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Basler Jahrbuch 55 1913
herausgegeben von Albert Geßler u. Auguſt huber
aſe Verlag von helbing & Lichtenhahn (vorm. Reich⸗Detloff)
Druck von Friedrich Reinhardt in Baſel.
Inhaltsverzeichnis.
IM. Anapp: Prof. Dr. Karl Bon der Mühll-His +
KR. Gauß: Reformierte Bajelbieter Kirchen unter katho— liſchem Patronate . .
Paul Meyer: Ein Basler Stanmbug des 17. Sahr- hunderts
R. Oeri-Saraſin: Snzaretterinnerungen ı aus dem Kriege von 187071 . . V
Jakob Kündig: Die Theologen des Heubergs
Baul Kölner: Die Basler Faltnadht
Ed. U. Geßler: Torhut und Scharwadhe zu Bafel i in der zweiten Hälfte des XV. Sahrhunderts .
Heinrih Shönauer: Kurze Notizen aus den Zebens- umjtänden von Friedrich Ladhjenal . &
Sri Baur: Ein Spaziergang über das Bruderholz .
Ernit Jenny, € Th Markees, Wilhelm Barth, Rob. Grüninger: Das fünitlerijche Leben in Bajel
Fritz Baur: Basler Chronit vom 1. November 1911 bis 31. Oftober 1912 ER E
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Lichtdruckanstalt Alfred Ditisheim, Basel.
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Deof. Dr. Rarl Don der Muhl-His. *
Don FT. M. Rnapp.
Denen zu danken, die dem Gemeinwejen in irgend einem Teile gedient, ilt der Bürger ſchöne Pflicht, der Lehrer Ehre zu preijen der Schüler ehrenvolles Vorrecht. Beides vereinigt ih für uns, wenn wir des Verftorbenen Herrn Profejlor Dr. Karl Bon der Mühll-His gedenten. War er doch jeinen Schülern ein allezeit treu bejorgter Lehrer, Hat er doch feiner Bateritadt ein ganzes Leben aufopfernver, mol Tätig- feit gewidmet.
Zwar war feine Perſönlichkeit nicht eine der öffentlich am beiten befannten, wie etwa die feines Großvaters, des Ratsherrn Peter Merian; feine Konzentration auf den Dienjt an der Hochſchule brachte ihn meiſt nur mit wenigen in direften gejhäftlichen Verkehr; jeine Fachvorleſungen lagen sudem fo weit non den vielbegangenen Straßen des Unter: richtes ab, daß derer, die zu feinen Füßen gejellen, nur ein fleines Häuflein ift. Troßdem forgte fein der weitejten Gaft- lichfeit und edeljten Gejelligfeit geöffnetes Haus, daß alle, mit unfrer Basler Hochſchule irgendwie Verbundenen feine immer freundliche und in. aller Vornehmheit und Chrwürdig- feit Teutjelige Gejtalt fannten und ehrten. |
Dreimal in den leßten Sahren feines Lebens iſt Prof. Bon der Mühl! auch öffentlich Hervorgetreten, als Repräjen- tant jeines Faches, der Univerjität und der von ihm zeit feines Lebens mit voller Kraft vertretenen Naturforihenden Geſellſchaft.
Bei der Yeier des zweihundertiten Geburtstages von Leonhard Euler hielt am 29. April 1907 am Feſtakte in der Martinsfirhe Prof. Von der Mühl die Gedädhtnisrede auf Bajels größten Sohn. Vom Rednerpulte auf dem Podium aus, unter dem die Bülte Leonhard Eulers umgeben von grünen Pflanzen jtand, bei der der Pedell mit dem Gzepter der Univerfität ſich aufgejtellt Hatte, umwallt rechts und links von den Bannern der Studenten, eröffnete er die Feierlich— feit mit einem ſchlichten Ueberblid über des großen Mathe: matifers Leben und Werf. Speziell den treuen Sohn Baſels, der auch in der Fremde, in Berlin und Petersburg feine Heimatſprache nicht ablegte, ſchilderte er, legte auch die vielen reichverzweigten Fäden klar, die Leonhard Euler mit den Bernoulli in Bajel von Jugend auf bis ins hohe Alter ver: fnüpften und die immer wieder das Band des Auswärtigen mit der Heimat bildeten. Daß die Gedächtnisrede des Fach— genoſſen natürlid) auch in erjter Linie dem „Vater der Ana: Iyfis“ galt und zeigte, wie Eulers Werf und Bild nicht mit der Zeit undeutlicher, verſchwommener oder gar Kleiner wird in der Willenichaft, jondern wie feine Wertſchätzung im Gegen- teile im Munde der Größten aller Zeiten, eines LZagrange, eines Gauß, die Sahrhunderte überragt, das hatte mehr als nur momentane Bedeutung. Sprach doch in jener fejtlichen Tagung in der Martinskirde, por verjammeltem Lehrförper, vor der ganzen Studentenjhaft und vor zahlreichen Vertretern des gebildeten Bajels nad) den Vertretern der Akademien zu Berlin und Petersburg, im Namen der fehweizerifchen Hoch⸗ ſchulen Herr Prof. Dr. Yerdinand Rudio aus Züri mit feierlihem Worte die Gefühle aus, die jeden Mathematiker beim Betreten Bafels ergreifen und die wie ein: „Zeuch deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Drt, da du ftehelt, ift ein Heilig Land!“ Elingen. Und aus diejer erhabenen Stimmung heraus wuds dort der Wunſch hervor, der „bis dahin immer noch unerfüllt geblieben war, fo ſehnlichſt und jo laut auch feit Jahren die Löſung verlangt wurde“: der
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Wunih nah einer Gejamtausgabe der Werfe Leonhard Eulers!
Mas damals ijt gewünfht worden, das wurde an der Sahresverfammlung der Schweizerifhen Naturforfchenden Gefellihaft zu Laujanne im September 1909 zur Tat, das Zentralfomitee jener Vereinigung jtellte den Antrag: „Die Chweizeriihe Naturforſchende Geſellſchaft beichließt die Her- ausgabe der gefamten Werfe Leonhard Eulers in der Ori— ginalſprache, überzeugt, damit der ganzen willenihaftlichen Melt einen Dienjt zu erweijen.“ Daß er ein Wagnis war dieſer Beichluß, Davon mögen am beiten die Zahlen des Koſten— voranichlages ein überzeugendes Bild geben, der für die 40 großen Quartbände von je gegen 550 Geiten einen Betrag von 450 000 Fr. als Koften vorausjah. Daß an die Spiße der Eulerfommilfion damals Herr Prof. Von der Mühl, als Generalredaftor Herr Prof. Rudio gewählt wurde, war eine logiſche Yolgerung jener eben geſchilderten Begebenheiten in der Basler Martinsfirde. Es braudte einen jtarfen Mannes= mut zur Uebernahme diefer Aufgaben, wie zu der Ver: arbeitung des wiſſenſchaftlichen Teiles derjelben, für den fich fiher auch) auswärtige Kräfte finden ließen, gerade ebenfojehr zu der moraliſchen und namentlid) auch finanziellen Durch— führung und Ermöglidhung des ganzen Unternehmens. Dies alles ruhte nun auf Prof. Bon der Mühlls Schultern, der auch an die Spiße des Finanzausſchuſſes der Sade trat.
And wie hat fi) die Pietät gegenüber dem größten Basler gelohnt! Schon Heute, nad) wenig Jahren find die erjten Früchte da. Noch durfte Prof. Von der Mühl nicht allein er- leben, daß die unmöglich feheinende finanzielle Garantie des Ganzen glatt erledigt wurde, zunädjit dank der jtillen Werbe: arbeit in der Schweiz, Hauptfählih in Baſel und Zürich, dann aber auch über alles Erwarten günftig durd) die über- aus generöjen Beihilfen der auswärtigen Akademien. Neue Funde find feither zu den altbefannten Werfen Hinzu gefommen, Die Ausgabe wird größer, auch viel teurer als
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der erſte Koftenplan vermutete; trogdem find die erften Schritte getan, die eriten Erfolge ſchon erreicht. Die fertigen Bände mehren fih von Jahr zu Sahr, die wertvollen Manu: jfripte und jeltenen Bilder ſtrömen aus der halben Welt zu— lammen; fie jollen alle in Bafel ihre zufünftige Heimftätte finden in einem mit unferer Univerjitätsbibliothef zu ver: einigenden Eulermujeum. So durfte Herr Prof. Bon der: Mühl von einer, wenn auch nur wenige der leßten Jahre feines Zebens mit Geduld, Treue und Mut durchgeführten Arbeit den allerfhönjten Lohn ernten, der auch ihm doppelt wertvoll fein mußte im Hinblid darauf, daß durch alle Arbeit und Mühe zulegt doch Baſels Name und Baſels wiſſenſchaft— liher Ruf wadje und weithin erjtrahle.
- War fo Prof. Von der Mühll durd jenes Auftreten in der Martinsfirhe zu dem Mittelpunftte eines weit über fein Reben und feine Baterjtadt Hinausgreifenden Unternehmens geworden, jo ließ ein anderes Hernortreten feiner Perjönlicdh- feit, bei der Feier des A50jährigen Beitehens von Bajels Hoch— ſchule feine Geftalt und Art noch fihtbarer werden. Als Rektor der Univerfität ſtand er in jenen Tagen des 23. und 24. Juni 1910 vor aller Augen. Er benüßte dieſe Gelegenheit, „das Band, weldes Bürgerfhaft und Univerjität allen Stürmen zum Troß die Jahrhunderte Hindurd) zufammengehalten hat, fefter zu fnüpfen, friſchen Mut zu fallen und neue Kräfte zu jammeln“. Mit diefen Worten beginnt die letzte von ihm herausgegebene Schrift, der Feitberiht jener Yeier. Denn Prof. Bon der Mühl! war fi) wohl bewußt, daß „die An— forderungen, denen die Univerfität zu genügen hat, von Jahr zu Jahr wachſen, und daß diefe ihre Stellung nur behaupten fann, wenn jeder echte Basler nah Kräften zu ihrem Ge— Seinen beiträgt“. So ftellte er fich ſelbſt an die Spitze mit neuem Mute, er, der faſt Giebenzigjährige..e Auch was er den Studenten am Yadelzuge zurief: die Mahnung zu erniter Arbeit für Lehrer und Schüler, „denn jede Erkenntnis will errungen fein, und der Weg führt oft durch öde Gegend“, hatte
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er jelbft an fich erlebt und wahr gemadt. Darum fand er aber aud noch die Kraft, ungebeugt und jugendfrifch fort- zufahren: „Aljo nicht müde werden, immer neu angreifen, unabläffig vorwärts jtreben! Vergraben Sie ih nicht in Ahr Fach, benußen Sie, was Ihnen die Universitas litterarum bietet. Hinaus ins Leben! Ergreifen Sie Partei! Nur nicht lau und gleichgültig! dann wird’s wohl gelingen.“
Er ſelbſt war mit feinem Beijpiele, dem Borbilde älterer "Generationen folgend, in diejer Richtung vorangegangen. Nach) froh verlebter Jugend im Elternhauje, nad) der Schul: zeit auf Baſels Gymnafium und Pädagogium, war aud er, der Kaufmannsjohn, in die Zahl der cives academiei ein- getreten und Hatte nicht nur feinem Face gelebt. Zwar galt ein Hauptitreben jenen Fächern der Mathematik, der Phyſik und der Naturwiljenichaft, zu welchen er ſchon auf dem Gym- nafium bejondere Begabung gezeigt hatte, und zu Füßen der Profeljoren Schönbein, Wiedemann, Albrecht Müller, Meißner, Ed. Hagenbach, befonders aber bei feinem Großoheim Rudolf Merian, dem Bruder des NRatsherrn Peter, Hatte er feiner nächſten Pflicht eifrig nachgelebt. Daneben aber war er auch beftrebt, feine weitere Ausbildung in alten Spraden, Ge- ſchichte, Philofophie und franzöfiiher Literatur bei den Pro— fejjoren Jakob Burdhardt, Wilhelm Wadernagel, Steffenfen, Wilhelm Viſcher, Gerlah) und Girard zu fördern.
Später war er der von Grokoheim und Großvater ge— Ihaffenen Tradition gemäß nad Göttingen gezogen, Hatte bei Wilhelm Weber, Stern, Sartorius von Waltershaufen, bei Schering, Klinterfues und D. E. Meyer fi) weitere Kennt: nijje gejammelt und fih im Laboratorium des berühmten Chemifers Wöhler ausgebildet.
Endlich folgte er feiner [peziellen Neigung zur mathema- tiſchen Phyſik und ging für weitere drei Jahre nad Königs- berg, um beim Mathematifer Richelot und ganz bejonders deim Phyſiker Franz Ernit Neumann ganz ſich der Willen- Ihaft zu widmen. Dort fand er auch, wie früher im Basler
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Pädagogium durch die Pädagogia, wie als Basler Student dur den Zofingerverein Schweizerifcher Studierender treue Sreunde, und diefe Königsberger Freunde waren es fpeziell, die feinem weiteren LZebenswege die Richtung gaben und mit ihm Freundſchaft hielten über Zeit und [pätere Trennung weg. Go verband ihn namentlich mit dem Sohne feines ehr- würdigen Königsberger Lehrers, mit Carl Neumann und mit dem Mathematiker Ad. Mayer ein Band, das nad dem in Königsberg abgelegten Doftoreramen ihn wie jene beiden nad) Leipzig als Privatdozent führte und ihm dort fowohl Eingang in die Kreife jener Hochſchule als auch von den Ihöniten gefelligen Jahren feines Lebens verſchaffte.
Nach jeiner Berheiratung mit der Baslerin Fräulein Anna Katharina His Eonnte er jelbjit auch in Leipzig und jpäter nad) Baſel zurüdgefehrt dem Beijpiele jener folgen und fein gajtlidhes Heim zum Mittelpunfte maden, der allen, die darin verkehren durften, zu einem anregenden Zentrum geiltigen Lebens, den Yremden zu einer Stätte wurde, an der fie mit den weiteren Kreifen der Herbergsitadt Fühlung erhalten fonnten. Auch Hier war ihm, das „Band zwiſchen Bürgerihaft und Univerfität immer feſter und vieljeitiger zu jehlingen“, der wichtigſte Zweck. Denn der Univerlität ge- hörte des Leipziger Dozenten ſchon und erft recht des berufenen Basler Profeſſors ganzes Trachten und Streben. Ihr und der Willenfchaft gehörte feine ganze Arbeit.
Mit jenen Königsberger Freunden und Leipziger Kol: legen hat er bis zuleßt zujammengearbeitet in der gemein- famen Herausgabe der Mathematifhen Annalen. Dem vor ihm verftorbenen Ad. Mayer Hat er in diefer wiſſenſchaftlichen Zeitihrift, feinem Lehrer %. E. Neumann, der hochbetagt als 97jähriger im Jahre 1895 ftarb, Hat er durch zwei Vor: träge in der Naturforfhenden Gefellihaft Baſel ein ehren- volles Denkmal gejeßt, voll treuen Gedenfens.
Was er in des letteren hohen Schule erworben, das hat er auch jeinen Schülern in reihem Maße übermittelt. Seine
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Borlefungen, die neben den einführenden Borlejungen über Mechanik und der Einleitung in die Mathematijhe Phyſik, fo ziemlich über alle Kapitel dieſes großen Faches, über Optik, Märmelehre, Elajtizitätstheorie, Elektrizitätslehre, Hydro: und Asromechanik u. ſ. w. daneben auch über anjchließende mathematiſche Fächer ſich ausdehnten, hielt er in ſtets gleich: bleibender Sorgfalt und mit immer neuer Vorbereitung und Meiterführung des bewährten Stoffes. Es war ihm aud nicht zu gering, fie vor noch Jo Kleiner Zahl der Zuhörer friſch bearbeitet durchzuführen, hatte doch er jelbjt bei jeinem Groß- ohm aud) allein gehört. So war es ihm aud) möglid, den Wünſchen jeiner, der Natur des Faches gemäß wenig zahl- reihen Zuhörer in weitelter Weije entgegenzufommen und das ihnen gerade Notwendige oder Wünſchenswerte vorzutragen.
Auch feine wiſſenſchaftlichen Arbeiten, teils für ſich ge- drudt, meilt aber in mathematifchen oder phylifaliihen Zeit: Ihriften eingereiht, jowie feine Vorträge in der Basler Natur: forſchenden Gefellihaft, mit denen er immer wieder hervor- trat, befaßten ſich alle faft ausichlieglich mit feinem Spezial: gebiete der mathematifhen Phyſik. Dabei war es ihm ein - Anliegen, nit nur irgend eine Theorie Flarzulegen, jondern meift die ganze Fülle des hiſtoriſch Gemwordenen in jeinem Werdegang zu jhildern; auch auf alle Fehler und Mängel hinzuweiſen unterließ er nie, wie denn die Kritif ſpeziell feine ftärfite wiflenihaftlihe Begabung war. Wenige Ar— beiten wurden ohne gut begründete kritiſche Vorbehalte empfohlen, manche energifch zerpflüdt. Doc blieb er fi} bei allen den vielen Theorien, die fih ja auf gewillen der von ihm vorgetragenen Gebiete fajt ins Unermefjene häuften, immer bewußt und betonte es zu wiederholten Malen, daß diefe Theorien eben Bilder der Darftellung fein jollen, Ber: ſuche, den Schleier der Wirklichkeit zu Heben, deren wahres Geſicht noch feinem Sterblichen je zu ſchauen vergönnt war, deren Spuren zu fuchen und zu verfolgen aber dennoch Lebens⸗ aufgabe und Freude ijt, die feiner anderen weidt.
Neben diejer ftillen Arbeit für feine Schüler und für die Wiſſenſchaft ging aber eine noch jtillere nebenher, von der nur die allerwenigiten Einjiht befommen haben, die aber vielen zugute fam: fein Wirken in der Verwaltung der Uni— verfität ſelbſt. Nicht nur hat er an den Würden und Bürden der akademiſchen Gefchäfte, wie jo viele andere Hochichullehrer teilgenommen durch Verwaltung des Defanates der mathe matifh:naturwillenihaftlicden Abteilung 1893 und 1905, des Defanates der philofophiihen Fakultät 1894 und 1906, durch Uebernahme des Rektorates 1895 und 1910, des Prorektorats 1896 und 1911, als Mitglied der Anlagefommiflion und haupt: lählih als curator fiscorum academicorum, das heißt als Verwalter der verjhiedenen Yonds, aus denen das Basler Univerjitätsvermögen bejteht, Hat Prof. Bon der Mühll feit 1896 bis zu feinem Tode eine Summe von Pflichten trodenjter und aufreibenditer Art erledigt, die allein ſchon den Dank und das dankbare Gedenken der Bürgerfehaft erfordern. Bis ins Kleinjte peinlich treu und forgfältig, aber auch Hier ftets der wahre Hüter der guten Ueberlieferung, jteht er hiebei für alle Zeit muftergültig da, um fo mehr, als der zeitlebens Un— bejoldete alles nur in felbftlojem Geben gleichſam jelbjtver- ſtändlich erfüllte.
Daß der, der die ganze Kraft eines langen Lebens jchentte, auch von feinem Materiellen nad) beitem Vermögen beijteuerte, ift fo wenig auffällig, wie die Art des Gebens, die womöglich nit in merfbarer Form gejhah. Seine Freude war, die von ihm gepflegten und verwalteten Gebiete gedeihen zu ſehen und das war ihm Freude genug. Eine ganz bejondere war es für ihn, das Zujtandeflommen des Penfionsfonds für die Univerfität zur eier des von ihm geleiteten Jubiläums er— leben zu dürfen, und feine leßten Sorgen galten noch diejer Neufhöpfung. Auh die Kahlbaumftiftung verdankt feiner treuen Arbeit einen Teil ihres In-Rechtskrafttretens.
Mer hätte da befler auf den Bolten gepaßt, an der Spitze der Univerfität zu ftehen bei ihrem Jubelfeſte, als er, der ja
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auch als Enfel des Rektors der 400jten Gründungsfeier dazu von Geburt erforen war. Daß es dem rüftigen Giebenziger aber aud) Hier nicht leicht gemadjt wurde, nun die Würde, auf die er ja ſonſt jtets verzichtete, zu tragen, erhellt aus den zahlreichen Reden, die allein der eine Feſttag des 24. Juni von ihm verlangte, wo er beim Feſtakte in der Aula des Muſeums auf jede der vielen Anſprachen und Adreſſen aus: wärtiger Geſellſchaften und der Vertreter der befreundeten Hochſchulen unmittelbar mit einem Danke zu antworten hatte. Auch das Mittagsbanfett im Mufikfaal eröffnete er mit einer Begrüßungstede und hatte die Freude Dabei, der „ein zigen Stadt, die ſich eine Univerfität leiſtet“, eine neue hoch— herzige Stiftung für diefe feine Hochſchule anzeigen zu dürfen. Daß die Damen der Feitteilnehmer während des Bankettes zu einem Tee im Haufe des Rektors gebeten waren, entiprad; wiederum nur feiner alten Samilientradition. Aber aud mit dem Feſtesſchluß endigte für ihn die Arbeit nicht, fo wenig fie mit dem Seite ſelbſt erjt begonnen hatte. Der alles bis ins Kleinite hinein vorbereitet und vorberaten hatte, hat auch ſelbſt alle Dankesſchreiben nad) den verjchiedeniten Himmelsftrien post festum ausgehen lajjen. So war es Ihlichte Danfespflit, wenn ihn bei der Feier im Münſter der Defan der juriftiihen Fakultät um feiner Verdienjte in der Verwaltung der Univerfität willen zum Chrendoftor beider Rechte ernannte.
Aber auch das dritte Auftreten Prof. Bon der Mühlls vor der Deffentlichfeit führt uns noch) auf eine weitere Geite jeiner ftillen vielfeitigen Tätigkeit. Neben Dogentenberuf und Berwaltungsgeihäften für die Univerjität fand er noch Zeit, fih bei den verſchiedenſten, mehr oder weniger Ddireft mit der Hochſchule verbundenen oder dieſe ergänzenden Ge— jelliehaften und Vereinigungen zu betätigen. Als Vorfteher des freiwilligen Mufeumsvereins wirkte er jeit 1901, der Kommiſſion der Naturhiftoriihen Sammlungen des Mufeums gehörte er jeit 1898 an, an beiden Drten, in der Stille wirfend,
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eines der tätigſten Mitglieder. Bejonders ans Herz ge— wachſen, weil durd die Tradition feiner Yamilie geheiligt, war ihm aber jeine Tätigkeit in der Naturforfchenden Gefell- Ihaft Bajels. Schon vor jeiner Habilitation in Leipzig, im Sahre 1867, zurüdgefehrt von einer wiſſenſchaftlichen Reife nad Paris, trat er unter der Präfidentihaft von Prof. Dr. Fritz Burdhardt in die Basler Gefellfhaft ein. Sm felben Sahre nahm er aud zum erjtenmale in Begleitung feines Großpaters, des Ratsherrn Peter Merian, an der Sahres- verfammlung der Gefellihaft ſchweizeriſcher Naturforſcher in Rheinfelden teil, jpeziell bei der Abteilung für PHyfif, die damals unter dem Vorſitz von Schönbein tagte, ſich hetätigend. Auch die nächſten Jahre, wenn irgend es ihm Zeit und Gtel- lung erlaubte, bejudte er diefe Tagungen, fehsmal mit dem Großvater zulammen, wiederholt aud) von Leipzig aus. Später nad Bajel zurüdgefehrt, fehlte er fajt bei feiner diefer willen- Ihaftliden Vereinigungen.
Sn der Basler Gejellihaft trat er in den eriten Jahren mit Vorträgen aus feinem Fache hervor, ſpäter blieben dieſe zurüdgedrängt durch die Fülle der Verwaltungsgejchäfte, die aud) hier ihm anvertraut wurden. In den Jahren 1890 bis 1892 führte er den Vorſitz, mit einem Nachrufe auf feinen früheren Lehrer, Prof. Albreht Müller feine Tätigkeit be- ginnend. Dem abtretenden Präfidenten widmete Prof. Hagen- bach-Biſchoff herzliche Worte des Danfes, die von der Gejell- Ihaft durch Erheben von den Giten bekräftigt wurden. Als Sekretär der Basler Gefellihaft amtete er 14 Jahre in un- ermüdlicher Treue. Die alten Protofolle nennen feinen Namen fait auf jedem Blatte, fei es, daß er zu den gerade aktuellen Gejhäften Ergänzendes oder Berichtigendes beifügte, oder daß eines der vielen offiziellen oder privaten Schrift: ftüde, die alle durch feine Hand gingen, eine Defizitforge oder eine Finanzfrage ihn auf den Plan rief. Bei der Schönbein- Teier des Jahres 1899 beforgte er die Rechnungsablage; der Kommiſſion zur Befjerung der Finanzen gehörte er feit 1910,
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dem Geniorenvoritande der Gejellihaft jeit deſſen Gründung an. Bei feinem Rüdtritte als Sefretär im Jahre 1908 wurde ihm eine Dankesadreſſe von der Gejellihaft zugeitellt, zu feinem 70. Geburtstage ebenfo, mit „dem tiefgefühlten Danfe für feine aufopfernde Tätigkeit die Wünſche für die noch recht lange Dauer feiner Fürſorge für die Gejellfhaft“ verbindend. Als Delegierter Bafels vertrat Prof. Bon der Mühll die In— terejjen feiner Heimat in der größeren Schweizer Bereinigung der Naturforicher zu wiederholten Malen. Auch in jener Gejellihaft jtand er als Mitglied der Schläflikommiſſion, als Vorfteher der Eulerfommijjion in der Mitte der Arbeiten und Gefchäfte, wenn er auch auf den Berfammlungen nur jelten ſtärker hervorgetreten iſt.
Nur bei den beiden Berfammlungen, die während feiner aktiven Tätigkeit in feiner Heimatſtadt jtattfanden, fehen wir ihn auch öffentlich bemerfbar werden. Das erjtemal 1892 als Vizepräſident des Sahresporitandes, neben dem Bor: figenden Prof. Hagenbach-Biſchoff, das zweitemal 1910 felbft Sahrespräfident und Mittelpunft. Dieſe letzte Verfammlung in Bafjel wurde von Prof. Von der Mühll mit einem NRüd- blide auf die Entwidlung der naturwiſſenſchaftlichen An- Italten Baſels eröffnet. So wurde ihm die Leitung zweier großer Beranjtaltungen, des Univerfitätsjubiläums und der Tagung der Schweizerifhen Naturforiher in Bajel im felben Sommer 1910 zugemutet und er hat beide Aufgaben bis an die Außerfte Grenze feiner Leiltungsfähigfeit in jelbitlojer Yufopferung und in Treue mujtergültig und zu aller Wohl: gefallen durchgeführt.
Doch follte dieſe Doppelleiftung nit jpurlos an dem Iheinbar unerjehütterlih gefunden, immer glei friſchen Manne vorbeigehen. Jene ungeheure Gejhäftsanhäufung veranlakte ihn zuerſt zu Klagen über mangelnde Zeit und Kraft. Troß aller Schonung und auswärts gejudhter Ruhe jollte er die alte, gewohnte Friſche nicht wieder erlangen. Schon in den Tagen feiner 70. Geburtstagsfeier, wo aud) die
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Mediziniiche Fakultät von Bafel ihm mit der Ernennung zum Chrendottor der Medizin ihre höchſte Chre erwies, fing fein Mut zu finfen an und, die beredhtigte Müdigkeit |pürend, bereitete ihm die Vorauslicht jchwerer Tage trübe Gedanken. Doch immer noch treu waltete er feiner vielen Aemter, nur von den Vorlefungen zeitweilig dispenſiert, beſuchte fogar noch die verjchhiedeniten Situngen, bis fih am 9. Mai 1912 jein Geſchick erfüllte.
An gelehrten Gejellihaften betrauern ihn als ihr Mit- glied die Mathematifche Gejellihaft Bajel, die ſchweizeriſche Mathematiſche Gejellihaft, Die deutſche Mathematifer-Ber- einigung, der circolo matematico di Palermo, die jchweize- riſche phylifaliihe Gejellichaft, die societe francaise de Phy- sique, die kaiſerlich Leopoldiniſch-Karoliniſche deutſche Aka— demie der Naturforſcher. Speziell die Basler Mathematiſche Geſellſchaft, das phyſikaliſche Colloquium und die Basler Naturforſchende Geſellſchaft, denen er bis zuletzt treu blieb, faſt keine Sitzung verſäumend, vermiſſen ihn.
Daß Univerſität und damit Stadt und Bürgerſchaft Baſels an Prof. Von der Mühll einen ihrer Getreueſten und Gelbit- lofejten verlieren und ihm, dem Stillen und Belcheidenen, ganz bejonderen Dank und treues Gedenken jchulden, dies zu nennen und zu befennen bleibt eines Schülers ſchmerzliche und doch teure Pflicht.
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Reformierte Bafelbieter Kirchen unter Batbolifchem Datronate. Don Rarl Bauf, Lieſtal.
Der Patronat, das Recht, den Pfarrer in einer Kirche zu ſetzen, mit dem aber auch die Pflicht verbunden war, für das Einkommen des Pfarrers zu ſorgen, ſowie die Kirche und das Pfrundhaus in Bau und Ehren zu erhalten, ſtand urſprünglich dem Grundherrn zu. Im Laufe der Zeit löſte ſich aber das Patronatsrecht als ſelbſtändiger Wert ab und wurde vielfach verſchenkt, als Lehen ausgetan oder verkauft. So findet ſich vielfach die Kirche in ſpätern Zeiten in andern Händen als das Dorf. Daher kam es, daß Baſel, als es ſich die Landſchaft erwarb, nicht in allen Fällen in den Beſitz der Patronate kam, weil ſie in den Händen der Klöſter, des Biſchofs, von Stiften oder auch von Privaten waren. Als Baſel im Jahre 1400 vom Biſchof die Herrſchaften Lieſtal, Homburg und Waldenburg ſich erwarb, kamen nur die Kirchen von Lieſtal und Läufelfingen an die Stadt und auch diefe nur fo, dak Biſchof und Stadt fi abwerhslungsweije in die Befegung der Pfründen teilten. Mit der Herrihaft Farns— burg fiel 1461 Bafel der Kirdhenjag von Maiſprach zu. 3war beitritt Thomas von Falkenſtein Bajel das Recht, da er es ſich jelbjt vorbehalten Habe, und im Jahre 1480 präjen- tierte Oswald von Tierjtein einen neuen Pfarrer. ber nachher verfügt doch Bajel über den Kirchenſatz. Als am 15. Sanuar 1465 Bajel von Götz Heinrih von Eptingen
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Siſſach faufte, ging das Dorf „mit dem firdenfat dafelbit“ an Bafel über. Dasjelbe geihah mit Eptingen am 13. März 1487. Am 28. November 1482 traten Oswald von Tierftein Tennifen und am 2. Mai 1515 drei Brüder Münd Muttenz an Bajel ab. Am 12. Mai 1518 verkaufte Chriſtoph von Ramftein Bregmwil mitjamt dem Kirchenſatz der Stadt, und der Biſchof als Vehensherr gab 1523 feine Ein- willigung. Das waren alle Batronate, welche Baſel vor der Reformation beſaß. Als das Klofter Schöntal 1524 in die Hände der Stadt fam, fielen ihr aud) die Patronate von St. Peter-Dberdori: Waldenburg, Langen: brud, Titterten und Bennmwil zu. 1526 fam durd) Kauf der Halbe Kirdenjag von Bratteln und der ganze von Benfen an die Stadt. Mit der Durdhführung der Re— formation fette ji) die Stadt in den Belig ſämtlicher Patro— nate, welche bisher der Bilhof und das Domfapitel beſeſſen hatten, nämlich Wrisdorf, Biel, Binningen, Bubendorf, ZLäufelfingen Halb, Lieſtal Halb, Mündenftein, Dltingen, Pratteln zweite Hälfte, Reigoldswil-G6t. Remigius, NRotenfluh zur Hälfte. Es war begreiflih, daß Baſel darauf ausging, auch die übrigen PBatronate fih noch zu erwerben. Schon am 4. Suni 1515 hatte der Rat vom Schultheik Strübin das Borkaufsreht auf den Patronat von Ziefen, welden fein Bater von den Erben der Eptinger gefauft Hatte, ſich gefichert und gelangte am 13. März 1535 in feinen Beſitz. Am 13. Juli 1545 trat Jakob von Löwenburg feine Hälfte des Kirchen: laßes von Rotenfludh der Stadt ab. Im Sahre 1564 hatte Liejtal bei der Wahl des Leutpriejters noch mitzufpredhen, Ipäter aber wurde die Gemeinde einfach übergangen. Mit dem Erlöfhen der Offenburger am Anfang des 17. Jahr: hunderts fiel auch der Patronat von Munzad, d. 5. Srenftendorf-Füllinsdorf, der Stadt zu.
Sechs Kirchen waren noch in fremden Händen. Das war um fo verdrießlicher, als die Batronatsherren alle katholiſch
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waren. St. Hilarius von Lauwil in NReigoldswil befaß, feit es ihm von Hans Imer von Gilgenberg am 5. Ok— tober 1527 abgetreten worden war, der Rat von Solothurn. Das Klojter Olsberg befaß den Kirdhenjag von Diegten, das Chorherrenftift Rheinfelden den von Kilchberg, und die PBatronate von Winterjingen, Buus und Gelter: finden waren im Beſitz des Deutjchordenshaufes Beuggen. Reformierte Kirhen unter katholiſchem Patronate mußten ihre Gejhichte haben.
Sp erwünjdht nun freilich der Stadt das Recht war, die Pfarreien nad) eigenem Gutdünfen zu bejegen, jo unerwünſcht war ihr die Verpflitung, für den Bau und Unterhalt von Kirchen und Pfarrhäufern auflommen zu müſſen. Und do machte fich gerade nad) der Reformation das Bedürfnis regerer Bautätigkeit fühlbar. Mußten doch an verfhiedenen Orten für die verheirateten Pfarrer die Häuſer vergrößert oder neu gebaut werden. Baſel fuhte Mittel und Wege, einen Teil der Lait von ſich abzumälzen.
Sm Sabre 1535 Hatte der Rat in Muttenz „ein nuw gut jteinins“ Pfarrhaus gebaut. Die Koften beliefen fih auf 643 8 86 8SJ. Der Rat verlangte nun vom Bilchof, da er einen Quart des Zehntens Habe, er jolle an die Koiten des Pfarrhausbaues 93 10 8 9 5 bezahlen. Der Bilchof aber fonnte nicht befinden, daß er „einiche jtür an obbemelten buw ze thund jhuldig“ fei, „dann es wider den brud in onjerm auch Coitenzer und nechſt anſtoßenden bijtumben, das die zehendherren zu buw der pfarrhüjeren ſollen verbunden fin“. Das Pfarrhaus von Thermwil fei fürzlih aud) neu ge= baut worden. „Wir achten wol, Stoffel Offenburg vnd andere fine mitzehndherren würden fi) von altem braude nit bringen laſſen. So iſt jegig vnſer pfarrhuf zu Pfeffingen vor furzen jahren gebuwen worden.“ Es Haben außer dem Kirch— berrn die Zehntherren nichts daran gegeben. „Dazu ift vnſer Quart, welde wir zu Muttenz niejjen, quarta Episcopat., jo inn gemeinen rechten aller ond Yyeder vfflegungen ond be=
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Ihwerden fryg.“ Bafel mußte wohl oder übel die Koften jelbit tragen.
Anders jtanden die Ausſichten für Bajel in einem andern Falle. Am 9. Dezember 1521 Hatte das Stift St. Mauritius in Zofingen dem Domkapitel die Pfarrei Arisdorf gegen 140 Gulden abgetreten, und mit der Reformation war die KRollatur an die Stadt übergegangen. Der Zehnten gehörte zur Hälfte der Domprobitei, zur Hälfte den Falkenſteinern. Am 1. Dezember 1545 verlieh Hans Chriltoph von Falken: ftein feine Hälfte an Heman Truchſeß von Rheinfelden und feine Lehensgenofjen, deren Vorfahren fie ſchon beſeſſen Hatten. Diejer Belig war in der Folge Beranlajjung zu manderlei Streit.
Die kleine, vom Dorfe etwas abgelegene Kapelle St. Kreuz Hatte fich ſchon längſt als zu klein erwiejen und war aud) bau- fällig geworden. In aller Stille hatte die Gemeinde einen Neubau vorbereitet. Ein Arisdorfer hatte den Bauplaß ge- Ichenft, das Land, das zur Zufuhr der Materialien benüßt werden mußte, war nicht angejät worden. Am 16. Dezember 1594 baten die Geſchworenen der beiden Gemeinden Arisdorf und Giebenad) den Rat in Bajel, er möchte ihnen eine neue Kirche bauen, die alte ſei baufällig, vornehmlich der Dach— ſtuhl und der daraufjtehende Helm feien faul, fo daß der leßtere herunterjtürzgen könnte. Die Kirchhofmauer fei ſchon an zwei Drten eingefallen, jo daß die Bapiften, die öfters zur Predigt fämen, ji) daran ärgerten. Die jegige Kapelle itehe in einem fumpfigen Anger und fei zu klein, jo daß namentlid an Feſttagen viele Zuhörer draußen ſtehen müßten und die Eltern in der Kinderlehre neben den Kindern feinen Platz fänden. Die Gemeinde erklärte fich bereit, die Funda— mente zu graben, Steine zu brechen, die nötigen Fuhren und Hrohndienjte zu übernehmen. Der Rat bewilligte den Bau, der im folgenden Jahre vollendet wurde,
Die Baukoſten beliefen ih auf 23348 88 A J. Die Pfleger des Domftifts ſuchten nun aber die Hälfte erhältlich zu maden. Als im Sommer 1595 in Arisdorf die Zehnten
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eingenommen werden jollten, wurde den Trudjellen jchriftlich mitgeteilt, daß fie die halben Baufoiten zu bezahlen hätten. Die Truchſeſſen weigerten ſich. Sie machten geltend, daß ſie den Zehnten von den: Yalfenjteinern zu Zehen hätten, und im Lehenbrief nichts von den Baufoiten jtehe, daß Bajel den Kirchenſatz wie aud in Augſt Habe. Arisdorf jei eine Filiale von Augft. „Stem dak nur ein Cappel alda zu Arisdorf ge- wäſen vnnd nhun zu einer großen Kürchen gebauwen worden iye.“ Die Pfleger forderten deshalb den Rat auf, die Truch— ſeſſen von Rheinfelden zu veranlaljen, „den halben pawkoſten der Fir Ariltorf von habende ires halben zehenden wegen alda abzurichten“. Der Rat forderte ein Gutadten eines Surilten, Dr. Gut, ein. Am 10. März 1596 wurde er mündlid) abgehört, am 9. Juni wurde fein Konzeptjchreiben verlejen und beſchloſſen, das Schreiben an die Truchſeſſen abgehen zu laſſen.
Der Rat machte den Truchſeſſen gegenüber geltend, daß die Falkenſteiner auch ſchuldig geweſen wären, an die Bau— koſten beizutragen, daß der Kirchenſatz nur den Pfarrherrn und den Gottesdienſt betreffe, und nicht die Erhaltung der Kirche. Der Ertrag des Zehntens ſei ſechsmal mehr als zu der Zeit, da die Truchſeſſen das Lehen empfangen hätten. Der Rat drohte, wenn die Truchſeſſen nicht einlenkten, andere Mittel anzuwenden. Sie gaben aber noch nicht nach. Baſel nahm darum den Zehnten in Verwahrung. Nun wandten ſich die Truchſeſſen an die öſterreichiſche Regierung in Enſis— heim. Dieſe forderte die Pfleger des Domſtifts auf, den Truchſeſſen den Zehnten herauszugeben. Auf den Rat Dr. Guts antwortete Bafel, daß die Truchſeſſen den Prozeß an Orten vorgeihlagen Hätten, wo er nicht Hingehöre, und for- derte die Regierung auf, die Truchſeſſen dahin zu weifen, daß fie fi mit den Pflegern vergleichen follten. Da aber ein Ver— glei) nicht zujtande fam, gab am 23. Juni 1596 der Rat die Erlaubnis, „die Früchten jequejtersweije inzelegen“. Die Trucdjelien mußten ſich dazu bequemen, die Hälfte zu bezahlen.
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Sm Sahre 1691 mußte die Kirche von Arisdorf renoviert werden. Die Koiten beliefen fih auf 390 2 198 8% J. Die Deputaten verlangten von Chrijtoph Friedrich Truchſeß und feinen Zehntgenojjen, daß fie die Hälfte daran leiſteten. Truchſeß beſchwerte fi, dag ohne fein Willen gebaut worden jei, war jedoch bereit, joweit es den Chor betraf, feinen An teil zu leijten; die Kirche zu bauen fei Sache der Gemeinde. Er konnte nit glauben, daß die Deputaten im Einverjtändnis mit dem Rate gehandelt Hätten. Marfgraf Friedrich von Baden begleitete am 11. Juni 1694 die Beſchwerde mit feiner Fürſprache. Die Antwort der Deputaten ließ nicht lange auf ih warten. Der Shaffner auf Burg hätte der Schweiter in Abweſenheit des Junkers perjönlid mitgeteilt, daß in Arisdorf gebaut werden mülle und hätte jogar die Baupläne in ihren Händen gelaſſen und erjt zurüdgefordert, als fie zum Beginn des Baues erforderlihh waren. Die Vorfahren hätten ihren Anteil jeweilen abgetragen, wie fie aud ftets den Zehnten genojjen hätten. Daß er fi) jet weigere, jet, da „bey dem armen Gotteshauß alda nichts alk die befhandte ohnvermöglichkeit“ beftehe, um fo unbilliger, als „vberdiek den vnderthanen ein mehreres als fie bereits präjtieret haben“, nit zugemutet werden fünnte. Allein Trudjeß ver- harrte bei feiner Weigerung Er fönne ohne Zuftimmung feiner Lehensgenoſſen und feines Lehensherrn nichts Ver: bindlidhes eingehen. Immerhin anerbot er ih, gutwillig 150 * beizutragen. Yalls die Deputaten damit nicht ein- verftanden wären, jollten jie ihn „einen endtlichen Sententz wiederfaren“ laſſen.
Truchſeß erjhien mit feinem Vetter von Rotberg vor den Deputaten. Der leßtere anerfannte die Baupfliht für Chor und Pfarrhaus, worauf ihm von Geite der Deputaten fofort geantwortet wurde, wenn fie für alle Unfoften des Pfarr: haujes belangt würden, jo würden fie noch weniger ihren Konto dabei finden. Das alles wurde von den Deputaten dem Rate gemeldet. Aber auch der Truchſeß wandte ſich am
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1. Auguft 1694 wieder an den Rat. Der Schaffner habe ihm aus einem alten roten Buche etwas vorgelejen. Als er aber gemerft habe, daß es für Trucdjeß und gegen die Deputaten zeuge, habe er ihm die geforderte Abjchrift verweigert. Wenn feine Vorfahren etwas an die Kirche geleijtet hätten, jo habe es ih nur um Bagatellen gehandelt wie Ziegelitoßen, „und würde vbel gejtanden fein, wann man fi) deßwegen allemahl mit einem Thumbpropſtey Schaffner zanten wollen, ob felbige vom Chor oder Kirchen gefallen ſeyen“. Er erklärt jich bereit, feinen Anteil am Zehnten zu hinterlegen und dem Rate zu überlajjen, „wo ein hochloblicher Magiltrat in dem Röm. Reih in einem Jahrsfriſt einiges Erempel in contrarium, daß ein Decimator zu etwas mehrers alg zu Reparierung des Chors nad) PBroportion feines Zehendesgenujles ajtrin- giert worden“, Dagegen habe der Decimator allerdings aud an den Bau des Pfarrhaujes zu leilten, wenn er am jus Pa- tronatus teil hat. Er ijt bereit, die 150 Z freiwillig zu teilten.
Der Rat nahm das Anerbieten an. Allein der Truchſeß bezahlte nidt. Am 25. September 1695 erſuchte darum der Dompropfteifchaffner um Erlaubnis, den Zehnten zu ſeque— Itrieren, da feine Ausſicht beitehe, daß er bezahlt werde. Der Rat gab feine Zuftimmung. Aber auch am 31. Oftober 1696 war noch nichts eingegangen. So wurden die jequeitrierten Früchte und Weine zu Geld gemadt.
Sm Jahre 1727 wurde eine Uhr in den Kirdturm er- ſtellt. Die Gemeinde Hatte die Kojten auf die Zehnten- bezüger abwälzen wollen, wurde aber belehrt, daß das Sache der Gemeinde jei. Fünf Jahre jpäter gelangte die Gemeinde wiederum an den Schaffner des Domitiftes und verlangte Bezahlung der Koften für die Uhr und das Geläute; allein lowohl er als Meilter Schweighaujer, der ’s des Truchleflifchen Zehnten bejaß, bejtritten ihre Pflicht, da „an feinem Ort der Landichaft die Collatoren als Dezimatoren pflihtig, Gloden noch weniger die Uhr anzufhaffen und zu erhalten“. Die
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Gemeinde wurde wiederum abgewiejen. Im Jahre 1737 war, weil der Turm zu eng war und die Gloden gegeneinander: Ihlugen, eine Glode geiprungen und eine zweite bejchädigt, und mußten umgegojjen werden. Die Gemeinde madte aud) Diesmal den Verſuch, die Koiten wieder erhältlich zu machen. Der Rat wies am 13. Januar 1738 das Begehren ab. Am 3. Februar wiederholte der Bogt auf Zarnsburg das Gejud). Er madte geltend, daß Arisdorf feinen Fond habe, die Gloden zu bezahlen, und daß aud im Jahre 1693 die Dezimatoren die Koften getragen hätten. Der Rat gab nad. Er wies die Domprobitei an, die Koiten zu bezahlen, forderte aber die Gemeinde auf, die Gloden jo hängen zu laſſen, „daß fein fernerer ſchaden mehr zu befahren“,
Sn der ganzen Berhandlunng wurden die Trudjfeljen nit mehr genannt.
1. Solothurn und Baſel. St. Hilarius in Reigoldsmil.
Vom Bilhof Hatten die Herren von Ramitein die Kirche St. Hilarius von Lauwil am Fuße der MWajlerfalle in Rei: goldswil als Zehen empfangen. Bei der Teilung des Haujes fiel fie der Linie Gilgenberg zu. Am 5. Oftober 1527 ver: faufte fie Hans Imer von Gilgenberg der Stadt Golothurn. Als im Srühjahr 1529 die Reformation in Baſel durchgeführt wurde und der Rat in der Stadt „die Filhengezierden, billder onnd anderes hinweg gethan“ und des Willens war, „ge: licher geitalltte in ir landichafft ouch ze hHandlenn“, wandte ſich der Rat von Solothurn nad) Bafel. „Diewyl nun die Cappell Sant Hylarien zu Rigottihwil ... . . von den Herren zu Gilgenberg geitifft onnd begabott, ouch durch Herrn Hanjen Smmern von Gilgenberg, rittern, mitt aller rechtfame vnnd zugehörde vnns vbergebenn vnnd zugeſtellt“, jollte er „vor: berürtter Cappell halb“ ftillitehn und nichts verändern, bis der Vogt von Gilgenberg nad) Bafel fomme. Bajel kümmerte
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ih aber um den Wunſch Solothurns nidt. Der Vogt von Waldenburg nahm den Keldh, den Hans Imer von Gilgen: berg beim Berfauf feiner Herrihaft den Solothurnern über: laſſen hatte, zu Handen. Das Lehen war in den Händen Urs Rümpis gewefen, deſſen Vorfahren es jchon bejellen Hatten. Allein die Rümpi Hatten „vornader ettliher geitallt das Läden verwürdt“, es wurde von Solothurn Jakob Häner zugeiprochen. Baſel gab feine Zuftimmung. Im Fahre 1534 erhoben der Bogt von Waldenburg und der Pfarrer von Reigoldswil Anjpruh auf den Zehnten. Der Lehenmann beſchwerte fi) in Solothurn. Dieſes machte in Baſel geltend, daß das Lehen „aljo herfommen, das jollihis des gehenden halb entbroften beliben“, und jtellte die Korderung, dak Vogt und Pfarrer abgewiefen würden. Solothurn Hatte damals fein Interejje, das Kirchlein in Bau zu erhalten. Es fam darum „gar in Abgang“. Im Fahre 1536 wurden deshalb zwijchen Solothurn und Bafel Verhandlungen geführt und am 8. Suli die Baupfliht Solothurns Feitgeltellt, da ihm das Gwidem der Hilarienfapelle um einen jährliden Zins ver: liehen worden fei. Solothurn Hatte aber feine Eile. Im Sahre 1540 fanden neue Verhandlungen jtatt. Es wurde ab- geredet, daß der Vogt von Waldenburg den Kelch von Sant Hilarien wieder herausgeben müſſe. Da aber Solothurn immer noch nicht zur Tat ſchritt, forderte Bajel feinen läſſigen Nahbarn auf, die Kapelle „zu uerfundigung des heylligen gottlichen worttes fuoglich vnd tugenlih in ere zu legen“. Solothurn fam jet der Aufforderung nad, verlangte dann aber jofort vom Vogt von Waldenburg den Keld Heraus. Diefer bot aber jtatt feiner eine Geldfumme. Solothurn be— ſchwerte fich bei Baſel, „dann wir vnns nitt gelltes fonnders onjeres Feldes, jo pnns genommen, beflagt“. Nod einmal traten die beiden Stände zufammen. Eine Berjtändigung fam zuftande. Golothurn gab nad) und begnügte fi) ftatt des Keldes mit zehn Gulden. Sie wurden am 30. September 1540 „von ſtund an“ ausbezahlt. Kurz darauf gab der Bürger:
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meilter dem Obervogt zu Waldenburg den Auftrag, „Das du den Canntel inn fant Hylarien Capell zu Rychetſchwyl etwas bas erhöchen und fuberer zurichten, darzu an ettliche gemeine ituel leenen. damit ji) alt onnd krank lüt daran ſtüzen mögen, maden vnnd die Capell damit zurichten laſſeſt, das es eerlich onnd das wort Gottes darin zeurfünden fuoglich jye. Vnd ob aber font vtzit wythers an fenjtern, tach, laden etc. da ze— bumwen, das der vogt zu Gilgenberg das thuege.“ Im Jahre 1548 verjudhten Heinrich Wyßner von Ziefen und Urs Rümpi dem jolothurniihen Lehenmanne Jakob Häner das Lehen durch Bermittlung Bajels abzuziehen. Häner ſuchte und fand Schutz in Solothurn.
Sm Sahre 1553 ftarb Häner. Solothurn erflärte ſich be- teit, das Lehen jeinen beiden Söhnen Hans und Konrad zu beftätigen. In dem Revers war aber ein Artifel folgenden Inhalts aufgenommen worden: „ob ſich hienach begebe, das der Gottsdienft, wie der bikhar in gemeiner Chriſtenlicher firhen geprudtt, in üwern Landihafftten vnnd gepietten widerum vffgerichtt onnd gehallten wurde, alls dann ſy vnnd ire Erben des figrilten amptte, wie fi) zu ſollichem Gotts- dienfte gebürtt, verſechen füllen.“ Baſel weigerte fi, den Revers bejiegeln zu lajjen. Die Brüder Häner wanderten nad Solothurn. Der Rat forderte Bajel auf, den Vogt anzumweifen, daB er den Revers befiegele, „wo nitt, werden wir gemelltt Zehen alls vnſer eygenthum widerum zu vnſern handen be- züchen, daſſelb nah vnſerm gefallen, wo vnns füglich be- duncktt, verlychen, wo aber jemande vnns hierinne intrag zethunde vnnd zuuerhindern vermeindt, wollen wir dem— ſelben von ſollicher vnſer Lächens gerechttickeytten wegen das rechtt hiemitte angebotten haben.“ (30. Mai 1554.) Baſel mußte einlenken.
Nah dem Tode Hans Häners übernahm fein Bruder Conrad das Lehen. Er blieb im ruhigen Genuß des Lehens, bis die Wogen der Gegenteformation au) in das abgelegene Bergdorf ſchlugen. Am 19. Suni 1587 zog der Rat von Golo-
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thurn das Gut an fih, um es weiter zu verleihen. Er ließ die Güter neu aufzeichnen. Unter ihnen erſcheint „der bifang zu Sant Hilarien, ijt in einer Inhegi vndt ftedt die Kilchen darin“. Solothurn begründete fein Vorgehen damit, daß Häner die Güter habe zugrunde gehen laſſen und ein fchlechter Zinfer gewejen ſei. Vergeblich wandte ji) Die Gemeinde zu feinen Guniten nach Bafel, wie ihm ohne rechtmäßige Urſache aufgefündigt worden und das Gut Urs Dürrenberger vorder- Hand übergeben worden fei, wie er in feinem hohen Alter mit feiner Frau an den Betteljtab fomme. Bafel legte in Solothurn ein gutes Wort ein, Häner werde in Zufunft bejjer zinfen und die Güter in Ordnung halten, erhielt aber zur Antwort, daß von einer Beſſerung nichts gejpürt worden fei. Am 22. Auguft 1587 ſchloß Solothurn mit dem neuen Lehen: mann, Hans Rot, den Vertrag ab, nachdem er tags zuvor bei Baſel jich beſchwert hatte, daß „der alte inhaber vnnd bejiter nit rumt vnd von dannen zücht“, und den Vogt von Gilgen- berg nad) Baſel gejchidt Hatte. Der neue Lehenmann Hatte jämtlide Güter „ſambt Sancti Hylarij Cappel inn guetem bauw vnd ehren aud) in tach vnd gemach“ zu erhalten. Auch die Verpflichtung, das Sigriftenamt zu übernehmen, wurde wieder aufgenommen, die jeßt neue Bedeutung gewann. Er jollte auch „die feld, mäßgewender vnd andere gezierden zu Joldem Gotsdienite gehörig nad feinem beiten vermögen treuwlich verhuetten und bewahren vnnd fouerre etwas durch jein verwahrlojung verloren und dez vßfündig wurde, ſoll er omb daſſelb befehrung vnd wandel ze thun ſchuldig vnd ver: bunden fein, wie dann jolids die alten Brieff, jo wir diß Lächens den feinen vormalß geben haben vnd jeinen vorfahren zugeftellt, heitter lauttend“. Rot Hatte jährlih 5 Z’ dem Rate von Solothurn zu bezahlen
Als im folgenden Sommer Bajel Hans Not die Zehnten- sarben abforderte, weigerte ji diefer, fie abzuliefern und meldete jofort die Sache nad) Solothurn. Golothurn erfuchte Baſel, von feinem Begehren abzuſtehen, ſonſt würden fie eine
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Kundihaft aufnehmen laſſen. Bajel verwahrte ſich gegen den Vorwurf, als ob es eine Neuerung einführen wolle, ver- langte vielmehr, daß man es bei feiner alten Gewohnheit lafje, da jeit Tahren der Zehnten aufgejtellt worder ſei. Golo- thurn konnte das le&tere nicht beitreiten, aber wiederholte feine Bitte, da der Zehnten „durch vnflyß, vnwüſſenheit vnd liederlichkeit“ des Vogtes und der Vehenleute unbefugterweije darauf gewachſen jei, und verlangte zugleich, daß den Ge: landten Bajels Vollmaht gegeben werde, „ven ſachen recht— lih auszuwarten“. Baſel beharrte auf jeinem Rechte. Am 26. Auguſt 1588 wurde erſt von Solothurn und auf Anraten Balilius Amerbadjs jpäter auch von Bajel eine Kundſchaft aufgenommen. Der Sohn eines früheren Lehenmannes, Baltian Tſchopp, erklärte: Als fein Vater jelig diejes Gwidem— gütli empfangen, jeien einmal Leute gefommen und hätten ihm gejagt: „Warumben ftelitu den Zehnten vom gwidem off ond nimbit es nit mit andern garben hinweg?“ Der Vater antwortete, er habe von jeinen Gütern immer den Zehnten gegeben. Der letzte Lehenmann Conrad Häner aber berichtete: Er habe auch vor etlich und dreißig Sahren den Zehnten nicht bezahlen wollen, er fei deshalb nad) Solothurn zum Sdult- heißen gegangen. Diefer habe ihm den Beiheid gegeben, wenn jemand. von ihm den Zehnten fordere, jolle er ihn nad) Solothurn laden. Als Häner daraufhin den Zehnten zum zweiten Male verweigerte, wurde ihm gedroht, daß er vor Gericht geladen würde. Der Obervogt von Gilgenberg ritt darauf nad) Waldenburg und jchlichtete den Streit. Nad) einem dritten Weigerungsverſuch hätte er fich nach Beſprechung mit den Berwandten herbeigelaflen, anjtatt der Ablieferung der Garben etwas zu zahlen, „vff daß er die Oberfheiten nit aneinanderen wyje und zwüſchen den fein vnwille entitande“. Bajel konnte außerdem noch geltend maden, daß Pfarrer Vetterlin von Bretzwil 24 Sahre lang den Zehnten von St. Hilarien ohne Eintrag empfangen habe, und der Meyer und die betagten Leute bejtätigten, daß die Güter nicht zehnt-
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frei feien. Solothurn mußte nachgeben. Hans Rot wurde jpäter Wirt zur Sonne. Als im Sommer 1599 ein neuer Vogt auf Waldenburg aufgezogen war, weigerte jih Not wieder, den Zehnten zu geben. Der Pfarrer, der infolgevefjen um 1% Quart zu kurz fam, forderte den Vogt auf, nad) Baſel zu Ichreiben. Der Vogt gebot Rot, „jolden Zehnden an ein vnpartheyiſch ort zu legen biß zu vßtrag jolher Handlung“. Es gejhah nicht. Bei der jelbjtherrlihen Art des Mannes, der ji um des Vogts Gebote nicht Fümmerte, war allerdings zu befürdten, er könnte mit der Zeit aus ſolchem Frevel „ein Poſſeſſion“ machen wollen. Das alles meldete der Bogt Eras- mus Wurſtiſen am 15. Juli 1599 nad Baſel.
Die Familie Rot behielt das Lehen fait ein Sahrhundert. Allein Hans Bernhart Rot ließ die Kirche in Abgang fommen, „maßen beederjeits Gübell onndt der Tadjtuel bawfällig“, ja das Dach gleich einer „Rütteren“ durdlichtig war. Die Güter waren ausgenüßt. Solothurn gab darum dem Vogt von Gilgenberg den Auftrag, das Zehen einem andern zu über- geben. Anfangs Oktober 1679 erſchien der Bogt und belehnte Safob Schneider mit dem Gute. Rot und feine Söhne ließen durch Geihimpfe am Bogt auf Gilgenberg, dem neuen Zehen: mann und dem Vogt auf Waldenburg ihren Aerger aus, wie fie denn als böje, gottlofe Leute gejhildert werden, welche feinem Gottesdienit abwarten, bei denen weder die guten Worte des Seeljorgers noch die Strenge des Vogtes etwas fruchteten. Ja fie überfielen aus Gejtrüpp heraus den arg— Iofen Lehenmann mit feinem Sohne, die den Hag ausbeſſern wollten, mit Hagiteden bewaffnet, ſchlugen fie blutig und drohten ihnen mit dem Tode. Der gilgenbergiihe Amtmann meldete den Vorfall nah Solothurn, und der Rat inter zedierte in Bajel, daß es den neuen Lehenmann ſchütze.
Am 30. Dftober 1715 erjudgte der Rat von Solothurn, es möchte eine neue Bereinigung der Gwidemgüter Sti. Hilarii vorgenommen werden. Bafel gab jeine Einwilligung. Die Solge war, dag Solothurn dem Ziegler die Matte abiprechen
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wollte, auf der eine Scheune jtand, weil fie zu den Hilari- gütern gehöre, daB es zwei Mädertauen Matten in den St. Romai Gütern beanjprudte, die verloren waren und nicht wieder gefunden wurden, daß darum Solothurn die Gwidem- güter neu mit Mardjteinen auszufteinen verlangte. Der Ziegler mußte einen halben Gulden Reflognitionsgebühr be- zahlen und Kalk und Ziegel für das Kirchlein liefern. 1724 wurden die Marchſteine, mit H. G. bezeichnet, gejegt. Im Sabre 1761 fam das Lehen wieder an die Familie Rot. Der Zehenmann Hatte „das Kapellelin, weldes unden an der Waſſerfallen ligt und zue Andadt für die Rayfenden gewidmet gewefen fein mag“, in gutem Bau zu erhalten, innert Jahres— friit es mit Blättlein zu belegen, die Fenſter mit eijernem Gitter zu verjehen und eine neue wohlbeſchlüſſige Türe auf jeine Kojten maden zu laſſen. Auch die Verpflidtung zum Sigrijtenamt wurde wieder aufgenommen.
Als am 21. Dftober 1772 der Rat von Solothurn neuer: dings eine Bereinigung der Hilarigüter verlangte, hielt der Stadtſchreiber von Liejtal dafür, daß das unnötig fei, da ja alles befannt ſei, wenn nicht Solothurn darauf ausgehe, der jeit zweihundert Jahren verlorenen zwei Jucharten Matten wieder habhaft zu werden. Die Haushaltung hatte dagegen nichts gegen das Begehren Solothurns einzuwenden, betonte aber nur, daß „mit aller Vorfiht zu Werke zu gehen“ fei. Da aber auch von verjhiedenen Geiten die Ablieferung von Bodenzinjen verweigert wurde, verlangte Solothurn, daß auch hierin Ordnung gejhaffen werde. Wegen der Nähe rauhen Winterwetters wurden aber die Verhandlungen aufs folgende Frühjahr verjchoben.
Mann und wie Solothurn jchlieglidh jeine Rechte an die Hilariusfapelle abgetreten hat, war vorläufig nicht zu finden. Sm Sabre 1799 beſaßen die Bürger von Solothurn nod) einen Speicher und ein Gärtlein, das der Kirhe von Meltingen zu zinjen Hatte. Die Ablöfung des Hilarigutes wird alfo wohl auch nad) diefer Zeit jtattgefunden haben.
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2. Das Klojter Olsberg. Diegten.
Am 11. Mai 1314 Hatte der Ritter Matthias von Ep: tingen das Patronatsrecht der Kirche von Diegten dem Klofter Olsberg geſchenkt, und der Bilchof Gerhard von Bafel hatte mit Zujtimmung feines Kapitels die Schenkung bejtätigt. Im Bauernfriege von 1525 wurde das Klojter von den Bajelbieter Bauern ausgeplündert und teilmweije zerjitört. Es ſchien, als ob die Geihichte des Klofters ihr Ende gefunden hätte. Am 12. August 1525 verfauften Aebtiſſin und Konvent der Stadt Bafel mit andern Gütern in der Landſchaft um 2000 Pfund Gtebler „den Eildenjag zu Dietfen ſampt dem gehenden da- jelbeft, tut zu gemeinen jarenn fünfzig viertzel vngeuerlich; denn zwepteil fernen ond den drytteil haber vnnd ein pfund zu erjhaß, Davon gibt man der gemeind fünff jchilling vnd hat man bishar dem Tütpriejter dafelbjt vonn dem zehenden dryſſig tu onnd dem probjt zu fant Alban zu Baſel dryſſig Ihilling bafel pfennig“ gegeben. Bon einem Ader von 30 Jucharten, der beim Klofter lag, ſicherte fich die Aebtiſſin das Rückkaufsrecht für den Fall, daß das Klofter wieder auf- gebaut würde.
Fünf Jahre lang blieb Bafel im Befige Diegtens. Als mit der Reformation das Klojter Schönthal an die Stadt fiel und der Kirhenfag von Eptingen infolgedefjen in die Hand des Rates fam, vereinigte diefer die beiden Pfarreien Diegten und Eptingen, um das Einfommen des Pfarrers zu verbeijern. Allein am 8. August 1530 erhielt Bafel die Mit- teilung, daß der Kaifer „als des clojters landfürſt, warer vnd rechter kaſtvogt vnd ſchirmherr, dweyl der aufjerthalb jeyner Mt. zulafjen befchehen“, den Kauf nicht beftätigt Habe. Er mußte rüdgängig gemadt werden. Die Zinsleute wurden aufgefordert, wieder dem Klojter zu zinfen. Es jcheint nicht ohne Widerjtreben gejchehen zu fein.
Der bisherige Pfarrer, Hieronymus Ritter, der feit der
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Reformation in Diegten ſaß, Jah feine Möglichkeit, mit dem bisherigen Einfommen auszufommen, und jtellte bei Bajel das Begehren, daß ihm eine Aufbeſſerung um zwölf Stüde bewilligt werde und daß die Zinfen und Zehnten, welche DIs- berg empfange, in Arreſt gelegt würden. Morand Harnald), der Schaffner zu Olsberg, wandte fih an die Regenten und Räte im Obereljaß und flagte ihnen die Not des Klofters. „Wie wohl Olsberg in bäuriſcher Empörung jhwerlich be- \hädigt, doch furz uerrudter Zeit ein behaufung mit ſchweren cojten bawen müljen, dazu die prielter, jo egedachte pfarr vor ime inngehapt vnd verjehen, an dem alten corpus, infommen vnd gefellen derjelben pfarr ein gut vernugen gehapt.“ Er bat die Regierung, Bafel aufzufordern, daß es dem Prädi- fanten nicht willfahre. Allein Bafel ftellte ji auf die Seite des Pfarrers, und fonnte das um fo eher, als es die Stadt ja nichts foftete, fich mit dem fremden Mammon einen Freund zu maden. Die Einfünfte wurden mit Arreſt belegt. Am 1. März 1540 forderte Hans von Andlau als Kaſtvogt des Kloiters die Stadt auf, den Arreſt aufzuheben.
Der Bogt auf Farnsburg erhielt nun Auftrag, ſich über den Zehnten in Diegten zu erkundigen. Er tat es, fonnte aber nicht mehr erfahren „den von nedhjtverrudten drü jaren her“. Er jtellte feſt, daß das Klojter den dritten Teil des 3ehntens erhielt, daß diejer Drittel 1937 44 Viernzel Korn und Haber, 1538 64 und 1539 75 Viernzel betragen habe, und dag dem Prädikanten jeweilen 30 Viernzel gegeben worden Jeien.
Der Rat hob den Arreit auf, wie er an die Regierung ſchrieb, „pff vertruwen, ir werdend des prielters competenf halben gebürlichs injechen ze thund nit verhinderen“. Der Rat machte zuguniten des Prieſters geltend, daß es „gar ein fleine Competeng vnd dem richlichen infomen, jo das Cloſter Olſperg der ennden hat, nit gemek, nod) au) dem predicanten (wie ir jelbs ermeſſen mögen) zu finer vffenthalt nit gnug- jam ift“. Der Pfarrer fönnte überhaupt mit feinem Ein-
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fommen von 30 Biernzel nicht Ieben; er hätte, „wo wir im den Zufhub von Rudeptingen nit getan, vor langen dadannen wichen müljen“. Der Rat durfte aber füglid) aud) daran er: innern, er habe in öfterreihiihem Gebiet und im Markgrafen: land, wo er Kirchenſätze bejige, ebenfalls die „Competentzen ober vorgeordnete vnnd von altem har ingenomene Corpora von den Zechenden eben richtig erbejjern müljen“. Die Web: tillin jollte alfo das Einkommen um 12 Stüd verbeſſern, in Geld oder Korn, und zwar zum erjtenmal auf fünftigen Sohannistag, damit Bajel nicht genötigt fei, andere Mittel zu ergreifen. Werde die Aebtiſſin dem Geſuche entiprecdhen, jo werde Baſel um jo geneigter fein, das Klofter „by dem Iynen zu ſchirmen vnd den frowen daſelbſt alle früntliche nachburſchaft zu bewijen“.
Der Schaffner erhob an den Pfarrer wegen Geridhtskoften Anſprüche auf Entihädigung. Der Nat anerbot fid, einen Deputaten abzuorönen, um die Streitenden zu vergleichen. Könnten jie fih nicht einigen, jo jollte der Schaffner beim zu: ſtändigen Geridt in Bajel Klage erheben. Was blieb den Klofterfrauen anderes übrig, als nachzugeben? Gie waren auf gute Nachbarſchaft angewiefen.
Sm Winter 1598 liefen beim Rate Klagen ein, daß das Pfarrhaus in Diegten der Reparatur bedürftig fei. Der Rat Ihrieb an die Webtiflin, daß das breithafte Pfarrhaus ohne Verzug jollte gebaut werden. Die Webtijjin aber zeigte zu: nächſt feine Qujt, erit Anfangs April fonnte fie ſich auf „vil- fältig anmahnen“ des Rates entihließen, „Das gantz preit- hafft bouwloſe Pfarhuß“ „dermaßen zu verbeijern, daß der Pfarrherr mit fuegen fi nit beclagen, fonder khumblich be- wohnen könne“. Immerhin madte fie den Vorhalt, „das gleichwohl dafjelbig Pfarrhauß der beiferung vmb ettwas vonnötten, das es aber fo gar in grojen abgang vnd mikbaw gerathen, darvon tragen wir fhein wüſſens vnd möchten C. V. F. € W. villidten Hierunder zu milt (?) beridtet worden jein“. Allein fie hatte es nicht fo eilig. Das Früh:
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jahr fam, aber das Pfarrhaus war noch nit gebaut. Das Klofter war mit Bafel aud) über Steinfegungen in Streit geraten. Bereits war auf den 14. Mai (alten Kalenders) „su Hinlegung der zwiſchen Bafel und ihr noch unentjchiedenen Späne“ ein Tag angejagt. Unmittelbar vorher aber ftarb Dr. Samuel Grynäus, der die Stadt vertreten follte. Bafel wollte zwar, da ihm am förderliden Ausgang der Sache ge- legen war, einen andern Anwalt jhiden. Allein eine Ver: tändigung fam nicht zuſtande.
Zwei Jahre war noch nichts geſchehen, nur das Pfarr: Baus war noch baufälliger geworden, jo daß zu befürdten war, es mödte im Winter, durch Schnee befchwert, einge dDrüdt werden; der Pfarrer Gabriel Hummel gab darum die Ablicht Fund, in ein anderes Haus zu ziehen. Der Rat redete nun eine energijhere Sprade. Die Aebtiſſin folle nun ohne alle fernere Umtriebe in den nächſten acht Tagen ſich erklären, ob, wie und wann fie das Haus in Bau legen wolle. Die Aebtiſſin ſchickte nun ihren Schaffner nad) Bafel. Diejer gab gute Worte, die Aebtiſſin fei bereit, dem Pfarrer „mit Hauß- sing gepeurendermaßen zu begegnen“ und aud das Pfarr: haus in Stand zu jtellen. Es blieb aber wieder bei bloßen Morten. Acht Tage jpäter fand eine große Verhandlung tn Lieftal jtatt; der Hauptitreit drehte fih um vier Wälder im Basler Gebiet, welche das Klojter und Baſel als Eigen tum anjpraden. Das Kloſter mußte feine Anfprüde fallen laſſen, wodurch die Bereitwilligfeit, in Diegten das Nötige vorzufehren, nicht zunahm. Als darum der Rat die Webtifjin noch einmal mahnte, antwortete fie, da fie krank jei, habe fie den Schaffner von Rheinfelden nad) Bafel gejhidt, man möge ihn wegen Diegten abhören. Was er berichtet Hat und was die gnädigen Herren geantwortet haben, erfahren wir leider nidt. Das Pfarrhaus war aber fpäter wieder bewohnt. Die Hebtijfin mußte alfo wohl einlenfen.
Sn jpäterer Zeit hören die Streitigkeiten mit Olsberg auf. Nur noch einmal beklagt fih der Pfarrer im Fahre
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1702, daß ihm Frucht- und Weinzehnten vorenthalten würden. Sm übrigen war das Verhältnis ein freundihaftlicdes. Denn nachdem in der Zeit der Gegenreformation im Jahre 1596 der Rat der Aebtiſſin nicht gejtattet Hatte, den Hof Dürren= berg bei Langenbrud zu faufen, durfte jih im Jahre 1674 das Klojter in Lieftal „ein Fluchthauß“ erwerben, das bis 1744 in feinem Beſitze blieb. Jedenfalls iſt es bemerfens= wert, daß der Pfarrhausbau vom Jahre 1704 ohne Anftände durchgeführt worden ift. Denn feine Beſchwerdeſchriften geben darüber Aufſchluß, jondern eine am Pfarrhaus in Diegten eingemauerte Steinſchrift: „Anno 1704 iſt diefes Haus von Grund auf von der gnädigen Übtille von Olsberg, Frau Maria Franzisca von Eptingen als Collatrir durh Herrin Pfarrer Joh. Rud. Brenner, Pfarrer allhier, erbauen worden.“ Die legten Verhandlungen galten der Ablöfung des PRatronats- rechtes. Schon ſeit 1797 miſchte fi das Damenitift Olsberg nit mehr in den Zehntenbezug. Am 21. November 1805 trat es fein Kollaturreht in Diegten nebſt Pfarrgebäuden, Pfarrgütern, drei Quartzehnten an den Kanton Bajel ab. Diejer übernahm alle Obliegenheiten, Befoldung des Pfarrers, Unterhaltung der Pfarrgebäude und des Chores, welden zu bauen bis dahin die Aebtiſſin noch verpflidtet war.
Am 18. Februar 1807 wurde der Vertrag vom Stande Yargau, am 11. April von Baſel ratifiziert.
3. Das Chorherrnitift St. Martin in Rheinfelden. Kilchberg.
Der Kirchenſatz von Kilchberg war von den Froburgern in den Beſitz des froburgiſchen Miniſterialengeſchlechts, der Herren von Kilchberg, gelangt. Durch Schenkung ging die eine Hälfte des Hofes mit dem halben Kirchenſatz an das Kloſter Fraubrunnen über. Am 27. Juli 1276 verkauften Wernher von Kilchberg und ſeine Frau Sophia die andere Hälfte um vier Schilling und neun Pfund Pfennig an den
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Rheinfelder Bürger Hermann von Belliton. Bald darauf am 3. April 1280 traten Elijabetha, die Aebtiſſin, und der Konvent des Klojters Yraubrunnen „vmb vnſers Gottshuß noth, alg wir ſchädlich verbrunnen fin“, ihren Anteil am Hofe ebenfalls Hermann von Bellifon um achtzehn Marf Silber als ledig Eigen ab. Hof und Kirchenſatz vererbten ich in der Familie von Bellifon, bis Anna von Bellifon, die in zweiter Ehe mit Burfart von Stoffeln, genannt Schürli, Edelfnedt, Schultheiß von Rheinfelden, verheiratet war, mit Zujtimmung ihres Mannes am 21. Mai 1400 das Patronatsrecht der Kirche St. Martin in Kilhberg zur Stiftung einer Sahrzeit an das Stift in Rheinfelden abtrat. Sm Sahre 1439 madte Her: mann Scaler, ein Nachkomme Verenas, der Schweiter Annas von Bellifon, die mit Lütold Schaler verheiratet war, An— Iprüde auf den Kirhenfa von Kilchberg geltend; allein er wurde am 20. März 1439 abgewiejen. Das Patronatsrecht blieb beim Chorherrenitift Rheinfelden.
Schon vor der Reformation entitanden Gtreitigfeiten über dem Heuzehnten. An Nadoftern 1487 famen der Meyer, Herr Clauß Gili, und jeine Untertanen des Kirchſpiel Kilch— berg vor das Stift in Rheinfelden „ond hat das Kapitel in einer liebe fie alfo betragen, daß jie den Hewzehnden von allen matten geben jollen, denn Lüpriefter pßgenommen“. Im Sahre 1496 wurde „der Meyer einer von Öjtergaum“ neben einigen Kilchbergern vom Gtift Rheinfelden nad) Bajel ge: laden.
Mit der Durchführung der Reformation lag die Gefahr nahe, daß neue Streitigfeiten ausbrechen würden. Gie Tiefen nicht lange auf fih warten. Wir erfahren freilih nur, daß der Rat der Stadt Bajel im Jahre 1539 erfannt habe, „Daß fürohin einem 9. Prediger geben werden jolle von einem Mannwerdh oder Medertawen Matten, fo Hew vnd Embot gübt, Sahres 28; von einem Mannwerdh, jo nur Hew gübt 1 #“. Schlimmer ftand die Sadhe im Sahre 1586. Der lang: jährige Pfarrer Antonius Weiz Hatte ohne Erlaubnis der
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Kollatoren das Dad) des Pfarrhaujes ausbejlern laſſen. Die Chorherren von Rheinfelden fündigten ihm furzerhand feine Abjegung an. Der bedrängte Pfarrer wandte fih an den Konvent der Pfarrer. Dieſe ermahnten ihn, daß er bejcheiden Handle und auf ſeinem Boften ausharre, die Deputaten er- ſuchten fie, daß fie fi) jeiner annähmen und ihn gegen die Chorherren verteidigten.
Der Aufzug eines neuen Pfarrers wurde wiederholt von den Zinsleuten zum Verſuche benüßt, ji) die Laft etwas zu erleihtern. So war es aud), als im Jahre 1612 Gregorius Schickler nad) Kilchberg fam. Sm folgenden Jahre fam eine Verftändigung mit den Untertanen über den Zehnten zu: ftande. Am 1. Juni 1613 wurde die Ratserfanntnis von 1539 erneuert. Ungleich hartnädiger war der Gtreit unter dem Sohne, Emanuel Sdidler.
Schickler war im Jahre 1651 feinem Vater in Kilchberg nachgefolgt. Die Sahre des jüngern Mannesalter hindurch hatte er im Toggenburg zugebracht und dort ſchon zur Genüge Sie Annehmlichkeiten erfahren, welche einem proteſtantiſchen Pfarrer unter einem katholiſchen Fürſten und Herrn beſchieden waren. Die erjten Jahre verliefen glatt. Allein im Sommer 1654 beflagte fie) Schidler, daß er in feinem Einkommen ver: fürzt werde. Der Rat von Bajel beauftragte den Vogt auf Sarnsburg, dafür zu forgen, daB auf den neu aufgebrochenen Aedern, für die früher der Heugehnten bezahlt wurde, die Zehntengarben aufgeitellt würden, damit der Pfarrer nit zu Schaden fomme. Dem Stift gegenüber berief fi der Rat darauf, daß „von unuordendhlihen Jahren Hero“, d. H. feit 1539 der Heuzehnten bezahlt worden jei. Allein nachdem er die Garben bis zum Yustrag der Sade „an ein vnpartheyiſch orth“ gelegt Hatte, verlangten die Chorherren beim Rate Schuß gegen den Pfarrer, der fie von ihrem uralten Her— fommen abtreiben wolle, und Herausgabe der Garben. Bajel Torderte nun aber von Shidler noch einmal Bericht ein. Er wurde vor die Duputaten zitiert, wo ihm eröffnet wurde, daß
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die Chorherren fih über ihn beflagt Hätten. Schickler er— Härte, er Hoffe, nachdem Bafel fil) der Sache angenommen habe, würden fi die Chorherren gütlich herbeilafjen; er an= erbot ſich, perfönli nad) Rheinfelden zu ſchreiben. Am 29. November jandte der Rat feine Antwort mitjamt dem Briefe Schidlers nad Rheinfelden, in der er fein Recht geltend madte. Erit am 12. Januar 1655 gab das Stift Antwort. Die Chorherren erinnerten daran, daß Schidler bei feiner Prä— jentation die Zuſicherung gegeben worden fei, daß fie „ime bey der Gemeind allen in feinem Rödel vermerdhten Heuw 3ehnden in ordenlide richtigfeit zu bringen“ geneigt feien, daß er aber ſchon damals an den Rat gewiejen worden fei, weil feine „underthanen zue onderwinden“ nicht ihrer Juris diktion fei. Die Chorherren legten in Abſchrift ihre Urkunden bei und ſprachen die bejtimmte Erwartung aus, der Rat werde Pfarrer Schidler „von feinem vnbefuegten wüderlihen be= ginnen“ abweijen und anhalten, die beifeite gelegten Garben dem Stift auszuliefern „mit abtrag der cojten vnd fchadens“. Der Rat gab für diesmal nad, ohne jedoch die Rechtsfrage zu entiheiden. Er ließ, obwohl der Pfarrer nicht weniger Recht zu haben meint, gleichwohl „biß auf weittere Bey: bringung jein Pfarrers ſuochende gerechtjame“ die Zehnt: garben dem Stift verabfolgen. Der Tanz konnte alfo im folgenden Jahre von neuem beginnen. Am 20. September 1655 bejchwerte jih Schidler beim Stiftsihaffner, daß obwohl er ſelbſt fih äußerjt entgegentommend gezeigt und gebeten habe, den Arreſt aufzuheben, die Kollatoren alles abgeſchlagen hätten. Etwas unvorfihtig war die Bemerfung, daß die Bauern feineswegs damit zufrieden feien, daß fie doppelten Zehnten zu bezahlen hätten. Gie Hätten dieſen Punft bei ihren Klagen „in ihrer jüngjt entjtandenen Unruh laſſen ein= ihreiben“. Das Stift ließ es fih nicht entgehen, dieſe Be- merfung dem Rate bejonders hervorzuheben. „Nun nimbt vnß fehr wunder, daß er fi der Baurfame fouil anneme“. Die Obrigkeit fönne jpüren, daß er ein unruhiger Mann fei,
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da es fih nur um einige Säillinge handle. Es fheint, daß man tatſächlich dem Pfarrer die etwas unbedachtſame Aeuße⸗ tung übel angemerkt Hat. Allein es läßt ſich begreifen, daß er alles anwandte, um zu feiner Sache zu fommen, wenn er in feine ökonomiſchen Nöte uns einen Blid werfen Täßt. Am 1. Januar 1657 wandte fih Schidler an Bürger: meijter Wettjtein und klagte ihm feine Not. Bor jehs Jahren lei er vom Schuldienft von Liejtal, den er während zehn Sahren verjehen Habe, nah Kildhberg verjegt worden. Er babe von den Chorherren 40 Viernzel Korn, 20 Biernzel Haber und 20 in Geld einzunehmen, während dod) den Chor- berren der ganze Zehnten aus den drei Dörfern Kilchberg, Rünenberg und Zeglingen zufalle. „Wenn aber die bejagte Kilchbergiſche Pfrund an ihrem jarliden einfommen vaſt die geringfte, hargegen an vnkoſten vnd bejondern beihmwär- nufjen die grööite iſt, aljo daß ich alles trind- und kochwaſſer weit unterm dorff aus einer höli dur) ein fchroofechten weg muß Holen lajjen, vnd deeßwegen eyn bejondere magd er- Halten, waſſer zetragen: item alle ab- vnd zufuhr durch fehr taube fteynige jtraaljen, bergauff vnd ab mit geringer auff- ladung vnd grofjem fuhrlohn verjolden: item von wegen lang- wärendem wintergefrölt, jtarfen reiffen auch jtrengen vnd falten winden gar viel holz und dürrfuter vom herbit an biß in meyen hinauß muß brauden, vnd endlich von gemeinen landftraafjen abgelägen, dz ein Prediger diefer enden feine übrige früdten mit feynen fugen verfauffen fan, ohn mit feinem groljen vmkoſten, infonderheyt weilen die Chorherren ihren eingehenden zähenden allhie in ihren ſpeicher laſſen aufiehütten, auch nachwerts ihne den hieſigen gemeynsgenofjen vnd daherum auff borg zu Fauffen gäben, darum fie ihnen zu lauffen und hie mit dem Pfarrer feine übrigen früdten bleiben ligen und keyne löſung in parihaft Haben fann.“ Zum Schluß befannte er, daß er die letten jehs Jahre mehr Schaden gehabt und nichts habe erübrigen können, er fünne länger fo nicht fortfahren, wenn er nicht das GSeinige ganz
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einbüßen wolle. Der Rat möge darum den Chorberren ichreiben, daß fie ihm die Kompetenz erhöhten. Der Rat wies die Eingabe an die Deputaten. Schidler erfuhr dies von einem Sohne und wandte jih nun aud an dieje feine Vor- gejegten, fie möchten die Chorherren veranlajjen, „dem je- weiligen Pfarrer etwa für 10 faum wein järlich zu geben“, „domit er ſich ond die feinigen feinem ſtand gemäs könne ehr- li) ausbringen, vnd nit aus mangel der nahrung genöhtiget werde, etwaz zeſchaffen, dz dem Predigamt nit jo anjtändig ſeyn mödte“.
„Obſchon auf ihrer feitten ihre Priefter nur ihren Ieib ond etwan eyn magd oder diener zu erhalten haben, dennod wurd feyner derjelben mit folder geringer competeng wägen grojfer außgab mögen außfommen. Sollen wir prediger auff vnferer feiten jhier all onjer vermögen auffs jtudieren vnd bücher wenden in vnferer juget vnd dann im alter nicht fo viel einfommens haben, dz wir vnſere gebeurlihe nahrung für ons ond vnſer weyb vnd finden mögen darvon Haben, iheint es in alle weg eyn vnbillidhs ding ſeyn. Die Herren Collatores nemmen alle jar eyn überjhwenglidhes einfommen aus meiner ©. 9. landſchafft vnd verjorgen doch für ihre perfon nit eyne feel.“ Er aber könne ſich fait nicht des Bettelns erwehren.
Schidler Hatte den Erfolg, daß ihm ſeine Beſoldung von 20 auf 25 Pfund erhöht wurde.
Noch einmal entbrannte der Streit, nachdem im Jahre 1690 Johann Stöcklin Pfarrer in Kilchberg geworden war. Wiederum war der Zehnten die erſte Veranlaſſung. Stöcklin hatte mit Berufung auf die Verhandlungen von 1613 und 1654 ſeine Forderung geſtellt. Das Stift aber nahm die Ratserkanntnis von 1539 für ſich in Anſpruch und wies dar- auf hin, daß Emanuel Schidler im Jahre 1654 habe zugeben müfjen, daß das Stift im Beliß der Garben gewejen ſei, aber „er joldes nit recht zu fein vermeint“ habe. Er fei darum auch vom Rate abgewiejen worden.
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Eine jhärfere Tonart ſchlug das Stift bei der Behand- lung einer andern Zrage an. Das Pfarrhaus war jo bau- fällig gewejen, daß es von Grund auf neu hatte gebaut werden müjjen. Die Koſten hatten ſich auf über 2000 Z belaufen, das Gtift Hatte, wie es Flagte, alle jeine Mittel aufgebraudt und noch eine Summe von 800 Z', die Pfarrer Stödlin vor: trete und die ihm zu verzinfen waren, aufnehmen müſſen. Nun aber jtellte ſich aud) noch die Notwendigkeit ein, den Chor der Kirche zu reitaurieren. Stöcklin madte den Deputaten Mitteilung und erhielt den Auftrag, auf Koiten des Stiftes „das Chor zu bauen und zu ändern“. Bereits hatte er Bau: material herbeiführen Iafjen. Der Unterſchaffner des Stifts verbot ihm, fortzufahren. Der Pfarrer wollte ſich jedoch nicht beruhigen lafjen, da er von den Deputaten Auftrag erhalten hätte. Darum beſchwerte fih das Stift in Bafel. Es ſei am Chor nichts baufällig, der Pfarrer wolle nur nad) feinem Kopfe jelbiges einrichten. Das ſei der Danf, daß ſie ihm bis- ber jo viel willfahrt „und das newe pfarrhauß vom funda- ment nad) feinem willen vnd belieben erbauen lajjen“. Der Rat möge Stödlin anhalten, fih mit feiner Pfrund zu be- gnügen, wie er fie empfangen und feine Vorjahren fie ge- nojjen hätten. Der Rat gab zunächſt gar feine Antwort. Der Bau wurde weitergeführt. Wohl oder übel mußte das Stift die Koiten bezahlen. Die Ernte war vorüber. Der Pfarrer hatte die jtrittigen Zehnten eingenommen. Probjt, Dekan und Kapitel beflagten ji bei den Deputaten der „auf: gebrochenen Zehnden“ wegen. Am 31. Auguft beitellte der Rat einen Abgeordneten des Stifts auf den 6. September nahmittags 1 Uhr aufs Rathaus, um „ihre gravamina ferer“ vortragen zu lajjen. Ueber den Erfolg erfahren wir nidts. Es läßt ji aber ersaten, was geſchehen tft.
Zwei Jahre jpäter brach der Streit von neuem aus. Der Pfarrer berichtete an die Deputaten. Der Wihtigfeit der Sache wegen hätten fie die Sache gerne an den Rat der Drei» zehn gewiejen, damit der Rat einen Beſchluß Hätte fajlen
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müljen. Allein ein Teil der Dreizehner Herren waren ab- wejend, und da die Ernte vor der Türe war, konnte man ihre Rückkehr nicht abwarten. Darum gaben die Deputaten Auf- trag, der Pfarrer follte die Zehntenverleihung vor ſich gehen lajfen, aber wegen der Matten, Rüti: und Hochwaldzehnten förmlich protejtieren und den Zehntenbejtändern ausdrüdlich anzeigen, daß jie auffchreiben, was für Frucht, wieviel Yrudt jeder Gattung es auf den aufgebrodhenen Matten, Rüttinen und Hochwald gegeben Habe.
Es war der le&te Streit, der die Gemüter erregte.
Pfarrhaus und Kirche waren jeßt in gutem Stande und gaben darum in der nädjlten Zeit feine Veranlajjung zu ernit- lihen Anſtänden. So verfloß das folgende Jahrhundert, ohne Streit.
Am 14. Januar 1807 trat das Stift Rheinfelden das Patronatsreht von Kilhberg mit allem, was dazu gehörte, namlid) das dreijtödige Pfarrhaus, die Stallung, den Kirchen— chor, den dreiltödigen gemauerten Speicher und den Baum: garten und ſämtliche Gefälle an Bafel ab. Außer den 3466 Fr. 6 Baten und 6 Rappen, weldje dem Stift ſchon im Sabre 1804 ausgewiejen worden waren, hatte Bafel noch weitere 3527 Fr. 7 Baben und 7 Rappen anzuzahlen und no eine Summe von %r. 16000 jpäterhin abzutragen.
4. Das Deutihordenshaus Beuggen. Buus, Oelterfinden und Winterfingen.
1.Buus.
Der Hof zu Buus, zu welchem der Kirchenſatz der Kirche in Buus gehörte, war Eigentum der Grafen von Froburg. Bei der Erbteilung zwijchen der Zofinger und Waldenburger Linie des gräflihen Haufes fiel der Hof je zur Hälfte Her: mann IV. von Froburg:Homburg und Ludwig IV. von ro: burg zu und vererbte fih in ihren Familien. Graf Ludwig lieh jeine Hälfte Jakob II. von Kienberg als Erblehen. Diefe
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Hälfte ging jpäter noch einmal auseinander, indem Jakob IV. und Helena von Kienberg in das Lehen fich teilten. Helena von Kienberg war mit Chunrad von Hertenberg, dem Herrn von Arisdorf, verheiratet. Am 31. Mai 1307 gab Graf Vol: mar von Froburg dem Ritter Tafob von Kienberg die Er: laubnis, feinen Anteil am Hofe, „in den die File und der lag von Bus hHöret“, dem Bruder Berhtold von Buchecke, Landfomtur zu Eljaß und Burgund, und mit ihm den Brüdern zu Beuggen abzutreten. Am 8. Suni 1307 erfolgte die Ueber: gabe „zu feiner Geele Heil“. Fünfzehn Jahre jpäter (16. Juli 1322) verfaufte der Sohn Konrads von SHertenberg, der Ritter Heiden von Hertenberg, den zweiten vierten Teil um 36 Mark Silbers an den Deutihordensfomtur Peter von Stoffeln zu Beuggen. Am 23. Juli erfolgte die Beftätigung vom biſchöflichen Offizial in Baſel.
Die zweite Hälfte hatte Graf Hermann IV. von Sroburg- Homburg an eine andere Linie des Haufes von Kienberg als Lehen ausgetan. Der erite Lehenträger war der Großvater der beiden Vettern Sohans I. und Johans II. von Kienberg. Sm Sahre 1310 Hatte Bodeshirm, vermutli ein Bruder oder Schwager Johans II. von Kienberg feinen vierten Teil den Herren des DOrdenshaujes Beuggen verkauft, welde wußten, daß es ein Zehen Wernhers II. von Homburg war. Der Graf madte aber fein Recht geltend und ſprach, „dz mir dz lehen lidig fi“. Er zog es an fi und lieh es am 2. April 1310 Sohans I. von Kienberg, dem Better Johans II. Nach dem Tode Wernhers III. von Froburg im Sahre 1323 muß Sohans von Froburg in die Rechte des ausgejtorbenen Haufes getreten fein. Denn er übergab am 30. Mai 1336 dem Ordenshaufe „die Eigenfhaft des Hofes Bus jamt dem dazu gehörigen Kirchenſatz‘. Allein erſt am 2. Januar 1328 ver- taufte vor dem Ritter Rudolf von Rudefwile, welder zu Olten an Graf Sohans von Froburg Statt zu Gericht fak, der Edel: knecht Sohans I. von Kienberg, genannt Brifjener, für fi und als Vogt Hartmans und Richtelins, der Kinder feines
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veritorbenen Betters Johans II, an den Komtur Peter von Stoffeln zu Beuggen ihren Teil und ihr Recht an Hof und Kirhenjaß zu Bus um 52 Marf Gilbers. Damit hatte Beuggen das Ziel erreidht, den ganzen Kirdhenjag von Buus: in feine Hand zu befommen.
Nah der Durchführung der Reformation trachtete Bajel darnad, um das ungenügende Einfommen der Pfarrer zu: erhöhen, tleinere Gemeinden zujammenzulegen. Am 28. Ok— tober 1535 traf der Rat von Bajel mit dem Komtur von Beuggen, Ludwig von Ryſchach, die Vereinbarung, daß die Untertanen von Buus und Maiſprach in ewige Zeit Pfarr: genofjen fein jollten. Hemmiken blieb bei Buus, während Drmalingen wieder zu Gelterfinden geijhlagen wurde. Mit dieſer Vereinigung von Buus mit Mailprad), wo Bajel das Patronatsrecht bejaß, war die Gefahr eines Konfliktes noch bedeutend verjtärft. Die Kollatur jollte abwechslungsweiſe vom Drdenshauje und von Bafel, eritmals von Beuggen aus= geübt werden. Die Pfarrer wurden auf die Reformations- ordnung verpflichtet.
Die Beranlafjung zur Vereinigung beider Gemeinden hatte der Wegzug des Buufer Pfarrers Matthäus Merk oder Kenzler in jeine württembergifhe Heimat gegeben. Der Pfarrer Fridolin Brombach von Rheinfelden, der feit Herbit 1522 in Maiſprach gewejen war, wurde der erjte Pfarrer der beiden vereinigten Gemeinden. Die erjten Jahre ging alles gut.
Im Sahre 1544 war das Pfarrhaus reparaturbedürftig geworden. Der Komtur erflärte fich bereit, die Arbeiten vornehmen zu lajjen. Er bat den Rat in Baſel, ihm zu er= lauben, daß er einen Kalk auf Basler Boden brennen dürfe. Die Bewilligung wurde ihm erteilt. Aber am 29. Auguit Iprad) der Rat dem Komtur fein Befremden aus, daß weder der Bau noch das Kalkbrennen begonnen worden fei. Er . mahnte, er jolle fih nun beeilen, daß das Haus nod vor Winter fertig gejtellt werde, damit der Pfarrer darin wohnen
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könne. Im Frühjahr des folgenden Jahres war aber die Sade erit jo weit gediehen, „Daß alles gezimmer vnd gerüft zubereitet war“. Nun aber hatte es den Anjchein, als ob mit dem Bau Stillgeltanden werde. Der Rat mahnte fortzufahren, lonft würde er den Zehnten zurüdbehalten. Das wirkte. Der Bau wurde vollendet. Allein der Pfarrer blieb nicht mehr lange auf der Pfarrei. Wegen „fürgefalner ſachen der pfarrei jtillgeitellt“, aber auf Bitten der beiden Gemeinden reitituiert, erhielt eı am 16. Januar 1546 feinen Abichied. Der Komtur trat für Brombad) ein. Allein der Rat erflärte, der Bitte nicht entiprechen zu fönnen, „wir wollten dann die gemeine fildenn zum hochſten ergern, vnd andern glidher geitalt zu Handeln vrſach geben“. Längere Zeit verjah der Pfarrer Jerg (Joh. Study?) von Rotenfluh aud die Pfarrei von Buus-Maiſprach. Er war dazu von den Deputaten be- auftragt. Er bejuhte den Komtur und zeigte ihm an, „wie das die pfarr von Rotenfluh begere, das man ime etwaß von dem corpus zu Bus geben welle“. Der Komtur gab ihm zur Antwort, er begehre nicht, daß er vergebens jollte gedient haben.
Dem Rate gegenüber Hatte ſich der Komtur bejchwert, daß man ihm die Belegung der Pfarrei nicht überlaſſe. Er befam zur Antwort, daß nad) dem Vertrag vom Jahre 1533 der Rat an der Reihe jei, „diſe pfarren verner zuuerjehenn“. Die Deputaten Hätten in feinem Namen einen Diener des Worts dahin verordnet. Länger als gewöhnlid wurde Die Pfarrei Buus von Rotenfluh aus verjorgt. Das hatte feinen bejtimmten Grund. Das Kaplaneihaus in Siljah mußte reitauriert werden. Die Deputaten famen mit dem Pfarrer von Rotenfluh überein, daß, was nah jeiner Vikariats— entihädigung von der Bejoldung von Buus übrig bleibe, für das Kaplaneihaus in Siſſach verwendet werden follte. Der Komtur erhob aber nun in Bafel Anſpruch, daß ihm der „fürſchutz“ ausbezahlt werde; jchriftlih und durch Fridolin Brombadh oder durch deſſen Anwalt mündlih brachte er fein
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Begehren den Deputaten vor. Dieje erklärten, in vollem Rechte geweſen zu fein, die Pfarrei zu befegen. „Sit dweyl doch mer gedachte pfrundt verſechen worden das dardurch nichgit verfaumpt fige“, baten fie, „jein Erwürden wolle vnnß ferer difer pfrundt wegen vnuerſuecht vnd rhuwig pliben lafjen“. Der Komtur wandte fi) jegt an den Rat, befam aber diejelbe Antwort, der Komtur „wolle auf folden fürſchutz nit figen“. Gebe er fih nicht zufrieden und wolle gerihtli vorgehen, fo müßte es der Rat eben geichehen laſſen.
