HARVARD UNIVERSITY. DIBRARN OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. NIS. DESKES\E BERICHTE DER NATURFORSGHENDEN GESELLSCHAFT ZU FREIBURG IL B. IN VERBINDUNG MIT Dr. Dr. F. HıLpEBranp, F. Hımstept, J. LürortH, J. von Krıss, (x. STEINMANN, A. WEISMANN, R. WIEDERSHEIM, PROFESSOREN AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG, HERAUSGEGEBEN VON DR. AUGUST GRUBER, PROFESSOR DER ZOOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG. NEUNTER BAND. Mir 2 TAFELN und 51 ABBILDUNGEN IM Text. "FREIBURG I. B. UND LEIPZIG, 1895. AKADEMISCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK). Alle Rechte vorbehalten. Druck von ©. A. Wagner in Freiburg i.B. VAN 20 1896 Inhalt des neunten Bandes. Ueber Hyperthelie, Hypermastie und Gynäkomastie. Von K. Serr. Aus dem anatomischen Institut der Universität Freiburg i.B. Mit drei Abbildungen im Text . ne ee Die Wirbelsäule der Gymnophionen. Von K. PETER. Aus dem anatomi- schen Institut der Universität Freiburg i. B. Mit 29 Textfiguren Beugungsgitter für Strahlen elektrischer Kraft. Vorläufige Mittheilung von Professor Dr. L. ZEHNDER Ueber den Einfluss der Adaptation auf ch und Farbenemp Andrang und über die Funktion der Stäbchen. Von Professor Dr. J. von KrıEs Geologische und petrographische Studien in der Montblanc-Gruppe. Von Professor Dr. Fr. GrÄrr. Erster Theil. Die geologischen Ver- hältnisse des Mont Catogne und der Südostflanke des Montblanc- massivs. Mit einer kolorirten Doppeltafel (I) und vier Textfiguren Bemerkungen zu Tafel I Seite 110. (S. auch Berichtigung Seite 164). Das Alter der palaeolithischen Station vom Schweizerbild bei Schaff- hausen und die Gliederung des jüngeren Pleistocän. Von Professor Dr. G. STEINMANN : i & 6 3 \ Ueber die Grenzzone zwischen Hochaleen ind Breibunger Aalen im Be reiche des oberen Simmethales. Von Dr. ©. QuEREAU in Chicago, Ill. Mit einer Profiltafel im Text ; Ueber elliptisch polarisirte Strahlen elektrischer Kraft end über eh elak- trische Resonanz. Von Professor Dr. L. ZEHNDER Ueber die Metamorphose der Polynoinen. Von Dr. Var. an Pi a docent und Assistent am Zoologischen Institut. Mit einer Figur im Text . Ueber die Na endisungen, ee Houtsesekeane, den Methropoden ch 0: mit der Methylenblau- und Chromsilbermethode. Von . OÖ. vom RarHn. Mit Doppeltafel (IT). Tafelerklärung Seite 163 ee Ein chemischer Beiicäg zur "Stütze de Prinzips der Selbetderintehktion. Von ALBERT EpINGER ; RAR Vorläufige Mittheilung von Dr. R. ae Molke, NY. Entwurf eines elektrisch-akustischen Telegraphen. Von L. Zeunper. Mit drei Textfiguren . Seite EHE 151 ID% Inhalt des neunten Bandes, _ .; Guur Ki Zur Anatomie von Scolecomorphus Kirki. Von Dr. KArL PETER. Aus dem anatom. Institut der Universität Freiburg i. BB Mit sechs Texifiguren, Ss. er lee 5: e ES Beitrag zur Bienenfauna von Baden end dem Von H. Friıese (Schwerin i. M.), jetzt Innsbruck ı. Tirol . f Bemerkungen über alpinen und ausseralpinen Muschelkalk une die Gliede- rung der oberen alpinen Trias. Von E. W. BENEcKE RR Geologische Beobachtungen in den Alpen. Von G. STEINMANN. I. Das Alter der Bündner Schiefer. Mit einer Kartenskize . . . . Die Vogelwelt des südlichen Badens und die Anwendung der Vogelschutz- verordnungen. Im Auftrage des Freiburger Vogelschutzvereins ver- fasst von Dr. VALENTIN HÄckER, a. 0. Professor für Zoologie. Mit drei Textfiguren Seite 264 AUSGEGEBEN IM JUNI 1894. — MAT BERICHTE / NATURFÜRSCHENDEN GESELLSCHAFT ZU FREIBURG I. B. IN VERBINDUNG MIT J.. P2 1 65 Dr. Dr. F. HıLDEBranD, J. LÜROTH, J. von KRIEs, G. STEINMANN, E. WARBURG, A. WEISMANN, R. WIEDERSHEIM, PROFESSOREN AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG, HERAUSGEGEBEN VON DR. AUGUST GRUÜBER, PROFESSOR DER ZOOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG. NEUNTER BAND. ERSTES HEFT. INHALT: K. SELL, Uerser HyPpERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNAEKOMASTIE. K. PETER, Dir WIRBELSÄULE DER GYMNoPHIoNEn. L. ZEHNDER, BEUGUNGSGITTER FÜR STRAHLEN ELEKTRISCHER KRAFT. "FREIBURG I. B. UND LEIPZIG 1894 AKADEMISCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG VON J. C. B. MOHR (PAUL. SIEBECK). Inhalt. Seite Ueber Hyperthelie, Hypermastie und Gynäkomastie. Von K. SELL. Aus dem anatomischen Institut der Universität Freiburg i. B. 2 Se A N TR Die Wirbelsäule der Gymnophionen. Von K. PETER. Aus dem anatomischen Institut der Universität Freiburg. . 35 Beugungsgitter für Strahlen elektrischer Kraft. Vorläufige | Mittheilung von Professor Dr. L. ZEHNDER . . . . 59 Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Freiburg i. B. und Leipzig. Autenrieth, Dr. W., Erster Assistent am chem. Universit.-Laboratorium (med. Fac.) zu Freiburg i. B., Kurze Anleitung zur Auffindung der Gifte und stark wirkender Arzneistoffe. Zum Gebrauche in chemischen Laboratorien. Gr. 8. 1892. M. 2.50. Geb. M. 3.50. Cloetta-Filehne, Lehrbuch der Arzneimittellehre und Arzneiverord- nungslehre. Achte verbesserte Auflage. Gr. 8. 1893. M. 6.—. Geb. M. 7.—. Hildebrandt, Dr. med. H., Kompendium der Toxikologie. Gr. 8. 1893. M. 1.40. Geb. M. 2.40. Steinmann, Dr. G., und Graeff, Dr. Fr., Professoren an der Uni- versität Freiburg, Geologischer Führer der Umgebung von Freiburg. Mit 5 z. Th. colorirten Tafeln und 16 Phototypien. Kl. 8. 1890. Geb. M. 5.—. 1] ) Ueber Hyperthelie, Hypermastie und Gynäkomastie. Von Karl Sell. Aus dem anatomischen Institut der Universität Freiburg i. B. Unter Hyperthelie versteht man das Vorkommen von einer oder mehreren Brustwarzen neben den zwei beim normalen Menschen vor- handenen; ist gleichzeitig Drüsengewebe unter der Warze entwickelt, so spricht man von Hypermastie. Beobachtungen dieser Abnormität reichen schon in sehr frühe Zeiten zurück, und ihr Vorhandensein hat zum Theil bekannten geschichtlichen Persönlichkeiten zu Bei- namen verholfen. So findet sich bei HykrtL erwähnt, dass die Mutter des römischen Kaisers Alexander Severus einer überzähligen Brust wegen den Namen Julia Mammea führte, desgleichen er- zählt Hyrtt: „Anna Boulen, die schönste Frau ihrer Zeit, hatte gleichfalls drei Brüste und man behauptet, dass diese Missbildung viel zu der Abneigung beitrug, welche ihr Gemahl, Heinrich VII, gegen sie fasste und sie endlich auf das Blutgerüst brachte“, Weitere Beobachtungen finden sich noch eine ganze Reihe, da sie jedoch Niemand sammelte, so galt Hypermastie lange Zeit als ein äusserst seltenes Vorkommniss. Das Verdienst, die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Vor- kommen überzähliger Brüste und Brustwarzen gelenkt zu haben, ge- bührt LEICHTENSTERN, der in einer 1878 erschienenen Arbeit (24) auf Grund 13 eigener und 92 aus der Literatur gesammelter Fälle zur Formulirung bestimmter Behauptungen in Bezug auf Hyperthelie und Hypermastie schritt. Diese sind: I. Fälle von rudimentärer Hyperthelie (mit oder ohne Hyper- mastie) kommen bei beiden Geschlechtern ziemlich häufig und zwar zum mindesten ebenso häufig beim Mann als beim Weibe vor. Berichte IX. Heft ı. 1 2 SELL: [2 II. Accessorische Brustwarzen nnd Brüste kommen weitaus am häufigsten (91°/ der Fälle) an der Vorderseite des Thorax vor. Die Fälle, wo accessorische Brüste in der Achselhöhle, am Rücken auf dem Acromion, an der Aussenseite des Oberschenkels angetroffen wurden, bilden höchst seltene, häufig nur durch Unica vertretene Ausnahmen. III. Die accessorischen Mammillen an der Vorderseite des Thorax haben in der Mehrzahl der Fälle (94 °/) ihren Sitz unterhalb der normalen Mammillen, meistens nach einwärts von der normalen Mammillarlinie in wechselnder Entfernung zwischen den normalen Mammillen und dem Rippenbogenrande. Bald ist nur auf einer Seite eine accessorische Papille zugegen, bald sind bilateral symmetrisch oder unsymmetrisch angeordnete accessorische Mammillen vorhanden. In seltenen Fällen befinden sich accessorische Papillen oberhalb der normalen. Sie stehen dann ausnahmslos nach aussen von der nor- malen Mammillarlinie, der Achselhöhle genähert. Die Fälle, wo eine accessorische Papille in der Medianlinie unterhalb der normalen oder in gleicher Höhe mit der normalen nach aussen von dieser sich vorfand, oder wo mehr als zwei 3—4 accessorische Papillen existirten, bilden höchst seltene Ausnahmen. IV. Ausser an der Vorderseite des Thorax hat man accessorische Brüste und Mammillen in höchst seltenen Ausnahmefällen auch an- getroffen in der Achselhöhle (fünf Fälle), am Rücken (zwei Fälle), auf der Schulterhöhe (ein Fall), an der Aussenseite des Oberschenkels (ein Fall). Dagegen beruhen die allenthalben coursirenden Angaben über accessorische Brüste an der Bauch- und in der Inguinalgegend auf einem Irrthum. LEICHTENSTERN ist auch der erste, der für Hypermastie, die seither als eme Verirrung vom ÖOrganisationsplane galt, eine be- friedigende Erklärung fand. Er fasste die Erscheinung als Beispiel eines Rückschlages auf unsere weit entfernten mehrbrüstigen Ur- ahnen auf und schrieb die latente Fähigkeit, mehr Brüste zu haben, jedem Menschen zu. Das seltene Vorkommen mehrerer Brüste beim Menschen schien ihm der Ausdruck dafür zu sein, dass dieselben Organe der Rückbildung sind und desshalb weniger vererbbar. Der Grund des Uebergangs von Mehrbrüstigkeit zu Zweibrüstigkeit sucht er in dem Nichtgebrauch, der desshalb eintrat, weil unsere Urahnen, deren weiblicher Theil ursprünglich mehr Nachkommen auf einmal erzeugte, sich allmählich in einfach Gebärende umwandelten. Nächst LEICHTENSTERN hat sich J. M. Bruce in einer 1879 3] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND (GYNÄKOMASTIE. 5 erschienenen Arbeit (9) eingehend mit Zyperthelie befasst. Derselbe stellte Beobachtungen über überzählige Brustwarzen an Kranken an, die sich im Hospital für Schwindsüchtige zu Brompton befanden. In der Zeit vom 13. Dezember 1875 bis zum 18. Januar 1579 fand er unter 3956 Personen, unter denen sich 1645 männlichen und 2311 weiblichen Geschlechts befanden, 61 Fälle überzähliger Brust- warzen und zwar bei 47 männlichen und 14 weiblichen Personen, in Prozenten ausgedrückt zeigten unter den Personen männlichen Geschlechts 2,857 °/o, unter den Personen weiblichen Geschlechts 0,605°/o die Abnormität, was ein viermal so häufiges Vorkommen bei Männern als bei Frauen bedeutete. Alle überzähligen Warzen lagen unter dem Niveau der normalen und einwärts von der Mammillar- linie, 51 hatten nur eine überzählige Warze, 30 davon lagen links, 21 rechts, 10 zeigten mehrere überzählige Warzen. Bei einer zweiten Reihe von Untersuchungen, die in der Zeit vom 31. August 1876 bis 19. Februar 1877 an 315 Individuen vor- genommen wurden, von denen 207 dem männlichen, 104 dem weib- lichen (reschlecht angehörten, fand BrucE die Abnormität 19 Mal bei männlichen, 5 Mal bei weiblichen Individuen, in Prozenten aus- gedrückt 9,11% resp. 4,807 °/. Die Abnormität schien ihm nach diesem Ergebniss noch einmal so häufig bei Männern als bei Frauen. Vollständig gut ausgebildete Warzen fand Bruck nur selten, meist waren sie in der einen oder anderen Beziehung mangelhaft ausgebildet. Sekretion konnte er nirgends constatiren. Drüsen- gsewebe war jedoch in einigen Fällen vorhanden. Erblichkeit konnte er ebenfalls nicht nachweisen. Entgegen LEICHTENSTERN constatirte Bruck, dass auch das Abdomen der Sitz der Abnormität sein kann. In zwei Fällen (der eine bei einem l1jährigen Knaben) fand sich unterhalb und inner- halb der normalen Warze, nicht ganz symmetrisch, ein zweites Paar, von dem die linke Warze !/» engl. Zoll unter dem Rippenbogenrand lag. In dem andern Fall sass eine rechte Warze unterhalb des Rippenbogenrandes. Diesen Beobachtungen von Hypermastie schliessen sich einzelne weitere von HExnIG (19), BARTELS (6), HANsEMANN (17), BLan- CHARD (7), ROGER (33) und andern an, bei weitem das grösste Inter- esse beanspruchen jedoch die auf Anregen v. BARDELEBEN’S (2 u. 4) vorgenommenen Massenuntersuchungen beim Aushebungsgeschäft, die ganz überraschende Resultate zu Tage förderten. Unter 2430 im Bezirk Oberlahnstein Gemusterten zeigten 151 1* 4 SELL: [4 — 6,21°/ überzählige Brustwarzen, alle Warzen sassen unterhalb der normalen, 76 links, 44 rechts, 33 beiderseits. Im Bezirk Rhein- hessen kamen noch viel grössere Zahlen heraus. Dort fanden sich unter 2736 Gemusterten 637 Fälle überzähliger Brustwarzen = 23,3 °/o, hinsichtlich der Lage vertheilten sich die Warzen folgendermassen, 248 links, 219 rechts, 170 beiderseits. Genauere Untersuchungen nahm v. BARDELEBEN selbst im November 1891 an 92 im III. Bataillon Inf.-Reg. Nro. 94 ein- gestellten Rekruten vor. Unter diesen fanden sich 27 Fälle von Hyperthelie = 14°, wovon acht nur rechts, acht nur links, 11 beiderseitig überzählige Warzen zeigten. Die Ausbildung der Warzen zeigte alle Abstufungen von einer wirklich erektilen Warze mit pigmentirtem Warzenhofe und Haaren bis zum Pigmentfleck, dessen Bedeutung sich nur aus der Lage er- gab. Von den 26 überzähligen Warzen dieser Fälle sassen 21 über, 35 unter der normalen. Die darüber befindlichen ausnahmslos auch lateral, die darunter befindlichen medial von der Papillarlinie. Durch die Vergleichung der wirklichen Distanzen von der papilla normalis wurde V. BARDELEBEN auf den Gedanken geführt, dass die überzähligen Warzen gesetzmässige Entfernungen von der normalen einhielten, und zwar ergab sich, dass die gefundenen Entfernungen sämmtlich Vielfache einer Grunddistanz waren, die nach diesen Be- obachtungen 4 cm zu betragen schien. Da die Prozentzahlen in den einzelnen Gegenden sehr schwank- ten, indem die hohen Prozentsätze in Gegenden vorkamen, deren Bevölkerung eine nur sprachlich, aber nicht körperlich germanisirte, slavische darstellte, wie in Mecklenburg, Westpreussen, Posen, kam v. BARDELEBEN auf die Vermuthung, dass es sich beim Vorkommen der AHyperthelie um ethnographische Unterschiede handle und die hohen Prozentsätze sich durch fremde, nicht deutsche Beimischungen erklären liessen. Trotz der grossen Menge des Materials hielt v. BARDELEBEN es jedoch noch nicht an der Zeit, definitive Schlüsse in Bezug auf die Häufigkeit der Hyperthelie zu ziehen, ehe eine Einigung darüber erzielt ist, was als überzählige Warze aufzufassen sei und was nicht. Aehnliche Untersuchungen wurden durch OrTro AMmMmoN an- gestellt und von WIEDERSHEIM veröffentlicht. OrTro Ammon fand im Jahre 1890 bei der Aushebung der Militärpflichtigen im Bezirk Donaueschingen unter 2189 Mann 66 mit überzähligen Brustwarzen und zwar bei 62 eine, bei 4 zwei. Ausserdem zeigten 48 Spuren 5] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 5 überzähliger Warzen in Gestalt circumscripter Pigmentflecken, Die 48 + den 66 Fällen ergaben ein Häufigkeitsverhältniss von 1:19. Das Verhältniss von links zu rechts betrug 71:32. Auch Ammon giebt zu, dass diese Ziffern noch Ungenauigkeiten enthalten und dass bei der kurzen Zeit, in der die Untersuchung vorgenommen werden musste, ihm zeitweise wohl Warzen und Höfchen entgangen sein mögen. Ebenso glaubte auch er bemerkt zu haben, dass bestimmte Abstände bestehen, wobei die im Abstand von 4 cm unter der nor- malen vorkommenden nicht so häufig sind wie die im Abstand von 8 cm. Dies snd in kurzen Zügen die Ergebnisse der Beobachtungen über Hyperthelie und Hypermastie wie sie in grossem Massstabe angestellt wurden. Die Aufgabe dieser, mir durch die Güte des Herrn Professor WIEDERSHEIM überwiesenen Arbeit, ist es nun, das von den genannten Autoren nicht berücksichtigte in der Literatur zer- streute Material zu sammeln, um einen Ueberblick über alles bis jetzt über Ayperthelie und Hypermastie Bekannte zu geben. Als zweite Aufgabe soll sich hieran die Bearbeitung einer weiteren, eben- falls an den Brustdrüsen vorkommenden Abnormität, die in dem Auftreten weiblicher Brustdrüsen bei Männern besteht und unter dem Namen der Gynäkomastie bekannt ist, anschliessen. Da die Untersuchungen v. BARDELEBEN’s ein so reichliches Material zu Tage gefördert haben, dürfte es sich kaum verlohnen, noch einzelne Beobachtungen zu sammeln, ich beschränke mich daher darauf, nur diejenigen Fälle bei Männern besonders anzuführen, die wegen ihrer Aehnlichkeit in der Anordnung der Warzen mit der Thierwelt besonderes Interesse bieten. Ueber Frauen existiren keine in grösserem Umfang angestellte Untersuchungen, daher dürfte es hier wohl angezeigt sein, einmal eine Zusammenstellung aller be- kannten Fälle zu geben, was in einer am Schlusse beigefügten Casuistik, die sich über 113 Fälle erstreckt, geschehen ist. Gegenüber den bis jetzt bei Männern gemachten Beobachtungen ist die Zahl derer bei Frauen noch eine sehr geringe. Während anfängliche Beobachtungen dafür zu sprechen schienen, dass acces- sorische Brustwarzen bei Frauen häufiger vorkämen, als bei Männern, indem diese in Folge der im Wochenbett auftretenden Milchsekretion eher bemerkt wurden, ist jetzt bei Rekrutenaushebungen viel mehr (relegenheit gegeben, die Anomalie bei Männern zu beobachten. Es ıst daher zur Zeit noch unmöglich schon Schlüsse bezüglich des Häufigkeitsverhältnisses bei Männern und Frauen zu ziehen, ehe nicht 6 SELL: [6 in ähnlicher Weise wie bei Männern, etwa in gynäkologischen Kliniken, systematische Untersuchungen vorgenommen werden. Die einzige Arbeit, die uns einen ungefähren Anhaltspunkt giebt, wie sich das Verhältniss des Vorkommens überzähliger Brustwarzen bei Männern zu dem bei Frauen stellt, ist die von M. Bruce (9). Bruce’s Untersuchungen haben den Vorzug, dass sie an allen Patienten in einem Krankenhause angestellt wurden, in dem sich Männer und Frauen zugleich befanden. Obwohl die weiblichen Patienten an Zahl überwogen, fand sich bei ihnen doch ein geringeres Prozentverhält- niss überzähliger Brustwarzen, als bei den männlichen. Nach den ersten Beobachtungen würden überzählige Warzen bei Männern vier- mal öfter vorkommen, als bei Frauen, nach der zweiten genauen Beobachtung doppelt so häufig. Die Lage der überzähligen Brustwarzen bei Frauen stimmt, so viel uns die bekannten 113 Fälle darüber Aufschluss geben, im All- gemeinen mit der bei Männern überein. Mit ganz geringen Aus- nahmen befinden sich die accessorischen Brustwarzen stets auf der Vorderseite des Thorax in zwei von der Achselhöhle nach der In- guinalgegend zu convergirenden Linien. Die Fälle, bei denen sich der Sitz der accessorischen Warzen nicht auf einen dieser Linie entsprechenden Punkt zurückführen lässt, sind bei beiden Geschlech- tern sehr selten, die accessorischen Brustdrüsen werden jedoch dann fast stets an Orten gefunden, die sich in der Nähe derjenigen be- finden, wo accessorische Drüsen gewöhnlich vorkommen. Wir können daher die accessorischen Brustdrüsen in axillare, pectorale, abdominale und inguinale eintheilen. Da LEICHTENSTERN keine Fälle abdominaler Warzen zur Verfügung standen, glaubte er, dass solche nicht vorkämen, die neueren Unter- suchungen von BRUCE, AMMON, V. BARDELEBEN u. a. haben jedoch gezeigt, dass dieses in der That der Fall ist, wenn auch dieser Sitz gegenüber dem pectoralen ein relativ seltener ist; bei Frauen ist auch heute noch kein Fall einer Abdominalbrust bekannt. Die 113 Fälle überzähliger Warzen und Brüste bei Frauen, die ich aus der Literatur sammeln komnte, vertheilen sich hinsichtlich der Zahl und Lage folgendermassen: Vorhandensein nur einer accessorischen Warze unter der nor- malen OS UNE Na vu BulDi: de OEE Tur ost 66 Vorhandensein mehrerer accessorischer Warzen unter der nor- malen, Meaitinoe. NOCH ae Tao ELTA 2 Uebertrag; 88 7] UEBER HyPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE, 7 Uebertrag: 88 Vorhandensein accessorischer Warzen oberhalb der normalen 14 Vorhandensein accessorischer Warzen ober- und unterhalb der normalen BR BET ODE 1 Vorkommen an aussergewöhnlichen Orten . . . 2 2... 7 Vorkommen mehrerer Warzen auf einem Warzenhof 3 Summa 11 3 Von den 66 Fällen einer accessorischen Warze unterhalb der normalen sassen : Ennks einwärts von der Mammillarlnier 4 2; ur u. 0898 Kechts, emwärss von, der Mammilarknie 5 : us. rc... Obner Anzabender Seite, „u 20 ae Umtechalbanndrnach aussens..: oo 0. A EL Summa 66 Hieraus ergiebt sich, dass ebenso wie bei Männern am häufigsten nur eine überzählige Warze vorkommt. Beiderseitiges Vorkommen scheint am seltensten zu sen. Auf 69 Fälle emseitiger Yypermastie kommen bei Frauen 34 Fälle beiderseitiger Hypermastie. Nach v. BARDELEBEN vertheilen sich die Warzen bei Männern so, dass 19°/ der Individuen, welche accessorische Warzen besitzen, solche beiderseits, S1°/o nur auf einer Seite hatten. Die linke Seite ist bei beiden Geschlechtern die bevorzugte, auf 23 Fälle links kommen bei Frauen 11 rechts, bei Männern schien die Bevorzugung der linken Seite Anfangs eine grosse, nach den letzten Untersuchungen v. BARDELEBEN’S ist der Unterschied bei Männern nicht mehr so gross, indem von den 81°/o, welche die accessorischen Warzen nur auf einer Seite zeigten, 38° sie auf der rechten, 43 °/o auf der linken Seite besassen. Bei Frauen wird daher bei näheren Unter- suchungen sich auch wohl ein anderes Verhältniss herausstellen. Wie bei den accessorischen Brüsten, so zeigt sich auch bei den normalen eine Bevorzugung der linken Brust, insofern als diese durchschnittlich stärker als die rechte entwickelt ist. HyrtL und andere erklären dies damit, dass die Mutter, um den rechten Arm frei zu halten, den Säugling meist auf dem linken tragen und dieser daher seine Nahrung häufiger aus der linken Brust nehme, Für accessorische Brüste werden daher auch wohl als Gründe ihres häu- figeren linksseitigen Vorkommens ähnliche Ursachen verantwortlich gemacht werden können. Interessant ist, dass das Fehlen einer Brust häufiger auf der rechten als auf der linken Seite vorkommt. 5 SELL: [8 Die Gegend unterhalb der normalen Papille ist häufiger der Sitz accessorischer Warzen wie die oberhalb. Von 102 Fällen bei Frauen sassen sie bei 88 unterhalb = 86 °/%, bei 14 oberhalb der normalen — 14 °/. Bei Männern lagen nach v. BARDELEBEN von 1501 acces- sorischen Warzen 389 — 26°/o oberhalb der normalen, 1112 = 74°/o unterhalb der normalen, weitaus am häufigsten fanden sie sich in einer Entfernung von 8 cm unterhalb der normalen. Die in den einzelnen Fällen vorhandenen Brustwarzen sind nicht immer voll entwickelt, sondern es finden sich die verschiedenartigsten Abstufungen vom einfachen Pigmentfleck bis zur voll entwickelten Warze mit Warzenhof. Ueberhaupt ergeben sich, wie ich mich an einer Reihe von Fällen, die mir im Karlsruher Lazareth durch Herrn Orro Ammon vorgestellt wurden, manche Schwierigkeiten, was man als accessorische Warzen auffassen soll und was nicht. Charakte- ristisch für accessorische Warzen ist ihre Vertheilung am Körper, dann die Farbe, die mit der der normalen Warze ziemlich überein- stimmt und sich von einem Pigmentfleck durch den meist helleren Farbenton unterscheiden lässt. Ein weiteres charakteristisches Merk- mal für accessorische Warzen ist das häufige Vorhandensein eines Haares im Öentrum der Warze. Immerhin wird es wohl sehr auf die individuelle Auffassung accessorischer Warzen beim einzelnen Beobachter ankommen, daher werden auch wohl die von verschiedenen Beobachtern angegebenen Zahlen, um das Häufigkeitsverhältniss fest- zustellen, nie ganz übereinstimmen können. Dasselbe gilt für Frauen, hier finden sich auch die mannig- fachsten Uebergänge von einfacher Warze bis zur voll ausgebildeten Brust mit Areola und Warze. Bei ihnen lassen sich besser die ein- zelnen Grade des Rudimentärwerdens erkennen, indem in dem einen Fall eine voll ausgebildete Brust vorhanden ist, die sogar mitunter zum Stillen verwendet werden konnte, in dem anderen (und dies gilt namentlich von den Achselbrüsten) nur eine Anschwellung, die aus Drüsengewebe besteht, sich bemerkbar macht, entweder ganz ohne Areola oder mit einer solchen versehen. Ebenso kann das Drüsen- gewebe fehlen und nur Warze und Warzenhof vorhanden sein. Ein wesentlicher Unterschied der Hyperthelie bei Männern von der bei Frauen besteht darin, dass bei Frauen Hyperthelie in einer grossen Anzahl der Fälle mit Hypermastie verbunden ist. Wir sind daher zu der Annahme gezwungen, dass die accessorischen Brust- drüsen bei Männern einen höheren Grad des Rudimentärwerdens als bei Frauen erreicht haben, indem bei letzteren die Drüsen sehr oft 9] UEBER HYPERTHELIE, HyPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 9 noch funktionsfähig sind. Unter den 113 bei Frauen bekannten Fällen ist bei 48 = 42° ausdrücklich bemerkt, dass während des Wochenbettes Milchsekretion vorhanden war, in einer Reihe anderer Fälle findet sich nur die Angabe, dass reichlich Drüsengewebe ent- wickelt gewesen. Für die Annahme, dass es sich hier um Organe handelt, die der Rückbildung verfallen sind, spricht die geringe Vererbungsfähig- keit, worauf LEICHTENSTERN aufmerksam gemacht hat. In der Literatur finden sich nur 8 Fälle, in denen Erblichkeit verzeichnet ist. Fall 1—3 fand ich in HAnsEMmANnN’S (17) 4 und 5 in BLANCHARD’S (7) Arbeit. 1) In drei Fällen Vererbung von Mutter auf Tochter. TIEDE- MANN, Untersuchungen über die Natur der Menschen und Thiere. 2) Fall PETREQUIN. Hypermastie vererbte sich auf drei Söhne und zwei Töchter. 3) Fall NEUGEBAUER. Dieser theilt einen Fall von MARTIN mit, in dem sich Erblichkeit durch drei Generationen verfolgen liess. 4) Im Jahre 1817 publieirte AprıEN DE Jussieu die Beobach- tung einer mehrbrüstigen Frau, welche von einer Tochter entbunden wurde, die die gleiche Abnormität zeigte. 5) L. TArnıER berichtet von einer Frau, in deren Familie Hyperthelie erblich war. 6) Hr. ©. Gross fand bei Gelegenheit der Rekrutirung bei einem jungen Mann auf der rechten Seite zwei Brustwarzen, beide mit einem Warzenhof umgeben. Als er die Mutter examinirte, ergab sich, dass dieselbe die gleiche Anomalie besass. Bildungsanomalien an anderen Körperstellen sind nur selten mit Hypermastie verknüpft. Mir ist nur der eine Fall von Bryant be- kannt, der ein Mädchen mit einer accessorischen Warze beobachtete, dem die Vagina fehlte und dessen Clitoris so lang wie der Penis eines Knaben gewesen sein soll. Auch dieses deutet darauf hin, dass es sich bei Yypermastie nicht um einfache Missbildung, sondern um Rückschlagserscheinung handelt. Bei einseitiger Mieromazie oder Amazie, welche als wahre Missbildungen betrachtet werden müssen, bemerkt man nach Roger Ww. den umgekehrten Fall, hier findet sich neben der Anomalie an der Brust oft mangelhafte Ausbildung der Sexualorgane. Eine weitere Stütze hat die Deutung accessorischer Warzen in atavistischem Sinne gewonnen durch die stets an Zahl gewinnenden Beispiele, die eme Anordnung der Brustwarzen in zwei nach unten 10 SELL: [10 ‘convergenten Linien erkennen lassen. Die Konstruktion dieser Linien ergiebt sich, wenn man sich die Lage der einzelnen, beobachteten Warzen auf einen einzigen Körper aufgetragen denkt. Hierfür sind jetzt eine ganze Reihe Beispiele beschrieben worden, welche diesem sche- matischen Bilde in Wirklichkeit nahe kommen. Um sich eine bessere Vorstellung von den Fällen machen zu können, die uns die Ver- theilung der Brustwarzen in zwei nach abwärts convergirenden Linien auf der Vorderseite des Thorax vor Augen führen, will ich durch die nachfolgenden Abbildungen die Anordnung der Warzen in diesen Beispielen schematisch darstellen. Die + bedeuten die normalen, die. .... die überzähligen Warzen; auf die genaue Entfernung von der normalen ist hierbei keine Rücksicht genommen. Das Auswärts- stehen der accessorischen Warze oberhalb der Mammilla und das Ein- wärtsstehen unterhalb derselben von der Mammillarlinie trifft in allen Fällen zu. | E= -H + ie + + Diejenigen Fälle, wie sie Figur 1 und 4 darstellt, welche jeder- seits zwei symmetrische Warzen besitzen, sei es nun, dass sie sich oberhalb oder unterhalb der normalen finden, sind bei beiden Ge- schlechtern am häufigsten beobachtet. Unter den 113 Fällen bei Frauen befinden sich 31 mit je vier Brustwarzen. Dieselben sassen meist symmetrisch in verschiedener Entfernung von der normalen, eine ganze Reihe zeigte ungefähre Uebereinstimmung hinsichtlich der Entfernung von der normalen, wie ich aus der Beschreibung oder beigegebenen Abbildung ersehen konnte. LEICHTENSTERN, BRUCE und v. BARDELEBEN führen eine grosse Anzahl Fälle von vier Brust- 11] UEBER HYPERTHELIE, HyPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 14 warzen bei Männern an, die genaue Zahl lässt sich jedoch nicht eruiren. Die Fünfzahl, wie sie Fig. 2 zeigt, ist ebenfalls bei Männern mehrfach beobachtet, von Frauen ist diese Vertheilung nur einmal, und zwar in dem Falle HansemAnN berichtet, dessen Beschreibung sich in der Casuistik vorfindet. Die Sechszahl (Fig. 3, 5, 6) ist vier Mal beobachtet worden, worunter der in der Casuistik nachzusehende Fall bei einem 19 jährigen japanischen Mädchen, welcher von WIEDERSHEIM (45) mitgetheilt ist. Die anderen drei Fälle sind von FıTz61BBON, MORTILLET und PETRONE beschrieben. Fırz6ısBon fand bei einem Rekruten jederseits ein Zoll unter- halb der normalen Brustwarzen vollkommen symmetrisch nach ein- wärts von den Mammillarlinien je eine wohlausgebildete accessorische Papille mit Areola vor. In gleicher Entfernung oberhalb der normalen Mammillen, aber nach aussen von der Mammillarlinie, befanden sich, bilateral vollkommen symmetrisch gestellt, zwei kreisrunde Pigment- flecke, Rudimente accessorischer Mammillen (|24] LEICHTENSTERN). In dem Falle MorrıLLEerT’s waren zwei Paar überzähliger Brust- warzen vorhanden, beide waren unterhalb der normalen Brust ge- legen, das unterste Paar sass auf dem obersten Theil des Abdomens, das andere zwischen dem normalen und dem abdominalen Paar (Hennıe 19). PETRONE schildert einen Fall von einem Manne mit jederseits drei in regelmässigen Zwischenräumen übereinander gelagerten Milch- drüsen, deren unterstes Paar schon der Bauchwand angehörte (30). Ein Fall von acht accessorischen Warzen (Fig. 7) beobachtete AMMOoN an einem Triberger Wehrpflichtigen, Schreiner von Schonach, Amtsbezirk Triberg. Oberhalb der normalen Brustwarzen befanden sich zwei schwache Rudimente, welche in einer seichten Vertiefung der Achselfalte sitzen. Darauf folgten nach abwärts die normalen Warzen, unter diesen ein Paar ziemlich deutliche wenn auch kleinere Warzen mit Höfchen, und zu unterst endlich zwei kleine Spuren, Pigmenttflecke, bilateral symmetrisch unterhalb des Rippenbogens (45). Die höchste bis jetzt gesehene Brnstwarzenzahl ist 10. Dieser Fall wurde von Dr. med. F. NEUGEBAUER bei einem 22 jährigen Dienst- mädchen in Warschau beobachtet. Genaueres über diesen Fall siehe am Schlusse. Die Lage der Brustwarzen bei diesen letzterwähnten Fällen in zwei nach abwärts convergenten Linien stimmt mit der Lage der jüngst von OÖ, ScHuLtzE (38, 39) an Säugethierembryonen nach- 12 SELL: [12 gewiesenen Anlage einer Milchleiste, aus der sich erst secundär die Anlage der Brustdrüsen entwickelt, überein. O. ScHuLTzE fand bei jungen 1,5 cm langen Schweinsembryonen eine von der Achselhöhle bis in die Inguinalfalte verlaufende leistenartige Erhabenheit der Epidermis. Im Verlauf dieser Wucherung kommt es zu einer Reihe hintereinander liegender spindelförmiger Auftreibungen. Die zwischen diesen Auftreibungen gelegenen Strecken der Milchlinie verfallen kurze Zeit darauf der Resorption. Die Auftreibungen, welche SCHULTZE primitive Zitzen nennt, flachen sich ab, rücken in das unterliegende Bindegewebe und stellen dann das als Wucherung der Epidermis beobachtete Stadium der Milchdrüsenentwickelung dar. Aehnliche Befunde wie beim Schwein ergaben sich nach OÖ. SCHULTZE bei Embryonen von Kaninchen, Fuchs, Katzen, Insectivoren (TALPA). Steht auch der Nachweis einer Milchlinie beim Menschen noch aus, so ist es doch wahrscheinlich, dass derselbe auch für den Menschen erbracht wird. Damit wäre eine weitere Stütze für die fast von allen neueren Autoren angenommene Erklärung der AHypermastie in atavistischem Sinne gewonnen. Aus der Zahl und Lage der Milchpunkte würden sich dann die an verschiedenen Orten vorkommen- den accessorischen Warzen erklären, indem die Milchpunkte, deren Zahl bei unserem Vorfahren wirklichen Milchdrüsen entsprachen, nicht wie gewöhnlich der Resorption anheimfielen, sondern sich zu wohl ausgebildeten Warzen entwickelten. Genauere Untersuchungen an einer Reihe von Säugethierembryonen werden dann auch ein Licht auf das Vorkommen von Brustdrüsen an aussergewöhnlichen Orten werfen. Solche Fälle sind im Ganzen neun, meist bei Frauen, beobachtet. Die accessorischen Warzen sassen vier Mal in der Schultergegend, ein Mal auf der linken grossen Schamlippe, zwei Mal am Oberschenkel und zwei Mal in der Median- linie. Diese werden sich, wie es BonnEr (8) schon jetzt als wahr- scheinlich erachtet, da sie nur in geringer Zahl vorkommen, und dann fast immer an Orten, die in der Nähe des gewöhnlichen Sitzes liegen, auf Verschiebungen ihrer Anlage zurückführen lassen, ähn- lich wie dieses beim Herunterrücken der Impfnarben am Arme öfter konstatirt ist. Nur für das drei Mal berichtete Vorkommen einer Warze in der Medianlinie wird sich nicht so leicht eine befriedigende Erklärung finden lassen. Einer dieser Fälle, der von Percy, ist bezüglich seiner Echtheit von den meisten Autoren bezweifelt worden, ich habe daher unterlassen, ihn besonders zu erwähnen. Von den beiden anderen 13] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 13 € Fällen lässt sich dieses jedoch nicht behaupten. Die Beschreibung des von GitLıcuppy (15) berichteten Falles findet sich in der Ca- suistik. Der andere ist bei einem Manne von BARTELS (17) beob- achtet. Barrers fand bei einem 24jährigen jungen Mann in der Herzgrube und zwar genau in der Medianlinie eime überzählige Brustwarze 0,5 cm unterhalb des processus ziphoides sterni. Die Warze besass eine Areola, die livid roth gefärbt war, auf der sich wie bei der normalen Warze kleine runde Knötchen markirten. Von ihrem äusseren Umfang entsprangen acht lange schwarz pigmentirte Haare. Der Beschreibung dieses Falles ist eine Abbildung bei- gegeben, so dass an seiner thatsächlichen Existens wohl kein Zweifel gehegt werden kann. Neben dieser geringen Zahl von Beobachtungen accessorischer Warzen an aussergewöhnlichen Orten ist noch das ausserordentlich seltene Vorkommen von zwei Brustwarzen auf einem Warzenhofe zu erwähnen. Diese Erscheinung, der von LEICHTENSTERN der Name Intraareolar Polythelie beigelegt ist, lässt sich durch eme Ver- doppelung der ursprünglichen Warzenanlage erklären und hat mit der Hyperthelie, wie sie sonst vorkommt, nichts zu thun. Aus dem mir vorliegenden Literaturmaterial konnte ich nur zwei Fälle sammeln, ausserdem wurde mir von Herrn Professor WIEDERSHEIM die Ver- öftentlichung eines weiteren Falles, der in der gynäkologischen Klinik zu Basel durch Herrn Professor FEHLING zur Beobachtung kam, überlassen. Auch Herr Professor FEHLING bestätigte das ausser- ordentlich seltene Vorkommen von /ntra areolar Polythelie, da er unter 8000 Fällen nur einmal diese Erschemung beobachten konnte. Näheres über diesen Fall findet sich in der Casuistik. Dieselben Anomalien, wie wir sie beim Menschen auftreten sehen, können wir auch in grosser Zahl bei Thieren beobachten. Im Ganzen ist die Mannigfaltigkeit der Zahl und Lage der Zitzen bei den ver- schiedenen Säugethierarten eine grosse. Mit ganz geringen Aus- nahmen findet sich jedoch stets ihr Sitz an der Bauchseite des Körpers und zwar so, dass sie in zwei von der Achsel nach der Schamgegend hin convergirenden Linien angeordnet sind, die ent- weder in ihrer ganzen Länge von Zitzen besetzt sein können oder nur in der Pectoral-, Abdominal- und Inguinal-Gegend. Beispiele für eine Anordnung längs des grössten Theiles der Ventralseite sind das Schwein, die Carnivoren und Insec- tivoren, unter denen Centetes die grösste beobachtete Zahl, nämlich 22 besitzt. In der hinteren Bauchgegend finden sie sich 14 Set: [14 bei den Hufthieren, Nagern, Monotremen, Marsupialiern, auf der Brust und Bauchseite bei den Elephanten, Sirenen, Chiropteren, Affen und Menschen. Unter den wenigen Ansnahmen, wo sich Zitzen nicht in die oben erwähnten, nach abwärts convergenten Linien einreihen lassen, findet sich ihr Sitz doch stets in der Nähe dieser Linien. So existiren in der Nähe des Akromion gelegene Dorsalmammillen beim Stachelschwein (LEICHTENSTERN 24), und eine ebenfalls dorsale Lage der Zitzen besitzt der südamerikanische Nager Myopotamus coypus (SCHULTZE 40); brachial gelegen finden sie sich bei Hapa- lemur griseus (SUTTON 42). Am Oberschenkel sitzen sie bei dem Nager Capromys, der ausserdem noch zwei Achseldrüsen besitzt, (SCHULTZE 40), ein klemer Insectivore, Sorex crassicaudatus, hat neben zwei Paaren in der Schamleiste ein drittes Paar unter der Basis des Schwanzes im Niveau des Anus (ROGER 33). Die grosse Verschiedenheit der Zahl der Zitzen unter den Säugethieren erklärt sich nach LEICHTENSTERN und anderen aus der Abhängigkeit der Zitzenzahl von der Zahl der Jungen eines Wurfs, derart, dass Thiere mit zwei Brüsten ein Junges, solche mit vier und mehreren Brüsten mehrere ‚Junge werfen. Die grossen Schwan- kungen hinsichtlich der Lage veranlassten BLANCHARD (7) und Andere zu der Annahme, dass der Sitz der Mammillen im Zusammen- hang mit der höheren Entwickelung der Thiere stünde, und zwar so, dass die Inguinalmammillen der primitive Typus, die Pectoral- mammillen einen höheren Typus bedeuteten und die abdominalen in der Mitte stünden. Diese Ansicht lässt sich wohl nicht überall auf- recht erhalten und ich möchte mich lieber der von BONNET (8) u. A. ausgesprochenen anschliessen, die für die Mannigfaltigkeit der Lage der Zitzen die Lebensweise der Thhiere, die Art der Fortbewegung und Nahrungsaufnahme, den Bau des Thorax und die Art und Weise, wie die ‚Jungen von der Mutter getragen werden und wie für diese das Saugen am bequemsten und zugänglichsten ist, verantwortlich macht. Diese durch verschiedene Lebensweise etc. veranlasste Anpas- sungsfähigkeit und der damit verbundene Wechsel im Sitze der Milchdrüsenorgane spricht sich in den Veränderungen, denen die Zitzen der Säugethiere unterworfen sind, sehr deutlich aus. Eine allmähliche Reduktion der Zitzen zeigt das Schwein, bei ihm sind die Brustzitzen kleiner als die Bauchzitzen, und zuweilen kann man finden, dass auf einer Seite eine Zitze weniger ist als auf der anderen. Beim Igel und Maulwurf fehlen die Brustzitzen. 15] ÜEBER HYPERTHELIE, HyPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 15 Bei Schweinsembryonen macht sich nach Bonner (8) schon bei der Anlage der Milchpunkte mitunter eine Reduktion in der Zahl bemerkbar, indem nicht die ganze für die betreffende Species ziem- lich konstante Anzahl von Milchpunkten zur Entwickelung kommt. Sehr interessant ist die von KÜKENTHAL (22) gemachte Angabe, der bei einem 2,5 cm langen Embryo von Phocaena communis nicht weniger als acht primitive Zitzen fand, während das erwachsene Thier nur zwei besitzt. Ein grösserer Embryo von Monodon monoceros besass vier Zitzenanlagen, ebenso ein Embryo von (lobiocephalus melas. Der Schwund von Inguinaldrüsen vollzieht sich noch heute vor unseren Augen bei gewissen Fledermäuseu (BLANCHARD [7|). Die grosse Mehrzahl der Fledermäuse besitzt nur geringe Spuren von Inguinaldrüsen, bei den Rhinolophidae sieht man sie jedoch per- sistiren, und ihre Persistenz kann man gewissen Gewohnheiten dieser Thiere zuschreiben. Bald nach der Geburt heften sich die jungen Fledermäuse an die Brustdrüsen ihrer Mutter und bleiben dort so lange angeklammert, bis sie kräftig genug sind, ihre Flügel zu ver- suchen. Die jungen Rhinolophidae dagegen befestigen sich an den Mamillae inguinales und bleiben dort so lange, bis der Hunger sie zwingt an die Brustdrüsen zu klettern, da die Inguinaldrüsen nicht im Stande sind, sie zu ernähren. Wegen dieses speciellen Nutzens als Befestigungsorgan sehen wir daher die Inguinalzitzen bei den Rhinolophidae bestehen bleiben, während sie bei den übrigen Fledermäusen fast vollständig verschwunden sind. In gleicher Weise wie wir in der Thier-Reihe einen Schwund von Milchdrüsen constatiren können, so finden wir auch oft ein Wiederauftauchen von Zitzen, das als Rückschlag auf Zeiten, wo mehr Zitzen vorhanden gewesen waren, aufzufassen ist. Interessante Beobachtungen hierüber hat TAayox (43) an Schafheerden in den Nieder-Cevennen angestellt. Tayox fand in der Heerde des M. de Saint Maurice drei Schafe mit vier Zitzen, in der des M. Salze nur ein Schaf mit vier Zitzen, in einer anderen Heerde, die aus 110 Stück bestand, hatten fast alle Schafe vier Zitzen. In La Uavalerie, einem alten Orte der Schafzucht, wurden bei einer grossen Zahl ebenfalls vier Zitzen, m Lannas sogar ein Thier mit sechs Zitzen beobachtet, dessen Junges ebenfalls vier Zitzen hatte. Der Besitzer der Heerde versicherte TAvyon, dass er das Jahr vorher einem Metzger ein Schaf mit acht Zitzen, welche alle Milch gaben, geliefert habe. Eine überzählige Zitze, die entweder nur rechts oder links 16 SELL! [16 auftrat, fand er seltener, alle accessorischen Zitzen sassen vor den normalen. Ziegen, die normal zwei Zitzen besitzen, zeigen ebenfalls oft vier. Bei Kühen fand Tayon das Gegentheil, hier sitzen die acces- sorischen Zitzen hinter den normalen. Die gleiche Beobachtung, welche von Sanitätsrath MAG in München gemacht wurde, ver- öffentlichte Dr. E. Ever (13). Derselbe fand unter 200 Kühen 53 mit Afterzitzen, was ein Prozentverhältniss von 26 °)o ist. Dass accessorische Zitzen bei Thieren unter Umständen auch Milch geben können beobachtete J. BLanp Surron (41), der eine Kuh sah, welche neben den funktionirenden normalen zwei acces- sorische Zitzen besass. Als in Folge einer Schädigung die eine der normalen untauglich wurde, ward der Schaden dadurch ceompensirt, dass eine der rudimentären Zitzen sich verlängerte und Milch gab. Bei der Untersuchung von Affen fand J. BLAnD SuUTToX in kurzer Zeit zwei ausgeprägte Beispiele von überzähligen Brustwarzen. Bei einem Macacus sinius constatirte er an der linken Seite, einen Zoll unterhalb der normalen, eine accessorische gut entwickelte Warze mit Drüsengewebe. Dieselbe Lage fand sich bei einem männlichen Cercopithecus patas. Wir sehen also, dass der Sitz der Milchdrüsen bei beiden Ge- schlechtern der Säugethiere ein sehr verschiedener sein kann, dass sich derselbe jedoch stets auf einen der Milchleiste entsprechenden oder in der Nähe derseiben gelegenen Ort zurückführen lässt. Bei den eimzelnen Thierordnungen finden wir die mannigfachsten Ab- stufungen und Verschiebungen der Milchdrüsenanlagen, bei den einen bleibt die ursprünglich embyronale Anordnung nahezu erhalten, bei den andern, wie bei unseren Hufthieren, kommt es zur völligen Ver- schmelzung zweier Zitzenanlagen in Gestalt der Euter. Das Ver- schwinden der Milchorgananlagen erklärt sich aus dem Nichtgebrauch derselben, welcher bewirkte, dass diese Organe für die natürliche Auslese werthlos waren. Die Zahl der bleibenden Zitzen ist, wie schon erwähnt, abhängig von der Zahl der Jungen; wird diese ge- ringer, so vermindern sich auch die Zitzen, und zwar bleiben sie an den Orten erhalten, wo sie für die Lebensweise, Fortbewegung am wenigsten hinderlich sind, während sie an weniger geeigneten Orten verschwinden. Dass solche Reduktionen stattgefunden haben und zum Theil noch stattfinden, beweist das häufige Auftreten überzähliger Warzen beim Menschen und den Säugethieren, die auf früher vor- handene Dauerzustände zurückweisen. Die verschieden grosse Häufig- 17] UEBER HyPERTHELIE, HYPERMASTIE UND (AYNÄKOMASTIE. 17 keit des Vorkommens accessorischer Warzen an den einzelnen der Milchlinie entsprechenden Orten spricht dafür, dass diese Reduk- tionen allmählich stattgefunden haben, derart dass der betreffende Dauerzustand in den einzelnen Körperregionen zeitlich um so weiter zurückliegt, je seltener das Auftreten accessorischer Warzen an diesen Orten ist, während Orte, an denen Brustwarzen häufiger vorkommen, auf der Gegenwart näher gelegene Dauerzustände hinweisen. Für den Menschen würde das erstere für die abdominalen und inguinalen, das letztere für die pectoralen Mammillen gelten. Aus alle dem ergiebt sich also, dass der Mensch auch in dieser Beziehung keine Ausnahmestellung in der Thierwelt einnimmt. Alle Thatsachen weisen ebenso wie für die Säugethiere auch für den Men- schen darauf hin, dass er von mehrbrüstigen, mehrgebärenden Ur- ahnen abstammt, die sich allmählich in einfach Gebärende mit ge- ringerer Milchdrüsenzahl umwandelten. Dafür zeugt vor allem das häufige Auftreten accessorischer Brustdrüsen und Warzen beim Menschen und die regelmässige Lage der Warzen, welche sowohl mit dem Sitz derselben bei erwachsenen Säugethieren als auch mit der in der Embryonalanlage bei Thieren vorhandenen Anordnung über- einstimmt. Casuistik. A. Fälle, bei denen die accessorischen Warzen auf der Areola einer oder beider normaler Brüste sitzen; Intra areolar Polythelie: 1. In der LEICHTENSTERN’schen Casuistik findet sich 1 Fall dieser Art (24). 2. Ein weiterer Fall wird von Duvau berichtet: Derselbe sah eine junge Frau, welche auf jeder Brust die Warze nahe ihrer Basis in 2 Theile getheilt zeigte (12). 3. Durch Prof. Dr. FenutLıne in Basel wurde Herrn Professor WIEDERSHEIM folgender Fall übermittelt: Bei einer 18 Jahre alten Wöchnerin befanden sich auf dem Warzenhof der linken Mamma zwei Warzen, welche durch eine ca. '/g cm. breite pigmentirte Haut- brücke getrennt waren. Auf beiden Warzen mündeten Milchgänge aus, aus denen sich Milch entleerte. B. Fälle, deren normale Brustdrüsen, Höfe und Warzen keinerlei Anomalien darbieten, und bei denen sich die überzählige Warze ausserhalb der normalen Areola befindet, und zwar ın grösserer oder geringerer Entfernung von der normalen Brust. Berichte IX. IlIeft 1. 2 2 18 SELL: [18 Diese sollen nach dem Sitze der supernumerären Mammillen in verschiedene Gruppen getheilt werden. l. Mamillae accessoriae, welche auf der Ventralseite unterhalb der normalen sitzen. a) Vorhandensein einer accessorischen Papille unterhalb der normalen Brust: 1. Bei LEICHTENSTERN finden sich 40 Fälle; in 18 Fällen sass die accessorische Warze links einwärts der Mammillarlinie, in 9 Fällen rechts einwärts von der Mammillarlinie. Eine sass unterhalb und nach aussen von der normalen. Bei 12 fehlt die Angabe des Ortes. Milchsekretion wurde in 22 Fällen bemerkt (24). 2. Bei Bruc#k finden sich 19 Beobachtungen; der genaue Sitz und die Zahl ist nicht angegeben. Sekretion war in keinem Falle nachzuweisen (9). 3. Hennı@ berichtet: Die 20jährige Pauline Koppit aus Oberschlesien besass links ein wenig nach innen und unter dem Centrum der Milchdrüse eine dritte viel kleinere mit niedlicher, von bläulichem Hofe umsäumter Warze, welche am Grunde sanft gedrückt aus zwei Oefinungen weisse Milch austreten liess (19). 4. BuancHAarD berichtet: Eine junge Frau zeigte unmittelbar unter der linken Brust eine kleine überzählige Brust, welche mit einer gut entwickelten Brustwarze versehen und von einer Areola umgeben war. Nach der Schwangerschaft entleerte die Brust auf Druck Milch (7). 5. Marrın fand nach unten und innen von der linken Mamma eine überzählige Brust und medianwärts von dieser, anscheinend völlig isolirt, einen Tumor. Bei der Extirpation des Tumors wurde gleich- zeitig die Mamma supernumeraria in Zusammenhang mit dem Tumor entfernt. Ein Querschnitt durch den Drüsenkörper der kleinen Brust zeigte typisches Drüsengewebe, etwa wie es sich in einer jugendlichen männlichen Mamma vorfindet. Zusammenhang des Tumors mit einem Lobulus aberrans der Mamma supernumeraria konnte nachgewiesen werden, so dass also dieses ein Fall von Geschwulstbildung bei - echter Hypermastie ist (25). 6. Hr. OÖ. Gross berichtet in einem Briefe an R. VircHoW von der Mutter eines Rekruten, die, wie der Sohn, auf der rechten Seite unterhalb der normalen eine überzählige Warze hatte. Während der Laktation soll aus der zweiten Warze Milch ausgetreten sein (16). 7. Bryant hat ein Mädchen von 6 ‚Jahren gesehen mit einer überzähligen Warze an der linken Seite unter der normalen, bei 19] UEBER HyPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 19 welchem die Vagina fehlte und die Clitoris so lange wie der Penis eines Knaben war (ROGER Ww. 33). 8. Sneppon beobachtete bei einem 4jährigen Mädchen auf der rechten Seite eine supernumeräre Warze mit Areola. Da die beiden Mammae unmittelbar untereinander sassen und die obere sich höher als die Brustwarze der linken Seite befand, war es unentschieden, welches die überzählige sei (37). 9. G@. DE MOoRTILLET bemerkte unter der linken Brustdrüse einer Frau eine kleine dritte Brust mit guter Warze und dunklem Warzen- hof. Dieselbe war immer für ein gefärbtes Mal gehalten worden, während der Schwangerschaft wuchs dieses Mal und liess leicht Milch ausdrücken (HExnıG 19). b) Vorhandensein mehrerer überzähliger Warzen unterhalb der normalen: 1. Bei LEICHTENSTERN finden sich 18 Fälle, die im Ganzen vier Brustwarzen besitzen, indem jederseits einwärts von der Mamillar- linie eine accessorische Warze sass. Milchsekretion wurde bei sechs Fällen ausdrücklich bemerkt (24). 2. BLANCHARD berichtet: In Montijo (Badajoz) existirt eine Frau, welche vier Brüste besitzt. Zwei sind an der gewöhnlichen Stelle gelegen, die beiden andern, welche kleiner sind, liegen direkt senk- recht 2 cm unterhalb der normalen, die Brustwarzen jeder Seite mit einander correspondirend. Die Frau war Amme bei dem Bahnhofs- inspektor zu Montijo. Sie säugte mit ihren vier Brüsten, welche alle reichlich Milch absonderten (7). 3. Dr. WuiLrorD berichtet einen Fall einer 3Sjährigen Frau, Mutter von fünf Kindern. Ungefähr 3 Zoll unterhalb der Brustwarze jeder Seite fand man eine rudimentäre Brustdrüse. Nach der Ent- bindung vergrösserten sie sich und gaben ungefähr zwei Monate Milch (BLANCHARD 7). 4. TARNIER sah selbst eine Frau mit vier Brüsten, welche in der Entbindungsanstalt starb. Zwei Brüste nahmen die normale Lage ein, während zwei andere vollständig entwickelt an der oberen und seitlichen Partie des Abdomens gelegen waren. In allen vier Brüsten fand sich reichlich Drüsengewebe (RoGER Ww. 33). 5. BartoLın hat eine Frau mit einem Paar überzähliger Mam- mae wie bei der vorigen gesehen (ROGER Ww. 33). I. AccessorischeMammillen, welcheoberhalb der normalen sitzen: b 1. In LEICHTENSTERN’s Casuistik finden sich 3 Fälle, die sämmt- 9* 90 SELL: [20 lich zwei nach aussen von der Mammillarlinie gelagerte accessorische Warzen hatten. Alle Drüsen secernirten Mich (24). 2, WIEDERSHEIM berichtet über einen in der medicinischen Wochenschrift von Tokio veröffentlichten Fall. Derselbe betraf ein 19jähriges japanisches Mädchen, welches im Hospital zu Fukui zur Untersuchung kam. Sie zeigte sich im Uebrigen normal entwickelt, uml war vom 15. Lebensjahre an menstruirt. Ueber der normalen gut ausgebildeten Warze, 4 cm von letzterer entfernt, sitzt jederseits eine zweite, erbsengrosse Warze, dunkel pigmentirt und überhaupt ganz von demselben Verhalten wie die richtige Warze. Nach oben und ziemlich weit lateral von der normalen Mamma befindet sich jederseits noch eine zweite kleinere Mamma mit je einer Warze (45). 3. HANsEMANN berichtet einen Fall von Yypermastie bei einer 45jährigen Nähterin. Ueber den sehr kräftigen, normalen, mit brei- tem Hof versehenen Brüsten befinden sich etwas nach aussen 2 weitere, die kleiner sind, als die erste und wohl eine Warze, aber so gut wie keinen Hof besitzen, die rechte sass 13 cm die linke 11 cm über der normalen. Auf der linken Seite befand sich 5 cm oberhalb der accessorischen noch eine weitere Erhöhung, die eine deutliche mit Oeffnung versehene, aber sonst recht unentwickelte Brustwarze darstellte. Unter allen fünf Warzen fühlte man reichliches Drüsengewebe. Bei jeder Schwangerschaft lieferten die Drüsen reichlich Milch (17). 4. QuinQuAUD erzählt von einer Patientin von 24 Jahren, die ausser dem normalen Brustdrüsenpaar ein anderes kleineres über diesem gelegenes Paar hatte, über der Mitte jedes vorderen Achsel- randes. Jede war von der Grösse einer kleinen Orange und mit gut geformter Warze und Areola versehen. Während der Lactation gaben diese Drüsen Milch (34). Unter diese Gruppe reihe ich noch die Achselbrüste. 5. Bei LEICHTENSTERN finden sich vier Fälle, wovon drei in jeder Achselhöhle eine accessorische Brust besassen, einer nur eine solche in der linken. Alle Drüsen sonderten Milch ab (24). 6. GILLıcupDY berichtet: Mrs. Mac. A., 24 Jahre alt, physisch sehr gut entwickelt. Dieselbe besass jederseits in der Axilla eine breite, braune, überzählige Areola von einer helleren Farbe als die der normalen Brüste, von einer Warze war jedoch keine Spur zu bemerken. Die Milch floss kontinuirlich durch Hautporen aus, am meisten, wenn sie stillte (15). | 21] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 9] 7. Ebenfalls von GıLLıcuppy berichtet: Mrs. E. hatte zwei Kinder, bis zur zweiten Geburt merkte sie nichts. Vier Tage nach der Geburt floss Milch aus der linken Axilla. Bei der Prüfung wurden zwei breite Oeffnungen gesehen mit zwei oder drei kleineren in derselben Region. Die Milch floss hauptsächlich während sie stillte (15). 8. PERREYMOND berichtet von einer Frau von 27 Jahren, die kurz nach ihrer zweiten Niederkunft einen Tumor von der Grösse eines Taubeneies in ihrer rechten Axilla bemerkte. Er war beweg- lich und nicht in Zusammenhang mit der Brust. Auf ihm befand sich eine kleine Warze von einer Areola umgeben. Auf Druck ent- leerte sich Milch (RoGER Ww. 33). 9, GARLAND beobachtete bei einer Frau, die von ihrem dritten Kinde entbunden wurde, in jeder Axilla eine Anschwellung von der (Grösse eines Gänseeies, parallel dem Rande des M. pectoralis maior. Von der normalen Mamma war sie vollkommen isolirt. Aeussere Oeff- nungen waren keine sichtbar. Die Anschwellungen verschwanden nach einiger Zeit wieder (14). IH. Mamillae accessoriae ober- und unterhalb der normalen: 1. NEUGEBAUER berichtet von einem 22jährigen Dienstmädchen aus Warschau, das am 9. April 1886 in dem unter Leitung des Herrn Dr. BregansKı stehenden Gebärasyl unehelich rechtzeitig mit einem ausgetragenen, lebenden Mädchen ohne Kunsthilfe nach zwei- ter Schwangerschaft niederkam. Ihr erstes Kind hatte sie selbst genährt und damals an ihren Brüsten nichts wahrgenommen, ausser einigen braunen Pigmentflecken an der vorderen Thoraxwand. Nach der zweiten Entbindung bemerkte sie schon am zweiten Tage des W ochen- bettes ein lästiges Nasswerden unter den Armen und Aussickern von Milch aus mehreren der erwähnten Pigmentflecke. Bei der mehr- fachen Untersuchung wurde gefunden, dass sie ausser den beiden den normal geformten, üppig entwickelten, hängenden Brüsten aufsitzenden Warzen noch jederseits zwei überzählige pigmentirte Brustwarzen hatte, endlich fanden sich zwei accessorische Brustwarzen ohne pigmentirten Hof in den beiden Achselhöhlen. Unter den hängenden Brüsten verborgen, zeigten sich dann noch zwei weitere pigmentirte Brustwarzen, von denen die linke mehrere Centimeter tiefer lag als die rechte, so dass also die Gesammtzahl 10 Brustwarzen betrug. Saugte das Kind aus einer der normalen Brustwarzen, so sickerte beständig aus den beiden axillaren Warzen Milch hervor. Die übrigen sechs über- zähligen entleerten nur auf Druck Milch (28). 22 SELL: [22 IV. Mamillae accessoriae an aussergewöhn- lichen Orten: 1. Von Paurısus und HELBIG wird je ein Fall von Mamma accessoria dorsalis beschrieben. Die Fälle sind von LEICHTENSTERN und einer Reihe anderer Autoren citirt, so dass es unnöthig ist, ihre Beschreibung noch einmal zu wiederholen (24). 2. PvEcH berichtet ebenfalls von einer Frau, die eine rudimen- täre überzählige Mamma an der rechten Schulter nahe der Axilla hatte und eine andere unter der linken Brust (3). 3. Ein Fall von Mamma accessoria an der Innenfläche der linken grossen Schamlippe wird von HArrunG beschrieben. Ein anderer an der Aussenseite des Oberschenkels von ROBERT in Marseille. Beide sind oft und von zahlreichen Autoren ceitirt (18). 4. Einen gleichen Fall beobachtete Testur bei einer Frau, welche sich in der Entbindungsanstalt zu Bordeaux aufnehmen liess. Dieselbe besass eine accessorische Mamma an der inneren Seite des rechten Oberschenkels, in geringer Entfernung unterhalb der Scham- falte. Die Drüse war Sitz einer wirklichen Sekretion (44). 5. Ueber einen Fall, wo die accessorische Mamma in der Median- linie sass, berichtet GILLICUppY: Rosa R., 7 Wochen alt, wurde in die Klinik des Dr. M. R. RıcHArp gebracht. Sie zeigte eine über- zählige Brustdrüse in der Medianlinie etwas oberhalb der nor- malen (15). Ueber Gynäkomastie. Unter Gynäkomastie versteht man das Auftreten weiblicher Brüste bei Männern. Dieselbe ist eine in der Pubertätszeit öfter auftretende Erscheinung, Beschreibungen derartiger Fälle sind jedoch in der Literatur nur sehr wenige vorhanden. Ausser einigen unbe- stimmten Angaben fand ich solche nur in Hyrrr’s Topographischer Anatomie und in HEnnıG’s Arbeit (19) über menschliche Polymastie und Uterus bicornis verzeichnet. Durch die Güte des Herrn OrTTo AMMoN, der gelegentlich der Rekrutenaushebungen mehrere Fälle von Gynäkomastie beobachten konnte, bin ich in den Stand gesetzt, ‘ In der Anordnung dieser Casuistik bin ich der grösseren Einfachheit halber der bei LEICHTENSTERN getroffenen gefolgt. In dem Literaturverzeichniss finden sich noch einige Arbeiten englischer und französischer Autoren über Hyperthelie, die noch einige Fälle accessorischer Warzen bei Frauen enthalten mögen, da mir aber diese Arbeiten weder durch die Freiburger noch durch die Münchener Bibliothek zugänglich waren, konnten sie nicht berücksichtigt werden. 23] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE, 23 diese Fälle zu veröffentlichen. Ich verfehle nicht, Herrn Ammon, der sich um die Anthropologie Badens so hervorragende Verdienste erworben hat, für sein liebenswürdiges Entgegenkommen meinen besten und aufrichtigsten Dank auch an dieser Stelle auszusprechen. Drei jener Fälle wurden mir durch Herrn Ammon selbst am 7. Januar 1894 in Karlsruhe vorgestellt, so dass ich Gelegenheit hatte, sie genau zu untersuchen. Nachstehend folgen zunächst die Beschrei- bungen dieser, sowie von fünf aus der Literatur gesammelten Fälle. I. Johann R. aus Eppingen, geboren am 28. Juli 1873, Ziegel- arbeiter, zeigte, als ich ihn am 7. Januar 1894 untersuchte, im Liegen eine Grösse von 162,5 cm. Sein Gewicht betrug 60,5 kg und der Brustumfang oberhalb der Warze gemessen, um Unrichtigkeiten wegen des starken Vorspringens der Brust zu vermeiden, war wäh- rend der Exspiration 87 cm, während der Inspiration 95 cm. Der Knochenbau war derb, Fettpolster und Muskulatur gut. Sowohl auf der rechten, wie auf der linken Seite hatte er Brüste, wie sie nach Messungen von OTTO Ammon einem Landmädchen von 15 Jahren oder einem Stadtmädchen von 13 Jahren zukommen, nur mit dem Unterschied, dass der Thorax nach aussen von der Brust, etwas mehr als dieses bei einem Mädchen der Fall ist, vorsah. Die Brust hatte rechts einen Durchmesser von 6,5/10,5 cm, links von 7,0/11,0 cm. Das reichlich entwickelte Drüsengewebe liess sich leicht durchfühlen und besass eine feste Konsistenz. Etwas von der Mitte der Brustdrüse weg nach aussen befand sich ein braun pigmentirter Warzenhof, in dessen Öentrum sich eine gut abgesetzte, auf mecha- nischen Reiz stärker werdende Warze erhob. Den Warzenhof genau zu messen war nicht möglich, da er bei Berührung seine Gestalt veränderte, derart, dass er aus einer mehr länglichen Form in eine runde überging. Während der vorgenommenen Messung betrug der Durchmesser des Warzenhofes rechts 27/30 mm, links 28/30 mm. Von Sekretion war keine Spur nachzuweisen. Die Geschlechtstheile sind normal entwickelt, aber doch noch nicht sehr fortgeschritten, was wohl, da er noch sechs Geschwister hatte und sein Vater erwerbsunfähig war, mit den ärmlichen und ungünstigen Lebensbedingungen, unter denen der junge Mann auf- gewachsen ist, in Zusammenhang steht. Die Schamhaare sind reich- lich vorhanden. Bart und Achselhaare sind erst im F'ntstehen be- griffen. Der rechte Testikel hatte eine Länge von 43mm und eine Dicke von 25mm, der linke eine Länge von 46mm und eine Dicke von 265mm. Als Ammon ihn am 25. September 1893 untersuchte, 24 SELL: [24 betrug die Länge des Testikels rechts 42mm, die Dicke 25mm, links 46mm, resp. 25mm. Bei der Untersuchung am 7. Januar 1894 er- gab sich also eine Volumenzunahme der Testikel. Die Brustdrüsen dagegen zeigten eine Abnahme im Vergleich zur früheren Unter- suchung. Damals fand AMmMON einen Durch- messer der Brustdrüse rechts von 7,3/10,8 cm, links von 7,1/10,0 cm. Vergl. Fig. 1, welche nach einer am 25. Sep- tember 1893 aufgenom- menen Photographie an- gefertigt ist. IL... Budolf3D# Schneider aus Durlach, geboren am 16. August 1874 zeigte dieselbe Ab- normität wie der vorige. Sein Körperbau ist weniger kräftig wie der des ersten, kann jedoch auch nicht als schwäch- lich bezeichnet werden. Seine ganze Grösse betrug am 7. Januar 1894 liegend 158,5 cm, sein Körpergewicht war 49,5kgr. Der Brustum- fang während der Ex- piration 82cm, während der Inspiration 87,5 cm. Auf beiden Seiten zeigte er grosse Brust- drüsen mit vorspringendem hell pigmentirtem Warzenhof, in dessen Mitte eine etwas kleinere Warze als beim vorigen Falle sich befand. Die Warzenhöfe verhielten sich auf mechanischen Reiz hin gerade so wie die des ersten. Sekretion war keine nachzuweisen. Die Masse betrugen am 7. Januar 1894: Fig. 1. rechts links Durchmesser der Brustdrüsen 4,5/5,0cm 4,5/5,2cm, a der Warzenhöfe 2,4/2,7 „ 2,5/2,8:% 25] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND (YNÄKOMASTIE. 95 Bei der ersten Untersuchung durch Ammon fanden sich folgende Masse: rechts links Durchmesser der Brustdrüsen 4,5/5,0cm _4,5/5,8cm, n der Warzenhöfe 2,4/2,6 „ 2,5/3,0 „ D. selbst behaup- tete, dass die Drü- sen früher dop- pelt so gross ge- wesen seien. Jeden- falls zeigt sich auch hier mit zunehmender Geschlechtsentwicke- lung eine Abnahme des Brustdrüsengewebes. Die Geschlechtstheile sind im übrigen nor- mal. Die Schamhaare sind reichlich, Bart und Achselhaare noch sehr spärlich, letztere besitzen eine Länge von 3—4cm. Die Testikel zeig- ten folgende Masse: rechts links Bei der ersten Untersuchung Länge 42mm 40 mm Dicke: /237,. 221. , Bei der zweiten Untersuchung Länge 45 „ 4 Dicke 4 ,„ 24, (Vgl. Fig. 2, welche nach einer Photographie angefertigt ist.) III. Valentin F., Maurer aus Mörsch wurde am 11. August 1876 geboren. Derselbe wurde wiederholt auf Gynäkomastie unter- sucht und ich bin daher in der Lage, genaue Masse der Brustdrüse von ihrem Entstehen bis zu ihrem Vergehen zu geben. Die ganze 26 SELL: [26 (srösse des jungen Mannes betrug im Liegen l5lcm. Der Brust- umfang während der Exspiration betrug 76cm, während der Inspira- tion 82cm. Im Verhältniss zu dem für sein Alter hinreichend breiten Thorax waren seine Geschlechtstheile nur sehr wenig entwickelt, der Penis und die Testikel zeigten ein noch ganz kindliches Aussehen. Die bei den wiederholten Untersuchungen vorgenommenen Messungen ergaben: | Warzenhof- | Brustdrüsen- | Datum. | durchmesser. | du durchmesser. Scham- | Achsel- Besondere | = a mes |Whenre. haare. Bemerkungen. rechts | links rechts links | mm mm | mm mm 8. Juni | 20/28 | 20/288 | — — Spitzen v. — — 1893. | | | | 5mm | 20. Juli | 19/21 | 17/20 | 15/15) — |Spitzenv. — Schamhaare sehr 1893. m | ı 5mm verbreitet. 21. Septbr. | 21/21 20/22 | 10/10 | — Spitzen v. — Beid. Warzenhöfe 1893. | | | ' 10mm hlass links mehr. 2. Oktbr. | 22/26 | 22/26 | 11/11j — |Spitzen v. — Drüse undeutlich 1898. | | 10mm weich. 26. Dezbr. | 18/22 | 18/22 F ganz, 18/18 Spitzenv.| — Stimme 1893. | gangen., | 10mm | mutirend. 7. Jan. |18/22 18/92) — |Kaum |Spitzenv.| — | — 1894. | | | "Spar | 10mm IV. Pius N. geb. am 3. April 1879. Notizen über diesen Fall, den ich selbst nicht gesehen, verdanke ich den Aufzeichnungen des Herrn Orro Ammon. Die Masse bei den öfters vorgenommenen Untersuchungen ergaben: | | Warzenhof- | Brustdrüsen- | Scham- | Achsel- Besondere Datum. | durchmesser. durchmesser. haare. | haare. | _, SR [Or a nee Pre Hl - Bemerkungen. rechts links ‚rechts links | Länge. | Länge. | 23 ——— = | mm | mm mm mm | 3. April | 18/22 | 18/722 | — — | Blass nur | = ’ . | wenig 1893. | | 1-1,2em. : | 14/16 |1-2em, i — Zr 1. Juni 14/18 | 14/18 | 14/16 | 14/16 | ee 1893. | | | wenig. 5. Juli | 17/17 | 18/18 | 18/18 | 20/20 [Seitw. 2 bis| wenig Vorstehende 1893. 9| | 1—-1,5cm. | lem. Warzenhöfe. 7. Septbr. | 17/20 | 17/20 | 17/20 | 18/22 | 2—4cm | wenig Harte Brust. 1893. || | | lang. |1—1,5 cm. 6. Oktbr. |, 19/20 | 19/20 | 18/19 | 19/20 | 24cm | wenig | her 189. | | | | lang. |1-1,5cm.| 4. Novbr. | 15/16 | 16/17 | 18/18 | 19/19 | 1—4 cm. | 1-2 cm. _ 1893. | | | 27] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 97 V. Diesen Fall beobachtete ich bei einem Soldaten S., der im Lazareth zu Karlsruhe lag. Derselbe war ein grosser Mensch von sehr schlechter Haltung, der ganze Thorax schien eingesunken. Beiderseits hatte er Brüste mit stark vorspringenden, rosaroth tingirten Warzenhöfen, in deren Centrum sich eine wohlausgebildete Warze erhob. Die Brustdrüse hatte rechts einen Durchmesser von 17/17 mm, links von 16/16mm, der Durchmesser des Warzenhofes betrug rechts 19/29 mm, links 21/23mm und die Warze hatte beider- seits 5/5mm Durchmesser. Sekretion war keine nachzuweisen. Ausser diesen vier Fällen hat Herr OTro Ammon wiederholt Beobachtungen von Brustdrüsen beim männlichen Geschlecht ge- macht. Dieselben gingen jedoch alle nach dem Eintritt der Pubertät zurück und verschwanden schliesslich vollständig. Sekretion war in keinem einzigen Falle nachzuweisen. Beim Durchsuchen der Literatur fand ich noch folgende Fälle von Gynäkomastie, VI. HumsorLp und BoxpLann sahen in Südamerika in Arenas einen Arbeiter Namens Franzisko Locano, 32 Jahre alt, welcher sein Kind mit eigener Brust nährte, nachdem die Mutter desselben kurz nach der Geburt durch den Tod hinweggerafft wurde. (Hyekrr, Topographische Anatomie.) VII. JarsavAay berichtet von einer Geschichte eines Matrosen, bei welchem das Saugen seines Kindes, welches er in Verzweiflung über den Tod seiner Frau an die nackte Brust legte, so viel Milch- sekretion bewirkte, dass er das Kind selbst zu stillen vermochte. (Hyrrı, Topographische Anatomie.) VIII. MorGAn berichtet von einem 21 Jahre alten Seemann, der in das „Royal Naval Hospital Hongkong“ am 14. Mai 1875 wegen einer Vergrösserung der rechten Brust aufgenommen wurde. Bei der Prüfung zeigte sich auf der rechten Seite eine Mamma, die in Form und Grösse ganz der einer ausgewachsenen Frau entsprach. Dieselbe besass eine vergrösserte, braun pigmentirte Areola. Die Warze entsprach jedoch in ihrer Grösse der der linken normalen Brust, der Mann will zuerst im Alter von 16'/z Jahren bemerkt haben, dass die rechte Brust breiter wurde als die linke. Seitdem wuchs sie stufenweise, bis sie ihre gegenwärtigen Dimensionen er- reichte. Sekretion hatte er nie bemerkt. Die Genitalorgane sind normal entwickelt. (27). IX, Ein 22jähriger Soldat, Schmelzer, war periodisch mit Milch gesegnet. Die milchende Brust war die linke. (HexnıG 19.) 28 SELL: [28 X. CLoOcHLOW beschreibt den Fall einer Milchdrüse beim Mann. Da mir diese Arbeit nicht zugänglich war, kann ich nichts weiter als das sich aus der Ueberschrift ergebende Vorgekommensein dieses Falles konstatiren. (11). Aus den vorliegenden Fällen "ersehen wir, dass die Anomalie bei im übrigen normal entwickelten Leuten auftrat; sonstige Miss- bildungen, insbesondere solche des Genitalapparates, zeigten sich weder bei meinen eigenen Fällen, noch fanden sich Beobachtungen dieser Art unter den in der Literatur erwähnten Fällen aufgezeichnet. Das Auftreten der Brustdrüsen fällt bei allen fünf mir zugänglich gewesenen Fällen in das Alter der Pubertät; dasselbe gilt für den von MoRGAN be- richteten Fall. Mit Ausnahme von Fall V befanden sich alle noch in der Entwicklung begriffen, was aus der geringen Zahl und Grösse der Scham- und Achselhaare sowie aus der bei den verschiedenen Messungen gefundenen Zunahme der Testikel sich ergab. Die Grösse der Brustdrüse war in keinem meiner Fälle eine konstante. Die Drüsen von I und II schienen bereits bei der ersten Untersuchung das Maximum ihres Volumens erreicht zu haben und zeigten schon nach Ablauf von 3!/a Monate eine geringe Grössen- abnahme. Noch schneller erfolgte die Abnahme bei III und IV. Bei diesen liessen sich die Grössenverhältnisse vom Entstehen bis zum Vergehen genau beobachten. Die ganze Dauer ihres Vorhanden- seins betrug ungefähr sechs Monate, innerhalb dieser Zeit stieg ihre Grösse bis auf ein gewisses Mass und nahm dann allmählich wieder ab, bis sie vollständig verschwanden. Das Wachsthum der Drüse einer Seite fand unabhängig von dem der anderen Seite statt, entweder trat zuerst die linke oder die rechte Drüse auf und beide verschwanden wieder zu ungleicher Zeit. Die gleiche Unabhängigkeit der einen Seite von der anderen hinsichtlich der Entwickelung der Brust besteht auch bei dem von MOoRGAN berichteten Fall, der zur Zeit der Untersuchung nur eine Brust besass, die freilich nach der beigegebenen Zeichnung von denen meiner Fälle etwas verschieden ist, indem sie das Aussehen einer ausgewachsenen weiblichen Mamma zeigt. Sehen wir von den von Hyrru und HEnnIG erwähnten Fällen ab und berücksichtigen wir die von Herrn OTTO AMmMoN wieder- holt gemachten Beobachtungen, von denen ich weiter oben bei der Aufzählung der Fälle gesprochen, so scheint also G@ynäko- mastie nur zeitweise aufzutreten und zwar meist im Alter der 29] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND (GYNÄKOMASTIE. 99 Pubertät, um dann mit vollendeter Reife allmählich wieder zu ver- schwinden. Was die Erklärung der Abnormität betrifft, so kann man wohl den von WIEDERSHEIM und anderen ausgesprochenen Gedanken nicht von der Hand weisen, dass es sich vielleicht hier ebenso wie bei Hyperthelie und Hypermastie um eine Rückschlagserscheinung handelt auf eine Zeit, zu der beide Geschlechter mit dem Säugegeschäft betraut waren. Daran dürfte vielleicht die gleiche Ausbildung der Milchdrüsen in ihrer ersten Anlage erinnern, die keinen mit unseren Sinnen wahrnehmbaren Unterschied zwischen männlicher und weib- licher Drüse erkennen lässt, ebenso wie die noch heute bei Mono- tremen vorhandene Uebereinstimmung im Bau der Milchdrüsen bei beiden Geschlechtern. Freilich sind wir hier nicht in der Lage, so vicle Anhaltspunkte für eine solche Hypothese wie bei der Hyper- !helie herbeizuziehen, denn einmal ist die Zahl der Beobachtungen von Gynäkomastie nur eine geringe, dann finden sich auch in der Thierreihe nur wenig analoge Beobachtungen, immerhin ist es eine bekannte und verbürgte Thatsache, dass dann und wann milchgebende Ziegen und Schafböcke vorkommen. So diente im landwirthschaft- lichen Institute zu Leipzig ein Ziegenbock mehrere Jahre hindurch zu chemischen Milchbestimmungen. Wenn eine neue Arbeit in dieser Richtung angetreten ward, bedurfte es jedesmal nur anhaltenden Melkens der Striche, um Milch herbeiströmen zu lassen. FÜRSTEN- BERG erzählt sogar von einem Ochsen, welcher Milch geliefert haben soll und ähnliches wird aus England von castrirten Schafböcken berichtet. Als weiterer Anhaltspunkt für die Annahme des Rückschlags könnte vielleicht das wirkliche Vorkommen von Milchsekretion bei (synäkomasten gelten, sichere Angaben darüber besitze ich nicht, da weder in dem Falle MorGAn noch bei meinen eigenen Fällen auch nur eine Spur von Sekretion nachgewiesen werden konnte. Ob die von HyrtL und HennıG erwähnten Fälle in dieser Hinsicht heran- gezogen werden dürfen, scheint mir zweifelhaft, da in keinem der Berichte eine Angabe vorhanden ist, ob die secernirte Flüssigkeit wirklich Milch gewesen ist. Die betreffenden Kinder können viel- leicht nur an die Brust gelegt worden sein, um ihnen zu ihrer Be- ruhigung etwas zu geben, woran sie saugen konnten, ähnlich wie man auch unseren Kindern sich hierzu eignende Gegenstände giebt. Da die beiden Leute Gynäkomasten waren, können sie leicht auf den (sedanken gekommen sein, dem Kind wenigstens einen theilweisen 30 SELL: 130 Ersatz der verlorenen Mutter zu bieten, und können von den Be- obachtern in dieser Situation gesehen worden sein. Dass Männer auf solche oder ähnliche Ideen kommen können, beweist auch die den Anthropologen bekannte Thatsache, dass es in Nordamerika Stämme giebt, bei denen die Sitte des Männerwochenbettes herrscht. Auch wüsste ich ferner keinen Grund, warum bei Männern Milch- sekretion zu beliebiger Zeit auftreten sollte, da die Milchsekretion bekanntlich beim Weibe nicht immer stattfindet, sondern nur in der Zeit nach der Geburt. Aus diesen Gründen möchte ich lieber unter- lassen, die in diesen Fällen berichtete Milchsekretion etwa zu einer Erklärung der Gynäkomastie in atavistischem Sinne zu verwerthen. Anders würde es sich verhalten, wenn die von HENNIG mitge- theilte, ausserhalb der gesetzmässigen Zeit vorkommende Milchsekretion bei Jungfrauen thatsächlich auf Wahrheit beruht, dann würden auch etwaige Bedenken, warum dieses nicht auch bei Männern, die Brust- drüsen besitzen, der Fall sein sollte, fallen. HexnıG bezeichnet das Auftreten milchgebender Jungfrauen als ein äusserst seltenes Vor- kommniss, aus der Literatur führt er drei Beispiele hierfür an. Das älteste betrifft ein Mädchen, welches in rührender Hingabe an ihren zum Hungertode verdammten Vater, diesem durch’s Ge- fängnissgitter hindurch ihren Busen reichte. Das regelmässige längere Saugen soll wirklich Nährsaft herbeigelockt haben. Diese Geschichte klingt so legendenhaft, dass man ihr wohl nicht ernsthaft wissen- schaftliche Bedeutung beimessen kann. Die beiden andern Fälle, welche von MorGA6nt (Epist. anat. XVI, 8 39) und ScAnzont her- rühren, dürfen eher als verbürgte Thatsachen aufgefasst werden. Morsasnt fand bei der Zergliederung eines geschlechtlich unberühr- ten Frauenzimmers die jugendlichen Brüste von Milch strotzend und Scanzont soll ebenfalls eine Jungfrau mit wahrer Milcherzeugung vorgekommen sein. Ferner gehören hierher die Erzählungen von AcostixaccHıo und G. Buzzı, dass ungeschwängerte, auch 50jährige Frauen mit Erfolg Säuglinge angelegt haben. Ueber ähnliche Erscheinungen aus der Thierwelt berichtet eben- falls HexniG: So soll es bei Katzen vorkommen, dass, wenn eine Katzenmutter umkommt, bisweilen die Grossmutter die noch un- selbständigen Kätzchen an ihre Zitzen nimmt, welche dann auch nicht selten, durch das Saugen angereizt, wieder wahre Milch geben. MoNTEsanTto sah eine hagestolze Hündin 3 Junge säugen (G. Veratti Bonon. Instit. Comment. II, p. 154). Dass Kastration männlicher Thiere eine Vergrösserung der Zitzen bewirkt und das Aussehen der- 31] UERER HyPERTHRLIE, HYPERMASTIE UND (HYNÄKOMASTIE. 31 selben dem weiblichen Typus nähert, ist von Kırr (21) festgestellt worden. Aehnliches soll auch bei Eunuchen gefunden werden. Beruhen obige von HENNIG gesammelten Fälle alle auf Wahr- heit, worüber genauere Nachforschungen über diesen Gegenstand Auf- schluss geben dürften, so würde man daraus vermuthen können, dass ursprünglich die Milchsekretion nicht an bestimmte Zeiten gebunden war, sondern dass rein mechanische Reize genügten, sie bei Menschen und Thieren auszulösen. Hiermit lässt sich die vielfach beobachtete Thatsache in Ver- bindung bringen, dass oft Neugeborene beider Geschlechter einige Tage nach der Geburt eine milchähnliche Flüssigkeit secerniren. Diese Thatsache wurde von einer ganzen Anzahl von Autoren be- obachtet und auch alle Hebammen wissen davon zu erzählen. BILLARD (35) sagt in seinen Abhandlungen über die Krankheiten der ersten Lebenstage, dass die Brüste bei Kindern oft genug Sitz einer Schwellung sind, die durch Anhäufung einer milchähnlichen Flüssigkeit verursacht ist, deren Menge so reichlich ist, dass man sie durch Druck herausspritzen kann. SCANZONI berichtet in einer 1852 veröffentlichten Arbeit, dass die Milchsekretion der Neugeborenen eine fast konstante Erschei- nung sei. In einer Arbeit von GUBLER (GUBLER, Societ& de biologie deuxieme serie J. II, p. 283) findet man ausser einer grossen Zahl von Beobachtungen eine von QUEVENNE gemachte Analyse der kind- lichen Milch, der zu Folge diese Flüssigkeit die Hauptsubstanzen der Milch Erwachsener enthält. DE Sın&ry (35) kommt auf Grund von Untersuchungen, die er im laboratoire d’histologie du College de France machte, zu folgen- den Schlüssen: Die Milch, welche man aus der Brustdrüse Neugeborener einige Tage nach der Geburt erhält, ist das Resultat einer wirklichen Sekretion. Der anatomische und physiologische Zustand der Brustdrüse, wie er dieser Periode zukommt, gleicht in vielen Punkten dem, wel- chen man während der Laktation bei erwachsenen Frauen beobachtet. Nach DE SimEry ist die secernirte Flüssigkeit niemals aus Trümmern degenerirter Zellen zusammengesetzt, sondern aus Fettkügelchen, welche dieselben Grössenverhältnisse und Eigenschaften haben wie die, welche man in der Milch Erwachsener sieht. Die Produktion von Milch ist jedoch bei Kindern niemals sehr reichlich im Vergleich 39 SELL: [32 zu der der erwachsenen Frau. Diese Citate mögen genügen, um das Vorkommen von Milchsekretion bei Neugeborenen darzuthun. Wir hätten also im Ganzen 5 Momente, die für eine ursprüng- lich gleiche Betheiligung beider Geschlechter am Säugegeschäft sprächen. 1. Die ursprünglich gleiche Ausbildung der Milchdrüsen in ihrer ersten Anlage bei beiden Geschlechtern. 2. Das gleichmässig bei beiden Geschlechtern vorhandene Auf- treten von Milchsekretion einige Tage nach der Geburt. 3. Die auch bei Männern in der Pubertätszeit hie und da wie bei Frauen auftretende Entwickelung von Brustdrüsengewebe und even- tuell auch die bei beiden Geschlechtern nur auf mechanischen Reiz hin vorkommende Absonderung von Milch (?). 4. Die der Gynäkomastie analogen Beobachtungen bei Thieren. 5. Die gleiche Ausbildung des Milchdrüsenapparates beider Ge- schlechter bei Monotremen. Fassen wir das in dem Abschnitt über Hyperthelie und Hyper- maslie Gesagte mit diesem zusammen, so weisen alle geschilderten Thatsachen darauf hin, dass der Mensch und die Säugethiere nicht nur mehrbrüstige Urahnen gehabt haben, sondern dass auch ursprüng- lich beide Geschlechter, auf mechanischen Reiz hin, Milch zu secer- niren im Stande waren, dass dann im Laufe der Entwickelung, da die Drüse nur, wenn Junge vorhanden, in Anspruch genommen wurde, die Sekretion an bestimmte Zeiten gebunden ward und beim männ- lichen Geschlechte schliesslich ganz in Wegfall kam. Zum Schlusse meiner Arbeit ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. WIEDERSHEIM, für die Ueberweisung des Themas, sowie für die freundliche Unter- stützung bei dieser Arbeit meinen wärmsten und aufrichtigsten Dank auszusprechen. 33] UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. 33 Literatur. 1) Antrern. Missbildung und Rückschlag. Centralblatt f. Gynäkologie 1878. No: 17, pP. 387. 2) Barapan, S. Lobules mammaires erratiques simulant des ganglions axillaires en cas de tumeurs du sein. Revue medicale de l’Est Nancy 1890 T. XXI, p. 257. 3) v. BARDELEBEN, K. Die Häufigkeit überzähliger Brustwarzen besonders beim Manne. Verhandl. d. anat. Ges. auf der 5. Versammlung 1891. S. 247. 4) — — Weitere Untersuchungen über Hyperthelie bei Männern. Anat. An- zeiger Jahrg. VII 1892. No. 3. S. 87. 5) — — Massenuntersuchungen über Hyperthelie beim Manne. Verhandl. d. anat. Ges. auf der 7. Vers. 1893. 6) BARTELS, M. Ueberzahl der Brustwarzen. Archiv f. Anat. u. Phys. 1875. 745—1751. 7) BrancHARD. Sur un cas de polymastie et sur la signification des mamelles surnume6raires. Bull. de la Societe d’anthropologie. Seance du 19 Mars 1885. 8) Bonnet. Die Mammarorgane im Lichte der Ontogenie und Phylogenie. 9) Bruce, J. M. On Supernumerary Nipples and Mammae With an Account of Sixty-five Instances observed. Journ. of Anat. and Phys. 1879. Vol. XIII, p. 425—448. 10) Bu£. Note sur un cas de mamelle supplementaire. Arch. tocol. et gynee. V. 20. N. 6, p. 431-435. 11) CrocaLow. Ein seltener Fall von einer Milchdrüse beim Mann. Wojenno- ssanitarnoje delo 1889. No. 17. (Russisch.) 12) Duvar. Du Mamelon et de son aureole. Paris 1861, p. 90. 13) Ever, E. Ein Fall von Folymastie beim Mann. Archiv f. Anthrop. Bd. XX. 1891. S. 105—112. 14) GArRLAND, OÖ. H. Notes of a Case of Supplementary Axillary Mammae. Edinb. medical Journal July 1877, p. 45. 15) GırLieunpy, T. S. The Mammae and their Anomalies. Medical Record New York 1891. Vol. XL, p. 446. 16) Gross, V. Erbliche Polymastie beim Menschen. Verhandl. Berlin. Ges. f. Anthropol., Ethnol. und Urgeschichte. Z. f. Ethnol. Bd. 24. 1892. p- 508. 17) Hansemann, D. Polymastie und Polythelie. Versamml. der Berlin. Ges. f. Anthropol. 1889, p. 434—440. 18) Harrung. Ein Fall von mamma accessoria. Inaug.-Diss. Erlangen 1875. 19) Hennig, K. Ueber menschliche Polymastie und uterus bicornis. Arch f. Anthropol. Bd. XIX. 1890. S. 185—204. 20) HILBEET, R. 4 Brustdrüsen beim Mann. Memorabilien Jg. 27. N.F. Jg. 12. H. 3, p. 129131. 21) Kırr, Ju. Zur Kenntniss der Milchdrüsenpapillen unserer Hausthiere. Deutsche Zeitschrift für Thiermediein und vergl. Pathologie. Bd. VIII. 1882, p- 245. 22) KÜcKENTHAL. Beispiele embryonaler Hyperthelie. Denkschrift der Med, Naturw. Ges. zu Jena. Bd. III. H, 2. S. 355. Berichte IX. Heft 1. 3 34 SELL: UEBER HYPERTHELIE, HYPERMASTIE UND GYNÄKOMASTIE. [34 23) Latoy, L. Un cas nouveau de polymastie. L’anthropologie Tome III. 1892. No.2. S. 174—192. 24) LEICHTENSTERN. Ueber das Vorkommen und die Bedeutung supernumerärer Brüste und Brustwarzen. Auf Grund eigener und 92 aus der Literatur gesammelter Fälle. Virch. Arch. 1878. Bd. 73. S. 222—256. 25) Martın, E. Beitrag zur Lehre von der Polymastie und ihrer Beziehung zur Entwicklung von Brustdrüsengeschwulsten. Arch. f. klin. Chir. Bd. 45. H.4, p. 880—891. 26) MascHAaT, G. Anomalies de la mamelle. These de Paris 1883. 27) Morsan. 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Recherches sur la mamelle des nouveau-nes. Arch. de physio- logie T. II 2 Ser. Tann. No. 34 Mai-Juill. p. 291—301. 36) SLEET, W. E. Supernumerary Breasts in the Female. Amer. Practit. and News. 1892. NS. V. 37) SnEDDon Ww. On numerical anomalies of the breasts with remarks on the causes of deformities. The Glasgow Medical Journal. Vol. X, p. 6978, 38) ScHULTZE, O. Milchdrüsenentwicklung und Polymastie. Physikalisch medi- cinische Gesellsch. zu Würzburg. Sitzung am 7. Mai 1892. No. 24, p. 432—433. 39) — — Ueber die erste Anlage des Milchdrüsenapparates. Anat. Anz. VII. Jahrg. 1892. S. 265—278. 40) — — Milchdrüsenentwickelung und Polymastie Sitz. Ber. d. Würzburger Physikal. Medic. Ges. zu Würzbure. N. F. XXXI. Bd. 1893. 41) Surron, J. B. .J Supernumerary mammae and nipples in man, monkeys, caws etc. American journal of medical scienses. Vol. 97. No.3. p. 247—8257. 42) — — A supernumerary Nipple. Illustrated Medical News London. Vol. VI. 1893. 43) Tayon. De la Variabilite des mamelles chez les Ovides des basses Cevennes, Comptes rendus No. 16. p. 930—933. 44) Testut. Note sur un cas de mamelle crurale observe chez la femme. Bulletins de la societe d’anthropologie de Paris 1891, p. 757—759. 45) WIEDERSHEIM. Der Bau des Menschen als Zeugniss für seine Vergangenheit. 2. Aufl. ‚Freiburg i. B. 1893, p. 17. 35] 1 Die Wirbelsäule der Gymnophionen. Von Karl Peter. Aus dem anatomischen Institut der Universität Freiburg i. B. I. Historisches. Die Stellung der @Gymnophionen im System der Vertebraten ist von jeher eine sehr unsichere und abgesonderte gewesen. Während die Gymnophionen früher, von CuviEr, FITZINGER, BONAPARTE, den Repti- lien zugewiesen worden waren, zeigte DUMERIL 1807 zuerst ihre nähere Verwandtschaft mit den Amphibien. WAGLER stellte sie 1330 allen übrigen Amphibien, die er Ranae nannte, als gleichwertig. gegen- über, vermutete aber schon, u. A. „aus der Gestalt der Rücken- wirbel und der Art des Zusammenhangs unter sich“, ihre verwandt- schaftlichen Beziehungen zu den Urodelen, speziell den Derotre- men. DUMERIL und Bißrox schlossen sich seiner Einteilung in ihrer Erpetologie generale 1841 an, später bildete man allgemein aus den Amphibien drei gleichgestellte Gruppen, die der Apoda, Caudata und atrachia. WVIEDERSHEIM (31) raubte den Caecilien in seiner „Anatomie der Gymnophionen“ definitiv ihre exceptionelle Stellung, wies sie den Urodelen zu, betonte ihre Aehnlichkeit mit den Derotremen und suchte ihre Vorfahren in den Stegocephalen, im besonderen den Labyrinthodonten. CopE (4) sprach sich ebenso bestimmt für die Zusammengehörigkeit der Caecilien und Urodelen aus, indem er erstere durch die Urodela und Proteida von den Stegocephalen abstammen lässt, die andrerseits direkte Stammeltern der Anura seien. Später (5) ging er noch weiter: er stellte sie mit den Amphiumiden zusammen. Die Vettern Sarasın (27) glaubten endlich auf Grund übereinstimmender entwicklungsgeschichtlicher 3* D) PETER: [36 und biologischer Thatsachen in den Amphiumiden die Larven der (symnophionen erblicken zu können, die durch Neotenie auf dieser niedrigen Stufe stehen blieben. Der Gedanke, Amphiuma als ge- schlechtsreif gewordene Larve höher entwickelter Amphibien anzu- sehen, lag schon nicht fern, wenn man seine Aehnlichkeit mit dem Larvenstadium der Salamandrinen in Betracht zog. Als nun FıLıppı geschlechtsreife Larven von 7riton alpestris auftand, und andrerseits Dum&rın und Frl. v. Omauvin die Umwandlung des Siredon in Amblystoma beobachteten, schien die Ansicht, dass die gesammten Perennibranchiaten und Derotremen nichts anderes als Larven seien, gewiss berechtigt. CoPE glaubte weiter in Batrachoseps die ent- wickelte Form von Menobranchus gefunden zu haben, und Sören wird von WILDER (36) „a larval form, like Siredon, but a degenerate and modified one“ genannt. Auch der Umstand, dass die Gymno- phionen anscheinend auf einer noch niedrigeren Stufe stehen, als die Ichthyoden, würde nichts gegen CoPE’s Ansicht beweisen; sehen wir doch z. B. bei den Krebsen noch viel weitergehende Rück- bildungen des reifen Thieres (Peltogaster, Sacculina, Lernanthro- pus etc.), das oft nur einen unförmlichen eiergefüllten Sack vorstellt, während die Naupliuslarven verhältnissmässig hoch organisirt sind. Ist Cope’s Hypothese richtig, so müssen wir in den Organen, die im Laufe der phylogenetischen Entwicklung sich von grosser Konstanz zeigen, die Verwandtschaft der Amphiumiden und Oaecilien beweisen können, andererseits aber die Abweichungen an diesen und die Verschiedenheiten im übrigen Bau durch Anpassung an eine veränderte Lebensweise erklären. Zu den erstgenannten Organen gehört neben dem Nervensystem das Skelet. Dieses erleidet natür- lich auch Umwandlungen gemäss der Umbildung des ganzen Körpers, immerhin aber berechtigt seine relative Gleichartigkeit durch die Klasse der Vertebraten hindurch zu der Annahme, dass es die Charaktere seiner Vorfahren mehr oder weniger treu bewahrt und so von grosser Bedeutung für die Verwandtschaftsfrage ist. In noch höherem Grade gilt dies von der Wirbelsäule, als dem ältesten Theile des „inneren Skeletes“, Die folgenden Beobachtungen erstrecken sich auf die Wirbel- säule der Gymnophionen. Schon WIEDERSHEIM betont ihre Aehn- lichkeit mit der der meisten Urodelen im Gegensatz zu der Verschieden- heit in anderen Organen; immerhin finden sich bedeutende Abwei- chungen vom gewöhnlichen Amphibientypus, zu deren Verständniss andere Urodelenordnungen, besonders Derotremen und Perenni- 37] Die WIRBELSÄULE DER (GYMNOPHIONEN. 