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Busse, Ludwig

Beiträge zur Entwick- lungsgeschichte Spinoza' s

Beiträge zur

Entwicklungsgeschichte Spinoza's.

INAUGüEAL-DISSEßTATION

ZUR

ERLANGUNG DER DOCTDRWÜROE

VON DER PHILOSOPHISCHEN FACULTÄT

DER

FRIEDRICH -WILHELMS -UNIVERSITÄT ZU BERLIN

GENEHMIGT

UND

NEBST DEN BEIGEFÜGTEN THESEN

ÖFFENTLICH ZU VERT HEIDIGEN

am 14. Ausfust 1885

Ludwig Busse

aus Braunschweig.

OPPONENTEN :

Herr G. Schmidt, Arzt. D. Hahn. _ H. Gerken.

BERLIN.

Buchdruckerel von Gustav Schade (Otto Francke). Linieustr. 158.

Digitized by the Internet Archive

in 2010 with funding from

University of Toronto

http://www.archive.org/details/beitrgezurentwOObuss

Meinem theiiern Vater

in Dankbarkeit

ge'O'idmet.

N0V2 1972

JJie nacMolgenden Untersucliuugen bilden einen Bruclitheil einer grösseren Abhandlung, die von mir später publicirt wer- den wird, und in welcher ich die Entwicklung der Grundzüge des Spinozischen Systems von dem ersten, durch die in dem „tractatus brevis" enthaltenen „Dialoge"') characterisirten Stadium an bis zum letzten und höchsten der „Ethik" darstelle. Ich be- trachte den Entwicklungsgang Spinoza's als in folgender Weise sich vollziehend. Er geht aus von der anschaulich gegebenen und als unendlich gedachten Natur; diese ist ihm der letzte und höchste Grund alles besonderen Seins, der umfassende Träger aller Dinge. In ihr, als der unendlichen Substanz, ist Alles enthalten, ausser ihr existirt nichts: die Natur ist göttlich. Gott und Natur sind identisch, es gilt die Formel: Deus sive natura.

Dieses erste, an Giordano Bruno erinnernde, pantheistische Stadium wird verändert durch den Einfluss der Cartesianischen Philosophie. Der Dualismus Descartes', der transcendente Gottesbe- griff desselben stösst feindlich auf die pantheistische Weltanschau- ung Sj)inoza's. Zwar erweist sich Cartesius nicht stark genug, den mit der Zähigkeit ursprünglicher Ueberzeugung von Spinoza fest- gehaltenen pantheistischen Grundgedanken völlig zu verdrängen, aber der Einfluss desselben ist doch so bedeutend, dass Spinoza schwankt zwischen der eigenen und der entgegenstehenden Car- tesianischen Philosophie. In den als Anhang den „Ilenati Des- cartes Principia Philosophiae more geometrico demonstrata"-) beigefügten „cogitata metaphysica", die ich, wie ich in meiner grösseren Abhandlung ausführlich nachzuweisen versuche, vor den „tractatus brevis de Deo et liomine ejusque felicitate" setze,

') B. de Spinoza's kurzer Tractat von Gott, dem Menschen und dessen Glückseligkeit übersetzt von Clu-. Sigwart 2. Ausgabe Freilturg u. Tübingen 1869. Die Dialoge darin pag. 25 ff.

^) Spinozae opcra ed. Bruder Leipzig 1843 vol. I.

6

macht der Philosoph einen Versuch, über das Verhältniss seiner eigenen Philosophie zu der des Cartesius mit sich in's Klare zu kommen; ein Versuch, der aber, wie ich gleichfalls in meiner Abhandlung ausführlicher nachweise, sehr unvollkommen gelingt. Die „cogitata metaphysica" zeigen eine bemerkenswerthe Unklar- heit in Bezug auf di(»s Verhältniss; sie enthalten weder die Philo- sophie des Cartesius, wie man aus dem Wortlaut der Vorrede ent- nehmen möchte, nocli die eigene, in den späteren Schriften nie- dergelegte Philosophie Spinoza's. Eigene und Cartesianische Ansichten laufen vielmehr ziemlich unvermittelt neben einander her, ohne dass es Spinoza gelungen wäre, sie mit einander zu vereinigen oder die entgegenstehenden Cartesianischen Bestim- mungen zu widerlegen.

Erst in der folgenden Schrift, dem schon erwähnten „trac- tatus brevis," mit dem sich die nachfolgenden Untersuchungen speciell beschäftigen, gelingt es Spinoza, sich von den Fesseln der Cartesianischen Metaphysik frei zu machen, soweit dies über- haupt je geschehen ist. Der Tractat ist deshalb eben so wich- tig für die Entwicklung der Spinozischen Philosophie, weil Spinoza hier zum ersten Mal ein wirkliches, zusammenhängendes und um- fassendes System aufstellt, hier zum ersten Mal seine Weltanschauung systematisch entwickelt. Und zwar geschieht dies, wie ich gegen- über denjenigen behaupte, welche den Tractat noch als im Geiste der Cartesianischen Weltanschauung geschrieben betrachten, in be- wusstem Gegensatz zu Descartes, den er bekämpft, indem er die Unhaltbarkeit seiner Bestimmungen nachweist und die eigenen an deren Stelle setzt.

Der Tractat zerfällt in zwei Haupttheile, von denen der erste, „von Gott" betitelt, die Metaphysik, der zweite, der die Ueber- schrift trägt „Von den Menschen", die Psychologie und Erkennt- nisstheorie enthält. Eingefügt sind dem Tractat die oben er- wähnten, früher verfassten „Dialoge". Den Text begleiten eine Anzahl Zusätze, deren Abfassungszeit fraglich ist, deren Aecht- heit im Allgemeinen aber feststeht. An den Tractat schliesst sich ein Anhang, der gleichfalls aus zwei Theilen besteht. In nahem Zusammenhang mit ihm stehen auch eine Anzahl Briefe Spinoza's an seinen Freund Oldenburg. Einem derselben bei- gefügt war eine Beilage, enthaltend die Grundsätze der Spino- zischen Metaphysik in geometrischer Form. Dieselbe ist verloren

gegangen, aber von Sigwart aus den Briefen reconstruirt unter dem üblich gewordenen Namen „Beilage an Oldenburg''^).

Nach der Aufeinanderfolge dieser Schriften, wie ich dieselbe in meiner Abhandlung festzustellen versucht habe, gliedern sich die nachfolgenden Untersuchungen in folgende Abschnitte: Traetatus brevis. I. Theil. (Metaphysik.) Anhang. I. Theil. Beilage an Oldenburg. (Meta- physik.) Traetatus brevis. IL Theil. (Psychologie und Erkennt- nisstheorie.) Anhang. IL Theil, und die Zusätze. (Psychologie und Erkenntnisstheorie.)

Traetatus brevis. I. Theil.

Die Metaphysik beginnt mit den Beweisen für das Dasein Gottes, die offenbar denen nachgebildet sind, welche Descartes in seinem „discours de la methode," in den „Meditationes de prima Philosophia," und den „Principia Philosophiae,'' besonders aber dem, den er in den „Responsiones ad secundas objectiones" ge- geben hatte. Man hat hierauf sehr viel Gewicht gelegt und daraus geschlossen, dass Spinoza, als er diese Beweise niederschrieb, noch ganz in der Cartesianischen Philosophie befangen gewesen sei. So urtheilt im Allgemeinen Sigwart*), so auch Ueberweg; nicht ganz so Trendelenburg. Derselbe sieht^) in dem zweiten Be- weise a priori: „Die Essenzen der Dinge sind ewig", schon einen gewissen Gegensatz gegen Cartesius*^). Sigwart meint, Spinoza sei in diesem Tractat erst zu seinen Anschauungen gekommen, indem er die Consec[uenzen des Cartesius zog und seine eigenen ursprünglichen hinzunahm; mir steht es fest, dass Spinoza, als er den „traetatus brevis" schrieb, den Kamjif mit der Cartesiani-

^) Spinoza's neuentdeckter Tractat etc. erläutert und in seiner Bedeutung für das Verstäadniss des Spinozismus untersucht von Chr. Sigwart Gotha 186(5. Vgl. den Excurs pag. 135 ff.

■*) In seiner Schrift 1866 pag. 7 unten heisst es: „Und wenn wir jenes^ erste Capitel lesen, glauben wir nicht Spinoza, sondern Cartesius zu liören"'. Ueberweg sagt gar (Gesch. der Philos. 5. Aufl. 1880 pag. 74): „Ein vor der Kritik des Cartesius liegendes Stadium bezeichnet der Traetatus de Deo et honiine".

5) Hist. Beitr. z. Phil. Bd. III pag. 311.

*) Tr. fügt hinzu: „Der Satz würde dem Leser unverständlich sein, wena er sich nicht vielleicht an cog. met. T Cap. 11 erinnerte".

sehen Philosophie, iiamentlieh Metaphysik, schon hinter sich hatte, und in dem Tractat zeigen wollte, dass Descartes' An- schauungen durch die eigenen corrigirt und ersetzt werden müssten; und dass die Schrift der erste Theil wenigstens in einem gewissen Gegensatz zu Descartes steht. Auch die Be- weise für das Dasein Gottes sind nicht so unbedingt denen Des- cartes' nachgebildet, wie man meint. Spinoza bedient sich der Ausführungen Descartes' gerade so weit, als sie dazu dienen können, seinen Gott, d. h. den Dens sive natura zu erweisen; in den Anmerkungen weist er zudem immer darauf hin, worauf er eigentlich hinaus will. Ich finde in der Form der Spinozi- schen Beweisführung doch ganz andere Ziele und Absichten ausge- drückt, als bei Descartes; ein Unterschied der sich auch formell geltend macht. Um die Hauptdifferenz kurz vorauszuschicken: Bei Descartes stützt sich der ontologische, a priori' sehe Beweis durchweg auf den psychologischen oder anthropologischen, a posteriori'schen Beweis, in den er zurückfällt. Bei Spinoza stützt sich umgekehrt der psychologische Beweis durchweg auf den ontologisclien; dieser tritt, eigenartig geformt, in den Vordergrund. Descartes hat den Beweis für das Dasein Gottes zu wieder- holten Malen in seinen Werken entwickelt. In dem „discours de la methode," 4. Theil'), hinkt der ontologische Beweis geradezu nach und wird von dem anthropologischen, an den er sich an- lehnt, völlig in den Schatten gestellt. Yon den Beweisen in den ,.Meditationes" ist der in der dritten wieder anthropologisch^). Die fünfte Meditation stellt einen ontologisclien Beweis auf^), der aber, wie man leicht sieht, mehr anthropologisch als ontologisch ist. Wie aus der Vorstellung des Dreiecks folgt, dass seine WW = 2 R sind, wie mit der Vorstellung des Berges unabtrennbar die des Thaies verknüpft ist, so auch mit der Vorstellung Gottes die seiner Existenz. Hier macht sich nun Descartes selbst den Einwurf, dass doch aus der Vorstellung des Thaies und Berges noch nicht folge, dass Berg und Thal realiter existire : ebenso folge aus der Vorstellung Gottes, auch wenn die Vorstellung seiner Existenz

^) Discours de la methode par Descartes, edition classique par E. Lefranc, Paris 1879 pag. 25, 26.

*) Reiiati Descartes Meditationes de prima Pliilosophia berausgegeb. von Dr. C. S. Barach, Wien 1866 pag. 18 ff.

9) ibid. pag. 41 S.

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notliwendig damit verknüpft sei, noch nicht seine reale, wirkliche Existenz. Indem nun Descartes diesen Einwand zu widerlegen sucht, stützt er sich wieder auf den anthropologischen Beweis. „Daraus", sagt er, „dass ich den Berg nicht ohne Thal denken kann," folgt nicht, dass irgend wo ein Berg und Thal existire, sondern nur, dass Berg und Thal, mögen sie nun existiren oder nicht, von einander nicht getrennt werden können. Aber daraus, dass ich Gott nicht anders als existirend denken kann, folgt, dass die Existenz von Gott nicht zu trennen ist, und dass er demnach wirklich existirt, nicht weil mein Denken dies be- wirkt oder irgend eine Nöthigung irgend einer Sache auf- erlege, sondern im Gegentheil, weil die Noth wendigkeit der Sache selbst, nämlich die Existenz Gottes mich bestimmt, so zu denken und es mir nicht frei steht, Gott ohne Existenz zu denken'")". Der Kern des Beweises ist also: Gott existirt wirklich. Er hat mir die Vorstellung seines Daseins gegeben; und weil er mich zwingt, ihn als existirend zu denken, darum kann ich gar nicht anders, als ihn so zu denken, und deshalb wieder bin ich be- rechtigt, aus dieser Nothwendigkeit, mit dem sich die Vorstellung der Existenz Gottes an die Vorstellung seines Wesens anschliesst, auf das reale Dasein Gottes zu schliessen. Ich fühle diese Nothwendigkeit in mir; sie stammt nicht aus mir, sondern sie stammt aus Gott. Der ontologische Beweis erscheint hier also durchaus auf den anthropologischen gestützt. Und ganz das Gleiche zeigt sich in den „Priucipia Philosophiae," die den ontologischen Beweis zwar voranstellen, aber doch den anthropologischen zu Hülfe nehmen. Unter ihren Vorstellungen hat die Seele die Idee eines allerhöchsten, allmächtigen Wesens, und erkennt darin dessen Dasein nicht blos als möglich oder zufällig, sondern als durch- aus nothwendig und ewig. Keine andere Vorstellung enthält diesen Charakter der Nothwendigkeit, nur sie allein. Wenn nun Descartes aber hinzufügt"): „Magisque hoc credet (sc. ens summe perfectum existere), si attendat, nullius alterius rei ideam apud se inveuiri, in qua eodem modo necessariam existentiam contineri animadvertat. Ex hoc enim intelliget, istam ideam entis

^°) Meditationes de prima Philosopliia Y. Barach pag. 44. 1') Prineipia Pliilosupliiae Th. I § XV.

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10

summe perfecti iioil esse a se effictam, nee exhibere chi- maericam quandam, sed veram et immutabilem natu- ram, quaeque non potest non existere, cum neeessaria existentia in ea contineatur" so macht sich darin doch wieder das oben geschilderte psychologische Moment geltend. Weil wir die Idee Gottes, und damit verknüpft die seiner Exi- stenz haben; weil dies die einzige Idee ist, mit der wir die Existenz, hier aber auch nothwendig verknüpfen müssen, so folgt, dass diese Idee nicht von uns erdacht, fingirt sein kann, sondern dass sie uns aufgenöthigt, eingeprägt ist von dem allmächtigen Wesen selbst, das also existirt. Es liegt hier der richtige Gedanke zu Grunde, dass es ja nicht in unserem Belieben steht, Gott als daseiend zu denken oder nicht zu denken: in diesem Falle würde das Dasein Gottes ja von dem Begriff, den ich willkürlich bilde, abhängen, sondern ich muss ihn so denken, und dass ich ihn nicht anders denken kann, als existirend, das beweist, dass Gott existirt*^). Am nächsten steht den Ausführungen Spinoza' s im „tract. brev." der Beweis, den Descartes in den „Resp. ad sec. obj. Rat. more geom. dispos." giebt. Indess verleugnet auch dieser Beweis den eigent- lich a posteriori'schen Character nicht, wenn derselbe auch weniger hervortritt. Descartes formulirt den Beweis hier so: „Es ist das- selbe, zu sagen, dass etwas in der Natur oder in dem Begriffe einer Sache enthalten ist, wie dass dies von derselben Sache wahr sei. Nun ist das nothwendige Dasein in dem Begriff Gottes enthalten deshalb, weil Gott vollkommen ist (Ax. X), also ist der Satz wahr, dass das nothwendige Dasein in ihm ist, oder dass Gott existirt."

Hier wird die Yollkommenheit Gottes benutzt, um daraus die nothwendige Existenz zu gewinnen; diese selbst aber ist durch den anthropologischen Beweis, dass die Idee eines aller- vollkommensten Wesens nur ein eben solches zur Ursache haben könne, sichergestellt, so dass also der ontologische, hier gegebene, jenen zur Voraussetzung hat. Dann aber folgert auch hier Des- cartes nicht direct aus dem Begriffe die reale Existenz Gottes; sondern weil schon feststeht, dass diese Nöthigung, Gott als existirend zu denken, von einer formalen Ursache

^-) Vgl. die Ausführung Kuno Fischer's, Gesch. d. neueren Philos. Bd. I. 1. 3. Aufl. München 1878 pag. 309 ff.

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herrührt (Ax. V.), kann man mit Recht aus dem Begriff des voll- kommensten Wesens auf dessen Existenz schliessen. Ueberall also stützt sich bei Descartes der ontologische Beweis auf den anthro- pologischen, psychologischen. Das Ich, welches sowohl (lenkt, als ist, wird benutzt, um den Uebergang vom Denken zum Sein zu er- möglichen und zu vermitteln. Descartes hat auch diese Vermitte- lung sehr nöthig, um den Zirkel zu verdecken, der darin liegt, dass Gott aus klaren Begriffen erkannt werden soll, die Wahr- heit und Untrüglichkeit unserer Begriffe aber erst gesichert wird durch Gottes Güte und Wahrhaftigkeit. Er kann diesem Grund- satz zufolge gar keinen eigentlichen ontologischen Beweis geben und so spielt denn der psychologische bei ihm die Hauptrolle. Ganz anders Spinoza. Das subjective Moment, das bei Descartes stets herbeigezogen wird, tritt bei ihm ganz zurück. Was, wie wir klar und deutlich sehen, zur Natur einer Sache gehört, das kann man deshalb auch von ihr behaupten. Zur Natur Gottes gehört, wie wir klar und deutlich erkennen, die Existenz: also existirt er, nicht sowohl deshalb, weil wir ihn erkennen, als weil zu seiner Natur die Existenz gehört'^). Hier wird gar nicht darauf Gewicht gelegt, dass wir mit dem Begriff" Gottes nothwendig die Existenz verbinden müssen, und dass dieser Denkzwang uns von Gott auferlegt sei, sondern wir er- kennen einfach die Essenz Gottes, und erkennen weiter, dass diese Essenz die Existenz involvirt. Die völlig objective Denk- weise Spinoza' s tritt hier schon scharf hervor, sie lässt ihn die Erkenntniss Gottes als etwas Selbstverständliches, als einen Specialfall der Erkenntniss überhaupt erscheinen; sie ermöglicht es ihm, auch ohne die vielfältigen Hilfsmittel des vorsichtigeren Descartes zum Ziele zu gelangen'*). Auch hier schon, im „tract. brev.," gilt die richtige und treffende Bemerkung Ritter' s'^): „Das Sein Gottes ist dem Spinoza ein Axiom. Wenn er Beweise für dasselbe aufstellt, so bestehen sie nur in Erläuterungen des Begriffes der Substanz. Durch diesen Beginn seiner Lehre ist er

'^) Sigw. Uebers. Theil I Cap. I.

'■•) Trendelenburg hat daher nicht Recht, wenn er (Histor. Beitr. z. Phil. Bd. III pag. 310) sagt, der Beweis sei nur in seiner Form angedeutet und setze Spin. Princ. Phil. Cart. I. 5. u. Ax. 8 voraus. Der Beweis genügt im Sinne Spi- noza^s vollkommen.

^^) Gesch. der christlichen Philos. Göttingen 1859 Bd. II pag. 2G5.

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sogleich über den Cartesianischen Substanzbegriff hinausgegangen." Wir dürfen diese Denkweise und dies Hinausgehen über Des- cartes eben darauf zurückführen, dass Spinoza, als er Descartes' Philosophie kennen lernte, schon vom Dasein Gottes fest über- zeugt war. Und nicht nur überzeugt; er glaubte es klar zu er- kennen. Diese Ueberzeugung hat er auch in den „cog. met." bei- behalten. Der Zweifel Descartes' hat demgemäss bei ihm keinen Platz; es ist selbstverständlich, dass das richtige und klare Denken sich vollständig mit der Wirklichkeit decke und sie zu erkennen vermöge. Daher: Die Essenz Gottes, so sehe ich klar, enthält die Existenz, also existirt Gott. Selbst das „also" ist fast überflüssig im Sinne Spinoza's; nach ihm genügt es eigent- lich, zu sagen: Ich sehe klar, dass Gottes Essenz die Existenz einschliesst, oder dass er existirt. Der Gegensatz zwischen Spinoza und Descartes wird aber noch deutlicher durch den folgenden Beweis. „Die Wesenheiten der Dinge sind von aller Ewigkeit und werden in alle Ewigkeit unveränderlich bleiben. Die Existenz Gottes ist Wesenheit. Also" ^^) Hier fehlt sogar der Zusatz „wie wir klar erkennen". Es versteht sich von selbst, dass die Essenzen der Dinge ewig sind, und es versteht sich wieder von selbst, dass Gottes Existenz eben seine Wesenheit ist, er also nothwendig existirt. Descartes hat diesen Beweis nicht, wie er denn überhaupt das Spinoza eigenthümliche Yer- hältniss von Essenz und Existenz nicht in gleicher Weise aus- gebildet hat, wie jener. Der Beweis in dem Zus. 2 setzt, wie Spinoza selbst sagt, den Spinozischen Gott, das ens constans in- finitis attributis voraus und ist nur für diesen berechnet'").

'6) Trendeleuburg liat ganz Recht, wenn er (a. a. 0. pag. 311) hierin einen gewissen Gegensatz zu Cartesius erblickt. Sigwart bestreitet dies, aber mit, wie mir scheint, nicht zutreffenden Gründen (Erläut. u. Parallelstellen pag. 161). Ich möchte nicht einmal auf die Unveränderlichkeit der Wesenheit so grosses Gewicht legen, als vielmehr auf das gänzliche Ignoriren des subjectiven Mo- mentes bei Spinoza. Trendelenburg aber hat Recht, dass der Beweis die Er- örterung über Essenz in den „cog. met." I. Cap. II voraussetzt.

^^) Das Anhängsel: Hierauf nun zu sagen etc. giebt so, wie es dasteht, gar keinen Sinn. Dem Reconstructionsversuch Böhmer's (Fichte's Zeitschrift für Philos. u. philos. Kritik Bd. 57. 1870 p. 249) vermag ich mich so wenig, wie Sigwart anzuschliessen. Die Stelle dürfte eine Nachahmung der Stelle in Gart. 5 Meditation sein (Barach pag. 43 unten, 44): Verum tarnen ne possim quidem cogitare etc., aber weder der voi-liegende Text noch die Böhmer'sche Reconstruction ergiebt klar den Sinn jener Stelle.

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Wenden wir uns nun zu dem Beweis a posteriori. Des- cartes hatte die LJnvollkommenheit des Menschen, die es nicht gestatte, dass er die Idee eines vollkommenen Wesens aus sich selbst herausbilde, als Ausgangspunkt des Beweises benutzt; von allen anderen Ideen kann der Mensch sehr wohl die zureichende Ursache sein, von dieser nicht. Gott, das allervollkommenste Wesen, muss selbst mir diese Idee eingeflösst haben. Folglich muss auch meiner Idee von Gott ein solches Wesen formaliter entsprechen. Dies, den Schlusssatz, stellt Spinoza voraus. „Wenn der Mensch eine Idee von Gott hat, so muss Gott formaliter sein. Nun haben wir eine solche Idee, also ." Damit ist nun eigentlich für Spinoza schon Alles gesagt. Da Alles, was wir klar und deutlich einsehen, auch wahr ist, so genügt das Bewusstsein dieser Idee, um das Dasein Gottes zu constatiren. Die nachfolgenden Argumente, bei Descartes das eigentliche Fundament des Beweises, bilden hier nur eine im Grunde nicht erforderliche nähere Ausführung der schon feststehenden Wahr- heit'^). Spinoza hat denn auch ausdrücklich diese Beweisführung als eine unvollkommene hingestellt. „Denn die Dinge, die man in dieser Beweisart beweist, muss man durch ihre äussere Ur- sache beweisen, was in ihnen eine offenbare Unvollkommenheit ist, da sie sich selbst durch sich selbst nicht können zu er- kennen geben, sondern allein durch äussere Ursachen. Gott je- doch, die erste Ursache aller Dinge und auch die Ursache seiner selbst, der giebt sich durch sich selbst zu erkennen" ''^). Dies nimmt sich fast aus, als wäre es gegen Descartes direct ge- richtet.

Die weitere Ausführung bringt nun das Cartesianische Argument, dass die Idee Gottes eine Ursache haben müsse, die ebensoviel Realität formaliter enthält, als die Vorstellung objec- tive. Diese Ursache kann mein Verstand nicht sein, denn er ist endlich und kann daher das Unendliche nicht durch sich

^*) Ich kann daher Sigwart nicht beistimmen, wenn er in s. Schrift 1866 sagt (pag. 8): „Ebenso schliesst sich der a posteriori'sche Beweis auf's Engste an den Cartesianischen an". Ebenso wenig ist Trendelenburg's Ansicht richtig (a. a. 0. pag. 112), "dass hier ein Corruptel vorliege, weil die Sätze, die den in- direkten Beweis enthalten, mangelhaft begründet seien. Es ist zu bemerken, dass Spinoza eben gar kein Gewicht auf den Beweis a posteriori legt.

■S) I Cap. I (10).

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begreifen. Ja, er könnte, ohne von aussen determinlrt zu werden, überhaupt nichts erkennen. Hier ist also der Grund die Un- vollkonimenhoit des Menschen, die auch Descartes benutzt. Es ist indess doch nicht ohne Bedeutung, dass Spinoza sich nicht des Ausdrucks „unvollkommen" bedient, sondern von der „End- lichkeit" des menschlichen Geistes gegenüber der Unendlichkeit Gottes redet. Die Tendenz, das Ziel des Beweises geht eben nicht auf den „vollkommenen", d. h. allgütigen, allweisen etc. Gott des Descartes, sondern auf das ens constans infinitis attributis.

Neu ist dann bei S])inoza das Argument, dass der Verstand, ohne von aussen determinirt zu sein, nicht nur Gott nicht, sondern überhaupt nichts erkennen könnte, da er keine Veran- lassung hätte, das Eine eher als das Andere zu erkennen. Darauf kommt es Spinoza an. Kann die subjective Einbildung Ursache überhaupt einer wahren Idee sein, so kann sie auch Ursache der Idee Gottes sein; ist das nicht möglich, so kann, ohne dass der Mensch determinirt wnrd, überhaupt von keiner Erkenntniss, also auch nicht von der Gottes die Rede sein. Die Erkenntniss Gottes bildet auch hier einen Specialfall der Erkenntniss über- haupt. Weil alle Denkgesetze Gültigkeit haben, muss, wenn der Menscli die Idee Gottes mit der Idee seiner Existenz verknüpfen muss, diese Erkenntniss auch wahr und gültig sein. Es ist hier wieder derselbe Gedanke wirksam, der auch im apriorischen Beweise als Axiom aufgetreten war: „Alles, von dem wir klar und deutlieh einsehen, dass es zur Natur einer Sache gehört, das können wir auch mit Wahrheit von der Sache behaupten."

Nehmen wir nun noch die Noten hinzu. Note 1 enthält nicht viel Characteristisches; sie ist aus der fünften Meditation Descartes' entnommen. Note 2 haben wir schon besprochen.

Note 3 führt gegen Descartes den schon besprochenen Ge- danken aus, dass der Mensch überhaupt nichts aus sich, rein aus sich fingiren könne. Die Grundbestandtheile seiner Fictionen müssen ihm von aussen kommen; er wird zum Erkennen, zum wahren wie falschen, determinirt: sonst erkennte er überhaupt nichts. Descartes hatte nur in Bezug auf die Idee Gottes verneint, dass der Mensch sie rein aus sich bilden könne; Spinoza dehnt dies auf alle Ideen aus.

