BERICHTE DES NATURWISSENSCHAFTLICH- MEDIZINISCHEN VEREINES IN INNSBRUCK 2% XXXVIll. JAHRGANG 1920/21 UND 1921/22 INNSBRUCK VERLAG: DEUTSCHE BUCHDRUCKEREI INNSBRUCK 1 9 2 2 2 ; pis) CRI oS eins Cena Er are ny bee Bea a te Tag ne Sh as ee Da ee ee eee | . Say ut asser > Ve St che: 1 * 5: - { u verant Inhalt der ir den Er a) Vereinsnachrichten. 1. Berichte über die im Jahre 1920/21 abyehaltenen Sitzungen. a Res: 1. Sitzung am 26. Oktober 1920. SS S Es fand eine Gedenkfeier fiir das im Mai d. J. verstorbene Ehrenmitglied und Mitgründer des Vereines, Hofrat Professor Dr. Leopold v. Pfaundler statt, bei welcher der Vorsitzende Prof. Dr. Hammerl nach Begrüßung der anwesenden Gäste und Mit- _ glieder die Gedenkrede hielt. % Prof. Dr. Hammerl, selbst ein Schüler und langjähriger _ Assistent Prof. Pfaundlers, brachte zunächst ein Dankschreiben der Witwe des Gefeierten zur Verlesung und besprach dann eingehend den Lebensgang Pfaundlers, seine Bemühungen um die Errichtung eines den heutigen Forderungen entsprechenden physikalischen Institutes an der Universität Innsbruck, seine wissenschaftlichen Erfolge auf dem Gebiete der Chemie, der physikalischen Chemie und der Physik, sein vorbildliches Wirken als Lehrer und Experi- mentator, sowie seine ausgezeichneten menschlichen Eigenschaf- ten. Im Anschlusse daran sprach Hofrat Prof. Dr. Wieser - über die Tätigkeit Pfaundlers auf geographischem Gebiete, speziell auf dem der Gletscherforschung in den Stubaier Alpen. Aus allen Ausführungen ging hervor, daß wir mit Pfaundler nicht nur einen geistreichen Lehrer und außerordentlich gründlichen Forscher, son- dern auch einen vortrefflichen Menschen und Kollegen verloren haben, dessen Andenken im naturwissenschaftlich-medizinischen Verein stets hochgehalten werden wird. ‘ig IV 2. Sitzung am 9. November 1920. In den Verein erscheinen aufgenommen: Univ.-Prof. Dr. Mi- coletzky und Dr. Lechleitner, prakt. Arzt in Kufstein. Prof. Dr. Seefelder hält einen Vortrag: Ueber Ver- erbungin der Augenheilkunde. Der Vortragende betont in der Einleitung die Wichtigkeit der Vererbungsforschung für die medizinische Wissenschaft, die sich aber bis vor kurzem den gewaltigen Errungenschaften der modernen Vererbungslehre gegenüber ver- hältnismäßig zurückhaltend erwiesen habe. Es stehe aber schon heute fest, daß das Grundprinzip der berühmten Mendel’ schen Vererbungsregeln, nämlich die spaltende Vererbung, für den Men- schen ebenso Gültigkeit besitzt, wie für das gesamte Tier- und Pflanzenreich. An der Hand eines Beispiels, und zwar der Brechungsverhältnisse des Auges, wird sodann die eroße praktische Bedeutung der Vererbungsforschung näher er- läutert. Sie hat hier dank den gründlichen Studien eines Zürieher Augenarztes, Dr. Steiger, ergeben, daß die bisher fast allgemein gültige Ansicht, die Kurzsichtigkeit sei eine Folge der mit der Schule verbundenen Naharbeit, auf irrigen Voraussetzungen be- ruht. Die Kurzsichtigkeit ist vielmehr ebenso, wie die so- genannte Normal- und Weitsichtigkeit, so gut wie ausschließıich durch die Vererbung bestimmt. Ein großer Teil der Kinder von kurzsichtigen Eltern wird unvermeidlich mit oder ohne Naharbeit kurzsichtig, weil er diesen Brechungszustand von seine: Vorfahren ererbt hat. Alle bisherigen Versuche, die Kurzsiehtig- keit zu verhindern oder auszurotten, sind als gescheitert und aus- sichtslos zu betrachten. Trotzdem ist aber, zumal bei jugendlichen Kurzsichtigen, wie bisher, rechtzeitige Gläserverordnung und guie Beleuchtung bei der Naharbeit anzustreben, da diese Maßnahmen den Kindern auf andere Weise zugute kommen. Der Vortragende erörtert weiterhin die große Bedeutung der Vererbung bei der Entstehung der Mißbil- dungen des Auges. Sie wird hier wiederum durch ein beson- ders geeignetes Beispiel, nämlich die Vererbung des Kolo- boms, einer ganz typischen und auch beim Menschen nicht zu seltenen Mißbildung näher erläutert. Wir können diese Mißbildung nämlich bei Tieren mit zahlreicher Nachkommenschaft, z. B. beim Kaninchen, dadurch geradezu züchten, daß wir ein mit diesem Augenfehler behaftetes Tier mit normalen Tieren kreuzen. Es kommen dann in den meisten Würfen neben Tieren mit normaien Augen in wechselnder Anzahl auch solche mit Kolobomen zur Weit. Zum Schlusse wird noch kurz auf die am Auge besonders häu- figen sogenannten geschlechtsbegrenzten Anomalien eingegangen, zu denen z. B. auch die Farbenblindheit gehört und Er AL un re a Alam at ii Braut i a SE air ein en du Alan ne ir Klee a Hab Zeller rn a Tu nn en: \ > 4 ’ « y V ‘die sich dadurch auszeichnen, daß sie fast nur bei dem männlichen Geschlecht vorkommen, aber durch gesunde Frauen übertragen werden. Es wird darauf hingewiesen, daß uns durch die neuesten = Forschungen über die Geschlechtsbestimmung und die Vererbung geschlechtsgebundener Eigenschaften bei Tieren, sowie durch Zell- studien an den menschlichen Keimdrüsen der Schlüssel zum Ver- ständnis auch dieser bisher völlig rätselhaften Vererbungsweise in die Hand gegeben ist. 3. Sitzung am 30. November 1220. .Dr. v. Faber, Direktor des botanischen Gartens in Buiten- zorg (Java) hält einen sehr interessanten und lehrreichen, sowie mit vorzüglichen Lichtbildern ausgestatteten Vortrag „Ueber die Naturschönheiten Javas“. 4. Sitzung am 7. Dezember 1920. In den Verein erscheinen aufgenommen: Privatdozent Dr. Otto Chiari, Emil Erler, Ingenieur des Landeskulturrates, Dr. Josef Fohn, Oberrealschulprofessor, Dr. Thomas Hußl, kli- nischer Assistent, Privatdozent Dr. Wendelin Pfanner und Privat- dozent Dr. Konrad Staunig. Professor Dr. Hans Haberer hält einen Vortrag: „Ueber neuere Errungenschaften der Magen-Duodenal- chirurgie”. Vortragender geht von den grundlegenden Ideen Nikoladonis über die Magendarmverbindungen bei stenosierenden Prozessen des Magens einerseits, von den großen Errungenschaften, die Bill- roth mit der Einführung der Magenresektion der ganzen Bauch- chirurgie brachte, andererseits aus, und entwickelte in kurzen Zü- gen, was weiter bisher auf diesem Gebiete geleistet wurde. Wegen der hohen Gefahr der Resektion war dieselbe zunächst ‚ausschließlich bei bösartigen Neubildungen des Magens in Anwen- dung gekommen, während man es nicht wagte, dieselbe Methode bei den gutariigen Erkrankungen des Magens, unter denen das Geschwür weitaus am häufigsten vorkommt, auszuführen, sondern sich dabei mit der Ausschaltung des Geschwüres durch die Gastro- enierostomie bezw. durch die Ausschaltung nach von Eiselsberg begnügte. Vortragender war einer der ersten, welcher, unbefriedigt von den einfachen Ausschaltungen der Magengeschwiire (beziigl. der Dauer der Erfolge) daranging, auch bei gutartigen Erkrankungen ‚der Magenwand die Resektion auszuführen, die ihm vorzügliche VI Resultate lieferte. Es bedeutete daher für ihn nur noch einen © j Schritt, auch bei den Geschwüren des Zwölffingerdarmes die dabei allerdings technisch weit schwierigere Resektion als Radikalopera- tion einzuführen, und wiewohl noch Küttner auf dem Chirurgen- kongreß 1914 der Resektion des Zwölffingerdarmgeschwüres jede Zukunft absprach, und den Eingriff als zu gefährlich und schwer bezeichnete, konnte Vortragender bereits im Jahre 1915, und zwar als erster, über eine Reihe geglückter Resektionen des Zwöll- fingerdarmes berichten. Die Ausbildung der Methode der Duo- denalresektion hatte ihre volle Berechtigung darin, daß man mit den Resutaten, die durch die einfache Ausschaltung von Ge- schwüren des Zwölffingerdarmes erreicht wurden, nicht zufrieden sein konnte. Ein großer Prozentsatz aller Fälle bekam nach eini- ger Zeit die alten Beschwerden wieder, und es zeigte sich auch, daß die Gefahren, welche dem Zwölffingerdarmgeschwür anhaiten, und die in der Perforation, Blutung und malignen Degeneration des Geschwüres bestehen, durch die einfache Ausschaltung nicht beseitigt werden. Eine weitere Gefahr von besonderer Trag- weite, die der Ausschaltung anhaftet, wurde erst im Laufe der letzten Jahre näher erkannt und gewürdigt, sie besteht in dem Auftreten peptischer Geschwüre im Bereiche der neuen Magendarmverbindung, d. h. gewöhnlich in jenem Darmabschnitt, der zur Verbindung mit dem Magen gewählt wird. (Postoperative peptische Jejunalgeschwüre.) Auch diese Frage hat Vortragender durch eine Mitteilung am Chirurgenkongreß 1913 in Berlin neuer- dings ins Rollen gebracht, und seine damaligen Ausführungen haben seither zahlreiche Bestätigung gefunden. Alle die hier kurz geschilderten Gefahren der Zwölffingerdarmgeschwüre und der einfachen Ausschaltung derselben werden am besten durch die Re- sektion des Duodenalabschnittes, der das Geschwür trägt, vermie- den. Redner hat unter mehr als 600 Magenresektionen nicht wen:- ger als 162 bei Duodenalgeschwüren ausgeführt, und konnte die ar- fangs höhere Mortalität dieser Operation unter den letzten 116 Fäl- len auf weniger als 3% herabdrücken. Das gelang durch sorgfäl- tige Ausbauung der Technik, wobei es Redner als den größten . Fortschritt ansieht, daß er zu der ältesten von Billroth angegebenen Methode der Resektion, die auch als Methode Billroth 1 bezeichnet wird, zurückgekehrt ist. Diese Methode ergibt Verhältnisse, weiche den physiologischen weitaus am nächsten stehen, die damit erziel- ten Resultate sind vorziigliche. Unter 154 mit dieser Methode aus- geführten Operationen hatte Vortragender nicht einmal 2 Prozent Mortalität, und auch diese geringe Mortalität hat mit der Technik nichts zu tun, sondern fällt auf das Konte unvermeidlicher Kom- plikationen im postoperativen Verlauf. Vortragender belegt seine Ausführung mit einer Reihe instruktiver Präparate, wie sie unter anderen bei den zahlreichen Operationen gewonnen wurden. = cS ia A DEE ead ‘. nr; en . wan,’ 4 fe ret St. ty eine on RAS, $5 vel Shee eS ye 4 : Vil 5. Sitzung am 11. Jänner 1921. In den Verein erscheinen aufgenommen: Ernst Clement, Kauf- mann, Südbahnrevident Karl Lichtensteiner und Dr. Johann Müller, klinischer Assistent. Prof. Dr. Hammer! hält einen -Vortrag „Ueber das -Audion als Empfänger, Verstärker und Erreger elektrischer Schwingungen“ Der Vortragende be- sprach nach Erklärung des Wesens ungedämpfter und gedämpfier elektrischer Schwingungen, die in einem Stromkreis, bestehend aus Kondensator und Spule, auftreten können, die Erzeugung ge- dämpfter mittels tönender Funken, die entstehen, wenn der Schwingungskreis durch einen Wechselstrom ven 1000 Wechsel in der Sekunde geladen und entladen wird, wobei die auftretenden Funken so rasch aufeinanderfolgen, daß ein Ton entsteht. In der- selben raschen Aufeinanderfolge entstehen die Gruppen gedämpf- ter Schwingungen, die sich nach allen Richtungen von der Antenne ‚ausbreiten und in der Empfangsstation mit einem gleichartigen Schwirgungskreis Schwingungen derselben Art hervorbringen. Zur Wahrnehmung derselben im Telephon muß man- dieselben gleichrichten, was durch den Detektor erfolgt, bestehend aus einem Bleiglanzstück und einem dasselbe lose berührenden, zugespitzten Metallstabchen, der die Eigenschaft hat, den Strom in einer Rich- ‚tung besser zu leiten als in der andern, er verwandelt den Wellen- zug wechselnder Richtung in Gleichstromimpulse, jede Schwin- gungsgruppe bewirkt dann eine Schwingung der Telephon- . membran; folgen diese Schwingungsgruppen genügend rasch auf- einander, z. B. 1000 in der Sekunde, so hört man im Telephon den- selben Ton, den die tönenden Funken erzeugen. Mit der Pouisen- lampe und den Hochfrequenzmaschinen werden ungedämpfte eiek- trische Schwingungen erzeugt. Das Audion, auch Kathodenstrahl- röhre genannt, wirkt als Empfänger, Verstärker und Erreger elek- trischer Schwingungen und besteht aus einem hochvakuierten Glas- sefäß mit 3 Elektroden, der Glühkathode, einem Wolframfaden, aus dem Gitter, einer Drahtspirale und der Anode, einer Metallplatte. Durch Erhitzen der Glühkathode durch den Heizstrom treten Elek- tronen, negativ geladene Teilchen, auf, die einen Anodenstrom zur Folge haben, wenn die Anode an den positiven Pol, die Gliih- kathode an den negativen Pol einer Gleichstromquelle gelegt wird. Bei Vertauschung der Pole verschwindet der Anodenstrom, infolge- dessen werden zugeführte Wechselströme in Gleichströme ver- wandelt. Das Audion wirkt wie der Detektor als Empfänger elek- trischer Schwingungen. Bei der Verwendung des Audions als Ver- stärker und Erreger elektrischer Schwingungen spielt das Gitter eine sehr wichtige Rolle, indem an Hand von Kennlinien gezeigt wird, daß bei passender Heizstromstärke und Anodenspannung ge- oh ' A ir ero v7 Werth eas 2 R 5 EN HER BE ES LT EEE ae eee De Be teat a en RR? < iain Seti cy Sis Tk Be eae anes: SONAR) Ord be Na Rea Phas Nee k N ae ae ey ne N ET a 4 2 a u Se VIII ; ringe Aenderungen der negativen Gilterspannung und starke Aen- derungen des Anodenstromes auftreten. Werden somit dem Gitter, das unter Einschaltung der Empfangsspule mit dem negativen Pol der Heizbatterie in Verbindung ist, schwache elektrische Schwin- gungen zugeführt, so treten starke Aenderungen des Anodenstro- mes auf, der auf das Telephon einwirkt. Mit Hilfe zweier Audione läßt sich z. B. die Empfangslautstärke auf das 225fache erhöhen. Der ‚Verstärkerwirkung verdankt das Audion außerdem die Fähigkeit bei Einschaltung eines Schwingungskreises in den Anodenslrom- kreis selbsttätig ungedämpfte elektrische Schwingungen zu erzeu- gen. Wird der Anodenkreis geschlossen, so entstehen gleichsam durch Stoßerregung Eigenschwingungen, ein kleiner Bruchteil der- selben wird mittels einer Koppelungsspule auf den Gitterkreis übertragen, wodurch Spannungsschwankungen am Gitter auftreten. die eine Verstärkung der Eigenschwingungen zur Folge haben, die Gitterspannung wächst, somit auch die Eigenschwingung, der Vor- gang wiederholt sich, wobei die Schwingungen im Schwingungskreis immer stärker werden, bis ein gewisser Gleichgewichtszustand ein- getreten ist. Das Vorhandensein ungedämpfter elektrischer Schwin- eungen läßt sich nachweisen, wenn man in den Kreis der Em- piangsspule mit Telephon einen Unterbrecher einschaltet, der ab- wechselnd das Telephon an die Spule anschließt und abschaltet, wodurch ein Geräusch, ein Rauschen im Telephen, auftritt. Zum Schlusse wird noch der Schwebungsempfang demonstriert, bei weichem ein hörbarer Ton im Telephon auftritt. Die Schwingungs- zahlen elektrischer Schwingungen liegen weit über der Hörbar- keitsgrenze, bringt man jedoch zwei elektrische Schwingungen zur Interferenz, deren Schwingungszahlen z. B. um 1000 Schwingungen differieren, so entstehen elektrische Schwebungen mit dieser Schwingungszahl, die einen hörbaren Ton im Telephon hervorbrin- gen. Der große Fortschritt in der drahtlosen Teiegraphie in den letz- ten Jahren beruht auf der Verwendung des Audions als Empfänger. Verstärker und Erreger elektrischer Schwingungen teils zum Sen- den, teils zum Ueberlagerungsempfang, so daß die ganz schwachen elektrischen Schwingungen, die von einer weit entfernten Sende- station im einer Rahmenantenne auftreten, nachgewiesen werden können. 6. Sitzung am 25. Jänner 1921. In den Verein erscheinen aufgenommen: Dr. Friedrich Plahl, prakt. Arzt, Dr. Karl Unger, Assistent am gerichtl.-medizin. Institut und Dr. Walter Stupka, klinischer Assistent. Prof. Dr. Greil hält seinen angekündigten Vortrag: „Ueber Geschlechtsbestimmung“. eh na an a nun IX 7. Sitzung am 15. Februar 1921. Prof. Dr. Sperlich hält einen Vortrag: „Ueber Varia- ‚tion als Folge der Sehwächung phyletischer Po- tenz“. Der Vortragende brachte eingangs die Ergebnisse einer friiheren Untersuchung über die Keimungsverhältnisse des Wiesen- schmarotzers Alectorolophus hirsutus, über die bei anderer Ge- legenheit berichtet wurde (siehe diese Berichte XXXVII. p. VID ‘in Erinnerung. Es hatte sich herausgestellt, daß nur Samen der unteren Nodien der Aehrenmitte von frühen Individuen im- stande sind, die Art in Vollkraft zu erhalten, während alle anderen Nachkommen entweder selbst oder in ihrer ferneren Nachkommen- schaft nach mannigfaltiger Ausprägung der Schwächung am Indi- viduum schließlich dem Untergange geweiht sind. Den ungleich- mäßig auf die Nachkommen übergehenden Faktor der Linies- erhaltung nennt der Vortragende die phyletische Potenz. Ihr liegt, wie Versuche mit Lichtwirkung und Beobachtungen az abnormalen Keimungen zeigen, mit viel Wahrscheinlichkeit die ungleichmäßige Ausrüstung der Samen mit. Enzymen zugrunde. Auch die verschiedensten Abweichungen vom normalen Typus der Pilanze, wie die veränderte Blattstellung und -zahl, die ungewolin- liche Verzweigung, die Vermehrung der Staub- und Fruchtblätier., die Spaltung der Blütenoberlippe, der Zwergwuchs, der Mangel an Chlorophyll und dessen Ueberfülle, sind Ausprägungsformen der Schwächung der phyletischen Potenz. Damit finden diese Va- riationen, über deren Deutung und Verwertung in der bisherigen Forschung vom Vortragenden das wesentlichste hervorgehoben wurde, ihre kausale Erklärung; die bisher größtenteils unbeant- wortet gebliebene Frage, wann solche Abnormitäten im Stamm- baum einer Pflanze zu erwarten sind, erscheint wenigstens für Alectorolophus beantwortet. Weitere Versuche, insbesondere Kreuzungsversuche mit Individuen verschiedener phyleti- scher Potenz, die den Vortragenden gegenwärtig beschäftigen, wer- cen zu zeigen haben, ob die Verschiedenheit der phyletischen Po- tenz auch die Erbanlagen betrifft, ob die Keimzellen hierdurch wirklich mutieren. 8. Sitzung am 22. Februar 1921. Prof. Dr. Schumacher hält einen Vortrag: „Ueber die Fellzeichnung bei den Säugetieren“. Bezüglich der Deckenzeichnung der Säugetiere sind zunächst nach dem Sitze des Farbstoffes verschiedene Zeichnungsarten auseinanderzuhalten. Eine Zeichnung kann nämlich bedingt sein durch ungleiche Ver- teilung des Farbstoffes in der Haut selbst (direkte Zeichnung nae! Toldi jun.), wobei das Pigment entweder in der Lederhaut oder in der Oberhaut liegen kann, oder durch verschiedene Färbung der Haare (indirekte Zeichnung). Bei dicht behaarten Tieren kommt für die Zeichnung, die bei der Betrachtung der Decke von der Außenseite her sichtbar wird, nur das Haarpigment in Betracht. aber auch bei dichter Behaarung kann eine direkte Zeichnung vor- kommen, die allerdings nur an der Innenseite der Decke zu seheu ist. Wenngleich das Pigment bei den Säugetieren stets braun isi, so kann doch derselbe Farbstoff durch Lagerung in verschiedenen Schichten der Haut recht verschiedene Färbungen bewirken. So bedingt das braune Lederhautpigment im allgemeinen eine Blau- färbung nach dem Gesetze, daß ein dunkler Hintergrund mit vor- gelagertem trüben Medium blau erscheint. Als Rest der ursprüng- lichen für den Menschen charakteristischen Zeichnung sind die in der Gesäß- und Kreuzgegend namentlich bei den Neugeboreuen der mongolischen Rasse ziemlich regelmäßig auftretenden „blauen Geburtsflecke“ oder ,,Mongolenkinderflecke“ zu betrachten, die durch Lederhautpigment bedingt sind. Auch bei Tieren, die im er- wachsenen Zustande keinerlei Zeichnung mehr erkennen lassen, tritt oft im Jugendkleide deutlich die ursprüngliche Zeichnung zu Tage. (Wildschwein, Tapir, Reh, Feldhasen-Fötus.) Selbst bei Haustieren, bei denen infolge der geänderten äußeren Verhältnisse die ursprüngliche Zeichnung durch das Auftreten der sehr variab- len „Domestikations-Zeichnung“ vollständig verwischt erscheint, lassen sich manchmal (Katze, Schwein) Andeutungen der ursprüng- lichen Zeichnung an der Gruppierung der ersten Haaranlagen er- kennen (Wildzeichnung nach Toldt). Eine weitere Zeichnungsart tritt bei den Tieren während des jahreszeitlichen Haarwechsels in Erscheinung (Wechsel- oder Mauserzeichnung nach Toldt). Bei jenen Arten, deren Sommerkleid sich vom Winterkleide in der Fär- bung wesentlich unterscheidet, ist diese Zeichnung ohneweiters bei der Betrachtung des Felles von der Außenseite her zu sehen, aber auch bei Tieren mit gleich gefärbtem Sommer- und Winterkleia kann man die Wechselzeichnung an dem Auftreten dunkler Flecken (Mauserflecken) und Streifen an der Innenseite der Decke er- kennen, die dadurch bedingt sind, daß die jungen, nachkeimenden Haare noch tief in der Haut stecken und stark pigmentierte Haar- zwiebel besitzen, eine Erscheinung, die in Händlerkreisen als „Schwarzledrigkeit“ bezeichnet wird. Der Wechselzeichnung dürfte bei sonst einfärbigen Tieren ebenso wie der Jugend- und Wild- zeichnung eine gewisse stammesgeschichtliche Bedeutung für die Beurteilung des Zeichnungsmusters der Vorfahren der betreffen- den Tierart zukommen. el a ee ee ee TE yp oe a) Ieee! ee ai ah nn ae ult > eee ee an 9. Sitzung am 1. März 1921. Prof. Dr. Defant hält einen Vortrag: „Ueber Klima- Schwankungen und atmosphärischeZirkulation“. 