E 99 E7S6 UC-NRLF O Q C^^/-. St^ BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OST ESKIMO. STEINERNE SCHNEIDEGERÄTE UND WAFFEN- SCHÄRFEN AUS GRÖNLAND. VON O. SOLBERG. MIT 12 LICHTDRUCKTAFELN, EINER KARTENSKIZZE UND 55 ILLUSTRATIONEN IM TEXT. (Videnskabs-Selskabets Skrifter. IL HiST.-FiLos. Klasse. 1907. No. a.) UDGIVET FOR FRIDTJOF NANSENS FOND. CHRISTIANIA. IN COMMISSION BEI JACOB DYBWAD. A. W. BR0GGERS BUCHDRUCKEREI. 1907. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OST ESKIMO. STEINERNE SCHNEIDEGERÄTE UND WAFFEN- SCHÄRFEN AUS GRÖNLAND. VON O. SOLBERG. 11 MIT 12 LICHTDRUCKTAFELN, EINER KARTENSKIZZE UND 55 ILLUSTRATIONEN IM TEXT. (Videnskabs-Selskabets SKRiriER. II. HiST.-FiLos. Klasse. 1907. No. 2.) UDGIVET FOR FRIDTJOF NANSENS FOND. CHRISTIANIA. IN COM MISSION HKI JACOB DYHWAD. A. W. BR0GGERS BUCHDRUCKEREI. 1907. 57 S6 Vorgelegt in der allgemeinen Sitzung vom 3ten Mai 1906 von Herrn Professor Dr. Yngvar Nielsen. Angenommen von der philosophisch-historischen Sel Lusserhalb der engsten interessierten Kreise Skandinaviens dürfte es heute unbekannt sein, dass nordische Museen ein reiches Material zur Beleuchtung der V^orzeit Grönlands bergen. Eine Reihe glücklich zusam- menwirkender Umstände hat es mit sich gebracht, dass so gut wie sämt- liche Altertümer, die seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts an den fernen Gestaden zutage gefördert worden sind, den Weg nach Europa gefunden haben. Schon von der ersten Zeit an, vor allem in Dänemark, aufbewahrt, wenn auch nicht mit grosser Pietät, bilden sie jetzt, nach systematisch betriebenen Felduntersuchungen in späteren Jahren, recht stattliche Sammlungen, — allerdings mehr der Zahl als dem Aussehen nach. Nichtsdestoweniger ist ihr Vorhandensein bisher überall unbeachtet geblieben, wenn von einem bei seltenen Gelegenheiten momentan auf- flackernden Interesse einzelner Forscher abgesehen wird. Und doch können diese unansehnlichen Altertümer von ethnologischer Seite beson- dere Aufmerksamkeit beanspruchen. Denn nirgends darf man hoffen, die materiellen Erzeugnisse der Eskimokultur freier von rezentem indiani- schem Einfluss, nirgends in ihrer Eigenart reiner zu finden als in Grönland. Fernliegende Motive lenkten ursprünglich das Augenmerk des \"er- fassers auf die Hinterlassenschaften der dortigen Eingeborenen. Wie aber, zu einem Zweck, der hier keiner Erwähnung bedarf, die Arbeit mit der Festlegung ihrer konstanten Merkmale allmählich fortschritt, verriet die ganze Gerätschaft in den erhaltenen Überresten eine Fülle von aus- geprägten und stark spezialisierten Formen, die dem heutigen Grönland fehlen und, nach unseren lückenhaften Kenntnissen, anderen Eskimo- gebieten immer fremd geblieben sind. In ihrer Gesamtheit werfen sie ausserdem, mit der Steinzeitproduktion der benachbarten Gegenden ver- glichen, neues Licht auf die ältesten Bevölkerungsverhältnisse Grönlands, aus welchem Grunde es erwünscht erschien, einen Teil von ihnen zum Gegen- stand einer etwas eingehenden Behandlung zu machen, — so wie es auf den nachfolgenden Seiten versucht ist. Ausschliesslich sind dabei die Schneide- und F'anggeräte berücksich- tigt worden, und vorwiegend ihre steinernen Schärfen, weil diese allein Vid.-Selsk. Skritter. II. H.-F. Kl. 1907. No. 2. 1 O. SOLBERG. H.-F. K!, weiter in die Vergangenheit zurückreichen und den einzigen zugängHchen Stoff zu einheitlichen Vergleichungen liefern, zur selben Zeit wie sie tiefer eingreifende Änderungen in der Kultur der Verfertiger in ihrer Weise treu wiederspiegeln. Von den leitenden Gesichtspunkten der Darstellung sind zwei, die sich beide auf die formellen Eigenschaften der Geräte beziehen, schon eingangs hervorzuheben, teils ihrer Wichtigkeit wegen, teils weil sich in der speziellen Ausführung nicht in jedem Einzelfall Gelegenheit zu näheren Erörterungen darbieten wird. Auf den ersten Blick machen die eskimo- ischen Werkzeuge und Waffen in ihrer modernen Gestalt den Eindruck, als wären sie durch eine Vereinfachung eines vorher stärker differenzierten Kulturapparates entstanden. Ohne Schwierigkeit lässt sich dies auch bei den Schneidegeräten im engeren Sinne ersehen. Durch die Zufuhr von Eisen, das die Eingeborenen gierig aufnahmen, obwohl sie es niemals in anderer Weise als durch kaltes Hämmern und Schleifen bearbeiten lernten, waren in gewissem xMasse der Erhaltung der alten Formen Schran- ken gesetzt, — Schranken, die jedoch wegen der gewonnenen Vorzüge der dadurch veränderten Geräte in technischer Hinsicht belanglos blieben. Während so der Ulo, das gerade und das gekrümmte, biegsame Schnitzmesser, das mit den Zähnen einer beliebigen Arbeit angepasst werden konnte, ferner die einfache Bohrerspitze und das als Ouerbeil geschäftete Stemmeisen bis zur Neuzeit in geschickten Händen die nicht geringen Ansprüche erfüllten, die der Haushalt und das Hand- werk an sie stellten, war eine viel grössere Anzahl Werkzeugarten zu denselben, häufig komplizierten Leistungen erforderlich, solange die Klin- gen noch in Stein hergestellt wurden. Bisher war dies für eine er- schöpfende Charakteristik der Stellung der alten Steinsachen zu den modernen Geräten gehalten worden, und darin dürfte vermutlich der eigentliche Grund zu suchen sein, weshalb die grönländischen Altertümer nicht die verdiente Beachtung gefunden haben. Ist natürlich eine solche rein technische Vereinfachung nicht in Abrede zu stellen, so wird sich anderseits späterhin auch zeigen, dass die Sachlage in der Tat nicht ganz so einfach ist. Viel mehr machen sich bei den steinernen Geräten Alters- unterschiede geltend, die in ihrer Form zutage treten. Daneben sind ausserdem typologische Erscheinungen anderer Art bemerkbar. Bei primitiven Kulturen wird man öfters einer Entwicklungs- phase gewahr, die die erste schwache, geistig noch machtlose Berührung der vielleicht räumlich weit entfernten Civilisation auslöst, und die in ihrem Verlauf eine indirekte Folge dieser äusseren t^inwirkung ist. Gleich- laufend mit einer Umsetzung alter Formen in neue oder mit einer parti- 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VÜRGESCEIICHTE DER OSTESKIMÜ. 3 eilen Übertragung der ersteren auf das neue Material, hier das Eisen, dessen Einführung fast sofort für das primitive Handwerk von tief ein- schneidender Bedeutung wird, findet nämlich eine Rückwirkung statt von den Neubildungen oder den eingeführten Geräten auf die noch anhaltende Steinmanufaktur, solange das Metall spärlich auftritt und nicht den Bedarf decken kann. In der durch Gebrauch und durch den Charakter des Materials bedingten Gestalt der früher festen Typen wird ein unschwer erkennbares Schwanken ersichtlich, das sich auf mancherlei Art äussert. Bald folgt dann meistens, wie in Grönland, der Rückgang der Stein- technik, und leicht zu bearbeitende, bis dahin geringgeschätzte weiche Gesteine werden bevorzugt. Diese feineren «biologischen» Prozesse in der Entstehung von Über- gangsformen sind in den westlicher gelegenen Eskimogegenden, wo sich die Steintechnik an mehreren Orten merkwürdigerweise bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf einer höheren Stufe erhielt, als sie jemals in Grönland erreichte, viel auffälliger als in dem letzten Land. Denn an den Küsten Grönlands gelangte zuerst und schon frühe in grösseren Mengen von aussen her das Eisen nach Amerika. Bei der Ankunft Egedes war daher in dem späteren Südgrönland und dem südlichen Nordgrön- land die Steinbearbeitung längst eine verlorene F'ertigkeit, Trotzdem sind die Wechselbeziehungen zwischen den neuen und alten Formen und Materialien auch da wohl wahrnehmbar und lassen sich um so weniger übergehen, als sie Parallelen auf einem Gebiete haben, wo fremde Einflüsse nicht die gegenseitigen Einwirkungen bedingen: Wir finden in Knochen, Elfenbein und Renntiergeweih Stoffe, die in dem Handwerk und der Hausindustrie der Eskimo eine mit den verschiedenen benutzten Gesteinen gleiche oder ihnen übergeordnete Stellung einnehmen. Das natürliche Formengepräge der ersteren ist deshalb oft auf die Artefakte in dem letztgenannten Material übertragen worden, ohne dass dabei von einer von aussen kommenden kulturellen Beeinflussung die Rede sein kann. Es ist dies ein gemeinsamer Charakterzug aller arktischen Steinzeit- kulturen, aber nirgends tritt es stärker hervor und ist leichter zu ver- stehen als eben in den Gegenden des nördlichsten Amerikas. Können jene interessanten Phänomene im Folgenden kaum mehr wie gestreift werden, so darf man sie auch nicht gänzlich ausser acht lassen, da sonst irrtümliche Schlüsse unvermeidlich wären. Eine erhebliche Beeinträchtigung erleidet der regelmässige Verlauf der Untersuchung durch das Fehlen genauer P^undberichte. Die spar- samen Mitteilungen über archäologische Feldbeobachtungen in Grönland sind im allgemeinen generell abgefasst, und besonders macht es sich ü. SOLBERG. H.-F. Kl. fühlbar, dass verschiedene Funde aus derselben Lokalität selten aus- einander gehalten worden sind. Eine chronologische Schichtung ist somit von vornherein ausgeschlossen. Anhaltspunkte gewährt immerhin der Vergleich mehrerer grosser Fundgruppen; bei diesen verwischt aber wieder bis zu einem gewissen Grade die mangelhafte Lokalisation der in älterer Zeit gesammelten Gegenstände die scharfen Grenzen. Eine völlig sichere Basis für zeitliche Bestimmung der Fundstücke bildet nur das Auftreten des Eisens. Muss man so, jedenfalls vorläufig, von einer durchgeführten, selbst relativen Datierung absehen, so ist eine solche, wie erwünscht sie auch für die Beantwortung mancher Fragen gewesen wäre, nicht unentbehrlich fiir unsere Zwecke, die vorwaltend auf kulturelle und technische Vorgänge gerichtet sind, ohne archäologischen Schematismus anzustreben. Andere Faktoren werden zu Hilfe kommen. Und vor allem ist es von Bedeutung, dass die nachstehende Übersicht einen verhältnismässig kurzen Zeitraum um- spannt, obgleich wir, bevor sie auf die Neige geht, dazu gezwungen werden, für die einheimische Kultur der Westküste eine längere Lebens- dauer vorauszusetzen, als bisher üblich war. Von stattgefundenen Ände- rungen werden aus dem Grunde, falls sie überhaupt in den Artefakten verfolgbar sind, so viele Spuren erhalten sein, dass sie trotz allem der Aufmerksamkeit nicht entgehen können. Aber darüber später näheres. Endlich sei noch bemerkt, dass die hier befolgte Ordnung der Geräte insofern von den gewöhnlichen Darstellungssystemen verwandter Art abweicht, als die Schaber an die Spitze derselben gesetzt sind, was mög- licherweise etwas fremdartig wirken wird. Die Schaber stellen aber nicht nur, in Grönland wie anderswo, einige der einfachsten Formen dar, sondern von ihnen wurden auch, wie ihre ausserordentlich grosse Zahl bezeugt, weit umfassendere Leistungen gefordert als von den übrigen Werkzeugen. Vielfach wohl in der Gestalt, aber manchmal nicht wesentlich im Gebrauch von ihnen unterschieden sind die darauf behandelten Messer. Berührungs- punkte mit den Schabern zeigen ebenfalls einige der vdelen Bohrerspitzen, Der letzte Platz in der Reihe ist dann ihres ziemlich seltenen Vorkom- mens wegen den Beilen angewiesen worden. Ferner sind meistens bloss die Hauptformen beschrieben, um eine übermässige Breite des rein deskriptiven Textes vermeiden zu können. Die Variationsgrenzen lassen sich aus den reichlicher als sonst notwendig beigefügten Illustrationen mit Leichtigkeit ersehen.^ 1 Bei der Erklärung der Illustrationen sind folgende oft wiederkehrende Abkürzungen ver- wendet: Mus. Killt, für die Ethnographische Sammlung des Nationalmuseums, Kopen- hagen; Mus. Sth. für die Ethnographische Sammlung des Reichsmuseums, Stockholm; Mus. Kr.a für die Ethnographische Sammlung der Universität Christiania. 1907. ^O- 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. Geschichtliches. Schon früh, im iSten Jahrhundert, gelangten eskimoische Altertümer nach Dänemark^ Aber erst 1824 wurden als der eigentliche, freilich sehr bescheidene Anfang zu den nachher grossen altgrönländischen Sammlungen in Kopenhagen ein paar steinerne Harpunenschärfen, von denen eine noch in dem dazu gehörigen knöchernen Kopfstück steckte, in das «Mu- seum für nordische Altertümer» einverleibt. Sie waren von einem aus Grönland zurückgekehrten Missionar übersandt worden. Wie aus dem gedruckten Verzeichnis des Museums über die Eingänge ersichtlich, zogen die Gegenstände eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich, «Sie zeigen», heisst es, «wie die kleinen Steininstrumente, die wir jetzt in dem Erdboden finden, im Altertum befestigt gewesen sein können, und dass wir vermuten können, oft nur die Spitze oder einen sehr geringen Teil einer Waffe zu besitzen, deren grösserer Teil, aus Holz, Knochen oder ähnlichem, verloren gegangen ist »2. Der Verfasser der obigen Zeilen war der später so bekannte Archäo- log C. J. Thomsen, der damals schon lange als Direktor des Museums gewirkt hatte. Seine von mehreren Seiten erworbene Kenntnis von der Existenz einer alten eskimoischen Steinzeitkultur bewog ihn kurz darauf, eine Aufforderung an die in Grönland angestellten Beamten zu richten, damit sie ihm in seinen Bestrebungen, auch diese Kultur in den Samm- lungen reicher vertreten zu erhalten, behilflich seien. Diejenigen, an die ein solches Ersuchen erging, waren aber weniger mit den Reminiscenzen aus der Vorzeit des Landes vertraut als Thomsen selbst. Ein Kolonie- funktionär in Godhavn auf Disko beispielsweise bedauerte in seinem Antwortschreiben, dass er sich ausser stände sehe von Nutzen zu sein, da er Nordgrönland nicht für die Gegend halte, die man mit Aussicht auf Erfolg nach Altertümern absuchen könne, — eine Vermutung, die in keiner Weise mit den Ergebnissen der kommenden Decennien überein- stimmen sollte. Jedoch hoffte er, dass Thomsen «eine steinerne Harpune, die vor einigen Jahren in einem Seehund gefunden sein soll, und die zu erweisen scheint, dass die Grönländer ebensogut wie die Skandinavier Stein mittels Stein zu bearbeiten verstanden haben und vielleicht noch verstehen», nicht verschmähen würde. An das Mitwirken der ICin- geborenen wurde da nicht gedacht, und solange diese, die allein etwas 1 Vgl. D. Cranz: Historie von Gröiilaiul (zte Aull. Barby 1770), B. III, p. 277. 2 Antiqvariske Annaler, B. IV (Kopenhagen 1S27), p. 442 — 3. O. SOLBERG. H.-F. Kl. von den vorgeschichtlichen Wohnstätten wussten, nicht herangezogen wurden, war auch wenig für das Museum zu gewinnen. Darin trat indessen bald eine Änderung ein. Seit dem Anfang des Jahrhunderts waren in Dänemark unter aussergewöhnlichem Anschluss seitens aller Gesellschaftskreise ein eifriges Studium der V^orzeit des gesamten Nordens im Gange. Das Bemühen, seine literaren und archäo- logischen Denkmäler vollends zu erforschen, hat zuletzt ebenfalls Grön- land wegen der Verbindung mit Island und Norwegen während des Mittelalters dem Untersuchungsfeld angegliedert. Die verschiedenen Unternehmungen, die dadurch veranlasst wurden, hatten es auf eine möglichst genaue Ermittelung der Lage und Aus- dehnung der altisländischen Ansiedelungen abgesehen. Aber mehr- fach machten sich besondere Umstände geltend, so dass auch «heidnische Gräber» und die Überreste längst verlassener Eskimowohnplätze in die Untersuchung hineingezogen wurden. Nicht wenig trug dazu bei, dass die Eingeborenen in den Jahrhunderten, die seit dem Aussterben der Nordländer verflossen waren, ihre Toten in den Ruinen der Ansiede- lungen oder in deren Nähe bestattet hatten. Hieraus entsprang die Möglichkeit der \^erwechselung eskimoischer Fundstücke mit nordischen, und dem war bloss durx;h gleiche Berücksichtigung beider abzuhelfen. Unter den systematischen Ausgrabungen und Vermessungen der alten Anlagen, die die Nordische Altertumsgesellschaft während der dreissiger und am Anfang der vierziger Jahre in Südgrönland veranstaltete, wurden deshalb Erdfunde eskimoischen Ursprungs mit aufgesammelt. Der Ertrag war aber in den an alten Sachen armen südwestlichen Gegenden nur gering. Wichtiger war, dass damit das Interesse für die vor- oder früh- geschichtlichen einheimischen Landesbewohner sich nach Nordgrönland verpflanzte. Hier waren ausserdem soeben einzelne ergiebige Fundorte an der Diskobucht entdeckt worden, wenn auch die beiden reichsten, die den grössten Anteil der westgrönländischen Altertümer geliefert haben, noch eine Zeit lang ungenutzt daliegen sollten. Bald nahmen nun die Sammlungen in Kopenhagen .schnell an Umfang zu, so da.ss der um die Erforschung Grönlands verdiente C. Pingel in einer Sitzung der genannten Gesellschaft im Jahre 1844 die er.ste kurze Übersicht über die eskimoischen «Steinaltertümer» geben konnte. 1 1 Antiquarisk Tidsskrift, Vol. I (Kopenh. .S45), p. i,. _ Denselben Versuch machte 1854 C. C. Rafn (1. c., Vol. IV, p. 412-3.) vo.i historisch-eümographischem Gesichts- punkt in einer Besprechung der Sammlungen des 10 Jahre vorher errichteten «Cabinett,- für amerikanische Altertümer», in welches die in Grönland gefundenen Gegenstände aufgenommen waren. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER ÜSTESKIMO. Im ganzen war es jedoch ihre vermeintliche künftige Bedeutung als Vergleichsmaterial zur Charakterisierung der skandinavischen Stein- zeit, die damals den sonst geringgeschätzten Überresten der gleichen Kul- turstufe in Grönland einen Platz in einem nordischen Museum verschaffte. Sie waren freilich, wie schon berührt, nur wenig an der Zahl, als ihnen eine eigene kleine Abteilung in der alten Sammlung der antiquarischen Commission zugestanden wurde, angeblich weil «es von mehrseitigem Nutzen sein könne, die Geräte von roherer Materie und Verarbeitung kennen zu lernen, welcher sich wilde Nationen bedient haben, ehe sie in Berührung mit den kultivierten kamen» ^. Wenn sie indessen bei einer seltenen Gelegenheit benutzt wurden, war es immer bloss als Belege für irgend eine Hypothese betreffend die einstige Bestimmung nordischer Steinsachen. In dieser Hinsicht war den Fundstücken auch später eine ähnliche Rolle zugedacht, ohne dass sie ihnen jedoch wirklich zuteil wurde. In dem Streite zwischen J. J. A. Worsaae und J. J. S. Steenstrup um 1860 über die Zweiteilung der südskandinavischen Steinzeit hatte der letztere, der durch seine ausgedehnten Untersuchungen der vorgeschichtlichen Abfallhaufen sich früh eingehende Kenntnis der Altertümer Grönlands erwarb, seinen Blick auf sie gerichtet, und sie hätten zu jener Zeit zwei- felsohne seiner Opposition gegen die von Worsaae vorgeschlagene Gruppierung der steinalterlichen Geräte erhöhtes Gewicht verleihen können. Noch so spät wie am Ausgang der siebziger Jahre, lange nach- dem die erste und zu Gunsten Worsaae's entscheidende Polemik beendet war, findet man zerstreute Hindeutungen, dass Steenstrup beabsichtigte. die eskimoischen Sachen für «vergleichende Studien» zu benutzen. Wenn es aber desungeachtet nie geschah, so darf man annehmen, dass dieser scharfsinnige Forscher schon damals über die Schwierigkeit im klaren war, mit der die europäische Typologie sich auf eine ganz fremde Kultur mit origineller Entwicklung übertragen lässt, — eine Schwierigkeit, die nachher englische und französische Prähistoriker nicht bemerkten, als sie sich nach dem arktischen Nordamerika wandten, um die vermeintliche Lücke zwischen dem Paläolithikum und dem Neolithikum Westeuropas in bequemer Weise zu erklären. Selbst die bevorstehenden Erörterungen über eine einzige Seite der grönländischen Kultur werden zur Genüge dartun, dass hinter oder unter der häufig zurückkehrenden äusseren Ähnlichkeit der Eskimogeräte mit einer bestimmten Klasse der alt- europäischen in manchen Fällen ein wesentlicher morphologischer Unter- ' Xordisk Tidsskrift for Oldkyiulighcd, Vol. I (Kopenh. i'^sz;, p. 223. 8 * O. SOLBERG. H.