Unterdejlen Hatten die Deputaten „zu ſant Alpen“ die Rechnung getan. Kridolin Brombah war auf ihr Begehren an des Komturs Statt zur Rechnungsablage erjchienen. „Wie ſy in gethradtiert ouch waß ſy ime vier ein abihüt geben Habent“, berichtete Brombad) jelbjt in einem Schreiben, das leider verloren ilt. Der Komtur war empört über das Ber: halten der Deputaten. Dem einen, Balthajfar Han, der die Verhandlungen führte, warf er Wortbruch vor. Er hätte ihm, als der Pfarrhausbau in Buus angefangen war, zugejichert, daß alles, was eingehe, niemandem zufallen jolle als allein ihm als Bauherrn. Ob das weitere Vorgehen dem Verſprechen gemäß fei, möge der Rat ſelbſt ermeſſen. Mander Bieder- mann, der dabei gemwejen jei, Habe fih für Bajel ſchämen mülfen. Denn wenn jhon Han dem Rat die Erklärung ab- gebe, „das er das huß Syſſach darvß puwen welle, ich bin nicht zwüfflet, das es ye erhört worden, das ein ftadt zu Bajel in die Nott fommen ey, das man ire pfarrheifer vß des huß Beuden gut puwen mießen“. Der Rat ließ fih aus feiner Ruhe nicht Herausbringen. „Ob dem Comenthur etwas augfeit ſy an den buw mag man Jundher Heman von Offen: burg frogen, der weiß euch zujagen, das Comenthur zugſeit, nützit von allen gfellen zenemen, biß der buw gemadt und jederman bezallt ſy.“ Der Komtur muß fein ganz gutes Ge- willen gehabt haben, denn er teilt dem Rate nun nur nod mit, daß er auf fein Gejud, „das mir der billigfeit noch zu— Händig, dafjelbig heruß ze gebenn“, von den Deputaten ab—
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Ichlägigen Beiheid erhalten Habe. Der Rat las die Geneigt- heit heraus, nachzugeben, und jhidte den Deputaten Han nad Beuggen. Friedrich von Homburg erflärte ſich tatjächlid) bereit, fi) gütlich zu vergleiden. Han hatte aber feine Voll- madt, etwas zuzufagen oder abzufchlagen. Er gab feinen Anſpruch auf und verlegte fih aufs Bitten, der Rat möchte Doch den ſchweren Kojten bedenfen, „jo ic) dajelbit zu Buß angewendt ond mir mit einer ziemlidhen bawſteuer für alle Anſprach zu Hilff fomen“. Die Höhe der Steuer überläßt er den Herten von Balel. Es war vergebens. Und doch hätte das Ordenshaus das Geld fo notwendig brauden können. Der Bau des Pfarrhaujes in Buus war zwar vollendet, aber die Koſten waren noch nicht bezahlt. Die Arbeiter drängten. Selbſt wenn er es nicht gewollt hätte, wurde der frühere Pfarrer von Buus, Matthäus Merk, der nad) einem Aufenthalt von fünf Sahren in Württemberg den Weg ins Bafelbiet zurüdgefunden und feine Aufgabe im benachbarten Gelterfinden gefunden Hatte, in die Sache Hineingezogen. Seine alten und neuen Pfarrfinder, denen der Komtur die Schulden nit bezahlte, wandten fih an ihn und er nahm fi ihrer an. Sein Patron beſchwerte ji über ihn in Baſel, fand aber fein Gehör. Anfangs Februar 1548 waren die Schulden noch nicht bezahlt. Merk trat wieder für feine Schuß- befohlenen ein. Der Rat jhidte den Deputaten Han nad) Beuggen. Nach feiner Nüdfehr wurde ein Bote zum Komtur gejandt, der Rat hoffe, es werde dem Komtur nicht mißfellig jein, daß Mattheus das Korn angreife und damit die Schulden bezahle. Wenn aber der Komtur das Korn behalten und ohne weitern Aufſchub die Schulden abtragen wolle, möge er es dem Ueberbringer anzeigen. Nun brad) der Tangverhaltene Unwille los. Er ſchrieb an den Rat: Herr Mattheus habe jih wiederholt in Baſel beſchwert, daß ihm die Schuldner nad) laufen, damit er fie bezahle. Er habe zu wiederholten Malen den Pfarrer aufgefordert, daß er Rechnung ablege. Er habe aber nichts getan und die Perſonen nit genannt. Er habe
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ihn aufgefordert, nach Beuggen zu fommen; es jei nicht ge— ihehen. Zum NUeberfluß habe er dem neuen Pfarrer von Buus bei feinem Leibe verboten, wenn jemand Korn kaufen wolle, etwas zu geben. Wie aber fünne er die Schulden be= zahlen, wenn man ihm das Seine vorenthalte?
Der Pfarrer Habe jo nah nad) Beuggen als nad) Balel. „Sol er mein muß und prott in feinem leipp haben, vnd fol mid) alfo mit vngrundt der warheit dargeben vnd ſich alſo gang vngehorſamlich gegen mic) vnbeſchulter wyß erzeigen, jo wil mir nit gelegen fein, ine ferer vff meiner pfarren zu getulden.“ Er folle jih bis auf fünftig Johannis um eine andere Pfrund umfehen. Es ftehe feinem treuen Diener zu, lo jeinen Herrn zu verſchreien. „Darzu jo lajt er mir mein pfarhuß infallen oder in füllen, wie ich bricht bin.“ Der Rat dachte nicht daran, den Pfarrer zu entlaſſen. Dagegen gab er ihm Gelegenheit, in Gegenwart der Deputaten die Red nung feines Einnehmens und Ausgebens, das Haus Buus belangend, zu geben. Allein dem Komtur war es beihwerlidh, fie anzunehmen. Er verlangte, daß Merk die unbezahlten Schulden jpezifiziere, jie jeien aufgenommen oder ander ver: dient Geld, „wieviel oder wem aud wie es verdient, wer die perjonen feien“. Der Komtur wolle dann mit den Leuten handeln. Allein auf diefe Weife wären ſchwerlich die armen Leute zu ihrer Sache gefommen. Die Schulden wurden daher aus den Einfünften des Ordenshaujes direkt regliert, wie aus der folgenden Aufſtellung erſichtlich ift:
„Frücht, jo zu Normandingen, zu Buß onnd zu Gelter- hingen dem Commenthür zu Büden zugherend, doruß die dulden, jo über den buw zu Buß vffgeluffenn, bezallt jollen werden.
Sn dinfel 1° ıxxxx iii viernzel ii viertel
In haber ıx viernzel ii viertel Daruff Hand im die Deputaten vß dem kilchengut fürgefegt tut I xxvß.“
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Mer könnte es nicht verjtehen, wenn der Komtur am Buufer Pfarrer feinen Aerger auszulafjen ſuchte? Der Komtur war nämlich verpflichtet, dem Pfarrer von Buus vier Saum Mein zu geben. Nun gab der geijtliche Herr den Auftrag, daß der Pfarrer künftig feinen Wein „by der Maß“ einziehen jollte. Der Rat von Bafel, dem dieſes kleinliche Vorgehen berigtet wurde, hielt dem Komtur feine „Treuflucht“ vor und verlangte, daß er den Wein wie bisher Tiefere, da die neue Drdnung „ein mübjelig Ding und aud) dem Manne nicht geziemt“. Der Komtur mußte fi) fügen. Er gab überhaupt den Wideritand auf. Am 23. Januar bat er, nachdem er 5% abbezahlt hatte, no einmal um eine Beijteuer an die Bau- fojten des Pfarrhaufes, das ihm fo viel Mühe und Arbeit und Abgang feines Ordenshaufes gefojtet hätte. Der Nat erlieh „rei“ den Reit der Schuld. (9. Februar 1551.)
Zange Zeit erfreuten fi) die Buufer Pfarrer des un: geitörten Genujjes ihres Einfommens. Es beitand in 48 Viernzel Korn, 25 VBiernzel Haber, 4 Saum Wein, 16% 2 2 5 in Geld, 150 Wellen Stroh, 4 Jucharten Ader, 6 Stüd Matten; zu Buus ein Haus und Hofitatt mit famt einer „Scheuren zu rindvieh, rollen ond ſchweinen zugerichtet“. Die Pfarrwechſel vollgogen ji ohne Anjtand. Erſt neunzig Sahre ſpäter traten neue Konflifte auf.
Es war während des dreikigjährigen Krieges. Rhein: felden jtand im Mittelpunft der Friegerifchen Bewegungen. Auch die Umgebung war von den Kriegsleuten gefährdet. Der damalige Komtur Heinrich Schent von Caſtell eröffnete dem damaligen Pfarrer von Buus, Nilolaus Agricola, daß er ihm feine 4 Saum Wein wegen der Kriegszeiten nicht mehr von Magden liefern fönne, er folle fie von Buus, Gelterfinden, Hemmifen und Ormalingen erhalten. Agricola wollte ſich aber dazu nicht verjtehen, „weilen jolche wein etwaß geringer uls der Magdter“. Der Komtur betonte, daß er felbft den geringern Wein trinke, und Agricola mußte zunächſt nad geben.
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Nach feinem Tode beflagte ſich der Sohn Friedrich, da- mals Pfarrer von Rotenfluh, beim Landvogt und verlangte eine Entſchädigung. Diejer verfügte, daß der Komtur „förder- lit auf jeden Saum Wein 18 Z Gelds zu bezahlen“ habe. Da aber der Komtur die Zahlung verweigerte, ließ Yriedrich Agricola auf die Zehntfrüdte Arreit Iegen. Außerdem aber ftellte er nod) eine Korderung von 38 3 für Baufolten. Der Komtur madte zwar geltend, daß der alte Agricola die Summe ohne fein Wiſſen verbaut habe, mußte aber gleichwohl die Forderung begleichen.
Der neue Pfarrer, Philipp Cellarius, Hatte bei feinem Aufzug aud allerlei Wünfche. Aber der Komtur hatte feine Luſt, fie zu erfüllen. Die erſte Baurehnung fiel zum Er- Ihreden groß aus, fo daß der Pfarrer zu feiner Entjhuldigung die Bemerkung mitlaufen ließ, „Daß er feines Herren Bor: fahrers Haußgefindths Unachtſamkeit, Tiederlichfeit ondt faul- heit bei abgang viler nothwendigkheiten beym wenigiten fi nichts vermöge“. Am 29. Mai 1649 wandte ſich der Komtur flagend an den Rat in Bajel. Er Habe ſchon 165 7 verbaut und noch fei des Bauens fein Ende. Zudem verweigere der Pfarrer Cellarius aud den Wein, der ihm in Tenniten an- gewiejen ſei. Bei jo ſchweren Zeiten follte doch der Kollator bei Bauten mindeſtens angefragt werden. Er bat den Rat, den Arreit aufzuheben. Der Rat zog erſt Erfundigung ein, aus was für Urjachen der Dbervogt den Arreſt bewilligt habe. Als er fie erhalten Hatte, gab er den Deputaten Auftrag, Agricola, „weilen fie ohnedies mit ihm zu fchaffen haben, all- hero vifs förderlichſt“ zu bejcheiden und ihm ernitlich eines und das andere vorzuhalten und ihn aufzufordern, ſich mit dem Komtur zu vergleihen. Der Vergleich wird jchwerli zuguniten des Ordenshauſes ausgefallen fein. Denn die Des putaten ftanden auf Seite des Pfarrers.
Ein Jahr fpäter jtarb Cellarius. Sofort wählte der Komtur Ulrich Thurneyfen nad) Buus und meldete dem Rat, daß er laut Vertrag vom Jahre 1535, nachdem der Rat den
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Vorgänger gejegt Habe, den neuen Pfarrer gewählt Habe. Allein der Konvent der Pfarrer berichtete, daß jeit 1593 immer der Rat die Pfarrei Buus bejeßt habe, madte wie gewohnt einen Dreiervorihlag, in welchem Thurneyjfen übergangen war, und der Rat wählte aus den dreien Jakob Gernler.
Sm Sabre 1665 follte der Chor der Kirche erweitert werden. Der Komtur hatte die Baupflidt. Er ſuchte fi aber zu entlajten, indem er an den Rat das Begehren ſtellte, daß das Holz vom Farnsberg ohne feine Koften geliefert werden möchte. Dagegen anerbot er fi, 2000 Ziegel von Beuggen unentgeltlich zu liefern. Der Bau ging diesmal ohne Anſtände von Itatten.
Die größten Schwierigkeiten hatte Pfarrer Jakob Leucht. Als er im Jahre 1680 vom Komtur zum Pfarrer von Buus berufen wurde, war das Pfarrhaus fon fo fchlecht, daß es faum mehr zu bewohnen war. Ueber 50 Jahre lang war außer dem notwendigiten Flickwerk fait nichts gemacht worden. Bis zum Jahre 1691 wurden dem Pfarrer vom Schaffner des Drdenshaujes das für den Unterhalt ausgelegte Geld regel- mäßig zurüderitattet. Dann aber wollte fich der Komtur des Pfarrhauſes nit mehr annehmen, indem er fih auf einen alten Vergleich berief, den er gefunden Hatte.
Bald nad) feinem Aufzuge in Buus verlangte Leucht vom Komtur, daß fein Pfarrhaus, das in trauriger Verfaſſung fei, in Stand gejtellt und die Kirche, welche für die drei Ge— meinden zu Elein fei, vergrößert werde. Der Rat war erjt nicht abgeneigt, zu entjprehen. Als es ihm aber ſchien, daß die Frage der Erweiterung der Kirche zu Buus in eine allzu große Weitläufigfeit gezogen werde, gab er dem Obervogt auf Farnsburg Befehl, fih nah Buus zu begeben, die Ge- Ihworenen und Beamten zu vernehmen, ob eine Erweiterung notwendig fei und, wenn ja, wie und wie Hoc ji) die Koſten belaufen würden. Der Rat ſah vorerjt von einem weiteren Borgehen ab. Allein der Komtur bradte nun ſelbſt die Ver-
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Handlungen wieder in Fluß. Der Zufall wollte es nun, daß im Sahr 1692 in Winterfingen ein Pfarrer eingeführt worden war, ohne daß er dem Komtur präjentiert worden wäre, und der Pfarrer von Gelterfinden ziemlich viel baute. Das ver- anlaßte den Komtur, durch feinen Bevollmädtigten Dr. Fatet in Gegenwart des Schaffners im Frühjahr 1693 feine Be- ſchwerden mündlich dem Stadtichreiber Dr. Faeſch vorzutragen, dag in Winterlingen die alte Ordnung nicht objerviert worden fei, daß er in Gelterfinden innert zwei Jahren „bey oder vber 300 7°“ bezahlt habe, daß Bajel an die Koiten des Pfarr: hausbaues in Buus aud) beitragen follte, da man ſich mit dem einen Pfarrhaus in Buus behelfe, während früher zwei gewefen jeien, von denen Bafel das zu Maiſprach zu bauen gehabt hätte. Der Stadtjchreiber fühlte fih nicht veranlaßt, dieſe Fragen vor den Rat zu bringen, jo lange fie nicht eigent: lich aktuell waren. Es Jollte bald anders fommen.
Leucht war es müde geworden, dem Komtur feine Be- gehren zu unterbreiten, da er doch nicht gehört wurde. Er wandte fih nun darum am 6. September 1693 unmittelbar an den Rat und bat um Erweiterung der Kirche und Re— paratur des Pfarrhaufes. Zur Begründung teilte er mit: am vergangenen Herbitfommunionstag jei es norgefommen, „dag abermahlen das junge Bold in währendem gebätt auß mangel plaßes einanderen Hin und her gejtoßen, mit hödjter ärgernuß die verfamblete Gemeind in ihrer Andacht zeritöret, Die auſſer der Kirchen ſich befindende mit ſchwätzen ihre Zeit zugebradt, ia wegen allzu engen Plabes die zum Tiſch des Herrn gehende fi mit gewalt haben durdtringen müllen“. Mit was für Frucht er zu Kalt: und Bettagen ermahnen Tann, da das halbe Volk der drei Gemeinden wegen Plab- mangel ausgeſchloſſen ijt, jei wohl zu ermeljen.
„Das allhiefige Pfarrhauß betreffend,“ führte der Pfarrer weiter aus, „weil 9. Commenthur nun bald ein gantes Jahr nichts mehr reparieren lafjen, ift jo bawloß, daß es bald nicht
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mehr zu bewohnen, und müljlen die meinigen, wo einiges Regenwetter einfalt, bald aller orthen daß eintringende Regenwaſſer in den Gemaden auffaljen, durch weldes unß an unjerem Haußrath ſchon Hin und wider auß Mangel der Materialien großer Schaden zugefügt worden“. Der Komtur fandte nun aber feine Klagepunfte ſchriftlich dem Rate ein. Bisher feien bei Bejegungen in den drei Gemeinden jeweilen Bräfentations: oder Refommandationsihreiben nad) Beuggen geihidt worden, wie aus den zwei Kopien, welde der Schaffner beigelegt Hatte, erjichtlich fei. Der Nat möchte es fünftig wieder jo halten. Der Pfarrer von Gelterfinden jollte angehalten werden, fünftighin nichts unnötiges zu bauen. Das Nötige bejorge die Kommende. Der Pfarrer von Buus wolle die Kirche erweitern und den Komtur zur Kontri- buierung der Koften heranziehen. Allein der Komtur fei als Kollator nur fhuldig, den Chor zu bauen, „an deme ganz fein Breiten jei“. Der Stadtichreiber Hatte ſofort dem Schaffner feine Meinung auseinandergejet. Es ſei ein großer Unterfchied zwiſchen Präſentations- und Rekomman— dationsſchreiben. Zu letztern fönne man fi ohne große Dif- Tifultät herbeilajien. „Waß aber die eritern betreffe, jo jeye bei den 9. Euangeliichen beider religionen ohnitreirig, dag Die iura sacrorum vnd beitellungen der pfarrpfrundten ohn- mittelbar dem Landesherrn zujtändig ſeye, es möchte gleich collator jeyn, wer da wolle.“ Man müſſe dem Pfarrer eine Behaufung Ihaffen, darin er wohnen fönne. Ueber den Ber: trag von 1535 habe er stante pede nicht antworten fünnen. Entweder fei er durch einen andern aufgehoben worden oder per non observantiam niemals „in feinen Kräften“ erwadjen.
Am 31. Sanuar 1694 wurde die Beſchwerde im Rate ver- leſen, und der Stadtfchreiber Dr. Faeſch erhielt den Auftrag, mit den Herren Advofaten zu reden, was für eine Antwort auf die Begehren Beuggens gegeben werden jollte. Die Pfarrer follten angewieſen werden, ohne Vorwiſſen der Kollatoren nichts zu bauen. Wenn ihnen aber dann Schwierigkeiten ge-
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macht würden, fei es wegen nötiger Reparation oder Abſtat⸗ tung der Kompetenzen, follten fie fi) bei den Deputaten Rats erholen.
Am 11. April 1694 wurde im Rat das Gutadten der Suriften betreffend die Klagpunkte des Komturs verlefen. Am 17. April wurde dem Geftetär des Ordenshaujes die Antwort durch den Stadtichreiber eröffnet. Sie war ganz im Sinne der Auffalfung des Stadtichreibers gehalten. Das: ius praesentandi fei das Recht des Patrons, dem Biſchof oder der Obrigkeit einen taugliden Pfarrer vorzufhlagen, damit fie denfelbigen eraminieren und auf fein Leben inquirieren und zum Pfarrdienſt fonfirmieren möchten. Es fei alſo ab— jurd, wenn der Komtur meine, Bafel müßte präfentieren; denn nicht der Bilchof präjentiere dem Patron, fondern um: gefehrt der Patron dem Biſchof. „Die Evangelifden als Territorialherren haben fi) bis dato niemalen Subjefte für die Pfründen vorfchlagen laſſen.“ Zu refommandieren würden die Herren nicht unmillig fein.
Der Bertrag vom Jahre 1535 fei niemals gehalten. worden, fünnte darum aud) per non usum vel per non obser- vantiam nit mehr gelten.
Was nun den Bau des Pfarrhaufes und der Kirche be= treffe, jollte noch einmal jemand nah Buus gefhidt werden und Augenschein einnehmen. Aber den Pfarrer von Buus „in ſolcher prejthaften Hütte ferners zu laſſen, verbiete die jelbftredende billigfeit“. Laſſe ji) der Komtur nit zum Bau herbei, jo würde Bafel ihn an die Hand nehmen und aus: dem Zehnten bezahlen.
Der Sekretär berichtete alles feinem Herrn. Bald dar= auf fand fi) der Schaffner von Beuggen mit dem Werfmeifter von Bafel in Buus ein, ohne fi) jedodh ins Pfarrhaus zu. begeben. Da aber nichts geſchah, und wie die Deputaten am 10. Mai ſchrieben, „das Pfarrhaus immer in ſchlechteren Stand geräth, daß der Pfarrer bald feinen Schermen mehr
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hat“, ließen die Deputaten, „um nicht den gänzliden Ruin und Einfall zu riskieren“, die Arbeiten verdingen. Dem Komtur wurde gejchrieben, er möge es fih nicht verdrießen laffen, die Koſten zu bezahlen. Die Arbeiten wurden be- gonnen. Allein als man auf dem Farnsberge das Holz fällen wollte, reflamierte der Obervogt, man [ollte das Holz auf dem Yarnsberge auf allen Notfall für das Schloß vorbehalten. Der Rat befahl, daß Obervogt, Pfarrer und Amtspfleger fi verftändigten und die Frohnung wirklich vorzunehmen, da- mit der Bau befördert werde. Bald madte man ih an die Arbeit. Die Zunzger Hard mußte das Holz Tiefern.
Sn Beuggen begann der Sammer. Der Komtur erinnerte in einem Schreiben vom 16. Juni, in weld traulidem und freundnahbarlihem Verhältnis Bafel und die Kommende Beuggen geitanden hätten, und verjicherte, wie glücklich er ſich Ihäßen würde, wenn diefes Verhältnis fortgejegt würde, und daß er jeinerjeits dazu bereit ſei. Allein die Deputaten hätten dieſer Ablicht entgegengelebt, da fie entgegen dem Vertrage vom Sahre 1535, den er in Kopie beilegte, „in puncto repa- rationis des Pfarrhaufes zu Bus“ dem Vertrage jhnuritrads zuwider, gleihjam vormundihaftsweije auf feine Rechnung verdingt, ja jogar hätten verlauten lajjen, man werde feine Zehnten der Koften halben ſchon zu finden willen. Er könne nicht glauben, daß der Rat entgegen dem Vertrage einen fo barten Schluß faſſe. Er fei bereit, alles zu Teijten, was ihm immer mit raison zugemutet werden fönne.
Der Rat gab den Deputaten von dem Schreiben Kenntnis. Die Deputaten zeigten ſich etwas gereizt. Der Komtur hätte ihnen Antwort geben fönnen, ftatt an den Rat zu jhreiben. Es war tatfählich [hwierig zu antworten. Der Vertrag von 1535 ſprach für das Ordenshaus. Dieſen Eindrud Hatten auch die Deputaten. Es genügte alfo nicht, daß fie erflärten, fie ließen den Vertrag an feinem Drt, obwohl fie ihn bei den Alten nicht finden könnten. Denn entweder fei er durch einen Vertrag vom Jahre 1548 aufgehoben oder aber verjährt. Der
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Komtur fei pflihtig, das Pfarrhaus zu bauen, das habe nie- mand anders gewußt.
Der Bau war unterdeilen begonnen- worden. Als. der Pfarrer gefehen Hatte, daß Bajel ſich der Sache jo energiſch annahm, hoffte er noch ein weiteres zu erreihen. Das Pfarr: haus war aud zu klein, der Raum ſo beſchränkt, „aljo daR ih auß mangel der gemachen meinen wenigen Haußrath und Bibliothek die gante Zeit über meines allhiejigen Ministerii habe ermangeln und zu Bajel in einer großen Kammern, von welcher ih nun 14 Jahr lang iährlich eine Duplone Zink be- zahlen müſſen, lajjen müjjen“. Die Deputaten famen aud hier entgegen. Der Komtur erfuhr es, daß noch ein Stod auf das Pfarrhaus gebaut werden jolle.. Er glaubte es nicht, da ihm nicht eingehen könne, daß der Rat „auf ein jo ge- tinges Yundament einen jo großen und gank unproportio- nierten lajt auf meiner Commende Vnköſten ſetzen laſſen“ wolle. Er protejtierte am 25. Juni dagegen und erklärte, „nie Angelegenheit vor das dermalen in Mergentheim ver- fammelte Generalfapitel bringen“ zu lafjen. Der Rat fandte nun eine Kopie des Rechtsgutachtens ab, der Komtur ant- wortete noch einmal. Da jener zweite angebliche Vertrag von 1548 von den Deputaten nicht habe aufgefunden werden fönnen, fönne diefer den alten von 1535 aud) nicht aufheben. Der Streit gehe nicht um die Bejegung der Pfarrei. Diejer Punkt fei im Vertrag Har ausgeſprochen. Die Frage jei viel- mehr die, ob er allein die Unterhaltungsfojten zu tragen habe, und wenn ja, ob er auch jhuldig, das Pfarrhaus um einen Stod zu erhöhen. Er proteitiert dagegen, daß, wenn ein Unglüd gejchehe, er dann dafür auffommen müjle.
Die Bauten gingen rültig vorwärts. Das Gteinwerf wurde Hinter dem Pfarrhaus gegraben. Am 29. Dezember 1694 fchiefte der Pfarrer Leuht dem „Schwager Werfmeifter“ in Bafel die Rechnungen über den Pfarrhausbau, damit fie, wenn allenfalls im neuen Jahre eine Konferenz mit dem Komtur jtattfände, bei Handen wären.
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Die Baufoften für die Kirche betrugen 5788 16$ AJY Die Ausgaben für den Pfarrhausbau beliefen fih auf 8388 198 —JI
Scheurendachſtuhl 1532 14 6 Alte Baukoſten des Pfarrhauſes von Leucht bar eingeſchoſſen 658 154 AL
105823 6$ 10% Die Summe für den Pfarrhausbau wurde in den folgenden Sahren dem Komtur von den Früdten in Gelterfinden ab- gezogen.
Dem Pfarrer war es in feinem erweiterten Haufe wohl. Als er dem Schwager Werfmeijter die Rechnungen einjandte, wünjdte er ihm ein neues Jahr „der guten Hoffnung ge: lebend, ihne neben guten Freunden bey annahendem Früh: fing alhier zu jehen und deß neuen Baws genießen helfen“.
Sm Sabre 1768 wurden noch einmal vom Deputatenamt größere Arbeiten an Kirhe und Pfarrhaus in Verding ge— geben. Damals gab es feine Anjtände mehr.
2. Gelterfinden.
Die Kirhe von Gelterfinden mit dem zu ihr gehörenden Hofe war ſchon frühe an den Biſchof gefallen. Daher hatte die Kirche Maria zur Patronin. Wer fie dem Bilhof oder dem Domkapitel geſchenkt hat, ob die alten Homburger, deren Erben, die Froburger und Tierfteiner, je einen Hof in Gelter- finden bejaßen, oder etwa der Kaifer Heinrid, in deſſen Ehren die zu Gelterfinden gehörige Kapelle von Drmalingen geweiht war, willen wir nicht. Soviel aber iſt gewiß, daß im Sabre 1083 Biſchof Burdard dem neugejtifteten Klofter St. Alban aud Güter in Gelterfinden jhenfte. Den Hof tat der Biſchof den Grafen von Tieritein aus. Am 29. Suni 1330 war er im Belige Walrafs von Tierjtein, der ihn von feinem veritorbenen Oheim Ludwig von Tierjtein, Schulmeijter zu Straßburg, geerbt Hatte. Ob durch Abtaufh oder Kauf oder Teilung zwijchen den beiden Tierjteiner Linien der Hof an
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Sigmund II. von Tierſtein-Farnsburg gefommen ift, erfahren wir nidt. Aber Tatſache tft, daß die Yarnsburger Linie den Hof mit dem Kirchenſatz jpäter beſaß. Nad) dem Tode Gig: munds II. verfauften am 7. Januar 1399 feine Witwe Verena von Nidau und ihre Söhne Otto und Gimon den Hennen- bühlhof ſamt dem Kirhenjag von Gelterfinden und dem MWidum um 300 Gulden dem Deutjhhordenshauje in Beuggen. Am 1. Februar 1402 bezeugte der Komtur von Beuggen, Marquart von Baden, Otto von Tierjtein das Recht, den Hof mit 300 Gulden wieder zu löjen. Allein am 24. Januar 1411 verzichtete der Tierjteiner auch auf diefes Recht um die Summe von 100 Gulden.
Ueber 400 Jahre blieb der Kirchenjaß bei der Kommende Beuggen.
Als die Reformation in Bafel durchgeführt wurde, war Hans Jakob Löw, ein Drdensbruder von Beuggen, Pfarrer in Gelterfinden. Nachdem im Fahre 1535 DOrmalingen zu Gelterfinden gejchlagen worden war, wurde das Einfommen neu geregelt, wie ein damaliger Bericht zeigt.
„Was dem priefter daſelbſt vonn Herren Comenthur zu Büdhein järlids für fin alte nutzung oder corpus bikhar ge- volgt hat. (?N):
Stem xx viernzel dindel
Stem u jom win onnd den winzehenden
Stem ıx 8 vom heumwzehenden, davon gibt er jerlichs u 8 gen Büdhein und ı 8 v 4 dem pfarrherrn zu Rin- felden.
Stem u viernzel von der firden, daran ift etwas ab- gelöft, wie ich bericht, das vbrig nemen die firchenpfleger.
Volget was her Tacoben Löw als einem ordensglied von eim huß Büdhein bis vff ein witern biheid mins herren Zanntcommenthur worden vnnd gegeben ft
Stem xx v viernzel dindel
Stem x viernzel haber
Stem u ſom win.
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Me volget ime von Normalingen, jo Durch die herren von Bafel von noüwem gejpopft vnnd geordnet:
Item xiu viernzel dindel
Item vıı viernzel haber.“
Zum Schluß wird nod) bemerkt, daß dem Prieſter der Garten genommen werden foll.
Obſchon im Jahre 1534 in Gelterfinden an der Kirche allerlei verbaut wurde, ging es doch damals ohne Streit ab. Auch der erite Pfarrwechſel vollzog fih glatt. Jakob Löw war „ein geihidter Anatomikus“; wegen einer bejondern Be— gebenheit mit einem Bettler wurde er von den katholiſchen Kantonen verflagt. Im Jahre 1539 verließ er Gelterfinden, fand 1541 in NRiehen wieder ein Amt, bis er im Jahre 1546 dem geiltlihen Stande den Nüden kehrte und vollends der Heilkunde fi) zuwandte. In Gelterfinden war vom Rate in Baſel „mit Vorwiſſen und Bewilligen“ des Ordensfomturs, Matthäus Merk, auch Kenzler genannt, der bis 1535 Pfarrer von Buus gewejen war und feitdem in feinem fchwäbilchen Heimatlande jih aufgehalten Hatte, zum Pfarrer gewählt worden. Im Blid auf den erniten Konflikt, in welchen Merf wegen Buus mit dem Komtur geraten war, iſt es merkwürdig, Daß während der vierzig Jahre, die er in Gelterfinden ver- lebte, fein Anftand fi) mehr erhob.
Merk itarb im Sommer 1583. Der Rat wählte zu feinem Nachfolger einen der tüchtigjten Pfarrer, Johannes Tryff. Der Komtur erhob Einſprache gegen diefen Eingriff in feine Rechte. Bei der Zehntenverleihung beitellte er den Ober— vogt nad) Gelterfinden und redete vor dem Eſſen mit ihm. Wie er vernommen habe, hätten die Herren von Bajel anitatt des verjtorbenen Pfarrherrn einen andern verordnet und be- ftätigt, während doch er die Kollatur befiße, und der Pfarrer nidts als Holz und Waller von Bajel erhalte. Der Ober: »ogt berichtete über die Unterredung nad) Bafel, und der Rat ſchrieb am 13. Zuli an den Ordenstomtur Hartman von Hallwil: er habe vernommen, daß er wegen Belegung der
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Pfarrei „etwas inred zu haben“ vermeine. Er Habe wie früher die Pfarrei durch feine Verordnieten bejegen laſſen. Der Komtur möge fchriftlid berichten, ob und was er für „Anſprach und Geredtigfeit des Drts zu haben“ vermeine, Damit er fi) „der gebur nad) deſto bas“ verhalten fünne.
Der Komtur gab in aller Ruhe Antwort und ſprach die Hoffnung aus, Bafel werde dem Drden in feinen Redten feinen Eintrag tun. Der Rat fandte feinen Abgeordneten nad Beuggen. Der Komtur legte die Urfunden vor, die bis auf zweihundert Jahre zurüdgingen. Der Ratsbote fonnte nichts einwenden, er mußte das Recht des Drdenshaujes an— erfennen. Aber der Erwählte des Rates blieb Pfarrer.
Die nächſte Pfarrwahl vollzog ſich glatt. An Stelle Tryffs, der 1587 nad St. Leonhard in Bajel berufen worden war, wurde Konrad Lüßelmann gewählt. Am 27. Suli 1593 brannte das Pfarrhaus mit vier Firiten bis auf den Boden nieder. Am 6. Auguſt madte der Rat von dem Unglüd Mit- teilung an den Komtur und mußte den Pfarrer zugleich gegen die Verdädhtigung in Schuß nehmen, als ob er der Urheber des Brandes geweſen jei. Er ſprach zugleich die Vermutung aus, daß böſe Buben daran jehuld feien und forderte den Komtur auf, das Pfarrhaus jobald wie möglich wieder zu bauen. Der Komtur war damals gerade in Ordensgefhäften abmwejend. Nad feiner Rüdfehr verfügte er fi) nach Gelter- finden. Die Klagen der Gemeinde, die ohnehin gegen ihren Pfarrer erbittert war, fanden geneigtes Gehör. Denn der Komtur antwortete nach Bajel: Ob das euer durch böje Knaben oder aber „von liederlicher verwahrlojung deß Pfarr: herrn oder jeines Gelindes“ aufgegangen fei, werde ſich ſpäter zeigen.
Der Rat hatte bereits eine genaue Unterfuhung geführt und die Unfchuld des angeflagten Pfarrers feitgeitellt.
Der Komtur mußte fih dazu verjtehen, das Pfarrhaus wieder zu bauen. Er fam Mitte September nad) Gelter= finden und traf mit dem Zimmermann die Vereinbarung,
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daß der Neubau auf den Frühling begonnen werde. Da der MWeg von Beuggen zu weit fei, bat er den Rat um 40 Stück Holz. Baſel entſprach der Bitte und bedankte fih für das tajhe Entgegenfommen. Der Vogt auf Zarnsburg erhielt den Auftrag, Anweijung zu geben, wo das nötige Holz ge— fällt werden follte. Der Neubau wurde ohne weitere Hinder- niſſe durchgeführt.
Allein Lüzelmann war in Gelterfinden unmöglid ge= worden. Der Rat Hoffte erit, der Unwille der Gemeinde gegen ihn werde ſich wieder legen. Allein der Pfarrer jah jelbjt ein, daß feines Bleibens in der Gemeinde nicht mehr jet und meldete fih beim Komtur für die eben erledigte Pfarrei in Buus. Der Rat gab am 2. Sanuar 1594 feine Beltätigung.
Nach Gelterfinden berief er nad) dem Vorſchlage des An— tiltes Grynäus, entgegen dem Wunſche der Gemeinde, die um den bisherigen Verweſer gebeten Hatte, Martin Pfirter von Zangenbrud.
Der Komtur jhlug aber Bernhard von Reinach vor, der lange auf der Pfarrei feines Betters von Hallmil in Gitterdorf gewejen war. Der Rat gab aber zur Antwort, er hätte, bevor er das Schreiben erhalten Habe, bereits einen Nachfolger gewählt, und fünne, da er bereits das Wort ge= geben habe, ehrenhalber nicht mehr zurüdgehen. Dagegen verjprad) er, jobald eine Pfarrei frei fei, Bernhard von Rei- nad) anzunehmen. Wohl ſprach der Komtur dem Rate jein Befremden aus, daß er den Pfarrer gewählt habe, während doch Beuggen die Kollatur zujtehe. Denn als vor zehn Jahren Bajel feine Boten nad) Beuggen gejandt habe, habe er ihnen durch die alten Schriften fein Recht bewiefen. Der Rat aber blieb bei feinem Beſchluſſe und erflärte, er wolle dem Ordens- hauje an feiner Kollatur feinen Eintrag tun, aber er wolle ih auch feine Prediger aufdrängen laſſen, die ihm nicht an- genehm jeien. |
Martin Pfirter zog in das neue Pfarrhaus ein. Da die
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Hofitatt famt dem Garten, auf der das alte Pfarrhaus ge- Standen war, „od und wüſt“ Tag, zogen fie einige Gelterfinder an ih. Zwar hatte Pfirter vom Komtur den Auftrag er: halten, die Hofitatt wieder einzuhagen und zu nußen, und der Rat Ihüßte den Pfarrer in feinem Rechte. Im folgenden Sahre mußte der Komtur dem Pfarrer auch nod) eine Scheune bauen. Er erhielt das Holz aus den Waldungen Baljels, erzeigte ji aber dem Rate dadurch erfenntlid, daß er dem Rate bei jeinem Hof Hagenbadh einen Kohlenhaufen, der ungefähr neun oder zehn Wagen voll geben werde, brennen zu laſſen verſprach, ja, jobald er weggeführt fei, noch einen anjteden zu lajjen und in das Werkhaus nach Baſel zu liefern.
Saft Hundert Jahre lang war nun Ruhe. Am 26. April 1692 aber bejchwerte ji der damalige Pfarrer Wild beim Rat in Bajel, „dag das Pfarrhaus fait ohne Dad, Die Schütten ohne Bley ond Scheiben, die Thüren ohne Schlöſſer, das Bauhhaus ohne Baudhöfen, das Haus ohne ©. v. Sekret, der Keller vor dem Hauß draußen vnd hiemit faſt alles Sedermanns Raub ift exponiert geweſen, alß ich ſolches be- sogen habe, wie den auch nit nur meinen Herren Vorfahren v. m. der Spedh auß dem Salt, fonndern auch ſchon mir in jo furger Zeit Käß vnd Ankhen, Brodt vnd Wein auß dem Keller nähtliher Weil in zimlider Quantität ift entwendet worden“. Der Pfarrer hatte das Geld für die nötige Repa— ratur ausgegeben, der Komtur aber wollte es nicht zurüd- eritatten, mußte jedod, als der Rat ſich der Sache annahm, nachgeben.
Noch einmal machte das Ordenshaus feine alten Rechte geltend. Am 7. Mai 1777 war der Feldprediger im Regiment des franzöſiſchen Oberſten d'Aulbonne, Johann Jakob Fäſch, zum Pfarrer von Gelterkinden gewählt worden. Am 2. De: sember Hatte er dem Komtur das Präſentationsſchreiben des Rates überreidt. Da ſchrieb der Komtur am 11. Januar nad) Bafel, daß er in den Dokumenten und Berträgen mit Bajel gefunden habe, daB die Kollatur der Pfarre Gelter-
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finden der Kommende ausihlieglid, jene von Buus „um: wechslungsweije“ mit Baſel zuflomme. Der Rat lieh die Frage jorgfältig unterfuden. Der Antiltes Merian, der Pfarrer von Buus und der Vikar von Gelterfinden, von dem Wunſche geleitet, in feiner Abhängigkeit von Beuggen zu jtehen, über- fahen den wahren Tatbeitand, während der Ratsihhreiber Brudner auf die entjcheidenden Urfunden Hinwies. Gleich— wohl durfte der Rat am 7. März die Hoffnung ausipreden, „man werde von Geiten der Kommenda Beuggen nichts neues begehren, fondern es bei der alten Hebung bewenden Iajjen“. Beuggen mußte in der Tat feine Anſprüche fallen laſſen und nahm fie, als im Jahre 1793 Konrad Holzah Pfarrer in Gelterfinden wurde, nicht wieder auf. Als die Pfarrei 1826 wieder frei wurde, war das Patronatsrecht bereits von Bajel abgelöit.
3. Winterfingen.
Die Kirhe von Winterjingen gehörte ohne Zweifel ur- Iprünglich zum föniglichen Hofe, der noch im Jahre 1360 als Freihof Lehen Kaifer Karls IV. war. Das Patronatsrecht löſte fih aber ab und wurde auf einen Hof in Maiſprach ge- legt. Am 8. Mai 1196 war der Kirhenfag im Beſitz des Stiftes St. Leonhard in Bafel, an weldhem Tage ihm Papſt Göleftin III. den Beſitz bejtätigte. Allein jpäter erhob Kon: rad von Oeſchgen Anſpruch auf das Patronatsreht. Der Prozeß wurde am 25. Oktober 1234 zu feinen Gunjten ent- Ihieden. In der Folge wußte der Bilhof von Bafel das Patronatsrecht an ſich zu bringen, tat es aber Sigmund von Zierjtein als Zehen aus. Diejer aber ſchenkte mit Zuftim- mung des Bilhofs Gerhard am 6. Juli 1313 „den Kirdhen- jag zu Winterjingen, der zu einem Hof in Meyſprach gehört, den er von der Kirche zu Bafel zu Lehen — dem Deutſch⸗ ordenshauſe in Beuggen.
Der Komtur Lienhard von Stetten traf mit dem Prieſter Rudolf Knobloch, als dieſer die Leutprieſterei von Winter⸗
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fingen erhielt, am Donnerstag vor Michaelis 1466 folgendes Abfommen: |
„So nimbt Herr Rudolf alles, was zu Winterfingen vellet, daß dem Hauß Beudhen zuegehört, von der Kilch Minterfingen, vnd davon foll er aud dem Hauß Beudhen jährlichen geben dry vierenzel Dindhel auf Martini.“
Er Hat „auch das Hauß vnnd Scheur, jo zu der Pfrund gehört in Paw vnnd in guten ehren zuehalten ohne eines Commenthurs onnd des Haufes Beudhen Koſten onnd Schaden.“
Am Mittwoch) nad) Johannis des Täufers 1515 verfauften Anna von Falkenſtein, Aebtiſſin des Klofters Olsberg, und die Frauen und Herren des Kapitels St. Fridolin in Sädingen Martin Nägelin, dem Kirchherrn zu Winterlingen, „vnjeres bruderhofes zehenden, den wir zu Winterjingen gehabt, ge- nannt bruderzehndten“ um 100 rh. Gulden. Am 27. April 1521 aber ſchenkte Nägelin diefen Zehnten dem Ordenshauſe Beuggen, behielt ſich jedod) die Nußnießung fein Leben lang und der Kirche Winterfingen das Recht vor, nad) feinem Tode ihn um 104 Gulden wieder an ih zu faufen.
Nägelin muß bald darauf geitorben fein. Sein Nad)- folger wurde Her Michel. Anfangs Januar 1529 verließ er Winterſingen, da die Gemeinde entihieden zur Reformation neigte. Nun jtellte ſich Jakob Schlamp (Eslampanus), bis dahin Prieſter in Oberwil, aber evangelijh gejinnt, der Ge- meinde durch Predigten vor und gefiel ihr jo, daß fie ihn zu behalten wünjdte. Der Rat von Bajel empfahl ihn am 28. Sanuar dem Komtur von Beuggen, da ihm das Recht zu— Itehe, die Pfarrei zu bejegen. Allein der Komtur jeßte einen andern nad Winterlingen. Am 15. Februar wandte fi) der Rat abermals nad) Beuggen. Er wäre wohl geneigt, den Pfarrer zu dulden, „aber die gemeind vnd burjame dojelbit will in gar feins wegs aldo nit liden oder haben. Solt er nun vber iren willen vnd mit gwalt by innen verharren, modt zu letit im ettwas von innen begegnen, das im zu ſchwer wurde vnd ons ſeinet halben leyd were. Dar zu haben
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ir jelb woll zu gedenden, wy Jich leyder allerley dyjer Zeit zutreit, ond man den gemeinden vmb vermydung böjers vyl (das etwan nit beichehen) nachlaſſen mus“. Wenn eine andere Gemeinde frei werde, fei der Rat gerne bereit, fie dem Ber: trauensmann der Kommende zu leihen. Jakob Schlamp blieb in Winterjingen. Er verpflichtete fi, die Kirche von Winter: fingen „mit göttlicher leer ond gotsdieniten zu verjehen, den onderthanen vnd kirchgehörigen dajelbs das recht vnd war gotswort vß newem vnd altem Tejtament aud) anderen dhrijt- lihen jerübenten“ nad beitem Berftändnis und Vermögen anzuzeigen. Das ilt nod die Sprade des Reformations- mandates vom Jahre 1523. Er hat bis an drei Vierngel Dinkel alle Einnahmen zu genießen, dagegen Haus und Geſeß in Ehren zu halten ohne Schaden des Komturs.
Beim Tode follten alle verlajjene Habe und liegenden Güter an Beuggen, als feinen rechten und nächſten Erben zurüdfallen. Die legte Beltimmung wurde fpäter geitrichen, nahdem am 1. April die Reformation durchgeführt worden war. Denn |päter verfügt der Komtur wieder jelbit über die Gefälle und Hatte darum aud wieder die Baupflidt.
Bei Anlaß der Kirdhenrehnung im Frühjahr 1549 Hatte Pfarrer Schlamp den Deputaten eröffnet, daß das Pfarrhaus „dermaſſen jo gar vnerbuwen vnd in abgang fommen ſye, das er noch ein winther darinn zu enthalten, nit wußte”. Der Rat erfuhte den Komtur, als der die Zehnten Habe, das Pfarrhaus in Stand zu jtellen. Infolgedeffen wurde im Jahre 1552 zwijhen dem Komtur und dem Pfarrer ein Vertrag ge: ſchloſſen, wonach dem Pfarrer der Bruderzehnten für drei Sahre zugejagt wurde, der Pfarrer aber während jehs Jahren für die Baufojten aufzuflommen Hatte. Schon 1555 wurde aber der Vertrag dahin abgeändert, daß der Pfarrer für den genannten Zehnten während der nächſten drei Jahre je fieben Pfund an den Komtur zu zahlen Hatte. Dabei blieb es längere Zeit. Denn im Jahre 1575 erhielt der Komtur nod) diefe fieben Pfund. Der Pfarrer Hatte damals aber auch den
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übrigen Zehnten, der Beuggen gehörte, zu nußen, gegen eine Abgabe von 3 VBiernzel an das Ordenshaus. Dafür aber hatte er Behaufung und Chor in Ehren zu halten. Das war feine glüdlihe Abmadhung. Sie mußte zu Streit führen.
Sm Sahre 1592 gab Thomas Schorndorf feine Stellung in Winterfingen auf. Der Rat wählte Heinrih Ott zum Nachfolger, der 1589 Prediger auf Yarnsburg und gemeiner Helfer in der Landichaft geworden war. Der Komtur wollte nun aber von feinem Rechte, den Pfarrer vorzuſchlagen, Ge⸗— brauch maden, und präjentierte dem Rate Bernhard von Reinach, Pfarrer in Sitterdorf. Bafel gab aber feine Zu- ſtimmung nit, da der Vorgeſchlagene etwas gegen den Rat verunglimpft habe. Der Komtur madte einen neuen Vor— ſchlag. Er empfahl Antonius Wei von Kilchberg. Allein der Rat wollte auch von ihm nichts willen. Heinrich Ott hatte, als er in den Dienft der Basler Kirche trat, einen Revers unterjchrieben, daß er von ganzem Herzen das Dogma von der Ubiquität des Fleiſches Chrijti, der leiblihen Gegen: wart in, mit und unter dem Brot beim Tiſche des Herrn ver- urteile. Er gehörte zu jenem gut reformierten theologiſchen Nachwuchs, den Grynäus nahrüden ließ und dur den er „Die Wiedergeburt der Basler Kirche“ herbeiführte. Der Rat wollte ſich alfo feine Pläne vom fatholiihen Patron nit durchkreuzen laſſen.
Schorndorf hatte das Einkommen lieber für ſich als das Pfarrhaus verwendet. Der Nachfolger traf es darum in einem traurigen Zuſtande an. Der Komtur aber wollte nichts leiſten, ſondern wies den Pfarrer und die Deputaten an den Sohn Schorndorfs. Dieſer aber beſtritt, daß er etwas ſchuldig ſei. So geſchah die erſten Jahre nichts. Im Dezember 1597 beklagten ſich die Deputaten beim Rat, daß das Pfarr⸗ haus zu Winterfingen, „in welchem allbereit ein trem. füle halben hernieder gejunfhen, ganz prefthaft vnd jo bawlos“ lei, daß der Einfturz des Haufes zu befürchten und darum das Leben der Inſaßen gefährdet fei. Der Rat jandte Andreas-
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Ryff zum Komtur mit der Bitte, ihn gütlic) anzuhören. Der Komtur lehnte die Baupfliht ab und forderte den Rat auf, ih an den Sohn Schorendorf zu halten. Der Rat madte einen Verſuch, aber der Mann wollte nicht ſchuldig fein, etwas zu leiften. Am 25. Januar 1598 wurde der Komtur neuerdings aufgefordert, das Pfarrhaus zu bauen. Diejer wandte ji nun aber an den Landfomtur und erhielt zu Handen des Rates die Antwort, der Pfarrer von Winter: fingen jolle das Pfrundhaus „nad befter feiner Gelegenheit jetbit in feinen Eojten“ verbefjern. Die Angelegenheit mußte jegt forgfältig behandelt werden. Am 13. März wurde die Sache Dr. Samuel Grynäus zu bevenfen übergeben. Der rechtsverſtändige Mann mußte dem Komtur im Grunde recht geben, wenn er die Baupflicht ablehnte. Wenn der Komtur den Zehnten einnehmen würde, dann müßte er auch bezahlen. „Diweill aber der Pfarrherr den Zehnden vnd daz dem an— bangt, alleinig innimmt“, und der Komtur nidts davon zum Beiten habe, könne er eigentlich aud nicht zur Bezahlung an= gehalten werden. Es fünnte darum dem Komtur nur nahe gelegt werden: obwohl er in Winterlingen dur geringe Ein= nahmen habe, jo Habe er um fo größere in der Herrihaft Farnsburg, daß er den Bau wohl übernehmen könnte. Am beiten fei es, durch Mittelperfonen zu verhandeln und den Pfarrer zu veranlafien, einen Teil der Zehnten fallen zu lajien. Der Rat mahte beim Komtur nod) einen Verſuch, erreichte jedoch nichts. Denn der Komtur wandte ih nun noch einmal an den Landkomtur im Elfaß. Diefer lehnte in einem Schreiben an den Rat vom 3. Suni 1598 die Baupfliht ab, ja er drohte, falls der Rat auf feiner Forderung beharren wollte, fi) an jeine Majejtät den Kaifer zu wenden. Der Rat lenkte ein. Ryff verhandelte nun mit dem Pfarrer und bradte ihn dazu, daß er ſich bereit erklärte, jährlich neun Stüd fallen zu laſſen, daraus er das Pfarrhaus felbjt bauen wolle. Der Rat war nicht abgeneigt, das Anerbieten anzunehmen. Allein nun trug Hans Schorendorf fein Haus als Pfarrhaus an.
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Die Deputaten bejichtigten es, allein der Pfarrer ſelbſt wollte nichts davon willen und jegte feine Meinung dem Rate per- fönlih auseinander. Er anerbot fih nun, das Pfarrhaus nah Notdurft zu bauen, „Doc da ihm der Zehnden ganz vnd vngeſchmälert gelajjen werde“. Der Rat ließ es bei diejem Anerbieten bewenden. Er ließ das Pfarrhaus von Grund auf neu erbauen und lieferte auf die Bitte des Pfarrers das nötige Holz für den Bau. Was vom alten Hauje gebraudt werden fonnte, fand wieder Verwendung. Allein die Spar: famfeit war zu groß, wie ſich |päter zeigen Jollte.
Heinri Ott, der bis zu feinem Tode im Jahre 1629 in MWinterlingen blieb, Hatte nun mehr oder weniger Ruhe. Auch unter Huldreich Meyer, der am 18. November vom Rate tefommandiert wurde, fam es zu feinen Gtreitigfeiten. Um jo mehr aber unter feinem Nacdjfolger, Johann Jakob Straßer. Daß er der Bruder des Stadtichreibers von Bafel war, hat dazu auch etwas beigetragen.
Pfarrer Straßer hatte gehofft, feine Stellung zu ver: bejjern. Allein er erlebte glei) zu Anfang eine große Ent: täulhung. Er erfuhr, daß nit der ganze Zehnten dem Pfarrer zuftändig fei und daß das Land wegen der vielen Waſſergüſſe nicht mehr fo ertragreid) fei, „daß über 100 Ju— harten ganz nit mehr fünnen erbamwet werden“, und vieles faum mehr den dritten oder halben Teil abmwerfe. Das Pfarr: haus war in einem traurigen Zujtande, „war weder von feuer noch waſſer ſicher, inmaßen das wajjer vom berg durchs fundament folder geitalten ins hauß gedrungen, daß Die küchen und wen man nicht bei zeiten fo tag jo nacht fchöpft und wehrte, aud die jtuben davon hette mögen erfüllet werden.“ Zudem waren „der ölterid), bünen, böden wänd und anderes holtwerf zu grojjem teil faul mürb und brüdig und fonderlih das vom alten haus zum newen anfangs ilt genomen worden ...“ Die Scheune von Holz war nur mit Stroh bededt und mußte neu gebaut werden... „Summa mar in allem zugehörigen gebewen ein elendes wejen.“
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Wenn aljo der Pfarrer daran dachte, zu bauen, fo war es „fein Zujtbaute jondern ein Notbaute“. Er klagte erit feine Not den Deputaten. Sie wiejen ihn an den Kollator. Straßer reilte zum Komtur, der fi) Damals in Mellingen aufhielt und erhielt die Bewilligung zum Bau, aud) den Auf: trag, das Baumaterial herbeizufhaffen. Allein der Komtur wurde nun von einem alten Ordensdiener, dem Schaffner in Rheinfelden, darauf aufmerkſam gemadt, daß er nidts am Pfarrhaus zu Winterlingen zu bauen jhuldig jei, „Ds daher, weilen der zehnden dafelbit von einem Drdensprieiter da: felbit erfauft worden fei“ und darum der Bau des Pfarr: hauſes dem Pfarrverwejer zur Laſt falle. Der Sekretär des Komturs beeilte fi), mitzuteilen, daß fein Herr nichts be- zahlen werde und daß der Pfarrer mit dem Kauf des Bau: holzes jtillitehen ſolle. Straßer Flagte wieder bei den Depu— taten, richtete aber nichts aus; er wandte fih nun an den Dberitzunftmeifter Brand. Diefer gab ihm die beruhigende Verfiherung, wenn der Komtur verjprodhen habe, zu bauen, müfje er jein Verjpreden aud) Halten. Straßer fünne das Geld, das er in Händen Habe, vorläufig ans Pfarrhaus ver- wenden. Straßer befolgte den Rat, mußte aber eine Obli- gation unterjchreiben und fie 1657 wieder erneuern. Der Bau wurde gleichwohl ausgeführt und der Pfarrer mußte die Kojten bezahlen.
Sm Fahre 1651 war der Chor reparaturbedürftig.. Vom Pfarrer und den Deputaten wurde nad) dem „gemeiner Land— haft Capitel Protofoll“ behauptet, daß der Komtur die Behaufung und das Chor in der Kirche in ziemlihem Bau und Ehren erhalten müſſe. Allein der Komtur weigerte ſich, nachdem der Bau vollendet war, die Koſten zurüdzueritatten. Der Pfarrer Hatte nun aber ſchon feit zwei Jahren die drei Biernzel Korn und fieben Pfund, welde er dem Ordenshaufe ‚abzuliefern Hatte, nit mehr erjtattet. Als er nun wieder bei feiner Weigerung verharrte, jhrieb der Komtur erft an Theodor Burdhardt und eine halbe Woche jpäter an die Der
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putaten. Den erftern ließ er willen, Straßer fei von den Deputaten angewiefen worden, folange nichts zu geben, bis der Komtur fih zur Erhaltung des Chores verjtehe, und er- innerte daran, daB vor fünfzig Jahren von Pfarrer Ott ein ähnliches Begehren geitellt worden fei, allein der Pfarrer habe das Pfarrhaus jelbjt bezahlen müſſen. Den Deputaten aber erflärte er, daß die drei Viernzel Korn und fieben Pfund: nichts anderes als eine NRefognitionsgebühr für die Kollatur jeien und daß die Herren vernünftigerweife einjehen müßten, daß er um ein fo geringes folde Koften wie die des Chors nicht übernehmen fönnen, während der Pfarrer den ganzen. zehnten habe. Der Pfarrer jandte nun aber den Deputaten. ein Verzeichnis der Baufojten, die er feit feinem Aufzug in Winterlingen bis zum Jahre 1653 „zu erbauung und ver= befjerung“ des Pfarrhaujes erlitten Habe. Gie beliefen fi) auf 571 Z 10 4. Der Pfarrer aber meinte, wenn ihm nit die Auslagen erjtattet würden, wäre er „der arbeitjeligite Pfarrer zu jtadt und land vor andern, denen alles, warn fie nur ein ziegel ftoßen, ein jcheiben einfeßen oder ein baum fügen lajjen, ja das minſte maden laſſen, wider erfeßet und das geringite bezahlt wird“.
Die Deputaten fahen fih nicht veranlaßt, den Pfarrer zur Herausgabe der zurüdbehaltenen Zinfen aufzufordern, oder aud) nur nad) Beuggen zu antworten. Der Komtur wiederholte darum am 20. Dezember feine Bitte, daß Straßer die 9 Viernzel und 21 Pfund abliefere. Dasfelbe geihah am 23. September 1655 und 7. Dezember 1656. Die Sache wurde aber auch dem Pfarrer läſtig. Er madte daher am 15. No= vember 1657 den Vorſchlag, wie die Streitigkeiten zu Tiqui= dieren feien, nämlich dadurd, daß dem Komtur die beweis- lihen Urfunden zugeſchickt würden, damit er fie widerlege oder gutheiße. Allein es ging vorerſt nichts in der Sache. Am 2. Februar 1659 hatte der Rat feinem Schreiber wenigitens den Auftrag gegeben, die Rechnungen des Schaffners von Beuggen fih anzufehen und der Streitigkeiten fih anzunehmen. Die
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Stage fam in Fluß, und Pfarrer Straßer fand wenigitens Gelegenheit, nachdem er feit zwanzig Jahren unter diejen verdrieklichen Streitigfeiten gelitten Hatte, und obwohl „er der gebühr nach an rechten orten geklagt“, nicht an ein Ziel gefommen war, dem Bürgermeijter Tohann Rudolf Wett: ſtein „aus dem fundament“ zu berichten.
Er erzählte von feiner Enttäufchung, die er in Winter: fingen erlebt hatte, berichtete, wie er nur ein Stüd Vieh habe halten fönnen, fo daß er fein Erbe angreifen mußte, um Land zu kaufen, und wie jeßt das Pfarrhaus neu gebaut werden jollte, weil die Gefahr beitehe, daß der Dachſtuhl ein- falle. Wenn er jet nod) diefen Notbau zum andern bezahlen jollte, wüßte er nicht, woher er das Geld nehmen follte. Er babe fajt fein Geld einzuziehen. Die Frucht fei ſchwer zu ver: faufen. An Löhnen für Träger, Fuhrleute und Dreier gingen von den 70 Biernzel 10 Biernzel ab. Er habe eine große Haushaltung, fünne feine Söhne nicht bei ich haben, müſſe fie vielmehr an andern Orten mit jchweren Koften halten. Keinem Pfarrer jei es jehlechter ergangen; wenn er die beim Salzamte obligierte Schuld zahlen müjje, jo gerate er mit Weib und Kind in die größte Armut. Während zwanzig Sahren habe er fi oft an die Deputaten gewandt, mande gute Woche mit Kopieren von Urkunden verbraudt, mit vielem Supplizieren und Gollizitieren es verſucht und doch nichts erreiht. Darum erſuchte er nun den Bürger: meijter, dafür zu forgen, daß die ausjtehenden Pfarrgüter der Pfarr wieder zugejtellt würden, was gegenwärtig mit den Zehnten nit richtig fei, in Ordnung käme und vor⸗ nehmlich daß vermöge uralter Dokumente der Komtur zum Bau des Pfarrhaufes und des Chores angehalten werde und ihm, was ausiteht, erjtattet werde. Längere Zeit ging in der Sache nihts. Die Deputaten waren der Anficht, daß reifliche Ueberlegung nötig fei. Man entihloß fih zu einer Kon ferenz. Gie fand anfangs Februar ftatt. Der Romtur lehnte die Pflicht, Pfarrhaus und Chor zu bauen, ab. Infolgedeſſen
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wurde Straßer aufgefordert, feinen Wechſel einzulöjen. Der Pfarrer bat den Stadtihreiber und die Deputaten, man möchte ihn doch dazu nicht zwingen. Die Deputaten verjudten es noch einmal beim Landfomtur im Elfaß, eine Einigung herbeizuführen. Allein über die gegenjeitige Verſicherung, daß man den langen Streit beendigt wünfche, famen die Ber: handlungen nit hinaus.
Das Salzamt madte aber jebt feine Yorderung geltend. GStraßer wurde aufgefordert, das Kapital von 215 Z jowie Die aufgelaufenen Zinfen zu bezahlen. Wieder jchrieb er an Die Deputaten und den Stadtſchreiber, wie die Schuld mit Gewalt von ihm eingefordert werde, „von den 356 Z, Io mir zugehören, höre ich nicht ein einiges Wort“. Der arme Mann! Geit zwei Jahren war er „mit jchwerem leib- geprälten“ behaftet. Er follte eine Kur maden und dazu eine weite NReije unternehmen. Go bat er die Deputaten um Geld, damit er feine Gejundheit wieder erlange.
Mie die Deputaten geantwortet haben, ijt nicht mehr zu erfahren. Ein Jahr fpäter ſtarb Straßer. Der Komtur madte bei den Erben die 33 Viernzel und 70 7 die im Laufe der zehn Sahre aufgelaufen waren, geltend, Tieß ji) jedoch her— bei, aus jonderem Reſpekt zum Rate und „aud) pflantung vndt erhaltung Triedliebender nachparſchaft willen vndt gan feiner jeyuldigfeit“ die Schuld gänzlich aus Gnaden zu erlajjen.
Die Deputaten waren aber des Gtreites müde. Die Kommende Beuggen konnte zum Bau des Pfarrhaufes nit verpflichtet werden. Sie ſchlugen darum dem Rate vor, das Deputatenamt möge in Zufunft die Baupflidt des Pfarr- haufes übernehmen, dagegen follte jedes Jahr vom Zehnten ein Teil zurüdbehalten werden. Wenn etwas namhaftes am Chor zu bejjern fei, follte der Komtur von den Deputaten be: langt werden dürfen. Der Rat gab am 27. April 1661 feine Zuftimmung und feßte einen Zehntel als Quote fejt, weldhe der Pfarrer an das Deputatenamt zu leilten hatte. Das war ein Glüd für den neuen Pfarrer.
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Denn Ihon im folgenden Jahre gab das Pfarrhaus zu Auseinanderjegungen Anlaß. Der Pfarrer wünjhte nämlid eine Vergrößerung durch Erhöhung. Der Werkmeiſter von Bafel riet aber nad) genauerem Zufehen davon ab, in diefen alten Steinhaufen mehr Geld zu fteden, empfahl vielmehr einen Neubau. Auch die Scheune follte neu gebaut werden. Die Deputaten gaben ihre Zuftimmung, der Bau wurde durch— geführt und fojtete 1200 Gulden. Seitdem beftritt das De- putatenamt aud) die Unterhaltskoiten.
Nur noch in einem Punkte fam es zwiſchen der Kom: mende und den Deputaten zu Konflikten. Im Sahre 1676 mußte die Kirche vergrößert werden. Der Chor verihwand. Der Umbau Eoftete 3209 Z 5 ß 4 d. Gemäh dem Beſchluß vom 27. April 1661 wurden 200 Gulden — 250 Z dem Komtur auferlegt. Die Deputaten hatten nämlich ausgerechnet, daß der Chor 750 Z gefojtet Habe. Da aber das Deputatenamt 9 Biernzel, der Komtur aber drei Viernzel beziehe, jo Jollte er an die Summe 250 % letiten.
Am 24. Juli 1680, vier Jahre nad) dem Bau, beichwerte ih der Komtur gegen dieſe „neuerliche“ Auflage. Als zwei Sahre jpäter ein neuer Komtur, Friedrih von Baden, Die Zeitung des Ordenshaufes übernahm, ging er mit dem Rat einen Vergleich ein. Am 15./25. September 1682 erklärte er fich bereit, 130 Gulden zu bezahlen. Am 18. Mai des Tolgen- den Jahres löſte er fein Verſprechen ein.
Unter Samuel Grynäus mußten an der Kirche an dem Drt, „wo das Chor gewefen“, einige Reparaturen vor genommen werden. Der Pfarrer fonnte, da „eigentlid fein Chor“ mehr in der Kirche war, den Komtur mit Not dazu bringen, daß er die halben Koften bezahlte. Als aber im Sahre 1765 an Pfarrhaus und Kirche allerlei gebaut und ein Voranſchlag von 300 7° vorgelegt wurde, da überließ der Rat es den Deputaten in Zuftimmung zu ihrem Bedenken, die Re: paraturen vorzunehmen.
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Zu einem weitern Streite ijt es in der Folge nicht mehr
gefommen. * * % .
Baſel hatte ſchon früher Anftrengungen gemacht, die Kol: Iatur der Gemeinden Buus, Gelterfinden und Winterlingen in feinen Befi zu bringen. Aber alle früheren Anläufe waren erfolglos verlaufen. Erjt nachdem Beuggen durd die Beitimmungen des Prekburger Friedens vom 26. Dezember 1805 aufgehoben und als Staatspomäne erflärt worden war, fam nah langen Verhandlungen mit Baden am 21. April 1821 ein Vergleich über die Zehnten und Bodenzinsgefälle zultande, welche Beuggen und Säckingen in der Landidhaft hatten. Man einigte fih auf eine Summe von Fr. 13 325, welche Bajel an Baden zu bezahlen hatte. Durch dieſen Los— fauf wurde Bajel „in das Eigentum des vollen Rosfaufs- Kapitals aller Zehndengefälle nebit Interejjen, welche die ehemalige Kommende Beuggen in den bafeliihen Gemeinden Buus, Gelterfinden, Tednau, Ormalingen, Hemmifen und Winterfingen zu beziehen hatte, förmlich eingefebt, jowie hin— gegen Bafel von nun an alle auf dieſen Zehndengefällen ruhen- den Lajten“ übernahm. Der Vertrag wurde am 8. Juni 1821 von Baden und am 2. Juli 1821 von Bajel ratifiziert.
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Als die Landſchaft ſich von der Stadt trennte, fand ſie, was die Kollatur der Pfarreien betraf, reinen Tiſch vor. Denn ſämtliche Pfarreien wurden vom Rate beſetzt. Es be— durfte nur eines Federſtriches, um die Beſetzung der Pfarreien in die Hand der Gemeinden zu legen. Am 21. September 1832 wurde im Namen des ſouveränen Volkes vom Landrat beſchloſſen, daß die „Gemeinde ihren Seelſorger durch ge— heimes Stimmenmehr zu wählen hat“, eine Beſtimmung, welche durch das Geſetz über die definitive Beſetzung der Pfarrſtellen vom 6. Dezember 1832 ihre Beſtätigung erhielt.
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Kin Basler Stammbud des 17. Jahrhunderts. Don Paul Meyer.
Der Braud, Stammbüder zu führen, anfänglid) eine Liebhaberei adeliger Kreije, gewinnt mit der Zeit von den Fürſtenhöfen aus Durch die Gelehrten Eingang in den Reihen der Akademiker und hernach aud in patriziſchen und an- gejehenen bürgerlihen Kreijen, und es findet in ihnen die Kenntnis der antiken Literatur, bejonders der Philojophie und Poeſie, ihren Niederſchlag. Später bemädtigt fi) dieſes Brauchs vornehmlich die jtudierende Jugend, um zäh daran Teitzubalten. Man nimmt alsdann das Stammbud) mit auf Reifen und auf fremde Univerjitäten, nachdem ji) vorher die alademilden Lehrer ſowie VBerwandtihaft und Freundichaft darin verewigt haben, man jtellt an die Spite die Ahnen: galerie als wertvolle Legitimation in der Fremde, wo es ebenfalls den Namen der Profeſſoren und andermweitiger No— tabilitäten offen ſteht. Als wertvoller Zierat dienen die manderlei häufig von Berufsmalern eingetragenen Wappen.
Diefem allgemein üblichen Brauch folgend übergab am 1. Mai 1603 Jonathan Meyer zum Hirzen, jeit 1581 mit Anna $roben, der Tochter des Buhdruders A m: brojfius Froben und der Salome Rüedin, in zweiter Ehe feit 1589 mit Elijabeth Helwedin ver: heiratet, in feinem 46. Lebensjahr feinem dreizehnjährigen Sohn Jakob ein Album oder Stammbud, weldes zunädjlt das Andenken an die um Staat und Wiſſenſchaft verdienten
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Vorfahren und alle diejenigen bedeutenden Zeitgenojjen in Ehren Halten follte, mit denen ihn fein fünftiger Lebensweg allenfalls in Berührung bringen würde. Die Bekanntſchaft mit den rühmliden Leiltungen feiner Ahnen ſollte den Stammbudinhaber anjpornen, es jenen wenn immer möglidy gleichzutun. Es wird der Süngling dem Gegen des Aller- höchſten anbefohlen, und es haben denn nun zwei Jahr— hunderte lang, von 1603 bis 1803, Fürſten und Mdelige, Männer von Anjehen nah Stand oder Willenihaft den jeweiligen Inhabern des Stammbuds in allerhand der Bibel, den Kirhenvätern, den Schriftitellern des Altertums, ans gejehenen zeitgenöjliihen Autoren oder aud der Weisheit von der Gaſſe entnommenen Sprüden und GSentenzen ihre Zuneigung und Freundſchaft, ihre Hochſchätzung und Aner- fennung in deutſcher, lateinijcher, griechiſcher, hebräiſcher und ſyriſcher, ferner italienifcher, franzöjiiher und englifcher Sprade ausgeſprochen. Dffenbar haben die vielen Namen von zum Teil jehr gutem Klang dem jeweiligen Inhaber des Stammbuds auf Jeinen Reifen und Aufenthalten im Aus— land die wertvolliten Dienjte geleijtet, ihm mande Türe in erwünjchter Weije geöffnet und ihm beijer gedient als der beſte Reifepaß.
Nach der Sitte der Zeit benüßte Tonathan Meyer ein angejehenes Buch jener Zeit und durchſchoß es mit weißem Papier (daher der Name Album) zum Zwed der Ein- fragungen.!) Das Bud, deſſen er ſich bediente, find die 1580 in Genf erjhienenen „Scones“ von Calvins Nachfolger Theodor Beza, eine mit Borträts und Emblemen ausgeitattete Sammlung von lateiniihen Biographien hervorragender, meijt um die Reformation hochverdienter Männer geiltlihen und weltliden Standes. Bevor das Stammbud) in andere Hände fam, wurde es mit einer Art FYamiliengenealogie
1) Vgl. Alb. Burdhardt über das Stammbud) des $. 3. Grynaeus im Jahresbericht des Vereins für das Hiftor. Mufeum für das Jahr 1897.
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verjehen, in welder die Stellung der einzelnen Yamilien- glieder zur Reformation nachdrücklich betont war. Alle übrigen Eintragungen find ganz willfürli im Buch herum zerftreut. Leider Hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahr— hunderts ein Buchbinder beim Neueinbinden das Stammbud) derart beichnitten, daß Häufig Name, Datum und Ort der Eintragung zum Teil unlejerlih wurden und zum Teil gänzlich verfchwanden.
Unjer Stammbud) beginnt mit einem Pentagon, defjen Spiten von dem Sprud aus dem Brief an den Timotheus „Gottſeligkeit ijt zu allen Dingen nüße“ in griechiſcher Sprache umgeben Jind; die in den fünf Dreieden und im Fünfeck ent- haltene Schrift iſt zum Teil verblihen und nicht mehr zu ent— ziffern. Wenn dem jungen Jakob Meyer vom Vater und andern Berwandten die Ahnengalerie recht deutlich vor Augen gehalten wurde, jo geihah dies, abgejehen von einer Dolis Ahnenjtolz, die wohl mit unterlief, in der Hauptſache gewiß in der Erwägung, daß eine angejehene Ahnenreihe dem her— anwachſenden Geſchlecht auch moraliſche Verpflichtungen auf- erlege, denen nachzukommen Chrenjade des Nachwuchſes fein müſſe. Zur nähern Orientierung mag ein furzer Rüdblid auf Sonathan Meyers Ascendenz dienen.
Der um die Körderung der Reformation verdiente Bürgermeijlter Jakob Meyer zum Hirzen (1470—1541) hinterließ einen Sohn, den Ratsherrn und Deputaten Joh. Rudolf Meyer (f 1565); deſſen Sohn aus der Che mit Agnes Billing war Jakob Meyer (1524—1604), Pfarrer zu St. Wlban; diejfer Hatte als Schüler zu den Füßen der Reformatoren Oswald Myfonius und Simon Grynaeus in Bafel, des Capito, Bucer und Hedio in Straßburg und: des Melandthon in Wittenberg gefejlen. 1955 trat er in Predvigtamt und Chjtand. Anderthalb Jahre amtierte er in Arlesheim, hernad) im marfgräfifchen Britberg bei Sulz— burg, alsdann in Muttenz und feit 1564 zu St. Alban in Bajel. Nahe Verwandtihaft verband ihn noch ganz be-
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Tonders mit den Neformatoren; denn feine Gattin Agnes Capito war die Tohter des Straßburger Neformators Wolfgang Fabricius Capito aus der Che mit MWibranda von Rofjenblatt (1504-1564), die in erfter Ehe mit Magijter Ludwig Keller aus Bajel, in zweiter feit 1528 mit Defolampad, in dritter mit Ca— pito und endlid mit dem Reformator Bucer vermählt war. Die Söhne von Pfarrer Jakob Meyer zu St. Alban find Sonathan Meyer (1557—1633), der Stifter unjeres Stammbuds; Wolfgang Meyer (1577-1653), Dr. theol. und Profeſſor der Dogmatik und ebenfalls Pfarrer zu St. Al—⸗ dan, befannt durch fein unerjchrodenes Auftreten als Dele- gierter des Basler Rats an der Synode zu Dordredht 1618, und Jakob Meyer; diefe Brüder find mithin mütter- licherjeits Enfel des Reformators Capito. Ihre verwandt- Ihaftliden Beziehungen zur Familie Bucer gereichten ihnen injofern zum Vorteil, daß jie einen von König Eduard VI. zu Ehren des Reformators Bucer, der nad) jeiner Ver: treibung aus Straßburg eine Theologieprofejlur in Cam: bridge erhalten Hatte, ebendajelbjt am Collegium Gt. Trini- tatis gejtifteten Yreiplag beanjpruden durften. In der Tat hat Wolfgang Meyer 1597—1601 in Cambridge jtudiert und iſt als Lizentiat der Theologie von dort heimgefehrt, und es hat Jonathan Meyers Sohn Jakob fpäter den Weg ebendahin auch gefunden. Jonathan Meyer jcheint in jungen Jahren in der Welt herumgefommen zu fein. Durd) feine erjte Gattin Anna wurde er der Todtermann des Buhdruders Ambrofius Srobenius, eines Entels des großen Sohannes Frobenius; Ambrofius betrieb mit feinem Bruder Yurelius Erasmus %robenius das Buchdrudergewerbe; fie gaben u. a. den Talmud heraus. Höchſt wahrſcheinlich war Jonathan Meyer in der Froben— ſchen Offizin tätig, was aus ſeiner Grabinſchrift bei Tonjola hervorgeht und wofür auch der Umſtand ſpricht, daß ein Bud)- druder „Janus, ein welſcher Truder, jo by inen zu Eſchemer
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vorstatt damalen“ war, feiner Tochter Salome zu Gevatter ſtand. Durch feine zweite Frau, Eliſabeth Helwedin, trat Sonathan Meyer neuerdings in Beziehungen zu Buchdrucker— familien, nämlid in folde mit Mihael Sfengrin aus Brudjal und mit Thomas Guarinus aus Tournay, die beide in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in her— vorragender Weile an der Blüte der Basler Budhdruder- funft Anteil Hatten. Uber jpäter löſte Sonathan Meyer feine Verbindung mit dem Drudereigewerbe, die ihm immer: hin zu wertvollen perjönlichen Beziehungen mit Gelehrten : nah und fern mag verholfen haben. Yortan begegnet er uns als Klingentalfhaffner; auch ſcheint er der Grabinſchrift zu— folge jih mit Witwen: und Waifenangelegenheiten befaßt und dabei öfter den Dank diefer Welt geerntet zu haben. Mir wenden uns nun zur Hauptperjon des Stammbudjs, zu Sonathans Sohn Jakob Meyer (1590—1622), über dellen Leben wir leider, die fpärliden Notizen des Stamm- buchs abgerechnet, nur dürftigen Beſcheid willen. Bereits wurde erwähnt, dak dem Dreizehnjährigen der Bater das Album zu fleikigem Gebraud) ftiftete. Schiden wir voraus, daß Jakob, nahdem er in Bajel und auswärts Theologie ſtudiert hatte, Gemeinhelfer wurde, dann nochmals auf Neijen ging, nachher Pfarrer in Großhüningen und 1618 zu St. Elijabethen in Baſel wurde und als folcher erft 32jährig jtarb mit Hinter: laſſung eines Sohnes Jakob aus feiner Ehe mit Urjula Rüdin. Diefer Jakob wurde ſpäter Pfarrer zu St. Beter. Jakob muß, den Eintragungen im Stammbud zufolge, ein begabter, jtrebjamer und Tiebenswürdiger und nicht zuletzt auch, getreu dem Borbilde des Vaters ein jehr gajtfreund- licher junger Mann geweſen fein, was in jener |hwülen Zeit der Gegenreformation und des feine Schatten porauswerfen- den dreißigjährigen Kriegs, welde die Protejtanten aller Länder zu engern Zuſammenſchluß trieb, für den Einzelnen von größtem Wert fein und auch eine gewiſſe Garantie für die Sicherheit des Reiſens bilden mußte. Empfehlungen von
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Staatsmännern und afademifhen Lehrern, von Studien- freunden und Kollegen haben dem jugendlichen Reiſenden gewiß mande Freundihaft vermittelt. Im allgemeinen iſt Jakob gewiß nur dem Braude feiner Zeit gefolgt, wenn er auf Reifen ging, und der Trieb, fi) in der Welt umgujehen, den geiltigen Horizont zu erweitern, und nicht zuletzt das Snterefje am Schickſal der Glaubensgenojjen in Deutjchland, Holland, England und Frankreich wird feine Schritte geleitet haben; ob er dabei etwa aud aus höherm Auftrag irgend- welhe Miflionen übernahm, vermögen wir nicht zu beant- worten, doch wäre es nicht undenkbar.
Verſuchen wir nun, ein annähernd anjhaulides Bild vom Inhalt des Stammbuds zu gewinnen. Gelbjtveritändlich find die Berjonalia ſehr vieler darin genannter Leute nicht mehr jeltzuitellen, jo daß fie für uns verihollene Größen bleiben. Den Reigen der Dedifanten eröffnet am 31. März 1603 in bezeichnender Weile ein Hugenott, Eſa ye du Maß de Montmartin, der fpäter in feinem Baterland die Würde eines «depute general des églises protestantes> be- fleidete. Er verdankt manderlei im Haufe Jonathan Meyers genoſſene Gaſtfreundſchaft, anerkennt das viele in Bajel empfangene Gute und freut ji, im Stammbud) hievon Zeug— nis ablegen zu dürfen, bevor er der gaftlihen Rheinſtadt den Rüden fehrt. Diefem Dank ſchließt fih Bruder Gedeon de Montmartin unter Berufung auf die von Horaz (Carm. III. 2.) gepriejene «virtus» (Virtus recludens in- meritis mori caelum negata tentat iter via?) etc.) an zum heiligen Gedenfen einer Heiligen Freundſchaft; er jehreibt: «Viro nobilitate familiae, rerum experientia, eruditionis va- rietate ac acerrimi denique judicii prudentia, d®°. Jonathae Meyero, haec in sacrum sacri amoris amicitiaeque aeternum conservandae monumentum, ponebam Basileae.»3) Die Be-
2) Mannhafter Sinn läht Würdige nicht dem Tod,
Gen Himmel führt er fie die verbotne Bahn.
3) Dem Manne von vornehmer Abkunft, Kenntnis der Dinge, Vielfeitigfeit des Wiſſens, Klugheit und Scharflinn des Urteils,
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ziehungen zu diefen beiden Hugenotten haben wohl fpäter, 1609, dem 19jährigen Jakob Meyer Zutritt zu den Hugenot- tifhen Kreifen Frankreichs verfhafft, wonon fpäter. Eben: falls 1603, im Juni, wendet fih an den jungen Jakob unter ſchmeichelhaften Verbeugungen vor feiner Ahnenreihe der mit Sonathan Meyer befreundete Andreas Knuthius Ve- lalius aus Belgien. Er nennt ihn Schüler und empfiehlt ihm, das geijtige Erbe jeiner Väter treu zu pflegen. Und nun folgen fi die Dedifationen in rafcher Reihenfolge. Unterm 8. Suli 1603 figuriert, von Züri) aus datiert, als Widmung ein nicht ungelhidt folorierter Kupferitich, das Porträt von Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger, und auf der andern Geite das Iorbeerumrahmte Bullingerihe Wappen, welches ich, jo verlichert fein Enkel Heinrih Bullinger, Pfarrer und Profeſſor in Zürich, «adpingi curavi in gratiam summae spei adolescentis Jacobi Meyeri»,*) offenbar nad) der land— läufigen Sitte durch einen der damals zahlreichen Berufs: wappenmaler. Aus eben der Zeit (Suli 1603) jtammt das vom Profeſſor der hebräiihen Sprade in Zürid, Kaſpar Waſer, gejtiftete Wappen feines Schwiegervaters Joſias Gimler (1576), das nun neben Simlers Porträt in Bezas „Icones“ gereiht wurde. Endlich folgt no vom November 1603 von der Hand des Ihon genannten, damals nahezu achtzigjährigen Großvaters, Pfarrer Satob Meyers zu St. Alban, Enfels der Wibranda NRojenblatt, Schülers und Zodtermanns von Capito, eine großväterlich treue und liebe- volle Anſprache:
«In sui recordationem Tui aedificationem
j us avus octogenarius ppe Nposuit J acob⸗ * o nepoti tredenario. 280)
Herrn Jonathan Meyer ſchrieb ich dies in Baſel als heiliges Denk— mal heiliger Liebe und auf ewig dauernder Freundſchaft. | 4) Habe malen lafjen für den jungen zu höchſter Hoffnung be- rechtigenden Jakob Meyer. nt 5) Zu feinem en > ‚Ihrieb / der nahezu ahtzigjährige Deiner Erbauung dies Jakobd Bei breigeßnjährigen. nte
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Vom 12. Suni 1604 ftammt eine hübſche Wappendedt- fation: „Dem zühtigen und gelehrten Jüngling Jacob Meyern dem jüngern, feinem lieben Bettern, verehrt dißes, feinen dorby zuegedenden“ Seb. Spörlin (1560—1644). Das lorbeerumfränzte Wappen Spörlin:Hagenbad iſt von vier weitern Wappen flankiert, nämlich denjenigen der Yamilien Krug, Stofar, Brand und Birr (?). Jakobs Lehrer Beatus Helius (1552—1620), Pfarrer, Profejjor und jeit 1590 Gymnaſiarcha in Bajel, weit den Schüler an Hand des Kirdhenvaters Lactantius auf den Weg des Guten: «Hanc admonitionem de dupliei via vitae humanae ego, prae- ceptor tuus Joann. Beatus Helius, amandissime Jacobe, ideo adscribere volui, ut subinde, relictis vitiis, ad virtutem ad- spirares, spretisque terrenis, ad caelestia contenderes.>®)
Der nächſte Eintrag begegnet uns erft vier Jahre fpäter, 1608, und fommt ſamt beigefügtem Wappen von Joh. Safob Grajfjer, <sacri palatii et consistorii imperialis comes, eques auratus, civis romanus>?) und iſt von Bafel datiert. Im Herbſt 1608 erlangte Jakob Meyer den Ma- giftergrad; «publicum in Academia patria 'testimonium Ma- gisterii obtinuisti ... .»8) bemerft in feiner Widmung fein Lehrer Amandus Polanus a PBolansdorf am 15. Dftober 1608, der überhaupt auf den jungen Theologen einen bejtimmenden Einfluß ausgeübt zu Haben fcheint. Po— lanus, in frühern Jahren als Hauslehrer von Göhnen aus adeligen Familien in Genf, Bajel und Heidelberg tätig, neigte als Theologe jtark zu calviniftifhen Meinungen; er unterhielt lebhafte Beziehungen zu den Proteftanten Eng-
6) Diefe Ermahnung über die zweierlei Wege des Menſchen⸗ ‚lebens, wollte id, dein Lehrer Joh. Beatus Helius, dir, mein lieber Jakob, deshalb Hinjchreiben, damit du fortan das Böſe meiden und nad) dem Guten ftreben, das Irdiſche veradhten und das Himmlijche aufſuchen möchteſt. |
?) Kaiſerlicher Pfalggraf, gefrönter Ritter, Bürger des rö⸗ ; milden Reichs (deutjcher Nation).
8) du Haft an der heimiſchen Univerfität das öffentliche Zeugnis der Magiiterwürde erhalten.
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lands und dürfte daher Meyers Entſchlüſſe zu den Reifen in die Hugenottifchen Kreife Frankreichs, nach Zondon und nad. Cambridge in den Jahren 1608—1612 jtarf beeinflußt haben.
Anfangs November taudt Jakob Meyer zum eritenmal. in Baris auf, und am 5. November trägt fih Sir George Carew, der von 1605—1609 daſelbſt engliſcher Gelandter war, mit folgenden Worten ein: «miles, serenissimi Britan- niae Regis legatus Residuus apud Henricum quartum Galliae Regem.»?) Zwei Tage jpäter folgt mit dem Motto: «Adhuc mea messis in herba est»10) Nathbanael Taylor, Sere- nissimi Regis Britanniae Legati apud Henricum Quartum Galliae regem verbi Dei minister.»1!) Hier aljo unzwei- deutige Beziehungen zu einem englifhen Theologen, wobei wir uns erinnern, daß an der Univerlität Cambridge das Bucerjhe Stipendium Angehörigen der Meyerihen Familie zugänglich war, und daß jomit allerlei Fäden von hüben und drüben die Protejtanten, wie überhaupt aller Länder, jo aud im bejondern Englands und der Schweiz miteinander ver: Banden, und aud) deutlich wahrnehmen, wie leicht eine Wid- mung im Stammbud die Brüde zu einer neuen ſchlug und. fo als Empfehlung in der Fremde diente. Bald treten nun mehr und mehr die Beziehungen zu den hugenottiſchen Kreijen Frankreichs hervor, die in Bafel und fpäter in Paris an- gebahnt wurden.
Am 24. November 1608 begegnen wir Meyer in Saumur (Dep. Maine et Loire), wo jeit 1593 eine protejtantifche, aus Frankreich, Großbritannien, Holland und Deutichland ftarf be— ſuchte Afademie blühte. Hier öffnete das auf Schritt und Tritt auf die Reformation Hinweifende Stammbud feinem Inhaber ohne Zweifel mandes Haus. Mit dem tapfern Wahlfprud
9) Ritter des erlaudten Königs von England, refidierender Gejandter bei König Henri IV. von Franfreid).
10) Noch jteht meine Ernte im Wachstum.
1) Rath. Taylor, Diener am Worte Gottes beim Gejandten des Königs von England am Hofe des Königs Henri IV. von Frank—
reich. | 79
<Arte et Marte»12) verewigte ji) darin der in Baſel vermut- lich nicht unbefannte, mit Schwert und Feder allzeit eifrige Borlämpfer der Hugenottenfahe Philippe de Mornay (1549—1623). Er war 1565 von Genf nad) Heidelberg ge-
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teilt, da liegt Doch die Vermutung nahe, daß er Baſel be- rührt und hier Befanntichaften geſchloſſen Habe. «Amicitiae perpetuae symbolum adscripsi Salmurii.»13) Mornay war in |pätern Jahren Gouverneur der Stadt Saumur, und fein geringerer als Voltaire anerkannte ihn «comme le plus ver- tueux et le plus grand homme du parti protestant». Wieder: um von Saumur datiert, aber erſt vom 13. Sanuar 1609, jo daß wir uns Meyer als Zuhörer der dortigen Afademie- »orträge werden voritellen dürfen, ijt eine Widmung des Rektors Magnifitus der Akademie Saumur und protejtan- tiſchen Geiſtlichen El(?)odius a Trodhoregia. Die vielen Sinn: und Wahljprühe, mit denen fih Meyers Freunde im Stammbud) einitellten, find großenteils religiöfen oder zum mindeiten erniten Inhalts, was ſich bei der dama- ligen Spannung der Weltlage und der allgemeinen Unjider- heit in Dingen des Glaubens zur Genüge erflärt. So ſchreibt ‚der genannte Geijtliche: «Ornatissimo Adolescenti, cum vir- tute ac pietate claris orto majoribus, tum in optimam spem assurgenti, In amicitiae perennis, ut spero voveogue, sym-
12) rei: mit Rat und Tat. 3) Ein Wahrzeichen immerwährender Freundſchaft habe ich in Saumur bingejchrieben.
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bolum, hoc manus mentisque meae monumentum raptim ad- scripsi.»!%) Zudem ermahnt er ihn: «Age nunc quod mori- tionalfynode in Vitré (öftlih) von Rennes) präfidierte. Vier turus agas.»!5) Am 10. April 1609 folgt — Meyer hat offen: bar die Hugenottifchen Städte des Landes bereilt — ein Sprud des Geiltlihen von Thouars (im Süden von Saumur), Andre Rivet (1572—1651), eines berühmten Theologen und fchneidigen Gegners der Katholifen, der 1617 die Na- Tage fpäter erinnert Sacques Merlin (1566—1620) von Aupella, d. h. La Rocelle, der in Genf ftudiert und fi aud) in Bern und Zürich umgejehen hatte, und feit 1589 ein be- liebter Prediger in La Rocdelle war, feinen Beſucher in grie- Hilher Sprade an das Abſchiedswort des Apoftels Paulus an die Ephejer (Ap.geſch. 20. 35), Daß Geben jeliger ſei als Nehmen, und fährt mit dem Stoßfeufzer fort: «O curas ho- minum! O, quantum est in rebus inane!>1®)
Nun folgt eine längere Baufe; erit am 2. Oftober treffen wir unjern Wanderer in Vitré, wojelbjt der Paſtor Joh. Barentius mit dem Sinnjprud: «Plus sis quam videri velis»!17) fih im Stammbud) verewigt, wobei er an die in Bajel gepflegte Freundſchaft mit dem unterm Jahr 1603 erwähnten und mit ihm verwandten Gedeon de Montmartin anfnüpft und wohl deshalb aud die Rüd- ſeite des von letterm beichriebenen Blattes benüßt. Gleich— zeitig ermahnt er feinen Beſucher, nit Hinter dem Ruhm der Borfahren zurüdzubleiben und den wahren Adel nicht auf eine erlauchte Ahnenreihe, jondern auf hervorragende Geiftes- tühhtigfeit abzuftellen. «Qui enim imagines in atrio ex- ponunt et nomina familiae suae longo ordine ac multis stem-
14) Dem von feinen durch Tüchtigkeit und Frömmigkeit be= rühmt gewordenen Borfahren abjitammenden, hocdhgeehrten, zu ſchönſter Hoffnung beretigenden Tüngling habe ich als Wahrzeichen einer, wie ich hoffe und gelobe, unvergänglidhen Freundſchaft diefes Andenken an meine Feder und Gelinnung in Eile aufgejchrieben.
15) Tue heute ſchon, was du im Sterben tun wirft.
16) Ach, die Sorgen der Menjchen, wie eitel find doch die Dinge!
m) MWolle mehr fein als jcheinen.
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matum illigata flexuris in prima parte aedium collocant noti magis sunt quam nobiles.»18) Wohl bei diefem Aufenthalt Meyers in Frankreich dürfte die Eintragung eines hoch— angejehenen Namens erfolgt fein, bei welcher Teider feine Angabe weder des Ortes nod) der Zeit beigefügt ift, nämlich des „ECharlesde Colligny fils de l’amiral de Colligny amy de sa patrie Andelot.». Das Basler Neujahrsblatt von
1897 erzählt, wie die Tochter des Admirals Coligny, Witwe eines ebenfalls ermordeten Hugenotten, mit ihren Brüdern, dem fiebzehnjährigen Franz und dem zehnjährigen Karl d’An- delot Ende Dftober 1572 auf allerlei Ummegen nad) Bafel fam und fi hier etwa ein Jahr lang aufhielt. Meyer wird wohl in Bajel Gelegenheit gefunden haben, ji) mit Empfeh- lungen an den Sohn des berühmten Hugenottenführers zu verjehen. Er führte den Titel eines Marquis d'Andelot, Icheint aber im übrigen dem Namen jeines Vaters feine Chre gemadt zu haben, indem er den Ruf eines «ambitieux in- trigant, indigne du nom qu’il portait» hatte.
Aus dem Sahre 1610 beligen wir zwei Eintragungen von fürftfider Hand, leider ohne genaue Angabe von Ort und Datum. Die eine jtammt von „Ludwig Yriedrid Herzog zu Württemberg“ und ilt von dem Wahl-
18) Denn wer die Ahnenbilder im Vorraum aufhängt und die Namen feiner Familie in einer langen durch viele VBerzweigungen des Stammbaums verbundenen Reihe im anjehnlidhiten Teile des Haufes aufitellt, ift mehr befannt als vornehm.
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ſpruch «secundum voluntatem Deis19) begleitet; der Schreiber war ein Bruder des als Glied der proteitantiihen Union (1608) befannten Herzog Johann Friedrich von Württemberg (1582—1628) und erhielt von diefem 1617 durch Vergleich die Herrihaft Mömpelgard und die eljäfliichen Gebiete. Auf der Reife von und nad) der genannten Stadt lag Baſel am Weg, und an Anlaß, Belanntihaft zu fchließen,
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19) dem Willen Gottes gemäß.
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fehlte es nit. Die andere Widmung verdantte der Stamm- buchbefiger dem Landgrafen Mori von Heffen, der das Motto <«Consilio et virtute»20) empfiehlt; als Teil- nehmer am großen Freiſchießen des Jahres 1605 war er eine in Bafel wohlbefannte Größe. Die nun folgenden Aufzeid)- nungen zeigen uns Meyer vom Mai 1610 bis zum Juni 1611 in London und vom September 1611 ab wieder in Bafel, wo er als Gemeinhelfer amtierte. Im Mai 1610 trägt fih in London mit dem Wahliprud) <quo fata vocant>?!) ein jemand ein, von dejlen Unterſchrift («Haec scribebat Londini mense mayo Daniel... .»22) wir danf der Un— geihidlichfeit des Buchbinders nur den Bornamen mit einiger Sicherheit zu enträtfeln vermögen. Merktwürdiger: weije hat jih der Stammbudinhaber in zwei Fällen aud) diejenigen im Album notiert, mit denen er Dedifationen aus- taufhte. Bon der nämlichen Schrift finden wir als Adreſ— faten notiert einmal «Wolfgango Gulielmo Neweburgico Pr(incipi?) a secretioribus consiliis et apud Regem Angliae legato»23) und das andremal «Joanni Friderico Wirten- bergensi D. a secretioribus consiliis et apud Regem Angliae legato». Auch fonit traf Meyer in London mit deutſchen Glaubensgenofjen zujammen, fo mit einem Benjamin Bumwindhaufen de Wallmerod (Naſſau), ferner mit Hipp’sa Collibus (1561—1612), der es mit dem fchnei- digen Wahlſpruch hielt „Grad zu trifft am beiten.“ Er war der Sohn eines NRefugianten aus Wlejlandria und nahm im legten Viertel des 16. Jahrhunderts als Profejlor der Inſti⸗ tutionen und ſpäter als Stadtſchreiber und Nachfolger Wurſtyſens in diefem Amt eine angefehene Stellung in Baſel ein, fcheint aber ein ftreitbarer und unruhiger Kopf gewejen
20) Mit Klugheit und Tapferkeit.
21) wohin das Schidjal ruft.
2) Dies jchrieb zu London im Monat Mai...
23) Dem Wolfgang Wilhelm von Neuburg, geheimem Rat und Gejandten beim König von England (lebte 1578—1652 als Pfalz- graf und Herzog von Neuburg und Berg-Tülid).
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zu fein, der es nirgends lange aushielt. 1591 trat er in die Dienite Chrijtians von Anhalt, der ihn zu politiiden Miſ— fionen, u. a. aud nach England, braudte. Und dann fchliekt fh no) am 3. Auguſt 1610 Johannes Sfytte, der Ge- landte Karls IX. von Schweden am englifhen Hofe an mit dem mahnenden Sinnſpruch «Rien sans paine>.
Die nächſte Eintragung erfolgte erjt am 13. Mai (alten Stils) 1611 in Cambridge dDurh „Sohbannes Young Scoto-Britannus“, einen Theologen, der feine Denkſprüche in bebräifcher, griechilcher und lateiniſcher Sprade zum beiten gibt. Die uns vorliegenden Widmungen enthalten hödjt felten eine perjönliche Note, die ein erwünfchtes Licht auf die Veranlaffung der Dedifation, auf die momentanen Berhältniffe, Pläne oder Abſichten des Stammbudjinhabers würfe, auch) bewegen fie jich häufig in ftereotypen Redensarten, die einer dem andern nadiärieb, oder in hergebradten Komplimenten gegen den Beſucher und feine Ascendenz; über die mit den Reifen ver: bundenen Abſichten dagegen verlautet nichts, und wir müſſen in Uebereinjtimmung mit den damaligen Sitten uns mit der Annahme begnügen, Meyer Habe als junger Theologe und überzeugter Proteſtant die auf der heimiſchen Aniverfität begonnenen Studien und gefnüpften Bande der Freundſchaft in Sranfreihs Hugenottilden und Englands hodfirdlichen Kreijen weitergefponnen und jeinerfeits als Werkzeug dazu gedient, auf perfönlidem Wege die Beziehungen der Prote— ftanten untereinander befejtigen zu helfen. Die Gelegenheit, die vielfach genoſſene Gaftfreundihaft reichlich zu vergelten, itellte fich jpäter in weitgehendem Maße ein. Am 4. Suni 1611 gibt wiederum in London „Symeon Rutingius ecclesiae Londino-belgicae pastor“ dem Domino Jacobo Meyero zu bedenfen, daß «omnes humanae vitae molestiae sunt aut praevidendae prudenter aut vitandae consulte aut ferendae patienter.>22) Und Tags darauf fehreibt ſich der
24) daß alle Mühjal des Menjchenlebens entweder flug voraus- gejehen oder vorjihtig vermieden oder geduldig ertragen werden fann.
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„Medicus Londinensis G ul. Clement“ ein und erinnert daran, daß «Non qui multa habet, sed qui nihil cupit, dives>25) jei. Die nädhftfolgende Eintragung erfolgt im September 1611 Basileae Rauracorum durch einen Hieronimus Praetorius. Es folgt nun das an Reifen und daher auch an Dedi- fationen fruchtbarſte Jahr 1612. Es beginnt mit Widmungen basleriider Freunde und Gönner, jo des Ratsherrn Joh. Zucas Iſelin fenior, der einen horaziiden Vers nad chriſtlicher Denkweiſe zurechtgeſtutzt Hat; ihm ſchließt ji Ludwig Iſelin (1559-1612), Profeſſor der Inſtitu— tionen, mit einer ſtark an das horaziſche (Carm. III. 3) «justum et tenacem propositi virum>2®) anflingenden, aber gefhidt in chriſtliches Empfinden umgebogenen, das unerjchütterliche Gottvertrauen preijenden Strophe an. Am 23. März «post reparatam mundi salutem>?7) folgt eine Widmung des Bel- giers Henricus Scalidhius, der mit einem Sprud) des hl. Augustinus aufwartet, und dann nod eine ſolche vom 31. März des Theologieprofejlors Sebajtian Bed, dem Reilegefährten Wolfgang Meyers an die Dordredter Sy— node. Und nun jtellt ſich Teßterer felber mit einer endlid) auch einmal perjönlich gehaltenen Widmung ein. Er hat als Oheim ohne Zweifel die Reijepläne feines Neffen nit wenig beeinflußt und hätte wohl am liebiten, wenn die Ber: hältnifje es gejtattet hätten, den jungen Theologen nad) dem ihm von vierjährigem Aufenthalt Her wohl befannten Cam: bridge begleitet. So begnügt er fi, feiner ungeftillten Reife- ſehnſucht mit einem Hafjiishen Zitat Luft zu maden und zu ſeufzen: «O si liceat sequi!»28) ;, er verfpriht dem jungen Mann, ihn wenigjtens in Gedanken zu begleiten und hängt noch folgenden Stoßjeufzer an: „Mit je größerer Freude du an England denken darfit, deito größer iſt anderfeits meine Niedergefchlagenheit; denn von alledem befomme id jeßt 25) Nicht wer viel bejißt, ſondern wer nichts begehrt, (ijt) reich. 260) Ein Mann des Redts und feinem Entſchluſſe treu.
