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BENJAMIN FRANKLIN'S

JUGEND JAHRE,

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von ihm felbft

für feinen Sohn befchrieben

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und überfetzt

von

Gottfried Augufl Bürger.

Berlin, 1792.

Bey Heinrich Auguft Rottmann.

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Benjamin Franklin’s

Jugendjahre.

Mein lieber Sohn,

Ich habe mir das Vergnügen gemacht, einige kleine Anecdoten von unferer Fa* miiie zu fammeln. Du wirft dich wohl noch der Nachforfchungen erinnern, die ich unter den mir noch übrigen Verwand- ten, als wir zulammen in England wa* ren , anftellte , fo wie auch der Reife die ich deshalb unternahm. Vermuthlich ift es dir eben fo angenehm, als mir, alle Uinftände meiner Herkunft und meine# Lebens zu kennen, von welchen dir ein

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grofser Theil noch unbekannt ift. Ich will fie für dich niederfchreiben; und die ungeftörte Mufse einer Woche dar- auf verwenden, welche mir mein gegen- wärtiger Aufenthalt auf dem Lande ver- fpricht. Aufserdern werde ich auch noch durch andere ziemlich triftige Gründe dazu veranlafst. Aus dem Schoofse der

Armuth und der Dunkelheit, worin ich

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geboren wurde, und die Jahre meiner Jugend verlebte, llieg ich in einen Zu- ftand des Ueberflufles, und auf eine ziem- lich hohe Stufe des Ruhmes in der Welt empor. Das Glück blieb bis in mein ho- hes Alter mein unzertrennlicher Beglei- ter. Vielleicht wünfchen meine Nach- kommen die Mittel zu wißen, die ich an- wandte, und weiche, Dank fey der hel- fenden Vorfehung, fo gut anfchlugen. Sie können ihnen einigen Nutzen gewah- ren, wenn fie fich jemals in ähnlichen Lagen befinden füllten.

Diefes Glück, wenn ich, wie öfters gefchah, darüber nachdachte, veranlafste

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Jugendjahre.

mich bisweilen zu fagen: wenn es mir angeboten würde , fo wollte ich wohl eben diefelbe Lebensbahn noch einmal von einem Ende bis zum andern durch- laufen. Ich würde mir nur das Recht der Schriftfteller ausbedingen, bey einer neuen Ausgabe ihrer Werke die Fehler der erften zu verb eifern. Allenfalls möch- te ich auch wohl einige kleine Zufälle und Begebenheiten meines Lebens gegen grindigere vertaufchen. Indeflen wenil mir auch diefer Punct verweigert würde, fo wäre ich nichts defto weniger bereit, wieder von vorn anzufangen. Weil man nun aber das Leben felbft nicht wieder- holen kann, fo mufs man diun, was die- fem am nächften kommt; man mufs fei- ne Begebenheiten ins Gedächtnifs zu- rückrufen, und damit das Andenken cle- flo dauerhafter fey, diefelben nieder- fchreiben. Bey diefem Gefchäfte werde ich dem natürlichen Hange der Greife, von fich felbft und ihren eigenen Hand- lungen zu reden, nachgeben, und mich

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diefem um fo williger überlaflen, je we- niger ich dadurch denen befchwerlich falle, die fich etwa aus Ehrfurcht für mein Alter verpflichtet halten könnten, mich anzuhören. Denn zu lefen brau- chen fle mich doch nicht, wenn fle nicht felbft wollen. Endlich gefchieht dadurch auch meiner Eitelkeit vielleicht Genüge, welches ich lieber freywillig bekenne, da mir, wenn ich es leugnete, doch Nie- mand glauben würde. Denn fall nie hör- te oder las ich die Einleitungs -Phrafen : Ohne Eitelkeit kann ich Jagen u. f. w. ohne dafs irgend ein Zug der entfchiedenflen Eitelkeit unmittelbar nachgefolgt wäre.

Die meiften Menfchen hallen die Ei- telkeit an Andern, fo viel ihnen auch immer felbft davon zu Theile geworden feyn mag. Was aber mich beüift, fo ift fle mir überall willkommen, wo ich fle finde, weil ich überzeugt bin, dafs fle fo wohl ihrem Befitzer als auch de- nen vortheilhaft ift, welche fleh in fei- nem Wirkungskreife befinden. Es würde

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daher in gar manchen Fällen eben nicht widerfinnig feyn, wenn ein Menfch fei- ne Eitelkeit zu den übrigen Annehm- lichkeiten feines Eebens mitzählte, und der Vorfehung Dank dafür fagte.

Hier ift der Ort, wo ich in aller De- muth bekennen mufs, dafs ich eben die- fer göttlichen Vorfehung das Glück ver- danke, welches ich bis hieher genoffen habe. Sie allein hat mir die Mittel dar- geboten, welche ich angewendet habe, und hat he mir gelingen Iahen. Mein Glaube in diefem Stücke läfst mich we- nigftens hoffen, wenn ich auch nicht mit Gewifsheit darauf rechnen kann , dafs der Himmel feine Güte auch noch fer- ner an mir beweifen werde, entweder dadurch, dafs er die Dauer meines Glü- ckes bis an das Ziel meines Eebens er- flrecket, oder dafs er mir Kraft genug giebt, einen harten ITmfchlag deffelben zu ertragen, dc-n ich eben fo leicht, als viele Andere, erfahren kann. Mein zu- künftiges Glück kennt nur derjenige,

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deflen Hand unfer Schickfal lenkt, und welcher felbft unfere Drangfale zu un- ferm weit gröfsern Wohlfeyn dienen laf- fen kann.

Einer meiner Oheime, beflHTen wie ich, Familien- Anecdoten zu fammeln, gab mir einige Papiere , woraus ich meh- rere Umflände entlehnt habe, die unfere Vorfahren betreffen. Ich habe daraus erfelien, dafs fie feit wenigftens drey- hundert Jahren in einem und ebendem- felben Dorfe, Eaton in Northampton- fhire , auf einem Freygute von ungefälir dreyfsig Morgen Landes gelebt haben. Mein Oheim hatte nicht ausfindig ma-

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ehen können, wie lange fie fchon vor diefer Zeit dafelbft 'zugebracht haben mochten. Sie wohnten hier vielleicht fchon feit der Zeit, da fie, nach der Weife anderer Bürger durch das ganze Königreich, die fich befhindige Namen beylegten, den Familien -Namen Frank- lin annahmen, der vorher Perfonen ei- ner gewiflen Claffe bezeichnete.

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Diefes kleine Eigenthum würde zu ihrem Unterhalte nicht hinreichend ge- wefen feyn, wenn nicht bis auf feine Zeiten das Schmiedehandwerk in der Fa- milie hergebracht gewefen wäre , in wel- chem befländig der ältefte Sohn unter- richtetwurde. Diefe Gewohnheit befolg- ten Er und mein Vater ebenfalls in An- fehung ilirer älteflen Söhne:

Die Unterfuchungen, die ich zu Ea- ton anftellte, ergaben in Anfehung ih- rer Geburten, Heirathen und Sterbefälle keine befondere Auskunft, als erft feit dem Jahre 1555, 'weil das Kirchenregi- llei dafelbfl nicht über diefen Zeitpunct hinausgeht. Aus diefem Regifter erfah ich, dafs ich durch fünf Zeugungen hin- auf immer der jüngfte Sohn des jiing- flen Sohnes war. Mein Grofsvater Tho- mas, geboren 1598, lebte zu Eaton, bis er zu alt wurde , fein Handwerk fortzu- fetzen, da er fich denn nach Banbun* in Oxfordfhire zu feinem Sohn Johann, ei- nem Färber, begab, bey rvelchem meiu

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Vater in der Lehre ftand. Mein Ur- grofsvater ftarb dafelbft, und ward auch da begraben. Wir fahen J758 fein Denk- mal. Sein ältefter Sohn , Thomas , blieb in dem väterlichen Haufe zu Eaton, und hinterliefs diefes, famt der Länderey, feiner einzigen Tochter, welche felbiges nachher mit Beyftimmung ihres Eheman- nes Herrn Fifchers von Wallingborongh , an Herrn Eßed, gegenwärtigen Eigen- tümer des Scliloifes zu Eaton , ver- kaufte.

Mein Urgrofsvater .hinterliefs vier le- bende Söhne,' nehmlich Thomas, Jo- hann, JSenjamin und Sofias. Ich will dir von ihnen fo viel mittheilen, als mein Gedächtnifs mir darbietet; denn ich ha- be meine Papiere nicht bey der Hand, in welchen du umftändlichere Nachrich- ten finden wirft, wenn fie anders wäh- rend meiner Abwefenheit nicht verloren gegangen find.

Thomas hatte das Schmiedehandwerk von feinem Vater erlernet. Da er aber

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von Natur viel Geiftesgaben befafs, fo bildete er diefe auf Antrieb des Herrn Palmer Efq., vornehmflen Einwohners des Kirchfprengels, durch Studien aus. Eben diefer munterte auch meine übri- gen Oheime auf, etwas zu lernen. Tho- mas brachte es auf diefe Axt fo weit, dafs er mit Notariatsgefchäften umgehen konnte; wurde bald ein fehr nothwendi- ger Mann in den Angelegenheiten der Provinz, und eine der vofnehmften Triebfedern aller öffentlichen Unterneh- mungen, fo wohl der Graffchaft und Stadt Northampton, als auch feiner Ge- meinheit. Man erzählte uns zu Eaton manchen merkwürdigen Zug von ihm. Ungemein geachtet und begünftigt von dem Lord Hallifax Harb er am 6 Jänner 1702> gerade vier Jahre vor meiner Ge- burt. Das, was uns einige alte Perfo- nen im Dorfe von feinem Leben und Charakter erzählten, war, wenn ich mich recht erinnere, wegen der aufserordent- lichen Aehnlichkeit mit dem, was du

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von mir felbfl wufstefi: , dir fo auffallend, dafs du noch fagtefl: Wenn er vier Jah- re fpäter gefhorben wäre, fo möchte man eine vorgegangene Seelenwanderung an- nehmen. \

Johann wurde, wie ich glaube, zum Handwerk eines W ollenfärbers erzogen.

Bznjamin lernte in London die Sei- denfärberey; und war ein fehr betrieb- famer Menfch. Ich erinnere, mich fei- ner noch fehl* wohl: denn er kam, wäh- rend meiner Kindheit, zu meinem Va- ter nach Boßon, und lebte eine Zeit lang bey uns im Haufe. Er und mein Vater trugen eine befondere Zuneigung zu einander, und er war mein Taufpa- the. Er brachte es zu einem hohen Al- ter; und hinterliefs handfchrifdich zwey Quartbände feiner Poefien, behebend aus kleinen flüchtigen Stücken, die an feine Freunde gerichtet waren. Eine Art von Schriftverkürzung, die er für lieh erfunden hatte, brachte er auch mir bey; da ich mich aber derfelben nie-

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mals bedienet, fo habe ich fie nun wie- der vergehen. Er war fehr fromm, und befuchte fleifsig die Predigten der bellen Kanzelredner , die er nach feiner Schnel- ligkeits-Methode fehr gern nachzufchrei- ben pflegte. Er hat davon mehrere Bän- de gefammelt. Auch war er ein grofser und für feine Lage vielleicht allzu grof- fer Liebhaber der Politik. Ich fand letzt- hin zu London von ihm eine Sammlung von Blättern, welche die öffentlichen An- gelegenheiten vom Jahr 164J an bis 1717 betrafen. So viel üch aber aus der Zah- lenreihe abnehmen läfst, fo fehlen meh- rere Bände, wiewolil noch acht Bände in Folio, und vier und zwanzig in Quart und Octav übrig find. Diefe Sammlung war in die Hände eines Antiquars ge- fallen, welcher mir fie brachte, weil er wufste , dafs ich Bücher von ihm gekauft hatte. E$ fcheinet, dafs mein Oheim fie zurückgelaffen hatte, als er ungefähr vor fünfzig Jahren nach America gegangen war. Ich habe darin viele Anmerkungen

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von feiner Hand ain Rande gefunden. Sein Enkel, Samuel Franklin, lebt gegen- wärtig noch zu Bußon.

Unfere geringe Familie hatte fchon fehr früh die Reformation angenom- men. Auch während Mariens Regie- rung blieben unfere Väter derfelben mit Treue zugethan , und geriethen damals wegen ihres Eifers gegen das Pabftthum in Gefahr, beunruhigt zu werden. Sie befafsen eine englifche Bibel. Diefe zu verbergen und in Sicherheit zu bringen, hatten fie den Einfall, felbige ganz aufge- fchlägen unter dem Deckel eines Nacht- ftuhls mit Schnüren zu befeftigen. Wenn nun mein Aelterväter feiner Familie et- was daraus vorlefen wollte, fo wendete er den Deckel auf feinen Rnieen um. und ichlug die Blätter auf, welche durch die Schnüre zufämmengeh alten wurden. Eines feiner Kinder f and Wache an der Thür, um Nachricht zu geben, wenn ein Diener des geifllichen Gerichts fielt feiten liefse. In diefem Falle wurde der

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Deckel fogleich wieder gehörig auf fei- nen Nachtftuhl geftiilpt, und die Bibel blieb darunter wie vorher verborgen.

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Ich habe diefe Anecdote von meinem Oheim Benjamin.

Bis gegen das Ende der Regierung Carls des zweyten blieb die ganze Fa- milie der englifchen Kirche zugethan. Als aber um diefe Zeit einige Prediger als Nonconformiften abgefetzt ' wurden , und Zufammenkünfte in Northampton- ßiire hielten, fo gefeilten fach Benjamin und Joßas unzertrennlich zu ihnen. Die übrigen Mitglieder der Familie blieben Anhänger der bifchöflichen Kirche.

IVIein Vater Jujius hatte lieh fehr jung verheirathet. Um das Jahr 1632 führte er feine Gattin famt drey Kindern nach Neu -England. Denn als damals die Zu- fammenkünfte durch das Gefetz verbo- ten und öfters beunruhigt wurden, fo be- fchlolfen verfchiedene angefehene Perfo* nen von feiner Bekanntfchaft nach Ame- rika überzugehen, wofelbft fie fach eine

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freyere Religionsübun’g verfprachen, und bewegten ihn , fie zu begleiten.

Meinem Vater wurden in America von ebenderfelben Frau, noch vier Kin- der, von einer zweyten aber noch zehn andere, mithin in allem üebenzehn ge- boren. Ich erinnere mich deren drey- zehn rund um den Tifch gefehen zu ha- ben, die alle mannbar wurden und fich verheiratheten. Ich war der letzte Sohn und, zwey Töchter ausgenommen, das jüngfte Kind. Ich wurde zu Boßon in Neu -England geboren. Meine Mutter, die ZAveyte Gattin, war Abia Folger, eine Tochter Peter Folgers, eines der edlen Anbauer von Neu-England, deflien Cot- ton Mather in feiner Kirchengefchiclue von cliefer Provinz eine ehrenvolle Mel- dung thut, indem er ihn, wenn ich mich anders feiner Ausdrücke recht erinnere, einen frommen und gelehrten Engländer nennet. Vom Hörenfagen weife ich, dafe er verfchiedene kleine Aulfätze ge- fchrieben hat, wovon aber nur ein ein- ziger *

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ziger gedruckt worden ift. Ich habe ihn fchon vor mehrern Jahren einmal gefe- hen. Er fclirieb ilin um das Jahr 1675, und zwar in gemeinen Verfen, nach dem Gefchmacke feines Zeitalters und feines L'andes. Er redet darin diejeni- gen an, welche damals am Ruder fafsen; und fpricht fo wohl überhaupt für. die Freyheit des Gewifiens, als befonders zu Gunften der Anabaptiften, Quaker und anderer Secten Anhänger, welche ver- folgt worden waren. Diefen Verfolgun- gen fchreibt er die Kriege mit den Ein- gebornen, und andere Drangfale zu, welche das Land drückten, indem er fie als Strafgerichte Gottes über fo verhafste Beleidigungen anfieht; und ermahnt die Regierung, diefe der chriftlichen Liebe fo fehr widerfprechenden G efetze abzu- fchaflen. Diefes Stück fchien mir mit einer männlichen Freymüthigkeit und befcheidenen Einfalt abgefafst zu feyn. Ich erinnere mich noch der fechs letz- ten Verfe der Schlufsßanze. Die zwev 1

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erden habe ich zwar vergehen , allein der Sinn derfelben war, dafs ihm das Wolil- wollen diefen Tadel eingegeben, und dafs et alfo als V erf aher hat bekannt feyn wo.llen. Ich hälfe, fagt er, von ganzem Herzen die Verftellung, und fchliefst: Zu Sherburne *) wohn’ ich jetzt und

fchreibe,

Dafs ich flets euer wahrer Freund, Der’s ganz und gar nicht böfe meint, Mit Namen Peter Folger bleibe.

Meine Brüder wurden alle zu verr fchiedenen Handwerkern in die Lehre ge- than; ich aber kam, in einem Alter von acht Jahren , in eine öffentliche Schulan-. Halt ( College). Mein Vater beftimmte mich der Kirche, und fah mich fchon für den Almofenpfleger der Familie an. Die Fertigkeit, mit welcher ich in mei- net frühften Kindheit lefen gelernt hatte (denn ich erinnere mich wirklich nicht mehr der Zeit, da ich noch nicht hätte le*

*) Fäac Stadt auf der lufel Nantucket.

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fen können) , und die Beyftimmung aller feiner Freunde, die ihm verficherten, dafs ich ganz gewifs ein Gelehrter wer- den würde, beftärkten ihn in diefem Vor- haben. Mein Oheim Benjamin billigte diefes ebenfalls, und verfprach , mir alle feine Predigtbücher zu fchenken, welche in den oben erwähnten von ihm erfunde- nen Schriftzeichen gefchrieben waren, wenn ich mir nur die Mühe geben wollte, felbige zu erlernen.

Ich blieb indeflen noch nicht völlig ein Jahr in cliefer Anhalt, ob ich gleich in diefer kurzen Zeit nach und nach aus der Mitte einer JahresclalTe bis an die Spitze eben derfelben , und von da in die Claffe unmittelbar über derfelben rückte, aus welcher ich am Schluffe des Jahres in die folgende übergehen follte. Allein mein Vater, beläftigt mit einer zahlrei- chen Familie, fah fich nicht im Stande, die Koften der Erziehung in einer folchen Schulanftalt ohne feine Befchwerde zu be- ftreiten. Da er übrigens erwagte, und

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diefs auch gegen feine Freunde in mei- ner Gegenwart äufserte, wie wenig Hülfs- quellen fich einem auf folche Art erzoge- nen Kinde auf diefer Laufbahn darböten, fo gab er feinen erften Vorfätz auf, nahm mich aus dem Collegio zurück, und fchickte mich in eine Schreib- und Re- chenfchule, welche Herr Georg Browneil hielt. Diefer war ein gefchickter Lehrer, dem der Unterricht in feinem Fache mei- ftentheils überaus wohl gelang , indem er immer die angenehmflen und fchicklich- flen Mittel anwandte , feine Lehrlinge zu ermuntern. Unter ihm lernte ich bald gar fchön fchreiben; fcheiterte aber an der Rechenkunft, und machte darin nicht den mindeften Fortfcliritt.

Als ich zehn Jahr alt war, wurde ich wieder nach Haufe geholt, um meinem Vater in feinem Gewerbe zu helfen. Diefs beftand in Lichter ziehen und Sei- fe fieden. Denn ob er gleich diefe Hand- werke nicht förmlich gelernt hatte, fo er- griff er fre doch nach feiner Airkunft in

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Neu-England, weil erfand, dafs die Fär- berey zu wenig im Gange war, um die Nothdurft für die Erziehung feiner Fa- milie abzuwerfen. Ich wurde daher nun angeftellt, Tachte zu den Lichten zu fclineiden, die Formen anzufüllen, den Laden zu hüten, als Bote zu laufen, und was dergleichen mehr war.

Diefs Gefchäft mifsfiel mir, und ich hatte eine harke Neigung zur Schifier- kunde, wowider fich aber mein Vater er- klärte. Gleichwohl gab mir die Nachbgr- fchaft des Wafiers Gelegenheit, mich fehr oft fo wohl hinein, als darauf zu wagen. Ich lernte fehr früh fchwimmen und ein Fahrzeug führen. Wenn ich mich mit andern Kindern eingefchifft hatte, fo ver- trauete man mir gemeiniglich, und be- fonders in fchwierigen Fällen, das Steuer- ruder an. Bey jeder andern Gelegenheit war ich faft immer derjenige, der den Haufen anführte, und ihn auch bisweilen in Verlegenheiten verwickelte. Ich will dir davon ein Beyfpiel erzählen, das eine

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frühe Geiftes -Anlage zu öffentlichen Un- ternehmungen verrath, obgleich diefe eben nicht durch Gerechtigkeit geleitet wurde.

Ein Mühlenbehält;er ftiefs auf einer Seite an einen Salzteich , an deffen Stran- de wir zur Zeit der Fluth kleine Fifche

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zu fangen pflegten. Durch unfere häu- figen Fufstritte war es darauf fehr kotliig geworden. Mein Vorfchlag war dalier, hier ein Steinpflaller anzulegen, worauf wir trocknen und feilen Fufses einhertre- ten könnten. Ich zeigte meinen Spielge- fellen einen grofsen Haufen Steine, die zwar zu einem neuen Haufe unweit des Salzteiches beflimmt, aber auch zu un- ferm Zwecke fehr brauchbar waren. Ei- nes Abends, als die Arbeitsleute fich ent- fernt hatten, brachte ich eine Anzahl meiner Gefellen zufammen, und, indem wir fo fleifsig wie die Ameifen arbeite- ten, und an manchem Steine zu dreyen fchleppten, trugen wir fie alle von dan- nen, und brachten unfern kleinen Stein-

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dämm zu Stande. Am nächben Morgen wufsten die Arbeitsleute nicht, wie ih- nen gefchah, da fie ihre Steine nicht mehr fanden, die alle nach unferer Ghauflee gewandert waren. Man forfchte nach den Urhebern; wir wurden entdeckt; man be- klagte fich darüber ; mehrere von uns er- fuhren eine Züchtigung von ihren El- tern; und ob ich mich gleich auf den Nu- tzen diefes Werkes berief, fo bewies mir doch mein Vater, dafs dasjenige, was nicht mit der Rechtfchaffenheit bebe» he, auch nicht wahrhaftig nützlich feyn könne.

Vielleicht intereflirt es dich zu wiffen, was für ein Mann mein Vater war. Er War von vortrefliclier Leibesbefchaffen-

heit, von Mittelgröfse, wohlgebildet, auf-

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ferordendich bark und gewandt in allem, was er unternahm. Er zeichnete ganz ar- tig; verband ein wenig Mufik; feine Stimme war tönend und angenehm; fo dafs, wenn er die Pfalmen fang, ünd da- zu die Violine brich, welches er hiswei»

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len nach vollbrachtem Tagewerke des Abends that, es eine wahre Luft war, ilim zuzuhören. Auch war er in der Me- chanik bewandert, und wufste fich im Falle der Noth auch der Werkzeuge an- derer Handwerker gefchickt zu bedienen. Das Vorzüglichfte aber an ihm war ein gefunder Verftand , und eine richtige Ur- theilskraft im Fache der Weltklugheit bey öffentlichen fo wohl als Privat - Angele- genheiten des Lebens. Mat jenen gab er lieh zwar eigentlich nicht ab, weil die zahlreiche Familie, die er zu erziehen batte, und fein geringes Vermögen, ihn unabläffig an fein Gewerbe feffelten; al- lein ich erinnere mich doch fehr Avohl, dafs die Vorgefetzten ihm nicht feiten zu- fprachen, ihn um feine Meinung in An- gelegenheiten fo wohl der Stadt, als auch der Kirche, welcher er zugethan war, be- fragten, und dafs fein Urtheil und fein Rath ungemein viel bey ihnen galten. Privatleute berathfclilagten fich ebenfalls fehr viel mit ihm in fchwierigen Fallen

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über ihre Angelegenheiten, und nicht feiten wählten ihn breitende Parteyen zu ihrem Schiedsrichter.

So oft es anging, hatte er gern einige Freunde, oder aufgeklärte Nachbarn, mit welchen er fich unterhalten konnte , bey ficli zu Fifche. Er fuchte dabey immer die Unterredung a^f.finnreiche und nütz- liche Gegenftände zu lenken, die zur Bildung des Geiftes feiner Kinder etwas beytragen konnten. Solchergeftalt lenkte .er unfere Aufmerkfamkeit auf*das, was gut, gerecht, klug und nützlich im Le- benswandel ift. Niemals war die Rede von Gerichten, die auf dem Tifche er- fchienen; nie fetzte man auseinander, ob fie wohl oder übel zubereitet, ob he das Neue vom Jahre oder nicht, ob fie von gutem oder fchlechtem Gefchmacke, ob fie diefem oder jenem Dinge von eben der Art vorzuziehen, oder nachzufetzen wären. Auf diefe Weife von meiner Kindheit an zur vollkommenften Unacht famkeit in Anfehung diefer Gegenftände

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gewohnt, es mir von je her völlig gleiphgültig gewefen, was für Gerichte vor mir ftünden, und noch gegenwärtig gebe ich fo wenig darauf Acht, dafs es mir wenige Stunden nach der Mahlzeit fehr fchwer feyn würde, zu fagen, aus was für Gerichten fie behänden habe. Die Vortheile cliefer Angewohnheit habe ich befonders auf Reifen erfahren. Denn nicht feiten habe ich mich mit Perfonen zufammen gefunden, die mit ihrem mehr an Leckereyen gewöhnten Gefchmacke in gar manchen Fällen fich fehr übel befan- den , wo mir nicht das mindeße zu wün- l'chen übrig blieb.

Auch meine Mutter war am Leibe vollkommen wohl befchaffen. Sie hat alle ihre zehn Kinder gefäuget, und nie- mals habe ich fo wenig an ihr als an mei- nem Vater eine andere Krankheit wahr- genommen, als diejenige, woran beyde, jene 85 und diefer 87 Jahr -alt, verßar- ben. Sie liegen beyfammen in Boßon begraben, wo ich ihnen vor einigen Jah-

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ren einen Marmorftein mit diefer Infchrift errichtet habe:

Hier ruhen

Josias Franklin undAßiAS fein Weib. Liebend lebten Ae 59 Jahre beyfammen, und ohne liegende Güter, ohne ein gewinnreiches Gewerbe, nur durch rafllofe Arbeit und rühmliche Betrieb- famkeit, gefegnet vom Himmel, un- terhielten lie ftandesmafsig eine zahl- reiche Familie, und erzogen glücklich dreyzehn Kinder und heben Enkel. Lefer, diefes Beyfpiel ermuntere dich, die Pflichten deines Berufes fleifsig zu erfüllen, und auf die Unterflützung der Vorfleht zu rechnen.

Er war fromm und klug ;

Sie befcheiden und tugendhaft.

Ihr jüngfter Sohn erfüllte feine kindli- che Pflicht, indem er ihrem Anden- ken diefen Stein weihte.

Ich erfehe aus meinen weiten Ab- fchweifungen, dafs ich alt werde. Ehe-

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mals fchrieb ich mit mehr Methode. Aber man kleidet fich auch nicht für eine Privatzufammenkunft, wie für einen Prachtball. Diefs ift jedoch vielleicht gar Nachteiligkeit.

Um wieder auf mich felbft zurückzu- kommen, fo beharrte ich bey dem Ge- werbe meines Vaters zwey Jahre hin- durch, bis ich nehmlich zwölf Jahre alt war. Um diefe Zeit verliefs mein Bru- der Johann, der eben diefes Handwerk erlernet hatte, meinen Vater, verheira- thete und fetzte fich auf Rhod- Island auf eigene Rechnung. Allem Anfehn nach war ich nunmehr beftiinmt, feine Stelle zu erfetzen , und lebenslang ein Lichtzie- her zu bleiben. Aber mein Widerwille gegen diefes Gefchäft hielt an, und liefs meinen Vater, wenn er mir nicht ein an- genehmeres daxböte, billig befürchten, dafs ich ihm entwifchen und zu Voller gehen möchte, wie es fchon zu feinem grofsen Mifsvergnügen mein Bruder Jo- ßas gemacht hatte. Daher führte er mich

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bisweilen zu den Werkftätten der Mau- rer, der Tifchler, der Fafsbinder, der Kupferfchmiede u. f. w., um meinen Ge- fchraack puszuforfchen , und mich zur Wahl irgend eines Handwerkes zu be- flimmen, welches mich auf dem Lande zurückhielte. Es hat mir feitdem immer viel Vergnügen gemacht* gute Hand- werksleute ihre Werkzeuge handhaben zu fehen, und es ift mir ungemein nütz- lich gewefen , dadurch fo viel gelernt zu haben, um allerley Kleinigkeiten felbft verfertigen zu können , wenn nicht gleieh ein Künffler bey der Hand war. Ich habe auf diefe Weife allerley kleine Mafchie- nen zu meinen Verfuchen gerade als- dann zufammengefetzt, wenn meine Auf, merkfamkeit noch gefpannt war, und der Zweck, den ich mir vorgefetzt hatte, noch' recht lebhaft meinem Geilte von fchwebte.