-F. Kl. schied liegt. Vergleiche können sich nur auf die technische Anwendung beziehen, während weitgehende Schlussfolgerungen auf Grund derselben Vergleiche inbezug auf vorgeschichtliche Zusammenhänge bei näherer Betrachtung sich als ausgeschlossen erweisen. Inzwischen gingen fortwährend grönländische Altertümer für das amerikanische Cabinett und, nach dessen Auflösung 1866. für das ethno- graphische Museum mit grosser Regelmässigkeit ein. Thomsen unterhielt bis zu seinem Tode mit ungeschwächtem Eifer seine Verbindungen mit Grönland, und der nächste Direktor wie der Inspektor des Museums, Worsaae und C. L. Steinhauer, setzten treu sein Werk fort. Es ist auch nicht zu bezweifeln, dass die Tätigkeit Steenstrup's ebenfalls dazu bei- getragen hat, das Interesse der dortigen Beamten wach zu erhalten. Von den Eingängen seien nur die 1873—4 aus Nordgrönland kommenden grossen Kollektionen von den Fundstätten Sermermiiit und Kekertak an der Diskobucht hervorgehoben. Die Kulturlager an den beiden Orten haben auch früher, wie später, reichen Ertrag gegeben, so dass die Gegenstände, die von ihnen stammen, jetzt nach Tausenden gerechnet werden müssen. Ungefähr gleichzeitig mit den zuletzt erwähnten erreichten Samm- lungen aus der Diskogegend auch die übrigen nordischen Länder. Im Jahre 1870 liess A. E. Nordenskiöld auf seiner Expedition nach West- grönland Untersuchungen anstellen in den Gräbern und Hausruinen der von ihm oder seinen Begleitern berührten Küstenstriche, die mehrere \"on Europäern da zum ersten Mal besuchte Fjordarme umfassten. Auf dieser Fahrt wurde innerhalb weniger Monate, leider ohne nennenswerte Aus- grabungen, eine beträchtliche Zahl meist steinerner Geräte zusammen- gebracht und durch Ankauf weiter vergrössert. Von den Fundorten ist das bis dahin unberührt gebliebene Ivaja in Jakobshavn Eisfjord, ferner Tossukatek, Sermermiut und andere alte Wohnplätze in der Um- gebung von Jakobshavn und Claushavn, vor allem jedoch wieder das etwas weiter nördlich gelegene Kekertak, von wo der Grundstamm der erworbenen Sachen herrührt, besonders zu erwähnen. ^ Unvergleichlich wichtiger ist indessen eine andere Kollektion, die einige Jahre darauf nach Schweden kam. Diese ist von einem dänischen Arzt, dem wegen seiner V^orarbeiten zu «Bibliographia Grönlandica» bekannten C. G. V. Pfaff, der einen grossen Teil seines Lebens in Grönland verbrachte, zusammengestellt. Sie bildet das bewundernswerte Ergebnis über zwanzigjähriger Bemühungen, zu denen seine über die ganze innere Diskogegend erstreckten Amts- 1 Vgl. Öfversigt af kgl, vetensk.-akad.'s föihandl. 1S70 (Stockholm 1S71) p. 973 IT. 1907. No. 3. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 9 reisen die Veranlassung gaben. Wie Nordenskiöld's Sammlung, ging sie zunächst in Privatbesitz über, um schliesslich in das ethnographische Museum Stockholm's ihren Weg zu finden. Im Sommer 1875 führten naturwissenschaftliche Studien den nor- wegischen Geologen A. Heiland ebenfalls nach Xordgrönland. Seinen Reisen, deren Ziel vornehmlich die tiefen Eisfjordc waren, ist eine nicht unbedeutende Kollektion, jetzt in Christiania, zu verdanken. Sie setzt sich wesentlich aus Altertümern von den verlassenen Wohnstätten am Jakobshavn Eisfjord zusammen, während jedoch auch Kekertak in kleine- rem Masse vertreten ist. Die letzte Phase der archäologischen «Erforschung» der Westküste gehört dem Ende der siebziger und den achtziger Jahren an. Was sie an Material einbrachte, ist gering im Verhältnis zu dem PZrtrag der vor- ausgehenden Jahrzehnte. Teilweise wird dies durch genaue Beobachtungen aufgewogen ; nur ist die Brauchbarkeit derselben durch ihre verallgemei- nerte Fassung sehr beeinträchtigt ^ Das grösste Verdienst hat sich hier wie auf so vielen anderen Gebieten der wissenschaftlichen Erschliessung Grönlands K.J. V. Steenstrup erworben. Während seines wiederholten längeren Aufenthaltes in Westgrönland vor und nach 1880 brachte er den kulturellen Überbleibseln aus der eskimoischen Vorzeit eingehende Aufmerksamkeit entgegen. Auf einige seiner Feststellungen werden wir noch zurückkommen müssen. In den Jahren 1886 — 7 ist endlich die nördlichste Küstenstrecke der dänischen Besitzung von C. Ryder befahren und vermessen worden, bei welcher Gelegenheit nebenbei die häufig angetrof- fenen heidnischen Gräber und Hausruinen Beachtung fanden. Seitdem sind lediglich kleine, zufällig gemachte F'unde nachSkandinavien gebracht worden. Was auf anderem Wege früher oder später aus Grönland weggeschafft wurde, wie am Anfang des vorigen Jahrhunderts durch Giesecke, durch Walfänger und Polarreisende, denen der Inhalt der nordgrönländischen Gräber an Leichenbeigaben gesuchte und leicht erstandene Kuriositäten waren, ferner durch Sommer- und Kumlien^ nach der Mitte des Jahr- hunderts und vor kurzem durch Drygalski^ — um einiges zu erwäh- nen^ — , ist so zerstreut in den Museen Europas und Amerikas und neben dem sich in Skandinavien Befindlichen so wenig umfangreich, dass mit einer einzigen Ausnahme diese Altertümer ausser acht gelassen sind, — Es ist meine Pflicht anzuführen, cia>s mir während der Ausarbeitung des Folgenden die Fundberichte des Herrn Dr. K. J. V. Steenstrup, über deren Existenz ich inzwischen unterrichtet bin, unbekannt waren. Samml. in Mus. f. Völkerk., Berlin. Samml. in Xationalmus., Washington (Vgl. Smithson. Rep. 1878, p. 452—5). Nennenswert ist vielleicht auch eine kleine Sammlung im Museum zu Bergen, Norwegen. lO O. SOLBERG. H.-F. Kl. was um so berechtigter ist, als sie das auf Grund der grösseren Samm- lungen entworfene Bild nicht ändern oder durch neue Züge vervollständigen können. — Im ganzen sind die vorgeschichtlichen Überreste des verhältnismässig selten besuchten Ostgrönlands besser bekannt als die des kolonisierten Westens, Die Erforschung der schwer zugänglichen östlichen Küste musste durch sorgfältig vorbereitete Expeditionen vor sich gehen, und damit war den zahlreichen Spuren früheren menschlichen Lebens in den nunmehr grösstenteils unbewohnten Gebieten schon im voraus das gebührende Interesse gesichert. In den Berichten über jene Reisen ist den archäologischen Befunden oft ein eigenes Kapitel eingeräumt. Es wäre deshalb überflüssig, mehr als die Hauptpunkte in der stossweise erfolgten Erweiterung des geographischen Gesichtskreises kurz anzugeben, da die ostgrönländischen Fundstücke ausserdem hifr wesentlich bloss Vergleichszwecken dienen werden. Nur einige bisher kaum beachtete Fahrten auf Nordostgrönland erfordern spezielle Erwähnung. Auf ihrem Vordringen von Süden her waren W. A. Graah 1829 — 30 und G. Holm 1884 — 5 zu sehr von ihren eskimoischen Begleitern abhängig, um sich auf ein in den Augen der Mannschaften so monströses Unternehmen wie das Öffnen von Gräbern näher einlassen zu können, was übrigens die Schwierigkeiten der Reise gegebenenfalls selbst ver- boten hätten. Die südöstliche Küste zwischen Kap Farewell und Angmag- salik hat infolgedessen nichts für uns Nutzbares geliefert. Anders die nordöstliche. Das Beispiel gab dort die zweite deutsche Nordpolfahrt ^ durch ihre erfolgreichen Untersuchungen 1869—70. Ihr folgten C. Ryder^ 1891 — 2 auf dem zuerst von Scoresby betretenen Feld und A. G. Nathorst^ 1899, die beide die von Koldewey und seinen Gefährten angefangene Arbeit weiter führten, ebenso Amdrup- auf der Strecke zwischen Angmagsalik und Scoresby Sund auf seinen zwei Expeditionen 1898 — 1900. Die durch sie gewonnenen Ergebnisse lassen sich noch durch Berücksichtigung einiger Sammlungen, die von norwegischen Fangschiftern herrühren, mit Vorteil ergänzen. Wie sich in den letzten Jahren heraus- gestellt hat, sind die Eisverhältnisse in der Grönlandsee durchaus nicht so ungünstig, wie bis vor kurzem angenommen wurde. Durch den breiten Treibeisgürtel, der um die Ostseite des polaren Insellandes liegt, öffnen sich im Hochsommer Wege, die bei richtig gewählter Zeit die Durch- ' Samml. in Mus. f. Vülkerk., lierlin. - Samml. in Mus. Kbh. ^ Samml. in Mus. Sth. y 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. I I fahrt ohne iibergrosse Hindernisse ermöglichen. Seit etwa einem Decen- nium ist dieser Umstand von Robbenjägern aus dem nördhchen Nor- wegen und Island ausgenutzt worden. Durch den Wildreichtum der nordöstlichen Küste angelockt, wagen sie sich jetzt regelmässig hindurch zu dem inneren Fahrwasser, wo sie auf ihren Schiffen gegen Norden auf Breiten gekommen sind, die w^ohl 1905 von der Expedition des Herzoges von Orleans erreicht, aber kaum erheblich überschritten sein dürften. Auf solchen Reisen, von denen die Kunde bloss ausnahmsweise in die Welt hinausdringt, sind gelegentlich Altertümer aufgesammelt worden, und unter ihnen sind mehrere der besten Fundstücke aus dieser Gegend, Einiges ist nach Christiania gelangt, so eine Sammlung aus dem Jahre 1899 von der Clavering Insel (74° 20'), eine andere, kleine aus dem Jahre 1905 von 76° n. Br. 1, einiges erhielt auch, durch einen Fangschiffer, Nat- horst. der es nach Stockholm brachte-. Allgemeines über die Fundplätze und ihre Zeitstellung. Aus dem Vorhergehenden erhellt, dass die meisten alten Kulturlager der Westküste auf Nordgrönland fallen. Es erübrigt dann zunächst, ihre lokale Gruppierung innerhalb dieses engeren Gebietes, das uns vor allen anderen beschäftigen soll, zu betrachten, bevor wir uns zu den Alter- tümern selbst wenden können. Gegen Süden reichen die Fundplätze mit Objekten aus dem Stein- alter nicht in nennenswertem Umfange über die nördliche Grenze von Holstenborg Distrikt hinaus. Allein schon im Egedesminde Distrikt treten sie auf, von den äussersten Inseln bis zu den inneren Fjord- gegenden, wo die Renntierjagd im Sommer noch in der neuesten Zeit jährlich die Eingeborenen herangezogen hat. Es wird von Funden bei Agto, Kangatsiak, Manetsok, Tessiursarsoak u. a. O. berichtet; sie sind aber sämtlich klein und wenig bedeutsam gewesen. Dasselbe gilt von den von der Insel Disko stammenden. Altaussehende Wohnstätten sind von der Umgegend Godhavns an zerstreut an der Ostküste entlang bis nach Igdlorpait beobachtet worden, vor allem jedoch in dem tiefen Disko- fjord an der Westküste. Es geht indessen aus den vereinzelten Be- merkungen, die unter anderen Rink diesen Ruinen wädmet. hervor, dass ' Die obigen Mitteilungen verdanke ich zum grössten Teil dem entgegenkommenden Bemühen des Herrn Zollkassierers A'. Norberg, Tromsö, der auf Veranlassung bereit- '.villig Erkundigungen eingezogen hat, und dessen \'erdienst es ebenfalls ist, die beiden Sammlungen vor Zerstreuung gerettet zu haben. - Vgl. A. G. Xathorst: Tva Somrar i Xorra Ishafvet (Stockholm 1900), Vol. II, p. 159. 12 O. SOLBERG. H.-F. Kl. ihr Alter nicht überall sehr hoch sein kann, selbst wenn man natürlich von den auf der südlichen Küste der Insel gelegenen, schon seit lange verlassenen Wohnungen absieht, deren Vorhandensein auf den blühenden Walfischfang Godhavns um 1800 zurückzuführen ist. Sie scheinen auch nicht oft zur Ausgrabung gelockt zu haben, obgleich einige sicher in ältere Zeiten hinaufreichen, so dass die Insel in dieser Hinsicht noch nicht durchforscht ist. Das dürfte dagegen mit der gegenüber- liegenden, dichter bewohnten Hauptküste im Inneren der Diskobucht der Fall sein, — in der Tat in solchem Masse, dass aus den immer wieder durchwühlten, stellenweise sehr reichen alten Kulturschichten auch durch künftige methodische Untersuchung wohl kaum weitere Aufschlüsse zu erlangen wären als dieselben, die die bereits fortgebrachten Fundstücke geben. In dieser Gegend finden wir die mehrmals erwähnten Plätze Keker- tak und Serviermiut wieder. Der letzte Ort beansprucht besondere Auf- merksamkeit, nicht nur weil er einen grossen Bruchteil der nordgrönländi- schen Artefakte geliefert hat, sondern ebenfalls weil man durch eine von Rink herrührende Beschreibung der Lokalität, so wie er sie in den fünf- ziger Jahren antraf, einen guten Begriff von den künstlichen Anhäufungen der in Betracht kommenden Zeiträume erhält. Die Worte Rink's über Sermermiut sollen wegen ihrer ausnehmenden Wichtigkeit möglichst treu wiedergegeben werden: »In der unmittelbaren Nähe Kingiktoks (an der Mündung des Jakobshavn Eisfjords) läuft ein kleines Tal zum Eisfjord aus; hier sieht man viele Überreste von Häusern an dem äussersten Ab- hang, der aus Kies und Stein besteht imd allmählich von der See unter- graben ist; der Erdboden ist dadurch entblösst und zeigt bis zu einer Tiefe von 4 bis 5 Ellen Torferde und Humus, mit zahlreichen Resten grönländischer Geräte untermischt, lauter Material, von Menschen zu- sammengeschleppt, die gewiss im Laufe vieler Jahrhunderte hier gewohnt und ihre Häuser auf den Ruinen früherer Behausungen erbaut haben, bis der Grund nach und nach so erhöht wurde. Die Spuren von Feuerstellen in verschiedenen Tiefen bezeichnen solche verschiedenen Generationen. An demselben Ort finden sich viele der merkwürdigen Steingeräte, die die Grönländer benutzt haben, bevor sie durch Verkehr mit den Euro- päern Eisen erhielten und dadurch sogleich eine Kunst entbehren konnten, die gewiss das schwierigste Produkt ihrer Erfindungsgabe gewesen ist. Unzählige Knochen, sowie Reste von Walfischbarten, Fellen, sogar von noch erkennbarem Speck oder Tran finden sich in diesen Erdschichten.« ^ * H. Rink: Grönland, geograf. og Statist, beskrevet (Kopenh. iS52 — 7), II, p. 120 — i. Vgl. auch A. V. Etzel: Grönland (Stuttgart 1860), p. 419 — 20, 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 13 Es liegt auf der Hand, dass lange Jahre oder, wie Rink sagt, viele Jahrhunderte zum Autbau eines Kulturlagers von der Beschaffenheit und Mächtigkeit des eben beschriebenen notwendig gewesen sein müssen. Wohl dürfte man glauben, dass der eskimoische Haushalt mit seinen {-> KI:.i.k. \r.„..... *5» , */ »i- l-lausjiavn ' flotten .. ^ 'rstrrOrr ■i'^' ' ' Jnu,!i/ f.. uattiak •■IbT ...^ ^^ ~ ' Karte von dem südlichen Aunigruiiianu. y\ 1- luidstellea uiui .mc w uimplalze. mancherlei Abfüllen innerhalb verhältnismässig kurzer Zeit ähnliches leisten könnte. Wie es sich aber gezeigt hat, hält der auf verschiedene Weisen bewirkte jährliche Schwund der Kjökkenmöddinger so starken Schritt mit dem Zuwachs, dass die Bildung grösserer Anhäufungen immerhin nicht das W^erk weniger Jahre ist. Selbst wenn man davon 14 O. SOLBERG. H.-F. Kl. absehen würde, und selbst wenn man verständlicherweise auf die Schich- tung, welche an den rätselhaften «p-euerstellen« wahrnehmbar sein sollte, kein Gewicht legen kann, so spricht die erstaunliche Zahl der bearbeite- ten Fundstücke des Ortes eine klare Sprache. Rink war das jedoch, seinen eigenen Folgerungen z.um Trotz, nicht hinreichend überzeugend. Er fühlt sich nachher gezwungen, bei einem Vergleich mit dem Stein- alter Europas einen Vorbehalt zu machen, und beschränkt wieder die Entstehung des Lagers auf «ein paar» hundert Jahre. In gewissem Sinne muss man ihm darin Recht geben, insofern als es sich bei der Besiedelung Grönlands nicht um solche Zeiträume handelt wie die, mit denen man in der Vorgeschichte Kuropas rechnen muss. Sobald., man aber später gewahr wird, dass die Vorsicht Rink's ihren eigentlichen Grund hat in den von Rafn vertretenen Anschauungen, nach denen die Existenz einer Eskimobevölkerung in Xordgrönland von der ersten Kolonisation Südgrönlauds durch die Isländer etwa bis zum i^ten Jahr- hundert ausgeschlossen ist, — so dass diese Überreste sämtlich jünger sein müssten — dann kann man ihm nicht mehr zustimmen. Wie Rink dazu kommen konnte, ist übrigens leicht erklärlich, wenn man sich erinnert, dass Rafn's Ansehen damals noch seinen Ausführungen in «Grönlands historiske Mindesmaerker» den Rang erwiesener Tatsachen verlieh. Ohne vorläufig auf die betreffenden Erörterungen Rafn's ein- zugehen, möchte ich bereits an dieser Stelle die Ansicht aussprechen, dass wir es hier, in der Nähe eines der reichsten Fangplätze, der Bank der Eisfjordmündung, mit einer der ältesten einheimischen Wohnstätten Grönlands zu tun haben. Es wird sich schon einmal herausstellen, dass ihre erste Besiedelung weit früheren Datums ist als die erste Kolonisa- tion der Südwestküste. Über die chronologische Stellung des alten Sermermiut lässt sich ferner hinzufügen, dass es noch nach der zweiten Ankunft der Europäer bewohnt war, wie spärlich auftretende eiserne Geräte kundgeben. Da- gegen scheint es vor der Errichtung der dänischen Anlagen in Nordgrön- land aufgegeben zu sein. Die Lage Kekertaks wird durch ähnliche natürliche Verhältnisse wie bei Sermermiut gekennzeichnet. Auch dort ist ein Eisfjord mit seiner reichen Seefauna für die Wahl der Wmterwohnsitze massgebend gewesen. Auf einer kleinen Insel in einem Nebenarm des Tossukatek- fjords liegt zur Zeit die unbedeutende Handelsniederlassung, nach der die Fundstelle benannt wird. Heutzutage ist der Fang freilich in der nächsten Umgegend anscheinend nicht sehr ergiebig. Vormals ist es un- zweifelhaft anders gewesen. Denn die grosse Menge Steingeräte, die gerade IQOJ- ^'^0. 2. BEITR.'UJE ZUR VORCESCIIICirrK DKR OSTESKIMÜ. l j auf dieser Insel gefunden sind und fortwälirend gefunden werden, lässt vermuten, dass reichlich fliessende l'>\verbsquellen einst eine — im eskimoischen Sinne des Wortes — feste, wenn noch so kleine Bevölke- rung Jahrhunderte hindurch an den Ort gebunden haben. Es wird von keinen Ablagerungen wie bei Sermermiut gemeldet, wohl nur weil Be- obachtungen darüber fehlen. Die .Altertümer sind zum grössten Teil von der See bei Hochwasser ausgewaschen ^ und haben sich am Strande aufgesammelt, zum Teil sind sie beim Torfstechen angetroften worden. Sie tragen ein einheitlicheres, man könnte sagen — älteres Gepräge als diejenigen von Sermermiut, da die manchmal wohlerhaltenen, ziemlich jungen Geräte aus Knochen und Geweih an letztem Orte in den Fun- den hier meines Wissens nicht vorkommen, ebensowenig wie das Eisen. Sonst liegen reiche und arme, namenlose und benannte P'undplätze in dichter Reihe an der Hauptküste der Diskobucht und auf den vor- lagernden kleinen Inseln, wie in etwas geringerer Zahl im Inneren an den Eisfjorderi. Von den ersteren seien angeführt; Nuk und Igdlomiut in Christianshaab Distr., die nächste Umgegend von Claushavn und Jakobshavn, Ekallungoit, Nuk und die Umgegend von Ritenbenk in Ritenbenk Distr., Tossukatek u. v. a., von den letzteren nur das beson- ders von der Reise Nordenskiöld's bekannte Kaja^. Einige haben gemischte F'unde, andere rein steinzeitliche, wiederum andere nur ein paar hundert Jahre alte Funde geliefert. Bei den einzelnen näher zu verweilen würde zu weit führen. In dem weiter nördlich gelegenen Umanakfjord schliesst eine andere Gruppe früh verlassener Wohnsitze sich den eben gedachten an. Alte Hausruinen sind beinahe überall, wo nur die steil abfallende Felsenküste einer kleinen Winteransiedelung den notwendigen Raum gewährt, auf- gefunden worden. Als solche Stellen werden Niakornak, Kaersut, Kariavia u. a. erwähnt. Von Europäern meist vorübergehend besucht, haben sie indessen bisher bloss unbedeutendes Material an Fundobjekten gegeben. Grösser war der Beitrag der Inseln in der Nähe der jetzigen Kolonie Umanak, vor allem der Torfinsel, wo die Fundverhältnisse an diejenigen auf Kekertak erinnern. Liegt es nicht so klar wie in den angrenzenden südlichen Distrikten, so scheint doch auch Umanakfjord, der bezüglich der Seejagd produktivste Grönlands, sehr lange, schon vor der P^nt- deckung durch Europäer, der Sitz einer einheimischen Horde gewesen zu sein. ' Mcddclclser om Grönland, Vol. V, p. 26. - ()fverjio;t kgl. vctensk.-akad.'s förh. 1S70, p. 102 1 ff. l6 O. SOLIBERG. H.-F. Kl. Noch höher gegen Norden lassen sich die untrügHchen Zeugen einer Bevölkerung in steter Bewegung, Hausruinen und uralte Zeltringe, wie zahlreiche Gräber in ununterbrochener l'olge der Küste entlang nach- weisen, von Umanakfjord bis zu den Inseln der MelviUebucht, wo sie sich zwischen Überresten einer anders gearteten Eskimokultur verlieren. Namentlich bekannt sind Svartenhuk Halbinsel, Pröven u. a., von C. Ryders Untersuchungen ferner Uperniviarsuk, Vinteröerne, Umanaptimilia und Kekertak {j^° 40') ^ u. s. w. In diesen entfernten Gegenden machen sich aber so viele abweichende Verhältnisse geltend, dass die dortigen archäologischen Befunde fortan nur ausnahmsweise Berücksichtigung finden können. Nicht unwichtig sind jedoch die dem höchsten Norden entstammenden jüngeren Fundstücke, weil sich da zu später Zeit die grönländische Gerätschaft unbeeinflusst erhielt. Es dauerte lange, bevor Eisen in grösserer Menge den entlegenen Küstenstrich erreichte, und die Waften, die weiter gegen Süden schon vor der dänischen Kolonisation eingreifende Umänderungen erfahren hatten, bewahrten dort wahrschein- lich fast bis zum Ausgang des lyten Jahrhunderts ihren alten Charakter. Wenden wir uns nun nach Südgrönland, so begegnet uns wenig von dem, was Nordgrönland in so hohem INIasse Interesse verleiht. Die Besitzergreifung der Südwestküste durch die Eskimo, worauf noch zurück- zukommen ist, nahm erst etwa um das Jahr 1300 ihren Anfang und war um 1500, nach der gänzlichen Ausrottung der Nordländer, vollendet. Nicht hundert Jahre darauf treffen die ersten Reisenden der Neuzeit ein, und bereits am Ende des i8ten Jahrhunderts hatte die Mission vermocht, das wirtschaftliche Leben der meisten Eingeborenen in wesentlichen Beziehungen umzugestalten. Es ist daher von vornherein nicht zu erwar- ten, dass diese Küste weitere Aufschlüsse über die Natur der alten ein- heimischen Kultur geben würde. In einer anderen Hinsicht aber ist ihre ausgesprochene Armut an x\ltertümern ein recht bemerkenswerter Zug. Die künstlichen Anhäufungen an alten Wohnstätten, die Abfallhaufen und auch die Gräber, die freilich grossenteils wohl früh zerstört wurden, sind, wie schon gezeigt, keineswegs unbeachtet geblieben. Wenn nun ihr geringer Ertrag, der nach allem doch die Produktion einiger Jahr- hunderte repräsentiert, mit dem bisher an den Tag gebrachten Inhalt der nordgrönländischen Kulturlager verglichen wird, so wird daraus noch mehr erhellen, dass die eskimoische Besiedelung der nördlichen Küste ein verhältnismässig hohes Alter hat. Als eskimoisches Appellativum für Insel ist «Kekertak» ein häufig wiederkehrender Ortsname. Wenn im F'olgenden von Kekertak schlechthin die Rede ist, handelt es sich immer um die so benannte Insel mit dem vorhin besprochenen Fundort im Inneren Waigatts. an einem Nebenarm des Tossukatek Eisfjords gelegen. 