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Verzeichnis

clor auf der

Königliehen Albertus-Universität

zu Königsberg,

im

Sommev-Halfojahi^e

vom 15. April 1904 an

zu haltenden

Vorlesungen

und der öffentlichen akademischen Anstalten.

Über das Spruchbuch des falschen Phokylides. Von Arthur Ludwich.

Königsberg.

Hartungsche Buchdruckerei. 1904.

Rektor

Dr. Adolf A-rndl

ö. o. Prof.

80621

Über das Spruchbuch des falschen Phokylides.

1. Wenngleich die Sibyllinischen Weissagungen, die in einer ganzen Reihe epischer Gesänge die Wechselfälle mancher Jahrhunderte überdauert haben, wahrlich keine künstlerisch hervorragenden Schöpfungen sind, mit denen der heutige Dichterfreund sich rein zum Vergnügen abgiebt. so entbehren sie doch durchaus nicht eines besonderen Reizes, mag man sie nun wegen ihres geheimnissvollen weltgeschichtlichen Inhaltes oder wegen ihrer culturhistorisch bedeutsamen Verquickung hellenisch-orientalischer Elemente oder wegen ihrer ungewöhnlichen Sprachform und Metrik einer genaueren Prüfung unter- ziehen. Wer sich aber erst einmal näher mit ihnen und ihrem litterarischen Nährboden vertraut gemacht hat, der wird ihren Banden nicht so leicht mehr entrinnen können: ihn wird alsbald das Verlangen erfassen, nun auch noch auf die Nachbargebiete, zu denen sie in engerer oder weiterer Beziehung stehen, hinüberzuschweifen, um von diesen gleichfalls ein anschauliches Bild zu gewinnen. Vor Allem wird ihn dann das kleine Spruchbuch fesseln, das den Namen des milesischen Gnomikers Phokylides trägt; denn bekanntlich ist davon ein grosser Theil (Vs. 5 79) fast wörtlich in jene Sibyllenorakel übernommen worden (II 56 148), bemerkenswertherweise jedoch nur in die eine der zwei in Frage kommenden Handschriftenfamilien (<F d. i. die von A. Rzach eingeführte Collectivnote für die Codices F = Laurentianus XI 17, R = Parisinus 2851, L = Parisinus 2850), während die andere Handschriftenfamilie (©) von diesem Einschub vollkommen frei ist. Schon diese Thatsache steht nicht recht im Einklänge mit der Angabe des (? Milesiers Hesychios bei) Suidas: OioxvXldrig Millfiiog, <pilöoo<pog, avyxQOvog Qeöynöog . . . e-ygailiev eurj xai elsyeiag' Hagaivtaeig riroi rvwfxag, ag xiveg KeyaXaia eTriygarpoiaiv elai de £■/. rtäv StßrlXiaxvjv xaxXeftftiva. Wohl allgemein ist gegenwärtig die Überzeugung durchge- drungen, dass die hier zum Schlüsse berührte Angelegenheit sich vielmehr gerade umge- kehrt verhält, der 'Diebstahl' also von einem Sibyllinendichter begangen wurde. So wenig wie dem alten Milesier Phokylides von dem gesamten jetzigen Spruchbuche eine einzige Zeile angehört, so wenig hat der falsche 'Phokylides' ein Plagiat an der falschen 'Sibylle' verübt. Er ist der wahre Schöpfer gewesen, sie lediglich die scrupellose Nutzniesserin. Es wird sich Gelegenheit bieten, dieses Verhältniss in helleres Licht zu stellen und so über jeden etwaigen Zweifel zu erheben. Einstweilen möge man im Auge behalten, dass die Bücher, um die es sich handelt, beide ipeiderciygacpa und beide in Zeiten abgefasst sind, in denen der Monotheismus mit dem Polytheismus in ernstlichem Kampfe lag und die Versuche der Synkretisten, den entbrannten Glaubensstreit möglichst friedlich, theils

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durch allgemein giltige Morallehren, theils mit Hilfe der unüberwindlichen Macht mensch- lichen Aberglaubens, zu schlichten, im Orient wie im Occident sich damals einer fort- gesetzt steigenden Beliebtheit erfreuten.

2. Auf dem im Eingange angedeuteten Wege bin ich selbst frühzeitig von den Sibyllenorakeln auf das Phokylideische Spruchgedicht gerathen. Zunächst ging meine Absicht nicht weiter, als mein persönliches Bedürfniss es erforderte. Nach und nach aber gewannen die gesammelten Beobachtungen unwillkürlich ein erhöhtes Interesse für mich und führten im Laufe der Jahre zu Ergebnissen, die mir jetzt einer erneueten1) Mittheilung nicht unwerth erscheinen. Gleich von vorn herein hielt es nicht schwer, zu erkennen, dass die beiden hervorragendsten und verdienstvollsten Forscher auf diesem Gebiete, Theodor Bergk und Jacob Bernays2), in ihrer Beurtheilung der handschrift- lichen Grundlage vielfach auseinandergehen. Eine methodisch durchgeführte Sichtung der zahlreichen Quellen hat keiner von beiden vorzunehmen versucht, und so ist ihre "Wahl der Lesarten und ihre Gestaltung des Textes ohne feste und vertrauenerweckende Grundsätze erfolgt. In erster Linie musste demnach mein Augenmerk auf die Be- schaffenheit der Überlieferung gerichtet sein. Dank dem freundlichen Entgegen- kommen der Bibliotheksverwalter zu Königsberg, "Wien und Paris sowie der opferwilligen Unterstützung meiner werthen Fachgenossen Girolamo Vitelli, Julius Jüthner und Hugo Rabe, denen allen auch an diesem Orte herzlicher Dank ausgesprochen sei, steht mir gegenwärtig ausser dem kritischen Apparate Bergk's noch ein ziemlich reichhaltiges, wenngleich allerdings lange nicht erschöpfendes, handschriftliches Material zu Gebote, auf das ich mich wenigstens für meinen vorläufigen Zweck um so vertrauensvoller stützen zu dürfen glaube, seitdem auch W. Kroll's3) unlängst angestellte Nachforschungen eine mir verschlossen gebliebene Quelle von Bedeutung nicht zu Tage gefördert haben. Es erscheint mir zweckmässig, die bisher zu meiner näheren Kenntniss gelangten Codices zuerst nach ihrem muthmaasslichen Alter aufzuführen. Ins zehnte Jahrhundert gehört M = Mutinensis4), jetzt Parisinus suppl. gr. 388, dessen genauere Collation ich in meinen 'Lectiones' veröffentlicht habe (M1 bezeichnet einen wenig jüngeren, übrigens spärlich vertretenen, M'2 einen späteren, weit energischer durchgreifenden, lateinischen Corrector und Glossographen); ins elfte Jahrh. B = Baroccianus 50, aus welchem Gaisford in seinen 'Poetae minores graeci' Mittheilungen gemacht hat (ich benutze die Leipziger Ausgabe vom J. 1823, Bd. III p. 248 ff.); ins elfte bis zwölfte Jahrh. 0 = Parisinus suppl. gr. 690, von H. Rabe für mich verglichen; ins dreizehnte Jahrh. L = Lau- rentianus XXXll 1(5 fol. 319r bis 320r, mit Vs. 211 schliessend, und 1 = derselbe Codex fol. 320v bis 32 lv, aber von anderer Hand als L, beide von G. Vitelli für mich verglichen;

1) In dem zweiten Jahresprogramm der hiesigen Universität verööentlichte ich 1892 'Lectiones Pseudophocylideae'.

2) Meine Citate und Zahlen beziehen sich bei dem einen auf die vierte Auflage, seiner 'Poetae lyrici' '1882), bei dem anderen auf den ersten Band seiner 'Gesammelten Abhandlungen' (1885) S. 192—261. Für kleine Abweichungen trage ich natürlich allein die Verantwortung.

3) Man sehe seinen Aufsatz im Rhein. Mus. XLVII 457 ff.

4) Er stammt bekanntlich ans Verona, nicht aus Modena: s. W. Studemund, Commentatio de Theognideorum memoria libris manu scriptis servata (Breslauer Vorlesungsverzeichniss 1889—90 B. 5, auf dessen gewichtiger Autorität auch meine Altersangabe über Y beruht.

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ins dreizehnte bis vierzehnte Jahrh. Y = Vaticanus gr. 915, von Hugo Hinck für Bergk (der ihn Va nennt) verglichen; desgleichen1) F und f (V3 und V4 bei Bergk) = Vindobonensis phil. gr. 165 fol. 88v 89r (Vs. 1—86, nachher durchstrichen) und fol. 102r 102y (Vs. 1 132), beide von J. Jüthner für mich verglichen; in den Anfang des vierzehnten Jahrh. V (VI bei Bergk) = Vindobonensis phil. gr. 321 und ver- muthlich auch P = Parisinus gr. 1630 (von P2. einer etwas jüngeren Hand, vollständig durchcorrigirt), beide von mir in Königsberg verglichen; ins vierzehnte Jahrh. H = Heidelbergensis Palat. gr. 43, über den meine 'Lectiones' Bericht erstatten, und X = Vindobonensis phil. gr. 169, eine alphabetisch geordnete Gnomensamrnlung2), in die ausser anderen Dichterstellen 79 Phokylideische Verse eingestreut sind, ebenso wie der folgende Codex von mir in Königsberg verglichen; ins fünfzehnte Jahrh. W (V2 bei Bergk) = Vindobonensis3) phil. gr. 331; A1 = Ambrosianus p. sup. H 22 und A2 = Am- brosianus p. sup. D 15, beide nebst den drei folgenden von W. Studemund für Bergk ver- glichen oder excerpirt; ins fünfzehnte bis sechzehnte Jahrh. Ma = Mutinensis II D 15 und Mb = Mutinensis II B 7; ins sechzehnte Jahrh. A3 = Ambrosianus p. sup. B 52; ins Ende des sechzehnten Jahrh. J = Jannianus (aus Joannina in Epirus), von seinem Besitzer, N. G. Dossios in Jassy, oeschrieben (Philol. LVI 616 ff). In welche Zeit T = Taurinensis B VI 15 (s. Peyron, Notitia libr. Valperg. Cal. p. 83) zu setzen ist, weiss ich nicht. Mancherlei Lesarten 'e Regiis codicibus' (= R) erwähnt Brunck in seinen 'Gnomici poetae graeci' (Strassburg 1784), ohne diese Codices näher zu bezeichnen oder gehörig auseinanderzuhalten: es ist daher auch nicht gut möglich, rechten Gebrauch davon zu machen. Weiterhin werde ich, wo eine strengere Scheidung unnöthig ist, alle die ge- nannten Handschriften oder die wichtigeren unter ihnen mit der Note Q zusammenfassen im Gegensatze zu lF, der Sibyllinenquelle unseres Lehrgedichtes.

3. Werthvollen Aufschluss über die Verwandtschaftsverhältnisse unter den älteren Exemplaren dieser Handschriften hat bereits W. Kroll (a. a. 0.) gegeben. M und B gehen zwar recht oft getrennte Wege (z. B. 1 boirpi M, öaioiai B. 5 oaiwv M, ooipcov B. 9 VE/.IEIV M, vs^tiüv B. 13 iv icaoi qivläaaeiv M, eni uäai (ptlaooe B. 36 aAe- yslvai M, a)Jeive B. 51 xaxejg M, v.a/.oig B. 54 öcvarog M, öwctTog d' B. 69" i/cSQßaaiai akeyeivai M, vueqßaaiiqv d' aXieive B. 89 a/iourj M, av.olaai B. 107 yaq M, f.dv B. 134 xaxott; M, aicoig B), müssen aber nichts desto weniger wohl beide der nämlichen Quelle ent-

1) Die Zeitangabe verdanke ich der Gefälligkeit 0. Wessely's; er versichert mich, dass F von derselben Hand wie f herrühre. Ihre Archetypa müssen verschieden gewesen sein.

2) Sie beginnt mit fol. 157r und führt den Titel itafsxßoXal ix iüiv tiou^ixüv ßißk'cov tig Y(!'"l'ir '-,i i n'/.ovaat, xara tsioiytlov naQsxßXri&slaai, Excerpirt sind folgende Dichter: Phokylides (der stets den Reigen beginnt), Pythagoras, Euripides, Sophokles, Aristophanes, Aeschylos, Hesiodos, Theokrit, Oppian, Pindar und Homer (Odyssee, Ilias): es fehlt also, um nur das auffälligste-Beispiel zu erwähnen, Theognis. Jene Dichterfolge wird, soviel ich aus den von mir entnommenen Proben ersehe, häufiger gestört als die ur- sprüngliche Versfolge, so dass z. B. unter A aus Phokylides die Verse 24. 71. 131. 136. 138, unter M die Verse 3. 10. 12. 19. 21. 53. 55. 57. 77. 79. 83. 86. 100. 175. 180. 211 richtig nach einander stehen. Über den interessanten Codex s. A. Nauck's Vorrede zum Lex. Vindob.' p. VIII f.

3) In einem anderen Wiener Codex, phil. gr. 153, folgen nach der Überschrift (PancvUISov noitjfta nur die zwei ersten Verse (1 Sixi,* öaü;ai, 2 yxuxviülufys); sonst ist das Blatt leer. Darnach kommen die Orphischen Argonautika. Vgl. Bergk p. 80 über Ma.

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Sprüngen sein, weil sie in vielen wichtigen Stücken einstimmig sind; aus der Beschaffen- heit gewisser von M2 vorgenommener Correcturen1) lässt sich sogar der Scillase ziehen, dass diese Einigkeit ehemals grösser war als heute (94 bliyoig M, doch Xlyo ir. M2; by/.otg B. 107 /.aueiTa ****** ?tqhg aitijv pc. M2; xörtew« de v.ui rtvqog ctvyfjv 13; sicher hatte M ursprünglich ebenfalls avyrjv, sehr wahrscheinlich auch de Aal nv. 119 lv ir. M2; elg B. 136 fpojgiov M, das zweite w ir. M2; cpwqov B. 141 oiuox' akvtrf, ir. M2; oiVroi' f.Myiijg B. 150 /iöi//>] M, p schaltete M2 ein; /.taiprjt B). Ein noch viel enger verbundenes Paar für sich bilden zweifellos 0 und P (vgl. die gemeinsamen Fehler 102 avalvepev iatlv dvd-Qütrtots st. üvaXiHier aviloonroio, 111 öw/.iäiiov st. döfuav, 158 dedärjTo st. dedarpxe und die von Kroll angeführten Beweisstellen): indessen ob P direct aus 0 abgeschrieben ist, kann nicht mehr sicher entschieden werden, weil P2 (d. h. nach meinem Dafürhalten fast immer eine spätere, nicht die erste Hand) die ganze Niederschrift nach einer anderen Vorlage durchcorrigirt hat2), und zwar so geschickt und gründlich, dass häufig nur ein scharfes Auge von der behutsam ausgeführten nachträglichen Veränderung überhaupt noch etwas merkt, von der ersten Lesart jedoch oft genug nicht die leiseste Spur mehr wahrnimmt. Dass der Corrector P2 vielfach mit MB gehe, soll nicht bestritten werden: noch näher berührt er sich jedoch mit H (beide geben 52 ev&vvat, 57 oqytjv, 69 das seltsame ae msiv, 78 das gute bveiaq, 88 xiyyrpi, 107 das unmögliche v.ai 7cävveg 7iqbg alvrtv, 132 utitov, 133 arcOTQOrtäaö&ai, 142 syßqov Tvytuv, 157 ßiönov <peiyoig, 161 i&elotg, 168 alel v.ai, 185 firtdi oder /xij de xig r\, 192 axä^ezTov, 201 diteoilai. /.ttv xaxa or/.or, 208 ia/.qivizio, 212 £v£or/.e y.6/.iai, 226 nqog, 228 ayvelai und Anderes), so dass P2H eine Art Bindeglied zwischen den Gruppen MB und OP darstellen. Zu der letzteren gesellt sich ausserdem noch das lückenhafte Fragment F (mit der von Bergk zu Vs. 3 erwähnten Umstellung, ferner 24 ol'xovg, 21 bfibg st. b ßiog, 50 cmXocg, 51 \]v, 55 rqvxe, 60 irkeoi'e^), während f mehr zu der ersteren hinneigt (mit 51 all\ 111 f.isv aqüqa st. (.ttlaSqa, 132 avdqa aöey.xov), hin und wieder jedoch (besonders 87) Eigenthümlichkeiten aufweist, die ausserhalb der sonstigen mir bekannten Tradition stehen. In eine neue Phase tritt das Textbild durch den Codex L. Leider ist hier wiederum der ursprüngliche Wortlaut arg verdunkelt, theils durch die von dem ersten Schreiber selbst nachträglich vorgenommenen Änderungen (L1), theils durch die Menge späterer, von anderer Hand (L2) eingesetzter. Die uncorrigirteu Stellen der Abschrift (L) tragen mancherlei Sonderbares zur Schau (8 Öeolg, 17 anyki Ueqonwv üeig, 28. 29 zwischen 25. 26 gestellt, 31 äfKpißaXetg ov, 41 eyoi, 42 cptloyqrjiiaiiij, 65 ia&Xiüf ayaltuf <pallov d' b novrjqt'n*, 69 fthqw 7Cielv (.itxqio de cpayeir, 176 uq' heylrtjg u. s. w.): dennoch dürfte Kroll richtig als ihre Grundlage eine der Recension O nahe verwandte Urkunde ermittelt habeu (vgl. z. B. 9 Uxwv, 16 äyvoia /</,')'. 24 ol'xovg, 48 xei&iov, 51 jjV, 61 el/.ei, 66 fiey b(pt?2ei, 7S iüfilog, namentlich 90 Oi'.Vtoie yaq v.)Joia\ 100 ytxiuv st. (p&titevu»). Die Correcturen L1 und L2 scheinen aus verschiedenen Kxemplaren zusammengeflossen zu sein; mitunter entsprangen sie sogar einer und der