Endlich wurde mein Vater mit fich eins , dafs ich ein Melferfchmidt werden folite. Zum-Verfuche fchickte er mich

Benjamin Franklins

auf einige Tage zu Samuel, dem Sohne meines Oheims Ben jamin, der diefes Handwerk in London erlernt, und fich fo eben zu Boßon niedergelaflen hatte. Da aber das Lehrgeld, welches er foderte, meinem Vater nicht anhand, fo wurde ich wieder nach Haufe gerufen.

Schon von Kindesbeinen an war ich auf das Bücheriefen heftig geheuert ge- wefen, und hatte das wenige Geld, def- fen ich habhaft werden konnte , auf Bü- cher verwendet. Vorzüglich liebte ich Reifebefchreibungen, und die Samm- lung von Bunyan, in kleinen einzelnen Bänden war das erhe, zu delfen Belitz ich gelangte. Ich verkaufte he hernach wieder, um mir die liihorifchen Samm- lungen des R. Burion anfchaffen zu kön- nen. Diefe behänden aus kleinen Bän- den, die nicht viel koheten, und deren überhaupt vierzig oder fünfzig feyn mochten.

Die kleine Bibliothek meines Vaters behänd vornehmlich aus theologifch-po-

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lemifchen und practifchen Schriften. Ich las fie gröfstentheils durch. Nicht feiten habe ich es in der Folge bedauert, dafs in einer Zeit, da ich eine fo grofse Lern, begierde hatte , nicht zweckmafsigere Schriften in meine Hände gefallen waren, weil es damals fchon entfchieden war, dafs ich kein Geilllicher werden follte. Indeflen befanden fich doch die Lebens- befchreibungen des Plutarch darunter, die ich fehr fleifsig las. Die Zeit, welche ich ihnen widmete, halte ich noch jetzt für nützlich angewendet. Aufserdem fand ich darunter ein Werk von Fon, mit dem Titel: Verfuch über Projekte, wel dies vielleicht Eindrücke bey mir hinter- iiefs, die in der Folge auf einige der vor- nehmften Ereignifle meines Lebens Ein- flufs gehabt haben.

Meine Neigung zu den Büchern be- llimmte endlich meinen Vater, einen Buchdrucker aus mir zu machen, ob- gleich fchon ein anderer Sohn einer war. Mein Bruder Jacob war 1717 aus Eng.

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land zurückgekommen, und hatte eine Prefle nebft Schriften mitgebracht, um ferne Druckerey zu Bofton anzulegen. Diefes Gewerbe gefiel mir ungleich mehr, als das meines Vaters; dennoch behielt ich immer meine Vorliebe für das Meer. Um nun der Wirkung eines folchen Han- ges zuvorzukommen, fo verlangte mei- nen Vater mit wahrer Ungeduld, mich bey meinem Bruder angeftellt *zu fehen. Nachdem ich mich einige Zeit geweigert, liels ich mich endlich dennoch bereden, und Unterzeichnete meinen Lehrvertrag, als ich noch nicht über zwölf Jahr alt war. Man Avar überein gekommen, dafs ich bis in mein ein und ZAvanzigftes Jahr Lehrling bleiben, und nicht eher als im letzten Jahre Gefellenlolm bekommen füllte.

Tn kurzer Zeit hatte ich grofse Fort- fchritte in diefer Kunft gemacht, und ich Avurde meinem Bruder ein felir brauchba- rer Gehülfe. Jetzt hatte ich Gelegenheit, belfere Bücher zu bekommen. Die V er- hält-

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Jugendjahre.

hältnifle, in denen ich mit den Lehrlin- gen der Buchhändler Hand, erlaubten mir fogar von Zeit zu Zeit ein Buch von ih- nen zu erborgen , welches ich denn im- mer fehr pünctlich und ohne Befchädi- gung wieder zurückgab. Wie oft habe

mit Lefen in meiner Kammer zugebracht, wenn das mir Abends geliehene Buch am nächften Morgen in aller Frühe wie- der an Ort und Stelle feyn mufste, weil man entweder befürchtete , dafs der Man- gel entdeckt, oder dafs es verlangt wer- den möchte.

Nach Verlauf einiger Zeit wurde ein Kaufmann, Herr Mathäus Adams , ein Mann von Geilt, der eine artige Bücher- fammlung befafs, und öfters in unfere Druckerey kam, aufmerkfam auf mich. Diefer lud mich ein, feine Bibliothek zu befehen, und war fo gefällig, mir dieje- nigen Bücher zu leihen ■, die ich lefen wollte. Ich gewann damals der Po ehe Gefchmack ab, und verfertigte felbft eini-

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34- Benjamin Franklin*»

ge kleine Stücke. Mein Bruder, der da- bey feine Rechnung zu finden glaubte, munterte mich auf, und veranlafste mich zwey Balladen zu verfertigen. Die Eine, unter dem Titel: Tragödie des Pharus,

enthielt eine umftändliche Erzählung des Sclnffbruchs des Gapitän Worthilake, mit feinen zwey Töchtern; die andere war ein Matrofenlied auf die Aufbringung des berüchtigten Seeräubers, Troch, oder Schwarzbart genannt. Diction und Verfe waren erbärmlich, wie in Blindemanns Riedern. Als fie abgedruckt waren, fchickte er mich damit durch die Stadt zum Verkauf. Das erde fand einen ganz erftaunlichen Abgang , weil die Begeben- heit noch neu war, und grofses Auffehn gemacht hatte.

Diefer Erfolg fchmeichelte meiner Ei- tekeit; allein mein Vater fcldug gar bald meinen Mudi nieder, indem er meine Prouucte lächerlich machte, und behaup- tete, dafs die Verfemacher immer arme Teufel wären. Auf diefe Art entging ich

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noch dem Unglück, ein Poet, und wahr - fcheinlich noch dazu ein fchlechter, zu werden. Weil aber die Fähigkeit in Pro- fe zu fchreiben mir im Verfolg meines Lebens von grofsem Nutzen gewefen ift, und das meifte zu meiner Beförderung beygetragen hat, fo will ich dir erzäh- len, durch was für Mittel ich in mei- ner damaligen Lage die geringe Fertig- keit erlangte, die ich hierin etwa be- fitzen mag.

Es befand fich noch ein anderer jun- ger Burfche in der Stadt, ein grofser Bücherfreund, mit Namen Johann Col- lins, mit welchem ich auf das engfte verbunden war. Wir difputirten oft zu- fammen, hielten dabey fehr auf Bündig, keit, und flrebten nach nichts fo fehr, als wie einer den andern in den Sack flecken möchte. Diefe Lenkung des Gei- ftes zum Streit, um diefs im Vorbeygehn, zu fagen, kann fehr leicht zu einer höchft Übeln Gewohnheit ausfchlagen, die ih- ren Mann nicht feiten ganz unerträglich

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in Gefellfchaften macht, weil fie fich nicht anders, als durch Widerlpruch äuf- fem läfst. Abgereclinet den Aerger und den Tumult, den fie in der Gefellfchaft erregt, bringt fie auch Widerwillen, ja vielleicht Feindfchaft gerade da hervor, wo einem mit Freundfchaft gedient ge- wefen wäre. Ich hatte mir diefe Sucht aus den religiöfen Difputir -Büchern mei- nes Vaters an den Hals gelefen. Nach- her habe ich bemerkt, dafs vernünftige Leute feiten in diefen Fehler verfallen, aufser etwa Jurilten, Univerfitäts- Ver- wandte, und Leute aller Art, die zu Edimbourg erzogen worden find.

Einfl, ich weifs felbll nicht wie, er- hob fich zwifclien Collins und mir ein Streit über die Erziehung der Weiber, nehmlich, ob es gut, oder nicht gut wä- re, fie für die Wiffenfchaften zu erzie- hen, und ob fie zum Studieren etwas taugten. Er war für das Nein, und be- hauptete, dafs diefe Laufbahn weit über ihre Kräfte hinausreichte. Ich, vielleicht

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blofs aus Difputirluft, verfocht die ge- genfeitige Meinung. Er war von Natur weit beredter, als ich; die Worte flohen ßromweife von feinen Lippen ; und zu- weilen, wie mirs vorkam, hielt mich mehr die Geläufigkeit feiner Zunge, als die Stärke feiner Gründe nieder. Wir fchieden von einander, ohne Eins ge- worden zu feyn , und weil wir fo ge. fchwind nicht wieder zufammen kommen konnten, fo brachte ich meine Gründe zu Papier, und fchickte ihm davon eine zierliche Abfchrift zu. Er antwortete, und ich erwiederte ; und fo waren fchon drey oder vier Briefe hin und her ge- wechfelt, als mein Vater über diefe Pa- piere gerieth und fie las. Ohne fich auf den Gegenlland de$ Streites einzuiahen, nahm er nur Gelegenheit, mir etwas über meine Schreibart zu fagen. Er bemerkte, dafs, ob ichs gleich in Anfehung der JRechtfchreibung und Interpunction, wel- ches ich der Druckerey verdankte, mei- nem Gegner zuvorthäte, ich dennoch

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demfelben in der Zierlichkeit des Aus- drucks , fo wie in Ordnung und Klarheit weit nachffände. Er überzeugte mich davon durch mehrere Beyfpiele. Ich fühlte die Richtigkeit feiner Bemerkun- gen, wurde von nun an weit aufmerk- famer auf die Sprache, und befchlofs mein möglichftes zu thun, um mich im Styl vollkommener zu machen.

Mittlerweile, da diefes vorging, fiel mir ein einzelner Band des Zufchautrs in die Hände. Es war der dritte. Ich hatte fonft; noch nichts davon gefehen; Ich kaufte, las und las ihn wieder; ich war davon bezaubert; ich fand die Schreibart darin vortrefflich; und wünfch- te fie nachahmen zu können. Um da- hin zu gelangen, nahm ich einige Auf- fätze, brachte den Inhalt jeder Periode in einen kurzen Auszug, und legte dann alles auf ein Paar Tage zur Seite. Hier- auf verfuchte ich es, ohne das Buch zu öffnen, den ganzen Auffatz wieder her- zuftellen, und jeden Gedanken, fo wie

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er im Buche fland, in feiner ganzen Fülle einzukleiden , indem ich mich der eigenen Worte bediente, die meinem Geifte hch darboten. Alsdann verglich ich meinen Zufchauer mit dem Origi- nal, nahm einige meiner Fehler wahr, und verbefferte he. Aber ich fand, dafs es mir an Wortvorrath, wenn ich fo fa- gen darf, und an der gehörigen Leich- tigkeit fehlte, die Wörter herbeyzuho- len und anzuwenden, wozu ich es, wie mir däucht, vor diefem Zeiträume ge- bracht haben würde, wenn ich fortge- fahren hätte, Verfe zu machen. Das be- ftändige Bedürfnifs vieler Wörter von ähnlicher Bedeutung, dabey aber ver- fchieden , fowohl an Sylbenzahl , und Maafs, als auch am Klange für den Beim, würde mich genöthigt haben, beftändig mancherley Synonymen aufzu- fuchen. Diefe würden hch meinem Ge* -dächtnifs eingeprägt, und ich würde mich ihrer Meifter gemacht haben. Da- her nahm ich einige Erzählungen des

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Zufchauers und brachte lie in Verfe, Nach Verlauf einer gewiflen Zeit, wenn ich das Original völlig vergeffen hatte, brachte ich fie wieder in Profe.

Bisweilen mifchte ich auch alle mei- ne Auszüge bunt durch einander; und einige Wochen darnach fuchte ich fie erft wieder in eine belfere Ordnung zu bringen, ehe ich anfing, die Perioden auszubilden, und die ganze Abhand- lung vollfländig zu machen. Diefs dien- te zur Erwerbung einer Methode in An- ordnung der Gedanken. Wenn ich her- nach mein Machwerk mit der Urfehrift verglich, fo entdeckte ich viele Fehler, die ich verbelferte. Aber bisweilen hatte ich doch auch das Vergnügen, mir ein- bilden zu dürfen , dafs ich in manchen Kleinigkeiten glücklich genug gewefen wäre, fo wohl Methode, als Sprache zu verbefTern, und diefs belebte in mir die Hoffnung, dafs ich es mit der Zeit viel- leicht dahin bringen würde, ganz er- träglich englifch zu fchreiben, welches

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einer der vorziiglichften Gegenftande meines Ehrgeizes war.

Die Zeiten , welche ich auf diefe Ue- bungen und auf mein Lefen verwandte , waren der Abend nach vollbrachter Ar- beit des Tages, der Morgen vor dem Anfang der Gefchäfte, und der Sonntag, wenn es mir gelang, allein in der Dru- ckerey zu bleiben, indem ich mich vom Kirchengehen losmachte. Auf letzteres pflegte mein Vater fehr zu halten, fo lange ich noch bey ihm im Haufe war; und in der That hielt ich es zwar auch noch für Pflicht, nur däuchte mir, hätte ich jetzt nicht mehr Zeit genug , fie aus- zuüben.

Als ich ungefähr fechzehn Jahr alt war, las ich ein JVerk von Tryon , in welchem er die Eebensnalirung aus dem Pflanzenreiche empfiehlt. Ich befchlofs fie anzunehmen. Mein Bruder, welcher unverheirathet war, hatte keine eigene Haushaltung, und liefs fich daher nebft feinen Lehrlingen anderwärts beköftigen.

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Meine Weigerung, Fleifch zu elfen, fiel zur Laft, und man zankte nicht feiten mit mir über meine Sonderbarkeit. Ich unterrichtete mich über die Art, nach welcher Tryon einige feiner Gerichte zu- bereitete, z. B. wie er Kartoffeln und Reis abkochte, daraus auf der Stelle Pud- dings , und einige andere Gerichte mach- te. Ich fagte darauf zu meinem Bruder, wenn er mir wöchentlich nur halb fo viel auszahlen wollte, als ihm mein Tifch koftete, fo wollte ich mich felbfl beköfti- gen. Er nahm diefen Vorfclilag auf der Stelle an, und ich fand felir bald, dafs ich auch mit der Hälfte desjenigen, fo er mir gab, fertig werden konnte. Diefs wurde ein neues Mittel zum Bücheran- kauf; aber ich fand auch dabev noch andere Vortheile. Wenn mein Bruder und die Gefellen die Druckerey verlief- fen, um zu Tifche zu gehen, fo blieb ich dafclbft, und indem ich mit meiner kleinen Mahlzeit, die oft aus nichts mehr, als einem Zwieback , oder einem Schnitt

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Jugendjahre.

Brot, nebft einer Handvoll Rofinen, oder einem Stück Kuchen vom Pafletenbecker und einem Glafe Waffer behänd, fertig war, fo konnte ich die ganze übrige Zeit bis zu ihrer Rückkehr ftuclieren. Meine Fortfehritte ftanden mit derjenigen Klar- heit der Vorftellungen , und mit derjeni- gen Schnelligkeit der Begriffe im Ver- hältniffe, welche die Frucht der Mäfsig- keit im Elfen und Trinken find.

Um diefe Zeit fügte fichs, dafs ich mich einft über meine Unwiffenheit in der Rechenkunft, die ich in der Schule zu lernen fchon zweymal verfehlt hatte, fchämen mufste. Ich nahm daher ein Rechenbuch von Co^cker zur Hand und erlernte fie ganz allein mit der gröfsten Leichtigkeit. Ich las auch das Buch über die Schiffahrtskunde von Seiler und Stur- my , unterrichtete mich über das Weni- ge, fo fie von Geometrie enthielten, brachte es aber niemals weit in diefer WifTenfchaft. Ungefähr um eben die Zeit las ich auch den Vet Juch über den

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menfchlichen Verßand von Locke und die Kunfi zu denken der Herren de Port- Royal.

Während ich mich bemühte, meinen Styl zu bilden und vollkommener zu ma- chen , ftiefs ich auf eine englifclie Sprach- lehre. Ich glaube es war die von Green- wood, welcher am Ende zwey kleine Ver- fuche über die Rhetorik und Logik an- gehängt find. In dem letzten fand ich ein Mufter der Socraüfchen Difputirart. Bald hernach verfchaffte ich mir Xeno- phons Denkwürdigkeiten des Socrates, worin er mehrere. Beyfpiele eben diefer Methode aufftellt. Ich wurde davon be- zaubert, machte mir fie zu eigen, ent- iägte meiner trotzigen Art zu widerfpre- chen und geradehin 2u behaupten, und übernahm dagegen die Rolle des demü- thigen Fragers. Die Lectüre des Shaf tesbüry und des Collins machte mich zum Pyrrhoniflen ; und da ich diefs fchon in Anfehung vieler Gegenftände der Reli- gionslehre war, fo fand ich, dafs die So-

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cratifche Methode nicht nur mich felbft am heften in Sicherheit, fondern auch diejenigen am meiften in Verlegenheit fetzte, wider welche ich fie anwandte. Sie wurde mir bald ganz befonders lieb ; ich fäumte nicht, fie in Ausübung zu bringen, und gelangte darin zu einer folchen Kunft und Fertigkeit, dafs ich Perfonen, die ungleich mehr wufsten, als ich, Einräumungen entlockte, wo- von. fie die Folgen nicht vorher fahen. Auf diefe Weife verwickelte ich fie in Schwierigkeiten, von denen fie fich nicht wieder loszumachen wufsten, und trug Siege davon, die bisweilen weder meine Sache noch meine Gründe verdienten.

Ich fuhr verfchiedene Jahre hindurch fort, diefe Methode in Anwendung zu bringen, verliefs fie aber nachher nach und nach, und behielt weiter nichts^ als die Gewohnheit, mich mit einem be- fcheidenen Mifstrauen auszudrücken ; und wenn ich alsdann etwas behauptete, dag dem Widerfpruche ausgefetzt feyn

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konnte, fo bediente ich mich niemals der Wörter zuverläjjig , unßreitig, u. f. w. oder irgend eines andern Ausdruckes, der das Anfehen einer hartnäckigen An- hänglichkeit an einer Meinung giebt. Vielmehr fagte ich, ich verliehe, ich be- greife die Sache fo und fo ; mir fcheint

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es; aus diefen oder jenen Gründen wür- de ich fo oder fo darüber urtheilen; ich bilde mir ein, dafs diefes fich fo, und jenes fo verhält, wenn ich nicht irre. Diefe Gewohnheit ift, wie ich glaube, mir fehr vortheilhaft gewefen , wenn es darauf ankam, meine Meinung den Ge- miithern der Menfclien einzuprägen, und fie zu Ergreifung derjenigen Maafs- regeln zu bereden, die ich ihnen von Zeit zu Zeit vorzulegen hatte. Da nun der Umgang mit Menfclien gröfstentheils darauf hinausläuft, dafs man unterrichtet, oder fich unterrichten läfst , dafs man ge- fallt , oder überredet , fo verlange ich von jedem aufgeklärten und wohlgefinnten Manne, dafs er fein Vermögen, Gutes

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zu wirken, nicht felbft durch jene ge* radezu behauptende und anmafsende Art des Ausdrucks fchwäche. Denn he em- pört fall immer den Zuhörer, dient zu nichts, als Widerfacher zu erwecken, und jede Sache zu verfchlimmern , für welche man uns das Wort gelahen hatte.

In der That, wenn du unterrichten willft , und fo geradezu und dogmatifch deine Mehrungen behaupte!!, fo reizeft du zum Widerfpruche , und verhindern dafs man :dir ein geneigtes Ohr verleihet. Willft du hingegen unterrichtet feyn, und von den Kenntniften Anderer Nu- tzen ziehen, und drückft dich immer aus als Einer, der unablöslich an feiner bisherigen Meinung hängt, fo werden befcheidene und empßndfame Menfchen, welche Streitigkeiten nicht lieben, dich wahrfcheinlich ruhig im Behtze„ deines Irthums Iahen. So darfft du auch bey diefer Methode kaum hoffen, deinen Zu- hörern zu gefallen, und he fo weit für dich einzunehmen, dafs he hch überre-

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den laßen , zu deinen Abfichten beyzu- tragen. Pope fagt felir weife : Man mufs die Menfchen unterrichten , als ob man ße nicht unterrichtete, und das Neue wie et- was Vergebenes m[ttheilen. Hernach giebt er den Rath, immer, ob man gleich feiner Sache gewifs iß, mit dem Scheine des Mifs- trauens zu reden. Er hätte hiermit einen Vers verbinden können, den er ander- wärts, und meiner Meinung nach min- der fchicklich , angebracht hat. Er lautet : Denn unbefcheidcn heifst auch unverßän-

dig feyn.

Wenn du mich fragil, warum ich min- der fchicklich fage, fo mufs ich die bey- den Verfe zufammen herfetzen:

Das unbefcheidne Wort läfst ficli durch

nichts verzahn:

Denn unbefcheiden heifst auch unver-

lländig feyn.

Nun, ifl denn der Mangel des Ver- sandes , wenn ein Menfch fich in die- fem traurigen 1* alle befindet , nicht ge- wiflermafsen eine Rntfchuldigung lür fei- nen

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nen Mangel an Befcheidenheit? Wür- den alfo diefe Verfe nicht richtiger fo lauten:

Das unbefcheidne. Wort mag nur der

Satz verzeihn:

Nicht recht befcheiden heifst auch nicht

verftändig feyn.

IndelTen laffe ich mich gern von bef- fern Richtern, als ich bin, hierüber zu- recht weifen.

Mein Bruder hatte im Jahr 1720 oder J721 angefangen, ein neues öffentliches Blatt, das zweyte, welches in America erlchien, zu drucken. Es führte den Ti- tel: New -England courant Courier von Neu - England. V orher hatte man weiter nichts, als die Bi)ßon-News Letters Neuigkeitsbriefe vonBo- B°n. Ich erinnere mich, dafs einige feiner Freunde ihm diefes Unternehmen abrathen wollten, weil es wahrscheinlich nicht gelingen würde, indem, nach ih-

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«jo Benjamin Franklin’ s

rer Meinung, eine einzige Zeitung für ganz America hinreichend wäre. Jetzt 177a giebt es deren nicht Aveniger als fünf und ZAvanzig. Er führte nichts de- fto weniger fein Project aus, und ich mufste die Exemplare zu feinen Kunden umher tragen, nachdem ich die Blattet foAvohl gefetzt als abgedruckt hatte.

Unter feinen Freunden befanden fich einige Männer von Kopf, die fich ein angenehmes Geschäft daraus machten, kleine Auffätze für diefs Blatt zu fchrei-* ben, welche fein Anfehn und feinen Ab- fatz ungemein vermehrten. Diefe Her- ren befuchten uns oft; ich’ vernahm aus ihren Gefprächen die gute Aufnahme, welche ihre Schriften, im Publicum fan- den; und bekam Lull, mein Heil auch einmal zu verhielten. Da ich aber noch ein wahres Kind AArar, und glaubte, dafs mein Bruder Avohl nichts in fein Blatt rücken lallen Anirde, Avovon er Avüfste, dafs ich Verfalfer Avdre: fo kam ich auf den Einfall, meine Handfclirift zu ver-

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/teilen, und fo einen von mir verfertig* ten niamenlofen Auffatz des Abends un- ter die Thür der Druckerey zu fchieben. Man fand ihn des Morgens. Mein Bru- der tlieilte ihn feinen Freunden mit, die fich gewöhnlich einfanden. Sie lafen ihn, commentirten darüber vor meinen Ohren, und ich hatte das ausnehmende Vergnügen zu hören, dafs er ihren Bey- fall hatte, und dafs üe bey ihren man- cherley- Muthmafsungen in Anfehung des Verfaffers keinen einzigen nannten, der nicht in Rückficht auf Talente und

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Kenntnilfe einen grofsen Ruf im Lande gehabt hätte.’ Ich vermuthe gegenwär. tig , dafs ich in Anfehung meiner Rich- ter nur glücklich war, und dafs fie viel- leicht nicht, fo vortrefflich waren, als ich damals glaubte. Dem fey indeffen, wie ihm wolle, fo fchrieb ich doch, aufge- muntert durch diefen kleinen Vorfall, noch mehr andere Stücke, beförderte fie auf die vorige Weife zur PrefTe, und fie erhielten alle gleichen Beyfall. Mein

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Benjamin Franklin’*

Geheimnifs bewahrte ich fo lange, bis mein geringes Maafs von Kenntniflen und Gedanken für Werke diefer Axt ziemlich bis auf den Boden erfchöpft war, und hierauf entdeckte ich mich.

Mein Bruder fing nun zwar an mehr Achtung für mich zu hegen; nichts de- flo weniger aber fah er fich als meinen Meifter an, und behandelte mich als Lehrling. Er foderte von mir die Dien- fte eines jeden andern; ja ich fand, dafs er in vielen Fällen allzu viel verlangte, da ich doch als Bruder mehr Anfprüche auf Nachficht zu haben glaubte. Unfere Streitigkeiten gelangten oft vor meinen Vater, und ich bilde mir ein, dafs mein Bruder gewöhnlich unrecht hatte, oder dafs ich doch der belle Sachwalter von uns beyden war, indem das Urtheil ge- meiniglich günflig für mich ausfiel. Al- lein mein Bruder war hitzig , und oft kam es zu Schlägen, welche ich fehr übel auf- nahm. W ahrfcheinlich hat diefe harte und tyrannifche Behandlung nicht wenig

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dazu beygetragen, den Widerwillen ge- gen willkührliche Gewalt in mein Ge- müth zu prägen, den ich mein gan- zes Leben hindurch nicht verloren ha- be. Meine Lehrjahre wurden mir fo unerträglich, dafs ich beftändig nach ei- ner Gelegenheit feufzte , fie abzukür- zen. Diele kam denn auch ganz uner- wartet.

Ein in unfer Blatt eingerückter Auf- fatz, über irgend einen politifchen Ge- genlland, defien ich mich nicht mehr erinnere, beleidigte die Provinzialver- fammlung. Auf Betrieb des Sprechers wurde mein Bruder in Verhaft genom- men, verurtheilt und eingekerkert, weil er, wie ich vermuthe, den Verfafler des Stückes nicht entdecken wollte. Ich wur- de gleichfalls mit eingezogen, und vor Gericht abgehört. Ob ich aber gleich den Mitgliedern defielben fchlechte Ge- nüge leiftete, fo kam ich doch mit einem blofsen Verweife los, indem he mich vielleicht als Lehrling für verpflichtet

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hielten, die Geheimnifie meines Lehr* meifters zu bewahren.

Der Verhaft meines Bruders erbitterte mich, ungeachtet unferer Privathandel, nicht wenig. So lange derfelbe anhielt, mufste ich das Blatt beforgen, und ich hatte fogar die Dreiftigkeit , einige Pfeile auf unfern Statthalter darin abzudrücken. Diefs machte meinem Bruder nicht we- nig Vergnügen; indeffen andere anfin- gen, mich in einem nachtheiligen Lich- te, als einen zum Pasquill und zur Sa- tyre geneigten jungen Kopf zu betrach- ten.

Die Freylaflung meines Bruders wur- de von dem höchft feltfamen Verbot be- gleitet, „clafs Jacob Franklin das Blatt „unter dem Titel: Der Courier von Neu- England, nicht mehr drucken follte. Es wurde hierauf eine Verfammlung von Freunden in unferer Druckerey gehal- ten, welche fich berathfchlagten , was in diefen Umfländen zu thun wäre. Eini- ge fchlugen vor, dem Verbote durch

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Umänderung des Titels auszuweichen. Da aber mein Bruder diefen Vorfchlag nicht zuträglich für lieh fand, fo wurde endlich ausgemacht, dafs es am bellen wäre, das Blatt künftig unter Benjamin Franklin’s Namen zu drucken. Um aber der Almdung der Verfammlung zu ent- gehen, die ihn unter dem Vorwände hätte erreichen können, dafs er das Blatt dennoch felbll nur durch feinen Lehr, burfchen hätte drucken Iahen, fo wurde befchlollen, dafs mir mein bisheriger Lehrcontract mit einer gänzlichen und volllländigen Aufhebungsacte , auf fei- nen Rücken gefchri eben, um die Urkun- de im Fall der Noth vorzeigen zu kön- nen, zurückgegeben werden follte. Um aber dagegen meinem Bruder den Vor- theil meiner Dienhe zuzufichern, follte ich einen neuen bis zum Ablauf der Zeit geheim zu haltenden Contract un- terzeichnen. So mifslich auch diefes Auskunftsmittel war, fo wurde es doch fogleich in Ausübung gebracht, und das

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Blatt fuhr, fort, einige Monate hindurch unter meinem Namen zu erfcheinen. Als aber endlich neue Mifshelligkejtep, zwifchen meinem Bruder und mir ent- banden, fo wagte ich es auf meine Frey- heit zu pochen, indem ich darauf rech- nen konnte , dafs er fich mit dem neuen Gontracte nicht hervorwagen würde. Es war nicht edel von meinet Seite, mich diefes Vortheils zu bedienen, und ich rechne daher diefe Handlung unter die erben Fehltritte, die ich in meinem He- ben begangen habe. Allein die Unrecht- mäfsigkeit, die davon hervorleuchtete, machte wenig Eindruck auf mein Ge- müth, welches durch die Schläge erbit- tert war, die ich von feiner Hitze’ erdul- det hatte, ob er gleich fonü nicht von fchlimmer Gemüthsart war. Vielleicht war ich auch zu unartig gegen ihn ge- wefen, um ihn nicht dazu zu reizen.

