 130. Association 519. Associationsbahnen 518. Astigmatismus 622, 658. Atasie 506. Atelectase 120, 677. Athembewegungen 82, 115, 121; accessorische 125. Athemcentrum 509, 554. Athemcurve 133. Athemfrequenz 133. Athemgrösse 137. Athemmuskeln 126, 555. Athemtj-pus 126. Athmung82, 139; künstliche 120: des Pferdes 137; Innervation 535, 554: bei Geburt 677. Athmungshemmung 556. Atropin 259, 616. Auerbach'scher Plexus 538. Aufhellung des Blutes 6. Auge, reducirtes 610; aphakisches 611; Druck im 615; der Säugethiere 623 ; des Pferdes 624. Augenaxe 646. Augenbewegung 649, 651. Augenleuchten 624. Augenmedien 606, 609, 658; des Pferdes 624. Augenmuskeln 532, 547, 651. Augenmuskelinnervation 652. Augenschluss 508, 547. Augenspiegel 625. Augenspiegelbild 628. Auscultation 49, 124. Ausführungsgang der Drüsen 267. Auslese 680. Auslösung 482. Ausnutzung 219, 343; von Pllanzeu- kost 337; von Brot 339. Auswurfstoffe 279. Automat 519. Automatische Centra 509. Autonome Systeme 538. Axcncylinderfortsatz 466. Axenfaden 57, 76. Axon 466. B. Backen 339. Bacterien 211. Bad, Resorption im 259 ; Wärmeabgabe 366. Bahnung 547. Bandwurm 665. Bauchpresse 123, 218. Bauchstrang 540. Bedrohungsrellex 547. Beduinen 365. Befruchtung 666, 670. Begattung 666. Begattungsreflex 504. Beissen 165, 556. Belastungszuckung 394. Bell'sches Gesetz 489. Bell'scher Versuch 490. Benzoesäure 287. Berthelot'sche Bombe 350. Bewegung, Mechanik der 429 : mehrerer Gelenke 432: unbewusst willkürliche 494. Bewusstsein 492, 502, 545. Biber, Präputialsecrete des 311. Bilanz des Stoflwechsels 321. Bilirubin 191. 208. Binoculares Sehen 649. Biuretreaction 16, 174. Blase 541, 562. Blasenschluss 505, 507. Blende 611, 616. BlcndungsreHex 547. Blicklinie 646. Blickpunkt 646. Blinddarm 215: des Pferdes 216. Blinder Fleck 631. Blockfasern 549. Blut 5: Farbe 5; Aufhellung 6: Menge 12, 23; Gefrierpunkt 26: R^eaction 26; Präcipitinreaet)on33: Zusammen- setzung 279. Blutbildende Organe 261, 263. Blutbildung 264. Blutdruck 67, 80, 256, 301, 511,541, 554; in Capillaren und Venen 71. Blutdruckcurve 68: Atheniwellen 131. Blutdrucksenkung 552. Blutfarbstofi 192. Blutgase 107. Blutgaspumpc 106. Blutgefässe, Resorption durch 253. Blutkörperchen, rothe 6: Form 9; Grösse 6: Zahl 10: Chemie der 14, 23; Qucllung 32: Schrumpfung 32: Untergang 260: Neubildung 261. Register. 683 Blutkörperchen, weisse 12. Blutkreislauf 3, 4, 34, 266. 523; Ge- schwindigkeit 72; im Gehirn 82; und Athmung 132; in der Leber 240. Blutmenge 12; Messung 23. Blutplättchen 14. Blutstauung 218. Bluttransfusion 114. Blutvergiftung 252. Blutverlust 262. Bogengänge 578, 601. Bombe, Berthelot'sche 350. Borellius'scher Versuch 437. Borstensaum 305. Bowman'sche Kapsel 288. Braten 336. Brechreflex 508. Brechung 602. Brennweite 611. Brennwerth 350, 358. Broca'sche Windung 524, 526. Brondgeest'scher Reflextonus 506. Brot 339. Brunst 672. Bürzeldrüse 311. Butter, Zusammensetzung der 334. Buttermilch 334. c. Cachexia struraipriva 268. Caissonkrankheit 114. Calorie 349. Galorimeter 354, 355. Calorimetrie 358. Camera obscura 604, 606. Capillaren57; Druck in 70, 71 ; Strom- geschwindigkeit 76. Capillarelektrometer 411, 473. Capillarimbibition 233. Capillarenwände, Transsudation 256. Carbolsäure 240, 287. Cardia ISO, 558. Cardiogramm 47. Cardinalpunkte 606, 610; beim Pferd 624. Carnivoren 163; Magen 180; Harn 280, 291; Sedimente 297. , Carriere 453. Casein 316, 335. Castration 270, 330, 564, 673. Cellulose 150. 