1) Meine Abkürzungen sind dieselben wie in meiner Homerausgabe und sonst: ae. = ante correcturam, pc. es post correcturam, im. = in margine, it. = in textu, ir. es in rasura, ss. = supra scrip- tum,';'»' = yi/äiff-ifii, * = una littera erasa, u. 8. \v.

2) Die Angaben, dass Vs. 139 in O fehle, in P von P2 am Rande nachgetragen sei, beruhen beide auf Irrthum; ebenso wenig ist es zutreffend, dass O in Vs. LS ßtim* hat.

anderen eigenen Vermnthung irgend Jemandes, wie die zu 157 all' tx7co twv lölcov öiäyoig ßiöxiov avußgiazwg gehörige Randnotiz ol^iai „ßiörcov cpareig [cfüyetg 1, tpevyeig H] ävißgtarog sicher beweist. Mit L1 und L2 hängt 1 eng zusammen (122 zgvcpcov L, cfiov ss. L1; ifqvtjtmv so 1. 126 zeXeoioi L1 im., 1. 133 LJcoTguvtüo&ai L, 7täaoliov ss. L2; a7toTg07taao&ov 1. 152 "g^rjg L, qs ss. L1; gi^rjgl. 108 om. Lit., add. L1 im. ; y.oigr) (.iiyeti] L'l. 202 7cavaygiovg L; xavaygaiovg L1 ss., 1 it.! 203 ye avvaif.ioaovl^; -atv L1 pc, 1). Unter dem nicht ungefährlichen Einflüsse dieses Doppelgängers im Laurentianus ist J zu Stande gebracht worden (63 i7isgxs6/.t£rog L, -%Lf.tevog 1 J. 67 orpelXei 1J. 68 ayavöcpgwv LI; aggevUpgiov L2 ss . J. 132 avöga und Lücke L, ätiTov add. L2; avöga azixov 1 it., J). Aus Y hat Bergk den Text um zwei Verse (31. 37) bereichert, die bisher in keinem anderen Exemplare von £2 gefunden wurden; auch sonst wimmelt Y von eigenthümlichen Lesarten (52 e'i'övrov, 56 yg' axz/izov, 57 yg 7cgorcaTrjarig, 61 zgyet' , 66 yg noitcaag, 80 Vgdovia, 82 ßgadcvoboaig dovleiaig, 85 aviovgös, 86 tpioxag, 111 /.oiw jusY /,t£Xa$gä re ölfiiov öi] u s. w.): das Ganze trägt jedoch deutlich den Charakter eines Gemisches von alten und jungen Elementen mit zahlreichen individu- ellen Einfällen ohne zuverlässige urkundliche Gewähr. Ähnliches gilt mehr oder weniger von allen Handschriften, die noch übrig sind, mit einziger Ausnahme von V. Schroffer als zwischen L1L21Y nebst ihrem sonstigen Anhange einerseits und diesem Vindobonensis V anderseits ist glücklicherweise der Contrast nicht mehr zum Ausdruck gekommen: dort, wie sich zeigen wird, tiefes Versinken ins Abenteuerliche durch uferlos überströmende subjective "Willkür, hier sichtbarlicher Aufschwung zum Ursprünglicheren durch glück- liches Zurückgreifen auf die relativ unverdorbenste Überlieferung. Leider wollte es das Schicksal, dass V bis ins neunzehnte Jahrh. hinein im Verborgenen blieb, bis dahin also auch die Herrschaft der viel breiter entwickelten anderen Tradition sich ungeschwächt behauptete. Erst Bergk schaffte hierin Wandel, doch auch er nicht mit der nöthigen Energie und Ausdauer.

4. Da die Vertreter von £2, d. h. die der geschriebenen Vulgata, vielfach weit auseinandergehen, also ein recht schwankendes Bild ergeben, so habe ich ihnen den festeren Complex co an die Seite gestellt, worunter ich die gedruckte Vulgata ungefähr bis zum Beginne des neunzehnten Jahrh. verstehe. Verglichen oder wenigstens durchgesehen habe ich namentlich folgende Ausgaben1): a = Aldi Manucii 1495; b = Aldi Manutii 1497 (mit lateini- scher Interlinearversion); d = Ioannis Frobenii 1521; v = Viti Amerbachii 1539; c = Io- achimi Camerarii 1555; n = Michaelis Neandri 1559; j = Iacobi Hertelii cum interpre- tatione et scholiis Eliae Vineti 1561; i = Hieronymi Osii 1562; s = Henrici Stephani 1566; y = Friderici Sylburgii 1597; k = Henrici Bonick 1710; t Johann Adam Schier 1751; h = Rieh. Franc. Phil. Brunck 1784; g = Thomae Gaisford 1823. Ausnahmslos lassen sie alle das eigentliche Lehrgedicht erst mit dem dritten Verse beginnen; doch schickt die Mehrzahl (abdvnjkt) jene sechs iambischen aziyoi sig zov OiovLilidrp voraus, die Bergk p. 79 mitgetheilt hat und die handschriftlich bisher nur aus A1 und A2 nach- gewiesen worden sind. So machen die Ambrosiani AXA2 den Übergang zur gedruckten Vulgata u), und alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass die sechs Trimeter aus der

1) Ein sehr reichhaltiges Verzeichniss der Ausgaben von 1494 bis 1733 mit biographischen Nach- richten über die Herausgeber bietet Schier (t) p. 13—32. Vennisst habe ich bei ihm beisy.

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Officin oder nächsten Umgebung des ersten italienischen Herausgebers hervorgingen. Nach ihnen folgen unter dem neuen Titel1) elg cöv aizbv i'vsQot. (ebenfalls wie in A1 A2) die zwei Hexameter*2), mit denen jetzt das Spruchbuch zu beginnen pflegt (in o> übrigens mit der ständigen Variante öixgg oolyoi, 'iustitiis sanctis', wie b übersetzt, 'veneranda iusticia' j), und sodann über den Versen 3ff. die dritte Aufschrift <Dioy.vliöou noit\^a vovöetiY.i > Ausser dem Namen des angeblichen Dichters und den beiden Hexametern geht meines Wissens nichts von alledem auf ältere handschriftliche Tradition zurück, auch nicht die beliebte (übrigens keinesweges ganz unpassende) Bezeichnung als 'Mahngedicht', die ich nirgends, Bergk nur in seinen jüngsten Hss. fand (;colrtua vovd-eTi-Mv A'A3, bloss 7colriua Mn und Vind. 153). Sie ist dieselbe geblieben in cisyhg, wo der Text ohne die zwei Hexameter beginnt. Natürlich begegnen, auch abgesehen von den Einleitungsversen, noch mancherlei Verschiedenheiten in co. Die einschneidendsten entsprangen offenbar pädago- gischen Bedenken, als der falsche Phokylides nebst anderen Gnoniikern, die im Jugend- unterrichte zugelassen wurden, sich der modernen Schulmoral anbequemen musste3). Da erregte denn gleich das erste Gebot /.tr'jie yccftoxlonieiv /j^t' aqaeva Kv/cqiv öglveiv be- greifliches Ärgerniss, und cnjikt beeilten sieb, das schlimmste Wort in iaelyea Kvrcgtv abzuschwächen. Solche puristische Hausmittel brachten sie gegen ähnliche Anstössigkeiten wiederholt zur Anwenduug (die Verbote naturwidriger Unzucht 187. 190. 191. 214 wurden einfach weggestrichen, in cjik auch das Verbot der Castration 186). Im Ganzen jedoch halten die genannten Vertreter von w bedeutend enger zusammen als die von Q; und da trotz alledem ß und w in der Regel mit einander harmoniren, so werden sie vereint sicherlich keinen ungeeigneten Maassstab abgeben, um mit seiner Hilfe den Werth von U1 zu bestimmen. Ich schicke voraus, dass o> keinesfalls aus einer bestimmten einzelnen Hs. herstammt: am deutlichsten tritt die Verwandtschaft mit L(L1L2)1HTW hervor4); doch mangelt es nicht an ganz eigentümlichen Lesarten, die sich allerdings meist als moderne Besserungsversuche, bei denen zuweilen *P mitgewirkt hat, leicht zu erkennen geben. Auf Einzelnes noch besonders aufmerksam zu machen, werde ich später Gelegenheit finden.

5. Es sollte wohl eigentlich längst als selbstverständlich betrachtet werden, muss aber doch ausdrücklich zur Sprache kommen, dass von dem Vorwurfe der Interpolation kein einziges Exemplar weder von ß noch von w frei gesprochen werden kann. Eben deswegen eignet sich auch die beliebte zusammenfassende Formel 'Codices interpolati' hier absolut nicht zum Theiltitel, weil ihnen gar keine gegenüberstehen, die auch nur an- nähernd des Titels 'Codices non interpolati' würdig wären^). Die Grade der lnterpolatoren-

1) Beide Titel hat A1, während A2 abweicht: s. Bergk.

2) Wie eine Art vnöfrsou sind sie auch in der Hs. f von dem Texte abgesondert (die Überschrift [<I>u»tv]Mt3ovs yrm/uu steht tiefer am Runde), desgleichen in den Drucken dvjkt. In FWA'Jcisyhg fehlen sie ganz im Texte.

3) Als Schulbuch bezeichnet Joachim Camerarius (vermuthlich der intellectuelle Urheber dieser pädagogischen Maassregel) seine Sammlung ausdrücklich schon auf dem Titelblatte: Xibellns scolasticus utilis et valde bonus'. Ihm folgten andere Pädagogen, zum Theil sclavisch.

4) Das seltsame, durch schlechte Aussprache bewirkte aviißaSw 190 st. owtvaSn kenne ich nur aus Tabds. Es ist für T charakteristisch.

5) Bei meiner Besprechung der 'Oracula Sibyllina bearbeitet von Joh. Geffcken' in der Berl. philol. \\ ochenschrift 1903 S. 359 habe ich dies bereits kurz angedeutet, weil es dem Herausgeber entgangen war.

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thätigkeit sind freilich sehr verschieden: mit einzelnen Buchstaben anhebend, steigen die von fremder "Willkür verschuldeten Änderungen und Einschaltungen nicht selten bis zu ganzen Wörtern, ja sogar bis zu vollständigen Versen an. Als weitaus am ärgsten verunstaltet erscheint zur Zeit jedenfalls die schon erwähnte Sibyllinengruppe lF (S bei Bergk), welche die aus unserer Gnomendichtung (5—79) ziemlich wortgetreu in das zweite Sibyllinenbuch (56— 148) verpflanzte Verspartie hauptsächlich um folgende zweiundzwanzig neue1) Hexameter vermehrt hat: 7a (59 in lF) /.iijde juartp udioka aißov zbv c5' aq&ixov ortet . 17* (70) ädi/jov k'gycov dwgov ysigl [%egi Opsopoeus, Alexandre, Rzach, Geffcken] firjrcOTe dety . 18" (72) elg [ig Ezach] ysvsag ysveav, [dia add. Alexandre, ig Rzach, slg Geffcken] 07.og7c10-1.1dv ßioroio. 18b (73) /.u'jt [/.iij Alexandre, Rzach, Geffcken] agosvo/.oiTEiv, 1-tij ouxorpavzeiv fitjTS rpovei'eiv . 20a (76) OQCpavixolg, yrjgaig [r' a^- Rzach] iniÖeofib/Oig \_-dsvofievoig Alexandre, Rzach, Geffcken] de \xe Alexandre, Rzach] 7iagäoyov . 23a (80) og d' tXsrj/.to(Tivr}v 7cageysi, 9eui olde daveiCeiv. 23'' (81) g'vSTai ex Savüiov eXsog, v.gioig onnox av eX9y. 23c (82) ob »voi^v, 'eXsog de »üet &edg avii »vai-qg. 23d (83) evdvoov oiv [ovv del. Alexandre, Rzach, Geffcken] yvftvov, /.lerädog neirwvx1 agriov d&v . 30" (91) fit} ttote [d' add. RzachJ artige* nivrpa tddiv oxäxftgs ineeaaiv, 30b (92) (.nqde x«xwg ye 7cgoaegjtrjg [-eirtgg Alexandre, Rzach, stillschweigend auch Geffcken] iuüutjtÖv tivcc cpüra. 30° (93) tb C-rjv iv &avaicp do/uftäteictf eX rig ijcgn'iev 30'1 (94) exrouov ij tiixawv, diay.glverai elg [ig Rzach] Agiaiv eXdior. 30° (95) /.i^ds cpgivag ßlänteiv oXrq> urtde niveiv auexga [/<>)(?' auerga n. Alexandre, Geffcken; ,ujjd" e/.uerga 7t. Jacobs, Boissonade, Rzach]. 30f (96) alua de urj rpayesu; eldioXoO-i-Tcov d' ani/ead-ai . 40a (106) (ig ieroi äXXrjliov ^Eivog de ye [toi Rzach, %e Geffcken] ovzig iv f)/.ilv [v[üv Alexandre, Rzach, Geffcken] 40b (107) Zöget', i/cei naviEg ßgozoi a'if.iaTog evlg iois . 41a (109) urjtie &elrjQ [&eXiqg L, &eXeig FR, 9tXoig Alexandre und Rzach] nXovieiv firjti' svyov [so LR; Eiiyso F, Rzach, Geffcken], äXXä Toti' evyov 41b (110) tjjv änb tvjv oXlycov [irßiv te eyovTa atirtov [atiiy.ov de te itrjtiiv eyorTu Alexandre, atii/.cv 7reg urjtiiv e. Rzach] . 42a (112) /u) Ttöd-og slg [ig Rzach] ygvabv fj elg [ig Rzach] agyvgov iv d' aga tuxi tolg 42b (113) eogetcu a^yijxijg 9vuo(p96gog er9a [eiro? Rzach] oitirjgog . 47a (119) fiiqdi tioXovg fiämEir, /.irj 7tgog cplXov foog bnXi'QEiv. Die einzelnen Hss. der Gruppe V weichen innerhalb dieses Versgebietes nur wenig von einander ab is. 109): um so eifriger sind, wie man aus meinen Einschaltungen ersieht, die Sibyllinenkritiker unserer Zeit bemüht gewesen, diese vollendete Stümperei etwas aufzubessern. Niemand wird leugnen, dass eine und die andere der vorgeschlagenen Verbesserungen in der That Überzeugungs- kraft genug besitzt, um sich jedem Stilkundigen ohne weiteres von selbst aufzudrängen: hieraus folgt aber noch lange nicht, dass wir überhaupt ein Recht haben, derartige Mach- werke in die üblichen Regeln kunstmässiger Epik einzuzwängen und sie auch mit solchen Correcturen zu behelligen, die, sollen sie nicht vollends in grobe Willkür ausarten, not- wendigerweise immer auf halbem Wege stehen bleiben müssen. Wer das Endergebniss dieser Bemühungen unbefangen betrachtet, der kann sich unmöglich verhehlen, dass es ein recht trübseliges ist und dass alle Schönheitspflästerchen in diesem Falle so gut wie nichts genützt haben, offenbar aus dem einfachen Grunde, weil die schlimmsten Schäden sicherlich nicht von der Nachlässigkeit der Abschreiber herrühren, sondern von der Un-

1) Nur der letzte stimmt zur Hälfte mit Phok. 1 fn]zi Sohn* imnxtiv inj/)-' cä/unt /t'ifta fualvtiv überein.