10. Sitzung (Jahresversammlung) am 8. Marz 1921. in derselben wurde nach Erledigung von Vereinsangelegeu- heiten zuerst der Bericht des Schriftführers verlesen, aus dem zu entnehmen war, daß das 51. Vereinsjahr trotz widriger Umstände einen sehr regen Verlauf nahm. Es fanden 10 Sitzungen mit lehr- reichen und interessanten Vorträgen statt, es wurde der XXXVli. Band der Vereinsberichte herausgegeben. Die’ Zahl der Mitglieder beträgt gegenwärtig 96, davon sind 7 Ehrenmitglieder; new einge- treter sind 12 Herren. Besondere Verdienste um die Hebung der Vereinstätigkeit erwarben sich Hofrat Ipsen und Hofrat Wettstein in Wien, sowie Prof. Hammerl, dem die Leitung des Vereines in diesem Jahre oblag. Weiterer Dank gebührt den Herren Vortra- genden, dann den Herren, welche Beiträge für den Bericht liefer- ten, den Spendern von Beiträgen zur Herausgabe des Berichtes und den Redaktionen der Innsbrucker Tagesblätter für die Aufnahme der Tagesordnungen und Sitzungsberichte. An den Kassenberichi. erstattet vom Prof. Dr. Dalla Torre, schlossen sich dann die Neu- wahlen fiir das kommende Vereinsjahr an. Das Ergebnis dersei- ben war: Vorstand: Prof. Dr. Schumacher; Vorstandstellvertreier: | Prof. Dr. Hammer]; 1. Schriftführer: Prof. Zehenter; 2. Sehriftfüh- rer: Prof. Dr. Loos; Kassier: Prof. Dr. Dalla Torre. Hierauf hielt Prof. Dr. Schumacher einen Nachruf für den am 13. November 1920 in Wien verstorbenen Altmeister der Ana- tomie, Hofrat Prof. Dr. Karl Toldt, und entwarf ein Lebensbiid von Toldt als Mensch, Lehrer und Forscher. Einem alten Tiroler Geschlecht entstammend, wurde Toldt am 3. Mai 1840 zu Bruneck geboren. Nach Absolvierung des Gymnasiums zu Brixen studierte Toldt am Josefinum in Wien Medizin, wurde 1876 als Ordinarius für Anatomie nach Prag berufen und übernahm 1884 die Leitung der 2. anatomischen Lehrkanzel in Wien, die er bis zu seinem Uebertritte in den bleibenden Ruhestand im Jahre 1908 inne hatte. Toldt war der Typus eines Tirolers von echtem Schrot und Korn; ein durchaus gerader, schlichter, offenherziger Charakter, ein Feind von Aeußerlichkeiten und Formalitäten, von heiterer Ue- mütsart, wohlwollend und gutherzig. Ein warmer Freund der Siu- dierenden, namentlich der nationalen Studentenschaft, war er stets bereit für die Ideale der Jugend sowie für das bedrohte Deutschtun: mannhaft einzutreten. Als Lehrer war Toldt bestrebt, den Ana- temie-Unterricht immer mehr als Anschauungsunterricht auszuge- XII siallen und verlangte vom Mediziner in erster Linie, daß er das Sehen und das Gesehene verwerten lerne. Die Forschertätigkeii Toldts war eine vielseitige und erstreckte sich nicht nur auf das Gebiet der menschlichen und vergleichenden Anatomie und Ent- wicklungsgeschichte, sondern auch auf die Gewebelehre und An- thropologie. Wohl die bedeutungsvollsten Arbeiten Toldts beziehen sıch auf die Entwicklung der menschlichen Gekröse und Netze und cie Formgestaltung des Darmkanals, weiterhin auf die Reihen- folge des Eintrittes der Verknöcherung in den einzelnen Knochen, Untersuchungen, die namentlich in gerichtsärztlicher Beziehung die größte Bedeutung erlangten. In den Arbeiten über die Eni- wicklung des menschlichen Unterkiefers konnte Toldt nachweisen, daß eine eigentliche Kinnbildung nur dem Menschen zukommt. (Toldt'sches Gesetz.) Die anthropologischen Untersuchungen zal- ten zunächst seinen engeren Landsleuten, den Tirolern (Zur Soma- tologie der Tiroler; über die Körpergröße der Tiroler und Vorarl- berger; Untersuchungen über die Brachycephalie der alpenländi- schen Bevölkerung), weiterhin der altslavischen Bevölkerung, den alten Aegyptern und dem prähistorischen Menschen. Besonderer Beliebtheit und weitester Verbreitung erfreut sich der Anato- mische Atlas, das erste groß angelegte Werk dieser Art und das von Toldt neu bearbeitete Langer‘sche Lehrbuch der Anatomie. - Durch seine Werke hat sich Toldt ein dauerndes Denkmal gesetzt und sein Name wird in der Wissenschaft fortleben. Prof. Dr. Sieglbauer brachte dann einen Nachruf auf den am 11. Dezember 1920 in Graz verstorbenen Professor der Anato- mie, Hofrat Prof. Dr. Moritz Hell. Moritz Holl war am 28. Juni 1852 in Wien geboren, studierte Medizin an der Wiener Universität und kam dann nach seiner Promotion im Jahre 1878 als Assistent zu dem Wiener Anatomen C. Langer. Bereits 1881 übernahm der Neunundzwanzigjährige, zunächst als Supplent, die anatomische Lehrkanzel in Innsbruck, welche mit dem Rücktritte Karl Dant- schers verwaist war. 1882 zum Ordinarius ernannt, lehrte Holl in Innsbruck bis zum Jahre 1889. Er war wiederholt Vorsitzender des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines, 1885/86 Dekan der medizinischen Fakultät. Innsbruck verdankt Holl den Neubau des anatomischen Institutes in der Müllerstraße. Ebenso hat Holl den Grundstock zu den Sammlungen des anatomischen Museums gelegt. Ende 1887 war C. Langer gestorben und Emil Zuckerkandl wurde von Graz nach Wien berufen. Die Grazer medizinische Fa- kultät wandte sich an Holl, welcher dem Rufe Folge leistete und nun dauernd in Graz blieb. So gehörte der größte Teil der Lehr- tätigkeit Holls Graz an. Holl war ein ausgezeichneter Lehrer, an dem seine Schüler mit unbegrenzter Verehrung hingen. Seine wis- senschaftliche Tätigkeit war ungemein vielseitig: über 90 Arbeiten sind aus seiner Hand, 28 aus der seiner Schüler erschienen. Zu ee Fs = 4 ac an ad oT ewe?” . [2 n ” a i ara TE N ee a ey enn ¥ ’ er fade i) ia alia a ie 3 : XI seinen Schülern zählen die Chirurgen Hans v. Haberer, Günther Freiherr von Saar und M. Hofmann. (Ausführlicher Nachruf im Anatom. Anzeiger LV. (1922) p. 12). Zum Schlusse der Jahresver- sammlung sprach noch Prof. Dr. Greil „Ueber zoologische Analogien zu den Befunden Prof. Dr. Sperlichs in seinem Vortrage „Ueber Variation als Folge der Schwäche phy- letischer Potenz“. Il. Berichte über die im Jahre 1921/22 abgehaltenen Sitzungen. 1. Sitzung am 25. Oktober 1921. Der Vorsitzende macht die traurige Mitteilung von dem Vei- luste folgender Vereinsmitglieder: Prof. Dr. Dantscher, Prof. Dr. Hopfgartner, Landessanitätsinspektor Dr. Lamprecht und Rechisan- walt Dr. Pesendorfer. Der Schriftenaustausch mit der entomologi- schen Gesellschaft in Halle a. S., mit dem badischen Landesverein für Naturheilkunde in Freiburg i. B. und mit dem Istituto Oswaldo Krus in Rio de Janeiro wird angenommen. Prof. Defant hälteiuen Nachruf auf das einstige Vereinsmitglied, den verstorbenen H»f- rat Trabert. Dr. Heinrich Micoletzky hält einen Vortrag „Ueber die zoologische Erforsehung des Hochgebirges“. Der Vortragende schildert in einigen ausgewählten Beispielen den Bestand der heimischen Alpenfauna, wobei die Wirbeltiere und Landinsekten besondere Berücksichtigung finden. Die Tierwelt des Hochgebirges läßt sich in genuine oder kalt stenotherme Hoch- gebirgstiere und in alpiphile Kosmopoliten einteilen. Das baum- lose, tundrenartige Hochgebirge ist ein einförmiges Gelände und weist eine besondere Bevorzugung der Felsentiere (petrophile Fauna) auf. Im Anschluß an den Tierbestand werden einige biologische: Eigenheiten besprochen, so die Aenderung des Lebenszyklus, die Erwerbung von Viviparität, den wohl auf verschiedene Ursachen »urückführbaren Melanismus, die Karotinfärbung in Süßwasser und die Flügellosigkeit vieler Insekten. In Kürze wird die Besiedlungsgeschichte der Hochalpen er- wähnt und auf die Bedeutung des hohen Nordens und Sibiriens hingewiesen, die ein Zusammenarbeiten mit nordischen Forschern notwendig machen. Schließlich versucht der Vortragende einen Blick auf die zu- künftige zoologische Alpenforschung zu werfen. Abgesehen von Rassenfragen und anderen feineren systematischen Einzelheiten XIV fehlt es an zusammenfassenden, auf planmäßigen eigenen Beobach- tungen fußenden Darstellungen, es mangelt an genauen Verbreı- tungskarten. Am günstigsten für derartige Beobachtungen wären Schutzstätten wie der schweizerische Hochgebirgs-Naturschutzpark im Val Cluoza im Engadin. Durch einige graphische Darstellungen über die vertikale Faunenverteilung sowie Lichtbilder und Präparate über alpinen Melanismus wurden obige Darlegungen unterstützt. 2. Sitzung am 8. November 1921. Prof. Adolf Wagner: Vorführung mikrophoto- graphischer Aufnahmen aus dem Gebiete der Pflanzen- ' Histologie (Lichtbilder). 3. Sitzung am 22. November 1921. Prof. Defant, Prof. Sölch und Prof. Klebelsberg sprechen über die Wegener’sche Theorie der Kontinental- verschiebung vom geophysikalischen, geographischen und zoologi- schen Gesichtspunkte. 4. Sitzung am 6. Dezember 1921. In den Verein werden aufgenommen: Dr. Karl Lehnhofer Assistent am zoologischen Institute, Ing. Karl Powendra, Univ. Prof. Dr. Martin Henze und Oberst Pabst. Prof. Brücke hält einen Vortrag „Ueber Farbensinn inder Tierreihe“. S. Sitzung am 17. Jänner 1922. In den Verein erscheinen aufgenommen: Dr. Fritz Früchtl, Assi- stent am zoologischen Institut, und Dr. Anton Schedler, Assistent für kosmische Physik. Es wird des verstorbenen Vereinsmitgliedes, Apotheker Guido Oellacher, durch Erheben von den Sitzen gedacht. ‚Prof. Steuer spricht über „Das Tierleben des Mee- res“. An den Vortrag schließt sich eine Führung durch die Aus- stellung im Ferdinandeum. 6. Sitzung am 31. Jänner 1922. Prof. Sperlich und Prof. Schweidler halten ihre ange- kündigten Vorträge: „Ueber Blattbewegungen, die angeb- lich von Veränderungen der Leitfähigkeit der Luft abhängen sollen“. TOR TEN ee ee a SEE eee ae ee Ar an Di NET AA ie er ee tn Pe ere 2 F > | ~ PR ING Vee Dae A eG Ge ee en ee ‘ mr ee a ee Se eee ees ee ee) a, ee ne epee ee ie a XV Die Vortragenden berichten über Versuche mit etiolierten - \eimpflanzen von Phaseolus renetiflorus, die dartun sollten, ob die bei Konstanz der Außenbedingungen auftretenden tagesrhythmi- schen Blattbewegungen von den periodischen Schwankungen der ® elektrischen Leitfähigkeit der Luft abhängen, wie dies von Rose 2 “Stoppel behauptet wurde. Die Versuche zeigten, daß zwar auch in geschlossenen Räumen periodische Aenderungen der Leitfähig- = keit von ähnlicher Form wie in der freien Atmosphäre nachweis- bar sind, die Blattbewegungen aber mit diesen Aenderungen kei- - nen Zusammenhang haben. Auch stärkeren Aenderungen der Leit- ' fähigkeit gegenüber, wie sie in etwa 8-stündiger Periode durch ein Mesothorpräparat erzielt wurden, verhielten sich die Blätter voll- kommen indifferent. Bei diesen Versuchen zeigte sich überdies die völlige Unwirksamkeit der vom Präparate ausgehenden Strahlung. Eine für alle Blätter synchrone Periode der Bewegung, wie Stoppel vermutet, gibt es nicht, vielmehr ist das Bewegungsbild individuell sehr verschieden. Auf die Bewegungsamplitüde und auf den an- nähernd 24-stündigen Bewegungsrhythmus der ausgewachsenen Primärblätter hat die Temperatur während der ersten Keimungs- schritte einen starken Einfluß. 7. Sitzung am 14. Februar 1922. Hofrat Ing. Georg Strele wird in den Verein aufgenommen. - Prof. Dr. Klebelsberg hält seinen angekündigten Vor- trag: „Neues zur Entwicklungsgeschichte des Inn- tales“. 8. Sitzung am 7. März 1922. In den Verein werden aufgenommen: Univ.-Prof. Dr. Johann - Sölch, die Assistenten am Institute für gerichtliche Medizin Dr. Al- fons Lorenz und Dr. Josef Lindinger. Prof. Seefelder hält einen Vortrag über „Die neueren Forsehungsergebnisse aufdem Gebiete der Ent- wicklung des menschlichen Auges“. ‘9. Sitzung (Jahresversammlung) am 21. März 1922. Es erfolgte zunächst der Bericht des Schriftführers, Prof. Ze- henter, aus dem zu entnehmen war, daß im Vereinsjahre 1921/22 9 Vereinssitzungen mit ebenso viel Vorträgen abgehalten wurden, XVI die Zahl der Mitglieder 7 Ehrenmitglieder und 94 ordentliche Mit- glieder betrug. Eingetreten sind 9 Herren, durch den Tod verlor der ~ Verein 5 Mitglieder. Im Namen des Vereines wurde der Dank ausgesprochen dem Bundesministerium für Unterricht für eine ~ Spende von 2000 K, einem Ungenannten für eine solche von 3000 K, | und für weitere bedeutende Spenden, die durch Vermittlung des Hofrat Ipsen und Hofrat Wettstein dem Verein zukamen. Dem Be- richte des Kassiers, Prof. Dalla Torre, war zu entnehmen, daß die Einnahmen 131.523 K 11 h, die Ausgaben 15.902 K 85 h betrugen, mithin ein Rest von 115.620 K 26 h verbleibt. Der Mitgliedsbeitrag wurde auf jährlich 300 K erhöht. Der Antrag des Ausschusses. Hofrat Wettstein in Wien und Hofrat Ipsen wegen ihrer großen Verdienste um den Verein zu Ehrenmitgliedern zu ernennen, wurde einstimmig angenommen. Die Neuwahlen ergaben als Vorstand: Prof. Sperlich; als Vorstandstellvertreter: Prof. Schumacher; als i. Sehriftführer: Prof. Zehenter; als 2. Schriftführer: Prof. Loos und als Kassier Prof. Dalla-Torre. An den geschäftlichen Teil der Jahresversammlung schloß sich eine Trauerkundgebung für das langjährige eifrige Mitglied Prof. Karl Hopfgartner, welcher außer den Vereinsmitgliedern die Anverwandten Hopfgartners, der Rektor der Universität, Hofrat Schullern, der Dekan der philoso- phischen Fakultät, Prof. Haffner, und zahlreiche Freunde und Schü- ler des auf so tragische Weise Dahingeschiedenen beiwohnten. Die Gedenkrede hielt der Vorstand des chemischen Institutes, Prof. Brunner. Derselbe schilderte zunächst kurz den Lebensgang Hopigart- ners und seine Bestrebungen, sich nicht bloß in Chemie, sondern auch in Mathematik und Physik gründlich auszubilden, was ihn dann befähigte, als vollwertiger Vertreter der physikalischen Che- mie an unserer Universität durch fast 20 Jahre wirken zu können. Seine wissenschaftlichen Arbeiten gehörten teils der organischen, teils der analytischen Chemie, besonders aber dem Gebiete der Eiektrochemie an, sie zeigten alle von großer Gewissenhaftigkeit bei der Durchführung derselben und förderten schöne Ergebnisse zu Tage. Neben den Verdiensten Hopfgartners um Lehramt und Wissenschaft wurde das Bestreben desselben hervorgehoben, sich allgemein nützlich zu machen, überall auszuhelfen und mitzuhelfen. wie es gerade während des Krieges nötig war. Gewiß ist, daß mit Karl Hopfgartner ein seltener Charakter, ein vorziiglicher Lehrer und gewissenhafter Forscher verloren ging, dem alle, die mit ihm in Berührung kamen, ein treues Andenken bewahren und dessen Verlust die philosophische. Fakultät, der naturwissenschaftlich- medizinische Verein, seine Freunde und Schüler stets betrauern werden. (Ausführlicher Nachruf in Oest. Chem. Zeitung XXV., (1922) 'P..:67.) Be TE TEN EN, TRUTH mw: te Sad A Be Gen, ER ala BR : XVII Ill. Personalstand des Vereines. Vereinsieitung im Jahre 1920/21. Vorstand: Dr. Hermann Ham merl, Univ.-Professor. mey orstand-Sstellvertreter: Dr. Karl Jpsen, Hofrat und Univ.-Professor. Schriftführer: J. Zehenter, Univ.-Professor und Dr. J. Loos, Univ.-Professor. Kassier: Dr. K. v. Dalla Torre, Univ.-Professor. Vereinsleitung im Jahre 1921/22. Vorstand: Dr. Sigmund Schumacher, Univ.-Professor. Vorstand-Stellvertreter: Dr. Hermann Hammerl, Univ.-Professor. ay Schriftführer: J. Zehenter, Univ.-Professor und Dr. J. Loos, Univ.-Professor. Kassier: Dr. K. v. Dalla Torre, Univ.-Professor. Vereinsleitung im Jahre 1922/23. Vorstand: Dr. Adolf Sperlich, Univ.-Professor. Vorstand-Stellvertreter:- Dr. Sigmund Schu- macher, Univ.-Professor.- : Schriftführer: J. Zehenter, Univ.-Professor und Dr. J. Loos, Univ.-Professor. Kassier: Dr. K. Dalla Torre, Univ.-Professor. Mitglieder am Schlusse des Vereinsjahres 1921/22*) A. Ehrenmitglieder: Heine Carl v. Dr., Univ.-Prof. in Innsbruck, dann in Prag (+ 1877). _ Pfaundler Leopold v. Dr., Hofrat und Univ.-Professor in Innsbruck, dann in Graz (+ 1920). Vintschgau Max Ritter v. Dr.. Hofrat und Univ.-Professor (+ 1913). Heller Camill Dr., Hofrat und Univ.-Professor (+ 1917). Gredler P., Vinzenz Maria, Gymnasialdirektor in Bozen (+ 1912). Tappeiner -Franz v. Dr., prakt. Arzt in Meran (+ 1902). Magnus P. Dr., Univ.-Professor in Berlin (+ 1914). Matouschek F., Professor in Wien. : *) Diejenigen P. T. Mitglieder, bei denen der Wohnort nicht angegeben ist - wohnen in Innsbruck. 3 DE ERR Oe Haie x es du u, A De et Te et. nt XVII Czermak Paul Dr., Univ.-Professor (+ 1912). Roux W. Dr., Geheimrat und Univ.-Professor in Halle a. S., früher“ in Innsbruck. Heider Karl Dr., Geheimrat und Univ.-Professor in Berlin, fruher in Innsbruck. Blaas Josef Dr., Univ.-Professor. Dalla Torre Karl Dr., Univ.-Professor. Heinricher Emil Dr., Hofrat und Univ.-Professor. Pommer Gustav Dr., Hofrat und Univ.-Professor. Ipsen Karl Dr., Hofrat und Univ.-Professor. : Wettstein Richard v. Dr., Hofrat und Univ.-Professor in Wien. B. Ordentliche Mitglieder: Bayer Gustav Dr., Univ.-Professor. Brücke Ernst Dr., Univ.-Professor. Brunner Karl Dr., Univ.-Professor. Ceipek Leopold Dr., Oberbezirksarzt. Chiari Otto Dr., Privatdozent. Clément Ernst, Kaufmann. Defant Albert Dr., Univ.-Professor. Dinkhauser Josef Dr., Gymnasial-Professor. Duregger Wilhelm Dr, Oberinspektor an der staatlichen Lebens- mitteluntersuchungsstation. Enzenberg Georg Sieghart. Erler Emil, Ingenieur, Tiroler Landeskulturrat. Fischer Karl, Apotheker. Fohn Josef Dr., Oberrealschul-Professor. Fritz Friedrich Dr., klinischer Assistent. Früchtl Fritz Dr., Assistent am zoclog. Institut. Ganner Ferdinand Dr., prakt. Arzt und Medizinalrat. Greil Alfred Dr., Univ.-Professor. Gschnitzer Friedrich, Oberrealschul-Direktor und Regierungsrat. Haberer-Kremshohenstein Hans Dr., Univ.-Professor. Haberlandt Ludwig Dr., Univ.-Professor und Assistent am physio- logischen Institute. Hammerl Hermann Dr., Univ.-Professor. Hatheyer Franz, S. J. Henze Martin Dr., Univ.-Professor. Herrenschwand Friedrich Dr., Univ.-Professor und Assistent an der Augenklinik. Herzog Heinrich Dr., Univ.-Professor. Heß Eugen Dr. und Mag. pharm., Assistent am pharmakologischen Institute. Hillebrand Franz Dr., Univ.-Professor. Höfel Bernard, Juwelier. Hußl Thomas Dr., klinischer Assistent, I ara! TR 2 Me He ihe? u a Tal DE Sf a a a lid thn An el Te a Fr ou ek ol XIX Kofler Alfons Dr., prakt. Arzt. Krüse Karl Dr., Professor a. d. Lehrerbildungsanstalt. Kupplwieser Ernst Dr., Assistent. Lang Franz Josef Dr., Assistent am Institut für pathologische Ana- tomie. Lanner Alois Dr., Oberrealschul-Professor und Regierungsrat. Lechleitner Hermann Dr., prakt. Arzt in Kufstein. Lehnhofer Karl Dr., Assistent am zoolog. Institute. Lerch Friedrich Dr., Univ.-Professor. _ Lieber Georg Diethelm Dr., Oberrealschul-Professor. Lichtensteiner Karl, Südbahn-Revident. Lichtensteiner Rudolf Dr., Assistent am Institut für gerichtliche Medizin. Lindinger Josef Dr., Assistent am Institut für gerichtliche Medizin. Lode Alois Dr., Univ.-Professor und Ober-Sanitätsrat. Löffler Hugo Dr., prakt. Arzt. Loos Johann Dr., Univ.-Professor. Lorenz Alfons Dr., Assistent am Institut für gerichtliche Medizin. Mader Hermann Dr., prakt. Arzt. Malfatti Hans Dr., Univ.-Professor. Maliva Edmund Dr., klinischer Assistent. Mathes Paul Dr., Univ.-Professor. Mayer Karl Dr., Univ.-Professor. Mayrhofer Bernhard Dr., Univ.-Professor. Meißlinger Gustav, Südbahn-Oberrevident. Micoletzky Heinrich Dr., Univ.-Professor. Molitoris Hans Dr., Univ.-Professor in Erlangen. Mühleisen Richard, Apotheker. Müller F. Dr., klin. Assistent. Nevinny Josef Dr., Hofrat und Univ.-Professor. Pabst Ferd., Oberst i. R. Pfeiffer Hermann Dr., Univ.-Professor in Graz. Pfanner Wendelin Dr., Privatdozent. Plahl Friedrich Dr., prakt. Arzt. Posselt Adolf Dr., Univ.-Professor. Powondra Karl, Ingenieur. ee Radakovie Michael Dr., Univ.-Professor in Graz. Kutzinger Josef, Mitinhaber der Wagner’schen Univ.-Buchdruckeret. Sander Bruno Dr., Privatdozent und Assistent an der geol. Reichs- anstalt in Wien. , Schedler Anton Dr., Assistent am Institut für kosmische Physik. Scheller Artur Dr., Univ.-Professor. Schumacher Sigmund v. Dr., Univ.-Professor. Schweidler Egon Dr., Univ.-Professor. Seefelder Richard Dr., Univ.-Professor. Klebelsberg Raimund Dr., Univ.-Professor, 3* Sieglbauer Felix Dr., Univ.-Professor. Sölch Johann Dr., Univ.-Proiessor. Sperlich Adolf Di Univ.-Professor. Stainer Karl Dr., Gemeindearzt in Wattens bei Schwaz. Siaunig Konrad Dr., Privatdozent. Steuer Adolf Dr., Univ.-Professor. Strele Georg Ing., Hofrat. Stupka Walter Dr., klinischer Assistent. Tagger Josef Dr., Assistent am physikal. Institute. Torggler Franz Dr., Professor in Klagenfurt. Tumlirz Ottokar Dr., Univ.-Professor. Unger Karl Dr., Assistent am gerichtlich- ee Intitute, Wagner Adolf Dr., Univ.-Professor. Werdt Felix Dr., Privatdozent. Wieser Franz Dr., Hofrat und Univ.-Professor. Winkler Anton Dr., fr. resign. Advokat. Winkler Franz Dr., Sanitätsrat und Krankenhausdirektor BR: Winkler Josef Dr., Ar. resign. Advokat. Wunderer Johann Dr., prakt. Arzt in Lienz. Zehenter Josef, Univ.-Professor und Regierungsrat. Zindler Konrad Dr., Univ.