342; Verletzung der 215. Celluloseverdauung 211. Centrainervensystem 465, 486. Centrura, trophisches 495; für Reflexe 498; im Rückenmark 504; im ver- längerten Mark 508: automatisches 509. Cerealien 338. Cerumen 310, 588. Chemische Spannkraft 349, 368. Chlorophyll 345. Cholalsäure 193. Cholesterin 194. Chorion 675. Chromatische Aberration 623. Chylus 240, 245, 248. Ciliarmuskel 614. Cilien 371. Collagen 144, 324. Collateralen 497. Colloide 156, 232, 582. Colostrum 3 13, 318. Combinationstönc 600. Combinirte Gelenke 428. Commissuren 498. Commissurenfasern 518. Commissurenzellen 497. Compensation der Kräfte am Kehlkopf 461, Compensatorische Pause 551. Complementärfarben 640. Concentration, raoleculare 230; von Schraeckstoffen 582 ; von Riechstoffen 585. Concentrationsströmo 484. Conception 666. Conjugirte Bewegung 548. Consensuelle Pupillenreaction 548. Consonanten 464. Consonanz 600. Constanter Strom 380. Contiguität 486. Continuität 486. Contraction, spontane 419. Contractionskraft 395. Coutractionswelle 413, 419. Contrast 641, 658. Contrastwirkung 571. Convection 360. Convergenz 649. Convexspiegel 608. Coordination 529, 545. Corpus luteum 671. Correspondirende Punkte 651. Corti'sches Organ 595. Cotyledonen 675. Cöwper'sche Drüsen 667. Cretinismus 268. Cysticercus 665. Cytolyse 31, 32. D. Dalton-Henry'sches Gesetz 105. Dampfmaschinen 402. Daplmia 4, 665. Darm 156; Grösse 213. Darmbewegungen 205, 558. (384 Register. Darraopithelien 2-iO, 244. Dannfäuluiss 278. Darnigasc 205. Darminhalt, Reaction 211. Darmlymphe 241. Darmräikrobon 207, 208, 211. Darmrausculatur 206, 217. Darmresorption 206. Darmsaft 203. Darmzotten 250. Dcpressor 542, 552. Defäcation 217. 560. Degeneration 496. Dehnungscurve 398. Dehnungsrückstand 378. Delphine 421. Demarcationsstrom 410. Denaturirung des Eiweisses 17. Detrusor 562. Deuteranopie 643. De.xtrin 150, 339. Diabetes 203, 270, 512; Wesen des 289. Dialyse 157. 174, 232. Diapedese 14. Dichromaten 644. Dickdarm 216. Differentialcalorimeter 355. Diffusion 157, 223. Dioptrie 618. Discs 375. Dissociation 103, 231. Divergenz 652. Doppelbilder 650. Doppelbrechung 375, 412. Doppelgelenk 427. Doppelsinnigkeit 477. Drehgelenk 426. Drehpunkt 646. Dreifarbentheorie 641. Druckpunkte 576. Druck, hydrostatischer 54; im Gewebe 250; im Auge 615. Druckgefälle 576. Druckphänomen 660. Drucksinn 576. Drüsen 157, 266; ohne Ausführungs- gang 267: Lymph-251; Geschlechts- 267, 270, 668; Cowper'sche 667. Drüsennerven 561. Ductus venosus Arantii 677. Ductus Botalli 677. Dulong'sches Caloriraeter 354. Durstgefühl 581. E. Echinococcus 665. Eck'sche Fistel 277. Ejaculation 505, 507, 563, 667. Eier 337. Eigelcnk 420. Eileiter 372, 670. Eircifung 669, 671. Eizelle 668. Einathmungsluft, Erwärmung der 89. Eingelenkige Muskeln 433. Einschiessen 563. Einreiben 259. Einschlafen der Glieder 570. Einschleichen 380. Eisen im Blut 19: in .Milch 317. Eiweiss 15; als Nahrungsstoff 143; des Körpers 322; Wärmewerth 358: im Muskel 399. Eiweissbedarf 326. Eiweissfäulniss 209, 287. Eiweissreactionen 