Im Einzelnen schliesst sich die Note an die dritte und

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fünfte Meditation des Descartes, besonders aber auch an die ersten Capitel der „cog. met." an, welche sie zur Voraussetzung hat. Wichtig ist der Schluss dieser Note. Trendelen bürg er- klärt ihn für einen späteren Zusatz"*^), da die Lehre von den zwei Attributen, die er enthält, hier ungelegen komme. Indess w^ürde diese Ansicht doch nur dann wirklich berechtigt sein, wenn es eben feststände, dass Spinoza' s Beweis ganz in Cartesius verharre. Das ist nun aber, wie wir gesehen haben, keineswegs der Fall. Spinoza benutzt Descartes' Beweis nur soweit, als er dazu dient, den Spinozischen Gott, den Dens sive natura, dessen Wesen die Existenz involvirt, zu beweisen, oder eigentlich sein Wesen zu erklären. Daher steht es ganz wohl mit dem Texte in Zusammenhang und Einklang, wenn nun in der Anmerkung noch einmal ausdrücklich auf den Gott hingewiesen wird, der in diesem ganzen Capitel durchweg gemeint ist: das ens con- stans infinitis attributis. Gott hat unendlich viele Eigenschaften oder Attribute, obwohl wir deren nur zwei: Denken und Aus- dehnung wahrnehmen. „Wir finden in uns etwas, was uns nicht allein noch mehrere, sondern auch unendliche vollkommene Eigenschaften ankündigt, die diesem vollkommenen Wesen eigen sein müssen, ehe es vollkommen genannt werden kann." Dieser Satz zeigt übrigens, wie Spinoza auch in dieser nach Aveuarius „theistischen" Phase die Yollkommenheit Gottes auffasst: er setzt sie gleich der Unendlichkeit. Gottes Vollkommenheit besteht darin, dass er unendlich viele in ihrer Art unendliche Attribute hat. Von Note 4 ist mir sehr zweifelhaft, dass sie von Spinoza selbst herrühre. Note 5 enthält im Wesentlichen dasselbe, wie (9) im Text; sie weist auch nachdrücklich auf den Spinozischen Gott hin. Hervorzuheben ist auch noch, dass Spinoza schon in diesem ersten Capitel dagegen protestirt, dass Gott die emi- nente Ursache der objectiven Idee von ihm sei (8). Wenn es dann in (9) heisst, der Mensch wisse, dass es nicht zwei Un- endliche geben könne, so wird damit wieder der Pantheismus ziemlich deutlich gelehrt.

Wir sehen mithin, dass die ganze Beweisführung Spinoza' s, sowohl der Beweis a priori, wie der a posteriori, einen ganz anderen Character hat, als die des Descartes. Nicht der Gott

=«o) a. a. 0. pag. 307,

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Descartes', sondern der Deus sive natura Si)inoza's soll hier er- wiesen resp. erläutert werden, der Gott, den Spinoza schon in den Dialogen verfochten hatte, den er in den „cog. met.", obwohl mit widersprechenden Bestimmungen versehen, doch seiner eigentlichen, innersten Ueberzeugung nach festgehalten hatte, und der hier mit Entschiedenheit den Cartesianischen Gott verdrängt.

Nach diesen Ausführungen werden wir die Definition, die an der Spitze des zweiten Capitels: „Was Gott ist", steht: „Gott ist ein Wesen, von welchem Alles oder unendliche Eigenschaften ausgesagt werden, von welchen Eigenschaften jede in ihrer Gattung unendlich vollkommen ist," nicht als eine „ganz unver- mittelte Behauptung betrachten können, wie Sigwart dies thut, und wie man es allerdings thun muss, wenn man die Beweise für das Dasein Gottes im ersten Capitel als ganz Cartesianisch fasst. Noch weniger ist Sigwart zuzustimmen, wenn er sagt, wir sähen uns im ersten Entwurf vergeblich nach einer An- deutung um, wie wohl Spinoza dazu gekommen sein möge-'); ich glaube vielmehr gezeigt zu haben, dass es an Andeutungen im ersten Capitel durchaus nicht fehlt. Auch ist es weiter nicht Avunderbar und auffallend, dass der Begriff der Substanz noch nicht in die Definition Gottes aufgenommen ist; es soll eben erst demonstrirt werden, und zwar aus Descartes' eigenen Voraussetzungen heraus, dass es nicht mehrere, sondern nur eine einzige, unendliche Substanz gäbe. Spinoza's Substanz- begriff' wird entwickelt, indem von dem als bekannt voraus- gesetzten Substanzbegriff des Descartes ausgegangen wird. Dies geschieht durch die vier Sätze, die „um unsere Meinung hierüber klar auszudrücken", der Definition Gottes folgen. Man versteht den Zweck und Zusammenhang dieser Sätze nicht recht, solange man an der Meinung festhält, dass Spinoza selbst erst im Tractat de Deo et homine von Descartes zu seiner eigenen Philosophie gekommen sei^^). Ich sehe in ihnen vielmehr einen Beweis dafür, dass Spinoza, als er den Tractat schrieb, schon über Descartes hinaus war. Hier will er nun demonstriren, dass Descartes' Bestimmungen über die Substanz unhaltbar seien und

") Sigw. in seiner Schrift 1866 pag. 9.

^^) So besonders Trendelenburg in den bist. Beitr. z. Phil. III pag. 313.

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eine Umwandlung erheischen. Nicht den Dualismus zwischen der denkenden und ausgedehnten Substanz, sondern den zwischen Gott und Welt wäll Spinoza hier vernichten. So aufgefasst, bieten die vier Sätze keine grossen Schwierigkeiten dar. Die Voraussetzung, von der ausgegangen wird, ist die Auflassung Descartes'. Dieser nahm eine unendliche Anzahl denkender Substanzen oder Geister, und ausgedehnter Substanzen oder Körper an. Diese zusammen bilden die Welt, oder, in Spiuozischer Ausdrucksweise, die Natur-^j. Ihnen oder der Welt gegenüber steht die Substanz xai i^oxtjv, Gott, welcher Alles eminenter in sich enthält, was in der Welt vorhanden ist"-^). Hiegegen richtet sich nun die Polemik Spinoza's. Es kann, sagt er, keine begrenzte Substanz geben, sondern jede Substanz ist in ihrer Gattung unendlich vollkommen. Ist dies richtig, so können die einzelnen Geister und Körper keine Substanzen mehr sein, da sie sich gegenseitig begrenzen. Es giebt mithin nur eine in ihrer Art unendliche Substanz des Denkens, und eine in ihrer Art unendliche Substanz der Ausdehnung und so noch un- zählige in ihrer Art unendliche andere Substanzen. Sind nun aber diese Substanzen in ihrer Art unendlich, so hat es keinen Sinn mehr, sie als in Gottes unendlichem Verstände Gott ist nach Descartes eine geistige Substanz eminenter enthalten zu denken. Mehr wie unendlich können sie auch dort nicht sein. Dies drückt der zweite Theil des ersten Satzes aus: „Womit gesagt ist, dass es in dem unendlichen Verstände Gottes keine vollkommnere Substanz geben kann, als die in der Natur ist." Jetzt steht also den unendlichen Substanzen, die in der Welt sind und diese ausmachen, eine gleiche Reihe unendlicher Sub- stanzen im unendlichen Verstände Gottes gegenüber, der unend- lichen denkenden Substanz in der Welt entspricht eine ganz

-^) Es ist richtig, was Sigwart in s. Schrift pag. 17 bemerkt, dass der Be- griff „Natur" im ersten Capitel in dem anderen Sinn = essentia gebraucht Avird; ich kann darin aber nicht mehr sehen, als eine Nachlässigkeit im Aus- druck, die eben durch den Doppelsinn des AVortes „Natur" erklärlich ist. Uebrigens hat Spinoza diesen doppelsinnigen Gebrauch des Wortes auch in der Ethik selbst durchaus nicht aufgegeben. Dort finden wir beide Bedeu- tungen sogar in einem Satze vereint. Eth. Bch. I Prop. V. In rcrum natura, non possunt dari duae aut plures substantiae cjusdem naturae sive attril)uti.

2') Princ. Phil. Pars I. LI-LVIl. LX. LXII— LXV. u. a.

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gleiche unendliche Substanz in Gott, und so fort: Alles, was in der Welt ist, ist in Gott noch einmal vorhanden. Dagegen nun I)('liiui|)ten die folgenden Sätze: „Es giebt keine zwei gleiche Substanzen." „Eine Substanz kann die andere nicht hervor- bringen." Also kann neben der unendlichen denkenden oder ausgedehnten Substanz in der Welt nicht noch eine gleiche un- endliche denkende oder ausgedehnte Substanz in Gott existiren. Die in Gott enthaltenen Substanzen können auch nicht die Ur- sache der unendlichen Substanzen, welche die Welt ausmachen, sein; diese sind viillig unabhängig. Es folgt, dass die unend- lichen Substanzen in Gott mit denen in der Welt identisch seien. W^enn nun noch weiter gezeigt werden kann, dass in Gott nicht nur dieselben Substanzen, wie in der Welt, sondern auch, weil in der Welt unendlich viele Substanzen sind, nicht mehr, wie hier enthalten sein können in beiden unendlich viele (Satz 4), so fällt Gott mit der Welt völlig zusammen und es ist eine völlig correcte Folgerung, „dass von der Natur Alles in Allem gesagt wird, und dass also die Natur aus unendlichen Eigenschaften (oder Substanzen nach Gart.) besteht, deren jede in ihrer Gattung unendlich vollkommen ist: was vollkommen mit der Definition übereinstimmt, die man von Gott giebt ^')". Wir wissen nun also, dass alle Substanzen in der Welt, in der Natur enthalten sind, nicht aber noch einmal besonders oder gar in eminenter Weise in Gott. Es ist aber noch nicht hin- länglich bewiesen, dass diese Substanzen zusammen eine Einheit bilden, ein einziges Wesen ausmachen, und nicht etwa plura- listisch und selbständig neben einander in der W^elt existiren. Es muss gezeigt werden, dass sie Eigenschaften eines absolut unendlichen, sie umfassenden Wesens sind. Der Beweis wird in (17) geführt.

Drei verschiedene Beweise giebt Spinoza. Der erste ent- hält eine Combination des hier gefundenen Resultates mit dem

2^) I Cap. II (12). Es ist daher nicht richtig, wenn Sigwart von einem „überraschenden Uebergang" spricht (a. a. 0. pag. 18). Der Begriff der Natur tritt nicht unvermittelt auf; es ist der schon in den Dialogen verfochten e, im ersten Capitel genugsam angedeutete Begriff der unendlichen, göttlichen Natur, der jetzt bewusst als einzig mögliche Form des Gottesbegriffes gegen Desc. vertheidigt wird. Anders argumentiren der Anhang und die „Beilage an Olden- burg", die nicht diesen polemischen Character haben.

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Resultat des ersten Capitels. Dort war bewiesen, dass Gott ist. Wenn nun Gott sein, und zwar als unendliches und vollkommenes Wesen sein muss, als solches aber nicht neben der Welt exi- stiren kann, so muss Gott eben diese Welt, oder diese Welt Gott sein. Es ist die Form des Beweises, die auch iu der „Bei- lage" und auch in der Ethik im Wesentlichen wiederkehrt. Sie bezeichnet aber nicht die Art und Weise , wie Spinoza seinen naturalistischen Gottesbegriä' allererst selbst gewonnen hat. Nicht hat er sich zuerst vom Dasein Gottes überzeugt und dann, Gott mit der Welt vergleichend, geschlossen, sie seien una eadem- que res: nur die Demonstration, die hier ja zeigen will, dass die Cartesianische Auffassung unhaltbar sei, nimmt diesen Gang. Und auch hier ist es nicht einfach der Gott des Descartes, der mit der Natur verglichen und identificirt wird, sondern erst, nach- dem Gott schon so gefasst ist, dass er gar nichts Anderes mehr bedeuten kann, als die unendliche Natur, wird gezeigt, dass neben diesem unendlichen Gott nicht noch eine unendliche Natur existiren könne. Die Spinoza besonders eigenthümliche Be- trachtung ist die zweite. Die Natur ist Eine „wegen der Ein- heit, die wir überall in der Natur sehen und an uns selbst er- fahren." Dies w^ar schon der Beweis der Dialoge, der jetzt, nach- dem der Standpunkt, der dort galt, wiedergewonnen ist, auch wieder in Kraft tritt. Als dritter Gesichtspunkt tritt dann die Unter- scheidung von Essenz und Existenz auf. Die Substanzen, die wir in der Natur sehen, existiren nicht durch sich selbst, so- lange wir sie als besondere begreifen ; ihre Essenz schliesst die Existenz nicht ein. Sie sind daher nicht selbständige Götter, sondern Eigenschaften eines durch sich selbst existirenden Wesens. Dieser letzte Satz stützt sich auf die in den „cog. met." erörterte Unterscheidung zwischen Attribut und Substanz^*^). Attribut ist das, wo durch die Substanz uns afficirt; wir können die Substanz nicht anders auffassen, als durch das Attri- but. Sobald war daher das Attribut klar erkennen, erkennen wir es auch als Attribut der Substanz; es ist eine verworrene, falsche Auffassung, es als etwas Besonderes, für sich Existiren- des, zu betrachten. So erkennen wir unmittelbar, dass Denken

^^) Das Nähere in meiner gi'össercn Abhandlung.

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und Ausdehnung? nicht besondere Substanzen, sondern Attribute der einen unendlichen Substanz, Gottes, sind.

Alles in Allem ist die unmittelbare Anschauung und Er- fassung der unendlichen Natur der Nerv des Beweises. Die De- finition Gottes als des unendlichen Wesens, das unendliche Eigenschaften hat, ist selbst erst hiernach gebildet; nur deshalb erzielt der Vergleich desselben mit der Welt sofort die Identität beider. Wir stehen wieder auf dem Boden der Dialoge, den Spinoza jetzt wiedergewonnen hat nach hartem Kampf mit der entgegen- stehenden Cartesianischen Metaphysik. In den Dialogen wird der Begriff der unendlichen, göttlichen Natur, ohne Rücksicht auf Descartes aufgestellt, in den „cog. met." vermag er sich nur mühsam gegen den Cartesianischen Dualismus durchzusetzen: hier hat Spinoza den Kampf mit der Cartesianischen Metaphysik hinter sich, und zeigt nun, Avarum Descartes' Ansicht unhaltbar ist.

Aber doch nicht Alles wird von den Ausführungen Des- cartes' verworfen. Nur gegen den Dualismus zwischen Gott und Welt richtet sich die Polemik Spinoza' s: die Trennung von Denken und Ausdehnung bleibt, wenn auch in anderer Form, bestehen. Zwar ein Wesen machen beide Attribute aus; auf Gott bezogen sind sie nicht etwas von einander Geschiedenes. Sie sind Ausdrucks weisen eines Wesens; aber für sich betrachtet, sind sie doch, und zwar sehr stark von einander verschieden-^). Diesen Dualismus nun hält Sjiinoza fest, und zwar erscheint derselbe hier viel bestimmter und schärfer ausgeprägt, als in den Dialogen, woselbst die Stellung der Attribute noch nicht fest be- stimmt war, sondern nur allgemein gesagt ward, sie verhielten sich zur einen Substanz, wie die Gedanken und Gefühle zur Seele ^^).

Welches ist nun näher Fassung und Stellung der Attribute unter einander und ihr Verhältniss zur Substanz?

Die vier oben erwähnten Sätze geben auch hierauf eine deutliche Antwort. Substanz wird zunächst im Cartesianischen Sinne genommen, sofort aber dahin modificirt, dass die Substanz unendlich sein müsse. Bilden nun diese unendlichen Substanzen zusammen ein einziges Wesen, so ist klar, dass im Grunde nur dies eine absolut unendliche Wesen im eisjentlichen Sinne Sub-

-') Vgl. Ueberweg: Gesch. der Philosophie Bd. 111 5. Aufl. 1880 pag. 79. -^) Vgl. Dialog I (9) Sigw. Uebers. pag. 27.

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stanz genannt werden könne, während die anderen Attribute desselben sind. Eine weitläufige Yermittelung zwischen den Begriffen Gott, Natur, Substanz findet gar nicht statt. Aus der Unendlichkeit der Natur folgt eo ipso, dass sie göttlich ist, und ebenso, dass sie, die alle Substanzen umfasst, die Substanz ist. Wenn Sigwart sagt^^), nicht aus der Analyse des Begriffes der Substanz ginge der Begriff Gottes als der einen Substanz hervor, sondern die Natur trete dazwischen, und durch diesen Begriff hindurch werde der Begriff der einen Substanz, welche Gott ist, gewonnen, so ist der erste Theil dieses Satzes richtig, der zweite nicht. Die Natur tritt nicht zwischen die Begriffe Gott und Substanz; sie tritt einfach auf und giebt sich als Substanz, als diejenige, welche allein berechtigten Anspruch auf diesen Titel hat. Es ist gar nicht Spinoza's Absicht, den Begriff der Sub- stanz mit dem Gottes zu verschmelzen durch Yermittelung der Natur. Vielmehr, weil Spinoza von vorn herein die Natur als die eine unendliche Substanz fasst höchstens den Namen könnte er von Descartes entlehnt haben so kann er deshalb die endlichen Substanzen nicht gelten lassen. Die unendliche Natur nennt er Gott nicht, weil ihm der Substanzbegriff zu Hülfe kommt, sondern sie gilt ihm von vornherein als göttlich und als Substanz. Diese drei Begriffe sind Spinoza von Anfang an identisch, nicht erst gewinnt er ihre Identität durch eine Yergleichung. Nur die Demonstration geht von Cartesianischen Bestimmungen aus und zeigt, dass, da diese unhaltbar, die Spinozischen an ihre Stelle treten müssen.

Ueber die besondere Natur der unendlichen Substanz und der Attribute aber giebt die Ableitung aus Cartesianischen Sätzen noch werthvolle Aufschlüsse. Nicht die unendliche Sub- stanz selbst, wohl aber manches Eigenthümliche derselben stammt aus der Cartesianischen Metaphysik. Zunächst bringt es die von Descartes abweichende Fassung des Substanzbegriffes als eines absolut unendlichen mit sich, dass auch die Attribute zu etwas Anderem werden, als bei Descartes. War dort das Attribut der der Substanz eigenthümlichste, der Hauptmodus, so werden die Attribute, da es nur noch eine Substanz giebt, jetzt zu Eigenschaften dieser einen, unendlichen Substanz, und dadurch

29) In s. Selirift 1866 pag. 17 u. a. Stellen.

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selbst unendlicli. Nur diese eine Substanz hat Attribute, die endliclien Substanzen nicht; sie haben nur Afiectionen. Aus Eigenschaften der endlichen Substanzen werden die Attribute zu Trägern derselben, die ihrerseits zu Modis werden. Die Attri- bute treten zwischen die unendliche Substanz und die Modi. An die Stelle des Cartesianisclien Schema's:

Unendliche Substanz: Gott.

Endliche Substanzen: Geister und Körper,

Attribute derselben: Denken und Ausdehnung tritt das Spinozische:

Unendliche Substanz: Gott,

Attribute derselben: Denken und Ausdehnung,

Modi der Attribute: Geister und Körper. Ferner: Bei Descartes war die unendliche Substanz: Gott ein geistiges Wesen, welches alle endlichen Substanzen objectiv, intelligibel und eminenter in sich enthielt. AVir haben gesehen, wie bei Spinoza als eine Forderung seiner ursprünglichen panthe- istischen Anschauung zunächst das eminente Enthaltensein in Gott w^egfiel, und dann die Substanzen, die in Gottes unend- lichem Verstände enthalten waren, identiiicirt wurden mit den in der Natur existirenden. Gott wurde dadurch zu einem Wesen, welches alle Substanzen, also auch die Ausdehnung, in sich ent- hält. In dieser Bestimmung tritt nun die Differenz zwischen Spinoza und Descartes ganz besonders scharf hervor, und Spinoza giebt sich daher auch ganz besondere Mühe, nachzuweisen, dass damit Gott keine Unvollkommeuheit zugeschrieben werde. Es ist dies ein Punkt, über den völlig klar zu werden Spinoza selbst nicht leicht geworden war. Die Erinnerung, in dieser Beziehung selbst einst anders gedacht oder doch geschwankt zu haben in den „cog. met." , mag dazu beigetragen haben, hier mit solcher Entschiedenheit den Nachweis zu führen: Die Ausdehnung ist wirklich ein Attribut Gottes. Die Ausdehnung enthält keine Unvollkommenheit, sie ist nicht theilbar, sie ist kein Ganzes, das aus Theilen zusammengesetzt wäre, was ein ens ratiohis sein Avürde, sondern sie ist eine wirkliche, untheilbare Einheit. Theilen lassen sich nur die Modi der Ausdehnung: Wasser, Erde etc.; die substanzielle Ausdehnung selbst ist untheilbar. Man kann nichts davon abtrennen; würde man etwas davon wegnehmen, so würde damit die g-anze Ausdehnuno- vernichtet

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sein^°). Die Ausdelinung als Ganzes schliesst keinerlei Unvoll- kommenheit, keinerlei Leiden ein. Von wem sollte sie leiden, da sie doch unendlich ist?^') Auch die Bewegung in der Natur wird nicht von aussen verursacht, sondern ist ewig und unver- änderlich im Attribut der Ausdehnung voi'handen. Die Summe der Bewegung bleibt constant, wie sehr auch die einzelnen Be- wegungen sich verändern. Der ewigen Bewegung setzt Spinoza merkwürdiger Weise die Ruhe als gleich ewig und unveränder- lich und daher als gleichberechtigt zur Seite. Beide bilden die ewigen und unendlichen Modi im Gegensatz zu den endlichen, vergänglichen.

Wenn nun Gott alle Substanzen, die in der Welt sind und deren giebt es ausser Denken und Ausdehnung, die wir kennen, noch unendlich viel andere in sich enthält, und zwar nicht nur objectiv, wie der Gott Descartes', sondern so, wie sie in der Natur formal sind: Welche Rolle wird dann die denkende Substanz oder das Attribut des Denkens spielen? In Bezug auf alle anderen Attribute tritt eine Umwandlung ein aus dem objectiven Sein in das formale; in Bezug auf das Denk-Attribut ist diese Umwandlung nicht ebenso verständlich. Der Theil vom unendlichen Verstände Gottes, der das objective Sein der den- kenden Substanzen resp. der denkenden Substanz enthielt, wird eigentlich dadurch zu nichts Anderem, dass er nun das formale Sein der denkenden Substanz enthält. Denn dies formale Sein der denkenden Substanz besteht ja eben darin, objective das zu enthalten, was formal ebenso in der Natur enthalten ist. Im Grunde hat das Attribut des Denkens dieselbe Function, wie der unendliche Verstand des Cartesianischen Gottes: formale Wirk- lichkeit objective in sich zu enthalten. Wegen dieser Gleich- artigkeit verschmilzt daher der Cartesianische Gott mit dem Attribut des Denkens. Von seiner weltbeherrschenden Höhe wird er herabgestürzt, aber in der unendlichen Natur taucht er wieder auf; hier wird ihm seine Stelle angewiesen. Er ist nicht

^°) Ich habe den Begriff des Ganzen bei Spinoza in meiner grosseren. Abhandlung ausführlicher erörtert.

^') Sollte der Satz I Cap. II (23) „Zum anderen haben wir schon be- hauptet, wie wir auch hernach sagen werden, dass Nichts ausser Gott ist, und dass er eine inbleibende Ursache ist" sich nicht auf den zweiten Dialog be- ziehen? Denn genannt ist die causa immanens im Tractat wenigstens noch. nicht; die Erörterung darüber folgt erst im Cap. III.

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mehr souverain, sondern eines unter den ü1)rigen Attributen; mit ihnen steht er unter der Oberhoheit der Substanz. Aber alle Würden hat er doch nicht verloren; indem er zu dem Attribut des Denkens degradirt ward, wurde ihm doch Manches, was ihm als Gott eigenthümlich war, auch in seiner Stellung als Attribut belassen. Das Attribut des Denkens trägt Züge, die, mit seiner Stellung als Attribut eigentlich nicht vereinbar, deutlich auf diese Identification mit dem Cartesianischen Gott hinweisen, und sich nur daraus erklären. Der unendliche Verstand Gottes hatte das ob- jective Sein aller Dinge enthalten. Diese Vollkommenheit geht über auf das Denkattribut: es enthält das objective Sein aller anderen Attribute in sich. Es ist klar, dass dadurch das Attribut des Denkens zu einer Ausnahmestellung gegenüber den anderen Attributen gelangt; es erstreckt sich allein so weit, wie die anderen Attribute zusammen^^).

Ferner: Die unendliche Substanz des Descartes hatte das formale Sein auch des Denkattributes objective enthalten. Auch diese Fähigkeit verbleibt dem Attribut; sein eigenes, formales Sein enthält es objective in sich: es hat Selbstbewusstsein. Die Ausnahmestellung des Denkattributes hat aber auch eine Benach- theiligung für dasselbe zur Folge. Der Cartesianische Gott in gewissem Sinne, wie aus dem zweiten Dialog hervorgeht^^), auch der Spinozische wirkt auf Veranlassung der Dinge in der Welt. Auch diese Bestimmung überträgt sich auf das Denk- attribut. Dadurch nun und weil sich die active Fähigkeit des Gottes nicht auch, mit auf das Attribut des Denkens überträgt, geräth es in eine gewisse Abhängigkeit von den anderen Attri- buten, indem diese in der Regel die Initiative ergreifen und das Attribut des Denkens ihnen nur folgt, das nachahmt und in Ideen ausdrückt, w^as jene erzeugen. Wir werden noch sehen, welche psychologische Theorieen dies eigenthümliclie, mit dem Geist des Systems nicht recht zu vereinigende Verhältniss des

32) Vgl. auch Erdmann: Grundriss d. Gesch. d. Phil. 2. Aufl. 1878 Bd. II pag. 60, 61, woselbst Erdmann auch auf Descartes hinweist, mit dem Spinoza hier in der Fassung d. Attributbegriffes übereinstimmt. Hier ist nun die nähere Erklärung. Die Sonderstellung d. Denkattr. maclit Schaller resp. Huyghens Spinoza später zum Vorwurf. H. Ginsberg: Spinoza's Briefwechsel im Urtext. Brief 79. pag. 204.

33) (12) Sigw. Uebers. pag. 33. Eine ausführliche Erörterung enthält meine grössere Abhandlung.

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Denkattributes zu den übrigen hervorruft. Schliesslich hat Spi- noza diese, dem Denkattribut nachtheilige Sonderstellung desselben im Prinzip aufgegeben und die durchgängige Parallelität und Gleichberechtigung aller Attribute als Grundsatz aufgestellt. Die andere Sonderstellung aber bleibt dem Denkattribut, und sie erweist sich als sehr wichtig für die Erörterung der Frage: Hat Gott Selbst- bewusstsein? Wir werden noch darauf zurück zu kommen haben.

Ich habe diese Betrachtung vorausgenommen, obwohl sie Be- stimmungen betrifft, die sich erst später recht bemerkbar machen, um zu zeigen, wie aus der Negirung des Dualismus zwischen Gott und Welt und Einführung des Spinozischen Gottesbegriffes einer- seits, und aus der Beibehaltung des Dualismus zwischen Denken und Ausdehnung andererseits, sich die Haupteigenthümlichkeiten des Spinozischen Systems ergeben. Und zwar ist der metaphy- sische Haupt- und Grundbegriff Spinoza' s die unendliche Substanz, d. h. die Auffassung der unendlichen Natur als eines alle Dinge umfassenden und tragenden göttlichen Wesens. Aus der Fassung des Substanzbegriffes ergiebt sich erst die Stellung der Attribute. Yon einer subjectiven Auffassung der Attribute im Erdmann' - sehen Sinne kann hier im „tract. brev." nicht die Rede sein. Auch ist das Schwanken der „cog. met.", ob die Attribute unter einander eigentlich wirklich, oder nur ratione verschieden seien^*), hier vollständig überwunden. Sie werden durch sich selbst, unabhängig von einander begriffen; freilich nicht als selbständig existirende, sondern als Eigenschaften eines Wesens. Die Attri- bute sind die Art und Weise, wie die Substanz existirt, sie kann nicht ohne diese existiren. Thatsächlich ist sie nichts weiter als die Summe der Attribute, aber sie soll mehr sein: die Einheit der Attribute, und solchergestalt zwar nicht ausser-, wohl aber innerhalb der Attribute, ihrer Eigenschaften, für sich existiren. Begrifflich sind die Attribute und die Substanz nicht zu unter- scheiden^^), aber wenn wir auf die Existenz Rücksicht nehmen, müssen wir sie auf die unendliche Substanz, deren Eigenschaften sie sind, beziehen.