3 branchiaten zur Untersuchung hinzugezogen werden mussten. Doch auch diese besonderen Eigenschaften lassen sich, wie ich glaube, durch die Lebensweise der Blindwühlen erklären. Leider wissen wir von ihnen wenig mehr, als dass sie ein unterirdisches, grabendes Leben führen, allein hier erleichtert uns der Vergleich mit zwei ganz entfernt stehenden Reptiliengattungen von gleicher Lebensweise, den Typhlopiden und Amphisbaeniden, die Zurückführung mancher Eigen- tümlichkeit auf das Grabgeschäft; es leuchtet ein, dass die Ana- logien, welche diese mit unseren Schleichenlurchen darbieten, nur auf konvergenter Anpassung und nie auf Rückschlag oder gleicher Abstammung beruhen können. II. Allgemeine Gestalt der Wirbelsäule und Wirbel. Was zunächst die allgemeine Gestalt der Wirbelsäule der Gym- nophionen anbetrifft, so fällt die Gleichmässigkeit und grosse Zahl der Wirbel sowie das Fehlen eines Schwanzteils auf. Wir können nur einen Atlas und Rumpfwirbel unterscheiden. Dies hängt zum Teil mit dem Verlust der Extremitäten zusammen und findet sich mehr oder weniger ausgeprägt bei allen fusslosen Kriechtieren; da Schulter- und Beckengürtel ihren Einfluss auf die Gestaltung des Axenskelets aufgaben, kehrte dieses zur ursprünglichen Einförmigkeit zurück — eine besondere Ausbildung eines Sakralwirbels wäre un- nötig oder hinderlich gewesen, und die Verschiedenheit schwand daher. Grabende Tiere bedurften ferner des langen Steuerschwanzes nicht. Er war ihnen im Gegenteil beim Wühlen im Wege, bildete sich allmählich zurück, und es entstand so ein nützliches Organ: ein kurzer starker Stummel, der ein Anstemmen erlaubte und das Graben erleichterte. So sehen wir bei den Doppelschleichen, Typhlopiden und Gymnophionen gleichmässig den Schwanz rückgebildet. Zwar finden sich bei letzteren hinter der Analöffnung meist noch einige Wirbel (ich fand bei Söphonops annulatus 5, 4, 0, bei /chthyophis glutinosus 5, bei Siphonops indistinctus keinen), allein diese sind ganz rudimentär, und bei dem völligen Mangel unterer Bogen ist man wohl nicht berechtigt, sie als Schwanzwirbel denen des Rumpfes gegenüberzustellen. Auch tragen sie bis zum letzten Rippen. Eine grosse Wirbelzahl zeigen alle Kriechtiere, die der Extremi- täten entbehren, und so hat auch dieser Befund bei den Gymno- phionen für uns nichts Ueberraschendes. ‚Je mehr die Gliedmassen eine regressive Metamorphose eingingen, desto mehr mussten andere 4 PETER: [38 Teile das Geschäft der Lokomotion übernehmen; in erster Linie musste die Wirbelsäule der schlängelnden Bewegung angepasst wer- den, was durch eine möglichst grosse Zahl von Wirbeln und dadurch geschaffenen Gelenken erreicht wurde. Recht gut wird dies Ver- hältniss durch die Amphibien selbst illustrirt. Der Frosch, dessen Extremitäten am meisten ausgebildet sind, besitzt neun Wirbel, der Triton 40—60; Proteus hat schon rudimentäre Gliedmassen und infolgedessen 60 Wirbel, endlich giebt WIEDERSHEIM (32) bei den Gymnophionen die Gesammtzahl auf über 250 an! Ich selbst habe diese Zahl nie erreicht gefunden, sondern zählte bei Ichthyophis glutinosus 101, 120 Wirbel, Siphonops annulatus 96, 92, 90, 86, 79 Wirbel, indistinctus 100, 95, 89 Wirbel, 5 thomensis 189 Wirbel, endlich bei Caecilia rosliralta 150 Wirbel. Indess überschritt kein Exemplar eine Körperlänge von 40cm (Siphonops thomensis). Betrachten wir den einzelnen Wirbel, so springt beim Vergleich mit anderen Urodelenwirbeln seine Kleinheit und Zartheit, sein tief amphicoeler Charakter sowie die schwache Entwicklung seitlicher Fortsätze ins Auge, während die zur Verbindung der einzelnen Wirbel unter sich ungewöhnlich stark sind. Die Kleinheit entspricht dem oben erwähnten Prinzip, möglichst viel Gelenke an einer Wirbelsäule von bestimmter Länge anzubringen; die übrigen Punkte beruhen auf der Entwicklung des Hautpanzers und des starken Hautmuskelschlauchs. ‘Schon CARTIER (3) betont, dass die Gestaltung der Wirbelsäule hauptsächlich von der Aus- bildung des Muskelsystems abhängig ist, und zwar wie ich glaube, am meisten von der der Hautmuskeln. Wie die Ausbildung der- selben zu denken ist, hat SMALIAN (28) in seiner Arbeit über das Muskelsystem der Amphisbäniden klar dargestellt: „Mit dem Ver- luste der Extremitäten mussten andere Teile des Körpers mit dem Substrat, auf dem eine Bewegung auszuführen war, in Berührung treten, und diese mussten beweglich werden“. So finden wir eine „enorme Ausbildung der Skelethautmuskulatur an Bauch und Seiten bei Amphisbänen und Schlangen, bei ersteren auch auf dem Rücken“. Analog finden wir auch rings unter der Haut der Caecilien einen starken Muskelschlauch. Mit der Ausbildung dieses gleichmässigen Hautmuskelsystems ging natürlich Hand in Hand eine Rückbildung 39] Die WIRBELSÄULE DER (YMNOPHIONEN. 5 der an den verschiedenen Seiten ungleichmässig entwickelten Skelet- muskeln. Auch die schlängelnde Bewegung wird ihren Einfluss auf die Umbildung der letzteren ausgeübt haben. Da nun die Knochen- fortsätze durch Muskelzug entstanden, so wird mit der Atrophie der aktiven Bewegungsorgane auch eine regressive Metamorphose der Wirbelfortsätze sich geltend machen, wie wir sie bei unseren Apoden so ausgeprägt finden. Während bei Ophidiern die starke Ausbildung der tiefen Rückenmuskulatur einen hohen Dornfortsatz des Bogens bedingt, wird bei Kriechtieren, die auf allen Seiten von dem gleich- ınässigen Medium der Erde umgeben sind, der hohe Kamm immer niedriger und schwindet; Stanxıus (29) erwähnt seine geringe Aus- bildung für viele Angiostomata, dasselbe findet sich bei Doppel- schleichen und Schleichenlurchen, für welche letztere \VIEDERSHEIM ausdrücklich eine schwache Entwicklung der Rückenmuskeln hervor- hebt. In demselben Masse verkleinern sich mit den Rippen die Querfortsätze oder werden zur festeren Verbindung der Wirbel unter sich benützt — so wird an den Wirbeln eine Gleichmässigkeit der Gestalt angestrebt, die in den extremsten Fällen einen cylinder- förmigen Körper ergäbe; bei den Gymnophionen gleichen sie noch einer dreikantigen Säule. Das Hautskelet hat aber noch weiteren Einfluss auf die Wirbel- säule. Indem es nämlich die eigentliche Funktion des Axenskelets, den Körper zu stützen, übernahm, mussten sich auch regressive Ver- änderungen an letzterem in der Richtung geltend machen, dass die starken Knochen feiner und zarter wurden. Eine weiter gehende Verknöcherung, wie wir sie bei Salamandern und selbst Derotremen finden, war unnötig und unterblieb, und das mag ein Grund dafür sein, dass die Chorda sich ununterbrochen durch den Wirbelkörper hindurchzieht, und letzterer nur einen schmalen Doppelkegel formiert. Die Wirbelsäule dient nur zum Schutze des Rückenmarks, nicht mehr als Stützorgan und kann desshalb ihre Funktion auch in Form eines zarten Knochenringes ausüben. Amphiuma vepräsentirt hierin eine höhere Stufe, da das Axenskelet bei der weichen Haut zur Stütze des Körpers dienen und sich stärker ausbilden musste. Es wird wohl, wenn man von den Gymnophionen als dem niedersten Typus der Urodelen spricht, der grösste Teil dieser primitiven Charaktere auf Rückschlag beruhen; denn da PARKER (26) sagt: „we may possibly have to look for their ancestors (i. e. of the amphibia) amongst forms resembling the larvae of the amphibia“, so werden wir die Vorfahren der heutigen Amphibien in molchähnlichen Formen zu 6 PETER: [40 suchen haben, bei denen die Wirbelsäule noch ihre eigentliche Be- deutung als Körperstütze besass und einer stärkeren Verknöcherung unterlag, somit auf höherer Entwicklungsstufe stand. Dass sich bei den Apoden auffallend starke Fortsätze zur Ver- bindung der Wirbel unter sich vorfinden, wird uns nicht wunderbar erscheinen, wenn wir bedenken, dass die tief bikonkaven Wirbel nur durch ein schmales Intervertebralligament zusammengehalten werden, denn die Chorda, die ein gallertiges Ausfüllsel der Körper bildet, kann nur in beschränktem Sinne als verbindendes Medium angesehen werden. Ein stärkerer Bau des Axenskelets, wie ihn die Dero- tremen zeigen, bringt eine Verstärkung obiger Bänder mit sich und bedingt Atrophie der Fortsätze, die bei Wirbeln von procölem oder opisthocölem Charakter, bei denen ein echtes Gelenk die Teile ver- bindet, nie vorhanden sind. Welche Teile zu dieser Funktion bei den Gymnophionen hinzugezogen wurden, wird später erörtert werden. III, Beschreibung der Wirbel. Bei der Betrachtung der einzelnen Wirbel der verschiedenen Arten zeigen sich einige Unterschiede. Um zuerst von den Rumpf- wirbeln zu sprechen (der Atlas wird später beschrieben werden), so hat mir Herr Professor WIEDERSHEIM dafür folgendes Material gütigst zur Verfügung gestellt: Siphonops annulatus A thomensis 2 indistinclus Uraeotyphlus ozyurus (2) Caecilia rostrata Ichthyophis glulinosus. Beginnen wir mit der Besprechung der Wirbel von Söiphonops annulatus, Fig. 1—7. Ein Wirbel aus der Mitte des Körpers, Fig. 1—4, etwa der 45., zeigt einen gedrungenen, tief bikonkaven Körper, der vorn und hinten breit, in der Mitte eingeschnürt ist, so dass er die Gestalt einer Sanduhr besitzt. Auf der ventralen Seite trägt er einen me- dianen Kamm, der kaudalwärts von der Einschnürung höher und schärfer wird und pfeilspitzenförmig endet. Diese Spitze, die wir als Processus inferior posterior bezeichnen können, bildet den hin- tersten und höchsten Punkt des Corpus vertebrae. Von hinten ge- sehen hat also der Körper eine dreieckige Gestalt, mit der Spitze ventral, während er vorn mehr als queres Oval erscheint. Hier fehlt [2 41] Dızr WIRBELSÄULE DER GYMNOPHIONEN. yi die ventrale Hervorragung, da der oben erwähnte Kiel sich nach vorn abflacht und in drei Teile spaltet: der mediale läuft am Vorder- rand des Wirbelkörpers aus, zwei laterale zweigen sich etwas vor der Mitte in spitzem Winkel ab und überragen den vorderen Rand weit als Processus inferiores anteriores. Diese sind kräftig entwickelt, laufen erst in der angegebenen Richtung nach aussen, vorn und etwas abwärts, biegen dann, nachdem sie den Körper etwa um die Hälfte ihrer Länge überragt haben, direkt nach vorn um, so dass sie einander parallel gerichtet sind und enden abgerundet. Sie fassen den hinteren unteren Fortsatz des vorhergehenden Wirbels zwischen sich. An der hinteren, äusseren Seite des Winkels findet sich eine kleine Protuberanz, die eine glatte, mit Knorpel überzogene Fläche trägt zur Artikulation mit dem Capitulum costae. Sie bildet die Spitze des Processus transversus inferior, der mit obigem Fortsatz verwachsen ist, aber durch eine tiefe Furche von ihm in ihrem parallelen Laufe getrennt; so scheint er die laterale Hälfte des Processus infer. anter. zu bilden. Sein Ursprung findet sich am Körper lateral, dorsal von dem des letzteren. Dorsal schliesst sich an das Corpus der Bogen an. Er ist durchaus breiter als dieses, so dass der ganze Wirbel, besonders in der Ansicht von hinten, einen gleichseitig dreieckigen Querschnitt zeigt, dessen Basis eben der Bogen bildet. Dieser schliesst den halbmondförmigen Rückenmarkskanal ein. Er ist ebenfalls in der PETER: [42 8 Mitte stark eingeschnürt, flach konvex gewölbt, vorn in einen stumpfen medialen Vorsprung auslaufend, ohne Andeutung eines Dornfort- satzes, sondern mit einer von zwei flachen Leisten eingefassten Furche in der Mitte. Vorn seitlich setzen sich scharf ab die Pro- cessus articulares anteriores, welche die längsovalen nach vorn, aussen und etwas nach oben gerichteten Gelenkflächen zur Verbindung mit dem nächstvorderen Wirbel tragen. Ihre vorderste Spitze überragt den cranialsten Punkt des Bogens. Caudal und etwas ventral von ihnen, durch eine Einsenkung getrennt, zeigen sich die Processus transversi superiores, kleine nach aussen sehende Höcker, ventral gesehen etwas schärfer von den Gelenkfortsätzen abgesetzt. Auf ihnen finden sich die kleinen, nach innen, hinten und unten schauen- den Artikulationsflächen für das Tuberculum costae. Hinter diesen Fortsätzen befindet sich die Einschnürung des Bogens. Weiter caudal wird er dann wieder breiter, ragt über den Körper heraus und endet mit scharfem, ausgebogenem Rand. Von der Stelle an, wo er das Corpus überragt, treten seitlich die den vorderen analog gebauten hinteren Gelenkfortsätze auf, welche die Processus anter. infer. des folgenden Wirbels decken. Ihre Flächen sind nach unten, hinten und innen gerichtet. Nach dem Schädel zu werden die Wirbel gemäss der stärkeren Ausbildung und Differenzierung der Skeletmuskulatur in der Kopf- gegend kräftiger, kürzer und höher. Der Dornfortsatz des Corpus beginnt gleich vorn spitz, ist schärfer und zeigt hinten auf seiner Höhe eine mediale Einsenkung. Die unteren vorderen Fortsätze sind robuster, ragen aber weniger über den Vorderrand des Wirbel- körpers heraus, da dieser cranial weiter ausgezogen ist und statt im nach vorn offenen Bogen gerade abschliesst. Die unteren Querfort- sätze sind deutlicher abgesetzt, die trennende Furche besser aus- geprägt. Am zweiten Wirbel, Fig. 5 und 6, der sich am meisten von der allgemeinen Gestaltung entfernt, bildet der Komplex dieser Fortsätze zwei rhombische Flügel, die vom Körper nach aussen ab- stehen, nach vorn die wieder schwächeren Processus infer. anter. tragen, nach hinten ziemlich weit entfernt die Gelenkflächen für das Rippenköpfchen, so dass wir an die Verhältnisse bei Sören erinnert werden, wo ein scharfer Kamm diese beiden durch einen weiten Zwischenraum getrennten Fortsätze verbindet. Alle Teile sind, je weiter wir nach vorn kommen, stärker entwickelt; der obere Bogen ist steiler gewölbt, trägt hier sogar einen niedrigen Dornfortsatz, der in der vorderen Hälfte am deutlichsten ist, nach hinten in den 43] Die WIRBELSÄULE DER (GFYMNOPHIONEN. 9 Ausschnitt des Bogens ausläuf. Am zweiten Wirbel ist er am besten ausgeprägt. Spuren finden sich noch am vorderen Teil des 4.—6, Zwischen Processus transversus infer. und super. findet sich im Wirbelkörper ein Loch für den austretenden Spinalnerven, das allmählich an den vorderen Rand rückt, zur Ineisur wird (Wirbel 12) und dann ganz verschwindet, Nach hinten zu flachen sich die Wirbel immer mehr ab, alle Fortsätze werden rudimentär; der ventrale Kamm wird niedriger, erst hinter der Einschnürung deutlich, bis auch seine Spitze schwindet; die Processus infer. anter. verlieren ihre geschwungene Form, bilden sich zu spitzen Stacheln zurück, endlich kann man auch von ihnen keine Spur mehr entdecken. ° Ebenso geht es mit dem unteren (uerfortsatz, der allmählich entsprechend den rudimentärwerdenden Rippen nach hinten gerückt war. Endlich artikulirt die einköpfige Rippe nur noch mit emer an der Seite des Bogens befindlichen mul- denförmigen, mit Knorpel aus- gekleideten Grube. Der Körper wird immer kürzer, während der Bogen nicht in demselben Ver- hältniss atrophiert und dem Wir- bel eine ringförmige Grestalt ver- leiht. In gleicher Weise finden sich an den letzten Wirbeln auch keine Gelenk- und obere Quer- fortsätze mehr. Das letzte Knochenstück, Fig. 7, zeigt sich durch Concreszenz mehrerer Wirbel entstanden; bei einem Exemplar konnte ich auf jeder Seite drei, an einem anderen fünf Gelenkgruben zur Aufnahme der Rippenrudimente nachweisen. Die knöcherne Ver- wachsung betrifft Bogen und Körper, und die Trennung der einzelnen Teile ist nur an den seitlichen Einbuchtungen und den Löchern für die austretenden Nerven erkennbar. Der Uebergang zu diesen rudimentären Wirbeln ist ziemlich schnell; an einem Exemplar war noch der fünftletzte ziemlich unver- ändert — natürlich variiert dies ebenso stark, wie die Zahl der rück- gebildeten Wirbel, da in regressiver Metamorphose begriftene Organe am meisten Veränderungen ausgesetzt sind. Siphonops indistinctus, Fig. 8—9, zeigt durchweg kräftigeren Wirbelbau, als die eben besprochene Art. Der Körper ist kürzer, die Fortsätze stärker ausgebildet. Das hintere untere spitzenförmige Ende des ventralen Kammes überragt den Wirbelkörper weit und 10 PETER: [44 lest sich über den des nächsthinteren, so dass es in der Seiten- ansicht hinter dessen vorderen unteren Fortsätzen erscheint, wie es WIEDERSHEIM in seiner Anatomie der Blindwühlen, Taf. IX, Fig. 87, abbildet. Die Processus infer. anter. haben gleich vom Verlassen des Körpers an parallele Richtung, sind nur durch eine seichte Furche vom unteren @uerfortsatz getrennt, dessen Gelenkkopf aber seitlich stark prominirt.. Der obere Processus transversus ist kräftig entwickelt, ziemlich lang, nach hinten gerichtet, knopfförmig endend. Der Dornfortsatz des Bogens ist stärker angedeutet und lässt sich etwas weiter caudalwärts verfolgen. Ebenso findet sich das Loch für den Nerv noch an weiter nach hinten gelegenen Wirbeln, als es bei Söphonops annulatus der Fall war. Kurz, die Rückenwirbel haben mehr den Charakter der vorderen der vorigen Art. Noch eigentümlichere Verhältnisse trifft man bei Söphonops thomensis, Fig. 10 —11. Während hier nämlich der Processus spi- DRAN Fig. 10. nosus des Bogens bei allen Wirbeln auftritt und in der Gegend der Einschnürung seine höchste Stelle erreicht, während der untere Kiel sehr hoch und schmal ist und weit auf den folgenden Wirbel über- greift, zeigen die Processus infer. anter. die Knickung überhaupt nicht, verlaufen also nach vorn und aussen. Alle Fortsätze sind kräftig, der untere Querfortsatz wenig abgesetzt, der obere aber, besonders auf der Unterfläche der vorderen Gelenkhöcker als starke Leiste vorspringend und nach vorn ragend. Er liegt mehr an der ventralen Seite der Processus artic. anter. und ragt seitlich wenig hervor. Auch ein Loch für den Nervus spinalis konnte ich nir- gends entdecken. Während Siphonops sich noch durch verhältniss- mässig kräftigen Knochenbau des Axenskelets auszeichnet, finden wir die Wirbel bei Uraeotyphlus: ozyurus (s. Caecilia ozyura), Fig. 12—13, zarter, schlanker, nicht so stark eingeschnürt. Der ventrale Kamm ist flach, seine caudale Erhebung überragt aber das Ende des Wirbelkörpers weit. Die Processus infer. anter. zeigen 45] Die WIRBELSÄULE DER (FYMNOPHIONEN. 11 geringe Entwicklung; sie verlaufen schräg nach vorn und aussen, ohne sich im Laufe zu nähern, sind schräg abgestumpft und lassen die Concrescenz nur durch eine undeutliche Furche erkennen. Der Bogen ist ebenfalls schmäler, vorn medial in eine Spitze ausgezogen, trägt einen flachen Dornfortsatz, der hinten einer Einsenkung Platz macht, welche die vordere Spitze aufnimmt. Die vorderen Gelenk- fortsätze sind sehr lang, schmal, überragen den Bogen in seiner kranialen Erhebung um ein Drittel ihrer Länge. Der obere Gelenk- höcker ist hier ebenfalls mehr ventral als seitlich gelegen und relativ kräftig entwickelt. Nach Kopf und Schwanz zu finden sich stets dieselben Umbildungen, wie sie bei Söphonops annulatus geschildert wurden: im ersteren Fall eine stärkere Entwicklung aller Fortsätze, im letzteren ein Rudimentärwerden derselben und Abflachung des Wirbels. Fie. 16. Fie. 17. (sanz ebenso verhält sich Caeeilia rostrata, Fig. 14. Auch hier fehlt die Schärfe des unteren Kammes; die Wirbel unterscheiden sich von denen der vorigen Art nur durch stärkere Processus infer. anter., die hier wieder winkelig gebogen sind, und des Dornfort- satzes, während die oberen Querfortsätze schlechter ausgebildet sind. Ichthyophis glutinosus, Fig. 15—17, nähert sich wieder den Siphonopsarten. Die Wirbel sind kräftiger, als bei Caecilia, nicht so langgestreckt; die Spina des Körpers ist schärfer, die vorderen unteren Fortsätze lang, in stumpferem Winkel nach aussen laufend, als es Söiphonops zeigte, bald nach innen umbiegend und nach der Mittellinie konvergirend; die hinteren sind auffallend wenig promi- nent. Die Querfortsätze sind am schwächsten von allen untersuchten Schleichenlurchen entwickelt, die unteren fest mit dem Processus infer. anter. verwachsen, die oberen stellen schwache Höcker dar an der hinteren, äusseren Fläche der vorderen Zygapophysen. Die näher am Schädel gelegenen Wirbel zeichnen sich besonders durch einen starken, vor der Mitte sich buckelartig erhebenden, hinten in 12 PFTER: [46 eine Spitze auslaufenden Dornfortsatz aus, sodann durch etwas besser entwickelte Querfortsätze und durch das Loch für den Spinal- nerven. Eine Larve von /chthyophis, Fig. 18—19, etwa 10 cm lang, zeigt noch sehr geringe Verknöcherung, besonders ist die ventrale Leiste noch gar nicht gebildet. Der Wirbelkörper bildet einen sand- uhrförmigen Doppelkegel, von dessen Ein- schnürung aus rings um den Bogen ein schmaler dickerer Knochenstreif läuft, an den Seiten einen Ausläufer zum oberen (uerfortsatz sendend. Dieser ist besser entwickelt als beim erwachsenen Tier, auch der untere ist deutlich von dem Fig. 19, hier nach vorn sehenden Processus infer. anter. getrennt und zeigt so den Ursprung des späterhin einheitlichen Fortsatzes an. Was die oben erwähnte Knochenleiste betrifft, so ist sie vielleicht der homogenen Knochen- leiste homolog, die GEGENBAUR (15) um die Mitte der Wirbelkörper der Salamandrinen herum antraf und als erstes Skelet des Wirbels auffasst; es ist allerdings da nicht gesagt, ob die Lamelle auch um den Bogen herum lief, doch darüber werden wohl histologische Unter- suchungen Auskunft geben, die über die Wirbelsäule der Blind- wühlen im Gang sind und später werden veröffentlicht werden. Fi g. 22. Bevor wir zum Vergleich der einzelnen Arten übergehen, müssen wir noch einen Blick auf den Atlas werfen. Der Atlas hat im Folge seiner Verbindung mit dem Schädel bedeutende Umwandlungen erleiden müssen, unterscheidet sich also beträchtlich von den übrigen Rumpfwirbeln, aber auch von den ersten Wirbeln der übrigen Urodelen. Es liegt mir der Atlas von Söiphonops annulatus und einem jungen Jchthyophis vor. Ersterer, Fig. 20—23, zeigt einen kurzen, hinten. konkav aus- 47] DıE WIRBELSÄULE DER (GYMNOPHIONEN. 13 gehöhlten Körper, der vorn seinen Abschluss findet in den sich über ihn hinwegerstreckenden Gelenkflächen zur Verbindung mit dem Schädel. Der Bogen ist in seinem hinteren Teile ganz wie an den übrigen Wirbeln gestaltet, trägt also auf der Ventralseite die Pro- cessus articul. poster. und ist etwas ausgeschnitten. Ein Dornfort- satz fehlt, ebenso die craniale mediale Erhebung. An derselben Stelle, wo die vordereren Gelenkfacetten an den Rumpfwirbeln be- ginnen, haben die Flächen, welche die Verbindung mit dem Oceiput herstellen, ihren Ursprung. Sie bilden starke scheibenartige Fort- sätze, die in schönem breitem Bogen — in seitlicher Richtung geben sie die breiteste Partie des Atlas ab — sich abwärts zum Körper begeben, wo sie sich in der Mittellinie fast berühren, nur nach oben und unten eine kleine Stelle freilassend. Ein Processus odontoides ist also im Gegensatz zu den anderen Urodelen auch nicht an- deutungsweise vorhanden. Diese Facetten sind mit Knorpel über- zogen und in einer Richtung, die Anfangs von oben, hinten, lateral nach unten, vorn, medial geht und später horizontal wird, eylinderförmig vertieft. An ihrem Ursprung am Bogen findet man einen schmalen, sie eine Strecke begleitenden Fortsatz, der abgerundet abschliesst und seiner Lage nach (hinter dem Gelenkfortsatz und etwas unterhalb desselben) wohl als Rudiment des Processus transv. super. anzusprechen ist. Die Ven- tralseite zeigt uns die starken Ansätze der Gelenkscheiben an den Körper, über dessen vordere zwei Drittel sie sich ausbreiten, eine flache Delle zwischen sich lassend; caudal gesehen findet man eine von den Seiten des Wirbelkörpers ausgehende, auf der Unterseite der Gelenkflächen hinziehende und zu ihrer Verstärkung dienende Leiste, die sich nach den Seiten zu gabelt und mit den Rändern der Fortsätze tiefe «ruben einschliesst. Vielleicht ist dies der letzte Rest der Processus infer. anter. und transvers. infer. Der Atlas der 10 cm langen Jchthyophislarve, Fig. 24, zeichnet sich durch Zartheit und geringe Verknöcherung aus, so dass die feineren Strukturverhältnisse noch nicht erkennbar sind. Besonders ist der Körper noch sehr schwach entwickelt, der Bogen daher un- verhältnissmässig umfangreich, wie es sich ja auch bei den übrigen Wirbeln fand. Daher kommt es, dass die vorderen Gelenkfortsätze erst ziemlich weit unten am Bogen entspringen; erst im Laufe der Entwicklung breiten sie sich über einen grösseren Teil desselben aus, falls Zchthyophis erwachsen dieselben Verhältnisse darbietet, wie 14 PETER: [48 Siphonops. Ich zweifle nicht daran, habe aber noch keinen Atlas einer ausgewachsenen /chthyophis untersucht. Auch cranial ist noch ein breiterer Raum zwischen den Facetten, der aber ebenfalls keine Spur eines Zahnfortsatzes erkennen lässt. Der Processus transv. super. ist noch nicht zu sehen, die Leiste unten am Gelenkfortsatz erst schwach entwickelt. Es fällt also am Atlas der Blindwühlen gegenüber den Rumpf- wirbeln der Mangel von Rippen und ausgebildeten Querfortsätzen, sowie die Umbildung der vorderen Zygapophysen, gegenüber dem entsprechenden Wirbel der übrigen Urodelen der völlige Mangel eines Zahnfortsatzes auf. Rippen und lange Querfortsätze weist kein Atlas auf, was aus seiner Funktion, die Verbindung mit dem beweglichen Schädel her- zustellen, leicht einzusehen ist. Die Gelenkfortsätze lässt WIEDERSHEIM aus der Concrescenz der beiden Processus transversi entstehen und glaubte dieses Verhält- niss an einem zweiten Wirbel von Söphonops indistinctus, bei dem diese Fortsätze durch eine Knochenbrücke ver- bunden waren, vorgebildet. Allerdings verbreitern sich die unteren vorderen Vorsprünge nach dem Kopfende zu stark, aber dies kann auf einer stärkeren Differenzierung der Muskeln am vorderen Körperabschnitt beruhen und den auf den ersten Blick sehr plausibel erscheinenden Ueber- gang in die Gelenkfacetten des Atlas vortäuschen. Dann haben wir aber auch die Schwierigkeit, erklären zu müssen, wie die vorderen Zygapophysen schwanden und ihre Funktion anderen, hinter ihnen gelegenen Teilen übertrugen. Ich glaube, dass der Ursprung der Facetten an derselben Stelle, wo an den anderen Wirbeln die vor- deren Gelenkfortsätze beginnen, sowie eben ihre Funktion wohl mehr dafür spricht, dass wir es mit Processus artic. anter. zu thun haben, die mit der Ausbildung des Schädels an Ausdehnung gewannen und ihre Richtung änderten. Auch die relativ wohl ausgebildeten Quer- fortsätze bei anderen Urodelen, z. B. bei Menobranchus , Fig. 25, der sich den Cäcilien auch durch geringe Entwicklung seines Processus odontoides nähert, und bei welchem Parapophyse und Diapophyse durchaus getrennt von den Gelenkfacetten sind, — und diese Gelenkflächen sind doch wohl bei Gymnophionen und Perenni- branchiaten gleichzustellen — sprechen gegen die Entstehung aus der Verwachsung der Querfortsätze. Sehen wir doch selbst bei Siphonops annulatus Rudimente des oberen und vielleicht auch 49] Dis WIRBELSÄULE DER GYMNOPHIONEN. 15 unteren Processus transv., die gemäss ihrer Lage an der vorderen Hälfte des Wirbels zur Unterstützung der Gelenkscheiben hinzuge- zogen wurden. Allerdings fehlen die seitlichen Fortsätze vollständig am Atlas von Amphiuma, Fig. 26, allein da zeigt der erste Wirbel von Siphonops und besonders Triton eristatus sehr gut (Fig. 27) den Uebergang vom Rudimentärwerden bis zum völligen Schwund. Die Gelenkfacetten des Atlas sind also modifizirte vordere Gelenk- fortsätze. Wir hätten dann bei den Oaecilien, wo sie hoch am Bogen entspringen, ein primitives Verhalten und z. B. bei Menobranchus, wo sie ganz auf das Vorderende des Körpers herabgerutscht sind, eine sekundäre Bildung. Der Grund, weshalb die Gymnophionen auf dieser ursprünglichen Stufe stehen blieben, ist wohl ebenso in der freieren Beweglichkeit des Kopfes zu suchen, wie der für den Mangel eines Zahnfortsatzes. Während Amphiuma einen langen, starken, knopfförmig endenden und mit Gelenkflächen versehenen Processus odontoides besitzt, Meno- branchus und Proteus einen klei- neren aufweisen, findet sich bei Siphonops keine Spur davon, im (Gegenteil sind die beiden Facetten durch eine seichte Furche getrennt. Fig. 26. Ob nun der Zahnfortsatz — sei es, dass er dem Atlaskörper oder nach Ausrecnt (1) dem Basi- oceipitale entspricht — sich gar nicht mit dem Körper des ersten Wirbels vereinigt, oder ob er rudimentär wird, das müssen embryo- logische Untersuchungen zeigen. Der Grund liegt wohl, wie erwähnt, in der Nothwendigkeit, möglichst ausgiebige Beweglichkeit zu erzielen. Beim Graben musste der Kopf sich nach allen Richtungen biegen können, und da ein starker Zahnfortsatz die Beweglichkeit bedeutend einschränkte, so schwand er vollständig, während bei anderen Uro- delen, wo dieser Grund wegfiel, und nicht der Hautpanzer, sondern allein das Skelet die Stütze des Körpers abgeben musste, eine feste Verbindung zwischen Hinterhaupt und Atlas wohl von Nutzen war. Die breiten, sattelartig vertieften Gelenkflächen ermöglichen ebenfalls weite Beweglichkeit, indem sie Beugung des Kopfes nach allen Rich- tungen gestatten. So sind vielleicht auch diese Abweichungen aus der Lebensweise der Schleichenlurche zu erklären. Berichte IX. Heft 1. 4 16 PETER: [50 IV. Vergleich der Wirbel unter sich und mit denen anderer Arten. Beim Vergleich der Wirbel der verschiedenen Gymnophionen- arten unter sich finden sich nur geringfügige Unterschiede, wie dies auch bei einer in sich so abgeschlossenen Gruppe nicht anders zu erwarten war. Am wenigsten variieren die Zygapophysen; ihre Rich- tung nach vorn, aussen, oben bleibt konstant und gestattet eine aus- giebige schlängelnde Bewegung, wie sie beim Graben nützlich ist. Sonst finden sich Verschiedenheiten im Habitus der Wirbel, indem die der Gattung Caeeilia sich durch Schlankheit und Zartheit auszeichnen, während Siphonops und Ichthyophis derberen Bau aufweisen. Der ventrale Kamm ist am stärksten bei Siphonops thomensis entwickelt; hier ragt der Processus infer. poster. auch am weitesten über den folgenden Wirbel herüber — am schwächsten ist dieser Dornfortsatz bei Caecilia und Uraeotyphlus, bei denen nur der hintere Teil ausgebildet ist. Auch die vorderen unteren Fort- sätze sind bei letzteren am zartesten, während sie sich bei Söphonops !homensis am kräftigsten zeigen. Länger sind sie bei den übrigen Arten, bei denen jeder in einem nach innen offenen Winkel gebogen ist. Die Processus transversi sind am längsten bei Söiphonops in- distinclus, dann folgen S. thomensis, Caecilia, bis Ichthyophis nur Andeutungen besitzt. Der Dornfortsatz des Bogens endlich findet sich nur bei Siph. thomensis an allen Wirbeln; Caecilia zeigt ihn schon nicht mehr so entwickelt; bei Siph. indistinetus und Jehthyo- phis beschränkt er sich auf die vorderen Wirbel, während ihn Söph. ennulatus nur auf den ersten trägt. Die vordersten Wirbel zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Fortsätze am besten entwickelt sind. Es liegt auf der Hand, dass diese geringe Reduktion auf der dort noch besser differenzierten Mus- kulatur beruht. Da wir also diese Kleinheit der Fortsätze als eine durch das Graben sekundär entstandene Eigenschaft ansehen müssen, so werden diejenigen Wirbel die ursprüngliche Gestalt am besten bewahrt haben, welche die stärksten Fortsätze aufweisen. Die Reihe der Arten gestaltete sich dann, vom kräftigst entwickelten Wirbel begonnen, folgendermassen: Siphonops thomensis, indistinctus, Caecilia rostrata, Uraeo- /yphlus oxyurus, 8. annulatus, Ichthyophis glutinosus. Leider sind wir von der Biologie der einzelnen Arten so wenig unterrichtet, dass wir diese Unterschiede im Bau nicht in ihrer Bedeu- tung zu verstehen vermögen. Ich bin weit entfernt, Söphonops Ihomen- 51] Die WIRBELSÄULE DER (FYMNOPHIONEN. 17 sis als die „älteste“ Form hinzustellen, zumal die Vettern SARASIN auf embryologische Ergebnisse hin /chthyophis und Uraeotyphlus für die ursprünglichsten Arten ansprechen; ich kann nur sagen, dass die oben erwähnte Blindwühle in ihrer Wirbelsäule die primitivsten Verhält- nisse zeigt, während die indische Art hierin sich am weistesten vom Urodelentypus entfernt. Und es ist doch nicht die Art die älteste, die am meisten Eigenheiten aufweist, sondern die, welche sich der allgemeinen Gestalt am bedeutendsten nähert. Ist doch die Frage nach der „ältesten“ und „niedersten* Art überhaupt ohne Bedeu- tung; die eine Form hat die eine alte Eigenschaft sich bewahrt, während bei einer zweiten ein anderes Organ sich unverändert er- halten hat und das erste sich infolge der biologischen Verhältnisse weiter ausbildete; jede Art ist, sit venia verbo, für ihren Beruf gleich tauglich und gleich modern gestaltet. Dass bei den Schleichenlurchen die Wirbelsäule primitive Verhältnisse aufweist, liegt, wie wir gesehen haben, in dem stark entwickelten Hautpanzer; wenn man deshalb diese Gattung als den niedersten Typus aller Kriechthiere hinstellen will, so bedenke man, dass ihr Gehirn eine Entwicklung zeigt, wie sie von keinem Amphibium erreicht wird, und das ist ein Organ, welches von unserem menschlichen Stundpunkte aus von höchster Bedeutung für die Stellung der Tiere ist. Auch für die Klassifikation der Apoden bietet die Wirbelsäule keine Anhaltspunkte, nähert sich doch Siphonops annulatus mehr dem /chthyophis, als seinen nächsten Verwandten; immerhin erweisen sich Siphonops thomensis und indistinctus, ferner Caecilia und Uraeotyphlus als zusammengehörig. Die charakteristischen Unter- schiede finden sich eben in Organen, die von neuer Bildung und in verschiedener Entwicklung bei den einzelnen Arten zu treffen sind. Je mehr man sich der feineren Klassifikation nähert, desto mehr wird man zu rezenten, durch Anpassung entstandenen Eigenschaften seine Zuflucht nehmen, bis die neuesten im Kampf um’s Dasein er- worbenen Charaktere selbst noch keine Scheidung in Art und Unter- art gestatten, — bei der Aufstellung grösserer Gruppen wird man hingegen mehr die auf Vererbung beruhenden Aehnlichkeiten zu be- rücksichtigen haben. So werden wir die Eigenschaften, in denen sich die Gymnophionen von den übrigen Urodelen unterscheiden, auch nicht als neue Bildungen, sondern als altererbt, freilich durch ihre Lebensweise gewaltig modifizirt, anzusehen haben, wenn auch gerade die primitivsten Charaktere, wie oben erwähnt, wohl durch Rückschlag zu erklären sind, 4* 18 PETER: [52 Die hauptsächlichste Abweichung vom Urodelentypus ist der scharfe Kiel am Wirbelkörper und die unteren Fortsätze. Beide Eigenschaften finden sich in geringerer Entwicklung bei Sören, Fig. 28, und Amphiuma, Fig. 29, wieder, was diese näher mit den Blind- wühlen verbindet, ein ventraler Kamm auch bei Menodbranchus. Die funktionelle Bedeutung dieser Teile ist oben besprochen, ihre Her- kunft hat schon MıvARrT gezeigt und ist bei Sören, der ein Sakral- wirbel fehlt, besonders gut zu beobachten. Der untere Dornfortsatz geht nämlich, indem er sich spaltet, unmittelbar in die unteren Bogen des Schwanzes über. Schwerer ist die Deutung der Processus infer. anter. MıvarT (24) rechnet sie zu dem System der Hämapophysen, dem „hypaxialen“, und homologisirt sie merkwürdigerweise mit ebensolchen Fortsätzen, die an der Caudalseite der Wirbel von Spelerpes rubra sich finden. Auf keinen Fall sind sie mit den unteren Querfortsätzen zu identifizieren; schon bei unseren Apoden durch eine Furche mehr oder weniger von diesen getrennt, treten sie bei Sören nur entfernt und bei Amphiuma gar nicht mehr in Verbindung. Leider fehlen sie an den letzten Rumpfwirbeln die- ser Amphibien, so dass man direkt ihren Uebergang in die unteren Bogen beweisen könnte, allein ihr Ursprung von der hypaxialen Leiste weist sie wohl sicher den Hämapophysen zu. Die Gymnophionen besitzen also an allen Wirbeln Reste der unteren Bogen, die mit den zweiköpfigen Rippen in keiner näheren Verbindung stehen. Somit fällt Doruo’s (12) Hypothese, die den ventralen Theil der Rippe aus den Hämapophysen entstehen lassen will und als einen Beweisgrund die Thatsache betrachtet, dass an Wirbeln, die Andeutungen von unteren Bogen besässen, sich nur einköpfige Rippen fänden. Da Rippen und Querfortsätze eines Ur- sprunges sind, so müssen wir die Frage der Morphologie der Rippen hier streifen. Um etwas über die Gestalt vorauszunehmen, so sind diese bei den Gymnophionen zart, dünn und exquisit zweiköpfig in- folge des weiten Abstandes der Querfortsätze. Letzteres wird wohl seinen Grund in dem oben erwähnten Bestreben haben, die Fortsätze am Wirbel möglichst kurz zu gestalten, so dass eine nahe am Körper gelegene Verbindung mit den freien Theilen entstand, und in dem 53] Dis WIRBELSÄULE DER GYMNOPHIONEN. 19 Auswachsen des Processus infer, anter., der zur Verstärkung den unteren Processus transversus mit sich zog und so dessen Gelenk- fläche von der des oberen entfernte. WIEDERSHEIM hält den dorsalen Theil der Rippe, die sich be- kanntlich aus zwei getrennt sich anlegenden Stücken bildet, für eine neue Erwerbung, die sich von den Amphibien an durch die ganze Wirbeltierreihe findet, den ventralen homologisierte er früher mit den Ganoidenrippen. Da aber letztere sich nach dem Schwanz zu unteren Bogen zusammenschliessen, die Hämapophysen durch den Wirbel- thiertypus gleichwerthig sind, und die Amphibienrippen nichts mit Hypapophysenbildungen zu schaffen haben, so stellte sich auch diese Ansicht als unhaltbar heraus. Wir brauchen nicht, wie HATSCHEK (20) es will, die ganze Urodelenrippe als etwas Neues anzusehen, sondern finden diese Verhältnisse auch WIEDERSHEIM vertritt diese Mei- nung in der neuesten Auflage seines Grundrisses — bei Polypterus (HATSCHER), Cottus (A. MÜLLER25) und den Selachiern vorgebildet; bei allen diesen stellen die Rippen Bildungen dar, die nicht in die unteren Bogen übergehen. Die Zweiteilung bei den Amphibien erklärt sich A. MÜLLER so, dass er die Rippen den unteren und oberen Bogen gleichsetzt, den Wirbel in vier gleichwertige Teile zerlegt, von denen jeder zwei Fortsätze besitzt, die sich mit dem ent- sprechenden des nächstgelegenen Quadranten verbinden. Wenn die Hämapophysen den Neurapophysen oder oberen Bogen auch homolog sind, so haben uns doch die Untersuchungen von GOETTE (17) und Fick (13) gelehrt, dass die Rippen aus verknöcherten Myocommaten entstehen und somit zum Wirbel selbst eigentlich gar nicht gehören. Auch der Umstand, dass das Capitulum stets am Bogen, also einem Fortsatz, inseriert, spricht gegen MÜLLER’s Ansicht, so geistreich sie ist. Vielleicht haben wir in den Gräten der Fische den Ursprung des dorsalen Teils zu suchen. Die Paläontologie giebt uns darüber keine Auskunft. Wie bei den rezenten Arten, finden wir zwei- und scheinbar einköpfige Rippen von jeder Gestalt; die von Hylonomus und aus der hinteren Rumpf- region von Discosaurus, wie Sie ÜREDNER(8) in seinen „Urvierfüsslern“, Fig. 34 und 36, abbildet, ähneln sogar sehr denen unserer Blind- wühlen. Doch zeigen uns die rhachitomen Stegocephalen, dass die unteren Fortsätze der Wirbel keine Neubildungen der Gymnophionen sind. So besitzen Chelydosaurus und Archegosaurus ihv Homologon für den unteren Bogen, das Hypocentrum pleurale (nach Frrrsch) nicht nur in der Schwanzgegend. 20 PETER: [54 Es besteht also jeder Rumpfwirbel, und beim Atlas werden sich die Teile auch nachweisen lassen, aus folgenden Stücken. I. Oberer Bogen, gebildet aus den beiden Schenkeln und dem ebenfalls paarıg angelegten Dornfortsatz. II. Körper mit den seitlichen Rippenanhängen. Nach Cope (6) ist der Wirbelkörper der Amphibien aus dem Intercentrum der Rhachitomen entstanden. III. Unterer Bogen, auch aus 2 seitlichen Teilen und einem Processus spinosus zusammengesetzt. Bei den Gymnophionen finden wir also den Wirbel noch am vollständigsten. Natürlich hat man auch in den Versteinerungen nach Vorfahren einer scheinbar so abweichend gebildeten Gruppe gesucht, glaubte bald ähnlich gestaltete Wesen gefunden zu haben, bald stellte sich die Hoffnung als getäuscht heraus. Uns legt die geringe Abweichung der Blindwühlenwirbelsäule von der der übrigen Urodelen den Ge- danken nahe, dass sie sich erst verhältnissmässig spät abgezweigt haben, und dass wir kaum hoffen dürfen, in alten fusslosen Lurchen ihre Voreltern zu finden. Jedenfalls sind die Aistopoden aus der Permzeit nicht mit ihnen verwandt, wie HAEcKEL (19) ver- mutet. Auf den ersten Blick hin hat die Aehnlichkeit der Wirbel, die Frırscn(14) in seinem grossartigen Werke abbildet, allerdings etwas Bestechendes; der breite Bogen mit den gut entwickelten Ge- lenkfortsätzen und dem flachen Dornfortsatz scheinen beiden Familien eigentümlich zu sein, allein bei näherer Einsicht ergeben sich doch wichtige Unterschiede. Die Aistopoden besitzen einen langen rippen- losen Schwanz, der den Apoden ja ganz fehlt. Abgesehen von der völlig anderen Gestalt der Rippen sind auch die Processus transversi nicht ähnlich. Bei den ausgestorbenen Amphibien findet sich ein starker (uerfortsatz, bei den Caecilien 2 rudimentäre. Die Leiste, die Frırscn (Tafel XXII, Fig. 3, 1.) als Rudiment eines oberen Processus transv. ansieht, ist diesem nicht gleichzusetzen, da sie dorsal und medial vom vorderen Gelenkfortsatz liegt, während letz- terer stets oberhalb der Querfortsätze sich befindet. Es scheint viel- mehr in derselben Figur der seitliche Processus durch eine Riefe geteilt, durch Oonerescenz beider Fortsätze entstanden zu sein, wie bei verwandten Gattungen, z. B. Melanerpeton, und allein der Rippe, deren proximales Ende nach Taf. X VIII, Fig. 3 und Taf. XXII, Fig. 9 ebenfalls geteilt erscheint, zum Ansatz gedient zu haben. Auch ist von den Sarasın darauf hingewiesen worden, dass sich bei 55] Dır WIRBELSÄULE DER (GYMNOPHIONEN. 91 Larven von /chthyophis glutinosus Rudimente der hinteren Extremi- täten vorfinden, ein Beweis dafür, dass diese noch vor relativ kurzer Zeit vorhanden waren und den permischen Vorfahren jedenfalls zu- kamen — bei den Aistopoden finden sich aber nirgends Spuren von Fussknochen. Auch Discosaurus permianus, der sich in seinem Schuppenkleid den Caecilien am meisten nähert, zeigt bezüglich seiner leider so schlecht erhaltenen Wirbelsäule keine Vergleichspunkte; die kurzen (uerfortsätze und kleinen Rippen zeigen auch verwandte Gattungen. Um auf Core’s Hypothese zurückzukommen, so ist zwar eine gewisse Aehnlichkeit in den Wirbeln bei Apoden und Amphiumiden vorhanden, aber keine grössere, als sie zwischen ihnen und Sören besteht, so dass die Ansicht dieses Forschers sich hauptsächlich auf entwicklungsgeschichtliche Thatsachen zu stützen hat. So haben wir denn gesehen, dass die Gymnophionen als Uro- delen, und zwar als umgewandelte Ichthyoden zu betrachten sind, die infolge ihrer unterirdischen Lebensweise mannigfacher Rückbildung in ihrem Wirbelbau unterworfen waren, aber auch, als ihr Axenskelet an Bedeutung verlor und im Kampf um’s Dasein nicht mehr verän- dert wurde, manche alte Eigenschaft treu bewahrten, so dass wir nicht in der Wirbelsäule der übrigen Urodelen eine Erklärung für ihren Bau suchen dürfen, sondern umgekehrt in der der Apoden einen Schlüssel zum Verständniss des Amphibientypus besitzen, stets unter Berücksichtigung der biologischen Verhältnisse. Denn die Biologie weist uns den Weg, auf dem wir die mannigfache Gestaltung in der Organismenwelt verstehen können; sie lehrt uns, wie durch Anpassung die gewaltigen Veränderungen in ihrem Bau entstanden; sie lehrt uns Vererbung, Rückschlag und Konvergenz in ihren wechselseitigen Beziehungen erkennen und wird uns auch durch lange, mühsame Forschungen und Verarbeitung des Gewonnenen dem Ideal der Naturwissenschaften, die innersten Vorgänge des Körpers zu erfassen, näher und näher bringen. Zum Schluss erlaube ich mir noch, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Hofrat WIEDERSHEIM, herzlichsten Dank auszusprechen für das reiche Material, das er mir überliess und anderweitig verschafite, sowie für das Interesse, das er am Fortgang der Arbeit nahm, wo- bei er mich oft durch seinen Rat unterstützte. Ausserdem danke ich noch Herrn Geheimrat HAsse in Breslau und Herrn Professor Szmox in Jena bestens für das gütigst zuge- sandte Material. Sg sum wo ın PETER: |56 Verzeichniss der Textabbildungen. Wirbel von Siphonops annulatus aus der Mitte, dorsal. + x 4 & A e 4 ventral. hr . " ä U „. eranial. ” r e n See “ caudal. Zweiter Wirbel von Stiphonops annulatus, ventral. n a " ’ s seitlich. Letzter i. N 5 = ventral. Wirbel von Siphonops indistinetus aus der vorderen Rumpfgegend, ventral. derselbe, seitlich. Wirbel von Siphonops thomensis aus der vorderen Rumpfgegend, ventral. derselbe, seitlich. Wirbel von Uraeotyphlus oxyurus, dorsal. r “ 5 a ventral. 2 „ Caecilia rostrata, ventral. » „ Jchthyophis glutinosus, Mitte, ventral. z; . R R Vorderende, dorsal. > n 5 “ Br seitlich. 5 - » 3 Larve, ventral. n a 5 i “ seitlich. Atlas von Siphonops annulatus, cranial. “ n e = caudal. n 3 „ seitlich. Aal - 4 ventral. - „ Ichthyophis glutinosus, Liarve, seitlich und cranial. Erste 2 Wirbel von Menobranchus, seitlich. Atlas von Amphiuma, ventral. . »„ Triton eristatus, ventral. Wirbel von Siren lacertina, ventral. a „ Amphiuma, ventral. 57] Dis WIRBELSÄULE DER (HYMNOPHIONEN. 25 Literatur. 1) P. AusrecHt. Der processus odontoides des Atlas bei Urodelen. Zentral- blatt für mediz. Wissenschaft 1878. 2) Baur. Ueber die Morphogenie der Wirbelsäule bei Amnioten. Biologisches Zentralblatt. VI, 12, 1886. 3) O. CARTIER. Beitrag z. Entwicklungsgeschichte d. Wirbelsäule. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie XXIV, Supplementband. 4) E. Corps. The Batrachia of the Permian Period of North-Amerika. 1884, 5) id. On the Structure and Affinities of the Amphiumidae. Proc. Americ. philos. society 1886. 6) id. The batrachian Intercentrum. Ibid. 1886. 7) id. Description of extinct Batrachia and Reptilia from the Permian Period of Texas. Ibid. 8) ÜREDNER. Die Stegocephalen aus d. Rothliegenden d. Plauenschen Grundes bei Dresden. Theil IV. Berlin 1883. 9) id. Die Urvierfüssler (Eotetrapoda) des sächsischen Rothliegenden. Berlin 1894. 10) CuviEr. Recherches sur les ossements fossiles. 11) DorLo. Sur la Morphologie de la Colonne vertebrale. Travaux du Labora- toire de Wimereux 1892. 12) id. Sur la Morpologie des Cötes. Bulletin scient. de la France et de la Belgique XXIV, 1892. 13) Fick. Zur Entwicklungsgeschichte der Rippen und Querfortsätze. Archiv f. Anat. u. Physiologie 1879. 14) FrırscHh. Fauna der Gaskohle Böhmens. Prag 1879— 1885. 15) GEGENBAUR. Untersuchungen zur vergl. Anatomie d. Wirbelsäule der Amphi- bien und Reptilien. Leipzig 1862. 16) id. Ueber Bau und Entwicklung der Wirbelsäule der Amphibien. | Halle 1861. 17) GoOETTE. Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875. 18) id. Beitr. z. vergl. Morphologie des Skeletsystems der Wirbeltiere. Archiv f. mikrosk. Anatomie XV, 1878. 19) HaEcKkeL. Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin 1889. 20) HATScHER. Die Rippen der Wirbelthiere. Verh. der anatom. Gesellsch. 1839. 21) Horrmann. Bronn’s Klassen und Ordnungen d. Tierreichs. Amphibien und Reptilien. Leipzig und Heidelberg 1873—1883. 22) id. Zur Morphologie der Rippen. Beitr. z. vgl. Anatomie der Wirbel- tiere IX. Berichte IX. lIleft ı. Art 24 PETER: Die WIRBELSÄULE DER GYMNOPHIONEN. [58 23) KoLLmann. Das Ueberwintern von europäischen Frosch- und Tritonlarven und die Umwandlung des mexikanischen Axolotl. Verh. d. naturf. Gesellsch. Basel VII, 2. 24) Mivart. On the axial Skeleton of the Urodela. Proceedings of the Zool. society of London. 1870. 25) A. Mürter. Beobachtungen z. vergl. Anatomie d. Wirbelsäule. Archiv f. Anatomie und Physiol. 1853. 26) PARKER. On Amphibians, with some Speculations to the Origin of the various Groupes of Animals. 1886. 27) Sarasın: Ergebnisse naturwissenschaftl. Forschungen auf Ceylon 1884—1886. Band 11. 28) C. Smauıan. Beiträge zur Anatomie d. Amphisbäniden. Göttingen 1884. 29) Stannıus. Zootomie der Amphibien. Berlin 1854. 30) STEINMANN-DOEDERLEIN. Elemente der Paläontologie. Leipzig 1890. 31) WIEDERSHEIN. Die Anatomie der Gymnophionen. Jena 1879. 32) id. Lehrbuch der vergleich. Anatomie. Jena 1886. 33) id. Grundriss der vergleich. Anatomie. Jena 1893. 34) id. Salamandrina perspieillata und Geotriton fuscus. (renua 1875. 35) id. Labyrinthodon Rülimeyeri. Abhandl. d. schweizer paläontol. Gesell- schaft V. Zürich 1878. 36) H. Harrıs Wiırper. A Contribution to the Anatomy of Siren lacertina. Zoologe. Jahrbuch IV. 1891. 37) ZırteL. Handbuch der Paläontologie. München und Leipzig. 59] 1 Beugungsgitter für Strahlen elektrischer Kraft. Von Professor Dr. L. Zehnder. Vorläufige Mittheilung. Mit Messungen des durch ein Asphaltprisma abgelenkten Strahls elektrischer Kraft beschäftigt machte ich die Wahrnehmung, dass die — zur Verhinderung directer Wirkungen des primären auf den sekundären Leiter am Prisma vorbei — neben das Prisma gestellten Blechschirme starke Beugungserscheinungen hervorriefen. Daraufhin stellte ich mir aus neben einander in passenden Abständen auf- gehängten Blechstreifen ein Beugungsgitter her, durch welches der senkrecht auftallende Strahl elektrischer Kraft theils ungebeugt hin- durchging, theils um einen messbaren Winkel abgelenkt, gebeugt wurde. Versuche, welche ich vom 17. bis zum 29. März dieses Jahres mit solchen Beugungsgittern ausführte, ergaben eine aus Ab- lenkungswinkel und Gitterhbreite berechnete Wellenlänge, welche mit der aus den BoLTZmAnN’schen Interferenzversuchen erhaltenen Weilen- länge gut übereinstimmt. Freiburg, Physikal. Inst. d. Univ.. 28. April 1894. Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. B. Erscheinungsweise und redaotionelle Bestimmungen, Jährlich erscheint ein Band, der in zwanglosen Heften ausgegeben wird, 24 Druckbogen, wobei auch jede den Raum einer Druckseite einnehmende Tafel als 1 Druckbogen gerechnet wird, bilden einen Band. Der Abonnementspreis ist auf M. 12.— festgesetzt. Einzelne Hefte werden nur zu erhöhtem Ladenpreise abgegeben. Band I enthält: 15 Druckbogen, 10 Tafeln, zusammen 25 Bogen. Band II enthält: 18 Druckbogen, 6 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band III enthält: 10 Druckbogen, 8 Tafeln, 4 Doppeltafeln, zusammen 26 Bogen. "N Band IV enthält: 21 Druckbogen, 2 Tafeln, 3 Doppeltafeln, zusammen 29 Bogen. Band V enthält: 18 Druckbogen, 6 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band VI enthält: 13 Druckbogen, 12 Tafeln, zusammen 25 Bogen. Band VII enthält: 16 Druckbogen, 8 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band VIII enthält: 13 Druckbogen, 1 Tafel, 5 Doppeltafeln, zusammen 24 Bogen. In den Berichten finden Aufnahme: I. Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften, II. Kürzere Mittheilungen über bevorstehende grössere Publicationen, neue Funde etc, etc. Die für die „Berichte“ bestimmten Beiträge sind in vollständig druck- fertigem Zustande an ein Mitelied der Redactions-Commission einzusenden. Die Redactions-Commission besteht zur Zeit aus den Herren: Professor Dr. A. GruUBER, Geheimem Hofrath Professor Dr. J. Lürotu ‘und Professor ‘ Dr. G. STEINMANN. Ueber die Aufnahme und Reihenfolge der Beiträge entscheidet lediglich die von der Naturforschenden Gesellschaft ernannte Redactions-Commission. Auch ist mit dieser über die etwaige Beigabe von Tafeln und Illustrationen zu verhandeln. Von jedem Beitrag erhält der betr. Mitarbeiter 40 Separat-Abzüge gratis. weitere Separat- Abzüge werden auf Wunsch von der Gesellschaft geliefert und von ihr nach Vereinbarung von Fall zu Fall berechnet. Die Separat-Abzüge müssen spätestens bei Rücksendung der Correetur bestellt werden. Separat-Abzüge von Abhandlungen können dem Autor unter Umständen erst am Tage der Ausgabe des betr. Heftes zugestellt werden, Separat-Abzüge ven „kleineren Mittheilungen* dagegen sofort. Die in den Berichten zum Abdruck gelangten Abhandlungen dürfen von den betreffenden Autoren erst 2 Jahre vom Erscheinen des betreffenden Berichteheftes an gerechnet anderweitig ver- öffentlicht werden. Die Redactions-Commission, Die Verlagshandlung. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in n Freiburg 1. B. und Leipzig. aketäl a Flektrieität. Von Dr. R. Reiff, Professor am Gymnasium zu Heilbronn. 8. 1893: M. 3.—. Lehrbuch der Experimentalphysik für Studirende Dr. E. Warburg, Professor an der Universität Freiburg i. B. Mit 403 Original- Abbildungen im Text. Gr. 8. 1893. M. 7.60. Geb. M. 8.60. Der Bau des Menschen als Zeugniss für seine Vergangenheit. Von Dr. R. Wiedersheim, Professor an der Universität Freiburg. _ Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Mit 109 Figuren im Text. Gr. 8. 1893. M. 4.80 geheftet. Gebunden M. 5.80. Zur Organilation ärztliden Prüfungen, Dr. 3. von &ries, Profejfor der Phyitologie zu Freiburg i. B. 8.1898. A Druck von C. A. Wagner in Freiburg i. B. AUSGEGEBEN IM SEPTEMBER 1894. own BERICHTE 4 NATURPORSCHENDEN ERSELISCHAFT ER N 2106 FREIBURG I. B. IN VERBINDUNG MIT Dr. Dr. F. HıLpEBranD, J. LüroTH, J. vox Krıes, G. STEINMAnN, E. WARBURG, A. WEISMANN, R. WIEDERSHEM, PROFESSOREN AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG, HERAUSGEGEBEN a voN. | DR. AUGUST GRUBER, Er PROFESSOR DER ZOOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG. FR ? NEUNTER BAND. Pr; | ZWEITES HEFT. & | MIT 2 TAFELN-UND 6 ABBILDUNGEN IM TEXT. er A ren - [A Sr FREIBURG I. B, uUnn LEIPZIG 1894. AKADEMISCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG VON J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK). eu, ne PIERRE NS Irhatlt Seite Ueber den Einfluss der Adaptation auf Licht- und Farben- empfindung und über die Funktion der Stäbchen. Von Professör. Dr. „IV -RRESC 2: 61 Geologische und petrographische Studien in ak Mönkbläke | Gruppe. Von Professor Dr. FR. GRAEFF. Erster Theil. Die geologischen Verhältnisse des Mont Catogne und der Südostflanke des Montblancmassivs. Mit einer colo- rirten Doppeltafel (D) und 4 Textfiguren . . .... 71 Bemerkungen zu Tafel I Seite 110. (S. auch Berichtigung Seite 164.) Das Alter der palaeolithischen Station vom Schweizerbild bei Schaffhausen und die Gliederung des jüngeren Pleistocän. Von Professor Dr. G. STEINMANN. . 111 Ueber die Grenzzone zwischen Hochalpen und Freibur, ger Allın im Bereiche des oberen Simmethales. Von Dr. C. Quereau ın (Ohicago, 11: Mit: Proaltatel am Deat 20 2 122 Ueber elliptisch polarisirte Strahlen elektrischer Kraft und über die elektrische Resonanz. Von Professor Dr. L. | ZEHNDER. . . 129 Ueber die Metamor phöse der Poren Yo: on Dr, 5 HAECKER, Privatdocent und Assistent am zoologischen Institut. Mit L-Bieur-im-Peoxt 2. 131 Ueber die I der H ee de Abklır, poden nach Behandlung mit der Methylenblau- und Chrom- silbermethode. Von Dr OÖ. vom Rarn. Mit Doppeltafel II 137 Tafelerklärung Seite 163. Berichtigung"... a N er ner Akademische Verlagsbuchhandlung von J. ©. B. Mohr (Paul Siebeck) in Freiburg i. B. und ende Autenrieth, Dr. W., Erster Assistent am Sen Universit.-Laboratorium (med. Fac)) zu Freiburg i. B., Kurze Anleitung zur Auffindung der Gifte und stark wirkender Arzneistoffe. Zum Gebrauche in chemischen Laboratorien. Gr. 8. 1892. M. 2.50. Geb. M. 3.50. Cloetta-Filehne, Lehrbuch der Arzneimittellehre und Arzneiverord- nungslehre. Achte verbesserte Auflage. Gr. 8. 1893. M. 6.—. Geb. M. 7.— Hildebrandt, Dr. De H., Kompendium der Toxikologie. Gr. 8. 1893. M. 140. Geb. M. 2.40. Steinmann, Dr. G., und Graeff, Dr. Fr., Professoren an der Uni versität Freiburg, Geologischer Führer der Umgebung von ; Freiburg. Mit 5 z. Th. colorirten Tafeln und 16 EAU a Kl. 8. 1890. Geb. M. 5.—. 61] 1 Ueber den Einfluss der Adaptation auf Licht- und Farbenempfindung und über die Funktion der Stäbchen. Von J. v. Kries. In den nachfolgenden Blättern möchte ich, vorbehaltlich ein- gehenderer Darlegung an anderer Stelle, über eine Reihe von Ver- suchen berichten, die mich in den letzten Monaten beschäftigt haben. Die Bedeutung derselben erblicke ich vorwiegend in gewissen sehr ein- fachen Vorstellungen, zu denen ich geführt werde, und die, wie ich glaube, für eine ganze Reihe von Erscheinungen die plausible Erklärung ergeben. Daher möchte ich gleich hier bemerken, dass ich nicht sicher bin, ob ich auf jene Vorstellungen gekommen wäre, wenn nicht die der letzten Zeit angehörigen Untersuchungen Könıg’s! mir zu Hülfe gekommen wären. Da ich in wichtigen Beziehungen auch den Fol- serungen Könı@’s durchaus zustimmen muss, so könnte eine Mit- heilung meinerseits über den Gegenstand füglich unterbleiben, wenn ich nicht, wie auseinanderzusetzen sein wird, in einem sehr wesent- lichen Punkte glaubte von ihm abweichen zu müssen. Sollten aber auch gegenüber den Anschauungen König’s sich die meinigen als die zu- treffenderen erweisen, so würde diesem doch von dem dadurch etwa begründeten Fortschritt der überwiegende Antheil gebühren. Den Ausgangspunkt meiner Versuche bildeten die Beobachtungen HILLEBRAND’s über das lichtschwache Spektrum, speciell über die Art, wie dasselbe von dem durch längeren Aufenthalt im Dunkeln ! A. König, Ueber den menschlichen Sehpurpur und seine Bedeutung für das Sehen. Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1894, S. 577, Berichte IX, Heft 2. 5 2 v. KrıEs: [62 wohl ausgeruhten Auge gesehen wird. Bekanntlich erscheint nach H.’s Beobachtungen das Spektrum unter den genannten Umständen völlig farblos, selbst dann noch, wenn die Lichtstärke so weit gesteigert wird, dass seine Helligkeit eine erhebliche wird. Diese Möglichkeit, das Spektrum farblos zu sehen, ist in höchstem Masse vermindert, wenn das Auge durch längeren Aufenthalt im diffusen Tageslicht oder Betrachten einer hellen weissen Fläche die Dunkel- adaptation eingebüsst hat. Diese Thatsache deutete sich sehr ein- fach, wenn man annahm, dass durch die wechselnde Hell- resp. Dunkeladaptation die Fähigkeit des Sehorgans, farblose Helligkeit zu empfinden, alterirt werde, die Fähigkeit zu farbigen Empfindungen dagegen nicht merklich beeinflusst. Das dunkeladaptirte Auge sieht schon bei sehr geringer Lichtstärke das Spektrum farblos hell; erst bei erheblich höheren Reizintensitäten mischt sich die Farben- empfindung bei. Bei dem für Hell adaptirten, oder weissermüdeten Auge ist die Wahrnehmung der farblosen Helligkeit gegenüber den Farben weit weniger im Uebergewicht. Es war nicht unberechtigt, . in diesen T’hatsachen einen Beweis für die Unabhängigkeit derjenigen Umstimmungen oder Ermüdungen des Sehorgans, welche sich aut die farblose Helligkeitsempfindung und derjenigen, welche sich auf die Farbenempfindungen beziehen, zu erblicken, wie dies HILLEBRAND gethan hat. Es erschien mir nun zunächst naheliegend diese, mit HERING’s optischer Theorie sich deckende Vorstellung an anderen Ermüdungs- versuchen zu prüfen. Bleiben durch Ermüdung mit weissem Licht die farbigen Sehsubstanzen unbeeinflusst, so konnte erwartet werden, dass, wenn man sich die Aufgabe stellt, auf einer weissermüdeten und einer daranstossenden nicht gereizten Netzhautstelle die gleichen farbigen Empfindungen hervorzurufen, hierzu eine ungleiche Menge weisser, aber auf beiden die gleiche Menge „farbiger Valenz“ erfor- derlich sein werde. An dem mit einer kleineren und einer grösseren Scheibe ausgerüsteten Farbenkreisel fixirte ich durch 60 Sek. einen Punkt an der Grenze der inneren Scheibe und des von der äusseren sichtbaren Ringes und zwar, bei nicht rotirenden Scheiben an einer Stelle, wo sich aussen weiss, innen schwarz befand. Die Wahl der äusseren Sektoren gestattet dann das reagirende Licht, die Wahl der inneren Sektoren das Vergleichslicht nach Wunsch herzustellen. Enthielt nun das reagirende Licht z. B. 180° Blau und 180° Weiss, so konnte dem Vergleichslicht zunächst 180° Blau gegeben werden und versucht, mit Hülfe passender Abstufung eines weissen und schwarzen \ ÜEBER DEN EINFLUSS DER ADAPTATION AUF LICHT- U. FARBENEMPFINDUNG. F 6) Sektors die gewünschte Gleichheit herzustellen. Dies gelang aber niemals. Mochte die innere Scheibe dem Ringe an Helligkeit gleich, mochte sie heller oder dunkler gemacht werden: sie erschien stets viel zu blau. Eine Gleichheit wurde erhalten, wenn man im Ver- gleichslichte nicht nur die „Weissvalenz“, sondern auch die farbige verminderte. Und zwar musste, um Gleichheit zu erzielen, der farbige Sektor etwa auf den 3. Theil reducirt werden, ungefähr ebenso stark, wie der Antheil an farblosem Licht. Das Gleiche zeigte sich auch bei den anderen Farben. Um also auf der weissermüdeten und auf der benachbarten Stelle eine an Helligkeit und Sättigung gleiche farbige Empfindung zu erzeugen, muss auf der ersteren die farbige Valenz annähernd in demselben Verhältniss wie die weisse gesteigert sein. Diese T'hatsache, obwohl mit Herıne’s Vorstellungen nicht geradezu unvereinbar, sprach jedenfalls nicht für die Unabhängigkeit der Weiss- und der Farbenermüdung und es erschien daher geboten, zu prüfen, ob für die Erscheinung des lichtschwachen Spektrums nicht eine andere Erklärung gefunden werden könne. Eine solche schien sich zu bieten im Hinblick auf bekannte Eigen- thümlichkeiten der Netzhautperipherie. Es ist oft bemerkt worden, dass diese in Bezug auf die Wahrnehmung sehr schwacher Lichter dem Centrum überlegen ist; es ist aber auch bekannt, dass sie viel schneller ermüdet. Folgerichtig wird diese Ueberlegenheit bei dunkel- adaptirter Netzhaut viel stärker hervortreten. Es drängte sich somit die Frage auf, ob nicht die Erscheinung des lichtschwachen Spektrums lediglich darauf beruhe, dass bei dunkeladaptirtem Auge die von den excentrisch gelegenen Netzhautpartien gelieferten Empfindungen stärker ins Gewicht fallen, ob nicht vielleicht die scheinbare Farben- blindheit des adaptirten Auges nur die bekannte der Netzhautperi- pherie sei. Da es nicht wünschenswerth ist, die Erscheinungen durch Fixation zu compliciren, so erschien es am besten, das Phänomen an einem kleinen farbigen Felde zu studiren und zwar mit Gestat- tung einer solchen Blickbewegung, dass das Feld in annähernd con- stantem Abstand vom Fixationspunkt bleibt. Ich benutzte also kleine, farbig erleuchtete Felder, und brachte in das sonst verdunkelte Gesichtsfeld ausser jenen und in passendem Abstande von ihnen noch eine Fixationslinie an, längs deren der Blick hin und her wandern durfte. Dabei wurde die Intensitätsänderung des Lichts in einer sehr einfachen und für diese Zwecke geeigneten Weise durch eine vor der Pupille befindliche enge Oeffnung bewirkt, deren Grösse mittels Mikrometerschraube varürt und abgelesen werden konnte. 5* 4 v. Krıes: [64 In dieser Weise geprüft erwies sich nun die erwähnte Vermuthung sogleich als unrichtig; die HILLEBRAND’sche Erscheinung besteht auch für kleine Felder von annähernd constantem Abstand von der Fovea. Sprach nun aber dieser Umstand zunächst für die Richtig- keit derjenigen Auffassung, in welcher H. die ganze Erscheinung ge- deutet hat, so stiess ich andererseits zugleich auch auf Thatsachen, die mit derselben nicht wohl vereinbar schienen. Die Sichtbarkeit eines blauen Feldes nämlich gewinnt durch die Dunkel-Adaptation des Auges in auffälligster Weise; ohne die Weissermüdung besonders hoch zu treiben findet man, dass die Schwellenwerte für blaues Licht auf das 10fache und mehr von denjenigen ansteigen, die beim dunkel- adaptirten Auge gefunden werden. Ganz anders dagegen bei An- wendung z. B. gelben Lichtes. Die Schwellenwerte bei weissermüde- tem und bei adaptirtem Auge änderten sich hier bei ähnlichen Ver- suchsbedingungen weit weniger, kaum im Verhältnis 1:3. Beruhte nun die erste Wahrnehmung des Lichtes bei steigender Intensität stets auf der Erregung der schwarz-weissen Sehsubstanz, so müsste die Umstimmung derselben ihre Erregbarkeit durch die verschie- denen Lichter doch wohl im gleichen Verhältniss vermehren oder vermindern. Es kann also gesagt werden, dass die Dunkeladap- tirung des Auges die Wahrnehmung einer farblosen Helligkeit im blauen Lichte ausserordentlich viel stärker begünstigt als im gelben. Halten wir uns nun, um zu einer Lösung der Widersprüche zu gelangen, daran, dass die im Gelb und die im Blau hervorzurufende Helligkeitsempfindung durch gewisse Wechsel des Netzhautzustandes in ungleicher Weise beeinflusst werden, so sehen wir uns zu der Annahme gedrängt, dass es zwei verschiedene, eine farblose Hellig- keitsempfindung bewirkende Vorgänge geben müsse. Dieser Vor- stellung lässt sich nun eine ganz bestimmte Deutung geben und zwar unter Adoptirung einer keineswegs neuen Vorstellung, welche, schon oft ohne genügende Begründung ausgesprochen, wenig beachtet wurde, nunmehr aber in den neuerlich bekannt gewordenen Thatsachen eine ganz feste Begründung finden dürfte. Es ist die, dass wir neben dem, peripher durch die Zapfen repräsen- tirten trichromatischen Sehapparat einen pe- ripher durch die Stäbchen repräsentirten mono- chromatischen, nur farblose Helligkeitsempfin- dung liefernden, besitzen, welch’ letzterer als lichtempfindliche Substanz den Sehpurpur führt, 65] Ueser Den EineLuss Der ADAPTATION AUF LICHT- U. FARBENEMPFINDUNG. 5 undinseiner Funktion durch Verbrauch und An- sammlung dieses Körpers beeinflusst wird. Es ist dabei weiter anzunehmen, dass die Stäbchen, besonders wenn sie durch Dunkeladaptirung purpurreich sind, schon durch sehr geringes Licht erregt werden, welches die Zapfen noch nicht merklich er- regt, dass sie aber andererseits auch bei starker Reizung nicht die Empfindung grosser Helligkeit, sondern nur die eines mässig hellen Grau zu liefern vermögen. Ferner ist zu beachten, dass der Seh- purpur durch langwelliges Licht, wie bekannt, nicht angegriffen wird, wir uns also auch die Stäbchen gegenüber diesem unempfindlich denken müssen. Das vom adaptirten Auge gesehene lichtschwache Spektrum beruht also darauf, dass bei purpurreicher Netzhaut mittel- und kurzwelliges Licht relativ leicht farblose Helligkeits- empfindung hervorzurufen vermag. In der purpurarmen Netzhaut wird die Leistung der Stäbchen gegenüber den trichromatischen Zapfen nicht mehr erheblich in Betracht kommen. Es erscheinen daher alle Lichter, sobald sie die Schwellenwerte überschreiten, auch alsbald farbig. Dass die farblose Erscheinung schwacher Lichter bei dunkeladaptirter Netzhaut an die Zersetzung des Sehpurpurs geknüpft sei, ist von KÖnI& bereits ausgesprochen worden, dem ich in diesem Punkt lediglich beipflichten kann. In sehr werthvoller Weise ist diese Anschauung durch den Nachweis unterstützt worden, dass die dem Sehpurpur eigenthümliche Lichtabsorption sich annähernd mit der Helliskeitsvertheilung in diesem farblos gesehenen Spektrum deckt. Ein weiterer sehr einfacher Beweis für die Richtigkeit unserer Anschauung liegt darin, dass die, für den Purpurreichthum charak- teristische Fähigkeit, schwache blaue Lichter in grossem Umfange farblos zu sehen, bei längerer Reizung des Auges mit einem rein rothen Licht nicht verloren geht (wie sie bei Ermüdung mit allen den Sehpurpur zersetzenden Lichtern es thut). Es ist dies eine un- schwer zu constatirende Thatsache, die sehr deutlich lehrt, dass die in Betracht kommende Herabsetzung der Weissemptindlichkeit nicht mit Nothwendigkeit an die Empfindung grosser Helligkeit sich knüpft. Nicht minder einfach gestaltet sich die Erklärung einer anderen, neuerdings gleichfalls besonders von HILLEBRAND erörterten That- sache, nämlich des sogen. Purkinjeschen Phänomens. Von zwei bei hoher und mittlerer Lichtstärke gleich hell erscheinenden Feldern, einem blauen und einem rothen, erscheint bei gleichmässiger Ab- 6 v. KrıEs: [66 schwächung beider Lichter das blaue immer heller. H. hat dies so erklärt, dass er in der Gleichheit bei geringster Helligkeit die Gleichheit der weissen Valenz erblickte. Bei Vermehrung der Licht- stärke nimmt nach ihm das rothe Licht an scheinbarer Helligkeit weit stärker als das blaue zu, weil das Roth als solches erhellend, das Blau verdunkelnd wirkt. Wir werden nunmehr die Erscheinung sanz anders auffassen dürfen. — Während bei höherer Lichtstärke wesentlich die trichromatischen Elemente in Betracht kommen, tritt bei verminderter Lichtstärke immer mehr der Effekt der Stäbchen hervor und das Helligkeitsverhältniss verschiedener Farben verschiebt sich immer mehr gegen dasjenige, welches für die Stäbchen gilt. Die Erklärung der beiden mehr genannten Phänomene aus den Eigenthümlichkeiten des Sehpurpurs wird als erste Prüfung die zu bestehen haben, dass beide für die, bekanntlich purpurfreie, Fovea centralis nicht existiren dürfen. Dies zeigt sich in der That. Könige hat schon angegeben und ich kann es bestätigen, dass das so charakteristische Auseinanderrücken der Helligkeits- und der Farben- sehwelle für den Fixationspunkt selbst und seine nächste Umgebung nicht existirt. Auch ich finde, dass für kleine monochromatische Lichter an der Stelle des deutlichsten Sehers ein Spatium des Farblos-Erscheinens, wenn überhaupt, jedenfalls nur in minimalstem Umfange festgestellt werden kann, mag das Auge nun für Hell oder Dunkel adaptirt sein. Und ebenso existirt auch das Purkinjesche Phänomen für die Fovea nicht. Soweit wenigstens meine Fähigkeit für Vergleichung ungleichfarbiger Lichter geht, finde ich, dass kleine rothe und blaue Punkte, deren Helliskeit ich so wähle, dass sie (central) bei ab- und zunehmendem Licht gleichzeitig unsichtbar und sichtbar werden, auch bei gesteigertem gleich hell erscheinen. Indem ich mich zu einer genaueren Besprechung der Funktion der Fovea wende, komme ich zu dem Punkte, in dem ich von den Anschauungen Könıg’s abweichen muss. Auch Könıc hält, wie schon gesagt, den Sehpurpur für das bedingende Element der farb- losen Empfindung schwachen Lichtes im dunkeladaptirten Auge. Aber er ist (in dieser Beziehung sich an EBBinGHaus anschliessend) der Ansicht, dass der Sehpurpur zugleich die Blau-Componente der Hermnortz’schen Theorie darstelle und erklärt folgerichtig die Fovea für blaublind. Ich kann dieser Meinung nicht beitreten, slaube vielmehr, dass der Sehpurpur resp: die Stäbchen lediglich der farblosen Lichtempfindung dienen und dass die Zapfen, somit auch die Fovea alle drei Componenten in 67] ÜEBER DEN EINFLUSS DER ADAPTATION AUF LICHT- U. FARBENEMPFINDUNG. 7 Sich"vereinigen, "dass sie den- triehromatisch funktionirenden Apparat darstellen. In der That kann ich zunächst nicht zugeben, dass die Fovea blaublind in dem Sinne ist, wie sie es bei Fehlen der Blau-Üomponente sein müsste. Denn bei genügender Lichtstärke sehen wir doch blaue Lichtpunkte, deren Bild völlig in die Fovea fällt; und wir sehen sie blau. Dass ein central unsichtbar gewordener blauer Punkt bei geringer Seiten- wendung des Auges wieder auftaucht, ist richtig. Aber er taucht (von einem gleich zu erwähnenden Fall abgesehen) nicht blau, son- dern farblos auf. Es besteht also, darin stimme ich Könıc bei, eine Ueberlegenheit der Peripherie über die Fovea bezüglich der Wahrnehmung blauen Lichts; aber nur sofern dies farblos, nicht sofern es blau gesehen wird. Die erwähnte Ausnahme besteht darin, dass natürlich bei etwas längerer Fixation ein Bild auf der Fovea durch Ermüdung unsichtbar werden und bei Blickbewegung, alsdann auch blau, wieder auftauchen kann. Fixirt man, schwächt während dessen das Licht ab und bewegt das Auge, so kann der Punkt blau wieder auftauchen; aber der Grund für diese Mehr- leistung der Peripherie liegt in der Ermüdung der Fovea. Um Störungen dieser Art auszuschliessen, kann man die Betrachtung auf die ersten Momente beschränken. Ich stelle z. B. im Gesichts- felde eine horizontale Reihe blauer Punkte her und schaue zuerst in einem gewissen Abstande über sie hinweg, wobei sie als farblose Reihe gut sichtbar sind. Dann fixire ich plötzlich einen Punkt der Stelle und achte darauf, wie er und wie die anderen erscheinen. Dieser Versuch wird bei wechselnder Stärke der Erleuchtung wieder- holt. Verschwindet der mittlere Punkt im Augenblicke der Fixation, so können diejenigen, die mehr als 30° von ihm abstehen, sichtbar bleiben, aber sie sind stets farblos. Erscheinen sie zuerst farbig, so ist auch der mittlere (natürlich gleichfalls blau) sichtbar. Ich habe mich bei diesen und ähnlichen Versuchen von einer Ueberlegen- heit der Seitentheile in Betreff des Blau-Sehens nie überzeugen können. Uebrigens müsste, selbst wenn eine solche existiren sollte, meines Erachtens doch eine andere Erklärung dafür gesucht werden, da der Sehpurpur in der Fovea völlig fehlt, während dieselbe doch der Blauempfindung jedenfalls nicht unfähig ist. Unter den vermuthlich sehr zahlreichen Erscheinungen, welche sich auf dem Boden der hier entwickelten Anschauungen überraschend einfach erklären, will ich hier nur eine noch erwähnen, nämlich das bekannte schwache Nachbild, welches hinter einem im Dunkeln be- 8 v. Krıes: 168 wegten leuchtenden Körper in bestimmter Entfernung herzulaufen scheint. Das Licht bewirkt zwei zeitlich auseinanderfallende Erreg- ungen, Offenbar beruht dies auf der schnelleren Erregung der Zapfen und der etwas verspätet nachkommenden der Stäbchen '). Schon der von früherer Beobachtung mir geläufige Umstand, dass das Phä- nomen bei dunkeladaptirtem Auge bei Weitem am schönsten zu sehen ist, machte diese Auffassung sehr wahrscheinlich. Ich finde nunmehr, dass die Erscheinung, bei blauem Licht hervorragend schön sichtbar, bei rein rothem völlig fehlt. Die Erscheinung ist leicht zu beobachten, wenn man, am besten in schwarzem Zimmer, das Licht eines AuErR-Brenners in eimer Kugel von 6—8 cm Durchmesser spiegeln lässt und eine solche Kugel (die zum Schmuck der Christ- bäume gebräuchlichen eignen sich sehr gut) vor sich im Kreise schwingt, natürlich ohne mit dem Blick zu folgen. Schaue ich auf diese durch einen mit ammoniakalischer Kupferlösung gefüllten Trog, so sehe ich, an den hellen Punkt sich anschliessend, einen kurzen, blauleuchtenden Streifen und hierauf folgt ein etwa fünffach längerer ganz matt und ein wenig gelblich leuchtender Schweif. Man hat den Eindruck, als wenn man einen an dem hellen Objekt befestigten schwach leuchtenden Faden in der Luft herumschwingen würde. Ich sehe die schwache durch die Erregung der Stäbchen bedingte Licht- bahn scharf abgegrenzt gegen das kurze, helle, dem hellen Punkt unmittelbar angeschlossene Stück, in welchem die Zapfen in Er- regung sind; zuweilen erscheinen mir beide Theile durch einen ganz dunklen Zwischenraum getrennt, der andeutet, dass bei kurzer Reizung einer Netzhautstelle die Thätigkeit der Stäbchen erst beginnt, wenn die der Zapfen bereits aufgehört hat. Man sieht hier die durch den gleichen Reiz bewirkten Effekte der beiden Sehapparate, in der greif- barsten Weise getrennt, unmittelbar vor sich. Beiläufig spricht auch diese Erscheinung in hohem Grade gegen die Identifieirung der Blau- Componente mit dem Sehpurpur, dem man andernfalls zwei zeitlich getrennte Erregungen zuschreiben müsste. — Bei Betrachtung durch ein rothes Glas sieht man hinter dem lichten Punkte nur eine kurze rothe Linie herlaufen; von dem langen Schweif ist gar nichts zu sehen. ! Das von den Stäbchen gelieferte positive Nachbild verschmilzt übrigens mit dem negativ complementär gefärbten der Zapfen, wodurch dann die von PuURKINJE angegebene Beschaffenheit als eine positiv complementäre entsteht. Vel. bes. Exser, Der Erregungsvorgang im Sehnervenapparate. Sitzungsber. der Wiener Akademie, Math. phys. Cl. III. Bd. LXV, 1872. 69] ÜEBER DEN EINFLUSS DER ADAPTATION AUF LICHT- U. FARBENEMPFINDUNG. 9 Ferner sei erwähnt, dass auch gewisse Fälle monochromati- schen Sehens, insbesondere die einseitigen totalen Farbenblindheiten, wohl nunmehr dahin aufzufassen sein werden, dass nicht ein Antheil unsrer trichromatischen Apparate, sondern diese in toto fehlen oder funktionsunfähig sind, der Monochromat mit seinen Stäbchen sieht. Damit stimmt überein, dass, wie HERING gezeigt, hier die Verthei- lung der Helligkeit im Spektrum die nämliche ist, wie sie der Farben- tüchtige mit dunkeladaptirtem Auge im lichtschwachen Spektrum sieht. Die Annahme eines monochromatisch funktionirenden Apparates neben dem meist überwiegend zur Geltung kommenden trichroma- tischen, dürften von den Physiologen, die im Wesentlichen auf dem Boden der YounG-HELMHOoLTZ’schen Lehre stehen, alle diejenigen leicht acceptabel finden, welche, wie DONDERS und ich selbst, in der Roth-, Grün- und Blau-Componente eine periphere Gliederung zu sehn geneigt sind, deren Annahme über die Vorstellungen betreffs der Gehirnprozesse nichts präjudicirt. War man geneigt, sich die centralen Prozesse in einer die Helligkeit oder Dunkelheit von den farbigen Bestimmungen trennenden Weise gegliedert zu denken, so hat die Annahme eines monochromatisch funktionirenden und nur farblose Empfindungen liefernden Endapparates neben dem trichro- matischen nichts Befremdendes. Auf dem Boden der Herınd’schen Vorstellungen, wenigstens derjenigen, welche den eigentlichen Kern der Theorie ausmachen, ist natürlich die gleiche Annahme noch näherliegend. Allerdings aber muss betont werden, dass, sofern die oben entwickelte Auffassung sich als richtig erweist, die neueren, im Anschlusse an HILLEBRAND’s Beobachtungen gegebenen Ausgestal- tungen der Theorie in Fortfall kommen dürften. So zunächst die Lehre von der specifischen Helligkeit der Farben. Aber auch die Beweise, welche HILLEBRAND’s Versuche für die Unabhängigkeit der Weiss- und der Farbenermüdung zu enthalten schienen, können nicht mehr als stichhaltig gelten. Eine Anzahl von Feststellungen, die den Schwarz-weiss-Antheil unsres Sehorgans zu isoliren schienen, iso- lirten thatsächlich nur unseren monochromatischen Apparat von dem trichromatischen, ohne über die Gliederung dieses letzteren etwas zu lehren. Man könnte daher vielleicht sagen, dass in Bezug auf diesen einmal wieder weniger denn je als sichergestellt gelten darf. ! Vel. v. Kries, Die Gesichtsempfindungen und ihre Analyse 1882, S. 45 166 u. a. 10 v. KrıEs: ÜEBER D. EINFL.D. ADAPTATION A. LICHT- U. FARBENEMPFINDUNG. [70 Doch erscheint die Aussicht, über ihn etwas zu erfahren, durch die Ausschliessung gewisser irreführender Complicationen jetzt erheblich näher gerückt. Hierbei denke ich namentlich an die Ermittlung der für ihn geltenden Ermüdungs- oder Umstimmungsverhältnisse. Ich stehe in dieser Beziehung auch jetzt noch auf dem früher präci- sirten Standpunkt!, dass auch bei Annahme einer peripheren drei- componentigen Gliederung (welche Annahme mir nach wie vor un- erlässlich scheint), es zunächst dahingestellt bleibt, m welchem Theil des Apparats und in welcher Gliederung sich die Umstimmungen voll- ziehen. Die für den monochromatischen Apparat wohl kaum abweis- bare Annahme eines ganz peripheren Sitzes wird bezüglich des tri- chromatischen beachtenswerth aber keinesweg entscheidend sein dürfen. Die Eingangs erwähnten Versuche mit Farben mittlerer Sättigung sind den Herıng’schen Vorstellungen nicht günstig; die Versuche von Hzss scheinen sich der HELMHOLTZ’schen Auffassung der Ermüdungsvorgänge nicht wohl zu fügen. Für die Ermittlung des wahren Sachverhalts bieten sich aber noch zahlreiche Versuchs- wege; von diesen habe ich einige schon vor mehr als 5 Jahren ein- geschlagen. Damals aber stiess ich, wegen der Ignorirung der Stäb- chenfunktion auf widerspruchsvolle und verwirrende Ergebnisse, die ich nicht zu deuten wusste. Für einen Theil derselben schien dann die Lehre HILLEBRAND’s von der specifischen Helligkeit der Farben eine Erklärung zu liefern. Gegenwärtig wird es sich darum handeln, Versuchsweisen zu finden, in denen wir die Funktion der Zapfen möglichst ohne Einmischung der Stäbchen untersuchen können, was vielleicht nicht unmöglich sein wird. ! v. Kries, Nochmalige Bemerkung zur Theorie der Gesichtsempfindungen. Archiv für Physiologie 1888, S. 384 Anm. 71] 1 Geologische und petrographische Studien in der Montblanc-Gruppe. Von Fr. Graeff. Erster Theil. Die geologischen Verhältnisse des Mont Catogne und der Siidostflanke des Montblanemassivs. Mit einer colorirten Doppeltafel und 4 Textfiguren. Verfasser dieses hatte sich ursprünglich die eingehende Unter- suchung der porphyrartigen Gesteine zur Aufgabe gemacht, welche am Catogne und längs des Südostabfalls der Montblanckette auf- treten. Diese Gesteine wurden zwar schon von A. FAvrRE(1) unter Be- zeichnungen wie „Zurite“ oder „Protogine porphyroide“ erwähnt, aber nicht näher beschrieben, etwas eingehender behandelte dieselben H. GerracH. In seinem „Südwestlichen Wallis“ (2) beschreibt er einen Theil derselben als echte Quarzporphyre und Felsite nach Auftreten und makroskopischem Verhalten, daneben betont er wieder- holt das Vorhandensein von Uebergängen dieser Gesteine einerseits zu Protogin, andererseits zu gneissartigen krystallinen Schiefern. Diese letzteren Angaben waren es insbesondere, welche mein Interesse erregten und mich zur näheren mikroskopischen und geo- logischen Untersuchung des Vorkommens veranlassten. Ich begann meine Studien bereits im Jahre 1889 mit einem mehrwöchentlichen Aufenthalt am Lac de Champex, wobei ich mein Hauptaugenmerk zunächst auf das Porphyrvorkommen und die geologischen Verhält- nisse des Mont Catogne concentrirte,. Daneben wurde aber auch der Südostabfall der ganzen Gebirgsmasse bis zum Col Ferret sowie >) (GRAEFF: [72 die Nordwestflanke bis südlich Chamonix studiert und ausserdem auch die Porphyrvorkommnisse von Vallorcine, Salanfe, Col d’ Emaney und am Lötschenpass besucht. Im Jahre 1590 wurden 8 Tage den Umgebungen von Courmayeur gewidmet. Im Jahre 1893 endlich suchte ich zunächst die durch Heın (3) und ©. Scuaipr (4) bekannt gewordenen Porphyre der Windgälle unter Schuipr’s persönlicher Führung auf und verwandte dann noch 12 Tage dem speciellen Studium der eigenthümlichen Contactverhältnisse von Porphyr und Sediment auf der Südostflanke des Montblanc. Auf diese Weise erwarb ich mir eine Bekanntschaft mit den geologischen Verhältnissen des fraglichen Gebietes, welche die Be- obachtungen und Angaben meiner Vorgänger auch in manchen die Stratigraphie und Tektonik desselben betreffenden Punkten zu er- gänzen und zu berichtigen erlauben. Beide oben erwähnten Autoren hatten sehr viel grössere Gebiete in den Kreis ihrer Untersuchung gezogen und daher naturgemäss nicht so ins Einzelne gehen können. Seit den ersten vorläufigen Mittheilungen (5) über meine Unter- suchungen sind von verschiedenster Seite Arbeiten und Notizen publizirt worden, welche die Geologie und Petrographie jener Ge- biete betrefien oder doch streifen, so u. A. von Seiten der Herren MICHEL L£EvVY (6), DIENER (7), DUPARC und MRrAZEC (8, 9), SCHARDT (10) und M. BERTRAND (11). Der Umstand, dass die eine der Excur- sionen, welche die Theilnehmer an dem in diesem Jahre in Zürich tagenden internationalen Geologencongress ausführen werden, das von mir näher untersuchte Gebiet des Mont Catogne berühren wird, veranlasst mich die Beobachtungen geologischer Natur, welche ich während meiner Studien an Ort und Stelle machen konnte, schon jetzt, getrennt von den speciellen petrographischen Mittheilungen zu veröffentlichen. Die letzteren, welche bis auf die Analysen und Mikrophotographieen beinahe fertiggestellt sind, hoffe ich in Bälde diesem ersten allgemeinen Theil als zweiten speciell petrographischen Theil folgen lassen zu können. I. Topographische Skizze des Mont Catogne. Betrachtet man die Montblancgruppe vom rein orographischen Gesichtspunkt, so wird dieselbe nach Norden zu begrenzt von dem typischen Querthal des Dranceflusses in seinem O.-W. gerichteten Lauf zwischen den Orten Sembrancher und le Brocard, während im 73] GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 3 Uebrigen die Umgrenzung des Massivs allerseits durch Längsthäler gebildet wird. Geologisch betrachtet greift aber bekanntlich die Centralmasse noch nördlich über dieses Querthal hinaus und findet ihren Abschluss erst im Rhonethal, in der Gegend von Saxon, wie u. A. auch aus den Karten von FAvrE und GERLACH ersichtlich ist. Der nördlichste bedeutendere Gipfelpunkt des Massivs bei geo- logischer Abgrenzung, die nördlichste Erhebung desselben überhaupt in orographischem Sinn ist der Mont Üatogne. Dieser Berg, dessen Gipfelpyramide, durch ihre ausgezeichnet regelmässige Form schon aus weiter Ferne leicht kenntlich, das ganze untere Rhonethal beherrscht, und auf dem östlichen Theil des Genfersees sichtbar wird, ist von der Hauptmasse der Montblanc- kette seinerseits durch das genau nordwestlich gerichtete Querthal von Champex abgeschnürt, wodurch derselbe eine Selbständigkeit wie kein anderer unter den Gipfeln der ganzen Gebirgsmasse erhält. Die regelmässige Form desselben ist bedingt durch seine Begrenzung (man vergleiche die kleine Uebersichtskarte auf der beigegebenen Tafel), welche gebildet wird durch den im Grossen und Ganzen seradlinigen Verlauf der beiden genannten sich bei le Borgeau, wenig oberhalb le Brocard, vereinigenden Querthäler in Verbindung mit dem gleichfalls fast geradlinig verlaufenden Längsthal der Drance d’En- tremont, von dem Orte Som la Proz bis zur Vereinigung des letzt- genannten Flusses mit der Drance de Bagne bei Sembrancher. Die Grundfläche des Berges stellt ein rechtwinkliges Dreieck dar, bei welchem das Hochthal von Champex mit den Gorges du Durnant die Hypothenuse, die von der Drance durchströmten 'Thal- rinnen aber die beiden Katheten bilden. Die Gipfelform des Berges in Gestalt der dreiseitigen Pyramide (wie sie sich wenigstens beim Anblick des Berges von Norden oder Süden präsentirt) entsteht dadurch, dass von der annähernd im Centrum der Grundfläche ge- legenen höchsten Erhebung drei mehr oder weniger scharf ausgeprägte (sräte nach den Ecken jener Fläche ausstrahlen. Der etwas längere von NNW.