16. Eiweisssparende Wirkung 327. Eiweissverdauung 200, 560. Eiweisszersetzung, Glvcogen aus 274: Harnstoff aus 276," 282, 287. Elasticität der Lungen IIS: des Muskels 377, 418. Elasticitätscoefficient 376. Elasticitätsgesetz 377. Elasticitätsmodulus 376. Elektricität, thierische 406. Elektrische Fische 380, 412. Elektrischer Geschmack 583. Elektrisches Organ 412. Elektrische Polarisation 408. Elektroden, unpolarisirbare 406; se- cundäre 485. Elektromotorische Wirkung in der Netz- haut 635. Elektrotherapie 484. Elektrotonus 479. Element, thermoelektrisches 400. Elephant, Fortpflanzung 679. Emmetropie 619. Empfindung 519. Empfindungskreise 576. Empfindungskreise der Netzhaut 633. Emulsion 152, 244, 316. Endbäumchen 466, 486. Endkolben 571. Endplatte 469. Endolymphe 594. Endosmonieter 224. Endothelzcllen 255. Energie 321, 344, 348, 368, 400. Energie, chemische 349. Energie, Erhaltung der 1, 348. Energieformen 348. Energieverbrauch 482. Entcrokinase 198. Entfettungskur 331. Entfernuugsschätzung 648. Entgiftung 278. Register. 685 Entwickclungsfieschichte 661. Enz}-]!! 160. Epidermis 259; Abschuppimg 311. Epidermiszellen 311. Epilepsie 527. Epinephrin 269 Kpithelien des Darms 244; der Niere 300. Erbrechen 179. Erbrechen des Pferdes 182. Erbsversuch 570. Erbswurst 344. Ergänzungsluft 130. Ergograph 416. Erhaltung der Energie 1, 348. Erhaltungsfutter 328. Erigens 561, 562, 563. Ermüdung 393, 414, 523. Ermüdungsstoffe 556. Ermüdungsversuch 415. Erregbarkeit 378, 524. Erregungsgesetz 379, 472, 577. Erregungswelle 413; Geschwindigkeit der 414. Erstickung bei Narkose 511. Erwärmung des Muskels 400; des Nerven 482. Euter 564. Excretion 266, 279. Exspiratorisches Riechen 584. Extrastrom 385. Extrasystole 551. F. facialis 533. Faradische Reizung 396. Farben G39, Gesichtsfeld 645. Farbenblindheit 643. Farbenempfindung 641. Farbeninduction 641. Farbenkreisel 639. Farbenmischapparate 639, 644. Farbenmischung 639, 644. Farbensinn der Thiere 661. Farbenwirkung 641. Farbenzerstreuung 623. Farbstoffe, Ausscheidung 303. Faulhorn-iSesteigung 399. Fäulniss 187. Fäulnissvorgänge 209. Federkymographion 474. Fermente 158. Fernsichtigkeit 621. Fernpunkt 619. Festigkeit des Stehens 438. Fett des Haarkleides 310; der Milch 315. Fettansatz 271, 330. Fette 151, 322. Fettlösende Stoffe 259. Fettpolster der Sohle 440. Fettresorption 201, 202. Fettsäuren 221. 294. Fettschweiss 311. Fettspaltung 160. Fettsucht 268. Fetttröpfchen 316. Feuchtigkeit, relative 88. Feuerländer 365. Fibrin 31. Fibrinferment 30. Filtration 236. Filtrationsthoorie 256. 258. Fingernägel 312. Fische, elektrische 380. Fistel, Magen 172; Galle 197; Pankreas 197, 202; Thiry'sche 203; Eck'sche 277. Fistelstimme 461. Fixiren 652. Fleisch 335: Zubereitung 336; ausge- kochtes 331. Fleischansatz 326. Fleischbrühe, Abschäumen der 336. Fleischextract 337, 560. Fleischfresser, Darm 164. Fleischsaft 337. Flimmerbewegung 370, 668. Flimmerepithel 370, 670. Flossensaum 372. Flotzmauldrüsen 306. Follikelzellen 669. Fötaler Kreislauf 676. Foramen ovale 677. Formanten 463. Fortpflanzung 661. Frauenmilch 318. Fremitus peetoralis 462. Froschunterbrecher 402. Frostzittern 362. Fussgelenk beim Pferd 427. Fussgerüst 440. Fussgewölbe 440. Fühlspäre 526. Purchung 673. Futtermittel 342. G. Gährung der Milch 148, 159; alkoho- lische 210; amraoniakalische 284,, 296: des Teiges 339. Gährungsprobe 146. Gänsehaut 363. Gall'sche Lehre 523. Galle 189, 271; Chemie der 190, 194; Wirkung der 196, 208. Gallcncapillaren 189. Gallenfarbstoffe 260. 