-Professor. b) Abhandlung. Julius Robert Mayer und die Erkenntnis des Prinzips von der Erhaltung der Kraft. Vortrag zur Erinnerung an die Beteiligung Julius Robert Mayers an der Innsbrucker Versammlung der Ge- sellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte vom 18. September 1869, gehalten in der Schlußsitzung des 50. Bestandjahres des naturwissenschaftlich- medizinischen Vereins zu Innsbruck am 11. Mai 1920. Von Hofrat Professor Dr. Carl Ipsen Vorstand des naturwissenschaftlich-medizinischen Vereines. HANN WOLFGANG IPSEN bs Dr a lie ae ee ee a N a Se N ee Ed handen ln un ad nme nie ne „No greater genius than Robert Mayer has appeared in our century“. John Tyndall 1891. „Infandum regina jubes renovare dolorem!" (.Unsiglichen Schmerz heißt Du erneuern, o Königin“!) Mit die- sem, tiefes kummervolles Leid kündenden Klageruf in Virgils Aineis kann man die Betrachtung über die Entwicklung und Be- deutung von Julius Robert Mayer treffend einbegleiten. Während lauter Waffenlirm des ungeheuerlichen Völker- ringens unseren Weltteil durch nahezu fünf Jahre erfülite, sind manche bedeutungsvolle Tage der Erinnerung an hervorragende Männer unseres Volkes unbeachtet vorbeigegangen. Auch auf die Wissenschaften hat das Wort des Römers: „Inter arma silent musae“ volle Geltung. Am 25. November 1914 waren es genau 100 Jahre seit der Geburt Julius Robert Mayers, eines jener über- ragenden Pfadfinder in den Naturwissenschaften, deren Namen einen weithin leuchtenden Ruhmesglanz des deutschen Volkes be- deuten. Eine verständnisvolle |Würdigung des Werdeganges dieses selten tiefgründigen Naturforschers und Bahnbrechers bietet neben der Möglichkeit, den Manen eines Großen unseres Volkes den schul- digen Tribut nachträglich noch zu zollen, gleichzeitig auch die er- wünschte Gelegenheit, in der Zeit völkischer Erniedrigung, welche wir gegenwärtig zu durchleben genötigt sind, uns an dem Beispiel eines mutigen, willensstarken Streiters im Reiche des Geistes auf- zurichten, der allen niedrigen Widerwärtigkeiten zum Trotz sich in hartem Ringen behauptet und siegreich durchgesetzt hat. Wey- rauch, der gründlichste Kenner der Lebensschicksale Mayers, faßt seine Ansicht in der letzten, der Arbeit unseres Forschers ge- widmeten Schrift zur Jahrhundertfeier seiner Geburt in die Worte zusammen: „Sein Name wird neben Galilei, Kepler. New- ton immer heller durch die Jahrhunderte strahlen, ein Leitstern kommender Geschleehter, zum Ruhme seiner Nation und seines geliebten schwäbischen Heimatlandes.“ 1 Gleich Johannes Kepler (1571—1630), welcher in durchsich- tiger Klarheit die Gesetzmäßigkeit der Bahnen der Gestirne er- 6 gründete, war Julius Robert Mayer schwäbischer Herkunfi. Einer seiner Vorfahren wirkte um die Mitte des 17. Jahrhunderts in dem württembergischen Dorfe Wangen am Fuße des Ho-, henstaufen als evangelischer Pfarrer.“ Dessen Sohn erwarb 1696 das Bürgerrecht der Reichsstadt Heilbronn. Der Vater unse- res Robert, Christian Jakob Mayer kauite ein Anwesen - in. Heilbronn und errichtete die neue Apotheke „Zur Rose“. Diese erfreute sich dank der gediegenen fachlichen Kenntnisse ihres Be- sitzers bald des besten Rufes. Die Ehefrau Christian Jakob Mavers, Elisabeth Heermann aus Heilbronn, schenkte diesem drei Söhne, deren jüngster, Julius Robert, am 25. No- vember 1814 geboren wurde. Die beiden älteren Brüder, Friedrich und Gustav, widmeten sich dem Berufe des Vaters, während Ju- lius Robert seiner frühzeitig ausgesprochenen Neigung für naturwissenschaftliche Fragen folgte und sich dem Studium der Me- dizin zuwandte. Zunächst besuchte Julius Robert von 1823 bis 1829 das Gymnasium seiner Vaterstadt Heilbronn und über- siedelte im Jahre 1829 nach dem Beispiel seines Schulkameraden kümelin auf das evangelisch-theologische Vorbereitungsseminar Schönthal, an dem er sich im Frühjahr 1832 der Reifeprüfung unter- zog. In seiner Kindheit trieb sich Juiius Robert in Betätigung eines ungezwungenen, natürlichen, jugendlichen Freiheitsdranges viel im Freien herum, lernte tüchtig schwimmen, übte sich im Kahn- ~ fahren und zeigte auflälliges Verständnis für das Wesen und die Bedeutung maschineller Einrichtungen. Auch baute er Wasser- räder, welche er auf dem Pfühlbach, einem Seitenarm des Neckar, in Gang brachte, und setzte damit durch Uebertragung der Radumdrehungen andere Gegenstände in Bewegung. Ein miß- lungener Versuch zum Bau eines Perpetuum mobile machte nach Mayers Aufzeichnungen autobiographischer Art aus den Siebzigerjahren einen nachhaltigen Eindruck auf den kaum zehn- jährigen Knaben. Dieser verspürte mehr Vorliebe für mechanische und chemische Versuche in der Apotheke des Vaters unter Anlei- tung des neun Jahre älteren Bruders, als für griechische und latei- nische Zeitwörter und die Grammatik. Gleichwohl hatte er Sinn für fremde Sprachen; bis an sein Lebensende betrieb er die Ueber- setzung lateinischer Schriftsteller, las mit Verständnis Seneca (4 v. Chr. — 65 n. Chr.), Livius (59 v. Chr. — 17 nach Chr.), Ci- cero (106 — 43 v. Chr.), Xenophon (f nach 355 v. Chr.) und Herodot (+ gegen 429 v. Chr.). Goethes Faust gehörte zu sei- ner Lieblingslektüre; noch im Anschlusse an einen Vortrag im kaufmännischen Vereine zu Heilbronn im Jahre 1873 äußerte er die Absicht, den „Faust“ auch zum Gegenstand eines Vorbau zu machen. In seltener Weise galt er als bibelfest. Sein Fortgang auf dem Gymnasium war höchst mittelmäßig. Mayer zählte keineswegs zu den besseren Schülern. Seine Ga- : B % a ‘2 3 é 2 RITTER FU 7 ben wurden zwar dauernd als ziemlich gut eingeschätzt. ln Sprachen bewegten sich seine Erfolge aber nur zwischen gering und mittelmäßig, bis sehr mittelmäßig. In Mathematik hin- gegen hatte er die höchste Note: recht gut. Fleiß und Sit- ten galten dauernd gut. Ueber die Zeit seines Aufenthaltes in Schönthal gibt Rüme- lin hinsichtlich seines Freundes Mayer eine äußerst gewinnende Schilderung: „Er war ebenso beliebt und geachtet bei den Lehrern wie bei den Mitschülern. Er gab sich stets ganz wie erewar; es kam kein unwahres Wort aus seinem Munde; er hatte eine volle und freudige Anerkennung für fremde Vorzüge und trat niemandem zu nahe. Er war nach seiner Gemütsart eine anima candida zu nennen. Aber alles, was er sagte und tat, trug den Stempel der Originalität“. Im Frühjahr 1832 bezog er als Hörer der Medizin die Landes- Universität Tübingen. Sein Vater schrieb am 7. März 1832, wohl kaum ohne jegliche Bezugnahme auf die Artung des Sohnes, folgen- den Leitspruch in sein Stammbuch: „Bist Du Herr Deiner selbst ge- worden, dann lebst Du frei und unabhängig aller Orten.“ Mit rührender kindlicher Liebe und grenzenloser Verehrung hing Robert Mayer an dem Vater; dessen Stammbuchblatt fand sich beim Tode des Sohnes 46 Jahre später, 1878 eingerahmt über dem Schreibtisch. In gewöhnlicher Art oblag Julius Robert Maver auf der Universität dem medizinischen Fachstudium, ohne sich insbesonders mit philosophischen Spezialstudien zu befassen. Auch die später von ihm hoch eingeschätzte Mathematik findet sich nicht in dem Verzeichnis seiner Vorlesungsausweise. An den frei- heitlichen Bestrebungen der akademischen Jugend der damaligen Zeit hatte er regen Anteil und gründete mit seinem Studiengenossen Wilhelm Griesinger (1817—1868), dem späteren bedeuten- den Berliner Psychiater, das Corps „Guestphalia“. Voll aus- dauernden Eifers widmete er sich den erzieherischen Aufgaben seiner „Verbindung“. Seinen Körper, welcher von miitel- großer, schlanker Gestalt war, stählte er durch Sport jeglicher Art; er galt als geübter Schwimmer, reitete mit eigener Lebensgefahr seinen Studienfreund, den nach- maligen Pfarrer Wenz aus den Fluten des Neckar, und legte die 77 Kilometer lange Wegstrecke von Tiibingen bis Heitbronn in eintägigem Marsche innerhalb 14—-15 Stunden mit nur einmaliger Rast zuriick. Sein Studienfreund Rümelin, der nachmalige Kanzler der Universität Tübingen, be- kannt als Shakespeare-Forscher und Biograph von Justi- nus Kerner, berichtet in seinen Erinnerungen an Robert Mayer (Reden und Aufsätze. Neue Folge, Freiburg und Tübingen 1881, Seite 361): „Er wäre mit Leander oder Byron um die Be ee a ee ee Wie eee ee WE TEEN in) ba t ME war FU AR 8 7 F x u Wette über den Hellespont geschwommen oder mit Phidippi- des von Athen nach Sparta gelaufen“. Als vom deutschen Bundestag gegen die Studentenverbindun- gen die Verfolgungen einsetzten, löste sich das Corps „Guest- phalia“ im Herbst 1836 formell auf. Da aber beim Abgang einiger Kollegen von der Universität, darunter auch Robert Mayers, um Ostern 1837 sich gezeigt hatte, daß das Corps im geheimen doch fortbestand, erbielten Mayer und Griesinger das Consilium abeundi auf ein Jahr. Im Karzer verweigerte Mayer durch sechs Tage jede Nahrungsaufnahme, wodurch er seine Ueber- stellung in Hausarrest für weitere drei Tage erzwang. Der zugezo- gene Universitätsarzt ließ ihm wiederholt zur Ader und berichtete, daß Mayer zwar nicht völlig als geisteskrank ange- sehen, aber bei jedem widrigen Vorfall höchst auf- geregt und in einen zweideutigen Zustand versetzt wer- den könne. — Rümelin, der beste Kenner des jugendlichen Mayer, vermag sich diesem ärztlichen Gutachten nicht anzu- schließen. Im Sommer 1837 verließ Julius Robert Mayer, „det Noi gehorchend, nicht dem eigenen Triebe“, nach zehn Semestern die Universität Tübingen, unternahm eine kurze Reise in die Schweiz und ging dann auf die Kliniken nach Mün- chen und Wien. Mit besonderer Begünstigung kehrte er im Jänner 1838 nach Tübingen zurück. Erpromovierte im Juli 1837 mit einer Dissertation: „Ueber das San- tonin“, dem er in richtiger Erkenntnis seines Wer- tes eine allgemeinere Anwendung voraussagte. Im Sommer 1838 legte Mayer in Stuttgart die medizinische Hauptprüfung mit derguten Note: Ila ab und erhielt in Chemie die beste Note. Die Priifungsstelle rühmte seinen schriftlichen Arbeiten „gründliche Kenntnisse und selbständiges Urteil“ nach. 2. ZA Der dem schwäbischen Stamme eigene Drang in die Ferne kündigte sich auch bei Mayer an. Im Oktober 1857 verriet er seinem Studienfreunde Lang in einem Briefe seinen Plan, als Schiffsarztin niederländische Kolonial- dienste zu treten. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens hatte er zunächst einen ziemlich heftigen Widerstand der Eltern zu überwinden. Inzwischen praktizierte Mayer in Heil- bronn und lernte in den Mußestunden Holländisch und ver- vollkommnete sich noch in Französisch. Nach glücklich be- standener Prüfung im Haag am 15. Juni 1839 erhielt er das Patent als holländischer Sanitätsoffizier gegen ein Gehalt von 50 Gulden bei freier Verpflegung. Im Herbste 1839 ging er 9 nach Paris und besuchte hier fleißig die Kliniken, auch traf er mit seinen Tübinger Studiengenossen Griesinger, Ro- ser, Wunderlich zusammen und lernte weiters seinen Lands- ; mann Carl Baur (1820-1894), welcher Mathematik uud Natur- - wissenschaften studierte, kennen. Am 14. Februar 1840 verließ er Paris und traf nach zweitägiger Reise über Brüssel und Antwerpen | in Rotterdam ein, wo er am 2. Februar 1840 an Bord ging. _ Andern morgens lichtete der holländische Drei- 5 master „Java“ die Anker. Seine gehobene Stimmung be- 2 Jeuchtet der von hier an die Eltern gerichtete Brief: „Der herrlich reine Himmel mit den funkelnden Sternen, dem Monde im leizten Viertel und der nun bald sichtbaren Röte des an- - brechenden Tages, die Stille des breiten Stromes im Angesichte der Stadt und der entscheidende Augenblick der Abreise gaben diesem Sonnlagmorgen einen erhabenen, ergreifenden Eindruck“. Die Be- satzung des Schiffes bestand aus 28 Personen von gefestigter Ge- sundheit, welche den Schiffsarzt nicht nachhaltig in Anspruch nah- men. Fahrgäste hatten sich keine eingefunden. Die Route ging um die Südspitze von Afrika durch den indischen Ozean unmitte!bar auf Java los. Die Seereise dauerte 101 Tage; während derselben wurde nicht einmal angelegt, und während 67 Tagen kein Land gesichtet und mehrfach auch wochen- lang kein Schiff. Erst nach dem Passieren der Sunda- straße wurde in Batavia und später noch in Surabaya und Samarang vor Anker gegangen. Zu seiner Beschäftigung hatte Mayer sich reichlich mit Büchern in mehreren Kisten versehen. Auf der Hinreise machte er fleißig Eintragungen in sein Tagebuch. Unter dem 10. Mai 1840 findet sich folgendes Stim- mungsbild: „Eine harmlose Gemütsruhe, der ich mich nun seit längerer Zeit erfreue, und die mich zu wissenschaft- licher Beschäftigung vorzugsweise disponiert, läßt mich auch in Dürftigkeit und in Entfernung von jedem gleich- gestimmten Wesen die Tage fröhlich durchleben, von denen keiner sonder Interesse vorübergeht“. — Verständnisvoll verfolgt er alle Geschehnisse an Bord, beobachtet jede Vogel- und Fischart, die dem Schiffe folgt, wendet seine Aufmerksamkeit dem Kurse des Schifies zu und vergleicht an der Hand der Sternkarte die Geslirne anı Himmel. „Dann suche ich vor allem Vaters Lieblingsgestirn auf, den großen Wagen, denke, daß er ihn jetzt vielleicht auch be- trachtet und rufe ihm freundliche Grüße für die Lieben in der Heimat zu. Der, der alle diese Sterne lenkt, wird auch unser Schicksal liebevoll leiten.“ — Ungestörten körperlichen Wohlbefindens erfreut er sich auf der ganzen Fahrt. „Die ganze Reise hat auf meinen Geist den vorteilhaftesten Eindruck ge- macht und namentlich auch meine Gesundheit läßt gar nichts zuwünschen übrig.“— Am 22. Juni 1840 berichtet : 4 : - ; 10 er von Batavia: „Meine an sich feste Gesundheit wird durch Selbstbeherrschung, worin ich viel anvanciert bin, noch mehr auf- recht erhalten.“— ‚Manchmal beschleichen ihn auch in banger Angst ~ um die Angehörigen trübe Stimmungen. „Düstere Gedanken, schwere Sorgen, die sich um das geheiligte Haupt meines Vaters konzentrieren, drücken heute mehr als je auf meine Seele.“ Als endlich am Pfingstmontag, dem 9. Juni 1840. 7 Uhr früh nach mehr als drei Monate dauernder Seefahrt aus den Fluten des Meeres die Südwestspitze Javas aufiauchte, schreibt Mayer angesichts des überwältigenden Ein- druckes seitens der tropischen Vegetation in hinreißbender Begeisterung: „Welch’ Entzücken ein solcher Anblick aach NStägiger Seefahrt erregte, läßt sich nicht beschreiben. Dank, Liebe, Sehnsucht erfüllen mein Herz, und die Hoffnung, alle meine Lieber gesund und glücklich wiederzufinden, sprach lauter als je.“ Während der Seereise, deren ungestörter Verlauf ihm reich- lich Muße zu freier Betätigung übrig ließ, hatte sich Mayer aus dem großen Vorrat von mitgeführten Büchern fast ausschließlich dem Studium der Physiologie gewidmet. Als er nun auf der Reede von Batavia an einer größeren Zahl der mit einer akuten Lun- genafiektion behafteten Schiffsmannschaft bei wiederholtem Ader- laß gewahrte, daß das Venenblut hellrot ausiloß, so daß er hätte glauben können, eine Arterie angeschnitten zu haben. erfuhr er von älteren deutschen Kollegen, daß es sich hiebei um eine allgemein bekannte, in den Tropen gleicher Art an Einhe:mi- schen und Fremden auftretende Erscheinung handle. Aus dem mitgeführten Handbuch der menschlichen Physiologie seines Leh- rers J. F. Autenrieth (Tübingen 1801; erster Teil, Seite 512. § 515) kannte Mayer voraussichtlich den Satz: „Auch beim Menschen nähert sich das Venenblut im Sommer an hellerer Röte dem Arterienblut“. Von dieser an sich unscheinbaren Beobachtung wurden seine Gedanken, welche den in den Tropen veränderten somatischen Verhältnissen der Schiffsmannschaft besonders zugewandt waren, auf die Aenderung der Blutbeschaffenheit als Ausfluß der Bildung von tierischer Wärme durch den Atmungsvorgang gelenkt. „Von der Theorie Lavoisiers (1743—1794) ausgehend, nach welcher die animalische Wärme das Resultat eines Verbrennungsprozesses ist, betrachtete ich die doppelte Farbenänderung, welche das Blut in den Haargefäßen des kleinen und großen Kreislaufes erleidet. als ein sinnlich wahrnehmbares Zeichen, als den sichtbaren Reilex emer mit dem Blute vor sich gehenden Oxydation. Zur Erhaltung einer gleichförmigen Temperatur des menschlichen Körpers muß: die Wärmeentwicklung in demselben mit einem. Wärmeverlust. PERL UHREINEH IC IN, 98 wily 11 i also auch mit der Temperatur des umgebenden Mediums notwendiz - in einer Größenbeziehung stehen, und es muß daher sowohl die _, Wärmeproduktion und der Oxydationsprozeß als auch der Farben- unterschied beider Blutarten im Ganzen in der heißen Zone gerin- ger sein, als in kälteren Gegenden.“ In einem Brief an Griesinger vom 14. Juni 1844 heißt es mit Rücksicht auf die Ueberlegungen, welche Mayer aus der ge- machten Beobachtung ableitete: „Will man nun über physiologische Punkte klar werden, so ist Kenntnis physikalischer Vorgänge un- erläßlich, wenn man es nicht vorzieht, von metaphysischer Seite her die Sache zu bearbeiten, was mich unendlich disgoutiert; ich hielt mich also an die Physik und hing dem Gegenstande mit solcher Vorliebe nach, daß ich, worüber mich mancher auslachen inag. wenig nach dem fernen Weltteil fragte, sondern mich am liebstes an Bord aufhielt, wo ich unausgesetzt arbeiten konnte, und wo iclr mich in manchen Stunden gleichsam inspiriert fühlte, wie ich mich zuvor oder später nie etwas Aehnlichen erinnern kann. Einige Ge- dankenblitze, die mich, es war auf der Reede von Surabaya. durchfuhren, wurden sofort emsig weiter verfolgt und führten wie- der auf neue Gegenstände.“ Auf der Reede von Surabaya war es, wo — wie Mayer in einem Bericht an die Pariser Akademie zur Wahrung der Priorität gegen Joule (1818—1889) (Sitzung vom 6. Oktober 1848) später ausführte, —sich ihm die Erkenntnis über das Grund- gesetz der Natur, „das Fundament der Naturwissenschaften“, in seinem Geiste offenbarte. Dabei breitete sich vor seinen Blicken „eine neue Welt von Wahrheiten aus“. (Brief an Griesinger 9. und 6. Dezember 1842). — Der Aufenthalt in den Gewässern von Java dauerte 108 Tage. Nach 121tagiger Rückfahrt betrat Mayer im Februar 1841 wieder holländischen Boden. Von hier aus kehrte er unverweilt in sein Elternhaus zurück. Die auf der Hinreise emsig geführten Aufzeichnungen im Tagebuch werden auf der Rückfahrt lückenhaft, unregelmäßig und brechen plötzlich ganz ab. Darin spiegelt sich wohl am besten die ausschließliche Beschäftigung Mayers mit den neuen Anschauungen, die sich ihm aufgedrängt hatten. 4. Früher als ursprünglich geplant, war Mayer nach Europa 3 zurückgekehrt. Als Frucht dieser Auslandsreise brachte Mayer die Grundlage seiner Naturanschauung, die Erkenntnis über das Prinzip von der Erhaltung der Kraft, in ziemlicher Klarheit mit. In seinem Briefe vom 1. August 1841 an Carl Baur, nachmaligen - Professor der Mathematik und Mechanik an der technischen Hoch- schule in Stuttgart, welcher ihm im Winter 1842/43 Unterricht in bite mt DE re NE ALT se TE 7 “ i “a; ORES oS See Rie te Pin Nuc os ey 12 Mathematik erteilte, faßte er seine Anschauung in die Sätze zu- sammen: ; „I. eine Energie ist nicht weniger unzerstörlich als eine Sub- — stanz“, „Il. aufhörende Bewegung dauert als Wärme fort“. Der am 16. Juni 1841 als vorläufiger Niederschlag seiner neuen Anschauungen an Poggendorff (1796—1877), den Herausgeber der Annalen der Physik und Chemie übermittelte erste gedrängte — Aufsatz Mayers: „Ueber die quantitative und qualitative Be- stimmung der Kräfte“ enthält bereits die Grundsätze seiner neuen Lehre im Wesen scharf präzisiert. „Bewegung, Wärme und wie wir später zu entwickeln beabsichtigen, Elektrizität sind Erscheinungen. welche auf Eine Kraft zurückgeführt werden können, einander messen und nach bestimmten Gesetzen ineinander übergehen. Be- wegung geht in Wärme iiber..... , die entstandene Wärme ist der entschwundenen Bewegung proportional. Die Wärme anderer- seits geht in Bewegung dadurch über, daß sie die Körper aus- dehnt“. Die tiefe Ueberzeugung Mayers von der Bedeutung seiner Lehre spricht sich in der Fußnote dieser Arbeit am Schlusse der- selben aus: „Wahrheit bedarf zur Anerkennung nicht vieler Worie und Irrtümliches als wahr anpreisen zu wollen ist übles Stre- ben.