—SSO. gerichtete, ganz besonders scharfe und wildzerissene Kamm hält sich in seinem nördlichen Theil auf längere Erstreckung in ungefähr gleicher Höhe, und ist hier in eine Anzahl z. Th. schwer zugänglicher Gipfel aufgelöst. Diese sind in der Richtung von N. nach 8.: Gipfel mit Holzkreuz, ohne be- sonderen Namen, vielfach anscheinend als Mont Catogne im engeren Sinne gemeint, 2579 m hoch; der höchste Gipfel des Berges, mit Signal für die Triangulirung, 2600 m hoch; der Doppelgipfel der 4 GRAEFF: [74 Pte. Gerboz (genaue Meereshöhe mir unbekannt '); südlich einer kleinen Einsattelung (2534 m) folgen dann die Ptes. des Oheuresses mit 2576, 2565 und 2536 m; sowie endlich der Doppelgipfel des Bonhomme mit 2444 m Meereshöhe. Südlich des Bonhomme senkt sich der genannte Grat plötzlich in schön geschwungener Linie steil zu einer kleinen Eimsattelung mit Holzkreuz hinab, um dann schliess- lich in mehreren Absätzen zum Passe des Lac de Öhampex (1465 m) abzustürzen. Auch dieser letzte Theil des felsigen Grates ist stellen- weise nicht leicht zugänglich. Der nach NNO. gerichtete Grat besteht eigentlich aus zwei genau parallel gerichteten Gräten, von welchen der westliche, les Chezots genannt, sich vom Gipfelpunkt 2600 m bis zu einer Meeres- höhe von etwa 2160 m hinabzieht, während der östliche etwas tiefer, bei mon Regard in Höhe von 1863 m beginnend über die scharfen Gratspitzen la Dent und la Rappe bis fast nach Sembrancher reicht. Der nach W. bezw. NW. ziehende Grat beginnt beim Gipfel- punkt 2579 m, bildet dann zuerst in schönem Bogen den südlichen Steilrand der östlich von les COhezots liegenden eigenthümlichen, schluchtartigen Depression Monta Vria (offenbar ein alter Gletscher- circus), zieht sich dann als flacher, ziemlich sanft abfallender und genau nach W. gerichteten Kamm zur Alp Plan Folliaz, von wo er sich schliesslich mit steilerem Gehänge und NW.-Richtung in den unteren Theil des Hochthals von Champex hinabsenkt. Die Gehänge des Catogne sind im Allgemeinen steil, besitzen aber etwas verschiedenen Charakter nach ihrer geographischen Lage und geologischen Zusammensetzung. Der nach Norden gekehrte Hang, bei sehr gleichmässiger Neigung fast ganz von Gehängeschutt bedeckt, ist von dichtem Wald oder Alpenrosengebüsch bewachsen. Anstehendes Gestein findet man auf dieser Seite nur an den sehr steilen, z. Th. senkrechten Felsabstürzen am Fusse des Berges. Die westliche bezw. südwestliche Flanke besteht aus zahlreichen, meist verhältnissmässig schmalen, d. h. niedrigen Felsterrassen, welche mit öden Blockhalden abwechseln und von tiefen Erosionsrinnen durchschnitten werden. Hier reicht die freilich nicht geschlossen auftretende Bewaldung bis auf etwa 300m unterhalb des kahlen Gipfelgrates. Die Ostseite bildet zuunterst eine lange aber schmale ı Fehlt auf der Siegfriedkarte. Die übrigen Höhenangaben sind dieser entnommen. 75] GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 5 Terrasse von mässiger Erhebung, bedeckt von Erraticum und Ge- hängeschutt. Sie gestattete den Anbau von Feldfrüchten; hier liegen daher eine Anzahl kleinerer Häusergruppen. An diese unterste bebaute Terasse schliesst sich aufwärts an mässig steilem Hange eine breite Zone diehten Waldes an, aus welchem dann bis zu tausend Meter hohe, abgestufte oder in einem Zuge aufstrebende Felstafeln ansteigen. Figur 1. Blick auf Bonhomme und Lix blanche von Süden. a) Krystalline Schiefer mit Porphyr. b) Röthidolomit (Trias) c) Grauer Quarzit s d) Schwarzer Eeieehiee (Iaas): e) Höhere, meist kalkige Juraschichten. Es sind besonders die unter etwa 45—50° geneigten, unten breit ansetzenden und oben in von ihrem Liegenden durch Hohl- kehlen getrennte, nadelscharfe Spitzen auslaufenden Kalkwände la Dent (1654m) und la Lix blanche (2193 m), welche bei Betrachtung von Nord oder Süd dem Ostabhang des Oatogne ein so eigenthüm- liches Aussehen verleihen. Zwischen diese Kalkwände und den zackigen Felsengrat des Kammes schiebt sich noch ein schmales Band mit mässiger Nei- 6 GRARFF: [7 6 gung ein, dessen magere Grrasnarbe den auf der Alp Catogne instal- lirten Heerden zur Nahrung dient. Bei dieser Alp in Höhe von etwa 1850m findet sich auch die einzige Quelle der höheren Parthieen des Berges, eine zweite ent- springt unterhalb der Felswand, welche den Ort sous la Lix be- herrscht. Im übrigen ist der Berg sehr wasserarm, so dass die Bewohner der oben erwähnten Orte Wasser in einem langen Kanale dem Abflusse des Lac de Champex zu entnehmen sich genöthigt sahen. Dieser kleine, so überaus romantisch gelegene Bergsee, seit einigen Jahren besuchter Sommerfrischort, wird aber selbst nur durch künstlichen Zufluss von Wasser aus dem Arpettethal erhalten. II. Die Gestein®und Formationen Die im Gebiet des Oatogne auftretenden Gesteine und Forma- tionen kann man zu folgenden Zonen zusammenfassen: 1. die Zone der Sedimente am Ostabfall des Berges, 2. eine östliche Zone von krystallinen Schiefergesteinen, 3. die Zone des Protogin, 4. eine westliche Zone von krystallinen Schiefern. Eine mächtige Decke von Erraticum zieht sich von der Basis des Berges bis zu theilweise sehr bedeutender Höhe an demselben hinauf und verhüllt vielerorts das anstehende Gestein. So ist ins- besondere die westliche Zone der krystallinen Schiefer fast völlig dadurch verdeckt. 1) Die Protoginzone. Der Protogin des Montblancmassivs ist am Catogne nur noch in schmaler und sich nach N. sehr rasch auskeilender Zone nach- weisbar. Auf dem nach W. zielenden Kamm des Berges zwischen Crettet und Plan Folliaz streicht dieselbe in einer Breite von ungefähr einem Kilometer aus, und hier ist das Gestein, besonders in den steilen Felsabstürzen auf der Südseite des Kammes gut aufgeschlossen. Dasselbe hat hier durchaus granitischen Habitus bei ziemlich gleich- mässig mittelgrossem Korn. Es ist verhältnissmässig reich an Quarz, welcher rundliche, glasglänzende Körner bildet. Diese Körner sind meist nur in wenige grössere, unregelmässig gestaltete "Theile zer- sprungen; der Quarz ist also nicht zuckerkörnig. Der Biotitgehalt des (esteins ist nicht bedeutend, Muscovit fehlt meist vollständig. Die im übrigen Theil des Massivs oft so sehr hervortretende Schiefrigkeit des Protogins, welche vor allem Andern zu der ver- schiedenartigen Deutung des Gesteines Veranlassung gab, tritt hier 77] (#EOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 7 meist wenig in die Erscheinung. Ueberhaupt ist der Protogin des Catogne auftallend normal granitisch, wenngleich auch echt proto- ginischer Habitus da und dort beobachtet werden kann. Vielleicht hängt dieses Verhalten mit der Schmalheit der Protoginzone am Catogne zusammen, und stellt der echt granitische Habitus das erste Stadium der Veränderungen des Protogin am Contact gegen das durchbrochene Nebengestein dar. Meine anderweitigen Beobach- tungen (an den Ools de la Breya, bei l’Angle und an der Nordseite der Aiguille du Midi oberhalb des Glacier des Pelerins) scheinen diese Annahme zu bekräftigen. In neuester Zeit ist die Natur und Structur der alpinen Granite und insbesondere auch des Protogins am Montblanc wiederholt Gegenstand der Untersuchung und Discus- sion gewesen. Es dürfte hier nicht der Ort sein, diese Fragen in extenso zu behandeln, ich behalte mir vor darauf im zweiten Theile meiner Arbeit ausführlicher zurück za kommen. Dass der Protogin des Montblanc (und anderer alpiner Massive) ein echter, d. h. massiger Granit ist, dürfte für die grosse Mehrzahl der Geologen nunmehr feststehen. Eigentlich sind es schliesslich nur die italienischen Alpen- geologen (12), welche bis in die neueste Zeit an der Vorstellung fest- halten, dass derselbe das älteste Glied der krystallinen Schiefer- formation also eine Art Augengneiss (Gneiss ghiandone) sei. Ich selbst war in den beiden vorläufigen Berichten (5) über meine Ge- steinsstudien am Montblanc, auf Grund meiner Beobachtungen am Contact des Protogm mit dem Mantel der krystallinen Schiefer- gesteine, und insbesondere wegen der offenbar vorhandenen geneti- schen Verknüpfung desselben mit den Porphyren am Catogne, ganz energisch für die Natur des Protogms als Massengestein eingetreten. Bald darauf hat auch Herr MicHeEr L&vy (6), sowie Herr Durarc (8) mit seinen Schülern in dieser Frage Stellung genommen. Beide natürlich in dem gleichen Sinne. Der erstgenannte Forscher stützt sich gleichfalls in erster Reihe auf das Verhalten des Protogms am Contact mit den Schiefern und betonte besonders die Anwesenheit zahlreicher Einschlüsse von krystallinem Schiefer in demselben in der Nähe des Contacts, letztere verfolgten vorzugsweise das Aus- strahlen zahlloser Apophysen des Granit in seine Umgebung. Das geologische Alter des Protogins ist (wie überall anderwärts auch) am Montblanc bis jetzt nicht zu bestimmen gewesen, da er nirgendwo Gesteine von bekanntem Alter durchbrochen, am Contact verändert oder eingeschlossen hat. Leider hat auch die von mir Berichte IX. Heft 2. 6 S GRAEFF: B2 S gehegte Hoffnung sich als trügerisch erwiesen, die Porphyre des Catogne, welche mit Sedimenten bekannten Alters in Contact treten, als Brücke für die Altersbestimmung des Protogin zu benützen. Denn wie an späterer Stelle gezeigt werden wird, liegt hier kein ursprünglicher Eruptivcontact, sondern durch spätere Verschiebungen der Erdkruste hervorgerufener mechanischer Contact vor. Die erst in neuerer Zeit gemachte Entdeckung protoginähnlicher Einschlüsse im carbonischen Conglomerat bei Ajoux unweit Chamonix durch Herrn VENANCE PAyor (6) wird zwar als Zeuge für ein vorcarbonisches Alter des Protogin vom Montblanc aufgeführt. Proben dieses Vor- kommens, welche ich der Güte des Herrn Pavyor verdanke, führen in der That granitische Einschlüsse, es war mir jedoch nicht möglich, mich von der Protoginnatur derselben sicher zu über- zeugen. Der Protogin des Catogne ist von Gängen feinkörnigen Granits (Aplit) durchsetzt, welche z. Th. auch in die denselben umgebende Schieferhülle eindringen. Die Grenze des Protogin gegen die westliche Zone der krystal- linen Schiefer ist wegen der dichten Bedeckung durch Erraticum nicht sicher beobachtbar. Sie ist erschlossen aus dem Auftreten des granitischen Gesteins im Walde oberhalb Crettet und an dem Felskopf le Clou, sowie aus dem Umstande, dass die krystallinen Schiefer der westlicken Zone in den Gorges du Durnant sowohl als auch unmittelbar nördlich der Drance bei la Fory anstehen. In derselben Weise war diese Grenze auch von GERLACH (2) ge- zogen worden. Dieser Forscher lässt die granitische (Protogin-)Zone des Mont- blane ihr nördliches Ende bei le Olou finden, welcher Auffassung ich mich durchaus anschliessen kann. Ich konnte zwar auch noch inner- halb der Zone der krystallinen Schiefer nördlich der Drance, an dem Steilgehänge des engen Querthals Gesteine schlagen, welche man zum Protogin rechnen kann. Ihr Auftreten in deutlicher Gangform, sowie ihr ausgeprägt granitporphyrischer Habitus lassen dieselben aber mit Sicherheit als Apophysen erkennen!. Zum Verwechseln ähnliche Gesteine treten übrigens, ebenfalls deutlich gangartig, im oberen Theil der Gorges du Durnant auf. An beiden Lokalitäten streichen die genannten Gänge anscheinend konkordant der Parallel- ' Man vergleiche hierüber auch bei H. ScHAarpr (10), welcher anderer Meinung ist. 79] (GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 9 structur der durchbrochenen krystallinen Schiefer. Das Gesteins- material der Gänge zeigt z. Th. ziemlich weitgehende Veränderungen, welche sowohl die Zusammensetzung als auch die Form und die Cohärenz der einzelnen Gemengtheile betroffen haben. Die Gesteine haben insbesondere gelegentlich eine an Augengneiss erinnernde Structur angenommen. Ihre granitische Natur lässt sich aber durch Vermittlung der weniger stark veränderten Parthieen und in Folge des Vorhandenseins von Uebergängen zu den Ausbildungsformen des benachbarten Massivgranits mit aller wünschbaren Sicherheit er- kennen. Die Grenze gegen die östliche Zone der krystallinen Schiefer konnte zwischen Champex und Plan Folliaz an verschiedenen Punkten sehr gut beobachtet werden, und zwar sowohl der Contact gegen krystalline Schiefergesteine als auch gegen die denselben eingelagerten bezw. sie durchbrechenden Porphyre. Stets wird der Granit gegen den Contact zu feinkörniger, die Quarzkörner runden sich noch mehr, und das Gestein nimmt etwas granitporphyrischen, noch häufiger aber aplitartigen Habitus an. Zuweilen tritt am Contact auch eine Anreicherung des dunkeln Glimmers ein, häufig erscheint weisser Glimmer in deutlichen Blättchen. Sinkt die Korngrösse sehr stark, so können die Gesteine dem benachbarten Porphyr einigermassen ähnlich werden!. "Trotzdem kann man niemals, weder im Felde noch am Handstück, diese beiden Gesteinsarten verwechseln, und die Ab- grenzung der beiden Gesteine am Contact ist stets eine scharfe. Man kann also trotz der Veränderung des Granits gegen den Con- tact zu und trotz seiner Annäherung an den Habitus des Porphyrs von einem Uebergang des einen (resteius in das andere nicht sprechen, wie dies von Seiten GERLACH’s geschehen ist. Auf der Terrasse von Plan Folliaz beobachtet man an den zahllosen, vereinzelt aus dem Rasen hervorragenden Felsklippen am Contact zwischen Granit und Porphyr gangartiges Eingreifen des letzteren in den ersteren. Dabei fällt die Streichrichtung der Gänge und die Parallelstructur der beiden Gesteine, soweit eine solche deutlich erkennbar ist, auch hier stets mit dem Generalstreichen im ganzen ÜOentralmassiv zusammen. ! Ausgezeichnet, und viel besser als am Catogme lassen sich diese Con- tactverhältnisse unmittelbar südlich des Thals von Champex auf den Cols de la Breya studieren. Hier ist die Grenze übrigens sehr erheblich weiter westlich zu legen als dies von Seiten GERLACH's geschah. Sie überschreitet den Grat etwa halbwegs zwischen den beiden Gipfeln 2378m und 2479 m. 6* 10 GRAEFF: [8 0) Nördlich Plan Folliaz lässt sich die Grenze erst wieder bei le Clou beobachten. Der Protogin wird hier von Porphyr gangförmig durchsetzt, die Grenze verläuft im Einzelnen aber nicht geradlinig, sondern ganz unregelmässig. Beim Abstieg auf dem steilen Pfade nach der Gallerie de la Monnaie sieht man krystalline Schiefer mit Porphyrgängen anstehen. 2) Die Zonen der älteren krystallinen Schiefer. Der Protogin wird am Catogne beiderseits von einer Zone be- gleitet, welche vorwiegend aus krystallinen Schiefergesteinen besteht. Die westliche Zone wird im näher untersuchten Gebiete fast ganz von Erraticum bedeckt, und ist nur in der tiefen Erosionsrinne der Gorges du Durnant aufgeschlossen. Hier stehen ziemlich feinkörnige, srünlich gefärbte gneissartige Gesteine an, in welchen im oberen Theil der Schlucht bis 2m mächtige Bänke von Augengneiss ein- geschaltet liegen. Die letzteren werden von mir, wie schon oben angedeutet, als Apophysen des Protogin aufgefasst. Die feinkörnigen Schiefer scheinen nach meinen Untersuchungen weder wesentlich ver- schieden zu sein von denjenigen Gesteinen, welche im Durchbruchs- thal der Drance, nördlich dieses Flusses, unterhalb der Gallerie de la Monnaie anstehend getroffen werden, noch von denjenigen, welche mit Porphyr zusammen die Zone östlich des Protogin bis zur Grenze der Sedimentzone aufbauen. Sie werden daher mit diesen zu- sammen einer kurzen Besprechung an dieser Stelle unterzogen werden können. Zunächst soll aber die Begrenzung der östlichen Zone der kry- stallinen Schiefer festgelegt werden. Die Abgrenzung derselben nach Westen zu ist bereits bei Be- sprechung des Protogin gegeben. Am Nordabhang des Catogne bilden die Gesteine derselben die steilen Felsabstürze gegen die Drance und sind auch jenseits dieses Flusses am Höhenzuge von Chemin noch erkenntlich. Auf der Südseite des Catogne verschwindet dieselbe zunächst unter der Moränenbedeckung des Hochthälchens von Champex. Weiter südlich, also ausserhalb des näher untersuch- ten Gebietes, verschmälert dieselbe sich ziemlich rasch, ist aber als schmaler Streifen noch bis zum Col Ferret oder du Grapillon zu ver- folgen. Den Verlauf der östlichen Grenze dieser Zone fand ich sehr abweichend von den seitherigen Darstellungen, auch sehr verschieden von der sonst so genauen GErLACH’schen Kartirung. Diese Grenze 81] GEoLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANG-GRUPPE. ]] verläuft im Grossen und Ganzen auf den vom Gipfel des Berges nach N.-N.-O. einerseits und nach S.-8.-O. andrerseits ausstrahlenden Kämmen, wobei sie im Einzelnen aber verschiedentlich doch recht erhebliche Abweichungen von dem Verlaufe jener zeigt. Verfolgen wir dieselbe von Nord nach Süd. Westlich der scharfen, in den Spitzen la Dent und la Rappe kulminirenden, N.-N.-O. streichen- den Grates zieht sich von dem Schieferbruch oberhalb Sembrancher bis zur Alp Catogne eine breite und ziemlich tiefe Erosionsrinne, deren westlicher Steilrand die Verlängerung des les Chezots genannten Kammes nach unten bildet. Diesem Steilrand folgt die Grenze bis zum oberen Ende der Erosionsrinne, hält sich dann östlich des Grates les Chezots, lässt die Gipfel 2579 m und 2600 m sowie die mit senk- rechten Wänden hier abfallende Pte. Gerboz westlich liegen, um dann südlich des Passes mit 2534 m gerade über die Gipfel 2576 m und 2565 m zu laufen. Die höchste Erhebung des letzteren bleibt dabei schon östlich, was nun auch in noch bedeutenderem Masse von ‚dem folgenden Gipfel 2536 m gilt. Die Contactverhältnisse auf dem sich südlich anschliessenden Theil des Grates werden an späterer Stelle eingehend zu betrachten sein. Die Bonhomme genannte Er- hebung 2444 m gehört in ihrem höchsten Theile ganz der Sediment- zone an. Von hier ab zieht sich die Grenze zunächst auf die Ost- seite des Kamms, man trifft sie aber wieder auf dem mit einem Kreuze bezeichneten Passe auf dem Grat südlich des Bonhomme. Sie bleibt dann zunächst auf längere Erstreckung westlich unterhalb des ($rates, bis sie diesen bei einer Einsattelung in Meereshöhe von etwa 1700m abermals gewinnt und überschreitet. Sie verschwindet . dann auf kurze Erstreckung östlich des Grates unter Gehängeschutt, um bei etwa 1600 m Seehöhe wieder auf die Westseite des (rates zurückzukehren. Hier kann man sie abwärts noch verfolgen bis in Höhe von ungefähr 1530 m, wonach dieselbe unter @ehängeschutt verschwindet. Oestlich und südöstlich des Lac de Champex entzieht die Bedeckung mit Erraticum dieselbe längere Zeit dem Auge, sie tritt erst wieder an dem steil nach Prassony hinabführenden Wege (westlich von „P“ von Prassony auf der Karte) in die Erscheinung. Die Zusammensetzung dieser Zone, welche im näher unter- suchten Gebiet in einer Breite von 1—1!/s km ausstreicht, ist eine sehr manchfaltige. Sie besteht der Hauptsache nach etwa zu gleichen Theilen aus krystallinen Schiefergesteinen und Quarzporphyren, welch letztere jene ersteren in Form von mehr oder weniger mächtigen Gängen durchsetzen. Ausserdem kommen mehr untergeordnet auch 2 GRAEFF: [82 noch gangförmig auftretende Gesteine von massigem oder schiefrigem Habitus bei dioritischer bis syenitischer Zusammensetzung, sowie fein- körnige granitische Gänge (Aplite) vor. Die Aplite sind sehr glimmerarme Vorkommnisse, welche durch Auftreten von Orthoklaseinsprenglingen sich häufig granitporphyrischem Habitus nähern. Man trifft dieselben nicht nur in der Nähe der (srenze gegen den Protogin, sondern auch weit davon entfernt, so z. B. auf dem Gipfel des Catogne 2579 m an. Sehr stark geschie- ferte Aplite beobachtete ich in den Felsen nordöstlich oberhalb des Lac de Champex. Die syenitischen bis dioritischen Gesteine sind in frischem Zu- stand hellgrau gefärbt und besitzen bei durchaus massigem Habitus mittlere Korngrösse. Sie bestehen aus kompakter, grün durchsichtiger Hornblende, dunkelm Glimmer und wechselnden Mengen von Ortho- klas und Plagioklas, enthalten keinen oder nur wenig Quarz und führen als Nebengemengtheile reichliche Mengen von Apatit und Titanit in grossen Individuen. Solche Vorkommnisse beobachtete ich, sangförmig die krystallinen Schiefer durchsetzend, auf dem Gipfel 2579 m des Catogne, sowie beim Abstieg von diesem Gipfel nach Plan Folliaz auf dem NW. streichenden Kamm an der Stelle, wo von diesem Hauptkamm ein das wüste Hochthal Monta Vria westlich begrenzender Seitenkamm sich: abzweigt. Ein sehr glimmerreiches Gestein mit einem an Minette erinnern- den Aussehen und ausgesprochen schiefriger Struktur, welches gleich- falls am soeben genannten Catognegipfel vorkommt, besteht neben dunkelm Glimmer wesentlich aus einem hellgrün durchsichtigen mono- klinen Augit und Orthoklas. Die Porphyre sind meist ganz hell und zwar weiss, grau, grün- lich oder bläulich gefärbt und besitzen sehr wechselnden Habitus. Bald sind sie massig, bald schiefrig, bald schon für das blosse Auge vollkrystallin, bald porzellanartig bis glasig entwickelt; hier erfüllt von ziemlich zahlreichen deutlich erkennbaren Einsprenglingen, dort fast ohne solche. Unter den Einsprenglingen waltet meist der Quarz, häufig aber auch Orthoklas oder Plagioklas vor; einige enthalten ausserdem reichliche Blättehen dunkeln Glimmers, welcher anderen (esteinen nahezu vollständig fehlt. Die Gesteinsgrundmasse ist nach den mikroskopischen Untersuchungen in den weitaus meisten Fällen sranophyrisch, seltener mikrogranitisch; felsitische Ausbildung der- selben wurde nicht mit Sicherheit beobachtet. Aeusserst manchfaltig, aber hier nicht weiter zu verfolgen sind solche Abweichungen vom nor- 83] (#EOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 13 malen Verhalten der Gesteine selbst und ihrer @emengtheile, welche auf spätere Veränderung der fertigen Gesteine zurückgeführt werden müssen. Von besonderem Interesse sind die ungemein verbreiteten, mehr oder weniger schiefrigen Ausbildungen, welche z. Th. quarzitischen oder glimmerschiefer-ähnlichen Habitus besitzen. Wie ich schon in meinen früheren Mittheilungen ausführte, lässt die mikroskopische Untersuchung dieser Gesteine in ganz überzeugender Weise erkennen, dass es in erster Reihe wenigstens Druckwirkungen gewesen sein müssen, welche diesen @Gesteinen ihren jetzigen Habitus verliehen. Die Schwierigkeit, solche Bildungen ohne mikroskopische Untersuchung richtig zu deuten, war nicht nur Veranlassung, dass ältere Autoren von Uebergängen von Quarzporphyren zu krystallinen Schiefern sprachen, sondern war auch offenbar mit die Ursache, welche GER- LACH dazu führte, die Grenze des Verbreitungsgebietes der Porphyre zu weit nach Osten zu verlegen. Die krystallinen Schiefer selbst zeigen endlich eine ungemein wechselnde Zusammensetzung und manchfaltigsten Habitus. Am ver- breitetsten sind biotitreiche Gesteine von gneissähnlichem Aussehen, bald feinkörnig und ebenschiefrig, bald mehr flaserig, zuweilen fast augengneissartig ausgebildet. Sie enthalten meist viel Quarz, reich- lichen Plagioklas und wenig Orthoklas, von Nebengemengtheilen Apatit und Zirkon. In frischem Zustande haben die Gesteine Grneiss- Glimmerschieferhabitus; der auf Kosten des Biotits entstandene Chlorit und Seriecit verleiht denselben aber sehr häufig ein Aussehen, welches mehr an Chlorit- bezw. Talkschiefer ermnert. Auch der Epidot spielt unter den Neubildungen im Gesteine häufig eine her- vorragende Rolle und scheint vielfach aus Hornblende hervorgegangen zu sein. Reine Hornblendeschiefer, aus reichlicher, gründurchsichtiger, kompakter Hornblende und viel Orthoklas neben etwas Zirkon be- stehend, scheinen ziemlich spärlich vorhanden zu sein. Gleichfalls nicht sehr verbreitet und anscheinend stets in kleinen unbedeutenden Vorkommnissen finden sich dunkel gefärbte, dünnschiefrige bis massige dichte Gesteine, welche wesentlich aus Sericit neben geringen Mengen von Quarz und einem ungestreiften Feldspath bestehen. Als Acces- sorien sind in denselben Apatit, Leukoxen und Rutil vorhanden. Diese Gesteine haben graue bis bräunliche, oder bei Gegenwart von viel Chlorit grüne Färbung. Die Mikrostructur dieser krystallinen Schiefer, weiche im speciellen Theil näher zu betrachten sein wird, muss wegen ihrer Bedeutung für die Frage nach der Entstehung dieser Bildungen hier wenigstens 14 GRAEFF: [S4 gestreift werden. Sie ist im Einzelnen zwar etwas wechselnd bei den verschiedenen Gesteinstypen entwickelt, hat im Ganzen aber doch ein und dasselbe charakteristische Gepräge, welches man wohl am besten als „hornfelsähnlich“ bezeichnen kann. Es soll damit ausge- drückt werden, dass die Structur erinnert an diejenige der durch Contactmetamorphose aus Sedimenten hervorgegangenen „Hornfelse*, bezw. an diejenige von krystallinen Schiefern, bei welchen contact- metamorphe Entstehung nicht nachgewiesen werden konnte (vielleicht auch niemals nachweisbar sein wird), welche wegen ihrer Ueberein- stimmung in Habitus und Mikrostructur mit echten, d. h. durch Öon- tactmetamorphose entstandenen Hornfelsen in neuester Zeit (u. A. von ©, Schnur [4a]) aber gleichfalls als Hornfelse bezeichnet wor- den sind. Da die zuletzt genannten Gesteine in Folge ihrer Fossil- führung als ursprüngliche Sedimente sich zu erkennen gaben, so wird man nicht fehl gehen mit der Annahme, dass auch die krystallinen Schiefer dieser Zone veränderte Sedimente sind. Mit den krystallinen Schiefergesteinen der Aiguilles rouges und der N.-W.-Flanke des Montblanes haben die Schiefer des Catogne nur entfernte Aehnlich- keit, vielmehr scheinen sie den von Termier (18) beschriebenen permi- schen Schiefern der Vanoise nahezustehen. Den Verband der verschiedenen Gesteine dieser Zone lässt fol- gendes Profil von der steilen Felswand oberhalb des Lac de Öhampex vom N.-S.-Grat des Catogne bis zur Protogingrenze oberhalb Oham- pex d’en haut erkennen: 1. Mehr oder weniger dünnplattiger, dichter, schwarzer Kalk, Belemniten führend; 2. Schwarzer, fleckig braun anwitternder Chloritoidschiefer, etwa 2 m mächtig; 3. Feinkörniger, hellgrauer Quarzit, wenige Meter mächtig, geht über in 4. schiefrige oder massige arkoseähnliche Gesteine, gleichfalls nicht mächtig; 5. Porphyr, grünlichblau, frisch, arm an Einsprenglingen, nicht schiefrig, mehrere Meter mächtig; 6. Dunkelbrauner Serieitschiefer, 0,5—1 m mächtig; 7. Schiefriger Porphyr; 8. Frischer, wenig schieferiger Porphyr, reich an Einsprenglingen (darunter viel Glimmer), einige Meter; 9. Weisser, felsitähnlicher Porphyr, ohne deutlich sichtbare Ein- sprenglinge, nicht geschiefert; 85] GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 15 10. Schieferiger Porphyr; 11. Dunkelbrauner Serieitschiefer, ähnlich No. 6, dünnschiefrig, mit hohem Glanz auf den Schieferflächen, 5 cm; 12. Talkschieferähnlicher grüner Chloritsericitschiefer, ziemlich mächtiger Complex; 13. Hellgrauer, grobkörniger, flaseriger Gneiss, mit sehr wech- selnder Lage der Parallelstructur; 14. Feinkörniger, sehr glimmerreicher, dunkelbrauner Biotit- schiefer, z. Th. wenig schieferig 15. Porphyr, z. Th. schieferig; 16. Breite Geröllhalde und westlich derselben Protogin. Ganz ähnlich ist in Bezug auf die Vertheilung der Glieder dieser Zone das Profil, welches man beim Abstieg vom Catognegipfel nach Plan Folliaz erhält. Auch hier herrscht anfangs, also besonders auf dem Grat südlich oberhalb Monta Vria der Porphyr vor, wäh- rend weiter westlich die eigentlichen krystallinen Schiefer zu über- wiegen scheinen. Weiter südlich verliert diese Zone rasch sehr an Breite und verschwindet nach GERLACH am Col Ferre. Am Mont Brouillard zwischen dem Gletscher gleichen Namens und dem Glacier de Miage beobachtete GERLACH „bräunlich verwitternde Glimmerschiefer und (sneisse, wechsellagernd mit Hornblendeschiefer“. Bei einem flüch- tigen Besuche dieser Lokalitäten konnte ich mich von der Ueber- einstimmung der daselbst anstehenden Gesteine mit mir vom Üatogne her bekannten Typen konstatiren !. Eingehender studirte ich die so oft erwähnten, aber anschei- nend niemals näher untersuchten krystallinen Gesteine der beiden Courmayeur überragenden Zwillingsberge Mont Chetif und Mont de la Saxe. Ich fand dieselben nicht nur durchaus miteinander überein- stimmend an diesen beiden, früher offenbar zusammenhängenden Bergen, sondern auch durchaus analog denjenigen des Catogne. Sie bestehen hauptsächlich aus einem Wechsel von grünlichen, chloritführenden ! Oberhalb des Mont Frety am Aufstieg gegen den Col du Geant trifft man nach A. Favre zunächst undeutlich auskrystallisirten („imparfaite*) Pro- togin, und erst etwa eine Viertelstunde oberhalb des Wirthshauses „das wirk- lich granitische Gestein“. Herr Mrazec (9) giebt hier einen Wechsel von Proto- gin und mehr oder weniger veränderten Schiefern, welche an späterer Stelle zu besprechen sein werden. Es scheint fraglich, ob dieselben zu der von mir ver- folgten Zone krystalliner Schiefer zu rechnen sind, und nicht etwa bloss ge- schieferter Protogin sind. 16 GRAEFF: [86 Sericitschiefern mit grauen oder gleichfalls grünlichen, äussert dünn- plattig abgesonderten und dünnschiefrigen Porphyrbänken. Dieselben sind schon von A. FAvRE richtig erkannt und als „Gneiss A grain fin“ „Eurite talqueux* u. s. w. bezeichnet worden. (GERLACH hat dieselben nicht mit Sicherheit zu trennen vermocht, aber in äusserst zutreftender Weise als „Talkgneiss, mit Einlagerungen dichter, fast felsitischer Schiefer, mit porphyrartig ausgeschiedenen Feldspath- krystallen“ beschrieben. Ausserdem beobachtete ich auf dem Gipfel des Mont Chetif und am S.-O.-Abhange des Mont de la Saxe! körnige Gesteins- ausbildungen, welche durchaus identisch sind mit den oben besproche- nen Protoginapophysen bei la Fory und in den Gorges du Durnant. Am Chetif wurden dieselben auch von A. FAvrE bereits konstatirt und in seinem Detailprofil des Mont COhetif und im Texte „roche du Mont Uhetif, resemblant A la Protogine* bezw. „roche granitique, se rapprochant de la Protogine, sans lui &tre tout & fait semblable* genannt. Herr ZaccAGnA (12) vergleicht die krystallinen Gesteine des Chetif mit gneissähnlichen Gesteinen der Seealpen, welche von den italienischen Geologen als Bildungen permischen Alters auf- sefasst werden. Ein Ueberblick über die sämmtlichen Gesteine dieser Zone lässt erkennen, dass dieselben trotz einer bei flüchtiger Betrachtung auf- fallenden Aehnlichkeit, welche durch das Vorhandensein einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Parallelstructur und durch die meist grünliche Färbung derselben bedingt ist, doch auf Bildungen sehr verschiedener Art zurückgeführt werden müssen. Wir haben hier einmal Gesteine, welche mit ziemlicher Sicherheit als ursprüngliche Sedimente gedeutet werden können, dann unzweifelhafte körnige und ebenso sicher erkennbare porphyrische Massengesteine. Dass die sauern porphyrischen (resteine (also die Porphyre des Catogne, Chötif, Mont de la Saxe u. s. w.) ihren oft durchaus schief- rigen Habitus der Wirkung des Gebirgsdrucks verdanken, steht ausser allem Zweifel. Ein Vergleich derselben mit den mehr oder weniger deutlich parallelstruirten sauern körnigen Gesteinen (Pro- togin, Aplit) lässt aber soviele Analogieen erkennen, dass man auch für diese wird gleiche Wirkung auf gleiche Ursachen zurückführen ! An einem kleinen Pfade, welcher von den Bädern von la Saxe auf den Ostabhang des Berges führt, und sich auf längere Erstreckung an der Grenze zwischen den krystallinen Gesteinen und den darunter liegenden schwarzen Schiefern hinbewegt. 87] (EOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 17 wollen. Etwas weniger sicher schon fühle ich mich bezüglich der Deutung der schiefrigen Hornblendegesteine. Man pflegt solche jetzt vielfach als veränderte basische Eruptivgesteine körniger oder por- phyrischer Ausbildung aufzufassen. Die Beobachtung Hornblende und Augit führender massiger Gesteine innerhalb dieser Zone, würde diese Auffassung derselben nicht gerade unwahrscheinlich machen. Bei dem Mangel geeigneter Uebergangsstadien könnte man aber ebensowohl an eine Entstehung derselben aus Tuffen basischer Ergussgesteine denken. Endlich bleibt noch bezüglich derjenigen Gesteine, welche wegen ihrer hornfelsähnlichen Structur als ursprüngliche Sedimente gedeutet werden müssen, die Frage zu erörtern, auf welche Weise sie ihren Charakter als krystalline Schiefer erhalten haben. Es liegt sehr nahe, bei der unmittelbaren Nachbarschaft der grossen (ranitmasse, welche durch das Auftreten zahlreicher Apophysen ihre intrusive Natur gegenüber diesen Gestemen der Zone auf's Deutlichste dokumentirt, an eine Contactwirkung des Granits zn denken. Die zahlreichen Einschlüsse von hornfelsartiger Natur im Protogin scheinen auch unzweifelhaft Belege dafür zu sein, dass der Protogin solche Wirkung auf durchbrochene Sedimente ausgeübt hat. Andrer- seits ist aber auch klar, dass diejenigen mechanischen Einwirkungen, deren Effecte uns das Studium der körnigen Gesteine dieser Zone erkennen liess, nicht spurlos an den fraglichen Gresteinen vorüber- gegangen sein können, einerlei ob dieselben schon vorher durch Contactmetamorphose verändert waren oder nicht. Ja es sind end- lich Anzeichen vorhanden, welche es wahrscheinlicher machen, dass diese Sedimente schon vor der Intrusion des Granits gebirgsbildenden Prozessen ausgesetzt waren, welche deren ursprüngliche Natur mehr oder weniger intensiv verwischen mussten. Bei der ziemlich weitgehenden Uebereinstimmung, welche durch Contactmetamorphose einerseits, durch Dynamometamorphose andrer- seits veränderte Sedimente anscheinend zeigen können, und bei der grossen Complication der geologischen Vorgänge in diesem Gebiete, wird eine Entscheidung darüber wohl niemals möglich sein, welcher Prozess vorwiegend oder in erster Reihe massgebend für den heutigen Habitus dieser krystallinen Schiefergesteine war '. ! Herr Micnen Levy (6) hat für einen Theil der krystallinen Schiefer auf der N.-W.-Flanke des Montblancmassivs eine Aufblätterung und Injection von Protogin bzw.'Aplit angenommen, und die Herren Duparc und Mrazec (8) er- klären demnach die von A. Favrz als schiefrigen Protogin angesprochenen Ge- 18 (GRAEFF: [88 Was endlich die Frage nach dem geologischen Alter der Ge- steine dieser Zone betrifft, so sind die Anhalte für eine Beurthei- lung desselben äusserst dürftige. Man wird nicht mehr sagen können, als dass die krystallinen Schiefer älter als der sie durchsetzende Protogin, mit Rücksicht auf die Marmoreinlagerungen am Mont Chemin aber gleichwohl noch paläozoisch sein dürften. Es wurde erwähnt, dass Herr ZaccAaGnA die Zone des Mont Chetif für per- misch hält, weil er dieselbe mit Bildungen identificiren zu können glaubt, welche in den Seealpen und an der Testa d’Arpi! über dem Carbon liegen. Das Alter der basischen Einlagerungen kann je nach der Deutung derselben gleichaltrig oder jünger sein als das der Schiefer selbst. Die Porphyre, welche als Nachschübe des granitischen Magmas aufgefasst werden können, dürften trotzdem nicht erheblich jünger sein als der Protogin selbst. 3) Die Zone der Schichtgesteine. Oestlich der im vorigen Abschnitt ausführlicher verfolgten Grenz- linie bis zum Ufer der Drance d’Entremont besteht der Mont Ca- togne aus Gesteinen, welche z. Th. auch jetzt noch den Charakter echter Schichtgesteine besitzen wie die Kalke und Sandsteine. Ausserdem begegnet man hier aber auch Bildungen, welche den Habitus von krystallinen Schiefern aufweisen, durch ihre Fossil- führung aber den Beweis ihres sedimentären Ursprungs erbracht haben. Zu diesen gehören die seit langer Zeit bekannten und vielerorts in kleinen Steinbrüchen ausgebeuteten schwarzen Thhon- schiefer, sowie gewisse seither nicht beachtete oder doch nicht richtig erkannte Gesteine, welche ich den Chloritoidschiefern, Clintonit- schiefern und Kalkphylliten der sogenannten „Bündnerschiefer (schi- stes lustr&es) zurechnen muss. steine im Profil zwischen Mont Frety und Col du Geant als „schistes gramu- litises“ und „schistes protoginises“. Leider kenne ich gerade dieses Profil nicht aus eigener Anschauung, und ich bin daher nicht in der Lage zu beurtheilen, in wieweit diese Auffassung hier berechtigt ist oder nicht. An den von mir studierten Lokalitäten habe ich von dieser „injection de la roche granitique, lit par lit, dans les schistes voisines“ nirgendwo etwas beobachten können, obgleich mir diese Erscheinung sonst sehr wohl bekannt ist. Die Herren GERLACH und ZaccaGna haben an der fraglichen Stelle ihrer Profile bzw. Karten Protogin eingezeichnet. ‘ Die Testa d’Arpi ist der nächste Gipfel westlich des Mont Charvet im Profil 2 auf Seite 25. Die permischen Schichten würden dort zwischen der Zone der Glanzschiefer und dem Carbon einzuschalten sein. 89] GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 19 Es lag nicht in memer Absicht, eine nähere Untersuchung oder gar eine Gliederung der unveränderten Sedimente zu versuchen. Ein solches Unternehmen dürfte bei dem mangelhaften Erhaltungs- zustand der im Ganzen dürftigen Fauna sich auch ziemlich schwierig gestalten und jedenfalls mehr Zeit beanspruchen, als mir hierfür zu Gebote stand. Ich beschränkte mich darauf, soweit als möglich, die Hauptetagen nach der @esteinsbeschaffenheit und der Aufeinander- folge der Schichten zu bestimmen. Um so grössere Beachtung habe ich den metamorphosirten Gliedern der Sedimentformationen Beachtung geschenkt. Dieselben werden in dem folgenden petrographischen Theil meiner Arbeit eine eingehende Behandlung erfahren. Hier kann ich mich wohl auf einige allgemeinere Angaben über ihren Habitus und das Vorkommen der Gesteine beschränken. Zunächst ist hervorzuheben, dass die- selben sowohl nach ihrem Aussehen, als auch nach dem mikroskopi- schen Befund den von den Herren U. GRUBENMANN (13) und C. Schmipr (4a) beschriebenen und von mir auf zahlreichen Excur- sionen in den östlichen und mittleren Schweizer Alpen wohlbekannten Gesteinen durchaus, oft geradezu zum Verwechseln ähneln. Von den in Scnmipr’s ausgezeichneter Beschreibung unterschiedenen Typen habe ich bis jetzt die folgenden konstatiren können. Graue, körnige Kalkphyllite (No. 1 Scamipr) fand ich in an- sehnlicher Mächtigkeit beim Dachschieferbruch oberhalb Sembrancher am Catogne, die schwarzen Thonschiefer unterlagernd und nach unten in einen grauen, sandigen Kalk übergehend, bezw. sich aus diesem entwickelnd. (Vgl. Profil IT auf S. 20.) Sie enthalten deut- liche Echinodermenreste und grössere klastische Körner von Quarz. Ganz ähnlich sind die Gesteine, welche man am Wege von der Alp Catogne nach Plan Folliaz in der tiefen Erosionsrinne unterhalb Monta Vria beobachtet. Analoge Vorkommnisse vom Mont Chetit bei Courmayeur (am Wege von Dollone nach dem Col de Ohecouri) zeigen ausgezeichnete Transversalschieferung. Schwarze Chloritoidschiefer (No. 2 Schmipr) und Clintonit- phyllite (No. 5 Scnmipr) beobachtet man am Südgrat des Catogne oberhalb des Lac de Champex, ferner in mächtiger Entwicklung, Belemniten führend, bei Praz de Fort (Profil V 8. 22), sodann bei l’Amone im oberen Val Ferret und endlich bei Courmayeur am Mont Chötif und Mont de la Saxe. Uebergänge derselben in die dichten schwarzen Quarzite (No. 9 Scumipr) sind sehr schön bei Entre deux Chaux oberhalb Alp Catogne zu verfolgen. 20 GRAEFF: 190 Grünlich gefärbte Phyllite, welche ich im Profil von Praz de Fort über den schwarzen Clintonitphylliten anstehend beobachtete, und welche nach einem in der Nähe des Dachschieferbruches ober- halb Sembrancher gefundenen Bruchstücke mit verzerrtem Belemniten auch in den Kalken von la Rappe und la Dent eingelagert sein müssen, erinnern an die Belemniten führenden grünen Phyllite von Fernigen im Thal der Mayenreuss (14, 4b): Anstatt die unverändert gebliebenen Sedimente in stofflich ein- heitlichen Gruppen zusammengefasst zu besprechen oder nach ihrer Zugehörigkeit zu den einzelnen Formationen und Abtheilungen der letzteren zu betrachten, ziehe ich vor, einige Detailprofile hier ein- zuschalten. Die einzelnen Profile folgen auf einander in der Rich- tung von Nord nach Süd, sie können zugleich als nähere Ausführung und als Belege für die Profile und die kartographische Darstellung auf Tafel I dienen. I. Am Dachschieferbruch beim Pas de la Faux, oberhalb Sem- brancher, hat man von oben nach unten nachfolgende Schichten: 1. Die Kalkmasse von la Dent, im oberen Theile fast aus- schliesslich aus dichtem dünnplattigem, bläulichem Kalk bestehend, welchem anscheinend besonders in den tieferen Lagen kalkhaltige sericitische Schiefer eingelagert sind. Beide Gesteine führen gelegent- lich Belemnitenreste, welche oft stark verzerrt und in einzelne Glieder auseinandergezogen sind (siehe Heım, Mechanismus der Gebirgs- bildung, Atlas, Tafel XV, Fig. 6a). Am Fusse von la Rappe, gleich oberhalb Sembrancher wurde in dem kleinen Steinbruch das Streichen der Kalktafeln zu N. 20° O., das Fallen zu 40° 8.-O. bestimmt. Der dichte Kalk hat den Habitus von gepresstem Hochgebirgskalk (Malm). 2. In der tief eingeschnittenen Erosionsrinne westlich des Steil- abfalles der mächtigen Kalkwand stehen schwarze 'T'honschiefer an, mit ungefähr N. 20° O. Streichen und 65— 70° 8.-O. Fallen und in einer Mächtigkeit von beiläufig 30 m. Sie werden durch Stollen- betrieb ausgebeutet und zu Dachplatten verarbeitet. 3. Unter denselben folgt ein wenige Meter mächtiger Complex hellgrauer, dünnschieferiger bis blättriger Kalkphyllite, abwechselnd mit einem etwas sandigen grauen Kalk. Die Kalkphyllite enthalten Echinodermenreste. 4. Es folgt mit erheblicher Mächtigkeit (circa 10 m) dunkel- grauer, sehr sandiger Kalk mit brauner und durch Auswittern des Kalkes löcheriger Oberfläche, im Bett des kleinen Baches gut ent- blösst; er streicht W. 15—20° O. und fällt mit 45° nach 8.-O. 91] GEoLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 9] 5. Am westlichen Steilrande der Erosionsrinne steht in gleicher Höhe mit dem Schieferbruch grüner hornblendeführender Schiefer an, welchem etwas höher ein gelblichbrauner dolomitischer Kalk auf- gelagert ist. Zwischen 4 und 5 ist auf längere Erstreckung alles anstehende Gesteins durch Gehängeschutt verdeckt. II. Am Wege von der Alp Oatogne nach Plan Folliaz beob- achtet man in der gleichen Reihenfolge: 1. Dichten, dünnplattigen, bläulichen Kalk wie in I 1, direkt östlich der Alphütten den rundlichen Hügel mon Regard bildend. 2. Sericitphyllit, grau bis grünlich, mit Seideglanz auf den Schieferungsflächen (der typische Glanzschiefer) in der Einsattelung, in welcher die Alphütten liegen, sowie am westlichen Gehänge gegen les Chezots. Quellenhorizont. 3. Grauer, braun und löcherig verwitternder sandiger Kalk bildet den die Mitte der Erosionsrinne einnehmenden und nach W. steil abfallenden Grat. 4. Schwarze Schiefer im westlichen Theil der Erosionsrinne. 5. Grauer quarzitischer Sandstein und graue Kalkphyllite bei Entre deux Chaux am Wege nach Plan Folliaz, sowie am Westrande der Erosionsrinne am unteren Wege durch die Schlucht. 6. Darunter an beiden Wegen zunächst ein schwarzer, dann mebr hellgrauer, an der Oberfläche gelb bis braun werdender dichter, dolomitischer Kalk vom Habitus des Röthidolomits (Trias). 7. Breccie, wesentlich aus Brocken von 6 bestehend, welche durch späthigen Kalk verkittet werden. 8. Krystalline Schiefer und Porphyr des les Ühezots genannten (rates, kurz bevor man die Höhe der Schlucht Monta Vria erreicht. III. In einem Kamin am Westabhang des N.-S.-Grates in un- gefährer Höhe von 2160 m wurden erkannt: 1. Quarzit, weiss bis röthlich, stellenweise etwas kalkhaltig, den Grat einnehmend, auf der O.-Seite als glatte Wand tief hinabreichend, auf der W.-Seite nach etwa 15 m Mächtigkeit von 3 unterlagert. Auf dem Grat selbst wurde circa N.-10°0. für Streichen und 45—50° S.-O. für Fallen, im Kamin N.-20-—-30°0. Streichen und 60° 8.0. Fallen beobachtet. 2. Reibungsbreccie zwischen 1 und 3. 3. Dunkelgrauer, gelb anwitternder dolomitischer Kalk (Röthi- dolomit). 4. Breccie aus Porphyr- und Gneissmaterial, durch kalkiges Cäment verkittet. IND WD (GRAFFF: [82 5. Porphyr und grüne gneissartige Schiefer. Letztere streichen N.30°O. und fallen 50° 8.-O. IV. Südöstlich des Lac de Champex wurde längs des Weges nach Prassony beobachtet: 1. Bläuliche bis schwarze, dünnplattige, dichte Kalke mit spär- lichen Belemnitenresten. 2. Späthige Kalke von schwarzer Farbe, z. Th. etwas sandig mit zahlreichen Resten kleiner Belemniten (Echinodermenbrececien). 3. Schwarze kalkreiche Schiefer mit spärlichen Resten von Be- lemniten und zahlreichen Pyritconcretionen. Sie streichen N.20° 0. und fallen sehr steil (70—80°) S.-O. 2 und 3 stehen am Waldrande östlich des Weges, an einem kleinen, in Höhe von circa 1440 m vom Seeabtluss sich abzweigenden Kanal sowie in 2 kleinen Steinbrüchen am Waldrande an. 4. Stark schiefriger, glimmerschieferähnlicher, weisser Porphyr, auf der W.-Seite des Weges bei seiner Biegung aus der Richtung N.-S. in diejenige von O.-W. V) Westlich Praz de Fort, am Eingang in das Thal des Glacier de Saleinaz, sind die Sedimente an der nördlichen 'Thalwand sehr schön entblösst und z. Th. gut erreichbar. Bei wiederholter Begehung konstatirte ich von OÖ. nach W.: 1. Lange Serie der dünnplattigen blauen Kalke mit etwas wech- selnder Lage: Streichen N. 20—40°0., Fallen 60—70° 8.-O. 2. Mächtige Entwicklung von grobspäthiger schwarzer Echino- dermenbreccie mit z. Th. relativ wohlerhaltenen Belemniten. Die dickbankigen Schichten streichen N.20—30°O. und fallen 60—70° S.-O. Diesem vielleicht 40—50 m mächtigen Horizont sind grünliche kalkhaltige Phyllite zwischengelagert, welche gleichfalls Belemniten führen. 3. Mächtigere, ungefähr 5 m starke Zone ähnlicher, grauer bis srünlicher Schiefer mit Belemniten. 4. Schwarze Chloritoidschiefer und COlintenitphyllite mit Belem- niten. Die beiden letzten Horizonte oberhalb einer riesigen Geröll- halde in senkrecht abbrechenden Wänden anstehend. 5. Grauer, weiss bis röthlich anwitternder Quarzit, in steiler Wand den Schuttkegel westlich begrenzend, wenige Meter mächtig. 6. Porphyr. Aus diesen Profilen geht zunächst jedenfalls das eine deutlich hervor, dass die Hauptmasse des sedimentären Complexes dem Jura angehört. Darin stimmen meine Beobachtungen mit den Annahmen 93] (HEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANG-GRUPPE. 95 aller früheren Autoren überein. Dagegen glaube ich die tiefsten Glieder der Sedimentzone in den Profilen I, II und III der Trias zurechnen zu sollen. Dies gilt speciell für den grauen, mit gelber bis brauner Oberfläche verwitternden, dolomitischen Kalk, welcher in seinem ganzen Habitus aufs evidenteste mit dem Röthidolomit der Schweizer Geologen übereinstimmt, wie er mir u. A. von dem schönen Profil des Walensees (siehe Heım |3]) bekannt ist. Damit steht im Einklang das allerdings vereinzelte und unbedeutende Vor- kommen von Rauwacke (carnieule) in Verbindung bezw. an Stelle desselben auf dem Passe über den Südgrat des Oatogne südlich des Bonhomme !. Die Zugehörigkeit der den Röthidolomit gewöhnlich unterlagernden gleichfalls wenig mächtigen brecciösen, arkoseartigen Bildungen zur Trias scheint mir zwar gleichfalls sehr wahrscheinlich, aber nicht erwiesen. Ich habe dieselben in der Karte und den Pro- filen auf Tafel I. zur Trias gezogen. Ebensowenig sicher scheint mir nun die Stellung des weissen bis grauen, öfter etwas röthlichen, stellenweise kalkhaltigen Quarzits im Hangenden des Röthidolomits, einer Bildung, welche an dem Ostabfall des Catogne ausgedehnte Felswände von einiger Mächtigskeit bildet. Anfangs war ich geneigt, denselben gleichfalls zur Trias zu zählen; die Beobachtung aber, dass derselbe offenbar das Aequivalent des sandigen Kalkes im Profil I und II darstellt, welcher in inniger Verknüpfung mit nach- weislich jurassischen Bildungen steht, liessen mich denselben als Liasquarzit auffassen. Die diesen Quarzit in Profil V direkt überlagernden schwarzen Chloritoidschiefer führen Belemniten, sind also sicher jurassisch. Das Liegende dieser schwarzen Schiefer beim Dachschieferbruch oberhalb Sembrancher (Profil I) bilden aber graue, blättrige bis körnige Kalk- phyllite, welche nach unten in einen grauen, an der Oberfläche löcherig und braun anwitternden sandigen Kalk bezw. Sandstein übergehen. Da die Kalkphyllite Echinodermenreste führen, so muss ich nicht nur diese, sondern auch den genannten sandigen Kalk zum Jura rechnen. Auf Karte und Profilen der Tafel I wurden alle genannten Bildungen oberhalb des Röthidolomits als eine unterste Abtheilung des Jura (wohl annähernd dem Lias entsprechend) von den höheren, vorwiegend kalkigen Schichten des ‚Jura getrennt dargestellt. Unter den letzteren erkennt man unschwer schon nach dem ! In grösserer Menge bei la Ör&te unweit Vence am Mont Chemin. (Vgl. S. 24.) Berichte IX. Heft 2. 7 94 (GRAEFF: [94 Gesteinscharakter Vertreter des Dogger (Echinodermenbreccien) als auch des Malm (Hochgebirgskalk). Aus der nächsten Nachbarschaft liegen auch paläontologische Belege für diese Annahmen vor, welche allerdings in Folge des schlechten Erhaltungszustandes der be- treffenden Funde stets mit einer gewissen Reserve gegeben wurden. So wird der in der Verlängerung unserer Zone nach Norden lie- gende durch A. FAvrE näher beschriebene und ausgebeutete Fossil- horizont la Cröte bei Vence am Mont Chemin auf Grund paläonto- logischer Bestimmungen von P. Meran (1) als Toarcien also oberer Lias, von M. ©. MAaver(1) als mittlerer Lias betrachtet. Bei ’Amone im oberen Ferretthal sammelte Herr GrEPPIN (15) in den von GERLACH schon näher beschriebenen Kalken eine kleine Fauna, welche auf Bajocien (mittleren Dogger) hinweist. Herr Desor (1) schliesst aus den von A. Favre an der Mayaz, nördlich des Col Ferret gefun- denen Fossilresten auf die Zugehörigkeit der betreffenden Schicht zum Malm (Oorallien inferieur). Das von mir selbst an den genannten Lokalitäten sowie anderwärts gesammelte Material gestattete nach der Meinung des Herrn G. STEINMANN, welchen ich darüber befragte, keine exakte Bestimmung, mit Ausnahme eines Seeigelstachels von l’Amone, welchen Herr O. Hus aus Bern als Cidaris propingna MÜNSTER zugehörig erkannte. Also dasselbe Fossil, welches DESOR als bestimmend für die Coralliennatur der Ablagerung an der Mayaz ins Feld führte. Im Uebrigen scheinen meine Beobachtungen an Ort und Stelle darauf hinzuweisen, dass bei ’Amone mehrere fossil- führende Horizonte verschiedenen Alters sich unmittelbar überlagern oder gar miteinander vermengt sind. A. FAvrE (15) nimmt im Profil von Y’Amone, welches er bei Gelegenheit des GrEPPIN’schen Vortrages in der Naturforschenden Gesellschaft zu Basel gab, eine Ueberkippung (renversement) der Schichten an. Es wird auf diesen Punkt im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein. In neuester Zeit hat Herr ScHarpr (10) in dem von mir näher untersuchten Gebiet nach den von ihm während eines Besuches gesammelten Fossilresten Horizontbestimmungen vorgenommen, deren Genauig- keit er anscheinend selbst nicht allzuhoch anschlägt. Was nun das geologische Alter und die Entstehung der Bündner- schiefer betrifft, so befinde ich mich nach dem oben Erläuterten in der glücklichen Lage, ihr jurassisches Alter überall durch Fossil- funde beweisen zu können. Und selbst bei Courmayeur, wo ich selbst keine Versteinerungen beobachtete, hat B. Stuper (1) schon vor langer Zeit einen Belemniten auf dem Mont de la Saxe (bei 2 R MONTBLANG-GRUPPE. A) „ (FEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DE 95] 'saosse]Lo A SOp u9SUNFTOBGOAE UAUSSTO pun AUOTL 'H/) 'YNDVOOVZ "(] “HOVTUAH "FI 'AHAVA "V YoBU Alsswundurjqjuop; sep ypanp ofyoadaond) 'S MOLT vunf (sa1sn]sajsıy>s)uajaryaszun 9 so] voquon Jajaıyag auıyjshuy (uıbo 14 ’jpuı) jtun2g N == UUUN) NDOAUS2AI3O N os MN S "ayspjjsßongaiysssagg S o EIJ0Ud 5 000002:1 e EST ee abun7 n3 oy ın DJSSSDD \ TresHanjgeT W MYOINTERRN 12592 N sauıWunjuoN aub1lag o] ap \ sehe E HERE = | J3190]9 np aylındıy = S_ ADoAuSs2.120R7 un H Sg 05 8 \ NOW gi N 4 ‚ NUN S NR { ZZ ANNO [1/04 x I NIS : = DL \N > 6ly d . \ AT a Ry an N ET, Iuay joy 2 { DD 35.77 LELd EHE Enz s2s2 31a0y9;W juowwo.n ap 372] yayyın [D9R] np aunyg jw juaaaug Se EL *) nDoaluso.1aapy A\- A EN MN AN N NETZ N \ o\ NZ i = NN NH ] 11/044 UNDIDT NN DISE \ AD UHN) DET? x juowaujul p | 1211349 Any 37 ju311] 27 < 0542 IA 6152 A 2802 4142 : 08+2 Zeet Sunjg xı5 aubojnN ajjıday DwngDjap;y) AUEMNBEE sa4211j09 100] 7* 26 (HRAEFF: [9 6 der croix de Bernada) gefunden. Da ferner für ein postjurassisches Alter des Protogin, des einzigen Gesteins, von welchem Contact- metamorphose ausgehen könnte, keine Anhaltspunkte gegeben sind, so bleibt nur die Annahme der Dynamometamorphose zur Erklärung des krystallinischen und schiefrigen Habitus, sowie der hornfels- ähnlichen Structur derselben übrig. III. Tektonik. Der geologische Bau des Mont Catogne scheint auf den ersten Blick ein sehr einfacher zu sein. Ein Blick auf die Profile und die Karte der Tafel I zeigt denselben aufgebaut aus den im vorher- sehenden näher betrachteten Zonen, welche bei gleichem, N.-O. bis N.-N.-O. gerichteten Streichen und ungefähr gleichem südöstlichem Einfallen konkordant zu liegen scheinen. Denkt man sich die Profile nach Westen verlängert (siehe Profil 1 auf Seite 25), so erkennt man auch die anscheinend durchaus sym- metrische Anordnung dieser Zonen zu beiden Seiten der centralen (rranitzone. Diese Anordnung findet sich bekanntlich längs des ganzen Üentralmassivs, von welchem der Catogne nur den äussersten nördlichen Theil darstellt. Da die geologischen Verhältnisse des Theiles nur verständlich werden, wenn man das Ganze im Auge behält, so sind auf Seite 25 unterhalb des bereits genannten, den Catogne schneidenden (reneralprofils noch zwei weitere solcher Profile gegeben, welche das ganze Massiv an zwei anderen Stellen, quer zum Streichen schneiden, und zwar in der Mitte zwischen Chamonix und Courmayeur und ganz im Süden zwischen Contamines und dem Col de la Seigne!, Beginnen wir die Betrachtung der Lagerungsverhältnisse zu- nächst am Catogne, so lässt die eingehendere Prüfung gewisse That- sachen erkennen, welche darauf hinzuweisen scheinen, dass die mehr oder weniger vollständige Konkordanz, welche die anscheinend in normaler Weise aufeinanderfolgenden Schichtencomplexe zeigen, doch wohl nicht dem ursprünglichen Gesteinsverbande entspricht, sondern erst nachträglich durch die gebirgsbildenden Vorgänge hervorgerufen sein kann, Sehr eigenthümlich und interessant ist besonders der Contact zwischen der Zone der krystallinen Schiefer und derjenige der echten ! Diese drei Profilesind den Publikationen der Herren A. FavRE, H. GERLACH, D. ZaccagnA und CH. Lory(16) der Hauptsache nach entnommen. Abweichungen von den Originalen beruhen auf eigenen Beobachtungen bezw. Anschauungen. -_ 97] (GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 97 Sedimente an mehreren Stellen auf dem Südgrat des Üatogne. Zwischen dem Bonhomme genannten und dem nächsten in nörd- licher Richtung auf dem Grate folgendeu Gipfel befinden sich auf dem hier sehr schmalen und scharfen Grate selbst klippenartige Felsbildungen, deren Form und Anordnung, vom Arpettethal und Champexthal gesehen, an die Rosszähne des Schlerngebietes in P'e des Chevresses 2536 Fie. 3. „Le Clocher“, Klippe auf dem Grat des Catogne, zwischen Bonhomme und Pte. des Chevresses (2536 m). Mechanischer Contact von Trias und Porphyr. a) Triasschichten. b) Porphyr. Tirol erinnern. Diese Bildungen befinden sich unzweifelhaft in ur- sprünglicher Lage (d. h. sie sind nicht durch Absinken oder Ab- rutschen aus ihrem Verbande mit dem anstehenden Fels gebracht) und stellen Erosionsformen des Grates dar. An denselben erfährt der sonst so einfache Verband der aufeinanderfolgenden Glieder der beiden Zonen eine Complication in dem Sinne, wie sie aus der 28 (GRAEFF: [98 Zeichnung Figur 3 (nach einer Photographie des Autors) und aus dem folgenden Detailprofil des grössten dieser Zähne, von der Bevölkerung le Clocher genannt, erhellt. Es folgen von oben nach unten: 1. Dolomitischer grauer Kalk, erfüllt von kleinsten Quarz- körnern, mit brauner Verwitterungskruste, wie in den Profilen II und III, die ganze obere Hälfte des Felsens einnehmend, 4—5m mächtig. Oben in festen Bänken abgesondert, nach unten etwas brecciös werdend. 2. Hellgefärbtes, quarzitähnliches, feinkörniges Gestein. Brocken aus Porphyrmaterial durch mehr oder weniger Kalk verkittet. Geht über in 3. Schiefrigen Porphyr, mit makroskopisch sichtbaren Quarz- einsprenglingen, und reichlichem Sericit auf den Ablösungsflächen, etwa 10m mächtig. 4. Dolomitischer Kalk wie oben in 1, etwa 1m mächtig. 5. Breccie aus Porphyrmaterial wie 2, geht über in 6. Dünnschiefrigen Porphyr wie 3, aber noch sericitreicher und schiefriger als dieser, etwa 10cm. 7. Mehrfache Wechsellagerung von 5—10cm mächtigen Por- phyr- und Kalklagen. 8. Porphyr, oben schiefrig, weiter unten ganz normal massig und kompakt, etwas rostfleckig, etwa 2m. Zu diesem Profil ist Folgendes zu bemerken: Die beiden hier in wiederholter Wechsellagerung sich befinden- den Gesteine sind in ihrer normalen Ausbildung leicht zu unter- scheiden, dagegen ist die sichere Erkennung und Deutung der wenig mächtigen Einschaltungen nur mit Hülfe der chemischen und makro- skopischen Untersuchung möglich gewesen. Die letzteren lieferten auch die Fingerzeige für die den sonstigen geologischen Verhältnissen allein entsprechende Deutung der auffallenden Lagerungsverhältnisse. Von Bedeutung war insbesondere die Erkenntniss der brecciösen Bildungen als richtiger Reibungsbreecien zwischen Kalk und Porphyr. Das Carbonat innerhalb derselben scheint sich da, wo es vor- herrschend ist, von Proben aus grösserer Entfernung vom Contact nur durch etwas hellere Färbung und durch stellenweise etwas grösseres Korn auszuzeichnen. Es scheint völlige oder theilweise Umkrystallisation desselben stattgefunden zu haben. Die Menge der in demselben eingebetteten Porphyrbrocken nimmt mit der Ent- fernung vom reinen Porphyr anscheinend ziemlich regelmässig ab, 99] GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE., 99 und die Anordnung derselben ist meist regellos. Ein von letzterem abweichendes Verhalten zeigt die Fig. 4. Es ist die nur ganz unbedeutend schematisirte Ansicht einer polirten und mit heisser Salzsäure angeätzten Schnittfläche senk- recht zum Contact von Porphyr und Dolomit, angefertigt aus einem Handstück, welches der Zone 7 des Profils entstammt. Der zu- sammenhängende nur stark schiefrige Porphyr (a) ist zur Breccie geworden, deren Bruchstücke nach einer Richtung in die Länge ge- zogen sind und untereinander parallel liegen. Zwischen diese schiebt sich das Carbonat (b) in geschlossener Masse ein. In der Ver- längerung der fingerförmig in das Oarbonat hineingreifenden Por- phyrbruchstücke, welche noch mehr oder weniger ihren Zusammen- halt bewahrt haben, liegen vereinzelte kleinere und mehr isometrische Porphyrbröckchen. Die eigentliche Breccie ist hier auf ein Mini- Figur 4 (natürliche Grösse). Contact von Porphyr und Dolomit am „Clocher“. a) Porphyr. b) Dolomit. mum reduzirt, während sie an anderen Stellen des Contacts (z. B. in 2 und 5 des Profils) fast die Mächtigkeit des kompakt gebliebenen Porphyrs erreicht hat. Diesen Verhältnissen gegenüber liess sich die Deutung der Lagerungsverhältnisse an der oben abgebildeten Felsklippe als In- trusion von Porphyrmagma zwischen die Schichten des Carbonat- gesteins, für welche der Augenschein sehr zu sprechen schien, nicht mehr aufrecht erhalten, und man ist meiner Meinung nach gezwungen, die Wechsellagerung der beiden Gesteine auf mechanische Durch- dringung derselben in fertigem Zustand zurückzuführen. Die wieder- holte Wechsellagerung so dünner Gesteinsbänke wird verständlich, wenn man sich vorstellt, dass gegen den in dünnen aber relativ starren Bänken abgesonderten und in der Richtung dieser etwas aufgeblätterten Porphyre der Röthidolomit gepresst wurde, und zwar in solcher Rich- 30 GRAEFF: [100 tung, dass seine Schichtflächen mit den Absonderungsflächen des Porphyrs einen spitzen Winkel bildeten. Dieses Verhalten setzt aber die Annahme einer Discordanz zwischen den Zonen der krystallinen Schiefer, welcher die Porphyre angehören und konkordant eingelagert sind einerseits, der Sedimente andererseits voraus. Wie schon oben angedeutet wurde, lässt sich eine solche Wechsellagerung am Oontact von Porphyr und Röthidolomit ausser an dem soeben beschriebenen auch noch an anderen Punkten des Südgrates, wenn auch weniger klar erkennen. Ein solcher Punkt ist der Gipfel 2536 m der Ptes. des Chevresses, welcher auf der Figur 4 im Hintergrund sichtbar ist. Hier scheint, soweit ich dies bei einem flüchtigen Besuche zu erkennen vermochte, ein zweimaliges Eingreifen des Porphyrs in den Dolomit stattzufinden. Auf dem gleichen Grat weiter südlich und in ungefährer Meeres- höhe von 1700m herrschen ungemein verwickelte Verbandsverhältnisse, die ich auch bei wiederholtem Besuche noch nicht völlig zu ent- zifftern vermochte. Die Komplikation wird u. A. dadurch erhöht, dass einmal hier auf dem Grate dichte und wenig oder gar nicht schiefrige, mit Säuren brausende Glieder der Formation der krystal- linen Schiefer mit Porphyr wechsellagern, und dass auch Breccien- bildung zwischen Röthidolomit und Liasquarzit stattgefunden hat. Diese letztgenannte Breccienbildung scheint übrigens nicht auf diesen Punkt beschränkt zu sein, denn ich fand dieselbe auch in Blöcken an dem Nordabhang des Oatogne, in der Erosionsrinne westlich des Schieferbruchs oberhalb Sembrancher. Schliesslich scheint mir nicht ausgeschlossen, dass auch die von A. FAvRE und H. GERLACH erwähnte, von mir selbst nicht beobachtete Conglomeratbildung von ’Amone und der Mayaz eine solche Reibungs- oder wohl besser Inemanderknetungs-Breccie dar- stelle. Verfolgen wir aber systematisch die Auflagerung der Sedimente auf der 8.-O.-Flanke des Montblanemassivs vom Catogne weiter nach Süden. Dieselben ziehen sich bis Praz de Fort in ununterbrochenem aber sich erheblich verschmälerndem Zuge, und das Profil (auf Seite 22) von dieser Lokalität belehrt uns über das Fehlen des Röthidolomit wie im südlichsten Theil des Südgrats des Catogne. Südlich Praz de Fort verschwinden die Sedimente auf der linken Thalseite bis zum Glacier de la Neuvaz. Hier treten überall die Gesteine der Zone der krystallinen Schiefer zu Tage, nur gegenüber l’Amone ist ein kleiner Rest der vorher so mächtigen Sedimenthülle erhalten. 101] (GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 3] Nach meinen Beobachtungen legt sich hier schwarzer Olintonitschiefer als tiefstes Glied derselben auf die krystailinen Schiefer auf. Es fehlt hier also auch der graue (uarzit des Profiles von Praz de Fort, es fehlt ähnlich wie am Südgrat des Catogne nicht nur die Trias, sondern auch ein Theil des Lias. Ich erinnere ausserdem daran, dass hier, wie oben bemerkt, auch die überlagernden kalkigen Schichten sich in gestörter Lagerung befinden müssen. Vom Glacier de la Neuvaz bis zum Glacier du Mont Dolent südlich des Col Ferret ist die Zone der krystallinen Schiefer wieder von Sedimenten begleitet, welche hier in ununterbrochener Folge sich an die seither auf dem rechten Ufer der Drance anstehenden Schichten anschliessen!. Aus dem von A. FavrE gegebenen Profil erkennt man, dass auch hier die Trias unter den jurassische Petrefacten führenden Kalken bezw. dem schwarzen Schiefer fehlt. (ranz analog verhält es sich nach demselben Autor auch am Mont Frety. Dagegen findet man am Mont de la Saxe und Mont Chetif bei Courmayeur wieder die normalen Verhältnisse wie am Oatogne, nämlich von W.nach ©. die Reihenfolge: krystalline Schiefer mit Porphyr, Röthidolomit und Bündnerschieferfacies des Jura. Aller- dings ist die jurassische Zone wenig mächtig und es folgt dann noch- mals Röthidolomit und Rauwacke. Letztere gehören offenbar der in der Anmerkung unten erwähnten triadischen Zone an. Südlich vom Mont Fröty’ist die Montblancflanke zunächst wieder von Sedimenten entblösst bis zu den sogenannten Pyramides cal- caires beim Col de Seigne, wo nach LorY (16) die schistes lustres von Trias als tiefstem Gliede der Sedimentreihe unterlagert sind. Ein Ueberblick über die im Vorhergehenden ausführlicher ver- folgten Verhältnisse lässt nun aber meiner Meinung nach zunächst unzweifelhaft erkennen, dass längs des ganzen S.-O.-Abhanges des Montblancmassivs nachträgliche Störungen im normalen Verband der angelagerten Schichten in bald mehr bald weniger hervortretendem Masse stattgefunden haben. Es ist meine Ueberzeugung, dass eine genaue stratigraphische Untersuchung dieses Schichtenkomplexes noch weit mehr solcher Störungen zu Tage fördern würde. Aber auch ! Diese letzteren beginnen zumeist mit Röthidolomit, Rauwacke und Gyps, also einem sicher triadischen Horizont, welcher mit einigen Unterbrechungen längs des ganzen N.-S.-Laufes der Drance bis Sembrancher und von hier über den Pas du Lens bis ins Rhonethal bei Saxon zu verfolgen ist. Leider fehlt derselbe gerade an der Stelle, wo Profil 1 auf Seite 25 schneidet. Es wird auf diesen Triaszug zurückzukommen sein. 39 GRAEFF: [102 die jetzt schon erkennbare Unvollständigkeit vieler Profile und nament- lich das öftere Fehlen der tieferen Horizonte der normalen Schichten- folge scheint mir durchaus nicht ausschliesslich in der Weise erklärt werden zu können, dass die betreffenden Bildungen hier nicht zum Absatz gelangt oder vor dem Absatze des Hangenden bereits denu- dirt gewesen wären. Ich glaube vielmehr, dass hier zumeist eine nachträgliche Entfernung in relativ junger Zeit durch Ausquetschung längs Ueberschiebungsflächen: anzunehmen ist. Ob man auch die allmähliche Verschmälerung der Zone der krystallinen Schiefer vom Catogne nach Süden und das Fehlen der- selben an der Stelle der grössten Breite des Massivs, zwischen Col Ferret und Glacier de Miage durch Ausquetschung oder Abscheerung eines T'heiles dieser Zone wird deuten dürfen, mag dahingestellt bleiben. Es ist bekannt, dass Un. Lory, der bahnbrechende Forscher im (rebiete der französischen Alpen, als das massgebende Moment für die jetzige Oberflächenbeschaffenheit dieses Gebietes das Vorhanden- sein grossartiger, im Streichen des Gebirges verlaufender Verwerfungen (failles) betrachtete. Nach ihm sind alle heute vorhandenen Niveau- differenzen, insbesondere daher auch der Gegensatz zwischen den Centralmassiven und den diese begleitenden tief eingesenkten Längs- thälern durch ein Absinken der jüngeren Sedimente längs dieser Verwerfungen zu erklären. Er stellte sich dadurch in Gegensatz zu der bis dahin allgemein angenommenen’ Auffassung, welche, das Vor- handensein solcher Verwerfungen läugnend, diese Thäler lediglich als Ergebnisse der Gebirgsfaltung betrachtete. Mit seiner Anschauungs- weise der gebirgsbildenden Vorgänge ist Lory nicht durchgedrungen, die von ihm zuerst erkannten Störungslinien sind aber thatsächlich vorhanden. So wurde schon auf der Versammlung der französischen geologischen Gesellschaft zu Chamonix im Jahre 1875 das Vorhanden- sein der „faille de Öhamonix“ durch die Untersuchungen des Herrn (0SSELET (17) bestätigt, und fast alle späteren, am Montblanc praktisch arbeitenden Geologen rechnen mit derselben. (Man ver- gleiche z. B. MicueL L£vy (6), DIENER (7).) In seinen Profilen hat Lory (20) stets nur wenige Hauptver- werfungen eingetragen, alle supponirten Verwerfungen zweiten Grades aber unterdrückt. Die in den Profilen auf Seite 25 von mir ein- getragenen Ueberschiebungsflächen entsprechen z. Th. den ersteren, z. Th. den letzteren. Es ist meine Ueberzeugung, dass eine eingehende Kartierung die Zahl derselben sehr zu vermehren erlauben würde. Nach meiner Auffassung, welche in den Profilen auf Seite 25 103] GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE,. 33 zum Ausdruck gebracht ist, muss man auf der S.-O.-Flanke des Montblancmassivs zunächst als Hauptverschiebungslinie diejenige be- trachten, deren Verlauf gegeben ist durch die Grenzlinie zwischen den Sedimenten und dem krystallinen Kern des Gebirges. Sie ent- spricht in Richtung und Lage der „faille de Chamonix* Lory's und hat wohl auch eine ähnliche Sprunghöhe, wie für jene an- genommen wird (2000 m). Ein Unterschied besteht darin, dass die auf der S.-O.-Seite liegende „faille* auf grössere Erstreckung eine von dem sonst allenthalben gleichsinnigen Einfallen von Ver- schiebungs- und Schicht- bezw. Schieferungsflächen abweichende Nei- gung nach N.-W., also gegen das Gebirge zu besitzt. Diese tritt auf an der Stelle der grössten Breite des Massivs, wo Schicht- und Schieferungsflächen sich in Fächerstellung befinden. Die Fächer- stellung! ist also eine lokale Erscheinung, und dadurch hervor- gerufen, dass hier der aus S.-O. wirkende Druck seinen grössten Widerstand erfuhr und dadurch nicht nur die bedeutendste Hebung des krystallinen Kerns, sondern auch ein Umbiegen der Verschiebungs- fläche bezw. ein Ueberkippen der emporgeschobenen Masse nach rückwärts veranlasste. Offenbar ist es auch kein Zufall, dass ge- rade hier die ursprünglich zusammenhängende kleinere krystalline Masse Mont Chetif-Mont de la Saxe dem grossen Massiv vorgelagert ist. Nach meinen Untersuchungen besteht dieselbe im Kerne&aus den gleichen Gesteinen wie der Montblanc selbst, ist daher wie dieser ein Stück alten Gebirges, aus seiner Bedeckung mit jüngeren Sedimenten herausgerissen und durch dieselben hindurchgepresst durch den aus SO. wirkenden Druck an der Stelle, wo sich dem- ! Diese Fächerstellung innerhalb des Centralmassivs ist eine lokale Er- scheinung, auf welche seither offenbar viel zu viel Nachdruck gelegt wurde, in- dem man der Betrachtung des Gebirges meist das am besten bekannte Profil Chamonix-Courmayeur zu Grunde legte und nicht beachtete, dass der bei weitem grössere Theil des Massivs keine Fächerstruetur besitzt. Ich lege daher ein gewisses Gewicht darauf zu betonen, dass nördlich wie südlich der Zone grösster Breite des Gebirges Schichtflächen, Schieferungsebene und Verschiebungsflächen gleichsinnig nach S.-O. einfallen. Es weicht also nur ein Theil des Massivs von der kürzlich in einem höchst bemerkenswerthen Aufsatze des Herrn M. BERTRAND (11) aufgestellten Regel ab, wonach in den französischen Alpen sich eine „Fächerstructur im Grossen“ bemerkbar macht, so zwar, dass beider- seits des centralen Carbonzuges (in seiner nördlichen Verlängerung über den kleinen St. Bernhard bis ins Wallis verfolgbar) eine Neigung der Falten nach Aussen (also Einfallen der Schichten nach Innen) statthabe. Das Montblanc- massiv zeiet in seinem grösseren Theil normales Verhalten, fügt sich dem gleich- sinnigen Lagerungsverhältniss seiner Umgebung. 34 GRAEFF: [104 selben in der Breitseite des Montblanc der grösste Widerstand. ent- gegensetzte. Diese Vorgänge sind jung und gehören wohl der letzten und intensivsten Faltungsperiode des Alpengebirges an. Dass die Verschiebungsflächen, längs welcher diese jungen Störungen sich voll- zogen, mit alten Verwerfungsflächen, wie Lory annahm, zusammen- fallen, ist nicht unbedingt erforderlich, dagegen ist es sehr wahr- scheinlich, dass hier Discordanzen vorhanden waren. In welchem Sinne sich die Verschiebungen vollzogen haben, ist schwer zu beur- theilen. Es hat jedoch den Anschein, als ob dieser an verschiedenen Örten und zu verschiedenen Zeiten, nicht immer der gleiche gewesen wäre, nicht immer so, dass der krystalline Kern gegenüber den Sedi- menten eine Hebung erfahren hätte, wie oben allgemein angenommen wurde. Die Oontactverhältnisse am Catogne scheinen am besten zu deuten durch Annahme einer positiven Verschiebung der Sedimente bezw. negativen des krystallinen Kerns. Die Fächerstellung in Profil 2 wird meiner Meinung nach am plausibelsten bei Voraussetzung einer positiven Verschiebung des Kerns, wie oben ausgeführt. Doch sollen nach Herrn MicHEL L£vy manche Momente auch für eine (vielleicht spätere) Bewegung in entgegengesetztem Sinne sprechen. Eine zweite Verschiebungsfläche scheidet den von ‘mir näher untersuehten schmalen Streifen triadischer und jurassischer Sedimente, welche sich direkt an den krystallinen Kern des Centralmassivs an- lehnt, von dem Glanzschieferkomplex (schistes lustres) der zweiten alpinen Zone Lory’s. Da in dem erstgenannten Streifen gleichfalls (Grlanzschieferfacies vorhanden ist, so verliert diese Linie, weiche im (srossen und Ganzen der Lorrv’schen „faille“ entspricht, viel von ihrer Bedeutung. Es ändert dabei an der Sache wenig, ob der öst- lich sich anschliessende Glanzschieferkomplex in der That, wie Lory, (FERLACH und ZACCAGNA annehmen, ausschliesslich zur Trias zu stellen ist, oder ob auch hier jurassische Horizonte versteckt liegen!. Der Verlauf dieser Störungslinie ist gegeben durch das in der Fussnote auf Seite 31 bezeichnete schmale Band sicher triadischer Bildungen (Dolomit mit Rauwacke und Gyps). Bei Courmayeur aber zieht sich ! Die Frage nach dem Alter der Glanzschiefer ist nach langen Erörterungen und Untersuchungen in ein neues Stadium getreten, seit man sich darüber klar geworden ist, dass bezüglich dieser Ausbildungsweise gewisser, dazu geeigneter Sedimente das geologische Alter keine oder doch keine wichtige Rolle spielt. Man vergleiche darüber auch die neuesten Publikationen von M. BERTRAND (11) und C. Scauior (Livret-Guide g6olog. ded. au congres g6ol. intern. VI. session & Zürich). 105] GEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 35 dieser Horizont südlich Dollone und südlich des Col de Chöcouri, lässt also Mont Ohetif und Mont de la Saxe sammt ihrem Sedimentmantel in Glanzschieferfacies westlich liegen. Weiter südlich wendet sich dieser Triasstreifen nach GErLAcCH’s Beobachtungen direkt westlich auf das Uentralmassiv zu und scheint offenbar, so weit die hier noch der Aufklärung bedürfenden Verhältnisse ein Urtheil erlauben, sich dann am Ool de Seigne direkt dem krystallinen Kern des Gebirges anzuschmiegen. Hier würden also die beiden Störungslinien in eine zusammenlaufen. Entsprechend ihrer Natur als kleines Centralmassiv lasse ich die Zwillingsgruppe Mont Chetif-Mont de la Saxe beiderseits von Ueber- schiebungsflächen begrenzt sein. Die westliche ist am Mont Chetit durch eine z. Th. offene, z. Th. durch Quarz ausgefüllte mehrere Dezimeter breite Kluft zwischen dem krystallinen Kern und dem dar- unter liegenden Glanzschiefer markiert. Es ist die auf Seite 34 er- wähnte Lory’sche „faille“, sie entspricht der „faille de Öhamonix“ am grossen Oentralmassiv. Die östliche, zwischen krystallinem Kern und Trias hindurchziehende ist weniger gut erkennbar; ihr entspricht am Hauptmassiv die Ueberschiebungsfläche des Oatogne. IV. Kurze Uebersicht. 1. Am Mont Oatogne besteht der krystalline Kern des Mont- blancmassivs aus krystallinen Schiefergesteinen, welche z. Th. aus Sedimenten, wahrscheinlich paläozoischen Alters hervorgegangen sind, und in welche der Protogin als intrusive Lagermasse eingedrungen ist. Kleinere Eruptivgänge verschiedenartiger Zusammensetzung und Structur sind als Apophysen, die ungemein zahlreichen lagerartigen (Gänge von Quarzporphyr als Nachschübe des granitischen Magmas in die Schiefer zu betrachten. Der Protoginkern sowohl als auch die Apophysen und die Quarzporphyre besitzen häufig eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Schieferstructur, welche wie die gleich- zeitig zu beobachtenden sonstigen Abweichungen vom normalen Ver- halten der unveränderten Gesteine vorzugsweise auf die Wirkung der intensiven Verschiebungen und Pressungen der letzten nach- miocänen Gebirgsfaltung zurückgeführt werden müssen. Manche der basischeren Schieferhorizonte sind wohl als den unveränderten paläo- zoischen Sedimenten gleichaltrige Bildungen zu betrachten, entstanden aus basischen Ergussgesteinen und deren Tuffen. Ob die Metamor- phose dieser und der Sedimente gleichfalls allein durch den gebirgs- 36 GRAEFF: [106 bildenden Druck eingeleitet wurde, oder ob ausserdem auch Contact- wirkungen des Protogin mitgespielt haben bezw. hauptsächliche Ur- sache der Veränderung waren, ist nicht zu entscheiden. 2. Diese Zone von krystallinen Schiefergesteinen lässt sich längs der 8.-O.-Flanke des Montblanc weiter nach Süden verfolgen. Sie ver- schwindet südlich des Col Ferret. Ob dieselbe im Profile Mont Frety- Col du G&ant vorhanden ist, bedarf noch der Aufklärung, dagegen ist dieselbe sicher und in genau derselben Ausbildung wie am Catogne vorhanden am Mont Chetif und Mont de la Saxe bei Courmayeur. Diese ursprünglich zusammenhängend zu denkende kleine Grebirgs- masse ist daher als kleines CUentralmassiv aufzufassen, welches die Hauptmasse auf der 8.-O.-Seite seitlich begleitet, wie Arpille und Aiguilles rouges auf der N.-W.-Seite. Südlich von Courmayeur be- ginnt die Zone der krystallinen Schiefer des Catogne wieder beim (slacier de Miage, und von hier ab südlich verschwindet unter der- selben der Protoginkern des Gebirges. 3. An die krystallinen Schiefer lehnt sich östlich eine Zone jüngerer Sedimente an. Am Üatogne erkennt man Trias, vertreten durch Röthidolomit und Spuren von Rauwacke (carnieule), sowie Jura, in Glanzschieferfacies als schwarze Glanzschiefer, graue und grünliche Phyllite, Kalkphyllite und dünnschiefrige Kalke. 4. Auch diese Zone lässt sich vom Uatogne weg fast längs der ganzen S.-O.-Flanke des Centralmassis verfolgen und besonders schön bei Praz de Fort, ferner bei ’Amone, an der Mayaz, sodann am Mont de la Saxe und Mont Chetif, sowie am Mont Frety beob- achten. Die jurassischen Glieder führen fast überall Fossilreste. 5. Die Lagerung aller genannten Zonen und Schichten ist an- scheinend konkordant oder wenigstens nahezu konkordant. Längs des Hauptcentralmassivs herrscht annähernd gleichsinniges etwa nach N.-O. gerichtetes Streichen; das Fallen ist in der nördlichen Hälfte, sowie im äussersten Süden südöstlich, dazwischen auf etwas längere Erstreckung nordwestlich. Hier herrscht lokal sogenannte Fächer- structur. 6. Die jetzige Auflagerung der jüngeren Sedimente auf der Zone der krystallinen Schiefer ist keine ursprüngliche, es lassen sich vielmehr längs des ganzen krystallinen Kerns des Montblancmassivs Verschiebungsflächen erkennen, längs welcher zur Zeit der letzten alpinen Faltung bedeutende, mehr oder weniger vertikal gerichtete Bewegungen der einzelnen Gebisgsglieder an einander vorbei statt- gefunden haben müssen. Aehnliche Verschiebungsflächen sind auch 107] (FEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. 37 anzunehmen zu beiden Seiten des krystallinen Kerns der Zwillings- gruppe Mont Cheötif-Mont de la Saxe. 7. Eine zweite Störungslinie scheidet den sich direkt an die Centralmassive anlehnenden jüngeren Sedimentstreifen von dem öst- lich sich anschliessenden Complex von Glanzschiefern noch etwas unbestimmten Alters, welcher hier zunächst wieder mit Triasbildungen beginnt. Diese Linie von mehr untergeordneter Bedeutung, an- scheinend die Trace einer Faltenüberschiebung (pli faille), vereinigt sich am Col de Seigne mit der vorhin genannten Hauptstörungslinie des Mont Catogne. | Freiburg i. Br., Ende Juli 1894. 38 GRAEFF: [108 Benützte Literatur. 1) Favre A., Recherches geologiques dans les parties de la Savoie, du Pie- mont et de la Suisse voisines du Montblanc. Avec un atlas de 32 planches. Geneve 1867. 1°) — —, Carte geologique des parties de la Savoie, du Piemont et de la Suisse voisines du Montblanc. Winterthur 1862. 2) GertacH H., Beiträge zur geologischen Karte der Schweiz. 9. Lieferung. Das südwestliche Wallis mit den angrenzenden Landestheilen von Savoien und Piemont. Hierzu Blatt XXII mit einem grossen Blatt colorirter und zwei uncolorirten Tafeln. Bern 1871. 3) Hem A., Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgsbildung im Anschluss an die geologische Monographie der Tödi-Windgällen- gruppe. Mit einem Atlas. Basel 1878. 3°) — —, Beiträge z. geolog. Karte d. Schweiz. 25. Lieferung. Geologie der Hochalpen zwischen Reuss und Rhein (Blatt XIV). Mit einem Anhang von petrogr, Beiträgen von Dr. C. Schuummwrt. Bern 1891. 4) Schmipr C., Geologisch-petrographische Mittheilungen über einige Porphyre der Centralalpen und die in Verbindung mit denselben auftreten- den Gesteine. (Neues Jahrbuch für Min., Geol. und Paläont. IV. Beilage Bd. 1886, S. 519.) 4°) — —, Beiträge zur Kenntniss der im Gebiet von Blatt XIV der geolog. Karte der Schweiz in 1:100,000 auftretenden Gesteine. Anhang zur 25. Lieferung der Beiträge zur geolog. Karte der Schweiz Bern 1891. 4°) — —, Sur un schiste albito-chloriteux ä& Belemnites de Fernigen. (Eclogae geologicae Helvetiae Bd. I, No. 3, 8. 213.) 5) GRAEFF FR., Studien am Montblancmassiv. 37. Versammlung der deutschen geolog. Ges. zu Freiburg i./B. 1890. (Zeitschrift d. deutsch. geolog. Ges. 1890, S. 593.) 5°) — —, Recherches concernant les roches porphyriques du flance sud-est du massif du Mont-Blanc, 73me session de la Soc. helv. des sciences natur. A Davos 1890. (Archives des sciences phys. et naturelles 1890 3me per. t. XXIV, Eclogae geolog. Helvet. Bd. II, S. 180.) 6) MicHeL L£vy A., Fitude sur les roches cristallines et eruptives des environs du Mont-Blanc. (Bulletin des services de la carte ocolog. de la France No. 9, 1890.) 7) Diener (., Der Gebirgsbau der Westalpen. Mit 2 Kartenbeilagen. Wien 1891. 8) Durarc L. und Mrazec L., Recherches sur les roches etrangeres enfermees dans la Protogine erratique du Mont-Blane. (Archives des sciences phys. et natur. t. XXV 1891.) 8°) — —, Recherches sur la Protogine du Mont-Blanc et sur quelques granu- lites filoniennes qui la traversent. (Ebenda t. XX VII 1892.) 8°) — —, La structure du Mont-Blanc. (Ebenda t. XXIX 1893.) 109] (FEOLOGISCHE UND PETROGRAPHISCHE STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE, 39 8°) Duparc L, und Marzec L., Note sur les roches amphiboliques du Mont- Blanc. (Ebenda t. XXX 1893.) 84) — —, Schistes cristallins du Mont-Blane. (Ebenda t. XXX 1895.) 9) Mrazec L., La Protogine du Mont-Blane et les roches eruptives qui l'accompagnent. These de petrographie. (Geneve 1892. 10) ScHarpr H., Sur le gneiss d’Antigorio. Observations geolog. au Mont- Catogne et au Mont-Chemin. (Acta soc. helv. sc. nat., Lausanne 1893. Archives sc. phys. et natur. 1893. Eclogae geolog. Helvet. Bd. IV, No.1, S. 120.) 11) BERTRAnD M., Etudes dans les alpes francaises (Structure en &ventail, massifs amygdaloides et metamorphisme). (Bulletin de la soc. geolog. de France, 3me serie, t. XXII, p. 69, 1894.) 11°) — —, Etudes dans les Alpes francaises (Schistes lustres de la zone cen- trale). (Ebenda t. XXI, p. 119, 1894.) 12) ZaccagnA D., Sulla geologia delle Alpi occidentali. (Bolletino del R. comi- He eeolog. d'Italia, vol. XVIII, 1887, p. 346.) a 122) — —, Riassunto di osservazioni geologiche fatto sul versante oeerdeniale delle Alpi Graie. (Ebenda serie III, vol. III 1892, p. 373, Fuss- note.) 13) GRUBENMANN U., Ueber die Gesteine der sedimentären Mulde von Airolo. Ein Beitrag zur Kenntniss metamorpher Gesteine. (Mittheilungen der Thurgauischen naturf. Ges. Heft 8, 1888.) 14) BALTZER A., Beiträge zur geolog. Karte der Schweiz. 20. Lieferung. Der mechanische Contact von Gneiss und Kalk im Berner Oberland. Mit einem Atlas von 13 Tafeln und einer EESEte: Bern 1880, S. 157. 15) Greppin J. B., Fossiles bajociens dans les mines de pyrites ferrugineuses du val Ferret (l’Amone). (Verhandlg. der Schweizer. naturf. Ges. Jahresbericht 1875/76. Basel 1877. 59. Jahresversammlung 1876. Basel, S. 59.) 16) Lory Ch., Essai sur la structure geolog de la partie des Alpes comprises entre le mont Blanc et le mont Viso. (Bulletin de la soc. geolog. de France, 2me serie t. XXIII, 1886, p. 482.) 16°) — —, Sur la structure geolog. de la valldee de Chamonix. (Ebenda 3me serie t. III 1874—75, p. 783 u. 788.) 16°) — —, Sur les schistes eristallins des Alpes oceidentales et sur le röle des failles dans la structure geolog. de cette region. (Ebenda 3 me serie t. IX 1880—81, p. 652.) 16°) — —, Sur la constitution et la structure des massifs des schistes eristallins des alpes occidentales. Congres geolog. international. Compte rendu de la 4me session. Londres 1888, p. 86. 17) GossSELET, Sur la faille de Chamonix (Bulletin de la soc. g&olog. de France 3me serie t. III 1874—75, p. 790 u. 797.) 17°) —, Analogies de structure entre l’Ardenne et les Alpes. (Ebenda 3me serie t. IX 1880—81, p. 689.) 18) Teruıer M. P., Etude sur la constitution geolog. du massiv de la Vanoise (Alpes de Savoie). (Bullet. des services de la carte geolog. de la France vol. II 1890—91, No. 20.) Berichte IX. Heft 2. 8 40 GRAEFF: GEOLOG. U. PETROGRAPH. STUDIEN IN DER MONTBLANC-GRUPPE. [110 Bemerkungen zu Tafel I. Als topographische Grundlage für Karte und Profile dienten Theile der Blätter 526 (Martıeny) und 529 (Orsıkres) der topographischen Karte der Schweiz im Maassstab 1: 50000 (SIEGFRIED-Atlas). Es wurden aber erhebliche Vereinfachungen vorgenommen, so z. B. die gesammte, so überaus reichliche Felsschraffur weggelassen. Karte und Profile sollen ledielich eine Uebersicht der geologischen Ver- hältnisse vermitteln. Da sie nicht die Ergebnisse einer systematischen Karti- rung des ganzen Gebietes darstellen, wird kein Anspruch auf absolute Genauig- keit aller Grenzlinien erhoben. Dies gilt besonders in Bezug auf die Abgrenzung der pleistocänen Bildungen gegenüber den älteren Formationen und Gesteinen, aber auch in minderem Grade von den Grenzen zwischen Protogin und krystal- linen Schiefern, sowie von derjenigen zwischen den beiden Abtheilungen der Juraformation. Ganz genau dagegen ist die Grenzlinie zwischen den krystallinen Schiefern und den Sedimenten. Ueber die Abgrenzung von Trias und Jura ist der Text nachzusehen. Da eine detaillirte Darstellung der zahllosen einzelnen Porphyrgänge nicht möglich war, wurde schliesslich von der Ausscheidung des Porphyrs überhaupt abgesehen. 111] 1 Das Alter der paläolithischen Station vom Schweizerbild bei Schaffhausen und die Gliederung des jüngeren Pleistocän. Von G. Steinmann. (Theilweise vorgetragen in der Sitzung vom 13. Juni 1894.) Der ungeheuere Reichthum an Funden aus der vorgeschicht- lichen, besonders aus der paläolithischen Zeit, welchen die Aus- grabungen des Dr. NuEscHh am Schweizerbilde bei Schaffhausen zu Tage gefördert haben, ebenso die Umsicht und Sorgfalt, mit welcher die Ausgrabungen angestellt wurden, haben dieser Fundstelle in kurzer Zeit eine berechtigte Berühmtheit verschafft. Zahlreiche Ethnologen und Geologen haben sie besucht und die Sammlungen des Dr. NuzscH besichtigt. Es liegen auch schon einige Mitthei- lungen darüber vor!, während die ausführliche unter der Mitwirkung anerkannter Fachmänner verfasste Beschreibung erst in einiger Zeit veröffentlicht werden wird ?. In meiner Absicht, die wichtige Stelle und die darauf gemachten Funde kennen zu lernen, wurde ich besonders durch den Umstand bestärkt, dass in den meisten Berichten? das Alter der gesammten ! Nuesch, Station prehistorique de l’age du renne etc. (Arch. Sc. phys. ‘et nat. 1892); BoutLe, La Station quaternaire du Schweizerbild (Nouv. Arch. des Miss. scient. et litt. 1893). ® Herrn Prof. MEISTER in Schaffhausen verdauke ich die zeitige Zustel- lung eines Abzuges der geologischen Karte über die Diluvialbildungen von Schaft- hausen von PEnck und MEISTER. ® BouLE, ]. c. und L’anthropologie V, 1894, p. 82 Anmerkung. 