So bald er erfuhr, dafs ich feft ent- fchloffen wäre , ihn zu verlalTen, fuchte er mein Unterkommen anderwärts zu ver-

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hindern. Zu dem Ende durchftrich er alle Druckereyen der ganzen Stadt, und nahm alle Druckerherren gegen mich ein, die mir folglich ihre Arbeit verfag- ten. Ich gedachte mich daher nach Neu - York, die nächfle Stadt, wo es einen Buchdruckergab, zu begeben. Alle mei- ne Betrachtungen beflärkten mich in dem Vorhaben, Boßon zu verlaufen, wo ich mich ohnehin fchon bey der herrfchen- den Parthey verdächtig gemacht hatte. Es war lehr wahrfcheinlich, dafs, wenn ich nach dem willkührlichen Verfahren der Provinzialverfammlung in der An- gelegenheit meines Bruders dafelbft ver- bliebe, ich mich gar bald Verdriefslich- keiten ausfetzen würde. Ich hatte dabey um fo mehr für mich zu fürchten, je mehr die andächtigen Seelen, auf Veran- lalfung meiner unbefonnenen Religions- dispüte , anfingen, mich als einen Ab- trünnigen oder Gottesleugner mit Ab- fcheu zu betrachten. Ich fafste daher meinen Entfchlufs; da aber mein Vater

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diefsmal auf der Seite meines Bruders war, fo durfte ich drauf rechnen, dafs man, bey einem Verfuche öffentlich weg- zugehen, Mittel anwenden würde, diefs zu verhindern. Mein Freund Collins nahm es auf fich,' meine Flucht zu beför- dern. Er bedingte meine Ueberfahrt mit dem Capitan einer Schaluppe von Neu- York , und fpiegelte demfelben vor, ich wäre ein junger Menfch von feiner Be- kanntfchaft, der mit einem übel berüch- tigten Mädchen etwas zu thun gehabt hätte. Die V erwandten derfelben woll- ' ten ihn nunmehr zwingen, fie zu heira- then, und er könnte daher öfiendich we- der erfcheinen, noch abreifen. Ich ver- kaufte einen Theil meiner Bücher, um mir ein kleines Kapital zu verfchaffen, und begab mich in aller Stille an den Bord der Schaluppe. Mit Hülfe eines günfligen Windes befand ich mich nach drey Tagen zu Neu- York , an die drey- hundert Meilen von meiner Heimath ent- j lernt, in einem Alter von heben zehn

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Jahren, ohne die mindehe Empfehlung, ja ohne nur irgend einen Menfchen da- felbft zu kennen, mit fehr wenig Geld in meiner Tafche.

Die Neigung, die ich für das See- wefen gehabt hatte , war gänzlich ver* fchwunden, fonh hätte ich ihr damals Genüge leihen können. Da ich indefs im Befitz einer andern Kunft war, und mich für einen ziemlich gefchickten Ar- beiter hielt, fo nahm ich keinen Anhand, dem dafigen Stadtbuchdrucker meine Dienhe anzubieten. Diefs war der alte Herr Wilhelm Bradford, erher Buchdru- cker in ganz Penfylvanien. Allein er hatte diefe Provinz auf Veranlahung fei- ner Händel mit dem Statthalter Georg Keith verlahen. Er konnte mir keine Arbeit geben, da er wenig zu thun, und doch fchon Leute genug hatte. Jedoch Tagte er mir, dafs fein Sohn, Buchdru- cker zu Philadelphia, vor kurzem feinen

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behen Gefellen, Aquila JRofa, durch den Tod verloren hätte, und dafs er, wenn

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ich dort hingehen wollte, mich wahr- fcheinlich dafelblt anbringen könnte. Philadelphia ilt noch hundert Meilen weiter entfernt. DieCs fchreckte mich nicht ab, auf einem Fahrzeuge den kür* zelten Weg zu Walfer nach Amboy zu nehmen, mein Felleifen neblt meinen Sachen dafelblt zurück, und felbige durch den Umweg mir nachkommen zu lalTen. Bey der Ueberfahrt über den Meerbufen ergriff uns ein plötzlicher Sturmwind, zerrifs unfere fchon mürben Seegel in Stücke, verhinderte uns in den Kill ein- zulaufen , und verfchlug uns nach Long- Island.

Während des Sturmes fiel ein betrun- kener Holländer, Reifender wie ich, in das Meer. Im Augenblicke des Unter- finkens ergriff ich ihn noch durch das Walfer beym Schopf, zog ihn empor, und wir bekamen ihn wieder an Bord. Diefe Taufe hatte ihn ein wenig und fo weit wieder ernüchtert, dafs er einfchhef, nachdem er ein Buch aus feiner Tafche

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gezogen batte, welches er mich zu trock- nen bat. Siehe da, diefs Buch war mein altes Lieblingsbuch, Bunyans Reifen hol- ländifch, fchön gedruckt, auf fchönem Papier, mit Kupferftichen. So ausge- fchmückt hatte ichs noch nie in feiner Urfprache gefehen. Ich habe nachher erfahren, dafs es in die meilten europäi- fchen Sprachen überfetzt worden, und ich bin überzeugt, dafs aufser der Bibel, wohl nicht leicht ein Buch in gröfsern Umlauf gekommen ift.

Der ehrliche Johann ift , fo viel ich weifs , der Erfte , welcher Erzählung und Gefpräch mit einander verbunden hat. Diefe Art des Vortrages ift überaus an- ziehend für den Lefer, der bey den wich- tigllen Vorfällen fich gleichfam mit in der Gefellfchaft und bey ihren Unterre- dungen gegenwärtig befindet. Defoe hat ihm glücklich in feinem Robinfon Crufoe , in feiner Molly Flanders und in andern Werken nachgeahmt. Eben das hat auch Richardfon in feiner Pamela u. f. w. gethan.

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Benjamin Franklin’s

Als wir uns der Infel näherten, be* fanden wir uns an einer Stelle, wo es wegen der heftigen Brandungen, welche das fchroffe Felfenufer verurfachte, zu landen unmöglich war. Wir warfen An- ker, und zogen uns gegen das Ufer. Ei- nige Perfonen kamen bis an dem Rand des Wallers und fchrieen uns zu, fo wie wir ihnen; aber das Geräufch des Win- des und der Wogen war fo hark, dafs keiner den andern verliehen konnte. Es waren Canots am Ufer; wir riefen ihnen zu und machten Zeichen, lieh ihrer zu unferer Abholung zu bedienen : aber he verbanden uns entweder nicht, oder hiel- ten die Sache für unthunlich, und fuh- ren davon.

Die Nacht brach ein; und es blieb uns nichts weiter übrig, als uns zu ge- dulden, bis der Wind hch legte. In* dollen befchloflen der Steuermann und ich, wo möglich zu fchlafen. Wir kro- chen daher nebft dem Holländer, der noch ganz-nafs war, in den Raum hin-

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ab. Das fchäumende Walfer, welches über Bord fchlug, flofs auf uns herab, und durchnafste uns bald fo fehr, als ihn.

Wir hatten die ganze Nacht hindurch nur wenig Ruhe. Da fich aber Tags dar- auf der Wind gelegt hatte, fo erreichten wir doch vor Nacht noch Amboy, nach- dem wir dreyfsig Stunden lang weder etwas zu elfen, noch etwas anders zu trinken gehabt hatten, als eine Flafche fchlechten Rum. Das Walfer, welches wir befuhren, war falzig. Abends legte ich mich mit einem heftigen Fieber zu Bette. Ich hatte irgendwo gelefen, kal- tes Walfer, fehr häufig getrunken, fey gut gegen das Fieber. Diefe Verordnung .befolgte ich, und fchwitzte den gröfsten Theil der Nacht durch fo reichlich, dafs mich das Fieber verliefs. Tags darauf beltieg ich die Fähre, und fetzte meine Reife zu Fufs fort. Ich hatte fünfzig Meilen bis nach Burlington zu machen, und man hatte mir gefagt, dafs ich Fahr- zeuge antrelfen würde, um vollends bis

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nach Philadelphia zu gelangen. Den gan- zen Tag lang regnete es fehr heftig; und ich wurde bis auf die Haut nafs. Da ich mich fehr ermüdet fühlte, fo hielt ich in einem elenden Wirthshaufe an, wo ich den Ueberreft des Tages und die ganze Nacht zubrachte, undjes zu bereuen an- iing, dafs ich meine Heimath verfallen hatte. Ich fpielte übrigens eine fo elende Figur, dafs man mich für einen entlau- fenen Diener hielt. Diefs konnte ich aus den Fragen abnehmen, die man an mich that , und ich fürchtete, dafs man mich als einen folchen anhalten würde. Ta- ges drauf fetzte ich indelfen meine Reife fort, und langte Abends, ungefähr acht oder zehn Meilen von Burlington , in_ einem Wirthshaufe an, welches ein ge- wifier Doctor Brown hielt.

Diefer Mann liefs lieh während mei- ner Mahlzeit in ein Gefpräch mit mir ein; und da er einige Belefenlieit an mir ge- wahr wurde, fo bezeigte er mir viel Theil- nahme und Freundfchafi» Unfere Be- kannt-

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kanntfchaft hat nachher bis an das Ende feines Lebens fortgedauert. Ich glaube, er war fo eine Art von herumwandern» den Docter gewefen; denn es gab keine Stadt in ganz England, oder in einem andern Lande Europens, von weicher- er nicht ganz befondere Umltände anzu- geben gewufst hätte. Er war ein Mann von Geilt und litterarifchen Kenntnifien, aber dabey ein Ungläubiger, der einige Jahre nachher muthwillig genug war, die Bibel, gerade wie Cotton den Virgil, in burleske Verfe zu traveltiren. Auf diefe Weife hellte er viele Dinge äufserh lä- cherlich dar. Diefs Werk hätte unter den Schwachen grofsen Schaden anriclr- ten können, wenn es herausgekommen wäre, welches er doch niemals gefche- hen liefs.

Ich übernachtete bey ihm, und ge- langte Tags drauf in aller Frühe nach Burlington. Bey meiner Ankunft hatte ich den Verdrufs zu erfahren, dafs die gewöhnlichen Pohfahrzeuge kurz vorher

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fchon abgegangen wären. Es war Sonn- abend, und vor dem nächften Dienftag füllte keins wieder abgehen. Ich kehrte in die Stadt zurück , und zwar zu einer alten Frau, von welcher ich Pfefferkuchen gekauft hatte, um ihn auf dem Waffer zu effen, und fragte fie um Rath. Sie lud mich ein, bey ihr zu herbergen, bis fich mir eine Gelegenheit darböte, an Bord zu gehen. Da ich von meiner Fufs- reife fehl- ermüdet war , fo nahm ich das Anerbieten an. Als fie vernahm, dafs ich ein Buchdrucker wäre, fo wollte fie mich bereden , in diefer Stadt zu bleiben, und dafelbff meine Kunft zu treiben. Sie wufste nicht, was für Auslagen und welch ein Kapital zum Anfänge erforderlich find. Ich fand bey ihr die wahre Gaft- freundfchaft. Mit der beften Art von der Welt bewirthete fie mich Mittags mit einem Gericht, Ochfenmaul, und wollte fich von mir keine andere Erwiederung gefallen laffen, als einen Krug Ale (eng. lijch Bier).

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Schon glaubte ich bis nächften Dien* ftag hier feftfitzen zu mühen. Als ich aber Abends am Ufer des Flufies fpazie* ren ging, fah ich ein Fahrzeug heran» nahen, welches nach Philadelphia ging, und mehrere Perfonen am Bord hatte. Man nahm mich auf; und da kein Wind wehete, fo mufsten wir uns fortrudern. Als wir gegen Mitternacht noch keine Stadt erblickten, fo behaupteten Einige von der Gefellfchaft , clafs wir fchon vor- bey feyn müfsten, und wollten nicht wei- ter rudern. Da auch die andern nicht wufsten , wo wir uns befanden, fo wurde befchloflen, Halt zu machen. Wir zo- gen uns gegen das Ufer in eine Bucht, und fliegen bey einem alten Zaun aus, deflen Pfäle uns dienten ein Feuer an- zuzünden. Denn es war eine fehl* kalte Octobernacht. Wir blieben dafelbft bis zu Tages Anbruch. Nun erkannte Ei- ner von der Gefellfchaft, wo wir uns be- fänden, nehmlich in der Bucht von Soo - per, ein wenig oberhalb Philadelphia,

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welches wir auch in der That entdeck ten, fo bald wir aus der Bucht heraus waren. Wir langten dafelbft Sonntags gegen acht oder neun ITltr des Morgens an, und fliegen auf der Kay Market- flreet aus.

Ich habe in diefer Erzählung meiner Reife auch die gröfsten Kleinigkeiten be- rührt, und fo werde ich auch meinen Eintritt in diefe Stadt befchreiben , da- mit du im Stande feyn mögefl, diefen fo fcheinlofen Anfang mit der Figur zu vergleichen, die ich nachher dafelbft ge- fpielt habe.

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Bey meiner Ankunft zu Philadelphia ging ich in meiner Handwerksgefellen- tracht, indem meine beflern Kleidungs- üücke den Umweg zu Waffer machen mufsten. Ich war befchmutzt von der Reife; meine Tafchen ftrotzten von Hem- den und Strümpfen; ich kannte keine

Jugendjahre. £>g

lebendige Seele, und wufste nicht, wo ich einkehren füllte. Ermüdet von mei- nem Marfche, vom Rudern und von der fchlaflos hingebrachten Nacht, war ich überaus hungerig, und meine ganze Baar- fcliaft beftand in einem holländifchen Thaler, und ungefähr einem Schilling in Kupfermünze, welche ich den Schif- fern für meine Ueberfahrt bezahlte. Sie fchlugen es anfangs aus , weil ich mitge- rudert hatte; allein ich beftand darauf, dafs fie es annehmen mufsten. Der Menfch' ilt bisweilen bey wenigem Gel- de weit freygebiger, als bey vielem; vielleicht, weil er in jenem Falle feine Armuth verbergen will.

Ich ging die Galfe hinauf, indem ich bald nach diefer, bald nach jener Seite fall, bis nahe an Marketftreet, wo mir ein Kind mit Brot begegnete. Meine Mahlzeit hatte fchon öfters nur aus tro ckenern Brote behänden. Ich fragte das Kind, wo es fein Brot gekauft hätte, und es wies mich fogleich zum nächften Bä-

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cker. Ich foderte Zwieback, indem ich eben folchen, als wir in Boßon hatten, zu finden glaubte ; allein es fchien nicht, dafs man dergleichen zu Philadelphia verfertigte. Ich foderte hierauf ein Brot für drey Kreuzer. Aber man machte keine zu diefem Preife. Da mir nun weder die Verfchiedenheit des Preifes, noch die Namen der Brotarten des Lan- des bekannt waren-, fo verlangte ich nur für drey Kreuzer Brot, es möchte auch feyn, von welcher Art es wollte. Er gab mir darauf drey grofse Brote. Ich er- ftaunte, fo viel zu bekommen. Ich nahm fie indelfen an, und da ich keinen Platz in meinen Tafchen hatte, fo nahm ich unter jeden Arm Eins, und am dritten afs ich, indem ich vorwärts marfchirte. Auf diefe Weife durchwanderte ich ganz Marke tftreet bis an Fourthflreet, und ging vor dem Haufe des Herrn jR ead , des Va-

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ters derjenigen Perfon vorüber , die der- einft meine Gattin feyn follte. Sie Hand vor der Tliür, fah mich, und fand mit

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Jugendjahre. 7 1

Recht, dafs ich eine höchft lächerliche und erbärmliche Figur machte.

Ich drehte mich hierauf um die Ecke, und vertiefte mich in Chesnutftreet, in- dem ich immer mein Brot den Weg ent- lang fort afs. Nachdem ich folcherge- halt die Runde gemacht hatte, fo befand icl\ mich wieder auf der Kay von Mar- ketftreet bey dem Fahrzeuge, mit wel- chem ich angekommen war. Ich flieg wieder hinab , um Flufswaffer zu trinken ; und da ich von meinem erften Brote fchon fattwar, fo gab ich die beyden an- dern einer Frau und ihrem Kinde, die mit uns in dem Fahrzeuge den Flufs herab gekommen war, und jetzt wartete, bis es weiter ging. Erquickt auf diefe Weife, gewann ich die Strafse wieder. Diefe war jetzt voll wohlgekleideter Per- fonen, die alle auf Einer Seite gingen. Ich gefeilte mich zu ihnen, und wurde auf diefe Weife in das grofse Verfamm- lungshaus der Quäker nahe am Markte geführet. Ich fetzte mich mit den An-

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dern nieder. Nachdem ich eine Zeit- lang mit Umhergaffen zugebrachl hatte, und kein lautes Wort vernahm, über- diefs von Arbeit und Schlaf lofigkeit der venvichenen Nacht ermüdet war, fo ver- fank ich in tiefen Schlaf. Mein Schlaf dauerte, bis die Verfammlung aus ein- ander ging , da denn ein Nachbar fo ge- fällig war, mich aufzuwecken. Diefs war alfo das erfte Haus in Philadelphia, wel- ches ich betrat, und in welchem ich fchlief.

Ich begab mich nun wieder auf die GalTenwanderfchaft, längs des FlufTes; und da ich jedem, der mir begegnete, aufmerkfam ins Angeficht fall, fo kam mir ein junger Quäker vor, an deffen Gefichtszüge ich mich erinnerte.’ Ich trat ihn an, und bat ihn mir zu fagen, wo ein Fremdling hier wohl Unterkom- men könnte. Wir befanden uns gerade bey der Herberge zu den drey Matrofen. „Man nimmt hier zwar Fremde auf, fagte er zu mir^ allein das Haus ift nicht

Jugendjahre. **73

in gutem Rufe. Wenn du mit mir ge hen willft, fo will ich dir ein belferes Wirthshaus zeigen.,, Er führte mich hierauf zum zufammengelegten Zettel in Waterftreet. Hier liefs ich mir Mittags- eften geben, und während meiner Mahl- zeit ergingen einige verfängliche Fragen, an mich. Meine Jugend und mein Auf- zug fchienen den Argwohn zu rechtfer- tigen, dafs ich wohl ein Fliichding feyn möchte. Nach der Mahlzeit bekam ich wieder Luft zu fchlafen. Man wies mir ein Bette an; ifth war^mkh'dai^uf, ohne mich auszukleiden , und fchlief bis um fechs Uhr des Abends, da man mich zum Elfen weckte. Ich legte mich darauf fehr früh nieder, und fchlief ununterbrochen fort bis zum nächften Morgen.

So bald ich aufgeftanden war, machte ich mich fo gut wie möglich zurecht, und begab mich zum Buchdrucker, An- dreas Bradford. In feinem Laden fand ich feinen Vater, den ich zu Neu-York gefehen hatte, und welcher vor mir zu

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Pferde in Philadelphia eingetroffen war. Er ftellte mich feinem Sohne vor, der mich höflich empfing, und mir ein Früh- itück gab. Allein er fagte mir auch zu- gleich, wie er gegenwärtig keines Gefel- len bedürfte, indem er üch fchon vor kurzem damit verfehen hätte. Er fügte aber hinzu, dafs es noch einen andern Drucker in der Stadt, der fich erft neu- lich dafelbft gefetzt hätte, Namens KeU mcr, gäbe, der mich vielleicht gebrau- chen könnte. Im Fall aber, dafs diefes nicht wäre, fo wollte er mir fehr gern fo lange Wohnung und von Zeit zu Zeit ein Stück Arbeit geben, bis fich Gele- genheit zum Mehrern darböte.

Der alte Mann erbot fich, mich zu dem neuen Buchdrucker hinzuführen; und als wir vor ihn kamen, fagte er: „Nachbar, ich bringe euch hier einen jungen Menfchen eures Gewerbes. Viel- leicht könnt ihr ihn gebrauchen.,,

Keimer that einige Fragen an mich, gab mir einen Setzhaken ( Compofwg-Stick)

Jugendjahre. 75

in die Hand, um zu fehen, wie ich ar- beitete, und fagte hierauf, dafs er mich bald anftellen wollte, ob er mir gleich augenblicklich keine Arbeit geben könn- te. Da er zugleich den alten Bradford für einen gut gegen ihn gefinnten Bür- ger der Stadt hielt, fo unterhielt er ilm über feine gegenwärtige Unternehmung und die Ausfichten, welche felbige ihm darböte. Bradford hütete lieh wohl weis- lich, fich als den Vater des andern Buch- druckers zu. entdecken und wie Keimer lieh verlauten liefs, dafs er bald die mei- fie Arbeit an fich gezogen zu haben hoffte, fo führte ihn der Alte durch al- lerley künlhiche Fragen und aufgeworfe- ne Zweifel fo lange herum, bis Keimer ihm feinen ganzen Plan mittheilte, und entdeckte, auf was für Begünftigungen er nicht nur rechnete , fondern auch wie er feine Dinge anzugreifen gedächte. Ich war dabey gegenwärtig, hörte alles mit an, und bemerkte fofort, dafs der Eine ein aller liftiger Fuchs, der Andere

76 Benjamin Franklin's

aber ein wahrer Neuling wäre. Brad- ford liefs mich bey Reimer , der ausneh- mend betreten war, als ich ihm fagte, wer der alte Mann wäre.

Ich fand, dafs Reimers Druckerey aus einer alten fchadhaften PrelTe und einem kleinen Gufs abgenutzter englifcher Schriften behänd. ' Der letzten bediente er lieh gerade felbft, um eine Elegie auf Aquila - Rofa , deflen ich oben erwähnt habe, zu fetzen. Diefer war ein junger Menfch von Kopf und vortrefflichem Character, ungemein gefchätzt in der Stadt, Secretär der Provinzialverfamm- lung, und ein gar nicht übler Dichter. Reimer machte auch Verfe; aber fie wa- ren fehr mittelmäfsig. Man konnte ei- gentlich nicht fagen, dafs er in Verfen fchriebe , denn feine Art war, fie fogleich in Lettern zu fetzen, fo wie fie aus fei- ner poetifchen Ader ürömten. Da er nun ohne Handfchrift arbeitete , nur ein. Paar Schriftkaften hatte, und zu feiner Elegie wahrfcheinlich alle Lettern ge-

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brauchte, fo konnte er fich freyliclx von Niemand helfen laßen. Ich bemühte mich feine PrefTe in Ordnung zu brin- gen, deren er fich noch gar nicht be- dient hatte, indem er nicht fo viel da- von verftand, um felbft damit umgehen zu können. Nachdem ich ihm nun ver- fprochen hatte, feine Elegie abzuziehen, fo bald fie gefetzt feyn würde, fo kehrte ich zu Bradford zurück, der mir fürs er- fte eine Kleinigkeit zu arbeiten , und da- für fo wohl Kofi: als Wohnung gab.

Einige Tage nachher liefs mich Rei- mer rufen, um feine Elegie abzuziehen. Er hatte fich indeßen noch einen Schrift- kaßen, und ein Pamphlet zum Wieder- abdruck verfchafit, wobey er mich zur Arbeit anßellte.

Bey den Buchdruckern zu Philadel- phia fchienen mir alle notliwendigen Ei- genfchaften für ihr Gewerbe gänzlich zu mangeln. Bradford, gar nicht dazu er- zogen, war ein gewaltiger Idiot. Kd-, mer, obwohl nicht ganz unwiflend, war

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doch nur ein blofser Setzer, und ver- ftand fich fchlechterdings nicht auf die Preffe. Er war Einer von den franzö- fifchen Propheten gewefen, und wufste ihre übernatürlichen Verzuckungen na ein

zumachen. Zu der Zeit, da wir mit ein-

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ander bekannt wurden, bekannte er fich zu gar keiner befondern Religion, fon- dern hielt es nach Gelegenheit mit al- len. Die Welt kannte er fehr wenig; und im Herzen hegte er nicht geringe Falfchheit, wie ich in der Folge wahrzu- nehmen Gelegenheit hatte.

Keimern war es unausftehlich, dafs ich, als fein Arbeiter, gleichwohl bey Bradford wohnen lollte. Er hatte zwar ein Haus inne, allein ohne Mobilien; mithin konnte er doch mich nicht darin aufnehmen. Er verfchaffte mir daher eine Wohnung beym Herrn Read, dem Eigentümer des Haufes , deflen ich fchon oben erwähnt habe. Um diefe Zeit war mein Felleifen nebft meinen Sachen angekommen; ich putzte mich

Jugendjahre. 79

alfo fo weit heraus, dafs ich vor Mifs Read mit etwas mein- Anhand erfchei- nen konnte, als damals, da das Unge- fähr mich ihr zum erftenmal unter die Augen brachte, indem ich mein Brot effend die Gaffen durchirrte.

Damals gelangte ich zuerft zu eini- gen Bekanntfchaften mit jungen Leuten aus der Stadt, welche Lectüre liebten, und ich brachte manchen vergnügten Abend mit ihnen hin, während ich durch meine- Thätigkeit Geld verdiente, und Dank meiner Mäfsigkeit fein zufrieden lebte. Ich vergafs daher Boßon, fo viel mir möglich war? und da ich nicht woll- te, dafs dort, aufser meinem Freunde Collins, irgend Jemand den Ort meines Aufenthaltes wüfste , fo fchrieb ich nur an diefen, und er verfchwieg mein Ge- heimnifs.

Gleichwohl ereignete fich ein Vor- fall, der mich in meine Vaterftadt eher zurückbrachte , als ich mir vorgefetzt hat- Ich hatte nehmlich einen Schwager,

So

Benjamin Franklins

Hubert Holmer, Befehlshaber einer Scha- luppe, welche die Kühen zwifchen Bo- fton und dem Delaware befuhr. Als die- fer lieh einh zu Neivcaßle , vierzig Mei- len unter Philadelphia befand, hörte er von mir reden, und fchrieb an mich, um mich von dem Verdruffe zu benach- richtigen, den meine plötzliche Abreife von Bofton meinen Eltern verurfacht hatte. Er fügte hinzu, dafs diefe nichts deho weniger die behen Gefinnungen für mich hegten, und alles fich nach mei- nem Wunfche wieder beylegen Iahen würde, wenn ich nur zurücklcehrte , wozu er mich fe.hr dringend ermahnte. Ich beantwortete feinen Brief, und dankte ihm für die Nachricht; zugleich aber fetzte ich auch meine Gründe aus einan- der, warum ich Boßon verlaßen hätte,

und zwar clieTes mit fo viel Stärke und

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Klarheit, dafs er überführt wurde, ich hätte wohl nicht fo viel unrecht, als er iich vorgeftellt hatte.