=) nad) Erneuerung des Weltenheils. 3) Wenn id) Bir folgen dürfte.
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nichts zu jehen; überhaupt ijt das Leben bitter (er hatte un— Tängit feine Gattin verloren), und es fehlt nichts mehr, mein ſchweres Herz noch ſchwerer zu maden, wenn du nit durch Beſchleunigung deiner Rüdfehr zur Erleichterung meiner Ge- drüdtheit beiträgft.“ Wie Wolfgang Meyer vor Zeiten, mit Empfehlungsireiben, fogar an die Königin Eliſabeth, wohl verfehen, dem «ignis atque indelebilis cupido caeteras Te- giones praesertim Angliam perlustrandi, principesque theo- logorum illice commorantes adloquendi atque audiendi»2°) nachgegeben und nad erfolgreihem vierjährigem Aufenthalt in Cambridge als Licentiat der Theologie heimgefehrt war, jo wird er dem Neffen in der Ausführung feiner Reiſepläne mit Rat und Tat beigejtanden Haben.
Sm April 1612 brach Jakob Meyer wiederum nad) Eng- land auf. Sein Meg führte ihn zunädjt nach Heidelberg, wo er ji) jeit dem 8. April ins Stammbud jhreiben läßt. Als Reifeftationen begegnen uns ferner Frankfurt, Amfterdam, Leyden und Rondon. In Heidelberg traf er offenbar Kom— militonen, die früher in Bajel ftudiert Hatten, und fand mit den Empfehlungen der Basler Profejjoren offene Türen. Als erfter begegnet uns im Album M. Joh. Philippus Bareus (Mängler; 1576—1648), ein befannter Philologe, Theologe und Schulmann; jeit 1598 Hatte er in Bajel unter Grynaeus und Bolanus ftudiert, Hatte Hier den Magiftergrad erworben und fi dann zu Beza nad) Genf begeben. 1610 treffen wir ihn in Heidelberg; fpäter war er Rektor der berühmten Caſimirianiſchen Schule in Neujtadt a. 9. Der Dreißigjährige Krieg jptelte ihm übel mit; denn die Spanier brachten ihn um jeine Bibliothef. Später war er Rektor der lateiniſchen Schule in Hanau, und ein Sahr vor feinem Tode erhielt er von der Basler Univerjität den theologijchen Doktorhut. Im Stammbud Tegte er den Sinnjprud) nieder
29) dem feurigen und unaustilgbaren Wunſch die übrigen Länder, insbejondere England, zu durchreifen und die dort woh- nenden Führer unter den Theologen anzuſprechen und anzuhören.
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„Er növov aAdos“.3%) Es folgen ein Barthbolomaeus Coppen und Dr. theol. Quirinus Reuter, leßterer mit dem Denkſpruch: <«Sursum mens specta, terrenaque despice cuncta>3!) ; au) er wirkte als Lehrer am genannten Cafimirianum und ſpäter als Profejlor in Heidelberg. Ferner treten aufein GeorgWilhbelmLingelsheim mit dem hausbadenen «medio tutissimus ibis>32), ein Thefjentus a Cizwiz mit der Mahnung: <tempora, tempore, tempera Schicke did in die Zeit“
und dem Troftwort:
„Ein getreuer Freundt undt gutes Swerdt
Sft in der noht viel geldes fwerth“ und ein Fridericus a Bodedh mit dem Denkiprud: <Vir sapiens omnium rerum mensura»33) und dem franzö- fiihen <Vertu surpasse richesses. Zwiſchenhinein ſuchte Meyer in Frankfurt feinen Landsmann, den nachmaligen Bürgermeijter Joh. Rudolf Fäſch auf, der ihn unterm 15. April daran erinnert, daß «Pietas ad omnia utilis.>3*) Ende April treffen wir unfern fahrenden Theologen wieder in Heidelberg; am 28. des Monats trägt fi der Schaffhaufer Franz Ziegler mit dem Sinniprud ein «Tout par amour> unter Beifügung des Troftwortes: „Wer da jtirbet, ehe er jtirbt, der ftirbet nit.“ Dann folgt noch ein Basler, deflen Name mit Sicherheit nicht zu entziffern ift.
Mir laſſen unjern Kandidaten nun rheinabwärts reifen, vermutlich porzugsweije per Schiff. Gründe, ſich an der alten Pfaffengaſſe länger als unbedingt nötig, aufzuhalten, wird er nicht gehabt haben. Erjt in Amijterdam zieht er fein Stammbud) wieder hervor. Er fam ungefhhlagener hieher, als weiland fein Oheim Wolfgang, der auf der Reiſe nah
%), Der Mühe Preis it Ruhm.
a) Aufwärts ſchaue, 0 Herz, verachte nur alles auf Erden. 32), Sn der Mitte wirſt du am fiherjten gehen.
3) Ein weiler Mann iſt ver Mapitab für alle Dinge.
3) Gottjeligfeit ift zu allen Dingen nüße.
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Cambridge 1597 bei Weſel von ſpaniſchen Marodeuren war verwundet und ausgeplündert worden. In Leyden madte Meyer am 8. Mai die Befanntihaft des Dr. theol. Conrad Vorſtius (1569—1629), der ihn aufnimmt unter Bermahnung auf 2. Kor. 6. 8 <ut seductores, sed veraces> (Sondern in allen Dingen lajjet uns beweijen als die Diener Gottes... .. als die Verführer, und doch wahrhaftig). Er itammte aus einer (fatholifhen) Kölner Familie, jtudierte in Herborn und Heidelberg, hielt fih 1595 in Bafel und Genf auf, wo Beza ihn zu halten ſuchte; ſpäter wurde er Theologie= projellor in Leyden. Er galt als Socinianer und follte der Heidelberger Fakultät feine Orthodorie nachweiſen. Von der Dordredhter” Synode wurde er 1619 wegen feiner feße- riſchen Schriften verurteilt. Act Tage fjpäter jtattet Meyer dem Sugendfreund feines Dheims Wolfgang, dem Pfarrer Sohbannes Arnold, einen Bejuh ab. Seine mit einem Zitat aus Tertullian gejpidte Widmung gilt dem «Pietate, Eruditione, Morumque candore Ornatissimo viro D. JACOBO MAYERO Basiliensi viri elarissimi S. Th. Dris, amici mei integerrimi nepoti.>25)
Es folgt nun die Meberfahrt nah England. Gegen Ende des Monats treffen wir Meyer in London, wo er fi zu: nächſt an einen franzölifhen Hugenotten, Qud. Cappellus (1585— 1658), anſchließt. Er jtammte aus einer angejehenen Familie und galt als ftandhafter Vertreter des reformierten Glaubens. Auf Beranlajjung der reformierten Kirche von Bordeaur Hatte er vier Jahre Hindurh Großbritannien, Belgien und Deutfchland bereilt und jtand mitten in den Stürmen der franzöliihden Glaubensfämpfe. Geit 1613 war er Profejlor in Saumur. Wohl aus feinen Erlebnijjen und Erfahrungen Heraus jchreibt er ins Stammbud: «Quicunque
35, Dem durch Frömmigkeit, Bildung und Unbejcholtenheit des Charakters ausgezeichneten Manne, Herrn Jakob Meyer aus Bajel, dem Neffen des berühmten Mannes und Doftors der h. Theologie, meines redlihen Freundes.
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Christo vult beatus vivere, illum necesse est in dies sibi mori.236) Mit Fraftvollem Ernit ſtand Capellus für feinen Glauben ein und entwidelte auch eine nahhaltige willen: ſchaftliche Tätigkeit, die ihn u. a. mit dem ältern Joh. Bur- torf in Bajel in Berbindung bradte. Ihm folgt am 28. Mai «anno salutis recuperatae per unicum Jesum Christum> der Geijtlihe an der Gabrielsfitde Sacobus Meddus, und fo diente wohl jede Empfehlung zur Gewinnung einer neuen, öfter als Reiſepaß und häufig genug wohl auch zur Vermitt- lung eines Freiquartiers. Am 2. Juni trug ji) ein Gelehrter von beitem Klang ein, Sfaac Cajfaubonus (1559— 1614), der große Univerjalgelehrte, der als Juriſt, Theologe und bejonders als Philologe zu den führenden Geiftern feiner Zeit zählte. Er jehreibt: «Isaac Casaubonus scribebam et
AACLS arauboses
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360) Mer in Chrifto jelig leben will, ver muß tagtäglid) fi ſelber jterben.
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omnia fausta ac laeta tibi vir eruditissime a Deo optabam.>37) Sn voller Wertihägung diefer Dedifation ermangelte der Stammbudbeliger |päter nicht, das Todesjahr des großen Forſchers ausdrüdlih) anzumerfen.
Noch im Suni 1612 traf Safob Meyer in Cambridge ein, diesmal nicht zu bleibendem Aufenthalt wie jein Oheim Wolfgang, jondern zu vorübergehendem Beſuch. Cs ift wohl möglid, daß er zur Uebernahme amtlicher Verpflichtungen (er wurde nad) feiner Rüdfehr Pfarrer in Großhüningen) ih) binden mußte, auf einen beitimmten Termin in die Hei- mat zurüdzufehren. Es würde zu weit führen, all die zahl- reichen Studiengenofjen, Gelehrten und Profeſſoren, mit denen Meyer hier in Kontaft fam, und die feinem Stammbud) ihre Wünſche, Mahnungen und Warnungen anvertrauten, auf: zuzählen; find es doch Heutzutage meiſt verjchollene Größen. Meyer fand Gelegenheit, Grüße von feinem Oheim zu be- jtellen und fi) damit Häufer und Herzen zu öffnen. So treffen wir ihn bald bei verjehiedenen Mitgliedern «Collegii sanc- tissimae Trinitatis38®) in Academia Cantabrigiensi» (9. Juni 1612), wo 15 Jahre früher fein Oheim Jich feines Freiplatzes gefreut hatte, bald aud) bei einem Mitgliede «Collegii Christi in eadem Academia» oder einem «ex collegio meo Divi Jo- hannis Evangelistaey, welches ihn mahnt: «Omnia lege, per- lege, nihil horribilius quam in eo statu vivere in quo non audeas mori.239) Auch ein Vertreter «Collegii Divi Petri» (am 25. Juni), jowie ein ehemaliger Studiengenojje Wolf— gang Meyers und nunmehriger Geiftlicher fchreiben ſich ein. Neben den Engländern taudt ausnahmsweije aud) ein Deut- \her auf, Gedeon Birher aus Schleſien, der in Cam: bridge jtudierte und durch das Band der Sprade fid) zu dem Schweizer hingezogen fühlte. Selbſtverſtändlich Hojpitierte
7) Das jchrieb ih Iſaac Cafaubonus und wünſchte dir, ge- lehrter Mann, von Gott alles Gute und Schöne.
38) der heiligiten Dreifaltigkeit.
39) Lies alles, betrachte es gründlich, nichts ijt Schlimmer, als in einem Zuftande zu leben, in welhem man nicht zu fterben wagt.
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Meyer auch in Borlefungen, was durch folgende Aeußerung bejtätigt wird: «Jacobo Majero Sacrae theologiae Candidato et in scholis Cantabrigiensibus sedulo Auditori, in honorem script, Johannes Richardson in eadem aca- demia Professor Regius.>%%) Schon Anfang Juli (Calendas) it Meyer im Begriff, weiter zu ziehen. Darauf deutet der Gruß, den ihm der Profeſſor am Collegium Trinitatis Thomas Comberus (1575—1654) an feinen Gtudien- freund und Meyers Oheim mit auf den Weg gibt: «Orna- tissimo doctissimogue viro D. Jacobo Meiero Basiliensi hoc amicitiae testimonium adscripsi Thomas Comberus, quo me tibi doctissimoque viro D. Wolfgango Meiero patruo tuo mihi charissimo quem visurus discedis commendatissimum semper esse cupio. Valeas in Christo foelieissime.»t!) Thomas Harrijon (1556-1631) aus London, dur hebräiſche Sprachkenntniſſe ausgezeichnet und durch feine ftreng puri- tanijhe Gejinnung befannt, wünſcht ihm aud alles Gute zum Abſchied, ebenjo der praefectus eines Kollegiums, der aus= drüdlih von Meyer zu einer Widmung gepreßt zu fein er- fHärt. Sodann fügt der Theologieprofefjor Soannes Da- venant von Cambridge bei: «Haec scripsi rogatu doc- tissimi juvenis Jacobi Meyeri cui opto felicem in patriam reditum.>*2) Und zum guten Ende empfehlen fi) zwei Tiſch— genojjen aus Kleve und Jülich angelegentlih zur Fortjegung der in Cambridge eingefädelten Freundſchaft.
Zunächſt führte der Meg unfern Schweizer zu furzem
40) Jakob Majer, Candidaten der heil. Theologie und fleißigem Zuhörer in den Cambridger Hörſälen, zu Ehren hat dies Joh. Richardſon, kön. Profeſſor an der genannten Akademie, geſchrieben.
4) Dem geehrten und gelehrten Herrn Jac. Meyer aus Baſel babe id, Thomas Comber, diejes Zeugnis der Freundſchaft hin- geihrieben, um mid) dadurch dir und dem gelehrten Herrn Wolf- gang Meyer, deinem Oheim, den du nad) deiner Abreije aufjuchen wirst, nah Wunſch angelegentlih zu empfehlen. Lebe recht wohl in Chrifto.
42) Beifolgendes habe ich auf die Bitte des gelehrten jungen
Jacob Meyer gejchrieben, dem ich eine glüdliche Heimkehr ins Vater: land wünſche.
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Beſuch nah Drford. An wirffamen Empfehlungen fehlte es auch hier nit. Doch Scheint der Aufenthalt dafelbft nur von ganz furzer Dauer gewejen zu fein. Meyer traf hier Landsleute, einen Joh. Rudolf Heß aus Zürid) und einen Marcus Stapfer; beide trugen fih ins Stammbud) ein, außerdem auch einige Profelloren. Bis Anfang September bleibt das Stammbud ftumm. Nun muß der Heimweg an- getreten werden. Am 5. September weilt unfer Reifender in Paris und vom 6. Oktober an in Genf; wo er ih zwifchen: hinein aufgehalten, wird nit erfihtlih. Aber im prote- ftantiichen Rom Itattet er eine Anzahl Beſuche ab, zunädft bei Antonius Fagus, bei Gabriel Cujfinus und bei dem Graubündner Caſpar Alerius oder Alelc. Letzterer war 1617 evangelifher Pfarrer in Sondrio, wurde aber offenbar durch die Kriegswirren aus feiner Laufbahn geworfen; 1621 geriet er auf der Reife nad) Heidelberg bei Breiſach in Gefangenſchaft, wurde erit 1625 frei, befleidete fpäter eine Profeſſur in Genf, wo er aud) theologifche Werke berausgab. Dem «D. Jacobo Meyero Basiliensi charam pa- triam post longas felicesque peregrinationes repetenti>3) widmet „Simon Goulart Silvanectinus in Museo San- gervasiano“, ein Franzoſe aus Genlis, der feit 1564 an Cal: nins Stelle Pfarrer in Genf und durh Mitarbeit an einer franzölifhen Bibelüberfegung befannt war, unterm 7. Ok— tober einen Denfiprud aus dem Kirchenvater Auguftin, der zur Demut mahnt. Ueber den 10. Oftober hinaus find feine Spuren Meyers in Genf feitzuftellen, jo daß wir nicht irre gehen werden, wenn wir ihn um diefe Zeit nad) Bajel zurüd- fehren lajjen.
Mit dem Jahre 1613 nehmen die Stammbudeintragungen in Bafel ihren Fortgang. Es begegnen uns zunädit am 6. März zwei Grafen von Ortenburg, Johann Phi— Iipp und Heinricd, beide zeichnen als «antiquioris pro-
43) Dem die teure VBaterftadt nad) langen und glüdliden Wan: derungen aufluchenden Herrn 3. M. aus Bajel.
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sapiae Comes Ortenburgicus>.2*) Gie entjtammten einem Kärntner Geſchlecht, das elſäſſiſche Bejigungen des Haujes Deiterreihh inne Hatte, woraus ihre Beziehungen zu Baſel fih leicht erflären, das ihnen ähnlich wie den Herzogen von Württemberg als Wbjteigequartier diente. Noch intimer wurden indeſſen ihre Beziehungen zu Bajel, jeitdem fie fi) zum evangeliihen Glauben befannten. Go finden wir denn ihre Namen auch in einem Götziſchen Stammbudjt5) ; auch hat ihrem Geſchlecht jpäter, um 1650, Baſel in der Perſon des nachmaligen Antiltes Peter Werenfels einen Hofprediger ge- ſtellt. Heinrichs Denkſpruch Tautet: «Vincet qui sub luce, Deo duce, pro cruce pugnat.>#) Cr fügt bei: «Memoriae ac benevolentiae ergo serbt. Basileae.»?”) Und nun beginnen die Herren Engländer, fi) zu revandieren und die Gelegen- beiten wahrzunehmen, auf der Durchreiſe über Bafel ihren Jakob Meyer aufzujuhen. So im Juli 1613 zum erjtenmal ein im übrigen unbefannter Engländer. Am 13. Juli folgen zunädit zwei Basler, Joh. Georg Wildiſen und Jo— hannes Rodolphus Wildyfius mit dem Sprüch— fein «L’arc trop tendu se rompt>; am 14. Auguſt folgt Aber a⸗ ham Musculus (Müslin), ein Abfömmling einer alten Berner Paitorenfamilie, und nun ein auf der Abreiſe von Bajel begriffener Engländer, Thomas Jefferay, der den zurüdbleibenden Freund mit den Worten tröltet: <Caelum, non animum, mutant, qui trans mare currunt.>*8)
Am 14. Januar 1614 bietet die Hochzeit eines gewiſſen Bringhaim einigen Freunden franzöliiher Abkunft Anlaß, ih im Stammbud) zu verewigen. Bald darauf ſcheint Meyer Sreunde in Schaffhaujen bejuht zu haben; es [chreiben ſich
#4) Graf von Ortenburg ältere Linie,
) Vgl. Alb. Burdhardt a. a. DO.
46) Siegen wird, wer unter dem Lichte, unter Gottes Führung für das Kreuz kämpft.
4) Schrieb es zu Bafel um der Erinnerung und des Wohl» wollens willen.
#) Nur den Himmel vertauscht, das Herz nicht, wer über das Meer jet.
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>22 5) 0007
dDajelbft im Februar ins Stammbuh Joh. Taf. Ziegler, Pfarrer Joh. Conrad Koh und Joh. Conrad Am- mann, ferner «Reipublicae Scaphusianae Consul Henricus
'Schurtius>, jodann der vielgewandte Staatsmann und. Geijt:
lie 305. Segler jenior «paternae Ecclesiae Minister>4°) und Antiltes Melhior HYurter. Am 12. März erhielt Meyer den Bejuh des Engländers Sacobus Bromel. Dhne nähere Datierung außer der Sahreszahl 1614 figuriert mit dem Motto «Quo sublimior eo submissior>50) ein Graf Wilhelm Otto von Iſenburg und Büdingen, dem fi) unter Beifügung des Wappens aud Graf Bhilipp Ernitvon Sfenburg und Büdingen anfdließt, und als dritter gefellt jich ihnen ebenfalls mit feinem dreifad) zufammengejegten Wappen Graf Conrad Ludwig von Solms bei. Am 16. Auguft empfängt Meyer den Beſuch eines Sobannes Cloppenburgh, der als eriter dem Basler Freund, der mittlerweile zu Amt und Würde ge- fommen war, «praestantissimo doctissimoque viro Jacobo Meyero, ecclesiae Basiliensis diacono»51) feine Widmung darbietet.
Es muß im allgemeinen auffallen, wie die vielen Wahl: und Sinnſprüche unferes Stammbuds mit geringen Aus— nahmen, ein durchaus ernites Gepräge tragen; Humor und Scherz fehlen beinahe gänzlich, obſchon unter den Benüßern des Stammbuchs auch Studierende find, die jonjt ihrer Herzen Gedanken ergießen; und doch weiß man zur Genüge, daß ander= wärts die Jugend gerade aud) in Stammbüdjern ihrer Phan— tafie nad) feiner Richtung Hin Zügel anlegt. Die Erklärung für diefen befonders erniten Charafter unjeres Stammbudes werden wir hauptjählid darin finden, daß es meijt Theo: logen find, die zum Teil der Würde ihres Standes nichts
#9) Diener der vaterländiichen Kirche.
50, Je erhabener, deito demütiger.
5) Dem vortreffliden und gelehrten Manne Jacob Meyer, Diakon der Basler Kirche.
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vergeben wollen, zum Teil aber aud in hohem Grad vom Ernſt der Zeit durhdrungen find; lebte man doch in der Periode der ſchärfſten Gegenreformation, da weitblidende Beilter den friegerifhen Ausgang der fonfejlionellen Zwiitig- feiten als etwas Unvermeidlidhes anfahen und unter dem laſtenden Drud banger Ungewißheit ftanden. Wie ſchon er- wähnt, waren die Anfnüpfungspunfte, die Meyer in Eng- fand gefunden, vielfadh) von Dauer und trugen ihm manden Beſuch von Engländern auf der Hinreife nad) und der Rüd- teife von dem Feſtland ein, jo 3. B. am 5. September 1615 denjenigen des Drforders Johannes Rous (1584—1644), der in Cambridge jtudiert hatte und 1607 Magiſter geworden war. Rous verleiht jeiner Wahrheitsliebe mit folgendem Zitat Ausdrud: «Mentiri nescio; librum, si malus est, nequeo laudare»52) und fpridt die Hoffnung aus, „es mödte die To glüdlih angefangene Freundſchaft niemals erlöfchen“. Das Sahr 1615 eröffnet H9ermannus Xignaridus (Dürrholz), aus Deutfchland gebürtig, ſpäter Theologie profejjor in Genf und Bern; er trug fih im Stammbud ein als «S. Theologiae in schola bernensi professor». Nun folgen zwei Zürdher, Sohbann Steiner Vater und Sohn, beide Theologen. Meyer bejuhte den Sohn in Züri, den Pater in Baden, wo er nad) guter Zürder Gitte feinen Aus: fpann nahm. Reichlich erwiejene Gaftfreundfhaft «propter summum in me amorem, dum ibi fui peregrinus>d3) (der Reit iſt leider weggejchnitten) verdanft Gregorius Whright aus England, desgleihen au Gregorius Baro Berfley Anglus, der ſich in Bafel aufhielt, ſowie in italienijhder Spradhe der Engländer Nicola Hares. Anfangs 1616 verewigt ih im Stammbud „QuciusPapa, minister ecclesiae Samadenae in Engadina superiore apud
62) Ich kann nicht lügen und vermag nicht ein Bud, wenn es Tchlecht ift, zu Toben.
83) Megen der reichlich mir erwiejenen Liebe, fo lange ich da- Telbit ein Fremder war.
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Rhetos“,52) er ftammte aus dem Puſchlav und tat fi durch Ueberjegungen theologiſcher Literatur ins Romaniſche hervor. Des weitern begegnen wir einem Friedrich Lingels- heim, deſſen Vater Meyer in Heidelberg fennen gelernt hatte und dem Engländer Richard HYHangarins aus Cambridge, der feiner Widmung beifügt: «Hoc exaravi amoris ergo in aedibus doctissimi Jacobi Meyeri Basileae mi- noris.»55) Die nun folgenden Engländer zählen zu den poli- tiſchen Größen und find in politiider Million auf der Durd- reife nad) Venedig begriffen. Da taucht zuerit ein Rihard Seymour auf, der am 30. April ſich mit den Worten ein- trägt: «In amoris testimonium hoc reliquit Richardus Sey- mour Anglus Basiliae in transitu ad Venetos trigessimo die Aprilis an. dni. 1616.56) Sein Reijegeführte Rober- tus Barnius fügt unter dem nämlidhen Datum bei: Jacobo Mayero viro (ubique) Cantabrigiae potissimum de Anglis omnibus bene merito hoc amoris symbolum reliquit Basileae in transitu ad Venetias Robertus Barnius Anglo Cantianus.»5”) Gr hält jih an den Wahliprud: «Virtus sola vincit omnia.58) Und als dritter im Bunde fchliekt fid) mit dem Motto «Cum scientia conscientia»5®?) am 2. Mai, indem er gleichzeitig auf eine vorangehende Dedifation feines Bruders Bezug nimmt, SjaacBargravius (1586—1643), mit den Worten an: «Eidem subscripsit Thomae frater, Isaacus
5) Geiltliher der Kirche zu Samaden im Oberengadin bei den Bündnern.
5) Das habe ich in der Wohnung des gelehrten Jakob Meyer in Kleinbafel aus Liebe aufgezeichnet. (Gemeint ijt die Wohnung Sonathan Meyers ‚der Tennier-(Antönier)hof‘).
56, Zum Beweis der Liebe hat dies der Engländer Rich. Seymour in Bajel auf der Durchreije nach) Venedig am 30. April a. d. 1616 Dinterlaffen.
57, Dem (überall) bejonders in Cambridge um alle Engländer wohlverdienten Herrn 3. M. hat dieſes Zeichen der Liebe in Balel auf der Durchreiſe nad) Venedig der Engländer Rob. Barnius aus ‚Kent hinterlaffen.
88, Tüchtigkeit allein überwindet alles
59, Mit dem Willen aud) das Gemijjen.
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Bargravius, nobilissimo Henrico Wottonio, secundo St. Re- gis Angliae ad Venetos legato, a Sacellis. Basileae, in tran- situ ad Venetias. May. 2. 1616.60) Er reijte in der Eigens Ihaft eines Gejandtihaftspredigers; der Gejandte jelber, Sir Henry Wotton (1568—1639), jtellte fih ein paar Wochen ipäter ebenfalls in Bafel ein und Hinterließ feine Spuren unter dem Wahlſpruch: «Philosophemur>6!) nebjt folgenden Begleitworten im Stammbudh: «Scribebat Basileae XXVII MDCXVI Fastis Julianis Henricus Wottonius Anglo-Can- tianus Optimi Regum quantuluscunque legatus in transitu ad Venetos.»62) Nähere Beziehungen zwiſchen dem hohen Herrn und Jakob Meyer wird man aus den fnappen Aeuße— rungen nicht herauslefen dürfen; Meyer wird fih ihm auf Bitten feiner engliſchen Freunde in allerhand Reijeangelegen- heiten gefällig erwiejen haben. Im übrigen war Wotton ein vielfeitig gebildeter und vielgereilter Mann; er glänzte als Dichter und Diplomat und wußte als Gejandter in Spanien, Frankreich und Venedig jedenfalls in Dingen der Politik ge- nauen Beſcheid; in Venedig war er zu verjhiedenen Malen tätig, jo auch 1616—1619; er madte hier den engliſchen Eins fluß in antipäpitlidem Sinn geltend und hatte feine Hand in der nun folgenden Angelegenheit, zu deren Zeugen wir unfer Stammbud aufrufen, im Spiel.
Sn eben dem Jahr 1616 nämlich erhielt Meyer Hohen geiltlihen Beſuch. Der Erzbifhof von Spalato, Marcus Antonius de Dominis von Arbe in Dalmatien (1560: —1624), war in Glaubensdingen in ein Zerwürfnis mit Rom geraten, was ihn in die Arme der Proteſtanten Englands und auf der Reiſe dorthin zu Jakob Meyer nah Bafel führte.
6, Ihm, nämlich dem edeln Henry Wotton, zweiten Gejandten Sr. Majeität des Königs von England in Venedig, hat fi der Bruder des Thomas, Iſaak Bargravius, von Sacelli (?) unterzeichnet.
6) Laßt uns weije jein.
&2) Das jchrieb in Bajel anno 1616 am 27. Juli Henry Wotton aus Kent in England, Gejandter des Belten der Könige auf der: Durchreiſe nad) Venedig.
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Der genannte Kirhenfürit ftammte aus der Familie Theo: baldi de Placentia, trat mit 19 Jahren in die Gejellihaft Sefu und bildete fich zum hervorragenden Lehrer der Philo- jophie und Mathematik aus. Doc kehrte er 1596 den Se juiten den Rüden; erhielt indefjen durch Vermittlung Kaifer Rudolfs II. das Bistum Segni in Latium, avancierte bald zum Erzbifhof von Spalato und wurde Primas von Dal: matien, galt aber dem Bapite Baul V. wegen „antichriſtlicher Reologie“ bald für verdächtig und wird den Jeſuiten bleibend ein Dorn im Auge gewejen fein. Möglich, dag feinem Chr: geiz in Rom ſcharfe Zügel angelegt wurden, wenigitens fühlte er ih mit Gleichgültigfeit behandelt und war deshalb nicht abgeneigt, ji) von zwei dajelbit weilenden Engländern Tür die neue Lehre gewinnen zu laſſen. Natürlich verfiel er dem Haß und der Verfolgungsjudt der Inquilition, die ihm vor— warf, er verachte die Saframente, gebe ſich mit Keßern ab und befämpfe den Bann des Papites gegen Venedig Mit Verdacht aus der Haft entlaſſen, reijte er 1616 via Bafel nad England, um hier im Hafen der Hohfirde Schuß zu finden. Bon Jakob I. wohlwollend aufgenommen, legte er das angli- kaniſche Glaubensbefenntnis ab, befämpite fortan aufs Ihärfite die römiſche Kirche und den päpitliden Primat, be- fürwortete die Briefterehe, ließ von den Saframenten nur noch Taufe und Abendmahl gelten, weshalb er in proteitan- tiſchen Kreifen ebenfo gefeiert wie in katholiſchen angefeindet wurde. Aber jchlieklich erlebte Rom doc den Triumph, das räudige Schaf wieder für ji) zu gewinnen. Marcus Antonius de Dominis wurde neuerdings andern GSinnes, näherte fi) wieder der römiſchen Kirche, floh durch Flandern und Yrant- reich Heimlih nah) Rom, wo zwar die Freude über den buß— fertigen Sünder groß, der Argwohn ihm gegenüber troßdem unaustilgbar war. Er mußte gründlich Buße tun, ohne das volle Vertrauen der römiſchen Kirche gewinnen zu Tönnen. Unter Urban VIII. wurde er neuerdings verhaftet, jtarb aber 1624 vor Erledigung feines Prozeſſes, was nicht Hinderte,
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daß der Tote verurteilt, fein Leichnam verbrannt und feine Aſche in den Tiber gejtreut wurde.
Auf der Durdreije nad) England ftieg unjer Kirhenfürft in Meyers Haufe in Bajel ab, erwiefenermaßen auf die fpe- zielle Empfehlung des oben genannten englilhen Gejandten hin, und im Stammbud) erleicätert er fein bejchwertes Herz mit folgender Eintragung: «Sequere Deum. Nemo sibi soli natus; mea serviat omnis vis aliis; maneat gloria tota Deo. — Ego Marcus Antonius de Dominis patricius Ar- bensis et jadrensis, Dalmatus, comes palatinus natus, sacrae theologiae Doctor, Archiepus spalatinus, alias Solanitanus, totius Dalmatiae et Croatiae primas, eximiis eximii viri D. Jacobi Mayeri, doctrina, sapientia, benignitate insignis, praeclaris erga me, Christi eausa, peregrinum et cavea Ro- mana elapsum, officiis devinctus, gratitudinis et memoriae ergo ad ipsius obsegquium haec pauca hic mea manu scripsi. Basileae, die 5. octobris. 1616.>63) — Der nädjte und zugleich legte dem Pfarrer Jakob Meyer zu St. Elifabethen gewidmete und auf feinen englilhen Freundſchaften fußende Eintrag datiert vom 27. Mai 1622. Das Motto iſt Seneca entnommen und Stellt die Frage: «Quis ergo generosus?»s) Die Ant- wort lautet: «A natura ad virtutem bene compositus.>®5) Schreiber des Denfipruds ift Antonius Straffordus, «<D. Berkeley liberi Baronis servus humilimus, devotissi-
68, Folge Gott. Niemand ift nur für fi) allein geboren; alle meine Kraft joll andern dienen; aller Ruhm joll Gott bleiben — Sch Marcus Antonius de Dominis, Patrizier aus Arbe und Zara, Dalmatien, als geborener Pfalzgraf, Doktor der h. Theologie, Erz— biſchof von Spalato oder Salona, Primas von ganz Dalmatien und Kroatien, durch ganz bejondere und hervorragende mir, einem Fremden und dem Kerfer in Rom Entronnenen, um Ehrijti willen erwiejene Dienjte des Herrn Jakob Meyer, eines durch Gelehrſam— feit, Weisheit und Wohlwollen ausgezeichneten Mannes, verpflichtet, babe aus Dankbarkeit und zum Andenfen auf feinen Wunſch dieje paar Worte hier eigenhändig gejchrieben.
64) Mer iſt denn nun vornehm? 65) Der von der Natur zur Tüchtigkeit wohl veranlagte.
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Bir Ahapr 00 Jachrnar Sal
| ⸗ u 7 727 Leben. mar Sacıy — 2 Dick — zunhessenn, ale ahnen Ati Alinades, ea vasx- Prdmas_ cn mu cröng vn A sache Karen, hen, Sparer, en AZ ragen, prrelmer
Maga) Sc ca ©, RAS Armen Sarpr,
u / ale Ka 2 vcertheig. ze
mus.»66) Im nämliden Jahre nod, erjt 32jährig, ſtarb Jakob Meyer, das Stammbuch wedjelte den Beliter; die Bei- träge fließen fortan ungleich viel fpärlicher, und was nun nod) folgt, jteht an Bedeutung dem Borangegangenen wejentlid) nad. Zunädjt vererbte es ji) auf Jakob Meyers Vater Jo— nathan, den Klingentalfchaffner, der erjt 1633 ftarb.
Aus dem Jahre 1628 datieren zwei Widmungen von im übrigen unbefannten Größen, aus denen es wie ſchmerzliches
6) Ant. Strafford, des freigeborenen Barons, Herrn Berkeley, untertänigjter und ergebenjter Diener.
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Nachzucken der Trauer über das frühe Dahinwelfen des jungen Pfarrherrn tönt, wenn das einemal daran erinnert wird, daß wir hier feine bleibende Statt haben, fondern die zufünftige ſuchen, oder wenn das andremal der Dedifant, Georg Wil: helm Waltervon Freundſtein in „Bünningen“ fi mit dem Gedanken tröltet: „Gott weiß, waß unß fürftehet.“ Sowohl die Trauer um den früh Heimgegangenen, als die bange Sorge um alles, was der nod) immer wütende große Krieg noch bringen fonnte, maden die rejignierte Stimmung, die damals auch aus dem Stammbud auf Schritt und Tritt zutage tritt, mehr als erflärlih. Wie Andeutung von Teil- nahme Elingt der philojophifhe Erguß des Simeon Ru: tingius junior (dem Vater find wir 1611 begegnet): «Fert sapiens omnes casus patienter amaros»,67) und eine ernite Mahnung enthält das auf die Unzulänglidkeit alles Irdiſchen Hinzielende Wort eines Sodocus Heiden vom Niederrhein: «Humana vita vere vitrea est, dum splendet, insperato frangit.>e8) Einen Hinweis auf die Unruhe des Kriegsgetümmels dürfen wir wohl aud) aus den Worten des J. U. D. Chriftophorus Leibfried, Landicreibers der Herrichaft NRötelen, heraushören, der am 21. Juni 1633, zwei Sahre vor feinem Tod, «pro tempore exul Basileae>,s?) wohin er um feiner perjönlihen Sicherheit willen modte geflüchtet fein, ins Stammbud) ſchreibt: «Mea Pax Victoria Christi.»70%) Aus eben der Zeit ilt uns folgende „Poeſie“ erhalten:
„Wer auff Erden hatt waß er will Undt hatt vor ihm fein ander zill, Der iſt ein Thor undt ift nicht weiß, Kompt aud) nicht in das paradeiß.“
6) Alles bittre Geſchick weik der Weije geduldig zu tragen. . &), Das Menſchenleben ijt wahrlid) wie Glas, während es Ihimmert, zerbricht es unverhofft. 6%) zur Zeit abweſend in Baſel. 70) Mein Friede it der Sieg Ehrifti.
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Am Rand Hat der anonyme Dichter beigefügt: «migrandum est»?1) ; dann fährt er fort: «Pour tesmognage d’amitie j’ay escrit cecy & Basle 26. d’augt 1633.>
Nun langes Schweigen bis zum Jahre 1677. Das Stamm- buch ift in die Hände von Jakobs Entel Seremias Meyer (1653— 1732) übergegangen, der feine pfarrherrlide Lauf: bahn im Toggenburg, ſpäter in Brewil und Dltingen durch— lief. Wohl zu feinem Amtsantritt ijt ihm das beifolgende Sprüdjlein mitgegeben worden:
„Gelehrten und frommen Leuthen Steht Gott bey zu allen Zeiten.
Mer will Chriſti Diener werden, Mus Ihm nadfolg'n hier auf Erden.“
Dann wird beigefügt: „Herrn Jeremiage Meyer S. M. C. wünſcht zu jeinem guten Borhaben viel Glüd und alle Wol- fahrt Sebaſtian Spörlin des Rahts Lobl. Statt Bajel und dehro Gravfhafft Karnspurg gewejener Landvogt. D. 16. No- vembris Ao. 1677. In Bajel.“ Und Profeſſor Peter MWerenfels (1627—1703), Lehrer der hebräiſchen Sprade und Antiltes fleht auf den Stammbuchbeſitzer im Verein mit Profeſſor Joh. Rudolf Wettftein <«virtutis avitae in- crementa»>?2) vom Himmel herab. Mit dem lehrhaften Denf- fprud) «Ruit hora>,73) den Bernhard Verzascha (1628 — 1680), der 21jährig in Montpellier promoviert hatte und jeiner Baterjtadt jpäter als Deputat im Kirchen und Schul⸗ wejen, als Ratsherr und bejonders als Stadtarzt gute Dienjte leijtete, dvem Stammbud) einverleibte («Dilectissimo Dn. Cog- nato in singularis benevolentiae tessera adscripsit Bernardus Verzascha»?®), verband er die Mahnung an die Flüdtigkeit der Zeit. Es folgen ziemlich gleichzeitig Soh. Conrad
19 Man muß wandern.
2) Den Zuwachs großpäterlidher Tüchtigkeit.
73) Die Stunde eilt Hin.
4) Seinem geliebten Herrn Berwandten hat zum Zeichen be- ſondern Wohlwollens geſchrieben Bernhard Verzascha.
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Harder, Archigrammateus und Scholarcha,?5) der als Dheim den Neffen an das Schriftwort: «Unum est necessa- rium>?e) erinnert und den Troſt beifügt: «Deus provide- bit>,77) fowie der Redtsgelehrte Nicolaus Paſſavant mit dem Wahlſpruch: «Calamitas virtutis occasio.z7) Mit weitern Glückwünſchen jtellen ih ein Hieronymus Ge- mujfaeus, Pfarrer in Benfen, und Dr. med. et. phil. %. J. Harder (1656—1711), Arzt und Profeſſor der Rhetorik. Nah einer Pauſe von neun Jahren erläßt Hieronymus Meyer an den Dltinger Pfarrherrn die Warnung:
„Kehr dich nit an Sedermann,
Der dir vor Augen dienen fann,
Nicht alles geht von Herzengrund,
Waß ſchön und Tieblich redt der Mund.“
Nah) dem 1732 erfolgten Tod des Seremias ging das Album in die Hände feines Sohnes Benedikt über, wor- über diefer im Stammbuch jelbitgefällig mit den Worten quittiert: cCet & moy: Benedikt Meyer. den 2. Juli 1744.> Aber Dedifationen Hat er feine zu verzeichnen. Erſt fein Nachfolger im Belige des Stammbuds, der Wlumnenvater S. M. C. und Praeceptor zu St. Beter Daniel Meyer (1731—1798) läßt fi) zur Würde eines Seniors Collegii Alum- norum von Profejlor Soh. Ludwig Frey (1682—1759), dem Lehrer der altteſtamentlichen Theologie, feierlich gratu— lieren. Se länger dejto mehr manifeltiert ſich auch in den Eintragungen unjeres Albums der Wandel der Zeiten. Ar die Stelle fräftiger Kernworte treten hohler Wortſchwall und umjtändlihe Redewendungen; hausbadene Verſe und ge= fünjtelte Empfindelei verdrängen das wahre und natürlidhe Fühlen. ©o 3. 3. in der Widmung eines J. U. Vogel aus Mülhaujen vom Jahre 1756, der den freund mit folgenden Alerandrinern anreimt:
75) Stadtichreiber und Schulvoriteher.
76) Eins iſt not.
7) Gott wird fürjorgen. 8) Unglüd bietet Anlaß zur Tüchtigfeit.
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„Ich ſoll Ihm Werther Freund zum Zeichen meiner Liebe Und Freundſchaft gegen Ihn, ein Dendmahl fegen hier. Kun dieſes joll geſchehn aus reinem Herz und Triebe, Damit das jhöne Wort bey Uns bleib für und für: Ein treuer Freund wird wohl ein theurer Schaf genennt, Wann man im Unglüd Di jo wie im Glüde fennt.“
Mir dürfen Hier die Mehrzahl der nun folgenden Dent- Iprüde mit ihren Gemeinpläßen und trivialen Redensarten oder wohlfeilen Schmeicdheleien übergehen. Eine fleine Ab— wedhslung in der äußern Daritellung bietet die Widmung des Piarrers Safob Meyer in Mülhaufen vom Sahre 1756, der fih die Mühe nahm, nad) dem Geſchmack der Zeit ein reich verſchnörkeltes kalligraphiſches Meiſterſtück zu Tiefern, das dem Schöndheitsfinn und Geſchmack und nicht zulegt au der Geduld und den guten Augen des Kalligraphen zur höchften Ehre gereiht. Und Zeit zu derartigen Liebhabereien hatte man ja damals. Es wird in diefer Widmung der {Freund mit einem fruchtſpendenden Baume verglichen, allerdings mit dem Kleinen Unterjchied, daß man von einem Freunde täglich Früchte (der Freundſchaft) einheimjen darf, von einem Baum bloß jährlid. Im nämliden Jahr erinnert Baulus Meyer, Burger zu Bafel und Mülhaufen, daran, daß:
„Nancder mich richt,
Beſchaut ſich felbit nicht,
Gedädht er fein,
Go vergäß er mein.“ Es folgt im Dezember 1756 ein V. D. M. Mathias Kielmann, Diafon des «Coetus gallici qui Müllhusii col- ligitur>.7%) Daß der Alumnenvater mit feinen Zöglingen auf freundlidem Fuße lebte, geht aus den Eintragungen zweier Ungarn, eines Samuel Nemethy, der fih als «Hun- garus, peregrinus Basileae>,8%) einträgt, und eines „Jo—
79) des franzöfiihen Pfarrionvents, der fi) in Mühlhaufen ver:
fammeelt. 80) Ungar, fremd in Balel.
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annes Szabi, Hungarus, Studiosus Peregrinus Basileae> 1756 hervor. Als widerwärtige Schmeicdhelei haben wir ohne weiteres das Berslein eines Mülhaujer Theologen zu ta= zieren:
„ou bilt ein Zweig von diefem Stammen,
Der immer Große Männer trug,
So bald man höret deinen Namen,
So hört man glei aud: Der iſt Hug.“
Nun folgt eine längere Pauſe. Am 26. Oftober jtiftet Da— niel „Bourcard“ (gemeint ift der befannte Kunjtfreund und Kunjtdilettant Dan. Burdhardt-Wildt, 1752—1819) dem Daniel Meyer jun. (1761—1824) eine hübſch in Tuſch gemalte Landſchaft mit zierlich gejchriebener Dedifation in jranzöjiiher Sprade, die in dieſer letzten Epoche als Mode- ſprache au) im Stammbud dominiert. Diejer Daniel Meyer jun. S. M. C. war der Sohn des erwähnten Alumnenpaters und beichloß feine Tage als Pfarrer von Arisdporf. Sn jungen Sahren fam er ordentlid) in der Welt herum als Hauslehrer in Chiavenna und Mayenfeld, deuticher Prediger in Genf und Pfarrer in Markirch in den Vogeſen. Gein Aufenthalt in Graubünden und im Beltlin trug ihm offenbar mande Freundſchaften ein, deren Niederihläge wir im Stammbud) Hauptjählidd von dem Zeitpunft an gewahr werden, da fein Dienſt als Hauslehrer zu Ende ging. Da begegnen wir zuerſt dem Major Michel im bündnerifhen Regiment «du Salis>, der dem Herrn Candidaten und Hauslehrer in der Yamilie Gugelberg:von Moos alles Glüd der Welt anwünfcht (Dezember 1788), ferner einem Joh. Theodor Ender- lin von Marzwil, der dem Stammbud einen gereimten Neu- jahrswunſch einverleibt; ihm folgt am 2. Januar 1789 oh. Friedrich Enderlin von Marzwif mit einer längern moralijierenden Widmung, die ganz im fonventionellen Zeitgefhmad gehalten iſt. In ſchwungvollen und ziemlich geihwollenen Verſen feiert 1789 Ulyfjfes von Salis das Andenken des Bürgermeifters Jakob Meyer als mutigen
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Kämpfers gegen die (getreulich abfonterfeite) Hydra des Irrtums und Stellt ihn als leuchtendes Vorbild den Nach— tommen hin. Als Hauslehrer hielt fih Meyer bei der Familie Gugelberg bald in Chiavenna, wo der Vater feiner Zöglinge, Ulyjjes Gugelberg (1756—1820), als Com: miſſari des Veltlin und Landesoberiter amtierte, bald in Mayenfeld auf und Hatte reichlihe Gelegenheit, ſich mit allerlei Notabilitäten von Altfry Rhätien angufreunden. Sm Februar 1789 treffen wir ihn bald in Chur, bald in Mayenfeld, und beiderorten verjäumte er offenbar nicht, den betreffenden Hohen Herrihaften feine Aufwartung zu maden. Am 17. Februar widmet ihm Joh. Ru— volf von Salis von Marihlins ein Sprüdlein, am 19. verewigen ji im Stammbud) Pfarrer Anton Midhae- lis von Mayenfeld und Ulerih Michel, am 21. trägt <«Corneille Adelaide de Salis Marchlins in Chur ihren Segenswunjd) ein, und am 26. widmet in Mayen- feld ein Ulrih Konz dem Stammbudinhaber ein Wort des Abſchieds. Man fieht, das Album war fleißig auf Reiſen, und nun, da Meyer ſich nad) einer bleibendern Stellung um— ſieht, jtellen fih in rührender Anhänglichkeit die Familien— glieder nacheinander ein, um den Scheidenden ihrer unver- brüchlichen Dankbarkeit zu verfihern. Am 1. März bejtätigt ihm Alyſſes Gugelberg:von Moos feine wahre „Achtung und Freundſchaft“ unter Beifügung feines ftattlihen Yamilien- fies in effigie, und feine Gattin fügt bei: „Erinnern Sie fi bey diefen Zeilen Ihrer wahren Freundin Margaretha Gugelberg:»on Moos geborne von Galis-Goglio“, und jpendet zum weitern Andenfen noch eine Miniaturland- Ihaft in Aquarell bei. Der Mutter jchließen fich die Kinder, Meyers Zöglinge, an, nämlid Joh. Rudolf, fodann An— dDreas und endlih Heinrich Gugelberg:von Moos, der nachmalige Landammann, Landesitatthalter und Tagjatungs- gefandte. Sie fallen ihre Wünfhe in das Sprüdlein zu- fammen:
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„Himmel Halt du einen Gegen, Der auf Erden glücklich madt, D! jo jey er meinetwegen Meinem Lehrer zugedadt!“ und die Feine Freundin und Schülerin Liſette Gugel- berg:von Moos, der die Mutter beim Schreiben offenbar die Hand geführt Hat, erflärt: „Ich muß in meines Lehrers Stammbud hinein, Sollt es nur gefrazt wie eine Henne fein.“
Meyer reijte nach Genf, wo er bis 1794 als Helfer an der deutfchen Gemeinde wirkte. Cr heiratete dajelbit eine 2hyonerin, Caroline CHoll. Auf der Reife nah Genf fehrte er in Lenzburg bei feinem Freunde, dem Kronenmwirt Samuel Strauß, an. Bier Tage fpäter jhließt er in Genf Freundſchaft mit einem Dr. Felß, der feine Widmung im Stammbud neben das Porträt feines Landsmanns Joachim Badian in den Scones ſetzt, der ihn zu dem Ausruf Hinreikt: «Excellent Vadianus que je t'aime! Que ton esprit repose sur les bons St. Gallois!» Unterm 14. Dezember 1789 maht ein „Sacobus Bernhard aus Bünten“ in emp findfamen Berfen feinen überjhwänglihen Gefühlen Luft und empfiehlt ſich als aufrichtiger Yreund und „halber Gefatters- mahn“. Am 30. März 1790 mahnt fein Freund Jakob Warimann, V.D. M. den Kollegen, im Hinblid auf die zu erhoffende Uniterblichfeit weije und tugendhaft zu eben. Seine Glüdwünjhe zu Handen des Stammbuchinhabers und feiner Familie fügt am 25. März 1793 3. U. Beter bei. Und bald hernad gibt Daniel Flournois, ministre du St. Evangile, feinem Nachbar aufrichtig gemeinte Glüdwünjche für das jpätere Leben mit. Als guter Freund und Nahbar gibt ih auch Proſper Depoſſier zu erfennen und ſpricht jeine Freude darüber aus, Meyer und feine Zamilie fennen gelernt zu Haben. Aber 1794 nötigten die politiihen Wirren den Helfer der deutſchen Gemeinde, raſch und nit ohne Lebensgefahr zu fliehen. Er begab fih in die Vaterjtadt,
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widmete jich hier vorübergehend dem Schuldienit und nahm dann 1796 die Stelle eines reformierten Pfarrers in Mar: fir) (Ste Marie-aux-Mines) in den Vogeſen an, die öfter von Bajel aus paftoriert wurde. Das Stammbud wurde natürlich mitgenommen, und am 8. Oftober 1796 erging id darin %. Reber fen. über die Kreundihaft, 9. Frank redete den jhönen Künſten und Wiſſenſchaften das Wort; er muß, aus den nebenjtehenden Emblemen zu jchlieken, eifriger Muſikfreund gewejen fein. Dann folgt Joh. Georg Neber jun.; er ftammte aus Mülhaufen und führte als Erfag für die eingegangenen Gilberminen die Fabrikation von Baummollenartifeln im Tale ein. Er war ein Kind der Aufklärung. Zugejtandenermaßen fein Sreund des geiltlichen Standes, wendet er fich nicht als Gemeindegenofje, jondern als Freund an den Prediger, dem er in gut rationaliltilder Weiſe allerlei wohlgemeinte Ratichläge erteilt. Ganz bejonders muntert er ihn auf, feine Fürſorge dem Schul: und Armen: wefen und der Krankenpflege zuzuwenden. „Sc traue Ihrer Philojophie zu, dag Sie meine Aufrichtigfeit nicht beleidigen wird, wan ic) Sie mehr als Freund als als Pfarrer Tiebe.“
Die Zeiten waren nicht dazu angetan, ein ländlicdhes Pfarrhausidyll in ſtiller Weltabgejchiedenheit durchzuleben; nit nur nad Genf, jondern aud in das abjeits gelegene Bogejental drang der Wellenſchlag der großen Revolution. Sm Gedanken hieran vertraute Meyers Tutherifher Kollege in Marfirh, der Prediger Fr. W. Schmidt, am 1. Auguft 1800, an ein Dichterwort Klopitods über die Religion an- fnüpfend, dem Stammbud einen GStoßjeufzer an, der tief blicken läßt. „Wandeln wir immer“, jo äußerte er fi), „ge— troſt fort auf dem Wege unjers Berufs, wenn gleich die jezzigen Zeiten demjelben jo mande Hindernilje in den Weg legen! Unfer Werth jteigt Doch) immer nah) Makgabe unjerer An- ftrengung, unjerer Pflicht Genüge zu leiten und jede Schwürigfeit, die fi) bey Ihrer Ausübung zeigen mögen, mit Klugheit, Sanftmuth oder Geduld zu befiegen! Schmäht uns
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der große Haufen — immerhin! Es genügt uns dann die Achtung der wenigen Weiſen und Redlidhen im Lande — die uns gewiß nicht fehlen wird, wenn wir find, was wir ſeyn follen!“ Und daß wir uns mitten im Revolutionszeitalter bewegen, das beitätigen zum Ueberfluß nod die leßten Da- tierungen nad) dem Revolutionstalender. Am 25. Meſſidor des Sahres 13 (von der Abjhaffung des Königtums an ge- rechnet) verjidern Ch. Caejar und ©. C. Basqual den reformierten Prediger ihrer Sympathien, und am 7. Ther- midor ebenfalls des Jahres 13 nimmt Frédéric Caeſar nach einer ahtjährigen Freund: und Nachbarſchaft mit herz- lihen Morten Abjhied von Daniel Meyer, der neuerdings unter dem Drud der politiſchen Ereignijje den Wanderftab ergreifen muß, um nun bleibend in die Heimat zurüdzufehren, mo er von 1806 an als Geijtlicher der Gemeinde Arisdorf ein beihauliches Dajein zu führen und in jtillen Stunden an Hand feines Stammbuds Rückſchau über fein Geſchlecht und fein eigenes Leben zu halten Muße genug finden modte.
Shlußbemerfung. Erit nah Drudlegung obiger Arbeit hatte ich Gelegenheit, von dem mir vor kurzem be- fannt gewordenen Briefwedjel der Familie Meyer (zum Hirzen) im Beli der Kaijerlichen Univerlitäts- und Landes: bibliothef in Straßburg Einfiht zu nehmen. Dieſe reich— Baltige Sammlung von Briefen aus dem 16. und 17. Jahr⸗ Bundert wanderte im 18. Jahrhundert mit einem Zweig der Familie M. nah Mülhaujen, fam jpäter durch Kauf in den Beliß des Kirchenhijtorifers I. W. Baum in Straßburg (Bgl. p. XVI feines Vorworts zur Biographie der Gtraß- burger Reformatoren Capito und Bußer in „Leben und aus= gewählte Schriften der Väter und Begründer der reformierten Kirche“) und wurde endlih Eigentum der genannten Biblio- thef, deren Verwaltung mir die Benüßung des Briefwechſels in Straßburg und Bajel in Tiberaliter Weife geftattete. Ich hoffe, gelegentlich auf ihn zurüdzufommen.
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$ azaretterinnerungen
aus dem Ariege von 1870/71. Don Dr. R. Deri-Sarafin.
In den erjten Sulitagen des Sahres 1870 war der Aus— brud eines Krieges zwiſchen Frankreich und Deutſchland ſehr wahrjheinlich geworden. Man atmete wieder auf, als die Angelegenheit der ſpaniſchen Thronfolge geregelt ſchien.
Aber am Abend des 15. Juli, an einem Freitag, Iangten Die Nachrichten von Ems und Berlin an über die Abweiſung des Grafen Benedetti durh König Wilhelm und, als Echo aus Paris, die Notiz: Guerre imminente.
Als Abends nad) 9 Uhr Trommelflang in den Straßen Bafels erjchallte, eilte alles hinaus, da man glaubte, den Generalmarih zu hören. Es waren aber die friedlichen Waifenfnaben, die, von ihrem Sommerausflug heimfehrend, jo großes Auffehen erregt hatten.
Am folgenden Tage, vormittags, wurde dann wirkflid Generalmarſch geihlagen und das Einrüden des Auszüger Halbbataillons durch öffentlihes Ausrufen befohlen. Während der folgenden Nähte und Tage rüdten die eidgenöfliihen Truppen in anjehnlider Menge zur Bejeßung der Grenzen ein, als erite Schüßenfompagnien aus Yargau und Bajelland; auch das Bajelbiet befam reihlihe Einquartierung.
Die Aufregung war allgemein jo groß, daß die Köpfe wenig bei der Arbeit waren. Wir Studenten hatten ja ohnehin jeßt Ferien, da damals in Bajel noch die eigentüms
*) Als Bortrag für das Rote Kreuz entworfen.
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liche Einridtung beitand, daß das Sommerſemeſter durch vier Wochen Ferien, — von Mitte Juli bis Mitte Auguft, — in zwei Stüde geteilt war; von Mitte Augult bis Ende Gep- tember wurden dann wieder Vorlefungen gehalten. Ge— arbeitet wurde von den Studenten in jenen Ferientagen fait nichts; man bummelte am Morgen bei den Soldaten in der Stadt und am Nachmittag in den Dörfern herum und beriet, wie man dem VBaterlande dienen könnte. Durd) ein ſchwung— volles Telegramm unjeres Präſes, U. v. Salis, ftellten wir Zofinger uns dem ſchweizeriſchen Bundestate zur Verfügung.
Als nun die erite Aufregung Jich gelegt hatte, forgte für einige Ernüdterung der Umjtand, daß, nachdem am 19. Juli die franzöfiihe Kriegserflärung in Berlin übergeben worden war, nun ungefähr vierzehn Tage lang vom Kriege nidts zu vernehmen war. Die Zeitungen fonnten nur ganz vage und widerſprechende Gerüchte bringen, und jo fonnte man in Crmangelung befjerer Einfiht jo recht fannegießern und, je nah der Neigung, den Sieg bald den Deutjchen, bald den Sranzofen zufpredhen. In Baſel erwartete die Mehrheit wohl den Gieg der Franzoſen, deren friegeriicher Nimbus von 1859 troß des feitherigen Mikerfolgs in Mexiko weiter bejtand. Man hätte eigentlich jeit 1864 und 1866 vorjihtiger urteilen müjlen. Warum fo Biele ihre Sympathien Frankreich zu— wandten, ilt mir heute nod) ein Rätjel, da man durch Sprade, Bildung, Sitte und Religion doch dem Deutfhtum fo viel näher jtand als dem Napoleoniſchen Yranfreid. Cs hieß, daß die Kaufleute, von denen viele in Frankreich gelebt Hatten, im Handelsverfehr die Franzoſen vorzögen, und daß dies die Urſache ihrer franzöfiihen Sympathien ſei. Ein guter Teil unferer Bevölferung aber, darunter viele der Gebildeten, hoffte auf den Gieg der deutihen Waffen. Obwohl man nit direkt beteiligt war, befämpften fi) doch die beiden Rich— tungen in unfrer Stadt aufs fohroffite, es fam zum Bruch von Freundſchaften und felbjt zu Spaltungen innerhalb der Fa— milien. Man fann daraus nur auf die ungeheure Erregung
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ſchließen, die die friegführenden Völker ſelbſt ergriffen Hatte. Charafteriftifch für die damalige Stimmung iſt es, daß, als ein Basler Kaufmann fih auf der Lejegejellihaft etwas frei über Deutichland geäußert Hatte, er von einem anwejen- ven Lejer auf der Stelle zur Satisfaftion mit den Waffen gefordert wurde. Die Karte, die diejer übergab, trug den Namen eines bedeutenden deutihen Profellors. Der Basler hielt es nicht für nötig, diejer fremdartigen Forderung nach: zufommen, und die Sache verlief im Sande.
Genug, man mußte abwarten, und das veranlaßte au) mid, wieder an das Studium zu denken, jtand mir als Stu- diosus medicinae doch für den Anfang des Winterfemeiters das propädeutiihde Examen bevor.
Sch zog mit meinen Büchern aufs Land, um im Eltern- Haus zu arbeiten; es fam aber nicht viel dabei heraus, da unfere Gegend militärifch ſtark befegt war. Als id dann durch die Thurgauer Bataillonsärzte Bridler und Albrecht mit dem Bude: „Unter dem Rothen Kreuz“, einem nad) dem Mufter von Dunants „Solferino“ gearbeiteten Werfe, be- Iannt wurde, war vollends alles Intereſſe für die propä- deutiſchen Fächer dahin und es erwadte die Sehnjudt, doch aud hinaus zu fönnen, in eine nüglide Tätigkeit.
Sch Hatte ſchon im Winterjemejter 1869/70 bei Gocin Allgemeine Chirurgie gehört, im Frühling 1870 bei Dr. Cour- noilier im Verbandfurs Hofpitiert und im Sommer darauf öfters die Klinik bei Socin bejudt. Ich Hatte eine Anzahl von Operationen gejehen und mid Hinzugedrängt, jo daß mid) Socin, bei der Fleinen Studentenzahl von damals, zum Aſſiſtieren zuließ. Eigentlich hätte ih) nad) dem damaligen Stande meiner Studien dort nichts zu tun gehabt. Als dann am 4. Auguſt mit Weikenburg die Schladten begannen und die Berichte von den großen Berlujten auf beiden Geiten einliefen, wurde meine Unruhe größer, und es 309g mid) nad) Bafel, aber nicht wegen der Kollegien, die in vierzehn Tagen beginnen follten. Ich nahm an einem Verbandkurs teil, den
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der damalige Aſſiſtenzarzt der hirurgiihen Klinik, Dr. Rus dolf Maffini, im Hinblid auf den Krieg für einige Studenten täglich abhielt. Wir übten uns fleikig, indem wir uns gegen- feitig Verbände anlegten, und in furzer Zeit Hatte ich eine gute Uebung aud in den fomplizierten Bandagen, deren Be— herrſchung die damalige Chirurgie von ihren Süngern ver: langte.
Profeſſor Auguſt Socin, der Direktor der dirur: gifhen Klinik, war ſchon nit mehr in Bajel; er war vom Badilchen Frauenverein, der unter dem WProteftorate der Großherzogin von Baden ſtand, nad) Karlsruhe berufen worden, um ein Rejervelazarett einzurichten und zu betreiben, und war am 9. Yugujt mit Basler Aerzten, einigen Studenten und Diakoniſſen abgereilt. Er wollte im Yalle des Bedürf- . niſſes weitere Hilfskräfte heranziehen, und jo näherte ſich aud) für meine ſchwache Kraft der Moment, wo meine Sehn— ſucht geftillt werden fonnte. Dr. Maflini nahm mid auf die Lite der zu Empfehlenden. Auch meine Eltern ließen ihre anfänglichen Bedenken fallen.
Sch las damals noch ſchnell die vier chirurgiſchen Briefe, die Brofejlor Nußbaum in Münden für die ins Feld ziehenden Militärärzte gejchrieben Hatte. In Pirogows Grundzügen der Allgemeinen Kriegshhirurgie, der Frucht feiner Tätigkeit im Krimfriege, hatte ich ſchon früher herumgeftöbert, das Bud war mir in der Kantonsbibliothef zu Lieftal in die Hände gefallen.
Da man nun in der Schweiz deutlicher erfannte, daß fie, mwenigitens vorerft, nicht Kriegsichauplaß fein werde, wurden die eidgenöfliihen Truppen nah) und nad) von der Grenze zurüdgezogen. Bevor fie Bafel verließen, fand am 17. Auguſt durch General Herzog eine Mufterung über die abziehende Divifion Egloff auf der Schüßenmatte ſtatt. Das Wetter war prächtig, die Truppen machten auf die Bevölkerung, die in Maſſe Hinausgejtrömt war, den beiten Eindrud. An jenem Morgen erjt verbreitete fi) wie ein Lauffeuer das Gerücht,
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daß Straßburg belagert werde, daß man die Stadt beichieke und daß es an mehreren Orten brenne; es wurde zuerjt mit Zweifel belädelt, als eine Unmöglichkeit in unjerem Humanen Zeitalter. Und als nun die Nachrichten der folgenden Tage die Sache beitätigten, entbrannte bei vielen der Zorn über diefe Barbarei. Man wußte im Bublifum augenſcheinlich gar nicht, daß die Stadt, von der man jo oft gefungen hatte: „gu Straßburg auf der Schanz“, immer nod eine Feſtung und Daher der Möglichkeit einer Belagerung ausgefeßt jei. Yeberhaupt hatte man von einem Kriege feine rechte Vor— ſtellung.
Am 25. Auguſt fragte Maſſini bei Socin an und erhielt telegraphiſch die Antwort, daß ich kommen ſolle; am Nach— mittage des 26. Auguſt fuhr ich mit der Badiſchen Bahn weg, die Fahrt geſchah auf Koſten des Deutſchen Hilfsvereins in einem Wagen dritter Klaſſe.
Es ging in der Eiſenbahn lebhaft zu; jedermann politilierte, und weil man gerade in der Nähe der Schweiz war, wurde auf dieſe gejchimpft. Die Deutjhen waren durch die fo oft und oft aud unnötig geäußerten Sym— pathien für Frankreich geärgert und empfanden jede Grenz- fiherung gegen Baden als Schikane, aud) das heute jelbit- verjtändlide Verbot, badilhe Truppen in Uniform die Gebiete von Bajel und Schaffhaufen paflieren zu laſſen. Als das Thema Schweiz erihöpft war, fam Frankreich an Die Reihe, deſſen entjeglihe Niederlagen vom 14.—18. Augult in den Schlachten von Colombey-Nouilly, Vionville-Mars- la-Tour und Gravelotte-St Privat nun erjt jo recht befannt geworden waren. Der Triumph des Siegers ftand auf allen Gelihtern, der Spott über Napoleon Fang aus jedem Wort, und das deutſche Gelbitgefühl jtand im Begriffe, feine höchſte Stufe zu erjteigen. Ich verhielt mich ruhig, auch bei dem Gefhimpfe über die Schweiz, da id) einiges als wahr aner: fennen mußte; auch hätte ein Streit zu feinem vernünftigen Refultat führen und höchſtens meine Pläne jtören fönnen.
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Das damals noch franzöſiſche Elſaß lag friedlich da drüben im Dufte eines herrliden Sommerabends. Wie erjtaunte ih, als ih im Laufe des Abends auf eine hohe Raudjäule aufmerffam gemadt wurde, die vom Brande von Straßburg herſtammen ſollte. Je weiter wir famen, um ſo deutlicher wurde fie, und den ganzen Abend verlor ich fie nicht mehr aus den Augen. Bon Offenburg an fam die Dämmerung, die Raudfäule verfhwand und madte am Horizont einer Brandröte Plat. War ſchon vorher die Fahrt ſehr Tangjam mit Halt an jeder Station vor fi) gegangen, jo gab es nun Aufenthalte von halbjtündiger Dauer. In der Gegend von Appenweier fonnten wir vom Zug aus direft in das mächtige teuer bliden und an einer Gtelle jogar einen neu auftreten- den Brand beobadten; man jah das Aufbligen der Gefchüße und feurige Bogen von Geſchoſſen in der Luft und hörte das Donnern der Kanonen. In unfern Wagen drängte ji) ein badifher Militärarzt, der gerade von den Batterien herfam und einen Verwundeten in unferem Zuge untergebradt hatte. Dies alles brachte mich in wenigen Stunden jo redht in die Atmojphäre des Kriegs. Bom Beginn der Einjhliegung, am 11. Auguft, bis zum 24. waren vor Straßburg nur Feld— batterien zur Beſchießung verwendet worden, in der Nadt zum 25. traten die ſchweren Belagerungsgelhüßge in eine Tätigkeit, die in der folgenden Nacht ihre höchſte Steigerung erreichte; aud in der Naht zum 27., von welder hier die Rede ijt, wurde die Beihießung allfeitig weitergeführt. —
Nachts Halb zwölf Uhr fam ih nad) Karlsruhe und war froh, nahe beim Bahnhof im Grünen Hof ein Quartier zu finden. Der Gajthof war ſtark befett, befonders auch von Durdhreifenden Offizieren. Beim Frühſtück am nädjiten Morgen Ärgerte mid) eine deutſche Yamilie, die die eben be— fannt gewordene Berlegung des Straßburger Münfters durch Schrapnellgeſchoſſe nicht nur begreiflich, ſondern löblich fand. Meine gute Stimmung fehrte zurüd, als ein biederer älterer Schweizer Arzt, ein Praktiker aus der Oſtſchweiz, ſich zu mir
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fegte und mir erzählte, daß er auf eigene Fauſt nad den Schlachtfeldern zum Helfen ausgerüdt jei und nun in Karls- ruhe Weilungen zu erhalten Hoffe. Er zeigte mir einen Lein— wandjad, in dem es unheimlich flapperte; es war fein In— ftrumentarium, das aus einem Dubßend fußlanger Kugel: sangen mit löffelförmiger Spite beitand und ſchon im Sonder: bundsfriege oder weiß Gott in welchen ſchweizeriſchen Putſchen gedient haben mochte. Sonſtige Inſtrumente Hatte er nicht, feine Kriegshirurgie ſchien jih auf das Kugelausziehen zu beſchränken. Ob er bei den Deutjchen ein Feld für feine Tätigkeit gefunden Hat, weiß ich nicht.
Am Morgen des 27. Auguſt juhte ic) das von Socin geleitete Bahnhoflazarett auf.
Deitli von der Stadt, eine Vierteljtunde vom Perſonen— bahnhof entfernt, in einem flachen, etwas Jumpfigen Terrain lag dieſer 140 Schritt lange und 72 breite Schedbau von 10% Meter Firithöhe mit feinem jtaffelförmigen Dache und feinen nah Norden gerichteten Dedenfenftern. Im Innern war das Dad durch eiferne Säulen gejtüßt. Der Bau war erit vor furzem als Werfitätte für ZYofomotivreparaturen er: richtet und noch nicht zu feiner Beitimmung gebraudt worden. Ein Geleife der Eijenbahn führte an der nördlichen Schmal- jeite mittelft zweier Tore durd) einen Vorbau Hindurd), fo daß Züge durch diefes Ende des Raumes Hindurdfahren fonnten. An der füdlichen Schmaljeite waren beim Beginn des Krieges Zimmer für wachehabende Wärterinnen und Werzte, Weib- zeugfammern, ein Verwaltungsraum, ein Operationsjaal und ein Zimmer für den Chefarzt angebaut worden.
Beim Eintreten dur) das etwas erhöht liegende Bureau überjah man den immenfen Lazarettjaal, — nur um weniges fleiner als der Basler Münfterplat, — mit feinen 400 Betten in einem einzigen Raum. Es war ein ganz überwältigender Anblid, diefe durch Oberlicht hellerleuchtete Halle mit dem bunten Gemifh von VBerwundeten, weißgeſchürzten Aerzten, MWärtern und Schweitern und den wadeltehenden Soldaten.
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Der Saal war jo groß, daß jeine entfernten Teile nur ein allgemeines Gewimmel von Menſchen erkennen ließen und ein Gejumme, aus dem man etwas deutlicher nur die Stimmen der nächſten Aerzte und das Stöhnen Verwundeter vernahm. Bunte Uniformjtüde, die rothen Kreuze des Wartperfonals, die roten Kappen der Turfos, die hohen weißen Schleier der fatholiihen Schweitern und die hellblauen Waſchkleider der MWärterinnen gaben dem Bilde einige Farbe, Blumenjtöde neben den Betten und einige Gebüſchgruppen dem Saal ein freundliches Ausjehen.
Socin, der eben auf der Viſite begriffen war, winfte mid) von weitem zu jih. „Recht, daß Sie gefommen Jind, ic) gebe Shnen gleich Arbeit, ziehen Sie eine friſche Schürze an und fommen Sie mit zu Lo.“ Er führte mid) in eine Abteilung in der Mitte des Saales und übergab mich) dem mir faum vom Sehen befannten jungen Basler Arzt mit den Morten: „Sp, 208, hier haben Sie einen Aſſiſtenten, adieu.“ Dr. Lotz, eben mit Verbinden bejhäftigt, war froh, einen Gehilfen zu befommen, und ich froh, in weniger als zehn Minuten feit meinem Eintritt jchon angreifen zu fünnen.
Socin Hatte bei feinem Eintreffen in Karlsruhe den Dienit jo organijiert, daß er die Patienten in ſechs Haupt: abteilungen mit je 60-70 Betten und einem Ordinations- tiihe teilte. Sede Abteilung hatte einige Aerzte und Stu— denten, eine Anzahl Schweitern und Wärter. Je nad) Zwed- mäßigfeit zerfiel eine jolde Abteilung wieder in Unter: abteilungen. Für einzelne Zufjtände, wie ſchwere Blutver- giftung oder Wundjtarrframpf, waren abgejonderte Verſchläge vorgejehen.
Dur die Mitte des Saales, von einer Schmalſeite zur andern lief, um zwei Stufen tiefer als das übrige, ein breiter Raum, in dem die Tiihde und Kommoden für Verbandzeug und andere Utenjilien jo aufgeitellt waren, daß man da— zwiſchen leicht zirfulieren fonnte. Diefer Raum wurde ge- freuzt von einem zweiten, ebenfo breiten, der die Mitten der
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Längswände miteinander verband; er nahm auf einer Seite die Apotheke, auf der andern den Altar für den fatholiihen Gottesdienit auf. Die Küche, die Vorratsräume und Abtritte waren außerhalb des Saals an den Längswänden aus Balfen und Brettern angebaut. Ganz außerhalb des Gebäudes ſtanden Baraden für eine Waſchküche, eine Leihenfammer mit Gel: tionsraum, ferner jolde für die militärishe Wachtmannſchaft und zur Aufbewahrung der Monturjtüde.
Alle dieſe und die früher genannten Anbauten waren mit unglaublider Schnelligkeit unter Zeitung der Ingenieure von den Eifenbahnarbeitern hergeitellt worden. Der Badilche Srauenverein jorgte für Betten, Geſchirr, Wäſche, Verband- zeug, Nahrung und Medikamente. Als Socin, der ſich in die Gegend von Wörth zur Heranholung Verwundeter verfügt heite, am 14. Auguſt zurüdfehrte, fand er fein Lazarett mit 261 Bann bejegt. Ich bemerfe gleich Hier, daß die größte Zahl am 14. Auguſt mit 283 Batienten erreiht wurde; eine viel größere Zahl Hätte man faum aufnehmen fünnen, die Belegung mit 300 Mann war von vorneherein als das Mari- mum angenommen worden. Die Gejamtzahl der Verpflegten beirug 643, wovon 373 Deutiche und 270 Franzoſen.
Die Anhäufung jo vieler Verwundeter in einem gemein: jamen Raum Hatte am Anfang große Bedenken erregt, aber man mußte bei dem großen Zudrange alle verfügbaren Räumlidfeiten belegen. Um wenigitens feine jtagnierende Luft zu haben, ließ Socin aus dem unteren Teil der Lazarett: mauer und aus den Türen große Quftlöcher ausbreden und einen Teil der Dachfenſter entfernen. Ein Abzugskanal, der aus dem Gebäude ins Freie führte, fonnte mit dem Waljer eines Sodbrunnens gejpült werden, der in der Mitte des Gaals lag; einem Kanal neben dem Gebäude fonnte man alle möglichen Abfälle übergeben.
Daß auf die Reinhaltung des Fußbodens und der Betten große Sorgfalt verwendet wurde, war bei Gocin felbitver- jtändli; ich erwähne es nur ausdrüdlich, weil ih noch 1872
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jah, dag auch in dem friedlichen Betriebe einer deutſchen Univerfitätsflinit nah Ddiefer Richtung nur wenig getan. wurde.
Als es im Herbit Fühler wurde, mußte an Heizung ge= daht werden. Man jtellte zuerjt große Kohlenbeden auf, doch genügten fie nit. Schließlich Tießen die Ingenieure in vergitterte Rinnen des Fußbodens eine Röhrenleitung legen, die von einer Lokomotive mit Dampf gejpeijt wurde. Diefe Einrihtung tat vorerft ihren Dienjt, verjagte aber, als es Ende DOftober und Anfang November wirflih falt wurde. Man fah fi auch gezwungen, einen Teil der Bentilations= löcher zu fihließen, und das ſchien nicht ganz ohne nadteiligen Einfluß auf den Gejundheitszujtand zu bleiben.
Die Drdnung für den Tagesdienjt jhrieb vor, daß vor— mittags 8—11 Uhr in jeder Abteilung die ärztliche Viſite Dur die Abteilungsärzte mit ihren Afjiitenten jtattfinden ſollte. Dann verfammelten fi) Aerzte und Studenten in der Dperationsbarade, wo Socin die großen Operationen, wie Amputationen, NRejeftionen und ſchwierige Gplitterertraf- tionen vornahm oder durch einzelne Aerzte ausführen ließ. Als fein jpezieller Operationsafliitent funktionierte Dr. Cout= poilier, der in der übrigen Zeit ji) mit Socin bald diejer bald jener Abteilung widmete, um Rat zu erteilen oder Verbände mit bejonders jehwieriger Technik, 3. B. Schwebeverbände, auszuführen. Socin durdeilte das Lazarett nah allen Rich: tungen und jtand immer zur Verfügung, wo man Schwierig- feiten hatte, wo Entſcheidungen zu treffen waren, oder wo eine dringende Not, 3. B. eine arterielle Blutung, raſches Ein— greifen erforderte. Auch außer der offiziellen Operations- ſtunde jah man die Wärter oft mit der Bahre nad) dem Ope— tationsjaale eilen. Dort wurde der Patient von der Opera- tionsjchweiter, der Riehener Schweiter Anna Stoll in Emp— fang genommen, die Inſtrumente und Verbände jtets ge= braudsfertig zu Halten Hatte.
Nachmittags zwiihen 1 und 4 Uhr waren die meilten
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Aerzte in der Stadt, das Lazarett wurde dann von zwei Yerzten und einigen Affiftenten gehütet. Bon 4—7 Uhr war wieder Bilite,; auch) da, wo am Abend fein Verband gemadht werden mußte, gab es doch Arbeit genug, bis alle Verwun— deten für die Naht gut gelagert und einzelne in ein friſches Bett gebradt worden waren. Während der Nacht blieben zwei Aerzte mit zwei Aſſiſtenten und einer größeren Anzahl von Pflegerinnen auf der Wache. Sämtlihe Ordensfchweitern und Diafonijjen wohnten in Anbauten des Lazaretts, während die freiwilligen Pflegerinnen in der Stadt übernadteten. Die Abteilung, in welche ich zunächſt eingeteilt wurde, beitand aus 15 Schwerverwundeten, Franzoſen und Deutſchen, faſt ausjchließlich aus der Schlacht bei Wörth oder Rigshofen, wie die Franzoſen jagten. Die meiften hatten Knochenſchüſſe mit Zerſchmetterung der Knochen, bejonders der Oberſchenkel; einige waren in Bruſt, Baud und Beden getroffen. Diele 15 Patienten gaben uns vollauf zu tun; bei einzelnen dauerte es eine halbe Stunde und länger, bis fie verbunden und ge— lagert waren. Melde Leiden Hatten diefe Zeute ſchon durch— gemadt, bis fie mit ihren zerichojjenen Gliedern endlich im Rejervelazarett der Heimat angelangt waren! Blutverlujte, Schmerzen, Fieber, Eiterung, oft auch Diarrhoeen hatten zu phyſiſchem und moraliſchem Elend geführt und jie in einen beflagenswerten Zuitand gebradt. Wenn man dann aud bei aller Schonung und Borliht diefen ſchwerbeweglichen Leuten beim Reinigen, Verbinden und Lagern wehe tun und all diefes Seufzen und wohl auch Schreien anhören mußte, jo waren aud) den Behandelnden oft die Tränen nahe. Ich jah gleich, daß es fi) da nicht nur um Helfen beim Verbande und hirurgifhe Pflege der Wunden handle, fondern daß ich mit meinen guten Körperfräften fajt am nützlichſten wirke, wenn ic) beim Heben und Tragen diefer Unbeweglichen willig angreife und die Leiden auf dieſe Weiſe zu mildern ſuche. Ich habe mir damals eine Gejhidlichfeit nach diefer Richtung er= worben, die mir fpäter in der Praris gute Dienite leijtete.
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Einzelne der jungen Aſſiſtenten hielten fi) für zu vornehm zu ſolchen Verrichtungen, die nad) ihrer Meinung nur für Wärter paßten. Aber ein junger Menſch darf nicht mit Anſprüchen auf bejondere Wertfhägung feiner Kenninijje an jeine Auf- gabe gehen, fondern er foll da angreifen, wo es etwas Nüß- lies zu tun gibt. Man fann nicht, wie man gerne wollte, alle Leiden Heilen, aber man fann ohne große Wiſſenſchaft wohltun, wenn es aud) nur durch Teilnahme, ein freundliches Mort oder eine fleine Gefälligfeit geſchieht. Einer unſrer MWärter, ein junger Schweizer mit dem Bornamen Karl, illu- itrierte täglich das eben Gejagte beim Verbande des durch das Knie geihoflenen deuten Füſiliers Schenf. Das Knie war zeriplittert und in Eiterung begriffen, das Verbinden und Lagern äußerſt ſchmerzhaft, und wir fürdteten uns täglich vor diefem Verbande, der von dem Fläglidhen Geſchrei des Patienten begleitet war. Schenf war bei Gravelotte getroffen worden, in einem Kleeader liegen geblieben, war dann mittelft der Hände und des gefunden Beins, auf dem Baudhe liegend, an den Rand des Aders gefrohen und hatte dabei im Klee eine hübjche hölzerne, mit Silber bejchlagene Tabafpfeife ge- funden. „Die muß aud, mit“, fagte er zu ji und jtedte fie ein. Wenn nun im Lazarett die Reihe des Verbindens bald an ihn Fam, holte der Wärter aus dem Nachttiſchchen die er- beutete Pfeife, jtopfte fie umjtändli mit Tabaf, entzündete fie in dem Moment, wo die Schmerzen begannen und ftedte tie dem Patienten in ven Mund. „So, Schenf; je ziehnd Sie numme recht!“ Der arme Kerl zog nun aus Leibes- fräften und blies dide Wolfen. „Nummesn-als witers g’raudt“, jo ging es die ganze Zeit, „jo iſch's recht, witer, witer“, jo daß der VBerwundete von unjerer Arbeit abgelentt, jeine Schmerzen weniger empfand und, die Pfeife im Mund, uns fein Schreien erjparte.
Ein anderer unfrer Batienten erregte meine bejondere Zeilnahme aus anderen Gründen. Er war als Barifer Studiosus juris unter die Fahne geeilt, hatte bei Wörth einen
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Schuß in den redten Oberarm mit Splitterung erhalten und war am jiebenten Tage nad) Karlsruhe gelangt; man hatte ihm bier zweimal Knochensplitter entfernt und war ge- swungen, am 15. Tage die Amputation zu maden. Geine Mutter, eine zarte Dame, hatte es unternommen, ihn aufzu- juden, Hatte ihn endlich gefunden und mußte nun fein Elend mit anjehen; jie wich) den ganzen Tag nicht von feinem Belt. Nach der Amputation ſchien es gut zu gehen; der junge, jchöne Mann verlor etwas von feinem Ddülteren Ausdrud, — da plößlid, am 28. Tag jtellten ſich zwei Schüttelfröjte ein und zugleid) der ominöſe fahlgelbe Teint der Pyämiſchen. Die Mutter, aufs äußerſte erſchreckt, wünjchte den Sohn in einem fleinern, ruhigeren Spital verjorgt zu jehen, und fo befam ih von Socin den Auftrag, den Transport zum Diakoniſſen— haus zu leiten. Der Kranfe wurde in einem Korbwagen von Vadträgern durch die Stadt gezogen; die Mutter und ih gingen neben ihm her. Auf dem Bahnhofplag hörten wir das Stöhnen des Patienten; er hatte, auf dem Rüden liegend, erbroden und fühlte fi) ſterbensſchwach. Während wir ihn reinigten und jtärkten, drängte das neugierige Publikum Hinzu, und es brauchte meiner energijhen Zurüdweijung, um den nötigen Pla zum Helfen zu befommen. Nach diejer auj- regenden Scene ging die traurige, langjame Fahrt weiter, und nad) mehr als einer Stunde fonnte ich den Berwundeten dem Diafonijjenhaus übergeben. Er jtarb acht Tage jpäter. — Ungefähr eine Woche vorher war in einer anderen Ab— teilung ein Heidelberger Studiosus juris mit Durchſchießung der Hauptarterie des linfen Oberſchenkels, nad) Unterbindung des Gefäkes, an Brand des Beins geitorben; man hatte ihn zwei Tage vor dem Tode durd hohe Amputation zu retten verjuht. Es iſt begreiflid), daß uns Studenten das Schidjal diefer beiden Kommilitonen bejonders nahe ging.
Als Dr. 2oß für einige Tage mit dem badiſchen Lazarett— zug nad) Frankreich gereijt war, wurde unjere Abteilung vor- übergehend mit derjenigen der beiden Freiburger Werzte
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Dr. Bögeli und Stabsarzt Dr. Thiry vereinigt. Hier waren die Patienten meift Franzofen, darunter einige Hüninger Küraffiere, die urchiges Sundgauer- oder Waggisdeutſch ſprachen. Es waren darunter ältere Troupiers mit à la Na— poleon geitugtem Schnurr- und Kinnbart; ein jeder trug unter dem Hemde ein Sfapulier. Zwiſchen Franzoſen und Deutfhen lagen Turfos, die nur wenige franzölilhe Broden zur Verfügung Hatten und fi) durch ihren Dolmetſcher Haſſan ben Abdallah veritändlich machen mußten.
Nach dieſem eriten Blid in die Stätte unjerer Tätigkeit muß ich wieder auf die Organiſation zurüdfommen. Mit Socin waren als Aerzte von Balel nach Karlsruhe gefommen: Prof. E. E. E. Hoffmann, feines Berufs eigentlid) Projektor an der Anatomie, im Lazarett jedoch ärztlich tätig, Dr. Fri Müller, der jpätere Ratsherr, Dr. ©. 2. Courvoijier, Dr. Th. 208, Dr. 8. Breiting und Dr. Arnold Ott, leßterer als Leiter einer Sfjolierabteilung tätig. Es ijt dies derjelbe Dr. Dtt, der fi [päter als Dichter einen Namen gemadt hat. Später famen noch hinzu die Doktoren U. Hugelshofer und Fr. Hold). Von deutihen Aerzten waren angeltelit die Doktoren Bögeli, Thiry und Brunner aus Freiburg, Dr. Niffel aus Lörrad), Dr. Schüßenberger aus Konjtanz, Dr. Berton aus Baden- Baden, Dr. v. Wänfer aus Karlsruhe, Dr. v. Dejlauer und ein Oeſterreicher, Dr. Hechelmann, für einige Zeit aud) Dr. Picard aus Karlsruhe. Brof. Edwin Klebs verjah Die Funktion eines pathologiihen Anatomen und jpäter zugleich die eines Spezialijten für Nervenverlegungen. Er hatte hiezu eine eigene Barade mit eleftriiher Einrihtung Während Abweſenheit von Klebs wurden einige Geftionen von Prof. Hoffmann gemadt, mehrere von Prof. Meier aus Freiburg, dem Verfaſſer der Gejchmulitlehre, einem vortrefflichen, freundliden Manne. Im Herbit jah ich im Lazarett aud zum eritenmale Prof. Ernit Bergmann, der dann jpäter an Socins Stelle trat.
Als Hilfsaffiitenten waren von Schweizern angeltellt die
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Basler Studenten Ineichen, Imfeld, van Hoeven, Deri, Barth und Bojjart und die in Bern ftudierenden Studioli Sean: neret und Müller. Dazu famen einige Freiburger und Heidel- berger Studenten, an deren Namen id) mich nicht erinnere. Als Apotheker funktionierte ein Mann mit dem paljenden Namen Braunftein; er war zugleich Materialverwalter und hatte bejtändig das in der Mitte des Lazaretts aufgeitellte Faß mit Iprozentiger Carbollöfung gefüllt zu erhalten. Die Aerzte und Studenten ftanden im Gold des badifchen Srauenvereins; wir Studenten befamen einen Tagesfold von zwei Talern und zur Legitimation die weiße Armbinde mit dem roten Kreuz und dem Stempel des Krauenvereins. Der Bewahungsdienit wurde von Soldaten ausgeübt, die unter dem Plagfommando von Karlsruhe jtanden. An jeder Pforte oder Lüde jtanden militäriihe Bolten. In Ge: nejung begriffene Franzoſen wurden truppweije unter mili— täriiher Esforte als Kriegsgefangene weggeführt und ver- tauſchten ungern die gute Pflege und Kojt des Lazaretts mit dem bevorjtehenden Aufenthalt in der Feſtung Rajtatt. Aber der Plagfommandant, General von Freydorf, duldete im La— zarett nur wirklich der Pflege Bedürftige und wollte feinen allzu fentimentalen Kultus mit verwundeten Feinden auf: fommen lafjjen, die bereits das Herz einiger gefühlvoller KRarlsruherinnen gewonnen hatten. Um die innere Lazarett: polizei madte fi) auf eigene Fauſt Prof. Hoffmann verdient; er bejchränfte ſich nicht auf feine eigene Abteilung, jondern ging überall herum und fand es fiher heraus, wenn und wo etwas Ungerades vorfiel. Seinem Ordnungslinn entging fein Handtud), das am Boden lag, feine Wärterin, die gaffend daſtand oder unnötig lange mit einem Wärter jprad. a, als Urbeiter auf dem Dache loſe gewordene enter feitzu- maden hatten und in begreifliher Neugier in den Saal hin- unterfchauten, rief er ihnen mit lauter Stimme zu: „Sie habe da nir runter zu gude, gehn Sie an Ihre Arbeit.“ Einzig Hoffmann gelang es aud ſchließlich ein Rätſel zu löſen, das
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den jehr exakten Verwalter, Herrn Lecdjleitner in große Ver: legenheit gebracht Hatte. Es zeigte fih nämlidh, daß, wenn dDiefer am Tage die Patienten zählte, immer ein Mann weniger vorhanden war, als wenn er nadts Eontrollierte. Es war Hoffmann vorbehalten, Licht in die Sade zu bringen und feitzuitellen, daß es ein als Afliitent angeitellter Heidel- berger Korpsitudent war, der, um die Koſten einer Wohnung in der Stadt zu ſparen, ſich jeden Abend nad) feiner Rückkehr aus fröhlicher Geſellſchaft wieder ins Lazarett gejchlichen und dort in ein Patientenbett gelegt hatte. — Eine andere Art origineller Polizei übte ganz im Stillen Dr. Friedr. Müller. Ein Hofgärtner hatte den Auftrag erhalten, auf jedes Nacht— tifchchen nicht nur Blumen, jondern aud) einen Topf mit Erde zu ſtellen, aus dem ein mit Honig beitrichener Stab hervor: tagte. Dies jollte ein ausgezeichnetes Mittel gegen die stiegen fein, die, anitatt den Patienten über's Geliht zu laufen, an diefem Stode feitzufleben hatten. Das war aber Müller zu Lebrig; in jtillen Stunden ſah man ihn, unter jedem Arme einen folden Topf, aus dem Lazarett hinfen und feine Lajt in den Kanal verjenfen.
Daß im übrigen alles jo raſch organiliert war und alle Räder der großen, improvilierten Mafchine jo gut funftio- nierten, war wejentlih das Berdienit einiger gebildeter Männer aus Karlsruhe, die dem Lazarette täglich einige Stunden opferten; ich erinnere mid) bejonders an die Herren Wiedemann, den Profeſſor der Phyſik, und Prof. Neßler, den Chemifer. Ihnen jtanden zur Seite einige Damen, an ihrer Spike die vornehme Erſcheinung der rau von Berftett; fie empfingen die Großherzogin, wenn fie ins Lazarett kam, hielten Aufliht über das Wartperfonal, verfahen die Ab— teilungen mit neuem VBerbandzeug und brachten von zu Haufe Erfrifhungen, aud) für die Aerzte.
As Warteperjonal funftionierte eine Anzahl von MWärtern von verfhiedener Güte, vielleiht zwanzig Mann, einige davon aus der Schweiz. Einer der leßtern war von
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einem Bibel: und Traftatfolporteur aus der welihen Schweiz eingeführt worden und jah jo unfchuldig blühend aus wie der fromme Knedt Fridolin. Einige Wochen jpäter Hatte fich eine junge Wärterin feiner jpeziell angenommen und die Rofen von ſeinen Wangen gepflüdt; er fehrte bald als erfahrener und geprüfter Mann in die Heimat zurüd.
Die freiwilligen Kranfenpflegerinnen, die vom Frauen— verein in vierzehntägigen Kurjen ausgebildet und mit einem hübſchen hellblauen Waſchkleide, weißer Schürze, einem zier- lihen Häubchen, einem weißen Armband mit dem roten Kreuz, ſpäter aud mit einer Rotkreuzbroſche ausgeitattet waren, brachten vielen guten Willen, aber auch einige Leicht: lfebigfeit mit in ihre Gtellung, jo dak mandes zarte Band ganz unmwillfürlich zwilchen ihnen und den Gepflegten oder auch den Pflegern gewoben wurde, deſſen Fäden ſelbſt Hoff: manns Scharfblick entgingen.
Zur Ausführung der vielen Temperaturmeſſungen war eine Gruppe junger Leute, Polytechniker und Schüler, zur Verfügung; ſie ſtanden unter der Leitung von Dr. Ador aus Genf, der die Reſultate ſammelte und in Tabellen eintrug.
Einen Gegenſatz zu dieſen improviſierten weltlichen Korps bildeten die weißen und ſchwarzen Ordensſchweſtern. Die weißen, vom Orden St. Vincent de Paul, kamen von Freiburg i. Br. und waren ebenſo tüchtige als freundliche Pflegerinnen; es waren darunter ſehr gebildete Schweſtern, deren ruhige und geduldige Pflege Reſpekt einflößte. Den von uns „Ihwarze“ genannten Schweitern fehlte nicht nur der hohe weiße Schleier der weißen, — ſie hatten über einer Heinen weißen Haube ein jhwarzes Tuch) auf dem Kopf und waren überhaupt ganz ſchwarz gekleidet, — jondern auch deren Ausbildung. Dodh waren aud dieje, wenn ih nicht irre, barmherzigen Schweitern des Drdens vom göttlichen Erlöjer, aus Niederbronn, jehr pflichteifrig und braudbar. Ergänzt wurde das Drdensperjonal durch drei Diafoniljen aus NRiehen, die Schweitern Anna Stoll, Anna GSteinmann und Gophie
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Mälti, die weniger dur die Schönheit ihres Koſtüms als durch ihre Tüchtigkeit und ſchweizeriſche Einfachheit glänzten.
Sm Lazarett wurde in den verjchiedenen Abteilungen regelmäßig Gottesdienjt durch die proteſtantiſchen und fatho- liſchen Geiltliden von Karlsruhe gehalten. Die Mohamme- daner hatten ihren eigenen Feldprieſter, einen alten grau= bärtigen Araber, dem man den Arm amputiert hatte; in amt- licher Funktion ſah ich ihn nie.
Täglich ein-, oft zweimal beſuchte die Großherzogin Luiſe das Bahnhoflazarett, meiſt in Begleitung ihrer Schwägerin, ver Prinzeſſin Wilhelm. Die Großherzogin jtand an der Spite des Badilhen Frauenvereins und galt als vortrefflicdhe Drganijatorin. ‚Nach dem Ausbrude des Krieges hatte fie die vielen Lazarette in Karlsruhe unter ihre beſondere Ob— hut genommen und bejudte aud ab und zu die der benad)- barten Städte Freiburg, Heidelberg und Schweßingen. Das Bahnhoflazarett mit feinen gewaltigen Dimenjionen befam natürlich) ihre Fürſorge in bejonderem Maße zu ſpüren. Alle Mittel wurden jo reichlich gewährt, dag auch der nicht jo Teicht zu befriedigende Socin deren Fülle nur bewundern fonnte. Wenn die Verwaltung des Frauenvereins bei dem Verbraudje diefes Lazaretts mandhmal ein Grauen anfam, und man ihm den Gpitnamen des Danaidenfaljes gab, fo war doch ftets dafür gejorgt, dag die Mittel in gleihem Maße zuflojjen.
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Weil es nun von einigem Intereſſe, auch für uns Schweizer ſein kann, zu ſehen, wie ein kleines Land von nicht ganz 1% Millionen Einwohnern die Aufgabe bewältigt, in der Zeit von ungefähr 9 Monaten über 30000 VBerwundete aufzunehmen und zu verpflegen, ijt es wohl paſſend, hier furz einen Bli auf die freiwillige Hilfstätigfeit im Großherzog: tum Baden während des Krieges 1870/71 zu werfen. Ih entnehme, außer meiner Erinnerung, genauere Angaben dem
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1872 erſchienenen Rechenſchaftsbericht der vereinigten Hilfs- Tomitees des Badilhen Krauenvereins unter dem Protefto- rate I. 8. H. der Großherzogin Luiſe von Baden.
Der Badifhe Frauenverein hatte, 1859 bei drohender Kriegsgefahr ins Leben gerufen, ſich vorerft mit der Ausbildung von Pflegerinnen befaßt. Nachdem im Auguſt 1864 die Genfer Konvention, an der fih auch Baden beteiligte, abgejchlofjen war, war der Frauenverein 1865 zum Zweig- verein des in Genf gegründeten internationalen Hilfsvereins zur Berbeflerung des Loſes im Kriege verwundeter und er— franfter Soldaten geworden und Hatte im Krieg von 1866 feine erite Probe bejtanden und Erfahrung gewonnen. Im Jahre 1869 wurde eine Hebereinfunft mit dem Deutfchen Zen— tralverein geſchloſſen und ein Mutterhaus für Pflegerinnen gegründet; 1870 war man an den Borbereitungen zur Er- richtung von Reſervelazaretten für den Kriegsfall.
Beim Ausbrud des Krieges im Juli 1870 waren, ab- gejehen von Karlsruhe, 70 Krauenvereine zu wohltätigen Zwecken und (jeit 1866) aud für den Kriegsfall tätig. Die Eriftenz dieſer Vereine war troß der loſen Drganijation außerjt wertvoll. Als der Badilhe Frauenverein, an der Spite die Großherzogin Luiſe, am 18. Juli einen Aufruf erließ, ftieg die Zahl der Yrauenvereine auf 97, und in den größeren Drtihaften wurden 16 Männerhilfsvereine neu gebildet.
Der Aufruf verlangte Lieferung von Gebraudsgegen- ftänden zum Verband, zur Verpflegung und Erquidung, Gtel- lung von Wärtern und Oberwärtern für Garnijons- und Kriegslazarette, Erridtung von Refervelazaretten, Samm: lung von Geldmitteln zum Sanitätsdienft, zur Unterjtüßung von Soldaten, ihrer Familien und Hinterbliebenen.
Den Männervereinen, eingeteilt in Rotten, fiel die Unter: ftüßung Hilfsbedürftiger Yamilien, die Erfriihung Verwun— deter und Kranker auf dem Transport, der Kranfentransport und der Bureau: und Nachrichtendienſt zu.
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Der Aufruf Hatte den großartigen Erfolg, daß allein aus Baden (ic laſſe die auswärtigen Beiträge und die Rüdver- gütung durch das Kriegsminijterium weg) in kürzeſter Zeit in freiwilligen Geld: und Naturalgaben 2% Millionen Gul- den, aljo über 5 Millionen Franken an die Zentralitelle des Frauenvereins in Karlsruhe gelangten. Doch iſt dieje Zahl weit unter der Wirklichkeit, weil die Leiftungen vieler Lokal— vereine, Privatipitäler, Pflegeanitalten, Privatpflegen und mwohltätiger Fonds nicht mitberehhnet find und viele Sen— dungen direft an die Truppen gingen.
Bon obiger, dem Badiſchen Hauptverein anver- trauten Summe wurden verwendet für die Tätigfeit auf dem Kriegsichauplat 20%, für Kranfentransport 5%, für Lazarett pflege 40%, für Fürſorge an Refonvaleszenten 3%, für Unter: ſtützung Invalider 24% und für Verwaltung und Beiträge an das deutſche Zentralfomitee 8%.