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wissenheit des Verfassers selbst, dem es an gesundem, durch gehörige Kenntnisse ge- schärftem Gefühle für correcte Verstechnik in hohem Maasse gebrach. Seine Sünden zu versohleiern steht der moderneu Textkritik schwerlich zu; denn ihre Aufgabe ist es nicht, aus einem schlechten Poeten einen guten zu machen. Man versuche nur einmal, z. B. diu Zeilen 72. 73. 82. 83. 92. 95. 110. 112 metrisch und sprachlich so zurechtzustutzen, dam sie leidliche Hexameter Phokylideischer Art abgeben und zugleich den Eindruck ur- sprünglicher Echtheit hinterlassen, und man wird sich bald von der völligen Aussichts- losigkeit seiner Liebesmühe überzeugen. Einem Autor, der solche Ungethüme, wie die citirten, für richtige Verse ausgiebt, ist unsererseits nicht zu helfen, wenigstens nicht mit den bescheidenen Mitteln, welche die allernothwendigste Besonnenheit dem gewissenhaften Textkritiker zugesteht.

6. Ist aber die Einsicht erst so weit gediehen, dann treten auch die Unterschiede zwischen der gewöhnlichen Phokylides-Überlieferung fiw und jener Sibyl- linentr adition *P in das wünschenswerthe klare Licht, um alle oben ausgeschriebenen zweiundzwanzig Verse als grobe Interpolationen des Phokylideischen Eigenthums zu brandmarken, mit denen das echte Spruchgedicht niemals etwas zu schaffen gehabt hat. Darauf scheinen freilich schon einige äussere Umstände mit bezeichnender Schärfe hinzu- deuten. Die handschriftliche Tradition des zweiten Sibyllinenbuches spaltet sich in O und 7': nur '•['' hat die grosse Reihe Phokylideischer Sprüche nahezu wörtlich übernommen und mit einer Anzahl neuer durchsetzt; <D bringt von alledem nicht das Geringste. Kein ein- ziges Mitglied von 'F ist älter als das fünfzehnte Jahrh.1), während die Phokylides-Hand- schriften Q Ins ins zehnte Jahrh. hinaufreichen: nicht hier, sondern dort allein, also spät erst tauchen die entwendeten Verse in ihrer Gesamtheit auf. Immerhin erhöbt es den Wertk dieser gewöhnlich vorgebrachten (nicht ganz untrüglichen) äusseren Gründe be- deutend, dass die inneren vollkommen dasselbe, nämlich ein dem Ansehen der Sibyllinen- quelle fP nicht eben günstiges Resultat ergeben. Wenn unser sogenanntes Phokylideisches Mahngedicht auch gewiss kein sonderliches Muster von poetischer Schöpfungskraft und technischer Geschicklichkeit darstellt, so steht es doch immer noch so hoch2) über jener ge- samten Stümperei von '['', dass selbst das ungeübteste Auge den gewaltigen Abstand leicht zu bemerken vermag. Eine Kürze als Länge (76. 82. 110. 112) oder eine Länge als Kürze zu gebrauchen (70. 73. 83. 94. 95), hat der Sibyllinische Interpolator sichtlich ebenso wenig für unerlaubt gehalten wie die gröblichste Vernachlässigung der strengeren epischen Kunstregeln in Rücksicht auf Cäsuren (72. 92) und Diäresen (83. 110), auf Vocalver- sdileifungen (73. 112) und Hiaten (91. 10G. 110). Er merkte schwerlich, dnss er andere Wege ging als seine wohlgeschulten Vorbilder; er merkte auch nicht, wie sehr er durch seine rohe Zügellosigkeit in der Formgebung die Kluft zwischen seinen eigenen Producten

li Bei diesem Argumente pflegt die in § 1 mitgetheilte Notiz des Suidas übersehen zu werden. die doch unter allen Umstanden eine viel iriihere Entstchungszeit der Interpolation bezeugt.

2) Uberschwängliches Lob sogar ist dein Spruchgodicbte gespendet worden. Kein Geringerer als Joseph Justus Scaliger (Animadvers. ad Euseb. MCCCCLXXX p. 89 der Leidener Aasgabe des 'Thesaurus temporum' vom J. 1G06) hat sich zu folgender Äusserung verstiegen: 'Neque vero puto ullius Veteran Carmen extare, quod cum poesi huius Phocylidis (si modo ei id noinen fuit) aut elegant ia aut nitore aut eultu verborum conferri possit.' Vgl. indessen Bernays S. 19b £

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und den von ihm ausgebeuteten Dichtungen vergrößerte. Nirgend tritt diese naive, mit crasser Unbildung gepaarte Sorglosigkeit schlagender zu Tage als da, wo er in seiner grob zu- greifenden Manier einmal den Theognis geplündert hat. Hier nämlich sah er sich plötz- lich genöthigt, einen Pentameter zu einem Hexameter umzuformen. Auf welche Weise er dieses nicht gerade schwierige Kunststück fertig brachte, ist ebenso ergötzlich als belehrend. Er fand bei dem Elegiker (1155 f.) das Bekenntniss: ohv. ega^tai nXovzslv ovd' Ev%Ofxai, älXä fxoi ei'rj | Ujv ctrco tiov oXiycuv, f.ti}div e%ovii xcmov und verfertigte hieraus flugs den Mahn- spruch (109 f.): jurjd« d'ilrjg nXovxelv f<?j<}' ev%ov, aXla rod' ev%ov \ tr\v mio tiov oXlywv nrjötv zb exovia adi/iovl Kann es ein drastischeres Zeugniss geben für das klägliche Unver- mögen dieses Interpolators, der in sich den Drang verspürte, den 'Sibyllen' ins Handwerk zu pfuschen, dabei aber sich nicht mit fremden Federn allein schmücken, sondern auch sein eigenes Licht leuchten lassen wollte? "Wie er ahnungslos die Sibyllinischen Weis- sagungen schädigte durch Einlage der fremdartigen Sentenzenreihe, genau so unüberlegt verdarb er diese Sentenzenreihe durch allerlei fremde und eigene Zuthaten. Weder durch die künstlerische oder sprachliche Form fühlte er sich in seinen Fälschungen beschränkt noch durch den Inhalt oder Charakter des Phokylideischen Sprachbuches. Dass dieses z. B. das Verbot des Opferns vor Götzenbildern und des Geniessens der eldioXö&via nicht ausspricht, auch nicht wohl aussprechen konnte, bemerkt Bernays S. 224 sehr richtig: nichts desto weniger brachte W den Zusatzvers 30f (96) hinein: alfta de /.irj (payesiv, üdiüXoitvTiov d' ct7cexeo&ai (sicher in Erinnerung an Apostelgeschichte XV 29 cwcixeoüat siö colo&vz wr Kai ai/.iazog). Gegen den ähnlichen Zusatz von 7a (59), durch den die Ver- bindung fxrjde /.iÜt^v el'dcoXa oißov, tov d' aq>3ito>' alei | TtQÜta üeov xlfxa entstanden ist, erhebt Bernays S. 225 den berechtigten Vorwurf, dass 'die stilistisch nun unerträgliche Stellung von rcQiova allzu ungeschickt das Anhängsel verräth'. Ausdrücke wie el'dtoXa, eldioXööiTa u. s. w. kommen selbstverständlich in der echteren Fassung unseres Mahn- gedichtes überhaupt nicht vor, ebenso wenig das in der Versnoth gedankenlos eingestreute Füllsel ye (30b. 40". 66 = 92. 106. 138), der distrahirte1) Infinitiv cpayesiv (30f. 31) und noch Anderes der Art.

7. Nicht minder willkürlich und gewaltsam wie bei seinen Einlagen eigener Verse verfuhr der Interpolator !F im Übrigen mit dem geplünderten Texte des Phokylideischen Gedichtes. Eine besonders charakteristische Probe legte er 143 f. ab, wo er sechs Verse seiner Vorlage (70—75) auf zwei reducirte. Die wahrscheinliche Veranlassung, warum er dies that, deckt Bernays S. 224 auf: den Fälscher störten die Olqavldai (71) und /.idxaQEg (75) seines Originals, weil er ein Christ war und allzu heidnisch schmeckende Kost seinem Kreise nicht gern vorsetzen mochte2). Von der Richtigkeit dieser Erklärung bin ich meinerseits vollständig überzeugt; denn das bewusste Sibyllinenstück trägt in der That, trotz seinen meist auf anderem Boden erwachsenen Mahnsprüchen, durchweg einen christlichen Charakter3); alles dem Widersprechende wenigstens verstand sein unredlicher

1) Phokylides braucht nur Ttielv 69, ivyelv 142, tXfrtlv 103. 187, neben cLtifiev 22. 182 : er hätte also auch nur zwischen ipceytty und tpayipm gewählt. Die Formen ih'/.ti 23c und d-ih^ 41" sind ihm fremd; bei ihm lautet das Verbum immer i&iho (21. 159. 160, vgl. 16).

2) Aus dem Homerischen «V <tiyh\ivxoi "OJkv/mov N 243 machte er <hiu ovgarov aiybjfno-; II 36.

3) II 45 uyrüi ■/('<(> Aoiotiis tovtou St'xcua ßQnßevei xai Soxlfiove tttixfiBi. Vgl. noch Bergk p. 76.

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Verfasser mit beinerkenswerthem Geschick fern zu halten. Dies hat die Mehrzahl der neueren Sibyllinenforscher längst anerkannt; nur über die Abgrenzung des fraglichen Stückes gehen die Ansichten noch weit auseinander. Ich schliesse mich denjenigen Kritikern an, welche sich für IJ 15 153 entscheiden zu müssen glaubten, und dehne daher denBegriff, den ich in der vorliegenden Untersuchung mit der problematischen Grösse ;/' verbinde, ani diese ganze Partie aus, in einigen wesentlichen Punkten hauptsächlich den verständigen Ausführungen C. Alexandre's (hinter seiner Ausgabe vom J. 1869 8. 348) folgend. Sehr passend erinnert er vor Allem an die dem zweiten Sibyllineubuche vorausgehenden pro- saischen Inhaltsangaben. Summarisch heisst es in O nur: vieql 'EXXtjvcjv xai nun freoi neu iiegl ayiwv zat 7cegi -/.giaecog, doch ausführlicher in f: viaaviiog xai toi'i; icolvi) tl av voaovvzag iktyxei [II 15 20, vgl. 17 elödhov CrtXov ögavoei] zovg ze ädi/.oig v.ai auag- ztolovg [21 24, vgl. 24 uiegtte dixrjs xgivovai Ötfiioiag], xai avußovkevu wg avyyevijg1), tot "vic xai uövov aeßeiv #eöv [25 33, vgl. 28 avöqwv eraeßnov aioiijQ, 31 o$ö" eiatzi ?.a- zgivoraa]' etra 7cagoif.tid££i %ifV diHrioiv'*) zuv ayiwv [34 148, vgl. 39 i-iiyag ydg dyviv eiaeXaaztxog eßtai, 42 nag Xaög hei aitavüioiaiv üiiyXoi*; äi)/.i,ati vltuqS) 46 'Jffia fitigcvai öoiaei ... ziv ayoiva 7eoioioiv\, "Kai zeXeuzalov 7cegi zov qigixzov ßrtuazog zov oioz^gog ijucZv (frtat [149 155, vgl. 152 o'i ÖS laßövieg aztqog), Xtyoioa zaöe, d. i. 'ebenso weist sie (die Sibylle) die an Vielgötterei Krankenden zurecht, desgleichen die Ungerechten und Sünder, und räth wie eine ihm Verwandte, den einen und alleinigen Gott zu verehren; dann stellt sie in Sprüchen3) das Preisriugen der Heiligen dar, und schliesslich redet sie von dem ehrfurchterweckenden Richterstuhle unseres Erlösers, indem sie Folgendes spricht'. Dass die eingeschobene Dichtung II 15 153 wenigstens in den drei zu H1 gehörigen Hss. wirklich nach diesem ausführlicheren Programme verläuft, lehren die von mir in Klammern beigefügten Nachweise. Nichts Wesentliches lässt sich von der bezeichneten Versreilie

H. Dechent, Über das 1., 2 und 11. Buch der Sibyll. Weiss. S. 16 f. Eine evidente Entlehnung aus dar Apostelgeschichte ist schon oben (,§ 6 Ende) erwähnt worden. Ebenso ungenirt schöpfte der christliche Sibyllist aus anderen Büchern des Neuen Testaments: "Vs. 21 ff. Matth. XXIV 7; Vs. 37 ff. I Kor. IX 24; Vs. 39 Hebr. XII 1; Vs. 45 ff. II Tim. IV 7 f.; Vs. 47 Joh. Apok. II 10; Vs. 48 I Kor. IX 25; Vs. 73 I Kor. VI 8, I Tim. I 1U, Luk. III 14; Vs. 81 Jak. II 13; Vs. 82 Matth. IX 13 und XII 7; Vs. 150 Matth. VII 13. Selbst die JiHn/t] i<üv Siädsxa artoaxöXcov scheint er benutzt zu haben: Vs. 79f. äiS. I 6; Vs. 96 Jiä, VI .",. Ich entnehme diese Stellen den jüngsten Sibyliinenaus-gaben. Jeder, der die betreffenden Stücke nachliest, wird die Überzeugung gewinnen, dass sie allein schon hinreichen würden, den Verfasser von II 15—153 als Christ zu kennzeichnen. Seine Sprache ist überall voll von neutestamentlichen Anklängen.

I) svußaodsva tut avyyevtU Hss., Alexandre besserte.