Nun

Jugendjahre. 81

/

Nun befand fich gerade damals der Ritter Wilhelm Keith , Statthalter der Pro- vinz, zu Newcaßle. Es mufste fich tref- fen, dafs Capitän Holmer mit ihm in Ge- fellfchaft war, als er meinen -Brief er- hielt, welches denn Gelegenheit gab, nicht nur von mir zu reden, fondern auch ihm meinen Brief zu zeigen. Der Statdralter las ihn und fehlen verwun- dert, als er mein Alter erfuhr. Er fag- te , ich fchiene ihm ein junger Menfcli, der überaus viel verfpräche, und den man daher aufmuntern müfste. Es sä- be keine andere, als fchlechte Buch- drucker zu Philadelphia, und wenn ich mich dafelbft anfäfsig machen wollte, fo zweifelte er gar nicht an einem glück- lichen Erfolge. Von feiner Seite wollte er mir alle öffentliche Arbeit verfchafifen, und fonft alle Dienfte leififfn, die in fei- ner* Macht wären. Mein Schwager er- zählte mir alles diefs in der Folge zu Bo- ßon wieder. Damals aber wufste ich von allem noch nicht ein Wort, als wir eines

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Benjamin Franklin’s

JTages, da Reimer und ich neben dem * Fenfter bey der Arbeit waren, den Statt- , halter und noch einen andern Herrn, den Oberften Ffench von Newctißle , bey- de fiattlich gekleidet , queer über die Strafse gerade auf unfer Haus zukom- men fallen, Jind unten an unferer Haus, thür vernahmen. Keimer , welcher glaub- te, dafs der Befuch ihm gälte, flieg fogleich hinunter. Aber der Statthalter fragte nach mir, flieg herauf, fagte mir mit einer Herablaffung und Höflichkeit, woran ich durchaus nicht gewöhnt war, überaus viel Schmeichelhaftes, wollte Be- kanntfchaft mit mir machen , machte mir zärtliche Vorwürfe darüber, dafs ich mich j ihm nicht gleich bey meiner Ankunft in der Stadt bekannt gemacht hätte, und wollte mich in eine Weinfchenke mit- nehmen, wohin er, wie er fagte, eben 1 mit dem Oberflen French ginge, um ei- } nen vortrefflichen Madera zu verfuclien. 1 Ich bekenne gern, dafs mich diefs ein wenig überrafchte ; Keimer aber Hand

Jugendjahre. S3

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ganz wie verfeinert. IndefTen ging ich mit dem Statthalter und dem Oberften in eine Weinfchenke an der Ecke vonThird- flreet, wo er mir beym Glafe Madera den Vorfchlag that, eine Druckerey an- zulegen. Er malilte mir die*Wahrfchein- lichkeit des guten Erfolges vor, und er fo wohl, als der Oberfle French verficher- ten mich ihres Schutzes und ihrer Ver- wendung , um mir den Druck der öffent- lichen Schriften aus beyden Statthalter- fchaften zu verfchaffen. Da ich zu zwei- feln fchien, dafs mein Vater mir zu die- fern Unternehmen behülflich feyn würde, fo fagte der Ritter Wilhelm, er wollte mir einen Brief an denfelben mitgeben, und darin die Vörtheile deffelben aus einander fetzen , da er denn nicht zwei- felte, ihn dazu zu bewegen. Es wurde daher ausgemacht, dafs ich mit einem folchen Empfehlungsfchreiben des Statt- halters an meinen Vater auf dem erften Schiffe nach Boßon zurückkehren follte. Vor der Hand aber follte diefs Project

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geheim gehalten werden, und ich fuhr wie bisher fort, bey Keimern zu arbeiten.

Der Statthalter liefs mich von Zeit zu Zeit zum Mittagseffen einladen. Ich hielt das für eine überaus grofse Ehre, und wurde davon um fo mehr gerührt, da man üch nichts fo leutfelig, fo vertrau- lich und freundschaftlich denken kann, als er mit mir umging,

Gegen das Ende des Aprils 1724 wollte ein kleines Schiff nach Boßon ab- gehen. Unter dem Vorwände, meine Verwandten zu befuchen, nahm ich von Keimern Urlaub. Der Statthalter gab mir einen langen Brief mit, worin er mei- nem Vater fehr viel Schmeichelhaftes für mich fagte, und ihm meine Nieder- laffung zu Philadelphia, als etwas, wel- ches dereinft mein Glück machen würde, fehr dringend empfahl.

Als wir die Bay hinabfuhren , gerie- then wir auf eine Untiefe und bekamen $inen Leck. Auf dem Meere war es flür- mifch, und wir mufsten fall unaufhörlich

I

Jugendjahre. 85

pumpen, wobey ich das meinige gleich- falls that. Nichts defio weniger langten wir ungefähr nach vierzehn Tagen ge- fund und wohlbehalten zu Boßon an.

Ich war heben volle Monath abwe- fend gewefen, und meine Eltern hatten während diefer ganzen Zeit keine Nach- richt von mir gehabt. Denn mein Schwa- ger Hulmer war noch nicht wieder zu- rückgekommen, und hatte meinetwegen auch nichts gefchrieben. Meine uner- wartete Erfcheinung iiberrafchte meine Familie. Indelfen Avar doch alles froh mich wiederzufehen , und hiefs mich herzlich willkommen, ausgenommen mei- nen Bruder. Ich befrachte ihn in feiner Druckerey. Ich war weit befler geklei- det, als ich es jemals in feinen Dienllen gervefen Avar. Denn ich hatte einen voll- ftändigen neuen und faubern Anzug., ei- ne Uhr, und mein Beutel Acar beynahe mit fünf Pfund Sterling baar gefpickt. Mein Bruder empfing mich eben nicht gar artig, fah mich vom Kopf bis zu den

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Füfsen an, und machte fich wieder an feine Arbeit.

Die Gefallen fragten mich fehr drin- gend, wo ich gewefen, was für eine Art Land es wäre, und Avie ich mich dafelbft befunden hätte. Ich rülimte PhiladelM phia, und das glückliche Leben, Avelches , ich dafelbft führte, nicht Avenig, und drückte dabey meinen Vorfatz, wieder dorthin zu gehen, fehr kräftig aus. Als mich einer von ihnen gefragt hatte, was für eine Art Geld man dort verdiente, ! Io zog ich eine Hand voll aus der Ta- fche, und Avarf he vor ihnen auf den Tifch. Das . Avar für fie eine Art von Seltenheit, worari fie gar nicht gewöhnt waren, indem zu Boßon Papier im Um- laufe Avar. Ich unterliefs hierauf auch nicht, ihnen meine Uhr zu zeigen. End- lich, da mein Bruder immer mürrifch und bey widerwärtiger Laune blieb, gab ich ihnen ein Stück von Achten zum Vertrinken, und empfahl mich. Diefer

mein Befuch verdrofs ihn auf das äufser-

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Jugendjahre. 8 7

Re. Denn als meine Mutter einige Zeit darnach von Wiederverföhnung mit ihm fprach, und ihren Wunfch zu erkennen gab, dafs wir doch hinfort wieder brü- derlich zufammen leben möchten, fo lag- te er, wie ich ilm dermafsen vor feinen Leuten befchimpft hätte, dafs er mirs nim- mermehr vergehen noch vergeben 'wür- de, worin er fich doch gleichwohl irrte.

Der Brief des Statthalters fchien zwar meinen Vater in einige Verwunderung zu fetzen; iridefien liefs er fich doch nicht viel darüber aus. Als nach Verlauf ei- niger Tage der Gapitän Holmer zurück- kehrte, fo zeigte er ihn diefem, und fragte ihn, ob er diefen Krith kennte, und was für eine Art Mann derfelbe wä- re. Dabey fügte er hinzu, dafs es doch, feiner Meinung nach, wenig Urtheils- kraft verriethe, ein Kind etabliren zu wollen, dem noch drey volle Jahre ab- gingen, ehe es in die Clafle der Män- ner aufgenommen werden könnte. Hol - mer fagte zum Bellen des Projects, was

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er wufste und konnte; allein mein Va- ter behauptete feil die IJnthunliclikeit der Sache, und fchlug endlich feine Einwil- ligung geradezu ab. Er fchrieb hierauf an den Ritt» r Wilhelm einen höflichen Brief, worin er ihm zwar für die fo gü- tig angebotene Gönnerfchaft dankte, aber es auch zugleich abfchlug, mich für jetzt etabliren zu helfen. Denn feiner Mei- nung nach wäre ich noch allzu jung, als dafs man mir eine fo wichtige Un- ternehmung anvertrauen könnte, wovon fchon die blofsen Vorbereitungen eine beträchtliche Anlage erfoderten.

Mein alter Kamerad Collins, welcher als Schreiber bey der Pofl ftand, war ganz entzückt über das, was ich ilnn von meinem neuen Aufenthalt erzählte, und bekam Luft ficli gleichfalls dorthin zu begeben. Während ich noch auf die Entfcldiefsung meines Vaters wartete, reifete er fchon vor mir zu Lande nach Rhode - Island ab , und lie.fs feine ganz artige Sammlung von mathematifcheu

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Jugendjahre. 89

und phyficalifchen Büchern zurück, um mit den meinigen nach Neu - York trans- portirt zu werden, wofelbft er mich er- warten wollte.

Ob nun gleich mein Vater den Vor- fchlag des Ritters Willrelm nicht geneh- migte, lo behagte es ihm doch unge- mein , dafs ich mir eine fo günflige Em •pfelilung von einer fo vornehmen Per- fon an dem Orte meines Aufenthalts hätte auswirken können , und dafs mein Fleifs und meine gute Wirthfchaft mich in den Stand gefetzt hätten, mich in fo kurzer Zeit fo artig herauszuputzen. Da es nicht fchien, dafs das gute Verneh- men zwifchen meinem Bruder und mir wieder hergeftellt werden würde , fo wil- ligte mein V ater in meine Rückkehr nach Philadelphia, und gab mir den Rath, dafelbft gegen Jedermann meine Pflicht zu beobachten, mich um allge meine W erthfchätzung zu bewerben, und Satyre und Spötterey zu vermeiden, wo- zu ich, nach feiner Meinung, einen all-

Benjamin Fxanklin’s

zu grofsen Hang hätte. Durch Beharr- lichkeit und kluge Wirthfchaft, fügte er hinzu, könnte ich mir vor meinem ein und zwanzigften Jahre genug erfparen, um mich damit einzurichten; und wenn mir alsdann ja nocli eine Kleinigkeit fehlte, fo wollte er fclion dafür forgen.

Diefs war alles, was ich erhalten konn- te, ausgenommen einige kleine Gefchen- ke, zum Zeichen des Wohlwollens, fo- wohl von feiner als meiner Mutter Seite. Ich fchifite mich von neuem nach Neu- York ein, diefsmal aber unter dem Schu- tze ihrer Einwilligung und ilires See- gens. Da die Schaluppe zu New-port Rhode - Island ardegte, fo befuchte ich meinen Bruder Johanti , der feit einigen Jahren dafelbft eingerichtet und verhei- rathet war. Diefer hatte mich immer fehr geliebt, und nahm mich daher ungemein zärtlich auf. Einer feiner Freunde, Na- mens Vernon, welcher eine Eoderung in Penfylvanien von ungefähr 36 L. Ster- ling hatte, bat mich, diefes Geld zu er-

Jagendjahre. 91

heben, und es fo lange an mir zu be- halten, bis er mir das Weitere auftrüge. Er hellte mir daher eine Anweifung zu. Diefe Sache verurfachte mir in der Fol- ge viel Unruhe.

Zu Netvport nahmen wir eine Anzahl Reifender ein, worunter fich auch zwey junge Frauenzimmer, die zufammen rei- feten, und eine Quäkerinn, eine gefetzte und gefcheidte Dame, nebh ihren Jjeu- ten, befanden. Ich hatte mich felir höf- lich und ämfig gezeigt, ihr einige kleine Dienhe zu leihen, und vermuthe, dafs fie aus Erkenntlichkeit dafür Antheil an mir nahm. Denn in der Tliat, als he wahrnahm, dafs hch zwifchen den bey- den Reifegefährtinnen und mir eine Ver- traulichkeit entfpann, die von Tag zu Tage zunahm, und dafs diefe mir Auf- munterungen zu geben fchienen, fo zog he mich bey Seite, und Tagte: „Junger „Menfch, ich bin deinetwegen in Sor- „gen. Du hah keine Eltern, die über „deine Aufführung wachen, und fchei-

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„neß mir weder die Welt, noch die Fall- „ftricke zu kennen, denen die Jugend „ausgefetzt ill. Verlafs dich auf das, „was ich dir hiermit fage. Diefs find „Frauenzimmer von höchfl fchlechter „Lebensart; ich erkenne das aus allen „ihren Handlungen. Wenn du nicht „auf deiner Huth bi fl, fo werden fie dich „in irgend eine Gefahr locken. Sie find „dir fremd; wegen des freundfchaftli- „chen Antheils , den ich an dir nehme, „rathe ich dir, dich in keinerley Ver- ..bindung mit ihnen einzulaflen. Als ich Herauf nicht fo übel von ihnen zu denken fchien, als lie, fo erzäHte fie mir Dinge genug, die he von ihnen gefehen und gehört hatte , die gleichwohl meiner Aufinerkfamkeit entgangen waren, mich aber überzeugten, dafs ^e Recht liatte. Ich dankte ihr für ihren gütigen Rath, und verfprach, ihn genau zu befolgen.

Als wir zu Neu- York aixkamen, zeig- ten ße mir ihre Wohnung an, und ba- ten mich, ße dafelbft zu bef riehen. Diefs

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Jugendjahre.

liefs ich bleiben, und that fehr wohl dar- an. Denn Tags darauf vermifste der Ca- pitän einen filbernen Löffel und einige andere Sachen, die aus feiner Cajiite ent- wendet worden waren. Da er nun wufs- te, dafs diefs liederliche Weibsbilder wa- ren. fo wirkte er einen Unterfuchungs- befehl aus, fand die geftohlnen Sachen, und liefs fie beffrafen. Solchergeflalt ent- ging ich nicht nur einem unter dem Waf- fer verborgenen Feilen , auf welchen das Schiff auf feinem Laufe geftofsen war, fondern auch für mich insbefondere noch einer weit gefährlichem Klippe.

Zu Neu-Tork fand ich meinen Freund Collins, , der einige Zeit vor mir dafelbft angekommen war. Wir waren feit un- ferer Kindheit mit einander vertraut; wir hatten zufammen einerley Bücher gele- fen: allein er hatte den Vortheil, mehr Zeit auf das Lefen und Studiren verwen- den zu können, und eine erftaunliche Anlage zur Mathematik, worin er mich bald fehr weit hinter fich zurück liefs.

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Benjamin Franklin’s

Als Ich noch ln Boßon war, brachte ich meine meillen Erholungsflunden mit ihm hin. Er war ein eingezogenet und lleifsiger Burfche. Seine Kenntnifie hat- ten ilxm die allgemeine Achtung fowold feiner Glaubcnsgenoflen, als feiner übri- gen Mitbürger erworben, und es fchien, dafs er fielt einfi zu feinem Vordieile in der Gefellfchaft zeigen würde. Allein wältrend meiner Abwefenheit hatte er fielt un glücklicher W eife dem Brandwein ergeben, und ich erfuhr fowohl von ihm felbft, als von andern, dafs er feit feiner Ankunft zu Neu- York alle Tage betrun- ken gewefen wäre, und fich dabey feltr ausgelaflen betragen hätte. Auch hatte er gefpielt und alle fein Geld verloren, fo dafs ich genöthigt war, nicht nur fei- ne Zeche im Wirthshaufe zu bezahlen, fondern ihn auch auf der ganzen Reife frey zu halten, welches mir ungemein zur Lall fiel.

Der damalige Statthalter Burnet zu Neu - York hatte von dem Capitän ver-

Jugendjahre. .95

nommen, dafs er einen jungen Reifen- den am Bord hätte, der viele Bücher be fäfse, und bat ihn daher mich zu ihm zu führen. Ich ging hin, und würde Collins mit mir genommen haben, wenn er nur nüchtern gewefen wäre. Der Statt- halter begegnete mir überaus artig, zeig- te mir feine fehr anfelinliche Bibliothek, und wir unterhielten uns fehr lan°;e fo- wohl über die Bücher, als ihre Verfaf- fer. Diefs war der zweyte Statthalter, der mich mit feiner Aufmerkfamkeit be- ehrte, und einem armen Burfchen, wie ich damals war, mufsten dergleichen Be- gebenheiten wohl nicht wenig fchmei- chelhaft feyn.

Wir gingen hierauf nach Philadel- phia ab. Unterweges erhob ich Fef/io/ts Geld, ohne welches es hart gehalten ha- ben würde , unfere Reife zu vollenden.

Collins wünfchte bey irgend einer Wechfelbank angefiellt zu werden ; allein ob er gleich gute Empfehlungsbriefe hat- te. fe verriethen dach fein Athem und

fjü Benjamin. Franklin’s

fein ganzes Aeufieres allzu fehr feine böfe Angewohnheit. Es glückte ihm da- her nirgends, und er fuhr fort, auf mei- ne Unkoflen bey mir zu wohnen und zu zehien. Da er wufste, dafs ich Vernons Geld hatte, fo wollte er beftändig davon geliehen haben, indem er immer ver- fpracli, es fogleich wieder erllatten, wenn er einen Dienft haben würde. Er lockte mir endlich fo viel ab, dafs ich in die gröfste Unruhe darüber gerieth, was aus mir werden würde, wenn ich das Geld abliefern follte. Seine Neigung zum Trünke liefs nicht nach, und brach- te Zwiefpalt zwifchen uns; denn wenn er ein wenig zu viel getrunken hatte, fo war er fein- heftig.

Als wir uns eines Tages nebft meh- tern jungen Leuten in einem Nachen auf dem Delaivarc befanden, wollte er nicht rudern, als die Reihe an ihn kam. „Ihr follt mich, fagte er, bis nach Hau- fe rudern.,. „Daß werden wir wohl blei- ben lallen,,, fagte ich. „Wenn ihr es^

nicht

Jugendjahre. 97

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nicht thut, erwiederte er, fo müfst ihr die ganze Nacht auf dem Wader blei- ben.,,— „Thu, wie dir beliebt, Tagten die andern. Lafst uns fortrudern! Was liegt denn daran, ob er rudert, oder nicht!,, Aber ich, fchon wegen fei- ner übrigen Aufführung gegen ihn er- bittert, fuhr fort mich zu widerfetzen. Da fchwur er, er würde mich rudern lehren, oder mich zum Nachen hinaus- werfen. Und in der That kam er über die Queerbalken gegen mich angefchrit- ten. Sobald ich ihn aber erreichen konn- te , fchwang ich meinen Arm unter feine .Hofen, erhob mich ungeflüm und warf ihn Kopf voran in den Strom. Ich wufs- te, dafs er ein guter Schwimmer war, und fürchtete daher nichts für fein Le- ben. Ehe er fich nun umwenden und den Nachen wieder ergreifen konnte, ge- wannen wir Zeit, den Nachen durch ei- nige Ruderfcliläge fo weit von ihm zu entfernen, dafs er ihn nicht mehr errei- chen konnte. So oft er lieh näherte,

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fragten wir ihn, ob er rudern wollte, und einige Ruderfchläge zu gleicher Zeit machten, dafs er den Nachen fahren 1 lallen mufste. Er wollte beynahe vor 5 Zorn erfticken , und gleichwohl nicht zu rudern verfprechen. Als wir indelfen fallen, dafs ihm die Kräfte ausgingen, l’o zogen wir ihn wieder in den Nachen, und brachten ihn Abends durch und

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durch nafs zu Haufe. Nach diefem Vor- falle lebten Avir äufserll kaltfinnig mit ein- ander. Endlich gerieth er an den Capi- tän eines Schilfes von den Infein, der den Auftrag hatte , lieh nach einem Hof- ineifter für einen jungen Herrn zu Bar- bados umzufehen. Diefer fchlug ihm die Stelle vor, und verfprach ihn dorthin zu führen. Er nahm fie an, und verliefs mich mit dem Verfprechen, dafs ich zur Berichtigung meiner Foderung das erfle Geld haben follte, Avas er einnclimen > würde. Allein ich habe nie etAvas AVie- der von ihm vemommen.

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Jugendjahre.

Die Vergreifung an dem mir von Vernon anvertrauten Gelde gehört zu den erften grofsen Vergehungen meines Lebens; und diefer Vorfall beweifet, dafs mein Vater fich eben nicht in feinem Urtheile betrog, indem er mich noch für zu jung hielt, um wichtige Gefchäf- te zu führen. Allein der Ritter Wil- helm, nachdem er feinen Brief gelefen hatte, fagte, dafs er allzu vorfichtig wä- re. Man müfste bey einzelnen Perfonen Ausnahmen machen; und fo -wie Weis- heit nicht immer die Begleiterinn des reifem Alters wäre, fo felilte fie auch nicht gerade immer der Jugend. „Weil er Sie denn alfo nicht etabliren will, füg- te er hinzu, fo will ich es felbft thun. Geben Sie mir ein Verzeichnifs von den- jenigen Artikeln, die wir aus England haben müden, und ich werde fie kom- men laden. Sie können mich wieder be- zahlen, wenn fie im Stande dazu find. Ich will nun einmal einen guten Drucker hier haben, und ich bin von Ihrem Fort-

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Benjamin Franklin’s

kommen verfichert. Er fagte das mit einem folchen Anfchein von Herzlich- keit, dafs ich keinen Augenblick an der Aufrichtigkeit feines Anerbietens zwei- felte. Bisher hatte ich das Project mei- ner Niederlaffung, das. er mir in den Kopf gefetzt hatte, keinem Menfchen zu Philadelphia entdeckt, und ich fuhr fort es zu verfchweigen. Wenn man gewufst hätte, wie fehl- ich auf den Statthalter rechnete, fo würde fich unflreitig ein in Anfehung feiner belfer unterrichteter Freund gefunden, und mich gewarnt liaben, nicht auf ihn zu bauen. Denn ich erfuhr in der Folge, dafs er allge- mein für einen Mann galt, dfcr zwar freygebig in Verfprechungen, aber nie Willens wäre, he zu erfüllen. Indeffen, da ich ja gar nichts bey ihm gefucht hatte, wie hätte ich glauben können, dafs feine Anerbietungen nicht aufrichtig wä» ren? Ich hielt ihn für den bellen Mann von der Welt.

Jugencljahre. lo.i

Ich überreichte ihm düs Verzeichnis der Erforderniffe zu einer kleinen Buch- druckerey, wovon lieh die Koften nach meiner Rechnung ungefähr auf hundert Pfund Sterling beliefen. Er war damit zufrieden, fragte mich' aber auch zu- gleich, ob es nicht gut feyn würde, dafs ich felbft nach England ginge, um die Lettern felblf an Ort und Stelle auszufu- chen, und dahin zu forgen, dafs jeder Artikel in feiner Art von hinlänglicher Güte wäre. „Sie könnten, fagte er, dort auch Bekanntfchaften machen, und einen Briefwechfel mit Buch - und Papierhand- lungen anlegen.,, Ich gab zu, dafs diefs allerdings vortheilhaft feyn würde. „Wenn das ift, fuhr er fort, fo halten Sie fich bereit, mit dem Annis nach England zu gehen.,, Diefs war das jährliche und damals einzige Schiff, wel- ches regelmäfsig zwifchen London und Philadelphia ging; allein es waren noch einige Monathe hin, ehe der Annis ab- fegelte. Alfg fuhr ich fort, bey Ktirnarn

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Benjamin Franklin’s

zu arbeiten, aber fehr unruhig über das Geld, welches Collins von mir entliehen hatte, und in befiändiger Angft vor Ver- non, welcher doch aber zum Glück fein Geld erft nach einigen Jahren wieder loderte.

Ich glaube in der Erzählung von mei- ner erften Reife von Boßon nach Phila- delphia einen kleinen Vorfall ausgelaf- fen zu haben , der vielleicht hier nicht . an der Unrechten Stelle.feyn wird. Wäh- rend der Windflille, welche uns jenfeit Block -Island aufhielt, befchäftigten fich unfere Leute mit dem Stockfifchfange, und fingen eine grofse Menge. Bis da- hin war ich meinem Vorfatze treu ge- blieben, nichts zu elfen, was lebendig gewefen wäre; und bey diefer Gelegen- heit betrachtete ich,' meinem Lehrer Tryon zufolge, den Fang jedes Fifches als eine Art von Mord, ohne dafs ir- gend eine Anreizung dazu vorhergegan- gen wäre, indem doch kein Fifch irgend jemanden etwas zu leide gethan, oder nur

Jugendjahre. 203

hätte tliun können, um diefe Niederla- ge zu rechtfertigen. Diefe Art über die Sache zu urtheilen fchien mir ganz un- widerleglich. Aber ich war ehemals ein grofser Liebhaber von Fifchen gewefen, und als hier einer aus der Bratpfanne genommen ward, fo roch er gar vor- trefflich. Ich fchwankte eine Zeit lang zwifchen dem Grundfatze und der Nei- gung, bis mir einfiel, dafs ich beyra Ausnehmen der Stockfifche andere klei- ne Fifche in ihrem 'Magen gefehen hat- te. Sogleich fprach ich bey mir felbft: Wenn ihr einer den andern fpeifet, fo fehe ich nicht ein , warum wir euch nicht auch fpeifen follten. Dem zu Folge hielt ich ein liöchfl; vergnügtes Mittagsmahl von Stockfifch, und fuhr hernach fort wie alle Welt zu elfen, aufser dafs ich von Zeit zu Zeit, und bey gewilfen Ge- legenheiten, zur vegetabilifclien Nah- rungsweife zurückkehrte. So bequem ift es alfo ein vernünftiges Thier zu feyn, das immer Gründe findet oder erfindet,

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um alles zu rechtfertigen , was es nur ir- gend zu thun Lull hat.

Ich lebte ganz gut mit Keimern , und \yir waren ziemlich einig, weil er fich von dem Project meiner1 Niederlaflung nichts träumen liefs. Sein Entliufiasmus hielt gröfstentheils an, und er mpchte gern vernünfteln. Wir dispütirten daher oft mit einander. Ich pflegte ihn mit meiner focratifchen Methode fo zufam- men zu arbeiten, und hatte ihn durch meine Fragen, die anfänglich von dem Streitpuncte felir weit entfernt zu liegen fchienen, dennoch aber nach und nach fich demfclben näherten, und ihn in Schwierigkeiten und Widerfprüche ver- wickelten , aus welchen er ficlx nicht zu retten wufste , fo oft* fcht , dafs er zu- letzt feine Vorficht bis ins Lächerliche trieb, und kaum auf die einfachile umvW 'ehrlichfle Frage anders antwortete, als-' nachdem er erft gefragt-.'hatte : Was füll daraus folgen? ^ Indefien bekam er doch eine fo hohe, Meinung von mein, r Wi-

Jugendjahre. 105

derlegungsTtunfi: , dafs er mir im ganzen Ernfte den Vorfchlag that, zur Ausfüh- rung feines Projects, eine neue Secte Z(U fliften , fein Gehülfe zu werden. Er wollte alsdann die Lehre predigen, und ich follte die Widerfacher bekämpfen.

Als er fich über feine Lehrfätze ge- gen mich erklärte, fo fand ich darunter viele- närrifclre Einfälle, die ich nicht Statt finden lalTen wollte, wenn ich nicht jvenigftens auch etwas von dem Meini- gen dazu thun dürfte , und er nicht auch einige meiner Grundfätze annähme. Kä- tner §ug einen langen Bart, weil es ir- gendwo bey Mofes heifst: Ihrfollt eitert} Bart nicht gar abfcheren. Er feierte auch den Sabbath oder den fiebenten Tag; und diefe beyden Punkte waren feiner Meinung nach wefentlich. Mir mifsfiel zwar der Eine wie der Andere; allein ich liefs fie doch unter der Bedingung zu, dafs er fich dem Verbot der Nah- rungsmittel aus dem Thierreiche unter- würfe. „Ich fürchte, fagte er, diefs wer-

io6 Benjamin Franklins

de meine Natur nicht aushalten.,, Ich verficherte ihm dagegen, dafs er fich da- bey fehr wohl befinden würde. Er war von Natur g'efräfsig; und ich wollte mir das Vergnügen machen, ihn ein wenig auszuhungern. Er verftand fich endlich zu einem Verfuche diefet Lebensord- nung, wenn ich ihm Gefellfchaft leiften wollte. Wir unterwarfen uns derfelben in der That drey Monathe lang. Eine Frau in der Nachbarfchaft bereitete und brachte uns unfer Elfen. Ich gab ihr ein Verzeichnis von Vierzig Gerichten, die fie uns von Zeit zu Zeit abwechfelnd zubereiten follte, zu welchen allen we- der Fleifch noch Fifch kam. Diefe Grille bekam mir damals defio b elfer, je wohV feiler fie war. Denn unfere ganze Nah- <’ rung kofiete einem jeden von uns nicht über ' achtzehn Pence Sterling wöchent- lich'-5').

Ich habe feitdem mehrere der fireng- fien Fallen beobachtet, und diefe Le-

**) Etwas ilbcr 13 V Grofchen.

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Jugend] ahre. 107

bensordnung fall immer plötzlich auf die gewöhnliche folgen laden, ohne den mindeften Naclitheil zu erfahren. Da- her fclieint mir auch der Rath fehl- un- erheblich, den man gewöhnlich giebt, ficli nicht anders, als nach und nach an eine veränderte Lebensordnung zu ge- wöhnen.