686 Kegistor. Gallcnsäuren 192, 208. n ; Wollertrag 312. Register. 693 Schallwellen 454. Scharnicrgelcnk 435. Schauder 573, 581. Schcincrscher Versuch Gl 7. Scheintutterung 173, 559. Schicsspulver 348. Schilddrüse 268. Schildknorpel 458. Schildkröten, Accommodation G13. Schlaf 523: Athraung im 98. Schläfenlappen 529. Schlangenmenschen 429. Schleim 310. Schleimdrüsen 310. Schleimhaut 240. Schleimkörporchen 311. Schlempe 332, 343. Sehleuderkymographion 474. Schleudcrung 390. Schliessungsschlag 385. Schlitteninductorium 381. Schluckact 171, 535. Schlucken 508. Schluckrellex, 522, 558. Schlundrinne 184. Schlundsack 181. Schmcckbecher 581. Schraeckzellcn 582. Schmerz 580. Schnecke 594. Schuüireln 584. Schraubengelenk 426. Schwann'sches Gesetz 394, 432. Schwann'sche Scheide 467. Schwann'scher Versuch 662. Schwebungen 600. Schwefelsäure 287, 332 : im Harn 290. Sehwefelwasserstoft'vergiftung 115. Schweineharn 291. Schweineraagen 182. Schweissabsonderung 280; bei Thieren 308; Wirkung der Nerven auf 308. Schweiss, Farbe 307; Geruch 307: der Neger 307; Phenol im 307: Reaction 307; Salze im 307; Zu- sammensetzung 307. Schweissdrüsen 280; der Achsel 305; der Sohlenballen 306; Vertheilung der 306; Zahl der 307; Innervation 505, 511, 541. Schwerpunkt 436. Schwimmprobe 120. Schwitzen 364. Secretin 560. Sccretion 159, 266, 559; innere 266, 267. Secretionstheoric 256, 258. Secundäre Geschlcchtscharaktere 270, 664. Secundärer Tetanus 472. Secundäre Zuckung 472. Secundärstcllungen 651. Scdimentum latericium 296. Seele 518: des Rückenmarks 501. Seesterne 670. Sehaxe 646. Sehen der Thierc 660. Sehfelder, Wettstreit der 657. Sehpurpur 635. Sehschärfe 634; des Pferdes 060. Sehsphäre 528, 651. Sehwinkel 646. Seife 143, 152, 221. Seifcnlösungen 243, 560. Seitenbänder 425. Selbstemuigirung 201. Selbstinduction 385. Selbststeuerung der Athmung 556. Semipermeabilität 225, 235. Shrapnell'sche Membran 588. Sinnesorgane 565. Sinnessphären 528. Skatol 210, 288. Skelettmuskeln 420, 543. Sraegma 310. Snellen'sche Sehproben 634. Snellius'sche Formel 602. Sohlenballen 306, 511. Sommereier 665. Sonnenbildchen 488. Sonnenstrahlen 346. Spannung der Inductionsströme 383. Specifische Energie 566. Speichel 167; Pferd 170. Speichelabsonderung 557. Speichelbestandtheilc 168. Speicheldiastase 208. Speichelfermcnt 169. Speicheldrüsen 533, 540, 557. Speiseröhre 171, 371, 558. Spectralfarben 639. Spektroskop 20. Sperma 666. Spermatogenese 668, 671. Sperraatogonien 668. Spermatozoen 372, 667. Sphygmogramm 65. Spinalganglion 496, 516. Spinalnerven 537. Spinalnervenwurzeln 468, 477, 489. Sphincter 217; vesicae 562. Spiralgelenk 426. Spirometer 134. Splanchnicus 541, 552. Spongiosa 421. Spontane Contractionen 418. Spraehcentrum 526. Sprachvermögen 524. Sprechen des Menschen 462. Staarbrille 611. Register. Stiibchensaum 244. Stanniiis'sclicr Versuch 549. Stapodius 533, 51)0, 592. Stiirlic 149. Statisches Organ GOl. Steapsin 201. Stehen 436, 544; bequeme Haltung 438; Testigkeit 