“ — Trotz wiederholter Mahnungen seitens Mayers ist diese Nie- derschrit unbegreiflicherweise von Poggendorff nie abgedruckt und das Manuskript auch nicht an Mayer zurückgeschickt worden. Erst nach 36 Jahren beim Tode Poggendorffs im Jahre 1877 fand sich das Manuskript in dessen Nachlaß und wurde zuerst von Friedrich Zöllner (1834—1882) in Faksimile 1877 abge- druckt. Daß der in Mechanik wenig bewanderte junge ärztliche Autor zunächst bei der zahlenmäßigen Bestimmung der Bewegungs- 3 größe auf Irrwege geriet, sich, wie er später selbst es ausdrückt. „in einem Labyrinth von Irrtümern und Täuschungen“ befand, und fälschlich als Maß der Bewegung das Produkt aus Masse und Ge- schwindigkeit — m. ¢ anstatt Produkt aus Masse und halbem Qua- drat der Geschwindigkeit — m = wählte, erklärt diesen eigen- tümlichen Verstoß gegen jedes Herkommen keineswegs. A. v. Oet- a tingens (1836—1920) neuerlicher Versuch (1909) (Robert ~— Mayers wissenschaftlicher Entwicklungsgang im Jahre 1841. Ab- — handl. d. K. S. Gesellsch. d. Wissensch. mathemat. physik. Kl. XXXI. Bd. S. 163—176) Poggendorffs abfälliges Verhalten gegen- über Mayer mit der Unzulänglichkeit der Arbeit zu rechtfertigen. kann nicht befriedigen. Poggendorff hat übrigens Mayers Arbeit niemals abgelehnt, er hat vielmehr die ihm zur Veröffent- licbung zugeschiekte kurze Abhandlung niemals abgedruckt und auf 13- wiederholte Vorstellungen Mayers auch nicht geantwortet. Das ist und bleibt ein unentschuldbarer Verstoß gegen jede heige- brachte gute Sitte. Dieses Vorgehen kann wohl nur damit erklärt werden, wie es auch v. Dettingen annimmt, daß offenbar Pog- gendorff Mayers Arbeit irgendwie verlegt hatte und sich da- nach vermutlich scheute, dies offen einzugestehen. Darin liegt die yerurteilenswerte Seite der ganzen Angelegenheit. Dies ohne alle Umschweife auszusprechen, ist Pflicht einer jeden unbefangenen Beurteilung. Eine „mala fides“ bei Poggendorff anzunehmen. ist nicht nötig. Uebrigens ist diese bittere Erfahrung Mayers auf seine weitere wissenschaftliche Ausreifung nicht ohne förderliche Einilußnahme geblieben. — Es muß bewundernd anerkannt werden, mit welch beispielloser. zäher Ausdauer und ungewöhnlich eiserner Willensstärke Mayer seine begonnenen Arbeiten trotz dieser Enttäuschung verfolgte. Auf den Rat und durch Vermittlung des Prof. Carl Baur begab sich Mayer nach Tübingen zum Professor der Physik Nörremberg (1787—1862), dem er seine Anschauungen und Lehren entwickelte. Dieser wies ihn auf das Experiment. Im Spätjahr 1841 wendete er sich auch an Prof. Dr. Jolly (18091884), damals noch Lehrer der Physik an der Universität in Heidelberg, später in München. Ueber die Motive zu dieser Reise erzählt er in einem Brief an Baur vom 6. August 1842: „Ich weiß ..... ganz wohl, daß ich kein Physiker bin..... Eh’ ich so weit ging, wollte ich vorher Männer vom Fach über die Sache befragen ..... wurde aber nir- gends widerlegt.“ Von Jolly erhielt Mayer den ermunternden Zuspruch, seine Untersuchungen weiterzuführen und dann zu ver- ölfentlichen. Dem Rate Nörrembergs folgend, stellte er durch den Versuch fest, daß Wasser, welches er in einer Flasche schüt- telle, sich von 12 auf 13 Grad C. erwärmte. Schon vom Steuermann an Bord des Dreimasters „Java“ hatte er erfahren, daß die von Stürmen aufgewühlten Gewässer wärmer waren, als zur Zeit der Ruhe. Auch den Alten war diese Tatsache bereits bekannt. In Ciceros (106—43 v. Chr.) „Denatura deorum“, lib. II, Cap. 9, 10 findet sich eine diesbezügliche Stelle: „Atque etiam maria agitata ventis ita tepescunt, ut intelligi facile possit, in tantis illis humoribus inclusum esse calorem.“ (Auch erwärmen sich die von Stürmen aufgewühlten Meere so sehr, daß man leicht verstehen kann, es müsse in jenen ungeheuren Wassermassen die Wärme ein- geschlossen sein.) Ueber alle ihm aus seiner ursprünglichen irrtümlichen Fassung der Bewegungsgröße erwachsenen Widerlichkeiten setzte sich Mayer mit staunenswertem Scharfsinn, nie erlahmender Energie und stählernem Fleiß hinweg und holte sich namentlich Sachver- ständigenrat von seinem Freunde Prof. Baur. In zäher Verfolgung seiner Arbeiten schreibt Mayer an Baur noch später: „Mut gibt 14 mir die Ueberzeugung von der Wahrheit meiner Sache, also vor- 3 | wärls!“ Im Maiheft des 42. Bandes von Wöhlers und Liebigs ~ „Annalen der Chemie und Pharmazie“ 1842 erschien © seine Arbeit: „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur“. in gedrängter Kürze und auf wenig (13) Seiten enthält dieser Auf- — satz Mayers die ganzen Grundlinien für das „Fundament der neuen Naturwissenschaft“ und für alle ihre An- wendungsgebiete in völliger Klarheit. Zunächst versucht Mayer hier eine Beantwortung des Begriffes, was unter „Kräften“ zu ver- — stehen sei. „Kräfte sind Ursachen; mithin. findet auf dieselben voile Anwendung der Grundsatz: causa aequat effectum“. — „Ursachen sind (quantitativ) unzerstörliche, (qualitativ) wandelbare Ob- Hektar... „Kräfte sind also: unzerstörliche, wandelbare ım- ponderable Objekte“ ..... „Fallkraft und Fall, und allgemeiner noch Fallkraft und Bewegung sind Kräfte, die sich verhalten wie Ursache und Wirkung, Kräfte, die ineinander übergehen, zwei ver- schiedene Erscheinungsformen eines und desselben Objektes.“ ... „Wir schließen“ — fährt Mayer fort — „unsere Thesen, welche sich mit Notwendigkeit aus dem Grundsatze: „ausaaequatef- tectum“ ergeben, und mit allen Naturerscheinungen in vollkom- menem Einklang stehen, mit einer praktischen Folgerung“ ..... 4 „2. B. wir müssen ausfindig machen, wie hoch ein bestimmtes Ge- wicht über dem Erdboden erhoben werden müsse, daß seine Fall- kraft äquivalent sei der Erwärmung eines gleichen Gewichtes Wasser von 0 Grad auf 1 Grad C. Daß eine solche Gleichung wirk- lich in der Natur begründet sei, kann als das Resumee des bis- herigen betrachtet werden.“ — Mit Zugrundelegung des Versuches von Gay-Lussae (1778—-1850), nach welchem die Temperatur eines sieh ohne äußere Arbeitsleistung ausdehnenden Gases im ganzen konstant bleibt (1807), berechnet Mayer das mechanische Wärmeäquiva- lent in einer für die damalige Zeit nach dem Stande der Erkenninis allein angängigen und zutreffenden Weise mit 367 m. Zur Begrün- dung seiner Beweisführung sagt Mayer: „Unter Anwendung der auigestellten Sätze auf die Wärme- und Volumensverhältnisse der Gasarten findet man die Senkung einer ein Gas komprimierenden Quecksilbersäule gleich der durch die Kompression entbundenen Wärmemenge und es ergibt sich hieraus — den Verhältnisexpo- nenten der Kapazitäten der atmosphärischen Luft unter gleichem Drucke und unter gleichem Volumen = 1.421 gesetzt — daß dem Herabsinken eines Gewichtsteiles von einer Höhe von ca. 365 ın (Mayer hatte die Zahl 367 ermittelt) die Erwärmung eines glei- chen Gewichtsteiles Wasser von 0 Grad auf 1 Grad C. ent- spreche.“ — u a ee Ne er Zu ee en u ri ae ne Damit war also Julius Robert Mayer zur rechnerischen ~ Festlegung des von ihm erkannten Gesetzes: „Wärme — mechani- “4 x Z unge le NU re a eng v hc ec “ 15 scher Efiekt“ — und wie ich gleich beisetzen will — als Erster ge- langt. Daß dieser Zahlenwert später von Joule und anderen auf 425 bezw. 423 M. K. richtiggestellt wurde, setzt die Bedeutung der Mayerschen Feststellung in keiner Richtung herab. In sei- nem Vortrag am 21. August 1843 in der mathematisch-physikali- schen Sektion der British Association zu Cork: „Ueber die Wärmewirkungen von Magnetelektrizität und über den mecha- nischen Wert der Wärme“ hatte Joule den Wert für die Wärme- einheit auf Grund verschiedener Versuche anfänglich auch ver- schieden von den späteren Zahlen zwischen 322—571 und im Mittel mit 460 M. K. bestimmt. Die dem gleichen Gegenstande gewid- meten Arbeiten des Engländers James Prescott Joule (1843), des Dänen Ludwig August Colding (1843) (gest. 1888), des Deutschen Carl Holtzmann (1845) (1811—1865) folgen zeitlich erst Julius Robert Mayers Ermittelung nach. Alle späteren Deutungen und Bemäntelungen können an dieser wissenschaftlichen Tatsache nichts ändern. Der unvergängliche Ruhm, in klarer und bestimmter Weise aus der durch tiefgriindige Ueberlegung geschöpften Erkenntnis des Prinzips von der Erhal- tung der Kraft, die zahlenmäßige Uebereinstimmung zwischen Wärme und mechanischem Effekt d. i. das sogenannte mechanische Wärme-Aequivalent gefolgert und als Erster ziffernmäßig _berech- net zu haben, gebührt einzig und allein Julius Robert Mayer, dem selten scharfsinnigen Arzt aus Heilbronn, dem dieses an die Taten eines Copernikus (1473—1543), Galilei (1564 bis 1642), Newton (1642—1727), Kepler (1571—1630), heran- reıchende bewundernswerte Werk zum Heile der Menschheit ge- lungen ist. — Adolf Fick (Gesammelte Schriften, I. Bd. S. 298) faßt sein Urieil über die Tragweite dieser Abhandlung von Julius Ro- bert Mayer in die Worte zusammen: „Mit diesem Datum be- ginnt eine neue Epoche der Naturwissenschaft.“ — Daß Mayer unter der Bezeichnung „Kraft“ in seinem Aufsatz alie Formen von Energie im Auge hatte, wenn er sie auch nicht alle einzeln aufführte, ergibt sich aus der breiten und übersicht- lichen Auseinandersetzung über diesen Begriff. Im Einklange mit wiederholten Darstellungen in seinen Briefen an Carl Baur vom 24, Juli und 1. August 1841 schrieb Mayer seinem Freund Grie- singer im Dezember 1842: „Meine Behauptung ist ja gerade: Fallkraft, Bewegung, Wärme, Licht, Elektrizität und chemische Dii- ferenz der Ponderabilien sind ein und dasselbe Objekt in ver- schiedenen Erscheinungsformen.“ — In dem Aufsatz „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur“ Mai 1842 führt Julius Robert Mayer weiter aus: „Eine Ursache, welche die Hebung einer Last bewirkt, ist eine Kraft; ihre Wirkung, die gehobene Last, ist also IE i Ran ii, ( a ae le ok 16 ebenfalls eine Kraft; allgemeiner ausgedrückt heißt dies: räum- liche Differenz ponderabler Objekte ist eine Kraft; da diese Kraft den Fall der Körper bewirkt, so nennen wir sie Fallkrait.“ — Und weiters sagt Mayer in der gleichen Arbeit: „Es ist der Gegen- stand der Mechanik, die zwischen Fallkraft und Bewegung, Bewe- gung und Fallkraft, und die zwischen den Bewegungen unter sich bestehenden Gleichungen zu entwickeln.“ — „Wenn Fallkraft und Bewegung gleich Wärme, so muß natürlich auch Wärme gleich Bewegung und Fallkraft sein. Wie die Wärme als Wirkung ent- - sieht bei Volumsverminderung und aufhörender Bewegung, so ver- schwindet die Wärme als Ursache unter dem Auftreten ihrer Wir- kungen, der Bewegung, Volumsvermehrung, Lasterhöhung.“ „Die Bemerkungen über das mechanische Aequivalent der Wärme“ (1850) enthalten eine ausführ- liche Darstellung über die Entwicklung seiner Entdeckung. Auch rimmt Mayer bei diesem Anlaß die Feststellung des mechani- schen Wärmeäquivalentes für sich in Anspruch. „Wenn ich aber auch diese Entdeckung nur einem Zufalle verdanke, so ist sie doch mein Eigentum, und ich stehe nicht an, das Recht des Zuerstkom- menden zu behaupten.“ — Nachdem er ausgesprochen hat, „daß sowohl die Bewegung als die Wärme nur unter dem Aufwande eines meßbaren Objektes entsteht,“ führt er weiter aus: ..... „Der Nachweis einer zwischen den Denkgesetzen und der objek- tiven Welt bestehenden vollkommenen Harmonie ist die interes- santeste, aber auch die umfassendste Aufgabe, die sich finden läßt. Was ich mit schwachen Kräften und ohne jegliche Unterstützung und Ermunterung von außen in dieser Beziehung geleistet, ist freı- lich wenig, aber — ultra posse nemo obligatus.“ In seinem ausführlicheren Hauptwerk: „Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel“, Heilbronn 1845, besagen Mayers lichtvolle Darlegungen: „Die Kraft als Bewegungsursache ist ein unzerstör- hches Objekt. Es entsteht keine Wirkung ohne Ursache; keine Ur- sache vergeht ohne entsprechende Wirkung. Ex nihilo nihil fit. Nil fit ad nihilum. Die Wirkung ist gleich der Ursache. Die der Kraft ist wiederum Kraft.‘ — Auch heißt es hier: „Was die Chemie in Beziehung auf Materie, das hat die Physik in Beziehung auf Kraft zu leisten. Die Kraft in ihren verschiedenen Formen kennen zu lernen, die Bedingungen ihrer Metamorphosen zu erforschen, dies ist die einzige Aufgabe der Physik, denn die Erschaffung oder Vernichtung einer Kraft liegt außer dem Bereiche menschlichen Denkens und Wirkens.“ — „Es gibt in Wahrheit nur eine einzige Kraft. In ewigem Wechsel kreist dieselbe in der toten wie in der lebenden Natur. Dort und hier kein Vorgang ohne Formverände- rung der Kraft.“ — „Die Bewegung ist eine Kraft.“ — „Wird eine Fallkraft in Bewegung oder eine Bewegung in Fallkraft umgewan- 4 ? 4 5 ¥ -§ 4 a E A 4 4 i a | \ q 4 | | 3 : - : . 17 delt, so bleibt die gegebene Kraft oder der mechanische Effekt eine konstante Größe. Dieses Gesetz, eine spezielle Anwendung des Axioms der Unzerstörlichkeit der Kraft wird in der Mechanik unter dem Namen „Prinzip der Erhaltung lebendiger Kräfte“ aufgeführt.“ „Die Wärme ist eine Kraft; sie läßt sich in mechanischen Effekt verwandeln.“ — Mayers Vertrautheit mit den Ergeb- nissen der experimentellen Chemie bekundet folgende Stelle: „Gay-Lussaec hat durch Experiment bewiesen, daß eine elas- tische Flüssigkeit, die aus einem Ballon in einen gleichgroßen luft- leeren Behälter einströmt, im ersten Gefäß genau um so viel Grade sich abkühlt, als sie sich im zweiten erwärmt. Dieser durch seine Einfachheit ausgezeichnete Versuch, der auch anderen Beobachtern siets das nämliche Resultat geliefert hat, lehrt, daß ein gegebenes Gewicht und Volumen einer elastischen Flüssigkeit auf ein doppel- tes, vierfaches, überhaupt auf ein mehrfaches Volumen sich aus- breiten könne, ohne im ganzen eine Temperaturveränderung zu er- fahren, oder daß zur Ausdehnung des Gases an und für sich kein Wärmeaufwand erforderlich sei. Ebenso konstatiert ist aber auch die Tatsache: daß ein Gas, welches unter einem Drucke sich aus- dehnt, eine Temperaturverminderung erleidet.“ — Mayers scharfsinnige Schlüssigkeit ergibt sich aus der Begründung des ' Einhbeitsmaßes für das mechanische Wärme-Aequivalent: „Zur Hebung eines Kilogrammgewichtes auf 425 Meter ist eine Wärme- einheit oder wie wir auch sagen können, zur Hebung eines Gramm- gewichtes ist ein Grad Wärme erforderlich, woraus folgt: daß ein Kilogrammgewicht, welches 425 m hoch herabsinkt, durch Stoß oder Reibung wieder eine Wärmeeinheit (Kalorie) entbinden muß.“ — „Wie das Quantum einer Materie durch das absolute Ge- wicht, so wird das Quantum einer Bewegung durch das Produkt der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit bestimmt.“ — „Eine ‚vierte Erscheinungsform der physischen Kraft ist die Elektrizität.“ Zur Erhärtung seiner Ansicht über die Konstanz der Kraft greift Mayer auf die unversiegbare Quelle des Sonnenlichtes zu- rück: „Bei allen physikalischen und chemischen Vorgängen bleibt die gegebene Kraft eine konstante Größe.“ — „Die Sonne ist eine nach menschlichen Begriffen unerschöpfliche Quelle physischer Kraft.“ — „Die Erschaffung einer physischen Kraft schon an und fiir sich kaum denkbar, erscheint umso paradoxer, wenn man die Erfahrung berücksichtigt, daß die Pflanze einzig mit Hilfe des Sonnenlichtes ihre Leistung zu vollbringen imstande ist; durch die Annahme einer solchen hypothetischen Aktion der „Lebenskraft wird jede weitere Forschung abgeschnitten, und die Anwendung der Gesetze exakter Wissenschaften auf die Lehre von den Lebeus- erscheinungen unmöglich gemacht; ihre Bekenner werden gegen den Geist des Fortschrittes, der sich in der Naturforschung jetziger Zeit kundgibt, in das Chaos ungezügelter Phantasiespiele zurück- 4 = 18 geführt. Der Verfasser glaubt daher auf das Einverständnis seiner Leser rechnen zu dürfen, wenn er der folgenden Untersuchung als axıomatische Wahrheit den Satz unterlegt: daß während des Lebensprozesses nur eine Umwandlung der Ma- terie sowie der Kraft, niemalsaber eine Erschal- fung der einen oder anderen vor sich;gehe.” Die von ihm erschlossenen neuen Gesetze der Physik wendet Mayer mit seltenem Scharfblick auf die Biologie des Pflanzen- und Tierreiches an: „Die Größe der mechanischen Leistungen eines Tieres wird bequem ausgedrückt durch ein Gewicht, das mittelst dieser Leistung auf eine gewisse Höhe gebracht werden kann.“ — „In dem Organismus wird fortwährend eine Summe von chemi- schen Kräften aufgewendet.“ Weitestgehende Beachtung verdienen Mayers Ausführungen über den Mechanismus und Chemismus der Muskelbewegungen: „Der Muskel ist nur das Werkzeug, mittelst dessen die Umwand- lung der Kraft erzielt wird, aber er ‘ist nicht der zur Hervorbrin- gung der Leistung umgesetzte Stoff.“ — Als Oertlichkeit und Stätte der oxydativen Lebensvorgänge gilt Julius Robert Mayer mit Recht das Blut innerhalb der geschlossenen Blutbahn. — „Der chemische Prozeß und die Kraftentwicklung geht ...... sowohl in den Lungen als in den übrigen Körperteilen vor sich.‘ — SR „0 dürfte doch immer noch behauptet werden ...... daß nicht der hundertste Teil des ee im Körper außerhalb der Gefäßwandungen erfolgt.“ — „Der Herd dieses Pro- zesses (der vitalen Oxydationsprozesse) ist die Höhle des Blutgefäß- Systems, das Blut aber, eine langsam brennende Flüssigkeit, ist das Oel in der Flamme des Lebens.“ — „So ist also die dauernde Leistungsfähigkeit nicht der Masse des Muskels, sondern sie ist der Masse des durchkreisenden Blutes proportional. Die momentane Leistung hängt mit den myologischen, die dauernde mit den ante: logischen Verhältnissen des Bewegungsapparates zusammen.“ — An der Hand dieser nur spärlich gewählten Auslese aus. sei- nen bedeutendsten Werken zeigt sich demnach Julius Robert Mayer auf einer seiner Zeit weit vorauseilenden, staunenswerten und ungewöhnlichen Höhe souveräner Beherrschung der Grund- lehren der Physik und der wichtigen Ergebnisse der Chemie. Mit außerordentlichem Weitblick und durchdringendem Verstand weiß Mayer diese Erkenntnisse zur Klärung verwickelter, allgemein biologischer, tier- und pflanzen-physiologischer und pathologischer Fragen mit Erfolg anzuwenden und zur Vertiefung unseres Wissens zu verwerten. — Mayer beschließt „Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel“ mit den Sätzen: „Die verschiedenen Momente nun, die der Tätigkeit gesunder Be- wegungsapparate hemmend in den Weg zu treten vermögen, kom- binieren sich in den Einzelfällen auf eine wechselvolle Weise. 4 2 a = 2 Ae] He a a E 4 i * Py 3 | & iS 2 x Ba N A aan mth: us Sm, A a ee a an a ri ee ae ee eT ee ee 19 Hier wie in jedem physiologischen und pathologischen Prozesse spielt Organologisches und Chemisches, Solidares und Humorales, Nerv und Blut gleichzeitig seine Rolle, und es mögen die Lebens- erscheinungen einer wundervollen Musik verglichen werden, voll herrlicher Wohlklänge und ergreifender Dissonanzen; nur in dem Zusammenwirken aller Instrumente liegt die Harmonie, in der Harmonie nur liegt das Leben.“ — in seiner Veröffentlichung: „Beiträge zur Dynamik des Himmels“ 1848 gelangt Mayer zum Schluß: „In der Er- regung von Ebbe und Flut liegt also der Grund zu einer Vermin- derung der Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde.“ — Mit seiner Arbeit: „Ueber die Herzkraft“ 1851 verficht Mayer Vierordt gegenüber die in seiner früheren Schrift: „Die organische Bewegung in ihrem Zusammen- hang mit dem Stoffwechsel“ 1845 über die Leistung des Herzens gewonnenen Zahlenwerte (die Mechanik der Wärme. Seite 88). „Der Effekt einer Systole, reduziert, ist somit — 325.6 g auf ein Meter. Den Effekt des rechten Ventrikels habe ich halb 4 so groß als den des linken angenommen, wornach der gemein- schaftliche Eifekt beider Ventrikel = 0.49 Meter-Kilogramm ist.“ wa ag „Und es ist hiernach die Leistung des ganzen Herzens. wie die der Ventrikel auf die Sekunde berechnet, bei 70 Pulsschlä- gen in Runden — 0.6 Meter-Kilogramm oder = dem 125ten Teil einer Pferdekraft zu setzen.“ — Der Aufsatz Mayers: „Ueber das Fieber“. Ein iatro- mechanischer Versuch; Archiv der Heilkunde 1862, — würdigt die : Verminderung des mechanischen Nutzeffektes als Ausdruck und 3 Maß für die Stärke der Erkrankung und berechnet die Steigerung der Herzleistung bei einem Fieberkranken im Vergleiche mit */,,. des Gesunden auf '/., Pferdekraft; die Herzkraft im gesunden Zustand verhält sich zu der im kranken — 9:16. In vielen anderen Fällen kann aber bei Erhöhung der Frequenz der Systole mit der Verminderung der Energie die Gesamtleistung des Herzens weit unter die Norm sinken. Die Regulierung des Chemismus kann dabei durch die störende Beeinflussung des Verhältnisses zwischen Warme-Produktion und Wärmeabgabe wesentlich ver- ändert sein. Die Kohlensäure-Erzeugung ist oft im fieberhaften Zustande erhöht. Das Fieber ist also Ausdruck einer mit dem ge- störten Blutverbrennungsprozeß im Krankheitszustand gegebenen Vielheit von Krankheitserscheinungen. j ae th Oo ee es Te ene dan Pe Pear ee aA ee ee 7 ‘ Y = , 5. Bei Verfolgung seines Arbeitsplanes hatte es sich Mayer vor allem um den Nachweis einer unveränderlichen Größenbezie- hung zwischen Ursache und Wirkung gehandelt oder — was hier 4* 5 ; water) bal gel yh a “ya 0 Sh yh ito ES We i. ee 26 das gleiche bedeutet — zwischen Bewegung und Wärme als eines ~ in Arbeitseinheiten bestimmbaren zahlenmäßigen Wertes. Als Julius Robert Mayer seine drei ersten grundlegen- den Aufsätze („Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur“ 1842; „Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel“ 1845 und „Beiträge zur Dynamik des Him- mels“ 1848) verfaßte, stand er im Alter zwischen 28 und 34 Jah- ren. Der erste der aufgeführten Artikel behandelt, wie wir oben ausführlich dargestellt haben, die Grundlagen für „das Fundament der neueren Naturwissenschaft“ durch Aufstellung und Bestim- mung des mechanischen Wärme-Aequivalentes, der zweite Aufsatz entwickelt den Ausbau von Physik und Physiologie auf Grund der in der ersten Arbeit gewiesenen Wege, und der dritte endlich zeigt die außerordentliche Tragweite und Fruchtbarkeit der Er- mittelungen Mayers zur Klärung kosmischer Probleme und Fragen. — Alle folgenden Veröffentlichungen Mayers gelten nur der weiteren Vertiefung und Ausgestaltung des von ihm erkannten Grundsatzes. Die klare Einsicht in die Bedeutung seines Energie- gesetzes für die allgemeine Biologie bezeugt Julius Robert Mayer auch noch später in einem Briefe an Friedrich Mohr vom 28. April 1864: „In noch höherem Grade womöglich als für die Physik ist für die Physiologie, welche bekanntlich in der mechani- schen Wärmelehre ihre wissenschaftliche Grundlage erst gefunden hat, das K. M. ein notwendiges Lebensbedürfnis.