Ich beobachtete lie gutes Muthes; al- lein der arme Keimer litt dabey nicht we- nig. Verdrüfslich über fein Unterneh- men, feufzte er nach den Fleifchtöpfen Aegyptens. Endlich liefs er fich ein Spanferkel braten, und lud mich, neblt no-ch zwey Frauenzimmern von unferer Bekanntfchaft zum Mittagseflen ein. Da aber das Spanferkel zu früh gahr gewor- den war, fo konnte er der Verfuchung nicht widerlichen, und afs es rein auf, ehe wir noch ankamen.

Während diefer Begebenheiten be.- zeigte ich der Mifs Read einige Aufmerk- famkeit. Ich empfand nicht wenig Nei- gung und Hochachtung für diefelbe, und

ioS Benjamin Franklin’s

hatte Urfache zu glauben, dafs fie nicht gleichgültig gegen mich wäre. Da wir aber beyde noch lehr jung und nicht über achtzehn Jahr alt waren, und ich überdiefs in Begriff liand, eine lange Reife anzutreten, fo hielt ihre Mutter es - der Klugheit gemäfs, uns für jetzt nicht zu weit gehen zu laffen; indem, wenn ja eine Heirath unter uns Statt haben follte, es beffer feyn würde, damit zu warten, bis ich zurüekgekehrt, und zu meinem künftigen Gewerbe fo eingerich- tet feyn würde, als ich vorhatte. Viel- ' leicht dachte fie auch, dafs meine Hoff- riungen wohl nicht auf fo feilen Füfeen flünden , als ich mir einbildete.

Meine vorzüglichflen Kameraden wa- ren damals Carl Osborne , Jofeph Watfon und Jacob Ralph, lauter Freunde der Lectüre. Die beyden erllen waren Schrei- ber beym Herrn Carl Bröckelen , einem der vornehmflen Stadt-Notare; der drit- te war Schreiber bey einem Kaufmann. Watfon war ein junger rechtfchaffener ,

Jugendjahre. 105

fehr frommer und empfindfamer Menfch; die andern waren ein wenig fclilaffer in ihren Religions-Grundfätzen befonders Ralph, den ich fo wie den Collins , felbfl wankend gemacht hatte. Sie haben- mich aber auch beyde tüchtig dafür beflraft. Osborne. war empfindfam, offenherzig und zärtlich gegen feine Freunde; aber über

Gegenflände der Litteratur allzu fehr zur

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Kritteley geneigt. Ralph wargeiftreich, artig in feinem Wefen und ausnehmend beredt. Ein angenehmerer Sprecher ifl: mir in meinem Leben, wie ich glaube, nicht vorgekommen. Beyde waren lei- denfchafdich für die Lichtkunft einge- nommen; und fie fingen an, lieh in klei- nen poetifchen Stücken zu verfuchen.

ir vier machten des Sonntags in den Wäldern, die an den Skuylkill flofsen, _ fehr angenehme Spaziergänge. Wir la- fen gemeinfchaftlich, und unterhielten uns über das Gelefene. - Ralph war ge- neigt, lieh ganz der Poefie zu ergeben. Er fchmeichelte lieh die gröfsten Fort.

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Benjamin Franklin’ s

fchritte auf diefer Laufbahn zu machen, ja fogar fein zeitliches Glück auf derfel- ben zu finden. Er behauptete, dafs die grofsten Dichter im Anfänge eben fo viele Fehler begangen hätten, als er felbfi: noch beging. Osborne fuchte ihn eines andern zu belehren, verficherte ihm, dafs er gar kein poetifches Genie hätte, und gab ihm den Radi, bey dem Ge- werbe zu bleiben, wozu er erzogen wor- den wäre. 5, Bey der Handelfchaft, fagte er zu ihm, kannft du es, auch ohne Mit- tel , doch leicht durch Fleifs und Unver- drofienheit zu einer Faktorftelle bringen, und dir dabey mit der Zeit fo viel er- werben, dafs du endlich für deine eigene Rechnung etwas unternehmen kannft. Ich meines Theils hatte nichts dawider, dafs man lieh zwar von Zeit zu Zeit mit der Poefie abgäbe, allein das müfste nur dazu dienen, um fich in der Sprache vollkommener zu machen. Es kam da- her in Vorfchlag, dafs bey der nächfien Zufammenkunft jeder von uns einen Auf-

Jugendjahre. 1 1 1

fatz in Verfen von feinem Machwerk mitbringen follte. Unfere Abficht hier- bey war, uns durch unfere wechfelswei- fen Bemerkungen, Kritiken und Ver- heuerungen vollkommener zu machen; und da wir uns allein Sprache und Aus- druck zum Zjel fetzten, fo fchloflen wir jede Rückficht auf Erfindung aus, und wurden eins, dafs die Aufgabe eine Ue- berfetzung des achtzehenden Pfalms feyn follte, worin das Herabfleigen der Gott- heit gefchildert ift.

Der Tag unferer Zufammenkunft war vor der Thür , ' als Ralph mich befuchte, und mir meldete, dafs fein Stück fertig ■wäre. Ich geftand ihm, ich fey faul ge» wefen , und da mir auch die Neigung zu dergleichen Arbeit fehlte, fo hätte ich nichts gemacht. Er zeigte mir darauf fein Stück, und fragte mich, was ich davon hielte. Ich lobte es ungemein, weil es mir in der That ein grofses Ver- dienft zu haben fchien. Er fagte hier- auf zu mir: Osborne wird einem Wer-

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Benjamin Franklins

ke von mir niemals das mindefte Ver- dienft einräumen. Schon der Neid wird ihm taufend Krittele'yen eingehen. Auf dich ift er nicht fo eiferftichüg; ich möch- < te daher wohl, dafs du das Ding zu dir nährneU , und es für das deinige ausgä- befh Ich will alsdann vorgeben, ich hätte keine Zeit gehabt, und daher nichts zu Stande gebracht. Wir werden dann hören, was er dazu fagcn wird.,, Ich war zu diefer kleinen Betrtigerey bereit, und fchrieb Ralphs Stück fogleich ab, um jeden Argwohn zu entfernen.

Wir verfammelten uns wieder. Wat- fons Werk kam zuerft vor. Es hatte ei- nige Schönheiten, aber auch viele Feh* ler. Wir lafen hierauf das von Osborne; welches weit beller war. Ralph hefs ihm •Gerechtigkeit wiederfahren ; bemerkte darin zwar einige. Felder, lobte jedoch auch feine Schönheiten. Da er nichts aufzviweifen hatte, fo kam ich nun an die Reihe. Ich machte erll Umftände;;

fchien um Entfchuldigung zu bitten; ich

hätte-

Jugendjahre. 1 1 3

hätte nicht Zeit genug zum Ausfeilen ge- habt u. f. w. Aber das half alles nichts; das Stück mufste vorgezeigt werden. Es wurde gelefen und wieder gelefen. Wat- fon und Osborne entfagten fogleich aller Mitbewerbung um den Preis, und ver- einigten fich zum Lobe des Stückes. Ralph allein machte einige Kritiken, und fclilug ein Paar Verbefierungen vor; al- lein ich vertheidigte meine Lesart. Os- borne, war wider Ralph, und fagte, dafs er fich eben fo wenig auf das Urtheilen, als das Hervorbringen verbände.

Als die andern mich verlaßen und fich nach Haufe begeben hatten, drückte fich Osborne zu Gunften meines ver- meinten Werkes noch bärker aus. Er behauptete , dafs er fich vorhin nur nicht recht ausgelaffen hätte, aus Furcht, ich möchte ihn im Verdacht der Schmeiche- ley gegen mich haben. „Aber wer hät- te es denken follen, dafs Franklin fähig wäre, ein folches Werk zu Stande zu bringen! Welche Mahlerey ! Welche

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Kraft! Welch ein Feuer! Er hat das Original noch übertroflen. Sein Aus- . druck im gewöhnlichen mündlichen Vor- trage fcheint nichts weniger, als gewälilt zu feyn. Er Hockt, er verfpricht fich^ und gleichwohl , o Himmel! wie fchreibt er !

Bey unferer nächften Zufammenkunft entdeckte Ralph den Streich, den wir dem Osborne gefpielt hatten , und er wur- de ohne Barmherzigkeit darüber ausge- fpottet.

Diefer Vorfall beftärkte Ralphen in fernem Entfchlufie , ein Dichter zu wer- den. Ich unterliefs nun zVar nichts, ihn davon abzubringen; allein er fuhr den- noch fort, Verfe zu machen, bis er den , Pope las, da er denn von feiner Krank- heit genas. Indeflen wurde er doch ein ziemlich guter Profaul. Ich werde un- ten noch mehr von ihm fagen; allein! da ich fchwerlich Gelegenheit haben wer- de , der beyden andern wieder zu erwäh- nen, fo mufs ich hier melden , dafs Wat-

Jugencljahre. 115

fon einige Jahre nachher in meinen- Ar- men verfchied. Er rvurde ausnehmend bedauert; denn er war der Belle von uns allen. Osborne ging nach den In- feln über, ward ein berühmter Advocat, und gewann Geld; aber er ftarb jung. Wir hatten einander im ganzen Ernfle verfprochen, dafs derjenige, welcher von uns beyden zuerft herben würde, wo nur immer möglich, wiederkommen, bey dem andern einen freundfchafdichen Be- fuch ablegen, und ihm über die Ange- legenheiten des künftigen Lebens Aus- kunft geben follte. Allein er hat fein Verfprechen niemals erfüllt.

Der Statthalter fchien an meiner Ge* fellfchaft Gefchmack zu finden, und lud mich daher öfters zu fich ein. Er fprach dabey immer von feinem Vorfatze, mich zu etabliren, als von einer ausgemach- ten Sache. Ich follte Empfehlungsbriefe an verfchiedene feiner Freunde mitneh- men, vornehmlich aber einen Gredit- brief, um das nöthige Geld zum Ankauf

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ii6 Benjamin Franklin’s

der PrefTe, der Lettern, des Papiers u, J f. iv. erheben zu können. Er beflellte mich verfchiedenemale zu fich, diefe j Briefe in Empfang zu nehmen, die dann j immer fertig feyn füllten ; allein immer S1 hiefs er mich einen andern Tag wieder- ;j kommen.

Diefer Auffchub von einer Zeit zur’ andern währte fo lange, bis das Schiff, j defTen Abreife mehreremale weiter hin- ] aus gefetzt war, endlich im Begriff Hand unter Segel zu gehen. Ich begab mich alfo zum Ritter Georg, um Abfchied von ihm zu nehmen, und feine Briefe abzu- halen. Allein fein Secretär, der Doctor Bard, kam und fagte zu mir, der Statt- halter hätte jetzt äufserft vielt zu fchrei- ben. Da er indefTen noch vor dem Schif- fe nach New-Caßk hinabgehen -würde, fo füllte ich dafelbfl feine Briefe in Em- pfang nelimen.

Ralph hatte fich entfclilofTc-n , mich auf diefer Reife zu begleiten, ob er gleich verheirathet war und ein Kind

Jugendjahre. 117

hatte. Man glaubte, feine Abficht wäre, ein Verkehr mit England anzulegen, und fichWaaren anzufchaffen , um felbige in Commiffion zu verkaufen. Allein ich erfuhr in der Folge, dafs er einige Ur~ fache hatte mit den Eltern feiner Frau unzufrieden zu feyn, dafs er diefe daher in ihren Händen lalfen, und nie wieder nach Aanerica zurückkehren wollte.

Nachdem ich von meinen Freunden Abfchied genommen und mich noch mit Mifs Read verfproclien hatte, verliefs ich Philadelphia. Das Schiff ging zu New- Caßle vor Anker. Der Statthalter befand fielt dafelbfl, und ich begab mich in fei- ne Wohnung. Sein Secretär empfing mich feltr höflich, und fagte mir von Seinetwegen, dafs er mich jetzt unmög- lich feiten könnte, weil Gefchäfte von der äufserften Wichtigkeit ihn abhielten. Indeffen würde er mir die Briefe an Bord fenden; er wünfehte mir von ganzem Herzen eine glückliche Reife, eine bal- dige Wiederkehr u. f. w. Ich begab

jiS Benjamin Franklin’s

mich alfo an den Bord des Schiffes zu- rück, zwar ziemlich verwundert, aber doch noch bis jetzt ohne den mindeften Argwohn.

Auf ebendemfelben Schiffe befand fich Herr Andreas Hamilton, ein berühm- ter Advocat zu Philadelphia, nebft fei- nem Sohne, in Gefellfchaft des Herrn Denham, eines Quaker-Kaufmannes, wie auch der Herren Oniam und RuJJel, Be- fitzer eines Eifenhammerwerkes zu Mu- ryland. Da cliefe die grofse Kajütte ein- genommen hatten, fo mufsten Ralph und ich uns unter dem Schiffsvolk aufhalten; und weil uns keine Seele auf dem Schif- fe kannte, fo hielt man uns für ganz ge- meine Leute. Aber Herr Hamilton und fein Sohn, ( es war Jacob der nachmalige Statthalter) mufsten von New-Caftle nach Philadelphia zurückkehren , w'eil der Va- ter mit grofsen Koflen dahin zurückbe- rufen wurde, um einen Procefs wegen eines weggenommenen Schiffes zu füh- ren. Nun kam gerade, da wir unter Se-

Jugendjalire. 119

gel gehen wollten, der Oberfle French an den Bord, und begegnete mir über- aus höflich. Von Stund an bezeigte man mir mehr Aufmerkfamkeit , und die übri- gen Reifenden luden mich ein, die von den Herren Hamilton verladenen Plätze in der Kajütte, nebft meinem Freunde Ralph , einzunehmen; welches wir denn ohne Schwierigkeit thaten.

Da ich erfuhr, dafs der Oberfle French die Brieffchaften des Statthalters an Bord gebracht hatte , fo bat ich den Capitän um die Briefe, die mich angingen. Er fagte mir, dafs fie insgefamt in den Sack gethan wären, wo er fie jetzt nicht her- ausfuchen könnte , dafs fich aber vor un- ferer Anlandung in England fchon noch Gelegenheit darbieten würde , he heraus- zunehmen. Ich liefs es für dasmal mit diefer Antwort gut feyn , und wir fetzten unfere Reife fort.

Unfere Kajüttengefellfchaft behänd aus lauter umgänglichen Perfonen, und in Anfehung der Zehrung befanden wir

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uns ausnehmend wohl. Denn wir mach- ten uns die Vorräthe des Herrn Hamil- ton zu nutze, der lieh damit reichlich "v ci feilen hatte. Auf diefer Reife errich- tete Herr Denham mit mir eine Freund- fchaft, die bis an das Ende feines Le- bens dauerte. Uebrigens war die Fahrt eben nicht angenehm; denn wir hatten öfters fehr fchlimmes Wetter.

Als wir in den Kana] eingelaufen waren, hielt mir der Kapitän fein Wort, und liefs mich nach meinem Belieben die Briefe des Statthalters in dem Sacke durchfuchen. Ich fand keinen einzigen mit meinem Namen, oder einer fonfti- gen Anweifung, dafs ich ihn belleilen follte. Ich wählte indelTen fechs oder heben aus, die mir, der Auffchrift nach zu urtheilen , um fo mehr die für mich beflimmten zu feyn fchienen, da eine^, an ßaskel, königlichen Buchdrucker, und noch ein anderer an einen Papierhänd- ler darunter befindlich waren. Der letzte fliefs mir zuerfl auf meinem Wege auf;

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und ich überreichte ihm den Brief als einen, der von dem Statthalter Kdtli kä- me. „Diefen Mann kenne ich nicht,, war feine Antwort. Als er ihn aber ge- öffnet hatte, rief er: „Oh, der ift von

Riddlesden. Den habe ich feit kurzem als einen ausgemachten Schurken kennen gelernt, und ich will weder mit ihm, noch mit feinen Briefen weiter etwas zu thun haben. Damit reichte er fogleich den Brief in meine Hände zürücfc, drehte fich auf feinem Abfatze herum , und liefs mich flehen, um einige Kunden zu be- dienen.

Ich erflaunte, dafs diefe Briefe nicht von dem Statthalter waren. Als ich mich aber nunmehr befann, und alle Umflän- de erwog, fo fing ich an, an feiner Auf- richtigkeit zu zweifeln. Ich fuchte mei- nen Freund Denham wieder auf,, und trug ihm den ganzen Handel vor. Die- fer machte mich denn nun gleich völlig mit Keiths Character bekannt, und fagte, wie auch nicht die mindefte Wahrfchein-

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liclikeit vorhanden wäre, dafs er auch nur einen einzigen Brief für mich ge- fchrieben hätte. Keiner, der ihn nur ir- gend kennte , rechnete auf ihn. Denham lachte über meinen Glauben, dafs der Statthalter, der felbft keinen Credit hät- te, mir einen Creditbrief geben würde. Als ich einige Unruhe darüber verrieth, was für Maafsregeln ich nun ergreifen füllte , fo rieth er mir, dafs ich auf mei- ne erlernte Kunft bey irgend einem Buchdrucker anzukommen fuchen follte. „Hier, fagte er, haben Sie die befte Ge- legenheit, fich darin fo vollkommen zu machen, dafs Sie fich hernach weit vor- tlieilhafter in America etabliren können.

Wir wufsten es längft eben fo gut, als der Papierhändler, dafs der Notarius Ridtlksäm ein grofser Spitzbube war. Er hatte den Vater der Mifs Read, durch Erfchleichung einer Bürgfchaft von ihm, beynahe zu Grunde gerichtet. Wir ex- fahen aus feinem Briefe, dafs fich eine geheime Intrigue zum Nachtheil des

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Jugendjahre.

Herrn Hamilton , von welchem man glaubte^ dafs er mit uns nach Europa gegangen wäre, entfpann, in welche fich. auch der Statthalter, in Verbindung mit Riddlesden , eingelaffen hatte. Denham war als Hamiltons Freund der Meinung, dafs man diefen davon benachrichtigen müfste. Und in der That, nachdem er bald nach uns in England angekommen war, zeigte ich, fowohl aus guter Ge- linnung für ihn, als aus Rache gegen Keith , ihm nicht nur den Brief, fondern überliefs ihn auch ganz feinen Händen. Er dankte mir dafür fehr lebhaft; denn die Nachrichten, die er enthielt, waren für ihn wichtig. Seit diefer Zeit fchenkte er mir feine Freundfchaft, die mir in der Folge bey mehr als einer Gelegenheit zu grofsem Vortheile gereichte.

Aber Avas foll man von einem Statt- halter denken, der fo elende Streiche fpielt, und einen armen, jungen Men- fchen ohne Erfahrung fo gröblich hin- tergehet? Es war ihm diefes zur Ge-

i Benjamin Franklin’s

wohnheit geworden. Er wollte aller Welt gefallen, und da er wenig zu geben hat- te, fo verfchwendete er Verfprechungen. Sonft war er ein gefcheidter geiftreicher Mann, ein ziemlich fertiger Schriftftel- ler, und guter Statthalter für das Volle, allein nicht für fqine Conflituenten, die Eigentlmmer, deren Vorfchriften er oft hintanfetzte. Mehrere unferer heften Ge- fetze waren fein Werk, und wurden un- ter feiner Verwaltung eingeführt.

Ralph und ich waren unzertrennliche Gefährten. Wir mietheten uns zufam- men für Viertehalb Schillinge wöchent- lich ein. Denn diefs war das höchfte, fo wir dran wenden konnten. Er fand zwar einige Verwandte zu London; allein lie waren arm, und nicht im Stande, ihm zu helfen. Jetzt entdeckte er mir, dafs es feine Ablicht wäre, in England zu bleiben, und dafs er niemals nur dran gedacht hätte, nach Philadelphia zurück-

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zukehren. Von Gelde war er ganz ent- blöfst, weil das wenige, fo er hatte an- fchaffen können , kaum für die Reife hin- gereicht hatte. Ich hatte noch fünfzehn Guineen übrig, denen er von Zeit zu Zeit zufprach, während dafs er irgend- wo anzukommen fuchte.

Anfänglich, da er fich die nöthigen Talente zum Schaufpieler zutrauete, woll- te er auf das Theater gehen. Allein Wilkes, an welchen er fich desfalls wen- dete, riedi ihm offenherzig, diefen Ge- danken fahren zu lalfen , weil es ihm nimmermehr damit glücken würde. Hier- auf bot er dem Buchhändler Roberts in der Paternoflerftfafse ein Wochenblatt im Gefchmack des Zufpliauers an. Al- lein feine Bedingungen flanden dem Ro- berts nicht an. Weiter machte er ver- fchiedene V erfuche als öfl'entli eher Schrei- ber angeftell t zu Averde'n , um für Papier- waaren - Händler ( Stadoner ) uncl Rechts- gelehrte in Tempel - Square abzufchrei- ben; allein es fand fich keine Stelle offen.

i a 6 Benjamin Franklin'*

Was hingegen mich betrift, fo kam ich fogleich bey dem damals berühmten Buchdrucker Palmer im St. Bartholomäus- Bezirk an, bey welchem ich beynahe ein Jahr lang blieb. Ich arbeitete fehr fleifsig; verzehrte aber auch mit Ralph beynahe alles wieder, was ich verdiente. Nach- dem die Schaufpiele und andere Luftör- ter, die wir oft mit einander befuchten, meine Guineen aufgezehrt hatten-, fo leb- ten wir hernach Tag für Tag aus der Hand in den Mund. Weib und Kind fchien Ralph gänzlich vergeften zu ha- ben, fo wie auch ich meiner Verbin- dung mit Mifs Read nach und nach ver- gafs. Denn ich fchrieb nur einen einzi- gen Brief an fte, und der enthielt weiter nichts, als dafs ich wahrfcheinlich fobald nicht zurückkehren würde. Dic-fs wai* abermals eine von meinen grofsen Le- bensvergehungen, die ich wohl veibef- fern möchte, wenn ich wieder von vorn anfangen dürfte. Das lockere Leben, welches wir führten , machte es immer

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unmöglich, die Koflen für meine Bück- reife zu erübrigen.

Ich mufste bey Palmern die zweyte Auflage von Wollüßon's natürlicher Reli- gion fetzen. Einige feiner Behauptun- gen fchienen mir nicht gegründet zu feyn; daher fehrieb ich eine kleine me- taphyfifche Abhandlung, in welcher ich über diefe Stellen Anmerkungen machte. Sie führte den Titel: Abhandlung über Freiheit und Notlwendigheit , Vergnügen und Schmerz. Ich dedicirte fie meinem Freunde Ralph, fetzte fie, und zog eine kleine Anzahl Exemplare davon ab. Die- fe kleine Schrift brachte mir noch mehr Achtung beym Herrn Palmer zu wege. Er hielt mich für einen jungen Meir- ichen von Kopf; jedoch machte er mir fehr ernfthafte Vorwürfe über- meine Grundfatze, die ihm verabfeheuungswür- dig fchienen. Der Druck diefes klei- nen Werkes war ein neuer Felder mei- nes Lebens.

lQg Benjamin Franklin’s

Wälirend der Zeit, da ich in Littk- Britain wohnte, machte ich mit einem Buchhändler, Namens Wilcox , Bekannt- fchaft, defien Niederlage an meine Thür Tiefs. Er hatte eine unermefsliche Samm- lung von Büchern, die ohne Unterfchied zufammengekauft waren. Lefekabinetter waren damals noch nicht gebräuchlich. Wir wurden zufammen eins, dafs ich gegen eine billige Erkenntlichkeit, de- ren Betrag ich jetzt nicht mehr weifs, die Erlaubnifs haben follte, Bücher bey ihm auszunehmen, welche ich wollte, he zu lefen , und darin wieder zurückzu- geben. Ich hielt diefen Handel für über- aus vortheilliaft, und benutzte ihn fo gut ich nur immer konnte.

Mein Scliriftchen fiel in die Hände eines Wundarztes, Namens Lyons,. Ver- fafiers eines Buches unter dem Titel: Die. Untrüglich}! eit der menfchlichen Ur- theilskrajt , und veranlafste unter uns bei- den eine enge Verbindung. Er bezeig- te mir fehr viel Hochachtung, befuchte

mich

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mich oft, um fich über dergleichen Ge- genftände mit mir zu unterhalten, und Hellte mich dem Doctor Mandeville, dem Verfafler der Fabel von den Bienen, vor, der iti einer Schenke auf der Strafse Cheapßde einen Club hielt, wovon er die Seele war. Diefs war ein fcherzhaf- ter äufserft unterhaltender Mann. Er Hellte mich auch auf Baßons Kaffeehaufe dem Doctor Pemberton vor, welcher mir verfprach, es einmal zu vermitteln, dafs ich den Ritter Ifaac Newton zu fehen bekäme, wonach ich ein brennendes Verlangen trug. Allein er hat fein Ver- fprechen niemals erfüllt.

Ich hatte aus America einige Selten- heiten mitgebracht, wovon die vorzüg- lichHe ein Beutel von Asbell war, #er fich im Reuer reinigt. Der Ritter Hans Sloane Körte*' davon, kam zu mir und lud mich in fein Haus zu Bloomsburg - Square ein. Hier zeigte er mir alles , was er Seltenes und Merkwürdiges hatte , und bat mich, mein Stück hinzuzufügen,

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welches er mir felir anfehnlicli be- zahlte.

In unferm Haufe wohnte noch eine junge Modenhändlerin, welche, wenn ich nicht irre, ihre Bude bey der Börfe hatte. Diefe Perfon war lebhaft und ge- fühlvoll , von guter Erziehung und felir angenehm im Umgänge. Ralph las ihr ! alle Abende Comödien vor. Sie wur- den zufammen vertraut. Sie bezog eine andere Wohnung, und er folgte ihr da- hin. Sie lebten eine Zeitlang zufammen; , allein da er ohne allen Erwerb war, fie ein Kind hatte , und ihr Einkommen für alle drey nicht hinreichte : fo entfchlofs ex üeh London zxi verlaßen , und zu ver- fuchen , ob er nicht eine Landfchule an- legen könnte.. Er hoffte , cliefs follte ihni gelingen, weil er nicht nur eine fehr fchöne Hand fchrieb, fondern fich auch fehr gut auf Rechnen und Buchhal- ten verftand. Weil er jedoch diefe La- .ge unter feiner Würde hielt, und für die Zukunft auf belfere Glücksumflünde

Jugendjahre. 131

rechnete, in welchen Niemand wißen füllte, dafs er einft ein fo wenig ehren- des Gefchaft getrieben hätte, fo verän- derte er feinen Namen, und erwies mir die Ehre, den mehligen anzunehmen. Und wirklich fchrieb er mir bald hierauf, wie er fich auf einem kleinen Dorfe in Berkfhire, wenn ich nicht irre, nieder- geladen hätte, und dafelbft zehn oder zwölf Kindern, jedem für fechs Pence Sterl. wöchentlich, lefen und fchreiben lehrte. Er empfahl die Miftrifs T. . . . meiner Fürforge, und bat mich, ihm. un- ter der Auffchrift: an Herrn Franklin , Schulmeißer zu N. . . zu antworten.

Er fuhr fort fehr oft an mich zu fchrei- ben, und mir grofse Bruchilücke eines epifchen Gedichtes, welches er damals verfertigte, zuzufchicken, wozu er fich meine Bemerkungen und Verbeflerun- gen ausbat. Ich theilte ihm dergleichen zwar von Zeit zu Zeit mit, bemühte mich aber auch zugleich, ihn von die- fer Arbeit abzubringen. Young gab da-

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mals eine feiner Satyren heraus. Ich fchrieb davon einen grofsen Theil ab, und fchickte ihm die Stellen, worin der Verfalle r darthut, welche Thorheit es fey, den Mufen um defswillen zu opfern, damit man durch ihre Vermittelung in der Welt fortkomme, j^ber das half al- les nichts, mit jeder Poll: kamen neue Blätter voll Verfe zu feinem Gedichte an.

Wälirend cliefer Begebenheiten hatte Miftrifs T. . . feinetAvegen ihre Freunde und Kunden verloren, und befand fich oft in grofser Noth. Sie nahm ihre Zu- flucht zu mir, und ich, um fie daraus zu befreyen^, lieh ihr alles Geld, Avas ich. erübrigen konnte. Bey diefer Gele- genheit aber geAvann ich ihr ein Avenig zu viel Gefchmack ab. Weil mich da- mals keine Religion zügelte, fo mifs- brauchte ich die Noth, die üe von mir abhängig machte, und nahm mir Frey- heiten (noch ein Fehltritt meines Le- bens) bey ihr heraus, die fie mit gerech- tem Unwillen zurückfiiefs» Sie btrich-

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tete meine Aufführung an Ralph; und diefer Vorfall entzweyte mich mit ihm. Als er nach London zurückkam, liefs er mich wilfen, dafs er durch mein Be- tragen alle Verbindlichkeiten, die er mir haben könnte, für getilgt anfähe. Hier- aus fchlofs ich, dafs ich wohl nicht hof- fen dürfte, jemals das Geld wieder zu erhalten, das ich ihm geliehen, oder für ihn ausgelegt hatte. IndelTen beküm- merte mich diefs dello weniger, je we- niger er im Stande war, mich zu bezah- len. Auch wurde ich durch den Ver- lud: feiner Freundfchaft von einer fehr drückenden Laft erleichtert.