438; des Pferdes 440. Stereoskop 655. Sterilisiren 663. Sterne G58. Stickstoff lOS; Absorption 114, 282, 323. Stickstoff der Bodonluft 346. Stickstoffausfuhr 283. Stickstoffausscheidung 325. Stickstoffgleichgowicht 326. Stickstoff Verlust 312. Stinkthier, Analdrüsen des 311. Stimme 460. Stimmlage 460. Stimmiippen 457. Stoffaustausch durch Blut 257: durch Gewebsflüssigkeit 257. Stoffbedarf bei Arbeit 329. Stoffgleichgewicht 325. StofTverlustc 323, 324. Stoffwechsel 1, 257, .321, 511, 529; innerer 260; der TIerbivoren 328; der Pllanzen 345. Stomata 249. Stromdichtc 471. Stromvertheilung 484. Stromuhr 73. Strom, constanter 380. Strömung in Röhren 55. Stromgeschwindigkeit in Capillarcn 76. Stroboskop 636. Strychnin 503. Subcutane Injectionen 254. Suborbitaldrüscn 311. Substanz, graue 488; weisse 488. Summation 397. Suprarenin 269. Suspensionsmethode 50, 551. Symbiose 211. Sympathisches Nervensystem 537. Sympathisches Neuron 538. Symphyse 424. Synchondrosis 424. Syndesmosis 424. Synergie, psetidoantagonistische 546. Synergisten 434. Synovia 424. Synthesen 344. Svnthcse im Darmcpithel 243: des Tlarnstoffs 282: in Niere 30l'. T. Tabak 342. Tabakssaft 583. Talgab.sonderuDg 308; bei Negern 309; beim Schaf 311. Talgdrüsen 259. Tapetum 624. Tastfeldchen 576. Tasthaare 575. Tastkörperchen 571. Tastsinn 575. Tiltowirung 253. Taucher 114. Taurin 193. Täuschungsligur 658. Telestereoskop 657. Temperatur der Achselhöhle 352; der Hautoberllilchc 352; des Mastdarms 352 ; der Nachtthierc 353 ; bei ver- schiedenen Thieren 353: Grenzen der 365; bei Muskelarbeit 365: des Venenblutcs 401. Temperatur und Leitungszeit derXerven 477. Temperaturcurvc 352. Temperaturpunkte 573. Tcraperaturregulirung 554. Temperatursinn 573. Temperatursteigerung, postmortale 367. Tensor tympani 532, 589, 592. Tertiärstcllungen 651. Tetanie 268, 269. Tetanomotor 472. Tetanus 396, 503; unvollkommener 397; secundärer 472. Thaupunkt 88. Theo 342. Thermoclcktrisches Element 400. Thermometer 351. Thierische Elektricitiit 406. Thierstock 664. Thiry'schc Fistel 203. Tliräncndrüse 533. Thriinenschicht 606: Brechkraft 609. Thrombin 30. Thymusdrüse 265. Thyreoidea 268. Tiefenwahrnehmung 648. Titrationsmethode von Licbig 283. Trilchtigkeitsdaucr 678. Transformation 17. Transformator 384. Transsudation 237; durch Capillar- wändc 256. Traulic-llering'sche Wellen 132, 554. Traubenzucker 145. Trichinen 336. Trinken 165. Register. 695 Trigeminus 532, 586. Trigeminusdurchschneidung 533. Trigeminuspanophthalmie 533. Tripclphospliat 297. Trismus 504. Tritanopic 643. Trochlcaris 532. Trommcircll 588, 591. Troinmcr'.sche Zuckerprobe 147, 169. Trophi.schcs Ccntnim 495. Tropbischc Nci-vcn 536, 564. Tropismiis 370. Trübungen 658. Trvpsin 198, 199, 209. Tryptone 199. Tuba Eustachi! 590. Tuben 670. Tubulus contortus 300. Tyrosin 200. 209. u. Ucberia.stung 394. Ueberlcben 419. Uebermaxiiualc Reize 389. Umfang der Gcienl;be\vegung 428. Umstimmung 570, 583, 638. Unbewusst willkürliche Bewegungen 494. Undulatorisehe Bewegung 63. Unlustemplindung 566. Unpolarisirbare Elektroden 406. Unterbindung der Arterien 301 ; der Nierenvene 301. Unterbrechungsrad 381. Unterkiefer 166. Unterstützungsilächc 438. Uretercontractionen 561. Ureter, Druck im 305. Urzeugung 661. V. Vacuolen 370. Vagus 509. 