Man fann fi leicht vorjtellen, daß das Zentraldepot in Karlsruhe bei der NReichlichkeit ſolchen Zufluſſes Mühe hatte, alles zu ordnen und zu bemeijtern, um jo mehr, als ji) die Leitung vielfach unerfüllbaren Wünfhen gegenüber jah. War doc vielen Gaben die Bedingung beigefügt, daß fie an beitimmte Truppen oder Lazarette gelangen jollten. Das Gtreben vieler Geber, ihre Gabe im Geijte bis zu deren Ver— wendung verfolgen zu können, und die Vorwürfe, daß im Zentraldepot zu viel aufgefpeichert werde, waren zwar bes greiflich bei Leuten, die die ganze Schwierigkeit einer zweck— mäßigen und gleidhartigen Verwendung nicht fannten, aber für die Verwaltung oft eine Berlegenheit. Sie führten denn aud von Geiten einzelner Bereine und Perſonen zur Um: gehung der Zentralitelle und zu Sendungen auf den Kriegs Ihaupla ins Blaue hinein, die bejler unterblieben wären. Der Bericht zieht aus diefen Erfeheinungen den Schluß, dag in Zufunft, mit Vermeidung aller Zerjplitterung durch ört- lihe und perfönlide Rückſichten und Saloufien, alle Mittel fonzentrijch zu vereinigen und durch eine Kommilfjion mit Ver—
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tretung der verjchiedenen Landesgegenden dahin zu leiten jeien, wo jie nötig find. Einzelnen Bezirken würde dann in pajlenden Fällen eine direkte Wirkung auf den Kriegsichau- plat übertragen.
Der Ruf nad Pflegeperjonal fand 41 Bflegerinnen vor, die, vom Frauenverein ausgebildet, zu einem Verbande ge: hörten und von ihm Gehalt, freie Verpflegung und Gorge für die Zeit ihrer Untauglicäfeit garantiert erhielten. Hiezu famen 22 ebenfalls ausgebildete Pflegerinnen, zum Teil Damen der höheren Gejellidaftsihichten, die nicht dem Ber: bande angehörten. In Kurſen von vierzehn Tagen wurden jodann 133 Yreiwillige ausgebildet und dann nod eine größere Zahl Wärterinnen angeltellt, zulammen 254 welt- lihe Pflegerinnen. Dazu famen 93 katholiſche Ordens- Ihwejtern und 39 evangeliſche Diakoniſſen (wovon 7 aus Riehen), im ganzen 386, die der Zentralitelle unterjtanden. Nicht eingerechnet iſt eine Anzahl Schweitern verjchiedener Herkunft, jo u. a. neun Schweitern aus Ingenbohl, die in privaten Lazaretten wirkten, und ferner das ftändige Per- lonal der Spitäler in Friedenszeiten.
Die Erfahrung mit den freiwilligen Pflegerinnen lehrte, daß es am beiten da ging, wo zwei Freiwillige, von denen jehr viele fih als tüchtig erwielen, mit einer berufsmäßigen Schweſter zufammenwirften. Das männlide Perjonal wurde auf das Nötigjte reduziert, da man mit ihm in Ordnung und Gehorjam weniger gute Erfahrungen made.
Das Transportwefen hatte natürlih im Beginn des Krieges, wo alle Bahnen und Straßen vorerft für die Truppen und ihr Material in Anſpruch genommen waren, feine be- jonderen Schwierigkeiten. In diejer erjten Sturmgzeit, bevor durch den Gang der Kriegsereignilje die Wege gewiejen und auch freier geworden und die Verhältniſſe des Transports geregelt waren, madten ji) bejonders die Männerhilfs- folonnen, an ihrer Spitze der Regiftrator Rangenberger, (vielen Baslern von feiner fpäteren Stellung als Inſpektor
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des Badifhen Bahnhofs Her in guter Erinnerung) verdient; es bedurfte gewaltiger Anjtrengungen, um, zum Beilpiel nad) der Schlacht bei Wörth, die Transporte raſch an Ort und Stelle zu bringen. Zwanzigmal während des Yeldzugs fuhr der badiſche Lazarettzug mit je 6 württembergijchen Per: ſonen- und 10 badilhen Güterwagen nah Yranfreih und wurde, außer von den Xerzten, von diefen Männerrotten be- gleitet. Die längſte Reife dauerte 13% Tage.
Verpflegt wurden im Laufe des Kriegs in den LRazaretten des Großherzogtums Baden 30 884 Krieger mit 338 688 Ver— pflegungstagen. Davon fielen 50% auf die Hauptvereins- fazarette, 22% auf ungefähr 48 jelbitändige Refervelazarett: anjtalten, Eleinere freie Lazarette und Brivatpflegen, 28% auf Garnifonslazarette.
Auf die Hauptvereinslazarette der Städte Brudjfal, Karlsruhe, Durlad, Mannheim, Schweßingen und Wertheim famen 15 378 Mann, wovon 4446 auf Karlsruhe Das Ma: zimum der einzig dem Hauptverein zur Verfügung jtehenden Betten wurde am 21. September mit 5150 erreicht, die höchſte Belegziffer am 21. Auguft mit 3800.
Ueberblickt man die gewaltigen Leiltungen des gejamten freiwilligen Hilfswejens in Baden, jo müſſen fie Bewunde— rung erregen. Die ſchon im ganzen Land beitehende Organi: fation madte es den weitelten Kreijen möglich, für die Re— gungen ihrer Baterlandsliebe und ihrer Menſchenfreundlich— feit die rechten Wege zu finden. Wenn man fo im ganzen badifhen Lande Männer, Frauen und Sungfrauen jeder Gegend, jeden Standes und jeder Konfellion bemüht ſah in der ſchönen Aufgabe, die Leiden zu heilen, die ein Krieg bringen mußte, und wenn man in den Tagen der Prüfung alle dieje Kleinen Hilfsquellen vereinigt fand zu dem ftarfen Strom eines großartigen patriotifhen und allgemein menjd- lihen Tuns für Freund und Feind, jo mußte das einem Ad}: tung einflößen, Achtung bejonders auch vor der Einjiht und dem Willen der Fürftin, die es zur rechten Zeit verjtanden
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hatte, alle Human gelinnten Bolfsgenofjen zu einer großen Tat zu jammeln. * * *
Die Großherzogin Luiſe, zu deren Lazarettätigkeit ich nad dieſer Abſchweifung zurückkehre, war eine ſchöne, freund— liche Dame von geſundem und energiſchem Ausdruck. Sie hatte eine große Menſchenkenntnis, einen raſchen Blick für das Wichtige und Nötige und ein vorzügliches Gedächtnis. Mit den Aerzten und aud) mit uns Studenten jprad) fie in ganz einfacher Weiſe, und es fchien ihr zu gefallen, wenn man ihr ohne Scheu in ebenjo einfacher Weije antwortete. Ebenſo einfah war ihr Verkehr mit den VBerwundeten, gleihgültig ob Deutſchen oder Franzoſen. Lebtere wußten wohl oft zu— erft gar nicht, wer die Dame war, die jie in gutem Franzö— ih jo freundlich und teilnehmend nad ihrem Ergehen, der Art ihrer Verwundung, ihren Yamilienverhältnijjen er- fundigte und, wo fie einen Wunſch entdeden fonnte, am nächſten Tage das Gewünſchte, ein Kleidungsjtüd, einen Toilettegegen- Itand, ein Bud) oder eine Erfriihung bradte. So ging fie alltäglich mehrere Stunden lang von Bett zu Bett und lernte bald die Leute fehr gut fennen. Das war das Wohltuende an ihrer Tätigfeit, daß es nicht ein oberflächliches, ſchablonen— haftes Tun war, jondern daß die verjtändige und geduldige Fürſorge von Anfang bis zum Ende die gleihe blieb. Nur jelten jah man fie ungeduldig oder ärgerlich; einmal als ein Sranzoje ihr gegenüber eine unanjtändige Haltung annahm, und ein anderes Mal als ein Deuticher, den fie teilnehmen. fragte, in welcher Schladjt er den großen Säbelhieb befommen habe, antwortete: „Den hab’ id) von meinem eigenen Unter: offizier erhalten!“ — da wandte fie fich entrüjtet ab. Un- behilfliden Yeußerungen Verwundeter gegenüber, auch wenn fie unfchön oder unzart klangen, hatte jie nur freundliche Teil- nahme. Mit der Großherzogin fam gewöhnlich ihre Schwä- gerin 3. KR. 9. die Prinzeſſin Wilhelm, eine muntere, intelli-
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gente Dame, erfüllt von lebhaftem Intereſſe für das Lazarett. Auch die badiihe Prinzejjin Elifabeth fam oftmals und er- freute die Leute mit ihren Gaben. Vieles Vergnügen madte es uns, den Verkehr des weltgewandten und geijtreichen Soctn mit den fürftlichen Hoheiten zu beobadten. Geine witigen Mendungen entlodten den hohen Damen mandes Lädeln; dabei fehlte es ihm aud nicht an der nötigen Schmiegjam- feit. Man erzählte ji, er habe es durchaus gebilligt, daß eine Dame vom Hofe eine gewille Scheu davor empfunden habe, das Bahnhoflazarett an einem Freitag eröffnet zu jehen, indem er äußerte: „Auch ich würde jo etwas nie an einem Freitag tun.“
Dem Großherzog Friedrich wurden wir vorgeitellt, als er nad) der Einnahme von Straßburg aus dem Hauptquartier für einige Tage nad) Karlsruhe fam. Cinmal jah ih aud den Prinzen Wilhelm, nachdem er, bei Nuits an der Spitze feines Regiments verwundet, raſch genejen war. Eine fran- zöfifhe Kugel war ihm ins Wangenbein gedrungen und bald ertrahiert worden.
Sch fehre nun wieder zur Aſſiſtententätigkeit im Lazarett zurüd. Inder Nacht vom 30./31. Auguft wurde id) zum erſten— mal zum Nahtwahen fommandiert; mein Borgejeßter in jener Naht war Dr. Kiffel. Als das allgemeine Tages: geräufch fi gelegt hatte und der große Raum, durd) Lampen mäßig erhellt, noch immenfer erſchien als am Tage, erjhien mir aud) das Elend, das hier angejammelt war, noch größer . als vorher. Wenn aud) vieler der Krieger jih ein janfter Schlaf bemädtigt hatte, jo hörte doch das Stöhnen und Rufen derer nit auf, die von Schmerzen gepeinigt waren. Einzelne VBerwundete waren in wilden Delirien, die mit, dem an foldes noch nicht Gemwöhnten, einen jchauerliden Eindrud madten. Sch hörte in jener Naht auf Deutſch, Pol- niſch, Franzöſiſch und Arabiſch dvelirieren und jah, welche
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Mühe die Schweitern und Märter Hatten, dieſe Furibunden im Bette zu halten und fie daran zu verhindern, ihre Ver- bände abzureißen. Ein junger Bole, geängitigt durch das Thermometer unter feinem Arm, wurde durch mein Kommen plöglich beruhigt, feine wilden Bewegungen legten fih, und er begann lächelnd mein Gejiht zu jtreicheln, wie wenn ich ihm als jein Bruder erſchienen wäre. Durch das Halbdunfel ſah man die weißen Schleier in Bewegung und das Nieder: beugen über den Betten. Alle Augenblide wurden wir ge- rufen, bald wegen eines Schüttelfrojtes, bald wegen einer Blutung, wegen unerträglier Schmerzen oder allzu lauter Delirien. Bei zwei Blutungen fam ich zu felbitändigem Ein- greifen, indem ich große blutende Höhlen mit Charpie feit ausitopfen mußte. Einer der beiden Patienten ftarb noch in derjelben Naht. Einen unvergekliden Eindruck machte mir der Anblick zweier von Tetanus (Wunditarrframpf) Er: griffener, deren Betten nebeneinander jtanden. Beide hatten heftige Musfelfrämpfe, fo daß fie ji, auf dem Rüden liegend, derart bäumten, daß fie mandymal nur auf Hinterhaupt und Serjen lagen. Ihr Geftöhne ging die ganze Nacht weiter, und der grauenhafte Anblick wurde nur zeitweife durch Chloral- gaben gemildert. Es jtarben in jener Naht acht Verwundete, und ih erinnere mid) noch wohl des Seufzers, den Sorin am folgenden Morgen ausitieß, als er mid) nad) dem Verlaufe der Nacht gefragt hatte.
Auch die Nachtwache vom 2. auf den 3. September ver- Tief ähnli,; diesmal ftand ich unter den freundlichen und geihidten Freiburger Doktoren Thiry und Vögeli, die mid unter ihrer Auflicht vieles machen ließen und ſich bemühten, mich chirurgiſch zu erziehen.
Am frühen Morgen des 3. September war ih nad) meinem Zimmer in der Stadt geeilt, um mi) nad) der Nadt: wache umzukleiden. Als ic) zurüdfehrte, bemerkte ich eine eigentümliche Aufregung im ganzen Gaale, bejonders bei den Deutihen; es war das Gerücht von einer großen Schladt ein-
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gedrungen, doch wußte man nichts Genaueres. Gegen Mittag fam die Großhergogin in unjere Abteilung; fie trat raſch auf mid zu und jagte: „Und die herrlichen Siegesnadhridten,, was jagen Sie dazu? Denken Gie, eine große Schlacht bei Sedan und Napoleon mit Mac Mahon und der ganzen Armee: gefangen!“ Ich war jo verblüfft, daß mein Glüdwunjd viel- leicht etwas ungeſchickt ausfiel. Die Nachricht flog mit Blißes- Ichnelle durch das Lazarett, und als dann draußen das Vik— toriafehießen erſchallte, mijhte fih in den Donner der Ge- ſchütze das Jauchzen verwundeter Deutjcher.
Am 12. September kam ein Nachſchub von 150 Verwun— deten, nachdem der Tod und die Evakuation Geneſender einigen Platz geſchaffen Hatte; von den 15 von mir angetretenen Pa— tienten waren nur noch 8 vorhanden. Es begannen nun die Deutſchen vorzumwiegen; fie jtammten meijt aus den Schladten um Met, und aud Straßburg lieferte ziemlidhen Zuzug.
Unter den Franzoſen waren jehr nette, liebenswürdige Reute; die Mehrzahl aber war wenig gebildet. Der Zu: ſammenbruch Frankreichs bei Sedan erfüllte mande mit In— grimm, die meilten jedoch ſchienen von erjtaunlider Gleich— gültigfeit gegen die Geihide ihres Vaterlands. Auch die Großherzogin, die an jenem Tage aus Zartgefühl die Fran— zojen mied, war nachher erjtaunt über deren politiide In— dolenz. Unter den Franzoſen waren neben jungen Leuten viele Troupiers, die ſchon in der Krim 1854—55, in Italien 1859 und jpäter in Merifo gefämpft Hatten, und denen man das Soldatenmetier anjah. Vieles Intereſſe erwedten die Turkos, diefe afrifaniihe Truppe, durch deren Herbeiziehung man das gelittete Deutjchland im Beginne des Kriegs er— Ihredt Hatte. Es ging ihnen der Ruf großer Wildheit und: Graufamfeit voraus, und man dachte mit Bangen an das Einbrechen dieſer Horde in Deutihland. Bejonders die Srauenwelt zitterte vor diefen Unholden, von denen es hieß, daß jeder auf feinem Tornijter eine lebende Wildfage mit ih führe. Diefer Truppe waren darum in den Schladjten
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von Weißenburg und Wörth die Fräftigiten Kolbenjchläge befonders durch Die Bayern gewidmet worden, und man fann lagen, daß nad) Wörth die Turfos als befondere Truppe zu eriftieren aufgehört Hatten. Im Lazarett waren fie nun ſchon durch ihre Wunden gezähmt und führten fi ordentlih auf. Sie waren, wie die andern, von verjhiedener Güte und aud von verſchieden angenehmem Ausjehen. Die Mehrzahl Hatte den feinen arabilhen Geſichtstypus bei ſchönem ſchlankem Wuchs und brauner Haut, eine Fleinere Zahl war plumper und näherte jih in Gejihtsbildung und Haarwuchs der Neger tajje, es waren augenſcheinlich Miſchlinge. Alle Ließen fich die Haare rings um den Kopf wegralieren, jo daß nur der Scheitel einen Haarbuih trug. Ein jehr netter Mann vom arabiſchen Typus war der Dolmetſcher Haljan ben Abdallah, eine komiſche Figur der junge Dihil Ali ben Marfoli, der fi) einige franzöſiſche, ja ſelbſt deutſche Sätze angeeignet hatte. Er war ein jhlanfer Süngling mit freundlid) ſchlauem Aus— drud, der raſch der Freund aller, auch) der Deutjchen wurde. Er war leiht verwundet, trug einen Arm in der Schlinge und benußte die freie Hand zu allerlei Hilfeleiltungen und Diebereien, weld) legtere ihm niemand übel nahm. Er hatte einen enormen Appetit und wußte ſich bald da bald dort Ep . waren und Früchte zu verjchaffen, weil er beteuerte: «Moi! jamais rien mange.» Wenn GSocin etwa mit einer Gruppe fremder Aerzte durchs Lazarett ging, ſchloß er jich gerne dem Zuge an, und jelbjt die Großherzogin mit ihren Hofdamen wurde durch feine Begleitung beehrt. Er jtand bei ihren Gejpräden mit den Werzten ftill und tat, als ob er die Unter— haltung verjtehe, was er durch Lächeln und Niden bezeugte. Ueberall wurde er geduldet, jo wie man etwa einen Lieb— lingshund mitlaufen läßt. Endlich ſchlug auch jeine Stunde, leine Wunde beijerte fich, jo daß er beim Verbinden nicht mehr biri, biri, biri, d. H. 9 weh, o weh, o weh rufen mußte und mit dem Ruf: «Mabul böseff!», das heißt etwa: „O ihr blöd— finnigen Kerle!“ in die Feſtung abgeführt werden fonnte,
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verjehen mit einem Neuen Tejtament, durch dejjen freundliche Annahme er einen Bibelfolporteur erfreut hatte. — Einige der Turfos waren ganz alte Leute, darunter der ſchon er- wähnte Priejter. Einer der Alten war am Oberarm am: putiert, und als die Wunde fhon fajt vernarbt war, jtand immer nod) der Knochenſtumpf weit aus Dderjelben vor. Das abgejtoßene tote Knochenende war ſchon gelöjt und wurde einmal von Socin en passant fchnell mit zwei Fingern her: ausgezogen. Das erregte, wiewohl ganz Jchmerzlos, den höchſten Schreden des Alten, ich erinnere mid) noch feines unheimlich erjtaunten Geſichts; er muß Socin für einen Zau— berer gehalten haben.
Mit den alten faijerlichen Troupiers und den Afrikanern verglichen, waren die Deutjchen unjerer Abteilung von beijerer Qualität, gejunder, reinlicher, gebildeter, bejonders die vom Lande jtammenden Leute madten einen guten, auch moraliſch gejunden Eindrud. Auch von vielen Städtern läßt fi) das— jelbe jagen, Doc waren da au ſchon Leute zweiter Güte mit Neigung zu Unbotmäßigfeit und ſchnoddrigen Reden.
Zu jener Zeit befamen wir zwei Patienten, einen Deut- Then und einen Franzoſen, die beide die gleiche, ſchwere Ver: legung hatten, nämlich einen Schuß quer durch den Kopf mit Verluſt beider Augen; ich erinnere mich ihrer mit Teilnahme. Bei dem Deutſchen Hatten wohl auch die Geiltesfräfte etwas gelitten; denn er vertrieb fi die Zeit mit dem Spielen einer Heinen Kinderdrehorgel, einem Geſchenk der Großherzogin, und hoffte ficher, auf den Geburtstag feines Königs das Augen— licht wieder zu erhalten. Ein Ziethenhujar war beſſer davon— gefommen: ein Granatjplitter hatte fein linkes Wangenbein, den Jochbogen, die äußere Knochenwand der Augenhöhle, das Auge und einen großen Teil der Wange weggeriljen; die Naje und das rechte Auge blieben erhalten. Als die große Wunde in Vernarbung war, jah der Mann, von der rechten Geite ge- lehen, ganz hübſch aus, jo dak man die gräßlidhe Verunital: tung der linken Seite nit ahnte. Er war jtets guter Dinge.
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Wenn ich mittags oder abends bei Gängen nad) der Stadt den Bahnhof kreuzte, jah ich oft württembergifhe und bay: riſche Lazarettzüge, von denen mir bejonders die württem- bergifchen gefielen, weil deren Einteilung fie zum Legen und Aufhängen von Betten und zum Zirfulieren des Pflege: perjonals geeigneter madte als die Wagen mit Querabtei- lungen. Die am 12. September im Bahnhoflazarett an: langenden Verwundeten wurden durd die Eiſenbahn ins Lazarett gefahren, nadts 9 Uhr bei Fackelſchein ausgeladen und auf Tragbahren direft zu den Betten getragen. Mehrere Dale fah ich auch Lazarettzüge, die nicht Verwundete, fondern Typhus- und Ruhrfranfe enthielten, Leute, die oft ebenfo großes Elend durchgekoſtet hatten als die Blefjierten.
Sn grellem Gegenfaß zu diefen Zügen des Elends jtanden joldhe, die junges Volk, oft Freiwillige, die eben in der Heimat ihre erite kurze militäriihe Ausbildung erhalten hatten, als Ergänzungsmannjhaften nad) Frankreich Hinein- führten. Ich Höre jet noch das Jubelgeſchrei aus einem ſchwäbiſchen Soldatenzug mit der Aufirift: „Turfos von Ehlingen.“ Wie mander diejer Begeilterten mag ſpäter auf dem Schlachtfelde von Champigny geblutet Haben! Ende Gep- tember beobachtete ich größere Truppentransporte, die mittelft der Eijenbahn rheinaufwärts gejandt wurden; es war dies die Zeit, wo durch die bevoritehende oder geſchehene Kapi- tulation von Straßburg die Deutſchen zu weiterem Vordringen nad Süpdwelten freie Hand befommen hatten. Alles, was Karlsruhe pajlierte, Kranfe und Gejunde, wurde am Bahn- hofe verpflegt und erquidt.
Am 26. September waren nur noch 150 Patienten im Lazarett. Socin kehrte nad) einem mehrtägigen Beſuch aus dem badiſchen Hauptquartier nah) Karlsruhe zurüd, um am 4. Oftober einen Schub von 63 Verwundeten aufzunehmen, die bis dahin in Nancy oder Nanzig, wie man jebt jagte, von Profeſſor Heine aus Innsbrud behandelt worden waren. Viele der neu Angefommenen hatten infolge des jehr langſamen
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Transports Schmerzen und Fieber. Die Gypsverbände um Die gebrochenen Extremitäten lagen zu enge, weniger weil fie etwa zu ſtraff angelegt waren, als weil bei der Erjhütterung durch den Transport die Glieder in den Berbänden an— geihwollen waren. Durd die Jog. „Fenſter“, d. h. Deffnungen, die man aus dem Gipsverbande über den Wunden aus= Ichneidet, um dieſe bejorgen zu können, quollen die Granus Iationen (das Fleiſch der Wunde) in üppigiter Wucherung hervor. Man mußte die meilten Verbände gleich abnehmen und vielen verjtedten Eiterherden Abflug verjchaffen, jo daß der Arbeit für die folgenden Tage mehr als genug vorhanden war.
Mittlerweile Hatte fih Straßburg am 28. September dem General Werder ergeben; das dumpfe Dröhnen der Gejhüße, das man außerhalb der Stadt Karlsruhe jeit Ende Auguft, bejonders nadts, faſt ununterbroden gehört hatte, war ver- ftummt, und mit Subel hörte ganz Deutjchland, daß dieje alte deutihe Stadt zurüderobert ſei. Sch erhielt einen Tag Ur: laub und mifhte mid am 12. Dftober unter die Völferflut, die fi von Kehl aus mitteljt einer Schiffbrüde, neben der im Beginn des Krieges zerjtörten Gitterbrüde, über den Rhein wälzte. Auf dem Tinfen Ufer wurde man beim Kommen und Gehen durch einen langen Brettergang getrieben und dort mit Phenoldämpfen „geräudert“, da man auf diefe Weife die Ein: und Ausjhleppung von Epidemien verhindern wollte. Nachdem ich mich in der Stadt orientiert hatte, bejuchte ic das Münjter und Jah die Schäden, die durch deutſche Geſchoſſe angerichtet worden waren; jie waren groß genug, wenn id mir fie auch noch ärger vorgeitellt hatte. Der Bau joll ge— Ihont worden jein von dem Augenblid an, wo die Franzoſen ihr Obfervatorium vom Dade des Münjters zurüdgezogen hatten. Auf dem Kleberplat jah ich eine Revue deuticher Truppen. Sn der Stadt wurde man öfters angelprodhen von Leuten, die durch die Belagerung völlig hilflos geworden waren, in den Gafthöfen befam man für vieles Geld recht
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wenig zu ejlen. Der Kontraft zwiſchen den fatten, felbit- bewußten Siegern und den ſchüchtern herumſchleichenden Ein- wohnern war aud) jeßt noch auffallend. An den Straßeneden war überall nod die Proflamation von General Uhrich an- geichlagen, durch welche die Bevölferung aufgefordert wurde, das Anerbieten der hodhherzigen Schweiz anzunehmen und Greife, Frauen und Kinder der vor der Stadt erihienenen Ihweizerijhen Delegation zu übergeben. General vn. Werder beging dadurch, daß er während der Belagerung es geftattete, einen hinderlihen Ballaft und eine große Zahl von Eſſern der Ipärlich gewordenen Lebensmittel aus der Stadt zu entlajlen, eine Tat jeltener Milde gegen den Feind, und wenn jebt in Bajel durh das von einem danfbaren Franzoſen geſtiftete Straßburger Denkmal die Nachwelt an die nahbarlidhe Hilfe der Schweizer erinnert werden joll, jo muß man immer aud daran denken, daß das Gelingen der ſchönen Tat nur dur Die Noblefje des Belagerers möglich wurde. Ich Hatte im September, als die Schweizer Delegierten Römer aus Züri), von Büren aus Bern und unjer Basler Staatsſchreiber Gott- lieb Bilhoff von Straßburg zurüdfehrten, den leßteren in Karlsruhe gejehen; er hatte vor Straßburg den Großherzog von Baden um Unterjtügung beim fommandierenden General gebeten.
Mein Weg führte mich durch das zerjtörte Steinquartier zu den durch die Belagerungsgeihichte befannten Lünetten 92 und 53 und zu der Stelle, wo Brefche gelegt und der Sturm vorbereitet worden war, auch) befam ich zum erjtenmal einen Begriff vom Bau der Parallelen und der unfäglichen Arbeit und Gefahr, die das nächtliche Ausheben diefer für Gefchüße pafitierbaren und durch Erdauffhüttungen geſchützten Gräben verurfadt Haben mußte. Den Schluß der Wanderung madte ein Bejuh in der Zitadelle, wo alles darniederlag und aud die Kaſematten feinen Schuß mehr boten. „Dene habe mer eingheißt, net?“ fagte mit felbftbemußter Miene ein Württem- berger Kanonier zu einem Bejucher, „jedesmal wenn ſo⸗n⸗e
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Granat’ wieder recht n’ein gſeſſen iſch, Habe fie drinn (die Franzoſen in der Zitadelle) gjagt: Dees iſch wieder Aine v0 de Schwabe, dene... . köpf!“ Badiſche und württembergiſche Batterien hatten in der Tat von Kehl aus die Zitadelle niedergelegt. Auf dem NRüdwege ſah ih das Wegführen großer Vorräte, u. a. aud) vieler Wagenladungen roten fran= zöſiſchen Militärtudjs.
Einmal bejuchte ih an einem ſchönen Herbitfonntage auch Heidelberg, deſſen Schloßruinen jo lebhaft an Deutichlands Schwäche erinnerten, jet aber von einer jubelnden Menge erfüllt waren, die den Klängen deutiher WBaterlandslieder lauſchte.
Hier muß ich noch einen Beſuch erwähnen, den ich in meiner erſten Lazarettzeit erhielt, und der mir beſondere Freude machte. Am 8. September erblickte ich plötzlich in unſerer Abteilung meinen Freund, Stud. theol. A. v. Salis. Er war auf der Rückreiſe von einer mehrtägigen Fahrt, die er als Mann des Sriedens, aber wohlverjehen mit geladenen Piltolen, im Auftrage der Internationalen Agentur für die Verwundeten in die Gegend von Met unternommen hatte, um 40 Kolli von Berbandgeug, Hirurgifchen Inſtrumenten, Meditamenten und Lebens: und Genußmitteln in die Laza= rette zu bringen. Sein Weg Hatte ihn bis Pont-&-Mousson geführt, und es war ihm troß aller Schwierigkeiten gelungen, feine Schäße in zwei Eijenbahnwagen unverjehrt an den ge= wollten Ort, das Seminarlazarett, zu bringen. Er Hatte dort unjre Mitbürger Dr. Albert Burdhardt und Dr. Mori Roth und zwei Doftoren Heß aus Züri in Tätigkeit ge— troffen. Daß wir beide, unjerer gewohnten Tätigkeit ent- rüdt, aber beide in gleihem Sinne wirfend, uns trafen, madte uns großes Vergnügen, und wir Hatten uns bis tief in die Naht zu erzählen.
Alle Welt war damals bereit, den Verwundeten Hilfe zu Ipenden, und die Internationale Agentur vom Rothen Kreuz in Bajel war einer der Sammelpunfte für diefe freiwilligen
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Gaben. Der Prälivent des internationalen Komitees in Genf Moynier war bei Beginn des Kriegs nad) Bajel ges fommen, und nun bejchäftigte ji eine größere Anzahl Herren und Damen in der Kapelle an der Nittergajfe damit, die Gaben in Empfang zu nehmen und fie dahin zu ſpedieren, wo die Not am größten war. Auch Salis hatte fi alltäglich an den Arbeiten diejes Bureaus beteiligt und war jo dazu ges fommen, eine wertvolle Sendung zu dirigieren. Die Agentur entjaltete bis zum Friedensſchluß eine große und ſegensreiche Tätigkeit, nieht nur dur die Vermittlung von Liebesgaben, die Verpflegung von vielen Verwundeten, die auf der Heim: reife durch Baſel famen, und jpäter die Sorge für die Inter— nierten, Jondern namentlid) als zuverläjligite Auskunftsitelle über das Schidjal Gefangener, VBerwundeter und Verſchollener aus beiden Armeen.*)
Es mögen 1870 in der Schweiz nur wenige gebildete Fa— milien gewejen fein, in denen man nicht abends beim Licht aus alter Leinwand Charpie zupfte. Es war dieje damals. das allgemein gebraudte Verbandmittel zum Bededen der Wunden; war fie ſchön, Faden an Faden, geordnet, jo wurde te von den Schweitern in handtellergroßen Päckchen als ſo— genannte Plumasseaux, mit Karbol getränft oder mit Salben beitrichen, den Werzten gereiht. Cinzelne Aerzte zogen ſchon damals die nicht geordnete Charpie, die fog. „Kraufe“ vor, gewiß mit Recht, da fie jo geeigneter war zur Aufjaugung der Wundflüſſigkeiten. Die jest allgemein gebraudte Hydrophile Berbandwatte, d. H. dur) Entfettung zum Auffaugen dienlich gemadte und bejonders gereinigte Watte und aud) die Gaze— Itoffe famen allgemein erjt nad) dem Kriege auf, ihre fabrif- mäßige Herjtellung in der Internationalen Verbanditoff- fabrif zu Schaffhaufen Hatte erjt im November 1870 begonnen. Daß neben vielen guten Wünſchen, die das Charpiezupfen be=
*) Genauere Angaben finden fi in den Bulletins der Agentur und in der intereflanten Arbeit von Dr. Fri Bauer: „Bor 25 Jahren” im Basler Jahrbuch von 1896.
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gleiteten, auch viele Unreinigfeiten in die Charpie hinein— gerieten, wird man gerne glauben, wenn man bedenft, daß es namentlih Kinderhände, und gewiß nur felten frijd- gewaſchene, waren, die fi dDiefer humanen Tätigfeit wid- meten. Socin war der Charpie gegenüber ſchon damals miß- trauifch, und als fi einmal Fälle von Blutvergiftung auf- fallend gehäuft Hatten, Tieß er einige große Ballen, ich glaube aus Stalien jtammende Charpie, die einen eigentümlicdhen Geruch hatten, zerjtören oder „in den Rhein werfen“, wie er fi) ausdrüdte. Sie werden wohl in eine Papiermühle, wenn nit gar in ein anderes Lazarett gewandert fein. Bon der aus Bajel ftammenden Charpie hieß es damals natürlid, fie fei die beite; fie wird es wohl auch gewejen ſein.
Von Oktober an war meine Stellung oft ziemlidh felb- ftändig, weil die Patientenzahl ſchwankte und aud im ärzt- lihen Berjonal viele Verſchiebungen ftattfanden. Stabsarzt Thiry war nad) Kork fommandiert worden, was mit jehr leid tat. Um fo enger ſchloß ich mich an Dr. Lotz an, der mir vom erften Tage unſerer Befanntihaft an jehr freundlid ent- gegengefommen war. Wir hatten uns auf den Gebieten der Kunſt und Literatur von übereinjtimmendem Geſchmack ge- funden, und jo fam es, daß ich bald vom Aſſiſtenten zum Freund avancierte. Der Verkehr mit dem natürlichen, ge— bildeten, wißigen und do jo wohlwollenden Mann bei un: ferem Zufammenarbeiten gehört zu meinen ſchönſten Erinne- tungen aus dem auch ſonſt jo interejlanten Lazarettleben.
Es waren unter den ersten die verjhiedeniten Cha— taftere, vom menſchenfreundlichen und gebildeten Mann bis zum läftigen Pedanten, und von da bis zum oberflädlichen Shwadroneur. Auch die medizinishe Ausbildung war jehr verſchieden, bejonders nad) der hirurgifchen Geite, und mander junge Doktor machte erjt bei diejer Gelegenheit feine praf- tiihe Lehre. Die Wirkjamfeit war natürlich) von verfchiedener Güte je nad) dem Pflichteifer, dem auf Willen und Erfahrung ruhenden Können, dem praftiihen Geſchick, der Reinlichkeit
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und dem gefunden Menſchenverſtand, der auch da zur un- entbehrlichiten Ausrüftung gehörte. Auch) wenig Bewanderte fonnten in kurzer Zeit tühtig werden, während andere ver- ftändnislofe Schablonenmenjhen blieben in all ihrem Tun. In welhem Maße Vernunft Unfinn, Wohltat Plage werden fann, fonnte man beijpielsweije beim Gebraud der dirur- gilhen Sonde durch einzelne Aerzte beobachten. Die Sonde ist ein notwendiges und wichtiges diagnoitifches Inſtrument zur Aufluhung von Geſchoſſen und Knochenſplittern und war damals nod) oft, viel mehr als fie es heute fein würde, nötig zur Feſtſtellung der Lage des Schukfanals. Sie kann nützlich wirfen, wenn fie rein ijt, nur mit leiter Hand geführt und nur zu einem wohl erwogenen Zwed benüßt wird. Gefährlich tft fie immer, wenn fie unfauber gehalten, unnötig oder gar brutal gehandhabt wird. Ich erinnere mich nun eines jehr pflichteifrigen deutichen Arztes, der es für ſeine Pflicht Hielt, täglih ganz jchablonenhaft die Sonde in alle Schukfanäle einzuführen, um deren Länge in Centimetern zu meſſen und jo den Fortſchritt der Heilung feitzuftellen! Bei wie vielen von feinen Pflegebefohlenen er dadurch Fieber, Entzündung, — der Begriff der Wundinfeltion war damals erit in feinen Anfängen, und von Gterilijation der Inſtrumente im heu- tigen Sinne feine Rede — und Schlimmeres erzeugt hat, weiß ich nicht, wohl aber daß die Viſite auf feiner Abteilung durd) rieles Geächze und Geſchrei erfennbar war. „Hören Sie,“ jagte Dr. Bögeli zu mir, „wie's da drüben bei Bohrhubers wieder zugeht!“ Jetzt haben wir es leicht, alles bejjer zu willen, wo die Lehre von der MWundinfektion wiſſenſchaftlich durch die Bakteriologie begründet ift. Damals war es ſchon viel, daß Socin immer vor unnötigem Gondieren warnte und die Desinfektion der Sonde verlangte. Er mußte es aber felbjt einmal gefhehen Iafjen und mitanfehen, wie ein deutjcher Brofeffjor, — eine der bedeutenditen Hirurgifhen Größen, — bei einem Beſuche, durch feine Sonde, die er aus der Rocktaſche 309, einen Fall von perforierendem Knieſchuß verdarb. Socin
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war außer ji), als dieſer Sondierung eine heftige Entzündung folgte. ==
Mitte Dftober, als id) einmal über Mittag im Lazarett zu hüten Hatte, fam eine Gruppe von fremden Aerzten, um die Einridtungen zu jehen. Als fie in unfere Abteilung famen, bat mich einer der Herren, ein älterer Mann, ihm über die Patienten zu referieren. Ich tat das, jo gut ih es fonnte, und hatte an dem Fragenden einen aufmerfjamen Zus börer. Als id) von einem jungen deutſchen Verwundeten fagte, daß jein Schultergelenf verle&t fei, betrachtete er aufmerfjam die Lage des Arms und fagte dann: „Wenn Sie wirkflih fiher find, daß das Gelenf eröffnet ift, dann liegt der Arm nit gut, erlauben Gie, dak ich Ihnen zeige, was ich meine, haben Sie einige Kiljen?“ Die Kiſſen wurden herbeigejhafft und nun hieß mic) mein Beſucher den Arm des Kranken fanft in die Höhe heben, jo daß das vorher etwas unter der Horizon- talen ruhende Glied eine etwas erhöhte, mehr als wagerechte Lage befam. Dann legte er den Patienten gerade, ſchob forg- fam einige Killen unter, befejtigte fie und fagte: „So, nun iſt das Gelenf entipannt, Sie müjjen immer ſuchen die Span— nung zu vermindern.“ Der Mann, der mir diefe improviſierte Lektion in fo netter, freundlicher und einleucdhtender Art ge- geben hatte, war fein Geringerer als der berühmte Pirogow, der rufliihe Chirurg des Krimkriegs, in jener Zeit neben Stromeyer wohl eine der größten Autoritäten in der Kriegs— chirurgie. Bon weiteren Hirurgiihen Größen ſah ich Victor v. Bruns, meinen fpäteren Lehrer in Tübingen, und Theodor Billroth, deſſen Schüler wir alle durch fein ausgezeichnetes Lehrbuch über Allgemeine Chirurgie waren. Felix v. Nies mepyer, der interne Klinifer von Tübingen, fam in unjer Zazarett auf feiner Rüdreife aus Frankreich; er war wegen ausbrechender Typhus- und Dyfenterieepidemien ins Feld gejandt worden. Einen andern Internen, Prof. Kußmaul von Freiburg i. Br. (fpäter in Straßburg und Heidelberg), ſah ih, als ihm von Socin unjere Bruftverlegten vorgeitellt
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wurden. Es fiel mir auf, wie jorgfältig er unterfudte und feine Diagnofen ftellte, und wie liebenswürdig er ſich gegen die Patienten und die Schweitern benahm. Viele andere her: vorragende Werzte und Klinifer, die zum Bejuhe Tamen, fannte ich nicht.
Der Beſuch von Pirogow gibt mir Anlaß, wieder auf die ſtets interefjanten Nachtwachen zurüdzufommen. Ein badiſcher Soldat, am 6. Oftober bei Etival verwundet, Hatte einen Schuß durch die Achjelhöhle, der das Nervengeflecht getroffen und zur Yähmung des Arms geführt hatte. Zehn Tage nad): ber zeigte eine außerordentlich ftarfe Blutung, daß, was man auch ſchon befürchtet Hatte, eine größere Arterie, vielleicht die Hauptarterie der Achlel, getroffen war. Socin entihloß fi, das blutende Gefäß aufzufudhen und zu unterbinden, was bei der neu hHinzugetretenen jtarfen Schwellung eine ſchwierige Sade zu werden verjprah. Als der Patient ſchon auf dem DOperationstiihe lag, fam Pirogow mit feinen Begleitern. Socin legte ihm den Fall vor und bat ihn um feinen Rat. Pirogow riet, da die Blutung aufgehört Hatte, jet noch von der Unterbindung abzuftehen und es vorerjt mit einer lange fortgefegten Kompreſſion der Arteria subelavia mitteljt der Singer zu probieren, von welcher er in einem ähnlichen Yalle vor kurzem gute Wirkung gejehen hatte. Der VBerwundete wurde wieder in fein Bett getragen, und nun unternahmen es die Aerzte und Aſſiſtenten, je eine Stunde Hinter dem Pa: tienten figend, mit zwei Fingern in die Grube oberhalb des Schlüfjfelbeins tief einzudringen und die dort gefühlte große Hauptarterie gegen die Rippe zu drüden. Es war eine harte Arbeit und die Anftrengung faum eine Stunde lang aus= zubalten, auch wenn man zeitweije die prejfende Hand mit ihren taub gewordenen Yingern durch die andere Hand unter: ftüßte oder dur) eine fremde Hand unterjtügen ließ. Cine harte Arbeit für die Helfenden, aber zugleich welche Qual für den Berwundeten! Freund Barth und id) Hatten den Pa= tienten für die folgende Naht übernommen und bejorgten
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nun abwehslungsweife, je eine Stunde, die Kompreffion. Die Qualen, die der arme Mann troß wiederholter Morphium- gaben auszujtehen Hatte, vergejle ih nie. Am folgenden Tage mußte die Kompreflion nad 22jtündiger Dauer auf: gegeben werden. Da die Geihmwuljt noch zugenommen hatte, unternahm es Gocin nun doch, Die blutende Stelle aufzu- ſuchen; er fand nad) Ausräumung großer Blutgerinnfel aus der Höhle zuerſt eine blutende Stelle an einem Nebenafte (arteria circumflexa humeri) und dann ein fleines Lo zu oberft am Hauptitamm (arteria axillaris). Beide Arterien wurden unterbunden und die Blutung ftand. Aber nun folgte Brand des ganzen Armes, dem der Patient am 6. Tage nad) der Operation erlag. Die Erartifulation im Schultergelenk wurde wegen des dejperaten Allgemeinzujtandes unterlaffen.
Nicht alle Nachtwachen verliefen jo anftrengend wie die gejhilderte. Die aus Nancy übernommenen Patienten waren in ein ruhigeres Stadium getreten; neue famen nur in Eleiner 3ahl. Da mußte man jhon, um wad) zu bleiben, zu anderen Mitteln greifen. Viele Briefe wurden in jolden Nähten ge- ichrieben, viele Bindenvorräte gerollt, au) Domino und Neuntelftein taten ihren Dienft, und felbjt einzelne Ordens: Ihweitern verſchmähten ein Spielden nidt. Ä
Es ging überhaupt mit der Zeit etwas gemütlicher zu, und felbjt der Ernſt des Operationsjaales blieb von einzelnen komiſchen Intermezzi nicht verfhont. Go erinnere ich mid, wie Socin einen Arzt abfertigte, der die unangenehme Ge- wohnheit hatte, überall dreinzureden und fi) dadurch etwas unbeliebt gemadt hatte. Bei einer Operation afliftierte dieſer Arzt, und da feine beiden Hände befchäftigt waren, hielt er einen Schwamm mitteljt des Mundes bereit (das durfte man damals no!) und bemerkte dazu mit zujammengefniffenen Lippen: „Cine Hand mehr!“ — „Sa, und ein Maul weniger; was auch nichts ſchadet“, war Socins ſchlagfertige Erwiderung. Den Applaus der Zuhörerfhaft fann man fi) denken.
Eine andere Operationsgefhichte möge hier Pla finden.
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Ein Basler Herr Hatte Socin einige Kiftchen vorzüglicher Zigarren zum Gebraud für das ärztliche Perſonal übergeben. Kurz vor einer leichten Operation, die keine Narfofe er- forderte, — es handelte ſich um die plajtiiche Wiederheritellung des Mundmwinfels bei einem Soldaten, der vor Toul in dem Augenblid durch beide Wangen geſchoſſen worden war, als er Hurrah ſchrie, und defjen Zunge wohl deshalb beim Pal: fieren der Kugel durd die Mundhöhle nicht verlegt worden war, — furz vor diefer Operation fam Socin auf den Einfall, den Werzten von den Zigarren anzubieten und fogar jelbit eine anzujteden. Schweiter Anna, die Hüterin des Operations: taums, war wütend ob der unerhörten Entweihung diejer Stätte und zeigte dies durch halblaute Bemerkungen, Ge: brumm und ediges Wefen. Sie jtrafte Gocin, der zu dem allem nur gelädhelt hatte, indem fie zu dem Käſtchen mit den Zigarren ging und nah Schluß der Operation jedem Arzt und Afiiitenten einen Bund Zigarren mit den Worten reichte: „J will ſcho Iuege, daß do inne nümme g’raudt wird, me bruucht do (auf Socin weifend) nit fo viel Zigare.“
Gegen Ende Oktober lichteten fi) die Reihen unjerer Ver— wundeten immer mehr. Geheilte Deutſche gingen zurüd zur Truppe, Franzoſen kamen in die Feſtung, invalid gewordene aber transportable Leute wurden in die Heimat entlajien, auh wohl in Karlsruher Kamilien weiter gepflegt, andere nad Baden: Baden verlegt, wo ihre Wunden vollends Heilen jollten. Die ſchweren Fälle wurden nah und nad) in die neu eritellten Baraden verlegt. Dr. Courvoiſier mit Dr. Hugelshofer Hatte ſchon vor einiger Zeit die erſte Barade übernommen, die zweite Barade befam Dr. Lob, und mir wurde auch da von Gocin wieder die Aifiitentenitelle an- geboten. Einer unjerer ‚Patienten, ein prädtiger franzö— jiiher Sergeant, war von einem Lungenſchuß und einer Schuß- fraftur der Mittelhand genefen und als invalid in die Hei: mat entlajjen worden. Bierzehn Tage ſpäter überraſchte er uns durch die Anzeige feiner Verlobung mit einer Karls-
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ruher Dame, einer Erzieherin, die zur Unterhaltung der Pa- tienten oft im Lazarett gemweilt und ſich durch Vorlefen um den Sergeant verdient gemacht hatte. Aber nit nur das, denn jpäter hörten wir, daß der Franzoſe in der Heimat wieder unter die Fahne getreten jei. Ueber feine ferneren Schidjale weiß ih nichts, bejonders nicht, ob die Verlobung ebenjo trenge gehalten wurde wie das Gelöbnis, laut Genfer Kon: vention, in dDiefem Kriege nicht mehr gegen Deutichland dienen zu wollen. General v. Freydorf hatte aljo doch nicht jo jehr Unrecht, wenn ihm der Franzoſenkult und die Yeindesliebe der Frauenwelt etwas verdädtig vorgefommen war.
An einem rauhen Dftobernadhmittage begleitete ich die Reiche eines jungen Dffiziers auf den Friedhof. Es war eine fleine militärijche Begleitung, die unter Trommelflang davon: 309; wenige Ziviliften Hatten ſich angeſchloſſen. Am Grabe ſprach der Geijtlihe vom Treufein bis in den Tod und von Der Krone des Lebens, während der herbitliche Sturm, der die Bäume entblätterte, uns durch fein Braujen daran erinnerte, Daß aud Hier ein blühendes Leben wie vom Sturm dahin: gerafft worden fei. Ich war lebhaft ergriffen und beneidete den jungen Mann, der jein Leben für das Baterland Hatte opfern dürfen.
Man wird es aber begreifen und der Jugend zu gute halten, wenn troß all dem Ergreifenden, was id) erlebt Hatte, auch der jugendliche Leichtjinn wieder zum Vorſchein Fam. Die geringe Patientenzahl gejtattete es uns, nun weniger lange im Lazarett zu weilen und die Herbitnahmittage zu Spaziergängen und einige Abende zum Bejuhe des Theaters zu benügen. Das Hoftheater war während der erjten Zeit des Krieges geſchloſſen geblieben, im Herbjt aber wieder und zwar mit Schillers Wilhelm Telt eröffnet worden. Dann waren Mozartſche und Gluckſche Opern gefolgt, in herrlichen Aufführungen, wie fie unfer zwar damals gar nicht übles, aber beicheidenes Basler Stadttheater nicht geboten hatte. —
Sm Lazarett wurden die Nächte fühl, obſchon die Dampf:
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heizung ordentlich funktionierte. In der Naht vom 26. zum 27. Oktober herrſchte ein außerordentlich ſtarker Sturm, der, wie id) aus Briefen von zu Haufe vernahm, aud) in der Schweiz gewütet hatte. Die Fenſter unjeres Schedbaus rüttelten und flapperten die ganze Nacht und drohten auf die Betten her: unterzufallen, und alle Patienten wurden wach. Man ah, daß das Lazarett für den Winter nicht taugen werde, und fo fam denn deffen Aufhebung heran. Man evafuierte die Pa- tienten jo raſch als möglid, jo daß zum Schluß, Sonntag 13. November, nur noch 32 Mann da waren. Die große Halle hätte ganz fahl und öde ausgejehen, wenn nicht im Hinter- grunde, von des Großherzogs Geburtstag her, eine große Dekoration mit deutfhen und badijhen Fahnen den Raum belebt und die Inſchrift:
„Ob zu Fuß, ob zu Pferd, ob Hinter der Kanone Schützen wir das Vaterland und des Fürſten Krone!“ für patriotifhe Erhebung des Herzens gejorgt hätte. Vor— mittag 11 Uhr war der feierlihe Schlußaft mit Gejängen der Liedertafel und Anſprachen der Geijtliden. Die Großherzogin, die mit Prinzeffin Wilhelm und Herren und Damen vom Hofe erſchienen war, ſprach in ihrer liebenswürdigen Weije mit jedem der Aerzte und Aſſiſtenten. Ein junger Schweizer Alfiftent, der noch nicht lange da war, wurde dadurch jo ver: wirrt, daß er auf eine Frage der Fürftin mit: „Sa, Frau Profeſſor“ antwortete. Am 14. November wurden die legten Patienten, in Möbelwagen gebettet, nad) der Turnhalle oder in die fehs nun fertigen Baraden des Friedrihsbaraden-
lazaretts transportiert.
Es mögen nun hier nod) einige Nachträge zum Arztliden Betriebe des Lazaretts folgen. Socin hielt auf wiſſenſchaft— liche Beobachtung und bradte es dazu, daß Aerzte und Aſſi— itenten richtige Krankengeſchichten mit Temperaturaufzeid)- nungen führten, da fie jo am beiten veranlaßt wurden,
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ihre Fälle genauer zu beobadten und ſich ſelbſt Rechenſchaft von ihrem Tun zu geben. Die 643 Krankengeſchichten, die Socin „als feine Kriegstrophäe“ mit nad) Haufe bradte, madten es ihm möglid, nad) dem Kriege die Beobahtungen willenfchaftlih zu bearbeiten und in dem Buche „Kriegs. hirurgifhe Erfahrungen“ zu publizieren. In dieſem Merfe find außer einer detaillierten Bejchreibung der Ver— leßungen nad Körperregionen, ähnlich wie in den chirurgiſchen Sahresberichten des Basler Bürgerfpitals, eine Anzahl äußerft interejlanter Kapitel über die Geſchoſſe und die Art ihrer Wirkung, über MWundverlauf und Wundbehandlung, über MWundfieber, über Septicaemie (Blutvergiftung durch faulige Stoffe) und Pyaemie (Blutvergiftung durch Eiter), über Wundroſe, Hojpitalbrand und Wundſtarrkrampf, über Spät- blutungen, über Nervenverlegungen und über künſtliche Glied- maſſen.
Dieſe Abhandlungen geben Zeugnis von Socins hohem wiſſenſchaftlichem Streben und von dem Forſchungstrieb und Forſcherinſtinkt, die ihn bei ſeiner Auffaſſung in den Fragen der Wundkrankheiten und der Wundheilung leiteten. Daß er in dieſem wichtigſten Gebiete den meiſten ſeiner Kollegen vor— ausgeeilt iſt, ergibt ſich aus der Stellung, die er zu dem Suchen nach dem damals noch problematiſchen Contagium vivum, der Lehre von den lebenden Anſteckungsſtoffen, einnahm, und aus ſeinem Verhalten zu den Lehren Paſteurs und Liſters. Eine kurze Skizze wird am beiten die auf rein naturwiſſenſchaft— liher Forſchung beruhenden Anfänge der Folojjalen Um- wälzung erkennen lajjen, die für die Chirurgie und hernach für die ganze Medizin, von jener großen Zeit her datieren.
Man muß fi zuerſt vergegenwärtigen, daß man nod Mitte der jechziger Fahre dem, was man heute Wundinfeftion nennt, fajt Hilflos gegenüberitand, daß die Eiterung der Munden fo regelmäßig eintrat, daß fie zum Normalen ge— zechnet, die Heilung ohne Eiterung als Ausnahme angejehen wurde. Auf Heilung offener Knochenbrüche (d. h. folder,
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wo die Brudjitelle infolge von Durchtrennung der bededenden Meichteile bloß liegt) war in den Spitälern faum zu rechnen, meift folgte Blutvergiftung, jo daß viele Chirurgen, um diefer zuvorzufommen, durch Amputation den Berletten zu retten fudten. Aber aud) die einfachere Amputationswunde wurde, wie jede größere Operations: und Verleungswunde, ſehr oft zum Ausgangspunkt einer tödlichen Blutvergiftung.
Die Krankheiten der Wunden mit der folgenden Ber- giftung des Blutes in ihren verjhiedenen Formen zu fehen, hatte man nur allzu viele Gelegenheit, aber über das Weſen des Giftes, die Urt feines Entjtehens und den Ort feines Ein: dringens in den Körper wußte man nichts Sicheres.
Sn den Jahren kurz vor 1870 Hatten die erjten Forſchungen begonnen, die von der Ahnung zum wiljenjchaftlihen Beweiſe führten, daß die Störungen der Wundheilung auf der An: wejenbeit kleinſter Lebewefen beruhen. Die Anweſenheit diejer lebenden Keime erjhloß man vorerjt nur aus ihren Wirkungen, fie ſelbſt fannte man noch nicht. Sie direft und fihtbar nachzuweiſen, war einer |päteren Zeit vorbehalten.
Der franzöfiihe Chemiker Lo uis Palteur war im Sahre 1860 nad vierjährigem Experimentieren zu der Sicher— heit gelangt, daß feine Gärung oder Zerſetzung organijcher Gubitanzen ohne den Einfluß Eleinjter lebender Organismen zujtande fommen fann. Er hatte für diejen Satz die jtrengiten Beweije erbradt und durch feine Anwendung ſchon großartige praftifhe Erfolge auf induftriellen Gebieten erzielt, auch hatte er oft darauf hingewieſen, daß viele Krankheiten des menſchlichen Organismus auf dem Eindringen lebender Keime beruhen dürften, und daß da ein weites Feld für eine nad beſſerem Berjtehen der Krankheiten ſuchende Willenichaft liegen werde. Aber er fand nur jelten Berjtändnis, bejonders bei der franzöfiihen Gelehrtenwelt, mit der er die heftigiten Kämpfe auszufehten Hatte; auch Liebig, der hervorragendite deutſche Chemiker, verhielt fich noch 1869 durchaus ablehnend. Paſteur war nicht Arzt, jondern Profeſſor der Chemie und
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durch induftrielle Probleme (3. B. die Krankheiten der Geiden- raupen) in jenen Jahren zu jehr in Anjprud) genommen, als daß er die Mebertragung feiner Anſchauungen auf die menjhlihe Kranfheitslehre jelbjt hätte übernehmen fönnen.
Die praftiih mediziniihen Schlüſſe zu ziehen war Joſeph Lifter, damals Profeſſor der Chirurgie in Glas- gow, vorbehalten. Er nahm an, dak nicht die Quft an fi, noch ihr Sauerftoff, noch ein anderes Gas, jondern die in der Luft ſchwebenden organiſchen Keime die Zerjegung in den Munden bewirften und jo die Urjache aller Wundfranfheiten, von der einfadhen Eiterung bis zu der fchweriten Blutver- giftung, feien. Da es vorerjt nicht möglich jchien, die Keime aus der Luft zu entfernen, etwa jo wie es Paſteur durch Filtrierung der Luft bei feinen Gärungsverfuchen getan Hatte, verjudhte er die Vernichtung der Keime durd) Imprägnierung der Wunden mit der gärungshemmenden Karbolfäure und die Sernhaltung neuer Keime durch einen Verband, der die Luft möglichſt abhielt. Auf die Karbolfäure |peziell fiel jeine Wahl infolge der guten Erfahrungen, die man zur Desodorierung von NRiejelfeldern mit diefer Subitanz gemadt hatte.
Sm Sahre 1867 veröffentlichte Liſter feine erjten Erfolge. Es war ihm troß der anfängliden Unvollkommenheit feiner Methode gelungen, viele offene Knochenbrüche, die nad) der bisherigen Erfahrung meijt zum Tode durch Blutvergiftung geführt hätten, ohne das traurige und unſichere Hilfsmittel der Amputation zu heilen. Bei einer Anzahl diefer Fälle war fogar die Eiterung ausgeblieben, und die Heilung des Knochenbruchs Hatte ſich ähnlich vollzogen, wie wenn feine offene Wunde bejtanden hätte. Abgejehen von einigen ſpe— ziellen Schülern nahm die mediziniihe Welt wenig Notiz von diefen Erfolgen, und felbit in England glaubten Autori— täten noh im Jahre 1871 die Sade mit Spott abtun zu fönnen. |
Um fo erfreulider ift es, daß unfer Basler Klinifer Socin fi frühe, ſchon im Sahre 1868, den Lijterfhen An-
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Ihauungen zumwandte und ji, ohne einfach) nachzubeten, ein eigenes Urteil zu bilden ſuchte. Es ijt wohl fein Zufall, daß Bajel ein günjtiger Boden für die neuen Anſchauungen war. Schon 1865 Hatte Profeſſor Carl Liebermeiiter in feiner An- trittsporlefung „Ueber die Urſachen der Bolfsfranfheiten“ die Lehre vom Contagium vivum verfodhten, eine Lehre, die damals allerdings mehr auf einer durch Paſteurs erite Forſchungen beitärften Ahnung als auf fertiger Erfenntnis beruhte. In den Sahren 1867 und 1868 jodann hatte Dr. J. J. Biſchoff, der Schüler Sorins und Privatdozent der Ge- burtshilfe, auf einer Urlaubsreiſe auch Glasgow berührt und war im Sommer 1868 als Anhänger Lijters nach Bajel zu- rüdgefehrt.
Auf Socins Anregung madte einer feiner Schüler Dr. Karl Breiting chemiſche Unterfudungen, die die gärungs- hemmende Kraft der Karboljäure bejtätigten, und eine Ber: gleihung zwilhen zwei Gruppen von unter fi) ähnlichen Ma— Ihinenverlegungen, die 1867 in der alten Weije und 1868 nad) Liſter behandelt worden waren. Troß der damaligen Unvoll- kommenheit der Methode gelang auch hier ganz unzweifelhaft der Nachweis, daß eine intenjiv und pedantiſch durchgeführte KRerbolbehandlung friiher Verlegungen die Eiterung nebit allen ihren ſchlimmen Folgen in einem hohen Grad zu mindern imſtande jei.
Als Socin 1870 das Bahnhoflazarett übernahm, war er davon überzeugt, daß jede frifhe Wunde, aud die fompli- zierteite, heilen fann, daß jede Störung im Heilungsporgang, von der bisher für felbjtverjtändlich gehaltenen Eiterung bis zu der ſchwerſten Blutvergiftung, von außen, vom Ein dringenpon Keimen, fomme, und daß der Säftezuitand und die Konftitution des Kranken, verglichen mit der Wirkung der Keime, ohne wejentlihe Bedeutung ſei. Nicht nur die Luft galt ihm als Träger der Keime, fondern aud) jede Be rührung durch die Pilegenden. Dementſprechend begnügte er fih nicht mit dem Liſterſchen Verbande, jondern forderte
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Reinlichkeit, Desinfektion von Händen und Initrumenten und möglichit feltenes Ausiprigen und Sondieren der Wunden, überhaupt Unterlafjung jeder nicht abjolut nötigen Berüh- rung. Der Abfluß der Wundabjonderungen jollte durch paflende Lagerung und reihlihe Drainage begünjtigt werden.
Wenn die Erfolge im Bahnhoflazarett nicht völlig den gehegten Erwartungen entipradhen, fo liegt das darin be= gründet, daß man es nit mit friſchen Verlegungen zu tun hatte. Die meilten Patienten famen erjt eine bis drei Wochen nad der VBerwundung in die Behandlung, meijt mit ſtarker Eiterung und fiebernd, einzelne ſchon mit ſchwerer Blutver- giftung, jehr viele geſchwächt durch Schmerzen, Blutverlufte, die Leiden des Transports und andere Gtrapazen; bei manden Schußwunden hätte aud) die Eiterung nit ver- hindert werden fönnen, weil fie dur mit hineingerifjene Kleiderfegen ſchon infiziert waren. In den erjten Tagen des Zazarettbetriebs war aud) die Zahl der Anfömmlinge zu groß, als daß die zeitraubende, umjtändliche Befolgung aller Lijter- Ihen Vorſchriften möglich gewejen wäre; die Sache war ferner zu neu, um bei allen Aerzten Berjtändnis und die Ueber: zeugung von der Zwedmäßigfeit der Methode zu finden. Fügen wir noch bei, daß alle damaligen Beitrebungen im Sinne der Lifterfhen Behandlung noch höchſt unvollfommen und, vergliden mit den heutigen Prozeduren zur ern: baltung und Abtötung der nun nachgewieſenen und in ihren Rebensbedingungen befannten Keime, ungenügend waren.
Daß das Lazarett vorwiegend Schwerverleßte beherbergte, erjieht man aus der Zahl von 351 Knochenſchüſſen. Bon den 643 dauernd Berpflegten (eine Anzahl leicht Verwundeter wurde im Beginn rajch entlaffen und nicht mitgezählt) ftarben 93; 7 erlagen der Berblutung, 71 den ſchweren Formen der Blutvergiftung (Septicaemie und Pyämie), 4 dem Wund- ftarrframpf, 1 der Wundrofe, 1 dem Hofpitalbrand und 9 anderen Krankheiten, die von der bejtehenden Verwundung nit direft abhingen.
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Nun noch einiges über die Geſchoſſe. Viele der Kugeln waren ſchon vor der Aufnahme der Leute in unjer Lazarett entfernt worden, andere wurden erſt hier aufgefunden und extrahiert. Biele waren durch das Auflagen und die damit verbundene Erwärmung in volllommen veränderte Form ge: bradt, ja geradezu umgeltülpt. Ein eigentümlider Fund beitand in einer Chafjepotfugel, die den oberjten Uniform: knopf Durhbohrt und mit in die Tiefe der Halswunde gerijjen hatte. Man zog aus diefer Wundhöhle die Kugel famt dem tingförmig darum liegenden Reſte des Knopfes. Da man die extrahierten Kugeln, bejonders ſolche Kurioja, gerne für die Sammlung aufbehielt, die Verwundeten aber ihrerfeits fie gerne zur Erinnerung aufbehielten, fam es zuweilen zu einem Eleinen GStreite. Hatte der Verwundete feine Kugel wieder erbeutet, fo wurde fie ihm von der Großherzogin mit einer jilbernen Einfaſſung zurüdgegeben. Die Sammlung im Basler Bürgerjpital enthält eine Anzahl der damals ge- fundenen Geſchoſſe.
Bei den Verſtorbenen wurde fajt ausnahmslos die Geftion gemadt; fie follte, was ja im Yelde faum möglid it, die Kenntnis der Schußverlegungen erweitern und was nod) wid)- tiger war, Licht in das Wefen der vielfach) noch Jo rätjelhaften tödlihen Komplifationen des Wundverlaufs bringen. Pro— fejlor Edwin Klebs, der die Geftionen ausführte und feine Beobachtungen nad) dem Kriege zum Gegenjtand einer wiljen- ſchaftlichen Publikation machte, nahm den größern Teil der gewonnenen Präparate mit nad) Bern, ein kleinerer Teil fonnte auf eine Auseinanderfegung Hin für Bajel erhalten bleiben; fie find in der Sammlung der Hirurgijhen Klinit, ein Turfostopf und ein Turfosffelett im Bejaltanum.
Nach Mitte November trat ich meinen neuen Aſſiſtenten⸗ poſten in Barade Nr. II an. Mein bisheriges Zimmer in der Nähe des Bahnhofs gab ich, weil zu abgelegen, auf und ſchlief
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einige Nähte auf dem Fußboden der Turnhalle mit verſchie— denen badilhen und ſchweizeriſchen Afliitenten der benad- barten Zazarette. Es wurde mir bald von Dr. Lob, meinem Vorgeſetzten, geitattet, dDiejes etwas ungemütlihe Nacdtlager mit einer ganz nahe gelegenen Manfarde zu vertaujchen, in der auch Freund Barth, nun Afliitent von Barade I, Pla fand; man fonnte uns im Notfalle dort leicht holen.
Unjere Baraden gehörten zu den jehs das Friedrichs— baradenlazarett bildenden Neubauten, die auf einer Wieſe außerhalb der Stadt, nahe beim Lehrerjeminar, in zwei Reihen zu je drei Baraden angeordnet waren. Die Dijtanz zwifchen beiden Reihen betrug 60, diejenige zwifchen zwei Baraden 33 Meter.
Jede Barade rubte auf 0,75 m Hohen Badijteinpfeilern, jo daß die Luft unter dem Fußboden leicht zirkulieren konnte. Die Länge betrug 45,3 m, die Breite 8,7 m, die Höhe 7,5 m. Die Bentilation geſchah durch einen Dadreiter mit Klapp— fenjtern und durch Klappen an und unter den %enitern der Geitenwände, der Luftraum für jedes der 32 Berwundeten- betten betrug nahezu 50 Kubikmeter. Die Betten ftanden, quer zu den Längswänden in zwei Reihen angeorödnet, zwijchen den Fenſtern etwas über 1 Meter von einander entfernt und etwas von der Wand abjtehend. Breite Gänge mit Berband- tijyden und Kommoden teilten den geräumigen Gaal nad Länge und Quere in vier Abſchnitte und führten zu vier Ausgängen mit Treppen. An der einen Schmaljeite waren vier kleine Zimmer für die Aerzte und etwaige Operationen, für die Schweitern, für Vorräte und für Bäder, am andern Ende eine kleine Terraſſe; die Abtritte lagen in einem Kleinen Anbau. Der Fußboden des Krankenjaals war mit Wachstuch bededt, die Heizung geſchah durch ſechs eiferne Defen, die Be- leudtung durh Gas. Die jehs Baraden hatten in ihrer Mitte eine gemeinfame Küche, von welder aus die Speiſen in Heinen Wagen auf Schienen hergeführt wurden.
Diefe von Baurat Hödjftetter in Karlsruhe entworfenen
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Baraden waren aus Holz und Backſteinmauern fo fhön und folide fonftruiert, daß jie den Namen Baraden faum ver- dienten, dem doch ein gewiller Begriff von Improviſiertem und Hinfälligem anhaftet. Baradenbau war damals die Zojung, wenn man auf dem Neueiten und Beiten ſein wollte. Die Idee war zwar nicht neu. Schon 1788*) Hatten die Oeſter— reiher in Ungarn bei dem bevorjtehenden Türfenfriege ein hölgernes, zerlegbares Spital erbaut, auch in den Kriegen Napoleons I. waren jie gebraucht worden, ebenjo in der Krim und in Algier. Große praftiihe Verwendung und zugleich Verbeilerung aber Hatten fie bejonders im amerikaniſchen Gezeflionsfriege, 1861—65, gefunden. Anjtatt in alte, un teinliche, ja im eigentlichen Sinn des Wortes anrüdhige Spi— täler, deren hygieniſchen Mißſtänden man das Schlimmite zutrauen fonnte, follte der Verwundete in eine faubere, frifche, noch nit durchſeuchte Wohnung fommen, die leiht zu im— provilieren war und nicht viel EZoftete, jo daß fie ohne großen Schaden wieder verbrannt werden fonnte. Ich erinnere mid lebhaft, wie Socin 1869 in der Vorlefung über Allgemeine Chirurgie für den Baradenbau eigentlih gejhwärmt und überhaupt die Amerikaner, die auch die Spitalfchiffe einge- führt Hatten, als Vorbild praftiiher Hygienifer Hingejtellt hatte. Den oben gegebenen Begriffen entipradhen nun unfere Baraden nit ganz. Sie waren jolide ausgebaut, für den Winter eingerichtet; ihr Bau Hatte lange gedauert und viel gefoftet. Eine einzelne Barade fam auf 16500 Franken, die ſechs Baraden des Kriedrihsbaradenlazarettes mit den De- pendenzen zufammen auf 149100 Franken zu jtehen, eine Lagerſtelle auf 777 Franken. Dafür waren dieje Baraden ehr jhön, freundlich, bequem und warm genug, wenn das Wetter nicht allzu falt war. Es ließ fih da recht gut leben, und man hatte das Gefühl, daß das Beite für die Patienten geichehen fei. Ob dieje Baraden nad) dem Kriege wirklich) dem
*) S. Chirurgifche Enzyklopädie von Kocher und de Querwain.
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Feuer übergeben wurden? Ich weiß es nicht, aber ich zweifle beinahe; fie waren doch allzu ſchön geraten. Socin fam übrigens im Laufe des Krieges, befonders nad) feinen relativ günftigen Erfahrungen im Bahnhoflazarett, von dem Schwärmen für die Baraden ein wenig ab und ſah es ein, daß man die Hygiene des Yazarettraumes etwas zu hoc) oder wenigſtens zu einfeitig eingejhäßt hatte. Die Reinlichkeit der Pflege und die forgfältige antifeptijche Behandlung jedes einzelnen alles hatte an Bedeutung zugenommen und fiel nun ſchwerer ins Gewidt. Doc geht man wohl nit Fehl, wenn man die 1875 erfolgte Erbauung der jet noch beftehen- den hirurgiihen Barade im Garten des Basler Bürger: pitals auf die Anregung von 1870 und das Karlsruher Mufter zurüdführt.
Die 32 Patienten unjerer Barade gehörten fajt ohne Aus— nahme zu den Schwerverwundeten und ftammten von Wörth, Gravelotte und Straßburg; neuer Zufluß fam allmählich aus den Gefehten und Schlahten der Werderjhen Armee. Die Arbeit war daher viel einfacher, ruhiger, als in den eriten Zeiten des Bahnhoflazaretis mit den vielen, relativ frifchen Berlegungen. Nah Socins Abreiſe Mitte November hatte Dr. Ernft Bergmann, damals Profeſſor in Dorpat, 34 Sahre alt, die Oberleitung übernommen, doch Tieß er die Aerzte der erjten und zweiten Barade ziemlich gewähren. Ich erinnere mich nur einmal, ihn als Operateur in unjerem Saale gejehen zu haben, bei der Schulterrefeftion eines preu⸗ Bifhen Zeutnants, wo Courvoiſier und id) ihn affiitierten. Er mar ein fhöner Mann, flinfer Operateur, von bedeutender Körperfraft; er trug damals den Operierten felbjt ſehr ge— wandt vom Dperationslager zum Bette. Am Abend fahen wir ihn oft in der Gefellihaft der Aerzte. Den Abſchluß feiner Karlsruher Tätigkeit bildete feine Verlobung mit Fräulein v. Porbeck, der Vorfteherin feines Lazaretts.
Zu Bergmanns Verfügung ftand feit Mitte November Dr. Rudolf Maffini aus Bajel, der u. a. im Auftrag des
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Badiſchen Frauenvereins die Lazarette des Großherzogtums veſuchte und hierüber einen Bericht auszuarbeiten hatte. Beitand unfere Haupttätigfeit nun darin, unfere Pa: tienten zu verbinden, Knochenſplitter und einzelne Geſchoſſe zu entfernen, das gefährliche Aufliegen zu befämpfen, den Geſamtzuſtand der oft recht heruntergefommenen Leute dur gute Ernährung und Pflege zu heben, jo gab es doch aud) aufregende Erlebnilje. Ein bei Belfort im Januar verwun— deter polnisch [prehender Yandwehrmann, der mit Glüd ſchon die Yeldzüge von 1864 und 1866 in Dänemarf und Böhmen mitgemadt hatte und ſich nun nochmals von der Heimat, dies: mal aud) von Weib und Kindern, hatte trennen müljen, hatte einen harmlofen Fleiſchſchuß am Oberjchenkel, aus dem man durch Schnitt die Kugel und Tuchfetzen entfernt hatte. Es Thien alles gut zu gehen, aber am achten Tage nad) der Ber: wundung madte eine plößlicd) auftretende arterielle Blutung Die Unterbindung der Hauptſchlagader des Beines nötig. In den folgenden Tagen mußte dann wegen Gangrän (Abfterben) Des Unterjhenfels die Amputation unter dem Knie gemadit werden. Der Mann genas, fehrte aber als Krüppel in die Heimat zurüd. Ich bedauerte ihn um fo mehr, als er ein einfacher Bauer und bei feiner polnischen Abſtammung gewiß nit jo mit dem Herzen dabei war wie taufend andere, die für ihr Deutihland freudig Leib und Leben opferten. — Biel Arbeit gab uns ein Zeuerwerfer, der das Unglüd Hatte, nit vom Feind verwundet zu fein, fondern bei feiner Arbeit vor Straßburg in einen Keljel mit glühendem Metall zu treten und Fuß und Unterjchenfel zu verbrennen; er wird wohl fpäter amputiert worden fein. — Um Weihnadt ver- loren wir einen Badenjer aus Singen, der am 6. Oftober bei Etival einen Bruftihuß mit Rippen: und Lungenverletzung erhalten Hatte. Trotz eines entzündliden Erguffes in der Brufthöhle ſchien der Mann doch fi erholen zu wollen, als plößlih brandiges Aufliegen am Kreuz entjtand, und feine Wunde fi) mit einem ſchwarzen Schorf bedeckte, der ſich immer
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weiter ausdehnte, jo daß die ganze Umgebung handgroß in einen tintenfhwarzen Brandherd umgewandelt wurde; auch eine Einfehnittwunde, durch die man Tuchfegen entfernt hatte, wurde ergriffen. Diefen eigentümlidhen ſchwarzen Brand Hatte ich vorher nie geſehen; bei den Fällen von Hojpitalbrand im Bahnhoflazarett waren die Granulationen (das Fleiſch der Wunde) grau, durchſcheinend, von traubenartigem Aus— ſehen, aber nicht jchwarz geworden und Hatten nad fräftigen Karboläßungen wieder die normale frifh rote Yarbe ge= wonnen. In unjerm Halle folgten bald die Allgemein- erjheinungen einer ſchweren Blutvergiftung, Herzihwäde und Benommenbeit.
Bis Mitte Januar 1871, von wo an dann wieder friſch Berwundete aus der Umgebung von Paris und von Belfort gebracht wurden, war unjer Leben in den Baraden recht ruhig und gemütlid. In Barade I herrihte Mufif und Gejang vor, indem Barth ein Kleines Harmonium hatte herichaffen Iafjen. Man fonnte ji) der Unterhaltung der Patienten widmen und wurde darin vorzüglid durch unfern früheren Turnlehrer aus Bajel Herrn Maul und Herrn Keller, einen ftrammen Minifterialbdeamten, unterjtüßt. Es fehlte überhaupt während: des ganzen Krieges in den vielen Lazaretten nirgends an guten, treuen Leuten, die auch dann ausharrten, als die Ver: wundetenpflege den Reiz der Neuheit verloren hatte. In unferer Barade brachte die Diakoniſſin oft Heiterkeit in die Gejellihaft, wenn fie in ihrem Aargauer oder Berner Hoch— deutſch Sentenzen von id) gab und 3. B. damit prahlte, „daß die Schweizer Soldaten denn doc anderi Kerli feien, wo nicht auf den erjten Schuß umfallen wie Ihr“, oder wenn fie von einem Patienten, der ein reich gefülltes Portemonnaie zeigte, lagte: „Nei Iueget ou, der Bornholdt hat Geld wie ein Säu— händler!“
Auch Befuher bradten Abwechslung. Als ein basle- rilhes Ehepaar, das ich fannte, fi) freundlich mit den Pa— tienten unterhielt, madte ich die Dame darauf aufmerffam,
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daß fie Hier, in einem pommerfchen Füſilier, einen Mann ihres Namens finde. Sie ſchenkte ihm ihre Teilnahme und jandte mir am nächſten Tage „für ihren Namensvetter“ ein Gold- ſtück. Diefes wurde aber anfänglid nicht gejchäßt, weil der Patient, des Anblids einer goldenen Münze ungewohnt, — es zirkulierte damals in Deutichland fein Gold im allgemeinen Verkehr, — es für eine Spielmarfe hielt. Sein Bettnachbar, ein Schleswiger, nannte ihn einen Schafstopp und bot ihm zwölf Kreuzer dafür, doch gelang es ſchließlich, den Beſchenkten von dem Werte der Gabe zu überzeugen und ihm ein danf- bares Grunzen zu entloden.
Dit kamen KRolporteure und andere Menfchensreunde, einmal aud ein teilnehmender, freundlicher, aber etwas furz- fihtiger Enthuliaft aus Schwaben. Er jah, wie der Arm eines bayriſchen Kranfenträgers, der bei Beaumont (oder Bonmot, wie der Patient es ausſprach) getroffen worden war, in einer Drahtihiene an einem Galgen aufgehängt, fchwebte, muß aber die haltenden Schnüre nicht gefehen haben, denn er fand fein Ende des VBerwunderns darüber, „Daß der Mann feinen Arm bejtändig jo grad raus ftreden könne“. Gein Eritaunen erheiterte alle und brachte ſelbſt den leidenden Belißer des Armes zum Laden.
Neben der Diakoniſſin waren noch der uns von früher ber befannte Schweizer Wärter Karl und zwei artige und geſchickte freiwillige Pflegerinnen angeſtellt. Auch einige Damen kamen regelmäßig, um zu helfen und die Kranken zu unterhalten. Da zwei davon mehr das ariſtokratiſche und eine das bürgerliche Element vertraten, kam es bald zu kleinen Spannungen und Reibungen, bei denen wir die neutralen Beobachter waren, doch hatte die Bürgerliche in unſern Augen den Vorzug, zwei blühende Töchter zu haben, mit denen wir Mittags gerne Schlittſchuh liefen.
Der Geburtstag der Großherzogin und das Weihnachts⸗ feſt wurde in der Barade gefeiert. Beide Male hatte der viel— feitig begabte Wärter Karl Transparente gemalt, um Weih-
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nacht eine Darftellung der heiligen Geſchichte. Daß aus Ver- ſehen das Chriftustind zwei linke Füße mit auf die Welt befommen Hatte, ftörte außer den Medizinern niemanden, aud nicht die Großherzogin, als fie unter den Klängen des Seminariltendors zu der Anſprache von Hofprediger Doll in die Barade fam. Gie dankte dem Künjtler, begrüßte hernad) die Verwundeten und befam dabei ein Kompliment von der Diakoniſſin. Es Hatte der Großherzogin jemand eine unjehl- bare Salbe gegen das Aufliegen empfohlen, und dieſe war, wie es jeheint, mit Erfolg gebraudt worden, denn ich hörte die Schweiter jagen: „Ali, wo mit Ihrer Decubitusjalbe be- handelt wurden, Königliche Hoheit, find geheilt.“
Nach Neujahr war man aud in Deutihland des Krieges müde, und in Süddeutichland ſah man mit Sorgen nad) dem Gewitter, das in Form von Bourbafis Armee de l’Est heran: 309. Paris hielt immer nod) einen großen Teil der deutjchen Armee an fich gefettet, im Norden und um Orleans wurde heftig gefämpft, — war es da möglid, die Belagerung von Belfort aufrecht zu erhalten, der franzöjiihen Oftarmee zeitig genug zu begegnen und fie unfchädlich zu maden? Wir willen, dag Werder mit feinem Borftoß gegen Billerserel am 9. Sanuar, das den Feind zwang, feine ganze Macht zu zeigen, dann durch die raſche Befejtigung und feine heldenmütige Ver: teidigung an der Lilaine vom 15.—17. Januar die Entjegung von Belfort und den Durhbrud der Yranzojen nad) Süd— deutjchland verhinderte, und daß gleichzeitig Manteuffel dur feinen Gewaltmarſch mitten durch Frankreich eben recht fam, um die an der Lijaine zurüdgewiefene franzöfiihe Armee gegen den Jura nad) der Schweiz abzudrängen. Bevor dies aber geſchehen war, aljo bis über Mitte Januar, war man nicht ohne Sorge. Auch hatte der Krieg durch das Auftreten irregulärer Feinde, Yranctireurs und Garibaldianer, einen viel rauheren und gefährlicheren Charakter angenommen als im Anfang, wo man es mit der regulären Armee zu tun hatte; die badiihen Truppen waren befonders ftarf mitgenommen.
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Und zu alledem die Strenge diefes Winters und die auf- tretenden Epidemien! Auch in Karlsruhe machte man da- mals die Bekanntſchaft von Poden und Typhus. Bon Paris fam immer derjelbe Bericht, daß alles im alten jei, wenn man auch in den Karlsruher Läden jet ſchon bedrudte Taſchen— tücher mit dem Einzug der Deutſchen in Paris faufen fonnte. Mehrere Male trafen Siegesnachrichten abends während der Voritellungen im Hoftheater ein. Das Spiel wurde dann unterbrochen und das Telegramm von der Bühne vorgelejen; man erhob fih und Schauspieler und Publikum fangen unter Orcheiterbegleitung die Wacht am Rhein.
Ich mußte nun an die Heimfehr denken, wenn ic) im Früh— ling mein aufgeſchobenes Propaedeutitum machen wollte, das ih in glüdlihen Momenten beinahe vergejjen Hatte, das aber nad ſolchen Phaſen mit Sicherheit wieder als Geſpenſt auf: tauchte. Ich ging ungern fort, da jett gerade viele neue Pa- tienten eintrafen und die dreitägige Schlacht an der Lijaine einen jtarfen Zufluß erwarten lieg. Man erfuhr aud, daß Bourbafi nad) der Schweizergrenze Hingedrängt werde, und der Wirt zum ſchwarzen oder weißen Bären an der Karl Friedrichsſtraße, wo wir unſer Mittagefjen einnahmen, be- merfte mit Shmungzeln: „Da habe ja jet die Herre Schweizer vielleiht Gelegenheit, Bekanntſchaft zu made mit ihren Freunde, de Franzoſe!“
Am 26. Sanuar 1871 verließen Barth und ih unfern Dienft; als ih am 27. morgens zum Bahnhof ging, reute mid mein Entihluß beinahe wieder; denn ich jah über die jchnee- bededte Landihaft eine lange Kolonne von Trägern mit bela- denen Bahren und von Fuhrwerken nad) den Lazaretten ziehen.
Mir fuhren über Tübingen und erfuhren am 28. Januar auf dem Rückwege aus der Hirurgifhen Klinik von V. v. Bruns, die wir beſucht Hatten, dur) den Phyliologen Bierordt das Neueite, indem er den Studenten über die Straße zurief: „Paris ift über!“ Nun großes Hallo, Deforation, Muſik und abends ein Yadelzug unter Vorantritt der Stabdtreiter.
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Auf der Heimreije wurden wir getrennt; denn Barth er- hielt am Abend des 1. Februar das Telegramm eines be- freundeten Arztes im Thurgau mit der Bitte, ihn in feiner Praxis zu vertreten, da eine franzöſiſche Armee in die Schweiz übertrete und er mit feinem Bataillon an die Grenze mülle. Sch kehrte allein nad) Haufe zurüd und jah einige Tage jpäter am Alten Markt die lange Kolonne der für Liejtal und Bafel beitimmten Bourbafijoldaten, meilt Berittene, die vom Bubendörfer Bad herfamen. Es war ein mitleiderregender Anblid, dieſe elenden, hinfenden Mannſchaften mit ihren ab- gemagerten Pferden, wie fie nad) all ihren Strapazen ihrem Beitimmungsort zujhlidhen. Die Leute aus den Dörfern eilten herzu und waren ergriffen von dem Anblid des traurigen Zuges. Es rührte mic) zu jehen, wie einzelne unjerer Bauern am Wege jtanden, um den Franzoſen aus großen Krügen ihr gutes Bajelbieter Kirihwajler anzubieten. Dieſe Sprade wurde jofort verjtanden, denn damals galt bei Müden und Srierenden ein Kirſch noch als Herzitärfend und magen- wärmend.
Es bildete ſich, nachdem dieſe Internierten in Lieſtal nach einigen Tagen ausgeruht, gebadet, geſättigt und mit warmen Kleidern verſehen waren, ein freundliches Verhältnis zwiſchen ihnen und der Bevölkerung, und im Laufe der nächſten Wochen ſah man den Soldaten das Wohlergehen an, wenn fie nad: mittags folonnenweife in die Dörfer fpazieren geführt wurden.
Die Doktoren Courvoiſier, Log und Maſſini harrten no bis Ende März in Karlsruhe aus. Die zwei Erjtgenannten fehrten dekoriert mit dem Zähringer Yöwenorden nad) Bajel zurüd, Courvoilier außerdem als der glüdlide Bräutigam einer Karlsruher Dame, die mit ihrer Mutter der Barade I vorgeitanden Hatte. Maflini ging dann nad) Edinburg, wo Liſter ſeit 1869 Profeſſor war; aus einem Brief, den er von vort an Socin fhrieb, hörte ih zum erjtenmale von der
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neueiten Etappe der Lijterfchen antijeptifchen Methode, der Einführung der Karbolzerjtäubung durch den „Spray“, der Dann fo lange zum unentbehrliden Rüftzeug der Chirurgen gehörte, bis die Untifepfis (die Bekämpfung der lebenden Keime in der Wunde) durdh die Aſepſis (die Außerft ftrenge Desinfeftion des Operationsfeldes und der Hände und die Gterilifierung der Inſtrumente, Fäden, Verbände und Kleider durch Dampf) abgelöjt wurde.
Socin wurde in Anerfennung feiner Verdienite nicht nur mit einem hohen Drden gejhmüdt, jondern aud) dadurd) aus= gezeichnet, daß er nad) dem Kriege mit Billroth und 2. v. Langenbeck in eine Dreier-Jury gewählt wurde für die Be: urteilung des beiten Handbuchs der kriegschirurgiſchen Technik; die Kaijerin Augusta Hatte auf die Wiener Weltausitellung hin zwei große Preiſe für ein ſolches Werk geitiftet, „um die Snterejfen der Humanität unter dem Symbol des Rothen Kreuzes aud) im Frieden zu fördern“. Den erjten Preis er- hielt der geniale Erfinder der fünftlichen Blutleere, Friedrich Esmarch, für ein Werf, das erjt 1877 erjhienen, in feiner Verbandlehre ſchon die ganze ausgebildete Antijeptif enthält. Bei Anlaß der Beratungen der Jury in Berlin wurde Socin zum Kaijer Wilhelm befohlen; er hat in einem im Korrejpon- denzblatt für Schweizer Aerzte abgedrudten Briefe an Alb. Burdhardt-Merian feinerzeit über dieſe Audienz in feiner feinen und munteren Weile berichtet.
Als mit Beendigung des Krieges die Internationale Agentur in Bafel ihre Tätigkeit einjtellte, ſchlug Socin als deren Mitglied vor, einen Teil der übrig gebliebenen Geld- mittel zur Anjhaffung von künſtlichen Gliedern für Ampu- tierte beider Nationen zu bejtimmen und bot fi an, für Her: ftellung folder Apparate zu forgen.
Mit Hilfe der Agentur, von Freunden und weiteren Kreifen, bei denen die Idee Anklang gefunden hatte, wurde in Bajel ein Haus gemietet und eingerichtet, das 17 Betten für den Aufenthalt der Invaliden und außerdem den Raum
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zu einer Werkitätte für den Orthopäden Weber-Moos aus Züri enthielt, den Socin jhon als erfahrenen Fachmann fannte.
Bis zum 1. Dezember 1871 wurden 45 deutiche, 37 fran— zöfiihe und 18 eljaß-lothringifhe Snvalide, im ganzen 100 Mann mit 187 Apparaten verjehen. Ueber den weiteren Ver— lauf fehlen mir die Notizen; man fah damals längere Zeit Gruppen diefer Leute an Krüden herumhumpeln; id fand Darunter mehrere alte Bekannte.
Die 1871 ad hoc zujammengetretene Gefellihaft gab An— laß zur Gründung des feit 1871 beitehenden Vereins zur An= Ihaffung künſtlicher Glieder, der aud) jet noch in ſegensreicher Wirkſamkeit it.
Socin lud mid) im Sommer 1871, nahdem mein Eramen abjolviert war, ein, ihm bei der Sichtung und Erzerpierung der Karlsruher Krankengeſchichten zu helfen. Ich wohnte bei ihm, am Abend diftierte er mir den Allgemeinen Teil feiner „Kriegschirurgiſchen Erfahrungen“ und unterhielt mid dur) fein geiltreiches Plaudern. Man wird mir es glauben, daß die 14 Tage, die ich in dem bei der Einladung verheißenen „abfolut freien und freundſchaftlichen Ton“ mit ihm verbradite, das denkbar angenehmite Nachſpiel zur Lazarettätigfeit bildeten.
Nun nod) einen Blid zurüd auf das Ende des Kriegs und zugleid) auf das fernere Schidjal vieler von unferen Pa— tienten.
Am 26. Yebruar 1871, während die franzöliihe National- verfammlung in Bordeaur tagte, wurde zwiſchen der fran— zöſiſchen Republik und dem deutihen Kaiferreich der Borfriede zu Verfailles geſchloſſen; der definitive Friedensſchluß geichah zu Frankfurt a M. am 10. Mai.
„D Ihöner Tag, wenn endlich der Soldat zum Frieden heimfehrt, zu der Menſchlichkeit“, dieſes Wort aus Wallenftein galt für die fiegreiche Armee, nicht aber für Die unterlegene.
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Für viele Franzofen, Die dem Elend und den Gefahren des unglüdlichen Feldzugs entronnen, für Viele, die von ihren Wunden genejen oder aus der Gefangenfchaft entlajjen waren, aud für die in der Schweiz interniert Gewejenen, hatte die Stunde des Friedens no nicht gejchlagen.
Vom 18. März an war Paris der Rommune überliefert; die Regierung unter Thiers hatte fi mit kleinen Beltänden treu gebliebener Truppen nad) Berjailles zurüdgezogen. Aus den Reiten bejiegter Yeldtruppen, heimfehrenden Gefangenen, aus Genejenen, aus allen anjtändig denfenden Elementen mußte eine neue Armee von allen Enden her gejammelt und organiliert werden. Erſt am 21. Mai fonnte man zum eigent: lihen Angriff jchreiten, und die Tage vom 25. Mai an, wo die Truppen in das brennende Paris eindrangen, bis zum 28. vollendeten mit einem greuliden Gemeßel die entjeß- lihden Prüfungen der franzöſiſchen Nation.
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Die Theologen des Heubergs.
Don Jakob Aundig.
Menige Dertlichfeiten Bajels haben ihr früheres Aus— jehen bis in unfre Tage fo wenig verändert als der Heuberg und der früher unter derjelben Bezeichnung mit inbegriffene Gemsberg. Sa gerade der letere hat wejentlih mit zum Heuberg gehört. Denn der Name fommt daher, daß einjt dort Scheunen und Ställe fi) befanden, in weldhen die Mebger Bajels das von ihnen eingefaufte Schlahtvieh unterbradten. Gerade am nunmehrigen Gemsberg aber befindet ſich das Haus, einſt „zur Schheuren“ genannt, an feiner großen Iheunenartigen Haustüre jet noch an feine urjprünglicdhe Beitimmung erinnernd. Diejes Haus, die Stätte meiner Ge- burt und Kindheit, gehört alfo recht eigentlich zum „Heuberg“. Es begreift fih nun allerdings, daß, als an die Gtelle der frühern durchgehenden Häufernummerierung eine ſolche nad Gaſſen, Straßen und Pläßen trat, ein Teil jenes unter dem Namen Heuberg vereinigten Gaſſenkomplexes einen andern Namen erhalten mußte. Und da bot ſich als nädjftliegend der Name Gemsberg dar, da das Haus unterhalb des großen Brunnens, jetzt Gemsberg Nr. 7, zum Gemsberg hieß, alſo von einem Tier der Berge feinen Namen hatte. Ueberdies wurde zur jelben Zeit der frühere, faft immer defekte und gar oft von den Arbeitern des Brunn: und Bauamtes zu flidende Brunnen durch einen neuen, aus einem Golothurnerftein gehauenen Brunnentrog erjeßt und in deſſen Mitte ein Brunnenftod mit einer Gemsfigur errichtet. Beides, der neue
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Brunnen und der neue Name, trat im Winter 1860 auf 1861 in Zunftion. Als ih im Frühling 1861 von einer aus: wärtigen Hochſchule in die Ferien fam, war mein väterlidhes Haus nit mehr Nr. 420 am Heuberg, ſondern, wie jeßt nod), Nr. 9 am Gemsberg.
Sch mußte dieſen Hinweis auf die früher umfaljendere Bedeutung des Namens Heuberg vorausihiden, weil aud) an dem jet Gemsberg genannten Teil desſelben Theologen wohnten. |
Unter diejen find vor allem zu nennen die beiden Pro- felloren Karl Rudolf Hagenbach und Johann Jakob Stähelin, welde zujammen mit Sohann Georg Müller gegen 50 Jahre hindurch der Basler Fakultät angehörten (9. ftarb 1874, St. und M. 1875). Hagenbah wohnte in dem Edhaufe des obern Heubergs gegen den Leonhardsberg Hin, Nr. 33, dem Eigentum der Frey-Grynäiſchen Stiftung Hagenbach war ein um jeines freundliden Wejens willen bei alt und jung beliebter Mann. Daß er ein Kinderfreund war, beweijen feine hübſchen Kinder- und Schülergedihte. Wir erinnern an das bekannte Weihnadtslied: „Wir danken dir, du gutes, du liebes Weihnadtsfind“, und an das luſtige Yerienlied: „Hundstagsferien, goldne Tage“, worin die damaligen Schul: bücher von Beder, Blume, Feldbaufh, Selten auf köſtliche Weiſe mit dem Yerientreiben in Beziehung gebracht werden. Hagenbah war aud ein ftets gern gehörter Prediger; als Mitglied des großen Rats und anderer Behörden nahm er am öffentlichen Leben Anteil und begleitete jo ziemlich jedes bedeutjame Ereignis in Bafel, namentlich Fejte, Berfamm- lungen, Einweihung wichtiger Gebäude, mit einer poetiſchen Gabe. So war er eine ftadtbefannte Perſönlichkeit. Gar oft ging er den Gemsberg hinauf und hinunter und wurde Taft von allen Leuten gegrükt.
Stähelin, deſſen Wohnhaus an den Leonhardsgraben ging, während nur ein Hintergebäude mit Remiſe an den obern Heuberg ſtieß, jet Nr. 30, wurde feltener gejehen. Er
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war auch mehr als Hagenbach ausſchließlich mit feinem Fach— ſtudium, demjenigen des alten Tejtaments und der jemitifchen Spraden, beichäftigt, und darum dem PBublifum weit weniger befannt. Auch Hatte er eigenes Fuhrwerk und fuhr darum oft aus. Doch fam er au öfters bei meinem väterlichen Haufe vorbei. Gut erinnere ih mid) noch eines Winter: morgens, wo es über Naht „Glatteis“ gegeben Hatte. Mit dem Sanditreuen war man gegen adt Uhr noch nit bis an den Heuberg gelangt. Der Herr Profeſſor jtand, mehrere Bücher unter dem Arm, oben und wagte nidt, den jpiegel- glatten Abhang Hinunterzugehen. Da fam ihm aus meinem Vaterhaus Hilfe in der Not. Wie einft beim Ueberfall im Wildbad ein armer Hirte fi des alten Grafen Eberhard er- barmte und ihn „von Herzen gern“ auf den Rüden nahm, jo trat ein waderer Gejelle meines Baters heraus, bot dem Herrn Profeſſor den Arm und führte ihn feiten Schrittes und lider hinunter bis an den Spalenberg, wo Sand gejtreut war. Ein Sohn Stähelins wurde auch Theologe und war zuerit Pfarrer in Rheinfelden, fpäter bis zu feinem Tode zu St. Theodor in Bafel. Er war ein gelehrter Kirhenhijtorifer und Ehrendoftor der Theologie; auch ein ſehr geihäßter Pre: diger und Geeljorger. Gein Sohn ilt fein Nadfolger im Pfarramt geworden. Ein jüngerer Sohn Stähelins wurde Arzt, ließ jih in Aarau nieder, befakte ſich viel mit Orni— thologie und iſt erſt am 28. März diejes Jahres gejtorben. Außer den zwei genannten Profejloren wohnten am Heuberg zwei Pfarrer, weldhe zu den „Erulanten“ gehörten. So hießen jene faſt ſämtlich aus Bafel gebürtigen Pfarrer, welche bei der Trennung beider Kantonsteile im Jahr 1833 freiwillig oder unfreiwillig ihre Stellen auf der Landſchaft verlajjen Hatten, weil fie der neuen, nah ihrem Dafürhalten untehtmäßigen Regierung zu Lieftal nicht den Amtseid leiften wollten. Einer derjelben, Huber-Schnell, vorher in Benfen, wohnte mit feiner ziemlich) zahlreihen Familie neben dem Hauje zum Gemsberg beim großen Brunnen, jeßt unterer
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Heuberg Nr. 1, und fand ſeine Belhäftigung darin, daß er dem OSpitalpfarrer in Ausübung feines Amtes Hilfe Ieijtete. Einer jeiner Söhne war lange Jahre Pfarrer in Buchthalen bei Schaffhaufen und lebt noch als Emeritus in diejer Stadt; ein Sohn desſelben amtiert als Geiltlider in der ſchaff— baufifden Gemeinde Diterfingen. Der andere Erulant wohnte am obern Heuberg, vom Gemsberg aus gegen den Spalen- berg Hin, jegt Nr. 24; das Haus ijt fenntlid) an dem bejonders hohen Dache. Das war Emanuel Burdhardt-Preiswerf, zu: vor Pfarrer in NRümlingen, zum Unterjhied von andern Trägern diefes Namens furzweg €. B. genannt. Im „Eril“ befleidete er das bejcheidene und nicht einträgliche, aber doch nit unwidtige Amt eines Gefretärs des Millionstomitees, deſſen Protofolle er mit feiner ſchönen Handihrift multer- giltig führte. Gar oft wanderte der freundlide Mann über den obern Heuberg dem damaligen Miflfionshaufe an der fillen Miſſionsgaſſe, der jeßigen innern Leonhardsitraße zu, um dort feines Amts zu walten. Geine zweite Gattin, eine geborene Preiswerf, war in eriter Ehe ebenfalls mit einem Erulanten, Bfarrer Stähelin in Winterlingen, verheiratet ge— wejen, feine erjte Gattin hatte meines Erinnerns auch Burd- hardt geheißen. Kinder hatten diefe Eheleute nicht, wohl aber viele Leibliche und „angeheiratete“ Verwandte. Unter dDiefen waren, wie fi) denken läßt, auch viele Theologen; be- fanntlich find unter denfelben die drei Namen Burdhardt, Preiswerf und Stähelin mehrfad vertreten. Sie hatten denn auch über zwanzig theologijche Neffen, deren jeder nad) Burd- - hardts Tod einige feiner Bücher als Andenken erhielt. Frau Pfarrer Burdhardt hieß in ziemlich) weiten Kreifen nur „zante E. B.“. Gie Hatte lebhafte und freundliche Teil- nahme, nicht nur für die Verwandten, fondern weit über deren Kreis hinaus. Da ihr erfter und ihr zweiter Gatte Pfarrer im Bezirk Siſſach gewejen waren und meine Mutter ebenfalls die Tochter eines allerdings ältern, ſchon 1836 verjtorbenen Eru- lanten aus demjelben Bezirk (Pfarrer Fäſch in Ormalingen)
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war, jo erwies ih Frau Pfarrer Burdhardt gegen fie ftets befonders freundlich und dienftbereit. Da fie in ihrem Haufe einen großen Eftrich Hatte, fo pflegte meine Mutter fie bei jeder Wäſche um die Erlaubnis zu bitten, ihr „Plunder“ dort zum Trodnen aufhängen zu dürfen, was jederzeit gerne ge— währt wurde. Beide Erulantenfamilien führten ein ftilles Leben auf dem damals und nod jet jtillen Heuberg und ge- hörten zu deſſen langjährigen Bewohnern.