1907. No. 2. BEITRÄGK ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. \J Wir können somit, \vie man sieht, davon abstehen, uns bei den auf der Strecke zwischen Holstenborg und Julianehaab gemachten Funden aufzuhalten. Ebenso wird aus vorher angegebenen Gründen die stets dünn bevölkerte Südostküste, die für den vorliegenden Zusammenhang nichts bieten kann, mit Stillschweigen zu übergehen sein. — Eine Sonderstellung nimmt in vorgeschichtlicher Hinsicht das im igten Jahrhundert entvölkerte Gebiet im hohen Nordosten ein. Infolge seiner abgeschlossenen Lage ist die eskimoische Kultur da einer eigen- artigen Nuancierung, deren Grund verschieden erklärt worden ist, unter- worfen gewesen. Die Gruppierung der alten Wohnsitze ist im südlichen Teil des Gebietes von den zwei grossen Fjordkomplexen, dem Scoresby Sund und dem Franz Josephs F""jord, bestimmt. Südlich von dem ersten hat Amdrup bloss vereinzelte Hausruinen entdeckt, und zwischen den beiden Fjordmündungen sind die Spuren der verschwundenen Bevölke- rung gleichermassen schwach. Mit Vorliebe sind die geschützten Fjord- arme aufgesucht worden. Hier scheinen, nach Hausruinen und Zeltringen zu urteilen, die einstigen Bewohner das ganze Jahr verbracht zu haben. Ihre Zahl kann nie bedeutend gewesen sein. In Scoresby Sund fand Ryder auf seiner Expedition bei genauen Nachforschungen einige 50 verfallene Winterhäuser vor; aber sämtliche waren aussergewöhnlich klein und, wie schon Scoresby bemerkte, lange nicht alle gleichzeitig bewohnt gewesen. Im Einklang damit steht der Befund im Franz Josephs Fjord. Die Germaniaexpedition kennt ebenso wie Nathorst dort nur kleine und zerstreute Wohnstätten. Etwas dichter sassen die Eskimo scheinbar an gewissen Stellen der nördlicher gelegenen Küste. So hat die Clavering- insel, wo Nathorst ein ganzes kleines Gräberfeld untersuchte ^ recht viele vorgeschichtliche Überreste aufzuweisen gehabt. Solange jedoch das gegen- seitige Zeitverhältnis der einzelnen Ruinengruppen unermittelt bleibt, kann man sich keine richtige Vorstellung von der Zahl der ehemaligen Bevölkerung machen. Dagegen lässt sich wohl ein allgemeiner Begriff über das Alter der Besiedelung der Nordostküste gewinnen, wenn man die nach Europa gebrachten Altertümer und besonders ihren Erhaltungszustand mit ins Auge fasst. Sind die unternommenen Ausgrabungen noch in manchem unzulänglich, so kann es trotzdem nicht auf Zufall beruhen, dass die bisher eingesammelten Artefakte fast ausnahmslos ein junges Gepräge tragen. Aus dem nördlichen Westgrönland weiss man zwar, dass Gegenstände aus Holz und Knochen sich unter günstigen Umständen lange erhalten > Nathorst, 1. c. II, p. 161, Vid.-Selsk. Skrifter. II. H.-F. Kl. 1907. Xo. 2. O. SOLBERG. H.-F. Kl. können. Den halboftenen Gräbern sind so.^wenn an trockenen Orten gelegen, Geräte aus den genannten Materialien entnommen, die während des i8ten oder gar ijten und i6ten Jahrhunderts angefertigt sein müssen. Möglicherweise noch ältere Sachen, in erster Linie aus Knochen, rühren von den Abfallhaufen her, deren mit Fett getränkte Masse vorzüglich die eingebetteten Artefakte vor den zerstörenden Einwirkungen des Frostes schützt. Daraus hat sich indessen nach und nach der Glaubenssatz ent- wickelt, dass die sonst leicht zersetzbaren Stoffe sich in Grönland über- haupt besser erhalten als anderswo. Demgegenüber ist darauf aufmerk- sam zu machen, dass eben in Westgrönland, trotz .'den erwähnten mit- unter günstigen Bedingungen, keine hölzernen Geräte aus der älteren und ältesten reinen Steinzeit vorliegen, dass kein |steinernes Messer — ausser ganz junge Ulos — , keine steinerne Bohrerspitze in geschäftetem Zustande gefunden worden ist. Es ist hierbei offenbar in Betracht zu ziehen, dass bei dem arkti- schen Klima Fäulnis oder Vermoderung an Holz und Knochen nicht in demselben Masse Schaden anrichtet wie auf südlicheren Breiten, dass aber wiederum Verwitterung um so kräftiger wirkt. So konnte es geschehen, dass alte Geräte, die trocken aufgehoben oder auf irgend eine Weise gegen den vereinten Angriff der F'euchtigkeit und des Frostes gesichert waren, fast unversehrt blieben, während anderseits Sachen aus später Zeit, die Wind und Wetter ausgesetzt waren, zum Teil sehr mit- genommen sind, wie sich an den vorhandenen Sammlungen sehen lässt. Wenn es sich nun bei allen Untersuchungen erwiesen hat, dass sich die Altertümer aus Nordostgrönland, darunter eine ganze Reihe hölzerner Geräte, verhältnismässig gut erhalten haben, so wird man mit einiger Kenntnis der Sachlage in Westgrönland schon deshalb den Wohnstätten, denen sie entstammen, ein hohes Alter absprechen müssen. Fast überall sind Artefakte in Holz oder Bruchstücke von solchen gefunden worden, wohl in allen Stadien der Zersetzung, aber auch selten so geschützt, wie es im Westen mit ähnlichen Gegenständen gewöhnlich der Fall gewesen ist. Nicht wenige in den Sammlungen Koldewey's, Ryder's und Nathorst's, und in ihrer Gesamtheit die Kollektionen der Fangschiffer sind auf freiem F^elde oder in Gräbern hingelegt gewesen. Ryder lässt doch die ersten Häuser in Scoresby Sund vor vielen hundert Jahren, zu einer Zeit, da seiner Ansicht nach der Verkehr zwischen Nordostgrönland und dem Gebiete der Westeskimo noch nicht von den jetzt auf dem zentralen Archipel weilenden Stämmen versperrt war i, errichtet werden und bringt > Meddelelser om Grönl., XVII, p. 343. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 19 das oben angeführte Argument wieder zu Ehren. Solange aber kein wesentlicher Altersunterschied innerhalb der Hauptmenge der Wohn- plätze — ausgenommen vereinzelte Behausungen von auffällig rezentem Datum — nachzuweisen ist, wird man schwerlich seiner Anschauung folgen können. Nach dem, was bisher zutage gefördert worden ist, muss man vielmehr annehmen, dass alle vorgefundenen Überreste inbezug auf zeitlichen Ursprung einer beschränkten Periode angehören, und dass der Anfang der letzten nur wenige Jahrhunderte — um es vorläufig nicht genauer zu präzisieren — zurück liegt. — Eine Frage für sich, die am besten hier in aller Kürze erledigt wird, ist es, wann das Eisen seinen massgebenden Einfluss auf das Hand- werk der Grönländer zuerst erlangte. Es ist kaum zu bezweifeln, dass die Eingeborenen des nördlichen Westgrönlands schon am Ende des ißten oder am Anfang des I4ten Jahrhunderts durch ihre isländischen Nachbarn mit den Eigenschaften des Metalles näher bekannt gew^orden waren. Weniger wahrscheinlich ist, dass es ihnen damals in nennenswerten Mengen zugeführt wurde. Als aber nachher die zwischen Eskimo und Nordländern herrschende Feindschaft in offenen Streit ausbrach, dürfte sich das Verhältnis etwas geändert haben, und es mag wohl nicht ganz ausgeschlossen sein, dass dieselbe Gier der Eingeborenen nach Eisen, die w^ährend der ersten Ent- deckungen der Neuzeit zum Vorschein kam, das ihrige zur Vernichtung der skandinavischen Kolonie beigetragen hat, wenn natürlich ein solches Moment auch nicht überschätzt werden darf. Jedenfalls sind die ver- lassenen Ansiedelungen sorgfältig nach dem bald unentbehrlichen Stoff ab- gesucht worden^, — augenscheinlich der wichtigste Grund, warum die umfassenden Ausgrabungen der Dänen nur einen unansehnlichen Ertrag gegeben haben. Wie selten besonders Eisen in den Ruinen angetroffen ist, geht aus einem 1839 verfassten Bericht hervor. Es wird darin als bemerkenswert erwähnt, dass kurz vorher zum zweiten Mal während der damals schon mehrere Jahre andauernden Untersuchungen ein Gegenstand aus Eisen gefunden worden war. Das auffällige Fehlen des Metalles betrifft nach den Ergebnissen der von G. Holm^ und D. Bruun-' geleiteten neuesten Nachforschungen alle Ruinen der Ostansiedelung. Augenzeugen von den Zerstörungen der Eskimo waren noch um die Mitte des i^ten Jahrhunderts die von Friedrich III unter Danell nach Grönland geschick- Annaler for nord. Oldkyndighed, II (Kopenh. 1S3S — 9), p. 250. Meddelelser om Grenl., VI, p. 13S ff. Ebenda, XVI, p. 43S. 20 ü. SÜLBERG. H -F. Kl. ten Dänen, nach deren Aussagen sie während ihres Aufenthaltes täglich in den Häusern der Christen nach Eisen gruben i. Wenn man erwägt, wie wenig von dem neuen Material — es genügten ein paar Nägel und ein Streifchen Bandeisen — erforderlich war, um einem Eskimo einen weitläufigen Apparat von zerbrechlichen und schwierig zu handliabenden Werkzeugen zu ersetzen, so könnte man wohl anneh- men, dass das Eisen im südlichsten Südgrönland schon vor dem Ende des Mittelalters einige, wenn naturgemäss auch geringe, Bedeutung gewonnen hatte und damals schon das eigenartig wechselnde Spiel der Steinalter- formen auslöste, das sich weiter gegen Norden so leicht wahrnehmen lässt. Dafür spricht nicht zum wenigsten die Armut der südlichen Küste an Steinsachen. Indessen war es sicher erst nach 1500 so allgemein verbreitet, dass es den Stein völlig zu verdrängen vermochte. Als Frobisher 1578 in dem jetzigen Julianehaab Distrikt- landete, fand er auf dem einzigen Zeltplatz, den er zu Gesicht bekam, eine für den eskimoischen Bedarf hinreichende Menge Eisen vor. Dies schien seinen Chronisten darauf hinzudeuten, dass die Grönländer Verkehr mit einem civilisierten Volk unterhielten oder sich selbst auf Eisengewinnung verstanden, wie es nach ihrer Vermutung in gleicher Weise mit den Be- wohnern des Meta Incognita der Fall war. Von ihnen sagt Settle, dass sie etwas Eisen hatten für Pfeilspitzen, Messer und andere kleine Geräte, mittels welcher sie ihre Boote, Bogen, Pfeile und Harpunen verfertigten, eine Arbeit, die wegen der mangelhaften Werkzeuge immer viele Mühe kostete 3. So wie im südlichen Teil von Baffinland, müssen die Ver- hältnisse zur selben Zeit im ganzen Süd- und in den angrenzenden Gegenden Nordgrönlands gelegen haben. Eisen hatte dann anscheinend überall Eingang gefunden, und zwar in einem solchen Grade, dass die Eskimo schon von der unregelmässigen Zufuhr abhängig waren. I. Erichsen: Udtog af C. Lunds indberetning: zn^. de 1652 — 3 foranstaltede Sötogc til Grönland (Kopenh. 1787), p. 46. « — until the 19 said (o : of June) at none, at whicli lime we went in 60 degrees of latitude, , and bearing N.W. and by W. and W.N.W, of us at the going down of the sunne, but at that time we had not made the land perfect, and so sayling untill mydnight, we came nerer unto yt and made yt perfectly». (Nach Sellman's Bericht in R. Collinson: The three Voyages of Martin Frobisher (London, H. S. 1867), p. 291). R. Hakluyt: The Principal Navigations etc. (Glasgow, 1903—4), Vol. VII. p. 227. — Nach Beste (R. Collinson, 1. c, p. 286): «They use to traffike and exchange their commodities with some olher people, of whome they have such things as their miserable country and ignorance of arte to make denyeth them to have, as barres of iron, heads of iron for their dartes, needles made foure-square. certayne buttons of copper, whiche they use to weare uppon theyr forheads for Ornaments, as oure ledyes in the Court of England do use great pearle». 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 21 Die Ursache von dieser in Amerika einzig dastehenden Erscheinung kann lediglich indirekt der von den Basken im nördlichen Atlantischen Ozean betriebene Walfischfang gewesen sein, der am Ausgang des Mittel- alters, als der Balasna biscayensis seltener wurde, bis gegen die grön- ländischen und neufundländischen Küsten ausgedehnt war, — etwas später wohl auch teilweise die Fischerei der Portugisen, Basken und Franzosen auf der Bank von Neufundland, von den frühesten Jahren des löten Jahr- hunderts an. Wie die Beobachtungen Frobishers in Baffinland und Grön- land deutlich genug zeigen, haben verschlagene Fangschiffe und von den Meeresströmungen herbeigeführte Wracktrümmer sich des Eisens wegen allmählich einen festen Platz in der Ökonomie der östlichen Eskimo- stämme erworben. Es mag dies auf den ersten Blick wenig annehmbar erscheinen. Aber es ist nicht ausser acht zu lassen, zunächst dass die \'erlustprozente damals erheblich grösser waren als heutzutage, obgleich sie wohl lange nicht dieselbe Höhe erreichten wie um 1700 bei dem Walfischfang im Grönländischen Meer, da man nach Zorgdrager jährlich Schifie, mitunter bis zu zwanzig oder noch mehr, im Eise verlassen musste.i Sodann Hess der entwickelte Tauschverkehr die angeschwemm- ten Sachen der ganzen Küste gleichmässig zugute kommen. In neuer Zeit haben die Vorgänge innerhalb der zentraleskimoischen Welt nach dem Untergang der letzten Franklinexpedition zur Genüge dargetan, was ein Schiffswrack unter Umständen für die primitiven arktischen Stämme früher bedeuten konnte. Die Berichte von den Fahrten Davis' (1585 — 7)-, die über viele Einzelheiten des einheimischen Lebens Aufschluss bringen, kennen aus diesem Grunde denn auch keine steinernen Schneidegeräte, die sich während des Zeitalters der Entdeckungen überall, wenn vorhanden, un- fehlbar der Aufmerksamkeit der Reisenden aufzudrängen pflegten. Das- selbe gilt von den nachfolgenden Seefahrern, die nach Grönland kamen 3. Dagegen verlieren alle sich leicht in Verwunderung, wie hoch die Ein- geborenen selbst altes, halb verrostetes Eisen schätzten, so dass sie sich für eine Kleinigkeit davon manchmal beinahe alles, was sie an Kleidern und Waffen bei sich hatten, ohne Bedenken wegnehmen Hessen. * C. G. Zorgdrager: Alte und neue Grünländische Fischerey und Wailfischfang etc. (Leipzig 1723), p. 27S, 36S ff. 2 K. Hakluyt, 1. c, Vol. VII. 3 lu Werken aus dem Anfang des iSten Jahrhunderts kann man allerdings lesen, z. H. dass «die Degen und Messer dieses Volkes aus Hern gemachet waren, oder aus Zähnen der Fische, die man Einhörner nennet, »mV Steinen eingelegt und geschärfet », wie in Zorgdrager, 1. c, p. 47. Dies beruht aber nur auf einer falschen Übersetzung aus J. de Peyrere: Relation du Groenland (Paris 1647). In einer jetzt seltenen deutschen 12 O. SOLBERG. H.-F. Kl. Material. Die Küstengebirge Westgrönlands stellten der Steinindustrie einer primitiven Kultur die verschiedensten nutzbaren Mineralien zur Verfügung. Aber bloss eine geringe Anzahl kam wegen des eigenartigen Charakters der eskimoischen Technik in Anwendung. Bei der Herstellung von kleinen Klingen wurden die härtesten Quarzi- ten oft vorgezogen, vor allem Chalcedon, der in den meisten Distrikten, Nordgrönlands vorkommt und leicht zugänglich ist. Inbezug auf Spaltungs- verhältnisse steht er, mit flachmuschligem, glattem Bruch und ohne Durch- gänge, dem Feuerstein nahe ; er scheint jedoch bei manueller Bearbeitung widerspenstiger und launenhafter zu sein als dieser, worin man vielleicht den wesentlichsten Grund zu der unscheinbaren Grösse der Chalcedon- geräte suchen dürfte. Er zeichnet sich in Westgrönland durch eine stark wechselnde Pigmentierung aus. Allgemein verbreitet sind die schönen milchblauen Chalcedone; aber auch gelbliche, grüne, graue und braune Varietäten mit allen denkbaren Übergängen sind häufig. Daneben gibt es mehr oder weniger durchscheinende, bis fast matte Arten, so dass sie sich mitunter schwer von Feuerstein und Hornstein unterscheiden lassen. Andere Quarziten, die Verwendung fanden, sind Achat und Jaspis. Ferner sind von Bergkrystall Splitter und Späne überall gefunden worden, seltener Klingen, da er unter keiner noch so hohen Technik gefügig ist. Wegen seiner unberechenbaren Spaltung musste die Vollendung eines Gerätes in diesem Material meist auf Zufall beruhen. Feuerstein scheint gänzlich zu fehlen. An die vorhergehenden Gesteine reiht sich, sie an Bedeutung über- treffend, eine Quarzvarietät von geringerer Härte, ein dichter Kiesel- schiefer mit mattem, feinkörnigem und muschligem Bruch und nur selten wahrnehmbarer Schieferung an, der ebenfalls wegen des Schwankens seiner Konsistenz und Färbung sehr verschiedenartig auftritt. Er ist bald mehr, bald weniger feinkörnig, und die Pigmentierung wechselt mit grau als durchgehendem Grundton zwischen bläulichen, gelblichen, bräun- lichen und beinahe rein schwarzen Nuancen. Der Kieselschiefer lässt sich unschwer durch Schlag und Druck formen und nimmt beim Schleifen Ausgabe von Peyrere (Ausführliche Beschreibung des theils bewohnt- theils unbewohnt- sogenannten Grönlands Beschrieben und erweitert durch S von V, Nürnberg 1679; heisst es p. 66 richtig: «Die Messer und Degen werden geschliffen und scharff gemacht mit Steinen . . . .» Noch deutlicher drückt sich Adam Olearius aus in seiner Persianischen Reisebeschreibung (3 Aufl. 1662, p. 17.Ö): «— etliche hawende und schneidende Instrumente, die sie an den Steinen scharff zu wetzen wissen». 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 23 eine glänzende Politur an. Am besten hat sich wohl dieses Gestein in Alaska bewährt, wo es bis vor kurzem die wichtigste Grundlage der dortigen hoch entwickelten Steinmanufaktur bildete. In Westgrönland findet man den Kieselschiefer bloss an den Küsten des Waigatts, an der Disko- wie an der Nugsuakseite, anstehend. Er ist durch die indirekte Einwirkung des eruptiv hervordringenden Basaltes auf den Tonschiefer der jetzt untergelagerten kohlenführenden Forma- tionen entstanden. Neben den Basaltgängen ist der weiche Tonschiefer durch einfiltrierte kieselsaure Auflösungen gehärtet worden und schiesst heute selbst, nachdem der Basalt an mehreren Stellen verwittert und abgetragen, als gangähnliche Massen am Strande hervor. Auch in dem durch Kohlenbrand affizierten Schiefer des Waigatts sind gehärtete Partien, deren Beschaffenheit an den eben genannten erinnern, beobachtet worden 1. Abgetrennte Blöcke und vor allem kleinere Stücke sind für die Ein- geborenen hinreichend gewesen, während Steinbrüche und Werkstätten für vorläufige Behandlung des Rohmaterials Grönland immer fremd blieben, wenn man von dem regelmässigen Betrieb an den Fundorten des Weichsteines absieht. Für den Kieselschiefer in seinen verschiedenen Abstufungen wird fortan die eskimoische Bezeichnung An in ^; ^ iiat. (ir.) NOUSK I.YSTUYK- i)C. Rl I'R.ANSI AI 1 . O THE f J^'^'JVERSITY 1; V'. '/ 1907. No. 2. HEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 29 In grösseren Funden treten dieselben stets überaus häufig auf. Be- sonders allgemein sind die konvexschneidigen Schaberschärfen, die, wie auf Taf. i dargestellt ist, in verschiedenen Varianten vorhanden sind. Betrachtet man eine längere Reihe von ihnen, so scheiden jedoch die meisten durch eine bestimmte Form aus, die unerhebliche und immer wiederkehrende Veränderungen erleidet. Daneben zeigt wohl auch ein kleiner, aber kaum beachtenswerter Teil den schwebenden Charakter, der auf die Verwendung zufällig aufgefundener und durch geringe Bearbeitung zweckdienlich gemachter Steinsplitter zurückzuführen ist. Die Herstellung der typischen Schaber dieser Art war sehr einfach. Das übliche Verfahren lässt sich bei dürftig behandelten oder misratenen Stücken mit Leichtigkeit wahrnehmen. Seinen Ausgangspunkt hatte der Prozess in dem Breitscherben, einem vom Block ausgeschlagenen kurzen, breiten und massiven Splitter, der gewöhnlich durch eine starke, gegen das untere Ende gerichtete Krümmung (vgl. Taf. i, Fig. 5, 7) gekenn- zeichnet ist. Durch eine solche Form wurde der fertigen Klinge, die, wenn im Gebrauch, einem beträchtlichen Druck schräg von oben nach unten ausgesetzt war, eine grosse Widerstandsfähigkeit verliehen. Tat- sächlich sind auch zerbrochene Schaber an den alten Wohnstätten spär- lich vorgefunden worden. An dem der Schlagfläche entgegengesetzten Ende des Scherbens wurde nun die w^eitere Bearbeitung desselben in Angriff genommen. Durch fortgesetzte einseitige Abblätterung feiner Späne in einem zur Längsrichtung des erzielten Schabers offenen Winkel entstand die steile und kräftige, mehr oder weniger konvexe Schneide, dar typische Merkmal der vollendeten Klinge. Oft wurde diese damit als fertig betrachtet; aber in der Regel folgte noch eine schwache Retouche der Seitenränder oder bisweilen eine etwas stärkere Absplitte- rung, die die Breite des oberen Teiles verminderte und dazu beitrug, die Schäftung zu erleichtern. Eine wirkliche Schaftzunge, wie bei Fig. 6, Taf. I, ist verhältnismässig selten. Genauere Überarbeitung fand da- gegen nicht häufig statt. Von Stücken wie Fig. 7, Taf. i, deren Ober- seite gänzlich von feinen Facetten bedeckt ist, sind deshalb nicht viele zu verzeichnen. Die Unterseite zeigt bei allen die letzte, geschwungene Spaltfläche des Scherbens. Sie hat durchgehends einen deutlichen Schlag- buckel, der mitunter so weit vorgesprungen ist, dass er entfernt worden ist. Im übrigen bleibt diese Seite fast stets unberührt. Die charakteristi- sche Form kommt am besten bei den beigefügten Figuren zum Ausdruck. Dabei ist aber zu bemerken, dass die Schärfen mit geraden oder wenig gebogenen Seitenrändern die gewöhnlichen sind, während man die anderen als Varianten ansehen muss. Alle haben sie die steile Schneide, die O. SüLBERG. H.