Diese unendliche Substanz nun, die Alles umfasst. Alles trägt, Alles ist, ist der ursprüngliche und Grundgedanke Spinoza's.

31) Cog. mefr. I. Cap. II § 3 Cap. III § 1, § 2. II. Cap. Y § 1 Cap. V § 4. Cap.VIII § 1, § 2. Ausführlichere Erörterungen enthält meine grössere Abhandlung. 35) Vgl. Sigwart in s. Schrift 1866 pag. 30 ff.

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Seine besondere Fäibimg erhält er durch den bestimmenden Einfluss des Descartes, er wird aber, wie ich hervorzuheben nicht müde werde, nicht erst hier im Tractat gewonnen. Der Tractat will vielmehr bewusst zeigen, dass der Dualismus des Descartes durch den Pantheismus zu ersetzen sei. Man darf dagegen nicht die Beweise in's Feld schicken, die Spinoza für die oben be- sprochenen vier Sätze giebt^'^), und die ganz von Cartesianischen Voraussetzungen ausgehen und in Cartesianischem Sinne gehalten sind. Diese Beweise sind vielmehr nur ein Versuch Spinoza' s, die Unhaltbarkeit der Cartesianischen Ansichten zu zeigen, in- dem er den Descartes durch seine eigenen Voraussetzungen und die Consequenzen derselben ad absurdum führt. Sie sind zumeist hypothetischer und apagogischer Natur.

So beispielsweise, wenn Spinoza beweist, eine Substanz könne von Gott nicht begrenzt sein, weil er ihr alsdann nicht mehr hätte geben können oder geben wollen, was seiner Allmacht und Güte zuwiderliefe, so meint er selbst nicht, dass dies der Grund sei, weshalb die Substanz nicht endlich sei wenige Zeit später, im Anhang und in der „Beilage an Oldenburg" argu- mentirt er nicht in dieser Weise , sondern er giebt diese Demonstration im Interesse seiner, an Descartes gewöhnten Leser, und um die Bestimmungen Descartes' von den verschie- densten Seiten her zu widerlegen. Dass er selbst diese Art der Bew'eisführung nur für eine den Voraussetzungen Descartes' ab- sichtlich angepasste ansieht, beweist mir der Zusatz 3 dieses Capitels, in welchem Spinoza den Unterschied zwischen Schaffen und Erzeugen erörtert und schliesslich erklärt: „Doch was wir hier Schaffen nennen, davon kann eigentlich nicht gesagt werden, dass es je geschehen wäre, und es ist mehr, um zu zeigen, was wir, wenn wir den Unterschied von Schaffen und Erzeugen auf- stellen, davon sagen können^^)." In Bezug auf den Beweis des

3«) I Cap. 11 (3)— (11).

^^) Diesen Satz für eine spätere Bemerkung zu halten und ihn auf eine Anregung Oldenburg's (ep. IV, 8) zurückzuführen (Sigwart, Schrift y, 1866, pag. 144 Note), sehe ich keinen Grund. Aber wenn er auch später eingefügt ist, so beweist das nur, dass Spinoza später sich bewogen gesehen hat, seine Meinung noch deutlicher auszusprechen, nicht aber, dass der Text SjDinoza's eigene Ansicht enthält. Hier ist der Zweifel überwunden, der Spinoza noch in den „cog. niet." beherrscht und die Ausführung dort (11 Cap. X) so unklar macht.

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zweiten Satzes ist hervorzuheben, dass hier die Unendlichkeit der Substanz der Grund ist, weshalb es nicht zwei gleiche Sub- stanzen geben kann. Nicht in der Gleichheit liegt der Grund zwei gleiche endliche Substanzen könnte es geben , sondern in der Unendlichkeit^^). Der Beweis für den vierten Satz, der in (11) und (13) (16)^^) gegeben wird, soll ausserdem eine Meinung widerlegen, die Spinoza einst selbst verfochten hat: Gottes All- macht bringe es mit sich, dass er immer noch mehr schaffen könne, als er geschaffen hat. Die Ausführlichkeit dieses Nach- weises der Unrichtigkeit jener Meinung, auf den wir, als für unsere Zwecke nicht wesentlich, nicht weiter eingehen wollen, dürfte eben aus dem Bewusstsein, einst selbst anders gedacht zu haben,'") resultiren.

Es ist nun erwiesen, dass Gott nicht ein Geist ist, der in seinem unendlichen Verstände die Dinge eminenter enthält, son- dern die Natur selbst, ens constans infinitis attributis etc. Sein Wesen und seine Vollkommenheit ist die Unendlichkeit. Nur zwei von den unzähligen Attributen Gottes erkennen wir: Denken und Ausdehnung. Wir sind, wenn wir von der schärfer bestimm- ten Stellung der Attribute absehen, wieder ganz auf dem Boden der Dialoge, und so erklärt es sich, dass Spinoza, nachdem er gezeigt hat, der ])antheistische Gott müsse den Cartesianischen ersetzen, die Dialoge hier einfügt. Sie passen in der That ihrem ganzen Inhalt nach sehr wohl hierher und sind ganz wohl ge- eignet, noch nähere Erläuterungen zu geben und auf die folgen- den Capitel vorzubereiten. Denn nun treten auch alle die Fragen wieder in Kraft, die in den Dialogen schon mehr oder minder erörtert waren: W^ie kann Gott zugleich directe und entfern- tere Ursache sein? etc. Dazu kommen noch andere, durch die „cog. met" angeregte: die göttliche Vorsehung, Gottes Schaffen etc.

^^) Ich behaupte dies im Gegensatz zu Avenarius (die beiden Phasen des Spinozischen Pantheismus etc. Gotha 1868), dessen Ansicht über den Cha- racter und die Entwickhing der Spinozischen Philosopliie ich in meiner grosseren Abhandl. in einem eigenen Capitel bekämjife.

^^) Ich sehe keinen Grund, diese Ausführungen für eingeschoben zu lialten, wie Avenarius (die beiden Phasen etc. Note 32 pag. 31—32) und ihm folgend Sigwart (Erläuterungen und Parallelstellen zu seiner Uebers. pag. 165) will. Eher ist anzunehmen, dass der Satz in (12) nicht an richtiger Stelle steht und hinter (16) gehört.

^°) In den „cog. met." II. Cap. X.

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Aus den Erörterungen, die den Dialogen noch vorangehen, ist noch hervorzuheben die Ansicht Spinoza' s, dass nur die Attri- bute, welche die Unendlichkeit Gottes ausdrücken, als wahre Attribute desselben gelten dürften, die anderen, wie dass er durch sich selbst besteht, einig, ewig, unveränderlich, Ursache und Vor- herbestimmer aller Dinge ist, dagegen nur denominationes extrin- secae seien, die ihm nur mit Rücksicht auf die endlichen Dinge zukämen. In der Ausführung bleibt sich indess Spinoza hierin nicht treu. Das Wesentlichste ist, dass der Begriff der causa sui, der später so sehr in den Vordergrund tritt, hier als „aus- wärtige" Benennung ziemlich geringschätzig behandelt wird. Hier überwiegt eben ganz der anschauliche Begriff der unendlichen Natur; naturalistisch ist Spinoza auch im „tractatus brevis", nicht theistisch. Wir werden noch sehen, wie in Folge des Hervor- tretens der durch ethische Gesichtspunkte bedingten Frage: Wie verhält sich das Endliche zum Unendlichen, und wie kann man das Unendliche erkennen? auch der Begriff' der causa sui immer mehr in den Vordergrund tritt. Hier treten vor der Unendlich- keit Gottes die anderen Attribute mehr zurück, obwohl auch sie wirklich Gott zukommen und sogar eine genaue Erörterung finden.

Von den Bestimmungen, die Gott in seiner Beziehung zu den endlichen Dingen zukommen, ist die wichtigste die, dass alle Dinge von ihm abhängen, aus seinem Wesen folgen. Gott ist die Ursache aller Dinge. Spinoza lehrt schon in den Dialo- gen, dass er die nähere und entferntere, immer aber die imma- nente Ursache aller Dinge ist. Hier^') wird nun die Ursächlich- keit Gottes näher ausgeführt. Dass Gott die immanente Ursache aller Dinge sei, wird besonders stark betont. Ohne und ausser Gott kann kein Ding sein noch begriffen werden. Darnach wird sich bestimmen lassen, welche von den acht verschiedenen Arten von Ursachen, die man anzunehmen pflegt, Gott beigelegt wer- den kann. Auch hier verhält sich Spinoza kritisch einer fremden Ansicht gegenüber. Die Aufzählung dieser acht Arten von Ur- sachen ist nun, wie Trendelenburg nachgewiesen liat*"'^), aus Heereboord und Burgersdik genommen. Ich gehe auf das Ein- zelne nicht speciell ein, um nicht Trendelenburg zu wiederholen; auch werden die Begriffe, um die es sich hier handelt, in der Folge

^') I Cap. III.

*■) Hist. Beitr. z. Philos. EI pag. 31G ff.

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Bur zum Theil verwerthet. Die pantheistische Weltanschauung ist der Maassstab der Beurtheilung der einzelnen Ursachsarten. Dornach werden verworfen: die causa transiens oder übergehende Ursache, die causa necessaria, soweit sie einen äusseren Zwang bedeutet, die causa efficiens per accidens oder die zufällige Ur- sache, die causa minus principalis procatarctica oder die veran- lassende Ursache, wonach Gott durch eine äussere Ursache ver- anlasst wird, die causa proegumena, soweit die Disposition Gottes zum Handeln nicht in seiner Vollkommenheit liegt, die causa efficiens secunda, da Gott von nichts Anderem abhängt, endlich die causa particularis oder Theilursache. Angenommen werden : die causa emanativa , die aber als ein Folgen aus Gott gefasst und in diesem Sinne gleich der causa activa und auch causa proxima ist, ferner die causa immanens, die causa libera, inso- fern sie ein Handeln aus der Nothwendigkeit der eigenen Natur bezeichnet, die causa per se, die causa principalis, welche ziemlich mit der causa emanativa übereinstimmt, die causa minus princi- palis (instrumentalis), die das Wirken Gottes durch Mittelur- sachen bezeichnet, die causa prima, und die causa universalis in dem Sinne, dass Gott Ursache unendlich mannigfaltiger Wirkun- gen ist. In gewisser Weise ist Gott schliesslich auch die causa remota aller endlichen Dinge.

Das Wesentliche ist, wenn wir von den einzelnen Bestim- mungen absehen, dass Gott die immanente Ursache aller Dinge ist. Er ist die nächste Ursache aller von ihm direct geschaffenen unendlichen Dinge, die entferntere, obwohl auch noch" immanente Ursache der endlichen Dinge, die durch Mittelursachen bedingt sind. Alle Wirkungen, deren Anzahl unendlich ist, folgen mit ewiger Nothwendigkeit aus dem unendlichen Wesen Gottes. Dieser letztere Gesichtspunkt wird zunächst im vierten Hauptstück aus- geführt und dabei wieder betont, dass Alles, was aus Gottes Wesen folge, auch ewig, nicht zu irgend einer Zeit, daraus folge. Zurückgewiesen wird auch hier die Ansicht, dass Gott noch mehr schaffen könne, als er geschaffen hat. Gott handelt nicht nach Zwecken, sondern sein Handeln erfolgt aus der Noth- wendigkeit seines Wesens. Darin eben besteht seine Freiheit, dass er seinem eigenen Wesen gemäss handelt, nicht durch Zwecke, etwa die Idee des Guten, veranlasst. Wille und Verstand wer- den der Gottheit mit Entschiedenheit abgesprochen. Nirgends

BO

wird die Ansicht, dass Gott nichts Aveiter sei, als eine Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht, so scharf hervorge- hoben, wie hier. Wille und Verstand sind nicht nur mit dem Wesen Gottes identisch, sondern kommen ihm überhaupt gar nicht zu. Nach diesem Gesichtspunkt bestimmen sich nun auch die Ausführungen über die Vorsehung Gottes*^). Die allgemeine Vorsehung ist die Art und Weise, wie jedes Ding in der ganzen Natur enthalten ist und erhalten wird ; die besondere ist nichts weiter als die Art und Weise, wie jeder Zustand Gottes, d. h. jedes einzelne Ding, in sich betrachtet, sein Sein erhält**) Gottes Vorherbestiramung kann demnach nichts Anderes bedeuten, als dass jedes Ding durch Gott verursacht wird*^). In diese Bestim- mungen greift nun das Verhältuiss von Essenz imd Existenz ein, und damit zusammenhängend der Begriff der causa sui. Die endlichen Dinge haben den Grund ihrer Existenz nicht in sich; ihre Essenz involvirt nicht ihre Existenz, sie werden von äusse- ren Ursachen zum Dasein und zum Handeln bestimmt. Gottes Essenz aber involvirt seine Existenz: er ist causa sui. Zufall giebt es nicht, auch der menschliche Wille ist durchweg deter- minirt. Diese Ansicht von der durchgängigen, absoluten Abhän- gigkeit aller Dinge von Gott wird gegen die Einwürfe verthei- digt, die man aus der Verwirrung, die in der Natur herrscht, und die nicht von Gott rühren kann, entnimmt. Verwirrung und Ordnung, hatten schon die „cog. met." erklärt, sind entia rationis, die daraus entstehen, dass man die Dinge auf eine allgemeine Idee bezieht und sie darnach beurtheilt. Diese allgemeinen Ideeen selbst aber sind blosse Gedankendinge ohne jeden realen Werth, sie existiren so wenig, wie die Universalien Steinheit, Pferdheit etc., von denen man sich einbildet, sie seien ganz besonders ein Gegenstand der göttlichen Fürsorge. „Doch wir haben das mit Recht an ihnen für Unwissenheit angesehen''*''). Nur die beson- deren Dinge sind, nur auf sie erstreckt sich die göttliche Für- sorge. Diese aber brauchen mit gar keiner allgemeinen Idee

«) I Cap. V.

■'^) Auch in Bezug auf diesen Punkt waren die ..cog. met." höchst zwei deutig. Vgl. die Stellen cog. met. I Cap. VI § 8, § 9 und II Cap. VI § 3.

^5) I Cap. VI.

*^) Diese Stelle dürfte die cog. met. II Cap. VII § 5 zur Voraussetzung haben.

übereinzustimmen, sondern nur mit ihrem eigenen Wesen. Sünde, Gut und Schlecht sind nur entia rationis.

Diese letzten Ausführungen betreffen zum Theil psycholo- gische Bestimmungen, die daher im zweiten Theil wiederkehren, über die aber auch aus den metaphysischen Voraussetzungen her- aus sich schon Manches und Wichtiges sagen lässt.

Waren die bislang besprochenen Eigenschaften doch solche, die Gott in seinem Verhältniss zur Welt w^irklich zukommen, so sind die nun folgenden solche, die Gott der Substanz gar nicht zukommen, sondern nur einem Attribute derselben*'). Dahin ge- hört die Barmherzigkeit und, was wichtiger ist, die Allweisheit. Hier zeigt sich nun die Sonderstellung des Denkattribiites. Nicht Gott als Substanz, sondern das Attribut des Denkens ist allweise. Noch weniger eignet sich die Benennung „höchstes Gut" für Gott, wenn man darunter noch etwas anderes verstehen will, wie seine Unendlichkeit. Dennoch hat Spinoza selbst dies durchaus nicht festgehalten.

Da nun diese Bestimmungen Gott nicht zugehören, so kann man durch sie Gott auch nicht erkennen, und solange es kein anderes Mittel giebt, haben diejenigen Recht, welche behaupten, man könne Gott nicht erkennen. Gott kann aber erkannt w^erden durch seine Attribute. Dies wird in einer Betrachtung ausge- führt, die ich geneigt bin für ein späteres Einschiebsel zu halten, in der Betrachtung über die Arten der Definition^^). Nicht jedes Ding bedarf, um definirt zu werden, eines höheren Gattungsbe- griffes; die Attribute eines durch sich bestehenden Wesens werden durch sich begriffen; die Modi dagegen durch die Gattung.

Mit der Betrachtung der Eigenschaften, die Gott in seinem Verhältniss zu den endlichen Dingen zukommen, sind wir in die Frage eben nach jenem Verhältniss selbst eingetreten. Wie ver- halten sich die endlichen Dinge zu Gott, wie die ewigen? Wie ist Gott Ursache der Ersteren? Hier giebt nun Spinoza die Unterscheidung von natura naturans und natura naturata. Die Natur ist einmal natura naturans. Als solche ist sie das Wesen,

") 11 Cap. VII.

*^) Die Einführung: „So werden wir naeli der walircn Logik andere Regeln der Definition vortragen, nämlich der Untersclieidung gemäss, welche wir hin- sichtlich der Natur machen" ist wichtig für das Verhältn. v. Metaphysik u. Me- thode Spinoza's.

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das, ohne etwas Anderes, als sich selbst nöthig zu haben, nur durch sich besteht, d. h. Gott, die unendliche, aus unzähligen Attributen bestehende Substanz. Die natura naturata sind die Wirkungen, die Weisen Gottes, alle modi. Sowohl die, welche unmittelbar von ihm abhängen, direct von ihm geschaffen sind, wie die Bewegung in der Ausdehnung (die Ruhe lässt S})inoza hier fort) und der Verstand im Denkattribut diese bilden die natura naturata universalis; als auch die besonderen Dinge, welche von den unendlichen Modis verursacht werden diese bilden die natura naturata particularis. Der unendliche Verstand und die unendliche Bewegung werden von Spinoza hier „Söhne Gottes" genannt; man hat indess keinen Grund, aus dieser Wahl eines theologischen Ausdrucks zu schliessen, dass Spinoza sich habe mit der christlichen Religion abfinden, sieh ihr anpassen wollen. Gerade, dass er auch die materielle Bewegung einen Sohn Gottes nennt und dem unendlichen Verstand einfach gleich- berechtigt zur Seite stellt, sjiricht dagegen. Auf die Frage, wie denn nun Gott zugleich directe und indireete Ursache, zugleich immer immanente sein könne, geht der Tractat nicht ein Spinoza mochte glauben, diese Frage in den Dialogen genügend beantwortet zu haben.

Die metaphysische Anschauung dieses ersten Theiles des tractatus brevis, wenn wir sie nochmals kurz zusammenfassen wollen, ist die folgende (im Wesentlichen bleibende).

Gott ist ein unendliches Wesen, eine Substanz, die aus un- endlich vielen Attributen besteht, deren jedes, in seiner Art vollkommen, das Wesen der Substanz in seiner Weise ausdrückt. Jedes Attribut wird durch sich begriffen, als Attribut der Sub- stanz. Die Attribute stehen neben einander und als von ein- ander verschiedene und gleichberechtigte da; nur das Attribut des Denkens hat eine eigenthümliche Sonderstellung. Die Modi sind in den Attributen enthalten, zunächst die unendlichen, welche sich zu den Attributen verhalten, wie diese zur Substanz; sie drücken das Wesen des Attributes auf gewisse Weise aus (Ver- stand, Bewegung). Ferner die endlichen, welche unbeständig und wechselnd sind.

Gott ist Ursache aller Dinge, die mit ewiger Nothwendig- keit aus ihm folgen. Sein Wesen schliesst die Existenz ein, das der endlichen Dinge nicht. Gott resp. seine Attribute bilden

die natura naturans; die geschaffenen Dinge, die 'unendlichen Modi, die direct geschaffen sind, und die endlichen, die durch Mittelursachen geschaffen sind, bilden die natura naturata, die ersteren die allgemeine, die letzteren die besondere genaturte Natur.

Der Anhang Tli. I und die Beilage an Oldenburg.

Eine bestimmtere und präcisere Fassung der metaphysischen Bestimmungen hat Spinoza in dem Anhang zum „tract. brev." wie in den Briefen II, III und IV an Oldenburg zu geben versucht. Ep. II hatte Spinoza eine Separatbeilage beigefügt, welche die Grundzüge seiner Metaphysik nach geometrischer Weise darge- stellt enthielt. Diese Beilage selbst ist verloren gegangen; man hat indess versucht, sie zu reconstruiren aus den Briefen. Ich beziehe mich im Nachfolgenden auf die Reconstruction, .welche Sigwart vorgeschlagen hat^-'), und die im Ganzen der wirklichen Beilage entsprechen dürfte. Die Beilage ist später angefertigt, wie der Anhang; es fehlen im Anhang die Definitioneu, deren Weglassung sich eben daraus erklärt, dass der Anhang in einem Verhältniss der Ergänzung zum Tractat steht und daher voraus- setzt, dass die Begriffe der Substanz, des Attributes etc. durch die Art und W^eise, wie sie im Tractat entwickelt sind, festge- stellt sind. Reminiscenzen finden sich auch sonst nicht selten, die sich aus dem engen Anschluss des Anhanges an den Tractat er- geben. Die Beilage ist selbständiger, dazu exacter, bestimmter; der Anhang verliert sich nicht selten in Weitschweifigkeiten. Da aber der metaphysische Standpunkt der Beilage von dem des Anhanges nicht eben verschieden ist, so wollen wir sie zusammen betrachten, indem wir im Einzelnen die Unterschiede zunächst hervorheben.

Die in dem Anhang fehlenden Definitionen handeln von Gott, der ebenso definirt wird, wie im Tractat; vom Attribut, welches als das bezeichnet wird, das durch sich und in sich be- griffen wird, so dass sein Begriff den einer anderen Sache nicht in sich schliesst: eine Bestimmung, die im Tractat, wenn auch nicht ausdrücklich mit diesen Worten ausgesprochen, doch der

") In s. Schrift 186G pag. 137.

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Sache nach sich gleichfalls ergab^°). Die dritte Definition kann so kaum gelautet haben, wie sie Sigwart giebt. EntAveder stand dort ursprünglicli die Definition der res finita, ähnlich der in Etil. I Def. II, oder es stand dort noch eine nähere Erläuterung der res in suo genere infinita. Denn so, wie die r)efinition jetzt lautet, giebt sie keinen rechten Sinn. „In seiner Art unendlich", heisst es, „ist ein Ding, das durch kein Ding derselben Art be- grenzt wird". Wenn es nun aber weiter heisst: „So wird der Körper nicht durch das Denken, und das Denken nicht durch den Körper begrenzt", so sind das garnicht Dinge derselben Art, das Beispiel kann mithin nicht zur Erläuterung des voiher- gehenden Satzes dienen. Die Definition will allein Anschein nach erklären, was in seiner Art unendlich ist. Solcher Art ist Alles, was nicbt von Seinesgleichen begrenzt wird, also die un- endliche Ausdehnung und das unendliche Denken, überhaupt die Attribute. Die Definition der Substanz (4) und des Attributes (2) ist ganz gleichlautend: „quod per se et in se concipitur, hoc est, cujus conceptus uon involvit conceptum alterius rei". Diese völlige Gleichsetzung ist nicht ohne Wichtigkeit. Hier zeigt sich deutlich, was wir auch im „tract. brev." schon fanden^'), dass die Beziehung auf das Allwesen, die Definition Gottes hinzukommen niuss, damit die Attribute nicht als vollständig selbständige Sub- stanzen erscheinen. Sie sind Substanzen, nur nicht in Rück- sicht auf Gott. Im eigentlichen Sinne kann nur er Substanz genannt w^erden. da er aller Dinge Träger und Grund ist. Be- trachtet mau die Attribute für sich, so hat man einen Pluralis- mus von Substanzen, schaut man sie an in ihrer Totalität, so erkennt man, dass die Natur ein einheitliches Ganze ist: die früheren Substanzen verlieren ihre Selbständigkeit, werden Attri- bute der unendlichen Natur. Einen Rest von Selbständigkeit be- halten sie indess auch so noch: sie w^erden durch sich selbst begriffen. So sagt Spinoza in einem Briefe an Oldenburg, nachdem er die Definition der Substanz erörtert hat: „Quibus demon- stratis facile videre jDoterit vir dar. quo tendam, modo simul

'") Tb. I Cap. YII (10). ") Vgl. oben pag. 25.

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attendat ad definitionem Dei, adeo ut non sit opus apertius de Ins loquis2)"_

Yon den Axiomen hat die Beilage vier, der Anhang sieben. Hier zeigt sich in der Beihige dem Anhang gegenüber ein deutlicher Fortschritt. Das erste Axiom stimmt in beiden überein: die Substanz ist ihrer Natur nach früher, als ihre Modificatiouen. Dann aber hat der Anhang zwei Axiome, die in der Beilage auit Recht fehlen. „Die Dinge, welche verschieden sind, sind entweder realiter oder modaliter unterschieden", lautet das zweite. Das dritte Axiom des Anhangs verdient diesen Namen nicht, es ist eine Definition. Real verschieden sind nur Substanzen mit ver- schiedenen Accidenzen, oder Accidenzen verschiedener Sub- stanzen. Der modale Unterschied wird gar nicht erläutert. In dem „entweder oder" des Axioms liegt, wie mir scheint, ein Hinweis auf ein „tertium non datur".

Der ganze hier erörterte Unterschied gilt nur unter der Vor- aussetzung, dass es ausser Substanzen und Accidenzen nichts giebt. Nur diesen Satz allein hat als zweites Axiom die Bei- lage, so dass sich Ax. 2 und 3 des Anhangs und Ax. 2 der Beilage entsprechen. Die Ausführungen des Anhangs sind aber ziemlich überflüssig; Ax. 4 des Anhangs 3 der Beilage enthält schon in sich den Satz, dass die Substanzen unterschieden werden durch die Attribute, und dass diese es sind, woran man die Substanz erkennt: „Dinge, die verschiedene Attribute haben, haben nichts mit einander gemeinsam." Es stimmen dann wieder mit einander überein das fünfte Axiom des Anhanges und das vierte der Beilage : „Von Dingen, die nichts mit einander ge- meinsam haben, kann eins nicht die Ursache des anderen sein." Zu diesen Axiomen kommen dann im Anhang noch ein sechstes und siebentes, die in der Beilage fehlen. Von diesen fällt Ax. 7: „Dasjenige, durch welches die Dinge unterhalten werden, ist seiner Natur nach eher, als solche Dinge," mit Ax. 1 zusammen; seine Weglassung in der Beilage ist daher höchst gerechtfertigt. Dass Ax. G hier fehlt: „Dasjenige, welches eine Ursache seiner selbst ist, kann unmöglich sich selbst begrenzt haben", kann auffallen. Vielleicht ist die Weglassung deshalb erfolgt, weil der dritte Lehrsatz, zu dem es im Anhange verwendet wird, dies Axiom

2) ep. II, 6. (ed. Bruder).

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niclit nütliig hat, um bewiesen zu werden. Der Lehrsatz lautet: „.Jede Substauz ist ihrer Natur nach unendlich und höchst voll- kommen in ihrer Gattung." Berücksichtigt man eben, dass jede Substanz einzig in ihrer Art ist (Prop. I), also nicht durch etwas Anderes derselben Art begrenzt werden kann, so folgt daraus sofort, dass sie in ihrer Art unendlich ist, und man hat nicht nöthig, erst das Ax. 6 heranzuziehen. Die Ivichtigkeit dieses Satzes hat dann auch Oldenburg gar nicht in Zweifel ge- zogen (ep. III).