Im Haufe zum Gemsberg, neben Pfarrer Huber, dem damaligen Projelytenhaufe, wohnte damals ein weiterer Theologe, der Projelytenvater Heman. Er wird, da er jelbit urſprünglich Jude gewefen war, nit in jungen Jahren Theo- logie jtudiert haben. Aber er war in den biblifchen Spraden bewandert und hielt neben feiner engern Wirfjamfeit ge— Ihäßte Bibelftunden. Zwei feiner Söhne ftudierten Theo: logie; der ältere wurde Pfarrer in feinem Heimatlande Bayern; der jüngere trat, nachdem er ebenfalls dort ein Pfarr: amt innegehabt, an die Stelle des Vaters. Jetzt wirft er ſchon viele Jahre an der Univerjität als Profeſſor der Philofophie und Pädagogik.
Vater Heman und feine Gattin waren gleihfalls viele Sabre lang freundliche und beliebte Heubergbewohner.
Zu unterft am Heuberg oder jegigen Gemsberg aber, an der Ede des Spalenbergs, wohnte noch ein Mann, der als ein „zugewandter Drt“ der theologifchen Zunft gelten konnte: der „geiltlihe Weinherr“ Langmeſſer, feines Zeichens früher MWeinhändler, in meiner Sugendzeit ſchon in höherm Alter und Privatmann. Er trug jenen Titel nicht nur deshalb, weil er den Abendmahlswein geliefert, jondern aud, weil er eine Zeitlang Theologie jtudiert Hatte. Sch hörte ihn einmal feinen Enteln und deren Spielfameraden, zu denen auch ih gehörte, die erften Verfe des Johannesevangeliums griechiſch zitieren, was uns fehr imponierte. Auch Tirchengeihichtliche Kenntnijje gab der freundlihe und geiprädige alte Mann gerne zum Belten.
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Endlich ift noch derjenige Theologe zu nennen, der vom Heuberg jtammte und auch feine legten Amtsjahre in deſſen unmittelbarer Nähe zugebradht Hat: der in meinem väter- lichen (und jhon großväterlihen) Haufe geborene und auf: gewachſene Bruder meines Vaters, Cuharius Kündig, zuerft 1821—25 Pfarrer in Diegten, dann bis 1859 Helfer zu St. Peter, zuleßt bis zu feinem NRüdtritt 1866 Hauptpfarrer zu St. Leonhard. Der Hof des von ihm bewohnten Pfarr- baufes, Zeonhardsgraben Nr. 63, geht auf den obern Heu= berg binaus, jodaß er recht eigentlih ein Heubergtheologe war. Er iſt namentlich weithin befannt geworden durd fein 1856 zuerſt erſchienenes und jeither bis in die Achtzigerjahre wiederholt neu aufgelegtes Buch: „Erfahrungen am Kranfen: und Gterbebette“.
So hat denn jene ftille Stadtgegend zu der Zeit, wo fie nod einen halb Tändlihen Charakter Hatte, ungewöhnlich viele Theologen beherbergt. Es war meine Jugendzeit, und dDiefe Umgebung mag dazu beigetragen haben, daß ih ein Theologe geworden bin. Set aber wohnt außer in den zwei Amtswohnungen, dem Pfarrhauje und dem Frey:-Grynäum, meines Wiffens fein Theologe mehr dort. Das Gejchlecht der Erulanten ift Tängft ausgejtorben. Und wenn jet Pfarrer, die fein Amt mehr befleiden, fih in Baſel niederlajjen, fo ziehen fie in eines der außern Quartiere. Eine Aehnlichkeit iſt aber doch geblieben. Wie nämlich der Heuberg nahe bei der Leonhardsfirhe Liegt und ihrer Parodie zugeteilt ift, jo jollen auch jegt noch) in feiner der Stadtgemeinden fo viele ehemalige Pfarrer wohnen wie in derjenigen von St. Leon⸗ bard. Der Heuberg aber mitfamt dem Gemsberg iſt jegt no eine der „ſtillen Gaſſen“ des alten Bajel.
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Die Basler Saftnadıt. Don Paul Aölner.*)
„Rur wer tüchtig trommeln kann, Gibt ein guter Bürgersmann.“ Faſtnachtszettel 1843.
Menn in deutſchen und welfchen Landen!) die glänzenden Quitbarfeiten des Faſchings und «carnevale> zur Neige gehen und mit dem kirchlichen «memento quod cinis es et in cinerem reverteris>?) der Aſchermittwoch fröhlichem Mummenſchanz ein jähes Halt gebietet, dann legt Baſel die letzte rüſtende Hand an ſeine Faſtnacht!
Dann ebbt am Montag und Mittwoch nach Invocavit der Ernſt des grauen Werkeltages und flutet durch die Gaſſen der Altſtadt eine Welle lebensvoller, volkstümlicher und ur- Tprünglicher Eigenart, welche nirgends ihresgleichen findet.
Sung und alt feiert; die Schulen und Geidhäfte find ge- ſchloſſen. Yrau Sorge verläßt während zweier Taglängen die Rheinftadt, und wer nicht der Welt abgejtorben ift, feiert Saltnadt. Jedweder auf feine Weije; die Kleinere Zahl in felbftätiger Teilnahme, die große Menge in Eritifhem Be: ſchauen und behaglichen Genießen der ji dem Auge und Ohr dDarbietenden Dinge. |
Der Spur zu folgen, welde der «esprit moqueur> des
*) Der vorliegende Aufjag wird nad) Neujahr als jeparate Publikation mit vermehrtem Bildſchmuck im Auftrage des Faſtnachts⸗ Komitees herausgegeben werden.
) Mit Ausnahme der Mailänder Diözefe.
2) Gedente, daß du Aſche biſt und wieder zu Aſche wirit.
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Baslers gewandelt, bis diejes bedeutſamſte Volksfeſt feine jeßige originelle Geftaltung und fein bodenftändiges Gepräge angenommen bat, fei nachfolgend der Verſuch gemadit.
Faſtnacht, Faſching oder Karneval, alle drei Begriffe im weitern Sinn des Wortes gleichbedeutend, wurzeln in Gitten und Gebräuden, welde in Sahrhunderte zurüdliegenden Zeitläufen Hauptjädlih von Italien, der Miege des Kar: nevals, her, bejonders am Rhein und im füdlichen Teil des heiligen Römiſchen Reiches deutiher Nation Eingang fanden und fi je nad Ort und Bevölferung im Wechſel der Zeiten zu typilchen Volfsfeiten auswuchſen.
Teils fußten fie auf uralt-heidniſchen Feitlichfeiten, welche die Kirche wohl oder übel als Zugejtändnis an ihre Tebens- bejahenden Angehörigen auch weiterhin duldete; teils ent- Iprangen fie dem rein epifuräifhen Bedürfnis, ſich im vor: aus für die fommende jtrenge Fajtenzeit auf Stunden und Tage ſchadlos zu Halten.
Es vffenbart fi in diefem Treiben während des Mittel: alters der Ausbruch unbändiger, ja roher Lebensluft und einer Zebensauffajjung, die mit ganz andern Augen fah, als unfer durch Erziehung und Bildung verfeinertes Zeitalter.
Die zahlreich erhaltenen Faſtnachtsſpiele deutſcher und ſchweizeriſcher Poeten geben uns einen Begriff, auf welden Grundton die alte Faſtnacht gejtimmt war. Denn was id in diejen dialogilierten, zum Teil der Improvifation anheim- geitellten Szenen widerjpiegelt, ijt in erjter Linie Grobianus, der Heilige des Sahrhunderts; er madt ſich breit in un gezügeltem Scherz, derbem Wit, nicht felten in Unflat und Zote.
Wie mag es erjit in Wirklichkeit, auf Marftplag und Gaſſe, wo ſich die Knechte der Handwerker in die Brunnen warfen, wie auf Herberge und Zunftitube bei vollem Becher und üppigem Schmaus zugegangen jein!
Als harmlojer Scherz darf da noch die „vaßnechtiſche ge— ſchicht“ gelten, welche die Beinheimjhe Chronik wiedergibt,
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wonach 1503 etliche Priefter und Studenten zu Naht Mut- willen trieben und dem altersgrauen fteinernen Sanft Georg auf dem Münjterplagbrunnen eine „Büttene“ über den Kopf jtülpten; jedoch der „Serg zerbrach“ und einer der ſchalkhaften Scholaren wurde für tot von dannen getragen.
Kit nur Gejinde und Bürgersleute ließen während der Faſtnachtstage übermütigfter Laune freien Lauf, jondern aud Perſonen von Stand und erlaudte Häupter ſchämten ſich nidt, das tolle Treiben mitzumachen. Die Scherze, die ji) im Jahre 1376 Defterreihs Adel erlaubte, und deren ereignisichwere Folgen find unter dem Namen „böje Faſtnacht“ zu trauriger Berühmtheit gelangt. Der „heiße Stein“ auf dem Marftplag ließ damals die Basler jahrelang der Faſtnachtsfreuden ver- geljen. Auch ein Habsburger, Herzog Siegmund, Sohn Fried- richs mit der leeren Tajche, war es, von dem allerdings viel harmloſer, faſt ein Jahrhundert ſpäter berichtet wird, er jei 1467 nad) fröhlichem Turnier auf dem Münfterpla und nach— folgendem großen Tanz in der „Müde“, am Wüſcheltag nad Aſchermittwochweiſe im Geliht mit Ruß bemalt mit den Frauen durch die Stadt gelaufen.
Gewiß weit war der Weg bis zu jenem reizvollen Kar— neval von Venedig oder Rom, dem fein Geringerer als Goethe in anmutiger Schilderung begeijterte Worte lieh... .
Die mittelalterlihen und neueren Quellen zur Geſchichte der Basler Faſtnacht erfchließen fi) dem Forſcher in erſter Linie in den Ratsprotofollen, den Ruf: und Ordnungsbüdern, lowie in gedrudten obrigfeitlichen Verfügungen, weit weniger in zeitgenöfliihen Aufzeichnungen Einzelner, acdhteten doch Chroniffchreiber und Hiltoriographen etwa mit Ausnahme geiftliher Autoren, die dagegen eiferten, jold tolle Mum— mereien faum wert genug, um der Nachwelt hierüber aus- führlide Kunde zu Hinterlajjen.
Wohl eines der ältelten erhaltenen Zeugnilje über allerlei Ungebührlichfeiten während der Faſtenzeit reicht in das Jahr 1419 zurüd. Cs geht während der Faſtnacht, Heikt es in.
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dem Rufbüdlein, gar „Ihalklih und wüſtlich‘ zu, daß wür— dDige Herren und rauen auf ihren Stuben weder tanzen fönnen noch Ruhe haben, davon „groß fumber und gebreit ufarſton“ mörhte.
Vor allem find es dann die Erfanntnille und Mandate der erniteren Reformationszeit und der nachfolgenden Jahr— zehnte, welche Stoffes die Fülle bieten; Dofumente, die feines- wegs das Hohelied basleriſcher Kaltnachtsfreuden anjtimmen, jondern mit dem fittenjtrengen Maßitab eifernden Refor— mationsgeijtes gegen die „abgöttifhen“ und „unzüchtigen“ Feſtivitäten zu Felde ziehen.
Die Beluftigungen beſchränkten fih nicht wie heute auf die erjte, neue Wochenhälfte nad) Aſchermittwoch; ſchon Die Meihnadtszeit, das Neujahrsfeit und andere Anläſſe benüßte das fejtfreudige Volk zu VBermummungen. Erſt mit der Ab— Ihaffung der vierzigtägigen Kalten durch die Reformation von 1529 fonzentrierte fi das Faſtnachtsleben, um ih auch bier in Gegenjaß zur alten Glaubenslehre zu jtellen, auf Aſchermittwochs) und die nahfolgenden Tage und zwar in einer Weiſe, welche den Rat zu energiihem Einſchreiten ver anlaßte.
Einem der Hauptvergnügen, dem heute noch auf dem Rande übliden Abbrennen von Yaltnadhtsfeuern, ſowie dem Merfen von brennenden Holzjcheiben, in Verbindung mit Um— zügen, wobei Yadeln getragen wurden, hatten die Behörden Ihon nor der Reformation, wenigitens in der Stadt, auf „ewige Zeiten“ ein Ende gejeßt.
Sm März 1546 wurde dann durch) die Räte erkannt, man ſolle „fürohin fein Faßnacht noch Eſcher Mitwoden me habenn, nod der Zit uff Zuenfften, Gefellfchaften, noch Knechten Stuben nit me foden lan, noch zeren, ouch gantz
3) An diefem Tag wurde allgemein auf den Zünften üppig geſchmauſt; heute nod) wehen alljährlih am Aſchermittwoch von den Zunfthäufern zum „Schlüſſel“, zu „Hausgenofjen“ und „Safran“ die Banner, die Brüder zum fröhliden Mahle Iadend.
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fein Faßnacht Buben Pfifen noch Trummen pruden, fonder der Dingen aller müßig jtan“.
Smmerhin gejtattete man „gut Herren und gjellen“, auf ihre Privatfoften Hin während diefer Tage in Zudt und Ehren ein Mahl zu halten.
Bei dem Verbot des Trommelns und Pfeifens haben wir weniger an Umzüge geordneter Tambouren- und Pfeifer: gruppen zu denken, jondern man wollte damit in erjter Linie der Gelegenheit zu ausgelajlenen unzühtigen Tänzen einen Riegel fhieben,; denn Trommel und Querpfeife waren bis tief ins 16. Jahrhundert hinein die Mufifinjtrumente, mit denen allgemein zum Tanz aufgeſpielt wurde.
Von ſolchen Tänzen, die mancherorts geradezu als „hürt- Ihe“ bezeichnet werden, wijjen auch die Basler Quellen zu erzählen. Noch im ausgehenden 18. Sahrhundert beichwert ih das NReformationskollegium, dem die Durhführung der „Chriftlihen Reformation und Policey Ordnung der Stadt Bajel, zu Beförderung Gottes Ehre, Pflant- und Erhaltung aller Gottjeligfeit, Zucht, Chrbar=: und Frommkeit“ oblag, es hätten anläßlich der Umzüge an einigen öffentlichen Orten Erwadjene die ganze Woche hindurch ungejtüme und zügel- loje Tänze gehalten. Der Rat verbot hierauf in einem An— bang zur Reformationsordnung vom 2. Auguſt 1784, Erwadj- fenen bei empfindlicher Strafe das Tanzen und gejtattete nur den Kindern am Mittwoch Abend dieje „unjchuldige Freude“.
Ein Jahr jpäter, 1785, wurde aus dem nämliden Grund 20%, der Stubenfnedt zum „Greifen jenjeits“, einem pein- lichen Verhör unterworfen wegen eines bei ihm am Donners- tag der Faſtnachtswoche gehaltenen „ungejtümen“ Tanzes. Die in der Folge angeflagten Beteiligten erklärten, es habe id um eine „abgeredte Compagnie“, eine Harmloje „Lid: teten“ gehandelt, deren Urheber der ehrſame Magijter Veit und dejlen Ehehälfte nebjt einigen männlichen und weiblichen Befannten gewejen jeien. Troßdem wurden alle Teilnehmer je um einen Gulden gebüßt.
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Ebenfalls des Tanzens wegen verfiel nach) der nämlichen Faſtnacht der Indiennedruder Jakob Schwißer von Oberdorf in Strafe. Er hatte in der Mägd vor dem Eſſen „im Har: nifh“ einige Tänze zu Ehren des Herrn Borfjtadtmeilters Ryhiner getan.
Mährend bis in das 16. Sahrhundert Hinein das Tanzen als integrierender Beitandteil der Faſtnacht noch vielfach auf offenen Plätzen vor ſich ging, verſchwand es in jpäterer Zeit von den Straßen und fand, gehegt von den obrigfeitlichen Erlafjen, auf den Stuben der Zünfte und Vorſtadtgeſellſchaften Unterjehlupf, bis diefem Bergnügen in veredelter Form die Neuzeit Bühne und Balljaal öffnete.
Der in allen Verfügungen des Mittelalters mannigfad) wiederkehrende Ausdrud „Bußen“ bedeutet joviel als Schred- geftalt.e Wer denft wohl heute nod) daran, wenn er feinen lieben Nächſten einen Förchtibutz fhilt, daß in diefem Wort gewillermaßen ein Ton längſt verrauſchter Faſtnachtsfreude nadklingt !
Primitiver Art war anfänglid die Vermummung diejer Bußen. Das Gejiht mit Kienruß bejhmiert, ein Hemd oder ein Weiberfleid, aus den Truhen der Wohnſtube zufammen- gejudht, über das Wams geworfen, jo tummelte fi) die Jung: mannſchaft in den Gallen und jtürmte in die Häufer, um die Leute zu „bremen“, das heißt im Geliht mit Ruß oder Aſche zu ſchwärzen.
Die urjprüngliche Sitte, ſich durch Schwärzen des Antlies unfenntlich zu maden, war bis in das 19. Jahrhundert Hin- ein noch allgemein üblich.
So fuhr am Faſtnachtsmittwoch 1783 ein Wagen mit zwölf Masfen durch die Stadt; die Teilnehmer, ein Trans- port Refruten voritellend, hatten geſchwärzte Geſichter und einige trugen dazu tuchene Nafen; 1816 berichtet ein Polizei: tapport von einem vierjpännigen Yaltnadtswagen, deilen Inſaſſen „verfchmierte Gefichter“ aufwiejen; ja 1833 noch arre-
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tierten die Yandjäger eine Anzahl jhwarzgefleideter Masten mit geſchwärzten Gelichtern.
Ausnahmsweiſe mögen aud) ſchon im Mittelalter in Bajel, wie wir es von andern Orten willen, hölzerne oder metallene Masten in Gebraud geweſen fein; erjt in den letzten Jahr— zehnten des 18. Jahrhunderts famen nad) und nad) die Gtoff- larven, jpäter die Wachslarven und zuleßt die aus ‘Papier: made gefertigten Gelihtsmasfen auf. Das Larventragen wurde übrigens bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahr: Hunderts jtreng geahndet. Man erblidte darin, wie es in dem kirchenrätlichen Schreiben vom Jahre 1806 ſcharf hervor- gehoben wird, ein großes Wergernis, „daß die Menfchen fi in Tiergejtalten verfleideten oder das ihnen von dem gütigen Schöpfer geſchenkte menſchliche Angeliht mit unmenſchlichen abicheulihen Karifaturen verwedjelten“.
Als eigentlihe Koſtüme, wenn wir von der verwedjelten Geſchlechtstracht abjehen, kommen bis in das 17. Sahrhundert hinein beim Volk hauptſächlich in Betracht, der aus der ita- lieniſchen Poſſe ftammende Harlefin, welder ih als Hanswurit im deutihen Faſtnachtsſpiel Bürgerreht erwarb, jowie der Teufel und der Bauer.
Für das Borfommen der eritgenannten Yigur als Straßenmasfe in Bajel haben wir aus der alten Zeit feine Belege finden können. Erjt gegen das ausgehende 18. Tahr: Hundert gefchieht ihrer zu verfhiedenen Malen Erwähnung.
Sm Sahre 1783 wird ein Gabriel Berger um einen Neu- taler gebüßt, weil er nädtlih im Gejellihaftshaus zum Dolder, als „Hanswurjt“ verfleidet, feine Späſſe getrieben hatte. Zur Rechenſchaft gezogen, erklärte er, nur eine weiße „Veſte“ und eine Müte von Papier getragen zu haben. Rad) gefallenem Bericht ergab ſich aber, daß er ji) in „wächſerner Zarve“ und mit einer hohen Mübe, an welder vorn eine Puppe befeitigt war, auf dem Tanzboden herumgetrieben hatte.
Und 1790 mußte fih ein Bürger verantworten, der als
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„Arlaquin“ in einem Nanktingrod und Kamijol, mit bor- diertem Hut, großem Haarjedel mit einem Spiegel daran, dem Spalemer Umzug gefolgt war.
Mir Haben es in dieſen Fällen eher mit flownartigen Bermummungen zu tun; der eigentlide Harlefin mit zuder- Hutförmiger Müte und ſchellengeſchmücktem buntlappigem MWams fcheint nicht eigentlich heimiſch geweſen zu fein.
Weit zurüd nachweisbar find Dagegen die Masfen des Teufels und Bauers. Schon 1432 verbieten die Behörden, in „tüfels hüten“ zu laufen, und 1526 richtet ich ein odrigfeitlicher Ruf gegen das „umbgan in Meyers oder verglichen wyje“, das heißt in Bauernkleidung.
Wir Haben uns dieje Typen wahrſcheinlich als zufammen- gehörendes Paar zu denfen, das Durch allerlei Spälle und Geberden meiſt obizöner Art das Publifum belältigte und beluftigte. Gerade deswegen vielleicht hielt das Volk durch die Sahrhunderte hindurch zäh an diefer Art der Vermum— mung feſt.
Noch 1783 ilt in den Reformationsaften von zwei jungen Burſchen die Rede, von welden der eine als „heſſiſcher Bauer“ in weißem Hemd und der andere als Teufel in einem ver= fehrten Pelz durch die Straßen gezogen war. In dem noch au unjerer Zeit ziemlich häufig gejfehenen „Deifeli“ ift wohl das letzte Ueberbleibjel diefer ein Halb Sahrtaufend alten Faftnachtsmaske zu erbliden. Melde Koftüme in vornehmen Kreifen bei privaten Masferaden oder bei Tanzbeluftigungen auf den PBatrizierjtuben etwa getragen wurden, deutet das aus dem Jahre 1595 ftammende Masfenbild im Stammbudj?*) des Bürgermeilters Jakob Götz an. Wir finden dort ein vor— nehmes Paar, begleitet von einem fadeltragenden Bajazzo und einem Lautenfpieler in ebenfalls bajakartigem Kleid. Die drei männliden Masten weijen faffeebraune Larven mit langen Bärten auf, während die Dame eine gleidhfarbige Halblarve trägt.
3) Aufbewahrt im Hiftor. Mujeum.
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Die Sitte, ji zu masfieren, nahm bejonders im 18. Sahr= hundert überhand, fo daß der Rat 1715 bei „Leib- und Lebens— ſtraff“ dieſe „höchſt gefährlide Sach“ verbot; ein Verbot, weldes 1727 „Sungen und Alten“ gegenüber erneuert wurde.
Gehr beliebt wurde nun beim Bolf das Verkleiden in Trachten der benachbarten Landſchaften, da ſolche Koſtüme, wo jedweder noch ſeine Landestracht beſaß, leicht erhältlich waren. Groß iſt die Zahl der „Wälderbauern“, Markgräfle— rinnen, „Bernermeidli“ und Baſelbieterinnen, welche ſich nach verrauſchter Faſtnachtsherrlichkeit vor den würdigen Refor— mationsherren verantworten mußten, und entweder als reuig Büßende zu einem Neutaler, oder als verſtockte Sünder bis zu zwanzig Pfund Strafe verurteilt wurden.
Dieſe Maßregelungen mögen uns heute als übertrieben trenge vorfommen. Erklärlich werden fie aber, wenn wir uns in die Anlihten der damaligen Zeit zurüdverfegen, wo ih der Staat in engherziger Weije, wenn aud mit väterlid- wohlwollender Abjicht in die Privatverhältnilje des Einzelnen einmiſchte; wachte doch die Obrigkeit nit nur an der Faſt— naht, jondern das ganze Jahr hindurch Iharf darüber, wie ih ihre Schußbefohlenen kleideten.
Wenn noch zu Ende des 18. Jahrhunderts Bürgersfrauen, welche in jeidenen Mantillen zur Kirche gingen, Mägde, die ih Sonntags mit filber- oder goldbordierten Hauben Ihmüdten, und Bürger, jo fich verfilbertes Pferdegefhirr an— Ihafften, zur Verantwortung und Strafe gezogen wurden, jo läßt ji aud) das Einjchhreiten der Stadtpäter wegen des Verkleidens an der Faſtnacht begreifen. Noch Hatte die fran= zöliihe Revolution nicht ihr erlöfendes Wort von Freiheit auch in folden Dingen dur) die Länder Europas getragen!
Erjt im 19. Jahrhundert beleben dann die heute leider mehr und mehr verjchwindenden Altfranfen, Dummen Beter und „Bajaſſe“ das Yaltnachtsgetriebe und werden zu eigent- lihen Wahrzeihen des Basler Karnevals.
Eine gänzlich verfhwundene Art der Verkleidung waren
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die fogenannten „Hechelgaugelen“, auf welche laut Regie— rungsbefehl von 1727 die Wachtknechte ihr befonderes Augen- merf zu richten Hatten. Wo folche betroffen würden, jollten lie ohne weiteres von der Straße weg und in den Turm ge= führt werden. Wer waren dieje Hechelgaugelen, die in den Erlaſſen von 1727, 1736, 1738, 1744, 1750, 1754 und 1758 Ipeziell erwähnt werden? Nach dem jehweizerifchen Idiotikon bezeichnet der Ausdrud ein verfleidetes Meib mit einem Spinnrocken in der Hand. E. Hoffmann-Krayer?) nimmt an, daß fie jenes alte herenartige Weib daritellen jollten, welches in den verjehiedeniten Gegenden Europas als Perjonififation des ausgehenden Winters vorfommt und das als Buppe unter feierlichen Zeremonien begraben, verbrannt, ertränft oder zerfägt wird. Aus ethymologiſchen Gründen ſchließt genannter Autor auf eine Verwandtihaft mit der uralt-geifterhaften Berta oder Holda, der Frau Holle der Kindermärden.
Um eine Strohpuppe oder dergleichen fann es ſich bei der Basler Hechelgaugelen nicht handeln, jondern um eine ver= fleidete Berjon. Nun bedeutet das Wort im älteren Sprad)- gebrauch aud ein jharfzüngiges böjes Weib, und da liegt die Vermutung nahe, in diefer Faltnadtsfigur den Urtyp der intriguierenden Masfe zu juchen, die auf der Straße mit ſpaſſigen Bewegungen und Geberden die Vorübergehenden umgaufelt und ihnen mit veritellter Stimme ihr Günden- tegilter vorhält, fie gewiſſermaßen durchhedhelt, ähnlich der heute noch jo beliebten „alten Tante“.
Belege, die auf den Braud) des Intriguierens hinweifen, finden fih ſchon im Reformationsgeitalter.
Ein auf die Herrenfaltnadt 1526 ausgerufener Erlaß wendet fich gegen allerlei „ſpey- und jpotworten“, welche bis dahin von jung und alt gejproden und gejungen worden leiten.
Die Sudt zu „furen“ und zu „ſchnöden“ ift noch Heute
9 E. Hoffmann-Krayer, die Faſtnachtsgebräuche in der Schweiz, ſchweizeriſches Archiv für Volkskunde, Bd. I, ©. 189.
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dem Basler in mehr oder minder hohem Maß zu eigen und äußert fi in charakteriſtiſcher Weife an der Faſtnacht beim Sntriguieren. Es hat übrigens aud fein Gutes, wenn man einmal im Sahr die Schellenfappe aufjegt und unter ihrem geheiligten Schuß eine Menge Wahrheiten vom Herzen wälgen fann; hört fi) Doc die Wahrheit unter dem Panier der Narr: heit noch am erträglidjten an!
Noch jind dem Verfaſſer „Fasnächtler“ bekannt, die das Sahr hindurch geradezu Buh führen über allerlei Menſch— lies ihrer Mitlebenden, um an der Faſtnacht von der durd) das Maskenrecht garantierten NRedefreiheit ausgiebigen Ge: braudh zu maden und das ſprichwörtliche böſe Baslermaul auf der Straße, in der Wirtsitube und im Ballfaal wahre Orgien feiern zu laſſen.
Sreilih) wird mit dem Wachen der Bevölferung und im Trubel der kleinen Großitadt dieſe „Runjt“ jet mit weit weniger VBirtuojität ausgeübt, als beilpielsweije noch in den achtziger Jahren. Man fennt ji) eben nicht mehr jo gut wie früher, wo an lauen Abenden auf den Bänflein vor den Häufern bei regem Gedanfenaustaufh über die Familien— und VBermögensverhältnilje, über die Tugenden und mehr nod) über die Schwächen gemiljer Stadtinfajjen die Saat ausgeitreut wurde, weldhe an der Faſtnacht Frucht zu tragen beitimmt war. |
Zur gewiſſen Stunde, am gewiljen Tijh, war es nun im alten „Kardinal“, im „Pflug“ oder „zu Shuhmadern“, war man jeiner Leute fiher, und es gehörte zum Gelungen- Iten, wenn fich in flinfer Rede und Gegenrede über Zuhörer, Maste und „Opfer“ ein Sprühregen echten Basler Wites entlud.
Wie fade Dagegen wirkten die überhandnehmenden Waggis, welde in falſcher Elſäſſermundart gar oft Wit mit OGrobheit und Schmutz verwedjeln.
Doch kehren wir ins 16. Jahrhundert zurüd!
Aehnlich Tautende Erlajje der gnädigen Herren und
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Dbern, wie der obgenannte vom Sahr 1546, wiederholen ſich in furzer Zeitfolge und befunden dadurch den geringen Er- folg, von welchem fie begleitet waren.
Zu tief jagen die Wurzeln im Volk, um mit nod) jo ſcharf geführten Arthieben den grünen Baum goldenen Yaltnadts- lebens ernjtlich zu gefährden.
Belonders ausführli” und eindringlid wandten fidh namens des Rats die Stadthäupter um die Wende des 16. Sahrhunderts an ihre „lieben Bürger, Hinderjaflen und An— gehörigen“.
Da es einer rijtlichen Obrigkeit nad) St. %. E.5) Weiſe obliege, Heißt es im Eingang des Mandates vom Februar 1599, alles, was Gott und feinem Worte zumiderlaufe, allen Ernftes abzujhaffen, und dies bejonders zu einer Zeit, da ſich in der Chrijtenheit allerlei ſchwere, zuvor „unerhörte ſachen, widerwertigfeitten, jomer und ellend ye lenger ye mer eröugen“, habe die Regierung Urſache genug, alle Mutwillig- feiten und übrigen „fröudenſpil“ abzuschaffen und an deren Statt ehrbares Leben zu pflanzen und „anzuridten“.
Da hauptſächlich während der Kaltnadhtstage zu andern Sahren viel „ungerümbter ſachen und mutwillen heidnifcher art und weys geübt worden und fürgangen“ fei, jo ſolle fih jeder Bürger, jeine „vienjtfind“, überhaupt fein ganzes Haus— gefinde des „übermefligen unordentliden Bandetierens Zächens und Praſſens fo wol uff allen ehren Zuenfften und Geſellſchaften, alls andern mehr orten, Stem des ned t- liden bin und widerlauffens uffden Gaffen, des Ruedhlin Holens, Darumben fingens, des umbaziehbens mit trommen und pfeiffen, des verfleidens, verbußens, der Mommerigen?) wie ebner gitalten des Braemens, judlens und molens ander Ejhmittwod und all ander dergleidhen erdichte Faßnachtſpilen und ſachen“ gänzlich enthalten.
5) ftreng, fürfihtig, ehrbar. 6) Mummereien.
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Die Buße, in welde jeder „verbrecher“ zu bezahlen ver- fällt wurde, betrug „fünff pfunden pfennig“, und zwar follte diefelbe ohne alle Gnade von jedem erhoben werden.
„Das meinen offtwolermelt Unjer Gn. Herren gan ernftlich“, Iautet der Schlukfa der Bekanntmachung.
Derlei jtrenge Ermahnungen aus dem Schoße des Rats wie aus dem Munde der Geiftlichkeit und die relativ hohen Strafen taten wohl den ärgjten Auswüchſen Abbrud; fie zwängten den überwallenden Strom in fein Bett zurüd, ohne aber jeinen Lauf hemmen zu können. Wir willen ja aus zeitgenöjlifhen Aufzeichnungen von Baslern und Landes: fremden zur Genüge, wie jehr man unter dem Krummitab fröhlich zu leben gewohnt gewejen war, fröhlih bis zum Ueberſchwang.
Faſtnachtsbeluſtigungen, wie ſie beiſpielsweiſe 1508 der mehrtägige freundeidgenöſſiſche Beſuch der Luzerner mit ſich brachte, die im Herbſt ihren geſtohlenen Bruder „Fritſchi“ holen kamen, lebten lange in der Erinnerung des Volkes nach.
Zu ſehr lag den Bewohnern der alten Konzilſtadt die Lebensluſt im Blut und ſaß ihnen der Schalk im Nacken! Sm Spiegel jener Zeit betrachtet war es eigentlich über— ſchüſſige Kraft, die fi) austobte, ohne das Marf des Volkes zu treffen; denn gerade in den Jahren des tolliten Subels blühte Bafel wie nie...
Nicht Jo harmlos, wie die heute noch übliche Gitte, nad) welcher während der Faſtnachtstage die Hausfrau guten Steundinnen bei der Kaffeerifite die Iaubblattdünnen, Iheibenförmigen Faſtnachtsküchlein auftiiht, war ehedem der Braud) des „Küchleinholens“ und „Darumben fingens“. Was der geniale Satirifer Filhart und Straßburgs Abraham a Santa Clara, der originelle Domprediger Geiler von Keifers- berg, hierüber aus benachbarten Städten berichten, mochte auch für das Tebensluftige Bafel am obern Ende der Pfaffengajfe zutreffen, famen doch bei diefem Küdjleinholen nicht felten geſchlechtliche Exzeſſe vor.
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Mährend wir im ausgehenden 16. Jahrhundert noch auf Schritt und Tritt in Ratsprotofollen und Erlajjen den immer wieder auftauchenden jtereotypen Klagen begegnen, ſchweigen ih im friegserfüllten 17. Säfulum die amtliden Dokumente mehr und mehr aus.
Nicht nur Hatten die fortgejegten Mandate jchließlich den ärgerlihiten Uebelftänden gejteuert, jondern es madte id überhaupt in jenen ereignisjchweren Zeitläufen eine Er- nüchterung der braufenden Kräfte und daran anjhliekend eine relative Beljerung der Sitten geltend.
An Stelle Tanger Erlajje und Jeremiaden erwähnen die Ratsbücher nur in kurzer Bemerfung der Faſtnachtstage, etwa durch den Beſchluß, das „Faſtnachtsgeplärr“ auf den Straßen durch Umfagen von Haus zu Haus abzuftellen.
Erit das 18. Jahrhundert gab den jtaatlihen Auflihts- organen wieder in reihem Make Gelegenheit, ji) mit der Faſtnacht eingehend zu befajlen.
Vor allem waren es die Umzüge der Vorjtadtgefellihaften und der drei Geſellſchaften Kleinbajels, die viel erwünſchten Anlaß zu Masferaden, und der Trommelfunjt eine Kreijtätte boten; aus den Umzügen der erfteren hauptſächlich Haben fid in der Folgezeit die eigentlihen geordneten Faſtnachtszüge herausgebildet. Peter Ochs?) entwirft in feinem Geſchichts— wert aus eigener Anfchauung darüber folgendes Bild:
„... an der Faſtnacht, wenn der Rat es nicht verbietet, Itellen fie) fog. Umzüge an. Dort wird das Wappender Gejellfhaftin lebendiger Geftalt, masftiert oder verjtellt in der Stadt herum begleitet. Cinige mit der alten Schweizertradgt find die Begleiter. Dann folgen junge Knaben mit Trommeln und Gewehren und mit der Sahne der Geſellſchaft. Endlih Kinder von beiderley Ge— Ihleht und allerleyg Kleidungsarten ſchließen den frohloden- den Troß.“
7) Ochs, Geſchichte der Stadt und Landfhaft Bafel, Bd. V, 6.402. 8) Die Borjtadtgejellichaften.
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Diefe Umzüge wiejen urjprünglid nit rein faſtnächt⸗ lerifches Gepräge auf; fie waren eher eine Art Sugendfeft mit etweldem militärifhen Charakter, beitimmt in erſter Linie als Sreudentag für die Tugend der Gefellidaftsbrüder.
TIroß öffentlich befannt gegebener Warnung, die auf An- juhen des Antiftes Hans Rud. Merian den Schülern des Gymnafiums noch bejonders vor verjammelter Klaſſe ein- gefhärft wurde, fingen die jungen Leute an, vermummt und masfiert an den Umzügen zu erjcheinen.
Mastierte Erwachſene ſchloſſen fi) diefen Quartier: beluftigungen an; Vermummte auf Wagen, Berittene zu Pferd, ja auf Efeln folgten als ausgelafjjener Nachtrupp und gaben diefen Zügen nah und nad typiſchen Yaltnadts- charakter.
Wir entnehmen der Zahl derer, welche im Jahre 1783 vermummt dem Spalemer- und Dalbemer Zuge gefolgt waren und durch das Reformationskollegium beſtraft wurden, fol- gende Blütenlefe:
Emanuel Weitnauer, als Marfgräflermädden,
Friedrich Murbadh, als Bauernmädden,
Peter Lindenmeyer, als Harlefin,
Joh. Ulrih Didenmann, als Bernermädden auf einem Eſel reitend,
Emanuel Lindenmeyer, als Weib in der „Altbaſeltracht“,
Andreas Lindenmeyer in einem Amazonenfleid,
Joh. Taf. Stodmeyer, als Wälderbauer,
Balthajar Umbadh, als Wälder zu Pferd,
Jak. Schaub, in weißem Frauenzimmerfleid,
Joh. Salathe, als Quzerner Zuhrmann mit einer Beitjche,
Joh. Schaub, in einem Eidgenofjenfleid und eine Müße auf.
Da aud) das zeitweilige Verbot?) der Umzüge nicht viel
%) Am 10. Januar 1756 befahl der Rat, alle Umzüge einzuftellen,
ebenio das Umlaufen der Tiere jenfeits; 1765 wiederholte ſich das gleiche Verbot bei Strafe von 1 Mark Silber.
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fruchtete, entjchied die Regierung in Anbetracht der Schädlich— feit und der vielen Unanjtändigfeiten, die dabei vorgefommen waren, Ddiejelben gänzlich abzuftellen mit der Beftimmung, falls ſich erwachſene Knaben in den Waffen üben wollten, denjelben nah Pfingſten Umzüge zu geitatten.
Mündliche Borftellungen und fohriftlihe Eingaben von Geiten der Vorſtadtgeſellſchaften bewogen nad) Verfluß zweier Sabre den Rat, feinen Beſchluß zurüdzunehmen. Die Umzüge wurden wieder freigegeben und die Tage der Abhaltung auf den eriten Montag und Dienstag im Brachmonat, im Hindes rungsfalle acht Tage jpäter, feitgelegt.
Der Rat juhte damit in richtiger Erfenntnis des Urs jprungs der Mißbräuche dieje Feitlichfeiten der Faſtnachts⸗ zeit zu entrüden, in der Hoffnung durch diefe Maßnahmen die Quelle des Uebels zum Verſiegen zu bringen.
Alles Trommeln, Umfhlagen und Schießen, befonders an den Sonntagen, wurde bei einer Strafe von drei Pfund ver— boten. Eine Ausnahme Hinfihtlih des Trommelns erlaubte man nur Einer Löbl. Freifompagnie, jenem militäriihen Sreimwilligenforps, das ji) aus Söhnen wohlhabender Bürger: familien refrutierte. Da diefe Truppe ihre Uebungen ge— wöhnlih am Sonntag Nachmittag auf dem Peterspla ab- hielt, wurde ihr gejtattet, bei den Ererzitien die Trommeln zu rühren, aber erjt nach) Beendigung der Abendpredigt.
. Eine wirflidhe Unfitte, die das Mißfallen des Rates in hohem Grade erregte, betraf das Schießen und Losbrennen von Yeuerwerfsförpern anläßlich der Quartierumzüge.
Diejes gefährliche Vergnügen wurde bejonders während der Faſtnachtszeit von der ftädtifhen Jugend eifrig gepflegt. Nicht allein verbanden damit die Knaben eine ärgerliche und unanftändige Bettelei, jondern das Werfen der „Feuerteuflen“ und „Schwärmerlin“, das Hantieren mit brennender. Zunte, jowie das Abbrennen von Granaten und „Käſtenen“ veran=
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laßte in den engen Straßen des öftern Unglüdsfälle und be- deutete für die Stadt bejorgliche Feuersgefahr, abgejehen da— von, daß bei Nacht „ganze Nachbarſchaften“ in Schreden und Unruhe gejegt wurden.
Die regelmäßig nah Neujahr einjfegende Fehde für und wider die Faſtnacht und deren Freiheiten, trug naturgemäß nicht dazu bei, das Zeit in jeinen äußeren Formen zu heben, ibm neue Impulſe zu geben und es ins Großzügige zu fteigern.” Es war ein hartnädiges Kräftemellen zwiſchen den einfchräntenden Maßnahmen der Regierung einerjeits und dem beharrliden Feſthalten der bürgerliden Volksſchichten an den allerdings nicht verbrieften, aber durch jahrhundert: alte Gepflogenheit janftionierten Narrenrechten andererfetts.
Der Kampf erloſch auch keineswegs mit dem Zujammen- bruch der alten Regierungsherrlichfeit im Jahre 1798; er pielte in die bewegte Zeit der Helvetif hinüber, die fi in der Behandlung der Faſtnacht nit weniger jtiefmütterlich als die Zopfzeit zeigte; freilich nit aus den nämlichen Grün- den. Trogdem ſahen ſich diejenigen, die gehofft Hatten, der Sturm der Helvetif werde mit fo vielem Morſchem aud dieſes altmodilche Felt der Torheit wegfegen, in ihren Erwartungen getäuſcht.
Für die neuen Machthaber kamen bei ihrem Vorgehen weniger religiöſe Bedenken in Betracht; vielmehr waren Er— wägungen politiſcher Natur ausſchlaggebend, um die „Witz— linge, die fi) in höhere Sphären gewagt“,19) in die Schranken zu weifen. Nachdem ſchon 1798 ſämtliche Faſtnachtsbeluſti— gungen durch das Regierungskomitee unterjagt worden waren, hielt au) im folgenden Jahr der damalige Regierungsitatt- Halter J. Schmid es als unumgänglich nötig, in Rüdficht auf die Zeitumftände und die Anwejenheit franzöfiiher Truppen
10) Wie ſich der Deutfche Gottlob Heinr. Heine an einer Stelle feiner Reijebejchreibung über die Basler Faſtnacht in den Neunziger Jahren äußert.
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das Verbot in vollem Umfang zu erneuern und durd) Trommelſchlag befannt zu geben. Alle Wachtpoſten der Gar: nijon, ſowohl franzöſiſche als baslerijche, erhielten Konfigne, falls ſich Umzüge zeigen jollten, der Aufforderung der öffent: lihen Beamten zu deren Anhaltung unbedingt Yolge zu leilten. Auf dringendes Anſuchen der Tugend wurde immer: hin diefe Berfügung am Vorabend der Faſtnacht dahin ge: mildert, daß man den Knaben geitattete, von Tagesanbrud an bis abends nach geſchlagenem Zapfenſtreich in Zivilfleidern nad Herzenslujt zu trommeln.
Bürger Schmid fonnte ſich zu dieſem Zugejtändnis um fo leichter entſchließen, als der franzöliihe Plaßfommandant Peliljard den Jungen diefes Vergnügen „herzlich“ gönnte.
Mie jehr die Jugend an ihren Faſtnachtsbräuchen Hing, illuſtriert in luſtiger Weile das Bittgejudh, welches einige Kleindbasler Sünglinge im Februar 1801 an Regierungsitatt: halter Zjchoffe, den Nachfolger Shmids, richteten; es hat jol- genden Wortlaut:
Bürger Regierungs Stadthalter!
Ob wir gleich wohl ſchon von Ihnen, die Erlaubnis dieße Faſtnacht, nad) alter Gewohnheit umzuziehen erhalten haben, jo jehen wir uns doch auf die geitrige Anzeige des Cantons- blatts genöthigt, nochmahls anzufragen ob das verboth aud uns betrifft, wir haben feine andere Verkleidung, als die— jenige mit weldher wir vergangenes Sahr mit Erlaubtnik des damals gemwejener Bürger NRegierungs Stadthalters Schmid den Umzug gehalten haben, Nemlid) ein Löw, ein Greif, ein Wilder Mann und ein Ühly oder Hanswurft.
Unterzeicänete Knaben, worunter feiner unter 14 Jahre alt, bitten den Bürger Regierungs Stadthalter nochmals uns diefe unſchuldige Freude zu gönnen und uns Ihre gütige Erlaubnis zu bejtätigen.
193 13.
Mir verfihern Ste daß feine Unanjtändigfeiten dabei vorgehen ſollen.
Die bittende Knaben verharren mit aller Ehrfurdt Des Bürger NRegierungs Stadthalters Gehorjamite Diener
Wilhelm Fürbringer
Chriſtian Chrift Philipp Hindenlang Rudolf Biermann Georg Hetzel
Ob Zſchokke als Nichtbasler fi) erweichen Tieß, ift aus den Akten nicht erſichtlich; jedenfalls war er fein allzu eifriger Anhänger diejer Volfsbelujtigungen. Dies bemweilt fein Vor- gehen gegen den Schaujpieldireftor Klairfont im Ballenhaus an der Theateritraße, dem er mit Schließung der Bühne drohte, weil ih am Faſtnachtsdienstag dajelbit einige mas- fierte Perfonen Hatten jehen lajjen.
Etwas mehr Bewegungsfreiheit wurde der Faſtnacht erjt in den Mediationsjahren zuteil. 1803 begrub man auf dem Petersplaß unter MWaldhornfanfaren einen Ochfenfopf jamt grünstot:gelben Kofarden, um damit jymboliih das Ende des helvetiſchen Einheitsitaates anzudeuten. Der Stadtrat, dem nun die Aufitellung der Faſtnachtsverordnungen über: bunden war, erlaubte das Trommeln ſchon vierzehn Tage!!) vor der Faſtnacht und wies hiezu den Süngern des Kalb: fells die Schanzen und Wälle als Uebungspläße an; er jeßte auch den Beginn des Trommelns am Montag auf morgens fünf Uhr feſt. Den Erwadjenen geitattete man das Mas— fieren mit der Beihränfung, daß Religionsgebräude, gute Sitten und Anjtand dabei nicht verlegt wurden... Auch) gegen= über Terpfihorens Kunſt zeigte man ſich galanter und jeßte der Abhaltung von Mastenbällen an beiden Tagen bis
11) Die Bewilligung, fhon vier Wochen vor der Faſtnacht zu trommeln, datiert erſt aus dem Jahre 1852.
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Mitternadt kein Hindernis entgegen; doch verfielen die— jenigen, welde nad) 10 Uhr nachts ohne Licht auf der Straße angetroffen wurden, einer Strafe von acht Franken.
Der Geijtlihfeit erfchienen auch diefe bejcheidenen Zu: geitändnilje als ein Zuviel. Sie äußerte nad) der Faſtnacht in einer langen Eingabe an den Rat ihre Bedenken und beantragte beim gejeßgebenden Körper ausöfonomijden, politifhen und ſittlich-religiöſen Riückſichten, derlei Quitbarfeiten zu verbieten. Nicht nur bei Reichen gingen bei der Anſchaffung fojtbarer Masfenkleider beträgt: lihe Summen darauf, ſondern aud bei ſolchen, die wenig übriges bejäßen, werde über Vermögen getan und drei Tage herrli) und in Freuden gelebt, als wenn die Leute alles voll- auf hätten.
Bon der politiihen Seite aus betrachtet, erwedten glän: zende Karnevalsfeitlichfeiten den Anſchein, als ob Reichtum und Külle in unfern Mauern wohnten, wodurd) der Neid und die Eiferfuht unferer Nachbarn rege gemacht werde, während doch die Klugheit anrate, ſich der altſchweizeriſchen Einfalt und einer geräufhlojen Belcheidenheit und Ein- gezogenheit zu befleiken, anjtatt um das Lob der auffallendften Rarrheit zu wetteifern.
Als Beweis, wie ein Böjewicht ſich alle Arten des leicdht- fertigjten Mutwillens erlauben, ja die alleriträflicgiten Sreveltaten wagen fönne, weil er fi Hinter feiner Larve gegen die Gefahr der Entdeckung und Beitrafung ſicher halte, fügte der Schreiber der Eingabe, Antiſtes Merian, nod) bei, es habe eine Masfe die glühenden Kohlen aus dem Dfen einer Klajje des Gymnaſiums hervorgezogen, alles leicht entzünd- bare Holzwerf, jo dageltanden, davorgeſtellt und alles Io eingerichtet, daB das Feuer dasjelbe hätte ergreifen follen, was aber dur den zufällig Hinzugefommenen Abwart ver- hütet worden ſei.
Die Eingabe verfehlte ihre Wirkung nicht; 1807 verbot der Nat alles Mastieren, alle Umzüge und Mastenbälle.
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Zur Handhabung der Verfügung verjtärfte man die Wachen und ſowohl Tags als Nachts patrouillierte Mannſchaft der Standesfompagnie und der Polizei durch) die Stadt, um Maskierte anzuhalten und zu demaskieren. Ortsfremde und Handwerfsburfhen führte man auf die Hauptwache beim Rathaus, wo fie bis zur Erlegung der Strafe in Haft blieben; fonnten fie nit zahlen, fo wurden ſie unverzüglidh aus- geihafft. Maskierte Bürger, die ſich freiwillig zu erkennen gaben, entließ man auf Ehrenwort; fie wurden dann nad) träglich verzeigt und mit zwölf Sranfen gebüßt. Der gleichen Strafe unterlagen Jolche, die jih vermummt auf Bällen ein: fanden; zudem wurden die Hausbelier und Stubenverwalter verantwortlich gemacht und für jede masfierte Berjon mit vier Franken Buße belegt. —
So bezeichnen die Mediationsjahre im Leben der Faſt— nadt feine Zeitijpanne bedeutender Entwidlung; fie bewegt ih, immer noch eingeſchränkt und bevormundet, nur in ſchwach auflteigender Linie und bietet mit Ausnahme eines größeren Umzuges im Jahre 1812 — eines Aelpler- und Prinzen: zuges — ungefähr das nämlide Bild dar, wie in den un— mittelbar porausgegangenen Dezennien.
Zwei Momente ſind es aber, weldhe dieje Periode dod) als wichtig erjcheinen lajjen: Der Morgenſtreich und das Trommeln. 1808 tritt uns zum erjtenmal der Name „Morgenjtreih“ in den amtlichen Bekanntmachungen ent: gegen. Wir Haben bereits ausgeführt, wie im 18. Jahr: Hundert der Beginn des Trommelns auf morgens fieben Uhr, dann auf jehs Uhr, 1804 ausnahmsmweije auf fünf Uhr, und nachher wieder auf ſechs Uhr feitgelegt worden war. Lebtere Verfügung blieb dann bis zur Faſtnacht 1835, der Geburts- tunde unjeres heutigen Morgenjtreichs, in Kraft; feit diejem Zeitpunkt beginnt der Morgenitreich, deſſen Bezeichnung wohl als Gegenjat zu dem am Abend gejchlagenen „Zapfenſtreich“ zu deuten ijt, als origineller Brologus des Basler Karnevals, um die vierte Morgenjtunde.
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Morgenitreih! Ein Zauberwort, das auf junges und altes Baslerblut in ungefhwädter Kraft wirft.
— — — Um Marftplat und Gaſſen webt graues Dämmer: dunkel. Menſchen, Masken ftreben erleudhteten Häujern zu. Aus einer offenen Tür, dur) die eben die hohe Geitalt des TZambourmajors in Sappeuruniform mit gewaltiger Bären: müßte und weißem Lederjehurz eintritt, dringt der Duft wür- ziger Mehlfuppe. Drinnen eine bunte Schar! In beblümtem Schlafrod, die Larve auf die weiße Zipfelfappe gejtülpt, prüft einer gelajjen ein mädtiges Stüd Zwiebelmähe Er zählt lich Stolz zur ältejten Garde, mit zwei Dutzend Morgenjtreichen hinter fih. Neben ihm ruht fchlagbereit die blanfgepußte Trommel.
Unruhig, - erwartungsvoll, das Inſtrument marjhfertig angehängt, jteht dicht dabei ein Junger, der zum erjtenmal bei der trommelberühmten Gejellihaft mittun darf.
Ein weißer Pierrot mit breitlachender Masfe neitelt auf- geregt mit der Linken an der Saitenjhraube, indes die Rechte mit dem einen Schlegel leicht auf das Kalbfell tupft.
„Wie⸗-ne Gledli goht ji“, erklärt mit Kennermiene der Ihwarzfeidene Domino, einen Augenblid verhoffend, um dann liebevoll-vorfichtig die lette „Struppe“ an feinem „Keſſi“ zu Itraffen, in das ihm beinahe ein ungefhidter ausgelajjener MWaggis mit dem langen Stiel feiner Stedenlaterne ein Loch geitoßen hätte.
Fröhliches Gelächter tönt vom andern Tiih Her. Ein paar Platmader, als Soldaten aus der guten alten Zeit ge— leidet, Haben jäbelrajjelnd einen Bekannten aufs Korn ge: nommen und öffnen mit dem „Adi du, gäll de kenſch mi nit“ des Wites Schleufen.
„Barat made!“ tönt kurz, faſt militärifh in das Stimmengewirr das Wort des als franzöfifher Oberft ges fleideten Vortrommlers, dem die Yegbürftenepauletten und der jchweinsboritene Schnauz ein martialifhes Ausſehen geben.
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Der bunte Knäuel wogt hinaus, wo eben der Tambour- major mit dem ſchwarzweiß verſchnürten, Jilberbeichlagenen Stock den Trägern zum Hochheben der erleuchteten Laterne winft. |
Wie die Müden ums Licht, ſchwirrt lachend und lobend die Menge der Zuſchauer um das hellleuchtende Transparent.
Noch ein dumpf aus der Larve des Hinterjten Tinfen Slügelmannes hervorfommendes Mahnwort, und wie in Erz gegofjen jtehen die vier Dreierreihen der Tambouren, denen ji in der gleiden Ordnung der ſchwarze Troß des Bolfes anreiht.
Jetzt — bimbam, bimbam, bimbam, bimbam Elingt’s klar von der Martinsfirde her durch die kalte Nachtluft, und auf Kommando und Gtodzeihen raufht aus den zujammen- geitimmten Trommeln heraus in perlendem Rhythmus der Morgenſtreich, begleitet von den jhrillen Klängen der Piccolos:
Mer müend, mer müend, mer müend goh, Mer müend 90,
Mer wänd, mer wänd, mer wänd goh, Mer müend nit go in d'Schuel.12)
Mit gemeſſenem Schlag, auf welden allein der Basler im Schritt marjhieren fann, jtrebt die Gruppe vorwärts, Gaß auf, Gaß ab. Die Altitadt widerhallt von mächtigem Trommelſchlag, der nur vor den Wohnungen Schwerfranfer ichweigt, bis des Tages Helle das bunte Narrenvolf aus- einanderjheudt ..... .
Ausgelajjener und toller ging es noch zu Großvaters Zeiten am Morgenitreih zu. Bis an die Zähne bewaffnet, mit Steinjhloßgewehren und alten Reiterfäbeln ſchritten der Tambourengruppe die Platzmacher voraus.
Wie viele Uniformjtüde, wie mande Waffe, in napoleo- niſchen Schlachten getragen, Hatten ſich beim Durchzuge
12) Der aus den Vierziger Jahren ſtammende, den Streichen des Morgenftreichmarjches unterlegte Text.
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fremder Heere zur Zeit, da die Kriegsfurie Europa peitſchte, auf dieje oder jene Weije in die Rumpelfammern baslerijcher Samilien verirrt, um ſpäter am Morgenitreih Krieg im Srieden jpielen zu helfen. Nicht weniger gern trug man zu dDiefer Bewaffnung als Beinfleider die unverwültlichen hirſch— ledernen Unterhojen des „hni-Unfle“.
Den bewaffneten Grundftiod der PBlagmader um: Ihwärmten pritihenfchlagende Pierrots, Plätzlibajaſſe mit Spidrohren und alte Tanten, deren Schweinsblajenihläge ven Betroffenen feinen Augenblid über das Geſchlecht der Maste in Zweifel ließen. Bechjadeln vertraten die koſt— pieligen formenreichen Transparent:Laternen, die erſt mit den Bierzigerjahren allgemein in Gebrauh famen; jelbit- verfertigte Kopf: und Rüdenlaternen aus Delpapier zeichneten etwa die Trommler aus, die in bequemer, aber nicht minder grotesfer Gewandung, wie fie beijpielsweije der Meijterjtift Hieronymus Heß’ auf dem beiliegenden Bild feitgehalten hat, einherjchritten.
Mährend heute beim Kreuzen zweier Züge jeder für fi nur die rechte MWeghälfte beanſprucht, indejjen die Tambour- majore mit den betreßten Stöden ſich militäriihen Gruß zu— winken, fam es in früheren Sahren bei Begegnungen nidt jelten zu heftigem Geplänfel, da feine Gruppe der andern auswid, jondern jede die andere auf die Geite zu drüden judte. An Wechſelreden voll derbem Hohn und Spott, ja an Püffen und Schlägen fehlte es nicht, und mandem verdarb das eingejhlagene Trommelfell die langerjehnte Faſtnachts— freude. Noch in den GSiebenziger Jahren trieb eine Clique einen befeindeten Zug auf der alten Rheinbrüde derart in die Enge, daß die Laterne über das Geländer jtürzte und in den Yluten des Rheins ein verfrühtes, betrübliches Ende fand.
Uber ſelbſt derlei tragiihe Zwilchenfälle entfremdeten den Morgenitreid) — ſeinem Hauptzweck: dem Trommeln.
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Getrommelt wurde in Bajel an der Faſtnacht ſchon jeit den älteften Zeiten. Während aber heutzutage dieje Kunft jo eigentlih das Rüdgrat des Feſtes bildet, war jie früher nur eine der vielen gepflegten Beluftigungen, ohne ſich als ſolche vor den andern Vergnügungen bejonders hervorzutun, fonjt würde wohl die Tatjahe, wonach 1712 auf dem Betersplaß fiebenzig Trommelfchläger mit dem Generaltambour, einem aus Pratteln, in der Mitte, ein Konzert gaben, nit als ein auffehenerregendes, noch) nie dageweſenes Ereignis der Nach— welt überliefert worden jein.
Aber nicht nur zum Tanz und als getreuer Trabant fröh- lihen Faſtnachtstreibens erflang die Trommel; ebenjo alt tt ihre Verwendung als militäriihes Mufifinitrument. Bei den militärishen Mujterungen der Zünfte, die nicht felten farnevalesfen Bomp zur Schau trugen, fehlte Die Trommel nie.
Teile der alten Schweizermärjdhe!?) Haben ſchon den Reisläufern vor Ilovarra und bei Marignano in den Ohren geflungen, und von den Zeiten Sranz I. bis zum Fall der Bourbonen in Neapel jtand die an) je und je in hohen Ehren!
„Sy fummen mit einem großen getümmel, feßlen und bodslen der trummen“, ſchrieb um 1540 der ſchweizeriſche Re— formator Heinrih Bullinger.
Trommelwirbel führte auch die militäriihen Nahahmer der Eidgenojjen, Srundsbergs zudtlofe Scharen zum Sturm, wie denn überhaupt die Trommel in der Folgezeit bei allen europäilden Heeren Eingang fand.
Nirgends aber haben fih Trommel und Trommelflang jo eingebürgert, wie in Bafel. Sind fie aud für gewöhnlich von der Straße verbannt, um die erniten Handelsherren nit in ihren Berechnungen zu ftören, jo maden fie um jo lauter und mädtiger ihre Herrichaft geltend, wenn nad) altem
13) Die Schweizermärjche beitehen aus den eigentlichen „alten Schweizer“, denen ſich die „Schlegelmärjche”, der „Dr. Eijenbart“, „Prinz Johann“ und „Hambacher“ angegliedert haben.
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Brauch Jugendluſt und Uebermut das NRedt Hat, die ernite ruhige Welt einmal auf den Kopf zu jtellen und gehörig durch— zurütteln; ſie find der Grundton, der jih durch alle Har— monien und Disharmonien des Straßenfalhings zieht.
Dhne Trommel wäre aud) fein anderes wirklides Basler Feſt denkbar.
Menn 1857 die Basler Tugend den alten General Du— four beim Bejuh ihrer Vaterſtadt mit einem Trommel— ttändchen, von über Hundert Tambouren ausgeführt, vor den „Dreifönigen“ begrüßte, jo lag darin nicht nur ein feltener Beweis von Kertigfeit in der Handhabung dieſes Inſtru— ments, fondern es offenbarte ſich darin in bezeichnender Weiſe baslerijhe Eigenart überhaupt.
Die Wiege des heutigen raffinierten Basler Trommelns haben wir aber nicht auf heimiſchem Boden zu juden; fie Itand in Frankreich, von deſſen Herrihern ſchon der ftolze <roi soleil» für das Trommeln eingenommen war.
Bejonders war es aber Napoleon I., welder die eigen- artige Kunſt in auffallender Weiſe begünjtigte.e Das Inter— ejfe, Das der ſchlachtengewaltige KRorje dem Trommeln ent: gegenbradte, machte die Franzoſen zu den erſten Tambouren der Welt. Glüdlich und beneidet war der «tambour maitre>, weldem der Kaijer als Auszeihnung Schlegel von Ebenholz mit goldbeichlagener Zwinge verlieh.
Die Anwejenheit franzöjiiher Garnilonstruppen und die Durchmärſche der Alliierten 1813/14 hoben in Baſel das Trommeln und trugen zu feiner Vervollkommnung bei.
Sn jenen Zeiten, da Bafel oft mehr einem Kriegslager als einer ruhigen Handelsitadt gli, nahm die Jugend lern— begierig die für fie neuen Streihe und Märſche an; jo wurden damals alte Franzoſenmärſche den „Schweizern“ angereiht, und angenehmer als das zurüdgelafjene Ungeziefer war für die Basler die Erinnerung an den Durchzug des ruſſiſchen Heeres, in Form eines langen ruſſiſchen Trommelmarſches, der bis in die Zünfziger Jahre viel gejchlagen wurde.
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Eine weitere Förderung erfuhr das Trommeln, als nad der Sulirenolution 1830 die Schweizergarden aufgelöjt und entlafjen wurden. Basler, die in Frankreichs Gold gejtanden hatten, fehrten wieder in ihre Baterjtadt zurüd und madten Säule.
Als gute Tambouren galten damals, bis in ihr hohes Alter, Shuhmadjermeifter Kuhn und Goldſchmied Hand- mann an der Brotlaube, vor allem aber Papa Bühler an der „Steinenbrugg“. Er war bei den roten Schweizern in Paris in Dienst geitanden und durch ihn wurde damals <l’&cole du tambour» mit ihren vielfältigen und oft ver- zwidten Streihen den Trommelliebhabern beigebradt. Bon ihm und feinen Zöglingen lernten auch die Kontingents- und Zanditurmtambouren ihre Streide.
In fpäteren Jahrzehnten jtanden bejonders Tambour= initruftor „Dreji“ Sulzer,!t) der Schöpfer der „Japa— nejen“ und Samuel Severin,!5) deilen Konzerte jeiner- zeit viel bewundert wurden, im Rufe erjtflafjiger Trommler.
Die jegt faum mehr gehörten „Steinfohlen“ wurden von Geverin, der wie Sulzer Berufstambour war, fomponiert in Anlehnung an Märjche, welche die Internierten der Bourbafi- armee während ihres Aufenthaltes in Bafel jchlugen.
Die beliebtejten Märſche von heute, wie die „Märmeli“, die Burenmärjche“, dann auch die „Wallifer16) kennzeichnen ih als charakteriſtiſche Schöpfungen der franzöſiſchen Schule und verdanken ihre Entitehung nit einem Berufstambour, londern einem Amateur: Emil Krug.) Bon Severin nahm Arug das Kräftige, Baslermäßige des Schlages an,
14) Andreas Sulzer, Tambourinjtruftor, gebürtig aus dem Gt. Galliihen; ſtarb im hieſigen Pfrundhaus, in welchem er durch Ver- mittlung baslerijcher Offiziere Aufnahme gefunden hatte.
15) Samuel Severin (1838 — 1888) von Kleinhüningen, Tambour= inſtruktor.
16) Krug übte mit Dornay in einem Walliſer Marmorſteinbruch; daher die Namen „Märmeli“ und „Walliſer“.
164) Emil Krug (1841—1907), Kaufmann.
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während der leichtfließende, feine Rhythmus jeiner Märjche auf den Einfluß Jeines eigentlihen Lehrmeilters Cäſar Dornay, eines Wallijers, der viele Jahre in franzöfiichen Dienften gewejen war, zurüdzuführen if. Zu Krug und dem früheren franzöſiſchen Milttärtambour Ch. Schmid in Bin- ningen pilgerte in den Neunziger Jahren die Mehrzahl der heute im erjten Rang jtehenden QTambourgrößen, um von erjterem die Märjche, von letzterem die jehwierigen Streidhe zu lernen. |
Auf zielbewußtem, unaufhörlidem Ueben, das fi auf funjtgerechtes Zerlegen der einzelnen Streiche aufbaut, beruht heute die erjtaunliche Sertigfeit der Basler Trommler.
Die Kunjt hat in den legten Jahren in Bezug auf Fein— gefühl des Rhythmus und Präzifion der Streihe eine Höhe erreicht, die faum mehr überjehritten werden kann; wer heute noch „gnöpflet“ oder „böpperlet“, wird mit einem mitleidigen Lächeln abgetan.
Wenn jet zwölfjährige „Binggis“ die Märſche mit Doppelitreihen trommeln oder gar eine „Tagwaht“ zu Ihlagen imjtande find, Kunjtjtüde, mit denen vor einem Jahr— zehnt nur die Allerwägiten glänzen fonnten, jo entjpringt diefes Können nit in leßter Linie dem Wirfen des Quod- libet-Wurzengraber-Faſtnachtskomitees (1906—1909), weldjes durch Einführung von Trommeljhulen die eigentliche metho- diſche Grundlage geſchaffen hat.
Geit wenigen Jahren bejtehen auch bei den großen Faſt— nadtsgejellihaften eigene Trommelſchulen, in denen junger Nachwuchs für die „Jonderbare Basler Affektion“, wie Karl Rud. Hagenbadh!?) in einem Brief an Jeremias Gotthelf launig das Trommeln nennt, herangebildet wird.
In Bafel bot fih in der erjten Hälfte des vorigen Jahr: hunderts noch täglich Gelegenheit, Trommelflängen zu laufen.
17) Karl Rud. Hagenbad) (1801—1874), Gelehrter und Dichter; während eines halben Sahrhunderts Profejlor für Kirchengeſchichte an der Basler Univerjität.
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Allabendlih durchzog das Spiel der Gtänzler von der Blömleinfaferne aus die Gtadt, den Zapfenitreich Ihlagend. Starb ein der Garnijon Angehörender, jo ging es bei gedämpfter Trommel Klang zum Kirchhof. Galt es die Fruchtpreiſe, Holzganten und dergleihen Dinge dem Publi- fum anzufünden, jo durchzog der Stadttambour, der obrig- feitlihe Austufer, die Straßen, um unter Trommelwirbel mit gewichtiger Amtsmiene die Verfügungen einer Hohen Behörde befannt zu geben.
Sn der Erinnerung der ältern Generation lebt Heute noch die jtadtbefannte ZYigur des Stadttambours Chriſtof Beck,us) eines ausgezeichneten Trommlers, wie auch von dellen Sohn, eines Meilters der Basler Trommelfunft, Jak. Sriedr Bed!) im Volksmund derb „Schnurebed“ ge— nennt.
Die begründete Vorausſetzung, daß jeder Basler trom- meln fönne, führte vor Jahren einen ſchweizeriſchen Konful in New Vork zu einer finnteichen, zeiterjparenden Einrichtung. Sn einer Ede feines Bureaus ftand eine Trommel. Wenn nun ein Hilfsbedürftiger, der ji als Basler ausgab, eintrat, zeigte ihm der Konſul ohne feinen Schreibtifh zu verlaſſen die Trommel. Da Eonnte ſich dann der Petent raſch und fiher legitimieren und zwar nicht bloß dadurd, daß er feine Fähigkeit im Trommeln überhaupt zeigte, fondern daß er eine Nationalhymne aus dem Basler Repertoir trommelte.
Neben den anläßlich der Julirevolution verabſchiedeten Militärs beeinflußten auch die Tambouren der Stänzler das Basler „Rueßen“, wie das Trommeln jeit Ende der Sechziger Sahre auch genannt wurde. Nicht nur barg die GStandes= fompagnie ebenfalls eine jtarfe Zahl folder, die bei den franzöfiihen Schweizerregimentern gedient hatten; unter ihren Leuten waren auch viele ehemalige neapolitanifche und
18) Chriſtof Bed (1805—1876), Stadttambour. 19, Jak. Friedr. Bed (1834—1891) Tambour beim Artillerie: fontingent.
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römiſche Söldner. Durch letztere gejellten ſich zu den ſchon beſtehenden Trommelmärſchen andere, wie die „Dreier“ oder „Mariner“, die „Römer“ und „Näpeli“.
Neapel erwies fi, ähnlich wie Frankreich, als gute Schule für das Trommeln. Der Bater des «Re bomba» war jelbit ein leidenjhaftliher Trommler. Die Militärtambouren mußten ihm jtundenlang in der Reitjehule nortrommeln unter ſtändiger Regulierung der Kadenz durch ein befonderes nad) der Uhr geridhtetes Pendel.
Wie das Trommeln, jo hat auch das hiezu benüßte In— itrument, die Trommel, im Laufe der Zeiten große Verände- rungen durchgemacht.
Bis in das 19. Jahrhundert hinein benügte man in Bafel allgemein SHolztrommeln, die oft durch Bemalung in Slammenform oder durch Anbringen eines Wappens verziert wurden. Bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts waren fieben Schallöcher üblid, die außer ihrem eigentliden Zwed, in ihrer freisförmigen oder rojettenartigen Anordnung aud) zur Verzierung des Injtruments dienten. Sie wurden daher an ihtbarer Stelle angebradt, indes jeit dem 18. Jahrhundert das Schalloh ausnahmslos über der Spannjchraube feinen Plaß fand.
Die im Zickzack über den Zylindermantel Taufende Irommelleine wurde bei den ältelten Trommeln mittelft Lederſchleifen ſtraff geipannt.
Später verfertigte man den Hohlzylinder, die „Zarge“, oft aus Weißblech, oder Hämmerte fie aus Mefling oder Kupfer: blehd. An Stelle der Lederſchleifen traten ziemlich früh die noh Heute gebräudlichen „Struppen“. Bei der Basler Trommel der Jetztzeit findet ausſchließlich dünn gewalztes Meſſingblech oder Neuſilber, durch Hartlötung zuſammen— gefügt, Verwendung; dadurch wird nicht nur das Gewicht bedeutend verringert, ſondern auch ein heller, gleichmäßiger Klang erzielt.
Auch in Bezug auf die Größe erlag das Inſtrument
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mannigfahen Wenderungen. Während die Trommel des 16. Sahrhunderts bezüglich ihrer Höhe noch monjtröfe Kormen aufweijt, ändert fih in den folgenden Jahrhunderten das Ver— hältnis zuguniten des Durchmejlers.
Als Normalmaß der modernen Baslertrommel gilt die Größe von 48—49 cm (Höhe inkl. Reifen) auf 42 cm (Dur mefjer). Nah den Schäßungen des ſchon genannten Tam— bours 3. F. Bed mochten in Bajel um die Achtziger Jahre über zweitaufend Trommeln zu finden fein; diefe Zahl dürfte heute bedeutend Höher veranihlagt werden, ein fchlagender Beweis für die allgemeine Vorliebe, welche diefem Muſik— injtrument in unferer Stadt entgegengebradt wird.
Neben der Trommel war als Begleitinitrument Die Querpfeife ſchon im Baſel der Reformationszeit heimiſch. Das Pfeifen trat dann aber mehr und mehr Hinter dem Trommeln zurüd. Auf den alten Lithographien von Yalt- nadtszügen ſuchen wir vergebens nad) Pfeifergruppen; einzig eine Abbildung aus dem Jahre 1856 weilt zwei Piccolobläfer auf.
Die Trommel war zur Alleinherriherin der Faſtnacht geworden, bis in den Achtziger Tahren mit dem Auffommen der „Arabi“20) anläßlich eines von Mitgliedern des Bürger: turnvereins veranitalteten Zuges?%*) das Piccolo wieder mehr zu Ehren fam. In jüngiter Zeit wird ihm mit Redt ver- mehrte Aufmerkſamkeit geſchenkt, und Die neugejeßten „Schweizermärjche", der „Arabi“, der „Vaudois“ und der „Schützenfeſtmarſch“ find dazu berufen, baslerifcher Faſtnachts— funft neue Triumphe zu ſchaffen.
Dem Auffhwung, den das Trommeln in den erjten Res
20) Der „Arabi“ beiteht aus 3 Märſchen: 1. Aus „The British Grenadiers“ Regimentsmarfch der „Grenadier Guards“), 2. „Garry Owen“ (Regimentsmarfjd) des XVII. Königl. Srifchen Reg. zu Fuß), 3. „The girl I left behind me“, einem Marſch, der in England oft bei der Abreije von Truppen in überfeeilche Dienjte gepfiffen wird.
20) Faſtnachtszug 1883: Aufſtand Arabi Paſchas und die Eng länder in Aegypten.
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ftaurationsjahren durch fremde Einflüffe empfing, hielt die allgemeine Entwidlung der Faſtnacht nicht Schritt. Dies mag auf den eriten Anblid befremden, war doch das Kriegs: elend gewichen, ſaß doch Napoleon mundtot auf weltfernem Eiland an feinen Memoiren und braden doch Zeiten ruhiger wirtihaftlider Entwidlung an.
Uber es ſchien, als ob die Politik, die fih in großen Staatsaftionen als reaftionär fennzeihnete, auch in den Kleinigfeiten des Alltags jede freiheitlihe Negung des Volfs- lebens ängjtlih zu unterdrüden bejtrebt war. Und Bajel madte hievon feine Ausnahme.
Wie weit dieſe Wengitlichfeit getrieben wurde, beweiſt der Umijtand, dag man auf Boritellungen der Landpfarrer hin die alljährlih im Kantonsblatt erſcheinende Faſtnachts— verordnung demjelben während mehrerer Jahre nicht mehr einverleibte, da fie ſonſt von der Bafelbieter Jugend nicht nur als eine Erinnerung an die Belujtigungen angejehen würde, jondern irregeleitet von dem faljhen Begriff, den ih die jungen Leute von ihrer Freiheit und Gleichheit der Rechte mit den Stadtbürgern madten, als eine Aufforderung dazu, wodurd dann um jo größere Unfittlichfeit und lärmende AYusihweifungen veranlakt würden, zumal die Landleute noch auf einer niedereren Stufe der Bildung gegenüber den Stadtbewohnern jtünden. —
Wenn auffallenderweife für das Jahr 1820 alle Schranten Tielen, fo it die Urſache hiezu nicht allein in den wirtſchaftlich günftigen Zeiten, welche dem Teuerungsjahr 1817 gefolgt waren, zu ſuchen, fondern mehr in dem Umitand, daß man in den oberjten Kreijen zu einem großartigen Umzug Bor: bereitungen traf. Da die Schöpfer der Veranftaltung zum Zeit felbjt in den maßgebenden Behörden faßen, war es fein allzu jchwieriges Unterfangen, im Stadthaus und im Rats- faal eine faſtnachtsfreundliche Mehrheit zu ſchaffen, die ich dem Willen der jeunesse doree geneigt zeigte.
Mir können die Alten füglich beneiden, daß es damals
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möglich war, den gejtrengen Polizeidireftor als Graf Walraf von Tieritein an der Gpite des Maskenzuges auf ſtolzem Pferd einherreiten zu jehen, und daß niemand daran Anſtoß nahm, wenn die Gtaatsfanzlei, auf deren Amtsjtube der Plan des Schwanfes durd) den damaligen „Ingroſſiſten“ ent- mworfen wurde, ihre Angeitellten daran teilnehmen ließ, und die den Grafen begleitenden Söldner durd) eine halbe Kom— ragnie des Bundesfontingents dargeitellt wurden.
Dem Hundertfünfzig Teilnehmer zählenden Umzug lag als Sujet die Brautfahrt des jungen Grafen Otto von Tier- jtein mit Katharina von Klingen um das Jahr 1376 zu: grunde. Der reich ausgeitattete Faſtnachtszug bewegte ji durch die Stadt nad) dem Münjterplat, wojelbjt den Herren Häuptern vor deren Amtswohnung in gebührender Weije die Aufwartung gemadht wurde; gemwillermaßen als Danf für die Sanftionierung dieſer außergewöhnlichen Faſtnachts— belujtigung, von welcher noch Sahrzehnte ſpäter geſprochen wurde.
Mar die Veranftaltung der Hauptſache nad) ein hiſto— rider Schauzug ohne Trommlergruppen, jo entbehrte er doch nit eines et basleriihen Faſtnachtseinſchlages.
Mie komiſch muß es gewirkt Haben, wenn die züchtige Braut, die durh einen ſchmächtigen Süngling verkörpert wurde, im Brautwagen von Zeit zu Zeit ein Leiterden an ihren langen Bräutigam anjtellte, um ihm einen minnig- lihen Kuß geben zu fönnen!
Das unter die Zuſchauer verteilte Programm — der älteſte Basler Faſtnachtszettel — ahmt drollig die alte Schreibweife nach und hat folgende Faſſung: |
MWueli ab Edhe, olt Burgvogt ze Varenspurgh, der zit Kaſtellan ze Klingen, an Heinrich Zielempe, Edelfnedt, in Bafell.
Myn fruendlih Grues zem voruus ſambt was i liebs und guets vermag.
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Edler und Ehrenveiter!
Yus Befelch mynes gejtrengen Herrn und Gepieters joll ih Ewch Kunde thun, dafz ouf unferer Burgh groos Uufbrud ftatt gehept, vond das jungh bruetlih Paar mit zahlrich Gi- folche vnd im Gileite von viel edelen Rittern, Frowen, vnd Froewlins von binnen nah dem Stein Pfeffinghen fuerbaß gezogen jygend.
Schrib Hurtig dem ehrenwert Heini Zielempe en Prieff, jagt mir gejtern der gijtreng Sryher von Klinghen, myn Gipieter vnd Her, vnd gib em ze willende, daſz mer uuf Montag vor Petri Stuelfüür durch Bafell ze ziehn ge- dächtin, und dafz er unverfuumt louffen mag, gen Pfeffinghen um den Zueten vnd Mannen uuf der Burg ze Jagen felbe bereit ze Haltende, daſz ihr nuew brüütlich Gipieter mit ſyner jung hulderichen Geſpunſin, all ſyn Gefolde des galt- früündliden ufnehmen und beherpergen fönnende.
Vnd fo fpud ich my denn des dringentlichen und vermelt Euch im Trewen die Worthe, wie ji us dem Muul mynes Hern vnd Gipieters gefallen ſygend; ouch vermeld ih Ewch zeglih wie ji uusgezogen ſynt ues der Burgh, vnd oud durch Ewrer Stat und Bahn ziehen wöllint, damit Ir den Zueten und Mannen ze Pfeffinghen jagen könnet, wie viel edle Herren, Frowen vnd Froewlins ond wie viel Knappen zem brütliden Gilage ires fuenftigen Gipieters bey ihnen gaſtlichen Inzug Halten wöllind.
MWernli von Anweile,2!) der Edelfnedt, ritt allen voran mit nüün Gewappneten ze Fueß, DI ime gehorfam vnd giwärtig warend.
Ime volgeten ze Pferth Congmann2) vnd ULFF2) die Hierolde des Grave ze Thierjtein.
Nach inen ritt inher fer Trummeter, ond ein Pauffen- jchläger des Pferth zween Fuesknechte geleiteten.
2!) Meyer zum Kopf, gew. Leut. in franz. Dieniten.
22) Bärry v. Meyentels. 23) Rud. Gemujeus Sohn 3. Pflug.
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nen volgeten fedan uuf ſtolzen Roſzen in blangher Rieftung die zween biderbe Wallr afft) vnd Her m an25) Graven von Thierjtein, Herren ze Varnspurg, Land⸗ graven im Sisgöw vnd Buchsgöw.
Vnd Burghhardt2e) Grave von Frooburgh Herr ze Waldenburg vnd uuf beid Burghen von Ober vnd unter Pirseck; Dry edle Herrn uus dem Stamme der Thier- fteine iniglich bifrüündet ond verwant, ond Hinter jedwedem thät riten ſyn Schiltfnap, denn fy hätten gilopt fier jeglich Schimpf und Schmah ritterlih ze wachen vnd ze fempfen.
Ine volgete jedan, die Perle des Zughes, der Wagen in dem der jung Grave Dtto,?) mit ſym hold brütlid, Gifpons, edel Fröwlin Katherine von Klinghen,®) Erpin ze Hohenklingen, in minniglid) zartem Vertrowen by enander falzen. Ir Wagen was giziehrt mit ein heitniſch
24) Oberftleut. Wieland, Polizeidirettor und Statthalter.
35) Gardehauptmann Landerer, in franz. Dieniten.
260) Qudw. Iſelin zu den „Dreikönigen“.
2) Rudolf Merian beim Totentan;. 3 Dietrich) Burdhardt-Werthemann.
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Gößepilt, das ji namfeten Der klyn Liebspüfel, ond trug ſelbs an em Spieſze, bildſamlich, zwei Herte fo durchpohrt gefyn.
Dem Wagen gehörrten bigifelt die drey Minejenger:
Mitr. SGromwenloop2P) Mitr. Minewartd) vnd Her Xobefan.:)
Volgete fedan ein zweyt Wagen bigleitet von delle Knapen vnd Salzen darin gijtreng vnd gipietender Her Sige- mund III2) Grave ze Thierjtein Pfalzgrave der h. Stift Bafell, Her ze Pfeffinghen, Varenspurgh, Frooburgh, Landgrave des Buechs- und Gisgöws, des Brütgams Bater vnd myn liep Her ond Gepieter, Her Ulderil3) Fryher ze Hohen Klinghen vnd Burghgrave uuf dem Stein ze Rhynfelden, der Bruut Vockht ond Dehme.
Inen volgete ein Tragejejlel gitragen von zwey Muul- ejlel, wo by jedem ein Yuerer geganghen vnd zween Fues—⸗ fneht neben inherluffen, worin ſaſz edele Frow Gräpin Berenat) von Thierftein giborn von Nidau, Mueter des Brütgams vnd edele Frow Konigond®s) von Hohen Klinghen giporn Frye von Rappolt- ftein des Brüütlins Mueme.
Stem volgete ein groos ritterlid Geferthe, wo da ſaſzen mennidlid) olte Ritter vnd Heren als da feynt:
Hannemann Fryher von Rappolsßftein,3) Erbher auf Kayſerſtuel
Edler Huldenrych von Ramjtein,”T) Her ze Bretzewiel
Rudolf Grade ze Nidau,3) Her des Buechsgöws
2») Emil Thurneyfen. 0, Emanuel Bifhoff zum Sternenfels. > =) Sohanne een Fark ohannes Fäſch, Ingro eter — Pi Totentanz, Lektor am Pädagogium. =) Wilhelm Haas, Sohn, Xrtillerieleutnant. 35) Heinrich Miville, des Geridts. 8) Chriſtof Biſchoff älter. 3”) Abel Heußler. 8 Joh. Jak. Eglin, Leut. im Bundestont.
211 14°
Semmann, Fryer von Behburgh,) Her ze Ballſtahll
Grave Werner von Homburgh,») Her ze oft Rapperswyl vnd Landher der Schlöſzer Warthenberg
Hans Ulderid Edler von Buitidont!)
Mendolm Senn) Fryer ab Buecheckh
Ruman Graveze Homberghas)
Item volgete ein zweyter Trageſeſſel gitragen von zwey Multier mo by ietem ein Fuerer gigangen vnd zween Yuep- knechte inher luffen vnd darin ſaſzen myn liep vnd edel Fröwlin Klaranna von Thierjtein“) ein ſchoen frumm aber praeſthafft Kint, ift gewillet bh den Frowen im Klingentall ze Baſell der Schleyer ze nehme, vnd ir Baajſz, die Fröwlin Adelheit von Ramjtein“) fo hoffent if eyn Fryersmann wert immer no fummen vnd ſy bifryn.
Sedann ritten hinter inen inher:
Edler Ritter Hugeli von Olt Shamwen- burgh,t°) Mither ze Prattelen vnd Muttenze, ond ſyn tyres Töchterling Eljin) Fröwlin von Olt Shawen- burgh.
ond hinter inen ein Edelefnapp.
VBolgete ſedan edeler Ritter Goegemann von Kienberght) Edeler ze Warthenfelz mit hHuldfelid Fröwlin Sutta von Wiltenftein‘) ond Hinter inen ein Edelefnapp.
3) Conrad Zäßlin.
0, Biltor von Sury, Xrtillerieoffizier und Großratsherr zu Solothurn.
a, Toh. Jak. Meyer, Leut. im Bundeskont.
22) Auguſt Ballif
) Emil Frey, stud.
4) Emanuel Fäſch, ISnfanterieleut.
5) Adolf Legrand.
46) Ludwig Landerer zum Storden.
7) Carl Ryhiner, Hauptmann und eidgen. Stabsadj.
), Hieronymus Bilhoff-Reipinger.
4) Hieronymus Biihoff:Biichoff, Leut der Bundesteferve.
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Bolgete jedan edeler Ritte Wernhert Bluem- 1in,50) Edeler ze Walteheimb ond Eshent, mit edel Fröwlin Dttilie von Landeck,s1) vnd Hinter inen eyn Edel- fnapp.
Volgete dan Ritter AUdelbergh5?) Edler von Runfz mit Edelfröwlin Ennelivon Eshent>)
ond hinter inen ein Edelefnapp.
Volgete fodan der gijtreng Ritter Harthungest) von Teghervelthen vnd Hern ze Klingenaw mit huldjelid ond edele Fröwlin Clarinnen von Walthed;?)
ond Hinter inen ein Edelfnap.
Hinder inen ritten inher die edelen Ritter Lüd yse) von Ehrenfelfz genannt Froweler, und Jungher Tie- baltH”) ze Hohegeroldsedhb vnd Schenkhen— berg.
Volgeten inen hernach uuf jtolgen Roſſen die edelen Ritter:
Hans, Fry- vnd Zwingher von Valkenſteines) Gipieter ze Blauenjtein vnd Geritshernn ze Muemmliswiel.
Dtto von Moerfepergh?) Fryher von Beffarth ond Oeſtrichiſch Landvockdt ze Pfirdt
Huldenrickhvon Haſenpurgh,o) Her ze Datten- rieth vnnd Blumenbergh
Wollff von Lihhtenfeljz,t) Her ze Angenftein jammethafft Ritter vom Bundt ond Orden Santo Wilhelmy.
50) Hans Georg Yürltenberger, Stabsadjutant.
51) Iſaak Kürltenberger.
52) Joh. Jak. Iſelin.
53) Abraham NEBEN Kontingentshauptmann. 54) Iſaak Sfelin-Burdhardt
55) Peter Biſchoff⸗ Burtorf, Hauptmann bei der Sunbestejetue, 56) Samuel Baravicini im fl. Lüßel.
57) Emanuel Heußler im St. Albantal.
58) Chriſtof Biſchoff, jünger.
5) Sean Bilhoff.
6) Emanuel Burdhardt im deutſchen Haus.
61) Joh. de Peter Biihpff-
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Stem volgeten jedan die edelen Ritter us Bafell:
Sungher Friderich ze Rhin®)
Cunrtat Monachus von Mündenftein,e) Her ze Laimen
Sungbher Rüdiger Schaler,6) Her ze Benkhen
Gedan volgeten inen die frummen Ritter mit dem Crüßi vom 9. Johann von Sierufalem, als de warend:
Ritter Goete von Kladhslanden,e) Her ze Blutzheim
Ritter Wernhard von Frickhe,s«e) Erbe ze Molfliswiel
Ritter Oßwalth von Uttenheim,s”) Her ze Hapsheim
Ritter Cungemann Mönches) von Landscrohn.
Vnd als die edeln Nitter fürbaß gizogen giwelt, fam onter der Schweere der Laſt krachende, der Wagen mit vier Roſz fürgijpannt vnd gefuert von zween Fuerknechten, uuf dem unfzer edel Fröwlin Bruutihat, war bigleitet von vier Giwappniten — vnd hett ſich uuf en Geldtrog geſetzit, Nickheles) vnſer Burgzwerd fagende: whenn die gijtrenge Herfhafft uusziehende gihoere er ouch dazue.
Hinder dem Wagen ryt Uufliht Habende inher:
Sunghber Muranzi Shnedaphürli,) Zech— meijter ze TIhierjtein mit [onen Bntergepnen ze Fues;
Sme volgete uuf eim Karre mit eim Roſz firgelpannt:
Cueni Wölffliander Birfe?!) deß jungh Grave
62, Major Grob aus St. Gallen.
6 Peter Schulz von Arlesheim, Leut. in der Landwehr.
6%), Albrecht Holzad), Leut. im Bundeskont.
65, Sohannes Debary, Leut. im Bundestont.
6, Abel Socin.
7) Joh. Jak. Biihoff-Merian Sohn.
6 Rarl Geigy.
*) Chrijtian Bühler, „Markör im Kämmerlein zum Rheined“. 7%) Samuel Braun, Quartierinjpeftor.
1) Tſchientſchy, Zöllner zu St. Jafob.
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ſyn olt Schiltknap, als zelönftigen Kajtellvofth ze Pfeffinghen; vnd neben im ſaſz ſy tik EwipFrow Medtilpdis.’)
Uuf dem Karre war uufgimacht ein Faeſzlin, das myn giſtreng Her vnd Gipieter des Zechmeiſters Obhuet anver⸗ trowet het ſagende: traget Sorg dafür daß der edel Nieren- fteiner halten mag bis gen Bafell wo newer tif ze han ilt.
Sedan volgete mit vier Roſſen bijpannt vnd gifuert von zween Fuerknechten ein lang ſchmal Wagen doruuf ſaſzen Spillüt genuug an der Zal zu feitlih Tanz ze ſpillen; vnd Hinter inen drin ryten die Roſzknecht fuerende die Zug- vnd Strytroß in den Burghital ze Pfeifinghen, die von dem olt Grove fynen Sun giſchenkt ſygen.
Vnd hinder inen ſchryten vnter dem thierſteiniſch Phanner von Varenspurgh inher vnd ſchloſzen den Zug vnter den Bifelchen des edelen Ritter
Hans von Thengen'?s) Dryſig Man thierſteiniſch Söldnere”*) alle giwappneth.
Vnnd ſolichen wollint ſy inzieen ze Baſell, Raſt halten, vnd ſedan no gar menniglichen Biſuech wider fürbaß goon uuf die Veſtin Pfeffinghe die dem jungs Grave Otto zur Vusſtüür als fryes Mannslehn von ſym giſtreng Herrn vnd Vater ibergepen wirt, vmb daſelbs des junghen Pars feſtlick Bylager ze begeen end ze fyren vil Tag vnd Wuchen lang.
Derohalben ſummet nit, myn türer Fründ vnd Kempe, vnd louffet ſobald Ewch dieſz myn Prieff zugekummen ſunder Raſt uff die Burgh vnd bringet den Lüten vnd Mannen da— ſelbft die fröwlich Pottſchafft vnd min fründlik Grues.
Veſtin Klinghen im Schwarzwalde am St. Guperthustaghe 1376.
22) Lukas Ritter, Kanzleiſekretär, der aus einer noch häufig erhaltenen Lithographie bekannte „Ritter Pulverrauch“.
73, Auguſt Wieland, Artillerieleutnant.
74, Mannſchaft vom Bundeskontingent, da Platzkommandant Lichtenhahn nicht hatte erlauben wollen, Militär von der Standes⸗ kompagnie dazu zu nehmen.
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Ebenfalls ein größerer Umzug, bereits mit leichter poli= tiiher Schattierung, wurde zwei Jahre ſpäter, 1822, in Szene gejeßt. Er ftellte einen Ausfall des Krähwinkler Heeres dar, wobei berittene Ordonnanzen in der Chaljjeur-Uniform der alten Sreifompagnie einen „Stadt-Armee=Befehl für die Ver— teidigungsanitalten“ austeilten. Nach allgemeiner Anſicht war diejes Tajtnädhtlerifche Unternehmen auf die militärischen KReformpläne des Oberſten Johann Wieland, älter, ge= münzt.?5)
Zur Ausrüjtung hatten auf Geſuch J. 5. Halters namens | der Kaltnadhtsgejellihaft an das Zeugamt, die Shäße des Zeughaujes herhalten müjjen. Unter anderm wurde aud) der heute im hiſtoriſchen Muſeum aufbewahrte eijerne Kanonen— lauf mitgeführt; in jenen Zeiten lag er jreilid nod un— beachtet, jeder Witterung preisgegeben, irgendwo im Zeughof.
Bei diejen Anläufen, die Faſtnacht durch größere Schau: züge zu verjchönern, blieb es, zumal fi) mit den beginnenden. Dreikiger Wirren die politifhen Verhältniſſe in unferm Kanton derart zujpigten, daß in eriter Linie den Militär- behörden im Intereſſe der Aufrehterhaltung der Ordnung und der Gejege das Unterjagen der herfömmlidhen Beluſti— gungen als ſelbſtverſtändliches Gebot der Notwendigkeit er- ſchien.
Nicht ſo jenen Elementen, die hauptſächlich dem Hand— werkerſtand angehörend, regelmäßig beim Wirt Bell auf dem Barfüßerplatz zum Trunk und Politiſieren zuſammenkamen und die als „Bellſche Geſellſchaft“ während der Dreißiger Mirren einen nicht unbedeutenden, aber feineswegs fegens- reihen Einfluß auf den Gang der politifhen Dinge ausgeübt haben.
Diefe „Bellihen Spießgejellen“, wie fie auch genannt wurden, wagten es, der obrigfeitlichen Verfügung am Faſt— nachtsmontag 1833 offen zu troßen.
5) Daniel Burdhardti:Werthemann, Die polit. Karikatur des alten Bajel, Seite 7.
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Nachdem ſchon am frühen Morgen die Jugend in allen Quartieren haufenweije oder einzeln trommelnd durch Die Straßen der Stadt gezogen war, ohne daß es die Polizei hindern fonnte oder wollte, verfammelten ſich nadmittags vier Uhr vor dem Hauje des Weinſchenken Bienz an der Tor: Iteinen gegen Hundertfünfzig Trommler, unter andern Schuh: mader Kuhn, Goldſchmied Wohlleb, Schloſſer Holzach, die Mebgermeifter Mehel und Sinninger, Ueber— reuter Mündh und Wirt Weniger. Die einen trugen Ihwarze Kleider und Hatten geſchwärzte Gelichter; andere waren masfiert und koſtümiert.
Einen Tambourmajor an der Spiße, in der Mitte ein Ihwarzweißes Yahnlein mit einem Baſelſtab, ſetzte ſich nad vier Uhr der Haufe, die Trommeln jchlagend, in Bewegung und 309, von einer bedeutenden Menſchenmenge begleitet, beim Blömlein vorbei, den Steinenberg hinauf, durch die Aeſchen— vorjtadt und Malzgaſſe nad) der Albanvoritadt, hinter dem Münfter durch rings um den Münjterplat, den Spitaljprung und die Freienſtraße hinunter über den Markt und die Rhein- brüde nad) der mindern Stadt, wo bei der Wirtin Schuler am Niehentor eine halbjtündige Raſt gemadht wurde. Nah fünf Uhr ſetzte fih der fröhlide Zug aufs neue in Bewegung nad) dem Großbaſel zurüd, den Blumenrain hinauf, über den Totentanz und St. Sohanngraben nad) dem Betersplat, durch das Platzgäßlein die Spalenvorftadt Herein, den Spalenberg hinunter, durch die Schneidergajje, bei der Brotlaube vorbei, über den Korn: und Rindermarft die Gerbergalfe Hinauf nad dem Barfüßerplag. Vor der Bellſchen Wirtſchaft löſte ſich der Zug auf; die einen begaben fih nad) Haufe, andere in Weinſchenken.
Eine beträchtliche Menſchenmenge jeden Geſchlechts und Alters war dem Zuge auf ſeinem ganzen Wege gefolgt oder hatte ſich in die Gaſſen geſtellt, um denſelben zu „begaffen“. Bon Einbruch der Nacht bis morgens zwei Uhr durchkreuzten itarfe Landjägerpatrouillen die Straßen; mehrere Berfonen,
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welche noch trommelnd angetroffen wurden, wies die Polizei nach Haufe.
Die ganze Veranitaltung verlief ohne Unfug und Schlägerei, ohne Beleidigung oder Verfpottung. Darüber war niemand froher als die jtädtiihen Hüter der Ordnung, die durch widerſprechende Gerüchte irregeführt und dur den damaligen überaus umjtändliden Initanzenweg in ihren Dispofitionen gehindert, gute Miene zu dem nidt allzu böfen Spiel gemadt Hatten. |
Wenn BPBolizeidireftor Landerer jpäter befannte, „es bleibe doch immerhin eine jhwere Aufgabe für die Behörden, ein fo altherfömmlidhes, fajt allgemein beliebtes Volksfeſt, an dem man jehr zu Hängen fcheine, zu verbieten, auszu— merzen oder aud) nur zu beihränfen“, jo galt diefer Stoß— feufzer nicht allein den unzulänglichen polizeiliden Ein- zihtungen und Gicherheitsporfehrungen, jondern LZanderer Tieß damit auch durchblicken, ob es vielleicht nicht klüger wäre, an Stelle jtrenger Verordnungen, deren Durhführung doch nit garantiert werden fonnte, dem Volkswillen mehr Rech— nung zu tragen und Faſtnachtsvergnügungen in anjtändigem Rahmen der Bevölkerung nicht vorzuenthalten.
Zwar warf für das Sahr 1834 noch der 3. Augujt 1833 auf die Faſtnacht dunfeln Schatten, und alle Umzüge unter: blieben auf obrigfeitlihes Geheik. Um jo eifriger fröhnte man auf den Zunftituben unter Aufliht der Polizei dem Tanzen, wozu ſich hauptſächlich junge Leute der obern Stände ein- fanden. Wir fönnen uns nicht verfagen, aus der Reihe von Rapporten zwei hier wiederzugeben, die fi) nad) Inhalt und Drthographie als unfreiwilliger Beitrag zur Faſtnachtskomik dofumentieren. Die denktwürdigen Schriftitüde lauten:
Ertra Rapport.
„Es Haben fih auf dem Tanzboden zu Sumaderenznupf feine Larfen zu Sehen Laſen und hat fi) Weites Auch nichts neüfes zugedragen Als der Sparr hat wordwäfel gehat mit dem Knächt zum Schiff.
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Zweites aud) der Kuchner?e) von Herren Bifof zum Luft mit dem Giſy bey Heren Breyswerd und fonjt hat fih nit neüjes zugedragen jo den Dinſt Bedrift.
Bafel den 20ten Hornung 1834 |
Beſcheint Landjäger Carpparal Haldenmann
Bolyzey Rapport.