8* 92 STEINMANN: [112 ui dort gemachten Funde als postglacial angegeben wurde, eine Deutung, die mir nach Analogie mit sonstigen ähnlichen Funden, namentlich mit den im Bereiche der benachbarten oberrheinischen Tiefebene gelegenen, von vorn herein wenig wahrscheinlich dünkte. Der freundlichen Führung der Herren Prof. MEISTER und Dr. NuEscH habe ich es zu verdanken, dass ich in kurzer Zeit die Fundstellen des Schweizerbildes und des Kessler Lochs ebenso eine Anzahl wichtiger Vorkommnisse des dortigen Pleistocäns und die am Schweizerbilde gemachten Aufsammlungen kennen lernen konnte. Die Auffassung, welche ich mir hiernach gebildet habe, ist folgende: Die paläolithischen Vorkommnisse vom Schweizer- bild und KesselerLoch gehören ebenso wie die dem Alter nach sicher bestimmbarenähnlichen Vor- kommnisse im Oberrheingebiet, bei Thiede und an vielen anderen Orten der letzten Interglacial- zeit an; siesindälter als die unverletzte Moränen- landschaft und die von derselben ausgehenden Aufschüttungen der sog. Niederterrasse. Vergegenwärtigen wir uns zunächst, nach welchen Principien in Mitteleuropa, speciell im Alpengebiete die pleistocänen Bildungen gegliedert worden sind. Als Ablagerungen der letzten Eiszeit hat man nach dem Vorgange PEnxcK’s die unverletzten End- moränen und die an dieselben sich anschliessenden fluvio-glacialen Aufschüttungen bezeichnet. Alles, was älter ist, wurde der vor- letzten, bezw. drittletzten Eiszeit zugewiesen. Dabei muss jedoch im Auge behalten werden, dass anfänglich von PEnck die sog. „unteren Glacialschotter“ als eine jeder Vereisung vorausgehenden Aufschüt- tung betrachtet wurden und dass sich erst durch Ausdehnung der Untersuchungen auf weitere Theile des Alpengebietes das von HEIM von vorn herein behauptete Fehlen solcher beim Anrücken der Eis- massen gebildeten Aufschüttungen herausgestellt hat!. Damit erst war eine Uebereinstimmung mit den Beobachtungen in anderen Glacialgebieten hergestellt. Als interglaciale Bildungen im All- gemeinen ‘waren Löss und Lösslehm erkannt. Im Besonderen haben die sorgfältigen Untersuchungen Du PAsquier’s? und GUTZWILLER’S? ı Prxck, Die Glacialschotter i. d. Ostalpen (Mitth. d. Deutsch. und Oest. Alpenv. 1890). _ 2 Du Pasqvier, Die fluvioglacialen Ablagerungen der Nordschweiz (Beitr. z. geol. K. d. Schweiz, Lief. 31, 1891). 3 GUTZWILLER, Die Diluvialbildungen der Umgebung von Basel (Verh. 113] Das ALTER DER PALÄOLITHISCHEN STATION VOM SCHWEIZERBILD ETC. = im Bereiche des nordschweizer Pleistocäns als feststehende That- sache ergeben, dass der Niederterrasse eine Löss- oder Lösslehm- bedeckung fehlt. Zum gleichen Ergebnisse gelangte der Verf. im badischen Oberlande!. Gleichzeitig ist durch diese Untersuchungen aber auch ermittelt worden, dass in den postglacialen Ablagerungen (d.h. in der Niederterrasse, in ihren Einlagerungen und Bedeckungen) eine sog. diluviale Fauna, im Besonderen Mammuth, Rhinoceros etc. und die Schneckenfauna des Löss nicht mehr vorkommt, dass viel- mehr mit oder nach dem Eintritt der letzten Eiszeit die heutige recente Fauna die sog. diluviale verdrängt hat. Diese Thatsache ist von besonderer Wichtigkeit für die Beurtheilung des Alters solcher prä- historischer Stationen, welche nicht in einer Ablagerung sich finden, die ihrem geologischen Alter nach ohne Weiteres bestimmbar ist. Das Alter steht aber bei einer Anzahl von Stationen mit völliger Sicherheit fest. Vor allen Dingen bei denjenigen, welche sich im anstehenden Löss befinden. Derartige Funde liegen aus dem Ober- rheingebiete (Egisheim, Achenheim, Munzingen u. a. O.), aus Mähren und verschiedenen Theilen Norddeutschlands vor. Auch die bekannte Fundstätte von T'hiede gehört demselben Niveau, nämlich dem jüngeren Löss an, wovon ich mich selbst gelegentlich eines Besuches im Sommer 1893 überzeugte. Diese letzte Interglacialperiode ist nun aber ausser durch die Anwesenheit des paläolithischen Menschen besonders durch die weite Verbreitung der Steppenthiere ausgezeichnet. Niemals hat man ihre Reste in der Niederterrasse oder deren Schlick- oder (unreinen) Lehmbedeckungen gefunden. Wenn wir mit diesen Thatsachen ausgerüstet die Fauna über- blicken, welche‘ sich in den tieferen Theilen der Ablegung vom Schweizerbild, in der sog. Unteren Breecien- oder Nagethierschicht und in der Gelben Kulturschicht gefunden hat, so werden wir keinen Anstand nehmen sie für diluvial und gleichalterig mit derjenigen des Jüngeren Löss zu erklären. Nach den Untersuchungen SrupEr's und NEHRING’s? sind mit den Werkzeugen des paläolithischen Menschen zusammengefunden worden: nat. Ges. Basel X, 1894). Ders.: Der Löss mit besonderer Berücksichtigung seines Vorkommens bei Basel (Ber. d. Realsch. z. Basel X, 1893/94). * Ueber die Gliederung des Pleistocän im badischen Oberlande (Mitth. d. Grossh. Bad. Geol. Landesanst. II 1883, p. 745). ° Vgl. Nuesch, Katalog d. Fundgegenstände a. d. prähistorischen Nieder- lassung b. Schweizerbild, Schaffhausen 1893; NEHrıns, Ueber Tundren-, Steppen- 7 STEINMANN: [114 a) in der ältesten oder „Untern Nagethierschicht“: eine arktische und subarktische Steppenfauna (i. Bes. Myodes torguatus; daneben Renn, Pferd ete.): b) in der nächst jüngeren oder „Gelben Kulturschicht“: die typische Fauna des Jüngeren Löss: Steppenfauna (Mammuth !, Rhinoceros, Pferd, Rennthier, Alpenhase etc.); c) in der „Oberen Nagethierschicht“: eme Mischung der Wald- und Steppenfauna, ohne oder mit nur spärlichen Ueberresten mensch- licher Thätigkeit. Die nächstfolgende „Graue Kulturschicht“ enthält ausgesprochen neolitische Werkzeuge und die recente, d. h. postglaciale Waldfauna. NEHRING macht (l. c.) darauf aufmerksam, dass die Aufeimander- folge einer Tundren-, Steppen- und Waldfauna hier sich in gleicher Weise hat beobachten lassen, wie bei Tiede und an anderen nord- deutschen Fundorten. Ein solcher Faunenwechsel passt nun voll- ständig zu den klimatischen Veränderungen, welche wir aus der Natur der jungpleistocänen Gesteinsmassen im Oberrheingebiete er- schliessen. Die Periode, zu welcher die relativ mächtige : Obere Nagethierschicht gebildet wurde, fällt im Wesentlichen mit der lezten Eiszeit zusammen; sie ist durch die Verdrängung der inter- glacialen Steppenfauna durch die Waldfauna bezeichnet. Die Spär- lichkeit menschlicher und thierischer Ueberreste harmonirt mit dieser Auffassung sehr wohl, ebenso wie die relativ bedeutende Mächtig- keit der Breccienbildung während der eiszeitlichen Phase. Die Steppen- und Tundrenfaunen der beiden älteren Lagen (b und a) ent- sprechen der letzten Interglacialzeit, während welcher der Jüngere Löss zum Absatz gelangte. Die tieferen Theile desselben, welche in unmittelbarem Anschluss an die vorhergehende Vereisung (der Mittelterrassenzeit) gebildet wurden, tragen die unverkennbaren Spuren der zu jener Zeit herrschenden klimatischen Verhältnisse. Die Lössmassen sind auch in der Bergregion durch partielle Ver- lehmung und Gehängeschichtung ausgezeichnet. In den höheren Lagen des Lössprofils macht sich der staubartige Charakter der Bil- dung immer mehr geltend, die Spuren der Niederschläge verschwinden mehr und mehr und die organischen Einflüsse verlieren sich schliess- lich ganz: das Steppenklima accentuirt sich immer mehr. u. Waldfauna aus der Grotte zum Schweizerbild b. Schaffhausen (Naturw. Wochenschrift VIII, 10. März 5. 1893). ! Als Zeichnung auf der grossen Kalksteinplatte (vgl. Nurscn, 1. c. p. 23, No0.:1217). 115] Das ALTER DER PALÄOLITHISCHEN STATION VOM SCHWEIZERBILD ETC. 5 In den postglacialen Ablagerungen suchen wir aber vergeblich nach Spuren ähnlicher klimatischer Wandlungen. Nicht eine Er- scheinung deutet darauf hin, dass der letzten Eiszeit eine Steppen- periode gefolgt sei. In welchem Verhältniss befinden sich nun die paläolithischen Stationen vom Schweizerbild und vom Kessler Loch zu den ver- schiedenen Stufen des dortigen Pleistocän? Beide liegen nicht auf Moränen oder fluvioglacialen Anschwemmungen alpinen Charakters und werden auch nicht von solchen bedeckt!. Also ist ihr Altersverhält- niss zu den verschiedenen Stufen des alpinen Pleistocäns direkt nicht bestimmbar, wohl aber indirekt. Zunächst ist ins Auge zu fassen, dass beide Fundstellen ausserhalb der unverletzten End- moränenlandschaft sich befinden. Der Endmoränenwall des Spiegelguts bleibt ca. 600m vom Schweizerbilde entfernt, vom Kessler Loch liegen die Moränenzüge noch viel weiter zurück. Nun treten in der Umgebung von Schaffhausen glaciale und fluvioglaciale Ab- lagerungen in weiter Verbreitung auf, über deren Alter die Ansichten noch weit auseinander gehen. GUTZWILLER (l. c. p. 606--608) hält eine Reihe von Vorkommnissen für Absätze der Hochterrassenzeit, welche von PEncK und MEISTER als Terrassenschotter von Schaft- hausen und Innere Moränen, also jedenfalls nicht der vorletzten Ver- eisung angehörig betrachtet werden. Ich selbst habe bei meinem zwar nur sehr kurzen Besuche der Gegend den Eindruck erhalten, als ob hier wie überhaupt am Aussenrande der alpinen Vereisung viel verwickeltere Verhältnisse vorlägen, als man gewöhnlich annimmt. Mit einer Dreitheilung kommt man hier ebenso wenig aus, wie im Oberrheingebiete und neuere Specialarbeiten, wie z. B. diejenige (UTZWILLER’s über die Diluvialbildungen der Umgebung von Basel können mich in dieser Auffassung nur bestärken?. So fasse ich denn auch die in der nächsten Umgebung der beiden Fundstellen auftretenden glacialen und fluvioglacialen Ablagerungen alpinen Ur- sprungs, welche im Gegensatze zu den Endmoränenzügen einen ver- ! Vgl. die geologische Karte über das Diluvium von Schaffhausen und Umgebung von PEnck und Meister, 1: 25000. * GUTZWILLER unterscheidet bei Basel mit Sicherheit vier glaciale, bezw. tluvioglociale Aufschüttungen, abgesehen von der sicher pliocänen, welche als Huppererde im Jura auftritt. Die Möglichkeit einer noch weiteren Compli- cation wird aber auch von diesem Forscher anerkannt; er sagt (l. c. p. 676): „Mir scheint thatsächlich die Annahme verschiedener Aufschüttungen mit zwischenliegenden Erosionen während der Zeit der Hochterrassenbildung eher annehmbar als nicht“. 6 STEINMANN: [116 waschenen Charakter besitzen und durch die Erosion vielfach zer- stückelt sind, als die Absätze der vorletzten Eiszeit (Mittelterrassen- zeit) auf. Wollte man sie mit den unverwaschenen Moränen der letzten Eiszeit im Beziehung setzen, so bliebe ihre jetzige Verbreitung meiner Ansicht nach unerklärt. Gerade das von der Eisenbahn- linie Schaffhausen — Thaingen durchzogene Erosionsthal, in welchem das Kessler Loch gelegen ist, lässt deutlich erkennen, dass nach Ablagerungen der fraglichen Moränen und Schotter eine tiefgehende Krosion thätig gewesen ist, welche nicht nur diese zerstückelt, sondern auch den Weissen Jura tief angeschnitten hat. Da nun aber das Thal heute von keinem grösseren Bach durchflossen wird und postglaciale Erosion (mit wenigen, leicht als solchen zu erkennen- den Ausnahmen) an die heute noch vorhandenen Wasserläufe ge- bunden ist, so muss das Thal vor der letzten Eiszeit entstanden sein, aber nach Ablagerungen der verwaschenen Moränen, welche in Höhen von 20—40 m über der jetzigen T'halsohle den Weissen Jura bedecken. In die zwischen beide Eiszeiten fallende Interglacialperiode möchte ich die Besiedelung der Höhle durch den paläolithischen Menschen setzen. Die Fundstelle vom Schweizerbild liegt z. Th. auf Felsuntergrund, z. Th. auf einer Geröllablagerung localen Charakters, d. h. auf einem aus Gresteinen des Weissen Jura bestehenden Schotter, sog. Bachkies. Das Verhältniss dieses Lokalschotters zu den alpinen Glacialbildungen ist durchaus unsicher. Es sind keinerlei Aufschlüsse bekannt, welche die gegenseitigen Beziehungen klar stellen könnten. Nach den Er; fahrungen aber, die.man im Oberrheingebiete gemacht hat, darf die Gliederung der diluvialen Geröllbildungen in den Mittelgebirgen keineswegs als ein leichtes Unternehmen betrachtet werden. Ueber die Gliederung der Diluvialbildungen der Randenregion liegen noch keinerlei genauere Untersuchungen vor; nur lassen die von Prof. MEISTER bis jetzt aufgefundenen Punkte die Vermuthung berechtigt erscheinen, dass nur durch sehr eingehende Untersuchungen, wie sie z. B. für die Herstellung geologischer Specialkarten erforderlich sind, die einschlägigen Fragen endgültig gelöst werden können!. Für die ! Die erwähnte geologische Karte der Diluvialbildungen der Umgebung von Schaffhausen ist zwar im Massstabe 1:25,000 gedruckt. Als eine endgültige Specialkarte wird sie aber von Herrn MEısTEr selbst nicht betrachtet. Solange noch (derartig weitgehende Differenzen in der Auffassung des Alters mancher Bildungen bestehen, wie zwischen GUTZWILLER und den Verfassern der Karte, kann davon ja auch keine Rede sein. Damit soll jedoch den Verfassern das ihnen gebührende Verdienst in keiner Weise geschmälert werden. 117] Das ALTER DER PALÄOLITHISCHEN STATION VOM SCHWEIZERBILD ETC. 7 in unmittelbarer Nähe des Schweizerbildes auftretenden Glacial- ablagerungen alpinen Charakters (soweit sie nicht der unverwaschenen Moränenlandschaft angehören) gilt das Gleiche, was für diejenigen der Umgebung des Kessler Lochs gesagt wurde: sie sind von der Erosion tief zerschnitten, obgleich in dem ganzen Thalsysteme Freudenthal-Birchthal-Bachwiesen jetzt überhaupt kein zusammen- hängender Wasserlauf vorhanden ist. Auch hier kann ich mir die Thalbildungen nur als präglacial (im Verhältniss zur letzten Eiszeit) vorstellen. Ich komme daher zu dem Schlusse, dass das Alter der Fund- stätten vom Schweizerbild und Kessler Loch noch der genauen Fest- stellung bedarf, dass aber eine Reihe schwerwiegender stratigraphi- scher Gründe mir dafür zu sprechen scheinen, dass die T'häler, in denen sich die beiden Stationen befinden, vor der letzten Eiszeit (im Sinne der ursprünglichen Prxcr’schen Gliederung) gebildet und von paläolithischen Menschen bewohnt waren. Lassen wir die paläontologischen Funde allein sprechen, so ergiebt sich, dass die in der unteren Nagethierschicht und in der gelben Kulturschicht des Schweizerbildes mit den Spuren des paläolithischen Menschen gefundenen Thierreste- mit der Fauna der letzten Interglacialzeit, wie sie uns in stratigraphisch sicherer Stellung aus dem ‚Jüngeren Löss (Rhemthal, Thiede ete. — Stufe des Klephas primigenius —) bekannt ist, vollständig übereinstimmen. Die obere Nagethierschicht würde der letzten Eiszeit und die graue Kulturschicht mit ihren neolithischen Resten der Postglacial- zeit entsprechen. Wir hätten also folgende Gliederung am Schweizer- bild: Humusschicht. | Graue Kulturschicht. (Neolithische Reste, Wald- fauna) | Obere Breccien- (oder Nagetbier-)schicht. Letzte (Mischung von Wald- und Steppenfauna). Eiszeit. Gelbe Kulturschicht. (Paläolithische Reste, Postglacial. Steppenfauna). Letzte Untere Breccien- (oder Nagethier-)schicht. \Interglacial- (Paläolithische Reste, arktische und subarktische zeit. Steppenfauna). Vorletzte Eiszeit (Mittelterrasse). Bei dieser Deutung der verschiedenen Lagen des Schweizer- Gerölllage von lokalem Charakter. N 8 STEINMANN: [118 bildes wird auch die Ausnahmestellung beseitigt, welche dieser Fundpunkt in der Reihe der paläolithischen Stationen scheinbar einnimmt. Denn unter Berücksichtigung der geologisch genau be- stimmten Funde darf z. Z. als festgestellt gelten, dass in unserer (segend die Spuren des paläolithischen Menschen ebenso sichere Leitobjeete für die jüngste Interglacialzeit abgeben, wie die jüngste Diluvialfauna, mit welcher er zusammen gelebt hat!. Weahrschein- lich ist der paläolithische Mensch mit derselben Fauna nach Norden sewandert, als das Klima in Mitteleuropa gegen Schluss der Löss- periode zu trocken wurde. So erklärt sich wenigstens ungezwungen das vollständige Fehlen organischer Reste, animalischer wie vegetabilischer in den höchsten Lagen der ‚Jüngeren Löss, wo er ausserhalb der Thalrinnen an- getroffen wird, ebenso auch das Vorkommen von Mammuth- und Rhimocerosleichen im gefrorenen Boden des hohen Nordens. Als mit Eintritt der letzten Eiszeit das Klima wieder feuchter wurde, ist der neolithische Mensch und mit ihm die heutige Waldfauna in unsere Gegenden eingedrungen. Da aber dem Rückzuge der letzten Vereisung nicht wieder eine Steppenzeit folgte — was u. A. durch das Fehlen von Löss auf der Niederterrasse: bewiesen wird —, so hat diese Fauna seit jener Zeit sich so gut wie unverändert erhalten. Rennthier und Pferd scheinen auch noch in postglacialer Zeit Mittel- europa bewohnt zu haben, aber die typischen Tundren- und Steppen- nager sind nicht wiedergekehrt. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Conchylienfauna des Jüngeren Löss, welche kaum verändert heute die russischen Steppen bewohnt; aber nur ein Theil derselben lebt mit der postglacialen gemischt in unseren Gegenden. Die im Vorstehenden mehrfach gebrauchten Bezeichnungen Letzte Interglacialzeit, Vorletzte Eiszeit bedürfen noch einiger Er- läuterungen. Diese Ausdrücke können nicht als eindeutig gelten, da verschiedene Forscher eine sehr ‚verschiedene Zahl von Eiszeiten und Interglacialzeiten gelten lassen. Im Norddeutschland unterscheidet ! Ich sehe dabei natürlich von dem noch genauer zu untersuchenden Vor- kommen des paläolithischen Menschen in älteren Interglacial- oder Glacial- ablagerungen ab und bemerke, dass das Vorkommen paläolithischer Artefekte in Geröllablagerungen der letzten Eiszeit nicht als Beweis dafür betrachtet werden darf, dass der paläolithische Mensch damals wirklich noch an jener Stelle gelebt habe, wie ja auch verschwemmte Knochen von Mammuth ete. in den Kiesen der Niederterrasse nicht selten sind. 119] DAs ALTER DER PALÄOLITHISCHEN STATION VOM SCHWEIZERBILD ETC. 9 man gewöhnlich nur zwei, indem dort die Endmoränenphase nicht als gesonderte Periode betrachtet wird. In den Alpen hat man drei unterschieden, von denen die letzte durch die unverletzte Endmoränen- Landschaft und deren Abschwemmungsprodukte bezeichnet wird. Bei Basel und in der Ostschweiz trennte GUTZWILLER vier verschiedene Schottersysteme mit dem Hinweis auf weitere Trennungen, im badischen Oberlande zählen wir (mit Ausschluss der pliocänen Blockmoränen) ebenfalls (mindestens) vier, von denen die viertletzte die Phase der grössten Verweisung bezeichnet, während letztere nach der alpinen Dreigliederung der vorletzten entspricht. Bei einer solchen Sach- lage wäre es meiner Ansicht nach verfehlt, an der ursprünglichen Dreigliederung dogmatisch festhalten zu wollen oder gar gerade jetzt präjudieirende Bezeichnungen wie pal@oglaciaire, mesoglaciaire, n&o- glaciaire! zu schaffen, die eine Einschaltung gleichwerthiger Glieder nicht gut gestatten. Liegen doch gerade in der Nordschweiz die concretesten Anhaltspunkte für die Ausscheidung einer fünften Stufe (zu den vier von GUTZWILLER erkannten) vor. Diese meist noch wenig beachtete und entweder mit der Hochterrasse oder Niederterrasse vereinigte Stufe, für welche ich den Namen Mittelterrasse vor- geschlagen und die ich im Vorhergehenden unter Absatz der vorletzten Eiszeit verstanden habe, wird nun aber gerade für unsere Erörte- rungen von Wichtigkeit. Die ersten Andeutungen einer zwischen Hoch- und Niederterrassen eingeschalteten gesonderten Auffüllung im Gebiete der Nordschweiz glaubte ich in der Moräne der Beznau gefunden zu haben?. Dass dort eine Moräne vorliegt, welche sich ohne Zwang weder der Niederterrasse noch der Hochterrasse ein- fügen lässt, und dass möglicher Weise eine Lössbedeckung darauf vorhanden gewesen ist, wird auch von Du PAsquier® anerkannt. Nun konnte ich aber im badischen Oberlande den Nachweis liefern‘, dass dort eine ganz analoge Aufschüttung von fluvioglacialem Charakter vorhanden ist, welche früher von mir mit der Hochterrasse, in El- sass, dagegen mit der Niederterrasse vereinigt worden war. Es hat ! Vgl. Le Systeme glaciaire des Alpes par PEnck, BRÜCKNER, Du PAsauıEr, p- 30 (Bull. soc. Sc. Nat. Neuchätel, t. XXII, 1894). ° STEINMANN und Du Pasquier, Bericht üb. eine gemeins. Excursion ete. (Mitth. der Grossh. Bad. Geol. Landesanstalt II, 395, 1893. — Arch. Se. phys. et nat. 1892, p. 219). ® Le Systeme glaciaire etc., p. 28. * Ueber die Gliederung des Pleistocän im badischen Oberlande (Mitth. d. Grossh. Bad. Geol. Land. II, 745, 1893. 10 STEINMANN: [120 sich weiterhin feststellen lassen, dass diese Aufschüttung (Mittelterrasse) ebenso von der Hochterrasse durch Phasen der Lössbildung und Erosion getrennt ist, wie die Niederterrasse von ihr und dass der sog. ‚Jüngere Löss (welcher die gewöhnlich als Lössfauna bezeichneten T'hierreste enthält), nach ihrer Bildung, theilweise auch gleichzeitig mit ihr abgelagert worden ist. Damit ist aber auch erwiesen, dass die Mittelterrasse gerade so gut als eine gesonderte Stufe aufgefasst werden muss, wie Niederterrasse oder Hochterrasse, denn den jüngeren Löss nur als eine „interstadiäre* Bildung aufzufassen, dazu würde sich wohl kaum Jemand verstehen. Der Erhaltungszustand, in welchem sich uns das Material der Mittelterrasse darbietet, entspricht im Ganzen der Zwischenstufe, die diese Bildung einnimmt. Die Geschiebe und Gerölle sind im All- gemeinen frisch, namentlich dort, wo die Lössbedeckung sie noch jetzt vor der Verwitterung schützt, wie vielfach im badischen Oberlande, oder wo eine jüngere Gerölldecke die gleiche Wirkung hervorbringt, wie in der Beznau, ebenso aber auch dort, wo die früher etwa vor- handene Löss- oder Verwitterungsdecke durch die Denudation ent- fernt ist. Ich erblicke daher auch in dem relativ frischen Erhaltungs- zustande der in der Gegend von Schaffhausen vor der unverletzten Endmoränenlandschaft ausgebreiteten Grlacialbildungen, in deren nächster Nähe die besprochenen Stationen sich finden, keinen Grund, dieselben nicht der vorletzten Eiszeit (d. h. der Mittelterrassenzeit) zuzurechnen; wohl aber scheint mir die weitgehende Zerstückelung, die sie durch die Erosion erfahren haben, dafür zu sprechen, dass sie von der Niederterrasseperiode grundsätzlich auszuscheiden sind. Da- bei verkenne ich keineswegs die Schwierigkeiten, die sich einer der- artigen Trennung der jüngern Glacialbildungen überall dort entgegen- stellen, wo ein so wichtiges Kennzeichen, wie die Bedeckung mit aus- schliesslich jüngerem Löss fehlt. Diesen Schwierigkeiten begegnet man schon im Rheinthale bei der Annäherung an das Gebirge. Hier werden nur noch vereinzelte, oft oberflächlich stark verlehmte und dann nur durch Bohrung oder zufällige Aufschlüsse erkennbare Inseln des ‚Jüngeren Löss sichtbar, aber gerade ihr sporadisches Auftreten, sogar noch in beträchtlicher Meereshöhe und in weiter Entfernung vom Rheinthale zeigt aufs Deutlichste die ursprünglich wohl ziem- lich allgemeine Verbreitung dieses leicht zerstörbaren Gebildes. Aber solche Schwierigkeiten dürfen uns doch nicht bestimmen, an einer Gliederung wie der alpinen Dreitheilung festzuhalten, welche wohl für ein gewisses Stadium der Forschung brauchbar war, sich aber bei 121] Das ALTER DER PALÄOLITHISCHEN STATION VOM SCHWEIZERBILD ETC. li fortschreitender Erkenntniss als nicht mehr ausreichend erweist. Sehr getährlich aber scheint es mir, eine solche provisorische Gliederung unkritisch auf andere Gebiete zu übertragen, welche einer genauen Erforschung noch bedürftig sind. Das gilt meiner Meinung nach z. B. für das Riesengebirge, wo ParrscH! die End- und Rückzugs- moränen der letzten Eiszeit, die ihr vollständiges Analogon in den inneren und postglacialen Moränen des Schwarzwaldes, der Vogesen und der Alpen finden, z. Th. mit dem Deckenschotter und der Hochterrasse in Parallele zu setzen versucht hat, anstatt wie BERENDT diese älteren Bildungen in den tiefen Theilen des Gebirges zu suchen, wo sie nach Analogie mit andern deutschen Mittelgebirgen sich finden müssten. ! Die Vergletscherung des Riesengebirges (Forsch. z. deutsch. Landes- u Volkskunde, VIII, 2, 1894). 1 [122 Ueber die Grenzzone zwischen Hochalpen und Freiburger Alpen im Bereiche des oberen Simmethales. Von Dr. E. C. Quereau in Chicago, IM. Mit 1 Profiltafel. In den Monaten Juni und Juli des Jahres 1893 habe ich das (Grenzgebiet der Hochalpen und Freiburger Alpen zwischen Engst- ligen- und Saanethale genauer untersucht, besonders in Bezug auf die tektonischen und stratigraphischen Verhältnisse dieser beiden ver- schieden zusammengesetzten Grebiete. Bei der scharfen Differenzirung der beiden Schichtenfolgen — der helvetischen (in den Hochalpen), der vindelicischen! (in den Frei- burger Alpen) — lässt sich die Grenze der Faciesgebiete unschwer verfolgen. Sie verläuft, wie auf der geologischen Karte der Schweiz 1:100000, Bl. XVII im Allgemeinen richtig angegeben ist, auf der untersuchten Strecke vom Fusse des Elsighorn i. O. zwischen Metsch- horn und Allmengrat, weiterhin am Fusse des Mittaghorns, des Fizer und Amertengrats entlang ins obere Simmethal. Im S. von Bad Lenk zieht sie sich am S.-Fusse des Laubhorns und weiterhin am NW.-Abhange der Hochalpenkette, welche durch die Erhebungen des Iftigenhorn, Nieshorn und Spitzhorn bezeichnet wird, hin bis in die ı Der Kürze wegen bezeichne ich die triadische, jurassische und altereta- eische Schichtenfolge der nordschweizer Klippenregion und der Freiburger Alpen, welche der ostalpinen näher verwandt ist, als der helvetischen, mit diesem Namen. 123] ÜEBER DIE GRENZZONE ZWISCHEN HOCHALPEN UND FREIBURGER ALPEN ETC. 9 Gegend von Gsteig im oberen Saanethale. Fast überall auf dieser Strecke ist die Grenze durch den nahezu senkrechten, meist mehrere hundert Meter hohen Steilabsturz der äussersten Hochalpenkette orographisch scharf markirt; auf ihr taucht die letzte Falte der Hochalpen in senkrechter oder überkippter Stellung in die Tiefe. Gegen NW. dehnt sich das wesentlich anders gestaltete Gebiet der Freiburger Alpen aus. Schichtenfolge. Die im S. dieser Linie gelegene letzte Falte der Hochalpen zeigt folgende (helvetische) Schichten: 1. Flyschschiefer mit Flyschsandsteinen und Kalken, Nummulitenkalk, Seewen, Gault, Urgon, 6. Neocom (inel. Valengien). | (an manchen Stellen fehlend), SU ww Tiefere Schichten sind nur weiter im Süden entblösst. Die im N. dieser Linie auftretenden Schichten der Freiburger Alpen besitzen folgende Zusammensetzung: 1. Grau-schwarzer Mergel mit Aptychus cf. seranonis Cogq. (Grat im SO. des Regenbolshorn). — U.-Neocom. 2. Hellgraue, splittrige Kalke mit Aptychus lamellatus Park. und Ammoniten (Regenbolshorn, S.-Seite); auch mit Apt. ct. punctatus Voltz. und Belemnitenresten etwa 1 km im NO. des Rothhorns (bei Lauenen). — Malm. Mittlerer Jura-[ Callovien] (Laubhorn, Seefluh u. a. O.). Unterer Jura-|Dogger] (Laubhorn u. a. O.). Lias (Laubhorn u. s. w.). Rhät mit Avicula contorta und Modiola minuta (Laubhorn, ' Regenbolshorn u. a. O.). 7. Gyps und Rauhwacke (Laubhorn u. a. O.). An anderen Orten wäre dem oberen Theile des Profils noch die „Couches rouges“ und Flysch beizufügen. Der Flysch ist ins- besondere weit verbreitet. Die Schichten der Hochalpen zeigen von dem Neocom aufwärts eine normale helvetische Entwickelung in Gesteinsbeschaffenheit und Petrefaktenführung (nur Gault und Seewen fehlen an manchen Stellen) AD 157 3 QUEREAU: [124 und die weiter südlich aufgeschlossenen tieferen Schichten des Jura scheinen, soweit ich sie gesehen, sich an die helvetische Entwicke- lung anzuschliessen. Die vindelicische Schichtenserie dagegen weist einen ganz andern Habitus auf und lässt sich vielmehr mit den exo- tischen Gesteinsarten, wie ich sie aus der (regend von Iberg kenne, parallelisiren!. Hiefür ist das Auftreten von tithonischem Aptychen- kalk, vom Habitus des Chätelkalks (Studer) und des Aptychenkalks (Gümbel), sowie des Rhät mit Avicula contorta besonders bezeich- nend. Lagerungsverhältnisse. a. Der Nummulitenkalk. Was die Lagerungsverhältnisse der hier zusammentretenden hel- vetischen und Freiburger’schen Schichten betrifft, so habe ich an mehreren Stellen ein Uebergreifen der einen auf die andere Facies beobachten können. Hierbei spielt der Nummulitenkalk eine besonders wichtige Rolle. Derselbe ist ein schon petrographisch gut charak- terisirtes Gestein und führt zudem gewöhnlich so reichlich Nummu- liten, dass er stets leicht kenntlich wird. Ueberdies gehört er be- kanntlich zu den bezeichnendsten und verbreitetsten Gliedern der helvetischen Entwickelung, während er in den Freiburger Alpen weit und breit vergebens gesucht wird. Nur: einige kleine Blöcke, die nicht in situ gefunden worden sind und die auch auf mechanischem Wege gut herbeigeführt sein könnten, sind vom äussersten Nord- rand der Freiburger Alpen erwähnt worden (Gurnigelkette, vergl. GILLIERON, Beiträge z. geol. Karte d. Schweiz, Bd. XII, S. 139). Nun habe ich im oberen Simmethal und in der Gegend von Lauenen und Gsteig mehrere Stellen gefunden, wo nummulitenführende Kalke zweifellos in situ liegen und ebenso zweifellos von älteren Gesteinen der vindelieischen Serie — fossilführendem Jura und Rhät — über- lagert werden. So z. B. unterhalb der Seefluh, a. d. Ostseite des Rätzlibergs (Simmethal) hart südlich vom Schwand (Iffigenthal), West- seite der Strasse, im Aebibach 1760 m, N.-Seite des Rothhorns, 4°/ı km im 8.-O. von Lauenen (nicht im O. des Rawylpasses). Die Entfernung dieser Aufschlüsse vom Südrand des Freiburger-Alpen- (Gebietes beträgt resp. 4,5 km (Seefluh-Fuss des Laufbodenhorns), ! Beiträge z. geol. Karte der Schweiz, Bd. XXXIII, 1893, Bern. 125] UEBER DIE GRENZZONE ZWISCHEN HOCHALPEN UND FREIBURGER ALPEN ETC. 4 0,75 km (Rätzliberg-Fuss des Fluhhorns), 2,75 km (bei Schwand — N.-Fuss des Rothhorns bei Rawyl), 3,25 km (Aebibach—Fuss des Mittaghorns oder etwa 2 km bis zum N.-Fuss des hier auftauchenden Iftigenhorns), 1,25 km (Rothhorn bei Lauenen — N.-Fuss des Niesen- horns). Das 4,5 km vom Kontakt entfernte Nummulitenkalkgewölbe, welches dicht bei dem Armenspital („Seetluh“ der Dufour-Karte), und noch einmal weiter nordöstlich bei Stein (Siegfried-Karte), etwa 1,25 km südlich vom Bad Lenk zu Tage tritt, ist offenbar die tek- tonische Fortsetzung des kleinen an der gegenüberliegenden Seite des Thales auftauchenden Nummulitenkalkrückens, doch ist beim Armenspital die Auflagerung der vindelieischen Gesteine nicht direkt sichtbar. Die Axe des Nummulitenkalkgewölbes taucht aber gegen OÖ. unter und geht, wenn sie überhaupt fortsetzt, offenbar unter die Freiburger Schichten, die in kurzer Entfernung eine steile, bis zu 2000 und mehr Meter hinaufreichende Wand bilden, hinunter. b. Der Elysch. An mehreren Aufschlussstellen des Nummulitenkalks schiebt sich zwischen diesem und dem Jura der Freiburger Alpen ein weicher, grau bis fast schwarzer Mergel ein, der dem ganzen Habitus nach an den Flysch erinnert. Er schliesst auch Bänke eines festen, fein- körnigen, glimmerreichen, braunen Sandsteins mit ein, welcher mit Flyschsandstein ident zu sein scheint. Es kommen auch an gewissen Stellen (z. B.an der am Bad vorbeiführenden Strasse Dorf Lenk- Iffigenfall, in kurzer Entfernung jenseits [südlich] dem Eintreffen des vom Bad hinabkommenden Fahrwegs) hell- bis dunkelgraue, splittrige Kalke vor — den Sewenkalken petrographisch ähnlich aussehend — wie sie aber auch als Einlagerungen im Flysch bekannt sind. Versteine- rungen wurden weder im Schiefer noch m den Kalk- und Sandsteinen aufgefunden. An der Westseite der Strasse Lenk-Iffigen ist dieser Schiefer mehrfach sehr gut aufgeschlossen. Er ist meist sehr dis- locırt, häufig stark gewunden und wird von grauem, zerklüftetem, vom Kalkspath stark durchzogenem, theils massigem, theils geschich- tetem ‚Jurakalk discordant überlagert. Der Schiefer wurde von Pfarrer ISCHER für Unteren Jura gehalten (ef. Blatt XVII der Durour geologischen Karte der Schweiz). Er wird aber von Nummulitenkalk (Ostseite der Seefluh-Iffigen-Strasse) unterlagert und scheint mir auch sonst eher dem Flysch zugerechnet werden zu müssen. Für die Berichte IX. Ileft 2. 9 5 QUEREAU: [126 Entscheidung der Frage, ob die vindelicische Gesteinsfolge hier dem helvetischen Eogen auflagert oder nicht, ist es aber gleichgültig, welches Alter diesem Schiefer zugetheilt wird. c. Aufschluss-S.-Ende der Seefluh. Diese Ueberlagerung ist am Südende der Seefluh (Siegfried- Karte) besonders gut zu sehen. Dort wo die Seefluh-Felswand gegen Süden aufhört (einige Fuss über der Seefluh-Iffiger-Strasse- W-Seite), sieht man die stark gequetschten Flysch- (? Jura) Schiefer unter dem harten jurassischen Kalkstein liegen. Geht man von hier einige Meter südlich auf der Strasse weiter und dann links (gegen 0.) über den Zaun, so steht man auf einem Rücken vom Nummu- litenkalk. Denselben kann man von der Sohle des Simmethals bis zur Strasse continuirlich hinauf verfolgen. An mehreren Stellen sammelt man reichlich Nummuliten. Dicht unterhalb der Strasse setzt nun der flyschähnliche Schiefer ein und die Grenze beider Ge- steine ist sehr scharf zu verfolgen. An dieser Grenze scheint ver- hältnissmässig wenig Dislocation stattgefunden zu haben. Eine Reibungsbreccie habe ich nicht konstatiren können. Um so mehr ist der Kontakt zwischen Schiefer und Kalk oberhalb der Strasse auffallend. Hier findet man, wie oben erwähnt, den Schiefer stark zerdrückt und gewunden und gegen den Jurakalk hin mit ab- gebrochenen Stücken des letzteren angereichert, so dass wir hier eine ächte Reibungsbreccie vor uns haben (siehe insbesondere eine Stelle etwa 20 m vom Südende der Seefluh, Siegfried-Karte bei Höhe 1140 m, 10 m über die Lenk-Iffigen-Strasse. d. Das Profil Lenk-Rawylpass. Um den oben geschilderten Verhältnissen Ausdruck zu geben, habe ich ein möglichst sorgfältig ausgeführtes Profil (S. 6) quer über die Kontaktzone zwischen der helvetischen und vindelicischen Entwickelung zu legen versucht. Hierzu habe ich die Richtung durch das Iffigen- thal (mit dem daneben aufsteigenden Oberlaubhorn, 2003 m) und südlich seiner Mündung durch das Simmethal an der Seefluh vorbei bis Dorf Lenk genommen. Auf dieser Strecke ist der Nummuliten- kalk unten im Thale viermal nach einander gut aufgeschlossen und die vindelicischen Gesteinsarten treten am Oberlaubhorn in besonders ruhiger und leicht zu entziffernder Lagerung zu Tage, obwohl hier Trias auf Jura ruht. 6 ND FREIBURGER ÄLPEN ETC. r J HEN HOCHALPEN I ENZZONE ZWIS( R { ” 127] UÜEBER DIE ( abjojua, y9y9S ayasıpılapul abjojuajy2Iy9S ayssı]anj/af ayınyeDunganyasua] — np] ne BET: ps = 00005 .:1 2424 r aBup7 "Win WwogZ or SOYLaWwIıS opsamny) Angvasıyjf H; sapaguabi pP unpuny ha] po en a we ee S Auoyyjoy wuoyuapog;no] j e N ne9aen® DH UOA U9JIOMJUM "SUOSTWIJ9PULA Ip y9amp 9LIISUHYTIIUIS USTISTIOATIL OP Sundooe]ıegen] ssedfimey umz MuoT peg UoA uodjy OFınqWıg pun uadjeqdof AOPp 9NOZIyeJuoy 9Tp yaınp Tyoadıony g* 7 QUEREAU: ÜEBER D. GTENZZONE ZW. HOCHALPEN U. FREIB. ALPEN ETC. [128 Das ganze Profil liegt durch das Einschneiden des Iffigenthals offen zu Tage. Nur der Zusammenhang der unter der Thalsohle befindlichen Theile der Nummulitenkalkfalten sind rekonstruirt und der Uebersichtlichkeit wegen schwarz eingetragen. Im Allgemeinen zeichnen sich die vindelicischen Schichten in dieser Gegend durch höchst komplizirte Lagerungsverhältnisse aus und insbesondere durch den fast gänzlichen Mangel der Kontinuität der Schichten auf längere Erstreckung. Sie machen den Eindruck eines ohne Regel zusammengeworfenen Haufens getrennter Stücke eines Schichtensystems, während die im Süden verbreiteten Schichten der „Hochalpen“, wenn sie auch komplizirte Lagerungsverhältnisse aufweisen, doch den Zusammenhang des Ganzen erkennen lassen. Zusammenfassung. Wenn ich die Lagerungsverhältnisse dieser Gegend richtig er- kannt habe, so ist der Nachweis einer Ueberschiebung der vinde- lieischen (Freiburger) Alpen auf die helvetischen Schichten im Betrage von etwa 4,5 km erbracht. Diese Ueberschiebung ist gegen die Hochalpen gerichtet; sie ist jedenfalls zu beträcht- lich, um dieselbe, wie Herr Dr. ScHarpr, der auch eine gewisse Ueberschiebung dieser Art annimmt, als eine „Rückfaltung“ (Suess) zu erklären. Sie ist offenbar geschehen, ehe die helvetischen Schichten gefaltet oder wenigstens stark gefaltet wurden, und erst nachher hat die nach aussen gerichtete Hauptfaltung der Alpen das Ganze getroffen, die nördlichste Falte der Hochalpen nach aussen gegen die Freiburger Alpen hinübergelehnt, die Freiburger Schichten selbst widerum dislocirt und sammt dem unterliegenden Nummuliten- kalk schwach gefaltetet. Die erste Bewegung gegen die Hochalpen- region scheint durch Massenbewegungen und Schuppenstruktur, die zweite durch Biegung und Faltung erfolgt zu sein. 129] Ueber elliptisch polarisirte Strahlen elektrischer Kraft und über die elektrische Resonanz. Von L. Zehnder‘. Lässt man auf zwei parallel gestellte Hertz’sche Drahtsitter, deren Drahtrichtungen senkrecht zu einander stehen, einen geradlinig polarisirten Strahl elektrischer Kraft nahezu senkrecht auffallen, so reflectirt jenes Doppelgitter einen Strahl elektrischer Kraft, welcher aus zwei senkrecht zu einander polarisirten Componenten zusammen- gesetzt ist; die Amplituden dieser Componenten können gleich gross erhalten werden, wenn die Polarisationsrichtung des auffallenden Strahls den Winkel der beiden Gitter-Drahtrichtungen halbirt. Durch rela- tive Verschiebungen der beiden Drahtgitter gegen einander muss sich, vermöge der zwischen beiden Componenten auftretenden Phasen- differenzen, ein geradlinig polarisirter Strahl in einen anderen solchen von beliebig geänderter Polarisationsrichtung oder in einen elliptisch bzw. circular polarisirten Strahl elektrischer Kraft verwandeln lassen. Umgekehrt können elliptisch polarisirte Strahlen durch ein soiches Doppelgitter in geradlinig polarisirte zurückgeführt werden. In Analogie mit BABıwEr’s Compensator für polarisirtes Licht kann also dieses Doppelgitter als Oompensator für polarisirte Strahlen elektrischer Kraft bezeichnet werden. ! Eingehendere Mittheilungen sollen in Wied. Ann. folgen, wo auch Untersuchungen über das vom Herrz’schen Primärleiter ausgehende „elektrische Spektrum“ mit Hülfe des vor einigen Monaten in diesen Berichten publizirten Beugungsgitters erscheinen werden und sich unter der Presse befinden. 2 ZEHNDER: ÜEBER ELLIPTISCH POLARISIRTE STRAHLEN ELEKTR. KRAFT ETC. Bi 30 Gegen die von mir in diesen Berichten gegebene Erklärung der elektrischen Resonanz! hat kürzlich Hr. BIRKELAND einen Ein- wand erhoben ?; derselbe sieht nicht ein, wie das Funkenspiel der Resonanz, welchem doch eine grössere Schlagweite zukommen muss, als einem solchen ohne Resonanz, unter Zugrundelegung meiner Anschauungen überhaupt eingeleitet werden kann. Nun ist aber auch Hrn. BIRKELAND die ausserordentliche Veränderlichkeit in der Wirksamkeit der HErrz’schen Primärfunken genügend bekannt, und diese Veränderlichkeit gibt uns die Lösung der von demselben gestellten Frage an die Hand: Durch Auftreten eines einzigen die mittlere Wirksamkeit übertreffenden primären Funkens wird jenes Funkenspiel der Resonanz eingeleitet, von Funken zu Funken unterhalten wird es durch die während dieser kurzen Zeit- räume in den isolirten Sekundärleiterhälften verbleibenden Rest- ladungen. Die oben erwähnte grosse Unregelmässigkeit in der Wirksam- keit der Herrz’schen Primärfunken verhindert mich auch, die von Hrn. BIRKELAND gegebene Deutung? der Resultate unserer Basler Versuche? als der Wirklichkeit entsprechend anzuerkennen. Denn unter der Annahme der Herrz’schen Theorie der elektrischen Resonanz ist nicht einzusehen, wie man mit einer gewissen Sekundär- funkenlänge vorwiegend Restladungen von positivem, mit einer anderen Länge solche von negativem Vorzeichen sollte abfangen können, weil nach dieser Theorie beispielsweise die grösste Amplitude der Sekundärschwingungen’, einer bestimmten Wirksamkeit der Primär- funken entsprechend, zwar einem positiven, bei einer geringen Ver- srösserung oder Verkleinerung dieser Wirksamkeit aber einem nega tiven Vorzeichen entsprechen wird. Freiburg i.B., 21. Juni 1894. ! Bd.7 Heft 1: auch Wied. Ann. 49, p. 724, 1893. ® BIRKELAND, Wied. Ann. 52, p. 492, 1894. 3 BIRKELAND, ]. c., p. 490. * HAGENBACH und ZEHNDER, Wied. Ann. 43, p. 610, 1891. 5 Vergl. die betreffenden Schwingungscurven: BJERKNES, Wied. Ann. 44, p- 89, 1891. 131] 1 Ueber die Metamorphose der Polynoinen. Von Dr. Valentin Häcker, Privatdozent und Assistent am zoologischen Institut der Universität Freiburg i. Br. Mit 1 Fieur im Text. Die Metamorphose der Polychäten stellt sich, so viel wir wissen, in der Regel als ein kontinuirlicher Umwandlungsvorgang dar, welcher ohne Stillstand von der T'rochophora zur Form des fertigen Anne- lids führt. Die Rückbildung der Kopfblase und der Wimperkränze, das Auftreten der Segmente und ihrer Anhänge findet in allmähliger Folge statt, entsprechend dem allmähligen Uebergang von der larvalen Lebensweise zu derjenigen des fertigen Thieres. Ein Beispiel für diese Art der Metamorphose liefert die von CLAPAREDE ! beschriebene Spionidenlarve, bei welcher die larvalen Merkmale Schritt für Schritt den definitiven Organen Platz machen. In vielleicht noch mehr charakteristischer Weise zeigt sich aber die Stetigkeit des ganzen Entwicklungsprocesses, das Fehlen morphologisch und biologisch abgegrenzter Zwischenstufen bei Zopadorhynchus. Bei diesem zu den Phyllodociden gehörigen Wurm, welcher die pelagische Lebens- weise auch im erwachsenen Zustand beibehält, fällt nach KLEINEN- BERG? der Verlust der letzten Larvencharaktere nicht mit der Bil- dung einer bestimmten Segmentzahl zeitlich zusammen, so dass sich also auf keiner Stufe der Entwicklung ein durch eine bestimmte Gliederzahl charakterisirtes Zwischenstadium abhebt. ! ÖLAPAREDE. E., Beobachtungen über Anatomie und Entwicklungsgeschichte wirbelloser Thiere an der Küste von Normandie angestellt. Leipzig 1863, S. 69ff.; Tab. VII, Fig. 3—11, Tab. VIII, Fig. 1—3. ? KLEINENBERG, N., Die Entstehung des Annelids aus der Larve von Lopa- dorhynchus. Zeitschr. f. wiss. Zool. 44. Bd., 1886, S. 31. 2 HÄCKER: [132 Diese Form einer stetigen Metamorphose, welche wir einstweilen als den für die Polychäten typischen Entwicklungsverlauf bezeichnen können, kommt aber nicht allen Abtheilungen dieser Ordnung aus- nahmslos zu. So nimmt z. B. HArscHErk! für den jungen Poly- gordius an, dass derselbe sich nach abgelaufener Metamorphose in einem Ruhezustand befinde, bevor er sich an die neue Lebensweise anpasst. In viel deutlicherer Weise markirt sich aber bei den Poly- noinen und wahrscheinlich auch bei anderen Apbhroditiden eine be- stimmte Phase der Entwicklung als eine Wachsthumspause, welche sich als besonderer Abschnitt in den Entwicklungsgang einschaltet. Schon M. MÜLLER ?, welcher die erste eingehende Beschreibung der Entwicklung von Polynoe gegeben hat, war zu der Auffassung gekommen, dass nach der gleichzeitigen Ausbildung der sieben ersten oder, wie wir sie nennen wollen, „primären“ Segmente die Entwick- lung des Thieres in Bezug auf die Bildung neuer Glieder bis zu einer gewissen Zeit stehen bleiben muss. Es war ihm wenigstens nicht gelungen, ein Stadium mit einer grösseren Anzahl von Seg- menten in die Hand zu bekommen. Mir selbst liegen von der M. Mürter’schen Larve, welche ich zu Polynoö reticulata, CLPDE. stellen möchte, aus zwei Frühjahren (1893 und 1894) und von dem nämlichen Fundort (Triest) alle Phasen der Entwicklung von der Trochophora bis zu demjenigen Stadium vor, in welchem die Larve unter Neubildung „sekundärer“ Segmente sich auf den Grund herab- zusenken im Begriff ist. Aus einer Zusammenstellung der ver- schiedenen Funde ist nun ersichtlich, dass das siebengliedrige * Stadium — welches ich kurz als Nectochätastadium * bezeichnen möchte — in der That einen relativen Stillstand in der Entwicklung ! HATSCHEK, A., Studien über Entwicklungsgeschichte der Anneliden. Arb. Zool. Inst. Wien, 1. Bd., 1878, 8. 54. 2 MÜLLER, M., Ueber die Entwicklung und Metamorphose der Polynoen. Arch. f. An., Phys. und wiss. Med. Jahrg. 1851, p. 327. > Bei der Zählung der Segmente wird immer das die Fühlereirren tragende Segment als erstes gerechnet. Die Segmente II—VIH tragen die sechs „primären“ Ruderpaare. Mit Rücksicht auf die Bezeichnung der hinter dem Segment VII sich intercalar einschiebenden „sekundären“ Segmente zähle ich das Endglied nicht mit. 4 v, MARENZELLER hat einer pelagischen Polynoine, welche den Besitz ausserordentlich langer Schwimmborsten mit der Mürzer’schen Larve gemein hat, den Gattungsnamen Nectochaeta beigelegt. MARENZELLER, E. v., Sur une Polynoide pelagique (Neetochaeta Grimaldi, nov. gen., nov. sp.) recueillie par l’Hirondelle en 1888. Bull. Soc. Zool. France. 17. Bd., 1892. 133] UEBER DIE METAMORPHOSE DER POLYNOINEN. 3 bedeutet. Viele Fänge enthalten überhaupt nur dieses Stadium und die einzelnen Individuen weisen dann nur bezüglich der Umbildung des Kopfes und der Grösse und Form der Cirren graduelle Ver- schiedenheiten auf. Wir können also der Trochophora als erster freilebender Ent- wicklungsstufe die Nectochäta als zweites Stadium anreihen: durch die Rückbildung des Wimperapparats und die Ausrüstung des T'hieres mit sechs gleichzeitig zur Entfaltung kommenden Ruderpaaren sind die beiden Phasen des pelagischen Larvenlebens in morphologischer Hinsicht scharf gegeneinander abgegrenzt. Hand in Hand mit diesem Wechsel der Gestalt geht aber auch eine Veränderung in der Lebens- weise: wie aus Schnittpräparaten hervorgeht, besteht die Nahrung der mittelst des Wimperapparates sich fortbewegenden Trochophora vorzugsweise aus einzelligen vegetabilischen Organismen (Diatomeen B u il, € ac ei] rel Uebergangsstadium zwischen Trochophora und Nectochaeta (Vergr. 50). u. a.), die mit kräftigen Locomotionsorganen ausgerüstete Nectochäta dagegen geht zum eigentlichen Räuberleben über. Dieser Ueber- gang von der einen Lebensweise zur anderen muss sich sehr rasch vollziehen und so können wir die gleichzeitige Anlage und das gleichzeitige in Funktion treten einer bestimmten Anzahl von Bewegungsorganen — eine Erscheinung, die bei den Ürustaceen wiederkehrt — als einen wichtigen Anpassungsvorgang verstehen: der verloren gehende Wimperkranz wird durch einen Bewegungs- apparat ersetzt, welcher in einer den larvalen Lebensverhältnissen entsprechenden Ausdehnung und Entfaltung in vollem Umfang und ohne Zeitverlust in Wirksamkeit zu treten im Stande ist!. ' Diese gleichzeitige Ausbildung einer bestimmten Anzahl von Segmenten kehrt auch bei anderen Aphroditiden wieder: so entwickelt nach v. DRASCHE die Larve von Hermione gleichzeitig 4, eine von Frwkes abgebildete, vielleicht zu Lepidonotus gehörige Larve 3 „primäre“ Ruderpaare. 4 HÄcKER: [134 Zu dem raschen Verlauf der morphologischen Umbildungen, welche von der Trochophora zur Nectochäta führen, steht nun offen- bar eine Reihe von Erscheinungen physiologischer Natur in Beziehung, welche das die beiden Phasen verbindende Uebergangsstadium! kennzeichnen. Im Einzelnen sind diese Erscheinungen auch bei anderen Polychäten beobachtet worden, aber es dürfte in den eben besprochenen, der Metamorphose von Polynoe eigenthümlichen Ver- hältnissen begründet sein, dass sich dieselben hier auf einen kürzeren Zeitraum zusammendrängen und in besonders mächtiger Entfaltung zur Ansicht kommen. Dalhım gehört erstens das Auftreten grosser intracellulärer Lacunen in der Epidermis der ganzen Kopfregion und des Wimper- kranzes. Die in denselben enthaltene Substanz nimmt bei Alaun- cochenillefärbung einen charakteristischen violetten Ton an. Der- artige Lacunen sind u. A. auch von HArscHEk? bei Eupomatus am Vorderrande des Ringwulstes beobachtet und als Erscheinungen von tektonischer Bedeutung interpretirt worden. Das zeitliche und ört- liche Vorkommen dieser Gebilde bei Polynoö weist aber auf eine direkte Beziehung zu den Rück- und Umbildungsvorgängen hin. Zweitens weisen die Ektodermzellen an verschiedenen Körper- stellen, vor Allem in den kolbenförmigen Cirrenanlagen, eine lebhafte secernirende Thätigkeit auf. Die Zellen enthalten längliche oder birnenförmige, bis an die Oberfläche herantretende Tropfen einer Substanz, die bei Behandlung mit Osmiumgemischen und Alaun- cochenille in rascher und dauernder Weise intensiv karminroth ge- färbt wird’®. Eine ganz ebenso reagirende Substanz ist drittens in den um diese Zeit ausserordentlich entwickelten Segmentalorganen (Nephry- ! Das Uebergangesstadium zwischen Trochophora und Nectochäta ist in der Zinkographie (S. 3) in Ventralansicht dargestellt. fceI bedeutet: Fühlereirren des I. Segments; eII, eIV, eV, eVII: Elytren des II., IV., V., VII. Segments; reIII, rceVI: Rückeneirren des III, VI. Segments; ac: Aftereirren. Das Thier ist etwas nach der rechten Seite herübergedreht, so dass nur auf der linken Seite die an der Basis der Ruder gelegenen Ventralpapillen zur Ansicht kommen. ? HarscHek, B., Entwicklung der Trochophora von Eupomatus uncinatus, Philippi (Serpula uncinata). Arb. Zool. Inst. Wien. 6. Bd., 1885, S. 20. ® E. CraParkoEe und E. Meczxıkow erwähnen bei Nerine das Auftreten grosser „Stäbchenfollikel“ in den jungen Kiemenanlagen. Beiträge zur Kennt- niss der Entwicklungsgeschichte der Chätopoden. Zeitschr. f. wiss. Zool. 19. Bd, 1869, S. 174. - 135] UEBER DIE METAMORPHOSE DER POLYNOINEN. 5 dien) der sieben primären Segmente enthalten und lässt, wenn sich dieselben in gefülltem Zustand befinden, ihren ganzen Verlauf auf's Deutlichste erkennen. Das Auftreten dieser mächtigen Sekretpfropfen ist um so beachtenswerther, als schon im Nectochätastadium von den Segmentalorganen nichts mehr zu erkennen ist, wie denn auch bei der erwachsenen Polynoö dieselben in den vorderen Segmenten fehlen. Wir haben es also hier mit einer vorübergehenden Funktio- nirung „provisorischer“* Segmentalorgane zu thun, wie solche von EısıG bei den Capitelliden beschrieben worden sind. Viertens treten im Uebergangsstadium in einzelnen Zellen des Darmepithels in dichter und regelmässiger Anordnung gelbe, ölartig aussehende Tropfen auf, welche mit den von KLEINENBERG” für Lopadorhynchus und Phyllodoce beschriebenen Vorkommnissen zu- sammenzuhalten sind. Wenn sich auch nichts bestimmtes über die Bedeutung dieses Zelltypus sagen lässt, so weist doch das unver- mittelte Auftreten desselben während des Uebergangsstadiums darauf hin, dass bei den durchgreifenden Umbildungen des Larvenkörpers auch die Verdauungsphysiologie in Mitleidenschaft gezogen wird. Alles in Allem bedeutet also der Eintritt in das Nectochäta- stadium nicht nur in morphologischer, sondern auch in physiologischer Beziehung den Beginn einer besonderen. Entwicklungsphase, welche nach der anderen Seite hin durch die Wiederaufnahme der Segment- bildung und den Uebergang zum Leben auf dem Meeresgrund be- grenzt ist. Ich werde an anderer Stelle auf die hier beschriebenen Ver- hältnisse im Einzelnen zurückkommen und möchte nur noch einen Punkt hervorheben, der zu meinen früheren Untersuchungen in näherer Berührung steht. In den vordersten Segmenten einer im Nectochätastadium befindlichen Larve beobachtete ich in der Gegend der Ventralpapille eine peritoneale Zellwucherung, deren Elemente nicht allein durch ihre Grösse, sondern auch durch ihren beson- deren Kerntheilungshabitus in auffallender Weise sich hervorheben. Während nämlich in allen übrigen larvalen Geweben die überaus häufig auftretenden Dyasterfiguren eine vollkommene Uebereinstim- mung zeigen, insofern die chromatische Substanz in Form eines kompakten Korbes die Mitte der Tochterzellterritorien ein- nimmt, sind hier im Dyasterstadium die chromatischen Elemente in (sestalt zweier lockerer flacher Kränze dicht an den entgegen- ’ KLEINENBERG 1. c., S. 172; Tab. XII, Fig. 53; Tab. XVI, Fig. 82 6 HÄCKER: ÜEBER DIE METAMORPHOSE DER POLYNOINEN. [136 gesetzten Polen der Zellen gelagert. Wir können bei der Be- urtheilung dieser Verschiedenheiten von der durch neuere Unter- suchungen bekannt gewordenen Erscheinung ausgehen, dass in verschiedenen Geweben desselben Organismus die einzelnen Phasen der Kerntheilung in verschiedener Form und Häufigkeit (relativer Dauer) auftreten. Nun tritt aber derselbe Unterschied, den wir bei Polynoö festgestellt haben, auch in den Dyasterfiguren hervor, welche man in grosser Zahl einerseits in den vegetativen Geweben, anderer- seits in den Genitalanlagen der jungen 7Tomopteris findet, und es scheint dadurch die schon durch die Lage und Herkunft der Wucherungen nahegelegte Vermuthung bestätigt zu werden, dass wir es hier mit den Anlagen von Geschlechtszellengruppen zu thun haben. Da nun aber bei der erwachsenen Pol/ynoö ın den vorderen Segmenten die Geschlechtsballen fehlen, so handelt es sich hier im Nectochätastadium allem Anschein nach um die Anlage rudimentärer Geschlechtsorgane. Die „primären“ Segmente würden demnach nicht nur mit provisorischen Segmentalorganen, sondern theilweise auch mit rudimentären Geschlechtsanlagen aus- gestattet sein. Freiburgi..B., den 10. August 1894. 137] 1 Ueber die Nervenendigungen der Hautsinnes- organe der Arthropoden nach Behandlung mit der Metlıylenblau- u. Chromsilbermethode. Von Dr. O0. vom Rath. Mit Doppeltafel II. Seit einer Reihe von Jahren habe ich mich mit vergleichenden Studien über die Hautsinnesorgane der Arthropoden beschäftigt und meine hauptsächlich bei Myriapoden, Insecten und Crustaceen eruirten Resultate in verschiedenen Schriften bekannt gegeben (1. Archiv f. mikr. Anat. Bd. 27, 1886; 2. Zoolog. Anzeig. 1887; 3. Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. 46, 1888; 4. Zoolog. Anzeig. 1891; 5. Zoolog. Anzeig. 1892). Als ich nun eben im Begriffe stand eme ausführ- lichere Arbeit über die Hautsinnesorgane der Orustaceen, deren all- gemeinsten Ergebnisse ich bereits publicirt hatte, druckfertig zu machen, bestimmten mich die überraschenden Befunde, welche durch die Methylenblaufärbung (Eurrıch) und die Chromsilbermethode (GoL6I), bei manchen Metazoen zumal aber bei den Vertebraten festgestellt waren, vorerst mit diesen beiden neuen Methoden einige Versuche bei den Arthropoden zu wagen. Wenn ich im Folgenden die wichtigsten meiner mit diesen Methoden festgestellten Thatsachen veröffentliche, so bin ich mir wohl bewusst, dass diese Befunde, die ich nach vielen Misserfolgen im Laufe von zwei Jahren mit Sicher- heit eruiren konnte, noch kemeswegs eine Entscheidung der Gesammt- frage herbeiführen können; ich glaube aber dieselben schon jetzt der Oeftentlichkeit übergeben zu müssen, da dieselben keineswegs mit den Angaben der Autoren, welche diese Methoden bei Arthropoden 2 vom RatH: [138 in Anwendung gebracht haben in Einklang stehen. Bekamntlich sind beide Methoden sehr launisch und obendrein bei Arthropoden be- sonders schwierig anzuwenden, da die ÜConservirungsflüssigkeiten wegen des harten Chitinpanzers nur schwer eindringen, daher ist es auch keineswegs wunderbar, dass die Erfolge gerade bei den Arthropoden bis jetzt so dürftige waren. Bevor ich nun in eine Beschreibung meiner mit den beiden Methoden (EHRLICH und GOLGI) festgestellten Befunde übergehe, will ich in Kürze zusammenfassen, was ich früher über den feineren Bau der Hautsinnesorgane mittelst anderer Methoden habe feststellen können. Wir werden dann sehen, dass an meiner früheren Auffassungsweise nur einige kleine Aende- rungen nothwendig werden. Bekanntlich kann bei dem meist harten und dicken Chitin- panzer der Arthropoden eine Sinneswahrnehmung mit (Ausnahme des Sehens) nur an solchen Stellen stattfinden, wo das Chitin durch einen Porenkanal durchsetzt ist und letzterem ein Haar aufsitzt. Es unterscheiden sich nun typische Sinneshaare von gewöhnlichen Haaren äusserlich gar nicht und sind lediglich durch die unterhalb ihrer Basis gelegenen Sinneszellen als Hautsinnesorgane charakterisirt; in manchen Fällen aber haben die Sinneshaare die eigenthümlichen Formen, die als Kegel, Keulen, Kolben, Zapfen, Oylinder, Schläuche, (Griffel, Fäden, Fiederborsten, Halbfiederborsten etc. beschrieben wurden. Auch die eigenartigen Membrankanäle (Porenplatten KRAEPELIN’s) auf den Antennen der Hymenöpteren (vgl. Fig. 6), lassen sich auf ein modifieirtes Haar zurückführen. So mannigfaltig nun auch alle diese Sinneshaare gestaltet sein mögen, so sind sie doch alle durch Uebergänge unter einander verbunden. Dass übrigens der feinere Bau der verschiedenen Sinneshaare mit der physiologischen Bedeutung des Organs in innigster Beziehung steht, ist wohl ganz selbstverständlich. Bei Hörorganen muss das Haar eine möglichst grosse Beweglichkeit und Schwingfähigkeit besitzen; bei Geruchs- oder (reschmacksorganen darf das Haar nur durch eine ganz feine und womöglich perforirte Membran geschlossen sein, damit (Gase und Flüssigkeiten direkt auf die distalen Fortsätze der Sinnes- zellen einwirken können. Was das Vorkommen und die Anordnung von typischen Haut- sinnesorganen bei Arthropoden betrifft, so kann ich mich ganz kurz fassen, mit Hinweis auf meine früheren Publicationen (ef. S. 137). Ich fand Hautsinnesorgane bei Myriapoden, Insekten und Cru- staceen auf allen Theilen des Körpers. Sinneshaare stehen auf den 139] UEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ÄRTHROPODEN. 3 Antennen (auch den zweiten Antennen der Orustaceen und ihren Schuppen); ferner auf sämmtlichen Mundwerkzeugen und deren Anhängen; ich constatirte ihr Vorkommen, zumal bei den Crusta- ceen, auf sämmtlichen Beinpaaren, ferner sah ich sie bei Urustaceen auf den Abdominalanhängen und frei auf dem Körper stehend; bei den Insekten fand ich Sinneshaare auch auf den Abdominalgriffeln; bei den Scorpionen machte ich auf die Sinneshaare der Kämme aufmerk- sam. Die grösste Verbreitung von Sinneshaaren fand ich aber bei den Rankenfüsslern z. B. Lepas, in dem ich auf sämmtlichen Gliedern eine auffallend grosse Zahl von typischen Sinneshaaren erkennen konnte (Fig. 1); da ich ferner bei Apus und Aranchipus fast unter jedem Haar die charakteristischen Sinneszellen auffand, kam mir mehrfach der Ge- danke, ob nicht vielleicht alle Haare der Arthropoden einer Sinnes- vermittlung dienen könnten. Wenn mir nun von verschiedenen Seiten in mehr oder weniger deutlicher Form vorgeworfen wurde, dass ich mich zu sehr mit dem Studium der Anordnung der Sinneshaare und dem feineren Bau des nervösen Endapparates beschäftigt, und den bei wei- tem wichtigeren experimentellen Untersuchungen über die physiologische Bedeutung der einzelnen Sinneshaare, zu wenig Aufmerksamkeit ge- schenkt hätte, betonte ich mehrfach nachdrücklich, dass mir eine ge- naue Ken:tniss des Vorkommens und des feineren Baues der Sinnes- haare die Grundbedingung für rationelle physiologische Versuche zu bilden schien. So sind denn auch leider eine ganze Reihe tleissiger und mühsamer experimenteller Untersuchungen vieler Autoren völlig unbrauchbar geworden, da die betreffenden Forscher ihr Augenmerk lediglich auf ganz bestimmte Sinneshaare gewisser Körpertheile ge- richtet, und andere histologisch völlig gleichgebaute Hautsinnesorgane anderer Körperstellen völlig ausser Acht gelassen hatten, da ihnen die Kenntniss des Vorkommens solcher gleichgebauten Sinnesorgane einfach abging. Wenn nun die Sinneshaare der Arthropoden äusserlich auch noch so verschieden aussehen mögen, so ist doch, wie ich empirisch nachweisen konnte, der zugehörige nervöse Endapparat bei allen Sinneshaaren der Crustaceen, Myriapoden, Insekten und Arachniden im Princip der gleiche. Ich beschrieb den histologischen Bau dieser Hautsinnesorgane abweichend von der geläufigen Anschauungsweise, wie sie zumal durch die Arbeiten von Leypıe COraus!u. a. an- genommen war, kurz wie folgt: ‘ Bereits in einem früheren Aufsatze (Ueber die von C. Craus beschriebene 4 von Rartn: [140 Unterhalb der Basis eines jeden einer Sinnesfunktion dienenden Sinneshaares eines Arthropoden liegt in der Mehrzahl der Fälle bald Nervenendigung in den Sinneshaaren der Crustaceen. Zoolog. Anzeiger No. 386, 1892) habe ich auf die Verschiedenheiten in der Anschauungsweise von C. Cravs und mir hingewiesen und einige wichtige Stellen aus den letzten Auf- sätzen von CLaus besprochen. Genannter Autor hatte sich nämlich in einem im Zool. Anzeiger No. 375, 1891, erschienenen Artikel, Ueber das Verhalten des nervösen Endapparates an den Sinneshaaren der Crustaceen, darüber be- schwert, dass seine im Verlaufe von mehr als drei Decennien an zahlreichen Vertretern verschiedener Crustaceenordnung gemachten Beobachtungen entweder ungenügende oder gar keine Berücksichtigung gefunden hätten und dabei M. Nusspaum, G. Retzıus und mich mit Namen genannt. Ich habe in einer Erwiderung, auf die ich hier nicht weiter eingehen will (Zool. Anz. 1892) fol- gende Stellen als Belege für die Auffassung des nervösen Endapparates bei den Sinneshaaren der Crustaceen, wie sie CLAus in seinen letzten Urustaceenarbeiten ausgesprochen hat, angeführt. Im Gegensatz zu Leynıse, der den Nerven nur bis an die Basis der Sinnes- haare verfolgen konnte, betont Uraus wiederholentlich z. B. für Apus, Bran- chipus und Sida, „dass der Nerv nicht etwa nur an die Basis der Borste heran- tritt, sondern sich unmittelbar in den feinstreifigen Inhalt der Borste fortsetzt“, und sagt ferner: „Auch die Matrix erstreckt sich als streifige Substanz in den Borstenraum hinein und färbt sich bei Behandlung mit Ueberosmiumsäure eben- falls bedeutend. Untersucht man aber in dieser Weise behandelte Objecte unter sehr starker Vergrösserung, so weist man den Nervenausläufer der Gang- lienzelle als Centralfaden in der Achse des streifigen Matricalfortsatzes mit geringer Mühe nach und auch an frischen lebenden Thieren gelingt es nachher leicht den nackten Achsencylinder im Inneren der streifigen Substanz zu er- kennen“. Aehnlich ist die Schilderung des nervösen Endapparates an den Ruder- antennen von Sida. „Die kurzen und einfachen Dornen sind Tastgebilde und besitzen einen Achsenfaden in dem streifigen Inhalt; zu ihnen tritt ein mit einer Ganglienzelle versehener Nerv heran, um sich zwischen den Matrixzellen hindurch in den Achsenfaden fortzusetzen.“ Die in den übrigen Craus’schen Arbeiten ge- gebenen Darstellungen des Nervenendapparates sind von den oben eitirten nicht wesentlich verschieden. Die letzte auf diese Frage bezügliche Angabe findet sich in einer grösseren Abhandlung „Die Halocypriden des Atlantischen Oceans und Mittelmeeres. Wien 1891“. Die auf den nervösen Endapparat bezügliche Stelle (S. 35) lautet: An den vorderen Antennen (der Halocypriden) finden sich nur fünf den Endgliedern zugehörige Anhänge, deren Lage und Form bereits bei Be- sprechung dieser Gliedmasse beschrieben wurde. Mit denselben steht ein ver- hältnissmässig umfangreicher Nerven- und Ganglienapparat in Verbindung. Der in das proximale Glied des Schaftes eingetretene Nerv schwillt alsbald zu einem bald mehr birnförmigen, bald mehr langgestreckten Ganglion an, welches die eigenthümlichen glänzenden Kugeln enthält und setzt sich durch das obere Geisselglied zwischen dessen Längsmuskeln in die Geissel fort, in deren Achse die Fibrillen bündelweise aus einander weichen, um in die fünf Sinnesanhänge einzutreten. Im Inneren derselben lassen sich die zarten Fibrillenbündel durch 141] UEBer D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ARTHROPODEN. 5 in der Hypodermis selbst, bald weiter von derselben entfernt, eine Gruppe bipolarer Sinneszellen die mit Nervenfasern direkt in Ver- bindung stehen; diese Zellgruppen werden von den Autoren als (sanglien bezeichnet, da dieselben aber nichts anderes als pereipirende Epithelzellen sind, zog ich es vor für sie den Namen „Sinneszellen“ vorzuschlagen, ohne aber damit einen strengen physiologischen Unter- schied zwischen Ganglien- und Sinneszellen behaupten zu wollen. Weniger häufig sind die Fälle, bei welchen unterhalb eines Sinnes- haares nur eine meist grosse bipolare Sinneszelle gefunden wird (Fig. 1). Es gibt übrigens auch Uebergänge zwischen diesen beiden Typen, indem manchesmal nur einige wenige Sinneszellen zu jedem Sinneshaar gehören z. B. bei Apus, Branchipus u. a. Die Gruppen der Sinneszellen sind oft ei- oder birnförmig, oft auch lang gestreckt oder bandförmig. Beiläufig möchte ich hier bemerken, dass ich bei Astacus fluviatilis und anderen Arthropoden bei Thieren gleich nach der Häutung die Sinneszellengruppen auffallend lang gestreckt und weit von der Hypodermis entfernt liegend gesehen habe, während ich dieselben bei Thieren derselben Species zu anderen Zeiten birn- förmig und dicht unter den Sinneshaaren antraf. Nach der ge- läufigen Anschauungsweise soll der an die Sinneszellen (Ganglien- zellen der Autoren) antretende, vom Üentralorgan herkommende Nerv, das Ganglion seiner Länge nach durchsetzen und dann in das Sinneshaar eintreten. Ich habe mich aber in sehr vielen Fällen mit absoluter Sicherheit davon überzeugen können, dass der Nerv keines- wegs durch die Gruppe der Sinneszellen hindurchtritt und die Sinnes- die ganze Länge bis zum distalen Ende verfoleen, meist noch von einem spär- lichen Protoplasma umlagert, welches auf den Ueberrest der Matrix des An- hanges zu beziehen ist und zuweilen noch ein oder zwei Kerne aufweist Das gleiche Verhalten zeigen die Nervenfibrillen in den fünf Borstenanhängen am Nebenast der hinteren oder Schwimmfuss-Antenne, deren Nerv alsbald nach dem Eintritt in das mächtige Schaftglied ein grosses Ganglion bildet und dann zwischen den Muskeleruppen nach dem verjüneten Distalende verläuft. Hier theilt sich derselbe in zwei Faserbündel, von denen das kleinere in den mit Schwimmborsten besetzten Hauptast übertritt, das grössere aber nochmals ein Ganglion durchsetzt, in dessen Zellen die specifisch tingirten glänzenden Kugeln des vorderen Antennenganglions wiederkehren. Die Fibrillenzüge treten aus diesem Ganglion in den Nebenast und von da in dessen fünf Cuticularanhänge ein, in deren Achse sie sich bis zum Distalende verfolgen lassen.“ — „Durch diese schon an Osmium-Alkoholpräparaten leicht zu constatirenden Befunde haben meine früheren Angaben über das Verhalten der Nervenfibrillen in den Tastborsten und Spürschläuchen eine volle zuverlässige Bestätigung erhalten.“ Berichte IX. Heft 2. 10 6 vom Rark: [142 zellen etwa wie die Beeren einer Traube den Nervenfibrillen ansitzen, der Nerv fasert sich vielmehr unterhalb der Sinneszellen auf, und gibt an jede Sinneszelle eine Faser ab; am vorderen distalen Theile der Sinneszellengruppen sah ich dann deutlich wie die protoplas- matischen Fortsätze der einzelnen Sinneszellen sich zu einem fein- streifigen Bündel, einem „Terminalstrang“* zusammenlegen, welcher seinerseits in das Haar eintritt und seine streifige Natur bis zur Spitze des Haares deutlich erkennen lässt. Der Inhalt des Sinnes- haares besteht demgemäss nicht aus einem Nerven, sondern aus den vereinigten Fortsätzen sensibler Epithelzellen; von einem Achsen- cylinder oder einer Chorda kann hier also gar nicht die Rede sein. Ausser dem Terminalstrang wird das Lumen der Sinneshaare noch von Fortsätzen einiger Hypodermiszellen, den Matrixzellen des Haares ausgefüllt. Jede Gruppe von Sinneszellen ist mit einer bindegewebigen Hülle umkleidet, die aus flachen Zellen mit abgeplatteten Kernen besteht, in gleicher Weise ist der distale Fortsatz (Terminalstrang) und der proximale (nervöse) Fortsatz von solchen flachen Zellen um- hüllt; es sind Neurilemmzellen. Wenn nun die Gruppen der Sinnes- zellen in grösserer Zahl nebeneinander liegen (Fig. 2) und eine Strecke weit von der Hypodermis und den Sinneshaaren entfernt sind, findet man zwischen den Terminalsträngen länngliche, dunkel tingirte Kerne, welche langgestreckten Hypodermiszellen angehören. Diese letzteren Zellen haben einige Autoren zu der unrichtigen Auffassung von zwei hintereinanderliegenden Gruppen von Ganglienzellen verführt, in Wirk- lichkeit findet man aber stets nur eine Gruppe von Sinneszellen und die zwischen dieser Gruppe und dem Sinneshaar gelegenen Zellen sind nichts anderes als gewöhnliche Hypodermisszellen (Stützzellen). Meine eben in Kürze zusammengestellten älteren Befunde habe ich seither bei Anwendung besserer Methoden stets nur bestätigen können; auch die Arachniden, die ich früher nur beiläufig untersucht hatte, habe ich inzwischen auf ihre Hautsinnesorgane genauer geprüft und gefunden, dass bei allen Spinnenthieren, trotz einer grossen Mannigfaltigkeit im Bau der verschiedenen Sinneshaare, der nervöse Endapparat ebenfalls überall der gleiche ist und mit den von mir für Myriapoden, Insecten und Ürustaceen beschriebenen Befunden auf das genaueste übereinstimmt. Ein directer Zusammenhang von sensiblen Epithelzellen (Sinneszellen) mit Nerven- fasern konnte somit für sämmtliche Arthropoden als sicher gelten. Begreiflicher Weise war ich daher im höchsten Grade über- - 143] ÜEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ÄARTHROPODEN. 7 rascht, als Rerzıus! durch Anwendung der Methylenblaumethode bei den Sinneshaaren von Palämon zu ganz anderen Resultaten gelangte. Ausser zwei Mittheilungen genannten Autors sind mir andere An- gaben, welche sich auf die Hautsinnesorgane der Arthropoden nach Behandlung mit der Chromsilber- oder Methylenblaumethode beziehen, nicht bekannt geworden. Im Folgenden werde ich auch nur die auf die Hautsinnesorgane und das periphere Nervensystem bezüglichen Stellen von Rerzıus eingehen, und die Befunde dieses verdienstvollen Forschers über das Öentralnervensystem der Arthropoden an anderem Orte besprechen. Dass ich auf die Schriften der Autoren, welche über die Hautsinnes- organe der Arthropoden nur mit den bisher üblichen Methoden ge- arbeitet haben, hier nicht näher eintreten kann, wird mir Niemand verargen, ich habe übrigens den Unterschied meiner Auffassung mit der der anderen Autoren in meinen früheren Aufsätzen genügend betont, Gehen wir jetzt zur Besprechung der ersten hierhergehörigen Mittheilung von RETzıuUs über. Bei Anwendung der Methylenblaufärbung fand Rerzıus in der Haut von Palämon, bei Thieren kurz nach der Häutung, Nerven- fasern, die sich in wahrhaft erstaunenswerther Menge verzweigen. „Im Telson und in den Seitenlappen der Schwanzflosse sieht man vom Schwanzganglien grosse Nervenzweige austreten, welche grösstentheils nach den hinteren und den seitlichen Rändern ziehen, um sich in einzelne Bündel oder einzelne Fasern zu verzweigen, an welchen hier und da längliche Kerne zu unterscheiden sind. Wenn diese Nerven- fasern sich den Rändern genähert haben, lösen sie sich büschel- förmig auf, um mit feinen, perlschnurähnlichen Aestchen das an- liegende Gewebe zu durchspinnen, in der Epidermislage sich zu verzweigen und dann nach den zahlreichen Randborsten zu ziehen. Hier bleiben sie aber nicht an der Basis der Borsten, sondern dringen in die Anhänge hinein und durchziehen unter reichlicher Verzwei- gung die weiche Substanz derselben bis an das Ende dieser Substanz. In dieser Weise ist jeder Anhang von feinen Nervenfaserchen durch- sponnen. Jede Borste der Lappen der Schwanzflosse ist offenbar ein sensibles, Nervenfäserchen enthaltendes Organ. Und ein gleiches Verhalten findet sich überall am Körper. Die zahlreichen borsten- artigen Anhänge enthalten in ihrem Innern feine Nervenfäserchen und sind offenbar sensible Organe. — Periphere Ganglienzellen sind 1 G. Rerzıvs, Biolog. Untersuchungen, Neue Folge I, Stockholm 1890, IV, 1892. 10* 8 vom RartH: [144 nicht vorhanden, die im Verlauf der Nervenfasern vorkommenden Kerne gehören den Scheiden dieser Fasern an“. In die Antennen, sowohl die längeren wie die kürzeren, treten bekanntlich recht grosse Nervenbündel ein. Es verhalten die Nerven- fasern sich dort in ganz ähnlicher Weise. Jede Nervenfaser trägt in gewissen Entfernungen ovale Kerne und sendet hier und da feine Seitenzweige ab, welche sich in feine Aestchen auflösen, wonach die Hauptfaser selbst in Büschel feiner Aestchen zerfällt, welche sich an die Epidermis anlegen und in ihr endigen. — Besondere End- organe sind nicht vorhanden, ebensowenig periphere Ganglienzellen; die Kerne gehören hier, wie sonst bei den sensiblen Nervenfasern, welche nach den Endigungen ziehen, nur den Scheiden an. Zum Gehörorgan zweigen sich von dem Nervenast der Anten- nula Fasern ab, welche sich unter der Gehörgrube nach einer kern- haltigen, spindelförmigen Anschwellung in einer chromatophoren- reichen Zellenschicht in feine Faserbüschel auflösen; ihre Endigung in den Hörborsten konnte ich leider nicht beobachten.“ (Rerzıus, Biologische Untersuchungen, Neue Folge I, Stockholm 1890.) Die wichtigsten hierhergehörigen Abbildungen befinden sich auf Tafel XIV, Fig. 4 und Fig. 5. Ferner hat Rerzıus auf Tafel XIII, Fig. 12 Endigungen sensitorischer Nervenfasern in der Epidermis von Palämon squilla am Thorax abgebildet, bei c) sehen wir feinste Verästelungen der Nervenfäserchen zwischen den Zellen der Epidermis. Ich mache des Weiteren noch auf Fig. 13 der Tafel XIII aufmerksam, welche eine gelbe Pigmentzelle darstellt, deren Aeste von perlschnur- artigen Nervenfäserchen umsponnen sind. In einer anderen Arbeit hat nun RETZIVS seine Ansicht über die Hautsinnesorgane der Orusta- ceen einigermassen modifieirt und ich will die betreffende Stelle eben- falls zur Vermeidung von Missverständnissen wörtlich eitiren. „Bei Insekten und CUrustaceen sind schon längst von LEYDIG u. A. gewisse Sinneszellen im oder dicht unter dem Körperepithel beschrieben worden, welche viele Aehnlichkeit mit denjenigen der Polychäten und Mollusken darbieten. Bei den Crustaceen (Palämon) sah ich indessen in Präparaten, die mit Methylenblau gefärbt waren, die peripherischen Enden der in der Hautschicht endigenden Nerven- fasern reichlich verästelt (Biol. Unt., N. F. I, 1); es ist nun möglich, dass die an diesen Fasern von mir dicht vor ihrer Endverzweigung beobachteten Kerne, welche ich als Scheidenkerne gedeutet habe, in der That die gesuchten sensiblen Nervenzellen sind. Bei den Cru- staceen wie bei den Articulaten im Allgemeinen, ist unsere Kennt- 145] ÜEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ARTHROPODEN. 9 niss vom sensiblen Nervensystem sehr mangelhaft. Hier müssen neue Untersuchungen vorgenommen werden, welche diese grosse Lücke ausfüllen. Gerade bei diesen Thieren ist wohl das Uebergangs- stadium zwischen den Verhältnissen bei den Würmern (und Mol- lusken) einerseits und den Wirbelthieren andererseits zu suchen. Die von mir mit der Chromsilbermethode gemachten Versuche, diese Frage zu ermitteln, scheiterten leider bis jetzt; man muss, um auf diesem Gebiete Erfolge zu gewinnen, die verschiedensten Repräsen- tanten der fraglichen Thiere zur Verfügung haben.“ (Biol. Unters. von G. Rerzıus, N. F. IV, 1892, 8. 52.) Das eben ausgesprochene Urtheil von Rerzıus über die geringe Kenntniss des sensiblen Nervensystems der Arthropoden, istnach meiner Ansicht doch ein wenig zu hart. Seit den Arbeiten von LEYDIG sind doch recht wesentliche Fortschritte auf diesem Gebiete gemacht worden, ich brauche hier nur den Namen Ü. CLAus, KRAEPELIN u. a. zu nennen. Meine eigenen Arbeiten sind RETzıus offenbar unbekannt geblieben. Die erste oben erwähnte Angabe von Rerzıus über die Haut- sinnesorgane von Palämon musste mich umsomehr befremden, als bei diesem Thier unterhalb der Sinneshaare keine Sinneszellen liegen und die Nervenfasern sich in einiger Entfernung von dem Sinnes- haare verästeln sollen; ja es sollen in den Sinneshaaren selbst die feinen Verästelungen noch zu erkennen sein. Diese Angaben wider- sprechen nicht nur direkt meinen sämmtlichen (vorhin in Kürze zu- sammengefassten) Befunden, sondern auch meinen Beobachtungen, welche ich bei Palämon selbst gelegentlich eines Aufenthaltes an der zoologischen Station in Neapel (1888) hatte feststellen können. Nach meimen Präparaten, die mit Osmiumgemischen behandelt waren, unterliegt es keinem Zweifel, dass unter jedem Sinneshaar eine Gruppe von Sinneszellen sich befindet (genau so wie ich es in Fig. 2 von der Antenne von Syailla mantis abgebildet habe), und dass jede dieser Sinneszellen einen distalen Fortsatz in das Haar entsendet und einen proximalen Fortsatz dem Centralorgan zuschickt. Wenn ich nun auch trotz der Angaben von Rerzıus keinen Augenblick an der Richtigkeit meiner oben erwähnten Beobachtungen zweifelte, so schien mir die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass ausser den Nervenfasern, die direkt mit terminalen Sinneszellen in Verbindung stehen, noch frei und womöglich verästelt auslaufende Fasern vor- handen sein könnten, die nur bei den beiden neuen Methoden (Uhrom- silber- und Methylenbauverfahren zur Anschauung kommen. Als nun RETZIVS in seiner zweiten Mittheilung die Vermuthung aussprach, 10 vom RaAtH: [146 dass die früher von ihm als Scheidenkere der Nerven gedeuteten Kerne, die Kerne der gesuchten Sinneszellen sein könnten, traf ge- nannter Autor vollkommen das rechte. Hätte Rerzıus sein Objekt mit einer der früher üblichen und bewährten Methoden der Kontrolle halber nachuntersucht, hätte er keinen Augenblick über die Deutung seiner mit der Methylenblau- färbung eruirten Resultate im Unklaren sein können. Dieses eine Beispiel beweist zur Genüge, dass es beim Studium der Hautsinnes- organe aller Metazoen unbedingt nothwendig ist, bewährte andere Methoden neben der Methylenblaufärbung und dem Chromsilber- verfahren in Anwendung zu bringen, zumal bei diesen beiden lau- nischen Methoden meist nur eine Zelle aus jeder Sinneszellengruppe gefärbt, bezw. imprägnirt wird und der Kern nur in seltenen Fällen als ein heller Fleck zu erkennen ist. Mit gutem Gewissen darf ich für Kontrolluntersuchen zwei von mir vorgeschlagene und bewährte Methoden in Erinnerung bringen. Bei sehr zarten Objekten empfehle ich eine Mischung von Pikrinessigosmiumsäure, bei anderen eine Mischung von Pikrinessig- und Platinchloridosmiumsäure mit Nach- behandlung mit möglichst unreinem Holzessig !. Bei vielen anderen ! Die Herstellungsweise der Pikrinessigosmiumsäure habe ich im Zool. Anzeieer 1891 beschrieben. Man gibt auf 1000cem gesättigter und filtrirter wässeriger Pikrinsäure 4cem Eisessig und ler cryst. Osmiumsäure zu. Die Objecte bleiben in dieser Mischung je nach ihrer Grösse und bei Arthropoden je nach der Dicke des Chitins einige Stunden bis zu mehreren Tagen. In vielen Fällen emptiehlt es sich, wenn man ganze Arthropoden z. B. Daphniden, Corethralarven etc. eingelegt hat, die Objecte, nachdem sie eine gewisse Festig- keit erlangt haben, mit einer feinen Insektennadel anzustechen und dann die Thiere in frische Flüssigkeit zu bringen. Ich habe ein Auswaschen mit Wasser in letzter Zeit gänzlich vermieden und die Objekte gleich in 70°/o Alkohol und später für längere Zeit in 95°/ Alkohol gebracht. Zur Färbung habe ich die bekannten Kernfärbungsmittel Pikrokarmin, Alaunkarmin und Alauncochenille verwendet, am besten im warmen Paraffinofen. Zum Färben auf dem Objekt- träger nahm ich stets Hämatoxylin. Besonders schöne Präparate des Nerven- systems und der Sinnesorgane gelangen mir bei Branchipus, Apus, Daphnia, Moina, Sida, ferner bei Cyclops, Diaptomus, Heterocope und ebenso bei vielen Insekten und Myriapoden. Eine zweite für das centrale und periphere Nervensystem sowie für sämmt- liche Sinnesorgane besonders günstige Methode habe ich in der Zeitschr. f. wiss. Zool., LVII. Bd., Heft 1, 1893 bekannt geseben. Die Methode war ursprüng- lich für das Studium der Genitalzellen sowie der Kerntheilungsvorgänge und das Verhalten der Attractionssphären und Centrosomen bestimmt, doch hat mir das gleiche Verfahren so prachtvolle Bilder des gesammten Nervensystems geliefert, dass ich diese Methode bereits 1. ec. für das Studium des Nervensystems und der Sinnesorgane empfehlen konnte. Ich gebe zu etwa 600 ccm einer gesättigten 147] ÜEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ÄRTHROPODEN. 1] Methoden sieht man allerdings auch mit grosser Deutlichkeit die Gruppe der Sinneszellen unterhalb der Sinneshaare, man erkennt aber meistens nur die Kerne der Sinneszellen und vermisst die Zell- contouren, sowie die Abgangsstellen der distalen und proximalen Fort- sätze. Meine früheren Resultate verdanke ich hauptsächlich dem Um- stande, dass ich von vielen Objekten, welche ich untersuchte, auch Exem- plare während und direkt nach der Häutung mir zu verschaffen suchte; wässerigen und filtrirten Pikrinsäurelösung, 3cem Eisessig ferner 5gr Platin- chlorid (in etwa 5ecm Wasser gelöst) und 2er cryst. Osmiumsäure. Für das Studium der Hautsinnesorgane der Arthropoden (und für das der übrigen Metazoen noch viel mehr) empfiehlt es sich von dieser Flüssigkeit, welche leicht die Nervenfasern zu schwarz färbt, eine bestimmte Menge in ein Schälchen zu giessen und etwa die gleiche Menge von wässeriger Pikrinsäure zuzusetzen, oder man lässt bei der starken Lösung die Objekte nur für kurze Zeit, die aus- probirt werden muss, in der Mischung. Ich habe übrigens auch recht gute Resultate erzielt, wenn ich der Mischung nur ler Osmiumsäure zusetzte. Die schwache Lösung ist aber für das Studium der Centrosomen und Attractions- sphären, zumal bei ruhenden Kernen weniger gut und muss längere Zeit ein- wirken. Bei den Sinnesorganen und dem Nervensystem spülte ich dann die aus der Mischung herausgenommenen Stücke mit Methylalkohol ab und brachte sie dann für längere Zeit in möglichst unreinen Holzessig. Bei grösseren Stücken und hartem Chitin liess ich den Holzessig mindestens 24 Stunden ein- wirken. Aus dem Holzessig brachte ich die Objekte wieder in Methylalkohol oder 70°o Alkohol und dann in 95°/o Alkohol. Eine Färbung ist meist völlig überflüssig und tritt der Zusammenhang jeder Sinneszelle mit einer Nervenfaser in überraschend deutlicher Weise zu Tage, ebenso ist der Verlauf der distalen Fortsätze bis zur Spitze des Sinneshaares mit grosser Schärfe zu erkennen. Will man färben, so kann man die Objekte mit gewöhnlichen Kernfärbungs- mitteln in toto im Paraffinofen oder aber die Schnitte auf dem Öbjektträger mit Hämatoxylin färben. Es ist rathsam, die ungefärbten wie die in toto gefärbten Präparate nicht eher aus dem Alkohol in Chloroform oder Xylol zu bringen, bis der Alkohol vollkommen klar bleibt, am ersten Tage wird meistens von dem Holzessig noch viel Farbe an den Alkohol abgegeben. Wer sich von der Leistungsfähigkeit dieser Methode schnell überzeugen will, dem empfehle ich die Spinalganglien des Frosches oder die Ganglien des Bauchmarkes von Astacus zu untersuchen. Dass beide Methoden keineswegs die Methylenblau- färbung oder das Chromsilberverfahren ersetzen können, braucht weiter nicht betont zu werden, für Kontrollpräparate sind sie aber besonders geeignet. Welche Vorzüge die beiden Mischungen bei anderen Geweben bieten, will ich hier nicht weiter diskutiren. Beiläufig erinnere ich hier daran, dass meine zweite Mischung eine Kombi- nation meiner Pikrinessigosmiumlösung mit der Herwans’schen Flüssigkeit ist. Man kann auch die Herwmann’sche Flüssigkeit für das Studium des Nerven- systems und der Sinnesorgane verwenden, doch schien mir die kombinirte Flüssigkeit bessere Resultate zu liefern, da vermuthlich durch die Pikrinsäure die leicht vorkommenden Schrumpfungen vermieden werden. 12 voM RarH: [148 bei solchen Thieren sind auch bei-ganz gewöhnlichen Methoden die Zellgrenzen, sowie die distalen und proximalen Fortsätze, kurz die direkte Verbindung (Oontinuität) jeder Sinneszelle mit einer Nerven- faser mit genügender Deutlichkeit zu erkennen. Ich empfehle für derartige Untersuchungen in erster Linie unseren Flusskrebs. Im Folgenden will ich jetzt meine eigenen mit der Methylenblau- und Chromsilbermethode eruirten Befunde besprechen. Da Rerzıus seine Untersuchungen über die Hautsinnesorgane der Arthropoden mit der Methylenblaufärbung vorgenommen hatte und zwar bei Urustaceen (Palämon), so begann auch ich mit der Methylenbläumethode und ebenfalls bei Orustaceen, Leider hatte ich zur Zeit kein marines Material zur Verfügung und musste ich mich einstweilen mit den Crustaceen des süssen Wassers und des Landes begnügen. Schon früher hatte ich (Zool. Anzeiger No. 365 u. 366, 1891) die Methylenblaufärbung bei kleineren Orustaceen zu einem anderen Zwecke versucht, indem ich die lebenden Thiere, z. B. Asellus, (Gammarus u. a. für mehrere Tage in eine schwache Koch- salzlösung und Methylenblau brachte, um zu konstatieren, ob die Membranen, welche die Riechschläuche (Geschmacksorgane?) auf den Antennen verschliessen, für Flüssigkeiten durchlässig sind. Ich be- schrieb damals, dass thatsächlich die Farbe langsam von der Spitze der Schläuche her eindrang und stückweise die Antennen blaugefärbt wurden. In letzter Zeit wiederholte ich diese Versuche, ohne aber besondere neue Resultate zu erzielen. Mit mehr Glück hatte ich im Frühjahr vorigen Jahres die Methylenblaumethode durch injieiren bei Astacus fluviatilis in Anwendung gebracht. Mit einer feinen Spritze injieirte ich die lebenden Thiere, theils in der Kopfgegend, theils in der Umgebung der Mundwerkzeuge, ferner am Postabdomen, dicht zwischen den Abdominalbeimen und am Teelson. Die besten Resul- tate hatte ich, wenn ich jedes der Versuchsthiere in verschiedenen Inter- vallen und an verschiedenen Stellen des Körpers am Nachmittag und Abend injieirte, die T’hiere wieder ins Aquarium brachte und dann am folgenden Tage untersuchte. Nach einiger Uebung fand ich häufig einige gut gefärbte Stellen, bei welchen die Nervenfasern der Sinnes- haare in prachtvollster Blaufärbung zu erkennen waren, zumal konnte ich den gesammten Verlauf der Nerven in den Abdominalbeinen und den Telsonplatten auf das Deutlichste verfolgen. Aus jeder Gruppe von Sinneszellen hatte sich meist nur eine Sinneszelle gefärbt, ich konstatirte aber auch mehrfach zwei, drei oder vier gefärbte Sinnes- 149] ÜEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ÄRTHROPODEN. 