Die Propositionen stimmen in beiden Kedactionou iiberein bis auf die vierte des Anhangs, die in der zweiten der Beilage mit enthalten ist. Ihr Inhalt lautet: „Es können in der Natur nicht zwei Substanzen mit demselben Attribute existiren." „Eine Substanz kann nicht von einer anderen hervorgebracht werden, sondern," fügt die Beilage hinzu, „es gehört zu ihrer Natur, zu existiren." „Jede Substauz muss uneudlichoder höchst vollkommen in ihrer Art sein." Dazu dann der vierte Satz des x\nliangs: „Zum Wesen jeder Substauz gehört von Natur zu existiren: so sehr, dass es unmöglich ist, in einem unendlichen Verstände eine Idee A^om Wesen einer Substanz zu setzen, welche in der Natur nicht existirte." Die Beweise für diese Sätze sind im Anhang meist umständlich und schwerfällig, in dem Briefe Spinoza's an Oldenburg vom Oktober 1661^^) dagegen kurz und präcis. Für den Beweis des ersten Satzes benutzt der Anhang die Unter- scheidung zwischen realem und modalem Unterschied. Der Sinn des umständlichen Beweises ist: Gäbe es zwei Substanzen mit gleichem iVttribut, so wären sie auf keinen Fall real verschieden. Denn real verschieden sind ja nach Ax. 3 Substanzen mit ver- schiedenem Attribute. Dann also modal. Das aber streitet gegen die Natur der Substanz: modal verschieden sind Modi derselben Substanz. Die Substanzen wären in diesem Falle nicht Substanzen, sondern Modi. Zwei Substanzen können sich nur real unterscheiden; der reale Unterschied wird bezeichnet durch die Attribute. Auch der Brief an Oldenburg entwickelt diesen Gedanken^). Oldenburg hatte eingeworfen ^'*), es gäbe doch ver-

'='') ep. IV. 5") ep. IV, 8.

^^) ep. III, 7. Auch hier schliefst übrigens Spinoza nicht, wie er nach Avenarius müssto, von der Gleiclilieit der Attribute der Substanzen einfach

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scliiedene ISIensclien, die alle dasselbe Attribut der ratio be- sässen. Spinoza führt dagegen an, die Menschen seien nicht Substanzen, sondern Modi des Denkens und der Ausdehnung.- Lehrs. 2 schliesst sehr einfach von der realen Yerschiedenheit der Substanzen auf die Unmöglichkeit der Verursachung der einen durch die andere. Es würde ja in diesem Fall, da die Substanzen realiter verschieden sind, die Wirkung etwas ent- halten, was in der Ursache gar nicht enthalten ist, was doch nicht möglich ist: ex nihilo nihil fit. Lehrsatz 3 ist schon er- örtert worden. Von Lehrsatz 4 ist der Nachsatz: „so sehr, dass" etc. zunächst eine Reminiscenz an den Tractat, wo ja, wie wir sahen, aus Cartesianischen Bestimmungen heraus die Iden- tität von Gott und Natur erwiesen werden sollte. Dieser Satz scheint den Uebergang anbahnen zu sollen zu dem Corollar, das dann, ganz ähnlich wie im Tractat, lautet: „Die Natur wird durch sich selbst und nicht durch ein anderes Ding erkannt. Sie be- steht aus unendlichen Eigenschaften, deren jede unendlich und höchst vollkommen ist in ihrer Gattung, zu deren Wesen die Existenz gehört, so dass ausser derselben kein Ding mehr ist, und sie so genau übereinkommt mit dem Wesen des allein herr- lichen und hochgelobten Gottes. "^

Den unendlichen Verstand Gottes lässt die Beilage, die ja nicht aus Descartes heraus demonstrirt, einfach fort, und ver- bindet den Lehrsatz 4 mit dem zweiten. Derselbe ist auch als besonderer ziemlich überflüssig. Dass es zum Wesen jeder Sub- stanz gehört, zu existiren, folgt daraus sofort, dass eine Substanz die andere nicht hervorbringen kann.

Die Beilage ist mithin durchweg vollendeter und präciser, als der Anhang; sie steht selbständiger da und unabhängiger vom Tractat, an den sich der Anhang vielfach eng anschliesst. Sonst ist der Lihalt beider nicht verschieden. Untersuchen wir nun, in w^elchem Verhältniss diese Stufe zum Tractat steht. Da ist nun zunächst beachtenswerth, dass der Ausgangspunkt hier ein anderer ist, als im Tractat. Dort ging Spinoza von der end- lichen Substanz aus, wies dieselbe als unmöglich nach und postu-

auf iliro Identität, sondern: Weil zwei Substanzen gar nicht anders unter- schieden werden können, als realiter, weil sie, damit sie zwei seien, wesens- verschieden sein müssen, ist die Gleichheit unmöglich.

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lirte die Unentlllchkeit jeder Substanz. Daraus schloss er dann zugleich, dass in Gottes unendlichem Verstände keine Substanz eminenter enthalten sein könne. Es ergab sich dann weiter, dass, da es keine zwei gleichen Substanzen geben könne und die eine Substanz nicht A^ermöge, die andere hervorzubringen, die Sub- stanzen in der Natur und die in Gott identisch sein müssten, dass mithin alle Substanzen in der Natur wegen der Einheit desselben nur Attribute einer einzigen, absolut unendlichen Sub- stanz, Gottes, sein könnten. Hier dagegen haben wir eine andere Argumentationsweise. Nach den Definitionen Gottes, der Substanz, des Attributes und des Modus, die sich unschwer aus den Be- stimmungen des Tractates ableiten lassen, folgt als erstes Axiom: „Die Substanz ist ihrer Natur nach früher, als ihre Modificationen," und erst als Letztes wird die Bestimmung gewonnen, mit der der Tractat anfing: „Jede Substanz ist in ihrer Gattung unend- lich vollkommen.'* Dieser Satz stützt sich auf die beiden Sätze: „Es kann keine zwei gleiche Substanzen geben," und: „Jede Sub- stanz existirt aus eigener Machtvollkommenheit.'' Daraus, dass alle Substanzen verschieden, jede aber durchaus selbständig ist, folgt erst, dass jede in ihrer Art unendlich ist, welche Folgerung der Anhang gar noch durch ein sechstes Axiom sichern zu müssen glaubte. Diese Umstellung des Beweisganges nun hat ihren guten Grund. Im Tractat, wo Spinoza den Descartes widerlegen wollte, musste er zuerst dessen Begriif der endlichen Substanz zu ent- fernen trachten, um daraus dann die Eminenz Gottes als falsch zu erweisen und so seinen Gott zu rechtfertigen. Hier kann er sich solcher Cartesianischen Voraussetzungen nicht bedienen; der Beweis soll direct, selbständig, nicht apagogisch geführt werden. Da ist nun von vornherein nicht einzusehen, weshalb jede Sub- stanz unendlich sein soll w^enn man nicht schon das Prädicat der Unendlichkeit in den BegrifP derselben mit hineinlegt. Warum soll eine Substanz nicht endlich sein können? Die Unmöglich- keit, dass sie endlich sei, folgt erst daraus, dass jede Substanz aus eigener Machtvollkommenheit existiren muss, also nicht durch ihre Ursache determinirt sein kann, sowie, dass es nicht zwei Substanzen mit gleichem Attribut geben kann. Alsdann ist die Substanz allerdings in ihrer Art unendlich. So gewinnt die Demonstration scheinbar die Unendlichkeit der Substanz aus anderen Bestimmunareu derselben. Indess doch nur scheinbar.

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Im Grunde ist es doch der Begriff der Unendlichkeit, von dem Spinoza ausgeht, und aus dem die hier als Ausgangspunkte be- nutzten Bestimmungen sich erst ergeben. Es gilt Spinoza von Anfang an als gewiss, dass letzten Endes nur das, was alles Andere umfasst, eben- darum durch sich besteht: das Yerursacht- sein durch Andere ist durch die absolute Unendlichkeit der Natur ausgeschlossen. So stützt sich auch die Propos. I auf den Begriff der Unendlichkeit. Dass Substanzen mit demselben Attribut nicht verschieden sein können, erhellt, wie nochmals bemerkt werden mag, einfach daraus, dass ja sonst eine andere Substanz desselben Attributes neben der einen, ersten, existiren würde, die sie begrenzte. Sie wäre in diesem Fall nicht in ihrer Art allein, nicht in ihrer Art unendlich, mithin überhaupt keine Substanz. Spinoza hätte demnach einfach folgern können: Die Natur ist unendlich. Sie existirt durch sich selbst und um- fasst alle Dinge. Sie besteht aus unendlich vielen verschiedenen Attributen, die man Substanzen nennen kann in Rücksicht auf ihre von ihnen abhängenden Modi. Statt dessen demonstrirt er die Unendlichkeit, indem er die Bestimmungen, die sich ihm aus der einen, unendlichen Substanz ergeben, auf mehrere, hypo- thetisch angenommene Substanzen überträgt: Es kann nur durch sich selbst existirende, durchaus verschiedene, unendliche Sub- stanzen geben, und zeigt dann, indem er die schon gegebene, nicht erst aus den Bestimmungen über die Substanz abgeleitete Definition Gottes herbeizieht, dass diese Substanzen im Grunde genau mit dem übereinstimmen, was als Character eines Attri- butes dieses Gottes hingestellt ward. Weil nun die Welt, was wiederum gar nicht aus dem Vorigen resultirt, eine unendliche, einheitliche Substanz ist, so ergiebt sich, dass die hypothetisch angenommenen Substanzen im Grunde gar nicht Substanzen, sondern recht eigentlich Attribute dieses einen Wesens, der un- endlichen Substanz, sind. Auch hier sieht man wieder den eigenthümlichen Character des Attributes; es ist halb Substanz, halb Modus, auf keinen Fall aber eine subjective Auffassung de& Intelleets.

Die eine unendliche Natur bleibt also auch hier die Haupt- sache, das Fundament der ganzen Argumentation. Nur weil dieser Begriff schon in die Definition und die Bestimmungen des Substanzbegriffes offen oder insgeheim hineingelegt wurde,.

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gelingt es Sj)inoza, aus iliuen scheinbar die unendliche Natur abzuleiten und zu construiien. Aehnlich ist auch sein Verfahren in der Etliik.

Wenn ]iun aiuli in AVahrheit die UnendlichktMt immer der herrschende Gesichtspunkt bleibt, so ist es doch nicht ohne Be- deutung, dass das Durch-sich-existiren der Substanz, ihre Unbe- dingtheit gegenüber der Bedingtheit und Unselbständigkeit der Modi hier so stark betont und das Axiom: Substantia prior est natura suis accidentibus an die Spitze der Axiome tritt. Die letzten Erörterungen des Tractates über das Yerhältniss Gottes zu den geschaffenen Dingen und die Arten seiner Ursächlichkeit werden dazu beigetragen haben, diesen Begriff der indess immer eine Folge von Gottes Unendlichkeit ist und bleibt, daher denn auch characteristisch genug die Definition Gottes, die gerade diese Unendlichkeit ausdrückt, sich nie ändert mehr hervor- treten zu lassen und ihn nicht mehr als denominatio extrinseca zu behandeln. Hinzukommt, dass diese Eigenschaft Gottes der geometrischen Methode, die Spinoza jetzt anwendet, mehr ent- spricht. Sie bezeichnet Gott mehr als den bedingenden Grund, aus dem Alles folgt. Nicht aber hat die geometrische Methode >erst den Anlass dazu gegeben, Gott als die causa sui zu be- zeichnen; ihre Vortrefflichkeit und Annahme resultirt vielmehr erst aus der Auffassung der Welt als einer ewigen Wirkung, die aus dem Wesen Gottes folgt. Nicht die Methode bedingt die W^eltanschauung Spinoza's, sondern umgekehrt, seine Weltan- schauung fordeit diese Methode.

Eine wirkliche Umformung und Fortbildung der metaphy- sischen Anschauungen findet, wenn wir von der eben besproche- nen, mehr formellen, wie inhaltlichen Aenderung absehen, hier im Anhang und der Beilage gegenüber dem Tractat überhaupt nicht statt. Die Substanz wird dadurch nicht anders, dass jetzt ihr A^erhältniss zu ihren Accidenzen mehr in den Vordergrund tritt; sie bleibt nach wie vor unendlich. Aber schärfer und präciser formulirt werden die metaphysischen Anschauungen und unabhängig von Descartes' Philosophie aufgestellt: darin liegt der Fortschritt gegenüber dem Tractat. Die Gleichheit und Gleich- berechtigung der Attribute tritt hier namentlich noch schärfer hervor, wie dort. Sie sind jedes gleich unendlich, zugleich Wesenseiojenthümlichkeiten eines Wesens. Daraus folsjt die durch-

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gängige Parallelität aller ihrer Wirkungen. Ich deute dies hier nur an, da diese Bestimmungen erst in der Psychologie zur An- wendung und Yerwertliung kommen, die wir jetzt betrachten wollen.

Tractatus brevis. II. Tlieil.

Der zweite Theil des tractatus ])revis enthält Spinozas Psychologie und Erkenntnisstheorie. Bisher haben wir weder eine ausgeführte psychologische, noch eine erkenntnisstheoretische Betrachtung bei Spinoza gefunden. Die dürftigen Bestimmungen der „cog. met." können nicht als Psychologie gelten. Es ist immer als selbstverständlich angenommen, dass Geister existirten, und zwar so existirten, wie es die lebendige, innere Erfahrung zeigt; über die Stellung des menschlichen Geistes zu den Dingen, speciell zu seinem eigenen Körper, ist nichts Bestimmtes gesagt. Die Seele ist ein vergängliches Ding, durchaus abhängig und bestimmt von Gott, wie alle Dinge; im Uebrigen weiss jeder, der eine Seele hat, auch, was das heisst: ein geistiges Wesen sein. Auch hier im zweiten Theile des „tract. brev." tritt diese Appellation an die Thatsachen des Bewusstseins zunächst als der selbstver- ständliche Ausgangspunkt auf; erst später wird der Anschluss an die metaphysischen Bestimmungen gesucht.

Allgemein und in formeller Beziehung ist über diesen zweiten Theil noch zu bemerken, dass er ziemlich unzusammenhängend entwickelt worden ist. Die verschiedenen Gesichtspunkte laufen ziemlich durcheinander. Es ist daher nicht möglich, in der Dar- stellung dem Gang der Argumentation Spinoza's strenge zu folgen; wir werden einen anderen Gang gehen, der uns zugleich einen Einblick in die verschiedenen Ausgangspunkte eröffnen wird.

Als den leitenden Gedanken des ganzen zweiten Theiles dürfen wir denselben Gedanken bezeichnen, der schon in den Dialogen auftritt: Der Mensch, wie er in Wirklichkeit existirt, ist ein vergängliches, fortwährendem Wechsel unterworfenes Ding. Sein Dasein bringt nur in veränderlichen, wechselvolleu Zuständen sein ewiges Wesen unvollkommen und verzerrt zum Ausdruck; die Existenz entspricht nicht seiner Essenz. Der Mensch soll nun danach streben, diesem ewigen Wechsel, dieser Veränderlich- keit, die der Fluch des Vergänglichen ist, ein Ende zu machen,

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die Existenz in Harmonie zu bringen mit der Essenz. Wenn dies erfolgt ist, so ist er als CAviger, obzwar endlicher Modus in der unendlichen Substanz enthalten, direct aus dem Sinne des Ganzen folgend. Hierin besteht des Menschen Seligkeit.

Schon in den Dialogen war es Spinoza nicht gelungen, die endlichen Dinge wirklich mit der unendlichen Substanz eng zu vereinigen: sie standen ihr als eine Welt für sich gegenüber^''). Dieser Gegensatz zwischen der Welt des Vergänglichen und der Welt des Ewigen tritt jetzt, da die ethische Richtung in den Vordergrund tritt, noch deutlicher hervor: er ist die Voraus- setzung, auf die sich die ethisch-erkenntnisstheoretische Richtung Spinoza' s gründet.

Sobald diese Richtung hervortritt, wird die Weltanschauung Spinoza's eine andere. Dann erscheint die Substanz, in der Alles nach ewiger Bestimmung enthalten ist, als die Idealwelt, wie sie durchgängig sein sollte, aber nicht durchgängig ist. Dieser Idealwelt gegenüber erscheint die empirische Welt als etwas, das von der unendlichen, ewigen Substanz durchaus getrennt ist, eine Carricatur derselben, die wie ein trüber Spiegel die reine, ideale Substanz nur in trüben, verschwommenen Umrissen wieder- giebt. Diese Welt des Vergänglichen muss aufgehoben, in die ideale Substanz zurückgebildet werden. Es sieht fast so aus, als ob diese ethische Richtung die Lücke, welche die Methaphysik zwischem dem Unendlichen, Beständigen, Ewigen, und dem End- lichen, Veränderlichen, Vergänglichen gelassen hatte, aufheben sollte durch die That. Hier wenn irgendwo liegt es nahe, an eine emanatistische Weltanschauung zu denken. Aus der reinen Substanz ist die Welt des Vergänglichen emanirt, in die reine Substanz soll sie zurückkehren. In der That dürfte dieser Gegensatz zwischen der Metaphysik, welche die logische Be- dingtheit alles Seins fordert und jede Veränderung ausschliesst, und der ethisch-erkenntnisstheoretischen Richtung, die von der vergänglichen, wechselvollen, aber empirisch gegebenen, daher wirklichen Welt ausgeht und von hier aus erst zu erlangen sucht, was nach der Methaphysik schon ist, oder, wenn nicht, nicht erlangt werden kann; in der That dürfte dieser Gegensatz der

^^') Eine ausfiilirliclie Besprechung dieses Punktes enthält meine grössere Abhandlung.

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fundanieutalste des ganzen Systems sein; die Versuche, ihn zu überwinden, Metaphysik und Erkenntnisstheorie zu vereinigen, bedingen immer neue Fassungen des Systems. Die Psychologie aber schwankt zwischen der Metaphysik und der ethisch-erkennt- nisstheoretischen Richtung, in ihr sind meist beide Richtungen ver- treten, beide sie bedingend, wie denn auch sie selbst wieder auf dieselben zurückwirkt.

Verfolgen wir nun die Ausführungen Spinoza' s im Einzelnen. W^enn die Grundtendenz dieses zweiten Theiles die ist, dass der Mensch von seiner wechselvollen empiiüschen Existenz zur ewigen Essenz gelangen soll, so muss er auch den Weg und die Mittel zeigen, wie der Mensch zu diesem höchsten Ziele gelangen könne. Hierauf hatten schon die Dialoge geantwortet: durch die Erkenntniss Gottes und des ewigen Zusammenhanges der Dinge. Die Frage ist nun: Wie gelangt der Mensch zur Erkenntniss des höchsten Wesens, das die Metaphysik aufgestellt hat, und aus dessen Erkenntniss die höchste Seligkeit, die unmittelbare Vereinigung mit Gott folgt? Man sollte erwarten, dass nun die Bestimmungen der Methaphysik dazu benutzt würden, die Natur der menschlichen Seele festzustellen, und dann, mit Zugrunde- legung derselben und nach Maassgabe der metaphysischen Grund- sätze, der Weg gewiesen würde, wie der Mensch aus einer wechselfreien, indirecten, vergänglichen W^irkung Gottes zu einer ewigen, directen werden könne. Allein dies geschieht nicht; vielmehr wird nach einer Einleitung, die mir ganz und gar wie später hinzugefügt aussieht rein subjectiv aus den That- sachen des Bewusstseins heraus argumentirt und erst später der Anschluss an die Metaphysik gesucht, was alsdann zugleich zu einer Aenderung der psychologischen Grundbestimmungen führt. Die Seele wird hier einfach als geistige Substanz betrachtet, von der es selbstverständlich ist, dass sie ein Bewusstsein ihrer selbst hat. „Mit den Begriffen lasst uns beginnen, die uns zu allererst bekannt sind, nemlich mit dem Bewusstsein der Erkenntniss unserer selbst und der Dinge, die ausser uns sind", heisst es sogleich im Anfang der Betrachtung"). Welche Mittel finden

") Th. II Cap. I (1): vgl. übrigens Sigwart in s. Schrift 1866 pag. 61, 62. Der Zusatz „und der Dinge, die ausser uns sind", ist durch einen Ueber- setzungsfehler sogleich an den ersten Theil des Satzes angeschlossen vgl. Sig- wart's Uebers. Note *) pag. 61. Dieser subjective, von der Metaphysik un-

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wir mm in uns vor, um zur Erkenntniss Gottes und damit zum IJt'il zu gelangen? Unsere Mittel sind die drei Erkenntnissarten.

Wir erkennen etwas erstens durch Hörensagen oder unbe- stimmte Erfahrung, zweitens durch den wahren Glauben, d. h. durch richtiges Schliessen discursiv, indem wir aus gegebenen, vollständigen Praemissen einen Schluss ziehen. Wir erkennen endlich drittens etwas intuitiv, durch unmittelbares Anschauen, indem wir sofort den ganzen Zusammenhang, auf den es an- kommt, mit einem Blicke übersehen. Die erste Erkenntnissart ist unsicher und trüglich. Was ich nur höre und auf Treu und Glauben, ohne mich weiter von der Richtigkeit des Gehörten zu überzeugen, annehme, ist äusserst unsicher; die nächste andere Nachricht kann es bereits umstossen. Insgleichen, was ich aus unvollständiger Erfahrung wir können sagen; unvollständiger Induction folgere. Denn aus wenigen, nicht fest bestimmten Elementen kann man immer nur eine gewisse Wahrscheinlich- keit gewinnen, nie eine unbedingte Sicherheit und Gewissheit. Diese erste Erkenntnissart ist intuitiv in gewisser Weise Erfahrung und abstract Hörensagen.

Die zweite Erkenntnissart spielt eine eigenthümliche Rolle bei Spinoza. Sie muss immer aushelfen, wenn es mit der ge- rühmten dritten Erkenntnissart nicht recht vorwärts will; nicht selten wird sie auch mit ihr geradezu verwechselt, und so ist ihre Stellung schwankend und unbestimmt. Ihren Werth will Spinoza nicht allzuhoch angeschlagen wissen. Sie erkennt zwar das, was sie erkennt, richtig, aber sie erkennt eben nicht genug. W^as sie eigentlich ist, lässt sich aus den Definitionen Spinoza's nicht leicht erkennen. Auf alle Fälle ist sie abstract und operirt mit Allgemeinbegriffen, die, selbst erst durch Vergleichung ge- wonnen, auch nur das aus ihnen zu folgern erlauben, was man vorher in sie hineingelegt hatte. Sie bildet analytische Urtheile und syllogistische Schlüsse. So kann man, wenn man etwa das Gesetz der Proportionalität einmal gefunden hat, dies Gesetz auch auf ein bestimmtes Beispiel anwenden und dies ihm unter-

abhängige Ausgangspunkt dürfte daher rühren, dass sich der zweite Theil des tract. brev. an die ersten, ihm vorausgehenden Cap. des tract. de int. emend., die ohne Rücksicht auf d. Metaphysik argunieutiren, anschliesst und deren Auf- gabe zu lösen unternimmt, was ihm freilich nicht gelingt. Das Nähere hier- über giebt meine grössere Abhandlung.

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ordnen. Man erkennt aber dadurch nicht das eigenthümliche Wesen der Proportion. Die zweite Erkenntnissart dient etwa nur dazu, die Dinge zu khissificiren und zu berechnen, nicht aber, ihre innerste, eigenartige Natur zu verstehen. Die dritte, intuitive Erkenntnissart versetzt uns dagegen direct in die Dinge hinein, wir erkennen durch sie das ganze AVesen des Dinges in allen seineu Einzelheiten, und wir übersehen den ganzen Zusammenhang alles dessen, was aus ihm folgt. Liefert die zweite Erkenntnissart höchstens regulative, so liefert die dritte constitutive Begriffe, aus denen mau die ganze Reihe ihrer Con- sequenzen unmittelbar erkennen kann; sie ergiebt nur synthe- tische Urtheile.

Nun haben alle diese Erkenntnisse Wirkungen zur Folge, deren Wertli oder Unwerth sich nach der Art der Erkenntniss richten muss; je vollkommener die Erkenntniss, um so voll- kommener die Wirkung. Ist nun so der Werth der W^irkung bedingt durch die Erkenntnissart, so wird die Aufgabe sein: zu zeigen, welche Wirkungen aus den einzelnen Erkenntnissarten entspringeu und wie wir zur höchsten Erkenntnissart, aus der die besten und vollkommensten Wirkungen liervorgehen, gelangen können. Damit wäre dann die Aufgabe der Erkenntnisstheorie gelöst.

Zunächst wird dies auch versucht^^). Aus der ersten ver- worrenen Erkenntnissart entspringen die Leidenschaften, dies Wort in seiner üblen Bedeutung genommen. Weil die Erkennt- niss eine unsichere und schwankende ist, so sind auch die Folgen unsicher und schwankend. So ist auch die Liebe, die aus der verworrenen Erkenntniss entspringt, unbestimmt und veränderlich. Die zweite Erkenntnissart enthält die Erkenntniss von Gut und Schlecht, d. h. sie zeigt uns, was gut sein muss, was nicht. Sie zeigt uns auch, dass es ein höchstes Gut geben müsse, nicht aber dieses selbst. So erweckt sie die guten Begehrungen, die Sehn- sucht nach einem solchen höchsten Gute. Nun sollte man erwarten, dass nunmehr die dritte Erkenntnissart und ihre Folgen erörtert, und gezeigt würde, wie man zu derselben gelange. Aber dies geschieht nicht. Weder, wie man zu der zweiten Erkenntnissart, die allererst das Streben nach dem höchsten Gut erweckt.

5«) II Cap. III u. IV

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kommen kann, noch aucli, wie man dies Streben realisiren, d. h. der dritten Erkenntnissart tbeilhaftig werden kann, wird gezeigt. Yiebnolir, sol)ald erörtert ist, dass die zweite Erkennt- nissart, wenn man sie besitzt, die Erkenntniss des wahrhaft Guten und Schlechten liefere, wird untersucht: Welche Leiden- schaften sind gut, welche sind schlecht? Und damit tritt nun ein ganz anderer Gesichtspunkt auf. Der, welcher bisher massgebend war: Die Leidenschaften sind schlecht, die aus der ersten Er- kenntnissart entspringen, die gut, welche aus der zweiten aus der freilich eigentlich gar keine entspringen und dritten folgen, wird verlassen, und statt dessen werden, ohne Rücksicht auf die Art der Erkenntniss, die äusseren Gegenstände als Mass- stab der Beurtheilung angenommen. Man muss sich diesen Um- schwung ganz klar vor Augen stellen. Bisher ist Spinoza rein vom subjectiven Standpunkte ausgegangen. Ohne Rücksicht auf das Ding, auf welches die Erkenntniss und die Leidenschaft sich richtet, w^ar die Unklarheit oder Klarheit der Maasstab, nach dem der Werth der Erkenntniss und ihrer Folge sich richtet. Jede Wirkung einer verworrenen Erkenntniss muss nothwendig schlecht sein, jede Wirkung einer klaren Erkenntniss gut. Dieser Gesichtspunkt aber erweist sich als nicht durchführbar. Denn es zeigt sich einmal, dass Wirkungen einer verworrenen Erkennt- niss doch gut sein können, so die Liebe zu den Dingen, welche die Eltern uns als gut bezeichnet haben; und umgekehrt kann die Wirkung einer klaren Erkenntniss, wenn diese sich auf ver- gängliche Dinge richtet, nicht gut sein. Die Art und der Grad der Erkenntniss genügt nicht, um die Unterschiede der AYirkungen zu erklären: die Gegenstände, die erkannt werden, und auf die sich die Wirkungen der Erkenntnissarten beziehen, sind der Hauptgrund der Yerschiedenheit derselben. Die Erörterung über die verschiedenen Werthe der Liebe sind die nächste Veran- lassung zu dieser Umgestaltung^^). Zunächst wird die Liebe, also die Wirkung der Erkenntniss, in ihrem Werth oder Unwerth abhängig gemacht vom Object. Es wird nur noch einmal bei- läufig erwähnt, dass durch die zweite Erkenntnissart die Erkennt-

^^) II Cap. Y. Die Liebe erscheint überhaupt als der -wichtigste Punkt in den Leidenschaften. Ich gehe auf die einzelnen Leidenschaften nicht näher ein.