Zandjager Rietſchin und Landjager Elmer Haben die Polyzeiliche Aufliht zum Grifen,
Gegen Halb 10 Uhr fam der Schwart Schneider Auf der Rheindrud Mit Einer Masgen, ih) Sagte Sie Miefen Ihre Masgen apthun da ihr wilt es ift verboden, er Sagdte es Macht Sa nicht, Sch weis woll wer deran Schult ijt der Mus aper Noch Brigel haben ihr Sied Nicht Schul, dan Hat Cer Sein Masgen apgedan,
ferner
Siend Noch zwey Masgyerte und der Landjager Elmer bat Sie Gewarnet und Gie haben Sie weg getan, auf dem Dansboten Haben Sich feine Masgen Eingefunden
Sonjt it Richt Neus zumelten
Beſcheind Landjr Rietſchin.“
Merkwürdig raſch fand Baſel nach den blutigen Ereig— niſſen des Trennungskampfes ſein verlorenes Faſtnachtslachen wieder. Cs war, als ob man im glänzenden, lärmenden Faſt— nadtstreiben die Demütigenden Folgen der Dreikiger Wirren vergellen wollte. |
Bon der Mitte des dritten Jahrzehnts an löſt in bunter Reihenfolge ein Faſtnachtszug den andern ab. Den tollen Reigen eröffnete das Jahr 1835. in großer Zug, betitelt „Humoriftiihes Quodlibet“, vereinigte alle bedeutenderen Masten. Die Milhung war aud bunt genug; die vier Ele
0) Kutſcher. 219
(J Fr Da) ’IED y TE) 1 Pe: PERL T — IS
Die vier nn Faſtnacht 1835.
(Aus der Sammlung des Staatsardivs.)
mente, die Safultäten, die Moden, der Nähr—-, Lehr: und WeHhrftand folgten ſich und zwilchen binein- geftreut ein Iujtiges Potpourri von Don Quichote und jeinem Gefolge angeführt. Die Moden begannen mit wilden Figuren
25 „URErTs va en r GE
En Rh N — DH 1
RS | N j y EL OL Don Sailor md Dulemea
Don Quichote und Dulcines, Saftnscht 1835.
(Aus der Sammlung des Staatsardjivs.)
aus dem Sabre 1; ihnen jehlojjen fih Typen der Ritterzeit und komiſche in altfränfifhem Habitus an. Lebteren war die Inſchrift gewidmet:
220
Anno 1700 Stodfteif und fyitematiih dumm, Perüden, Spitenftragen; Sonſt gibt's von diefem Säkulum Gar wenig mehr zu fagen.
* N
vo
: *
Er 1 a Nahr. Lehy Wehrkand
Naͤhr⸗, Lehr⸗- und Wehrſtand, Faſtnacht 1835.
(Aus der Sammlung des Staatsarchivs)
Aa)
Die Muſik, als eine der fieben freien Künjte, war mit Berfen bedacht, die auch) Heute noch Dafeinsberehtigung be-
anſpruchen dürften:
Sie würget und quält fi fürchterlich kühn An Rouladen und Trillern zu Tode; Denn die einfachen Weifen und Melodie’n Sie find jest Halt — aus der Mode!
Ebenfo fei der, der Architektur zugeeignete Vierzeiler unferer im Zeichen der Mufeumsbaufrage jtehenden Gene-
ration nicht vorenthalten:
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Architektur Die Muſe iſt nun eine Putzmacherin, Das Altertum wird zur Fabel; Der Sinn iſt verwirrt, tappt her und hin Wie einſt am Turmbau zu Babel!
Unter den zahlreichen im Zuge mitgeführten Wagen erregte beſonders eine „Altweibermühle“, in der Evas Töchter verjüngt wurden, große Heiterkeit.
Solche Mühlen waren jahrelang beſonders beliebte Faſt⸗ nadhtswagen. 1837 wurde an der Faſtnacht eine 15 Yuß hohe „zaubermühle“ Herumgeführt. Alte wurden darin jung, Geizhälfe zu Wohltätern und Arme zu Reihen gezaubert. Bon Zeit zu Zeit hielt der Wagen an und zeigte den Zus Ihauern feine Wunderfraft, die der Beliger in lujtiger Weije anpries. Ein Bäuerlein vom Hoßenwald, das ſich die Faſt⸗ naht auch bejah, und eben zufchaute, wie ein armer Eremit in das Flappernde Mühlwerk gejtedt wurde und als gepuderter Herr mit großem Geldfad (100000 Taler!) unten erfchien, nahm die wigige Zauberei für bare Münze und rief: „Der Teufel wird mi nit hole, i will’s au probiere.“ Mit diejen Morten wollte er mit Gewalt auf den Wagen. Daß der arme Tropf Gegenitand nicht endenwollenden Gelädters war, braucht wohl faum erwähnt zu werden.
Eine nod erhaltene Lithographie von Schabelig ver⸗ mittelt uns auch von der Faſtnacht 1836 ein anſchauliches Bild. Aus den Zugseinzelheiten ragte befonders hervor ein mäch⸗ tiger, vierfpänniger Theaterwagen mit wohlbejegtem Or⸗ heiter, dejfen „Jäfularifierter Bak“ von einem feilten Kloſter⸗ Bruder bedient wurde. Die ergößlidhen Figuren des Mufik- direftors und feiner Untergebenen ſprechen dafür, daß bei ihrer Toilette die Laune des wihigen Hieronymus He das Kammermädchen gemacht hat...
In die Dreißiger Jahre zurückverfolgen läßt ſich auch eine ebenſo eigenartige als volkstümliche Aeußerung des Faſtnachtswitzes: Die Schnitzelbänke. Ihre Vorläufer
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baben wir wohl in jenen Schmäh- und Gpottliedern zu fuchen, von denen ſchon in Erlajjen des 16. Jahrhunderts die Rede ijt.
Auf das Jahr 1839 deutet nad) feinem Inhalt die ältejte befannte Schnigelbanft. Herr Profellor Fritz Burdhardt, der fie als Knabe unter der Linde beim „Bäumlein“ an der Freieſtraße fingen hörte, fonnte dem Berfaller aus der Er=- innerung noch folgende Strophen mitteilen: .
Sich das nit e Spaletor? So das ifch esn-Ejelsohr. Ei du ſchöner, ei du fchöner, ei du ſchöner Schnitzelbank.
Iſch das nit e Liehtpugfcheer? Und das il e Hin und e her. Und e Hin und e her
Und e Liechtputzſcheer
Und e⸗n⸗-Eſelsohr
Und e Spaletor
Ei du ſchöner, ei du ſchöner ꝛc.
Iſch das nit der Lindemeyer ?77) So das fin drei Oftereier
Und drei Ditereier
Und der Lindemeyer
Und e Liechtputzſcheer zc.
Ei du ſchöner, ei du ſchöner ıc.
Iſch das nit der Lällefenig? So das ifch erichredli wenig Shredli wenig
Lällefenig
Dftereier 2c.
Sid das nit der Bonapart? Jo das ih e MWagerad
7) Balthafar Lindenmeyer (1801—1857), Torzoller am Steinens tor, eine wegen ihres Zeibesumfanges ftadtbelannte Perfönlidhkeit.
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MWagerad Bonapart Rällefenig Schreckli wenig zc.
Iſch das nit der Zintehans?”e) Jo das iſch e fetti Gans
Fetti Gans
Zinfehans
Bonapart
MWagerad ıc.
Iſch das nit der Hofcheho?”?) So das iſch e Salomo, Salomo
Hoſcheho
Zinkehans
Fetti Gans ꝛc.
Dieſe Verſe, bald von groß und klein geſungen, wurden geradezu Volksgut. Im Laufe der Jahre war man ſich der darin enthaltenen Anſpielungen nicht mehr bewußt, und in teilweiſe veränderter Form mit neu hinzugekommenen Strophen haben ſie Aufnahme gefunden in der im Jahre 1857 durch Albert Brenner herausgegebenen Sammlung Basleriſcher Kinder- und Volksreime.
Dieſe Art der Schnitzelbank blieb jahrzehntelang, nicht nur an der Faſtnacht, jondern aud bei Yamilien- und Bereinsanläfjen vorbildlid. In diefen Zweizeilern mit ihren treffenden Schlagwörtern, ihrer draſtiſchen Pointe Tiegt das urhig Baslerijche, gegen welches die mehr und mehr auf: fommenden dreiſtimmig vorgetragenen Schnitzelbänke mit
78, Zintehans, ein Kleinbasler, befannt wegen feiner ungewöhn- lich großen Nafe. |
79) Niklaus Hoſch (1806-1873), „Schildkrot“ genannt; wie Hold zu Zunamen kam, wird in lujtiger Weife im Diftelifalender erzählt. =
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ihrem vier- bis adtzeiligen Strophenbau heimatlofe Marft- ware bedeuten.
Beſſer als mit den Schnitelbänfen fteht es in dieſer Beziehung mit den fliegenden Zetteln, und echte Basler: finder bietet die Faſtnachtsmuſe dar in den zwei Narren- zeitungen „Giggernillis“ und „Dubel“.
Mit den Bierziger Jahren fing aud) die Prefje an, von den Erfcheinungen des fajtnäcdhtlerifchen Lebens Vormerkung zu nehmen, und von diejem Zeitpunft an ließen fih Dutzende von Faſchingszügen von numeriſcher oder fünftlerifcher Be— deutung anführen.
Bald waren es großartige, durch prädtige Koftümierung fih auszeichnende Schauzüge, wie der 1844 infzenierte, den Einzug des Kaiſers Nar-foustely in Narhalla darftellende Chinefenzug; bald traten kleinere, mehr die Zeitereignifle und lokalen Dinge perjiflierende Gruppen verjhhiedener Gejellihaften auf den Plan. Sn der Regel aber fonzentrierte ih) der Faſtnachtsgedanke in einem aus diverfen Einzel- gruppen zufammengefügten Umzug, der gewöhnli nur an einem der Faſtnachtstage ftattfand.
So jah den 1. März 1841 Bajel einen über ahthundert Teilnehmer zählenden Kinder: Saftnadtszug, ver- anjtaltet zur „Einleitung von anjtändigen allgemeinen Sugendfelten“.
Schon Ende der Zwanziger Jahre war die Anregung ge: fallen, die Tugend an der Faſtnacht in einem Tradtenzug aufziehen zu lajjen, wie es 1815 während der Anmejenheit des öſterreichiſchen Erzherzogs Johann geihehen war; da= mals waren in dem Zuge die Schweizerfantone durch ihre Landestrachten, Jowie durch allerhand Saden, die in den Kantonen wuchſen oder fabriziert wurden, zur Daritellung gelangt.
Bor allem regte der anonyme Schreiber in den „Bas- lerifhen Mitteilungen“ vom Fahre 1828 an, follten fid) die Schullehrer mit der Anordnung eines foldhen Zuges befallen.
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Es wäre aud zu hoffen, dag reihe Srauenzimmer ihre Bei— träge aus reiner Vaterlandsliebe darreichten, um für Uns bemittelte eine Garderobe zu bilden. Es könnte aud ein Fond angelegt werden, um der Tugend jährlich zwei fröhliche Tage zu verſchaffen. Wäre einmal die liebe Jugend koſtü— miert, jo follte fie aud am 26. Auguſt in den Schweizer⸗ tradhten und mit den PBannern der Kantone vom Verſamm— lungsorte aus auf den Münjterplag ziehen und den Herren. Häuptern durch einen ausgewählten Chor von Sängern und: Sängerinnen ein auf die Geſchichte paſſendes Lied vortragen.
Auch die Landſchaft follte dabei nicht vergejjen werden! Drdentlide Landfnaben und Landtöchter könnten zu dem. Seite beigezogen werden.
Mit et basleriſchem Geſchäftsſinn jchließt der Artikel: ichreiber: „Außerdem daß ein vaterländiiher Geilt dadurd gepflanzt und die Eintracht befördert würde, würde die ganze Gegend herbeijtrömen und unfern werten Mitbürgern eine gute Börfe maden“ ....
Der farbenreihe Kinderzug von 1841 war für Bafel ein „noch nie gejehenes Faſchings-Divertiſſement“.
Dem Zuge voran ritt Prinz Karneval mit zwei Bes gleitern und Kahnenträgern, umgaufelt von einer Bande: Iuftiger Pierrots und Bajazzos. Ihnen folgte eine berittene, altertümlich Eoftümierte Blehmufit und Wilhelm Tell mit feinem Knaben. Pannerträger der Zünfte zum Schlüffel, zu Hausgenojjen und Weinleuten, Ziguren aus dem „Freiſchütz“ mit Samiel an der Spibe, Jäger und Jägerinnen, Tiroler und Tirolerinnen leiteten die zweite Gruppe ein. Diefer beitern Gejellihaft ſchloß jih) ein Tambourentorps Erwach— fener als Altfranten an, gefolgt von Eidgenoffen und einer großen Schar Xelpler und Welplerinnen in Trachten der Innerſchweiz.
Die zweite Gruppe — Prezioſa betitelt — eröffnete Prezioſa, begleitet vom Zigeunerhauptmann und einer Schar phantaſtiſch gekleideter Zigeuner. Ihr fuhr auf einem von
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Eſeln gezogenen Wagen und esfortiert von Koſaken der be- rühtigte Viardo nad. Drei Pannerträger folgten, Hierauf das Tambourenforps der Waiſenknabenso) in Sappeur- uniformen und joldhen des roten Schweizerregiments; fie bildeten die Vorhut der Kleinbasler Gefellfhaften, die felbit- verjtändlih) Dur die Miracula der mindern Stadt — Leu, Greif und wilder Mann — verkörpert wurden. Eine bunte Gejellihaft, geführt von Zigaro und Figuren aus der Zauber: flöte, ſchloß ih an. Eine Sanitiharenmufif mit fünfund- zwanzig Tambouren leitete die Gruppe der „Stummen von Portici“ ein. Eine neue Sektion eröffnete endlich die ko— milde Figur des Staberl, gefolgt von Altfranfen und Alt: franfinnen, ein echt faſtnächtleriſcher Krähwinklerzug des Pähters Yeldfümmel, Tambouren und Ermwadjene als Krieger in der Tradht des 15. Tahrhunderts bildeten den Schluß des farbenreihen Zuges.
Zwei Jahre jpäter vereinigte noch einmal ein großer Umzug, bereits mit mehr Betonung des Komiſchen, die Kinderwelt Bajels. Prätenziös meldete fein Programm:
„Junger Wiß geht heute fühn voran, Er zeigt den Alten die verlor'ne Bahn!“
Heutzutage zerfplittern fich die „Buebezigli“ in einzelne Gruppen, und treffender Mutterwiß äußert ſich nicht ſelten in der unbeholfenen Malerei und Dihtung der Jungen. Mir entjinnen uns beifpielsweije einer von Knirpfenhand gemalten Laterne, auf welder das für das Reich der Mitte jo Eläglihe Ende des chineſiſch-japaniſchen Krieges in den drolligen Bierzeiler gefaßt war:
Tſching Wai Hay, Mir wän Hai; Mer fennesn:is nit gmwohne An Sapans Iharfi Bohne! |
80) Aus den Uniformen abgedankter Schweizergardiiten waren
den Waijenfnaben nad) 1830 Kojtüme zugejchnitten worden; die
jegige Kojtümierung der Waijentnaben datiert aus den Achtziger Sahren.
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Aus der Menge der Züge Erwadjener in den fpäteren Sahrzehnten des vorigen Jahrhunderts fei derer von 1849 und 1853 Erwähnung getan.
Ueber den erjteren beridtet Karl Rud. Hagenbach an feinen Freund Seremias Gotthelf; zugleich ein zeitgenöfftiches Stimmungsbild der damaligen Faſtnacht gebend:
„.... Ein Jahr ift’s nun, daß wir uns in dem Revo- Iutionstaumel umbertrieben, und die Leutchen find dabei fo fiher und fo luftig, als wäre alles im tiefiten Frieden! So wollen fie diefen Nachmittag einen Faſchingszug Halten, der das Sahr 1848 daritellen joll: Louis Philippe, Cavaignac, Jellachich, Lola Montes, Deutihe Ylotte, Heder und Gtruve, Eijele und Beijele joll alles in bunter Reihe an den Bliden der Zuſchauer vorübergehen; zuletzt noch eine Demofraten- mühle, in welcher gefrönte und bezopfte Häupter oben ein- geworfen und mit Schnäuzen und Bärten wieder heraus- fommen. Das feheint mir noch der beite Gedante.
Nebrigens könnte ihnen der Regen leicht das Gpiel ver- derben, das mir überhaupt ein gewagtes Spiel ſcheint. Wir hätten eher nötig, in Sad und in der Aſche Buße zu tun, als mit dem erniten Jahr den Narren zu treiben. Wer weiß, wie bald uns der Narr noch ausgetrieben wird! Dod Hilft das Eifern dagegen audh nichts. Die Schalkheit Hat zu allen Zeiten auch mit ihr Wejen getrieben, bis ihr das Handwerf höhern Drts gelegt worden ift.“
Mit Iharfen Worten, die eines politifhen Beigeſchmacks nit entbehren, wendet fi) der Basler Dichter und Pro- feſſor am Schluß feiner Epiftel gegen die andern üblichen Faſtnachtsvergnügungen:
„Ich will das am Ende noch lieber, als die brutale Roheit, die in dieſen Tagen bis zur Vieheit ſich ausläßt, und was will da Polizei und Obrigkeit machen mitten in der frommen Stadt! Wo das Lumpengelindel immer mehr Meifter wird, da — iſt es eben Meijter, nicht nur an der Faſtnacht, fondern auch ſonſt.“ —
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Sn Bezug auf witzige Karikatur und politiiche Satire war der 1849er Umzug einer der beiten, den Bajel je gejeben. Cine Tambourengruppe in franzöliihen Uniformen des 18. Jahrhunderts eröffnete ihn. Den eigentlichen Faſchings— reigen führte eine Narren-Reitergruppe an mit der Stan— darte „Närriſch ift was lebt und webt auf Erden.“ Unter großem Gerajjel braujte dann ein jehsipänniger Wagen ein: her, eine Lokomotive daritellend «l’aimable Zuricois, Nr. 2 der ſchweizeriſchen Centralbahn“, mit eflatanter Richtigkeit die eigentlihe Bedeutung ihres Namens beweifend: Motiv um in loco zu bleiben. Auf der Lofomotive Hatte Satur- nus als Führer Pla genommen. Sohn Bull fungierte als Kondufteur, Robert Macaire!) als Heigzer, während der deutſche Michel die Kohlen herbeijchleppte. Als glänzende Gruppe folgte König Qudmwigs?) mit feiner geliebten Lola Montez33) „ſpaniſch von Gemütsart, tanzliebend von Charakter, eigentümlich von Sitte und Ge: wohnheit, aber voll Energie, Geijt mehr als Geld habend“, begleitet von reitenden Studenten.
Der Ihwahe Wittelsbaher war durch folgende Verſe gefennzeichnet:
„Wie hat's dem Manne Müh gemadt, Als man von Hof fie fortgejagt;
Viel lieber er vom Throne fcheidet, Als länger noch die Lola meidet;
Der Welt zum Spott — o König Ludi Ruft jedermann: „fi äggi pfudi!“
3) ſ. v. w. Schuft, Schurfe.
&) Qudwig I (1786—1868) legte am 19. März 1846 die bairiſche Krone nieder.
8) Lola Montez (1820—1861), Tänzerin, erwarb ſich 1848 die Gunft Ludwigs I, der fie zur Gräfin von Zandsfeld erhob. Ihr Betragen bewirkte im Volke ſolche Gährung, daß der König in ihre Entfernung einwilligen mußte. Sie ſtarb nad) abenteuerlichen Irr⸗ fahrten in New York in großer Dürftigkeit.
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Berittene Mufit gab dem Baar und feinem Gefolge das Ehrengeleite mit dem Lied „Mueß i denn, mueß i denn ıc.“ Diejes Lied jollte aber feine Anzüglichfeit fein auf die nahfolgende Spezereihbandlung: Louis Philippest) Guizotss) & Comp.
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Louis Philippe als Epicier, Saftnacht 1899.
(Aus der Sammlung des Staatsardjivs.)
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welche ſich dem Publikum mit allem empfahl, was zu wünſchen übrig blieb. Das von zwei Eſeln gezogene, als Kramladen mit allem möglichen Giggernillis ausgeſtattete Wägelchen dirigierte Thier sse) als Kutſcher.
8) Louis Philippe (1773 — 1850) der „Bürgerkönig“, der von 1830—48 den franzöſiſchen Thron innehatte.
8) Fr. Guizot (1787—1874), der reaftionär gejinnte Miniiter- präfident Louis Philippe’s, der mitjamt feinem Herrn der Februar⸗ revolution weichen mußte.
5 Adolf Thiers (1797 — 1877), Staatsmann und Geſchichts⸗ ichreiber, befleidete unter Louis Philippe mehrere Male einen Miniiterpoften.
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Ihnen ſchloſſen jih an, ebenfalls zu Pferd, der badiſche NRevolutionär Heders”) und Madame Strupve,8) erjterer mit dem Vers aus Horaz: «Beatus ille qui procul negotiis.>
Das Admiralſchiff „Wafferfheu“ perfiflierte die noch in den Windeln liegende deutſche Zlotte, deren Bemannung fi fühn Dr. Eifele und fein Zögling Baron Beifeless:) zugeſellt Hatten.
Ban Jellachichss) mit einer wilden Kroatenbande bradte in gelungener Weije die öſterreichiſchen Verhältniſſe des NRevolutionsjahres zum Ausdrud in den Berjen:
Pflanzt auf ein ſchwarzgelb Fähnchen, Shmüdt ſchwarzgelb das Gemad); Sonft fliegt das rote Hähnchen Alsbald auf euer Dad!
Und wäret ihr aud) heiſer,
So ſchreit (um’s Leben geht’s):
„Hoch leb der gute Kaifer!
Hoch lebe Windiſchgrätz!“s0)
Den Clou des Zuges bildete die Demokraten— mühle, erfunden vom „bekannten Ingenieur Metter—
37) Friedrich Hecker (1811 — 1881), Organiſator der badiſchen Volkserhebung an der ſchweiz. Grenze im Frühjahr 1848, wanderte im September gleichen Jahres nach Amerika aus, wo er als Farmer lebte.
8 Madame Struve, die Gattin des Revolutionärs Struve.
88) Eiſele und Beijele, zwei politiihe Yiguren aus den „Münchner liegenden Blättern“, die in jenen Jahren, entgegen ihrem heutigen Standpunft, ihre Spalten häufig der politiſchen Satire unb Karikatur öffneten.
8), Franz, Freiherr v. Jellachich de Buzim (1801—1859), öſtreich. General und Banus des vereinigten Königreichs Kroatien, Slo— wenien und Dalmatien, half 1848 die Revolution in Wien unter— drücken.
%, Fürſt Alfred zu Windiſchgrätz (1787—1862) führte während Der Oftoberrevolution in Wien das Oberfommando über die fai- Jerliden Truppen.
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nid“?1) Oben fpazierten Louis Blanc?) und Kons jorten hinein und kamen unten „gemwindilchgrägt“, etwas- „geradetfyt“ und „mehr rechts“ heraus.
Die fünf Großmädte zierten als Orcheſter den Wagen der Demofratenmühle mit folgender Inftrumentenverteilung:
Rußland ſchlägt mit Bärenpfoten Auf der Trommel feine Noten; Deftreicd bläſt die Klarinette, Quakt mit Preußen um die Wette; Trompete bläjt mit falſchem Ton Frankreichs 2. Napoleon; England führt den Yidelbogen Hat Volk und Fürften angelogen!“
Die Entente cordiale der Großmächte gipfelte in dern Keimen: „Sorgt nur, daß ein jeder greife Recht hoch und Fräftig den Ton, Es tanzt nach unjerer Pfeife Halt ganz Europa ſchon. Die Schweizer allein, diefe Knoten, Die mahen uns viel Beſchwer; Sie fragen nad) unferen Noten Schon längft feinen Teufel mehr.“
Ein jpleeniger Engländer, auf einem Ejel reitend, illu— Itrierte die Beziehungen Albions zu Bafel mit den draftifchen Berjen:
9), Fürſt Metternich (1773—1859), der allgewaltige öſtreichiſche Haus:, Hof⸗ und Staatstanzler und Tonangeber der europäiſchen Politik während der Reftauration; gegen ihn, als die verkörperte Reaktion, richtete fi) vor allem die Bewegung von 1848.
*) Louis Blanc (1811—1882), franzöſ. Hiltorifer, 1848 Mitglied der proviforifchen Regierung; er widmete ſich befonders den Arbeiter- intereſſen.
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Mögen aud alle fi) ſchlagen tot,
Die Himmeljadermenter!
So fürcht' ich die Basler Bänder allein Und die Basler PBojamenter!
Sn der fih anſchließenden Gruppe „Frankreich“ glängte als Führer auf ftolgem Roß Louis Bonaparte,3) ver- drofjen gefolgt von Cavaignac’) mit den Mobilgarden in Reih und Glied. Lebtere fangen das berühmte Klein büninger Nationallied „Goft mer us em Rhi“.
Als Treppenwig der Weltgeſchichte fei die dem Präli- denten Louis Napoleon gewidmete, drei Fahre ſpäter in Er- füllung gegangene Prophezeiung wiedergegeben:
„Mitten in des Zugs Getümmel
Reitet flott auf ſchwarzem Schimmel
Präſident Napoleon.
Doch fein Sinn nad) höher'm tradtet,
Er die Republifveradtet,
Greift nach Franfreids Kaiferfron“
An den Kern der franzöliihen Nation reihten fih zu Roß und zu Wagen Urbeiter der Nationalwerfitätten; fie führten dem Publikum ihr Lieblingsjpiel, das „Barrifädlen“, vor Augen.
Seudale Herren folgten den Blufenmännern, bemüht zu beweijen, daß „Henri V.“25) für Frankreich das beite Re— gierungsiyitem fein würde.
„O Henri Cinq! D Henri Ling! Mo bleibt die weiße Fahne,
9) Louis Napoleon Bonaparte (1808-1873), am 10. Dezember 1848 zum Präfidenten der franzöj. Republif gewählt; am 2. Des zember 1852 als Napoleon III zum Kaijer der Franzoſen proflamiert.
%, Louis Cavaignac (1802—1857), franzöſ. General, der Unter: drüder des blutigen Aufitandes vom 23. Juni 1848.
5) Heinrih, Graf von Chambord (1820— 1883) bourbonifcher Kronprätendent und als folder von den Legitimilten als Henri V. bezeichnet.
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Mann dreht einmal das Hälshen um Die Lilie dem Hahne?!“
Der ins Riejengroße übertragene, in einer Kutſche auf hoher Stange jtedende „Hut von Aufterliß“ follte andeuten, daß nur ein Mann von der Energie und Rüdjihtsiojigfeit eines Napoleon I. imjtande jei, Frankreichs Bürger unter einen Hut zu befommen.
— ——— — Karl Albert von Sardinien, Faſtnacht 1840.
(Aus der Sammlung des Staatsarchivs.)
In einer Galakutſche, von einem Jeſuiten begleitet, fuhr hierauf Karl Albertes) von Sardinien einher; auf holperndem Bernerwägelein wurde ihm die eiſerne Krone Mailands nachgeführt. Den würdigen Schluß des Ganzen bildete Metternich mit der Hoffanzlei, esfortiert von Krähminflern.
Der äbtende Spott, mit dem die Häupter und Minifter benadbarter Staaten überfehüttet wurden, zeigt, daß man damals an der Faſtnacht feiner Zenfur nachfragte.
Freilich verliefen die Dinge nicht immer fo glatt. Sm Sabre 1852 gab ein Spottgediht auf Beſchwerde der fran-
%) Karl Albert (1798 —1849), König von Sardinien; durch ihn erhoffte Oberitalien die Befreiung vom öitreihiihen Joch; der
anfangs glüdlich geführte Krieg gegen Deftreich erwarb ihm den Beinamen „la spada d’Italia“, das Schwert Staliens.
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Metternich Metternich, Saitnacht 1849.
(Aus der Sammlung des Staatsardhivs.)
zöfiſchen Regierung Hin Anlaß zu diplomatiihen Verhand— Iungen und bradte, vom fehweizerifchen Bundesrat an die Basler Regierung gewieſen, Berfaller und Teilnehmer vor die Gerichtsſchranken, wo der gewagte Spaß für die Be- teiligten mit vier Wochen Haft endigte.
Der Dichter des als Schnigelbant auf einem Wagen ge- fungenen Liedes war der aus den Dreikiger Wirren her be- kannte Kölner der „Saure“.
Sn dem fliegenden, mit roten Lettern gedrudten Blatt, das auch in Paris majjenhaft verbreitet worden war und Auffehen erregt hatte, wurde der politiihe Werdegang des nahmaligen zweiten Kaijers der Yranzofen in folgenden ge- pfefferten Berjen gejchildert:
Ein Affe iſt ein komiſch Tier
Und gleidet einem Menſchen ſchier;
Gtedt er jih in die Uniform
Gleiht er dem „großen Mann“) enorm; Die Ejel Halten ihn dafür,
Doc bleibt der Aff ein komiſch Tier.
M) Napoleon I., feinem Oheim.
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Straßburger Gänsleber-Paitet’
Hat in die Nas’ dem Aff geweht,
Doch ad), er nimmt den Zinfenftrid, Läßt feine Stiefel faſt im Stih.98)
Ein Cäſar muß fein Affe fein,
Sonſt darf er nit nad) Straßburg rein!
Auf einmal jteht er wieder da
Wohl in der Stadt Bolonia ;9°)
D weh! er jpringt dort in das Meer, Sein zahmer Bogel Hint’r ihm her; Doch beid Tierlein fiſcht man raus, Sind beide nak wie eine Maus.
Im Fahre „Ahtundvierzig“ ſummt Die Revolution und brummt!
Da ſchleicht der Affe fih ins Land, Reicht allem Volk die Affenhand Und grüßt mit falſchem Affenblid: Es lebe hoch die Republif!
Doch „Einundfünfzig“ kocht's noch mehr, Zu wählen iſt ein neuer Herr!
Ein jeder wählt nad freier Luſt,
Dod mit dem Degen auf der Bruft; Der Aff wird wieder Präſident,
Das freut die Ejel ohne End.!00)
8), Der mißglüdte Verſuch vom 28. Oktober 1836, in der Zink: mattlajerne, Straßburger Garnifonstruppen zum Aufitand au be=
9) Die der theatraliihen Poſe nicht entbehrende Landung Louis Napoleons bei Boulogne am 5. Auguft 1840; gefleidet wie Napo- leon I., mit einem abgerichteten Adler über dem Haupt und unter dem Ruf „Vive l’empereur“ ſuchte er die dortige Beſatzung zu ge- winnen, mußte aber fliehen und wurde, da jein Boot umſchlug, aus dem Waller gezogen, gefangen genommen und zu lebenslänglicdher
Haft verurteilt.
100) Bonapartes Staatsitreid) vom 1. u. 2. Dezember 1851, der Frankreich der Herrichaft einer Militärdiktatur unterwarf.
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Und als die große Stadt erwacht,
Da Heißt es: Republik gut Nacht! Beim Kreiheitsbaum wird nicht getanzt, Kanonen Stehen aufgepflangzt;
Der Aff Hat alles umgekehrt,
Das halbe Land wird eingefperrt.
Und weil die wilde Mamſell Rot!ı) Ruft: Sreiheit, Gleichheit oder Tod!
So läßt er mit Kartätfchen jie
Auflöjfen ganz in Harmonie,
So gibt der Aff dem Volke Brot, Erſchießen ijt ein Ehrentod!
Das was der Aff noch ferner tut, Noch in der Zufunft Dunfel ruht; Vielleicht erhöht ihn das Geſchick! Vielleicht bricht bald er das Genid! Der Affe ift ein komiſch Tier
Und gleihet einem Menſchen ſchier.
Nun der Zug vom Jahre 1853!
Wochenlang vorher ſchon jtedte Baſel bis über die Ohren im Karneval. Einladungen und luſtige Anzeigen in den Rolalblättern riefen die Faſtnächtler zur närriihen Heer: hau. Sitzungen aller Art fanden jtatt; das Hauptlomitee war in permanenter Tagung; galt es doch einen Zug von über fünfhundert Perſonen, zweihundert Pferden und gegen fünfzig Fuhrwerken, meijt koloſſalen Wagen auszujtatten.
Der alles mitreißende Eifer follte die beſte Antwort fein an die achtunddreißig Petenten, welde an den Stadtrat eine Eingabe gerichtet Hatten, des Inhalts, die Faſtnacht auf einen Tag zu beihränfen. Die Petition fand aber vor der bürgerlihen Behörde feine Gnade, und am 19. Januar ſprach
101) Die „rote Revolution“; den Wideritand der Republitaner brach Louis Napoleon in Ihonungslofen Straßentämpfen.
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fi der Stadtrat mit erdrüdender Mehrheit für Nichteintreten aus.
Das aus jüngern und ältern Männern beitehende Ko- mitee hatte fih als Aufgabe gewählt, in humorijtifhen und geihichtlicden Bildern den Einzug der zweiundzwanzig Kan- tone zum Karneval in Narhalla darzuitellen.
Zur Beihaffung der Geldmittel wurden Faftnadjts- altien!?2) mit folgenden Begleitverfen im Publikum ab- gejeßt:
„Heute thun wir avertieren, Daß wir Aktien kreieren,
Sie zu 5 Francs jtipulieren Und fie hiemit offerieren, Hoffend, daß fie acceptieren; Denn, um Gie zu amülieren Müſſen wir nun refurrieren — An Ihr Beutel appellieren. Biel ift noch zu arrangieren, Herzuftellen, deforieren, Auszufhmüden und garnieren, Mas das ganze foll verzieren — Soll der Faſching recht florieren. Darum thun Sie acquirieren Aktien, die wir gerieren;
Nichts iſt dabei zu riskieren, Als das Ganze zu verlieren. Mer uns drum will foutenieren, Möge fih jet nicht genieren; Nur wenn viel wir debitieren, Kann die Faſtnacht reüflieren.
102) Sole Aktien oder auch Lotterien wurden fpäterhin noch öfters veranjtaltet. 1867 beijpielsweije fand zur Dedung der Uns koſten des großen Umzuges eine Berlofung Statt; der erite Gewinn beitand in einem Ochſen, der zweite und dritte je in einem Widder:
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In unterthänigem, närrifhen Reſpekt thun perfiltieren Die in dem Komite nun. raſtlos dirigieren.“
Diefes gewandte Anpreifen des „Faſtnachtspapieres“ verfehlte denn aud feinen Zwed nit. Die noch erhaltene: detaillierte Abrechnung weilt die für die damalige Zeit recht hohe Einnahmenfumme von 2948 Franken auf. Nah) Abzug der Unkojten, unter welchen ein Bolten von Fr. 24.85 „für zwei geliehene Bären von Bern, nebit Porto“ figurierte, ver— blieben über adhthundert Franken, welde vom Komitee zur Gründung eines zukünftigen Karnevalfonds angelegt wurden.
Montag, den 14. Februar nadmittags 1% Uhr febte ſich der vom Wetter nicht bejonders begünftigte Zug vom Klingen= tal aus in Bewegung, erwartet von einer ungeheuren Menge von Einheimifchen und Fremden. Er bewegte fit durch die innere Stadt und jämtlide Vorjtädte, an deren Bewohner das Komitee folgenden Wunſch gerichtet hatte: „Man ver- traut der freundlichen Gefälligfeit aller verehrlichen Haus: befißer, daß fie die Straßen, durch welche der Zug geht, wollen rein halten laſſen.“
Eröffnet wurde das farbenprädtige Bild wie üblich von Prinz Karneval zu Pferd, umgeben von feinem ganzen Hof- ftaat. Hierauf folgten die zweiundzwanzig Kantone in der Reihenfolge ihres Beitrittes zum Schweizerbund. An der Spitze jedes Kantons ritt der in die Kantonsfarben gefleidete Standesweibel.
Zuerft erblidte man Repräfentanten der Kantone Uri, Shwyz und Unterwalden: die drei Eidgenofjen, Wilhelm Tell und andere Geitalten jener Zeit; daran fchloß fih ein Schwingerfeft und eine Sennerei. Einen Kontraft zu diejen Katurkindern bildete die darauf folgende Karawane von Engländern und Engländerinnen, auf einer Schweizerreife begriffen.
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Doch aud) bei den Urkantonen war der Wi nicht ganz vergeſſen. Ein Bauer trug auf dem Rüden eine alt-ehr- würdige Basler Stadtlaterne, wie fie nad) der Einführung der Gasbeleudtung in Bajel nah Altdorf gejandt wurden; der Faſtnachtsdichter bemerkte hiezu:
„gwar, man hört auch mandmal munteln, Daß nit all’s in Ordnung ſei;
Daß dort tappe, tief im Dunteln, Geijtlihfeit und Kleriſei.
Doch das wird jich jegt entfernen
Seit die liebe Bajel-Stadt
Ihnen fandte Dellaternen,
Die fie nit mehr nötig hat.
Zündet Freunde, daß es tage,
Daß es leucht' in jedem Ort;
Und des Landes Wahlſpruch fage:
Frei der Geiſt und frei das Wort!“
Luzern rückte ſelbſtverſtändlich mit ſeinem Bruder Fritſchi auf.
Alter, biedrer, luſt'ger Fritſchi Aus Lucerna's Heldenzeit; Kluger Schalksnarr ohne gleichen Ziehe mit uns in den Streit Wider alle Jeſuiten,
Römiſch oder reformiert,
Die dem Faſching Tod geſchworen, Weil ſein Spiegel ſie geniert.
In buntem Gewirr reihte ſich Gruppe an Gruppe. Zürich mit dem „Sechſeläuten“, der Ueberlandpoſt von London nach Kalkutta über Zürich; Bern zeigte den zukünftigen Bundespalaſt, das neue Preßgeſetz von preußiſchen Orden um⸗ baumelt und von einem Krebs mit den Scheren gehalten; ein großer Wagen, von Proletariern gezogen, ſtellte
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Stämpflis Millionenmajdine dar. Mannigfaltig und finn- reich war Solothurn vertreten, wofür der „Pojtheiri“ in höchſt eigener Perſon gejorgt Hatte.
Der Basler Gruppe mit dem originellen Zunftwagen ritt der fünfundjechzigjährige Schlojjermeilter Münd, ein alter Steilhärler, in feinem echten Koſtüm als Ueberreuter voran. Den Schluß des gediegenen Umzuges bildeten Zußjoldaten aus aller Herren Länder, ein Krähmwinflerforps par ex- cellence!
Sn einer dreiundneunzig Geiten ftarfen Broſchüre, die im Bublitum verfauft wurde, war von Faſtnachtsdichtern in Verfen und PBrofa, mit attifdem Salz gewürzt, zu Handen der Zuſchauer der erflärende Text niedergelegt.
Einige diejer Verſe feien an diefer Stelle der Vergeſſen— heit entrijjen:
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Quzern: Quzern halt deine Leuchte rein Bon allen Shmugigen Yleden, Denn nichts für ungut, deine Partei’n Haben beide Dred am Gteden! Baſel: Baſel ißt und trinket gern Von dem Allerbeſten, Drum find feine alten Herr'n Noch die Ehrenfeiten! Rechnet, zählt und jchöppelt aud); Das ilt fein Vergnügen. Konfervieret alten Braud, Sit zu Schwer zum Fliegen! Sreiburg: Dben find fie liberal, Mehr als das, felbit radikal; Aber unten ijt der Belt’, Wer am Alten bänget feit. Beide unter einen Hut Feſtzuſtecken geht nicht gut; Am beiten wär für Freiburgs Ruh, Der ein’ gab nad), der ander’ zu!
Aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Tießen fih noch verſchiedene folder großer Umzüge befchreiben. Bor allem war es feit den FYünfzigerjahren das Quodlibet, deilen ins Leben gerufene Faſtnachtszüge ſich durch Wit und Gehalt auszeichneten und anregend und veredelnd der Yajt- nacht für die Zukunft den Weg wiejen.
Zahlreiche, oft jehr gute Züge arrangierte unter der Führung des 1864 gegründeten „Turnerfränzli“ auch der Bürgerturnverein. Die forgfältig geführten Protofolle des „Turnerfränzli“ gewähren mand) interejfanten Einblid in vergangene Faldhingstätigkeit und atmen un=
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mittelbar friſche, oft feuchtfröhlichſte Faſtnachtſtimmung; fie zeigen aber aud, mit wel einfaden Mitteln damals oft Faſtnacht „gemacht“ wurde. Welche Gefellihaft hätte heute das Glüd, protofollieren zu können, wie es 1865 der Aktuar diejes Sreundesfkreijes tat: Dem Herrn N. N. als Gratifi- kation für das Laternenmalen — ein Kilthen Zigarren zu fpenden! ;
Den Spuren diefer Vereine, denen ſich als dritter während mehrerer Jahre der „Verein junger Kaufleute“ beigejellte, folgten in den Giebenziger und Achtzigerjahren die Quartiergejellihaften wie Aeſchlemer, Santihanslemer, Gteinlemer, vereinigte Kleinbasler. In verjhiedenen Be— jiehungen vorbildlih wurden aud die Darbietungen des „Ruderflub“ und der „Alten Garde“, welche mit Fineſſe ihren Stoffen et baslerifches Lofalkolorit zu geben wußten.
Heute unterziehen fih ein gutes Dugend Gejellichaften und eigentlider Faſtnachtsvereine mit regftem Eifer und großem Geſchick der Veranjtaltung von Umzügen.
Mehrfach wurde aud in den le&ten fünf Dezennien der Verſuch gemadt, gegen die Faſtnacht Sturm zu laufen.
Das richtige Wort in diefer Angelegenheit traf wohl der Kleine Rat im Jahre 1871, als angelihts der jchweren Not in unferer nächſten Nähe die Frage entitand, ob es nicht ans gemejlen wäre, von allen Yaltnadıtsbeluftigungen Umgang zu nehmen. Die Regierung lehnte es ab, von der Ueber: zeugung geleitet, daß ſolches Abgehen von alten Bräuden nicht ſowohl durch ein Verbot, als vielmehr dadurd) anzus itreben fei, daß es dem eigenen Gefühl und dem Taft jedes Einzelnen überlajjen bleibe, ſich felbjt zu jagen, was der Ernft der Zeit von ihm verlange.
Einen Erfolg, der aud den Beifall der Faſtnachts⸗ freunde fand, hatten dieje verfhiedenen Petitionen Doch im Gefolge, indem unter ihrem Eindrud wirfliden Mebeljtänden Abbruch getan wurde.
Prämierungen und Subventionen hoben die Faſtnacht
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und verliehen ihr vermehrten Glanz. Neuerungen, wie die Zaternenausitellung und das Monftre-Trommelfonzert möchte heute niemand mehr miljen, nicht weniger aber aud) die ſchöne, alte Baslerjitte, welcher das jett an der Spibe jtehende Ko- mitee Folge gibt, wenn es einen Teil der Faſtnachts— einnahmen gemeinnügigen Zweden zumweilt.
So Steht Heute ungefährdet die FZaftnaht da. Auf den Mildling des Mittelalters pflanzte die mahhaltende Neu- zeit das Edelreis, das nun lujtig Bluft treibt.
Jahr für Jahr ſchwingt die Faſtnacht die Geißel der Ironie und der Satyre; in witzigen Reimen hält ſie dem Volk Torheiten, Schwächen und Fehler vor und unterſtreicht den Text ausdrucksvoll durch oft köſtliche Laternenbilder und originelle Koſtüme. Sie bietet gleichſam einen volkstümlich abgefaßten, Leben gewordenen Jahresbericht dar, in dem freilich mancher aufgeführt wird, dem es nicht lieb iſt. Aber ſelbſt, wenn dann und wann dabei reſpektwidrig ſogar eine Staatsperüde verſchoben wird und das Publikum über die hervorgudende Schellenkappe ladt, jo mag ſich das für die Stadt, in der Erasmus von Rotterdam fein „Lob der Narr: heit“ geihaffen Hat, geziemen.
Solange es Basler gibt, wird auch das Wort des Nürn- bergers Hans NRojenplüt!03) in der Rheinjtadt zu Recht be- ſtehen:
„Die Faſtnacht kann manchen Narren machen.“
108) Hans Schnepperer, genannt Roſenplüt, wirkte als Faſtnachts⸗ ipieldichter von 1431— 1460.
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Torhut und Scharwache zu Bafel in der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts. Don Dr. phil. 85. A. Geßler⸗Zuͤrich.
Schwere Zeiten waren im Beginn der fiebziger Jahre des 15. Jahrhunderts über Bajel hereingebroden, und die Stadt fpielte im Widerjtreit der großen europäiſchen Politik eine wichtige Rolle. Ihre politiihe Bedeutung und ihre itrategiiche Lage als Einfallstor in die Eidgenofjenichaft Tieß fie ven Gegnern bejonders begehrenswert erjcheinen. Drohend taudte um jene Zeit das Streben des burgundiſchen Reichs nah Ausdehnung Jeiner Grenzen unter Herzog Karl dem Kühnen, dem Bajel als Haupt der „niederen Vereinigung“ neben Straßburg bejonders verhaßt war, am Oberrhein auf.
Der in Auslicht jtehende, mit Sicherheit zu erwartende Angriff Karls von Burgund mußte daher die Stadt gewappnet jehen. Wieder wie zur Zeit des Armagnafenanmaridhes trengte ſich Baſel an, jein Kriegswejen und feine Kriegs- bereitihaft auf der Höhe zu halten und ji mit allen Mitteln vor den Feinden zu |hüßen.
Sm Sahre 1473 glaubte man allgemein an eine plößliche Gefahr durch einen Angriff Herzog Karls. Baſel rüftete mit Macht, die Stadt wurde reichlich verproviantiert, Kriegs material, Gejhüg und Handbüchſen wurden erworben; er- fahrene fremde Büchjenmeifter und Schüßen wurden bei- gezogen, die Befeltigungen ausgebejlert und teilweife neue angelegt, jo der Borbau am Spalentor durch Jakob Sarbad)
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im Herbit 1473. Leider find die Zeughausinventare diefer Zeit, welde den genaueiten Einblid gegeben hätten, nicht mehr vorhanden; troßdem fünnen wir uns auf Grund folder vom 16. Sahrhundert und der Ausgabenbüder der Stadt ein Bild davon machen; es würde jedoch) an dieſer Stelle zu weit führen; hingegen darf ruhig behauptet werden, daß Bajel völlig friegsbereit in die Burgunderfriege eintrat. Bis ins fleinjte war alles vorbereitet worden, um die MWiderftands- fraft der Stadt zu erhöhen. Uns fol nun hier ein Abſchnitt aus jener bewegten Zeit um 1473 beſchäftigen, der zugleich als typiich für die meilten Städte von Damals galt, für Bafel aber durch dofumentariihen Beweis ſicher und ausführlid belegt ijt, nämlich die Torhut und Bewachung Bajels von 1473.
Beitimmungen über die Bewachung von Baſel waren Ihon früher vorhanden, jedoch nicht jo genau präzijiert wie die 1473 entitandenen Anordnungen des Rats zur Bewahung und Bewahrung der Stadt „Ordenunge zu fürs nott und Kriegs:Leuff“. Man mußte fih auf alles gefaßt maden, jo: gar auf einen plößlichen Ueberfall, daher waren die etwas pedantiſch Icheinenden Maßregeln völlig am Plabe.
Es handelt jih vor allem um eine Verordnung über die Torhut und über die Scharwade, die nachts für die Gidher- heit der Stadt ſowohl als Polizei wie Feuerwehr und mili- täriſche Truppe zu jorgen Hatte. Dieje Verordnungen bil- deten das ganze Mittelalter hindurch die Grundlage der Bewachung von Bajel. Die beiden Dokumente befinden fi unter der Bezeihnung Mil. All. A2 Ordnungsbuh I 1463/1542 im Staatsarchiv Baſel.
Es joll Hier der Text folgen, an welchen ſich Crläute- rungen fnüpfen werden. Dieje Urkunden geitatten uns einen Einblid in ein jonjt ziemlich) unbekanntes Gebiet des Basler Mehrwejens, und zeigen, wie ins Eleinjte |hon in einer mittel- alterliden Stadt die Ausbildung des Kriegswejens ging. Alfo in feine hohe Politik wird man ſich vertiefen, fondern in echt zünfterifhe Kleinarbeit.
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„Ein Ratſchlahen von der torhute Anno etc. LXXIII (1473).
Zem eriten ijt verordnet das man in der meren jtatt tagwedter haben Jollte eynen zu fannt Johanns und eynen zu fannt Alban die jollent eyn warzeichen haben das ſy geben follent wenn ſy zu Roß oder zu Fuß Iute Sm velde jehent / Desgliden der zu ſannt Alban, wenn er jhiff uff dem Ryne fommen fiht ouch warzeudhen geben fol.
Stem jo jollent die Zünffte alle Dage under yegliche thore eynen ſchicken mit harneſch und gewere ſufer uß geruft / mit den torhuter des thores und des grendels zu Huten und zu wartten und den grendel beflojjen zu Halten.
Stem fo fol man ouch die thor zu rechter zyt Hinfur uff und zu tun / nemliden jol man Sannt Johanns jannt Alban und herthore vor den jybenen nit uff tun /
Stem Spalenthor und Eſchemerthor mag man uff tun vor ſybenen nad) gelegenheit der ſachen / doch fol man dehein thore uff tun one den Houptman der darzu verordnet ijt.
Stem wenn man oud) die thore uff tun wil Do fol der Houptman vor uß jhiden über den faßenjteg / ouch uff die thore umb ſich jehen lafjen / was oder ob yemand im velde ige und darnach die wegen und farren fo vor den Thoren halten ordenlid) und mit guter gewarjame In laſſen.
Ouch follent die tagwechter und Hüter underricht werden der Schubgattern Halb ob es darzu feme daz fy denn wiftent wie jy damit handlen Joltend.
Stem welher Huter oder tag wechter uff die zyt als vor ſtat zu den thoren nit fumpt / ee das uff getan wird / der ſoll 2 ss. d. (Schilling, Denar) one gnade verfallen fin / aber wenn der Houptman zu rechter zyt darzu nit fumpt fo fol er zwyfaltige pene das ijt 4 ss. d. verfallen fin / welicher ouch felbs nit käme und eynen andren an fin ſtat ſchickte den frangkheit nit entjhuldiget von deme follen 5 ss. d. one gnade genommen werden / Dud) ſollen die louffende Knecht
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wenn der uber dreye fint nit ingelafjen funder gutli fur gewijen werden.
Dieſelben ouch eyn yegliher torhuter am Samstag fo er die buchen uff das Richthus bringt / eigentlichen angeben ſol / umb daz fy darumbe als objtat gejtraft werden mögen.
Stem die Houpter jollent oud) jo did |y das gut oder not— turfftig fin bedundt / etlich zu Roß umbe jhiden / zu allen thoren zu richten und zu bejehen ob diefe Ordnung in maßen als vor jtad gehalten werde oder nit und welidher denn un— gehorjam funden wirt der one alle gnade gejtrofft werde.“
Der Ratihlag von der Torhut jagt uns alfo in Kürze folgendes:
Zwei Tagwädter auf dem St. Johanns- und St. Alban- tor bejorgen den Wachtdienit am Tage; die Wächter waren mit Rufhörnern ausgerüjtet, fie hatten durch Hornzeichen ſo— wohl das Herannahen größerer Menjhhengruppen gegen die Tore, wie aud) das Ankommen mehrerer Schiffe auf dem Rhein zu fignalilieren.
Sedes Tor ftand unter einem bejonderen Torwächter, diejer wurde unterjtüßt durch einen Zünfter, der „mit bar- neſch und gewere ſufer uß geruft, des thores und des grendels huten und warten“ mußte. Der Grendel hieß das Yallgatter, welches ja noch heute 3. B. am Spalentor erhalten ift, wenn auch heutzutage der Mechanismus nicht mehr funktioniert. Zu jener Zeit jheint das FZallgatter am Tage nicht immer hochgezogen geweſen zu fein. Die Yusrüftung mit Harniſch und Gewehr bejtand aus der Sturmhaube oder einem Eijen- hut; den Leib ſchützte gewöhnlich das Panzerhemd, Hier aber bedeutet das „jauber ausgerüftet“ den ſog. halben Har— niſch, einen Plattenharnijh, der aus Bruft: und Rüdenjtüd, Dberarmzeug bis zum Ellenbogen und furze Baudreifen, teilweife mit kurzem Oberbeinzeug „Beintafhen“ bejtand; Unterarme und Beine waren ohne Schuß, als felbitverjtänd- liche Waffe trat ein kurzes Schwert zu Hieb und Stich dazu. Unter Gewehr haben wir feine Schußwaffe, fondern die Hal-
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Anſicht der nach einem Stiche |
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und Vorstat : im Besitze des Basler Staatsarchivs.
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parte (Helmbarde) zu jehen, die Hauptwaffe des Fußvolks neben dem langen Spieß.
Ein gleichzeitiges Bild veranihaulicht die basleriſche Be- waffnung jener Zeit.
Die folgenden Abfehnitte beziehen ſich auf die Definungs- zeit; über das Deffnen entſcheidet ein vom Nat eingejeßter Torhauptmann; offen waren die Tore von jieben morgens, Spalen= und Aeſchentor fonnten früher geöffnet werden. Nur mit Borfiht fol das geſchehen, man fpähte zuerſt aus, ob etwa ein Hinterhalt gelegt jei und die Zugbrüde wurde erjt aufgezogen, wenn ein Wächter durch das kleine Tor, „das Nadelöhr“, über eine kleine Zugbrüde, die gejondert herab- gelajjen werden fonnte, „ven Katzenſteg“, geſchritten und fi
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vergemwillert hatte, dag feine Gefahr drohe. Die Schlüjjel zu den Toren verwahrten die Torhauptleute oder vertraute, in der Nähe wohnende Bürger. In Ordnung hatte dann der Eingang der ji vor den Toren jtauenden Wagen und Karren vor ji) zu gehen. Torwächter und Hüter mußten genau wijlen, wie die „Schußgatter“, die Kallgitter aus Pfahlwerk, ſchnell bei plößliier Notwendigkeit herabgelafien werden fonnten. Hauptmann, Hüter und Torwädter hatten pünftlih ihren Dienſt anzutreten, im andern Falle drohte ziemlich empfind- liche Strafe (pene, Pön). Stellvertretung war nur im Krank: heitsfall zuläflig.e Die Kontrolle über die Präſenz der Mann: haft mußte der Torwädter führen. Allwöchentlih, wenn er die in den Standesfarben bemalte Blechbüchſe, in der die Zorjournale über Eingang, Zölle ꝛc. Tagen, aufs Richthaus bringen mußte, jollte er zugleich über die Verfehlungen der Wächter Bericht erjtatten. Ob die Torwächter jamt der Wade ihre Pflicht taten, wurde, wenn es nötig ſchien, Durch berittene Ratsföldner „bejehen“, auf alle Verfehlungen folgte die Be: ftrafung der Schuldigen.
Sn Kriegszeiten wurde die Torwache ſelbſtverſtändlich vermehrt, man nannte das die „Jorglidhen „Läuffe“, die Wacht, wenn man in Sorge iſt. Die Torwächter wurden regelmäßig bejoldet und waren fejte Angeitellte der Stadt. Neben dieſen Torwächtern mit ihrer Berjtärfung in Kriegszeiten übten bei Tage in der Stadt die „wachtmeijter“ die Yunftionen der Polizei aus, fie Hatten für Ordnung des Verfehrs, Ruhe und Sicherheit zu forgen unter Oberauflicht des Rats. Des Nachts hatte die Scharwade dieſe Tagwächter abzulöfen.
Neben der Torwacht war aber für den Kriegsfall ſowohl wie für plößlich ausbrechenden Aufruhr oder Brandfälle ganz genau beitimmt, wer den Dienjt auf den Ringmauern zu tun hatte. Wir bejigen ein Aktenſtück, weldhes eine Ergänzung des obigen aus dem gleichen Jahr 1473 bildet (Mil. Alt. Ord⸗ nungsbucd I. 1463/1542).
Hier werden nämlih die Namen der Torwäkhter für
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diejes Sahr aufgezählt, ebenjo weldhe Zünfte beitimmte Teile der Stadtbefejtigung zu verteidigen hatten. Die militärifche Einteilung der Stadt geſchah auf der Grundlage des Zunft: wejens, im Prinzip herrſchte die allgemeine Wehrpflicht; nicht nur zogen die Zünfte ins Feld, fie bewachten auch die Stadt. Ueber das Alarmweſen, das Aufgebot zum Wuszug, bei Kriegs: und Feuersnot, bei Unorönungen und Aufläufen waren genaue Reglemente aufgeitellt, deren Behandlung über den Rahmen diejer Zeilen hinausgehen, hier ſei nur herausgegriffen, was ſich auf die Torwacht bezieht.
„Ordenunge wie man fih In der Statt die Ringmure zu beforgen ob die Statt belegert wurde halten jolle.“
„zu dem thore zu jannt Alban Und da dannen ung gen Eihemerthore jol budhjjenmeifter fin Jorg Durre.“ Zur Ber- teidigung dieſes Abjehnitts berufen waren „diſe zwo Zunffte der winluten Zunfft und der Rebluten Zunfft“.
„Uff die portten ſannt Alban Hanns der Torwadhter Heinrih Müller Zimberman Contat bußner ſchnider Conrat von Elzenhein Peter von Elzenhein“
Zu Egloffs thore und dem Spalenthor Und dannen ung uff den thurm Luginslandt Sol budjjenmeilter fin Hans in der Mulen.“ Diefem Teil „jint zugeben Der Schmyden Zunfft und der Mebger Zunfft“.
„Uff Spalenthor die porten Clewin der torwedter Heinrich wechter murer MWernlin veith wagner Hennslin ſchnider von Waltzhut (Sötoner)
Sriblin Hans Ambergs knecht Wahrſceinnig Air neapmann Zſchan von Metz Zimbermann. “cetzterer Söldner ?)
In dem Luginslandt und do dannen ung uff fannt Tho-
mas thurm am Ryn fol Budjjenmeijter fin Jerg wiß der
(dieſe en ns aus den
(die legteren wahrſcheinlich Söldner).
(Zünfter wie oben)
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Kannengießer.“ (Zinngießer.) Diejem Teil „jint zugeben der Brotbeden Zunffte und der Garthener: Schiffluten und viſcher Zunffte.“ „Uff ſannt Sohanns thore die Porten. Rudy der thorwadter Hans tonnwalt tudhjcherer Gtelli der vilher / „peter peiger“ jtellis tochterman Steffan Ruß hafner (alle Zünfter).
Das Kleinbajel bejak die gleiche Ordnung mit Tor: wächtern und zugeteilten Zünftern, die Mauer beitand aus zwei Berteidigungsitreden mit bejonderen Hauptleuten, eben]o Itanden die fünf PVorjtädte unter eigenen Hauptleuten.
Wir haben aus diefen Verordnungen erfannt, daß durch ttändige Torwädter die Torwaht genau geregelt war und ih aus ſtädtiſchen Beamten und zugeteilten Geharnifchten aus den Zünften refrutierte, Daneben fungierte ein Büchſen— meijter als Befehlshaber über die in jenen Türmen und Mauerabſchnitten aufgeitellte Artillerie, ferner Hatte jedes Tor noch einen bejonderen Torhauptmann, das Ganze jtand unter der Kontrolle des Rats.
Außer diefen Wachen beitanden noch die Hochwachten, im Großbajel auf dem Münjter und Martinsturm, beide bis in neuere Zeit, und im Kleinbajel auf der jeßt verfchwundenen Niklaujenfapelle beim Richthaus, dieſe dienten als Nacht— wachen für Feuers und Kriegsgefahr, jowie zum Hornen oder Anſchlagen der Stunden, ebenfalls jtändig im Dienſt wie die Zorwädter. Deffnung und Schluß der Tore verfündeten Münjter und St. Leonhard, die große Ratglode Hingegen Feindesnot. Feuer wurde durch die der Branditätte zunächſt liegende Kirchen- oder Klojtergloden angezeigt, worauf der in den Feuerordnungen vorgeſehene Alarm jtattfand.
Noch widhtiger als die Tag: war die Nachtwache, die Scharwadhe, weldhe fih aus den Zünften und Vorſtadtgeſell— haften zufammenfeßte und des Nachts für die Sicherung der Stadt zu forgen hatte, dieſe Scharwade, die in Kriegsnot und
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drohender Gefahr aus einer ganzen Zunft zujammengeftellt werden Ffonnte, war gemwöhnlid aus den verihiedenen Zünften, welde der Reihe nad in gewöhnlichen Zeiten mit je 15 Mann ausrüdten, genommen und diente unbejoldet, ihr Entgelt war „win“, jei es in natura oder in Geltalt eines Trinfgeldes. Am beiten lajjen wir die Ordnung jelbit Iprechen. „Ein Ratihlahen von der Scharwacht Anno etc. 73 uff Sunndag Oculi.
Als yet in yeglichen vorjtatt zwen alle naht wachent da follent Hinfur zu den felben zweyen in allen voritetten in zuwaht wife drye verordnet werden von den zunfften jo under derjelben vorjtetten thoren gewonlichen hutend aljo das in yeglicher vorjtatt Hinfur 5 wachen und in den wach— hußlin fin jollent wenn die wachter gehurnet hand, daz wirt fin als man ſannt Lienharts fure gelutet und wenn die wechter gehurnet hand So fol eyn yeglicher vorjtatt meilter zu den Wachterhußlin gon und bejehen als ob die funff da ſyen.
Und weldher denn uff die felbe zyt da nit were der fol 2 s. d. ohne gnade den andern wechtern verfallen fin die ſy uff Inn verdrinden mogend. Welcher ouch gant ukblibe und nit feme von dem follent 10 s. d. one gnade genommen werden die halber den Reten und halber dem vorjtadtmeilter volgen jollent. Der felb vorjtatt meijter joll ouch by gejhwornen eyde alle die rugen und angeben die jpate fomment oder gantz uß— blibent ums daz ſy als obitat geitrofft werden mogent.
Item wenn oud) alsdenn die zu wadhter und die zwey uß der vorjtatt als zu ſammen fommend fo fol der vorjtatt meijter die teilen nemlihen eynen uß der vorjtatt zu eynen oder zweyen von den zu wechteren und die [hiden zu den thoren und muren umb zu gonde und da flyfiiglihen zu wachen und umb ſich zu ſehen ung uff mitternadht alsdenn jollent ſy gelojt werden von den übrigen In dem wechterhußlin vor mitternadt bliben ind Die alsdenn furer wachen jollent un daz der wechter den tag bloſet In aller maße als die vordrigen vor mitter:
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naht gewadhet hand und weldher ouch da vor ab der wadt gienge und fi) das erfunde der jol 5 s. d. one gnade den Reten verfallen Jin.
Stem fo jollent ouch die wachter von dem richthufe in alle vorjtett gejhidt werden zu bejehen ob die wacht als obitat gehalten werde und was breiten ſy dar inn empfindent follent jy dem houptman uff dem richthuſe rugen Der ouch alsdenn das an die Houpter furer bringen foll umb daz un- gehorfam nad) billicheit gejtrafft werden moge.
Item ſo ſollent oud) je zu zyten die houpter von etlichen den Reten von der hohen jtuben mit iren knechten eyn heim- lihe wacht ordenen bejehen und erfaren zu lafjen ob die wacht in folider maßen als ob jtat nadjgegangen werde oder nit.
Stem jo jol ouch mengli an dem die wadht ijt mit lin felbs libe wachen der alters oder frangheit halb muglid und verfenglidh ift by eyner pen 5 s. d. Und follent oud) die meijter in den Zunfften by iren geſchwornen eyden nyemands darinn verſchonen.
Welicher ouch als frangfheit oder alters halb unver: fenglid were zu waden, der fol eynen ander verfenglichen fneht fur den meijter bringen. Bedundt denn den meijter daz er in der wadht gut und verfenglich fye So blibe daby were aber das nit jo joll der meilter in heißen eynen andern verfengliden dar geben by der pene als ob tat.
Stem jo jollent ouch die zwen oberjden knecht mitjampt dem knecht uff dem rihthuß alle nacht uff die jtunde als obitat bejehen welhe gehorfamlich oder ungehorſamlich fommen oder nit und oud) furer die wechter in die vorjtett umb zu ſchicken als obitat und das mit dem fehler der je in zyten houptman in wird uff dem richthuſe fur genemmen.“
Der Ratſchlag fett vorerit die Zahl der Wächter in den: Vorftädten von zwei auf fünf Mann herauf, dieje drei Hinzu— gefommenen Sollen aus den Zünften genommen werden, die am jeweiligen Tor die Wache zu ftellen Hatten; der Borftadt- meifter oder Hauptmann hatte die Kontrolle über An- und:
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Abwefenheit der Wächter jowie den Befehl über diefe Schar: wädter. Strafandrohungen follten Säumige jchreden, und um dieſe durchzuführen, erhielten die andern Wächter und auch der Meilter Anteil an der Buße, die Knechte zum „ver drinden“, der Meilter Bargeld. Im folgenden wird dann der Patrouillengang, der Dienjt, behandelt; die Wache wurde aus. einem Mann aus der Vorjtadt und einem oder zwei aus den Zünften zufammengejegt und in ihren Wachtbezirk geihidt, die übrigen blieben zur Ablöfung in den Wachtlofalen; die erite Runde-Xbteilung follte bis Mitternacht, die zweite bis zu Tagbeginn die Stadt bewaden, und ihren Umgang auf Türmen, Toren und Mauerring maden. Die Patrouillen folgten abwedhslungsweije und Hatten auch innerhalb der Mauern für Ordnung zu jorgen. Im Richthauſe (Rathaufe) war ebenfalls eine ftändige Wache inftalliert unter einem Hauptmann, über den wir im legten Abjat Näheres erfahren. Diefe Rihthauswahe war dem Rat unterjtellt und führte die Dberaufliht über die Tätigfeit der Scharwädter, indem fie ebenfalls durch Runden jene fontrollierte. Die Wächter im Richthauſe wurden aus den Stadtfnehten genommen. In ganz gefährlidhen Zeitläufen wurde noch eine heimlihe Wacht angeordnet, indem etliche der „Häupter von den Räten“ und von der „hohen Stube“ mit ihren Knechten bejehen follten, „ob die waht nachgegangen werde“. Gtellvertretung durfte nit jtattfinden, „jelbs Tibe“ mit eigner Perſon foll Dienit tun, wer „verfenglid“, tauglid, ilt. Die Wacht- und Hut- pflidt war eben allgemein, und die Zunftooriteher waren bei ihren Eiden gehalten, feine Ausnahme zu dulden. Auf alle Fälle mußte an Stelle der perjönlihen Dienftpflicht bei Unvermögen tauglidher Erſatz geitellt werden.
Der lebte Abſchnitt ordnet den Oberbefehl über die Schar= wadhe. Einer der Sechſerherren erhielt als Hauptmann die Oberaufſicht, ihm ftanden die beiden oberjten Stadtknechte, meist friegsgewohnte Söldner, und der Gtadtfneht auf dem Richthaus zur Geite, unterjtügt durch die gewöhnlichen Stadt=
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földner. Dieje Hatten, wie ſchon erwähnt, zur beitimmten Zeit die Ausführung des Dienstes durch die Torhut und Scharwache zu „bejehen“. Dieje Oberleitung durch die Sechſer⸗ Herrn und in böfer Zeit noch verjtärft durch etliche Häupter von den Räten und von der hohen Stube zeigt das Zufammen- arbeiten aller Teile zum Wohl der Stadt und Gemeinde; Rat und Zünfte im Berein führten wie die Regierung fo aud) die Leitung der Bewachung der Stadt.
Mir erhalten in dieſem kleinen Ausſchnitt aus der Wehr: organijation Bajels furz vor den Burgunderfriegen ein gutes Bild, weldhe Anjtrengungen bis ins kleinſte Rat und Bürger: haft madten, um die Stadt in diejen wilden Zeiten zu Ihüßen, und wie in der Behandlung der Torhut und Schar: wadhe alles aufs genauejte vorbereitet wurde; jo geſchah es aud in der Anordnung für die Stadtverteidigung und der Kriegführung gegen Herzog Karl. In den Burgunder: friegen zeigte der Auszug der Stadt, gejichert durch die tüch— tige Kriegsbereitichaft, daß der den Baslern fo oft vor: geworfene Defenſivgeiſt einer kraftvollen Offenſive Platz ge: macht Hatte, die ſie, Seite an Seite mit den Eidgenoſſen, den mädtigen Gegner ruhmpoll bezwingen Tief. Diefe MWaffenbrüderfhaft ebnete 1501 auch den Eintritt in den ewigen Bund.
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Kurze Ylotizen aus den SB ebensumftänden von Stiedrich Lachenal
von Heinrich Schönauer.
1850.
Da in den letzten Jahren öfters vom Auftreten und Wirken der Frau v. Krüdener in Baſel und Umgebung und deren Beziehungen zu Profeſſor Friedrich Lachenal und deſſen Ehefrau die Rede geweſen, ſo glaube ich, daß es für die Leſer des Basler Jahrbuchs vielleicht von Intereſſe ſein kann, aus einer Lebensbeſchreibung Lachenals, die dieſer in hohem Alter und faſt erblindet, einer vertrauten Perſon in die Feder diktiert hatte, zu erfahren, wie Lachenal ſelbſt, viele Jahre nachher, dieſen wichtigen Abſchnitt ſeines Lebens beurteilte.
Auch die in dieſer Autobiographie enthaltene Schilde— rung ſeiner eigenen geiſtigen und religiöſen Entwicklung kann zu richtiger und gerechter Beurteilung von Lachenals Perjön- lichkeit beitragen:
Er beridtet:
Friedrich Lahenal wurde geboren in Bafel den 13. April 1772. — Geine Eltern waren: Herr Hie- ronymus Lahenal!) und Frau Margaretha Zwinger, beide von Bafel. Er wurde den 16. April in der Betersfirhe getauft. Der Vater war ein Handelsmann; der Großvater väterlicherfeits ein Apotheker, von der Mutter
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Geite aber war es Herr Sriedrih Zwinger, ausübender Arzt und Profeſſor der Medizin.2)
Friedrich war bis ins eilfte Yebensjahr ein gar ſchwäch— lides Kind und Hatte den Unfall, im 5. Lebensjahre auf der Wohnftube durch unvorjihtiges Rennen das linke Schien- bein zu brechen. Dieje Shwädlichfeit des Anaben bewog die Eltern, ihn bis in das eilfte Jahr nie ohne Begleitung vom Haufe gehen zu lafjen.
Friedrich verbradte die Sahre feiner Kindheit bei der Großmutter Zwinger zu,?) die kurz nad) dem Beinbrude des Großfindes durch das Ableben ihres geſchätzten Gatten eine Mitwe geworden war, und daher gerne ein munteres, leb- haftes Großfind, wie Friedrich troß feiner Schwächlichkeit war, bei ſich zur Unterhaltung Hatte.
Die Großmutter bewohnte mit einem Bruder, einem SOjährigen Greiſens), der jehr freundlich gegen den kleinen Knaben war, ein weitläufiges altes Gebäudes), das durch einen Hofraum, der mit Gras bewadjen und mit Obitbäumen bepflanzt und einem daran jtoßenden Garten durch eine hohe Mauer von den daran ftoßenden Häufern getrennt war. Hier war’s, wo der Eleine Knabe den erjten wohltätigen Einfluß der ſchönen grünen Natur auf fein Gemüt empfing; bier bradte er in der ſchönen Jahreszeit manche Stunden im Schatten der Objtbäume zu unter den Augen der jorgfältigen Großmutter; Hier lernte er auswendig und las die erjten fleinen Kinderjeriften, bejonders in Gellert’s Fabeln und Erzählungen. Späterhin mußte er der Großmutter, die faſt Itaarblind geworden, im Zimmer täglich einige Kapitel in der Bibel, aus geiftlichen Liedern und Betradhtungen, auf häufig Stillings Jugendgeſchichte vorleſen. Diefe Lektüre begleitete die alte, noch lebhafte Yrau mit nüßlichen Bes merfungen und befonders die bibliſchen Geſchichten mit erbau= lihen Erklärungen und mitunter auch) mit rührenden Herzens- gebeten, die einen unauslöfhliden Eindrud auf fein Herz madten, der fih auch in den reiferen Jugendjahren, mitten
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unter allen Verſuchungen des Gfeptisismus und des Un- glaubens bewährte und den Grund zu einer unbeihräntten Hochſchätzung der Dffenbarungen Gottes an die Menjchheit in fein Inneres legte, die ihm von jeher und bejonders im Greifenalter zu einem großen Segen geworden Jind.
Sriedrich mußte nun nah drei Jahren wieder in das päterlihe Haus zurüdfehren, weldes aud) im ganzen be- trachtet, gut und heilfam für ihn war. Da lernte er unter einen Geſchwiſtern aud mit andern Kindern friedlich Teben und die Wechjelfälle des menſchlichen Lebens frühe erfahren; denn das jüngjte Gejchwilter, ein freundliches Mädchen, jtarb in zarter Kindheit. Der jüngite Bruders), der ſchon im dritten Jahre ein munterer Knabe war und gut laufen ‚fonnte, wurde noch in demjelben Jahre von der Sfrophel- franfheit ergriffen, befam mehrere offene Wunden, bejonders an den Beinen, die ihm das Gehen zeitlebens unmöglid madten. Auch der zweite Bruder”) wurde faft zu gleicher Zeit von diefer Krankheit befallen und ſtarb ſchon im eilften Lebensjahr an den Folgen derfelben.
Nicht Iange nad) Friedrichs Rüdfehr ins väterlidhe Haus Itarb die für ihre Kinder jo bejorgte Großmutter, in einem Alter von mehr als fiebenzig Jahren, welcher Friedrich fo viel Gutes zu verdanken hatte. Ihren Verluft erjegte, jo viel fie fonnte, die liebe fränflihe Mutter, eine fromme zart- fühlende Geele, die ji) bei einer beſchwerlichen Haushaltung für den Gatten und die Kinder ganz aufopferte.
Sriedrihs ganze Zeit war nun dem Lernen zu Haufe und in der Schule gewidmet. Ein früh entwideltes Dent- organ mit Lernbegierde verbunden und einem ziemlid guten Gedädtnis verjehen, madte es ihm leichter als vielen andern Knaben und bejonders foldhen, die zu Haufe feine Lehrer batten, die fie auf die Schulitunden vorbereiteten.. Diejes wurde unjerem Knaben von feinem Hauslehrer befonders be- merft und dabei ermahnt, fi) deswegen nicht über andere Knaben zu erheben.
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Nach einigen Jahren, als Friedrichs Schulzeit im jtädtt- fhen Gymnafium zu Ende ging, jtarb die liebe Mutter an den Folgen einer langjährigen Lungenkrankheit. Ihr Hinſchied war für die ganze Familie ein unerjeglidher Verluſt, eine wahre Kataftrophe. Der Vater fühlte bald darauf die erjten Symptome jener traurigen Krankheit, die man Hypochondrie nennt, die fih in den verjhiedenen Stadien der Hämorrhoidal- franfheit immer erniter und heftiger entwidelte.
Etwas Sonderbares fühlte Friedrich bald nad) der Mutter Hinjheid mehrere Monate Hindurd. Es war ihm öfter, wenn er allein war, fie umſchwebe ihn, oder |tehe ihm zur Geite; er gab diejes auch in der Familie einigen Gliedern zu verjtehen; — man befremdete ſich jedoch nicht darüber und jehrieb es der Sympathiemacht der Blutsverwandichaft zu.‘
Vom November 1785 bis Mai 1786 blieb nun Friedrich zu Haufe, lernte und las fleißig unter der Leitung eines Hauslehrers. Seinen Durft nad Wahrheit und Erkenntnis, mit einer unerjättlichen Leſeluſt verbunden, hemmte oder be- ſchränkte bloß eine Augenſchwäche, oder vielmehr Schwäde der Augenlider, die ihm ein anhaltendes Leſen von mehreren Stunden ohne Unterbrehung unmögli madten. Diefe Schwäche der Augenlider war eine Folge der Mafernfrant: heit, welche Friedrich im eilften Lebensjahre befallen Hatte. Diejes fleikige Lefen und Lernen zu Haufe ermwedte bei jeltener Veibesbewegung, die durch die Winterszeit veranlafßt wurde, bei dem 13jährigen Knaben einen beſchwerlichen Hang zum Nachtwandeln, der aud) wirflidh einige Monate hindurch währte und nur durch) die VBorfehrungen des Vaters und die wenige Monate darauf erfolgte gänzliche Lebensveränderung Stiedrihs gehemmt wurde und endlih volllommen ſich verlor.
Sm Mat 1786 erfolgte die wichtige Vebensveränderung; Friedrich wurde nämlid, wie man in Bafel gemeinhin fagt, mit feiner 12jährigen Schweſters), einem lebhaften Mädchen, ins Welfchland getan. Dies war für ihn eine jchwere Probe,
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für ihn, der nie unter fremde Leute geflommen war. Man tröftete ihn aber mit manden erheblichen Gründen; unter anderem aud, daß er verſchiedene Schulfameraden in jener Erziehungsanftalt finden werde, daß dieſe Anjtalt im Haufe einer achtbaren Yamilie fich befände und von ihr geleitet und bejorgt werde, aud) ſei die Schweiter nur 2 kleine Stunden von ihm entfernt, die er von Zeit zu Zeit bejuchen könnte.
Friedrich Fonnte gegen den Entihluß des Vaters, der von der ganzen Familie gebilligt war, natürlicherweije nidts einwenden, zumalen es in allen Yamilien Bajels, die nur in einigem Wohlitand fi) befanden, üblih war, ihre Kinder einige Zeit Hindurdh in franzöliihe Orte zu Tchiden, um die franzölilhe Sprache gründlich zu erlernen.
Friedrich gelangte nun mit jeiner Schweiter, in Begleit einer kleinen Gejellihaft von Anverwandten, an den Drt leiner Beſtimmung, nämlid) nad) Neuenjtadt?) am Bielerjee, die Schweiter nad) Montmirail, einem Schlofje zwiſchen dem Neuenburger: und Bielerjee. Die Reife dorthin hatte für Friedrich) großen Reiz, nämlich den der Neuheit und der Ihönen Natur.
Sn Neuenitadt angelangt, gefiel ihm das Haus und die Samilie von Herrn Pfarrer Chiffel; auch die Ortichaft nebit der Umgegend madten einen angenehmen Eindrud auf ihn. Schmerzlich aber war ihm die Trennung vom Vater und der Abihied von den Anverwandten. Eine Kolge davon war das Heimweh, das er aber aus Schamgefühl zu verbergen wußte. Es verlor fi aber nad) einigen Monaten gänzlich.
Friedrichs Gejundheit jtärkte fich in diefer Schönen, an den Ufern des Bielerjees gelegenen Gegend und in diejer für Leib und Geele in mander Hinjiht wohl eingerichteten Sugendanjtalt. Nur war das erjte Jahr feines Aufenthalts in dem Chiffel’fden Haufe nit ganz angenehm für ihn, wegen der Nedereien einiger Anaben aus feiner Vaterjtadt, die doch einige Zeit nad) feiner Nüdfehr in die Heimat als Mititudierende ihm Freunde wurden. Zu diefen Nedereien
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trug teils Friedrichs Blödigfeit, teils Schwerfälfigfeit im Er- lernen der franzöſiſchen Sprade und ein Gtottern bei, das von Zeit zu Zeit fih merklich offenbarte. Die Blödigkeit ver- Ior fi) aber bald durch das freundlihe Benehmen der Yamilie Chiffel, und aud das Stottern fiel durch tägliche Sprad)- übungen, die der Lehrer mit den Schülern pornahm, in einigen Monaten gänzlich) weg.
Die legten 18 Monate von Friedrichs Aufenthalt in Neuenftadt waren für ihn die angenehmiten, heiterjten Zeiten des Lebens, für den äußeren Menſchen ein jugendlicdhes Paradies; für den inneren Menſchen aber war wenig dabei zu gewinnen. Während jener 18 Monate lernte Kriedrich der Ihönen Natur einen gründlichen Geihmad abzugewinnen und ein MWohlbehagen an einer harmloſen Gemütsart emp: finden, die gerne anderen den Lebensgenuß gönnt, den man jelbjt für ſich wünſcht und auch wirflich genießt.
Sm November 1788 wurde Friedrich von jeinem Vater abgeholt und den 16. die Rüdreife von Neuenftadt nad) Bafel angetreten. Sie ging durch manderlei Umwege, weil der Bater verjchiedene Gegenden bereijen und auch alte Befannt- Ihaften alldort bejuhen wollte. Dieje verjhiedenartigen Gegenden prangten alle im Winterfleide der Natur und über- raſchten und ergößten den Knaben, der diejes Schaufpiel im Großen vorher nie gejehen hatte.
Der Abſchied von Neuenitadt ging Friedrich jehr nahe; er trennte fi ungern von der werten Familie Chiffel, deren gute Behandlung und Belehrung er binnen 21/, Jahren er- fahren hatte.
Nah der Ankunft im väterlihen Haufe fühlte ſich Friedrih, ungeadhtet der guten Aufnahme und der mehreren Bequemlidkeiten, die er im väterliden Haufe genoß, Die eriten Monate hindurch ziemlich einfam und beſchränkt; er vermißte den Umgang mehrerer munterer Anaben vom 14. bis 15. Lebensjahre, die ihm Tieb geworden waren. Auch trug der außerordentlih kalte Winter von 1788 auf 1789
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vieles dazu bei, nämlid zur Einförmigfeit des Lebens im ſtillen Baterhaufe, weil die außerordentlihe Kälte und die mit Schnee und Eis bejchwerten Straßen die Bewegung im Sreien jo beihwerlih madten und aud vielfältig ver: hinderten.
Während diefer Zeit, nämlich in den erjten Monaten von 1789, dem verhängnisvolliten Jahre des achtzehnten Jahr: Hunderts, wurde nun Friedrichs äußerer Stand und Beruf, die Außere Lebenshbeitimmung, vom Vater und vom Oheim Merner!?), welcher Lehrer der Anatomie und Botanik auf hiejiger Univerlität war, beraten und von Friedrich mit ent- Ihlojfener Vorliebe angenommen und von andern Lebens: berufen ausgewählt, nämlid der Vorſchlag, ſich den Studien zu widmen, wie man es gemeinhin nannte.
Zwar hatte der Vater ihm die Wahl gelafien, die Hand- lung zu erlernen und die Ausſicht eröffnet, ihm einjt feinen Anteil an einer blühenden Handlung abzutreten,!!) die er mit einem Intereſſenten führte. Dieje jonft für mande Jüng— linge reizende Ausſicht machte auf unjeren Friedrich wenig Eindrud, und er entſchloß fih nad) wenigen Wochen Bedenk— zeit immer fejter und bejtimmter, feine Yebenszeit den Studien zu widmen. Zu dieſem Entſchluſſe trug auch bei die günftige Meinung der Familie von der Gelehrjamfeit. Der Vater fagte ihm nad feiner Rüdfehr von Neuenjtadt: Ein Gelehrter habe in feinem Stande und durch feine Beihäftigungen weit mehr Anlaß, Verjtand und Herz auszubilden, und vermöge Dabei durch Erforihung der Wahrheit vielen Menſchen durch Mitteilung der erworbenen Kenntnilje in hohem Grade nüß- Tih zu werden. Solche Reden zündeten in der Phantafie und dem Gemüte des 17jährigen Sünglings den feurigen Wunſch an, ein großer Mann zu werden. Diefe NRüderinnerung beuget noch jet den 78jährigen Greifen, der nun den Herrn aller Herren preifen und Ihm danfen fann, daß Er ihn ſchon in der Mitte der Jahre von allen Klippen der Selbfterhebung hinwegführen und den Weg über Gethjemane und Golgatha
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gehen hieß und auch durdh die Zudt der Gnade dorthin geleitete, |
Im Sahre 1792 erhielt Friedrih nah überjtandenem Eramen den Magijtergrad in der Philojophie, welcher in Hinjiht der Würde und den Privilegien dem Doftorgrade gleihfommt. Der Doktortitel Hat heutzutage den Magijter- titel in der Philoſophie verdrängt, weil er hochtönender Klingt.
Nun galt es ein bejonderes willenihaftlides Zach aus: - zuwählen. Friedrichs Lieblingsneigung war für die Theo- logie, aber die Berbindlichkeit, auswendig gelernte Predigten zu halten, fcehredten ihn wegen der Blödigfeit und Schüchtern— heit, die er für unüberwindlich Hielt, ab, den jogenannten geijtlihen Stand zu wählen; es blieb ihm alfo nur noch die Medizin übrig; denn für Surisprudenz Hatte der Jüngling eigentlih) feine Neigung und fein Vater war Dagegen. Sriedrih wählte nun auf den Rat des Oheims die Arznei— funde. Unter ihren Hilfswillenfhaften Hatte er am meijten Neigung zur Botanif, materia medica und zur Phnfiologie,, zur Anatomie nur injoweit, als fie zur Kenntnis des menſch— lihen Körperbaus dient.
Sm Herbit 1794 oder fpätejtens im Yrühjahr 1795 follte Stiedrih mit einigen hieſigen Sünglingen feine Studien auf einer deutſchen Univerſität fortjfegen, aber der hypo— chondriſche Bater wollte ihn nit fort laſſen, und als Friedrich infiltierte und der Oheim ihm vorftellte, der Besuch einer deutjchen Univerfität jei für Friedrich nit nur nützlich, ſondern jelbjt notwendig, fo erklärte der Vater: Er könne den Sohn nit zwingen, bei ihm zu bleiben, aber feine Abreije würde ihn nicht nur kränken, fondern jeine Abweſenheit ihm jo empfindlid werden, daß nit nur feine hypochondriſchen Beihwerden dadurch vermehrt, fondern felbit fein Leben da= durch verfürzt werden würde. — Dieje Erflärung, deren Richtigkeit Friedrich einjehen und beurteilen fonnte, war für das Zartgefühl des Sohnes hinreichend, um ihn zu beftimmen, die Abreife aufzugeben; denn der Sohn ſah voraus, daß des
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Vaters Unmut und Gram ihn aud im fernen Auslande ſympathiſch verfolgen würde, daß er feine Studien nit mit Ruhe fortjegen könnte. Deſſen ungeadtet aber erfolgte in Friedrichs Gemüt ein großer Kampf und feine Nachgiebigkeit erihien ihm ein ganzes Sahr hindurch als das größte Opfer, das er nur immer in feiner Lage bringen fonnte. Nach diejer Zeit ftieg in ihm nach) und nad) der Gedanke auf, es möchte in diefer Sade die göttliche Vorſehung beteiligt fein. Diejer Gedanke beihäftigte und beruhigte immer mehr jein Gemüt und war beim Hinfcheide feines Vaters, der jechs Sahre nach— her erfolgte, ihm zur vollen Ueberzeugung geworden. Die Weigerung des Vaters, feinen ältejten Sohn von Haufe weg auf eine entlegene fremde Univeriität ziehen zu lajlen!2), war hauptjädlid darin gegründet, daß der hypochondriſche fränflide Mann dann bei Haufe niemanden Habe, der ihm Unterhaltung, Trojt und Stüße nur einigermaßen gewähren fonnte; denn der jüngere Sohn war nit nur kränklich, ſon— dern litt beitändig an ſolchen rachitiſchen Beſchwerden, daß er nit nur nicht gehen, jondern aud) zuweilen aud) wegen offenen Wunden ſich der Hände nicht bedienen fonnte. Er hatte dabei eine heitere, gute Gemütsart; wer ihn kannte, mußte ihn bedauern und lieben, aber deswegen war er doch nicht geeignet, dem Vater die Abwejenheit des älteren Sohnes zu erſetzen. Auch die Tochter, die jeit 1792 verheiratet war, vermochte es nicht; jie Hatte Kinder, ging wenig aus, und ihr Mann war in einer gewillen Spannung mit dem Schwieger: vater.13) Dazu fam nod, dak der Bater außer dem Haufe wenig oder feinen Umgang hatte. Geit 1795 trennte er ji) immer ſchroffer von der menſchlichen Geſellſchaft, und der früherhin jo gejellige und freundlide Mann ſah zuletzt nie- manden mehr als feinen Bruder, den Arzt und einen Jugend- freund, deſſen Umgang für ihn nicht vorteilhaft war. Der Hauptgrund der immer mehr zunehmenden Menſchenſcheue war die von Jahr zu Jahr zunehmende Hypochondrie und Die immer mehr eintretenden unruhvollen Zeitumftände, Die
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er faft gar nicht zu ertragen vermodte, und als die Revolution Togar im Baterlande ausbrad, wollte er gar nicht mehr aus- gehen, um weniger oder gar nichts davon zu hören.!t) Auch war der Bater bei all feiner Gutmütigfeit dem Jähzorn ſehr unterworfen, jo daß es zuweilen unangenehme Auftritte gab. Mer nun dies alles wußte, fonnte nicht anders, als den Vater bedauern, und fo erging es aud) dem Friedrich, der neben diefem Bedauern auch ein Sohnesgefühl im Buſen bewahrte.
Da nun Friedrih das Studium der Arzneilunde nicht vollenden konnte, bemühte er fi, anderwärtige nübliche Kenntniffe zu erwerben, und ſah fi} bejonders in der Philo— fophie und in den ſchönen Wiſſenſchaften um; auch ftrebte er bejonders nad) der Fähigkeit eines guten Gtils, einer gründ- lichen, gedanfenreihen und doch allgemein faßlichen und be- lebten Schreibart, welches ihm auch einigermaßen gelang und bejonders in feinen nadhmaligen dreizehnjährigen aka— demiſchen Vorlefungen und Vorträgen wohl zu ſtatten fam.
Diejes tat nun Friedrich in einem Zeitraum von un gefähr drei Jahren. In diefen Tagen wußten der Vater und die nächſten Anverwandten nit, was aus Friedrich werden follte, und gaben ihm dieſes Hin und wieder auf eine zarte, teilnehmende Weije zu verjtehen. Er verftand fie und war noch lebhafter bejorgt als fie über feine fünftige Lebens— bejtimmung; er fonnte jih aber ihnen nicht mitteilen, wie er es einfah und ihnen gerne jagen modte.
Endlih eröffnete fih nah Verfluß von drei Jahren einiges Licht über Friedrichs Fünftigen Stand und Beruf in der menſchlichen Gejellihaft, und zwar auf eine vorfehungs- volle Weife. Che diefes aber erzählt wird, folgt hier eine furze Skizze über Friedrichs fittlichreligiöjen Gemüts- und Herzenszuftand, foviel davon dem Autor dieſer Biographie erfichtlich und erinnerlich war.
Während feinem Aufenthalte in Neuenftadt hielt er feſt an der im elterliden Haufe erhaltenen fittlich-religiöfen
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Richtung, die eine firchlich-gläubige war. Nach feiner Rück— fehr bis zur Vollendung der drei philojophiihen Lehrjahre Ihwanfte Friedrich) zwilhen dem alten Glauben und der Theorie der Jogenannten Aufflärung hin und her, hielt ſich aber in der chriſtlichen Gittenlehre Felt, Die er in der heiligen Schrift gegründet und vorgetragen fand. Nachher aber wirkte die Kant'ſche Philojophie und bejonders das Werf: „Die Religion innerhalb der Grenzen der praftiihen Ber: nunft“ jo ſtark auf ihn, daß er dadte, wenn die Drei Kardinalfragen: Es ilt ein Gott; — der Wille des Menſchen it frei; die menschliche Geele iſt uniterblid, — aus der theoretijden Vernunft nicht vollftändig ausgemittelt, nicht apodiktiſch dargetan, alfo nit unwiderſprechlich bewiefen werden fönnen, jondern von ferne her als Grundlagen der praktiſchen Vernunft, als Prinzipien (Urgründe) aller Reli- gion und Sittlihfeit geglaubt werden müljen, jo willjt vu von nun an, weil man doch glauben muß, dich nicht mehr Tange an den Formeln des Glaubens aufhalten, jondern das Reale desjelben in der Urkunde des israelitiihen Glaubens, in der Bibel nachſuchen und darin forichen.
Und dies geihah auch wirflid. Friedrich fing an immer mehr und mehr in der Bibel zu leſen und zu forjchen, jedod hielt er ſich noch geraume Zeit an den fategoriihen Imperativ der praftifhen Vernunft, der in der Formel enthalten it: du ſollſt, du follft nit. Dieſer kategoriſche Imperativ ift aber ein armfeliger Notbehelf, verglichen mit dem Geiſte der göttlihen Zucht und Gnade; denn er fannı bei ftarfen, finn- lihen Antrieben und heftigen Leidenjhaften durch Die Klügeleien und Sophijtereien der natürlichen Vernunft irre- geleitet und gleichſam beſtochen werden.
Friedrich lernte aber nad) und nad) ein wirkſames Mittel zum Bellerwerden fennen; es bildete fi in feiner Imagi— nation und in jeinem Gemüte ein Ideal einer Gott ähnlichen Humanität, das er in Jeſus Chriſtus verwirklicht fand, dejlen Leben ihm zur Nahahmung dienen follte. Dieje Idee
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teilten mit ihm einige Freunde, die fih in der Schule Peſtalozzi's zu Erziehern bildeten. Aber jobald es galt diejem Ideale in Leben und Wandel ähnlich zu werden, lernte Friedrich einen mächtigen Feind in feinem Innern kennen, der, wie Gellert in einem Liede jagt: „ein Feind, der öfters ſiegt als fällt.
Nun fam das Jahr 1798 und mit ihm die Revolution in die Schweiz. Diefes Ereignis gab den Belhäftigungen Friedrichs eine neue, unerwartete Richtung. Die National: verfammlung, die aus der Bürgerſchaft der Stadt und der Landihaft gewählt wurde, ernannte mehrere Komitees zur Beratung der Geſchäfte, unter anderem aud) ein Erziehungs- fomitee, das unjeren Friedrich zu feinem Schreiber berief. Sriedrich Hatte nun mehrere Monate hindurch mit Schreiben zu tun. Als diefes Amt mit der neuen helvetijhen Ver— faljung aufhörte, Teiltete Friedrich verſchiedenen Angeflagten feine Dienfte als Berteidiger vor dem Kantonsgeridte. Diefer freiwilligen Bemühung verdankte Friedrich) feine Er- nennung zum Guppleanten an das Kantonsgeridt. Hier hatte Friedrich mehrere Monate Hindurd) an der Beurteilung vieler wichtiger Prozeſſe teilzunehmen, unter denen aud ein Todesurteil war. Diejes Todesurteil gab ihm viel - zu Ihaffen, weil der Mörder ein Süngling von nidht gar ſieben— zehn Sabren war. Nah) Beendigung dieſer zahlreichen, wichtigen Prozelje wurde Friedrich im Dezember 1799 zum Mitgliede des hieſigen Diltriktsgerihts gewählt. Er be— fleidete dieje Stelle bis das Tribunal im Jahre 1803 infolge der Mediation aufgelöjt wurde.
Sm Frühjahr 1804 wurde die Togifhe Profeſſur nad altem Herfommen ausgefündet, und nachdem die Petenten, unter denen auch Kriedrich war, die üblichen Präjtanda ge— leiltet, wurde Friedrich duch Wahl und Los zum ordentlichen Profeſſor der Logik und Methaphyfil!5) ernannt. Dieje Stelle war ziemlich nad) feinem Geihmade und er hoffte da- bei der afademilhen Jugend mit Herz und Sinn viele Dienite
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leiten zu fönnen. Allein diefes alles wurde während den 13 Jahren feiner afademifchen Laufbahn nur gar ärmlich und mangelhaft aus verjhiedenartigen Hinderungsgründen er: füllt.
Aber hier müſſen wir noch einen Rückblick auf die Tage ſeiner richterlichen Laufbahn werfen und geſtehen, daß nur Gottes Güte und Weisheit durch ſeine gnädige Vorſehung den jungen, vielfältig unbeholfenen, unerfahrenen Mann durch manche Klippen und Gefahren unbeſchädigt und ſicher hin— durchgeführt, an denen einige feiner Vorfahren und Zeit— genojjen ſich bejchädigt Hatten. Nur mit dankbarer Rührung fann Sriedrih an dieſe Tage der göttlichen Leitung, Be— wahrung und Gnade gedenken.
Sm Herbſt 1800 Hatte Friedrih den Schmerz, feinen geliebten Dheim, den Doktor und Profeſſor Werner Lachenal, der als ein zweiter Vater an ihm fich bewiejen Hatte, durch den Tod zu verlieren. In der erjten Hälfte des Januar 1802 erfolgte der Hinſcheid feines ſchon lange fränfelnden Vaters, der ihm in mander Beziehung jehr empfindlih war. Kurz vor jeinem Ende empfahl ihm der Vater, den rahitild franfen Bruder nicht zu verlafjen, fondern zeitlebens bei ſich zu behalten und für ihn zu forgen, weldes für Friedrich freilich eine Lajt war, die er aber aus Achtung gegen den väterlichen Willen und aus brüderlicher Zuneigung nit von ih wälzen modte, fondern den väterlihen Willen bis zum Hiniheid des Bruders Jacob in Vollziehung feßte.
Friedrich führte nun die Haushaltung im väterliden Hauje mit feinem Bruder Jacob eine geraume Zeit fort, mußte aber im jtillen noch eine Zeitlang des Vaters frühen Hinſcheid bedauern, der ſchon im 59ten Lebensjahre erfolgt war und für diefen Mann, der mande gute Eigenfchaften im bürgerlihen Leben äußerte und dafür befannt war, und für feine Kinder eine liebende, zärtlide Sorgfalt bewies, bis auf diefe Stunde ein dankbares Anjehen im Bufen zu be- wahren.!®)
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Sm Sommer 1803 faufte Friedrich gemeinſchaftlich mit feinem Bruder ein beträdtlihes Landgut vor dem Riehen- tor.17) Zu Ddiefem Kaufe Hatten die franthaften Um: ltände feines Bruders, denen ein Aufenthalt auf dem Lande und eine Bewegung im freien zuträglidh erachtet wurden, vieles beigetragen. Ende Auguſt wurde dieſes Landgut in Bejig genommen. Kriedrich glaubte beim Antritt diefer Mohnung das Ziel feiner Wünſche erreicht zu Haben, allein die vielen Bauten, die man vornehmen mußte und die anderthalb Jahre Hindurh dauerten, verfümmerten um vieles den erjehnten Genuß des Landlebens.
Sm Frühjahr 1805 vermählte fih Friedrich mit Jung- frau Urfula LaRochens), einem Yrauenzimmer von Beritand und Gemüt, aus einer bürgerliden Familie feiner Vater: itadt, von Stand und Vermögen. Sie wurde eine verjtändige Hausfrau, war mit verjchiedenen geijtigen Gaben ausgerüjtet und äußerte dabei auch einen echt religiöjen Sinn, der ſich auch in einer tätigen, aufopfernden Liebe für die arme, not: leidende Menſchheit in der legten Hälfte ihres Lebens dar- itellte. riedrich Hatte mit diefer Gattin im ganzen eine friedliche, vergnügte Ehe. In den erjten zehn Jahren ihrer Verbindung beflagten die beiden Ehegatten den Finderlojen Zujtand, mußten aber nachher diejen Umitand als ein weifes, gütiges Gefchid aus der Hand der göttlichen Vorjehung dank: bar erfennen.
Sn der eriten Hälfte ihrer ehelichen Verbindung Hatten beide Ehegatten mehrere Todesfälle in ihrer Familie zu be: flagen, nämlih den Hinfcheid der beiden Eltern Laroche und Jacobs, Friedrichs Bruder.