-F. KI. hochgewölbte Oberseite und die glatte, fast immer unbearbeitete Unter- seite gemein. Das Material sind die schon bekannten harten Quarziten. Bei Keker- tak war Chalcedon ' vorwiegend. Von 145 aufgezählten Klingen aus diesem Orte bestanden einige 1 10 daraus, der Rest aus anderen Ouarz- varietäten, unter denen ebenfalls Angmak. In anderen Lokalitäten tritt er zwar weniger hervor, wenn er auch für Schaber der wichtigste Stoff bleibt. Die Gesteine werden alle in derselben Art und Weise behandelt, ausschliesslich durch Ausspaltung, nie geschliffen. Der Grösse nach sind die Schaber ziemlich grossem Wechsel unter- worfen. Die üblichste Länge beträgt ca. 4 cm. und übersteigt kaum jemals 7 cm. Demgegenüber gibt es aber Klingen von extremer Klein- heit, solche von 2 — iV-i cm. Länge (Taf. i, Fig. i — 3), gelegentlich noch kleinere. Und diese kleinsten geben, was die Häufigkeit des Vorkommens betrifft, bei bedeutenderen Funden den grösseren nicht viel nach. Sie sind ferner ebenfalls zur Schäftung bestimmt gewesen, und tragen mit- unter Spuren von Gebrauch an sich, — welche sich jedoch bei allen Arten von Schabern schlecht erkennen lassen, vermutlich, wie in Alaska, wegen steten Aufschärfens. An diese schwankenden Grössenverhältnisse knüpft man am besten die Frage nach der eigentlichen Funktion der Klingen. Werden jene nicht ausser acht gelassen, so ist es einleuchtend, dass die gebräuchliche Auffassung der grönländischen Schaber als Geräte zur Fellbereitung nicht ausreichend ist. Man kann wohl nicht bestreiten, dass damit die richtige Erklärung für einen Teil der Schärfen getroffen ist. Aber für diese Bestimmung scheinen die kleinsten gänzlich unzweckmässig, was schon aus einem oberflächlichen Vergleich mit den betreffenden Geräten der angrenzenden Kulturbezirke hervorgehen wird. Bei den westlicher woh- nenden Eskimo wie bei vielen Indianerstämmen, bei denen F'elle noch Verwendung finden, weist der Schaber durchgehends einen etwas anderen Charakter auf, er hat vor allem eine dem Zweck entsprechende, recht ansehnliche Grösse. Hierüber genügt es auf O. T. Mason's bekannte Schrift «Aboriginal Skin Dressing« ^ zu verweisen. Man wird aus dem Grunde annehmen müssen, dass die Funktion der Schaber unter den östlichen Eskimo eine weit allgemeinere war, ganz so wie von ameri- kanischen Prähistorikern für südlichere Formen vorausgesetzt. Beachtet man ferner den vorwaltenden Gebrauch der härtesten zu Gebote stehen- den Gesteine, so irrt man kaum, wenn man den Schabern einen grossen 1 Report U. S. Nat, Mus. 1S8S— 9. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. Anteil an allen Arbeiten in festen Substanzen, Holz, Knochen und Renn- tiergeweih, zuschreibt. Und besonders geeignet scheinen dann die diminutiven Schärfen für das Anfertigen der vielen ganz kleinen Artikel, die der Haushalt und die Jagd erforderten, gewesen zu sein. Der konvexschneidige Schaber Grönlands schliesst sich am nächsten den nordostamerikanischen an. Mit seiner einfachen Form gehört er in- dessen zu dem Kulturbesitz der meisten Steinaltervölker der kalten und gemässigten Zone. Obgleich es somit von vornherein unnütz erscheinen würde, bei seiner weiteren Verbreitung über Nordamerika zu verweilen, offenbart dieselbe nichtsdestoweniger einige Momente, die in der Folge doch ihre Bedeutung haben werden, weshalb ein paar orientierende Be- merkungen hier beigefügt sind.^ Klingen wie die besprochenen finden sich besonders im östlichen Kanada, in den Neuenglandstaaten und in New York. Neben ihnen tritt ausserdem ein kurzer Schaber mit breiter Schaftzunge auf, der oft bloss eine zerbrochene und aufgeschärfte Waffen- spitze ist, und der, soweit es sich übersehen lässt, im südlichen Teil des genannten Gebietes am häufigsten gewesen ist. Dieses gleichzeitige \''or- kommen verschiedener Typen wiederholt sich in fast allen übrigen Staa- ten Nordamerikas, wo nicht zugeschlagene Schaber überhaupt fehlen, wie zum Beispiel auf dem südwestlichen Hochland und an der Nordwest- küste. Die Gebirgsgegenden British Columbia's haben wieder ausser den bekannten eine charakteristische grössere Form aufzuweisen-, die jedoch erst bei den westlichen Eskimo zu ihrer vollen Entwicklung gelangt. Die westeskimoischen Schaber unterscheiden sich, was sehr auffallend ist, bestimmt von den osteskimoischen, zunächst, wie vorher gesagt, durch ihre bedeutende Grösse, sodann auch rein morphologisch. Die ausgespalteten Klingen sind in zwei Arten vorhanden, einer längeren, schlankeren und einer kürzeren, massiveren, die sich, solange sie nicht stark aufgeschärft sind, leicht auseinander halten lassen^. Sie sind beide aus einer kräftigen Breitscherbe oder Scheibe hergestellt worden, aber in * Den nachstehenden und später folgenden vergleichenden Bemerkungen liegen Studien im American Mus. of Nat. History, New York, National Mus., Washington, und Mus. f. Völkerkunde, Berlin, zu Grunde. Von umfassenden Literaturangaben musste abgesehen werden. Denn die zahlreichen Veröffentlichungen der gelehrten Archäologen und Laien über die Urgeschichte der engeren Kulturbezirke Nordamerikas dienen meist speziellen Zwecken, oft lassen sie auch das Unike in den archäologischen Verhältnissen einer Gegend hervortreten, ohne über das Vorkommen und die geographische Verbreitung der allgemeinen Formen hinreichende Aufschlüsse zu geben, so dass sie für eine Arbeit iler vorliegenden Art von c^eringem Nutzen sein können. Wo literarische Belege aus- nahmsweise erwünscht erschienen, sind bloss Hauptwerke zitiert worden. 2 Vgl. Mem. Am. Mus. Nat. Hist., Vol. II, p. 147. ' Dieser Unterschied schon früh von Lubbock bemerkt ; vgl. Prehistoric Times, 3d. Ed., p. 97 u. 501, wo die längere Form irriger Weise als Messer bezeichnet wird. 32 ü. SOLBERG. H.-F. Kl. der Weise, dass die Schneide deren Seite entspricht. Dadurch musste der den Schlagbuckel tragende Teil entfernt werden, oder er konnte nur partiell beibehalten werden. Sehr selten wurde von dieser Regel ab- gewichen. Auch die Unterseite der ersten wurde gewöhnlich über- arbeitet, und beide Formen entbehren, da die Längsrichtung der fertigen Klinge mehr oder weniger mit der Querrichtung des Scherbens zusammen- fällt, der merkbaren Krümmung, die den grönländischen Schaber kenn- zeichnet. Dieser Fall von Abweichung zwischen den einfachsten und ursprüng- lichsten Produkten der materiellen Kultur der Ost- und Westeskimo, wird in der gegenwärtigen Untersuchung nicht vereinzelt dastehen. — Den eben besprochenen Klingen nahe kommen die spärlich auf- tretenden Werkzeugschärfen mit schräggestellter Schneide (Fig. 4 — 5). f'a- 4 — 5- (^/i "• Gr.) Mus. Kbh. 4. Lc. ^Sr, Sermermiut; 5. o. N. Sie sind beide aus Angmak, die Unterseite ist glatt und unbearbeitet, die Oberseite gewölbt, und die Schneide ist steil wie die des gewöhnlichen Schabers. Ebenso selten und fast nur in Bruchstücken bekannt ist eine Art von Schärfen mit konvexer und teilweise geschliffen er Seh neide (Fig. 6 — 8). Diese sind aus langen, oft ganz schmalen Angmakabsplissen hergestellt und haben meist eine regelmässigere Gestalt als das, in Er- mangelung eines besseren, abgebildete unbeschädigte Stück. Die steile Oberseite der Schneidepartie hat durch Absplitterung, die schwach ge- neigte Unterseite und die Schneide selbst dagegen durch Schleifen ihre Form erhalten. Beide Arten liegen erst in sehr beschränkter Zahl vor, und da sie selbst keinen Wink über ihre einstige Bestimmung geben, müssen sie ohne Kommentar verlassen werden, — Wegen der isolierten Lage Grönlands war die einheimische Kultur in der ältesten Zeit von ausgleichenden Wechselbeziehungen mit der Aussenwelt so gut wie abgeschnitten. Neue Impulse aus benachbarten Gebieten waren zwar nicht ausgeschlossen, aber aller Wahrscheinlichkeit 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 33 nach führte kein Weg von Grönland nach den westlicheren Inseln zurück. Unter solchen Umständen ist es natürlich, dass die Entwicklung des von den Eskimo mitgebrachten Grundstammes von Geräten und Wafifen bald eigene Richtungen einschlagen musste, wodurch neue Formen entstanden. Eine Sonderform ist so anscheinend der konkav schneid ige Scha- ber (Taf. 2). Bevor wir diese Art von Klingen näher betrachten können, ist es notwendig, einer früheren Auffassung von ihrem ehemaligen Zweck zu gedenken, die sich auf Belegstücke stützt und beim ersten Anblick die Berechtigung der vorstehenden Bezeichnung erheblich in Frage stellt. a S I3 Fig. 6-S. (6. a/, n. Gr.; 7. '/^ n. Gr.; Sa. 5/g "• Gr.) 6. Mus. Kbh. Lc. 623; 7. Mus. Sth. Samml. Pfafl": S. Sth. iSSi, j, 912. Den Sammlungen des Kulturhistorikers Gustav Klemm war, ungewiss auf welche Weise, ein grönländischer Haken, »Angelhaken«, mit steiner- ner Schärfe einverleibt worden. Der Besitzer, der an der Echtheit des Stückes nicht zweifelte und damals auch nicht zweifeln konnte, hat ihm, wie zu erwarten war, grossen Wert beigemessen, so dass er sich sogar zu Verallgemeinerungen verleiten Hess. Er begleitet in einer vergleichen- den Behandlung der Fischereigeräte die Abbildung des Hakens mit fol- genden Worten: »Bei den heutigen Polarvölkern finden wir den Stein immer in Verbindung mit Knochen. Von dieser Art ist auch ein Angel- haken aus einem altgrönländischen Grabe. Der gekrümmte Schaft hat von Spitze zu Spitze im Durchmesser 4V2 Zoll. Der mit Fischbeinfäden daran gebundene Feuersteinhaken 2V8 Zoll Länge. Oben ist der Schaft mit geflochtenen Pflanzentäden umwunden« 1. Vermutlich durch die Angabe Klemm's veranlasst, bestimmte später C. L. Steinhauer in Kopenhagen viele der hier als Schaber bezeichneten Schärfen als Haken, »die an kleine Knochenstücke gebunden als PMsch- ' G. Klemm: Die Werkzeuge und Waffen (Sondershausen 1S5S), p. 60—1. Vid.-Selsk. Skrifter. II. H.-F. Kl. 1907. No. 2. 3 34 O. SOLBERG. H.-V. Kl. angeln benutzt wurden» ^ In diesem Glauben hat er ferner, um dies zu veranschaulichen, eine Schärfe mit einem knöchernen Stäbchen zusammen- gefügt, und der so entstandene Angelhaken wurde neben dem von Klemm abgebildeten Exemplar von Ch. Rau in dessen Werk »Prehistoric Fishing« wiedergegeben 2, wodurch beide in den weitesten Kreisen be- kannt wurden. Sieht man aber etwas genauer zu, so muss man den schon so oft daraus gezogenen Schluss, dass ähnliche Fischangeln im alten West- grönland gebräuchlich seien, wohl doch aufgeben. Bei dem ersten Stück bemerkt man sofort, dass die rohe Vereinigung der Schärfe mit dem Schaft mittels eines Fischbeinstreifens nicht die zielbewusste Arbeit eines Eskimo ist. Das Hesse sich dagegen zur Not von dem oben angefügten Strang annehmen, wenn er nicht der Beschreibung nach aus Pflanzen- fäden geflochten wäre. Nun liefert indessen die kärgliche Vegetation der unwirtlichen Küsten ausser Weidenbast, der für die Anfertigung schlanker Leinen nicht in Betracht kommt, keinen Stoff, der sich dazu eignet, — ganz abgesehen davon, dass ein Strang aus Pflanzenfasern ebensowenig wie eine Fischbeinsorrung sich in einem halboffenen Grab den Einwirkungen des Klimas ausgesetzt lange Zeiträume hindurch hätte erhalten können. Hierzu kommt noch, dass die Anführung Rau's über das zweite Exemplar — Schaft und Haken wären zusammen gefunden — unzutreffend ist. Sie sind im Gegenteil von verschiedenen Fundorten. Wenn diese alten Belege für das frühere Vorkommen von steinernen Fischhaken in Grönland sich somit beide als Fraus pia herausstellen, wird eine dritte Angel, die erst vor einigen Jahren in Amerika aufgetaucht ist, um so zweifelhafter-'. Es genügt schon, was sie betrift^t, darauf aufmerk- sam zu machen, dass sie an demselben Mangel wie die übrigen leidet: Mögen auch Schaft und Haken für sich echt sein — was hier allerdings ' C. L. Steinhauer: Kort Veiledning i det kgl. Ethnogr. Museum, (5te Aufl. (?), Kopenh. 1885), p. 30 - Smithson. Contr. Knowl., Vol. XXV (Washington 1884), p. 120— i. 3 Vgl. »L. G. Yates: Evolution of Fish Hooks« in Populär Science 1S99, später in »Moorehead: Prehistoric Implements« aufgenommen. Zu Taf. 2: Fundort: i Tossukatek; 2—6 g—rr, 15, 16, 22, 29 Kekertak; 7, 8, t8, 24 Sermermiut; /2, i^(?)., 14, 17, ig 20, 21 (?) Jacobshavn. Kat. No.: r Mus. Sth. 18S1, 5, 374: 2 Sth. 1881, ., 1048; 9 Mus. Kbh. Lc. 601; 4 Sth. i88i, 5. 1047; 5 Kbh. Lb. i98(.-); 6 Kbh. Lc. 815; 7, i8,24Khh. A 332; 8 Kbh, A 467; g Sth. 1881, 3, 1049; lO Kbh. Lc. 604; u Kbh. Lb. 129; 12, 79, 20 Sth. Samml. Pfaff; y. 17 Kbh. o. N. ; 14 Kbh. Lb. 489: 15 Sth. 1S81, j, 687; 16 Sth. 1881, 5, 683; 21 Sth. 1881, 5, 1127; 22 Sth. 18S1, 5, 638; 23 Sth. 1881, ,,, 1086. Material: 4 — 10, 17 — 20 aus Angmak, Rest aus Jaspis, Chalcedon u. a. \'iD. -Sei.sk. Skkiitkk. II. II. F. Kl. 1907. Nu. 2. Tafel 2. Ko)ih(t vsclinekUye Schaher. Nordgröiilaml. (Fi- :J. (;, 8. 11-12. 14, 18, 2i in ■ ,, Fig. 1-2, 4-5. 7, '.i-lO. 13. 1.T--17. li)-20 i.i ' ,. Fig. 21-2.S in ■/,„ mit. Gr.) NoRSK I.YSTKVK- i x . RkI'U..' 1907. No, 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 35 kaum der Fall ist — , so ist die Verbindung von beiden neu und gewährt keine Sicherheit tür ihre Zusammengehörigkeit. Ich muss ebenfalls hervor- heben, dass die fast neunzigjährige dänische Erforschung kein 'Stück ähnhch den erwähnten bisher zu Tage gefördert hat. und dass kein F'undbericht vorHegt, der die MögHchkeit der früheren Existenz von sol- chen Haken dartun könnte. Wenden wir uns nun zu den Klingen selbst, so finden wir im Ganzen wenig, was für die alte Ansicht sprechen kann. Sie sind aus kräftigen, länglichen Scherben, deren letzte Abspaltfläche auf der Unterseite der Klingen immer teilweise beibehalten ist, verfertigt. Die Bearbeitung war in der Regel gering. Bei vielen Schärfen ist sie auf eine hastige Form- gebung der äusseren Umrisse beschränkt. Grössere Sorgfalt zeigte man bei der Gestaltung des einen Seitenrandes, dessen vordere Hälfte bei der fertigen Klinge gegen die Längsrichtung konkav gebogen ist und — was sich in keinem Fall, wo auch nur eine dürftige Bearbeitung statt- gefunden hat, verkennen lässt — eine steile Schaberschneide von derselben Beschaffenheit wie diejenige der zuerst besprochenen Schaber bildet. Seltener sieht man hinten auf der entgegengesetzten Seite der Schäftung wegen eine Einkerbung. Einige Schärfen sind vorn breit abgerundet, die meisten laufen aber in eine Spitze aus, was naturgemäss nach mehrmali- gem Aufschärfen eintreten musste. Die Oberseite ist gewölbt und zeigt oft nur eine einfache Randretouche, die Unterseite ist vorn unberührt geblieben, flach und glatt, an dem hinteren Ende dagegen häufig von Absplissnarben durchzogen (vgl. Taf. 2, Fig. i). Ohne Ausnahme sind sie ungeschliffen und, wie sich aus den Illustrationen ergibt, von sehr schwankender Grösse. Es wiederholt sich bei diesen Schabern, was bei den vorhergehenden bemerkt wurde, dass Spuren von Gebrauch sich nicht oft nachweisen lassen. An vereinzelten Stücken kann man freilich zahlreiche feine Ab- splitterungen wahrnehmen, wie nach Arbeit in festen Substanzen. Unter den abgebildeten Klingen scheiden einige in besonderem Masse durch die eigentümliche F'orm aus, die zu der Mutmassung \^er- anlassung gegeben hat, dass die Westgrönländer ehemals Fischangeln aus Stein besessen hätten, so Fig. 11 — 16, Taf. 2. Es könnte deshalb vielleicht trotz allem richtiger erscheinen, für diese eine wesentlich andere Bestimmung vorauszusetzen und sie demgemäss von den übrigen aus- zusondern. Aber selbst wenn man die auch bei ihnen ausgeprägte Schaber- schneide übersehen wollte, ist es kaum denkbar, dass die Eingeborenen, im Besitz eines zu Angelschärfen so vollendet geeigneten Materials wie Knochen, der bei grösseren Angeln heute noch Verwendung findet, 36 O. SOLBERG. H.-F. Kl. jemals leicht zerbrechliche Gesteine vorgezogen haben sollten. Massive und stumpfe Schärfen könnten ebensowenig den erzielten Nutzen ge- währen, wie die schwächer gebauten, die nicht die erforderliche Stärke und Elasticität haben. Sie sind gleichfalls in keiner Weise mit den hohen Anforderungen der Eskimo an ihre Fanggeräte vereinbar, und nichts deutet darauf hin, dass jene seit der Besiedelung Grönlands zu irgend einer Zeit erheblich geringer waren als in den Tagen Egede's und Fa- bricius'. Vielmehr ist es natürlich, die täuschende Form Aufschärfung oder unregelmässiger Gestalt der Scherben, aus denen sie hergestellt sind, zuzuschreiben. Nebenstehende Fig. 9 — 10 stellen zweischneid ige Schaber dar. Sie sind beide aus Angmak. Die glatte Unterseite und die steilen, kon- kaven Schneiden lassen mit Leichtigkeit ihre Bestimmung erkennen. Von grossem Interesse ist der Schaber Fig. 11, ebenfalls aus Angmak. Bei Fig. 9— II. (9 — 10. ^i\ n. Gr.; ii. ^/^ n. Gr.) 9. Mus. Sth. 1881, j, 892; 10. Mus. Kbh. A. 332; 11. Sth. Samml. Pfaff. ihm ist die konkave sowohl wie die konvexe Schneide vorhanden. Dieser Zug zeigt deutlich genug, dass die beiden Hauptarten von Schabern bei derselben Arbeit gebraucht worden sind. Nur das abgebildete Stück ist bekannt. Auf dem nordamerikanischen Kontinent sucht man umsonst konkav- schneidige Schaber der betrachteten typischen Formen. D. Wilson hat einige wenig bearbeitete Splitter von einem verwandten Aussehen unter der Bezeichnung Pfeilschaftschaber zusammengestellt 1, sie kommen aber sehr selten und zerstreut vor, so dass man sie kaum für Teile speziali- sierter Werkzeuge halten kann. Richtig sagt der Verfasser auch, dass der konkave Schaber in Europa mehr als der Pfeilschaftglätter aus Sand- stein im Gebrauch war, während in Amerika das Gegenteil der Fall ge- wesen ist 2. Was Grönland betrifft, so muss in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht werden. Report ü. S. Nat. Mus. 1897, Taf. 26. 1. c, p. S84. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 37 Messer. Während die Grönländer noch darauf angewiesen waren, selbst das Eisen für ihre Geräte zu bearbeiten, was bloss in mangelhafter Weise bewerkstelligt werden konnte, entwickelten sich nach und nach die wenigen Messerarten, die bis vor kurzem in der ganzen Eskimowelt ge- bräuchlich waren, und die sich in abgelegenen Gegenden bis heute in der alten Gestalt erhalten haben, — die Schnitzmesser, der Ulo und der kleine Killissut, die ersten dem Mann unentbehrlich beim Herstellen der Waffen, die beiden letzteren notwendig für die häuslichen Verrichtungen der Frau. Es ist die Ansicht ausgesprochen worden, dass sie alle aus der V^erein- fachung eines aufgegebenen, viel differenzierteren Apparates hervorgegan- gen sein müssen. In den Einzelheiten dies nachzuweisen, würde, solange noch keine alten Schneidegeräte in geschäftetem Zustande aus West- grönland vorliegen, mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden sein und soll daher auch nicht versucht werden. Aber schon die folgende Übersicht von den Grundformen der Messerklingen, die hier allein aus- einander gehalten sind, wird die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigen. Es ist beinahe zur Gewohnheit geworden, bei deskriptiver Behand- lung der nordamerikanischen Steinzeit einleitungsweise die Unsicherheit zu betonen, mit der sich Messer von Waffenspitzen unterscheiden lassen. Ja Wilson, der Hauptvertreter des archäologischen Schematismus in Amerika, ist so weit gegangen, dass er beide Arten Steingeräte in ein Formensystem hineingezwängt hat^. Es mag dies vielleicht bis zu einem gewissen Grade durch den Charakter des verfügbaren Materials begründet gewesen sein. Recht fühlbar macht es sich so, dass die vorgeschicht- lichen Sammlungen der amerikanischen Museen sich grossenteils aus Privatkollektionen zusammensetzen, die allzuhäufig wegen des unerschöpf- lichen Reichtums des Erdbodens an Altertümern lediglich auserlesene Stücke umfassen 2. Abgenutzte und durch Gebrauch beschädigte Klingen, die die besten Aufschlüsse über den Zweck der betreffenden Form geben, sind daher in verschwindender Zahl vorhanden. Jedenfalls werden in Grönland, wo dieser Übelstand in Wegfall kommt, in der Hinsicht einer allgemeineren Bestimmung der Klingen keine Hindernisse bereitet. Die Grenze zwischen Messern und Waftenspitzen lässt sich da mit ziemlicher Sicherheit ziehen, weil die letzten im Gegensatz zu den ersten, die durch tägliche Benutzung leiden mussten, feste, wenig variierte Typen aufweisen. Mit ihren gewölbten Seiten, oft gezahnten Rändern und symmetrischen Umrissen weichen sie in der Regel stark von den schneidenden Klingen 1 1. c. 2 Ausgenommea das Material, das durch die sorglältigen Ausgrabungen besonders in den Küstenstaaten zutage gefördert worden ist. 38 O. SOLBERG. H.