Jetzt fing ich an darauf zu denken, wie ich etwas Geld für die Zukunft zu- fammenbringen möchte. Da Watt’s Buchdruckerey bey Lincole-ninsßeld noch beträchtlicher war, als die, in welcher ich arbeitete, fo fchien es, dafs ich da- felbft meine Rechnung befler finden wür- de. Ich bot mich dafelbft an, wurde angenommen, und verblieb dafelbft fo

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lange ich mich noch in London auf- hielt.

Beym Eintritt in diefe Druckerey hell- te ich mich an die Prefie, weil ich Lei- besübung nöthig zu haben glaubte, wor- an ich in America gewöhnt war, wo- felbft die Arbeiter abwechfelnd bald Se- tzer- bald Druckerdienlle verrichten. Ich trank nichts als WafTer. Die übrigen Arbeiter, beynahe fünfzig an der Zahl, waren gewaldge Biertrinker. Im Fall der Noth trug ich eine grofse Schrift- form in jeder Hand fowohl Treppe auf, als Treppe ab, indefs die andern kaum Eine mit beyden Händen trugen. Aus diefem fowohl, als noch vielen andern Beyfpielen erfahen fie, dafs der america- nifche IV aßermann, wie fie mich nann- ten, weit flärker war, als fie, die ftarkes Bier tranken. Der Bierhandelsburfche hatte den ganzen Tag vollauf bey uns zu thun, um die Arbeiter zu verfehen. Mein Mitgefelle an der Prefie trank täg- lich einen Schoppen Bier vor dem Früh-

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huck, einen nach demfelben bey Brod. und Käfe, noch einen zwifchen dem Prüliftück und demdVlittagseflen, einen über der Mahlzeit, einen nach dem Mit- tagseflen' gegen 6 Uhr, und endlich noch .einen, wann er fein Tagewerk vollendet, hatte. Mir kam diefe Gewohnheit ab- fcheulich vor; allein er mufste, wie er meinte, ftarkes Bier trinken, um hark bey der Arbeit zu feyn.

Ich bemühte mich, ihn zu überzeugen, clafs die körperliche Stärke, welche das Bier gewährte, nicht über das Verhältnifs des in dem Wafler aufgelöfeten Korns oder Gerflenmehles, woraus das Bier be- händ , hinausgehen könnte : nun aber

enthielte ja ein Kreuzerbrot weit mehr Mehl, als ein Schoppen Bier: wenn er alfo diefs Brot zu einem Schoppen Wafler äfse, fo müfste er mehr Stärke davon, als von einer Kanne' Bier bekommen. Diefer Beweis hinderte ihn nicht, fein Biertrinken fortzufetzen, und wöchent- lich jeden Sonnabend Abends vier öder

I36 Benjamin Franklin*»

fünf Schillinge für diefes elende Getränk zu bezahlen. Von diefer Ausgabe war ich völlig frey. Auf folche Weife blie- ben diefe armen Teufel immer freywil- lig in ihrer Dürftigkeit.

Als Wats nach einigen Wochen mei- ner in der Setzerkammer bedurfte, fo verliefs ich die Prelle. Die Setzer fo- derten einen neuen Willkommen von mir. Ich hielt diefes für eine Prellerey, weil ich fchon unten bezahlt hatte. Der Druckerherr war auch meiner Meinung, und verbot mir zu bezahlen. Solcher- gellalt blieb ich zwey oder drey Wochen von ihnen abgefondert. Sie betrachte- ten mich als einen Verflofsenen; und iobalcl ich mich nur ein wenig entfernt hatte, fo war keiner von allen den klei- nen Schelmilreichen mehr zu erfmne'n, den fie nicht gegen mich ausübten. Ich fand meine Lettern durcheinander ge- worfen, meine Seiten verletzt, meine Materie zerrilTen, u. f. w., und das, hiefs es dann, habe der Kobolt der Ka-

Jugendjahre. 137

pelle*) gethan, der alle diejenigen neck- te, die nicht regelmäfsig aufgenommen wären. Wollte ich alfo wohl oder übel, fo mufste ich mich, ungeachtet des Schu- tzes meines Herrn, zur Zahlung verlie- hen, indem ich mich überzeugte, clafs es Thorheit wäre, nicht mit denjenigen fich gut flehen zu wollen, mit welchen man gleichwohl zufammen leben mufs.

Ich fland mich nach diefem auf das allerbefle mit ihnen, und gewann fehr bald unter ihnen einen beträchtlichen Einflufs. Ich fchlug einige Verände-r rangen in den Gefetzen der Kapelle vor, und fetzte he durch, trotz aller Wider- fetzung. Mein Beyfpiel veranlafste meh- rere von ihnen, ihrem elenden Bier, Brot und Käfe zum Frühftück zu entfa- gen, und fich, wie ich, aus einem be- nachbarten Haufe eine Schale voll wär- mer Grütze mit einem Stück Butter dar- in, und mit Brotkrumen und Pfeffer be-

0 So nennen die Arbeiter die Werkflatt.

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fireut, kommen zu laden. Diefs Var ein weit helleres Frühflück, das nicht mehr als ein Schoppen Bier, das id, viertehalb Pence kodete, und ihnen den Kopf leichter und heller erhielt. Dieje- nigen, welche fortfuhren fich täglich mit Bier zu überfüllen, verloren oft, . bey ausbleibender Zahlung , beym Bierhänd- ler ihren Credit. Sie nahmen alsdann gemeiniglich ihre Zuflucht zu mir, dafs ich für de gut fagen mufste , weil ihnen, nach einer unter ihnen hergebrachten Redensart, das Licht ausgegangen war. Ich hatte dann aber auch Sonnabends Abends beym Zahlbrett aufzupafien, um die kleinen Auslagen wieder zu bekom- men, die ich hatte machen müden, und die bisweilen wöchentlich wohl an die dreyfsig Schillinge hipanliefen.

Diefer Umftand, und der Ruf, in welchem ich ftand, dafs ich ein ziem- licher Spottvogel wäre., der fich gut auf die burleske Satyre verbände, unterdütz- ten mein Anfehn in der Kapelle. Uebri-

Jugendjahre. 139

gens hatte ich mich auch bey meinem Herrn durch meine UnverclrolTenheit und dadurch beliebt gemacht, dafs ich kei- nen blauen Montag feyerte. Meine auf- ferordentliche Gefchwindigkeit im Setzen verfchaffte mir immer diejenigen Arbei- ten, mit denen es Eile hatte, und die gemeiniglich am bellen bezahlt werden. Auf diefe Weife brachte ich meine Zeit fehr angenehm hin.

Da meine bisherige Wohnung in Litth - Britain zu weit von der Drucke- rey entfernt war, fo fuchte ich mir eine andere in Duh-ßreet, der römifchen Ka- pelle gegen über, aus. Sie lag an der. Hinterfeite eines Italiänergewölbes. Die Inhaberin des Haufes war eine Wittwe, irebft einer Tochter, einer Magd und einem Ladenburfchen, der auswärts lo- girte. Nachdem fie frch meinetwegen in dem Haufe, wo ich zuletzt gewöh- net, erkundigt hatte, fo liefs fie fich ge- fallen, mich für eben den Preis, nehrn- lioh für viertehalb Schillinge wöchent-

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lieh, einzunehmen. Sie nähme, fagte fie, um defswillen mit fo wenigem vorlieb, ' weil es doch für einzelne Frauenzimmer f^cherer wäre, noch eine Mannsperfon bey fich im Haufe zu haben.

Diefe Frau, fchon etwas bey Jahren, war die Tochter eines Predigers. Sie war in der proteflantifchen Religion er- zogen; allein ihr Ehemann, deffen An- denken fie fehr verehrte, hatte fie zur cadrolifchen Religion bekehret. Sie hat- te fehr viel unter Perfonen von Stande gelebt, und wufste taufend Anecdoten, die bis auf die Zeiten Carls II. hinaus- liefen. Die Gicht hatte fie in den Knieen

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gelähmt, fo dafs fie oft das Zimmer nicht verladen konnte, und daher manches- mal Gefellfchaft nödiig hatte. Die ihrige war für mich fo unterhaltend, dafs mir nichts willkommener war, als den Abend bey. ihr hinzubringen, fo oft fie meiner nur begehrte. Unfer Abendeflen beftand alsdann in einer halben Sardelle für je- den, auf einem kleinen Schnitte Butter-

Jugendjahre. 141

brot, und in einem halben Schoppen Ale für uns alle. Öen walken Schmaus aber gewährten ihre Gefpräche. öa ich immer darauf bedacht war, bey guter Zeit einzukommen, und fo wenig Ge- räufch im Haufe machte, fo wollte fie nicht gern von mir gefchieden feyn. Als ich daher von einer mir vorgefchlage- nen Wohnung fprach, welche meiner Arbeitsftelle noch näher lag, und wö- chentlich nur zwey Schillinge kollen füll- te, welche freylich meinem damaligen Vorhaben zu fparen noch beffer ent- fprach, fo beredete he mich, diefelbe fahren zu Iahen, und liefs mir felbft zwey Schillinge an dem wöchentlichen Miethgelde nach. Alfo wohnte ich für anderthalb Schillinge wöchentlich bey ihr fort, fo lange ich mich noch in London aufhielt.

Oben unterm Dache ihres Haufes lebte eine alte fiebenzigjährige Jungfer auf die allereingezogenhe Weife. Von diefer erzählte mir meine Wirthinn fol-

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gendes. Sie war römifch-catholifch. In ihrer Jugend hatte man he nach dem fetten Lande gefchickt, wo üe in ein Klo- fter gegangen war, um Nonne zu wer- den. Allein das Klima bekam ihr nicht, und fo kehrte -üe nach England zurück. Weil es nun dafelbft keine Nonnenklö- Her giebt, fo that fie das Gelübde, den- noch ein Klofterleben zu führen, fo lan- ge es die Umttände nur geftatten woll- ten. Dem zufolge hatte tte ihr ganzes Vermögen zu chriftlichen Liebeswerken bettimmt, und ttch nicht mehr als zwölf L. Sterl. jährlich zu ihrem Lebensunter- halte Vorbehalten. Und auch hiervon fiel noch ein Theil den Armen zu, in- dem fie fich mit nichts als Grütze nährte, und fonft kein Feuer anzündete, als um diefelbe zu kochen. Sie lebte feit vie- len Jahren auf diefem Boden, wo die vornehmften catholifchen Inhaber, die das Haus von Zeit zu Zeit gehabt hat- ten , fie umfonft wohnen liefsen, indem lie ihren Aufenthalt dafelbft für einen

Jugendjahre. 143

Segen des Himmels anfahen. Tag für Tag kam ein Prieiler zu ihr, um ihre Beielite zu hören. „Ich habe he ge^ fragt, fetzte meine Wirthinn hinzu, wie fie bey ihrer Lebensweife dennoch ei- nem Beichtiger fo viel zu fchaffen ma- chen könnte. Oh! antwortete he mir, wer kann alle böfen Gedanken vermei- den. „

Einlt bekam ich Erlaubnifs fie zu be- fuchen. Sie war munter und artig , und ihr Gefpräch gefiel mir ungemein. Ihr Zimmer war reinlich; allein es war mit nichts weiter meublirt, als mit einer Ma- tratze, einem Tifche, worauf ein Cruci- fix und ein Buch lag; einem Stuhle, worauf fie mich niederfitzen liefs, und über dem Kamin hing ein Gemälde der heiligen Veronica, welche ihr Tuch mit dem wunderfamen Abdrucke des Ange- fichles Chrifii ausbreitete, und worüber fie mir mit dem andächtigften Ernfie Erklärung gab. Ihr Angeficht war blafs ; allein fie war niemals krank gewefen.

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Ich kann fie daher als ein neues Bey- i'piel aufllellen, welches beweifet, wie wenig man braucht, Leben und Gefund- heit zu erhalten.

In der Druckerey wurde ich mit ei- nem jungen Menfchen von Kopf, Na- mens Wygate , bekannt, welcher, da er reiche Aeltern hatte, befTer als gemeine Buchdrucker erzogen war. Er war ein ziemlich guter Lateiner, fprach gut fran- zöfifch, und liebte die Lectiire. Ich lehr- te fowohl ihm, als einem feiner Freunde das Schwimmen, indem ich fie nur zwey- mal zum Flulle führte, worauf fie fehr bald im Stande waren, ficli felbd zu hel- fen. Find machten wir zufammen aus, zu Wader nach Chelfea zu gehen, um da- felbft das Collegium und die Merkwürdig- keiten des Dem Saltero, nebll einigen Her- ren in der Gegend von London zu feilen, denen lie mich vorftellten. Auf der Rück- kehr entkleidete ich mich auf Bitten der Gefellfchaft, deren Neugierde Wygate .rege gemacht hatte, und fprang in den

Flufs.

Jugendjahre. 145

Flufs. Ich fchwamm nicht weit von Chel- fca an, bis an Black -fryars, und machte auf diefer Strecke eine grofse Menge Kunftftücke der Gewandtheit und Behen- digkeit fowohl über, als unter dem Waf- fer. Diefs Schaufpiel verurfachte denen, welchen es noch neu war, nicht wenig Erftaunen und Vergnügen. Ich hatte diefe Uebung feit meiner Kindheit un- gemein geliebt. Ich konnte und machte alle Wendungen und Stellungen Theve- not’s, ja ich hatte noch neue dazu erfun- den, worin ich mit der Schönheit auch Nutzen zu vereinigen gefucht hatte. Ich machte mir ein Vergnügen daraus, he bey diefer Gelegenheit alle vqrzumachen, und die Verwunderung, welche fie er- regten, war mir fehr fchmeichelhaft. Wygate, der in diefer Kunft Meifter wer- den wollte, hängte fich um fo mehr an mich, je mehr auch fonft unfer Ge- fchmack und unfere Studien zufammen- flimmten. Er fchlug mir endlich vor, mit ihm eine Beile durch EurcTpa zu

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146 . Benjamin Franklin’s

machen, wozu die Arbeit in unferer Kunfl uns die Koflen liefern würde. Schon war ich im Begriff einzuwilligen, als ich mit meinem Freunde Denhatn darüber fpracli, mit welchem ich gern eine Stunde hinbrachte, wenn ich Mufse hatte. Er brachte mich von diefem Vor- haben ab, und rieth mir vielmehr auf meine Rückkehr nach Philadelphia zu denken, fo wie er felbft that. Ich mufs hier einen Characterzug von diefem wür- digen Manne erzählen.

Er hatte vor diefem zu Brißol Hand- lung getrieben. Er machte bankrot, ver- glich lieh mit feinen Gläubigern, und ging nach America, rvofelbft er durch anhaltenden Fleifs in feinem Kaufmanns- gewerbe in wenig Jahren ein beträcht- liches Vermögen erwarb. Nachdem er nun auf ebendeinfelben Schilfe , auf wel- chem ich mich befand, vorerzählter- mafsen nach England zurückgekehrt war, fo lud er alle feine alten Gläubiger zu einem Schmaufe ein. Als fie beyfanv-

Jugendjahre. 147

men waren , dankte er ihnen für den mil- den Vergleich, womit he ihn begünfligt hätten. Keiner von ihnen entartete et- was weiter, als eine blofse Mahlzeit; al- lein jeder fand beym Wechfeln des Tel- lers unter dem feinigen eine Anweifung auf einen Banquier zur Erhebung nicht nur der ganzen noch rückftändigen Hauptfumme, fondern auch der Zinfen.

Er entdeckte mir, wie er Willens wäre, eine grofse Menge Kaufmanns- güter mit nach Philadelphia zurückzu nehmen , und dafelbft ein Magazin an- zulegen. Zu dem Ende that er mir den Vorfchlag, dafs ich bey ihm als Schrei- ber in Dienfte treten möchte, um feine Bücher zu führen, worin er mich unter- richten wollte, feine Briefe abzufchrei- ben, und das Magazin zu verwalten. Er fügte noch hinzu: Sobald ich mit den mercantilifchen Gefchäften gehörig um- zugehen gelernt haben würde, wollte er mich weiter befördern, mich «mit einer Ladung von Brot, Melil u. f. w. nach den

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1,48 Benjamin Franklin’s

americanifchen Infein fenden, und mir fonft noch allerley vortheilhafte Aufträge machen; fo dafs ich durch gute Auffüh- rung und Wirthfchaft endlich dahin ge- langen könnte, mich felbft mit Vortheil zu etabliren.

Mir gefielen diefe Vorfchläge. Lon- den fing an mir langweilig zu werden; die angenehmen Stunden, die ich in Pen- fylvanien verlebt hatte, fliegen in mei- ner Seele empor, und ich wünfclite wie- der 'ähnliche zu geniefsen. Ich trat da- her für fünfzig Pfund Sterl. Penfylva- nifch des Jahres bey Herrn Denham in Dienile. Als Setzer konnte ich es nun zwar wohl. höher bringen; aber ich hatte doch hier eine fchönere Ausficht. Ich Jagte daher d^r Druckerey, und zwar, wie ich glaubte, mein ewiges Lebewohl, und überliefs mich ganz meinem neuen Gewerbe, indem ich theils mit dem Herrn Denham bey den Kaufleuten umherflrich, um Waaren einzukaufen, theils felbige einpacken liefs, theils bey den Arbeits-

Jugendjahre. 149

leuten umherlief, um ihre Abfentlung zu befördern u. f. w. Als endlich alles am Bord war, hatte ich noch einige müfsige Tage.

Während diefer kurzen Zwifchenfrift verlangte mich ein Herr zu fprechen, den ich nur dem Namen nach kannte. Es war der Ritter Wilhelm Wyndham. Ich begab mich zu ihm. Er hatte, ich weifs nicht wie, etwas von meiner Schwimmerey von Chelfea bis Blacbjryars erfahren , und wufste , dafs ich die Kunft zu fchwimmen fowohl dem Wygate , als noch einem andern jungen Menfchen in wenigen Stunden beygebracht hatte. Sei- ne beyden Söhne waren efyen im Be- griff ihre grofse Reife anzutreten; er wollte daher, dafs fie vorher fchwimmen lernen follten, und bot mir eine anfehn- liche Belohnung an, wenn ich es auf mich nehmen wollte, fie zu unterrich- ten. Allein noch waren fie nicht in der Stadt angekommen, und die Dauer mei- nes eigenen Aufenthaltes dafelbft war

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ungewifs. Ich konnte daher dem-Vör- Iclilag nicht annehmen. Aus diefem Vorfälle liefs fich urtheilen, dafs, wenn ich in England bleiben, und eine Schwimmfchule hätte errichten wollen , ich viel Geld damit verdient haben wür- de. Diefe Vorfieliung ergrill mich der- mafsen, dafs ich fobald noch nicht auf meine Rückkehr nach America gedacht haben würde, wenn mir jener Vorfchlag eher gefchehen wäre.

Mehrere Jahre nachher haben wir beyde, du und ich, eine wichtigere Sa- che mit einem diefer Söhne des Ritters Wilhelm Wyndham, der indeflen Graf von Egremont geworden war, abzuthun gehabt. Ich will aber jetzt nicht fo weit vorausgreifen.

In London brachte ich auf diefe Wei- fe ungefähr Achtzehn Monathe zu , wäh- rend welcher ich unausgefetzt in meiner Profeffion arbeitete, und mir keinen an- dern Aufwand erlaubte, als dafs ich bis- weilen ins Schaufpiel ging, und mir

Jugendjahre. 15 1

einige Bücher anfchaffte. hiein Freund Ralph hatte mich in der Armuth erhal- ten. Er war mir ungefähr 27 L- Sterl. fchuldig, die wahrfcheinlich ganz und gar verloren waren. In der That eine anfehnliche Summe, die von meinen kleinen Erfparniffen abging. Gleichwohl blieb ich ihm gewogen, weil er in der That viele liebenswürdige Eigenfchaften befafs. Ob ich indelfen gleich keine Glücksgüter erworben, fo hatte ich doch die Made meiner Kenntniffe theils durch häufige und gute Lectüre, theils durch clen Umgang mit weifen und gelehrten Perfonen vermehret.

Wir gingen im Julius 1726 jsu Gra- vefand unter Segel. Was die Vorfälle auf diefer Reife betrifft, fo verweife ich dich auf mein Journal, worin du alles umfiändlich aufgezeichnet finden wirft. Im nächften October fliegen wir zu Phi- ladelphia ans Land. ^

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Ke.uk war nicht mehr Statthalter zu Philadelphia; der' Major G-ordon war an feine Stelle gekommen. Ich begegnete ihm auf der Strafse, wo er wie ein blofser Bürger einherging. Er fehlen fich ein wenig zu fchämen, als er mich fah, aber er ging vorüber, ohne mir etwas zu fagen.

Ich würde mich wenigflens eben fo fehr trov dem Anblick der Mifs Read ge- fchämt haben, wenn ihre Familie, die nach Lefung meines Briefes billig an meiner Rückkehr zweifeln mufste, he nicht beredet hätte , mir zu entfagen, und während m einer1 Abwefenheit einen Tö- pfer, Namens Rogers, zu heirathen. Die- fer machte he indefien niemals glücklich, und bald trennte fie fich gänzlich von ihm. Sie wollte ihm weder beywohnen, noch auch nur feinen Namen führen , weil ein Gerücht umher lief, dafs er fchon eine Frau hätte. Seine Gefchick- lichkeit in feiner Profeflion hatte die Ael- tern der Mif6 Read verleitet; allein er

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war ein eben fo fehl echter Bürger, als vortrefflicher Arbeiter. Er gerieth' in Schulden, nahm die Flucht, und flarb 1727 oder 1728 auf den Infein.

Während meiner Abwefenheit hatte Krimer ein anfehnliches Haus bezogen, worin er eine mit Papier und andern dahin gehörigen Artikeln wohl verfehe- ne Niederlage hatte. Er hatte fich neue Lettern im Ueberflufs, und eine Menge Arbeiter angefchafft, worunter aber, die Wahrheit zu fagen, kein einziger guter war. An Arbeit fcliien es ihm nicht zu fehlen.

Herr Denham nahm ein Gewölbe in Waterflreet ein, wofelbft wir unfere Waaren auslegten. Ich war fehr ämfig bey der Arbeit; fludirte die Buchhalte- rey, und erwarb mir hierin fehr bald die gehörige Kenntnifs. Wir wohnten und fpeifeten zufammen. Er war mir von Herzen gervogen, und ging nicht an- ders mit mir um, als wenn er mein Va- ter gewefen wäre. Ich von meiner Sei-

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te verehrte und liebte ihn ebenfalls; mei- ne Lage war jetzt fehr glücklich: allein diefs Glück war von fehr kurzer Dauer.

Im Anfänge des Februars 1727, da ich in mein zwey und zwanzigfies Jahr trat, wurden wir beyde krank. Mich be- fiel ein Seitenflechen, welches mich beynahe weggerafft hätte. Ich litt ge- waltig, und achtete mich für verloren. Selbfl meine Befreiung War für mich eine Art von Fehlfchlag, indem es mich kränkte, diefen unangenehmen Gang über kurz oder lang noch einmal machen zu mühen.

Ich habe vergeffen, worin die Krank- heit des Herrn Denham behänd; allein fie war langwierig , und endlich erlag er der- felben. Er liinterliefs mir im Teflament ein kleines Vermächtnifs zum Zeichen ferner Gewogenheit, und überliefs mich von neuem mix felbft in der grofsen und weiten Welt; denn das Gewölbe gerieth in die Hände der Vollfixecker des Tefla- ments , und ich erhielt meinen Abfchied.

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Mein Schwager, Herr Hoimer] der gerade damals in Philadelphia war, rieth mir meine vorige Profefiion wieder zu ergreifen, und Reimer bot mir eine grofse Befoldnng an, «wenn ich feine Drucke- rey verwalten wollte , damit er feine gan- ze Sorge nur feinem Laden widmen könnte. Seine Frau und feine Verwand ten zu London hatten mir böfe Dinge von ihm erzählt; es war mir daher eben nicht gar felxr daran gelegen , etwas wie- der mit ihm zu fchaffen zu haben. Ich fuchte vielmehr bey Kaufleuten anzu- kommen; da aber keine Stelle fogleich offen war, fo liefs ich mir Reimers An- trag gefallen.

In feiner Druckerey fand ich folgen- de Arbeiter. Hugh Meredith, ein Pen- fylvanier, fünf und dreyfsig Jahr alt. Er war eigentlich zum Landwirth erzo- gen, war ehrlich, gefühlvoll , hatte Er- fahrung, und liebte die Lectiire; aber dabey auch den Trunk.

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156 Benjamin Franklin’s

Stephan Potts , ein Burfche vom Lan- de, war eben aus der V ormundfchaft ge- kommen, in welcher er auch erzogen worden war. Er befafs nicht ganz ge- meine Naturanlagen, viel Geilt und Leb- haftigkeit; allein er tliat nicht gern et- was. Keimet hatte diefe beyden für ein felir mäfsiges Wochenlohn angenommen, welches aber nach jedem Vierteljahr um einen Schilling fleigen follte , fo wie ihre Fortfehritte in der Buchdruckerkunft es verdienen würden. Diefe zukünftige Ver- mehrung des Lohns war die Lockfpeife, womit er fie eingefangen hafte. Meredith follte bey der Preffe arbeiten, und Potts Bücher einbinden , und er hatte fich ver- pflichtet, beyde hierin zu unterrichten, wiewohl er felbft weder das eine, noch das andere verband.

Johann Saurage, ein Irländer, war zu gar keinem Gewerbe erzogen, und Kci- mer hatte feine Dienfle von einem Schiffs capitän auf vier Jahre gekauft. Dicfer follte auch ein Drucker werden.

Jugendjahre. 157

Georg Weib , Student aus Oxford, den er ebenfalls auf vier Jahre erkauft hatte, ivar zum Setzer beftimmt. Ich werde Von diefem unten ein Mehreres fagen.

Der letzte war DavidHarry , ein Bauer- knabe , den er zum Lehrling angenom- men hatte.

Ich merkte fehr bald, wo Keimer hin- aus wollte, da er mich für eine Befol- dung annahm, die weit über dasjenige hinauslief, was er fonh zu geben pflegte. Ich follte nehmlich alle feine neuen und wohlfeilen Arbeiter erft anlehren, damit fie, die durch Verträge an ihn gefefTelt waren, nach erlangtem Unterrichte ihn in den Stand fetzen möchten, meiner wieder zu entbehren. Gleichwohl ging ich meinen Gang fort, brachte feine Druckerey , die in der gröfsten Verwir- rung war, in Ordnung, gewöhnte nach und nach feine Leute zur Aufmerkfain- keit auf ihre Arbeit, und machte, dafs fie befler damit fortkamen..