^) "gh II 37 roxi y<tn aiiifoi ävftouiTimot üti'iu tot' ovpavöfrey, iväytivun> äfrXtvovat x»i aräd,uinai , 'den Preis des Wetlkampfes für die Kämpfenden und ihre Ziele'. Vielleicht käme hiermit die verdorbene Überlieferung xai to&ftai wieder zurecht. Das Leben des Frommen ist ein steter Kampf mit den An« fechtungen der Sünde und fleischlichen Begier: lässt er sich durch sie nicht von der geraden Richtschnur, die einzig und allein zum Ziele führt, abwendig machen, dann winkt ihm die ewige Himmelskrone als Siegespreis. Diesen zum Eintritt in das Reich Gottes notwendigen Wettkampf [äyu* foktotaAe .-,,- ,.;>.,., oifiviov 39f.) hat der Verfasser im Sinne; auf ihn deutet er wiederholt so nachdrücklich hin, als wolle er damit auf den eigentlichen Kernpunkt seiner Gesamtleistung aufmerksam machen; eben ihn specialisiren die eingeflochtenen napHulm (Sprüche), um in der Seele des Lesers das richtige Bild von dem Kampfe um die Seligkeit zu erwecken: daher denn auch schliesslich das emphatische «It<k äytif.

3) Aristot. Rhet. II p. 1395*17 h>uu ttör itafoiutüp xni yvüual tioir. Eth Xikom. VI p. 1113* 19

"'". ;""'", . i, toi MMJMtfC l'lu KfftOH Bpfrlf,

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abdingen, am allerwenigsten die Phokylideisehe Einlage samt ihren Zutliaten. Das sehr beliebt gewordene Verfahren, sie allein (II 56 148) fortzustreichen, ist ein Unding, weil sich dann zwischen 55 y.oj' 0-e/.tig avÖQconoig ttjv aXyeai [I. uiayeoi mit Herwerden, vgl. 139) 7cüoi fiiairctv und 149 oizog äyo'iv, T«iV eatlv äeitXia, taira ßgaßsla eine gähnende Kluft aufthut, die durch keinerlei Interpretationskünste überbrückt werden kann. Dem demonstrativen oviog ayviv muss nothwendig eine nähere Unterweisung über das Wesen und die Natur dieses lebenslänglichen Wettkampfes vorangegangen sein. Gerade das ist der Zweck, den das Stück II 56 148 erfüllt mit seinen präcisen Ver- haltungsmaassregeln, die zugleich ein ausgeführtes Bild des unablässigen Kampfes ent- rollen, in den der Fromme auf Weg und Steg mit den sündlichen Lockungen des irdischen Daseins verstrickt wird. Der Verfasser mochte fühlen, dass der allgemeine Theil II 34 55 zwar den winkenden Siegespreis genügend zum Ausdruck brachte, keinesweges aber die besondere Natur des erforderlichen ayi'iv, wie er sie im Sinne hatte, der dieses den Griechen so geläufige Wort wählte1): eben deswegen entschloss er sich dazu, den speciali- sirenden Theil II 56 148 hinzuzufügen, auf den allein das ovrog äyc'iv in Wirklichkeit passt, während das Tatr' eötIv äidXia, ravta ßgaßsla sich auf die Sieges verheissungen in II 34 55 zurückbezieht. Daher ist es ganz gewiss kein blinder Zufall, dass unmittelbar nach 47 itägtvai tiv äytäva noiocoi, wo zunächst nur im Allgemeinen einem tugendhaften Lebenswandel Lob und Preis gesungen wird, und nicht erst da, wo die ethischen Special- gebote beginnen (56), directer Anschluss an den Phokylideischen Moralcodex nachweisbar ist. Auf diesen wichtigen Punkt ist bisher noch viel zu wenig2) geachtet worden. Die groben Plagiate freilich, die in II 56 148 offen vorliegen, erkannte jeder leicht, nicht aber die wörtlichen Entlehnungen, mit denen die unmittelbar vorhergehende Partie II 48 55 er- füllt ist, also derjenige Theil, der allmählich von den kleineren zu den grösseren Plagiaten überleitet und den organischen Zusammenhang mit ihnen deutlich documentirt. Ich will diese nicht genügend berücksichtigten Parallelen hier zusammenstellen. Sib. II 49 io7g icc div.aia v&fiovoiv; Phok. 9 navra dixaia vffjstv, 14 /.tirga vifteiv xa dlxaia. Sib. 51- loig vatiog 'O'iovai; Phok. I (J/xijg öaloiai, 5 ?'£ oohov ßtoieleiv (dies kehrt Sib. II 56 wieder), 219 avyyereaiv (piXotrjza vspoig üair\v & ö/xävoiar. Sib. 51 &e6v & Vva; Phok. 54 elg 9s6g sau aoepög (in anderem Sinne: hier "Gott allein', dort 'den einen Gott'). Sib. 52 ya/.ioxXo/ciojv r' änfyeoüai; Phok. 3 (.il^e ya^w/iXorrieiv (6. 76. 145. 149 ajitysaii-ai stets wie dort im Versschluss). Sib. 53 7tXovoia öojqcc; Phok. 2 uXßiu diZga. Sib. 53 ah'iviov eXrcida; Phok. 1 1 1 /.teXaöga öouiov alwvia (hier vom Hades, dort mit Bezug auf die himmlischo Seligkeit). Sib. 54 uaaa te yctg t/'ij(>} (.ieqÖ7cwv #eov htti yägiofta; Phok. 105 f. i]>v%ai yäg fttfivovaiv cattjiQiot e,v (p'huivoiat' rcveüfia yäq ean l)eov "/gr}<Jig ['Darlehen', von xquw = z/^ijitu] üvr]z(H<Ji y.al elw'iv. Mit der Sentenz 'es ist nicht recht, seine Seele zu beflecken' (fiialreiv) beendigt der Sibyllist II 55 diesen generellen Abschnitt, und mit demselben Verbum schliesst unser Phokylides den vierten Vers: uijts döXocg quntetv (tyP a'if.taTi

1) Nahe gelegt wurde ihm die Metapher durch den Hebräerbrief XII 1 rnv nqmäfievov fj/üif dymva und durcli analoge neutestamentliche Vorstellungen. Paulus rühmt sich II Tim. IV7: röi/ nymr« im- /.nhir ijyüvKJina, inr öpoftov Ttiihy.it, n]r niatir trtqfnpta, und er erwartet dafür die Krone der Gerechtig- keit am Tage des Gerichtes. In diesem Gedankenkreise bewegt sich unser Sibyllist.

2) Doch s. Bergk p. 7(5. Rzach, Orac. Sib. p. 252.

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yÜQn [tntt'veir, dessen erste Hälfte der Sibyllist später in II 119 herübernahm, wählend er mit dem nächsten (fünften) Phokylideischen Verse sein umfangreicheres Plagiat und damit zugleich seine specielleren Lebensregeln begann ein lehrreiches Beispiel für 'disiecti membra poetae'. Ich denke, das Beweismaterial für meine Behauptung, dass die Stücke II 48— 55 und 56 148 von einem und demselben Geiste eingegeben und untrennbar mit einander verbunden seien, ist ein erdrückendes. Man wird also wohl endlich aufhören müssen, gestützt auf die auch sonst recht trügerische Autorität von <Z>, nur das erste Stück anzuerkennen, das zweite aber nicht; denn in beiden herrscht der Einfluss des falschen Phokylides und beide gehören nothwendigerweise zu dem schon besprochenen Plane dieses Sibyllinischen Sonderlings. Sein Programm gelangt in II 15 153 vorschriftsmässig zur Ausführung. In Sprache und Metrik1) zeigt sich der Verfasser von Anfang bis zu Ende als ein und derselbe unfähige Stümper: mit welchem Rechte dürfen wir ihn trotzdem von dem Vorwurfe des Plagiates rein zu waschen suchen? Ohne alle Frage werden wil- der Wahrheit näher kommen, wenn wir annehmen, dass die ganze äusserlich wie innerlich zusammengehörige Stilübung II 15 153 weiter nichts als ein Cento und dass das Beste darin fremdes Eigenthum ist2). Man betrachte sich nur einmal die von Rzach und Anderen beigebrachten (leicht zu vermehrenden) Parallelstellen etwas gründlicher und man wird, diesen Faden weiter verfolgend, bald die richtige Vorstellung von der sogar in den Sibyllinenkreisen3) beispiellosen Unselbständigkeit und Ungeschicklichkeit des Autors be- kommen. Was nach Abzug der Plagiate noch übrig bleibt, ist nichts als ein ebenso bei- spiellos klägliches Armuthszeugniss. Wie gesagt, sogar die Sibyllinenbücher haben sonst nichts Ähnliches an Unfähigkeit und Unredlichkeit aufzuweisen. So und nicht anders sieht die Quelle "F aus, die unrühmliche Trägerin eines Theiles der Phokylides-Überlieferung. Berührt es nicht jeden Leser fast wie bitterer Hohn, wenn der Plagiator mit seiner Quelle übereinstimmend die Mahnung predigt, aQxelo&ai 7caq£oi'ai /.ai allo%qio)v aTtixsa&at (6 = 57), die er selbst fortwährend mit Füssen tritt?

8. Hoffentlich habe ich das Bild des Fälschers 'F richtig gezeichnet, dieses doppelt belasteten Interpolators, der sich ebenso an den Sibyllinischen Orakeln wie an den Phokylideischen Sprüchen verging und dessen Unwissenheit nur noch von seiner Unred- lichkeit überboten wird. Wenn dem aber so ist, dann müssen daraus erheblich schärfere Consequenzen gezogen werden, als die Phokylides-Kritiker bis jetzt für nöthig gehalten haben. Unmöglich darf die Quelle V auf gleiche Stufe mit den Phokylides-Handschriften LI gestellt werden; denn an die offenkundig ausschweifenden Interpolationen jener reichen diese allesamt nicht entfernt heran. Mithin muss 'F unbedingt als die unzuverlässigste und schlechteste aller Phokylides -Quellen angesehen und behandelt werdeD, deren

1) II 17 „<>'„;;.„„• :,;w, s. § 6 Ende. 21 Hiatus (wie 36. 42. 53. 68. 77). 29 Kürze als Länpe (ebenso 40. 41. 42. 47. 61. 140. 150). 34 Länge als Kürze (desgleichen 39. 42. 53. 100. 121. 146). 63 i'ehler- hatte Diärese im vierten Fusse. 69 schlechte Cäsur. 89 mi avtos verschlifl'en (55 xov). 53 und 55 Miss- brauch des Artikels. 69 ntv h> nicht Phokylideisch (ebenso wenig 137 und \V&8iyt). 151 yt sinnlos, u.s.w.

2) Von poetischer Litteratur benutzte der Sibyllist aasser Phokylides noch Homer, Hesiod, Theognis und namentlich mehrere der vorhandenen Sibyllinenbücher, oft wörtlich.

8) Die übrigen Verfertiger Sibyllinischer Weissagungen bedienen sich der Phokylideischen Sprach« nur iu höchst bescheidenem Maasse: vgl. die treffliche Sammlung der 'loci similes' bei Rzach, die auch das in der vorigen Anmerkung Behauptete durch zahlreiche Belegstellen unterstützt.

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zahlreiche Abweichungen von der gewöhnlichen Tradition jedesmal mit verdoppelter Vor- sicht und Schärfe zu prüfen sind. Gegen diesen Grundsatz ist bis auf den heutigen Tag gefehlt worden, von Bergk nicht minder wie von Bernays und Anderen. Man hat nicht genügend bedacht, dass augenfällige Übereinstimmungen einer und der anderen Phokylides-Hs. mit ¥ unter den obwaltenden Umständen ganz naturgemäss nicht Vertrauen, sondern Verdacht erwecken müssen und dass dieser Verdacht gegen die Echtheit sich zur festen Gewissheit steigern wird, wenn die älteren und zuverlässigeren Vertreter von £2 frei sind von solchen Übereinstimmungen. Zum Glück ist ja der Einfluss von 'P auf die noch erhaltenen Hss. £1 kein üb er grosser gewesen, doch fehlt er nicht gänzlich und auch mancher neuere Kritiker ist ihm erlegen. Je nach den Graden dieses verderblichen Einflusses gewinnen wir einen schätzbaren Maassstab für den Werth der Phokylides-Handschriften. Ich beginne meine Prüfung wiederum mit den Zusatzversen. Ganze Verse aus der Recension "P haben, abweichend von allen übrigen mir bekannten Hss. der Recension £2, nur LlYMa aufgenommen: der Laurentianus 1 (ebenso M" und zu Vs. 3 L1 im.) 18b (73) juijv' uoaevo/.oizeiv jujjts1) ainaxpaneiv jUjjre cpoveiiEu; dev\a,ücnmxs Y hingegen.'?! (96, s. oben 30f in § 5) ai^ia ös [tij qiayktv, eldwXoöizwv ß/cf^£(r^«t2). Gewiss3) ist es eine durch nichts zu entschuldigende Inconsequenz, dass Bergk nur den ersten Vers unter den Text verwies, nicht aber den zweiten, obgleich er auch diesen als unecht wohl erkannt hatte. Erklären lässt sieh das vielleicht aus der recht hohen Meinung, die er von Y hegte, die jedoch jedes haltbaren Grundes ermangelt. Wie sehr wir vor L1YM:1 auf der Hut sein müssen, lehren die beiden aus V eingeschwärzten (in £2co fehlenden) Verse mit deutlichem Nachdruck den der erste durch seine Formlosigkeit, der zweite durch seine neutestamentliche Färbung noch verschärft. Dazu gesellt sich ein dritter, den hinwiederum Bernays (zeitweise aller- dings auch Bergk) viel zu günstig beurtheilte: 37 (102) XQ*iatS ov^otftig toxi, (flkov d' ddiKuv dvörjTog Y; in lautet er: Krijatg övrjoiftog iaih' öoitav, ddl/.cov de 7tovr\QÜ. Zuletzt freilich hat sich Bergk doch entschlossen, den Vers wenigstens einzuklammern : der Schreiber Y habe ihn nicht aus den Sibyllinenorakeln, sondern aus der gemeinschaftlichen Quelle beider geholt, die etwa auf XQVa'Q ovrpipög sari, q>ilo)v d' ctäixwv ävorrizog ('consuetudo utilis, amicorum iniustorum perniciosa') oder eher auf xq. vv. tat' eodXojv, adiAWv ö' dv. zurückzuführen sei. Bernays versuchte (S. 232 f.), die Echtheit des Verses zu verfechten, und schrieb: /pijfficig 6vyoi/.tö(; eou, rpllog d' ddr/Mv ctv6vr\toc;. Ob das gerade eine sehr glückliche Sentenz wäre, will ich unerörtert lassen: mir genügt die durchschlagende That- sache, dass £2 und w nichts davon wissen. In der gemeinsamen Quelle von Y'F, die durch Interpolationen stark geschädigt war, stand wahrscheinlich ein verdorbener Vers, den Y so liess, wie er ihn fand4), lP hingegen in seiner gewaltsamen Manier umgestaltete. Das ist die einzige Annahme, die mir den geschilderten Überlieferungsverhältnissen zwanglos zu

1) So alle drei Hss. übereinstimmend; in ist der Vers hinterher ausgestrichen.

2) Y hat den Vs. zwar hinter 31 geschrieben, dann aber durch Zahlzeichen die rechte Keihen- i'ulge wiederhergestellt.

3) Vgl. Bernays S. 223 Anm. 1.

4) Man beachte den treulich conservirten Genusfehler JSixwv. Möglichenfalls waren die ur- sprünglichen Lesarten gpinrös (das auf dem Wege itacistischer Aussprache unschwer zu yotjan werden konnte) und avövtjtoi (das durch ovr/amot empfohlen wird); vgl. indessen meine 'Lectiones' p. 8.