-F. Kl. ab. Und wo die Formen einander nahe treten, wird meist die Schaft- zunge, bei den einen oft dünn und schwach, bei den anderen kräftig, sowie die Abnutzung oder das Fehlen derselben einen Anhaltspunkt bieten, obgleich Zweifelsfälle natürlich nicht ausbleiben. Die einfachsten Schneidegeräte im engeren Sinne waren in Alt- grönland ausgespaltete Scherben und Späne, deren scharfe Kanten ohne jede Bearbeitung zum Schneiden oder wohl auch zum Schaben geeignet waren. Von grossen Langscherben wie Fig. I2 sind zwar bloss Fig. 12. (3^4 n. Gr.) wenige gefunden worden, und sie sind für gewöhnlich kaum in Anwen- dung gewesen. Um so häufiger war das aber scheinbar mit den kleinen Splittern und Spänen der Fall. An einigen P'undplätzen, wie z. B. bei Kekertak, sind unzählige feine Späne, vorwiegend aus Chalcedon, auf- gesammelt worden (Fig. 13). Im Allgemeinen hat man sie für Abfälle Zu Taf. 3: Fundort: /, 4, 8, p, 12, 14, i6, rj, 20, 22 Jakobshavn; 2, i8 Tossukatek; ß, 5, 2j,'— 2^ Sermermiut; 6, 7, //, iß (?), 1$, ig Kekertak; lO Kaja; 21? Kat. No.: / Mus. Kbh. 4S60; 2 Mu?. Sth. 1S81, .„ 310;^ Kbh. A 463; 4, 8, g, 12,14, 77, 22 Sth. Samml. Pfaff; 5 Kbh. Lc. 583; 6 Sth. 1881, 5, 505; 7 Sth. 1881,5, 504; 10 Sth. 1881, 5, 105; II Kbh, Lb. 126; iß Sth. 1881, 5, 1104; 75 Sth. 1881, 5, 656; 16 Kbh. 9341a; 18 Sth. 1881, j, 325; ig Sth. 1881, 5. 477; 20 Kbh. 9343a; 27 Kbh. o. N.; 25, 24, 26 Kbh. Lc. 581; 25 Kbh. Lc. 582. Material; ß, 4, iß, 14, 22 aus Angmak, J\est aus Chalcedon, Jaspis u. a. X'id.-Sklsk. Skriktfr. II. II. F. Kl. 1907. Xo. 2. Takkl 3. i1r',•«?^:afcv ^ ;-^-# ■Jti Messer. Norilyrönlaiid. (Fig. l-ö. «-9, II-.".. 17, 21-2, 24-7 ii> ■'/,. Fig. (;-7. 10, 1(J, Iä-2(). 23 in nat. Gr.) N11KSK I.vsiuvK- in; Ri:i'K anstaut. /.- O,- TH ^ • ^''^fVERSlTY 1) 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 39 von der Verarbeitung der Steinsachen gehalten, allein es ist sehr wahr- scheinlich, dass sie auch praktisch verwertet wurden. In erster Linie spricht dafür das Vorkommen regelrechter Spanblöcke, die nur in der Art des Minerals von denen des europäischen Steinalters verschieden sind, und die nur für das Ausspalten der Späne bestimmt waren. Fig. 14 stellt einen solchen Block aus hellem, bräunlich gelbem Chalcedon dar. Die Form ist konisch, und die muscheligen Narben nach den abgetrenn- ten Absplissen liegen regelmässig nebeneinander und deuten auf Ge- schicklichkeit des Handwerkers hin. Trotz ihrer winzigen Grösse, die zwischen 2.5 cm. und 5 cm. schwankt, bilden die Späne mit ihren haar- scharfen Kanten brauchbare schneidende Instrumente, von denen man sich sehr wohl vorstellen könnte, dass sie zum Glätten oder Abputzen der 13. («/- n. Gr.) Fig. 14. (3/, n. Gr.) Mus. Sth. iSSi, .,. 680. Schnitzereien und anderen feineren Zwecken gedient haben, wenn sie auch schnell abgenutzt sein müssten. Viele der untersuchten Späne sind schartig, ohne dass dies stets von natürlichen Verletzungen oder von fahrlässiger Behandlung in später Zeit herrühren kann, und scheinen tat- sächlich verwendet gewesen zu sein. Anderseits darf aber nicht verhehlt werden, dass ebensoviele gar keine Spuren einer derartigen vermeint- lichen Abnutzung tragen. Von eigentlichen Messerklingen werden zunächst diejenigen zu be- trachten sein, die den Schärfen der eisernen Schnitzmesser am nächsten kommen. Wie für alle die übrigen Messertypen ist indessen auch für sie die Variationsgrenze so geräumig zu legen, dass mit diesem Vergleich wenig über ihren einstmaligen Gebrauch ausgesagt wird. Es ist, wie schon aus dem bunten Bild auf Taf. 3 hervorgehen wird, schwer, zwei Klingen genau derselben F'orm zu entdecken, und es wäre daher müssig, eine Einteilung nach irgend einem Princip zu versuchen. Unter ihnen bemerken wir zunächst eine Reihe Schärfen mit breitem, vorn oft abgerundetem und meist dünnem Blatt und markierter Schaft- 40 O. SOLBERG. H.-F. Kl. Zunge (Taf. 3, Fig. i — 7). Die flachen oder unerheblich gewölbten Breit- seiten begegnen sich in einer scharfen Schneide, die sich um das ganze Blatt herumzieht. Die Länge ist schwankend, ca. 3—8 cm., und als Material wurden die verschiedensten Gesteine benutzt. Sie sind alle durch Ausspaltung hergestellt, nie geschliffen. In Taf. 3, Fig. 8 — 9 sind zwei sorgfältig angefertigte Chalcedon- klingen von speziellen Formen abgebildet. Nach wiederholtem Aufschärfen könnten Messer mit rundem Blatt in solche mit zugespitztem Blatt übergehen. Meistens stehen jedoch beide Arten als besondere Typen einander gegenüber. Was bei den letzteren vor allem auffällt, ist neben den spitz zusammenlaufenden Rän- dern die oft kräftige Basis, die bisweilen eine so grosse Breite hat, dass nicht mehr von einer Schaftzunge die Rede sein kann. So bei Fig. 12 und 16, Taf. 3, bei denen bloss seitliche P^inkerbungen der Schäftung dienen. Ausserdem zeichnen sie sich durch ihre verhältnismässig bedeu- tendere Dicke vor den abgerundeten Klingen aus, so dass man sie mit ziemlicher Sicherheit für die wirklichen Schnitzmesser der alten Zeit halten darf. Man findet auch sonst keine Steingeräte, auf welche diese Bezeich- nung passen würde. Das Material ist vorzugsweise Chalcedon und Jaspis gewesen, weniger, aber doch immerhin häufig, Angmak. Geschliffene Messer derselben Form (Fig. 8, Taf. 4) sind nicht selten, wenn auch die zugespalteten in der Mehrzahl bleiben. Das Stück Fig. 15, Taf. 3, steht mit den unregelmässig geschwun- genen Schneiden und der eigenartigen Gestalt vereinzelt. Wie dieser bereiten die kleinen Schärfen, Fig. 23 — 26, Taf. 3, systematische Schwie- rigkeiten. Ihre Stellung ist zweifelhaft und soll uns nicht aufhalten. Neben den verschiedenen kleineren Messern, die wahrscheinlich bis zur Einführung des Eisens allgemein in Verwendung gewesen sind, gibt es eine Reihe teils geschliffener, teils ungeschliffener und etwas spärlicher auftretender Klingen von ansehnlicher Grösse, die ausnahmslos aus Angmak oder Schiefern geringer Härte verfertigt sind. Inbezug auf ihre frühere Funktion könnte man auf ihre Ähnlichkeit mit den west- eskimoischen Fleisch- oder Fischmessern verweisen. Es ist bezeichnend, dass diese' Form durch die einheimische Eisenbearbeitung kein Gegen- stück in der modernen Gerätschaft erhielt. Zum Schneiden weicher Sub- stanzen hatten die eingeführten eisernen Messer eine weit zweckmässigere Zu Taf. 4 : Fundort: i,3(?), 8 (?) Kekertak; 2, 5, 6 Jakobshavn; 4 Tossukatek; 7?; 9 Umanak. Kat. No : / Mus. Stli. iSSi, 5, S67; 2, 5, 6 Sth. Samml. Pfafl"; 9 Sth. 1881, 5, 1095; 4 Sth. 188 1, 5, 381; 7 Mus. Khh. Lc. 1105; 8 Sth. iSSi, ., 1096; 9 Kbh. 3923. Material: 1 — 4, 6—Q aus Ang^mak; 5 aus Tonschiefer (.-). Vid.-Selsk. Skrikter. II. II. F. Kl. 1907. No. 2. Tafel 4. Messer. Nonigrönland. {V4 nat. Gr). NoRSK Lystryk- og Rf.pr.axst.\lt. •rAk'^' v 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER ÜSTESKIMü. 41 Form, so dass sie, solange Metall noch nicht immer zur Verfügung stand, sogar öfters in Stein nachgebildet wurden. Nur so kann man sich jeden- falls das vereinzelte Vorkommen der grossen einschneidigen Messer (Fig. 7, Taf. 4) an der Westküste erklären. Denn ausserhalb der be- schränkten nördlichen Gebiete, wo Schiefer zur Herstellung von Geräten im Gebrauch und wo diese Nachbildung somit leicht war, wie unter den Westeskimo in neuer Zeit und in Kanada vermutlich gleich nach der Entdeckung!, sind derartige Klingen in Nordamerika nicht zu finden. Ungeschliffen sind die in Fig. i — 2, Taf. 4, abgebildeten, die so ab- genutzt sind, dass bei beiden der Schaftteil breiter als das Blatt ist. Die geschliffenen Messer dieser Tafel sind dagegen mit deutlich abgesetzten Schaftzungen versehen, die durch einseitige Abblätterung feiner Splitter nach der Vollendung des Blattes oder, wie bei Fig. 5, durch gezackte, tief eingreifende Einschnitte 2 markiert worden sind. Die Schaftzunge ist im ersten Fall auf der Oberseite, w^o die x\bsplissnarben sichtbar sind, oft etwas gewölbt, auf der Unterseite aber stets flach. Die Beschaffen- heit der Schäftung lässt sich ohne weiteres daraus ersehen. Die Klinge ist einfach mit dem unteren Ende gegen einen seitlichen Absatz am Schaft gestützt und, mit der flachen Seite der Schaftzunge nach innen gekehrt, durch eine zur Hälfte dem gewölbten Teil der letzteren, zur Hälfte dem Schaftende anliegende Bewicklung festgehalten gewesen. Aus Nordost- grönland ist diese Befestigungsweise bei einem noch zu besprechenden Messer mit erhaltenem Griff bekannt, ebenso aus anderen Gebieten bei Jagdwaffen "^ Dass sie ebenfalls dem alten Westgrönland eigen war, wird auch dadurch bekräftigt, dass an einigen der Klingen die Innenseite des Schaftteiles Reibekritzer und glänzende Stellen aufweist, die Aussenseite dagegen nicht. Die letzte Figur, Taf. 4, zeigt wieder ein einschneidiges Messer, des- sen Zweck sich jeder Vermutung entzieht. Die Schneide ist steil und im Gegensatz zum Rest geschliffen, beide Seiten sind sehr hoch gewölbt, so dass die Klinge eine unförmliche Dicke bekommt. Wegen der unbestimmten, in einander fliessenden Formen der Messer- klingen würde eine Verfolgung ihrer Verbreitung ausserhalb Grönlands keine brauchbaren Resultate bieten. Es soll deshalb bloss kurz angeführt werden, dass die Messer mit rundem Blatt in keinem nordamerikanischen Festlandsgebiet in derselben Ausdehnung wie in Grönland auftreten, wenn Ann. Archseol. Rep. Canad. Inst., 1S94 — 5, p. 65, Fig. 56. Eine ähnliche Form der Schaftzunge kommt auch in Kanada und den Neuenglandstaa- ten vor. Vgl. 1. c. p. 65 und American Naturalist, Vol. V. p. 16, u. a. O. Vgl. z. B. Bull. Am. Mus. Nat. Hist., Vol. XV, P. I, p. 67. 42 O. SOLBERG. H.-F. Kl. sie auch nirgends ganz fehlen i, während die kurzen spitzen Klingen mit geraden, konkaven oder schwach konvexen Seiten überall in grosser Zahl angetroffen 2 und gewöhnlich, \vohl nur zum Teil mit Recht, als Pfeil- spitzen charakterisiert worden sind, — Noch bleiben indessen einige Steingeräte übrig, die den Messern hinzugerechnet werden müssen und nicht geringere Aufmerksamkeit er- fordern. Es sind dies besonders die in Fig. 15 — 23 wiedergegebenen Schärfen, die anscheinend ausschliesslich der grönländischen Steinzeit an- gehören. Sie sind alle annähernd dreiseitig in Form, unten breit und schräg abgeschnitten und verjüngen sich nach oben. 16—19 :o — 23 Fig. 15-23. (15, 19-20, 22. ■',,. n. Gr.; 16— iS, 21. ''/s "• Gr ; 23. 3/^ n, Gr.) 15. Mus. Sth. iSSi, 5, 1033; 16 — 21. Mus. Slh. Samml. Pfaff; 22. Sth. 18S1, .,. 1036; 23. Mus. Kbh. I c. 585. Die eine Längsseite ist fast immer gerade oder unbedeutend auswärts gebogen, die andere ebenso oft stark nach innen gekrümmt, so dass sich dadurch unter Umständen eine Schaftzunge absetzen kann. Beide Breit- flächen sind durch sorgfältige Abspleissung kleiner Splitter geformt und in ihrer unteren Hälfte gleichmässig von der Mitte nach aussen und unten zu abgeschrägt. Bei dem zerbrochenen Stück, Fig. 16, sind beiderseits hinderliche Vorsprünge durch Schleifen entfernt worden. Die Schlififfacetten berühren aber nicht den nahen unteren Rand. In einigen Fällen scheint der Zustand der Kanten einen Aufschluss über die ursprüngliche Funktion der Gerätgruppe zu geben. Anfangs ziemlich scharf, sind sie durch lang- wierigen Gebrauch abgerundet worden und haben manchmal stellenweise eine glänzende Politur angenommen. Die in der Weise abgenutzte Partie erstreckt sich bald über den ganzen Rand unterhalb der Schafthälfte, bald ist sie wieder auf die untere schräggestellte Kante oder deren Ecken 1 Vgl. Wilson, 1. c, PI. 53, 2 Ebenda, p. 919—20, PI. 39, Fig. 14—17; p. 941, PI. 42; PI. 54 — 55 u. s. w. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER ÜSTESFZLMO. 43 beschränkt. Es ist somit klar, dass die Klingen Teile von schneidenden Instrumenten ausgemacht haben; zugleich deutet aber Fig. 23 mit der schwachen Schaftzunge an, dass sie keinem hohen Druck ausgesetzt ge- wesen sind. Es wäre demnach möglich, dass auch sie bei der Bearbei- tung weicher Stoffe Anwendung gefunden haben. Über diesen allgemeinen Schluss hinaus hätte man nicht gelangen können, wenn nicht in das moderne Nähzeug der Eskimofrauen ein klei- nes Gerät miteinbefasst wäre, dessen Abstammung offenbar auf die eigen- artigen schrägen Steinklingen zurückzuführen ist, der sogenannte Tigur- saut. Jetzt aus Knochen oder Metall zeigt er, wie aus den beigegebenen Umrisszeichnungen in Fig. 24 ersichtlich, unten dieselbe schräggestellte Fig. 24. Schneide, die meist stumpf gehalten wird und häufig nach beiden Seiten spitz ausläuft. Er dient zur Zeit beim Nähen zum Faltenlegen und Saumglätten und beim Sticken als Furchenzieher zum Musterreissen, — zusammen mit einem kleinen Messer, dem Killissut, das zum Ausschnei- den feiner Streifen aus gefärbtem Leder benutzt wird. Es liegt nahe, in beiden Ableitungen von den steinernen Klingen zu sehen. Ist das der Fall, so handelt es sich dabei also nicht um eine Vereinfachung der alten Gerätschaft, sondern um eine weitere, wohl vereinzelt dastehende Spezialisierung, da der Tigursaut heutigen Tages kaum zum Schneiden benutzt wird, während neben dem Steingerät ein dem Killissut ent- sprechendes Messer unnötig wäre. Im Gegensatz zu den vorigen kommen die kleinen, spitzovalen Schärfen wie die in Fig. 25 — 28 dargestellten nicht oft vor. Mit gutem Rechte könnte man sagen, dass die grönländische Steintechnik niemals höher reichte als bei der Herstellung dieser unansehnlichen Stücke. Denn ihre geringe Dicke, die mitunter bis auf iV'J mm. herab- sinken kann, die gewöhnlich symmetrische Form und die sorgfältig bearbeite- ten F'lächen zeugen von einer sonst selten beobachteten Geschicklichkeit. Die schönsten sind aus den härtesten Quarzvarietäten verfertigt, die weniger 44 O. SOLBERG. H.-F. Kl. regelmässig geformten sind auch ausx^ngmak und dann teilweise geschliffen. Ihre grösste Breite liegt in der Regel zwischen 2.5 cm. und 4 cm., aber noch kleinere Klingen sind gemessen worden. Wie aus formellen Einzel- heiten bei einigen hervorgeht, bildete die eine krumme Kante die Schneide, während die andere in einen Schlitz im Griff eingesetzt gewesen ist. Eine gewisse Wichtigkeit wird ihnen dadurch verliehen, dass sie in den reinen Steinzeitfunden die einzigen sind, die an die in neuer Zeit so ausserordentlich verbreiteten krummen Weibermesser oder Ulos erinnern. Und doch können wir nicht deshalb schlechthin annehmen, das wir in ihnen eine ältere Form von Ulos gefunden haben. Denn ihre Seltenheit lässt erkennen, dass sie nicht wie diese in universeller Anwendung waren. 25 — 26 ^B' :i^^ ^i.' 27 — 28 Fig. 25-2S. U5 26, 28. Vs n. Gr.. 27. 3/, n. Gr.) 25. Mus. Sth. 1881, 5, 525; 26-27. Sth. Samml. Pfaff; 28. Sth. 18S1, 5. 362. In der Tat sind dem Verfasser bisher nur ganz vereinzelte Stücke zu Gesicht gekommen. Und ein fernerer morphologischer Zusammenhang zwischen beiden dürfte sich ebensowenig nachweisen lassen. Nur kurz zu erwähnen sind endlich die in Fig. 29 — 30 zusammen- gestellten eigentümlichen Klingen, von welchen Formen nicht mehr als die abgebildeten Exemplare vorliegen. Fig. 29 hat eine gewisse Ähnlich- keit mit den nächstvorgehenden Messern (Fig. 15 — 23); die Schneide ist aber hier geschliffen. Fig. 30 ist ein Bruchstück, von dem man jedoch auf das Aussehen der ganzen Schärfe schliessen kann. Das Blatt scheint eine im Verhältnis zur Höhe beträchtliche Länge gehabt zu haben. Die Zu Taf. 5: Fundort: /, 6, lO Sermermiut ; 2, 4 Egedesm. Disir. ; '^, 5, 7 — p, rß — i8, 20 — 22, 24 Kekertak; 11 — i^, ig, 25 Jakobshavn ; 14 Karsok. Kat. No.: i, lO Mus. Kbh. Lc. 577; 2, 4, 11 — 14, ig, 2^ Mus. Sth. Samml. Pfaff; j, 5, 7—g, 16, 18, 20 — 21, 24 Kbh. Lc. 594; 6 Kbh. Lc. 576; 75 Kbh. Lb. 146; ij Kbh. o. N.; 22 Kbh. Lc. 596. Material: Angmak. X'in.-SKLSK. SKKiniK. II. II. F. Ki.. igoy. N( r.\i 1:1. 5. Bohrerspitze u. Nonlgrnnl.nul. ^Fi^'. I, :{. ö-l(t, 15-8, 20-2, 2i in 7,. Fig. 2, 4-, 11-4-, l'.l, 2:! in '/.o ";it. Gr.). N'lKSK I.YSTKVK- ' tr, l\;;i'H. ü.- V ■ 1907- No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER ÜSTESKIMÜ. 45 abgebrochene Schaftzunge ging von der oberen Ecke in einer zur Längs- achse schrägen Richtung ab, und der untere scharfe Rand bildete die Schneide. Bohrerspitzen. Besonders von den ostgrönländischen Expeditio- nen, vor allem der Nathorst'schen, sind nach Europa viele bearbeitete Knochen und Renntiergeweihe mitgebracht worden, aus deren Behand- lung hervorgeht, dass die Säge den alten Osteskimo unbekannt war. Hatten sie ein Werkstück aus Holz oder Knochen nötig, so wurde es in der Weise von einem grösseren getrennt oder herausgeschnitten, dass sie es mit einem Kreise von dicht nebeneinander eingesenkten Bohrlöchern umgaben, worauf es leicht losgebrochen werden konnte. Von den Werk- zeugen, mittels dessen diese Arbeit ausgeführt wurde, ist an der Nordost- küste bisher fast nichts entdeckt worden. Im Westen, wo die Befunde sich anders äussern, sind nur wenige alte Gegenstände gefunden, die noch Fig 29 — 30. (29. *'5 n. Gr.; 30. ^/^ n. Gr.) 29. Mus. Sth. 1S81, 5, 217; 30. Mus. Kbh. A. 470. wahrnehmbare Spuren einer solchen Bearbeitung tragen (vgl. jedoch z. B. ^^S- 3) Taf. 7). Dagegen sind die aus Nordgrönland stammenden stei- nernen Bohrerspitzen erstaunlich zahlreich, und durch die Sorgfalt, mit der sie verfertigt sind, wird ihr Wert für das vorgeschichtliche Hand- werk genugsam dargetan. Wegen ihrer vielseitigen Verwendung haben sich verschiedene recht typische Formen entwickelt. Es ist ein gemeinsames Merkmal aller Schärfen dieser Art, dass die Schneidepartie nach der Ausspaltung geschliffen worden ist. -^ eine not- wendige Massregel, da das Beibehalten der Absprengscharten an den Seitenkanten bei dem bedeutenden Druck, den die oft sehr schlanke Spitze während des Bohrens zu ertragen hatte, bald das Zersplittern derselben zur Folge gehabt hätte. Nur einzelne ungeschliffene Schärfen sind — unter Zweifeln — wegen ihrer Form den Bohrerspitzen angereiht, so Fig- 6 u. 18, Taf. 5, Fig. 8 u. 13—16, Taf. 6. Es dürfte jedoch be- gründet sein, jedenfalls die meisten von ihnen als Vorarbeiten, denen die letzte Vollendung abgeht, anzusehen. 46 O. SOLBERG. H.-F. Kl. Augenfällig durch ihre Grösse sind die unter sich ziemlich ungleichen Spitzen Fig. i — 5, Taf. 5. Die drei ersten zeichnen sich durch ihren in die Breite gezogenen, schneideähnlichen unteren Abschluss aus. Die Rückseite ist stets flach geschliffen, während die Vorderseite, die mehrere Schliffflächen aufweist, sich erhebt entweder gegen die Mitte zu von den beiden scharfen Kanten, oder von der einen Kante, die dann dünn und scharf ist, gleichmässig gegen die andere hinüber, an der in dem Fall das Stück seine grösste Dicke erhält. Im übrigen sind sie, wie gesagt, starkem Wechsel unterworfen ; klein werden sie indessen selten. Die kürzeren Schärfen, die bisweilen an der Basis mit seitlichen Einkerbungen versehen sind (vgl. Fig. 15 — 16, Taf. 5), um die Schäftung zu erleichtern, sind noch variierter. Fig. 24 läuft in eine feine, schwache Spitze aus, Fig. 13 verjüngt sich ganz allmählich nach unten und zeigt sich gleich vielen der grösseren Arten im Querschnitt als ein flaches dreiseitiges Prisma, Fig. 7 ist dagegen wieder unten breit und etwas schräg abgeschnitten, u. s. w. Aus systematischen Gründen sind die Schärfen Fig. 17 — 20^ Taf, 6, hier einzuschalten. Wie man sehen wird, sind es Klingen mit einer hochgewölbten Vorderseite und flachgeschliffener Rückseite, die mitunter zur Längsrichtung konkav ist (vgl. Fig. 19). Die eine Seiten- kante ist schräggestellt, die andere gerade. Gewöhnlich ist eine Art Schaftzunge vorhanden. Verschiedenes spricht dafür, dass dies ebenfalls Bohrerspitzen gewesen sind; anderseits macht die eigentümliche Krüm- mung der Klingen die Richtigkeit einer solchen Erklärung wieder frag- lich. Etwas abweichend ist Fig. 20 mit konvexqebogenen Seitenkanten. Zweifel kann aber nicht herrschen hinsichtlich des Charakters der letzten Gruppe, Fig. i — 16, Taf. 6. Diese besteht aus meist kleinen, regelmässig ca. 2 — 3 cm. langen, flachen Klingen von Angmak, deren geschliffene untere Hälfte in einer vielfach scharfen, etwas geneigten Schneide endet. Gewöhnlich verlaufen die aufwärts gerichteten Kanten einander annähernd parallel, seltener divergieren sie nach unten. Es ist einleuchtend, dass die dünnen Schärfen mit ihrer grossen Breite leicht einem im Verhältnis zu ihrer geringen Widerstandsfähigkeit übermässigen Zu Taf. 6: Fundort: / — 2, 4—6, 14—16 Sermermiut; ^, 8, 22, 2^ (?) Kekertak; 7, g, 11—12, i'j — 21. 2^ — 24, 26, 28— ßO Jakobshavn; lO, iß?; 2- Claushavn. Kat. No. : / Kbh. Lc. 575; 2 Kbh. Lc. 579(?); 3 Kbh. Lc. 572; 4. lO, i^ Kbh. o. N. ; 5, 6 Kbh. Lc. 577; 7 Mus. Kra, 373S ; 8 Kbh. Lc. 594; g Kbh. Lc. 1085; 11 — 12, i'J — 21, 2ß — 24, 26— 2g Mus. Sth. Sainml, Pfaff; 14 Kbh. Lc. 5S1; 75 Kbh. Lc. 585; 16 Kbh. Lc. 5S6; 22 Kbh. Lc. 596; 25 Sth. 1S81, 3, iioo; 30 Kbh. Lc. 62S. Material: vorwiegend Angmak. \'ii>. -Ski.sk. Skriitkk. II. II. I". Kl. 1907. .\( Taiki, 6. •'Vi ; 1 1 .'' /'/ // IL' /.■; 14 tr, l(i f 17 i V ■J4 L>.', L'ti 1 . Bolirersiiitsen und Pfriemen. Xonlgrönland. 'Flg. l-c, 8_i5. t7„8. 21-4. 2(). liO In '/,, Fig. 7 in -"„ Fig. Kl. l<»~-:(». -2:^. 