13 zellen dicht neben einander; von einer Verzweigung des distalen Fort- satzes war bei keinem meiner in grosser Zahl hergestellten Präpa- raten eine Spur zu erkennen, vielmehr traten mit grosser Deutlichkeit die gefärbten distalen Fortsätze gänzlich unverzweigt in die Sinneshaare ein. Die proximalen Fortsätze waren häufig für eine gute Strecke nach dem Oentralorgan hin zu verfolgen, doch konnte ich ihre Endigungs- weise im Oentralorgan nie mit genügender Sicherheit feststellen. Ich wandte mich nach diesen Resultaten. umsolieber der Chrom- silbermethode zu, als sie die Herstellung von haltbareren Präparaten zulässt. Nach einer grossen Zahl von Misserfolgen glückten mir einige Versuche über Erwarten gut. Ich verfuhr stets nach dem raschen Gougsr'schen Verfahren, wie es von RAMON Y OAJAL angewendet wurde (ef. S. 152). Die Technik des Gotgr'schen Verfahrens ist in letzter Zeit so häufig geschildert worden, dass ich von einer Beschreibung derselben absehen kann; ich möchte aber hier auf eine recht gute Darstellung dieser Technik sowie auf die hierhergehörige Literatur ! verweisen, die von M. vox LENHosskKX in den Fortschritten der Mediein, Bd. X. 1892, gegeben wurde. Mir gelang es bei manchen undurchsichtigen Objekten, die Paraffineinbettung mit Erfolg in Anwendung zu bringen, doch dürfen die Objekte nur kurze Zeit in absoluten Alkohol gebracht werden. Die früheren Autoren haben ihre Objekte in Celloidin eingebettet oder in Hollundermark emgeklemmt und dann geschnitten; dass beide Methoden für die hartschaligen Arthropoden gänzlich unbrauchbar sind, wird einem Jeden klar sein, welcher überhaupt Arthropoden geschnitten hat, um beispielsweise die Antennen, Mundwerkzeuge und Beinpaare auf Sinnesorgane zu untersuchen. Ich verwende für Arthro- poden stets das härteste Paraffın. Begreiflicher Weise habe ich neben- her mit Vorliebe solche Objekte ausgewählt, die einigermassen durch- sichtig sind und so gelang es mir auch wenigstens einige vollkommen befriedigende Resultate zu gewinnen; in unserem blinden völlig durch- sichtigen Gammarus, dem Niphargus puleanus, fand ich sogar ein Objekt, welches meine Hoffnungen bei weitem übertraf. Wenn nun auch bei meinen Untersuchungen bald bei einem Krebse, bald bei einem Insekt oder Tausendfüssler eine glückliche Imprägnirung zu verzeichnen war, will ich bei meiner Beschreibung systematisch vor- gehen und zunächst bei den Orustaceen bleiben und wieder mit dem Flusskrebs beginnen. ‘ In derselben Arbeit ist auch die gesammte Vertebraten-Literatur an- gegeben, auf welche ich hier nicht weiter eingehen kann. 14 vom Rata: [150 Seit Jahren habe ich Astacus fluriatilis zu verschiedenen Zwecken stets zur Verfügung gehabt und zwar in allen Entwicklungsphasen, von den Embryonalstadien an bis zum geschlechtsreifen Thier. Mit der Gousrschen Methode habe ich vielleicht 200 Exemplare unter- sucht und erst in diesem Jahre bald in der Antennula, bald in den Maxillen und Hiltskiefern, zumal aber den palpenförmigen Anhängen der Hilfskiefer, bald auch in den Abdominalbeinen und den Telson- platten gut imprägnirte Nervenfasern angetroffen. Während nun bei den Embryonen und Larven von Vertebraten (ich selbst unter- suchte mehrfach Lachsembryonen und die Larven von Tritonen und von Salamandra mac.) beinahe stets einige glückliche Resultate zu verzeichnen sind, ist dies bei den Larven der Arthropoden absolut nicht der Fall; bei Astacus habe ich, bei jungen Exemplaren, die eben aus der Eihülle ausgeschlüpft waren, nur in eimigen Fällen Imprägni- rungen gesehen und zwar stets am Teelson und der Schuppe der zweiten Antenne. In den ersten Zeiten habe ich Astacus hauptsächlich mit der Schnittmethode nach Paraffineinbettung untersucht und so ist es wohl möglich, dass die grosse Zahl meiner Misserfolge in einem zu langen Verweilen in Alkohol, Xylol und Paraffin ihren Grund haben mögen. Als ich aber mehrfach gut imprägnirte Fasern bei durchsichtigen Stücken, z. B. in den Palpen der Hiltskiefer, den Spitzen der Ab- dominalbeine und im Telson erblickte, habe ich weiterhin nur solche Thiere, die gute Resultate versprechen konnten, geschnitten. Ich war übrigens nicht wenig überrascht, als ich bei ganz alten Exem- plaren mit diekem Chitin ganz prachtvolle Imprägnirungen in der Antennula gewahrte; durch das dicke Chitin schimmerten die schwar- zen Fasern mit überraschender Klarheit hindurch und unter den Riechschläuchen sah ich sehr häufig den gesammten Verlauf des nervösen Endapparates. Ich konstatirte mit absoluter Sicherheit, dass von den Sinneszellen die distalen Fortsätze in keinem Falle verzweigt waren, vielmehr gingen diese Fortsätze ziemlich gerade bis zur Kegel- spitze, Die schönsten Bilder erhielt ich übrigens bei den durch- sichtigen Palpen der Hilfskiefer und den Sinneshaaren des Telson. Von gut impräenirten Antennen sind mir viele im Canadabalsam völlig undurchsichtig geworden, während Präparate anderer Ob- jekte sich vom Frühjahr vorigen Jahres bis jetzt ganz vorzüglich gehalten haben. Ich war fernerhin nicht wenig überrascht, als ich bei Schnitten durch die überaus harten Taster der Mandibeln ın einigen Fällen ganz wunderbare Imprägnirungen sah, so dass einzelne 151] Üeser ». NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ÄRTHROPODEN. 15 Nervenfasern durch die ganzen Taster hindurch deutlich zu verfolgen waren (Fig. 4). Ich möchte übrigens gleich hier bemerken, dass ich ın meinen auf Astacus bezüglichen Abbildungen (Fig. 4 und 5) des besseren Verständnisses und der Einfachheit halber combinirte Bilder gegeben habe, bei welchen ich zuerst einen gut gelungenen, nach einer der gewöhnlichen Methode hergestellten Schnitt mit dem Zeichen- apparat mit grösster Sorgfalt wiedergab und dann einige gut impräg- nirte Fasern anderer Präparate, oft ganzer Serien, einzeichnete. Dies Verfahren ist umsomehr berechtigt, als in den meisten Fällen, wo überhaupt einzelne Fasern imprägnirt waren, nebenan die Gruppen der Sinneszellen oder doch sicher die Uontouren der die Gruppen umhüllenden Scheiden sehr deutlich zu erkennen waren. Das gleiche Verfahren habe ich auch in Fig. 11 befolgt. Auch in den zahl- reichen Fällen, in welchen überhaupt keine Imprägnirungen gelungen waren, konnte ich den gesammten histologischen Bau der Sinnes- zellengruppen, der Hypodermiszellen etc. mit völlig befriedigender Sicherheit, vermuthlich durch die Einwirkung der Osmiumsäure, wahr- nehmen. In einer zweiten Mittheilung werde ich noch eine Reihe von hierhingehörigen Abbildungen von Astacus geben. Im Grossen und Ganzen waren die Resultate, welche ich ver- mittelst der Methylenblaufärbung und dem Ohromsilberverfahren er- zielte, völlig übereinstimmend. Auch die bekannten kleinen Anschwel- lungen, die im Verlauf der distalen wie proximalen Nervenfortsätze bei beiden Methoden auftreten, erschienen sehr ähnlich, zumal aber waren die Endverzweigungen an der Muskulatur so gleichmässig bei beiden Methoden, dass ich Kunstprodukte, z. B. die störenden Chrom- silberniederschläge, mit Leichtigkeit als solche erkennen und bei der Beurtheilung. der Imprägnirungen ausser Acht lassen konnte. Auf den feineren Bau des Centralnervensystems von Astacus will ich hier nicht eingehen, da bereits Rrrzıus ]. c. eine sehr sorgfältige Beschreibung dieser überaus complicirten Verhältnisse gegeben hat. Was nun die Verästelungen der distalen Fortsätze der Sinnes- zellen angeht, welche RErtzıvs für Palämon beschrieben und abgebildet hat, so darf ich mir hierüber kein Urtheil erlauben, da ich Palämon nur mit den früher üblichen Methoden untersucht habe. Ich habe selbst bis jetzt solche Endverzweigungen unter oder in den Sinnes- haaren weder bei Orustaceen noch bei anderen Arthropoden auf- finden können. Wenn aber solche Verzweigungen thatsächlich bei einigen Arthropoden vorkommen, so sind es einfach Verzweigungen des distalen Plasmafortsatzes. Der proximale Fortsatz ist als der 16 vom RarH: [152 eigentlich nervöse Theil zu betrachten. Wir hätten dann ganz ähn- liche Verhältnisse, wie bei den Cerebrospinalganglien der Vertebraten, bei welchen die Sinneszellen mehr und mehr von der Peripherie in das Innere gerückt sind und die distalen Fortsätze sich stark unter- halb und innerhalb der Epidermis verzweigen. Von anderen Crusta- ceen habe ich besonders gute Resultate, wie oben bereits erwähnt wurde, bei Nöphargus puteanus, erzielt, den ich in etwa 80 Exem- plaren mit verschiedenen Methoden untersuchen konnte!. Von meinem Niphargus-Material, welches ich vielfach mit klemen Abweichungen der GouLsr’schen Methode bearbeitete, hat trotz vieler guten Resultate keine Modification mehr geleistet, als das von RAMON Y CAJAL empfohlene Verfahren. Ich brachte die in der Grösse sehr verschiedenen Thiere in eine Mischung von 1% Osmiumsäure und 3,5 °/ Kalibichr. und zwar wurde von der ersten Lösung 1 Theil, von der zweiten 4 Theile genommen. Durchgängig habe ich die besten Erfolge gehabt, wenn ich am zweiten Tage die gehärteten Thiere in mehrere Stücke zerschnitt und in eine neue Mischung brachte und dann am dritten Tage diese Stücke für 48 Stunden in die Silberlösung (Argent. Nitr. 1,5) einlegte. Der Silberlösung wurde auf 200 Gramm 1 Tropfen Ameisensäure zu- gesetzt, wodurch die störenden Niederschläge von Chromsilber wesent- lich vermindert wurden. Die Schnittmethode habe ich eigentlich nur zum Studium des Centralnervensystems in Anwendung gebracht und zumal vom Bauchmark gute Bilder erhalten, im Uebrigen habe ich die gut imprägnirten Antennen, Mundwerkzeuge und die Beine nach kurzem Verweilen in absolutem Alkohol und Nelkenöl in Canada- balsam in toto eingeschlossen, ohne aber ein Deckglas aufzulegen. Sämmtliche Abbildungen, die ich von Niphargus in diesem Aufsatze gegeben habe (Fig. 9—12) sind nach solchen Präparaten angefertigt; in einer zweiten Arbeit werde ich noch eine ganze Reihe von Ab- bildungen gut imprägnirter Theile desselben Thieres geben, die ich zur Sicherheit gleich nach ihrer Anfertigung gezeichnet habe. Auch bei den gewöhnlichen Gammariden (Gammarus pulex und Gam- ! Die Thiere stammen aus Brunnen des Freiburger Schlossberges und des Rosskopfes. Bei der Beschaffung dieses reichhaltigen und kostbaren Materials, war mir Prof. Dr. A. GruBER behülflich, indem ich nur durch seine gütige Ver- mittlung in den Stand gesetzt wurde, die verschlossenen Brunnenstuben unter- suchen zu können. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. GRUBER an dieser Stelle meinen besten Dank für seine liebenswürdige Beihülfe auszu- sprechen. 153] UEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ÄRTHROPODEN. 17 marus fluviatilis) habe ich hin und wieder brauchbare Präparate her- gestellt, doch waren dieselben in keiner Beziehung mit den ganz wunderbar imprägnirten Präparaten des völlig durchsichtigen, zarten Niphargus zu vergleichen, die an Klarheit alles übertrafen, was ich selbst und einige meiner skeptisch angelegten Bekannten von gut gelungenen Präparaten, die durch die GoL6r'sche Methode hergestellt waren, jemals gesehen haben. Ich muss aber gleich hier betonen, dass keineswegs der grössere Theil meiner Präparate gelang, vielmehr waren die Erfolge sehr ungleich und auf einzelne Körpertheile der verschiedenen Thiere vertheilt. Bei einem Exemplar waren beispiels- weise nur die Antennen und vielleicht ein Beinpaar gut imprägnirt, bei einem anderen nur die Mundwerkzeuge, bei einem dritten die Extremitäten des Abdomens u. s. w.; es gelang mir aber glücklicher- weise, gute Präparate von allen Theilen des Körpers herzustellen. Was nun die Endigungsweise der Nervenfasern der typischen Haut- sinnesorgane des Niphargus anbetrifft, so habe ich den bei Astacus festgestellten Befunden kaum etwas neues hinzuzufügen; die grossen Riechschläuche (Fig. 11k) zeigten in einigen Fällen eine grössere Zahl der imprägnirten distalen Fortsätze der Sinneszellen, die hin und wieder, im Gregensatz zu allen anderen Befunden, sowohl solcher anderer Autoren als meiner eigenen, sämmtlich imprägnirt waren; ebenso waren vielfach bei demselben Thier alle Nervenfasern sämmt- licher typischen Sinneshaare bis zur Spitze wunderbar imprägnirt, ohne aber auch nur in einem einzigen Falle eine Verzweigung er- kennen zu lassen. Es lag nun nahe bei diesem überaus günstigen Objekte nachzuforschen, ob nicht ausser diesen mit Sinneszellen in direkter Verbindung (Continuität) stehenden Nervenfasern vielleicht noch frei oder gar verästelt in der Hypodermis auslaufende Nerven- fasern zur Beobachtung kommen. Ich habe eine Reihe von Befunden konstatirt, welche für die Beurtheilung letzterer Frage von grosser Wichtigkeit sind. Ich sah auf allen gut imprägnirten Antennen, Mundwerkzeugen und sämmt- lichen Extremitäten, überhaupt überall da, wo Haare stehen, dass ausser den typischen Sinneshaaren auch sämmtliche übrigen Haare, die man früher theils als Drüsenhaare, theils als gewöhnliche Haare bezeichnet hat, ohne Ausnahme imnervirt waren. In der Mehrzahl der Fälle waren, wenn überhaupt eine Imprägnirung einer Extremität gelungen war, sämmtliche zu den Haaren führenden Nervenfasern durch das Chromsilber tief schwarz gefärbt, und ich konnte diese Fasern dann immer bis in die äusserste Spitze jedes 18 voM RATH: [154 Haares deutlich verfolgen. In selteneren Fällen waren nur wenige Fasern imprägnirt, in einem Fall (Fig. 10) sogar nur eine einzige, Die Präparate, auf welchen nur wenige Fasern gut imprägnirt waren, sind nun aber besonders instructiv, da man den gesammten Verlauf der Fasern von der Peripherie bis kurz vor das Üentral- organ deutlich durch alle Glieder der betreffenden Extremität ver- folgen kann. Während nun bei den typischen Sinneshaaren Fig. 11 aus jeder der nicht allzuweit unterhalb des Sinneshaares liegenden (sruppe von Sinneszellen immer eine oder deren mehrere schön im- prägnirt waren, konnte ich bei den anderen Haaren mit gut im- prägnirten Fasern, die ich auf weite Strecken rückwärts verfolgte, niemals auch nur eine Spur einer imprägnirten Zelle sehen. Bei Anwendung anderer Methoden und auch der von mir auf Seite 146 und 147 empfohlenen, sieht man die Sinneszellen unterhalb der typischen Sinneshaare sehr deutlich und erkennt sofort, dass von jeder bipolaren Zelle ein distaler und ein proximaler Fortsatz aus- geht; bei den anderen (gewöhnlichen) Haaren sieht man aber weder eine Gruppe noch eine besondere Zelle unterhalb des Haargebildes liegen, und ebensowenig eine Nervenfaser zum Haare gehen. Wenn nun thatsächlich zu den innervirten gewöhnlichen Haaren eine Sinnes- zelle gehört, so liegt sie auf jeden Fall von dem Haar selbst sehr weit entfernt und in unmittelbarer Nähe des Öentralorganes oder aber im Üentralorgan selbst, was mir auf Grund meiner Schnitt- präparate das wahrscheinlichste zu sein scheint. Wir würden dann bei Niphargus zweierlei Arten von Nervenendigungen haben, von denen die einen von der Peripherie dem Üentralorgan zustreben, um in demselben mit einer feinen Verzweigung, und ohne direkte Kontinuität mit einer Ganglienzelle frei auszulaufen, und ferner Nerven- endigungen, die von Ganglienzellen des Uentralorgans nach der Peri- pherie gehen und ohne eine Verzweigung zu bilden und ohne mit einer anderen Zelle in Kontinuität zu stehen, direct in das Haar eintreten und bis zur äussersten Spitze zu verfolgen sind. Dass weder unter den typischen Sinneshaaren noch den anderen innervirten Haaren vom Niphargus eine dentritische Verzweigung vorkommt, muss ich als ganz sicher ansehen, da ich über eine grosse Zahl vorzüglicher Präparate mit gut imprägnirten Fasern verfüge, die übrigens die schönsten und zierlichsten Verzweigungen der Nervenenden an der Muskulatur sowie an einzelnen Drüsen- und Pigmentzellen, zumal aber an der Musku- latur erkennen lassen!. Es ist aber keineswegs immer so leicht, sofort Ich bin selbstverständlich weit davon entfernt, auf Grund meiner Befunde 155] User nv. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ARTHROPODEN. 19 festzustellen, ob man ein typisches Sinneshaar mit terminaler Sinnes- zelle vor sich hat, oder eine imprägnirte Faser mit im Uentralorgan (?) gelegener Zelle, da bekanntlich im gesammten Verlauf der Nerven- faser und auch des distalen Fortsatzes der Sinneszelle vielfach ver- schieden dicke, knötchenförmige Anschwellungen genau wie bei der Methylenblaufärbung gesehen werden und eine Sinneszelle vortäuschen können; dergleichen Verwechslungen sind besonders da möglich, wo die Sinneszellen wie bei Niphargus relativ klein sind. Auf Kontroll- präparaten, die mit guten anderen Methoden hergestellt wurden, wird aber der wahre Sachverhalt meist leicht entschieden. Beiläufig will ich hier noch erwähnen, dass ich auch über Präparate von Extremitäten von Niphargus verfüge, die ich einstweilen noch nicht mit genügender Sicherheit interpretiren kann. Ich habe beispielsweise ein vorzüglich imprägnirtes Bein von Niphargus, bei welchem alle Haare innervirt sind, ohne aber den Verlauf der einzelnen Fasern auf grössere Strecken erkennen zu lassen, da die ganze Extremität von einem dicken tiefschwarzen Strang von scheinbar nervöser Natur durchzogen ist; ich glaube aber, dass hier auch die Blutgefässe imprägnirt sind; ferner war die gesammte Muskulatur in auffallender Weise imprägnırt, ebenso waren typische Endverzweigungen von Nervenfasern zu erkennen, die sicherlich nicht bis zur Hypodermis gingen und vermuthlich nicht imprägnirte Drüsen- oder Pigmentzellen innervirten. Ich sah aber auch einzelne unverzweigte Fasern durch die Hypodermis hindurch das Chitin durch- setzen, an Stellen wo normaler Weise gar kein Haargebilde steht. Ich behalte mir vor, auf derartige noch nicht völlig aufgeklärte Vorkommnisse an der Hand von Abbildungen, die bei starker Ver- srösserung gezeichnet wurden, baldigst zurückzukommen. Dass ich ausser diesen Präparaten, die in toto eingelegt wurden, auch eine grössere Zahl von Schnittserien, zumal zum Studium des Üentral- nervensystems, angefertigt habe, wurde bereits oben betont. Leider sind die Ganglienzellen der Centralorgane, sowie die Sinneszellen dieses Thieres überaus klein. Ich sah immerhin in den Ganglien des Bauchmarks von der Peripherie herkommende und frei mit Ver- zweigungen auslaufende Nerven und ebenso von Ganglienzellen des Centralorgans nach der Peripherie aufsteigende Fortsätze. Ein genaues Verfolgen einer und derselben Faser von der Peripherie bis zum ÜOentralorgan oder auch vom Centralorgan nach der Peripherie, ist bei Niphargus auch mit der Schnittmethode kaum möglich. Es bei Niphargus, ein Vorkommen von verästelten frei in der Hypodermis auslaufen- den Nervenfasern direct in Abrede stellen zu wollen. 20 vom RATH: [156 ist daher auch nicht mit Sicherheit zu entscheiden, welche Fortsätze der Ganglienzellen zur Muskulatur gehen und solche welche Drüsenzellen und Pigmentzellen mit feinen Endverzweigungen innerviren, ebenso- wenig kann ich zur Zeit sagen, welche Ganglienzellen ihre Fortsätze etwa in die Haargebilde frei aber unverzweigt auslaufen lassen. Wenn nun auch meine Befunde bei Niphargus keineswegs be- weisen, dass auch bei allen anderen Arthropoden sämmtliche Haare innervirt sind, so ist mir dies doch im höchsten Grade wahrschein- lich; ich glaube ferner, dass auch in den Fällen, in welchen Drüsen- zellen direkt unter Haargebilden liegen, eine gleiche unverzweigte Innervirung der Zellen stattfindet wie bei typischen Sinneshaaren, während Drüsenzellen, die im Inneren der Antenne oder des Körpers in einer grösseren Entfernung von der Hypodermis liegen und peripher ohne Haargebilde mit einem mehr oder weniger langem chitinisirten Ausführungsgang münden, in vielen Fällen, vielleicht sogar in allen, von dendritischen Nervenenden umsponnen werden können. Meine Resultate bei Insecten und Myriapoden sind bis jetzt nicht besonders glücklich ausgefallen; sie sind aber immerhin von Bedeutung, da über die Hautsinnesorgane der Insekten Myriapoden und Arach- niden, soviel ich weiss, überhaupt noch keine erfolgreichen Versuche mit der Methylenblaufärbung oder der Chromsilbermethode angestellt wurden. Bei Spinnenthieren habe ich trotz vieler Mühe mit den beiden in Rede stehenden Methoden auch nicht ein einziges glückliches Prä- parat herstellen können. Ich muss mich daher hier auf die Beschrei- bung meiner Befunde bei Insekten und Myriapoden beschränken. Bei Insektenlarven, die ich in grosser Zahl mit der Chrom- silbermethode untersucht habe, konnte ich leider nur wenige befrie- digende Präparate anfertigen und doch schienen einzelne Larven, wie die durchsichtige Corethralarve, besonders für solche Zwecke geeignet zu sein. Misserfolge hatte ich auch bei den Larven und Puppen von 7enebrio molitor, sowie denen vieler Hymenopteren (Vespa, Apis und Formica), die ich in grösserer Zahl stets mit neuer Hoffnung vergeblich untersuchte. Gute Imprägnirungen gelangen mir dagegen bei den Antennen und Palpen ausgewachsener Thiere. Die Antennen von Vespa, Ichneumon, Antophora, Eucera und Formica haben hin und wieder ganz vorzügliche Präparate trotz Paraffineinbettung geliefert, so dass ich sowohl gut imprägnirte Fasern bis in die Spitze der Kegel (Fig. 7) wie bis zu der die Mem- branenkanäle verschliessenden Membran (Fig. 6) in schönster Ueber- einstimmung deutlich erkennen konnte; von einer terminalen End- 157] User D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ARTHROPODEN. 2] verzweigung konnte in keinem Falle .auch nur eine Andeutung gesehen werden. Ich habe in Fig. 7 eine zu einem Kegel von Vespa crabro und in Fig. 6 eine zu einem Membrankanal von Ichneumon gehörende imprägnirte Faser abgebildet. In Fig. 6 habe ich wieder einen combinirten Schnitt gegeben, indem ich zuerst einen Mem- brankanal, wie er bei gewöhnlichen Methoden zur Anschauung kommt, zeichnete und dann nach einem Ohromsilberpräparate eine gut impräg- nirte Faser eingetragen habe. Gute Bilder erhielt ich auch von den Antennen und Palpen von Grylius domesticus und Locusta viridis- sima, während ich trotz vieler Versuche bei Peröplaneta, welche wegen ihrer grossen Ganglienzellen besonders für das Studium des Central- nervensystems geeignet ist, gar keine Imprägnirung zu Stande brachte. Dagegen kann ich Machilis als ein besonders günstiges Object em- pfehlen, während die zartere (ampodea mir kein Resultat lieferte. Bei- läufig möchte ich hier erwähnen, dass ich in vielen Fällen bei Insekten, zumal aber in den Palpen von Gryllus domesticus sah, dass das Chitin in der Querrichtung durch ganz feine Kanälchen durchsetzt war, ohne aber dass letzteren irgend welche Haargebilde aufsitzen. Bei @ryllus waren in diesen Kanälchen häufig sehr feine, tief schwarz gefärbte unverzweigte Fasern zu sehen, welche sich in der Hypodermis verloren. Wahrscheinlich sind es die distalen Fortsätze von im- prägnirten Hypodermiszellen; ich konnte einen proximalen Fortsatz niemals erkennen. Zu meinem grössten Bedauern habe ich dann weder bei den Schuppen von Machilis noch bei solchen von Schmetter- lingen feststellen können, ob auch irgend welche Schuppen innervirt werden, desgleichen waren meine Untersuchungnn mit der Chrom- silbermethode bei den Flügeln von Dipteren, Neuropteren, Hymenop- teren und Hemipteren resultatlos. \ Meine über die Hautsinnesorgane der Myriapoden mit der Gorer'schen Methode erzielten Resultate sind gleichfalls noch gering. Bei Polyzenus lagurus und Scolopendrella immaculata wurden meine Hoffnungen völlig getäuscht '; ich konstatirte aber der Reihe nach, dass " Ich habe absichtlich eine ganze Reihe von Arthropoden namhaft ge- macht, bei denen ich bei Anwendung der Chromsilbermethode stets Misserfolge hatte, um anderen Autoren auf diesem Gebiet, unnöthige Mühe zu ersparen. Bei einigen Objekten wie Machilis, Niphargus hatte ich beinahe jedesmal wenig- stens einen geringen Erfolg, ebenso bei den Köpfen von Porcellio; bei anderen Objekten dagegen stets Misserfolge. Es scheint danach wahrscheinlich zu sein, dass einige Thiere für die Chromsilbermethode geeigneter sind als andere. Weshalb aber immer nur einzelne regellos zerstreute Zellen die Neigung haben, ihr Kali in Silber einzutauschen, ist nicht gut einzusehen. Nach LENHoss£EK Berichte IX. Heft 2. 11 99 vom RATH: [158 die Kegel der Antennenspitzen von Juliden, Polydesmiden und Glome- riden sehr häufig gut imprägnirte gänzlich unverzweigte Endigungen der Sinneszellen zeigten. Bei den Chilopoden lieferten mir mehrfach Beine junger Exemplare von Lithobius und Geophilus gute Präparate, da zu- mal die Beinspitzen unterhalb der Haare schön imprägnirte schwarze Fasern durchschimmern liessen. In Fig. 8 habe ich eine Abbildung der Spitze eines Beines von einem jungen Lithobius gegeben. Dies Präparat wurde nach Einlegen in toto in Canadabalsam mit dem Zeichenapparat entworfen. Die dicken Anschwellungen der impräg- nirten Fasern unter den Haaren möchte ich als Sinneszellen auffassen. Von einer Innervirung gewöhnlicher Haare habe ich bis jetzt bei Myriapoden und Insecten zwar Andeutungen aber nichts sicheres erkennen können, doch ist es mir, wie bereits oben erwähnt wurde, im höchsten Grade wahrscheinlich, dass bei allen Arthropoden sämmtliche Haare innervirt sind. Nach diesen übereinstimmenden mittelst der Methylenblaufärbung und der Chromsilbermethode bei den Hautsinnesorganen der Urusta- ceen, Inseecten und Myriapoden von mir eruirten Resultaten, muss die frühere Auffassung über den feineren Bau des nervösen End- apparates der Hautsinnesorgane in folgender Weise geändert werden. Es handelt sich nicht um einen vom Üentralorgan aufsteigenden Nerven, der aus den Fortsätzen von im ÜUentralorgan liegenden Gang- lienzellen zusammengesetzt ist und sich unterhalb der Sinneszellen- gruppen auffasert, um dann an jede Sinneszelle eine Faser abzu- geben, in Wirklichkeit liegen die Verhältnisse gerade umgekehrt. ‚Jede Sinneszelle schickt einen kürzeren distalen Fortsatz in das Sinneshaar und einen längeren proximalen Flortsatz nach dem Cen- tralorgan, welch letzterer aber keineswegs mit einer Ganglienzelle des Centralorgans in directe Verbindung tritt, er läuft vielmehr frei aus mit Bildung einer meist feinen Endverzweigung. In den Verlauf jeder Faser ist daher immer nur eine Zelle (Sinneszelle) eingeschaltet und nicht wie bisher angenommen wurde, eine centrale Ganglienzelle und eine periphere Sinneszelle. In Fig. 3 habe ich ein Schema des Baues eines Hautsinnesorganes der Arthropoden dargestellt. Es gehen nun auch aus dem Oentralorgan Fortsätze der Ganglien- zellen nach der Peripherie und enden mit zierlichen Endverzweigungen (Fortschr. d. Medicin 1892) würde die Annahme, dass es sich etwa um Ver- schiedenheiten des funktionellen oder nutritiven Zustandes im Augenblick des Todes handle, geradezu zur Hypothese einer funktionellen Periodieität der Zellen und Fasern führen. 159] UEBER D. NERVENENDIGUNGEN D, HAUTSINNESORGANE D. ÄRTHROPODEN. 93 an der Muskulatur, an Drüsen- und Pigmentzellen. Die Sinneszellen können oft weit von der Hypodermis entfernt liegen und dem Üen- tralorgan näher rücken. Bei den gewöhnlichen Haaren von Niphargus sah ich niemals, trotz Verfolgens der Nervenfasern von der Peripherie bis kurz vor das Oentralorgan, eine Sinneszelle und es ist daher im höchsten Grade wahrschemlich, dass diese Zelle im Centralorgan selbst liegt, dass also eine Granglienzelle des Uentralorgans einen langen Fortsatz nach der Peripherie entsendet der unverzweigt bis zur Spitze des Haares verläuft. Ob auch vom Oentralorgan Fortsätze nach der Peripherie gehen, um in der Hypodermis verästelt zu endigen, möchte ich bis auf Weiteres bezweifeln, da man keinen Zweck für eine derartige Endi- gungsweise unter dem meist dieken Chitinpanzer einsehen kann. Inwieweit die Beobachtung von Rertzıus über verästelte Nerven- endigungen unterhalb und innerhalb der typischen Sinneshaare zutrifft, muss weiteren Untersuchungen überlassen werden; eine definitive Entscheidung ist in dieser Frage um so schwerer zu geben, als beide neuen Methoden bekanntlich sehr launisch sind und negative Befunde doch nur bedingten Werth haben. Auf die physiologische Bedeutung der Hautsinnesorgane der Arthropoden will ich hier nicht weiter eingehen; zunächst müssen wir noch mehr anatomisch-histologische Resultate durch die beiden neuen Methoden abwarten. Die neueren Arbeiten, die über die phy- siologische Bedeutung der Hautsinnesorgange der Arthropoden er- schienen sind, beruhen nicht zum geringsten Theil auf kühnen Hypo- thesen und diese verlieren obendrein durch den Nachweis von dem Vorkommen von früher gänzlich unbekannten Nervenendigungen, wie ich sie für Niphargus beschrieb, wesentlich an Bedeutung. Ob man nun den von mir früher vorgeschlagenen Ausdruck Sinneszelle beibehalten will oder nicht, ist Geschmackssache. Auf jeden Fall passt die neue Bezeichnung Sinnesnervenzelle, die bereits vielfach angewendet wird, viel besser als die Bezeichnung (sanglienzelle. Die betreffende Zelle ist nichts anderes als eine modifizirte Hypodermiszelle, die durch Wachsthum ihres proximalen Fortsatzes bis ins Centralorgan hinein zu einer Sinneszelle wird. Durch den distalen Fortsatz wird der Reiz aufgenommen und durch den proximalen Fortsatz dem Centralorgan zugeleitet. Ob man nun auch den distalen Fortsatz einen nervösen nennen will, wie den proximalen, ist gleichfalls Geschmackssache. Vom morphologischen Standpunkt aus wird man den distalen ls 24 vom Rartn: [160 Fortsatz einer Sinneszelle (Sinnesnervenzelle) ebenso wie den jeder anderen Hypodermiszelle als einen Plasmafortsatz ansehen ; dadurch aber, dass der proximale Fortsatz bis m das Centralorgan hinein- wächst, kann man vom rein physiologischen Standpunkte aus auch den distalen Fortsatz als einen nervösen bezeichnen, indem dieser die Reize aufnimmt, während der proximale Fortsatz sie dem COentral- organ zuleitet. Bis auf weiteres möchte ich den Ausdruck Sinnes- zelle beibehalten. Zum Schluss meines Aufsatzes will ich in Kürze meine empirischen Befunde über die Hautsinnesorgane der Arthropoden, welche ich mit der Methylenblau- und Ohromsilbermode feststellen konnte, mit den Resultaten, welche von anderen Autoren mittelst der beiden neuen Me- thoden bei anderen Metazoen gewonnen wurden, in Kürze vergleichen. Bei Evertebraten sind mir über die vorliegende Frage nur bei einigen Würmern (Lumbricus, Nereis) und bei Mollusken Angaben bekannt geworden. Durch die Untersuchungen von LENHOSSER . (Archiv f. mikr. Anat., Bd. 30, 1892) und Rerzıus ]. c. wurde gezeigt, dass bei Zumbdricus die Körperhaut eine grosse Menge sensibler Zellen enthält, die im Epithel liegen und jeweils eine feine, meist unverästelte Faser nach dem Bauchstrang schicken, um mit geringer Verästelung frei auszulaufen, ohne aber mit Granglienzellen des Centralorgans in direkte Verbindung zu treten. Bei den Poly- chaeten z. B. Nereis und ebenso bei den Mollusken liegen diese sen- siblen Zellen weiter von der Peripherie entfernt, wie bei Zumbricus, wie wir aus den Untersuchungen von RErzıus kennen gelernt haben. Letzterer Autor ist übrigens geneigt, bei den Polychaeten (Nereis) zwei verschiedene Arten von sensiblen Nervenendigungen anzunehmen, nämlich erstens das über die ganze Körperoberfläche ausgebreitete System sensibler Nervenzellen, welche den unverzweigten peripheren Fortsatz durch die Epithelschicht der Epidermis mehr oder weniger vertical nach aussen und den langen, feinen centralen Fortsatz durch die. Nervenzweige nach dem Bauchstrang schicken, und zweitens ım den borstenführenden Parapodiensäcken eine Art von Endverzwei- gung, die bei den höher stehenden Thieren die normale Endigungs- weise sensibler Nerven darzubieten scheint. Des weiteren betont Rerzıus, dass eine Beziehung dieser Nervenendigungen an den Mus- keln der Parapodien keineswegs nachgewiesen werden konnte, und hält es für wünschenswerth, die in dieser Weise endigenden Nerven- fasern bis zu ihrem Ursprung aus den betreffenden Nervenzellen zu verfolgen, um zu erfahren, ob diese Zellen central (im Bauchmark) oder 161] UEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D. ÄRTHROPODEN. 5 peripher (in der Hautgegend) liegen. Es war aber bis jetzt diesem Autor nicht möglich, diese Nervenfasern bis zu ihrem Ursprung zu verfolgen. In letzter Zeit wurden dann noch durch ALEX SMIRNOW in einer vorläufigen Mittheilung (Anat. Anz. IX. Bd., Nr. 18, 1894) freie Nervenendigungen im Epithel der Haut von Zumbricus neben den Sinnesnervenzellen beschrieben. Dieser Befund ist von beson- derem Interesse, da Zumbdrieus schon von zwei Meistern der Tech- nik auf dem Gebiete der Gorsr'schen Methode untersucht war, durch von LENHOSSER und RErTzıus, ohne dass eine freie Nervenendigung gefunden wäre. Nach SMirnow sollen nun aber unter den freiendigenden, intra- epithelialen Nervenfäden ausser sensiblen auch sekretorische Fasern gehören und zu letzteren wären auch die Fasern zu zählen, welche die Schleimzellen umspinnen. Ferner wurden durch den gleichen Autor sensible intraepitheliale Nervenzellen in der Mundhöhle ge- funden, die bereits Rerzıus gesehen hatte. Während diese Zellen nun nach den Befunden von SMIRNOowW auch im Oesophagus vor- kommen, konstatirte derseibe Autor im Darmepithel nur freie intra- epitheliale Nervenendigungen. In Bezug auf die Hautsinnesorgane der Evertebraten findet nach dem eben Gesasten eine grosse Aehnlichkeit bei den Arthro- poden, Würmern und Mollusken statt, da stets terminale Sinnes- zellen (Sinnesnervenzellen) gefunden wurden, die bei Zumbdrieus im der Epidermis selbst, bei Vereös und den Mollusken weiter von der Epidermis entfernt liegen und stets unverzweigte distale Fortsätze entsenden; bei den Arthropoden ist insofern ein Uebergangsstadium zu konstatiren, indem die Sinneszellen bald in, bald unter der Hypo- dermis gefunden werden, ja bei demselben Thiere können in be- stimmten Körpertheilen, wie den Antennen der Hymenopteren, einige Sinneszellengruppen sehr dicht der Hypodermis anliegen, während bei den sogenannten Geruchskegeln der Antennen derselben Thiere die Sinneszellen oft recht weit von der Hypodermis entfernt sind. In welchem Verhältniss nun aber die zweite Art von Nerven- endigungen von Zumdricus und Nereis zu der zweiten Art von Nervenendigungen bei Arthropoden (Innervirung der sogenannten ge- wöhnlichen Haare wie bei Niphargus) steht, ist zur Zeit noch nicht definitiv zu entscheiden; es bedarf hierzu nicht nur bei Arthropoden, sondern auch bei den meisten anderen Evertebraten noch vieler mühsamer Untersuchungen; auf jeden Fall dürfen wir bei günstigen Objekten noch viele überraschende Befunde erwarten. 26 vom RartH: [162 Die eben erwähnten Resultate bei Würmern, Mollusken und Arthropoden können mit den Hautsinnesorganen der Vertebraten nur schwer verglichen werden. Aehnliche Verhältnisse der Nerven- endigungen finden sich bei Vertebraten wohl nur in der Riechschleim- haut wieder, indem in dem Riechepithel ausser cellulären Faser- ursprüngen auch noch freie intraepitheliale Nervenendigungen vor- kommen, so dass das Epithel der »egio olfactoria ebenso wie die Netzhaut zu dem Nervensystem in doppelter Beziehung steht, indem es Faserbildungen an das Gehirn abgiebt und solche davon empfängt. (Confer. M. von LENHOSSER, Beiträge zur Histologie des Nerven- systems und der Sinnesorgane, Wiesbaden 1894). Im Uebrigen wurde von einer Reihe von Autoren der Nachweis geliefert, dass in der Wirbelthierhaut alle Nerven frei endigen und eine directe Ver- bindung mit Zellen der Epidermis mit Ausnahme der Riechzellen nicht stattfindet. Nach Rerzıus steht das Tastorgan, das Organ der eigentlichen sensiblen Nervenfasern merkwürdigerweise in der morphologisch-phylogenetischer Entwickelung höher als manche Sinnes- organe, indem die Nervenzellen desselben sich bis in die Nähe der Oentralorgane, wo sie die Öerebrospinalganglien bilden zurückgezogen und ihren bipolaren Typus in einen pseudo-unipolaren verändert haben, sowie dadurch dass die peripherischen Fortsätze dieser Nervenzellen sich in dem eigentlichen Sinnesorgan der Haut und den Schleimhäuten ungemein stark verästeln und intracellulär mit freien Spitzen endigen. Sehr auffallend ist auf jeden Fall der Befund, dass der Nervus acusticus mit frei auslaufenden Fasern endigt, ohne mit den so- genannten Hör- oder Haarzellen in direkte Verbindung zu treten. Die Haarzellen wären nach Rerzıvs als eine Art sekundär in die Nervenleitung eingetretener Epithelzellen, als sekundäre Sinneszellen aufzufassen; in ähnlicher Weise werden von den Autoren die früher als Sinneszellen in den Geschmacksknospen und verwandten Organen vor- kommenden Zellen als sekundäre Sinneszellen gedeutet, auch sie stehen mit Nervenfasern nicht in Continuität, sondern nur in Contiguität. Nach einigen Autoren wie LENHOSSER ist bei den Vertebraten das ursprüngliche Verhalten in der Riechschleimhaut realisirt, sonst aber ist es überall dem höheren Typus dem der terminalen End- bäumchen gewichen. Bis auf Weiteres möchte ich mich in letzterer Frage völlig neutral verhalten und mich der eben gegebenen Deu- tung keineswegs anschliessen. Aus dem vorstehenden Aufsatz haben wir ersehen, dass die 163] ÜEBER D. NERVENENDIGUNGEN D. HAUTSINNESORGANE D, ARTHROPODEN, 97 positiven Resultate, welche mit der Methylenblaufärbung und dem /hromsilberverfahren festgestellt wurden, zumal bei Evertebraten noch sehr dürftige sind und dass noch recht viele empirische Befunde beigebracht werden müssen, ehe an eine definitive Entscheidung der (sesammtfrage von der Kenntniss der Hautsinnesorgane und des peripheren Nervensystems gedacht werden kann. Wenn meine eigenen Befunde bis jetzt auch nur Bruchstücke sind, so haben sie immerhin den Werth, anderen Forschern den Weg zu zeigen, wo neue Untersuchungen eingesetzt werden müssen. Ich werde in nächster Zeit in einer zweiten Mittheilung neue Resultate mittheilen, da ich während der Drucklegung dieser Schrift eine Reihe neuer Befunde feststellen konnte. Zoologisches Institut der Universität Freiburg, Juli 1894. Erklärung der Abbildungen auf Tafel II. Fig. 1. Schnitt durch ein Glied eines Rankenfusses von Lepas. sz — Sinnes- zelle, € = Terminabstrang, hyp = Hypodermis, m = Muskulatur, bg = Bindegewebe, n = Nerv. Das Präparat ist nach Konservirunge mit Sublimatalkohol in Pikrokarmin «efärbt und mit dem ÖBERHÄVSER'schen Zeichen- apparat gezeichnet. Bemerkenswerth ist, dass nur immer eine grosse Sinneszelle zu jedem Haar gehört. Der proximale Fortsatz der Sinneszellen geht in deutlicher Weise in eine Nervenfaser über, der distale Fortsatz verläuft bis zur Spitze des Haares. Vergrösse- rung 68. Fig.2. Schnitt durch eine Antennula von Sqwilla mantis. Die Sinneszellen- eruppen (s29) entsenden ihre terminalen Fortsätze in Form von Bündeln (Terminalstränge) in die Sinneshaare. Konservirung und Färbung ist die gleiche wie in Fig. 1. Bemerkenswerth ist die grosse Zahl von Sinneszellen, die zu jedem Sinneshaar gehören. Fig. 1 und Fig. 2 stellen die beiden Typen der Nervenendi- gungen der Hautsinnesorgane bei Anwendung von einfachen Me- thoden dar. Vergrösserung 152. Fig. 3. Schema eines Hautsinnesorgans der Arthropoden nach Behandlung mit der Gorer'schen Methode, s? — Sinneszelle (Sinnesnervenzelle der Autoren), co — Üentralorgan. 28 Fig. 4. Fie, o- Fie. = vom RATH: ÜEBER NERVENENDIGUNGEN DER HAUTSINNESURGANE ETC. [164 Schnitt durch einen Mandibulartaster von Astacus flwviatihs. Ich habe der Einfachheit halber in eine Zeichnung eines Präparates, welches mit einer gewöhnlichen Methode hergestellt war, und nur die Zell- kerne der Sinneszellengruppen erkennen lässt, einige gut impräg- nirte Fasern von mehreren Präparaten, die mit der GoLeTschen Methode erfolereich behandelt waren, eingetragen. Bezeichnungen wie in den ersten Figuren. b — Blutkörpekehen, Sehr schwache Vergrösserung, da ich das Originalbild auf die Hälfte verkleinert habe. Schnitt durch die Spitze einer Palpe eines Kieferfusses von einem Ein jungen Astacus fluwviatilis. Verfahren wie in Fig. 4; gut impräg- nirte Stellen wurden in ein Bild, welches nach einem mit der gewöhnlichen Methode hergestellten Präparate angefertigt war, eingezeichnet. Die Siuneshaare sind nicht ihrer ganzen Länge nach ausgeführt. Vergrösserung 35. Membrankanal (Porenplatte) aus der Antenne eines Ichneumon. Verfahren wie in Fig. 4 u.5. ch = Chitin, mk —= Membrankanal, mz — membranbildende Zelle. Vergrösserung 800. Kegel einer Vespenantenne nach der GoLer'schen Methode behandelt. Aus der Gruppe der Sinneszellen ist nur eine Zelle (s2) prägnirt. Vergrösserung etwa 1000. Spitze eines Beines eines jungen Lithobius. Totopräparat nach der Gorsrschen Methode behandelt. Vergrösserung 68. 10, 11 und 12 beziehen sich auf Totopräparate von Niphargus puteanus, die nach der GoLer'schen Methode behandelt wurden. Fig. 9 und 10 stellen verschiedene Beine dar; in Fig. 9 sind viele gut imprägnirte Fasern bis in die Spitze der Haare zu verfolgen; in Fig. 10 sehen wir ein sehr instructives Bild eines Beines, in welchem nur eine einzige Faser imprägnirt ist. In Fig. 11 habe ich die Antennen- spitze abgebildet, mit den grossen Sinneskegeln (A). In Fig. 12 sieht man in einem Kieferfuss desselben Thieres einige gut imprägnirte Fasern mit Anschwellungen, die offenbar Sinneszellen sind. Ver- erösserung etwa 68. Berichtigung. Auf Seite 105] des Bandes, Zeile 6 von unten, ist „nach-* zu streichen. Berichte d Naturf‘ Ges. Freiburg ıB, Bd IX. Tarl Geologische Karte des Mont-Gatogne (Montblane- -Massır) entworfen von Rr.Graeff. Maassstab für Längen und Höhen 1:50000. Abstand der Horizontalen 240 m. \ 1055; .\ .„SVerdonnaz IV * : N LTE ® N abe haut \ Y chez les Redses : ! sro Be Eee h bi } Berge 7 u ER SEEN, “ = /p “ (are Signaturen: Lacak remE? / 1a Biollay Erraticum und Gehängeschutt ( b Kalke a,Quarzite u. Schiefer Trias 32 Somfla Proz Protogi n Krystalline Schiefer Krystalline Sch iefer mil Porphyrgängen Ueberschi ebungsfläch e re Der - = 7 ER CHE f Lit Ans Schillt Akadem. Verlagsöuchhl. v. J.C.B Mohr (Paul Siebeck) FreiburgiB u Leipzig SEITE Taf]. Berichte d. Naturf’ Ges. Freiburg i.B,Bd. X. Sg, ii ‚® Sn ‘ D h e SW D 2 “ ‘ .® » ne ” 2) 9, vom Rath del Lith Anst Schilling &C62 Freiburgi.B Akad Verlagsbuchhl. vw J.C.B Mohr [Paul Siebeck] Freiburg iB u Leipzig — 2 = u 2 Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. B. Erscheinungsweise und redactionelle Bestimmungen. Jährlich erscheint ein Band, der in zwanglosen Heften ausgegeben wird. 24 Druckbogen, wobei auch jede den Raum einer Druckseite einnehmende Tafel als 1 Druckbogen gerechnet wird, bilden einen Band. Der Abonnementspreis ist auf M. 12.— festgesetzt. Einzelne Hefte werden nur zu erhöhtem Ladenpreise abgegeben, Band I enthält: 15 Druckbogen, 10 Tafeln, zusammen 25 Bogen. Band II enthält: 18 Druckbogen, 6 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band III enthält: 10 Druckbogen, 8 Tafeln, 4 Doppeltafeln, zusammen 26 Bogen. Band IV enthält: 21 Druckbogen, 2 Tafeln, 3 Doppeltafeln, zusammen 29 Bogen. Band V enthält: 18 Druckbogen, 6 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band VI enthält: 13 Druckbogen, 12 Tafeln, zusammen 25 Bogen. Band VII enthält: 16 Druckbogen, 8 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band VIII enthält: 13 Druckbogen, 1 Tafel, 5 Doppeltafeln, zusammen 24 Bogen. In den Berichten finden Aufnahme: I. Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften. I. Kürzere Mittheilungen über bevorstehende grössere Publicationen, neue Funde etc. etc. Die für die „Berichte“ bestimmten Beiträge sind in vollständig druck- fertigem Zustande an ein Mitglied der Redactions-Commission einzusenden. Die Redactions-Commission besteht zur Zeit aus den Herren: Professor Dr. A. GrUBER, Geheimem Hofrath Professor Dr. J. Lürora und Professor Dr. G. STEINMANN. ? Ueber die Aufnahme und Reihenfolge der Beiträge entscheidet lediglich die von der Naturforschenden Gesellschaft ernannte Redactions-Commission. Auch ist mit dieser über die etwaige Beigabe von Tafeln und Illustrationen zu verhandeln. Von jedem Beitrag erhält der betr. Mitarbeiter 40 Separat-Abzüge gratis. weitere Separat- Abzüge werden auf Wunsch von der Gesellschaft geliefert und von ihr nach Vereinbarung von Fall zu Fall berechnet. Die Separat-Abzüge müssen spätestens bei Rücksendung der Correcetur bestellt werden. Separat-Abzüge von Abhandlungen können dem Autor unter Umständen erst am Tage der Ausgabe des betr. Heftes zugestellt werden, Separat-Abzüge von „kleineren Mittheilungen“ dagegen sofort. Die in den Berichten zum Abdruck gelangten Abhandlungen dürfen von den betreffenden Autoren erst 2 Jahre vom Erscheinen des betreffenden Berichteheftes an gerechnet anderweitig ver- öffentlicht werden. Die Redactions-Commission, Die Verlagshandlung. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Möhr (Paul Siebeck) in ı Fr eiburg % B. ‚und ‚beipzig. Mlastiekät und Flektrieiten Von Dr. R. Reiff, Professor am Gymnasium zu Heilbronn. 8. 1895. M. 5.—. Lehrbuch der Experimentalphysik. für -Studirende von Dr. E. Warburg, Professor. an der Universität Freiburg i. B. Mit 403 Original- Abbildungen im Text. Gr. 8. 1893. M. 7.60. Geb. M. 8.60. Der Bau des Menschen als Zeugniss für seine Vergangenheit. a Von Dr. R. Wiedersheim, Professor an der Universität Freiburg. Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Mit 109 Figuren im Text. Gr. 8. 1893. M. 4.80 geheftet. Gebunden M. 5,80. Zur Organifation der ärstliden Prüfungen Dr. 3, von Bries, Profejjor der Phyfiologie zu Freiburg i. 2. 8.1893. 3 A Druck von C. A. Wagner in Freiburg i.B. 7 EL EEET ET ER a" SduE lt nn An ll Yin u En Nr AUSGEGEBEN IM NOVEMBER 1895. Kai) BERICHTE / NATORFORSCHENDEN CRSELISCHART FREIBURG I. B. IN VERBINDUNG MIT Dr. Dr. F. HıLDEBRAND, F. Hınstept, J. LürortH, J. von Krızs, . @. STEINMANN, A. WEISMANN, R. WIEDERSHEIM, PROFESSOREN AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG, HERAUSGEGEBEN VON DR. AUGUST GRUBER, PROFESSOR DER ZOOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG. NEUNTER BAND. DRITTES HEFT. MIT 15 ABBILDUNGEN IM TEXT. "FREIBURG I. B. UND LEIPZIG, 1895. AKADEMISCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG VON J. C. B. MOIR (PAUL SIEBECK). inhalt, Seite Ein chemischer Beitrag zur Stütze des Prinzips der Selbst- desinfection. Von Dr. ALBERT EDINGER, Mit2Textfiguren 165 Vorläufige Mittheilung über den Bau von Diplogr AR Von; :; Dr. R. RUEDEMASN, Dolgeville, N.-Y. . ... ri: Entwurf eines elektrisch-akustischen Telegraphen. EN Prof. Dr: 1; ZEHNDER. Mit 3. Textheuren 3 2 aa hr Zur Anatomie von Scolecomorphus Kirki. Von Dr. KarL PETER. Mit 6: Textfiguren. ; ..... ERITREA Beitrag zur Bienenfauna von Baden und den ie Von H. Friese. Allgememer Tel . . . . 5,38 Bemerkungen über die Gliederung der oberen Ana Trias. "und über alpinen und ausseralpinen Muschelkalk, Von E. W. BEnEckE 221 Geologische Beobachtungen in den: Kipen . Da Aller dar Bündner Schiefer. Von. Prof. Dr. G. Steinmann. Mit 3. KRartenskizze 7... 4.2. 245 Die Vogelwelt des südlichen Baden an di ee EN Vogelschutzverordnungen. Im Auftrage des Freiburger Vogelschutzvereins verfasst von Professor Dr.. VALENTIN HACKER. ; Mit 8:Textiguren: ann. ee AKADEMISCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG VON J. ©. B. Mour (P. SIEBECK) IN IN FREIBURG I. a UND I, Autenrieth, Dr. WR Erster Assistent am Sn Universit. -Laboratorium (med. Fac.) zu Freiburg i. B., Kurze Anleitung zur Auffindung der Gifte und stark wirkener Arzneistoffe. Zum Gebrauche in chemischen Laboratorien. Gr.8. 1892. M.2.50. Geb. M. 3.50. Clostta-Filehne, Lehrbuch der Arzneimittellehre und Arzneiverord- a Achte verbesserte Auflage. (Gr. 8. 1893. M. 6.—. Geb. M. Hildebrandt, Dr. Se H, Kompendium ‚der Toxikologie. Men a 1893. M. 1.40. Geb. M. 2.40. Steinmann, Dr a, und Graeff, Dr. Fr., Professoren an der Un. ' versität Freiburg, nische Führer der Umgebung von Freiburg. Mit 5 z. Th, colorirten Tafeln und 16 Phototypien. | Kl. 8..41890; Sea M. 5.—. 165] 1 Ein chemischer Beitrag zur Stütze des Prineips der Selbstdesinfektion. Von Albert Edinger. Hochgeehrte Versammlung! Die grossen Fortschritte, welche die medizinische Wissenschaft in den letzten Dezennien gemacht hat, beruhen nicht zum Geringsten auf den Erfahrungen, welche die bakteriologischen Untersuchungen an’s Licht gefördert haben. Wir wissen heut zu Tage mit Sicher- heit, dass eine grosse Anzahl der gefährlichsten Infektionskrankheiten durch kleine Organismen — Bazillen genannt — verursacht werden. Wir wissen aber auch, dass nicht sowohl diese Bazillen selbst ver- derbenbringend für das Menschengeschlecht sind, als ganz besonders in einzelnen Fällen, die von den Bakterien abgesonderten Gifte. Eine weitere Errungenschaft der pathologischen Forschung aber ist jene hochwichtige Thatsache, dass der menschliche Organismus selbst im Stande ist, Stoffe zu produziren, welche ihn vor der ver- derbenbringenden Wirkung zerstörender Bakterien schützen. Dieser Vorgang wird allgemein als derjenige der Selbstdesin- fektion des Organismus bezeichnet. Es ist nun wohl klar, dass sich die rein wissenschaftliche Chemie im Besonderen nur mit den von den Bakterien abgesonderten Giften und dann in erster Linie mit den vom Organismus produzirten Gegen-Giften befassen kann. Was nun die von den Bakterien abgesonderten Gifte betriftt, so hat die heutige medizinische Forschung erklärlicher Weise der Chemie noch nicht so weit die Bahn ebnen können, dass man von diesem Standpunkte aus eine erfolgreiche Bekämpfung jener Gifte auf rein chemischen Wege hätte unternehmen können. Etwas anders Berichte IX. Heft 3. 12 2 EDINGER: [166 verhält es sich mit den auf dem Gebiete der Selbstdesinfektion zu Tage geförderten Thatsachen. Wir wissen, dass der menschliche Organismus über Schutzkräfte verfügt, welche die Entstehung einer Infektionskrankheit verhüten können, ja sogar eine bereits eingetretene Infektion zu heilen oder zu beschränken vermögen und zwar sind diese Stoffe vor Allem in dem Sekret der Schleimhäute und der Speicheldrüsen, also haupt- sächlich und zunächst im Munde selber zu suchen. Herr Prof. ERNST ZIEGLER hat in seinem vor anderthalb Jahren, am 25. April 1892, gehaltenen Vortrage betont, dass der Schleim die gewöhnlichen Eiterkoken und die Choleraspirillen, falls solche nicht in zu grosser Menge vorhanden sind, ebenso wie andere schäd- liche Mikroorganismen, innerhalb Tagesfrist, abtödtet. Eben derselbe Forscher hebt aber am gleichen Orte ein weiteres wichtiges Schutzmittel, welches der Organismus fabrizirt, hervor, nämlich jenes, welches in der saueren Beschaffenheit gewisser Sekrete, vornehmlich in dem Gehalt an Salzsäure besteht. Diese beiden Thatsachen, die Desinfektionsfähigkeit des Speichels, verbunden mit der im Organismus produzirten Salzsäure, liessen, meines Erachtens, die Möglichkeit zu, gewisse, für die reine Chemie zugängliche Prozesse theoretisch aufzuklären und praktisch zu ver- werthen. Um nun einen klaren Einblick in jene in Frage kommenden Umsetzungen zu erlangen, muss ich Sie, meine Herren, ersuchen, mir auf einige Augenblicke in das Gebiet der Alkaloidehemie zu folgen, welche ich gerade bearbeitete, als die oben eitirten Errungen- schaften auf dem Gebiete der Selbstdesinfektion anfıngen Gemeingut der Naturwissenschaften zu werden. Sie wissen, dass wir unter der Bezeichnung der Alkaloide jene Klasse organischer, dem Planzenreich entnommener, meist stickstoff- haltiger Stoffe verstehen, welche sich durch hervorragende physio- logische — sei es nützliche, sei es schädliche — Wirkungen aus- zeichnen. Es war klar, dass man in chemischen Kreisen schon vor einer Reihe von Jahren bemüht war, die Konstitution und insbesondere das Gemeinschaftliche m der Konstitution dieser Körper mit genügender Sicherheit aufzuklären, und diese Bemühungen sind auch nicht ohne Erfolg geblieben. Die eingehenden Arbeiten von SKrAuUP über die Chinaal- kaloide, die vielfachen Versuche von CrtAus über die Konstitution 167] Ein CHEMISCHER BEITRAG ZUR STÜTZE D. PrInZıps D. SELBSTDESINFEKTION. 3 eben derselben Körper und einer Reihe weiterer Alkaloide; ferner die Arbeiten von FREUND über das Narkotin und Tarkonin, die- jenige von RosER über das Papaverin, haben «den geheimnissvollen Schleier, der bis dahin über diesen Körpern lag, stellenweise gänz- lich, stellenweise zum Theil gelüftet. Aus allen diesen und späteren Arbeiten ging mit zwingender Nothwendigkeit hervor, dass diesen hochkomplizirt-organischen Ver- bindungen gewissermassen als Skelett stickstoffhaltige Ringe zu (runde liegen, welchen, wie wir später sehen werden, die folgende Konstitution zukommt: das heisst AN N Ay Na ein Chinolin- oder Isochinolin- Ring ‚oder aber, es sind solche Ringe vorhanden, welche sowohl Chinolin- wie /sochinolinring-Bildung aufweisen können !. Die definitive Lösung dieser Frage in allen ihren Einzelheiten, konnte wegen der experimentellen Schwierigkeiten noch nicht erzielt werden, obgleich das Vorhandensein jener stickstoffhaltigen Ringe als solcher heut zu Tage kaum mehr einen Zweifel unterliegt, denn, nachdem (von ULAus) eine charakteristische Reaktion für die Er- kennung solcher Ringe aufgestellt war, welche darin bestand, dass man die Alkyl-Additionsprodukte dieser Basen darstellte und diese Produkte der Einwirkung feuchten Silberoxyds und ätzender Alkalien unterwarf und dabei ganz charakteristische Erscheinungen bei jenen stickstoffhaltigen Ringe wahrnehmen konnte, so war auch ein Schlüssel zur Lösung dieser Fragen gegeben, wenn man die Skelette der Ver- bindungen mit Halogenalkylen addirte, dann mit ätzenden Alkalien und feuchten Silberoxyd zersetzte und analoge Erscheinungen wahr- nehmen konnte, wie sie bei den Alkaloiden selbst auftraten. Es ist nun hier, meine Herren, weder Zeit noch Ort, Ihnen diese Ergebnisse eingehend vorzutragen, nur Eines muss hier bemerkt werden, dass die Einwirkung der ätzenden Alkalien und feuchten cf. Epineer, Habilitationsbericht, Freiburg, 1891. 4 EDINGER: [168 Silberoxydes auf die Alkaloide eine audere ist, wie diejenige auf die Chinolinbasen‘. In meiner Dissertation gelang es mir nun, nachzuweisen, dass die Additionsprodukte des /sochinolins bei ihrer Zersetzung mit feuchtem Silberoxyd und ätzenden Alkalien grosse Aehnlichkeit zeigen mit denjenigen der Alkaloide, welche bei analoger Zersetzung ver- schiedenartige Basen liefern. Somit konnte man das /sochinolin zu- nächst als das einfachst konstituirte Alkaloid auffassen. Ein unbedeutend einfach gestalteter aromatischer Stickstoffkörper erschien mir nun in der Folge, das Pyridin, seine Halogenalkyl-Addi- tionsprodukte waren schon in früheren Jahren von A. W. vox Horr- MANN der Einwirkung ätzender Alkalien, in der Hitze, unterworfen worden. Mit besonderer (enehmigung des verstorbenen Forschers unter- nahm ich es, die Zersetzung der Additionsprodukte des Pyriödins mit feuchten Silberoxyd und ätzenden Alkadien in der Eiskälte zu vollführen und zwar unter solchen Bedingungen, welche einen Ver- gleich mit den entsprechenden Reaktionen der Alkaloide zuliessen? und hierbei ergab sich das Resultat, dass die A.dditionsprodukte des Pyridins bei der obenerwähnten Zersetzung und mithin die Funk- tionen des Stickstoffatoms des /yridins dieselben waren wie die- jenigen des /sochinolins. Somit konnte man das Pyridin als das allereinfachste Alkaloid ansprechen. Es war nun bei den Zersetzungen der Alkyl-Additions- produkte eine besondere strittige Frage, in welcher Form das Aetz- kali auf jene Körper einwirke, insbesondere ob sauerstoffhaltige Basen entständen oder nicht. Die diesbezüglichen Untersuchungen wurden ferner ganz ausserordentlich erschwert dadurch, dass die frisch mit Aetzkali dargestellten Basen an der Luft, trotz aller Vorsichtsmass- regeln, komplieirte Zersetzungen erlitten und eine direkte Bestimmung des Sauerstoffs, weil es eine solche nicht gibt, unmöglich war. Aus diesem Grunde kam ich auf die Idee bei diesen Zer- setzungsprozessen an Stelle von Sauerstoff den demselben reaktionell verwandten Schwefel zu verwenden und ich gelangte hierbei zu ausser- ordentlich interessanten Resultaten. Ich liess nämlich auf Chinolinbenzylchlorid, Kaliumsulfhydrat, Kaliumsulfid und Natrium-Aethylmerkaptid einwirken und erhielt ! Craus und Tosse, Freiburg, Dissertation, 1883. Die weitere einschlägige Literatur ist in meiner Habilitationsschrift angegeben. ®2 Journal f. fr. Chemie, 1890. 169] EıN CHEMISCHER BEITRAG ZUR STÜTZE D. PRINZIPS D. SELBSTDESINFEKTION. 5 hierbei, aber nur in ganz frischgefällten Zustande, die folgenden äusserst labilen Schwefelbasen: BETEN SER ONE. Ne SINDEEN OEL SAT. | | | | 0, D, DE, Co Bin ©, u; Diese Verbindungen mit alkolischer Platinchlorid- lösung behandelt, ergaben die merkwürdigen Platinverbindungen: EIBSNE SH OEL: NER SNEROsET, | ): PtOl,, | | O,H; ONCE Os, NS: | 2 Pt (Cl, C,H, Pt Ol, in denen also je 2 Cl durch 2 SH, Sund 28C, H, ersetzt waren, oder diese Platinverbindungen repräsentiren Derivate der H, Pt (1, (Platinchlorwasserstoffsäure), indenen je 2 Ol in angegebener Weise ersetzt sind !. Mit diesen Untersuchungen, welche das Verhalten aromatischen Stickstoffs dem Schwefel gegenüber in den Schwefelalkalien präcisiren sollten, war ich gerade beschäftigt, als Herr Prof. ZIEGLER uns in dem bereits citirten Vortrage die Grundlagen des Prinzips der Selbst- desinfektion vorführte. Aus seinen Ausführungen schien mir hervorzugehen, dass jene desinfizirenden Kräfte nicht nur Lebewesen sind, welche den infizi- renden Bazillen feindlich entgegenwirken, sondern dass auch chemisch definirbare Substanzen vorhanden sein müssten, welche den Organis- mus mit vor Infektionskrankheiten zu schützen vermochten, indem sie nämlich die feindlichen Bakterien selbst oder die von demselben produzirten Gifte unschädlich machten. Und da nun richtete ich meine Aufmerksamkeit zunächst auf die chemische Zusammensetzung des Speichels und zum Verständniss der weiter folgenden Untersuchung gebe ich in Folgendem die von König nach Untersuchungen von SIMON, BERZELIUS, FRERICHS und HAMMACHER aufgestellte Durchschnittstabelle für hundert Theile Speichel an. Wasser weile 2 FINERFEIITIIN Speichelstoff oder Ptyalin. 0,250 „ ‘ Die ausführliche Publikation des chem. Theiles erfolgt in dem Januar- heft des „Journals für prakt. Chemie“. 6 EDINGER: [170 Schleim ro Hl2 EEE 6A Fett... . 2,70%, anadlarengie Schwefelcyankalium . . . 0,007 „ Gioralkalien Mr 0 103R> Sonstige Salze .ı.. \. 0,258 „ Es war nun insbesondere der Gehalt an Tino welcher meine Aufmerksamkeit auf sich zog, zumal nach anderen Unter- suchungen, insbesondere von J. Munk, der Gehalt an Sulfocyansäure zu 0,01 °/ angegeben wurde. Diese schwankenden Angaben er- scheinen mir heute, abgesehen von den rein technischen Schwierig- keiten derartiger Untersuchungen durchaus nicht wunderbar, denn wenn auch der Speichel im Munde meist schwach alkalisch reagirt, so finden doch Zeiten statt, wo derselbe ohne spezielle pathalogische Zustände auch schwach sauer reagirt, nach HoPPE-SEILER geschieht dies ohne jede äussere Einwirkung hauptsächlich im nüchternen Zu- stande und nach vielem Sprechen!. Das ARhodankalium aber wird sowohl durch schwache Säuren, wie ganz besonders durch Salzsäure in freie Ahodanwasserstoffsäure und Chlorakalien zerlegt. Die freie Rhodanwasserstoffsäure aber wird sich in einem solchen Falle, zumal die basischen Produkte des Speichels allmählich immer wieder die Oberhand gewinnen, mit diesen zu Rhodanaten vereinigen und diese mussten, nach meiner Ueberzeugung, wenn man überhaupt eine rein chemisch desinfizirende Kraft des Speichels voraussetzen durfte, in erster Linie in Betracht kommen’. Was lag mir damals näher, nachdem ich die Anlagerung von Schwefel an aromatischen Stickstoff als in gewissen Fällen durch- führbar bewiesen hatte, als die Umsetzung solcher aromatischer stickstoffhaltiger Körper m Form ihrer halogen Alkyl-Additions- produkte mit Rhodankalium zu erproben; insbesondere nachdem ich in Erfahrung gebracht hatte, dass das Rhodankalium allein das Wachsthum der Bakterien durchaus nicht, die Halogenalkyladditions- produkte dasselbe nur in geringerem Masse hemmen. Ich erhielt dabei eine Anzahl chemisch sehr gut präzisirter und ı HorPrE-SEILER, Analyse. pag. 452. 2 Dass in seltenen Fällen ein Rhodannachweis im Speichel nicht geführt wer- den kann, ändert an diesen Schlüssen nichts, da erstens ausser diesen Verbindungen noch jedenfalls Lebensprocesse im Speichel mitwirken, die ebenfalls auf die Bakterienbildung von Einfluss sind und zweitens natürlich noch andere chemisch wirksame Stoffe gefunden werden können und schliesslich auch weil die Dis- position für Ansteckung bei verschiedenen Menschen eine wechselnde ist. 17 1] Ein CHEMISCHER BEITRAG ZUR StTÜTZE D. PRINZIPS D. SELBSTDESINFEKTION. 7 bakteriologisch höchst wirksamer Substanzen. Ziehen wir nun des Weiteren jene in P/yalin vorkommenden von wechselnder Zusammen- setzung aufgefundenen Albumine und Plomaine in unseren Betrach- tungskreis, so wissen wir, dass nach den Untersuchungen von BRIE- GER denselben stickstoffhaltige Aethylenbasen zu Grunde liegen, die aber nach Untersuchungen von LADENBURG in Gegenwart von NSalz- säure aus ihrer offenen, kettenförmigen Gestaltung gern in eine ringförmig geschlossene, unter Abspaltung von Ammoniak übergehen. So geht z. B. das Cadaverin in Piperidin über, oder rein chemisch ausgedrückt aus den Pentamenthylendiamin wird Hezahydropyridin. Fassen wir alle diese Thatsachen zusammen, bedenken wir ferner, dass z. B. das Pyridin im Organismus, wie auch andere Basen methy- tirt und dabei auch oxidirt wird, dass nach den neuesten Unter- suchungen von HOFMEISTER und RupoLr Con die Base (', H, OH Y AN CH, gewonnen wurde, die nämliche, die man beim Behandeln > vonC,; H; N< Sn. mit AgOH (feuchtem Silberoxyd) erhielt, und stellen wir uns die Einwirkung von nascirender HSCN (Rhodanwasser- stoffsäure) auf einen solchen basischen Körper vor, so resultirt direkt SANT 0,H,;N< a 0 Sn E08 C,H, N a Die an diese Combination gestellten Erwartungen sind nun durch die in Frankfurt a. M. im städtischen Krankenhause durch Herrn Dr. Lanpmann und Herrn Dr. A. MÜLLER angestellten Versuche in vollem Masse bestätigt worden. Eine Reihe von mir dargestellter Rhodanate ist in ihrer Wirksamkeit auf Diphtherie, Cholera und Eiterbazillen geprüft worden!. Unter Anwendung von Chinolinbenzyl- rhodanat wurden in einer Bouillon-Rhodanatlösung von: 5 pro Mille Cholera in einer Stunde, pr. „ Diphtherie, 19%; „. Staphylococcus aureus vernichtet. Für 24 Stunden: 3°, Cholera, 0,5 °/,, Diphtherie, 3,5 °/, Staphylococcus. ! Die eingehende Veröffentlichung der bakteriologischen Untersuchungen wird von den genannten Herren, denen ich auch an dieser Stelle meinen wärmsten Dank ausspreche, im „Centralblatt für Bakteriologie*“ demnächst stattfinden. 8 EDINGER: [173 Diese Versuche wurden so gemacht: dass die Versuchslösung a) nach einer Stunde, b) „ vierundzwanzig Stunden, beide bei Bruttemperatur auf flüssigen Agarnährboden übertragen wur- den und dann durften innerhalb vierundzwanzig Stunden keine Bakterien mehr wachsen. Mit weiteren Präparaten, die anderwärts genauer ge- schildert werden, konnten noch günstigere Resultate erzielt werden: A) Vernichtet: I. innerhalb zehn Minuten bei 16° ©.: Staphylococcus aureus wit . . 1,6 °/, Lösung, Diphtherie rare 045, 5 5 Cholera n ‚her 0205 ie; I II. innerhalb fünf Minuten bei 16° ©.: Staphylococcus aureus wit . . 2 °/, Lösung, Diphtherie nr are . 5 Cholera a. y n III. innerhalb einer Minute bei 16° ©.: Staphylococcus aureus mit . . 30-0" osung; Diphtherie a ae a U 4 . Cholera er 058 n = B) Hemmt das Wachsthum bei 37° C©.: am Staphylococcus aureus bei . 0,025 °, Gehalt, „ Diphtherie unters, 0.012 2, n „ Cholera ni dee SOME = Neben diesen günstigen bakteriologischen Resultaten kommt die relative Ungiftigkeit, Geruchlosigkeit und das Nichtätzen dieser Körper in Betracht. Für die schärfstwirkenden Mittel ist die Maximaldosis subeutan . 0,2 pro Ko, > perzos: lan u, bei Kaninchen. Ferner wurde die Wirksamkeit dieser Körperklasse als Streu- pulver untersucht und Stichkanalkulturen unter Einwirkung der khodanate angefertigt. Die Vernichtung von Staphylococcus aureus geschah bei einer Länge des Stichkanals von 40 mm bei den verschiedenen Rhodan- präparaten auf 5,10 und 30 mm. Es wird Sie nun kein Wunder mehr nehmen, dass der mensch- liche Speichel als solcher vom rein chemischen Standpunkt aus be- 175] EIN CHEMISCHER BEITRAG ZUR STÜTZE D. PRINZIPS D. SELBSTDESINFEKTION. 9 trachtet, hervorragend desinfektive Eigenschaften hat, zumal wenn man bedenkt, dass nach TuczEX diejenige Speichelmenge, welche innerhalb vierundzwanzig Stunden vom Menschen abgesondert wird, beim erwachsenen Mann zwischen 476 und 773 gr schwankt, was einer Produktion von 0,0773 gr Sulfocyankali als solche entspricht und einer ungleich grösseren Menge an Alkylrhodanat gleichkommt. Ich glaube, durch die Ihnen vorgeführten T'hatsachen einen deutlichen Beweis geliefert zu haben, dass man auch auf rein chemi- schem Wege einen Beitrag zum Prinzip der Selbstdesinfektion lie- fern kann. Ich bin weit davon entfernt, in den hier aufgeführten Mitteln schon etwas Vollkommenes zu erblicken oder zu glauben, vielleicht die genaue Constitution der im Speichel und den Sekreten ent- haltenen chemisch definirbaren Stoffe als feststehend gegeben zu haben, wohl aber lege ich Werth auf die Methode als solche, und meine, dass man dadurch noch fernerhin zu günstigen Resultaten gelangen wird, wenn man die erwähnten und eine Reihe weiterer im Organismus vorkommender chemisch definirbarer Stoffe, unter Be- rücksichtigung der erwähnten Prinzipien, aufeinander einwirken lässt, ich glaube, dass unter diesen Körpern solche zugegen sind, denen die Bindung = N — S — (= eigen ist. Die von mir mit den geschilderten Körpern gemachten Versuche sind, soweit sie in vitro gemacht sind, ziemlich als abgeschlossen zu betrachten und berechtigen, sobald man die aus dem Theer entnom- menen Rohbasen für desinfektive Zwecke verwendet, zu der Hofi- nung, ein billiges, relativ ungiftiges und energisches Desinfektions- mittel zu erhalten, welches in seiner Wirkungskraft stellenweise dem Carbol und Sublimat nahekommt, ohne dessen giftige, ätzende und — was das Carbol betriftt — übelriechende Eigenschaft zu haben. Die theureren Derivate des reinen Chinolins, Oxychinolins ete. ver- sprechen für den menschlichen Organismus, sowohl als Streupulver, wie per os verwendet, brauchbare Substanzen zu werden, ohne damit heute die Frage dieser Brauchbarkeit irgendwie definiren zu wollen. Eine eventuelle technische Verwerthung habe ich den Höchster Farbwerken (Meister, Lucius und Brünning) übertragen und bin selbst damit beschäftigt, die neuen Gesichtspunkte nach verschiede- nen Richtungen hin näher zu verfolgen. Freiburgi. B., im November 1894. 1 [174 Vorläufige Mittheilung über den Bau von Diplograptus. Von Dr. R. Ruedemann, Dolgeville, N.-Y. In dem Report of the State Geologist of the State of New- York for the year 1894 wird eine von mir am 23. Februar Herrn ‚JAMES HALL eingereichte Untersuchung über die Wachsthumsweise und Entwicklung von Diplograptus erscheinen. Die Resultate derselben sind folgende: 1. Diplograptus pristis und pristiniformis HALL wuchsen in zu- sammengesetzten Stöcken, wie sie HALL von zahlreichen Monograp- fiden beschrieben hat. Die Polyparien dieser, im Ufica shale häu- tigen Graptolithen waren mit den, besonders an D. pristis sehr langen, bisher für „distal“ angesehenen Fortsätzen der Achse zu einem vielstrahligen Stock verwachsen. Die Siculae befindet sich stets am äusseren Ende. Die Basen der Polyparien, von denen bis zu 40 in einem Stock vereinigt sind, werden durch den „Funicle“ verbunden, der in eine Kapsel, den „Central disc“ Haur’s ein- geschlossen ist. 2. Um den Central disc herum findet sich ein Quirl von chiti- nösen Blasen (meistens vier, zuweilen bis zu acht), die die Siculae enthalten. Die Letzteren sind mit den breiten Enden nach aussen gerichtet und mit den fadenförmigen Fortsätzen der spitzen Enden an einen im Innern der Blase liegenden axialen, keulenförmigen Körper angeheftet. Diese Blasen dürften mit dem Gonangium, der keulenförmige Körper mit dem Blastostylus der Hydrozoen zu ver- gleichen sein. 17 5] RUVEDEMANN: VORLÄUFIGE MITTHEILUNG ÜBER DEN BAU VON DiPpLoGrRAPTUSs. 9 3. Ueber dem Quirl der Gonangien lag eine halbkugelförmige Blase von bedeutender Grösse mit einer quadrangulären Basalplatte, die den Rändern parallele Furchung zeigt. Dieses Organ erinnert durch die Struktur der Platte an das Schwimmorgan der Discoideae unter den Siphonophoren. Auch seiner Grösse und Lage nach (es ist das oberste Organ) kann es nur als Schwimmorgan betrachtet werden. 4. Wie mehrere Stöcke, die von einem Schwarm mit den brei- ten Enden nach aussen zeigender Siculae eingehüllt sind, erkennen lassen, wurden die reifen Siculae in Freiheit gesetzt. Dieselben zeigen kurz nach der Geburt noch keine Hydrotheken. Siculae mit zwei Hydrotheken jedoch lassen bereits an dem fadenförmigen Fortsatze des spitzen Endes eine viereckige chitinöse Platte, den wachsenden Pneumatocyst, das Bewegungsorgan, erkennen. An der Anheftungsstelle des Pneumatocysts ist ein kleiner Knoten erkenn- bar, aus dem der Funiculus und der Central disc entstehen. Die Sicula wächst zu dem ersten Polyparium aus. Ehe jedoch das Po- Iypar die halbe natürliche Grösse erreicht hat, sind bereits die Go- nangien um den Central disc erkennbar. 5. Die aus diesen Gonangien entwickelten Siculae bleiben theil- weise in Verbindung mit den Oentralorganen und wachsen zu neuen Zweigen aus, wodurch der zusammengesetzte Stock entsteht. In Folge dessen findet man einzelne Siculae mit den proximalen Fäden noch an dem Central disc hängen, ferner häufig Kolonien mit nur einem oder wenigen Polyparien und zahlreichen sehr jungen. Die Polyparien wuchsen rückwärts und zwar dadurch, dass die neuen Hydrotheken sich immer an dem basalen Ende des Polypars bil- deten. Dies erklärt die Anfangs so auffallende Thatsache, dass die Siculae alle an dem distalen Ende der Zweige sitzen. 6. Die Erscheinung der vollkommenen Kolonie war folgende: Das Ganze wurde von einer chitinösen Luftblase mit einer qua- drangulären Basalplatte getragen. Unter dieser befand sich eine dicke chitinöse Kapsel, der Central disc, mit dem eingeschlossenen Funiculus. Der Central disc war von einem Quirl runder oder ovaler Blasen, den Gonangien, umgeben, die die Siculae enthielten. Unter diesem Quirl hing, von dem eingeschlossenen Funiculus aus- gehend, der convex-concave Busch der Polyparien. 1 [176 Entwurf eines elektrisch-akustischen Telegraphen. Von L. Zehnder. Verflossenes Jahr veröftentlichte Pupiv in der elektrotechnischen Zeitschrift einige Versuche mit Wechselstrom-Morseapparaten!, um zu beweisen, dass sich Wechselströme verschiedener Periode zur Vielfach-Telegraphie benutzen lassen; er glaubte, dass wahrschemlich bis zu 40 Depeschen gleichzeitig durch eine einzige Drahtleitung ge- schickt werden könnten. Ein ganz ähnlicher Gedanke hat mich bereits vor einigen Jahren, lange vor Purin’s Publikation, beschäftigt, ohne dass ich seither (selegenheit gefunden hätte, durch bezügliche Versuche der Sache näher zu treten. Da letzteres auch für die nächste Zeit kaum mög- lich sein wird, andererseits aber nicht zu meiner Kenntniss gelangt ist, dass die von mir ausgedachte Konstruktion irgendwo schon zur Ausführung gekommen wäre, so glaube ich, meine Vorschläge hier- mit veröffentlichen zu sollen. Wie Pur beabsichtigte auch ich, viele Wechselströme ver- schiedener Periode durch einen Draht zu schicken. ‚Jeder anderen Periodenzahl habe ich aber ein anderes Schriftzeichen zugetheilt, d. h.: die Schriftzeichen werden, weil die Periodenzahl im Interesse eines raschen Telegraphirens nicht zu klein genommen werden darf, als Töne auf elektrischem Wege in die Ferne gesandt. Eine leicht verständliche und einfache Konstruktion eines solchen elektrisch- akustischen Telegraphen ist folgende: Der Sender besteht aus einer ! Pupm, Elektrotech. Ztsch. 15, S. 631. 1894. 177] ZEHNDER: ENTWURF EINES ELEKTRISCH-AKUSTISCHEN TELEGRAPHEN. 9 Klaviatur mit so vielen Tasten, als Schriftzeichen sind, jede Taste verbunden mit einem Klavierhammer, der gegen die Membran eines Telephons schlägt. Diese Membran besitzt einen bestimmten Eigen- ton!. Wird also das betreffende Telephon durch die Taste mit der Fernleitung und mit einem Hörtelephon als Empfänger in Verbin- dung gesetzt, so hört man am Empfangsorte den Eigenton der im Sender angeschlagenen Telephonmembran. Schlägt nun jede andere Klaviaturtaste an die Membran eines anderen Telephons, wobei jede andere Telephonmembran auch einen anderen Eigenton haben muss, so wird das Zeichengeben in die Ferne ermöglicht. Die Schwingungen der Membran des Empfängers sind nicht nur hörbar, sondern sie können in bekannter Weise sichtbar gemacht bezw. aufgezeichnet werden, etwa auf photographischem Wege, oder durch einen leichten Farbheber wie im transatlantischen Verkehr. — Noch einfacher wäre ein Sender bestehend aus einem einzigen (Micro-)Telephon, in welches die den Schriftzeichen entsprechenden Töne etwa als Pfeifen- töne hineingeblasen werden. In solch’ einfacher Weise wird sich indessen die Aufgabe prak- tisch nicht wohl lösen lassen; dagegen dürfte folgende Konstruktion der befriedigenden Lösung besser entsprechen: Man denke sich eine den benöthigten Schriftzeichen entsprechende Zahl von ganz kleinen Wechselstrommaschinen, deren sämmtliche Axen gekuppelt sind’®. Jedem Schriftzeichen entspricht eine Taste der Klaviatur; wird die Taste niedergedrückt, so werden die für das betreffende Schrift- zeichen gewählten Wechselströme in die Fernleitung gesandt®. Als Empfänger denke ich mir eine den gewählten Schriftzeichen ent- ! Ueber die Eigentöne der Telephonmembranen und ihre Aenderung durch auf der Membranmitte befestigte Massen vergl. M. Wren, Optisches Telephon, Wied. Ann. 42, p. 593; Elektrotech. Ztsch. 12, S. 196. 1891. ® Beispielsweise können die Feldmagnete alle auf einer Axe montirt sein und durch einen und denselben Strom erregt werden. Eine Hauptaufgabe ist es, diese Axe in constanter Umdrehungsgeschwindigkeit zu erhalten, sei es durch elektrischen Antrieb mit Akkumulatoren mit oder ohne Stimmgabelunterbrecher, sei es mechanisch nach Art des Hucazs’schen Typendruckers, mit Anwendung von Korrektionsprinzipien u. s. w. ® Für die Erreichung einer konstanten Umdrehungsgeschwindigkeit der Axe dürfte es vortheilhaft sein, wenn man durch Schliessungen mit passenden Widerständen alle Wechselströme während des Betriebes jederzeit in gleicher Stärke zu Stande kommen liesse, wenn also durch die Taste nur eine Um- schaltung dieser Ströme in die Fernleitung bewirkt würde. Die ganze Reihe der Wechselstrommaschinen würde in diesem Falle stets gleich stark belastet hleiben und somit gleichförmigeren Gang annehmen. 3 ZEHNDER: [178 sprechende Anzahl von Telephonen, deren Membranen verschiedene, jeweilen so bestimmte Eigentöne besitzen, dass je einer Wechsel- strommaschine und einer Trelephonmembran dieselbe Periodenzahl zukommt. WiıEN’s interessante Versuche zeigen, dass die Membran seines optischen Telephons vermöge der Resonanz auf ihren Eigen- ton sehr energisch reagirt. Im Empfänger wird also auf jedes ge- sandte Schriftzeichen eine andere Telephonmembran antworten. Die Bewegungen dieser Membranen werden durch leichte farbgefüllte Heber, ähnlich den bei W. Tmonson’s Siphon-Recorder verwendeten Farbhebern, zu Papier gebracht. Es drückt nämlich jede Membran auf einen solchen Heber und versetzt ihn in zitternde Bewegung, sobald sie selber anspricht, wodurch die Farbe aus der Heberspitze auf ein gegenüber befindliches, bewegtes, karrirtes Papierband aus- gespritzt wird. Diesem fortlaufenden Papierband stehen sämmtliche neben einander angeordnete Heberspitzen an passenden Stellen gegen- über. Es muss also die telegraphirte Depesche entziffert werden, ın leicht ersichtlicher Weise. Um diese Entzifferung für Jedermann möglich zu machen, kann das fortlaufende Papierband selber schon mit Schriftzeichenreihen in schwacher Färbung bedruckt sein (Fig. 1). Die Farbheber markiren jeweilen die aneinander zu reihenden Schrift- zeichen durch Punkte, wie dies aus nebenstehendem Schema hervor- geht, aus welchem die Worte: „da bin ich“ leicht herauszulesen sind. Angedeutet findet man in dem Schema, dass bei diesem System mehrere Zeichen gleichzeitig gesandt werden können. Damit steht der Stenotelegraphie, nach Art derjenigen von JAITE!, ein weites Feld offen, weil z. B. die auf einer Zeile stehenden Zeichen zu zahlreichen Sigeln verwendet werden können. — (zenügt die zitternde Bewegung nicht, um das Herausspritzen der Farbe zu ver- ı JaıtE, Elektrotech. Ztsch. 14, S. 126. 1893. 179] ENTWURF EINES ELEKTRISCH-AKUSTISCHEN TELEGRAPHEN. 4 anlassen, so kann die Elektrisirung der Farbflüssigkeit der Bewegung der Heber zu Hülfe genommen werden, wie beim Siphon-Recorder. — Kontrole der richtigen Umlaufsgeschwindigkeit der Wechsel- strommaschinen: Niederdrücken einer bestimmten vereinbarten Taste des Senders, wie bei Hucnes, und Zeichengebung des Empfängers, ob der angekommene Ton zu hoch oder zu tief ist. Mit diesem Apparate würde das Telegraphiren, wie mir scheint, rascher gelingen, als mit dem Hucnes’schen Typendrucker, bei welchem stets ein mehr oder weniger langes Leeerlaufen des Typen- rades erfolgt. Das Telegraphiren wäre bequemer und jedem mit einer Schreibmaschine Vertrauten ermöglicht. Ein automatischer Sender, für welchen die Telegramme vorbereitet werden (nach WHEATSTONE), würde wohl die Leistungsfähigkeit noch bedeutend erhöhen, besonders bei anderer Markirung der Membranschwingungen, etwa nach Art des Phonographs. Auch ein automatischer Ab- nehmer, welcher die angekommenen Zeichen, sogar die Sigel, ent- zittert und eventuell druckt, ist nicht undenkbar; man vergleiche die Satz-Ablegemaschinen für den Buchdruck, welche eine ähnliche Aufgabe wirklich gelöst haben. — Zum Betriebe des Apparates würden nahezu so schwache Wechselströme ausreichen, wie sie das Telephon verlangt, d. h. es wäre, weil der Einschaltung von Conden- satoren in die Fernleitung nichts im Wege zu stehen scheint, der Apparat auch für die submarine Telegraphie von Vortheil. Das berühmte Problem, durch Telegraphendrähte in die Ferne zu sehen, kann man mit dem skizzirten Apparate wie folgt zu lösen versuchen: Die oben angedeuteten zusammengekuppelten Wechsel- strommaschinen mögen mit der Ferleitung bleibend verbunden sein, allein Parallelschaltung, sodass sie ihre Wechsel- ströme jederzeit in die Leitung schicken. Zu jeder Wechselstrommaschine gehört als Widerstand, der in ihren Zweig eingeschaltet ist, eine Selenzelle, und alle Selenzellen füllen schachbrettartig eine Fläche aus, auf welcher ein optisches reelles Bild des zu sehenden Gegenstandes, z. B. eines menschlichen Kopfes, entworfen wird. Die Selenzellen (zur Erzielung eines grossen Widerstandes etwa aus hintereinander geschalteten Stäbchen bestehend |Fig. 2], welche zu- sammen die belichtete kleine Quadratfläche ausfüllen) ändern bekannt- Fie. 2. oO - 5 ZEHNDER: | 180 lich, wenn sie belichtet werden, ihren Widerstand, und demzufolge varırt bei ihrer ungleichen Belichtung auch die Intensität der ver- schiedenen durch sie in die Fernleitung gesandten Wechselströme. Der Empfangsapparat besteht wie oben aus zahlreichen Tele- phonen mit auf gewisse Eigentöne, das heisst auf die Periodenzahl der zugehörigen Wechselstrommaschine, ab- gestimmten Membranen, welche hier gleichfalls schachbrettartig über eine Fläche vertheilt sind. Statt auf die Farbheber drücken die Membranen nun aber auf leichte, etwa um Horizontalaxen drehbare Spiegel, bezw. sie lehnen gegen die- selben an, so dass bei den mehr oder weniger starken Vibrationen einer Membrane der be- treffiende Spiegel mehr oder weniger aus seiner Ruhelage abgelenkt wird. Jeder Spiegel hat quadratische Form, füllt das dem betreffenden Telephon zukommende Quadrat jener Fläche vollständig aus und reflektirt ein kleines Stück einer und derselben von schwarz auf weiss gleichmässig abgethonten Fläche f (Fig. 3) in das Auge des Beobachters, so dass der letztere, auf jene Fläche f akkommodirend, sämmtliche Spiegelbilder an einander angrenzend erblickt: Der Beobachter sieht als Summe aller Spiegel- bilder eine karrirte Fläche. Nun sind die Spie- selstellungen und die Hebelarme der Ueber- tragungsstäbchen zwischen Membranen und Spie- geln so zu reguliren, dass bei hellster gleichmässig weisser Beleuchtung der Bildfläche desAufgabe- | ortes der empfangende Beobachter jene karrirte f Fläche weiss, dass er sie bei Verdunkelung der Fig. 3. Bildfläche schwarz sieht. Wird sodann ein reelles Bild auf jene Bildfläche des Aufgabeortes ent- worfen, so muss dies dem empfangenden Beobachter um so deutlicher erscheinen, in je mehr unabhängige Felder die Bildflächen des Auf- gabe- und des Empfangsortes eingetheilt sind; dabei kann die Ein- theilung in Felder an denjenigen Stellen, an welchen das Bild besonders deutlich reproduzirt werden soll (etwa für das Gesicht des abzubil- denden Kopfes) eine entsprechend feinere sein. — Möglicherweise können die Telephonmembranen des Empfängers zugleich als kleine 181] ENTWURF EINES ELEKTRISCH-AKUSTISCHEN TELEGRAPHEN. 6 Relais bezw. als Mikrophonmembranen ausgeführt und behandelt werden und also die Wirkungen verstärkt! (elektrodynamometrisch) auf die an beliebigen Stellen aufgehängten beliebig klein gemachten drehbaren Spiegel übertragen. Wie viele Wechselströme verschiedener Periodenzahl sich prak- tisch zu einem solchen Apparate gleichzeitig benützen und mit einer einzigen Fernleitung versenden lassen, kann nicht zum Voraus be- stimmt werden. Diese Anzahl wird aber um so grösser sein, je ruhiger und unveränderlicher das zu telegraphirende Bild bleibt, weil in diesem Falle die Resonanz stärker zur Geltung kommt. Dennoch werden wohl, wegen der zahlreichen Parallelschaltungen, nicht viel mehr als 100 verschiedene Periodenzahlen in Anwendung gebracht werden dürfen. Dagegen kann man mittels zweier genau synchron laufender Kommutatoren, welche an den beiden verbun- denen Orten abwechselungsweise entsprechende Gruppen von Feldern der Bildflächen an denselben Fernleitungsdraht anschliessen, die Zahl der verlangten Fernleitungsdrähte bedeutend herabsetzen. Seien z. B. die Bildflächen in 100 Gruppen zu 100 Feldern eingetheilt, die wir uns jeweilen von 1 bis 100 nummerirt denken wollen. Von der Wechselstrommaschine 1 gehen 100 Zweigleitungen zu allen 100 Selenzellen 1 sämmtlicher Gruppen, von den Selenzellen zu den entsprechenden Kontakten 1. Die Kontakte sind so auf einer cylindrischen Fläche angeordnet, dass alle zu einer Gruppe gehörigen Kontakte auf einer Parallelen zur Cylinderaxe liegen und durch einen entsprechenden auf dem cylindrischen Kommutator befindlichen Metallstreifen unter einander und mit der Fernleitung in metallische Berührung gebracht werden können. Durch Drehen des Kom- mutators wird der Reihe nach eine Gruppe nach der anderen an den Fernleitungsdraht angeschlossen. Soll das am Empfangsorte erhaltene Bild den Eindruck eines kontinuirlichen machen, so wird man zu verlangen geneigt sein, dass iede von diesen Gruppen alle Zehntelsekunden durch den Kom- mutator wieder an Stromgeber und Fernleitung angeschlossen sei; denn ein diskontinuirlich in unser Auge geworfenes Bild wird nur dann als kontinuirliches Bild gesehen, wenn sich dasselbe mindestens alle Zehntelsekunden wiederholt. Indessen giebt es auch hier noch ein Mittel, um die dadurch benöthigte grosse Umdrehungsgeschwindig- ' Eine solche Verstärkung und zugleich Reinigung ankommender Laute und Töne dürfte auch auf Fernsprecher für grosse Distanzen angewandt günstig wirken. Berichte IX. Heft 3. 13 7 ZEHNDER: ENTWURF EINES ELEKTRISCH-AKUSTISCHEN TELEGRAPHEN. [182 keit der Kommutatoren herabzusetzen: Man kann die Bewegungen der Spiegel des Empfangsapparates stark dämpfen, so dass die Spiegel mittlere abgelenkte Stellungen beibehalten, auch wenn die von den Telephonmembranen gegebenen Impulse nur etwa alle Sekunden sich wiederholen. Einen solchen telegraphischen Fernseher wirklich herzustellen scheint mir kein Ding der Unmöglichkeit zu sein; giebt doch der Phonograph den Beweis, dass sogar die kleinsten Membranschwing- ungen mechanisch noch verwendbar sind! Dennoch möchte ich die Verantwortung nicht auf mich nehmen, Jemanden durch diese Skizzirung des Apparates zur konstruktiven Ausführung desselben direkt zu veranlassen. Denn möglicherweise stellen sich dieser Aus- führung doch so grosse technische Schwierigkeiten entgegen, dass der Apparat mehr ein wissenschaftliches Interesse befriedigt, als dass derselbe praktischer Verwerthung fähig wäre. Freiburg i. B., 5. April 1895. 183] 1 Zur Anatomie von Scolecomorphus Kirkii. Von Dr. Karl Peter. (Aus dem anatom. Institut der Universität Freiburg i. Br.) Im Jahre 1883 veröffentlichte BOULENGER (2) in den Annales and Magazine of natural History die Beschreibung eines neuen Genus der Caecilien, das er nach der halsartigen Einschnürung, welche den Kopf vom Rumpf trennt, Scolecomorphus nannte. Dem einen Exem- plar wurde dem Entdecker Kırk zu Ehren, der es „probably from the viemity of Lake Tanganyika“ mitgebracht hatte, der Speziesname Kirkii gegeben. BOULENGER hatte den Bau dieses neuen @ym- nophionen interessant befunden, immerhin skizzirt er ihn nur in den Hauptzügen. Herr Professor WIEDERSHEIM hatte ein Exemplar dieser Art von Herrn GUENTHER in London zugesandt bekommen und hatte die Güte, es mir zur Zergliederung zu übergeben. Dafür, sowie für stete liebenswürdige Unterstützung, erlaube ich mir, meinem hoch- verehrten Lehrer herzlichsten Dank auszusprechen. In der That weist die Spezies so viele interessante Charaktere auf, dass eine genauere Beschreibung wohl manches Licht auf die Eigenheiten im Bau der Apoden werfen kann. Leider verbot mir die karg bemessene Zeit, sowohl die Literatur in wünschenswert ausgiebiger Weise zu berücksichtigen, als auch selbst vergleichende Untersuchungen bei Urodelen anzustellen. 13* 2 PETER: [184 Unser Exemplar wies 148 Körperringe auf und hatte eine Länge von 37 cm, wovon nicht ganz 1 cm auf den Kopf kommt. Wie oben bemerkt, ist letzterer halsartig vom Rumpf abgesetzt. Der Oberkiefer überragt weit den unteren und ist abgerurdet. Vorn zeigen sich die Nasenöffnungen, darunter die grossen Tentakel. Von Augen ist auch bei Vergrösserung von aussen nicht die Spur zu entdecken. Auf der Ventralseite fallen zwei parallele Querfalten auf, welche Hauptduplikaturen darstellen. Nur in der Medianlinie stimmt ihre Lage mit der des Mittelstücks des 1. resp. 2. Kiemenbogens überein, während sie lateral von der Richtung derselben abweichen. Zu Muskelansätzen stehen sie in keiner Beziehung. Nach PETERS(11)beschreibt Cope (2) Fig. 1. ebensolche Falten bei Urae- N Kopf des Scolecomorphus von der Zyphlus syntremus. ray 2% Seite. Das Skelet des Scoleco- Kopf des morphus zeigt viele Eigentümlichkeiten. Das Visceral- Secoleco- skelet weicht allerdings nicht weit vom Apodentypus ab. morphus Die ersten drei Kiemenbogen ähneln denen von Siphonops YO" Wnten. annulatus vollständig, der vierte aber zeichnet sich durch geringe Entwicklung aus. Er ist sehr schwach und schmal; ein Rudiment eines fünftens Bogens konnte ich nicht entdecken, weder in einer Verbreiterung noch Gabelung am Ende des letzten. Wir finden hier also eine noch weiter gehende regressive ag Metamorphose, als die meisten @ymnophionen x. zeigen. Fa U Ks Auch die Wirbelsäule entfernt sich nicht N bedeutend von der der übrigen Blindwühlen. X? Der Atlas bot keine Abweichung; auffallend Fig. 3. war nur das Fehlen der unteren vorderen Fort- € 7 ae! 2 . . . . Kiemenskelet, X’, sätze am zweiten Wirbel, ein Verhalten, wie ster bis vi Kie 2 5 R : Eee ae nen ich es nur noch an demselben Wirbel einer bogen. k EN de: Caecilia gracilis * beobachtet habe. Erst vom dritten Wirbel an also zieht sich der ventrale Kiel kranial in zwei Fortsätze aus, während er am vorhergehenden, ohne den Atlas zu ! Wegen des schlechten Erhaltungszustandes konnte dieses Exemplar nicht genau bestimmt werden, indess stimmt der Schädel fast genau mit dem von WIEDERSHEIM gezeichneten der Caecilia gracilis überein. Unser Exemplar wies 185] Zur ANATOMIE VON SCOLECOMORPHUS KIrKII. 