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entsprechen .scheint. Nicht wesentlich anders liegt die Sache bei der an sich tadellosen, wirklich Phokylideischen Gnome 36 7iüvtiov /.ihgov rlginzoi, wteoßaolai <)' aZsyeivai, die wortgetreu als 69a wiederkehrt1). Diesmal beruht nicht der Vers selbst, wohl aber seine Wiederholung sicher auf .Interpolation, und die nmss früh entstanden sein, weil sie sich (wie in '") schon in MB vorfindet, den ältesten gegenwärtig existirenden Hss. des Sprnoh- gediehtes, auch in anderen noch2). Abermals nahm :/' Anstoss an seiner Vorlage; die zwecklose Wiederholung derselben Worte gefiel ihm nicht und er suchte sich so zu helfen : 36 (HM) gab er nag ugog iavi divuxtog, wceqftaoirj ö' u'/.tyeivr\, hingegen 69" (142) rtänuv iihoov agtatov, hteqßaoh] d' aXeysivov. Dass diese kindlichen Veränderungen geeignet seien, den Anstoss wegzuschaffen, wird schwerlich Jemand behaupten. Interessant und wichtig sind sie dennoch, weil sie beweisen, dass '/' jedenfalls eine alte, jedoch durch- aus keine gute Phokylides-Hs. benutzt haben kann; denn wäre sein Arohetypon besser gewesen, so hätte es ihm den Vers gewiss nur einmal geboten und ihn damit jeder weiteren Mühe überhoben. An solchen besseren Quellen fehlt es selbst uns nicht. Sie zerfallen in zwei Gruppen: die eine (OLFfPV erster Hand) entschied sich für 69*, die andere (1YHWA2 erster Hand) für 36. Bernays trat der letzteren bei; mit Recht »Der folgte Bergk3) der ersteren, weil sie die zuverlässigeren Zeugen für sich hat und nichts Triftiges sich gegen ihre Entscheidung einwenden lässt. Auf der Gegenseite führen 1Y den Reigen, über deren Minderwerthigkeit nach dem bisher beigebrachten Beweismaterialo Zweifel nicht wohl obwalten können. Es wird sich später noch klarer herausstellen, dass sie samt ihren Genossen nur die vorletzte Stufe in der Werthscala einnehmen, "Fdie allerletzte. 9. Soviel über die Zusatz verse der Quelle 'V zur Phokylideischen Vulgata Q(o: ich wende mich nun zu den bloss veränderten Versen ebenderselben Quelle. Das Ver- liiiltniss von f zu Uta gestaltet sich hierbei durchaus nicht günstiger für ■F. Es empfiehlt sich, zuerst diejenigen Verse zu betrachten, deren Varianten fast völlig isolirt in W dastehen, so dass sie in der Regel an keinem einzigen Texte von Qio irgend welche Stütze finden. An Umfang und Bedeutung sind diese Abweichungen von der Vulgata recht ver- schieden. Bald bestehn sie nur in einem Buchstaben, bald in einem Worte, bald schwellen sie dergestalt an, dass von dem Ursprünglichen wenig oder nichts mehr übrig bleibt. Da finden wir1) 7 (58) hr[Tvua nävi1 ayoqt'vuv flw; Ivnxvfta rrovra (pvläaosip 'I' (vgl. 13 = 65). 9 (61) pnfii xqtoiv ig yäqiv Sbu Q {V.y.eiv Ff»); (tifi etg v.qioiv adtxov &#& V. 10 (68) jujj zom'£ 7CQÖaio7tov Qu; fit] xpm ngoowmp >['. 11 (63) *ai 9eog iuu' itiut ömae(o)et £2w ; ftetirrsna 9eög oe drtäoei 'I'. 12 (H4) *f ilwvdij Her. ipevdrj» W. 11 (66) int iuiqov .'.': . 1 1 int nur '■!' (jenes abdvnsyt, dieses cjihg nebst Bergk und Bernays). 1<> (68) :;v id'ji' oyi Q {-wg abvusykt); ft^&' ayvitq oder -äg '['. 17 (f>9) #«og aftftQorog, Satig dftooofj fiwj 9e6g, Im /.er av tig 6p6oo$ 'I'. 22 (78) ntorf^i Qu; ;cu»yolg 'I'. 2:> (79) nkrßt'iortg oio ytlq efoov yqjfcovu 7caqäa%ov £2io; iöqt'iat] [-wen oder -tioiv Hss.] atay'vwv yetqi yq- 71. '•!'. 24 (84)

1 Die älteren Ausgaben setzen in 86 gewöhnlich den Pluralis mt^fiaoku V a'uyutui (aietmtl abdvs), in 69* (wie A1) den Singularis msQßaottt 9 aXtyarij (ühmi; abdveis); der letztere ist den Anhängern von T eigenthümlich, nur dass B it. beidemal i V ühm, hat, A2 das zweite Mal äx. <<-<.

^■rgk nennt A1; in stobt 86 it.. lül» im ; in L umgekehrt 86 im., C>'> it.

B) Vor ihm schon ßrunck und Gaisford.

4) Varianten, die hier nichts zur Sache thun, lasse ich unberücksichtigt.

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*föd)tyei Qw; dd^yei lF. 25 (85) biei ßw; o yaq lF. * ttXoog öw; tzXovq f. 27 (87) 6 (Ä/og iiw; ßiovog lF. 29 (89) f xovxiov £2io; zat avcög V. 30 (90) tarw /oivug arcag 6 ßlog xat uf.KKpQOva nävxu £2io; xotvog icäg 6 ßlog /.iSQbuon', avioog de zeiv/.iai 'F. 32 (97) *f 7r.qug (povov 12l)w; nqog (pilov f. * eg flw; hc lF. 33 (98) Xqffeotq £2co; XQ*laH 'F. evvof.ia (w) oder evvoiia oder (ivo/.ia £2; exvo/ACt *P (Bergk, Bernays). 34 (99) fy ihn; yiuv 'F. *f (.uaiveig .Qw; iiiavetg lF. 35 (100) *f f^nqd' äq' Sita) f.i!j tov d' äq' 'F. 38 (103) xctq/cov Xhtßqofi 11 (bvcni, -a/jg a, hLßrßov dsykthg); Xiüß^arj yutQTcbv '/''. 40 (105) 7te\ir\g 12 (meist «); Zevlyg '/'' (cnit und Bernays S. 233. 255). 7ieiq<'>f.ieiya ttjq ilto (*f ^rez^o" euren); 7ieqiqiqaGovcnt W. 7coXv7tkäy/.Tov £2a>; icolvf.wx&ov 'F. 41 (108) *f e^et ßro; exe«»" !P. ftidov 12co; xöicov lF. 48 (120) *f ptjd' ß«; /</},'>' V. 49 (121) *f apeißov £2w; dfuißuv V. 50 (122) * iV <><„; t' W. 51 (123) alX1 («) oder rtv oder et £2; dg XF. 63 (135) * v7ieqxo^evog £2io: V7caqx6- /.terog lF. 65 (137) d' vitoeqyög Qco; de ye (pavXog 'F. 66 (138) «<•'/' oipeXXei S1 eottXä 7coverv- tag 12io; äyaöiov de ye xvdog 07tätei lF. 69 (141) fieiqq) (payelv2), ftitqfp de 7cielv /.cd /.ivd-o- Xoyeveiv 12, /.tergo) itev (payeeiv xat txuiv x.ai (AvitoXoyevEiv abdv, ;«. fi. (p. x«i 7tielv f.wi)-oXoyeiv re cni, /li. ft. (p. nitlv [niveiv hg] y.al [iv&oXoyeveiv jsykhg; sv /xiiQio (paytett; rziseiv tal [tcüoXoyeveiv Hs. 77 (146) *f /.ir) ftipov £2io; /n^de [iipoi 'F. 78 (147) *-j- ävTicpmevei Üu>; •qwtedosß) 'F. Alle diese Varianten von lF in Bausch und Bogen ohne weiteres zu ver- werfen, wäre ein methodischer Fehler, da, wie bereits gezeigt wurde, lF jedenfalls auf ein altes, wenn auch kein gutes Archetypon zurückgeht. Weshalb sollte sich aus diesem nicht hin und wieder einmal eiue brauchbare Lesart bis in die heutigen Exemplare von 'F fortgepflanzt haben? Selten genug freilich scheint das geschehen zu sein. Um die Werthabschätzung von £2io einerseits und lF anderseits zu erleichtern, habe ich diejenigen Lesarten aus 7', welche den Phokyli des -Herausgebern Bergk und Bernays zusagten, gesperrt drucken lassen, hingegen diejenigen aus £2, welche den beiden jüngsten Sibyl- linen- Herausgebern der Aufnahme werth erschienen, mit einem Stern (Rzach) oder Kreuz (Geffcken) kenntlich gemacht. Hieraus erhellt, dass von den genannten Kritikern auf lF nur zwei- bis dreimal, auf £2 dagegen dreizehn- bis siebzehumal zurückgegriffen worden ist, um die betreffenden Textesstellen zu bessern. Mit der Sibyllinen-Emendation habe ich es gegenwärtig nicht zu thun, kann mich mithin kurz auf die allgemeine Bemerkung beziehen, in der ich oben 5) gegenüber zu weit gehenden Correcturen meine Bedenken geäussert habe. Im vorliegenden Falle sind die Phokylides-Herausgeber zurückhaltender gewesen als die Sibyllinen-Herausgeber, und, wie ich überzeugt bin, mit Fug und Recht; denn der eiuigermaassen sichere Gewinn, den sie mit gutem Gewissen aus jener von 'F gebotenen gewaltigen Variantenmasse ziehen konnten, ist ein erschreckend dürftiger. Er

1) Nur 1 im. y^äwetcu xai „rr»6~ <f>lXov"\

2) eSap M2 im., richtig. Vgl. 148 Woyrat, 156 eSois. (Hesych. SSat&ev: iyayov. k'Sovxai: t/äy,»aii>.) Von anderen Glossemen, unter denen li gelitten hat, wird noch bei einer späteren Gelegenheit die Rede sein. In seinem Archetypon fand T an unserer Stelle nichts Besseres vor und änderte auf Gerathewohl. Noch bemerkenswerther ist das entsprechende Glossem in 156: dort nämlich hat zwar i'Soig der Glosse tfäyois Stand gehalten, nicht aber das unmittelbar daruuter stehende Suiymc, das bald zu tpayoit (M1J) odor päyeif (B) oder yay^e (Y), bald zu (fe.vyon (P2H) wurde. Ein solche« Herabsickern aus der oberen Zeile in die untere kann man öfter beobachten: so ist in VT 226 ßXä^i/is von dem darüber stehenden ypä<fjr/e ver- drängt worden.

3) Diese und andere bemerkenswerthe Varianten fehlen bei Geffcken.

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beschränkt sich, bei Lichte besehen, allenfalls auf einen einzigen richtigen Buchstaben, nämlich in der Mahnung 32 f. (97 f.) §l<pog üpupißaXov /xi 7cqbg (pilov1), aXX In' ttfAwav ei&e de /jrj yqr\oj) <"7iT' $*vopta ^n'jrs dixaiwg V, die der grössere Theil von il so giebt: to Ziirpog diupißa?.ov firj itqoq cpövov, aXX' ig af.ivvaV ei'&e äs in) yqt/Coig /i^r' i'vniim [e'vvo[ta BM1', avo/,ia YXT] wjjw dixalrog [ft'rjTE adlxiog fAlA3Ma, mit yq P- im.; ptpr' adUtitg F|. Was gemeint war, kann schwerlich etwas Anderes als dies gewesen Bein: 'das Schwert gürte dir nicht zum Morde um, sondern zur Abwehr; mögest du jedoch es r.ie nöthig haben2), weder unrechtmässig noch rechtmässig'. Der Vergleich zwischen den beiden Recensionen fällt in einem einzigen Punkte allerdings unbedingt zu Gunsten von f aus: htvoficfi) allein trifft das Rechte, war aber aller Wahrscheinlichkeit nach4) nicht bloss in W, sondern einst auch in OP zu finden. Der zweite Buchstabe muss frühzeitig zu Schaden gekommen sein. An allen übrigen oben ausgezogenen Stellen liegt gar kein Anlass vor, das Spruchgedicht nach der Quelle W zu corrigiren, nicht einmal bei der ein- fachen Accentfrage 14 (66) /.üiqa v^ieiv ta diy.aia, xakov ($' EJtinttqov unaatv. So nämlich liest hier Bergk, desgleichen auch (bis auf ärcaoiv, wofür er InartXelv einsetzte) Bernays, beide im Anschluss an f. Bernays meint (S. 219), der Sinn sei, dass 'der Kaufmann unter allen Umständen das richtige Maass messen müsse, dass es aber schön sei, noch etwas darüber als Zugabe zu messen'; 'hinzuschöpfen' {eicavxleii) sage der Verfasser, weil er hier vom Messen des Flüssigen rede, Vs. 15 vom Wägen des Festen. Aber die 'Krämer- zugabe' derartig erhoben zu sehen, befremdet doch gar sehr, und der solide Kaufmann, fürchte ich, wird gegen solches Erpressen der 'Zugabe' lebhaften Protest erheben. Hätte er Unrecht? Gewiss nicht; und da ist es denn wahrhaft beruhigend, dass die bessere Überlieferung jene 'Zugabe' überhaupt nicht anerkennt. In diesem Punkte wenigstens herrscht bei allen Vertretern von £2 vollkommene Einigkeit; lediglich am Ende des Verses schwanken sie: anavia VTA2, Y it.; änäviiDv MBL1, F2 im. (it. fehlt der Vers), f; ttavtmv 0 (P ac); a7caoi P-HW, ss. Y, cum yq LI im. Die bestbeglaubigten Lesarten sind aller- dings sinnlos: vereinigt man sie aber, so springt a/cavcäv heraus und die Gnome heisst nun: /nirqa ve/.ieiv ta dlxaia' -/.aXov d'1 f.jcI pietqov U7cavtav, 'theile die Maasse zu, die recht und billig sind; schön ist's, zu seinem Maasse zu kommen'. Verkäufer wie Käufer fahren am besten dabei. Noch hinfälliger ist, was Bernays ein anderes Mal zu Gunsten von 'P sagt. Er wendet sich S. 233 gegen 40 (105) 7rävzeg yaq rrevirjg ;i£iqi'>itet>a rijg 7ioXv7tläyK%ov Q und will (worin ihm cnit vorangingen) mit V £svifjs lesen. Da indessen schon Homer A 308 uvt/joio 7toXt7tXayKtoio verbindet, so hinderte offenbar nichts, das

1) M'> entlehnte dies aus '/•!

2) Bergk sagt : \Si jfpjjjo*« vitii expers, onuntiatum imperfectum'. Ich errathe nicht, was er vermisste, selbst nicht aus seinen Conjecturen, von denen die eine merklich unter dem Banne des aus Y Übernommenen unechten Verses 31 steht.

3) Adverbiell zu fassen Dass es auf zuverlässiger Überlieferung, nicht etwa auf eigener Con- jeotmr von </' beruht, dürfte daraus hervorgehen, dass diesem lnterpolator sonst wohl eher «<V<x« einge- fallen wäre, da ihm letzteres Adj. geläufiger war, sogar als Daktylus (61) oder Amphibrachys (110

4) Rabe bezeugt, dass in O die meisten Buchstaben von bwofia deutlich sind und von erster Hand herrühren; nur an «« habe eine spatere Hand herumcorrigirt, so dass es jetzt etwa wie </<ü aus- sehe. In P fand ich zwar fyrofta, aber das entscheidende erste v von P2 ir. Die älteren Ausgaben difleriren: ttfi' lyyo/ta mu aSüUt abdv. m',i' iyvofia 111,1' ndhtat yc oder yi cnjisykthg.