27-11 in ',', nat. Gr.). -N'OK^K [,YSTRYK- OC, R IPK . A NS I AI. I . / op T.i : f UN;VER31TY '\ OF 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 47 Seitendruck ausgesetzt wurden. Von der unteren Hälfte ist deshalb in wechselndem Umfang der im Bereiche der schwächsten Schneideecke liegende Teil durchweg abgebrochen. Schon Pfaff war dies aufgefallen, und er bemerkt in seinem Inventar, dass es ihm trotz zwanzigjährigen Bemühungen nicht gelungen ist, ein einziges unbeschädigtes Exemplar zu erhallen. Bloss unfertige, noch nicht geschliffene Schärfen wie Fig. 8, I- — 16 sind in unversehrtem Zustande gefunden worden ^ Es sollte demnach erscheinen, als wären diese Bohrerspitzen wenig zweckmässig gewesen ; aber nichts destoweniger waren sie in ausgedehnter Verwendung. In den meisten älteren Funden sind sie ebenso häufig wie alle Spitzen der vorher genannten Formen zusammengenommen. Gegenstücke zu den verschiedenen Arten von Schärfen, die in diesem Abschnitt betrachtet worden sind, sucht man ausserhalb Westgrönlands vergebens. Ihnen am nächsten stehen die kleinen unbearbeiteten Berg- krystalle, die angeblich ehemals von den Eskimo in Cumberlandsund als ürillbohrerspitzen benutzt wurden-. Berührungspunkte mit den Geräten der Aussenwelt entbehrt die Gruppe in formeller Hinsicht jedoch nicht völlig, wenn es auch nur aus einem vereinzelt dastehenden, überdies unvollständigen Belegstück erhellt. Fig. 21, Taf. 6. Es ist das ein Teil einer runden, aus Angmak schön ge- schliffenen Bohrerspitze, die sich unten abflacht und in eine scharfe Schneide ausläuft. Sie ist offenbar aus später Zeit; denn sie gibt ledig- lich in Stein die Gestalt der ersten eisernen Spitzen einheimischer Manu- faktur wieder. Ganz ähnliche Geräte aus Stein fanden Jakobsen'^ und Nelson* in Alaska und aus Knochen Murdoch unter den Point Barrow Eskimo^. Irgend welche Bedeutung darf man deshalb dem Bruchstück nicht beimessen; es ist aber als ein interessantes Beispiel des vom Eisen ausgeübten und unter gleichen äusseren Bedingungen an verschiedenen Orten die gleichen Resultate erzielenden Einflusses auf eine noch zu recht bestehende Steintechnik wohl wert mit aufgeführt zu werden. • Es ist übrigens recht zweifelhaft, ob. z. B. Fig. 14. die aus einem Gestein c^eformt ist, das in Grönland nicht geschliffen wtirde, wirklich als eine solche Vorarbeit anzusehen ist. 2 Samml. Boas im Mus. f. Völkerkunde, Berlin. ^ Samml. Jakobsen, Mus. f. Völkerk., Berlin. ' Samml. Nelson, Nat. Mus.. Washington. 6 Murdoch ist der Ansicht {IX Ann. Rep. Bur. Ethnol., p. i~q), dass die Westeskimo vor der Einführung des Eisens Bohrerspitzen aus Seehundsknochen verwendeten. Schwer verständlich wird es aber in dem Fall, wie man sich dem harten Elfenbein gegenüber, das sogar in fossilem Zustande beliebt war, geholfen hat. Jedoch, der gänzliche Mangel an Altertümern aus den westlichen Gebieten schliesst die Möglichkeit einer näheren Untersuchung über diesen Punkt aus. Aber Murdoch bemerkt selbst über eine Schärfe der besprochenen Art, dass sie eine genaue Nachbildung moderner eiserner Spitzen ist. 48 O. SOLBERG. H -F. Kl. Handbohrer. Als solche seien hier einige Geräte zum Bohren oder Stechen bezeichnet, die kaum zur Schäftung bestimmt waren. Ihre Forin ist manchmal zaifällig, und auch bei den am besten verarbeiteten für ihren vermeintlichen Zweck wenig ausgeprägt. Sie machen daher auf weitere Berücksichtigung keinen Anspruch. Fig. 22 — 3, Taf. 6, werden eine hinreichende Vorstellung von den kräftigen Splittern geben, die bald durch flüchtige Randaussprengung, bald durch beschränktes Schleifen in einfache, aber dienliche Werkzeuge umgestaltet worden sind. Pfriemen. In mehreren grossen Kollektionen finden sich von Schärfen zum Stechen ausserdem noch steinerne Pfriemen und zwar zweierlei Art. Einmal die ausschliesslich durch Ausspalten vorzüglich geformten Spitzen Fig. 3, S. 26, und Fig. 28 --9, Taf. 6, deren tech- nische Behandlung, wie früher hervorgehoben, von hoher Geschicklichkeit zeugt. Sie sind durch zweiseitige Randschärfung hergestellt und haben dadurch eine im Querschnitt etwas flachgedruckte Form erhalten, ebenso scharfe Seitenkanten, die gegen die Spitze zu wie gegen das wegen der Schäftung noch weiter abgeflachte obere Ende schwach konvergieren. Sodann die teilweise sehr schlanken Spitzen mit kreisrundem Querschnitt, wie Fig. 24 — 7, Taf. 6, denen nach vorausgehendem Zuspalten durch Schleifen und Polieren eine glatte Oberfläche gegeben ist. Auch diese sind gegen das obere Ende abgeplattet. Ihre Grösse ist schwankend, das Material bei allen Pfriemen Angmak. Fig. 30, Taf. 6, muss als eine Vorarbeit aufgefasst werden. Es wirkt befremdend, dass für Pfriemen, für welche der sonst über- all verwendete Knochen unübertrefflich erscheint, ein so zerbrechlicher Stoff auseisehen worden war. Zweifellos hat die grössere Schneidkraft des Steines zu dieser Wahl geführt. Selbständige Formen sind die Angmakpfriemen jedoch kaum, teils weil sie selten auftreten, teils weil Parallelformen in Knochen vorhanden sind. Beile. Bis zum heutigen Tag blieb das Beil mit in der Schaft- richtung liegender Schneide in Grönland dem einheimischen Handwerk fast fremd. Bei der ersten groben Ausarbeitung der wenigen notwen- digen grossen Gegenstände aus Holz kamen lediglich europäische Stemm- eisen, die von den Eskimo selbst als Queräxte geschäftet wurden, in Betracht. Ihre Vorläufer haben die eigenartigen Geräte unter den Er- zeugnissen der Steinzeit, die ebenfalls keine Beile der zuerst genannten Art kannte. Zu Taf. 7 : Fundort: /, 2 Niakornak; '^ Jakobshavn (.'). Kat. No.: i, 2 Mus. Kbh. Lc. 7S0— 81; 9 Kbh. Lc. 714. Material: Renntiergeweih u. Angmak. X'id.-Sklsk. Skkiktkk. II. IL F. Ki.. 1907. No. 2. Tai KL 7. \c NORSK I.YSTUYK- OC; RlPR .ANS I ALT. •(; Rl PK. ANSI O F " r H £ 1907. No, 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 59 liehen Schwanken. Fig. 7 hat die erstaunliche Länge von über 30 cm., während Fig. 4 so klein ist, dass die Hand nur ungenügenden Halt an dem kurzen Griff findet. Die Klinge trägt an sämtlichen deutlich erkenn- bare, neu aussehende Abnutzungsspuren, kreuz und quer verlaufende scharfe Striche, obgleich das Material ganz weicher Tonschiefer i.st, der sich in mehreren Fällen mit dem Nagel ritzen lässt, und obgleich einige, wie Fig. 3. unbeschützt auf freiem Felde den Einwirkungen der Witterung ausgesetzt gewesen sind, seitdem die Eigentümer sie dort zurückliessen. Da man dabei, weil der Schaftteil immer unversehrt ist, nicht etwa an Sandkritzer denken darf, scheint es schon daraus zu erhellen, dass diese Geräte kein hohes Alter haben. Noch weiter wird diese Vermutung insofern unterstützt, als bei einem Messer, Fig. 6, der hölzerne Schaft erhalten ist, — was, wie gesagt, an der Westküste noch nie vorgekommen ist, wenn man von Ulos absieht. Der Schaft ist auf der Rückseite mit einem gerade ausgeschnittenen Absatz versehen, gegen den sich das Blatt stützt, und war ausserdem durch gut fixierte Bewicklung mit ihm fest verbunden, in einer Weise, die sich aus der Lage der Kerben und Durchbohrungen an dem hölzernen Griff" und der Schaftzunge der Klinge leicht ersehen lässt. Betrachtet man bloss die Form dieser Schneidegeräte, so wird man nicht leugnen können, dass sie echt eskimoischen Geräten sehr wenig gleich sehen. Grössere einschneidige Messer gehören, wie früher erwähnt, nicht der ursprünglichen nordamerikanischen Steinzeit an, und wenn sie auftreten, kann man mit ziemlicher Sicherheit schliessen, dass sie nach fremdem Muster hergestellt sind. Wir können nicht umhin, hier dasselbe anzunehmen. Denn wenn auch die P'orm von Stück zu Stück beträcht- liche Umänderungen erleidet, so ist ihre Ähnlichkeit mit europäischen Messern augenfällig genug, um ihre Entstehung zu erklären. Es soll nicht unberücksichtigt bleiben, dass man vielleicht auch an eine Nachbildung der grossen knöchernen Eisschaber, denen die Schiefermesser an Gestalt nahe kommen, denken könnte, besonders weil eben in unserer Gegend die Grösse der letzteren wenigstens bei einem Exemplar (vgl. Fig. 7) nicht hinter derjenigen der Schaber zurücksteht. Aber teils ist die Funktion der beiden Gerätarten vermutlich viel zu verschieden ge- wesen, um einen solchen Vorgang hervorzurufen, teils sind die schwan- kenden Grössenverhältnisse nicht auf diese Messer beschränkt. Scheinbar ist keine andere Möglichkeit vorhanden, als die in Amerika absonder- lichen Schneidegeräte auf eine Übertragung europäischer Messerformen in Stein zurückzuführen. 6o O. SOLBERG. H.-F. Kl. Nicht minder wichtig ist ferner, wenn wir zu einem allgemeinen Be- griff von dem Alter der Besiedelung Nordostgrönlands gelangen wollen, das vollständige Fehlen aller anderen steinernen Schneidegeräte ausser eben diesen Messern und den Ulos. Es sind, da die Waffenschärfen uns in dieser Verbindung nicht interessieren, nur zwei Ausnahmen zu ver- zeichnen. Erstens der genannte, von Ryder aufgefundene Schaber, sodann ein ebenfalls von ihm mitgebrachtes Bruchstück einer Klinge, das möglicherweise als Schnitzmesserschärfe benutzt worden ist^. Sie besteht bloss aus der abgebrochenen Ecke eines Ulo, die durch eine neue Durchbohrung wieder brauchbar gemacht worden ist, was auch an der Westküste bisweilen üblich war. Das Stück zeugt aber wie die übrigen Steinsachen von einer im Schwinden begriffenen Technik, von seiner späten Herstellung. Sonst keine Schnitzmesserklinge, keine Bohrer- spitze aus Stein bisher entdeckt! Es mag bedenklich erscheinen, wieder ein negatives Moment heranzuziehen. Allein in dem vorliegenden P'all machen die umfassenden und für Grönland ungewöhnlich genauen Unter- suchungen Nathorsts, Ryders und der Germaniaexpedition jedes Be- denken belanglos. Ein reines Steinalter, hätte seine Herrschaft auch gar nicht lange gedauert, würde eine Kulturschicht hinterlassen haben, die vielleicht sehr dünn und inbezug auf örtliche Ausdehnung sehr be- schränkt, aber dafür viel zu charakteristisch gewesen wäre, um der Auf- merksamkeit bis auf den heutigen Tag entgehen zu können. Darüber wird die Fülle von eigentümlichen Werkzeugklingen, die wir der ältesten westgrönländischen Kultur verdanken, hinreichend belehren. Die Ursache liegt auf der Hand. Wie in Südwestgrönland hat das Eisen bald nach dem Eindringen der Eingeborenen die kleinen Stein- geräte verdrängt, oder es ist wohl möglich, dass die Nordostgrönländer dieselben schon vorher aufgegeben hatten. Wie dem ist, wird sich aller- dings kaum jemals entscheiden lassen. Voraussichtlich w^erden trotz allem künftig steinerne Schnitzmesserklingen in spärlicher Zahl doch noch zum Vorschein kommen; wenn aber die Fundumstände nicht bestimmte Auskunft geben sollten, wird man vermuten müssen, dass sie von kurzen Perioden herrühren, in denen die Quellen, die das Eisen lieferten, spar- samer wie sonst flössen. So hat G. Holm seinerzeit in Angmagsalik mehrere kleine Steinmesser vorgefunden, die, nach seinen Angaben zu urteilen^, wahrscheinlich in der ersten Hälfte des iQten Jahrhunderts in Anwendung waren. Zwei derselben sind in Fig. i — 2, Taf. 9, wieder- i Meddelelser om Granland, XVII, p. 322 — 3. '•! Meddelelser om Grönland, X, p. 70. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGKSCHICHTK DER OS TKSKIMÜ. 6[ gegeben, da die Abbildungen Holms unseren Zwecken nicht genügen. Die Klinge des in Hg. 2 dargestellten ist schön aus Chalcedon aus- gespalten, während die des anderen mit geringer Sorgfalt aus Schiefer verfertigt ist. Man darf aber nicht, wie geschehen, aus dem Vorkommen der steinernen Messer in Angmagsalik folgern, dass vor dem Anfang des igten Jahrhunderts Stein immer das vorwiegende Material für kleine VVerkzeugklingen gewesen ist. Ihr Auftreten hier zu der Zeit ist leicht im Zusammenhang mit ihrem früheren Fehlen weiter gegen Norden hin 7.U erklären. Die Ausgrabungen Ryders und Nathorsts erwiesen, dass Eisen den Eingeborenen der Nordostküste in gewissen Mengen zur Verfügung stand. Die beiden Forscher fanden Messer und andere Geräte mit Metallklingen^, so Ryder ein eisernes Schnitzmesser mit hölzernem Griff, das in der P'orm mit entsprechenden in Stein aus Angmagsalik übereinstimmt. Niemand hat, soviel mir bekannt, es bisher der Mühe wert gehalten, die Frage zu verfolgen, wann und woher das Eisen in diese abgelegene Gegend ge- kommen, und aus dem einfachen Faktum, dass ihre einstigen Bewohner teilweise von der Eisenzufuhr abhängig waren, die nicht so ganz un- wichtigen Konsequenzen zu ziehen. Wenn es sich aber herausgestellt hat, dass der fremde Stoff die einheimische Gerätschaft in gewissen Beziehun- gen — es mögen auch in wenigen sein — modifiziert hat, gewinnt sein Auftreten für uns eine unmittelbare Bedeutung als Ausgangspunkt für annähernde Datierungen. Wir fanden an der Südwestküste alle Anzeichen, dass das Eisen dort am Anfang des i6ten Jahrhunderts gut bekannt war, und ver- mutlich war es an einigen Stellen schon lange vorher in derselben Ausdehnung verwendet worden wie — zu der Zeit, um die es sich hier handelt — in Nordostgrönland. Hier kann es indessen erst später Ein- gang gefunden haben. Hier wie dort waren es nämlich verlorene Fang- schiffe und Wrackgut, die die Eingeborenen mit Eisen versorgen mussten. Aber während gelegentlich bereits der baskische Walfischfang im nörd- lichen Atlantischen Meer in dieser Weise früh Südvvestgrönland zugute gekommen sein mag, konnte erst die nachher von den Nordseehäfen aus eifrig betriebene Eismeerjagd, besonders im Spitzbergenfahrwasser, der Nordostküste etwas zuführen, da weder die Basken noch andere Seefahrer vor der Zeit nach den hohen Breiten vordrangen. Darf man nun davon ausgehen, dass die obige Anführung auf Grund der angestellten Feld- untersuchungen berechtigt ist, dass also die kleinen Gerätklingen, wie Ebenda, XVII, 322; Nathorst: Tvä Somrar etc., II, p. 257, 345. 62 O. SOLBERG. H.-F. Kl. Schnitzmesserschärfe und I^ohrerspitze, nur ausnahmsweise in einem an- deren Material als Eisen hergestellt wurden, so deutet alles wieder darauf hin, dass die Besiedelung der Nordostküste jung ist. Ihr Beginn könnte somit wohl in das i6te, ja in die erste Hälfte des ijten Jahrhunderts fallen, was völlig im Einklang mit dem niederen Stand der Steintechnik steht. Es ist kaum notwendig hinzuzufügen, dass es sich, wenn wir vor allem Gewicht auf das Vorkommen oder Fehlen der steinernen Schnitzmesser und Bohrerspitzen gelegt haben, nicht um unerhebliche Details handelt. Sie sind zwar beide unansehnlich, aber in der eskimoischen Wirtschaft sind sowohl die kleinen Messer als der Drillbohrer für das Handwerk ebenso charakteristisch und indirekt für den Erwerb ebenso unentbehrlich wie direkt Harpune und Lanze. Und eben an diesen kleinen Geraten hätten wir auch von vornherein erwarten können, dass sich die Um- änderungen der neuen Zeit am ehesten und am leichtesten verspüren Hessen, weil ihre Verbesserung den Aufwand von Mühe bei dem Ver- fertigen der Waffen sehr bedeutend herabmindern müsste, und weil die- selbe bloss eine minimale Menge des fremden Materials erforderte. An der Westküste hatte daher diese ebenfalls längst stattgefunden, bevor die übrigen, grösseren Steingeräte aufgegeben werden konnten. — Gestattet uns die vorhergehende Erörterung nun auch zu vermuten, dass die Nordostgrönländer nicht »viele« Jahrhunderte in ihrem Gebiet gesessen haben, so ist damit wenig über ihren Einwanderungsweg und ihre Stammverwandtschaft ausgesagt worden. Diese beiden Fragen müssen dahingestellt bleiben. Obwohl die von Holm vertretene Theorie durch die gemachten Folgerungen nichts weniger als unterstützt wird, so besteht trotzdem mit gewissen Einschränkungen ihre Möglichkeit. Annehmbar wäre so unter Umständen die von W. Thalbitzer vorgeschlagene V^ari- ante, nach der die nördlichen Bewohner der Ostküste einschliesslich der Angmagsalikeskimo sowie die nördlichsten Bewohner der Westküste der- selben Stammgruppe angehören und nach den südlicher wohnenden in Grönland eingetroffen sind^. Ihr schroff gegenüber stellen sich aber die Ansichten R}'ders^. Nach seinen Untersuchungen sowohl in Scoresby Sund als an der nördlichen Westküste meint er feststellen zu können, dass die nächsten Stammverwandten der Nordostgrönländer nicht im westlichen Grönland zu suchen sind. Das entscheidende Wort kann lediglich die harrende Erforschung der unbekannten Nordküste geben. Sind da keine eskimoische Überbleibsel vorhanden, so liegt die Sache ' Meddelelser om Grönland, XXXI, p. 40 ff. 257 ü. ^ Ebenda, XVII, p. 340 ff. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 6]^ klar; anderseits ist aber mit dem Vorfinden selbst einer kontinuirlichen Reihe von Wohnplätzen — was nach allem, was wir wissen, nicht aus- geschlossen ist — die nördliche Einwanderung nicht erwiesen. Im letzten VaWe wi-irde man nur durch methodische Ausgrabungen im stände sein, die schwierige Frage zu lösen. Dem sei nun, wie ihm wolle. Es ist nicht meine Absicht, die Zahl der H}-pothesen um eine neue zu vermehren; ich glaube aber hinreichend die Auffassung begründet zu haben, dass die steinernen Gerätformen Nordostgrönlands ebensowenig wie die Ulos Weslgrönlands den Arte- fakten des ältesten Steinalters der letzten Gegend zeitlich an die Seite gestellt werden dürfen. Steinerne Waffenschärfen. So eng waren stets die Eskimo durch ihren Erwerb an das Meer gebunden, dass alles Originelle in ihrer wirtschaftlichen und materiellen Kultur in erster Linie aus seinem Einfluss entsprungen ist. Nur seine reiche Säugetierfauna konnte ihnen an der tundrenstarren Nordküste Amerikas dauernd Unterhalt gewähren, nur die unerschöpiliche Ergiebig- keit des Seehundsfanges in der polaren Inselwelt ermöglichte ihr \'or- dringen nach den höchsten Breiten, die von primitiven Menschen erreicht sind. Ihre Unabhängigkeit von den Erzeugnissen des Erdbodens ver- danken sie daneben jedoch in ähnlichem Masse ihren Waffen. In ihnen findet sich die ganze Eigenart der Eskimokultur eingeschlossen. Diese mag auch sonst typische Gerätschaften, die aus den besonderen Bedürf- nissen des arktischen Lebens hervorgegangen sind, geschaffen haben; keinen von ihnen kommt aber dieselbe allgemeine Bedeutung wie jenen zu. So ist ja der Kajak ebensowenig wie der Hundeschlitten überall unentbehrlich gewesen. Die wichtigsten Wurf- oder Stosswaffen dagegen fehlen nirgends, und inbezug auf die Prinzipien ihrer Arbeitsleistung und Zusammensetzung sind sie bloss unerheblichen Variationen unterworfen. Als die erwerbstechnische Grundlage der gesamten Kultur bleiben sie, wenn auch in den verschiedenen Gebieten von örtlichen Sonderformen vertreten, von dem entlegensten Westen bis zu Ostgrönland in grossen Zügen sich gleich. , Ihre charakteristischen Eigenschaften liegen in der sinnreichen An- passung an die Jagd auf die grossen Seetiere. Hinsichtlich ihres Ur- sprungs lassen sich alle leicht auf die einfache Lanze des Landjägers zurückführen. Aber infolge der mehrseitigen und weitgeführten Speziali- 64 O. SÜLBERG. H.-F. KI. sierung, die diese erleiden musste, noch ehe die Verbreitung der Eskimo über das arktische Amerika stattfinden konnte, haben sie nicht viel mehr wie eine ferne Ähnlichkeit mit der Grundform bewahrt. Bereits in alter Zeit hat man bemerkt, dass sie in zwei Hauptarten zerfallen. Am klarsten ist das von Fabriciusi und später ebenfalls von Rink^präci- siert worden. Sei es dass die Jagd von dem Kajak aus, oder dass sie von dem Eise vor sich geht, in beiden Fällen ist eine Reihe von Vor- kehrungen erforderlich, um aus einem nachgestellten Tier eine sichere Beute zu machen. Wegen der schwierigen Verhältnisse, in denen sich der Jäger befindet, vor allem aber wegen der Grösse der Jagdtiere — es mögen nun Cetaceen, Walrosse oder Seehunde sein — ist es eine Ausnahme, wenn ein Tier durch den ersten Wurf erlegt wird. Es ist deshalb unumgänglich notwendig, schon bei dem Anschiessen zuvörderst solche Massregeln zu treffen, dass es sich nicht wieder aus dem Bereich des Jägers entfernen kann. Das wird mittels der Harpune erreicht, der einen Hauptwaffe, die das verwundete Tier fixiert oder es in seinen Bewegungen hindert, um dem Jagenden Gelegenheit zu bieten, es unter Zuhilfenahme der zweiten Hauptwaffe, der Lanze, zu töten. Es ent- spricht genau dem Verfahren, das bei dem ältesten europäischen Walfisch- fang im Schwange war, bloss ist die Methode der Eskimo weit aus- gebildeter und effektiver, was auch der Fall sein musste, da auf ihr die Existenz eines Volkstammes beruht. Von den beiden Waffen ist die Harpune, die so häufig beschrieben worden ist, dass sie als hinreichend bekannt vorausgesetzt werden darf, die am meisten spezialisierte und ebenfalls die am stärksten differenzierte. Ihre volle Zweckmässigkeit hat sie erst durch eine bis in die kleinsten Einzelheiten gehende Ausarbeitung sämtlicher Glieder erhalten, eine Ausarbeitung , die sich auf das Zusammenwirken einer Anzahl von verschiedenen, geschickt gegen einander abgewägten Prinzipien gründet. Es genügt in dieser Hinsicht, wenn man sich der Bestimmung der beim Gebrauch sich ablösenden Spitze und des beweglichen Vorstückes erinnert, ferner der Weise, in der die Beweglichkeit des letzten zuwege gebracht ist, sowie der Kraftwirkung des Wurfbrettes mit der daraus erfolgten erhöhten Schwere der Waffe, die wiederum ihre Nutzleistung gesteigert hat, — um einzusehen, welch entwickelter Sinn für Erfin- dung in der allmählichen Ausgestaltung der Harpune aus der einfachen Lanze zutage tritt. Wenn indessen gesagt worden ist, dass der Er- 1 In seiner trefflichen und überaus »genauen Beschreibung sämtlicher Fanggeräte der Grönländer für den Seehundsfang«, Dansk Vid.