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niss von Gut und Schlecht gewonnen werde. Die Frage: Was ist „Gut" und was ist „Schlecht"? tritt vollständig in den Vor- dergrund des Interesses. Schlecht ist nun eine Liebe, die sich auf vergängliche Gegenstände richtet, gut eine solche, die sich auf die ewigen Dinge bezieht. Demnach hängt es jetzt ganz von dem Gegenstande ab, auf den sich die Liebe bezieht, nicht mehr von der Erkenntniss, ob die Liebe gut oder schlecht ist. Dieser Gesichtspunkt nun, der die Wirksamkeit des Litellects zurück- treten lässt, treibt noch weiter. Nicht nur die Wirkungen, son- dern die Unterschiede der Erkenntniss selbst werden jetzt an den Gegenständen gemessen. Angedeutet wird dies schon in Cap. IV (10), woselbst es heisst, dass auch die wahre Ei'kennt- niss nach den Gegenständen, die ihr vorkommen, verschieden sei, so dass, wie viel besser der Gegenstand sei, mit welchem sie sich vereinige, soviel besser auch die Erkenntniss; und des- halb sei der der vollkommenste Mensch, der mit Gott vereinigt sei. Was hier von der höchsten Erkenntnissart gesagt wird, gilt alsbald von allen, so dass schliesslich, wie wir sehen werden, nicht mehr die Erkenntnisskraft des menschlichen Geistes, sondern die Objecte den Ausschlag geben für die Vollkommenheit der Erkenntniss.

Deutlicher zeigt diese veränderte Anschauung schon das folgende CapiteP°). Die Liebe ist schlecht, die sich auf die ver- gänglichen Dinge bezieht. Vergänglich aber sind alle beson- deren Dinge, die nicht von aller Zeit her gewesen sind, sondern einen Anfang genommen haben" ^'). Da nun die Liebe doch ent- steht aus der Erkenntniss, ihrem Werthe nach aber sich richten soll nach dem Object, so wird sich naturgemäss die Erkenntniss auch richten müssen nach dem Object. „Die Liebe entsteht also aus der Vorstellung, die wir von der Sache haben, und je nachdem die Sache sich grösser und herrlicher zeigt, darnach ist auch die Liebe grösser und herrlicher" '^^). Nicht mehr die subjective Klarheit, sondern das Object giebt den Ausschlag, und der Grad der Erkenntniss richtet sich nach der Art des Objects. . Die Erkenntniss der vergänglichen Dinge wird nun

60) II Cap. V. ") II Cap. V (2). «2) ibid. (B).

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eben die verworrene Erkenntniss sein, die des höchsten Wesens die dritte. Die frühere Betrachtung ist damit geradezu auf den Kopf gestellt, der subjective Gesichtspunkt wird ersetzt durch einen völlig objectiven.

Ich will nun versuchen, diesen veränderten Standpunkt der Betrachtung zusainmenliäugend darzustellen. Dabei werde ich aber eine andere Reihenfolge einschlagen, als die, welche Spinoza befolgt hat.

Wenn es das Object ist, welches über den Werth oder Unwerth der Erkenntniss entscheidet, wenn es von ihm abhängt, ob unsere Erkenntniss wahr oder falsch, klar oder verworren ist, nicht von der Erkenntniss selbst, so spielt diese letztere über- haupt keine gi-osse Rolle mehr; sie referirt nur noch, was die Dinge ihr sagen, durchaus w^ird sie bestimmt durch das Object. Die ganze Betrachtung spitzt sich zu dem Satze zu: „das Ver- stehen ist ein reines Leiden, d. h. unsere Seele wird in der Art verändert, dass sie andere Weisen des Denkens bekommt, als sie vordem hatte" ^^). Diese Ansicht bildet, nun die Grundlage dieses ganzen Standpunktes der Betrachtung, ich mache sie daher zum Ausgangspunkt der Darstellung desselben. Diesem Standpunkt gemäss müssen die Erkenntnissarten einen ganz ver- änderten Character annehmen. Je vollkommnere Dinge sich uns ofl'enbaren, um so vollkommener ist unsere Erkenntniss. Wie aber stellt sich dazu die zweite Erkenntnissarf? Was ofPenbart sich in uns, wenn wir durch sie etwas erkennen? Die zweite Er- kenntnissart lässt sich offenbar nicht recht dem veränderten Stand- punkt anpassen. Sie hat ja eben das Eigenthümliche, dass sie nicht die Dinge selbst zeigt, wie sie sind, sondern nur mit allge- meinen Begriffen operirt. Diese selbst aber werden jetzt eigent- lich unmöglich, wenn die zweite Erkenntnissart die Wirkung irgend eines Objectes sein soll. Dennoch soll dies der Fall sein. Die vergänglichen Dinge bewirken die erste, die „ewigen Weisen" die zweite, Gott die dritte Erkenntnissart. Oder umgekehrt: Die Erkenntniss der ersten Art ist die, welche sich nur auf die vergänglichen Dinge erstreckt, die der zweiten Art die, welche sich auf die allgemeinen W^eisen, die der dritten die, welche sich auf die unendliche Substanz, Gott selbst, bezieht''^).

«») II Cap. XV (5).

«^) Die Eintheilung Ündot sich II Cap. V, (8), (9).

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Nun bleibt zu erklären, weshalb denn die Erkenntniss, die sich auf die vergänglichen Dinge bezieht, nothwendig verworreu, die, welche sich auf die ewigen Dinge bezieht, aber nothwendig klar sein muss. Zwei Punkte sind es, die hierüber Aufschluss gewähren: die Erörteruug über Wahrheit und Falschheit, und der Unterschied zwischen den vergänglichen und den ewigen Dingen.

Die Wahrheit, sagt Sjiinoza, ist eine Bejahung oder Ver- neinung über eine Sache, die mit derselben Sache übereinkommt. Die Falschheit ist eine Bejahung oder Verneinung über eine Sache, die mit der Sache nicht übereinkommt. Das Kennzeichen der Wahrheit ist die Evidenz: die allerklarsten Dinge geben sich selbst und die Falschheit zu erkennen'"'^). Sehen wir hier noch ab von anderen Schwierigkeiten und fragen wir uns nur: Woran liegt es, ob eine Bejahung oder Verneinung mit der Sache über- einkommt oder nicht? Hier muss man sich nun erinnern, dass alles Verstehen ja ein reines Leiden ist, und dass die Sache selbst es ist, die etwas von sich in uns bejaht oder verneint. Am Gegenstande, am Object muss es mithin liegen, ob unsere Erkenntniss wahr oder falsch ist. Irrthum, so erklärt nun Spinoza, ist nicht etwas Positives, sondern ein Mangel, ein blosses Weniger an Erkenntniss. Wenn der ganze Gegenstand auf uns wirkt, so haben wir eine klare Ei'kenntniss von ihm, wirkt nur ein Theil von ihm, nur eine Seite desselben auf uns, so ist unsere Erkenntniss eine verworrene. „Wenn nun Jemand da- durch, dass der ganze Gegenstand auf ihn gewirkt hat, dem gemäss eine Gestalt oder Weise des Denkens bekommt, so ist klar, dass der ein ganz anderes Gefühl von der Gestalt oder Beschaffenheit jenes Gegenstandes erhält, als ein Anderer, der nicht so viele Ursachen gehabt hat, und so in seiner Bejahung oder Verneinung durch eine andere und leichtere Wirkung be- wogen wird, indem er durch wenigere oder mindere Affection von ihm denselben gewahr wairde"®*^). Aehnlich heisst es an einer anderen Stelle: „Wir haben gesagt, dass der Gegenstand die Ursache ist von dem, was über ihn bejaht oder verneint wird, es sei denn wahr oder falsch; indem die Falschheit daraus ent-

') II Cap. XV.

ß) Tli. II' Cap. XV (5).

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steht, dass wir, indem wir von dem Gegenstand bloss Etwas oder einen Theil gewahr werden, uns einbilden, dass der Gegen- stand (obschon wir sehr wenig von demselben gewahr werden) Solches dennoch als Ganzes von sich bejaht oder verneint" '^^). Wie es sich nun freilich mit dem Satze, dass das Verstehen ein reines Leiden ist, verträgt, dass wir uns einbilden können, der Theil sei das Ganze, wodurch wir uns doch offenbar thätig er- weisen und dem Eindruck, den der Gegenstand auf uns macht, etwas hinzufügen, das hat Spinoza weder hier noch überhaupt je erklärt^**). Nicht diese Frage wollen wir jetzt erörtern, sondern untersuchen, in welcher Weise diese Unterscheidung von Wahr und Falsch mit den Unterschieden in den Gegenständen zu- sammenhänge. Denn noch schwebt ja unsere Frage: Warum ist die Erkenntniss, die sich auf die vergänglichen Dinge bezieht, nothwendig verworren, die, welche sich auf die ewigen Dinge bezieht, aber nothwendig klar? Wir können sie jetzt dahin prä- cisiren: Warum erkennen wir die vergänglichen Dinge nur zum Theil, warum wirken diese nur theilweise auf uns, die ewigen Dinge aber vollständig?

Hier nun knüpfe ich an das schon wiederholt besprochene Verhältniss von Essenz und Existenz bei den verschiedenen Dingen. Gott, die aus unendlichen Attributen bestehende Sub- stanz, existirt aus der Nothwendigkeit seiner Natur; seine Essenz schliesst seine Existenz ein. Die Essenzen der vergänglichen Dinge sind auch ewig, aber sie schliessen die Existenz nicht ein. Das existenzielle Sein der vergänglichen Dinge deckt sich nicht mit ihrem essenziellen Sein; eben deshalb sind sie vergänglich. In ewig wechselnden, wandelbaren Zuständen vermag das ver- gängliche Ding sein wahres, ewiges Wesen nur unklar, unzu- reichend und unvollkommen zum Ausdruck zu bringen. Gottes Existenz dagegen ist der adaequate Ausdruck seines Wesens. Daher begreift es sich, wie die vergänglichen Dinge immer nur unvollkommen auf uns wirken. Besteht ihr existenzielles Sein nur in wechselnden Zuständen, die nur unvollkommen das wahre Wesen derselben zum Ausdruck bringen, so erhellt, dass, solange Jiur diese vergänglichen, wechselnden Zustände auf uns wirken,

ß^ n Cap. XYI (7).

**) Vgl. auch Sigwait in s. Scliiift 1866 pag. 66.

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wir nie das ganze, das wahre Wesen derselben erkennen, son- dern immer nur einen Zustand, eine Besonderheit von ihnen, einen Bruclitheil ihres wahren Wesens^^). Indem wir nun diese Zustände für das wahre Wesen der Dinge halten, haben wir eine verworrene Erkenntniss: wir irren. Gott dagegen, wenn der auf uns Avirkt, kann nicht nach vei'änderlichen Zuständen auf uns wirken, sondern nur seinem wahren Wesen nach, also ganz. Ihn erkennen wir, wenn wir ihn überhaupt erkennen, d. h. wenn er sich uns offenbart, auch völlig adaequat.

Nun ist es also klar, dass eben die Erkenntnissart, welche sich auf die vergänglichen Dinge richtet, die verworrene, die dagegen, welche sich auf das ewige Wesen Gottes richtet, noth- wendig klar und vollkommen sein muss. Unklar bleibt auch hier indess die Stellung der zweiten Erkenntuissart. Sie richtet sich auf die allgemeinen Weisen, die unmittelbar von Gott ab- hängen und ewig und unveränderlich sind, wenn auch nieht aus eigener Kraft. Bei ihnen involvirt die Essenz auch nicht die Existenz, beide sind aber durch die Gnade Gottes gewisser- massen in Lebereinstimmang mit einander. Wenn sie sich uns offenbaren, so haben wir mithin eine klare Erkenntniss von ihrem wahren Wesen. Nun heisst es aber w-eiterhin: w^eil ihre Natur derartig sei, dass sie unmittelbar von Gott abhingen, so könnten sie auch von uns nicht begriffen werden, ohne dass wir zugleich einen Begriff von Gott haben™). Denn sie werden, als von Gott abhängend, auch durch ihn begriffen. Das heisst nun aber nichts Anderes, als: um die zweite Erkenntnissart haben zu können,

^'■') Sigwart sagt in s. Schrift v. 1866 pag. 66: „Je weniger und geringer die Affectionen sind, die wir von einem Objecto erleiden, je schwächer die Ursache der Idee ist, desto weniger wird diese dem Objecte entsprechen, desto veränderlicher und unbeständiger wird sie sein, während die vom ganzen Ob- jecte ausgehende Idee seine Essenz ausdrückt, also unveränderlich und immer sich gleich ist". Ich möchte lieber umgekehrt sagen: Nur die Idee, welche aus dem Wesen des Dinges resultirt, drückt das Ding ganz aus. Unrichtig ist es aber, mit Erdmann (Vermischte Aufsätze 1846 pag. 132) die endlichen Modi überhaupt nur für die falsche Auffassungsweise der Imagination zu halten. Die vergänglichen Modi existiren wirklich: die Imagination irrt aber darin, dass sie die vergänglichen Zustände für das wahre Wesen der Dinge hält. Erdmann selbst hat übrigens seine Ansicht, wie aus pag. 54 seines Grundrisses d. Gesch. d. Phil. 2. Aull. 1878 Bd. IT liorvorgcht, modiiicirt.

'») II Cap. V (9).

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muss man schon die dritte besitzen. Wir stehen hier vor einem Widerspruch, der in der einen oder anderen Form immer wieder auftritt. Die Modi sind Accidenzen der Substanz; demnach müssen sie durch jene begrifien werden. Ist dies der Fall, so ist nicht einzusehen, wie wir dann, wenn wir die unt^ndliche Substanz noch nicht erkannt haben, jemals von der vergänglichen, unzureichenden Erkenntniss uns zu der vollkommenen erheben können.

Die schiefe Stellung der ZAveiten Erkenntnissart wird noch klarer, w'enn wir nun auf die Frage eingehen : Wie kommen wir zur Erkenntniss des höchsten Wesens?

Allgemein lässt sich sagen: So lange nur die vergängliche, existenzielle Seite der endlichen Dinge auf uns wirkt, so lange haben wir nur eine verworrene Erkenntniss; den wechselvollen Zuständen entsprechen wechselvolle, veränderliche Erkenntnisse. Wechselvoll und veränderlich wird auch die Liebe sein, die aus solcher Erkenntniss folgt. Wirkt dagegen Gott selbst auf uns, so haben wir eine klare Erkenntniss, und aus der klaren Er- kenntniss Gottes folgt dann auch die klare Erkenntniss des ewigen Wesens aller endlichen Dinge. „Wenn w^ir unseren Ver- stand recht gebrauchen in der Erkenntniss der Dinge, so müssen wir diese in ihren Ursachen erkennen; und weil Gott die erste Ursache aller Dinge ist, so geht dann, gemäss der Natur der Dinge die Erkenntniss Gottes der Erkenntniss aller anderen Dinge voran, weil die Erkenntniss aller anderen Dinge aus der Erkenntniss der ersten Ursache folgen muss"'').

Wir sind vergänglich und unbeständig, solange die endlichen Dinge auf uns wirken; auch unser existenzielles Sein ist nur der unvollkommene Ausdruck unseres wahren W^esens. Haben wir aber die klare Erkenntniss des höchsten Wesens, der Alles umfassen- den, unendlichen Substanz, so hört unser existenzielles Dasein auf, schwankend und unbeständig zu sein; die Harmonie zwischen Essenz und Existenz ist alsdann erreicht: wir sind eine directe Wirkung Gottes, folgen direct aus dem ewigen Wesen desselben. Unsere Erkenntniss aller Dinge wie unser Wirken ist alsdann ewig und unveränderlich. Spinoza drückt diesen Zustand der Beständigkeit, die aus der Harmonie zwischen Essenz und Exi-

"') II Cap. V (11).

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stenz entspringt, im Gegensatz zu der Unbeständigkeit, in der "wir uns befinden, solange wir nur die vergängliche Seite der Dinge erkennen und diese für das Wesen derselben halten, deut- lich aus, wenn er sagt: „Woraus man dann die Yollkommenheit eines solchen sieht, der in der Wahrheit steht, wenn man ihn gegen einen solchen stellt, der nicht in derselben steht; denn weil der eine leicht, der andere dagegen nicht leicht sieh ver- ändert, so folgt daraus, dass der eine mehr Beständigkeit und Wesenheit als der andere hat: und so auch, weil die ewigen Weisen des Denkens, welche mit der Sache ganz übereinkommen, mehr Ursachen gehabt haben, haben sie mehr Beständigkeit und Wesenheit in sich; und da sie ganz mit der Sache überein- kommen, so ist es unmöglich, dass sie zu irgend einer Zeit von der Sache anders afficirt werden oder irgend welche Veränderung erleiden können, umsoweniger, weil wir zuvor gesehen haben, dass die Wesenheit einer Sache unveränderlich ist. Alles dies findet bei der Falschheit nicht statt"''-).

Wirkt die Wesenheit, die Essenz der Sache auf uns, so haben wir auch die klare Erkenntniss derselben. Diese, das Wesen Avie folglich auch die Erkenntniss desselben, hängt aber durchaus von Gott und der Erkenntniss desselben ab; mithin kommt Alles darauf an, einen Weg zu finden, w^ie wir zur Er- kenntniss Gottes gelangen können. In Bezug hierauf ist es nun von Wichtigkeit, dass wir, wie ja auch schon im ersten Haupt- stück ausgeführt war, keinen freien Willen haben. Der Wille, so erklärt Spinoza auch hier") wie früher in den „cog. met."'*), ist das Vermögen, zu bejahen und zu verneinen. Er ist nichts von dem Eindruck, den das Object in uns hervoi-bringt. Verschiedenes: die Erkenntniss ist das Urtheil, und alles Wollen ist Urtheilen. Es giebt überhaupt kein W^oUen als etwas Besonderes, so wenig wie es einen „Verstand" giebt; es giebt nur einzelne Urtheile, die zugleich volitiones sind"^). Wäre der Wille noch etwas ausser

") II Cap. XV (6).

'») II Cap. XVI.

''*) cog. inet. II Cap. XII. In Bezug auf die ganze Stelle im Tractat verweise ich auf Sigwart's erschöpfende Darlegung „Erläut. u. Parallelst." i. s. Uebers. pag. 203.

^^) Zus. 2 pag. 102. Der Zusatz richtet sich gerade gegen die in den „cog. met." angenommene, nicht Cartes. Voraussetzung, dass die Seele in ihren

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der Erkcnntniss, so wäre er als Modus nicht frei. Aber auch als Erkenntniss ist er nicht frei. Denn da das Ding selbst es ist, das von .sich in uns etwas bejaht oder verneint, so hängt es folgerichtig auch von dem Dinge, nicht von uns ab, wäe das Urtheil, wie der Wille ausfalle. Je nachdem das ganze Ding oder nur ein Bruchtheil von ihm etwas von sich in uns bejaht oder verneint, ist unser Wille vollkommen oder unvollkommen. Das, was man für gewöhnlich AVille nennt, ist die Begierde, d. h. das Streben, welches auf das Urtheil folgt. Auch die Be- gierde resp. die einzelnen Begierden denn eine „Begierde" giebt es auch nicht sind nicht frei, sondern hängen von dem Ur- theil und dadurch von dem Dinge ab; je vollkommener das Ding, um so besser die Begierde. Ist das Ding Gott, so muss die Begierde nach ihm am stärksten sein.

Der Zusatz 1 zu Cap. XVI scheint mir zum Theil eine Schwierigkeit hinwegräumen zu sollen, die aus dem Verhältniss von Liebe und Begierde entspringt. Die Liebe hat Spinoza defi- nirt'^^) als Genuss, der aus der Vereinigung mit der Sache ent- steht. Die Begierde ist nun das Streben, die Sehnsucht nach Vereinigung mit der Sache.

Nun folgt weiter aus der Erkenntniss einer Sache, sobald sich diese als gut bejaht, die Liebe zu der Sache.

„Die Liebe entsteht also aus der Vorstellung und Erkennt- niss, die wir von der Sache haben; und je nachdem die Sache sich grösser und herrlicher zeigt, demnach ist auch die Liebe grösser und herrlicher in uns " ").

Andererseits folgt auch die Begierde aus dem Urtheil. Nimmt man noch hinzu, dass das Ding eben in uns etwas von sich bejaht oder verneint, so weiss man nicht, was die Begierde eigentlich noch für eine Rolle spielen soll. Das Wirken des Dinges in uns, welches doch im Grunde schon eine Vereinigung des Dinges mit uns ist, bewirkt sofort die Liebe, d. h. den Genuss desselben. Was braucht man sich also erst nach einer Sache zu sehnen, die man schon hat?

Urtheilen, für sich betrachtet, frei sei: die Fähigkeit zu bejahen und zu ver- neinen liege in der Seele: da sie diese Fähigkeit habe, sei sie frei. Hiergegen polemisirt der Zusatz: Nicht die Seele, das Ding bestimmt das Urtheil.

^6) II Cap. V (1).

") ibid. (3).

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Aber die zweite Erkenntnissart und hier bricht ihre ur- sprüngliche, beziehende Thätigkeit wieder hindurch entsteht nicht dadurch, dass das Ding unmittelbar in uns wirkt; sie ist abstract und zeigt nur die Dinge, wie sie ausser uns sind. Sie kann daher nicht Liebe, Genuss der Sache hervorbringen, sondern nur Sehnsucht nach derselben. Hiernach sind nun also die Wir- kungen der drei Erkeuntnissarten die folgenden.

Das Urtheil oder der Wille, den die vergänglichen Dinge in uns hervorbringen, erweckt Liebe (Hass) zu denselben. Das Urtheil (oder der Wille; Wille kann indess hier nur uneigentlich gesagt werden, da hier nicht das Ding selbst in uns wirkt. Der Zusatz sagt daher: „Der Wille ist verschieden vom wahren Glauben"), das durch abstractes Denken producirt wird, erzeugt keine Liebe, sondern nur die guten Begehruu gen ^"''). Das Urtheil oder der W^ille, welcher das unendliche Wesen selbst in uns hervorbringt, erzeugt Liebe zu ihm.

Damit ist nun auch zugleich das Schema angegeben, welches massgebend ist für die Beantwortung der Frage: Wie kommt der Mensch zur Erkenntniss des höchsten Wesens?

Unsere Erkenntniss, und so auch unsere Liebe, hängt ab von den Dingen; so lange die endlichen Dinge auf uns wirken, ist unsere Erkenntniss und unsere Liebe schlecht. Es fragt sich demnach zunächst: Wie können wir uns von dieser verderblichen Liebe freimachen? „Auf zweierlei Weise haben wir Macht, uns der Liebe zu entschlagen: entweder durch Erkenntniss einer besseren Sache, oder durch die Erfahrung, dass die geliebte Sache, die von uns für etwa^ Grosses gehalten war, viel Unheil,. Widerwärtigkeit (und Nachwehen) mit sich bringt"™). Also ent- weder muss sich die für gut gehaltene Sache als schlecht erwei- sen, oder wir müssen eine andere, bessere kennen lernen. Dies hängt aber nicht von uns ab, sondern von den Dingen, d. h. vom Zufall oder von der Fügung Gottes. Wir selbst haben gar keine Macht, uns der Wirksamkeit der vergänglichen Dinge zu ent- ziehen. Derselbe Gedanke findet sich auch noch an einer an- deren Stelle ausgeführt. Ein Kind, dem ein angenehm klingen- des Glöckchen vorgehalten wird, wird sich zu ihm hingezogen.

^*) Wie der Zusatz ganz deutlich sagt. ■9) II Cap. V (4).

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fühlen, solange bis es etwas Anderes erfährt, das ihm besser ge- fällt. „Was mag es denn eigentlich sein, das es von diesen Ge- lüsten abbringen könnte? Fürwahr nichts Anderes, als dass es durch die Ordnung und den Lauf der Natur von etwas afficirt wird, was ihm angenehmer als das erste ist"^").

Wenn es nun ein missgünstiges Schicksal fügt, dass immer nur vergängliche, uns gar nicht zuträgliche Dinge auf uns wir- ken, so gilt mithin für uns das „lasciate ogni speranzal" Dante's; fügt es aber ein gütiges Geschick, dass grosse, erhabene Dinge, ja die ewige Gottheit selbst auf uns wirkt, so brauchen wir uns keine JNIühe erst zu geben, und die Zwischenstufe der zweiten, abstracten Erkenntnissart, welche die guten Begehrungen hervorruft, erweist sich als eine im Grunde unuöthige Quälerei.

Mankann hier nun versuchen, die zweite Erkenntnissart insofern als wirksam einzuführen, als sie es ist, die aus der Yergleichung der verschiedenen Grade von Yollkommenheit, die sie in dem bunten Wechsel der Dinge, die auf uns Avirken, nacheinander in ihnen gewahr wird, den Schluss zieht: es müsse etwas absolut Vollkommenes geben. Jemehr Dinge dann auf uns wirken, um so mehr Mate- rial zur Yergleichung würde sich vorfinden, um so besser be- gründet der daraus gezogene Schluss sein^'). Allein einmal würde diese Art der Erkenntniss trotz Allem immer eine vaga ex])erientia sein; um ihr völlige Sicherheit zu geben, müsste die Seele schon alle Dinge erkannt haben, d. h. sie müsste Gott er- kannt haben, um daraus schon zu wissen, die Vereinigung mit ihm sei das höchste Ziel des Menschen, und was ihm dazu ver- helfe, was nicht. Dann auch stimmt diese Function der zweiten Erkenntnissart schlecht mit ihrer anderen, dass sie die allge- meinen Weisen die späteren notiones communes erkennen.

80) II Cap. XVII (4) sub fin. vgl. auch Cap. XXI Zus. 1.

*') n Cap. XV (6) sagt Spinoza: „Und so auch, weil diejenigen Weisen des Denkens, welche mit der Sache (ganz) übereinkommen, mehr Ursachen gehabt haben, haben sie mehr Beständigkeit und Wesenheit in sich", ein Ge- danke, der im fünften Buche der Ethik wieder auftaucht. Die ganze Stelle könnte eine Antwort sein auf Sigwart's Bemerkung (in s. Schrift 1866 pag. 68), Spinoza habe nie versucht zu zeigen, wie die allgemeinen Begriffe aus Wir- kungen von Objecten entstehen könnten. Freilich entstehen sie auch hier nicht direct durch das Object. In Bezug darauf, dass die zweite Erkenntnissart die Erkenntniss Gottes schon voraussetzt, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen soll, vgl. Sigw. pag. 71.

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sowie dazu, dass alles Verstehen ein reines Leiden sein soll. Hier wäre ja wieder eine bedeutende Selbstthätigkeit vorhanden. Schliesslich aber nützt die ganze Erkenntniss nichts. Auch w^enn wir nun diesen Schluss gezogen haben und alle guten und besten Begehrungen in uns entstanden sind, so können wir damit doch nichts anderes ausrichten, als allenfalls die Leidenschaften, die durch Hörensagen in uns entstehen, dadurch bändigen^'-). Die Liebe zu den vergänglichen Dingen aber, die aus der directen AVirkung derselben in uns entsteht vermag diese abstracte Er- kenntniss nicht zu bannen ; die unmittelbare Erfahrung ist stärker, als der klügelnde Verstand. „Denn das Vermögen, welches uns die Sache selbst giebt, ist allezeit grösser, als dasjenige, welches wir aus den Folgerungen aus einer zweiten Sache bekommen" ^^). Die Bedeutung der zweiten Erkenntnissart wiiKl dadurch höchst zweifelhaft.