“ Mit den drei genannten Arbeiten war das Lebenswerk J'- lius Robert Mayers im wesentlichen vollbracht. Noch nie war im Laufe von sechs Jahren eine Leistung von solcher wissen- schaftlichen Tragweite in gleich erschöpfender Gründlichkeit volibracht worden. John Tyndall (1820—1893), Professor der Physik der Royal Institution in London, schrieb am 11. Jänner 1866 an Mayer: „Daß Sie in einer kleinen Provinzialstadt und in An- spruch genommen von den Obliegenheiten Ihres Berufes allen anderen soweit vorausgeeilt sind, ist für mich erstaunlich. Ten kenne keinen ähnlichen Fall in der Geschichte der Wissenschaft.‘ — Den Vortrag: ,Ueoer Kraft“, welchen Tyndall im Jahre 1862 anläßlich der Ausstellung in London vor einem weiteren Kreise von wissenschaftlichen Größen vieler Länder hielt, schloß er mit den Worten: „Wenn wir die äußeren Bedingungen von Mayers Leben und die Zeit, in welcher er arbeitete, bedenken. so müssen wir staunen über das, was er vollbracht hat. Dieser geniale Mann arbeitete ganz in der Stille; nur von der Liebe zu seinem Gegenstande erfüllt, gelangte er zu den wichtigsten Resul- taten, allen anderen voraus, deren ganzes Leben der Natur- forschung gewidmet war.“ — In seinem Aufsatz: „Julius Ro- bert Mayer, Empfänger dr Copley-Medaille für 1871,“ ‘ 21 schrieb Tyndall: „Dem Manne, der aus den spärlichsten Daten im kurzen Zeitraum von sechs Jahren und in den Mußestunden. die er seinem schwierigen Berufe abgewann, dies alles auszufüh- ren vermochte, hat die Royal Society in diesem Jahre ihren höch- sten Ehrenbeweis zuerkannt.“ — Im Juli 1870 hat Mäyer von der Akademie der Wissenschaften in Paris den Poncelet- Preis (eine goldene Medaille und 2000 Fres.) zugesprochen er- balten. Durch Verleihung des Ritterordens der württembergischen Krone wurde ihm 1867 der persönliche Adel zuerkannt. — Graf Rumford (Benjamin Thompson 1753—1814). welcher mit Bacon (1561—1626), Leibnitz (1646—1716), Bernoulli (1667—1748), Boscovich (1711—1787) in der Wärme eine Bewegung kleinster Körperteilchen erblickte und den Beweis erbracht hatte, daß sich die Wärme auch durch den luft- leeren Raum fortpflanzt, war bei seinen Bohrversuchen an Ge- schützrohren im Zeughaus zu München und seinen Berechnungen der hierbei entstehenden Wärme der Auffassung Julius-Re- bert Mayers hinsichtlich der Beziehung zwischen Wärme und der mechanischen Arbeit unter allen Forschern am nächsten ge- "kommen. — Auch der 27 Jahre alte französische Ingenieur-Offizier Sadi Carnot (1796—1832), des berühmten Carnot Sohn, welcher das von dem Schöpfer der modernen Thermodynamik Clausius erst genau formulierte Entropiegesetz (svreosıi« — Wendung, Um- kehr), den sogenannten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. entdeckte, war im Jahre 1824 bei seinen experimentellen Arbeiten über die Dampfmaschine unter Erweiterung des Potentialbegriffes und Bestimmung der Ortsflächen gleichen Wärmepotentiales als thermischer Niveauflächen der Entdeckung der mechanischen Wärme-Theorie ganz nahe auf der Spur gewesen. Die im Jahre 1738 von der Akademie der Wissenschaften in Paris gestellte Preisfrage „de la nature et de la propagation du feu“ („Ueber das Wesen der Wärme und ihre Fortpflanzung‘) war aber noch immer im Sinne der Stoff-Natur der Wärme beantwortet worden. (Voltaire (1694-1778), Nollet (1700 bis 1770), Euler). — L. Euler (1707—1783), einer von den drei Preisträgern, unter welche der Preis aufgeteilt worden war. erklärte es als paradox, daß aus dem kleinsten Funken der größte Brand entstehen könne, wenn die Wirkung der Ursache gleich sein müsse und die Quantität der Bewegung oder der Kräfte nicht vermehrt werden könne. Nach Eulers Hypothese wäre das Feuer mit kleinen hohlen Glaskugeln zu vergleichen, welche mit kcmprimierter Luft gefüllt, bei dem geringsten Anstoß zerschellen. wobei die Scherben durch die sich ausdehnende Luft gegen die Nachbarschaft geschleudert werden und diese zerbrechen. - | pie SiS aeg Bei dieser Gelegenheit sei auf eine beachtenswerte Bemerkung bei A. Fick (,Die Naturkrafte in ihrer Wechsel- beziehung‘ 1869, Ges. Schriften, Würzburg, Stahel’sche Verlags- anstalt 1903, I. Bd. S. 321 u. 322), hingewiesen, daß man sowohl in dem in die Brown’sche Molekularbewegung hineingerissenen Herumschwärmen kleinster Pulverkörnchen im flüssigen Tropfen unier dem Mikroskop als auch in der tanzenden Bewegung der frei in der Luft schwebenden kleinsten Staubteilchen mikroskopisch die Wärme als Bewegungsvorgang beobachten könne. A. Fick sagt in diesem Zusammenhang: „Vor wenigen Jahren hat Wie- ner in einer eigenen Abhandlung sehr scharfsinnig gezeigt, daß in der Tat gar keine andere Annahme möglich ist, als daß Körn- chen von einer gewissen Kleinheit in die das Wesen des flüssigen Aggregatzustandes ausmachende, schwärmende Bewegung der Mo- leküle hineingerissen werden. Es ist mir kürzlich gelungen, auch die tanzende Bewegung an feinen Partikelchen, die in der Luft schweben, mikroskopisch wahrzunehmen. Wir hätten also hier in beiden Fällen die Wärme als Bewegung sichtbar vor uns.“ — Im übrigen läßt sich die Bewegung der Wärme unmittelbar und ohne jedes Hilfsmittel vorweisen an der Bewegung der klein- sten Staubteilchen in jedem schräg in ein Zimmer einfallenden Lichtbiindel der Sonnenstrahlen. 6. Für das tiefere Verständnis der Frage, in welcher Weise die Einsicht in die Erkenntnis über „das Prinzip von der Erhaltung der Kraft“ sich allmählich anbahnte und insbesonders Julius R»- bert Mayer eröfinete, dürfte es nicht ganz ohne Belang sein. in Kürze daran zu erinnern, wie nach den Vorstellungen der füh- renden Geister im klassischen Altertum das Spiel des- Natur- geschehens in seinem eigentlichen Wesen, das Sein (ro 67), gedacht wurde. Schon ein flüchtiger Blick auf die Lehren und Meinungen der attischen Philosophie und deren Nachfahren wird nächst dem Stande der Weltweisheit (pılooogie) jener Zeit auch ein ausreichen- des Maß einsichtiger Bescheidenheit in der Beurteilung der Er- rungenschaften und wissenschaftlichen Leistungen unserer Zeit zu vermitteln geeignet sein. Vorahnungen kühnster Art von der Unzerstörbarkeit und Un: | vermehrbarkeit des Stoffes lassen sich schon bei den alten griechi-. chen Atomisten erkennen. Materiell-mechanistische Anklänge ın der Deutung des Weltgeschehens finden wir bei den Vertretren der jo- nıschen Schule. Thales von Milet?) (etwa 640 — um 550 vy. Chr.), welchen Aristoteles (384-322) den Begründer, Cenos der philosophischen Naturforschung nennt (Metaphysika I, 3, 74,8 hatte als Urstoff der Dinge das Wasser angesehen: zo Ö' deo é COXN TTS ross &otı toig Öygois — Das Wasser ist der Grundstoff der, ee eet 4 . mPa) ; we ee eee mn un Natur für die Gewässer. Alles entsteht und besteht aus Wasser. Ouhis wer ovis rorauryg coynyos gıkooogias tug eivai gnow = Aber 1; hales, der Begründer eben dieser Philosophie, behauptet, daß das Wasser sei. Nach Herakleitos aus Ephesos') (um 500 x Chr.) ist alles in ruheloser Bewegung, in ewigem Fluß zu denken: dete bet = „Alles fließt“. Alles bewegt sich in widerstrebendem Gegeneinander: zıöAguos suevroo WEY caıng cor, ıavrov dE Bawılebs— „Der Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. “ Im Sinne der Theorie von Empedokles!) (um 450 v. Chr.) gibt es ein wirk- „liches Werden aus Nichts ebenso wenig, als ein Vergehen in Nichts. "Er TE yao oidau ?OVTOS QuNyavov Fort yevEodaı zal T £0v &ascodéo dat GI7vV00” zai Wrrvorov == Denn wie aus dem nirgends Vorhandenen unmöglich etwas entstehen kann, so ist es unausführbar und uner- hört, daß das Vorhandene je ausgetilgt werden könne. Anaxa- goras!) (um 500—428 v. Chr.) erklärte das Wesen der wirbeln- den Bewegung in der Masse vom Zweckmäßigkeitsstandpunkt: Die allüberall zweckmäßig herrschende »oös ist die Achse der Ordnung und ‚das Um und Auf der Gestaltung der ‚Dinge in der Natur. Kai 00a ye wozny e yet zal eile KL EAAOO0, ars. vobs zoarei. Kat TIS SEOUL QT. OLOS EHS OUUTMTGOTS vous EAOGTNOEN, VOTE TTEOLYWOTROAL tiv coyny = Und über alles, was nur eine Seele hat, Großes wie Kleines, hat der Geist die Herrschaft. So hat er auch die Herr- schaft über die gesamte Wirbelbewegung, so daß er dieser Be- wegung den Anstoß gibt. Dabei lehrte Anaxagoras (ze ylosws): TO yaQ 2ov Oz ZOTL TO UN OZ eivan — Denn es ist un- möglich, daß das Seiende zu sein aufhöre und ovder YAO yon ua yıvercı otde arroAkuteı: Denn kein Ding entsteht oder vergeht. Leu- kıppos') endlich (um 500 v. Chr.), der Lehrer von Demokri- tes, und Demokritos selbst (um 410—361 v. Chr.), die Be- gründer der Atomtheorie, lehnten die teleologische Auffassung des Annaxagoras ab. (older yorua wary yiveral, 'ahla ıevra é% hoyou te zai tir aveyenc == Kein Ding entsteht ohne Ur- sache, sondern alles aus einem bestimmten Grunde und unter dem Zwang der Notwendigkeit.) Sie setzen an ihre Stelle die mechanistische Atomtheorie mit ausdrücklicher Betonung der Causalität des Geschehens und mit dem offenkundigen Bestreben. die Vorgänge in der Natur als Bewegungserscheinungen zu deuten. Alles Werden besteht in einer Aenderung der Zusammensetzung der Dinge. Die Naturkörper sind unendlich kleine, unteilbare. karte aber runde, raumerfüllende Partikelchen (Cicero de fin I. 6: „Demokritos atomos quas appellat, id est corpora individua.“ Epikur ‚84 — 270 v. Chr.) lehrte im Sinne Demokrits: „oUdEv yiveraı 2% vov un Övros“ bei Diogenes Laertius X, n. 24, 38 (Nichts entsteht aus dem Nichtseienden oder nichts wird aus dem ‘) Hermann Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker; Berlin, Weidemannsche Buchhandlung, 1. Auflage "1903 und 2. Auflage, 1906, 1. Bd. ni a = a A 7 24 was nicht ist). Bei Lucrez (98-55 v. Chr.) (De rerum na- tura, liber II 287) finden sich mit Bezug auf die Lehren Epi- kurs die Sätze: „De nilo quoniam fieri nil pesse videmus“ „Weil wir sehen, daß aus nichts nichts werden kann“ und liber I. 155: „quas ob res ubi viderimus nil posse creari de nilo. „Wo wir um dieser Dinge willen sehen, daß nichts aus nichts geschaffen werden kann.“ Die Unveränderlichkeit von Stoff und Bewegung bezeugt De Lucrez die Stelle lib. II, 294—307: „Nec stipata magis fuit umquam materiai copia nec porro majoribus intervallis:- nam neque adaugescit quicquam neque deperit inde. Ouapropter quo nune in motu principiorum corpora sunt, in eodem ante acta aetate fuere et post haec semper simili ratione ferentur, el quae consuerunt gigni gignentur eadem condicione et erunt et crescent vique valebunt, quantum cuique datumst per foedera naturai. Nec rerum summam commutare ulla potest vis: nam neque quo possit genus ullum materiai immenso effugere ex omni quicquamst, neque in omne unde coorta queat nova vis inrumpere et omnem naturam rerum mutare et vertere motus.“ Tit. Lueretius Carus: De rerum natura. Uebersetzung von Max Seydel (Schlierbach): „Das Weltall“. München, Leip- zig 1881, S. 32 v. 257—266): „Niemals war auch dichter vordem noch lockrer der Urstoff; Denn er vermehrt sich nie, noch vermindert er sich durch Zer- storung. Deshalb war die Bewegung, die jetzt in den Urelementen Herrscht, schon von jeher da, und so wird sie auch künftig noch da sein. Was bisher schon entstand, wird unter der gleichen Bedingung Ferner entsteh’n und besteh’n, wird wachsen und blüh’n und er- starken, Je nach dem Maß, das jedem verlieh’n durch natürliche Satzung. Denn kein Platz ist vorhanden, nach welchem die Teile des Urstofis Könnten entflieh’n, kein Platz, von wo aus erneuerte Kräfte Brächen herein, die Natur und Bewegung der Dinge zu ändern.“ Cicero (106—42 v. Chr.) sagt in seinem Werk: De divina- tione, II, 37: „Non ergo omnium interitus atque obitus natura con- ficiet, et erit aliquid, quod aut ex nihilo oriatur aut in nihilum occi- dat. Quis hoe physicus dixit umquam?“ Es wird daher die Natur nicht den Untergang und den Tod von allem bewirken; und wird etwas entweder aus nichts entstehen oder plötzlich in nichts hin- einsinken? Hat je ein Physiker das behauptet?“ or u) Demokrits materialistische Atomtheorie entlehnte ım 17 Jahrhundert der aus scholastischer Vorbildung zu tiefer Einsicht in die exakten Wissenschaften durchgedrungene Franziskaner Gassendi (1592—1655), um sie in die modernen Naturwissen- schaften einzuführen. Von diesem bezog sie der bekannte Physiko- Chemiker Boyle (1627—1691) und legte sie der Erklärung der chemischen Erscheinungen zugrunde. Aus der gleichen Quelle schöpfte Newton (1642—1727) seine Atomtheorie, die von Leib- nitz (1646—1716) und anderen weiter ausgebaut worden ist. — Wohl aus ähnlichen Ueberlegungen und Erwägungen heraus. ‚wie sie die griechischen Weltweisen aussprechen und namentlich hinsichtlich der Unzerstörbarkeit des Stoffes und der Ün- veränderlichkeit der Bewegung schon bei Demokrit und Epi- kur angedeutet und in der glänzenden Darstellung bei Lucrez und ferner auch bei Cicero sich entwickelt finden, waren die Ge- danken über die Erhaltung der Kraft in anfänglich zwar noch un- sicherer und mehr andeutungsweise "ausgesprochener Gestalt auch später immer wieder aufgetaucht und hatten einzelne auserlesene Forscher beschäftigt. So konnte Julius Robert Mayer 1877 in einer Besprechung von Helmholtz’ Vortrag: „Ueber das Denken in der Medizin“ in den Heilbron- ner „Memorabilien“, darauf hinweisen, daß schon Huygens (1629—1695) das Prinzip von der Erhaltung der lebendigen Kraft erkannt habe, und daß Descartes (1596-1650) angedeutet und Leibnitz weiter entwickelt habe, Bewegung und Wärme seien verwandt. Julius Robert Mayer war auf Grund physiologischer Beobachtungen durch emsiges Studium in den Tropen, fußend auf den Lehren Lavoisiers, zu der Er- kenntnis von der Unzerstörbarkeit der Bewegung gelangt. Von Rümelin erfahren wir, daß Mayer in seiner Hauptschaffens- zeit so sehr von den treibenden Einsichten früherer Jahrtausende erfüllt war, daß er meist jeden Besuch seiner Freunde mit dem Satz einzuleiten pflegte: „Ex nihilo nihil fit, nil fit ad nihilum!“ Auch während des Gesprächs war er von seinem Gedankenflug bei diesen Gelegenheiten nicht oder nur sehr schwer abzubringen. wobei er in Unruhe auf- und abwandelnd das Zimmer durchmaß und obiges Zitat immer von neuem wiederholte. — So folgerte Mayer bündig: „Die Energie der Welt istkonstant“ Er sagt hierüber: „Auf meiner Seereise mit dem Studium der Phy- siologie mich fast ausschließlich beschäftigend, fand ich meine Lehre aus dem zureichenden Grunde, weil ich das Bedürfnis der- selben lebhaft erkannte; dem erhaltenen Lichte folgend, breitete sich mehr und mehr eine neue Welt von Wahrheiten aus, die ich allein ausbeuten zu können weit entfernt bin, doch tue ich nach Kräften, und früher oder später wird die Zeit kommen, in der die Wissenschaft die Wahrheiten hell erkennen wird, die ich z. T. erst 26 in dunkler Ferne ahne.“ (Briefe an Griesinger am 5. und 6. Dezember 1842.) — Am 30. November des gleichen Jahres hatte er an denselben Freund geschrieben: „Was Wärme, was Elektrizität usw. dem inneren Wesen nach seien, weiß ich nicht, so wenig als ich das innere Wesen der Materie oder irgend eines Dinges über- haupt kenne; das weiß ich aber, daß ich in den Zusammenhang, vieler Erscheinungen viel klarer sehe, als man bisher gesehen hat und daß ich über das, was eine Kraft ist, helle und gute Begriffe geben: kann...“ „Und die Lebenskraft..... verliert damit wieder ein großes Terrain, die Faseleien der Naturphilosophie stehen in erbärmlicher Nacktheit am Pranger.“ ..... „Es (das Blut) ist dadurch ein langsam verbrennender Körper. oder, in schlagender Vergleichung, eine gärende Flüssigkeit. Die hier- durch entstehende (durch die Ausgleichung chemischer Differenzen nämlich) Wärme, oder allgemeirer die Kraft, die hierdurch zi Tage kommen muß, äußert sich z. T. als freie Wärme, z. T. als tierische Bewegung.“ a Im August 1842 heiratete Mayer Fraulein Wilhelmine Cloß, die Tochter eines wohlhabenden Kaufmannes und Stadt- pilegers zu Winnenden, einem Städtchen bei Stuttgart. In einem Berichte aus den Siebzigerjahren bezeichnet Julius Robert Mayer seine Frau als „eine in jeder Hinsicht vortreffliche Le- bensgefährtin“, welche ihn auch zu weiteren wissenschaftlichen Leistungen aufmunterte, als ihm seine wissenschaftlichen Arbeiten ‚allmählich verleidet wurden. Die Freunde Mayers nennen seine Gattin „den guten Stern seines Lebens“. Die erste Zeit der Ehe war die glücklichste Periode im Leben Julius Robert Mayers. — Mit 26 Jahren wurde Mayer durch das Vertrauen seiner Mitbürger Oberamtswundarzt; kurze Zeit darauf vertauschte er diese Stelle mit der des Stadtarztes, um nicht auch speziell chirurgische Behandlungen durchführen zu müssen. Ueber seine ärztliche Tätigkeit berichtet Mayer wie folgt: „Meine ärztliche Praxis war zwar in rascher Zunahme begriffen, ließ mir aber doch reichlich die nötige Zeit der Erholung übrig, und die gerichtsärzi- lichen Arbeiten, die ich als Oberamtswundarzt des Heilbronner Be- zirkes mit meinem sehr verehrten Freunde ..... dem Oberamts- arzt Dro Se'ya Per.) ss in der Regel. gemeinschaftlich zu ma- chen hatte, boten mir ein schönes Feld für Anwendung und Be- reicherung meiner Kenntnisse.“ Seine eigentliche Auffassung über seine Beschäftigung als Arzt faßt Julius Robert Mayer 1863 in die Worte zusammen: „Was die Grundsätze, die mich am Kran- kenbett leiteten und noch leiten, anbelangt, so gehöre ich zu denen welche die Medizin, die ars medendi, für eine Kunst und nicht für eine Wissenschaft erklären. Hier dürfen nicht Prinzipien eines Ei ea ae War eee ae oe A & 3 1 : \ | 37 konsequent durchgedachten Systemes verfolgt werden, sondern jeder einzelne Fall ist für sich aufzufassen und nach Regeln einer eklektischen Empirie zu behandeln, wobei das ex juvantibus et no- centibus entscheidet.“ An seinen Schwiegervater schrieb er 1855: 3 „Von der Praxis habe ich mich nicht ganz zurückgezogen, und Lan ii ie‘ IT ee . 7) +e halte es stets fiir Pflicht, diejenigen, welche mir ihr Vertrauen schenken, nach bestem Wissen zu beraten, wobei ich auch in der Regel die Freude habe, zu sehen, daß der Himmel zu meinem Tun den Segen gibt.“ — Pfarrer Lang, der Jugendfreund Mayer». schreibt 1892 an Weyrauch: „Mayer war indessen nach wie vor ein aufmerksamer Arzt, und selbst in Zeiten der Erregung, wurde er vollkommen ruhig, wenn er an das Krankenbett zu treten hatte.“ — In den autobiographischen Aufzeichnungen aus den Siebzigerjahren heißt es nach Mayers eigener Zusammenstellung seiner Lebensgeschichte: „Mayer lebt übrigens vor wie nach in seiner Vaterstadt zurückgezogen, seinem Berufe ünd seiner Fa- milie und hat die Freude, sich von seinem Sohne, der vor einem Jahre mit bestem Erfolge die medizinischen Studien absolviert hat und an der Stelle seines altershalber zurückgetretenen Vaters zum Stadtarmenarzt ernannt wurde, unterstützt zu sehen.“ Im Mai 1843 wurde er durch die Geburt eines Töchterleins be- glückt. Ein im folgenden Jahre geborener Sohn starb ihm hin- gegen schon im Jahre 1845 und ebenso verlor er im Jahre 1848 kurz hintereinander ‘zwei Mädchen im jugendlichen Alter. Im Jahre 1846 war nach 39jähriger glücklicher Ehe seine betagte Mut- ter gestorben, über deren Verlust er in gleicher Weise wie unter dem seiner Kinder seelisch tief litt. — Von den drei überlebenden Kindern war die älteste Tochter Elise Wilhelmine (gestorben 1919) mit dem Regierungsdirektor Hegelmaier in Darmstadt verhei- ratet, die Tochter Emma Johanna blieb unverheiratet und hat dem Vater wertvolle Dienste bei der Besorgung seiner Briefschaf- ten geleistet; sie verstarb 1894. Der Sohn Dr. med. Paul Theo- dor war seit 1873 prakt. Arzt und Stadtarzt in Heilbronn; er starb am 2. November 1909. Die Frau Julius Robert Mayers. Wilhelmine geb. Cloß, ist im Jahre 1899 verschieden.') Während der politischen Unruhen im Jahre 1848 trat eine Entfremdung mit seinen Brüdern ein, die sich im Lager der Auf- siändischen befanden. Als er im Auftrage seiner Schwägerin und in Begleitung derselben sich auf die -Suche nach seinem zweiten Bruder Gustav machte, wurde er von Freischärlern aufgegriffen und lief Gefahr, als Spion erschossen zu werden. Nur dem Ein- greifen eines Heilbronner Bürgers, der ihn erkannte, war es zu danken, daß er wieder in Freiheit gesetzt wurde. — *) Die vorstehenden Angaben über die späteren Geschehnisse in der Familie Mayers verdanke ich der freundlichen Mitteilung seines Großneffen Herrn Otto Hauck in Heilbronn. N ia Ne ee er Bar NEE 2 Rae a eh ni Tat nn DORE TE dan 28 Als nun der unter diesen mannigfachen Widerwärtigkeiien schwer leidende Mayer sich anschickte, die noch immer ausge- bliebene wissenschaftliche Anerkennung zu erzwingen, und im Mai 1849 unter dem etwas auffaHigen Titel: „Wichtige physikalische Er- iindung“ die Oeffentlichkeit durch einen Artikel in der Allg. Zig.