-Selsk.'s Skrifter, Vol. V (Kopenh. iSio). 2 Aarbeger f. nord. Oldkyndighed (Kopenh.), 1890, p. 192 ff. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 65 finder ein Genie gewesen sein muss, so ist die Aussage nur dann zu- treffend, wenn man sie figürlich auf die Trefflichkeit des Fanggerätes bezieht. Denn die Harpune ist, wie man ohne weiteres verstehen wird, weder das Werk eines Mannes noch das einer Generation. In ihren üblichsten Formen repräsentiert sie eine Summe von Einzelerfindungen, deren praktische Verwertung und Zusammenarbeitung in einer primitiven Gesellschaft ohne Zweifel längere Zeiträume in Anspruch genommen haben müssen. Und niemand kann wissen, wie oft und in welcher Aus- dehnung die ersten, schaffenden Ideen Umänderungen erfahren haben, bevor die bekannte endliche und so gut wie vollkommene Konstruktion erzielt v.-orden ist. Die Entwicklung der Harpune ist vielmehr mit der- W I Fig. 50- (V4 n- Gr.) Mus. Kbh. Lb. 48. jenigen der arktischen Kultur gleichlaufend und birgt in sich den Keim des Wachstums der letzteren. An der Waffe ist nichts so variiert worden wie die vordere, lose oder bewegliche Spitze. Auf ihre Herstellung wurde ausserordentliche Sorgfalt gelegt, so dass beinahe jeder Bezirk, der kulturelle Eigentümlich- keiten aufweisen kann, neben einigen durchgehenden Grundtypen auch solche besonderer Form hat. Dies betrifft jedoch nur den Teil der Spitzen, der aus Knochen oder Geweih besteht. Die dazu gehörige steinerne Schärfe war, wenn sie überhaupt zur Verwendung kam, was jedenfalls unmittelbar vor der neuesten Zeit nicht immer geschah, von untergeordneter Wichtigkeit, und ihre Gestalt war öfters wesentlich von der Art der Befestigung abhängig. Der knöcherne Teil trug und trägt noch die Widerhaken, die für die Harpune charakteristisch sind, — im Vid.-Selsk. Skrifter. 11. H.-F. Kl. 1907. No. 2. 5 66 O. SOLBERG. H.-F. Kl. Gegensatze zu der Lanze, deren Spitze darauf eingerichtet ist, so leicht wie möglich wieder aus einer dem Tiere beigebrachten Wunde heraus- zugleiten, und daher keine seitlichen Vorsprünge besitzen darf. Die steinerne Harpunenschärfe selbst ist aus dem Grund bald in Flächenansicht abgerundet und hat bald eine gerade abgeschnittene Basis, deren Ecken wohl als Widerhaken wirken können, die aber auch häufig aus dem Knockenstück nicht hervorragen. Die Schärfe ist mit anderen Worten ganz unselbständig und lediglich, oder jedenfalls hauptsächlich, vorhanden, um die Spitze mit einer scharfen Schneide zu versehen (vgl. Fig. 50). Es lässt sich somit nicht in allen Fällen entscheiden, welche der gefundenen Schärfen Harpunen und welche Lanzen armiert haben. Frei- lich haben diejenigen, die so geformt sind, dass sie an der Wunde fest haften mussten, immer zu Waffen der erstgenannten Art gehört, aber anderseits sind diejenigen von abgerundeter Blattform wahrscheinlich, wie in neuer Zeit ähnliche aus Metall, sowohl an diesen als an Lanzen benutzt worden^. Die typische steinerne Harpunenschärfe ist, wie aus Fig. II — 18, Taf. 10, ersichtlich, dreikantig, mit gerader Basis und mehr oder weniger gebogenen, scharfen und spitz zusammenlaufenden Seitenrändern. Jede der gleich aussehenden Breitseiten ist von Flächen eingenommen, die gegen die Ränder mitunter sehr steil abfallen und sich vorn in einer meist gut markierten Mittellinie begegnen. Die gegen die Basis sich abschrägende Fläche begrenzt den Teil, der in das knöcherne Kopfstiick eingefügt wird, und die zum Sichern der Befestigung ein oder zwei ge- drillte Löcher hat. Es gibt jedoch zahlreiche Schärfen, die keine Durch- bohrungen zeigen, wenn sie auch in Grönland lange nicht so häufig auf- treten wie bei den Westeskimo, wo übrigens die im ganzen schwächere Form das Fehlen der Nietlöcher erklärt. Einleuchtend ist, dass solche bei schlecht gelungenem Anwurf öfters aus dem Schlitz herausgerissen werden und verloren gehen mussten, und man kennt in der Tat mehrere " « Vgl. Bull. Am. Mus. Nat. Hist., Vol. XV, P. I, p. 68, Fig. 89; Ann. Rep. Bur. Elhnol., Vol. IX, p. 226, Fig. 216 a; p. 230, Fig. 223; p. 241, Fig. 239 — 40. Zu Taf. 10 : , ■ Fundort: 7, 6, lO, 14, 16 »Westgrönland«; 2—4, rr, r^, rj — i8 Jakobshavn ; 5(?), g Ke- kertak; 7—8 Upernivik; /2 — 75 Umanak. Kat. No. : / Mus. Kbh. 7852; 2 Mus. Kr.a 3739; 9 Nat. Mus. Wasliington 34049; 4, 75, 17 Mus. Sth. Samml. Pfaff; 5 Sth. 1881, 5, 1097; 6 Kbh. Lb.- 564; 7 Kbh. 7856; * 8 Kbh. Lb. 103; g Kbh. Lb. 145; lO Kbh. 7851 ; ir Kbh. ELc. 136; 12 Kbh. Lb. 104; 13, 16 Kbh. o. N.; r4 Kbh. Lb. 253; 18 Kbh. L. 1788. Material: Angmak. \'ii).-Ski..sk. Skkiitkr. II. II. !•'. Ki.. igo;. No. 2. wvx 10. 'Waffensi>iUen. Weslgrönlaiul. iFig. 1, C-i:}. 18 in ■ ,,„ Fig. 2 in ^ ,„ 3, U. 10 in -' f^ig 5 in '/.., nat. Gr.). Fig. 4. i:.. 17 ii NoUSK LySIKVK- im; Ir..\n.st.\i.t. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 71 Metalles auf die Form der Steingeräte. In Fig. 53 ist eine Parallelform in Knochen abgebildet. Ebenso kurz kann man sich über die formellen Eigenschaften der kleineren, mit den nächstvorhergehenden verwandten Pfeilspitzen der Taf. 12 fassen, obgleich sie in mehr als einer Hinsicht von ausser- gewöhnlichem Interesse sind. Die Grundform ist auch bei ihnen an- nähernd oval, aber länger und schmäler und oft an beiden Enden zu- gespitzt. Sind auch die Abweichungen von dem Typus recht variiert, so Fig. 52. {'■^U n. Gr.) Mus. Kbh. Lb. 254. Fig. 53. (Vg n- Gr.) Mus. Sth. Samml. Pfaff. ist trotzdem eine gewisse Gleichförmigkeit ausgenommen bei den fünf letzten Figuren der Tafel — nicht zu verkennen, und zwischen den ver- schiedenen Unterformen gibt es zahlreiche Übergänge, die ihre Zusammen- gehörigkeit bestätigen. Das auffälligste Kennzeichen ist das Fehlen von Widerhaken und von scharf markierten, hervorspringenden Schultern (Fig. IG steht vereinzelt da). Vielleicht könnte man, wenn man Wert auf Schematismus legte, die Schärfen mit ungebrochenem, spitzovalem zu spindelförmigem Umrisse (links an der Taf.) von denjenigen sondern 72 O. SOLBERG. H.-F. Kl. deren untere Hälfte sich als eine am öftesten wenig ausgeprägte Schaft- zunge vorn Blatt abhebt (rechts an der Taf.). Aber selbst die Berechti- gung einer solchen Unterscheidung wäre zweifelhaft. Alle sind durch Ausspalten geformt, und im Allgemeinen ist die Arbeit mit mehr Sorgfalt ausgeführt als an anderen Steingeräten. Selten bemerkt man, wie an Fig. i8, die von Ungeschicklichkeit zeugenden Schliffacetten. Die hochgewölbten Breitseiten sind gleichmässig über- arbeitet, die Ränder mitunter schön gezahnt. Die Grösse ist stark wech.selnd, das Material meist Angmak oder sehr feinkörniger gehärteter Sandstein, daneben auch Jaspis und Chalcedon. Mehrere Spitzen tragen, insofern dies an ihrem Ausseren zu erkennen ist, die Anzeichen eines verhältnismässig hohen Alters. Die Oberfläche ist verwittert, die Ränder der Absprengnarben sind abgerundet oder verwischt, die Kanten stumpf Vermutlich finden sich unter ihnen einige der ältesten Steinsachen, die aus der vorgeschichtlichen Zeit Grönlands erhalten sind. Eine eigene Bedeutung wird ihnen wie den Spitzen der Taf. 1 1 dadurch verliehen, dass sie allen übrigen Formen gegenüber abgesondert dastehen. Weder lehnen sie sich selbst an andere Typen, noch gibt es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus anderem Stoff oder in anderer Ausführung Spitzen, die ihnen nachgebildet sind. Die ovale, ungestielte Form ist dieselbe, die vormals über ganz Nordamerika verbreitet war^ ausser, soweit bekannt, im westlichen Eskimogebiet. Die Ähnlichkeit, die man möglicherweise zwischen der gestielten Blattform rechts an der Taf. 1 1 und einigen früher bei den Westeskimo gebrauchten steinernen Waffenschärfen 2 entdecken könnte, ist so fern, dass sie nicht als genetisch aufgefasst werden darf. Inbezug auf die Schäftung der Pfeilspitzen muss man vermuten, dass diese ebenfalls der der indianischen entsprochen hat, — dass die Schärfe direkt an den Schaft befestigt gewesen ist und • Vgl. z. B. Wilson, 1. c, p. S95 ff., Fig. S9-93, u. PI. 28. 2 Vgl. z. B. Ann. Rep. Bur. Ethnol., IX, p. 202 — 3, F'g- •83 — 5; p. 241. Fig. 239 — 40. Zu Taf. 12 : Fundort: /, 7, 16,^6 »Weslgrönlandt ; 2, ß, 5, 6, 8 — rr, 14, 29—24, 28—^0,^^4—55, ßj Jakobsh. Distr.; 4 Graedefjord ; 12— rß, 18 (?), 2^ (?) Kekertak; 15 Egedesm. Distr. ; ly »Diskobucht«; ig— 22, 26—2/,ß2 Sermermiut; ^^^ Akunak; 59 Claushavn. Kat, No.: r Mus. Kbh. Lb. 41; 2 Kbh. L. 1790; ß, 5, 6, 8—rO, 12, 15. 25-24. 28— 29, 34-35, 37 Mus. Sth. Samml. Pfaff; 4 Kbh. 6366; 7 Kbh. Lb. 114; rr, 14, 30 Mus. Kr.a 3740—2; 13 Sth. iSSi, ., 916; 16 Kbh. 7S50; rj Kbh. L. 1S95; r8 Sth. 1881, 5, 1106; ig, 26 Kbh. A. 344; 20, 22 Kbh. A. 342; 2[ Kbh. o. N. ; 25 Sth. 1881, 5, 1107; 27,^2 Kbh. A. 345; j?^ Kbh. Lb. 31T, 33 Sth. iSSr, ., 17; 5^ Kbh, Lb. 115. Material: vorwiegend Angmak. \'ii>. -Ski.sk. Skriktir. II. II. 1'. Kl. 1907. X< .\i 1 1. 12. 14 :;., :i'i Waffensintzen. WestgrüiilaiKi. (Fig. \--2, 4-, 7, 16-7. lD-22, 20-7, 31-2, 3(> in '/,o. Fig- -^ -^-'J- S-10. 18. 25. 34—5, 37 in 3/,. Fig. 11, 14, 30 i„ j/^,, Fig. 12, 15, 23-4, 28-<). :« in * ,, Fig. 13 in "'/c nat Gr.). NORSK LVSIKVK- Oi. Rl.l'K.ANSlAl 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 73 allein die eigentliche Armierung ausgemacht hat, nicht im Verein mit einem knöchernen Vorderstück. Das letzte gilt aber annehmlich von einer anderen Art von Pfeil- schärfen. In Fig. 54 sind einige knöcherne Spitzen von verschiedenerlei Gestalt wiedergegeben, eine Reihe, die sich leicht verlängern Hesse, da der Variation der eskimoischen Schnitzarbeiten offenbar keine Grenze gesetzt ist. Sie sind hier beigefügt, weil mehrere mit Schärfen versehen Figf. 54, Knöcherne Pfeilspitzen. Westgröniand. sind, — die noch vorliegenden allerdings mit eisernen. Es scheint in- dessen, als ob wir auch die in Fig. 33 — 37, Taf. 12, abgebildeten aus Stein mit ihnen verbinden müssen. Es sind dies flache, etwa i mm. dicke Blättchen, die meist aus Angmak geschliffen sind und durch nach- trägliche Randaussplitterung ihre Form erhalten haben. Andere wurden zuerst ausgespalten und nachher geschliffen. Ausnahmsweise sind sie aus härteren Quarziten allein durch das erste Verfahren hergestellt, wie ^^S- 37- Viele sind von so winziger Grösse, dass sie vielleicht zur Ar- mierung von Kinderpfeilen gedient haben. Gegen die übrigen Spitzen der Taf. stechen sie in auffälliger Weise ab, und da sie, soweit man es 74 O. SOLBERG. H.-F". Kl. übersehen kann, vorwiegend den jüngeren Funden angehören, wird man versucht, sie der letzten Periode der Steinzeit zuzuweisen, sie als Nach- bildungen der ersten primitiven eisernen Spitzen zu betrachten, und zwar zur Schärfung der charakteristischen Knochenpfeile bestimmt. Wenn das der Fall gewesen ist, so spricht für ihr spätes Auftreten ausserdem, dass die zusammengesetzte Form, Vorderstück mit Schärfe, jünger als die einfache sein muss, wie bei den Harpunenspitzen. Die ganze Armierung einer Waffe haben die steinernen Schärfen wegen ihrer Schwäche sicher nicht gebildet. Diese FVage wird doch vorläufig offen bleiben müssen. Denn die kleinen Schärfen scheinen in einigen alten Funden vertreten zu sein. Es ist aber zur Zeit nicht möglich, die wirk- liche Sachlage zu konstatieren. — Übrig bleiben noch die geschliffenen Angmakspitzen Fig. i — lo, Taf. lo. Ihre Funktion ist verschiedenartig gewesen, ihre Grösse ist in Übereinstimmung damit schwankend. Die in Fig. i — 6 dargestellten, von denen sich Fig. i dem Haupttypus der Taf. 12 genau anschliesst, mit ihren hochgewölbten Seiten, sind nur als Pfeilspitzen aufzufassen; die übrigen mögen Lanzen-, wohl auch Harpunenschärfen oder Messer (wie Fig. 6, Taf. 4) gewesen sein. Wie dem auch sei, so wird man wahrnehmen, dass die meisten, Fig. 3 — 8, sich durch gewisse gemein- same Merkmale zu einer Form vereinigen, deren ausgeprägteste Ver- treter Fig. 4 u. 6 bilden. An sie knüpft sich ein allgemeineres Interesse als an die im Vorhergehenden behandelten Steingeräte, an ihre Stellung zu diesen und an ihr Verhältnis zu ähnlichen Formen ausserhalb Grön- lands knüpfen sich weitreichende Fragen, die sich am besten in einer kurzen Abschweifung von unserem eigentlichen Thema andeuten lassen. Schon längst — meines Wissens zuerst von Dr. S. Müller — ist die Beobachtung gemacht worden, dass ähnliche Spitzen der nordeuro- päischen Steinzeit wenig modifizierte Knochenformen sind. Wir müssen aber hier, um weiter zu kommen, die Sache rein technisch fassen. In der Steinzeitindustrie haben alle Materialien, deren Bearbeitung von einer entwickelten Technik abhängig gewesen ist, ihre bestimmten F^ormen und Formengrenzen, die mit der Art des Materials und der Technik wechseln. Überall wo sich diese beiden elementaren Kompo- nenten der Formenerzeugung, Material und Technik, in der gleichen Weise begegneten, können die gleichen Steingeräte auftreten, — an den ver- schiedensten Stellen der Erde, ohne dass ihr Vorhandensein stets durch die Annahme direkter Übermittelung oder Entlehnung erklärt werden kann. Es sind dies principale Formen. Ein gutes Beispiel gibt das stumpfnackige Beil ab. Es findet sich im Inneren Südamerikas und an 1907. No. 3. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 75 den Westindischen Inseln ebensohäufig wie in Hindustan, im Ober- guineischen Hinterland ebensowohl wie in Nordeuropa und Ostasien, immer in wesentlich derselben Gestalt, wenn bloss aus krystallinischen Bergarten durch Zustossen hergestellt. In jedem Einzelgebiet mit vor- geschrittener Kultur wurden daneben Sonderformen durch spezielle Be- dürfnisse und vorherrschende Geschmacksrichtungen erzeugt. Aber auch diese überschreiten selten die von der Struktur des Materials gesetzten natürlichen Grenzen. In der Steinzeit der gemässigten und warmen Zonen berühren sich die einzelnen Formenreihen nur in geringem Grade. Die Geräte aus P'euerstein kontrastieren zu denen aus krystallinischen Gesteinen, und beide Arten haben wenig mit dem Ausseren der Knochen- artefakte gemein. Im höchsten Norden liegt die Sache etwas anders. Wir halben schon öfters Gelegenheit gehabt zu gewahren, dass die Typenreihen in Grönland nicht einen festen Charakter zeigen, sondern regelmässig in- einander übergreifen. Wohl hat das Eisen, wie mehrmals erwähnt, dazu beigetragen, in später Zeit das Spiel der Formen zu komplizieren und zu fördern; es wurde aber nicht von ihm eingeleitet. Das hat unzweifel- haft die ausgedehnte Verwendung des Schiefers zu Schneidegeräten und Wafifenschärfen getan. Der Schiefer konnte in jeder gebräuchlichen Weise bearbeitet werden. Nie leistete er der formenden Hand den gleichen Widerstand wie Feuer- stein und harte krystallinische Bergarten; und ebenso wie er sich einer beliebigen Technik fügte, nahmen die erzielten Gegenstände eine belie- bige Gestalt an. Aus demselben Grunde geht aber den Schiefergeräten das charakteristische Gepräge ab, das die natürliche Beschaffenheit des Stoffes den Geräten z. B. aus Feuerstein aufdrückt. Es lässt sich nicht gut sagen, dass er eigener Formen entbehrt, aber weit mehr lehnt sich die Schieferproduktion an die schon vorhandenen in anderer Ausführung an. Im Eskimogebiet wurden vor allem die da besonders in den Vorder- grund tretenden Knochenartefakte in Schiefer, Angmak, reproduziert. Eben solche mehr oder weniger abgeänderten Wiedergaben von Knochenformen sind die in Fig. 3—8, Taf. 10, dargestellten Schärfen. Ein Vergleich der Fig. 4 mit nebenstehender I^ig. 55 wird davon über- zeugen. Man kann auch Spitzen aus den beiden Stoffen finden, die sich im Aussehen noch viel weiter nähern; und bei den VVesteskimo trifft man solche, die formell nicht im Geringsten verschieden sind. Es geht wohl aus den Illustrationen hervor, dass die meisten sich sehr von dem Vorbild entfernen, so dass von bewusster Nachbildung bei diesen /Ö O. SOLBERG. H.-F. Kl. nicht die Rede ist. Immerhin sind Züge bewahrt, die noch an ihre Verbindung mit den dominierenden Knochenformen erinnern. Es würde zu weit führen, bei dieser morphologischen Erörterung hier länger zu verweilen. Es ist aber notwendig, die Entstehung und sekundäre Natur der Form im Auge zu behalten, wenn es zur Frage nach ihrer Verbreitung kommt. Bemerkenswert ist, dass die Schiefer- spitzen hauptsächlich auf die nördlichste Zone der bewohnten Erde be- schränkt sind. Bloss in vereinzelten Gebieten sind sie in grösserer Zahl nach Süden vorgedrungen. In Amerika gehören sie vorwiegend der Fig. 55. (Vi n- Gr.) Mus. Kbh. Lb. 2S4. Gegend der Eskimo, dem östlichen Kanada und Neufundland an. Wirk- liche Aufmerksamkeit haben sie in den Neuenglandstaaten und New York auf sich gezogen, und es ist vielfach die Ansicht ausgesprochen worden, dass sie von den Eskimo herrühren, und dass diese demgemäss einst an den Küsten der genannten Staaten gesessen haben. Es hat sich aber herausgestellt, dass die Form auch im Inneren derselben vor- kommt, und sie ist ebenfalls von H. Smith^ im Inneren des südlichen British Columbia gefunden, wie von G. T. Emmons^ an der See (Spring Island, B. C). Alles deutet darauf hin, dass ihre Verbreitung in Amerika dieselbe ist wie in Nordostasien und Skandinavien, zahlreich vertreten im Norden, gegen Süden zu immer seltener, bis sie je nach den Bezirken früher oder später verschwindet. Dass es sich dabei um eine Über- > Mein. Am. Mus. Nat, Hist.. Vol. IV, P. IV - Nat. Mus . Washington. 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. "J"] tragung auf indirektem Wege handelt, erhellt unter anderem daraus, dass die meisten Schieferspitzen in New York ihre charakteristische Gestalt schon verloren und die breite, kurze Form der hier gewöhnlichen, zugeschlagenen VVaffenschärfen angenommen haben. Unter solchen Um- ständen ist man nicht berechtigt, von ihrem Vorkommen auf irgend- welchen nahen ethnischen Zusammenhang zu schliessen. Die originelle Form stammt aber, wie gezeigt, gewiss aus einem nördlicheren Gebiete, in Amerika dem Anschein nach aus dem Eskimogebiet, und es wäre somit die einzige eskimoische Form^ — vielleicht abgesehen von den krummen Schiefermessern — , die grössere Verbreitung gefunden hat. Schluss. Im \"orstehenden ist, wenn auch bloss streifend, versucht worden, in Anknüpfung an die Übersicht der Steinaltertümer anzugeben, einer- seits was die älteste grönländische Kultur, so wie sie uns in der Stein- manufaktur entgegentritt, mit der der benachbarten Länder verbindet, anderseits was sie von der Aussenwelt scheidet. Es ist gezeigt worden, dass eine Mehrheit von Formen, trotz der durchgreifenden Umgestaltungen gerade der technischen Seite des mate- riellen Besitzes, die der Übergang einer binnenländischen Kultur zur arktischen Küstenkultur bewirken musste, sich unverändert erhalten hat, — als letzte Zeugen eines ursprünglich näheren völkerschaftlichen Zusam- menhanges Grönlands mit dem südlicheren Kontinent. Die steinindu- striellen Erzeugnisse der östlichsten Eskimo tragen daher nach mehreren Richtungen hin ein für die Eskimogegenden ungewöhnlich altes Gepräge. Es wird ferner nicht unbeachtet geblieben sein, dass die F'ormen, die nach Süden weisen, an Bedeutung diejenigen übertreffen, die den vor- geschichtlichen Grönländern wie den Westeskimo der Neuzeit gemeinsam sind, — vielleicht lediglich weil die Steintechnik bei diesen verhältnis- mässig lange weiterlebte und verschiedenartigen Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist. 1 Hierin liegt nicht, dass die Form ursprüngHch eskimoisch sein muss. Wo sie ent- standen ist. wird noch lange eine offene Frage bleiben. Es lässt sich nur sagen, dass sie wahrscheinlich erst spät, gegen das Ende der Steinzeit, nach Grönland gelangt ist, während sie weiter im Westen, in Alaska, British Columbia und Nordostasien, ein be- trächtlich höheres Alter besitzt, in Nordchina vielleicht ein ebenso hohes Alter wie in Nordeuropa. — Auf die Frage einzugehen, ob wir es in dem parallelen Auftreten der Form in den zwei getrennten Bezirken Nordostasien-Nordamerika und Nordeuropa mit einer Konvergenzerscheinung oder mit tiefgehenden völkerkundlichen Zusammenhängen zu tun haben, ist hier nicht die Stelle. 78 O. SOLBERG. H.