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Epitheton auch der -cevii] beizulegen, um so weniger, als zwar die Armuth Einen von seiner Heimathscholle wegtreiben kann, nicht aber die Gastfreundschaft (s. Bergk). Das empfand sogar der Sibyllist und deshalb setzte er Ttolvpöxfrov ein. Übrigens wird ja mit noXvnlüy/.- zov in der Phantasie des Lesers nahezu dasselbe erreicht, was die Correctur 2-m'jjt;1) be- zweckt, der Zusammenhang also nicht im mindesten gestört. Kurzum, je verlassener '«/'' mit seinen Neuerungen dasteht, um so dringender müssen die Kritiker2) gewarnt werden, aus diesem unsauberen Rinnsal zu schöpfen, zumal ja an erheblich reineren Quellen glück- licherweise kein Mangel herrscht.

10. V im Bunde mit der Minorität von Q zu sehen, ist kein gewöhnliches Vorkommniss. Indessen lernten wir doch bereits einige solche Minoritätsvertreter kennen, bei denen -sich unverkennbare Spuren einer Beeinflussung durch V oder seinen Archetypus zeigten: LUM" in 18" (73), Y in 31 (96) und 37 (102), lMb in 32 (97), LX1Y2HW in 14 (66). Zu der nämlichen Kategorie gehören folgende Fälle: 13 (65) waQ'&Eviiqv -nqoüv, 7tiaxiv <F ini [oder iv] 7iäai (pvXüooetv Qu, wo !F mit lWA2TMaMb (Y it., cum yq L1) ayüizrp liest (vou Brunck und Gaisford bevorzugt, s. dagegen Bernays S. 221). 35 (100) ysnovevoytog V'P'Abv (ydcovog onog cni); -rtoviog Q. 48 (120) pq»' WRTA2Mb!Fhg; pijtJ' ßw. 49 (121) yüqav L ss. (m. 1?), lYf, P2pc, H!F; yßqav WA1; yojqov Qu>. Ihnen gegenüber verhielt sich die neuere Kritik ablehnend, nicht so gegen eine andere Variante, obschon sie gleich mangelhaft beglaubigt ist: 58 (130) noXXäxi yaq nXr^as ae/.cov (fövov e'i-steXsooev, nach Bergk und Bernays (voran gingen cnisthg). Es sind lauter Hss. alleruntergeordnetsten Ranges, die das Schlusswort in dieser Form empfehlen (e^eitkeaaev L1 ss., RR; -eoev 1; -sas !/J'Mh); der ungleich achtbarere Theil von ii spricht entschieden für e^eitXEaaag (L it., YFf, H2pc, WA1; -eoa$ MOVPT, H ac), das zu der vorhergegangenen Aufforderung yalivov rj' ayqiov "Aq^v in engere Beziehung tritt: an die gesamte Menschheit gerichtet, ist das doch durchaus tadellos gesagt (vgl. 176 re'/e ö' ea/caXir, wg eXoxEi^rjg). Treten wirklich zugkräftige innere Gründe für 'F und seine Sippe ein, so wäre es natürlich thöricht, sich ihnen zu verschliessen. Dies gilt z. B. von 78 (147) nsittw /.dv yaq ovsiaq, eqtg 6' eqiv ävTicpiiEvEi, wo ovsiaq ausschliesslich durch L1 ss., P2 ir., H!Fw gestützt wird, während Q ">cfel(l)og hat. Letzteres ist, wie jeder Kundige auf den ersten Blick sieht, ganz unstatt- haft, und nichts liegt näher, als darin die Paraphrase des oft glossirten övstaq zu ver- muthen (s. § 9 S. 15 Anm. 2), das der Urheber von W noch in seinem Archetypon las. Schon in MB, den ältesten Exemplaren von ß, bemerkten wir eine gewisse Hinneigung zu eben- demselben Archetypon (s. § 8 über die Wiederholung 69a = 36) ; ich kann dazu noch mehr Beispiele fügen: 8 (60) de om. M ac, A8iF; add. W£2. 35 (100) anöoxov MMbif; anöaxeo ß, 48 (120) KskO-ug MYA1^; v.e'vttoig BfHWRT, L ss., P2 ir.; widm OV, L it. 58 (130) 7coXXä/.ig M ac, WMbiF; noXläv.i Q. Die Möglichkeit also, dass auf diesem Wege auch einmal eine gute Lesart auf uns gekommen sei, muss, wie schon gesagt, principiell un- bedenklich eingeräumt werden. Allein die begleitenden übelen Umstände ihrerseits ver- langen mindestens ebenso gebieterisch ihre volle Berücksichtigung, und die ist ihnen

1) Die in meinen 'Lectiones' p. 8 gemachten Vorschläge zu dieser und anderen Stellen halte ich jetzt nicht mehr alle aufrecht; einige habe ich durch neue ersetzt.

2) z. B. Rzach, der zu 27 (87) für '/' ßtofot gegen il u ßiog eintritt: 'quod e Sihyllinis corrigen- dum puto' trotz 30 (90) mtai » ptoj!

3

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immer noch nicht ausreichend zu Theil geworden. Beispielsweise bezweifele ich stark, ob Bergk und Bernays wohl daran thaten, 51 f. (123 f.) folgendermaassen zu geben, in der Hauptsache nach Brunck und Gaisford: oatig huLv ndixet, /.axög uvtq' ei d' i/n äväyvirtg, oh. ioita to riXog' ßovXij d' evövve!}' ixädiov, weil ich dieses %b xikog nicht recht ver- stehe, auch nicht klar durchschaue, wer denn eigentlich als Richter (svihvog) gedacht ist. Werfe ich nun einen Blick in die Hss., so überzeuge .ich mich vollends, dass dies das Echte nicht sein kann; denn der Nominativ ßovfa) ist nur von B, L ac. (1?), OP(-»] pc.P)F!F, das Passivum evÜiney sogar nur von 0 (wo evd'vvexai steht) F(1?)!F und einigen R be- zeugt. Anders die Mehrzahl: ßovXfjv M, L pc, YfVHWMbw (ausser hg); ec&vre M pc, ev9vve VA'lVPw (ausser hg), er#u«# L, l'd-vve W, tldivai H (P2 ir.), evövvaig f, et&weg B, ev&vv ig M ac, ei&vrov Y. Ich ziehe hieraus den Schluss, dass die Interpuuction nicht hinter, sondern vor xiXog gehört und dass alsdann mit blossem Zusatz eines v ifpeXmoriv.t'iv, also mit leichtester Änderung, zu bessern ist xsX.og ßovXijv ev&vvev exadtovi 'wer frei- willig Unrecht thut, ist ein schlechter Mensch; wenn aber aus Zwang, so werde ich das nicht sagen; der Erfolg pflegt über den Rathschluss eines Jeden zu richten'. Nichts weiter als das ausgefallene (häufig nur durch ein wagerechtes Strichelchen über dem Wortende angedeutete) v l<p. hat die ganze Verwirrung angerichtet, und wiederum ist Hs nebst den Seinen am weitesten vom richtigen Wege abgeirrt.

11. Um so mehr werden wir uns vorsehen müssen, wenn der bedenkliche Ein- fluss, den die Quelle von !F ausgeübt hat, noch grössere Dimensionen an- nimmt, ja schliesslich die gesamte Vulgata vergiftet. Mehr oder minder kranken nahezu alle Exemplare von ii, besonders aber L1Y, an den Verderbnissen und Interpo- lationen, die schon in dem Archetypon von lF Platz gegriffen und dann weiteren Schaden angerichtet hatten. Zum Glück aber besitzen wir wenigstens einen Codex, der abseits von der übrigen Menge steht und so gut wie gänzlich frei von derartigen Einflüssen ge- blieben ist, nämlich den Vindobonensis V, durchaus keine der ältesten, doch jedenfalls eine der allerwerthvollsten Hss . deren grosse Vorzüge so offen wie möglich zu Tage liegen und natürlich auch bei den jüngsten Herausgebern Anerkennung gefunden haben, freilich keinesweges in dem verdienten Umfange. Von allen den bisher besprochenen Interpolationen, die aus W oder seinem Archetypon herstammen, in 13. 14. 18b. 31. 32. 86. 86. 37. 40. 48. 49. 52. 58 ist nicht eine in V übergegangen, gleichviel ob sie in zuge- setzten oder wiederholten oder bloss veränderten Versen bestehen. V erkennt keine der Zeilen 18\ 31. 36. 37. 87. 131" an, die sich zwar nicht insgesamt, aber vereinzelt in MBOL2lYfPHWA'A8MaJR und ¥ vorfinden und deren ünechtheit nach Fassung oder Stellung als vollkommen gesichert gelten darf. Dafür aber bestätigt V (gegen MBOLlYf PHWJR), dass 21. 26 f. 69*. 76 f. 112 f. 121. 150. 158 KW. 206 ihre richtigen Plätze einnehmen. Von der Verwirrung, welche 0, P ac, F ac. in 3 ff. durch Versetzen zweier Hemistichien angerichtet haben, /irr« ya^io/.Xo7teeiv /«»;#' a'iuaxi xeiqa ftialvsiv fi>'t(te) rtXovtslv c'Jr/.wc, oW' i$ öoiiov ßtorevetv, iirxe dcXovg fyüitietv a/jr' iiqatva K'v7iqiv vQlvetv, weiss V nichts. Nicht einen einzigen echten Vers hat V übersehen, während beispiels- weise die erste Hand von M 129. 152. 103. 197. 198. 206 ausliess (B dieselben ausser 206), die von L 89. 114. 154. 156. 198, die von F 14. 17 f. 23. 28. 38. 41. 48. 69. Qbt. 68 f. 76. 84 f. Vielmehr bereichert V den Text um sieben unzweifelhaft echte Verse, die

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aus allen anderen Hss. spurlos verschwunden sind: 1 16. 117. 144. 145. 146. 155. 218. Dies und Ähnliches mehr sind denn doch geradezu einzige Vorzüge von so entscheidendem Werthe, dass ich nicht begreife, warum man ihrer fast nur notbgedrungen und lediglich da hat achten können, wo es sich kaum umgehen Hess, und warum man das unstäte Hin- undherlaviren zwischen V und !W2w nicht längst als unmethodisch aufzugeben und sich principiell zu Gunsten von V zu entscheiden den Muth gehabt hat. Kein anderer Phoky- lides-Codex vermag innere Vorzüge von annähernd gleicher Grösse und Fülle aufzuweisen. Alle ohne jede Ausnahme übertrifft V bei weitem sowohl an Vollständigkeit als auch an relativer Reinheit der Überlieferung: mithin dürfte es hohe Zeit sein, ihn endlich zur be- rufensten Grundlage für den Text unseres Spruchgedichtes zu machen. Ohne Fehler ist er selbstverständlich nicht: sicher jedoch stammt er aus anderer und besserer Quelle als die sämtlichen übrigen Exemplare von £2, deren enge Verwandtschaft mit lF nach meinen obigen Darlegungen unmöglich bestritten werden kann, wodurch denn zugleich auf ihren Werth ein bezeichnendes Licht fällt. Ob auch V mit diesen Verwandten einige unmittelbare Fühlung verräth? Ich glaube es nicht, weil die unterscheidenden Merkmale zu sehr dagegen sprechen. Auf eine und dieselbe Urquelle müssen in letzter Instanz ja freilich alle späteren Abschriften zurückgeführt werden. Wie diese Urquelle aussah, lässt sich mit voller Gewissheit nicht mehr ermitteln, ebenso wenig, wie viele Abflüsse sie hatte und wie speciell das Archetypon von V oder das von 'Fß in jeder Einzelheit beschaffen war. Gar leicht können die Verhältnisse ehemals so ungünstig gelegen haben, dass sie hin und wieder die nämlichen Irrthümer hervorriefen. So erkläre ich mir, dass V den Fehler itvi'0/.ta 33 (statt htvofxa lP) mit Q und den Fehler /.gadlrjv 48 (statt -/.Qadir] Q) mit *F theilt: jedes von beiden Versehen betrifft einen einzelnen Buchstaben, der leicht infolge eines blossen Zufalls in verschiedenen Abschriften auf gleiche Weise verdorben werden konnte. Directen Einfluss der Quelle von lF aus der einen oder anderen solchen Kleinigkeit auch für V abzuleiten, halte ich in Anbetracht der sonstigen gewaltigen Verschiedenheiten beider für unzulässig.

12. Wichtiger indessen als diese Streitfrage, die wir mit einiger Sicherheit zu ent- scheiden gar nicht in der Lage sind, ist die praktische Bedeutung von V. Meines Erachtens läuft diese auf nichts Geringeres als darauf hinaus, dass die Phokylides-Kritiker sich von V und seinem jeweiligen Anhange ohne zwingende Noth überhaupt nicht weit entfernen dürfen. Jedem, der erst einmal die in Einzelfällen ja längst allgemein anerkannten Vorzüge dieser trefflichen Quelle gebührend zu schätzen gelernt hat, wird sie sich meist auch in vielen noch zweifelhaft gelassenen Dingen als Führerin durch den Variantenwust gut bewähren. Ich will versuchen, dies mit einigen Beispielen zu erhärten, und wähle mir für diesen Zweck zunächst eine Anzahl Stellen aus dem ersten Theile des Gedichtes, für welchen die Doppelüberlieferung WQ vorliegt (entbehrliche Varianten- angaben darf ich mir hier wohl sparen). Vs. 6 lautet übereinstimmend mit "FHWw bei Bernays: ägy.elai}ai 7caQSovai -/.ai SiXXotqIiov ujtt%Eod-<xi. Sind denn aber naqövxa und alXöiota ausgesprochene Gegensätze? Der Verfasser hat sie dafür schwerlich ausgeben wollen; denn nach der besseren1) Überlieferung schrieb er nag totot (so VYFfM"; 7taq

1) Über '/' berichtend sagt Geü'cken zu Sib. II 57, L habe den Vers doppelt, 'zum 2. Male wop'