Wir sind also absolut nicht im Stande, die Dinge voll und ganz zu erkennen, ihr wahres Wesen einzusehen; wir sind folg- lich auch nicht im Stande, unsere eigene vergängliche Existenz mit unserer ewigen Essenz in Uebereinstimmung zu bringen. Gott selbst muss sich uns ofPenbaren, um dies möglich zu machen. Alsdann, da er nur ganz, seinem vollen Wesen nach auf uns wirken kann, haben wir aber auch mit einem Schlage Alles, was wir wünschen. Wir erkennen und lieben Gott alsdann; durch ihn erkennen wir dann auch das wahre Wesen aller Dinge, die alle in ihm enthalten sind, alle aus seinem ewigen Wesen folgen. Auch unser eigenes wahres Wesen erkennen wir dann, und dadurch ist dann eben die Harmonie zwischen Essenz und Existenz hergestellt. Dass es die Gnade Gottes schliesslich ist, die uns zur Seligkeit führt, dass es nur von ihm abhängt, ob er sich uns offenbaren wolle oder nicht, geht aus einer Stelle im zweiundzwanzigsten Capitel des zweiten Theiles hervor, welche lautet: „Dass diese vierte (dritte) Art von Erkenntniss, w^elche die Erkenntniss Gottes ist, nicht durch Folgerung aus etwas Anderem, sondern unmittelbar ist, erhellt aus demjenigen, was wir zuvor gesehen haben, nämlich dass Er die Ursache aller Er-

^^) Wio dies Erkennen durch Hörensagen möglich ist, wenn das Ohject die Erkenntniss bewirkt, hat Spin, auch niclit erklärt. 8^) II Cap. XXI (3). Vgl. Zus. 1.

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ke;intniss ist, Avelclie allein durch sich selbst und durch keine andere Ursache erkannt wird; und daneben auch daraus, dass wir von Natur so mit ihm vereinigt sind, dass wir ohne ihn nicht bestehen noch begriffen werden können; und darum dann, weil zwischen Gott und uns eine so enge Vereinigung ist, erhellt dann, dass wir ihn nur unmittelbar erkennen können"®*). Aehn- lich und noch entschiedener lautet eine andere Stelle: „So sehen wir denn, dass der Mensch als ein Theil der ganzen Natur, von w^elcher er abhängt, und von welcher er auch regiert wnrd, aus sich selbst zu seinem Heil und zu seiner Glückseligkeit nichts thun kann"*^). Wenn wir uns der Bemerkung Spinoza's, dass die allerklarsten Dinge sich selbst und die Falschheit offenbaren, erinnern, so können wir auch so sagen: Yollständig gewiss, die Wahrheit zu besitzen, können wir erst dann sein, wenn wir die Erkenntniss Gottes schon haben; bis dahin ist dies Kriterium unsicher.

Wenn somit feststellt, dass die Erkenntniss Gottes und der ül)rigen Dinge ihrem wahren Wesen nach, erst durch die dritte Erkeuntnissart, d. h. durch Offenbarung Gottes an uns erfolgt, so ist es ein Widerspruch, wenn Spinoza im achtzehnten Capitel des zweiten Theiles die zweite Erkenntnissart als Ursache einer ganzen Anzahl von Wirkungen hinstellt, die im Grunde erst aus der dritten folgen. Selbst dass die zw^eite Erkenntnissart erkennen könne, was wahrhaft gut und schlecht sei, wird nach den vor- aufgegaugenen Erörterungen zweifelhaft. Dieses Schwanken in Bezug auf die zweite Erkeuntnissart scheint auch dem Einge- ständniss zu Grunde zu liegen, dass sich im zweiundzwanzigsten Capitel findet: wir brauchen Gott nicht so, wie er ist, oder adae- quat, sondern nur einigermassen zu kennen, um mit ihm ver- einigt zu sein**^). Die zweite Erkenntnissart bleibt unbestimmt und schwankend ''').

Der Versuch, einen Weg zu zeigen, auf dem man zur Voll- kommenheit gelangen könne, ist also vollständig gescheitert. Das Schicksal bestimmt dem Menschen sein Loos; erweist es

81) n Cap. XXI (3). «^) II Cap. XVIII (1). 86) II Cap. XXII (2).

8") Vgl. Sigwart's ausführliche Untersuchung i. s. Schrift 1866 pag. 70— 76. II Cap. XIX u. f.

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sich ihm gnädig, so ist freilich der Mensch im Geuuss aller der A^'ollkommenheiten, die im Abschnitt „von des Menschen Glück- seligkeit" geschildert werden, andernfalls kann er nie dahin ge- langen.

Von diesen Versuchen für jetzt absehend, möchte ich nun auf eine andere Betrachtung und Untersuchung eingehen, die durch die letzten Untersuchungen nahe gelegt ist. Ich bemerkte schon in den einleitenden Worten zum zweiten Theil des Trac- tates, dass Spinoza in seinen ethisch -erkenntnisstheoretischen Bestimmungen zunächst vollständig vom subjectiven Standpunkte aus operire, und erst später den Anschluss an die Metaphysik zu gewinnen suche ^-).

Es fragt sich, ob dies wird möglich sein, ob nicht dies von der Metaphysik unabhängige Operiren zu Consequenzen geführt hat, die den Anschluss an die Metaphysik mindestens sehr er- schweren, indem sie eine anders geartete Psychologie voraus- setzen, als die, welche aus der Metaphysik sich ergiebt.

Das ist nun allerdings der Fall. Nachdem das Operiren auf der snbjectiven Grundlage der vier Erkenntnissarten nicht zum Ziele geführt hatte, war, wie wir sahen, das Object als massgebend an deren Stelle getreten und die Erkenntniss direct vom Object abhängig gemacht. Die Dinge, d. h. die körperlichen Dinge, denn um die handelt es sich doch thatsächlich, produ- ciren die Erkenntniss; der Geist ist eine völlige tabula rasa, ja im Grunde noch w^eniger. Der Verstand ist ja nichts Aveiter, als eine Summe von Ideen; sind diese nun Wirkungen der Ob- jecte, so ist der Geist selbst wenigstens nahe daran, zu einer Wirkung der realen Objecte zu werden. Stimmt dies nun mit den Consequenzen der Metaphysik? Diese Frage wird jetzt nahe gelegt, da in den letzten Untersuchungen, in denen es sich darum handelte, dass und wie der Mensch, dessen Essenz die Existenz nicht einschliesst, aus der Unbeständigkeit seines vergänglichen Daseins zu einer „festen Wesenheit" gelangen solle und könne, da in diesen Untersuchungen doch die Stellung des menschlichen Geistes in der Wirklichkeit von massgebendem Einfluss sein muss. Diese Frage muss aber verneinend beantwortet werden.

Die Metaphysik hatte die Attribute als gleichberechtigt,

*) Vgl. oben pag. 43.

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neben und unabhängig von einander in der unendlichen Substanz existirend und ihr Wesen bildend, erscheinen lassen. Keine Sub- stanz, folglich auch kein Attribut kann das andere hervorbringen. Damit verträgt sich die totale Abhängigkeit der Modi des einen Attributes Denken von denen des anderen Ausdehnung die hier in der Psychologie jetzt aufgestellt ist, durchaus nicht. Es konnte nicht ausbleiben, dass jetzt, da Sj)inoza durch die eben erwähnten Betrachtungen auf den Zusammenhang seiner erkenntnisstheoretischen Untersuchungen mit der Metaphysik hin- gewiesen wurde, ihm auch die Differenz zwischen beiden auffallen musste. Sollte eine Vereinigung beider herbeigeführt werden, so' musste entweder die Metaphysik fallen, diese Möglichkeit kam indess eigentlich gar nicht in Betracht oder die Psycho- logie musste verändert und der Metaphysik angepasst werden, woraus sich dann auch eine Aenderung der erkenntnisstheoreti- schen Bestimmungen ergeben musste.

Das Letztere geschieht nun, und wir haben in den letzten Capiteln des Tractates deutlich eine psychologisch -erkenntniss- tlieoretisclie Entwicklung, die mit der vorhin besprochenen durch- aus nicht congruent ist, sondern eine ganz andere Grundlage hat. Ich will versuchen, den neuen Standpunkt zu characteri- siren. Das Eigenthümliche desselben besteht darin, dass beide bisher versuchte Ausgangspunkte zu vereinigen gesucht werden. Der übermässige Einfluss der Objecte, die totale Abhängigkeit des Geistes von ihnen soll vermieden werden; der Geist soll eine gewisse Selbständigkeit und Spontaneität behalten. Jene Souverainetät aber, welche die Erkenntniss zuerst beanspruchte, soll ihr auch nicht wieder eingeräumt werden. Aus diesem Be- streben nun entspringt schliesslich die Lehre, deren Vorbedin- gung die eigenthümliche Stellung des Denkattributes ist, die ich im ersten Theil des „tract. brev." näher geschildert habe. Nicht aus dem Körper entspringt der Geist, sondern nur auf Veranlas- sung desselben. Sobald nämlich die Ausdehnung aus sich her- aus einen bestimmten Körper erzeugt, so sieht sich alsdann auch das Denkattribut veranlasst, aus sich heravis eine demselben ent- sprechende Idee zu erzeugen. Die schaffende producirende Kraft ist das Attribut des Denkens, aber die Bedingung der Erzeu- gung des Geistes ist der Körper, den das Attribut der Ausdeh- nungf schafft.

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Nicht sofort tritt dieser Stand]Hmkt auf, sondern er wird erst allmählich als Consequenz aus der Beziehung, in welche jetzt die ethisch-erkenntnisstheoretische Untersuchung zur Meta- physik tritt, gewonnen.

Da die letzten Erörterungen die Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt nahegelegt haben, so wird es für Spinoza jetzt von grosser Bedeutung, dass der Mensch doch aus Geist und Körper besteht. Es ist daher wichtig, die Natur beider und ihr Yerhältniss zu einander kennen zu lernen. In- dem nun Spinoza mit dem Körper beginnt und diesen nach den Ergebnissen der Metaphysik bestimmt, zeigt sich ihm die Lücke zwischen der Metaphysik und der Erkenntnisstheorie, und er versucht sofort, sie zu schliessen. Der Uebergaug zu den hierauf bezüglichen Untersuchungen wird mit den Worten gemacht: „Doch dass diese Leidenschaften keine andere Ursachen haben, ist dasjenige, was uns nun zu beweisen obliegt. Dazu wird meines Bedünkens erfordert, dass wir uns im Ganzen, sowohl hinsichtlich des Körpers als des Geistes untersuchen, und vor- erst beweisen, dass in der Natur ein Körper ist, durch welches' Gestalt und Wirkung wir afticirt werden"^-'). Es wird dann noch hinzugefügt, dass, wenn wir erst die Ursache aller Aftecte ein- sehen, wir sie auch verhindern können.

Was ist der Körper? Der Körper ist ein Modus der Aus- dehnung; die Ausdehnung aber ist ein wirkliches Attribut Gottes. Daraus folgt dann, dass, da die Natur unendlich ist und es ausser ihr kein Wesen mehr giebt, auch alle Wirkungen des Körpers nur durch die Ausdehnung bewirkt werden können. Wäre das Vermögen zu solchen Wirkungen nicht in der Natur, so wäre es unmöglich, dass sie dann sein könnten. „Und das- selbe, was wir von der Ausdehnung gesagt haben, wollen wir auch von dem Denken und weiterhin von Allem, was da ist, gesagt haben", fügt Spinoza bedeutungsvoll hinzu^). Noch schärfer drückt die Forderung der Gleichberechtigung der Attribute als Consequenz der Metaphysik eine andere Stelle aus: „Wenn wir nun die Ausdehnung allein betrachten, so werden wir in der- selben nichts anderes gewahr als Bewegung und Ruhe, aus

f9) II Cap. XIX (3).

3«) II Cap. XIX (6) sub tin.

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welchen wir alle die Wirkungen, die daraus hervorgehen, finden: und so beschauen sind diese zwei Weisen in dem Körper, dass keine andere Sache sie verändern kann, als sie selbst; wie z. B., wenn ein Stein still liegt, so ist es unmöglich, dass er durch die Kraft des Denkens oder irgend etwas Anderes bewegt werden könnte, wohl aber durch die Bewegung von etwas Anderem, wie wenn ein anderer Körper (der eine grössere Bewegung hat, als seine Ruhe ist) ihn in Bewegung bringt. Wie auch ebenso der sich bewegende Stein nicht zur Ruhe kommen kann, ausser durch etwas Anderes, das sich weniger bewegt. Woraus folgt, dass keine Weise des Denkens im Körper Bewegung oder Ruhe hervorbringen kann"''). Ich habe die ganze Stelle wiedej-gegeben, weil aus ihr so recht hervorgeht, wie Spinoza hier, da er, das Wesen des Körpers bestimmend, die Consequenzen seiner Meta- physik zieht, die volle Unabhängigkeit der Attribute Denken und Ausdehnung postulirt. Bewegungen werden nur erzeugt durch Bewegungen, Gedanken nur durch Gedanken: das ist die natür- liche Consequenz der Metaphysik. Mit ihr steht in scharfem Wiederspruch das Resultat, zu dem die ethisch-erkenntnisstheo- rethischen Untersuchungen gekommen waren, die eine Einwirkung der Dinge auf den Geist zugelassen hatten, die einer Production des Geistes aus den materiellen Objecten nahe kam. Spinoza bemerkt diesen Gegensatz und sucht zn vermitteln. Auf den Gedanken aber, den er später gefasst hat, dass Geist und Körper una eademque res seien, ist er hier durchaus noch nicht gekommen. Er hält durchaus daran fest, dass die Attribute von einander getrennt neben einander in der Substanz existirten. Er sucht daher so zu vermitteln, dass er eine bedingte Wirkung zwischen beiden Attributen zulässt. Die völlige Passivität des Geistes wird aufgehoben, so dass der Geist wieder eine gewisse Spontaneität erhält. Andererseits wird die Activität des Körpers auf den Geist zwar nicht aufgehoben, aber doch beschränkt. Es wird ein Compromiss geschlossen zwischen den Ansprüchen der Metaphysik und denen der Erkenntnisstheorie. Die Seele kann zwar nicht Bewegung hervorbringen, aber die Rich- tung der schon bestehenden Bewegung bestimmen; auch diese Thätig- keit ist indess noch sehr vielen Einschränkungen unterworfen-'-).

»') II Cap. XLX (8).

^-) II Cap. XIX, XX. Ich übergehe die Einzelheiten.

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In Bezug auf die Wirkung des Körpers auf die Seele geben die Ansichten anfangs noch vielfach nebeneinander her; häufig über- wiegt doch noch die Vorstellung, dass der Körper die Ursache der Ideen sei, bald aber wird sie durch die andere verdrängt. So heisst es an einer Stelle, die vornehmste Wirkung des Körpers sei, „dass er bewirkt, dass die Seele ihn selbst und dadurch auch andere Körper wahrnimmt, was durch nichts Anderes ver- ursacht wird, als Bewegung und Ruhe zusammen"''"). Scheint hiernach wieder der Körper als das aufzutreten, von dem die Art der Erkenntniss abhängt, so wird doch durch den sogleich fol- genden Satz diese Consequenz abgewehrt: „So dass, was ausser dieser Wahrnehmung noch weiter in der Seele geschieht, durch den Körper nicht verursacht werden kann." Jetzt liegt nun die Sache so, dass zwar die Erkenntniss des Körpers durch diesen selbst bewirkt wird, nicht aber, was Aveiter folgt, nämlich das Urtheil, das die Seele sogleich darüber fällt, und die Begehren und Leidenschaften, die davon abhängen. Spinoza ist augenscheinlich bemüht, die Ansicht, welche ja die Consequenz des früheren sagen wir kurz: sensualistischen Standpunktes ist, dass alle unsere guten oder schlechten Leidenschaften nicht von uns, sondern nur vom Object abhängen, abzuwehren. Diese Anschauungsweise läuft doch der Unabhängigkeit der Attribute zu sehr zuwider. Dem Geist wird daher eine grössere Spon- taneität eingeräumt. Das Urtheil über Gut und Schlecht hängt vom Geiste ab, die Wahrnehmung verursacht der Körper. Der Geist hat es aber in seiner Gewalt, über den Werth einer Wahr- nehmung zu urtheilen und das wahrgenommene Object dem- gemäss zu begehren oder zu meiden: das Urtheil ist verschieden von der Wahrnehmung. Im Sinne dieser Unterscheidung ist noch eine andere Stelle gehalten: „Aus demjenigen, was wir bisher ge- sagt haben, ist leicht abzunehmen, welches die vornehmlichsten Ursachen der Leidenschaften sind: denn was den Körper mit seinen Wirkungen der Bewegung und Ruhe anlangt, die können auf die Seele nicht anders wirken, als dass sie sich selbst als Gegenstände derselben bekannt machen, und je nach dem die Anzeichen sind, welche sie derselben vorhalten, seien sie von Gutem oder Schlechtem, danach wird die Seele von ihnen

^^) Cap. XIX (13).

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afficirt"^). Und damit man ja nicht meinen .solle, dass der Körper das Urtheil hervorbringe, fügt Spinoza hinzu: „Aber das nicht, sofern der Körper ein Körper ist (denn dann wäre der Körper die vornehmste Ursache der Leidenschaften), sondern sofern er ein Object (soll heissen: eine Vorstellung, Object der Vorstellung) ist, wie alle andere Dinge, die auch dieselbe A\'irkung hervorbringen würden, wenn sie sich ebenso der Seele offenbarten". Im folgenden Capitel wird dann dieser Unterschied zwischen der Wahrnehmung und dem Ur- theil ausdrücklich ausgesprochen. „Hierauf ist zu sagen, dass man einen Unterschied machen muss zwischen der Wahrnehraunff der Seele, wenn sie zuerst den Körper gewahr wird, und dem Ur- theil, das sie sofort darüber bildet, ob er für sie gut oder schlecht ist" und der Zusatz fügt hinzu: „Das ist zwischen Verstehen (Erkennen) allgemein genommen, und Verstehen mit Rücksicht auf das Gute oder Schlechte der Sache" '''^).

In^der Erwiderung auf die Einwürfe, die man seiner An- sicht über das Verhältuiss von Geist und Körper machen könnte es handelt sich darum, ^\ie es denn zu erklären sei, dass die Traurigkeit durch äussere Mittel, durch Wein etc. vertrieben werden könne, sowie, warum nicht die Seele, da sie doch die Lebensgeister bewegen könne, auch die Körper überhaupt zur Bewegung bringen könne in der Erwiderung auf diese Ein- w^ürfe bleibt sich Spinoza indess durchaus nicht getreu. Kament- lich die Erwiderung auf den zweiten Einwurf ist ganz incon- sequent, sie giebt den Einwurf im Grunde zu. Die Natur ist ein einziges Wesen, von dem alle Eigenschaften ausgesagt w^erden können. Die denkende Sache ist nur eine einzige in der Natur-, sie ist in unendlichen Ideen ausgedrückt, entsprechend den un- endlichen Dingen, w^elche in der Natur sind. Dass nun jede

^*) II Cap. XIX (15). Der Zusatz 4, der später sein dürfte, (Sigwart: „Erläuterungen und Parallelstellen'' zu s. Uebersetzung pag. 216 (14) giebt wieder eine physiologische Begründung des Urtheils. Das Object bewirkt es. Das Ende des Zusatzes sucht diese Ansicht dann wieder zu entkräften.

^^) Daher ist die Ansicht Sigwart's (Sclirift 1866 pag. 67), dass bei Spi- noza die Perception der Objecte und das Urtheil völlig in einander fliessen, nicht ganz correct. Sie passt wenigstens nicht für den ganzen Tractat. Hier scheidet Spinoza sie förmlich und ausdrücklicli, freilich, ohne diese Scheidung zu begründen.

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Idee ihren zugehörigen Körper bewegen könne, wird als ganz selbstverständlich hingestellt, während kurz vorher behauptet ist, die Seele könne nur die Richtung der Lebensgeister ver- ändern-'*').

Die Schwierigkeiten, die aus der Trennung von Wahrnehmung und Urtheil sich ergeben, treiben aber weiter. Es ist nicht ein- zusehen, wie die Seele, wenn der Körper die Vorstellung seiner in uns hervorbringt, und es mithin von ihm abhängt, wie war afficirt werden, dann doch noch ein anderes Urtheil sollte fällen können, als das Ding fordert. Auch widerstreiten diese, wenn- gleich abgeschwächten Ansprüche des Körpers noch immer der Forderung der Gleichberechtigung der Attribute. Das Denken ist immer noch ziemlich von dem Körper abhängig, der Geist ähnelt immer noch einer tabula rasa, in die die Dinge sich ein- schreiben. Er kann nichts weiter thun, als die Dinge, so wie sie sich ihm aufdrängen, percipiren und ein Gutachten darüber abgeben, und zwar eines, das höchst zweifelhafter Natur ist. Um die Uebereinstimmung mit der Metaphysik zu erlangen, müssen die Ansprüche des Attributs der Ausdehnung noch mehr herabgesetzt werden. Nicht einmal die Erkenntuiss der Dinge darf durch sie verursacht sein. Hier tritt nun die Betrachtung ein, die ich oben''^), als das Schlusswort des Tractates, sein End- resultat in den Bemühungen, die ethisch-erkenntnisstheoretische Richtimg mit der Metaphysik in Uebereinstimmung zu bringen, bezeichnet habe, jene Betrachtung, die die eigenthümliche Stellung des Denkattributes zur Grundlage und Voraus- setzung hat.

Die Idee, welche die Seele vom Körper hat, wird nicht von diesem producirt, sondern vom Attribut des Denkens auf Ver- anlassung des Körpers erzeugt. Die bewirkende, schaffende Kraft ist das Denkattribut, die Bedingung der Körper. Diese Ansicht spricht eine Stelle im zweiundzwanzigsten Capitel aus: „Und weil der Körper das Allererste ist, w^as unsere Seele ge- wahr wird (weil, wie wir gesagt haben, nichts in der Natur sein

^^) Der Gegensatz ist so frappant, dass icli die Stelle (XX (3) (4)) für später eingeschoben und gleichzeitig mit dem Zus. 3 halten möchte, um so mehr, als im dritten Einwurf wiederum die entgegengesetzte Behauptung auftritt. Die ganzen Einwürfe finden sich Cap. XX.

9^) pag. GO.

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kann, dessen Idee niclit in der denkenden Sache wäre, welche Idee die Seele dieses Dinges ist), so muss das Ding also noth- wendig die erste Ursache dieser Idee sein''.^^) Der Zusatz aber, der, wenn er Glosse eines Lesers ist, jedenfalls eine sehr richtige Glosse ist, fügt hinzu: „Das heisst: unsere Seele, als Idee des Körpers, hat aus demselben zwar ihr erstes Wesen, doch ist sie davon nur eine Repräsentation im Ganzen sowohl als im Einzelnen in der denkenden Sache". ^^) Das soll doch nun nichts Anderes heissen, als: Der Körper ist zwar die Ur- sache der Idee, aber nicht so, dass er sie wirklich producirte, sondern sie entsteht im Denken auf Veranlassung des Körpers.

Auf diese Theorie gründet sich nun die Lehre von der AViedergeburt und der Unsterblichkeit der Seele. Damit treten auch die ethisch-erkenntniss-theoretischen Bestimmungen, die sich auf den Weg beziehen, auf dem wir zum Heile gelangen können, wieder in Kraft; indess in einer durch die veränderte Grundlage veränderten Weise. Wenn früher ganz allgemein gesagt war, die Seele solle sich den Wirkungen der vergänglichen Dinge entziehen und das höchste Wesen auf sich wii-ken lassen, wo- durch sie dann die Unbeständigkeit ihrer vergänglichen Existenz mit der festen Wesenheit, die aus der Harmonie von Essenz und Existenz folgt, vertauschen würde, so wird jetzt in ganz be- stimmter, concreter Weise gesagt: Die Seele soll sich den Ein- wirkungen ihres Körpers entziehen, und statt mit ihm mit Gott sich vereinigen.

Der Körper ist das Erste, das die Seele gewahr wird; seine Erkenntniss bildet den Inhalt derselben: die Seele kann sich aber von dieser Idee fi-ei machen. Die Ansicht, dass die Seele Idee des Körpers sei, tritt auch hier schon auf, ohne dass sie doch ganz zum Durchbruch gelangte. Im Ganzen wird sie als ein geistiges Wesen betrachtet, in welchem diese Idee erst (wie andere auch) entsteht, und die auch wieder daraus verschwinden kann. Aber die Consequenz drängt augenscheinlich zur idea ■corporis.

Die Seele soll nun von dieser Idee ihres Körpers, in der sie keine Ruhe findet, fortgehen zur Erkenntniss Gottes. Wenn

'8) II Cap. XXII (5). 9) ibid. Zus. 2.

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sie diese erlangt hat, so verdrängt die Idea des höchsten Wesens die Idee des Körpers vollständig. Damit fallen dann aber auch alle die Wirkungen fort, die aus der Idee des Körpers resultiren: die bösen Leidenschaften, die Liebe zu dem Körper und zu den vergänglichen Dingen. Es kommen dagegen alle die Wirkungen, die aus der Erkenntniss Gottes folgen, zur Geltung, vor allen die Liebe zu Gott, die nichts ist als der Genuss der Vereinigung mit ihm. Ist dieser Zustand erreicht, so ist die Seele vom Körper getrennt, wiedergeboren, selig"*). Im Verlauf dieser schwärmerischen Betrachtung passirt es Spinoza sogar, die Wir- kungen die aus der Erkenntniss Gottes folgen, als so verschieden von denen, die aus dem Körper folgen, hinzustellen, wie Geist und Fleisch wobei Gott also als ein geistiges Wesen erscheint. So lange die Seele mit dem Körper vereinigt ist, ist sie unbe- ständig, sterblich; ist sie mit Gott vereinigt, so hat sie eine feste Wesenheit, ist beständig, ewig, unsterblich. Wie dies aber ge- schehen könne, hat Spinoza auch hier nicht auseinandergesetzt. Wenn Gott sich uns offenbart, w^enn er, d. h. das Attribut des Denkens, die Idee seiner in uns erzeugt, so sind wir selig, thut er dies nicht, so ist all unser Mühen vergeblich. Ja dies Mühen selbst kann im Grunde gar nicht einmal Platz greifen. Der Mensch kann gar nicht merken, dass es etwas Höheres gebe, er lebt dahin in seinen sinnlichen Anschauungen, aus denen er nur durch die Gnade Gottes errettet w^erden kann. Es ist daher nicht richtig, wenn Spinoza, nachdem er noch nachgewiesen hat, dass Gott die Menschen nicht liebe „weil Gott keine W^eisen des Denkens, ausser denjenigen, welche in den Geschöpfen sind, zugeschrieben werden können" '°^) wenn er dann sagt: „Auch haben wir nun schon im Vorangehenden gezeigt, wie und auf welche Weise wir sowohl durch die Vernunft als auch durch die vierte (dritte) Art der Erkenntniss zu unserer Glückseligkeit gelangen, und wie unsere Leidenschaften vernichtet werden müssen" '"-). Im Folgenden gesteht Spinoza auch im Grunde zu,

100) II Cap. XXIII.

10') Cap. XXIV (2).

'0-) Cap. XXVI (2). Der Passus „sowulil aucli" fehlt in der Morinik- liof[''sclien Handschrift B. Und mit Reclit; denn wie die Vernunft, die zweite Erkenntnissart, Gott erkennen könne, ist ganz gewiss nicht gezeigt. (Sigwart's Uebers. pag. 141).

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dass man die Leidenschaften nur bändigen könne, wenn man die klare Erkenntniss, die Tugend, oder, um es besser zu sagen, die Lenkung des Verstandes schon habe. Audi die Ausführungen in (5) und (G), dass wir, weil wir böse Erfahrungen machen, uns deshalb die Leitung des Verstandes erwählen, sowie, dass die Vernunfterkenntniss ein guter Geist sei, der uns zu dem höchsten Gut hinführe, sind uncorrect. Die Leitung des Ver- standes können wir nicht erwählen, wenn wir nicht schon uns der Leidenschaften entschlagen haben. Die Vernunfterkenntniss kann uns nicht zu Gott hinführen; die Offenbarung Gottes muss hinzukommen, und sie kann auch, ohne dass die Vernunfter- kenntniss vorhergeht, direct auf die verworrene Erkenntniss folgen.