“ vom 14. Mai 1849, Nr. 134, auf seine Arbeiten aufmerksam machie. erschien in der gleichen Zeitung am 21. Mai 1849 unter der Ueber- schrift: „Dr. Mayers neue physikalische Entdeckung“ von seinem Landsmann Dr. Otto Seyffer, dem nachmaligen Privatdozen. ten für Physik in Tübingen, eine beleidigende und herabsetzende Abkanzelung Mayers und seiner wissenschaftlichen Leistung. wobei der Autor die Ansicht Mayers als „ein vollkommen un- wissenschaftliches, allen klaren Ansichten über die Naturtätigkeit widersprechendes Paradoxon“ charakterisierte. — Damit war das Maß voll und, als Julius Robert Mayer eine Entgegnung in der „Allgemeinen Zeitung“ unbegreiflicherweise verweigert wurde, steigerte sich seine Reizbarkeit außerordentlich. Auch mit einem neuerlichen letzten Schreiben an den Verleger der „Allge- meinen Zeitung“, Cotta in Stuttgart, vom 21. Mai 1850, nachdem sich Seyffer am 18. April 1850 bei seiner Habilitierung zur An- erkennung der „Aequivalentenzahl zwischen mechanischer Kraft und Wärme“ bekannt hatte, konnte Mayer nicht zu der gewünsch- ten Rechtfertigung gelangen. „Bei dem damals herrschenden hei- ßen Frühlingswetter in steigende Aufregung geratend“ — wie er es selbst bezeichnet — sprang Mayer nach einer schlaflos durch- wachten Nacht in einem Zustand deliröser Erregung am 28. Mai 1850, 6 Uhr früh, vor den Augen der eben aufgewachten Frau aus cem Fenster der im zweiten Stock befindlichen Wohnung neun Meter tief auf die Straße, wo er anscheinend schwer verletzt liegen blieb. — Wider alles Erwarten erholte sich Robert Mayer nach mehrwöchigem Krankenlager und einer einige Monate dauernden Badekur von der Verstauchung des rechten Sprunggelenkes bis aul eine leichte Störung des Ganges, welche in Form von Nach- zıehen des rechten Beines zurückblieb, vollkommen. — Im Jahre 1850 verschied auch nahezu 82jährig sein von ihm über alles ge- liebter Vater. 8. Im Jahre 1852 beginnt die traurigste Periode von Julius Ro- bert Mayers Leben. Unter dem Einfluß der furchtbaren see- lischen Erschütterungen mannigfachster Ari, an denen Mayer während der letzten Jahre zu leiden hatte, bildete sich bei ihm eine Störung der Geistestätigkeit aus vornehmlich nach der Richtung einer krankhaften Beeinflussung des Affekt- und Gemütlebens, die es notwendig machte, ihn in eine Heilanstalt abzuliefern. Durch ~ 13 Monate befand er sich vom 1. August 1852 bis Herbst 1853 in BET 7 BT Ic ~ Winnental bei Hofrat Zeller, nachdem er drei Monate früher in der Privatheilanstalt von Dr. Landerer in Göppingen werweilt hatte. Mayer hat nie zugegeben, wirklich geisteskrank gewesen zz sein, obwohl er Krankheitseinsicht bekundete und später wie-- derholt, d. i. im ganzen dreimal, die Heilanstalt in Kennenburg auf- suchte, wenn er sich Perioden leichter Erregung näherte. — Die Krankheit Mayers läßt sich auffassen als ein Zustandsbild einer besonderen konstitutionell-psychopathischen Artung mit gelegeni- lichen Phasen von manischen und hypomanischen Erregungszufäl- len, welche mit depressiven Stimmungsanomalien unter vorwie- gender Betonung krankhafter Willensäußerungen abwechsellen. Eine irgendwie nachträglich erkennbare Schädigung der Intelli- genz und der Gefühlssphäre ist dabei nicht zu beobachten gewesen. Das manisch depressive Irresein stellte sich bei Mayer am Aus- gang des vierten Lebensjahrzehntes mit Fenstersprung im ersten Anfall (28. Mai 1850), und zweijähriger Dauer beim zweiten Anfall (1851/52) ein. Im Verlaufe der nächsten 20 Jahre folgten noch drei weitere gelegentliche Steigerungen der Krankheitserscheinun- gen in der Dauer von je 1—3 Monaten und mehrere leichtere Exacerbationen, zu deren Behebung Julius Robert Mayer jedesmal eigenwillig vorzeitig die Anstalt in Kennenburg, (1856. 1865 und 1871) mit Erfolg aufsuchte. (Dr. Ernst Jentsch, Ju- lius Robert Mayer. Seine Krankheitsgeschichte und die Ge- schichte seiner Entdeckung, Berlin 1914.) — Rümelin bezeugt. daß die Erinnerung an seinen Aufenthalt in Winnental den Rest von Mayers Leben arg verbitterte: „Er sah sich für sein ganzes, Leben beschimpft und geächtet an.“ Derjenige aber, der mit die Schuld trug an der Ausbildung des ersten schweren Erregungszustandes, Dr. Otto Seyffer hatte sich in Tübingen am 18. April 1850 als Privatdozent habili- tiert. Als erste These verteidigte er dabei den Satz: „Die Auffin- dung der sogenannten Aequivalentenzahl zwischen mechanischer Kraft und Wärme anerkenne ich als eine vollendete Tatsache.“ Der Privatdozent Dr. Otto Seyffer hat nur ein Jahr Vor. lesungen an der Tübinger Universität angekündigt; von da ab fehlt sein Name in dem Verzeichnis der Dozenten. Er war später Schriftleiter des „Württembergischen Staatsanzeigers“, erhielt als solcher den Titel „Professor“, gab auch diese Stelle 1866 auf und widmete sich Münz-, Kunst- und Altertumsstudien. Eine traurige Berühmtheit hat aber Dr. Seyffer unter den Universitätsdozen- ten durch sein Vorgehen gegen Mayer in der Wissenschaft erlangt. — Um Poggendorffs Verhalten gegenüber der ersten Ar- beit Julius Robert Mayers im Jahre 1841 voll und richtig einschätzen zu können, muß darauf hingewiesen werden, daß das gleiche Schicksal auch der bekannten Publikation von Helm- ‚30 holtz: „Ueber die Erhaltung der Kraft widerfuhr, welche Pog- gendorff ebenso wie den ersten Artikel von Philipp Reis — (1854—1874) über das Telephon abgelehnt hat. Die philosophische Fakultät der Berliner Universität hatte die berühmte Schrift von Georg Simon Ohm (1787—1854), welche zuerst das soge- nannte Ohm’ sche Gesetz behandelt, als ungeeignet zurückgewie- sen: Es handelt sich hiebei durchaus um Veröffentlichungen von — größter wissenschaftlicher Tragweite! — Den Grund für solche be- | trübliche Entgleisungen muß man z. T. in der Unzulänglichkeit menschlichen Wissens überhaupt erblicken. Zum anderen Teil ist aber unverkennbar Julius Robert Mayer auch selbst mit Schuld an der langsamen und nur allmählich sich durchringenden Anerkennung seiner Leistungen. Die Titel seiner Arbeiten, welche einerseits seiner Unerfahrenheit und andererseits auch seiner per- sönlichen mangelhaften Vertrautheit mit einschlägigen: Materien entsprangen, brachten den Inhalt der Schrift nur sehr dürftig und unvollständig zum Ausdruck. Auch waren sie irreführend. Mit hecht konnte z. B. Clausius (1822—1888) gegenüber Dühring (geboren 1834) betonen, daß unter der Bezeichnung: „Die orga- nısche Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel“ kein Mensch allgemeine Erörterungen über die Grundprinzipien der Mechanik und Physik vermuten konnte. Auch die Ueberschrift des Vortrages auf der Innsbrucker Naturforscher-Versammlung 1869: „Ueber notwendige Konsequenzen und Inkonsequenzen der Wärmemechanik“ leidet an den gleichen Mängeln. Offenbar wollte Julius Robert Mayer hiemit nur aussprechen, daß seine Ge- setze sich bloß auf die Physik, nicht aber auf die Metaphysik be- ziehen sollten. — Die Berechtigung des Vorwurfes von Clausius hat Mayer später anerkannt. In seinen autobiographischen Aut- zeichnungen aus den Sechzigerjahren sagt Mayer: „Was schon den Titel meiner 1844 erschienenen Schrift anlangt, so gestehe ich es offen, daß mir derselbe nicht mehr gut gewählt erscheint.“ Ein anderes widerwärtiges Mißgeschick, gleich peinlich und herb in seiner Wirkung, verfolgte Mayer durch viele Jahre: Die in der Zeit 1857—1873 wiederholt irrtümlicherweise verbreitete Todesnachricht. Das erste Mal erschien die Kunde vom Tode Mayers in der Habilitationsschrift des Dr. Conrad Bohn, Assistenten am physikalischen Institut zu München: „Die Lehre von der Erhaltung der Kraft“, welche der philosophischen Fakultät in München 1857 überreicht wurde. Aus dieser Quelle entnahm sie Liebig in seinen Vortrag: „Ueber die Verwandlung der Kräfte“ am 19. Mai 1858. Der über diesen Vortrag zusammenge- stellte Bericht vom 3. April 1858 in der Allgem. Zeitung“ enthält den Satz: „Leider hat ihr erster Entdecker einen frühen Tod im Irrenhius gefunden.“ Das von Poggendorff bearbeitete bio- graphisch-literarische Handwörterbuch zur Geschichte der exak‘en ee TORT Ee ET. LTE chy ae rte aha me) Bere Ay aa ze a a Fan. E | | £ a 31 Wissenschaften“, II. Bd., 1863, Seite 194, enthielt zu den von Edu- ard Reusch in Tübingen übermittelten, von Mayer selbst be- sorgten biographischen Angaben die Fußnote: „Soll vor 1858 im Irrenkaus gestorben sein („Augsburger Allgemeine Zeitung“). Am Schlusse des Bandes wurde diese falsche Todesnachricht richtig- gestellt: „Ist nicht 1858 im Irrenhaus gestorben, sondern (1862) noch am Leben.“ — Noch am 21. Jänner 1873 war Mayer genöligt. sich brieflich an die Pierer’sche Hofbuchdruckerei in Alten- burg zu wenden, weil das Ergänzungsheft des Jahrbuches für Wissenschaft usw., 3. Bd. des Heites 4 und 5, Seite 358, mit einer kurzen Biographie von Mayer die Notiz brachte: „Er starb ums Janr 1857 im Irrenhause“. Scherzend bemerkte Mayer in diesem Schreiben, daß wohl schon der Setzer einen solchen Mifgriff hätte bemerken können.“ — Allmählich setzte sich aber die Erkenntnis von der Bedeutung des mechanischen Aequivalentes der Wärme und der Erhaltung der kinetischen Energie als allgemeiner Grundlage der Naturwis- senschaften doch siegreich durch. Diese wachsende Anerkennung blieb auch für den Schöpfer der Erkenntnis dieses Grundgesetzes der Natur nicht ohne Erfolg. Der Bann wurde gelöst, als im Jahre. 1858 der Landsmann Mayers, Schönbein (1799—1868) in Basel Julius Robert Mayer das Diplom als korrespondierendes Mitglied der „Naturforschenden Gesellschaft in Basel‘ übersandte. Es folgten das Ehrendoktorat der philosophischen Fakultät an der Landesuniversität Tübingen im Jahre 1859 (durch Eduard Reusch, Professor der Physik in Tübingen, 1812—1891), die Ehrenmitgliedschaft des physikalischen Vereines in Frankfurt a. M. 1859, das Diplom der Akademie der Wissenschaften in Mün- chen 1859 (durch Jolly), jenes der naturwissenschaftlichen Fakul- tät in Tübingen 1863, der Leopoldina in Halle a. S. 1864, der Aka- demie von Turin 1867, von Wien 1869, Paris 1870, London 1871. Brüssel 1874. Nur die erste Akademie des Reiches fehlt sonder- barer Weise in der Reihe jener Körperschaften, welche der be- wundernswerten Lebensarbeit Julius Robert Mayers Dank und Anerkennung zollten. — Am meisten hat zur Anerkennung der Verdienste Julius Robert Mayers, wie dies beschämender Weise ausdrücklich vermerkt werden muß, das Ausland beigetragen und zwar in Frankreich Verdet, in Italien Graf Saint Ro- bert und, was schon früher besonders hervorgehoben wurde, John Tyndall, Professor an der Royal Institution in London. So wurde auch für Julius Robert Mayer der Satz: „Nemo pro- pheta in patria“ zur bitteren Wahrheit. 9. Zweifellos ist von größter Bedeutung für die Beurteilung der Arbeiten Julius Robert Mayers auch sein Verhältnis zu Hermann von Helmholtz (1821—1894) geworden. EIN a De F s 1 by kenne 2 ra err’ 4 a at Sey eae ae Ris aoe “hy Ain Pea ee dir. ~ VAC Te ea la LN lt ORE, i, ee = Die berühmte Schrift von Helmholtz „Ueber die Erhaltung der Kraft“, Berlin 1847, beginnt mit natur-philosophischen Erörte- rungen und bietet vor allem eine mathematische Formulierung des Prinzipes von der Erhaltung der lebendigen Kraft, wobei Helm- holtz die Ansicht vertritt, daß die Einwirkungen der Körper aufeinander sich reduzieren lassen auf Kräfte zwischen unbe- schränkt kleinen Massenpunkten. „Es ist also stets die Summe der vorhandenen lebendigen und Spannkräfte konstant.“ „In dieser all- gemeinen Form können wir unser Gesetz als Prinzip von der Er- haltung der Kraft bezeichnen.“ In dieser Schrift von Helmholtz werden die Arbeiten von Julius Robert Mayer nicht erwähnt. „Die Fortschritte der Physik im Jahre 1845° (erschienen 1847) und die Fortschritte der Physik im Jahre 1847 (ausgegeben 1850 von Helmholtz) be- rühren nur ganz oberflächlich und summarisch die Arbeiten von 1842 und 1845. — In seinem Vortrag: „Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte“, Königsberg 1854, führt Helmholtz aus: „Der Erste, welcher das allgemeine Naturgesetz, um welches es sich hier handelt (das Prinzip von der Erhaltung der Energie), richtig auffaBte und aussprach, war ein deutscher Arzt, Julius Robert Mayer in Heilbronn im Jahre 1842. — In seinem Vortrag auf der deutschen Naturforscherversammlung = in Innsbruck 1869 „Ueber das Ziel und die Fortschritte der Naturwissenschaft“ sagte Helmholtz: „Als der, welcher zuerst den Begriff dieses Ge- seizes rein und klar erfaßte und seine absolute allgemeine Gültig- keit auszusprechen gewagt hat, ist derjenige zu nennen, den wir nachher von dieser Stelle zu hören die Freude haben werden, Dr. Robert Mayer von Heilbronn“. — In den Zusätzen zu seiner Abhandlung: „Ueber die Erhaltung der Kraft“, 1847, Neudruck 1882, spricht Helmholtz aus: „Zur Geschichte der Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft wäre hier nachzutragen. daß Robert Mayer 1842 seinen Aufsatz „Ueber die Kräfte der unbelebten Natur“ veröffentlicht hatte und 1845 die Abhandlung über „Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel“, Heilbronn. Schon in dem ersten Aufsatz ist die Ueberzeugung von der Aequivalenz der Wärme und Arbeit ausge- sprochen und das Aequivalent der Wärme auf demselben Weg, der im Text als der von Holtzmann angegeben ist, auf 365 kg be- rechnet. — Der zweite Aufsatz ist, seinem allgemeinen Ziele nach. im wesentlichen zusammenfallend mit dem meinigen. Ich habe beide Aufsätze erst später kennen gelernt, und seitdem ich sie kannte, nie unterlassen, wo ich öffentlich von der Aufstellung des hier besprochenen Gesetzes zu reden hatte, Robert Mayer in erster Linie zu nennen; auch habe ich seine Ansprüche, soweit ich sie vertreten konnte, gegen Freunde Joules, welche dieselben gänzlich zu leugnen geneigt waren, in Schutz genommen.“ orm? a Le vs \ a eS ie a A Mar en! 33 Von diesem Zeitpunkt ab ist eine Aenderung im Verhalten von Helmholtz gegenüber Julius Robert Mayer unver- kennbar. Die bisher uneingeschränkte und unbefangene Anerker- nung, welche Helmholtz den Arbeiten Mayers gezollt hat. erfährt eine sichtliche Einbuße. Beim Wiederabdruck des Vortrages „Ueber die Wechselwir- kung der Naturkräfte“ von 1854, veröffentlicht 1884, sagt Helm- holtz in einem Anhang: „Bei der Auffindung des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft und seiner vollen Allgemeingültigkeit han- delt es sich ..... keineswegs um eine durchaus neue Induktion sondern nur um die letzte Präzisierung und vollständige Verallge- meinerung einer schon längst herangewachsenen induktiven Ueber- zeugung, die sich schon mannigfach ausgesprochen hatte...... 7 „Julius Robert Mayers erste Abhandlung, die ihm die Priorität dessen sichert, was an der besprochenen Einsicht neu war, fällt in das Jahr 1842 ..... Das wesentlich Neue, was sie bringt, ist die Behauptung, daß eine bestimmte Wärmemenge einem bestimmten Arbeitsbetrage äquivalent sein müsse.“ „Das Liebäugeln mit der Metaphysik in beiden ersten Veröffentlichun- gen Mayers erklärt sich wohl aus der damaligen Unzulänglich- keil seines empirischen Materiales ..... Die von Mayer ge- gebene Berechnung des mechanischen Wärme-Aequivalentes für einen Fall, selbst wenn sie als begründet anerkannt wurde, bewies ja nichts. Es mußte gezeigt werden, daß ganz verschiedene Vor- gänge ganz denselben Wert ergeben, was Joule in der Tat getan hat. Dadurch erst wurde Mayers Ansicht über den Rang einer nicht unwahrscheinlichen Hypothese hinausgerückt.“ ..... „Ich hoffe, meinen Lesern dargetan zu haben, daß..... Robert Meyer zwar ein höchst selbständiger und scharfsinniger Kopf war, von dem man große Leistungen erwarten durfte, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, in voller Geisteskraft weiterzuarbeiten; aber nicht ein solcher, der Dinge geleistet hätte, die nicht auch an- dere seiner Zeitgenossen hätten leisten können und tatsächlich auch ohne seine Unterstützung geleistet haben.“ In seiner Rede zum Stiftungsfest der militärärztlichen Bil- dungsanstalt in Berlin: „Ueber das Denken in der Medizin“ (Vor- träge und Reden, 1884, Seite 165) ergeht sich Helmholtz in folgenden allgemeinen Bemerkungen: „Oberflächliche Aehnlich- keiten finden ist leicht, ist unterhaltend in der Gesellschaft, und witzige Einfälle verschaffen ihrem Autor bald den Namen eines geistreichen Mannes. Unter einer großen Anzahl solcher Einfälle werden ja wohl auch einige sein müssen, die sich schließlich als halb oder ganz richtig erweisen; es wäre ja geradezu ein Kunst- stück, immer falsch zu raten. In solchem Glücksfalle kann man seine Priorität auf die Entdeckung laut geltend machen.“ 34 RN In einer Besprechung dieser Helmholtz’schen Schrift in den Heilbronner „Memorabilien, Monatshefte für rationelle Aerzie™. 1877, Seite 524, äußert sich Mayer folgendermaßen: „Indem ich die Leser der Memorabilien auf. diese Arbeit eines so hoch be- rühmten und verdienten Mannes aufmerksam mache, kann ich. nicht umhin, einige Bemerkungen hier beizufügen.“ Zunächst weist Julius Robert Mayer darauf hin, daß wohl über die Auf- fassung des Hippokrates (460--370 v. Chr. Geb.) von der em- gepflanzten Lebenswärme hinaus zuerst das Prinzip von der Er- haltung der lebendigen Kraft schon Huygens (1629—1695), ein Zeitgenosse Newtons (1642—1727) erkannt habe. Rene Des- cartes (1596—1650) hatte angedeutet, daß Bewegung und Wärme verwandt seien und Leibnitz hatte diese Ansicht weiterhin ver- -treten. Das Prinzip- von der Erhaltung der Kraft war also nach Mayers Ausführungen schon über 200 Jahre vor der Entdeckung des mechanischen Wärme-Aequivalentes bekannt. Nach diesen Feststellungen bezieht sich Mayer auf den Ausspruch Aragos: „Bei Prioritätsfragen entscheidet nur das Datum der Veröffent- lichung.“ Mayer hebt hervor, daß er in seiner kurzen Abhand- lung in Wohlers (1800—1882) und Liebigs (1803—1873) An- nalen 1842 sein Prioritätsrecht auf die mechanische Wärmetheorie und die Feststellung des zahlenmäßig ermittelten mechanischen Wärme-Aequivalentes zu wahren bemüht gewesen sei und daß er in seiner Schrift: „Die organische Bewegung“ usw. 1845 seine Theorie ausführlicher begründet habe unter naheliegender Bezug- nahme auf Physiologie und Pathologie. Mayer fährt dann fort: „Der Leser, der sich aber die Mühe nehmen will, die zweite Aui- lage meiner „Mechanik der Wärme“, Stuttgart 1874, zur Hand zu nehmen, wird leicht finden, daß die von mir schon im Jahre 1842 gepflanzte Saat inzwischen zur Reife gediehen ist.“ Die physikalische Sektion der 59. Versammlung deutscher Nae turforscher und Aerzte in Berlin 1886 („Tageblatt“, Seite 106, 188) drahtete an den in Rigi-Kaltbad weilenden Helmholtz durch ihren Vorsitzenden Bezold: „Dem Vater des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft sendet die innigsten Wünsche“ ..... Helmholtz’ Antwort lautete: „Für freundliche Wünsche der physikalischen Sektion herzlichen Dank. Der ungern Abwesende.“ In dem im Todesjahr von Helmholtz 1894 erschienenen Bande seines berühmten Werkes: „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ hat der als hinreißender Redner, begeisternder aka- demischer Lehrer und Historiker von kraftvoller deutscher Gesin- nung gleich bekannte Heinr. Treitschke (1834 geb.) hinsichtlich des Anteiles von Julius Robert Mayer und Herm. Helm- holtz an der Aufstellung des Prinzipes von der Erhaltung der Kraft behauptet: „Der physikalischen Theorie gelang im Jahre 1847 eine entscheidende Tat. Hermann Helmholtz aus der { 4 h a 5 R 4 E 4 ; . 35 Mark, ein junger Militärarzt, den die hochmütigen Offiziere des Gardehusaren-Regimentes sehr geringschätzig behandelten, verdf- fentlichte die kleine Schrift: „Die Erhaltung der Kraft“, die den kühnen Versuch wagte, den Zusammenhang der gesamten Natur- kräfte nachzuweisen, die Physik als Bewegungslehre aufzufassen. Aehnliche Ideen hatte kurz zuvor, ohne daß Helmholtz darum wußte, der Heilbronner Arzt Robert Mayer ausgesprochen. einer jener unseligen, zwischen Genie und Wahnsinn schwanken- den Geister, die unter den Erfindern und Entdeckern nicht selten erscheinen.