3*

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total M; /tag Idiot 0, der Accent von O2; 7cageoioi LI; nay toiai P, aber v von P* ir.), offenbar der Contraste wegen, die nun viel klarer hervortreten. Ihm seine Gräcität zu corri- giren oder gar mit Bergk (w. s.) 7tag folg, tojv d' aufzunöthigen, dazu fehlt jeder ziehende Grund. 9 navxa dl/.aia vt^ieiv VllJii, näai dr/iaia vifteiv 10: dies wählte Bergk, jenes mit Recht Bernays. Die Infinitivform vlptiv bezeugen V !/J'U Ffoi, Y ss. ; die übrigen haben vktior, auch Y it. 12 ta dl/.aia ßgaßsvEiv Bernays, nach MBO, LYP it., Ff: ich ziehe ict öi/.ai' ayoQEveiv vor (nach V1HWJ«, S8. P2, cum yg' LY im.; ra dUaia b" ayogi'vEiv V), das Hergk gut vertheidigt; er hätte noch hinzufügen können, dass ßgaßivsiv die neu- testamentliche Färbung verräth, die der Sibyllinische Fälscher sonst mehrfach hineinbrachte. Phokylides meidet den Ausdruck, der Sibyllist braucht ihn II 45. 149. Dennoch ist an unserer Stelle die Änderung Geffcken's (Sib. II 64) in ßgaßtvEtv nicht zu billigen, weil sie der Sibyllinenüberlieferung Gewalt authut und weil hier gar nicht vom Richter die Rede ist. 13 niaxiv ö' irti itäai (pvXäooeiv: für diese Präposition treten ein VBOLF Bernays, für h die anderen (auch Ww, ir. P2, cum yg' F2) sowie Bergk, dem nichts Haltbares zur Stütze dient. 22f. mioyat d' sv&v dldov, ju»jc5' a'vgiov IX&ifiev tXnjjq. 7iXi]gwaag aio yelg' eXeor ygiCovii nagaoyov Bergk und Bernays, in der Hauptsache wie w. Binder übersetzt dies: 'gieb unverzüglich dem Bettler und heiss' nicht morgen ihn kommen; reich' aus gefülleter Hand dem Bedürftigen Gaben des Mitleids.' Aber die griechische Vulgata redet nicht von 'Gaben des Mitleids'; sie besagt nur: 'deine Hand füllend gewähre Mitleid dem Bedürftigen' und überlässt es dem Leser, das Wichtigste zu errathen; denn das allein, dass Jemand seine Hand füllt und den Bedürftigen bemitleidet, ist doch wohl minder wichtig, insofern es dem Bettler nicht das Geringste nützt. Ich finde es also vollkommen begreiflich, dass der Interpolator Hs sich mit solcher Halbheit nicht zufrieden geben mochte. Scrupellos. wie er war, machte er 'idgoJor] orayyiov %etgi xq>'£ovti Jiagüoxov daraus. So ge- waltsam braucht nun freilich nicht gleich vorgegangen zu werden, will man ernsthaft aus ß den ursprünglichen Wortlaut wiedergewinnen. Hier bieten 7rX^gi'joet VML'A2; -oEtg BO, P ac; -aeiv Y; -ato L2 pc, 1; -(tag P2Mb pc, HWA1; 7rXiqg(ooov f. eXfovg V; tXeov 0; eXeoy £2 (aber ov pc. LP2). Dies führt doch wohl am ehesten auf nnoy^ 6' ei'&'v öiöor /<>;rV ai'giov iXü^tsv iinrjg nlrjgcJaeig' aio yüo i-Xtov XM%OVTl rcagaoyov, d.i. 'gieb unverzüglich dem Bettler und sage nicht, morgen würde seine Befriedigung erfolgen; reiche deine Hand dem, der Mitleid begehrt'. nk^Qtoatg ist recht eigentlich die leibliche Befriedigung, das Füllen mit Speise und Trank: s. den Thesaurus, der auch den Pluralis belegt Von den beiden Genetivformen tXiov und eXioig verdient die erstere den Arorzug. Wenngleicii V diesmal nicht absolut fleckenlos dasteht, so bewährt er doch wenigstens über die Vulgata seine sonstige Überlegenheit. 29 tovicov XQJj^Ovti nagüoyov (vgl. 38) WOLF, Pit.,W; die übrigen (auch P2 ss., io) ygilioioi, denen sich Bergk und Bernays ohne gegründete Ursache anschlössen. 41 x"'>Qr} °' ov u ßißaiov exei ntöov avögohroioti Bergk und Ber- nays, wie w: gewiss besser geben yt '>Q*ig VOYf, pc. M2 (gco(n*P; yäQ<* M ac.; XQtQts Lac, MUS yg 1; innerhalb W wird aus R ywQWt aus L X*'?»S angemerkt, also ist auch dort der Genetiv berechtigter). —48 nrjd' ViEgov /.Evitoig /.gadhj vöov, aXX1 ayog ev iov Bergk und

"'"' wie 1 Interpol. Hs des Phok.' Dieser zwiefache Irrthuni wird oben widerlegt. Er beweist, dass i< ticken sich ganz auf die vierte Ausgabe Bergk's verlassen, die übrige Phokvlides-Litteratur aber kaum beachtet hat, auch meine 'Lectiones' nicht.

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Bernays, beide mehr zur Vulgata neigend: verlässlicher xevfriov VO, L it. (-üoig ir. P2), nebst äyogevarjg V (L? -aag 0; -eig B, L im., 1 ss.; -oig Ma; -wc ir. P2). 55 ;«ijde Ttagoiyo- uevoioi /.a/.otg xg'vyov xebv y^tag Bergk und Bernays: jedenfalls mindestens ebenso gut beglaubigt ist rtxog (so VfLlFf, P it, XJ«; r^iag M ac, r^ag Y it.), das ich um so mehr empfehlen möchte, da es auch 97 in ähnlichem Zusammenhange vorkommt. 66 zoX.ua xaxwv öXoy'j' uiya d' wcpeXel eo&Xa 7covevvxa Bergk und Bernays: dagegen glaubwürdiger (tty öqiXXei d' V, M2L pc, lfw (ohne d' BY, L ac ; ueya 6. d' M ac.) und ea&Xcc 7rovevvxag VOLIPHWJ (yg noreioag Y ss.). In demselben Sinne ('erhöhen') verwendet der Dichter örpiXXeiv noch 67 und 163, täcpeXeiv braucht er niemals. Die Conjunction d' an dritter Stelle ist durch 103 geschützt. Für den fraglichen Pluralis spricht die Concinnität. 67 jjdrg ayav acpgiov /.i/.X.rjO/.etai e.v 7coln]iaig Bergk und Bernays, ersterer mit der Erklärung 6 äyav aqigtov /.i/.lt'ta/.exai rjdog, letzterer mit der Deutung (S. 207) 'der allzu Milde bekommt bei den Leuten den Namen eines Thoren'. Gegen beides sträubt sich die Metrik (jtyüv) und der vorangehende Vers, der von der sittlichen und unsittlichen Liebe handelt [tgcog agei^c, egcog Küngiöog). Schon in meinen 'Lectiones' p. 8 habe ich für das unmögliche ayar(v)6q<g6Jv WQw (äggevöq>gcov L2 ss., J!) vorgeschlagen aywv aygiov mit Bezug auf den erotischen Wettkampf zweier Liebenden : zu meiner Freude fand ich lange nachher in V ayiovoygiov, wodurch meine Conjectur eine höchst erwünschte Unterstützuug erhält (vgl. Agathias Anth. Pal. IX 442,5 r de Tvyrj yeXöioaa itagiazaxo %al noxl Kbrtqiv, ov zeog olzog dyo'jv, aXl' epog eaziv, erpy, und dgl.). 77 di/.j) d' ctnäXeixpov afivvav ("lösche aus') V^O'.^L'IYFPHWA1« (anäXeixpai L ac), also fast die gesamte Vulgata; ohne er- sichtliche Veranlassung anoX.eixpov die anderen, denen Bergk folgte (Bernays a7caXtS-ov a/.wvcov). Sicherlich erweckt das erstere grösseres Zutrauen.

13. Soweit lF reicht, wird es demjenigen, der Alles gehörig in Erwägung zieht, nicht schwer fallen, das Übergewicht des Vindobonensis V über alle anderen Quellen unseres Spruchbüchleins anzuerkennen. Jedoch erstreckt sich jenes Übergewicht ent- schieden weiter. Es wäre ja ohnehin mehr wie seltsam, wenn das Verhältniss zwischen V und Qu) bei Vs. 80 mit einem Schlage eine ganz abweichende Richtung nähme. Das geschieht nicht; V behauptet seine Überlegenheit bis zum Schlüsse des Ge- dichtes. Dies darzuthun, wähle ich wieder einige Proben aus. 85 ^ii]xiga d' wtgoXLnoig, tV exfjg av zi]ade veoaaovg, nämlich beim Nesterausnehmen. So Bergk (avvey^g aavxiZ de v. Bernays), durch die minderwerthige Lesart avio'vg de Y beeinnusst; in VOlfH (pc. ML*P2, ac. 7taXiv) steht 7iäXi, das to mit Hecht bevorzugt hat; denn was Hesse sich wohl dagegen einwenden? Falsch ist av höchst wahrscheinlich auch in 107 f. aiöua yag ix. yaiyg Exonev Acc7ceixa ngbg av yrjv Xvö/.tevoi xovig iapiv, wie Bernays (geleitet von w) liest (Bergk <j(Zfia uev £/. yalrjg' v.al enel daftäai] 7rvgbg cri'yjj). Weder die Stellung von al- noch die Contraction von yfjv lässt sich genügend rechtfertigen (vgl. yaiiqg hier und 103. 164, yalai> 99). Was die Hss. bieten, ist grösstenteils ein schauderhaftes Durcheinander und meistens schon wegen des geschädigten Metrums unerträglich: /.laceixa [/.ünei 0] di [e aus o corr. V; de xai B, ac. M?] 7iglg \jc ir. M2; mgog B] av yftv [so V; avyijv M ac; avyijv B: av yij 0; nur yijg L it.| die eben genannten 5 Hss.; xa^retra******TßOS avxtv pc. M2 (das 2. 7t ir.); -*.ai nävxeg 7igbg aixijf P2 ir., HW: xcrt 7tavzeg lg avxtjv w; xeu 7tüvxa 7tgbg aiiiv L im, lYf'XA'Tad. Unter allen dürfte M2 mit xaneixa rcgog alzijv dem Echten am

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nächsten gekommen sein (vgl. 69), von dem sich V weniger weit entfernt als die übrigen. 110 ovx Hot' eig "AidrjV tXßov y.ai xqt'jf.iaz' uytoltai Bernays, ov/ tri d' elg "Atdrjv /.it. Bergk: dann hätte auch schon 'dtdrjv aus VOL aufgenommen werden können; nur brächte uns gerade dies dem Ursprünglichen allerdings um keinen Schritt näher. Dennoch sind es allein VOL, die uns durch ihre La. ob/, ig ü'idrjv öXßov eysig [-eiv OL] den rechten Weg weisen, nämlich zu ov/ elg "Aidrjv cXßov eyeig ['du vermagst', vgl. 93] /ai yq^aaz1 ayeo&ai. Die Vulgata entstand dadurch, dass eyeig frühzeitig zu kyeiv ward und nun erst die Schreiber M ac. iv eg, M- pc. ivi elg, L1 pc. ev ig, lfHWw (L1 cum yq im.) %v eg, P8 ir. «>' eg hineinbrachten; für M2 ergab sich aus seiner La. die Notwendigkeit, eyetv (so fiw) zu streichen, während die anderen lieber evz elidirten und ausserdem zu ig "Aiöyjv ihre Zu- flucht nahmen. 114 or 7toXvv avSoionoi 'Qüuev yqovov, aXX' E7ii /.aiqöv Bergk und Ber- nays: lies bci/aiqov ('vergänglich'), nach VOlfPHXWA'as (irzi/tjqov YT), das mit tzoUv correspondirt; vgl. Stob. Flor. V 112 Mein. *c (th yaq aXXolov to.v ocpttaXuiov eaziv bci/aiqog yorjZEia, zo de ov[tq>vzog /ai uvs^äXeinzog /ai äldiog ol/lag /oafiog. 137 j.io!qag 7täai r^ueiv Bernays (umai Bergk): besser poiqav (V itoiqav) OLYPWRw. 141 nXa^öfievov de ßqoxbv /.ai aXnqov in' n ox' eXey%t]g Bergk (s. seine Anm.), 7tXat6nevöv ze ßoxbv /az azaq7cizbv o'vnox' üXv&ig Bernays (S. 238f.): vielmehr 7cXal6^evov de ßqozbv [so VMLIPJw, ßqwxbv "W] /ai äXrjuova [so VOLPH, aXiueva J] /a^cox' [so VOL,P2 ir., HJ] äXr'S^g [so V, M2 ir. ; äXe^elv Y; aXet-rjg J], 'suche ihn nicht zu vermeiden', 'gehe ihm nicht aus dem Wege'. Höchstens könnte aXe£yg in Betracht kommen ('wehre ihn nicht ab'), das in der Mitte zwischen oAv$£fi und dem vulgäreren iXiygrjg liegt; doch sehe ich keinen rechten Grund, von der zuverlässigeren Tradition abzuschweifen. "Wer ItXixqonov wählte, musste des Metrums halber das grammatisch anstössige emnox' einsetzen und versuchte schliesslich, den Anstoss durch das unpassende Futurum zu beseitigen: echt ist von alledem gewiss nichts. 142 ßelxeqov avx' ixttqov xevxeiv q>iXov euueviovza Bergk: da jedoch iyßqolo von BL1 und zvxslv von VMOL1 (x' e'xetv B) geboten wird, so hat Bernays ohne Frage mit Recht dies in den Text aufgenommen, und dazu natürlich qiXov eüfiereovxog aus VLP-'HA'w (etuevöevxog OP). 159 soxi ßtog tzüv eqyov Bernays: indessen gegen ßtot (VMOLlPw, Bergk) ist gar nichts einzuwenden. 166 otztiox' aqoiqai Xrtia /eioaitevai xaqnm TrXi'jüwaiv aXioag Bernays, besser ßqi&oxriv ctXioug Bergk: aber auch der Conjunctiv muss noch weichen; denn in VO steht ßqiöovoiv (nur in L ßqi&iooiv). ~- 172 rj Tzhqrjg /oiXrjg /axä x^Qaubv Bergk und Bernays, obwohl bis auf Y alle Hss. und Ausgaben rte haben und die 'Attica correptio' durch uXXoxqtiov 6, uezqov 98, naxqig 112, uiqiüzqrjza 174 geschützt wird. 181 //rjcJ' £7ti7zaXXa/.ioig 7iazqög Xexieaai fttyeirig Bergk, hii naXX.a/iaiv Bernays, beides durchaus nicht wahrscheinlich; Ini 7iaXXa/flot VVR, -/olaiW, enuraXXav.lai W pc. {-/iaiv M ac), hei 7xaXXa/toi B1PHR (xtffj* 0, 7taXa/ioi ac. P), -v.iooi A\ -/.ton L: am nächsten liegt die Correctur ini naXXa/t'rjoi, die ich für ganz unbedenklich halte, weil die Nomina auf -eia sehr häufig auch auf -ia ausgehen, besonders bei Dichtern. 204 ovde ;th, /.«/ov cadq anavaivexai cupveov b'vza Bergk und Bernays : ob jedoch das Participium in dieser kurzen Form echt ist, wird mir theils durch ioiaa 73 und ,uv.-raqe6neg '34 (woraus OP aiu.iaqöneg machten) zweifelhaft, theils durch die schwankende Überlieferung (o randm' «V M; ayvetov VO, ac. L ut vid.,- iövza OL1X), die eher für inavaivei äipetbv Una zu sprechen scheint. Mit verkürzter Anfangssilbe findet sich £<pyetö* Theokrit X11I