3 überragen, den Wirbelkörper vorn umsäumt und in die starken, nach hinten schauenden, unteren processus transversi ausläuft. Es ist dies wohl zum Zweck einer freieren Beweglichkeit entstanden und stellt somit eine höhere Entwicklungsstufe der Gymnophionenwirbelsäule dar. Die eigenartigsten Charaktere weist der Schädel auf. Da unser Exemplar nicht erwachsen war, so zeigte sich die Verknöcherung noch nicht weit vorgeschritten, ein Umstand, der die Präparation des kleinen Objektes bedeutend erschwerte und wohl BOULENGER manches Auf- fallende hat übersehen lassen. Da nur präparatorisch vorgegangen wurde, so konnten die Verhältnisse der Nasenhöhle, die nur auf Schnittserien deutlich erkannt werden, nicht in die Untersuchung einbezogen werden. Der englische Autor giebt für das Kopfskelet von Scoleco- morphus an: „Squamosals [= Jugalia, Sarasın (14) = Paraquadratum, GAupP (6)] separated from parietals. A single series of teeth in the lower jow. Eyes overroofed by bone“, und als Speziescharaktere fügt er hinzu „Teeth very small, subequal. Snout very prominent, rounded“. Die äusseren Konturen des Schädels sind denen am ähnlichsten, wie sie WIEDERSHEIM (18) von Chthonerpeton indistinetum abbildet; vorn ist er.spitz, allmählich ziemlich geradlinig breiter werdend, um von der Gegend der Suspensorien an schnell sich wieder zu ver- schmälern. Das Auffallendste ist die lose Verbindung des Jugale' mit den anderen Knochen, welche noch geringer ist, als bei Chthon- erpeton, indem das Jochbein nur noch mit dem, wie unten erörtert bedeutend an Umfang reduzierten Maxillopalatinum und dem Sus- pensorium verbunden ist, wohingegen es das Praefrontale, Frontale und Parietale gar nicht berührt, sondern frei einen nach aussen konvexen Bogen beschreibt. Aus diesem Grunde löst es sich schon bei leichter Maceration mit dem Suspensorium vom Schädel los. Uebrigens zeichnet PETERS auch bei Chthonerpeton das Jugale nicht in Verbindung mit dem Stirnbein, wie es WIEDERSHEIM thut. nur im ersten Zahnbogen weniger, im zweiten mehr Zähne auf, und beide, in der Mitte weit entfernt, näherten sich nach den Seiten zu stärker als in der angegebenen Figur. Nebenbei bemerkt besass diese Caecilia, ein vor einer Reihe von Jahren gemachtes Geschenk von Professor SpEnsEL an Herrn Professor WIEDERSHEIM, eine Länge von 154 cm und die respektable Anzahl von 275 Wirbeln. ! Da die Bedeutung dieses Knochens noch zweifelhaft ist, und ich dieselbe noch nicht durch Untersuchung von Blindwühlenlarven feststellen konnte, be- halte ich einstweilen die Sarasım’sche Bezeichnung bei. 4 PETER: 1 86 Auf der Rückenseite zeigen sich vorn die Nasalia (cf. Fig. 4, n) in der Medianlinie etwas eingesunken, seitlich sich zur Umwandung der Nasenlöcher erhebend. Den lateralen Theil der Narinen fasst ein klener Knochen ein, der in der Seitenansicht deutlicher hervortritt und später besprochen werden wird, das Lacrimale (l). Den Nasen- beinen folgen nach hinten zu die Frontalia (f), an der Seite nach vorn und hinten stark ausgezogen und dort ein Stück der Parietale deckend; lateral grenzen sie an die stark entwickelten Praefron- talia (pf), welche nur am oberen Rande eine kleine Spange der Maxillaria (m) hervortreten lassen. Mit nach vorn konvexem Rande stossen an die Stirnbeine die Parietalia (p), die ocecipital- wärts in der Mitte vorspringend noch für eine kleine Knochen- Fig. 4. Schädel, dorsal. Links sind alle Knochen entfernt mit Ausnahme des Parietale, Ethmoid und Basalknochens. b —= Basalknochen, e = Ethmoid, f= Frontale, j = Jugale, 2 = Lacrimale, m = Maxillare, » = Nasale, p = Parietale, pf—= Praefrontale, s — Suspensorium. brücke des Basalknochens (b) Raum lassen. Seitlich zeigt sich da also der Jochbogen (j) mit dem Suspensorium (s). In der Mittellinie stossen die in Betracht kommenden erwähnten Knochen aneinander, so dass das Ethmoid auf der Rückenseite nicht sicht- bar wird. Die Ventralseite zeigt die stark ausgezogene Schnauze, welche weit über den Zahnfortsatz der Praemaxillaria (ef. Fig. 5, pm) vorragt. Zwischen letzteren und den Nasenbeinen existiert eine Trennungslinie (X), die erwähnten Knochen sind also nicht verwach- sen; auffallender Weise liegt hier die Grenze nicht auf der Dorsal- seite, wie bei J/chthyophis. Das Praemaxillare schickt einen Fortsatz zur Begrenzung der Nasenlöcher, der aber in Folge der starken Ausbildung der Thränenbeine nur geringen Anteil daran nimmt. 187] ZuR ANATOMIE VON SCOLECOMORPHUS KIrKIT. 5 Darauf folgt der processus alveolaris des Praemaxillare und seitlich davon der der Maxillaria(m), welcher aber nicht bis ans laterale Ende mit Zähnen besetzt ist. ‚Jedes Praemaxillare trägt drei Zähne, jeder Oberkiefer deren sechs. Den breiten Raum in der Mitte, zwischen erster und zweiter Zahnreihe, decken die vorderen Fortsätze des Vomer (v), so dass die hinteren Ausläufer des Praemaxillare nur an der Seite etwas sichtbar werden. Das Pflugscharbein trägt jeder- seits zwei bis drei Zähne, welche den medialen Theil des zweiten Ziahnbogens bilden. Dieser ist aber unterbrochen, indem der Palatin- teil des Maxillare erst in seiner lateralen Hälfte sich zu einem Zahn- fortsatz erhebt, der bis ans Ende mit fünf bis sechs Zähnen bewaffnet ist, während nach dem Vomer zu sich eine flache, zahnlose Strecke Fig. 5. Schädel, ventral, rechts ist das Jugale mit dem Suspensorium entfernt, links wie in Fie. 4. Bezügl. der Bezeichnungen vgl. Fig. 4. ch = Choanen, Pm == Prä- maxillare, v = Vomer, %X = Naht zwischen Nasale u. Praemaxillare, + —=zahn- freie Stelle im Maxillare. (Fig. 5, +) zeigt. Auffallend ist die starke Konvergenz der Alveolar- bogen, die medial weit von einander entfernt, an der Seite dicht zusammenstossen. Kaudal von den Zahnfortsätzen zeigen sich in der Mitte die hinteren Ausläufer des Vomer, welche die undeutlich abgegrenzten Ohoanen (ch) medial umranden, während die laterale Wand dieser Oefinungen von langen, S-förmig gekrümmten Fort- sätzen des Palatintheils der Oberkiefer gebildet wird. Weiter nach hinten zu erscheint der Basalknochen (b), seitlich die hinteren Theile des Ethmoids (e), weit davon getrennt der Jochbogen mit dem schwach entwickelten Suspensorium, das sich durch einen sehr kurzen processus pterygoideus auszeichnet. Wo sich dieser Knochen an den Basalknochen anlegt, ist letzterer stark vorgebaucht; hinten schliesst er mit den breiten Condylen (c) ab. 6 PETER: [188 Von der Seite betrachtet erkennt man das an der Umrandung der Nasenlöcher theilnehmende Lacrimale (cf. Fig. 6, l). Es grenzt an das Paermaxillare und zieht sich, schmal bleibend, seitlich an den Narinen hinauf, nach einander in Kontakt mit dem Maxillare, dem Praefrontale und Nasale, am Ende einen spitzen Fortsatz in die er- wähnten Oeffnungen sendend. Zweifellos entspricht es dem bei Ichthyophis von den Sarasın Turbinale genannten Knochen. Es zeigt sich hier bedeutend breiter, hat dagegen an Länge eingebüsst. In der Mitte sieht man eine kleine Oeffnung (0), wie sie auch nach WIEDERSHEIM (17) das zweite Praefrontale von Aanodon und Ellipso- glossa trägt. Diesem Knochen möchte ich unser Lacrimale homo- logisiren. Die Aehnlichkeit von Form und Lage, besonders bei Rano- don und Ichthyophis, springt in die Augen. Beide Skeletstücke grenzen Fig. 6. Oberer Theil des Schädels von vorn und von der Seite. Bezeichnungen wie in Fig_4. o —= Loch im Lacrimale, sp — Spange des Maxil- lare. an Praefrontale, Nasale, Maxillare und senden einen Fortsatz zum Nasen- loch, nur ist es bei dem Molche durch das an die Narinen heran- tretende Maxillare von der Berührung mit dem Praemaxillare ab- geschnitten. Die SARASIN gründen ihre Auffassung als Turbinale haupt- sächlich auf die äussere Form des fraglichen Knochens, welche aber bei Scolecomorphus gar nicht der einer Nasenmuschel ähnelt, so dass diese Ansicht wohl nicht haltbar ist. Auch scheinen die angeführten (Gründe gegen die Bezeichnung als Lacrimale nicht stichhaltig, denn die Orbita ist so bedeutend modifizirt bei unseren Blindwühlen, dass ein Knochen, der früher an ihrer Begrenzung teilnahm, ganz wohl von anderen den Bulbus fest umfassenden Skeletteilen verdrängt werden konnte, so dass er nur noch die Nasenhöhle umranden half. Zeigt ja auch der bei HOFFMANN (8) abgebildete Schädel des Capito- saurus robustus das Thränenbein von der Augenhöhle entfernt. Ebenso, wie man das zweite Praefrontale obengenannter Salamandrinen 189] Zur ANATOMIE VON SCOLECOMORPHUS KiIRKII. 7 als Lacrimale auffasst, muss man dem fraglichen Knochen der @ym- nophionen denselben Namen zulegen. Weiter nach hinten zeigt sich in der Seitenansicht das Maxil- lare, und wir bemerken, dass es nur eine schmale Spange (sp) an den lateralen Rand des Praefrontale schickt, die, zuletzt bindegewebig werdend, am Ende der Zahnfortsätze ihr Ende findet. Von dem Dentaltheil des Oberkiefers ist sie durch eine tiefe Grube getrennt, die dem Auge allmählich verschwindet, als der schmale Fortsatz und das bedeckende Praefrontale sich dem Alveolarteil kaudalwärts zu- neigen. Bei entferntem Jochbogen zeigt sich dann das Ethmoid, vom Basalknochen durch eine knorpelig ausgefüllte Furche getrennt, die, dem atrophischen Optikus entsprechend, in der Mitte nur eine geringe Erweiterung zeigt. Der Unterkiefer ist ganz ähnlich dem von Söphonops annulatus gebildet und stimmt mit ihm auch im Besitz von nur einer Zahn- reihe überein, von der zweiten, dem Spleniale entsprechenden, ist keine Spur zu entdecken. Der Schädel unserer Blindwühle zeigt also in verschiedener Hinsicht interessante Eigenheiten. Einmal nämlich weist er Üha- raktere auf, die, bei den meisten Apoden geschwunden, als primäre bezeichnet werden müssen, andererseits haben manche Umbildungen des Gymnophionenschädels hier eine weit höhere Stufe erreicht. Zur ersten Rubrik ist wohl der schwache Bau des Kopfskeletes zu stellen. Selbst abgesehen von der Zartheit, welche durch die geringe Verknöcherung bedingt wird, bildet es gar nicht eine so kräftige geschlossene Knochenkapsel, wie bei den anderen Schleichen- lurchen und zeigt die grösste Annäherung an den Urodelenschädel. Hauptsächlich ist da an die Trennung des Jugale vom Parietale zu erinnern, wie es nur noch von Chthonerpeton, Uraeothyphlus (13) und Epicrionops (2) berichtet wird. Da nun hier der Stirnfortsatz des Oberkiefers so reduzirt ist, kann sich das Jochbein nur an einen kleinen Theil des Gaumenfortsatzes daselbst anheften und ist nur in loser Verbindung mit dem Schädel. Auch ein festes Ptery- goid, welches den Schädelbau verstärken könnte, ist nicht ausgebildet, vielmehr zeigt der processus pterygoideus des Suspensoriums sich sehr kurz. Dieser für einen Gymnophionen zarte Knochenbau erweckte in mir Zweifel, ob Scolecomorphus unter der Erde grabend lebe und ob er nicht eher, wie 7yphlonectes, im Wasser angetroffen würde. Indess fehlt ihm ganz der Ruderschwanz und auch die Untersuchung des Mageninhaltes gab keine verwertbaren Resultate. Vielleicht lebt 8 PETER: [190 unsere Blindwühle, wie @egeneophis (11), unter Steinen, oder, wie von Caecilia berichtet wird, symbiotisch mit Ameisen. Andererseits scheint wieder die stark vorspringende Schnauze vorzüglich zum Wühlen eingerichtet. Ferner ist hier auf die geringe Verschmelzung der Knochen hinzuweisen. Nur /chthyophis und Uraeotyphlus zeigen ein freies Praefrontale und Lacrimale, ferner das Praemaxillare vom Nasenbein getrennt. Dass Scolecomorphus kein Postfrontale besitzt, wird nicht Wunder nehmen, wenn wir den Mangel einer freien Orbita in Betracht ziehen. Das Fehlen eines Pterygoids ist schon oben erklärt. Während diese Eigenschaften als altererbte zu bezeichnen sind, die sich nur bei wenigen Apoden zeigen, finden sich doch auch manche sekundäre Abweichungen vom Blindwühlentypus. So fehlt Scolecomorphus die zweite Zahnreihe im Unterkiefer und auch die Zahnbögen im Oberkiefer weichen durch starke Konvergenz von dem gewöhnlichen parallelen Verlauf ab. Wie das Fehlen des Alveolar- fortsatzes im mittleren Teil des Maxillare, nach dem Vomer zu, zu erklären ist, weiss ich nicht; ich kann nirgends eine Analogie dafür finden. Eigentümlich ist ferner der schon mehrfach erwähnte Umstand einer Bedeckung der Augen mit Knochen. Bei unserem Apoden sind es die Praefrontalia, welche, sich ungemein entwickelnd, den processus frontalis des Oberkiefers zum Schwinden brachten und das Auge unter sich bargen. Diese Verhältnisse lassen sich am leich- testen von denen herleiten, wie sie Chthonerpeton indistinctum auf- weist. PETERS (11) zeichnet diesen Schädel von der Seite, wodurch die weiten, in die Tentakelrinnen auslaufenden Orbitae im Maxillare sichtbar werden. Da kann man sich nun leicht vorstellen, wie ein zwischen Oberkiefer und Stirnbein gelegener Knochen, sich seitlich ausbreitend, den Stirnfortsatz des Maxillare zu einer kurzen Spange reduzirte und, mit dessen Alveolarteil sich berührend, die. Orbita mitsammt dem Bulbus bedeckte und nur den weiten Tentakelkanal übrig liess, ihn nach vorn dislocirend. Der Zweck dieser Ueber- dachung ist klar: das Auge sollte den Schädigungen, denen es gerade beim Graben so sehr ausgesetzt war, entzogen werden. Es konnte dies um so leichter erreicht werden, als das Sehorgan nicht mehr funktionirte. Zeigen doch alle Blindwühlen mehr oder weniger ein Rudimentärwerden dieses Sinnesorganes und meist ein Verschwinden desselben unter der Haut. Nur bei wenigen Arten aber ist diese Beschützung des Bulbus — vielleicht eben der schwachen Knochen 191] Zur ANATOMIE VON SCOLECOMORPHUS KIRKI. 9 wegen — so weit ausgebildet, dass Knochen zur Bedeckung herbei- gezogen wurden. Zu letzteren gehören Herpele squalostoma, Gege- neophis carnosus (2) und die Gattung Gymmopis. Doch konnte ich nur bei letzterer an der Hand einer Perers’schen Figur die Entstehung dieser interessanten Eigenschaft erkennen und fand sie auffallender Weise ganz verschieden von der bei Scolecomorphus. Bei @ymmnopis multiplicata ist nämlich der Angfleck noch deutlich unter dem Jugale bemerkbar, man sieht die Stelle, wo die Orbita früher bestand. Denkt man nun an die nur noch ein kleines Loch im Maxillare formirende Augenhöhle bei Czeecilia gracilis, so erkennt man, dass kein grosser Schritt bis zum Schluss auch dieser Lücke ist, womit wir dann die Verhältnisse bei @ymnopis erhielten. Bei letzterer Wühle ist allerdings der Augfleck im Jugale, am Maxillar- rand gelegen. Doch ist hier vielleicht das Postfrontale mit diesen Knochen verschmolzen, oder das Jochbein, bei vielen Apoden die Orbita mit begrenzend, hat diese ganz in sich einbezogen, wie bei der (wecilia der Oberkiefer. Wir stehen also vor der interessanten Thatsache, dass derselbe so einzig dastehende Zweck, die Augäpfel mit Schädelknochen zu bedecken, in der kleinen Gruppe der @ym- nophionen auf verschiedenem Wege erreicht wird, das eme Mal durch | Ueberdachung einer nicht geschlossenen Orbita mittelst Knochen, welche eigentlich zu dieser in keiner Beziehung stehen, das andere Mal durch Schluss der mitten im Knochen gelegenen Augenhöhle. Um noch ein paar Worte über den Sötus hinzuzufügen, so ver- hält er sich im Ganzen wie bei den übrigen Apoden. Die linke Lunge war 12, die rechte 50 mm lang; die 112 mm lange Leber war in 28 Lappen geteilt. Die Nieren beginnen erst am unteren Leberrand, was insofern auffallend ist, als die MÜLLERr’schen Gänge schon in der Gegend der Herzspitze ihren Anfang nehmen. Selbst bei Lupenvergrösserung konnte ich während des ganzen oberen Ver- laufs der letzteren zwischen ihnen nur Gefässe, keine Nierenteile entdecken. Sollte ich letztere also nicht übersehen haben, so erinnert das Verhalten an das der übrigen Amphibien, von denen SPENGEL (15) sagt, dass „die Tubentrichter weit vom Vorderrande der Niere entfernt, beiderseits neben den Lungenwurzeln liegen“, und wir träfen abermals auf eine Annäherung an den gemeinsamen Amphibientypus. Die körnigen Ovarien beginnen am dritten Viertel der Leber und überragen den unteren Rand desselben um ebensoviel. Die Blase zeigt einen Zipfel von 60 und einen von 7 mm Länge. 10 PETER: Zur ANATOMIE VON SCOLECOMORPHUS Kırkır. [192 Bei der Zusammenstellung der abweichenden Eigenschaften des Scolecomorphus vom Blindwühlentypus stellen sich heraus als primäre: der schwache Schädelbau, die Trennung des Jugale vom übrigen Schädel, die geringe Verschmelzung der Schädelknochen, das Verhalten der Nieren zu den Mürrer’schen Gängen. sekundäre: das gänzliche Fehlen von Resten eines fünften Kiemenbogens, der Verlust des proc. infer. anter. des zweiten Wirbels, die Ueberdachung der Augen, das Fehlen der zweiten Zahnreihe im Unterkiefer, Konvergenz der Zahnreihen im Oberkiefer und Unterbrochen- sein der zweiten (?). Bei der Frage nach der Stellung unserer Blindwühle im Apoden- system wird man hauptsächlich von den ersteren Eigenschaften, als altererbten und festen Charakteren, ausgehen. Während BOULENGER in Gegeneophis wegen Fehlens der Schuppen und Ueberdachung der Augen bei beiden Gattungen seinen nächsten Verwandten zu erblicken glaubt, möchte ich Sceo/ecomorphus in die Nähe von Uraeotyphlus . stellen, welche Gattung ebenfalls die getrennten Schädelknochen und ein freies Jugale besitzt. Dabei ergiebt sich auch eine schöne Ueber- einstimmung in der geographischen Verbreitung, denn Uraeotyphlus africanus — leider hat BOULENGER gerade diese Art nicht auf die Lage der Jochbeine hin untersucht — bewohnt Westafrika, unser Gymmnophione das Njassaland. In ähnlicher Weise sind nach den SARASIN (14) Z/chthyophis und Uraeotyphlus in Bezug auf Schädel- bau und geographische Verbreitung nahe verwandt, so dass wir diese drei Gattungen zusammenstellen und in ihnen die ältesten Formen der Blindwühlen erkennen können. Freiburg i. Br., 24. März 1895. 193] 11 Literatur. 1) BouLENGER, Catalogue of the Batrachia gradientia s. caudata and Batrachia apoda in the Collection of the Br. Museum. London 1882. 2) — Description of a new genus of Caeciliae Ann. & Mag. nat. Hist. (5) 11, 1883 (Scolecomorphus and Epicrionops). 3) Core, Forth Contribution to the Herpetology of Trop. America. Proc. Acad. nat. St. Philadelphia 1866 (eit. n. Peters). 4) — On the Structure and Affinities of the Amphiumidae. Proc. Americ. philos. Society 1886. 5) Duseks, Recherches sur l’osteologie et la myologie des Batraciens ä leurs differents äges. Paris 1835. 6) Gaupp, Beiträge zur Morphologie des Schädels Ill. Morpholog. Arbeiten v. SCHWALBE. IV, 1. Jena 1894. 7) GUENTHER, Third report on Collections of Indian Reptiles. Proc. Zool, soc. London 1875. 8) Horrwmann, Bronns Klassen und Ordnungen der Amphibien. Heidelberg 1873 bis 1878. 9) Hexte, Vergleichend anatom. Beschreibung des Kehlkopfes. Leipzig 1859. 10) MüLLer, Beiträge zur Anatomie und Naturgeschichte der Amphibien. Zeitschr. f. Physiologie 4, 1831. 11) PETERS, Ueber die Eintheilung der Caecilien ete. Monatsbl. Berl. Akad. 1879 (bes. Chthonerpeton indistinetum vu. Gymnopis). 12) — Ueber Schädel von zwei Caecilien. Sitzungsber. naturf. Freunde. Berlin 1880 (Hypogeophis rostratus u. Seraphini). 13) — Herpetologische Mittheilungen. ibid. 1881 (Uraeotyphlus oxyurus). 14) Sarasın, Ergebnisse naturwiss. Forschungen, II, 4. Wiesbaden 1890. 15) SPENGEL, Das Urogenitalsystem der Amphibien. Arb. Zool. Inst. Würz- burg 1876. 16) WIEDERSHEIM, Grundriss d. vergl. Anatomie. Jena 1893. 17) — Das Kopfskelet der Urodelen. Morphol. Jahrb. 1876, 18) — Die Anatomie des Gymnophionen. Jena 1879. 1 [194 Beitrag zur Bienenfauna von Baden und dem Elsass. Von H. Friese (Schwerin i. M.), jetzt Innsbruck i. Tirol. Allgemeiner Teil. In den Jahren 1887/88 und 1892/93 konnte ich im oberen Rheintale und in den angrenzenden Gebirgen, Vogesen und Schwarz- wald, mehrmalige eingehendere Untersuchungen über die heimischen Bienenarten vornehmen, deren faunistische Resultate ich im Fol- genden zusammenstelle und der Oeffentlichkeit übergebe. In betreft der allgemeinen biologischen Ergebnisse verweise ich auf meine bereits in den „Zoologischen Jahrbüchern“ erschienenen Abhand- lungen !. Da ich in Strassburg und in Oppenau lange Zeit ständigen Aufenthalt hatte, so ist die Umgebung dieser Orte am sorgfältigsten untersucht, doch kann meine Zusammenstellung auch für diese Orte nur auf eine annähernde Vollständigkeit Anspruch machen. Ich habe schon früher Gelegenheit gehabt auf die Armut der Bienenfauna des oberen Rheintales hinzuweisen und habe dieses Gebiet als ein Minimum der Bienenentwickelung in Deutschland bezeichnet?. Die flache Rheintalebene mit ihrem gleichförmigen ı H. Friese, Die Schmarotzerbienen und ihre Wirthe, Zool. Jahrb., Syst. Abth., Bd. 3, 1888. — H. Friıesse, Beiträge zur Biologie der solitären Blumen- wespen (Apidae), Zool. Jahrb., Syst. Abth., Bd. 5, 1891. : H. Frıese, Bienenfauna von Deutschland und Ungarn, Berlin 1893. 195] BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM Eusass. 2 kiesigen Untergrund ist im weitesten Maasse durch Anlage von Fel- dern und Wiesen in Kultur genommen; diese Verhältnisse sind der Entwickelung des Bienenlebens entschieden ungünstig. Der „Kaiser- stuhl“, welcher sich aus der Mitte des oberen Rheintales erhebt, hat entsprechend seiner komplizierteren Bodengestaltung und eigen- artigen geologischen Beschaffenheit auch eine reichere Bienenfauna. Die Teile des Schwarzwaldes und der Vogesen, welche das obere Rheintal begrenzen, sind für das Bienenleben wenig günstig, da sie grösstenteils aus Urgebirge bestehen, und da sie nicht bis zur Höhe des ewigen Schnees sich erheben und in ihren unteren Teilen von Wiesen, Feldern und Rebengelände, in den höheren meist bis an die obersten Kuppen von Wald bedeckt sind. Wahrscheinlich besitzt der untere hauptsächlich aus Buntsand- stein bestehende Teil des badischen Schwarzwaldes (Karlsruhe bis Heidelberg) eine etwas mannigfaltigere Fauna, wie auch aus den in dem folgenden Verzeichnis eingestreuten Befunden aus dieser Gegend hervorgeht (Anthrena tschekii, Ceratina, Osmia gallarum, Coeliorys aurolimbata). Trotz der verhältnissmässigen Armut an Arten wie an Indi- viduen besitzt das obere Rheintal doch einige auffallende Formen, die unbedingt sich an die französische und schweizer Fauna an- schliessen und im übrigen Deutschland nicht oder nur sehr selten vorkommen, z. B. Anthrena bucephala, nycthemera, sericata, tschekii, Xylocopa violacea, Ceratina cucurbitina, Anthophora personala, Osmia villosa, gallarum, angustula, Anthidium septemspinosum. Die Zahl der bisher in Baden und im Elsass beobachteten, sicheren Bienenarten (ohne Varietäten) beziffert sich auf 185 Arten, so dass ein Vergleich mit den übrigen bekannten Faunengebieten Deutschlands entschieden nicht zu Gunsten unseres Gebietes ausfällt. Das Renchtal bei Oppenau, welches ich am eingehendsten studiert habe, liegt im Gebiete des Urgebirges (Gneiss und Granit) in einer Höhe von 280—1000 m! über dem Meer und ist mit Fel- dern, Obstgärten, bewässerbaren Wiesen und Wäldern bedeckt. Das übliche Abholzen der Eichenwaldungen binnen 6—7 Jahren (wegen - Gewinnung der Eichenrinde zur Lohgerberei) und das Riedbrennen dieser geschälten Eichenbestände, wobei durch Anzünden der Rück- ‘ Oppenau 279m, Antogast 483m, Zuflucht (Kniebis) 951m, Mummelsee 1032 m, Hornisgrinde 1166 m. 3 FRIESE: [196 stände der Abholzung im Hochsommer jegliches Insektenleben durch Feuer gründlich vernichtet wird, bedingen bei der Ausdehnung, den diese Waldwirtschaft angenommen hat, eimen entschiedenen Eingrift zu ungunsten der Entwickelung der niederen Tierwelt. In wie weit nun im Laufe des 19. Jahrhunderts die sichtliche Abnahme der Bienenwelt stattgefunden hat, entzieht sich jeder Be- urteilung, höchstens lässt sich dieselbe nach Analogie der von Prof. Dr. SCHENCK für Nassau (Weilburg) und von Dr. SCHMIEDEKNECHT für das obere Saaltal (Gumperda, Blankenburg) konstatierten ver- muten. (Grenannte Forscher konnten eben während Jahrzehnte die Entwickelung, Veränderungen und Verschiebungen der Bienenfauna an ihrem engeren Heimatsorte verfolgen. Während man in Thüringen und in der Mark Brandenburg (Maxima des Bienenlebens in Deutschland) nicht nur allgemein einen grossen Reichtum an Arten, sondern auch an Individuen und daher infolge dieses Maximum auch gute Gelegenheit zu eingehenderen biologischen Untersuchungen findet, beschränken besagte Verhältnisse im oberen Rheintal derlei Beobachtungen auf einige wenige Formen; die meisten Arten trifft man nur in geringerer Individuenzahl. Zum Vergleiche mögen in betreff der Bienenarten einige neuere faunistische Arbeiten und deren Resultate hier aufgeführt werden. Es beherbergen: Schleswig-Holsten nach WüstsEer . . rund 170 Arten Ostpreussen Sl uBRISCHKEN N Ale Mecklenburg „ FRIESE ar REN Breslau ns DETRIeH «As „2a0HeE, Nordtirol „ ÖCHLETTERER . sun 220 Südtirol „ SCHLETTERER . 34008 Während Deutschland ungefähr 440 Arten aufweist, hat England nach SAUNDERS . rund 194 Arten, Schweden „oRDEOMSON.Y,. „ 20B Östseeprovinzen » NAGEMEHL . „u RER Finnland » _NAHLBERG . a ‚Los Niederlande „Yp RIBZEMAN.ST, 2». 2A0y ee Frankreich » .Dours (1874) nr AO „ ImSüdwesten „ Perez (1890) RE N Nkli, Ungarn „ Frıese(1893) „iu BOOTE Bei diesen Vergleichungen muss aber erwähnt werden, dass diese Angaben nur einen relativen Wert beanspruchen können und nur die Untersuchungen von einigermassen gleichen Jahrgängen 197] BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM ELsass. 4 berücksichtigt werden dürfen. Auf der anderen Seite wurden aber in den letzten Jahren infolge der sich mehr und mehr verändernden Artauffassung gegenüber den älteren Autoren, wieder viele sog. „schlechte* Arten (als lokale Abänderungen, verschiedene Genera- tionen etc.) zusammengezogen; dagegen wurden durch eine gründ- lichere und methodische Art der Untersuchung der (sebiete seltenere Formen aufgefunden und so die Resultate erweitert. Bei der Benennung der Arten musste ich nach den (resetzen der Priorität öfter ältere als die gebräuchlichen Namen einführen, weshalb allgemein die Synonyma bei den einzelnen Arten aufgenommen wurden, um etwaige Vergleichungen zu erleichtern. Am Schlusse sei noch erwähnt, dass die typischen Exemplare zu dieser Arbeit sich in der Sammlung des Zoologischen Instituts der Universität Freiburg befinden. Innsbruck (Tirol), den 1. Oktober 1894. I. Einsam lebende (solitäre) Apiden. A. Urbienen, Proapidae. 1. Unterfam. Sphecodinae. l. Genus Sphecodes Lrr. Buckelbiene. Dichroa ILL. Sabulicola VERHOEFF 1. Sph. ephippius Li. (geoffrellus K., divisus K., ephippiata Newıu., dimidiatus Hac., affınis Hac., atratus Hac., fasciatus Hac., divisus SAUND., variegatus HAG., miniatus HAG., marginatus Hag., nigritulus HaG.). — Bei Oppenau und Strassburg im Mai (2) und Juli (52) auf Dolden. 2. Sph. fuscipennis GERM. (latreillei W., nigripes LEP., rugosus SMm.). — Einzeln bei Strassburg und Oppenau in Sandgruben, Mai und wieder im Juli. 3. Sph. gibbus 1. (rufus OHrıst., sphecoides K., monilicornis K., piceus Wesm., ferrugineus KLe., rufiventris ImnH.). — Häufigste Art bei Oppenau wie bei Strassburg; im April (2) an Salix, im Juli (5) auf Dolden. 4. Sph. subquadratus SM. ‚(gibbus Wesu.). — Bei Oppenau im Juni und wieder im August auf Dolden. Berichte IX. Heft 3. 14 10. 112 12. 13. FRIESE: [198 2. Unterfam. Prosopinae. 2. Genus Prosopis F. Maskenbiene. Hylaeus F. Proapis DEGEER Pr. bipunctata F. (signata Pz.). — An Reseda im Juni und Juli, häufig bei Oppenau, Strassburg. Pr. communis NYL. (annulata F.). — Bei Oppenau im Mai und Juni häufig auf Dolden. Pr. dilatata K. (annularis K. 2). — Im Juli und August einzeln auf Jasione, Oppenau und Strassburg. Pr. hyalinata Sem. (armillata NyL., annularis K. ö, longicornis SCHENCK, similis SCHENCK). — Bei Oppenau häufig im August auf Dolden. B. Beinsammler, Podilegidae. 3. Genus Colletes Lrr. Seidenbiene. C. cunicularia 1. (pubescens OLıv., hirta LeEp., pilosa SPin.). Im ersten Frühling an Salıx, Oppenau und Strassburg, häufig. C. daviesana SM. (succincta SCHENCK). — Bei Strassburg nicht selten im ‚Juni auf Achillea; die Nester mit den seidenartig umhüllten Zellen finden sich besonders zahlreich in den steilen Lösswänden bei Achenheim und Oberhausbergen angelegt und sind leicht herauszulösen. C. fodiens LTR. (pallieineta K.). — Am 7. August 1887 in einigen Exemplaren (2?) bei Strassburg auf Tanacetum ge- fangen. C. succincta L. (prima SCHAEFF., invicta HARRIS, glutinosa LUTRr., calendarum Pz., fodiens Curr., xanthothorax Ev.). — Bei Oppenau Ende August und im September nicht selten an Calluna vulgaris. 3. Unterfam. Anthreninae. 4. Genus Halictus Ltr. Furchenbiene. Lucasius DoURS Nomioides SCHENCK H.calceata ScoP. (cylindricus F., abdominalis Pz., fulvocinctus K., terebrator WALcK). — Ueberall nicht selten, besonders bei Oppenau im März und April an Salix; im Juli und August (2) an Thymus, Senecio, Solidago. 199] BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM Eusass. 6 v. malachurus K. (apicalis SCHENCK, coriarius SCHENCK, galita GrIBOD.). — Bei Strassburg häufiger als die Grundform, bei Oppenau nur einige 5 im Juli an Solidago. v. albipes F. (obovatus ILL., laeviusculus SCHENCK, albi- tarsis SCHENCK, affınis SCHENCK). — Häufig bei Strassburg im April und wieder im Juli. 14. H. costulatus Krıecnß. — Ein 2 fing ich am 3. August 1893 bei Oppenau auf Öentaurea (südliche Art). 15. 4. interruptus Pz. (quadrimaculatus SCHENcK). — Einzeln be Strassburg im Juli auf Dolden, & und 2. 16. H. laevigatus K. (lugubris K., fodiens LTR., fulvicornis Sm., bisbimaculatus SCHENcK). — Im April und Juli (5) bei Oppenau, nicht häufig. 17. H. leucozonius SCHRCK.. — Häufig bei Oppenau vom Mai bis August (5), besonders auf Hieracium und Oentaurea. 18. 4. maculatus SM. (interruptus LeEp.). — Bei Oppenau im April und August einzeln. 19. H. minutus SCHRCK. (rugulosus SCHENCK). — Ein 2 am 14. August bei Oppenau auf Heracleum. 20. H. morio F. — Ueberall häufig, Strassburg, Oppenau; im März und April an Salıx (?), im Juli und August an Thy- mus (&?). 21. H.nitidiusculus K. — Am 29. Mai 1887 ein ? von Oberkirch. 22. H. quadrinotatus K. (obovatus SCHENCK, breviventris SCHENCK, lativentris SCHENCK , bisbistrigatus SCHENCK). — Bei Oppenau im Juli und August nicht selten. 23. H. rubicundus Curıst. (flaviceps Pz., nidulans WALKEN.). — Im ersten Frühling an Salix (?), Oppenau, Strassburg; 5 im Juli auf Centaurea. 24. H. rufocinetus NYL. (bifasciatus SCHENCK). — Im ersten Früh- ling an Salix (?), Oppenau und Strassburg. 25. H. scabiosae Ross. (zebrus WALck). — Bei Strassburg im Juli; Nester in den Promenadenwegen bei der Sternwarte an- gelegt. 26. H. sexcincltus F. (arbustorum Pz., rufipes Spin.). — Im Juli einzeln auf Centaurea; Oppenau und Strassburg. 27. H. sexnotatus K. (campestris Ev.). — Bei Oppenau im Mai, Juni und Juli nicht selten auf Centaurea: 5 im Herbst. 28. H. smeathmanellus K. — Bei Oppenau im Juli und August häufig auf Thymus. 14* ale FRIESE: [ [200 H. tetrazonius Kuug (quadricinetus K., tomentosus Ev.). — Im Mai bei Strassburg (?) und wieder mit den Ö im Juli— August auf Centaurea (Oppenau). H. tumulorum 1." (Hlavipes F., subauratus Rossı, seladonius F., fasciatus Nyr.). — Bei Oppenau im Juli und August häufig auf Thymus; ö besonders auf Solidago. H. villosulus K. (punctulatus K., distinetus SCHENCK, rufitarsis THoms). — Im Hochsommer häufig bei Oppenau und Strass- burg auf Oentaurea und an Thymus. H. virescens LEP. (gramineus SM., gemmeus Dours). — Einzeln bei Strassburg im April. H. zanthopus K. (maxillus CHRIST,, emarginatus ÜHRIST., trian- gulus Curr., trieingulum Curr.). — Ein ö bei Strassburg am 16. April 1888 an Salıx gefangen. 5. Genus Anthrena F. Sandbiene. Ancyla Lee. Campylogaster DouRs Biareolina DourRs A. albicans Müur. (haemorrhoa F.). — Im März und April nicht selten an Salıx. A. apicata Sm. (smithella SCHENCK). — Einzeln im März an Salıx, Oppenau, Strassburg. 4. austriaca Pz. (rosae Pz., zonalis K., strangulata Ev.). — Ein 2 auf Heracleum bei Oppenau, 20. Sept. 1890. A. bucephala STEPH. (longipes SM.). — Bei Oppenau nicht selten auf Salıx, 5. April 1892. A. carbonaria L. (pratensis MÜLL., pilipes Rossı, aterrima Pz., atra Sm.). — Auf Salıx ein ö& am 8. April 1887, Strassburg (Kehler Thor). A. chrysopyga SCHENCK (integra Tnuoms). — Ein ö am 12. Juni 1887 bei Barr (Elsass), an Veronica chamaedrys fliegend, ge- fangen. A. eingulata F. (suecica GMEL., sphegoides Pz., albilabris Pz.). Bei Oppenau einzeln im Mai auf Veronica chamaedrys. A. clarkella K. (dispar ZETT., bicolor Lep.). — Bei Strassburg ein ö an Salix gefangen, 3. April 1887. ' Die von mir bisher unter tumulorum L. aufgeführte Art muss den Namen virescens LEP. führen. 201] 42. 43. 44. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM ELsass. 8 A. combinata Onrist. (albibarbis ScHEncKk). — Im April bei Oppenau auf Salix, ein ? am 2. Mai auf Ürataegus. A. congruens SCHMIEDK. — Bei Oppenau im März und April auf Salix nicht selten. 4. converziuscula K. (wilkella SCHENcK, xanthura Nyr., ovata SCHENCK, canescens SCHENCK, albofimbriata SCHENCK, octo- strigata SCHENCK, distineta SCHENCK). — Bei Oppenau und Strassburg häufig im April auf Salix und als zweite Generation wieder im Juli. A. eurvungula 'Tuoms. (hirtipes SCHENCK, squamigera SCHENCK). — Einmal in mehreren Exemplaren unterhalb Schaffhausen in Campanulablüthen gefunden, 23. Juni 1888. A. eyanescens NYL. (potentillae SCHENCK). — Ende April bei Oppenau häufig auf Veronica chamaedrys (Weg nach Antogast). A. denticulata Pz. (listerella K.). — Diese im allgemeinen seltene Art findet sich bei Oppenau recht häufig im Juli und August auf Hieracium. A. dubitata SCHENCK (lewinella SCHENCK, afzeliella SCHENCK). Einzeln bei Strassburg im Mai an Salix. 4. erimia SM. (spinigera SCHENCK, SCHMIEDK. nec K.). — Bei Oppenau und Strassburg im März und April an Salix. A. eztricata SM. (fasciata NYL., contigua SCHENCK). — Im März und April an Salix häufig, Oppenau und Strassburg. A. flavipes Pz. (fulvicrus K., mactae Lep., articulata Sm.) — Beı Oppenau und Strassburg im März und April an Salıx und auf Taraxacum, seltener als eriricata SM. $ 4. florea FE. (rubricata Sm.). — Im Juni bei Strassburg (Achen- heim) und bei Schaffhausen, nur auf Bryonia alba Pollen sammelnd. A. fulva SCHRANK (armata GMEL., vulpina CHRrıst., vestita F., flava Mor.). — Bei Oppenau im März und April auf Salıx und Ribes, einzeln. A. fulrago Curist. (longula Ev.). — Im Mai bei Oppenau auf Hieracium, selten. A. fuscipes K. (pubescens K., cincta Nyr.). — Bei Oppenau im August auf Calluna vulgaris nicht selten. 4. gwynana K. (pilosula Ev.). — Im März sehr häufig bei Oppenau an Salix und Scilla sibirica, bei Strassburg seltener an Salıx; die Sommerform (v. bicolor F. aestiva Born.) im Juli und August zahlreich auf Thymus. 68. 69. 70. FRIESE: [20 2 A. hattorfiana F. (rubida OLıv., equestris Pz., lathamana K., quadripunctata F., elongata ImH., clypeata SCHENCK). — Vom Mai bis in den September (20. Sept. 1891) nicht selten auf Knautia arvensis. A. humilis Ina. (fulvescens WEsTw., cinerascens NYL., nasalıs Tnons.). — Bei Oppenau im Mai nicht selten Hieracium; auch bei Strassburg. A. lapponica ZETT. (apicata SM.). — Auf Vaccinium myrtillus in ca. 800—1000 m Höhe nicht selten; Kniebis 21. Mai 1893, Öttilienberg 12. Juni 1887. A. mitis SCHMIEDK. (PEREZ i. 1.) (helvola Krıecns.). — Ein 2 am 5. Mai 1887 an Salix bei Strassburg. A. nana K. (pygmaea F.). — Bei Strassburg im Juni einzeln auf Dolden. A. nigroaenea K. — Bei Strassburg einzeln im April. Diese im übrigen Deutschland sehr häufige Art fand ich bei Oppenau gar nicht und bei Strassburg sehr selten. A. nitida Fourcr. K. (nitens SCHENCK). — An Weiden bei Oppenau und Strassburg im März und April, aber selten. . A. niveata FRriEsE (latifimbra P£rez ı. 1.). — Einzeln auf Dolden im Elsass (Oberehnheim, 16. Juni 1887). . A. nycthemera ImHu. — Diese in Deutschland nur ganz lokal auftretende Art findet sich im März und April nicht selten bei Strassburg (Kehler Thor) auf Salix. Oft mit Stylops (Strepsiptera) behaftet. A. orina Kuuc (leucothorax H. S., nitida LEp., pratensis Nyr.). — Im April einzeln an Salıx, Oppenau, Strassburg. 4. parvula K. (subopaca NyYL., nigrifrons Sm.). — Bei Oppenau im März und April die zeitigste und häufigste Andrena; an Stellaria media und Salıx oft zu hunderten schwärmend. 4. praecoz ScoP. (smithella K., flavescens SCHENCK, clypeata Sı.). — Im März und April nicht selten bei Strassburg an Salıx. A. propingua SCHENCK (subincana SCHENCK, cognata SCHENCK, lewinella SCHENCK, griseola SCHENCK, dorsata ImnH.). — Bei Strassburg im April an Weiden, nicht selten. A. prorima K., (collinsonana K., consobrina SCHENCK). — Nicht selten im Sommer auf Dolden; Oppenau 20. Mai 1893, Ober- ehnheim (Elsass), 12. Juni 1887. 4. sericata Inu. (favosa MoRr.). — Im April an Salıx selten, 203] BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM ELsass. 10 Heidelberg (SAGEMEHL), Strassburg, 11. April 1887 (Kehler Thor). 72. A. shawella K. (coitana K., nana Nyr., nylanderi MoRr.). — Bei Oppenau nicht selten im August in Oampanula. 73. A. tarsata NyL. (analis SCHENCK). — Mitte August bei Oppenau häufig auf Potentilla (600m.). 74. A. thoracica F. (bicolorata Rossı, vestita Lam., melanocephala K., assimilis RAn.). — Ein % von Strassburg am 14. Juni 1888 auf Taraxacum. 75. 4A. fübialis K. (atriceps K., fulvitarsis Ev., ambigua Ev., moufe- tella K.). — An Salix bei Strassburg (Anfang April) häufig, bei Oppenau selten, 22. März 1893. 76. A. frimmerana K. (lanifrons K., nitida NyL., picicornis K. ?, picipes K. (ö). — Bei Oppenau im März auf Salix, häufig. 77. A. tschekii Mor. (nigrifrons SM., nigrifrons SCHMIEDK.). — Bei Heidelberg häufig nach SAGEMEHL. 78. A. varians K. — Im März häufig bei Oppenau auf Salıx und zwar in der var. helvola L. 79. A. ventralis Imn. (analıs Pz., rufiventris Ev., fulvicornis SCHENCK, mutabilis Mor.). — Häufig bei Strassburg im April und Mai an Nalix. 80. 4. zanthura K. (wilkella K., barbatula K., chrysosceles NyL.). — Im April bei Oppenau nicht selten an Vicia sepium. 4. Unterfam. Panurginae. 6. Genus Dufourea LePr. Glanzbiene. 81. D. vulgaris SCHENCK (minuta SCHENCK). — Bei Oppenau im August nicht selten auf Picris, oft sind noch im September die Q anzutreffen. 7. Genus Halictoides Nyr. Schlupfbiene. H. dentiventris NxL. (bispinosa Ev.). — Bei Oppenau nicht selten im Juli und August in Campanula-Blüten, namentlich bei Regenwetter und während der Nacht darin Schutz suchend. [0 0) N 8. Genus Rhophites Spmw. Schlürfbiene. Rophitoides SCHENCK 83. Ah. canus Ev. (bifoveolatus SIcHEL). — Unweit Strassburg (Hausbergen) fing ich emige $ an Medicago, 28. Juli 1887, selten. 11 [0 ) ou 88. 9. 97. FRIESE: [204 Rh. quinquespinosus SPIN. — Im Juli und August einzeln an Ballota nigra, Strassburg, Oppenau. 9. Genus Panurgus Lrr. Trugbiene. Eriops Kıus P. banksianus K. (ursinus Lrr., ater PzZ.). — Auf Compositen nicht selten bei Oppenau und Strassburg im Juli und August. P. calcaratus ScoP. (ursinus GMEL., ater F., lobatus Pz., linaeellus K.). — Bei Oppenau und Strassburg häufig auf gelb- blühenden Compositen im Juli, August und oft noch im September. 10. Genus Dasypoda Lrr. Hosenbiene. D. plumipes Pz. (hirtipes aut., swammerdamella K., graeca LeEr. ö, cingulata Ev., villosa LEP., nemoralis BAER, palleola BAER, aurata Rupow, spectabilis Rupow, cingulata SaunD., pyriformis Rap. ?, canescens STEFAN). — Im Juni und August stellenweise häufig (Strassburg, Kehler Thor) auf Picris und Cichorium. 5. Unterfam. Melittinae. 11. Genus Melitta K. Sägehornbiene. Cilissa LEACH Pseudocilissa RAD. M. haemorrhoidalis F. (dichroa GMEL., chrysura K.). — Ueberall nicht selten im Juli und August in Campanula-Blüten; Oppenau, Strassburg. M. leporina Pz. (tricincta K., afzeliella Ev., aegyptiaca RAD.). — Am 25. Juni 1887 bei Strassburg einige Exemplare auf Medi- cago gefangen. M. melanura Nyu. (quadrieincta Ev.). — Am Weg von Hub- acker nach Sulzbach einige 2 an Lythrum salicariae 4. August 1893 gefangen; auch bei Strassburg, aber selten vorkommend. 12. Genus Macropis PZ. Schenkelbiene. Scrapter Lee. M. labiata Pz. Bei Oppenau einzeln auf Lysimachia vulgaris, 12.—14. August 1893, auch im Elsass. 6. Unterfam. Aylocopinae. 13. Genus Ceratina LTR. Keulhornbiene. C. cyanea K. (callosa ILr., coerulea Westw.). — Von Herrn Prof. S. Brauns (Schwerin i. Mecklbg.) bei Heidelberg gefangen. 205] 93. 94. 96. IR: 98: BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM Eusass. 12 C. cucurbitina Rossi (albilabris F., decolorans BRuLLE). — Eben- falls durch Herrn Prof. S. Brauxs von Heidelberg nachgewiesen, Die Arten dieser Gattung lassen sich sehr leicht während der Wintermonate in hohlen Rubusstengeln auffinden, während ihr Vorkommen im Freien seltener ist. Beide Geschlechter (5 2) überwintern gemeinschaftlich und beginnen das Brutgeschäft im folgenden Mai. Die Zellen werden ebenfalls in trockenen Rubus- stengeln, die durch Ausnagen des Markes ausgehöhlt werden, angelegt. 14. Genus Xylocopa Lrr. Holzbiene. X. violacea L. (femorata F.). — Im Rheinthal verbreitet, bei Strassburg häufig. Im ersten Frühling an Salıx (am Kehler Thor in Strassburg), an Syringa vulgaris (Burgheim, Oberehn- heim); die frische Brut erscheint im September nach Art der Hummeln, doch findet die Begattung nicht im Herbste statt, sondern ö und 2 überwintern zusammen in Löchern der Lehm- wände (Achenheim) und beginnen ihr Liebesleben erst mit Er- wachen des nächsten Frühlings. 7. Unterfam. Megillinae. 15. Genus Eucera ScoPp. Maecrocera Ltr. Tetralonia SPIn. E. diffieilis Dur. (linguaria LEp. 2, subrufa LEp. Ö, subfasciata Ler. 6). — Bei Oppenau einzeln im Mai an Lotus. E. interrupta BAER (semistrigosa DOURS, confusa KRIECHB.). — Am 29. Mai 1887 einige Tierchen am Kaiserstuhl auf Lotus erbeutet. E. longicornis L. (linguaria F., furax Rossı, tuberculata F., strigosa Pz., vulgaris Spin... — Häufigste Art im Mai und Juni an Vicia und Lotus; Kaiserstuhl 29. Mai, Oppenau 20. Mai, Öttenhöfen 19. Mai u.a. E. (Macroc.) salicariae Lee. (lythri Schenk). — Im Juli und August einzeln bei Strassburg (Kehler Thor) an Thymus. 16. Genus Megilla F. Pelzbiene. Anthophora F. Habropoda Sm. Saropoda LTR. 99. M.acervorum UL. (pilipes F., plumipes PALL., hirsuta F., pal- mipes Rosst, hispanica Pz., retusa K.). — Im März und April 13 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. FRIESE: [206 häufig an Lamium und Ajuga, auch an Lehmwänden, in welchen das Nest angelegt wird; Oppenau, Strassburg, Das ® fand ich bisher immer im hellen Haarkleid, während in Nord- und Mittel-Deutschland die schwarzbehaarte Form die vorherr- schende ist. M. aestivalis Pz. (zonata BRULLE, intermedia Ler.). — Ein- zeln im April und Mai an Ajuga, Oppenau und Strassburg. M. bimaculata Pz. (Saropoda rotundata Pz., albifrons Ev., cognata SM.). — Bei Heidelberg gefangen (Prof. BRAUNS), bei Strassburg einzeln am 24. Juli (Kehler Thor). M. furcata Pz. (dumetorum Pz.). — Ein $ am 18. Juni 1893 bei Oppenau an Stachys silvatica. M. parielina F. — Bei Strassburg im Juni nicht selten an Lehmwänden (Achenheim, Lampertheim); das 2 baut an seinem Nest-Flugloch eine oft 5—6 em lange, durchbrochene Röhre von Lehm nach Art verschiedener solitärer Faltenwespen Hoplopus, Symmorphus). Das 2 fand ich bei Strassburg bisher nur im dunklen Haarkleid (nicht wie in Thüringen hell- behaart (v. villosa H. S.). M. personata Iwu. (fulvitarsıs BRULLE). — Bei Strassburg im April und Mai häufig an den Lehmwänden bei Achenheim, Lampertheim, Hausbergen u. a. Die Imagines fliegen gerne auf Wiesenklee. Die Entwickelung ist bei Strassburg eine zweijährige !; als weiterer Fundort ist mir noch Heidelberg bekannt geworden (FREY-GESSNER, (Grenf). M. retusa L. (haworthana K. Ö, hirsuta Ev., pilipes NyL., acervorum Nyr., hirta KırcHn.). — Bei Oppenau nicht selten im April und Mai an Glechoma und Ajuga; auch bei Strass- burg 20. April 1887 an Salix ein Ö. var. meridionalis PEREZ (das hellbehaarte 2) bei Oppenau mit dem schwarzbehaarten zusammenfliegend. M. vulpina Pz. (quadrimaculata Pz., subglobosa K., mixta SCHENCK). — Bei Oppenau nicht selten an Echium, 24. bis 28. Juni 1893. ! Man vergleiche über die Biologie dieser Tiere: H. FrıEse, Beiträge z. Biolog. d. solitären Blumenwespen, in: Zoolog. Jahrbuch. Abthlg. f. Systematik u. Biolog. Bd. V. p. 820—825. 207] 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116, LL7T, BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM ELsass. 14 C. Bauchsamnler, Gastrilegidae. 8. Unterfam. Megachilinae. 17. Genus Eriades Spin. Löcherbiene. Heriades Nyı. (aut.). E. campanularum K. (florisomnis Trons). — Bei Oppenau und Strassburg im Juni und Juli nicht selten in Campanula und an alten Pfosten fliegend. E. florisomnis L. (maxillosa L., culmorum Lep.). — Bei Strass- burg im Mai auf Ranunculus und an Lehmwänden; Nest in Dachfirsten. E. nigricornis NYL. (leucomelaena SCHENCK, inermis Ev., ca- sularum CHEVR.). — Bei Oppenau häufig im Juni 1893 in Campanula. E. truncorum L. Im Mai und Juni nicht selten bei Oppenau auf Compositen; auch bei Strassburg. 18. Genus Osmia Pz. Mauerbiene. Anthocopa Lee. 0. adunca Pz. (spinolae Ler.). — Bei Oppenau im Mai häufig an Echium. 0. angustula ZETT. (parietina Curr.). — Bei Heidelberg ge- fangen (Dr. SAGEMEHL). 0. aurulenta Pz. (tunensis K., tunetana GMEL., haemotoda Pz.). — Im Mai stellenweise häufig an Lotus und Hippocrepis, Kaiserstuhl 31. Mai 1887, Barr (Elsass) 28. Mai 1887. 0. coerulescens L. (aenea L., cyanea Gir.). — Bei Oppenau im Mai einzeln an alten Pfosten. 0. elaviventris Tuoms (leucomelaena Sım., interrupta SCHENCK, foveolata SCHENCK). — Im Mai und Juni selten bei Oppenau an Lotus. 0. cornula Lir. — Bei Strassburg im April nicht selten an Salix und Lehmwänden (Achenheim). Die Nester finden sich nicht selten in den hohen Lehmwänden, gewöhnlich werden die verlassenen Nester von Megilla personata benutzt; nach Fertig- stellung wird die äussere Oeffnung mit einem Lehmdeckel ver- schlossen, so dass man kaum den einstigen Eingang zu den Zellen wiederfindet. 0. fulviventris Pz. (leaiana K., hirta Sm., atra SCHENK). — Bei Oppenau im Mai, bei Strassburg im Juni und Juli an 15 120. 121. 123. FRIESE: [208 Pfosten, Zäunen und Latten schwärmend; von Blumen wird Centaurea bevorzugt. O. gallarum Spin. (ruborum Dur. und PERR.). — Bei Heidel- berg durch Dr. SAGEMEHL aufgefunden. O0. rufa L. (bicornis L., globosa Scop., cornigera Rossi, fronti- cornis PZ.). — Im März und April bei Oppenau häufig an Salix und Lehmmauern. 0. solskyi Mor. (truncatula Tnuoms., bidens Prrez). — Bei Oppenau vom Mai bis September auf Hieracium und Centaurea häufig. 0. spinolae SCHENCK (anthocopoides SCHENCK, loti Mor. 9%, caementaria GERST., claripennis SCHENCK). — Auf Echium em Pärchen am 16. Juni 1893 bei Oppenau (Nordwasserhof). O. villosa SCHENCK (platycera GERST.). — Im April und Mai nicht selten bei Oppenau auf Picris und Hieracium. Das Nest fand ich zu wiederholten Malen in den Ritzen und Löchern der grossen Strassensteine (Porphyr), die am Wege nach Anto- gast unweit der Orgelfabrik stehen. Die einzelnen aus Sand hergestellten Zellen waren mit den gelben Blütenblättern von Ranunculus acer und den schmäleren von Hieracium in drei- bis vierfachen Lagen ausgekleidet. Die Anzahl der Zellen war nur gering (1—3 Stück), jede Zelle war besonders aufgemauert mit geschickter Benützung der Wände des Loches und der Schlussdeckel war einfach in der Ebene der Steinfläche her- gestellt, nicht vorgewölbt. Ein Ankleben der Zellen an den Steinen oder Felswänden, wie man es bei Osmia caementaria und Chalicodoma muraria findet, konnte ich bei den drei auf- gefundenen Nestern nicht konstatieren. 19. Genus Chalicodoma Ler. Mörtelbiene. Ch. muraria F. (bryorum SCHRANK, caementaria MEINICKE, parietina FOURCR., varians Rosst). — Bei Strassburg an den alten Festungsmauern beim Kehler Thor häufig nistend; die Nester gleichen an die Wand geworfenen Kotballen. Die Tierchen fliegen dort besonders auf Salvia und Lotus, April bis Juni. 20. (senus Megachile Lrr. Blattschneiderbiene. M. apicalis Spin. (dimidiativentris DouRs, mixta Costa). — Bei Strassburg einige 2 am 14. August 1888. 209] 125. 126. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 13% BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM ELsass. 16 M. argenlata F. (albiventris Pz., leachella NyL., argentea GERST.). — Im Juli einzeln bei Strassburg am Kehler Thor. M. circumeincta K. — Bei Oppenau im April und Mai häufig an Lotus. M. centuncularis L. — Einzeln bei Strassburg auf Centaurea und Disteln im Juni und Juli. M. ericetorum Ler. (fasciata Sm., rufitarsis Su., pyrina NYL.). — Am 28. Juni 1887 einige @ bei Strassburg an Lotus gefangen. M. lagopoda L. (lagopus GMEL., pyrina LEP., manicata Dum., flaviventris SCHENCK). — Bei Oppenau Mitte Juli nicht selten auf Disteln. M. ligniseca K. (centuncularis Pz.). — Am 31. Juli 1887 ein Pärchen bei Allerheiligen (OÖppenau), selten. M. pacifica Pz. (imbecilla GeErst.). — Bei Strassburg am 10. August einige ®. M. willoughbiella K. (atriventris SCHENCK). — Ein Ö aus dem Elsass am 20. Juni 1887. 91. Genus Trachusa Pz. Bastardbiene. Tr. serratulae Pz., (resinana SCHILLING, pyrenaica GIR.). — Im Juni bei Oppenau und Strassburg einzeln an Lotus. 22. Genus Anthidium F. Wollbiene. A. manicatum L. (maculatum F.). — Bei Oppenau ein $ am 21. Mai 1893. Von Strassburg noch ein ö am 10. August 1888. Bei Achenheim auch einige Woll-Nester in den Zellen von Megilla personata beobachtet. A. punctatum LTR. (minus NYL.,greyi Rap., albidulum ÜHEOR.).— Bei Strassburg ein Pärchen am 28. Juni (Kehler Thor). A. septemspinosum LEP. (nigripes Ev.). — Bei Heidelberg in einigen Exemplaren von Dr. SAGEMFHL gefangen. A. strigatum Pz. (contractum Lrr., quadristrigatum GERM., scapulare SCHENCK, minusculum NYL., signatum SCHENCK, decoratum CHEVYR.). — Am 12. August in einigen Exemplaren bei Wolfsbrunnen (Ottenhöfen) an Lotus erbeutet. 142, 143. 144. AB 146. 147. 148. 149, FRIESE: [210 II. Gesellig lebende (sociale) Apiden. 9. Unterfam. Bombinae. 23. Genus Bombus Ltr. Hummel. B. agrorum F. (muscorum L., pygmaeus F., autumalis DL».). — Bei Oppenau die häufigste Hummelart; $ schon im März an Salıx und Glechoma; 6 im August besonders auf Sonchus arvensis, . B. derhamellus K. (vajellus K.). — Ein 2 am Sulzer Belchen gefangen, 19. Juni 1887. . B. hortorum 1. (paludosus Mürr.). — Einzeln bei Oppenau und Strassburg. . B. hypnorum L. (lucorum SCHRK., apricus F., ericetorum Pz., meridianus Pz., apricans GrAv.). — Bei Oppenau ein $ am 17. April 1893 an Salix. B. jonellus K. (scrimshiranus K., martes GERST.). — Einzeln in Baden an Rubus; ein 2 am 23. Mai bei Oppenau, ein Ö am 12. Juni bei Wolfsbrunnen (Ottenhöfen). B. lapidarius 1. (arbustorum F., pratorum SCHRK., coronatus Foukrcr., haemorrhoidalis CHrIsT., regelationis PZ., truncorum Pz., lefeburei Ler. 1836). — Einzeln bei Oppenau und Strass- burg. B. mastrucatus GERST. (brevigena Tnoms.). — Einige Arbeiter am 12. Juni 1892 beim Dorfe Kniebis an Vaccinium myrtillus; auch am Sulzer Belchen (Elsass) einige ? am 19. Juni 1887 ebenfalls an Vaccinium gefangen. B. pomorum Pz. (deshamellus SCHRK., equestris T'Homs.). — Einzeln im Elsass, ® am 19. Juni (Gebweiler). B. pratorum L. (ephippium Dr».). — Bei Oppenau eine häufige Art; ® schon im März an Salix, ö bereits Ende Mai. B. silvarum L. (scylla CHrıst., silvatica FıscH., veterana F., carduorum SCHRK.). — Ein 2 am 5. Mai 1887 bei Strass- burg, ö am 21. Juli 1887. B. terrestris L. — Bei Oppenau häufig; Ö schon im März an Salıx. B. variabilis SCHMIEDK. — Im April und Mai bei Oppenau die @ nicht selten, auch die var. tristis SEIDL. — und var. nolomelas KRIECHB. — einzeln. 211] BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM Eusass. 18 10. Unterfam. Apinae. 24. Genus Apis L. Honigbiene. 150. A. mellifica L. — Echte Honigbiene, im Elsass und in Baden, z. B. bei Oppenau sehr gut gedeihend und viel gehalten. var. ligustica Spin. — Italienische Honigbiene, ebenfalls vielfach kultiviert. III. Schmarotzerbienen (parasitäre Apiden). 11. Unterfam. Psithyrinae. 25. Genus Psithyrus Ler. Schmarotzerhummel. Apathus NEewnm. 151. Ps. campestris Pz. (rossiellus 'Tnons.). — Bei Oppenau nicht selten; ® im Juni an waldigen Abhängen nach Hummelnestern suchend, ö im September gerne auf Disteln. 152. Ps. quadricotor Ler. — Am 12. Juni 1892 einige 55 an Rubus bei Wolfsbrunnen (Ottenhöfen). 153. Ps. vestalis Fourcrk. (saltuum F., aestivalis Pz., nemorum SM.). — Einzeln bei Oppenau im ‚Juni. 12. Unterfam. Stelinae. 26. Genus Stelis Pz. Düsterbiene. Stelidomorpha Mor. 154. St. aterrima Pz. (punctulatissima K., punctatissima Lrr.). — Bei Strassburg am 8. Juli ein 2 auf Knautia gefangen. 155. St. breviuscula NYL. (pygmaea SCHENCK, pusilla Mor.). — Ein 2 am 27. Juli bei Strassburg an Melilotus. 156. St. nasuta LiR. — Bei Strassburg an den alten Festungs- wänden am Kehler Thor im Juni 1887, nicht selten; schmarotzt bei Chalicodoma muraria und zwar werden bei dieser Art ausnahmsweise mehrere Eier in eine Chalicodoma-Zelle abgelegt, so dass die Cocon der Schmarotzerbienen später die ganze Zelle ausfüllen und nach Art der Weintrauben aneinanderliegen. Die Ueberwinterung findet im Larvenstadium statt. 157. St. phaeoptera K. — Bei Oppenau im Mai und Juni nicht selten an Holzwänden und auf Centaurea fliegend. Schmarotzer von Osmia fulviventris und solskyi. 19 158. 159. 160. 162. FRIESE: [212 13. Unterfam. Coeliozynae. 27. Genus Coelioxys LUrk. C. aurolimbata FOERST. (apiculata FOERST., recurva SCHENCK, reflexa SCHENCK). — Ein Pärchen von Karlsruhe durch Prof. PEREZ erhalten. C. quadridentata L. (conica L., bidentata Pz., acuta NyL., fissidens FOERSsT., fraterna FOERST., convergens SCHENCK). — Bei Oppenau am 30. April 1893 einige 65 an Lotus. Flog mit der Megachile eircumeincta zusammen. C. rufescens Le». (hebescens Nyr., apiculata NyL., diglypha FOERST., trinacria FOERST., lanceolata SCHENCK, longiuscula SCHENCK, obtusata SCHENCK, apiculata SCHENCK, umbrina SM., parvula SCHENCK, fallax Mocs.). — Im Mai und Juni häufig bei Strassburg, namentlich an den Lehmwänden bei Achenheim, Lampertheim, Hausbergen. Als Wirtbiene ist Megilla per- sonata zu nennen; das Ei wird im Juni in der Zelle der Wirt- biene untergebracht und zwar hängt es vom Deckel frei in die Zelle hinein (Kolonie Hausbergen), am 21. Juli fand ich die Larven erwachsen und die Excremente ausstossend vor, am 10. August waren alle in ein lockeres, aber doch ziemlich festes ‘ocon eingesponnen. Der Winter wird als Larve überstanden und erst am 21. Mai des nächsten Jahres konnte ich die Ver- wandlung in die Puppe feststellen. C. rufocaudata Sm. (octodentata Lep., ruficauda LeEr., echinata Forst). — Ein 2 bei Strassburg am 10. August 1888 an Melilotus gefangen. Schmarotzt bei Megachile pacifica Pz. (Mus. Strassburg). 28. Genus Biastes Pz. Einsiedlerbiene. Rhineta ILL. Pasites LTR. nec. JUR. Phileremus GERST. nec. LTR. FOERST. Biastoides SCHENCK Melittoxena Mor. B. truncatus NxıL. (punctatus GERST., Tnuoxs.). — Von dieser äusserst seltenen Bienenart konnte ich einige Stücke unweit Oppenau (700 m hoch) an Thymus serpyllum an der Nordseite des Berges sammeln, 16.—18. August 1893. Als Wirtbiene ist der Halictoides dentiventris zu erwähnen. 213] 163. 164. 165. 166, 167. JEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM ELsass. 30 14. Unterfam. Nomadinae. 29. Genus Melecta Ltr. Trauerbiene. M. armata Pz. (punctata K., notata FRrıEseE 1.1). — Bei Oppenau im Mai selten an Häusern fliegend; eine bedeutend grössere Form fliegt bei Strassburg als Schmarotzer der grossen Megilla personata, an Lehmwänden bei Achenheim, Lampert- heim, Hausbergen. M. luctuosa ScoP. (punctata OLıv., Pz., LTr., F., Lep.). — Im Juni häufig bei Strassburg an Lehmwänden; schmarotzt bei Megilla parietina und aestivalis. Ueber die Eiablage der Melecta-Arten in die Anthophora- Zellen ist noch zu erwähnen, dass das Schmarotzerei senkrecht an der Zellenwand befestigt wird und daran sofort von dem- jenigen auf dem Futterbrei schwimmenden der Wirtbiene zu erkennen ist. Die Eiablage findet im Juni statt, im August sind die Larven erwachsen und stossen ihre Excremente aus; mit September verwandelt sich die Larve in die Puppe, so dass die Melecta-Arten als Puppe resp. Imago überwintern. Nach der Verpuppung findet man in den Zellen einen lockeren, braunen Stoff, der die untere Hälfte der Zelle überzieht und von mir als rudimentärer Cocon angesprochen wurde. Melecta armata scheint als Imago zu überwintern, wenigstens fand ich im März 1887 vollkommen entwickelte Tiere in den Zellen. 30. Genus Epeolus Lrr. Filzbiene. E. variegatus L. (muscaria CHRIST., erucigera Pz., rufipes Tnoxs.). — Bei Oppenau einzeln im September auf Calluna vulgaris (Scheibenfelsen). Als Wirtbiene ist Colletes succincta zu erwähnen. 31. Genus Nomada Scor. Wespenbiene. N. alternata K. (marshamella K. %). — Im Mai bei Oppenau einzeln. N. bifida Tuoms. — Bei Oppenau Anfang April nicht selten auf Salix. Schmarotzt bei Anthrena albicans. N. distinguenda Mor. — Ein 2 bei Strassburg am 24. Juli 1887. N. fabrieiana L. (germanica Pz., fabrieiella K., quadrinotata K., nigriecornis OLıv., nigrita SCHENCK). — Bei Oppenau ein ö an Salix am 2. April 1892. Berichte IX. Heft. 3. 15 174. 178. 180. 181. 182. 183. FRIESE: [214 N. ferruginata L. (stigma F., germanica F.., rufiventris Spix.). — Bei Oppenau (Maisach) einzeln im Mai an trockenen Wald- rändern. Schmarotzt bei Anthrena humilis Imn. N. fucata Pz. (varia Pz.). — Bei Strassburg nicht selten im April auf Taraxacum. Schmarotzer der Anthrena flavipes Pz. N. furva Pz. (sheppardana K., minuta F., dahlii Curr., rufo- cineta KırcHN., mimiata Dum.). — Ein $ am 16. Juni 1887 bei Oberehnheim (Elsass) auf Dolden. N. fuseicornis NYL. (megacephala SCHENCK). — Bei Oppenau im August auf Hieracium und in der Nähe der Nester von Panurgus calcaratus (Wegeränder); nicht selten. N. guttulata SCHENCK (rufilabris THuoms.). — Ein 2 am 10. Mai 1893 auf Dolden bei Oppenau; schmarotzt bei Anthrena cin- gulata. N. jacobaeae Pz. (flavopicta K., interrupta Pz., solidaginis Irz.).. — Am 13. Juli 1893 ein $ bei Oppenau an Calluna vulgaris. N. lathburiana K. (rufiventris K., 'marshamella NyL., fucata Ev.). — Bei Strassburg (Kehler Thor) im April an Salıx und an den Nistplätzen der Anthrena orina. N. lineola Pz. (sexcinecta K., capreae SCHENCK, subcornuta Thons., cornigera Tnuoms.). — Ein Pärchen am 20. April 1887 bei Strassburg. N. obtusifrons NyL. — Bei Oppenau einzeln im August ‘auf Thymus serpyllum fliegend, 6 auch auf Jasione montana; schmarotzt bei der Anthrena shawella. N. ochrostoma K. (vidua SM., lateralis SCHENCK, punctiscuta Tnons.). — Im Mai und Juni nicht selten bei Oppenau; an Wegerändern fliegend. N. roberjeotiana Pz. (panzeriana WALK., neglecta H. S.). — Bei Oppenau im August an Thymus serpyllum fliegend, nicht selten. Sie scheint hier bei Anihrena tarsata NyL. zu schmarotzen und tritt im einer var. von auffallend geringerer (srösse als in Nord- und Mittel-Deutschland auf. N. ruficornis L. — In Menge an Salıx im April bei Oppenau fliegend, in Grösse und Färbung sehr variirend. N. serfasciata Pz. (schaeferella K., connexa K.). — Bei Strassburg im Mai einzeln an Waldrändern; schmarotzt bei Eucera longicornis. N. solidaginis Pz. (rufipes Iun., dubia Ev.). — Bei Oppenau 215] BEITRAG ZUR BIENENFAUNA VON BADEN UND DEM Ersass. 99 im August häufig an Calluna vulgaris und Solidago. Schmarotzer der Anthrena fuscipes. 184. N. succeineta Scor. (goodeniana K., batava VOLLENH.). — Bei Strassburg im April nicht selten an Salix und Wege- rändern. 185. N. zanthosticta K. (lateralis Pz., bridgmanniana Sm.). — Im April nicht selten bei: Strassburg (Kehler Thor) an Salıx; schmarotzt bei Anthrena praecoz. 93 FRIESE: [216 Literatur. Branson — Hym. mellif. d. Umg. v. Jekaterinoslav, Moskau 1879. Brauns, S. — Mecklenburg. Arten v. Bombus u. Nomada, in: Archiv d. Freunde d. Naturgeschichte in Mecklenburg, 1883. BRISCHKE, ©. — Hymenopt. acul. Prov. Preussen, Danzig 1887. CHYZER, ©. — Zemplen värmegye Mehfelei, Rovartani Lapok, Budapest 1886. DatLA-ToRRE, K. W. v. — Apiden Tirols, Innsbruck 1877. — — Bienenbauten, in: Humboldt 1885, Heft 5 u. 6. — — Grattungen u. Arten d. Phileremiden, in: Ber. naturw. medic. Ver., Inns- bruck 1891. Dours — Monogr. du genre Anthophora, Amiens 1869. — Catalog. syn. d. Hymenopteres de France, Amiens 1874. Durour — Recherch. anat. et physiolog. s. 1. Hymenopteres, Paris 1841. EvERSMAnN — Bruststellen d. Hylaeus (Halictus) quadrieinetus und Pelopoeus destillat., Moskau 1848. — Fauna hymenopt. Voleo-Uralensis, Moskau 1847. 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Megachile . 200 , Megilla . 211 | Melecta. 212 | Meltta . b 210 | Melittoxena s. rastee. 204 | Nomada 208 | Osmia Panurgus . : Phileremus s. een 212 | Prosopis 198 | Psithyrus . 204 | Rhophites . 203 , Sarapoda s. lerne 213 | Sphecodes . 207 | Stelis P 205 | Tetralonia s. Eucn a. 203 | Trachusa . 198 , Trypetes s. Bde Xylocopa . [220 ur 221] 1 Bemerkungen über die Gliederung der oberen alpinen Trias und über alpinen und ausser- alpinen Muschelkalk. Von E. W. Benecke. Wenige Erscheinungen der neueren geologischen Litteratur haben ein ähnliches Aufsehen erregt, wie die vor drei Jahren veröftentlichte Mittheilung von MoJsısovics „die Hallstatter Entwicklung der Trias“ '. In der That wurde auch durch dieselbe in einem für klassisch gehal- tenen (rebiete die bisher als allgemein massgebend angesehene Glie- derung alpiner oberer Triasbildungen über den Haufen geworfen und das unterste gewissermassen zu oberst gekehrt. Eine sehr lebhafte, vielfach in einer — glücklicher Weise — selten vorkommenden Form geführte, Diskussion erhob sich und an Stelle des „klärenden Einflusses“, den Mo,Jsısovics sich von seiner Arbeit versprach, ist eine solche Unsicherheit getreten, dass es erklär- lich ist, wenn man, zumal von dem Gegenstande ferner Stehenden, die Aeusserung hört, von einer Beschäftigung mit der alpinen Trias sähe man zunächst am besten ganz ab. Es wäre bedauerlich, wenn eine solche Missstimmung an Boden gewänne, denn das Studium der alpinen Trias hat zugleich mit dem der permearbonen Bildungen — man gestatte mir den LAPPARENT- schen Ausdruck der Kürze halber — mehr als das anderer For- mationen in den letzten Jahren anregend und fördernd auf unsere geologischen Vorstellungen überhaupt gewirkt. Es ist die Ver- wirrung auch in der That gar nicht so gross, sie liegt viel mehr in ! Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Wien CI, 1892. b) BENECKE: [222 der Form als in der Sache und leider auch in persönlichen Mo- menten, die sich bei der entstandenen Polemik in den Vordergrund drängten. Die grossen Abschnitte, in die die alpine Trias von den älteren Autoren zerlegt wurde, sind trotz der Verschiebung im Hallstatter (rebiet bis heute bestehen geblieben, ja wir sind vielfach zu alten Vorstellungen zurückgekehrt, trotzdem oder vielmehr gerade weil wir in der Einzeluntersuchung so grosse Fortschritte gemacht haben. Die folgenden Bemerkungen enthalten weder über die alpine, noch über die vergleichungsweise herbeigezogene ausseralpine Trias neues, sie sind nicht für den Spezialforscher geschrieben. Meine Absicht ist lediglich für Diejenigen, die nicht gerade die Trias zum besonderen (regenstande ihrer Untersuchungen gemacht haben, aber doch über die beim Studium derselben gewonnenen Ergebnisse sich auf dem Laufenden halten wollen, den Nachweis zu führen, dass, sobald man die Entwicklung der alpinen Trias in dem gesammten Zuge der Ostalpen in’s Auge fasst, eine Orientirung und ein Ueber- blick auch heute noch unschwer gewonnen werden können. Wenn ich dabei von einer eigenen Arbeit ausgehe, so geschieht dies nicht, weil ich derselben eine besondere Bedeutung beimesse, sondern nur weil sie in einer Zeit und unter Umständen entstand, die ihr vielleicht den Vortheil einer gewissen Objektivität sichern. Meine Reisen nach Südtirol im Anfang der sechsziger Jahre wurden unternommen, um den oberen Jura, die damals eben be- nannten tithonischen Schichten, zu untersuchen, an die Trias dachte ich nicht. Als ich aber dann die schönen Profile und den Ver- steinerungsreichthum in Judicarien kennen lernte, konnte ich es mir nicht versagen auch der Trias meine Aufmerksamkeit zuzuwenden und so wurde ich durch die lombardischen Alpen bis an den Üomer See geführt. Dabei war ich aber ganz auf mich selbst angewiesen und wenn mir auch bei der späteren Ausarbeitung in München manche schätzenswerthe Rathschläge durch den Verfasser der damals eben erschienenen „Geognostischen Beschreibung des bayerischen Alpengebirges“ ertheilt wurden, so musste ich doch der Hauptsache nach sehen wie ich mich selbst mit meinen Beobachtungen und der Litteratur abfand. OPpEr, dem ich die wesentlichste Unterstützung in allem, was den Jura betraf, verdanke, begann damals erst in Folge der Entdeckung, dass die für jurassisch gehaltenen indischen Am- moniten der SCHLAGINTWEIT’schen Sammlung dem Muschelkalk an- gehören, der Trias seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. So mag 223] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 3 meine damalige Darstellung wohl eine ziemlich richtige Vorstellung davon geben, wie sich die alpine Trias einem zum ersten Mal in die Alpen kommenden, nicht unter dem Einfluss einer „Schule“ stehenden, Anfänger darstellte. Ich stellte damals! folgende Gliederung der alpinen Trias auf: 6. Rhätische Gruppe. 5. Hauptdolomitgruppe. 4. Raibler Gruppe. 3. Hallstatter Gruppe. 2. Muschelkalk. 1. Buntsandstein. Die in dieser Gliederung nicht genannten Partnachschichten wurden z. Th. in den Muschelkalk, z. Th. in den unteren Theil der Hallstatter Gruppe gestellt; unter dem Hallstatter Kalk, aber inner- halb der Hallstatter Gruppe, fanden die Schichten von S. Cassian ihren Platz; der Raibler Gruppe wurden die Carditaschichten der Tiroler Geologen zugewiesen. Es bedarf keiner Auseinandersetzung, dass die Bezeichnung Hallstatter Gruppe eine unglückliche war, dass ferner viele der im Text der Arbeit gemachten Angaben unrichtig sind, dass vielfach die nothwendige Begründung der gegebenen Gliederung fehlt. Kam es mir doch damals überhaupt in erster Linie darauf an, die Be- rechtigung der von HAuER aufgestellten Schichtenfolge der lom- bardischen Trias gegenüber den von italienischer Seite gemachten Einwürfen darzuthun. Für andere Gebiete war ich auf die Ar- beiten von HAUER, GÜMBEL, STUR, RICHTHOFEN und anderen an- gewiesen. Stellen wir nun gleich die Gliederung der alpinen Trias BiITT- NER’S? aus dem Jahre 1892 (zunächst für die Nordalpen) daneben: Hangend: Koessener Schichten (wo vorhanden) IV. Obere Kalkmasse (Dachsteinkalk, Hauptdolomit). III. Mergel und Sandsteinniveau der Lunzer und Opponitzer Schichten, im Westen und im Hochgebirge vereinigt als Carditaschichten, im letzteren theilweise nicht mehr nachweisbar. II. Untere Kalkmasse (Muschelkalk im weitesten Sinne) ! Ueber Trias und Jura in den Südalpen: Geognost. paläontolog. Beiträge I, 200, 1866. Die Mittheilungen in Verhandl. d. Reichsanst. 1866, 159, 160, waren damals noch nicht erschienen. ? Was ist norisch? Jahrb. d. geolog. Reichsamt. XLII, 1892, 387. 4 BENECKE: [224 nach oben mit lokal entwickelten Partnachmergeln oder mit linsenförmigen W ettersteinrifimassen oder mit beiden. I. Werfener Schichten. Die Uebereinstimmung der grossen Abtheilungen dieser 26 ‚Jahre auseinanderstehenden Gliederungen ist eine vollständige, wenn man berücksichtigt, dass meine Hallstatter Gruppe (mit Ausschluss der bei Hallstatt selbst entwickelten Hallstatter Schichten) in BirrxEr’s „Muschelkalk im weitesten Sinne“ einbezogen ist. DBetont mag werden, dass eine kalkig-dolomitische Gruppe unter dem Raibler Niveau und über dem Muschelkalk, ganz abgesehen von den Hall- statter Schichten, schon sehr frühzeitig aufgestellt war und wenn auch nicht für das Hallstatter Gebiet, so doch für den grössten der übrigen Ostalpen bestehen bleibt. Sonst wäre ja auch eine Er- weiterung des alpinen Muschelkalkes nicht nöthig. Wenn BITTNEr! einmal sagt, dass man gegenwärtig immer ent- schiedener auf die denkbar einfachste Gliederung der alpinen Trias zurückkommt, so möchte ich demgegenüber bemerken, dass man vielfach von derselben gar nicht abgegangen ıst. Ich kann das wenigstens von mir selbst sagen, natürlich so weit es die Gliederung im Grossen und Ganzen betrifit. Im einzelnen freilich bleiben noch Unsicherheiten genug. Seit 1366 habe ich Veranlassung in meinen Vorträgen über die alpine Trias zu sprechen. Ich habe da immer die Lagerungsverhältnisse in den Vordergrund gestellt und an einer Anzahl für den Unterricht in grossem Massstabe als Wandtafeln ausgeführten Profilen erläutert. Zu solchen schon länger als zu- verlässig bekannten älteren traten im Laufe der Zeit erschienene, neuere, mitunter in bescheidener Form und an leicht zu übersehender Stelle veröffentlichte, wie jenes von BIiTTxEr über die Gegend von Lunz?. Ich hebe das hervor, weil mir einmal die Aeusserung zu Ohren kam, Aufnahmeberichte könne man nicht berücksichtigen. Ich gebe gern zu, dass man heutigen Tages nicht mehr die ganze Litte- ratur verfolgen kann, aber wer in einem Aufnahmebericht etwas mittheilt, der wird doch verlangen dürfen, dass es da als Quelle angesehen wird, ebensogut als ob es in einem dicken, anspruchsvoll auftretenden Buch niedergelegt wäre. Der Satz Birrxer's: „Kom- bination niederösterreichischer und nordtiroler, sowie südtiroler und lombardischer Schichtenfolgen ist der Weg, auf welchem man die 17152299: ® Verhandi. geolog. Reichsamt, 1886, 76. ee re 225] BEMERKUNGEN ÜBER DIE LIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 5 noch bestehenden Unsicherheiten beseitigen wird* drückt nur die für mich und Andere feststehende Ueberzeugung aus, dass in einer faciell so differenzirten Formation wie die alpine Trias die strati- graphische Methode neben der paläontologischen gleiche Berechti- gung hat. In den Zeitraum zwischen der Veröffentlichung der ersten und der zweiten der oben angeführten Gliederungen fallen nun zahlreiche Ar- beiten von Mo,ssısovics über die alpine Trias. Man kann der grund- legenden Bedeutung der paläontologischen Untersuchungen dieses Autors über die Hallstatter Ammoniten volle Gerechtigkeit wider- fahren lassen, ohne sie gerade als alleinigen Ausgangspunkt für eine speziellere Gliederung der alpinen Trias überhaupt anzusehen. Die Hallstatter Trias über dem Muschelkalk fand natürlich als eine durch ihren Versteinerungsreichthum in gewissen Schichten ausgezeichnete Entwicklung stets besondere Berücksichtigung, aber sie stand doch der übrigen alpinen Trias vom Comer See bis nach Niederösterreich vielfach als etwas beinahe fremdartiges gegenüber. Musste doch für einen Theil derselben eine neue Provinz angenommen werden, deren Beziehungen nicht auf andere Theile der Alpen, sondern auf ent- legene Gebiete weisen sollten. Bekannt ist die Zurückhaltung, mit der sich ein so erfahrener und objektiver Forscher wie F. v. HAUER in seiner Geologie der österreichisch-ungarischen Monarchie gerade gegenüber den Hallstatter Verhältnissen und den aus denselben ge- zogenen Schlüssen aussprach. Als ein Beispiel, wie versucht wurde die dem Auftreten der Ammoniten entnommene Zonengliederung des Jura auf die Trias zu übertragen und wie dieser Versuch innerhalb gewisser Grenzen auch von ausserordentlichem Erfolge begleitet war, werden die Arbeiten von Mo,sısovics für alle Zeiten von grösster Bedeutung bleiben. Diese Methode überall anzuwenden hindert freilich die vielfach grosse Seltenheit der Ammoniten, denn es erscheint uns unnatürlich, mit- unter in einer Gliederung einen Zonenammoniten vorangestellt zu sehen, der innerhalb einer Schichtenreihe zu den seltensten Ver- steinerungen gehört und so manchem eifrigen Besucher der Alpen pur aus den Sammlungen oder aus Abbildungen bekannt ist. Wo aber Ammoniten nicht zu selten sind, da leisten sie uns für die (Gliederung und Vergleichung der Schichten immer noch die aller- vortrefflichsten Dienste und es zeugt wohl nur von mangelhafter Berücksichtigung unserer Fortschritte in der Stratigraphie der jüngeren paläozoischen und mesozoischen Formationen, wenn man 6 BENECKE: [226 in neuerer Zeit von gewisser Seite die Bedeutung der Ammoniten für die Parallelisirung der Schichten abzuschwächen sucht. In den Tabellen über die Trias, die in unseren Hand- und Lehr- büchern, herunter bis auf GÜMBEL und Kayser stehen, sehen wir ın der Regel nicht die paläontologische Zonenliederung in den Vorder- grund gestellt, man hat sich vielmehr an grössere, der Lagerung nach sicher bekannte Abtheilungen gehalten, innerhalb deren dann nach jedesmal auffälligen Merkmalen, so auch der Versteinerungsführung, weiter getheilt wurde. Ueberall ziehen sich als leitender Faden die Raibler, oder wie wir im Folgenden lieber sagen wollen, Oardita- schichten, von dem Muschelkalk sowohl wie von dem Rhät durch Kalk- oder Dolomitmassen getrennt, hindurch. Finden Verschiebungen un- sicherer oder falsch gestellter Vorkommen statt, so vollziehen sich dieselben in der Regel um diese Carditaschichten. Bilden doch auch die Schichten mit 7Trachyceras aonides gewissermassen den Pivot, um den MoJsısovics die ammonitenreichen Hallstatter Kalke schwenken liess. Nehmen wir aber aus diesen Tabellen den Inhalt der ehemals sogenannten juvavischen Provinz heraus, so ändert sich die Gesammt- eintheilung nicht. Sie bleibt heute dieselbe wie vor 30 Jahren. Klänge es nicht paradox, so möchte man sagen, dass der Verstei- nerungsreichthum des Hallstatter Gebietes geradezu ein Verhängniss für die richtige Erkenntniss der Gliederung der alpinen Trias wurde. Da aber aus ihm durch QuENstEenT die „Globosen* in Deutschland zuerst in weiteren Kreisen bekannt wurden, da die oft schön erhal- tenen (rehäuse auch in den kleinsten Sammlungen sich finden, so galten sie immer als der Typus alpiner Triasversteinerungen und auf sie konzentrirte sich das Interesse in erster Linie. Es entstanden die umfangreichen Monographieen der Versteinerungen ohne eine sichere Grundlage des Vorkommens derselben und noch heutigen Tages können wir sagen, dass es nur wenige (rebiete der Alpen giebt, in denen uns Profile und geologische Karten so im Stiche lassen, wie in der Gegend von Hallstatt. Auch jetzt, nach der Ver- schiebung, ist das ganze Vorkommen nicht minder erstaunlich wie früher, auch im ihrer höheren Stellung bleiben die plötzlich auf- tretenden „Linsen“ nicht minder fremdartig als früher. Dass die den Hallstatter Schichten jetzt angewiesene Stellung richtig ist, dürfen wir wohl nach den Beobachtungen, die man an den Korallenkalken des Salzburgischen und ähnlichen Bildungen schon länger gemacht hatte, annehmen, aber ein überzeugender geologischer Beweis fehlt uns noch. 227] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 7 Fassen wir das Gesagte zusammen, so sehen wir also eine ganz allgemein angenommene Gliederung innerhalb deren nur ein Vor- kommen in ein höheres Niveau gerückt wurde und zwar ein Vor- kommen von ganz eigenthümlicher und vielfach isolirt dastehender Entwicklung. Dieser Umstand soll nun die Gliederung der ganzen alpinen Trias in Verwirrung gebracht haben! Darüber ist eine um- fangreiche, beinahe zu Bänden angeschwollene Litteratur entstanden! Der Sache wegen war das nicht nothwendig, die Veranlassung gab ein allerdings sehr unglücklicher Umstand bei der Benennung der grösseren Stufen des Trias. Man redete schon länger in ganz natürlicher Weise von einem alpinen Muschelkalk, da derselbe Cera- titen und Brachiopoden wie der ausseralpine führte, man gewöhnte sich schnell an den von GÜMBEL vorgeschlagenen Ausdruck Rhätische Schichten für die Schichten der Avieula contorta. Es handelte sich nun noch um Namen für die dazwischen liegenden Schichten. In sprachlich sehr geschickter Weise schlug Mossısovics norisch und karnisch vor, Benennungen, die ebenso wie rhätisch leicht Eingang fanden. Es mögen die betreffenden Stellen aus den älteren Arbeiten von MosJsısovics nach seiner Anführung in seinem neuesten Werke über die Hallstatter Cephalopoden!, um alle Missverständnisse zu vermeiden, zunächst hier eine Stelle finden: „Mit Rücksicht auf die weite Verbreitung alpiner Bildungen, welche sich immer mehr und mehr als die normalen herausstellen, und in Anbetracht der Schwie- rigkeit, die ausseralpinen Bezeichnungen auf die obere alpine Trias anzuwenden, wird der Vorschlag gemacht, die Ausdrücke Letten- kohle und Keuper als Bezeichnungen der Facies auf die ausseralpine obere Trias Deutschlands zu beschränken und in der oberen Trias der Alpen ohne Rücksichtnahme auf die muthmassliche Grenze von Lettenkohle und Keuper, ausschliesslich nach den Bedürfnissen der alpinen Stratigraphie, neben der rhätischen eine karnische und norische Stufe zu unterscheiden.“ Ferner „ich erkenne daher in der unter der rhätischen Stufe befindlichen oberen alpinen Trias zwei Hauptgruppen oder Stufen und erlaube mir für die untere der- selben die Bezeichnung ‚norische Stufe‘, für die obere die Bezeich- nung ‚karnische Stufe‘ in Vorschlag zu bringen“. Von Wichtigkeit ist aber, dass MoJsısovics selber an der eben genannten Stelle hinzufügt: „es ist allerdings richtig, dass die scharfe ! Die Cephalopoden der Hallstatter Kalke II, 822 Note. Abhandl. der geolog. Reichsanstalt, Bd. VI. 2. 8 BENECKE: [228 paläontologische Trennungslinie, welche die Hallstatter Kalke in zwei scharf getrennte Abtheilungen zerlegt, den Ausgangspunkt der Be- trachtungen bildete, welche zur Aufstellung der karnischen und norischen Stufe führten. Diese Stufen waren aber von jeher als ganz allgemeine systematische Bezeichnungen gedacht und stets nur als solche von mir verwendet worden. Niemals bildet die Bezeich- nung ‚norisch‘ einen ausschliesslich für gewisse Hallstatter Kalke verwendeten Terminus.“ In dem im letzten Satze ausgesprochenen Sinne haben sehr viele Autoren den Ausdruck norisch angenommen. Sie folgten dabei den Ausführungen in MoJsısovics’ späteren Arbeiten, z. B. den Dolomit- riffen Südtirols. Ein Missverständniss über das was unter norisch als Stufenbezeichnung begriffen wurde, kann absolut nicht aufkommen, wenn auch selbstverständlich vieles in diese Stufe gestellt wurde, was nicht dahin gehört. Das war natürlich nicht zu vermeiden, so lange unsere Spezialuntersuchungen noch nicht weit genug voran- geschritten waren oder wenn Lagerung und petrographische Be- schafienheit keine genügenden Anhaltspunkte boten. Es giebt wohl keine Gliederung irgend einer Formation, bei der wir nicht ähnlichen Schwierigkeiten begegen. BITTXEr hingegen geht davon aus, dass, um noch einmal Worte von Mo,Jsısovics anzuführen: „Die scharfe paläontologische Tren- nungslinie, welche die Hallstatter Kalke in zwei scharf getrennte Abtheilungen zerlegt, den Ausgangspunkt der Betrachtungen bildete, welche zur Aufstellung der karnischen und norischen Stufe führten“. Lag der Ausgangspunkt in den Hallstatter Kalken und fallen diese nicht in die in anderen Gebieten der Alpen als norisch bezeichneten Schichten, so darf man nach Bırrser den Ausdruck norisch auf diese letzteren nicht anwenden, sondern es muss der Hallstatter Kalk zunächst allein als norisch bezeichnet werden und die norische Stufe rückt in das Niveau über den Carditaschichten oder deren Aequi- valenten. Beibehalten soll aber, nach Bırtser, der Name norisch jedenfalls werden und zwar für die Hallstatter Schichten in ihrer heutigen Stellung, also für das Niveau, welches MoyJsısovics früher als karnisch bezeichnete. Für die Bildungen unter den Oardita- schichten und über dem Muschelkalk wird dann von BiTTNER der Name ladinisch vorgeschlagen. Nun kommt aber noch ein weiterer Umstand hinzu. MoJsıso- vıcs fand, dass die Schichtenreihe zwischen den Carditaschichten und dem Rhät, wenn ihr auch die Hallstatter Schichten einverleibt 229] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN 'TRIAS ETC. 0) würden, einen zu grossen Umfang gewänne und darum schuf er noch eine juvavische Stufe. Seine Gliederung lautet nun folgendermassen ': Rhätische Stufe, ‚Juvavische Stufe, Karnische Stufe, Norische Stufe, Muschelkalk. Bei Brrrxer® hingegen, der die juvavische Stufe perhorrescirt, da sie gerade dasjenige umfasst, was bei Hallstatt norisch genannt wurde, haben wir die Stufen in folgender Stellung: Rhätische Stufe, Norische Stufe, Karnische Stufe, Ladinische Stufe, Virgloria-Stufe. Man hat sich nun gegenüber diesen Vorschlägen einer Gliede- rang der alpinen Trias recht verschieden verhalten. Zunächst wurde befürwortet, die Stufenbezeichnungen norisch und karnisch ganz fallen zu lassen, um dem Streit über dieselben mit einem Schlage ein Ende zu machen und gleich zu Unterabtheilungen über- zugehen. Dann wollten einige Autoren norisch in dem Sinne von Mo,»sısovics für die Schichten unter den Raibler, karnisch für die Schichten über den Raibler Schichten festhalten, BiTTNER hingegen, wie wir gesehen haben, will norische Schichten nur über den Raibler Schichten anerkennen. Schliesslich trat man sehr lebhaft dafür ein, den Muschelkalk auszudehnen und bis zu den Raibler Schichten heran gehen zu lassen. Ich hebe nur einige der Vorschläge heraus, in’s Einzelne einzugehen würde uns zu weit führen. Ich übergehe auch den neueren Vorschlag von MUNIER-CHALMAS und LAPPARENT, ein Tyrolien mit »orien unten, carnien oben (also im Sinne von ! Die Cephalopoden.der Hallstatter Kalke II, 810. ® Als unterer Theil der karnischen Stufe werden die viel umstrittenen cassianer Schichten, die Zone des Trachycerus Aon, aufgeführt. Sie bilden in- sofern eine Paralleie zu den Hallstatter Schichten, als es sich um eine sehr reiche, hauptsächlich in einem beschränkten Gebiet vorkommende, Fauna handelt. ’ „Zur definitiven Feststellung des Begriffes ‚norisch‘ in der alpinen Trias.“ Wien 1895, S. 5, Selbstverlag des Verfassers. Ich bemerke ausdrücklich, dass diese Gliederung eine Umstellung einer neuerdings von ZITTEL gegebenen ist, dass daher fraglich ist, ob BITTyEr den Namen Virgloria-Stufe auch von sich aus anwenden würde. Dies ist aber für uns hier nebensächlich. Berichte IX. Heft 3. 16 10 BENECKE: [230 Mo,sısovics) zu schaffen und darüber noch Juvavien als gleich- werthig mit Tyrolien zu unterscheiden. Der Ausdruck Tyrolien wird schwerlich Annahme finden, man sieht also von vorne herein besser von demselben ab. Wir haben gerade genug Namen. Auch lasse ich die juvavische Stufe zunächst bei Seite, da über ihre Stellung keine Zweifel bestehen, wenn auch noch zu entscheiden ist, ob man sie als Stufe ausscheiden will oder nicht. Ich möchte zunächst einige Worte über die vorgeschlagene Ausdehnung des alpinen Muschelkalkes nach oben, über den Muschel- kalk im weitesten Sinne Biırtxer's, hinzufügen. Die Frage, ob man den Üephalopoden und Bracbiopoden führenden alpinen Muschelkalk mit dem ganzen ausseralpinen Muschelkalk oder nur mit dem unteren Theil desselben, dem sogen. Wellenkalk, parallelisiren solle, ist discutirt worden, seit man die Uebereinstimmung oder Aehnlichkeit im alpinen Muschelkalk vorkommender Formen der genannten Thierklassen mit solchen des deutschen Muschelkalks kennen lernte. Für eine Parallelisirung des alpinen Muschelkalkes nur mit dem unteren deutschen Muschelkalk sprach der Umstand, dass man die alpinen Ceratiten nur in der ausseralpinen Schaumkalk führenden Abtheilung kannte. Zwar wurden alpine und ausseralpine Arten getrennt, zuerst in schärferer Weise durch BEYRICH, aber die Formen blieben einander z. Th. doch sehr nahe verwandt. Die Brachio- poden des alpinen Muschelkalks kommen in grösserer Häufigkeit und in derselben Association der Arten ausserhalb der Alpen nur im oberschlesischen Muschelkalk vor und zwar in Schichten, die zweifellos dem unteren Muschelkalk angehören. Nur wenige Arten gehen in den oberen ausseralpinen Muschelkalk hinauf und kommen da auch nur in gewissen Schichten desselben vor. Daher paral- lelisirtte die Mehrzahl der Autoren den alpinen Muschelkalk nur mit dem ausseralpinen Unteren Muschelkalk. Andere hingegen stützten sich darauf, dass, wie oben erwähnt, einige Arten von alpinen Brachiopoden doch eben in den oberen deutschen Muschelkalk hinauf gehen und dass die alpinen Ammo- niten mit den ausseralpinen Ammoniten der Art nach nicht über- einstimmen, dass ferner mehrere Zonen von Ammoniten im alpinen Muschelkalk unterschieden werden können, dass daher sehr wohl eine Vertretung auch des Oberen ausseralpinen Muschelkalkes im alpinen Muschelkalk gesucht werden könne. Das, wenigstens bis jetzt, absolute. Fehlen des Ceratites nodosus und Enerinus liliiformis in den Alpen ist eine bemerkenswerthe Er- 231 | BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 11 scheinung. Doch kann man aus demselben nur auf die Trennung der Meere schliessen. Für die Parallelisirung der Schichten sind die Formen zunächst, so lange sie nur in dem einen Gebiet gefunden sind, nicht verwendbar. Nun ist aber in neuerer Zeit grosses Gewicht gelegt worden auf eine Anzahl von Formen aus Schichten, die über dem bisher so genannten alpinen Muschelkalk liegen und die ausseralpinen Muschel- kalkformen sehr nahe stehen, oder mit denselben übereinstimmen und daraus geschlossen worden, dass man eine Vertretung des ausseralpinen oberen Muschelkalk in Schichten zu suchen habe, die zwischen dem bisherigen alpinen Muschelkalk und den COardita- Schichten liegen. Man hat diese Annahme auch indirekt zu stützen gesucht, indem man darauf hinwies, dass die Flora der Lunzer Schichten, welche jedenfalls über dem alpinen Muschelkalk (im bis- herigen Sinne) liegt, eine auffallende Uebereinstimmung mit der Flora des ausseralpinen Lettenkohlen-Sandsteins zeigt. Wären Lunzer Sandstein und Lettenkohlensandstein ungefähr äquivalent, dann wäre (rund, die unter den Lunzer Schichten liegenden alpinen Bildungen, also beiläufig norische Schichten in Mo.Jsısovic’s Sinne, dem ausser- alpinen oberen Muschelkalk gleich zu stellen. Nun will mir aber scheinen, dass man bei diesen Vergleichen mit der ausseralpinen Trias doch letztere etwas gar zu sehr m Bausch und Bogen behandelt. Man iegt auf das Auftreten der Brachio- poden Gewicht und dabei lesen wir bei ROTHPLETZ! und v. WÖHR- MANN, Spirigera trigonella sei im oberen deutschen Muschel- kalk nicht mehr vorhanden. Nun ist sie aber gar keine seltene Erscheinung z. B. im braunschweigischen und hessischen Trochiten- kalk. Ferner soll Ceratites nodosus nach v. WÖHRMANN bereits im fränkischen mittleren Muschelkalk erschienen sein. Als Beleg wird eine Stelle bei SANDBERGER? angeführt. Schlägt man dieselbe nach, so findet man, dass SANDBERGER den fränkischen Muschel- kalk in etwas anderer Weise als gewöhnlich geschieht, benennt und eintheilt, indem er unter Muschelkalk im Gegensatz zu Wellenkalk nur die Schichten zwischen letzterem und der Lettenkohle begreift und in diesem Muschelkalk einen Unteren, Mittleren und Oberen unterscheidet. Diesem Mittleren Muschelkalk werden die soge- Ein geologischer Querschnitt durch die Ostalpen, 32. ® Neues Jahrbuch 1894, II, 13. Sec. 26, 16* 12 BENECKE: [232 nannten Nodosuskalke zugetheilt (ausschlieslich der Kalke mit Cer- semipartibus). Im Nodosuskalk kommt Ceratites nodosus aller- dings vor! Welche Vorstellung müsste man sich überhaupt von einem Mittleren Muschelkalk im Sinne von Anhydritgruppe bilden, wenn aus demselben die reiche Liste von Versteinerungen angeführt werden könnte, die SANDBERGER für seinen Mittleren Muschelkalk zusammenstellt. Befremdlich wirken auch Sätze, wie der folgende bei Kırtu zu lesende: „Undularia scalata kommt im oberen deutschen Muschel- kalke (Schaumkalk etc.) noch immer ziemlich selten vor, dann aber in Steinkernen und Abdrücken.