“ Diese einseitige Stellungnahme Treitschkes vermag einer geklärten und ruhigen sachverständigen Beur- teilung kaum standzuhalten. Jeder Unbefangene wird der Meinung von Weyrauch beipflichten, wenn dieser in Treitschkes Vorgehen den Beweis erbracht sieht, daß man selbst ein so bedeutendes Werk wie die „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ schreiben kann, ohne die Geschichte des „Haupt- gedankens der modernen Naturwissenschaft, eines Gedankens eben- so folgenreich wie einst Newtons Gesetz der Schwere“ zu ken- nen. Zur Steuer einer richtigen und unvoreingenommenen Ein- schätzung der Leistungen Mayers muß aber die unbegründete Auffassung Treitschkes, dieses hervorragenden Führers unse- res Volkes in großer Zeit, als unzutreffend, im Widerspruch mit den Tatsachen, irreführend und — sit venia verbo — als höchst bedauerliche Entgleisung entschieden zurückgewiesen werden. Die abfällige Schilderung Julius Robert Mayers als eines „jener unseligen, zwischen Genie und Wahnsinn schwankenden Geister, die unter den Erfindern und Entdeckern nicht selten er- scheinen“, ist unverdient und dabei gleichzeitig verurteilenswert. Es ist naheliegend, anzunehmen, daß die spätere Stellung- nahme von Helmholtz bei Erörterung der Frage von der Be- teiligung Mayers an der Erkenntnis des Prinzipes von der Erhal- tung der Krait wesentlich störend beeinflußt wurde, einerseits durch seine Beziehung zu Dühring und anderen seiner persön- lichen Gegner und andererseits auch durch die Stellungnahme sei- ner Freunde. — Für die Klarstellung dieser Verhältnisse war aber eine erschöpfendere ‘Wiedergabe der einzelnen Aeußerungen von Helmholtz an dieser Stelle nötig. Die Freunde von Helm- holtz, Bezold (1837 geb.) und Heinrich von Treitschke. haben jedenfalls zur Klärung dieser Frage ihrerseits nicht beige- tragen. 10. In der ungeschmälerten und rückhaltlosen Anerkennung der Leistungen anderer war Julius Robert Mayer von seltenem vorbildlichen Entgegenkommen. Mitunter reicht dieses aber an 5* 36 Selbstverleugnung heran. So suuwwt Mayer an vıausıus (Professor der Physik in Zürich, 1822—1888) unter dem 24. Juni 1862 auf dessen Anzeige, daß er Mayers Schriften über „Die organische Bewegung“ und „Die Dynamik des Himmels“ gelesen und von dem reichhaltigen Inhalt dieser Schriften in hohem Grade: überrascht wurde, folgendes: „Kaum weiß ich Worte zu finden, um ihnen meinen Dank für Ihr mich so sehr ehrendes Schreiben vom 15. ds. Mts. auszudrücken, wiewohl ich mit Beschämung gestehen muß, daß ich mir wohl bewußt bin, wie meine schwachen Leistun- gen ein solches Lob und von einem solchen Munde gespendet, ent- fernt nicht verdienen. Ihnen, sehr verehrter Herr, gebührt vor allem das Verdienst, durch Ihre höchst gediegenen Arbeiten die mechanische Wärme-Theorie auf analytischem Wege begründet zu haben, ein Verdienst, das, soviel mir bekannt,, unbestritten über- all anerkannt ist. Solchen Leistungen gegenüber kann meinem Schriftehen offenbar nur ein historisches Interesse noch zu- kommen.“ — In seinen autobiographischen Aufzeichnungen aus den Sech- zigerjahren sagt Mayer nach der Darstellung der zahlenmäßıgen Bestimmung des mechanischen Wärme-Aequivalentes mit — 365 (ob numerum rotundum, da die Rechnung — 367 ergab) hinsicht- lich des Anteiles Joules an diesen Feststellungen (nach Reg- naults späteren genauen Bestimmungen der spezifischen Wärme: der atmosphärischen Luft mit — 0.24 berechnet sich das mecha- nische Wärme-Aequivalent — 425 bezw. 424): „Man wird leicht erraten, daß ich von vorneherein sehr den Wunsch gehabt habe. die durch Reibung erzeugte Wärme zu messen, um auch auf diese Weise das Wärme-Aequivalent zu bestimmen; allein hierzu fehl- ten mir die Mittel, und es hat die Wissenschaft diese Unterlassung, auch keineswegs zu beklagen, da diese Aufgabe von einem so aus- gezeichneten Physiker wie Joule auf meisterhafte Weise gelöst worden ist.“ In den „Bemerkungen über das mechanische Aequivalent der Wärme“, 1851, heißt es bei Mayer: „In der Tat wurde dieses Gesetz und dessen numerischer Ausdruck, das mechanische Aegui- valent der Wärme, fast gleichzeitig in Deutschland und in England veröffentlicht. Von der Tatsache ausgehend, daß die Größe des chemischen sowohl als des galvanischen Effektes einzig und aliein von der Größe des Materialverbrauches abhängt, wurde der be- rühmte englische Physiker Joule zu dem Satze geführt, daß die Bewegungs- und Wärmeerscheinungen wesentlich auf einem und demselben Prinzipe beruhen, oder wie er sich auch gleich mir ausdrückt, daß sich Wärme und Bewegung ineinander verwandeln lassen. Außerdem, daß diesem Gelehrten die selbständige Autfin- dung des genannten Naturgesetzes nicht bestritten werden kant. so hat sich derselbe auch um die weitere Begründung und Entwick- Ya ey a ee ey Y Tu LE TE, 4 TR ee ae MINE“ ‘GEN, RE states Lt ver Wi fe te am we : “ E E ’ 37 : lung desselben zahlreiche und wichtige Verdienste erworben ... Nach seinen neuesten Versuchen dieser Art hat er das mecha- nische Aequivalent der Wärme — 423, d. h. eine Kalorie — 423 Meter-Kilogramm gesetzt.“ Diese rückhaltlose Bewunderung für Joule ist umso be- merkenswerter, als Mayer hinsichtlich der Wärmetheorie und des Aequivalentes der Wärme seine Priorität gegen Joule im Jahre 1848 in einer Zuschrift an die Pariser Akademie der Wissen- schaften energisch zu vertreten genötigt war. — Bei dem weitgehenden Interesse für naturwissenschaftliche Fragen ist es nur verständlich, daß Julius Robert Mayer wiederholt die Gelegenheit ergriff, mit den führenden und maß- gebenden Naturforscherp in persönliche Verbindung zu treten Diesem Bedürfnisse entsprang der Besuch der Naturforscherver- sammlungen in Karlsruhe (1858), Speyer (1861), ‘Stettin (1863). Gießen (1864), Frankfurt a. M. (1867) und auf besondere Einladung der Geschäftsführung jener der Versammlung in Innsbruck (1869. endlich der Besuch der Mathematiker-Versammlung 1873 in Göt- tingen und schließlich über Einladung von Clausius auch jener der Versammlung der Schweizerischen naturforschenden Geseli- schaft in Zürich (1864). — Seine unversiegliche lebhafte Anteil- nahme an der Erörterung und Behandlung wissenschaftlicher Fra- gen bekunden die weiteren Vorträge, welche er nach dem Inns- brucker Vortrag (1869) noch hielt: „Ueber Erdbeben“ in Neckarsulm Juni 1870, „Ueber die Bedeutung unverän- derlicher Größen“ im „Kaufmännischen Verein“ in Heil- bronn am 3. November 1870, „Ueber die Ernährung“ zum Besten der Invalidenstiftung Heilbronn am 13. April 1871, „Ueber veränderliche Größen“ im kaufmännischen Verein Heil- bronn am 10. November 1878; und seine Aufsätze im „Staatsanzei- ger für Württemberg“: „Die Torricelli’sche Leere“ 1875 und „Ueber Auflösung“ 1876. — Ueberhaupt liebte Julius Robert Mayer, wie ihm sein Freund Rümelin noch 1875 be- zeugt, das Terrenz’sche: „Nilhumania me alienum puto.“ 14: Es muß dem Genie unbenommen bleiben, auf welchem Wege dasselbe zur Kenntnis grundlegender Feststellungen wie jener über die Bedeutung des Prinzips von der Erhaltung der Kraft gelaugi. Julius Robert Mayer ist, fußend auf der Erkenntnis frü- herer Jahrhunderte, mit Verwertung und unter Zugrundelegung der ~ durch Gay-Lussac (1807) erhobenen Verhältnisse der Beein- flussung der Gase durch Druck zur Aufstellung und rechnerischen Festlegung des mechanischen Wärme-Aequivalentes gelangt. So erblicken wir in Julius Robert Mayers weittragender Er- a a. = IN £ 2: >= gy » 38 kenntnis des Grundsatzes von der Unzerstérbarkeit der Energie und der daraus von ihm erschlossenen, zahlenmäßig ermittelten innigen Wechselwirkung zwischen Arbeitsleistung und Wärmebil- dung mit Aufstellung des mechanischen Wärme-Aequivalentes die Kontinuität mit den Errungenschaften wissenschaftlicher Erschlie- ßung früherer Jahrtausende. In zähem Festhalten und weiterem beharrlichen Verfolgen der auf der Reede von Surabaya an der erkrankten Schifismannschaft gemachten Beobachtung der hell- roten Farbe des Blutes in der Blutader als Ausdruck einer offenbar weniger energischen Oxydation in den Tropen im Vergleiche mit jener in gemäßigten und nördlicheren Breitegraden war Mayer über die Experimente Lavoisiers zur Ermittlung des Zahlen- wertes für das mechanische Aequivalent der Wärme gelangt. Diese Beweisführung kann ihm nicht hoch genug ' angerechnet werden, Es ist nicht angängig, die Bedeutung der Arbeiten Julius Ro- bert Mayers gleichsam als Ausfluß einer nur zufälligen ein- maligen Eingebung ihres Wertes zu entkleiden und durch den Hin- weis auf das „Liebäugeln mit der Metaphysik“ herabzüdrücken. Wie sehr Julius Robert Mayer auf dem Boden streng objektiver, in den Ergebnissen der beschreibenden Naturwissen- schaften wurzelnder Beweisführung bei der Begründung seiner Ansichten verfuhr, erhärten seine mannigfachen Aeußerungen in den Schriften und Briefen. In einem Schreiben Mayers an Baur vom 1. August 1841 heißt es: „Nach meinen Ansichten über Natur- wissenschaften sollten meine ausgesprochenen Grundsätze nicht so indifferent sich verhalten, daß sie nicht wenigstens einer Ueber- legung wert wären; auch sind es keine Hypothesen, die ich samt — und sonders verfluche.“ — An Griesinger schreibt Mayer am 20. Juli 1844: „Wahrlich, ich sage Euch, eine einzige Zahl hat mehr wahren und bleibenden Wert, als eine kostbare Bibliolhek voll Hypothesen.“ — Seine bedeutendste Schrift: „Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel“, 1845. beginnt mit den Worten: „Die angewandte Mathematik hat im Ver- laufe der letzten Jahrhunderte eine so hohe Stufe der Ausbildung erreicht, ihre Schlüsse haben einen solchen Grad der Sicherheit erlangt, daß sie unter den Wissenschaften den ersten Rang einzu- nehmen berechtigt ist. Sie ist der Anfang und das Ende für den Sternkundigen, den Techniker, den Seemann; sie ist die feste Achse aller Naturforschung jetziger Zeit.“ ..... „In den exakten Wis- senschaften hat man es mit den Erscheinungen selbst, mit meßbaren Größen zu tun.“ — In seiner Publikation: „Bemerkungen über das mechanische Aequivalent der Wärme“, 1851, befindet sich die be- merkenswerte Stelle: „Die wichtigste, um nicht zu sagen einzige Regel für die echte Naturforschung ist die: eingedenk zu bleiben daß es unsere Aufgabe ist, die Erscheinungen kennen zu lernen. bevor wir nach Erklärungen suchen oder nach höheren Ursachen ee eo Berı i 3 2 E | 39 fragen mögen. Ist einmal eine Tatsache nach allen ihren ‚Seiten hin bekannt, so ist sie eben damit erklärt, und die Aufgabe der Wissenschaft ist gelöst.“ — In der gleichen Schrift wird ausgeführt: „Es müssen nämlich die nächstliegenden und häufigsten Natur- erscheinungen mittels der Sinnwerkzeuge einer sorgfältigen Unter- suchung unterworfen werden, die solange fortzuführen ist, bis aus ihr Größenbestimmungen, die sich durch Zahlen ausdrücken las- sen, hervorgegangen sind. Diese Zahlen sind die gesuchten Fun- damente einer exakten Naturforschung.“ — „Die Bemerkungen über das mechanische Aequivalent: der Wärme“, 1851, beginnt Mayer mit den Worten: „Das großartige und weitläufige Gebäude der Erfahrungswissenschaften ist auf einer kleinen Anzahl von Pfeilern errichtet. ..... Jahrtausende hat es bedurft, bis es dem suchenden Geiste des Menschen gelungen ist, die Grundlagen der Wissenschaften zu finden, auf denen dann in verhältnismäßig kurzer Zeit der Hochbau aufgeführt wurde.“ — In der gleichen Arbeit führt Mayer aus: „Kraft und Materie sind unzerstörbare Objekte. pies Gesetz... ist eine naturgemäße Grundlage für die Phy- sik, Chemie, Physiologie und — Philosophie.“ — Die rationelle Mechanik bezeichnet Mayerals eine „immense Wissen- schaft“. Bemerkenswerter Weise nennt er hingegen die ele- mentare Physik eine „Halbwisserei“, deren Grundbegriffe und Lehrwerte man beim Eintreten in die höhere Wissenschaft so schnell als möglich zu vergessen suchen müsse. — In den ,,Be- merkungen über das mechanische Aequivalent der Wärme“, 1850 führt Mayer in wahrheitstreuer Schlichtheit aus: ..... „Der Urgrund der Dinge aber ist ein dem Menschenverstande ewig un- erforschliches Wesen — die Gottheit, wohingegen „höhere Ur- sachen“, „übersinnliche Kräfte“ und dergleichen mit allen ihren Konsequenzen in das illusorische Mittelreich der Naturphilosophie und des Mystizismus gehören.“ Daß Julius Robert Mayer bei der Ausfertigung seiner schriftlichen Aufzeichnungen äußerst sorgfältig und vorsichtig zu Werke ging, kann aus dem Antwortschreiben an Heinrich Rohlfs vom 5. Dezember 1877 erschlossen werden: „Es ist eine fatale Eigentümlichkeit, daß ich sehr langsam arbeite und daß alles vorher im Kopfe fertig sein muß.“ 12; “ Die Schilderung über die Bedeutung der Persönlichkeit Ju- lius Robert Mayers wäre nicht vollständig, wenn nicht auch über sein Verhältnis zur Religion und über seine religiöse Gesin- nung einige Angaben gemacht würden. Julius Robert Mayer war die Religion eine auf Ueberzeugung fußende Gefühlssache. In einem an seinen Freund Lang am 19. März 1844 gerichteten Brief heißt es: „Die feste, auf wissenschaftliches Bewußtsein gegründete. SP AP A 40 3 von jedem Offenbarungsglauben gereinigte Ueberzeugung von der persönlichen Fortdauer der Seele und von einer höheren Lenkung der menschlichen Schicksale war mir der kräftigste Trost, als ıch die kalte Hand meiner sterbenden Mutter in der meinigen hielt.” — In einem an seine Eltern gerichteten Schreiben von der Seereise an Bord der „Java“ März 1840 schreibt Mayer: „Das Herz, vom Gewühle der Welt entfernt, stimmt sich mächtig zur Andacht und. der großartigen Natur lebend, kennt man nichts Schöneres, als sich zu dem Schöpfer zu erheben.“ — In einem Schreiben vor dem Innsbrucker Vortrag heißt es! „Nun bin ich älter geworden und — lasse mich gern wieder zu den Jüngern der Wissenschaft zählen. aber der Eifer für die Wahrheiten der christlichen Religion ist bei mir doch nicht im Erkalten.‘ — Seinen Vortrag „Ueber Erdbeben“. 1870, beschließt er: „Die Naturwissenschaften haben sich zum Glück von philosophischen Systemen emanzipiert und gehen an der Hand der Erfahrung mit gutem Erfolge ihren eigenen Weg. Wenn aber oberflächliche Köpfe, die sich gerne als die Helden des Tages gerieren, außer der, materiellen, sinnlich wahrnehmbaren Welt überhaupt nichts Weiteres und Höheres anerkennen wollen, so kann solch lächerliche Anmaßung einzelner der wahren Wissen- schaft nicht zur Last gelegt werden, noch viel kann sie derselben zu Nutz und Ehre gereichen.“ — Offenbar auch seiner tief religiösen Gemütsart widerspricht es. Darwins Selektionstheorie anzuerkennen, in deren Konsequen- zen er beim Streben nach künstlicher Beeinflussung und Züch- tung von neuen Formen durch Auslese eine offensichtliche An- maßung gegen göttliche Einrichtungen erblickt. In einem Brief an tudolf Schmidt (damals Pfarrer in Friedrichshafen, später Hofprediger in Stuttgart, Verfasser der Schrift: „Die Darwin‘schen ‘ Theorien und ihre Stellung zur Philosophie, Religion und Moral“ Stuttgart 1876) vom 22. Dezember 1874 sagt Mayer: „Dies geht aber nach meiner Ansicht so lächerlich weit über das Menschen- mögliche hinaus, daß ich hier den Paulini’schen Spruch an- wenden möchte: „Da sie sich für weise hielten“ usw., gewiß sind aber die Darwinianer eifrige Kämpen und die Sache hat ohne Zweifel nur deshalb so viele Anhänger in Deutschland, weil sich daraus Kapital für den Atheismus machen läßt.“ — Wie sehr übri- gens Julius Robert Mayer einer Verquickung der Erörte- yung von physikalischen Fragen mit religiösen Einflüssen ab- hold war, beweist überzeugend sein Schreiben an Moleschott vom 13. Dezember 1867, in welchem er dem wegen seiner materia- listischen Richtung bekannten Physiologen als Verdienst anrech- nel, die Verteidigung des Satzes, „daß wissenschaftliche Gegenstände und Forschungen nicht mit religiösen Dogmen oder gar kirch- lichen Fragen vermischt werden dürfen.“ Mayer fährt dann fort: „Immerhin werden wir uns selbst das Zeugnis geben können und ARTEN 41 die Geschichte wird uns dasselbe nicht versagen, daß wir als red- liche Arbeiter der Wahrheit nachgestrebt und dieselbe nach Kräf- ten auch gefördert haben. Jeden aber, der zu denken wagt, auf den Scheiterhaufen führen zu wollen, dürfte zu unserem Glücke schon aus ökonomischen Gründen nicht rätlich erscheinen.“ 13. Aus’Rümelins Charakteristik der äußeren Persönlichkeit Mayers entnehmen wir, daß Mayer von Jugend auf seinen Körper durch sportliche Betätigung jeder Art zu stählen wußte und daß er als gewiegter Schwimmer und ausdauernder Fußgänger “im allgemeinen von jugendlich frischem Schwung und straffer Spannkraft war. Das spätere Zeugnis Rümelins besagt: „Er (M.) . war von etwas mehr als mittlerer Größe und wohlgebaut, trug sich aber etwas nachlässig und vorgebeugt. — Dr. Artur Mil- berger faßt seine Wahrnehmungen über Mayer in die Worte zusammen: „Er war von mittlerer Größe, schlank gebaut, ohne den Eindruck der Schwächlichkeit zu machen; die Körperhaltung war selbst beim Sitzen etwas gekrümmt ..... die an sich unschöne Gesichtsbildung gewann beim Sprechen unverkennbar und die klei- nen, enggeschlitzten Augen blickten lebhaft genug, um selbst hinter der Brille ihr ungewöhnliches Feuer leuchten zu lassen ..... Der ganze Gesichtsausdruck erinnerte an das, was man verwettert zu nennen pflegt.“ — Eine begeisterte Schilderung hat über Ju- lius Robert Mayer Rohlfs, der Herausgeber des deutschen Archivs für Geschichte der Medizin und medizinische Geographie nach einem Besuch in Heilbronn im Jahre 1876 geliefert: „Von mittlerer Statur, frappierte er durch sein geistreiches Auge. Das- selbe verriet zugleich den tiefen, forschenden, dem Wesen der Dinge nachspürenden Denker. Ein ganz eigentümlicher Blick strahlte einem aus den dunklen, braunen Augen entgegen. Etwas’ scharf Beobachtendes, tief Eindringendes, Durchbohrendes und doch Träumerisches, nach innen Gekehrtes, die Außenwelt Ver- gessendes und doch zugleich bei allem Ernste Schalkhaftes. Dazu gaben die dichtbehaarten Brauen dem wunderbaren Zauber, wel- cher dem Auge entquoll, etwas Melancholisches, Ernstes, geisterhaft Verklärtes. Es war mir klar, die ganze Macht seiner Persönlichkeit Jag in seinem Auge und eben dies gab nicht bloß seinem Gesichte, sondern seinem ganzen Kopfe etwas ungemein Einnehmendes, Originelles, jeden Menschenkenner Hinreißendes ..... Jeder Unbefangene mußte den Eindruck empfangen, daß er es hier mit einer ungewöhnlichen Persönlichkeit zu tun habe; es war, als wenn das Auge, diese Leuchte des Geistes, seinen Abglanz über alie ein zelnen Teile ausstrahlte.“ — Eugen Dühring, welchen Mayer in Wildbad im Jahre 1877 für mehrere Tage besuchte, be- richtete hierüber: „Der Eindruck, den er persönlich machte, war ’ BT Be *5 u DR N an 42 ; ein sehr günstiger. Wer ihn sah, mußte sofort die Einfachheit und Bescheidenheit seines Wesens schon im Aeußern, ja auch im An- zuge bemerken... .. Sicherlich hätte in der Physiognomie dieses Mannes nur der tiefer Eindringende den Forscher und Denker er- kannt; denn in der Physiognomie des Gespräches zeichnete sich für den gewöhnlichen Beobachter nichts aus, als etwa die Schnel- lıgkeit und Leichtigkeit der Wendungen sowie die Fülle von volks- mäßig einfachen Ausdrücken, ja selbst von Sprichwortern..... Robert Mayer gab sich einfach wie die Natur, auf die und mit der er sich ja in einem Hauptpunkte der Physik verstanden hatte.“ — Mayer hatte ein außerordentliches Gedächtnis. Er liebte es. iv seiner Rede Zitate aus griechischen, lateinischen und deutschen Klassikern oder Bibelstellen einzustreuen. Von verschiedenen Beobachtern werden Mayers köstlicher Humor und sein treffender Witz gerühmt. Ein Heilbronner Kollege meldet diesbezüglich folgendes: „Mayer war in seiner Vatersladt eine in allen Kreisen sehr bekannte Persönlichkeit. Sein manch- mal ausgelassener Humor und seine oft beißenden Witze wurden ihm von niemand, selbst von den Betroffenen nicht verübelt, im Gegenteil mit großem Jubel und ungeheurer Heiterkeit aufgenom- men, da jedermann seine Herzensgüte kannte und wußte, daß es von ihm nicht böse gemeint war.“ Heinrich Rohlfs schreibt in diesem Zusammenhang über seine Wahrnehmungen im Kreise von Heilbronner Honoratioren im Jahre 1876: „Dabei entwickelte Mayer einen blendenden Witz, einen köstlichen, oft scharfen. aber stets zugleich gutmütigen Humor und eine so einnehmende Kindlichkeit und Liebenswürdigkeit, daß ich ganz hingerissen wurde.“ — Der schwäbische Dichter und Oberhofprediger Karl Gerok schrieb an die Gattin Mayers nach dessen Tode: „Zu den schönsten Errungenschaften meiner Jugend, zu den Zierden meines Lebens rechne ich es, mit dem Entschlafenen nicht nur per- sönlich bekannt, sondern auch dauernd befreundet gewesen zu sein. Sein genialer Geist, seine großartige Entdeckung gehört der ganzen Welt und gehört der Geschichte an; aber sein redliches Herz ohne Falsch, sein edler, mannhafter Charakter, sein kindlich einfaches Gemüt, sein köstlich erigineller Humor, der persönliche Kern seines Lebens war nur denen aufgeschlossen, welche das Glück hatten, ihm persönlich nahe zu kommen.