Sn den Jahren 1816 und 1817 betraten beide Gatten eine religiöjfe Yaufbahn, zu welder fie ſchon einige Zeit vor— ber innerlich vorbereitet waren. Sie hatten nämlih die Ueberzeugung erlangt, daß die große Weltkrijis vor dem An⸗ bruche des Friedensreiches im Anzuge fei und die Reiche diefer Welt unferem Gott und feinem Gefalbten anheimfallen
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werden. Sie hatten den Verfall der äußeren Kirche erfannt und die Notwendigkeit eingefehen, von ihr auszugehen. Da fam eine hohe Dame aus Eitland, einer ruſſiſchen Oſtſee— provinz, Witwe eines Herrn Baron von Krüdener!?), ruſſiſchen Geſandten an verjchiedenen hohen Höfen Europas, eine Dame von feiner Weltbildung, die der Eitelfeiten der MWeltgenüffe überdrüjlig, zur Buße fi gewendet und ihr Geelenheil in der Gnade Gottes in Chrilto Jeſu gefunden hatte. Dieſe Dame glaubte ſich nun verpflichtet, für das Neid) Gottes und für das Heil der Geelen aus allen ihren Kräften zu wirken. Gie reilte umher, um diefen Entſchluß auszu= führen, fie predigte mit hinreißender Beredjamfeit Hohen und Niedern die unausſprechliche Liebe und Barmherzigkeit Gottes in und dur Jeſus Chriltus für die gefallene Menſch— heit. Diefe Dame äußerte dabei einen jeltenen Grad von Gelbitverleugnung und eine ungemeine Liebe und Wohltätig- feit gegen alle Notleidenden und Dürftigen, bejonders für Hriftlich gejinnte Seelen.
Frau von Krüdener war feine Somnambule, weder von Natur, noch dur magnetiſche Bearbeitung geworden, fie war auch Feine Prophetin, aber fie bejaß ein ausgebildetes Ahnungsvermögen mit einem gebildeten Verſtande, und fonnte daher mande Ereigniſſe der Zufunft vorausjehen. Uber fie beging den Fehler, folhe Ereigniſſe auf beſtimmte Zeiten deutlich vorauszubeitimmen. Wenn nun dieje Ereig- niſſe nicht auf die angegebene Weije in Erfüllung gingen, ſo wurde mit dem Glauben an die prophetifche Gabe der Frau von Krüdener aud) der Glaube an das prophetiihe Wort ſelbſt geſchwächt und den Gegnern der Offenbarung hie und. da ein vorübergehender Triumph bereitet.
Zu der Belanntihaft mit diefer Dame, die in einem hiefigen Gaſthofe herbergte2%), wurden wir teils durch den allgemeinen Ruf, teils dur) das Hinitrömen mander Gläu— bigen, teils neugieriger Weltleute, bejonders aber durch das Zureden einer Schwägerin aus der familie meiner Gattin,
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hingezogen, jedod nicht ohne Widerwillen, weil wir damals nicht glauben fonnten, daß eine Dame aus der vornehmen und hohen Welt uns etwas wahrhaft Erbaulides und Geilt- reihes vortragen könnte. Wir gingen nun hin und fanden uns nad dreimaligem Beſuche ihrer Erbauungsitunden, deren Schluß fie noch mit einer bejonderen Anſprache an die Herzen begleitete, angenehm getäujdt.
Mir Hatten diefe Dame nun 18 Monate Hindurd, da fie in unferer Nähe wohnte, beobadtet und in ihr ein, foviel wir einfehen fonnten, bejonderes Werkzeug zur Erwedung der Buße und des Glaubens in allen Ständen der menſchlichen Gefellfhaft zu finden geglaubt. Gie hatte uns ihr Vorhaben mitgeteilt, eine Reife in die nördliche Schweiz zur Erwedung des Kriltliden Sinnes und Lebens zu maden; fie glaubte, wenn man bei der damaligen großen Teuerung der Lebens: mittel unter den Dürftigen das irdiſche Brot unengeldlid austeile, würde man fie geneigt maden, aud) etwas von dem himmliſchen Brote zu hören. Wir gaben diefem Ge: danken Gehör und fanden uns, da fie unjere Begleitung wünſchte, ſchon einigermaßen veranlaßt, mit ihr zu gehen. Dazu kam nod) der Umjtand, daß ih mih aus Mikmut und Verdruß gerne, wenigitens für einige Zeit, von Baſel zu entfernen wünſchte.
Die Regierung ging ſchon ſeit dem Jahre 1806 mit dem Gedanken um, die in Verfall geratene Univerlität, wie man es nannte, zu rejtaurieren. Allein erjt im Jahre 1816 wurde Hand an das Werf gelegt und eine Univerjitätsfommijlion ernannt aus Gliedern der Regierung und der Bürgerfchaft, in welcher ih auf Hriedrih mit einem Kollegen und zwei Geiſtlichen befand.
Friedrich legte diefer Kommiſſion einen Entwurf zur Erridhtung einer neuen Akademie vor, in weldem alle nötigen und nützlichen Lehrfächer berüdjichtigt wurden, den er ſchon im Jahre 1798 dem damaligen helvetiſchen Minifter der Wiljenihaften überreicht Hatte, und der nachher bei
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diefem Anlaſſe von zwei feiner Kollegen durchſehen, geprüft und beridtiget, dem 9. Bürgermeilter Wieland vorgelegt und von ihm und einigen Regierungsgliedern wohl aufge: nommen wurde.2?) Diefer Entwurf fam aber, foviel Frie⸗ drih erfahren konnte, nicht zur Beratung, weil die Partei der Regierungsglieder, die eine möglichſt glänzende und voll- ftändige Univerfität wollte, die Dberhand gewonnen Hatte. Hingegen foll er bei der Erridtung des Pädagogiums be- nutzt worden jein.
Die Untiverfitätsfommilfion betrieb nun vom Gpätherbft 1816 an die Vorbereitung zur Erneuerung der Univerlität und des gejamten Schulwelens in der Stadt und auf der Landſchaft. Sie ernannte aus ihrer eigenen Mitte einen Ausſchuß von 4 Gliedern, unter welhem Friedrid, derzeit Rektor, den Borji führen follte. Diefer Ausſchuß follte nun über den Zujtand aller niedern und höhern Kantonsfchulen Beriht erteilen und Vorſchläge zu ihrer Verbeſſerung macen.2?)
Diefe Arbeit fiel nun Friedrich) zu ſchwer, der Teine pädagogifhen Kenntnijje hatte und daher im Schulfache un- fundig war. Dies und der Umitand, daß Friedrich immer klarer in den Plan der einflußreichiten Glieder der Regierung Hineinfah, die erledigten Kanzel: und Kathederitellen mit Koryphäen der gepriefenen deutſchen Aufklärung zu bejegen, Die nichts anderes als eine wahre Quziferation ift, beftimmte ihn vollends, oben bedachte Reife zu unternehmen.
Sriedrih, der nun feine anfängliden Hoffnungen zu einer wahren gründliden Verbeſſerung unferer hohen und niedern Schulen vereitelt jah, dachte nun auf Mittel, fih der ganzen Sade auf die glimpflidite Weile zu entziehen. Er gab daher zuerit feine Demiffion als Glied des engern Ausſchuſſes und eine geraume Zeit nachher reichte er dem E. tleinen Rate aud fein Entlaffungsgefuh von dem Pro- feſſorate felbjt ein. Diejes Begehren madte großes Auffehen und die lettere Behörde nahm die Demiffion nicht gerne an,
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londern gab Friedrichen acht Tage Bedenktzeit, mit dent Wunſche, daß er an der Stelle bleiben möchte. Allein Friedrich blieb bei feinem Entſchluſſe und erhielt jeine Entlajjung nad der Yorm.23)
Nun fiel allgemein Tadel der Regierung und des Publiftums über Friedrich) Her, der feinen Schritt nicht recht— fertigen fonnte, weil feine entſchiedenen Beweggründe von ehr wenigen aufgefaßt und gewürdiget, nur Unwillen und Aufregung ohne Nuten und Frucht hervorgebradt hätten. Friedrich Tieß nun mit Geduld alle widrigen Urteile fat ohne Ermwiderung über fich ergehen, weil er wußte, nad) dem gött- lichen Willen hierin gehandelt zu haben, worin feine Gattin ihn auch beitärkte.
Indeſſen konnte Friedrich ſich des ſteigenden Unmuts nicht erwehren, ſeine ſchöne Hoffnung, die vaterländiſche Uni— verſität auf eine gemeinnützige, den Bedürfniſſen unſeres kleinen Freiſtaates angenehme Weiſe zu reſtaurieren, die auch dem göttlichen Willen nicht zuwider war, vereitelt zu ſehen; er wünſchte deshalb ſich von Baſel auf einige Zeit zu entfernen.
Dieſe Gelegenheit bereitete ihm, ohne es gerade zu wiſſen, die Frau von Krüdener, die den Entſchluß gefaßt hatte, einen Teil der öſtlichen Schweiz bis an das Voral— bergiſche zu bereiſen, um bei der damaligen großen Teuerung die irdiſche Speiſe mit dem Brote des Lebens auszuteilen.2)
Friedrich ergriff dDiefe Gelegenheit, um Bafel für einige: Zeit zu verlafjen; feine Gattin gab hiezu mit einiger Bedenk— lichkeit ihre Zuftimmung. Dieſe Bedenklichfeit verlor ſich aber ſchon nad) einigen Tagen, wo wir in Quzern anlangten, und von dDiefem Momente an war feine Gattin mutiger und entſchloſſener als er jelbjt.25)
Sn Luzern angelangt nahm uns nebjt den beiden Berd- beims Frau von Krüdener in ihre Herberge auf. Sie hatte: nahe bei der Stadt ein Landhaus auf einer freundliden Ans höhe gemietet, die dem Pilatus gerade gegenüber lag. Wir
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fanden dort eine ziemliche Gejellichaft verjammelt, teils aus Neugierde, teils um ein Wort der Erbauung zu hören. Ein Nebengebäude des Landhaujes war täglich) mit einer großen Schar von Hungernden umlagert, die mit Gemüſeſuppen ge— Ipeilt wurden. Nach der Angabe des Hauswirts jollen an einem Tage bei taujend Portionen Gemüfefuppen ausgeteilt worden Jein.2®)
In Luzern, wo wir von verfhiedenen Klafjen der Ein- wohnerſchaft eine freundlihe Aufnahme fanden und viele leiblide Wohltaten geſpendet wurden, aud) hie und da gött- liher Segen verjpürt wurde, verweilten wir 14 Tage, mußten dann aber auf Anordnung der Polizei rajher Weije abreifen und langten noch denjelben Tag bei Anbruch der Naht in Zürich bei einem Freunde an, wo wir das Gajtredht einige Tage genofjen.2?) Hier hatten wir viele Beſuche zu emp— fangen, allein die beforgte Polizei von Zürich Tieß uns wegen der Menge der Armen, die in dieſer Notzeit auf uns zu— ſtrömten, nicht länger in der Stadt verweilen, und wir gingen dann auf der Straße nah Schaffhaufen nad) LRottitetten, einem Dorfe dicht an der badijchen Grenze, ab,28) wo wir mehrere Tage verweilten, dajelbit viele Beſuche empfingen und eine ziemliche Wirfjamfeit nad) den Bedürfniſſen der da— maligen Zeit äußerten, Anſprachen an das Herz aller Klaſſen der verfchiedenartigen Gejellihaft, die ſich dort befand, richteten und au für materielle Bedürfnijfe der Armen und Notleidenden zu jorgen hatten. Hierauf gingen wir auf die Einladung verſchiedener Freunde nah Schaffhaufen??), wo wir nun einige Tage hindurch in einem gajtfreundliden Landhauſe unter manderlei geijtigem Gegen und vielen herz- lihen Freundſchaftsbezeugungen verweilten; dafelbit erfuhr ich nebjt meiner Gattin eine merfwürdige Lebenserrettung aus einer unvermeidlichen Todesgefahr.30)
Von Schaffhauſen reijten wir nad) Konſtanz ab, wo wir unterwegs einige Tage in Dießenhofen verweiltend!) und naher ohne weitern Verzug in Konjtanz eintrafen. In
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Konftanz blieben wir zwei Tage und trafen von da unge- fäumt in der Hueb, einer Boltitation auf der Höhe von Romanshorn, ein, daſelbſt wir einige Tage uns aufhielten, von wo wir uns nad) Arbon, einem Städtchen didt am Bodenfee, verfügten. Bon Schaffhauſen bis Arbon Hatten wir viele Beſuche, Almoſen an Geld und Lebensmittel zu Ipenden; aud viele religiöfe Zujprühe wurden an heils- begierige Seelen gerichtet; am ſtärkſten war der Zulauf in Arbon, wo der Herr Oberamtmann uns aus eigener Be— wegung polizeilide Hilfe jenden mußte.32) Bon Arbon gingen wir einige Tage nachher über Rorſchach nad) Rheined, famen bis an die öjterreichiiche Grenze gegen Bregenz, gingen über den Rhein und nahmen in Hödjft ein Mittags: mahl ein, wo wir von den Behörden freundlich empfangen, aber unter Verdeutung der öſterreichiſchen Polizeigeſetze abends über den Rhein zurüdgewiejen wurden.33) Bon Rheine fehrten wir wieder denfelben Weg zurüd nad Arbon und von da nah kurzer Friſt wieder zurück nad Petershaufen, dicht bei Konjtanz, von Konitanz wieder nad Shaffhaufen, von da nad) anderthalb Tagen Aufenthalt über 2otitetten nad) Rafz, von da den Rhein hinunter nad) einem badiihen Dorfe, Lutgern gegenüber, wo wir zwei Tage ver- weilten.3®) Von da gingen wir nad) Togern, von Togern nah Sädingen und von Gädingen nad Wehr, wo wir uns jo wie in defjen Umgegend wiederum einige Tage aufhielten und uns dann nad) Kandern begaben, dajelbit Friedrich nad einem eintägigen Aufenthalt von der badifchen Oberamts- polizei angehalten und troß aller rechtlichen PBroteftation auf Anfuchen der Regierung von Bafel in einigen Tagen dahin abgeliefert mwurde,35) jedoch auf die ſchonendſte Weiſe, wo— felbjt er vor dem Niehentor von feinen nädjiten Ans verwandten freundlichit empfangen und nachher in feine vorige Mohnung aufgenommen wurde.3%) Zwei Tage nachher wurde feine Gattin in Badenweiler von ihrem jüngern Bruder, Herrn Deputat Laroche, eingeholt und in ihre Wohnung ver-
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bradit.37) So endete die Reife mit Frau von Krüdener, Die, zwar widerredtlich abgejchnitten, aber doch auf einem vor- jehungsvollem Wege geleitet und alfo beendigt wurde.
Sriedrih war über diefe Wendung der Dinge zwar einigermaßen betroffen und beftürzt, fonnte ſich aber bald darüber tröjten, weil er ja ſchon einige Zeit vorher ſich von Frau von Krüdener zu trennen entihlojien Hatte, indem er den glüdliden Erfolg diefer Reife zur Erwedung vieler Geelen ſchon ziemlich vereitelt jah, weil Frau von Krüdener mit dem guten Willen und Eifer die nötige Weisheit und Klugheit nicht verband, die dazu erforderlih war. Diejes Gebreden Tannten Friedrih und feine Umgebung vorher nit, Jonjt würde man ji) in dieſes Unternehmen nicht ein- gelajjen Haben. Friedrich fonnte ſich daher damit tröften, daß er durch eine freiwillige Trennung von der Reijegejellihaft einen jeweiligen guten Erfolg nicht gehindert Habe; denn er fürdtete vorher immer, durch eigenes Abreijen etwas Gutes zu hindern.38)
Er ſuchte nun feine Zeit durh das Studium der Bibel und fernhafter theoſophiſcher Schriften nützlich anzuwenden und über die Ausführung des theofratifchen Planes der Gott- heit zur Herbeiführung des Friedensreiches Jeſu nahzulinnen und Auszüge aus den bisherigen Eröffnungen darüber zu maden.3?) Ein Jahr nad diefer Rückkehr wurde Friedrich von der Armenpflege und dem Miljtionsfomitee, deren tätiges Mitglied er vor der Befanntihaft mit Yrau von Krüdener gewejen war, eingeladen, ihren Verhandlungen wieder bei- zuwohnen und Teil an ihren Arbeiten zu nehmen, welches er auch gerne tat und fi) wie vorhin mit Eifer ihren Angelegen- heiten widmete. Bejonders angenehm und erquidend für ihn und feine Gattin war der Umgang mit den erſten Miflions- zöglingen, die feit Yrühjahr 1816 in das Miſſionsinſtitut ein- getreten waren. Diefem Miffionstomitee und feinen Ge— Ihäften wohnte Friedrih 6 Jahre ununterbrochen bei, bis er auf Antrieb des Geiltes von derfelben abtrat, weil fie eine
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andere von der evangeliſchen Einfalt durch Vervielfältigung der Lehrfäher abweichende Richtung genommen hatte. Bald nachher fnüpfte Friedrich einige Belanntihaften an, durch welche er mit dem Zuſtande des Jogenannten Helljehens in der Schweiz und im füdlihen Deutſchland nah und nad) befannt wurde. Man jchidte ihm verjchiedene Protokolle von Reden Hellfehender, und er hatte aud Gelegenheit, verjchiedene Glieder diefer Geſellſchaft, beiderlei Gejchlechts, deren Zahl ji über 30 belief, zu Hören und zu ſprechen. Er prüfte ihre Ausſagen mit der HI. Schrift und fand viel Lehrreiches darin, bejonders mande Belege zu den geiltigen Wahrheiten, die im Mortverjtande der Bibel in der Tiefe verborgen liegen. Auf Anſuchen verjhiedener ahtungswerter Lejer derjelben fand fich Friedrich bewogen, eine Auswahl diefer Reden, mit einer Vorrede begleitet, in zwei Bänden dem Drude zu über- geben.?0)
Endlih fand er aud) einen Mann, dem der Herr dur die Gabe der Einſprache viele tiefe geiltige Wahrheiten zur Leitung und Belehrung der Gläubigen in Diejen legten Tagen mitteilte. Er benußte mit einer Gemeinihaft Gleidh- gefinnter den Umgang und die Schriften diefes Mannes bis zum Sahre 1850, wobei er immerfort eine genaue Prüfung mit vdenjelben nach obigen Grundfäßen und nidts ohne Yebereinjtimmung mit den Lehren der HI. Schrift annahm. Dieje leitenden Grundfäße wird man aud) in Friedrichs letter Schrift, betitelt „Die Morgenröthe der nahen glüdjeligen Zufunft“ beitätigt finden. — Mit dem Jahre 1850 hörte die Verbindung mit diefem Manne auf, weil derjelbe von Dieter Zeit an eine ganz andere Geiltesrihtung einfchlug, welder Friedrich nah feinen Grundſätzen durdaus nit folgen fonnte.2t)
Mährend einer Reihe von 33 Jahren, in denen fid) Sriedrih oberwähnten Studien und Belhäftigungen wibd- mete, die nur durch einen Aufenthalt von drei Jahren im badiſchen Oberlande, in Sitzenkirch bei Kandern, unterbroden
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wurden,?2) Hatte derjelbe mit Widrigfeiten manderlei Art, die man gewöhnlid Kreuz und Leiden nennt, innerlid und äußerlih zu kämpfen. Unter all diejen Leiden war das Ihmerzlidjte für ihn die dreizehnjährige chroniſche Gemüts— franfheit feiner Gattin, die im Jahre 1826 angefangen, erjt mit Februar 1839 durch ihren Hinjcheid endete.
Diefer Hinfheid war ein ſchmerzlicher Berlujt für ihn, obſchon er vom feligen Loſe derjelben in der Ewigkeit über- zeugt war und es aud jet noch ganz volllommen iſt. Friedrichs Verbindung mit dieſer Geele war ein merk: würdiger Zug der Vorjehung Gottes in der Lebensführung beider Gatten. Der Herr hat dadurch mandes Gute für ihn und andere bewirft. Ihr Andenken iſt ihm noch immer lehrt: reih und angenehm. Auch wurde ihr Ableben von vielen Geelen, bejonders unter der dürftigen Menſchenklaſſe, be— trauert und beweint.“
Nah dem Tode feiner Frau war Friedrich Lachenal nod) ein ziemlich langer Lebensabend bejhieden, den er in Stiller Zurüdgezogenheit auf einem kleinen Landgütdhen vor dem Bläſitor eifriger Bibelforfgung widmete. Früchte derjelben jind die in den Jahren 1838 und 1839 unter dem Titel „Blide jenjeits des Grabes“ erſchienenen Schriften, worin er an Hand von Bibelitellen und unter Berüdjihtigung da— maliger, von myſtiſcher Geite gefundener neuer Aufſchlüſſe den Zuſtand der Geele in der Ewigkeit zu fchildern ſuchte. Diefe, ſowie die ein Jahrzehnt fpäter von ihm publizierten „Gedanken über die Morgenröthe der nahen glüdjeligen Zu: funft“ 23) fanden in der willenfhaftlihen Welt nur wenig Anerfennung. Mehr jedoch können auch Heutzutagigen Leſern Die im Jahre 1852 bei Detloff in Bafel erſchienenen Gedichte Lachenals zuſagen, die in ſchöner Sprade und gewandtem Versbau Zeugnis von Lachenals tief inniger Frömmigkeit und feines ihm bis ins hohe Alter hinein gebliebenen Ginnes für die Wunder und Herrlicäfeiten der Schöpfung ablegen.
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Schon im Jahre 1850 Hatte fich bei Friedrich Lachenal eine ftets zunehmende Schwädhe des Gefichts eingeltellt, die ſchließlich in Blindheit überging, was ihn jedodh an feiner gewohnten. geiltigen Tätigkeit nicht verhinderte. Im Dezember 1853 zeigten fi) bei ihm Anzeichen einer herannahenden Bruſt— waſſerſucht, die aber wieder verſchwanden und einem relativen: MWohlfein Pla madten, bis Mitte Suni 1854 Schwäche⸗ zultände eintraten, die nach vierzehntägigem Leiden den. müden, aber glaubensitarfen Erdenpilger am Abend des. 27. Suni vom Glauben zum Schauen Hinüberführten.
Sriedrih Lachenals Wefen, Gefühls: und Denfungsart Täßt fi wohl am beiten aus einem von ihm am 13. April 1852 zu feinem 81. Geburtstag verfaßten Eleinen Gedicht erkennen:
Gei hochgelobet Jeſus Chriſt,
Daß Du mir Alles worden bift,
Sn meinem langen Erdenleben,
Der Seele Schatz, ihr Troſt, ihr Licht, Im Tode noch mir Zuverſicht!
— — — — — et
Anmerkungen.
1) Friedrich Lachenals Vater, deſſen Brüder Sean Jacques und Werner, fowie die meilten Angehörigen des Geſchlechts ſchrieben fich de la Chenal oder de Lachenal. Friedrich Lachenal aber, als ein Freund der Grundjäße der Helvetik jchrieb fich von jener Zeit ab einfad) Friedrich Lachenal, während er ſich dann fpäter in feinen teſtamentariſchen Verfügungen wieder des „de“ bediente. Ob das Geſchlecht, das einen filbernen Hund auf grünem Felde im Wappen= jchilde führte und einen ebenſolchen als Helmzierde, adeliger Herkunft war, ijt nicht ficher. In Bajel betrieben die Lachenal Handel, Fabri— fation und Gewerbe.
2) geboren 1707, geitorben 1776, Sohn des befannten Medizin- profeſſors Theodor Zwinger junior und Bruder des Profeſſors Johann Rudolf Zwinger. |
3, Frau Dorothea Zwinger, geb. Battier, geb. 1711, geit. 1785.
4 Friedrich Ballier, geb. 1700, geft. 1781, Sohn des Friedrich Ballier, Pfarrers zu St. Alban und der Margaretha Sielin.
5) Den Ehegatten Zwinger - Battier gehörte das Haus zum „Sägerhof“ (Seebadherhof) oben am Blumenrain. Es fei damals
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ein langgezogenes Gebäude mit frummer Faſſade geweſen. Nach dem im. Sahre 1785 erfolgten Tode der Frau Zwinger-Battier wurde die Liegenjchaft von deren Tochtermann Herrn Hieronymus deLachenal= Zwinger an die Borfahren der jegigen Eigentümer verkauft, weldye die alten Gebäulichfeiten abbrachen und das jetzige ſchöne Haus er= richten ließen. Damals wurde dafelbit auch eine Straßenforreftion vorgenommen, indem an Gtelle eines dort befindlichen jähen Staldens eine Fahrbahn mit regelmäßiger Steigung erftellt wurde.
6, Sean Jacques de Lachenal geb. 1777, gejtorben 1808.
”) Hieronymus de Lachenal geb. 1773, gejtorben 1784.
8, Dorothea de Lachenal, geb. 1774, geſtorben 1854, jpäter ver⸗ heiratet mit dem Handelsmanne Hieronymus Bernoulli.
9% damals noch unter der Oberhoheit des Fürſtbiſchofs von Baſel.
10, Werner de Lachenal geb. 1737, geitorben 1800, Profeſſor der Medizin, befannt als Botaniker, eifriger Förderer des hiefigen bota— nifhen Gartens, Freund Haller’s, Yinne’s und anderer befannter Naturforfcher.
11) Die Firma hieß: Hieronymus de Ia Chenal u. Burkhardt.
12) Das Verhalten von Friedrih Lachenals Vater it um fo weniger zu begreifen, da diefer in jungen Jahren jelbit als Handels= beflifjener lange Zeit in der Fremde geweilt Hatte, in Leipzig, Berlin und Breslau, anfangs noch in den Zeiten des fiebenjährigen Krieges.
13) Hieronymus de Lachenal ſtand mit feinem Schwiegerjohne Bernoulli wegen politijher Meinungsverjhiedenheiten auf feinem guten Fuße, weil legterer den neuen Ideen huldigte.
14) Hieronymus de Lachenal Hatte bald nad) dem Tode jeiner Frau im Jahre 1786 das im obern Bajelbiete bei Reigoldswyl gelegene Gut Goriſen gefauft, wo er fajt den größten Teil des Sahres verbradte. Es ijt merfwürdig, dak fein Sohn in den vorliegenden Notizen diefes Gut, wo er jedenfalls mit feinem Bater viele Zeit zugebradht Hatte, mit feinem Worte erwähnt. Es ging jpäter nad des Baters Tode an die Schweiter Frau Bernoulli über.
3) Unter der zu Ende des XVII und im Anfange des XIX. Sahrhunderts jtark gepflegten Wiſſenſchaft der Metaphyſik veritand man diejenige Ertenntnis, welche nit durch Empirie d. h Bes obachtung, jondern nur auf dem Wege der geiltigen Spekulation erworben wird, wie 3. B. politijche Utopien, ftrafrechtliche Theorien und anderes. |
16) Hieronymus de Lachenal war ein für feine Zeit hochgebildeter Kaufmann, der ji) für Willenihaft und Kunſt lebhaft interejjierte. Er bejaß in Baſel, wie auf Goriſen jtattlihe Bibliotheken, an legterem Orte auch eine bedeutende Mineralienfammlung Am politifchen Leben feiner Vaterjtadt nahm er aktiv feinen Teil.
17) Das Lachenalſche, jpäter Schönauerijche, nad) 1859 parzellierte Landgut an der Grenzaderitraße. Die zwei dazu gehörigen Wohnz
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häuſer Nr. 83 und 85 find nod) vorhanden und wurden zu Ende des XVIII. Sahrhunderts von einem Herrn Zanderer erbaut, der daſelbſt eine Art Sommerfajfino errichten wollte, das aber nicht rentierte, da Landerer, ftatt fih vorher auswärts derartige Injtitute anzu— fehen, nad) eigenem Sinne baute, jodaß die Xofalitäten zu Flein. und fi zur Abhaltung größerer Zeitlichkeiten als ungeeignet er— wiejen. Der am oberen Ende des Gutes gelegene, heutzutage der Familie Merian: Thurneyjen gehörige große englilhe Garten wurde aber erjt von den Gebrüdern Lachenal angelegt.
18) Tochter von Herrn Emanuel Laroche und Frau Urjula geb. Hermann. |
19) Baronin Juliana von Krüdener, geborene von Bietinghoff, wurde im Sahre 1766 als Tochter eines Kurländiſchen Gutsbejigers in Riga geboren und erhielt eine forgfältige Erziehung, 1783 hei— tatete fie den Baron Burkhard Wlerander von Krüdener, ruſſiſchen Gejandten in Kopenhagen und Benedig, einen gediegenen, ernit ver- anlagten Mann, von dem jie ſich in der Folge trennte und fi) einem leiytfinnigen Gejellihaftsleben Hingab. Später verjöhnte fie jich wieder mit ihrem Manne furz vor deſſen Tod. In Paris veran- Italtete fie zur Zeit Napoleons myſtiſche Zujfammenfünfte und jchrieb den Roman Balerie. Sie war mittlerweile fromm geworden, hatte fi) zur Buße befannt und hielt im Jahre 1814 in Paris religiöje Berfammlungen mit Geiſterbeſchwörungen ab, bei welchen aud) Kaiſer Alexander von Rußland zuweilen anwejend war. Wie yon früher, Hate fie ihn für ihre Sdeen zu gewinnen gejudt und man glaubte, daß fie Alerander den Gedanken zur Gründung der heiligen Allianz bei- gebradht Habe. Im Jahre 1815 kam fie in die Schweiz, unternahm im Sommer 1817 in Begleit mehrerer Gleichgejinnter eine Milfions- reije in die nordöltlihe Schweiz, wurde aber überall, jowie in Baden, zurüdgewiejen und kehrte im Frühjahr 1818 in ihr Vaterland zurüd. Gie lebte dann auf einem ihrer Güter in Livland und jiedelte dann im Sabre 1824 mit ihrem Schwiegerjohn Baron v. Berckheim zur Anlegung einer religiöjen Kolonie nad) der Krim über, wo fie am 13 Dezember gleichen Jahres jtard. Frau von Krüdener, über die Thon viel gejchrieben worden, war von edlen Abjichten erfüllt, aber Haltlos und ſchwankend und eigenen Stimmungen und fremden Einflüjjen jehr zugänglih. Theolog. Realencyclopaedie Bd. XI.
20) Die Schweizerifhe Monatschronit vom Jahre 1816 berichtet ungefähr: Frau von Krüdener hat in etlichen Schweizerjtädten großes Aufſehen erregt. Bereits anfangs 1816 befand fie ſich in Gejellichaft eines Genfer Geiltlihen im Wilden Mann in Bajel und begann dort in ihrem Zimmer für pietijtilhe PBerjonen Andadtsitunden zu halten. Dann mußte fie wegen Zudrangs die Wirtsitube benußen. Zuerſt fand jtilles Gebet jtatt, dann joldhes des Empeytaz, dem ein franzölilher Vortrag des Lebteren in gewählter Form folgte und Ichließlich wieder ein Gebet, das alle fnieend anhörten. Hieran
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nahm Frau von Krüdener nur ftummen Anteil. Einige aber berief fie auf ihr Zimmer und fing mit ihnen nachdrückliche Brivatunter- Haltungen an. Gie zeigte fih aud im Wilden Manne etlichen Be- vorzugten in idealer prielterliher Kleidung am Ende mehrerer dunkler Zimmer,
21) Diejer Entwurf iſt nicht mehr aufzufinden.
2) Am 10. Oftober 1816 wurde auf Antrag von Bürgermeijter Wieland ein engerer Ausſchuß ernannt, dem die Profeſſoren Lachenal, Miville, Huber und Pfarrer Fäſch angehörten mit dem Auftrag, fi) über Einrichtung der Elementarjchulen, des Gymnafii und eines ebenfalls noch beizgufügenden Bädagogiums oder Lycäums als Vor: bereitung zu den höheren Yafultäten und wie das eine in das andere greifen und das Ganze zweckmäßig mit einander verbunden werden fönnte zu beraten und der Kommilfion ihre Anfichten und Vorſchläge darüber einzugeben.
23, Siehe Kleinratsprotofolle vom 22. und 27. Januar 1817.
24) Ein weiterer Grund zu Lachenals Verjtimmung, die ihn veranlajjen fonnte, Bajel zu verlajjen, mag auch das im Mai 1817 erfolgte polizeiliche Einjchreiten gegen die damals in feinem Haufe an der Grenzaderjtraße veranitalteten religiöjen Verſammlungen geweſen jein, jowie jeine am 12. Mai gleichen Sahres erfolgte Be- Itrafung mit Geldbuße wegen unerlaubten Beherbergens. Er Hatte, nachdem rau von Krüdener ihren Aufenthalt am Grenzaderhorn verlajlen, dieje, deren Tochter und Schwiegerjohn Herrn v. Berdheim, ven Geijtlihen Empeytaz aus Genf, jowie die Damen Armand und eine große Anzahl armer, elender und ſchriftenloſer Perſonen aus dem Gefolge der rau von Krüdener bei ſich aufgenommen, wor: über er im Berhör angab, er Habe dieje Leute nur deshalb nicht polizeilich angemeldet, weil er immer gehofft, daß fie von Yrau v. Krüdener anderswohin verjorgt würden. Prof Lachenal ſpeiſte damals täglid) eine große Anzahl Hilfsbedürftiger Perjonen, wobei Gebete gejprohen wurden. An Sonntagnadmittagen fanden bei ihm Erbauungsitunden ftatt, zu denen jedermann Zutritt Hatte. Lachenal las dabei Bibelterte vor, denen er dann und wann er- läuternde Bemerfungen beifügte, während feine rau den Gejang leitete und ein gewiſſer Onophrion Eglingsdörfer aus Kleinhünnigen betete. Schon im Februar gl. Sahres waren in Lachenals Yandhaus, das damals Herr von Berdheim bewohnte, religiöje Verfammlungen und Suppenverteilungen gehalten worden. Siehe A. Viſcher. Die Ausweifungen des Herrn v. Berdheim im Jahre 1817.
25) Die Miffionsreije der Frau von Krüdener muß ſchon in den legten Wochen des Monats Mai 1817 begonnen haben. Gie hielt ih in Zofingen auf, ging dann nad) Bern und fam am 31. Mai in St. Urban an und bald darauf in Zuzern, wo fie die Villa des MWeinhändlers Bälliger mietete.
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26, Eine Stüße der Krüdener in Luzern war Schultheik Vincenz Rüttimann, während andere Magiltrate ihr weniger freundlich gegenüber jtanden Die katholiiche Geiltlichkeit nahm ihr gegenüber zuerjt eine abwartende Stellung ein, prüfend, ob ihre Lehren dem Katholizismus Nuten bringen könnten, Geijtliche fühlten ihr daher wegen ihrer religiöjen Anjichten auf den Zahn und fanden diejelben bald mit der firhlichen Zehre unvereinbar. Ihre Wegweiſung erfolgte jedod nicht auf Veranlafjung kirchl Behörden. Als Frau v Krüdener den obrigfeitlichen Befehlen zur Abreije nicht Folge leijtete, jegte fie die Polizei in der Naht vom 2./3. Juli in eine Kutſche und ließ fie unter polizeiliher Begleitung auf ihren Wunſch nad) Zürich führen, während die aus aller Herren Länder zujammengejtrömte Bettler- geleitjchaft auseinander getrieben wurde, Siehe Theodor v. Liebenau, Frau v. Krüdener in Quzern; Cafimir Pfyffer, Gejchichte des Kontons Zuzern, Bd. II.; Anonymus. Frau v. Krüdener in der Schweiz 1817, jowie die Schweizeriihe Monatskronit.
27) Nad) dem Anonymus fam rau von Krüdener vom zürch— eriihden Oberamtmann in Knonau begleitet, dem jie von der Luzerner Polizei übergeben worden war, am 3. Juli Nadıts 10 Uhr in Zürich an. Sie hielt um eine dreiwöchentliche Aufenthaltsbewilligung an; doch wurde ihr bloß der folgende Tag zum Ausruhen geitattet. Nach Ausfunft des Staatsarhivs Züri) hat fie bei einem Herrn Noß auf der Platte gewohnt. |
33), In Lottitellen Stellte ji) wieder ein Teil ihres von der Quzerner Polizei gejtreuten Gefolges ein, bis der Ortsvorſteher am 12. Zuli mit Hülfe der Bürgerſchaft den Ort jäubern ließ, was, wie der boshafte Anonymus berichtet, Frau v. Krüdener jelbit nicht gerade unangenehm geweſen jei.
Leider gibt Friedrich Lachenal die Daten der Aufenthalte an den verjchiedenen Drten nit an. Sie lajjen ſich am beiten aus dem Anonymus und der Schweizerifchen Monatskronik feititellen.
29, Frau v. Krüdener jtieg in Schaffhaujen bei Frau Katharina von Peyer im Mühlental ab. Die Polizei geitattete ihr Montags den 14. Juli. aber bloß bis Donnerstag, den 17. Aufenthalt und als fie Freitags noh da war und jogar um Verlängerung des Auf: enthalts bat, wurde diejes Geſuch abgewiejen und ihr angedeutet, daß fie bis Schlag 4 Uhr abreifen müfje, anjonjt die Polizei Gewalt brauden würde. Bei ihrer Abreife begegnete fie dem Gelehrten Joh. Georg Müller, Bruder des Gejhichtsichreibers Johann von Müller, der fie ſchon in LXottjtetten bejucht Hatte. Sie madıte auf ihn einen guten Eindrud und er fand, daß er den Geijt der Hriftlichen Weisheit, Demut und Liebe zum Herrn und um des Herrn willen zu den Menſchen feit langem nie in diejer Voll: kommenheit gejehen habe. Trotz allem Für und Wider gegen die Krüdener, Habe die Krüdener, durch Das Aufſehen, das ſie madte, lebhaites Intereſſe für die Religion und zur Sehnjudht nad) der
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Mahrheit angeregt; aber es jei noch viel Unreines bei ihr. (Karl Stodar, Decan; Ioh. Georg Müller, Doctor der Theologie, Profeffor und Oberjchulherr zu Schaffhaujen, ein Lebensbild, Bafel 1885.)
30) Welcher Art dieje Lebensgefahr war, in der Profeſſor Lachenal und feine Frau gejchwebt, ijt nicht zu ermitteln. Cinmal war nad dem Anonymus die Rutiche der Frau von Krüdener in Schaffhaujen nahe daran, von einer jhmalen Zufahrtsitraße zum Peyerſchen Gute, in einen tiefen Bachtobel hinabzujtürzen. Die Sache lief aber noch gut ab. Es iſt ungewiß, ob die Ehegatten LZachenal dabei waren.
31) Sie fand in Dießenhofen für einige Tage Aufenthalt in einem Wirtshaufe vor dem Städtchen und trat von da aus mit den in den benachbarten Dörfchen Gailingen und Randed zahlreich anfäljigen Suden in Verbindung, welden fie bejondere Aufmerkſamkeit ſchenkte als dem beim bevorjtehenden großen Umfchwung der Dinge vornehm- lid) auserwählten Bolfe.
32) Sie fam am 10 Auguſt in Arbon an, entfaltete dort ihre Tätigkeit, mußte aber ſchon am 12. wieder abreijen.
33) Nach dem Anonymus haben die Reijenden in Sankt Mar: garethen das gegenüberliegende öjterreichiihe Ufer nicht betreten fönnen, jondern es wurde ihnen von dem erpreß per Schiff hinüber: gefahrenen öjterreichiichen Oberamtmann ein jtrenger Befehl aus SInnsbrud mitgeteilt, wonad) weder Frau v. Krüdener nod) ihr Gefolge das ölterr Ufer betreten durften.
4) Nach derjelben Quelle fam die Reiſegeſellſchaft am 20 Auguſt nah Konſtanz, am 21. nad) Sießenhofen, am 22. in das Schaff— hauſen gegenüber gelegene Zürcherjche Dorf Feuerthalen, dann nad) Uhwiejen und Marthalen, bis jie am 23 abends vom Oberamtmann in Andelfingen in Begleit von ſechs Landjägern bei Rheinau über den Rhein gebracht wurde. Sie reiten nad) Lottitetten und famen am 25. abends in Neuhaujen bei Schaffhbaufen an Im Zürcher Staatsarchiv befinden ſich hierüber Aftenjtüde.
3) Die Zurüdberufung Lachenals war auf Beranlafjung der Verwandten feiner Frau gejchehen, nachdem der Ehemann jeiner einzigen Nichte dieſen Schritt als unerlaubten Eingriff in die Rechte eines Dritten zu tun verweigert hatte.
% MWahrjcheinlich in feinem Haufe auf dem Nadelberg, da Lachenal inzwiſchen feinen Landſitz veräußert Hatte.
37, Siehe hierüber einen deutjchen Brief vom 19. Sept. 1817 aus Kandern, ohne Unterjchrift, vielleiht von der Hand der Frau von Krüdener oder auch ihrer Tochter, der Frau v. Berdheim, an deren Dann gerichtet, der ji) damals nicht mehr bei der Reijegefellichaft, fondern auf einer Reife nad) Rukland befand. An diejen ſonſt meijt franzöfiich gejchriebenen Briefen ſcheint oft mehrere Tage lang geichrieben worden zu fein Es heißt darin: „Hier haben wir etwas feltfames erlebt, unjer lieber Freund Lachenal wurde geitern mit
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Gewalt nad) Lörrach) geführt, um von da vermuthlich nach Bafel zu gehen. Wir erwarten jett die Folgen von diejem gewalthätigen Schritt der Basler Regierung ; denn es ijt etwas unerhörtes, einen freien Bürger wie Lachenal als einen Verbrecher durch Yandjäger holen zu lafien..... Unfer lieber Freund weiß daher ruhig und entſchloſſen vor Obrigkeit jein Befentniß abzulegen. Wir erhalten ſoeben einen Brief vom lieben Zadhenal, wo er uns meldet, daß er troß aller Bemühungen den Oberamtmann nicht jprechen konnte, aber die MWeifung erhielt, fih ungefäumt nad) Bajel zu verfügen. Er erklärte aber, daß er nicht freiwillig, jondern nur gezwungen dort=- hin gehen würde. Der Profejjor wurde wie in KRandern, mit Ge— walt fortgeführt, nur mit dem Unterjchied, daß in Lörrach ein Amtsdiener in bürgerlicher Kleidung in die Chaife ſaß. Es jcheint, daß von Seite des Oberamtmanns aud Willtühr im Spiele war; denn die Berwandten waren bejtürzt über die Art feiner Ankunft. Es jheint aud ein Blan zur Trennung unjerer Gejellihaft wirffam zu fein.“
Aus dem Schreiben Lachenals teilt Schreiberin noch folgendes mit: „Der Amtsdiener, der mich begleitete, Hat ein Schreiben an den Kantonsrath mitgebradjt, worin id) als von der Frau von Krü— dener irregeführt und nun gemüthskrank gejchildert werde und worin darauf angetragen wird, mich unter polizeiliche Aufſicht zu jtellen und den Wiedereintritt in das Badiſche zu unterjagen, bis daß ich von der Gemüthstrankheit geheilt jein werde. In Folge dieſes Schreibens hat der Rath mid) der Aufliht und Bejorgung der Fa— milie übergeben und auferlegt, weder Leib noch Gut zu verändern, das will jagen, daß ich mich von der Stadt nicht entfernen, auch von meinem Bermögen nichts verändern darf, auch find mir alle religiöjen Verſammlungen und Kinderlehren zu Halten oder Halten zu lajjen, verboten.“ Auch habe Lachenal gejchrieben: „Ich weiß nicht, wie mir zu Muthe ijt, ich lebe wie im Traum, in einem Zus ſtand gemiſchter Gefühle Geſtern Abend erfüllte mich der Herr mit dem Bemwußtfein des herrlichen Ausgangs der Sache. Mädtig it der Zug, der mich von Euch, Geliebte, hinreißt (wahrſcheinlich ift hiermit der Einfluß der Verwandten gemeint); Doch muß ich mich jet noch zurüdhalten. Ich werde vielleicht hier noch) zeugen müjjen. Sch Ipreche ganz unverhohlen mit allen unjeren Anverwandten und Sreunden von der Notwendigkeit der Million. Die große Sade der Miſſion bejchäftigt mir Kopf und Herz und id) lebe und webe im Geilte ganz allein und ausſchließlich in Euerer Mitte.“
Ferner jchreibe Lachenal an feine rau: „Fürchte nicht, meine Theuere, daß ich unthätig und bloß leidend in diejer meiner Lage verbleiben werde. Sch bejchäftige mich mit der Verbreitung der Aufſchlüſſe über die Offenbarung und werde auch fünftigen Mitt: woch unjerem Kantonsrath meine Proteftation gegen das Benehmen des Oberamts Lörrad) und ihren eigenen Beihluß überreichen,
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worin ic) mich über den Zwed der Miſſion nahdrüdlih ausſprechen werde, bittet, dag mir der Herr Kraft dazu gebe “
Der Brief berichtet aud) über die Heimberufung der Frau Zachenal durch ihre Verwandten und Abholung durd) ihren Bruder Deputat Germann Larode. „Der Herr Deputat brachte feiner Schweiter ein Schreiben vom Rath, worin das Amt Lörrad) auf's neue erſucht wird, zu veranitalten, daß auch Frau Lachenal ihrer Familie übergeben werde. Herr Lachenal joll feiner Verwandtſchaft zur Bejorgung überlafjen, demfelben die ſ. 3. erhaltenen Reijepäfje abgefordert werden. Der I. Profeſſor ſchrieb jeiner Frau nichts vor; erfagte ihr nur, er würde in ihrer Yage der Gewalt nachgeben.“ Auf einem diefem Briefe beigelegten Zeddelchen d. d. Krozingen, 25. Sept. 1817 heißt es noch: „Bon den lieben Yachenals haben wir Nachrichten durch die Poſt. Sie weinten ſehr, als Jie Bajel wieder: fahen und verbargen ſich vor ihren Berwandten, um in ihrem Zimmer zu beten. Gie jagt, daß jie unmöglich von uns entfernt leben fann. Der Profeſſor ilt ruhig und gefaßt und in feinem Innern glüdlid und will für den Heiland zeugen.”
Giehe im Basler Staatsarhiv Briefe und Akten des Freiherrn Franz Carl von Berdheim, meilt Briefe feiner rau an ihn und folde anderer Perjonen, Reijepälle der Familien Krüdener und Berfheim, Geſchenk von Herrn alt Appellationsgerichtspräfidenten Dr. Auguſt La Roche-Burdhardt. Siehe auch Kleinrathsprotofoll vom 20. September 1817, Seite 397.
3) Qaut diejen erwähnten Briefen jegten Frau von Krüdener und deren Tochter dieje Reife noch eine Zeitlang fort, bald im Elfaß, bald im Großherzogtum Baden tätig, wobei fie immer nod) mit den Ehegatten Lachenal in brieflihem Verfehr blieben. rau von Berdheim bewahrte überhaupt dem Lachenalſchen Haufe äußerit danfbare Gefühle In Freiburg erhielt Frau v. Krüdener im No— vember Befehl, nah) Rußland zurüdzureijen, wo ſie im Frühjahr nad) einer äußerjt bejchwerlichen Reife anlangte. Die Ehegatten von Berdheim aber ind im Frühjahr 1818 wieder in Bajel, wohnen bei Profeſſor Lachenal.
39) Lachenals Anhänger aber glaubten, derſelbe werde auch wie fie auswandern. Dieſe Auswanderungen waren jo zahlreid), daß Schweiz. Rantonstegierungen fi zu Maßnahmen veranlaft jahen. So ſchrieb ein 3. 3. Koch unterm 30 April 1818 aus Groß Liebenthal bei Odeſſa, an Frau von Krüderer, nahdem er bes richtet, wie herrli er in Mostau von Kaiſer Alerander und den beiden Kaiferinnen empfangen worden und wie diejer für die Einwanderer nah) Grulien forge „wo bleibt aber unfer theuerer Herr Profefior Lachenalle? ift er noch in der Schweiz oder ijt er auf dem Wege zu uns. Der Herr wolle ihn doch bald mit nod) vielen gejunden Schweizerbrüdern zu uns führen“. (Staatsardiv Bajel, Briefe und Akten des Freiherrn Franz Carl von Berdheim.)
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40) Krüchte dDiefer Studien waren die „Blide jenfeits des Grabes“.
4) Wer diefe einflußreiche Perjönlichkeit geweſen tft, ijt nicht mehr fiher feitzuitellen. Am eheiten fann der in der Abhandlung von Dr. E. Schaub: Bilder aus dem religiöien Leben Bafels um’s Sahr 1830 erwähnte Jacob Wirz gemeint fein, da ſich unter La- henals Papieren aus dem November 1850 Konzepte zu Schreiben an einen gemwillen Bölfer vorfinden, in denen von einem Bruche Lachenals mit Wirz die Rede iſt. Lachenal rechtfertigt fein Ver: fahren dem Völker gegenüber, der ihm wegen jeines Verhaltens gegen Wirz Vorhaltungen gemadt zu haben jcheint.
Merktwürdigerweile erwähnt Lachenal nicht die Fleine jepara- titifche Vereinigung, die zu Ende der 1820er Jahre bei einer Miß Blackwell im früher Reberichen, jpäter Hisichen Gute vor dem Gt. Sohanntor zujammentam und der aud) Profeſſor Lachenal angehörte. Siehe Basler Sahrbud) von 1909. Bilder aus dem religiöfen Leben Bajels um’s Jahr 1830, von Emil Schaub und Chr. Volksbote Jahr⸗ gang 1911 Nr 35—38 Aus den Erinnerungen eines alten Mannes.
22) Cs war dies in der Mitte der 1830er Jahre.
43) Laut dem Vorworte durch den Beiltand der göttlichen Gnade ausgearbeitet als eine Lehr: und Troſtſchrift für die Menjchheit in diejen jtürmijchen und entjcheidenden Tagen.
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Sin Spaziergang über Das Bruderbols,
Don Srisg Baur.
Vor Lüſchers Bild der trommelnden Waifenbuben im Basler Mujeum trafen jih an einem Sonntag Vormittag unvermutet zwei Freunde. Obwohl ſie fi) aud) in der Woche häufig zu jehn pflegten, war doch die Freude groß. Geſtern war ein dülterer Tag gewejen. Sonſt hätte man wohl einen Ausflug auf den Paßwang anberaumt. Der unerwartete Umſchlag zu günjtiger Witterung und heller Beleuchtung hatte beide in die Gemäldefammlung geführt. Nun verabredeten fe einen befcheidenen Nahmittagbummel.
Sie ftanden beide nod) ohne eigene Zamilie da. So war es ihnen möglid), zur abgemachten Stunde einander zu treffen. Ohne Zaudern wurde der Weg unter die Füße genommen, über die Batterie und Reinach nad) Dornachbruck. Nicht ohne eine fleine Meinungsverjchiedenheit hatten fi) die Freunde noch im Mufeum für diefen Weg entihieden. Bon Hans, dem Xelteren, war der Vorſchlag ausgegangen. Yerdinand wandte dagegen ein, da jei man ja feine zwei Minuten vor läftigen Begegnungen fiher. An einem Spaziergang fei ihm das Tiebite das einjame Wandern zu zweit oder dritt und ein vernünftiges Gejpräh dazu. Wem an lärmiger und unwill- fommener Gejellihaft gelegen fei, der könne ja nad) dem Waldhaus in der Hardt pilgern. Und wenn man aud noch Leute fände auf dem Bruderholz, mit denen es ſich Iohnen würde, zujammenzutreffen. Uber der reine Großſtadtpöbel
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wälze ji über diefe Flur. Stumpflinnig trotteten jie ar der ſchönſten Ausliht, an den reizendſten Waldwinteln vor— über, nur auf das Glas Bier bevadht, das ihrer in der Brauerei zu Reina Harre. Er Hatte jih in einen ordent= lihen Aerger hineingefhimpft. Aber Hanſi fnüpfte an die von feinem Kameraden jelber zugegebenen Borzüge der Land» Ihaft an. Er ſtrich fie fo weiblich heraus, daß er ſchließlich objiegte, zumal er Ferdinanden, der für alles Geihichtliche eine Schwäche Hatte, von dem Thierjteinifchen Grenziteine ſprach, der nicht fern vom Bruderholziträßchen im Felde jtehe.
So wanderten fie denn die neu angelegten Windungen der Bruderholzitraße hinan, an den äußeriten Borpoften der Stadt vorbei, an den Häufern, die dort oben in den letzten Sahren entitanden find. Ihre zum Teil noch fnalltoten Dächer hoben fi grell ab vom Hintergrund der Tannen und von dem blauen Srühlingshimmel. Und wie Ferdinand befürchtet hatte, jo erflomm mit ihnen eine Unzahl von Städtern die Höhe, Schulbuben mit der qualmenden Zigarette im Mund; Heilsarmeemädchen, am Hallelujahute kenntlich; Familien— väter hinter dem mit zwei, drei Sprößlingen bepadten Kinder- wagen, gefolgt von der Gattin, die den Reit der Hoffnungs- vollen Brut im Schlepptau Hatte; Sünglinge mit den edigen Bewegungen und den täppilchen Scherzen junger Hunde; ehr= bare Bürger, die zufammen fannegießerten; Liebespärchen und gepußte Frauen, furz der ganze Troß, den ein fehöner lonniger Lenzjonntag aus der Straßen quetjhender Enge berauslodt, ins 20. Sahrhundert überjegt der IOHEEIPOGIER: gang aus des großen Dichters ſchönſtem Merf.
Unjere beiden Freunde waren auf feine läſtige Bekannt— haft gejtoßen. Sie konnten alfo ruhig erörtern, wozu ihnen die nächte Umgebung den Anlaß bot. Cs ſei doch Hübich, wie jeßt überall der Heimatjchugitil zur Geltung fomme, meinte Ferdinand. „Sa, du bilt auch einer von denen, die jagen: Heimatihuß ijt, wenn man ein großes Dad baut“, böhnte Hanfi. Und fo gerieten fie über die Frage, was unter
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Heimatſchutz zu veritehen fei, in einen Gedankenaustauſch, der fie den ganzen Nachmittag nicht mehr Ilosließ und durd mandes, was fie auf ihrem Spaziergang an ji) porübergehn fahen, nad) immer neuen Richtungen geleitet wurde und immer friihe Anregungen erhielt. Freilich eine fnappe und jcharfe Umſchreibung des Begriffes Heimatſchutz zu geben, erflärte ji) Hans auf die Frage Jeines Kreundes außer Stande. Uber er befannte jih als ein aufrihtiger Anhänger der Strömung, die man als Heimatjchuß bezeichnet, injofern fie, und das Jet jedenfalls ihre wichtigjte und am deutlichiten in die Augen Ipringende Geite, auf allen Gebieten die Fabrikware gedanken— lojer Schablone durch die Werfe guten Gejhmades zu ver: drängen trachte. Er ſprach feine Zweifel darüber aus, ob alle die Neubauten da oben den Anforderungen des Heimat: Ihußes entipringen. Nicht jede Abfonderlichfeit fei, weil fie dem herrſchenden Philiſter-Ungeſchmack widerſpreche, deshalb ein Erzeugnis guten Geſchmacks. Das Gefühl für das Schöne zeige ſich auch darin, daß der Geſamteindruck berückſichtigt werde; und ob alle dieſe Häuſer gerade auf dieſe Halb ländliche Anhöhe pajjen, ließe fi fragen. Wenige Hundert Schritt von bier entfernt, Hinter der Spittelfheune an der Gundeldinger Gtraße jtehe ein Häuschen, es ſei bloß zu verwundern, daß nicht Nahahmungen davon, der Neuzeit anbequemt, zu Dußenden entjtänden. Darin müßte ein heimelig Wohnen fein! Und wie folde Bauten jeder Stadt und jedem Dorfe wohl anjtehn würden! Er meine das Häuschen, das Thomas Platter einft gefauft und in dem feine Nachkommen ihren Yandaufenthalt genommen hätten. Darin trafen die Urteile beider Spazier- gänger zujammen, daß heute mehr als früher jeder Bauherr darnach tradtet, feine Wohnung nad ſeinen Bedürfniljen und Liebhabereien einzurichten. Dadurch erhalten die Bauten einen perjönlihen Anjtrid. Das Schablonenmäßige, das die ältern Gtreden 3. B. der Eulerjtraße und der Holbeinitraße jo unerträglich langweilig madt, verſchwindet dadurch mehr und mehr.
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Unter folden Gefpräden waren fie zur weitſchauenden Batterie gefommen. Hier waren alle Bänflein bejeßt. Hier gab’s aud einen der gefürdteten unlieben Zujammenjtöße. Hanfis Leibſchneider ſaß da, ein gemütlider alter Mann, aber neben ihm fein geihwätiges Weib, das den Freunden von weitem entgegenrief: „Guten Tag Herr U., guten Tag Herr B., ic) Habe Ihnen ſchon lange am Gang erkannt.“ Hanfi zudte unter diefer Mikhandlung der Sprache zulammen, als hätte man ihn förperlich beleidigt, und beinahe grob erwiderte er furz den Gruß des biedern Paares. „Muß uns dies ver- dDammte Weib den jhönen Punkt verefeln!“ zürnte er. Fer— Dinand, mit einer ftillen Freude, daß feine Befürdtung fo tajch eingetroffen war, verwies dem Xeltern fein abjtoßendes Mefen. Aber Hanfi erklärte rundweg, er fünne nicht Höflich fein mit jemandem, der „Shnen“ ſage anjtatt „Sie“. „Ad, wenn’s das ijt,“ fagte Ferdinand, deſſen Vater aus Berlin gekommen war, der Sohn aber war Schweizer, — „wenn’s das ift, wie ſchwer mußt du dich denn ärgern, wenn du mit meinem Alten am Tijche fieft, der mir und mid) aus Grund: ja vertaufht!“ „Das läßt ji) gar nicht vergleichen“, ant- wortete Hanfi; „im Berlinijchen iſt diefe Vertauſchung in Ord- nung, fie entſpricht der Regel, fie ift Hajjiih. Aber das Ihnen für Sie halten die Glätterinnen und Yadenjungfern für vor: nehm und brauden es, genau wie fie jagen „i hätt jotte“ oder „i ha wotte“ für i hätt jolle, i ha welle. Und jo viel ver- Itehft gewiß auch du Baſeldeutſch, daß dir dieſe Yormen die Haare zu Berg Iträuben.“
Das mußte Ferdinand zugeben. Die liebevolle Pflege des Bafeldeutihen war ein GStedenpferd des guten Hans. Aber bei diefen Ritten fonnte ihn der Freund nicht begleiten. Diejem fehlte das richtige Ohr für die unverfälſchte Mundart. Er war dazu im Vaterhaus nicht angelehrt worden. Aber fein Gefühl gab dem Freunde bei ſolchen Herzensergießungen immer Recht. Um es jedod nicht zugeben zu müjlen, |prang er auf ein anderes Gebiet, gleichfalls ſprachlicher Natur über,
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um Hanſi ein bißchen zu foppen. „Du Hoherprieiter der reinen Sprache, wie fannit du es vor deinem Gewiſſen verant- worten, den Ort, den wir joeben verlaſſen Haben, mit un— deutihem Namen zu nennen? Warum heißen wir dieje Schanze Batterie? Weshalb nit Hochwacht oder jo ähnlich?“ Aber Hanſi nahm den Einwurf ernſt und fing an, fi) in längerer Rede zu rechtfertigen. Wie es eine läherliche Ziererei wäre und darum eine Sünde wider den guten Gejhmad, wenn er die alte brave Batterie im Gegenſatz zu der ganzen Stadt umtaufen wollte Gr mödte fi) überhaupt dagegen ver: wahren, für einen Burilten zu gelten. Er bediene ſich des Deutſchen mit Vorliebe, wo aber ein Fremdwort jeine Ge— danken treffender wiedergebe, bediene er ſich unbedenklich des Fremdworts.
„Aber ſieh,“ unterbrach er ſich plötzlich und wies auf einen linker Hand in einiger Entfernung aus dem Feld aufragen— den Steinpfoiten, „da iſt der Thierjteiniihe Grenzitein, von dem ich dir gejprochen Habe. Man erkennt noch deutlich das Reh im Wappen, und die form des ſtattlichen Balelitabs auf der andern Seite beweijt deutlid, daß der Stein aus guter Zeit jtammt. Schau, er trägt die Sahrzahl, 1519.“ Das Baar trat an den Stein heran und unterfudte die Halb- verwaſchenen Runen. Doch nit allzu lange.
Serdinand blidte auf und Tieß feine Augen ſchweifen rundum von den Schwarzwaldhöhen über den Gempenitollen nad) der langen Linie des Blauens, über das Tal, wo Dorf an Dorf fih reiht und die verjhieden gefärbten Aecker den Boden in unzählige Schadfelder ſchieden, er wies hin auf die blühenden Obſtbäume und das frühlingfriide Grün der Waldbeſtände. „Braudt diefes ſchöne Land überhaupt einen Heimatihug!“ rief er aus. „Kann diefe Landſchaft unter Gebilden von Menſchenhand leiden? Die Bahnlinie geht unter im großen Bild. Den Ausſichtsturm auf dem Felſen achtet man nicht mehr. Die Ruinen ringsum und die Dörfer timmen zu den Linien der Gegend, daß alles in Eine große
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Melodie zujammenflingt!“ Hanſens baslerijhe Nüchternheit hätte fi zu einem jolden Loblied nie verjtiegen. Aber aus des Sreundes Munde vernahm er’s gern. Wie fie von dem alten Marfitein den blühenden Kirſchhbäumen des Weges wieder entgegengingen, führte fie das Denfmal der Ber- gangenheit von ſelbſt auf die Geſchichte. Daß fie hiſtoriſchen Boden beſchritten, wußten fie wohl. Hans hatte erjt vor kurzem in einem feiner Sahrbud-Bände die Geſchichte über das Ge— feht auf dem Bruderholz gelefen. Ueber mandes Schloß, deſſen Trümmer in der Ferne jihtbar wurden, wußte er Be— Iheid aus dem Werf über die Sisgauer Burgen, das er eifrig Itudierte. So trug der Marſch durch den Wald, am Dentmal vorbei und über den Fleiſchbach fein eigenes Gepräge. Und wenn aud, was der Freund dem (sreunde vortrug, nit das Ergebnis eigner Forſchung, jondern nur aus abgeleiteten Bächen gejhöpft war, jo gewann es doch feine Friſche und fein eben dadurd, daß es an die Wirklichkeit anfnüpfte, feine Märme dadurd, daß Vortragender und Zuhörer mit dem Herzen dabei waren.
Gie traten aus dem Wald. Reinach lag vor ihnen. Mit Einem Blid überfah man Birsed, Dornach, Pfeffingen. Die Barodtürme der Domkirche in Arlesheim und die |pife Nadel des Reinacher Kirhleins wie aud der Käsbiljen von Ober: dornach, jedes mit der ji zu feinen Füßen ſcharenden Herde von Dädern, alles in ein Meer von friihdem Grün und Blüten getaucht, überftrahlt von zartblauem Yrühlingshimmel, an dem weiße Wölklein Hinjtrichen, dieſes heimatliche Bild ließ ihnen wieder den Gedanfen des Heimatſchutzes lebendig werden. Warum blidt jo wenigen unſerer Mitwanderer hier das ehrlide Entzüden aus den Augen? jo mußten fie fid fragen. Beſitzen wir einen Sinn mehr als die große Menge, die gleihgültig an diefer Frühlingpracht vorbeiläuft? Oder maden wir große Worte über etwas, was dieje till genießen? Dover belügen wir uns gar jelbit, wenn wir in diejer alltäg- lihen Landſchaft etwas bejonderes ſehen?
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Hans und Ferdinand mußten ſich geitehen, daß fie zum Genuß der vor ihnen liegenden Landſchaft bejjer ausgerüjtet waren als der Durchſchnitt der Sonntagsbummler. Bon früher Jugend hatten die verjtändigen Eltern jie oft und viel hinausgeführt. Später waren die Burfche auf eigene Fauſt gewandert. So Hatten fie fih zu leidenjdaftlihen Fuß— gängern ausgebildet. Sie jeßten ihren Chrgeiz Darin, namentlih in der jchweizerijhen Umgegend von Bajel, im herrliden Jura tüdhtig befannt zu werden, und je mehr Ge- heimnijje fie dem Gebirg ablaujhten, um jo reizendere neue Pfade jahen fie im Dickicht verihwinden, deren weiterem Verlauf demnädjt nachzuſpüren jie ji) vornahmen. Und das Feld ihrer erjten Märſche lag Heute vor ihnen. Kein Wald— Tled, feine Blöße, feine weiße Kalfflippe, die fie nicht ſozu— jagen perjönli fannten. An jede Anhöhe fnüpften fih für jte Erinnerungen von meiſt gemeinjam ausgeführten Märſchen.
Aber, jo führte fie ihre Erörterung weiter, dieje Freude an der Natur verdanfen wir dem Vaterhaus und einer Ge— wöhnung von Jugend auf. Die Erziehung fam eigener Nei- gung entgegen. Die Freude am Wandern, das Interejje für alles, was auf dem Heimatboden ſteht und wächſt, ſich regt und ſich zugetragen hat, taucht aus einer innerlichen Anlage auf. Wir haben von Anfang an die Heimat lieb. Das ilt, was uns von vielen andern unterjheidet. Wir dürfen’s uns nit als Verdienſt anrechnen, ſondern zum Teil ijt’s Anlage, zum Teil Erziehung. Wenn wir die Anlage, die wohl in einem jeden ſchlummert, weden und leiten, dann treiben wir rechten Heimatihuß.
Als fie mit ihrem Gedanfenaustaufc bis zu dieſem Punkt gelangt waren — der Marſch Hatte fie inzwijchen mitten ins Dorf Reina geführt —, jo braden beide Kameraden in lautes Lachen aus. Feder fah den andern im Geilt als Präſi— denten eines Heimatjchußvereins. Sie hatten aber beide ſo gar nichts Pedantiſches oder gar Streberijches, daß die Vor— stellung wirklich komiſch wirken mußte. Allein das Lachen ver-
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ging ihnen raſch, als gleichzeitig von Aeſch Her ſchnaubend und ftintend ein Auto, von der Stadt der Tram mit den erſten übervollen Sommerwagen heranjaujte. Mit großen Sprüngen, unter kräftigen Verwünſchungen retteten jie fih an die Wände der Häufer. Kaum Hatten fie die Landſtraße betreten, jo war fie ihnen auch gründlich verleidet. Es hätte aber diejes kleinen Erlebniſſes gar nicht bedurft. Hans wäre dod) feinen andern. Meg nad Dornahbrud gegangen, als den Fußweg über die: Matten und die Weide und an dem Föhrenhölzchen vorbei. Zwar hat aud) diejer Pfad verloren, feitdem fie den Dorf— bad) eingededt haben. Aber es iſt doch immer noch anderlei als die ftaubige Landitraße mit den langweiligen Arbeiter= häuſern.
„Erinnerſt du dich, als wir letzten Herbſt hier vorbei— kamen, die ſchönen Steinnägelein, wie Blutstropfen“, rief Hans; „und die blühenden Waldkirſchen im Frühjahr, und ſpäter die Akazien und die Waldreben“, ergänzte Ferdinand, „ja, es iſt ein wahres Blumengärtlein hier, ſobald die Blumen überhaupt anfangen.“ Dann begann man zu klagen, daß die Blumenzudt nachgerade überfünitelt und verbildet werde. Da jehe man auf jedem Balkon hochſtämmige Orangebäumchen jtehn, aber der Dleander und der noch viel ſchönere Granat— ſtrauch kämen in Abgang. In den Gärten mahe man den Pflanz mit Canna und Gladiolen und Orchideen, während: man eine währjchafte Geranien- oder Nelfenjammlung ſuchen müſſe. Die jhönen Zugelrunden Dahlienblüten, der gegebene Shmud für das Spundlod eines Faſſes Saufer, werden von dem japanijchen Chryjanthemengewuder verdrängt, Ritter— porn, Eijenhut, Türfenbund und Gretelein in der Hed finden ih nur noch in den abgelegenjten Blumengärten, und ſelbſt auf dem Roſenbeet blüht felten mehr die alteinheimiihe Hundertblättrige. Dafür meint jedes Babi, es müſſe mit Marechal Niel und Kaiferin Sofephine die tun.
"So nahmen unjere Spaziergänger den gärtnerifchen. Heimatihuß übers Knie und ſchalten über der Zeiten Ver—
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derbnis wie zwei Alte. Schon drohte noch einmal eine Er: örterung über das Kapitel der Sprade, als Zerdinand einen frühen Yalter als Schmetterling anitatt als Sommervogel begrüßte. Aber zum Glüd waren fie jeßt vor dem Ochſen in Dornahbrud angelangt. Hier famen ſie überein, daß fie nit ſchöner Heimatſchutz pflegen fönnten, als indem fie nad alter Väter ehrenwerter Sitte einträten und zufammen ein Glas tränfen.
Unter den zart ergrünenden Bäumen im Goldihein der finfenden Sonne, der Blick ſchweifend über die Waſſerfläche der Birs und nad) der engen Klus dort Hinten, der waldigen Lehne des Blauens entlang bis zur Dduftig verblauenden Landskron war es ein behaglidhes Sitzen und ein gemütliches Stündden. Noch einmal wurde das Keitmotiv des Nach— mittags durchgenommen nad) feinen verjchiedeniten Geiten. Wenn aud Hanſi wiederholt merken ließ, daß er als Alt: eingejejlener in diefem Kapitel in erjter Linie berufen fei zu reden, jo nahm ihm dies Kerdinand feineswegs übel, gut= mütig wie er war, und grundjäglic mit ihm ja vollfommen einverjtanden.
Eigentlich) hatten fie auch den Heimweg zu Fuß maden wollen. Aber wem erging’s nicht ſchon Ähnlich, wie es ihnen jegt bei der Tramijtation erging? Da jtand eben der Magen zur Abfahrt bereit, und daneben im Begriff einzujteigen eın Lehrer, zu dejien Klaſſe Hans und Ferdinand noch vor zehn Sahren gehört Hatten. Sie waren beide gute Schüler ges wejen. So war die Freude des Wiederjehens gegenjeitig. Auf der Heimfahrt wurde dem erfahrenen und feinfinnigen Gelehrten ein furzer Auszug der nachmittägigen Unterhaltung vorgelegt. Da befannte ji) aud) der als ein aufrichtiger An— hänger der Bewegung. Ihm blieb es vorbehalten, den Ge— danken noch deutlicher auszujprechen, der aud) im Geſpräch der beiden jungen Leute wiederholt ji) angefündigt, aber nicht den richtigen Ausdrud gefunden Hatte: Heimatihuß, richtig aufgefakt, als Schuß heimilcher altbewährter Art und
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Gitte, ohne beſchränktes Felthalten am Alten, nur weil es alt, ohne unverjtändigen Widerjtand gegen das Neue, nur weil es neu ijt, das bezeichne ich als eine nationale, eine patrio- tiſche Pflicht. Erſte Bedingung dazu ift Waterlandsliehe. Auch auf dem Gebiete des Heimatjhußes, wie auf einem andern gilt der Gab, daß wir ein tönendes Erz und eine Hingende Schelle jind, jo wir der Liebe nicht Haben, der Liebe zum Baterland, zur PVaterjtadt, zum Vaterhaus!
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Das EZünftlerifche Leben in Bafel.
Dom 1. November J9]J bis zum 3). Oktober 1912,
Ein Rüdblid auf Theater, Mufif und bildende Kunft.
Don
Ernit Jenny, E. Th. Markees, Wilhelm Barth und Robert Brüninger.
A. Theater.
Die Theaterjaifon begann am 18. September 1911 und ihloß mit dem 31. Mai 1912. Bon den 260 Borftellungen fielen 54 auf das Schauſpiel, 54 auf das Qujtipiel, 106 auf die Oper, 37 auf die Operette; dazu famen 2 Poſſen und einige Märchen: und Ballettarrangements. Drei Urauf- Tübrungen von Werfen baslerifher Herkunft find zu verzeichnen: „Das Kreuz der Rache“, ein Schaujpiel des inzwilchen verjtorbenen, durch lyriſche Gedichte und durch Er- zählungen befannt gewordenen Lehrers K. Alb. Burgbherr; Die Oper „Simplicius“ unferes Dr. Hans Huber, und die Operette „Die Wallfahrt nad) Mekka“ von unjerm Klarinet- tilten KRapellmeilter Hermann Wetzel.
Der ſtatiſtiſche Rüdblid zeigt, daß das Iobenswerte Be: itreben da war, nicht nur Neues, fondern auch Neues und Gutes zu bringen. Was für den Plat Bajel neu war, das durfte literariſch wie muſikaliſch wohl Intereſſe beanſpruchen, wenn ihm auch eine ſtrengere Kritik nicht immer ihre un— geteilte Billigung ſchenken konnte.
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1. Das Shaujpiel bradte uns von Shafejpeare den „Caejar“, den „Kaufmann von Benedig“, „König Richard ILL“ und „Was Ihr wollt“. Bon Schiller jahen wir den jeltener werdenden „Fiesco“ und „Maria Stuart“, von Goethe den „Egmont“, von Leſſing „Minna von Barnhelm“ ; fernere Höhepunkte im klaſſiſchen und nadklafliihen Drama deutjcher oder fremder Zunge waren die Aufführungen von Kleilts „Zerbrochenem Krug“ — eine bejcheidene Zentenar- feier —, von Molieres „Geizigem“, von Sophocles’ „König Dedipus“, von Calderons „Richter von Zalamea“, von Grill- parzers „Des Meeres und der Liebe Wellen“, von Hebbels „Judith“. Die neuere dramatifche Kunſt war vertreten durch Sudermanns „Ehre“, Hauptmanns „Suhrmann Henjchel“, „Weber“ und „Kollege Crampton“, Schönherrs „Glaube und Heimat“ und Hardts „Tantris der Narr“. Bon Ibſen fahen wir „Nora“, „Gejpenjter“ und „Stüßen der Gejellihaft“. Zu den ftärfiten, wenn aud) äjthetifch nicht unwiderfprocdhenen Eindrüden zählen die Aufführungen der Werke von Ibſen, Calderon, Moliere, Hauptmann, dann Hebbel und Ernit Hardt. Hervorragende Genüſſe verjhafften uns ein paar Gajtjpiele: Frau Elje Lehmann vom Leſſingtheater in Berlin trat in den „Gejpenjtern“ und in „Fuhrmann Henjchel“ auf, die Basler Dtto Eppens vom Stadttheater in Hamburg in „König Dedipus“ und im „Richter von Zalamea“ und Dr. Otto Groß vom Schauſpielhaus in Leipzig in der „Verſunkenen Glode“; am meilten Beifall fand aber Herr Alb. Ballermann vom Deutſchen Theater in Berlin, der Ge- ftalten von padender Unmittelbarkeit und Lebenswahrheit zeichnete und um ſich herum ein Zujammenjpiel der hiefigen Kräfte zu erzielen wußte, wie man es noch ſelten hier gejehen bat. | |
Um den Kern von Stüden anerfennenswerter Solidität in fünftlerifher Beziehung gruppierte fih dann eine Anzahl von ſolchen, die zur leihteren Theatermware gehören, Theaterfutter, ohne das feine Bühne ausftommt. Daß darin
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die eigentlihen Kaljenjtüde feinen allzu großen Raum ein: nehmen, verdient bemerft zu werden, befonders aud), daß leichtere Zujtipiele mit hiltorifhem Hintergrund und Koſtüm wie Herihs „AnnasLije“ und Niemanns „Mie die Alten jungen“ zu Ehren gezogen wurden. Zugitüde wie Rößlers „Klubfeljel“ und „Fünf Frankfurter“ fanden nicht unver: dienten Beifall.
Mehrmals bejuhten uns franzöfifhe Truppen. Vom Standpunft eines anjprudgspolleren Geſchmacks in lite— rariſchen Dingen fühlt man fi) allerdings verſucht zu Jagen: fie juhhten uns heim; denn, was fie außer dem «Tartuffe> brachten, war der abgeblaktejte Victor Hugo oder moderner Shund. Man möchte diefen Herren gerne die Weisheit ein- prägen, daß „hinter den Bergen auch Leute wohnen“. Viele Bejuder freilich wollen ja im franzölifhen Schauspiel nichts weiter genießen als die fultivierte Spradfunit, und da fommen fie meijt auf ihre Rechnung.
2. Die Dper bradte verjchiedene Neueinftudierungen: jo „Sphigenie in Aulis“, „Sojeph in Yegypten“, „Don Juan“, „Sberon“, „Die verkaufte Braut“, ferner Wagners „Rhein gold“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Auch einige Dperetten erfuhren ein neues Studium; neu für Bafel waren jodann die Oper „Robins Ende“ von Künnefe und die Ope— retten „Walgertraum“ und „FZünfuhrtee” Von Wagnerfchen Opern jah man nod) „Tannhäufer“ und „Lohengrin“, und mit der „Walküre“ ſchloß jich der „Ring“, den man aljo im Monat Mai zufammenhängend genießen fonnte. Freunde eines klaſ— fihen Repertoirs freuten fih an „Don Juan“, „Figaro“, „Sidelio“, an „Sphigenie in Aulis“, „Sreifhüg“ und „Oberon“ oder auch an „Sojeph in Aegypten“; Verdi, Thomas, Bizet, Smetana, d'Albert famen aud etwa zum Wort; aud) der „Rofenfavalier“ war troß den Prophezeiungen der Strauß: Gegner noh am Leben. Und für die leichtere muſikaliſche Unterhaltung jorgten die Operetten. Unvergehliche Abende Ihufen die beiden MWagnerjänger Dr. Alf. von Bary von
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Dresden und Fri Feinhals aus Münden. Den Bejudern des jehweizerifhen Lehrertages wurde am 2. Oktober 1911 Gounods „Margarete“ geboten.
Die neue Spielzeit begann am 16. September 1912.
B. Konzerte.
Die Konzerte behielten ihren Charafter bei, und be- ſondere Bemerfungen über das hiejige Muſikleben find nicht zu machen. Wir geben daher, wie immer bisher, nur furz eine Ueberfiht der hauptſächlichſten Erjcheinungen.
Die Allgemeine Muſikgeſellſchaft ftand mit ihren von SKapellmeilter Suter geleiteten zehn Sym— phoniefonzerten und ſechs Kammermufifabenden an der Spitze des mufifalifhen Lebens. In die Programme der Syrshoniefonzerte wurde durch Heranziehung von Chor= mufif größere Abwechslung gebraht. Neben befannten Merken famen aud eine ganze Anzahl Novitäten zu Gehör; jo war Hans Huber mit einer neuen Symphonie (A-dur, Rt. 6) vertreten, Siegmundvon Hausegger ebenfalls miteiner SymphboniemitChorundDüOrgel, und Sriedrih Kloſe mit einem Melodram „Die Wallfahrt nah Kevlaar“. Das erjte Konzert fiel auf die Hundertjährige Geburtstagsfeier rang Liſzts; das Programm war dementjprehend gehalten. Bon den Soliiten der Konzerte feien genannt Bujoni, rau Du- tigo, Serato; außer ihnen wirkten eine Reihe unferer einheimiſchen Kräfte in gewohnter Weije joliitiih mit. In einem Konzert trat eine Sängergejellidaft, die Mündener Madrigalvereinigung auf. Ein Ertrafonzert brachte uns einen Bahabend, in dem Werfe für zwei und drei Klaviere mit Orcheſter zur Aufführung gelangten. Soliſten waren die Herren Prof. Mar Neger, Philipp Wolf: rum und KRapellmeilter Hermann Suter, ferner die Herren Buddenhagen und Kötſcher.
Bejondere Erwähnung verdient ein Orcheiterfonzert
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größten Stiles, das im April jtattfand; es wirkten dabei die Kapellen von Bafel, Züri und Bern und zum Teil aud vor Sreiburg ti. Br. mit. Zur Aufführung famen u. a. unter Kapellmeilter ri Brun aus Bern die C-moll-Symphonie von Brahms und das Meilterfingervorjpiel von Wagner.
Die Rammermufiftabende hatten ebenfalls ihre gewohnte Phyliognomie in Bezug auf ihre Programme wie auch auf ihr Publifum. Die Quartettvereinigung beitand aus den Herren Kötſcher, Berthoud, Kühler und Treidhler.
Der Basler Geſangverein (Leitung: 9. Suter) trat zuerſt am 9. Dezember mit den Hier jeit längerer Zeit nit mehr gehörten «Beatitudes> von Cejar grand auf den Plan. Am 8. und 9. März folgte dann, ebenfalls im Münlter, das „Deutihe Requiem“ von Brahms und im Juni als Abſchluß der Saiſon Sebaftian Bachs „Matthbäuspaffion“, der ein weltlidies Bachkonzert ich anſchloß. Soliſtiſch waren tätig im erjten Konzert die Damen E. Homburger, A. Rahm-Fiaux, 2. Barblan und die Herren R. Plamondon, San Reder, Dr P. Deutſch und U. Siebenhaar; im zweiten: Frau Lo b— tein-Wirz und Herr P. Bovepple; im dritten Frau Koordewier-Redingius, Frl. M. Philippi, die Herten van Dort, 9 Nahm, 9 Ernft.
Die Basler Liedertafel ließ fih erſtmals bet Anlaß des 2. Shweizerifhen Lehrertages in einem Münjterfonzert hören. Zur Aufführung gelangten eine ganze Anzahl von Eleineren Geſängen der verſchiedenſten Meilter. Dann beteiligte fie fih an der Liſztfeier der Allgemeinen Mufitgefellfhaft und gab ihr Winter- fonzert im Januar; es wurden dabei außer einem Shubertjihen Werf nur Kompofitionen von ſchweize— riſchen KRomponijten vorgeführt (VB. Undreae, 9. Huber, O. Scho eck und 6. Weber). Solilten waren Frau Wirze Wyhb (Bern), die BVereinsmitglieder Hö. Hans Ernft
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und Karl Jakob und Herr €. ©. Breil (Orgel). Im Programm des Frühjahrsfonzertes interejjierte be- fonders eine Nummer, ein „Requiem“ für Männerchor von Max Neger; außerdem famen noch Chöre von %r. Hegar, Guſtav Weber und Auguſt Walter, ebenjo von alten Meiftern des 16. Jahrhunderts (Orlando di Laſſo und Donati) zu Gehör. Die Liedertafel wirkte dann, wie der Gejangverein, bei der Aufführung eines von Hermann Suter zum eidgenölliihen Turnfeit kom— ponierten %eitipieles mit.
Der Basler Männerchor (Dirigent CE. Sul. Shmidt) gab zwei Konzerte, eines im November, das andere im Mai. Beide Programme enthielten Chöre der befanntejten Meifter des Männergefangess. Mitwirkende waren im eriten Konzert Frau E. Hügli (Bern), Herr 9. Wetzel und Herr 3. Shlageter, im zweiten Frl. M. Philippi und Herr A. Hamm. — Wir geben, wie oben erwähnt, alles nur im Auszug und verweilen die LXejer, die fih näher für diefen Zweig unferes fünftlerifhen Lebens interefjieren, auf die Sahresberichte der betreffenden Geſell⸗ ſchaften und Vereine.
C. Malerei und Plaſtik.
Im November 1911 beherbergten die obern Räume der Kunſthalle die in dieſem Jahre ſehr reichhaltige Ausſtellung der „Basler Künjtlergejellihaft“. Neben mehr vereinzelten Einjendungen waren darin mit Gruppen von Bildern ver treten Eugen Ummann, E Beurmann, Paul Kam— müller, Stanz Krauß Burkh. Mangold, Dtto Mähly, Albr. Mayer, Fri Mod, Chriſtoph Dehler, Karl Pflüger, Adolf Siegrift, Hans Süffert, Albert Magen, Jakob Wagner (Locarno). Von Schweizern in Münden beteiligten jih €. TH. Meyer, 9. B Wieland und Ernit Rinderfpader, leßterer mit mehreren Glas: bildern, aus Berlin das Künftlerpaar Burger. Bon plafti-
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Ihen Arbeiten Hatten ausgeitellt Hans Frei einige Pla- fetten und Medaillen, Aug. Heer (Münden) eine Marmor: büjte, Safob Hofmann (Münden) mehrere Bronzen. — Der erite Stod enthielt neben der Kolleftivausitellung von YHquarellen Andre Engels (Laujanne) einige Land: Ihaften von Hermann Daur (Detlingen) und eine größere Serie Radierungen von R. Unheißer (Karlsruhe).
Die Meihnadtsausitelung war wie immer ſtark beſchickt. Ihr Gejamtbild Hat fich feit ein paar Jahren verändert durch die regelmäßige Beteiligung einiger jüngerer, hauptſächlich in Baris ausgebildeter Maler, die auch diesmal mit teil- weile umfangreichen Werfen auftraten; jo Numa Donze mit einem überlebensgroßen Entwurf „Amazonenfampf“ und einer Reihe Rheinlandihaften aus der Gegend unterhalb Balels; Baul Barth mit den Früdten feines Sommer: aufenthalts an der ſüdbretoniſchen Küſte; Karl Did mit Zandichaften und dem Porträt feiner Mutter, wohl feiner bis dahin feiniten und abgeflärteiten Leiſtung, die von unfrer öffentlihen Kunitfammlung erworben wurde; Heinrich Müller mit Landidaften und Volfstypen von feiner griedi- Ihen Reife. Vom übrigen Inhalt diefer Weihnachts-Kunſt-— Hau feien als bejonders bemerkenswert erwähnt: die Bild- nile von Hermann Meyer, die Landfhaften von Paul Burdhardt, deren eine vom Basler Kunftverein ange: fauft wurde — eine weitere Erwerbung des Kunjtvereins war das GSelbitporträt von Ed. Niethbammer —, die Marinen von Rud. Löw, die Akt- und Porträtfompofitionen von Eſther Mengold und die friſchen Studien von Ernit Buhner. i
Sm Sanuar 1912 war der Oberlichtſaal Hermann Meyer eingeräumt für die Kartons und Studien zu feinen kirchlichen Malereien: die Bruftbilder der zwölf Apoftel, als Glasbilder entworfen und ausgeführt für die Kirche von Degersheim (St. Gallen); dann die ganzfigurige Doppeiferie alt= und neutejtamentlicher Geitalten für die Fenſter der Kirche
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von Flawil (St. Gallen); an der Rüdwand des Gaales die tiefige Halbfreisfompolition der „Bergpredigt“, gleichfalls Glasgemälde-Entwurf für die letztgenannte Kirche; endlich, an der Eingangswand, das Driginalgemälde „Abendmahl“ von der Flawiler Orgelempore. Das Ganze umrahmt von zahlreichen zeichnerijchen und farbigen Studien, die einen Ein= blid gewährten in das Entjtehen diefer monumentalen Ar⸗ beiten.
Noch im Januar hielten die klaſſiſchen franzöſiſchen Im— preflioniften ihren Einzug in die untern Räume der KRunit- halle, mit einer jo zahlreichen Kollektion, wie fie Baſel unfres Millens noch nie beieinander gejehen hatte. Einer fehlte zwar, Ed. Manet, der einjtige Vorläufer der Richtung. Degas und Renoir waren nicht mit bedeutenden Werfen ver= treten. Dafür waren 5 Landihaften von Claude Monet da, worunter namentlich zwei mädtige Marinen; von Gi s- ley 8 und von Piſſarro gar 18 Gemälde. Lebterer konnte: fo beinahe in allen feinen malerifhen Wandlungen verfolgt werden. Ueberhaupt erhielt damit unfer Basler Publikum, das die Entwidlung der modernen Malerei nit an den Hauptfunftzentren jelbjt verfolgt hat, einen Begriff von jenen Klaflitern des franzöſiſchen Plein-air. Zwei jüngere hiefige Künjtler bemühten ji), eines oder zwei diefer Dokumente moderner Kunjt durch Subjfription für Bafel zu ſichern und. bradten es dazu, wenigjtens einen Pillarro für unfre Kunſt— fammlung erwerben zu fönnen. Ihrer Bedeutung entſprechend wurde die Smprejjionijtenausitellung bis Ende Februar ver= längert. — Bon den Ausitellern des Januars fei noch der junge, kräftig vorwärt jtrebende Bildhauer Auguſt Suter, zurzeit in Paris, genannt.
Der Yebruar vereinigte in den obern Ausitellungslofalen ein buntes Gemiſch kleinerer Kolleftionen, wobei Zeichnung und Graphik überwogen. Es waren dies — um das Haupt— fähhliche zu nennen — Studien landihaftlicher und figürlicher Art von Ernit Buchner (Bajel), Landidhaftsitudien in
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Tempera aus der Toscana von Roſa Paul (Baris), einige größere Landihaftsbilder von Victor Surbed (Bern); Borträtbilder in Del, Rötel: und Kohlezeichnung von Eſther Mengold (Bafel); eine zahlreihe Kollektion von Ge— mälden und Graphik in verfchiedener Technik von Hans Bolfert (Münden); endlih eine Reihe Landfchaften von 30. Shönenberger (Bajel).
Im März bradte Heinrt Müller den größern Teil jeiner malerifchen Ausbeute aus Griechenland zur Ausitellung, BaulBarth zwei Kinderbilder, 5. Marg. Frey (Bern) eine Serie Bildnijfe und landihaftlide Studien. Geſchloſſen ftellten aus die aargauer Landidafter Otto Wpyler, Erneſt Bolens, Dtto Ernfit, E Egger. Unter den mehr als 100 Gemälden diejer Künjtlergruppe waren außer der Landſchaft Porträt und Stilleben reich vertreten. Eine interefjante Auswahl großer Radierungen Hatte W. D. 5. Nieuwentamp aus Holland gefandt, Kleine zierlidhe Bronzen U. Daumiller aus Münden. — Im erjten Stod fand gleichzeitig die Separatausitellung Otto VBautier (Genf) jtatt. Es waren 60 Werke, meijt in Del und Paſtell, von diefem welſchen Maler vorhanden, deſſen erjtaunlicdhes Können ebenjojehr der Boudoireleganz als der ländlichen Srilche feiner aus disparaten Milieus geholten Bildvorwürfe gerecht wird.
Sm April und Mai war die Kunjthalle der Schauplaf einer über den Rahmen der üblichen Kunfthalle-Darbietungen weit hinausgreifenden, durch eine vielgliedrige Kommiſſion von langer Hand vorbereiteten Veranjtaltung, wie fie nur etwa alle Vierteljahrhundert einmal unternommen wird: der hiſtoriſchen Ausſtellung von Kunft und KRunftgewerbe aus Basler Privatbeſitz, um— faſſend die Perioden vom Ende des Mittelalters bis und mit Empire, wobei das Dix-huitieme im Gejamtbild überwog. Diefe große Unternehmung, zu der fi) die Hiftoriih-antiqua= riſche Gejellfihaft und der Kunftverein zufammentaten, ein-
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gehender zu würdigen kann nit die Sache eines Beridht- erjtatters über modernes Kunftleben in Bajel fein. Die Hauptarbeit, das Sammeln und das Einridten, leitete größtenteils der dem hiſtoriſchen Kunftgewerbe vorgeſetzte Konfervator des hiſtoriſchen Mufeums. Das Plakat, eine Altfranfen-Amateurgruppe in Oval, lieferte Burckh. Man- gold. |
Mährend droben im Oberlidtjaal und zwei anjtoßenden Gemädern die funftliebende Vergangenheit ihren Belig an Mobiliar, Goldfchmiedearbeiten, Porzellan und Glas, Fächern, Riechflacons und Tabafsdojen ausbreitete, bot jich dem Kunit- verein Gelegenheit, gleichzeitig das Andenken an einen be- deutenden Basler Künjtler aufzufriichen, der feit etwa einem Sahrzehnt zu den Toten gehört. Sm Borjaal zur Sammlung und bis in die Mitte des Sammlungsfaales ji) erjtredend, ließ die Ausjtellung von Aquarellen Sans GSandreuters, der ji) einige Temperagemälde und eine Anzahl Zeichnungen angliederten, die für unſre ganze jüngere Künjtlergeneration vorbildliche Meilterfchaft diefes Malers, jpeziell im Aquarell: fach, noch Elarer hervortreten als zu feinen Lebzeiten. Die Zahl der Beſucher jowie der Ankäufe bewiefen das Intereſſe, das unjer gejamtes Publikum diefer Sandreuter-Ausftellung entgegenbradte.
Sm Juni füllte die Kunjthallefäle ein buntes Gemiſch verjehiedenartiger Einjendungen: einige Bilder und Studien des Tiermalers RudolfKoller (T 1905) aus Privatbeſitz; die größere Kollektion des Karlsruhers Arthur Grimm, der in Porträt, Landihaft und Stilleben deutlich den dop⸗ pelten Einfluß feines Lehrers Trübner und der Pariſer Schu: lung verriet; einige Gemälde feines Studiengenofien Rud. W. Burdhardt (Bafel); eine Reihe Delbilder und gra- philche Blätter der in Münden jchaffenden Baslerin Maria La Roche; eine größere Zahl Aquarelle, meijt aus Holland, von Fritz Mod (Bajel); Landihaften und Figürliches von Paul Schürch (Olten); fehr bemerkenswerte graphifche
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Blätter von Georg Jahn (Dresten). Dann eine Brienzer Künjtlergruppe: Gemälde von Hans Wid— mer, PBlaftit von Albert und Hans Yuggler. Eine Geparatausftellung von plajtiihden Werfen veranitaltete Auguſt Heer im eriten Stod. Endlich enthielt die Juni— Ausftellung den fünjtleriihen Nachlaß des verjtorbenen Solo: thurner Malers Walther von Vigier.
Rad) der zweimonatigen Sommerpauje eröffnete die Sep- temberausjtellung mit jehr reichhaltigem Programm Die Herbitjaifon.. Den Oberlichtjaal beherrſchte der in Paris febende Schleſie Eugen Spiro mit 60 Bildern meilt größern Yormats, aber nicht bloß durch Menge und Umfang, londern durch die Verfhiedenartigfeit der Gegenjtände und die befonders farblich hochſtehende künſtleriſche Qualität. Eine ausgezeichnete Kopie von Manets „Olympia“ in Driginal- größe eröffnete den Reigen jeiner Werke. Neben diejem „Könner“ vermodten ſich immerhin zu halten der Landichafter Affeltranger (Winterthur) mit feiner eigenartigen und wirkſamen Technik, die an Gegantini und zugleid) an franzö- fiihe Borbilder erinnert, und Srancois Gos (Münden) mit feinen ſtark ftilijierten Landſchafts- und Figurenbildern. Unter den übrigen Ausjtellern befanden ji) drei jüngere Basler Künſtler mit größtenteils graphiihen Gerien: Ru: dolfDürrwang, Arthur Riedel, Regnault Sa raſin. Im eriten Stod veranitaltete EmilBeurmann eine Sonderausitellung mit mehr als 100 Nummern. Dem fauffräftigen Publifum gefielen namentlih feine friſchen Aquarelle und die zahlreichen Blätter, in denen er mit Kohle und Farbſtift die Eleganz modiſch gefleideter Frauen feit- gehalten.
Für den Oftober endlich Hatte ſich die Parifer Societe des Humoristes, der eine der beiden franzöſiſchen Karifa- turiftenverbände, in Bajel zu Gajte geladen. In gewaltiger Zahl langten die Produfte des franzöſiſchen Humors, der ja nit jedermanns Sade it, in der Kunjthalle an — Skizzen
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kleinſten Umfangs mit großen Delgemälden, lebensgroße Gruppen in Gips neben Miniaturbronzen und — Terra= totten — und wurden auf Wände, Sodel und Vitrinen ver: teilt. Bon befannten Namen waren darunter Leandre, Chapuy, Morin, Sandoz, Boutet de Monvel x. — Es war bei den Raumpverhältnifjen der Kunfthalle beinahe ein Glüds- fall, daß die für denjelben Monat angemeldete „Basler Künftlergejellihaft“ nicht ihre fämtlihen Mitglieder zur Be- teiligung veranlaljen fonnte. Ihre Kolleftivausjtellung bot ein recht Tüdenhaftes Bild, in dem Karl Pflüger, E. TH. Meyer (Münden), Chriſtoph Dehler und der Me: dailleur Hans rei bejonders hervortraten. Auch der jeht in Locarno anfällige Hans Garnjobit, der während langer Sahre von Basler Ausjtellungen ſich ferngehalten, hatte einige Gemälde eingejandt.
D. Urditeftur.
Sm vergangenen Jahre find an verſchiedenen durch Ver: fehr und Lage hervorragenden Punkten der Stadt größere Bauten entitanden, durch welche das Straßenbild jeweilen befonders jtarf beeinflußt worden iſt. Vor allem können zwei Beilpiele in der inneren Stadt angeführt werden, beides Werke von Architekt Neufomm, die zurzeit noch unvoll- endete Volksbank, weldhe für die diesjährige Chronik noch außer Betradt fällt, und der Neubau des Walde an der Mittleren Rheinbrüde auf Kleinbasler Ufer. Lebterer ijt ein vierjtödiger Bau mit hohem Manſarddach; auf Höhe des Brüdenniveaus wird zurzeit eine Terrajje über den Rheinweg vorgebaut, was die abnorme Höhe des Haufes, von Weiten gejehen, für das Auge etwas mildert und wenn die jeßt blen- dend weike Steinmajfe in einigen Tahren eine natürliche PBatina angenommen hat, wird fie jih auch harmonifcher in die Umgebung einfügen.
Mehr der Umgebung angepaßt präjentiert fih an der obern Treienftraße der ausgedehnte Erweiterungsbau der
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Basler Handelsbant von Arditelt Fri Stehlin. Durd die ftarfe und eigenartige, den neuſten Bedürfniſſen eines großen Bankgeſchäftes entiprechende Gliederung, jtellt ſich die helle Hauſteinfaſſade als jelbitändiger Teil des ganzen Ge- bäudelompleres dar, in dem, von der Freienſtraße her durch zwei weite Toröffnungen im hohen Sockelgeſchoß zugänglid), einerfeits die Mechfeljtube, anderfeits der Schalterraum an- geordnet Jind, leßterer in wirkungsvoller Ausitattung mit Dunfelrötliher Marmorverfleidvung und mit feingearbeitetem Mefiingwerf.
Ein weiteres Banfinftitut, die Hypothefenbant in Bajel, an der Elijabethenjtraße Hat durch Umbau ihres alten Haufes und durch einen Anbau an Gtelle des Nebenhaufes Nr. 34 ebenfalls neue Gefhäftsräume gewonnen. Die Faſſade des ganzen Gebäudes hat durh Putarditeftur eine wohl über: legte Umgeitaltung erfahren, dur) maßvolle, folide Einfach— heit in Verhältniljen, Profilierung und Dekoration an die guten Beilpiele einer vergangenen Zeit erinnernd; die Ardi- teften waren Suter & Burdhardt.
Demnädjit wird noch ein weiteres Gejhäftshaus an der Clifabethenftraße von denjelben Architekten im Aeußern fertig: geitellt fein, der Neubau für die Speditionsfirma Goth & Co., deſſen Faſſade über dem maflig gehaltenen Sodelgeihoß eben: falls in Pugarditeftur originell durchgebildet if. Die hohe Pilajteritelung und der ausgiebig verwendete plajtifche Schmud in Form von Guirlanden, Blumengehängen und Me: Daillons ergeben eine überaus lebhafte Wirkung.
Das am Klofterberg errihtete Magazingebäude gliedert fi) dank der guten arditektonifhen Geftaltung fehr günitig den alten heimeligen Gebäulichfeiten an der Theaterjtraße an (Architekt Fritz GStehlin).
In der Steinenvorſtadt, deren Straßenbild ſchon ſeit Jahren durch keinen Neubau verändert worden iſt, fügt ſich als ganz neuartiges Glied die Faſſade des Variété-Theaters Küchlin in die alte Häuſerreihe ein. Der ganze Bau dieſes
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Theaters erjtredt fi) von der Steinenvoritadt bis zum Birfig- bett; neben den Haupteingängen befinden ji) Verfaufsläden, im erjten Rang gegen die Straße liegt das in Grün gehaltene Foyer, und gegen den Birfig find die Garderoben für die Ar— tiften in einem befondern Bau untergebradt. Das Theater fann bis 1500 Perſonen fallen; zwei amphitheatraliih an— fteigende Ränge und das Barterre enthalten gegen 1000 Sitz- pläte. Die Hauptfaſſade, vollitändig in Muſchelkalkimitation ausgeführt, zeigt eine gewaltige Säulenjtellung doriſchen Stils von fieben Halb-Säulen; in jeder Travee zwiſchen den Senjtern des zweiten und dritten Geſchoſſes find figürliche Hochreliefs mit allegorifhen Darjtellungen von Tanz, Mufik, Gymnaftif u. |. w. angebradt.