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Sehfam genug war es , einen Studen- ten von Oxford in der Lage eines er- kauften Knechtes zu erblicken. Er war noch nicht über achtzehn Jahr all, und theilte mir felbft folgendes von feinen Lebeneumftänden mit. Er war zu Glo- cefter geboren, und dafelbft in einer la- teinifchen Schule ( Grammar- School) er- zogen. Unter feinen Mitfcliülern hatte er üeh dadurch ausgezeichnet, dafs er in den Schaufpielen, welche fie aufführ- ten, feine Rollen vorzüglich gut fpielte. Er war Mitglied des litterarifchen Clubs in feiner Provinz gewefen , und hatte in die öffentlichen Blätter von Glocefter verfchiedene feiner fowohl poetifchen als profaifchen Auffätze einrücken laßen.. Von da war er nach Oxford gefcliickt worden, wo er hch ungefähr ein Jahr- aufgehalten hatte. Es ftand ihm dafelbft: nicht an; er wünfchte vor allen Dingen London zu fehen, und Schaufpieler zu. werden. Nachdem er einft feinen Vier- teljahrswechfel von fünfzehn Guineen

Jugendjahre. 15g

erhalten hatte, verlieis er, anftatt feine Schulden zu bezahlen, die Stadt zu Fufs, verbarg feine Studentenkleidung in ein Gebüfch, und ging, nach London. Da er hier keinen Freund hatte, der ihn hatte leiten können, fo gerieth er in böfe Gefelifchaft, brachte feine Guineen bald durch, konnte auf keinerley Weife bey der Schaubühne ankommen, wurde ver- ächtlich, verfetzte feine Kleider und hat- te das liebe Brot nicht mehr. Wie er nun aufs er ft ausgehungert die Strafsen durchlief, und nicht mehr wufste, was aus ihm werden füllte , fo gab man ihm einen Werbebrief in die Hand, worin denjenigen, die fich zu Dienften in Ame- rica annehmen laßen wollten, fofort ein Trinkgeld und nachher noch eine Prämie, angeböten wurde. Er begab lieh fogleich an den beftimmten Ort, Unterzeichnete den Vertrag, ward in das Schiff aufge- nommen, und ging nach America, ohne feinen Aeltern auch nur in einer Zeile Nachricht zu geben, was aus ihm gewor-

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den wäre. Sein lebhafter Geilt und fei- ne gute Gemüthsart machten ihn zum guten Gefellfchafter ; allein er war ar- beitfcheu, unvorfichtig und aufserft um befonnen. l

Johann, der Irländer, fäumte nicht, die Flucht zu nehmen. Mit den übri- gen fing ich an ein fehr angenehmes Le- ben zu führen. Sie ehrten mich alle um fo mehr, je weniger Keimer im Stande war, fie zu unterrichten; da fiie hinge- gen von mir alle Tage etwas lernten. Wir arbeiteten niemals am Sonnabend, weil chefs Keimers Sabbatli war. Ich hat- te daher zwey freye Tage zu meiner Lectüre.

In der Stadt vermehrte ich meine Be- kanntfcliaften mit wohl unterrichteten Perfonen. Selblt Keimer begegnete mir fehr höflich, j* fogar mit einem Anfchein von Hochachtung, und mich beunru- higte weiter nichts, als meine Schuld an Vernon , die ich noch nicht im Stande war abzutragen, weil ich bisher nur fehr

geringe

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geringe Erfparungen hatte machen kön- nen. Vernon war indefien fo gütig , fein Geld noch nicht einzufodern.

Unferer Druckerey fehlte es bisweilen an Sorten, und es war kein Schriftgiefser in America. Nun hatte ich zwar bey Ja- mes in London Lettern giefsen feilen, allein auf das Verfahren nicht fonder- lich acht gegeben. Indeffen fand ich doch Mittel eine Form zu verfertigen. Der Lettern, die wir hatten, bediente ich mich zu Stempeln, und gofs Lettern von Bley in Matrizen von Thon. Auf folche Weife erfetzte ich denn noch er- träglich genug das, was uns etwa abging.

Ich flach auch im Fall der Notli mancherley Zierrathen, machte Drucker- fchwärze, und führte die Aufficht über das Waarenlager; mit einem Worte, ich war ein wahres Factotum. Allein was ich auch Nützliches nur immer vornehmen mochte, fo bemerkte ich doch, dafs der Werth meiner Dienfte von Tage zu Ta- ge abnahm, fo wie die Gefchickliclikeit

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■der übrigen Hände zunahm; und als Kei- mer mir meinen zweyten Quartal gelialt auszahlte, gab er mir zu verliehen, dafs er doch gar zu hoch wäre, und dafs ich feiner Meinung nach wohl etwas ablaf- fen könnte. Er wurde nach und nach minder höflich, und nahm mehr den Herrenton an. Er fand öfters etwas ein- zuwenden; machte Schwierigkeiten, und fchien immer bereit, mit mir offenbar brechen zu rvollen.

Ich fuhr indeffen fort Gedult mit ihm zu haben, indem ich mir vorflellte, die Unordnung und Verwirrung in feinen Angelegenheiten möchten zum Theil wohl an feiner üblen Laune mit Schuld feyn. Endlich zerrifs ein gar geringer Vorfall unlere Verbindung. Da in der Nachbarfchaft des Haufes ein grofses Ge- räufch entbanden war, fo fleckte, ich den Kopf zum Fenfler hinaus, um zu fehen, ''was vorging. JKeiiivtr war auf der Gaffe; hob die Augen auf, fall mich und rief mir laut und mit zorniger Stimme zu,

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dafs ich mich um meine Arbeit beküm- mern möchte. Er fügte noch einige Scheltworte hinzu, die mir um fo mehr zu Herzen gingen , da das alles fo öffent- lich gefchah, indem alle Nachbarn, die eben diefes Geräufch an die Fenfter ge- lockt hatte, Zeugen davon waren, wie ich behandelt rvurde. Er kam fogleich in die Druckerey herauf und fuhr fort zu fchreien. Der Zank wurde auf beyden Seiten hitzig; er kündigte mir meinen Abfchied für das nächfte Quartal an, wie wir es ausgemacht hatten, indem er es fein- bereuete, üch auf eine fo lange Zeit mit mir eingelaffen zu haben. Ich fagte ihm, diefe Heue wäre überflüfsig; denn ich wollte fogleich gehen. Ich nahm in der That meinen Huth, ging aus dem Haufe und bat Meredith, der mir unten begegnete, für meine zurückgelaffenen Sachen Sorge zu tragen, und mir felbi- ge nach meiner Wohnung zu bringen.

Me.re.dith kam am Abend, und wir fprachen viel über das, was mir wider-

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fahren Avar. Er hatte eine ausnehmende Ehrfurcht für mich geAvunnen, und es that ihm äufserft leid, dafs ich das Haus verliefs, fo lange er noch dortfeyn müfs- te. Er widerrieth mir, in mein Vater- land zurückzugehen, Avie ich mir fall vor- genommen hatte. Er erinnerte mich, dafs Ktimer alles, Avas er befäfse, noch fchuldig wäre ; dafs feine Gläubiger an- fingen unruhig zu Averden ; dafs er feinen Laden gar elend veiwaltete ; dafs er oft ohne Profit verkaufte, um nur baares Geld zu bekommen; dafs er auf Credit weggäbe, ohne gehörig anzufchreiben , und dafs er daher notlrwendig fallen müfs- te, Avodurch eine für mich vortheilliafte Lücke entliehen Aviirde. Ich fchützte mei- nen Geldmangel A-or; und er entdeckte mir, fein Vater hätte eine fo hohe Mei- nung von mir, dafs er, befage einer des- falls mit ilun gehaltenen Unterredung, das zu unferer Einrichtung erforderliche Geld geAvifs vorfchiefsen Avürde, AAfenn ich mit ihm ha Gefellfchaft ueten AArollte.

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„Meine Zeit bey Körner , Tagte er, ifl künftiges Frühjahr um. Alsdann kön- nen wir von London unfere Prefle und unfere Schriften haben. Ich weifs nun wohl, dafs ich kein Künftler bin; aber wenn Sie einwilligen , fo lege ich mein Geld gegen Ihre Gefchicklichkeit in der Kunft auf die Wage, und wir können in Anleitung des Profits zu gleichen Theilen gehen.,, Sein Vorfchlag liefs ficli hören; und ich nahm ihn an. Sein Vater, der fich gerade in der Stadt be- fand, billigte ihn ebenfalls. Er wufste, dafs ich fehr viel über feinen Sohn ver- mochte, weil es mir gelungen war, ihn feit geraumer Zeit vom Brandweinstrunk abzuhalten, und hoffte daher, dafs ich bev einer nähern Verbindung diefe un-

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felige Gewohnheit ganz bey ihm tilgen würde.

Ich gab dem Vater ein Verzeichnifs der Dinge, die wir von London haben müfsten. Er ging damit zu einem Kauf- mann, und die Befiellung wurde ge-

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macht. Wir waren eins geworden, die Sache fo lange geheim zu halten, bis alles angelangt feyn würde; indeflen füll- te ich mir, wo möglich, in der andern Druckerey Arbeit verfchaffen; allein es war kein Platz ledig, und ich blieb alfo miifsig. Näch einigen Tagen befchickte mich Keimei auf eine fehl' höfliche Art wieder. Denn er hatte indeflen Hoffnung bekommen, zum Abdruck einer neuen Papiermünze in Neu-Jerfey gebraucht zu werden, für welche Zierrathen und ver- fchiedene Lettern nöthig feyn würden, wozu ich allein Rath fchäffen konnte. Da £r nun fürchtete, dafs Bradford mich in Dienfte nehmen und ihm diefe Ar- beit entziehen möchte, fo liefs er mir fa- gen, dafs alte Freunde fleh nicht um ein Paar Worte willen, die der Affect her- ausgeflofsen hätte, auf immer entzweyen - müfsten, und dafs er mich daher bäte, zu ihm zurückzukehren. Meredith bere- dete mich, diefe Einladung anzunehmen, vornehmlich deswegen, damit er fleh als-

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dann durch meinen täglichen Unterricht in der Kunft defto vollkommener machen möchte. Ich kehrte alfo in der That zu- rück, und wir lebten von nun an in ei- nem belfern Vernehmen, als vor unfe- rer Trennung.

Keimer erhielt die Arbeit für Neu-Jer- fey. Ich verfertigte zu diefemEnde eine Kupferdruckerprelfe , und zwar die erfte, die in diefem Lande zum Vorfchein kam. Ich hach mehrere Verzierungen und Vignetten zu den Billets. Wir begaben uns zufammen nach Burlington , wofelblt ich alles zur allgemeinen Zufriedenheit ausführte, und Keimer erhielt für ^liefe Arbeit eine Summe, wodurch er ha den Stand gefetzt wurde , den Kopf weit län- ger über dem Walfer empor zu halten.

Zu Burlington machte ich mit den an- gefehenflen Perfonen der Provinz Be- kanntfchaft. Mehrere von ihnen waren von den Ständen abgeordnet, um auf die Prelle acht zu haben, und dahin zu fe.hen , dafs nicht mehr Billets ab ge-

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druckt würden, als das Gefetz beftimmt hatte. Sie waren daher, ein jeder nach feiner Reihe, behändig gegenwärtig; und der, welcher kam, brachte gemeiniglich noch einen oder zwey Freunde zu feiner Gefellfchaft mit. Mein Geifl war melir durch Lectüre gebildet, alsKeimers; und daher kam es wahrfcheinlich, dafs fie fich lieber mit mir, als mit ihm unterhiel- ten. Sie nahmen mich mit in ihre Häu- fer, hellten mich ihren Freunden vor, und erwiefen mir alle erlinnliclien Höf- lichkeiten, indeflen Jfeüner, obgleich Herr, ein wenig vernachläfsigt wurde. In der That war er auch ein feltfames Gefchöpf, unwifiend in allen Lebensge- bräuchen, immer bereit fich angenom- menen Meinungen auf eine grobe Art zu widerfetzen, Schwärmer in einigen Religionspunkten, unreinlich bis zum Ekel, und bey allem dem ein wenig Spitzbube.

Wir hielten uns fall drey Monathe dafelbft auf, während welcher der Rieh-

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ter Allen, Samuel Bußill , Provinzial- Se- cretär; Ifaac Pearfon, Jofeph Cooper, meh- rere Smith, alles Mitglieder der Provin- zial -Verfammlung, und der General -In- fpector Ifaac Decon, meine Freunde wur- den. Diefer letzte war ein fehr fchlauer und gewandter Greis, welcher mir er- zählte , wie er in feiner Jugend zuerft Thonkärner bey den Zifegelbrennern ge- wefen wäre. Er war fchon ziemlich bey Jahren, als er erft fchreiben lernte. Nach, her hatte er von den. Landmefiern , de. nen er die Mefskette nachgetragen , die- fe Wiflenfchaft erlernet, und fich end. lieh durch feinen Fleifs -ein artiges Ver- mögen eiworben. „Ich fehe voraus, fagte er mir eines Tages, dafs Sie die- fern Menfchen , nelimlich Reimern, bald das Handwerk legen, und in diefer Kunft ihr Glück zu Philadelphia machen wer- den.,, Er wufste damals noch nicht das mmdefle von meiner etwanigen Abficht mich dafelbfl oder anderswo niqderzu- laffen. Diefe Freunde wurden mir in

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der Folge überaus nützlich, fo wie ich es auch bey Gelegenheit einigen von ih- nen wurde, und he haben mir feitdem insgefamt viele Achtung bewiefen.

Ehe ich dir meinen Eintritt in die Schranken des bürgerlichen Gewerbes er- zähle, ift es vielleicht nicht undic-nlich, dir meinen damaligen moralifchen See- lenzuftand zu fchildern, damit du erfe- heft, welchen Finflufs derfelbe auf die nachmaligen Ereigniffe meines Lebens gehabt hat.

Meine Eltern hatten mir fchon fehl- frühzeitig religiöfe Geßnnungen beyge- bracht, und ich war von Kindesbeinen an in den Grundfätzen des Presbyteria- nismus fein- fromm erzogen worden. Aber kaum war ich funfzehen Jahr alt geworden, als ich nach mancherley Hin- und Herzweifeln über diefe und jene Punkte, je nachdem ich nehmlich diesel- ben in den verfchiedenen Büchern, die ich las, an gefo chten fand, endlich an der ganzen Offenbarung zu zweifeln anfing.

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Es fielen mir einige Bücher gegen den Deismus in die Hände. Sie enthielten, wie man fagte, den Kern der Predigten, die in Boyle’s Laboratorium gehalten worden waren. Sie wirkten aber bey mir gerade das Gegentheil von dem, was die Verlader lieh vorgefetzt hatten. Denn die Gründe der Deiften , die zum Behuf der Widerlegung angeführt rvaren, fchie- nen mir weit Harker, als die Widerle- gungen. Mit einem Wort, ich wurde gar bald ein völliger Deift. Meine Grün- de verführten noch einige andere junge Leute, befonders Collins und Ralph. Als ich mich aber in der Folge erinnerte, wie viel Böfes mir diefe ohne die min- deften Gewidensbide zugefügt hatten, als ich Reiths, auch eines darken Geifies, Verfahren, ja felbfi meine eigene Auf- führung gegen Vernon und Mifs Read erwog: lo fing ich an zu argwohnen, dafs diefe Lehre, wenn auch gleich wahr, dach eben nicht gar nützlich wäre. Ich verlor alfo nach und nach die gute Mei-

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nung von meinem zu London heraus- gegebenen Schriftchen mit diefem Motto aus Dry den: Alles was da iß, gut; obgleich der kurzfichtige Menfch nur ei- nen Theil der Kette erblickt, und von dem nächßen Gliede feine Augen nicht bis zu dem wagerechten Balken erheben kann, der droben alles wägt;,, und wel- ches fich mit der Behauptung endigte, dafs vermöge der Eigenfchaften Gottes, nehmlich feiner unendlichen Güte, Weis- heit und Allmacht, nichts Böfes in der Welt feyn könnte, dafs Tugend undLa- ßer gar keine Wirklichkeit hätten, und weiter nichts als leere Dißinctionen wä- ren. Ich fah diefes Werkchen nun nicht mehr für fo vorwurfsfrey, als vorher an, und argwohnte, dafs fich meinem Grunde wohl irgend ein nicht wahrzu- nehmender Irrthum beygemifcht haben könnte, der fich alio auch über die ganze Schlufsfolge verbreitete, wie das bey me- taphyfifclien Speculationen gewöhnlich der Fall iß. Ich blieb zuletzt überzeugt,

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dafs Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Rechtfchalfenheit in dem Betragen des Menfchen gegen den Menfchen höchft wichtige Erforderniffe zürn Glück des Le- bens wären; und ich fafste damals nicht nur den Entfchlufs , felbige Zeit meines Lebens zu beobachten, fondern fchrieb ihn auch in mein Tagebuch nieder.

Die Offenbarung, die Wahrheit zu fagen, vermochte als folche nichts auf mein Gemüth; allein ich war doch der Meinung, dafs obgleich gewiffe Hand- lungen nicht gut oder böfe feyn könn- ten, weil gerade die Offenbarung fie ge- böte oder verböte, dennoch diefelben von ihr um deswillen geboten oder ver- boten feyn könnten, weil fie, alle üm- llande wold erwogen, fchon ihrer Na- tur nach uns zuträglich oder fchädiich wären. Diefe Ueberzeugung hat mich, mit Beyhülfe der Vorfehung, oder ir- gend eines Schutzengels, vielleichtauch mancher zufälligen mir günftigen Um- llande und Lagen, vor aller Unfittlich-

174 Benjamin Franldin’s

keit uncl vor allen groben vorfeit züchen Un- gerechtigkeiten bewahret, welchen mein Mangel an Religion in den gefährlich- flen Tagen der Jugend, und in den mifslichen Lagen, worin ich mich bis- weilen -unter fremden Mc-nfchen, ent- fernt von den Augen und den Rath- fchlägen meines Vaters befand, mich ausfetzte. Ich fage vor vorfätzlichen : denn zu den Fehlern, welche ich in der That begangen, hatte mich gewiffer- mafsen meine jugendliche Unerfahren- heit, oder die Niederträchtigkeit ande- rer Menfchen genöthigt. Ich hatte da- her fchon gute Grundfätze und einen fe- ilen ehrlichen Character, noch ehe ich in die Welt trat. Ich kannte den W erth derfelben, und gelobte mir es felbft an, dabey zu beharren.

Wir waren noch nicht lange wieder nach Philadelphia zurückgekehrt, als un- fere typographifclien Geräthfchaften von

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London ankamen. Ich rechnete mit Rei- mern ab, und verliefs ihn, mit feinem

guten Willen, noch ehe er etwas davon

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wufste. Es ftand gerade ein Haus am Markte offen ; wir mietheten es , und um uns die Koften zu erleichtern, die da- mals 24 L. Sterling des Jahres betrugen (hi dei Folge habe ichs für jo vermie- det gefehen), nahmen wir noch einen Giafer , Thomas Godfrey , nebft feiner Fa- milie, mit ein, der nicht nur einen an- fehnlichen Theil derfelben trug , fondern uns auch gegen ein gewiffes Koflgeld fpeifete.

Kaum hatten wir unfere Lettern ausge- packt, und die Prelfe gehörig aufgeftelk, als einer meiner Bekannten, Namens Georg Houfe , uns einen Landmann zu- führte, der ihm auf der Strafse aufgeftof- fen war, indem er fielt nach einem Buch- drucker erkundigt hatte. Unfre Kaffe war durch die Menge von Sachen, die wir uns hatten anfehaffen müffen, fall gänzlich er- fchopft. Die fünf Schillinge diefes Land-

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manns, diefe Erftlinge unfres Erwerbes, die fo zu gelegener Zeit kamen, mach- ten mir mehr Freude, als irgend eine Summe, die ich nachher gewonnen ha- be; und das Dankgefühl, welches lieh .gegen Georg Houfe bey diefer Gelegen- heit in mir regte, hat mich in der Folge oft weit eifriger gemacht, jungen Anfän- gern fortzuhelfen, als fonft gefchehen feyn würde.

So wie es überall trübfinnige Leute giebt, die nur immer Unglück prophe- zeien; fo fehlte es daran auch zu Phila- delphia nicht. Zu dielen gehörte ein ge- wiffer Samuel Michel , ein Mann fchon etwas bey Jahren, und nicht ohne Ver- mögen, mit einem geAvifien Anfehn von Weisheit, und einer ftattlichen Art üch auszudrücken. Diefer Mann, den ich gar nicht kannte , blieb einft vor meiner Thür liehen, und fragte mich, ob ich der junge Menfch wäre, der feit kurzem eine neue Buchdruckerey angelegt hätte.

Als ich nun diefes bejaht hatte, fo fagte er,.

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dafs er mich bedauerte, weil das Unter- nelimen koftbar und die Auslage fo gut als verloren wäre. Denn Philadelphia wäre im Verfall begriffen; alle feine Ein- wohner hätten bereits ihre Bücher ge- fchloffen, oder würden es bald thun; er wiifste ganz zuverläffig, dafs alles, was etwa auf das Gegentheil fchliefsen Iahen möchte, wie etwa die neuen Anbaue und die Erhöhung der Miethzinfen, be- triegliche Zeichen rvären, die in der That nur unfern Untergang befchleunigen wür- den. Er erzälilte mir dabey eine fo lan- ge Reihe von Unglücksfällen, die fich entweder fchon ereignet hätten, oder doch in kurzem ereignen würden , dafs er mich fall ganz mudilos zurückliefs. Hätte ich diefen Menfchen eher gekannt, als ich mich in den Handel einliefs, fo würde ich unfheitig nichts gewagt ha- ben. Er führ indeffen fort, in diefer verfallenden Stadt zu leben, und nach wie vor zu declamiren. Mehrere Jalue hindurch wollte er durchaus kein Haus

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dafelbft kaufen , weil alles fich zum Un- tergänge neigte. Allein endlich hatte ich denn doch die Lull zu feilen, dafs er, um nur eins zu bekommen, wohl fünfmal mehr bezahlen mufste, als wenn er gleich im Anfänge feiner Klagelieder eins gekauft hatre. *

Ich hätte bereits anführen follen , wie ich fchon im Herblie des letztverwiche- nen Jahres den gröfsten Theil meiner gelehrten Bekannten in einen Club ver- einigt hatte, den wir Junto nannten, und welcher die Abficht hatte , unfern Ver- fland zu vervollkommnen. Wir ver- fammelten uns jeden Freytag Abends. Die Gefetze, welche ich entwarf, ver- pflichteten ein jedes Mitglied, nach der Reihe eine oder mehrere Fragen über irgend einen Gegenfland der Moral, der Politik und Phylik aufzuwerfen, um von der Gefellfchalt erörtert zu werden ; auch alle drey Monathe einmal eine felbft ver- fafste Abhandlung über eine beliebige Materie vorzulegen. Unfere Debatten

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Tollten der Leitung eines Vorfitzers un- terworfen feyn, und durch nichts als das aufrichtige Verlangen, die Wahrheit zu entdecken , erregt werden ; keine Dispu- tirluft, kein eitles Beftreben nach Siegs- ruhm follte fich in unfere Unterfuchun- gen mifchen ; und um der Erhitzung der Gemüther zuvor zu kommen, fo wurden alle Ausdrücke, die eine hartnäckige Be- hauptung einer Meinung anzeigten, fo wie überhaupt jeder gerade Widerfpruch unter Androhung kleiner Geldftrafen ver- boten.

Die erflen Mitglieder unferes Clubs waren folgende: Jufeph JSrintnall , der

fi ch mit Actenabfchreiben für Notarien abgab. Diefer war ein Mann von mitt- lerm Alter, von guter Gemüthsart, feinen Freunden aufserft ergeben, und ein grofer Freund der Dichtkunft. Er las alles, was ihm vorkam, und fchrieb auch ganz erträglich. Uebrigens war er fmnreich in mancherley kleinen Tändeleyen und ein überaus angenehmer Gefellfchafter.

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Thomas Goilfery , ein gefchickter Ma- thematiker, der lieh ohne Lehrmeifter ge- bildet hatte, und in der Folge den foge- nannten Hadleyfchen Quadranten erfand. Allein aufser feiner Sfäre war er gar we- nig bewandert, und in der Gefellfchaft war er ganz unausßehlich , indem er im- mer, wie die meiRen grofsen Mathema- tiker, die mir in meinem Leben vorge- kommen find , auf einer ganz ungewöhn- lichen Pünctlichkeit in allem, Adas man nur fagen mochte, befland, und unauf- hörlich bey den elencleflen Lumpereyen entweder widerfprach , oder diRinguirte. Nichts kann wohl kräftiger feyn, als die- fes, allen Umgang zu verleiden. Zum Glück verliefs er uns bald.

Nicolaus Scull, ein Feldmefler, der in der Folge General -Landmefler wurde. Er liebte die Bücher und machte V erfe.

Wilhelm Parfons , der zwar zum Schu- lter-Handwerk erzogen worden war, al- lein als Freund der Lectüre lieh tiefe Kenntniffe in der Mathematik erworben

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hatte. Er fiudirte he in der Folge zum

Behuf der Aflrologie , deren er doch her- nach zuerft fpottete. Er wurde ebenfalls General -Landmelfer.

Wilhelm Maugridge , ein Tifchler und vortrefflicher Mechanicus; übrigens ein gefetzter und gefcheidter Mann.

Hugo Meredith, Stephan Pott und Georg Webb, von welchen ich fchon oben geredet habe.

Robert Grace, ein junger Mann von

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Vermögen, grofsmüthig, lebhaft und geiftreich, ein Freund des Epigramms, aber doch noch mehr feiner Freunde.

Endlich Wilhelm Colemann, damals Schreiber bey einem Kaufmann , und un- gc-fähr von meinem Alter. Er hatte den ruhigflen, aber auch den hellften Kopf, das belle Herz und die pünctlichf e Mo- ralität, die ich jemals bey einem Men- fchen angetroffen habe. Er wurde in der Folge ein fehr angefehener Kauf- mann, und einer von unfern Provinzial- richtern. IJnfere Freundfchaft dauerte

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ununterbrochen über vierzig Jahre, bis an feinen Tod, und der Club behänd fall eben fo lange.

Diefer war damals die belle Schule der Philofophie und Politik im ganzen Lande. Denn unfere Fragen, welche » acht Tage vor der Erörterung aufgewor- fen wurden , nöthigten uns über die man- cherley vorkommenden Gegenflände auf- merkfam nachzulefen, um delto treffen- der darüber fprechen zu können. Wir erwarben uns auch dadurch eine F ertig- keit im gefälligen Ausdrucke , indem rvir über jeden Gegenlland nach Mafsgabe unferer Gefetze fo fprachen, dafs es kei- nen verdriefsen konnte. Gerade diefem Umflande kann man die lange Fortdauer diefes Clubs zufchreiben, von welchem ich in der Folge noch manches zu mel- den Gelegenheit haben werde.

Hier habe ich feiner als eines Mittels erwähnt, worauf ich nicht wenig in Rück- licht auf Einrichtung und Fortgang mei- nes Gewerbes rechnen konnte, indem

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jedes .Mitglied das Seinige tliat, uns Ar- beit zu verfchaffen. Brintnall unter an- dern verfchaffte uns von Seiten der Qua- ker den Druck von vierzig Bogen ihrer Gefchichte. Das übrige mufste Reimer drucken. Wir hatten an diefem Werke fehr faure Arbeit, weil fie zu niedrigem Preife bezahlt wurde. Es war in Folio, auf Propatria -Papier, mit Cicero, und die Noten waren mit noch kleinerer Schrift gedruckt. Ich fetzte davon einen Bogen des Tages, und Meredith Brachte ihn unter die Preife. Es war oft elf Uhr des Abends, ja bisweilen noch fpäter, ehe ich mit meiner Anordnung der Ar- beit für den folgenden Morgen fertig wurde. Denn die kleinen Werke, die uns unfre Freunde von Zeit zu Zeit zu- fchickten, hielten uns auf. Allein ich hatte mir es nun einmal fo feft vorge- nommen, jeden Tag einen Foliobogen -zu Stande zu bringen, dafs, als ich ein ft meine Form in Ordnung gebracht hatte, und nunmehr glaubte, mein Tagewerk

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vollbracht zu haben, hingegen diefe Form durch einen Zufall zerfprang, und meine zwey grofsen Columnen Cicero dadurcli in ein Chaos verwandelt wur- den, ich fie fogl eich zerlegte , und nicht eher zu Rette ging, als bis ich fie von neuem gefetzt hatte.

Diefer wachfame Fleifs, welchen un- fere Nachbarn wahrnalimen, erwarb uns nach und nach Anfehen und Zutrauen. Ich erfuhr unter andern, dafs in dem Club der Kaufleute , der fleh alle Abende verfammelte, als die Rede von der neuen Buchdruckerey gewefen, die allgemeine Meinung dahin gegangen wäre, dafs fie zu Grunde gehen würde, indem fchon zwey Druckereyen, Keimers und Brad- fords, in der Stadt vorhanden wären. Aber der Doctor Bund, den wir beyde, du und ich, viele Jahre nahjier in fei- nem V aterlande zu St. fsjidri in Schott- land zu fehen Gelegenheit gehabt ha- ben, hatte das Gegentheil behauptet. „Franklins Fleifs, hatte er gefagt, über-

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trifft alles, was ich in diefer Art noch gesehen habe. Ich fehe ihn noch des Abends, wenn ich aus dem Club zu Haufe gehe , bey feiner Arbeit, und er ift des Morgens fchon wieder dabey, noch ehe feine Nachbarn das Bette ver- laden. „ Diefe Nachricht fetzte die übri- gen in Verwunderung; und bald kam ein Mitglied diefes Clubs, und erbot fich, uns mit Papier zu verfehen; allein wir wollten uns noch nicht in die Weitläuf- tigkeiten einer Ladenhaltung einlalfen, Es gefchieht nicht, um mir felbft Weih- rauch aufzuftreuen, dafs ich fo unbe- fangen von meinem Eleifse rede : fon- dern um defswillen gefchieht eg, dafg diejenigen von meinen Nachkommen , welche djefe Nachrichten lefen, den Nutzen diefer Tugend kennen lernen mögen, wenn fie in der Gefchichte mei- nes Lebens die yortheilhaften Wirkun- gen delfelben entdecken.