“ 14. Zweifel über die Möglichkeit, einen restlosen Einblick in das Wesen allen Naturgeschehens auf dem Wege materiell-mechanisti- scher Erkundung zu gewinnen, sind wohl keinem tiefgründigen Forscher erspart geblieben. Aehnlichen Ueberlegungen und Vor- stellungen, wie sie Julius Robert Mayer in seinem Vorirag auf der Innsbrucker Naturforscherversammlung: „Ueber notwen- 43. dige Konsequenzen und Inkonsequenzen der Warmemechanik* am 18. September 1869 zum Teil entwickelt, ist auch das vielum- strittene „Ignorabimus“ von Du Bois Reymond (1818 bis 1896) entsprungen. Die Rede Julius Robert Mayers zer- fällt in vier organisch nur lose zusammenhängende Teile. Im er- sten Abschnitt bespricht Mayer den von Emil Zech in seinem Auitrag gebauten Wärmemesser zur unmittelbaren Bestimmung der vom Motor geleisteten Pferdekraft in Meter-Kilogramm. — Da- nach erörtert Mayer im zweiten Teil seines Vortrages das aus dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie gefolgerte Zerstreuungs- oder Entropie-Gesetz (Sadi Carnot und Clau- sius). Er tritt der Anschauung einer endlichen Erschöpfung der strahlenden Sonnenenergie durch Verbrauch der Sturzmassen an der Hand seiner Meteoriten-Theorie, welche einen dauernden und ausreichenden Ersatz an Sturzmaterial vorsieht, entgegen. — Im dritten Teile der Rede erklärt er die Hauptursache des Erdmagne- tismus als eine Folge der durch die Passatwinde verursachten Rel- bungs-Elektrizität. — Im vierten und letzten Abschnitt verläßt J u- lius Robert Mayer „das Gebiet der unbelebten Natur“ und tritt „in die lebende Welt“ über. Mayer führt dabei Folgendes aus: „Wenn dort die Notwendigkeit herrscht und des Gesetzes im- mer gleichgestellte Uhr, so kommen wir jetzt in ein Reich der Zweckmäßigkeit und Schönheit, in ein Reich des Fortschrittes und der Freiheit. Die Grenzmarke bildet die Zahl. in der Physik ist die Zahl alles, in der Physiologie ist sie wenig, in der Metaphysik ist.sie nichts.“ — „Die Physik ..... muß bei dem Studium der Physiologie und der Metaphysik als eine absolvierte Hilfswissen- schaft vorausgesetzt werden.“ Mayer folgert weiter, daß die Kon- . sequenz des Gesetzes von der Erhaltung der Kraft sich in der or- ganischen Welt nicht mehr mit aller Strenge aufrecht erhaiten lasse, „denn während wir es dort mit Gesetzen zu tun gehabt ha- ben, haben wir jetzt nur noch Regeln.“ ..... „Es kann also der physikalisch richtige Satz: „Ex nihilo nil fit“ schon in der Phy- siologie nicht mehr in voller Strenge festgehalten und durchgeführt werden, viel weniger noch auf geistigem Gebiete.“, Mayer trilt der materiell-mechanistischen Deutung der Denkvorgänge ent- gegen. „Aber weder die Materie noch die Kraft vermag zu denken, zu fühlen und zu wollen. Der Mensch denkt.“ Endlich bestreitet Mayer die Bedeutung des freien Phosphors für die geistigen Ver- richtungen im Sinne der Lehre Carl Vogts und bezeichnet es als groben Irrtum, wenn man die im Gehirne ablaufenden mate- riellen molekulären Veränderungen, welche notwendiger Weise mit den geistigen Verrichtungen aufs innigs‘e verknüpft sind, mit geistiger Funktion identifiziere. „Das Gehirn ist nur das Werkzeug, es ist nicht der Geist selbst.“ „Die Logik ist die Statik, die Gram- matik ist die Mechanik und die Sprache die Dynamik des Gedan- 44 kens.“ — Mayer beschließt seinen bemerkenswerten Vortrag mit den etwas unvermittelt klingenden Worten: „Aus vollem, ganzen = Herzen rufe ich es aus: „eine richtige Philosophie darf und kann nichts anderes sein, als eine Propädeutik für die christliche Reli- — gion.“ — Der Innsbrucker Vortrag Mayers hat durch seine scheinbar zusammenhangslose Verknüpfung verschiedenartiger, höchst bedeutsamer Probleme streng physikalisch-materiellen Ur- sprungs mit solchen metaphysischen Inhaltes und nicht zuletzt auch durch den eigentümlichen, für eine Naturforscher-Versammlung vielleicht auch nicht ganz passenden Schluß vielfach befremdlich ze : gewirkt. — Aus der schon von seinem Jugendfreund Rümelin erwähnten Neigung Mayers zu einer leicht übersprudelnden Ge- dankenfülle und hastigen Aufeinanderfolge seiner Schlüsse und aus seiner schroffen Ablehnung verallgemeinernder materialisti- scher Lebensanschauungen werden aber Aufbau und Besonderheit dieses Vortrages nicht unverständlich. — Höchst bedauerlicherweise schließen sich an die im allgeme:- nen so glänzend verlaufene Innsbrucker Naturforscher-Versamm- lung eine bittere Erfahrung und nachhaltigere Enttäuschung für Julius Robert Mayer an, die einen dauernden Stachel zu- rückließen. Die verschiedenen Angaben, daß Julius Robert Mayer von Innsbruck wegen eines Vorstoßes von Seite der Freunde Helmholtz’ gegen ihn während des Vortrages verstimmt und frühzeitig abgereist sei, entspricht den Tatsachen durchaus nichi. An den Vortrag Mayers vom 18. September 1869 hat sich keiner- lei ablehnende, für Mayer kränkende Stellungnahme seitens der Anwesenden angeschlossen. Mayer hat vielmehr, wie sich dies auch aus einem an mich gerichteten Briefe von Pfaundler (14. 2. 1839 bis 6. 5. 1920) ergibt, nachher noch an dem Ausflug über den Brenner am 19. September sich beteiligt und ist in froher Stimmung im Kreise der Physiker am Tische Pfaundlers in Bo- zen zugegen gewesen. Das mir von unserem verehrten, inzwischen verstorbenen Gründer und Ehrenmitglied Leopold Pfaundler überlassene Lichtbild Julius Robert Mayers, das dieser jenem gewidmet hatte und welches das Datum vom 22. Septem- ber 1869 trägt, beweist zur Genüge, daß Julius Robert Mayer bis zu diesem Tage bestimmt in Innsbruck weilte. Das ergibt sieh auch nach Weyrauch aus der bis zum 23. September reichenden ~ Zahi der Nummern des Tagblattes der Naturforscher-Versamm- lung, die später im Besitze Julius Robert Mayers gefunden wurden. Der Mißton, welcher allerdings in einen Teil der Teilneh- mer an der Innsbrucker Naturforscher-Versammlung ‚getragen wurde, knüpft sich an den Vortrag von Carl Vogt, Professor in Genf, früher in Gießen (1817—1895), in dem sich dieser in seiner etwas schwer zügelbaren Artung eine verletzende Aeußerung über 5 - | 2 45. die symbolische Bedeutung des Abendmahls gestattete. Carl Vogt hatte gesagt: „..... Und als der Mensch seinen Gott Anihropomorphosierte;; ‘ab er ihn ebenfalls, um sich mit demselben. zu identifizieren.“ (Tagblatt der 43. Versammlung deutscher Na- turforscher und Aerzte, Innsbruck 1869, Seite 103.) Auf diese - Aeußerung hin fielen, wie auch eines der Innsbrucker Tagesblatter („Bote für Tirol und Vorarlberg“, 22. September 1869) es verzeich- net, Worte des Mißfallens. Der Zeitungsbericht besagt: „Doch möge es uns der geehrte Herr Professor nicht verargen, wenn wir nach unserem unmaßgeblichen Dafürhalten die Meinung ausspre- chen, daß es dem Vortrag keinen Eintrag getan hätte, wenn ein das- christliche Gefühl verletzender, derber Witz des Redners — unier- lassen worden wäre. Derselbe rief auch Zischen in der Versamun-. lung hervor..... Mein sehr verehrter Freund Hofrat Prof. Dr. Julius G ls IR) Abbazia, welcher als junger Mediziner bei der Geschäftsführung der Naturforscher-Versammlung gemeinschaftlich mit Dr. Fizia als Generalsekretär des ersten Einführenden, Prof. Dr. O0. Rem- bolds wirkte, schreibt mir am 3. März 1920, daß ein Mißton im: Anschlusse an den Vortrag von Julius Robert Mayer sich gewiß nicht ereignet habe. Glax berichtet Folgendes: „An Mayers Vortrag knüpften sich meines Erinnerns nur Beifalls- bezeugungen. Dagegen rief Vogt eine kleine Szene mit den Worten hervor: „und als der Mensch seinen Gott anthropomorph.o- gıerte ; . 2. Nach seinen |Worten erhob sich im Zuschauer- raum der Zoologe und Franziskaner Gredler und rief laut: „Pfui Teufel!“ Im Tagblatt ist dieser Ausruf nicht wiedergegeben, wohl aber die Bemerkung: (,,Rufe, sehr richtig! — Heiterkeit“). Die „Heiterkeit“ bezog sich auf Gredlers Zwischenruf.“ — Das Ant- wortschreiben Pfaundlers vom 1. März 1920 auf meine Anfrage vom 25. 2. lautet: „Trotzdem es so lange her ist und alle anderen dabei Beteiligten längst gestorben sind, so erinnere ich mich doch noch genau an alle Vorgänge jener hervorragenden Versammlung. an der Koryphäen wie Helmholtz, Beetz, Dove, Hlasi- wetz, Ladenburg und Brücke und viele andere teilgenom- men haben. Die allgemeinen Vorträge fanden im Theater statt, die abendlichen Zusammenkünfte im damals noch bestehenden alten Redoutensaale, der an Stelle der jetzigen Stadtsäle stand. Helm- holtz war mit seiner Frau bei mir einquartiert und arbeitete dort über Nacht seinen Vortrag über die Ziele der Naturforschung aus Als nach Helmholtz’ Vortrag Mayer den seinigen beganr, verließ ein großer Teil des Publikums, das keine Ahnung von der Bedeutung des Mannes hatte, mit Geräusch das Theater. Ich -aß neben Helmholtz auf der Bühne des Theaters und beobachtete 1) Glax ist Chen am 9, August in Abbazia gestorben; er war geboren im Wien am 11. 3. 46 alle Vorgänge genau. Als Mayer eine Bemerkung über Vogts Ausspruch, daß der Phosphor im Gehirn das Denken ermögliche. machte, ging ein leises Murmeln durch die Reihen, aber es kam zu keinem weiteren Skandal. Wohl aber wurde später die Lüge ver- breitet, daß Helmholtz sich unschön gegen Mayer benommen und ihm die Entdeckung der Erhaltung der Energie streitig ge- macht habe, weshalb Mayer im Verdruf sofort abgereist sei. Das alles ist erlogen! Helmholtz sprach mit größter Achtung von Mayer, machte nur zu mir persönlich eine Bemerkung über den eigentümlichen religiösen Schluß - von Mayers Vortrag, die aber sonst niemand gehört hat. Mayer ist auch keineswegs abgereist. sondern machte andern Tags in munterer Weise den Ausflug über den Brenner mit und saß dort in bestem Humor an unserem Tisch Dort schenkte er mir auch sein Bild..... Die ganze Versamm- lung nahm unter der Protektion des damaligen Statthalters Las - ser einen glänzenden Verlauf und ich hörte oft noch auf späteren Naturforschertagen mit Begeisterung von ihr sprechen.“ Auf der Heimreise ist nun offenbar Julius Robert Mayer ein Zeitungsblatt, vermutlich die „Kölnische Zeitung“ mit einer Darstellung aus der Feder von Carl Vogt oder aber auch ‚ein anderer ähnlicher Zeitungsbericht in die Hände gefallen, in welchem unter Berufung auf Tyndall der Geschäftsführung Vor- würfe darüber gemacht wurden, daß sie Mayer, dessen „Geist von Nacht umhüllt sei“, zur Uebernahme eines Vortrages aufge-" fordert habe. Hierüber konnte Mayer begreiflicherweise umso berechtigter in Aufregung geraten, als sich bei Tyndall nirgends eine bezügliche derartige Aeußerung findet und Tyndall noch 1891 ausspricht, daß dem 19. Jahrhundert kein größerer Genius als Robert Mayer beschieden wurde. — Seit seiner Wiederher- stellung aus der schweren Erkrankung im Jahre 1853 waren übri- gens Krankheitszustande von der damaligen Art und Heftigkeit. mit Ausnahme von vorübergehenden Perioden gemütlicher Erreg- barkeit bei Julius Robert Mayer nicht mehr aufgetreten. Ueberhaupt hatte die intellektuelle Seite im geistigen Verhalten Mayers nie eine Einbuße erlitten und es handelte sich, wie sich sein Sohn, med. Dr. Paul Mayer, äußert, mehr um eine krank- hafte Beeinflussung in emotiver Riehtung. Dr. Hussell, Direktor der Heilanstalt Kennenburg, in der Julius Robert Mayer dreimal (1856, 1865 und 1871) zwi- schen je 1—3 Monate weilte, spricht zur Kennzeichnung von Mayers Zustand von „krankhaften, wellenförmigen Stimmungs- änderungen“ und bezeugt: „dieses Mißverhältnis von Reiz und Re- aktion charakterisiert hauptsächlich Mayers Leiden.“ — Der Assistent der Anstalt, Dr. Mülberger, später Oberamtsarzt in Crailsheim. faßt sein Urteil wie folgt zusammen: „Wenn man die Krankheit Mayers durchaus mit einem Worte bezeichnen will. 47 so war es jedenfalls richtiger, ihn willenskrank zu nennen. Sein Geist blieb Herr über die Außenwelt, so ‘lange er lebte, aber die Impulse, die er von außen empfing. überwältigten seinen Willen und demgemäß hatte er die Reaktion gegen sie nicht mehr in der Hand.“ — Mayers Erregungszustand in München machte eine Tori. gehende kurze Ueberstellung in eine Krankenanstalt notwendig, welche ein Freund veranlaßte. Schon nach einigen Tagen konnte M. aber beruhigt die Heimreise antreten. — Aus dem Gefühl herber Verbitterung heraus beklagt sich Mayer noch am 7. Dezember 1877 gegenüber Dühring: „Da jedermann weiß, daß ich ein Narr bin, so hält sich auch jedermann für berufen, eine geistige Kuratel über mich auszuüben.“ — Den Stachel schmerzlichen Em- pfindens über die Verkennung seines Zustandes und die man- selnde Einsicht in die Bedeutung seiner Leistungen verrät auch die Stelle in den autobiographischen „Aufzeichnungen aus den Sechzigerjahren“: „Unvergeßlich bleibt mir nämlich, wie ein: seur hochgestellter königl. württemberg. Irrenarzt, Obermedizinalrat und Pfarrgemeinderat (gemeint ist Dr. Zeller, Direktor der Heil- anstalt Winnenthal) mir sein Urteil über meine „Organische Bewegung“ mit den Donnerworten verkündigte: „Sie haben die Quadratur des Zirkels gesucht!“ Naturgemäß fiel mit dem Münchener Begebnis ein Schatten auf den sonst ungetrübten Eindruck, den Julius Robert Mayer aus Innsbruck infolge der allgemeinen Anerkennung, welche er in den Kreisen der Physiker gefunden hatte, mit sich nahm. Am 20. November 1869 schreibt Mayer an seine älteste Tochter Elise: „Die Schlußworte meines Innsbrucker Vortrages haben bewirkt, daß ich in verschiedenen Zeitungen heftig ge- schmäht worden bin. Meine ganze Antwort bestand darin, daß ıch den Vortrag vollständig. im „Ausland“ (Nr. 45) veröffentlicht habe .... Was habe ich von meinem wissenschaftlichen Ruhm? Nichts als verdrießliche Geschäfte.“ (Mechanik der Wärme, 3. Aufl. 1893, S. 366.) — Bezeichnienderweise ließ sich Mayer trotz dieser üblen Er- fahrung, welche sich für ihn an den Innsbrucker Vortrag knüpfte, nicht abhalten, noch eine Reihe weiterer öffentlicher Vor- träge in verschiedenen Vereinen seiner Vaterstadt und in Nachbar- orten seiner Heimat zu halten, worüber schon an früherer Stelle berichtet worden ist. Nach mehrmonatigem Krankenlager verschied Julius Ro- bert Mayer an der gleichen Erkrankung wie seine Mutter, d. h. an einer sogenannten Alterslungentuberkulose im 64. Lebensjahr am 20. März 1878, nachdem er schon seit der Zeit vor Weihnachten 1877 zu kränkeln begonnen hatte. Er ist auf dem Friedhof seiner Heimatstadt Heilbronn begraben. — 48 Auf Grund des vorstehenden gedrängten Werdeganges er- scheint Julius Robert Mayer als eine ganz eigen- artige, besonders tiefgründige, geniale Persönlichkeit von selbst- schöpferischer Begabung, selten hohem Geistesflug und unge- wöhnlicher Universalität. Er war den meisten Physikern von Fach an Wissen und kritischer Veranlagung in der Verwertung physika- lıscher Versuchsergebnisse weit voraus. Dabei war er durch eine wohltuende Gemiitstiefe und überzeugungsfeste religiöse Gesin- nung ausgezeichnet. — Aus der Darstellung über die Lebensschicksale Mayers und die Beziehungen desselben zu Hermann von Helmholtz binsichtlich des Anteiles des Letzteren an der Erkenntnis von dem Prinzipe der Erhaltung der Kraft ergibt sich, daß Julius Ro- bert Mayer der Schöpfer, bezw. Ergründer der Erkenntnis die- ses fundamentalen Grundsatzes in seiner allgemeinen Bedeutung für die belebte und unbelebte Natur ist. — Neben hochbedeutsamen Leistungen auf anderen Gebieten bleibt Helmholtz das unbe- streitbare Verdienst neben Joule, Colding, Holtzmann unabhängig von Mayer das Prinzip von der Erhaltung der Kraft nachträglich auch erkannt und an der Hand feststehender Grund- sätze der mathematischen Physik die Ergebnisse Mayers weiter geprüft und ergänzt sowie endlich den Nachweis erbracht zu haben. daß die Feststellungen Mayers aus den Lehren der reinen Me- chanik sich ableiten lassen. Demgegenüber hat Julius Robert Mayer („Bemerkun- gen über die Kräfte der unbelebten Natur“, 1842) als erster — im Jahre 1840 als jungem Arzt in holländischen Diensten eröffnete sich ihm „das Licht der neuen Wahrheit“ in Surabaya; zum ersten- mal niedergeschrieben für Poggendorffis Annalen 1841 — das in der reinen Mechanik gültige Gesetz der Gleichheit von Ursache und Wirkung erkannt, sonach in seiner allgemeinen Bedeutung für die ganze belebte und unbelebte Natur in rastloser und zielvoller Arbeit erschöpfend ergründet und den zahlenmäßigen Wert des Aequivalentes zwischen Wärme und Arbeitsleistung rechnerisch bestimmt. „Es war das“ — wie Weyrauch mit Recht ausführt — „ein Wurf gleich dem Newtons, als er Galileis Fall- gesetze auf die Beziehungen der Weltkörper übertrug und Cant zum Entdecker der allgemeinen Gravitation wurde.“ Die uniibersehbare Bedeutung der Erkenntnis des Prinzipes von der Erhaltung der Kraft durch Julius RobertMayer und die Tragweite des weiteren Ausbaues der Thermodynamik drückt der leider zu früh verstorbene Physiologe der Pester Universität Franz Tangl (,,Energie, Leben und Tod“, 1914) mit den Wor-_ ten aus: „Nicht ganz 50 Jahre energetischer Forschung haben zur Erkenntnis der Einheitlichkeit der Welt unserer Erfahrung mehr geleistet, als alle frühern Jahrhunderte zusammen! Erst sie machte 49 der Lebenswissenschaft die großartigen Schätze der Physik und Chemie zugänglich, die aber von ihrer vollen Verwertung noch weit entfernt sind. Ist es da möglich, schon jetzt die Grenzen unse- rer Erkenntnis stecken zu wollen?“ Nach der eingehenden Würdigung des Anteiles von Helm- holtz an der Erkenntnis des Prinzipes von der Erhaltung der Kraft muß ausgesprochen werden, daß Helmholtz bei seiner aner- kannten, allgemeinen wissenschaftlichen Bedeutung es gar nicht nötig hat, seitens seiner Freunde noch mit dem ihm nicht zustehen- den Ruhme als Vater des Prinzipes von der Erhaltung der Krait belastet zu werden. : Wir aber dürfen darauf stolz sein, daß beide Gelehrte von ganz überragender Bedeutung, sowohl Hermann von Helm- holtzals Dr. Julius Robert Mayer die Unsern sind. Auf diesen wie auf jenen hat das Dichterwort volle Geltung: „Der Tod besiegte diesen Sieger nicht, Er lebtim Ruhm noch, obwohl nicht im Leben.“ (König Richard III, III, 1.) Und so können wir mit Weyrauch (1845—1918) schließen: „Denn der Name Robert Mayers wird umso heller strahlen, je mehr die Größen mit vorübergehendem Glanze um ihn schwinden. Und so lange die von ihm erkannte ewige Energie in Wahrheit suchenden Menschen kreist, werden die Freunde der Wissenschaft ihm huldigen!“ en ST ‘6 Ryn hy tae A rs Sas RI ae er Re owt oa ae Inhaltsverzeichnis. a) Vereinsnachrichten. 1. Berichte über die im Jahre 1920/21 abgehaltenen Sitzungen. 1. Sitzung am 26. Oktober 1920. Prof. Dr. Hammer]: Gedenkrede für das verstorbene Ehrenmitglied Prof. Dr. Leopold v. Pfaundler : 5 2 4 x : a, F 1 2. Sitzung am 9. November 1920 Prof. Dr. Seefelder: Uber Vererbung in, der Augenheilkunde. AV. 3. Sitzung am 30. November 1920. Dr. v. Faber: Über die Naturschönheiten Javas : : x E V 4, Sitzung am 7. Dezember 1920. Prof. Dr. Hans Haberer: Über neuere. Errungenschaften der Masen-Duodenalchirurgie . : - : 3 . : BALL, : > V 5. Sitzung am 11, Jänner 1921. : Prof. Dr. Hammerl: Über das Audion als Empfänger, Verstärker und Erreger elektrischer Schwingungen . “ : ; é 5 F 4 VII 6. Sitzung am 25. Jänner 1921, Prof. Dr. Greil: Über Geschlechtsbestimmung . . . .*> . + VELL 7. Sitzung am 15. Februar 1921. R Prof. Dr. Sperlich: Über Variation als Folge der Schwächung phyletischer Potenz . ; 2 “ 3 4 > : x ; ; 5; IX 8. Sitzung am 22. Februar 1921. Prof. Dr. Schumacher; Über die Fellzeichnung bei den Säugetieren IX 9, Sitzung am 1. März 1921. Prof.Dr. Defant: Über Klimaschwankungen und atmosphärische : Zirkulation 264 4. Urea ee ED Se A SE ay XI 10. Sitzung (Jahresversammlung) am 8. März 1921. Prof.Dr.Schumacher: Gedenkrede für Hofrat Prof. Dr. Karl Toldt Prof. Dr. Sieglbauer: Gedenkrede für Hofrat Prof. Dr. Moritz Holl Prof. Dr. Greil: Über zoologische Analogien zu den Befunden Bröf,.Sperlichs. "12: 1. Liisi awe eee N an ER cape > — i I 3 II ll. Berichte über die im Jahre 1921/22 abgehaltenen Sitzungen. : 1. Sitzung am 25. Oktober 1921. Prof. Dr.Defant: Gedenkrede für Hofrat Prof. Dr. Trabert E XIII Dr. Heinrich Micoletzky: Uber die zoologische Erforschung des Hochgebirges 2 - : : > 7 : - s E e : XIII 2 2. Sitzung am 8. November 1921. Prof, Adolf Wagner: Vorführung mikrophotographischer Auf- 3 nahmen . Sc bee RER - a eta i : - : > i ; XIV ° 3. Sitzung am 22. November 1921. ‚ Prof. Defant, Prof. Sölch. Prof. Klebelsberg: Über Wege- nersche Theorie der Kontinentalverschiebung é ; 3 ‘ Se ee LY 4, Sitzung am 6, Dezember 1921. Prof. Brücke: Über Farbensinn in der Tierreihe . t ; : pay 5. Sitzung am 17. Jänner 1922. Prof, Steuer: Über das Tierleben des Meeres . - 2 i : XIV 6. Sitzung am 31. Jänner 1922. | Prof. Sperlich, Prof. Sch weidler: Uber Blattbewegungen . XIV 7. Sitzung am 14. Februar 1922. Prof. Dr. Klebelsberg: Neues zur Entwicklungsgeschichte des Inntales : BET \ : > 3 | ; ; : ; : : XV 8. Sitzung am 7. März 1922. Prof. Seefelder: Über die neuen Forschungsergebnisse auf dem Gebiete der Entwicklung des menschlichen Auges : 2 ? : E XV 9. Sitzung (Jahresversammlung) am 21. März 1922. Prof. Brunner: Gedenkrede für Prof, Dr. Karl Hopfgartner . : XV lll. Personalstand des Vereines. Ree os XVII b) Abhandlung. Hofrat Prof.Ipsen: Julius Robert Mayer und die Erkenntnis des Prinzips von der Erhaltung der Kraft . : ; : : ’ : 1 erg oe: a Be x » 2 0 - ee Far F BERICHTE DES NATURWISSENSCHAFTLICH. MEDIZINISCHEN VEREINES IN INNSBRUCK ma XXXVIll. JAHRGANG 1920/21 UND 1921/22 Pas INNSBRUCK _ VERLAG: DEUTSCHE BUCHDRUCKERE! INNSBRUCK 1 9 2 2 FeDeten, | DNA UT ap N ® Pe hie BY J At Es Re. ph ei; ame init ee are ee ve Massiniaefuhe “ IN ss nen Ferree later at ; 5 . a I 2 En eset en hear r 2 fy a ieh eher tere piers - Sersinfeiele Lae hunter ' rer jada) Asa ‚ h Nele Traun