510, 535, 539, 551. Vagusdurchschncidung 535. Vagushunger 581. Vaguspneumonie 535. Valsalva'scher Versucli 590. Vasoconstrictorische Fasern 553. Vasodilatatorische Easern 553. Vasomotorische Nerven 79, 553; Wir- kung 540. Vasomotorisches Centrum 505, 511. Vater-Pacini'sche Körperchen 572. Venen, Verschluss der 256. Venenblut 131: Temperatur des 401. Venenpuls 66. Verdaulichkeit 219. Verdauung 156. Verdauungsdrüsen 559. Verdauungszeit 213. Verdunstung 364; in Lungen 359. Verlängertes Mark 507 ; Relloxccntren im 508. Vermehrung 678. Verseifung 152, 243: des Ilautfcttcs 311. Verwesung 209. Violettblinde 643. Vocale 463. VoUa'sche .Siiule 330, 413. Vordere Wurzeln 491. Vorkern 671. Vorreibersehlüssel 386. Vorrathsluft 136. Vulcanisirter Gummi 234. w. Wachsthura der Hautgebilde 313. Waekelgelenke 425. Wadenmuskeln 440. Wagner'scher Uaramer 383. Wallcr'sche Degeneration 496. Wiirmcabgabe 356, 357, 360. Wiirmeregulirung, Grenzen der 365. Wärnieeinnahmc 357. Wiirniegicichgewicht 361. Wärraekern 352. Wärmentwicklung 349. Wärmeäquivalent, mechanisches 349. Wärme, thierische 347. Wärmestich 529. Wärmepunkte 574. Warmblüter 350. Wasser 142, 291, 322, 330; Härte 143: Kohlensäure in 143: im Darm 217; im Koth 220. Wasserausscheidung 280, 306. Wasseriloh 4, 665. ' Wasserresorption 216, 245. AA'^asservcrdunstung von der Hautober- lläche 364. Webcr'sches Gesetz 568. Wechselgelenk 427. Weis.se Substanz 488, 512. Wellenbewegung 62; des Lebens 673. Wettstreit der Sehfelder 657. Widerstand siehe Leitungsvermögen 485. Widerstandsgefühl 579. Wiederkauen 185. Wiederkäuer 183. Wille 466, 519. Windkessel 59. Wintereier 666. Winterschlaf 367. Wirkungsgrad 402. Wollust 563. (m Register. Wundcrnotec 82. Würmer, Regeneration G63. Wurzoln, liintcrc 491; vordere 491; siehe Spinalnerven 469, 477, 489. WürzstoJIc a41. X. Xantliin 28(\ Xanthinbascn 285. Y. Young-Helrabolz"sclie Tlieorie G42. z. Zalanformeln 166. Zangenbcclicr 596. Zapfen 635. Zapfengelenk 426. Zelle, lebende 3, 222; künstliche 225 ; der Darmschleirabaut 238. Zelltheilung 663. Zeitmessung, elektrische 474. Zersetzung der Eiweissstofie 209; der Cellulose 215. Zerstreuungskreis 605. Ziegelmehlsediment 296. Zink 408; -Kupferbogen 380 Zitterlischc 412. Zitzen, Zahl und Lage 314. Zonula 614. Zucker 289; Heactionen auf 147. Zückcrbildung in der Leber 274. Zuckerharnruhr 203, 270. Zuckerprobe, Tronimer'sche 147 1C9 Zuckerstich 512. 561. Zuckung, isotonische 388; i.somctrisclie 391; bei Bela.stung 394: ohne Me- talle 406; bei verschiedener Tempe- ratur 414; secundäre 472. Zuckungscurve 389, 393, 394. Zuckungsgesetz 479. Zug- und Druckcurven 422. Zunge 165, 167, 534. Zungenbeinmuskulatur 462. Zungenpfeifen 454, 455. Zuntz-Geppert'sche Methode 95. Zusammengesetztes Gelenk 428. Zwangsbewegungen 531. Zweigelenkige Muskeln 435. Zweizipfelversuch 477. Zwerchfell 121, 126, 509, 554; Lymph- getässe 252. Zwiscbenhirn 529. Zwitterbildung 664. Zymogen 163. Oiiick von L. .Scliuiniichci- in Berlin N. 24. Physiologrie des Menschen und der Säugethiere von Professor Dr. Ren6 du Bois-Reymond, . Abthoiliings -Vorsteher am Physiologischen Iiiätitm di r Ijnivorsität zu Berlin. Mit 122 Textfiguren. Berlin 1908. Verlag von August Hirschwald. NW. Unter