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Georg Webb, .dem ein Freund das nöthige Geld geliehen hatte, um feine Zeit bey Keimern abzukaufen, kam eines Tages und bot lieh uns als Gefellen an. Wir konnten ihn nicht fogleich andel- len; allein ich war bey diefer Gelegen- heit fo unvorfichtig, ihm unter dem Sie- gel der Verfchwiegenheit zu entdecken, wie ich gefonnen wäre , bald die Her- ausgabe eines neuen periodifchen Blat- tes anzufangen, da ich denn Arbeit für ihn haben würde. Meine Hoffnungen eines guten Erfolgs gründeten fich, wie ich ihm nicht verfchwieg, auf den Um- Rand, dafs die einzige Zeitfchrift, die wir damals hatten, und welche Bradford druckte, ein elendes Ding, erbärmlich ausgeführt, ganz und gar nicht unter- haltend, und gleichwohl einträglich für Bradford wäre. Ich dächte daher, dafs ein gutes Werk diefer Art nothwendig fein Glück machen müfste. Webb ver-

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rieth mein Geheimnifs an Reimern , der fogleich , um mir zuvor zu kommen , den Profpectus zu einem Blatte bekannt machte, welches bey ihm gedruckt wer- den, und wobey Webb angeftellt werden follte.

Mich empörte diefe Plauderhaftigkeit. Da unfer perjodifches Blatt noch nicht angefangen werden konnte, fo fchrieb ich, um ihnen entgegen zu arbeiten, verfchiedene luftige Auffätze für Brad- fords Blatt, unter dem Titel des Thu- all e s ( Bufy - Body) , welche Brintnall ei- nige Monathe hindurch fortfetzte. Ich zog auf diefe Weife die Aufmerkfam- keit des Publicums auf diefes Blatt, und Reimers Profpectus, den wir lächerlich machten, wurde verachtet. Er fing nichts defto weniger fein Blatt an ; nachdem er es aber neun Monathe lang fortgefetzt hatte, ohne mehr als höchftens neunzig Subfcribeuten zufammen zu bringen, fo

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lx)t er mirs felbfl für eine Kleinigkeit an. Ich war feit einiger Zeit bereit mich da- mit abzugeben, übernahm es alfo fogleich für meine Rechnung , und in wenig J äh- ren brachte es mir fehr viel ein.

Ich werde gewahr, dafs ich immer geneigt bin, von mir in der einfachen Zahl zu reden, ungeachtet untere Ge- fellfchaft noch beftancl. Vielleicht kommt das daher, weil in der Xhat das ganze Unternehmen auf mir allein beruhte. Me- red'ith war kein Setzer, fondern nur ein armfeliger Drucker, der feiten ganz nüchtern war. Meine Freunde beklag- ten mich wegen meiner Verbindung mit ihm; ich half mir aber fo gut wie mög- lich.

Unfere erften Stücke fchon machten einen Eindruck, wie ihn noch nie ein periodifches Blatt in diefem Lande ge- macht hatte ^ fowohl in Anfehung der Lettern, als auch des Druckes. Allein

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einige beifsende Anmerkungen von mei- ner Art über die Händel, welche zwi- lchen dem Statthalter Burnet und der Pro- vinzial-V erfamrhlung von MaJJucIwfet ob- walteten, fielen auch Perfonen von hö- herm Range auf, und waren Schuld, dafs man fehr viel von diefem Blatte und feinen Herausgebern fprach. In we- nig Wochen meldeten fich' alle diefe zur Subfcription. Ihrem Beyfpiele folgten viele andere nach, und die Zahl unferer Subfcribenten wuchs immer höher. Diefs war eine der erfien guten Wirkungen der Mühe, die ich darauf verwendet hat- te, meine Gedanken zu Papier bringen zu lernen. Ich zog hiervon auch noch den \ ortheil, dafs die Häupter der Pro- vinz, die in dem Verfaffer diefer Blätter . einen Mann erkannten, der fich fo gm auf die Feder verftand, es für rathfam hielten, ihm gute Dienfie zu leiden imd ihn aufzumuntern.

igo Benjamin Franklin’ä

Bradford druckte noch die Motionen, Gefetze und andere öffentliche Schriften. Er hatte eine Adreffe der Stände an den Statthalter fehr fchlecht und uncorrect ge- druckt. Zierlich und correct druckten wir he noch einmal, und fchickten jedem Mitgliede ein Exemplar davon zu. Sie merkten den Unterfchied; und diefer verttärkte den Einflufs unferer Freunde unter den Ständen, welche uns für das folgende Jahr zu ihren Buchdruckern er- nannten.

Unter den Freunden, welche wir in diefer Verfammlung hatten, darf ich ei- nes ihrer Mitglieder nicht vergehen. Es ift Herr Hamilton , deffen ich oben er- wähnt habe, und welcher damals von England zurückgekommen war. Er ver- wendete fich bey diefer Gelegenheit fehr kräftig für mich, lo wie er diefs auch in der Folge bey vielen andern that, und mir bis an feinen Tod fein Wohlwollen fchenkte.

Jugendjahre. 191

Um diefe Zeit foderte Vemori, jedoch el?en nicht dringend, fein Geld wieder. Ich fchrieb ihm einen fchönen Dankbrief und bat ihn noch ein wenig Gedult zu haben, womit er auch zufrieden war; und lobald ich es nur möglich machen konnte, bezahlte ich ihm Kapital und Zinfen mit Aeufserungen der lebhafteren Erkenntlichkeit. So war denn diefer Feh- ler meines Lebens einigermafsen wieder getilgt.

Aber ich gerieth bald in eine Verle- genheit, deren ich mich nimmermehr verfallen hätte. Der Vater des Herrn Merydith , der laut unferes Vertrages die ganze Anlage zu unferer Druckerey hät- te herfchiefsen follen, hatte nicht mehr als hundert L. Sterling baar bezahlt. Der Kaufmann, der noch einmal fo viel zu fodern hatte, und nicht länger warten wollte, nahm uns allezufammen in An- fpruch. Wir Hellten nun zwar Sicher-

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heit; allein- mit der traurigen Ausficht, dafs wenn das Geld um die beftimmte Zeit nicl^t vorhanden wäre, der Procefs i'ogleich ^ntfchieden , das Urtheil voll- ftreckt , alle unfere fchönen Hoffnungen verfchwunden , und wir gänzlich zu Grunde gerichtet feyn würden. Denn fowohl Preffe als Schriften liefen Gefahr vielleicht um die Hälfte des Werthes zu Tilgung der Schuld verkauft zu werden.

In diefer Bedrängnifs kamen zwey wahrhafte Freunde, deren edelmüthiges Verfahren ich nie vergeffen habe, noch jemals vergefTen tverde, fo lange nur ir- gend etwas in meinem Gedächmiffe haf- tet, jeder belonders zu mir, ohne dafs einer von dem andern etwas wufste , und ohne dafs ich mich an den Einen oder den Andern defsfails gewendet hatte. Jeder von ihnen erbot hebt mir die ganze Summe vorzufchiefsen, welche ich nö- thig haben würde, um die Wirdifchaft

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wo möglich ganz allein über mich zu nehmen, weil es ihnen nicht anftimde, dafs ich die' Verbindung mit Meredith fortfetzte, den man öfters, wie fie fag-

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ten, auf der Strafse betrunken, und in den Wirthshäufern böfe Spiele fpielen fähe , 'welches unferm Credite fehr nach- theilig wäre. Diefe beyden Freunde wa- ren Wilhelm Culemann und Robert Grace. Ich antwortete ihnen: So lange es wahr- lcheinlich bliebe, dafs die Meredith den Contract, fo weit ihnen obläge, erfül- len würden , fo lange könnte ich um fo weniger auf eine Trennung antragen, je mein Dank ich ihnen für dasjenige fcliul- dig zu feyn glaubte, was fie bereits ge- ihan hätten , und auch noch thun wür- den, wenn es ihnen möglich wäre. Soll- ten üe indelTen ganz offenbar ihrer Ver- bindlichkeit kein Genüge leihen, fo dafs unfere Gemeinfcliaft auf hören müfste, fo würde ich mich alsdann erft für be-

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fugt achten, die Unterftützung meiner Freunde anzunehmen.

In diefer Lage blieben die Dinge eine Zeitlang. Eines Tages fügte ich zu mei- uem Gefährten : „Tin- V ater ift vielleicht unzufrieden, dafs Sie fich mit mir einge- lafien haben, und will' für uns beyde nicht thun, was er für Sie allein thun würde. Wenn das ift,> fo geliehen Sie mirs aufrichtig. Ich werde ihnen dann gern alles allein überladen, und mein Wefen künftig für mich befonders trei- ben.,, „Nein, antwortete er, mein Va- ter ift in der Tliat in feinen Erwartun- gen hintergangen worden; er fieht fich aufser Stande zu bezahlen, und ich mag ihn meinetwegen nicht mehr in Sorgen fetzen. Ich fehe, dafs ich ganz und gar nicht zum Buchdrucker tauge; ich bin zum Landwirth erzogen worden, und es

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war eine Thorheit von mir, in die Stadt zu kommen, und mich in einem Alter

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von dreyfsig Jahren noch in die Lehre zu einem neuen Handwerke zu begeben. Mehrere von uns Wallifern wollen lieh in Nord-Carolina niederlaflen , wo die Ländereyen wohlfeil find. Ich habe Luft mit ihnen zu ziehen, und meine alte Handtliierung wieder zu ergreifen. Sie werden unftreitig Freunde finden, die Ihnen helfen. Wenn Sie die gemein- fchaftlichen Schulden übernehmen, mei- nem Vater die vorgefchofienen hundert Pfund Sterling erftatten, meine kleinen Privatfchulden berichtigen, und mir noch dreyfsig Pfund Sterling, .nebft einem neuen Sattel, herausgeben wollen, fo will ich der Gemeinfchaft entfagen, und Ihnen alles übrige ganz allein über- laden. „

Ich nahm diefen Vorfchlag an, ohne

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mich zu bedenken. Er wurde fogleich niedergefchrieben, unterzeichnet und be- iiegelt. Ich gab ihm , was er von mix

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gefodert hatte, und er reifete bald nach Carolina ab, von wannen er mir im fol- genden Jahre zwey lange Briefe fchrieb, welche die bellen Nachrichten von die- fein Lande in Anfehung feines Klima, Bodens, Ackerbaues u. f. w. enthielten, die darüber zum Vorfchein gekommen find. Denn in diefen Dingen war er fehr erfahren. Ich machte fie in meinen Blättern bekannt, und fie wurden über- aus wohl aufgenommen.

Sobald er abgereifet war, wendete ich mich an meine beyden Freunde, und da ich keinem von beyden einen den an- dern kränkenden Vorzug geben wollte, fo nahm ich von jedem die Hälfte des Angebotenen und mir Unentbehrlichen an. Ich bezahlte die gemeinfcliaftlichen Schulden, und fetzte das Gewerbe in meinem eigenen Namen fort, nachdem ich das Publicum forgfältig benachrich- tigt hatte, dafs die Gefellfchaft aufgeho-

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ben wäre. Ich glaube, diefs gefchali im Jahr 172g, oder ungefähr um diefe Zeit.

Um ebendenfelben Zeitpunct verlang- te das Volk ein neues Papiergeld, wo- von man bisher für nicht mehr als 15,000 L. Sterling gehabt hatte, welche Summe der Tilgung nahe war. 'Die reichen Ein. wohner, eingenommen gegen alles Pa- pier diefer Art, aus Furcht, dafs es , wie in Neu -England zum Nachtheil aller Gläubiger, im Preife fallen würde, wider- fetzten fich diefei; Foderung. Wir hat- ten diefen Gegenftand in unferm Junta bereits erörtert, wofelbft ich mich für die neue Papiermünze erklärt hatte. Denn ich war überzeugt, dafs die erfte kleine im Jahr 1723 verfertigte Summe der Pro- vinz fehr vortheilhaft gewefen war, in- dem be den Handel, den Fleifs und die Bevölkerung begünftigt hatte, fo dafs man gegenwärtig nicht nur alle Häufer bewohnt, fondern auch noch viele neue

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aufbauen fah. Ich erinnerte mich fehr wohl, dafs, als ich das erflemal mit meh nem Brot auf der Fauft die Gaffen von Pliiladelphia durchwanderte, an den mei- nen Häufern in Valnut -ftreet, zwifchen Second- ftreet und Fourth-ltreet, fo wie auch fehr viele in Chesnut - ftreet und anderwärts, Miethtäfelchen hingen, wel- ches mich damals auf die Gedanken brachte, dafs die Einwohner einer nach dem andern diefe Stadt verliefsen.

V ermittelft unferer Debatten hatte ich mich diefes Gegenftandes dermafsen be- mächtigt, dafs ich ein anonymifches Pamphlet über die Befchaffenheit und die Nothwendigkeit des Papiergeldes fchrieb und druckte. Diefes wurde von der ge- ringem Volksklaffe überall fehr wohl auf- genommen, dagegen aber mifsfiel es den Weichen, weil es das Gefchrey nach ei- ner neuen Papiermünze vermeinte und verftärkte. Als fich indeffen kein Schrift-

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heller unter ihnen fand, der darauf zu antworten im. Stande gewefen wäre, fo erfchlaffte ihr Widerfland, und das Pro- ject ging durch, da auch die Majorität der Stände dafür eingenommen war. Die Freunde , die ich mir in diefer Verfamm- lung gemacht, überzeugt, dafs ich bey diefer Gelegenheit gute Dienfte geleiftet hatte, hielten dafür, dafs man zu meiner Belohnung diefe Papiere bey mir drucken lafTen müfste. Diefe Arbeit war für mich einträglich, und kam mir ungemein zu hatten. Wieder ein Vortheil, den ich der Fertigkeit zu fchreiben verdankte.

Zeit und Erfahrung bewährten fo of- fenbar den Nutzen des Papiergeldes, dafs es in der Folge niemals mehr fonder- lichen Widerfpruch erfuhr. Es flieg da- her bald bis auf die Summe von 55,000 und im Jahr 1739 gar %o,ooo L. Sterl. Nach diefer Zeit ift im letzten Kriege die Summe bis zu 350,000 L. Sterl. erhö-

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het worden, indem der Handel, die An- baue und die Zahl der Einwohner mitt- lerweile immer zugenommfen haben. Gleichwohl bin ich gegenwärtig über- zeugt, dafs es auch Gränzen gibt, jen- feit welcher das Papiergeld nachtheilig werden kann.

Durch die Vermittlung meines Freun- des Hamilton erhielt ich bald nachher auch den Druck der Papiermünze von Neivcaßle , welchen ich wieder für ein einträgliches Gefchäft anfehen konnte. Denn Leuten von geringem Vermögen erfcheinen auch Kleinigkeiten anfehn- licli; und in der That gereichte mir al- les das zu fo gröfserm Vortheile, je mehr ich dadurch aufgemuntert wurde. Er verfchafl'te mir auch den Druck der Ver- ordnungen und Motionen in diefer Statt- halterfchaft, und diefe Arbeit blieb in meinen Händen, fo lange ich die Kunlt trieb.

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Ich eroffnete damals auch einen klei- nen Papierwaarenladen; und führte darin weifse Bücher von allerley Format, fo fauber, als man fie je bey uns gefehen hatte. Bey diefem Gefchäfte half mir mein Freund Brintnall. Ich führte auch Pa- pier, Pergament, Pappe, Bücher u. f. w. Ein gewiffer Wite-mach, ein Setzer, den ich als einen vortrefflichen Arbeiter zu London kennen gelernt hatte, bot mir

feine Dienfte an; ich nahm ihn an, und

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er hielt fleifsig bey mir aus. Auch nahm ich einen Lehrling , einen Sohn des Aquila-Rofa, an.

Von jetzt an bezahlte ich nach und nach die Schuld, die ich für die Dru-

ckerey hatte machen müffen. Um mei-

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nen Credit und Gharacter als Kaufmann zu behaupten, bemühte ich mich nicht nur in de.r That fleifsig und fparfam zu feyn, fondern auch allen Schein des Ger gentheils zu vermeiden. Ich ging ganz

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einfach 'gekleidet einher; und nie fall inan mich an irgend einem öffentlichen Lullorte. Ich ging weder auf Fifchen noch Jagen aus. Ein Buch, und die Wahrheit zu geliehen, bisweilen ein felbll verfertigtes war meine ganze Aus- fcliweifung; aber diefs doch nur feiten, heimlich und ohne Aergernifs. Und um zu zeigen, dafs ich mich felbll nicht bef- fer als mein Gewerbe dünkte, fo fchob ich bisweilen das Papier, welches ich in den Magazinen gekauft hatte, auf einem Schiebekarren über die Strafse nach mei- nem Haufe.

Auf diefe Weife wurde ich überall als ein junger diätiger Mann und pünkt- licher Bezahler bekannt. Die Kaufleule, welche Papierwaaren einführten, Juch- ten meine Kundfchaft. Andere erboten fich, mich mit Büchern zu verfehen ; und mein kleiner Handel ging immer belfer.

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Während diefer Begebenheiten ver- fielen Keimers Credit und Handel von Tage zu Tage fo felir, dafs er endlich aus Noth und zu Befriedigung der Gläu- biger feine Druckerey verkaufte , und nach Barbados ging, wo er noch eine Zeit lang in höchft armfeligen Umflan- den lebte. Sein Lehrling, David Harry , den ich während der Zeit, da ich bey Ktimern arbeitete, unterrichtet hatte, kauf- te feine Gerädifchaften, und liefs fich an feiner Stelle nieder. Anfänglich furch tete ich an dem Harry einen mächtigen Mitbuhler zu bekommen, weil er zu ei- ner angefehenen und vielgeltenden Fa- milie gehörte. Ich bot ihm daher einen Gefellfchaftsvertrag an, den er aber zu meinem Glücke mit der gröfsten Verach- / tung von fich wies. Er war äufserft hofärtig, trug fich wie ein kleiner Prinz, machte Aufwand, und lief allen Lufl- barkeiten aufserm Haufe nach. Darüber

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gerieth er in Schulden, vernachläfliigte feine Arbeit, und die Arbeit verliefs ihn. Als im Lande fich gar bald nichts mehr für ihn zu thun fand, fo folgte er Kei- rrurn nach Barbados nach, und nahm die Druckerey mit. Hier nahm diefer Lehr- burfche feinen alten Lehrherrn zum Tag- löhner an. Sie geriethen oft zufammen in Streit. Harry kam immer weiter zu- rück, und fall fich endlich genöthigt, fei- ne Lettern zu verkaufen und zu feiner Feldarbeit in Penfylvanien zurückzukeh- ren. Derjenige, der fie kaufte, nahm Keimern an, um Vortheil davon zu zie- hen, allein diefer ftarb wenige Jahre darnach.

Es blieb mir alfo zu Philadelphia kein anderer Mitbewerber übrig, als Brad- ford. Allein diefer war ziemlich reich, veranfialtete höchftens von Zeit zu Zeit einen Druck durch durchreifende Gefel- len, und bekümmerte fich nicht fonder-

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lieh um die Arbeit. Da er indeßen das Pqftamt verwaltete , fo glaubte man, dafs er befler im Stande wäre, das Neuelle zu liefern. Seine Zeitung galt für eine hellere Verbreiterinn von Anzeigen, als die meinige, mithin erhielt er deren auch weit mehrere zum einrücken; und diefs brachte ihm eben fo vielen Vor- theil, als mir Schaden. Ich mochte im mer meine Blätter mit der Poll erhalten und abfenden, das Publicum wähnte dennoch das Gegentheil, weil ich das nicht anders bewerkllelligen konnte, als durch Behechung der Pollknechte, die fich daher nicht anders , als nur heimlich damit befallen konnten, indem Bradford unedel genug war, es ihnen zu verbie- ten. Dieses Verfahren verdrofs mich un- gemein, und ich mifsbilligte es an ihm fo felir, dafs, als ich in der Folge mich an feiner Stelle befand, ich mich gar fehr hütete, ihm nachzuahmen.

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Bis dabin war icli bey Godfrey , der

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nebft Frau und Kindern einen Theil mei- nes Haufes und die Hälfte meines La- dens zum Behuf feines Glaferhandwerks inne hatte, in die Kofi; gegangen. Er arbeitete fehr wenig, indem er immer in feine Mathematik vertieft war.; Mi- flrifs Godfrey fetzte lieh in den Kopf mich mit der Tochter Eines ihrer Verwandten zu verheiradien. Sie fuchte uns Gele- genheiten zu öftern Zufammenkünften

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zu verfchaffen, bis fie wahrnalim, dafs ich mich ernlllich einliefs, welches eben nicht fcliwer war, da das Mädchen we- gen feiner perfönlichen Eigenfchaften diefes gar fehr verdiente. Die Eltern munterten meine Anwerbungen dadurch auf, dafs fie mich immer zum Abend- elfen einluden, und uns fo oft zufam- men allein liefsen, dafs es endlich zu Erklärungen kommen mufste. Miflrifs Godfrey nahm es auf fich, unfern klei-

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nen Ehevertrag zu vermitteln. Ich kün- digte ihr an , dafs ich mit dem Mädchen eine Summe Geldes erwartete, wovon ich wenigftens meine auf die Druckerey noch rückftandige Schuld abtragen könn- te. Diele betrug, glaube ic^i, damals nicht mehr über hundert Pfund Sterling. Millrifs Godfrey brachte mir zur Antwort, dafs man eine folche Summe jetzt nicht vorräthig hätte. Ich bemerkte, dafs man das Geld gegen Verpfändung des Kau- fes wohl beym Leihhaufe erhalten könn- te. Nach einigen Tagen lautete die Ant- wort hierauf dahin, dafs man die Hei- rath nun doch nicht für zuträglich hielte; dafs man üch bey Bradford erkundigt und erfahren hätte , die Buchdruckerpro- fefiion bringe nicht viel ein; die Schrif- ten würden fich bald abgenützt haben i und dann würden neuq nöthig feyn; J. Keimer und David Harry wären etner nach dem andern zu Grunde gegangen,

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und mir würde es wahrfcheinlich nicht befler ergehen. Man verbot mir daher nunmehr das Haus , und fperrte das Mädchen ein. Ich kann nicht Tagen, ob man in der That feine Geünnungen ge- ändert hatte, oder ob dieis nur ein Kuuft- fhickchen war, indem man vielleicht glaubte , dafs wir uns fchon allzu tief mit einander eingelaflen hätten, um von ein- ander abzuflehen, und dafs wir uns da- her wohl heimlich zu verbinden fuchen möchten, wodurch denn die Eltern Frey- heit erhalten würden, nach Belieben zu geben, oder abzufchlagen. Da ich diefs argwöhnte, fo verdrofs mich der Han- del, und ich ging nicht mehr hin.

Einige Zeit darnach Tagte mir Miflrifg ' Godfrey , wie man jetzt in der vortheil- hafteften Stimmung für mich wäre, und wollte mich daher wieder auf den vori- gen Weg bringen. Aber ich erklärte ihr, dafs ich fehle ch ter di ngs mit diefer Fa- milie

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mllie nichts mehr zu thun haben wollte. Die Godfreys wurden darüber empfind- lich. Von nun an konnten wir keines Handels mehr eins werden, fie zogen aus , und iiberliefsen mir das ganze Haus allein. Ich bemhlofs jetzt keine Mietlis- leute wieder einzunehmen. Da diefer Vorgang mich nun einmal zur Heirath gefiimmt hatte, fo fchaute ich umher, und machte anderwärts meine Amver- bungen. Allein ich fand gar bald, dafs man die Buchdruckerkunft allgemein für ein armfeliges Gewerbe hielt, und dafs ich daher wohl kaum auf eine Frau mit Geld rechnen dürfte, wenn ich anders nicht auf jede andere Annehmlichkeit Verzicht thun wollte. Unterdefien ver- flocht mich diefe jugendliche Leiden- fchaft, die fo fchwer zu bezähmen ifl, nicht feiten in Intriguen mit verworfenen / Frauensperfonen, die mir hier und da auffiiefsen. -Allein diefs ging nicht ohne

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Kotten und Unbequemlichkeiten ab, der Gefahr nicht zu gedenken, die ich be händig lief, meine Gefundheit zu fchwä- chen, oder gar eine Krankheit aufzule- fen, die ich über alles fürchtete. Ich war aber doch glücklich genug, diefer Gefahr zu entgehen.

Als Nachbar und alter Bekannter hatte ich mit der Familie der Mifs Read ein freundfchafdiches Verkehr unterhalten. Ihre Eltern waren mir immer gewogen geblieben, feitdem ich in ihrem Haufe gewohnt hatte. Ich wurde öfters zu ihnen eingeladen; fie fragten mich über ihre Angelegenheiten um Rath; und ich war ihnen bisweilen nützlich gewtfen. Mich rührte die unglückliche Lage ihrer Toch- ter, die melancholifch und feiten munter war, und immer die Einfamkeit fachte. Ich fall meine Unbefonnenlieit und Un- beftändigkeit während meines Aufenthal- tes in London für die^Haupturfache ih-

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res Unglücks an; obgleich ihre Mutter treuherzig genug war, lieh felbft weit mehr Schuld beyzumeflen, als mir, weil he nicht nur vor meiner Abreife die Heirath verhindert, fondern ihre Toch- ter auch vermocht hatte, während mei- ner Abwefenheit einen andern zu hei- rathen.

Unfere gegenfeitige Zuneigung er- wachte wieder, allein es fetzten hch da- mals unferer Verbindung mächtige Hin- dernifle entgegen. Ilu-e erfle Heirath hielt man freylich nicht für gültig, indem, wie die Rede ging, noch eine erfle Frau in England am Leben war; allein es hielt fchwer bey einer fo grofsen Entfernung die Beweife herbeyzufchaffen; und ob hch auch gleich das Gerücht verbreitete, dafs ihr Mann geflorben wäre, fo hatten wir doch einestheils davon keine Gewifs- heit, anderntheils hatte er auch viel Schulden binterlaffen , um derentwillen.

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vielleicht fein Nachfolger in Anfpruch genommen werden konnte. Wir fetzten uns indeflen kühnlich über alle diefe Be- denklichkeiten hinaus, und ich heirathe- te he am erften September 1730. Nichts von allen dem, was wir befürchtet hat- ten, widerfuhr uns. Sie wurde für mich eine gute und getreue Lebensgefahrtinn, und half mir gar fehr meinen Laden in Aufnahme bringen. Wir kamen gut mit einander fort, und Jaeftrebten uns immer wechfelsweife einander glücklich zu ma- chen. Auf diefe Weife verbefierte ich denn, fo gut ich konnte, diefen grofsen Fehltritt meiner Jugend.

Unfer Club war damals noch in keine Schenke verlegt. Wir verhimmelten uns beym Herrn Grace, der einen Theil fei- nes Haufes dazu gewidmet hatte. Eines

Tages bemerkte Einer von uns, da bey

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unfern Unterfuchungen über die vorge- legten Fragen unfere Bücher öfters an-

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geführt würden, fo würde es bequem feyn, he alle an unferm Verfammlungs- orte beyfammen zu haben , um im Falle der Noth fogleich naclifchlagen zu kön- nen. Wenn wir folchergeftalt aus un- fern befondern Bibliotheken eine gemein- fchaftliche machten, fo gewönne jeder von uns den Vortheil, auch von den Büchern der übrigen Mitglieder Ge- brauch machen zu können, welches fall eben fo viel werth wäre, als wenn ein Jeder he insgefamt felbft befäfse. Diefs fand Beyfall und wurde ausgeführt. Wir brachten alle Bücher, die wir entbehren zu können glaubten, in den Verfainm- lungsfaal. Die Anzahl war nicht fo grofs, als wir geglaubt hatten. Ob he aber gleich häufig von uns gebraucht worden waren, fo bellimmten uns doch einige Unannehmlichkeiten , die von einem Mangel an Sorgfalt herrührten, die Sammlung nach Jahresfrift wieder ziu

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zerreifsen; und jeder nahm feine Bücher wieder zu ficli in feinffaus.

Um diefe Zeit that ich meinen erflen Vorfchlag zu einer öffentlichen Lefean- ftalt, vermitteln; einer auf Subfcription anzulegenden Bibliothek. Ich verfertigte einen Profpectus; liefs die Bedingungen dazu von uriferm berühmten Notarius Br och den förmlich entwerfen, und mein Project gelang, wie man in der Folge fehen wird.

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