“ Schaumkalk im oberen deutschen Muschelkalk war bisher unbekannt. Ferner kommt Undularia scalata (Chemnitzia, Pseudomelania aut.) vom untersten Unteren Muschel- kalk (Muschelsandstein des Elsass) bis in den oberen Oberen Muschel- kalk vor, ist aber nirgends häufiger als im Schaumkalk des nörd- lichen Deutschland von Rüdersdorf bis nach Braunschweig und südlich bis Thüringen. Aber in dem Schaumkalk, der für den oberen Theil des deutschen Unteren Muschelkalkes bezeichnend ist. Allerdings hat KırrL dann eine Undularia transitoria von der Und. scalata unter Hinweis auf GIEBEL’s Abbildung einer „7urbonilla scalata“ aus dem Schaumkalk von Lieskau bei Halle unterschieden. Abgesehen davon, dass auch hier ein Vorkommen des Unteren Muschel- kalkes in den Oberen gestellt wird, stimmen mir vorliegende Schalen- Exemplare von Lieskau vollständig mit GIEBEL’s Abbildung und nicht mit Kırtr's Undularia transitoria. Die Lieskauer Form bei GIEBEL, Taf. VII f. 1, ist zweifellos der echte Strombites scalatus Schr. Betrachtet man Kırrv's Abbildung von Undularia transitoria, so könnte man beinahe vermuthen, es läge eine Verwechslung mit Ch. oblita GieBEv’s, Taf. VII £. 3, vor!. So wie die genannten Autoren darf man doch mit einer zum Vergleich herangezogenen Formation und ihren Versteinerungen nicht umspringen. Der ausseralpine Muschelkalk ist in den verschiedenen (re- bieten seines Auftretens, besonders auch in Beziehung auf die Ver- theilung der Faunen so verschieden entwickelt, dass man bei Ver- ' Die von mir früher einmal von REcoaro abgebildete Ohemnitzia scalata (Geogn. Pal. Beitr. II, T. III £. 5) erkennt KırtL nicht an. Das Exemplar hat, was auf der Abbildung nicht deutlich zum Ausdruck kommt, am letzten Um- gang noch Schale. Ich sehe auch heute keinen Grund, von meiner Bestimmung abzugehen. 233] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC, 13 gleichen mit den Alpen mehr in’s Einzelne eingehen muss, als vielfach geschieht. Die ausgezeichneten Arbeiten von Eck und anderen Autoren, deren Verdienste in neuerer Zeit allein von Sa- LOMON unter den Monographen alpiner Triasbildungen nach Gebühr gewürdigt sind, geben darüber vielfach Aufschlüsse. Greifen wir nur einige Beispiele heraus. Der oberschlesische Muschelkalk hat am meisten alpinen Charakter und von ihm pflegt man bei Parallelisirungen mit den Alpen auszugehen, in älterer Zeit allerdings wesentlich auf das doch etwas abweichende Vorkommen von RECOARO sich stützend. In der That ist ja auch das Auftreten der Brachiopoden im oberschlesischen Muschelkalk ein sehr bezeich- nendes. Diese Brachiopoden (von der überall vorkommenden Tere- bratula vulgaris können wir absehen) fehlen bei Rüdersdorf, einige derselben kommen aber in gewissen Schichten des Unteren Muschel- kalkes gegen Westen und Südwesten bis an die schweizerische und französische Grenze vor. Doch handelt es sich da besonders um Spiriferina fragilis und hirsuta, die anderen Formen fehlen oder sind Seltenheiten, wie Spirigera trigonella. Man war daher immer versucht einen nahen Zusammenhang zwischen Oberschlesien und den Alpen anzunehmen. Um so auffallender ist daher das in neuerer Zeit entdeckte Auftreten der Spirigera trigonella und der Terebra- Zula angusta bei Iberg im Canton Schwyz, von wo auch zweifelnd Spiriferina Mentzeli und Rhynchonella decurtata angegeben werden. Eine ganz eigenthümliche Bildung ist der Himmelwitzer Dolomit mit seinen Diploporen. Niemals ist im ganzen deutschen Muschel- kalk sonst irgend eine Spur einer Diplopora gesehen worden. Bei Iberg wiederum sind Diploporen gefunden, doch ist ihr Lager un- bekannt, man hält sie für norisch. Die oberschlesischen liegen aber unbedingt im Unteren Muschelkalk, denn sie werden von Schichten mit Myophoria orbicularis bedeckt. Letztere Form ist nur im un- teren Muschelkalk bekannt, ebenso wie @errillia subglobosa und Gervillia mytiloides'!. Die beiden ersteren Arten fehlen den Alpen, Gervillia mytiloides kommt nur bei RECOARO vor, welches in seinem ! Zwar führt Eb. Fraas in den Begleitworten zur geolog. Karte von Württemberg, Blatt Stuttgart, Revision 1895 Gervillia mytiloides (als polyodonta) und @. subglobosa aus dem Trigonodus-Dolomit vom Hühnerfeld bei Schwieber- dingen auf, doch konnte ich bei einer Besichtigung der betreffenden Stücke, die mir die Liebenswürdigkeit des Herrn Professor Fraas möglich machte, mich überzeugen, dass es sich bei den Schwieberdinger Formen nicht um die bekannten Arten des Unteren Muschelkalkes handelt. 14 BENECKE: [234 Muschelkalk überhaupt so viele Anklänge an den ausseralpinen Unteren Muschelkalk zeigt. Im Ganzen dürfen wir nach seiner Fauna den gewöhnlich so genannten alpinen Muschelkalk mit Recht so bezeichnen, im Einzelnen zeigen sich aber viele Abweichungen, insbesondere zeigen die ein- zelnen Formen recht verschiedene Verbreitung in den beiden Ge- bieten. Das Fehlen des für den unteren Theil des ausseralpinen Muschelkalk bezeichnenden Ammonites Buchi und des Amm. Strom- becki n den Alpen ist besonders auffallend. Dafür führen die un- teren Schichten des Muschelkalkes bei RECOARO und in den lombar- dischen Alpen so viele typische Muschelkalk-Formen, dass es unnatürlich wäre, diese Schichten nicht Muschelkalk zu nennen. Die Zonen des Ceratites binodosus und des Ceratites trinodosus zeigen wohl im Gesammtcharakter der Oephalopoden Beziehungen mit der Schaumkalk führenden Abtheilung des deutschen Unteren Muschel- kalk, aber ob diese Cephalopodenzonen der Alpen nicht noch zeit- liche Aequivalente des Mittleren deutschen Muschelkalkes umfassen, oder noch jüngere Schichten — wer vermag das heute zu sagen? Recht eigenthümlich ist die Verbreitung der Abtheilungen des Oberen ausseralpinen Muschelkalkes, also der Stufe, für welche wir in den Alpen eine Vertretung noch suchen. Der Trochitenkalk fehlt in Oberschlesien, bei Rüdersdorf sind nur einzelne Stielglieder vom Typus des Ener, liiformis in tieferen Schichten des Oberen Muschel- kalkes vorhanden. Die Hauptentwicklung liegt im mittleren und west- lichen Deutschland. Kronen sind eine gewöhnliche Erscheinung im Gebiete nördlich vom Harz, wir kennen sie von Schwerfen bei Com- mern bis Basel. Wie die Verbreitung des Trochitenkalks sich weiter südlich, jenseits des letzten Auftauchens bei Balmberg unfern Solo-- thurn verhält, ist nicht bekannt. Er scheint bei Toulon noch vor- handen zu sein, wenn auch nur Stielglieder angeführt werden. Da aber Unterer Muschelkalk dort nicht nachgewiesen ist, höhere Schich- ten des Oberen aber eine ausgezeichnete Entwicklung zeigen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Ener. liliiformis handelt, gross. Im Trochitenkalk, z. Th. an der oberen Grenze desselben, tritt nun nochmals Spirigera trigonella und Spiriferina fragilis auf, letztere zusammen mit Enerinus liliiformis und Ceratites nodosus. Dabei ist beachtenswerth, dass in Oberschlesien und bei Rüdersdorf diese Brachiopoden im Oberen Muschelkalk fehlen, im Braunschweigi- schen und Hessischen Spirögera trigonella bei Würzburg Spiriferina fragilis häufig ist. 235] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 15 Ceratites nodosus ist selten im Rybnaer Kalk Oberschlesiens, er wird häufig bei Rüdersdorf und hält an, soweit wir Muschelkalk überhaupt kennen, von der Elbmündung an bis nach Lunöville, überall, vom Ardennenufer abgesehen, ein gewöhnliches Vorkommen. Aber noch viel weiter südlich, an den Gestaden des Mittelmeers bei Toulon, kommt Ceratites nodosus nicht selten vor. Ich sammelte ihn selbst bei Le Beausset und sah ihn in der Sammlung in Mar- seille. Ganz frappant ist dort überhaupt die Entwicklung des ober- sten Muschelkalkes, durchaus nach Lothringischem Typus, so dass man sich in die Gegend von Falkenberg oder Luneville versetzt glaubt. In Masse kommt Terebratula vulgaris vor, bankbildend, genau wie bei uns, wo wir uns der Terebratelbänke als ausgezeichneten Hori- zontes an der oberen Grenze des oberen Muschelkalk bei den Kartenaufnahmen bedienen. Es sind durchweg grosse Exemplare mit Wulst, wie sie von MATHERON als Terebratula communis, Po- tieri, Falsani etc. etc. abgebildet wurden. Daneben sind häufig in grossen Exemplaren Peeten laevigatus, Gervillia socialis, G. sub- striata, Myophoria vulgaris, M. simpler, kurz eine Vereinigung von Formen, wie sie nur im obersten Muschelkalk vorkommt. Beachtenswerth ist auch, dass Kırıan und BERTRAND Gerrillia socialis und Myophoria Goldfussi aus Andalusien, FraAs „bekannte schwäbische Schichten wie Hauptmuschelkalk mit Üeratites, Letten- kohle und Keuper“ von Malaga anführen. Die Annahme einer direkten Verbindung zwischen Lothringen und der Provence ist kaum zu umgehen, dann wäre aber die geo- graphische Verbreitung dieses lothringisch-provencalischen Muschel- kalkmeeres gegen das Hauptverbreitungsgebiet der alpinen Schichten, in denen man Aequivalente des oberen deutschen Muschelkalkes sucht, eine ganz eigenthümliche. Am nächsten träten sich Schwaben und die bayerischen Alpen mit ihren Muschelkalkentwicklungen, im übri- gen entfernt sich aber das Meer des ausseralpinen Oberen Muschel- kalkes beträchtlich von dem alpinen. Das ändert sich nicht, wenn wir uns auch den Muschelkalk noch über Schwarzwald und Vogesen ver- breitet denken. Nun sind ja aber eine ganze Anzahl Muschelkalkarten aus den Schichten über dem bisher sogenaunten alpinen Muschelkalk angeführt worden!. Sroppaxı verglich schon frühzeitig, freilich nicht ohne ! Umgekehrt hat Beyrıc# schon vor sehr langer Zeit eine Cassianella tenuistria, also eine Cassianer Form, aus dem oberschlesischen Muschelkalk an- geführt. 16 BENECKE: [236 Widerspruch zu erfahren, einen Pecien aus dem Esinokalk mit C. Schmiederi GIEB., ich wies selbst auf die grosse Aehnlichkeit der Wyophoria carinata STOPP. aus denselben Kalken mit Myophoria laevigata hin. Neuerdings hat SALOMON! eine ganze Anzahl Arten aus den Kalken der Marmolata mit deutschen Muschelkalknamen angeführt und es unterliegt gar keinem Zweifel, dass diese Zahl noch grösser werden wird, Warum sollten nun aber nicht Arten aus tieferen Schichten in höhere hindurch gehen, wenn die Bedin- gungen dafür günstig sind? Spiriferina fragilis ıst eine der Arten. Wir haben aber paläozoische Brachiopoden von noch viel grösserer Verbreitung. Mehr in’s Gewicht fallen würden Arten, die dem Oberen deutschen Muschelkalk oder der Lettenkohle eigenthümlich sind, wie Myophoria Goldfussi, MM. pesanseris, Gervillia substriata und @. subcostata, oder gar Encrinus liliiformis und Ceratites nodosus. Von indifterenten Peeten, Lima, Cucullaea, will ich nicht reden?. Hier haben wir ja doch auch noch mit der ver- schiedenen Auffassung der Arten durch die Autoren zu rechnen. Ich will nur ein Beispiel anführen, wie misslich es mit den Art- unterscheidungen steht. SALOMoN will in neuerer Zeit Myophoria cardissoides nicht von M. laerigata trennen. Ob nun die geringe Grösse, der beinahe senkrechte Abfall des Analfeldes und die ge- drungene dreieckige Gestalt der M. cardissoides spezifische Merk- male sind, darüber werden die Ansichten immer auseinander gehen so lange wir nıcht einig darüber sind, was eme Art ist und ob es überhaupt Arten im gewöhnlichen Sinne giebt. Darüber aber besteht unter denen, die den deutschen Muschelkalk kennen, kein Zweifel, dass man M. cardissoides im schwäbischen Wellendolomit und in den merglig-sandigen Schichten des elsässisch-lothringischen Muschel- kalk mit den Händen zusammenraffen kann, dass man aber im oberen Muschelkalk nur ganz selten einmal eme Myophoria findet, bei der man an M. cardissoides denkt. Einer der feinsten Beobachter, ! Palaeontographica XLII, 50. 2 Mytilus vetustus GLoF. hat nach Exemplaren aus dem Grenzdolomit von Rappoltsweiler eine, mit dem Schlossrand parallel laufenden Streifen versehene, Ligamentfläche. Man wird die Form mit SAnDBERGER zu Myalina stellen dürfen. Uebrigens variiren die Mytilus im deutschen Muschelkalk ausserordent- lich. Die sehr spitze, schlanke Form des lothringischen obersten Muschelkalkes hat einen ganz anderen Umrisss, als die normale durch den ganzen Muschel- kalk gehende Form. Auf Identifikationen wie von Mytilus vetustus GLDF. mit M. vomer Stopp. aus dem Esinokalk ist daher nicht viel Gewicht zu legen. SALOMON 1. c. 158. 237] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 17 (JUENSTEDT, bildet unter den wenigen bezeichnenden Formen des Wellendolomit in seinen, mit Abbildungen überhaupt nur spärlich ausgestatteten „Epochen der Natur“ MW. cardissoides in erster Linie ab. Solche Formen, wenn sie ein bestimmtes Lager und eine be- stimmte Verbreitung haben, zeichnet man zweckmässig aus. Für alpine Faunen sind im Gange befindliche Arbeiten, wie die Mono- graphie der Zweischaler von Bittner abzuwarten, ehe man über gleiche und verschiedene Arten urtheilt, denn es hat nach den ‘erschienenen vorläufigen Mittheilungen den Anschein, als sollte sich da manche ältere, bei Vergleichen nach „statistischer Methode“ zu (Grunde gelegte Bestimmung, ändern. Einer gewissen Werthschätzung der einzelnen Thierklassen nach ihren Lebensgewohnheiten, nach ihrer Anpassungsfähigkeit und nach ihrer Widerstandsfähigkeit gegen äussere Einflüsse werden wir nie entrathen können. Ich meine ein Operiren mit Zahlen von Arten, ohne Rücksicht auf die Qualität der Arten, gilt auch in der For- mation, in der man die Methode in grossem Massstabe zuerst anwendete, heute doch nur in ganz besonderen Fällen noch für anwendbar. Ueberall kommt man gerade vom rigurösen Zählen von Namen ab und wiegt die Arten. Mit dem Goniatites inexspeclatus beginnt FRECH sein Unterdevon der Alpen, obgleich noch über diesem Goniatiten eine „Superstitenfauna* folgt, die vorwiegend silurischen Charakter hat. Lange, ehe man auf einzelne Muschelkalkarten des Esino- oder Marmolatakalks Gewicht legte, hat man aber auch von anderen Gesichtspunkten ausgehend, nach Aequivalenten des deutschen Oberen Muschelkalkes in den Alpen gesucht. Es handelt sich da um das Pflanzenlager von Lunz und die Fauna des ausseralpinen Grenz- dolomits. Da ich mich über diese Verhältnisse unlängst ausgesprochen habe, dieselben auch von anderer Seite wiederholt berührt sind, kann ich mich kurz fassen. Es ist kein Grund abzusehen, warum man nicht nach Pflanzen ebenso gut Schichten parallelisiren dürfe, wie nach thierischen Resten, nur muss man entweder nur die Pflanzen oder nur die Thiere be- nutzen. Die Entwicklung der Pflanzen auf dem Lande ist ihren eigenen Weg, unabhängig von der der Thiere, gegangen und es werden unter Umständen die Pflanzen ihren Charakter nicht geändert haben, während die Fauna des Meeres einem Wechsel unterlag und umgekehrt. Die Pflanzenlager sind aber Sedimente und so treten sie mit Schichten mit thierischen Resten in Wechsellagerung. Eines 18 BENECKE: [238 solchen Pflanzenlagers werden wir uns zur Zeitbestimmung bedienen dürfen, indem wir seinen Inhalt mit dem eines darunter und darüber liegenden vergleichen. Wir werden auch annehmen dürfen, dass Pflanzenlager in verschiedenen Gegenden, wenn sie den gleichen Charakter tragen, ungefähr in gleicher Zeit gebildet sind. Die Glie- derung der einen Entwicklungsform des Obercarbon und des Roth- liegenden beruht ja auf den Pflanzen und was für schöne Resultate sich gewinnen lassen, beweisen, um nur ein Beispiel der letzten Jahre anzuführen, die Arbeiten von ZEILLER, KıpstToN und ÜREMER über das englische, nordfranzösische und westphälische Obercarbon. Par- allelen auf Grund der Pflanzen decken sich mit solchen auf Grund der Thiere immer nur innerhalb weiter Grenzen. Fälle wie in dem berühmten Profil an der Kronalp, wo wir eine hochcarbone Fauna in mehrfachem Wechsel mit Pflanzen vom Charakter derer der Ott- weiler Schichten (die Richtigkeit der Bestimmungen vorausgesetzt) haben, werden wohl die selteneren sein. Ehe wir zur Besprechung derjenigen Pflanzenlager in den Schichten innerhalb und ausserhalb der Alpen, die uns hier in erster Linie interessiren, übergehen, wollen wir noch das Verhältniss des oben erwähnten Grenzdolomits erörtern. Unter Grenzdolomit versteht man eine Anzahl meist wenig mächtiger Bänke von verschiedenem, meist dolomitischem Charakter an der Grenze des Unteren und Mitt- leren Keuper oder der Lettenkohlengruppe und des Grypskeuper, nach einer anderen viel gebrauchten Bezeichnungsweise. Dieser Grenzdolomit enthält noch eine ganz typische Muschelkalkfauna, nicht sehr reich, aber in grosser Zahl der oft sehr stattliche Grössen erreichenden Individuen. Gerrillia socialis und einige Myophorien kommen hier in Di- mensionen vor, wie kaum in älteren Schichten. Der Charakter der Fauna ist ganz der des Oberen Muschelkalkes und der tieferen Schichten der Lettenkohle. Myophoria Goldfussi, vulgaris und intermedia, Gervillia socialis herrschen, dazu kommen Nautilus nodosus SCHL. und Ceratites nodosus BruG. So wenigstens möchte ich den 7rema- todiscus jugatonodosus und Ceratites Schmidi ZIMMERMANN’S nennen. (UENSTEDT hat wohl zuerst darauf hingewiesen, dass man nach der Fauna diesen Grenzdolomit und natürlich die ganze Letten- kohlenstufe zum Muschelkalk ziehen müsse. Im Flötzgebirge Würt- tembergs 1843, S. 72, heisst es: „Ist es, als wollte die Natur hier ihre letzten Glieder des Muschelkalkes, deren gemeinsame Merkmale auf eine kurze Zeit durch den Sandstein unterbrochen und an die 239] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC, 19 folgende Keuperreihe geknüpft scheinen, nochmals durch das Gewicht aller ihrer Kennzeichen unzertrennbar an sich schliessen.“ Auf diese Anschauung QUENSTEDT’s ist man später häufig zurückgekommen. In den Alpen haben wir eine ganze Anzahl von Pflanzenlagern in den Schichten über der Zone des Ceratites trinodosus, so ın den Wengener Schichten, in den Raibler Fischschiefern, vor Allem aber in den Lunzer Schichten. Letztere beherbergen in ihren feinen Schieferthonen eine Flora von z. Th. wunderbarer Erhaltung. Die Uebereinstimmung derselben mit der Flora des ausseralpinen Letten- kohlensandstein ist in die Augen fallend und von Stur eingehender erörtert worden. Der Charakter unserer Lettenkohlenflora ist ab- weichend von dem der Flora des Buutsandsteins. Aus dem Muschel- kalk kennen wir nur wenige Pflanzen, hier und da einmal eime ein- geschwemmte Voltzia. Berücksichtigen wir noch die Flora des Muschelkalk von RECOARO, so erscheint es als nicht unwahrschein- lich, dass mit der Lettenkohle eine Aenderung eintrat und dass wir mit Gruna bei uns in Deutschland von einer besonderen Keuper- tlora sprechen. Stimmen nun die Lunzer Pflanzen mit denen der Lettenkohle, so müssen sie, argumentirt man, auch in den unteren Keuper ge- stellt werden und tiefer liegende Schichten der Alpen, wie Esino- und Marmolatakalk, fallen in den Muschelkalk. Nun haben wir aber in dem sogenannten Schilfsandsteim, also beträchtlich über der Letten- kohle, noch eine Flora, allerdings ärmer an Arten als die Letten- kohlenflora, doch im Charakter mit derselben übereinstimmend und durch Zahl der Individuen und Grösse derselben sich auszeichnend. Da das Lager dieser Schilfsandsteinpflanzungen meist im Sandstein liegt und nur gelegentlich in Schieferthonen, so kann die geringere Artenzahl gegenüber Vorkommen wie Lunz oder Neue Welt bei Basel, wenigstens z. Th. auf die ungünstigen Bedingungen der Er- haltung zurückzuführen sein. Die Flora von Lunz ist zwar in allen Sammlungen verbreitet, doch fehlt uns noch eine Bearbeitung der- selben. Wie viele von den 17 Pterophyllum-Arten der Liste Stur’s, unter denen 13 neu sind, strengerer Kritik Stand halten werden; ist abzuwarten. Auch bei uns bestehen in Beziehung auf das Vor- kommen einzelner Arten noch manche Unsicherheiten, auch leiden wir unter der Leichtiertigkeit mit der paläophytologisirende Geologen nach einzelnen Fetzen Arten unterscheiden. SCHENK citirt die be- kannte und für den Keuper ungemein charakteristische Danaeopsis maranlacea aus Lettenkohle und Schilfsandstein. Ich kenne sie nur 20 BENECKE: [240 aus ersterer, wandte mich daher um Auskunft an Herrn Professor V. SANDBERGER, der mir schrieb: „Was nun Danaeopsis marantacea betrifft, so ist hier in Franken in 30 Jahren kein Exemplar im Schilfsandstein gefunden worden, ihr höchstes Niveau liegt in den Schieferthonen unter dem Grenzdolomit.“ Dagegen versichert Herr Professor E. FraAs, Danaeopsis marantacea liege im Stuttgarter Museum aus dem Schilfsandstein. Wenn nun auch die vertikale Verbreitung einzelner Arten noch festzustellen ist, so kann doch darüber kein Zweifel sein, dass der Charakter beider Floren der gleiche ist. Ein Vergleich des Lunzer Sandsteins mit dem Schilfsandstein ist ebenso statthaft, wie mit dem Lettenkohlensandstein. ‚Jedenfalls wäre Lunz mit seiner typischen Keuperflora nur mit ausseralpinen Keuperschichten zu vergleichen. Das ist ja auch geschehen. Die Schichten, bis zu denen man in den Alpen den Muschelkalk erweitern wollte, liegen unter dem Lunzer Sandstein. Dieser, und was in den Alpen über demselben folgt, fiele bei einem Vergleich mit ausseralpinen Schichten dem Keuper zu, in letzterem nach herkömmlicher Weise die Lettenkohle inbegriffen. Nun betrachten wir einmal die Faunen. Der Grenzdolomit ent- hält eine zweifellose Muschelkalkfauna, wollen wir in den Alpen den Muschelkalk erweitern, so muss das jedenfalls bis zu Aequivalenten des Grenzdolomit geschehen und diese können nur über den Lunzer Schichten gesucht werden, also über Schichten, die eine typische Keuperflora enthalten und die man ganz allgemein in den Keuper stellt. Weiter! In der sogenannten Bleiglanzbank, also unter dem Schilfsandstein, liegt die viel genannte Myophoria, die man mit M. kefersteini der Raibler Schichten vergleicht, von der sie sich auch nicht unterscheidet!. Im Schilfsandstein haben wir aber, wie gesagt, noch eine Flora, die mit der Lunzer verglichen werden kann, also mit einer Flora, welche in Schichten liegt, deren ausseralpine Aequi- valente unter dem Grenzdolomit, also unter einer Schichtenreihe mit zweifelloser Muschelkalkfauna gesucht werden. Aus dem Gesagten geht unter allen Umständen hervor, dass wir nicht promiscue, bald nach den Floren, bald nach den Faunen vergleichen können, nur nach der einen oder der anderen. ' Auffallender Weise ist eine marine Muschel noch jüngerer Keuper- schichten die Perna triasina BLanck., die in Elsass-Lothringen nicht selten ist, bei den Vergleichen alpinen und ausseralpinen Keupers wenig berücksichtigt worden. Sie steht manchen Varietäten der @ervillia exilis sehr nahe. Ihr Lager würde einer Identifizirung beider Arten nicht widersprechen. 241] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 9] Da unsere Formationseimtheilung auf den marinen Faunen basirt, so werden wir uns auch in unserem Falle nach den Faunen richten und die Grenzdolomitfauna als die jüngste Muschelkalkfauna ausser- halb der Alpen ansehen müssen. Für sie müssten wir ein Aequi- valent in den Alpen finden, wenn wir alpine und ausseralpine Schichten vergleichen und gleich abschliessen wollten. Dieses Aequıi- valent fehlt uns aber vollständig und so ist die obere Grenze eines erweiterten Muschelkalks in den Alpen durchaus unsicher und will- kürlich. Ich betone noch, dass ich nicht für richtig halte, wenn gelegent- lich gesagt wird, die Floren könnten nicht zur Feststellung geo- logischer Zeitabschnitte benutzt werden. Sie sind dazu an und für sich gerade so geeignet, wie die Faunen, nur gewinnt man nach ihnen andere Resultate. Von einem geringeren Werth kann nur insofern die Rede sein, als wohl erhaltene Pflanzenreste seltener sind als solche von Thieren. Ich kann es nun durchaus als keinen Nachtheil ansehen, dass wir von Tag zu Tag grösseren Schwierigkeiten begegnen, unsere alten Formationsgrenzen überall wieder zu erkennen. Im Gegen- theil sehe ich darin gerade das interessanteste Resultat aller unserer neueren Untersuchungen. Dass unsere Versuche, die allerneuesten inbegriffen, eine für die ganze Erde gültige Formationseintheilung fest- zustellen, so sehr unbefriedigend ausfallen, ist nur ein Beweis für den Fortschritt unserer Erkenntniss der natürlichen Entwicklung. Wir können, da wir uns ausdrücken müssen und eine Uebersicht brauchen, die Formationsbezeichnungen nicht entbehren, dürfen sie aber nie als etwas anderes denn als Nothbehelfe ansehen. Doch kehren wir zu unserem Gegenstand, zur Frage nach der Erweiterung des alpinen Muschelkalk nach oben, zurück. Wir sahen, dass uns Schichten mit einer Muschelkalkfauna wie die des Grenz- dolomit in den Alpen fehlen, dass wir also keinen Abschluss nach oben haben. Darum können wir auch den Namen Muschelkalk nicht auf Schichten, die auf den alpinen Muschelkalk im bisherigen Sinne folgen, ausdehnen. Versuchen wir es doch, so erhalten wir ganz unsichere Parallelen. Die punktirten Linien, noch mit dazwischen gestellten Fragezeichen, in Sıromon’s Tabelle! sind ein Beweis dafür. So lange wir unter Muschelkalk etwas ganz bestimmt Cha- rakterisirtes begreifen können, wie die Schichten vom Buntsandstein lge608 99 BENECKE: [242 an bis an die Lettenkohle in Deutschland, sollten wir diesen Namen auch nur auf eine solche Bildung der Alpen übertragen, die ein Jeder ohne Widerspruch auch als Muschelkalk zu bezeichnen geneigt ist. Eine solche Bildung ist der alpine Muschelkalk im bisherigen Sinne. Ueber demselben folgen sehr verschiedenartige Entwicklungen, die, wenn sie auch noch eine Anzahl Muschelkalkarten enthalten, doch in ihrer Gresammtheit so wenig dem herkömmlichen Muschel- kalk gleichen, dass man erst in neuester Zeit auf den Gedanken kam, sie Muschelkalk zu nennen und die Berechtigung einer solchen Benennung erst mühsam beweisen muss. Im Oberen deutschen Muschelkalk haben wir eine Fauna, die sich unmittelbar an die des unteren Muschelkalk anschliesst und ausserdem sehr charakteristische Elemente enthält, die den Alpen fehlen und auf eine von diesen unabhängige Entwicklung deuten. Dabei ist diese Entwicklung eine gleiche über das ganze ausseralpine Muschelkalkgebiet. Ganz anders in den Alpen, wo das fremdartige, wenn der Ausdruck gestattet ist, ganz überwiegt, wo von einer solchen Gleichartigkeit gar keine Rede sein kann. Die Frage nach der Geichzeitigkeit der Ablagerung, beispielsweise des Esinokalk oder des Marmolatakalkes mit dem deutschen oberen Muschelkalk, ıst für mich in den 30 Jahren, seit ich diese Bildungen zuerst kennen lernte, eine offene gewesen und ist es heute noch. Wenn wir alte, wenn auch schlechte Namen — und der Muschel- kalk ist ein solcher — besitzen, mit denen wir einen ganz bestimmten Begriff verbinden, so müssen wir diese im alten Sinne conserviren und nicht auf Fremdartiges übertragen. Für dieses müssen andere Namen gegeben werden, bei deren Anwendung wir an eine andere Entwicklung denken. Die Namen häufen sich dann freilich, das entspricht aber eben nur dem erweiterten Horizont unserer Kennt- nisse. Innerhalb keiner Formation ist das anders und unserer heutigen Floren und Faunen können wir auch nicht mit einem Namen be- zeichnen, wir müssen auch Provinzen unterscheiden. Können wir also den Muschelkalk der Alpen nach oben nicht erweitern, so fragt sich, wie sollen wir denn weiter die alpinen Schichten zwischen dem bisherigen Muschelkalk und dem Rhät be- nennen ? Insbesondere sollen wir den Ausdruck norisch benutzen und wenn wir es thun, soll die norische Stufe unter oder über die Cardita-Schichten zu stehen kommen ? Da will ich denn zunächst hervorheben, dass es sich für mich bei solchen Benennungen nur um eine Form, nicht um etwas sach- Br 243] BEMERKUNGEN ÜBER DIE GLIEDERUNG DER OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. 93 lich Wesentliches handelt. Eine formale Frage der Schichtenbe- nennung kann aber nicht wie die Benennung einer Verstemerung lediglich nach der Priorität entschieden werden, hier ist für mich, trotz der Gefahr der schlimmsten Defekte in meiner Verstandes- und Charakterentwickelung geziehen zu werden, die Zweckmässigkeit, um das viel geschmähte Wort zu gebrauchen, die Opportunität, mass- gebend. In Brrrser’s neuester Publikation findet sich folgender Satz: „Es kann gewiss gar keinem Zweifel unterliegen, dass E. v. Mossısovics mit seiner neuen Nomenclatur vom Jahr 1892 durchgedrungen wäre, (wie das der ganze bisherige Verlauf der Angelegenheit, die Referate E. W. BEnEckE's, die Antheilnahme Haug’s und FrecH’s, die neuesten Versuche seme Termini doch wieder zu verwenden, beweisen), wenn nicht von meiner Seite Ein- sprache dagegen erhoben wäre.“ Nun denken wir uns einmal den Fall, Bıirrxer hätte keime Einsprache erhoben! Dann wäre — und Birrxer ist dafür wohl ein kompetenter Beurtheiler — Mo,sısovics wahrscheinlich durch- gedrungen, wir hätten eine allgemein anerkannte Eimtheilung in Hauptstufen, wo dann nur die Stellung einzelner Unternamen genauer zu präcisiren gewesen wäre. Das wäre nach meinem Dafürhalten ein Vortheil gewesen, gegen den der Uebelstand, bei der Benennung nicht ganz streng nach der Priorität zu verfahren, gar nicht ın Betracht gekommen wäre. Bei der Benennung der Unterabtheilungen der gesammten alpmen Trias möchte ich auf das alte — übrigens von GÜMBEL bis in die neueste Zeit festgehaltene — Verfahren zurückgehen und eine Untere und eine Obere alpine Trias unterscheiden. Ersterer würden Werfener Schichten und Muschelkalk! im bisherigen Sinne zufallen. In der Oberen alpinen Trias wäre jedenfalls das Rhät zunächst abzutrennen. Wem die zwischen Muschelkalk und Rhät verblei- bende Schichtenreihe für eine Stufe zu umfangreich und besonders zu mannigfaltig erscheint, der kann norisch unten und karnisch oben trennen. Dabei würden die Oarditaschichten (Raibler Schichten) jedenfalls in die karnische Stufe kommen. Die Stellung der cassianer ! Auch der Name Virglorien für Muschelkalk ist nicht empfehlenswerth. Einmal reichen wir mit Muschelkalk aus, dann wird, wer einmal sich die Bänke mit Brachiopoden und Crinoidengliedern, aber ohne Cephalopoden, auf der Höhe zwischen Brander und Gamperthonthal über dem Virgloriatobel angesehen hat, nicht gerade hier den Typus alpinen Muschelkalkes finden wollen. 24 BENECKE: BEMERK. ÜB. D. GLIEDERUNG D. OBEREN ALPINEN TRIAS ETC. [244 Schichten würde sich ergeben, wenn man über nord- und südalpine sogenannte cassianer Schichten vollkommen im Klaren sein wird. Die Vollendung der im Gange befindlichen Monographien über die Faunen derselben wird abzuwarten sein, ehe man sich über ihr Verhältniss zu den Carditaschichten schlüssig macht. Besonders scharf wird die Grenze zwischen norisch und karnisch wohl für manche Ent- wickelungen überhaupt nicht werden. Will man mit Mossısovics noch eine juvavische Stufe aufstellen, so wird man für den Nachweis der weiteren horizontalen Verbrei- tung derselben zu sorgen haben. Wer es aber vorzieht norisch und karnisch nicht zu verwenden, der mag gleich zur Benennung einzelner Unterabtheilungen übergehen und sich da an eingebürgerte, Lokalitäten oder Versteinerungen ent- nommene, Namen halten. Die Carditaschichten werden aber immer unter denselben eine besondere Rolle spielen. Norisch für Bildungen über den Carditaschiehten möchte ich unbedingt vermieden sehen. Wie ich eingangs sagte, ist die Verwirrung in der alpinen Trias durchaus nicht so gross, als es auf den ersten Blick schemen könnte. Wir müssen uns nur den Ueberblick über die ganze Ent- wickelung bewahren. Alpine und ausseralpine Triasbildungen können wir ungefähr mit emander parallelisiren, im Einzelnen ist noch viel Arbeit nöthig, eine vollkommene Korrespondenz der einzelnen Abtheilungen werden wir nie festhalten können aus dem einfachen Grunde, weil sie nicht besteht. 245] 1 Geologische Beobachtungen in den Alpen. Von G. Steinmann. TE: Das Alter der Bündner Schiefer. (Theilweise vorgetragen in der Sitzung vom 31. Juli 1895.) Wir fassen im Nachfolgenden den Begriff der Bündner Schiefer etwas enger, als er vielfach in letzterer Zeit, so auch auf der neuesten geologischen Uebersichtskarte der Schweiz! angewendet wird, d. h. wir begreifen darunter die Schiefer von verhältnissmässig einförmiger Zusammensetzung, die mehr oder weniger mürben, theils kalkhaltigen, theils kalkfreien Thonschiefer mit Einlagerungen feinkörniger Sand- steine und unreiner Kalksteine, welche im Bereiche des Rheinthals als sog. „Mittelzone* tief in das Alpengebirge eindringen. Wir schliessen davon diejenigen Gesteinsarten aus, welche zwar vielerort sehr innig mit den Schiefern verknüpft erscheinen, aber doch auf eine wesentlich andere Entstehung hinweisen und auch räumlich meist von der Hauptmasse der Schiefer getrennt sind, nämlich die rein kalkigen und dolomitischen, sowie die Gesteine salinaren Ur- sprungs (Rauhwacke, Gyps) einerseits, die sog. Grünen Schiefer, so- weit ihre grüne Farbe durch die reichliche Betheiligung von Mine- ralien der Chlorit und Hornblendegruppe verursacht wird, anderer- seits. Für die Feststellung des Alters dieser so begrenzten Schiefer, die, so weit wir wissen, als „Grlanzschiefer* auch in den westlichen Theilen der Alpen weit verbreitet sind, ergeben sich naturgemäss drei verschiedene aber ungleichwerthige Ausgangspunkte. ! Geologische Karte d. Schweiz von A. Hmm und C. Schuir. 1: 500 000. 1894. Berichte IX. Heft 3. 17 9 STEINMANN: [246 1. Das nachgewiesen jurassische, richtiger gesagt liasische Alter gewisser Vorkommnisse. Neuerdings haben HEım und Schmp !, sowie ROTHPLETZ? die geringe Zahl der schon früher bekannten Fundpunkte liasischer Fossilien etwas vermehrt. Es muss aber dabei im Auge behalten werden, dass die sicheren Fundpunkte nur der (srenzregion des Schiefergebietes angehören, in dem Hauptverbrei- tungsgebiete fehlen sie gänzlich’. Da aber gerade an den Grenzen des Bündner-Schiefer-(Grebietes gegen die ostalpinen Kalkberge sehr verschiedene sedimentäre und krystalline Gesteine in schwer zu ent- ziffernde Verknüpfung mit dem Schiefer treten, Gesteine, die, wie wir schon bemerkten, der Hauptmasse des Schiefers fremd sind, und unmöglich unter den gleichen Verhältnissen wie sie entstanden sem können, so ist es nicht wohl angängig, die an den randlichen Vor- kommnissen gewonnene Altersbestimmung ohne Weiteres auf die Hauptmasse der — fossilfreien — Schiefer auszudehnen. Man sollte hierbei mit um so grösserer Vorsicht verfahren, als ein Karto- graph dieses (rebietes, THEOBALD, es für nothwendig errachtet hat, gewisse, besonders durch ihren hohen Kalkgehalt abweichende Ge- steinsarten als „kalkige Bündner Schiefer“ gesondert zur Darstellung zu bringen und diese auch vielfach einen von dem normalen Schiefer abweichenden, man darf sagen „jurassischen* Habitus besitzen. Aber an der Thatsache, dass ein zwar nur kleiner und wesent- lich auf die Grenzregion des Schiefergebiets beschränkter Theil der „Bündner Schiefer“ dem Jura zuzuweisen ist, kann nach den vor- liegenden Fossilfunden nicht gezweifelt werden. 2. Das unbestreithar eogene Alter der Schiefer im nördlichen Theile des Gebietes (Prätigau, Schalfik bis zur Faulhornkette). Fast alle Beobachter dieses Gebietes stimmen darin überem, dass diese Schiefer reich an Flyschalgen sind unter Ausschluss aller sonstigen Fossilien sowohl der Nummuliten als auch jurassischer Formen. Erst mit der Faulhornkette beginnt das strittige Gebiet. Nach der jetzigen Auffassung gehören die ausschliesslich Algen führenden Flysch- gesteine nicht dem Eocän, sondern dem Oligocän an. Die „Bündner Schiefer“ dieses (rebietes können daher am zweckmässigsten als Oligocänflysch bezeichnet werden. ! Beitr. z. &. K. d. Schweiz, XXV, 1891, S. 300—309. ° Zeitschr. d. geol. Ges., Bd. 48, 1895, S. 32—36. ° Auf die vielfach angezweifelten Belemnitenfande der Faulhorngruppe, welche im Churer Museum aufbewahrt werden, werden wir später zu sprechen kommen. 247] (GEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. 1. 3 3. Die an zahlreichen Punkten der Südostgrenze des Gebietes be- obachtbare Ueberlagerung der Bündner Schiefer durch meso- zoische oder ältere Gesteine, woraus verschiedene Forscher auf ein archäisches oder paläozoisches Alter der Bündner Schiefer über- haupt oder eines erheblichen Theiles derselben geschlossen haben. Es kann jedoch dabei nicht scharf genug hervorgehoben werden, dass ein vormesozoisches Alter der Schiefer bisher durch Fossilfunde nicht gestützt ist und dass die Annahme eines vormesozoischen Alters nur unter der Voraussetzung überhaupt zulässig erscheint, dass normale Lagerungsverhältnisse vorliegen. Angesichts der von zahl- reichen Beobachtern innerhalb des ostalpmen Randgebirges z. Th. in recht beträchtlichem Maasse festgestellten Ueberschiebungen erscheint aber diese Voraussetzung überaus gewagt, so lange das höhere Altere der Schiefer paläontologisch nicht sicher gestellt ist. Man läuft auf diese Weise Gefahr in einen verhängnissvollen circulus vitiosus zu gerathen. Die Lagerung zum Ausgangspunkte für die Altersbestimmung zu wählen, empfiehlt sich unter diesen Umständen jedenfalls zunächst nicht !. A. Der Oligocänflysch im Gebiete der Bündner Schiefer. In der Literatur über das Gebiet der Bündner Schiefer sucht man vergebens nach hinreichend präcisen Angaben darüber, wie weit sich der Flyschantheil der Bündner Schiefer gegen Süden bezw. Südwesten erstreckt, und nach welchen Merkmalen der Flysch von den angeblich paläolithischen („Kalkphylliten*) oder jurassischen Schiefern getrennt werden kann. Und doch sollte man erwarten, dass die Grenze sehr scharf gezogen sei, denn wo wir in anderen Theilen der Alpen Flysch mit viel älteren Gesteinen in Berührung treten sehen, ist ein scharfes Abstossen desselben die Regel und die Grenze eine augenfällige. Dass ein solches Verhalten für das Bündner Ge- biet nicht stattfindet, ist schon vor langen Jahren von STUDER? und ! Es möge beiläufig bemerkt werden, dass die Bündner Schiefer nicht nur von Jura, Trias und Verrucano, sondern mancherorts auch von Gneiss und anderen krystallinen Schiefergesteinen „überlagert“ werden. ® STUDER, Geol. d. Schweiz, II, p. 139, sagt: „Auch dem scharfsinnigsten Petrographen möchte es kaum gelingen, zwischen diesen Gesteinen (Schiefer des Prätigäu) und den Schiefern der Mittelzone, den Steinarten der Tarentaise, des Wallis und von Mittelbünden, haltbare Grenzen nachzuweisen.* Vel. auch I, p. 379. — GUENBEL (Jahrb. d. nat. Ges. Graubündens 1886/1887, XXI, p. 50) sagt: „Die Flyschschichten scheinen hier südwärts mit dem petrographisch sehr ähn- 17% A STEINMANN: [248 nach ihm von THEOBALD, GUEMBEL und DIENER ausdrücklich her- vorgehoben worden. Diese Schwierigkeit kommt daher auch in der Verschiedenheit der Abgrenzung, die sich zwischen verschiedenen Autoren findet, zum Ausdruck und keine der neuerdings versuchten Abgrenzungen steht, wie wir sehen werden, mit der Verbreitung der Flyschalgen im Einklange. Selbst DIEXER, welcher das Flyschgebiet am weitesten gegen Südwesten ausgedehnt und auch den grösseren Theil der Faulhornkette in dasselbe mit einbezogen hat!, hat es offenbar nicht für nöthig gehalten, die Angaben THEoBALD’s? über das Vorkommen der Algen in der Gegend von Alvaneu, Lenz und Obervatz? zu controliren, obgleich man sich von der Richtigkeit der- selben schon durch die Untersuchung der von Herrn BRÜGGER in Chur gesammelten und im dortigen Museum autbewahrten Beleg- stücke (von Obervatz) überzeugen kann. Bei dieser Verschiedenheit der Auffassungen erschien es mir als eine für die Klärung der Bündner Schiefer-Frage bedeutsame Aufgabe, die Grenze zwischen den angeblich lithologisch sehr ähn- lichen, aber angeblich verschiedenaltrigen Schiefercomplexen in der Natur aufzusuchen. Ich richtete zu diesem Zwecke die achttägige Excursion, welche ich jede Pfingsten mit meinen Studenten in die Alpen unternehme, im Jahre 1895 in das fragliche (rebiet. Meine Begehungen beschränkten sich dabei naturgemäss nicht auf das Schiefergebiet, sondern wurden auch, soweit es thunlich schien, auf das anstossende Kalkgebirge ausgedehnt. Ueber das Ergebniss dieser Begehungen will ich zunächst berichten. Wer mit der Ausbildungsweise des Oligocänflysches in den Alpen der Nordschweiz und im Algäu vertraut den Prätigau betritt, kann nicht lange darüber im Zweifel bleiben, dass die besondere Be- zeichnung „Bündner Schiefer“, welche sich auch auf der neuesten lichen Bündner Schiefer, der im Schalfikthale noch bei Castiel bis gegen Langwies hin in normaler Beschaffenheit von mir beobachtet wurde, unmittelbar zusammen zu stossen und sind von letzteren in diesem Gebiete örtlich nur schwierig ab- zugrenzen.“ ! Gebirgbau d. Westalpen, p. 657, sowie die Uebersichtskarte dieses Werkes. ?® Beitr. z. g. K. d. Schweiz, II, p. 24. ® Auch GuENBEL hat (l. c. p. 50) Algenreste im Schiefer von Tiefenkasten und Obervatz beobachtet, doch scheinen seine Funde sehr dürftig gewesen zu sein, da er die typischen Flyschalgen nicht darin erkennen konnte. Immerhin genügten ihm die Reste, um daraus zu entnehmen, dass die fraglichen Schiefer nicht ein archäolithisches Alter besitzen. Oo 249] GEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. 1. Uebersichtskarte der Schweiz von HEım und Schamipr findet, für die dort herrschenden Gesteine nur verwirrend wirken kann. Es tritt uns hier vielmehr der echte Oligocänflysch entgegen, wie er im Westen des Rheins entwickelt ist, mit wesentlich den gleichen lithologischen Merkmalen, mit den gleichen organischen Einschlüssen und auch mit ganz ähnlichen fremdartigen Einschaltungen in der Nähe seiner Grenze, wie wir sie als Klippen und exotische Blöcke in der äusseren Flyschzone der Nordschweiz zu sehen gewohnt sind. Dabei sind die Tagerungsverhältnisse eher noch wirrer und schwerer zu entziffern, als gewöhnlich sonst. Dabei bietet die Flyschregion nach zwei Rich- tungen hin auch Bemerkenswerthes dar. Die (Gesteine sind durch- schnittlich um eine Nüance fester und krystalliner, d. h. reicher an (meist versteckten) sericitischen Neubildungen, als in der äusseren Zone, doch tritt dieser Unterschied im Prätigau selbst noch wenig auffällig hervor; denn die Verschiedenheit ist nicht erheblicher als diejenige, welche zwischen dem Flysch der äusseren Zonen und dem- jenigen des Linthgebiets (z. B. der Matter Schiefer) beobachtet wird. Aber für unsere späteren Ausführungen ist er von Bedeutung. Schon STUDER! war es aufgefallen. Ein zweiter Differenzpunkt liegt in dem Fehlen älterer Gesteine, welche als das normale Liegende des Flysch aufgefasst werden könnten — wobei wir von der West- grenze natürlich absehen. Trotz der ansehnlichen Breite des Ge- bietes und trotz der beträchtlichen Höhe, bis zu welcher die Flysch- schichten aufgefaltet sind, sucht man vergeblich nach solchen Gesteinen. Während westlich des Rheins, in allen drei Flysch- zonen, welche das Thal erreichen, in der Glarner Faltungszone so- wohl, welche unserem Gebiete gerade gegenüber liegt, als auch in den beiden nördlichen Zonen (von Wildhaus und von Brüllisau) nummulitenführender Eocän vielfach unter dem Flysch zu Tage tritt, hat sich im Prätigau bisher noch keine Spur davon auffinden lassen. Einem ähnlichen Verhalten begegnen wir in der Chablais- zone” wieder. Für das Vorgehen derjenigen Forscher, welche, wie die Be- arbeiter der neuen geologischen Uebersichtskarte der Schweiz, die Schiefer des Prätigau und Schalfik bis zur Faulhornkette mit den fossilfreien Schiefern der Via mala etc. als mesozoische Bündner- ilseuTBsp: 139: ? Unter welcher Bezeichnung hier nur die Region des Chablais und der Freiburger Alpen unter Ausschluss der von DiEnEr mit Unrecht dazu gerechneten Aussenzone zwischen Thunersee und Walensee verstanden wird. 6 STEINMANN: [250 Schiefer vereinigen, können nur folgende Gründe massgebend sein. Einerseits die Thatsache, dass eine augenfällige Grenze zwischen den beiden Schiefergebieten nicht vorhanden ist, andererseits die un- gerechtfertigte Werthschätzung, welche man den vereinzelten Funden jurassischer Fossilien innerhalb der Grenzregion angedeihen lässt und die Geringschätzung der Flyschalgen als beweiskräftiger Leitfossilien. Nun treten aber überall in den äusseren Ketten der Nord- schweiz und im Algäu, wo das oligocäne Alter des Flysch sicher gestellt ist, die sog. Flyschalgen im Bes. Chondrites intricatus, Tar- gioni, affinis und mit ihnen regelmässig vergesellschaftet die ihrer Natur nach zweifelhaften aber morphologisch gut gekennzeichneten Helminthoiden und Palaeodictyen überall als vorzügliche Leitfossillien auf. Es kann zwar nicht geläugnet werden, dass auch in anderen Formationen, im Jura wie in der Kreide, besonders auch in den liasi- schen Algäuschichten! ähnliche Algenreste vorkommen, wie im Flysch; aber mir ist weder aus der Literatur noch aus eigener Anschauung ein anderer sicher bestimmter Horizont bekannt geworden, welcher die Chondriten des Flysches in ihrer bezeichnenden Vergesellschaftung mit einander und mit den Helmintoiden ete. führte. Ganz besonders gilt das von den liasischen Algäuschiefern, über deren Algenführung sich der beste Kenner dieses Horizonts, GUEMBEL, folgendermassen auslässt?: „Diese Fucoiden (der Algäuschiefer), unter denen ich nie auch nur ähnliche Formen, wie den Ch. intricatus, Ch. Targioni oder eine Muensteria oder Helminthoidea beobachtet habe, unter- scheiden sich ganz bestimmt von denjenigen des Flysch. . . .* ‘ Eine unkritische Benützung der Literatur kann leicht zu der Vorstellung führen, als sei eine von der Flyschflora kaum unterscheidbare Algenvergesell- schaftung im Lias zu Hause. So hat Heer nach Aufsammlungen THEOBALD'S eine Anzahl Algen aus den angeblich liasischen Schiefern von Ganei im Prätigau beschrieben (Flora foss. Helvetiae 1877, p. 96), die in Wirklichkeit z. Th. jeden- falls aus dem Flysch stammen (vgl. darüber auch RoTHPLETz, Zeitschr. d. geol. Ges. 1895, p. 3) und die daher auch z. Th. von Flyschalgen nicht zu unter- scheiden sind (wie z. B. Oh. intricatulus von Ch. intricatus). Was ich selbst bei Ganei an Gesteinen gesehen habe, war echter Oligocänflysch und die Algenfunde, die wir ziemlich genau an der von THEoBALD auf Bl. X in LA durch * markirten Stelle machten, waren echte Flyschalgen. Auch das jüngst von ScHRÖTER (Jahrb. nat. Ges. Graub. Bd. 37, 1894, p. 79) von hier beschriebene Taenidium radıatum weist nach den Angaben seines Autors die grösste Verwandtschaft mit 7. Fischeri HEER, einer mehrfach im Flysch, und zwar nur in diesem gefundenen Alge, auf. Oylindrites vermicularis Hr., welche bisher nur von Ganei beschrieben war, kenne ich auch aus dem Flysch der Fähnern. ° Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. VII, 1856, p. 9. 5 (FEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. ]. > Die Bedeutung der bekannten Chondriten und Helminthoiden etc. als Leitformen für den Oligacänflysch wird noch durch den Umstand erhöht, dass die Gesteine, in welchen sie sich finden, trotz gewisser, aber engbegrenzter Schwankungen über ungeheuer weite Strecken einen sehr gleichförmigen Charakter aufweisen. Daher haben auch schon die älteren Geologen wie STUDER, den Flysch fast überall wo er auftritt, richtig erkannt oder doch vermuthet. Hat sich das Auge durch längere Beobachtung an das Aussehen gewöhnt, so sondert es etwaige fremde Gesteinsarten, die bekanntlich vielerorts mit dem Flysch anscheinend untrennbar verknüpft sind, meist ohne Schwierigkeit aus, selbst dann, wenn Versteinungen dazu nicht mit- helfen. In vielen Fällen liefert bei der bekannten Fossilarmuth des Flysches auch an mikroskopischen Thierresten die mikroskopische Untersuchung ein bequemes Mittel der Unterscheidung. In der Flyschregion zwischen dem Rhätikon und der Faulhorn- kette hat man mehrfach Gelegenheit, derartige fremde, wenn auch mit dem Flysch anscheinend auf’s innigste verknüpfte Gesteine kennen zu lernen: es sind grossentheils die von THEOBALD als „kalkige Bündner Schiefer“ (SK) unterschiedenen Gesteine. Diese Bezeichnung reicht allein zu ihrer Charakterisirung nicht aus, denn der Bündner Schiefer zeichnet sich sowohl im Prätigau als auch in den übrigen Gebieten durch einen weit verbreiteten, wenn auch oft nicht erheblichen und nicht in allen Lagen vorhandenen Kalkgehalt aus. Die sog. kalkigen Bündner Schiefer enthalten aber den Kalk oft in ungewöhnlich grossen Mengen, sie sind vielfach nur geschie- ferte Kalksteine oder Mergel, wie man sie in gleicher Ausbildungs- weise in der Trias oder im Jura zu sehen gewohnt ist. Nicht überall, wo auf der TueoBALv’schen Karte (Bl. X) SK verzeichnet steht, gelang es mir — freilich bei nur einmaliger Durch- querung des betr. Streifens — ein vom Flysch verschiedenes Gestein zu finden, z. B. bei Stutz zwischen Seewis und Granei, wo ich nur kalkreiche Flyschschiefer sah. Ebensowenig fand ich die Angabe THEOBALD’s bestätigt, dass das linke Ufer zwischen Stürvis und (sanei aus Lias besteht; was ich hier sah, war Flysch mit den ge- wöhnlichen Algenresten. An anderen Punkten aber, so bei Küpfen zwischen Langwies und dem Strelapasse geben sich die dort ver- zeichneten kalkigen Bündner Schiefer als etwas vom Flysch durch- aus verschiedenes zu erkennen; die dort oberhalb der Strasse aus den Matten hervorragenden Felsen bestehen aus einem hellgrauen Kalke, den ich nur für Jurakalk halten kann. Auf der Westseite g STEINMANN: [252 des Gürgaletsch zwischen Tschiertschen und Parpan erscheinen über dem Flysch serieitische, kalkreiche, dunkle, weissgefleckte ! Schiefer (von TnEOBALD als SK und als Lias ausgezeichnet), welche lebhaft an die jurassischen Orinoidenschiefer erinnern. Die mikroskopische Untersuchung lässt die grossen Kalkspathkrystalle noch deutlicher hervortreten, die Gitterstruktur ist bier freilich ebensowenig mehr erhalten, wie bei den meisten anderen ähnlichen Vorkommnissen in den Alpen. So hält es oft nicht schwer in den kalkigen Bündner Schiefern bestimmte Glieder der Juraformation und zwar derjenigen Entwick- lung wieder zu erkennen, welche in den benachbarten Kalkbergen des Rhätikon und des Plessurgebirges verbreitet ist. In ganz ähnlichen Verbandsverhältnissen wie die jurassischen kalkigen Schiefer treten auch triadische Gesteine mit dem Flysch auf. Ein derartiges, schon von THEOBALD? und neuerdings von TARNUZZER* beschriebenes Vorkommen trifft man am Aufstiege durch den Glecktobel zum Gleckkamme auf der Südseite des Falknis. Typischer Flysch mit zahlreichen Chondriten, Taenidien und Helmin- thoiden bildet das Hangende und zugleich das Liegende eines Gyps- stockes. Mit dem Gyps sind schwarze, rostbraun verwitternde, san- dige Mergel und Sandsteine verknüpft, die in jeder Beziehung den pflanzenführenden Mergeln gleichen, wie sie im Aleäu und Rhätikon, ebenso aber auch in der nordschweizer Klippenregion (an der Zwi- schenmythe mit Pflanzenresten) im Niveau der Raibler Schichten auf- treten. Die schwarzen Mergel und der Gyps stecken keil- oder schollenartig im Flysch und sind hochgradig zertrümmert und gequetscht. Ein ähnliches Vorkommniss von Gyps hat THEOBALD am oberen Ende von Fundey noch im Westen des langen Zuges von kalkigem Bündner Schiefer im Flysch aufgefunden’. Zu dieser Kategorie von Gypsvorkommnissen gehört auch dasjenige von Tiefenkasten, welches ebenfalls mitten im Flysch steckt ‘®. Das Auftreten derartiger vom Flysch durchaus verschiedener ! Die weissen Flecken treten oft nur auf verwitterten Flächen deutlich hervor, im frischen Anbruch sieht man knotige Hervorragungen, welche von schwarzer Schiefermasse umhüllt sind und daher durch ihre Farbe von der Grundmasse nicht abstechen. ® Vel. C. Scummrt, Beitr. XXV, p. 41, 42 und p. 67. 3 1; G4p. 1604 614HBE X * Jahrb. nat. Ges. Graub. XXV, p. 44, 45. SBIEHXYV. % Hier ist der Gyps durch das Vorkommen von wasserhellen, meist un- 253] (GFEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. I. 9 und daher auch niemals Flyschalgen führender Gesteine in der Form von isolirten Schollen oder Zügen, die entweder dem Flysch auf- lagern oder (anscheinend in ganz normalem Verbandsverhältnisse) vom Flysch umschlossen sind, hat für denjenigen, der mit dem Bau nordschweizer Klippenregion zwischen dem Rheinthale und dem Thuner See oder mit den Verhältnissen des Chablais und der Frei- burger Alpen vertraut ist, nichts Befremdendes. Sie erklären sich ungezwungen als Reste einer Ueberschiebungsdecke oder als abge- quetschte Schollen derselben. Niemals gelingt es weder in Bünden noch in den zum Vergleich herbeigezogenen Gebieten sie in die Tiefe zu verfolgen, d. h. sie als Untergrundsklippen oder als die Scheitelstücke unterirdischer Antiklinalen nachzuweisen. Gegen eine ursprünglich normale stratigraphische Verknüpfung mit dem Flysch spricht nicht nur ihre Gesteinbeschaffenheit und Fossilführung, son- dern ebenso sehr die stets hochgradige mechanische Veränderung, die sie erfahren haben. Ist diese Auffassung richtig, dann müssen wir freilich auch erwarten, dass ihre Verbreitung sich in direkte Be- ziehung zu Ueberschiebungsdecken mesozoischer (resteine von gleicher Ausbildungsweise bringen lässt. Auf der bis jetzt betrachteten Strecke zwischen Falknis und Rabiosa-Thal erscheinen die fremden Einschal- tungen in der That keineswegs in regelloser Vertheilung, sondern sie sind an die Nähe des benachbarten Kalkgebirges von ostalpiner Facies gebunden und treten vielfach mit den Sedimenten desselben in Zusammenhang. Man könnte sie als Ueberschiebungsapophysen oder -zeugen bezeichnen, die z. Th. von der Muttermasse losgelöst wurden. Was nun die Gesteinsbeschaffenheit und Fossilführung der Hauptmasse des Bündner Schiefers (richtiger gesagt des Flysches) im Süden des Plessurthals anbetrifit, so lässt sich bis zur Linie Lenzer Heide—Rabiosa-Thal eine wesentliche Aenderung weder des einen noch des andern Merkmals feststellen. Flyschalgen sind darin schon früher mehrfach gefunden worden!. Doch beobachtet man an manchen Stellen, namentlich an solchen, wo der Flysch unter der Kalkdecke des anstossenden Plessurgebirges zu ver- schwinden beginnt, so am Carmena-Passe zwischen Arosa und Tschiertschen, bei Langwies und a. a. O. eine weitere geringe Zunahme der Krystallinität, die sich in einem stärkeren Sericitglanze der schiefrigen, in einer grösseren Festigkeit der sandigen und kalkigen vollkommen ausgebildeten Quarzkrystallen ausgezeichnet, die einer meiner Zu- hörer, Herr stud. Hormann darin entdeckte. ! STUDER, 1. c. I, p. 379, II, p. 139. — THeopats, 1. c., p. 185. 10 STEINMANN: [254 Lagen und in einer Zunahme der Kalk- und Quarzadern äussert. Der Habitus wird mehr „kalkphyllitisch“ !. Der Touristenweg zum Stätzer Horn führt, soweit ich beobachten konnte, bis dicht unter den Gipfel ununterbrochen durch Flysch. Auf das Vorkommen von Flyschchondriten in der Faulhornkette hat bereits DIENER hingewiesen’, aber was diesem Forscher dabei voll- ständig entgangen zu sein scheint, ist der ungewöhnliche Charakter der die Algen führenden (sestene; ungewöhnlich zwar nur für den- jenigen, der ausschliesslich den Flysch der äusseren Zonen kennt, weniger für den, welcher den Flysch vom Prätigau bis hierher ver- folgt und gesehen hat, wie sich sein phyllitischer Charakter ganz allmählig accentuirt. Die Krystallinität des Gesteins hat noch weiterhin zugenommen, namentlich ist der durch reichliche Serieit- bildung verursachte Seidenglanz auf den Schieferungstlächen in manchen Lagen auffallend; ebenso das relativ häufige Vorkommen quarziger Adern. Aber jeder Zweifel an der Natur dieser Schiefer schwindet angesichts der überaus reichen Fundstellen von Flyschalgen und Helminthoiden, die man gerade an dem Touristenwege, dessen Anlage mehrere künstliche Anschnitte erfordert hat, trifit?. Hier ! Eine ähnliche Veränderung der Flyschschiefer kenne ich von Oberstdorf im Algäu. Der hier unter die Trias-Jura-Decke hinabtauchende Flysch nimmt einen sericitischen Glanz an und die Algenreste werden undeutlicher. 2 DIEnER, Südwestl. Graubünden (Sitzb. Ak. Wien, Bd. 97, 1888, p. 33). 3 Bei dem Interesse, welches diese Vorkommnisse besitzen, habe ich in bei- stehender Kartenskizze des Stätzerhorns die aufgefundenen Stellen mit * be- zeichnet. In den frischen Anschnitten findet man die besterhaltenen Stücke. a Stätzerhörn 2579 '. Im Ganzen sammelten wir folgende Arten: Ohondrites intricatus BRGT. SP., intricatus var. Fischeri Hr., Ch. Targioni Brer. sp., Targioni, var. arbuscula F-O., var. eepansus Hr., Ch. affinis Steps. sp., Helminthoida crassa SCHFH., Palaeo- dictyum textum Hr. 255] (GEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. ], 11 kann man in kürzester Frist beliebige Mengen der bezeichnenden Flyschreste sammeln. Ihr Erhaltungszustand ist aber selbst auf einer und derselben Gesteinsplatte ein wechselnder. Reichliche Sericitbildung allein beeinträchtigt die Form und Erkennbarkeit der Chondriten im Allgemeinen nur wenig, höchstens insofern, als die glänzenden Sericithäute, wenn sie auch die Algenabdrücke über- ziehen, den Farben-Üontrast zwischen ihnen und der (Gesteinsmasse ab- schwächen. Bekanntlich treten im unveränderten, kalkigen Flysch die Algenabdrücke dann am deutlichsten hervor, wenn die dunkle Farbe des (resteins durch Verwitterung oder durch Behandlung mit verdünnter Säure ! oberflächlich in eine graue verwandelt ist, weil die schwarzen, kohligen Algenreste dadurch nicht oder nur unbedeutend entfärbt werden. Im stark sericitisirten („phyllitischen*) Flysch vermag aber die Verwitterung oder Aetzung oft nur noch wenig zur Sichtbar- machung der Reste beizutragen. Man thut sogar gut, nicht nur auf den verwitterten Gesteinshalden, sondern auch in frischen Anbrüchen zu suchen. Sobald aber im Gestein eine schuppenartige Verschiebung der einzelnen Theile oder eine feine Fältelung Platz gegriffen hat, sind auch die Oonturen der Chondriten und Helminthoiden mehr oder weniger verwischt und man würde sich in solchen Fällen nicht leicht getrauen, die Formen zu bestimmen, wenn man nicht alle die erforderlichen Uebergänge des Erhaltungs-Zustandes von der gleichen Lokalität zur Verfügung hätte. Nach den reichlichen in allen Stadien der Erhaltung befindlichen Funden kann es aber keinem Zweifel unterliegen, dass die Hauptmasse der Schiefer des Stätzer- Horns, wie überhaupt der ganzen Faulhornkette dem Flysch ange- hören, der sich hier schon in einem stark „kalkphyllitischen* Um- wandlungsstadium befindet. Ausser dem Flysch finden sich nun aber am Stätzer Horn, und zwar soweit meine Beobachtungen reichen, ausschliesslich auf dem höchsten Theile des Berges anstehend, noch andere Gesteine. Am Touristenwege unterhalb der Spitze sieht man schwarze, sehr kalkreiche, im verwitterten Zustande weissgefleckte Schiefer, die ich nur mit den jurassischen, wahrscheinlich liasischen Crinoidenkalken vom Gürgaletsch vergleichen kann und zwar sowohl nach dem ma- ! MaıLLARD, Consider. s. 1. fossiles deerits comme Algues (Abh. schweiz. pal. Ges. XIV, 1887). Bezüglich der Deutung der Flyschreste theile ich die Ansicht MaıtLarv’s, nach welcher die Chondriten, Taenidien u. A. als echte Algen, Helminthoidea, Palaeodietyum, Muensteria als Kriechspuren oder drel., jedenfalls nicht als Pflanzenreste aufzufassen sind. 12 STEINMANN: [256 kroskopischen Aussehen wie nach dem mikroskopischen Befunde. Die grossen Kalkspathkrystalle, die das Gestein zur Hälfte zusammen- setzen, glaube ich auch hier als COrinoiden-Stielglieder deuten zu dürfen, trotzdem die Gritterstructur nicht mehr erhalten ist. Es überlagern daher meiner Ansicht nach sogenannte kalkige Bündner Schiefer hier gerade so wie am benachbarten Gürgaletsch den typischen Flysch !. Nach DIENER fällt in die Region der Lenzer Haide die wichtige Grenze zwischen dem Flyschgebiet und der „Kalkphyllit*-Zone des Schyn und der Via mala?. „Die Nord-Ost streichenden Faltenzüge des Piz Beverin, der Via mala und Schynschlucht brechen in der gleichen Weise an dem Flysch des Stätzerhorns ab, wie die Falten des Rhätikon an dem Flysch und der Kreide des Prätigau.* Zu meinem lebhaften Bedauern muss ich gestehen, dass ich von einem Abbrechen der Schyn- und Via mala-Schiefer an dem Flysch des Stätzerhorns keine Spur habe entdecken können, wohl aber habe ich die untrüglichsten Beweise für das Gegentheil gefunden. Ich kann die Angaben THEOBALD’s? und GUEMBEL’s* von dem Vorkommen von Fucoiden in den Schynschiefern zwischen Lenz und Obervatz vollauf bestätigen und dahin präcisiren, dass die betreffenden Fu- coiden echte Flyschalgen sind, in deren Begleitung auch die Hel- minthoiden nicht fehlen. Ueberraschen kann dieses Ergebniss schon deshalb nicht, weil auf beiden Seiten der Lenzer Haide der Zu- sammenhang zwischen dem Flysch des Stätzerhorngebietes und den Schiefern des Schyn ganz evident ist. Der Flysch erleidet mit der Annäherung an den Schyn eine weitere Veränderung in dem gleichen Sinne, den wir auf der Strecke zwischen Prätigau und Stätzerhorn feststellten. In ihrer allgemeinen Zusammensetzung unterscheiden sich die Schiefergesteine des Schyns nicht von denjenigen des Flysch ! Die Schiefer auf der Spitze des Churwaldner Faulhorns, aus denen die oft erwähnten Belemnitenreste stammen, dürften, wenn sie wirklich liasisch sind, nur die durch Erosion unterbrochene Fortsetzung der Liasdecke des Stätzerhorns bilden. Mein Urtheil über die Natur der fraglichen Belemniten, die ich nur flüchtig im Churer Museum besichtigte, möchte ich so lange zurückhalten, bis ich Gelegenheit gehabt habe, sie eingehender zu studiren. ? Westalpen, p. 157. >]. ec. p. 24. Im Churer Museum befindet sich ein grosses mit zahlreichen Chondriten bedecktes Stück von phyllitischem Flysch, welches von Herrn Prof. BrüsgER bei Alvaschein, also noch weiter schynabwärts, als die gleich zu er- wähnenden Stücke gesammelt wurde. re up90: 257] GEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. ]. 13 — das ist schon früher öfter hervorgehoben worden —, nur hat der phyllitische Charakter noch weiterhin und zwar nicht einmal beträchtlich zugenommen, ohne dass es möglich wäre, irgendwo eine (srenze zu ziehen. In einem kleimen Steinbruche dicht neben der Rochuskapelle im Süden von Lenz sind die Schiefer fossilführend aufgeschlossen. Einzelne Lagen erscheinen nicht stärker verändert, als die Schiefer des Stätzerhorss es durchschnittlich sind; in ihnen sind die Fucoiden und Helminthoiden noch deutlich und bestimmbar enthalten !. Andere Lagen besitzen einen höheren Glanz — die Bezeichnung „Glanz- schiefer* erscheint für sie passend —, sie sind stärker serieitisirt, und nur mit Mühe erkennt man noch (bei richtiger Beleuchtung) die Chondriten. Vielfach ist aber die Umwandlung noch weiter vor- geschritten, besonders in denjenigen Schieferlagen, welche grob ge- wellte, sandige (hier quarzitisch veränderte) Lagen einschliessen. In diesen Fällen machen sich zahlreiche Fältelungen im Schiefer be- merkbar und der weisse Sericitglanz wird durch einen grünlichen (slanz mehr oder weniger verdränst?. Die gegen Süden und mit der Annäherung an das Kalkgebirge immer mehr zunehmende Umwandlung des Flysches gelangt auch in der wachsenden Häufigkeit der bei der Faltung entstandenen Adern zum Ausdruck. Wo die Schiefer, wie im Prätigau, noch relativ wenig gefaltet sind, tritt auch die Aderbildung im Allge- meinen zurück und die Ausfüllungsmasse derselben ist in den meisten Fällen Kalkspath. Bei Langwies (an der Strela-Strasse, einige Minuten oberhalb der nach Arosa führenden Brücke) sieht man den Flysch, der durch die Faltung eine holzartige Structur ange- nommen hat, von dicht gedrängten annähernd parallelen Zerrrissen ‘ Ich möchte es nicht unterlassen bei dieser Gelegenheit meinen Begleitern für den Eifer zu danken, mit welchem sie mich beim Suchen nach organischen Einschlüssen hier wie an anderen Punkten unterstützten, sowie für die Bereit- willigkeit, mit welcher sie mir alles gesammelte Material überliessen. Wir fanden hier: Ohondrites intricatus BRET. sp., intricatus var. Fischeri Hr., Ch. Targioni BRGT. sp., var. arbuscula F.-O., Palaeodietyum textum HR. * Die grünliche Farbe rührt in diesem Falle nur von einem grünen Glimmer her, der hier wie an anderen Orten (vgl. Schmipt, Beitr. XXV, p. 40) im Bündner Schiefer mit oder an Stelle des Sericits erscheint. Solche „grüne Schiefer“ sind scharf zu trennen von den grünen Schiefern, deren Farbe durch FE. — u. Me. — Silikate hervorgerufen wird. Die letzteren sind, wie SCHMIDT gezeigt hat, umgewandelte basische Eruptivgesteine, die ersteren dagegen rein sedimentären Ursprunges. 14 STEINMANN: 1258 durchsetzt, die mit Kalkspath erfüllt sind. Aehnliche Stücke sam- melte ich an der Windgälle, wo der Flysch ähnlich stark beeinflust ist, wie hier. Aber schon am Stätzerhorn sind quarzige Adern oder solche, die mit Kalkspath und Quarz gleichzeitig gefüllt sind, häufig. Je stärker die Faltung des Schiefers, um so häufiger werden die (Juarzadern, um so häufiger zeigen sie aber auch die Form der Faltungsadern und -Linsen, welche in gewundenem Verlaufe die stark gefalteten Schiefer durchziehen. Es ist meiner Ansicht nach nicht wohl angängig, diese Adern als gefaltete Adern zu deuten, die ihren gewundenen Verlauf erst nachträglich erhalten haben; ebenso wenig kann ich mir vorstellen, wie dieselben „beim Verfestigungsprocesse der noch weichen (resteinsmassen“ ohne Mitwirkung eines allgemeinen grossen (rebirgsschubes hätten entstehen können. Sie können viel- mehr nur bei der Faltung der Schiefer durch einen gebirgsbildenden Vorgang in der Weise erzeugt sein, dass die in den gefalteten Schiefern durch Aufblätterung entstandenen, gewundenen Höhlungen mit Lösungen injieirt wurden, die an benachbarten Stellen durch die Friktionswärme erzeugt und in die gleichzeitig entstandenen Hohlräume eingepresst wurden. Diese Deutung erklärt ungezwungen die Form der Secretionen, das Zurücktreten oder Fehlen von Zer- trümmerungserscheinungen sowie die wechselnde Zusammensetzung, Denn die Thatsache, dass in relativ wenig stark gepressten Schiefern quarzige Adern selten, in sehr stark gepressten entsprechend häu- figer sind, findet hierbei ihre Erklärung durch die verschiedene Höhe der Friktionswärme, deren Steigerung eine reichliche Lösung (und Wiederausscheidung) der Kieselsäure ermöglicht. So darf man wohl behaupten, dass die Häufigkeit der quarzigen Ausscheidungen in gefalteten (resteinen — ceteris paribus — der mechanischen Beein- flussung proportional ist, die dieselben erfahren haben. Nach den Erfahrungen, die ich am Stätzerhorn und bei Lenz über die Erhaltungsmöglichkeit der Algenreste gesammelt hatte, war es mir durchaus unwahrscheinlich geworden, dass bei einer noch weiter vorgeschrittenen Umwandlung der Flyschschiefer die Reste noch erkennbar geblieben sein könnten. In der That haben wir, wie wohl viele andere vor uns, in der Via mala vergeblich nach solchen gesucht. Die allgemeine Verbreitung quarziger Faltungs- adern, die überall sichtbare Fältelung oder schuppige Verschiebung innerhalb der einzelnen Gesteinslagen und die Zunahme der Seriecit- bildung lässt es aussichtslos erscheinen. Glücklicher Weise besteht aber wegen der Oontinuität der Aufschlüsse von Tiefenkasten bis 259] (FEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. 1. 15 Thusis und von hier bis zur Thalerweiterung von Andeer kein Zweifel darüber, dass wir es auf dieser Strecke mit einem einheit- lichen Gesteinscomplex zu thun haben. Bringt man von den Via mala-Schiefern die Veränderungen in Abzug, welche sie durch die Dislocationsmetamorphose erfahren haben, so bleibt nichts anderes übrig, als Flysch. Das Ergebniss unserer Wanderungen im Gebiete der Bündner Schiefer lässt sich kurz folgendermassen zusammenfassen: Der durch die Chondriten und Helminthoiden sowie durch seine innerhalb enger Grenzen schwankende Zusammensetzung aus- gezeichnete Oligocän-Flysch des Prätigau lässt sich unter allmäh- licher Zunahme der Krystallinität und der dieselbe bedingenden Stauchung und unter allmählichem Undeutlichwerden seiner Ein- schlüsse! ohne Unterbrechung bis in die Schiefer des Schyn und der Via mala verfolgen, die jetzt entweder als paläozoische oder als triado-jurassische Absätze aufgefasst werden. Was an fremdartigen, vom Flyschceharakter abweichenden Ge- steinen an der Grenze gegen das Kalkgebirge mit dem Flysch in — oft scheinbar ganz normale — Verknüpfung tritt, gehört den ostalpinen Sedimenten (bezw. den dort verbreiteten Eruptivgesteinen) an und ist mit dem Flysch nur m Folge grossartiger Ueberschie- bungen und Einschiebungen nachträglich verquickt worden. Den Nachweis für diese letzteren Behauptungen werde ich später zu er- bringen versuchen. Wer nur mit der neuesten Literatur über die Bündner Schiefer- Frage bekannt ist, wird dieses Ergebniss unerwartet, weil abweichend von den in letzter Zeit z. T'h. mit grösster Bestimmtheit geäusserten Auffassungen finden? Da nicht Jeder in der Lage ist, sich durch ! Es ist mir aus den Alpen kein zweites Beispiel bekannt, an welchem sich besser und in überzeugender Weise die allmähliche dynamometamorphe Um- wandlung eines Sedimentes in ein Schiefergestein von „epikrystallinem“ Habitus verfolgen liesse.. Wer an der Thatsächlichkeit solcher Vorgänge zweifelt, oder wer dem Jünger der Wissenschaft ein ungewöhnlich günstiges Lehrobjeet vor- führen will, dem ist eine derartige Tour durch das Gebiet der Bündner Schiefer anzuempfehlen. * DIENER, GUEMBEL und RoTHPLETZ halten die Hauptmasse der Bündner Schiefer für paläozoisch, DIENER sogar einen Theil derselben als „den Typus der Kalkphylliten der österreichischen Urgebirgszonen“ darstellend (Westalpen, p- 107). Nach Hem und Schnmivr gehören die Bündner Schiefer der Trias und dem Jura an; zu einer ähnlichen Altersbestimmung gelangte BERTRAND in der Maurienne und der Tarentaise, während ZaccAaena und MATTIROLO die Schiefer des gleichen Gebiets für vorpaläozoisch halten. 16 STEINMANN: [260 den Augenschein von der Richtigkeit meiner Auffassung zu über- zeugen, so möchte ich noch Folgendes zu bedenken geben: 1. dass ältere und jüngere Forscher, welche das Gebirge nicht so sehr in den jetzt vielfach beliebten Querschnitten, sondern in der neuerdings auch von HEım in Erinnerung gebrachten Methode ! der Verfolgung im Streichen studirt haben — ich nenne nur STUDER, ESCHER, THEOBALD und HEIM — auf der Einheitlichkeit der Bünd- ner Schiefer von Prätigau bis in’s Herz des Gebirges hinein be- standen haben; 2, dass die Zunahme der Krystallinität des Flysches gegen Süden insofern nichts Befremdliches an sich trägt, als eine gleich gerichtete Veränderung für die lithologisch vielfach ähnlichen Sedi- mente des Mesozoicums allgemein anerkannt ist und auch angesichts der Fossilführung der Juraschiefer von Fernigen und Nufenen-Scopi gar nicht bestritten werden kann; 3. dass keiner der Forscher, welche eine Trennung des Präti- gauer Flysches von den angeblich paläozoischen oder mesozoischen Bündner Schiefern versucht haben, im Stande gewesen ist, eine Grenzlinie zwischen beiden anzugeben, welche von anderer Seite an- erkannt worden wäre; dass ferner auch die lithologischen Unter- scheidungsmerkmale, welche man als durchgreifenden Unterschied zwischen paläozoischen und jüngeren Schiefern glaubte herausgefun- den zu haben, sich als unbrauchbar erwiesen haben; 4. dass der beste Kenner, der paläozoischen Formationen in den Östalpen, STACHE, auf seiner Uebersichtskarte? das Gebiet der fraglichen Bündner Schiefer bis in’s obere Engadin und in’s obere Val Misocco hinem als tertiär eingezeichnet hat und dass GUENBEL, dem Jahrzehnte lange Erfahrungen über die mesozoischen Schichten der Ostalpen zur Seite stehen, ausdrücklich auf die Verschieden- heit der Bündner Schiefer von den liasischen Algäu-Schiefern hin- gewiesen hat; 5. und schliesslich will ich die kurzen aber inhaltsreichen Be- merkungen wiedergeben, welche STUDER vor über 40 Jahren über ! Beitr. XXV, p. 318: „Man prüft viel zu oft nur einzelne Profile, anstatt dem Streichen entlang die Schichtengrenzen zu verfolgen und die Veränderung der Gesteine im Streichen festzustellen“. > ScHhamipt, Beitr. XXV, Anhang p. 69. 3 StacHz, Die paläoz. Gebiete der Ostalpen (Jahrb. d. k. geol. Reichsanst. 1874, t. VID). * Jahrb. nat. Ges. Graub. XXXI, p. 51. 261] (GEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. 1. 17 die vorliegende Frage geschrieben hat. Unter dem Abschnitte: „Flysch der Mittelzone“, der nur etwas über eine Druckseite ein- nimmt, finden wir!: „Die Schiefer der Hochwangkette, welche Schalfick und Prätti- gau trennt, scheinen als wahre Flyschschiefer betrachtet werden zu müssen. Sie enthalten bei Peist im Fondey und auch südlich von der Plessur, in Erosa, die gewöhnlichen Fucoiden und sind kaum zu trennen von den Fucoidenschiefern des Prätigau und den mit Nummulitenkalk abwechselnden Schiefern von Pfeffers. Wenn man aber von Chur über Malix das Hochthal von Parpan und Lenz er- steigt, so ist man stets von denselben Schiefern begleitet. Wie in Schalfick, am südlichen Abfall der Hochwangkette, ist auch im An- steigen von Chur nach Malıx, das Fallen gegen Süden gerichtet und es scheinen demnach die Schiefer von Schalfick die Grundlage so- wohl des ganzen Hochlandes von Erosa und aller ihm aufgesetzten Ketten, als des Transerberges und Vatzer Schafkopfs zu bilden. Mit dieser Folgerung sind jedoch andere Thatsachen nicht verträg- lich. Der Kalk des Weisshorns, oberhalb Parpan, enthält, wie wir sehen werden, jurassische, oder höchstens Kreidepetrefakten und ist jedenfalls älter als Flysch; die Grundlage des Schafkopfs ferner setzt fort in die Schiefer der Via mala und der Gebirge von Schams, und diesen Schiefern ist das Gebirge zwischen Albin und Presanz mit seinen Belemniten ebenso aufgesetzt, wie das Weisshorn dem Schiefer von Malıx. Entweder muss demnach auch hier wie- der eine Ueberschiebung älterer über jüngere Bildungen angenommen werden; oder, die Schiefer des Hochwang, ungeachtet ibrer Fucoiden, sind nicht Flysch, sondern jJurassisch,h wie die Schiefer der Agneialp am Julier, welche mit den Fuweoiden auch Belemniten enthalten“ ?. Die erstere der beiden von STUDER angedeuteten Möglichkeiten hat seit jener Zeit, wie es scheint, keine ernste Prüfung mehr er- fahren, trotzdem sich immer deutlicher herausgestellt hat, dass in den Alpen Ueberschiebungen und zwar vielfach solche von beträcht- lichem horizontalem Ausmaasse zu den herrschenden Dislocationen gehören und trotz des bezeichneten Wortes „wieder“, dessen sich ! Geolog. d. Schweiz. I, 1851, p. 379. ® Der Sperrdruck rührt von mir her. Die Schiefer der Agneialp (= Val d’Agnelli) sind, wie ich mich überzeugte, Algäuschiefer und enthalten nur Fu- coiden, welche man auch sonst in diesem Horizonte antrifft, aber keine Flysch- Chondriten oder -Helminthoiden Berichte IX. Heft 3. 18 18 STEINMANN: [262 STUDER bedient. Die zweite Möglichkeit ist wiederholt geprüft wor- den, aber meist mit dem Ergebnisse, dass die Hochwangkette aus Flysch besteht und dass die Flyschalgen im Jura sowenig, wie in anderen älteren Schichten vorkommen. Mir aber will es scheinen, als ob allein schon in der klaren Stellung jener Alternative mehr Erkenntniss enthalten sei, als in allen späteren Schriften, die sich mit dem Alter der Bündner Schiefer befasst haben. Es fragt sich nun, ob die Altersbestimmung der Bündner Schiefer, zu der wir geführt wurden, auf alle die ähnlichen Schiefer- massen ausgedehnt werden darf, die als Bündner Schiefer, Glanz- schiefer (schistes lustr6es) vom Engadin bis zu den Seealpen sich ausdehnen? Ich besitze nur über einen Theil dieser Gebiete eigene Erfahrungen. Nach diesen glaube ich die Hauptmasse der Bündner Schiefer zwischen Vorderrhein und Hinterrhein westlich bis zur Mundaunkette (einschliesslich), südlich bis zum Fusse der Splügener Kalkberge im Safienthal und im Schams unbedenklich als Flysch ansprechen zu dürfen. Wie weit sich der Flysch ins Oberhalbstein hinein erstreckt, vermag ich nicht mit Sicherheit anzugeben, doch vermuthe ich ihn noch als Unterlage des Piz Platta. In dem Zuge mesozoischer Sedimente, welcher vom Oberhalbstein ausgehend sich über den Albula bis in die Gegend von Bormio erstreckt, ist er noch östlich des Innthals vorhanden, denn ich traf ihn noch in der Nähe des durch GuEnBEL’s Beschreibungen bekannt gewordenen Liasvorkommens im Val Trupchun bei Scanfs auf der linken Thal- seite in typischer Ausbildung mit zahlreichen Einschlüssen von Chon- drites Targioni. Ferner gehört meinen Erfahrungen nach die Hauptmasse der Schiefer der Unterengadin, welche 'THEOBALD auf Bl. XV als Lias (LA) ausgezeichnet hat, zum Flysch. Algenreste habe ich zwar in diesem Gebiete nicht gefunden, denn die Schiefer befinden sich hier im gleichen Umwandlungsstadium, wie in der Via mala; auch ihre Lagerungsverhältnisse sind denjenigen im westlichen Bünden so vollständig gleich, dass mir ein Zweifel an ihrer Flysch- natur nicht gekommen ist. Wir werden später hierauf zurück- kommen. Wenn ich aber diese meine Beobachtungen in Bünden mit den zahlreichen und z. Th. sehr ausführlichen Darstellungen über die anderen Gebiete zusammenhalte, so möchte ich sagen: es ist im hohen Grade wahrschemlich, dass in den anderen Gebieten die Schiefer ebenfalls zum grössten Theile dem Oligocänflysch angehören, 263] GEOLOGISCHE BEOBACHTUNGEN IN DEN ALPEN. ]. 19 jedoch mit der Einschränkung, dass man darunter nur die mäch- tigen, fossilfreien und petrographisch sehr einförmigen! Sedimente von flyschartiger Zusammensetzung versteht, unter Ausschluss der vielfach ähnlichen, aber oft innig damit verquickten Juraschiefer, der Kalke, Dolomite, Rauhwacken, Gypse, Kabbros, Serpentine, Chlorit- und Amphibolitschiefer. Nur in dieser Auffassung der Glanzschiefer sehe ich einen Ausweg aus dem Labyrinthe von Unwahrscheinlich- keiten, in die man sich durch ihre Deutung als mesozoische oder vormesozoische Sedimente nothwendiger Weise verwickelt. Freilich darf man sich darüber keiner Täuschung hingeben, dass mit der Anerkennung des Flyschalters auch eine Reihe liebgewonnener Vor- stellungen und Dogmen hinfällig wird, die freilich z. Th. auch schon durch die neueren Untersuchungeh in anderen Theilen der West- alpen stark erschüttert worden sind. Vor allem wird man gezwungen, Ueberschiebungen in viel grösserer Ausdehnung anzunehmen als bis- her, und zwar nicht nur solche, die in der bisher angenommenen Faltungsriehtung erfolgt sind, sondern auch solche, die senkrecht zu ihr oder in entgegengesetzter Richtung sich vollzogen haben. Die Annahme einer einseitigen Dislocation wird damit auch für die Westalpen hinfällig, wie sie es für die Ostalpen längst geworden ist, und von einer Einheitlichkeit der Westalpen, die ja nur auf (rund einer missverständlichen Auffassung der Faciesbildungen und Lagerungsverhältnisse der Chablais- und nordschweizer Klippenzone sowie des Brianconnais hat behauptet werden können, darf nicht mehr die Rede sein. Zur Begründung solch weitgehender Folgerungen werden wir aber genöthigt sein, noch weitere Gebiete in den Kreis unserer Be- trachtungen hineinzuziehen. (Fortsetzung folgt.) ı Ich brauche kaum daran zu erinnern, dass von EscHER's und STtupEr’s Zeiten an bis in die jüngste Zeit immer und immer wiederholt worden ist, wie gross die Einförmigkeit der Hauptmasse der Glanzschiefer zwischen dem Inn- thale und den Seealpen und wie auffallend ihre Aehnlichkeit mit dem Flysch ist, Heım sowohl als THEoBALD haben die nicht normalen Glieder der Bündner Schiefer, d. h. diejenigen Gesteine, welche nicht Flysch, sondern Jura, Trias oder basische Eruptiva darstellen, im Allgemeinen durch besondere Sig- naturen kartographisch abgetrennt von dem gewöhnlichen Bündner Schiefer, welcher ein kalkarmer Phyllit ist. Darin liegt, wie ich meine, schon eine An- erkennung der Verschiedenheit. ROoTHPLETZ dagegen hat aus dem Flysch z. Th. Lias, z. Th. palaeozoische Schiefer gemacht und der Rest seiner palaeo- zoischen Schiefer ist Trias und Lias. 187 Die Vogelwelt des südlichen Badens und die Anwendung der Vogelschutzverordnungen. Im Auftrage des Freiburger Vogelschutzvereins verfasst von Dr. Valentin Häcker, a. 0. Professor für Zoologie. Die vorliegende Schrift stellt sich eine doppelte Aufgabe: sie will eine Uebersicht über die einheimische Vogelwelt geben und damit die Kenntniss derselben, die Freude an ihrer Beobachtung fördern helfen, und sie will zweitens sich mit einigen praktischen Fragen beschäftigen, die im Bereich der Vogelschutzgesetzgebung liegen. Das erstere dürfte sich dadurch rechtfertigen, dass eine aus- führliche Zusammenstellung der Vogelwelt Badens seit längerer Zeit nicht mehr zur Veröffentlichung gelangt ist. Seit dem Erscheinen des KETTNER’schen Aufsatzes! (1849) ist ein geraumer Zeitraum verflossen, gross genug, um beträchtliche Verschiebungen und Ver- änderungen in der Zusammensetzung und Verbreitung der Vogelwelt herbeizuführen. Dies betrifft vor Allem die „einheimische* Vogel- welt im engeren Sinne des Wortes, worunter ich alle diejenigen Formen verstehen möchte, die im Lande als regelmässige Brut- vögel Quartier haben. Für gewöhnlich werden unter der Ornis oder Avifauna eines Landes allerdings auch diejenigen Arten in- ! v. KETTNER, Darstellung der ormithologischen Verhältnisse des Gross- herzogthums Baden. In: Beitr. z. rhein. Naturgesch. Freib. 1849. Seither erschienen kleinere, aber nicht vollständige Uebersichten von NüssLin (in: Das Grossherzogthum Baden. I. b. Thierwelt. Karlsr. 1883) und G. NoRMaN Dovsrass (Contributions to an avifauna of Baden, in: The Zoologist 1894). Für die weitere Umgebung von Basel (den Rheinlauf bis Breisach inbegriffen) gab G. ScHNEIDER eine wichtige Uebersicht (Ornis. III. Jahrg. 1887. S. 509). 265] Die VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. >) begriffen, welche im Frühjahr und Herbst auf der Wanderung das Land passiren (Passanten), ferner die nordischen Fremdlinge, welche während der rauhen Jahreszeit im unseren Gegenden die Winterquartiere beziehen (Wintergäste), sowie endlich diejenigen Formen, welche durch irgend eine Zufälligskeit aus entlegeneren (segenden für längere oder kürzere Zeit zu uns verschlagen werden, ohne dauernden Aufenthalt zu nehmen (Irrlinge). Ich ziehe es jedoch vor, eine Beschränkung im obigen Sinne vorzunehmen, schon deshalb, weil die „einheimische“ Vogelwelt eine feste Grundlage bildet, von welcher aus die Kenntniss der gesammten Ornis in leichter Weise zu erreichen ist, dann aber auch, weil es vorzugsweise Vertreter jener engeren Kategorie sind, die als nützliche oder schädliche Formen eine ökonomische Rolle spielen. - Dies führt uns dann hinüber zu dem zweiten Punkt. Es mag vielleicht manchem die erneute Besprechung der Vogelschutzfrage als ein überflüssiges, unter den augenblicklichen Verhältnissen aus der Luft gegriffenes Unternehmen erscheinen. Ueber die wirth- schaftliche und ästhetische Bedeutung der Vogelschutzordnung sei man ja bei uns vollkommen im Klaren, gute Gesetze schützen den Vogelstand und im Uebrigen sorgen die internationalen Ornithologen- kongresse dafür, dass endlich auch einmal in den südlichen Ländern etwas für die Sache geschehe. Sicherlich ist es in einer Hinsicht ein erfreuliches Zeichen, dass man bei uns derartige Ansichten zu hören bekommt. Sie zeigen in der That, dass hier zu Lande ein gut Theil von dem, was man unter Vogelschutz versteht, bereits als etwas selbstverständiges angesehen wird, und dass man nicht erst die Wichtigkeit der diesbezüglichen Bestrebungen und Verordnungen hervorzuheben braucht. Aber es ist nicht zu vergessen, dass sich die Gesetzgebung vorläufig im Wesentlichen darauf beschränkt hat, Verbote zu erlassen, dagegen fast die ganze positive Seite des Vogelschutzes den Privaten und Vereinen überlassen musste, so vor allem die Sorge für die Ver- mehrung der Wohn- und Nistgelegenheiten und zum grossen Theil auch den Schutz gegen Raubthiere und Raubgeflügel. Gerade in letzterer Hinsicht bestehen keine bestimmten Normen: Die Ansichten darüber, ob dieser oder jener Räuber zu verfolgen ist, sind sehr schwankende, schon deshalb, weil seine Gefährlichkeit je nach den lokalen Verhältnissen verschieden sein kann und weil häufig auch noch anderweitige landwirthschaftliche Interessen hereinspielen; ja, es herrscht sogar vielfach noch eine gewisse Unklarheit darüber, in 3 HÄCcKER: [266 wieweit sich der Schutz der nützlichen Sänger ohne Kollision mit den bestehenden Jagdgesetzen, oder gar mit Paragraphen des Vogel- schutzgesetzes selber bewerkstelligen lässt. In dieser Richtung einige Andeutungen zu geben, soll die zweite Aufgabe dieser Schrift sein. Vielleicht können dieselben dazu dienen, mit der Zeit eine Ver- ständigung über gewisse Punkte und ein gemeinschaftliches erspriess- liches Zusammenwirken herbeizuführen. Die Vogelwelt des südlichen Badens. Wie erwähnt enthält die folgende Liste nur die einheimischen Brutvögel, d. h. solche Formen, welche nachweislich in den letzten Jahren regelmässig in unserem Gebiet ge- nistet haben. Dieses Gebiet erstreckt sich auf den oberen Theil von Baden bis einschliesslich der Kaiserstuhlgegend, aber ausschliesslich des Bodenseeufers. Mit geringen Aenderungen dürfte aber die Liste wohl auch für das übrige Baden, für das obere Elsass und die benachbarten Gebiete der Schweiz Geltung haben. Das Verzeichniss wurde unabhängig von dem Kerrxer’schen angefertigt, hauptsächlich auf Grund eigener, auf einen Zeitraum von sechs Jahren sich erstreckender Beobachtungen, in zweiter Linie mit Rücksicht auf die Belegstücke, welche sich in der Vogel- und Eier- sammlung! des verstorbenen Öberförsters Schütt befinden, sowie auf mündliche Mittheilungen, welche der Verstorbene vor einigen Jahren dem Verfasser gemacht hat. Für einige weitere Notizen bin ich Herrn G. SCHNEIDER in Basel zu grossem Danke verpflichtet. Da nur solche Arten Aufnahme gefunden haben, für welche auf (srund des vorhandenen Materials die thatsächliche Berechtigung bis jetzt erwiesen werden konnte, so dürfte, wie ich hier hinzufügen möchte, die Zahl der angeführten Vögel hinter der wirklichen Zahl von Brutvögeln um etwas zurückstehen. Durch die den einzelnen Namen vorangestellten Zeichen +, O, — soll angedeutet werden, dass sich die betreffenden Arten in den letzten Jahrzehnten, bezw. seit dem Inkrafttreten der Vogel- schutzgesetze, in augenscheinlicher Zunahme, in annäherndem Gleich- ! Zahlreiche wichtige Belegstücke, vor allem die werthvolle Eiersammlung sind in den Besitz des Zoologischen Institutes der hiesigen Universität über- gegangen. 