Ich hebe hier noch hervor, dass in (5) der Grundsatz des suum utile cjuaerere als natürliche Grundlage der Tugend hin- gestellt wird, ohne dass doch davon weitere Anwendung gemacht würde.

Spinoza lässt es sich nun angelegen sein, den Zustand der der Seligkeit, in welchen wir durch die höchste Erkenntniss ver- setzt werden, zu schildern. Wir wissen schon: Unter dem Ein- fluss des Körpers stehend, ist die Seele wie dieser vergänglich; sie begleitet die wechselnden Zustände, in denen der Körper sein Wesen zum Ausdruck zu bringen sich bemüht, mit ebenso wechselnden Ideen. Von dem Eintluss des Körpers befreit, ist sie auch dem Wechsel nicht mehr unterworfen, sondern drückt voll und ganz ihr ewiges Wesen aus. Sie ist dann eine directe Wirkung Gottes, nicht mehr durch Mittelursachen bestimmt. Sie ist nicht mehr in der Macht der Dinge, sondern wirkt rein aus der Consequenz ihrer im Wesen Gottes begründeten ewigen Natur. Die Dinge sind in ihrer Macht, nicht als wenn sie eine willkürliche Ursache derselben wäre, sondern, so hatte Spinoza schon an einer früheren Stelle erklärt „wenn wir sagen, dass einige Dinge in, andere ausser unserer Macht sind, so verstehen wir unter denjenigen, welche in unserer Macht sind, solche, die wir bewirken durch die Ordnung der Natur oder zusammen mit der Natur, von welcher wir ein Theil sind".'°^) Die Dinge aber, welche nicht in unserer Macht sind, sind solche, die von unserer wahren Wesenheit weit entfernt sind.

'03) II Cap. V (8).

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Spinoza unterscheidet demnach zwischen dem Wirken, das durch äussere Ursachen bestimmt wird und daher unfrei ist, und demjenigen, welches aus der directen Wirksamkeit Gottes in uns, d. h. aus unserer eigenen ewigen Natur folgt, und das daher frei ist. An diesen Unterschied knüpft er jetzt wieder an. Ich kann daher nicht finden, dass diese letzten Sätze '°^), wie Sig- wart glaubhaft machen will"^^), sich nicht in gerader Linie an die früheren Ausführungen anschlössen und einer späteren Epoche angehörten. Ich erblicke vielmehr in der Lehre, dass es die Aufgabe und Bestimmung des Menschen sei, aus einer entfernteren, vergänglichen Wirkung Gottes zu einer directen, ewigen zu werden, einen dem Spinoza ursprünglich eigenen Grundgedanken, der sich auf das eigenthümliche Verhältniss von Essenz und Existenz gründet. So stehen die nachfolgenden Ausführungen sehr wohl im Zusammenhang mit den frühereu.

Je mehr Wesen eine Sache hat (d. h. jemehr das ewige Wesen zum Durchbruch gelangt), um so mehr ist sie thätig, denn sie hängt alsdann weniger von anderen Dingen ab. Alles Leiden besteht darin, dass äussere Dinge uns bestimmen, nicht unsei-e eigene, aus Gott folgende Natur. Was nicht von äusseren Ursachen abhängt, ist auch keiner Veränderung durch sie unter- worfen, sondern beständig. Die W^irkungen der inbleibenden Uisache, d. h. die directen Wirkungen Gottes, sind dieser Art. Gott wird durch keine äusseren Dinge bestimmt; er ist daher frei und unendlich thätig. Unser wahres Wesen (hier der „wahre Vei'stand" genannt) kann, als von Gott direct hervorgebracht, auch nicht vergehen; es ist ewig und, in seiner Weise, frei. Je mehr dies wahre Wesen zum Durchbruch gelangt, um so fester und unveränderlicher wird unsere Existenz, um so mehr ver- mögen wir auf die Dinge zu wirken '°''). Wären die Esseuzen aller Dinge mit ihrer Existenz in Harmonie, so würden auch alle

10') II Cap. XXYI (7) ff.

'05) Prolegg. III, 1 pag. XXXVl.

io'5) Ueber den Unterschied unserer wahren Essenz und unserer vergäng- lichen Existenz vgl. auch Jacobi (d. Lehre d. Spinoza in Briefen an M. Men- delssohn 1789 pag. 30): „Es sind also eigentlich zwei Seelen in uns, eine ewige und eine vergängliche (animalische). Die erstere liefert die klare Erkcnntniss, die letztere die verworrene. Die erstere soll die letztere meistern. Vgl. auch Erdmann: Vermisclite Aufsätze pag. 108.

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Wirkiiugeu aller Dinge durchaus harmoniseh in einander greifen. Keine Störung des einen durch das andere würde stattfinden, alle in ewiger Ordnung aus dem Wesen Gottes folgen und deni- gemäss wirken.

In diesen letzten Sätzen tritt wieder so recht der Gegen- satz zwischen der metaphysischen Weltanschauung und der ethisch-erkenntniss-theoretischeu Richtung, zwischen der Welt des Ewigen und der des Vergänglichen hervor. Diese Idealwelt lehrt die Metaphysik, fordert die Ethik und die ganz in ihrem Dienst stehende Erkenntnisstheorie. Das ganze Resultat dieser letzten Betrachtungen fasst dann Spinoza in dem Satze zusammen: „Aus all diesem Gesagten kann sehr leicht begriffen werden, was die menschliche Freiheit ist, die ich so definire, nämlich dass sie eine feste Wirklichkeit ist, welche vinser Verstand durch seine unmittelbare Vereinigung mit Gott erhält, um in sich Ideeen und ausser sieh Wirkungen hervorzubringen, die mit seiner Natur wohl übereinkommen, ohne dass (seine Ideen) noch seine Wir- kungen irgend einer äusseren Ursache unterworfen sind, durch welche sie verändert oder verwandelt werden könnten. So erhellt auch zugleich aus dem von uns Gesagten, was die Dinge sind, die in unserer Macht, und keiner äusseren Ursache unterworfen sind; wie wir auch zugleich, und zwar auf andere Weise als zuvor, die ewige und beständige Dauer unseres Verstandes be- wiesen haben; und endlich welches die Wirkungen sind, die wir höher als alle anderen zu schätzen haben"."") Hiermit schliesst der „tract. brev."

Erinnern wir uns nun, dass diese Lehre von der Wieder- geburt und Seligkeit errichtet ist auf der Grundlage jener eigen- thümlichen Ansicht über das Verhältniss der Attribute zu ein- ander, nach der das Attribut des Denkens auf Veranlassung des Körpers die dazu gehörige Seele aus sich heraus erzeugt "^'*j. Der Körper ist geschaffen vom Attribut des Denkens, bedingt durch den Körper. Diese Bedingtheit kann aber fortfallen, die Seele kann ganz vom Körper, aus dem sie nur „ihr erstes Wesen" hat, getrennt werden. Alsdann ist sie selig. Das hier ange-

107) II Cap. XXVI (9).

10^) Die Abweichung dieser von der früheren Theorie giebt Spinoza selbst zu: „Wie wir auch zugleich, und zwar auf andere Weise als zuvor, die ewige und beständige Dauer unseres Verstandes bewiesen haben" (II Cap. XXVI (9)).

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nomüiene Verhältniss der Attribute zu einander entspricht indess immer noch nicht der Metaphysik, welche die völlige Gleichbe- rechtigung der Attribute fordert. Auch die bedingende Veran- lassung zum Schaffen der Seele darf der Körper nicht sein. Der weitere Fortschritt in dieser Beziehung, der schliesslich zu der völligen Parallelität sämmtlicher Modi sämmtlicher Attribute führt, vollzieht sich im Anhang und in den Zusätzen zum zweiten Theil des tractatus brevis.

Der Anhang IL Theil, und die Zusätze

109)

Zunächst beruht schon der Anhang ganz deutlich auf dem Gedanken, der auch im Tractat schon auftrat, aber nicht con- sequent durchgeführt ward: die Seele ist die Idee ihres Körpers. Folgende Stelle ist hierfür bemerkenswerth: „Demzufolge kann in dieser Eigenschaft (des Denkens) keine andere Modification gegeben werden, welche zum Wesen der Seele eines jeglichen Dinges gehören würde, als allein die Idee, welche nothwendig von einem solchen existirenden Dinge in der denkenden Eigen- schaft sein muss" ^'"). Dagegen wird auch im Anhang noch die Ansicht festgehalten, dass das Attribut des Denkens auf Veran- lassung des Attributes der Ausdehnung (resp. der übrigen Attribute, wie hier noch besonders erwähnt wird) die dem Körper entsprechende Idee erzeugt; ja sie wird hier noch deut- licher und bestimmter aufgestellt. So wird gesagt, dass zur Existenz einer Idee oder eines objectiven Wesens kein anderes Ding erfordert wird, als die denkende Eigenschaft und das Ob- ject oder formale Wesen; und in demselben Paragraphen"') be- ginnt ein Satz mit den Worten: „Da nun die Idee aus der Wirklichkeit des Objectes hervorgeht . . ." Gleichen Sinn hat auch eine andere Stelle: „Deshalb also besteht das Wesen der Seele allein darin, dass eine Idee oder ein objectives Wesen in der denkenden Eigenschaft ist, das von dem Wesen eines Objectes

'^^) Dass diese Zusätze (der Zusatz zur Vorrede des zweiten Theiles des- „tract. brev.", Zus. 3 u. 4 zu Cap. XX) später sind als selbst der Anhang, hat Sigwart überzeugend nachgewiesen (Prolegg. III, 2 pag. XL LI, „Erläut. u. Parallelst." pag. 186, 187, 218—221, 232.

i'O) Anh. II (7).

1") Anh. n (7).

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ausgeht, Avelches in der Natur realiter existirt.""-) Auf der gleichen Grundlage hält sich dann auch noch der Zusatz zur Vorrede des zweiten Theiles des Tractates. Auch er stellt be- stimmt die Ansicht auf, dass die Seele Idee des Körpers sei; auch er sagt deutlich, dass das Attribut des Denkens erst vom Körper aufgefordert werde, die Idee dos Körpers zu schaffen. Es heisst daselbst: „Aus diesem Verhältuiss von Bewegung und Ruhe kommt auch die Existenz dieses unseres Körpers; von welchem dann nicht minder als von allen anderen Dingen eine Erkenntniss oder Idee in der denkenden Sache sein muss; und sofort ist diese Idee dann auch die Seele von uns.""^) Weiter- hin an einer anderen Stelle heisst es: „Um aber eine solche Idee, Erkenntniss oder Weise des Denkens in dem substanziellen Denken zu verursachen, als diese unsere (d. h. unsere Seele) jetzt ist, wird erfordert nicht irgend welcher beliebige Körper, sondern auch ein solcher Körper, der ebenso proportionirt ist" etc."*).

Den Abschluss bringt dann der dritte Zusatz zum zwanzigsten Capitel.

Noch deutlicher, als bisher geschehen, lehrt derselbe, dass die Seele die Idee des Körpers ist. „Diese Idee dann allein ohne alle anderen Ideeen betrachtet, kann nicht mehr sein als nur die Idee eines solchen Dinges und nicht, dass sie eine solche Idee hat.""^) Aehnlich der gleichfalls spätere Zusatz 4: „. . . so behaupten wir zuversichtlich, dass seine Seele nichts Anderes ist, als diese Idee dieses seines Körpers in der denkenden Sache". "^) Der dritte Zusatz lässt dann aber auch mit Bewusstsein die bisher beibehaltene occasionalistische Auffassung über das Ver- hältniss der Attribute, bei der der Ausdehnung immer noch die Praerogative zukam, fallen, und postulirt dafür die völlige Cougruenz und Gleichberechtigung* der Attribute. ,.Zwischen der Idee und ihrem Gegenstand muss nothwendig eine Vereinigung sein, w^eil die eine oder die andere nicht bestehen kann; denn es giebt kein Ding, dessen Idee nicht in der denkenden Sache wäre, und keine Idee kann sein, ohne dass das Dinar auch ist.

''■') ibid. (9).

"^) Zus. 1 zur Vorrede S. 9.

^'*) ibid. S. 11.

1'^) Zus. 3 zu Cap. XX S. 9.

''6) Zus. 4 (pag. 127).

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Ferner das Object kann nicht verändert werden, ohne dass die Idee auch verändert wird, und. umgekehrt, so dass hier kein Drittes nöthig ist, was die Vereinigung von Seele und Leib ver- ursachen müsste"'^^).

So ist denn die Lücke zwischen der Metaphysik und der Erkenntnisstheorie, die darin bestand, dass letztere auf einer phychologischen Basis errichtet war, die mit den Consequenzen der Metaphysik nicht in Uebereinstimmung war, ausgefüllt. Und zwar ausgefüllt zu CTunsten der Metaphysik, indem die psycholo- gische Grundlage völlig geändert, der Ausgangspunkt der er- kenntnisstheoretischen Betrachtung völlig in die Metaphysik hineinverlegt Avard. Wie nun auf dieser veränderten Grandlage ein abermaliger Versuch, eine Erkenntnisstheorie zu errichten, von Spinoza unternommen wird, werden wir noch bei der Besprechung des tract. de intell. emend.'"^) zu betrachten haben. Vorerst wollen wir den Gang der psychologischen Entwicklung, wie sie sich im Tractat und im Anhang vollzogen hat, nochmals einer kurzen, zusammenfassenden Betrachtung unterziehen, und sodann, daran anknüpfend, noch einige besondere Punkte näher erörtern.

Wir haben im Tractat und im Anhang zwei durchaus ver- schiedene Gesichtspunkte, einen metaphysischen und einen ethisch- erkenntnisstheoretischen, von denen der letztere, zunächst von subjectiven Bewusstseinstliatsachen, jedenfalls nicht von der Metaphysik ausgehend, sein Ziel, zur Erkenntniss der Lehre der Metaphysik zu führen, nicht erreichen kann. Die ethisch-er- kenntuisstheoretische Richtung befindet sich in einem doppelten Widerspruch mit der Metaphysik, von denen der eine in der psychologischen Grundlage, die als Ausgangspunkt der Betrachtung dient, der andere in der Unmöglichkeit überhaupt, mit dieser Meta- physik eine wirkliche Erkenntnisstheorie zu vereinigen, gegründet ist. Ich will, was ich meine, deutlicher zu machen versuchen. Zwei Wege kann man zur Erkenntniss der W^irklichkeit ein- schlagen. Man kann entweder von psychologischen Bestimmungen, von Bewusstseinsthatsachen ausgehen, und so eine Erkenntniss- theorie als Grundlage aller weiteren Erkenntniss aufstellen. Von der Natur derselben wird es dann abhängen, welche Metaphysik

>'^) Zus. 3 zu Cap. XX Satz 10.

"*) Dieselbe ist in meiner grösseren Abhandlung enthalten.

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und ob überhaupt eine solche sich ergiebt (Kant). Oder man kann von der Metaphysik ausgehen, aus ihr die Psychologie ent- wickeln und sodann eine Erkenntnisstheorie aufstellen, die nun das wieder liefern niuss, was die Metaphysik lehrte (Lotze). Dabei wii-d es dann von der besonderen Art der Metaphysik ab- hängen, ob die Psychologie mit den Thatsachen des Bewusst- seins übereinstimmt, und ob die Erkenntnisstheorie zum Ziele gelangt. Spinoza nun hat zunächst einen dritten Weg einge- schlagen. Er entwickelt die Metaphysik für sich; alsdann, unab- hängig von derselben, die Erkenntnisstheorie, die er auf Thatsachen des Bewusstseins stützt. Dieser Standpunkt würde, consequent durchgeführt, dahin geführt haben, dass die Seele, die als Substanz erscheint, zwar die unendliche Substanz der Metaphysik erkennen, nicht aber sich selbst als Modus und sammt ihrer Erkenntniss in der Substanz enthalten und aus ihr folgend erkennen könnte. Hier liegt also der Widerspruch darin, dass der Ausgangspunkt der Erkenntnisstheorie nicht in Ueber- einstimmung ist mit der Metaphysik, daher sie auch diese Meta- physik nicht ergeben kann. Spinoza hat diesen Standpunkt gar nicht so weit durchgeführt; der andere, sensualistische Aus- gangspunkt trat so fort dazwischen. Da zeigte sich ihm dann, dass seine Theorie eine ganz andere Psychologie zur Voraus- setzung habe, als die welche sich aus den Consequenzen der Metaphysik ergiebt. Daraus resultirten dann die Versuche, die wir im Einzelnen verfolgt haben, den Ausgangspunkt der Er- kenntnisstheorie der Metaphysik anzunähern. Sie endigten damit, dass der Ausgangspunkt schliesslich völlig in die Metaphysik hineinfiel. Die Seele verlor ihren substanziellen Character, ward zu einem Modus des Denkens, zur idea corporis. Diesen Wider- spruch — ich möchte ihn, weil er in der Form des Ausgangs- punktes begründet ist, den formalen nennen hat Spinoza mithin zu lösen gewusst. Nicht so den zweiten. Dieser resultirt daraus, dass Spinoza der Erkenntnisstheorie ein betimmtes Ziel steckt, nämlich die Erkenntniss der Spinozischen Metaphysik, der Welt, so wie sie die Metaphysik lehrt; andererseits aber um eben dieser Metaphysik willen sich genöthigt sieht, Bestimmungen in die Erkenntnisstheorie aufzunehmen, die ihr die Erreichung eben dieses Zieles unmöglich machen. Die Metaphysik lehrt, dass alle Dinge in der einen umfassenden Substanz enthalten sind.

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unbedingt aus ihr folgen, durchgängig von ihr bestimmt sind. Ist das der Fall, so ist, wie wir gesehen haben, ein Streben der Dinge nach grösserer Vollkommenheit absurd, ein Erlangen der- selben aus eigener. Kraft unmöglich. Die Erkenntniss, die dahin führt, müsste uns geschenkt, verliehen werden. Aber diese Er- kenntniss ist überhaupt unmöglich; weder aus eigener Kraft noch im Wege der Gnade ist sie zu erlangen. Denn da Spinoza die realen Abhängigkeitsverhältnisse auf die Erkenntniss überträgt und, weil die Substanz der reale Grund ihrer Accidenzen ist, fordert, dass auch die Erkenntniss der Substanz der Grund der Erkenntniss der Accidenzen sein, diese aus jener erkannt werden müssen, so macht er damit eben die Erkenntniss Gottes unmög- lich. Von den einzelnen Dingen aus zu dieser Erkenntniss zu gelangen ist nicht möglich, da diese selbst, um wahrhaft erkannt zu werden, schon die Erkenntniss Gottes voraussetzen. Man muss Gott schon kennen, um ihn erkennen zu können, und man muss ihn gleichfalls schon kennen, um überhaupt irgend ein Ding erkennen zu können. Diese Erkenntniss Gottes könnte die Seele allenfalls als Geschenk haben, wenn sie Substanz wäre, sie kann sie absolut nicht haben, wenn sie Modus ist, da sie ja dann selbst erst ihrem Begriff nach aus dem Begriff Gottes folgt, nicht aber dieser aus ihr folgen kann. Ist die Seele Substanz, so ist die Metaphysik nicht möglich, gilt die Metaphysik, so ist die Erkenntniss derselben unmöglich. Im ersten Fall erkennt die Seele wohl die Substanz, aber nicht sich als in derselben als Modus enthalten, im zweiten Fall würde sie, wenn sie die Welt erkennete, sich als Modus darin erkennen, aber sie kann die Welt eben nicht erkennen. Dieser Widersj)ruch wir können ihm, um den Gegensatz gegen den oben besprochenen anzu- deuten, den materialen nennen verdeckt sich nur deshalb für Spinoza, weil er eben, wie wir gesehen haben, sobald diese ethisch-erkenntnisstheoretische Richtung zum Durchbruch gelangt, die Welt gewissermassen mit ganz anderen Augen ansieht, als wenn er seine Metaphysik entwickelt, nämlich als die Idealwelt, der die empirische Wirklichkeit als eine schlechte Copie gegen- über steht die verbessert werden soll. Diesen Widerspruch hat Spinoza trotz aller Versuche nie zu lösen vermocht.

Wir haben die Lösung des ersten Widerspruches verfolgt und gesehen, wie sie dadurch zu Stande gekommen ist, dass die

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Psychologie völlig in die Metaphysik hineinverlegt ward. Da- durch nun erfaiiren die metaphysischen Bestimmungen selbst eine nicht unbeträchtliche Erweiterung. Die Psychologie ist jetzt ein Stück Metaphysik. Wir wollen diese Erweiterung jetzt betrachten namentlich mit Rücksicht auf einen Punkt, der von jeher einer der dunkelsten und schwierigsten in Spinozas Philosophie ge- wesen ist: das Selbstbewusstsein Gottes. So lange man nur nach der Ethik diese Frage zu erörtern im Stande war, war sehr schwer eine Entscheidung zu treffen. Es lässt sich erwarten, dass aus der Betrachtung der Ansicht, die Spinoza in seinen früheren Schriften hierüber gehabt hat, Aufklärung auch über die Ansicht S})inoza's in der Ethik gewonnen w-erden könne.

Auch in Bezug auf diesen Punkt hatte Spinoza in den ,,cog. niet" geschwankt. Zunächst war die Stellung des Intellektes als Attribut Gottes überhaupt eine unklare. Unbestimmt und schwan- kend Avar alsdann das Verhältniss dieses Intellectes zur Welt, den geschaffenen Dingen. Gott war allwissend, er sollte aber nur von sich wdssen. Dann sollte er doch wieder ein Wissen nni die geschaffenen Dinge haben, dieses aber nur uneigentlich auf ihn bezogen werden. Sein Wissen sollte endlich eine einzige und einfache Idee sein."^) Diese Bestimmungen, die Spinoza zum Theil beibehält, erhalten nun im Tractat und im Anhang einen präciseren, durch die Eutwickelung der Metaphysik be- dingten Ausdruck. Auch hier finden wir indess nicht eine ab- geschlossene Ansicht, sondern dieselbe entwickelt sich erst. Ich will versuchen, diese Entwickelung, und zugleich die Folgerichtig- keit derselben, zusammenhängend darzustellen.

Die unendliche Substanz, so lehrt die Metaphysik des Trac- tates, besteht aus unendlich vielen Attributen, die Attribute aus unendlich vielen Modis. Die Substanz resp. die Attribute sind die schaffenden Kräfte, die Ursachen aller Modi, die in ihnen enthalten sind. Die Modi des Denkattributes sind die einzelnen Seelen; sie sind die Wirkungen dieses Attributes. Die Eigen- schaft der Seele ist: zu erkennen; auch diese Eigenschaft ist eine Wirkung des Denkattributes. Bei dieser Sachlage liegt es nun nahe, auch nur diesen Seelen die Erkenntniss- und Denk- fähigkeit zuzuschreiben, dieselbe aber von der unendlichen Sub- stanz selbst zu verneinen. Spinoza zieht auch zunächst diese

"*) Ich erörtere dies eingehend in meiner grösseren Abhandlung.

Consequenz, allercliogs nur an einer verloren auftauclienflen Stelle. „Doch vorerst haben wir gesagt, dass Gott keine Weisen des Denkens ausser denjenigen, welche in den Geschöpfen sind, zugeschrieben werden können."'-^) Mit diesem Satz ist ein Selbstbewusstsein Gottes als Substanz negirt; nur in den einzelnen Seelen kommt Gott zu einem Bewusstsein seiner selbst oder vielmehr, ganz consequent, dann nicht einmal seiner selbst, sondern nur eines Theiles seiner selbst. An und für sich weiss er entschieden gar nichts von sich.

Eine leichte Ueberlegung musste indess Spinoza zeigen, dass er hierbei nicht stehen bleiben könne. Einmal war doch die Allwissenheit Gottes ein Ausdruck seiner Vollkommenheit, wie die „cog. met." es ausdrückten, daher ein Prädicat, das man dem vollkommensten Wesen nicht absprechen konnte, sondern das ihm, in irgend einer Form, wirklich zukommen musste. Dann aber ergab sich eben aus den Bestimmungen der Metaphysik eine Folgerung, die nothwendig dazu führen musste, Gott ein Denken und Bewusstsein beizulegen. Wenn das Attribut des Denkens die Ideen producirt, wenn es die Kraft ist, aus der jene erst folgen, so muss, da doch der geschaffene Modus nicht das Wesen des hier als Substanz auftretenden Attributes ausmachen kann, daher das Attribut auch nicht durch ihn, wohl aber ohne ihn erkannt wird; so muss folglich das Attribut noch etwas, ich möchte sagen Individuelles sein ausser dem Modus. Allgemein lässt sich nun sagen, dass das Attribut des Denkens das objective Wesen aller anderen Attribute enthält, und zwar auch dieser ohne Rücksicht auf ihre Modi. Hinzu kommt, dass, wie sich aus der oft erwähnten Identification des Denkattributes mit dem Cartesianischen Gotte ergiebt, das Denkattribut, welches doch für sich etwas Formales ist, auch dieses sein eigenes for- males Sein objective in sich enthalten muss. Schon hiernach stellt sich mithin die Sachlage so, dass das Attribut des Denkens das formale Wesen aller Attribute und sein eigenes objective in sich enthält, die einzelnen Modi aber das formale Wesen der einzelnen Modi der verschiedenen Attribute. Hierzu kommt nun noch eine andere, aus der Metaphysik sich ergebende Bestimmung. In den Untersuchungen über das Verhältniss des Geistes zu den

'20) Tract. brcv. II Cap. XXLV (2).

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körpei'lichen Dingen hat Si)inoza, da es ihm nur darauf ankam, die Stellung der Seele als Denkmodus innerhalb des Attributes des Denkens klar zu legen, die Sache immer so angesehen, als erzeuge das Attribut direct aus sich heraus- die einzelnen Modi, Körper und Ideen. Nun wissen wir aber aus der Metaphysik, dass das Nächste, was aus den Attril)uten hervorgeht, nicht die einzelnen Modi, sondern die unendlichen Modi Bewegung und der unendliche Yerstand sind, die. Söhne Gottes oder un- mittelbare Geschöpfe desselben, von aller Ewigkeit geschaffen sind und in alle Ewigkeit unveränderlich bleiben. Zugleich hatte Spinoza als Function des unendlichen Verstandes angegeben „Alles klar und deutlich zu verstehen, woraus ein allervoll- kommenstes Genügen unveränderlich entsteht".^-')

Indem nun der unendliche Yerstand zwischen das Attribut und die Einzelidee sich einschiebt, wird das Yerhältniss dieser drei zu einander und die Function eines jeden ziemlich compli- cirt und unklar. Und das um so mehr, als Spinoza nirgends seine Ansicht an einer Stelle zusammengefasst hat; nur in ein- zelnen, aus einander gerissenen, vielfach nicht in Ueberein- stimmung mit einander stehenden Stellen hat er seine Meinung resp. seine Meinungen darüber dargelegt. Diese Stellen muss man sorgfältig mit einander vergleichen, will man zu einer Ein- sicht in die endgültige Meinung Spinoza's gelangen.

Bemerkenswerth ist zunächst der Zusatz 1 zum zweiund- zwanzigsten Capitel des zweiten Theiles des Tractats. An- knüpfend an die Erklärung des unendlichen Verstandes im ersten Theil führt Spinoza daselbst aus, dass, weil Gott von Ewigkeit gewesen ist, auch seine Idee in der denkenden Sache oder in ihm selbst von Ewigkeit sein muss, welche Idee objective mit ihm selbst übereinkommt. Hier ist es der unendliche Verstand, der, als Product des Denkattributes, das Wesen Gottes objective in sich enthält. Im vierundzwanzigsten Hauptstück findet sich dagegen jene Ansicht, die wir schon erwähnt haben, dass in Gott keine Weisen des Denkens seien, als die, welche in den Geschöpfen sind. Beide Stellen stehen durchaus in Widerspruch mit einander. Verfolgen wir, um die schliessliche Ansicht Spi- noza's zu gewinnen, die Spuren weiter. Im zweiten Theil des

'-') Tr. I Cap. IX (3).