Die eriten Entwürfe zu diefem Theater wurden dur Baumeilter Echtermeyer in Berlin angefertigt, die weitere definitive Bearbeitung des Projektes in fünjtlerifher und fonjtruftiver Beziehung lag in den Händen der Arditelten Widmer Erlader und Calini, Jowie des Prof. Läuger in Karlsruhe.
Das Eckhaus Lindenhof-PBeter-Merianitraße der Archi— teften E. Bijher & Söhne, mit Geihäftsräumen im Erd— geſchoß zeigt einen originellen architektoniſchen Aufbau.
Die Bebauung der Edliegenihaft St. Jakobſtraße-Lange— galje, über die ſchon im vorjährigen Jahrbuch berichtet wurde, hat nun durch Erjtellung von zwei großen, zu einer einheit= lihen Gruppe vereinigten zweiltödigen Einfamilienhäufern, lowie eines Einzelwohnhaufes in reizuoller Lage, rings von Gartenanlagen umgeben, ihren Abſchluß gefunden. Die beiden Häufer Nr. 43 und 45 zeichnen fi durch eine in Form und Farbe ſtark markierte architektoniſche Behandlung aus, während das von der Straße abliegende Haus Nr. 10 an der Langen Gafje jeiner Umgebung entſprechend in freiem, friſchem Stil gehalten ift. Alle drei Neubauten find von den Archi⸗ tekten Burckhardt, Wenk & Eo. entworfen.
Im äußern St. Albanquartier finden wir keine nam-
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haften Neubauten, außer den beiden zujammengebauten Ein- familienhäufern Nr. 121 und 123 an der Harditraße unter behäbigem Manjardendad), von den Arditeften La Rode, Stähelin& Co, ferners dem Tierheim an der Peripherie der Stadt bei Birsfelden, nahe der Birsbrüde, zwiſchen Fluß und Bahndamm gelegen; Arditelt Heinrih Flügel hat dort eine hübjche, in allen Teilen zwedentiprechende Anlage geihaffen.
Auf dem rechten Birfigufer bleibt noch über die beiden bedeutenditen Bauten zu berichten, welche diefen Herbit voll: endet worden find. Das neue Verwaltungsgebäude der Basler Lebensverjiherungsgejellihaft am Aeſchenplatz fand bei Ge- legenheit jhon in beiden vorhergehenden Sahrbüdern Er: wähnung. Heute ijt dieſer ftattlide Bau der Arditekten E. Bifher & Söhne in allen Teilen fertiggeftellt. Die ganze Baumajje in ihrer Geſchloſſenheit mit der jtrengen, faft erniten Formengebung und Gliederung fommt auf dem weiten Plaß zu jtarfer Wirkung.
Um 26. und 27. Oftober fand fodann die Einweihung der Heilig-Geiltfirde der römijch-fatholifhen Gemeinde an der Thierjteinerallee ftatt; eine bei diefem Anlaß heraus- gegebene Denfihrift berichtet ausführlih über die Baus geihichte und die Bauausführung, über das Geläute und die Baufoiten. Die Pläne zu diefer Kirche wurden gemeinfam dur) die Architekten EC. A. Medelin Freiburg im Breisgau und Guſtav Doppler in Bafel ausgearbeitet; auch der fürzli) verjtorbene Baudireftor Mar Medel, Bater des Obigen, war noch am Entwurf fünjtlerijch beteiligt. Die ganze Anlage umfaßt außer der Kirche das Pfarrhaus und die Giegrijtenwohnung, diefe im Hof an die Südſeite des Chores angebaut, jenes an der Thierfteinerallee durch einen zweigeſchoſſigen Querbau, mit offener Durchgangshalle von der Straße nad) dem Hof, mit der Kirche verbunden; für ein Vereinshaus, als fpäterer ſüdlicher Hofabſchluß gedacht, ift noch Pla vorhanden. Der fchlanfe Turm mit feinem hohen
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ziegelgededten Helmdah iſt an der Weitfafjade, zwiſchen Mittelfchiff und Verbindungsbau nad) dem Pfarrhaus, an= geordnet. Kirche und Nebengebäude find in charaktervollem Ipätgotifhem Stil gehalten; die Gruppierung der Gebäude tft ar und in der Silhouette einfach; um jo reiher und als be= fonderer Schmud wirken die reizvollen Steinhauerarbeiten in hellem Vogefenjandftein an Fenſtern und Portalen, an Balu- ftraden, Kanzel und Taufitein.
Für das Stadtbild des äußern Gteinenquartiers un— mittelbar am linken Birjigufer fommt die wirkungsvolle, große Miethausgruppe, die zwiſchen Birfigjtrake und Tier: gartentain am Viadukt von Arditet Rudolf Linder erbaut worden ift, zu enticheidender Geltung. Die tiefe Lage des Bauplates unter dem Niveau des Viaduftes einerjeits und andererfeits die freie Ausfiht über das Nachtigallen— wäldchen weg nad) den Jurahöhen veranlakten den Architekten zu der eigenartigen Löſung in der Yusnükung des Terrains. Der Haupteingang zu den Wohnungen ilt an die Nordfaſſade auf eine Terrajje über dem hohen Sockelgeſchoß gelegt; von dieſer nad) dem Viadukt ſpannt fich eine Betonbrüde über den Ziergartenrain. Die eigentlihen Wohngeſchoſſe des Haufes find jo ziemlih Hoch über die Birfigftraße gehoben, um den Wohnungen eine möglichjt alljeitig freie Lage zu fihern. An der Nordfeite iſt die Faſſadenflucht gegen die Mittelachfe hin ſtark zurüdgebogen, fo daß zwei Flügelrifalite vortreten; die Mittelpartie gegen den Viaduft läuft oben in einen breiten gejchweiften Giebel aus. Das ganze Gebäude mit dem ziegel- gededten Manſarddach ijt unter Anlehnung an alte hiefige Beilpiele in gemäßigten baroden Yormen gehalten. Längs des Rümelinbaches befindet ſich zurzeit ein ebenfalls für Miet- wohnungen bejtimmter Ylügelbau in Ausführung, der fidh dem Hauptbau unmittelbar anjchließt.
Die bejtändige und ziemlich rafche Ausdehnung der Stadt gegen Weiten fann auch diejes Jahr wieder Zonjtatiert werden; ohne die einzelnen Objekte des Nähern zu beſprechen,
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jeien hier einige Gruppen von Keinen Einfamilienhäufern erwähnt. So an der Kluſerſtraße die Häufer Nr. 33, 35 und 37, an der Marſchalkenſtraße Nr. 40 bis 46, an der Benkenſtraße Nr. 7 bis 19, ferners vier Häujer Ede Bätt- wiler:Neubaditraße.
Sm übrigen erbaute das Baugefhäft Gebr. Stamm an der Obermwilerjtraße bei Einmündung der Bachlettenſtraße einige größere Miethäufer mit anſprechender Faffadenbildung. Auch das Haus NRütimeyerftraße 64 mit hübſcher Straßen: front verdient an diejer Stelle Erwähnung.
Außerhalb der Yeltwiefe auf der Schüßenmatte ver- größert ji) das Kleine Quartier zufehends; als Beifpiel fet hier nur die große Gruppe von komfortablen Einfamilien- häufern Nr. 110 bis 118 an der Neubaditraße von Architekt Heinrich Flügel genannt.
Das äußere Spalenquartier, wo Die Bebauung ebenfalls ftetig fortjchreitet, Liefert für diefe Chronik felten nennens= werte Beijpiele der Bautätigkeit.
Die drei Fleinen eingebauten Häufer Sennheimeritraße 55, 57 und 59 feien als einzige Repräjentanten jener Gegend hier namhaft gemadit.
Erit wieder auf bajellandihaftlidem Boden, im langen Lohn wird unfere Aufmerffamfeit auf eine hübjhe Gruppe von fieben aneinander gebauten Häuschen und ein einzel- ftehendes größeres Einfamilienhaus gelenkt, wo der Anfang zur Anlage einer kleinen Gartenjtadt gemadt ift; der Be— bauungsplan dazu und die bis jet erftellten Bauten find von Architekt Cugen Tamm entworfen. Die großen, ein- fachen, roten Dachflächen, das rotgeftrihene Holzwerk und der hellgraue Verputz verfehlen nicht eine frifhe frohe Wirkung und man empfindet, daß der Architekt bei Anlage diejer Häufer niht dur hemmende ftädtifhe Bauvorſchriften ge- bunden war.
Die Leine, duch die Basler Baugeſellſchaft er jtellte Eigenheimfolonie an der Lenzgaſſe Hat auch diefes Fahr
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durch eine neue Vierhäufergruppe, Nr. 6 bis 12, eine Ber: größerung erfahren.
Auch ſonſt vollzieht fih im St. Johannquartier die Aus— breitung der Stadt für hiefige Verhältnijfe ziemlich jchnell und es zeigen fich dort vor allem indujtrielle Anlagen, Zager= und Geihäftshäufer, die gegen St. Ludwig und Hüningen hinaus entitehen. Ein neuer Gajfometer von ebenjo mon= ſtruoſen Dimenfionen wie fein älterer jhwarzer Kamerad trägt nicht eben zur Berjchönerung des Gtädtebildes bei. Dagegen Hat der Allgemeine Konfumverein ein jtattliches Geihäftshaus mit Lagerräumen für ſein Haushaltungs-, Obit: und Gemüjegeihäft an der Elſäſſerſtraße Nr. 209 er- baut; das Weußere des Gebäudes, in einfahren und zwedent- Iprechenden Formen gehalten, mit ziemlid) lebhafter Färbung, macht einen günjtigen Eindrud. Cs ilt dies der einzige Neu- bau in jenem Teil des Quartiers, der für diefe Chronik in Betracht fallt, denn die verjhiedenen mehritödigen Miet- bäujer, die jtadtwärts des St. Tohannbahnhofs fih Jahr für Sahr eins ans andere reihen, fünnen nit Anſpruch erheben, an diejer Stelle einzeln erwähnt zu werden.
Im Kleinbajel verfolgt der Basler jtets mit befonderem Snterejle den Kortichritt der Arbeiten an dem feit Jahren im Bau begriffenen Badischen Bahnhof, jpeziell am Perfonen: bahnhof. Der Ausbau des Aufnahmegebäudes, dejjen äußere Geitaltung beinahe vollendet ijt, jehreitet vorwärts und die Perronhallen in wudtiger Eiſenkonſtruktion find fertig montiert.
Das Fernheizwerk für den ganzen Bahnhof ift am untern Ende der Schwarzwaldallee errichtet worden; außer dem Heiz- werk find in diefem Bau noch Transformatoren, elektrifche Maſchinen, Affumulatorenbatterien und anderes unter gebradt. Glüdlicherweije bietet das Fernheizwerk mit feinem mafjigen Turm, den Hohen, roten Ziegeldähern und dem gelblih) getönten Sprißbewurf der Umfajjungsmauern nit - den trojtlos Tangweiligen Anblid, bei dem man für ſolche
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untergeordneten Baumwerfe des Verfehrs oder der Induſtrie nod) bis vor wenigen Jahren überall leider glaubte fich be- gnügen zu dürfen. Unmittelbar nebenan reihen ſich vier im Bau begriffene Gruppen Beamtenwohnhäujer an. Dieje un= glei) großen Gruppen find jo angeordnet, daß durch deren verjhhiedenartige Stellung zufammen mit dem Fernheizwerk eine gute Gruppierung der einzelnen Gebäudemajjen erzielt wird.
Ein für Bafel ganz neuartiger Bau ijt das gegenüber den beſprochenen Wohnhäujfern auf dem Areal des badilchen Güter: bahnhofs liegende Silogebäude, von der Basler Bau: geſellſchaft für die Basler Lagerhausgeſellſchaft errichtet. Weußerlih zeichnet ſich dieſer Bau durd feinen Formen— reihtum, jondern nur durch feine beträdtlichen Abmejjungen aus. Um jo interejjanter ijt er in fonjtruftiver Hinjicht,; der Snnenraum ilt in der obern Hälfte in hodjjtehende, unten trihterförmig geſchloſſene Zellen von quadratiidem Grund: riß aufgeteilt und das ganze Haus iſt von Sundamentjohle bis Dachfirſt in Eifenbeton ausgeführt.
Sobald der neue badiſche Bahnhof dem Betrieb über: geben ift, joll das jegige alte Bahnhofgelände teilweiſe der Bebauung erihloffen werden; infolgedeſſen macht ſich jeßt Ihon zwiſchen Riehen: und Grenzaderjtraße, vorerjt an der neuerjtellten Turner- und Rötelerſtraße eine regere Baus tätigfeit geltend, die jedod) bis heute feine nennenswerten Rejultate geliefert hat.
Bevor der Schreiber feinen diesjährigen Bericht jhließt, it er gezwungen, auf eine Notiz im Jahrbuch von 1911 Hin- zumeifen. Es iſt dort die Wiederherjtellung des überaus malerifchen Haujes PBetersgraben Nr. 35, Eigentum der Gefell- Ihaft für das Hriftlihe Vereinshaus, lobend hervorgehoben worden. Nun Hat dort aber in diefem Jahr leider eine un- glüdlihe bauliche Wenderung bei Umbau des Erdgeſchoſſes Itattgefunden. Dabei ift aud) der üppig rantende wilde Wein, der uns Sahr für Jahr durch feine Farbenpracht erfreute und
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das Haus wie mit einem reich gefärbten [hmüdenden Kleid, umgab, verfhwunden und der reizende Aſpekt dieſer ganzen Häuferpartie verdorben. Es mag dies ein warnendes Bei— fpiel und ein Beweis dafür fein, wie berechtigt die Forderung des Heimatſchutzes war, Fünjtlerijch Hervorragende oder ſonſt typilhe Stadtteile und Gebäude von Staatswegen zu ſchützen, um zu verhindern, daß ſolche ohne Not, wie in genanntem Ball, verunftaltet werden, und es wird in Zufunft Aufgabe der ftaatlihen Heimatihuglommillion fein, darauf zu achten, daß feine ähnlihen Mikgriffe mehr getan werden.
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Basler Chronik. J. November 1911 bis 3]. Oktober 1912,
Don Dr. Srig Baur.
November 1911.
4. 5 Im zweiten Wahlgang der Nationalrats- wahlen für 1911—14 muß die ganze Deputation von 7 Mit- gliedern neu bejeßt werden, da der erjte Wahlgang, 28./29. Okt., rejultatlos verlaufen war. Baſelſtadt Hat feit der Bolfs- zählung vom 1. Dez. 1910 fieben Mitglieder des Nationalrats zu wählen. Gewählt wurden bei 13,407 abgegebenen gültigen Stimmen Konjumverwalter B. Jäggi (ſoz.) mit 7099, Red. J. Frei (j03.) mit 6429, €. Müry (freij.) mit 5004, Oberit Iſaak Iſelin (lib.) mit 4588, Dr. Chr. Rothen- berger (freij.) mit 4296, Reg.-Rat E. Chr. Burdhardt (lib.) mit 4211 und Dr. Em. Göttisheim ffreif.) mit 3782 St.; weitere Stimmen madten Ing. Rud. Gelpfe, von der fortjehrittl. Bürgerpartei und den Liberalen portiert (3609), und der fatholijhe Dr. U. Joos (2844). Für Näheres lei auf die vorjährige Chronik verwieſen.
An diefe Wahlen fnüpfte fih ein Nachſpiel an, indem am Tage nad) den Stichwahlen befannt wurde, daß der beitätigte Nat.Rat E. Müry-Flück aus der freijinnigen Partei aus: getreten fei. Er begründete den Schritt damit, daß er vom linken jungfreijinnigen Slügel der Partei illoyal fei behandelt worden. Auf die Aufforderung feiner bisherigen politifchen Freunde, aus feinem Entihluß die Konjequenzen zu ziehen, antwortete er mit dem Hinweis, daß er nit von den Kreis
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finnigen allein gewählt worden jei, daß er im übrigen feinen Entſchluß abhängig made vom Entiheid des Zentralaus- ſchuſſes der ſchweizeriſchen freilinnigen Partei. An diejen habe er appelliert. Ohne den Spruch abzuwarten, legt in- dejlen Hr. Müry fein Mandat am 22. Nov. nieder.
5. Die Delegiertenverfammlung des Föderativ— verbandes eidgen. Beamter, die in Bafel tagt, be- ſchließt, Schritte zu tun, um dem Perſonal der eidgenöſſiſchen Militäranitalten das Recht der Vereinssteiheit zu ſichern.
Die Reformationsfollefte, zugunjten eines Kirchenbaus in Saignelegier erhoben, wirft im ganzen Kan— ton netto 4457 Fr. 76 ab.
In der St. Leonhardsfirhe wird der neue Helfer zu St. Leonhard, Pfr. Hans Baur, bisher an der Matthäus: firche, feierlich in fein Amt eingeführt.
9. Der Große Rat hört zunädft eine Interpellatien über die Teuerung, die von der Regierung unter Hinweis auf die bereits getroffenen Maßregeln zur Zufriedenheit des Snterpellanten beantwortet wird, erledigt dann einige tleinere Geſchäfte, nimmt das Gejeß betr. das ftändige ftaat- lihe Einigungsamt nad) zweiter Leſung an und beginnt die Beratung des Verwaltungsberidäts für 1910.
Der Genojjenihaftsrat des Allg Konſum— vereins behandelt die partielle Reviſion der Genofjen- Ihaftsitatuten und weilt eine Motion ab, die dem Bureaus perjonal den Samstag Nachmittag frei geben wollte.
10. An der Rettoratsfeier in der Martinskirche Ipriht Prof. Metzner als Rektor über das ſympathetiſche Nervenſyſtem. Zu Chrendoftoren der Medizin werden er: nannt Prof. Dr. Karl Vonder Mühll und Fri Viſcher-Bachofen. Die Preisfrage der medizinifchen Fa— fultät wird gelöft von Dr. med. Hans Hößly. An den Alt Ihließt fih das als Rektoratseſſen befannte Zunftellen der afademijchen Zunft, am Abend ein Kommers der Studenten: Ichaft in der Burgvogteihalle an.
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14—16. König Betervon Serbien hält fih auf der Durdreife nah Paris zum Beſuche des Präſidenten Fallières zwei Tage in Bajel auf.
16. Großer Rat. Den ganzen Gikungstag nimmt die Meiterberatung des Prüfungsberidhts für 1910 in Anfprud.
Am Abend um *11 Uhr [hredt ein ungewöhnlich heftiges Erdbeben die ganze Stadt auf. Zum Glüd hat es nirgends bedenflihe Folgen. Das Zentrum des Bebens jhien in Süd— deutichland zu liegen.
18. Das vom Regierungsrat zufammengeftellte Budget für 1912 jieht vor an Einnahmen 17,317,661 %r. 80, an Aus» gaben 19,517,490 Fr. 60, fomit ein Defizit von 2,199,828 %r. 20, wozu nod) 500,000 Fr. auf das Konto „Eijenbahnumbauten“ fommen.
18. 19. Zum Bfarrer der Matthäusgemeinde wird an Stelle des nad) St. Yeonhard gewählten Pfarrers Hans Baur einftimmig gewählt der vom Kirchenvorſtand vorgefhlagene, der freifinnigen Richtung angehörende Pfr. Otto Marbad, d. 3. in Giteig bei Interlafen.
21. Die Regen; wählt zum Rektor der Univerjität für 1912 Brof. Eberhard Viſcher und beitätigt als ihren Schreiber Prof. J. Wendland.
22. Zum 2. Gefretär der Bormundihaftsbehörde wird von der Regierung gewählt Otto Stoder- Müller, Gel.- Lehrer.
Die Freiwillige Schulſynode hält im Ber— noullianum ihre 20. Jahresverſammlung ab. Nah Er—⸗ ledigung der Geſchäfte Hält ihr Präſident Dr. W. Brenner einen Bortrag über Wert und Unmwert der Schulzeugniijle. Die Synode beſchließt, die Diskufjion auf eine außerordent- liche Verfammlung zu verſchieben.
Die Pofitiven Gemeindevereine halten ihre Sahresverfammlung in der Burgvogtei ab. Das Referat über ChHriftlide Religion und Charafterbildung hält Dr. F. W. Förſter aus Zürid.
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24. Der Genoſſenſchaftsrat des Allgem. Konfum=- vereins ſchließt Tarifverträge ab für die im A.C.V. bes m. Fuhrleute, Mebger und Bäder.
. Die Peſtalozzi-Geſellſchaft begeht ihre wo im Münjter mit einer Anſprache von Pfr. K. Stüdelberger und verſchiedenen künſtleriſchen Dar= bietungen. u
28. Die evangelifh:reformierte Synode ge nehmigt einige Nadhtragfredite für 1911 und das vom Kirchen tat zufammengeftellte Budget für 1912 und heißt den auf 5 Sahre mit dem Bürgerrat abgeſchloſſenen Vertrag über Verteilung des Kirchenopfers gut. Zum Mitglied und Vize- präliventen des Kirchenrats an Gtelle des zurüdtretenden Reg.-Rat Dr. E. Chr. Burdhardt wählt fie nad) politivem Vorihlag Dr. Ed. Kern, zum Abgeordneten für das theo- logiihe Konkordat Prof. PB. Böhringer.
Die Basler Abjtinenten begehen in der Burg— vogtei eine Bunge-%eier zur Erinnerung daran, daß vor 25 Sahren, am 23. Nov. 1886 Prof. G. v. Bunge mit feinem akademiſchen Bortrag über den Alkoholismus die Anti— alfoholbewegung in der Schweiz eingeleitet hat.
29. Sm Alter von 76 Jahren jtirbt Laurent Wers singer- Walt, Seniorchef der Firma Danzas u. Cie. U. ©., die unter den Gpeditionshäufern des Kontinents einen hohen Rang einnimmt.
30. Großer Rat. Zu Beginn der Sitzung gedenft der Vorſitzende des am 27. verjtorbenen Bundesrat Schhobinger. Nah einer nterpellation berät Jodann die Behörde den Rechenſchaftsbericht für 1910 zu Ende und übermweilt ver- Ihiedene dazu geitellte Poſtulate. Zu Landanfäufen für Zwede des Gaswerfs bewilligt der Rat 300,000 Fr. und weift die Vorlage betr. Anlage einer Terrafie auf der Kleinbasler Geite der mittleren NRheinbrüde an die Regierung zurüd.
Der Genojfenfhaftsrat des A.C.V. fährt fort in der Beratung der Tarifverträge mit feinen Arbeitern.
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Witterung. Die meteorologiihen Hauptwerte des Monats November 1911 waren: Mittel der Temperatur 6,19, mittleres Temperatur-Marimum 9,17, mittleres Temperatur- Minimum 3,80 Cellius, Mittel des Quftdruds 735,5, Summe der Niederihlagsmenge 73,9 mm, Summe der Sonnenſchein⸗ dauer 82,9 Stunden. An dem langjährigen Durchſchnitt ge— meſſen, ift der Monat viel zu milde gefallen und hat einen anſehnlichen Ueberſchuß an Niederſchlägen ergeben.
Dezember 1911.
3. In den Gottesdienſten der reformierten Kirche wird das Opfer für die Miſſion erhoben und ergibt für die Basler Miſſion 5434 Fr. 41, für die allgemeine evangeliſche Miſſion 660 Fr. 16, beide Summen netto.
5. Der Weitere Bürgerrat genehmigt den Ver: waltungsbericht des Engern Bürgerrats für 1910, beitellt die Prüfungstommiffion für 1911 und erledigt eine Reihe Be: gehren um Aufnahme ins Bürgerredt.
7. Der Große Rat überweilt den Anzug Gehrig, der die Leichenverbrennung zur Regel, die Erdbeitattung zur Aus⸗ nahme maden möchte, bejchließt den Ankauf der Liegenſchaft zum „großen Collmar“ am St. Albangraben zu Verwaltungs: zwecken und genehmigt die Staatsrehnung für 1910.
9./10. Zum Wppellationsgerichtspräjidenten an Gtelle des zurüdtretenden Dr. Hans Völlmy wird ohne Gegenfandi- daten gewählt Dr. Gerhard Börlin, bisher Zivilgeridhts- prälident, mit 1283 von 1318 abgegebenen Stimmen bei 21,757 Stimmberedtigten.
12. Dr. Ernſt Heidric Hält feine Antrittsporlefung über die Anfänge der neuern Kunſtgeſchichtſchreibung. Prof. Sans v. Friſch nimmt einen Ruf an die Univerfität Czerno— wiß an. |
13. Die Frequenz der Univerfität im Winter: femejter 1911/12 weijt folgende Zahlen auf: 60 ordentliche und 27 außerordentlihe Profeſſoren und 36 Privatdogenten;
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772 Studierende (39 Damen) und 158 (93) nit immatrifu- lierte Zuhörer; von den Studenten find 604 (34) Schweizer. Theologie jtudieren 64, Jurisprudenz 64, Medizin 227 (13), Philoſophie I 214 (18) und Philoſophie II 203 (8). Yon den 226 (20) in Bafel ftudierenden Angehörigen des Katons Bajel- ftadt widmen fie) der Theologie 11, der Jurisprudenz 39, der Medizin 39 (2), der Philojophie I 90 (12), der Philoſophie II 87 (6).
14. Der Große Rat überweilt im Anſchluß an eine Snterpellation der Regierung eine Motion betr. Aenderung der Statuten der Krankenkaſſe der Straßenbahner, befchließt mit Dringlichkeit Erwerbung des Cleftrigitätsneges in Niehen, nimmt eine Abänderung des Beamten- und Bejol- Dungsgejeßes vor, genehmigt die Vorlage betr. Wohnpflicht der Beamten und Angeltellten des Erziehungsdepartements und erledigt in erjter Lejung das Geſetz betr. Kanalijation im Kantonsgebiete.
15. Der Genoffenfhaftsrat des Allg. Kon jumvereins berät die Tarifverträge mit dem Perjonal zu Ende, nimmt die revidierten Statuten in der von der Kommillion vorgeſchlagenen Form an, ändert das Beloldungs- reglement und nimmt ein Reglement für den Perfonalaus- ſchuß an.
19. Wie die Regierungsratsverhandlungen mitteilen, haben Freunde der Univerfität auf 6 Jahre einen Betrag von jährlih 4950 Fr. fiher geftellt als Dotation für eine PBrofeffurder Geographie.
21. Ein Sturm von ungewohnter Heftigfeit wirft die Buden des Weihnadtfronfaitenmarfts auf dem Barfüßerplaß über den Haufen und dedt die Barfükerfirhe zum Teil ab.
22. Beim Skifahren in der Umgegend von Davos fommt der auf dem Spießhof als Beamter der ©. B. B. arbeitende Ernft Cornu in einer Lawine ums Leben.
Gemeinnüßige Geſellſchaft. Die Zinstragende Erjparnistafje erhält übereinftimmend mit den Forderungen
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des am 1. Januar 1912 in Kraft tretenden neuen Schweize- riſchen Zivilgejegbudes den Charakter einer Stiftung.
Die Stimmberedtigten von Riehen nehmen in einer Verfammlung Stellung gegen das vom Großen Rat in erfter Leſung beſchloſſene Gefeg betr. Ranalifation des KRantonsgebiets, das der Gemeinde unerträgliche Be: laſtung ſchaffe.
28. In einer Nachmittagsſitzung wählt der Große Rat zum Unterſuchungsrichter Dr. Walter Meyer, validiert die Wahl vom 9./10. Dezember, nimmt das Geſetz betr. Aus— übung von Initiative und Referendum an, erledigt etliche Petitionen und genehmigt die Vorlage betr. Verbeflerung der Einwohnerfontrolle.
30. Die Regierung erteilt Prof. Ed. Hagenbad- Burdhardt die gewünſchte Entlaſſung auf Ende des laufenden MWinterfemeiters.
31. Die Hauptzahlen im Zivilftandspverfehrdes Jahres 1911 ftellen fih wie folgt: Gejeßlide Trauungen wurden 1107 vollzogen. Geburten fanden 3473 ftatt, dar: unter 692 Rafjantengeburten. Bon den 3340 Lebendgebornen waren 1663 Knaben, 1677 Mädchen, legitim 1545 Knaben (55 Totgeburten) und 1543 Mädchen (33), illegitim 178 (5) Knaben und 171 (4) Mädchen. Todesfälle ereigneten fich 2029, darunter 275 von Paſſanten; nad) Abzug von 97 Totgeburten bleiben 1932 Todesfälle. Davon waren 950 Perſonen männ- lien, 982 weibliden Geſchlechts. Das Jahr ſchließt, wenn nur die Zahlen der Zivilſtandsbücher berüdfichtigt werden, mit einer Zunahme der Wohnbevölferung um 1091 Perfonen, 960 männliche und 531 weibliche, nämlich 104 Kantonsbürger, 407 Schweizerbürger andrer Kantone, 580 Ausländer.
Witterung Das Mittel der Temperatur mit +4,77 überitieg um 4,0% den normalen Mittelwert des Dezembers, und zwar zählte man nur 2 Tage, wo die Tem— peratur unbedeutend unter 0 ſank. Das mittlere Tem: peratur-Marimum betrug + 7,39 das mittlere Temperatur:
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Minimum + 2,619, der mittlere Barometerftand 737,6, die Summe der Niederjchlagmenge 55,6 mm, ohne daß es je zu einer Schneedede kam, die Sonnenfcheindauer im ganzen endlich 65,0 Stunden. So trug der Monat mehr den Stempel eines unfreundlien März oder April als eines regelrechten Chrijtmonats.
Sanuar 1912,
1. Mit dem heutigen Tag tritt in der ganzen Schweiz das neue Shweizerifhe Zivilgefegbud in Kraft. Dadurd) werden die fantonalen Zivilgefege hinfällig Für jeden Kanton bejondere Einführungsgejege erleichtern den Uebergang von den alten in die neuen Verhältniſſe, paſſen die kantonale Behördenorganilation dem neuen Recht nad Möglichkeit an und verteilen die Kompetenzen. Das neue Recht wird in alle Beziehungen des bürgerliden Lebens tief einjchneiden, wenn auch die Aenderung nah außen zu: nächſt wenig jihtbar wird. Es ijt auch in den letzten Wochen in allen Kreifen dur aufflärende Vorträge und ähnliche Maßregeln, wie 3. B. populäre Flugſchriften, das Menſchen— mögliche geleiltet worden, um die Bevölkerung aufzuflären und fie zu den beim Eintritt neuen Rechtes aud) ihrerfeits zu treffenden Maßnahmen aufzufordern.
6. Die Regierung ernennt zum außerordentlihen Pro: fejlor an der philoſophiſchen Fakultät II Dr. Heinrih Preis: werf, bisherigen Privatdozenten.
8. Eine Berfammlung von Staatsarbeitern und Ange: itellten in der Burgvogteihalle beſchließt angeſichts der Teue- tung der notwendigen Lebensmittel durch eine Eingabe an den Großen Rat Teuerungszulage zu verlangen.
11.6 roBßer Nat. Nah Erledigung einer Interpellation wird Ankauf der Liegenihaft Grünpfahlgäßlein 8 beſchloſſen und werden drei neue Lehrjtühle an der philofophiihen Fa— fultät (Engliih, Geographie, Chemie) geihaffen. Hierauf weilt der Rat die Vorlage betr. Ausbau des Tramnetes an
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Die Regierung zurüd und überweilt einen Anzug betr. Ber- tretung der Lehrerſchaft im Erziehungsrat.
13. Umzug der drei Ehrenzeichen Kleinbaſels.
16. Der Shweizerifhe Bankvperein fulioniert mit dem Bankhaus A.G. von Speyr u. Cie. unter Bor: behalt der NRatififation durch die beidjeitigen Generalver- Tammlungen.
17. Brof. Sriedr. Münzer folgt einem Ruf als ordent- licher Profeſſor für römiſche Geſchichte nad) Königsberg.
Eine in Baſel tagende internationale Kommiſſion von Sonntagsireunden beſchließt die Organilation eines Welt: bundes für Sonntagsfeier.
Die Verhandlungen der Freiwilligen Schul— ſynode betr. Schulzeugnijje, die am 22, November v. J. nicht fonnten zu Ende geführt werden, werden in einer außer- ordentliden Nachmittagsjigung durch Annahme einer Reihe von Thefen erledigt.
19. Der Bundesrat wählt zum Mitglied der Kommiſſion zur Schweizerifhen Scilleritiftung u. a. Regierungsrat Dr. P. Speifer in Bajel.
25. Großer Rat. Nah Abwandlung einer Inter: pellation über den Modus der Lehrerbejoldungen bewilligt der Rat einen Kredit für Anfauf einer Liegenihaft am Schlüfjelberg, beſchließt Legung der Tramlinie Heumwage- Margarethenftraße, weiſt die auf das Turnfeit geplante Tram: linie dur) die Arnold Bödlin-Straße an die Regierung zu— rück und beſchließt Eintreten auf die Beratung des Budgets für 1912,
27. Die deutfhe Kolonie Bafels feiert im Muſik⸗ Taal Kaifers Geburtstag.
28. Der in die Matthäusgemeinde neu gewählte Pfarrer O. Marbad, bisher in Giteig bei Interlaken, wird durch den PBräfidenten -des Kirchenrates Pfr. U. v. Salis, in fein Amt eingeführt. |
30. Sm Alter von 87 Jahren ftirbt Eduard Brudner-
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Merian, Baumeijter, der in den Jahren feiner Kraft dent Staat und der Stadt in mannigfadher Weiſe gedient hat. Sein. Hauptinterejje galt ftets den chriſtlichen Liebeswerken.
31. Witterung. Das Mittel der Temperatur im. Sanuar 1912 betrug 2,0, das mittlere Temperatur-Marimum 4,7, das mittlere Temperatur-Minimum — 0,49 Celfius, das- Mittel des Luftdrucks 737,6, Die Summe der Niederfchlags- menge 53,5 mm, die Summe der Sonnenfheindauer 65,6 Stunden. Der Monat fiel bedeutend milder und wärmer aus- als der Durdfehnitt der Januare, und der Ueberjhuß der Wärme würde nod) viel bedeutender ausgefallen fein ohne die fälteren le&ten Tage, die normalerweije am wärmiten. hätten fein jollen.
Februar 1912.
3. 4 Die eidgenöflifhe Vorlage betr. Kran ken- und Unfallverfiherung madt in Bajelitadt 9089 Ja und 3777 Nein, wie fie aud) in der ganzen Schweiz, bei einer Beteiligung von rund 530000 Stimmenden mit: einer Mehrheit von rund 50000 Stimmen angenommen wurde. Sn Bajel Hatten alle Barteien für Annahme gewirkt mit Ausnahme der liberalen, die die Stimme freigab. Führer der Oppojition war die Handelsfammer; in der Tat hatte fi der ſtärkſte Widerſpruch aus Kreifen der Handel: und Ge- werbetreibenden erhoben. Die Agitation hatte ſchon feit Neus jahr gewaltet. Intereffenverbände, politiihe Parteien, ein= zelne Stände, die Mitglieder der Kaſſen waren für und wider bearbeitet worden. — Gleichzeitig wurde zum Mitglied des Nationalrats gewählt an Stelle des zurüdtretenden E. Müry Regierungsrat Eugen Wullſchleger mit 7324 Stimmen. Gein Gegentandidat, der fatholiihe Dr. Albert Soos wurde von einer Gruppe fozialijtenfeindliher Gewerbetreibender: unterjtüßt und madte 3659 Stimmen. Die freilinnige und die liberale Partei enthielten jih. Ingenieur Rud. Gelpfe hatte fi eine Kandidatur verbeten. — Zum Präfidenten des
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Zivilgerihts wurde ohne Widerjpruh der von allen Par- teten unteritüßte Vertrauensmann der Sozialdemofraten Dr. Eugen Bloder, Subſtitut des Zivilgerichtsſchreibers, gewählt mit 7917 Stimmen.
8. Großer Rat. Der Rat faßt Beihluß betr. Auf: ftellung von Bauvorſchriften für die Geftaltung der Faſſaden an der Schwarzwaldallee gegenüber dem neuen badifchen Bahnhof, bewilligt einen Kredit von 60,000 Fr. für Erweite— rung des ſtädtiſchen Clektrizitätswerfes am Dolderweg und fährt fort in der Beratung des Budgets für 1912.
11. Die GejellfhaftfürCvangelifde Stadt mijfion begeht ihre SJahresfeier im Vereinshaus. Als Seftredner tritt bei diefem Anlaß auf Pfr. ©. Oettli aus Köniz (Ktn. Bern).
13. Der Weitere Bürgerrat genehmigt die Bubd- gets der bürgerlichen Verwaltungen für 1912, ratifiziert den Vertrag mit der evangelijchsreformierten Kirche betr. das Kirhenopfer, genehmigt den Verkauf non 6600 m? Spital: land auf dem innerjten Teil des Margarethenfeldes an die Bundesbahnen und erledigt eine Reihe Begehren um Auf: nahme ins Bürgerredt.
Un einem unglüdliden Sturz fjtirbt 69jährig Kranz Bühler:Thon, der Begründer und Iangjährige Wirt der Alten Bayriſchen Bierhalle in Bajel.
14. Die Regierung ernennt zu Kommandanten von Süftlier-Bataillon 54 Major Guftan Senn, von Fülilier: Bataillon 97 Major Manfred Alioth, von Füſilier— Bataillon 144 ad interim Hauptmann Hans Lihtenhahn.
18. In Bern jtirbt der Münfterorganift Karl Hep- Rüetſchi, geb. 1859 in Bajel, der troß feiner faſt 30jährigen Wirkſamkeit in Bern ein guter Basler geblieben iſt.
Beim Fußball-Meiſterſchaftsmatch Serie A, der zugleich die Entfcheidung über die Zugehörigkeit des Anglo-CLups bradte, fiegen mit 7:0 Toren OlId Boys Bajfel über den Fußballklub Biel.
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21. Die BVorfteherfhaft der Evangelifden Pre— dDigerfhule teilt mit, daß fie die Leitung diefer Anftalt, die feit der Gründung in den Händen des nun zurüdtretenden Pir. W. Arnold geruht Hatte, dem Privatdozenten der Theo- logie in Berlin Lic. theol. DO. Shmi übertragen hat.
22. Der Große Rat validiert die am 3./4. Ds. ge- troffene Wahl eines Zivilgerihtsprälidenten, ratifiziert eine Anzahl Aufnahmen ins Bürgerrecht und führt die Beratung des Budgets für 1912 weiter.
23. Dr. Hans Iſe lin von Bafel wird die venia legendi für Chirurgie erteilt.
25. An einer raſch verlaufenden Blutvergiftung ftirbt in Bern, an deſſen Univerfität er feit 1891 als hochgeſchätzter theologiiher Xehrer wirkte, Prof. D. Fri B artb-Sartorlus aus Baſel, 55 Jahre alt.
26.—28. Die Faſtnacht mit Morgenjtreih, Umzügen, Schnigelbänfen und Bällen, bei der ſchönen Witterung unter einem ſtarken Volkszuſtrom von nah und fern nimmt ihren gewohnten Berlauf. Kenner rühmen, daß die Bemühungen des Faſtnachtskomitees um die Hebung der Trommelfunjt und der Faſtnacht im allgemeinen nicht vergeblih) waren. Zum eritenmal diefes Jahr wurde mit Erlaubnis der Polizei am Montag und am Mittwoch bis abends 10 Uhr getrommelt. Dafür fiel der Morgenjtreih am Mittwoch weg.
28. Zum Sekretär des eidgenöjjiihen politiihen Depar- tements an Gtelle des zurüdtretenden Dr. Graffina wählt der Bundesrat Dr. Ch. Bourcart in Bajel, ehemaligen Tchweizerifchen Gefandten in London.
29. Das Zivilgeriht wählt zum Gubfitituten des Zivil: gerichtsſchreibers Dr. I. Trott aus Bafel.
Witterung. Die meteorologiihen Hauptwerte des Monats Februar 1912 waren: Mittel der Temperatur 5,1, mittleres Temperatur-Marimum 9,4, mittleres Temperatur: Minimum 1,59 Celjius, Mittel des Luftdruds 734,0, Summe der Niederjejlagsmenge 47,0 mm, Summe der Sonnenſchein⸗
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dauer 113,4 Stunden. Obwohl vom 1. bis zum 5. Februar eine Kälte berrichte, die am 4. bis — 17,49 Celfius fant, bradte der übrige Teil des Monats einen folhen Wärme- überjhuß, daß das Mittel der Temperatur noch immer 3,4 wärmer ausfiel als der 80jährige Durchſchnitt.
März 1912.
2. Die Regierung wählt zum außerordentliden Profellor für Geographie Dr. Guftan Braun, d. 3. Privatdozenten in Berlin.
3. In Bern Siegen im Meifterfhaftsmaih OId Boys Bafel über Fußballklub Bern mit 2:1.
4. Das ZeppelinLuftihiff „Victoria Luiſe“ fliegt bei feiner erſten Fernfahrt Friedrichshafen-Frankfurt übe Bajel. |
6. Die Regierung ernennt zu ordentliden Profeſſoren die bisherigen außerordentliden %. Fichter für anorganiſche und 9. Rupe für organiſche Chemie und 9. Heidrid für Kunitgeihichte, und überträgt dem ordentliden PBrofellor 9. Hecht die Profellur für engliſche Geſchichte und Literatur.
7. Der Große Rat genehmigt die Bauvorſchriften für die Umgebung des neuen badifhen Bahnhofs. Sodann wird die Budgetberatung für 1912 zu Ende geführt und mit Be: Handlung der dazu geitellten Poſtulate begonnen.
8. Dr. med. Baul Breiswerf hält jeine Habilitations- vorlejung als Privatdozent an der mediziniihen Fakultät über Mundhöhle und Gefamtorganismus.
Die Gemeinnügige Geſellſchaft befchließt, ih an Grün: dung und Unterhalt eines Walderhbolungsheims zu beteiligen.
10. In Serie A gewinnen OId Boys I Baſel gegen Norditern I Baſel mit 3:1 Goals.
13. Die Regierung erteilt Prof. Dr. 2. Courvoifier die erbetene Entlajjung mit den üblichen Danf- und Ehren- bezeugungen.
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14. Großer Rat. Nah Erledigung zweier Interpella- tionen, die den ganzen Bormittag beanjprudhten, wird die Behandlung der Poitulate zum Budget auf jpäter zurüdgelegt, ein Antrag betr. Zuſchlag zur Erbichaftsiteuer abgelehnt und das Budget angenommen mit 19,506,805 Fr. 40 Ausgaben und 17,342,661 Fr. 80 Einnahmen und einer Zahlung von 500,000 Franken an den Konto Eijenbahnbauten. Endlih wird an— genommen die Vorlage betr. Ableitung des Abwaſſers der Kanalifation von Lörrach nad) dem Rhein.
16. Die Regierung beruft als Profeſſor der Tateinijchen Sprade und Literatur Prof. E. Lommatzſch aus Münden.
17. Die Generalverfammlung der römiſch-katho— lifhen Gemeinde genehmigt Jahresbericht und Rechnung ihres Voritandes für 1911.
Die Stimmfähigen der Hriltfatholifden Ge meinde wählen ihren Kirchgemeinderat (Präſ. E. Frey⸗ Vogt) und die Delegierten in die Nationaliynode. |
In Bern fiegen in der Meiſterſchaftsſerie A die Young Boys Bern gegen den Fußballklub Bajel mit 6:0, in Bajel in der gleihen Serie Norditern Bafel gegen —— klub Biel mit 5:0 Goals.
In Augſt ftirbt nur 32 Fahre alt der frühere Salinen— direktor F. Frey, einer der beſten Kenner der Ruinen von Augſt und Verfaſſer des Führers durch die Trümmerſtätte.
18. Die Hiſtoriſche Geſellſchaft wählt an Stelle des nad Bern überfiedelnden Dr. Charles Bourcart zu ihrem Präſi— denten Dr. 2. Aug. Burdhardt.
20. Die Synode der evangelijchreformierten Kirche berät nad Erledigung einer nterpellation eine Ordnung für Wahlen und Abſtimmung, beſchließt die Wahl einer Prüfungsfommilfion, verfügt über Verwendung des Kirchen: opfers vom Karfreitag und Bettag 1911, bewilligt einen Nad)- tragsfredit für 1911 von 4500 Fr. und ſetzt ein Gteuer- minimum von 1 Fr. im Jahr feſt.
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21. Der Vehrerverein ernennt in feiner General: verfammlung zum Präjidenten Dr. Geiger von der Untern Realſchule.
22. Die Regenz erteilt die venia legendi den DDr. Julius Obermiller von Cannſtadt für Chemie und Wilhelm Saraſin von Baſel für orientaliſche Philologie.
23. Ein Vortrag von Ingenieur R. Gelpke im benach— barten Arlesheim rollt die Frage der Wiedervereini— gung beider Baſel auf und begründet ſie mit der mißlichen wirtſchaftlichen Lage, worin die beiden Kantonsteile wegen der Trennung ſich befinden.
24. Zum Abſchluß der diesjährigen Lehrlings— prüfungen findet in der Aula des Muſeums die Preis— vertetilung ftatt, wobei u. a. Regierungsrat Wullfchleger eine Anſprache hält.
Im Meiſterſchaftsmatch Serie A fiegt 3. CE. Baſel gegen 5. ©. La Chaursde-Fonds mit 2:0, im Finalmath Con: cordia TI gegen Etoile II La Chaux-de-Fonds mit 4:0 und wird Champion der Schweiz, endlihd OId Boys gegen Etoile I 2a Chaursde:Tonds mit 2:0 Goals.
27. Die Regierung beruft als außerordentlien Profefjor für phyfifalifche Chemie Dr. Auguft Bernoulli,d. 3. Pri⸗ vatdozenten in Bonn.
28. Der Große Rat hört zwei Interpellationen, bes fließt den Verkauf eines Areals an der Birsitraße für ein Tierheim, nimmt die Vorlagen betr. Kanalijation von Riehen und betr. Vergrößerung der öffentlichen Bibliothek an, über: weilt einen Anzug Baumann betr. Gewerbegejeßgebung und geht zur Tagesordnung über die Anzüge Gaß betr. Zenjur der Plakatanſchläge und Karli betr. Aufhebung der Geheim- haltung der Gteuerfontrolle.
29. Der Genoſſenſchaftsrat des Allg. Kon fumvereins genehmigt Sahresberidht und Jahresrechnung für 1911 ſamt den Anträgen der Berwaltung.
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30. Gegen Mitternadt findet auf dem neuen badiſchen Verfhubbahnhof auf der Leopoldshöhe die Entgleifung einer Lokomotive ftatt, wobei der Lofomotivführer und der Heizer getötet werden.
31. Sm Entiheidungsmatd) über die ſchweizeriſche Meifter- haft Serie A jiegt 3. C. OId Boys Bafel über Young Boys Bern endgültig mit 1:0 Goal.
Witterung Das Mittel der Temperatur im März betrug 85°, das mittlere Temperatur-Marimum 12,8, das mittlere Temperatur-Minimum 4,79 Celſius, das Mittel des Luftoruds 735,9, die Summe der Niederfchlagsmenge 77,4 mm, die Summe der Sonnenjheindauer 140,9 Stunden. Der Monat fiel viel zu warm aus, 3,70 Celjius wärmer als der 80jährige Durchſchnitt, wärmer als je ſeit 1826 ein März, aber aud) die Niederjchläge ergaben 150% des Normalwerts und verteilten ich jo über den ganzen Monat, daß nur 9 Tage ohne Nieder: Ihläge regiltriert wurden. Dagegen waren Bewöltung, Sonnenjdein und Luftdrud annähernd normal.
April 1912.
2. Der Weitere Bürgerrat ratifiziert den Berfauf zweier Landparzellen der Chr. Merianfchen Stiftung außer- halb des Wolfbahnhofs an die Schweizerilhen Bundesbahnen und erledigt eine Reihe Begehren um Aufnahme ins Bürgers recht. | 9. Das Teftament des jüngſt 78jährig verjtorbenen E m a= nuel Meyer wird eröffnet. Es ſetzt außer einer Anzahl von Legaten an Berwandte und Freunde über 100,000 Fr. für wohltätige und gemeinnüßige Zwede aus. Der Reit joll der Akademiſchen Gejellihaft zufallen.
10. Im Alter von 64 Jahren ftirbt Hans Linder— Stehelin, von 1882 bis 1907 GStaatskaffier, dann bis 1911 Quäjtor der Univerfität, ein mufterhafter Beamter. |
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13. Die Regierung wählt als Profejlor der Kinderheil- funde an der Univerjität den Oberarzt des Kinderjpitals Dr. Cnil Wieland.
18. Der Große Rat wählt zum Präjidenten 9. Je z⸗ ler, bisher Statthalter, zum Statthalter Dr. Iſaak Iſelin; er beitellt für ein neues Jahr das Bureau, wählt zum Regie— rungspräjidenten für 1912/13 Dr. 9. Blocher, zum Vize: präjidenten Dr. %. Aemmer, gewährt einige Nadtrags- fredite, ratifiziert eine Anzahl von Bürgerrehtsaufnahmen und tritt ein auf die Beratung des Rückſtändeberichts. Er wird genehmigt und ein Zujag abgelehnt, der die Regierung ein laden will, zur Vorbereitung dringender Arbeiten Rommij- fionen beizuziehen. in Landverfauf an die Methodilten- gemeinden wird angenommen, die Abtretung eines Stückes Land an der Eijengaffe zum Neubau Spillmann genehmigt, endlich) die Diskufjion eröffnet über den Vertrag mit der Basler Wohngenofjenfdaft.
Großes Auffehen erregt in der Stadt die in der Naht vom 14. zum 15. ds. erfolgte Kataftrophe der „Titanic“. Diefe, das gegenwärtig größte Schiff der Welt, jtieß auf ihrer Sungfernfahrt von Southampton nad) New York mit einem Eisberg zufammen. Das Schiff ging unter, es famen 1565 Menihen um, 775 wurden. gerettet, unter ihnen Oberſt A. Simonius und Dr. Mar Stähelin aus Baſel. Der Untergang der „Titanic“ ift die größte Schiffskataſtrophe aller Zeiten in Bezug auf Berluft an Menjchenleben.
20. Die Hiftorifhe Ausstellung von Erzeugnijien des Runftgewerbes aus Basler Privatbefig in der Kunſthalle, veranjtaltet von der Hiſtoriſchen Gejellihaft, wird eröffnet.
21. Die Rehrlingsprämierungen nehmen ihren regelmäßigen Verlauf.
25. Der Große Rat behandelt nad) der Erledigung einer Interpellation und nad) Bewilligung eines Nacdhtrags- fredites den Vertrag mit der Basler Wohngenoſſenſchaft über
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Abtretung eines Stüdes Land mit Erbbauredht auf 30 Sabre. Der Bertrag wird [chlieglih unter Namensaufruf ange: nommen. Gin in der letten Situng (18. April) gewähltes Bureaumitglied lehnt die Wahl ab.
26. Die Generalverfammlung Des Allg. Konjumvereins genehmigt die Anträge ihres Genofjen- ſchaftsrates.
27. 28. Der Verkehrsverein veranſtaltet ein Flug— meeting auf der St. Jafobsmatte mit dem Schweizer Flieger Grandjean und dem Franzoſen Kimmerling, die beide mit ihren Hoch- und Dauerflügen viel Erfolg ernten. -
27. fig. Auf dem ehemaligen Kohlenplat beim Bundes- bahnhof veranftaltet ver Zirfus Mar Shumanın feine Boritellungen.
30. Witterung. Die meteorologiihen Hauptwerte des Monats waren: Mittel der Temperatur 8,8, mittleres TZemperatur-Marimum 14,2, mittleres Temperatur: Minimum 3,69, Mittel des Quftdruds 738,3, Summe der Niederſchlags⸗ menge 20 mm, Summe der Sonnenfheindauer 198 Stunden. Der April 1912 ijt der erſte Monat feit Juni 1911, der nit Wärmeüberſchuß über das langjährige Mittel ergab. Aufs fallend gering war das Ergebnis der Niederſchläge. Sn den eriten Tagen und wieder in der Mitte des Monats gab es Fröſte. Am Morgen des 13. ſank das Thermometer unter 2° und richtete an den frühzeitig blühenden Obftbäumen, nament: lich Kirihen, ganz erheblichen Schaden an.
Mai 1912.
1. Die organtjierte Arbeiterſchaft begeht in üblicher Weife die geierdes1.Mai. Am Vormittag in der Burgnogteis halle jpricht Obergerihtspräfident Otto Lang aus Zürich), der Nachmittag in den Zangen Erlen wird durd) die u un froftige Witterung beeinträdtigt.
2. Sn den Langen Erlen, in der Nähe des Eglifees, wird eine Walderholungsjtätte für tuberfulöfe Frauen
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aus Privatmitteln mit Staatshilfe unter der Aegide der Ge- meinnüßigen Geſellſchaft eröffnet.
4. An einem Herzſchlag ftirbt 37jährig auf offener Straße Lehrer E. Alb. Burgherr, der fih aud als Dichter hervor: gewagt und noch im Hinter uns liegenden Winter ein Schau- ipiel „Das Kreuz der Rache“ auf dem Basler Stadttheater aufgeführt hat.
5. Die Flieger Grandjean und fimmerling, die vor acht Tagen mit ungenügendem finanziellen Erfolg auf: gejtiegen find, verſuchen noch einmal ihr Glüd.
6. Der Hausbeligerverein beichließt das Referendum gegen den vom Großen Rat am 25. v. M. angenommenen Ber: trag mit der Basler Wohngenofjenihaft betr. Ueberlaſſung eines Stüdes Staatsland in Erbpadt. Am folgenden Abend wird eine Gejellihaft für Bodenbefigreform gegründet, die ji) u. a. die Aufgabe jtellt, diefes Referendum zu befämpfen.
9. Der Große Rat wählt nad) Erledigung einer Inter: pellation und Bewilligung eines Nacdtragsfredits zu einem Beiliger des Bureaus Dr. Rud. Niederhaufer, weift Die zweite Vorlage der Regierung betr. Bau einer Terraſſe an der mittleren Rheinbrüde fleinbaslerjeits zurüd, weijt die Snitiative betr. die Erhebung von Schulgeld von auswärts wohnenden Zöglingen hieliger Schulen ab und nimmt dafür ein Projekt der Regierung an, das den Snitianten teilweife entgegenfommt. Der Beihluß betr. Ablehnung der Snitia- tive unterliegt einer Volksabſtimmung.
Sm Alter von wenig über 70 Jahren ftirbt Prof. Karl Von der Mühll, 1868—1889 in Leipzig, jeit 1889 in Baſel Profeſſor für mathematiſche Phyſik, 1895 und 1910 Rektor der Univerjität, viel verdient als Curator fiscorum und als Vor: iteher der Mufeumsgefellfhaft, Chrendoftor der Medizin und der Jurisprudenz.
10. Sn Haufen i. W. findet das üblihde Hebelmähli ſtatt.
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11. 12. Die ftimmfähigen Mitglieder der enangelijcherefor- mierten Kirche von Bafeljtadt wählen für eine Amtsdauer von fehs Jahren ihre Synode und die Kirhenvor ftände nad dem proportionalen Wahlverfahren, zum erjten- mal ohne Aufiiht des Staates. Es lagen drei Lilten vor: die der Firchlich freilinnigen Vereine, die von den jozialdemo- fratiihen Kirdhgenojjen Kandidaten aufgenommen hatte und von ihnen unterjtüßt war, die der politinen Gemeindevereine und — für einzelne Gemeinden — die der unabhängigen Kirhgenofien („Freunde der Neuen Wege‘). In Klein hüningen und Riehen-Bettingen jtanden eine „Dorflijte“ und die freilinnige Lite einander gegenüber. Die Wahlen er: gaben für die Synode eine pojitive Mehrheit von etwa 40 gegen 30 Stimmen, etwas mehr als bisher. Die Yusländer, die zum erjtenmal mitjtimmten, haben ihre Vertretung er= halten; die unabhängigen Kirchgenoſſen feßten nur einen ihrer Kandidaten durch. Die Beteiligung betrug rund nur 25% bei 21,000 Stimmberedtigten.
12. Auf dem Rhein ftößt ein Boot mit der Birs- felder Fähre zujammen, wobei zwei Perſonen umfommen.
13. Der Tod des Lic. theol. Albert Brudner, Pfarrers in Eſperanza (Argentinien), früher Pfarrers in Klein- hüningen und Privatdozenten an der Univerjität Bafel, wird angezeigt.
18. Die Staatsrednung für 1910 fließt bei 18,699,162 Fr. 65 Ausgaben und 18,326,162 Fr. 40 Einnahmen mit einem Defizit von 372,276 %r. 25, während das Budget: defizit 2,088,360 Fr. 45 betragen hatte. Die Einnahmen Stiegen rund 1,800,000 Fr. höher als im Budget vorgejehen, die Aus— gaben jtiegen 60,000 Fr.
21. Die meilten Brimar: und Mittelſchulklaſſen benügen den heutigen Tag zu Shulfpaziergängen. Leider wird er wiederholt durch Regengüſſe getrübt.
22. In der letzten Sigung ihrer Amtsperiode genehmigt
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die Synode der evangelilhreformierten Kirche Jahres— berit und Jahresrechnung des Kirchenrates für 1911.
23. Der Große Rat hört zwei nterpellationen, be- willigt einen Nachkredit für Bau einer Schwebebahn im Schlachthaus, beſchließt den Anſchluß des badiſchen Bahnhofs ans Straßenbahnnetz, faßt einen Beſchluß betr. Verſchwiegen— heitspflicht von Mitgliedern der Großratskommiſſionen, er⸗ klärt das Initiativbegehren betr. Abſchaffung der Straßen: reinigungsiteuer nicht erheblich (welch letzterer Beſchluß nod) vor die Bolk:abjtimmung fommen wird), beſchließt Neubauten für das Urbeitsnadhweisbureau, genehmigt Sahresbericht und Jahresrechnung der Kantonalbant für 1911, erledigt eine Reihe von Petitionen und erflärt endlich Anzüge erheblich hetr. Einführung einer obligatoriſchen Kranfenverficherung und betr. die Kleinfinderfchulen.
24. Dr. Obermiller hält feine Habilitationsvorlefung als Privatdozent über „Natürliche und fünjtliche Farbſtoffe“.
28. Die Regenz erteilt den DDr. Eonitantin v. Sanidi aus Betersburg an der medizinifhen und Fri Viſcher aus Bafel an der philofophiihen Fakultät die venia legendi.
31. Prof. Rud, Braun hält feine Antrittsporlefung als Profelior der Geographie über Probleme der Polar— welt.
31. 1. Juni. An der ordentlidhen Sigung der Schweiz. Yerzteverfammlung nehmen etwa 400 Aerzte teil. Die Profefforen Stähelin und de Quervain referieren über das Neueſte auf dem Gebiete der Röntgentherapie.
Witterung. Meteorologiihe Hauptwerte des Monats Mai: Mittel der Temperatur 14,6, mittleres Temperatur: Marimum 20,0, mittleres Temperatur-Minimum 9,79. Mittel des Yuftoruds 737,4, Summe der Niederſchlagsmenge 82 mm, Summe der Sonnenfdeindauer 229 Stunden. Den Monat zeichnete jtarfe Veränderlichkeit aus. Er bradte einen Ueber: ſchuß an Niederfchlägen und die hödhjfte aller bis jegt in Baſel beobachteten Maitemperaturen (am 12. 33,00 Celfius).
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uni 1912.
1. Die Untere Realjchule Halt den erften Naturfhuß- tag der Schweiz ab mit einer Anſprache im Freien, beim Safobsberger Hölzchen, und nachher anſchließenden klaſſen— weijen Ausflügen.
1. 2. Bajel beherbergt den Delegiertentag der evan- gelifh:-jozgialen Arbeitervereine der Schweiz im Wettfteinhof. Vorträge Halten Pfr. ©. Benz über „Unſere Sadhe“ und Frl. T. Schaffner, Aſſiſtentin des Gewerbeinfpeftorats, über „Die Basler Heimarbeit“.
13. Die Schweizerifhen Chriftliden VBereine junger Männer halten in Bajel ihr 32. Bundesfejt ab.
2. Der Deutſche Liederkranz feiert unter ftarker Beteiligung das gelungene Jubiläum feines 50jährigen Be- jtehens.
3. Die neugewählte Synode der evangelijd- reformierten Kirche, eröffnet von W. Backofen: Dennler als Alterspräfidenten, wählt zum Prälidenten Prof. Eberhard Bilder, zum Vizepräſidenten Rektor Flatt, beitellt den Kirchenrat aus Prof. Böhringer (freil.), Prof. Handmann (pof.), Oberit Sfelin (pof.), Dr. Kern (poſ.), Kantonsbau— meiſter Leijinger (freij.), alt-Nationaltat Müry (freil.), U. Raillard (poj.), Antijtes v. Galis (pof.) und W. Sänger:Lang (freif.), wählt zum Präſidenten des Kirchenrates Antiftes D. v. Galis und zum Bizeprälidenten Prof. Böhringer.
5. Die Regierung erteilt dem Prof. Dr. John Meter die erbetene Entlajjung mit Belafjung von Titel und Rechten eines ordentlichen Profeſſors. — Die Naturforihende Geſell— haft wählt zu ihrem Präſidenten Prof. Dr. ©. Senn — Sm Bernoullianum hält auf Einladung der Freijtudenten- Ihaft der durd) feinen Konflikt mit den Zürcher Erziehungs- behörden befannt gewordene Pädagog Prof. Dr. %. W. Förſter einen Vortrag über die Kunft des Befehlens. — Der Genojienidhaftsrat des Allgem. Ronfumvereins
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beichliegt, fein Perjonal bei der Verficherungsfafje des Schweiz. Konjumverbandes auf Alter und Invalidität zu verſichern. 6. Bei einem Gewitterregen in der Nacdmittags- ftunde nad) 3 Uhr fällt in Zeit von 8 Minuten eine Nieder: Ihlagsmenge von 6 Millimetern. 7. Zum Borjteher der Gemeinnügigen Geſellſchaft für das nächſte Gefchäftsjahr wird gewählt 2. Tre u-Neufomm.
8. Die Regierung erteilt Prof. Dr. Dan. Burkhardt: MWerthemann die erbetene Entlafjung.
DieSalineShweizerhalle vor den Toren Bafels begeht die eier ihres 75jährigen Beitandes unter Anweſen— heit der Leiter vieler befreundeter Unternehmungen.
9. Beim Finalmatch um die [HK weizerifhe Meiſter— ſchaft im Zußballipiel auf dem Landhof in Bajel fiegt mit 3:1 Fußballklub Yarau über Zußballflub Etoile La Chaur- de-⸗Fonds.
10. Die Synode der evangeliſch-reformierten Kirche va— lidtert die Wahlen vom 11./12. Mai, trifft Bejtimmungen über Berwendung des Kirchenopfers an den der Kirche vor— behaltenen Sonn und Feſttagen des Sahres 1912, wählt als Delegierten zum theologijhen Konkordat Prof. Böhringer, als Erjagmann Dr. Kern und wählt die Petitions- und die Ge— Ihäftsprüfungsfommillion.
11. Bon 1580 Stimmberedtigten ijt dem Regierungsrat ein Referendumsbegehren gegen den Großrats- beihluß vom 25. April betr. ven Bauredhtsvertrag mit der Basler Wohngenojjenihaft eingereicht worden.
Die Frequenz Der Univerfität im Sommer: jemejter 1912 beträgt 799 immatrifulierte Studierende (dar— unter 42 Damen) und 142 (51) nicht immatrifulierte Hörer. Von den ISmmatrifulierten gehören an der theologiihen Fa— fultät 81, der juriſtiſchen 74, der mediziniſchen 230, der philo- jophifhen I 217, der philojophifchen II 197; Schweizer find 630 (36), Ausländer 169 (6). Bon den 303 (21) Bajeljtädtern
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tudierten Theologie 19, Turisprudenz 47, Medizin 49 (2), PHilofophie I 98 (16) und Philoſophie II 90 (3).
13. Der Große Rat nimmt ein Vollziehungsgejeg zum Bundesgeſetz betr. das Ablinthverbot an, beichließt Hausfäufe zur Vollendung der Marktplaßforreftion, den Kauf eines Ter: tains an MWiefendamm und MWiejenitraße, jowie zweier Par: zellen beim Tramdepot und überweilt endlich der Regierung eine Reihe von Anzügen, nämlich betr. Ausarbeitung eines generellen Straßenbahnneßes; betr. Uebernahme des Grund: beliges des Bürgerjpitals durch den Staat; betr. Wahl der jtändigen Kommiſſionen dur) den Großen Rat; betr. Reviſion des Bürgerredtsgejeßes,; betr. Bebauung der begrenzenden Straßen von Billenquartieren und betr. Erridtung eines Braujebades im St. Albangquartier.
15. Die Regierung wählt zum ordentliden Profellor für öffentlides Net an der Univerjität Dr. Erwin Ruck, d. 2. Privatdozent in Tübingen.
20. Großer Rat. Nach Erledigung einer Interpellation wird die von der Regierung geforderte Dringlidfeit für die Wahlfreiseinteilung zu den Bürgerratswahlen abgelehnt und werden Kredite bewilligt für Anfauf einer Qandparzelle in Kleinhüningen, für Ankauf der Liegenihaft Kanonengaſſe 11 für die Frauenarbeitsſchule, für Inſtandſtellung des St. Alban—⸗ teihwuhrs, für Vergrößerung der Schladitanitalt, endlich für Vermehrung des Perjonals der Vormundidaftsbehörde; der Rat weilt die Vorlage über Webertretungen des Pflanzen: ſchutzgeſetzes an die Regierung zurüd, überweilt die Reviſion des Gemeindegejeßes einer KRommilfion und hört ein Referat über Errichtung einer fantonalen öffentliden Krankenkaſſe.
23. fig. wird die üblihde Woche der religiöfen Sahresfejte gefeiert.
25. Der Weitere Bürgerrat beihließt über Ver- teilung des Ertrags der Chriſt. Merianſchen Stiftung an die bürgerliden Anſtalten für 1912, legt einen Verkauf von Land diefer Stiftung an der Lagerhausftraße an den Staat zur
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Kanzlei und erledigt eine Reihe Begehren um Aufnahme ins Bürgerreht. — Der neue Lehrer der Hafjiihen Philologie an der Univerfität, Prof. Ernit Lommatzſch, Hält feine Antrittsporlefung über die Bedeutung der Provinzen in der römischen Literatur.
27. Der Große Rat ratifiziert eine Anzahl Bürger: aufnahmen, weilt die Vorlage betr. Errichtung einer außer- ordentliden Krankenkaſſe an eine neungliedrige Kommiſſion und weilt die Borlage betr. Wahlfreiseinteilung für die Mahlen in den Weitern Bürgerrat ab in der Meinung, daß fie fünftig in einem Wahlfreis zu erfolgen haben. Am Nad)- mittag jtattet der Rat in corpore dem feiner Vollendung ent- gegengehenden bafeljtädtilhen Kraftwerk Augſt-Wyhlen einen Beſuch ab.
28. Prof. Sicher, feit 10 Fahren Lehrer der Botanik an der Univerjität, reiht der Negierung fein Entlaljungs- geſuch ein.
Der Genoffenfhaftsratdes A. C. V. beſchließt ven Bau eines KRohlenmagazins auf dem Lisbücdhel und nimmt eine Rautionsordnung an.
Der Komponijt Dr. Hans Huber feiert feinen 60. Ge— burtstag und mit ihm das gejamte muſikaliſche Bajel.
29. 30. Der Deutſche Hilfsverein begeht das Feſt feines 50jährigen Beitandes mit Konzert und Feſteſſen im Sommerfajino unter Anwefenheit zahlreicher glüdwünfchender Gäſte.
30. Sm Alter von 63 Jahren ſtirbt Dr. Edouard Boi- vin, Drieftor der Banque fonciere du Jura.
Witterung. Im Monat Suni 1912 betrug das Mittel der Temperatur 16,7, das mittlere Temperatur-Marimum 21,7, das mittlere Temperatur-Minimum 12,4 Celfius, das Mittel des Luftdruds 736,5, Die Summe der Niederfchlags- menge 108 mm, die Summe der Sonneniheindauer 227 Stun: den. Der Hauptharafter des Monats war unbejtändig. Wenn
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die Monatsmittel nirgends jtarfe Anomalien zeigen, fo ge= ſchah dies, weil die Einfeitigfeit durch die günjtige RANG einer Mode ſtark beeinträchtigt wurde.
Juli 1912.
2. Dr. Wilhelm Sarajfin hält als Privatdozent an der philofophifchen Fakultät I der Univerlität feine Antrittspor= lefung über „Die Reifen im mittelalterliden Orient“.
5.—9. Die Stadt Bajel feiert das 56. eidgenöſſiſche Turnfeft. Längit Hatten fi zahlreihe Bürger und Ein— wohner unferer Stadt, Oberjtforpsfommandant Iſaak Sjelin als Präſident des Organifationsfomitees an der Spibe, in. vielen Ausihüllen der Vorbereitung diejes Anlafjes gewidmet. Die Turner, die etwa 15,000 an Zahl aus dem In- und dem. Ausland anrüdten, fanden eine wohl vorbereitete Feſtſtadt. Unter den Auswärtigen wurden namentlich bemerft Schweizer Turner aus Bittsburg in den Vereinigten Staaten Nord- amerifas und jolhe aus Buenos-Wires. Das Metter war mit Ausnahme eines heftigen Gemwitters am 6., das feine Nach— zügler noch am 7. ausjandte, jehr günſtig. In die tägliche Arbeit der Uebungen bradten die Abendunterhaltungen, in dem großen, 10,000 Menſchen fallenden Feſtzelt auf der Feſt— wieje außerhalb des Shütenmattparfs, wo ji) das ganze Feſt abjpielte, willlommene Abwechslung. Die Hauptnummer bildete jeweilen das von C. Albr. Bernoulli in Arlesheim ge— Ihriebene Feitipiel „St. Jakob an der Birs“, zu dem Kapell— meijter Suter die Muſik gefchrieben hatte. Um die Aufführung madten ji der Gejangverein und eine Menge Basler Dilet- tanten verdient. Die Leitung führte Theaterdireftor Melit, unterjtüßt von den Herren Boepple und Schaub; die ſtim— mungsvolle, finnreid) angelegte Bühne war das Werf von Franz Baur und Burkhard Mangold. Neben dem Feſtſpiel erfreuten allabendlih die Basler Turnvereine mit ihren flotten Darbietungen die zahllofe Menge. Wer nicht in der Haupthütte Raum fand, den nahmen nebenan die Bierzelte
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auf, in denen jeden Abend Konzert war. Die Höhepunkte des Feſtes bildeten am Samstag 9. Juli nachmittags die Ein- holung der von Lauſanne fommenden eidgenöflilhen Zentral fahne, von Nationalrat Decoppet überreicht, von Oberſt Iſelin entgegengenommen, ferner der Sonntag. Diejer bradte am Nachmittag das überwältigende Schaufpiel der Freiübungen von 10,600 Schweizer Turnern mit Mufifbegleitung. Es folgte darauf eine Anſprache des Vertreters des Bundesrates, Bundesrat Müller, endlih ein Zug durch die rei und ge— Ihmadvoll geijhmüdte Stadt, deſſen Vorbeimarſch 1% Stun- den in Anſpruch nahm. Am Dienstag, 9. Juli, wurde nad einer Wiederholung der allgemeinen Freiübungen die Preis: verteilung vorgenommen. Erſte Preisgewinner im Geftions- turnen fönnen wir nicht nennen, da hier nur ſehr zahlreiche Rangklafjen gebildet wurden. Die erjten Preife im Kunſt— turnen fielen auf Otto Ineichen (Veltheim, Züri) und Gott: lieb Siebenmann, Bafel, mit je 94,5 Runften, im National- turnen auf Gotthold Wernli, Bafel, mit 96,5 Puntten. Am Geftionsturnen beteiligten jih die Angehörigen des Kan tonalturnverbandes als der feitgebenden Organijation nit. An die Preisverteilung ſchloß fi ein zweiter Zug durch die Stadt und die Kahnenübergabe vor dem Rathaus. Im Laufe des Dienstags führten Ertrazüge der von Bafel ausgehenden Bahnen die Turner in ihre Heimat. Die Freude über das Ihöne Gelingen des Feſtes ift allgemein.
11. Ein großes allgemeines Jugendfeſt, das Taufende von Kindern, zum Teil in reizenden Koftümen, zu Fuß und zu Wagen vereinigt und einen Umzug voll Leben und Bewegung und Buntheit zuitande bradte, wird mit voll: fommenem Gelingen im Feſtzelt und auf dem weiten Plan des Turnfeltes abgehalten.
14. Das franzöſiſche Nationalfeit wird von der hiefigen franzöfifhen Kolonie durch einen Empfang im Konfulat und durch ein diesmal von privater Seite, nicht vom
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Zentralfomitee der Kolonie organifiertes Gartenfejt im Sommerfalino gefeiert.
Bei einem ſchweizeriſchen Schadfptelertag in Lauſanne zeihnen ih Basler Schachſpieler in großer Zahl durch hervorragende Leiltungen aus.
18. Das Baudepartement ſetzt eine Kommijjion nieder zur Unterfugung des bauliden Zuftandes Des Münfters.
19. Eine ſozialdemokratiſche Parteiver— fammlung jpriht den Zürcher Genojjen, die am 12. Juli zu Demonjtrationszweden einen Generaljtreit durchgeführt Hatten, ihre Sympathie aus. — Schon am vorangegangenen Tag hatte die Partei mit Mehrheit dem von einem Teil feiner Genofjen Hart angefochtenen Vorſteher des Polizeideparte- ments Regierungsrat Dr. 9. Blodher ihr Vertrauen kund— getan.
21. Auf einer Hochtour am Wletfchhorn findet den Tod 45 Sahre alt Dr. Andreas Fiſcher, feit 1896 Lehrer des Deutijhen an der Obern Realſchule in Bajel.
25. Delegierte ftadtbasleriiher Vereine befchließen, auch diefes Jahr ein St. Jakobsfeſt abzuhalten. Gleichzeitig wird die Peſtalozzigeſellſchaft, wie ſchon vor 1 und 2 Jahren, einen Blumentag veranitalten.
26. 27. Auf einem Flug Straßburg-Baſel über- fliegen verjchiedene deutjche Dffiziere mit ihren Flugzeugen unſre Stadt. Am Abend des 26. und am frühen Morgen des 27, erleidet je einer der Aeroplane hart an der Grenze Ha— varie, jo daß die Flieger gezwungen find, vorübergehend hier zu bleiben.
27. Zum eritenmal fährt ein Schleppzug mit Kohlen über die mittlere Nheinbrüde in Bafel hinaus nad) SHhweizerhalle und eröffnet damit ein neues Kapitel in der Rheinſchiffahrt.
31. Witterung. Das Mittel der Temperatur für den Juli 1912 betrug 18,2, das mittlere Temperatur-Marimum
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23,3, das mittlere Temperatur-Minimum 13,50 Celfius, das Mittel des Luftdruds 736,8, die Summe der Niederjchlags- menge 75 mm, die Summe der Sonnenjheindauer 226 Gtun- ven. Das erite Drittel des Monats verlief unbejtändig, meift regneriih, das zweite (Turnfeft) brachte ſchöne warme Wit: terung, das letzte war gewitterhaft und hatte viel Regen.
Auguft 1912.
1. Bei allgemeiner Feſtmüdigkeit und ungünjtiger Witte- rung nimmt die Bundesfeier einen flauen Berlauf.
3. fig. Auf dem Kohlenplage hat der Zirfus Biſini feine Zelte aufgeſchlagen und gibt feine equeitrifchen und akro— batiſchen Vorſtellungen.
7. Die Arbeiterunion beſchließt Anſtellung eines zweiten Arbeiterſekretärs und wählt an die neue Stelle Max Bock, bisher in Zürich.
12. Der neue Verſchubbahnhof der Badiſchen Bahn, der in einer anſehnlichen Breite von Leopoldshöhe bis Haltingen reicht und als eine der großartigſten Anlagen dieſer Art in ganz Mitteleuropa gerühmt wird, wird mit dem heutigen Tag dem Betrieb übergeben.
15. In Innsbruck ſtirbt an einem Schlaganfall 65jährig Dr. Stanz La Roche, 1872—1875 Regierungsfefretär von Bafeljtadt, jpäter in verjchiedenen gemeinnüßigen Unter: nehmungen tätig, feit Mitte der 1890er Jahre nicht mehr in Baſel anfällig, jondern meilt auf Reifen, im Winter in Münden oder in Innsbrud.
16. Die Arditeften Rud. Linder und Emil Berder legen den Plan eines Mujfeumsbaus im Shüßenmatt part der Deffentlichfeit vor und tragen damit dazu bei, die duch die Petition der Künjtler in Fluß gebrachte Mufeums- angelegenheit noch mehr aktuell zu machen. Am 17. überreidt die Regierung der Muſeumskommiſſion die erſten Petitions- bogen und Stellt ihr eine Friſt bis Ende September, um fid) Darüber zu äußern.
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Der ſchwerſte Shleppzug, der je nah Bafel kam, beitehend aus drei Dampfern und Drei Kähnen, trifft am Rheinhafen ein. — Es wird befannt, daß das Stadttheater im Laufe des nächſten Winters im Bömlytheater durd feine Truppe leichtere Luſtſpiele u. dgl. wird aufführen laſſen.
17. Nachdem feit dem 6. ds. langjam der Rhein oberhalb des Staumwehrs bei Augjt ift gejtaut worden, liefert mit dem heutigen Tag das bafelftädtifhe Kraftwert bei Augſt-Wyhlen zum erjtenmal probeweife Strom nad der Stadt mit vollfommenitem Gelingen. — Die Infan— terierefruten von Bajelftadt, etwa 300 an Zahl, mar- Ihieren unter Borantritt der Muſik des militärifhen Vor: unterrihts bei ihrer Rückkehr aus Luzern durch die Stadt. Es waren diejfes Jahr vom Bundesrat regimentweife Re— frutenjchulen der Infanterie angeordnet worden.
18. Die Fußballſaiſon des Winters 1912/13 be- ginnt mit einem Match des %. C. Bajel I gegen Straßburg, der mit 2:2 Goals unentichieden bleibt.
19. Die außerordentlihe Generalverfammlung des Shweiz. Banfvereins genehmigt einjtimmig die Sufion mit der Banque d’Escompte et de Depöts in Lau— ſanne und bezeichnet Muret als Direktor der Laujanner Fi- liale.
24. Der Regierungsrat wählt zum ordentlichen Profeſſor an der Univerſität für deutſche Sprache und Literatur mit be— ſonderer Berückſichtigung der Literaturgeſchichte mit Amts— antritt auf das Sommerſemeſter 1913 Herrn Dr. Sul. Beter: jen, zurzeit PBrivatdozenten in München. Gleichzeitig erhält Prof. Dr. E. Hoffmann-Krayer auf den gleihen Zeitpunft eine der gejeglihen foordinierte Profeſſur für Germanijche Philologie.
25. In den Gottesdieniten der evangeliihen Volkskirche wird für jpezielle Gemeindezwede eine Kollefte erhoben.
26. Das St. Jakobsfeſt wickelt fih in den her: gebraten Formen ab, nur daß das Münftergeläut früh 5 Uhr
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den Tag eröffnete. Keitredner war Pfr. Hans Baur zu St. Leonhard. Am Abend wurde im Sommerfalino das Zeuer- wert abgebrannt, deſſen Abbrennen am 1. Auguſt unmöglid geworden war. Die Feier wurde vielfach durch Ungunit der Mitterung gehemmt und unterbroden. Mit ihr im Zu: fammenhang wurde der Dritte Basler Blumentag abgehalten, dejjen Ertrag, 26,000 Fr. verſchiedenen Unter: nehmungen der Peſtalozzigeſellſchaft, Ferienheim Preles, Waldſchulen, Kleinbasler Krippen zu gute kommt.
27. In der Morgenfrühe ſeines 87. Geburtstages ſtirbt an Altersſchwäche Pfr. D. theol. Samuel Preiswerk, älteſter Sohn des 1871 geſtorbenen Antiſtes gleichen Namens. Er war 1847—1859 Pfarrer in Langenbruck, dann bis 1897 Pfarrer zu St. Alban. Preiswerf hat durd) feine tiefgründen- den Predigten auf weite Kreije einen großen Einfluß ge: übt. In dem Amt und in der Synode vertrat er pofitive An- ſchauungen. Auf willenihaftlidem Gebiete Hatte er als Hebrailt einen Namen. In verjhiedenen chrijtlichen und ge- meinnüßigen Unternehmungen wirkte er an leitender Gtelle eifrig mit.
28. Zur Hausmutter des Basler Kerienheims für Mädchen der Beitalozzigejellihaft in PBreles wird gewählt Wwe. 9 ü m: merli, ehemals Waifenmutter in Burgdorf.
30. Witterung. Die Hauptwerte des Monats Auguſt 1912 waren: Mittel der Temperatur 14,8 (3° weniger als das 8jährige Mittel!), mittleres Temperatur-Minimum 11,9, mittleres Temperatur-Marimum 18,99 Celſius, Mittel des Luftdrucks 736,2, Summe der Niederfchlagsmenge 145 mm, Summe der Sonnenfdeindauer 126 Gtunden (98 Stunden weniger als das 26jährige Mittel!). Es war ein regneriſcher, naſſer und unerfreulicher August und fuchte in diefer Richtung jeinesgleiden. Die Kulturen litten jtarf unter der Witte- rung des Monats. Nur die Obſtbäume verſprechen troß der Näſſe und dem Mangel an Sonnenjdein einen reihen Herbit- fegen.
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September 1912.
1. Guſtav Donze, Hauptkaſſier des 1. ſchweiz. Zoll» freifes, begeht jein 5Ojähriges Jubiläum als Beamter der ichweiz. Zollverwaltung. Beim feitliden Alt in der Reb— leutenzunft wird u. a. eine Anſprache verlejen, die der vor acht Tagen verjtorbene Zollamtsvorjteher K. E. Pfeiffer- Amsler noch verfaßt Hatte.
2. Der Genojjenihaftsrat des Allg. Kon- ſumvereins beſchließt Ankauf der Liegenihaft Dornader- ſtraße 74/ Gempenſtraße 39 für 162,000 Fr. und faßt eine Re— lolution zugunften des zur Volksabſtimmung gelangenden Bauredhtsvertrages mit der Basler Wohngenoſſenſchaft.
3. Raijer Wilhelm II. von Deutſchland hält ji auf feiner Reife zu den ſchweizeriſchen Manövern in der Oſtſchweiz mit einem großen und glänzenden Gefolge wenige Minuten auf dem Bundesbahnhof auf. Er wird begrüßt von einer Delegation der Basler Regierung, es ftellen ſich ihm die zu einem Gefolge fommandierten Schweizer Offiziere General: ſtabschef Oberft v. Spreder, Oberjtdinifionär Audeoud und Dberjtleutnant Alfr. Wieland zur Verfügung. Er empfängt die Spißen der deutihen Kolonie von Bafel und verleiht einige Orden, u. a. an den Kemponijten Dr. Hans Huber den fönigl. Aronenorden 3. Klaſſe. Der geſchmackvoll deforierte Bahnhof war polizeilich abgejperrt. Während der Anwejen- heit des Kaijers Donnerten die Kanonen den Ehrengruß.
5. Der im Auftrag des Vereins für die Schiffahrt auf dem Oberrhein gebaute 17 m lange Motordampfer mit Vetrolheizung unternimmt feine erjte Fahrt nad) Rheinfelden. Er braudt dazu 2 Stunden, von denen 25 Minuten auf die Durchſchleuſung fallen.
8. Sn Bafel tagt unter Borfi von Dr. U. Kramer (Zürid)) die 46. Wanderverfammlung des Bereines ſchwei— zeriſcher Bienenfreunde, zu der fi) etwa 400 Mit: glieder eingefunden haben. — Die erſte Mannihaft des % u B-
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ball£lubs Bafel gewinnt einen internationalen Match gegen %. EC. Phönir (Karlsruhe) mit 4:0.
9. Nachdem durch Die neue Armeeeinteilung (April 1912) die beiden bajeljtädtilhen Bataillone 54 und 97 zu einem Snfanterieregiment 22 find vereinigt worden, rüdt diejes zum eritenmal unter Oberjtleutnant Dtto Senn zu den Borfurjen des diesjährigen Wiederholungsfurfes der 4. Di: vifion aus, Bataillon 54 (Major ©. Senn) nad) Reinad) Bataillon 97 (Major M. Alioth) nad Aeſch. Das Ausrüden ging im ftrömenden Regen vor fi).
10. Der alte fpätgotifde Taufftein Der St. Theo: dorskirche, jeit längeren Sahren verjchollen, geht aus Privatbelig in das Eigentum der Kirdhe über und wird an feinem urſprünglichen Ort aufgeltellt.
12. Lic. theol. Otto Shmik, bisher Privatdozent der Theologie in Berlin, wird als neuer Vorfteher der Evans geliſchen Predigerſchule in fein Amt eingeführt.
14. Der Berein für Shiffahbrtaufdem Ober thein hält feine 8. Generalverfammlung in Bajel unter An— wejenheit jehr zahlreicher Bejuder von auswärts. Sm Uns Hluß an die Verfammlung fand eine gemeinfame Dampfer- fahrt nad) Rheinfelden ſtatt.
15. Die firhlide Kollefte des heutigen Bet- tags wird zu verſchiedenen kirchlichen Zweden der einzelnen Gemeinden bejtimmt und wirft mit Einrechinung einiger Nach— träge insgejamt 6810 Fr. ab.
18. Die Bundesräte Decoppet und Forrer nehmen in Begleitung von Fachmännern einen Augenſchein der Rheinhafjfenanlage vor.
19. Im Alter von 74 Jahren ftirbt Oberjt Hans v. Mechel, in feiner Jugend Offizier in königlich neapoli- tanijhen Dienjten, jpäter lange Zeit Schießinitruftor in Wallenſtadt, jeit 1883 Kreisftommandant und bis in die erjten Sahre des 20. Jahrhunderts defignierter Rlagfommandant von Bajel, 18 Jahre lang Mitglied des Basler Großen Rates.
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Die Diafoniffenanftalt Riehen begeht ihr 60. Sahresfeft. Die Zeitpredigt hält Pfr. W. Shhlatter.
Die Photographiſche Geſellſchaft feiert mit einer Feltfigung ihr 25jähriges Jubiläum. Dabei hält Prof. %. Schmidt aus Karlsruhe einen Vortrag über die geſchichtliche Entwidlung der Photographie.
20. Das Basler ISnfanterie-Regiment 22 fehrt in Extrazügen aus feinem im Bajelbiet abjolvierten Miederholungsfurs heim, bringt die Naht in der Kaferne und in benachbarten Schulhäujern zu und wird am 21. ent- laſſen.
21. Der Regierungsrat entläßt Frau U. Rothen— berger:Klein auf ihren Wunſch aus dem Amt als In— fpeftorin der Kleinfinderanitalten.
25. Die Regierung ernennt zum ordentliden Profeffor für Botanif an der Univerfität Guſt. Senn, bisher außer- ordentliden Brofeljor.
26. Die Spiten der badilhen Behörden, des Handels und der Induſtrie unferes Nachbarlandes nehmen die Kraftwerfe von Augſt-Wyhlen und von Laufenburg in Augenjcdein. Die Reife geht von Bajel aus und erfolgt bis Rheinfelden auf den vom Berein für Schiffahrt auf dem Oberrhein zur Verfügung gejtellten Dampfern.
27. Die Liedertafel wählt zu ihrem Präfidenten an Etelle des zurüdtretenden Dr. E. Budherer den bisherigen Bizepräliventen E. Keifer:Handidin.
28. 29. Die Initiative der fortſchrittlichen Bürgerpartei betr. Erhebung von Schulgeld von auswärts wohnenden Shülern wird mit 7824 gegen 2990 Gtim- men angenommen, troß der Empfehlung der Ablehnung durch die Hauptparteien, mit Ausnahme der freifinnigen, die die Stimme freigab; die vom Hausbelißerverein ausgehende Snitiative betr. Abſchaffung der Straßenreini- gungsjteuer wird entiprechend der Empfehlung des Großteils der Preſſe verworfen mit 6417 gegen 4559 Stim-—
men; die Referendumsabitimmung über den Bauredhts: vertrag mit der Basler Wohngenoſſenſchaft, zu der die Liberalen und die Katholiken keine beitimmte Mahlparole ausgegeben Hatten, während Freilinnige und Sozialdemofraten Annahme empfahlen, fiel bejahend aus mit 5620 gegen 5295 Stimmen. Außerdem wurden eine Zivil: richter- und eine Strafriditerftelle neu bejegt. Der Abſtim— mung, namentlich über den Bauredtsvertrag, ging eine leb- bafte Polemik in der Preſſe voran. Die Zahl der Stimm: berechtigten betrug 22,236, die der Teilnehmer am Wahl- und Abjtimmungsgejchäft 11,170.
Die Shweizerijhen Neuphilologen Halten ihre vom Basler Verein Gay Saber veranftaltete Jahres— verfammlung in Bajel ab. Die Tagung ift großenteils durch willenihaftlihe Vorträge ausgefüllt. Als Vorort auf drei Sahre wird Bajel bezeichnet.
30. Sm Alter von 50 Jahren ftirbt Albert B u B-Wenger, Gründer der fpäter in eine Aktiengefellidaft umgewandelten Eijenfonjtruftione und Bauunternehmerfirma, ein Self made man, der fih vom einfaden Arbeiter zum großen Indu— itriellen aufgefhwungen hat. Buß gehörte u. a. dem Basler Großen Rate an. Einige Hauptwerfe der non dem Ber: torbenen gegründeten Yirma find: Mittlere Rheinbrüde in Bafel, Kuppel: und Hallenbau des neuen Bundesbahnhofes in Bajel, Kuppelbau des Bundesbahnhofes in Yuzern, Rhein: brüde bei Eglisau, Bietijhtalviaduft für die Lötſchbergbahn, Verlegung der Elſäſſer-Linie in Bajel, Bau eines Teiljtüdes der Direften Linie Bern:Neuenburg, ſowie der Bodenfee- Toggenburg-Bahn, ferner die Golothurn-Münfter-Bahn, Spiez.Erlenbah- Bahn, Berninabahn, Wajlerwert Wangen a. A., Waflerfraftanlage Augſt-Wyhlen u. a. m.
Witterung. Die mittlere Temperatur des Monats September 1912 betrug 10,0, das mittlere Temperatur- Marimum 14,1, das mittlere Temperatur-Minimum 6,49 Celfius, das Mittel des Quftoruds 740,4, Die Summe der
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Niederihlagsmenge 43 mm, die Summe der Sonnenfdhein- dauer 104 Stunden. Wir ftehen hinter dem weitaus Tälteften September, feit in Bajel die Wärme notiert wird, d. 5. feit 86 Jahren. Das Mittel der Temperatur blieb 4,39% unter dem S6jährigen! Die erfte Hälfte des Monats war regne- riſch und die zweite nebelreih und darum fonnenlos, beide daher übermäßig falt.
Dltober 1912.
1. Der Weitere Bürgerrat verfauft einen Streifen Land der Chr. Merianfchen Stiftung an der Lagerhausitraße zum Bau eines Zeughaujes an den Staat, genehmigt einen mit der chriſtkatholiſchen Kirche abgeſchloſſenen Vertrag über das Kirhhenopfer, beichließt den Umbau des Wirtshaufes zu St. Jakob und behandelt eine Reihe von Bürgerredts- begehren. |
5. 6. Der Raufmännijhe Verein Bajel, ehe mals Verein Junger Kaufleute begeht die Feier feines 50- jährigen Beitehens, nachdem er ſchon vor einigen Tagen die mit der Sahresverfammlung zufammenhängenden Bereins- geihäfte im engern Kreis erledigt hat. Das Zeit beiteht in einer Abendunterhaltung am 5., einem Feſtmahl mit nadf- folgendem großem Ball und zahlreien Vergnügungsveran- ſtaltungen im Stadtfajino am 6.
Der Verband ſchweizeriſche Lehrfräfte für geiltes hwaKhe Kinder hielt am Samstag und Sonn: tag feine gut bejuchte jiebente FJahresverfammlung in Bafel ab unter dem Borlig von K. Jauch (Züri). In der Situng vom Samstag referierte Yehrer Graf (Bajel) über das Thema „Lehrbuchfragen“. In der Hauptverfammlung vom Sonntag hielt Privatdozent Dr. med. Billiger (Bajel) einen Vortrag über Erkennung des Shwadjlinnes beim Kinde mit Berüd- ihtigung der Methodik der Intelligenzprüfung.
6. Der Fußballklub Old Boys Bafel fiegt gegen Nord- tern Bafel mit 3:2 Goals.
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7. 8. Der Basler Verein für Sonntagsfeier begeht jein 5Ojähriges Jubiläum mit einer öffentlichen Abendverfammlung in der Martinskirche (Redner Pfr. Stod: meyer und Pir. Benz) und mit Verhandlungen in der Schmiedenzunft über „Sonntagsfeier und Sonntagsheiligung“ (Referenten Pfr. Thurneyfen, Bajel, und Pfr. Sublet, Val- lorbe).
9. Der Große Rat eröffnet feine Tätigfeit für das beginnende Winterjemeiter mit zwei Interpellationen. Die eine, über das von der Regierung publizierte Werbot, bet Streits, Boykott und Sperren die Poſten näher als 50 Meter von dem dur die Maßregel betroffenen Lokal aufzuftellen, wählt fih zu einer weit in den Nachmittag ausgedehnten Debatte aus, ohne mit einem tatlählihen Ergebnis zu ſchließen. Der Rat bewilligt einige Nacdjfredite, nimmt die Refultate der Wahlen vom 28./29. September entgegen und bewilligt 173,000 Fr. für Verlängerung der NRinglinie bis zur Eljäjjer-Straße und Anlegung des Kannenfeldplaßes.
19. Sm Alter von 63 Jahren ftirbt Direktor Ed. Spieß, jeit 1891 der Leiter der Allgemeinen Gewerbeſchule.
20. Georg Bonder Mühll, Mitglied des Engern Bürgerrats, eine Hauptitüße aller wohltätigen und gemein- nüßigen Bejtrebungen Bafels, erliegt 60jährig einem Schlag: anfall.
21. Die Basler chirurgiſche Klinik entjendet unter Mit: wirfung des Roten Kreuzes ihre Aſſiſtenten Dr. Ad. Viſcher und Dr. Ed. Stierlin, denen fih Dr. Chriftoph Socin angeſchloſſen hat, nad) dem Kriegsihauplag auf dem Balkan.
23. Im Alter von 40 Jahren ftirbt nad) kurzer fchwerer Krankheit Advokat Dr. Joſef Knörr, einer der Wortführer der Jozialdemofratiihen Partei im Großen Rat.
24. Großer Rat. Nah der Ratifikation von 65 Bürgeraufnahmen beichließt die Behörde in erjter Leſung Erweiterung des Grundbuchgeometerbureaus, nimmt die Er-
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gänzung der Wiejenforreftion und die Erwerbung der Bad- und Waſchanſtalten an der Binninger: und an der Matten ftraße an, beauftragt die Regierung mit Eritellung eines Braujebades im St. Albanquartier, nimmt ein Gefeß betr. Pflanzenfhug und den Großratsbeihluß betr. Verbot von KRunitwein und Kunftmoit an, geht über den Anzug Ader betr. neue Beredhnung der Beleudtungs- und NReinigungsiteuer zur Tagesordnung, überweilt den Anzug Bürgin betr. Ver- längerung der Kafernenitraße, bejchließt gegenüber dem Anz zug Brändlin betr. Erjtellung von LZagerhäujern beim Rhein= bafen eine motivierte Tagesordnung und genehmigt die Schritte, die die Regierung für Einbürgerung des heimat- loſen Knaben Härtel getan hat.
Der Schweizerifhe Zentralvereinfür Krippen— weſen hält in Bajel eine hauptſächlich den laufenden Ge— Ihäften gewidmete Sitzung ab.
26. Da der 27. Oftober heuer auf einen Sonntag fällt, jo wird die Meſſe jhon am 26. eingeläutet. Gie breitet. fih über Barfüßer:, Peters: und Kohlenplat aus, hat aud für den Häfelimarkt die Gegend der Heumwage in Anfprud genonmen, weil die Bernoulliltraße wegen der Ermweiterungs- bauten an der Bibliothef mit Beichlag belegt ijt, bietet aber nichts bejonderes.
Das Programm der Bopulären Kurfe des nädften Winters fieht folgende Zyflen vor: Dr. Baul Steinmann: Bererbungseriheinungen bei Pflanze, Tier und Menſch; Dr. Ernit Did: Der engliſche Roman; Ingenieur Rudolf Gelpke: Kantonale und eidgenöffiihe Wirtfchaftspolitif; Paul Häberlin: Einführung in das Weſen der Philo— ſophie.
26. 27. Die an der Thierſteinerallee neu gebaute Heilig— geiſt-Kirche der römijchefatholiihen Gemeinde wurde am Samstag vormittag durch Biſchof Jakob Stammler geweiht. Dann fand darin die erite Meile und die erjte Predigt ftatt. Am Sonntag wurde der Rektor der Kirche, Pfarrer R. Mäder,
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bisher in Mümliswil, eingeführt, und der Biſchof firmte 600 Kinder.
27. 28. Die Shweiz. Statiſtiſche Geſellſchaft und die Vereinigung der Ichweizerifhen amtliden Statijtifer begehen ihre Sahresverfammlung in Bajel.
29. Ein gewaltiger neuer, über 50,000 m? faljender © a s: behälter bei der Gasfabrif vor dem St. Sohanntor wird ausprobiert. Bein: Graben des Fundamentes zu dem Bau waren im Sommer 1911 die NReite einer vorgeihichtlichen, äußerſt primitiven, ziemlich ausgedehnten gallifden An- jiedelung zutage gefürdert worden. Kacjleute verlegen den Untergang diejes ältelten befannten Bafel ins 1. Jahr— Hundert v. Chr.
31. Dr. Selig Speifer, der vor einigen Monaten von einem mehrjährigen Forſchungsaufenthalt auf den Neuen Hebriden zurüdgefehrt ift, macht feine außerordentlich reiche von dort mitgebradjte Sammlung einem geladenen Bublifum zugänglid. Gleichfalls im Laufe des Sommers find aud mit reiher Ausbeute Dr. Fri Sarajin und Dr. J. Roux von einer wiſſenſchaftlichen Reiſe nad) Neu-Kaledonien zurüd- gefehrt. Die Speilerihe wie die Sarajinige Sammlung find zur Vermehrung unleres ethnographiſchen Muſeums bejtimmt, das dadurch zu einem der reichiten feiner Art auf dem Kon: tinent wird.
Die erjten drei nach dem neuen Wrbeitsfelde ver Basler Miſſion in Nord-Togo beitimmten Mifjionare werden im Miflionshaus eingefegnet.
Witterung. Das Mittel der Temperatur im Oktober 1912 betrug 8,6 das mittlere Temperatur-Minimum 5,7, das mittlere Temperatur-Marimum 12,5 Celſius, das Mittel des Zuftoruds 738,1, Die Summe der Niederfchlagsmenge 94 mm, die Summe der Sonnenjheindauer 97 Stunden. Barometer- tand und Niederjchlagsmenge überjtiegen das 85-, rejp. 48- jährige Mittel, die Temperatur blieb unter dem 86jährigen, die Sonnenjcheindauer unter dem 2djährigen Normalwert.
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