267] Dis VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 4 gewichtszustande, bezw. in offenbarer Abnahme befunden haben. Diese Zeichen haben selbstverständlich nicht die Bedeutung eines wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisses, sondern nur die einer privaten Ansicht, die z. Th. nur für die der eigenen Beobachtung unterstehenden Distrikte Geltung hat, z. Th. aber überhaupt irr- thümlich sein kann. Die laufenden Nummern derjenigen Arten sind durch fetten Druck hervorgehoben worden, welche auf Grund der badischen Verordnung vom 13. Juli 1888 (in Ergänzung des Reichsgesetzes vom 22. März 1888) das ganze Jahr hindurch unbedingte Schonung zu geniessen haben. Kurze Charakteristiken sind 1. solchen Formen beigegeben worden, welche eine bestimmte forst- und landwirthschaft- liche Bedeutung haben, aber erwiesenermassen häufig der Ver- wechslung mit anderen ausgesetzt sind (Raubvögel); 2. solchen Arten, welche auch für den Geübteren schwer von den nächst- verwandten Arten derselben Gattung zu unterscheiden sind (Würger, Pieper); 3. wenig bekannten, aber verbreiteten Formen (gewisse Sumpfvögel). Die Charakteristiken beziehen sich in erster Linie auf den lebenden, in der freien Natur in gewisser Entfernung beobachteten Vogel, sie haben zur Voraussetzung eine allgemeine Formenkenntniss und können also nur solchen dienlich sein, welchen die ornithologischen Grundbegriffe geläufig sind. Greelegentlich einer kleinen, mit Exkursionen verbundenen Vorlesung, in welcher ich seit einigen Jahren eine Anleitung zur Beobachtung der einheimischen Wirbelthierwelt zu geben versucht habe, haben sich diese Diagnosen allmählich fixirt und, wie ich glaube, bewährt. Dass derartige charakteristische Unterscheidungsmerkmale gerade auch für den Jäger von Werth sein können, hat vor Kurzem ein württembergischer Forstmann, Dr. JuLıus HOoFFMANN!, in einer kurzen Schrift betont und zur Geltung gebracht. HOFFMANN sagt in der Einleitung: „Es hat mich schon oft in Erstaunen gesetzt, wie überaus wenige Jäger und Jagdfreunde eine genauere Kenntniss der bei uns heimischen häufigeren Raubvögel besitzen. Das erklärt sich freilich am einfachsten aus dem geringen Interesse, welches die meisten für dieses ‚Raubgesindel‘ haben, welches zwar bei jeder sich bietenden Gelegenheit geschossen, aber dann nicht näher betrachtet, ı J. Horrmann, Zur Charakteristik der häufigeren deutschen Raubvögel. Jahreshefte d. V. f. vaterl. Naturk. in Württ. 49. Jahrg. Stuttg. 1893. 5 HÄCKER: [268 sondern weggeworfen wird, nachdem vielleicht die Fänge, die dem Berufsjäger ein Schussgeld eintragen, abgeschnitten wurden. Ganz merkwürdig ist aber, dass trotz der notorisch sehr allgemein ver- breiteten Unkenntniss doch die allermeisten Jagdfreunde in dem Wahne leben, unsere Raubvögel recht gut zu kennen und mit raschem Urtheil ein erlegtes oder im Flug beobachtetes Exemplar eines Raubvogels sofort mit überzeugender Sicherheit als einen Mauser (Bussard), Habicht oder Sperber — damit ist das Repertoire gewöhnlich zu Ende — ansprechen. Fragt man dann freilich nach den Gründen, nach den Erkennungszeichen, so folgt gewöhnlich ein überlegenes Lächeln mit dem Bemerken, man werde doch wohl einen Bussard, einen Habicht u. s. w. kennen“. Jeder, der sich mit diesen Dingen genauer befasst, wird die Worte Horrmann’s unterschreiben können. Ich kann auf Grund von Erfahrungen hinzufügen, dass mitunter sogar bei zoologisch ge- schulten Jägern eine ähnliche Unkenntniss wahrzunehmen ist. Verzeichniss der Brutvögel Badens'. Familie: Falconidae. Falken. — 1. Milvus regalis auct. Gabelweihe. Im Fluge an den hoch- gewölbten, langspitzigen Flügeln, vor allem an dem tief- gegabelten Schwanz kenntlich. — In den Ebenen und Vor- bergen. In der Brutzeit dem jungen Geflügel und den jungen Hasen gefährlich, sonst nützlicher Mäuse- vertilger. — 2. Milvus ater Gm. Schwarzbrauner Milan. Durch die dunklere Färbung und den seichteren Schwanzausschnitt von dem vorigen, durch letzteres Merkmal von allen anderen Raub- vögeln unterschieden. — Brutv. am Rhein (Sch). Nahrung: Wasservögelbruten, Fische, Frösche. O 3. Cerchneis tinnunculus L. Thurmfalke. Im Flug durch die spitzigen Schwingen, den langen Stoss (Schwanz) und die rostrothe Rückenfärbung ausgezeichnet. — Nistet in Fels- ‘ In Eintheilung und Nomenclatur folge ich mit geringen Abweichungen der kleinen Zusammenstellung: E. F. von HomEYEr, Verzeichniss der Vögel Deutschlands, herausgegeben vom permanenten internationalen ornithologischen Comite. Wien 1885. — Der Vermerk „Sch.“ bedeutet, dass sich die Belege in der Schürr'schen Sammlung befinden, bezw. dass Schürr als Gewährsmann zu betrachten ist. „K.“ verweist auf das Kertner’sche Verzeichniss, „V.V.N.“ auf die Sammlung des Vereins für vaterl. Naturk. in Württ. (Stuttgart.) 269] Die VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 6 wänden, Kirchthürmen. Lebt fast ausschliesslich von Mäusen und grösseren Insekten. © 4. Aeceipiter nisus L. Sperber. Durch die Kombination: ge- wölbte, stumpfe Flügel und langer Stoss von den kleineren Falken zu unterscheiden!. Weibchen bedeutend grösser als Männchen. Junge Vögel unten mit Herzflecken, alte ge- bändert (gesperbert).. — In den Ebenen und Vorbergen. Schädlicher Räuber (Meisen, Finken, Ammern). — 5. Astur palumbarius L. Hühnerhabicht. In Gestalt (Flug- bild) und Aussehen der vergrösserte Sperber. — In den Ebenen und Vorbergen. Schädlicher Räuber (Tauben, Rebhühner, Fasanen). Flugbild des Thurmfalken Flugbild des Sperbers (nach J. HorFFmann). (nach J. HoFFmann). Flugbild des Mäusebussards (nach J. HorFmann). © 6. Pernis apivorus L. Wespenbussard. Im Flug dem Mäuse- bussard ähnlich. Ausgezeichnet durch die schuppenartig sich anfühlende Befiederung des Oberkopfes. Färbung sehr ver- änderlich. — In den Ebenen und Vorbergen (Scn.). Nahrung: . Mäuse, Vogelbruten, Wespen- und Hummelbruten. © 7. Buteo vulgaris Becust. Mäusebussard.. Im Flug (beim Kreisen) an den breiten, flachgewölbten Flügeln und dem kurzen Stoss kenntlich. In Färbung sehr veränderlich. — In der Ebene und im Gebirge. Ausserordentlich nütz- licher Mäusevertilger. ! Charakteristisch für den in der Höhe fliegenden Sperber ist ferner ein schneeweisser Fleck jederseits von der Schwanzwurzel (untere Schwanzdeck- federn). J. Horrmann. 8. HÄcKER: [2 70 (Der Rauhfussbussard, Archöbuteo lagopus BRÜNN, gehört zu den häufigeren Wintergästen. Tarsen bis auf die Hinter- seite dicht befiedert. Gefieder, namentlich Schwanzfedern, mit viel Weiss.) Bemerkung. Es fehlen mir Belege, dass heutzutage in unserem Gebiete Wanderfalke, Baumfalke, Fischadler, klemer Schreiadler, Schlangenadler, Korn- und Sumpfweihe als regelmässige Brutvögel vorkommen. — Speziell die kleineren Adler dürften übrigens öfters mit dunkel gefärbten Bussarden verwechselt werden. Beim kleinen Schreiadler (Aquila naevia M. et W.) fallen (nach J. HOFFMANN) „bei mässiger Fintfernung die handförmig gespreizten äusseren Schwingen als Kennzeichen fliegender Adler auf. — Das Flugbild des Schreiadlers hat übrigens noch das Eigenthüm- liche, dass zwischen den gespreizten äusseren Schwingen und den Schwungfedern zweiter und dritter Ordnung eine sicht- liche Bucht eingeschnitten ist“. Sonst unterscheiden sich die kleineren Adler vom Mäuse- und Wespenbussard durch die vollständig befiederten Tarsen, vom Rauhfussbussard, dessen Tarsen gleichfalls bis auf die Hinterseite vollständig befiedert sind, durch den echten Adlerschnabel: Die Entfernung von der Schnabelspitze bis zur Kuppe der Schnabelwurzel ist beim Rauhfuss kaum so lang wie die Entfernung Schnabel- wurzelkuppe—Augenmitte, bei dem Adler übertrifft sie bei Weitem den letzteren Abstand. Familie: Ströigidae. Eulen. Athene passerina L. Sperlingseule. Von Eisvogelgrösse. Durch die kleinen weissen Flecken auf dem tiefbraunen Rücken, die kurzen, den Schwanz nur zur Hälfte bedecken- den Flügel und die befiederten Zehen von seinem nächsten Verwandten, dem Steinkauz, durch den Mangel des Schleiers und die geringe Grösse von seinem Gebietsgenossen, dem Rauhfusskauz, unterschieden. — Schwarzwaldvogel, wahrschein- lich nicht selten. Bekannt vom Schluchsee (ScnH.), von Rip- poldsau (K.) und Freudenstadt (V.V.N.). Athene noctua RErz. Steinkauz. Amselgrösse. Unvollständiger Schleier. Oben mit grossen weissen Flecken. — Nistet in Vor- hölzern, Baumgärten, Gebäuden. Nahrung: kleinere Vögel, Fledermäuse, Mäuse, Nachtfalter. 271] DiıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 8 O 10. Nyetale Tengmalmi GM. Rauhfusskauz. Vom vorigen, dem on O 12. 014 er in Grösse und Färbung gleicht, durch die dicht befieder- ten Zehen und den vollständigen Schleier unterschieden. — Schwarzwaldvogel (Belchen, Waldkirch, Scn.). Syrnium aluco L. Waldkauz. Durch den grossen dicken Kopf, die grossen schwarzbraunen Augen gekennzeichnet. Typische Eulenzeichnung (dunkle Schaftflecken, von welchen Querwellen ausgehen) mit röthlichem (2) oder graubraunem (5) Grundton. — In allen grösseren Waldungen. Nütz- licher Mäusevertilger. Strix flammea L. Schleiereule. Herzförmiger Schleier. Oben mit schwarz-weissen Perlflecken („Perleule*). — Nistet mit Vorliebe in Gebäuden (Taubenschlägen). Nützlicher Mäuse- vertilger. . Bubo mazimus SiBB. Uhu. Grösste Ohreule mit unvoll- ständigem Schleier und typischer Eulenzeichnung (s. No. 11). — Sehr selten geworden, brütet bei Kirchzarten (1890, Scn.). Schädlicher Räuber (fast alle Landwirbelthiere bis zum Hirschkalb). Otus vulgaris FLEMM. Waldohreule. Grosse Ohrbüschel und vollständiger Schleier. Eulenzeichnung (s. No. 11) mit rost- gelblichem Grundton. — In Eichen- und Föhrenwaldungen der Ebene. Nützlicher Mäusevertilger. O15. Brachyotus palustris FORSTER. Sumpfohreule. Kleine Ohr- O 16. O1. büschel und vollständiger Schleier. Unten hell rostgelb mit einfachen Längsflecken. — Auf sumpfigen Wiesen. Nütz- licher Mäusevertilger. Familie Caprimulgidae. Nachtschwalben. Caprimulgus europaeus L. Ziegenmelker. In der Ebene und im Gebirge, namentlich im Nadelwald. Familie Cypselidae. Segler. Cypselus apus L. Mauersegler. Durch die schwarze Färbung (Kehle weiss), die Grösse, den reissenden Flug und den schrillen Pfiff von den echten Schwalben unterschieden. — Nistet in Gebäuden (Kirchthürmen) und Felswänden. Reiner Insektenfresser. O 18. 019 21. O 24. HÄcKER: [2 72 Familie: Hirundinidae. Schwalben. Hirundo rustica L. Rauchschwalbe. Stirn und Kehle braun- roth. Oben schwarz mit violettem Metallglanz. Schwanz- federn mit weissem Fleck. — Kommt etwas früher als die folgende an. Nistet meist im Innern von Gebäuden. Reiner Insektenfresser. H. urbica L. Stadtschwalbe. Unterseite und Bürzel weiss, letzterer im Fluge als schneeweisser Fleck hervortretend. — Ankunft: 14 Tage nach der Rauchschwalbe, schaart sich vor dem Wegzug in grossen Flügen zusammen. Nistet an der Aussenseite von Gebäuden. Reiner Insektenfresser. H.riparia L. Uferschwalbe. Oben dunkel-mäusefarbig, Kropf mit lichtgrauem Band. Nistet am Rheinufer und in den Lössabhängen in Kolonien. Reiner Insektenfresser. Familie: Cueulidae. Kuckucke. Cueulus canorus L. Kuckuck. Nach neueren Untersuchungen gleichen die (sehr veränderlichen) Eier des Kuckucks im All- gemeinen den Eiern desjenigen Wirthes, welchem der Kuckuck in der betreffenden Gegend hauptsächlich die Eier unter- zuschieben pflest. Hauptwirth in unseren Gegenden: Das Rothkehlchen. Dementsprechend Färbung der Kuckuckseier: weiss mit blassvioletten Schalenflecken und hellbraunen Ober- flächenflecken oder unregelmässigen schwarzbraunen Punkten. — Nützlicher Raupenvertilger (behaarte Raupen). Familie: Alcedidae. Eisvögel. . Alcedo ispida L. Eisvogel. An dem raschen geradlinigen Flug dicht über die Wasserfläche hin, wobei die blaue Rücken- färbung sehr zur Geltung kommt und wobei er den pfeifen- den Ruf hören lässt, leicht zu erkennen. — Schädlich. Nahrung: etwa fingerlange, schmale Fische. Familie: Oriolidae. Pirole. Oriolus galbula L. Goldamsel. Hauptsächlich in der Ebene, in Eichbeständen, in den Rheinauen. Familie: Sturnidae. Staaren. Sturnus vulgaris L. Staar. In Vorbergen und Ebenen, haupt- sächlich in Eichbeständen und Ortschaften. Mit Feldlerche, 273] 1.26, 229. DıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 10 weisser Bachstelze und Ringeltaube eimer der ersten Früh- lingsboten. Ueberwintert theilweise im Rheinthal. Schadet in Weinbergen, Kirschpflanzungen und (Gremüsegärten, ist aber dem Landwirth durch Vertilgung von Heuschrecken, Schnecken, Raupen sehr nützlich. Familie: Corridae. Raben. . Lycos monedula L. Dohle. Nistet hauptsächlich in alten Gebäuden (Thürmen). Vertilgt, wie die anderen Raben, Un- geziefer und Mäuse, zerstört aber auch Vogelbruten und kann dem Getreide-, Gemüse- und Obstbau nachtheilig werden. Corcus corone L. Rabenkrähe. Im Allgemeinen sehr nütz- lich durch Vertilgung von Ungeziefer und Mäusen. Zeit- und stellenweise schädlich (Vertilgung von Vogelbruten; Ein- griffte in die Feldjagd; Plünderungen in Gerstenfeldern). [Die östliche, grau- und schwarzgefärbte Form, Corvus corniz L., Nebelkrähe, sowie Corvus frugilegus L., Saatkrähe (die alten Vögel durch das nackte Gesicht gekennzeichnet), erscheinen bei uns nur im Winter.] . Pica caudata Bo1E. Elster. Charaktervogel im Schwarz- wald, aber auch im der Ebene. Theilt mit den übrigen Raben die gemischte Kost, ist aber dem Vogelstand sehr schädlich. Garrulus glandarius L. Eichelheher. Allesfresser, vor allem ein verderblicher Feind für die Vogelwelt (Singvögel, junge Rebhühner). Nueifraga caryocatactes L. Tannenheher. Im Schwarz- wald brütet die dickschnäblige Form, deren Hauptnahrung Haselnüsse, Eicheln, Bucheckern sind (daneben Nadelholz- samen, Beeren, Ungeziefer, kleine Wirbelthiere). Im Herbst stellt sich in gewissen Jahren (in Baden allerdings seltener) die langschnäblige, schlankere Form (auch durch die breite weisse Endbinde des Schwanzes ausgezeichnet) ein, nament- lich wenn in ihrer Heimat, Nordrussland, Sibirien, ihre Haupt- nahrung, die Zirbelnüsse, missrathen !. ! Die Gestalt des Schnabels ist bei den beiden Formen bis zu einem ge- wissen Grade der Hauptnahrung derselben angepasst. — Besonders grosse Züge von langschnäbeligen Tannenhehern erschienen in Deutschland in den Jahren 1844, 1868, 1885. 11 — 30. O832. — 33. — 54. O835. HÄcKER: [2 74 Familie: Picidae. Spechte. Gecinus viridis L. Grünspecht. Leicht kenntlich an dem grünen Grundton des Gefieders, dem breiten dunklen Bart- streif, der Ausdehnung der rothen Farbe (Oberkopf bis Nacken, beim 5’ Mittelfedern des Bartstreifes) und dem voll- tönenden, mehrsilbigen Paarungsruf. Trommelt angeblich nicht. — In Eichenwaldungen. Sucht die Nahrung vielfach am Boden (Ameisen). Gecinus canus Gm. Grauspecht. An dem schmächtigen Kopf und Hals mit wenig Roth (Oberkopf des 5) und Schwarz und an dem volltönenden, mehrsilbigen, in Tone sinkenden Paarungsruf zu erkennen. Trommelt. — In lichten Laubwaldungen, Flussauen. Nahrung vorwiegend Ameisen. Dryocopus martius L. Schwarzspecht. Schwarz mit rothem Oberkopf (J‘) oder Genick (2). Schwarzwaldvogel, durch den durchdringenden, gezogenen Paarungsruf und starkes, weithin- schallendes Trommeln sich bemerklich machend. Bei Frei- burg nicht selten (ein Pärchen seit Jahren am Brombergkopf). Nahrung: Insektenlarven und Ameisen. Picus major L. Grosser Buntspecht. An dem einsilbigen Lockruf, dem kurzen hellklingenden Trommeln, an dem spär- lichen Roth am Oberkopf (beim JS im Genick ein rothes (Juerband, 2 am Kopf ohne Roth) und dem grossen weissen Schulterfleck zu erkennen. — Namentlich in Kieferwaldungen. Im Winter in Laubwäldern, Obstgärten, begleitet von Meisen, Goldhähnchen u. a. Nahrung: Insekten (Borkenkäfer), Haselnüsse, Kiefernsamen. Picus medius L. Mittlerer Buntspecht. Durch den schwä- cheren Schnabel, durch das viele Roth auf dem Scheitel, den Mangel des Schwarz im Gesicht (schwarzer seitlicher Hals- streif reicht nur bis zur Wange herauf), den rosenrothen Bauch, ferner durch den rasch sich wiederholenden Lockruf und den quäckenden Paarungsruf des Männchens vom grossen Buntspecht unterschieden, mit dem er das kurze Trommeln gemein hat. — Vorwiegend in Laubwaldungen. Picus minor L. Kleiner Buntspecht. An der geringen Grösse, der gleichmässig über Flügel und Unterrücken sich ziehenden Bänderung (namentlich bei Rückenansicht) und dem mangelnden Roth an der Unterseite kenntlich. — In Laub- 275] 836. 0837. O838. — 40. — 41. ® 1 N 43; Die VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 12 wäldern, im Winter in Obst- und Hopfengärten. Sehr nütz- licher Insektenvertilger. Picoides tridactylus L. Dreizehiger Buntspecht. Grundfarbe schwarz, weniger weissbunt als die Picus-Arten. Scheitel beim Z citrongelb, beim @ weiss. — In den Höhen des Schwarzwalds, wo er P. major und medius vertritt. Jynz torquilla L. Wendehals. In Wäldern und Obstalleen. Nahrung: hauptsächlich Ameisen. Familie: Söttidae. Spechtmeisen. Sitta europaea L. Spechtmeise, Blauspecht, Kleiber. Nament- lich in Eichwäldern, Obstgärten. Winters paarweise oder in Gesellschaft der Meisen an den Futterplätzen und Fenstern. Nahrung: Insekten, Sämereien. Familie: Certhiidae. Baumläufer. Certhia familiaris L. Baumläufer. In Laub- und Nadel- wäldern. Streicht Winters in Gesellschaft der Meisen, klettert ruckweise an Stämmen und Mauerwerk. Sehr nützlicher Insektenvertilger. Familie: Upupidae. Wiedehopfe. Upupa epops L. Wiedehopf. Auf Viehweiden und in lichten Eichenbeständen. Nahrung: Insekten, namentlich den Thier- mist bewohnende. Familie: Zaniidae. Würger. Lanius excubitor L. Grosser Würger. Etwa von der Grösse einer Misteldrossel.e. Oben aschgrau. Breiter schwarzer Zügel. — In Ebenen und Vorbergen (Kaiserstuhl). Stand- vogel. Nahrung: grössere Insekten, Mäuse, Singvögel. . Lanius minor L. Kleiner Grauwürger. Etwa Singdrossel- grösse. Oben aschgrau, unten weiss, Brust rosenroth an- gehaucht. Stirn und Zügel schwarz. — In der Rheinebene (Staufener Gegend). Zugvogel. Nahrung: wahrschemlich nur grössere Insekten. Lanius rufus Briss. Rothköpfiger Würger. Vorderkopf und Zügel schwarz, Hinterkopf und Nacken rothbraun. — In der Rheinebene. Zugvogel. Nahrung: Kerbthiere, kleinere Wirbelthiere. 13 HÄCKER: [276 + 44. Lanius collurio L. Dorndreher. Zügel schwarz, Kopf und Hinterhals aschgrau, Oberseite rothbraun. — Ueberall in der Rheinebene. Zugvogel. Nahrung: Kerbthiere, kleine Wirbelthiere, namentlich junge Vögel. Verdrängt und ver- tilst in seinem Revier alle Singvögel. Familie: Muscicapidae. Fliegenschnäpper'. (Machen sich im Gegensatz zu den meisten kleinen Sing- vögeln durch die Gewohnheit bemerklich, von einem freien Aste aus nach fliegenden Kerfen zu spähen und dieselben im Fluge zu fangen. Nützliche Insektenfresser.) O 45. Muscicapa grisola L. Grauer Fliegenfänger. Oben grau, unten gelblich-weiss, grau längsgefleckt. — Ebene und Vor- berge, häufig in Ortschaften und Gärten, auch in jüngeren Fichtenwaldungen. O 46. M. luctuosa L. Trauerfliegenfänger. JS: oben schwarzgrau; Flügelfleck und Stirn weiss. — Ebene und Vorberge, in Obst- gärten und Weinbergen. O 47. M.albicollis Temm. Halsbandfliegenfänger. J: oben schwarz- grau; Flügelfleck, Stirn und Halsband weiss. — Ebene und Vorberge, namentlich in Eichwaldungen. Familie: Accentoridae. Flüevögel. O 48. Accentor modularis L. Heckenbraunelle. Durch die grosse Gewandtheit, mit der sie sich im Gebüsch und auf der Erde bewegt, ausgezeichnet. In Ebenen und Vorbergen. Nahrung: Insekten, auf dem Zug Sämereien. Ueberwintert theilweise im Rheinthal. Familie: 7roglodytidae. Schlüpfer. O49. Troylodytes parvulus L. Zaunkönig. Standvogel, in der Ebene und im Gebirge. Nahrung: Insekten, Spinnen, im Herbste auch Beeren. Familie: Cinclidae. Weasserstaare. — 50. Cinclus aquaticus L. Wasseramsel. An allen Schwarzwald- bächen, in den letzten Jahren in Folge der 1890 ausgesetzten 1 Nach G. Norman DovsLass soll neuerdings ein Pärchen des kleinen, in der Färbung dem Rothkehlehen gleichenden Zwergfliegentängers, M. parva L., am Titisee beobachtet worden sein. Belegstücke fehlen. 277] Q51. Se D1 Sl © ll » OÖ gi Si 1 Dis VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 14 Prämien bedeutend vermindert. Die Prämiürung wurde 1894 aufgehoben, da die Wasseramsel offenbar nicht in allen Gegenden der Fischzucht erheblichen Nachtheil bringt und da gerade bei diesem Vogel auch das ästhetische Moment ins Gewicht fällt. Familie: Paridae. Meisen. (Gehören, mit Ausnahme der Kohlmeise, zu den un- bedingt nützlichen Insektenfressern, neben Baumläufer und Goldhähnchen. Sie sind die besten Freunde des Forst- wirthes und Obstzüchters, da sie’ wegen ihrer Lebhaftigkeit viel Nahrung brauchen, sich stark vermehren und im All- gemeinen ein und dasselbe Revier zu allen Jahres- zeiten durchsuchen.) Poecile palustris L. Sumpfmeise. Hauptsächlich in den Vor- bergen. Parus ater L. Taunenmeise. Schwarzwaldvogel. Nistet bei uns mit Vorliebe in Mauslöchern. Parus eristatus L. Haubenmeise. Schwarzwaldvogel, nament- lich in Weisstannenbeständen!. Parus major L. Kohlmeise?”. In der Ebene und im Ge- birge. Hauptnahrung: Insekten. Schadet im Winter, indem sie durch Pochen die Bienen aus den Stöcken hervorlockt, wird aber auch kleineren Vögeln gefährlich. Parus coeruleus L. Blaumeise. Besonders in Obstgärten und Laubwaldungen. Acredula caudata L. Schwanzmeise. In Laubholzwaldungen, in den Rheinauen. Kommt im Winter in Herden, die ım Gegensatz zu den anderen Meisen nur aus ihresgleichen be- stehen, in die Ortschaften und passirt dabei zu bestimmter Tagesstunde die nämlichen Oertlichkeiten. Sie nimmt aber keine Nahrung an den Futterplätzen und Fenstern auf, da sie, wie der Baumläufer, auch im Winter reiner Insektenfresser bleibt. Nach G. Norman DousLass geht die Vermehrung der Blaumeise mit einer Verminderung der Haubenmeise Hand in Hand. 92 Ich möchte für die Kohlmeise annehmen, dass sie sich erst später als die anderen Meisen in unseren Gegenden, und zwar vom Süden her, ein- gebürgert hat. Die intensive Färbung weist darauf hin, vor allem aber der Um- stand, dass sie theilweise auch jetzt noch Zugvogel ist, der im Winter nach den Mittelmeergegenden zieht. Berichte IX. Heft 3. 19 15 HÄCKER: [278 Familie: Syleöidae. Sänger. (Nützliche Insektenfresser.) ‚37. Regulus cristatus KocH. (relbköpfiges Goldhähnchen. dJ: Oberkopf gelb mit orangefarbenen Scheitelfedern, seitlich von einem schwarzen Längsstreif begrenzt. Kein schwarzer O Zügel. — In den Nadelholzwaldungen des Schwarzwaldes und der Ebene. Wie der folgende, sehr nützlicher Insekten- vertilger. UPS. Regulus ignicapillus L. Br. Feuerköpfiges Goldhähnchen. 9: Oberkopf dunkelorange, seitlich von einem schwarzen Längsstreif begrenzt. Ein Strich durch’s Auge und ein Bart- streif dunkelgrau. (Diese mehrfache Streifung des Ge- sichtes ist auch bei den Weibchen ein sicheres Unterschei- dungsmerkmal gegenüber No. 57.) — Im Laub- und Nadel- wald der Vorberge und der Ebene. — 539. Phyllopneuste sibilatrix Becust. Waldlaubvogel. In Buchen- waldungen der Vorberge (Immenthal bei Freiburg). 060. Ph. trochilus L. Fitislaubvogel. In Waldungen mit Unter- holz, bei uns namentlich in jungen Föhrenschlägen (Inmenthal). © 61. Ph. rufa Laru. Weidenlaubvogel. Im ganzen Land, liebt Liehtungen mit einzelnen Birken. — 62. Hypolais salicaria Br. Gartenspötter. In Gärten und Obst- gütern. In unserer Gegend sehr selten. Mehrere früher be- obachtete Paare fehlten in den letzten Jahren. — 63. Acrocephalus palustris BEcHsT. Sumpfrohrsänger. Nimmt im Gesang zahlreiche audere Vogelstimmen m kunstvoller Weise auf. Früher am Rhein und an der Elz beobachtet, in den letzten Jahren von mir nicht gehört. O 64. Acrocephalus arundinacea N“. Teichrohrsänger, „Rohrspatz“. Häufig an den Altwassern des Rheins. — 65. Sylvia curruca L. Zaungrasmücke. In Ebenen und Vor- bergen, in Gärten und Buschwerk, fällt namentlich bei ihrer Ankunft (Anfang Mai) beim Absuchen der Obstbaum- knospen auf. O66. Sylvia cinerea LaTHu. Dorngrasmücke. In Ebenen und Vor- bergen, in Hecken und Dorngebüsch. + 67. Sylria atricapilla L. Schwarzkopf. Hauptsächlich in den Vorbergen, in der Umgegend Freiburgs offenbar in Zunahme begriffen, ’ DıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 16 — 68. Sylvia hortensis auct. Gartengrasmücke. Grleichfalls in den Vorbergen, namentlich in Gärten. Vorkommen je nach dem Jahrgang offenbar sehr wechselnd, in den letzten Jahren nicht häufig. Familie: Zurdidae. Drosseln. (Mit Ausnahme vielleicht der Amsel nützliche oder wenigstens nicht schädliche Vögel. Nahrung: Insekten, Würmer, Schnecken, im Winter: Beeren.) + 69. Merula vulgaris LeacH. Amsel. In stetiger Zunahme be- griffen, zieht sie sich mehr und mehr in die grösseren Ort- schaften herein. Hier viele Albinos. Wird nicht nur in den Weinbergen lästig, sondern auch dadurch, dass sie kleinere Vögel verdrängt und ihren Bruten nachstellt. () 70. Herula torgquata BOIE. Ringdrossel. Brutvogel im Schwarz- wald, z. B. am Belchen. — 71. Turdus viscivorus L. Misteldrossel. Brutvogel im Schwarz- wald, so gleichfalls am Belchen. — 72. Turdus musicus L. Singdrossel. Schwarzwaldvogel. Aus- gezeichnete Sänger finden sich namentlich in der Gegend des Murgthals, am Herrenwiessee. Scheint neuerdings gleichfalls zu beginnen, sich dem Aufenthalt in der Nähe menschlicher Wohnstätten anzupassen. Seit zwei Jahren nistet ein Pärchen in einem Garten des nördlichen Stadttheils von Freiburg. Familie: Saricolinae. Erdsänger. (Im Allgemeinen sehr nützliche Kerbthierjäger.) O%3. Ruticilla tthys L. Hausrothschwanz. Allgemein verbreitet in Dorf und Stadt. Bei uns nur auf dem Zug im Wald. Im All- gemeinen durch Fang von Fliegen und Schmetterlingen sehr nützlich, kann aber auch der Bienenzucht schädlich werden. O 74. Ruticilla phoenicura L. Gartenrothschwanz. In den Ebenen und Vorbergen. Bei uns namentlich m den Weinbergen. — 75. Luscinia minor CHR. L. Br. Nachtigall. Besonders in den Waldungen und Gärten der Ebene, doch z. B. auch auf dem Kaiserstuhl. Häufig in den Rheinauen, fehlt aber jetzt voll- ständig in der Umgegend Freiburg’s. © %6. Dandalus rubecula L. Rothkehlchen. In der Ebene und im höchsten Gebirge; aber nicht immer gleich häufig. Ueber- wintert bei uns regelmässig. In unseren Gegenden Haupt- wirth des Kuckucks. 193 17 HäÄcKER: | 280 O%7. Pratincola rubetra L. Braunkehliger Wiesenschmätzer. In den Wiesen des Rheinthals und der Seitenthäler, stellenweise häufig. | O7S. Pratincola rubicola L. Schwarzkehliger Wiesenschmätzer. In den Ebenen und Vorbergen, aber seltener als der vorige. 079. Saricola oenanthe L. Steinschmätzer. Brütet in einzelnen (segenden des Schwarzwaldes, so am Belchen, sowie auf den gegenüberliegenden Vogesenhöhen. Ist aber häufiger auf dem Herbstzug auf den Heidekuppen der Schwarzwaldhöhen zu beobachten (Hornisgrinde, Kniebis). Familie: Motacillidae. Stelzen. (Nützliche Insektenvertilger.) —- 80. Motacilla alba L. Weisse Bachstelze.. Am Rhein und an den Zuflüssen; weit hinauf im Gebirge (ich fand ein Nest in der Schutzhütte auf dem Gipfel der Hornisgrinde, 1166 m). Kehrt schon im Februar zurück. O SL. Motacilla sulphurea Becnust. Graue oder (sebirgsbachstelze. Vor allem am langen Schwanz kenntlich. 5: oben aschgrau, unten gelb; Kehle schwarz. —- An allen Gewässern des Schwarzwaldes bis an den Rand der Rheinebene. Ueber- wintert. O82. Budytes flarus L. Schafstelze, gelbe Bachstelze. Jg: Rücken olivengrün, Unterseite gelb; Oberkopf mit Ausnahme eines Ueberaugenstreifes grau. — An den Gewässern der Rhem- ebene. Zugvogel. +83. Anthus aquaticus Becust. Wasserpieper. Etwa Nachtigallen- grösse. Oben olivengrau, unten weiss mit fleischröthlichem Anflug, Brustseiten sparsam gefleckt. Steigt singend schräg vom Boden auf. Gesang einfach. — Brütet auf den Haide- kuppen der Schwarzwaldberge (Feldberg, Belchen, auf letz- terem neben No. 84 und 85). 84. Anthus pratensis L. Wiesenpieper. Kleinste der drei Arten. Oben dunkel olivenfarbig, Weichen rostgelblich mit breiten, schwarzen Schaftflecken. Kropf dicht gefleckt. Sporn länger als Hinterzehe. Steigt singend vom Boden oder von einem Strauche auf. Gesang abwechselnder als bei vorigem. — Brütet auf den Schwarzwaldhöhen. 85. Anthus arboreus Becusr. Baumpieper. In der. Grösse zwischen den beiden vorigen. Flecken der Weichen schmäler. 981] ®) ® 86. 37. SS. S9. 0. 91. 92. 93. 34. 95. DIE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 18 Im ganzen heller als No. 84. Sporn kürzer als Hinterzehe. Steigt singend von der Spitze eines Baumes auf, Gesang abwechslungsreich mit trillernden und pfeifenden Strophen. — Ebene und Gebirge. Familie: Alaudidae. Lerchen. (alerida cristata L. Haubenlerche. In den Ebenen, nament- lich auf Landstrassen, in den Vorstädten. Standvogel. Lullula arborea 1. Haidelerche. In der Ebene und in den Vorbergen, aber auch im Gebirge (so an den kleinen Seen in der Nähe der Hornisgrinde, als Nachbarin des Roth- kehlchens). Zugvogel. Alauda arvensis L. Feldlerche. In der Rheinebene und in breiteren Seitenthälern. Ueberwintert theilweise. Familie: Eimberizidae. Ammern. Miliaria europaea SWAINS. Grauammer. In der ganzen Rheinebene häufig. Emberiza citrinella L. Goldammer. Einer der gemeinsten Standvögel der Ebenen und Thäler. Kommt beim ersten Schnee in die Ortschaften. Emberiza cirlus L. Zaunammer. Alte J: Die hellgelb und schwarze Zeichnung des Vorderkopfes (Kehle schwarz) hebt sich scharf aus der dunkel-graugrünen Umgebung heraus. — Aus dem Süden vorgedrungene Form, in den Vorbergen (z. B. Staufener Gegend). Emberiza cia L. Zippammer. Alte J: Kopf und Hals aschgrau, Zügel und Bartstreif schwarz. — Aus dem Süden vorgedrungen, in einzelnen Seitenthälern der Rhein- ebene (z. B. Untermünsterthal). Schoenicola schoeniclus L. Rohrammer. Am Rhein und seinen grösseren Nebenflüssen. Familie: Fröngillidae. Finken. Passer montanus L. Feldsperling. In beiden Geschlechtern kenntlich an dem kastanienbraunen Oberkopf und dem weissen Halsring. In der Ebene und in den Vorbergen, im Winter in den Ortschaften. Passer domesticus L. Haussperling. Ueberall häufig, mit Ausnahme der höheren Gebirgslagen. 19 "96. OÖ o 2 0100 + 102. O 106. BANK OE108: OÖ 109. HÄCKER: [282 Fringilla coelebs L. Buchfink. Ueberall häufig, in der Ebene und im Gebirge, in den Alleen und Gärten der Ort- schaften sowohl als im Hochwald. Auch die Weibchen überwintern theilweise. Coceothraustes vulgaris PaLu. Kirschkernbeisser. In den Gärten und Waldungen der Rheinebene. Kommt Winters an die Futterplätze in den Ortschaften. Ligurinus chloris L. Grünling. In der Ebene und in den Vorbergen. Winters in Schaaren in den Ortschaften. Serinus hortulanus Koch. Girlitz. Eine von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich mehr und mehr nach Norden ausbreitende südliche Form (1818 zum ersten Mal in Karlsruhe, K.). Bei uns noch Zugvogel. Citrinella alpina Scor. Zitronfink. Aus dem Süden ein- gedrungene Form. Im den oberen Regionen des Schwarz- waldes, z. B. am Belchen. Chrysomitris spinus L. Zeisig. Nistet in den höheren Schwarzwaldregionen und kommt Winters in die Ebene herab, bevorzugt Erlen und Birken. Carduelis elegans STEPH. Distelfink, Stieglitz. Allgemein verbreitet, in hiesiger Gegend entschieden in Zunahme be- griffen !. 'annabina sanguinea Lanps. Hänfling. In der Ebene und in den Vorbergen, namentlich in jungen Föhrenschlägen. Pyrrhula europaea \V 1EıLL. Gimpel. Ueberall häufig. Kommt Winters in Flügen in die Ortschaften (Ahornalleen). Lozia curvirostra L. Fichtenkreuzschnabel. Schwarzwald- vogel. Familie: Columbidae. Tauben. Columba palumbus L. Ringeltaube. Namentlich in den W eisstannenbeständen. Columba oenas L. Hohltaube. Ueberall verbreitet. Turtur auritus Ray. Turteltaube. In den Ebenen und Vor- bergen. Familie: T7etraonidae. Rauchfusshühner. Tetrao urogallus L. Auerhuhn. Im hohen Schwarzwald, stellenweise häufig. ! Dasselbe wird von G. NoORMAN DousLass gemeldet. GOHITLT. © 112: — 113. O 114. — 117, OERISe @.119: DıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 90 Tetrao bonasia 1. Haselhuhn. Im hohen Schwarzwald (so am Belchen). Familie: Phasianidae. Fasane. Phasiunus colchicus L. Edelfasan. In den Niederwaldungen der Ebene, in den Rheinauen, im Kaiserstuhl. Familie: Perdicidae. Feldhühner. Perdix cinerea L. Rebhuhn. Häufiger Standvogel auf den Feldern der Rheinebene. Coturnix dactylisonans M. Wachtel. Auf den Feldern der Ebene und Vorberge. Familie: Charadriidae. Regenpfeifer. Aegialites minor M. u. W. Flussregenpfeifer. Ammern- grösse. Der kurze Schnabel schwarz. Oben graubraun, unten weiss; Augenstreif, Querbinde über den Ober- kopf und Halsband schwarz. Am Rhein und seinen Nebenflüssen häufig. Vanellus cristatus L. Kiebitz. In der Rheinebene. Familie: Cieoniidae. Störche. Ciconia alba BEcHsT. Weisser Storch. In der Rheinebene weit verbreitet, nistet nur noch in Ortschaften. Familie: Ardeidae. Reıher. Ardea einerea L. Fischreiher. Nistet am Rhein; in der Strichzeit an den Schwarzwaldseen. Ardetta minuta L. Zwergreiher. Nistet in den Rheinauen, so bei Hartheim. Familie: Gallinulidae. Wasserhühner. Crex pratensis BecHst. Wachtelkönig, Wiesenralle. In der Rheinebene und den Seitenthälern, an einzelnen Stellen, so am Belchen, weit hinauf im Gebirge. Gallinula chloropus L. Grünfüssiges Rohrhuhn, Teichhuhn. An den Altwassern des Rheins. Gallinula porzana L. Getüpfeltes Sumpfhuhn. Die Grund- färbung (oben olivenbraun, unten grau, Weichen quer- gebändert) hat diese Art mit der folgenden und ebenso mit CO) 122. 123. 128. HÄCKER: [284 der Wasserralle, Aallus aquaticus L., gemeinsam, welch’ letztere sich aber sofort durch ihren die Kopflänge über- ragenden, dem Schnepfenschnabel ähnlichen Schnabel unter- scheidet. Artmerkmale: Weachtelgrösse. Hintertheil und Halsseiten mit zahlreichen weissen Punkten und Tüpfeln, Füsse grünlich. — Nicht selten in den Rheinauen. Gallinula minuta PaLL. (pusilla Gm.). Kleines Sumpfhuhn. Lerchengrösse. Oben mit wenigen weissen Flecken. Füsse im Alter schön grün. — In den Rheinauen, aber seltener und sehr versteckt lebend. (Auch das Zwergsumpfhuhn, @allinula pygmaea NAun., dürfte, wie Herr G. SCHNEIDER. überzeugt ist, am Rhein als Brutvogel vorkommen. Artmerkmale: Kaum Lerchengrösse. Oben mit einer Menge kleiner Spritzfleckchen, Punkte und gekrizelartiger Zeichnungen. Füsse fleischfarben oder röthlichgrau.) Fulica atra L. Wasserhuhn, Blässhuhn. In den Rheinauen. Familie: Scolopacidae. Schnepfen. Scolopaxr rusticola L. Waldschnepfe. Brütet in den Torf- mooren der höheren Schwarzwaldregionen und in einzelnen Seitenthälern. (Aus den letzten ‚Jahren fehlen Belege.) Gallinago scolopacina Br. Becassine. Mässig verbreitet (Bärenthal beim Titisee). Totanus ochropus L. Punktirter Wasserläufer. Singdrossel- grösse. Oben schwarzbraun, weiss punktirt. Bürzel und Wurzelhälfte des Schwanzes reinweiss (ein auch auf grössere Entfernungen hervortretendes Merkmal). Füsse grünlich-bleifarben. An den Altwassern des Rheins. Totanus ylareola L. Bruchwasserläufer. Dem vorigen ähn- lich, aber etwas kleiner, mit schlankeren, gelbgrünen Stän- dern und kürzerem Schnabel. Oben dunkelbraun, mit grossen hellen Flecken, mittlere Schwanzfedern von der Wurzel an gebändert. Vereinzelt am Rhein. Aetitis hypoleucus L. Flussuferläufer. Ammerngrösse. Unter- scheidet sich von den Wasserläufern durch die kürzeren Flügel, welche das Schwanzende nicht erreichen, und die niedrigeren Ständer. Oben braungrau, unten rein weiss, Kropf gefleckt. Auf Sand- und Kiesgründen am Rhein, an dessen Neben- flüssen und an den Gebirgsseen. Fällt durch die heftigen U u 285] Dis VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 99 Bewegungen des Hinterleibs und das Wippen des Schwanzes auf (nach Art der Bachstelzen). Familie: Anatidae. Entvögel. ©129. Anas boschas L. Stockente. In den Rheinauen. Einige Paare brüteten in den letzten Jahren (auch heuer) am Titisee. Familie: Podicipidae. Taucher. ©) ‚130. Podiceps minor GM. Zwergsteissfuss. An den Altwassern des Rheins. Familie: Sternödae. Seeschwalben. O131. Sterna fluviatilis Naum. Flussseeschwalbe. Häufig am Rhein. 0132. Sterna minuta L. Zwergseeschwalbe. Der vorigen ähnlich, aber nur von Lerchengrösse, mit wenig gegabeltem Schwanz und stets weisser Stirn. Am Rhein. 0133. Hydrochelidon nigra BOIE. Schwarze Seeschwalbe. An den Altwassern des Rheins. Wie bereits erwähnt, ist die vorstehende Liste vielleicht noch um einige Arten zu vermehren. So möchte ich es z. B. für wahr- scheinlich halten, dass die kleineren Adlerarten (Fischadler, kleiner Schreiadler, Schlangenadler) noch in einzelnen Paaren regelmässig im Grebiet nisten und so an die Zeiten erinnern, in denen ihre kräf- tigeren Verwandten die allgemein verbreiteten Beherrscher des Hoch- waldes waren !. Ebenso mag auch dieser oder jener Rohrsänger und Sumpfvogel im Schilf und Unterholz der Rheinauen oder an den Schwarzwaldseen sein verstecktes Wesen treiben. Aber auch nach Ausschluss aller unsicheren Vorkommnisse ist die Zahl der einheimischen Brutvögel für unser Gebiet eine sehr beträchtliche. Bereits Vox KETTNER und NüssLix haben diese Reich- haltigkeit der Vogelwelt — sie hatten dabei die Gesammtornis im Auge — mit dem verschiedenartigen klimatischen und landschaft- lichen Charakter der einzelnen Landestheile, mit dem Wasserreich- thum und dem Wechsel von Ebenen, Vorbergen und Gebirgen, und ebenso mit der Mannigfaltigkeit des Anbaues in Zusammenhang ' Nach Graf v. Spoxek, Der Schwarzwald, Heidelb. 1817 sind noch im Jahre 1816 im Revier Herrenwiese bei Gernsbach,. einige Jahre vorher auch bei Forbach im Murgthal Steinadler auf hohen Tannen horstend angetroffen worden. 23 HÄcKER: [286 gebracht. Es liegt auf der Hand, wie sehr Klima und Boden- beschaffenheit auf die Zusammensetzung und Reichhaltigkeit der Thierwelt und speziell der Vogelwelt von Einfluss sind, fast noch mehr aber müssen heutzutage die wirthschaftlichen Verhältnisse eines Landes als ausschlaggebender Faktor betrachtet werden. Inwieweit gerade das letztere Abhängigkeitsverhältniss in Rechnung zu ziehen ist, brauche ich an dieser Stelle im Einzelnen nicht zu wiederholen. Es wird dies vielleicht am besten deutlich werden, wenn wir zum Vergleich eine Gegend heranziehen, welche von vornherein der Vogel- welt erheblich günstigere klimatische Verhältnisse darbieten würde, als unser Land, wo aber trotzdem die Zahl der Brutvögel in Folge der eigenartigen Kulturverhältnisse und der schonungslosen Nach- stellungen durch den Menschen eine ganz ausserordentlich kleine ist. Im südlichen Italien, beispielsweise in der Umgegend des Neapler (solfes ', sind nur etwas über 20 Arten als regelmässige Brutvögel zu betrachten, in Sizilien, wo etwas ausgedehntere Waldflächen be- stehen und wo manche Singvogelarten vor allem in den weitverbrei- teten Opuntienhecken Unterschlupf finden mögen, beträgt die Zahl der regelmässigen Brutvögel etwas mehr, nämlich 40—50. Aus dem Vergleich dieser Zahlen mit der von uns erhaltenen Zahl 133 ent- springt für Jedermann ohne Weiteres, wie sehr die menschliche Kultur und menschliche Gewohnheiten in die Vogeiwelt eingreifen. Aber noch ein weiterer Faktor spielt bei dem relativen Reich- thum der badischen Ormnis — auch hier sind wieder die Brutvögel gemeint — eine wichtige Rolle, es ist dies die geographische Lage des Landes selbst. Die Rheinthalenge zwischen Basel und Istein bildet eine Eingangspforte, durch welche manche südliche Form im südwestlichen Deutschland eingedrungen ist und ebenso stellen die ! Es sind dies: Cerchneis tinnunculus, Athene noctua, Strix flammea, Scops Aldrovandi, Hirundo rupestris (Capri), Alcedo ispida, Corvus cornix, Picus major, Museicapa grisola, Troglodytes parvulus, Parus major, Phyllopneuste trochilus, Merula vulgaris, Monticola cyanea, Galerida cristata, Passer montanmus, Passer Italiae, F'ringilla coelebs, Ligurinus chloris, Serinus hortulanus, Carduelis elegans, Gallinula porzana, Fulica atra (zum Theil nach dem Verzeichniss von GIGLIOLI, 1891). Es sind, wie man sieht, mit wenigen Ausnahmen, Formen, die auch bei uns als Brutvögel vorkommen. In Sicilien kommen dazu verschiedene Charakter- vögel der Mediterranfauna, so kann man z. B. in den Gärten und an den Felsen der Ostküste neben bekannten Formen (Rutieilla tithys, Luscinia minor, Sazicola oenanthe, Cannabina sangwinea, Serinus hortulanus) recht häufig das Sammt- köpfchen (Pyrophthalma melanocephala) und die Bart- oder Röthel-Grasmücke (Sylvia subalpina) beobachten. 287 ] DıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 94 südlichen Vorberge des Schwarzwaldes, der Dinkelsberg und die Höhen zwischen Säckingen und Waldshut einen ersten Angrifispunkt und eine Operationsbasis für das weitere Vordringen ausbreitungs- lustiger Formen dar. Dies gilt für alle Thierklassen. Unter den Insekten waren es vor allem einige Orthopteren (die (sottesanbeterin, Mantis religiosa) und Neuropteren (Ascealaphus), welche durch die Rheinthalpforte ihren Weg bis ins Breisgau gefunden haben. Unter den Amphibien scheint die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) einen ähnlichen Weg genommen zu haben und ebenso sind unter den Reptilien vermuthlich die grüne und die Mauereidechse (Zacerta riridis und muralis) von dieser Seite her ins Rheinthal vorgedrungen, während die zweite Giftschlange Deutschlands, die Aspisviper ( Vipera aspis) zunächst auf den Vorbergen bei Waldshut (T'hiengen) festen Fuss gefasst hat. Kein Wunder, dass auch einzelne Vogelarten von dieser Seite her in der Ausbreitung begriffen sind. Es sind hier vor Allem einige Finken- und Ammernarten zu nennen, und es be- greift sich leicht, warum gerade diese Formen, welche ausser kleinen Kerfen auch noch mannigfaltige vegetabilische Kost zu sich nehmen, sich leichter neuen Verhältnissen anpassen können, als die reinen Insektenfresser. Bereits in der vorstehenden Liste wurde auf die betreffenden Formen aufmerksam gemacht: es ist der Gierlitz, eine kleine Finkenart, die sich überall bei uns in den Weinbergen und Obstgärten durch ihren, auf einer Zweigspitze vorgetragenen, schwir- renden Gesang bemerkbar macht und im übrigen an dem grünlichen (rundton des Gefieders und dem ausserordentlich kurzen Schnabel kenntlich ist; ferner der im Schwarzwald heimisch gewordene Citron- fink, sowie die Zipp- und Zaunammer, für welche beide bereits in der übersichtlichen Liste die Erkennungsmerkmale angegeben wurden. Speziell für den erstgenannten Vogel, für den Gierlitz, konnte die weitere Ausbreitung beinahe von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verfolgt werden und, da ihm der Aufenthalt in unseren Gegenden gut zu bekommen scheint!, so wird wohl ein noch weiteres Vor- rücken in Aussicht zu nehmen sein. Es soll an dieser Stelle noch darauf aufmerksam gemacht werden, ! In seinem naturwissenschaftlichen Jahresbericht für 1891 (Jahresh. d. V. f. vat. Naturk. in Württ., 50. Jahrg. 1894, S. 188) berichtet allerdings der württ. Ornithologe v. Könıs-WARTHAUSEN von einem Rückeang der Art in einzelnen Gegenden. Es handelt sich aber hier vielleicht um eine Schwankung, wie sie auch sonst bei Zugvögeln auftritt und z. Th. wohl auf besonders un- günstige Verhältnisse während der Wanderung zurückzuführen ist. 25 HÄCKER: [288 dass zu wiederholten Malen ein Charaktervogel der Mediterranfauna, dessen nächste Verwandte vorzugsweise im nördlichen Afrika heimisch sind, der Bienenfresser, Merops apiaster L., Versuche gemacht hat, sich in unseren Gegenden anzusiedeln. So wurden 1777 15 Stück unweit Roth bei Untersteinbach beobachtet, und in der Mitte dieses Jahrhunderts haben sich einmal etwa 50 Stück im Kaiserstuhl beim Dorfe Bickensohl niedergelassen und in einem verlassenen Dolerit- bruch zu nisten begonnen. Nach kurzer Zeit, nach wenigen Wochen, waren freilich die „afrikanischen Schwalben“ ausgerottet und ver- trieben worden. (Aehnliche Ansiedlungsversuche sind auch vom oberen Donauthal, vom Donauthal bei Wien und von Oberschlesien bekannt geworden.) Die Verschiebungen in der Vogelwelt Badens. Es wurden vorhin einige Finken- und Ammernarten erwähnt, welche anschemend, ohre durch die menschliche Kultur dazu ge- nöthigt zu sein, ihre Ausbreitungsgrenzen nach Norden zu rücken bestrebt sind. Dies ist ein Vorgang von nicht geringem biologi- schem Interesse. Es sind wohl sehr viele vergebliche Vorstösse und Nistversuche vorangegangen, bis es einer Art gelungen ist, bei uns festen Fuss zu fassen und wir dürfen für dieses allmähliche Vor- rücken aus den Mittelmeergegenden bis in die Grenzen unseres Landes einen Zeitraum von vielen Jahrhunderten in Anspruch nehmen, denn wir haben uns zu vergegenwärtigen, dass während dieses Vorrückens erst der komplizierte Zugvogel-Instinkt ausgebildet werden musste. Jedenfalls geht eine derartige natürliche Ausbreitung, der ergänzende Nachschub neuer Formen, im Allgemeinen viel lang- samer vor sich!, als alle jene Veränderungen und Verschiebungen, welche unter dem direkten oder indirekten Einfluss der menschlichen Kultur sich vollziehen und weitaus zum grössten Theil eine Ver- minderung des Art- und Individuenbestandes zur Folge haben. ! So sagt auch H. Gärke (Die Vogelwarte Helgoland) mit Bezug auf das Steppenhuhn: „Derartige Ansiedlungen durch Einwanderung vollziehen sich nicht in so gewaltsamer Weise über so grosse Entfernungen hin, sondern es rücken dieselben langsam und sicher vor, wie z. B. die Berglerchen (Alauda alpestris L.), zweifellos auch der grosse graue Würger (Lanius major-borealis Vieillot), die wohl ein Jahrhundert gebrauchten, ihr Brutgebiet vom östlichen Asien bis Skandinavien vorzuschieben. Das an einem Ort Ausgebrütetsein dürfte nicht allein genügen, einen Vogel zu bewegen, nach etwa achtmonatlicher Ab- wesenheit zurückzukehren“. 289] DıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 96 Solche Verschiebungen gehen beinahe unter unseren Augen vor sich. Jede Flussregulirung, jede Abholzung eines Waldstückes ruft Veränderungen im Vogelbestand hervor und die betroffenen Arten werden da, wo es sich um grössere Verhältnisse, um ausgedehntere (Gebiete handelt, entweder ganz weichen, oder sich den veränderten Lebensverhältnissen anbequemen müssen. Dieses letztere wird aber nur möglich sein, wenn die betreftenden Formen von der Natur mit einer gewissen Anpassungsfähigkeit und Vielseitigkeit der Begabung ausgerüstet sind: jede Einseitigkeit wird sich in dem durch den Menschen aufgenöthigten Kampf rächen. Es dürften in der That verhältnissmässig nur wenige versteckt lebende Formen sein, die sich bis jetzt den Einflüssen der vor- rückenden Kultur vollständig entzogen hätten. Man wird es nicht einmal von den im Verborgenen lebenden kleinen Raub- und Sumpf- vögeln, z. B. von den kleinen, im Nadel-Hochwald lebenden Eulen- arten und den im Röhricht verborgenen Sumpf- und Rohrhühnern vollständig sagen können. Denn auch ihr Ausbreitungsgebiet wird mehr und mehr eingeengt. In viel höherem Grade gilt dies letztere freilich für die offener lebenden und daher bekannten Formen, vor allem die auffallenden srossen Tagraub- und Wasservögel. Einer nach dem andern wird als Brutvogel vollkommen verschwinden, der in unsern Gegenden noch häufige Mäusebussard nicht ausgenommen. Es sei denn, dass der $ 4 der badischen Verordnung, wonach der letztere den schützen- den Bestimmungen des Reichsgesetzes unterworfen werden kann, durch eine direkte Schutzvorschrift ersetzt wird. In kaum geringerem Masse als für die genannten Formen ist für das grosse Heer der Insekten- und Körnerfresser ihre Stellung zur Kultur zugleich Lebensfrage. Für die eigentlichen Zugvögel, in erster Linie, ist zunächst die Frage entscheidend, inwieweit der Südländler mit seiner Vorliebe für die „uecelli“ " Recht behält oder wir mit unseren Ansprüchen auf ' Es ist vielfach die Ansicht verbreitet, dass die in den Mittelmeerländern sefangenen Zugvögel hauptsächlich als Nahrung der ärmeren Volksklassen dienen. Dies trifft wohl nur zum kleinen Theil zu. Mindestens in der Umgebung der Städte wird weitaus der grösste Theil der Vögel zu Markte gebracht und in Geld umgesetzt. Es handelt sich also um die Frage, inwieweit die ärmeren Klassen auf diese Einnahmequelle angewiesen bleiben und inwieweit die wohl- habenderen Schichten der Bevölkerung zu der Erkenntniss gelangen, dass auch für ihr Land die Vögel eine weitaus wichtigere ökonomische Rolle spielen könnten, als sie es augenblicklich thun. 97 HäckER: [290 ausgiebigeren Schutz der wandernden Vogelschaaren. Es ist im Hinblick auf die immer noch zahlreiche Individuenzahl einzelner Zug- vögelarten schon gesagt worden, dass der Vogelfang in den Mittel- meerländern offenbar keinen so wichtigen Vernichtungsfaktor darstelle, als man anzunehmen pflege, dass sich vielmehr die Vermehrungskraft der Zugyvögel im Lauf der Jahrhunderte in eine gewisse Bilanz zur speziellen, dem Massenvogelfang entsprechenden Vernichtungsziffer gesetzt habe. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dies für gewisse Arten zutrifft, im Allgemeinen dürfte aber das Mass der Verfolgung und der Bedarf der Märkte in viel zu raschem Tempo wachsen, als dass die Anpassung einer Vogelart zu folgen vermag. Abgesehen davon, beweist aber schon der Augenschein und die Erfahrung die Wirkungen des Massenfangs. Manche Vögel, die Feldlerchen, Sing- drosseln, Grasmücken, sind ja bei uns in sichtbarer Abnahme be- griffen, und dass dabei nicht nur die einheimischen Kulturverhält- nisse, sondern gerade der Vogelfang im Süden einen wesentlichen Antheil hat, scheint mir auch aus folgender Betrachtung hervorzu- gehen. Zu eimer Anzahl von Vogelgruppen gehören nebeneinander sowohl Stand-, bezw. Strichvögel als auch echte Zugvögel. In diesen Fällen ist es aber Regel, dass erstere Arten in augenscheinlicher Zunahme begriffen sind, bezw. auf gleichem Stand bleiben, während letztere in offenbarer Abnahme sich befinden. Beispiele hiefür sind das überwinternde Rothkehlchen einerseits, die übrigen Erdsänger (Nachtigall, Blaukehlchen) andrerseits; die in entschiedener Zunahme begriffene Amsel einerseits, die übrigen Drosselarten andrerseits; die bei uns sehr häufige graue oder schwefelgelbe Bachstelze und zum Vergleich die spärlicher werdende weisse Bachstelze; ferner die offen- bar sich ausbreitende Haubenlerche und die in entschiedenem Rück- gang begriffene Feldlerche und Haidelerche. Schliesslich kann auch Rebhuhn und Wachtel herangezogen werden. Trotzdem die beiden Arten sich annähernd gleich stark vermehren (das Rebhuhngelege enthält 9—18, das der Wachtel 8—14 Eier) und trotzdem die Existenzbedingungen für beide Formen hier zu Lande keine erheb- lich verschiedenen sein dürften, zeigt die Wachtel eine entschiedene Abnahme, während das Rebhuhn, in den meisten Gegenden wenigstens, sich auf annähernd gleichem Stand erhält. Aus diesen Vergleichen geht wohl hervor, dass es wirklich die unnatürlichen Zustände im Süden sind, die den Rückgang der Zugvögel bedingen. Denn unter natürlichen Verhältnissen würden die Zugvögel in ihrem Be- stand keine grösseren Schwankungen zeigen, als die Stand- und Strich- 291] DıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 98 vögel: ihre Vermehrungskraft würde genau der Verlustziffer der Land- und Seereise das Gleichgewicht halten. Was die im Winter bei uns bleibenden Vögel anbelangt, so sind je nach der Nahrung und den Brutgewohnheiten die Prognosen für die einzelnen Arten verschieden günstige. Am besten stehen die Aussichten für die auf Bäumen nistenden, in Bezug auf Nahrung weniger wählerischen Finken, wie denn für diese sogar eine Ver- mehrung der Artenzahl festzustellen ist. Weniger günstiger liegen die Verhältnisse für die insektenfressenden Höhlenbrüter, zu denen gerade die nützlichsten Singvögel, die Meisen, Spechtmeisen und Baumläufer gehören. Da naturgemäss in den Waldungen und Obst- särten die Anzahl der alten, mit Baumlöchern versehenen Stämme in Abnahme begriffen ist, so leidet der Bestand und das Vermehrungs- vermögen der erwähnten Vögel unter einem empfindlichen Wohnungs- mangel. Einzelne Arten suchen sich allerdings durch andere Mittel zu helfen, die kräftige Kohlmeise und die Haubenmeise nisten viel- fach ın alten Krähen-, Elstern- und Eichhornnestern und die Tannenmeise nimmt gerade auch in unserer Gegend sehr häufig mit Mauslöchern Vorlieb. Es ist aber zweifellos, dass der Schutz für die Brut dadurch ein bedeutend geringerer ist. Hier hat deshalb, wie dies erfreulicher Weise in weitem Umfang der Fall ist, der Mensch einzutreten. Namentlich in der Nähe der menschlichen Wohnstätten, in Gärten und Obstgärten kann durch Anbringung von Nistkästen viel Gutes gestiftet werden, forstlicherseits könnte, wie dies gleichfalls theilweise geübt wird, durch die Erhaltung älterer Stämme dem Wohnungsmangel gesteuert werden. Es würde zu weit führen, auf die einzelnen Arten, ihre öko- nomische Bedeutung und die Möglichkeit, ihren Bestand zu schützen und zu vermehren, des Näheren einzugehen. Aufgabe dieser Schrift ist es, vor Allem noch einen Punkt ausführlicher zu besprechen, der in der Vogelschutzfrage eine wesentliche Rolle spielt. Die Vermehrung des Singvögel-Bestandes. Unter einigermassen natürlichen Verhältnissen stellt die In dividuenzahl jeder Thierspezies annähernd eine Gleichgewichtsgrösse dar, deren Betrag abhängig ist einerseits hauptsächlich von der Ver- mehrungskraft der Art, von dem Masse der vorhandenen Nahrung und der Möglichkeit, dieselbe zu beschaffen, andrerseits von den Ge- fahren, welche Klima und Lebensgewohnheiten (Wanderung) mit sich 29 HÄäCKER: [292 bringen, von der Zahl der natürlichen Feinde und der Möglichkeit, sich vor denselben zu schützen. Um dieses Gleichgewichtsniveau herum kann allerdings die Zahl der Individuen innerhalb kleinerer Grenzen schwanken, im grossen Ganzen aber hat der Satz Geltung, dass der Ueberschuss der in jedem Jahre von einer Art produzirten Nachkommen aufgehoben wird durch die Zahl der in jedem Jahre zu Grunde gehenden Individuen. Ein Rothkelchenpärchen erzeugt im Durchschnitt jährlich sechs Junge. Würden alle diese Jungen am Leben bleiben, so würde sich also der Bestand von 2 auf 8 er- höhen. Thatsächlich ist aber das Verhältniss so, dass zu Anfang der nächstjährigen Brutzeit im Durchschnitt auch wieder nur zwei Thiere von jeder Familie vorhanden sind. Wir können dieses Ver- hältniss durch eine Gleichung ausdrücken; das Verhältniss der Ver- mehrungsziffer (4) zur Vernichtungsziffer (D) ist unter natürlichen Verhältnissen eine konstante Grösse oder, kurz gesagt ah Bin 119 Zu den natürlichen Vernichtungsfaktoren kommen nun aber überall da, wo die Thierwelt und speziell die Vogelwelt mit der menschlichen Kultur in Berührung tritt, solche hinzu, welche aus den Beziehungen zu der letzteren resultiren (Verminderung der Brutgelegenheit, Verfolgung). Es kann also auf die Dauer auch nicht das natürliche Verhältniss : — 7 bestehen bleiben, da viel- mehr die natürliche Vernichtungsziffer BD noch durch eine weitere (im Allgemeinen in Zunahme begriffene) Grösse (' vermehrt wird, so wird die konstante Grösse der rechten Seite der Gleichung um eine (gleichfalls langsam zunehmende) Grösse x sich vermindern müssen, d. h. der Bestand der Vogelart ist in Abnahme begriffen: A DU Nun wird aber die Vogelwelt ihre ökonomische Bedeutung im Kampf gegen die Insektenwelt nur dann vollständig erfüllen können, wenn der natürliche Bestand derselben zum mindesten erhalten, wenn nicht gesteigert wird. Dies wäre möglich durch eine künst- liche Vergrösserung der Zahl A oder eine Verkleinerung der Summe B-+0. So wie die Sache liegt, ist weder eine beträchtliche Er- höhung der Zahl A, noch eine wirksame Verminderung der Kom- ponente C unsererseits in Aussicht zu nehmen, dagegen lässt sich a an u 2 ee 293] Dis VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 30 eine Verringerung der Grösse B wohl erreichen, indem wir den natürlichen Feinden der Vogelwelt mit allen Mitteln entgegen- treten, wofern nicht andere landwirthschaftliche oder sonstige Inter- essen dadurch geschädigt werden. Auf diese Weise würde das ur- sprüngliche Verhältniss wieder zu einem Theil hergestellt werden können. In der gedachten Richtung ist zweifellos noch sehr viel zu thun, und dass hier ein wichtiger Angriffspunkt für alle interessirten Kreise liegt, ist auch da und dort vollkommen gewürdigt worden. So hat sich ein Einwohner der hiesigen Stadt das grosse Verdienst er- worben, durch Aussetzen von Schussprämien (fünfzig Pfennig für jedes erleste Stück) eine Verminderung der befiederten Feinde der Singvogelwelt in unserer Umgebung anzustreben. Wie einer ge- fälligen Mittheilung dieses Vogelfreundes zu entnehmen ist, sind im Verlauf der letzten zwölf Monate (von Anfang Oktober 1895 zurück- gerechnet) in den Waldungen der Stadt Freiburg erlegt und durch Schussprämien ausgelöst worden: 602 Eichelhäher, 185 Raben, 124 Würger, 2 Sperber. | Es geht aus diesen Zahlen vor allem hervor, wie viel Raub- gesindel in einem verhältnissmässig kleinen Gebiet steckt, dann aber auch, wie zugkräftig eine Ermahnung zu seiner Vertilgung ist, sobald ihr durch materielle Hülfen der nöthige Nachdruck ver- liehen wird. Vielleicht kann dieser Hinweis dazu dienen, dass auch an anderen Punkten des Landes durch Private oder Vereine —— und hier kämen auch landwirthschaftliche Vereine in Betracht — die nöthigen Mittel flüssig gemacht und diesbezügliche Massregeln der Behörden unterstützt werden. Denn es muss betont werden, dass die Anwendung derartiger Massregeln an einem einzelnen Punkt nicht einmal für diesen selbst eine aurch- schlagende Wirkung haben kann. Die Vogelwelt ist ja eine durchaus flüssige Welt; das Loch, das der schöpfende Eimer im Wasser zurücklässt, ist aber nicht von langer Dauer. Es wäre also zu wünschen, und es möge durch diese Zeilen eine abermalige Anregung dazu gegeben werden, dass Private, Vereine und Behörden ihre Bestrebungen auf diesen Punkt hin mehr und mehr richten mögen. Eine gewisse Einheitlichkeit müsste freilich in dem Vorgehen liegen, namentlich auch bezüglich des Um- Berichte IX. Heft 3. 20 3 HÄcKER: [294 fanges der Proskriptionsliste. Vor allem dürften die Grenzen nicht zu weit gesteckt werden, schon deshalb, weil bezüglich mancher Arten der Grad der Schädlichkeit strittig, bezw. auch für bestimmte (Gegenden zweifelhaft sein kann, dann aber weil eine mehr kon- zentrirte Thätigkeit von grösserem Erfolge begleitet sein dürfte. Auch in der praktischen Fischerei ist man davon abgekommen, jedes Tier, welches der Fischzucht schädlich werden kann, unter- schiedslos zu ächten. So war durch Erlass des bad. Ministeriums des Innern vom 10. Dez. 1890 die Bezahlung von Schussprämien für die Wasseramsel genehmigt worden. In den Jahrgängen 1891, 1892, 1893 wurden dann auch durch Vermittlung des Fischerei- vereins für bezw. 516, 360, 632 Stück Prämien von 80 Pfg. aus- bezahlt, in der ersten Hälfte des Jahres 1894 wurden noch weitere 182 Stück erlegt. Dann wurde aber durch Erlass vom 11. Juni 1894 die Prämirung aufgehoben, weil das Mass des Schadens, den die Wasseramsel anrichtet, doch nicht über aller Frage steht, vielmehr in den einzelnen Gegenden ein sehr verschiedenes oder überhaupt ein verschwindendes ist. Wie die Schwarzamsel, so scheint nämlich auch die Wasseramsel in den verschiedenen Gegenden nicht genau die gleiche Ernährungsweise zu haben. Es können auch hier Race- verschiedenheiten auftreten, bezw. es wird eine bestimmte Lebens- gewohnheit, die Vorliebe für eine bestimmte Nahrung von Generation zu Generation vererbt. So dürfte es auch mit den Vogelräubern stehen. Manche Ge- schlechter oder Familien von Krähen sind vielleicht besonders er- picht auf Vogelbrut, andere nehmen die Eier und Jungen, die ihnen beim Aufsuchen der anderen Nahrung gerade in den Wurf kommen, mehr gelegentlich mit. Ueberhaupt lässt sich der Schaden der- jenigen Thiere, die einen sehr gemischten Speisezettel besitzen, ge- wöhnlich nicht im Allgemeinen präzisiren. Anders verhält es sich freilich mit solchen Formen, die eine ganz bestimmte Vorliebe haben und nur im Nothfall zu anderer Nahrung greifen. Von diesen Gesichtspunkten aus möchte ich im Folgenden eine Zusammenstellung derjenigen vierbeinigen und gefiederten Räuber geben, welche als hauptsächliche Feinde des Singvögelstandes die besondere Beachtung der interessirten Kreise verdienen. 295] Dis VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 32 Die Hauskatze. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Katze, sowohl die als Hausthier gehaltene, als namentlich auch die verwahrloste und verwilderte, dem Vogelstand einen ganz erheblichen Schaden zufügt. In Gärten, Obstgärten, an Waldrändern, sowie auf Feld und Wiese gehören die Katzen zu den gefährlichsten Feinden für alle einigermassen offenen und zugänglichen Nester, eine Lieblingsbeute sind aber auch für sie eben flügge gewordene, un- behifliche Vögel und in dieser Hinsicht richtet sie namentlich unter Finken, Bachstelzen und Rothschwänzchen grosse Verheerungen an. Ausserhalb der Ortschaften sollten daher die verwilderten oder halb- wilden Katzen trotz des Nutzens, den sie durch Mäusefang stiften, schonungslos verfolgt werden. Vor allem ist den auf den Bäumen herumwildernden Individuen unerbittlich der Garaus zu machen. Freilich hat hier aus begreiflichen Gründen die Gewährung von - Prämien ihre bedenkliche Seite und auch die bestehenden Ge- setzesvorschriften liefern nur bis zu einem gewissen Grade eine Handhabe. Nach S 1Sb des bad. Jagdgesetzes darf der Jagdberechtigte Katzen, welche über 500 Meter vom nächsten bewohnten Hause ent- fernt betroffen werden, tödten oder tödten lassen. Im Fall der Nothwehr, d. h. zum Schutz seines einer erheblichen Störung oder Benachtheiligung ausgesetzten Jagdrechts, kann auch, wo die Ent- fernung geringer ist, die Tödtung einer Katze gerechtfertigt sein!. Das Eichhörnchen ist neben dem Eichelhäher der gefährlichste Feind der im Walde brütenden Singvögel; namentlich derjenigen, welche offene Nester besitzen, sowie der grösseren Höhlenbrüter, deren Nistlöcher für unseren Nager zugänglich sind. Das Eich- hörnchen richtet in Nadelholzwaldungen auch durch Verzehren der Samen, durch Abbeissen der jungen Triebe („Absprünge“), durch Benagen („Ringeln“) der Rinde grossen und augenfälligen Schaden an und wird daher hier von den Forstleuten gebührend verfolgt. Weniger hervortretend pflegt dagegen der Schaden zu sein, den es in Laubwaldungen durch Verzehren von Eicheln und Bucheln und Zerstörung junger Eichen- und Buchensaaten anrichtet, weshalb ihm hier in der Regel der Forstmann nicht so genau auf die Finger sieht. In Laubwaldungen und ebenso in Obstgärten wird daher das Vorgehen von Privaten und Vereinen besonders angezeigt sein, ' Vol. K. SCHENKEL, Das badische Jagdrecht. Tauberbischofsh. 1886, S. 65, Anm. 2 zu $ 18b. 20* 53 HÄcKER: [296 umsomehr, als gerade hier seine vogelmörderische Thätigkeit besonders zur Geltung kommt. Der Sperber ist ein gefährlicher Feind namentlich der kleineren Singvögel, der Finken, Meisen, Drosseln, Staare. Er verfolgt die er- wachsenen Vögel, hat aber auch eine besondere Vorliebe für junge Nestvögel, namentlich solche, die am Boden ausgebrütet werden. Er ist vom Standpunkt des Vogelschutzes aus schonungslos zu ver- folgen, umsomehr, als er zu den wenigen, unbedingt schädlichen Raubvögeln gehört. Es sollten möglichst hohe Schussprämien ausgesetzt, dabei aber erforderlichen Falls nie unterlassen werden, die scharfe Auseinanderhaltung des Sperbers und Thurmfalken zu betonen (vgl. oben Liste No. 3 und 4). Die Rabenkrähe. Bezüglich der Nützlichkeit und Schädlichkeit dieses Vogels und speziell hinsichtlich seines Verhältnisses zur Singvogelwelt gehen die Ansichten bekanntlich sehr weit auseinander. Hören wir zunächst einen Pessimisten. H. GÄTKE drückt sich folgendermassen aus (Die Vogelwarte Helgoland. Braun- schweig 1891. S. 368): „Der furchtbarste Feind der kleineren Vögel besteht in der über alle Begriffe grossen Anzahl von Krähen, Cor- rus corniz und corone, von deren ungeheurer Massenhaftigkeit man auf dem Festlande sich wahrscheinlich keine so klare Ansicht zu verschaffen mag wie hier auf Helgoland, wo namentlich während des Herbstzuges mehr als fünf Wochen hindurch täglich von acht Uhr in der Frühe bis zwei Uhr Nachmittags, ein fast ununterbrochener Zug- strom dieser Vögel nicht nur überhinzieht, sondern sich, soweit meine Feststellungen reichen, nördlich noch wenigstens zwei deutsche Meilen in See erstreckt und südlich bis zur Küste, und sogar bis Bremer- haven reicht, also über eine Frontausdehnung von acht bis zehn Meilen sich erstreckt; die Fluggeschwindigkeit dieser Vögel beträgt etwa 27 deutsche Meilen in der Stunde, mache man sich also wenn möglich eine Vorstellung der Milliarden dieser Geschöpfe, und be- denke, dass jedes derselben während der langen Sommertage, von vier Uhr in der Frühe bis zum späten Sonnenuntergange, nichts anderes thut, als sein Revier nach Eiern und jungen Nest- vögeln abzusuchen!. Nach solcher Betrachtung kann es nur mit Staunen erfüllen, dass überhaupt noch ein einziger kleiner Vogel vorhanden ist. ! Die hier und in den folgenden beiden Citaten durch den Druck hervor- «ehobenen Stellen sind in den Originalen nicht gesperrt gedruckt. ws 297] Dis VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC, Man sollte demnach in Beschützung der klemen Vogelwelt die Zahl der genannten Räuber möglichst einzuschränken suchen, was freilich dem ungeheuren Brutgebiet derselben gegenüber, das sich östlich bis über den ‚Jenisei hinaus erstreckt, ein ziemlich hoffnungs- loses Unternehmen sein dürfte, in Deutschland aber jedenfalls mit Erfolg durchzuführen wäre.“ Was hier GÄTKE gegen die östliche Form, die Nebelkrähe, welche vorzugsweise die in Helgoland beobachteten Schaaren aus- macht, anführt, ist ebenso oft, bald in mehr, bald in weniger schroffer Form, gegen unsere westliche Form, die Rabenkrähe, vorgebracht worden. Aber ebenso oft haben sich auch Stimmen zu ihrer Ver- theidigung erhoben. So sagt Brenm (Thierleben, 2. Aufl. Vögel. 2. Bd. 8.439): „Man darf mit aller Bestimmtheit annehmen, dass sie (Raben- und Nebelkrähe) zu den wichtigsten Vögeln unserer Heimat gehören, dass ohne sie die überall häufigen und überall gegenwärtigen schadenbringenden Wirbelthiere und verderblichen Kerbthiere in der bedenklichsten Weise überhand nehmen würden. Vogelnester plündern allerdings auch sie aus, und einen kranken Hasen und ein Rebhuhn überfallen sie ebenfalls; sie können auch wohl das reifende Getreide, insbesondere die Gerste in em- pfindlicher Weise brandschatzen: was aber will es sagen, wenn sie während einiger Monate in uns unangenehmer Weise stehlen und rauben, gegenüber dem Nutzen, welchen ihre Thätigkeit während des ganzen übrigen Jahres dem Menschen bringt!“ Es darf vielleicht hinzugefügt werden, dass wenigstens in unsern Gegenden — abgesehen von den höheren Schwarzwaldlagen — die Rabenkrähen mit Ausnahme ihrer eigenen Brutzeit (April bis Mai) fast ausschliesslich auf den Feldern und Wiesen ihrer Nahrung nach- gehen und dass hier die Bruten von verhältnissmässig wenigen Vogel- arten, hauptsächlich von Feldhühnern, Wachteln, Kiebitzen, Lerchen, Piepern, Wiesenschmätzern, als Beute in Betracht kommen. Es ist zweifellos, dass sie hier genug Schaden anrichten, aber es ist bekannt, dass gerade für die genannten Vogelarten noch eine ganze Reihe anderer Feinde in Betracht kommen und es lässt sich jedenfalls nicht erweisen, dass gerade der Schaden der Krähen so sehr prädominirt, wie es nach der Darstellung GÄärke’s den Anschein hat. Ich glaube, dass für unsere südwestdeutschen Verhältnisse am besten zutrifft, was der württembergische Ornithologe von KÖönIG-WARTHAUSEN sagt!: ı Jahreshefte d. Ver. f. vaterl. Naturk. in Württ. 47. Jahrg. 1891, S. 198. 35 HÄcKER: [298 „Noch weit mehr (als der Vorwurf des Jagdfrevels) kommt für alle Vogelarten aus der Rabenfamilie die Anklage zu Recht, dass sie besonders in der Zeit der Jungenfütterung Kleinvögeln und deren Bruten sehr gefährlich werden. — Nach dem Grundsatze, man solle jedes Thier da ungestört lassen, wo es nicht direkt schadet, da aber einschreiten, wo offenbare Nachtheile sich zeigen, wird es Aufgabe des staatlichen Forstpersonals sein, die Jagd und die nützlichen Kleinvögel zur Brutzeit energisch zu schützen, aber nur da, wo es dringend nöthig ist, am rechten Ort und zur rechten Zeit. Eine „Winter-Kanonade“ wäre doch eine arge Schlächterei, sie würde in die Zeit fallen, wo auch die Krähen Mitleid wegen Nahrungsnoth verdienen und bei der grossen Vereinigung aus allen Himmelsgegenden träfe man nicht einmal die bei uns später Straffälligen.* Für unsere Gegenden würde also wohl ein mässiger Ab- schuss, bezw. das Aussetzen nicht zu hoher Prämien während der eigenen Brutzeit und während derjenigen der Kleinvögel über- haupt (Frühjahr und Sommer), zu empfehlen sein. Eine Ver- folgung der Rabenkrähen während des Spätjahrs und Winters würde einerseits deswegen keinen besonderen Werth haben, weil ein grosser Theil wohl aus Fremdlingen besteht (darauf weist schon das winter- liche Auftreten der hier nicht brütenden Nebelkrähen bin), und weil andererseits speziell in der rauhen Jahreszeit der Nutzen der Krähen ihren Schaden bedeutend überwiegt. Der Abschuss würde bei stärkerem Auftreten von Ungeziefer, speziell in Mäusejahren zu sistiren sein, wie denn auch die badische Verordnung vom 13. Juli 1888 ($ 4) verfügt, dass durch bezirks- polizeiliche Vorschrift die rabenartigen Vögel den schützenden Bestim- mungen ($$ 1—5) des Reichsgesetzes unterworfen werden können. Der Eichelhäher. Dieser Vogel darf wohl in unseren Gegenden neben dem Eichhörnchen als der gefährlichste Feind für die Bruten der eigentlichen Waldvögel angesehen werden. Es scheinen vor Allen diejenigen Vögel gefährdet zu sein, deren offene Nester in jungen Schlägen, im Buschwerk der Waldränder, in Feldhölzern stehen, so die Drosseln, Grasmücken, Braunellen. Hier theilt sich der Eichelhäher die Beute mit der Elster. Seine Zunahme ist eine augenscheinliche, da er sich stark vermehrt (5—9 Junge jährlich), und weil er selbst nur wenig von den anderen, immer seltener werdenden Raubthieren zu leiden hat. Bei uns ist er überall sehr häufig: in den letzten zwölf Monaten (von Anfang Oktober 1895 299] Die VoGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC, 36 zurückgerechnet) wurden, wie erwähnt, allem in den Waldungen der Stadt Freiburg für 602 Eichelhäher Prämien bezahlt. Schonungs- lose Verfolgung ist gegen diesen Räuber zu empfehlen. Bezüglich der Verfolgung dieses Thieres würde indess vielleicht ein Punkt in’s Auge zu fassen sein. Vor allem durch die Beob- achtungen GÄTKE’s ist erwiesen, dass nicht nur der Tannenhäher, sondern auch der Eichelhäher in einzelnen Jahren in ungeheuren Schaaren auf dem Herbstzug aus Osteuropa nach Deutschland kommt. Eine solche Masseneinwanderung fand z. B. 1882 statt. Nach diesen Erfahrungen würde man sich also nicht wundern dürfen, wenn trotz schonungsloser Verfolgung die Zahl der Eichelhäher in manchen Spätjahren anscheinend keine Verminderung zeigt. In solchen Fällen würde man diese Erscheinung auf einen Zuzug aus Osten zurück- führen dürfen, der im Frühjahr vermuthlich wieder zurückfluthet, und es würde sich die Frage erheben, ob eine Weiterverfolgung während der rauhen Jahreszeit sich als besonders einträglich erweisen würde. Vielleicht geben uns weitere Beobachtungen hinsichtlich dieses Punktes sicheren Aufschluss !. Die Elster. Namentlich in den Schwarzwaldthälern und herauf bis an die Torfmoore ist dieser Nester-Räuber sehr häufig und treibt sich im Buschwerk und in Vorhölzern herum, In der Gegend. von Gärten und überhaupt überall, wo der Singvögelstand gepflegt werden kann und soll, ist die Elster schonungslos zu verfolgen. Die Würger. Nach $ Sc des Reichsgesetzes zählen die Würger (Neuntödter) zu denjenigen Vogelarten, auf welche die schützenden Bestimmungen des (Gesetzes keine Anwendung haben. Zu den schützenden Bestimmungen gehört, wie erinnerlich, auch das Verbot des Zerstörens und Aushebens der Nester und Brut. Für unsere Gegenden kommen hauptsächlich der grosse, graue Würger und der Dorndreher in Betracht. Der kleine Grauwürger soll angeblich nur von Kerfen leben, der rothköpfige Würger scheint aber bei uns ziemlich selten zu sein. Gegen den grossen Würger wird am besten die Schusswaffe anzuwenden sein, der Dorndreher ist namentlich im Ortschaften, Gärten durch Zerstörung der Nester zu vertreiben. Die Nähe eines Nestes wird vor allem durch ' Wie dies für die östliche, sibirische Tannenhäherform im Allgemeinen zutrifft, so fallen zuweilen im Winter auch einzelne Eichelhäher auf, die im Gegensatz zu ihren Artgenossen eine auffallend geringe Scheu vor dem Menschen zeigen. Dies würde vielleicht auf ihre Herkunft aus weniger be- wohnten, östlichen Gegenden hinweisen. 97 Häckkr: |300 den auffallend gefärbten und abwechslungsreich singenden männlichen Vogel, sowie durch das Geschrei der Jungen verrathen. Es steht im Buschwerk, nahe am Boden, und ist verhältnissmässig gross. Die Eier sind bezüglich der Färbung sehr veränderlich, sie sind „auf gelblichem, grünlich graugelbem, blassgelbem und fleischrothgelbem Grunde spärlicher oder dicht mit aschgrauen, ölbraunen, blutrothen und rothbraunen Flecken gezeichnet“. Eine Verwechslung mit anderen Eiern ist übrigens ausgeschlossen. Von der Schädlichkeit des Dorndrehers kann sich Jedermann durch die Beobachtung selbst überzeugen, da dieser Vogel sein Hand- werk sehr offen betreibt. Durch Aussetzen von Prämien nicht nur für erlegte Würger, sondern auch für Lieferung der Gelege können sich Vereine und Privatleute grosse Verdienste um den Sing- vogelstand erwerben. Im Vorstehenden wurde ein Verzeichniss derjenigen Räuber ge- geben, welche für unsere Frage -hauptsächlich in Betracht kommen und gegen welche auf Grund der bestehenden Verordnungen wirksam eingeschritten werden kann. Die Liste der Feinde des Singvögel- standes ist freilich damit nicht erschöpft. Es hängt auf’s Engste mit der durch die menschliche Kultur be- wirkten Schaffung unnatürlicher Lebensverhältnisse zusammen, dass ausser den Würgern noch ein paar andere Formen aus den Reihen der Singvögel selber unter Umständen von unserem Standpunkte aus schädlich werden können und dass ein Einschreiten gegen die- selben je nach den lokalen Verhältnissen wünschenswerth werden kann. Seit einigen Jahrzehnten ist in vielen deutschen Städten, so namentlich auch hier zu Lande, eine augenfällige Angewöhnung der Amsel an den Aufenthalt in der Nähe menschlicher Wohnstätten und eime ausserordentliche Zunahme dieses Vogels in den Gärten, Anlagen und Weinbergen beobachtet worden. Als diese Erscheinung noch neu war, ist es vielfach als Streitfrage behandelt worden, ob die Amsel als nützlich oder schädlich betrachtet werden soll. Heute steht es wohl unzweifelhaft fest, dass dieselbe an vielen Orten den anderen Singvögeln durch Verdrängung derselben von ihren Nistplätzen und durch direkte Zerstörung ihrer Bruten em- pfindlichen Schaden zufügen kann. Jeder, der ein offenes Auge für diese Dinge hat, kann sich der Wahrnehmung nicht verschliessen, 301] Die VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC, 38 dass in Gärten, Friedhöfen und ähnlichen mit Buschwerk versehenen Oertlichkeiten die Amsel sich durchaus in den Vordergrund drängt!. So sehr nun auch die Amseln durch liebenswürdige Eigenschaften die Zuneigung des Menschen verdienen, so dürfte doch wenigstens versuchsweise da und dort eine Einschränkung ihrer Zahl geboten sein. Sollten die weiteren Erfahrungen es zulassen, ihre Schädlichkeit zum Grundsatze zu erheben, so dürfte vielleicht eine freiere Aus- legung des $ 2 der badischen Verordnung („in sonstiger Weise“) gegen sie anwendbar sein. Es scheint mir zum Mindesten zweckmässig zu sein, die Frage bezüglich ihrer Schädlichkeit in Fluss zu halten. Es sei hier gestattet, noch auf einen anderen Punkt hinzuweisen. Bei der grossen Wohnungsnoth, unter welcher die insektenfressenden Höhlenbrüter zu leiden haben, ist es wünschenswerth, dass nicht andere, minder nützliche Vögel die wenigen vorhandenen (uartiere in Beschlag nehmen. Zu denjenigen Vögeln, welche in alten Eichen, Linden und Obstbäumen sich in besonders gewaltthätiger Weise Platz zu machen pflegen, gehört der Feldsperling. Freilich stiftet dieser Vogel durch Verzehrung von Raupen und sonstigem Ungeziefer während des Sommers unbestreitbaren Nutzen und sein Schaden nm Feldern und Gärten dürfte wohl auch im Allgemeinen geringer sein, als derjenige seines Verwandten, des Haussperlings. Da er .aber, wie gesagt, im Kampf um die Wohnungen anderen nützlichen Vögeln, vor Allem den Spechtmeisen, Meisen, Baumläufern und Fliegen- schnäppern, sehr nachtheilig werden kann — wie man sich in jedem Frühjahr, namentlich in Eichenwäldern und in Lindenalleen, über- zeugen kann —, so wäre es vielleicht angezeigt, zu Beginn der Brut- zeit auf ihn ein Auge zu haben und einer zu vordringlichen Aus- breitung desselben entgegenzuwirken. Die Gesetzgebung gewährt bekanntlich hiezu die nöthigen Befugnisse. "In den Gärten in unmittelbarer Nähe des hiesigen Zoologischen In- stituts haben trotz reichlicher Nistgelegenheit in den letzten Jahren neben der Amsel nur der Haussperling, Hausrothschwanz und Dorndreher Stand ge- halten. Die jährlich wiederholten Nistversuche von Schwarzkopf, Zaungrasmücke und Gartenspötter sind jedesmal gescheitert, und wenn auch zum grossen Theil die Verantwortung hiefür den zahlreichen Katzen und dem Dorndreher zufällt, so möchte ich auf Grund verschiedener Beobachtungen die Mitwirkung der Amsel bei der Verdrängung der übrigen Sänger nicht bezweifeln. — Die Nah- rung der Amsel besteht, wie die der übrigen Drosseln, im Uebrigen aus Beeren und aus Ungeziefer, das vom Boden aufgenommen wird. Die eigentlichen Blatt- und Blüthenverderber bleiben während ihrer zerstörerischen Thätigkeit im Ganzen von ihr unbehellist. Berichte IX. Heft 3. 90 ** 39 HÄCKER: [302 Ich schliesse hiemit die Proskriptionsliste. Bei Einhaltung eines richtigen Masses und bei einheitlichem Zusammenwirken werden Private und Vereine sicherlich grossen Nutzen stiften können. In vieler Hinsicht haben sich bereits die Ansichten bezüglich der zu treffenden Massregeln geklärt. Es kann nicht ausbleiben, dass auch der Erfolg ein allgemein sichtbarer wird. Freiburg i. Brsg., den 1. November 1895. 303] UN UN UR ID Dre VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 40 Auszug aus den Vogelschutzverordnungen, I. Reichseesetz vom 22. März 1888. fo) Das Zerstören und das Ausheben von Nestern oder Brutstätten der Vögel, das Zerstören und Ausnehmen von Eiern, das Ausnehmen und Tödten von Jungen, das Feilbieten und der Verkauf der gegen dieses Verbot erlangten Nester, Eier oder Jungen ist untersagt. Dem Figenthümer und dem Nutzungsberechtigten und deren Beauf- tragten steht jedoch frei, Nester, welche sich an oder in Gebäuden, oder in Hofräumen befinden, zu beseitigen. Verboten ist ferner: a) das Fangen und die Erlegung von Vögeln zur Nachtzeit mittelst Leimes, Schlingen, Netzen oder Waffen; b) jede Art des Fangens von Vögeln, solange der Boden mit Schnee bedeckt; c) das Fangen von Vögeln mit Anwendung von Gift oder geblendeter Lockvögel ; d) das Fangen von Vögeln mittelst Fallkäfigen und Fallkästen, Reusen grosser Schlag- und Zugnetze u. s. w. In der Zeit vom 1. März bis zum 15. September ist das Fangen und die Erlegung von Vögeln, sowie das Feilbieten und der Verkauf todter Vögel, überhaupt untersagt. Vögel, welche dem jagdbaren Feder- und Haarwilde und dessen Brut und Jungen, sowie Fischen und deren Brut nachstellen, dürfen nach Mass- gabe der landesgesetzlichen Bestimmungen über Jagd und Fischerei von den Jaed- oder Fischereiberechtigten und deren Beauf- tragten getödtet werden. Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung a) auf das im Privateigenthum befindliche Federvieh; b) auf die nach Massgabe der Landesgesetze jagdbaren Vögel (in Baden: Auer-, Birk-, Haselwild, Fasanen, Rebhühner, Wachteln, Wildtauben, Wildgänse, Wildenten, Lappentaucher, Säger, Möven, Schnepfen, Kiebitze, alle Arten von Krammetsvögel); c) auf die in nachstehendem Verzeichniss aufgeführten Vogelarten: 1. Tagraubvögel mit Ausnahme des Thurmfalken, 2. Uhus, 3. Würger (Neuntödter), 4. Kreuzschnäbel, . Sperlinge (Haus- und Feldsperlinge), Qu 41 UN UN HÄCKER: [3 04 6. Kernbeisser, 7. Rabenartige Vögel (Kolkraben, Rabenkrähen, Nebelkrähen Saatkrähen, Dohlen, Elstern, Eichelhäher, Nuss- oder Tannen- häher), 8. Wildtauben (Ringeltauben, Hohltauben, Turteltauben), 9. Wasserhühner (Rohr- und Blesshühner), . Reiher (eigentliche Reiher, Nachtreiher oder Rohrdommeln) 11. Säger (Sägetaucher, Tauchergänse), . alle nicht im Binnenlande brütenden Möven, 3. Kormorane, 14. Taucher (Eistaucher und Haubentaucher). Die landesgesetzlichen Bestimmungen, welche zum Schutze der Vögel weitergehende Verbote enthalten, bleiben unberührt. II. Badische Verordnung vom 13. Juli 1888. Auf Grund des $ 9 des Reichsgesetzes wird bezüglich der in der Anlage aufgeführten Vögel das Verbot des Fanges und der Erlegung von Vögeln und des Feilbietens und des Verkaufes todter Vögel auf die Zeit vom 1. Januar bis 1. März und vom 15. September bis 31. Dezember (also auf das ganze Jahr) erstreckt. Anlage. Verzeichniss der Vögel, deren Fang etc. das ganze Jahr hin- durch verboten ist: Ammern, Nachtigallen, Amseln, Nachtschwalben, Bachstelzen, Pieper, Baumläufer, Rohrsänger, Blaukehlchen, Rothkehlchen, Braunellen, Rothschwänzchen, Eulen, mit Ausnahme des Uhu, Schwalben, Finken, mit Ausnahme der Sperlinge, Spechte, Fliegenschnäpper, Spechtmeisen, Goldhähnchen, Steinschmätzer, Grasmücken, Wendehälse, Hänflinge, Wiedehöpfe, Kuckucke, Wiesenschmätzer, Laubvögel, Zaunkönige, Lerchen, Zeisige. Meisen, Absatz 2. der Betheiligten (Eigenthümer, Pächter und sonstige Nutzungsberechtigte) bei der Gemeindebehörde des Wohnortes einzureichen und von letzterer dem Bezirksamt mit Bericht vorzulegen. Dem Antrag ist seitens des Bezirksamts nur dann stattzugeben, wenn es aus der Vorlage und den erforderlichenfalls weiter veranstalteten Erhebungen die Ueberzeugung ge- winnt, dass die Vögel, deren Tödtung beantragt wird, an Feld- und an- deren Früchten erheblichen Schaden anrichten oder in sonstiger Weise Gesuche um Genehmigung der Tödtung von Vögeln sind seitens 305] DıE VOGELWELT DES SÜDLICHEN BADENS ETC. 49 (durch Beschädigung der jungen Saat oder der Baumblüthe, durch Ver- tilgung von Bienen ete.) sich den Jandwirthschaftlichen Inter- essen schädlich erweisen. S 4. Durch bezirkspolizeiliche Vorschrift können einzelne der in $ 8c des Reichsgesetzes angeführten Vogelarten, wie namentlich die rabenartigen Vögel (Rabenkrähen, Nebelkrähen, Saatkrähen, Dohlen oder Thurmkrähen), ferner die Mäusebussarde den schützenden Bestimmungen ($$ 1—5) des Reichsgesetzes unterworfen werden. III. Verordnung vom 21. Oktober 1890. Einziger Paragraph: Alle Arten von Krammetsvögeln sind jagdbare Thiere im Sinne des $ 1 Absatz 4 Ziffer 1 des Jagdgesetzes. Die Erlegung von Krammetsvögeln ist nur mittelst Anwendung von Schusswaffen und nur in der Zeit vom 21. September bis 31. Dezember einschliesslich gestattet. Das Einfangen von Krammetsvögeln mittelst Schlingsen oder anderen Fangeinrichtungen ist verboten. N u wi TR a4 | MER NER en fi ya 5 EN ar De Berichte der Naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. B. Erscheinungsweise und redactionelle Bestimmungen. Jährlich erscheint ein Band, der in zwanglosen Heften ausgegeben wird. 24 Druckbogen, wobei auch jede den Raum einer Druckseite einnehmende Tafel als 1 Druckbogen gerechnet wird, bilden einen Band. Der Abonnementspreis ist auf M. 12.— festgesetzt. Einzelne Hefte werden nur zu erhöhtem Ladenpreise abgegeben. Band I enthält: 15 Druckbogen, 10 Tafeln, zusammen 25 Bogen. Band II enthält: 18 Druckbogen, 6 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band III enthält: 10 Druckbogen, 8 Tafeln, 4 Doppeltafeln, zusammen 26 Bogen. Band IV enthält: 21 Druckbogen, 2 Tafeln, 3 Ba en zusammen 29 Bogen. ‘ Band V enthält: 18 Druckbogen, 6 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band VI enthält: 13 Druckbogen, 12 Tafeln, zusammen 25 Bogen. Band VII enthält: 16 Druckbogen, 8 Tafeln, zusammen 24 Bogen. Band VIII enthält: 13 Druckbogen, 1 Tafel, 5 Doppeltafeln, zusammen 24 Bogen. Band IX enthält: 20 Druckbogen, 1 Doppel- und 1 dreifache Tafel. zusammen 2b Bogen. eo In den Berichten finden Aufnahme: I. Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften. Il. Kürzere Mittheilungen über bevorstehende grössere Publicationen, neue Funde etc. etc. Die für die. „Berichte“ bestimmten Beiträge sind in vollständig druck- fertigem Zustande an ein Mitglied der Redactions-Commission einzusenden. Die Redactions-Commission besteht zur Zeit aus den Herren: Professor Dr. A. GRUBER, Geheimem Hofrath Professor Dr. J. Lürotu und Professor Dr. G. Steinmann. Ueber die Aufnahme und Reihenfolge der Beiträge entscheidet lediglich die von der’ Naturforschenden Gesellschaft ernannte Redactions-Commission. Auch ist mit dieser über die etwaige Beigabe von Tafeln und Illustrationen zu verhandeln. Von jedem Beitrag erhält der betr. Mitarbeiter 40 Separat-Abzüge gratis, weitere Separat- Abzüge werden auf Wunsch von der Gesellschaft geliefert und von ihr nach Vereinbarung von Fall zu Fall berechnet. Die Separat-Abzüge müssen: spätestens bei Rücksendung der Correcetur bestellt werden: Separat-Abzüge von Abhandlungen können dem Autor unter Umständen erst am Tage der Ausgabe des betr. Heftes zugestellt werden, Separat-Abzüge von „kleineren Mittheilungen“ dagegen sofort. Die in den Berichten zum Abdruck gelangten Abhandlungen dürfen von den betreffenden Autoren erst 2 Jahre vom Erscheinen des betreffenden Berichteheftes an gerechnet anderweitig ver- öffentlicht werden. Die Redachions-Conimissio. Die Verlagshandlung. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. ©, B. ar (Paul Siebeck) in Freiburg i. B. und Leipzig. Flastieität und Elektricität. Von Dr. R. Reiff, Professor am Gymnasium zu Heilbronn. 8. 1893. M. 5.—. Lehrbuch a Experimentalphysik Studirende von Dr. E. Warburg, Professor an der Universität Berlin. Mit 404 Original- Abbildungen im Text. Zweite Auflage unter der Presse. Der Bau des Menschen als Zeugniss für seine Vergangenheit. Von Dr. R. Wiedersheim, Professor an der Universität Freiburg. Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Mit 109 Figuren im Text. Gr. 8. 1893. M. 4.80 geheftet. M. 5.80 gebunden. Garl Ludwer 7 Von Johannes von Kries. 8. 1895. M. —.80. Druck von C. A. Wagner in Freiburg i.B. Date Due rer Er er Ba : Rz ee