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19, («preioitQY Anth. Pal. IX 678, 4, ayveiov Quint. Sm. I 738 u. s. vv. Die trochäiscbe Diärese im vierten Fusse wird durch die Elision gemildert, wie 140. 207 naiaiv fir\ %aXhcane xeolg, aXX' rjntog etijg Bergk und Bernays: man corrigire ijniog i'o&i (so OLlPHXWw, TjO&aV, l'arsY). 208 yv dt xi 7talg cdltrj ae, x.oXovexu> vua fi'qirjQ Bergk; äkiTj], -MolitTio Bernays («); äXtxrjGaio -Aqivaxo V; aXixi] aio -Aiqvaxto 0; äAtzrjfff [aXixi Ls ss.] Aqivtxio L; ä/lm; ioxQivit(o 1, P- ir. ; aA/ijj eaAqivhio BHWT; r\Xr\ii] [atartj M2 pc] KoXveiM M; «Atrrjfft [über das zweite Wort schweigt Bergk] Y. Aus diesen ( 'orruptelen entnehme ich äXixrj a\ ?o ■Aqiväxio: 'wenn ein Junge sich an dir versündigt, soll seine Mutter den Sohn richten oder auch die Familien- oder Gauältesten'. Jedenfalls muss die Emen- dation von. VO ausgehen, und eine leichtere ist schwerlich zu finden. 210 fiij ftiv bi aqaen naidi xqüpeiv nXo-Aafir\Lda yaixiqv (wie L it.) Bergk und Bernays; 7cXo'AÜfiovg e/cixÜQZovg VO vortrefflich; 7iXoAÜfiovg eni yaixx\g Bl, pc. MP2 (yai^xrjg M), im. L, hg; 7cloxauida yaiziqv HW', im. P2; -dag yaiix\v A1; 7cXo/.afirji'da xeyvt]v Y; nXoAafiidog yaixz]v abd; yaixiqv nXoAafüdog cnjsykt. 211 utj ■Aoqvrpijv nlik~rlq firj&' af.if.iuxa Xo£a -Aoqifißiov (wie Qco) Bergk und Bernays: selbstverständlich gebührt jujjd' (ji^ <T V) der Vorzug. 212 aqoeaiv oi'a eneoiAe xoitäv, yXiöavalg de yvvaii-iv Bergk; yXidai de yvvai^lv (wie io) Bernays (das doch wohl yXidäv lauten würde, correspondirend mit ~A.of.ictv); Ao/täv VOP; zöfiai MB1YHT, im. P2; -AÖfir] ¥w. yqij de xalg yvvai^i VOP; yXidai yvvat&v de M, yXidaig de yvvaii-iv M2 pc; yXidai de yvvai%i 1HW, im. P2, w: vermuthlich steckt in yqz] de xalg weiter nichts als yqrjoxaig de. Schlechte Orthographie und Verschiebung der Conjunction (s. M) thaten das Ihrige, dies zu schädigen. Wiederum sehen wir VO(P) einig und dem Arche- typon näher, auch bei -AOftäv, das alle übrigen gleichfalls verdorben haben. Dies ver- anlasst mich, auch 214 noXXol yaq Xvaaiiiat nqög aqaeva fü£iv eqiozog (Bergk und Bernays) zu beanstanden, wo OP Xlvoüoiöi (und V Xvoolomsi) lesen, ursprünglich also yaq gefehlt haben wird. 216 7zqo döftiov o(pi>7]fiev eaorjg Bergk und Bernays, nach c'yirriftev M, orpdrßievai B: wozu denn aber die Conjectur, da orpOijvai (VOlPHXWw) vollkommen tadellos ist? Übrigens hat B beide Lesarten in Eins verschmolzen1). 223 yaazqog ocpeiXöfievov daofibv naQtyeiv Üeqa7zovoiv Bergk; naQtyou Bernays, nach lP2HWw: correcter naqaayov VO, woraus ich folgere, dass der Autor den Vers mit &eqänov<SL 7caqüoyov geschlossen hatte, wie 23 und 29 mit yq^Covii naqäöyov. 225 aziyftaza uij yqc'apyg, E7ioveiditu)v &EQÜnovxa Bergk und Bernays mit w: da yqäiprjg eines entfernteren Objects bedarf, so ist das Komma zu streichen und mit VOYXW Veqc'aiovxi herzustellen. 228 ayvei-q xpvyy]g, ov atüftaiög etat [ao'jfiaxog, elai Bergk] y.aOaqfioi Bernays: ohne Frage verdient dies vor zov odfiaxog (Bergk3) den Vorzug (ov VB01YPHW, mit Dittographie aov Mi1, aolT); doch bleibt die Incongruenz des Numerus befremdlich, die P-'Habdcnjsyk durch ayvelai, Yhg durch iazi y.aO-aqftög wegzuschaffen versuchten. Das sind Nothbehelfe; ich fasse das erste Wort als Dativ auf (ayvel-qo M wohl aus «yre/ijt verdorben): 'Läuterungen sind für die Reinheit der Seele, nicht für die des Leibes da'.

14. Selbst die Varianten, deren einige V theils zwischen den Zeilen, theils am Rande aufbewahrt ha't, überragen durchschnittlich alle ähnlichen Bei- schriften der anderen Quellen an innerem Werthe und deuten unverkennbar auf eine

1) Das ist öfter vorgekommen: s. unten § 14 Anra. 2.

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ebenso vorzügliche Quelle hin wie der Text. Zum Theil bestehen sie freilich in blossen Correcturen von Schreibfehlern (34 f.aaivt]g st. -vaig. 140 eysiQE, ss. aw. 147 agylnoai pc.) oder in Glossen1): doch finden sich auch wichtigere, z. B. das sonst nirgend bezeugte -i/.og 1''n' io^Xbi» (tyad-üc, rpaiilatv d' ätdtjXot; (65), das Bergk und Bernays mit Recht auf- nahmen; im Texte hat V die vulgäre La. d' h/coeQyög (i?itQoy/.og M, ö' 6 novqQiöv L, dt rcoi'Tjpdt; Y, öt ye (pailoc, ''[''). Der interessanteste Fall der Art jedoch scheint mir noch nicht genügend ausgenutzt zu sein. Zwischen den Versen 15 und 16 nämlich hat V diese Zeile eingeschaltet: anavta /njc' ciyvwg fty'jt' iirehovti tlsltai. Richtig erkannte ßergk hierin die Ausgänge dreier schon bekannter Verse, hielt es aber nicht der Mühe werth, näher auf sie einzugehen. Ich bin überzeugt, dass es ursprünglich Varianten waren, die ein Schreiber vom Rande auflas und zu einer interlinearen kritischen Note verschmolz2). Die erste betrifft den von mir (S. 16) so reconstruirten Vers 14: /uetga yefistv tu öUaia- y.rdvv ö' hu /.titgov anavxav. Gegenwärtig bietet allerdings auch in V der Text keine andere La. als jenes anavta, doch lehrt ein Blick in den sonstigen Variantenapparat, wie wenig sie ehedem feststand; und ich wüsste für den ersten Bestandtheil jener fraglichen Interlinearnote keine wahrscheinlichere Erklärung als die, dass erst nachträglich der Unter- schied zwischen Text und Note verwischt wurde. Was hier oder dort anfänglich ge- standen haben mag, bleibe dahingestellt, weil der Möglichkeiten mehrere sind. Auf festeren Boden führt uns der zweite Bestandtheil, der sich auf 16 jurjd' iniOQ/.i]aj]g fiyt' ayvwg ur\ze (a.ovil bezieht. Die vulgäre La. btovtl (die auch V im Text bietet) verstösat gegen das Hiatusgesetz des Dichters: vocalischen Zusammenstoss zweier Wörter lässt er nur zu3), wenn die vorangehende Länge entweder in der Hebung steht oder in der Senkung

1) 57 «'",'', ss- öoytji'. 83 itutQOSi ss. xaxöi. 201 üi'^iiuthi yeuxgoxat r», ss xaia oizjv (dies führte zur La. Si&afrai fiev xectä ohtov MLUYP^HW). Manche Schreiber vermochten nicht zu beurtheilen, ob das (bergeschriebene Interpretation oder Ernendation war, und brachten daher nicht selten diese oder jene Glosse in den Text. Von diesem Fehler hat sich V keinesweges frei gehalten Über 69 yttyeiv st. f&ttr und 78 (»fttXoi st. öihk.i habe ich schon gesprochen. Andere Beispiele sind 49 leora /iHuav st. xitra yiöonr. i2 <nhtvrt st. fiJjVrji 102 ov naXoP ctouoii^r ärtü.vt'iui' ivl uvd~f)ü)nots (tailt- a9f9*Q(OItotG OPj St. ai iü> hm lir- frffujtoto, 109 fii/tyjao 8' st. »sh;7,o', 113 xoao- st. Svpot, 123 tjtu iiiiXXor nävxatv a öv,iae' s^- ?"* uäia ntirrat in i'au. Es bedarf wohl kaum der besonderen Erwähnung, dass alle übrigen Hss. an derartigen Verdtrb- nissen gleichfalls kranken und dass es mitunter recht schwierig ist, die so verhüllte echte La. wieder- zuerkennen.

2) Derartiges Zusammenziehen verschiedener, ursprünglich getrennt gewesener Textbestandtheile

xara

ist nicht so ungewöhnlich: 135 nafmcaiafrqxtjv V, aus der Doppellesart des Archetypon rtaQafrt'xT}» ent-

standen. 188 in' r.tay_, i uo«<i V. d. i in laayi vtoU und (ohne in") wa/rm,ooU. 9 SXmsw 1. d i. IX .

((fiiXna)ae rai

13 i/ ihiditui ui 1, d i. ifihwauv. 21G äffrquerai B, d. i. öf^ijfisy. Gestützt auf diese Erfahrung möchte ich den neuen Vers 145, den uns V gerettet hat, fyxfaris ij»» i'/nr *«; hn,i, ,„'>,■ &" äntxM einfach

an durch die Annahme eines ehemaligen SieX$ad-m erklären i wobei «,-r die Correctur des fehlerhaften St bedeutete), nicht aber mit Bergk und Bernays. die freilich über die La. irrig unterrichtet waren, in raw> Xoßtrxür IT anijpolhu verändern.

3) Ausnahmen von dieser Regel sind sicher auf Verderbung oder Interpolation zurückzuführen, /. B. 21 in i' aSutttv tfrtXfii n>]i' ä&tHoirra iaoiji (vgl. 131"), vielleicht aus /-/,V äv9? atomirr' iaeäarfi ver- Btüramelt. Jedenfalls kennt V in dem ganzen Gedichte kein solches überflüssiges oir, wie man es hier

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zur Kürze wird ('vocalis ante vocalem corripitur'). Den Fehler beseitigt die Interlinear- note /.irjz sdtXovxi höchst glücklich, und mit Bergk an der Echtheit dieser La. zu zweifeln, sehe ich nicht die geringste Ursache, besonders nachdem das oben erwähnte atdt\Xog 65, das um nichts besser beglaubigt ist, verdientermaassen allgemeinen Beifall gefunden hat. Der dritte interlineare Bestandtheil endlich gehört zu 18 arzBoiiaxa iirj •f.'kenxuv enaQÜairiog oaxig elr\xai. Das Schlusswort lautet allerdings so in den Texten VW£2, hingegen aqelxai in HA"8 (cum yg LiYP8, agrjxai Ma, aigelxai J); und da unser Dichter sonst oox ig stets mit dem Indicativ verbindet (17 oriöaaei nach V u. a. 51 aörtel nach iiw. 123 ovrjaet nach V u. a.), so stehe ich nicht an, auch im vorliegenden Falle mich für das von jener Interlinearnote gebotene fAelxai zu entscheiden.

15. Überblicke ich die lange Reihe von Beispielen, so darf ich mich wohl der sicheren Hoffnung hingeben, dass sie hinreichen wird darzuthun, warum ich V an die Spitze der gesamten Phokylides-Überlieferung stelle1), erst in zweiter Linie OP (LF), in dritter MB (fP*H), in vierter L'I/IYXJ (TWA183 M»1') und in letzter endlich !P folgen lasse. Leider sind, wie ich an 33 exvoiicc und 78 öveiaq gezeigt habe und namentlich W. Kroll gegenüber aufrecht erhalten muss, selbst die schlechteren2) und schlech- testen Quellen nicht ganz zu entbehren; denn die Sprüche verfielen zwar allmählich mehr und mehr den ärgsten Verderbnissen, aber manches echte Körnchen hat ersichtlich doch bis in die untersten Schichten der Tradition unbehelligt Zugang gefunden. Das darf nicht übersehen oder gar verschmäht werden. Mit der starren, unverriickbai-en Schablone kommt man hier noch weniger wie bei den meisten anderen textkritischen Problemen durch. Aber freilich gar keine Rücksicht zu nehmen auf den allgemeinen Charakter und Werth der Hss., die schlechtesten genau so einzuschätzen und zu brauchen wie die besten und die Wahl der Lesarten fast ausschliesslich von subjectivem Ermessen abhängig zu machen, was bisher die Regel war, geht ganz gewiss auch nicht an, will

aus einigen Hss. eingeschaltet hat (auch 118 nicht, wo jetzt uryti y.uxoU üyjhu «jjV frictydkfoo /«'»/<;, steht und möglichenfalls einst ih .utytuhn gestanden hatte, gebildet nach iZensvxoum). 155 tixpq toiyii rivSmi, atQyöv 8' XyrtTo hfiög. Die Lücke zu Anfang wollte Bergk (Bernays) durch r eyi-i, toi ausfüllen, den Hiatus zuerst durch ävSgai (Bernays), dann gar nicht beseitigen. Dass ävSqai nichts nützt, geht aus woyöv hervor. Ich vermuthe xixva ti-yvi, toi fei ävSga r (also reyn, genau so wie 158 gemessen). Die Ähnlichkeit der beiden ersten Worte begünstigte den Ausfall des einen (Wortverlust ist in V noch öfter vorgekommen, z. B. 75 eots, 203 äifooyeoireg, 222 itargos). Übrigens scheint der falsche Phokylides nur das Pronomen xoi = 001 ver- wendet zu haben (29. 161. 224), nicht die versichernde Partikel toi (sie fehlt 96 in allen mir bekannten Hss. und ist selbst 124 nicht mit völliger Einstimmigkeit überliefert; dort könnte xul htoi xal viioio, hier önlor yciQ verdrängt worden sein). 227 Xä/tßavs xai ßov&tjv nuoa [nao' VI, jiolq OP] oixerov ei fQovhvros versuchte Bergk durch .moit y oixsTov, Bernays durch naoa öovXor ti'tpQoveovTos zu bessern: aber ersleres verstösst gegen den Sprachgebrauch, letzteres gegen die Metrik des Dichters (er meidet ye ebenso wie die fehler- hafte Diärese im vierten Fusse). Das Nächstliegende wäre wohl hiußave xtd ßorVr, <h<to oixerov ei fqo- viovroq, 'nimm auch Rath an, sogar von einem Sclaven, wenn er wohlgesinnt ist'. Über diesen Gebrauch von ttxäo s. Berl. philol. Wochenschr. 1903 S. 361. Er lindet sich selbst in Prosa.

1) F. Susemihl (Gesch. d. griech. Litt, in der Alexandrinerzeit II S. 642) hat diese Hs. nicht einmal der Erwähnung werth gehalten. Nach ihm sind der Mutinensis (M), 'die älteste und beste', und demnächst der Vaticanus (Y) 'besonders zu erwähnen'.

2) 104 oniaw Se !>col TeXtd-oncn YSJio, einzig nur L reXed'oioi (ss. tüvthi so), das ich für richtig halte, wegen zeXe'9ovaiv {ovaiv pc. L) 71 und reU&ei 170.

die Textkritik hier in rechter Weise ihres wichtigen Amtes walten. Sehr hoch steht in meinen Augen keine einzige Phokylides-Handschiift; alle ohne jede Ausnahme haben sie ihre offenbaren Schwächen und Fehler: immerhin bleibt für mich die sichere Thatsache in Kraft, dass V nicht bloss die vollständigste, sondern auch entschieden die bat von allen noch vorhandenen Hss. unseres Spruchbüchleins ist, und ferner die ebenso sichere Thatsache, dass der Text um so mehr an echtem Werthe verliert, je näher er der Sibyllenmache lF rückt, mit der die dreiste Fälschung ihren Gipfelpunkt er- reicht hat. Das sind die beiden Punkte, auf die es mir gegenwärtig besonders ankam über Anderes wird sich streiten lassen, über sie schwerlich. Und so wäre denn, behalte ich Recht, ein immerhin sehr zuverlässiger Gradmesser gefunden, der sich nach meinen Erfahrungen in vorsichtiger Hand wohl bewähren wird, sobald es gilt, die gewaltige Variantenmenge nach ihren mehr oder minder ursprünglichen Bestandtheilen zu sichten. Dann muss und wird sich endlich auch klar herausstellen, dass der Vaticanus Y, auf der. noch in der vierten Auflage Bergk so grosse Stücke hielt, ganz ohne Verdienst und Würdigkeit zu dieser Ehre gekommen ist.

(Der Schluss folgt in der Einladnngsselirift zu den Itedeacten dieses Jahres.)

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