-F. Kl. Bei dem heutigen Stand der archäologischen Kenntnisse des arktischen Nordamerikas ausserhalb des von uns betrachteten Küsten- striches wäre es jedoch verfehlt, auf Grund der entdeckten gegenseitigen Ähnlichkeiten und Abweichungen weitgehende Folgerungen inbezug auf bestimmte Verwandtschaftsbeziehungen zu machen. Wenn die Unter- suchung zuweilen auch auf das Gebiet der Vereinigten Staaten hinüber- gegriffen hat, so ist das geschehen, um die Berührungspunkte mit dem Gemeinnordamerikanischen in der Steinverarbeitung hervorzuheben. Und wenn betont worden ist, dass man bei manchen der grönländischen Altertümer südliche Anklänge wahrnehmen kann, so ist das Resultat der Erörterungen negativer Natur: die gleichen Berührungspunkte gehen den westeskimoischen Steinartefakten ab. Die nahen Übereinstimmungen zwischen Ost- und Westeskimo erscheinen erst in den jüngeren vor- historischen Schichten, deren Ablagerung im Osten gleichzeitig mit dem Verschwinden des Eigentümlichsten der alten Periode ihren Anfang nimmt. Aus jenen vergleichenden Bemerkungen erhellt daneben mit ausge- sprochener Klarheit der Einfluss der Isolation auf die grönländische Steinmanufaktur. Es ist dies um so wichtiger, als die Isolation hier keineswegs mit Stagnation oder Rückgang gleichbedeutend gewesen ist. Man muss freilich erwarten, dass die eine oder andere Form, die als eigentümlich für unsere Gegend gehalten worden ist, sich bei künftigen Forschungen in benachbarten Gegenden wiederfinden lässt. Die Mehr- zahl der angeführten Sonderformen wird das kaum betreffen, da ihre Entstehung wohl vorwiegend auf lokale Verhältnisse zurückzuführen ist. Vpr allem muss die Ausnutzung der Angmakvorkommen Nordgrönlands entschiedene Neuerungen verursacht haben. Es ist nicht bloss eine Vermutung gewesen, wenn angenommen worden ist, dass die Verarbeitung des Steines durch Schleifen in der entferntesten Zeit, ohne unbekannt zu sein, stark in den Hintergrund trat. Wie jetzt, zum Schluss^ besser zu übersehen ist, sind alle Klingen, die sich unzweideutig als die ältesten erweisen, durch Ausspalten her- gestellt. Die jüngeren dagegen sind in grosser Ausdehnung teilweise, seltener gänzlich, durch Schleifen verfertigt, die jüngsten, die allerdings den Verfall der Steinindustrie bezeichnen, fast ausschliesslich in der letzten Weise. Die Ursache des Umschw^unges im Geschmack muss man in der allmählich erfolgten Erkenntnis der Eigenschaften des Angmak suchen. Im Allgemeinen fügsam unter einer geschickten Hand, könnte dieser zwar gut eine vorgeschrittene Technik auf Grund des Ausspal- tungsverfahrens aufrecht erhalten oder gar geschaffen haben. Aber, wie 1907. No. 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 79 gezeigt, vielleicht der schnellen Abnutzung wegen, vielleicht auch, weil die Herstellung unter Umständen sicher jedermanns Kunst sein musste, wurde wenig Gewicht auf "die rein formellen Vorzüge derselben gelegt. Wie dem auch sein mag, es konnte nicht der Aufmerksamkeit der Ein- geborenen entgehen, dass der Angmak mit grösserer Sicherheit und besserem Erfolg nach einer vorausgehenden rohen Formgebung durch Ausspaltung mit geringer Mühe durch Schleifen behandelt werden konnte. Zu einer Herausbildung nennenswerten Formensinnes kam es nicht, es führte aber zur Entwicklung der oben betrachteten neuen Gerätformen, die trotz den sonst gewöhnlichen Verschiebungen und Umsetzungen in der materiellen Produktion der Eskimo fast nur in dem zuerst verwen- deten Material vorliegen. Die Form der meisten von diesen Klingen, wie beispielsweise von den Bohrerspitzen, ist derart an die Struktur des Angmak gebunden, dass sie selbst innerhalb der Grenzen Grönlands in einem anderen, ihm nicht sehr nahestehenden Gestein nicht denkbar wäre. Darf man aber nach alledem voraussetzen, dass wir wirkliche grön- ländische Sonderformen kennen gelernt haben, und dass die Entstehung derselben sich in letzter Linie auf die Eigenschaften des Angmak gründet, so folgt daraus mit Notwendigkeit, wenn wir uns an die Frage nach dem Alter dieser letzten Überbleibsel aus der frühesten Vorzeit Grönlands und damit auch nach dessen Besiedelung von Amerika aus wenden, dass wir mit Zeiträumen rechnen müssen von ganz anderer Länge als bisher allgemein angenommen. Denn es ist unmittelbar ein- leuchtend und bedarf keiner weiteren Begründung, dass ein Umschlag in technischer Richtung, der so tiefe Spuren hinterlässt, nicht momentan gewesen ist, sondern sich im Gegenteil als ein langsamer Entwicklungs- prozess geäussert hat. In den steinindustriellen Erzeugnissen der Grönländer lassen sich somit zwei ältere Elemente nachweisen. Erstens die aus ihrer kultu- rellen Urheimat stammenden, allen Veränderungen widerstehenden Gerät- formen, und zweitens die in Grönland herausgebildeten Sonderformen. Daneben wurden wir aber noch eines dritten Elementes, das von ganz jungen und von aussen kommenden Einwirkungen zeugt, wiederholt gewahr. So ist, um ein Beispiel wieder anzuführen, darauf aufmerksam gemacht worden, wie der Schaber aufgegeben wurde, anscheinend wiegen der Introduktion des Ulo. Dies ist nicht in der Weise zu verstehen, dass jener nach einer anzunehmenden Einwanderung irgend eines frem- den Stammes, bei dem der Ulo im Gebrauch war, von diesem direkt verdrängt wurde. Denn der steinerne Schaber war gewiss auch in 8o O. SÜLBERG. H.-F. Kl. seinem Besitz. Sondern die Ankunft der Fremden hat Umsetzungen im grönländischen Leben hervorgerufen, die schliesslich mit dem Ausschalten des einen Gerätes geendigt haben, — ein Vorgang, der im Eskimogebiet vereinzelt dasteht. Ein ferneres Moment, das in diesem Zusammenhang von Interesse ist, soll noch herangezogen werden. Bei der Besprechung der Pfeil- spitzen wurde angeführt, dass sie sich in mindestens zwei bestimmt gesonderten Reihen aufstellen lassen. Doch können wir nicht ver- muten, dass die Unterschiede nur auf verschiedenartiger Bestimmung beider Arten beruhen. Besonders war es merkwürdig, dass alle Spitzen, die nachweislich aus neuerer Zeit sind, aus Knochen bestehen, ent- weder ganz oder mit einer unselbständigen Schärfe aus Metall oder Stein, während bisher kein Schaft gefunden worden ist, der zu den voll herausgebildeten Steinspitzen passen würde, so dass diese letzteren schon aus dem Grunde mit einiger — freilich nicht sehr grosser — Wahr- scheinlichkeit für älter als die anderen erklärt werden dürften. Es ist aber ebenfalls eine Frage, ob die beiden in formeller Hinsicht wesentlich verschiedenen Arten neben einander bestehen konnten. Nach der An- sicht des Verfassers ist das nicht möglich. In den zwei Reihen kom- men nicht allein entgegengesetzte Geschmacksrichtungen zum Vorschein, sondern sie verraten dazu einen so weiten Abstand in der technischen Auffassung und in den an die Beschaffenheit des Pfeiles gestellten Anforderungen ihrer ehemaligen Benutzer, dass die Abweichungen auch nicht als rein zeitlich angesehen urtd durch die Annahme einer kon- tinuierlichen Fortentwicklung der einen durch Zwischenformen aus den anderen mit einander verbunden werden können. Es ist anscheinend richtiger, sie als Äusserungen zweier in gewissen Beziehungen verschie- dener Eskimokulturen, die in Grönland zusammengestossen sind, zu be- trachten. In der Folge wäre man dann mit den älteren Spitzen wie mit dem Schaber verfahren. Endlich sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass diese und ähn- liche kulturelle Gegensätze keinen Bruch in der Besiedelung Nordgrön- lands bezeichnen. Es fand ein Ausgleich statt, ältere Formen wurden teils verlassen, teils erhalten oder sind teils mit den neuen verschmolzen. Kurz gefasst würde sich somit aus der abgeschlossenen archäologi- schen Untersuchung ergeben — die Resultate der rein technischen Er- örterungen nicht mit einbegriffen — , dass die inneren Fjordgegenden des dänischen Nordgrönlands verhältnismässig lange und ohne Unter- brechung der Sitz einer, in der ersten Zeit vermutlich kleinen, Bevölke- rung gewesen sind. Mehrere Einzelmomente, von denen jedes für sich 1907. No, 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESRiMO. nur wenig sagt, denen aber in ihrer Gesamtheit Bedeutung nicht ab- gesprochen werden kann, scheinen ferner zu erweisen, dass diese kleine Bevölkerung auch ziemlich lange Eigentümlichkeiten der ältesten eski- moischen Binnenlandkultur bewahrt hatte, die bei ihren westlichsten Ver- wandten durch fremden Einfluss oder massgebende lokale Verhältnisse früh abgeschliffen worden waren. Grönland erreichte die jünger ge- prägte westlichere Eskimokultur erst nach der isländischen Kolonisation von der Südwestküste, und vernichtete im Verein mit dem aus Europa kommenden Eisen die letzten Reste des Ursprünglichen in der mate- riellen Kultur der dort bereits ansässigen Eingeborenen. Darüber hinaus würde man auf dem hier betretenen Wege kaum gelangen können. Es lässt sich nicht auf Grund archäologischer Studien genauer sagen, wann die früheste Besitzergreifung Nordgrönlands durch die Eskimo stattgefunden, ebensowenig, in welcher Weise sich die spä- teren Einwanderungen gestaltet haben, ob als langsamer, steter Strom von einzelnen Horden oder Familien, oder aber als mehrere abgeson- derte Vorstösse die Küste entlang, was neuere Sprachforschungen schein- bar andeuten. Aiich Hesse sich in dem letzten Fall nicht entscheiden, ob die späteingewanderten Stämme sich kulturell in höherem oder gerin- gerem Grade unterschieden. Immerhin sind diese Ergebnisse schon so weitreichend, dass es sich wünschenswert stellen muss, sie auch mittels dessen, was sonst zur Er- leuchtung der einheimischen Besiedelung Grönlands beigebracht werden kann, einer Prüfung zu unterziehen, — mittels der geschichtlichen Quellenberichte. So soll es die nächste und letzte Aufgabe der vorgenommenen Untersuchung sein, von den neu gewonnenen Gesichts- punkten aus die knappen Kunden der mittelalterlichen Literatur, die sich auf die Eskimo beziehen, zu dem Zweck kurz zu mustern. Die älteste auf uns gekommene Nachricht über die Eingeborenen Grönlands ist am Anfang des i2ten Jahrhunderts niedergeschrieben. Es ist dies die überaus wichtige Stelle in dem 6ten Kapitel der Islendinga- bök, wo Are Frode erzählt, dass Erik der Rote auf seiner Kolonisations- fahrt 985 oder 986 und in den darauf folgenden Jahren in Südgrönland Spuren von vorübergehenden Besuchen einheimischer Bewohner der Küste vorfand ^ Die wenigen Sätze, schon vorhin gut bekannt, sind neuerdings von verschiedener Seite bis zum Überdruss oft citiert worden, ' Grönlands historisUe MindcsmaerUer, I, p. 168. Von neueren Wiedergaben der islän- dischen Texte möchte ich auf die trefflichen Übersetzungen Thnlbitzers in Medilelelscr om Grönl. XXXI verweisen. An Genauigkeit übertreffen sie diejenigen der deutschen und englischen Sprachforscher. Vid.-Selsk. Skrifter. II. H.-F. Kl. 1907. No. 2. . 6 82 O. SOLBERG. H.-F. Kl. SO dass sie nicht noch einmal wiederholt zu werden brauchen. Sie bilden leider alles, was wir von Are Frode über die einstige Bevölkerung Grönlands erfahren, und sie werden auch nicht von späteren Verfassern ergänzt. Mit ihrer Kürze hat indessen die Aussage der Islendingabök den Vorzug, dass ihre Zuverlässigkeit ausser jedem Zweifel ist^ und sie erhält für uns eine eminente Bedeutung als eine bestimmte Angabe, dass die Eskimo bereits vor der Ankunft der fremden Kolonisten in Grönland gewesen sind. Die Eingeborenen selbst traf aber Erik ebensowenig an wie die übrigen Isländer, die im loten oder im iiten Jahrhundert nach der Südwestküste Grönlands übersiedelten, wie aus den Worten Ares erhellt. Die Islendingabök ist nämlich um 1120 abgefasst^. Nun war der Ge- währsmann über die grönländische Kolonisation, Thorkell Gellisson, der in der letzten Hälfte des iiten Jahrhunderts das neue Land besucht hatte, mit den dortigen Verhältnissen vollkommen vertraut, und ausser- dem wurde damals ein so gut wie regelmässiger Verkehr von den An- siedelungen mit der Mutterinsel unterhalten. Es wäre somit sicher zu Are Frodes Kenntnis gelangt, wenn seine fortgezogenen Landesleute in Berührung mit Eskimo gekommen wären. Deshalb musste er auch, um die Funde t!riks zu erklären, auf die Skrälinger Vinlands verweisen, von denen man wusste, dass sie Geräte aus Stein verwendeten, und die seinen Lesern seit der Reise Thorfinn Karlsefnes nicht fremd waren. Aller Wahrscheinlichkeit nach verstrichen jedoch nicht viele Jahre, als die Kolonisten auf die Eskimo stiessen. Wann es zuerst geschah, lässt sich zwar nicht genau ermitteln. Jedenfalls muss es aber in der Zeit zwischen der Entstehung der Islendingabök und der Abfassung der Schrift, die sich zum ersten Mal wirklich mit den Eingeborenen Grön- lands beschäftigt, der von P. A. Munch entdeckten Historia Norvegi?e, eingetroffen sein. Es wird von G. Storni nachgewiesen, dass diese gegen den Ausgang des i2ten Jahrhunderts geschrieben ist-^ Ihr Be- richt* von den kleinwüchsigen Menschen, denen Jäger im Norden jen- seits der Ansiedelungen (»ad aquilonem trans Viridenses«) begegneten, und die » Walfischzähne für Würfwaffen« und «scharfe Steine für Messer« ' G, Storm: Studier over Vinlandsreiserne, in Aarbeger f. nordisk Oldkyndighed, 1887, p. 302 — 3, u, a. O. 2 Ebenda, p. 302. Ich stütze mich hier, wie sonst, auf die Ausführungen Storms. Die abweichenden Ansichten Eugges, Jonssons u. a. über die Zeit der Entstehung der islendingabök sowie der Historia Norvegiae differieren so wenig von denjenigen Storms, dass sie für uns die Bedeutung verlieren. 3 G, Storm: iMonumenta historica Norvegiae (Kristiania 1S80), p. XXIII. * 1. c„ p. 75—6. IQO;- No- 2. BEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 83 gebrauchten, ist ebenfalls so häufig wiederabgedruckt worden, dass er uns nicht aufhalten soll. Wie man sieht, bleibt ein gewisser Raum für Mutmassungen hin- sichtlich des Zeitpunktes ihres frühesten Zusammentreffens offen. Wir erhalten aber doch die Gewissheit, dass die Eskimo auf alle Fälle im I2ten Jahrhundert nicht übermässig weit von den Kolonisten entfernt waren. Auf diesen Umstand konnten diejenigen, die auf die grosse Ausdehnung der noch näher zu erwähnenden Nordfahrten der letzteren Gewicht gelegt haben, vor allem Rafn, wegen der späten Auffindung der Historia Norvegiai nicht aufmerksam seini. Denn in der isländischen Literatur hört man nicht vor 1 266 wieder etwas, was an das Dasein der Eingeborenen erinnert. Besonders ist das Stillschweigen der Annalen sehr auffällig. Die Anführungen des norwegischen Geschichtsschreibers zeigen aber mit hinreichender Bestimmtheit, dass die darauf gegründeten Folgerungen Rafn's, es wären keine Eskimo an der Westküste im i2ten Jahrhundert gewesen 2. unrichtig sind. Wichtiges musste sich eben in Grönland ereignen, sollte es in den isländischen Annalen aufgezeichnet werden. In dem genannten Jahr, 1266, kehrten, wie BJ0rn Jonsen nach einem abhanden gekommenen Teil der Hauksbök erzählt, nach der Ostansiede- lung Leute aus den nördlichen Gegenden zurück, welche weiter vorge- drungen waren als sonst jemand, von dem man Kunde hatte. Dem wird hinzugefügt^: »Sie fanden keine Spuren, dass Skrälinger sich da aufgehalten hatten ausser auf der KröksfjarÖarheiöi«. In einer Parenthese macht Björn dazu die befugte Bemerkung: »Hieraus erfährt man, wie genau die Grönländer zu der Zeit auf die Aufenthaltsorte der Skrälinger Acht gegeben haben« ^. Denn aus der Form des Citates erhellt un- mittelbar, dass die Bewegungen der Eskimo im Norden, obgleich wahr- scheinlich noch nicht beunruhigender Natur, jedoch mit Aufmerksamkeit von den südlicher wohnenden Kolonisten verfolgt wurden. Darauf wird weiter von der viel erörterten Expedition berichtet, die von den Priestern der Ostansiedelung in demselben Jahr entsandt wurde, um die noch nörd- * Grenl. bist. Mindesm., III, 45 — 6. - 1. c, III, p. 45 — 6. Wiederholt ist die Ansicht ausgesprochen worden, dass die nörd- liche Westküste zu der Zeit doch bewohnt gewesen sein muss, so z B. von F. Nansen in »Eskimoliv« (Christiania 1891, p, 6 — 7), von H. P. Steensby in »Gm Eskimokulturens Oprindelse« (Kopenhagen 1905, p. 70 — 71), von Storni u. a., aber stets ohne alle Be- gründung. Die Erörterungen Rafns sind deshalb bis in die letzten Jahre, selbst in einem so verdienstlichen Werk wie Fischers »Die Entdeckungen der Normannen in Amerika« (Freiburg 1902), ohne wesentliche Änderungen abgedruckt worden. 3 1. c, III, 238-9, * 1. c, III, 240— I, 84 O. SOLBERG. H.-F. Kl. lieber liegenden, bis dabin unbesucbten Gebiete zu erforscben. Es ist diese Reise, die nach der Ansiebt Rafn's die Nordländer nacb der Nord- westküste der Baffinsbuebt binüber. möglicherweise nach Laneaster Sund und der Barrovvstrasse geführt haben soll. Auch in den entferntesten Gegenden wurden eskimoische Überreste, «Skraelingja vistir«, vorgefunden. Die Grundzüge von dem Schicksal der isländischen Kolonie, der das Vordringen der Eskimo so verhängnisvoll werden sollte, die gänz- liche Zerstörung der Westansiedelung während des Verweilens Ivar Bardsens in Grönland, der Angriff der Eingeborenen auf die Ostansiede- lung 1379, ^'^ Unterbrechung der regelmässigen Schiffahrt und die Iso- lierung der Kolonie, die schliesslich im i5ten Jahrhundert, vielleicht erst gegen dessen Ende, den fortgesetzten Vorstössen der Eskimo unterlag, — alles das ist ebenfalls genügend bekannt und kann hier übergangen werden, da es in der vorliegenden Verbindung von weniger Bedeu- tung ist. Dagegen ist es für uns von besonderer Wichtigkeit, einigermassen darüber zur Klarheit zu gelangen, wie weit gegen Norden sich die jähr- lichen Jagdreisen der Nordländer an der Westküste erstreckt haben. Ivar Bardsen war alles, was sieh nördlich von der Westansiedelung, oder richtiger von dem nahen Hemelrachsberg befand, ein fremdes, gefahr- volles Land, wo sieh niemand wegen der vielen Meeresstrudel, die den Weg versperrten, hinwagte. Dies war nach der Entvölkerung der west- lichen Ansiedelung und wohl lange nach dem Aufhören der Nordfahrten. In früheren Zeiten lag indessen, wie schon gesehen, die Sache anders. Man hat guten Grund zu vermuten, dass der einst anscheinend lebhafte Verkehr an der nördlichen Küste um die Mitte des i3ten Jahrhunderts seinen grössten Umfang erreichte, weil das Jahr 1261, in dem die Kolonie unter Norwegen kam, den Anfang zu ihrem Rückgang bezeichnet. Björn Jönsen hat aus der erwähnten verlorenen Quelle in seine «Grönlands Annalen« einen kurzen Abschnitt aufgenommen über die Leute, die im Sommer, teils des Seehundsfanges wegen, teils um Treibholz zu sammeln, nach dem unbebauten Land im Norden zogen ; nach seiner Angabe hatten alle reicheren Bauern eigene Fahrzeuge zu diesen Reisen. Wo nun die Jagdfelder gelegen haben, ist die Frage, die vor allem interessiert. Denn es leuchtet ein, dass wenn die Nordländer jedes Jahr die Küste Westgrönlands bis zum hohen Norden hinauf ungestört be- fahren haben sollten, wir gezwungen sein würden, das Ergebnis der archäologischen Übersicht — die Annahme von der ununterbrochenen Anwesenheit der Eskimo in Nordgrönland während der ganzen ersten Kolonisationsperiode — als unvereinbar mit geschichtliehen Tatsachen 1907. No. 2. HEITRÄGE ZUR VORGESCHICHTE DER OSTESKIMO. 85 kurzweg von der Hand zu weisen. Wollten wir Rafn folgen, wäre dieser Ausgang der vorherigen Ausführungen schon von vornherein gegeben; er schiebt nämlich die Grenze der jährlich besuchten Gegenden (»at obygdum ä landsenda pann nor^ara e^r skagann« ^) so weit nordwärts, dass er für sie an dem um 1840 eingehender untersuchten Teil der Küste, der doch um ein beträchtliches jenseits von Upernivik (auf 72° 47' n. Br.) reichte, keinen Platz finden konnte 2. Bisher ist leider von berufener Seite kein erneuter Versuch gemacht worden, die Lage der von den Nordfahrten bekannten Örtlichkeiten zu bestimmen, obschon mehrere Forscher, die zu Rafn eine kritische Stel- lung eingenommen haben, sich betreffs der Fahrten und der Eskimofrage mit Vorsicht ausdrücken und ihm nicht unbedingt beipflichten ^. Die topographischen Studien Finnur Jonsson's'^ und Gustav Storm's° sind auf die beiden Ansiedelungen beschränkt; und gegenwärtiger Ver- fasser muss sich auf dem Gebiete der schwierigen Quellenkritik als Laie betrachten. Indessen gibt uns ein Glückszufall Mittel an die Hand, auch ohne eine solche bis v.u einem gewissen Grad die wirkliche Trag- weite der F>örterungen Rafn's zu beurteilen, wenn wir bloss aus den Feststellungen Storm's und Jönsson's die Konsequenzen ziehen, — wie sich aus dem Folgenden ergeben wird. »NorÖrseta« nannten die Isländer bisweilen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Norden. Die Orte oder Küstenstriche, die währenddes besucht wurden, und wo Hütten aus Erde und Rasen, wie sie heute noch auf Island zu sehen sind, errichtet worden waren, hiessen Greypar. Einige Kolonisten zogen auch nach Kröksfjar^arheiiM ^. Greypar lag nach den Skaldhelgarimur " am Ende der Ansiedelung, das ist nördlich von der Westansiedelung, auf der Strecke zwischen ihr und der Mündung des Diskofjords, wie schon in »Gronl. hist. Mindesm.« gezeigt, keinesfalls weiter entfernt. Kr6ksfjarftarhei(>i ist allem Anschein nach wieder gleich nördlich von Greypar zu suchen. Aber darüber später näheres. Es sind nur diese zwei Örtlichkeiten, die mit Sicherheit als das Ziel der üblichen Fangfahrten bezeichnet werden können. Jedoch enthält Björn Jönsen's «Vetus Chorographia Grönlandize« einige Ortsnamen, die von Rafn eben- ' Gronl. hist. Miiulesm., III, p. 242. M. c, p. 883. 3 Mogk in Mitt. d. Vereins f. Erdi