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Anhanges finden sich über das Bewusstsein Gottes Bestimmungen, die von grosser Bedeutung sind und eine eingehende Erörterung erheischen.

„Die allerunmittelbarste Modification", heisst es zunächst, „der Eigenschaft, welche wir das Denken nennen, hat objective das formale Wesen aller Dinge in sich, und zwar so, dass, wenn man irgend ein formales Ding setzte, dessen \Yesen in der vor- genannten Eigenschaft nicht objectiv wäre, dieselbe dann nicht unendlich wäre, noch höchst vollkommen in ihrer Gattung."^") Der folgende Satz besagt: „Und da die Natur oder Gott ein Wesen ist, von welchem unendliche Eigenschaften ausgesagt werden, und welches die Wesen (Wesenheiten, Essenzen) aller Dinge, die geschaffen sind, in sich befasst, so ist es nothwendig, dass von alldem im Denken eine unendliche Idee hervorgebracht wird, welche in sich objective die ganze Natur befasst, ebenso wie sie realiter in sich ist". Diese beiden Sätze scheinen eine Ausgleichung des vorher bemerkten Widerspruchs zu enthalten insofern, als hier unterschieden wird zwischen der aller unmittel- barsten Modification, welche das formale Wesen der Dinge in sich, d.h. objective in sich hat, und der unend- lichen Idee, welche die Essenzen der Dinge, SO wie sie in Gott enthalten sind, also objective die ganze unendliche Natur befasst „SO wie sie in sich ist". Der Sinn dieser Unterscheidung wird deutlicher werden, wenn wir auf die Sätze eingehen, die sich im zehnten Paragraphen finden. Ich führe den Paragraphen, da er von grosser Wichtigkeit ist, vollständig an.

Nachdem vorher auseinander gesetzt ist, dass alle Modi- ficationen aller Attribute eine Seele haben, so gut wie bei der Ausdehnung, heisst es: „Doch um diese Definition etwas ge- nauer zu verstehen, möge man Acht haben auf dasjenige, was ich bereits gesagt habe, als ich von den Eigenschaften sprach, dass nämlich dieselben nicht nach ihrer Existenz unterschieden werden, denn sie selbst sind die Subjecte ihrer Wesen, wie auch, dass das Wesen aller Modificationen in den eben genannten Eigenschaften begriffen ist, und endlich, dass alle jene Eigen- schaften Eigenschaften eines unendlichen Wesens sind. Weshalb yviv auch diese Idee im neunten Hauptstück des ersten

'■-2) Anhang II (3).

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Tlieiles einen Sohn, Work oder unni ittel bares Geschöpf Gottes, von aller Ewigkeit her geschaffen, genannt haben, da sie in sich objective das formale Wesen aller Dinge hat, ohne zu nehmen oder zu geben. Und diese ist noth- wendig nur eine, in Anbetracht, dass alle Wesen (essen- tiae) der Eigenschaften und die Wesen der in diesen Eigenschaften begriffenen Modificationen, das Wesen eines allein unendlichen Wesens (entis) sind."

Hier haben wir nun wieder den Ausdruck „diese Idee", der hier noch dazu ganz unvermittelt dasteht. In dem vorausgehen- den Satze ist nur von dem Attribute geredet; darnach müsste also der Ausdruck „diese Idee" auf die Attribute, speciell das Denkattribut, bezogen werden, und es ergiebt sich alsdann der Sinn, dass, weil das Wesen aller Modificationen in ihren resp. Attributen begriffen ist, das Attribut des Denkens, welches ob- jective das Wesen aller Attribute in sich enthält, damit eo ipso das formale Wesen aller Dinge in sich enthält. Dieser Sinn stimmt aber nicht mit dem Citat, welches auf den unendlichen Verstand als unmittelbarste Modification des Denkattributes hin- weist, und nach welchem „diese Idee" eben der unendliche Verstand sein müsste.

Es ist in dieser Beziehung nun von Bedeutung, die Ab- weichungen der Handschriften zu berücksichtigen. Moni k hoff, der Schreiber der Handschrift B, hat diese unklare, doppelte Beziehung des Ausdrucks „Idee" sehr wohl bemerkt, er setzt daher statt „diese Idee": „die denkende Eigenschaft oder den Verstand in der denkenden Sache "'-^). Indess ist dies „oder" doch nicht ohne Weiteres berechtigt. Vielmehr: Entweder die denkende Eigenschaft hat das objective Wesen aller Dinge in sich, oder der unendliche Verstand. Vielleicht soll das Monnik- hoff'sche „oder" auch diesen Sinn haben. Den folgenden Satz: „Und diese ist nothwendig nur eine" etc. lässt MonnikhofP fort'-"*). Warum wohl? Dass Monnikhoff's Correcturen der älteren Hand- schrift durchaus nicht, wie Schaarschmidt meint, „pravo corri- gendi studio debentur", hat Sigwart nachgewiesen'^^), wir dürfen daher auch hier annehmen, dass er nicht unwichtige Gründe ge-

^'^'■^) iSigw. Uebers. pag. 155, Note **).

'2^) ibid. Note ***).

'*'5) Prolegg. I, 2 pag. XVIII ff.

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habt habe. Dieser Grund scheint mir nun ziemlich klar zu sein. Monnikhoflf hat die früheren Ausführungen Spinoza's einfach dahin verstanden, dass der unendliche Verstand die Summe aller Einzelideen sei. Daher findet er die hier stehende Behaup- tung „und diese Idee ist noth wendig nur eine", in Widerspruch mit dem Früheren, und lässt sie daher fort. Nichtsdestoweniger dürfte Monnikhoff nicht recht gethan haben, den Satz fortzulassen. Er steht da, und kann, namentlich wenn man das Nachfolgende berücksichtigt, wie von uns sogleich geschehen wird, nicht ge- strichen werden. Wenn aber Monnikhoff ihn weggelassen hat deshalb, weil eine Lehre darin enthalten ist, die von der früheren abweicht, so darf man schliessen, dass hier in der Tliat etwas Anderes, wie früher, gelehrt wird und gelehrt werden soll. An- knüpfend au die erwähnte Unterscheidung in dem dritten Para- graphen des Anhanges fasse ich diese Stelle so auf: Die Attri- bute werden nicht nach ihrer Existenz unterschieden, sondern sie sind die Subjecte ihrer Wesen. Das soll heissen: Das Wesen aller Attribute schliesst die Existenz ein; die Existenz ist in keinem von ihnen von der Essenz unterschieden. Alle existiren nothwendig kraft ihres Wesens. Sie bilden aber keinen Pluralis- mus von Substanzen, sondern ein einziges einheitliches Wesen. In den Attributen sind auch die Essenzen aller Modificationen enthalten. Von diesen existirt in dem Attribut des Denkens eine unendliche Idee, die, da die Essenzen der Dinge in der Einheit der Attribute beschlossen sind, diese aber in der Ein- heit der Substanz, auch nothwendig nur eine sein kann. Dies erläutert der folgende Pai\agraph, indem er ausführt, dass die Modificationen, auch wenn keine derselben real ist, dennoch gleichmässig in ihren Eigenschaften begriffen sind. Da nun in den Eigenschaften gar keine Ungleichheit sei, noch auch in den Essenzen der Modi, so könne auch in der Idee keine Besonder- heit sein. Erst, „wenn einige von diesen Modis eine besondere Existenz gewinnen und sich dadurch auf gewisse Weise von ihren Eigenschaften unterscheiden, zeigt sich auch eine Besonde- rung in den Wesenheiten der Modificationen, und folglich auch in den objectiven W^esenheiten, die von denselben nothwendig in der Idee vorgestellt werden"'^'"'). In diesem Satz liegt zunächst eine Schwierigkeit, die beseitigt werden muss. '-'■) Anhang II (11).

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„In den Eigenschaften, noch auch in den Essenzen der Modi" soll gar keine Ungleichheit sein. Soll dies nun heissen: In den Attributen sind die Modi überhaupt nicht individuell ent- halten, so wenig, wie die Attribute in der Substanz, wie sie an sich ist? Man würde, wenn man dies behau])tet, offenbar die Substanz als völlig unterschiedloses Sein auffassen müssen, aus dem die Attribute dann erst hervorgingen. Ebenso sind alsdann auch diese in ihrer Art ein uuterschiedloses Sein. Die Essenzen der Dinge sind gar nicht in ihnen als mehrere individuelle ent- halten, sondern nur der Möglichkeit nach. Sowohl ihrer Existenz als ihrer Essenz nach unterscheiden die einzelnen Dinge sich dann von dem Attribut, dem sie in einer gewissen Selbständig- keit gegenüberstehen. Ton hier bis zu dem Schritt: Die end- lichen Dinge, wie die Attribute, existiren überhaupt gar nicht wirklich, sondern sind nur die falsche, subjective Auffassung des Menschen, ist dann der Abstand nur gering. Allein diese ganze Auffassung widerstreitet doch zu sehr der ganzen bisherigen Entwicklung der Ansichten Spinoza's. Die Substanz ist nicht das unterschiedlose Sein, sondern das ens constans infinitis attri- butis; die Attribute gehören zum Wesen der Substanz, sind Wesenseigeuthümlichkeiten derselben. Als solche sind sie ver- schieden von einander und werden eines ohne das andere be- griffen. Nur sind sie nichts Besonderes, getrennt von einander und neben der Substanz Existirendes, sondern sie sind in der Einheit der Substanz beschlossen. „Alle Wesen der Eigen- schaften sind das Wesen eines allein unendlichen Wesens." Ebenso sind nun auch die Essenzen der Modi wirklich als meh- rere, als individuelle in den Attributen enthalten. „Die Essenzen der Dinge sind ewig" sagt Spinoza gleich im ersten Capitel des Tractats, damit die Mehrheit ausdrücklich betonend. Aber auch sie sind nicht besondere, autonome Dinge, sondern sie sind alle auf «inander bezogen, sie sind gleichmässige ewige Momente des un- endlichen AYesens und in der Einheit der Attribute beschlossen'-'). Nicht so die wirklich existirenden Modi. Hier deckt sich die

'-') Vgl. Sigwart: „Erläut. u. Parallelst." pag. 230— 232. Aehnlicli urtheilt auch Jacobi (a.a.O. Beilage II pag. 366): „In seinem (Spin.) System sind folglich die Individua oder einzelnen Dinge ebenso ewig, als die Gottheit selbst". Nach Böhmer sollen sie dagegen nur implicite in der Substanz ent- halten sein (Spinozana III Fichte's Zeitschr. Bd. 42, 1863 pag. 96).

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Existenz uiclit mit der Essenz, wie bei den Attributen; darin eben besteht das Vergängliche dieser Modi. Sie bilden, als wirklich, d. h., um den paradoxen Ausdruck zu gebrauchen: als existenziell existirende nicht mehr die schöne Einheit, die ihre Essenzen bilden; sie sind aus einander gezerrt gleichsam in Raum und Zeit, gespalten in eine Vielheit besonderer, von einander getrennter Dinge. So existiren sie mit einer gewissen Selbständig- keit neben dem Attribut, aus dem sie gleichsam herausgetreten sind in die empirische Welt, in die zeitliche Existenz. Sie unterscheiden sich vom Attribut, sind „selbst die Subjecte ihres Wesens" geworden. Will man ein Beispiel, so unterscheidet sich das Reich der ewigen Essenzen von dem Reich der ver- gänglichen Existenzen der Dinge wie ein einheitlicher Organismus von einem blossen Aggregat.

So wie nun die ewigen Essenzen der Dinge in der Einheit der Attribute und somit der Substanz zusammengefasst sind, so ist auch die ewige und unendliche Idee desselben nur eine und eine einheitliche. Die Ideen der wirklich existirenden Dinge dagegen bilden keine Einheit, sondern nur eine Summe unendlich vieler Ideen. Diese Unterscheidung der ewigen, einheitlichen Idee der ewigen Esseuzen und der Ideeen der vergänglichen, wirklich existirenden Dinge ist ganz deutlich in den besprochenen Sätzen des elften Paragraphen enthalten. Minder klar lässt sich aus ihnen ersehen, ob diese unendliche Idee nun eigentlich der unendliche Verstand ist, oder was sonst. Im Allgemeinen wird allerdings hier noch die Meinung festgehalten, dass diese unend- liche Idee eben der unendliche Verstand sei. So deutet auch der letzte Satz des Anhanges noch auf diese Ansicht hin: „Und aus allem diesem, wie auch weil unsere Seele mit Gott vereinigt und ein Theil der unendlichen Idee ist, die unmittelbar aus Gott entstellt, kann sehr deutlich der Ursprung der klaren Erkenntniss und der Unsterblichkeit der Seele eingesehen werden." Es ist aber klar, dass, wenn diese Meinung gilt, es alsdann neben diesem unendlichen, einheitlichen Aerstande noch einen zweiten geben muss. . Denn die besonderen, vergänglichen, wirklich existirenden Dinge bilden doch eine unendliche Summe, und diese Summe unendlich vieler Ideen, wenn sie auch keine Einheit bildet, kann doch den einzelnen Ideen gegenüber sehr wohl intellectus infiuitus genannt werden. Spinoza scheint dies schon hier bemerkt zu

G*

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haben, und daraus lässt sich vielleicht die Unsiciierheit erklären, mit der er hier verfährt, indem er die unendliche Idee bald als etwas dem Attribut näher Liegendes, ja mit ihm Zusammenfallendes bezeichnet, bald wieder mit dem unendlichen Verstand, der unmittel- barsten Modification des Attributes, identificirt'-^). Jedenfalls er- heischte diese doppelte Bedeutung des intellectus infinitus eine ge- nauere Distinction. Wir finden dieselbe in den beiden späteren Zu- sätzen des Tractats. In dem Zusatz zur Torrede heisst es: „Das substanzielle Denken, weil es nicht endlich sein kann, ist unendlich, in seiner Gattung vollkommen und eine Eigenschaft Gottes"*"'). Darauf: „Ein vollkommenes Denken muss eine Erkenntniss haben von allen und jeglichen Dingen, die ^virklich sind, Substanzen und Modis, nichts ausgenommen" *^°). Der Plural „Substanzen" deutet hier schon au, dass dieser Ausdruck hier uur ganz allge- mein gebraucht ist, in dem Sinne von „Dingen" überhaupt, nicht aber auf die eine Substanz, Gott, sich beziehen soll. Das „vollkommene Denken" ist nun die Summe der wirklich existi- rendeu, einzelnen Dinge, als solches von der ewigen Idee ver- schieden, die ihrerseits mit dem substanzi eilen Denken ziemlich zusammenfällt. Dies Yerhältniss spricht der folgende Satz deut- lich aus: „Wir sagen ,die wirklich sind', weil wir hier nicht sprechen von einer Erkenntniss oder Idee u. s. f. (d. h. oder Weise des Denkens), welche im Ganzen die Natur aller Wesen, wie sie in ihrer Essenz zusammengefasst ist, erkennt, ohne ihre besondere Existenz, sondern allein von der Er- kenntniss der besonderen Dinge, wie sie jedesmal zur Existenz kommen" '^'). Ich meine, dieser Satz kann gar nicht anders ver- standen werden, als in dem von mir angegebenen Sinne einer Unterscheidung zwischen der „ewigen Idee" der Essenzen und dem „vollkommenen Denken", das die Summe der Ideen der Existenzen der Dinge bildet.

Aehnlich heisst es übrigens auch in dem Zusatz zum zwan- zigsten Capitel: „Sofern das Wesen ohne die Existenz unter der Bezeichnung des Dinges begriffen wird, so kann die Idee des Wesens (der Essenz) nicht als etwas Besonderes betrachtet

128) Vgl. Anh. II (10). '29) Satz 3. '30) Satz 4. '31) Satz 5.

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werden, sondern erst dann kann das gesclielien, wenn die Existenz zusammen mit dem Wesen da ist"*^-). Zugleich geht aus obigem Satze des Zusatzes zur Vorrede des z\yeiten Theils hervor, dass die unendliche Idee, welche die ewigen Essenzen der Dinge enthält, von den besonderen Dingen nichts weiss. Denn Spinoza spricht von einer Erkenntniss, „w^elche die Natur aller Wesen, wie sie in ihrer Essenz zusammengefasst ist, erkennt, ,ohne' ihre besondere Existenz". Hier wirkt noch die Ansicht der „cog. met.", dass Gott nur sich kenne, die Kenntniss der geschaffenen Dinge aber nur uneigentlich auf Gott bezogen werden könne, nach; sie hat aber jetzt eine präcisere Fassung erhalten.

Da nun diese unendliche Idee alle Essenzen aller Attribute und Modi erkennt, so muss sie auch sich selbst erkennen; auch ihr eigenes, formales Wesen muss objective in ihr enthalten sein; sie ist sich ihres ganzen unendlichen Inhaltes bewusst, in ihr erkennt Gott sein eigenes, ewiges, einheitliches Wesen. In den Einzelideen der einzelnen, wirklich existirenden Modi' dagegen erkennt er diese. Die ewige Idee gehört zur natura naturans, der unendliche Verstand zur natura naturata; er kommt Gottes ewigem Wesen nricht zu.

Die eingehende und umständliche Erörterung des Problems des Selbstbewusstseins -Gottes war nöthig, weil es von grösster Bedeutung ist für die ganze Metaphysik Spinoza' s. Aus meta- physischen Erörterungen ist es selbst erwachsen, und zwar dann, als die Vereinigung der Metaphysik mit der Psychologie die Frage nach dem Verhältniss von Geist und Körper, Denken und Ausdehnung überhaupt in den Vordergrund treten liess.

Ich will nun versuchen, die hauptsächlichsten und cliarac- teristischsten Züge der Weltanschauung Spinoza' s, wie sie sich nach der Vereinigung 'der Psychologie mit der Metaphysik ge- staltet hat, zusammenfassend darzustellen.

Die unendliche Substanz oder Gott ist, wie früher, das ens constans infinitis attributis etc., der bedingende Grund, aus dem alle Dinge folgen, der alle Dinge in sich enthält. Gottes Wesen schliesst die Existenz ein; er existirt aus der Nothwendigkeit

^^^) Zus. 3 zu II Cap. XX Satz 8. Aus diesem Satze geht auch hervor, dass die Essenz noch ein Ding, etwas Individuelles ist. Die ganze Ausführung bestätigt zudem das von mir geschildeile Verhältniss von Essenz und Existenz l)ei Spinoza.

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seines Wesens. Die Attribute sind in ihm individuell, aber nicht als absolut selbständige, enthalten; in der Einheit der Sub- stanz sind sie beschlossen. Keine Andeutung zeigt sich, dass die Attribute nur Auffassungen des Verstandes, keine Andeutung, dass sie an und für sich ununi et idem seien. Dieser Welt des Ewigen steht die Welt des Vergänglichen gegenüber. Wenn dort die Existenz zum Wesen gehört, so ist hier das Gegentheil der Fall; die Existenz gehört nicht zum Wesen des Dinges, ja sie steht zu demselben in einem scharfen Gegensatz. Das Wesen, die Essenz der Dinge ist in den Attributen enthalten, daher wie diese unveränderlich und ewig; die Existenz steht ausserhalb der Attribute, ist veränderlich, unvollkommen, ver- gänglich. Eine mittlere Stellung nehmen die unendlichen Modi ein. Auch ihre Essenz involvirt nicht die Existenz, aber diese ist dennoch in Uebereinstimmung mit dem ewigen Wesen des- selben. Die unendlichen Modi sind auch ihrer Existenz nach ewng, nicht aus eigener Kraft, sondern von Attributes Gnaden. Das ist überhaupt die eigentliche Bedeutung der unendlichen Modi: sie sollen vermitteln, die tiefe Kluft ausfüllen zwischen der vergänglichen, zeitlichen Welt, die ganz aus Gott hinauszu- fallen droht, und der ewigen, unendlichen Substanz. Von den ewigen Attributen nun existirt in Gott, msow^eit er das Attribut des Denkens ausmacht, eine unendliche, einheitliche Idee, in der auch die Essenzen aller Dinge enthalten sind. In dieser Idee ist Gott sich seiner bewusst, erkennt er alle Attribute als Aus- drucksweisen seines eigenen, einheitlichen Wesens. Von den vergänglichen, zeitlich existirenden Dingen giebt es auch Ideen, dieselben sind aber vergänglich, wie jene, und bilden keine Ein- heit. Ihre Summe bildet den intellectus infinitus '^^).

Die Attribute sind nun völlig unabhängig von einander ge-

^3^) Spinoza bezeichnet diese Summe zwar hier noch nicht ausdrücklich als den intellectus infinitus; dass er diesen aber darunter verstehe, geht aus dem Briefe an S. de Yries vom Jahre 1G63, also wenige Zeit sj^äter, hervor, in Avelchem es heisst (ep. XXVII (7)): „Quod autem ad rem attinet, puto me satisclare et evidenter demonstrasse, intellectum, quamvis inlinitum, ad naturam naturatam, non vero ad naturantem pertinere". Ebenso kann man auch ep. XXVIII 1 zum Vergleich heranziehen, woselbst gesagt wird, dass man die besonderen Dinge durch Erfahrung kennen lerne, die aber nicht die Es- senzen der Dinge lehre. Auch eine in's Unendliche gesteigerte Erfahrung würde noch nicht die Essenzen der Dinge zeigen.

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worden; an dieser Unabhängigkeit von einander nimmt Alles, was aus ihnen folgt, nehmen ihre Modi tlieil. Aus den Attri- buten folgen zunächst die unendlichen Modi der unendliche Verstand Bewegung und Ruhe , aus diesen die einzelnen Modi des Denkens und der Ausdehnung: Ideen oder Geister, und Körper. Letztere werden nun jetzt genauer definirt als ein be- stimmtes Verhältniss von Bewegung und Ruhe. Die Idee dieser Proportion ist die Seele. Die Körper unterscheiden sich dadurch von einander, dass jeder ein ganz bestimmtes, nur ihm eigen- thümliches Verhältniss von Bewegung und Ruhe hat'^^). Auch jeder Körper selbst ist wieder . verschieden in verschiedenen Zeiten. „In einem anderen Verhältniss von Bewegung und Ruhe war unser Leib, da er ein ungeborenes Kind w\ar, und in einem anderen wird er in der Folge bestehen, wenn wir todt sind'^^). Der Körper kann nicht absolut vergehen; aber er geht fort und fort Verwandlungen, bald geringere, bald stärkere, ein. Das ist ja eben das Kennzeichen der Vergänglichkeit, in ewig wechselnden Zuständen sein Dasein ausprägen zu müssen. Sind nun die Ver- änderungen, die der Körper erleidet, sehr bedeutend, so heisst das soviel, als: der Körper stirbt (wird geboren); ist die Ver- änderung minder gross, so bleibt der Körper, obwohl er sich fortwährend ändert, dasselbe Individuum. Spinoza erläutert dies in folgender Weise: Hat ein Körper eine Proportion von Bewe- gung und Ruhe wie 3:1, so lebt er, d. h. bleibt er derselbe, so lange diese Proportion nicht geändert wird. AVie aber, wenn der Körper diese Proportion ist, überhaupt an ihm etwas ge- ändert werden könne, ohne dass sich die Proportion ändere, das hat Spinoza nicht erklärt '^'^).

An allen diesen Veränderungen nimmt nun die Seele, als Idee dieser Proportion, Theil; jede Veränderung des Körpers ist zugleich auch eine solche der Idee. Stirbt der Körper, so stirbt auch die Seele, ohne doch deshalb, so wenig, wie der Körper, vernichtet zu w^erden. Sie wird dann eben ein anderes Indivi- duum'^'). Was hier gelehrt wird, ist doch im Grunde eine Art Seelenwanderung. Immer neue Leben soll die Seele durchleben.

'^■') Zus. 1 zur Vorrede S. 7 u. 8.

'35) ibid. S. 10.

'3'') Zus. zur Vorrede des Tli. II; Satz 12.

1") ibid. S. 10, U.

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bis sie mit der Substanz unmittelbar vereinigt, ihre Existenz mit ihrer Essenz in Uebereinstimmung ist.

Von Wichtigkeit, weil auf die nächste Aufgabe hinweisend, ist der letzte Satz des Zusatzes zur Vorrede: „Doch weil die Seele ein Modus ist in der denkenden Substanz, so hätte sie auch diese, neben der Ausdehnung, erkennen, lieben und durch Vereinigung mit Substanzen, die immer dieselben bleiben, sich selbst ewig machen können". Ich sage: dieser Zusatz weist auf die nächste Aufgabe hin. Denn der Gesichtspunkt bleibt ja doch noch immer in Kraft, dass der Mensch aus seiner vergänglichen Existenz zu einer ewigen, mit der Essenz sich deckenden, ge- langen solle durch die Erkenntniss Gottes. Die früheren Ver- suche, den Weg, der dahin führt, zu zeigen, welche auf einer von der Metaphysik unabhängigen Grundlage errichtet wurden, - sind gescheitert und jetzt, da diese Grundlage geändert ist, anti- quirt. Nun gilt es, auf der neuen Grundlage der idea corporis, einen neuen Versuch zu machen, den Weg zum Heil zu zeigen. Dies ist der Inhalt und Zweck des „tractatus de intellectus emen- datione'''.

THESEN.

I.

Spinoza's „cogitata metaphysica'' sind früher zu setzen, als sein „tractatus brevis de Deo et homine ejusque felicitate."

II.

Spinoza's Gott hat Selbstbewusstsein; und zwar ist zu unter- scheiden zwischen der infinita idea Dei und dem intellectus infinitiis.

III.

Die Aufgabe der Geschichte der Philosophie besteht nicht darin, lediglich den Inhalt der einzelnen philosophischen Systeme darzustellen und ihre Aufeinanderfolge nach einem vorgefassten Schema der Entwicklung einseitig und willkürlich zu construiren. Eine wahre Geschichte der Philosophie muss vielmehr zugleich eine Lebens- und Entwicklungsgeschichte der einzelnen Philosophen sein, d. h. sie muss das Eigenthümliche jedes Systems aus der individuellen Geistesrichtung, aus den Lebensbeziehungen und Schicksalen des Philosophen, und dem Eintluss früherer Systeme auf ihn zu erklären und als eine natürliche Folge dieser Momente zu begreifen suchen.

V I T A.

Natiis sum Ludovicus Busse Brunsvigae anno MDCCCLXII die XXVIl mensis Septembris patoe Ludovico matre Rosalia e gente Drostiensi: lidei addictus sum evangelicae. Frequentavi usque ad annuni MDCCCLXXXI gymnasium Brunsvitense Martino-Catharineum, quod auspiciis virorum prae- clarissimorum C. Th. Gravenhorst, deinde A. Eberhard, tlorebat. Hoc tem- 23ore summo dolore affectus sum ob mortem matris meae dileotae, quap diem supremum obiit die XXIV mensis Aprilis anni MDCCCLXXX. Postquam maturitatis testimonium adeptus sum, in universitatibus Lipsiensi, Oenipon- tanea, Berolinensi studiis me dedi philosophicis et historicis. Scholis interfui exercitationibusque quas habuerunt viri praeclarissimi Barach Rap- paport, Basliford, Bresslau, Busson, Delbrück, Dilthev, Drojsen, Du Bois-Reymond, Ebbinghaus, Feller, Hahn, Hirschfeld, Jessen, Kiepert, Lasson, Netto, de Noorden, Paulsen, Seydel, de Strüm- pell, de Treitschke, Weizsäcker, Zeller, quibus omnibus praecepto- ribus optime de me meritis gratias ago quam maximas.

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B Busse, Ludwig

3998 Beiträge zur Entwick-

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